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German Pages 230 [231] Year 2019
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 184
Die Revision als Rechtsmittel im Alten Reich Von
Dominik Kirschvink
Duncker & Humblot · Berlin
DOMINIK KIRSCHVINK
Die Revision als Rechtsmittel im Alten Reich
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 184
Die Revision als Rechtsmittel im Alten Reich Von
Dominik Kirschvink
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.
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© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-15478-4 (Print) ISBN 978-3-428-55478-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-85478-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 2017 / 2018 als Promotionsleistung anerkannt. Ich danke all jenen, die mich während dieser Zeit begleitet und unterstützt haben. Ganz besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Steffen Schlinker, der mir die Möglichkeit zu dieser Arbeit gab und durch seine Hinweise und Anregungen zu deren Gelingen beitrug. Seine Leidenschaft und sein Engagement für die Forschung sowie insbesondere auch für die Lehre und seine Schüler beeindruckten mich immer wieder zutiefst. Zudem danke ich Herrn Professor Dr. Wolfram Buchwitz für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Andreas Bartholomä, Herrn Dr. Hendrik Kern und Herrn Christoph Seidl danke ich für fruchtbare Diskussionen und hilfreiche Hinweise während diverser Mittags- und Kaffeepausen. Herrn Bartholomä bin ich zudem für seine Anregungen bei der Übersetzung lateinischer Quellen zu Dank verpflichtet. Darüber hinaus danke ich meiner Freundin Marie Isabel Schaller für ihre stetige und geduldige Unterstützung. Von Herzen danke ich schließlich meinen Eltern, Barbara und Hannes Kirschvink, die mich, nicht nur im Rahmen dieser Arbeit, auf jede nur denkbare Weise unterstützt haben. München, im November 2018
Dominik Kirschvink
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Revision in der Gerichtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Forschungsanliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 18 19
A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Höchste Gerichtsbarkeit im Alten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Revision gegen Urteile des RKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Entstehung und normengeschichtliche Entwicklung in den RKGOen . 22 a) Der „gestrackte Lauf“ des RKG und erste Beschwerden gegen dessen Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 b) Beschwerden gegen kammergerichtliche Urteile auf dem Reichstag 1512 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 c) Beratschlagung über eine gesetzliche Regelung einer Überprüfungsmöglichkeit auf dem Reichstag 1518 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 d) Ausweitung der Kontrollaufgaben der Visitation . . . . . . . . . . . . . . 35 e) Vorschlag des RKG zur Überprüfung reichskammergerichtlicher Urteile und Zuständigkeit der Visitation für Beschwerden gegen das RKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 f) Beschwerden gegen das RKG bei der Visitation . . . . . . . . . . . . . . . 44 g) Die Zulassung von Rechtsmitteln gegen kammergerichtliche Urteile im RA von 1532 als erste Stufe im Prozess der Ausbildung der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 h) Die Anfechtung reichskammergerichtlicher Urteile im Übergang von einer Gnadenbitte zum Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 i) Erste Syndikatsklagen gem. RA 1532 Tit..3 § 17 und Beschwerde des Kammerrichters und der Beisitzer hiergegen . . . . . . . . . . . . . . 57 j) Verhandlungen über eine Neuregelung von Syndikatsklage und Revision auf dem Reichstag von 1548 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 k) Trennung von Syndikatsklage und Revision 1548 / 1555 und Verbot der Supplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 l) Entwicklung der Revision nach 1555 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 m) Kritik und Verbesserungsvorschläge des RKG hinsichtlich der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 n) Reaktion auf die Kritik und Reform der Revision durch den JRA . 83 2. Zulässigkeit der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Überprüfung der Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Revisionssumme und Kanzleigebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
8
Inhaltsverzeichnis c) Frist zur Einlegung der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 d) Einlegung der Revision beim Kurfürsten von Mainz und dem Kammergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 e) Revisionseid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 f) Leistung des Sukkumbenzgeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 g) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Zulässigkeit der Appellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Anzeige gem. den Aufforderungen von 1653 und 1766, die Revision fortsetzen zu wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Begründetheit der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Grundlage des Revisionsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Ausschluss neuen Tatsachenvortrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4. Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Devolutiveffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Suspensiveffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Unübersichtliche Rechtslage nach Errichtung des RKG und Kontrollbedürfnis aufgrund verhältnismäßig großer Unabhängigkeit des RKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Einführung und Ausdifferenzierung von Überprüfungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision? . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Die prozessrechtliche Situation am RHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Einführung eines Rechtsmittels gegen Endurteile erst im West fälischen Friedensvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Zulässigkeit der Supplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Begründetheit der Supplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Devolutiveffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Suspensiveffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
B. Überblick über die Lage in den Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die zwei Arten der Revision auf territorialer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reichsrechtlich angeordnete bzw. subsidiäre Revision . . . . . . . . . . . . . . . III. Partikularrechtliche Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
160 160 163 168
C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. Die Revision in Preußen im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Die Revision nach der AGO von 1793 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch Einführung der Nichtigkeitsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Die Situation im Königreich Hannover . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Inhaltsverzeichnis9 1. Beschränkung auf zwei Instanzen mit Berufung als einzigem ordentlichen Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes . . . . . . . . . . . 190 III. Das letztinstanzliche Rechtsmittel in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Die Revision nach dem Codex Juris Bavarici Judiciarii . . . . . . . . . . . 192 2. Die CPO von 1869 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Revision am RKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Supplikation / Revision am RHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Revision auf territorialer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu Zeiten des RKG und RHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nach dem Ende des alten Reichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203 203 208 210 210 211
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
Abkürzungsverzeichnis ABPO
Allgemeine bürgerliche Proceßordnung für das Königreich Hannover von 1847
Abt. Abteilung AcP
Archiv für civilistische Praxis
a. E.
am Ende
a. F.
alte Fassung
Anm. Anmerkung APW
Die Westfälischen Friedensverträge vom 24. Oktober 1648. Texte und Übersetzungen (Acta Pacis Westphalicae. Supplementa electronica, 1)
Art. Artikel Bd.
Band
BPO
Bürgerliche Proceßordnung für das Königreich Hannover von 1850
BRGÖ
Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs
CIC
Corpus Iuris Civilis
CJ
Codex Iustinianus
CJC
Corpus Juris Cameralis
CJF
Corpus Juris Fridericianum
D Digesten d. h.
das heißt
Diss. Dissertation f., ff.
folgend(e)
GA
Germanistische Abteilung
GB
Gemeiner Bescheid
ggf.
gegebenenfalls
HRG
Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte
Hrsg. Herausgeber IPO
Instrumentum Pacis Osnabrugensis
JRA
Jüngster Reichsabschied
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
Nov
Novellae leges
NSdRA
Neue Sammlung der Reichsabschiede
Abkürzungsverzeichnis11 o. ä. oder ähnlichem RA Reichsabschied RDepA Reichsdeputationsabschied RHR Reichshofrat RHRO Reichshofratsordnung RKG Reichskammergericht RKGO Reichskammergerichtsordnung sog. sogenannte Sp. Spalte Tit. Titel VA Visitationsabschied vgl. vergleiche Wahlkap. Wahlkapitulation z. B. zum Beispiel ZRG Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte
Einleitung I. Die Revision in der Gerichtsverfassung Das geltende deutsche Zivilverfahrensrecht kennt im Grundsatz einen dreigliedrigen Instanzenzug, in dessen Rahmen das erstinstanzliche Urteil mit der Berufung und das Berufungsurteil schließlich mit der Revision angegriffen und überprüft werden kann. Bis zur Reform des Zivilprozesses im Jahre 2002 konnte die Berufung sowohl darauf gestützt werden, dass eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet wurde oder die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigten. Die Berufung war eine vollwertige Tatsachen instanz, in welcher die Parteien Noven einführen konnten und eine Neubewertung der Tatsachengrundlage nach Wiederholung der Beweisaufnahme gestattet war.1 Seit der Prozessrechtsreform 2002 soll die Berufung verstärkt der Rechtsfehlerkontrolle dienen, weshalb das Berufungsgericht gem. § 529 I Nr. 1 ZPO an die von der ersten Instanz festgestellten Tatsachen gebunden ist.2 Trotz dieser Neuausrichtung der Berufung als Instrument zur Rechtsfehlerkontrolle und der hieraus resultierenden Bindung an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen, soll die Berufung jedoch weiterhin auch dem Gebot einer sachlich richtigen Entscheidung verpflichtet sein und der Einzelfallgerechtigkeit dienen.3 Aus diesem Grund gilt die Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlich festgestellten Tatsachen auch nur, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.4 Die Anforderungen an die Voraussetzung einer neuen Tatsachenprüfung sind hierbei nicht zu überspannen.5 Vielmehr hat das Berufungsgericht nach Ansicht des BGH immer dann neue Tatsachenfeststellungen zu treffen, wenn die erstinstanzlichen Feststellungen nicht überzeugen, selbst dann, wenn die Feststellungen nach 1 Vgl.
Musielak / Voit-Ball, ZPO, Vor § 511 Rn. 8. Stein / Jonas-Althammer, ZPO, § 529 Rn. 1; Baumbach / Lauterbach, ZPO, § 529 Rn. 2; Musielak / Voit-Ball, ZPO, Vor § 511 Rn. 8; Roth, JZ 2006, S. 9; ZöllerHeßler, ZPO, Vor § 511 Rn. 1. 3 Vgl. BGH, NJW 2004, S. 2753; Roth, JZ 2006, S. 10 und 12; Stein / Jonas-Althammer, ZPO, § 529 Rn. 2; Baumbach / Lauterbach, ZPO, § 529 Rn. 2. 4 § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. 5 Baumbach / Lauterbach, ZPO, § 529 Rn. 2. 2 Vgl.
