Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter 9783035602449, 9783764363819


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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Dank
Einleitung
1. Vier Wege in die Zukunft
2. Vom Automobil lernen
3. Architektur im Zeitalter der Wissenschaft
4. Energie, die Große Hoffnung
5. Information - die ,gotische Lösung'
6. Technologietransfer in der Architektur
7. Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter
Bibliographie
Bildnachweise
Register
Ein Gebäude ist kein Kunstwerk Nachwort von Ulf Jonak
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Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter
 9783035602449, 9783764363819

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Bauwelt Fundamente 106

Herausgegeben von Ulrich Conrads und Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hansmartin Bruckmann Lucius Burckhardt Gerhard Fehl Thomas Sieverts

Martin Pawley Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter

3 vieweg

Titel der englischen Originalausgabe: Theory and Design in the Second Machine Age © Martin Pawley, 1990 1990 verlegt bei Basil Blackwell Ltd., GB-Oxford Aus dem Englischen von Norma Keßler und Martina Wieser Umschlagvorderseite: Supermarkt hinter der Fassade des alten Mary Pickford Filmstudios in Baidock, Herts., © Bovis Limited Umschlagrückseite: Richard Horden, Yacht House, 1984, © Richard Horden

Alle Rechte vorbehalten © Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft GmbH, Braunschweig/Wiesbaden 1998 Der Verlag Vieweg ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation GmbH. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

http://www.vieweg.de Umschlagsentwurf'. Helmut Lortz Satz: ITS Text und Satz GmbH, Herford Druck und Buchbinder: Lengericher Handelsdruckerei, Lengerich Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-528-06106-9

ISSN 0522-5094

Inhalt

Vorwort

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Dank

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Einleitung

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1 Vier Wege in die Zukunft

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2 V o m Automobil lernen

71

3 Architektur im Zeitalter der Wissenschaft

99

4 Energie, die Große Hoffnung

129

5 Information - die .gotische Lösung'

153

6 Technologietransfer in der Architektur

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7 Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter

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Bibliographie

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Bildnachweise

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Register

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Ein Gebäude ist kein Kunstwerk. Nachwort von Ulf Jonak

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Vorwort

Dieses Buch nahm seinen Anfang bei einer gut besuchten Vernissage in den Räumen der Architectural Association in Herbst 1985. Ausgestellt wurde eine Sammlung von Zeichnungen im Beaux-Arts-Stil, die direkt für den Verkauf und nicht als Planungsgrundlage für Gebäudeprojekte angefertigt worden waren. Eine solche Ausstellung an der Architectural Association, einer von Studenten gegründeten und seit über einem Jahrhundert von Architekten geleiteten Schule, zeigt nur allzu deutlich die totale Niederlage der modernen Architektur und den Triumph der rückwärtsgewandten, stilbetonenden Lehre, auf die die Vertreter der Moderne noch zwanzig Jahre zuvor voller Verachtung und Spott herabgeblickt hatten. Im Verlauf dieser Vernissage fand der erste Austausch über das Thema dieses Buches statt, dem leider nur noch ein weiterer folgen sollte. Ich sah Peter Reyner Banham, der gerade aus Kalifornien zu Besuch war, unter den Besuchern, sprach ihn an und erzählte ihm dabei, daß ich schon immer eine Fortsetzung zu seinem Buch Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter, das erstmals 1960 erschienen war, schreiben wollte. Er erklärte, er habe nichts dagegen, halte ein solches Projekt aber für vollkommen überholt. „Wir befinden uns heute im sechsten oder siebten Maschinenzeitalter", meinte er. Ich erlaubte mir zu sagen, daß ich dies bezweifelte, doch das Ergebnis der weiteren Unterhaltung war nur noch Reyner Banhams klare Aussage, daß er nichts gegen den Gebrauch einer Abwandlung seines eigenen - berühmten - Titels einzuwenden habe. Zwei Jahre später erschien der Kernthese eines Kapitels von Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter als ein von mir verfaßter Artikel in der Zeitschrift Architectural Review unter dem Titel „ The Architecture of Technology Transfer' (AR, September 1987, S. 31 - 39) zusammen mit einem Hinweis auf des geplante Buch. Aufgrund dieser Veröffentlichung kam es dann zu einem zweiten Gedankenaustausch. Der Autor erhielt einen am 23. September 1987 geschriebenen Brief von Peter Reyner Banham aus Santa Cruz, in dem er Ge-

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danken zu einigen Punkten des Artikels äußerte. Er schloß mit dem Satz: „Ich brauche nicht zu erwähnen, daß ich weiten Teilen des Artikels nicht zustimme, aber ich bin sehr froh darüber, daß er veröffentlicht wurde, und vor allem, daß Sie ihn geschrieben haben." Als Banham diesen Brief schrieb, war er bereits von einer Krebserkrankung schwer gezeichnet, der er dann sechs Monate darauf erlag; ich erfuhr davon allerdings erst durch diesen Brief. „Wenn Sie gehört haben, daß ich an der Schwelle des Todes stehe, so ist das nicht ganz richtig, man könnte eher sagen, der Tod schickt sich gerade an, bei mir anzuklopfen", schrieb er. Ich antwortete am 2. Oktober 1987, dankte ihm für sein Interesse und versuchte, auf einige seiner Kommentare zu meinem Artikel einzugehen. Ich erwähnte auch einige Probleme, die beim Schreiben des Buches aufgetreten waren, und hoffte, er würde bald wieder gesund werden, um seine neue Stelle als Nachfolger von Henry Russell Hitchcock als Professor für Architekturtheorie und Architekturgeschichte an der New York University anzutreten. Auf diesen Brief bekam ich keine Antwort, aber einige Zeit später erfuhr ich, was er mit seinen letzten Worten in dem Brief gemeint hatte. Er war nach London zurückgekehrt, wo er am 18. März 1988 im Alter von 66 Jahren starb. Wie man beim Lesen des Buches rasch feststellen wird, sind die einzelnen Kapitel, die letztlich aus meiner Beschäftigung mit Banhams Buch entstanden sind, keine wissenschaftlichen Studien nach dem Muster von Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter; sondern mein persönlicher Versuch, mich mit den Fragen über die Beziehung zwischen Technologie und Architektur, die in dem häufig zitierten letzten Kapitel von Banham aufgeworfen werden, zu befassen. Da mir Banhams weltweite Verbindungen und dessen Blick für Gesamteuropa fehlen, konzentriert sich das vorliegende Buch im Vergleich zu seinem Vorgänger sehr stark auf England. Die meisten Architekten, deren Arbeiten hier besprochen und abgebildet sind, leben in England, und viele der hier beschriebenen Bauten stehen ebenfalls in England. In diesem Sinne müssen die Bauten und die Architekten, zusammen mit den vielleicht untypischen Sachzwängen und Einschränkungen, für etwas stehen, das ein weiter gereister Autor mit mehr Kontakten auf eine breitere Grundlage gestellt hätte. Dies ist ein Schwäche von Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter, aber auch ein Merkmal, das die beiden Bücher voneinander unterscheidet. Die einzige Rechtfertigung, die ich meinen Lesern anbieten kann, ist eine Beobachtung von Banham. Am Ende seines Lebens betrachtete er die Architektur als „nur einen von dutzenden von Wegen, zur Gestaltung von Gebäuden zu gelangen, aber sie ist zufälligerweise der Weg, dem die westliche Zivilisation eine kulturelle Hegemonie zugesteht". Diese Erkenntnis führte er in seinem Brief 8

an mich vom 23. September 1987 auf den Einfluß von Cedric Price zurück; aber in Wahrheit hatte er dies bereits bei der Konferenz über Experimentelle Architektur in Folkstone zwanzig Jahre zuvor geäußert. Ich habe immer noch meine Aufzeichnungen von seiner Rede auf dieser Konferenz, wo er sagte: „Wir alle dürfen nicht vergessen, daß die Architektur nur eine kulturelle Lösung für das Problem der Raumhülle ist." Wenn das zutrifft, muß diese Einschränkung für die Architekten und Gebäude in England genauso gelten wie für alle anderen auf der Welt. In diesen beiden Sätzen, zwischen denen zwanzig Jahre liegen, entdecke ich etwas von der realistischen Einschätzung, die die Grundlage war für Reyner Banhams oft kritisierte 'fehlende Ernsthaftigkeit', mit der er die Frage der Entbehrlichkeit der Kultur der Architektur im zwanzigsten Jahrhundert behandelte - eine Einschätzung, die er im allgemeinen zwischen den Zeilen seiner reichhaltigen journalistischen Arbeit verbarg und nur selten offen in seinen Büchern aussprach. Banham war ein Meister jener alten Kunst, „schwere Themen mit leichten Worten zu behandeln", wie er es selbst einmal ausdrückte. Der Autor dieses Buches besitzt diese Fähigkeit nicht, aber er ist der Überzeugung, die selben Themen mit seinen Worten zu behandeln. Martin Pawley

Widdicombe, 1989

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Dank

Während der gesamten Zeit, die ich an diesem Buch arbeitete, hatte ich das Glück, Architekturkritiker des Guardian und der Londoner Korrespondent von Casabella zu sein sowie für einige andere Zeitschriften schreiben zu können. Das Schreiben und die damit verbundenen Reisen sowie die Kontakte zu Architekten, Ingenieuren, Entwicklungsspezialisten und Wissenschaftlern hatten maßgeblichen Einfluß auf die Entstehung dieses Buches. Auch wenn sie für die hier dargelegten Überlegungen in keiner Weise verantwortlich sind, möchte ich doch den folgenden Personen meinen besonderen Dank aussprechen: meinem früheren Rektor an der Architectural Association, William Allen, dessen Titel „Architecture in the Age of Science'' ich für eine Kapitelüberschrift entlehnte; dem Architekten Robert Adam, der in seinem Essay Tin Gods: Technology and Contemporary Architecture auf brillante Weise für eine Synthese von klassischer Gestaltung und fortschrittlicher Materialtechnologie warb; Nick Grimshaw und Richard Horden, deren umfangreiches Wissen über Technologietransfer in der Architektur ich nie erreichen werde; Roger Perrin, der die Grenzen einer ,High-Tech'-Gestaltung in der praktischen Umsetzung erkannte und letztlich nachwies, daß sie einfach nicht wichtig ist, der aber immer noch bereit war, darüber zu reden; Nick Whitehouse von Terrapin Buildings, der 1983 meinen Horizont erweiterte; Michael Glickman, Präsident der McCauley Corporation, dem ich für seine Unterstützung immer dankbar sein werde; Jan Kaplicky, dessen zielstrebiges Eintreten für funktionelle Entwürfe in der Architektur - im Gegensatz zu den Eintagsfliegen der postmodernen Planungsbüros - einmal den Lauf der reaktionären Architektur durchbrechen wird und ihm jene anspruchsvollen Aufträge bringen muß, die er so sehr verdient hat; Peter Davey für die Veröffentlichung von „The Architecture of Technology Transfer' in Architectural Revieur, Richard Gott; Colin Boyne; Dan Cruickshank und Frank McDonald; den verschiedenen Herausgebern von The Architect/RIBA Journal im die Erlaubnis, seit 1980 unter der Rubrik „PS" in der Zeitschrift laut nachdenken zu dürfen; Tim Goodfellow dafür, daß er mich 10

überredet hat, die Arbeit an dem Buch nicht aufzugeben, u n d schließlich (was ihn vielleicht überraschen wird) Sherban Cantacuzino, der mich zu einem sehr späten Zeitpunkt höflich fragte, wann denn das erste Maschinenzeitalter geendet u n d das zweite begonnen habe - eine ziemlich grundlegende Frage.

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Einleitung

Die Reihe der Wegbereiter der Moderne reicht von Gropius zurück bis William Morris und über ihn hinaus bis zu Ruskin, Pugin und William Blake; aber sie setzt sich von Gropius aus nicht fort in die Zukunfi. Das kostbare Gefdß kunsthandwerklicher Ästhetik, das immer von Hand zu Hand gegangen war, ließ man fallen und zerbrechen, und niemand machte sich die Mühe, die Scherben wieder aufzulesen. Peter Reyner Banham, 1960 Peter Reyner Banham ( 1 9 2 2 - 1 9 8 8 ) schrieb diese Sätze gegen Ende des sechsten Jahrzehnts des zwanzigsten Jahrhunderts, u n d er betrachtete sich dabei als einen Menschen des Zweiten Maschinenzeitalters. In der kurzen E i n f ü h r u n g zu seinem Buch Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter unterscheidet er zwischen dem von ihm so genannten „Industriezeitalter", das fast eineinhalb Jahrhunderte dauerte u n d einem ,,Zweite[n] Industriezeitalter", das mit der „augenblicklichen Revolutionierung des Kontrollmechanismus" begann - zweifellos eine Anspielung auf die Möglichkeit computergesteuerter Fertigungsprozesse. Er verwendet das Wort C o m p u t e r zwar kein einziges Mal, doch der Digital Equipment PDP-1, der erste kommerziell vertriebene, noch mit Transistoren arbeitende Computer, wurde ebenfalls 1960, dem Erscheinungsjahr von Banhams Buch, auf den Markt gebracht. Wichtiger noch als das „Industriezeitalter" ist Banham jedoch - wie der Titel seines Buches bereits deutlich macht - das „Maschinenzeitalter". Er gibt für das von ihm so bezeichnete „Erste Maschinenzeitalter" keinen genauen Zeitraum an, doch seiner Ansicht nach begann es eindeutig in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten u n d dauerte bis in die dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, kurz vor den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Er beschrieb dieses „Maschinenzeitalter" als eine Zeit der „Starkstromleitung" (lan-

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1 Peter Reyner Banham (1922-1988), Autor von Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter

2 Richard Buckminsrer Fuller (1895-1983). Das Bild entstand drei Wochen vor seinem Tod.

desweite Stromversorgungsnetze im Gegensatz zu einzelnen, unabhängig voneinander arbeitenden Generatoren vor Ort) u n d der „Zurückführung der Maschinen auf einen dem Menschen angepaßten Maßstab" (die E i n f ü h r u n g von Haushaltsgeräten u n d leicht zu handhabenden Apparaten, wie Staubsaugern u n d Schreibmaschinen, oder komfortableren Transportmöglichkeiten, wie Autos u n d Flugzeuge). D a Banham sich als Teil eines Zweiten Maschinezeitalters begriff, betrachtete er die Entwicklung u n d den Einsatz der Maschinen des Ersten Maschinenzeitalters - vor allem dessen Bauten, aber auch dessen „symbolische ,Maschine'", das Auto - unter historischen Gesichtspunkten. Im Gegensatz zu späteren Autoren hielt er sich mit der genauen zeitlichen Festlegung von Anfang u n d Ende nicht lange auf. An anderer Stelle machte er einmal deutlich, daß er lieber „vermehrtes Auftreten" als „Premieren" betrachte. 1 Seiner Ansicht nach geht die Idee des Ersten Maschinenzeitalters auf die Arts-and-Crafts-Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts sowie deren Theorien über Zweckmäßigheit u n d neue Materialien zurück u n d wurde nur deshalb von der Idee eines Zweiten Maschinenzeitalters verdrängt, weil die vorherrschenden Prinzipien Le Corbusiers u n d Ozenfants Vorstellungen von einer bereits erreichten Maschinenevolution hin zu ,reinen Typen' immer weniger zur sich ständig weiterentwik-

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kelnden Kulturgeschichte passen wollten. Am Ende verschlingt eine ständig voranschreitende Evolution in der Technik alle von Banham genannten Künstler, Architekten, Designer und Theoretiker (eine Ausnahme bildet vielleicht nur Richard Buckminster Fuller, auf den später noch eingegangen wird). Beim Thema Zweites Maschinenzeitalter (das natürlich auch nicht das Thema seines Buches war) hielt sich Banham deutlich zurück. In Theorie und Gestaltung beschreibt er das Zweite Maschinenzeitalter einmal als eine Phase der Evolution in der Technik, in der „dank hochentwickelter Methoden in der Massenproduktion elektrische Apparate und synthetische Chemieprodukte in einem großen Teil der menschlichen Gesellschaft weit verbreitet" sind. An anderer Stelle mahnt er an, daß uns für „unser eigenes Maschinenzeitalter [...] noch ein entsprechendes theoretisches System" fehle und wir „daher noch ziemlich unsystematisch mit den Ideen und ästhetischen Vorstellungen, die wir vom Ersten Maschinenzeitalter übernommen haben", arbeiten. Obwohl er dieses Thema nicht so sehr vertiefte, wie ich es 14 Jahre später in meinem Buch The Private Future2 getan habe, erkannte und verstand Banham doch die gesellschaftszersetzenden Wirkungen der Technologie des anbrechenden Zweiten Maschinenzeitalters. Er wußte, daß die Eisenbahn und das Kino des Ersten Maschinenzeitalters das häusliche Leben oder die zwischenmenschlichen Beziehungen lange nicht so dramatisch und grundlegend verändert hatten, wie das Auto oder das Fernsehen dies taten. Aber er schrieb nie ein Buch über den Widerstand von Menschen gegen technologische Veränderungen oder über deren Auswirkung auf Theorie und Gestaltung - obwohl er einmal den Ausdruck ,Wampanoag Effekt' dafür fand, in Anlehnung an den Namen eines amerikanischen Kriegsschiffs des neunzehnten Jahrhunderts mit revolutionär neuer Technik. 3 Banham wollte sein Buch Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter als historische Rückschau, nicht als Blick in die Zukunft verstanden wissen, und deshalb sollten die einführenden Bemerkungen über das Wesen des Zweiten Maschinenzeitalters primär als Grundlage für den Rückblick auf das Erste dienen. Dies muß betont werden, da es nicht nur das berechtigte Interesse eines anderen Autors an diesem Thema erklärt - auch wenn er dabei ganz anders an dieses Thema herangeht -, sondern auch weil es deutlich macht, warum Banham auf die Schnittstelle zwischen den beiden Zeitaltern nur sehr bruchstückhaft eingeht. Soweit man das aus Theorie und GestaltungbtnneWen kann, liegt der entscheidende technische Schritt vom Ersten in das Zweite Maschinenzeitalter in der Verbreitung der elektrischen Haushaltsgeräte und den überall entstehenden Mechanismen der Fertigungskontrolle. Noch interessanter war für Banham in den ausgehenden fünfziger Jahren die befreiende Wirkung, 15

die diese Innovationen seiner Ansicht nach für die Gesellschaft hatten. Für ihn bedeutete dies das Ende der Maschinenkontrolle durch eine Elite, was nicht nur für das Erste Maschinezeitalter, sondern auch für das diesem vorangegangene Jahrhundert der Industrialisierung charakteristisch war. Banhams in Theorie und Gestaltung vertretene Sicht dieser Veränderung und der Möglichkeit einer Atomisierung der Gesellschaft durch die Technik ist eigenwillig, aber doch sehr zurückhaltend. Reyner Banham war im Grunde ein optimistischer Autor - neben seinen außerordentlichen Kenntnissen über die Kulturgeschichte wird dies in allen seinen Artikeln und Büchern nur allzu deutlich, doch der Nachteil eines solchen Optimismus ist eine vehemente Ablehnung, sich intensiver mit bedrohlichen Vorzeichen auseinanderzusetzen. Reyner Banham hörte dort auf, wo die Alpträume der technischen Entwicklung begannen. Heute, fast dreißig Jahre später, liegt die große Schwäche von Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter nicht so sehr in der Unfähigkeit, ein Nachfolger der Arts-and-Crafts-Bewegung zu werden, sondern vielmehr in der Unfähigkeit, allgemeingültige Theorien zu formulieren, die man als „Annahmen" interpretieren könnte, „die etwas erklären und auf Grundsätzen basieren, die von dem zu erklärenden Phänomen unabhängig sind", wie es in The Concise Oxford Dictionary heißt. Dieses Versagen ist bemerkenswert, insbesondere angesichts der wahren Explosion architekturtheoretischer Betrachtungen, die seit dem Ende der von einem breiten Konsens getragenen Moderne vor fünfzehn Jahren angestellt wurden. Dieses Versagen ist sogar so auffallend, daß man der Ansicht sein kann, sämtliche zwischenzeitlich entstandenen Schriften, Theorien und Fernsehreportagen hätten eine gegenteilige Wirkung zur Folge gehabt: Sie haben Architektur nicht erklärt, sondern vielmehr ihre treibende Kraft, den gesellschaftlich relevanten Zweck von Gebäuden begraben, der in der Zeit der Moderne eine modellhafte Beziehung zwischen Theorie und Praxis geschaffen hatte. Das Zweite Maschinenzeitalter ist ein Zeitalter ohne Ideologie, und die Bücher dieser Zeit sind nicht theoretisch. Wie im achtzehnten Jahrhundert, zumindest bis zur Französischen Revolution, ähneln sie eher Sammlungen von Bildern mit verbindlichen Texten, die wie Berberteppiche zwischen ihnen ausgelegt sind. Während vor fünfzig Jahren, auf dem Höhepunkt der Rebellion der Moderne erschienene Bücher wie The Modern House von F.R.S. Yorke oder Fine Building von Maxwell Fry4 eindringliche Texte und klare Pläne voller Grundsätze und praktischer Bezüge enthielten — wobei angemerkt sei, daß beide Autoren auch Architekten waren -, so heißen die entsprechenden Bücher heute eher Fünfzig Moderne Häuser oder Zeitgenössische Architektur in Alaska \ 16

und die Autoren sind in der Regel keine Architekten mehr, sondern Hochschullehrer oder Journalisten. Es werden auch keine Grundrisse oder andere Gebäudepläne abgebildet: Immer mehr Eigentümer verbieten den Herausgebern aus Sicherheitsgründen sogar deren Abdruck. Diese neue Form der Betrachtung von Gebäuden ohne eine Beschäftung mit deren Verwendungszweck oder deren Herstellungsweise hat die analytische Aufklärung aus der Zeit der Moderne in einer Form verdrängt, wie dies 1960 weder Reyner Banham noch sonst irgend jemand hätte voraussehen können. Sie ist Teil einer ganz bewußten Ablehnung der Notwendigkeit von Theorie, die mittlerweile ein internationales Phänomen ist und keineswegs nur auf die Herausgeber und Käufer von Architekturbüchern zutrifft. Auch die Architekten haben gelernt, ihre Arbeiten primär optisch ansprechend zu gestalten, statt sie ideologisch auszurichten, und entsprechend hat sich auch das intellektuelle Niveau ihrer Diskussionen gewandelt. Heute sind ihre Überlegungen nicht mehr von soziologischen Gesichtspunkten, sondern von der optischen Wirkung und von Bildern geprägt — was in allen Medien, für Herausgeber von Zeitschriften, Büchern und Kunstbänden, für Fernsehproduzenten, Fotografen und Autoren gleichermaßen gilt. Sie alle verhalten sich so, als wäre die alte Welt unserer Geschichte mit Hilfe perfekter Farbfotografien in eine Art Bildkatalog der gebauten Umwelt übertragen worden. Indem aber der gesamten Architektur der reale historische Kontext in Form von Planung, Konstruktion und Ideologie entzogen wird, reduziert man sie zu reinen Bildern, und sämtliche Bilder lassen sich dann in jeglicher Kombination weiterverwenden. So können Einkaufszentren im Stil der Mayas, gotische Tankstellen und Renaissance-Bankfilialen entstehen. Heute dürfen sämtliche Elemente irgendeines schon bestehenden Gebäudes, vom Steinrelief des Tempels von Abu Simbel bis zu den durchbrochenen Fassadenelementen der Hongkong and Shanghai Bank, bei jedem Gebäude unter dem Begriff .historischer Bezug' vermischt und nebeneinander verwendet werden. Die Folge davon ist eine bewußte Abkehr von der alten Logik und der Vernunft von früher, die mit dem Niedergang demokratischer Autorität in einer auseinanderbrechenden Gesellschaft einherging, deren heuchlerische Politik sich bevorzugt hinter Fassaden versteckt, die bestenfalls rätselhaft, im schlimmsten Falle sogar falsch sind. Heute denken Architekten nicht einmal mehr darüber nach, ob Kopien dieses oder jenes Baustils ohne Berücksichtigung von Zeit oder Kontext wie Plastikfolien nahtlos über den immer gleichen multifunktionalen, vollversorgten Raum geschweißt werden sollen. Dieser Prozeß ist so absurd wie das Computerspiel, in dem Kaiser Napoleon gegen Robert E. Lee kämpfen oder Alexander der Große in die Ardennen eindringen kann. Aber für Architekten, Vertreter

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der Öffentlichkeit und Kommentatoren ist dieses Thema so wichtig, daß sie auf öffentlichen Veranstaltungen gerne ausführlich darüber diskutieren, welche aufgesprühte Ansicht am besten zu welcher historischen Umgebung paßt. Die daraus resultierende Architektur soll dann wie in den Werbespots im Fernsehen, die historische Authentizität durch ein paar Takte von Dvorák und sepiagetönte Straßenzüge erreichen, Bilder aus der Vergangenheit heraufbeschwören. Im Fernsehen ebenso wie in der Architektur genügt diese Oberflächlichkeit. Dem historisch Ungebildeten bleibt sie verborgen, dem historisch Gebildeten bleibt nur die hilflose Wut. ,So war das nicht', können sie allenfalls noch sagen. Aber so ist das heute, und es wird von jetzt an so sein, denn der Wandel in der Wahrnehmung, der die wahre Geschichte bedeutungslos macht, ist dauerhaft und unumkehrbar. Die wahre Geschichte gehört der Vergangenheit an und ist nun, wie alte Kinofilme, Freiwild für Produktionsreihen über diesen oder jenen Regisseur, Star, Produzenten - oder auch Baustil. Der Sieg der Bilder über die Theorie ist kein Phänomen, das sich nur auf die Oberfläche beschränkt. Es spiegeln sich darin tiefgreifende Veränderungen in der Struktur und der Aufgabe des Architektenberufs wider. Stilgerede hat zwar die einst klar präskriptive Sprache der Modernen Architektur auf das banale Niveau von Modezeitschriften heruntergebracht, doch es wäre nicht so weit gekommen, wenn den Architekten die Kontrolle über die so wichtige fachkundige Beurteilung von Bauten nicht bereits schon zuvor aus den Händen geglitten wäre. D a die Komplexität fast aller Bauprojekte in unvorstellbarem Maße zunimmt, geht die Kontrolle über die Arbeiten am Bau - die früher einmal als entscheidendes Element für die Umsetzung der Ideen des Architekten galt langsam und unaufhaltsam in die Verantwortung einer neuen, als Projektmanagement bezeichneten Form der Arbeitsorganisation über. Mehr als eine vage ,Designberatung' macht heute keiner mehr; statt der Vorliebe der Moderne für mutige Innovationen, die von baulichen Mißerfolgen und immens hohen Schadensersatzklagen gebremst wurden, gibt es heute nur noch den von Sicherheitsgedanken bestimmten Wunsch zur Risikovermeidung. Auch die für Planung zuständigen Behörden haben immer mehr Entscheidungskompetenzen über den Inhalt und das Aussehen von Bauprojekten an sich gezogen. In der Praxis des Bauens können Meinungsverschiedenheiten mit den Bau- und Planungsbehörden, allein schon durch den sich ergebenden zeitlichen Verzug, schwerwiegende Konsequenzen haben, die das Architekturbüro zu fast jedem Kompromiß zwingen können, was Neuerungen in zunehmendem Maße behindert, ja verhindert. Mit dem Abbau beruflicher Privilegien zur Erleichterung eines freien Wettbewerbs sind auch die Anforderungen an den Berufsstand gefallen. Dem Archi18

tekten bleibt jedoch ein wichtiger Einflußbereich, da er letztlich die Ausschreibungen vornimmt. Auch wenn er nicht mehr selbst entwirft, so entscheidet er, wer den Auftrag mit einem Volumen von £ 15 Millionen für Stahlarbeiten oder mit einem Volumen von £ 7 Millionen für den Bau einer Vorhangfassade erhält. Der Status des Architekten in der Bauindustrie ergibt sich aus den Befugnissen bei der Auswahl von Materialien u n d Bauteilen. Aufgrund dieser Tätigkeit erhalten Architekten beständig Werbeprospekte über Bauteile u n d Materialien, womit die Werbung wiederum die kulturelle Bedeutung der Architektur, die in Büchern, Architekturzeitschriften, Zeitungen u n d Fernsehprogrammen am Leben erhalten wird, unterstützt. Zwar entwerfen Architekten Gebäude nicht mehr von G r u n d auf, so wie es noch die Vertreter der Moderne gemacht haben, doch solange sie noch die entscheidenden Bauteile u n d Gestaltungselemente auswählen, bleiben sie so etwas wie .konzessionierte Verwalter der bautechnischen Beschreibungen', deren Machtbefugnisse u n d deren Verantwortung mit denen der Ärzte vergleichbar sind, die Medikamente verschreiben. Im Vergleich zu der vielseitigen Kunst früherer Zeiten mag dies wohl wie ein trostloses bürokratisches Schicksal erscheinen, doch es paßt genau in die für uns derzeit erkennbare ,Evolution' in der Bauindustrie. 1985 gab es eine A n h ö r u n g über die Z u k u n f t der Bauindustrie vor dem Technologieausschuß des amerikanischen Kongresses, in dem alle Parteien vertreten sind. Die Beiträge der A n h ö r u n g wurden in der Architektenschaft mit Bestürzung aufgenommen. Harry Mileaf, Vorsitzender des 4.000 Mitglieder starken Verbandes für den Einsatz von C o m p u t e r n in Planung u n d Bau (US Coordinating Council for Computers in Construction), sagte voraus, daß 80 Prozent der 80.000 in Amerika arbeitenden Architekten bis zum Jahr 2000 ,freigesetzt' würden. „Entwurfsarbeiten für Gebäude sind höchst arbeitsintensiv", so Mileaf. „Das Anfertigen der Zeichnungen macht die Hälfte der gesamten Entwurfskosten eines neuen Gebäudes aus. In den nächsten 15 Jahren werden CAD-Systeme den Zeichenprozeß, die Produktspezifikationen und Kostenschätzungen automatisieren." 6 Die sich häufenden Vorfälle mit Architekten, die in umstrittene Projekte auf sensiblen Grundstücken verwickelt sind u n d dabei zu Zielscheiben für skrupellose Mitbewerber wurden, sollten im Z u s a m m e n h a n g mit dem neu entstehenden Klima des Wettbewerbs und der Schnellebigkeit gesehen werden. Andere Architekten erarbeiten Alternativentwürfe, da sie darauf hoffen können, daß ihr Entwurf auf Druck der Öffentlichkeit übernommen wird. Dieses den Berufsstand schädigende Vorgehen bricht mit dem alten Verhaltenskodex in der Architektur, da diejenigen, die solche Alternativen ausarbeiten, nur daran interessiert sind, einen in Schwierigkeiten geratenen Kollegen zu verdrängen.

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Doch dieser alte Berufskodex steht auf so wackeligem Boden, daß keiner mehr eine gerichtliche Überprüfung wagt. 1979 wurde in den Vereinigten Staaten von einem Gericht des District of Columbia gegen das öffentliche Interesse eine Bestimmung zum Schutz vor Verdrängung erlassen. In den letzten Jahren kam es schon dutzende Male zu solch boshaften Kampagnen für Alternativentwürfe, die häufig von Organisationen, die sich zu einem reaktionären Denkmalschutz bekennen, finanziert wurden. Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl das John Simpson Projekt für den Paternoster Square in London in der Nähe der Saint Paul's Cathedral von 1988, dessen Auftrag bereits an Arup Associates vergeben war; doch es gab auch andere, vor allem in Verbindung mit dem Mies-van-der-Rohe-Projekt für den Mansion House Square und dessen von James Stirling entworfenen Nachfolgebau für Poultry, Nr. 1. Der Ideologieverfall in der Architektur einschließlich seiner beunruhigenden Folgen gipfelten in der Meinung, daß man zur Beurteilung des Entwurfs eines Gebäudes überhaupt kein Experte sein müsse. „Ich weiß, daß meine gefühlsmäßige Meinung zu einem Gebäude eine Kritik ist, die ebensoviel wert ist wie jeder fachliche oder technische Standpunkt", schrieb der Prinz von Wales an Peter Palumbo auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um den Mansion House Square. Und in diesem Punkt, wie auch in vielen anderen Bereichen, kann man zurecht davon ausgehen, daß sich die Meinung des Kronprinzen nicht wesentlich von der seiner zukünftigen Untertanen unterscheidet. Diese königlichen Worte sind eine deutliche Absage an die Notwendigkeit von Baukunst und Architekturwissenschaft. Wer bewußt hinschaut, kann bereits eine gefährliche Entwicklung beobachten, die noch zu Lebzeiten des zukünftigen Königs eine Auflösung des altehrwürdigen Berufs des Architekten bewirken könnte. Einerseits wird ,Architektur' als immer dünnere Haut über ein Skelett aus versorgten Räumen gezogen, andererseits vermittelt die zunehmend überzeugtere Verwendung des Begriffs in der Computerbranche den Eindruck, er könnte in den Wörterbüchern des einundzwanzigsten Jahrhunderts letztlich unter dem Begriff .Computer' aufgeführt werden. In dieser Hinsicht ist die Auflösung der Architektur im Zweiten Maschinenzeitalter eine traurige Geschichte mit dem fast schon biblischen Gehalt einer Versündigung, wodurch sie unweigerlich eher als Warnung und weniger als zu hinterfragendes Thema angesehen wird. Der gegenwärtige kritische Konsens schickt die einflußreiche Zeit der Moderne bereitwillig in die Vorhölle der nicht mehr bestreitbaren Übel der Vergangenheit - wie die Sklaverei oder das Feudalsystem durchwegs Themen, die weder guten Gewissens befürwortet noch (wieder einmal) rundweg abgelehnt werden können. So angenehm diese Ansicht im Moment noch erscheinen mag, auf lange Sicht

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hin ist sie unhaltbar. Vor nicht einmal zwanzig Jahren basierte die Stärke der Modernen* Architektur auf einer von weiten Teilen der Bevölkerung getragenen Akzeptanz ihrer Grundprinzipien, die ebenso überwältigend war, wie die gegenwärtige Ablehnung ihres traurigen Vermächtnisses. Fast fünfzig Jahre lang war Moderne Architektur ein Konzept, das die Politik vor sich hertrieb und die Kunstgeschichte unter dem Gewicht ihres technischen Pragmatismus zerdrückte. Ihren Argumenten für Licht, Luft, Geometrie, Planung und Industrialisierung konnte man nichts entgegensetzen - und auch heute kann man sie nur lächerlich machen, indem man die Notwendigkeit einer Politik der beständigen Fortentwicklung im Bauwesen leugnet; dabei handelt es sich um Forderungen, die in jedem anderen Bereich der Technologie zurecht immer noch aktuell sind. Das dynamische Vordringen der Modernen Architektur in die Bereiche der modernsten Technologie war während ihrer erfolgreichen Jahre nicht mehr umstritten als das heutige Zurückgreifen der Designer von Schnellbooten und Rennwagen auf die Materialien aus der Weltraumforschung. Warum kam es dann aber zu diesem plötzlichen Zusammenbruch der Architektur des Ersten Maschinenzeitalters? In der Flut von Veröffentlichungen der letzten fünfzehn Jahre sucht man heute vergeblich nach einer ausreichenden Erklärung für diesen Niedergang. Bis auf einige Absätze vorsichtiger Unsicherheit darüber, ob wirklich alles vorbei ist, wird dieser ,Sündenfall' immer als Erlösung angesehen, als etwas, das nicht ausführlicher erklärt oder gerechtfertigt werden muß als der Sturz eines großen Diktators. „In der Modernen Kunst und der Modernen Architektur drückt sich in perfekter Weise der zerstörte Glaube einer Nation aus, die weder weiß, was sie tun, noch welchen Weg sie einschlagen soll", sagte Quinlan Terry, der Vertreter des Classical Revival, in einer Fernsehdokumentation 19887 - als wären zerstörter Glaube und Verwirrung keine treffende Beschreibung für den Zustand der Menschheit im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert. Wie der große Börsenkrach an der Wall Street 1929 und die Panik an der Börse im Oktober 1987 wurde der Zusammenbruch der Modernen Architektur nicht einmal von ihren schärfsten Gegnern eindeutig vorhergesagt. Auch Terry gestand ein, daß sein Mentor, der überzeugte Klassizist Raymond Erith, diese Entwicklung zwar durchaus herbeigesehnt, aber eine solche Wendung noch bis zu seinem Tod 1973 nicht für möglich gehalten hatte. Der Pionier der Modernen Architektur, Maxwell Fry, warnte 1944: „Wenn die Entwicklungen, die zu unserem derzeitigen technischen Standard geführt haben, in den nächsten * Die Großschreibung folgt Pawleys Praxis (Anm. d. Üb.)

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Jahrzehnten in der gleichen Geschwindigkeit voranschreiten, daß es den Künstlern nicht mehr möglich ist mitzuhalten, dann sind unsere Hoffnungen auf eine umsetzbare und funktionierende Architektur äußerst gering."8 Eine sehr vorausschauende Warnung, ihr folgte jedoch leider die ungerechtfertigte Versicherung: „Aber dies ist nicht der Fall, die wesentlichen Entwicklungslinien zeichnen sich schon heute ab, und die Verfeinerung reiner Technik ist einfach." Damit hat ein einziger Kunsthistoriker der Modernen Architektur im Gegensatz zu den Historikern der alten Zeit, die nur einfach dagegen waren — einen Erklärungsansatz für den Zusammenbruch geliefert, noch bevor das Ereignis selbst alle überrollte. In seinem Buch Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter verfaßte Reyner Banham sogar einen kurzen Nachruf auf die erste Generation Moderner Architekten, in dem man durchaus einen warnenden Hinweis auf das kommende Desaster sehen kann. Dieses Buch ist trotz der Kürze des entsprechenden Textes - er beschränkt sich auf wenige spekulative Seiten eines knapp 300 Seiten langen Buches - heute wichtig, denn es beschäftigt sich mit dem möglichen Untergang der Moderne auf dem Höhepunkt ihres weltweiten Siegeszugs. Insgesamt betrachtet ist Theorie und Gestaltung eher ein Lehrbuch als ein Werk mit prophetischem Charakter, auch wenn ein kurzes kritisches Kapitel die sonst eher lange und ausführliche kunsthistorische Betrachtung der heroischen Phase der Modernen Architektur beschließt. Die prophetischen Elemente bezieht das Buch aus zweiter Hand, denn das entsprechende Kapitel besteht fast ausschließlich aus Zitaten des amerikanischen Erfinders Richard Buckminster Fuller (1895-1983) und einem anschließenden Interpretationsversuch. In Banhams Buch sind weder die Quelle noch das Datum dieser Zitate, auf die noch eingegangen wird, angegeben - erstaunlich, da es in dem Buch sonst nicht an Anmerkungen mangelt. Der Kontext vermittelt den Eindruck, als stammten die Zitate aus der Zeit der Planung von Fullers aus Fertigteilen bestehendem Dymaxion House, das 1927 geplant und 1934 für die Weltausstellung in Chicago in Originalgröße gebaut wurde. Hier erregte es auch die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums, besonders des Wirtschaftsmagazins Fortune, dessen beratender Herausgeber Fuller dann wurde und das Fullers Vorstellung von fabrikgefertigten Wohnhäusern bis zum Ende der vierziger Jahre treu blieb. Erstaunlicherweise finden sich die Zitate Banhams weder in diesen Publikationen, noch stammen sie aus einer der beiden bekannten Schriften Fullers aus der Zeit vor dem Krieg, einem Artikel mit dem Titel Universal Architecture in dem im Februar 1932 in Philadelphia herausgegebenen Shelter Magazine sowie 22

seinem ersten, 1938 veröffentlichten Buch Nine Chains to the MoonDie Zitate sind nicht einmal in der 1963 überarbeiteten Fassung des Buches zu finden. Auch wenn Banham an keiner Stelle darauf eingeht, die eindeutige Kritik an der Modernen Architektur, für die das Buch Theorie und Gestaltung berühmt ist, steht in einem langen, im Januar 1955 verfaßten Brief Buckminster Fullers an John McHale, in dem Fuller alle Vermutungen darüber von sich weist, er sei in seinen Arbeiten von den Lehren des Bauhauses beeinflußt worden. Im Gegensatz zu den vielen Modellen des Dymaxion House, die Banahm zur Illustration von Fullers Arbeit heranzieht, stammt der Brief, der in der Folge 1961 in der Zeitschrift Architectural Design und nochmals 1970 in der Sammlung von Füllers Schriften von James Meiler, The Buckminster Fuller Reader, abgedruckt wurde, fast genau aus derselben Zeit wie das Buch Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter. Auch wenn Fuller noch vor dem Zweiten Weltkrieg, vielleicht sogar schon 1927, tatsächlich ähnliche Gefühle geäußert hatte, so sind die Worte, die Banham in Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter zitiert, nicht die Worte, die Fuller in jener Zeit benutzt hätte: „Der Internationale Stil, der von den Bauhaus-Erneuerern nach Amerika gebracht wurde, demonstrierte die Einführung einer modischen Strömung ohne die notwendige Kenntnis der wissenschaftlichen Grundlagen struktureller Mechanik und Chemie. Die Vereinfachung' des Internationalen Stils war im Grunde nur oberflächlicher Natur. Er entfernte die äußeren Schmuckelemente der vorangegangenen Zeit und setzte an deren Stelle formalisierte Neuheiten von scheinbar einfacher Art, die durch die gleichen verborgenen, aus modernen Metallegierungen bestehenden Strukturelemente ermöglicht wurden wie auch die ausrangierte ftw«;c-vlm-Ausschmückung. [...] Die Vertreter des neuen Internationlen Stils brachten Mauern mit einem starren Strukturprinzip an, bestehend aus einer ungeheuren, übersorgfältig zusammengesetzten Masse von Ziegelsteinen, die in sich selbst keine Spannungsfestigkeit hatten, sondern in Wirklichkeit durch ein verborgenes Stahlgerüst fest untereinander verbunden waren, denen also der Stahl den Halt gab, ohne daßer als Stützkrafi sichtbar in Erscheinung trat. [...] Der Internationale Bauhausstil kümmerte sich nicht um die unter der Maueroberfläche liegende Installation [...] kurzum, er kümmerte sich nur um Probleme, die Veränderungen an der Oberfläche von Endprodukten betrafen, und diese Endprodukte waren von Natur aus untergeordnete Funktionen einer in technischer Hinsicht veralteten Welt."* (274)

* Hervorhebungen durch Martin Pawley (Anm. d. Üb.)

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Für Banham sind diese Aussagen „nicht nur eine weise Erkenntnis nach Vollzug der Tatsachen", denn „schon 1927" hatte Fuller mit seinem Projekt Dymaxion House eine Konzeption entwickelt, die Le Corbusiers Villa Savoye von 1930 „als technisch veraltet" hätte erscheinen lassen. Banham leistet Fuller damit keinen guten Dienst. Diese Sätze aus einem Brief, der 1955 geschrieben wurde und hier als eine „schon 1927" gemachte Aussage dargestellt wird, entstanden „nach Vollzug der Tatsachen", auch wenn dies nicht für das Dymaxion House-Projekt selbst gilt. Der Brief, wie auch Banham selbst, gehört in das Zweite Maschinenzeitalter, nicht in das Erste. (275) Aber Banham beschränkt sich nicht nur auf das Zitieren von Fuller. Er entwikkelt auch einen kritischen Ansatz und schließt auf der Grundlage von Fullers Brief aus dem Jahre 1955, daß die Modernen Architekten wegen ihrer Unkenntnis über „die wissenschaftlichen Grundlagen struktureller Mechanik und Chemie" eine „Maschinenzeitalter-Architektur nur in dem Sinne hervorbrachten, daß ihre Monumente während eines Maschinenzeitalters gebaut wurden, und daß sie einer Auffassung vom Maschinenwesen nur in dem Sinne Ausdruck gaben, daß man z.B. sich in Frankreich befinden und über französische Politik diskutieren, dabei aber doch englisch sprechen kann". (274/279) Banham folgert daraus: „Der Architekt, der beabsichtigt, mit der Technologie zu gehen, weiß, daß er sich in einer rasch voranschreitenden Bewegung befindet und daß er, um mit ihr Schritt zu halten, es möglicherweise den Futuristen gleichtun und seinen ganzen Kulturballast abwerfen muß, einschließlich jener Berufskleidung, die ihn als Architekten kenntlich macht. Wenn er sich andererseits entschließt, das nicht zu tun, dann wird er vielleicht feststellen, daß die technologische Kultur entschlossen ist, ohne ihn voranzuschreiten." (279) Aus diesen Sätzen geht klar hervor, daß sich jegliches Bauen, nach Banhams Uberzeugung im Jahre I960, letztlich der Theorie der endlosen Entwicklung anpassen muß, die Fuller in der 1938 erschienenen Ausgabe Nine Chains to the Moon als „Ephemerisierung" erkannt und definiert hatte. Genau betrachtet, faßt dieser Abschnitt aus Banhams Buch das mit Information vollgepackte, „Scientific Dwelling Service" überschriebene 39. Kapitel von Nine Chains to the Moon zusammen, aber natürlich ohne Fullers Schlüsselwort „Ephemerisierung", als Ausdruck für dessen Uberzeugung, wonach Technik in zunehmendem Maße „mehr für weniger" liefert, mehr Leistung bei weniger Gewicht und Material. Nach Theorie und Gestaltungbefißte sich Banham nicht mehr mit dem Siegeszug der Moderne, er präsentierte in diesem Zusammenhang nur noch etwas, das man als seine Version des Dymaxion House beschreiben könnte, einen 1965 entstandenen Entwurf von ihm selbst und François Dallegret mit dem 24

Titel .Standard of Living Package" 0 . Im übrigen hielt er bis zu seinem Tod an der Überzeugung fest, „daß das, was wir bisher als Architektur angesehen haben, und das, was wir beginnen, unter Technologie zu verstehen, miteinander unvereinbare Disziplinen sind" (279), und in seinen späteren Büchern wandte er sich bewußt von der Zukunft ab und bevorzugte die Aufarbeitung der Geschichte. Als der Stern der Modernen Bewegung zu sinken begann, interessierte sich auch Buckminster Fuller immer weniger für die Welt der Architektur und beschäftigte sich zunehmend mit der Entwicklung einer .Wissenschaft zur Gestaltung der Welt', mit Hilfe derer man globale Probleme, wie Uberbevölkerung, Umweltverschmutzung, Hunger und Wohnungsnot, ohne - wie Banham es ausgedrückt hatte - die erdrückende Last des ,,Kulturballast[s]" und „der Berufskleidung" des Architekten angehen kann. In den dreißig Jahren seit Erscheinen von Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter sind Ereignisse eingetreten, die Banhams vorausschauende Worte über die Unvereinbarkeit von Architektur und Technologie mehr als bestätigen. Mit oder ohne Rücksicht auf die Geschwindigkeit, mit der „Künstler" mit den technologischen Entwicklungen Schritt halten können, wird die Bauindustrie von einer weltweit organisierten Produktverteilung überwältigt, und mit ihr der Beruf des Architekten, so wie es Fuller vorausgesehen hat. So wie man heute vielen Autos die konzernübergreifende, gemeinschaftliche Entwicklungsarbeit ansieht, wenn man die Markenzeichen entfernt, so legt auch das Entfernen einer gestalteten Fassade die Einheitlichkeit des versorgten Raums hinter so vielen, anscheinend unterschiedlichen Gebäuden frei. Die Architekten von heute haben die Domäne der Kreativität in einem Ausmaß abgetreten, daß kopierte Planungen - bei denen sowohl die Namen der verantwortlichen Berater als auch die Kontrollsysteme für die Konstruktion und die Umwelttechnik übernommen werden - bereits die Norm sind; eine Ausnahme bilden allerdings Bauten, die die Handschrift ihres Planers deutlich zeigen und die man in Amerika .signature buildings' nennt. Der Architekt plant schon lange nicht mehr ein neues Gebäude von Grund auf, wie das in der Zeit der Moderne üblich war. Seine Beteiligung am Bauprozeß ist im wahrsten Sinne des Wortes nur noch oberflächlich: eine dünne Haut über einem neuen Gebäude, wie das Markenzeichen am Kühler eines Autos, ein charakteristisches Element an der Außenseite eines renovierten Hauses, Verwaltungsarbeit beim Ausfüllen von Anträgen und bei der Bewilligung von Geldern. Seine künstlerische Fähigkeit ermöglicht dem Architekten immer noch diese Rolle, doch nur durch die Trägheit des öffentlichen Denkens und die Politik der Bauindustrie kann er heute noch dem abgewandelten Ausruf des kleinen Jungen entkom25

men: ,Der Kaiser ist ersetzbar wie eine Glühbirne.' Im Vergleich zu den großen Tagen der Modernen Architektur, als Staatsoberhäupter Architekten baten, die globalen Wohnungsprobleme zu lösen, Hauptstädte zu planen und Städte zu entwerfen, hat der Architekt heute in tragischer Weise an Bedeutung verloren. Aus ingenieurtechnischer Sicht ist er kaum noch am Entwurfsprozeß beteiligt, und er findet sich irgendwo zwischen der Vereinnahmung durch einen immer mehr in Mode kommenden Designerberuf und der Kapitulation vor den reaktionären Kräften von Denkmalschutz und Historismus. Die Wahrheit ist grausam, aber sämtliche großen Bauten der postmodernen Architekten sind, trotz ihres offensichtlich großen Publikumserfolgs, weit entfernt von den großen technologischen Entwicklungen und Ideen des Zweiten Maschinenzeitalters. Das Versagen der Architektur, mit der Wissenschaft und der Materialentwicklung Schritt zu halten, war letztlich der Preis, den sie für die Erhaltung ihres „Kulturballast [s]" und ihrer „Berufskleidung" bezahlt hat. So betrachtet, läßt sich die postmoderne Architektur mit einem verkümmerten Avantgardismus in der Filmindustrie vergleichen, denn auch hier wird bewußt auf kreatives Potential zugunsten von Effekten verzichtet. Die großen Filmproduktionen stellen keines ihrer typischen Merkmale zur Schau; kein Spielfilm ist heute auf eine schriftliche Erläuterung der Handlung angewiesen oder wechselt für entscheidende Szenen in ein Theater oder verschwendet Zeit mit der längeren Einstellung unbewegter Gegenstände - all diese Phänomene sind Teil seiner machtvollen Fähigkeit, die ruhelose, eine Fülle von Eindrükken aufnehmende menschliche Wahrnehmung zu simulieren. Da die Architektur diese Fähigkeit zur Simulation nicht entwickelt hat, hält sie an einer beschränkten Anzahl veralteter Effekte fest, wie ein verrückter Filmregisseur, der auf einer einzigen Kameraeinstellung besteht, weil dieser Blickwickel durch die glorreiche Geschichte des Theaters legitimiert ist. Alle Aufnahme- und Reproduktionstechniken haben von Beginn ihres Bestehens an die Wirkung und die Bedeutung statischer Formen verringert. Heute kann keine Architektur - nicht einmal die hochverehrte der Vergangenheit - ohne Information bestehen. Alle Gebäude sind Umschlagplätze für Informationssysteme, durch ihre Körper schlängeln sich Kabelstränge wie Holzwürmer des zwanzigsten Jahrhunderts, sie winden sich durch aufgeständerte Böden, in abgehängten Decken und kriechen in Versorgungsschächten auf und ab. Verglichen mit der Information, die in Gebäude gepumpt wird, seien es 300 Jahre alte Landhäuser oder nagelneue, vollklimatisierte Zweckgebäude, ist jegliche Bedeutung, die sie aufgrund ihrer äußeren Erscheinung besitzen könnten, nebensächlich. Und gerade durch diese Bedeutungslosigkeit ist das

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Entstehen einer bizarren, homogenisierten Traditionsarchitektur möglich geworden, die von konzessionierten Herstellern' statt von Architekten, so wie die Geschichte sie kennt, geliefert wird. Angesichts dieser neuen Realität hatten Buckminster Fuller und auch Reyner Banham recht - nicht nur mit ihrer Bewertung des Ersten, sondern auch des Zweiten Maschinenzeitalters. Architektur ist im Jahre 1990 veraltet, und Maxwell Frys „wesentliche Entwicklunglinien" haben sich schließlich doch überhaupt nicht in dieser Form abgezeichnet. Als Ergebnis läßt sich dreißig Jahre nach dem Erscheinen von Theorie und Gestaltung festhalten, daß Architektur zu einer trägen, ineffizienten, nur der Dekoration dienenden Zielscheibe in einem von sofort verfügbarer Information und technologischem Wandel gesteuerten Videospiel geworden ist.

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Anmerkungen

1 „Dieses Buch betrachtet nicht so sehr Premieren als vielmehr vermehrtes Auftreten", schrieb Reyner Banham in der Einführung zu The Architecture of the Well-tempered Enviroment {Architectural Press 1969). Und er fügte erklärend hinzu: „Die Erfindung und Anwendung technischer Geräte ist nicht eine statische und ideale Welt intellektueller Diskussionen; sie wird (und wurde schon immer) vorangetrieben von der Interaktion im Wettbewerb derer, die das Ziel nicht ganz erreicht haben und über das Ziel hinausgeschossen sind - zwei Möglichkeiten, die für ein und dieselbe Person zutreffen können, denn mancher Durchbruch in der Anwendung war möglich, ohne einen entsprechenden Durchbruch auf dem Gebiet der Erfindungen." Diesen warnenden Hinweis sollte man sich immer vor Augen halten, er gilt auch für Reyner Banham, Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter (deutsch von Wolfram Wagmuth, Erstauflage bei Rowohlt 1964, Neuauflage Braunschweig/Wiesbaden (Vieweg) 1990), das bereits 1960 erschien. 2 Martin Pawley, The Private Future: Causes and Consequences of Community Collapse in the West, Thames & Hudson 1974 3 ,The Wampanoag Effect' war der Titel eines Artikels von Eric Shankleman im New Scientist vom 22. Februar 1968 mit einer Interpretation des Materials aus: Elting W. Morrison, Men, Machines and Modern Times, The M I T Press 1966. Danach bezog sich Reyner Banham in einem Essay im Buch von Jencks und Baird (Hg.), Meaning in Architecture, Braziller 1969, auf diesen Artikel - und dessen Bericht über ein technologisch hochentwickeltes Schiff, das von der US Navy abgewiesen wurde, weil darauf „nicht jene Art von Matrosen herangebildet würde, die die amerikanische Navy bislang ausgebildet hat". Banham glaubte fälschlicherweise, daß Morrison die Wampanoag-Geschichte erzählt hatte, um zu beweisen, daß die US Navy ,kulturgebunden' und reaktionär sei. Tatsächlich (vgl. dazu die Überlegungen von S. 102 in: Meaning in Architecture) lehnte Morrison (mit dem ich über dieses Thema 1973 an der Cornell University gesprochen habe) ,aus Gewissensgründen' technologische Veränderungen, in der Form, wie sie im letzten Kapitel dieses Buches besprochen werden, ganz bewußt ab. 4 Frühe, illustrierte Bücher über Moderne Architektur wie F.R.S. Yorkes, The Modern House, Architectural Press 1934, und Maxwell Frys während des Krieges entstandene Abhandlung über den Funktionalismus Fine Building, Faber & Faber 1944, sind gute Beispiele für die Herangehensweise an dieses Thema. Yorkes Buch wurde ständig überarbeitet und liegt nun schon in über sechs Auflagen vor; Frys Arbeit beeinflußte eine spätere Generation, zu der mindestens ein Mitglied der Archigram-Gtuppe gehörte. 5 Diese Buchtitel beziehen sich nicht auf existierende Bücher, sondern sollen Beispiele für ein bestimmtes Genre sein. 6 Engineering News Record (22. Februar 1985) S. 173 7 „Classicism: The Rejected Alternative" (Klassizismus - Alternative ohne Chance), eine Dokumentation über die Ansichten von Quinlan Terry, BBC2, Sonntag 6. November 1988 8 Fry, Fine Building, a.a.O. 9 Richard Buckminster Fuller, Nine Chains to the Moon, Prentice-Hall 1938; überarbeitete Ausgabe, Southern Illinois University Press 1963 und Anchor Books 1971 10 Reyner Banham, „A Home is not a House", in: Art in America (April 1965), abgedruckt in: Jencks und Baird (Hg.), Meaning in Architecture, a.a.O., sowie in: Banham, Design by Choice, Academy Editions 1981

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1 Vier Wege in die Zukunft

Ein Angriff aufdas systematische Denken ist ein Verrat an der Zivilisation [...]. Daran sollten wir denken, wenn wir den lautstarken Aufruf zu einer Rückkehr zu Bodenständigkeit und Tradition hören. Berthold Lubetkin, 1982 Architektur und Landleben haben heute einiges gemein - beide Worte werden mißbräuchlich verwendet. Sie sind verschlüsselte Begriffe für einen Industriezweig, eine Art, über entscheidende Bereiche der Wirtschaft zu reden, ohne deren Ziele und deren Zweck anzuerkennen. W e n n also Kommentatoren und Politiker über ,das Landleben' und über bestimmte M a ß n a h m e n a u f dem Lande sprechen, meinen sie in Wirklichkeit die Agrarindustrie und die diese betreffenden M a ß n a h m e n . Indem sie aber den B e g r i f f , L a n d l e b e n ' verwenden, stechen sie nicht in das Wespennest heikler Umweltthemen im Zusammenhang mit der Nahrungsmittelindustrie. Sie können somit eine ökonomische Frage als kulturelles Ereignis diskutieren. W e n n ,die Leute' über,Architektur' sprechen, tun sie das gleiche. Die Verwendung dieses Begriffs ermöglicht ihnen, über das weite Feld der bebauten U m welt zu dozieren, ohne sich dabei in den Niederungen der umstrittenen politischen und wirtschaftlichen Methoden der Baubranche zu verzetteln - jener Branche, die alles hinstellte, abreißt, wieder aufbaut und instand hält. Gerade der Gebrauch von magischen Worten wie ,Landleben' und A r c h i t e k tur' ermöglicht dem uninformierten K o m m e n t a t o r eine vielversprechende Karriere im Zweiten Maschinenzeitalter. Was überzeugend klingende Leute über Architektur oder das Landleben sagen, kann wunderbar offen, vollkommen d u m m oder unglaublich weise sein, und sie gehen dabei nicht das geringste Risiko ein, diffamiert oder auch nur belächelt zu werden. Das ist natürlich eine großartige demokratische Freiheit, die es zu schützen gilt, doch über die sich daraus ergebende Konsequenz des Verdrängens einer ernsthaften Diskus-

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3 Hay Wain (Heuwagen) von Constable. Das Leben auf dem Lande, so wie es die Städter gerne sehen 4 Keine Heuwagen-Romantik. tunneln aus Kunststoff

High-Tech-Landwirtschaft mit Trocknungs-

5 Neuschwanstein, 1869. Ein Bild, das ebenso weit verbreitet und trügerisch ist wie das Gemälde von Constable. Schließlich wurde ein Nachbau davon sogar das Herzstück des .Magic Kingdom' von Walt Disney in Florida.

6 Weder Neuschwanstein noch Heuwagen-Komzntúí. Das INMOS-Halbleiterwerk in Wales von Richard Rogers, 1962

sion der zugrunde liegenden Problematik sollte man sich ebenfalls im klaren sein. Die Parallele zwischen den Begriffen .Landleben' und .Architektur' läßt sich noch fortführen. Beide sind von dem .Constable Syndrom', wie Bauern es nennen, betroffen.' Im allgemeinen sind die Erwartungen derjenigen, die keine Verbindungen zur Landwirtschaft haben, enttäuschend banal. Sie haben konkrete Vorstellungen davon, und diese Vorstellung entspricht einem berühmten Gemälde von Constable, das Kühe, Pferde, Hühner, verfallene Scheunenmauern und ein altes Mühlrad zeigt. Es interessiert sie nicht, daß die moderne Landwirtschaft in Wirklichkeit eine Außenstelle der Chemieindustrie ist, mit gut ausgebildeten Fachkräften, die Schutzkleidung tragen und höchst komplizierte und teure Maschinen bedienen. Dies paßt nicht zur ihrer Vorstellung vom .Landleben', sondern klingt eher wie ,Agrarindustrie', mit der sich kaum jemand gerne befaßt, der über kulturelle Dinge berichtet. Die Bauwirtschaft hat das gleiche Problem. Bezeichnet man sie als .Architektur', stellen sich die meisten Leute am liebsten - wie es auch der Prince of Wales zweifellos richtig ausdrückt - .Rundungen und Bögen, Höfe und Terrassen, Türmchen und Säulen' vor. Aber leider steht, wie beim Landleben und der Agrarwirtschaft, der weit verbreitete Wunsch nach einem Märchenbau wie Neuschwanstein im krassen Gegensatz zu dem Wissen um die Realitäten in der Bauindustrie. Gebäude sind die Hauptbestandteile der Architektur und dienen zum größten Teil - wie die Chemikalientonnen und die mit Propangas betriebenen Vogelscheuchen eines Agrarbetriebs - einem bestimmten Zweck, der bis vor kurzem nicht mit dem lieblichen Bild von .Architektur' in Einklang gebracht werden mußte. Der Grund dafür liegt in der Verwendung des Wortes .Architektur', in dem sich die Sorge über den vom Fortschritt verursachten Raubbau an der Natur spiegelt, damit wird heute aber zu viel und zugleich auch zu wenig von ihr erwartet. Und auch die Vorstellung, Gebäude müßten .populär' sein, ist noch nicht sehr alt und falsch dazu. Die Architekten für die baulichen Folgen wirtschaftlichen Handelns verantwortlich zu machen, ist ein lächerlicher Vorwurf, der — eignete er sich nicht so wundervoll zur Verschleierung unangenehmer Realitäten - von intelligenten Menschen schon lange als Unsinn abgetan worden wäre. Die Wirtschaft ist kein Motor zur Erzeugung von Bildern, die Menschen ,mögen' oder ,nicht mögen', genausowenig wie das Auto eine Maschine zur Unfallerzeugung ist. Wäre das Thema nicht so ernst, würde gerade die Lächerlichkeit dieser Haltung die oft festgestellte Unfähigkeit jedes Architekten erklären, angemessen darauf zu reagieren: Sie sind von Fassungslosigkeit genauso gelähmt wie von einem schlechten Gewissen.

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Λ Tfv

7 Plessey-Halbleiterwerk bei Plymouth, BDP Architects, 1987. Es wurde grau gestrichen, nachdem es vom Prince of Wales als eine „High-Tech-Version eines Viktorianischen Gefängnisses" beschrieben worden war.

8 Die 1984er Version der Erweiterung der National Gallery von Ahrends Burton & Koralek. Das berühmte „Furunkel" und das „Feuerwehrhaus mit einer Art Glockenturm" Königliche Kritik brachte sie zu Fall.