14
Einleitung
den gesetzlichen Auslegungsregeln möglich (vertretbar) sind.6 Des Weiteren ist in den Grenzen von § 531 ZPO auch neuer Tatsachenvortrag der Parteien zulässig. Hiernach sind neue Angriffs und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom erstinstanzlichen Gericht erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten wurde, sie infolge eines Verfahrensmangels in der ersten Instanz nicht geltend gemacht wurden oder die Nichtgeltendmachung nicht auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Obwohl die „Luxusberufung“ des alten Rechts (§ 525 ZPO a. F.) mit einer vollen zweiten Tatsacheninstanz aufgegeben wurde, erfolgt in der Berufung also weiterhin eine beschränkte Tatsachenprüfung,7 weshalb die Berufung sowohl hinsichtlich ihres Zwecks als auch ihres Prüfungsumfangs deutliche Unterschiede zur Revision beibehält. Im Gegensatz dazu kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht.8 Eine solche Rechtsverletzung liegt vor, wenn eine Rechtsnorm, unabhängig davon, ob es sich um eine Verfahrensvorschrift oder materielles Recht handelt, gar nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.9 Das Revisionsgericht hat seiner Entscheidung grundsätzlich das Parteivorbringen so zugrunde zu legen, wie es sich aus dem Berufungsurteil, den Sitzungsprotokollen und den in Bezug genommenen Schriftsätzen und Anlagen ergibt.10 Die Berücksichtigung neuer Tatsachen ist im Rahmen der Revision folglich weitestgehend ausgeschlossen und es erfolgt lediglich eine Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung. Ein weiteres Wesensmerkmal der Revision besteht darin, dass sie zwar auch der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit dient, dieser individuelle Rechtszweck jedoch durch das Allgemeininteresse an der Schaffung einheitlicher Rechtsbedingungen durch Rechtsfortbildung und Förderung der Rechtseinheit überlagert wird.11 Entsprechend dieser Zielrichtung sind gegen Revisionsurteile auch keine weiteren Rechtsmittel mehr möglich, weshalb die Revision als letztinstanzliches Rechtsmittel den Instanzenzug beendet. In Abgrenzung zu anderen Rechtsmitteln lassen sich daher folgende Eigenschaften als revisionsspezifische Charakteristika festhalten: die Beschränkung des Prüfungsumfanges auf Rechtsfragen und der damit verbundene NJW 2004, 2751, 2753; Roth, JZ 2006, S. 12. ZPO, § 529 Rn. 2; Roth, JZ, S. 9 und 11; Zöller-Heßler, ZPO, § 529 Rn. 1; Musielak / Voit-Ball, ZPO, § 529 Rn. 1. 8 § 545 Abs. 1 ZPO. 9 Vgl. § 546 ZPO; Zöller-Heßler, ZPO, § 545 Rn. 1. 10 § 559 Abs. 1 ZPO; Baumbach / Lauterbach, ZPO, § 559 Rn. 4; Zöller-Heßler, ZPO, § 559 Rn. 1. 11 Zöller-Heßler, ZPO, Vor § 542 Rn. 1. 6 BGH,
7 Stein / Jonas-Althammer,
I. Die Revision in der Gerichtsverfassung15
Ausschluss neuer Tatsachen, die Stellung als letztinstanzliches Rechtsmittel, sowie der Zweck Rechtseinheit zu gewährleisten. Darüber hinaus weist die Revision, wie andere Rechtsmittel, einen Suspensiv- und Devolutiveffekt auf. Völlig anders lief dagegen das Verfahren nach mittelalterlichem Recht außerhalb der Kirche ab, welches lediglich eine einstufige Gerichtsbarkeit und keine übergeordnete zweite oder dritte Instanz kannte.12 Bis in das Spätmittelalter hinein war eine Anfechtung und erneute Überprüfung von einmal erlassenen Urteilen nicht möglich. Im mittelalterlichen dinggenossenschaftlichen Gericht wurden die Urteile von der Gerichtsversammlung, welche aus den Angehörigen der Gerichtsgemeinde oder deren Repräsentanten bestand, gefunden. Der Richter hatte hierbei nur verfahrensleitende Aufgaben und fragte ein Mitglied der Gerichtsversammlung, was in dem konkreten Fall als richtiges Recht gelten solle.13 Das richtige Recht und somit auch das Urteil wurden nicht durch eine nachprüfbare und wissenschaftlichen Regeln folgende Anwendung geschriebenen Rechts und eine Subsumtion von Tatsachen unter Rechtsnormen gefunden, sondern durch assoziative Beurteilung des Falles nach Rechtserfahrungen und tradiertem Rechtswissen.14 Das Recht wurde nicht angewendet, sondern gefunden. Wenn der Urteilsvorschlag die Zustimmung der Gerichtsversammlung fand, wurde der Prozess beendet und der Vorschlag von dem Richter als Urteil verkündet. Mit der Verkündung wurde aus dem Vorschlag überhaupt erst ein zu befolgendes Urteil, welches nicht mehr anfechtbar war.15 Vertrat jedoch ein anderes Mitglied der Gerichtsgemeinde eine andere Rechtsauffassung, so konnte es den Vorschlag schelten und einen Gegenvorschlag vortragen. In diesen Fällen lag ein gezweites Urteil vor und die beiden Vorschläge wurden einer anerkannten Rechtsautorität, meistens einem Oberhof, vorgelegt. Der Oberhof nahm hie raufhin eine Beurteilung des ihm vorgetragenen Falles anhand seiner eigenen Rechtserfahrung und Rechtskenntnisse vor. Diese Beurteilung und die damit verbundene Feststellung, welcher Urteilsvorschlag der Bessere war, teilte er sodann dem anfragenden Gericht mit. Hierbei handelte es sich jedoch nicht um ein Urteil im Sinne eines Entscheidungsaktes, sondern um eine Rechtsauskunft und Rechtsbelehrung.16 Das anfragende Gericht brachte diese Rechtsbelehrung dann in das Verfahren ein und erließ ein entsprechendes Urteil. Dieser sog. Rechtszug war daher keine eigene Instanz, mit welcher 12 Allgemein zum mittelalterlichen deutschen Recht und Gericht Weitzel, Ding genossenschaft und Recht; ders., Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug. 13 Diestelkamp, Durchsetzung des Rechtsmittels der Appellation, S. 7. 14 Vgl. Weitzel, Über Oberhöfe, S. 8; Diestelkamp, Durchsetzung des Rechtsmittels der Appellation, S. 7. 15 Vgl. Diestelkamp, Durchsetzung des Rechtsmittels der Appellation, S. 7, 8. 16 Vgl. Weitzel, Rechtszug, in: HRG, Sp. 431.
16
Einleitung
ein bereits gefälltes und somit existentes Urteil angefochten und überprüft wurde, sondern ein Mittel, die Uneinigkeit der Gerichtsversammlung zu überwinden und durch Einholung der Rechtsbelehrung zu einer Entscheidung zu gelangen.17 Wie die viel zitierte Metapher von Grimm anschaulich beschreibt, „entlieh [man] das recht, wie feuer und licht bei dem nachbar […,] wie die geholte flamme mit nach haus getragen und gebraucht wurde, liess man sich auch in dem auswärtigen mallum nur das recht weisen, um es hernach einzubringen und den parteien wieder auf der ersten gerichtsstätte zu verkünden.“18 Das Verständnis von Recht und die Art der Rechtsfindung änderten sich erst mit der Rezeption des gelehrten Rechts. Durch die Anwendung abstrakter Gesetze anhand von festgelegten Grundsätzen und wissenschaftlichen Methoden wurden Urteile überhaupt erst überprüfbar. Es ging nicht mehr um die Frage, was das (richtige) Recht war und wie man dies fand, sondern um die richtige Anwendung des Rechts. Zusammen mit diesem neuen Rechtsverständnis entdeckte man auch die Rechtsmittel des römischen Rechts wieder. Dies führte dazu, dass die Appellation ab dem Ende des 12. Jahrhunderts zunächst im kanonischen Prozess und ab Mitte des 15. Jahrhunderts auch im weltlichen Prozess wieder Anwendung fand.19 Vom altdeutschen Rechtszug unterschied sich die Appellation grundsätzlich durch zwei Aspekte.20 Zunächst richtete sich die Appellation gegen ein bereits verkündetes Urteil, wohingegen der Rechtszug seinem Charakter als Rechtsauskunft nach bereits vor dem Erlass des Urteils erfolgen musste. Zudem wurde im Rahmen des Rechtszuges die Rechtsauskunft der angerufenen Rechtsautorität als eigenes Urteil des anfragenden Gerichts verkündet, wohingegen das Appellationsgericht ein eigenes Urteil fällte, welches das vorinstanzliche Urteil ersetzte. Mit der Appellation wurde also ein bereits bestehendes Urteil angefochten, überprüft und bestätigt oder ersetzt. Im Gegensatz zu der einstufigen Gerichtsbarkeit des dinggenossenschaftlichen Verfahrens handelte es sich bei der Appellation um eine eigene Instanz. Zusammen mit der Appellation des römisch-kanonischen Rechts und dem gelehrten Recht verbreitete sich so seit der Mitte des 15. Jahrhundert zunehmend auch der Instanzenzug im welt lichen Recht.21 Gleichwohl dauerte es einige Zeit, bis im gesamten Reich die 17 Vgl. Diestelkamp, Durchsetzung des Rechtsmittels der Appellation, S. 8; Weitzel, Rechtszug, in: HRG, Sp. 437. 18 Grimm im Vorwort zu Thomas, Der Oberhof zu Frankfurt, S. XI. 19 Weitzel, Appellation, Sp. 268; Diestelkamp, Durchsetzung des Rechtsmittels der Appellation, S. 10, 11. 20 Weitzel, Über Oberhöfe, S. 9, 10; Diestelkamp, Durchsetzung des Rechtsmittels der Appellation, S. 9. 21 Weitzel, Instanzenzug, Sp. 1264.
I. Die Revision in der Gerichtsverfassung17
Voraussetzungen für einen funktionierenden Instanzenzug vorlagen. Zunächst einmal mussten die Urteile an sich überprüfbar sein, was voraussetzte, dass sie möglichst nach schriftlich fixierten Gesetzen und allgemeingültigen Subsumtionsregeln gefällt und der Prozess, sowie insbesondere das Urteil zumindest in Grundzügen schriftlich festgehalten wurde. Darüber hinaus war ein hierarchisch gegliedertes Gerichtssystem und eine Besetzung der Gerichte mit gelehrten Richtern nötig.22 Mit der Zeit entwickelte sich jedoch in den meisten Territorien ein in aller Regel dreistufiger Instanzenzug, welcher vom Eingangsgericht über das Appellationsgericht zum Obergericht führte.23 Die Urteile der territorialen Obergerichte konnten mittels der Appellation wiederum vor dem Reichskammergericht und später auch dem Reichshofrat angefochten werden.24 Gegen diese Urteile war nach der RKGO zunächst kein weiteres Rechtsmittel zugelassen, so daß sie den Instanzenzug beendeten.25 In der Praxis kam es jedoch vor, dass auch die Urteile der Reichsgerichte erneut angegriffen wurden und schon recht bald nach der Errichtung des Reichskammergerichtes im Jahre 1495 wurden auch entsprechende Regelungen in die RKGO aufgenommen.26 Diese Regelungen der RKGO waren zunächst noch recht undifferenziert und vermischten unterschiedliche Rechtsbehelfe miteinander,27 doch bereits in der RKGO von 1548 wird recht deutlich die Anfechtung kammergerichtlicher Urteile durch Revision geregelt. Neben dem Namen hatte dieses Rechtmittel jedenfalls insofern Ähnlichkeit mit der heutigen Revision, als es lediglich auf die Akten der Vorinstanz gestützt werden sollte, neuer Tatsachenvortrag ausgeschlossen war und weitere Rechtsmittel nicht mehr zulässig waren.28 Ebenso beschreibt Samuel Oberländer in seinem Lexicon Juridicum von 1753 die Revision im allgemeinen: „Revisio, die Übersehung, ist das letzte Rechts-Mittel, da einer, der kein ander Rechts-Mittel mehr übrig hat, innerhalb zehen Tagen bittet, daß die Acten aufs neue möchten durchgesehen, und die Sentenz auf diese oder jene Weise und Art verbessert werden.“29
den Voraussetzungen allgemein: Weitzel, Instanzenzug, Sp. 1264. Weitzel, Instanzenzug, Sp. 1265. 24 Vgl. RKGO 1495 § 13 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 8; Weitzel, Instanzenzug, Sp. 1265. 25 Vgl. RKGO 1495 § 25 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 9. 26 Vgl. hierzu unten Kap. A. II. 1. a). 27 Vgl. hierzu unten Kap. A. II. 1. g). 28 Vgl. RKGO 1548 Teil 3 Tit. 53 in Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1433–1437. 29 Oberländer, Lexicon, S. 623. 22 Zu
23 Vgl.
18
Einleitung
Nach dem Ende des alten Reiches verschwand mit der Auflösung der höchsten Reichsgerichte zwar auch die reichsrechtliche Revision,30 jedoch existierten in den Territorien weiterhin verschiedene Modifikationen, welche im Laufe des 18. Jahrhundert durch die französische Kassation beeinflusst bzw. durch die an der Kassation orientierte Nichtigkeitsbeschwerde ersetzt wurden.31 Obwohl es in der Begründung des Entwurfs der ZPO heißt, die Revision sei „eine neue Rechtsbildung“32, durch welches mit Nichtigkeitsbeschwerde „der Sache und den Formen nach vollständig gebrochen werden“33 sollte, brach die Revision jedoch nicht vollständig mit den Grundzügen der Nichtigkeitsbeschwerde und stellt demensprechend auch keine völlig neue Rechtsbildung dar. „Der Sache nach war dieses auf die Rechtsfrage beschränkte Rechtsmittel im Wesentlichen dasselbe, wie die im preußischen Proceß wohlbekannte Nichtigkeitsbeschwerde dritter Instanz.“34
II. Das Forschungsanliegen Das Anliegen dieser Arbeit ist es einigen der Fragen nachzugehen, welche sich aus diesem knappen Abriss der historischen Entstehung und Entwicklung des Instanzenzuges und insbesondere der Revision ergeben. Aus heutiger Sicht drängt sich natürlich zunächst die Frage auf, warum es möglich war, die Urteile der höchsten Reichsgerichte nochmals einer weiteren Überprüfung zu unterziehen? Zudem stellt sich die Frage, warum diese Überprüfung nicht im Wege der bekannten Appellation erfolgte? Woraus, wann und warum entwickelte sich das neue Rechtmittel der Revision? Worin unterschied es sich von der Appellation? Und hatte es wirklich keine Ähnlichkeit mit der heutigen Revision, wie die Begründung des Entwurfs der ZPO glauben macht? Zur Klärung dieser Fragen wird versucht, die Entstehung und Entwicklung der Revision zu den Reichsgerichten nachzuzeichnen und ihre konkrete Ausgestaltung anhand von Quellen und Sekundärliteratur darzustellen. Auf die Verwendung von Gerichtsakten wird hierbei trotz grundsätzlich guter Quellenlage verzichtet, da die Auswertung einer repräsentativen Anzahl von Akten für einen derart langen Zeitraum den Rahmen dieser Arbeit bei weitem 30 Wetzell,
System, S. 778; Renaud, Lehrbuch, S. 529; vgl. auch unten S. 173. hierzu Kap. C. 32 Hahn, Materialien, S. 362. 33 Hahn, Materialien, S. 142. 34 Bähr, Civilproceß, S. 353; vgl. auch Schwinge, Grundlagen, S. 25 m. w. N., diese allerdings überwiegend zum Strafprozess; vgl. zur Ähnlichkeit des Rechtsbehelfesystems der ZPO mit hergebrachten Einrichtungen allgemein Gilles, Rechtsmittel, S. 198, 199, 201. 31 Siehe
III. Forschungsstand19
sprengen würde. Im Anschluss an die Darstellung der Revision an die Reichsgerichte wird in einem Ausblick die weitere Entwicklung der Revision nach dem Ende des alten Reiches betrachtet. Angesichts der Vielzahl der Territorien wird exemplarisch die Entwicklung der Revision respektive der an ihre Stelle tretenden letztinstanzlichen Rechtsmittel in Preußen, Hannover und Bayern dargestellt.
III. Forschungsstand In der neueren Forschung gibt es momentan, soweit ersichtlich, keine Arbeit die sich schwerpunktmäßig mit der Revision am Reichskammergericht oder Reichshofrat befasst. Allerdings wurde das Thema sowohl in einigen Aufsätzen als auch als Teil monographischer Arbeiten behandelt. Dick und Sellert gehen in ihren Werken zum Kameralprozess35 bzw. zum Prozess des Reichshofrates36 in den Kapiteln zu den Rechtsmitteln jeweils auf die Revision ein, wobei insbesondere Sellert auch Ausführungen zur Entwicklung des Rechtmittels macht.37 Daneben gibt auch Mencke in seiner Arbeit über „Die Visitation am Reichskammergericht im 16. Jahrhundert“ einen Überblick über die Entstehung und Verbreitung der reichskammergerichtlichen Revi sion.38 Wie der Titel schon verrät, stehen jedoch die Visitationen des RKG im Vordergrund, weshalb nicht näher auf die normengeschichtliche Entwicklung und die allgemeine Ausgestaltung der Revision eingegangen wird. Die in diesem Bereich verfassten Aufsätze behandeln das Thema naturgemäß in komprimierter Form.39 Zudem beschränken sie sich oft auf eines der beiden höchsten Reichsgerichte,40 behandeln die Revision nur als Teilaspekt des übergeordneten Themas der Rechtsmittel41 oder beziehen sich auf Sonderformen der Revision42. 35 Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555. 36 Sellert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat. 37 Ebenda, S. 373–378. 38 Mencke, Die Visitationen am Reichskammergericht im 16. Jahrhundert, S. 126– 132. 39 Sellert, Die Problematik der Nachprüfbarkeit von Urteilen des Reichshofrats und des Reichskammergerichts durch Revision und Supplikation, in: Consilium Mag num, S. 407–417. 40 Sellert, Die Revision (Supplikation) gegen Entscheidungen des Kaiserlichen Reichshofrats, in: Höchstgerichts-barkeit, S. 21–37. 41 Weitzel, Rechtsmittel zum und am Reichskammergericht, in: Höchstgerichtsbarkeit, S. 9–20; Schildt, Das Reichskammergericht als oberste Rechtsmittelinstanz im Reich, in: BRGÖ I / 2013, S. 67–85. 42 Ortlieb, Der Reichshofrat als Revisionsgericht für Österreich, in: BRGÖ I / 2013, S. 189–210.
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Einleitung
Unter der zeitgenössischen Literatur finden sich sowohl Abhandlungen, die ausschließlich die reichsrechtliche Revision betreffen,43 als auch allgemeine Prozessrechtskommentare und -Lehrbücher, welche ebenfalls auf diese eingehen.44 Wie sich im Lauf der Arbeit zeigen wird, war die Revision gegen Urteile des Reichshofrates im Wesentlichen der reichskammergerichtlichen Revision nachgebildet, weshalb sich die Literatur in vielen Fällen inhaltlich überschneidet.
43 So etwa Lang, Lehre von dem Rechts-Mittel der Revision an dem Kaiserlichen und Reichs Cammergericht; Jäger, Von dem Rechtsmittel der Revision und Actenversendung, Stuttgart 1788; J. J. Moser, Von der an dem Kayserlichen Reichs-Hof-Rath üblichen Revision oder Supplication. 44 So z. B. Selchow, Einleitung in den Reichshofrathsprozeß; Seyfarts, Teutscher Reichs-Proceß; Danz, Grundsätze des Reichsgerichts-Prozesses; Gaill, Practicarum observationum; J. J. Moser, Von der Teutschen Justiz-Verfassung; ders., Grundsätze der Reichshofrathspraxis; Mynsinger von Singularium observationum imperialis camerae centuriae; Schwanmann, De Processibus Augustissimi Camerae Imperialis Iudicii; Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses; Neurode, Gegenwärtige Verfassung des H. R. Reichs in Staats- und Justiz-Sachen oder Pragmatische Erläuterung des jüngeren Reichs-Abschieds.
A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte I. Höchste Gerichtsbarkeit im Alten Reich Aus moderner Sicht weist die höchste Gerichtsbarkeit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zwei Besonderheiten auf. So gab es mit dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat gleich zwei höchste Gerichte, deren Urteile zudem den Rechtsstreit nicht zwingend beendeten, sondern durch Revision bzw. Supplikation erneut anfechtbar waren. Gegen Entscheidungen des Kaiserlichen Reichshofrats (RHR) konnte mit der Supplikation und gegen solche des Reichskammergerichts (RKG) mit der Revision vorgegangen werden. Gegen Entscheidungen der beiden höchsten Gerichte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, welche eigentlich die letzte Instanz darstellten, war also erneut und letztmalig die Einlegung von Rechtsmitteln möglich. Die Ursache für die parallele Existenz von Reichskammergericht und Reichshofrat liegt darin, dass die Stände im Rahmen der Reichsreform wiederholt versucht hatten, ein vom Kaiser weitestgehend unabhängiges Gericht einzurichten und dieses Ziel mit der Errichtung des Reichskammergerichts im Jahre 1495 auch erreicht hatten.45 Aufgrund einer momentanen Überlegenheit war es den Ständen gelungen, die Errichtung gegen den eigentlichen Willen Maximilians I. durchzusetzen und so „die königliche Gewalt in einem zentralen Kompetenzbereich“ zu beschneiden.46 Das vormals höchste Gericht im Reich, das alte kaiserliche Kammergericht, wurde durch das Reichskammergericht abgelöst47 und entgegen der mittelalterlichen Vorstellung, nach welcher „der Herrscher als Ursprung allen Rechts, aller Gerichtsgewalt und Gesetzgebung“ galt, folgte aus der Errichtung des RKG „die Teilhabe der Stände an der höchsten Gerichtsgewalt im Reich“.48 Den Verlust an Einfluss auf die Gerichtsbarkeit versuchte Maximilian I. dadurch auszugleichen, dass er 1498 seinem Hofrat die Jurisdiktionsgewalt in Rechtssachen aus dem Reich übertrug und so dem Reichskammergericht 45 Vgl. zum langen Ringen der Stände um die Einrichtung des RKG: Smend, Reichskammergericht, S. 3–23. 46 Duchhardt, Reichskammergericht, S. 3; Smend, Reichskammergericht, S. 23. 47 Sellert, Zuständigkeitsabgrenzung, S. 6. 48 Laufs, Reichskammergericht, in: HRG, Sp. 656.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
ein nur ihm unterworfenes Gericht gegenüberstellte.49 Wann genau der Hofrat sich schließlich zum Reichshofrat und die betreffenden Ordnungen sich zu Reichshofratsordnungen entwickelten, ist nicht eindeutig geklärt.50 Der Begriff an sich wird zum ersten Mal in der Reichshofratsordnung Fer dinands I. von 1559 verwendet.51 Allerdings sollte der Namensbestandteil Reich wohl den Zuständigkeitsbereich des Gerichts ausdrücken,52 was es aufgrund der Tatsache, dass auch der Hofrat neben Rechtstreitigkeiten aus den Erblanden schon über solche aus dem Reich entscheiden sollte, gerechtfertigt erscheinen lässt auch dessen Ordnungen der Sache nach bereits als Reichshofratsordnungen zu bezeichnen.53 Wie bereits der Hofrat übernahm auch der Reichshofrat nicht nur gerichtliche Funktionen sondern war zudem mit Regierungs- und Verwaltungsaufgaben betraut und beriet den Kaiser in politischen Fragen.54 Seit der RHRO von 1559 steht jedoch die gerichtliche Tätigkeit des RHR im Vordergrund und der RHR hatte nur gelegentlich politische Fragen zu klären, welche nun grundsätzlich vom kaiserlichen Geheimen Rat übernommen wurden.55
II. Revision gegen Urteile des RKG 1. Entstehung und normengeschichtliche Entwicklung in den RKGOen a) Der „gestrackte Lauf“ des RKG und erste Beschwerden gegen dessen Urteile In der Anfangsphase des RKG wurde wie selbstverständlich die Verfahrensweise des kaiserlichen Kammergerichts, für welches Kaiser Friedrich III. 1471 eine Kammergerichtsordnung erlassen hatte, fortgeführt.56 Auf dieser 49 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 60, 61. Die Reichsstände waren dagegen davon ausgegangen, dass der Hofrat nach Errichtung des RKG nur noch über Streitigkeiten aus den kaiserlichen Erblanden befinden sollte. Ebenda. 50 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 61; Ortlieb, Formierung des RHR, S. 21. 51 Ortlieb, Formierung des RHR, S. 20; dieselb., Vom Königlichen Hofrat, S. 221; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 61. 52 Moraw, Reichshofrat, Sp. 630. 53 So Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 62. Letzten Endes kommt es hier jedoch auf den genauen Zeitpunkt nicht an, weshalb insofern auf die weiterführenden Hinweise bei Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 61, 62 verwiesen sei. 54 Vgl. Moraw, Reichshofrat, Sp. 630, 631; ebenso Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 65. 55 Sellert, ebenda. 56 Lieberich, Reichskammerprozesse, S. 420, 430.
II. Revision gegen Urteile des RKG23
Kammergerichtsordnung basierte in seinen Grundzügen auch die RKGO von 1495.57 Die RKGO von 149558 war also „kein primärer Schöpfungsakt, wenngleich die entscheidende Station eines langen Werdegangs.“59 Sie war daher weniger in prozessrechtlicher als vielmehr in verfassungspolitischer Hinsicht bedeutsam. Im Vordergrund standen die personelle Besetzung des Gerichts, die Einflussnahme auf die Besetzung, sowie die Lösung des Kammergerichts von der persönlichen Jurisdiktion des Kaisers.60 Es bestand keine Absicht, das Gerichtsverfahren an sich zu reformieren, sondern es ging den Reichsständen darum, ihre machtpolitischen Interessen durchzusetzen.61 Aus diesem Grund wurden in der RKGO von 1495 keine umfassenden Verfahrensregelungen getroffen, sondern lediglich einzelne Zweifelsfragen behandelt.62 Vor diesem Hintergrund ist es keine große Überraschung, dass die RKGO von 1495 nur vereinzelt Ausführungen zu Rechtsmitteln enthält, welche zum ganz überwiegenden Teil die Appellation zum RKG betreffen. Hierbei wurde offensichtlich die Appellation des gelehrten Rechts zugrunde gelegt und als bekannt vorausgesetzt, so dass grundlegende und allgemeine Bestimmungen nicht erfolgten, sondern lediglich einzelne Sonderprobleme geregelt wurden.63 Die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert stetig zunehmenden Appellationen64 waren zum Zeitpunkt des Erlasses der RKGO von 1495 schon so verbreitet, dass die Verfasser eine umfassende Regelung der Appellation offensichtlich für entbehrlich hielten. Die wenigen Regelungen, welche die Appellation betrafen, befassten sich mit Fragen von verfassungspolitischer Bedeutung und mit Einzelproblemen zum erst ansatzweise geregelten reichskammergerichtlichen Verfahren.65 Nach § 13 waren Appellationen nur anzunehmen, wenn sie „gradatim geschehen wär, das ist, an das nächst ordentlich Obergericht.“66 Hierdurch sollte die Einhaltung des in der Entstehung befindlichen Instanzenzuges Dick, Entwicklung, S. 16. in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 6–11. 59 Lieberich, Reichskammerprozesse, S. 419. 60 Lieberich, Reichskammerprozesse, S. 420; Dick, Entwicklung, S. 16. 61 Lieberich, ebenda, S. 420. 62 Vgl. Dick, ebenda, S. 16. 63 Vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 238. 64 Siehe allgemein zu Entwicklung, Aufkommen und Rezeption der Appellation Diestelkamp, Durchsetzung des Rechtsmittels der Appellation, S. 17, 18. 65 Dick, Entwicklung, S. 198. 66 Die Bestimmungen der RKGO 1495 werden nach Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 6–11 zitiert. 57 Vgl.