Lächerlich oder nicht - der Trick hat funktioniert, und die gesamte Diskussion in der Architektur dreht sich fast nur noch um dieses Thema. Heute betrachtet man Gebäude, wie man Bauernhöfe betrachtet: lieber durch die rosarote Brille, und aus diesem Blickwinkel sieht die Öffentlichkeit in den Architekten bei weitem nicht mehr diejenigen, ,die etwas zustande bringen und Dinge ermöglichen', sondern verantwortunglose Lieferanten einer harten und rauhen Wirklichkeit. „Viel zu lange Zeit haben Architekten beständig die Gefühle und Wünsche der großen Mehrheit der gewöhnlichen Leute in diesem Lande ignoriert", meinte Prinz Charles 1984. „Architekten und Planer haben nicht unbedingt ein Entscheidungsmonopol, wenn es um Geschmack, Stil und Planung geht. [...] Die gewöhnlichen Leute dürfen weder ein schlechtes Gewissen noch das Gefühl von Unwissenheit haben, wenn sie eine Vorliebe für traditionelle Entwürfe empfinden." 2 Wie wahr. Aber welchen Nutzen kann eine solche Angriffsstrategie haben! Sie ist auch anwendbar auf Bauern (die Lebensmittel herstellen), Ärzte (die Kranke heilen) und sogar auf die Menschen, die Kohle verbrennen oder Atome spalten, um Elektrizität herzustellen, ohne die eine freie Meinungsäußerung (neben anderen Dingen) nicht möglich wäre. Letztlich ist an dem Vorwurf gegen Architekten, sie seien für alles verantwortlich, nur der Umkehrschluß interessant. Wenn die Architekten die ,Architektur' zu Grunde gerichtet haben, so wie die Bauern die .Landschaft' ruiniert haben, indem sie ihr Aussehen verdorben haben, dann können sie wohl auch am besten wieder Abhilfe schaffen und alles wieder,schön aussehen' lassen. Wenn wir die Realitäten der Wirtschaft derart ignorieren und .schlechte Architektur' als den Grund für unsere gesamte gegenwärtige Unzufriedenheit ansehen, dann wird der Glaube an das Allheimittel ,gute Architektur' mit absoluter Sicherheit in einer Enttäuschung enden. Natürlich können wir jetzt noch nicht genau sagen, wie diese ,gute Architektur' aussehen wird, aber wir kennen bereits ihren Namen. Sie wird der .Charles ΙΙΓ-Stil genannt werden. 1988 ergab eine Zeitungsumfrage 3 , daß 5 1 , 2 Prozent der Briten für eine gründliche Überprüfung aller großen Bauprojekte durch den Prince o f Wales sind - wir wissen natürlich genau, welche Art von Architektur er bevorzugt. Würde er ein Büro zur Uberprüfung baulicher Entwürfe im Palast von Kensington eröffnen, dann würden dessen überarbeitete Amtswalter sicherlich nur sehr wenige Projekte billigen, die man mit einem „viktorianischen Gefängnis", „einer Versammlungshalle für Geheimpolizisten", „einer gefühllosen Raketenbasis", „einem städtischen Feuerwehrhaus", „einem kaputten Transistorradio der dreißiger Jahre", „einem Furunkel auf dem Gesicht eines Freundes" oder „einem Glasstumpf' vergleichen könnte. 4 Sollte Prinz Charles' Geschmack tatsächlich die Gestaltung der meisten Bauten be-

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herrschen, dann wird es zweifellos einen Stil namens .Charles III' geben, dessen Hauptmerkmal im Verstecken aller im Maschinenzeitalter notwendigen Funktionen mit Hilfe eines eigens dafür entwickelten .Canaletto-Syndroms' besteht. Abgesehen von der Empfindlichkeit gegenüber den Vorurteilen von Prinzen gibt es keinen besseren Beweis für die mangelnde Popularität der Modernen Architektur des späten zwanzigsten Jahrhunderts als das für Genehmigungsbehörden heute typische Bestreben, diese Architektur zu verstecken. Unter Planung, die Architektur erst ermöglicht macht, verstand man früher eine genau festgelegte und auch realisierte Steuerung und Kontrolle der Auswirkungen von Entwicklungsmaßnahmen auf deren Umfeld. Aber auch hier gab es wie in der Architektur einen Wandel. Die Planungsbasis bilden nicht mehr die Vorgaben aus zentral erarbeiteten Wirtschaftsplänen, sondern kleinräumliche Entwicklungsmöglichkeiten vor Ort. So wie die Verwendung von .Landleben' statt ,Argarwirtschaft' das Ausmaß des ländlichen Konfliktpotentials mildert und verschleiert, so schafft das Aufgeben einer ausgewogenen Steuerung von Entwicklungsmaßnahmen in der Planung einen nur unzureichend abgegrenzten Raum für politische Auseinandersetzungen statt der einst erhofften, sorgfältig abgewogenen nationalen Baupolitik. In den Londoner Docklands etwa wird der Begriff ,Plan' schon nicht mehr benutzt, er wurde ersetzt durch das Wort,Rahmenvorgaben'. Diese wurden nicht einmal mehr von qualifizierten Planern entwickelt; die Arbeit machen nun Landschaftsarchitekten, die man für so .flexibel' hält, immer dann grüne Stellen auszuradieren und durch Gebäude zu ersetzen, wenn Investoren Interesse bekunden. Das gesamte Gebiet der Royal Docks wurde auf dieser Basis ,überplant' 5 , weitere Beispiele dafür gibt es genug. Kaum eines ist bezeichnender dafür als das plötzliche Auftauchen von Plänen für 0,93 Millionen Quadratmeter Bürofläche einschließlich eines 2 6 0 m hohen Turms in der Canary Wharf auf der halbverfallenen Isle of Dogs oder die Schnellkonstruktion des Gateshead MetroCentre - dem größten überdachten Einkaufszentrum in Europa mit einer Gesamtfläche von 200.000 Quadratmeter, 10.000 Parkplätzen und eigenen Haltestellen für Schienen- und Busverkehr - auf einem Gelände, das noch 1983 im Flächennutzungsplan von Newcastle als gewerbliche Baufläche ausgewiesen war. Eine Betrachtung des MetroCentre ist interessant im Zusammenhang mit den verkehrsplanerischen Reaktionen auf die Anbindung des Kanal tunnels in Kent und dessen Bahnstationen in Swanley und Central London. Zwei Jahre nach der Fertigstellung war die Zufahrt zum MetroCentre an Wochenenden wegen Staus über Stunden blockiert; große Anstrengungen waren notwendig, Tausende von Angestellten davon zu überzeugen, nicht selbst die meisten Besu35

9 „Ein kaputtes Radio aus den dreißiger Jahren". Postmodern gestaltetes Projekt für Poultry No. 1 von James Stirling 1988 - kritisiert vom Prince of Wales

10 Blick auf Saint Paul's vom Somerset House mit Canalettos Augen. Ein schwer vorzustellendes, aber nicht unmögliches Bild, mit dem sich die Realität der Großstadt von heute verschleiern ließe

12 „Straßen in der Luft" von Park Hill und Hyde Park in Sheffield in den sechziger Jahren - rückblickend betrach tet, jede Gelegenheit eine verpaßte Chance

11 Kein Blick mit Canalettos Augen, sondern ein zeitgenössisches, aus einer ähnlichen Perspektive aufgenommenes Foto

cherparkplätze zu benutzen. Euro-road- und Euro-rail-Reisenden wird bei ihrer Ankunft in London ähnliches bevorstehen. Da die unternehmensorientierte Wirtschaft die Streichung geplanter Ausgaben der öffentlichen Hand für Infrastruktur und die Abschaffung städtischer Planungsbehörden einschließlich des Greater London Council zur Folge hatte, gibt es heute keinen mehr, der für eine planerische Mindestversorgung in der Stadt verantwortlich ist. Tatsächlich vertreten fast alle Experten für Verkehrsplanung die sogenannte, von Dr. Martin Mogridge vom University College in London aufgestellte Gleichgewichtstheorie. „Wenn man eine neue Straße baut", soll er bereits 1988 gesagt haben, „dann werden die Menschen von der Bahn auf die Straße umsteigen und sie nutzen. Sehr bald wird die Straße so überfüllt sein wie eh und je."6 Diese defätistische Haltung angesichts der globalen Verstädterung ist typisch für das mangelnde Verständnis der großen Verkehrsprobleme moderner Großstädte auf Seiten derer, die eigentlich dafür bezahlt werden, Lösungen für diese Probleme zu finden. Es überrascht nicht, daß Mogridge in dem selben Interview die Gelegenheit nutzte, seine ,Gleichgewichtstheorie' zur Untermauerung seiner Ablehnung einer privatfinanzierten Planung mit einem Volumen von £ 6 Milliarden anzuführen, deren Ziel ein System aus mautpflichtigen Tunneln mit einer Gesamtlänge von 110 km für den Durchgangsverkehr durch London war. Als Konsequenz dieser Entwicklung könnte man alle unsere Großstädte heute als statische oder postmoderne Städte bezeichnen - verkrustete, auf Dauer angelegte Einheiten, deren gegenwärtige Straßenführungen und traditionelle Fassaden dazu bestimmt sind, Teil der Infrastruktur des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu werden. Durch wilde Konstruktionen an und über bestehenden Straßen- und Schienennetzen und die Nutzung bestehender und verfallender Abwasserkanäle ist das Durchqueren von London an der Oberfläche heute so schwer wie damals, als die gesamte Stadt während des Blitzkriegs brannte. Und das ist kein temporärer Zustand, wenn man das Wort einigermaßen genau interpretiert. Einige der größten gegenwärtigen Sanierungsmaßnahmen (die sicherlich zu spät greifen, sofern sie überhaupt realisiert werden) sollen erst in den späten neunziger Jahren fertiggestellt werden. Den derzeit bestehenden Planungsstrukturen zur Steuerung all dieser Bautätigkeiten fehlen die strengen Vorschriften der Planungspioniere der Moderne. Heute haben die Richtlinien' für den Bau einzelner Gebäude keinen Bezug zu den schwerwiegenden sozialen und ökologischen Problemen: Verkehrschaos, Luftverschmutzung und soziale Unruhen. Sie können aber als die eigentlichen Nachfolger der kriegsbedingten Probleme von Munitionsproduktion und gesellschaftlicher Mobilisierung angesehen werden, wodurch Planung als solche 38

überhaupt erst notwendig wurde und entstand. Was etwa haben die unhistorischen Bemerkungen, alle neuen Gebäude sollten ,sich in ihre Umgebung einfügen' oder .verlorengegangene' Blickbezüge zur Saint Paul's Cathedral müßten wiederhergestellt werden, mit den durch explosionsartiges Wachstum der Städte, ständig drohenden Verkehrsinfarkt und verschmutzte Luft verursachten Krisen zu tun? Wenn die Antwort darauf .nichts' lautet, warum beschäftigen sich Planer dann überhaupt mit solchen Themen? Wenn die Antwort darauf lautet, daß Planung sich nicht mit den großräumigen Regelungen für die Weltwirtschaft, sondern nur mit der Regelung kleinräumlicher Ästhetik befaßt, warum baut man dann nicht gleich den gesamten Planungsapparat im Interesse eines ungehinderten wirtschaftlichen Wachstums ab? In Wahrheit ist die Planung in der postmodernen Welt ein Anhängsel der Entwicklung statt deren treibende Kraft. Die Konzentration auf ästhetische Fragen und geschichtliche Zusammenhänge ersetzt tatsächlichen Handlungswillen. Jede Meinung besitzt eine Funktion, und in der Planung hat jede verfügbare Option eine Funktion, die sich in Tausenden oder sogar Millionen von Pfund bewerten läßt. Bei der Schaffung oder aber bei der Ablehnung von Entwicklungsmöglichkeiten besitzt das Argument der Ästhetik die Funktion, alle Überlegungen zu wichtigen, das große Umfeld betreffende Fragen ,zu verdrängen' (wie es in der Wirtschaftssprache bei anderen Themen heißt). Die Vorliebe der Vertreter eines reaktionären Denkmalschutzes für eine ,/«»¿-Architektur' — klassische Fassaden in kleinen und großen Städten, geneigte Dächer, traditionelle Materialien, hübsche Fenster und verziertes Mauerwerk anderenorts - leistet den nicht klar erkennbaren Zielen einer unternehmerfreundlichen freien Marktwirtschaft treffliche Dienste. In der Planungsdebatte werden diese Themen endlos erörtert und eine Diskussion konkreter Probleme damit verhindert: Tatsache ist, daß die Wirtschafts- und Finanzwelt die Entwicklung von Grund auf bestimmt und nicht eine Scheindiskussion über Als-ob-Fassaden, die zwar unterschiedlich gestaltet, letztlich aber doch uniform sind und über die die Öffenlichtkeit diskutieren soll. Aufgrund einer fehlenden Grundsatzplanung werden nun die Entscheidungen über Entwürfe einzelner Gebäude unter ziemlich lächerlichen Umständen getroffen. Das Prinzip, wonach jedes neue Gebäude, auch jene, deren Größe und Bauvolumen alles bislang Dagewesene in den Schatten stellen, sich stilistisch in ihre Umgebung einfügen sollen, bestimmt heute uneingeschränkt die Planungsüberlegungen. Es hat sämtliche praktischen Überlegungen zu Funktion, Energieverbrauch, Umwelt oder Kosten vollkommen in den Hintergrund gedrängt. Und die noch liberalistischere Variante, der zufolge ,jede Zeit ihre Chance erhalten soll', ist, wenn man sie überhaupt ernst nimmt, noch unver39

antwortlicher. In der Praxis heißt das nicht nur, daß neue Gebäude sich einfügen, sondern daß alle Stilrichtungen der Architektur, auch die stillose, funktionelle moderne Architektur der Nachkriegszeit, als gleichwertig zum Early English oder zum Rokoko behandelt werden und aus kunsthistorischen Motiven vor Verbesserungen oder Abriß bewahrt werden. Der 1987 geführte Kampf um den Abriß des Schreiber House von James Gowan in Hampstead und der Folgestreit von 1988 um die vorgeschlagene neue Verkleidung des Alexander Fleming House aus dem Jahre 1963 von Emo Goldfinger am Elephant and Castle sind klassische Beispiele für diese Haltung. Im ersten Fall bemühten sich zahllose Denkmalschützer darum, ihre liberale Haltung durch die Verteidigung eines entbehrlichen funktionellen Gebäudes zu beweisen, im zweiten aber verhinderten sie tatsächlich die Aufwertung eines heillos veralteten Komplexes von Bürohochhäusern - wobei einige bekannte High-Tech-Architekten (die es besser wissen müßten) sich an dieser Unterdrückung technologischen Fortschritts beteiligten. 7 Ähnlich lähmende Theorien ästhetischer Kontrolle verbergen sich hinter so unüberlegt verbreiteten Aussagen wie derjenigen über die ,Erhaltung des Umfelds' (unbegrenztes Zulassen von nur äußerlich traditionellen Entwürfen zwischen denkmalgeschützten Gebäuden), über die .Anpassung an das Ortstypische 1 (Bestehen auf schwenkbaren Fenstern im ganzen Land) und die .Beurteilung jedes einzelnen Projekts' (Fehlen jeglicher Grundsätze, bis auf die Politik des geringsten Widerstands gegenüber geldgierigen Unternehmen). In all diesen Fällen wird das, was besprochen wird, in Wirklichkeit nicht durchgeführt, und das, was durchgeführt wird, ist ziemlich wertlos, und dies sogar dann, wenn man es an dessen eigenen Maßstäben mißt. All diese vagen Regelungen führen unweigerlich zu einer unspektakulären, gleichmäßigen Verteilung aller Stile; einem bürokratisierten Kuhhandel mit Entwürfen, bei dem Gebäude nicht mehr kreative Lösungen für bestimmte Probleme sind, sondern nur noch das Ergebnis von Kompromissen - und Architekten nur noch Empfänger von Angeboten, die sie nicht ablehnen können. Ein solcher Zustand der Machtlosigkeit wurde nur möglich durch den Niedergang der Modernen Architektur. Dieser und der zweckorientierte, theoretische Uberbau der Modernen Architektur ist untrennbar mit der Geschichte der beiden Weltkriege verbunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die am stärksten zerstörten europäischen Städte, wie Warschau oder Nürnberg, mit größter Sorgfalt im traditionellen Stil wieder aufgebaut; aber in weniger zerstörten Städten riß man nach dem Krieg sehr viel ab und realisierte viele Neuplanungen mit einer Entschiedenheit und Rücksichtslosigkeit, die bei Betrachtung der unvollständigen Ergebnisse heute höchst unverständlich er-

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scheinen. Zwischen 1945 u n d 1965 wurden einzelne isolierte Gebiete vieler großer und kleiner britischer Städte abgerissen und entsprechend modernen Vorstellungen neu aufgebaut; auf ihrer Reise von einem kartesianisch geprägten Kontinent auf eine von Empirie geprägte Insel büßten sie ihre Klarheit u n d ihre Einheitlichkeit ein. Rückblickend betrachtet, ist jedes wichtige, in dieser Zeit errichtete Gebäude eine Enttäuschung u n d eine verpaßte Gelegenheit, von der neuen Kathedrale in Coventry bis zur Royal Festival Hall, von der H o m m a g e an die Unité d ' H a bitation, die vom alten L C C Architect's Department in Roehampton gebaut wurde, bis zu den utopisch anmutenden .Straßen in der Luft' von Park Hill u n d Hyde Park in Leeds. Jede halbfertige Verkehrsplanung brachte die Vergangenheit ungewollt durcheinander und diskreditierte die Gegenwart. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurden tausende von Architekten so schnell wie möglich ausgebildet u n d in die Praxis entlassen. Ihre Zahl wuchs in den zwanzig Jahren nach 1945 von 6.000 auf 20.000. Vorrangig waren die Plan u n g u n d der Bau von New Towns, die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Teile des Landes mit wenig Industrie sowie der Bau eines großangelegten, das ganze Land durchziehenden Autobahnnetzes. Alle diese Projekte wurden in Angriff genommen, jedoch kaum aufeinander abgestimmt und schlecht durchgeführt. Uber Jahrzehnte hinweg wurden schlechtes Management u n d veraltete Strukturen in sämtlichen Bereichen, von der Medizin bis zum Schiffsbau, durch Kreditaufnahme der öffentlichen H a n d und das Netz sozialer Sicherheit aufgefangen. In diese Situation brachen die Energiekrise u n d die große Inflation der siebziger Jahre wie eine alttestamentarische Plage über das Land herein. N o c h vor Ende der siebziger Jahre gab es eine Revolution. Das britische Volk rebellierte unter Führung seiner Medientribunen. Aber statt den Volkszorn gegen die Politiker zu richten, die die .dringend anstehende technologische Revolution' entgegen ihrem Wählerauftrag nicht vorantrieben, redete man dem Volk ein, das wirkliche Übel finde sich praktisch vor der Haustüre jedes einzelnen. Schlechte Planungen, mangelnde Forschung und Entwicklung, schlechte Verarbeitung, mangelnde Wartung, kaputte Aufzüge, Löcher in den Dächern, verspätete Lieferungen und restriktive Arbeitsvorschriften waren die Kritikpunkte, die zusammen mit ständigem Eigenlob zu einer explosiven Atmosphäre der Unzufriedenheit mit der gebauten Umwelt führten. Ende der siebziger Jahre hatten bereits tausende von Briten die USA zum ersten Mal besucht u n d funktionierende Flughäfen, Einkaufszentren mit ausreichenden Parkmöglichkeiten u n d kinderfreundliche Restaurants erlebt. Angesichts dieser Erfahrungen machten sie ganz plötzlich u n d ohne Zögern die Architekten für die ver-

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gleichsweise miserable Situation in England verantwortlich, und in der Folge verachtete man die Mitglieder eines Berufsstandes, von denen man sich ebensoviel erwartet hatte wie von den mit den neuen .Wundermitteln' ausgerüsteten Ärzten, noch mehr als die Kriegsverbrecher aus dem .Dritten Reich', die sich im Dschungel von Bolivien versteckt hielten. Es kam zu einem großen politischen Wandel, in dessen Verlauf die öffentliche Hand ihrer Mittel beraubt wurde und ein Ausverkauf ihrer Infrastruktureinrichtungen stattfand. Die Wirtschaft produzierte keine Investitionsgüter mehr, sondern konzentrierte sich auf den Verkauf und Weiterverkauf von Schulden. Als eine Art Begleitmusik zu dieser großen Deindustrialisierung schürten die Editoriais von Zeitungen Haß auf Architekten, drohten Journalisten, sie umzubringen, zeigten Fernsehdokumentationen deprimierende und triste Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus.8 Man begann nun auch, Architekten wegen Fahrlässigkeit bei der Ausübung ihres Berufs zu verklagen, und zum ersten Mal waren die Kosten für Berufshaftpflichtversicherungen für sie eine wirkliche finanzielle Belastung. In der Folge dieser Krise verlor die Architekturtheorie für die gebaute Umwelt ihre Bedeutung. Eine aktive, moderne Perspektive der Architektur als eines Mittels zur neuen Organisation der Gesellschaft mit dem Ziel einer kollektiven Verbesserung hatte ausgespielt. Architekten waren nicht mehr die großen Meister der gebauten Umwelt, sondern gehörten nun auch zu den sich selbst bedienenden Berufsgruppen, die mit den Problemen der natürlichen Auslese auf dem freien Markt zu kämpfen hatten. Das rauhe Klima in Politik und Wirtschaft der frühen achtziger Jahre, das der Pflichtgebührenordnung (die ein gegenseitiges Unterbieten der Architekten verhinderte) ein Ende bereitete und den protektionistischen ,Berufskodex' zu Makulatur machte, vertrieb sie aus ihrer traditionellen, abgeschirmten Position und zwang sie zu einer noch nie dagewesenen, maßlosen Form öffentlicher Selbstprüfung. Da ihnen nun die Rolle des Sündenbocks zugewiesen worden war, gaben die wendigsten und opportunistischsten von ihnen die schulmeisterliche Haltung der Nachkriegsjahre ziemlich schnell auf und versuchten demütig herauszufinden, was die Öffentlichkeit wünschte, statt ihr zu sagen, was sie brauchte. Sie kamen zu dem Ergebnis, daß es in einer Wirtschaft, in der Industrialisierung und Verstaatlichung der Vergangenheit angehörten, für die Architektur vier mögliche Wege in die Zukunft gibt. Der erste und wichtigste Weg aus dem zerstörten Schiff der Moderne war zu lernen, sich einfach der Vorherrschaft der Vergangenheit zu beugen. Dieser Gedanke fand sich kurz und prägnant in einem Leitartikel der Times, der etwa drei Jahre vor der Rede des Prince of Wales in Hampton Court 1984 veröffent-

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licht wurde. „Um die Öffentlichkeit für sich einzunehmen, muß ein Gebäude in erster Linie schon sehr lange Zeit stehen. Diese Eigenschaft läßt sich bei einem neuen Bau nur schwer verwirklichen."' Schwer, aber nicht unmöglich. Das Aufkommen einer regelrechten Bewegung, für die das einzig gute Gebäude ein altes Gebäude ist, ist eines der gesellschaftlichen Phänomene unserer Zeit, aber sie steht der Möglichkeit neuer Bauten nicht so ablehnend gegenüber, wie ihre führenden Köpfe es sich zunächst wohl vorgestellt hatten. Denkmalschutz ist ein weites Feld, aber hier geht es nur um die widerstrebende Anpassung der Architekten an die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten. Diese Entwicklung hat etwa erst 1962 eingesetzt, als der Nachkriegsbauboom einen Höhepunkt erreicht hatte und die Stadtentwickler alles ihnen im Weg Stehende niederrissen und damit rücksichtslos an die Zerstörungen des Krieges anknüpften, der die Bevökerung gegen den Anblick von Schuttbergen in den Straßen hatte abstumpfen lassen. Altehrwürdige Sehenswürdigkeiten wie die Coal Exchange waren bereits zerstört worden; Euston Station und der dazugehörige Triumphbogen sollten als nächste große Bauten im Viktorianischen Stil auf den Schuttabladeplatz der Geschichte wandern. Zu diesem Zeitpunkt schlossen sich unter der Führung der Society for the Preservation o f Ancient Buildings, des National Trust, der Victorian Society und der Georgian Group kleine Gruppen mit engagierten Mitgliedern zusammen. Frühere Befürworter der Modernen Architektur, wie etwa der verstorbene Sir John Betjeman, der 1 9 3 9 „die ehrliche, schlichte Konstruktion aus Stahl, Glas und/oder Beton" bei den Gebäuden in der Sowjetunion gerühmt hatte, änderten ihre Meinung grundlegend und unterstützten die neu entstandene Vereinigung. Die neue Allianz setzte sich entschieden und engagiert für die Rettung von Euston ein, „den ersten je gebauten, großstädtischen Kopfbahnhof', versuchte, als sie diesen Kampf verlor, ebenso engagiert den Triumphbogen zu retten, und verlor auch hier. Aber für die Vertreter der modernen Stadtentwicklung war es nur ein Pyrrhussieg, zumindest in London. Von diesem Zeitpunkt an verloren sie beständig an Boden. Von großen Hochhausprojekten wie dem New Zealand House blieben im Vergleich zur ursprünglich geplanten Höhe nur noch Stümpfe übrig. Die konzentrischen Stadtautobahnringe, ein Schlüsselelement Abercrombies Masterplans für London, wurden nicht gebaut. Zehn Jahre nach dem Abriß des Euston Arch endete eine 9 6 Tage andauernde, öffentliche Anhörung über die geplante Neugestaltung von Covent Garden schließlich mit der Annahme des vorgeschlagenen Plans, gleichzeitig aber auch mit der Aufnahme von 2 5 0 alten Gebäuden in die Liste der zu schützenden Baudenkmale, womit die Realisierung des Planungsvorhabens unmöglich wurde. Zwanzig Jahre nach dem Abriß des Euston Arch wurde ein gewerbli-

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ches Entwicklungsprojekt in Vauxhall von der Denkmalschützerlobby zu Fall gebracht. Gestärkt durch das Engagement des britischen Thronfolgers, verhinderten eben jene Kräfte als nächstes die Umsetzung des erstplazierten Entwurfs für einen Anbau an die National Gallery sowie die Realisierung eines von Mies van der Rohe entworfenen Turms und öffentlichen Platzes in der Nähe der Bank of England. Einige Zeit später wurde sogar eine geplante Sanierung von Bürogebäuden nördlich der Saint Paul's Cathedral nach der Intervention des Prince of Wales aufgegeben. Mitte der achtziger Jahre hatten die Vertreter eines reaktionären Denkmalschutzes ihre Machtposition im gesamten Land gefestigt. Ihre aus ehrenamtlichen Mitgliedern bestehenden, netzwerkartig verwobenen Verbände wachten streng und lückenlos über jede Entwicklungsmaßnahme und waren auf höchster Regierungsebene durch eine öffentlich finanzierte Dachorganisation, die English Heritage, vertreten. Zwanzigtausend Architekten, von denen viele ihre Ausbildung in den sechziger Jahren absolviert hatten, als man ihnen beibrachte, ihre Aufgabe im Entwurf „einer neuen, organisierten Oberfläche der Erde"10 zu sehen, legten ihre Pläne beiseite und leisteten keinen Widerstand. Insgesamt vergaben die Denkmalschutzorganisationen Aufträge über hunderte von Millionen Pfund für Restaurations- und Instandsetzungsarbeiten. Darüber hinaus drängte eine neue Generation von Architekten auf den Markt, die bereit war, nach den Vorgaben der Klassischen Architektur zu entwerfen, als hätte es die Industrielle Revolution und die Moderne Bewegung nie gegeben. Der berühmteste und kompromißloseste Vertreter dieser Architektur des Classical Revival war Quinlan Terry, ein Schüler von Raymond Erith und überzeugter Klassizist, dem man auf dem Höhepunkt der Moderne Aufträge wie die Renovierung von Downing Street No. 10 anvertraute. Terry hatte sich als Student an der Architectural Association in den fünfziger Jahren aufgrund seiner sehr belächelten Entwürfe, in denen er beharrlich Elemente der Renaissance verwendete, bereits schon eine dicke Haut zulegen müssen. Er konvertierte nicht aus praktischen Überlegungen zum Klassizismus. Seiner Ansicht nach basierte die klassische Architektur auf von Gott gegebenen Grundsätzen, wodurch sich alle Probleme der modernen Welt lösen ließen. Seine zunächst provinziellen und bescheidenen Arbeiten wurden recht bald einem größeren Kreis bekannt. Nach dem Niedergang der Modernen Bewegung fand Terry Bauherren aus Industrie und Wirtschaft, die ihre mit Serviceleistungen versorgten Geschoßflächen nur allzu gerne hinter einer Fassade des achtzehnten Jahrhunderts verstecken wollen, vorausgesetzt, ein solcher Entwurf konnte schnell und problemlos realisiert werden.

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13 Quinlan Terry: ein Klassizist, der davon überzeugt ist, d a ß jegliche moderne Kunst, einschließlich der Architektur, zu Selbstmord führt

14 Richard Rogers: ein Anhänger der Moderne, der sich beharrlich weigert, gefällig zu sein

Der bislang größte Erfolg von Terry in diesem Bereich ist die 1988 fertiggestellte Uferbebauung in Richmond. Der mehrgeschossige Bürokomplex mit einer Gesamtfläche von knapp 14.000 Quadratmetern steht von außen betrachtet ganz in der Tradition einer Reihe malerischer, stattlicher Häuser aus dem achtzehnten Jahrhundert. Im Inneren ist der Komplex jedoch ein dem modernen Standard entsprechendes, flexibles Büro- und Geschäftshaus mit allen modernen technischen Einrichtungen und sogar einer Tiefgarage mit 100 Stellplätzen unter einer allerdings mit Kopfsteinpflaster versehenen Betondecke. Trotz seiner anachronististischen Haltung ist Richmond ein durchaus bestechender Kraftakt und anscheinend das krasse Gegenteil zu Richard Rogers' weiter flußabwärts gelegenem Lloyd's-Gebäude im High-Tech-Stil. Aber in Wirklichkeit sind die dort geschlossenen Kompromisse trotz ihres gegenteiligen Charakters gleich. Äußerlich ist das Lloyd's-Gebäude so kompromißlos technologisch, wie der Richmond-Komplex klassisch ist, innen aber ist Richmond einfach nur leer - vollkommen ohne Schmuck. Das Lloyd's-Gebäude dagegen wird zu einem perfekten Beispiel für eine zu Kompromissen gezwun-

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15-18 Richmond Riverside 1987 und das Lloyd's-Gebäude 1986. Zwei Beispiele für ,kreative Architektur, die zu Kompromissen gezwungen war'. Der Gegensatz zwischen dem im georgianischen Stil gehaltenen Äußeren des Richmond-Komplexes von Terry und dem nüchternen, für kommerzielle Zwecke verwendbaren Innenraum ist beträchtlich — jedoch nicht so stark wie die „Schizophrenie", einen gesamten Raum aus einem vornehmen Haus des achtzehnten Jahrhunderts über einem kompromißlos funktionellen, genau auf die Bedürfnisse der einzelnen Versicherer von Lloyd's zugeschnittenen, mehrgeschossigen Bereich einzubauen.

gene, kreative Architektur, denn über den vollkommen im High-Tech-Stil gehaltenen Geschossen mit den Arbeitsplätzen der einzelnen Versicherer befindet sich die im Stil von Louis Quatorze gestalteten Vorstandsetagen. Die Krönung dieser mit großem Aufwand von einem französischen Design-Büro umgestalteten Etagen ist ein kompletter Raum von Robert Adam aus dem Jahre 1761, der aus dem vornehmen Bowood House stammt und in die 11. Etage integriert wurde. Während der Richmond-Komplex durchaus noch Kompromißbereitschaft zeigt, bewegt man sich beim Lloyds-Gebäude im Spannungsfeld zweier unvereinbarer Gestaltungsansätze, was den Gedanken an Schizophrenie aufkommen läßt. Eine erste Zukunftsperspektive für die Zeit nach der Modernen Architektur bot also die anfangs passive, aber ziemlich bald aktive Zusammenarbeit mit dem Regime der Denkmalschützer; eine zweite ergab sich aus der Entwicklung eines neuen, postmodernen Design. Dieser Trend, der bald zu einer .Bewegung' wurde, ergab sich nicht aus der praktischen Arbeit der Architekten. Er entstand vielmehr in den Arbeitszimmern und Seminarräumen der Architekturlehrstühle. Dort sind die Architekturtheoretiker heute fast schon gezwungen, Bewegungen zu erfinden, um ihre Karrieren voranzutreiben, die man wie bei Bergarbeitern und Fischern an der Produktivität mißt. Je mehr Bewegungen sie einen Namen geben können, desto mehr Bildbände können sie schreiben und desto größer ist ihr Erfolg. Aber was die Produktivität anbelangt, wurden bereits hohe Maßstäbe gesetzt: Sir Banister Fletcher machte in seinem berühmten, umfassenden Werk History of Architecture, das 1896 erstmals erschien und heute in der 18. Auflage vorliegt, vierzig unterschiedliche Stilrichtungen von der Zeit der Pharaonen bis zu den letzten Jahren der Herrschaft von Königin Viktoria aus. Der strengere Architekturhistoriker Fritz Baumgart, der sein Werk siebzig Jahre später schrieb, erkannte nur 13 Stilrichtungen in den sechstausend Jahren seit den Hochkulturen in Mesopotamien. Weitaus ergiebiger war die Arbeit des anglo-amerikanischen Architekturkritikers Charles Jencks, der 1973 in einem Buch mit dem Titel Modern Movements in Architecture allein schon sechs Stilrichtungen für die vierzig Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs feststellte. Der genaue Beginn der Postmoderne in der Architektur ist bezeichnenderweise nicht genau auszumachen. Für mich sind die klassizistischen Karyatiden im Eingangsbereich des sonst vollkommen modern gestalteten ,Highpoint II'Hauses von Berthold Lubetkin aus dem Jahre 1938 im Norden von London eindeutige Vorboten dafür, Architekturhistoriker aber teilen diese Auffassung nicht. Nikolaus Pevsner schrieb 1966, er halte das Royal College of Physicians in Regent's Park von Sir Denys Lasdun für das erste postmoderne Gebäude.

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Charles Jencks, der diesen Stil am wortreichsten analysierte, meinte 1977, die Postmoderne habe mit dem Abriß eines Teils eines durchaus umstrittenen Hochhausprojekts der Moderne in St. Louis - Pruitt Igoe - „am 15. Juli 1972 um 15.32 U h r " begonnen." Aber später m u ß t e er einräumen, daß das D a t u m nicht ganz korrekt war - beziehungsweise „symbolischen Charakter" habe, wie er es ausdrückte. Diese Ungewißheit ist charakteristisch; in gewisser Weise ähnelt sie dem nie ganz ausgeräumten Zweifel über die Echtheit, die jedem großen Gemälde der Welt anhängt. Die Postmoderne in der Architektur ist nicht mehr u n d nicht weniger wichtig als die politische Arbeit einer dritten Partei im britischen Wahlsystem. Berthold Lubetkin, der ehrwürdige Vertreter der Moderne, mag die Arbeiten von James Stirling, Terry Farrell u n d Jeremy Dixon trotz seiner rätselhaften Karyatiden als „verkleideten Hepplewhite u n d Chippendale'" 2 kritisieren, aber im Alter vom 85 Jahren m u ß t e er sich nicht mehr mit schönen Worten um zukünftige Aufträge bemühen - wenn er überhaupt jemals so gehandelt hat. Der Autor dieses Buches hat bereits zweimal erlebt, wie Berthold Lubetkin bei einer Rede vor jüngeren Architekten ,dieser Frage konfrontiert wurde'. „Wenn sie heute noch ein Büro besäßen, würden Sie sicherlich ebenso handeln wie wir, u n d wären nicht so kompromißlos, wie Sie es damals waren?", wird ihm entgegengehalten. Es spricht für Lubetkin, daß er in diesem Punkt keine Zugeständnisse machte, doch jüngere Architekten mit Hypotheken, überzogenen Konten u n d weniger Entschlossenheit schauen mit einer

19 Berthold Lubetkin. Ein Vertreter der Moderne, der schon so alt ist, daß er noch die alten Lieder aus dem russisch-japanischen Krieg kennt, aber jung genug ist, um die Postmoderne als „verkleideten Hepplewhite und Chippendale" zu kritisieren

Mischung aus Ehrfurcht u n d Besorgnis auf die Leistungen postmoderner Architekten wie Ron Sidell u n d Paul Gibson, die den Wettbewerb für die Trafalgar Square Grand Buildings von 1985 mit einer genauen Kopie des viktorianischen Gebäudes gewannen, das bereits dort stand. Was, so fragen sie sich bedrückt, wenn sie recht haben? Aber gerade in diesem undurchschaubaren Bereich der unternehmensgeprägten Kultur, in der Architektur und Geld zusammentreffen, wird das Schicksal der Postmoderne letztlich entschieden werden. Einige Vertreter der Postmoderne haben sich sehr geschickt durch das gefährliche Planungsterrain bewegt u n d sich große Aufträge gesichert. Genannt seien vor allem Terry Farrell mit seinen Entwürfen für Alban Gate und Charing Cross sowie natürlich Sidell u n d Gibson mit den Grand Buildings; aber andere, wie James Stirling mit seinen Planungen für die City of London, scheinen nicht in der Lage zu sein, die recht kritischen u n d mächtigen führenden Vertreter der Denkmalschutzlobby zufrieden zu stellen. Für diese undurchschaubaren Menschen 1 3 ist England ein Museum mit Gebäuden im georgianischen Stil, durchsetzt mit High-TechWissenschaftsparks, u n d somit eine Ware, die an die 7 Milliarden P f u n d schwere Tourismusindustrie verkauft werden kann; ein England mit einer Sammlung billiger, lächerlicher Bauten läßt sich dagegen nicht so vorteilhaft vermarkten. Der unspezifische Historismus postmoderner Entwürfe mag dort gut a n k o m m e n , wo auch der gelehrteste Kritiker nichts gegen korinthische Kapitelle neben Bossenmauerwerk innerhalb ein und desselben Bauwerks einzuwenden hat - oder wo es „mehr venezianische Fenster als in ganz Vicenza gibt", wie Philip Johnson stolz von seinem riesigen International Place-Komplex in Boston verkündete. In Großbritannien aber ist der größte Feind der postmodernen Architektur nicht die Z u k u n f t , sondern die Vergangenheit. Beim Bauen wie auch bei Fernsehfilmen neigt eine das kulturelle Erbe sehr hochhaltende Gesellschaft letztlich dazu, Nachbildungen der Klassik einem eklektischem Symbolismus vorzuziehen. Klassizismus u n d Postmoderne bieten beide einen Ausweg aus der Moderne: eine dritte Möglichkeit heißt ,High-Tech'. Dieser Begiff diente ursprünglich Mitte der siebziger Jahre in Amerika zur Beschreibung eines Stils in der Innenarchitektur, bei dem übergroße Wandgrafiken, metallene Autofeigen als Tische, Beleuchtungskörper u n d Regalsysteme aus der Industrie sowie andere, nicht aus dem häuslichen Bereich stammende Gegenstände die vorherrschenden Gestaltungselemente waren. Schon bald schwappte die High-Tech-Welle über den Atlantik u n d diente hier zur Beschreibung einer konstruktiv expressiven, leichten Architektur, die der von Mies van der Rohe eingeführten u n d von Alison u n d Peter Smithson in Großbritannien überzeugend umgesetzten

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Stahlskelettbauweise folgte. Diese Architektur war ursprünglich auch ,modern' genannt worden, aber da immer mehr hochfeste Metallegierungen und Verbundstoffe eingesetzt wurden, schien der neue Begriff passender. Darüber hinaus lastete auf ihm, semantisch betrachtet, nicht die Bürde des Scheiterns der Moderne. Der Zeitpunkt, zu dem der Begriff,High-Tech' in Europa Einzug hielt, ist vergleichsweise leicht zu bestimmen; schwieriger hingegen ist es, den Zeitpunkt des Ubergangs von der Moderne zur ,High-Tech'-Architektur festzulegen.' 4 Ein Blick auf die Deckaufbauten eines jeden Kriegsschiffs aus dem zwanzigsten Jahrhundert erinnert an die Einsteckmodule einer Ölplattform, und damit zum Beispiel auch an das Dach des INMOS-Gebäudes von Richard Rogers, oder gar an die Versorgungstürme des Llyod's-Gebäudes. Gleiches gilt auch für die nüchternen Innenräume von Schiffen, wie etwa bei dem Kreuzer H M S Belfast (1938), dessen schlichte Oberflächen und sichtbaren Versorgungsleitungen vielen Innenräumen von ,High-Tech'-Gebäuden sehr ähnlich sind. Aber die ersten Verfechter dieser Gestaltungslinie sind wohl Gunnar Asplund mit seinen leichten, nur temporären Konstruktionen für die Stockholmer Weltausstellung von 1930, wie auch Bertram Goldberg und Gilmer Black mit ihren Mastkonstruktionen in den späten dreißiger Jahren. Heute besitzt ,High-Tech' einen einzigartigen Status in der britischen Architektur. Die Einfluß der wichtigen britischen Wirtschaftsbereiche läßt sich an deren Finanzkraft erkennen; so verdienten 1987 der Finanzdienstleistungssektor 20 Milliarden Pfund in Devisen, der Tourismus 15 Milliarden Pfund und die Ölindustrie Pfund 12 Milliarden Pfund. Zehn Jahre zuvor, als das Nordseeöl zum ersten Mal flöß, war die Reihenfolge umgekehrt. Öl bedeutete die Rettung der Nation, und Bilder von Kriegsschiffen und Plattformen, die über die rauhe See verteilt waren und deren von austretendem Gas gespeiste Feuersäulen sich gespenstisch in den Wellen spiegelten, beherrschten das Bewußtsein aller. So vergab die Lloyd's Versicherungsgruppe auf dem Höhepunkt einer dem Öl zu verdankenden ökonomischen Rettungsaktion ihren Auftrag für den Bau einer neuen Zentrale an Richard Rogers, dessen Gebäude dann praktisch zwangsläufig die Form eines riesigen Ölförderturms erhielt - mit Edelstahl verkleidet und im Finanzzentrum der Hauptstadt verankert. Das Erdöl war der alles bestimmende Faktor, und die technischen Anforderungen an die Offshore-Förderung inspirierte die High-Tech-Architektur in einem ungeheueren Maße. Aber im Laufe der achtziger Jahre sanken die Ölpreise immer mehr, und so begann man sich im Finanzdienstleistungssektor und in der Tourismusindustrie, beide in der Folge des Ölreichtums entstanden, ein ganz eigenes Bild von Ar-

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20 Brücke des Kreuzers H M S Belfast, 1938, mit dem Gestaltungselement sichtbarer Versorgungsleitungen, das fünfzig Jahre später aus rein ästhetischen Gründen eingesetzt wurde

21 Das Eisstadion in Oxford von Nicholas Grimshaw, 1984. Die Innenraumgestaltung erinnert an ein Kriegsschiff unter Deck aus der Mitte des Jahrhunderts.

23 Eine Hommage an die wirtschaftliche Vorherrschaft des Erdöls, wie man sie sich größer kaum vorstellen kann - das Lloyd's-Gebäude von Richard Rogers, 1986

22 Skizze eines unbekannten, British Petroleum nahestehenden Künstlers aus dem Jahre 1971, das eine Olförderplattform aus der Nordsee zeigt, die in das Stadtzentrum von Edinburgh versetzt wurde - unheimlich anmutende Vorahnung des Lloyd s-Gebäudes



chitektur zu schaffen. In der Welt der Finanzdienstleistung, die durch Reinvestition arabischer Öleinnahmen entstand, wurde die an den Olfördertürmen orientierte Ästhetik rasch durch eine historisierende, allein das Äußere betreffende Gestaltung ersetzt, die recht bald ihre eigene Identität entwickelte und deren Gebäude durch aufwendige Bauweise und die Abhängigkeit von einer stark wärmeproduzierenden und äußerst platzintensiven elektronischen Informationstechnologie gekennzeichnet waren. Riesige, stützenfreie Geschäftsräume mit Deckenplatten in einem Abstand von bis zu fünf Metern, mit aufgeständerten Fußböden und abgehängten Decken für die Kanäle der Klimaanlage und sämtliche Leitungen versah man nun mit dem Attribut ,New Age' oder nannte sie auch Entwicklungen des .Dritten Jahrtausends'. Nach dem LloydsGebäude wurde das Äußere dieser Gebäude nicht mehr von sichtbaren Versorgungsinstallationen beherrscht; vielmehr stellen drei der Gebäude, die für Finanzinstitute in London entworfen wurden - das Mansion House SquareProjekt von James Stirling, die späteren Bauphasen von Broadgate von Skidmore, Owings und Merrill sowie Alban Gate von Terry Farrell - nach außen hin stolz viele Gestaltungselemente des Fin de siècle zur Schau. Dies zeigt deutlich den wachsenden Einfluß der von der Tourismusindustrie und der Denkmalschützerlobby vertretenen .traditionellen Werte'. Die High-Tech-Architektur erlebte durch die vorübergehende Bedeutung von Offshore-Fördertechniken eine kurze, aber folgenlose Blüte, doch nun gehen die wichtigen Entwicklungen daran vorbei. Das größte High-Tech-Projekt der letzten Jahre, die BBC-Zentrale am Langham Place von Norman Foster für 180 Millionen Pfund, wurde 1985 aufgegeben, und die seither größte Planung für Central London mit einer von außen offen sichtbaren Konstruktion ist ein Sainsbury-Einkaufszentrum für 14 Millionen Pfund von Nick Grimshaw. In der breiten Öffentlichkeit sind die offenen, mechanisch anmutenden Konstruktionen nicht mehr beliebt, da sie anonym sind und trotz der Namensänderung immer noch die Assoziation mit den Fehlschlägen der utopischen Wohnbauprojekte der öffentlichen Hand aus den sechziger Jahren wecken. Aufgrund dieses Negativimages hat diese Stilrichtung heute keine Anhänger mehr und muß warten, bis die schlüssigen Überlegungen von Buckminster Fuller zu einer ökonomischen Umhüllung von Räumen ihr wieder zu öffentlichem Ansehen verhelfen. Die gegenwärtigen Arbeiten von Michael Hopkins veranschaulichen das momentane Dilemma eines Architekten, der sich Fullers, die Designwissenschaft revolutionierenden Ideologie der ,Mehr-für-weniger-Gestaltung' verschrieben hatte und diese (wie er selbst es ausdrückte) „vor vielen Jahren auf die Bank getragen hatte" - um heute festzustellen, daß er ein erfolgreiches Büro in einer

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27 Haupttribüne des Lord'sCricketstadions, Michael Hopkins, 1987. Wieder eine textile Hängekonstruktion, beachtenswert allerdings die Backsteinbögen

26 Schlumberger-Laboratorien, Michael Hopkins, Cambridge, 1985. Teflonbeschichtete Glasfaser n i m m t eine völlig neue Form an.

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Welt leitet, die die Bedeutung dieser Überlegungen nicht mehr erkennt. Hopkins macht sich keine Illusionen darüber, wie rückständig die Bauindustrie im Vergleich zur Raumfahrtindustrie oder auch zum Yachtbau ist, er hat jedoch, seit er die Architectural Association vor fast dreißig Jahren verließ, in seinen Entwürfen immer High-Tech-Elemente verarbeitet. Er spricht von der „furchtbaren Zwischenwelt" der zeitgenössischen Gestaltung und dem daraus entstandenen „repressiven Umfeld", räumt aber ein, daß es ihm persönlich nie an Herausforderungen fehlte. Jahrelang hatte er sein Büro in seinem eigenen ,High-Tech'-Haus mit offenem Grundriß und einer leichten Stahlrahmenkonstruktion; heute befindet sich sein Büro in einem Gebäude, das der Inbegriff von High-Tech-Architektur an Land ist, - einem Prototyp des ,Patera'-Systems für Fabrikbauten aus Stahl und Glas mit außen liegender Tragkonstruktion, die er ursprünglich für einen Kunden zur industriellen Massenproduktion entworfen hatte. Nur sechs Exemplare des Patera-Systems wurden je gebaut - und er kaufte die patentierte Entwurfssidee von seinem ursprünglichen Kunden wieder zurück. Hopkins' bekanntestes High-Tech-Projekt entstand im Auftrag der Ölindustrie, und das ist kein Zufall; sein 1985 gebautes Schlumberger Petroleum Research Building in Cambridge war zunächst als Zentrum für die Erdölforschung gedacht. Bei diesem Bau umschließen aus dem Patera-System abgeleitete Büroeinheiten ein riesiges quadratisches Atrium mit an Masten hängenden Dachelementen aus einer durchscheinenden, teflonbeschichteten Glasfasermembran, unter der sich eine Versuchsförderanlage mit den entsprechenden Geräten befindet. Der gesamte Bau steht etwas erhöht und ist nur wenige Minuten vom Stadtzentrum von Cambridge entfernt, so daß die vieldeutige, spinnenartige und bei Nacht hell erleuchtete Silhouette auch aus weiter Entfernung vom Süden und Westen her sichtbar ist. Die leicht geneigten Doppelmasten aus Stahlrohr erinnern an Richtantennen früher Funkversuche und lassen nirgendwo die noch nie dagewesene dreidimensionale Präzisionsarbeit erahnen, die zur Berechnung der Haltepunkte für die in Deutschland hergestellte Membran notwendig war. Am Ende waren an dem Projekt zwei Ingenieurfirmen beteiligt, Anthony Hunt Associates für die Gebäude und Arup & Partners für die Membran, die Masten und die Spannkabel. Das Gebäude erinnert vor allem an die demontierbare Zeppelinhalle aus dem Jahre 1912 und ist wohl der Höhepunkt der an den Ölfördertürmen orientierten Gestaltung außerhalb Londons. Das Lloyd's-Gebäude ist vielleicht aufwendiger und komplexer, aber da es in ein Netz mittelalterlicher Straßenzüge gepreßt wurde, sieht man es praktisch erst, wenn man direkt davor steht. Das Schlumberger Research Centre ist das herausragendste Symbol der angewand-

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28 Erste Version der Sanierung des Bracken House, Michael Hopkins, 1988. Ein gewagter Blick zurück mit tragendem Ziegelmauerwerk, viktorianischen Bögen und Gußeisenkonstruktion 29 Zweite Version des Bracken House, Michael Hopkins. Die Aufnahme in die Liste der denkmalgeschützten Gebäude im Jahr 1988 wandte den Blick noch weiter zurück. Der neue Entwurf ist „beeinflußt von Guarino Guarini" (1624-1683).

ten Wissenschaft in Cambridge, einem der ganz wenigen Orte in Großbritannien, dem man noch zugesteht, zur modernen Welt zu gehören. An jedem anderen traditionsbeladenen Standort wäre dieser Bau als unpassend abgelehnt worden. Dem Schlumberger-Bau folgte im Büro von Hopkins dann aber 1987 das 4 Millionen Pfund umfassende Projekt einer Haupttribüne für den Lord's-Crikketplatz in London, und schon die Art des Auftrags zeigt hier den Einfluß einer sich wandelnden Zeit. Auch hier gibt es eine textile Hängekonstruktion, aber diese fortschrittliche Technologie war nicht das entscheidende Argument bei der Auswahl durch den Marylebone Cricket Club, dem insgesamt sechs Alternativentwürfe vorlagen; man entschied sich für Hopkins, weil er als einziger eine Backsteinarkade aus dem Jahre 1898 erhalten und erweitern wollte. Dieses Gebäude verkörpert nach den Worten des großen Architekten der Moderne, John Winter, „den Punkt, an dem sich die völlig gegensätzlichen Ideologien der Moderne und des Denkmalschutzes angesichts der Genialität eines Architekten in Nichts auflösen" 15 - eine kluge Beschreibung für die ersten Zeichen eines Auswegs aus der Falle, zu der die Technologie des Weltraumzeitalters geworden ist, und dabei entstand so etwas wie ein Klipper aus dem neunzehnten Jahrhundert. Für die Haupttribüne des Lord's-Cricketplatz entwarf Hopkins ein in Schichten aufgeteiltes Gebäude mit schweren, tragenden Backsteinbögen im untersten Bereich, darüber eine leichte Stahlrahmenkonstruktion mit Ausfachungselementen aus Beton, darüber wiederum ein noch leichterer Stahlkastenaufbau, gefolgt von einem Dach mit hauchdünnen Segeln aus einer Polyestermembran und einem spinnennetzartigen Gerüst für die Aufhängung der Dachmembran als oberstem Abschluß. Die Raffinesse des Entwurfs zeigt sich darin, daß die unteren Backsteinbögen keine alte, sanierte Bausubstanz sind, sondern ebenso neu entworfen und gebaut wurden wie das darüber schwebende High-Tech-Dach. Hopkins plante eine von einem Stahlrahmen abgehängte Dachkonstruktion über der alten Haupttribüne. Vom High-Tech-Stil inspiriert sind dabei die neuen, stufig angeordneten Sitzebenen mit einer Stahlrahmenkonstruktion und deren Überdachung in Form einer an Masten befestigten, PVC-imprägnierten, gewobenen, PVDF-beschichteten Polyestermembran, aber dieses interessante Material beeindruckte die Bauherren nicht. Hopkins erhielt den Auftrag, weil er die Bogenreihe einfühlsam vervollständigt und in den Entwurf integriert hatte. „Bei jedem Auftrag lernt man, wie man ein Problem lösen kann, und beim nächsten Auftrag macht man es wieder so", meint Hopkins. Bei dem Auftrag für das Lord s-Stadion lernte er weniger über PVC, sondern viel über tragendes

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Mauerwerk. Bei seinem nächsten Projekt betrat Hopkins, ausgehend von den Backsteinbögen des Lord's-Stadions, eine fremde, neue Welt echter viktorianischer Architektur. Durch einen weiteren Wettbewerbssieg, diesmal ein 80 Millionen Pfund umfassendes Sanierungsprojekt des Bracken House, den alten, ursprünglich 1953 von Sir Albert Richardson entworfenen Büroräumen der Financial Times in der Londoner City, sah sich Hopkins sogar veranlaßt, sich gegen das „unannehmbare Gesicht von High-Tech" zu wenden und ganz gezielt den Backsteinbögen des Lord's-Stadions noch mehr positive Seiten abzugewinnen. Beim ersten Entwurf für das Bracken House-Projekt, das er „meinen Feldzug gegen Vorhangfassaden" nannte, schlug er sechs Stockwerke mit Deckengewölben aus nicht bewehrtem Beton im viktorianischen Stil hinter einer tragenden Fassade aus Stein und Gußeisen vor. Die notwendigen Installationen für Heizung, Kühlung und Kommunikationssysteme sollten in einem aufgeständerten Fußboden Platz finden. Abgehängte Decken waren nicht vorgesehen; statt dessen sollte die unbearbeitete Oberfläche der Gewölbe das Licht von den abgehängten Beleuchtungskörpern reflektieren, und durch die große Menge von Beton sollten Temperaturschwankungen verringert werden. Dieses Projekt ist ein einzigartiger historischer Gegenangriff von ,High-Tech' gegen den Historismus: „Wir wollten damit zur echten viktorianischen Bauweise zurückkehren und damit moderne, wirtschaftliche Problem lösen", lautet Hopkins' Erklärung. 16 Aber dieser Gegenangriff, so brillant er auch war, erwies sich nur als ein aussichtsloses Nebengefecht. Die Planung von Hopkins mußte aufgegeben werden, noch bevor sie in die Genehmigungsphase gehen konnte, da das Gebäude auf die Liste der historischen Baudenkmale gesetzt worden war, und somit mußte Hopkins seinen dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Entwurf für einen Bau zwischen den von Sir Albert Richardson hinterlassenen Gebäudeflügeln überarbeiten. Eine bekannte ,High-Tech'-Architektin, die versucht, ihre Grundsätze auch in einer vom Denkmalschutz dominierten Umwelt aufrechtzuerhalten, ist die Tschechin Eva Jiricna. Sie kam 1968 nach London, arbeitete zunächst in einer Reihe englischer Büros und gründete 1985 ihr eigenes Büro, Jiricna Kerr Associates. Sie ist auf Innenarchitektur spezialisiert und hat Läden, Wohnungen, Restaurants und Clubs für Joseph Ettegui, Harrods und andere Auftraggeber gestaltet und damit auch einige Preise gewonnen. Wie Michael Hopkins war auch Eva Jiricna in den vergangenen Jahren recht erfolgreich, doch auch sie äußert sich pessimistisch über die Zukunftsaussichten für High-Tech-Bauten, da ihrer Meinung nach die Kosten für die Entwicklung und Fertigung neuer Bauteile nie durch ein einziges Projekt erwirtschaftet werden könnten. Jiricna entwarf die 3.500 Computer-Arbeitsplätze aus Metall, die im Lloyd's Building

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eingebaut wurden - aber der Auftraggeber bestand dann darauf, sie mit Teakholz zu verkleiden, damit sie ihren Vorgängern aus der Zeit Dickens' ähnelten. Danach entzog man ihr den Auftrag für die Gestaltung der oberen Vorstandsetage u n d beauftragte den im Louis Quartorze-Stil arbeitenden französischen Dekorateur Jacques Grange. H e u t e gesteht sie: „Ich habe mich damit abgefunden, nur noch sehr langsame Fortschritte zu machen. Britische Auftraggeber sind sehr konservativ, und der Zeit- u n d Kostenaufwand ist immer d a n n sehr groß, wenn man neue Materialien und neue Methoden vorschlägt. Es gibt keine Experten auf dem Gebiet des Einsatzes von Materialien wie superelastisches Aluminium oder Techniken wie dem Schneiden von Metall mit Hilfe von Laserstrahlen. Alle Subunternehmen fordern zunächst umfassende Informationen, bevor sie einen Auftrag annehmen, und nur man selbst kann diese Informationen liefern. Aber auch wenn man selbst all die damit verbundene zusätzliche Arbeit auf sich nimmt, kann man keine höheren Honorarforderungen stellen. Ich m u ß t e mich daher auf einen einzigen, kleinen technologischen Fortschritt pro Auftrag beschränken." 17 W i e gering dieser Fortschritt bisweilen ist, wird an der Innenraumgestaltung des 1987 eröffneten Legends Nightclub mit einem Auftragsvolumen von 500.000 P f u n d deutlich. Das fortschrittlichste Element ist eine Treppe aus Aluminiumlochblech mit einem Geländer aus gespanntem, geflochtenem Edelstahl, das die gesetzlich vorgeschriebene mögliche Seitenbelastung um das Zweifache übersteigt. Bei einem neuen, ähnlichen, jedoch nicht so umfangreichen Auftrag m u ß t e Jiricna eineinhalb Jahre auf die Genehmigung der Baubehörde für den Austausch eines einzigen Binders im Dach durch einen Spannrahmen warten, weil man dies als ,zu fortschrittlich' einschätzte. Vielleicht noch fortschrittlicher, aber bislang noch nicht so produktiv ist der ,High-Tech'-Ansatz von Jan Kaplicky, David Nixon u n d Amanda Levete, die sich zu einem Büro unter dem N a m e n Future Systems zusammengeschlossen haben. Kaplicky in London u n d Nixon in Los Angeles arbeiten seit 1979 zusammen u n d wurden hauptsächlich durch ein High-Tech-Forschungsprojekt für die NASA in den Vereinigten Staaten bekannt sowie durch ihre vielen Wettbewerbsbeiträge, deren H ö h e p u n k t bislang ein vielgepriesener u n d ausgezeichneter Entwurf für die Bibliothèque Nationale in Paris von 1989 war. Wie Jiricna ist auch Kaplicky von einer Zusammenarbeit mit britischen Auftraggebern nicht begeistert. Als dieses Buch entstand, war die Neugestaltung der Innenräume von Harrods, eine Gemeinschaftsarbeit mit Jiricna, der einzige große Auftrag, den er gerade in London ausführte - obwohl er ein Mitglied des Wettbewerbsteams von Richard Rogers bei dem siegreichen Entwurf für das Centre Pompidou war u n d auch bei der Planung der H o n g k o n g and Shanghai

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30 Die Architektin Eva Jiricna, Tochter eines Vorreiters der tschechoslowakischen Moderne. „Ich m u ß mich auf einen einzigen, kleinen technologischen Fortschritt pro Auftrag beschränken."

31 Jan Kaplicky und David Nixon von Future Systems. „Das Problem von HighTech besteht darin, daß die Produktionsweise im Zeitalter des Bugatti steckengeblieben ist und nicht den Einstieg in das Zeitalter des Ford Sierra findet."

Bank sowie dem Projekt für das B B C Langham Hotel von Norman Foster mitgearbeitet hatte. Kaplicky zufolge besteht das Problem der ,High-Tech'-Architektur heute darin, daß sie in ihrer Produktionsweise im Zeitalter des Bugatti steckengeblieben ist und nicht den Einstieg in das Zeitalter des Ford Sierra findet. „Der Grund für immer bessere Produkte in der Automobil-, Raumfahrt- und Rennbootindustrie liegt an deren ausschließlich an Leistung und Erfolg orientierter Geschäftspolitik. In der Architektur hängt Erfolg nicht von der Leistung ab, sondern ist wertorientiert. Um mehr Leistung zu erreichen, muß man viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit leisten - Wert dagegen entsteht aus Knappheit." 18 Bei den Projekten von Future Systems werden, wie auch bei den zukunftsweisenden Projekten von Archigram, bewußt Technologien aus der Raumfahrtindustrie übernommenen, die Gruppe beschäftigt sich aber auch intensiv mit der Einarbeitung organischer Strukturen und wahrnehmbarer Bewegung. Durch die wohlüberlegte Präsentation ihrer Projekte mit fortschrittlichen Konstruktionssystemen bei konventionellen Architekturwettbewerben sind sie seit einiger Zeit in der Lage, die Vorteile der selbsttragenden Schalenbauweise auch in rein wirtschaftlicher Hinsicht darzulegen. Wie die frühen Gebäude der Modernen Bewegung in bezug zu ihren viktorianischen Vorgängerbauten, durchbrechen die Arbeiten von Future Systems einen Dschungel aus unnötigen Diskussionen und Ornamenten. Im Gegensatz zu Michael Hopkins, der seine Segel in den Wind des Historismus stellt, oder zu Eva Jiricna, die in vielerlei Hinsicht eine Gefangene ihrer herausragenden Qualitäten als Innenarchitektin ist, holt Future Systems zum nächsten Schritt in der HighTech-Architektur aus - egal, wie lange es bis zu dessen Realisierung dauert. Aber diese Entwicklung wird sich vielleicht länger hinziehen, als alle denken. Bei jedem der bislang angesprochenen Bauten - Quinlan Terry mit Richmond, Richard Rogers mit dem Lloyds-Gebäude und Michael Hopkins mit dem Bracken House - offenbart der Wunsch nach Einheit zwischen dem Inneren und dem Äußeren des zeitgenössischen Gebäudes einen Konflikt zwischen den gestalterischen Werten des Architekten und den kulturellen Werten des Bauherrn. Beim Lloyd's-Gebäude führte dieser Konflikt letztlich dazu, daß der Vorstand dem Architekten und der von ihm ausgewählten Innenarchitektin den Auftrag für die Gestaltung der oberen Stockwerke entzog, um dort den schönen Schein von Tradition wiederherzustellen. In den anderen Fällen hatte man sich bereits schon früher auf diesen immer noch hohen Wert einer Hommage an die Vergangenheit eingestellt.

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32 Der Architekt Walter Segal (1907-1985), ein Pionier auf dem Gebiet des Entwurfs für Häuser im Eigenbau. Segal beschrieb die Community Architecture als „unerfreuliche Form der Ausbeutung".

33 Walter Segais erstes Haus im Eigenbau, 1963, wurde innerhalb von zwei Wochen aus einfachen Standardmetallplatten in seinem eigenen Garten fertiggestellt.

34 Dr. Roderick Hackney und Prince Charles 1984 bei einem Besuch von Hackneys berühmter Black Road-Siedlung mit Häusern im Eigenbau in Macclesfield.

Die verschiedenen Formen des Classical Revival, der Postmoderne und der ,High-Tech'-Architektur stehen heute zwar problemlos nebeneinander, doch gibt es noch eine vierte Form der Anpassung an die sich wandelnden ökonomischen Realitäten, die hier Erwähnung finden soll, auch wenn es schwer ist, deren tatsächliche stilistische oder ökonomische Bedeutung einzuschätzen. Community Architecture, Bauen als Gemeinschaftsaufgabe, im öffentlichen Bewußtsein auf alle Zeiten hin mit der Billigung des Prince of Wales verbunden, ist ein Beispiel für ein stark in die Öffentlichkeit getragenes, unbedeutendes Phänomen, das eine sachlich fundierte Diskussion über die eigentliche Problematik ersetzt, in diesem Fall das Ende des von der öffentlichen Hand subventionierten sozialen Wohnungsbaus und der 1980 begonnene Verkauf von Sozialwohnungen. Community Architecture, eigentlich der sehr engagierte Flügel der Wohnhaussanierer, ist eine Bewegung, die ihre Hauptaufgabe in der unfachmännischen Instandsetzung heruntergekommener Wohngebiete sieht. Ein ganz wesentliches Merkmal ist die Überzeugung der Mitglieder, man brauche Architektur als eine eigene, von Fachleuten ausgeübte Disziplin nicht mehr. „Die Leute sollen ihre eigenen Architekten sein", meinen ihre führenden Köpfe. „Sie halten den Stift, und wir werden die Häuser entwerfen!" 19 Nach Meinung der sogenannten Community Architects unterscheidet sich ihre Rolle von jener der konventionell arbeitenden Architekten insofern, als sie sich als ,Macher' und nicht als .Lieferanten' verstehen. Sie sind 24 Stunden am Tag im Dienst (das behaupten sie zumindest), leben vor Ort, diskutieren mit den Vertretern der Bauaufsicht, mit den Stadtplanern und den Geldgebern, fahren Lastwagen, arbeiten als Maurer und sind auch finanziell an ihren Projekten beteiligt, statt ihren Auftraggebern Gebühren in Rechnung zu stellen, die diese ohnehin nicht bezahlen könnten. Ihr Beitrag zur Gestaltung aber wird durch den sehr hohen Stellenwert der Wünsche der Hausbesitzer (beziehungsweise möglicherweise angehenden Besitzer) und die durch Geldmangel und fehlende handwerkliche Fähigkeiten auferlegten Beschränkungen zwangsläufig auf ein Minimum reduziert. Einer der sehr gut praktisch umsetzbaren Beiträge zum Thema Häuser im Eigenbauverfahren, das von dem Architekten Walter Segal zwischen 1963 und seinem Tod 1985 entwickelte Leichtbausystem aus Holz, wurde jedoch interessanterweise von dessen Erfinder ausdrücklich von der Community Architecture-Bewegung ausgeschlossen. Segal war erbost über das vollkommen unprofessionelle Architektenkonzept einer 24-Stunden-Betreuung der Baustelle, das er als „eine unerfreuliche Form der Ausbeutung, die die Lösung des Problems der Schaffung von Wohnraum auf das Niveau eines unterbezahlten Arbeiters

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35 Lea View House in Hackney, 1936, oben (a) vor, unten (b) nach der Sanierung durch Hunt Thompson. Der Community Architect stellte mit Freude eine Verringerung des Zigarettenkonsums bei den Mietern fest.

in der Transkei reduziert"20, beschreibt. Andere machen einen Unterschied zwischen denjenigen, die in einer bauwilligen Gemeinschaft echte technische Hilfe geben, und den Unternehmern, die unter dem Namen , Community Architect' arbeiten, in Wirklichkeit aber Bauträger sind. Der wohl bekannteste Community Architect, der ehemalige Präsident der britischen Architektenvereinigung RIBA, Rod Hackney, ist als Bauherr und Verkäufer von Häusern, der zufällig auch eine fachliche Qualifikation als Architekt vorweisen kann, eindeutig besser beschrieben denn als Architekt, dessen Haupttätigkeit im Entwerfen von Gebäuden besteht. Die wirkliche Bedeutung der Community Architecture-Rewegurig kann nur ermessen werden, wenn man den damit geschaffenen (beziehungsweise sanierten) Wohnraum mit dem von kommunalen Baugesellschaften nach dem Krieg geschaffenen vergleicht. 1967, dem Jahr mit der höchsten Rate, wurden in England und Wales 472.000 neue Häuser gebaut, die Hälfte davon billige Sozialwohnungen für Mieter mit Wohngeldanspruch - eine Leistung, die seither nicht mehr erreicht wurde. Bislang sind die Zahlen über den durch Community Architecture geschaffenen Wohnraum noch nicht für einen solchen Vergleich aufbereitet worden, aber es ist doch bezeichnend, daß heute in einer Zeit, in der sich die öffentliche Hand in einem Auflösungsprozeß befindet, die Modernisierung von 61 Wohneinheiten durch Community Architecture als so wichtig erachtet wird, daß sie das Thema eines Buches und von mehr als einer Fernsehdokumentation wurde. 21 Eine weitere Ironie der Bewegung ist die sorgfältige Auswahl ihrer Äußerungen, mit denen sie die ,Bevormundung' beim Entwurf von Gebäuden verurteilt. Während Community Architects einerseits begeistert in die allgemein verbreitete Ablehnung der Moderne mit deren .arroganter' Sozialwissenschaft und .entmenschlichender' Anwendung von modernster Technik einstimmen und sogar soweit gehen, die Uberzeugung des Prince of Wales, der zufolge das Fachwissen eines Architekten absolut entbehrlich sei, zu teilen („nur Pedanten sind noch der Meinung, daß der Begriff Community Architecture impliziert, die Bewegung gehöre noch zum Ressort der Architekten" 22 ) - , sind sie andererseits jedoch nicht abgeneigt, Ungeheuerliches für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Eine Firma von ,Community Architetcs', die mit dem Environmental Award (Umweltpreis) beim Festival of London 1988 für ihre Arbeit in einer heruntergekommenen Wohnanlage aus der Vorkriegszeit in Hackney ausgezeichnet wurde, nahm anschließend in einer Pressemitteilung für sich in Anspruch, daß dank ihrer Arbeit „Vandalismus und Graffitischmierereien der Vergangenheit angehören, die Kinder ein neues Verantwortungsgefühl für eigenes und fremdes Eigentum entwickelt haben, 72 Prozent der Mieter nun ge-

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Sünder sind, 70 Prozent weniger rauchen und 95 Prozent weniger an Angst und Stress leiden"23. Im Vergleich dazu war die Propaganda der Architekten der Moderne angenehm zurückhaltend.

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Anmerkungen

1 Ich verdanke die Idee für diese Parallele meinem Freund James McPetrie, der einen Hof mit knapp 65 ha in South Devon betreibt. Seiner Ansicht nach sind .Architektur' und .Landleben' beides Begriffe, die nach der Ausstrahlung der Dokumentation über den Prince of Wales .Visions of Britain' am 28. Oktober 1988 in dieser vagen Form verwendet wurden. Er gebrauchte auch den Begriff .Constable Syndrome', um die illusorischen Vorstellungen vieler Stadtmenschen über die Landwirtschaft zu beschreiben. 2 Aus einer Rede, die Seine Königliche Hoheit Prinz Charles anläßlich des 150. Jahrestages des Royal Institute of British Architects (RIBA) und der Verleihung der Queens Royal Gold Medal for Architecture an Charles Correa in Hampton Court am 30. Mai 1984 hielt. 3 Sunday Expressvom 30. Oktober 1988: In einer Telefonumfrage bei 1.000 erwachsenen Befragten ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Telephone Surveys Limited am Tag zuvor, daß 51,2 Prozent auf die Frage,Sollte der Prinz in einen Planungsausschuß berufen werden, der alle wichtigen Entwürfe prüft?' mit ,Ja' antworteten. 4 All diese geistreichen Vergleiche benutzte der Prinz im Zusammenhang mit verschiedenen .wichtigen Entwürfen' zwischen Mai 1984 und Ende 1988. 5 Bill Gillespie, der Seniorpartner bei Gillespies, einem großen Landschaftsplanungsbüro in Glasgow, gestand in einem Gespräch mit dem Autor am 6. Dezember 1988 ein gewisses Versagen seines Büros beim Entwurf der .Rahmenvorgaben' für die Royal Docks ein. Wiederholte Abänderungen der von Gillespies entwickelten .Rahmenvorgaben' hatten die trennenden Elemente zwischen den neuen, kommerziell geprägten Entwicklungen und dem älteren Wohnviertel im nördlichen Teil der Docks noch verstärkt, womit sie genau das Gegenteil ihres ursprünglichen Ziele erreicht haben. 6 Zitiert in Paul Vallely, „Eating up the Inner City", in: The Times (8. Dezember 1988) 7 Richard Rogers zum Beispiel. 1980 sagte er: „Wenn das Centre Pompidou eines Tages ausgedient hat, hoffe ich, daß sie sich davon trennen" (zitiert in: Nathan Silver und Jos Boys (Hg.), Why is British Architectur so Lousy!, Newman 1980. Aber 1988 unterstützte er die Verteidigung des Alexander Fleming House gegen die .Bedrohung' in Form einer neuen Verkleidung aus Aluminium, eine Haltung, die sich mit der Ablehnung des Hochrüstens eines Computers vergleichen läßt und nicht zu seinen Überzeugungen als High-Tech-Architekt paßt. 8 Ein ziemlich extremes Beispiel ist der ganzseitige Artikel in der Daily Mail vom 28. August 1983 von Andrew Alexander mit dem Titel „Laßt uns die Planer zerstören", in dem auch die folgenden Sätze zu finden sind: „Eines Tages werde ich einen Architekten umbringen. Dies richtet sich dann nicht gegen seine Person. Ich werde nur seinen Beruf ausfindig machen und ihn dann niederschießen. Wenn ich dann deswegen vor Gericht stehe, werde ich zu meiner Verteidigung einfach vorbringen: Er war ein Architekt. Und man wird mir Verständnis entgegenbringen und mich freisprechen." 9 „The Architecture we Deserve" (Die Architektur, die wir verdienen), The Times (XI. Juni 1981)

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Diesen inspirierenden Satz äußerte der Megasturkturalist und Architekt Yona Friedman bei der Konferenz für Experimentelle Architektur in Folkstone 1966. Charles Jencks, Die Sprache der postmodernen Architektur, Stuttgart 1988 Berthold Lubetkin in seiner Dankesrede anläßlich der Verleihung der Royal Gold Medal for Architecture im Juli 1982. Marcus Binney, der damalige Vorsitzende der mächtigen Interessensgruppe für Denkmalschutz .Save Britain's Heritage', intervenierte persönlich und unterstützte den Bauantrag für das Lloyds-Gebäude 1978. Colin Davies' High-Tech Architecture, Thames & Hudson, 1988 (dt. Ausgabe High-Tech Architektur, Hatje 1988) ist in bezug auf die Frage des Ursprungs enttäuschend, das Ende aber datiert der Autor in einem vorsichtigen Versuch mit dem Absturz der Challenger Rakete am 28. Januar 1986. Ein alter und erfahrener Mann im Klassifizieren von Stilrichtungen wie Charles Jencks hätte niemals den Beginn eines Stils, den er beschrieb, so schlecht aufgearbeitet. John Winter, „Fit for the Test", in: The Architects' Journal (2. Sept. 1987) Die zitierten Äußerungen von Michael Hopkins stammen aus Gesprächen des Autors mit dem Architekten zwischen 1987 und 1988. Gespräch mit Eva Jiricna, November 1987. Gespräche mit Jan Kaplicky zwischen 1987 und 1988. Jules Lubbock vertrat diese denkwürdige Definition bei einem RIBA-Treffen am 13. Februar 1986. In einem Gespräch mit dem Autor im Juni 1985. Vgl. zum Beispiel: Alan McDonald, The Weller Way mit einem Vorwort des Prince of Wales, Faber & Faber 1986, oder Videokassetten The Pride Factor, Mirageland 1985 und Community Architecture: The Story of Lea View House, Hackney, Hunt Thompson Associates 1985 Nick Wates und Charles Knevitt, Community Architecture: How People are Creating their Own Environment, Penguin 1987 Hunt Thompson, Presseerklärung, September 1988

2 Vom Automobil lernen

Im Menschen scheint es den inneren Zwang zu geben, sich an der Evolution von Objekten zu versuchen, als besäßen diese tatsächlich Leben. AlexMoulton, 1981 Die Architektur sieht sich heute einer stark reaktionären und anti-technologischen Grundhaltung gegenüber. Diese äußert sich in einer wachsenden Einflußnahme auf die Entscheidungen der Baubehörden und auf das äußere Erscheinungsbild einzelner Gebäude und reicht bis hin zu Angriffen auf die Grundkonzeptionen und Grundüberlegungen, auf denen das konstruktive Skelett und die innere Struktur der Gebäude basieren. Sie ist die Gegenreaktion auf die neuen Ideen der Moderne, in der revolutionäre, neue Konstruktionen und Raumorganisationen das äußere Erscheinungsbild von Gebäuden beherrschten und darüber hinaus die von Menschen gemachte Welt darstellen wollten, die Friedman „eine erweiterte und organisierte Erdoberfläche"' nannte. Wie kam es zu dieser Gegenreaktion? Zu einer Zeit, in der für die Erhaltung alter Gebäude mehr Zeit und Mittel aufgewendet werden als für die Entwicklung neuer Baumethoden, liegt die einzig mögliche Antwort in dem Versuch, zwischen der linearen, funktionsorientierten Entwicklung von modern entworfenen Objekten - Schiffen, Autos und Flugzeugen, bei denen eine solche Gegenreaktion nicht stattgefunden hat - und dem gestörten Evolutionsmuster beim architektonischen Entwurf zu unterscheiden. Das zentrale Problem der Architektur des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts liegt in deren offensichtlich mit dem allgemeinen Evolutionsmuster der Technik nicht entsprechenden Entwicklung. Giovanni Klaus Koenig schrieb dazu 1988: „Die gegenwärtige, postmoderne Bewegung in der Architektur schlägt die falsche Richtung ein. Wenn die Welt der Automobilindustrie, die heute mehr Einfluß hat 71

als die Kunst und nie zuvor so rationell gearbeitet hat wie heute, den richtigen Weg gefunden hat, sollte ihr das gesamte industrielle Design folgen." 2 Bereits seit Le Corbusiers frühesten Aufsätzen galt die Verbindung der alten Baukunst mit den neueren technischen Möglichkeiten, mit der Massenproduktion und damit auch mit der Philosophie der „Ephemerisierung" beziehungsweise der ständigen technischen Verbesserung als ein Hauptziel der Pioniere der Modernen Architektur. Die erfolgreiche Verknüpfung dieser höchst unterschiedlichen Elemente wurde für ihr Denken so entscheidend, daß ihr Scheitern geradezu ein Geschenk für ihre ideologischen Gegner war. So stellte der amerikanische Kritiker Peter Blake einmal fest: „Wir können uns die Moderne Bewegung ebensowenig ohne Fertigbauweise vorstellen, wie wir uns das Christentum ohne Kreuz vorstellen können." 3 Und gerade diese Widersprüchlichkeit einer selbstbewußten Architektur, die einerseits unter der Last einer jahrtausendealten Tradition arbeiten muß, andererseits aber danach strebt, dem entschiedenen Funktionalismus der Schiffskonstrukteure und Flugzeugingenieure nachzueifern, fasziniert auf fatale Weise sowohl fortschrittliche als auch reaktionäre Geister. „Die Moderne, unpersönliche Architektur des sogenannten Funktionalismus", schrieb Sir Edwin Lutyens 1931, „scheint mir weder das über Jahrhunderte ererbte Wissen durch etwas von vergleichbarer Qualität zu ersetzen, noch einen wahren Sinn für Stil zu zeigen - einen Stil, der in einem Gespür für die richtige Verwendung von Materialien wurzelt." 4 Schon damals, als es noch sehr wenige bedeutende moderne Gebäude gab, war diese allgemeine Beobachtung weder falsch noch unhöflich, sie brachte vielmehr das Scheitern der Moderne auf den Punkt. Ebenso richtig und aufschlußreich ist das, was Sir Ninian Comper, der berühmte, damals dreiundachtzigjährige Architekt von Kirchen im Stil des Gothic Revival, sechzehn Jahre später schrieb: „Derjenige, der ein Flugzeug oder ein Auto entwickeln möchte, strebt nicht voller Selbstbewußtsein danach, sich oder sein Zeitalter zum Ausdruck zu bringen, wie es bei den bemitleidenswerten Architekten und Künstlern von heute der Fall ist. Seine Entwicklung soll funktionieren, möglichst noch besser als die vorhergehende, und er wäre niemals so töricht anzunehmen, daß er dies ohne Kenntnis der Tradition und der Vorläufer tun könnte. Außerdem gibt es im Falle eines Scheiterns keinen Zweifel an seinem Scheitern; er kann es nicht hinter schönen Worten und Theorien verbergen. Wir wollen dies bei der Architektur ebenso handhaben und diesen Humbug beenden." 5 Diese beiden Empfehlungen enthalten fast schon gegensätzliche, aber doch entscheidende Ratschläge: Architektur muß die Beherrschung der neuen Materialien lernen, darf aber dennoch die Vergangenheit nicht aus den Augen ver-

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36 Immer noch ein unerreichbares Ziel in der Architektur: die Fertigungslinie mit Schweißrobotern bei Fiat

37 „Je ferai des maisons comme on fait des voitures" - zumindest fast. Vorgefertigte, mit Helikoptern vor O r t geflogene Toilettenmodule beim Einbau in die Hongkong and Shanghai Bank, Norman Foster, 1986

lieren. W e n n diejenigen, die die heutige Architektur prägen, nicht beides miteinander vereinbaren können, gehen sie einer Z u k u n f t des „Humbugs" entgegen. Tatsächlich bestimmt dreißig Jahre nach Compers Tod ein selbstbewußter Ausdruck der Persönlichkeit die Arbeit in jenen Architekturbüros, in denen — wie eine früher häufig gehörte Werbung verführerisch verkündete - Architektur „diskutiert" wird; u n d im Kern des zeitgenössischen H u m b u g s bleibt die selten beantwortete Frage: Was ist beim Entwurf von Gebäuden wirklich so anders als beim Entwerfen von Autos, Flugzeugen u n d anderen komplizierten Geräten? Für einige Menschen ist der Entwurf eines Gebäudes heute ein kulturelles Ereignis, andere sehen darin ein Geschäft. N u r wenige glauben vielleicht noch an einen schöpferischen Akt u n d nicht nur an einen technischen Prozeß. Andere sehen ihn als Management-Leistung oder als schlichten Eintrag in die Geschäftsbücher. Natürlich ist angewandte Architektur alles zusammen u n d noch ein bißchen mehr, aber letztlich auch schwer zu fassen. So wie es m ü ß i g ist, den Hunger in der Welt als moralisches Problem zu diskutieren, wenn es in Wahrheit doch ein technisches Problem ist, so ist es auch müßig, Architektur als Abenteuer der Kunst darstellen zu wollen, wenn sie es eigentlich nicht ist. W e n n schon die genaue Kategorie, in die das Entwerfen von Gebäuden fällt, äußerst unklar ist, um wieviel unklarer m u ß dann erst dessen existentielle Realität sein? Sicherlich konnten Lutyens und möglicherweise auch C o m p e r mehr Einfluß auf ihre Gebäude nehmen (und sie entwarfen tatsächlich auch mehr Gebäude) als ihre ein Jahrhundert später geborenen Kollegen. Ihre Welt war ganz anders. „Im England der dreißiger Jahre gab es praktisch überhaupt keine Architekturkritik", schrieb Sir James Richards I960, „zumindest keine im Sinne von regelmäßigen Besprechungen neuer Gebäude [...]. N u r Architekten hielt man für kompetent genug, Kritiken zu schreiben, u n d die meisten Architekten waren, wie das bei jedem Berufstand der Fall ist, äußerst zurückhaltend in ihrer Kritik an Kollegen." 6 Gebäude werden heute in der Regel unmittelbar nach ihrer Fertigstellung besprochen. Sie werden beurteilt, als seien sie Werke einzelner Künstler, die möglicherweise Urteile von Kollegen derselben Generation anerkennen; zugleich gelten sie aber auch als die Leistung eines Teams von Ingenieuren, die jeder beurteilen kann, da nur zählt, ob eine bestimmte Leistung erbracht wurde. M a n c h m a l werden sie den Auftraggebern zugeschrieben, zuweilen auch den Baufirmen, die sie errichtet haben. Auch neue Autos werden regelmäßig besprochen - u n d dies im allgemeinen weitaus objektiver; aber auch sie lassen sich entweder als die Leistung eines brillanten Designers, als das Produkt eines Teams von Entwicklungsingenieuren oder als das Werk des Vorsitzenden oder

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Präsidenten des Konzerns darstellen. Keine der Interpretationsmöglichkeiten läßt sich einfach von der Hand weisen, da jede ein Quentchen Wahrheit enthält, wodurch auch die Komplexität der Materie deutlich wird. Gebäude, Autos und Flugzeuge sind nicht immer das gleiche, mal sind sie Kunstwerke, mal Maschinen, dann wieder Verkaufsobjekte oder auch „technische Produkte, die man vorteilhaft als zusammenhängende, funktionierende Körper betrachtet, verbunden durch Subsysteme, die im großen und ganzen das Gesamtdesign bestimmen" - die Standarddefinition von Eder und Gosling für die Ergebnisse der Maschinen- und Systemtechnik, aus der die Docklands Light Railway und das Space Shuttle hervorgingen. Wie die Architektur, ist das Entwerfen an sich schon äußerst vielschichtig. Man kann sie als schöpferischen Akt loben, als oberflächliches Design abtun oder als etwas sehen, das „schlicht und einfach als Teil eines nicht kreativen Teamprozesses ,gemanagt' werden muß, um die Kompatibilitätsprobleme zu lösen, die sich beim Zusammenbau eines Ganzen aus vielen Einzelteilen ergeben"7. Wenn alle diese Definitionen stimmen, dann verschwinden die wahre Identität und der wahre Wert des Entwurfsaktes in jener Mehrdeutigkeit, die den Moment des Entstehens verschleiert. Ein Kritiker kann dann nur noch fragen: „Wann und unter welchen Umständen ist der Entwurf des Objekts das entscheidende Element bei dessen Entstehung?" - im Gegensatz zu dem Bankdarlehen, mit dem es finanziert wurde, oder der Gesetzeslücke, die letztlich seine Realisierung ermöglichte, oder gar zu dem neuen Material, ohne das es nicht hätte realisiert werden können. Entwurf und Design existieren immer irgendwo in der subjektiven Beziehung zwischen dem einzelnen und dessen Umgebung - einer Beziehung, die nur durch den Akt des Schaffens beziehungsweise den Akt der Veränderung real wird. Aber der Entwurf kann nur dann weitaus entscheidender sein als der Akt der Herstellung oder die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten, wenn man ihn als das entscheidende Ereignis in der Kette sieht, die verschiedene Bedürfnisse mit Hilfe eines neuen Objekts miteinander verbindet. Rein physiologisch betrachtet stellt sich jeder einzelne, wie jede Organisation auch, in einer bestimmten Weise auf ein zu erreichendes Ziel ein. Der einzelne beziehungsweise das Team entwickelt eine ,Form', eine Form der Arbeit, des Kampfes, des Gefühls, sogar eine Form des Entwurfs. Bei bestimmten physiologischen Konstellationen macht diese ,Form' den Entwerfenden berühmt. Und diese Konstellation gibt es eben bei bestimmten Architekturbüros und bei anderen nicht. Sie macht den Unterschied zwischen den sogenannten .kommerziellen' Büros und den Entwurfs-Büros aus. Vermutlich konnten Architekten sich über Jahrtausende hinweg nur darum eine eigenständige Identität be-

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wahren, weil sie als Organismus diese .Entwurfsform' bewußt oder unbewußt gegen häufigen Druck aus Politik und Wirtschaft geschützt haben. Wenn ein solches physiologisches Verhalten zum Schutz der Entwurfsarbeit existiert, ist es Teil einer Überlebensstrategie. Aber zugleich kann es auch der Grund für die tiefen Gegensätze sein, die das Produktdesign unserer Tage von der Architektur trennen. Vielleicht gerade weil die dem Entwurf Priorität einräumende .Form' der Architektur über Jahrhunderte hinweg dem einzelnen „den Genuß" schenkte, „den man fühlt, wenn man die vom eigenen Willen verursachte Veränderung der Außenwelt beobachtet" 8 , wird sie keinesfalls die erzwungene und von Koenig empfohlene Vereinigung mit der Industrie oder der Philosophie der „Ephemerisierung" eingehen. „Die Tradition und die Vorläufer", denen Comper völlig zu Recht entscheidende Bedeutung bemißt, haben den kreativen Kern der Architektur über Jahrhunderte hinweg geschützt. Die Kunstgeschichte, die in der Vergangenheit die Grundlagen für die Besprechung von Architektur lieferte, bedient sich einer defensiven Sprache, die diese schützende Haltung nicht durch deren Entmystifizierung zerstören will. Damit diese exotische, gelehrte Sprache dem Vokabular von Bits und Bytes weicht, müßte sich auch ein Teil des in einem evolutionären Prozeß erlernten Verhaltens innerhalb dieser Disziplin wandeln; und wenn das geschähe, könnte dann nicht die Architektur als ganze verloren gehen? Heute wird kaum problematisiert, warum der Zyklus stilistischer Neuauflagen des neunzehnten Jahrhunderts unbedingt mit Hilfe kunsthistorischer Kategorien oder .Stile' besprochen werden muß. Greek Revival, Egyptian Revival, Gothic Revival, Neoromanik, Neurenaissance, Second Empire Stil, Jeffersonian - alle diese Richtungen werden weder als gefährliche Abenteuer in den Karrieren einzelner Helden gesehen noch als eine Abfolge experimenteller Gebäudetypen, noch nicht einmal als das Ergebnis neuer Materialien und Methoden, sondern einfach als ,Stilübungen' ohne Daseinsberechtigung und technologische Bedeutung. Neben anderen Autoren stützt auch Norberg-Schultz diese Haltung, wenn er schreibt, „der Stil [hat] einen stabilisierenden Zweck für die Gesellschaft. Er vereint die einzelnen Produkte miteinander und läßt sie als Teile eines sinnvollen Ganzen erscheinen; außerdem [...] gewährleistet [er] die Kontinuität der Kultur."' Diesen Standpunkt zu vertreten, obwohl die meisten, wenn nicht sogar alle .Stile' aus importierten Innovationen entstehen und damit per definitionem .destabilisierend' sind, verweist allein schon auf eine irrige Annahme, die allerdings nur von geringer Tragweite ist. Wichtiger noch ist es in diesem Zusammenhang, die Moderne Bewegung davor zu schützen, in ein derartiges .stilistisches Grab' versenkt zu werden, bevor ein alterna-

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tiver Erklärungsansatz für ihre Existenz gefunden ist. Sofern die Architektur des Ersten Maschinenzeitalters nicht durch ein weiteres halbes Jahrhundert ruhigstellender Interpretationen von „nekrophilen Störern der Friedhöfe der Vergangenheit, die jederzeit einen Leichnam, dessen Stil die Lebenden noch anstecken könnte, ausgraben würden" 10 , verwässert und geschwächt wird, kann sie sich den Gesetzen der Kunstgeschichte beharrlich entziehen. Im Vergleich etwa zum Greek Revival - sei es nun die Richtung des Regency oder des Edwardian - war die Moderne Architektur ein gewaltiger Schritt nach vorne. Sie glich eher einer evolutionären Veränderung als einem unbedeutenden ästhetischen Ereignis. Die mit ihr einhergegangenen Umwälzungen waren so groß, daß sie sich eher mit dem Entstehen und Verschwinden der Dinosaurier vergleichen lassen als mit irgendeiner Stilvariante, die an leicht veränderten Formen von Säulen oder Fenstern festgemacht wird. Um den Unterschied zwischen der Modernen Architektur und etwa dem Greek Revival oder der Neugotik zu verstehen, müssen wir sie als ein Phänomen einer anderen Ordnung begreifen, das weniger mit dem Entwurf von Gebäuden zusammenhängt, als mit dem evolutionären Wandel, der für das Überleben der Spezies .Architekt' in der Welt notwendig ist. Wie jeder evolutionäre Wandel war auch dieser das Ergebnis einer drastischen Veränderung der Umwelt. Wie das große Feuer von London im Jahre 1666 das Ende des Holzbaus in der Stadt zur Folge hatte und die steinerne Architektur entstehen ließ und wie der große Brand in Chicago im Jahre 1871 zur Erfindung der Wolkenkratzer führte, so erstand aus den Zerstörungen infolge der beiden Weltkriege die Moderne Architektur. Häuser und Gebäude befanden sich bereits in den Jahren zwischen 1914 und 1918, viel stärker aber noch in den Jahren zwischen 1939 und 1945 in einer feindseligen Umwelt, was zur Revolutionierung des Bauens in der gesamten entwickelten Welt führte. Durch den starken Zusammenhang zwischen den beiden Weltkriegen (Erholung vom Ersten und Vorbereitung auf den nächsten, gefolgt von der Erholung vom Zweiten) kann man sie durchaus sogar als einen einzigen betrachen: ein gigantisches, vierzig bis fünfzig Jahre andauerndes Trauma, das in der Neuzeit seinesgleichen sucht. Der zeitbedingte, schnelle Wandel von den verschiedensten, im Grundsatz auf eine lange Lebensdauer ausgerichteten Gebäudetypen brachte die Moderne Architektur hervor, und so wandelten sich bestimmte Entwurfsansätze sehr schnell. So wie völlig veränderte Umweltbedingungen etwa eine Eiszeit - die Lebewesen sowohl der betroffenen als auch der nicht betroffenen Gebiete verändern, wandelte dieser geschichtliche Einschnitt das gesamte Bauen für immer.

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38 Gebäude in einer feindseligen Umgebung: Stuttgart 1945 nach den Luftangriffen der Alliierten.

In den Kriegen wurden hunderttausende von Gebäuden zerstört; Erhaltung, Sanierung u n d Neubau kamen zum Erliegen; Engpässe sowohl in der Materialversorgung als auch bei Arbeitskräften gab es noch lange nach dem Ende der Kriege. In Europa und Asien dauerten die direkten Auswirkungen auf die bebaute Umwelt mindestens fünfzig Jahre an, u n d in gewisser Weise sind sie auch heute noch spürbar. Als eine direkte Folge der Bombenangriffe, der Kämpfe um Städte u n d Dörfer sowie der Landflucht wurden nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen großangelegter Bauprogramme Wohnbauten, Schulen, Krankenhäuser u n d Produktionsstätten errichtet. In dieser Zeit intensiver Bautätigkeit gewannen plötzlich revolutionäre neue Entwürfe, Baumaterialien u n d Techniken mit einem möglichst geringen Einsatz von Material und Arbeitskräften innerhalb weniger Jahre eine Bedeutung, die sie sonst innerhalb eines Jahrhunderts nicht erreicht hätten. Die alte physiologische ,Form' der Architektur m u ß t e sich in dieser Zeit sozialen und politischen Zielen beugen: Sie sollte das Schreckliche kulturell akzeptabel machen. Später sagte m a n dann, die Moderne Architektur habe das Rüstzeug für diesen Wandlungsprozeß geliefert. Hier handelte es sich eindeutig um einen M o m e n t einer evolutionären Krise. „Die Tradition u n d die Vorläufer" wurden über Bord geworfen, zurück blieb allerdings deren praktisch unbrauchbar gewordenes kunsthistorisches Gerüst. Erfahrungswerte über traditionelle Baumaterialien u n d -methoden hatten keinen Bestand neben Experimenten mit neuen Materialien u n d Methoden. Es gab einen noch nie dagewesenen Bruch, man warf das Wissen aus dem alten Bauhandwerk fort, u n d die Architekten versuchten, sich mit Hilfe wissenschaftlicher Labors neues Wissen anzueignen. So etwas hatte es noch nie zuvor gegeben. Spricht man vom .Aufstieg der Modernen Architektur', so impliziert das ein Verlassen alter Wege zugunsten von neuen. Die Anspielung auf neue Erkenntnisse, wenn nicht sogar Allwissenheit, geschieht zu Recht, denn zunächst besaß diese Architektur der Innovation, die sich schon durch .isolierte genetische Experimente' vor dem Zweiten Weltkrieg angekündigt hatte, eine ebenso unbestrittene Vorrangstellung wie die ,moderne Medizin' oder sogar die .moderne Wissenschaft'. In den vierziger Jahren, als entscheidene konzeptionelle Entscheidungen getroffen wurden, war sie Teil des zweckorientierten Denkens, von dem auch andere kriegsbedingte M a ß n a h m e n wie Rationierung, Massenproduktion u n d zentralisierte Planung geprägt waren. Somit gelang der Modernen Architektur die erste feste gesellschaftliche Verankerung in einer von Katastrophen geprägten Welt, und sie pries ihre neue Kraft als Siberstreif am mit dunklen Kriegswolken verhangenen Horizont.

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„Nach dem totalen Krieg kommt das totale Leben" stand auf einem Prospekt der amerikanischen Firma Revere Copper and Brass Incorporated aus dem Jahr 1942. Ein anderer hatte den Titel .Vorschau auf neue Lebensformen' und war als Telexschreiben mit dem fiktiven Datum 7. Dezember 1946 (keine schlechte Schätzung für die Dauer des Krieges) verfaßt; darin erinnert Ex-GI „Bob" seinen Freund „Joe" daran, wie sie sich während der Kämpfe oft gefragt hätten, ob die Leute zuhause für die Zeit nach ihrer Heimkehr etwas planten, das besser sei als das Leben vor ihrer Mobilisierung. Tatsächlich hatten „die Leute zuhause" wahre Wunder vollbracht. „Bob" beschreibt dann sein Haus aus dem Jahr 1946 mit Jalousiedach, Solarheizung, Kondenswasserversorgung sowie „radiothermischem" Kochen. Wenn „Bob" Urlaub in Alaska machen möchte, so seine stolzen Worte, „packt er einfach sein Haus ein und verstaut es in einem .Lastensegler' hinter dem Flugzeug". Diese Revolution beschränkt sich nicht nur auf Wohnhäuser. „Totales Leben ist mehr als nur ein schöner Satz", schreibt der Architekt Lawrence Perkins in einem anderen Prospekt von Revere. „Es ist ein phantastisches Konzept, bei dem Gruppen, Straßenzüge, Orte und eine gesamte Nation enger miteinander verflochten werden als je zuvor." Perkins beschreibt schließlich auch neue Baumaterialien: „Metalle ohne Eisen und wunderbare Kunststoffe", und der Entwerfer von Fertigteilhäusern, Walter Dorwin Teague, erklärt, wie sie angewendet werden: „Wir müssen auf das Bauen nur die selben Entwurfs-, Herstellungs- und Verkaufstechniken anwenden, durch die wir erreicht haben, daß jeder vierte in Amerika ein Auto besitzt. Auf diese Weise kann die geniale amerikanische Idee von der Massenproduktion, mit der wir den Krieg gewinnen, auch in Friedenszeiten gewinnbringend eingesetzt werden."" Die Macht und die Kraft dieser in den Prospekten von Revere 1942 formulierten Vision trugen die Moderne Bewegung bis in die siebziger Jahre. Danach war das Haus, das „Bob" so enthusiastisch beschrieben hatte - vielleicht mit Ausnahme des Jalousiedachs und des Transports mittels .Lastensegler' - Standard. Aber es sah nicht mehr aus wie das Usonian Home von Wright, das Wochenendhaus von Breuer oder das subtropische Paradies von Neutra, die Perkins und Teague vor Augen hatten. Es hatte bereits wieder eine Gestalt angenommen, die in immer stärkerem Maße von ästhetischen', verkaufsfördernden Elementen, von der Rückkehr zur alten, den Entwurf schützenden physiologischen ,Form' der Architektur geprägt war. Nur in der Anfangsphase der ,genetischen Experimente' der Vorkriegszeit und in der ästhetischen' Endphase gab es einen erkennbaren Konflikt zwischen dem sichtbaren Innovationsprozeß in Form der Moderne und den überlieferten, von der Mehrheit der Bevölkerung geteilten Vorstellungen davon, wie ein

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"After total war

A house with a futore

39 „Nach dem totalen Krieg k o m m t das totale Leben": Werbeprospekte der Revere Copper C o m p a n y aus dem Jahre 1942

Gebäude aussehen müsse. Die Moderne Architektur hatte bereits f ü n f u n d zwanzig Jahre vor dem fiktiven D a t u m von „Bobs Brief begonnen, gegen eine nur langsam schwindende Vorliebe für O r n a m e n t u n d Tradition anzukämpfen. Von „Bobs" Phantasievorstellungen bis zum Beginn der ästhetischen' Phase (um 1970) war der Glaube an die Moderne als ,das totale Leben' - u n d an deren reine Ursprünge im .totalen Krieg' - umfassend u n d unangefochten. Der gegenwärtig bestehende, unklare Zustand der Verwirrung u n d Uneinigkeit konnte diese Dimensionen nur annehmen, weil die alte architektonische Kultur, die der ,genialen Idee der Massenproduktion' so feindselig gegenüberstand, wieder in Erscheinung trat u n d beständig an Stärke gewann. Z u diesem Zeitpunkt verlor die Moderne Architektur, die die Vorstellungen zweier Generationen so maßgeblich mitgeprägt hatte, ihren Einfluß. Die Umwelt erzwang eine neuerliche Veränderung, u n d sie begann wie ein perfekt getarnter Schmetterling mit dem geschichtlichen Hintergrund zu verschmelzen. Gemessen an kunsthistorischen Maßstäben hatte die Moderne Architektur nur für sehr kurze Zeit Bestand; aber als evolutionäres P h ä n o m e n ist sie sicherlich auch nie ganz abgetreten. Wie ein gut trainierter Soldat - der sie in gewissem Sinne auch war - erkannte die Moderne Architektur, daß sie einer Übermacht gegenüberstand, worauf sie sich von ihrer strengen Ideologie u n d von ihrem klaren geometrischen Erscheinungsbild trennte u n d im Dickicht der Stile untertauchte. W ä r e auch ein anderer Verlauf möglich gewesen? Da die Niederlage der ursprünglichen Modernen Architektur so vollkommen u n d unerwartet war, m u ß die Antwort Nein lauten. Hätte es einen besseren Verlauf geben können? Hier m u ß die Antwort Ja lauten. Aber potentielle Alternativen blieben letztlich ebenso vage wie die Formen der Kontinente bei Anwendung der Kontinentaldrifttheorie. Die Spezies ,Auto' entstand, wie deren naher Verwandter .Flugzeug', praktisch zur gleichen Zeit wie die ersten Experimente in der Modernen Architektur. Seit Anfang dieses Jahrhunderts galt den Modernen Architekten das Beispiel Auto mit dem ungeheueren Erfolg seines Reproduktionssystems als ein Modell, dem sie nacheifern wollten. Banham selbst beschreibt dessen „psychologische W i r k u n g " aufgrund der Macht, die es jedem einzelnen gab, als geradezu „revolutionär"; „Mensch mal Motor" - wie Marinetti es ausdrückte.' 2 Von Anfang an gelang den Autokonstrukteuren, was den Architekten nicht gelang. Die Produktion von Autos erreichte sehr schnell einen bedeutenden U m fang. Fünftausend kleine Automobilhersteller schössen aus dem Boden, verschwanden wieder von der Bildfläche oder schlossen sich zusammen, bis nur noch eine Handvoll mächtiger Unternehmen übrig geblieben war. W i e Koenig

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40 Verfremdeter ,High-Tech'-Ford Capri mit außen verlaufenden Schläuchen und Leitungen. Das Innere wird wie beim Lloyd's-Gebäude von 1986 nach außen gekehrt.

41 Lloyd's-Gebäude. Der Preis für freie Innenräume sind massive Außenflächen und die Aerodynamik eines Weihnachtsbaums.

bereits wortreich feststellte, trat das Produkt des Autokonstrukteurs den Siegeszug der Globalisierung und Ephemerisierung genau zu dem Zeitpunkt an, als der starke Einfluß der Modernen Architektur zu bröckeln begann. Im Bereich des Entwurfs erlebten beide, das Auto und das Gebäude, in den vergangenen hundert Jahren die gleichen Abenteuer und überstanden die beiden Weltkriege auch beide vollkommen unbeschadet - aber hier enden auch schon die Ähnlichkeiten, da Erfolg und Mißerfolg sich unterschiedlich zwischen ihnen aufteilten. In der Geschichte des Automobils zeigen sich sämtliche Stilrichtungen und Phasen der Architektur der vergangenen hundert Jahre, doch lassen sich beide Entwicklungen nicht miteinander in Einklang bringen. In den frühen Experimenten von Daimler und Benz kann man durchaus die Pionierarbeiten von Wright und Loos erkennen. Mit dem Ford-Modell Τ gelangt man direkt zu der technisch expressiven beziehungsweise High-TechPhase, sie entspricht etwa den Arbeiten von Norman Foster (einzig relevant hier ist das Renault Distribution Centre in Swindon von 1983), Richard Rogers oder Frank Gehry heute. In den dreißiger Jahren übernahmen die Autokonstrukteure die in der Flugzeugindustrie entwickelte Schalenbauweise und die Stromlinienform, und so erreichte das Automobil bereits 1937 eine klassisch Moderne Perfektion - was vor allem beim Lancia Aprilia von Battisto Falchetto' 3 , aber auch beim berühmten Volkswagen-Käfer von Ferdinand Porsche zu Ausdruck kam. Das Gegenstück in der Architektur ist ebenfalls ein Klassiker der Modernen Perfektion - Le Corbusiers Pavillon Suisse aus dem Jahre 1931 oder auch Frank Lloyd Wrights Haus Falling Water von 1936, bei denen Stahlbeton als neues Material in perfekter Vollendung Verwendung fand. Darauf folgte die zweite Phase des „totalen Kriegs", die bei Autos genau das Gegenteil bewirkte. Die ausgehenden vierziger und die fünfziger Jahre sind von der totalen Beherrschung der Architektur durch die Moderne und der Entstehung von unzähligen zweckmäßigen Stahl-, Glas- und Betongebäuden geprägt. Dagegen zeigt sich in dem selben Zeitraum beim Auto eine erschrekkende Entwicklung hin zu einer Art frühzeitiger Postmoderne. In der Architektur gab es den wegweisenden Triumph des Fertigteilbaus bei Mies van der Rohes Farnsworth House und dem CLASP-Bausystem für Schulen14 - wegweisend hier im Sinne einer rationellen und ökonomischen Verwendung industriell gefertigter Standardbauteile, doch beim Auto gab es einen Rückfall in das schwarze Loch der Nachkriegsgigantomanie, die 1959 im amerikanischen Straßenmonster mit Heckflosse gipfelte. Die Rettung aus diesem Irrweg des Autodesign kam allein von der Energiekrise des Jahres 1974, aufgrund derer man mit dem VW-Golf von Giorgio Giugiaro oder dem von unbekannter Hand entworfenen Honda Accord zu den bereits 1937 entwickelten, inzwi-

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sehen verbesserten und zweckmäßigeren Formen zurückkehrte. Diese Autos entsprechen in gewisser Weise den leichten, kommerziell genutzten HighTech-Gebäuden von Nick Grimshaw oder Roger Perrin, sind jedoch denkbar weit entfernt von der zu dieser Zeit vorherrschenden postmodernen Architektur. Ende der achtziger Jahre, nach hundert Jahren Entwicklungszeit, ist das Moderne, auf eine kurze Lebensdauer angelegte Auto so selbstverständlich wie das alte, auf eine lange Lebensdauer angelegte Haus. Doch nur eines davon bekennt sich mit seiner äußeren Gestaltung zu seinem Inneren. Das Auto von heute ist so schnell wie ein Rennwagen vor dreißig Jahren und besitzt in seinem Inneren so viel Elektronik wie eine Wertpapierbörse, es steht damit vor einem neuen evolutionären Wandel, dem Schritt in die Welt der Informationstechnologie. Das Auto, die mobile Unterkunft, wandelte seit Beginn des Jahrhunderts weitaus häufiger sein Gesicht als das Haus, die immobile Unterkunft; und nun greift in diese Entwicklung auch noch der gewaltige Multiplikationseffekt der Informationstechnologie ein. Mit der Mobilität und den informationstechnischen Möglichkeiten des Autos droht der Architektur die vollkommene Veralterung. Autos sind heute einfach besser - oder wann haben Sie zuletzt ein leckendes Auto gefahren beziehungsweise ein Haus mit elektrischen Fensterhebern gesehen? Der Zusammenbau durch Industrieroboter ist bereits Standard, wobei Höchstleistungen bei minimalem Materialeinsatz in kürzest möglicher Zeit erreicht werden. Das Auto ist angetreten als Ersatz für das Büro, ganz zu schweigen vom Zeichenbüro, es ist verschwenderisch, luxuriös, schnell und kompliziert, und es beherrscht die Welt der Produkte wie einst Tyrannosaurus Rex seine Welt. Seine guten Zukunftsaussichten könnten nur dadurch gebremst werden, daß es tatsächlich schon ein Dinosaurier geworden ist, untragbar für seine eigene Umwelt, weil ihm auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung ganz real der Platz sowie der Brennstoff ausgeht. Z u m ersten Mal in seiner Geschichte sieht sich das Auto heute einer Kritik gegenüber, die die Architektur in den fünfzig Jahren der Moderne revolutioniert hat. Die Umwelt hat sich letztendlich gegen das Auto gestellt - gerade als sein märchenhafter Erfolg als ein Produkt des Industriedesigns das modernste High-Tech-Gebäude der Welt im Vergleich nur wie ein 1913 produzierter Ford erscheinen läßt. Heute, auf dem Höhepunkt des Zweiten Maschinenzeitalters, ist das Auto das beste Beispiel für kontinuierliche Produktevolution in der Geschichte der Technik. Es hat sich in hundert Jahren weiter entwickelt als das Haus in tausend, wenn nicht sogar in zehntausend Jahren. Ohne verschleiernde Ornamente oder Tradition hat es sich seinen Weg durch die reaktionären Kräfte ge85

42 Lancia Aprilia, 1937. Eine schlichte, elegante Limousine - ,klassisch moderne Perfektion' in einer glatten, raumeinschließenden Hülle

43 Sainsbury Centre, Norman Foster, 1977. Freier Innenraum und glatte, raumeinschließende Hülle durch .dicke Versorgungswände', so gut wie ein vierzig Jahre davor gebauter Lancia

bahnt, die die Moderne Architektur in den Untergrund gezwungen haben. W i e war dieses W u n d e r möglich? Schon das erste Automobil von Karl Benz aus dem Jahre 1885 enthielt die meisten Grundelemente eines modernen Autos: Benzin als Brennstoff, einen wassergekühlten Verbrennungsmotor mit elektrischer Einspritzung, ein Lenkrad mit Zahnstangenlenkung u n d ein Differentialgetriebe zwischen Motor u n d Antriebsrädern. Der Unterschied zwischen diesem Automobil u n d einem modernen Auto bestand in der ungewöhnlichen A n o r d n u n g dieser Elemente; darüber hinaus erhielten einige unwichtige Bestandteile eine für uns heute unverhältnismäßig große Bedeutung. Der Motorwagen von Benz besaß nur drei Räder; der Moter lag flach unter dem Sitz; der Antrieb erfolgte über eine Nokkenwelle u n d nicht über eine Kurbelwelle; die Kupplung wurde mit etwas betrieben, das sich dann wohl zu einem Keilriemen entwickelt hat; der Benzintank war offen sichtbar, und das Schwungrad - so groß wie ein normales Rad wurde zum Starten mit der H a n d betrieben. Karl Benz entwickelte dieses Automobil aus der Technik, mit der im neunzehnten Jahrhundert in den Werkstätten die Maschinen über stationäre Gasmotoren angetrieben wurden, deren Kraft mit Hilfe von Wellen und Transmissionsriemen übertragen wurde. Einige dieser Anlagen gibt es bis zum heutigen Tag. Wollte man aber den Weg der mobilen Variante dieser Maschinen von Benz bis zum modernen Auto rekonstruieren, dann m ü ß t e man einen erstaunlich kompakten Prozeß natürlicher Auslese in der Industrie gründlich erforschen, in dessen Verlauf überflüssige Teile entfernt, bestehende Teile neu angeordnet u n d verbessert sowie neue Teile hinzugefügt wurden — alles im Interesse einer unermüdlichen Suche nach verbesserter Leistung. Die ganze Geschichte des Autos läßt dieses Streben nach Leistung als eine Art natürliche Auslese erscheinen, so daß das heute modernste Auto letztlich immer das überlebende stärkste Modell ist, das sich in seiner realen Umwelt aus gesetzlichen, technischen, finanziellen u n d materiellen Beschränkungen, von denen Produktion u n d Gebrauch bestimmt werden, am besten durchgesetzt hat. Eines der beachtlichsten Elemente der Interaktion zwischen der jeweiligen Spezies u n d deren Umwelt ist die Unumkehrbarkeit der Entwicklungen sowohl in der Automobiltechnik als auch in der Natur. Gäbe es keine Spuren des Benzschen Wagens mehr, wollte man diesen aber aus wissenschaftlichen G r ü n den auf der Grundlage eines modernen Autos rekonstruieren, stünde man vor einer fast nicht zu bewältigenden Aufgabe. Es wären genetisch-technische Versuche notwendig, deren Ergebnisse so zweifelhaft wären wie der Versuch von Wissenschaftlern, die Zähne von Hennen, die es seit 6.000 Jahren nicht mehr gibt, wieder wachsen zu lassen - allerdings im Auge einer Maus.' 5 Tatsächlich

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44 Das Automobil von Karl Benz von 1885 enthielt die meisten Grundelemente des modernen Autos, sie waren nur in ungewöhnlicher Form angeordnet.

wäre es weitaus einfacher, nicht von dem heutigen fünftürigen Auto in Schalenbauweise mit 16 Ventilen auf das Original von Benz zu schließen, sondern die Technik einer Werkstatt des neunzehnten Jahrhunderts vor der Zeit des Automobils zu rekonstruieren und sich dann in die Zukunft vorzuarbeiten. Aus dieser sehr praktischen Schwierigkeit ergibt sich ein bedeutender Unterschied zwischen dem Entwurf von Autos und Gebäuden, denn bei letzteren ist die Lebensdauer des Produkts so groß, daß das .fehlende Bindeglied' fast immer gefunden werden kann und alte Baumethoden beständig an die Vergangenheit erinnern. Karl Benz selbst betrachtete die Entwicklung des Automobils nicht als eine Evolution. Abgesehen von der Meisterleistung seiner Erfindung spielte er in der darauf einsetzenden Entwicklung kaum beziehungsweise gar keine Rolle. Nur mit größtem Widerwillen war er bereit, irgendein Bestandteil seines Originalentwurfs abzuändern, auch wenn dieses eindeutig schlechter war als ein Bauteil der Konkurrenz. In den fünfzehn Jahren zwischen der ersten Fahrt und dem kompletten Umbau des Wagens 1901, als Benz erstmals nicht mehr selbst die Konstruktionsentscheidungen traf, bestanden die einzigen Innovationen in der Veränderung von drei auf vier Räder im Jahre 1890 sowie in der Einführung eines Getriebegehäuses 1899. Benz war der Überzeugung, daß bei einem zuverlässig arbeitenden Gerät Weiterentwicklungen weder notwendig noch wünschenswert seien, eine praktische, keine ästhetische Überlegung. Bis 1903 nahmen Automobile von Benz nicht am Motorsport teil. Sie sollten nie etwas anderes sein als ein mechanischer Ersatz für ein Pony und einen Einspänner. Sie verdanken ihre Entstehung einer Welt, in der Transportmittel von Pferden gezogen wurden.' 6 Gottfried Daimler, der einzige ernsthafte Konkurrent um den Titel Erfinder des Automobils, dachte im Gegensatz zu Karl Benz evolutionär. Der Ingenieur aus Stuttgart fuhr das erste von einem Verbrennungsmotor angetriebene Motorrad, den Reitwagen, im selben Jahr wie Benz seinen , Selbstbeweglichen Wagen '* durch die Straßen von Mannheim lenkte. Wie jener sollte Daimlers erstes Automobil aus dem Jahr 1886 die von Pferden gezogene Kutsche ersetzen, doch schon in der Konstruktion des Wagens zeigte sich ein vollkommen anderer Ansatz. Zunächst handelte es sich nicht um eine detailgenaue Anpassung der Technik einer stationären Antriebsmaschine an die Probleme der Mobilität; es war einfach eine leichte, vierrädrige Pferdekutsche, deren Wellen ausgebaut und durch einen Daimler-Motor als eine Art ,Kraft-Ei' unter der Sitzbank ersetzt worden waren, das die Hinterräder antrieb. Es gab nicht einmal * Deutsch im Original (Anm. d. Üb.)

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45 Das erste Auto von Gottfried Daimler von 1886 war praktisch eine pferdelose Kutsche mit einem darunter angebrachten ,Kraft-Ei'. 46 Mercedes, 1901. Das erste moderne Auto mit richtiger Anordnung der einzelnen Elemente. Es war das evolutionäre Ziel von Daimler ebenso wie von Benz.

eine Achsschenkellenkung für einen engeren Radius des innenliegenden Rades in einer Kurve. Statt dessen drehte sich die gesamte Vorderachse um einen zentralen Drehpunkt, so wie bei einer Pferdekutsche oder einem Eisenwaggon. Wenn die Vorteile des Verbrennungsmotors erst einmal allen deutlich seien, so stand für Daimler fest, würden alle bestehenden, von Pferden gezogenen Kutschen in pferdelose Wagen umgewandelt werden, und dies war dann auch der Grund für die offensichtliche Konstruktionsschwäche im Bereich der Lenkung. Sein Automobil war im Prinzip ein ,Umbausatz' und wiederholte in einem Schritt den mühsamen Entwicklungsprozeß von der Pferdekutsche zum Eisenbahnwaggon fünfzig Jahre zuvor. Letztendlich fand dieser Umbauprozeß aber niemals statt; Daimler hatte die Entwicklung falsch eingeschätzt, was auch die Frage aufwirft, ob er die Grenzen seines eigenen Verbrennungsmotors tatsächlich erkannt hatte. Aber sein Scharfsinn und seine Vorstellungskraft, die es ihm ermöglichten, ein Modell zu konstruieren, mit dem dies zu verwirklichen gewesen wäre, kamen in den darauffolgenden fünfzehn Jahren voller rasanter Entwicklungen immer wieder zum Tragen. Während der Motorwagen von Benz langsam vom Wundergerät zur Lachnummer abstieg, verloren die Fahrzeuge von Daimler immer mehr die Merkmale einer pferdelosen Kutsche und mauserten sich zu ansehnlichen modernen Autos. Daimlers zweiter vierrädriger Wagen von 1889 war ein ungeheurer Schritt nach vorne. Er besaß bereits eine Vorderachsenlenkung, basierend auf zwei durch eine Zwischenlenkstange verbundene Gabeln, sowie ein Viergangschaltgetriebe, das direkt auf die Hinterachse wirkte. Er hatte noch weitere raffinierte Details, wie etwa die Nutzung der Stahlrohrkarosserie als Kühler für den Einzylindermotor. Gleichzeitig suchte Daimler aber auch nach neuen, weiteren Märkten für seine Motoren. Er baute Motorboote, Schienenfahrzeuge, den ersten Lastwagen, das erste Löschfahrzeug und sogar Motoren für Luftschiffe. Bezeichnenderweise begegnete Daimler - und das ist vor allem im Zusammenhang mit der derzeitigen Ablehnung einer offen sichtbaren Moderne in der Architektur interessant - der Angst vor Explosionen, die viele bei den Verbrennungsmotoren jener Zeit befürchteten, mit den verschiedensten Verkleidungen. Während sein erstes Automobil die Ängste der Technikfeinde beschwichtigte, indem es wie eine Kutsche ohne Pferde aussah, bestimmte eine Unzahl von Drähten und Isolatoren den Anblick seines ersten Motorbootes, womit der Eindruck eines Elektroantriebs entstand. 17 Trotz des rückschrittlichen Äußeren dieser Fahrzeuge ließ sich Daimler nicht davon abhalten, die Motoren und die Konstruktion der Wagen zu verbessern. Bis zum Jahr seines Todes (1900) produzierten er und sein technischer Direktor, Wilhelm Maybach, die fortschrittlichsten Fahrzeuge der Welt. Der Daimler von 1901, der zum ersten

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Mal Mercedes genannt wurde, gewann viele Autorennen, und in ihm erkennt man auch schon ohne Probleme ein modernes Auto. Mit seinen vier nach vorne ausgerichteten Sitzen, Luftreifen, Kotflügeln, einer Motorhaube, einem innenliegenden Motor und seitlichen Karosserieteilen, einer Karosserie aus Stahl, einen vor dem Motor angebrachten Wabenkühler und - eine Seltenheit in jener Zeit - einem Vierzylindermotor mit variabler Geschwindigkeit war er von dem Benz aus jener Zeit ebenso weit entfernt wie der Spitfire von einem „Camel"-Flugzeug von Thomas Sopwith. Die Evolution im Entwurf von Gebäuden während des Ersten und Zweiten Maschinenzeitalters läßt sich genau mit der frühen Entwicklung des Autos vergleichen; dies wird jedoch kaum gemacht, obwohl gerade heute die Verwendung eines historischen Äußeren als Maske für technische Innovationen besonders üblich ist. Fortschrittlichste Gebäudetechnik wird in unserer Zeit nicht unbedingt immer zuerst bei technischen Konstruktionen wie Ölbohrstationen, Flugzeugen und Schiffen eingesetzt. Eine ganze Menge verschwindet auch hinter Fassaden im georgianischen Stil, die genauso trügerisch sind wie Daimlers fingierte Kabel und Isolatoren. Der Architekt Robert Adam, der im Stil des Classical Revival baut und einer der wenigen ist, die in der zeitgenössischen Architektur nicht in kunsthistorischen Maßstäben denken, legte eine eigene Analyse dieses Verschleierungsund Verstellungsprozesses vor. In einem Vortrag vor dem Royal Institute of British Architects (RIBA) im Januar 1988 erläuterte er seine Theorie des .Skeuomorphismus': Das geschickte Integrieren fortschrittlicher Technik in das scheinbar alte Umfeld des privaten Wohnhausbaus und in erweiterter Form sogar in die postmoderne Architektur. An einer Schnittzeichnung eines typischen englischen Wohnhauses aus den achtziger Jahren mit geneigtem Dach und ganz traditionellem Äußeren zeigte Adam, daß alle beim Bau verwendeten Materialien mit Hilfe von Produktionsmaschinen des Weltraumzeitalters vom Menschen entworfen, gefertigt beziehungsweie verkleidet, behandelt, zugeschnitten, gespannt oder gepreßt waren. Nur das Aussehen des Hauses war noch traditionell - alles andere, von den Holzböden bis zu dem vom Computer entworfenen Dachstuhl, war bereits High-Tech. Die heutige Baubranche sei nicht reaktionär, sondern passe sich beständig an und modernisiere sich hinter einer traditionellen Fassade. Der Grund dafür, warum das Aussehen des traditionellen Hauses durch diese sehr wohl existierenden besseren Möglichkeiten am Bau nicht verändert wurde, ist rein praktischer Natur: Es müßten zuerst einmal riesige Investitionen für Planung, Produktion, qualifizierte Arbeitskräfte und Vertriebssysteme aufgegeben werden. Nach Adams Überzeugung fordern High-Tech-Architekten letzt-

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4 7 Ein Nachbau für eine Autowerbung von 1974. Eine perfekte Analogie zur postmodernen Architektur, wie die Abbildungen 9 und 108 (a) bestätigen 48 Zentralverwaltung von Amdahl Computer bei Winchester, Robert Adam, 1987. Hier wird einem sehr jungen und dynamischen Industriezweig georgianische Größe verliehen.

endlich einen solch massiven Investitionsverzicht auf allen Ebenen, wenn sie über kostengünstigere, industriell gefertigte Gebäude sprechen. Da ihre Entwürfe aber nicht annähernd die selben Renditen versprechen, werden sich diese Architekten, so Adam, niemals durchsetzen können." Das große Verdienst von Adams Vortrag bestand aber nicht nur in einer entmystifizierenden Analyse des tatsächlichen Innovationsprozesses beim Bauen. Vom einfachen Wohnhaus ausgehend, rechtfertigte er die Idee einer umfassenden klassischen Architektur aus Glasfaser, Edelstahl, Mylar-, Kevlar- und Solarverglasung. Dies sei nichts anderes, als immer noch Porzellangeschirr trotz billigerer, unzerbrechlicher Teller, Tassen und Untertassen aus Kunststoff oder Silberbesteck zu verwenden oder angesichts der wiederholten Versuche, weitaus effizientere Breitspursysteme einzuführen, immer noch an der engen Spurbreite der Eisenbahn festzuhalten. Archäologen bezeichneten dieses Phänomen als .Skeuomorph', die Weiterführung alter Formen in neuen Kulturen. Das Classical Revival und auch die postmoderne Architektur basierten auf einem riesigen, international anerkannten Gestaltungssystem, das jeder vom Kaiser Hadrian bis zur Disney Corporation verstehen könne. Mit Hilfe klassischer ,Skeuomorphe' beim Entwurf von Gebäuden werde technische Innovation nicht nur nicht verhindert, wie das Beispiel eines normalen Wohnhauses zeigt, sondern sogar gefördert, da sie den Technikfeinden, die diese Neuerungen sonst in jeder Hinsicht bekämpften, jegliche Angriffsfläche entziehe. Im Gegensatz zu einem Fundamentalisten wie Quinlan Terry, hält Robert Adam High-Tech-Bauteile nicht für Teufelswerk. Er unterstützt auch nicht den wichtigsten Theoretiker der Bewegung, Leon Krier, der die ungeheure Größe moderner Bürogebäude beklagt und deren Rückführung auf historische Dimensionen fordert. Er hat sich ganz im Gegenteil sogar bereit erklärt, ein fünfzigstöckiges Hochhaus im Stil der Klassik zu entwerfen - „ich bin sicher, die Römer hätten nicht einen Moment gezögert, dies zu tun, wenn sie die Materialien dazu gehabt hätten"' 9 - , und bei der Verwendung von Materialien ist er alles andere als ein Traditionalist, denn vorausgesetzt, sie bringen die geforderte Leistung, interessiert ihn einzig und allein das Aussehen. Aus evolutionärer Sicht lassen sich damit nun zwei wichtige Fragen über das Ende des Ersten Maschinenzeitalters mit Hilfe von Analogieschlüssen beantworten. Das Scheitern der Modernen Architektur ist vergleichbar dem Scheitern des Motorwagens von Benz, der eine absolut logische und wirklich phantasievolle Reaktion auf das Produktumfeld war, das ihn entstehen ließ; er war jedoch nicht in der Lage, sich ohne den Verlust wesentlicher Uberlebensfunktionen anzupassen. Das Eintauchen der modernen Technik in eine Haut der Postmoderne oder des Classical Revival im Zweiten Maschinenzeitalter läßt

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sich wiederum als das unvermeidliche Ergebnis eines Versuchs deuten, das neue Architekturwissen im Zeitalter der Wissenschaft neben der alten Uberlebensfunktionen des Entwurfsprivilegs zu erhalten. Im Gegensatz zum Autokonstrukteur trägt der Architekt des Zweiten Maschinenzeitalters 4.000 Jahre Geschichte auf seinem Rücken, Jahre, die im Standardwissen seiner Spezies eine physiologische ,Form' haben entstehen lassen, die ihn zwingt, an der individuellen Kreativität festzuhalten. Wie ein Dinosaurier in einer sich verändernden Welt wird er diese Kreativität entgegen jeder Logik, entgegen jeder Vernunft und sogar entgegen jeder Uberlebenschance dieser Spezies verteidigen.

49 Nectar Home, 1985. Ein hauptsächlich aus Holz gebautes geodätisches Haus der Robshaw Richmond Architects. Ein gräßliches Ergebnis der Integration .traditioneller' Elemente

Anmerkungen

1 Siehe Kapitel 1. Dieses Zitat wurde der Rede von Yona Friedman auf der Konferenz für Experimentelle Architektur in Folkestone 1966 entnommen. 2 Giovanni Klaus Koenig, „How car design has changed", in: FIAT 1899-1989: An Italian Industrial Revolution, Fabbri Editori 1988 3 Peter Blake, T h e Master Builders, Victor Gollancz 1960 4 Sir Edwin Lutyens, Country Life (20. Juni 1931) 5 Comper, T h e Atmosphere of a Church, Sheldon Press 1947 6 Richards, Architectural Criticism in the Nineteen-Thirties, Architectural Press 1960 7 Eder und W. Gosling, Mechanical System Design, Pergamon Press 1965 8 Gorer, Marquis de Sade. Schicksal und Gedanke, deutsch von Peter Toussell, Limes Verlag, Wiesbaden 1959, S. 231 9 Norberg-Schultz, Logik der Baukunst, deutsch von Joachim Neugröschel, Ullstein, Berlin/Ffm/Wien 1965, S. 160 10 Marcus Whiffen, American Architecture since 1780, The M I T Press 1969 11 Eine Reihe der Werbeprospekte der Revere Copper Corporation entdeckte der Autor 1976 in einem Buchantiquariat in Troy, New York. 12 Reyner Banham, Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter, deutsch von Wolfram Wagmuth, Braunschweig/Wiesbaden 1990 (Bauwelt Fundamente, Bd. 89), S. 283. Neben dem italienischen Futuristen Marinetti zitiert Banham auch John Davidson, einen schottischen Chemiker und Dichter, der 1909 starb. Davidson schrieb einmal: „Mehr als fünfzig Jahre mußten Herren/Mob und Masse unstet reisen mit der/Bahn, und in der Räder schrillem Kreischen/Starb Geist, starb Individualität./Du kommst und rettest uns: Automobil!" 13 Der 1937 entstandene Lancia Aprilia war die letzte gemeinsame Arbeit von Vincenzo Lancia und Falchetto. Lancia starb in dem Jahr, als das Auto in Produktion ging, obwohl dessen ausgewogene Karosserie bereits 1934 patentiert worden war. 14 CLASP (Consortium of Local Authorities Special Programme) bleibt das erfolgreichste industriell gefertigte Bausystem Großbritanniens. Es entstand 1957 im Nottinghamshire County Architect's Department unter der Leitung von Donald Gibson als Projekt zur Weiterentwicklung und Diversifikation des Systems dieser Gruppe für von öffentlicher Hand finanzierte, leichte, mit Standardbauteilen errichtete Schulen nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen des Hertfordshire-Schulprogramms. CLASP gewann auf der Mailänder Triennale von 1960 einen großen Sonderpreis und wurde in verschiedensten Varianten weiterentwickelt, darunter SCOLA, CMB, Method und SEAC. Reyner Banham beschrieb CLASP 1962, wenig hilfreich, als „das Produkt einer gewissen höchst kreativen Macht" (Architectural Review, Mai 1962, S. 349). In den späten siebziger Jahren gab es dann auch bei CLASP im Zuge des antimodernen Trends und aufgrund einer Reihe von Bränden eine Version mit geneigtem Dach und Ziegelverkleidung, von der Varianten noch immer gebaut werden.

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15 Dieses Experiment der Genforschung wird beschrieben in Liam Hudson, Night Life: The Interpretation of Dreams, Weidenfeld 1986. 16 Diese Interpretation des Benzschen Verständnisses der Rolle des Automobils findet sich in: St John C. Nixon, The Invention of the Automobile, Country Life Books 1936. 17 Ebd. 18 Robert Adam, Tin Gods: Technology and Contemporary Architecture, Academy Editions 1990 19 Auszüge aus einem Gespräch mit dem Autor im März 1988.

50 Beispiel von Barratts .Premier Range', 1985. Denis und Margaret Thatcher kauften sich ein solches Haus, hinter dem sich auch neueste Methoden verbergen.

3 Architektur im Zeitalter der Wissenschaft

Auf einem Grashügel vor den Zieleinrichtungen fanden sie eine Gruppe hochrangiger Militärs und Zivilisten, und Jefferis bereitete gerade eine spektakuläre Vorstellung mit seiner ,anti-tank bomb'fur sie vor ein mit Nitroglyzerin gefüllter Glasbehälter, der beim Explodieren eindrucksvoll aufblitzte und zerbarst. Der junge Offizier, der für die Vorführung ausgewählt worden war, mußte ein sekundengenaues Timing beachten. Er stand vor dem Panzer, salutierte, und während er sich galant abwandte, schleuderte er die Waffe auf das Ziel und salutierte noch einmal, bevor er sich flach auf den Boden warf. Churchill war begeistert. Gerald Pawle, The Secret War

Bemerkenswert an dieser Textstelle, die auf den ersten Blick nichts mit Architektur zu tun hat, ist die Rolle des militärischen Grußes. Der namenlose junge Offizier dieser Vorführung schaltete sie wie eine Dichtung zwischen eine offizielle Zeremonie u n d einen Akt der Zerstörung. Letztlich dient sie ihm dazu, die Sprengung eines Panzers in einer feinen Gesellschaft akzeptabel erscheinen zu lassen. Sein Salutieren ist ein extremes Beispiel für ein .Skeuomorph', ein ganz offensichtlicher Anachronismus wie die postmoderne Architektur, dem aber die ganz wichtige Rolle zukommt, den Anschein zu erwecken, als würde der nackten Technik innerhalb der kulturellen Grenzen Einhalt geboten. In gewisser Weise entspricht damit der zweimalige militärische G r u ß genau den erhaltenen Gebäudeflügeln des Bracken House in London von Sir Albert Richardson, wie ich sie in Kapitel 1 beschrieben habe. Die Explosion entspricht dem, was der japanische Immobilienriese Ohbayashi als „sieben neue Geschosse mit stützenfreien Flächen, die den Anforderungen eines modernen, mit C o m p u t e r n ausgestatteten Büros entsprechen", beschrieb - das neue, von Michael Hopkins entworfene u n d 1991 fertiggestellte Mittelstück. Das fertigge-

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stellte Gebäude veranschaulicht - wie die Anekdote - die kulturell tröstliche, letztlich jedoch marginale Rolle der Architektur im Zeitalter der Wissenschaft. Während die Entwicklung der Wissenschaft auf der Anhäufung und gegenseitigen Befruchtung eines stochastischen Musters neuer Entdeckungen basiert, entsteht Architektur aus Handlungen und Überzeugungen, die sich aus vorangegangenen Handlungen und Uberzeugungen entwickeln. Zu jeder Zeit repräsentiert sie die Summe unzähliger Bewegungen des Ruders ihrer eigenen Geschichte; die Architekturgeschichte wird also ständig neu interpretiert, um eine logische Grundlage für die gegenwärtige Architektur zu schaffen. So betrachtet, sind all die reich illustrierten, reihenweise die Regale der Architekturbibliotheken füllenden Bücher über Stil und Theorie kaum mehr als alte Hautschichten, die in dem sich wiederholenden Prozeß der Neuinterpretation abgestreift wurden - veraltet, aber dennoch notwendig, denn ohne diese fleißige Arbeit am Ruder würde die Architektur ihre kulturelle Identität verlieren. Von dort bis zu ihrem Ende als einendes Element wäre es nur noch ein kleiner Schritt, und der Architekt würde damit das Schicksal des Schiffsbauers, des Schuhmachers und des Schriftsetzers teilen, die alle auf dem Schuttabladeplatz der Geschichte landeten. Um diesen jederzeit möglichen Schicksalsschlag zu vermeiden, gibt es die Architekturtheorie, die Architekturkritik und die polemischen Auseinandersetzungen in Architekturkreisen. Sie alle haben die Aufgabe, immer dann, wenn die Prinzipien der Architektur unklar werden, so lange das Ruder der Geschichte zu bewegen, bis sie wieder verständlich sind. In Zeiten großer Unsicherheit drehen sich, wie das auch heute der Fall ist, die Prinzipien durch diese Bewegung häufig im Kreis, bevor die Vergangenheit wieder ihren Platz einnimmt. Das war auch vor zweitausend Jahren der Fall, als die Theoretiker der antiken Welt zu der Überzeugung gelangten, daß die klassische Architektur die Weiterentwicklung der prähistorischen Baukunst sei. Das war auch vor fünfhundert Jahren der Fall, als die Theoretiker der Renaissance die Wiederentdeckung der Antike verkündeten; und schließlich auch vor einhundertfünfzig Jahren, als die Vertreter des Gothic Revival im neunzehnten Jahrhundert das Erbe des frühen Mittelalters aufleben ließen. Und es ereignete sich auch in jüngster Vergangenheit in nicht minder entscheidender Weise, als die Vertreter der Moderne im zwanzigsten Jahrhundert fast schon wie Meuterer behaupteten, Wissenschaft, Technik und Sozialismus hätten den gesamten Kosmos so verändert, daß das ganze schwankende Gebäude der Architekturgeschichte, das so schwer auf ihnen laste, zu einer einzigen Kategorie zusammengefaßt und als Vergangenheit betitelt in einer Schaluppe auf dem offenen Meer ausgesetzt werden könne.