58 Abgedruckt
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
s ichergestellt und das Überspringen einer Instanz vermieden werden.67 Gemäß § 24 war die Appellation gegen Interlokute, also gegen Zwischenurteile, grundsätzlich unzulässig, um Missbrauch und unnötige Verschleppungen des Verfahrens zu vermeiden. Ausgenommen waren lediglich Interlokute, deren Beschwer durch eine Appellation in der Hauptsache nicht wieder beseitigt werden konnte.68 Hiervon abgesehen war die Appellation an das RKG ohne Einschränkung zulässig, sofern sie nicht gegen Urteile gerichtet war, die unter die in § 31 vorbehaltenen Freiheiten und Privilegien fielen.69 Durch die Zulassung der Appellation gegen Urteile der Austrägalgerichte in § 28 und § 30 RKGO 1495 wurden die Schiedsgerichte der Reichsunmittelbaren als Vorinstanz des RKG in den Instanzenzug eingegliedert und deren Urteile von einem Schiedsspruch zu einem ordentlichen Urteil, welches durch die Appellation an das RKG angreifbar war.70 Weitere ausdrückliche Regelungen zu Rechtsmitteln enthielt die RKGO 1495 nicht und § 25 stellte klar: „Item, das Camergericht sol seinen gestrackten Lauf haben, unverhindert eynicher Restitution, Supplication, Advocation, oder in ander Wege Aufschleg, die aus ordentlicher Form, oder sunderlich Commission nit erlangt wären.“71 Die Verfahren vor dem Reichskammergericht sollten also ihren „gestrackten Lauf“ haben ohne durch „Restitution, Supplication, Advocation“ oder auf andere Weise verhindert oder beeinflusst zu werden. Ungeachtet dieser Regelung kam es jedoch schon sehr bald zu ersten Beschwerden gegen Urteile des RKG. Schon zu Zeiten des alten kaiserlichen Kammergerichts, auf welchem das Reichskammergericht im Grunde aufbaute, war es möglich gewesen gegen dessen Urteile „Remedia contra Judicata“ wie Leuterung, Nichtigkeitsklage oder Restitutio in Integrum einzulegen.72 Von dieser Praxis wurde auch nach Erlass der RKGO von 1495 weiterhin Gebrauch gemacht und es kam bald zu Beschwerden der unterliegenden Partei gegen Entscheidungen des Gerichts.73 Da in der RKGO von 1495 67 Dick, Entwicklung, S. 198; Broß, Untersuchungen, S. 20. Nicht nachvollziehbar ist dagegen dessen Ansicht, § 13 RKGO 1495 bewirke zudem für Untertanen von Fürsten, die im Besitz von Privilegia de non appellando waren, den Ausschluss einer Appellation an das RKG, ebenda. Warum sich der Ausschluss der Appellation in diesen Fällen aus § 13 und nicht aus dem Privileg selbst ergeben soll erschließt sich nicht. So im Erg. auch Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 239, Fn. 8. 68 §. 24 RKGO von 1495 abgedruckt bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 9. 69 Vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 239. 70 Vgl. Kotulla, Austrägalinstanz, Sp. 387–388; Dick, Entwicklung, S. 71. 71 Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 9. 72 Harpprecht, Staatsarchiv, 1. Teil, S. 93. 73 Vgl. Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 38.
II. Revision gegen Urteile des RKG25
keine Rechtsmittel gegen Urteile des RKG vorgesehen waren, wendeten sich die Parteien mit ihren Beschwerden an den Kaiser, der nach traditionellem Herkommen bis zur Errichtung des ständisch geprägten RKG die oberste Gerichtsbarkeit inne hatte und höchster Richter des Reichs war. Schon früh bediente man sich insofern der im Rahmen der Rezeption aus dem römischen Recht übernommenen Supplikation.74 Im römischen Recht wurde ursprünglich jede Bittschrift eines Privaten an den Kaiser Supplikation genannt.75 Zunächst war die Supplikation in rechtshängigen oder bereits rechtskräftig entschiedenen Verfahren verboten, weil hierin der Versuch eines Eingriffs in das Verfahren gesehen wurde. Lediglich unter bestimmten Voraussetzungen wie z. B. Rechtsschutzverweigerung oder dem Verdacht der Parteilichkeit des Richters war es zulässig, die Klage direkt beim Kaiser zu erheben, welche er sodann selbst entschied oder die Sache an einen Richter delegierte.76 In der Mitte des vierten Jahrhunderts entwickelt sich die Supplikation dann zu einem ordentlichen Rechtsmittel, mit welchem die nicht appellablen Urteile des praefectus praetorio beim Kaiser angefochten und eine nochmalige Verhandlung der Sache herbeigeführt werden konnte.77 Sowohl terminologisch als auch hinsichtlich der Zielsetzung an sich nicht appellable oder anderweitig anfechtbare Urteile einer erneuten Überprüfung zu unterziehen, knüpfte die Supplikation gegen Entscheidungen des RKG bei der Supplikation des römischen Rechts an.78 Parteien, welche der Meinung waren, durch ein Urteil des RKG beschwert zu sein, hatten so die Möglichkeit dieses Urteil anzufechten und durch Einlegung der Supplikation eine Nachprüfung der reichskammergerichtlichen Entscheidungen durch den Kaiser herbeizuführen. Tatsächlich wurde von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht.79 Senckenberg teilte diesbezüglich mit, dass vor 1548 „die Remedia juris an Kayserl. Majestät von dem Cammergericht gegangen seyen“.80 Mit der Grundkonzeption eines vom Kaiser unabhängigen, dessen Einflussnahme weitestgehend entzogenen und ständisch mitbestimmten Gerichts und mit Renaud, Lehrbuch, S. 526–527; Sellert, Revision, Sp. 958–959. Civilprozeß, 3. Bd., S. 338. 76 Vgl. Kaser / Hackl, Zivilprozessrecht, S. 540–541. 77 Vgl. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, 3. Bd., S. 339; Kaser / Hackl, Zivilprozessrecht, S. 623. In aller Regel delegierte der Kaiser die Entscheidung wieder an den praefectus praetorio. Sofern es sich hierbei noch um denselben Präfekten handelte, der das angefochtene Urteil erlassen hat und nicht schon um seinen Amtsnachfolger, so hatte er zur Wahrung der Unparteilichkeit den quaestor sacri palatii hinzuzuziehen. Kaser / Hackl, ebenda; ebenso Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, 3. Bd., S. 341. 78 Im Erg. ebenso Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 648; vgl. auch Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 375–376; Mencke, Visitationen, S. 50, Fn. 279; Renaud, Lehrbuch, S. 526, 527. 79 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 376. 80 Senckenberg, Abhandlung, S. 101, m. w. N. 74 Vgl.
75 Bethmann-Hollweg,
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
dessen „gestracktem Lauf“ war diese Entwicklung natürlich nicht vereinbar,81 weshalb es schon früh zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem RKG und dem Kaiser bzw. seinem Hofrat kam.82 Der Kaiser versuchte, die an das RKG verlorene Gerichtsgewalt wieder zurückzuerlangen, indem er seinem Hofrat mit der Hofordnung von 1498 die Rechtsprechungsgewalt bezüglich „jeglicher hendel“ aus den Erblanden sowie aus dem Reich übertrug.83 Nach der Vorstellung der Reichsstände sollte der Hofrat ab der Errichtung des Reichskammergerichts nur noch für Streitigkeiten aus den Erblanden zuständig sein.84 Maximilian I. war diesbezüglich freilich anderer Ansicht und in der Tat hatte er die Jurisdiktionsgewalt nicht aufoder abgegeben, sondern sich diese vielmehr ausdrücklich vorbehalten.85 Bei der Errichtung des RKG war es den Reichsständen auch nicht darum gegangen, die Stellung des Kaisers als obersten Gerichtsherren grundsätzlich zu beseitigen.86 Ihr Anliegen war es lediglich, dass die Reichsangelegenheiten nicht willkürlich an den kaiserlichen Hof gezogen wurden, sondern der RKGO und den kaiserlichen Zusagen gemäß am Reichskammergericht entschieden wurden, ohne dass der Kaiser hierauf Einfluss nahm.87 Insbesondere Kaiser Maximilian I. und sein Nachfolger Karl V. griffen jedoch immer wieder in Verfahren des RKG ein, indem sie dort bereits anhängige Prozesse an den RHR zogen „und darin Gebothsbriefe und andere Verfügungen erlassen“ haben.88 Die Reichsstände und das Reichskammergericht wehrten sich hiergegen und beriefen sich gegenüber dem Kaiser auf den in § 25 der RKGO von 1495 geregelten „gestrackten Lauf“ des Kammergerichts sowie die darin liegende Beschränkung der obersten richterlichen Gewalt des Kaisers.89 Weitzel, Rechtsmittel, S. 16; Sellert, Revision (Supplikation), S. 24. J. J. Moser, Justizverfassung, I, S. 492, mit Beispielen; Harpprecht, Staatsarchiv, 2. Teil, S. 83; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 490–492, Harpprecht, Staatsarchiv, 2. Teil, S. 237–240. 83 Vgl. Gschließer, Reichshofrat, S. 1; Sellert, Zuständigkeitsabgrenzung, S. 9; Adler, Die Organisation, S. 37. 84 Sellert, Zuständigkeitsabgrenzung, S. 61. 85 Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 478, 480 und 484–486; Harpprecht, Staatsarchiv, 2. Teil, S. 49, 205–206; Eichhorn, Rechtsgeschichte, S. 5–6. Ferner heißt es in § 31 der RKGO von 1495: „Item mit diesen Ordnungen und Satzungen soll sunst Nyemands sein Oberkeyt […] benommen […] sein […], Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 11. 86 Vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 348. 87 Vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 2. Teil, S. 91–92; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 489–490. 88 Malblank, Anleitung, 3. Teil, S. 319; vgl. auch Biener, Bestimmung, S. 234– 235. 89 Vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 2. Teil, S. 83; im Ergebnis ebenso: Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, S. 487 in Anmerkung n). 81 Vgl. 82 Vgl.