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Die ganz bewußte Analogie zur Geschichte der Meuterer auf der Bounty geht aber noch weiter, denn bekanntlich behielt gerade Kapitän Bligh (die Verkörperung der Schiffahrtstradition) am Ende doch noch recht. Wie auch die Architekturgeschichte, überlebte er die Reise in der Schaluppe und setzte danach alles daran, den Großteil der Meuterer einer gerechten Strafe zuzuführen. Aus heutiger Sicht scheint das durchaus auch das Glück der von den Anhängern der Moderne ins Abseits gedrängten Professoren, Stilexperten, Gestalter und Befürworter alter Stilrichtungen zu sein. Nach einer Phase des Exils (beziehungsweise nach einer Zeit der mehr oder weniger unfreiwilligen Mitarbeit bei den von ihnen als fade empfundenen Theorien der Modernen Schule) sind nun auch sie zurückgekehrt und klagen überlebende Meuterer an. Die frühen Vertreter der Moderne waren in der Tat Meuterer. Dieser wichtige Aspekt darf bei der Betrachtung ihres Schicksals, das sie unter die Räder des unerbittlich weiterfahrenden Wagens der Wissenschaft und Technik geraten ließ, nicht vergessen werden. Ihre mit Meuterei zu vergleichende Haltung in den Jahren nach 1918 ist unbestritten. Barbara Miller Lane zitiert Walter Gropius, der 1919 schrieb: „Die alten Formen sind zerbrochen, die erstarrte Welt ist aufgelockert, der alte Menschengeist ist umgestoßen und mitten im Umguß zu neuer Gestalt."' Conrads zitiert Bruno Taut, der in einer Artikelserie unter dem Titel „Frühlicht" der Zeitschrift Stadtbaukunst alter und neuer Zeit 1920 schrieb: „[...] Raum, Heimat, Stil - !' Pfui Deuwel, wie stinken die Begriffe! Zersetzt sie, löst sie auf! Nichts soll übrig bleiben! Jagt ihre Schule auseinander, die Professorenperücken sollen fliegen, wir wollen mit ihnen Fangball spielen. Blast, blast! Die verstaubte, verfilzte, verkleisterte Welt der Begriffe, der Ideologien, der Systeme soll unsern kalten Nordwind spüren!"2 Und Anatole Kopp fand ähnlich lautende Stellen bei den russischen Konstruktivisten. 3 In einer Zeit bereits peinlich anmutender Ergebenheitsbezeugungen vor dem königlichen Geschmack von Prinzen weist all dies auf den frischen Wind einer Rebellion hin. Die ersten Meuterer in der Architektur gehörten der in der Literatur so genannten 1914er Generation an, jenen Männern und Frauen, deren Grundhaltung sich durch den Ersten Weltkrieg gewandelt hatte. Natürlich waren die Architekten unter ihnen keine großen, die Massen begeisternden Redner oder Abtrünnige, Männer also, die den Winterpalast stürmten oder die kaiserliche deutsche Flotte versenkten - aber sie waren ideologische Revolutionäre. Sie erlebten den Zusammenbruch von Weltreichen, die Inflation, den Bankrott ganz Europas sowie den raschen Wandel des Autos und Flugzeugs vom Spielzeug der Reichen zum unverzichtbaren Hilfsmittel des modernen Lebens. Sie waren die ersten Architekten der Geschichte, die Wissenschaft und Technik

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ihrem über die Jahrhunderte angesammelten Wissen vorzogen, die ersten, die erkannten, daß es im zwanzigsten Jahrhundert keine Kunst ohne die Wissenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts geben könne, weil Kunst, ars, für Geschick und Fertigkeit und Wissenschaft, scientia, für Wissen steht. Wie die großen Ingenieure aus der viktorianischen Zeit brachten sie wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Arbeiten und in die öffentliche Diskussion ein, übernahmen dafür jedoch, wie das bei Künstlern, deren Inspiration aus vielen Quellen gespeist wird, üblich ist, im Gegensatz zu jenen keine Verantwortung. Und da sie das gewissenhafte Zusammentragen von Fakten nicht gewohnt waren, fühlten sie sich recht bald in die Enge getrieben. Ihr vollständiges Eintauchen in die Welt der Wissenschaft und Technik bedrohte nicht nur ihre alte Identität als Künstler, ihr Verhalten als Meuterer versperrte ihnen auch schnell jegliche Möglichkeit, einem amateurhaften Modernismus zu entkommen und sich einer professionellen Lehre der Moderne zuzuwenden. Noch vor ihrem Tod mußten die Meuterer erkennen, daß ihre Kunst von der Maschine abhängig war und nicht umgekehrt. Aber am Anfang besaßen sie durchaus eigene Waffen. Das allgemeine Muster von Gebäuden für einen bestimmten Zweck hatte sich über Jahre, ja sogar über Jahrhunderte hinweg kaum geändert - Pfarrkirchen zum Beispiel. Aber diese Phase der Stabilität war mit der Forderung nach neuen Gebäudetypen zu Ende gegangen. Eine so dramatische Veränderung geschieht immer dann, wenn die Bedürfnisse der Benutzer plötzlich die Möglichkeiten des Standardgebäudes dieser Zeit sprengen. Und in der etwa fünfzig Jahre dauernden Meuterei traf dies in rascher Folge auf eine ganze Reihe von wichtigen Gebäudetypen - Wohnhäusern, Schulen und Krankenhäusern - zu. Selbst nach der Niederschlagung der Meuterei waren Gebäude für Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen noch davon betroffen, ein Bereich, in dem der Einfluß eines neuen, technologischen Umfelds zur Entstehung völlig neuer Bauten wie dem Lloyd's-Gebäude von Richard Rogers oder der Hongkong and Shanghai Bank von Norman Foster führte. Somit trafen also eine explosionsartig angestiegene Nachfrage nach neuen, vollversorgten Räumen und die Meuterei der Vertreter der Moderne sowie deren Folgeerscheinungen zeitgleich aufeinander. Aus dieser Situation ergaben sich in den achtziger Jahren für die Architekten von Finanzdienstleistungsgebäuden völlig neue Möglichkeiten, vergleichbar mit den Möglichkeiten der Erfinder von Gebäuden aus Fertigteilsystemen in den vierziger Jahren. Damals wie heute konnte das Uberleben des Berufsstandes nur durch eine kulturelle Akzeptanz dieser breitgefächerten Möglichkeiten gesichert werden. Ein Versagen hier bedeutete aber nicht nur den Wegfall dieser Möglichkeiten, sondern eröffnete Berufsfremden außerhalb der kulturellen 102

Entwicklung der Architektur große Chancen, eine neue, durchaus mächtige Berufsgruppe innerhalb der gebauten Umwelt zu bilden. In der gesamten Geschichte des Bauens seit der Industriellen Revolution gibt es ein immer wiederkehrendes Leitmotiv*, kunstlose, technologische Bauten, die ihrer Zeit weit voraus waren, jedoch von der Architektur selbst ausgeblendet wurden, weil sie nicht - im Sinne des zu Beginn dieses Kapitels zitierten Textes - salutierten, bevor sie ihren Weg gingen. In ihrer Summe entwickelte sich aus diesen Gebäuden eine komplexe, auf vielen Disziplinen aufbauende Technologie zur Umschließung von Raum, die auf einem Netz aus spezialisierten Bauteilelieferanten basiert. Es wird im allgemeinen verkannt, daß die Nichtbeachtung all dieser architektonischen Neuerungen der Grund für die gegenwärtige strikte Trennung zwischen der oberflächlichen Architektur der Bilder und den technischen Möglichkeiten des Bauens ist, die heute von den Meistern des ,High-Tech' ausgeschöpft werden. Das aus vorgefertigten Gußeisenteilen gebaute Schleusenwärterhaus in Tipton Green, Staffordshire, ist hierfür ein gutes Beispiel. Es besteht aus ineinandergreifenden, raumhohen, mit Bolzen verbundenen Wandelementen und wurde zunächst vor 1830 als Zollhaus an der Straße zwischen West Bromwich und Birmingham gebaut. 1870 schraubte man es dann auseinander und brachte es nach Tipton, wo es bis zu seinem neuerlichen Abbau und der Zerstörung im Jahre 1926 genutzt wurde. Dieses „unauffällige und kaum beschriebene Haus", so sein Chronist 1946, war nicht einfach nur das erste, aus vorgefertigten Eisenteilen bestehende Haus der Welt, sondern der Prototyp für Generationen von Verkleidungssystemen, die heute weltweit in die Domäne von Spezialfirmen und nicht von Architekten gehören. 4 Das von J.C. Loudon entworfene und 1827 in Bretton Hall, Yorkshire, errichtete Glashaus mit einem schmiedeeisernen Rahmen und einer Kuppel mit einem Durchmesser von über 16 Metern war ebenfalls kaum bekannt und wurde genauso gedankenlos abgerissen. Seine Standfestigkeit erhielt dieses Gebäude durch die Kombination von Glas und Eisen und ersetzte damit zum ersten Mal reine Masse als Mittel zur Stabilisierung durch die klar vorgegebene Anordnung vorgefertigter Bauteile. Loudon war Landschaftsgärtner, von seinen Arbeiten ist wenig erhalten geblieben. Das 1844 in Kew von Richard Turner in Zusammenarbeit mit Decimus Burton gebaute Palmenhaus ist besser bekannt und blieb auch länger erhalten; der Preis dafür war jedoch ein Kampf um die Urheberrechte zwischen dem wirklichen Schöpfer, dem Eisengießer Turner, und dem Architekten Burton. Turner gelang es nur, seine leichte, schmiedeei-

* Deutsch im Original (Anm. d. Üb.)

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51 Schleusenwärterhaus von Tipton Green, 1830, das erste bekannte Haus aus vorgefertigten Eisenteilen 52 Palmenhaus aus Schmiedeeisen in Kew von Richard Turner, 1 8 4 4 - 1 8 4 8 , trotz anscheinend nicht umsetzbarer Größenvorstellungen des Architekten gebaut

53 Kristallpalast, 1851. Sir Joseph Paxtons Meisterwerk aus Standardbauteilen und mit einem Projektmanagement, das seiner Zeit weit voraus war 54 Sheerness Boat Store, 1 8 5 8 - 1 8 6 0 , mit seiner Verkleidung aus Glas und feuerverzinktem Stahl Vorläufer aller modernen leichten Industriebauten

seme Gestaltungsidee zu verwirklichen, weil er sich um die Anfertigung einer viermal so schweren Gußeisenkonstruktion bewarb, die Burton entworfen, jedoch noch vor Baubeginn verworfen hatte. Beim Bau des Palmenhauses in seiner ursprünglichen Form kamen thermisches Schweißen u n d Nachspanntechniken zum ersten Mal zum Einsatz, die in späterer Zeit erst ,wiederentdeckt' werden m u ß t e n . Von einer bestimmten Zeit an planten u n d bauten solche Wintergärten, wie auch die daraus entwickelten Curtain-Wall-Systeme, nicht mehr Architekten, sondern Spezialhersteller. Der logische Nachfolger des Palmenhauses war der Kristallpalast von Sir Joseph Paxton aus dem Jahre 1851. Dieser monumentale Bau ist eine für die damalige Zeit einzigartige Meisterleistung der Vorfertigung, Standardisierung, Präzision u n d des Baumanagements, das auch in heutiger Zeit seinesgleichen sucht. 5 Dieses Gebäude steht zwar nicht mehr, kann aber kaum als unbekannt gelten, doch ein Merkmal teilt es mit dem Haus in Tipton und den anderen frühen Glashäusern. Z u m Zeitpunkt seiner Errichtung stand es völlig abseits der Hauptentwicklungslinie in der Architektur. M a n könnte sogar in dem raschen Abbau am Standort Hyde Park und dem Wiederaufbau in Sydenham gleich nach der Weltausstellung von 1851 so etwas wie Neid u n d Unbehagen erkennen, die einem so offen zur Schau gestellten, aber nicht korrekt eingeführten Meisterwerk der Technik entgegengebracht wurden. Mittlerweile ist allgemein anerkannt, daß der Kristallpalast in vielerlei H i n sicht innovativ war, wobei dies nicht so sehr für große Spannweiten, die Eisenkonstruktion u n d die Verwendung von Glas gilt, sondern in weit stärkerem M a ß e für die Bauteilerationalisierung und das Projektmanagement, denn erst durch diese beiden Faktoren wurde der Entwurf u n d Bau eines Gebäudes mit einer Fläche von rund 90.000 Quadratmetern auf drei Etagen innerhalb von nur neun Monaten möglich. In der Folgezeit entglitten der Entwurf von Bauteilen u n d das Projektmanagment der Kontrolle der Architekten und wurden von Spezialfirmen in der Bauindustrie übernommen. Die Verkörperung der modernen Stahlrahmenkonstruktion, der von dem Marineingenieur Godfrey Greene entworfene und 1858 entstandene viergeschossige Sheerness Boat Store, erschien neben dem Palmenhaus weitaus bescheidener u n d war auch in seinen Ausmaßen unbedeutender als sein revolutionärer Vorgänger. Die Stabilität dieses aus einer Schmiede- u n d Gußeisenkonstruktion bestehenden Gebäudes wurde weder durch Diagonalstreben noch durch aussteifende W ä n d e erreicht, sondern ausschließlich durch die stabilisierende W i r k u n g der geschraubten Verbindungselemente zwischen den einzelnen Stützen u n d Trägern. Auch heute noch erinnert die Verkleidung aus feuerverzinktem Wellblech u n d Glas an Industrie- oder Militärgebäude, die minde-

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stens zwei Generationen später entstanden sind, ja ähnelt sogar d e m Prototyp genau jener industriell gefertigten einfachen G e b ä u d e in den Gewerbeparks, die heute regelmäßig entlang der großen Ausfallstraßen gebaut werden. D i e M i t w i r k u n g eines Architekten, sofern überhaupt einer engagiert wird, beschränkt sich auf das Einpassen in den jeweiligen Standort. N o c h bescheidener als der Sheerness Boat Store war die von W.B. Wilkinson, einem Stukkateur aus Newcastle, auf dem Gebiet des Stahlbetonbaus geleistete Pionierarbeit. 1854 ließ er sich seine Plattenkonstruktion aus Stahlbeton Portland Z e m e n t , Dauerschalungen und Bewehrungseisen - patentieren. Sein Patent ging den ersten englischen Patenten für Stahlbetonkonstruktionen von C o i g n e t und Monier voraus, und er errichtete auch eine beachtliche Reihe von G e b ä u d e n im N o r d e n Englands. D o c h seine Arbeit blieb weitgehend unbeachtet, obwohl die G e b ä u d e bereits dreißig Jahre vor d e m Import genau desselben Systems bestanden, das in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts aus Frankreich nach England kam und die Basis für alle späteren Gebäude mit einer Rahmenkonstruktion aus Stahlbeton bildete. Ein Landhaus, das Wilkinson 1865 in Newcastle gebaut hatte, wurde 1955 abgerissen und fand damals, wenn auch recht spät, doch ein wenig Beachtung in Architekturkreisen 6 , aber der Entwurf und die detailgenaue Planung von Betonkonstruktionen zählt nicht mehr zu den Aufgaben eines Architekten. D i e Gartenstadtbewegung galt zurecht nie als eine Vorreiterin technischer Innovation, aber auch hier findet sich zumindest eine weitgehend unbekannte Pionierleistung. In Letchworth wurde 1904 im R a h m e n eines Wettbewerbs ein H a u s aus Betonfertigteilen gebaut. O b w o h l dieses G e b ä u d e als Teil eines denkmalgeschützten Gebietes immer noch steht, ist k a u m etwas über dessen U r s p r ü n g e bekannt. 7 Es wurde von J . Brodie, einem Ingenieur der Stadt Liverpool, entworfen, doch die Konstruktionsweise blieb fast fünfzig Jahre lang weitgehend unbeachtet. Wie Wilkinsons Pionierarbeit a u f d e m Gebiet des Stahlbetons war auch das Experiment von Letchworth mit Fertigteilen nur der Auftakt zur allgemeinen Akzeptanz dieser Bauweise als einer speziellen Technik im Bauwesen, die später im Zeitalter des Bauens mit Fertigteilsystemen u n d des H o c h h a u s b a u s große Bedeutung erhalten sollte. Z u jener Zeit suchte m a n die Schuld für die erfolglose Verwendung von Betonfertigteilen wiederholt bei den Architekten, obwohl diese schon lange vorher nichts mehr mit diesem Bereich zu tun hatten. Eine ganz andere, aber geradezu sensationell fortschrittliche Konstruktion wurde mit d e m N i s s e n - H a u s in erstaunlich großer Zahl verwirklicht und sollte einen sehr großen Einfluß a u f den nachfolgenden Stahlleichtbau haben. D i e Nissen Bow Hut wurde 1916 von Lieutenant Colonel P N . Nissen ( 1 8 7 1 -

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55 Ein 1865 von Wilkinson gebautes Haus aus Stahlbeton in Newcastle, dreißig Jahre vor den französischen Patenten entstanden 56 Ein Haus in Letchworth aus Betonfertigteilen von J. Brodie, 1904. Trotz seines konventionellen Aussehens nahm es den Boom von Fertigteilsystemen im Hausbau um fünfzig Jahre vorweg.

57 Nissen-Haus. 1916 ließ es sich der kanadische Ingenieur patentieren. Diese Version eines amerikanischen Hauses wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der Great Lakes Steel Corporation für den Export in Serie produziert. 58 Die neueste Entwicklung des Nissen-Hauses ist der Zuschnitt der passenden Hülle vor Ort. Bei dieser Tennishalle von 1987 in Devon der Firma B D G International werden 30 Meter mit gebogenen Stahlplatten stützenfrei überspannt.

1930), einem kanadischen Armeeingenieur, entworfen u n d umschließt in geradezu genialer Weise mit minimalem Materialeinsatz ein M a x i m u m an Raumvolumen. Sie ist das erste, jemals in Massenproduktion hergestellte Fertighaus. W ä h r e n d des Ersten Weltkriegs wurden über 20.000 Stück davon zur Unterbringung von etwa einer halben Million Menschen hergestellt. Das Nissen-Haus bestand im wesentlichen aus vorgebogenen, gewellten Stahlplatten für Dach u n d W ä n d e in einem, wobei jede Platte an jeder Stelle einsetzbar war u n d an den gebogenen T-Trägern und den waagrechten Pfetten befestigt wurde. Der Holzboden lag auf längs verlaufenden Bodenschwellen auf, u n d die beiden Giebelwände wurden am Stück geliefert - eine Wand mit einer T ü r u n d zwei kleinen Fenstern, die andere mit einem großen Mittelfenster. Das 8,2 Meter lange u n d 4,9 Meter breite Haus wog eine Tonne u n d ließ sich mit einem Armeelaster transportieren. Jedes Einzelteil konnte problemlos von zwei M ä n n e r n getragen werden, und das einzig notwendige Werkzeug war ein Schraubenschlüssel: Vier M ä n n e r konnten so in vier Stunden eine U n t e r k u n f t für vierundzwanzig Menschen bauen. 8 Zwanzig Jahre später hatte man das Bauprinzip von Nissen weiterentwickelt u n d baute damit lange Räume überspannende Flugzeughallen; Nissens Einfluß ist immer noch sichtbar. Heute ermöglichen Zuschneidetechniken vor O r t den Bau von Hallen aus endlos gebogenem, gewelltem Stahl, die Längen von bis zu 30 m überspannen, wobei dieselben jBiege'-Techniken angewendet werden. Doch wie bereits beim Stahlbetonbau und beim Bau mit Betonfertigteilen beherrschen nicht Architekten diese Technik, sondern Spezialhersteller. Auch im Zweiten Weltkrieg entstanden vergleichbare Leichtbau-Unterkünfte. Neben der Weiterentwicklung des Prototyps von Nissen baute man auch Militärunterkünfte aus Spannbeton, Zement, Preßspanplatten u n d sogar aus leichten Betonwandteilen, deren Bewehrung nicht aus Stahl, sondern aus einem Spezialgewebe bestand. Nach dem Krieg nutzte man diese Flut von Innovationen, u m die extreme Wohnungsnot jener Zeit zu lindern. So entstanden die Pläne für drei der interessantesten Gebäude, die in überflüssig gewordenen Flugzeugfabriken hergestellt werden sollten, um die kriegsbedingt erhöhten Kapazitäten in der Leichtmetallverarbeitung, der Stahlerzeugung sowie an Facharbeitskräften zu nutzen. Direkt nach der Befreiung von Frankreich 1944 erhielt der französische Ingenieur Jean Prouvé den Auftrag, 800 N o t u n t e r k ü n f t e für die kriegsbedingt obdachlos gewordenen Einwohner der Departements Vosges u n d Lorraine zu planen. Bei diesen Häusern wurde ein System aus Falzstahl u n d Sperrholzplatten verwendet, das bereits vor dem Fall Frankreichs 1940 entwickelt worden war. 1949 folgte dann ein zweiter Auftrag über 25 Prototypen für Dauerunter-

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59 F u n k t i o n e l l wie ein 2 C V ist diese Pionierarbeit eines H a u s e s aus Fertigteilen des f r a n z ö sischen Ingenieurs Jean Prouvé. 2 5 solcher H ä u s e r e n t s t a n d e n 1949 in M e u d o n bei Paris.

künfte. Bei diesem zweiten Entwurf gab es eine leichte Hauptstütze aus gefalztem Stahl, an der mit Stiften zwei Firststangen aus durchbrochenem Stahl mit Giebelenden aus gefalztem Stahl befestigt wurden. Die Dächer und Wände bestanden aus angeschraubten, gedämmten Sandwichplatten aus Aluminium und Glas. Weitere geplante Aufträge für diesen Wohnungstyp, bei dem nicht mehr benötigte Kapazitäten im Bereich des Flugzeugbaus genutzt werden sollten, kamen nicht zustande. Die 25 tatsächlich errichteten Bauten bilden jedoch den Kern des Pariser Vororts Meudon.' Auch für den Bau mit Metallplatten gibt es heute mit der Planung und Herstellung befaßte Spezialfirmen, und nur wenige Architekten oder Bauingenieure besitzen auf diesem Gebiet die nötige Kompetenz. Das britische AIROH (Aircraft Industry Research Organization on Housing)Haus wurde während des Kriegs von einer Arbeitsgruppe der Industrie entworfen; den Prototyp baute die Bristol Aeroplane Company, die auch eine Schule aus Leichtmetallplatten errichtete.10 Bei dem Prototyp des AIROHHauses wurden nicht nur - wie dies in der damaligen Flugzeugindustrie üblich war — Aluminiumplatten zusammengenietet, beim Endausbau wurden zudem auch Spezialverbindungselemente verwendet, wie sie beim Ansetzen des Flugzeugflügels an den Rumpf benutzt wurden. Sogar die elektrischen Kabel waren - wie in einer Autokarosserie - in die Platten integriert, und die Stromkreise wurden jeweils mit Steckverbindungen geschlossen. 1945 wog das AIROH-Haus mit knapp 60 Quadratmetern Nutzfläche, das auf vier Lastwagen in vier voll ausgestatteten und gestalteten Teilstücken angeliefert wurde, insgesamt zehn Tonnen; es sollte in nur zwölf Minuten produziert werden. Durch die Fertigung aus der Speziallegierung SSA (Secondary Strong Alloy) war es - wie auch die Kriegsflugzeuge - vollständig wiederverwertbar. Insgesamt wurden im Rahmen des Programms zur fabrikmäßigen Herstellung von Notunterkünften, dem ,Emergency Factory-Made-housing programme (EFM)' 54.000 solcher Häuser fertiggestellt, was es zum erfolgreichsten, für eine spezielle Nutzung seriengefertigten Metallhaus machte. Leider wurde das Konzept der serienmäßigen Herstellung eines leichten, aus wenigen Teilstükken bestehenden Wohnhauses aus Metall nach dem AIROH-Haus und dessen weniger radikalen Varianten, dem ARCON- und dem PORTAL-Haus, nicht weiterentwickelt. Das Interesse der Architektur im Bereich der Fertigbauweise galt eher schweren Betonbausystemen und dem Bau mehrgeschossiger Gebäude. Noch leistungsfähiger als das AIROH-Haus, aber weitaus weniger erfolgreich als Produkt, war das amerikanische WICHITA-Haus, das Richard Buckminster Fuller entworfen hatte. Dieses revolutionäre Haus mit etwa 74 Quadrat112

60 A R C O N - asbestverkleidete Fertigteilhäuser auf einem Baugelände in Great Yarmouth. 46.000 Einheiten davon wurden zwischen 1945 und 1948 fertiggestellt. 61 Der erste Terrapin-Bungalow, 1948. Er sollte zu einem viereckigen Kasten zusammenziehbar sein, um leicht transportiert werden zu können. Das aus Aluminium gefertigte, ,ausziehbare' Haus steht am Beginn von Terrapins Entwicklung (Bild 98).

62 a, links: Produktionshalle der Beech Aircraft Corporation, Wichita, Kansas, März 1945. b, oben: Richard Buckminster Fuller wollte dort täglich 200 dieser Fertigteilhäuser vom Typ W I C H I T A produzieren.

metern Nutzfläche wog, inklusive sämtlicher Versorgungseinrichtungen, nur vier Tonnen und sollte im Januar 1947 mit einer Stückzahl von 1.000 pro Woche bei der Beech Aircraft Corporation in Produktion gehen." Alle Bauteile des Hauses paßten in einen Mehrweg-Edelstahltransportcontainer. Hauptelement der Konstruktion war ein rundes, zweifach gekrümmtes Dach aus Aluminiumblech, das an einem 7 Meter hohen Mast aus Edelstahlrohren befestigt war u n d an dem die W ä n d e hingen; der Fußboden steifte als verbindendes Element zwischen Mast u n d Wand die Konstruktion aus. Das Dach war letztlich eine freitragende Konstruktion in Schalenbauweise ohne Träger und Streben. Das Haus benögtigte nur eine einfache Fundamentplatte, oben auf dem Dach befand sich ein drehbarer Ventilator, und innen gab es sogar zwei Badezimmer — zu einer Zeit, als über ein Drittel aller amerikanischen Häuser noch nicht an die Kanalisation angeschlossen waren. Es sollte 6.500 Dollar kosten — etwa so viel wie das weitaus kleinere A I R O H - H a u s in Großbritannien. Leider wurden nur zwei Prototypen gebaut. Die ehrgeizigen und vielfach veröffentlichten Produktionspläne wurden 1946 aufgegeben, als die Beech Aircraft Corporation keine Mittel mehr bereitstellte. Die Geodätische Kuppel, direkte Nachfolgerin des W I C H I T A - H a u s e s in Buckminster Fullers Werk, konnte weitaus 115

63 Eine Kuppel von Drop City in New Mexico, 1965· Experimente der alternativen Gegenkultur nahmen mit der passiven N u t z u n g der Solarenergie die aus der Ölkrise entstandene Architektur um Jahre voraus.

mehr Investoren u n d Bauherren begeistern u n d brachte es bis zum Jahre 1970 auf eine Stückzahl von 12.000. Aber mit Ausnahme einer geringen Anzahl von einzelnen Nachbauten hatte dessen Entwicklung keinen nachhaltigen Einfluß auf den Architektenberuf. In den vierzig Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg wurden noch weitere, ähnlich bedeutende Bausysteme entwickelt, die jedoch ebenfalls mit Verachtung gestraft wurden. 1960 stellte die auf Kunststoffe spezialisierte Londoner Mickleover Transport für British Railways vorgefertigte, kapselartige Signalhäuschen aus Glasfaser her. Zwei Jahre später vertrieb die Firma ein zweigeschossiges Bürogebäude aus Glasfaserplatten. 12 Die Entwicklung von glasfaserverstärkten Verkleidungselementen gewann für Gebäude mit Stahl- u n d Betonrahmenkonstruktionen in den siebziger Jahren eine gewisse Bedeutung, wurde jedoch nach der Ölkrise von 1974 u n d des in der Folge stark angestiegenen Preises f ü r Kunststoffe auf Erdölbasis aufgegeben. Die geplanten Prototypen von Häusern aus Glasfaserelementen, die in der New Town von Milton Keynes gebaut werden sollten, wurden nicht realisiert. 13 Heute entstehen die fortschrittlichsten Konstruktionen mit diesen Materialien nicht mehr in der Bauindustrie, sondern in der Freizeit- u n d Automobilindustrie sowie im Flugzeugu n d Schiffsbau. Ein weiterer, von den Architekten abgelehnter Bereich erfolgversprechender Innovationen u n d Experimente entwickelte sich im Z u s a m m e n h a n g mit der

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64 „Cushicle" (air-cushion tricycle — Luftkissen-Dreirad), Michael Webb, Archigram-Projekt von 1966 für mobiles Wohnen

Gegenkultur der sechziger Jahre in den Vereinigen Staaten. Die Wohn- und Versammlungshäuser dieser Bewegung waren zwar primitiv zusammengebastelt, setzten aber oft in bemerkenswerter Weise Fullers Geometrie um14 und zeichneten sich durch effiziente Materialverwendung aus. So entstanden in den sechziger und siebziger Jahren zahllose Gebäude, die auf dem Prinzip der Geodätischen Kuppel, der passiven Nutzung der Sonnenenergie, der Wiederverwendung von Industrie- und Haushaltsmüll zum Bauen und der vollen Wiederverwertbarkeit dieser Bauten basierten, damit die in Produkten und Bauteilen gebundene Energie weiter nutzbar bleibt.15 Doch die meisten von ihnen verschwanden in der fast schon wie eine Orgie anmutenden Preisspekulation mit Häusern, die Ende der siebziger Jahre das Ende der Innovationen im Bereich des Wohnbaus bedeutete. Im Bereich der Theorie fehlte, wie das Scheitern von Archigram beweist, sämtlichen Versuchen jener Zeit, bei denen technischer Erfindergeist vom Ritual der in den maßgeblichen Architekturkreisen geforderten Ehrerbietung getrennt werden sollte, die Glaubwürdigkeit. Unter dem Namen Archigram brachte zwischen 1961 und 1967 eine lose Gemeinschaft aus fünf Partnern eine große Anzahl erstaunlicher Projekte zustande, die auf dem Transfer von Ideen aus der Welt der Wissenschaft und Technik basierten.16 In ihren Projekten für eine nicht auf Dauer angelegte, dezentralisierte, von der Technik beherrschte Umwelt verwendete sie in großem Umfang Materialien und Methoden, die im Zusammenhang mit dem damaligen Apollo-Programm entstanden. Realisiert wurde letztlich keines dieser Projekte; Erfolg hatte die Gruppe nur durch die Vermarktung der Zeichnungen, denn als solche verkauften sich diese originellen Entwürfe gut. Sie waren ähnlich zukunftsweisend wie die 117

Zeichnungen aus dem Jahre 1914 von Chiattone u n d Sant' Elia, dessen berühmtes Manifest zusammen mit beider Zeichnungen wohl als die ersten wichtigen Ereignisse der großen Meuterei selbst bezeichnet werden können. D o c h die Archigram-Projekte schafften es nicht, sich jene Unterstützung der Industrie zu sichern, die Jahre zuvor die Verbindung zwischen der noch visionären Betonbauweise u n d den Bausystemen mit Großbauteilen ermöglicht hatte. M i t der Entwicklung des spekulativen Investitionsmarkts im Bereich des Hausbaus nach der Ölkrise von 1974 verschwand Archigrams ursprüngliche Daseinsberechtigung; die Gruppe gab ihre Suche nach echten Bauherren auf, u m sich nur noch auf den Kunstmarkt zu konzentrieren. Das Scheitern von Archigram, Investoren für ihre Projekte zu finden, macht deutlich, daß konzeptionelle, technologisch orientierte Architektur nur mit industrieller Unterstützung erfolgreich sein kann — so wie auch jedes isolierte technische Experiment der Industrie, das Auswirkungen auf die Architektur

65 „Sleek Building", Peter Cook, 1978, späte Stilvariante von Archigram, die die .gotische Lösung' vorausahnen läßt.

6 6 N a c h d e n G e s i c h t s p u n k t e n d e r I n f o r m a t i o n s t e c h n o l o g i e ausgestattetes A u t o v o n Philip Castle, 1988. Es ist W e b b s 25 Jahre zuvor e n t s t a n d e n e m „Cushicle" vielleicht n ä h e r als alle späteren, in d e n Kunstgalerien gefragten Projekte von A r c h i g r a m .

6 7 . M o b i l e W a n d b a u m a s c h i n e aus d e m Jahr 2 0 3 6 ' , wie sie Alexander K o r d a in seinem Film The Shape of Things to Come aus d e m Jahre 1936 voraussah

hat, nur mit der starken Unterstützung der Theoretiker und Kritiker in die hermetisch abgeschlossene Welt der Architekturkultur vordringen kann. In den sechziger Jahren überlebte die aufkommende Raumfahrtindustrie nur mit Hilfe öffentlicher Gelder, und es fehlte ihr eine Uberkapazität in der Produktion, die einen Freiraum für architektonische .Lifestyle'-Experimente geschaffen hätte. Archigram versuchte, die kulturelle Entwicklung gegen den Strom der Investitionen im Baubereich umzulenken. Damit hatte die Gruppe nicht nur die einflußreiche Bauindustrie mit ihrer Vorliebe für massive, dauerhafte Konstruktionen geschlossen gegen sich, sondern verlor auch jegliche Unterstützung des Architektur-Establishments und dessen kunsthistorischen Architektur-Wertesystems. Der Gegensatz zwischen Archigrams Vorstellungen von leichter, fließender Architektur und der schweren High-Tech-Architektur der späten Moderne, wie etwa von Norman Foster oder Richard Rogers, ist bezeichnend. Das Lloyd'sGebäude von Richard Rogers entstand zehn Jahre nach den bekanntesten Projekten von Archigram und war als dauerhafte, flexible und mit allen Versorgungseinrichtungen ausgestattete Gebäudehülle geplant, die zumindest fünfzig Jahre mit den Entwicklungen in der Informationstechnologie mithalten sollte. Eine realistischere Einschätzung des Problems, aufgrund dessen ein neues Gebäude für Lloyd's notwendig geworden war, hätte zu der Schlußfolgerung geführt, daß nur auf eine kurze Lebensdauer angelegte, temporäre oder mobile Übergangsbauten den sprunghaft ansteigenden Raumansprüchen des Finanzdienstleistungssektors gerecht werden können, die im Zusammenhang mit immer neuen Informationstechnologien entstehen — aber diese Erkenntnis hätte nicht zu einem 150 Millionen Pfund teuren Meisterwerk geführt. Statt dessen wäre daraus der Wunsch nach einer Konstruktion entstanden, die einer Reihe von Archigram-Projekten für militärische Kommandofahrzeuge ähnelt - ein Konzept, das die Entwicklungsabteilungen der Automobilindustrie erst heute in Form von PKWs umsetzen, die mit sämtlichen elektronischen Kommunikationsmedien ausgestattet sind.17 Natürlich war ein so dramatischer Aufbruch bei den Vorplanungen für das Lloyds-Gebäude nicht möglich. Zum einen existierte Archigram schon nicht mehr, als dieser wie für die Zukunftsvisionen dieser Gruppe geschaffene Auftrag in den Bereich des Möglichen und Machbaren rückte. Zum anderen wies die Macht des international führenden Versicherungsunternehmens zusammen mit der marktbeherrschenden Stellung der Zement- und Betonindustrie in eine andere Richtung. Der potentiell denkbare Alternativentwurf von Archigram wäre nicht einmal in Erwägung gezogen worden. Ein an den schon zwanzig Jahre alten Ideen von Archigram orientiertes Denkmuster hätte zu ei-

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ner temporären, flexiblen Gebäudehülle geführt und wäre damit aber immer noch der Zeit voraus gewesen; aber zu diesem Zeitpunkt war es bereits in allen Bereichen - mit Ausnahme des Kunstmarktes - gescheitert. Richard Rogers bot eine .flexible Versorgung' für eine schwere Betonrahmenkonstruktion an, die voll in der Tradition der dauerhaften Architektur stand - und hatte Erfolg damit. Nicht selten werden bauliche Lösungen klar definierten Problemen nur unzureichend gerecht, doch nirgends zeigt sich das in einem so dramatischen Ausmaß. Der Bau des Kristallpalastes wäre nie zustande gekommen, hätte man so gedacht wie beim Bau des Lloyd's-Gebäudes. Die Planungszeit von acht Jahren hätte allein schon zu einer sofortigen Ablehnung geführt. Mit ein oder zwei Ausnahmen während der kurzen Episode der Meuterei der Modernen haben sich sämtliche Architekten und Architekturhistoriker schon immer für den Grundsatz des dauerhaft bestehenden Gebäudes mit einer nicht flexiblen Gebäudehülle eingesetzt.18 Aus diesem Grund verfolgt das Architektur-Establishment in Fragen der technischen Innovation eine klare Linie, angefangen mit den ersten .feuersicheren', eisenbewehrten Fabrikhallen des frühen neunzehnten Jahrhunderts bis zu den jüngsten Experimenten mit Verbindung und Miniaturisierung. Vor einhundertfünfzig Jahren war sich John Ruskin sicher, eine Architektur aus Glas und Eisen sei „auf alle Ewigkeit hin unmöglich". Uber hundert Jahre später meinte Quinlan Terry, die Moderne Architektur sei „das Werk des Teufels". Vor diesem Hintergrund überrascht kaum, daß das Haus aus Gußeisen in Tipton aus dem Jahre 1830 ein Jahrhundert lang unbeachtet an der Straße stand, daß die großen Glashäuser entweder von Landschaftsgärtnern, Eisengießern oder unter Mißachtung der Vorgaben von deren Architekten gebaut wurden, daß Augustus Pugin, der erzviktorianische Romantiker, den Kristallpalast als „Horror aus Glas", „gläsernen Humbug" und „Glasmonster, so heimelig und vertraut wie die Ebene von Salisbury" beschrieb", daß der Sheerness Boat Store keine Beachtung fand und die einzigartigen baulichen Eigenschaften der Stahlbetongebäude von Wilkinson erst erkannt wurden, als ein aufmerksamer Gelehrter den Abriß eines dieser Gebäude beobachtete. 1917 schrieb das Architects' and Builders'Journal übet das Nissen-Haus: „Es ist eine Rückwärtsentwicklung, eine Entwicklung zurück zur Biberhöhle oder zum Iglu der Eskimos." Zu den riesigen deutschen Zeppelinhallen, Wundern der Bautechnik, schrieb das RIBA Journal 1920: „Der Ingenieur, der für diese Konstruktion verantwortlich ist, ließ sich wohl von seinem Regenschirm inspirieren." 20 25 Jahre später wurde das AIROH-Haus im Architects' Journal „Büchsenhaus" 21 genannt, „das in seinem äußeren Erscheinungsbild kaum an 121

die strengen Linien des Spitfire erinnert". Als Richard Buckminster Fuller die Originalpläne seines revolutionären Dymaxion House dem American Institute of Architects anbot, wurden sie ihm wieder zurückgesandt. Hausbau mit Fertigteilen, „der vom Kapitalismus vergessene Industriezweig", wie Fortune 1947 schrieb, wurde von der gesamten älteren Architektengeneration abgelehnt - nicht weil man keinen Sinn darin sah, sondern weil man die politische, finanzielle und technische Schwäche dieser Bauweise vorausahnte. Die somit fehlende Unterstützung der Architektur, die die Fertigbauweise kulturell akzeptabel gemacht hätte, und erzwungene, zerstörerische Kompromisse im Bereich der Dauerhaftigkeit trieben diese Bauweise in die Hände der Betonindustrie und in einen Bankrott, der nicht nur finanzieller Natur war. „Wenn das Zeug zusammenfällt, lache ich mich tot", sagte Raymond Erith, ein unverbesserlicher Anhänger des Klassizismus22, auf dem Höhepunkt des Systembaus in den sechziger Jahren, zu einer Zeit, als die Mitglieder von Archigram noch überzeugt waren, die Gesellschaft stünde an einem „Wendepunkt" und werde bald mit ihrer alten, unbrauchbar gewordenen Umgebung „Schluß machen", da „wir kein traditionelles Wohnen mehr benötigen, wenn wir ein gesamtes Lebensumfeld unten auf dem Meeresboden bauen können"23. Erith starb, bevor er lachen konnte, aber er hätte nur noch etwa zehn Jahr länger leben müssen. Alison und Peter Smithson schrieben voller Naivität in dem Begleittext zu ihrem Wettbewerbsbeitrag für die Coventry Cathedral 1951: „Die Moderne Architektur verfügt über Ausdrucksmöglichkeiten, von denen Brunelleschi hochbegeistert gewesen wäre", doch diese Ansicht teilten nur ganz wenige ihrer Berufskollegen. Die Umsetzung dieser Ausdrucksmöglichkeiten, die Brunelleschi so begeistert hätten, und der gleichzeitige Versuch, kulturelle Aktzeptanz für sie zu finden, erwies sich schließlich als unmögliches Unterfangen. Aus der Logik ihrer Überzeugung heraus waren die Architekten-Meuterer zu einem weiteren Quantensprung nach vorne gezwungen, dem ein weiterer und noch ein weiterer folgte, bis ein atemraubender Wettlauf mit den neuentwikkelten Materialien und Methoden der Wissenschaft und Industrie zur Identität der Architektur selbst wurde. Ausgeschlossen davon waren aber jene Architekten und Baufachleute, die von keiner Institution gefördert wurden und vom Sinn und Zweck von Forschungsbudgets und Untersuchungslabors nur wenig Ahnung hatten. Die Architekten der Generation von 1914 wollte lieber eine lockere Gruppe individueller Künstler bleiben, statt einen eigenen Industriezweig zu gründen und gaben daher nie den Anstoß zu einer von kontinuierlicher technischer Evolution gekennzeichneten Architektur. Bilder einer vollmechanisierten, von 122

ihnen gänzlich beherrschten Bauindustrie waren in einigen Filmen sehr schön dargestellt, so etwa im 1936 entstandenen Monumentalfilm The Shape of Things to Come von Alexander Korda mit einem Drehbuch von H.G. Wells, bei dem mit viel Aufwand Modelle für Errungenschaften, wie eine .mobile Wandbaumaschine aus dem Jahre 2036', gebaut wurden, die allerdings nie Wirklichkeit werden sollten. Doch die Realität, die in den sechziger Jahren in den großen Fabriken für Fertigteile zu früh das Licht der Welt erblickte, erwies sich ohne die Nabelschnur in Form von Subventionen als nicht lebensfähig und lag, wie bereits erwähnt, auch nicht mehr im Verantwortungsbereich der Architekten. „Die Industrialisierung des Bauwesens ist eine Materialfrage. [...] Es muß und wird unserer Technik gelingen, ein Baumaterial zu erfinden, das sich technisch herstellen und industriell verarbeiten läßt, das fest, wetterbeständig, schallund wärmesicher ist. [...] Ich bin mir klar, daß das Baugewerbe hierdurch in seiner bisherigen Form vernichtet wird", schrieb Mies van der Rohe 1924 in der kleinen, in Weimar herausgegebenen Zeitschrift G (für Gestaltung). Dieselbe, nicht unrealistische Ansicht wurde fünfzehn Jahre danach auch außerhalb des Berufstandes geäußert, als Professer J.D. Bernal in The Social Function of Science schrieb: „Bald wird es möglich sein, mit der Tradition zu brechen, in der Stein auf Stein gelegt wird, und sich rationellen Produktionstechniken zuzuwenden." 24 Sogar noch 1962 vertrat Herbert Ohl, ein deutscher Experte auf dem Gebiet der Vorfertigung, in Architectural Design die Meinung: „Während die künstlerischen und formalen Interessen der vergangenen hundert Jahre die Aufgabe des Architekten von der Produktivität getrennt haben, muß er sich trotz aller Rettungsversuche darüber klar werden, daß die von der Industrie verwendeten Maschinen, Prozesse und Materialien die eigentlich effizienteren Mittel zur Herstellung von Gebäuden sind."23 Aber leider wurde aus all diesen Wunschvorstellungen für einen Berufszweig eine Art Verwaltungsrat einer weltweit operierenden Produktionsfirma. Unter dem Strich hatte der Zusammenbruch der Meuterei eine Restauration zu Folge, ein Zeitalter der Architektur, das von verängstigten Praktikern beherrscht wird, die, um es mit dem treffenden Worten von Charles Jencks zu sagen, wissen, wie weit zu weit sie gehen können. Wo früher der Bruch mit Traditionen als aufregend und zukunftsweisend galt, läßt man heute Ranken der Sentimentalität darüberwachsen, um ihn wie einen Riß in der Mauer zu verstecken. Die Unfähigkeit der Architekten zu lernen, wie man im Gleichschritt mit Wissenschaft und Technik plant und baut und danach wieder umplant und abbaut, war hier entscheidend, auch wenn trotz des offensichtlichen Desinteres123

ses des Berufstandes der Kampf um das Erreichen dieses Ziels wohl noch nicht ganz beendet ist. Nachdem man nun das Problem bereits etwa hundert Jahre lang kennt und die traditionelle Planung bereits das Opfer ihres eigenen Scheiterns ist, bedeutet die Veralterung und Inflexibilität der alten gebauten Umwelt heute eine ebenso große Bedrohung wie Umweltverschmutzung, Hunger oder Krieg. Das Binden von Rohstoffen an die Materialien undurchdringlicher Gebäudekomplexe war in vorindustrieller Zeit zweifellos überlebenswichtig, erweist sich heute aber als tragische Schwäche. Der entscheidende Fehler war das Unvermögen, Dauerhaftigkeit und Monumentalität abzuschwören, und dieser Fehler passierte genau am Übergang vom Ersten zum Zweiten Maschinenzeitalter, als die kraftvolle, die Moderne Bewegung beherrschende Ideologie starb. Heute fehlt der politische Wille, die Gesellschaft über die Architektur zu verändern, und es gibt in der Architektur auch keine Visionen, die diese Veränderung zum Ziel haben. Während die ganze Politik zu einem ziellosen Pragmatismus verkommen ist, hat sich auch die Architektur von den Möglichkeiten der Wissenschaft abgekoppelt. Statt dessen gibt sie sich willenlos einer Macht hin, deren einziges Ziel es ist sicherzustellen, daß die sogenannte .Architektur' sich im Rahmen der Flut von Bildern bewegt, wie sie ideologiefreie Verbraucher heute sehen wollen. Mit der ideologischen Aussage ,Wir sind ein Wohlfahrtsstaat' beschwor man vor dreißig Jahren Bilder von sozialem Wohnungsbau, öffentlichen Schul- und Krankenhausbauten herauf und gelangte so von einer allgemein akzeptierten politischen Ideologie über eine allgemein akzeptierte Umsetzung von Wissenschaft und Technik zu einer allgemein akzeptierten Form von Architektur. Heute gibt es zunächst ein Mosaik aus Bildern, und die politische Idee wird — sofern überhaupt noch als notwendig erachtet — im nachhinein stückweise hineingebastelt. Architekten können mit dieser Situation durchaus umgehen sie konnten sowieso schon immer besser Bilder schaffen, als verständliche Erklärungen dafür formulieren; sie tun dies aber begleitet von einem Unbehagen, daß mit ihnen das letzte Zeitalter der Vorherrschaft der architektonischen Ideen zu Ende gehe. Wegen der positiven Erinnerungen an das, was heute als .utopische' Vorstellung abgetan wird, brauchen die Menschen immer noch eine logische Erklärung für die Gestaltung eines wichtigen Gebäudes, die aber immer weniger provozieren soll; und wenn man sich zu einer Art „Ephemerisierung" bekennt statt zu einer persönlichen Note, fordert man eine Ablehnung geradezu heraus. Um heute in dieser Flut von Bildern und einer Welt der Endzeitideen mit Erfolg bestehen zu können, suchen Architekten nicht mehr die Ubereinstimmung mit politischen Vorgaben oder gesellschaftlichen Ideen, sondern pflegen

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einen Starkult, der als massive Reproduktion von Bildern bezeichnet werden könnte. Die Medien greifen einen Namen, einen Stilbegriff oder ein Bild auf, andere passen diese willig in eine Realität ein, der es recht schnell an Objektivität mangelt und die fast schon unabwägbar wird. Es gibt eine Formel, die diese Realität untrennbar mit der Auftragserteilung verbindet - eine 60 cm lange Kolumne, die 4,6 Millionen Menschen erreicht, macht eine Kunstgalerie. Ein 16-Seiten Artikel in der italienischen Vogue macht eine Fernsehserie. Eine Fernsehserie macht eine 120 cm lange Kolumne, die 9,2 Millionen Menschen erreicht, macht eine High-Tech-Bank, und so weiter. Solche Berühmtheit erlangt man weniger durch Teamarbeit - die zu oft als Kennzeichen der Modernen Architektur proklamiert wurde, um in der postmodernen Welt populär zu sein; wichtig ist vor allem unternehmerische Tätigkeit. Dies bedeutet, daß bei der Auftragsvergabe nicht die Kreativität entscheidend ist, was das Ganze eher in die Nähe eines Wahlsiegs rückt, statt den Vergleich mit dem Malen der Mona Lisa zuzulassen, sondern eine ganz bestimmte Mischung aus Stehvermögen, Einfluß, Glück und Gehorsam. Ob man überhaupt zu dem Wettbewerb für den Auftrag zugelassen wird, hängt davon ab, ob man in der Lage ist, so viele einflußreiche Anhänger, Förderer und Fachberater an sich zu binden wie ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat. Ob der Entwurf dann Zustimmung findet - selbst im Falle eines Wettbewerbgewinns - hängt von der Ubereinstimmung von dessen Bildern mit der aktuellen Gefühlslage ab, die jedoch so stark schwanken kann wie der Währungsmarkt oder die berufliche Entwicklung einzelner, bei der Vergabe maßgeblicher Personen. Die Macht der Bilder ist in den stilechten Gebäuden von heute leicht zu erkennen; schwieriger ist es mit den speziellen Materialien, die darin unsichtbar für das Auge verarbeitet sind. Gerade wegen der Ähnlichkeit zu einer Ölbohrinsel fand der Entwurf von Richard Rogers für das Lloyd's-Gebäude 1978 Zustimmung — dem Jahr, in dem sich das Nordseeöl fast als ein Geschenk des Himmels erwies, das die Nation aus der Not und vor einer Inflation wie in einer Bananenrepublik retten sollte. Acht Jahre später prägten sich die runden Treppenhäuser und die aufeinandergestapelten Naßraumzellen als ,Big Bang' auf ewig in das Gedächtnis der Menschen ein, weil das Gebäude zufällig genau im Jahr der Deregulierung des britischen Wertpapiermarktes fertiggestellt war und überall veröffentlicht wurde. Diese beiden Assoziationen werden dem Lloyd's-Gebäude anhängen, solange es steht. Trotz seiner vielgerühmten Flexiblität ist es genauso untrennbar mit einer bestimmten Zeit verbunden wie die Bastille oder der Winterpalast. Weniger aufsehenerregend, aber in genau der gleichen Art und Weise wurde das spiegelverglaste Bürogebäude Concept 2000 von Scott, Brownrigg & Tur125

ner von 1986 in Farnborough - das innerhalb des ersten Jahres nach der Fertigstellung bereits in neun Werbekampagnen von großen Autofirmen, darunter Mercedes, BMW und Audi als Kulisse diente - gleichgesetzt mit dem privatisierten, unergründlichen wirtschaftlichen Erfolg der unsichtbaren Wirtschaft. Wie das Lloyd's-Gebäude als Skulptur eine Hommage an das schwarze Gold ist, bietet sich das unergründliche, reflektierende Spiegelglas von Concept 2000 sehr gut als Symbol an. Gibt es eine noch bessere Verkörperung des abstrakten, im Verborgenen liegenden Reichtums und des großen Geheimnisses der Informationswirtschaft als dieser rätselhafte, reflektierende Komplex außerhalb der Stadt mit seinen unergründlichen Antennen und den aufgereihten schwarzen BMWs mit getönten Scheiben? Bilder sind die Kurzform der Kommunikation im Zeitalter der Wissenschaft, und sie haben die konkrete Vorstellung auf vielen Ebenen verdrängt; die politische Ideologie ist eine davon, Architekturtheorie eine andere. Heute sind die von den Gebäuden vermittelten Bilder wichtiger als der Bau selbst, egal mit welch genialen Mitteln dieser Bau zustande kam. Somit verkümmert die gesamte Idee vom Technologietransfer, der auf der Ebene der Bilderflut nicht existiert - weil er nicht unmittelbar erkennbar ist, sondern erklärt werden muß — im dunkeln, während die Gebäude von Lloyd's und Concept 2000 genauso Teil des Bildersystems des postindustriellen Großbritannien sind wie die überall aus dem Boden schießenden Hochhaustürme und das Funktelefon. 68 Das Concept 2000-Bürogebäude von Scott, Brownrigg & Turner. Unergründbar, aber ein Hintergrund, vor dem gerne für große Autos geworben wird

Anmerkungen

* Gerald Pawle, The Secret War, Harrap, 1956. Dieses Buch liegt zwar in einer deutschen Übersetzung vor (Pawle, Gerald, Englands geheimer Krieg. Der Kampf der Hexenmeister (1939-1945), gekürzt und übersetzt unter Mitarbeit von Hans Schützenberger, Verlag für Wehrwesen Bernhard & Graefe, Frankfurt/M 1959), diese gibt jedoch den fur Pawley wichtigen Aspekt des Salutierens nicht ausreichend wieder, so daß für die vorliegende Übersetzung auf das englische Original zurückgegriffen wurde. 1 Barbara Miller Lane, Architektur und Politik in Deutschland 1918-1945, Braunschweig/Wiesbaden 1986, S. 55 2 Bruno Taut, Nieder mit dem Seriosismus!, aus Frühlicht 1920, zit. nach Bruno Taut, Frühlicht 1920 - 1922. Eine Folge für die Verwirklichung des neuen Baugedankens, Ullstein Bauwelt Fundamente, Bd. 8, Frankfurt/Main —Berlin 1965, S. 11, in: Ulrich Conrads Programme und Manifeste zur Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts, Bauwelt Fundamente Bd. 1, Braunschweig/Wiesbaden 1981, S. 54 3 Anatole Kopp, Constructivist Architecture in the USSR, Academy Editions 1985 4 Beschreibung und Bilder des Schleusenwärterhauses von Tipton finden sich in „An Outline of Préfabrication" von D. Dex Harrison, in: John Madge (Hrg.), Tomorrow's Houses, Pilot Press 1946 5 Reich illustrierte und klare Beschreibungen der großen Glasarchitektur von Loudon, Turner und Paxton finden sich in: A.R. Collins (Hg.), Structural Engineering: Two Centuries of British Achievement, Tarot Print Ltd. 1983 6 Wilkinsons Pionierarbeiten auf dem Gebiet des Stahlbetonbaus sind beschrieben in: National Building Studies, Special Report Nr. 24, „A Note on the History of Reinforced Concrete in Buildings", HMSO 1956 7 Das Haus in Letchworth aus Betonfertigteilen ist abgebildet in: Structural Engineering, a.a.O. 8 Eine detailierte und reich illustrierte Beschreibung des Nissen-Hauses aus dem Jahre 1916 findet sich in: Keith Mallory und Arvid Ottar, Architecture of Aggression: Military Architecture of Two World Wars, Architectural Press 1973 9 Prouvés Fertigteilhäuser in Meudon sind beschrieben in: „Prouvés Prefabs" von Charlotte Ellis, The Architects Journal (3. April 1985) S. 46-51 10 Das AIROH-Haus ist beschrieben in: W. Greville Collins, Tomorrow's Houses. Das Projekt einer Schule aus Leichtmetallplatten ist beschrieben in: Andrew Saint, Towards a Social Architecture, Yale University Press 1987 11 Es gibt sehr viele reich illustrierte Beschreibungen des WICHITA-Hauses von Buckminster Fuller. Die detaillierteste findet sich in: Burnham Kelly, The Préfabrication of Houses, Chapman & Hall 1951; aktueller noch ist der Artikel: „Twenty-First Century Man", The Architects' Journal (15. Februar 1984) S. 42-44

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12 Beschrieben und reich illustriert in: Royston Landau, New Directions in British Architecture, Studio Vista 1968 13 Das beeindruckendste Opfer der Energiekrise war in dieser Hinsicht das aus Modulen bestehende, aus verschiedenen Schichten aufgebaute Haus mit glasfaserverstärktem Putz aus Kunststoffasern von Derek Walker und Pierre Botschi von der Milton Keynes Development Corporation. Diese und andere Entwürfe sind mit vielen Bildern beschrieben in: „Experimental and Low Cost Housing at Milton Keynes", The Architects'Journal^. Sept. 1974) S. 729-37. 14 Zu den vielen, nicht mehr im Handel erhältlichen Büchern über dieses Phänomen gehören Steve Baer, Dome Cookhook, Bde. 1-4, Aufl. v. 1968, 1969, 1970, sowie Peter Rabbit, Drop City, Olympia Press 1971. 15 Eine Übersicht über die bescheidenen Aussichten für diese letzte Variante des alternativen Wohnbaus findet sich in: Martin Pawley, Building for Tomorrow: Putting Waste to Work, Sierra Club Books 1982 16 Die beste Sammlung der frühen Gedanken und Entwürfe von Archigram findet sich in dem kleinen Buch von Peter Cook, Architecture: Action and Plan, Studio Vista 1967. Die umfassendste Übersicht über Konzepte einer sich neu ordnenden, mobilen, „ephemeren" Architektur in: William Z u k u n d Roger Clark, Kinetic Architecture, Van Nostrand Reinhold 1970. Eine späte Würdigung der Bedeutung dieser Ideen und dieser Zeit findet sich in: Heinrich Klotz, Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart 1960-1980, Braunschweig/Wiesbaden 1984. 17 Ein ausführlicher Überblick über das Thema mangelnde Aktualität beim Entwurf des Lloyd'sGebäudes in: Architectural Review (Oktober 1986), The Architects'Journal(22. Oktober 1986) sowie L'Architecture d'Aujourd'hui, Nr. 247 (Oktober 1986) 18 Die erstaunliche Einigkeit in diesem Punkt wurde durch Richard Rogers' Unterstützung der Kampagne gegen eine Verkleidung der Gebäude von Erno Goldfinger bei Elephant and Castle untermauert (siehe Kapitel 1). 19 Die Zitate s i n d j . Mordaunt Crook, Γ h i' Dilemma oj'SíyU', Join: Murray 1988 entnommen. 20 Zitiert in: Mallory und Ottar, a.a.O. 21 Richard Sheppard in: The Architects' Journal (18. Januar 1945) 22 Quinlan Terry erinnerte sich an diese Aussage in einem Gespräch mit dem Autor 1985. 23 Astragal, The Architcts' Journal (3. November 1967) 24 Mies van der Rohe, G. Material zur elementaren Gestaltung, Nr. 3, 1924, zitiert in: Ulrich Conrads, Programme und Manifeste zur Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts (Bauwelt Fundamente Bd. 1), Verlag Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 1981, S. 77; Saint, a.a.O. 25 Herbert Ohl, Direktor der Hochschule für Gestaltung in Ulm, die nur kurze Zeit bestand, zitiert in: Architectural Design (April 1962), S.162

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Energie, die Große Hoffnung

Forscher aus Cambridge werden ihre Behauptung, es gebe in der Luft genügend Energie, um eine Wohnung in einem feuchten und kalten englischen Winter zu heizen und funktionsfähig zu halten, bald unter Beweis stellen. Alexander Pike, Direktor der technischen Forschungsabteilung der Universität, meinte: „ Wir sind keine Öko-Freaks. Wir versuchen, einen klaren theoretischen Rahmen zu schaffen, bevor wir mit dem Bau eines Prototypen beginnen. " The London Evening Standard, 15. März 1974 Als die ägyptische Armee am 6. Oktober 1973 den Suezkanal überquerte und damit eine Reihe von Ereignissen auslöste, die in der Verfünffachung des Preises für arabisches Ol und in den USA in der Angst vor einer Erdölrationierung gipfelten, waren die Theorie vom funktionellen Entwurf und das Ansehen der Modernen Architektur zur völligen Bedeutungslosigkeit verkommen. Aber wenn man, wie Charles Jencks, den 15. Juli 1972, 15.32 Uhr, als den Zeitpunkt annimmt, an dem die Moderne ins Koma fiel, jedoch nicht umittelbar danach starb, dann war der 6. Oktober 1973, 14.05 Uhr, der Zeitpunkt, der die dahinsiechenden Moderne schlagartig fast wieder zum Leben erweckt hätte. Die Energiekrise hat die moderne Architektur fast gerettet. Denn einige Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg hatte es tatsächlich den Anschein, als seien völlig neue, von der Last der Geschichte befreite Entwürfe wieder möglich. Diese neue Disziplin war sogar noch strenger als die von den Befürwortern der Fertigteilbauweise dreißig Jahre zuvor geforderte Rationalisierung und konnte zudem noch auf weitere dreißig Jahre wissenschaftliche und technologische Innovationen zurückgreifen. Sollte Energie wieder so rar und teuer werden wie während des Zweiten Weltkriegs und in den darauffolgenden Jahren, könnte eine Reduzierung des Energieverbrauchs im Bausektor nur durch ähnlich

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phantasievolle Lösungsvorschläge erreicht werden. Ursprünglich wurde der postmodernen Architektur Extravaganz vorgeworfen, und dies wird wohl immer ihre große Schwäche sein. Die hemmungslose Verwendung aller nur denkbaren formalen Architektursymbole, die leichtfertige Vervielfachung der Oberfläche von Gebäudehüllen, die verschwenderische Verwendung unnötiger Baumaterialien, das Desinteresse gegenüber sparsamen Konstruktionsweisen, die leichtfertige und allzu großzügige Flächennutzung und der irrationale Wunsch nach einer Übernahme der Launen der Geschichte anstelle von Zurückhaltung und Einschränkung stehen in krassem Gegensatz zu dem vernichtend einfachen Argument der Begrenztheit der verfügbaren Energieressourcen - und die ,Stil-Architektur' verbraucht enorme Energiemengen. Die Energiekrise gab den Anhängern der Moderne über Nacht einen Trumpf für einen auf den ersten Blick sicher scheinenden Sieg in die Hand, so wie dies beim Funktionalismus während der vom Mangel geprägten Kriegsjahre der Fall war. Weder monumentale Auswüchse noch historischer Hokuspokus konnten eine Antwort auf die Energiekrise geben, das war eine Tatsache. Gefragt war eine neue Technologie, die mehr für weniger bot. 1974 waren die USA in einer Situation, die sie seit 1942 nicht mehr erlebt hatten: Eine an Reichtum und Allmacht gewöhnte Nation erkannte plötzlich, was es bedeutete, bedroht zu sein; gleichzeitig sahen die Nationen Europas, die lediglich arm gewesen waren, bitteres Elend auf sich zukommen. Im Gegensatz zu 1942, als die USA Energie in die ganze Welt exportiert hatte, herrschte hier jetzt eine extreme Knappheit an eben jenem Rohstoff, der den Sieg der Alliierten über die Achsenmächte erst möglich gemacht hatte. Tatsächlich hatte die Ölproduktion der Vereinigten Staaten knapp drei Jahre vor dem vierten arabisch-israelischen Krieg sogar ihren Höhepunkt erreicht, doch bereits in dieser Zeit importierten die USA fast 40 Prozent ihres Erdöls aus Ubersee. In Japan und Westeuropa war die Situation noch schlechter. Da das Nordseeöl zu dieser Zeit noch nicht kommerziell genutzt werden konnte, war Europas Abhängigkeit von den Ölquellen des Nahen Ostens seit dem Zweiten Weltkrieg ständig gestiegen. Das arabische Ölembargo hätte zeitlich gar nicht besser abgestimmt oder wirkungsvoller angewendet werden können, und die Folge war das unverzügliche Auseinanderbrechen der aus sechs Staaten mühevoll zusammengeschlossenen EG. Die gravierende Ölknappheit machte eine konzertierte Energiepolitik unmöglich, und so zerbrach die EWG vorübergehend an einer Reihe weniger erfreulicher, einseitiger Abkommen mit arabischen Ollieferanten. Als die Fakten über die ölimporte durchsickerten, kündigte jeder Zeitungskolumnist der westlichen Welt seinen Lesern das Ende der billigen Energie an und bei einem Verkennen des Ernstes der Lage - den ,Hitzetod des Universums'.

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Vor diesem apokalyptischen Hintergrund hätte der Kampf der Architekturstile trivial erscheinen können, er war es aber nicht. Als kein Zweifel mehr am dramatischen Ausmaß der Energiekrise von 1974 bestand, ließ die US-Regierung umgehend in einer Reihe computergestützter Untersuchungen S c h n a p p schüsse' vom Energiefluß in der gesamten nationalen Wirtschaft aufnehmen, um im Ernstfall gezielte Energierationierungen durchführen zu können. Eine der wichtigsten Untersuchungen war der 1977 veröffentlichte Bericht mit dem Titel „Energy Use for Building Construction" [EBC - Energieeinsatz beim Bau]. Dieser Bericht wurde von einer Forschungsgruppe für Energiefragen an der University of Illinois und einem New Yorker Architekturbüro unter der Leitung von Richard Stein erarbeitet.' Die Bauindustrie sei, so machte der Bericht deutlich, ein enormer Energieverbraucher und verschlinge 10 Prozent der gesamten, jährlich in den USA verbrauchten Energie, wobei über 80 Prozent davon an die Materialien und Bauteile gebunden seien, über deren Verwendung Architekten und Ingenieure beim Entwurf von Bauten entschieden. Laut EBC-Bericht wurden von den Anfang der siebziger Jahre in den USA jährlich verbrauchten 70 Billionen Kilowattstunden Energie 50 Prozent für neue Gebäude verwendet, 40 Prozent für Tiefbauten und nur 10 Prozent für Wartung und Instandsetzungsarbeiten. Je nach Art des Gebäudes gab es große Unterschiede bei der Menge der gebundenen Energie; bei Forschungslabors etwa lag sie bei 200 kWh, bei Lagerhallen dagegen nur bei 50 kWh pro Quadratmeter. Neu gebaute freistehende Einfamilienhäuser waren mit 9 Millionen Quadratmetern die größte Einzelkategorie von Gebäuden, die 30 Prozent der gesamten versorgten Geschoßfläche ausmachte und jährlich nicht weniger als 70 k W h pro Quadratmeter verbrauchte. Die Baubranche verbrannte demnach jedes Jahr insgesamt 2 Milliarden Barrel Ol. Der EBC-Bericht gab drei wichtige Empfehlungen zur Reduzierung des Energieverbrauchs im Bausektor. Keine davon befaßte sich mit der passiven oder aktiven Nutzung der Solarenergie, mit Energiesparmaßnahmen bei bereits bestehenden Gebäuden, mit besserer Wärmedämmung oder mit alternativen Energiequellen. Gemäß der ersten Empfehlung sollte die amerikanische Bundesregierung Richtlinien herausgeben, die die bevorzugte Verwendung von Einzel- oder Fertigbauteilen mit einem geringen Anteil an gebundener Energie regelten. Im Bereich des Wohnungsbaus hätte dies etwa das Ende von Fachwerkhäuser mit einer Außenhaut aus Ziegeln (11,9 k W h pro Quadratmeter) zugunsten einer Holzschindelverkleidung bedeutet, die bei gleicher Dämmleistung nur ein Viertel der Energie bindet (3,2 k W h pro Quadratmeter). In den USA hätte es wieder vermehrt Betonkonstruktionen gegeben, denn mehrge-

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schossige Gebäude mit Stahlbetonskeletten verbrauchen nur 17,2 kWh pro Quadratmeter, im Gegensatz zu 29,3 kWh beim beliebteren Stahlskelettbau. Die zweite Empfehlung betraf die Hersteller von Baumaterialien, die zu umfassenden Energiesparmaßnahmen in der eigenen Produktion angehalten wurden, aber auch zu einer Rationalisierung ihres Vertriebs, um kleinere Lieferungen an weit entfernte Baustellen zu vermeiden. Die dritte Empfehlung betraf ausschließlich den Entwurf. Die amerikanische Regierung sollte die intensive Forschung im Bereich der Raumhüllen fördern, um effizientere Gebäudehüllen zu schaffen, die für die Umhüllung eines vergleichbar großen Innenraums weniger Baumaterialien verbrauchen würden. Der EBC-Bericht forderte im Prinzip eine Erneuerung der Art von Kontrolle über die Verwendung von Energieressourcen, die im vorindustriellen Zeitalter durch die begrenzte Verfügbarkeit von .lebendigen' Energiequellen unfreiwillig ausgeübt und seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr als Kontrollinstrument eingesetzt worden war. Doch das war noch nicht alles. Für die Herstellung von ,Niedrigenergiehäusern' war ein Ausmaß an Erfindungsgabe und Innovation notwendig, das die Bauvorschriften für die einzelnen Grundstücke, an denen die Moderne Architektur nie gerüttelt hatte, umgehen würde. Um der Vorbildfunktion der öffentlichen Hand gerecht zu werden, empfahl der Bericht der Regierung, bei allen öffentlichen Ausschreibungen für neue Gebäude die gebundene Energie in den verschiedenen Entwürfen zu berechnen und zu vergleichen und den Entwurf mit dem geringsten Wert an gebundener Energie auszuwählen, vorausgesetzt, er erfüllte die anderen Anforderungen der Ausschreibung. Dem Bericht zufolge gibt es demnach drei Möglichkeiten zur Senkung des Energieverbrauchs: durch die Auswahl von Materialien und Bauteilen, durch die Zulieferindustrien oder durch grundlegende Änderungen des Entwurfsverhaltens. Bei letzterem wurden die größten Einsparungen erwartet. Obwohl diese Richtlinien zunächst nur den öffentlichen Sektor betrafen, hätten sie wohl schnell auf den privaten Sektor übergegriffen, da mit keinerlei Energiesubventionen mehr zu rechnen war. Bei einer Umsetzung dieser Empfehlungen in die Praxis wäre die architektonische Entwurfsarbeit in der Folge zweifellos nicht ein künstlerisch freies Handwerk geblieben, sondern eine Wissenschaft geworden. Die „ästhetischen Spekulanten" des Zeichenbretts 2 hätten mit diesem neuen Regelkatalog nur zurechtkommen können, wenn sie ihr subjektives Urteil durch einen Taschenrechner ersetzt und sich schnellstens mit der Arbeit von Richard Buckminster Fuller vertraut gemacht hätte. Denn gerade Fuller hatte nur drei Jahre vor dem Jom-Kippur-Krieg darauf hingewiesen, daß die damals recht gute wirtschaftliche Lage der Vereinigten Staaten praktisch ausschließlich ein Nebenprodukt 132

der riesigen Forschungs- und Entwicklungsausgaben für die Verteidigung in den vorangegangenen sechziger Jahren war. Um wie vieles effizienter hätte die US-amerikanische Wirtschaft sein können, hatte Fuller damals gefragt 3 , wären diese Forschungsausgaben durch eine umfassende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Entwurf direkt den Menschen und nicht den Waffen zugute gekommen. Der EBC-Bericht forderte, letztlich aber ohne Erfolg, Design durch eine ,Entwurfswissenschaft' zu ersetzen. Im Endeffekt erwies sich die Energiekrise aber als nicht so dramatisch und vielschichtig, wie es im Winter 1973/1974 den Anschein hatte. Die westlichen Industrieländer spürten zwar alle die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser von außen auf sie einwirkenden Krise, doch wurden die öllieferungen aus dem Nahen Osten sofort nach Beendigung des Embargos zu stark erhöhten Preisen wieder aufgenommen. Das Hinnehmen einer mit starker Inflation gekoppelten Rezession, eine drastische Erhöhung der Auslandsschulden sowie ein raffiniertes .Recyclingsystem' zur Rückführung der arabischen ö l e i n n a h men in Investitionen im Westen waren im Vergleich zur erneuten Einführung von Kontrollen wie in Kriegszeiten und zu einem neuen Zeitalter des ,wahren' Entwurfs die bessere Alternative. Einige Zeit lang erforschten nicht nur Japan und Europa, sondern auch die USA und Kanada den Energieverbrauch bei Neubauten, stellten jedoch bald fest, daß Vorschriften für den Entwurf neuer Gebäude praktisch keine unmittelbare Wirkung hätten. Aufgrund der weltweit niedrigen Produktivitätsrate in der Bauindustrie hätten langfristige Regulierungsmaßnahmen, wie die Empfehlungen des EBC-Berichts zur Reduzierung der Energiekosten bei Neubauten, weniger unmittelbaren Nutzen als Programme, die auf die Betriebskosten von Millionen bereits bestehender Gebäude abzielten. Selbst bei einer Produktivitätsrate wie Anfang der siebziger Jahre konnte die Baubranche der industrialisierten Welt den gesamten Gebäudebestand um nicht mehr als 0,5 Prozent pro Jahr erhöhen. Praktische Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs in der Bauindustrie mußten demnach an den bestehenden Bauten greifen und konnten nicht auf die Produktion abzielen. Die Regierungen der einzelnen Länder hatten es mit einer Bevölkerung zu tun, für die die Energiekrise höhere Rechnungen statt sparsamer geheizte Räume bedeutete. Aus diesem Grund reagierten die USA und die Europäische Gemeinschaft auf die Energiekrise vor allem mit ,not-dürftigen' Dämmungen der Gebäude. Nachdem sich die größten Wogen wieder geglättet hatten, bemühte man sich in Europa, die Öllieferungen durch internationale Abkommen zu sichern und die Kosten durch Sparmaßnahmen zu senken. Beim ersten Internationalen Symposium über Energiesparmaßnahmen bei der gebauten Umwelt 1975 in 133

Paris stellten zehn Länder aus Nordamerika und Europa, die weltweit ungefähr die Hälfte der Primärenergie verbrauchten, fest, daß die Betriebskosten von Gebäuden 40 Prozent ihres gesamten Energieverbrauchs ausmachten. Dieser Verbrauch, so die Teilnehmerstaaten, könne durch Energiesparmaßnahmen, den sogenannten „fünften Brennstoff', um bis zu 30 Prozent reduziert werden, was kurzfristig betrachtet weitaus effektiver und billiger wäre als die Verbesserung des Wirkungsgrades von Kraftwerken oder die Diversifikation von Energiequellen. Bei einer zweiten Konferenz 1979 in Kopenhagen betonten die Teilnehmer erneut die große Bedeutung von Energiesparmaßnahmen 4 und kündigten neue nationale Normen für die Wärmedämmung von Gebäuden an. Außerdem einigten sie sich auf eine Wirtschaftlichkeitsprüfung der verschiedenen Sparmaßnahmen, wie Energie-Management-Systeme (die in der Lage sind, 1.000 Prozent Kapitalrendite innerhalb von fünf Jahren zu erreichen), das Vorheizen von Wasser mit Solarenergie und die nachträgliche Verglasung bereits bestehender Häuser, zwei Maßnahmen, die trotz eines Nettoverlusts von 20 Prozent in großem Umfang gefördert wurden. Eine Studie der Europäischen Kommission aus dem selben Jahr stellt fest, daß in der Europäischen Gemeinschaft fast 50 Prozent des jährlichen Energieverbrauchs auf die Beleuchtung und Beheizung gewerblich genutzter und privater Gebäude fielen; weitere 30 Prozent wurden von der Industrie und Landwirtschaft verbraucht, während die Bauindustrie mit 7 Prozent einen geringeren Anteil am Verbrauch hatte als in den USA. Die verbleibenden 20 Prozent, neun Zehntel davon in Form von Erdöl, wurden für den Transport benötigt. „Theoretisch", so stellte der Bericht fest, „ könnten 50 Prozent des gegenwärtigen Verbrauchs an Primärenergie bei Gebäuden durch bessere Wärmedämmung und 25 Prozent durch wirkungsvollere Heizsysteme eingespart werden." Dem Bericht und den Empfehlungen der Europäischen Kommission fehlte jedoch die Schärfe der im EBC-Bericht für die U S A empfohlenen Maßnahmen. Die damals noch kleinere Europäische Gemeinschaft plante, bis zum Jahre 1990 zwischen 5,4 Milliarden und 9,6 Milliarden Pfund pro Jahr zu investieren, um eine effizientere Nutzung der Energie im Bereich von Industrie und Transport zu fördern, alternative Energieträger zu erforschen, Energiekosten, Steuern und Zuschüsse für Sparmaßnahmen der Verbraucher in ganz Europa zu harmonisieren, Investitionen seitens der ölproduzierenden Länder anzuziehen und den Treibstoffverbrauch von Autos zu reduzieren. In der Architektur sollten diese Maßnahmen zur Energieeinsparung auf beiden Seiten des Atlantiks zu Entwürfen mit einer passiven Nutzung der Sonnenenergie, besserer und umfangreicherer Wärmedämmung und der Nutzung alternativer Energien führen, jedoch gingen sie auch zu Lasten der tatsächli-

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chen Energiekosten in der Baubranche, die, wie der EBC-Bericht eindeutig aufgezeigt hatte, in der in Materialien und Bauteilen gebundenen Energie liegen. Doch die gebaute Umwelt galt mittlerweile stillschweigend als kaum veränderbar und unersetzbar. Statt neue Gebäude zu entwerfen, bei deren Bau weniger Energie verbraucht würde, sollten Architekten und Ingenieure bereits bestehende Gebäude so verbessern und nachrüsten, daß deren Betriebskosten möglichst gering gehalten werden konnten. Das Gesamtkonzept zum Thema Energieverbrauch des EBC-Berichts in seiner umfassenden Analyse der Kosten in der Bauindustrie wurde einem nur Teilaspekte berührenden, auf dem Energieverbrauch bestehender Gebäude basierenden Konzept geopfert. Wenn es überhaupt radikale Entwurfsansätze für Neubauten gegeben hat, galt das Interesse ausschließlich den möglichst geringen Betriebskosten dieser Neubauten, nicht dem unter Umständen sehr hohen Energieeinsatz bei deren Errichtung. Das ist ein ganz entscheidener Punkt, denn er macht nicht nur deutlich, wie die Energiekrise von 1973 bis 1979 nach den Gesichtspunkten der Kostenrechnung gelöst wurde - wobei die bestehende gebaute Umwelt vom Prozeß des Neubaus getrennt betrachtet wurde - und die langfristigen Kosten für die erhöhte Energieeffizienz keine Rolle spielten, sondern zeigt ebenso deutlich den ruinösen Preis, den die westliche Welt für das Versagen der Modernen Architektur, Häuser wie Autos in Serie zu fertigen, bezahlt hat und immer noch bezahlen muß. Die Ereignisse von 1974 hatten auf die Automobil- und die Baubranche eine völlig unterschiedliche Auswirkung. Die Baubranche blieb bei ihrer Tradition langlebiger, aus Einzelteilen zusammengesetzter Gebäude; die Automobilindustrie entwickelte neue, eher kurzlebige, aus wenigen Bauteilen zusammengesetzte Autos. Die Energiekrise, die in der Baubranche der U S A alles andere als eine Neuauflage der Entwurfskontrolle der Kriegszeit mit sich gebracht hatte, erreichte aber eine Revolutionierung der amerikanischen Automobilindustrie. Während Effizienz im Energieverbrauch in der Architektur und der Bauindustrie bald das mühsame, arbeits- und materialintensive, individuelle Verbessern einzelner Gebäude bedeutete, folgte die Automobilindustrie den Vorgaben des EBC-Berichts und führte für alle neuen Autos strenge Energieverbrauchskontrollen ein, wodurch „Ephemerisierung" durch Entwurf möglich wurde. In der Folge wurden innerhalb von fünf Jahren leichtere, aerodynamischere Autos mit leistungsfähigeren Motoren als je zuvor gebaut. Durch Vorschriften, die sich am Treibstoffverbrauch orientierten - nicht am Wärmeverlust, wie im Fall von Gebäuden - , gelang der Automobilindustrie eine Revolution im Be-

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American Automobile. Dashboard Design

1970

69 Entwürfe für Armaturenbretter amerikanischer Autos

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reich der Konstruktion, die das Gewicht der Fahrzeuge drastisch reduzierte und damit die darin enthaltene Energie und den Treibstoffverbrauch senkte. Genauso wie die Automobilindustrie den Sprung in die Massenproduktion wagte, lange bevor dies für die Bauindustrie überhaupt in Erwägung gezogen wurde, beendete sie mit dem Schock der Energiekrise ganz plötzlich ihren Abstieg in den Niedergang der Nachkriegszeit. Die richtige Reaktion im Bereich der Konstruktion war, wie 1913 die Einführung der Fertigungsstraße, 1970 einmal mehr die Rettung für die Branche. Die ganz gezielte Rationalisierung des gesamten Produktionsprozesses durch CAD, neue synthetische Materialien und eine neue aerodynamische' Form retteten das Auto in den siebziger Jahren, als sich bereits eine ziemlich einflußreiche politische Lobby in Europa und den USA für die Rückkehr zu einer umfassenden Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel einsetzte. Ein großer, wie von Fuller propagierter Sprung in die „Ephemerisierung" erweckte die Automobilindustrie zu neuem Leben und verhalf ihr zu einer neuen Ära echter Konstruktionstechnik. Der Bauindustrie gelang es nicht, in gleicher Weise von dieser Entwicklung zu profitieren. Da die Produktion von Fertigbauteilen - „die vom Kapitalismus vergessene Branche" - bereits Jahre zuvor durch fehlende Investitionen und eine bewußte Politik des Grundstückmangels und eine bevorzugte Renovierung von Gebäuden vereitelt worden war und sich nie finanzkräftige Produktionsfirmen bilden konnten, hatte die Energiekrise auf die Bauindustrie nur geringe Auswirkungen. In der Baubranche gab es keine Firmen wie General Motors, Fiat oder Volkswagen, keinen kleinen, überschaubaren Kreis großer Hersteller, die die Gestaltung der zukünftigen Produktion maßgeblich hätten beeinflussen können. Schlimmer noch, während die Automobilindustrie damit rechnen konnte, ihre Fahrzeuge bei der Produktionsrate von 1974 alle zehn Jahre ersetzen zu können, hatte es die unorganisierte, nicht geschlossen agierende Bauindustrie mit Gebäuden der unterschiedlichsten Lebenszeiten zu tun, angefangen von alten Denkmälern, über hochgeschätzte dreihundert Jahre alte Häuser bis zu Hochhäusern, die gesprengt werden, noch bevor sie bezahlt worden sind. Abgesehen von ganz konkreten Einzelfällen, konnte die durchschnittliche Lebensdauer eines Gebäudes nicht einmal erraten werden. Die Produkte der Bauindustrie waren einem ganz und gar anderen Wertesystem unterworfen. Mit Ausnahme bestimmter Branchen, wie den Herstellern von Einbaufenstern, Zentralheizungen und Hausgeräten, war eine direkte Reaktion auf die Krise in Form einer veränderten Gestaltung praktisch nicht möglich. Die Gebäude waren alle so verschieden und einzigartig, als wären die Büroklammern in der Dose auf einem Schreibtisch für verschiedene Kunden farblich kodiert 137

und müßten vor ihrer Verwendung genau überprüft werden. Für die Bauindustrie stand „Ephemerisierung" zugunsten einer besseren Energiebilanz im Fullerschen Sinne des EBC-Berichts überhaupt nicht auf der Tagesordnung; sie wurde nur vereinzelt und sporadisch in Erwägung gezogen. 6 Die neuen Wärmedämmvorschriften waren sowohl in Europa und Japan wie auch in den USA weniger auf Neubauten ausgerichtet, sondern wollten in erster Linie große Wirkungen bei Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen erzielen. Nirgends gab es die Forderung, gebundene Energie - die letztendlich das M a ß für Leistung im Verhältnis zum Gewicht darstellt — in der Architektur überhaupt zu berücksichtigen. Die Folge dieses regulativen Versagens kann mit einem Versagen der Natur verglichen werden, die Bedingungen für das Uberleben einer Spezies genau festzulegen. Die erste Elektroschocktherapie in Form der Energiekrise war nicht nachhaltig genug, um die dahinsiechende Moderne Architektur in den siebziger Jahren wieder zum Leben zu erwecken. Stattdessen verbreitete sich deren blühende und üppige Dekomposition puzzleartig in dekorativen Bildern über Standardfassaden, die bereits an anderer Stelle beschrieben wurden. Die Energie alleine, oder besser gesagt, die durch die Politik und wirtschaftliche Überlegungen relativierte Bedrohung durch eine Energiekrise, reichte für eine grundlegende Veränderung der Architektur nicht aus. Bereits zehn Jahre nach der Veröffentlichung des EBC-Berichts importierten die USA mehr Öl als vor Ausbruch des Jom-Kippur-Kriegs. Die Folgen dieses großen Versagens sind noch heute zu spüren. Die energiebewußte Architektur der Zeit nach 1974 wurde schließlich so romantisiert, daß sie mit den schlimmsten Exzessen der postmodernen Automobilindustrie in den fünfziger Jahren verglichen werden kann, dem Zeitalter verchromter Autos und riesiger Heckflossen. Da die in Baumaterialen gebundene und damit bereits verbrauchte Energie ignoriert wurde und das gesamte Augenmerk dem passiven Schutz gegen Wärmeverlust, statt einer aktiven neuen Art der Energieschaffung galt, verstrichen ungenutzt große Chancen für die erste postindustrielle Verknüpfung der Architektur im kleinen und der natürlichen Energieströme in der Biosphäre im großen. Hätte es im Bereich des Hoch- und Tiefbaus weltweit agierende Unternehmen nach dem Modell der Automobilindustrie gegeben, hätte es sicher auch nicht an Ideen gefehlt. Richard Buckminster Fuller war im Jahr des Ölembargos 79 Jahre alt und besaß immer noch seine schöpferische Kraft. Zwar waren seine früheren Versuche, die Konstruktionen der Bauindustrie weltweit an das in der Autoindustrie übliche geringe Gewicht und die dort geforderte Leistungsfähigkeit anzupassen, gescheitert, aber er hatte nicht nur die Folgen eines unge-

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70 Buckminster Fullers Kuppel mitten über Manhatten, 1960. Architektur in einer Größenordnung, die durchaus den Möglichkeiten der Nachkriegszeit entsprach

heuer hohen Verbrauchs an fossilen Brennstoffen bereits einige Jahre vor Beginn der Energiekrise vorhergesehen, sondern auch eine Erklärung dafür gefunden, warum die Weltwirtschaft nicht in der Lage war, einen anderen Weg einzuschlagen. 1972 sagte er in einem Zeitungsinterviews: „Der technische Wirkungsgrad unserer gesamten Wirtschaft ist mit 5 Prozent so gering, daß 95 von 100 verbrannten Barrel Öl verschwendet werden." Fuller verstand das Zögern der profitorientierten Wirtschaft, in eine wirkliche „Ephemerisierung" der Energieeffizienz zu investieren. Er fuhr fort: „Wenn wir unsere Technologien effizienter nutzen würden, könnten wir mit dem jährlichen .Einkommen' an wind- und wassergetriebenen Energiequellen auskommen, doch solch effiziente Strategien zur Erhaltung der Ressourcen würden den profitablen Abbau der globalen Ressourcen, die heute die Grundlage der Energiewirtschaft bilden, drastisch reduzieren." 7 Diese Erkenntnisse waren für Fuller in den sechziger Jahren ausschlaggebend für eine völlig neue Schaffensperiode gewesen, in der er Architektur in einem viel größeren Zusammenhang betrachtete. Zusammen mit dem japanischen Ingenieur Shoji Sadao entwarf er gigantische Konstruktionen für die Schnittstelle zwischen Erdoberfläche und Stratosphäre, die die gewaltige Steigerung der technischen Möglichkeiten der Nachkriegszeit spiegelten. Zugleich versprach er dabei Energieeinsparungen, die angesichts des Ausmaßes der Energiekrise so sinnvoll wären, wie es die Leistungen der großen viktorianischen Ingenieure für das erste Maschinenzeitalter gewesen waren. Fullers Projekt von 1960 für eine transparente geodätische Kuppel mit einem Durchmesser von 3 Kilometern über dem Zentrum von Manhatten etwa schuf ein großangelegtes gesteuertes System, was angesichts der wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten einer Nation, die im Begriff war, Menschen auf den Mond zu schicken, auch machbar war. Darüber hinaus ermöglichte dieses Projekt große Einsparungen bei der Oberfläche und im Energieverbrauch, was ganz konkret die zum Wohle der Menschheit eingesetzte technologische „Ephemerisierung" deutlich macht. In dieser Zeit, noch vor der Energiekrise, entwarf Fuller vier weitere Projekte. Das erste, aus dem Jahre 1967, nannte er „Tetrahedral City", ein riesiges schwimmendes dreieckiges Atoll, das bis zu einer Million Menschen beherbergen sollte, und von dem mehrere Ausführungen an verschiedenen Stellen der Weltmeere schwimmen sollten. Triton City, ein ähnlich konstruierter Komplex schwimmender Betonmodule für 100.000 Einwohner, folgte kurze Zeit später. Beide Projekte waren ursprünglich für japanische Auftraggeber entworfen worden. Eine Version von Triton City wurde sogar ernsthaft für die Bucht von Tokio in Erwägung gezogen. Die beiden anderen Projekte waren für das

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71 Tetrahedral City, 1 9 6 7 , ein Projekt v o n Fuller f ü r eine 100.000 Menschen beherbergende, s c h w i m m e n d e Stadt in d e r B u c h t von San Fransisco

7 2 O l d M a n River, 1971, Fullers Stadterneuerungsprojekt f ü r ein Slumgebiet in East St. Louis in F o r m eines eingehüllten , M o n d k r a t e r s '

7 3 Fuller, sphärische „ C l o u d Structures", 1968. Sie sollen die Erde m i t .vielen T a u s e n d Passagieren' umkreisen.

Festland geplant. Old Man River war eine künstliche .Mondkrater'-Siedlung mit einem Umfang von 2 Kilometern. Im Inneren des,Kraters' und unter einem 270 Meter hohen transparenten Schirmdach in Form einer geodätischen Viertelkugel mit einem Durchmesser von 1,5 Kilometern waren Unterkünfte für 16.000 Menschen vorgesehen. Dieses Projekt wurde 1971 als Stadterneuerungsprojekt für das Ghetto von East St. Louis entworfen und von der dort lebenden schwarzen Bevölkerung unterstützt. Das Projekt gedieh bis zu einem verkleinerten, begehbaren Modell, wurde dann aber nicht mehr weiterverfolgt. Das letzte Projekt in dieser Reihe war eine komplette Neugestaltung des Slumgebiets von Harlem. 110.000 Menschen sollten in mehreren, großzügig angelegten, an Masten hängenden, 100 Stockwerke hohen, konischen Türmen leben. Verbunden waren diese Türme auf der Ebene des zehnten Geschosses durch Hängestraßen; darüber waren spiralenförmig verlaufende Rampen vorgesehen. Die Bodenebene darunter sollte als Parklandschaft renaturiert werden. Ein fünftes Projekt aus dem Jahre 1968 entsprang direkt der Arbeit Fullers als Berater der NASA-Forschungsgruppe „Advanced Structures" (1963-1968). Fullers „Cloud Structures" war ursprünglich als geodätische Hüllenkonstruktion geplant, die sich im Weltall aus rotierenden Fertigteilen in sphärischer Gestalt zusammenfügen sollte und ihren Ursprung in Fullers umfassendem, intuitiven Verständnis der natürlichen Energieströme innerhalb der Biosphäre hatte. Ausgehend von der Konstruktion der geodätischen NASA-Kugel mit einem Metallrahmen stellte Fuller dieselben Überlegungen an, die vor der Hindenburg-Katastrophe 1937 zur Entstehung die riesigen Luftschiffe geführt hatten. Die ständige Verdoppelung des Kugeldurchmessers reduzierte den durch die Konstruktion entstehenden Gewichtsanteil der Außenhaut am Gesamtgewicht und die darin enthaltene Luft; von einem bestimmten Gewicht an wäre sie dann so effektiv, daß sie ihr eigenes Gewicht tragen könnte. Fuller berechnete, daß die Aufheizung der Luft durch die Sonne eine solche Kugel bei einem Durchmesser von 1,5 Kilometern wie eine Seifenblase aufsteigen ließe, auch wenn sich „viele Tausend Passagiere" darin befänden. Seiner Ansicht nach war es möglich, ganze Kolonien von „Cloud Structures" endlos die Erde umkreisen zu lassen, sofern sich der Wärmeverlust bei Nacht kontrollieren lassen würde. 8 Dieses Projekt ist in vielerlei Hinsicht der Höhepunkt von Fullers energie- und architekturbezogenem Denken. Fünf Jahre nach der Vorstellung dieser Planung schrieb er: „Der Bau solcher schwebenden Wolken wird zwar erst in einigen Jahrzehnten realisierbar sein, aber wir können heute bereits vorhersehen, daß die Menschen mit den schwimmenden, pyramidenförmigen Städten, aus

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der Luft versorgten Hochhäusern, U-Boot-Inseln, unterirdischen Wohnungen, Kuppeln über Städten, fliegenden Wohnmaschinen und autonomen Mietwohncontainern eines Tages durchaus in der Lage sein könnten, sich überall auf der Welt aufzuhalten und zusammenzutreffen, ohne die Umwelt auszubeuten und zu zerstören." 9 Füllers kraftvolle technologische Innovationen inspirierten Architekten auf der ganzen Welt, weitere architektonische Megastrukturen zu entwerfen. Architekten wie Yona Friedman in Frankreich, Gruppen wie Archigram in England und die Metabolisten in Japan waren zwar bereit, den Einfluß der Mercury- und Apollo-Raumfahrtprogramme anzuerkennen, arbeiteten im Prinzip aber an Varianten von Fullers Vorstellungen einer effizienteren, vom Menschen geschaffenen Welt. Doch so sehr dieses Ideal während der Energiekrise für die tatsächlich entstandene Architektur und auch für Fullers eigene ,organische' Vorstellung von Architektur und Ingenieursleistung in greifbare Nähe rückte, war alles, was entstand, immer noch weit entfernt von dem, was Ingenieure im Bereich der Wehrtechnik und des Bauwesens leisteten. Nur wenige können die Dimension der von Fuller vorgeschlagenen Eingriffe begreifen, so gigantisch waren ihre Ausmaße. Nur ein nicht architektonisches Bauwerk wie der 1914 eröffnete Panamakanal oder die riesige, von der Abteilung für öffentliche Bauten errichtete Auffanganlage für Regenwasser am Felsen von Gibraltar machen das Ausmaß dieser kühnenVorschläge deutlich. Die Arbeiten von Vertretern der Schule der „Biologischen Architektur" oder „Biotektur" erreichten niemals den Stellenwert jener riesigen Brücken und Dämme, die in einer früheren Zeit aus Gründen des Energiebedarfs gebaut worden sind. Uber die Ambitionen der „Biotekturisten" schrieb der amerikanische Architekt Roy Mason 1977 bescheidenerer als Fuller, aber auch ohne dessen umfassendes Verständnis, zum Ausmaß der notwendigen Eingriffe: „Weder die kleinste Hütte noch die größte Metropole können jemals von der Natur völlig isoliert oder abgeschnitten werden. Wir sollten diese Tatsache als gegeben annehmen und uns darauf einstellen, statt dagegen anzukämpfen. Die biologischen Architekten verwenden keine großen Mengen an Energie und Material auf die Schaffung und den Erhalt einer künstlichen Umwelt, sondern versuchen zum einen, in der Natur ein Beispiel zu sehen und Gebäude zu entwerfen, bei denen die in der Natur vorkommenden Bauprinzipien zur Anwendung kommen, und zum anderen Möglichkeiten zu finden, die Natur selbst die Bauarbeit übernehmen zu lassen. Den ersten Ansatz bezeichnen wir als ,biomorphisch', den zweiten als ,biostruktureH'." 10

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Obwohl Mason bei der Erläuterung die Aktivitäten der .biologischen Architekten' zuversichtlich in der Gegenwartsform beschrieb, ging das von ihm vorgestellte Programm nicht über Experimente hinaus. Während der technologische Superhumanismus von Archigram und den Metabolisten letztlich auf dem Kunstmarkt und nicht der Baustelle endete, führte die „Biotektur" nur zu vereinzelten kleinen Häusern und Hinterhofexperimenten. In den USA gab es zwar mehr davon als in Europa, doch auf keinem der beiden Kontinente schafften ihre Entwürfe den Durchbruch zu einem akzeptablen, auf geringem Energieverbrauch basierenden Lebensstil, noch versorgte die Wissenschaft sie mit neuen, billigen Energiequellen. Das im Zitat zu Beginn dieses Kapitels beschriebene experimentelle Haus in Cambridge blieb zum Beispiel trotz großzügiger Forschungsgelder nur ein detailliertes Modell. Die „Biotektur"-Projekte des deutschen Architekten Rolf Doernach reichten von einem .Bauernhof in der Nähe von Stuttgart aus lebenden, zu Gewölben gebogenen Haselnußsträuchern bis zu einer Stadt im Meer, umgeben von einer krebsähnlich aufgebauten Kuppel, die auf einem versenkten, kugelförmigen Grundgerüst verankert ist. Aber auch er war damit nicht erfolgreicher." Mason baute später noch einige .organisch' besprühte Betonhäuser, die als ,Häuser der Zukunft' angekündigt wurden, doch auch sie konnten sich nicht von dem in herkömmlichen Häusern üblichen Energieverbrauch abkoppeln. Wo sich utopische Städte bereits im Bau befanden, wie etwa Paolo Soleris Arcosanti in Arizona, trugen die verspätet eingebauten Sonnenkollektoren nur wenig zur Beseitigung dieses entscheidenden Schwachpunkts bei. Glen Small ist ein weiterer amerikanischer Architekt, der in den siebziger Jahren nicht nur der Schule der „Biotektur" angehörte, sondern bis zum heutigen Tage unbeirrt mit seinen Versuchen fortfährt, die „Ökologie und Energie in die Architektur zu integrieren, bevor es zu spät ist"' 2 . In den frühen siebziger Jahren begann er neben der Lehre und der praktischen Arbeit in Los Angeles die Planung eines eigenen, nicht sehr bekannten Projekts von wirklich Fullerschem Ausmaß. Die „Biomorphe Biosphäre" war so gewaltig und amorph, daß die baulichen Details und Fragen der Versorgung nie vollständig erarbeitet wurden. Sie sollte eine organische Megastruktur für die gesamte Bevölkerung von Los Angeles sein. Auf einer Länge von 75 Kilometern und mit einer Höhe von fast 2400 Metern konnte die Biomorphe Biosphäre 11 Millionen Menschen aufnehmen, während das Land darunter wieder zu Wildnis werden sollte. „Sie ist wie ein riesiger hohler Berg, der an nur wenigen Punkten auf der Erdoberfläche aufliegt", lautete Smalls ursprüngliche Beschreibung. Er war damals der Ansicht, und ist es immer noch, daß nur solch massive bio-architektonischen Eingriffe die Zerstörung der Biosphäre durch Verschmutzung und

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74 Eine echte Megastruktur. Die 150.000 Quadratmeter große Auffangfläche für Regenwasser in Gibraltar, die die Bewohner im Falle einer Belagerung mit Trinkwasser versorgen sollte

75 Biomorphe Biosphäre von Glen Small, 1975. Los Angeles in Form einer autarken, gigantischen Megastruktur, die eine H ö h e von 2.400 Metern erreicht

Ausbeutung der Ressourcen verhindert könnten. Seine Biomorphe Biosphäre sollte durch die Nutzung der Solarenergie, durch winderzeugte Elektrizität, aufgefangenes Kondenswasser und den Anbau von Pflanzen auf Hydrokulturbasis unabhängig von anderen Energieträgern sein. Auch der gesamte Abfall würde selbst recycelt werden. Der Innenraum dieses Hohlkörpers wäre so riesig gewesen, daß es in unterschiedlicher Höhe verschiedene klimatische Bedingungen gegeben hätte. Der Entwurf wurde zum ersten Mal 1975 veröffentlicht, doch Small arbeitete bis 1980 an seinem Projekt der Biomorphen Biosphäre. Er unternahm enorme Anstrengungen, um große amerikanische Unternehmen wie IBM, Disney und General Motors für sein Projekt zu gewinnen und appellierte sogar persönlich an verschiedene US-Präsidenten und Persönlichkeiten wie Howard Hughes, Armand Hammer und Robert Redford, sobald sie in ihren Reden ein gewisses Interesse für den „biotektonischen" Ansatz anklingen ließen. 1978 schrieb Small sogar in Anlehnung an Ayn Rands Roman Der ewige Quell ein Drehbuch, in dem sein Architekten-Held sogar eine Biomorphe Biosphäre baut. Von Erfolg waren seine Bemühungen nicht gekrönt, doch 1980 ergab sich als Folge einer Ausstellung in der Los Angeles City Hall die Möglichkeit, mit übereinandergestapelten Caravans in einem mehrgeschossigen Gewächshaus einen Prototyp zu bauen. Die Stadtverwaltung von Los Angeles beschloß angesichts des großen Mangels an billigem Wohnraum, die Kosten für den Bau einer „Grünen Maschine", wie Small diesen für Santa Monica geplanten Prototyp nannte, zu übernehmen. Doch selbst dieses Projekt scheiterte letztlich aufgrund der veränderten Mehrheitsverhältnisse in der Stadtregierung. Ein enttäuschter Small, der sich selbst inzwischen angesichts seines Scheiterns nicht mehr als „biologischen Architekten", sondern als „Papierarchitekten" bezeichnet, kehrte in die Lehre und in sein bescheidenes Ein-Mann-Büro zurück, gab aber seine Vorstellung einer wirklich energiesparenden Architektur nicht auf. Berichte über die „Grüne Maschine" drangen bis nach Japan, wohin er, wie Fuller vor ihm, eingeladen wurde, diesmal um der Takenaka Construction Corporation Vorschläge zu unterbreiten; Aufträge folgten daraus aber keine. 1983 entwarf Small ein weiteres Projekt, das er „Turf Town" nannte und in dem er die natürliche Umgebung in das strenge Straßenraster von Los Angeles integrierte. Das Projekt basierte auf dem Bau von vier .Urbanen Solarbergen', die jeweils eine Straßenkreuzung überspannen und in einem Winkel von 28 Grad für eine optimale Besonnung aufgerichtet sind. Diese am südlichen Rand bis zu 60 Meter hohen Berge sollten an den Straßenseiten Gewerbeflächen anbieten - „eine bewußt starke, für das freie Unternehmertum stehende

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7 6 Turf Town [Rasenstadt] von Glen Small, 1986, eine natürliche Umgebung, die in das Straßennetz von Los Angeles integriert wurde

77 Turf Town von Glen Small, 1986. Raffinierter, auf einem genau nach der Sonneneinstrahlung berechneten Hang gebauter Kompromiß

Kommerzialisierung", wie der verbitterte Small dies ausdrückte. Somit entstand ein überdurchschnittlich hoher Grundstücksanteil für eine gewerbliche Nutzung im Gegenzug zur Schaffung einer „nicht unterbrochenen Grünfläche" innerhalb der durch die Bauvorschriften der Stadt vorgegebenen Grenzen. „Turf Town" war zwar viel kleiner als die Biomorphe Biosphäre, beinhaltete aber dennoch alle neuen Disziplinen, die aus der Modernen Architektur zusammen mit einem tatsächlichen Interesse für die Fragen der Energieeinsparung und Ökologie überall hätten entstehen müssen. 13 Sie war einer der letzten und vielleicht der genialste und zugleich versöhnlichste Entwurf der Zeit der Energiekrise, doch auch für dieses Projekt fand sich keine Form der Finanzierung und Vermarktung. Mit diesen wenigen, in der Folge der Energiekrise entstandenen Projekten endete auch das Interesse an einer grundlegenden Umgestaltung menschlicher Siedlungen nach ökologischen Gesichtspunkten, da mit der zunehmenden Schwächung der OPEC-Länder keine unmittelbare Gefahr mehr für die weltweiten Energievorräte bestand. Die gigantischen Megastrukturen von Planern wie Fuller wurden als erstes fallengelassen, und viele anderen folgten. Eine Zeitlang waren Architekturzeitschriften voll mit Abbildungen von riesigen Sonnenkollektoren und Dächern mit Windmühlen, doch sie wandelten sich recht schnell zu stilisierten Versionen ihrer selbst und ebneten damit den Weg für die ersten dekorativen Auswüchse der Postmoderne. In der Realität der Stadtplanung zählten bald nur noch wirtschaftliche Gesichtspunkte, und eine engstirnige Ideologie des Marktes trat an die Stelle der Visionen der .biologischen Architektur'. Auch auf der Ebene des Hausbaus war das anfängliche Interesse an alternativen Energien nicht von langer Dauer. „Solarhäuser" wichen schon bald bescheidenen Wintergärten und mehr oder weniger bedeutungslosen Wärmespeichern, die immer unauffälliger und konventioneller aussahen. Man baute neue doppelt- und dreifachverglaste Fenster, obwohl Architekten wiederholt auf die fragliche Rentabilität dieser Maßnahmen in gemäßigten Klimazonen hingewiesen haben, und man schaffte Wärmedämmung durch Wände aus Hohlkammersystemen, wovor ebenfalls gewarnt wurde, weil die Dampfdiffusion zur Schadensquelle werden kann, und so schössen in beiden Branchen entsprechende Dienstleistungsbetriebe wie Pilze aus dem Boden. Auf der Ebene des Entwurfs wurde die Ausrichtung des Gebäudes zu einem wichtigen Faktor, vergleichbar mit der Ausrichtung der Montagekräne zur optimalen Nutzung auf dem Höhepunkt des Systembaus in der Nachkriegszeit, doch genauso schnell wich dieses Interesse der Frage, wie möglichst viel

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78 Round House von Keith H o m e , 1986, ein .Niedrigenergiehaus', das in sehr abgewandelter Form in Milton Keynes gebaut wurde

79 Die neue Börse in Hongkong, 1986. Dieses aus den achtziger Jahren stammende, energieverschlingende Finanzdienstleistungsgebäude war vielleicht der einzig wirkliche Sprößling der Energiekrise der siebziger Jahre.

Wohnraum auf oft ungünstig gelegenen Bauplätzen geschaffen werden kann, wobei der Energieverbrauch kein Thema mehr war. Doch die bemerkenswerteste und paradoxeste Folge der Energiekrise gab es trotz der Fülle von Entwürfen für .Solarhäuser' und .Energiesparhäuser', die diese Entwicklung angekündigt hatten, nicht im Bereich der Wohnbauten. Sie waren auch nicht bei Industriebauten zu finden, in denen die im Produktionsprozeß verbrauchte Energie die für Heizung und Klimatisierung eingesetzte Energie bei weitem überstieg, und deshalb die größten Energieeinsparungen wenngleich auf der Basis eines sehr hohen Ausgangswertes - durch computergesteuerte Energie-Management-Systeme erreicht wurden. Die einzig wirkliche Veränderung fand bei den Geschäfts- und Bürohäusern statt, in denen der erhöhte Einsatz an Informationstechnologie einen völlig neuen Gebäudetyp entstehen ließ, der selbst in kalten Klimazonen architektonische Lösungen für die Entsorgung der durch die technischen Geräte und Computer anfallenden W ä r m e bieten mußte. Ironischerweise wurde das Problem der Wärmeentsorgung durch einen noch höheren Energieverbrauch in Form der Kühlung der Räume gelöst. Dieser als Finanzdienstleistungsgebäude bezeichnete, auch Superbank genannte Gebäudetyp geht zurück auf die synergetische Verbindung der modernen Stahlrahmenkonstruktion, der Satellitenkommunikation zwischen Finanzplätzen und der Reinvestition des in den OPEC-Staaten aufgrund des Preisanstiegs von 1974 und 1979 entstandenen gigantischen Ölreichtums in die Volkswirtschaften des Westens. Diese drei Entwicklungen ließen aus dem nationalen Bankwesen einen modernen Finanzdienstleistungssektor entstehen, aus dem sich in der Folge auch der globale Wertpapiermarkt entwickelte. Dieser Markt wiederum ließ die Superbank entstehen, hell erleuchtet und mit einer Fülle von Bildschirmterminals in ihren riesigen, voll computerisierten Geschäftsräumen, die auf 8 Quadratmetern 500 Watt Wärmeenergie und mehr erzeugen. Diese Informationstechnologie und die durch sie entstehende Wärme macht eine gigantische Menge an Kabeln und Kühlungsrohren notwendig, die in aufgeständerten Böden, abgehängten Decken und Steigleitungen verlaufen. Ironischerweise ist dieses Monster von der Größe eines Flugzeugträgers die einzig wirkliche und perverse architektonische Neuschöpfung aus der Zeit der Energiekrise.

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Anmerkungen

1 M. Hannon, R. G. Stein, Β. Ζ. Segal, P. F. Deibert, M. Buckley, D. Nathan, Energy Use for Building Construction (Energy Research Group, Center for Advanced Computation, University of Illinois at Urbana Champaign; Richard G. Stein und Partner, New York, NY, ERDA Contract no. EY-76-S-02-27911, Oktober 1977). Ein anderer der „Schnappschuß"-Berichte, diesmal von der Environment Protection Agency (Feasibility of Using Solid Wastes for Building Materials, Report EPA 600/8-77-006) hat festgestellt, daß sogar fast die Hälfte der 3 Milliarden Tonnen fester Abfallstoffe, die in Bergbau, Landwirtschaft, Industrie und Konsum in den USA anfallen, als Füllstoffe, Basisstoffe und Bindemittel beim Bau Verwendung finden könnten. Leider mußte man aber auch daraufhinweisen, daß die meisten Abfälle im Bereich des Bergbaus entstanden, der meist zu weit von den großen Bevölkerungszentren entfernt war, wodurch ein solcher Transfer deutlich erschwert wurde. 2

Dieser Begriff stammt aus einer bekannten Bemerkung von Mies van der Rohe: „Es liegt uns gerade daran, die Bauerei von dem ästhetischen Spekulantentum zu befreien und Bauen wieder zu dem zu machen, was es allein sein sollte, nämlich BAUEN." G. Material zur elementaren Gestaltung, Nr. 2, 1923, S. 1.

3 Buckminster Fuller, The Buckminster Fuller Reader, James Melier, Jonathan Cape (Hg.), 1970 4 Zusammenfassung der „Energy Conservation R & D - 1" in: Building Research and Practice (Juli/August 1981) B. R. E„ Garston, S. 210 5 Investing to Save Energy, Europäische Kommission, Brüssel, November 1981 6 Die Folgen dieses kurzsichtigen Denkens traten bald zutage. 1983 waren, nach Angabe des Londoner Bezirks Camden, 20 Prozent aller Gebäude von feuchten Wänden betroffen. 1983 warnte Dr. William Allen, Sachverständiger für Bauschäden und früherer Direktor des Building Research Establishment, vor den ernstzunehmenden Folgen bei der Verwendung herkömmlicher Verkleidungsmaterialien über gut gedämmter Bausubstanz: „Ich glaube, daß in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren schadhaftes Mauerwerk sehr häufig sein wird." (Building, 23. September 1983). Zwei Jahre später warnte Allen vor den Feuchtigkeitsproblemen, die aufgrund der starken Dämmung und der dadurch häufig zu wenig durchlüfteten Räume auftraten. „Vor dem Krieg tauschte sich die Luft ca. 12 bis 15 mal pro Stunde aus, vor allem wegen der offenen Kamine. In stark gedämmten modernen Häusern kann diese Rate auf 0,5 pro Stunde fallen" (BuildingDesign, 3. Mai 1985). 1989 gab der Vorstandsvorsitzende der RIBAVersicherung an, 90 Prozent der Versicherungsfälle von Architekten stünden im Zusammenhang mit Feuchtigkeit (BuildingDesign, 6. Januar 1989). Weitere Probleme, wie die Bildung von Radongas in schlecht belüfteten Räumen, sind in den vergangenen Jahren ebenfalls bekannt geworden. 7 Architectural Design, „Richard Buckminster Fuller Retrospective", Interview mit Michael Ben-Eli (Dezember 1972)

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8 9 10 11 12 13

Dieses Projekt war ursprünglich 1967 von Reed Shinn für die Zeitschrift Playboy optisch aufbereitet worden. Architectural Design (Dezember 1972), S. 764 Roy Mason, „Biological Architecture: A Partnership o f N a t u r e a n d M a n " , The Futurist, Bd. XI, Nr. 3 (3. Juli 1977) Ebd. Im Gespräch mit dem Autor im April 1988 Biomorphe Biosphäre, „Green Machine" und „Turf Town" wuden alle mit Hilfe von Studenten am Southern California Institute of Architecture entwickelt, an dem Glen Small auch 1989 noch lehrte.

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5 Information - die ,gotische Lösung'

„In einem Büro braucht man lediglich einen Tisch und einen Stuhl in der Nähe eines Fensters sowie einige elektrische Drähte. " Quinlan Terry, 1988

In den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich die Information wie ein Virus im Körper der Architektur ausgebreitet. Unbemerkt von den meisten Architekten und unbeachtet vom Großteil der Architekturhistoriker und -kritiker, hat sie den Charakter der Architektur tiefgreifender und radikaler verändert als irgendeine andere technische oder stilistische Neuerung seit Beginn der Moderne. Um in der Geschichte eine vergleichbare Zeit der informationsbedingten Veränderung zu finden, muß man über 800 Jahre bis zur Blütezeit der gotischen Architektur zurückgehen, die mit dem Bau der Benediktinerabtei von Saint-Denis bei Paris durch Abbé Suger im Jahre 1144 einsetzte. Gotische Kathedralen als die historischen Vorläufer unserer heutigen papierlosen Büros und des modernen elektronischen Börsensaals - diese Vorstellung mag auf den ersten Blick überraschen. Der Grund dafür liegt in einem neuen Verständnis der Funktion gotischer Architektur, das sich meines Wissens an keiner akademischen Tradition orientiert. Wie dem auch sei, die Parallele gibt Aufschluß über die eigentliche Auswirkung der Informationsrevolution des Zweiten Maschinenzeitalters auf die Architektur. Es gibt viele Definitionen der gotischen Architektur. Sie reichen von Konstruktions- und Raumanalysen bis zu abstrakten Beschwörungen einer uralten und unnahbaren spirituellen Kraft. Am häufigsten wird jedoch ganz einfach der Spitzbogen als charakteristisches bauliches Merkmal bezeichnet. In rein gotischen Bauten war dieser Bogen das Grundelement eines konstruktiven Systems sich wiederholender Gewölbefelder, in denen Steinrippen zusammenliefen und in die das steinerne Maßwerk eingesetzt werden konnte. Der Gewölbeschub wird von Strebebögen und Strebepfeilern aufgenommen und auf die

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Fundamente übertragen. Der Spitzbogen war das charakteristischste Merkmal der gotischen Architektur, doch die wesentliche Neuerung war das kühne System der Lastübertragung, denn in die somit nicht mehr tragenden Wände konnten nun Fenster noch nie dagewesenen Ausmaßes eingebaut werden. Dies ist eine kurze Beschreibung der gotischen Architektur. Doch bei all diesen Betrachtungen wird im allgemeinen nicht beachtet, daß die Gotik so etwas wie eine treibende Kraft war. Natürlich diente die gotische Architektur der Kirchen und Kathedralen in erster Linie kirchlich-religiösen Zwecken, wobei sich allerdings die Frage stellt, inwieweit die Kirche von diesen bautechnischen Glanzleistungen profitierte, die in einigen Fällen so ehrgeizig waren, daß Gebäude sogar einstürzten und entweder völlig neu aufgebaut oder aufgegeben werden mußten. Die Antwort liegt nicht in der aufsehenerregenden Kühnheit der völlig neu entwickelten tragenden Steinkonstruktionen, sondern vielmehr im Informationsgehalt der entscheidenden neuen Konstruktionselemente, den spektakulären Gebäudehöhen und riesigen Fensteröffnungen, die erst durch das einzigartige System der Lastübertragung möglich wurden. Mit der fortschreitenden Entwicklung der gotischen Architektur wurden die Bauten immer höher und die Öffnungen in den nicht tragenden Wänden zwischen den Strebepfeilern immer größer. Bei beidem handelte es sich aber keineswegs um rein gestalterische Mittel. Der hohe, verhältnismäßig schmale, für die Akustik nutzbare Raum des gotischen Kirchenschiffs brachte noch nie dagewesene Nachhallzeiten 1 , was den vielstimmigen Gesängen und Chorälen jener Zeit entgegenkam und bei den Zuhörern einen geradezu überwältigenden Eindruck hinterließ. In gleicher Weise waren auch die Fenster nicht mehr nur Öffnungen, um Licht in das Gebäude zu lassen, sondern wurden zu durchscheinenden farbigen Bilderwänden aus bunten Glasmosaiken. Zusammen mit der immer noch erstaunlichen Akustik machen die bis in die heutige Zeit erhaltenen Reste der Bildersprache der riesigen Fenster deutlich, daß diese Bauten letztlich präelektronische Informationssystemen waren. Für die damalige Feudalgesellschaft war der — heute so bezeichnete — Informationsgehalt der religiösen Klänge und Bilder gotischer Kathedralen Erklärung genug für ihre Größe und Dimension, so wie die elektronische Informationstechnologie unserer modernen Finanzdienstleistungsunternehmen Gebäude mit weiten, von Stützen getragenen Räumen und durch Deckenplatten unterteilte Höhen erforderlich machen. So gesehen, wird die gotische Architektur, der sonst eher die Mystik des Mittelalters anhaftet, zu einer Informationsarchitektur und damit auch nach heutigen Maßstäben verständlich, denn die spektakulären Gebäudehöhen und riesigen Fenster dienten der großen Masse der Menschen als wichtige Informationsquelle. 154

Eine wirkliche Analogie zur Gegenwart besteht natürlich nur unter der Annahme, daß diese Lehr- und Informationsfunktion aufgrund der ihr zugeschriebenen großen Bedeutung zur treibenden Kraft hinter den Meisterleistungen der gotischen Bauwerke wurde. Welche Beweise gibt es dafür? Dokumente aus dieser Zeit geben keinen Aufschluß darüber, aber moderne akustische Messungen bestätigen, daß die extrem langen Nachhallzeiten der gotischen Kathedralen in engem Zusammenhang mit deren Höhe und Form stehen und nur für die Art von Musik geeignet sind, die damals darin gemacht wurde. In derselben Weise können auch Inhalt und Form der gotischen Fenster betrachtet werden. Zum einen gibt es den unbestreitbaren Informationsgehalt des mittelalterlichen Buntglases, der weiterhin besteht oder aufgrund von Überresten in den großen Kathedralen Europas vermutet werden kann, zum anderen genau jene Gestaltungselemente, die sich aus der Unterordnung der Konstruktion unter die Akustik und die Zurschaustellung riesiger, vom Tageslicht beleuchteter Bilder ergeben würden. In Canterbury, der ersten vollständig im gotischen Stil gebauten, den französischen Vorbildern nachempfundenen und sogar von einem französischen Meister entworfenen Kathedrale Englands, erfüllt der unterhalb des Gewölbes in einem breiten Band verlaufende Lichtgaden im Chor eindeutig einen didaktischen Zweck. Er besteht aus einer Serie von 88 Bildern, die zusammen den Stammbaum von Adam bis Jesus Christus bilden, wie er im Lukasevangelium beschrieben ist. 45 Bilder davon sind heute noch zu sehen. Das große Westfenster der Kathedrale sollte ebenfalls die Menschen belehren 2 ; hierzu gehörten Bilder der Propheten und Apostel sowie eine Serie von 21 Bildern mit den Königen von England, von Knut bis Heinrich VI., von denen noch acht erhalten sind. Die Tatsache, daß einige Bilderfenster älter sind als der sie umgebende Bau, widerspricht natürlich in keiner Weise der Theorie, wonach ihr Einbau der eigentliche Grund für diese Architektur war. Die zweite Behauptung, die Hauptfunktion der Kathedralen liege in der optimalen Übertragung von Klängen und Bildern, kann mit der Anordnung der Stützen bei gotischen Bauten untermauert werden. Sie sind hier nach außen verlagert, während die Innenseiten der Fensterwände glatt und ohne Vorsprünge sind, um einen möglichst großen Blickwinkel auf die Fensterflächen zu gewährleisten und die Verkürzung der Nachhallzeit zu vermeiden. Hier handelt es sich eindeutig um einen funktionalen Entwurf, der in den großen gotischen Kathedralen ebenso selbstverständlich zum Ausdruck gebracht wird wie in über Oberlichter belichteten Museen von heute oder in der ebenso kompromißlosen Gestaltung moderner Finanzdienstleistungsgebäude nach den Gesichtspunkten der Informationstechnologie. Das oberste Gebot beim 155

81 Das Schiff der Kathedrale von Canterbury enthält alle Elemente des .solaren Informationssystems' der Gotik.



82 Südwestansicht der Kathedrale von Canterbury. Außen verlaufende Stützpfeiler für einen freien Innenraum - wie bei High-Tech-Bauten

Entwurf in der Gotik war die Optimierung der eigenen , vokalen' und .solaren' Informationssysteme, die auf dem natürlich verstärkten Klang und dem durch die großen Glasbilder ins Innere dringenden .farbigen Licht' beruhten. In Chartres, der definitiven gotischen Kathedrale, die Pevsner in einer interessanten Wortwahl als „final solution" 3 beschreibt, sind 166, also etwa drei Viertel der aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden Originalfenster erhalten. Sie alle stellen biblische Geschichten dar. Unbestritten ist in diesem Fall, daß die Konstruktion dieses Bauwerks so spektakulär angelegt war, damit riesige Maueröffnungen geschaffen werden konnten. Die Seitenwände sind dreigeteilt, wobei nur die Arkaden und der Lichtgaden gleich hoch sind und die Emporen zugunsten erweiterter Fensteröffnungen im darüberliegenden Bereich aufgegeben wurden. Diese Öffnungen nehmen den ganzen Raum unter den Gewölberippen ein. Gotische Kathedralen und Kirchen dienten vor allem in Frankreich, wo die gotische Architektur ihre Ursprünge hat und die extremsten Blüten trieb, aber auch im restlichen Europa als öffentliche Informationsbauten. Ihre riesigen Fenster waren Bildschirme, die mit Hilfe des natürlichen Tageslichts visuelle Informationen an eine große Anzahl von Menschen weitergeben sollten und in ihrer Art durchaus mit der Projektion künstlichen Lichts auf eine Kinoleinwand des zwanzigsten Jahrhunderts vergleichbar sind. Und so wie es heute für die bauliche Gestaltung eines Kinosaals keine andere Erklärung gibt als die sich aus der Projektion bewegter Bilder für ein großes Publikum ergebenden funktionalen Erfordernisse, gibt es für die Konstruktion und Größe einer gotischen Kathedrale keine bessere Erklärung als die funktionalen Erfordernisse ihres Informationssystems. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß sich der Autor sehr wohl bewußt ist, damit eine funktionale Erklärung für etwas zu liefern, das gemeinhin als geistlich-religiöses, wenn nicht gar als mystisches Phänomen betrachtet wird. Der Leser mag vielleicht den Eindruck gewinnen, den vielfältigen und vielschichtigen Leistungen der gotischen Baumeister, denen es immer wieder gelang, Konstruktion, Dekoration und Information mit atemberaubender Klarheit und großem Mut in einer einzigen riesigen Raumhülle zu vereinen, werde damit nicht ausreichend Rechnung getragen. Denn neben der Achtung vor der Andersartigkeit eines anderen Zeitalters ist es durchaus von Bedeutung, historische Parallelen zu ziehen - wenn dies möglich ist. Die großen Buntglasfenster der gotischen Kathedralen und letztlich all deren Nachfolger vom zwölften bis zum neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert in Köln, Truro und Coventry werden viel verständlicher, wenn man sie als Vorläufer von ,Farbdias' in riesigen .Tageslichtprojektoren' mit einem eigenen durch die Gebäudehöhe 158

82 Reproduktion eines gotischen Fensters aus dem 19. Jahrhundert im Kölner D o m , eine mit einer Dia-Show vergleichbare bildliche Erzählung °

O O R

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83 renster des John-l J iper-Baptistenums

optimierten natürlichen Klangsystem betrachtet, und nicht als abstrakte Skulpturen. In diesem Sinn kann auch der Entwurf der gotischen Kathedralen mit dem Entwurf für das Guggenheim-Museum von Frank Lloyd Wright verglichen werden. 1949, in der Glanzzeit des Kinos, eines anderen Informationsgebäudes, plante Wright seine berühmte spiralförmige Rampe mit einem durchlaufenden Fensterband, die nur aufgrund seiner Vorstellung entstand, Tageslicht auf die wie auf Staffeleien schräggestellten Gemälde fallen zu las4

sen. Sieht man einmal von der geistlich-religiösen Funktion ab, läßt sich das Informationssystem der gotischen Kathedrale in seiner baulichen Ausprägung mit der Camera obscura, der Laterna magica, dem Filmprojektor und den heutigen Ausstellungsräumen mit Bildschirm- und Diawänden vergleichen. So wie sich die natürlichen akustischen Eigenschaften eines solchen Bauwerks heute auch ohne diese extreme Raumhöhe elektronisch erzeugen lassen, brachte man auch den Informationsgehalt ihrer Buntglasfenster mit dem Entstehen des Films und analoger Geräteanzeigen auf ein Kleinstformat, das dieselbe hohe Informationsdichte enthält und sogar durchaus eine gewisse äußere Ähnlichkeit besitzt. Zwar war das Informationssystem der gotischen Fenster nicht elektronisch, doch es prägte die Entwicklung der gotischen Architektur in genau der gleichen Weise, wie die Erfordernisse unserer heutigen elektronischen Informationssysteme die Entwicklung der heutigen Architektur beeinflussen. In der Gotik waren die Bilder unmittelbar vor dem Auge des Betrachters und wurden nicht elektronisch übertragen; somit mußte man beim Entwurf der Kirchen und Kathedralen weder Kabel noch Schächte oder die Wärmeentwicklung elektrischer Geräte berücksichtigen. Dennoch enstanden durch die großen Bilder, die viele Menschen gleichzeitig betrachten sollten, ganz spezifische Anforderungen an den Raum. Heute führt die Notwendigkeit hunderter einzelner Bildschirm-Arbeitsplätze in unseren Profanbauten zu einer anderen, aber doch analogen Ausnutzung des Raums in der Vertikalen und Horizontalen. Dies ist derzeit die bekannteste Auswirkung der Informationstechnologie auf den Entwurf moderner Bauten, doch die langfristigen Konsequenzen dieser Entwicklung werden unterschätzt. Man kann sie letztlich mit der Spitze eines gewaltigen Eisbergs vergleichen, der den schmalen Schutzwall zu durchbrechen droht, hinter dem wir entschieden an der Vorstellung festhalten, daß das Produkt unserer gebauten Umwelt immer noch Architektur und nicht Information sein soll. Heute werden Informationen über Identität, Richtungen und Wege, Kaufentscheidungen und Denkweisen im Gegensatz zur Gotik nicht mehr durch Form

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8 4 Selbst einfachste I n f o r m a t i o n schlägt a u f w e n d i g e a r c h i t e k t o n i s c h e G e s t a l t u n g als B e d e u t u n g s t r ä g e r in unserer U m w e l t .

und Erscheinung vermittelt. Statt dessen wurde unsere gebaute Umwelt von einem umfassenden und eigenständigen semiotischen System überlagert. Würde man einen Besucher vom Mars zum Beispiel um seine Meinung über die Architektur der Innenstadt von Manchester bitten, könnte ihn die Frage durchaus verwundern. Nach Angaben des englischen Automobilclubs befinden sich an der Kreuzung der A56, A57 und A 5 7 M vor vielleicht sechs Gebäuden nicht weniger als 150 Wegweiser, Hinweisschilder auf Gebäude und Geschäfte und Werbeanzeigen. Will man hier nur die Gebäude und nicht die Schilder betrachten, muß ein großer Teil der visuellen Information herausgefiltert werden, was letztlich gleichbedeutend mit einer unfreiwilligen Zensur der uns umgebenden Wirklichkeit ist. Somit ist ein Zusammenhang zwischen der gotischen Kathedrale und dem modernen Finanzdienstleistungsgebäude durchaus vorstellbar; und von den flimmernden Bildschirmen in den Börsensälen zu den Makro-Zeichensystemem der Autobahnkreuze oder von dort zum Mikro-Zeichensystem unserer Zeitungen und Zeitschriften ist es nur mehr ein Schritt. Bei all diesen Fällen macht einzig und allein der Prozeß der selektiven Wahrnehmung die Umwelt verständlich. Würden wir plötzlich keinen Unterschied mehr zwischen der Werbung und den Artikeln in einer Zeitschrift machen, fänden wir uns in einer chaotischen Welt ständiger, gleichzeitiger Informationsübermittlung wieder. Als würde man die Flut an Informationen, die über den Sport unter der Bezeichnung Sponsoring hereingebrochen ist, betrachten statt sie zu filtern, wobei nicht nur jeder Grand Prix-Rennwagen voller Werbebotschaften ist, sondern sogar die Rennanzüge und Helme der Fahrer für Werbezwecke gemietet werden können. 5 Der Einwand, diese Praxis sei unbedeutend, gibt Anlaß zu der Frage: .Unbedeutend für wen?' Denn genauso, wie es in Manchester ohne den Schilderwald keinen reibungslosen Verkehrsfluß gäbe, gäbe es keine berühmten Grand Prix-Rennfahrer, wenn sie nicht sogar die Kleidung, in der sie stecken, vermarkten könnten. In der modernen Welt haben wir es mit einer Vielzahl unterschiedlichster und unzusammenhängender Zeichensysteme zu tun, die weit in die Geschichte zurückreichen und deren vielleicht älteste und am meisten überlagerte Repräsentantin die Architektur ist. Die Unvereinbarkeit dieser einander überlagernden Systeme wird heute nur noch durch den Filtereffekt unserer erlernten selektiven Wahrnehmung korrigiert, die allerdings immer mehr ge- und überfordert wird. Das akustische Durchsack-Warnsignal ist zum Beispiel nur eingebaut, weil die visuelle Aufnahmekapazität der Piloten bereits überlastet ist. Wenn der Flugkapitän eines 150 Tonnen schweren Verkehrsflugzeugs mit 500 Personen an Bord und einer Geschwindigkeit von 800 km/h komprimierte, ver-

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85 Der Airbus A 320, das erste Verkehrsflugzeug mit voll integrierten Bildschirmanzeigen gar nicht so weit entfernt von Pipers Fenster in Coventry

stärkte u n d analytische Informationen benötigt, im Prinzip also eine digitalisierte Version des gotischen Fensters, so brauchen auch wir, die Einwohner einer fragmentierten, entwurzelten, schnellebigen, auf die Sinneswahrnehmung konzentrierten Welt aus Zeichen u n d Symbolen eine integrierte ,Informations-Umwelt', die effizienter ist als ein Hintergrund aus verschiedenen Architekturstilen, der mit Informationen aller Art verdeckt wird. Das großartige gotische Informationssystem lehrt uns, daß der gegenwärtige Zustand der verschwenderischen u n d verwirrenden Informationsüberlagerung nicht von Dauer sein m u ß . Trotz der heutigen Nachhutgefechte der reaktionären Denkmalschützer u n d ästhetischen Spekulanten wird sich die gebaute Umwelt nicht bis in alle Ewigkeit mit nur widerwilligen u n d vereinzelten Anpassungen an den radikalen Imperativ der Information begnügen. Das vielfach kritisierte, uns umgebende Chaos ist vielleicht tatsächlich nur eine Folge der in Institutionen u n d Akademien über dieses T h e m a vorherrschenden überkommenen und redundanten Denkmuster. Wir erkennen die .gotische Lösung', die sich bereits rings um uns abzuzeichnen beginnt, nur deshalb nicht, weil wir uns nicht mit dem Abstand von Jahrhunderten betrachten können. Wenn die Kirchenbaumeister der Gotik eine Architektur finden konnten, die den Informationsgehalt ihrer Kultur umfassend zum Ausdruck brachte, m ü ß t e n wir das mit den entsprechenden Anpassungen auch können. Wenn die Analogie zur Gotik stimmt, wäre der nächste Schritt in der Architektur eine Reintegration der gebauten Umwelt in die sie überlagernden Informationssysteme, die inzwischen deren eigentliche Aufgabe ü b e r n o m m e n haben. „Leider wurde aus der Technik ein unhaltbares kleines Biest", schrieb der Architekt T h e o Crosby 1987, „das sich von einer soliden viktorianischen Maschinenästhetik viel zu schnell in ein Bündel von Drähten u n d Chips verwandelte." 6 Crosby bezog sich dabei auf die Informationsrevolution, die in den letzten Jahrzehnten eine massive Verlagerung der industriellen Wirtschaft hin zur Informationswirtschaft mit sich gebracht hat. U n d de Marillac machte folgende Beobachtung: „Während wir jahrelang Lippenbekenntnisse zum ,Informationszeitalter' ablegten, waren wir uns nie wirklich über die Konsequenzen im klaren u n d verschließen auch heute noch die Augen vor dessen Realität. Die steigende Rate, mit der mittels von Information gesteuerter, statt von M ä n n e r n und Frauen bedienter Maschinen Geld für unsere Unternehmen verdient wird, hat viel größere Auswirkungen, als uns bewußt ist." 7 Crosbys Beobachtungen stimmten zwar, kamen aber ziemlich spät. Bereits zwanzig Jahre zuvor hatte der amerikanische Architekt Edgar K a u f m a n n Jr. mit bemerkenswertem Scharfsinn eben diese Revolution nicht als den Nieder-

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gang einer Technologie bezeichnet, sondern als Beweis für den Beginn eines neuen Zeitalters der Vergänglichkeit oder „Ephemerisierung", um mit Richard Buckminster Fuller zu sprechen. „Die Technik wird zunehmend immaterieller", schrieb Kaufmann 1966, „sie ist in zunehmendem Maße elektronisch und immer seltener mechanisch, wodurch dem Architekten die Bildersprache der Technik leicht entgleiten kann." Für Kaufmann war dieses Entgleiten aber kein Grund dafür, die Jagd nach dem eigentlichen Gesicht der Technik aufzugeben. Für ihn boten „vergängliche Häuser" völlig neue Perspektiven, die für eine neue Wirtschaft geschaffen waren, deren Wertesystem sich nicht „am Objekt [orientiert], sondern an der Art und Weise, wie die Menschen darüber denken, wie es vermittelt wird und was man damit machen kann. [...] Angesichts der Anonymität einer von Massenproduktion und Wegwerfmentalität gekennzeichneten Welt, wird zum ersten Mal eine echte Individualität als wirkliches Gegengewicht und als wirkliche Bereicherung des Lebens möglich. Die Zukunft des Design liegt im Situations-Design und nicht im Produkt-Design; Produkte setzen Situationen nur um."8 Da der Apparat der Informationswirtschaft aus kapitalintensiven, dezentralisierten Installationen und nicht aus vielen, öffentlich zur Schau gestellten Objekten besteht, wurde er verkleinert, privatisiert und versteckt. Für die Architektur hatte das eine veränderte Wahrnehmung zur Folge, in der die alte industrielle Technik jeglichen kulturellen Wert verloren hat. Ob nun zu Recht oder zu Unrecht, sie ist jedenfalls keine Quelle der kreativen Inspiration mehr. Selbst dort, wo die industrielle Infrastruktur, wie im Falle des Autobahnnetzes, allgegenwärtig und nicht zu übersehen ist, wird sie von den meisten Architekten dennoch als fremde Macht angesehen, die es durch Unternehmen vor Ort zu bekämpfen, zu verzögern und umzulenken gilt. Die architektonischen Maßnahmen, die sich heute durch die von Kaufmann und Crosby erkannte Ephemerisierung ergeben, sind in höchstem Maße reaktionär. Anstatt sich auf die Ephemerisierung einzulassen, werden Nachhutgefechte gegen die Welt der Maschinen ausgetragen. Und selbst da, wo sie unsichtbar sind, was bei den Maschinen der Information tatsächlich der Fall ist, werden sie dennoch hinter einer scheinbar alten Hülle versteckt. Die daraus resultierende, endgültige Trennung von äußerer Form und innerer Funktion ist die einzige, historisch wirklich bedeutende Entwicklung in der Architektur der achtziger Jahre und markiert den endgültigen Übergang von einer industriell geprägten zu einer auf Information basierenden Wirtschaft. Besonders deutlich zeigt sich diese Trennung in der Arbeit von Mönchen, die in den Mauern der aus dem sechzehnten Jahrhundert stammenden Abtei von Saint-Wandrille in Nordfrankreich an international vernetzten Computern 165

Mikrokopien herstellen, oder wenn Einzelversicherer ohne Computerausstattung in der vom Weltraumzeitalter geprägten Umgebung des neuen Gebäudes von Lloyd's Informationen noch mühsam in gebundenen Geschäftsbüchern suchen. Die postindustrielle Wirtschaft besteht ohne eine eigene affirmative Architektur. Die heute benötigte Energie wird vor allem aufgrund der Errungenschaften des Ersten Maschinenzeitalters nicht mehr mechanisch, sondern elektrisch gewonnen, und zwar mit Hilfe unsichtbarer Brennstoffe, die von irgendwo hinter dem Horizont liegenden Bohrplattformen in der Nordsee, bedrohlichen, an menschenleeren Küstenstreifen gelegenen Atomkraftwerken oder über Unterwasserkabel kommen. Die meisten Exportgüter sind keine industriell hergestellten Waren mehr, sondern formlose flüssige Brennstoffe, Chemikalien und unsichtbare Kredite. Selbst der Handel mit Waren, dessen Anteil ständig sinkt, beschränkt sich auf die Kranverladung von Containern und deren Transport zwischen anonymen Depots. Besonders wichtig ist dabei anzumerken: Die größte Einzelbranche der postindustriellen Wirtschaft, der Kauf und Verkauf von Häusern, ist eine finanzielle Transaktion und kein produktiver Prozeß, bei dem die Verknappung von Vorteil ist. Teure Häuser, deren Wert wie bei Kunstwerken steigt, wollen Verzierung und nicht Vereinfachung. Eine erfolgreiche Marketingstrategie erfordert in diesem Fall spezielle Entwurfsfähigkeiten, die nicht nur unterhalb der von der Moderne gesetzten Maßstäbe für gute Architektur liegen, sondern auch irrelevant sind für den Entwurf schnell im Wert sinkender Industrie- und Geschäftsgebäude. Natürlich gibt es auch ,Paläste', die genau auf die Bedürfnisse der ,Bildschirmarbeiter' der neuen Informationswirtschaft zugeschnitten sind, aber diese Bauten haben ein rätselhaftes Äußeres, hinter dem sie ihr aufregendes Innenleben verstecken. Die reaktionäre architektonische Kultur ist damit nicht zufrieden. Nach ihrer Vorstellung sollten sie entweder wie alte Fotografien oder — besser gesagt - wie Collagen aus alten Fotografien aussehen, die historische Motive aus der Welt des Bauens in ganz unhistorischer Art und Weise verwenden. Das Ergebnis dieser Einschränkung ist eine Architektur der Illusion, deren Mängel nur diejenigen wirklich verstehen können, die auch tatsächlich in der Informationswirtschaft arbeiten. Im Gegensatz zu Außenstehenden erleben sie täglich die fehlende Beziehung zwischen ihren cockpitähnlichen Arbeitsplätzen und dem äußeren Erscheinungsbild der Gebäude, in denen sie sich aufhalten, gleich ob es sich dabei um die Hallen der ,Science Parks', in denen sie arbeiten, handelt oder um die reich verzierten, ziegelverkleideten Fachwerkhäuser, in denen sie wohnen. Entgegen der gängigen Meinung wissen diese Arbeiter des Informationszeitalters durchaus, daß der aufwendige konstruktive Expressio-

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86 Endgültige Trennung von äußerer Form und innerer Funktion: die ehemaligen Mary Pickford Filmstudios in Baidock, Hertfordshire - heute befindet sich hinter der Studiofassade ein riesiges Kaufhaus.

nismus der Hongkong and Shanghai Bank oder des Gebäudes von Lloyd's für ihre Tätigkeit nicht erforderlich ist - auch wenn beide mit der Hingabe, wenn auch nicht mit dem gleichen Erfolg, eines gotischen Baumeisters entworfen wurden. Die Informationswirtschaft hat bis jetzt zu keiner neuen Gestaltungsform geführt und die Architekten der heutigen Banken und Bürogebäude nur vor eine neue Variante der gewaltigen Probleme gestellt, denen die Architekten der riesigen Kinos vergangener Zeiten konfrontiert waren. Wie das Bildformat des 35-mm-Films, hat auch der 992-Zeilen-Bildschirm keine ihm eigene Architektur. Abgesehen von der Größe des Zuschauerraums, beruhte sogar die Entwicklung eines markanten internationalen Stils für Kinos, der sich in den dreißiger Jahren in Gestalt der ,Kinopaläste' herausbildete, eher auf historischer Analogie als auf funktioneller Logik. Dieser erkennbare internationale Stil überdauerte aber nur knapp zwanzig Jahre, ehe er durch die dezentralisierende Wirkung von Fernsehen und Video bedeutungslos wurde. Während die viktorianische Kommunikationstechnologie gewaltige Schiffe, mächtige Brücken, Viadukte und riesige Bahnhöfe hervorbrachte, wobei bereits die viktorianische Informationstechnologie aufwendige Tageslichtbeleuchtung brauchte, Tonnen von Büchern und Papier und große Menschenmengen organisieren mußte, funktioniert die heutige elektronische Kommunikation über Satellitenverbindungen, deren sichtbare Auswirkung auf die Gestalt eines Gebäudes auf eine Satellitenschüssel auf dem Dach und Workstations in Großraumbüros beschränkt ist. Selbst die versteckten räumlichen Anforderungen der neuen Technologie sollten inzwischen, so die allgemeine Meinung, im Inneren des Gebäudes untergebracht werden und nicht als Ausrede für einen „bowellistischen" Formalismus dienen. 10 Somit ist der Versuch der High-Tech-Architektur, Servicefunktionen als konstruktive Elemente darzustellen, im Vakuum der Ephemerisierung implodiert. Toilettenmodule, Fluchttreppen und glitzernde Versorgungsschächte können durchaus von außen sichtbar sein, doch bei Koaxial- und Glasfaserkabeln, Laser- und Infrarotsignalen sind gute Zugänglichkeit und bestimmte klimatische Bedingungen entscheidender als deren Darstellungsform. Diese Kabel und Leitungen dürfen zwar auf ihrem Weg durch Fußböden und vorbei an Stützen nicht zu stark geknickt werden, doch die bauliche Umsetzung dieser Erfordernisse kann besser von spezialisierten Ingenieuren - wenn nicht gar von Verkabelungsingenieuren — gelöst werden als von Architekten. Wenn es keine größeren Platzprobleme gibt, bahnt sich die Information ihren Weg lieber durch bereits entworfene Gebäude. Die Informationstechniker wollen nur, daß die Architekten draußen sind, bevor sie mit ihrer Arbeit begin168

nen. Dementsprechend schreibt auch ein Spezialist einer Verkabelungsfirma in der Zeitschrift The Architects' Journal: „Praktisch das gesamte Projekt wurde von Informationstechnikern und Bankangestellten geleitet. Hätte man den Architekten diese Aufgabe überlassen, wäre das Gebäude eine einzige Katastrophe geworden. Für sie ist die Informationstechnologie nur ein kleiner Bereich der Haustechnik."" Solange bei den Entscheidungsträgern eine so realistische Sichtweise vorherrscht, werden die Architekten sich ganz gewiß nicht ermutigt fühlen, sich überhaupt mit dem Bereich der Informationstechnologie auseinanderzusetzen. Architekten sollen für diese Technologie zwar den nötigen Platz vorsehen, sich aber sonst auf andere Dinge konzentrieren. Doch was gibt es noch für andere Dinge? Als Briefe noch von Boten überbracht wurden, war Information an das Uberleben der Boten und ihrer Pferde auf ihrem Weg durch das Land gekoppelt. Heute ist Information gleichbedeutend mit Codes und Bildern, die in Gebäuden, Autos und sogar in Taschen und Armbanduhren ihre eigene Welt gefunden haben. Früher beschränkte sich Information auf wenige handgeschriebene Dokumente, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden - Philosophen .kommunizierten über die Jahrhunderte hinweg miteinander' - , heute ist daraus eine tosende Flutwelle geworden, die sogar die Luft erfüllt, die wir atmen. Wo man sich auch befindet, eine Antenne bedeutet immer Zugang zu Information; öffnet man die Augen, sieht man Bilder, denen man nicht entrinnen kann. Die meisten Architekten, selbst diejenigen, deren Bilder von vielen übernommen werden, sind sich weder der Dimension dieser Bilderflut bewußt noch der Irrelevanz jeder theoretischen Position, die sie im Hinblick auf ihre eigene Rolle und Funktion darin zu vertreten meinen. Ein erfolgreicher Architekt des späten zwanzigsten Jahrhunderts kann durchaus versuchen, aus den formlosen Technologien, die seine Kunst ephemerisiert haben, eine neue Form zu entwickeln, indem er sich beispielsweise von den wenigen, durch die Informationswirtschaft tatsächlich entstandenen baulichen Anforderungen inspirieren läßt. Die notwendige Berücksichtigung der Befestigung von Hochfrequenzwellen- und Satellitenantennen wurde bei dem ursprünglich siegreichen Wettbewerbsentwurf von Richard Horden für den Bau des Stag Place mit einem Auftragswert von 30 Millionen Pfund im Jahre 1987 stark dramatisiert, obwohl zur Zeit der Veröffentlichung bereits viel über die immer kleiner werdenden Satellitenantennen gesprochen wurde. Genauso liefert die demonstrative Zurschaustellung aller, zur Erhaltung des für informationsverarbeitende Maschinen erforderlichen Raumklimas notwendigen technischen Einrichtungen eine gewisse Erklärung für die ,Nachaußenkehrung' der konstruktiven Elemente beim Gebäude von Lloyd's.