II. Revision gegen Urteile des RKG27
Die erste derartige Streitigkeit trat bereits im Frühjahr 1496 auf.90 In einem Rechtsstreit des Bischofs von Worms mit der Stadt Worms über die Beteiligung des Bischofs an der Wahl des Bürgermeisters und der Ratsherren, die Leistung von Abgaben sowie über Gerichtsstellen hatte schon Kaiser Friedrich III. zugunsten der Stadt Worms entschieden. Der Bischof von Worms wendete sich hieraufhin an dessen Nachfolger Kaiser Maximilian I. welcher hinsichtlich der Beteiligung des Bischofs an den Wahlen zugunsten des Bischofs entschied und bzgl. der übrigen Punkte eine Beweiserhebung anordnete.91 Nach Errichtung des Reichskammergerichts wendete sich der Bischof von Worms dann an dieses und verlangte die Vollstreckung des Urteils bzgl. seiner Beteiligung an den Wahlen, sowie den Erlass einer Ladung in den übrigen Punkten. Das RKG kam dieser Aufforderung nach,92 was wiederum dazu führte, dass Kaiser Maximilian I. in der Sache eine Avocations-Rescript93 an das RKG und eine Inhibition94 an den Bischof von Worms erließ. Das RKG wies er an, in der Sache still zu stehen und sprach ihm die Jurisdiktionsgewalt mit der Begründung ab, die Angelegenheit berühre seine und „des heiligen Reichs Oberkeit Herrlichkeit und Gerechtigkeit“ und sie sei darüber hinaus schon vor Errichtung des RKG bei ihm anhängig gewesen.95 Obwohl der Kaiser auch darauf verwies, dass die Sache schon vor Errichtung des RKG bei ihm anhängig gewesen sei, wurde aus der Berufung auf seine Obrigkeit, Herrlichkeit und Gerechtigkeit auch deutlich, dass der Kaiser nicht vorhatte, die Gerichtsgewalt vollständig dem Reichskammergericht zu überlassen. Schon kurze Zeit später, ebenfalls 1496, wurde beim Kaiser eine Supplikation gegen eine Entscheidung des RKG eingelegt, wie aus einem Schreiben J. J. Moser, Justizverfassung, I, S. 492; Harpprecht, ebenda, S. 99. Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 490–491; Harpprecht, ebenda, S. 34–36. 92 Ladung des RKG abgedruckt bei Harpprecht, ebenda, S. 236–237. 93 Abgedruckt bei Harpprecht, ebenda, S. 237–238. Als Avokation wurde bezeichnet, wenn der Kaiser oder dessen RHR eine bereits beim RKG anhängige Sache aufgrund eigener Machtvollkommenheit und entgegen der gesetzlichen Zuständigkeit an sich zogen, vgl. Sellert, Zuständigkeitsabgrenzung, S. 113, 114; Biener, Bestimmung, S. 235, 236; Dick, Entwicklung, S. 75, 76. Ebenso avozierten auf territorialer Ebene die Territorialherren Verfahren von den Untergerichten, vgl. Oberländer, Lexicon, S. 70. 94 Abgedruckt bei Harpprecht, ebenda, S. 239–240. Die Inhibition war eigentlich ein Gebotsbrief, welcher zur Sicherung der Appellation dem Untergericht und dem Appellaten auferlegte, keine Handlungen zum Nachteil der oberrichterlichen Zuständigkeit vorzunehmen, Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 52, 53. Im vorliegenden Fall sollte mit der Inhibition verhindert werden, dass der Bischof von Worms das Verfahren vor dem RKG weiterbetrieb und so die Avokation unterlaufen wurde. 95 Vgl. Harpprecht, ebenda, S. 238. 90 Vgl. 91 Vgl.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Kaiser Maximilians an den Erzbischof und Kurfürsten Berthold zu Mainz deutlich wird.96 In diesem Schreiben teilte Maximilian I. dem Erzbischof von Mainz mit, dass er „fürderlichen ein Inhibition auf unsern Königlichen Cammer-Richter und sein Beysitzer in Unserm Nahmen außgehen lässest, daß Sie in der Sachen […] stillstehen und darin nicht ferner procediren […].“97 Soweit aus diesem Brief erkennbar, richtete sich die Supplikation zwar lediglich gegen eine Zwischenentscheidung und nicht gegen ein End urteil des RKG. Dennoch griff der Kaiser aufgrund der Supplikation einer Partei in einem laufenden Verfahren in die Entscheidung des RKG ein und traf selbst eine Entscheidung.98 Weitere Beispiele für derartige Eingriffe des Kaisers in Verfahren am RKG und in dessen Jurisdiktionsgewalt sind zwei Schreiben an das Kammergericht aus dem Jahre 1512. In einem Reskript an den Kammerrichter und die Beisitzer „suspendiert“ Maximilian I. ein Verfahren zwischen Bischof Reinhart von Worms und der Stadt Worms „bis auf unnsern nechstkünftigen Reichstag aus keyserlicher macht Volkomenheit“ und ordnete an, dass das Kammergericht in der Sache „stillsteet, unnd ferner nit procediert, unnd also unnser und des Reichs Stennd Hanndlung und weithern Bescheidts erwartet […]“.99 Ferner hob Kaiser Maximilian I. ebenfalls aufgrund kaiserlicher Machtvollkommenheit im gleichen Jahr einen Gebotsbrief des RKG an „Reinhart, Bischoff zu Worms“ aus dem Jahre 1504 auf.100 Wie Moser berichtet, versuchte sich das RKG hiergegen mit Gegendarstellungen beim Kaiser und beim Reichstag zu wehren. Allerdings sei ihm kein einziger Fall bekannt, in dem dies gefruchtet habe.101 Teilweise ignorierte das RKG Avokationen des Kaisers bzw. des RHR jedoch schlichtweg. In einer Appellationssache der Stadt Nördlingen im Jahre 1515 ordnete der Kaiser bei Harpprecht, Staatsarchiv, 2. Teil, S. 556–557. S. 557. 98 Die in Rede stehende Supplikation richtete sich m. E. nach lediglich gegen eine vom RKG gegen die Vollstreckung eines Urteils ausgesprochene Inhibition. Anscheinend hat der Supplikant, ein gewisser Wernher von Kuppenheim, „Urteil und Rechten“ erlangt woraufhin ein königlicher Executorialsbrief ergangen ist, gegen welchen dann das Kammergericht eine Inhibition erlassen hat und Wernher von Kuppenheim so an der Durchsetzung seiner „erlangten Urteil und Rechten“ hinderte. Gegen diese Inhibition des RKG wendete sich dann wiederum Maximilian mit einer Inhibition und hob die des RKG gewissermaßen auf, wenn er dem Erzbischof mitteilt, „daß die Inhibition so an Unserm Königlichen CammerGericht wider den vorberührten Executorialsbrief ausgegangen ist, wiederumb abstellst, damit Wernher von Kuppenheim von seinem erlangten Urteil und Rechten nicht gedrungen werde, und der genießen möge […]“, Harpprecht, Staatsarchiv, 2. Teil, S. 556–557. 99 Abgedruckt bei Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 274–275. 100 Vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 275–276. 101 J. J. Moser, Justizverfassung I, S. 467. 96 Abgedruckt 97 Ebenda,
II. Revision gegen Urteile des RKG29
an, dass er die Sache übernehme und die Parteien ihr Recht künftig bei ihm und nicht beim RKG suchen sollten.102 Ferner wurde dem RKG aufgetragen, in der Sache „nicht zu handeln, noch zu procediren“.103 Trotzdem entschied das RKG, dass in Anlehnung an den gestrackten Lauf reichskammergerichtlicher Verfahren in dem bei ihm laufenden Verfahren „ohnverhindert der Kaiserlichen Vocation (Avocation) in der Sachen vollfahren und procedirt werden solle, wie sichs gebühret, darauf auch ferners ergehen solle, was Recht ist“.104 b) Beschwerden gegen kammergerichtliche Urteile auf dem Reichstag 1512 Neben diesen Jurisdiktionsstreitigkeiten in deren Rahmen der Kaiser von sich aus oder auf Bitten einer Partei immer wieder Avocationen105, Inhibitionen106 oder Gebotsbriefe an das RKG erließ, kam es 1512 zu ersten Beschwerden an den Reichstag, welche sowohl allgemeine Missstände als auch konkrete reichskammergerichtliche Urteile betrafen. Auf dem Reichstag zu Köln 1512 beschwerten sich die freien und Reichsstädte ganz allgemein über einige Mängel des Reichskammergerichts.107 Die Städte beklagten neben Ungerechtigkeiten bei der Unterhaltung des Reichskammergerichtes auch, dass der kaiserliche Fiscal die Städte bisweilen vor das Kammergericht zitiere, die Sache dann aber unentschieden ruhen lasse, wenn sie ihm nicht gefalle, und die Städte aber weiterhin durch das anhängige Verfahren belastet seien.108 Insbesondere sei es unerträglich, dass Unterhalt und Besoldung der Assessoren und Urteiler unmittelbar aus dem fiskalischen Gefälle gezahlt würden und diese in fiskalischen Sachen somit in ihren eigenen Seckel urteilen würden, weshalb sie nicht Urteiler, sondern Partei seien.109 Ferner beschwerten sie sich, dass gegen sie oft und leichtfertig mit Pönalmandaten110 verfahren werde, und forderten, dass der Fiskal derlei Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 323–325. S. 324. 104 Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 140; ebenso J. J. Moser, Justizverfassung, I, S. 468, m. w. N. und Bsp. 105 Vgl. zum Begriff oben Fn. 93. 106 Vgl. zum Begriff oben Fn. 94. 107 Das Beschwerdeschreiben der Städte ist abgedruckt bei Harpprecht, Staats archiv, 3. Teil, S. 282–285; vgl. auch Harpprecht, ebenda, S. 106. 108 Harpprecht, ebenda, S. 106 und S. 283. 109 Harpprecht, ebenda, S. 283 und S. 106. 110 Mandate sind mit einer Strafandrohung bewährte (daher auch Poenalmandat) richterliche Gebote, welche auf ein Tun oder Unterlassen gerichtet sind und zur einstweiligen Sicherung des klägerischen Anspruchs ergehe; s. Dick, Entwicklung, S. 93– 94. 102 Vgl.
103 Ebenda,
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Mandate nicht ohne guten Grund und Wissen vornehme. Andernfalls solle er bestraft werden und Schäden ersetzen.111 Neben diesen allgemeinen Beanstandungen beschwerte sich die Stadt Köln auf diesem Reichstag auch über ein konkretes Urteil des Reichskammergerichts, welches in einer fiskalischen Sache gegen sie ergangen war. Auf die Beschwerde der Stadt Köln hin wurden auf dem Reichstag sowohl Abgesandte der Stadt Köln als auch des Reichskammergerichts vom Kaiser und den Räten der Stände angehört. Daraufhin wurde von den Räten der Stände beschlossen, dass es zur weiteren Entscheidung der Sache sinnvoll und zuträglich sei, zusammen mit der schriftlichen Beschwerde der Stadt Köln die Akten zuzuziehen und zu besichtigen, „wie darinn gehandelt und worauf geurtelt sy“.112 Ferner wurde dem Reichskammergericht aufgetragen, drei Wochen still zu stehen, damit in dieser Zeit die Akten gesichtet werden und, sofern nötig, das Kammergericht oder andere Beteiligte gehört werden können, um sodann eine Entscheidung zu treffen.113 Harpprecht nannte dieses Vorgehen einen „merckwürdigen legalen Modo procedendi“ und sieht in dieser „Handlung die Anfangs-Gründe von einem eigentlichen RevisionsGeschäft“114 und Ompteda meinte an dieser Sache sehe man, „daß schon zu solcher Zeit der Weg einer nur damals beym Reiche selbst vorgenommenen, in nachmaligen Zeiten der Visitation des Cammer-Gerichts übergebenen, Revision eingeschlagen“ worden sei.115 In der Tat wies das Vorgehen in dieser Sache einige Ähnlichkeiten mit der späteren Revision auf. In gewisser Hinsicht kann in der Anweisung an das Kammergericht, drei Wochen lang still zu stehen, ein Suspensiveffekt und in der Übertragung der Entscheidung auf den Reichstag ein Devolutiveffekt gesehen werden. Zudem spricht die weitest gehende Beschränkung der Überprüfung des Urteils des RKG auf die Besichtigung der Akten, nämlich „wie darin gehandelt und worauf geurtelt sy“, dafür, dass im Wesentlichen eine Kontrolle der Rechtsanwendung vorgenommen wurde und keine neue Verhandlung mit der Möglichkeit zu neuem Tatsachenvortrags durchgeführt wurde. Allerdings dürften diese Ähnlichkeiten mit der späteren Revision eher dem Versuch einer zielführenden und sinnvollen Behandlung der Beschwerde der Stadt Köln geschuldet gewesen sein. Es wurde wohl nicht versucht, gewissermaßen ad hoc ein neues An111 Harpprecht,
Staatsarchiv, 3. Teil, S. 106 und S. 284. entsprechende Stelle des Reichstagsprotokolls ist abgedruckt bei Harp precht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 107; sowie bei Lang, Lehre, S. 69–70; vgl. auch Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 39. 113 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 39; Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 107; Lang, Lehre, S. 69–70. 114 Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 107. 115 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 39; im Erg. ebenso: Lang, Lehre, S. 68. 112 Die
II. Revision gegen Urteile des RKG31