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Dieser in Architekturzeitschriften zwar immer wieder gelobte „loyale Funktionalismus" ist in Wirklichkeit kaum mehr als ein sinnloser Cargo-Kult um die verlorene Methodik der Moderne. Weder das Gewicht von Antennen, sei es auch noch so übertrieben, noch das gesamte Gewicht der klimatechnischen Einrichtungen beeinflussen den Entwurf neuer Gebäude mit ihren formalen Anforderungen nachweislich in dem Maße, wie dies beim riesigen gotischen Fenster für den mittelalterlichen Baumeister der Fall war. Diese neuen elektronischen .funktionalen Anforderungen' können sogar problemlos sowohl hinter Spiegelglasfassaden als auch hinter klassischen Fassaden versteckt werden. Die immer kleiner werdenden Satellitenantennen fallen in einer RenaissanceKuppel kaum noch auf, und die Klimatechnik kann unauffällig hinter einem Rollo in einem Vorzimmer untergebracht werden. Für Julian Bicknell, Architekt eines der kunstvollsten Bauten des Classical Revival in Großbritannien, der berühmten, 2 Millionen Pfund teuren, im palladianischen Stil erbauten Villa für Sebastian de Ferranti in Henbury bei Macclesfield, ist die heutige Informationstechnologie der Architektur in dieser Hinsicht so weit voraus, daß der Anspruch, Architekten sollten sie in ihre Entwürfe miteinbeziehen, geradezu lächerlich sei. Seiner Ansicht nach ist es viel sinnvoller, statt dessen bereits erprobte herkömmliche Vorstellungen wie die klassizistische Architektur zu verwenden. 12 Ein solcher Ansatz ist auch tatsächlich im Sinne der .Information'. Beim momentanen Stand der Architektur ist es nicht nur sinnvoller, sondern ganz sicher auch erfolgversprechender, sich an das .anzuschließen', was Robert Adam, ein anderer Architekt des Classical Revival, „die große Batterie der Renaissance-Architektur" genannt hat, „an der wir uns alle nach Belieben auftanken können", anstatt weiterhin hartnäckig zu versuchen, die schwache Batterie der Modernen Architektur für den Start eines Funktionalismus zu benutzen. Dem Ausdruck eines Baustils in einem Entwurf mehr Bedeutung beizumessen als der Information selbst, ist so sinnlos, wie an die Überlegenheit eines alten Morris Minor gegenüber einer neuen BMW-Limousine glauben zu wollen. Ein fahrtüchtiger Morris Minor mag hochgeschätzt und wertvoll sein, doch ist er heute ebenso unbrauchbar wie eine manuelle Schreibmaschine. Ein neuer B M W ist nicht nur ein nützliches Gerät, sondern auch ein Hilfsmittel, das (mitten in der Informationsrevolution) mit seiner eigenen hochentwickelten Informationstechnologie eine Brücke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz schlägt. Ein bequemes Auto, das problemlos 200 km/h fährt und mit Computer und Telefon ausgestattet ist, ist tatsächlich eine ernste Bedrohung für die Architektur. Man denke nur an die Werbung „Wer braucht bei so einem Auto noch ein Büro?".

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87 Richard Horden, Wettbewerbsentwurf Stag Place, 1987. Das dramatische Gestaltungselement elektronischer Antennen wird einen anderen Architekten nicht daran hindern, Antennen unter einer Kuppel zu verstecken.

Selbst ein ,High-Tech'-Architekt hätte in einer von Informationen überfluteten Welt die Rolle eines Schreibmaschinenvertreters in einem papierlosen Büro. Durch die Ephemerisierung der Information ist es dem Architekten nicht möglich, eine Beziehung zwischen der äußeren Gestalt seines Gebäudes und dessen tatsächlicher Funktion herzustellen, außer er greift auf übertriebene Metaphern zurück. Gleichzeitig aber heißt es in der verwirrenden Botschaft der Bilderflut, daß eine solche Beziehung doch möglich ist, weil es durchaus eine geeignete Formensprache gibt, und zwar in Form des architektonischen Äquivalents zur BMW-Limousine, die vielleicht bereits die ,gotische Lösung' für das Konstruktionsproblem beim Auto ist. Wo große Mengen an Information auf kleinstem Raum untergebracht werden müssen, wie zum Beispiel im Cockpit eines Verkehrsflugzeugs oder im Armaturenbrett eines modernen Autos, werden die ersten Ansätze einer Informationsarchitektur erkennbar. Doch wo Information immer noch unsichtbar unter dem Fußboden oder in Leitungen entlang der Wände versteckt werden kann, ist die Sache hoffnungslos. Heute muß der High-Tech-Architekt sein einer schlechten BMW-Imitation gleichendes Gebäude an dem Morris Minor mit eingebautem Telefon des Classical Revival-Anhängers messen, wobei er dabei aber nur verlieren kann, weil sich sein Denken immer noch an der Architektur und nicht an der Information orientiert. Heute ist ein Gebäude ohne Information tot, gleich aus welcher Zeit es stammt. So wie eine Garage ohne ein darin abzustellendes Auto ein funktionsloses Gebäude ist - zwischen beiden besteht ja ein symbiotisches Verhältnis - , ist auch die moderne Wohnung, wie das moderne Bürogebäude, ohne elektronische Information ein Dinosaurier. Der Schlüssel zu Investitionen liegt einzig und allein in der Information; sie ist Trumpf gegenüber der Baubürokratie, nur sie allein zählt. Wo sich Diskussionen über Stil mühsam dahinschleppen und zu kleinlichen Machtkämpfen zwischen Möchtegern-Architekturkritikern, die eigentlich Geographen sind, und Möchtegern-Architekten, die ausschließlich für die Architekturkritik ausgebildet wurden, verkommen, bahnen sich die Informationskabel, -strahlen und -antennen ungehindert ihren Weg. Was bestimmt zum Beispiel das Erscheinungsbild einer Tankstelle - eines Gebäudetyps, in dem Information und Architektur bereits fast so perfekt vereint sind wie in einer gotischen Kathedrale? Der Prototyp einer Tankstelle ist Mies van der Rohes Farnsworth House aus dem Jahre 1948 plus Information und Energie. Energie in Form von Millionen Litern an Benzin und Information in Form von Schildern, die den Preis nicht nur auf ein Zehntel genau anzeigen, sondern sofort per Modem aus einer Entfernung von Hunderten von Kilometern geändert werden können. Tankstellen sind aus Information bestehende 172

88 Evolutionsschritt d e r .gotischen Lösung' I - Mies van der Rohes F a r n s w o r t h H o u s e von 1948. Beachtenswert die S k u l p t u r auf der Terrasse.

8 9 Evolutionsschritt d e r .gotischen L ö s u n g ' II - Esso-Tankstelle in H e s t o n an der M 4 von 1 9 8 8 . Beachtenswert die E n t l ü f t u n g s r o h r e

Bauten, gekleidet in den Farben ihrer Muttergesellschaft, voller Schilder, die von den riesigen Lichtsäulen an der Straße bis zu genauen Preis- und Qualitätsangaben an den Zapfsäulen reichen. Semiologische Automatengebäude, wie die Tankstellen, sind ein Hinweis darauf, wie ungehinderte Informationstechnologie die Architektur zu Fall bringen würde. Darüber hinaus zeigt sich dies auch, wie wir gesehen haben, an der Art und Weise, in der die Informationstechnologie den Abstand zwischen den einzelnen Deckenplatten eines modernen, mehrgeschossigen Bürogebäudes bestimmt. Denn das sich daraus ergebende System aus aufgeständerten Installationsfußböden, abgehängten Decken und Steigleitungen, das Platz für die Kabel und Leitungen bieten soll, wird nicht nur die Geschoßhöhe bestimmen, sondern auch die auf die Nutzfläche bezogene Gesamthöhe des Gebäudes und damit auch dessen kommerziellen Wert. Genau hier, auf dieser völlig unkreativen Ebene schonungsloser Objektivität, wird die Form der neuen .gotischen Lösung 1 für das Informationszeitalter letztlich vor der in den Hintergrund getretenen, traditionellen Umgebung sichtbar. Denn so wie die funktionalen Anforderungen des Buntglas-Informationssystems die nach außen verlagerte Konstruktion und den großen Innenraum der gotischen Kathedralen geschaffen haben, sind die Gebäude des Zweiten Maschinenzeitalters bereits unweigerlich von den Erfordernissen der Welt der elektronischen Information geprägt. Vor 800 Jahren, als die gotische Konstruktion aufgrund des hohen Lichtbedarfs ,entmaterialisiert' wurde, hatte die verbliebene, die Fenster tragende Baumasse auch noch ihre eigene Informationsfunktion. Die Wände, Türme, Turmspitzen, Strebepfeiler, Bogen und Portale der großen Kathedralen sollten alle Information in Form von Skulpturen und Flachreliefs tragen. Die bei der Herstellung der Friese und Bildnisse angewandte Sorgfalt ist Beweis genug dafür, daß sie von den Baumeistern weder erst nachträglich hinzugefügt wurden noch in der Folge eines willkürlichen Verzierungseifers auf jeder verfügbaren Fläche entstanden. An den Innenwänden wie an den Außenwänden der gotischen Kathedralen gibt es schlichte und funktionale Flächen; die Seiten der Pfeiler und ihrer integrierten ,Curtain Walls', die Neigung ihrer steilen Dächer und die Mauerkronen, die Vorsprünge vor Verwitterung schützen sollen — sie alle blieben aus wohlüberlegten Konstruktionsgründen schmucklos. Reich verziert waren jene Außenflächen der gotischen Kathedralen, die dem Blick der Gläubigen ausgesetzt waren. Diese letzte Parallele ermöglicht uns, den Merkmalkatalog für eine neue .gotische Lösung' zu vervollständigen, denn dabei wird deutlich, wie die neuen Informationsgebäude des Zweiten Maschinenzeitalters baulich zwar schlicht,

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90 Evolutionsschritt der .gotischen Lösung' III - I. M. Pei, Hancock Tower, Boston 1970

aber informationell verziert' sein können. Außen wird ihr konstruktiver Rahmen oder ihre selbsttragende Schalenkonstruktion von den Ingenieuren rationell und wirtschaftlich konstruiert sein, um eine vertikale, sandwichartige Schichtung sich abwechselnder Service- und Nutzbereiche zu ermöglichen. Im Inneren wird die flächenmäßige Nutzung dieser Bereiche flexibel sein, und die Aufteilung wird sich nach den bestehenden und zu erwartenden räumlichen und klimatischen Anforderungen richten. Die Höhe dieser Gebäude wird zwar zwischen einem und hundert oder mehr Geschossen schwanken, doch diese Aufteilung wird standardisiert sein. Im Vergleich zu den heutigen Gebäuden werden die Geschoßhöhe dieser Gebäude generell höher und die klimatechnischen Einrichtungen leistungsfähiger und flexibler sein: Ihre Klimaanlagen werden, wenn nötig, sehr große, elektrisch erzeugte Wärme abführen können. Die Nutzräume in diesen Gebäuden werden unabhängig von der Gebäudehöhe zwischen leicht zugänglichen Servicebereichen liegen, die eine schnelle Umstrukturierung ohne Störung des Betriebs im Inneren ermöglichen. In höheren Gebäuden wird es Rolltreppen für Personen und Aufzüge für Waren mit Haltemöglichkeiten in den Servicegeschossen und in den Bürogeschossen geben. Die Bürobereiche werden mit flexiblen Wandsystemen ausgestattet sein, die - vergleichbar mit der Sitzanordnung in einem Verkehrsflugzeug - ebenfalls eine schnelle Umstrukturierung ermöglichen. Die Außenhaut dieser sandwichartigen Bauten wird aus einer dünnen, widerstandsfähigen Glas-, Keramik- oder Metallschicht mit möglichst geringer Oberfläche bestehen. Das Dach wird entweder flach und mit einer einzigen, wie für eine solche Dämmung und Konstruktion erforderlichen, synthetischen Membran abgedichtet oder Teil seiner geschwungenen Außenhaut wie bei den Wänden sein. Dieses Gebäude ist die neue ,gotische Lösung', und die Beschreibung ist natürlich enttäuschend, denn sie ist uns weitgehend bekannt. Abgesehen von einigen Details gibt es bereits viele auf diese Beschreibung passende Bauten, und sie werden auch praktisch genutzt, während sich andere noch im Planungsstadium befinden. Die glatte Außenhaut von Gebäuden mit Rahmenkonstruktionen gehört in den meisten nordamerikanischen Städten bereits zum gewohnten Stadtbild. In England findet sich der Großteil dieser Merkmale bei dem von Fitzroy Robinson entworfenen und 1989 fertiggestellten Ludgate House, einem zehngeschossigen Bürogebäude in Southwark Bridge. Doch die Anfänge gehen viel weiter zurück. Bei dem von Norman Foster 1972 entworfenen Willis Faber & Dumas-Versicherungsgebäude in Norwich finden sich abgesehen von der neuesten Informationstechnologie bereits fast alle Elemente. Vor dieser Zeit gibt es diese Grundelemente jedoch ohne die durchgehend glatte, erst mit der Spezialverglasung mögliche Fassade, die bereits in den spä-

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teren Entwürfen für Bürobauten von Mies van der Rohe erkennbar ist, ganz besonders im nicht realisierten Projekt für den Mansion House Square in der Londoner City aus dem Jahre 1967 u n d dem posthum fertiggestellten IBMTurm in Chicago. Die frühesten Versionen dieses Gebäudes finden sich in den zwanziger Jahren bei dem deutschen Architekten Erich Mendelsohn u n d den tschechischen Funktionalisten in Prag. Die allererste konkrete Vorstellung der ,gotischen Lösung' ist in den zwei Projekten für gläserne Wolkenkratzer zu erkennen, die Mies van der Rohe bereits 1919 entwarf. Einzelne Grundelemente haben ihren Ursprung sogar im neunzehnten Jahrhundert, in der Entwicklung der Skelettbauweise, der hydraulischen Aufzüge und der Elektrizität. Bei den oben beschriebenen Gebäuden handelt es sich zwar um Bürobauten, doch alle Elemente der ,gotischen Lösung' werden eines Tages auch die letzten Winkel der gebauten Umwelt erreichen. Der erste aufgeständerte Installationsfußboden wird schon bald nach der Profi-Arbeitsfläche, den Lichtschienen u n d den High-Tech-Strahlern aus den Büroeinrichtungskatalogen in den W o h n z i m m e r n Einzug halten, ähnlich wie die Stahlskelettbauweise der Fabriken zuerst bei Bürogebäuden u n d dann bei Wohnhäusern angewandt wurde. Die Kombination aus Elementen, die die .gotische Lösung' während der vergangenen siebzig Jahre geduldig angesammelt hat, ist als Vorläufer bereits so einflußreich wie die Abtei von Saint-Denis. Sie ist die Lösung für alle Probleme im Z u s a m m e n h a n g mit der Unterbringung der Errungenschaften des elektronischen Informationszeitalters, mit einer einzigen Ausnahme - dem .kulturellen' Problem der individuellen Kreativität, der alten .Überlebensfunktion' des Architektenberufs. Mies van der Rohe, der am meisten zur Evolution einer multifunktionalen Architektur der .gotischen Lösung' beigetragen hat, war dies sehr wohl bewußt. I h m war früher als jedem anderen Architekten klar, daß das Gebäude des neuen Zeitalters mit der .gotischen Lösung' keinerlei kunsthistorische Merkmale mehr aufweisen würde. Für Mies bedeutete es einen großen Fortschritt, ein Wohnhaus, eine Fabrik u n d ein Bürogebäude in der gleichen Weise zu entwerfen; die Radikalität dieses Schritts ist heute, nach dem Untergang der Modernen Architektur, besser verständlich als zur damaligen Zeit. Sogar heute wirken solche Bauten wie beliebte Zeitschriften mit leeren Titelblättern oder Grand Prix-Rennwagen ohne Werbung von Sponsoren. Die völlig glatte Außenhaut aus Glas u n d Metall vermittelt keinerlei beruhigende historische Botschaft. Mies van der Rohe fand sich im Laufe seiner Karriere mit dieser Anonymität ab. „Ich glaube die Architektur hat wenig oder gar nichts mit der Erfind u n g interessanter Formen oder mit persönlichen Neigungen zu tun", sagte er

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91 Evolutionsschritt der .gotischen Lösung' IV — Tenterden Street, CMW-Architekten. Man nehme Mies und vereine ihn mit einer Welle.

gegen Ende seines Lebens. „Wahre Architektur ist immer objektiv u n d der Ausdruck der inneren Struktur unserer Zeit." 13 D o c h Mies van der Rohe sollte die Vollendung der ,gotischen Lösung' nicht mehr erleben. Selbst seine großartigsten Gebäuden strahlen eine unvermeidbare Leere aus, u n d sie sind bei aller Phantasie nicht mit den vielschichtigen visuellen Eindrücken einer gotischen Fassade vergleichbar. Seine ,objektive' Architektur machte die in der Realität existierende, auch durch Sentimentalität nicht überbrückbare Kluft zwischen der kleinen, eng verflochtenen Gesellschaft der Feudalzeit, in der jeder vom anderen abhängig war, u n d der grenzenlosen, atomisierten Materialkultur des zwanzigsten Jahrhunderts deutlich. D o c h selbst seine Materialkultur war überschaubarer als unsere, denn sie war noch nicht von elektronischem Leben erfüllt. Mies van der Rohe stand zu seiner Leere. In gewisser Hinsicht ist das auch der G r u n d , weshalb seine Größe noch immer die hilflose Sentimentalität unserer Zeit überstrahlt. Diejenigen, die das Zweite Maschinenzeitalter aus Gewissensgründen ablehnen, ziehen eine reale Welt der Information, die sich hinter aufwendig gestalteten, an die Zeit von Dickens erinnernden Fassaden versteckt, auf jeden Fall den bereits bestehenden kahlen Glasfronten der ,gotischen Lösung' vor, die nicht leerer sind als ein Bildschirm oder ein gotisches Fenster. M a n vergleiche nur einmal die riesige Oberfläche eines die .gotische Lösung' favorisierenden Gebäudes mit der genauso kahlen und großflächigen Hülle eines kleinen Luftschiffs ohne starren Rahmen. Die Konstruktion des Gebäudes ähnelt zwar eher einem Luftschiff mit starrem Rahmen, doch diese sind schon vor fünfzig Jahren ausgestorben, u n d heute kennen wir nur noch die kleineren ohne starren Rahmen, einen schwachen Abglanz ihrer großen Vorläufer. W i e die Luftschiffe ohne u n d mit starrem Rahmen, u n d im Prinzip auch wie der Heißluftballon u n d alle Ballone bis hin zur ersten Montgolfière, wie das Skelett der gotischen Kathedrale oder die nüchterne Konstruktion einer Tankstelle, ist auch die riesige, glatte Oberfläche des elektronischen Informationsgebäudes eine Leinwand, die geradezu nach einer Gestaltung mit Farbe u n d Klang schreit. So wie das kleine unstarre Luftschiff ein Werbeträger wurde, der bei Nacht über der Stadt b r u m m t u n d seine stromlinienförmige Oberfläche für allerlei Lichteffekte nutzt, wird die Kathedrale der Information, die neue .gotische Lösung', den ungleichen Kampf mit dem von der kunsthistorisch orientierten Architektur vertretenen „Vertikalismus und der auf Gestaltungsdetails, Licht u n d Schatten basierenden Ausdrucksform"' 4 aufgeben u n d ihre Fassade statt dessen mit elektronischen Bildern schmücken. Sie ist dazu in der Lage - auch heute schon. Es gibt nur ein Hindernis: die überkommene Vorstellung, ihr

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dauerhaftes Äußeres müsse eine klare visuelle Botschaft vermitteln, da es sich ja um Architektur handelt. Das goldene Zeitalter der ,gotischen Lösung' wird mit dem Sieg über diese letzte Illusion der Architekturgeschichte beginnen. 93 Montgolfiers Heißluftballon, 1783. Eine alte, aber gute Lösung für eine Verzierung mit einem niedrigen Luftwiderstandsbeiwert

9 4 E n t w i c k l u n g s s c h r i t t d e r .gotischen L ö s u n g ' VI - F u t u r e Systems: „ T h e Blob" von 1987. Seine platzs p a r e n d e O b e r f l ä c h e ist elektronisch i n f o r m a t i o n a l i s i e r t : die ,gotische L ö s u n g ' des 21. J a h r hunderts.

9 5 F u t u r e Systems: p r ä m i e r t e r W e t t b e w e r b s b e i t r a g f ü r die Pariser Bibliothèque Nationale, J989

Anmerkungen

1 Die optimale Nachhallzeit für Sprache liegt bei 1,3 Sekunden. Eine moderne Konzerthalle hat im Idealfall eine Nachhallzeit von zwei Sekunden. Eine gotische Kathedrale hält Klänge länger als sechs Sekunden. All diese Parameter können inzwischen elektronisch verändert werden, ohne Veränderungen am Gebäude selbst vornehmen zu müssen. 2 Dieser Begriff wird von Canon Ingram Hill in seiner Beschreibung der Buntglasfenster in Canterbury verwendet (The Revd Canon D. Ingram Hill, Canterbury Cathedral, Bell & Hyman 1986). 3 „Frankreich entwickelte sich immer weiter, von der Frühgotik zur Hochgotik, wobei die Kathedralen immer größer wurden, bis der Meister von Chartres diese Kunst zur Vollendung brachte" (Nikolaus Pevsner, The Cathedrals of England, Viking 1985). 4 Einzelheiten über die Entwurfshintergründe des Guggenheim-Museums in: Brendan Gill, Many Masks: A Life of Frank Lloyd Wright, London, Heinemann 1988 5 „Früherwaren die Anzüge der Grand Prix-Rennfahrer nur ein unmittelbarer Schutz gegen Feuer. Heute sind die richtigen Markenzeichen auf einem dreischichtigen Nomex-Anzug die Grundlage für ein millionenschweres Leben", Motor (20. Juli 1985). Dieser bemerkenswerte Artikel über das Grand Prix-Sponsoring - übrigens ohne Verfasser - beschreibt, wie die oberen Teile des Rennanzugs abschnittweise vermietet und unter Berücksichtigung des möglichen Aufnahmewinkels für Kameramänner und Fotografen als Werbeträger aufgeteilt werden. 6 Theo Crosby, Let's Build a Monument, Pentagram 1987 7 de Marillac, „Pioneers in a Jobless Society", in: The Times (11. Mai 1987) 8 Edgar Kaufmann Jr., „Design, sans peur and sans ressources", in: Architectural Forum (September 1966) 9 Roger Beardwood, „Between God and Mammon", in: Business (Mai 1987) 10 Der Begriff „Bowellismus" diente ursprünglich zur Beschreibung von Michael Webbs Entwurf für ein Verwaltungsgebäude eines Möbelherstellers in High Wycombe. Diese Planung mit ihren außen sichtbaren Versorgungssträngen war ein entfernter (1959) Vorläufer des Gebäudes von Lloyd's und hatte tiefgreifenden Einfluß auf die Archigram-Gruppe. 11 Eosys Ltd., „Cabling Guide, Part 5. Future Imperatives", in: The Architects' Journal 6 (Juli 1988), S. 54. Auch der Autor erhielt von leitenden Angestellten der Hoskyns plc, einer auf Informationstechnologie spezialisierten Installationsfirma, diese Information. „Das intelligente Gebäude besteht unabhängig von seinem Verwendungszweck", wurde ihm von einem leitenden Ingenieur gesagt. „Wie immer das Gebäude auch aussieht, es ist immer möglich, das Zeug irgendwie hineinzustopfen." 12 Im Gespräch mit dem Autor während des Jahres 1987 13 Zitiert in: Peter Carter, Mies van der Rohe at Work, Prager 1974 14 Dies sind die „drei Prinzipien der Architektur, zu denen wir zurückkehren müssen", meint Roger Scruton anläßlich einer im April 1983 gehaltenen Rede vor dem RIBA auf der Grundlage seines Buches The Aesthetics of Architecture, Methuen 1979.

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6 Technologietransfer in der Architektur

Der Mensch erhält die Rolle eines Fortpflanzungsorgans der Maschinenwelt, vergleichbar mit der Funktion der Biene in der Pflanzenwelt. Marshall McLuhan, 1967

Der Begriff .Technologietranfer' wird heute in unterschiedlicher Form verwendet, doch gemäß einer brauchbaren, etwa zwanzig Jahre alten Definition', handelt es sich damit um einen Prozeß, bei dem Techniken u n d Materialien, die in einem Tätigkeitsbereich, einem Industriezweig oder einer Kultur entwickelt worden sind, auf andere Tätigkeitsbereiche, andere Industriezweige oder andere Kulturen übertragen werden. Im Sinne dieser Definition hat der Prozeß eine reiche, jedoch weitgehend unerforschte Geschichte über Zusammenhänge aufzuweisen, die in Anthologien über Entdeckungen und Erfindungen allzu häufig verloren gegangen sind. Die große Stärke des Technologietransfers' ist der synergetische Gebrauch unterschiedlicher Quellen; gerade das macht seine Stärke aus. Ein Bereich stellt seine Forschungs- u n d Entwicklungsleistungen einem anderen zur Verfügung, wodurch dort die Kosten der Vorproduktion vermindert werden. Manchmal läßt sich dieser Transferprozeß wiederholen, wie etwa im Falle der Entwicklung von Rohren mit Bleilegierung und später von d ü n n e n Kupferleitungen aus wasserfesten Kabelverkleidungen: ein Transferprozeß, der sich eine Generation später bei der Entwicklung von Neoprenrohren u n d -dichtungen aus Neoprenkabelverkleidungen wiederholte. Manchmal entstehen solche Ketten aus gelungenen synergetischen Verbindungen sehr schnell, wie etwa in jüngster Zeit die Anwendung desselben elektronischen Management-Systems auf eine Vielzahl mechanischer Geräte, wie Heizungen u n d Klimaanlagen in Fabriken bis hin zu Einspritzsystemen bei Autos. Es gibt andere Beispiele, bei denen dieser Prozeß langsamer und komplizierter verlief und sich über die Dauer eines ganzen Jahrhunderts oder mehr

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erstreckte: so etwa die Beziehung zwischen Gewehrlauf, Rohrleitung und Metallrohr, aus denen wie in einer evolutionären Entwicklung das dünnwandige Stahlrohr und der Fahrradrahmen wurden; aus der Herstellung der Stahlrohrrahmen für Fahrräder entwickelte sich wiederum das erneute Interesse am Stahlrohrmöbel, diesmal jedoch aus verchromtem Stahl - Materialien die ursprünglich wiederum zur Verminderung von Korrosion und Abnutzung in Gewehrläufen entwickelt worden waren. Neben diesen mehr oder weniger bekannten Fällen von Technologietransfer in der Geschichte der Erfindungen gibt es hunderte weiterer Beispiele in allen Bereichen der angewandten Wissenschaft. Glasfasern etwa wurden zum ersten Mal 1893 zusammen mit Seide zu Kleiderstoffen verarbeitet. Erst fünfzig Jahre danach kam die Kombination mit Harzen. Zelluloseacetat diente zunächst als feuerfeste Verkleidung von mit Gewebe überzogenen Tragflächen von Flugzeugen; in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts wurde daraus der Basisstoff für alle Filme. Polyäthylenverkleidungen, wie Polyvinylchlorid, dienten ursprünglich in den vierziger Jahren zur Isolierung von Kabeln, nach dem Krieg nutzte man sie als Verpackungsmaterial, und später kam noch eine Vielzahl anderer Anwendungsbereiche hinzu, zum Beispiel als flexible undurchlässige Membran bei Gebäuden sowie in jüngster Vergangenheit als Flügeloberfläche für das erste, mit Menschenkraft angetriebene Fluggerät. Teflon wurde zunächst für die Herstellung von reinem Uran für die ersten Atombomben genutzt, erst danach diente es als Antihaft-Beschichtung bei Töpfen und Pfannen sowie als selbstreinigende Oberfläche einer Spezialfaser des von Skidmore, Owings and Merrill entworfenen, 50.000 Quadratmeter großen Zeltdaches über dem Haj-Terminal des internationalen Flughafens von Dschidda in Saudi-Arabien. Eine Kombination aus Polyester und Glasfasern erwies sich als enorm belastbar, flexibel und leicht und wurde ursprünglich für die Herstellung von militärisch genutzten Funkantennen verwendet. Nachdem einige Tüftler dieses Material in unterschiedlichster Weise verwendet hatten, wurden die Antennen als Angelruten verkauft, und in der Folge setzte man unter dem Sammelbegriff Glasfasern verschiedene Harz-Glasfaser-Verbindungen in großem Umfang als Spezialanstriche für Schiffsrümpfe und danach auch für Autokarosserien, Badewannen, Waschbecken, Toiletten und Duschwannen ein; später entstanden aus größeren und stabileren, zwei- oder mehrschichtigen Formteilen vakuumgehärtete Boote, und heute gibt es eine breite Palette von Produkten, wie vakuumgehärtete Autokarosserien und sehr große, komplizierte Formteile für Flugzeuge. Eine der frühesten experimentellen Anwendungen von Epoxidharzen war das Gießen von gefederten Panzerkarosserien. Dreißig Jahre später entwickelte man eine Beschichtung aus Epoxid und Keramik, die 184

die Feuerbeständigkeit von Transportbehältern für Atommüll garantieren sollte. 1988 diente eben jene dünne Beschichtung dazu, im Stahltragwerk des Obergeschosses des Sainsbury-Einkaufszentrums in London von Nick Grimshaw eine Feuerbeständigkeit von vier Stunden sicherzustellen. Diese Fülle anscheinend zufälliger und zusammenhangloser Materialanwendungen läßt sich sogar noch erweitern, wenn man komplexere Erfindungen hinzunimmt. Durch Technologietransfer wurde aus einem .elektronischen Gehirn' mit Elektronenröhren zur Geschoßbahnberechnung der US Navy während des Zweiten Weltkriegs der erste kommerziell vertriebene Computer, die Univac 1 aus dem Jahre 1950. Schiffsmasten und Aufbauten von Kriegsschiffen waren die Prototypen für Strommasten, Funk- und Radarantennen. Die Bandkabel vieler Computer und Elektrogeräte entstammen einem System, das speziell für den nur begrenzt vorhandenen Platz in den ersten Raumkapseln entwickelt wurde. Das Bolzenschußgerät für die Viehschlachtung und die vielen, auf den meisten Baustellen eingesetzten Geräte mit den verschiedensten Patronen und Kartuschen haben ihr Vorbild in einer Waffe, die 1915 patentiert wurde und Tauchern das Markieren feindlicher U-Boote mit Boyen ermöglichen sollte. Auch die Entwicklung eines Muskel-Beschleunigungsmessers aus den sechziger Jahren zur Erkennung neurologischer Störungen basiert auf den für die Entdeckung von Meteoriten im Weltall entwickelten Prinzipien und Geräten. 2 Technologietransferprozesse, wie sie oben beschrieben wurden, sind entweder das zufällige Ergebnis des Spürsinns eines erfinderischen Einzelnen, wie etwa im Falle von Robert Temple, dem Erfinder des U-Boot-Markierens, des Bolzenschußgeräts und der Patronen-Werkzeuge, oder das Ergebnis gezielter Marketinganstrengungen eines Unternehmens, das neue Absatzmärkte sucht. Ein sehr gutes Beispiel für diese zweite Möglichkeit aus der jüngsten Vergangenheit ist die Verwendung von Mineralwolle in der Dachdämmung durch die Firma Rockwool Corporation. 3 Beim Forschungs- und Entwicklungszentrum dieses Unternehmens im dänischen Hedehusene, das von Lief Eriksen und Vagn Thorsmark entworfen wurde, experimentierte man mit einer Dachdekkung einer 30 cm breiten Mineralwolldämmung, die man wie bei einem ,Strohdach' offen auflegte. Die sich überlappenden, 75 mm starken Bahnen sind mit Holzleisten fixiert, und der Dauertest ergab, daß Wasser nur 35 mm tief eindringt. Ein ähnlicher, aber doch weitaus komplexerer Prozeß des Technologietransfers fand statt, als leichte, für die Automobilindustrie entwickelte Kaltprofile die schweren Stahlträger in der Bauindustrie zu ersetzen begannen. Die schnelle Nutzung dieser aus einem anderen Industriezweig übernommenen Technolo185

96 Hier beginnt Technologietransfer. Ein Crash-Test von British Nuclear Fuels mit einem Zug mit Atommüllbehältern im Jahre 1984. Die Behälter sind durch eine Beschichtung aus Epoxid u n d Keramik feuerfest gemacht.

97 Sainsbury-Einkaufszentrum in London, Nicholas Grimshaw 1988. Es dauerte nur vier Jahre, bis die Epoxid-Keramik-Beschichtung der Atommüllbehälter als Brandschutz beim Bauen Verwendung fand.

98 Das Gebäude der Rockwool Corporation im dänischen Hedehusene 1983. Das Dach besteht aus 30cm breiten Bahnen dämmender Mineralwolle, die wie bei einem Strohdach aufgebracht sind.

gie zeigt deutlich den synergetischen Vorzug der Methode. Das American Iron and Steel Institute nutzte die hohen Produktionskapazitäten für Schiffe u n d Flugzeuge während des Krieges u n d gab 1946 die erste Spezifikation für die Entwicklung von Trägern u n d Stützen für Gebäude in Stahlleichtbauweise heraus. Bereits 1960 waren in den USA Kaltstahlprofile für komplette Standardgebäude aus Stahl oder auch für Wand-, Fußboden- u n d Dachelemente gang u n d gäbe, u n d das Material gehörte schon nach kurzer Zeit wie selbstverständlich zur Bauindustrie. 1983 vertrieb die Terrapin Building C o m p a n y aus dem englischen Milton Keynes ein von deren Chefarchitekten Nick W h i t e house entworfenes System für demontierbare Gewerbebauten. Das tragende Gerüst dieses Systems bestand aus kaltgegewalzten U-Profilen, und in dieses System k o n n t e n in einem weiteren Prozeß des Technologietransfers mit Glasfasern verstärkte, ursprünglich für Kühllaster gedachte Schaumstoffplatten als Verkleidungselemente eingepaßt werden. 4 Das beste Beispiel für den einzigartigen Prozeß des Technologietransfers ist die Geschichte eines sehr kleinen, aber doch entscheidenden Teils des h o c h k o m plexen NASA-Pro gram m s der u n b e m a n n t e n Viking-Sonde von 1976, die auf dem Mars landen sollte. Das Problem des Entwurfs einer einfachen u n d leichten Schaufel zum A u f n e h m e n von Bodenproben wurde geradezu genial gelöst, indem man den im Bau verwendeten Stahlzollstock mit seinem löffelartig geformten, halbstarren Auslegerarm als Vorbild für die leichte, einziehbare Schaufel verwendete, die schließlich daraus entstand. 5 So entscheidend u n d auch faszinierend die Rolle des Technologietransfers in Industrie u n d Wirtschaft ist, so untergeordnet ist sie in der Architektur. Beispiele dafür werden häufig an so isolierten Erscheinungen verdeutlicht, wie etwa dem Wandel von den Aufsätzen aus verzierten Baumstämmen zu Steinkapitellen oder dem Transfer von in Holz geschnitzten Pflanzenornamenten in die Steinmetzkunst. Doch die praktischeren Beispiele werden häufig übersehen - etwa die Bedeutung des Baus der fast 1.500 Jahre alten Kuppel der Kirche San Vitale in Ravenna aus zwei Arten von Terrakottakrügen in einem M ö r telbett. Die vielen tausend Krüge wurden unverändert eingebaut, wobei m a n an den größeren sogar die Henkel beließ. Dieser Bau ist ein Wunder des Technologietransfers u n d greift einer Idee des amerikanischen Architekten Michael Reynolds u m mehr als tausend Jahre vor, der in New Mexico Häuser u n d Kuppelbauten aus gebrauchten, in ein Mörtelbett gesetzten Getränkedosen errichtete, da auch er billig und leicht bauen wollte. W i e die Architekten von San Vitale entdeckte Reynolds, daß man in gewissen Fällen auf Verschalung verzichten kann, wenn die Konstruktion der Kuppel in eine wabenartige Gitterstruktur aus H o h l r ä u m e n verwandelt wird. 6

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99 Über zwei Geschosse reichende, mehrschichtige Platten nach dem Vorbild der Kühllasterisolierung beim demontierbaren, von Terrapin Matrex entwickelten und für Norsk-Hydro 1983 gebauten Bürogebäude; Architekt: Nick Whitehouse Krüge

Vorhalle zerstört

100 Kuppel der Kirche San Vitale, Ravenna, 547 η.u.Z. Tausende von Terrakottakrügen dienten zur Reduzierung des Kuppelgewichts.

101 ,Desert D o m e ' (Wüstenkuppel) in New Mexico, Michael Reynolds, 1977. Die Idee von San Vitale kehrt in Form von gebrauchten Getränkedosen wieder.

in der Kuppel

Ungeachtet der Widerstände, die solche Transferprozesse in der Bauwirtschaft vielleicht mit sich gebracht haben, war die Vorgehensweise über die Jahrhunderte hinweg immer die gleiche, wobei vor allem die leichteren und leistungsstärkeren Entwicklungen aus dem Schiffbau für Konstruktionen auf dem Festland übernommen wurden. Die ersten guß- und schmiedeeisernen Träger für Flachgewölbe aus dem neunzehnten Jahrhundert etwa waren Deckbalken von Schiffen, die man unverändert beim Bau von Fabriken und Lagerhäusern einsetzte. Auch die Deckshäuser - kleine, auf- und abbaubare Holzkabinen aus Standardplatten - dienten als Prototypen für demontierbare Soldatenhütten, die erstmals im Krimkrieg und im amerikanische Bürgerkrieg zum Einsatz kamen. Sie waren damit auch die Vorläufer vieler Fertighaussysteme. Fast ein Jahrhundert nach dem Verschwinden der letzten demontierbaren Deckshäuser wurde die Technologie zur Herstellung von Waschbetonplatten von den Produzenten der sogenannten ,Kunststoff-Panzerung' für Kriegsschiffe im Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal angewendet. 7 Auch wenn dem Technologietransfer in der Bauwirtschaft durchaus eine gewisse Achtung gebührt, hat man ihn nie als wirklich eigenes, wichtiges Phänomen betrachtet. Obwohl er über viele Jahrhunderte des Bauhandwerks zurückverfolgt werden kann und mit den explosionsartig zunehmenden Erfindungen seit der Industriellen Revolution in immer schnellerem Maße außerordentliche Bedeutung erhielt, gibt es keine gründliche historische Aufarbeitung dieses Prozesses. Die anekdotenartigen Beispiele für das Vorhandensein von Technologietransfer legen aber zumindest nahe, daß er zusammen mit der Weiterentwicklung der Materialtechnik immer häufiger stattfand. Die Übertragung der Form der Rippen und Kiele eines umgedrehten Holzboots auf eine neue Konstruktionsweise geneigter Dächer im Mittelalter etwa fand vor vielen hundert Jahren statt. Die ersten Beispiele einer in obere Stockwerke führenden Holzwendeltreppe in Anlehnung an die Mastkonstruktion bei Schiffen geht auf das sechzehnte Jahrhundert zurück. Die Ausstellung eines Ruderboots aus mit Eisenmatten bewehrtem Beton bei der Pariser Weltausstellung von 1855 liegt etwa zehn Jahre vor dem Bau des ersten Gebäudes aus Eisenbeton und etwa 40 Jahre vor dem ersten großen Gebäude mit einem Stahlbetonrahmen. Die Olförderplattformen mit ihren Mast- und Rahmenkonstruktionen entwickelten sich aus den ,künstlichen Inseln' für Luftabwehrgeschütze des Zweiten Weltkriegs, wobei aber die Größe und Komplexität innerhalb von nur 30 Jahren in einem fast unvorstellbaren Maße zunahm, um dann nach nur zehn weiteren Jahren in Form der an Masten aufgehängten Konstruktionen und von Gebäuden mit außenliegender Rahmenkonstruktion wieder auf das Festland zurückzukehren. Noch rasanter verlief die Übernahme des in der Automobil190

industrie entwickelten Structural Glazing in weniger als fünf Jahren. Der Prozeß lief an sich immer nach dem gleichen Muster ab, aber mit jedem Mal verlief er schneller. Eine der schwerwiegenden Folgen des fehlenden kulturellen Verständnisses, das Architekturhistoriker und -theoretiker von der Realität des Bauens entfernt hat, zeigt sich auch im Fehlen einer geschichtlichen Aufarbeitung der Anfänge des Technologietransfers. Die Entwicklungen in benachbarten Bereichen zeigen deutlich, daß nach dem Einsatz von Glas, Stahl u n d Beton durch die Moderne der nächste Schritt in der fortschrittlichen Bautechnologie der Bau von Gebäudehüllen aus leichten Rahmenkonstruktionen u n d selbsttragenden Schalenkonstruktionen aus Schichtholz, Aluminiumlegierungen u n d Kunststoffen ist, die während des Zweiten Weltkriegs entwickelt wurden („Alu k o m m t - Rost geht", meinte Fuller 1946"). Aber wie bereits in Kapitel 2 ausführlich dargelegt, waren die wenigen Avantgarde-Architekten, die damals diese fortschrittlichen Materialien in ihren Arbeiten einsetzten, nicht in der Lage, die Bauindustrie in einen Prozeß der beständigen technologischen Evolution einzubinden. Damals wie heute gab es kein klares Konzept für den Prozeß eines Technologietransfers, auf das sie hätten zurückgreifen können. Die ersten Behelfsunterkünfte der Nachkriegszeit waren gebrauchsorientiert, bis auf ihr Aussehen und bis auf die fehlenden Überlegungen hinsichtlich ihrer Beseitigung nach Ablauf ihrer Nutzung. Sie hätten eher wie ein Mosquito-Torpedoboot aus Sperrholzformteilen, über die mit Spannlack behandeltes Gewebe gezogen wurde, gebaut werden sollen oder aus zusammengenieteten Aluminiumplatten wie ein Lancaster-Bomber oder aus Metallplatten über einem leichten Rahmen aus kaltgewalztem Stahl wie ein Bedford-Militärlaster. Einige dieser .fabrikgefertigten Notunterkünfte' wurden auch so hergestellt, u n d die genieteten Haibschalenkonstruktionen aus Leichtmetall aus dem Flugzeugbau des Zweiten Weltkriegs wurden direkt auf die schnelle Herstellung von Unterk ü n f t e n zur Linderung der Wohnungsnot in den Nachkriegsjahren übertragen. Aber das Programm zum Bau solcher N o t u n t e r k ü n f t e wurde bereits 1947 nach der Herstellung von nur 150.000 Einheiten wieder eingestellt. Der größte Teil der nach dem Krieg gebauten Häuser sah weitaus konventioneller aus u n d besaß eine weit weniger kreative Konzeption. Das Fehlen strenger Vorgaben für die Herstellung und Gestaltung führte zu extrem eigenwilligen Formen und Elementen, die sich entweder an den Empfehlungen des Tudor Walters Report aus dem Jahre 1919 für freistehende Einfamilienhäuser orientierten oder aber an den Phantasien von Le Corbusier über hohe, dicht besiedelte ,Straßen in der Luft' unter Ausnutzung der Bautechnik für Luftschutzbunker

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und Befestigungen, die die Zement- und Betonindustrie während des Kriegs so schnell entwickelt hatte. In Anlehnung an Maxwell Frys berechtigte Warnung, wonach es unmöglich sei, eine sinnvolle Architektur zu entwickeln, wenn die technische Entwicklung weiter in dem vom Militär vorgegebenen Tempo voranschreitet 9 , könnte man durchaus geneigt sein, die Unfähigkeit, nach dem Zweiten Weltkrieg mit den angewandten Wissenschaften in Form von Technologietransfer Schritt zu halten, als den Preis zu bezeichnen, den die Architektur für das Bewahren ihrer aus der eigenen Gestaltungsvergangenheit ererbten künstlerischen Integrität bezahlen mußte. Banham war sehr vorsichtig: „Es ist durchaus möglich, daß das, was wir bisher als Architektur angesehen haben, und das, was wir beginnen, unter Technologie zu verstehen, miteinander unvereinbare Disziplinen sind." 10 Dies mag zutreffen, Tatsache ist aber auch, daß eine Architektengeneration, wie die Generation der viktorianischen Ingenieure, die die Möglichkeiten zum Uberspannen weiter Distanzen aus den Eisen- und Stahlbautechniken des Schiffsbaus ableiteten, die Möglichkeiten des Technologietransfers durchaus auch nutzten, während die nächste Generation kein Interesse mehr daran hatte. Für die Generation von Le Corbusier, Walter Gropius, Mies van der Rohe und Richard Neutra waren Stahl, Glas und Stahlbeton revolutionäre neue Materialien, die geradezu nach der Verwendung beim Bau verlangten und Gebäude entstehen ließen, die sich von ihren Vorgängern aus Ziegeln, Stein und Holz so sehr unterschieden wie das Automobil von einer Pferdekutsche. Mit unterschiedlicher Beharrlichkeit widmeten diese großen Architekten ihr Leben der Entwicklung neuer Wege zum Bau von Häusern mit Materialien, die in der Industrie und Technik des neunzehnten Jahrhunderts Verwendung gefunden hatten. Aber Stahl, Glas und Stahlbeton sollten ihrerseits nur die Vorläufer für hochfeste Legierungen und Verbundwerkstoffe aus einer fast täglich mit Neuentwicklungen aufwartenden Wissenschaft und Technik sein, und als diese Erkenntnis immer deutlicher wurde, stieß die Findigkeit der Nachfolgegeneration an ihre Grenzen. Fälschlicherweise glaubten die Politiker, die der Modernen Architektur in den dreißig Jahren nach 1945 weltweite Priorität einräumten, daß die Architekten die Beherrschung der Technik stolz wie die Fackel mit dem olympischen Feuer in den Händen hielten, die von Generation zu Generation weitergereicht werden könnte. Nur selten war der Glaube an Experten noch naiver. Die Generation von 1914 ignorierte nicht nur den entscheidenden Beitrag des Technologietransfers an ihrem Erfolg, die Mehrheit von ihnen hielt ihn nicht einmal für beachtenswert. Die Meister der Moderne orientierten sich an

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der dauerhaften Architektur der Vergangenheit und schlossen daraus, daß es wohl ein Jahrhundert dauern würde, bis man das dauerhafte Bauen mit Beton und Stahl gelernt habe. Sie hatten nicht erwartet, noch zu ihren Lebzeiten der Forderung konfrontiert zu werden, Konstruktionen mit einer neuen Generation von synthetischen Materialen wie Nylon, Kohlenstoff-Fasern, Kevlar, Mylar, Nomex oder Teflon entwickeln, einer immer größer werdenden Menge an Informationstechnologie in und zwischen den Gebäuden selbst gerecht werden und mit der elektronischen Steuerung von Bausystemen und dem Konzept des intelligenten Bauens zurecht kommen zu müssen. Sogar die wenigen, die wie Maxwell Fry, die Schwierigkeit einer solchen Aufgabe erkannt hatten, rechneten nicht mit dieser Entwicklung und verfügten somit auch über keine methodische Herangehensweise, als der Fall tatsächlich eintrat. Aus unterschiedlichsten Gründen versuchte die Moderne Architektur, die Forderungen nach einer technologischen Assimilation an das Zeitalter der Wissenschaft zu ignorieren. Vergleichbar mit Chirurgen, die ohne Narkose in einem modernen Lehrkrankenhaus arbeiten, blieben sie bedrohlich hinter der Entwicklung in ihrem eigenen Umfeld zurück. Am Ende ihres Lebens zeigte sich ihre Isolation deutlich in ihren Arbeiten, so wie Fuller es vorhergesagt hatte. Trotz der spektakulären Ergebnisse in der Entwicklung synthetischer Materialien und neuer Bautechniken, die kennzeichnend waren für die Zeit nach 1945, blieb ihre Palette an Möglichkeiten begrenzt, und auch bei ihren direkten Nachfolgern war es nicht anders. Gelegentlich wird zwar noch eine dem Entwurf das Primat einräumende Arbeitsweise verteidigt, so vor allem von Donald Schon, für den Architekten immer noch „wissen, wie man unter den Bedingungen der überhandnehmenden Information handelt""; doch gerade weil die Söhne der Pioniere, die Generation von Paul Rudolph und Eero Saarinen, nicht wußten, wie sie an die von ihnen benötigte Technologie herankommen sollten, konzentrierten sie sich auf formalen Erfindungsreichtum statt auf die sich um sie herum entwickelnden neuen Materialien und Technologien. Der Technologietransfer ermöglichte der ersten Generation Moderner Architekten ihre Meisterwerke; die zweite Generation wollte nicht daran anknüpfen, und ging somit aus einem Mangel an Erfindungen in der Flut der technischen Neuerungen unter. Ungeachtet der Vermutung von Banham, der zufolge diese große Niederlage nur den Gegensatz von Architektur und Technologie bestätigt, wirft die Vorstellung, daß dem Untergang der Modernen Architektur letztlich ein Versagen auf der Informationsebene zugrunde liegt, ein ganz neues Licht auf deren wahres Gesicht. Betrachtet man die Moderne Architektur als das Ergebnis eines kurzen, eher zufälligen Zusammentreffens von Wissenschaft und Bauen, so 193

verblaßt ihr Mythos. Was Howard Roark, der moderne Architektenheld aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts der Schriftstellerin Ayn Rand, wirklich tat, sollte nur in zweiter Linie einen künstlerischen Triumph über die Kritiker und Philister erringen. 12 In erster Linie wollte er neue Produkte schaffen und erweiterte damit den Markt um neue Materialien. Die finanzielle und politische Unterstützung, ohne die Roark die fest in der Gesellschaft verwurzelten Vertreter des traditionellen Bauens niemals hätte verdrängen können, kam natürlich von den Herstellern dieser Materialien und entsprang deren handfesten Interessen. Zwei Weltkriege hinterließen riesige Produktionskapazitäten in der Zement- und Betonindustrie, aber auch bei den Herstellern von Stahl, Leichtmetallen, Sperrholz, Kunststoff- und Glasfasern, und die Modernen Architekten erschlossen in der Nachkriegswirtschaft einen Absatzmarkt für diese Produkte, indem sie eine kulturelle Akzeptanz für die Verwendung solcher Materialien schufen. Dies war die bleibende Wirkung ihrer Arbeiten, auch wenn sie noch weit von Ayn Rands Vision eines existentiellen Kampfes zwischen Wahrheit und Unehrlichkeit entfernt sind. Aus der Distanz von 40 Jahren lassen sich nun die Fakten der Moderne neu ordnen, mit dem Ergebnis, daß die Lebensläufe ihrer großen Protagonisten das einzig romantische Element in einem sonst sehr unromantischen Prozeß sind - Technologietransfer von Materialien und Methoden aus Industrie und Technik in die Gestaltung von Geschäftsgebäuden, kulturell bedeutsamen Bauten und Wohnhäusern. Wenn wir unser Bild von den Modernen Pionieren als Helden einmal zurückstellen, entspricht unser Wissen über die von den ganz Erfolgreichen dieser Zeit angewandten Techniken genau diesem Gedankengang. So haben sie bekanntlich die Gestaltung und die Konstruktion von Getreidesilos buchstäblich kopiert, die Ziegelverkleidung von einem Stahlskelett entfernt und eine Glasfassade angehängt sowie das Aussehen von Schiffen und Flugzeugen als Vorlage für ,eine neue Ästhetik' genommen, die nur die Optik übernahm und nichts mit den Konstruktionssystemen aus Marine und Luftfahrttechnik zu tun hatte. Die wiederholte Erwähnung des Farman Goliath-Flugzeugs in Ausblick auf eine Architektur ist symptomatisch dafür. Le Corbusier unternahm keinerlei Anstrengungen, die Materialien und Methoden der Flugzeugkonstruktionen seiner Zeit anzuwenden, übernahm aber das Bild der Streben zwischen den Tragflächen aus einem etwas schrägen Blickwinkel - woraus dann seine Pilotis wurden - sowie die optische Beziehung waagrechter und senkrechter Linie - wie bei den Tragflächen und dem Flugzeugrumpf. Diese Fähigkeit, komplexe Strukturen in einer so formalen, nicht analytischen Weise zu betrachten, besitzen nur Architekten.