fechtungsmittel gegen kammergerichtliche Urteile einzuführen. Gleichwohl schien man die vorgetragenen Mängel des Reichskammergerichts ernst zu nehmen und nach einer Möglichkeit zu suchen gegen diese vorzugehen. Zu allgemeinen Regelungen kam es jedoch noch nicht. c) Beratschlagung über eine gesetzliche Regelung einer Überprüfungsmöglichkeit auf dem Reichstag 1518 Zu ersten Beratschlagungen über die Zulässigkeit der Überprüfung reichskammergerichtlicher Entscheidungen und die Einführung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung kam es 1517. In diesem Jahr wurde auf dem Reichstag zu Mainz ein Ausschuss eingesetzt, welcher auf Grundlage der von den Reichskammergerichtsvisitationen116 festgestellten Mängeln des Reichskammergerichts ein Gutachten117 bzgl. der Mängel und Gebrechen des Reichsjustizwesens, Landfriedens und Polizei anfertigte.118 In dem Gutachten wurden die festgestellten Mängel einzeln aufgezählt, allerdings wurden keine konkreten Änderungsvorschläge gemacht. Das Gutachten des Ausschusses wurde schließlich von den zu Mainz anwesenden Reichsständen übernommen und dem Kaiser übermittelt.119
116 Die erste Visitation des Reichskammergerichts wurde durch den Reichsabschied von 1507 angeordnet und 1508 durchgeführt. Die Aufgabe der Visitation bestand neben der Beseitigung allgemeiner Gebrechen und Notdurft zunächst insbesondere darin, die Finanzen des RKG zu überprüfen und jährlich die Kammergerichtsmatrikel neu festzusetzen. In der Regel wurde diese Aufgabe durch eine jährlich zusammentretende Kommission bestimmter, durch Reichsgesetze festgelegte, jährlich wechselnde Reichsstände wahrgenommen. Abweichend von diesen sog. ordentlichen Visitationen konnten aber, zumeist aus aktuellem Anlass, durch Reichsschlüsse auch außerordentliche Visitationen angeordnet werden, welche mit willkürlich berufenen Ständen besetzt waren. Der Begriff der Visitation wird in der Kameralliteratur sowohl als Bezeichnung für die eigentliche Untersuchung des RKG, als auch für die Versammlung selbst verwendet. vgl. Mencke, Visitationen, S. 6–8 und S. 11, 12. Wie Mencke meint, umfasste die in RA 1507 § 23 erteilte Regelungsbefugnis der Kommission zur Abstellung von Gebrechen wohl keine größeren Änderungen der Gerichtsverfassung, was auch dadurch zum Ausdruck komme, das von der Kommission unmittelbar lediglich untergeordnete Verfahrensfragen neu geregelt wurden. Allerding habe die Kommission durch die von ihr i. R. d. Visitationen festgestellten Mängel des RKG mittelbaren Einfluss auf die Reichsgesetzgebung gehabt, Mencke, Visitationen, S. 22–23. Die ordentlichen Visitationen wurden ab 1588 nicht mehr durchgeführt und auch die außerordentlichen Visitationen wurden nur noch sporadisch angeordnet und teilweise recht stockend durchgeführt, vgl. Becker, Visitation, Sp. 928. 117 Abgedruckt bei Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 355–363; eine Zusammenfassung findet sich ebenda, S. 157–161. 118 Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 156, 157. 119 Abgedruckt bei Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 363–372.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Neben anderen Punkten wie der langen Prozessdauer und Problemen bei der Exekution der Urteile wurde gerügt, dass die personelle Besetzung des Reichskammergerichts nicht der Bedeutung der Streitsachen, des Gerichts und der Parteien entspreche und auch etliche Personen als Beisitzer dort „angenomen [wurden] die nit alle zu solchen hohen Sachen geschickt seyn mocht“.120 Zum anderen würden neuen (Reichskammergerichts-)Ordnungen teilweise nicht befolgt, sondern ältere und neuere Ordnungen durcheinander angewendet, was zu zusätzlichen Streitigkeiten der Parteien führe, den Prozess unnötig in die Länge ziehe und das Gericht belaste.121 Ferner würden Parteien „mit Gewalt oder auch Gebotts-Briefen bey einverleibten schwehren poenen“ abgewiesen und so um ihr Recht gebracht oder auch „unverhört condemnirt und zum höchsten beschweret“.122 Des Weiteren wurde erneut kritisiert, dass immer wieder in kammergerichtliche Verfahren eingegriffen werde und das Gericht angewiesen werde, „still zu stehen und nicht weiter zu procedieren, noch Handlungen fürzunehmen, zu gestatten oder zu üben“123 und auch das bereits angesprochene Problem, dass in fiskalischen Sachen die Urteiler die Gefälle, also die entstehenden Gerichtsgebühren, erhalten und somit gewissen Argwohn erregten, wurde erneut bemängelt.124 Der Ausschuss stellte in seinem Gutachten außerdem fest, dass das Reichskammergericht durch die festgestellten Mängel einen großen Ansehensverlust erleide und von Parteien teilweise bereits versucht werde, ihre Rechte unter Meidung des Reichskammergerichts auf Umwegen durchzusetzen oder gleich ganz auf die Durchführung eines Rechtsstreits verzichtet werde.125 Nachdem die zu Mainz anwesenden Reichsstände die Bedenken und Mängel an den Kaiser geschickt hatten, wurden diese auf dem Reichstag zu Augsburg 1518 von allen dort anwesenden Reichsständen sowie den kaiserlichen Räten diskutiert, Vorschläge zur Verbesserung gemacht und schließlich über die einzelnen Punkte abgestimmt.126 Die kaiserlichen Räte schlugen in ihrer Stellungnahme vor, „zu bestend licher hanthabung aller vorgeshryben articel“, Parteien, welche sich durch das Reichskammergericht beschwert fühlten, die Möglichkeit einzuräumen, 120 Harpprecht,
Staatsarchiv, 3. Teil, S. 365. Staatsarchiv, 3. Teil, S. 365; ausführlicher und erhellender die Formulierung im Gutachten des Ausschusses, ebenda, S. 356. 122 Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 356 bzw. 365. 123 Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 356 bzw. 365. 124 Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 357 bzw. 366. 125 Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 357 bzw. 367. 126 Die entsprechenden Auszüge aus dem Reichstagsprotokoll finden sich bei Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 380–405. 121 Harpprecht,
II. Revision gegen Urteile des RKG33
die Entscheidung überprüfen zu lassen.127 Hierzu sollten die Beschwerden „clags weis“ an den Kaiser gerichtet werden, welcher innerhalb von zwei oder drei Jahren unter Einbeziehung der Reichsstände den Kläger und Beklagten verhören und dafür sorgen solle, dass die vorgefundene Beschwer abgestellt und auch zukünftig vermieden werde. Zudem sollten bei dieser Gelegenheit auch andere Mängel des Reichskammergerichts, welche in der konkreten Beschwerde gar nicht relevant waren, bedacht und beseitigt werden.128 Das Beschwerdeverfahren sollte allerdings nicht zwischen den bisherigen „gerichts partheien und umb derselben hendel“ geführt werden, sondern allein zwischen der beschwerten Partei und der Gerichtsperson, welcher die beschwerende Handlung vorgeworfen wurde. Was in dem Rechtsstreit zwischen den ursprünglichen Parteien durch das Reichskammergericht bereits geurteilt wurde, sollte trotz der Beschwerde „exequiert“ werden, eine Abänderung des reichskammergerichtlichen Urteils sollte nicht mehr stattfinden.129 Die in dem ursprünglichen Rechtsstreit zwischen den ursprünglichen Parteien ergangene reichskammergerichtliche Entscheidung sollte also trotz der Beschwerde gegen das Urteil vollstreckt werden. In dem Beschwerdeverfahren sollten sich nicht mehr die ursprünglichen Parteien gegenüber stehen, sondern die beschwerte Partei und diejenige Gerichtsperson, durch welche sich die Partei beschwert fühlte. Der Sache nach handelte es sich also nicht um eine Fortsetzung des ursprünglichen Rechtsstreites, sondern um ein Verfahren zwischen der beschwerten Partei und der Kammergerichtsperson, welche die angeblich beschwerende Handlung vorgenommen hat. Insofern erinnert das vorgeschlagene Verfahren an die Syndikatsklage oder eine Art Disziplinarverfahren und die Vermutung liegt nahe, dass hiermit eine Kon 127 Der Vorschlag der kaiserlichen Räte lautete: „Unnd zu bestendlicher hanthabung aller vorgeshryben artickel Wurd fur gut angesehen, ob Jement durch Cammerrichter presidenten beisizer fiscal advocaten oder procurator geuerlicher weis beschwert oder verkurzt und solchs an di kay Mt als den Obristen und Rechten Hern clags weis gelangen lassen, das alsdan Ir kay Mt alweg zu zweyen Jarn, oder Im dritten Jar einmaln etliche von den Stenden des Reichs, zu Irer kay Mt beschreiben und erfordern, und den clager und beclagten verhorn, doch nit zuuersteen zwischen den gerichts partheien und umb derselben hendel dan was derhalben geurtheilt wurdet, sol nicht das minder Exequirt werden, sonder allein zwishen den beshweren parteyen und des Camergerichts verwanten, gegen denen sie sich geverde oder verkurzung beclagen, und an welchem theil mangell ersheien, und geuerlich handlung erfunden wurde, sol kay Mt, sampt den Furstehn fursehung thun, damit solch beshwerung abgestelt und kunfftiglich verhut werde, alsdan moge auch ander zufallend mengell des Camergerichts bedacht gemacht, und erstat werde.“ Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 399; Der Abschnitt findet sich auch bei Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 39–40. 128 „[…] auch ander zufallend mengell […]“ in Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 399. 129 Vgl. zu dem Ganzen Fn. 127.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
trolle der Handlungen und Arbeitsweise des Kammergerichtspersonals ermöglicht werden sollte.130 Anscheinend hatte man auch nicht primär Beschwerungen durch unrechtmäßige Urteile im Sinn, sondern allgemein jede Beschwerung, die durch allgemeine Mängel des RKG oder eine Handlung des Reichskammergerichtspersonals verursacht wurde. Dies folgt zunächst daraus, dass auch Beschwerungen durch „fiscal advocaten oder procurator“ umfasst waren, welche an der Urteilsfindung nicht beteiligt waren.131 Zudem ist hinsichtlich der Ursache für die Beschwerung ganz allgemein von Mängeln und gefährlichen („geuerliche“) Handlungen und nicht etwa von beschwerenden Urteilen die Rede.132 Diese Überprüfungsmöglichkeit war also offensichtlich nicht dazu gedacht, das in dem ursprünglichen Rechtsstreit ergangene und möglicherweise falsche Urteil durch ein neues, dem Recht entsprechendes Urteil zu ersetzen, sondern zwischen der beschwerten Partei und der für die Beschwer angeblich verantwortlichen Kammergerichtsperson zu klären, ob eine Beschwer wirklich vorliegt und sofern dies der Fall ist, „fursehung [zu] thun, damit solch beschwerung abgestelt und kunfftiglich verhut werde“.133 Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass nicht nur die konkrete Beschwer dieser Partei in diesem Verfahren abgestellt werden sollte, sondern dass es allgemein darum ging, Mängel dauerhaft zu beheben. Zweck dieser Regelung war es also nicht, das Verfahren vor einer höheren Instanz erneut durchzuführen und der beschwerten Partei nochmals die Möglichkeit einzuräumen, doch noch ein günstiges Urteil zu erhalten, sondern vielmehr Mängel beim Reichskammergericht abzustellen und die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen durch Kontrolle und Disziplinierung des Reichskammergerichtspersonals zu fördern. Es ging also primär nicht um die Gewährleistung oder Wiederherstellung von Gerechtigkeit im Einzelfall, wie die Vollstreckung des möglicherweise falschen reichskammergerichtlichen Urteils zeigt. Vielmehr ging es darum, eine strikte Einhaltung und Anwendung der Gesetze durch das Kammergerichtspersonal zu bewirken134 und Mängel in der Rechtsfindung des 130 Aus der Formulierung des Vorschlags ist allerdings nicht zweifelsfrei erkennbar, ob der beschwerten Partei der entstandene Schaden wie bei der Syndikatsklage ersetzt werden soll. Am Ende des Textes ist zwar die Rede davon, dass etwas „[…] erstat werde“, allerdings wird m. E.n. nicht klar, ob sich dies auf die gerügte Beschwer oder auf zufällig festgestellte Mängel bezieht und Mängelbeseitigung bedeuten soll, vgl. Fn. 127 a. E. 131 Vgl. den entsprechenden Vorschlag der kaiserlichen Räte in Fn. 127. 132 Vgl. den entsprechenden Vorschlag der kaiserlichen Räte in Fn. 127. 133 s. Fn. 127. 134 Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut, wenn es heißt: „zu bestendlicher hanthabung aller vorgeshryben artickel Wurd fur gut angesehen …“, vgl. Fn. 82.