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102 Farman Goliath aus Le Corbusiers Ausblick aufeine Architektur des Bildes ohne die entsprechende Technologie

Vi

103 Norman Foster vor einem Modell der Hongkong and Shanghai Bank, 1986. Vom aufgeständerten Fußboden bis zur angehängten Glasfassade ist das 600 Millionen Pfund teure Gebäude eine Glanzleistung auf dem Gebiet des Technologietransfers.

von 1923. Übernahme

Alle diese Innovationen brachten kulturelle Kontroversen und öffentliche Diskussionen mit sich, doch ihre kulturelle Bedeutung war weitaus geringer als ihre wirtschaftlichen Auswirkungen. Sie waren das sichtbare Element der Nutzung neuer Materialien und Techniken am Bau und ein Teil der ungeschriebenen Geschichte des Technologietransfers, dessen sichtbares Erscheinungsbild schon immer besser dokumentiert wurde als die eher verborgenen Grundelemente. Obwohl die Episode der Moderne schnell und traumatisch verlief, war sie in ihren Grundzügen dennoch ein politisches, technisches und wirtschaftliches Ereignis, dem eine Kulturrevolution folgte, und nicht umgekehrt. Nüchtern betrachtet, ist sie damit Teil eines langen, vielschichtigen Prozesses, in dem Technologietransfer die einzige Vorgehensweise im Bereich von Forschung und Entwicklung ist, die in einem Industriezweig mit langlebigen Einzelprodukten wie demjenigen der Bauindustrie auch praktikabel ist. Technologietransfer war durchaus ein wesentliches Element des Ersten Maschinenzeitalters, ob die Theoretiker und Entwerfer dies so sahen oder nicht. Angesichts dieser Tatsache klingt Reyner Banhams Gedanke, Architektur und Technologie könnten vielleicht „miteinander unvereinbare Disziplinen" sein, eher wie eine Entschuldigung als wie eine Erkenntnis. Wenn sie es tatsächlich sind, ist es dann nicht seltsam, daß ihre Begegnungen vor dem Hintergrund einer weit zurückreichenden Geschichte nicht nur immer häufiger wurden, sondern auch immer in eine Richtung wiesen? Letztendlich hat sich immer die neuere Technologie durchgesetzt, auch wenn dies hinter verschleiernden Elementen oder mit Verspätung geschah. Die Kultur der Architektur ist ein riesiger und finanziell gut gepolsterter Stoßdämpfer gegen Veränderungen, mit Mitteln aus den Werbeetats der Bauindustrie und den riesigen Restwerten des Grundstücksmarktes. So wie der Mast einer sich im Wind drehenden Yacht, wendet sich auch die Baukultur als letzte, und diese Wendung ist scharf. Aber hat sie erst einmal stattgefunden, haben die Segel der sie antreibenden Industrie bereits schon eine neue Position eingenommen. Kurz gesagt, war der Grund der Empörung über die revolutionäre Architektur der Generation von 1914 nicht künstlerischer, sondern wirtschaftlicher Natur. Sie war eine Folge der negativen ökonomischen Auswirkungen, die den starken Nachholbedarf im Bereich der Innovationen begleiteten und auf das Bauen gelenkt wurden. Nachdem die beiden Weltkriege den Großteil der industriellen Produktion in neue Bahnen gelenkt hatten, entwickelte die AvantgardeArchitektur in ihrer Blütezeit die Kraft, die wissenschaftlich begleitete Wiederaufnahme alter Stilrichtungen hinwegzufegen, und schuf somit die Möglichkeit (wie ein Impressionist es ausdrücken würde), das gesamte Erbe der Inge-

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nieurkunst und des Produktionswesens aus dem neunzehnten Jahrhundert innerhalb eines Nachmittags in Architektur umzuwandeln. Getarnt als Revolution in der Kunst machte sich die Moderne Bewegung in der Architektur im Prinzip nur frei von der technischen Bevormundung der wissenschaftlich begleiteten Wiederaufnahme alter Stilrichtungen des neunzehnten Jahrhunderts und brachte den Bausektor wieder in eine angemessene Beziehung mit den neuen Materialien aus der Industrie. Im wesentlichen war sie damit eine Episode in dem beständig schneller ablaufenden .evolutionären Wandel' des Technologietransfers im Bausektor. Aber Architekten fällt es auch heute noch schwer, dies zu akzeptieren, denn würden sie es tun, müßten sie nicht nur den Glanz der künstlerischen Integrität' aufgeben, sondern auch einsehen, daß der Gebäudeentwurf nicht mehr ein .kreativer' Prozeß nach herkömmlichem Kunstverständnis ist. Bis aber der Technologietransfer als ein bestimmendes Element innerhalb einer evolutionären Entwicklung Anerkennung findet, wird es noch lange dauern. Architekten, die heute vor dem Hintergrund einer unklaren und trügerischen kunsthistorischen Kultur Technologietransfer erfolgreich betreiben, müssen unweigerlich Kompromisse mit der Tradition der Schönen Künste eingehen. Norman Foster ist berühmt für die geniale Verwendung von Bauteilen und Materialien, deren Ursprung in Industrien ohne direkten Bezug zum Bauen liegt: Überdachungen mit PVC im Quellschweißverfahren, das ursprünglich aus dem Schwimmbadbau stammt, flexible Neoprendichtungen aus einem Material, das ursprünglich für Kabelverkleidungen entwickelt wurde, mit Klebstoffen fixiertes Structural Glazing, übernommen aus der Automobilindustrie, superelastische Aluminiumplatten und mit Metall bedampfte Brandschutzfasern aus der Raumfahrttechnik, Spanngeräte aus der Containerbefestigung, Systeme für aufgeständerte Böden aus dem Flugzeugbau, Photochromverglasung aus dem Düsenjägerbau. All dies und noch mehr findet sich neben Präsentationstechniken und Farbpaletten aus Flugzeugmagazinen in Fosters Projekten und Bauten wieder. Konzeptionell verbindet er sie mit Buckminster Fullers Theorie der „Ephemerisierung", die in den Anfangsjahren seines Büros eine bewußt und voll Spannung verfolgte Doktrin war; aber in seinen Augen ist Technologietransfer kein Gebiet der Architektur. Für Norman Foster liegen dieser interessante, aber ,unkreative' Prozeß und die Tradition der Schönen Künste sowie die Ingenieurkunst, auf die alle Architekten heute zurückgreifen, weit voneinander entfernt. Der Ingenieur Peter Rice meinte dazu: „Für High-Tech-Architekten bietet das vom Ingenieur gelieferte Fachwissen den besten Rahmen für die Entfaltung ihrer Architektur.'" 3 Michael Hopkins drückte es folgendermaßen aus: „Unsere Architektur ent-

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104 Technologietransfer bei N o r m a n Fosters ,Stockley Park Building B' von 1989. Aus der Automobilindustrie zur Befestigung der Scheiben entliehene, emaillierte ,Fritten' werden großflächig für eine spektakuläre Glasfassade eingesetzt.

stammt unserem Ingenieurwissen, und unser Ingenieurwissen kommt von unseren Ingenieuren." 14 Hinter diesem Glauben an das Ingenieurwissen steht vielleicht der Zweifel, daß es heute keine andere Grundlage für eine rationale Architektur gibt. Wenn man die Logik der Konstruktion aufgibt, bleibt nur noch das Abgleiten in die neoklassizistische Fassadengestalterei oder die postmoderne Irrationalität. Führende High-Tech-Architekten werden die Tatsache eines Technologietransfer in ihren Entwürfen bestätigen und ihn in den Baubeschreibungen stolz als Beweis für modernes Bauen anführen. 15 Gleichzeitig schrecken sie aber davor zurück, ihn als ein Gebiet der Architektur herauszustellen, da er kein .kreativer' Prozeß nach dem herkömmlichen Kunstverständnis ist, und treten damit in die Fußstapfen ihrer neoklassizistischen Vorgänger am Beginn des Jahrhunderts, die ebenfalls davor zurückschreckten, der ,Formel' des Funktionalismus beziehungsweise der .Tyrannei' des plan directeur beizupflichten. Natürlich gilt nicht nur der Technologietransfer als .unkreativ'. Für manche ist schon die Vernachlässigung der künstlerischen Inspiration zugunsten einer eingehenden Prüfung aller möglichen Alternativen - wie bei Foster Associates, wo das Entwurfsteam nicht weniger als 108 Konzepte für das schließlich doch aufgegebene BBC Radio Centre-Projekt am Langham Place erarbeitete - weder ein geistig herausfordernder noch ein kreativer Prozeß nach dem herkömmlichen Kunstverständnis. Aber beim Technologietransfer geht es nicht um die Vor- oder Nachteile dieser nur noch vom Computer zu bewältigenden Fülle von Daten; hier geht es einzig und allein um die Frage, ob eine nähere Betrachtung fachfremder Technologien im Zweiten Maschinenzeitalter neue Wege weist. Die vollständige Anerkennung der Priorität des Technologietransfers in der Architektur findet sich am ehesten in den Arbeiten eines ehemaligen Partners von Foster. Richard Horden entwarf eine Reihe von Gebäuden, bei denen Technologietransfer in einem Maße umgesetzt wurde wie sonst kaum in Großbritannien. Das Yacht House in Hampshire aus dem Jahre 1984 sowie dessen Nachfolgebauten enthalten sämtliche Grundprinzipien des Technologietransfers, die sporadisch bei Norman Foster zur Anwendung kamen, hier jedoch sind sie in einer Rahmenkonstruktion für eine Reihe vielseitig verwendbarer Gebäude konzentriert. Horden findet seine Materialien und Methoden bei den Herstellern von hochleistungsfähigen Yachtaufbauten. Sein einzigartiges ,Wind Frame'-Tragsystem entstammt den Forschungs- und Entwicklungsleistungen - sowie den Materialien und Methoden - der hochmodernen Bootsbauindustrie und deren Zulieferern. An Hordens Yacht House wird nicht nur 199

105 Yacht House, Richard Horden, 1984. Die Konstruktionszeichnung zeigt den ,Wind Frame' aus mit Drahtseilen verstrebten Bootsholmen mit den entsprechenden Verbindungselementen. (1) Fundamentplatte, (2) ,Wind Frame' (,Windverband'), (3) Bodenplatte, (4) Deckenpaneele, (5) Wandverkleidung, (6) Versorgungsleitungen, (7) lange Verstrebungen, (8) Dachfenster mit Sonnensegel (übernommen von einem speziellen System zum Reffen von Vorsegeln), (9) Zusatzinstallationen

106 Yacht House, Richard Horden, 1984. Eine leichte auf der Arbeit von Mies van der Rohe aufbauende Architektur aus geschickt ausgewählten Industrieprodukten

deutlich, daß ein architektonischer Entwurf möglich ist, der auf der Kombination verschiedenster industriell gefertigter Bauteile basiert, sondern auch, daß das Ergebnis sogar eine gewisse kulturelle Akzeptanz innerhalb der h e r k ö m m lichen Entwurfstradition finden kann. Mit seinem Yacht House hat er mehr als jeder andere lebende Architekt gezeigt, daß eine wahre Architektur des Technologietransfers weder dürftig noch primitiv sein m u ß . W i e Richard H o r d e n hat auch das in London u n d Los Angeles ansässige Büro Future Systems Inc. mit seinen Partnern Jan Kaplicky, David Nixon u n d A m a n d a Levete, die bereits auf den vorangegangen Seiten vorgestellt wurden, seit fast zehn Jahren eine Architektur des Technologietransfers zu entwickeln versucht. Future Systems kann sich rühmen, das einzige britische Architekturbüro zu sein, das am Entwurf der bemannten Raumstation der NASA aus dem Jahre 1996 beteiligt war. Bei den Projekten dieses Büros steht, wie bei den zukunftsweisenden Projekten von Archigram, die Verwendung von Technologien aus der Raumfahrttechnik im Vordergrund, doch geht die Verschmelzung organischer Strukturen hier noch weiter. Seit einiger Zeit beteiligen sie sich mit ihren Entwürfen mit hochmodernen Konstruktionsystemen auch an konventionellen Architekturwettbewerben, so etwa am Wettbewerb um die Grand Buildings am Trafalgar Square von 1985, an dem auch H o r d e n teilgenommen hatte, u n d sind dadurch in der Lage, die Vorteile des Technologietransfers mit Zahlen zu belegen. Ihr Trafalgar Square-Projekt, das der ,gotischen Lösung' n a h e k o m m t , besitzt längsversteifte Schalenwände mit einem Stahlrahmen nach dem Vorbild des Rumpfes einer Rennyacht, eine selbstreinigende, keramische Außenhaut, die aus ihren Entwürfen für die NASA abgeleitet wurde, sowie einen verstellbaren Fußbodenaufbau u n d erreichte damit einen höheren Anteil von Nutzfläche im Verhältnis zur Gesamtfläche als jeder andere, nach traditionelleren Methoden entworfene Wettbewerbsbeitrag. Die gleichen gewichtigen Vorteile besaß auch der prämierte Entwurf für den Wettbewerb für die Bibliothèque Nationale in Paris von 1989. Aber nur durch diese wohlüberlegten Projekte, wie etwa Fosters sorgfältig abgewogene Integration fachfremder Technologien in eine vom herkömmlichen Kunstverständnis dominierte Kultur, Future Systems' parakommerzielle Entwürfe u n d Hordens einzigartiges Konstruktionssystem aus Bootsmasten, bleibt die Architektur des Technologietransfers in einem veralteten Wertesystem, das dem Denkmalschutz oberste Priorität einräumt und die Architektur seit dem Ende der Meuterei der Repräsentanten der Moderne beherrscht, überhaupt sichtbar. Da es sich beim Technologietransfer aber u m ein aus den verschiedensten Elementen bestehendes Gebiet der Architektur handelt, gehört er, wie auch die Produktionstechnik oder die Entwicklungen im A u t o m o -

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bil-, Schiffs- und Flugzeugbau, zu einem anderen und passenderen Wertesystem: dem gemeinsamen Pool industrieller Systemverflechtungen. Irgendwann, so Horden, wird das gesamte Spektrum von fabrikgefertigten Bauteilen, von der kleinsten Montageschraube bis zum größten Fertigteil einer Ölplattform, für einen Technologietransfer in das Bauwesen genutzt werden. Er persönlich bedient sich lieber kleinerer Bauteile für seine Entwürfe, doch seiner Ansicht nach ist die riesige - noch nicht aufgebaute - Datenbank mit allen Produkten das geeignete Feld, in dem die Architekten der Zukunft auf die Suche gehen können. Doch diese Revolution kann nur stattfinden, wenn eine Brücke geschlagen wird zwischen der gegenwärtigen, isolierten Welt der stilversessenen Fassadengestalterei und der neuen Vorstellung, wonach Bauen das Produkt einer industrienübergreifenden Kombination von Bauteilen und Systemen ist. Derzeit kann eine solche Brücke nur mit Hilfe von Architekten wie Foster, Horden, Whitehouse, Kaplicky und Nixon geschlagen werden, die es verstehen, in beiden Welten zu leben und den großen Nutzen der industrienübergreifenden Arbeiten kennen, aber auch die Ergebnisse ihrer Arbeit in das alte Wertesystem des herkömmlichen Kunstverständnisses übersetzen, beziehungsweise .kulturell akzeptabel machen' können. Doch ein solches Doppelleben ist ein Kompromiß, der enorme Anstrengungen erfordert. Zum Glück verhalten sich viele andere Berufsgruppen im technischen Bereich nicht so unflexibel wie die Architekten, und so bietet sich die Übernahme eines Modells aus einem anderen Bereich menschlichen Strebens an, in dem man Technologietransfer nicht nur seit langem als Chance erkannte, sondern bereits eine Verwaltungsstruktur für deren verstärkte Umsetzung ausarbeitete. In den Vereinigten Staaten legte die National Aeronautics and Space Administration (NASA) bereits knapp zehn Jahre nach ihrer Gründung im Jahre 1 9 5 8 dem mit Wissenschaft und Raumfahrt befaßten Kongreßausschuß einen Bericht vor, in dem nicht nur ausgeführt wurde, wie in der Vergangenheit durch den Transfer von Techniken aus dem Verteidigungswesen zahlreiche wichtige Beiträge zur zivilen Technik geleistet wurden' 6 , sondern auch die Schaffung eines neuen Berufsfeldes, der sogenannten ,Transfer Agents', vorgeschlagen wurde. Deren ausschließliche Aufgabe sollte darin bestehen, „wirksame Technologietransferprozesse durch gezielte Programme anzuregen, zu beschleunigen und zu fördern". Die Worte von Charles Kimball, dem damaligen Präsidenten des Midwest Research Institute, aus dem Bericht an den Kongreß von 1967, charakterisieren auch heute noch sehr gut den Prototyp einer Art ,Testarchitekten' von morgen, der den Ansprüchen der gebauten Umwelt so gut gerecht werden könnte

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wie die .Transfer Agents', wie sie Kimball als Unterstützung bei der Eroberung des Weltalls vorgeschlagen hatte. „Den hier beschriebenen Typus von Mensch könnte man auch einen .Anwender von Wissenschaften' oder besser noch einen .Anwender von Technologien' nennen", schrieb Kimball. „Er (oder sie) wird zwei herausragende Charaktereigenschaften besitzen: umfassende Kenntnisse über die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse sowie ein breites, technisches Hintergrundwissen. [...] Die Zeit ist reif, Techniken, Lehrpläne an den Universitäten, Experimente und vielleicht auch neue Institutionen gezielt zu planen und zu entwickeln, um der Nation eine größere Zahl an Personen zur Verfügung zu stellen, die als ,Anwender von Technologien' einsetzbar sind. [...] Das Profil dieser Personen muß klar sein, und geeignete Anwärter müssen möglichst frühzeitig in ihrer beruflichen Laufbahn erkannt werden, damit sie die wesentlichen und wichtigen Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen können. Anschließend müssen sie ein Arbeitsumfeld erhalten, in dem ihr Beitrag auch Wirkung zeigen kann. Technische Erfindungen werden von Personen - nicht von Berichten - weitergegeben und umgesetzt, und damit Menschen dies wirkungsvoll tun können, müssen sie in einem Umfeld arbeiten, das eine neue unternehmerisch aktive Generation schafft."17 Das Arbeitsfeld solcher ,Transfer Agents' in der Architektur wäre enorm groß. Man könnte es als positive Variante von Richard Meiers negativer Beschreibung eines postmodernen Architekten umreißen, der „die Vergangenheit durchstöbert, die Gegenwart beraubt und die Zukunft auslöscht"18. .Transfer Agents' in der Architektur würden tatsächlich die Vergangenheit durchstöbern und die Gegenwart berauben, aber es würde sich dabei um das Durchstöbern der gesamten Vergangenheit und Gegenwart der Technik handeln, nicht nur um einen kulturell definierten Ausschnitt daraus. Außerdem würden sie, statt die Zukunft auszulöschen, neue Perspektiven dafür schaffen. Vor zwanzig Jahren schrieb Kimball, daß Wissenschaftler und Ingenieure sich erfahrungsgemäß nicht als .Transfer Agents' eigneten: Architekten würden heute vielleicht eher die erforderlichen Eigenschaften dafür besitzen. Ihr erster Bericht für den Kongreß könnte das erste Nachschlagewerk der Architektur des Informationszeitalters werden, eine Architekturgeschichte aus technischer und methodischer - und weniger aus kunsthistorischer - Sicht. Verglichen mit den belanglosen Arbeiten über Stilgeschichte, die gegenwärtig echte theoretische Abhandlungen im Bereich der Architektur verdrängen, hätte eine ernsthafte Analyse des Technologietransfers bei Gebäuden unmittelbare Auswirkungen. Mit der Klarheit und der Kraft Moderner Pioniere wie Adolf

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Loos oder Le Corbusier würden damit Geheimnisse aufgelöst und Mythen abgeschafft werden. Man erhielte gleich von Anfang an eine dringend notwendige, objektive Basis für die vergleichende Betrachtung der evolutionären und ökonomischen Bedeutung der ,prämodernen', Modernen und postmodernen Architektur. In bezug auf den Technologietransfer könnten sich manche postmodernen Gebäude als reichhaltiger herausstellen als deren ,High-Tech'Gegenstücke. Das Clifton Nurseries-Gebäude in Covent Garden von Terry Farrell mit einer Teflon-beschichteten Dachmembran aus Glasfasern und Dachbalken aus Schiffmasten ist ein gutes Beispiel hierfür. Gebäudehüllen im Stil des Classical Revival aus profilierten, mehrschichtigen Fertigteilplatten sind manchmal sogar wesentlich eindrucksvoller und eine geschickte Möglichkeit, der Verwendung solch fortschrittlicher Verbundstoffe aus dem Bootsbau wie Kevlar, Epoxid und Kohlenstoff-Fasern in der Architektur kulturelle Akzeptanz zu verleihen. Selbstverständlich braucht die neue Ästhetik industrieller Bricolage ganz neuartige Entwurfsfähigkeiten. Aber wie auch im Ersten Maschinenzeitalter reichen handwerkliche Fertigkeiten allein nicht aus. Die Modernen Pioniere hätten ohne die indirekte Unterstützung aus der Stahl- und Betonindustrie, die sich neue Märkte erschließen wollte, nicht solche Fortschritte gemacht; und so können sich auch die heute bescheidenen Experimente des Technologietransfers nur mit einer vergleichbaren Hilfe zu dem neuen Fachbereich der Kombination verschiedenster Elemente aus den verschiedensten Gebieten entwikkeln. Der Technologietransfer in die Architektur benötigt vor allem die Hilfe von Branchen mit Industrierobotern, wie etwa der Automobilindustrie, bei denen Technologietransfer auf allen Ebenen der Entwicklung, Konstruktion und Produktion bereits selbstverständlich sind. In gewisser Weise gibt es bei den in Kapitel 5 beschriebenen, die ,gotische Lösung' verkörpernden Geschäftsgebäuden bereits die Kombination von Elementen aus verschiedensten Bereichen wie in der Automobilindustrie: Stahlrahmenkonstruktionen aus Großbritannien, Beton aus Griechenland, Verkleidungen aus Deutschland, Klimaanlagen aus den USA, Computerarbeitsplätze aus Italien ... Erkennt man diese Realität an, so ist es nur noch ein kleiner Schritt zu .einem gewissen Anteil an Lokalkolorit' bei Gebäuden, wie es in der Automobilindustrie bereits erfolgreich durchgeführt wird. Aber all das ist Zukunftsmusik. Im Gegensatz zu der Fülle an letztlich nutzlosen, rein kunstbezogenen Forschungen, die finanziert wurden, seit die Architekturlehre sich selbständig gemacht hat und eine eigene akademische Disziplin wurde", ist die Erforschung des Transfers von Materialien und Methoden aus anderen Bereichen in den Entwurf von Gebäuden vernachlässigt worden. 205

108 (a) und (b) Seite 207, Clifton Nurseries, Covent Garden, Terry Farrell, 1982. In dem Gebäude, das bald abgerissen werden soll, zeigt sich eine posthistorische Fülle an Technologietransfer. Ein klassisches Außeres (a) versteckt ein teflonbeschichtetes Glasfaserdach (b).

Ansatzweise und modellhaft findet man dies durchaus in Innovationsstudien für die Bauindustrie der Nachkriegszeit. Besonders erwähnenswert sind dabei die Arbeiten von Burnham Kelly - The Préfabrication of Houses (1951) - , der sich in seiner Zusammenstellung auf die USA konzentriert, sowie von Marian Bowley — Innovation in Building Materials (1960) und The British Building Industry (1966) - , deren Hauptaugenmerk auf Großbritannien liegt; aber das ist dann auch schon alles. Gäbe es eine gründliche Studie über die Architektur des Technologietransfers, die durch alle stilbedingten Verschleierungen hindurchsehen würde, dann träte die Ähnlichkeit der heute in der Architektur verwendeten Materialien zutage, unabhängig vom Stil, hinter dem sie versteckt werden, und dann würden sich die Tiefenstrukturen und Oberflächenstrukturen beim Gebäudeentwurf deutlicher denn je zeigen. Auf diese Weise würde die unterwürfige Welt der Architektur von heute für die nach quantitativen Maßstäben messenden analytischen Bewertungsmethoden zugänglich werden, die die Welt der Entwicklung und Konstruktion und der industriellen Fertigung des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts beherrschen. Architektur, die heute nur eine okkulte Welt der Unwissenheit und Magie ist, unterbrochen von einzelnen, individuellen Leistungen, könnte zu einer Mega-Technologie werden. Der Zugriff auf das unübersehbare, weite Feld der Produktinformation, das erst heute fragmentarisch und unorganisiert langsam ins Bewußtsein gelangt, könnte so einfach und direkt zugänglich sein wie ein Videospiel. Könnte man die neue Architektur des Technologietransfers mit der gleichen ideologischen Gewißheit vertreten, wie es sie in der Modernen Bewegung gab, dann könnten sich die zum zweiten Mal in einem Jahrhundert aus der Tyrannei der Geschichte befreiten Architekten in ihrem Entwurf von den unterschiedlichsten Bereichen inspirieren lassen. Sie würden sich damit Wege zu neuen Materialien und Techniken eröffnen und könnten sie mit Hilfe eines Knopfdrucks auf dem Joystick in Kultur verwandeln. Wie den Bienen würde man den ,Transfer Agents' der Architektur eine ebenso evolutionäre wie produktive Aufgabe zugestehen, und ihre Rolle bestünde in der fachübergreifenden Verbindung der Materialien und Methoden aus dem gesamten, weltweiten Produktekatalog, aus der dann die eine Welt der Architektur des Technologietransfers entsteht.

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Anmerkungen

1 Charles Kimball, Präsident des Midwest Research Institute im Jahre 1967, verwendet den Begriff in diesem Sinn in seinem Aufsatz „Technology Transfer", veröffentlicht in: Applied Science and Technological Progress, ein Bericht der National Academy of Sciences aus dem Jahre 1967 für den Ausschuß Wissenschaft und Weltraumforschung des amerikanischen Repräsentantenhauses. 2 Im Bericht der National Academy of Sciences werden elf wichtige Bereiche für den Technologietransfer von militärischen zu zivilen Anwendungen allein in der Zeit von 1945 bis 1967 genannt. Diese beziehen sich auf Bereiche wie Computeranwendungen, Luftfahrttechnik, Flugkontrolle, Lager- und Druckbehälter aus Glasfasern, anorganische Beschichtungen, Magnethammertechnik, Netzplantechniken, Steuerungstechniken sowie Finanzierungspläne. Das Beispiel des Beschleunigungsmessers ist vielleicht das ungewöhnlichste. 3 Eine Beschreibung dieses Gebäudes findet sich im RIBA Journal vom September 1983. 4 Siehe „Developments in the Structural Application of Light Gauge Galvanised Steel in Building", Beitrag zum Seminar des Department of Civil Engineering of the University of Surrey, Dezember 1979, Abschnitt 5.0, „The Matrex Frame" von Nick Whitehouse 5 Ich danke Richard Horden für dieses Beispiel. 6 Mehr über Reynolds Technik des Kuppelbaus findet sich in: Martin Pawley, Building for Tomorrow: Putting Waste to Work, Sierra Club, San Francisco 1982 7 Ein Bericht über die Entwicklung dieser .Kunststoff-Panzerung' findet sich in: Gerald Pawle, The Secret War, Harrap 1956. In Deutschland verwendete man auch eine Betonbewehrung in einer Stärke von bis zu 100 mm bei dem Sturmgeschütz IV* (siehe Eric Grove, World War II Tanks, Orbis 1976). Viele Jahre später schlug Renzo Piano eine Stahlbetonkarosserie für ein einfaches Auto vor, das er für die Länder der Dritten Welt gedacht hatte. 8 Richard Buckminster Fuller, .Designing a New Industry', ein Bericht Uber die Entwicklung des Fertighauses vom Typ W I C H I T A , in einem Prospekt des Fuller Research Institute, Wichita, Kansas 1946; abgedruckt in: James Meiler (Hg.), The Buckminster Fuller Reader,Cipe 1970 9 Vgl. Einführung, S. 21 10 Banham, Theorie und Gestaltung, a.a.O., S. 279 11 Donald Schon, T h e Reflective Practitioner: How Professionals Think in Action, Temple Smith 1983 12 Ayn Rand, Der ewige Quell, Goldmann Verlag 1978. Eine weitere Bezugnahme auf dieses Buch findet sich in Kapitel 7, S. 218 13 Das Zitat von Peter Rice stammt aus einem Artikel über den Ingenieur in: The Architects'Journal (2\. und 28. Dezember 1983) 14 Das Zitat von Michael Hopkins findet sich in: Building (8. November 1985) 15 Vor allem Norman Forster zitiert gerne Beispiele des Technologietransfers bei den Entwürfen für seine Gebäude, wie etwa beim Renault Centre (Befestigungen wie bei Lkw-Seitenklappen)

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oder bei der Hongkong and Shanghai Bank (traditionelle, chinesische Bambusgerüste und eine wie in der Automobilindustrie übliche Lackierung der Verkleidung) .Aber zugleich möchte er dieser Methode keinesfalls Vorrang gegenüber künstlerischen Gestaltungsüberlegungen einräumen. Siehe Anmerkung 2 mit einer kurzen Auflistung von Beispielen Kimball, Bericht der National Academy of Sciences, 1967, a.a.O. Der amerikanische Architekt Richard Meier äußerte diese Worte in seiner Rede anläßlich der Verleihung der RIBA-Goldmedaille im Oktober 1988. Eine Entscheidung der Oxford Conference von 1958, die seither zu einer Verminderung der technischen Fähigkeiten von Architekten in Großbritannien beigetragen hat.

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7 Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter

Die Geschichte gibt einer bedrohten und dem Untergang geweihten Gesellschafi bedeutungsvolle Warnungen, die zum Beispiel in der Dekadenz der Kunst oder dem Fehlen großer Staatsmänner erkennbar sind. Es gibt auch ganz offensichtliche und für jeden erkennbare Warnungen. Wenn das Zentrum Eurer Demokratie und Eurer Kultur nur für ein paar Stunden ohne Strom bleibt, ziehen plötzlich plündernde Menschenmassen eine Spur der Verwüstung. Die glatte Oberfläche mußsehr dünn, das Gesellschaftssystem recht instabil und krank sein. Alexander Solschenizyn, 1978* Diese spezielle Warnung, die Andy Warhols Idee aufnahm, daß Ruhm eine Sache von 15 Minuten sei, aber heute fast vergessen ist, hat eine eindrucksvolle Geschichte. In Deutschland brach man nach 1945 mit einer ganzen, auf solchen Warnungen aufbauenden philosophischen Tradition aufgrund ihrer Nähe zu den niedergerungenen Kräften des Faschismus und ersetzte sie durch eine den Idealen eines demokratischen Gesellschaftsprozesses besser angepaßte Form des logischen Positivismus. Aber auch diese Annahme von Vernunft ließ sich nicht einmal mit einer höchst zweckorientierten und praktisch denkenden Industriegesellschaft in Einklang bringen. Eine Fehleinschätzung, die durch das stark vereinfachte philosophische Verständnis von Robert Propst in seinem Buch The Office: A Facility Based on Change ausgezeichnet dargestellt wird1, das über zwanzig Jahre lang als Bibel zur Bewertung menschlicher Leistung im Handel war. Daraufhin wurde dieser Positivismus auch wieder abgelöst, diesmal von einem eher zurückhaltenderen wissenschaftlichen Eintreten für ,kommunikative Vernunft' in der Zukunft. Dies war leider das Stalingrad der konformistischen Philosophie, denn die Schule der Rationalisten griff aus 211

ihrer bereits geschwächten Position heraus die Systemtheorie an. Dies führte in den frühen siebziger Jahren direkt zu linguistischen Studien und der Computerwissenschaft, die ihrerseits gerade damit begonnen hatten, sämtliche veralteten philosophischen Modelle der ,Suche nach Bedeutung 1 wegzuräumen. Die Folge davon war das Verschwinden der kommunikativen Vernunft' und der Aufstieg einer wirklich brauchbaren Philosophie eines globalen elektronischen, vom blinden Fortschrittglauben an die Informationswissenschaft beherrschten Bewußtseins. Von dieser neuen Beschäftigung mit dem Medium statt mit der Botschaft, wobei elektronische Fakten über den menschlichen Willen gesetzt wurden, war es nur mehr ein kleiner Schritt zur Anerkennung der Herrschaft der Maschine, zum Hinnehmen von Macht ohne Ziele - und damit wieder zu einer Billigung des Irrationalen. Kurz gesagt, ist das auch der Grund, weshalb die deutschen Anhänger eines Rationalismus heute die ungelesenen Werke von Klages und Spengler, Theodor Lessing und Carl Schmitt gewissermaßen gefiltert in Form der Schriften der französischen Vertreter der Postmoderne lesen.2 In England gab es, abgesehen von der Auswirkung der übersetzten Werke der Pioniere der Moderne vom europäischen Kontinent, keine derartige Odyssee in der Philosophie. Im Prinzip gab es seit der Arts and Crafts-Bewegung von Ruskin und Morris keine neuen philosophischen Gedanken zum Thema Gestaltung. In den dreißiger Jahren organisierten emigrierte Kunsthistoriker in aller Schnelle eine Zwangsheirat zwischen dieser Bewegung und den am Bauhaus gelehrten Theorien des Industriedesign, und dann ruhte die Sache bis zur postmodernen Wiedergeburt der subjektiven Irrationalität vierzig Jahre später. Wie in Deutschland und in den USA führte dies auch in England zur Ablehnung der Botschaft des gesellschaftlichen Fortschritts zugunsten des Mediums des ökonomischen Wachstums - beziehungsweise der Hervorhebung der „Materialität des Signifikanten" gegenüber der Metaphysik des Signifikats, wie man es in philosophischen Kreisen ausdrückt. In Deutschland überlebte die anfängliche Verbindung zwischen Philosophie, Politik, Planung und Gestaltung sogar dieses Trauma, nicht so in England. Während des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts wurde in England die Philosophie der Gestaltung in Romanform abgehandelt. Im Bereich der Architektur wie auch bei Gedanken zu Moral und Unterhaltung dienen Romane in der angelsächsischen Welt vielen Zwecken, die anderenorts als philosophisch eingestuft würden. George Orwells 1984, Aldous Huxleys Schöne neue Welt und die wenigen, in die Zukunft blickenden Arbeiten von H.G. Wells, die aufgrund ihres rassistischen und imperialistischen Beigeschmacks nicht abschrecken, kommen einem Genre der praktischen Philosophie, das das Erste Maschinen212

Zeitalter in diesem Zusammenhang anzubieten hat, am nähesten. Diese Schriftsteller sind die britischen Äquivalente zu Spengler, Heidegger, Sartre oder Habermas. Bei ihren Arbeiten handelt es sich nicht um ehrgeizige philosophische Abhandlungen, sondern um Erzählungen mit einer Moral, und damit sind sie aus wissenschaftlicher Sicht vielleicht ebenso bedeutsam wie die Romane von Albert Camus. Die Kurzgeschichte von Edward Morgan Forster (1879-1970) mit dem Titel The Machine Stops kommt dabei den Gedanken von Solschenizyn am nächsten. The Machine Stops ist eine bekannte Warnung vor dem Untergang der technisierten Welt. Die Geschichte wurde 1911 erstmals veröffentlicht und von ihrem Autor als „Reaktion auf eine der früheren, idealisierten Beschreibungen von H.G. Wells" dargestellt. Sie erzählt von einer unterirdisch lebenden, technologischen Gesellschaft der Zukunft, bei der (um das unpersönliche Vokabular der Gegenwart zu benutzen) der Rückgang der technischen Qualifikation wiederholt zu Systemzusammenbrüchen und letztlich in die Katastrophe und zur Auflösung führt. Angesichts des frühen Entstehungsdatums der Erzählung überrascht es doch sehr, wie der Autor mit seinen erfundenen unterirdischen Siedlungen die später von Fuller entworfenen kapselartigen Behausungen vorwegnimmt und als „klein, sechseckig, wie die Wabe einer Biene" beschreibt. Aber dieser Weitblick wird durch sein beharrliches Hinarbeiten auf ein Happy End für einige wenige Helden, die interessanterweise „die Heimatlosen" genannt werden, abgeschwächt. Damit wird das endgültige Aussterben der Spezies Mensch verhindert, das - im Gegensatz zum Roman - das Grundelement aller philosophischen Vorstellung vom Ende der uns bekannten Welt ist.3 Forster war kein Solschenizyn, obwohl sie als Schriftsteller vielleicht miteinander verglichen werden könnten. Als Solschenizyn über den Gulag schrieb und sein denkwürdiges Klagelied aus seinem Exil in Vermont anstimmte, ähnelte er damit von allen verbotenen philosophischen Stimmen am meisten denjenigen Oswald Spenglers (1880-1936), der gerade intensiv an einem umfassenden Werk über den Aufstieg und Fall von Zivilisationen arbeitete, als Forster kurzerhand seine berühmte Kurzgeschichte verfaßte. Der erste Band von Spenglers Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes wurde 1918 veröffentlicht, der zweite 1922. Zehn Jahre später gab der Autor die Einwilligung zur Veröffentlichung einer Zusammenfassung dieses Werkes, die auf von ihm gehaltenen Vorlesungen basiert und unter dem Titel Der Mensch und die Technik erschien.4 Spengler übersprang den bourgeoisen Individualismus, der für Forster von der Gesellschaft ausgestoßene Überlebende erst möglich machte, und beschrieb das Aufkommen einer Schicht, die der rettungslos verlorenen, die Supermärkte plündernden, unterprivilegierten Urbanen Klasse 213

109 A. Solschenizyn. Plünderung und Zerstörung liegen direkt unter der dünnen glatten Oberfläche.

110 E. Morgan Forster (1879-1970) als junger M a n n . Eine letztlich doch romantische Vision vom Versagen der Maschine.

Π Ι Ο . Spengler (1880-1936). Er warnte vor einem „Pazifismus im Kampfe gegen die Natur".

112 Prince Charles macht sich zum .pazifistischen' Streiter für den M a n n auf der Straße.

in Solschenizyns ausgehendem zwanzigsten Jahrhundert ähnelt. Aber auch für ihn gab es nur den von Forster vorhergesagten Weg des Scheiterns - auch seine von der Technik bestimmte Gesellschaft zerbrach, aber nicht aufgrund des Versagens ihrer lebenserhaltenden Maschinen, sondern aufgrund der Degeneration der für sie verantwortlichen technologischen Intelligentsia. Für Thomas Mann, der 1930 eine Würdigung verfaßte, beschrieb Spengler die Bedrohung des zivilisierten Lebens, die entsteht, wenn eine Kultur nicht mehr kompetent ist, wenn sie ihren eigenen Mut auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik nicht mehr würdigt. „Ein Volk tritt, wenn seine Kultur sich ausgelebt hat, ins Fellachentum [nach Spengler der Endzustand jedes Volkslebens] über und wird wieder geschiehtslos, wie es als Urvolk war", und wird „Masse, die nicht mehr Volk ist, das Nomadentum der Weltstädte, das ist die Formlosigkeit, das Ende, das Nichts." 5 Spengler äußerte sich ganz deutlich über die Rolle diskreditierter Experten beim Zusammenbruch der Maschinen-Zivilisation, doch wäre für ihn der Zusammenbruch der Architektur nur ein kleiner Ausschnitt davon gewesen. 1922, als Le Corbusier seine ersten breiten, innerstädtischen, zwischen gläsernen Hochhausreihen hindurchschießenden Schnellstraßen zeichnete, vermittelte uns Spengler bereits eine Vorahnung von am Verkehrsinfarkt sterbenden Städten. Er sah Automation, Arbeitslosigkeit, Terrorismus, Sabotageakte voraus und „Eisenbahnen und Dampfschiffe [zertrümmert und vergessen] so gut wie einst die Römerstraßen und die chinesische Mauer, unsere Riesenstädte mit ihren Wolkenkratzern ebenso wie die Paläste des alten Memphis und Babylon". Im Gegensatz zu Forster betrachtete Spengler diesen Verfall nicht als unvermeidliches Entwicklungsstadium innerhalb eines großen Kreislaufs von Vergehen und Erneuerung, sondern als barbarischen Endzustand, in den die Menschheit für immer versinken würde, sollte ihr die Kontrolle über den allgegenwärtigen und selbstlosen Dienst von Maschinen jemals entgleiten. Spengler sah in der Weigerung, der Technologie zu widerstehen, nichts anderes als ein kollektives Versagen menschlicher Stärke, was er so treffend „eine Art Pazifismus im Kampfe gegen die Natur" nannte. Er sah in der Sehnsucht seiner Zeit nach „der reinen Spekulation [...] Okkultismus und Spiritismus [...] metaphysische[n] Grübeleien" so etwas wie moralische Feigheit. Für ihn gab es keine ,sanfte Technik' und auch keine ,grüne Alternative'. Er rief die „Führer der Menschen" dazu auf, die Weiterentwicklung der Wissenschaft in „der klaren und kalten Atmosphäre technischer Organisation" mit Macht voranzutreiben - Gedanken und Worte, aufgrund derer man ihn später mit den Greueltaten der Nazis in Deutschland in Verbindung brachte, obwohl er zu 215

diesem Zeitpunkt bereits tot war. Aber abgesehen von dieser Assoziation hatte er die gleiche Vision einer von Technologie geprägten, globalen Gesellschaft der Zukunft wie Richard Buckminster Fuller, wobei ihm allerdings jener unerschütterliche Optimismus fehlte, den Fuller aus dem von ihm entwickelten Gesetz der technologischen „Ephemerisierung" ableitete. Spengler schrieb: „Alle großen Erfindungen und Unternehmungen stammen aus der Freude starker Menschen am Sieg. Sie sind Ausdruck der Persönlichkeit und nicht des Nützlichkeitsdenkens der Massen, die nur zusehen, aber die Folgen hinnehmen müssen, wie sie auch sind." Fuller dagegen glaubte: „Die wirklichen Entscheidungen können nur von unabhängig denkenden und ausreichend informierten Personen in Verbindung mit deren telepathisch vernetztem Wissen gefällt werden - das Wissen der Mehrheit aller dieser Personen." 6 Spengler Schloß jedes .telepathisch vernetzte Wissen' aus. Er glaubte an Führung und die Verantwortung der Experten, die durch „die Ausbildung dieses reifen und späten Produktes, des technischen Denkens" regieren. Trotz ihrer Unterschiede versuchten sowohl Spengler als auch Fuller eine Art prätorianische Wache oder Samurai der modernen Technologie auszumachen, der unbeirrt von öffentlichen Unmutsäußerungen, schlimmsten Warnungen oder Sirenenrufen aus der Vergangenheit voranschreiten würde. Für Spengler waren diese Männer (denn typisch für seine Zeit, konnte er sich nicht vorstellen, daß Frauen diese Aufgabe übernehmen könnten) nicht als Team in ein großes Gemeinschaftsunternehmen eingebunden - wie Fuller die Teilnehmer aus aller Welt an seiner .World Design Science Decade' der sechziger Jahre gerne sah, sondern als geniale Individuen mit Macht. Spenglers Ingenieure waren keine Funktionäre, Politiker oder Intriganten, die Resolutionen verfassen und in Kommissionen, Parlamenten oder Palästen diskutieren: Sie besaßen die für jeden spürbare Autorität und Verantwortung von Generälen. Für Spengler war die Schaffung der Maschinen-Zivilisation des neunzehnten Jahrhunderts eine imperiale Aufgabe, zwar vergleichbar mit dem Aufbau der Zivilisationen von Griechenland und Rom, aber weitaus größer als dieser. „Aber die großartige technische Entwicklung des 19. Jahrhunderts war nur auf Grund des beständig steigenden geistigen Niveaus [von Ingenieuren, Organisatoren und Erfindern] möglich gewesen." Und die von diesen Männern geschaffene Maschinen-Zivilisation sei so effizient, daß zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts für die weltweite Fortsetzung ihrer Arbeit nur etwa „ 100000 hervorragende Köpfe nötig" wären. Nach Spenglers fester Überzeugung bestand die einzige Aufgabe dieser technologischen Elite darin, das große Werk zu erhalten und zu vergrößern.

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Aber anders als ihre Vorfahren, stand die Nachfolgegeneration einem neuen Feind gegenüber. Innerhalb ihrer eigenen Klasse gab es eine wachsende Gleichgültigkeit und Unberechenbarkeit, ja sogar eine wahrhaftige „Meuterei der Hände gegen ihr Schicksal, gegen die Maschine, gegen das organisierte Leben, zuletzt gegen alle und alles". Diese Meuterei war der Aufstand des Mobs, den Solschenizyn fünfzig Jahre später mit ,,plündernde[n] Menschenmassen" beschrieb, die nur darauf warten, daß ein Stromausfall die dünne, „glatte Oberfläche" eines instabilen Gesellschaftssystem aufbricht. Aufgrund dieser extremen Anfälligkeit der Maschine befaßte sich Spengler mit dem entscheidenden Einfluß dieser abtrünnigen Elite, den Anhängern jenes „Pazifismus im Kampfe gegen die Natur". Diese Leute, die .Grünen' von heute, waren der Grund, weshalb er bei seiner Zukunftsvision über das von Forster beschriebene Versagen hinausging, allerdings nicht mit der Zwangsläufigkeit, die der Titel des Buches vermuten läßt. Er ermahnte die Elite von Kunst, Wirtschaft und Technik, ihren Pflichten nachzukommen, und er erinnerte sie als Ermutigung an den Aufstieg und Fall vorangegangener Zivilisationen; doch er bereitete sie auch auf das letzte große Opfer vor. Im Gegensatz zu Füllers fünfzig Jahre später lebenden „Entwurfs-Wissenschaftlern", die wie .Scientologen' gelernt haben, daß Begriffe wie .Erfolg' und ,Versagen', ,Gut' und ,Böse' bedeutungslos sind, basierte Spenglers Elite auf einem militärischen Konzept aus Sieg oder Niederlage. Gleich wie eine Rebellion der .Pazifisten' ausginge, sein Technologie-Samurai würde immer bei seiner Maschine bleiben. Selbst wenn es zum Schlimmsten käme ... „Wir sind in diese Zeit geboren und müssen tapfer den Weg zu Ende gehen, der uns bestimmt ist", schrieb er. „Nur Träumer glauben an Auswege. Optimismus ist Feigheit." Gerade diese Betonung einer frühen technokratischen Elite ist für den Leser unserer Zeit höchst aufschlußreich. Wie ein Astronom, für den feststeht, daß die Erde der einzig bewohnte Planet im Universum ist, betont Spengler beständig die Anfälligkeit und Einzigartigkeit des Ersten Maschinenzeitalters. „[...] diese Räder erfinden und beschäftigen [...], das vermögen nur wenige, die dazu geboren sind. [...] Es müssen starke, sogar schöpferische Begabungen sein, für ihre Sache begeistert und mit eisernem Fleiß und großen Kosten durch Jahre hindurch daraufhin ausgebildet." Die geborenen Führer im Bereich der Technik, die aus seinen Worten erstehen, sind Archetypen, wenn nicht sogar Architekten, Modelle für ein modernes Ideal, das erstaunlicherweise innerhalb eines Positivismus besser gedeihen sollte als innerhalb der Metaphysik. In seinem Buch Der Untergang des Abendlandes verfaßte Spengler unbewußt eine Arbeitsplatzbeschreibung für die Pioniere der Modernen Architektur, und in den fünfzig Jahren nach dem Erscheinen des Buches hielten sie sich nahezu

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wörtlich daran. Woher sonst kam Frank Lloyd Wrights Vorstellung von einer Architektur als „Wahrheit gegen die Welt", Mies van der Rohes Uberzeugung, daß „der Einzelne an Bedeutung verliert und sein Schicksal nicht mehr von Interesse für uns ist" oder Le Corbusiers Vision von der Massenproduktion von Gebäuden - „je ferai des maisons comme on fait des voitures" -? Alle diese Visionen und noch viele andere hatten ihren Ursprung in diesem einen Weltbild. Bezeichnenderweise ist Spenglers, mit Führerqualitäten ausgestatteter Mann der Technik auch das Vorbild für den Architekten der Moderne namens Howard Roark, dem Helden und großen Meister in Ayn Rands Roman Der ewige Quell aus dem Jahre 1943, den Andrew Saint in seinem Buch The Image of the Architect so liebevoll wiedererstehen ließ. Hier gibt Roark in seiner berühmten Verteidigungsrede vor Gericht fast wörtlich Spenglers Gedanken wieder: „Kein Werk kommt jemals durch eine Vielzahl zustande, durch Mehrheitsbeschluß. Jede schöpferische Arbeit wird geleistet unter der Führung eines einzelmenschlichen Denkens. Ein Architekt bedarf einer großen Anzahl von Leuten zur Errichtung eines Bauwerks. Doch er ersucht sie nicht um Abstimmung über seinen Entwurf." 7 Heute sind diese unflexiblen Genies aus der Mode gekommen, genauso wie der Prophet, der ein Loblied auf sie sang. Gegen die Legende von den großartigen Pionieren der Moderne werden schwere Geschütze aufgefahren, um den Personenkult des zwanzigsten Jahrhunderts zu verurteilen. Wie üblich wählt Saint auch hier ein passendes Zitat und läßt den Architekten-Autor eines messianischen Werkes mit dem Titel Architecture by Team8 von 1971 zu Wort kommen: „Vor kurzem las ich einen Zeitungsartikel über die Einweihung eines öffentlichen Gebäudes, in dem auch ausführlich über den Architekten berichtet wurde. Wenn er korrekt zitiert wurde, so sagte der Architekt in nur zwei kurzen Absätzen sechs Mal ,ich machte dies' oder ,ich machte jenes' und zwei Mal ,mein Gebäude'. Aber machte er wirklich das Gebäude? Hatte er nicht wenigstens ein bißchen Hilfe? Zeichnete er jede Linie? Berechnete er alles alleine? Kümmerte er sich um den Zement, die Bewehrung und die Struktur des Betons? Erstellte er den Kostenplan?" Unser praktisch denkender Architekten-Autor umschreibt damit vielleicht die Worte von Brecht', auch wenn ihm dies kaum bewußt sein dürfte, macht aber dennoch deutlich, wie groß die Rebellion der Massen, gegen die Spenglers Samurai bis zu seinem Tod Widerstand leisten sollte, bereits nach fünfzig Jahren

* Vgl. Bertolt Brechts Gedicht Fragen eines lesenden Arbeiters, in: Gesammelte Gedichte, Bd. 2., Frankfurt am Main 1976, S. 656f. (Anm. d. Üb.)

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geworden ist. Nicht die Technik ist falsch, sagen die .Pazifisten' heute, sondern ihre A n w e n d u n g u n d die dann dafür geforderte Anerkennung - was letztlich dem Konzept des individuellen .Sieges' gleichkommt, der jeder Erfindung u n d Leistung in Spenglers Maschinen-Zivilisation zugrunde lag. Als könne man die beiden Dinge voneinander trennen, forderten die Rebellen gegen jegliche Vernunft die Beschränkung der Einflußmöglichkeiten von Ingenieuren, Architekten, Künstlern und Technikern, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung ihrer fachlichen Kompetenz. Bei Prince Charles, dem wohl bekanntesten Vertreter jener .Pazifisten', hört sich das so an: „Viel zu lange schon haben Architekten beständig die Gefühle u n d W ü n s c h e eines Großteils der Leute in diesem Lande ignoriert [...]. Architekten u n d Planer haben nicht unbedingt das Monopol auf guten Geschmack, Stil u n d Plan u n g [...], die Menschen sollten keine Schuldgefühle eingeredet oder Unwissenheit vorgeworfen bekommen, wenn sie im G r u n d e ihres Herzens traditionellere Entwürfe bevorzugen.'" U n d dies gilt nicht nur für Architekten u n d Planer. Vier Jahre später schokkierte derselbe Prinz die anwesenden Würdenträger bei der Eröffnung eines Museums für bewegte Bilder in London mit ganz ähnlichen Worten: „Es ist einfach Unsinn zu behaupten, Gewalt im Fernsehen hätte keine Auswirkung auf das Verhalten der Menschen! Leute, die das sagen, sind sogenannte Experten, die versuchen, die Menschen zu verunsichern, damit diese das G e f ü h l bekommen, sie wüßten nicht, wovon sie reden!" 10 Es geht nicht darum, ob die „sogenannten Experten" auch wirklich in der Lage sind, sich um die Maschinen des Maschinenzeitalters zu kümmern, selbst wenn ihre technische Kompetenz gelegentlich in Frage gestellt wird. H e u t e geht es vielmehr um die Frage: Unter welchen Bedingungen sollen sie die Erlaubnis erhalten, sich weiterhin darum zu kümmern? Wenn sie auf Methoden bestehen, die „die Menschen [...] verunsichern", sollte man sich ihrer vielleicht entledigen, wie man das bei den aufsässigen Fluglotsen in den Vereinigten Staaten getan hat. Damals wurden 11.000 entlassen, nachdem sie 1981 in den Ausstand getreten waren; die Stellen wurden innerhalb von zwei Jahren einfach mit neu ausgebildeten Ersatzleuten besetzt. Die Sache mit den Fluglotsen fand nur wenig Beachtung. Sie bewies, daß der vollständige Austausch einer Gruppe hoch spezialisierter Experten möglich ist; zumindest erschien es denjenigen so, die keine Angst davor haben, Fachwissen - vergleichbar mit einer Spezies in der Tierwelt, wie etwa dem Wal - für immer zu verlieren. Für solch beherzte Pragmatiker ist es weitaus wichtiger, nicht dazu verleitet zu werden zu denken, sie wüßten nicht, wovon sie sprechen, d e n n nur das, was sie denken, zählt. Für sie k o m m t die Komplexität von Wis-

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senschaft und Technik einer Verschwörung gleich. Ihrer Ansicht nach kann jeder Idiot Öl aus dem Boden oder vom Meeresgrund fördern, jeder Schmied eine Windmühle zur Energieerzeugung hinstellen und jeder, wirklich jeder, sämtliche jemals von uns benötigen Gebäude entwerfen. Die Pazifisten', die dieser Meinung sind, denken dabei an neue Rollen für den Ersatzkader, der in der Folge die Maschinen am Laufen hält. Dies können .Berater', .Machtteilhaber', , Community Architects, .Besitzer von selbstgebauten Häusern', .technische Berater' oder professionelle Meinungsforscher im Dienst von wohlgesinnten multinationalen Firmen sein - sie alle sind den ,sogenannten Experten' von heute vorzuziehen, die „Leuten Schuldgefühle" einreden. Und es gibt bereits viele dieser Technoleute: .Mitarbeiter in einem Team', die keinen Sieg brauchen (oder gar nicht wissen, was das ist), und denen nicht die Meinung der Berufskollegen wichtig ist, sondern die öffentliche Akzeptanz ihrer Projekt, so daß sie die Abstimmung über alle ihre Entwürfe unter Umständen sogar fordern. Solche Leute steuern dankbar eine vorgegebene Welt aus Genehmigungen, Präsentationen, Bewilligungen und Anträgen. Sie füllen gerne Formblätter aus, verhandeln', .beteiligen sich', ,finden Kompromisse', .grantieren' und .versichern'. Sie sind glücklich, Verantwortung übernehmen, und noch glücklicher, diese Verantwortung insgesamt abwälzen zu können. Erschreckend viele Architekten und Ingenieure des Zweiten Maschinenzeitalters sind Umweltpolitiker dieses neuen Stils. Für sie ist Gestaltung eine .Situation', keine Pflicht, und wenn Konflikte auftreten, schlagen sie sich auf die Seite von Spenglers „Massen ausführender Hände" - die einzige Seite, die, wie er schrieb, „der mißgünstige ,Blick der Kleinen' sieht". Diese neuen Verantwortlichen sind zwar dem Namen nach noch eine Elite, aber es fehlt ihnen die Autorität, an der man in der Vergangenheit Eliten erkannte, und sie wollen auch keinesfalls die alten berufsständischen Regeln einhalten. Statt dessen spielen sie Spenglers „Flucht der geborenen Führer vor der Maschine" durch und wenden sich mit ihrem „Pazifismus" gegen den Kampf zwischen Technik und Natur. Spengler erkannte in ihnen vorausschauend die gefährlichsten Feinde von Wissenschaft und Technik; es sind Menschen, deren nur anscheinend bescheidene Bitte auf eine Verlangsamung oder eine Aufhebung des Zweiten Maschinenzeitalters unter Fortbezahlung der vollen Bezüge hinausläuft, bis eine Untersuchung eingeleitet wurde. Er war nicht beeindruckt. Verächtlich schrieb er dazu: „Das [alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will] kann auch ein Ziegenbock, der ins Getriebe gerät." Spenglers Vision wird hier am deutlichsten und eindringlichsten. Obwohl er vor mehr als fünfzig Jahren starb, hätte er die Architekten und Designer des

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zwanzigsten Jahrhunderts nicht besser charakterisieren können, jene Männer und Frauen, die mit Hilfe der zeitgenössischen Entsprechungen von „reinefr] Spekulation [...], Okkultismus [...], Spiritismus [...], metaphysische[n] Grübeleien" - wie etwa , Conceptual Architecture', reaktionärem Denkmalschutz', ,Dekonstruktion',, Classical Revival', .Postmoderne' o d e r , C o m m u n i t y Architecture' - ihre klar definierte Pflicht in der technischen Entwicklung und zugunsten von Patentrezepten vernachlässigen. Statt sich auf die gigantischen, sich bereits abzeichnenden Umweltprobleme zu konzentrieren, stützen sie sich auf die Chimäre der Bilderflut, auf die launenhafte Zustimmung „der Massen, die nur zusehen, und die Folgen hinnehmen müssen, welcher Gestalt sie auch sind"". Diese neue Generation lehnt den Respekt ab, den frühere Generationen dem Experten aufgrund seines Status automatisch entgegengebrachten; sie fordert statt dessen die Politisierung ihrer eigenen Führung und spricht von einer Umkehrung der Macht - von unten nach oben - ein bizarrer Widerspruch der Begriffe, denen der Prince of Wales in seiner Begeisterung für den Kitsch im Bausektor, den er fälschlicherweise für Architektur hält, wiederholt öffentlich beigepflichtet hat. Die Folgen dieser Orgie aus mangelnder Ehrlichkeit und Selbsttäuschung sind unvermeidbar. Wo es keine Philosophie, sondern nur Romane gibt, kann es keine Erhellung, sondern nur ein bevorstehendes Ende geben. Wenn die Führer dieser Armee von .Pazifisten' schließlich den Mut fassen, sich mit ihrer eigenen schändlichen, ablehnenden Haltung gegenüber ihren neuen Werkzeugen und der sich schnell entwickelnden, neuen Technologie auseinandersetzen und beginnen, alles bisher Falsche zurechtzurücken ... dann verkaufen sie dies als einen Triumph! Die Art und Weise, in der sie das tun, ist einzigartig. Großartige Leistungen wie Führungsqualitäten und Gehorsam, die die Moderne bestimmt haben, kommen auf den Schuttabladeplatz der Geschichte; die Bühne betritt unter dem lauten Beifall der Massen die den Klauen des Sieges entrissene Niederlage. Die Ära der großartigen Pläne, die für alle sichtbar bei Tag gemacht und durchgeführt werden konnten, ist vorüber - zum Glück! Vorüber sind auch die Tage, als man technische Probleme öffentlich erklären und gemeinschaftlich angehen konnte, als man Übel weltweit erkennen, analysieren und ausmerzen konnte und sogar ohne Sorge und Angst in die Zukunft blicken konnte. Damit ist nun Schluß! Statt dessen erstrahlen im Glanz der Scheinwerfer neue Männer, oberflächliche Männer, die alle die gleichen Anzüge tragen. Unisono wiederholen sie die Worte von Lionel Esher, dem schwächsten aller Denker der Moderne: „Wir erleben derzeit weltweit einen Bewußtseinswandel, der so tiefgreifend ist wie der der Renaissance, allerdings praktisch das 221

Spiegelbild dazu ist. In dieser Hinsicht bedeutet die Abkehr von heroischen Planungen, von Lösungsansätzen für die große Masse und von maßloser Architektur, wie auch andere in Großbritannien praktizierte Rückzüge, keine Niederlage, sondern einen Sieg." 12 Und wie heißt dieser ,Sieg'? Es ist der neue Mythos, der Mythos eines Dünkirchen der gebauten Umwelt, durch den eine fast an die Arroganz verlorene Armee von einer Flotte kleiner Schiffe gerettet wird (jenen Leuten, die nicht mehr „verunsichert" sein oder „keine Schuldgefühle eingeredet oder Unwissenheit vorgeworfen bekommen" wollen). Dieser Mythos durchzieht die Architektur des Zweiten Maschinezeitalters, denn auch die Amerikaner besitzen ihre Version von der Niederlage, die ein Sieg war, und in der die Moderne als .Lernerfahrung' dargestellt wird, aus der die Praktiker wie neugeboren heraustreten, getauft durch ein vollständiges Eintauchen in die Vielfalt der Ornamente. In diesem Mythos kann der bilderwandelnde Ritus den Architekten in die Lage versetzen, seine alte Verantwortung abzulegen, aber alle seine Privilegien in Form von Streifzügen durch die Geschichte zu behalten. Entsprechend dieser Sichtweise muß das Bild Spenglers von dem Architekten des Ersten Maschinenzeitalters als einem ,arroganten', technokratischen .Experten' durch ein anderes und neueres Architektenbild ersetzt werden, das in die kraftvolle, „ephemerisierte", postmoderne Welt paßt, in der nichts so ist, wie es scheint. Dieses neue Bild gleicht dem eines Zauberers, bescheiden aber unermüdlich, immer bereit, um Rat zu fragen, immer bedacht zu lernen, immer willig, seine Zeichnungen zu überarbeiten, immer zurückhaltend bei der Vertretung seines Standpunkts, immer zu neuen Versuchen bereit. Damit macht er Dinge möglich, aber liefert keine Ideen; er ist der jüngere, härter arbeitende, flexiblere, weniger Prinzipien vertretende Architekten-Politiker der Fassade und der .Ansichten-Gestaltung', dessen Arbeit wir in zunehmendem Maße heute um uns herum sehen. Er ist auf dem neuesten Stand der Dinge, mit seinem wie das NASA-Kontrollzentrum ausgerüsteten Büro und einem Auto voller Kommunikationstechnik wie ein mobiles Divisionshauptquartier! Und doch beschrieben Forster, Spengler und Fuller seine wahre Rolle und die ihn lähmenden Einschränkungen schon vor fünfzig Jahren. An dieser Stelle sei Forster stellvertretend für die beiden anderen zitiert: „Niemand gab zu, daß die Maschine außer Kontrolle geraten war. Jahr für Jahr wurde sie mit immer mehr Effizienz und immer weniger Intelligenz bedient. Je besser ein Mann seine Pflichten daran kannte, desto weniger verstand er von den Pflichten seines Nachbarn, und es gab niemanden auf der Welt, der das Monster als Ganzes verstand. Diese genialen Köpfe gab es schon längst nicht mehr."' 3

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Die genialen Köpfe des Ersten Maschinenzeitalters gibt es tatsächlich nicht mehr. In der Architektur hinterließ dieser Verlust weitaus größere Schäden als im Bauingenieurwesen und im Management. Uber die Architektur im Zeitalter der Wissenschaft ist jedoch festzuhalten, und zwar als wichtigste und einzig unbestreitbare Tatsache, daß sie von der Wissenschaft überholt wurde und um es schonungslos offenzulegen - die Gründe dafür weitaus besser bei Forster, Spengler und Fuller als bei Reyner Banham oder Charles Jencks beschrieben sind. Der Dünkirchen-Mythos der Postmoderne ist nur ein Mythos. Es gab niemals eine Rebellion des Berufsstandes gegen ,ein entmenschlichtes technologisches Umfeld', keinen ,Bewußtseinswandel, der so war ,wie die Renaissance'. In der Folge brach lediglich das keynesianische Wirtschaftssystems zusammen, und den Söhnen der Oligarchie der Moderne fehlte die Entschlossenheit. Als die reichhaltigen öffentlichen Nachkriegsgelder nicht mehr flössen und die großen Leitfiguren - Wright, Mies van der Rohe, Gropius, Le Corbusier - nacheinander starben, gab es keine kompetenten Nachfolger. Die Moderne Architektur hatte ihre Beziehung zur Technik mißverstanden, sich zu sehr an eine keynesianische Kriegswirtschaft angepaßt und versäumt, sich fortzupflanzen. Die Architektur hatte dieselben Nachfolgeprobleme wie die Monarchien, die ihr schon so oft in der Geschichte zu Glanz verholfen haben. Die Autorität wurde von der starken Generation von 1914, die die Initiative ergriff, die Technik beherrschte und die Welt überzeugte, an die schwache Generation von 1968 weitergegeben, die nicht mehr initiativ wurde, nicht mehr mit der Technik Schritt halten konnte und der Welt zu sehr glaubte. Weder der Verlust ihrer Überzeugungskraft noch ihr blauäugiger Umgang mit Autorität noch ihr bewußtes Verwechseln von Pflicht mit Popularität noch ihre schmähliche Mutlosigkeit angesichts der zunehmenden Komplexität hielt die neue Generation davon ab, die nach und nach freiwerdenden Throne zu besteigen. Aber ihr größtes Versagen, die Unfähigkeit zu begreifen, daß stolze Fachkompetenz und die Fähigkeit, diese auch durchzusetzen, das allerwichtigste ist, machte eine Katastrophe unausweichlich. Im Laufe der Zeit gelangten Leute ohne Format, die nicht halten konnten, was ihre Referenzen versprachen, in einst mächtige und einflußreiche Positionen. Die einst so großartige ,technisch-geistige Führung', die von den ganz Großen des Ersten Maschinenzeitalters aufgebaut worden war, übergab man Planern, die keine Pläne erstellten, Architekten, die keine Gebäude entwarfen, Historikern, die die Geschichte nicht kannten, und Kritikern, die unterschiedslos alle Auszeichnungen priesen. Die ersten entscheidenden Schläge kamen mit der Rezession in den siebziger Jahren, und nicht mit der Unbeschwertheit der sechziger Jahre, als die Macht

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unbemerkt von den ganz Großen zu den Leuten ohne Format überging. Ein Schlag war die massive Streichung öffentlicher Gelder in Folge der Haushaltskrise, mit der der soziale Wohungsbau von der politischen Tagesordnung verschwand. Ein weiterer Schlag waren die enormen, lange schon vorhergesagten Auswirkungen der elektronischen Kommunikationsmedien auf die großen Städte und die ersten Ansätze eines alternativen Umfelds mit den unterschiedlichsten informationstechnologischen Entwicklungen, ein weiterer war die bittere Tatsache, daß die Reproduktionsrate von Gebäuden wegen der Unfähigkeit im Umgang mit neuen Materialien und Methoden und aufgrund einer verminderten Bautätigkeit in Folge einer Strategie der Knappheit und einer alten, unveränderten Achtung der Eigentumrechte nie ausreichen würde, um dem Bedarf an .versorgten Situationen' gerecht zu werden, den Kaufmann bereits vor 25 Jahren deutlich vorhergesehen hatte.' 4 Durch diese Überalterung des Bauprozesses schlechthin sind alle Neubauten — vielleicht mit Ausnahme der ganz schnellen Innenraumgestaltungen bei bestehenden Bauten - unter Umständen schon nicht mehr auf dem neuesten Stand. Trotz gewaltiger Leistungen im Kontraktmanagement besteht der einzige praktische, wirtschaftliche Unterschied zwischen den Neubauten und der undifferenzierten, einheitlichen Masse traditioneller Gebäude, die sie ersetzen, wohl darin, daß sie mehr Geld kosten und es länger dauert, bis sie bezugsfertig sind. Die Folge davon ist eine ständig wachsende Zahl von Baufachleuten, deren Kapazität aufgrund der neuen computergestützen Entwurfs- und Zeichenprogramme exponentiell wächst, deren Betätigungsfeld aber immer kleiner wird. Dieses immer enger werdende Umfeld müssen sich alle der noch vor dreißig Jahren großen Techno-Berufe teilen - wie bei den in Armee, Marine und Luftwaffe geteilten Streitkräften. In dem Maße wie das Arbeitsfeld jedes einzelnen kleiner wird, verlagern sich Berufsbilder und verschmelzen miteinander und lassen einen nun leeren akademischen Überbau zurück. Am Ende dieses Verschmelzungsprozesses gibt es dann, wie bei der Automobilindustrie vor fünfzig Jahren, nur noch ein alles umfassendes Baufach, das unter einem Dutzend interdisziplinärer High-TechFirmen aufgeteilt ist, die wahrscheinlich alle heute schon existieren und die Abwicklung sämtlicher Aspekte der Baubetreuung sicher beherrschen. M i t der Bildung dieser neuen Firmenoligarchie wird zugleich die Unzufriedenheit der Öffentlichkeit über das Mißverhältnis zwischen dem Grad der Umweltzerstörung und der Leistung der damit befaßten Kräfte wachsen. Und diese Wut wird von den heute noch unabhängigen Bauberufen auf all jene ,Spezialfirmen', .Stadterneuerungsbüros' und ,Stadtentwicklungsfirmen'

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übertragen werden, die von in die Enge getriebenen Politikern an die Front geschickt werden. Trotz dieser Fülle neuer Arbeitsplatzbeschreibungen werden die Führungskräfte einer Bauindustrie, die über Jahrzehnte gerade einmal 0,5 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiert hat (im Gegensatz zu 18 Prozent in der Elektronik- und Raumfahrtindustrie), nicht in der Lage sein, die Massen zufriedenzustellen, deren Hoffnungen sie durch ihre hemmungslose Kritik an der jüngeren Vergangenheit geweckt haben. Die Anforderungen der Benutzer an gewerbliche Bauten werden die Allgemeinheit letztlich zur Anerkennung der Tatsache zwingen, daß schöne und bis ins letzte Detail gestaltete Architektur nicht mehr der Realität der Städte entspricht. Dann wird sich die Philosophie der beständigen Veränderung und des schnellen Veraltens von Gebäuden, gegen die die Architekten über fünfzig Jahre lang gekämpft haben, im Bewußtsein der Öffentlichkeit festgesetzt haben. Und wenn man diese Entwicklung schließlich erkannt hat, wird es kaum noch eine Architektur-Ideologie geben, in die diese Vorstellung eingepaßt werden könnte. M a n wird eine neue Sprache endloser urbaner Bewegung annehmen müssen, und die Kunstgeschichte wird letztlich wie eine nicht mehr ergiebige Ölquelle versiegelt werden. Architektur, ihre Geschichte, die ihr zugeschriebene Bedeutung und alle Diskussionen um sie - alles wird nur mehr ein kleiner Teil eines .Pauschalangebots' sein; und der von Spengler angenommene Bedarf an hunderttausend erstklassigen Köpfen wird auf nur tausend schrumpfen. Das Überleben des einzelnen Architekten in dieser neuen Landschaft wird zunehmend von einem Studium der Struktur der von Fuller vorgezeichneten Weltkarte abhängen, um herauszufinden, in welche Form sie sich pressen wird. Architekten sind bereits heute trotz eines erstaunlichen Interesses an baulicher Gestaltung kaum im Bewußtsein der Öffentlichkeit - .Architekten? Die entwerfen doch Gebäude, oder?' Tun sie das wirklich! Leistungsstarke Stadtentwicklungsbüros auf der einen Seite und starke staatliche Kontrollmechanismen auf der anderen Seite werden im einundzwanzigsten Jahrhundert die beiden die Architektur bestimmenden Pole sein - und die meisten freien Architekten werden so schnell in diesen Großbetrieben verschwinden wie die einst ebenso zahlreichen und redseligen unabhängigen Grundstücksmakler, die in letzter Zeit ohne Abgesang im Rachen der Banken und Bausparkassen verschwanden. 15 Zwischen den ganz Großen der Zukunft wird es sicherlich noch einige Freiberufler geben, die zu den versammelten Subunternehmern am Bau die selbe Beziehung haben werden wie die Programmentwickler zu den Giganten der Computerbranche heute. Diese Einzelpersonen, die vielleicht sogar Pendants zu den ,Heimatlosen' in Forsters Roman sind, die die Welt eines Tages erben,

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werden sämtliche Freiheiten der unabhängigen Freiberufler des alten Stils besitzen, nicht aber deren Autorität. Sie nennen sich vielleicht,Architekt', doch sie arbeiten entweder wie Angestellte, deren erniedrigendes Privileg es ist, kompromißlos vorgegebene traditionelle Gestaltungen zu genehmigen, oder als Entwerfer, die, selbst wenn sie sich durch die Bilderflut durchkämpfen, unweigerlich in die Mühlen der ganz Großen geraten. Aber das Schicksal dieser Berufsgruppe erscheint schon fast unwichtig angesichts der Tatsache, daß diese Umstrukturierung bereits vor dem Hintergrund einer kaum noch abwendbaren Umweltkrise abläuft. Heute kann sogar bei Rekordergebnissen der Bauindustrie in einem Jahr nur weniger als ein halbes Prozent der gebauten Umwelt ersetzt werden — im Vergleich zu 12 Prozent in der Automobilindustrie. Und die von Buckminster Fullers ,profitorientierter' Wirtschaft auferlegten Restriktionen stellen heute sicher, daß .Rekordergebnisse' beim Bau, so wie sie in der viktorianischen Zeit, von den Pionieren der Fertigbauweise der Moderne, oder auch von jeder wirklich „ephemerisierten" Industrie heute verstanden wird, nicht einmal mehr zur Debatte stehen. Die Technologie-Samurais hätten sich mit dieser realen Krise befassen müssen und nicht mit Popularitätsproblemen; den Konsequenzen aus diesen Versäumnissen müssen wir uns nun zuwenden. Wenige Jahre vor der Jahrtausendwende bietet London ein perfektes Beispiel für den Untergang des Abendlandes und erteilt allen Industriegesellschaften eine Lektion voller ernsthafter Folgen. Das große Programm zum Aufbau der Satellitenkommunikation in London Wall, London Bridge City, Canary Wharf und King's Cross geht, wenn auch schleppend, seiner Vollendung entgegen, während zwischen London und Bristol der Verkehr über knapp 200 km nur zäh fließt und Staus auf der Autobahn M25 beinahe schon zum täglichen Bild gehören. Zwei neue Gleisanschlüsse und zwei neue Autobahnen durchziehen Nordfrankreich in Richtung dreier erbärmlich enge Kanalröhren, die sie mit einem überalterten Schienennetz und einem für diesen Verkehr nicht ausgelegten Autobahnsystem auf britischer Seite verbinden.' 6 Jenseits dieses Chaos fristet die Stadt hinter einem Propaganda-Schutzwall der wortgewaltigen Vertreter der Schönen Künste und eines reaktionären Denkmalschutzes ein träges Dasein. Ihre intellektuelle Infrastruktur ist ein riesiger Schutthaufen aus all den Baumaterialien der Geschichte und kaum weniger lebendig als ihr physisches Erscheinungsbild. Wie bereits kurz erwähnt, werden Vorschläge, diese riesige Masse undurchdringlichen, baulichen Durcheinanders mit Straßentunnel und unterirdischen Parkdecks zu durchlöchern, mit wissenschaftlichen .Theorien' bekämpft, die kaum diesen Namen verdienen. „Der Bau von Straßen führt nur zu mehr Autos und mehr Staus", lautet das wenig hilfreiche Ur-

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113 Die Londoner City während des Blitzkriegs 1941. Wie Broadgate während des Baus

teil eines Londoner Universitätsprofessors, der angeblich Spezialist für Verkehrs- und Transportfragen ist.17 Inzwischen ähnelt die vom Verkehr verstopfte Stadt immer mehr dem Leben in den Schützengräben während des Ersten Weltkriegs: ein Gewirr aus eigentlich beweglichen, aber doch unbewegbaren Hindernisse, in dem sogar Motorradkuriere nicht schneller vorankommen als Soldaten zu Fuß im Matsch und unter Maschinengewehrfeuer. Keiner hat mehr die Kontrolle über diese Stadt, genauso wie Spengler dies vorausgesagt hat, auch wenn viele Titel führen, die eine solche Verantwortung suggerieren.' 8 Im Bereich der baulichen Planung und des Bauens ist es in London für alle Maßnahmen zu spät, die innerhalb einer politisch nutzbaren Zeitspanne greifbare Wirkungen zeigen könnten. Kein Verantwortlicher in Architektur, Planung oder Politik glaubt mehr an Lösungen im Stil der Ville Radieuse oder der Broadacre City oder an die Existenz kompetenter Persönlichkeiten, ausführender Organe und eines öffentlichen Gehorsams, wie sie zur Realisierung solcher Vorhaben notwendig wären. In dieser Beziehung ist die Gesellschaft bereits in erschreckendem Maße veraltet. Das Schicksal der Architektur verliert an Bedeutung angesichts der riesigen Schatten dieser Schlacht zwischen den zukünftigen Operationen der Wirtschaft und dem unnachgiebigen Hindernis Stadt, die heute die Summe aller verworfenen Optionen ihrer Vergangenheit ist. Spengler hatte recht - es gibt einen Kriegszustand, aber nicht nur zwischen Mensch und Natur, sondern auch zwischen dem Zeitalter der Wissenschaft und der in den Jahrhunderten angehäuften Infrastruktur. Allein schon die - durchaus häufig aufgestellte Behauptung, Planung unter modernen Bedingungen sei unmöglich, ist selbst schon ein Eingeständnis für die Existenz dieses Kriegszustands. Im Krieg nimmt man die Dinge so, wie man sie vorfindet, und versucht, das Beste daraus zu machen; genau das macht die Informationstechnologie (die neue Philosophie) bereits mit der eigenwilligen und starren Architektur der Vergangenheit. Die Situation in der Stadt zwingt die Bürger heute bereits dazu, zu kämpfen: Sie kämpfen gegen die von Hindernissen geprägte Stadtgestalt und die überlasteten Systeme, als sei die Stadt eine riesige Einöde aus natürlichen oder künstlichen Blockaden. Jede dieser .statischen' beziehungsweise postmodernen Städte (das heißt jede Weltstadt, die ihr eigenes Wachstum nicht mehr im Griff hat, den Zustrom von Menschen nicht mehr kontrolliert und schon gar nicht mehr die Interessen der Bürger gegenüber den Forderungen der Unternehmen erkennt, geschweige denn sie ihnen gegenüber vertritt), ob sie nun London, Kairo, Mexico City, Los Angeles oder Tokio heißen, befindet sich bereits im Kriegszustand, und dies gilt inzwischen nicht mehr nur im übertragenen Sinne des

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114 Broadgate i m Bau, 1 9 8 6 . D i e Ä h n l i c h k e i t e n z u m Blitzkrieg sind offensichtlich.

Wortes. In London sieht es heute stellenweise schon fast genauso aus wie während des Blitzkriegs im Zweiten Weltkrieg. Der Verkehr ist dort so dicht, und die Bautätigkeiten sind so umfassend, daß man bei dem Versuch, die Innenstadt zu durchqueren, unweigerlich an die Beschreibung von J . M . Richards von 1 9 4 0 denken muß; er erzählt von „jenem speziellen Geruch von nassem, verkohltem Holz nach einem Luftangriff und dem unsicheren Gang, mit dem wir uns den Weg durch Straßen voller Pfützen und mit kreuz und quer liegenden Schläuchen bahnten"". W i r müssen lernen, die Stadt von heute als eine solche Kriegszone zu begreifen und nicht als das denkmalgeschützte Paradies eines neuen Gestern oder das utopische Paradies eines alten Morgen; nur so verstehen wir das Scheitern von Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter. Diese Stadt wurde weder geplant noch gestaltet, sie ist ein Chaos und außer Kontrolle geraten: Ihre Straßen sind wie Schützengräben, ihre Fahrzeuge sind Panzer, ihr Schilderwald hat nur mehr militärstrategische Funktion. Das Leben in ihren Straßen ist wie ein Leben im Niemandsland. Die Verbrechen in ihren Straßen sind Gefechte. Die Drogen auf ihren Straßen sind chemische Waffen. Ihre Polizisten sind Militärpolizisten. Alle großen Stadtentwicklungsmaßnahmen zur Neuordnung dieser Stadt, die riesigen, von der Wirtschaft finanzierten Maßnahmen, die die Grundstücksmarkler aufhorchen lassen, die die Ängste der Vertreter der Royal Fine Art Commission wecken, die die Vorposten der selbsternannten Denkmalschutzorganisationen beunruhigen und die die English Heritage, das große Flaggschiff des Denkmalschutzes, in Alarmbereitschaft versetzen, all diese Projekte haben zwei Seiten. Einerseits sind sie einfach nur Gestaltungsvorschläge für Millionen von Quadratmetern vollversorgter Nutzfläche, die nach drei, fünf oder sieben Jahren verfügbar sein sollen; auf der anderen Seite sind sie feierliche Versprechen, die Stadt in den nächsten drei, fünf oder sieben Jahren ins Chaos zu stürzen. So betrachtet, sind diese Monster - Broadgate, London Bridge City, Canary Wharf, London Wall - Kugeln in einem galaktischen Roulettespiel. Nicht jede Kugel wird Gewinn bringen, aber auf jeden Fall eine große Unsicherheit und viel Behinderung, Unannehmlichkeiten, Luftverschmutzung und Umweltschädigung. Wirbelt ein Dutzend dieser großen Kugeln gleichzeitig auf der riesigen Gelddrehscheibe einer Innenstadt, ist das die dritte Möglichkeit, die Stadt zu betrachten - als ein in Zeitlupentempo bebendes Schlachtfeld. Nimmt man nun drei Dutzend solcher Kugeln und staffelt sie zeitlich, ergibt das siebzig Jahre eingebauter, veralteter Standard, ein ganzes Leben im Schatten von Abriß und Wiederaufbau, in dem die Hoffnung auf eine fertige, perfekte Stadt der Zukunft beständig hinausgeschoben wird. Ar-

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chitektur - unabhängig von der einzelnen Stilrichtung, die sich gerade an der Oberfläche manifestiert - ist in dieser Zeitlupenschlacht nicht wichtig: sie ist nicht Teil der Antwort, sie ist Teil des Problems. Die Informationstechnologie spielt in diesem Urbanen Kriegsspiel des Zweiten Maschinenzeitalters genau die gleiche Rolle, wie in jedem Krieg - sie bietet einen Ausgleich für die fehlende Möglichkeit in das Kriegsgebiet, zu dem die gebaute Umwelt bereits geworden ist, vorzudringen und nimmt somit die Angst davor aus unserem Bewußtsein. Besonders interessant daran ist, wie mühelos Zeichen, Bilder und alle elektronischen Medien mit diesem Abrutschen in einen Krieg gegen die Umwelt Schritt halten können. Ein Grund dafür ist sicherlich, daß die Informationstechnologie ihren Ursprung in der militärischen Technik hat - der mit Autotelefon und Vierradantrieb ausgerüstete Firmenwagen ist nur die zivile Version der mobilen Befehlsstation aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein weiterer Grund sind sicherlich die unklare Geographie und die unvorhersehbaren Baustellen der explosionsartig anwachsenden Stadt, die uns vollständig von Informationen abhängig machen. In den Großstadtmetropolen sind wir ohne Informationen verloren. Im Urbanen Krieg, wie in jedem Krieg, wissen wir nur, was uns gesagt wird. Wenn dort ein Kriegsgebiet ist, wo das Denken unmöglich ist, dann muß das Denken von außen, durch Information, eingespeist werden. Damit wird die echte Stadt des Zweiten Maschinenzeitalters — die Stadt, die wir bewußt wahrnehmen - ein Phänomen mit zwei Gesichtern. Ein Teil unseres Gehirns weiß, daß der Informationsaspekt der Stadt zusammenführt, trotz des spürbaren Chaos und den täglichen Staus. Er baut sich langsam auf, wie ein riesiges Computerbild, hinter dem eine riesige Elektronik-Krake sitzt, deren Kopf ein Satellit im Weltraum ist und deren Tentakeln in alle Städte dieser Welt reichen und Verbindungen zwischen ihnen herstellen. Gleichzeitig weiß aber der andere Teil unseres Gehirns, daß die Stadt aus nicht beweglicher Architektur auseinanderführt und zu einem semiologischen, homogenisierten Labyrinth aus temporären Fassaden verkommt mit einer Front an freien Schußfeldern, die von Straßenräubern, Obdachlosen und Bettlern bevölkert sind und in deren tödlicher Umarmung der zum Erliegen gekommene Verkehr der Panzerdivisionen gefangen ist. Zusammengenommen schaffen diese beiden Vorstellungen ein ziemlich plastisches Bild von dem, was einst öffentlicher Bereich, Raum und Platz der Bürger war und wo jetzt die verstopften und nutzlosen Straßen und die zu Kriminalität neigenden Plätze und Parks der Stadt zum Kriegsgebiet erklärt und in eine anstrengende Hindernislandschaft verwandelt wurden. Gleichzeitig arbeitet die innere Informationswelt, einschließlich der Medien, fieberhaft daran, die 231

Aufgabe, die früher die öffentlichen Plätze innehatten, im kleinen zu übernehmen. Die Krise der Architektur im Zweiten Maschinenzeitalter ergibt sich teilweise aus deren mangelnder Einsicht, daß moderne Informationsmedien keinen öffentlichen R a u m mehr brauchen, in dem aus historischer Sicht die Architektur ihren Ursprung hatte. Wenn sie dies nicht begreift, wird sie nicht mehr Bedeutung haben als eine künstliche Bergkette. M a n spekuliert heute gerne darüber, ob die Elektronik-Krake das Patt im Urbanen Krieg beenden könnte, indem sie sich über die vorhandenen Sperren aus Straßen und Gebäuden hinwegsetzt - so wie man 1916 mit dem Einsatz der primitiven Panzer hoffte, der Armee eine Möglichkeit zu geben, aus der Sackgasse des Stellungskriegs herauszukommen. Dies ist möglich und auch schon geschehen, doch da die Aufgabe der Information nicht mehr darin besteht, den Stadtenrwicklungskrieg zu führen, sondern sich ihm statt dessen zu entziehen, k o m m t die neue Konfiguration einer ,Zerstreuung' gleich - eine weitere unheimliche Wiederholung militärischer Praxis. In den Vereinigten Staaten gibt es zum Beispiel im Vanguard Werk von General Motors in Saginaw eine perfekte Parodie einer .Schattenfabrik' aus dem Zweiten Weltkrieg. Eine Autozeitschrift berichtet begeistert: „Es gibt nur noch eine Handvoll Wartungspersonal und Systemmanager, alle anderen Arbeiter sind Roboter, deren .Arbeitszellen' durch ratternde, über Seile laufende Transportwagen verbunden sind. An einem Ende k o m m e n einzelne Teile hinein, am anderen Ende fertige Frontantriebsachsen heraus." U n d mit einer ungewollten Anspielung auf den Verdunklungszwang während des Krieges heißt es weiter: „Vanguard wird während der Nachtschichten bald ohne Licht arbeiten." 2 0 Eine solche Zerstreuung beendet den Urbanen Krieg nicht, auch wenn sie einen Weg aus der Sackgasse des Urbanen Stellungskriegs weist. Sie wandelt ihn in einen Bewegungskrieg um. U n d unter diesen Bedingungen machen die militärischen Operationen der Wirtschaft, die wie ein Blitzkrieg wüten und von der diskreditierten Verteidigung der veralteten und korrupten kommunalen Planungsgesetzgebung praktisch nicht mehr kontrolliert werden, einen entsprechend revolutionären Wandel in der Flächennutzung erforderlich, wie etwa die großflächige Landwirtschaft, die Verteilung von Leichtindustrie und Handel entlang von ,Autobahnkorridoren', das Verwischen des Unterschieds zwischen Arbeitskräften aus der Stadt und vom Land. Trotz der politischen Unterschiede lassen sich Parallelen zu all diesen Punkten in den sowjetischen Fünfjahresplänen des Ersten Maschinenzeitalters finden. Berthold Lubetkin schrieb 1932: „ D u r c h die Entstädterung der Städte und die Verstädterung der ländlichen Gebiete werden wir die Widersprüche zwischen dem städtischen und dem

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ländlichen Proletariat abschaffen können. Es darf keine übervollen und ungesunden Siedlungen geben; wir brauchen im ganzen Land eine unerschöpfliche Menge an Wohnraum entlang der großen Arterien unserer Zeit, die unsere industriellen und landwirtschaftlichen Zentren verbindet. Den bestehenden Städten steht ein schnelles Ende bevor, nur die Monumente der Kunst sollen umgeben von riesigen Parkanlagen bestehen bleiben." 21 Auch das ist ein Schlachtplan, ein Plan für einen Umweltkrieg, der so endlos ist, wie es Oswald Spengler behauptet hat, so endlos sogar, daß wir - so unglaublich es auch erscheinen mag - Josef Stalins, nun schon sechzig Jahre zurückliegendes Programm zur Kollektivierung neben Margaret Thatchers unternehmerfreundliche Marktwirtschaft in Großbritannien stellen können; die Nahtstelle ist fast nicht sichtbar. Natürlich verbleiben in der Architektur des Zweiten Maschinenzeitalter auch noch Bereiche, die nicht von der Lähmung in der Kriegszone der Stadt betroffen sind. Aber gerade diese Krise der Stadt macht das Scheitern der Architektur heute für diejenigen ganz besonders deutlich, die den Mut besitzen, die Dinge realistisch zu sehen. Der urbane Krieg ist vielleicht nur eine Front des Umweltkriegs des Zweiten Maschinenzeitalters, doch er ist sicherlich eine Front eines totalen Kriegs, wie alle Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts. Diesmal sind die Hauptbeteiligten weder Nationalstaaten noch Alliierte, sondern die Macht der Wissenschaft und der Technik, die unsere Spezies geschaffen hat, auf der einen Seite und die angesammelte Infrastruktur und der Abfall aus unserer eigenen Geschichte auf der anderen. Das Zweite Maschinenzeitalter begann mit dem Erkennen der Macht der Information und dem Entstehen der Kybernetik. An seinem Ende bleiben alle Menschen, die einst über Eroberung und Herrschaft, die wir Zivilistationen und Kulturen nennen, bestimmten, mit dem Gefühl einer nie dagewesenen Uberflüssigkeit zurück. Philosophisch betrachtet sind wir mit der radikalsten Position von allen konfrontiert; wir müssen akzeptieren, daß es Organisationskräfte weit außerhalb unserer Kontrolle gibt, die den erschaffenden Menschen und Beschützern der gebauten Umwelt die Initiative aus den Händen genommen haben. Es sind unmittelbare, unerschöpfliche Kräfte der Energie, Kommunikation und Produktion, die keine territorialen Ziel verfolgen. Sie sind nicht belebt, aber doch unbesiegbar; sie sind intelligent, aber sie haben keine eigenen Ideen; sie sind nicht ehrgeizig, aber sie erobern alles; sie brauchen weder Führer noch Anhänger. Sie sind Objekte, die kein Subjekt brauchen. Moralische Einspüche, Werturteile, nach denen das eine gut und das andere böse ist - all das stört nur den Prozeß, mit dem sie sich die Zukunft aufbauen. Die Suche nach Bedeutung, der Schutz der Vergangenheit, individuelle Kreativi-

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tat, der Beweis für die Richtigkeit einer Behauptung - all das bedeutet heute nur ein unnötiges Risiko. 22 Im Zweiten Maschinenzeitalter ist unsere Gesellschaft in ihrer Abhängigkeit von diesen Kräften so anfällig geworden, in ihrem Vertrauen auf deren ziellose Energie so festgefahren, daß es an Naivität grenzt, wenn man von einem genialen Individuum nicht zu Erwartendes erwartet. Die radikalste Handlungsmöglichkeit eines jeden von uns besteht darin, nichts zu tun und abzuwarten, während die momentanen Kräfte des Zweiten Maschinenzeitalters einen Weg finden, eine Zukunft auf den Relikten der Vergangenheit aufzubauen, über deren Veränderung wir nicht mehr entscheiden wollen oder können. In diesem Vakuum haben jene Architekten, die mit ihrer Haltung des „Pazifismus im Kampfe gegen die Natur" zufrieden sind, unter Umständen das Gefühl, ihnen bliebe nicht mehr viel Zeit.

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115 „ D i e Suche n a c h B e d e u t u n g , individueller Kreativität [...], all das ist h e u t e n u r ein u n n ö t i g e s Risiko." L u f t b i l d von Tschernobyl, 1 9 8 6

Anmerkungen

* Alexander Solschenizyn, aus einer Rede vom 8.6.1978 in Harvard Square, Cambridge, Massachusetts 1 Robert Propst, T h e Office: A Facility Based on Change, Herman Miller 1968. Es mag den Leser erstaunen, daß dieses Buch über Raumplanung und Büromöbel als philosophische Arbeit gewertet wird, doch das Buch wurde über zwanzig Jahre lang aufgelegt, und nirgends wird die Anwendung logischer, positivistischer Gedanken zum Thema Gestaltung sowie die hoffnungslos begrenzte Vorstellung von menschlicher Persönlichkeit und der damit einhergehenden Motivation deutlicher. 2 Diese Gedanken zur faszinierenden Reise der deutschen Philosophie vom Irrationalismus und von der Metaphysik, über den logischen Positivismus, die kommunikative Vernunft und die Systemtheorie zurück zur irrationalen Postmoderne stammt von Manfred Frank, „Deutsche Philosophie der Gegenwart", Kultur Chronik (5/1988), S. 51-54. Der Bezug zum .verbotenen' deutschen Ursprung vieler französischer postmoderner Gedanken stammt aus einem Essay von Jacques Bouveresse mit dem Titel „Spenglers Revenge" und aus Bemerkungen von Derrida bei den Rencontres Franco-Germaniques in Paris 1986. 3 Forster, „The Machine Stops", erste Veröffentlichung in der Sammlung The Celestial Omnibus, 1911. Obwohl es bei Forsters unterirdisch lebender Zivilisation der Z u k u n f t immer häufiger zu Fehlern beim Betrieb von Maschinen kommt, gibt es von der Gesellschaft ausgestoßene Überlebende, die selbst nach der Katastrophe in der Lage sind, auf der Oberfläche des Planeten zu leben. In diesem Sinne steht The Machine Stöpsln der humanistischen Tradition, was für andere, nach dem Krieg entstandene prophetische Arbeiten wie Herman Kahns On Thermonuclear War, Greenwood Press 1978 oder Gordon Rattray-Taylors The Doomsday Book, Thames & Hudson 1970, nicht gilt. 4 Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, Bd. 1 +2, München 1963. Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik, München 1931, basiert auf einer Reihe von Vorlesungen, die Spengler im selben Jahr gehalten hatte. 5 Thomas Mann, Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze, Bd. X/2, Frankfurt 1974, S. 176f. Mann ist interessant, da er vor 1945 als Anti-Faschist Spenglers Ansichten unterstützte. 6 Richard Buckminster Fuller, Critical Path, Hutchinson 1983. Das letzte Buch Fullers, das noch zu seinen Lebzeiten erschien, fast fünfzig Jahre nach Spenglers Tod. 7 Ayn Rand, Der ewige Quell, Goldmann Verlag, 1978. Wie Andrew Saint (The Image of the Architect, Yale 1983) in seiner großartigen Zusammenfassung des Inhalts betont, wird dieser Roman immer noch gedruckt. Er wurde bereits über fünf Millionen Mal verkauft und „wäre wohl kaum so gut verkauft worden, wenn nicht viele Menschen Ayn Rands Ideal vom Architektenberuf zustimmen würden und es gerne umgesetzt sähen". Mit anderen Worten heißt das, es ist zumindest teilweise richtig. 8 William Wayne Caudill, Architecture by Team, Van Nostrand Reinhold 1971.

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Prince Charles, „ M e n s c h e n sollten keine S c h u l d g e f ü h l e eingeredet b e k o m m e n [...]". Aus einer Rede v o m 30. Mai 1984 vor d e m Royal Institute of British Architects in H a m p t o n C o u r t anläßlich der Verleihung der Royal G o l d Medal for Architecture an den indischen A r c h i t e k t e n Charles Correa. Prince Charles' „sogenannte Experten [...]". Aus einer Rede zur E r ö f f n u n g des M u s e u m of the M o v i n g Image in L o n d o n , Bericht in: The Times (16. S e p t e m b e r 1988) Spengler, D e r M e n s c h u n d die Technik, a.a.O., S. 7 2 Lionel Esher, T h e Broken Wave: T h e Rebuilding of Britain 1 9 4 5 - 1 9 7 0 , Allen Lane 1981. Es ist äußerst eigenartig, d a ß Esher, ein Protagonist des T r i u m p h s der N a c h k r i e g s - M o d e r n e , seine Renaissance a u ß e r h a l b u n d n i c h t innerhalb des g r ö ß t e n P h ä n o m e n s in der A r c h i t e k t u r des Jahrhunderts findet. Forster, T h e M a c h i n e Stops, a.a.O. Edgar K a u f m a n n Jr., „Design sans peur et sans ressources", Architectural Forum ( S e p t e m b e r 1966), siehe Kapitel 5, S. 164f. D e r n i c h t der Realität e n t s p r e c h e n d e Status des A r c h i t e k t e n b e r u f e s h e u t e w u r d e von d e n U n terstützern d e r . C a m p a i g n for Architects', einer 1989 gestarteten W e r b e k a m p a g n e verschiedener Büros m i t U n t e r s t ü t z u n g einer g r o ß e n Werbeagentur, e i n g e r ä u m t . In der K a m p a g n e wurde n i c h t n u r eine U m f r a g e v o n 1987 in L o n d o n u n d Westminster n o c h e i n m a l veröffentlicht, w o n a c h 4 1 Prozent der potentiellen Auftraggeber glauben, d a ß a n d e r e B e r u f s g r u p p e n , h a u p t sächlich Bauleiter, dieselben Dienste wie A r c h i t e k t e n a n b i e t e n k ö n n t e n ; David Rock von Rock T o w n s e n d , ein G r ü n d u n g s m i t g l i e d , wird sogar m i t den W o r t e n zitiert: „Wir müssen aus der weit verbreiteten Ü b e r z e u g u n g , sei sie nun richtig oder falsch, N u t z e n ziehen, w o n a c h es die Arc h i t e k t e n sind, die f ü r den E n t w u r f v o n G e b ä u d e n u n d die U m w e l t verantwortlich sind." ( H e r v o r h e b u n g d u r c h den Autor) H ä t t e m a n den g r o ß e n Planern des Ersten Maschinenzeitalters im Zweiten Maschinenzeitalter B e a c h t u n g geschenkt, h ä t t e m a n all das vermeiden k ö n n e n . D e r weitsichtige Plan for London v o n Sir P a t r i c k A b e r c r o m b i e aus d e m Jahr 1944 sah nicht weniger als f ü n f R i n g a u t o b a h n e n vor, aber sogar eine verkleinerte Version dieser P l a n u n g w u r d e von .Pazifisten' in den sechziger Jahren b e k ä m p f t u n d in der Folge n i c h t ausgeführt. Dr. M a r t i n M o g r i d g e , T r a n s p o r t Studies G r o u p , University College, L o n d o n , Bericht in: The Times (8. D e z e m b e r 1988) W i e bereits erläutert, ist der B e g r i f f , P l a n ' in einer u n t e r n e h m e r f r e u n d l i c h e n freien M a r k t w i r t schaft in M i ß k r e d i t g e k o m m e n , woran auch die A u f l ö s u n g der städtischen P l a n u n g s b e h ö r d e n nichts geändert hat. In den L o n d o n e r D o c k l a n d s wird zur Zeit das W o r t . R a h m e n ' statt des Begriffs , P l a n u n g ' verwendet. G r o ß e Landschaftsgestaltungsbüros, wie Gillespies, C l o u s t o n u n d Lovejoy, ü b e r n e h m e n derzeit diese . R a h m e n ' - P I a n u n g e n - deren greifbare Ergebnisse in F o r m v o n Z e i c h n u n g e n e i n d e u t i g von .Plänen' abgeleitet sind - f ü r Entwicklungsgesellschaften u n d k o m m u n a l e Verwaltungen, d o c h sie besitzen nicht die Befugnisse, die f r ü h e r m i t d e m Titel .Planer' v e r b u n d e n waren. In diesem Z u s a m m e n h a n g ist es interessant, wie der damalige Präsid e n t des Royal T o w n P l a n n i n g Institute, J o h n A n d e r s o n , selbst auf einer Konferenz über Entw i c k l u n g s k o n t r o l l e 1984 die neuen Grenzen der P l a n u n g beschrieb. Diktatorisches Verhalten der p l a n e n d e n I n s t i t u t i o n sollte vermieden werden. P l a n u n g sollte eher d e m Betrieb einer D e signerschule als der Erstellung eines E n t w u r f s ähneln (RTPI-Presseerklärung, 6. April 1984). Diese lockere H a l t u n g steht im Gegensatz zu den Ansichten der Pioniere der M o d e r n e n Plan u n g von Ebenezer H o w a r d bis Abercrombie. Richards, W h e n We Build Again, Architectural Press 1942 Jeff Daniels, „ D a n s p e a k " , Autocar (6. Juli 1988) B e r t h o l d L u b e t k i n , „Town a n d C o u n t r y P l a n n i n g in Soviet Russia", Architectural Association Journal (1932)

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22 Eine Bestätigung dieser hilflosen, aber nicht hoffnungslosen Abhängigkeit formulierte Professor Valéry Legasow, Leiter der sowjetischen Delegation der Wiener Konferenz über die Katastrophe von Tschernobyl 1986: „Nicht nur die Sowjetunion, sondern auch der Rest der Welt ist abhängig von der Ausweitung der Nutzung der Kernenergie. Ohne sie ist die Aussicht auf industrielles Wachstum nach dem Jahr 2000 nur ein frommer Wunsch. Die Welt der Kernenergie birgt viele Gefahren internationalen Charakters: grenzüberschreitende Strahlung, die starke Ausbreitung nuklearer Waffen sowie den internationalen Terrorismus und die Drohung einer Zerstörung von Kernkraftwerken im Falle eines Krieges. Die Dichte, in der diese vielen gefährlichen Industrieanlagen weltweit verbreitet sind, schafft die Bedingungen, unter denen ein Krieg einfach nicht zu gestatten ist." Bericht in: The Times (26. August 1986)

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Bildnachweise

Für die freundliche Bereitstellung der Abbildungen danken wir: Aerofilms (12); Anglia Television (103); Archigram (64); Architectural Design (71, 72, 73); Architectural Press (1, 2, 6, 17, 24, 25, 34, 43, 54, 62(a) und (b), 70, 81, 90, 102); Author (7, 88, 89); Sammlung des Autors (4, 39, 47, 51, 55, 57, 60, 63, 67, 82, 100); Cliff Barden (14, 112); Barrati Homes (50); Bovis Limited (86); Dave Bower (26); Britain on View (BTA/ETB) (11); British Aerospace (85, mit freundlicher Genehmigung); British Cement and Concrete Association (56, mit freundlicher Genehmigung); British Petroleum (22); British Steel Corporation (58, 74); Richard Bryant (106); Camera Press (79, 115); Central Electricity Generating Board (96); Martin Charles (23, 59, mit freundlicher Genehmigung); C M W Architects (91); Jeremy Cockayne/Arcaid, Sainsbury's pic (97); Peter Cook (18, 2 1 , 4 1 , 65); Richard Davis (94, 95, beide Fotos von Richard Davis); John Donat Photography (8); Terry Farrell Partnership (108(a)); Fiat Auto SpA (36, 42, mit freundlicher Genehmigung); Dougie Firth (33, 83); Fitzroy Robinson Partnership (92); Foster Associates (37, 104); Future Systems (31, 107); Geoff Goode (32); Michael Hopkins and Partners (27, 28, 29); Richard Horden (87, 105); Keith Hörne (78); Hulton Picture Library (110, 113); Hulton Picture Library/UPI/Bettman Archive (109); Hunt Thompson Associates (35(a)); Imperial War Museum, London (20, 38); Eva Jiricna Architects (30, © Peter Cook); London Express News and Feature Services (66); Sasha Lubetkin (19); The Mansell Collection (10, 52, 53, 93); Mercedes-Benz (Großbritannien) (44, 45, 46, mit freundlicher Genehmigung); A. Murray (London) Ltd (40, mit freundlicher Genehmigung); The MVA Consultancy (84); Nectar Homes (49); Stephen Parker (13); Popperfoto (111); Jo Reid und John Peck (35(b) and 108(b)); Michael Reynolds (101); Rockwool International (98); Rosehaugh Stanhope Developments (114, mit freundlicher Genehmigung. Foto von Sealand Photography); Messrs Scott, Brownrigg and Turner (68, mit freundlicher Genehmigung. Foto von

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Richard Turpin); Glen Small (75 (Strichzeichnung), 76, 77); Stirling Wilford Architects (9); Tanner, Nesselwang (5, © Kurverwaltung Schwangau); Terrapin International Ltd (61, 99); Tribune Media Services (69, mit freundlicher Genehmigung); Winchester Design Associates (48); Charlotte Wood (15, 16); Der Heuwagen mit freundlicher Genehmigung der Trustees der National Gallery, London; Foto der Canterbury Cathedral vom Südwesten © Woodmansterne; Umschlagfoto mit freundlicher Genehmigung von Ben Johnson

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Register

A b e r c r o m b i e , Sir Patrick 43, 237 A d a m , Robert 10, 4 7 , 92ff, 9 7 , 155, 170 Ahrends, Burton & Koralek 33 Aircraft Industry Research Organization on H o u s i n g (AIROH) 112 A l b a n Gate 4 9 , 54 Alexander F l e m i n g H o u s e 40, 69 Amdahl Computer-Zentrale 93 A m e r i c a n Iron a n d Steel Institute 188 Anderson, J o h n 237 A n t h o n y H u n t Associates 57 Archigram 27, 63, 117ff, 122, 128, 143F, 182, 2 0 2 Architektenberuf 18, 116, 177, 236f u n d Bauindustrie 19 z u k ü n f t i g e Rolle 225 z u n e h m e n d e Bedeutungslosigkeit 237 ARCON-Häuser 112f A r u p & Partners 57 Asplund, Gunnar 50 Autoentwicklung 84ff, 138 Autokonstruktion 82ff B a n h a m , Reyner 7ff, 13ff, 22ff, 27f, 96, 196, 209, 2 2 3 über das Automobil 82 über Technologie und Architektur 24f, 192f Baufachberufe 223ff Bauhaus 23, 2 1 2

244

Bauindustrie 137 Energieverbrauch 130ff Rolle der Architekten in der 18f Baumgart, Fritz 47 Baustile 17f, 170 B B C Zentrale, L a n g h a m Place 54, 199 Beech Aircraft C o r p o r a t i o n 115 Benz, Karl 84, 87ff, 94, 97, 172 B e m a l , J. D. 123 Betjeman, Sir J o h n 43 Betonfertigteile 107f, 110, 127 Bicknell, J u l i a n 170 Bilder und Baustil 16ff, 3 2 , 50, 103, 122, 124ff, 138, 154f, 158, 160, 165, 169, 172, 179, 2 1 9 , 2 2 1 , 2 2 6 , 231 Bibliothèque Nationale Paris, Wettbewerb 61, 181, 2 0 2 B i o m o r p h e Biosphäre, Wohnprojekt 144 Biotektur, Bio-Architektur I43f Black, G i l m e r 50, 6 4 Blake, Peter 13, 7 2 , 9 6 Blob-Bürohausprojekt 181 Bowley, M a r i a n 208 Bracken H o u s e 58, 6 0 , 6 3 , 9 9 Bretton Hall-Glashaus 103 Bristol Aeroplane C o m p a n y 112 Broadgate 54, 2 2 7 , 2 2 9 f Buckminster Fuller, Richard I4f, 25, 27f, 54, 115, 127, 132, 151, 165, 197, 2 0 9 , 2 1 6 , 2 2 6 , 236

Dymaxion House-Zeichnungen 122 Entwürfe für Megastrukturen 138ff über den i n t e r n a t i o n a l e n Stil' 22f WICHITA-House 112f Buntglasfenster, I n f o r m a t i o n s f u n k t i o n der 158, 160, 182 Burton, Decimus 33, 103, 106 C A D - Computer Aided Design und die Automobilindustrie 101 und Zeichnungen in der Architektur 19 Canary W h a r f 35, 226, 230 Canterbury, Kathedrale 155f, 182 Castle, Philip 40, 119, 128 C h a r i n g Cross 49 Charles, Prince of Wales 34f, 47f, 64, 69f, 123, 129, 203, 209, 214, 219, 223, 237 Chartres, Kathedrale 158, 182 CLASP - C o n s o r t i u m of Local Authorities Special Program 84, 96 Classical Revival 21, 44, 65, 92, 94, 170, 172, 205, 221 Clifton Nurseries, Covent Garden 205f Cloud Structures, Projekt I4lf CMW-Architekten 178 C o m m u n i t y Architecture 64f, 67, 70, 221 C o m p e r , Sir Ninian 72, 74, 76, 96 C o n c e p t 2000, Bürogebäude 125f Conrads, Ulrich 101, 127f Constable-Syndrom 32f, 69 C o o k , Peter 118, 128

Covent Garden-Sanierungsmaßnahme 43 Coventry, Kathedrale 41, 122, 158f, 163 Crosby, T h e o 164f, 182 Cushicle 117, 119 Dämmung 133, 151, 176 Hohlkammersysteme 148 Mineralwolle 185, 187 Standards 134 Daimler, Gottfried 84, 89ff Dallegret, François 24 de Ferranti, Sebastian 170 demontierbare Gebäude 11 Of, 189 Denkmalschützer 40, 44, 47, 54, 164 Desert D o m e 189 Dixon, Jeremy 48 Doernach, Rolf 144 Doppelverglasung Drittes Jahrtausend, Entwicklungen 54 D r o p City-Kuppelhaus 116 Dschidda, Flughafen 184 Dymaxion House 22ff, 122 E B C siehe Energieeinsatz in der Bauindustrie EFM - Emergency Factory-Made housing programme 112 Eigenbauhäuser 65 Energie 39, 41, 84, 117, 128ff, 137f, 140, I42ff, 146, l 4 8 f f , 166, 172, 220, 233f EBC-Bericht 13 lf Erhaltung 131, 134f Energieeinsparung, N a c h r ü s t u n g 134, 140, 148, 150 Verbrauch in der Bauindustrie 39, 129, 131 ff, 140, 144, 150 Energiekrise 41, 84, 133, 140, 143, I48ff

245

A u s w i r k u n g auf die Automobilindustrie 135 A u s w i r k u n g a u f die M o d e r n e Architektur 129f, 135ff und Bauindustrie 137 u n d Europäische Gemeinschaft 130 und USA 131 Energieeinsatz in der Bauindustrie ( E B C ) , Bericht 131 ff, 138 Energiemanagmentsysteme, industrielle 134 English Heritage - D e n k m a l s c h u t z 44, 230 Entwurfsphilosophie 212f, 218 Environmental Protection A g e n c y 151 Ephemerisierung 2 4 , 72, 76, 84, 124, 135, 137f, 140, 165, 168, 172, 197, 2 1 6 Epoxide, Einsatz 184 Erikson, Lief 185 Erith, R y m o n d 2 1 , 4 4 , 122 Esher, Lionel 221, 237 Euston Station 43 Falchetto, Battisto 84, 9 6 Falling W a t e r 84 F a r m a n Goliath-Flugzeug 194 Farnsworth H o u s e 8 4 , 172f Farrell, T e r r y 4 8 f , 54, 2 0 5 f Fassadengestaltung, traditionelle 54 Fertigteilhäuser 8 0 , 113, 115, 127 Festmüll: Einsatz beim Bau 151 Finanzdienstleistungsgebäude 102, I 4 9 f , 155, 162 bauliche M a n i f e s t a t i o n der 50f Fletcher, Sir Banister 47 Forster, N o r m a n 2 0 9 , 213ff, 2 1 7 , 222f, 225, 236f F r i e d m a n , Yona 7 0 f , 96, 143 Fry, M a x w e l l 16, 2 1 , 27f, 192f

246

Future Systems

6 I f f , 181, 2 0 I f

Gartenstadtbewegung 107 Gateshead M e t r o C e n t r e 35 Gegenkultur 116f Gehry, Frank 84 geodätische Kuppel 140 Georgian G r o u p 43 Gestaltung, Entwurf, Design CAD 19, 137 EBC Report-Empfehlungen 131 f Philosophie 21 l f , 2 1 7 f , 2 3 3 f Gibson, Paul 49, 96 Giugiaro, Giorgio 84 Glasfasern 184, 188, 194, 2 0 5 , 209 Glashäuser 106, 121 Goldberg, Bertram 50 Goldfinger, E m o 4 0 , 128 gotische Architektur 154, 158 Gowan, J a m e s 40 Grand Buildings 49, 202 Grange, Jacques 61 Greene, Godfrey 106 Grimshaw, N i c k 10, 51, 54, 8 5 , 185, 187 Gropius, W a l t e r 13, 101, 192, 223 Grüne M a s c h i n e - P r o j e k t 146 Guarini, G u a r i n o 58 Guggenheim-Museum 160, 182 Gußeisenkonstruktionen 190 Hackney, Rod 64, 66f, 70 H a n c o c k - T o w e r , Boston 175 H a r l e m , N e u g e s t a l t u n g des Slumgebiets 142 High-Tech 10, 3 0 , 3 3 , 4 0 , 4 5 , 4 7 , 49f, 54f, 57, 59ff, 63, 6 5 , 69f, 83ff, 9 2 , 9 4 , 103, 120, 125, 156, 168, 172, 177, 197, 199, 2 0 5 , 2 2 4

Highpoint Ii-Wohnhaus 47 historische Bezüge beim Hausentwurf 17 H M S Belfast 50f H o n d a Accord 84 H o n g Kong and Shanghai Bank 73, 102, 168, 195, 210 H o n g Kong-Börse 179 Hopkins, Michael 54ff, 63, 70, 99, 197, 209 H o r d e n , Richard 10, 169, 171, 199f, 202f, 209 H o m e , Keith 149 Huxley, Aldous 212 Hyde Park, Sheffield 37, 41, 106

K a u f m a n n , Edgar 164, 224 Kelly, Burnham 127, 208 Kimball, Charles 203f, 209f King's Cross 226 Kino, Darstellung des Maschinenzeitalters 15, 18, 158, 160, 168 Kinoarchitektur 168 Koenig, Giovanni Klaus 71, 76, 82, 96 Köln, D o m 158f Kopp, Anatole 101, 127 Korda, Alexander 119, 123 Krier, Leon 94 Kristallpalast 105f, 121

IBM T u r m , Chicago 177 Informationssysteme, Kathedralen als 26, 154, 158, 160, 164 Informationstechnologie 85, 119f, 154f, 182, 193, 228, 231 Auswirkung auf den Gebäudeentwurf 54, 102, 150, 160, I68ff, 174ff, 179 Informationswirtschaft, Auswirkung der 126, 164ff, I68f INMOS-Gebäude 31, 50 International Place, Boston 49 Internationaler Stil 23f Internationales Symposium über Energiesparmaßnahmen in der gebauten Umwelt 133

Lancia Aprilia 84, 86, 96 Lane, Barbara Miller 101, 127, 237 Langham Place BBC-Zentrale 54, 199 Lasdun, Sir Denys 47 Lea View House, Hackney 66, 70 Le Corbusier 14, 24, 72, 84, 191f, 194f, 205, 215, 218, 2 2 3 Legasow, Valéry 237 Legends Nightclub 61 Levete, Amanda 61, 202 Lloyd's-Gebäude 45ff, 50, 53, 57, 60, 63, 83, 102, 120ff, 125f, 168f London 8, 10, 20, 35, 38, 43, 47, 49, 54f, 57, 59ff, 67, 77, 99, 116, 129, 151, 177, 182, 185, 187, 202, 219, 226ff, 230, 2 3 7 London Bridge 226, 230 London Wall 226, 230 Loos, Adolf 84, 205 Lord's Cricket Stadion, H a u p t t r i b ü n e 56, 59 Loudon, J. C. 103 Lubetkin, Berthold 29, 47f, 70, 232, 2 3 7 Ludgate House 176, 178

Jencks, Charles 27f, 47f, 70, 123, 129, 223 Jiricna, Eva 60ff, 70 J o h n s o n , Philip 49 Kaltprofile 185 Kaplicky, Jan 10, 6 I f f , 70, 202f Kathedralen 153ff, 158, 160, 174, 182

247

M a n n , Thomas 70, 89, 146, 2 l 4 f , 218, 222, 236 Mansion House Square 20, 54, 177 Marillac, M. de 164, 182 Marinetti, Filippo 82, 96 Mason, Roy 143f, 152 Massenproduktion bei Gebäuden 57, 107ff, 191f Maybach, Wilhelm 91 Megastrukturen 143, 148 Meier, Richard 204, 210 Mendelsohn, Erich 177 Mercedes 90, 92, 126 Metabolisten I43f Metallplatten, Häuser aus 112, 191 Mickleover Transport 116 Mies van der Rohe, Ludwig 44, 49, 128, 151, 182, 192, 200, 218, 223 über Baumethoden 123 Farnsworth House, Entwurf 84, 172f und multifunktionelle Architektur 177ff Mileaf, Harry 19 Mineralwolledämmung 185, 187 Moderne Architektur 27, 87, 121f, 132, 138, 223 Grundsätze 21 und Technologietransfer 193 Ursprünge und Niedergang 77ff Mogridge, Martin 38, 237 Montgolfier-Heißluftballon 179f Moulton, Alex 71 National Gallery-Erweiterungsbau 44 National Trust 43 Neuschwanstein 31f Neutra, Richard 80, 192 New Zealand House 43 New-Age-Entwicklungen 54

248

33,

Nissen-Haus 107, 109f, 121, 127 Nixon, David 6 l f , 97, 202f Norberg-Schultz, Christian 76, 96 Notunterkünfte, Bau von, siehe EFM 110, 112, 191 Ohl, Herbert 123, 128 Old Man River-Wohnbauprojekt 14 l f Olförderplattformen, Ästhetik der 190 Ölkrise, siehe Energie Orwell, George 212 Oxford-Eisstadion 51 Palmenhaus, Kew 103f, 106 Palumbo, Peter 20 Park Hill, Sheffield 37, 41 passive Nutzung der Sonnenenergie 134 Patera-System 57 Paternoster Square 20 Pavillon Suisse 84 Pawle, Gerald 9, 21, 23, 27, 99, 127f, 209 Paxton, Sir Joseph 105f, 127 Peanut-Haus 201 Perkins, Lawrence 80 Perrin, Roger 10, 85 Pevsner, Nikolaus 47, 158, 182 Planungsstrategien, Unzulänglichkeit von 35ff Plessey-Halbleiterwerk 33 Polyester 59, 184 Polyäthylen 184 Porsche, Ferdinand 84 Postmoderne 47ff, 65, 84, 94, 128, 148, 212, 221, 223, 236 Propst, Robert 211, 236 Prouvé, Jean 11 Of, 127 Pruitt Igoe 48

Pugin, Augustus

13, 121

Rahmenplanung 35, 69, 237 Rand, Ayn 146, 194, 209, 218, 236 Raumfahrt 57, 63, 120, 143, 197, 202f, 225 Renault Centre 209 Revere Copper and Brass Co. 80f Reynolds, Michael 188f, 209 Rice, Peter 197, 209 Richards, J. M . 60, 74, 96, 99, 230, 237 Richardson, Sir Albert 60, 99 R i c h m o n d Riverside 45ff, 63 Robinson, Fitzroy 176, 178 Rock, David 185, 187, 2 3 7 Rockwool Corporation 185, 187 Rogers, Richard 45, 52, 61, 63, 69, 84, 102, 120f, 125, 128 R o u n d House 149 Royal College of PhysiciansGebäude 47 Royal Docks 35, 69 Royal Festival Hall 41 R u d o l p h , Paul 193 Ruskin, J o h n 13,121,212 Saarinen, Eero 193 Sadao, Shoji 140 Sainsbury Centre for the Visual Arts 86 Sainsbury-Einkaufszentrum 54, 185, 187 Saint, Andrew 20, 36, 39, 44, 127f, 153, 165, 177, 218, 236 San Vitale, Kuppel 188f Sanierung 38, 44, 58, 60, 66, 79, 138 Schlumberger-Laboratorien 56f Schmiedeeisen 104 Schon, Donald 49, 72, 87, 193, 209

Scott, Brownrigg & T u r n e r 125f Schreiber House, Hampstead 40 Secondary Strong Alloy (SSA)-Konstruktion 112 Segal, Walter 64f, 151 Sheerness Boat Store 105ff, 121 Sidell, Ron 49 Simpson, John 20 Skeuomorphismus 92 Skidmore, Owings and Merrill 54, 184 Sleek Building 118 Small, Glen I 4 4 f f , 152 Smithson, Alison und Peter 49, 122 Society for the Preservation of Ancient Buildings 43 Solarheizung 80 Soleri, Paolo 144 Solschenizyn, Alexander 211, 213ff, 217 Spengler, Oswald 212ff, 222f, 225, 228, 233, 236f Stag Place 169, 171 Stahlbeton 84, 107f, 110, 121, 127, 132, 190, 192, 209 Standard of Living Package 25 Stirling, James 20, 36, 48f, 54 Stockley Park Building 198 T a u t , Bruno 101, 127 Teague, Walter Dorwin 80 Technologie 8, 10, 15, 19, 21, 59, 63, 103, 126, 130, 140, 165, 168f, 183ff, 188, 190ff, 202ff, 208f, 215ff, 221, 226 Unvereinbarkeit mit Architektur 24ff siehe auch Informationstechnologie Technologietransfer 10, 126, 183ff, 188, 190ff, 196ff, 202ff, 208f Teflon 56, 184, 193, 205 Temple, Robert 185, 209

249

T e n t e r d e n Street 178 Terrapin Building C o m p a n y 188 Terrapin-Bungalow 113 Terry, Q u i n l a n 21, 28, 44ff, 48f, 54, 63, 94, 121, 128, 153, 205f Tetrahedral City l40f T h o r s m a r k , Vagn 185 T i p t o n Schleusenwärterhaus 103f Tourismusindustrie, bauliches Bild der 49f, 54 Transfer Agents 203f, 208 T r i t o n City 140 Turf Town-Projekt I46ff T u r n e r , Richard 103f, 126f Umwelt und Planung, Kontrolle und Steuerung 38 Victorian Society 43 Villa Savoie 24 Volkswagen 84, 137 W a m p a n o a g Effekt 15, 28 Wärmeverlust 135, 138, 142 W e b b , Michael 117,119,182 Wells, H . G. 123, 212f

250

Weltkriege 13, 23, 40, 47, 79, 84, 96, 101, 109f, 116, 129f, 132, 185, 190ff, 194, 196, 228, 230ff Auswirkungen auf die Baupolitik 41 und die Entstehung der M o d e r n e n Architektur 77ff und seriengefertigte Häuser 110 Whitehouse, Nick 10, 188f, 203, 209 WICHITA-Haus 112, 115, 127 Wilkinson, W . B. 107f, 121, 127 Willis Faber & D u m a s 176 Winter, J o h n 59, 70, 101, 106, 125, 129, 133, 148 Wright, Frank Lloyd 80, 84, 160, 182, 218, 2 2 3 Yacht House, Hampshire 199f Yorke, F. R. 16, 27, 131 Zeichensysteme Zelluloseacetat

162 184

Ein Gebäude ist kein Kunstwerk Nachwort von Ulf Jonak

Die demonstrative Verachtung der bürgerlichen Gesellschaft war einmal ein Massenphänomen und gehörte zur Jugendrevolte der siebziger Jahre. Antibürgerliches Wohnen ebenso. Die Vokabel alternativ gewann Obertöne hinzu und wurde weltanschaulich, als man begann, Sperrmüll aufzumöbeln und Autoreifen, Dosen, Kunststoffeimer, Reklametafeln als Baumaterialien zu verwenden. Entleert dienten Bierflaschen als Ziegelsteine, Pappschachteln als Möbel. Dem Garbage housing (Abfall-Behausungen) galt Martin Pawleys Scharfsinn in den siebziger Jahren1, als er, wie so viele, seine Wut über die achtlose Ressourcenverschwendung in der westlichen Welt entdeckte und zugleich seine Lust an der provokanten Antikonsumhaltung formulierte. Doch sein Beharren auf Wiederverwertung ist anders als für John F.C. Turner, dessen Buch Housing by People2 zur gleichen Zeit diskutiert wurde, weniger vom ,Vorbild' der Slums geprägt, dem Plädoyer für eine politische Gegenarchitektur in der Dritten Welt, als von der Lust an spielerischer Zweckentfremdung und mehr noch davon, die Ränder des Daseins zu erforschen. Das ist akzeptabel, denn Lustgewinn aus sozialem Engagement ist wohl legitim, wird doch manche anscheinend uneigennützige Hilfe zwar selbstdarstellerisch diskreditiert, aber auch erfolgreich betrieben. Entweder vage Hoffnungen auf höheres Wohlwollen oder aber diese gehirnakrobatische Herausforderung nähren ein Gefühl persönlichen Profits und den Schein wohltuender Genugtuung. So tastete Pawley sich zurück zu den Ursprüngen, versuchte die Genealogie der Architektur herauszufinden, noch einmal die „Urhütte" herauszukristallisieren, also Adams Haus wie Joseph Rykwert3 es nannte, zu rekonstruieren und dieses Vorhaben mit gesellschaftspolitischen Postulaten zu unterfüttern. Sein Standpunkt wird später von Michael Thompsons Theorie des Abfalls4 bestätigt werden, der nicht nur erklärt, daß diejenigen Produkte Ewigkeitswert haben, die das Stadium des Weggeworfenseins überstanden haben, sondern auch behauptet, daß alle Kultur sich aus dem Müll der jeweiligen Vorgängerin regene251

riere. Die einfachen Dinge aus ihrer allzu speziellen Verwendung befreien und einem Vielzweck zuführen: Dazu müssen sie auf ihre schlichteste, ursprünglichste, auf alles Beiwerk verzichtende Gestalt reduziert werden. Die kindlich abenteuerliche Experimentierlust am vorgefundenen Konsumgut schwindet irgendwann im Verlauf der intellektuellen Reife und wird auf eine analytischere Ebene gehoben. Aus Produkttransfer wird dann Technologietransfer. Gegenstand des wohl wichtigsten Kapitels des hier vorliegenden Buches, einem detektivischen Blick auf andere Technologien jenseits der antiquierten Baukultur. Im Bewußtsein, daß vieles schief gelaufen, manches aber doch zu retten sei, schlägt Pawley vor, gegenzusteuern und auf die grundlegenden Dinge zurückzugreifen, das heißt, auf die raffinierte Zubereitung, ja „Falschverwertung" von in anderen Bereichen oder Industrien entwickelten Zubehörteilen und Werkzeugen. Pawley bezieht sich auf Reyner Banham, den bedeutenden Bauhistoriker und Theoretiker (1922—1988) und auf dessen Buch mit dem fast gleichlautenden Titel. Anders als Banhams vom Nachkriegsaufschwung geprägte Theorie und Gestaltung im Ersten Menschenzeitalter5 (I960) aber ist Pawleys Buch (1990) am bitteren Ende einer von Vergeudung gezeichneten Epoche entstanden. Das Ende ist zugleich Anfang einer Kehrtwende, der Beginn von Rat- und Richtungslosigkeit, euphemistisch auch Pluralismus genannt, der Anfang sowohl von resignativer Hoffnungslosigkeit als auch von Rückbesinnung auf puritanische Tugenden wie Sparsamkeit und schonendem Umgang mit dem Vorhandenen. Derartige Umpolungen verändern auch die Ästhetik. Architekten, wie Pawley sie schätzt, verachten ihr Künstlertum, wollen eher als „Anwender von Technologien" verstanden werden, als Transfer-Agenten und Designer industrieller Bricolage. Während Banham noch ganz im Sinne der frühen Moderne die gesellschaftsdienende Wirkung der Architektur und der ihr benachbarten Technologien beschrieb, schildert Pawley nun die gesellschaftszersetzenden Wirkungen einer vermeintlich überbewerteten Denkmalpflege und regressiven Postmoderne. Der Architekt galt einmal als der gebildetste Mann seiner Zeit (Alberti), findet sich nun aber selbstverschuldet in der Unordnung ausufernder Technik nicht mehr zurecht. Für Pawley herrscht Krieg in den heutigen Großstädten, für ihn ist die Stadt „ein in Zeitlupentempo bebendes Schlachtfeld [...]. Ihre Straßen sind wie Schützengräben, ihre Fahrzeuge sind Panzer, ihr Schilderwald hat nurmehr militärstrategische Funktion." Zweifellos haben sich Rüstungsingenieure - eher ungewollt - auch als innovative Anreger der Daseinsbewältigung erwiesen. Nun aber möchte Pawley sie als Hilfstruppen rekrutieren, denen eine Phalanx technisch versierter und die Gesamtkultur überblickender Archi252

tekten die brauchbaren Produkte abnimmt. Sein Traum ist ein umfassender Katalog ausgeklügelter Fertigprodukte, die den Baubetrieb aus antiquierten Sackgassen in zeitgenössische Bahnen lenken. Ein Gebäude ist kein Kunstwerk. Pawley behauptet dies und sträubt sich deshalb gegen unangemessene Ehrfurcht und rigorose Denkmalpflege, wie er sie heute europaweit betrieben sieht. Aber ganz im traditionellen Sinne John Ruskins, der sich in seinem Buch The Seven Lamps of Architecture ( 1849)6 zwar für die respektvolle Sicherung, jedoch gegen die „lügnerische" Restaurierung von Denkmälern aussprach, ist auch Pawley für eine die kollektiven Erinnerungen bewahrende Erhaltung historischer Bauten. Allerdings ist sein Rückblick in die Geschichte ein informativer, keinesfalls ein ästhetischer. Pawley ist allen formalistischen Analysen abgeneigt. So wagt er den risikobehafteten Sprung rückwärts, die gotischen Kathedralen als Informationsmaschinen zu lesen. Wenn schon die Klassifizierung in Baustile nicht zu vermeiden ist, dann ist für ihn die Gotik der gültigste Baustil (auch hier seinem Vorgänger Ruskin folgend). Er interpretiert die ungewöhnlich großen und farbigen Glasfenster der Kathedralen als Diashows, die sich zusammen mit den religiösen Ritualen im Kirchenraum zum Multimediaereignis addieren und so die größtenteils analphabetischen Kirchgänger unterhalten, unterweisen und ihnen Identifikationsmöglichkeiten liefern. Architekturgeschichte ist zugleich Mediengeschichte. Pawley beschreibt die zweckgerichtete Entwicklung von der lichterfüllten Gotik bis zu unseren flimmernden Bildschirmen, ein kontinuierliches Perfektionieren des Sehsinns, eine Beschleunigung der visuellen Wahrnehmung und ein kontinuierliches Vernachlässigen der anderen Sinne, das eine im Dienste der Erkenntnis, das andere im Dienste der Zerstreuung. Dies hat zweifellos Auswirkungen auf unsere Raumvorstellung. Architektur ist nun nicht mehr die im Gehen zu erschließende Raumvielfalt die architektonische Promenade, wie Le Corbusier formulierte, sondern wird zum Ort der bewegungsarmen Konzentration, zur Tank- und Haltestelle, zum Cockpit instrumentalisierter Welterfahrung. Architektur wird zum Dienstleistungsgerät, wo sich mittels stetig verfeinerter Instrumente Fenster und Türen zu einer virtuellen Welt öffnen. So wird Pawleys Interesse am Technologietransfer begreifbar, sein Lob der sogenannten HighTech-Architektur. Die erstaunliche Zunahme dessen, was wir unter .Technischem Ausbau' verstehen, die Übernahme feinmechanischer Details aus der Elektrotechnik und konstruktiver Herleitungen aus dem Maschinenbau, all das könnte der Architektur einen kreativen Sprung bescheren. Wie Le Corbusier bereits in den zwanziger Jahren 7 , so beklagt auch Pawley, daß Architektur und Ingenieur253

wesen, ja insgesamt die moderne Welt auseinanderklaffen u n d weltferne Künstlerarchitekten mit archaischen Mitteln eine pseudomittelalterliche, längst nicht mehr zeitgemäße Welt produzieren. N u r mit High-Tech-Verfahren, einem vielfältigen Angebot von Prothesen und nützlichen Robotern, sei ein Zusammenwachsen der auseinandergeratenen Weltfragmente wieder möglich. Wir sehen Pawley als Glied in einer langen Traditionskette: gegen das Geschmäcklerische, für die technische Vernunft. Auch er sucht Ausblicke auf eine Architektur (Vers une Architecture). Wenn er sich in Feuer redet, dann fühlt man sich in futuristische Zeiten versetzt. Wie stand es 1914 in Sant'Elias Messaggio? „Wir müssen unsere Stadt der Moderne ex novo erfinden u n d aufbauen wie eine ungeheure, vor Erregung glühende Schiffswerft, aktiv voller Bewegung u n d r u n d h e r u m dynamisch, und jedes Bauwerk der Moderne m u ß wie eine gigantische Maschine sein." 8 Dies blieb für Pawley ein uneingelöstes Versprechen. Die heutige Stadt erscheint ihm als „Kriegszone" oder im zivileren Sinne als sterbendes System, über dessen Staubschichten sich neue Strukturen ausbreiten. D a n n bleibt nurmehr Spott gegenüber den Propagandisten des „denkmalgeschützten Paradieses eines neuen Gestern". N u r so ist zu begreifen, daß Pawley dem erzkonservativen Denker Oswald Spengler Tribut zollt, seiner Prophetie vom Untergang des Abendlandes (1918), seiner Zyklustheorie von Entstehen, Blüte u n d Verfall aller Zivilisationen, als seien sie lebende Organismen. Die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts zählt viele Propheten, steckt voller Technikeuphorie: Sant'Elia, Le Corbusier, Hannes Meyer, Friedrich Kiesler, Buckminster Fuller, Archigram. Sie hatten Einfluß u n d sind allesamt gescheitert. Weltverbesserung ist ein legitimes Anliegen, dennoch ist Sisyphos der Held unserer Zeit. Pawley sieht mit dem Ende des zweiten Maschinenzeitalters eine apokalyptische Z u k u n f t heraufziehen. Der Städter wird zum N o m a den, wird angesichts der Informationssysteme seines Standpunktes beraubt. Das Territorium der Stadt verliert Substanz u n d Wert. Ein Vakuum wird entstehen, u n d neue Kräfte werden es füllen. D a ß die Menschheit aber eventuell noch O p t i o n e n hat, ihre gebaute Welt sinnvoll zu verändern: Pawley beharrt darauf, ungerührt ob des Verdachts, gegen den Sturm zu rufen.

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Anmerkungen

1 2 3 4 5 6 7 8

Architectural Design 1971 /Heft 2 und 1973/Heft 12, als Buch: London und New York 1975 John F.C. Turner, Verelendung durch Architektur. „Housing by People". Plädoyer für eine politische Gegenarchitektur in der Dritten Welt, Reinbek 1978 Joseph Rykwert, O n Adam's House in Paradise. The Idea of the Primitive Hut in Architectural History, New York 1972 Michael Thompson, Theorie des Abfalls, Stuttgart 1982 Reyner Banham, Die Revolution der Architektur. Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter, Braunschweig/Wiesbaden 1990 (Bauwelt Fundamente, Band 89) John Ruskin, The Seven Lamps of Architecture, Edition Tauchnitz, Leipzig 1907 Le Corbusier, 1922 — Ausblick auf eine Architektur, Frankfurt/Berlin 1963; Braunschweig 4 1991 (Bauwelt Fundamente, Band 2) Vgl. Banham, a.a.O., S. 104

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Bauwelt Fundamente (lieferbare Titel)

1 Ulrich Conrads (Hg.), Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts 2 Le Corbusier, 1 9 2 2 - A u s b l i c k auf eine Architektur 3 Werner Hegemann, 1930 - Das steinerne Berlin 4 Jane Jacobs, Tod und Leben großer amerikanischer Städte 12 Le Corbusier, 1929 - Feststellungen 14 El Lissitzky, 1929 - Rußland: Architektur f ü r eine Weltrevolution 16 Kevin Lynch, Das Bild der Stadt 20 Erich Schild, Zwischen Glaspalast und Palais des Illusions 24 Felix Schwarz und Frank Gloor (Hg.), „Die Form" - Stimme des Deutschen Werkbundes 1 9 2 5 - 1934 36 John K. Friend u n d W. Neil Jessop (Hg.), Entscheidungsstrategie in Stadtplanung u n d Verwaltung 40 Bernd H a m m , Betrifft: Nachbarschaft 50 Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur 51 Rudolf Schwarz, Wegweisung der Technik u n d andere Schriften zum Neuen Bauen 1 9 2 6 - 1961 53 Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour, Lernen von Las Vegas 56 T h i l o Hilpert (Hg.), Le Corbusiers „Charta von Athen". Texte u n d D o k u m e n t e . Kritische Neuausgabe 58 Heinz Quitzsch, Gottfried Semper - Praktische Ästhetik und politischer Kampf 65 William H u b b a r d , Architektur und Konvention 68 Christoph Hackelsberger, Plädoyer für eine Befreiung des W o h n e n s aus den Zwängen sinnloser Perfektion 70 Hernry-Russell Hitchcock u n d Philip Johnson, Der Internationale Stil - 1932 71 Lars Lerup, Das Unfertige bauen 72 Alexander Tzonis u n d Liane Lefaivre, Das Klassische in der Architektur 7 3 Elisabeth Blum, Le Corbusiers Wege 74 Walter Schönwandt, Denkfallen beim Planen 79 Christoph Hackelsberger, Beton: Stein der Weisen?

82 Klaus Jan Philipp (Hg.), Revolutionsarchitektur 83 Christoph Feldtkeller, Der architektonische Raum: eine Fiktion 85 Ulrich Pfammatter, Moderne und Macht 89 Reyner Banham, Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter 90 Gert Kahler (Hg.), Dekonstruktion? Dekonstruktivismus? 91 Christoph Hackelsberger, Hundert Jahre deutsche Wohnmisere - und kein Ende? 92 Adolf Max Vogt, Russische und französische Revolutionsarchitektur 1917

1789

94 Mensch und Raum. Das Darmstädter Gespräch 1951 97 Gert Kahler (Hg.), Schräge Architektur und aufrechter Gang 99 Kristiana Hartmann (Hg.), trotzdem modern 100 Magdalena Droste, Winfried Nerdinger, Hilde Strohl, Ulrich Conrads (Hg.), Die Bauhaus-Debatte 1953 101 Ulf Jonak, Kopfbauten. Ansichten und Abrisse gegenwärtiger Architektur 102 Gerhard Fehl, Kleinstadt, Steildach, Volksgemeinschaft 103 Franziska Bollerey (Hg.), Zwischen de Stijl und CIAM (in Vorbereitung) 104 Gert Kähler (Hg.), Einfach schwierig 105 Sima Ingberman, ABC. Internationale Konstruktivistische Architektur 1 9 2 2 - 1939 106 Martin Pawley, Theorie und Gestaltung im Zweiten Maschinenzeitalter 107 Gerhard Boeddinghaus (Hg.), Gesellschaft durch Dichte

108 Dieter Hoffmann-Axthelm, Die Rettung der Architektur vor sich selbst 109 Françoise Choay, Das architektonische Erbe, eine Allegorie 110 Gerd de Bruyn, Die Diktatur der Philanthropen 111 Alison und Peter Smithson, Italienische Gedanken 112 Gerda Breuer (Hg.), Ästhetik der schönen Genügsamkeit oder Arts & Crafts als Lebensform 113 Rolf Sachsse, Bild und Bau 114 Rudolf Stegers, Rudolf Schwarz (in Vorbereitung) 115 Niels Gutschow, Ordnungswahn (in Vorbereitung) 116 Christian Kühn, Stilverzicht 117 Gerd Albers, Zur Entwicklung der Stadtplanung in Europa 118 Thomas Sieverts, Z W I S C H E N S T A D T 119 Beate und H a r t m u t Dieterich (Hg.), Boden. Wem nützt er? Wen stützt er?

Band 89 der Bauwelt Fundamente. 1990. 297 Seiten

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BEI VIEWEG

Sima Ingberman

Internationale Konstruktivistische Architektur 1922 -1939

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Band 105 der Bauwelt Fundamente 1997. 175 Seiten

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