II. Revision gegen Urteile des RKG35
Gerichts zu erkennen und zu beseitigen. Entsprechend weit war auch der Kreis der Personen gefasst, gegen welche im Wege dieser Beschwerde vorgegangen werden konnte. Neben den für das eigentliche Urteil verantwort lichen Beisitzern, dem Kammerrichter und den Präsidenten waren explizit auch Fiskal, Advokaten und Prokuratoren als mögliche Beschwerdegegner genannt. Ferner sollten im Sinne einer effektiven Kontrolle und Mängel beseitigung auch zufällig entdeckte „mengell des Camergerichts bedacht gemacht, und erstat werde[n]“.135 Der Vorschlag wurde in der späteren Abstimmung von den Ständen zwar gebilligt,136 trotzdem kam es zu keiner Umsetzung, weil es bzgl. des Unterhalts und der Austragsgerichte zu Meinungsverschiedenheiten kam, was den Kaiser letztlich dazu veranlasste, die Beratungen abzubrechen und auf den nächsten Reichstag zu verschieben, sodass auf diesem Reichstag hinsichtlich des Reichsjustizwesens nichts beschlossen wurde.137 d) Ausweitung der Kontrollaufgaben der Visitation Im Jahre 1524 wurde aufgrund einiger Beschwerden die Überprüfung von Verfügungen des Reichsregiments und auch von Entscheidungen des Reichskammergerichts angestrebt. Zu diesem Zweck wurde in § 23 des Reichsabschieds von 1524 angeordnet, dass eine Kommission von namentlich aufgeführten Gelehrten mit den Parteien zunächst Güteverhandlungen führen und sofern diese scheitern, die Akten der betreffenden Sachen und die von den Parteien vorgetragenen Beschwerungen besichtigen sollte. Im Anschluss hieran sollte die Kommission Statthalter und Regiment Bericht erstatten und sodann mit diesen zusammen die Sache entscheiden.138 Allerdings handelte es sich bei dieser Anordnung nicht um eine allgemeine Regelung, die auch zukünftige Beschwerden gegen kammergerichtliche Entscheidungen erfassen sollte. Ähnlich der Anordnung des Reichstages von 1512139 ging es lediglich um die Regelung einiger weniger Einzelfälle. Das Verfahren stellt also noch keine dauerhafte, formelle Regelung der Revision dar, obwohl es mit dieser schon einige Ähnlichkeit hat.140 Die wenigen betroffenen Streitsachen sind in 135 s.
Fn. 127.
136 Harpprecht,
Staatsarchiv, 3. Teil, S. 404; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 40. 137 Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 167, 168 und 424. 138 Vgl. RA 1524 § 23 abgedruckt bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 256, 257. 139 Siehe S. 29–31. 140 Vgl. Mencke, Visitationen, S. 52, Fn. 287; Mannßbach, Abhandlung, S. 38; Danz, Grundsätze, S. 626, Fn. e); Malblank, Anleitung, 2. Teil, S. 6, Fn. e); Häberlin, Handbuch II, S. 509. Im Ergebnis wohl ebenso Ompteda, Cammergerichts-Visitatio-
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RA 1524 § 23 explizit aufgezählt und in der Mehrzahl handelte es sich hierbei um Beschwerden gegen Verfügungen des Reichsregiments.141 Lediglich bei zwei der dort aufgezählten Sachen, nämlich bei den Beschwerden von Bayern und Lothringen, handelte es sich um Beschwerden gegen Entscheidungen des Reichskammergerichts.142 Die Herzöge Wilhelm und Ludwig von Bayern beklagten, dass das Kammergericht mehrmals nichtige Urteile gegen sie erlassen habe, es seinen „Gerichts-Zwang gegen ihnen zu weit erstrecke“, gegen Bayern ergangene Urteile des Reichs-Vicariats vom Reichskammergericht bestätigt und zu Unrecht fiskalische Gefälle gefordert wurden.143 Der Herzog von Lothringen beschwerte sich über fiskalische Monitorien die Türkenhilfe und Reichsanlagen betreffend.144 Auf eine Aufforderung des Regiments hin gab das Reichskammergericht hinsichtlich der Beschwerden Bayerns zwar eine Stellungnahme ab,145 zu einer weiterführenden Überprüfung der Entscheidungen des Reichskammergerichts kam es jedoch anscheinend nicht mehr.146 Neben diesen Ereignissen wurde auf dem Reichstag eine „Visitation und Inquisition“ des Reichskammergerichts durch eine aus Kurköln, Kurpfalz, Bayern, Würzburg und Augsburg bestehende Kommission beschlossen.147 nen, S. 40 und Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 374, Fn. 8. Tafinger, Institutiones, Teil 4, S. 875 spricht bzgl. RA 1523 § 23 von „prima revisionis vestigia“. 141 Vgl. Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 40; Harpprecht, Staatsarchiv, 4. Teil, 2. Abt., S. 51–56; 142 Vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 51. 143 Vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 51. U. a. beschwerte sich Bayern darüber, dass eine Appellation gegen ein Urteil des Hofgerichts Landshut beim Kammergericht eingelegt wurde und aufgrund dessen Inaktivität an das Reichs-Vicariats-HofGericht kam. Die bayerischen Herzöge teilten mit, dass sie nicht dem Vicariats-Gericht, sondern allein dem Kaiser und Reich unmittelbar unterworfen seien und „kein Vicariat für ihren Gerichts-Zwang erkennten“. Nachdem das Kammergericht seine Arbeit wieder aufgenommen hatte wurde das Verfahren vor diesem fortgesetzt, allerdings wurde der bayerische Prozessvertreter aufgefordert die vor dem Vicariats-Gericht bereits angefallenen „Expensen“ zu erstatten, bevor er zugelassen werde. Bayern war jedoch der Ansicht keine „Expensen“ zu schulden, da es dem Vicariats-Gericht nicht unterworfen sei. Über die in der Sache ergangene Entscheidung des RKG beschwerte sich Bayern schließlich beim Reichsregiment, vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 4. Teil, 1. Abt., S. 98–103. Ferner beschwerte sich Bayern darüber, dass das Reichskammergericht unzulässiger Weise ein Appellation unmittelbar von einem Landgericht angenommen hat ohne zu berücksichtigen, dass zunächst an das Hofgericht hätte appelliert werden müssen, vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 52–55. 144 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 55. 145 Vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 53–55. 146 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 55; ders., Staatsarchiv, 4. Teil, 1. Abt., S. 102–103. 147 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 4, S. 157. Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 57, Mannßbach, Abhandlung, S. 39, sowie Malblank, Abhandlung, 2. Teil,
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Wie Mencke darlegte, war der Begriff Inquisition nicht zu Unrecht gewählt, da i. R. dieser Visitation neben sachlichen Mängeln des Reichskammergerichts und der fachlichen Qualifikation des Kammergerichtspersonals auch deren persönliche Eigenschaften überprüft werden sollten.148 Die stark katholisch geprägte Kommission nutzte die Gelegenheit, gegen reformationsfreundliche Kammergerichtsmitglieder vorzugehen, was dazu führte, dass drei Beisitzer und zwei Prokuratoren mit der wohl vorgeschobenen Begründung, sie seien „unfleisig zu referieren und votirn ungeschickt erfunden“149 und ein Prokurator sogar explizit wegen seines „uncristlichen wesens“150 entlassen wurden.151 Neben der religiösen Gesinnung der Gerichtsmitglieder ging die Kommission allerdings durchaus auch auf sachliche Mängel ein. So wurde u. a. festgestellt, dass etliche Beisitzer schlecht ausgebildet, unerfahren und „nit flissig“ seien und daher zu entlassen wären.152 Ein Vorwurf, der angesichts der schon früher aufgekommenen Beschwerden über die mangelhafte Besetzung des Reichskammergerichts glaubhaft zu sein scheint und wohl nicht alleine auf religiös motivierte Aversionen gegen einige Beisitzer zurückzuführen ist.153 Außerdem würden überhöhte Gebühren verlangt, zu viele Protonotare, Notare und Kammerboten beschäftigt und dem für einen Laien zwar durchaus geschickten Kammerrichter sei ein des Lateins verständiger und der Rechte Gelehrter vorzuziehen.154 Abgesehen von den erwähnten Entlassungen hat die Kommission jedoch anscheinend keine weiteren Maßnahmen ergriffen und die Abstellung der gefundenen Mängel „dem kunftigen regiment“ anheimgestellt.155 Auf den Reichstagen zu Speyer 1526 und 1529 wurden ebenfalls wieder die „Visitation und Reformation“ des Reichskammergerichts angeordnet,156 allerdings kam es auch im Rahmen dieser beiden Visitationen zu keinen bedeutenden Ergebnissen. In RA 1526 § 24 wurde der Visitationskommission aufgetragen, das „Cammer-Gericht mit höchstem Fleiß der Nothdurfft zu viS. 6, gehen fälschlicherweise davon aus, 1524 sei eine Visitation nicht zustande gekommen, so Mencke, Visitationen, S. 30, mit näheren Ausführungen hierzu. 148 Mencke, Visitationen, S. 30. 149 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 4, S. 172. 150 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 4, S. 246. 151 Ausführlich Mencke, Visitationen, S. 27–35, der aber auch davor warnt, das religiöse Moment der Visitation überzubewerten, da auch viele sachliche Mängel untersucht worden seien, ebenda, S. 34. 152 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 4, S. 245. 153 Im Ergebnis ebenso Mencke, Visitationen, S. 34. 154 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 4, S. 245, 246. 155 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 4, S. 246; Mencke, Visitationen, S. 35. 156 RA 1526 § 24, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 278, und RA 1529 § 28, ebenda, S. 298, 299.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
sitiren, und zum fleißigsten und besten, an Personen und andern Mängeln und Gebrechen zum treulichsten zu reformiren, und in gute nützliche Ordnung zu stellen“.157 Dies nahm sie offensichtlich zum Anlass, erneut eine inquisitorische Befragung des Kammergerichtspersonals durchzuführen. Zu diesem Zweck wurde ein Fragenkatalog158 zusammengestellt, dessen Fragen zwar überwiegend auf die Feststellung sachlicher Mängel abzielten, aber auch die religiöse Einstellung159 des Kammergerichtspersonals zum Inhalt hatten. Diejenigen Fragen, die sich auf sachliche Mängel bezogen, hatten fast ausschließlich zum Ziel festzustellen, ob die Assessoren und Prokuratoren fleißig, fähig, unparteiisch und unabhängig waren. So wurde beispielsweise gefragt, ob alle für ihre Aufgabe „geschickt, geübt, erfahren, gelehrt und eines erbaren Wesens seye[n]“, ob es Assessoren gebe, die Geschenke annähmen oder solche, die anderen Diensten außerhalb des Gerichts verpflichtet seien und hierfür Besoldung nähmen oder ob welche aus persönlicher Zu- oder Abneigung parteiisch geurteilt hätten.160 Die zu Befragenden fühlten sich an das Vorgehen der Visitationskommission von 1524 erinnert und befürchteten eine ausufernde, über kammergerichtliche Belange hinausgehende und rufschädigende Befragung. Aus diesem Grund forderten Kammerrichter und Beisitzer, dass eine derartige Befragung unterlassen werde und Prokuratoren und Advokaten weigerten sich schlichtweg, an einer solchen teilzunehmen, obwohl keine dieser Parteien grundsätzlich gegen eine Visitation des Kammergerichts war.161 Dieser Widerstand führte dazu, dass das geplante Personalexamen letztlich nicht durchgeführt wurde.162 Die Ergebnisse der vorzeitig beendeten163 Visitation gingen über ein paar allgemeine Vorschläge bezüglich der Verkürzung der Prozessdauer, die Einführung neuer Taxen und der Neufassung der aufgrund vieler Ergänzungen und
157 Schmauß / Senckenberg,
NSdRA, 2. Teil, S. 278. bei Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 201–203. 159 „Item, ob nicht ettlich aus den Assessorn, Procuratorn, Advocaten, und andern Personen mit Gottslästerung und andern leichtfertigen Sachen beladen seyen.“, Harp precht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 202. 160 Vgl. Fragenkatalog bei Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 201–203. 161 Das Schreiben des Kammerrichters und der Beisitzer findet sich bei Harp precht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 203–206, das der Advokaten und Prokuratoren bei Harpprecht, ebenda, S. 206–208; vgl. auch Mencke, Visitationen, S. 35–37. 162 Die ergibt sich aus einem „Bericht des Ausschusses für Visitation von Rgt und KG“ von 1529, Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 7 / 2, S. 1293; vgl. auch Mencke, Visitationen, S. 38; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 26. 163 Wohl aufgrund allgemeiner Furcht vor einem türkischen Angriff auf das Reichsgebiet, die aus einer Niederlage der Christen bei Mohács resultierte, vgl. Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 26; ebenso Mencke, Visitationen, S. 39, Fn. 219, m. w. N. 158 Abgedruckt
II. Revision gegen Urteile des RKG39
Änderungen unübersichtlich gewordenen Reichskammergerichtsordnung nicht hinaus.164 Mit einem ähnlich überschaubaren Ergebnis endete auch die Visitation des Reichskammergerichts auf dem Reichstag zu Speyer von 1529. Nachdem die Visitation von 1526 vorzeitig beendet worden war, sollte nunmehr die In quisition, Visitation und Reformation des Reichskammergerichts nachgeholt werden. Allerdings befürchtete der Reichstagsausschuss, „daß auch jetzt wieder die betreffenden Personen versuchen, die visitacion von der inquisition zu sundern, oder das allein uf mengel und geprechen, so vil das Rgt und KG belanget, und nit sunst ihres unwesens und untuglicheit halben visitirt und befragt werden sollten.“165 Der Ausschuss war jedoch der Ansicht, dass eine Visitation der Erkundung der Mängel und Gebrechen diene und folglich auch eine Inquisition erfordere und mit sich bringe.166 Aus diesem Grund forderte er den Reichstag auf, „eine Erläuterung der Visitation [zu] geben, damit es furterhin als ein geschrieben gesatze und ordenung des h. reichs gehalten und jeder zeit dem one meniglichs intrag nachkommen wurde.“167 Der Reichstag folgte dieser Aufforderung und erteilte der Visitationskommission in RA 1529 § 28 das „Mandat zu inquiriren, zu visitiren, und zum felißigsten und zum besten, ihrem Gutbedüncken nach, an Person und andern Mängeln und Gebrechen zu reformiren, und in gute nutzliche Ordnung zu stellen“ sowie diejenigen, „welche[r] aber unter ihnen sich solcher Inquisition, Visitation und Reformation weygern und widern, oder sonst untüglich bey ihnen erfunden oder geacht wird, […] hinweg zu schaffen.“168 Trotz dieses klaren Auftrags und der weitreichenden Befugnis kam es jedoch zu keinen signifikanten Ergebnissen. Die Kommission machte lediglich ein paar Vorschläge, wie eine Entlastung des überlasteten Kammergerichts zu erreichen sei,169 bevor sie erneut vorzeitig auseinander ging.170
den Visitationsbericht bei Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 219–222. Jüngere Reihe, Bd. 7 / 2, S. 1293. 166 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 7 / 2, S. 1294. 167 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 7 / 2, S. 1294. 168 Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 299; nach Mencke, Visitationen, S. 40, erhielt die Visitation damit erstmals die reichsrechtliche Befugnis Gerichtsmitglieder ohne die Zustimmung des Kaisers oder Reichstags von ihrem Amt zu suspendieren. 169 Harpprecht, Staatsarchiv, 4. Teil, 2. Abt., S. 70, 71. 170 Vermutlich aufgrund des Angriffs der Türken auf Wien und der Aussicht auf einen effektiveren Reichstag nach der bevorstehenden Ankunft Kaiser Karls V. im Reich; so Mencke, Visitationen, S. 40. 164 Vgl.
165 Reichstagsakten,
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
e) Vorschlag des RKG zur Überprüfung reichskammergerichtlicher Urteile und Zuständigkeit der Visitation für Beschwerden gegen das RKG Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 kam es hinsichtlich des Reichskammergerichts schließlich zu einer Reihe von Neuerungen, welche erneut das Bestreben zeigten, Mängel abzustellen, als auch die Reformation einzudämmen. Letzteres zeigte sich allgemein u. a. darin, dass in RA 1530 §§ 65– 67 verboten wurde, den protestantischen Glauben gewaltsam einzuführen oder der geistlichen Obrigkeit „Rent, Zinß, Zehend und Güter [zu] entwehren“ und in § 59 die Restitution eingezogener oder verwüsteter Kirchengüter, sowie die Beibehaltung des altkirchlichen Kultus „bey Pön Unsers Kayser lichen Land-Friedens, Acht und Aber-Acht“ angeordnet wurde.171 Bei Verstößen gegen diese Regelungen konnte also die Acht verhängt werden, ohne dass wie bisher zudem die Voraussetzungen des Landfriedensbruchs vorliegen mussten.172 Im Hinblick auf das Reichskammergericht zeigte sich der Versuch der Zurückdrängung der Reformation darin, dass in § 91 des Reichsabschieds dem Kammergerichtspersonal explizit befohlen wurde, sich an diesen Reichsabschied und insbesondere an die „Articul des Glaubens und Religion gemäß [zu] halten“.173 Darüber hinaus wurden in diesem Reichsabschied174 einige Anordnungen erlassen, welche die bereits auf den vorausgehenden Reichabschieden angesprochenen Mängel abstellen sollten. Als Ursache für die teilweise schlechte Besetzung des Reichskammergerichts wurde die geringe Besoldung, der wechselnde Sitz des Gerichts sowie die geringe Zahl an Gerichtspersonal ermittelt. Diese hätten dazu geführt, dass „viel alte gelehrte, erfahren Personen davon“ gegangen seien und als Ersatz lediglich junge, unerfahrene Personen zu bekommen waren, was zu schwerlichen und langsamen Verfahren geführt und die wenigen tauglichen Assessoren überlastet und bei ihnen zu „Verdruß, Hinläßigkeit und Unfleiß“ geführt habe (§ 75). Da es sich bei dem Kammergericht um „das öberst und letzt Gericht, (davon laut Unserer Ordnung, nicht appellirt werden soll)“ handele und die „Unterthanen im Reich nicht Rechtlos gelassen“ werden sollten, wurden zur Abstellung dieser Mängel die Anzahl der Beisitzer um sechs „geschickten, gelehrten, tapfferen, in Gerichten lang geübten Personen“ auf insgesamt 24 erhöht (§ 76). Zusätzlich hierzu wurden noch acht außerordentliche Beisitzer eingestellt, welche die alten, liegengebliebenen Akten aufarbeiten sollten (§ 82). Ferner sollte das Gericht seinen beständigen Sitz in Speyer haben 171 Schmauß / Senckenberg,
NSdRA, 2. Teil, S. 314, 316. Reichskammergericht, S. 138. 173 Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 320. 174 Abgedruckt bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 306–332. 172 Smend,
II. Revision gegen Urteile des RKG41
(§ 83) und der Sold der Beisitzer um 100 Gulden Gold von 400 auf 500 Gulden erhöht werden, damit diese sich auf ihre Tätigkeit am Reichskammergericht beschränkten und nicht noch anderen Geschäften nachgingen (§ 80). Neben einigen anderen Regelungen zur Gerichtsorganisation wird in diesem Reichsabschied aber insbesondere erneut eine Visitation anberaumt (§ 84), welche in der gleichen Zusammensetzung wie 1526 und 1529175 das Kammergericht visitieren und „an Personen und andern Mängeln und Gebrechen […] reformieren, und in gute nützliche Ordnung […] stellen“ sollte (§ 84). Der Aufgabenbereich dieser Visitation war jedoch um einiges umfassender als der bisheriger Visitationen und neben der Überprüfung des Gerichts und der ebenfalls bereits zuvor von der Visitation durchgeführten Rechnungsabnahme (§ 96) sollte die Visitation zudem bei der Moderation der Reichsanschläge (§ 139) sowie der Reformation der Kammergerichtskanzlei mitwirken (§ 90), Advokaten und Prokuratoren auf ihre Tauglichkeit und Arbeitsweise hin überprüfen (§ 87) und drei geschickte Assessoren bestimmen, welche alle Reichskammergerichtsordnungen in einem Buch zusammenfassen.176 Darüber hinaus wurde in § 94 geregelt, dass sich die Stände mit ihren Beschwerden über Mängel oder ungebührliches Verhalten des Reichskammergerichts an die Visitationskommission wenden sollen, welche Befehl habe „derhalben gebührlichs Einsehens und Reformation zu thun.“177 Nachdem es wiederholt zu Beschwerden über das Reichskammergericht an den Reichstag gekommen war, wurde nun festgelegt, dass sich die Stände mit diesen Beschwerden in Zukunft jeweils bis zum ersten März an die Visitationskommission wenden sollten, da diese für deren Bearbeitung für geeigneter gehalten wurde und der Reichstag zu einer zweckmäßigen Untersuchung aufgrund seiner Beschäftigung mit Staatsangelegenheiten nicht geeignet war.178 Zudem hatte der Reichstag die Bearbeitung der Beschwerden bisher ohnehin an Kommissionen delegiert. Diese Regelung stellt den Ursprung des Rekurses an die Visitation dar179 und regelt Beschwerden gegen das Reichskammergericht erstmals in einem gesetzlichen Verfahren. Die in diesem Reichsabschied ebenfalls angeordnete Visitation erledigte in der kurzen Zeit vom 1. März bis 24. März 1531 eine Vielzahl verschiedener 175 Ompteda,
Cammergerichts-Visitationen, S. 29; Mencke, Visitationen, S. 41. NSdRA, 2. Teil, S. 319–321, 328; vgl. auch Dick, Entwicklung, 42–43; und Mencke, Visitationen, S. 41, 42. 177 Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 321. 178 Vgl. Berg, Darstellung, S. 10 und 154, 155; Danz, Grundsätze, S. 626. 179 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 33, Fn. a); Danz, Grundsätze, S. 626; Berg, Darstellung, S. 10; J. J. Moser, Abhandlung, 12. Stück, S. 831. 176 Schmauß / Senckenberg,
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Aufgaben, wie sich aus dem von ihr erlassenen Visitationsabschied180 sowie einem Bericht an den Reichstag181 ergibt. Zu diesen Aufgaben zählte zunächst die Überprüfung und Kontrolle des Kammergerichtspersonals. Zu diesem Zweck wurde ein Personalexamen durchgeführt in dessen Rahmen alle Gerichtsmitglieder anhand von Frage artikeln auf ihre fachliche und persönliche Eignung überprüft wurden.182 Hinsichtlich der Assessoren gelangte die Kommission zu einem recht differenzierten Ergebnis und stellte fest, „dass etlich ganz gerecht, gelehrt und geschickt“ und andere zwar „auch gelehrt und geschickt, aber sonst in ihrem Weesen etwas mangelhaft“ seien. Letzteren habe man ihre Mängel jedoch „angezeigt, mit begehr, dieselbigen zu meyden und sich in Besserung zu schicken, bey poen und Straf des Urlaubs, des sie also nachzukommen sich unterthäniglich und gehorsamblich erboten.“ Zudem „seynd etlich in dem Examen erfunden […] derselbigen Amt mit andern geschicktern Personen zu versehen.“183 Hierbei handelte es sich um eine Einschätzung, die von den Prokuratoren offensichtlich geteilt wurde. In einem an die Kommission gerichteten Beschwerdeschreiben bemängelten diese unter anderem die fehlende fachliche Kompetenz und Erfahrung einiger Assessoren und forderten, dass von den Ständen bei der Besetzung freier Stellen künftig drei Vorschläge gemacht werden sollten und das Reichskammergericht hieraus den Geeignetsten auswählen dürfe.184 Die Visitationskommission entließ diese Assessoren allerdings nicht, sondern regte lediglich beim Kaiser deren Ersetzung an, weil sie entgegen der klaren Ermächtigung in RA 1530 § 84 „untüglich“ befundene Gerichtspersonen „vom öbern biß zum untern […] hinweg zu schaffen“185, meinte in ihrem „Befelch, vermög des Articel im Abschied [habe] nit gestanden, dieselbigen abzuschaffen“.186 Unter den Prokuratoren und Advokaten wurden von der Kommission sechs aus religiösen Gründen ernsthaft ermahnt und zudem einer entlassen,187 allerdings kurze Zeit später vom Kaiser zum Unmut der Stände wieder begnadigt.188
180 Der erstmals als solcher bezeichnete Visitationsabschied, so Mencke, Visitationen, S. 42, ist abgedruckt im CJC, S. 74–79 und bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 345–352. Eine Zusammenfassung der erledigten Aufgaben findet sich bei Mencke, ebenda, S. 42–48. 181 Bei Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 262–268. 182 Vgl. Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 30; Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 82, 83. 183 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 263. 184 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 255. 185 Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 319. 186 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 263. 187 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 267, 268.
II. Revision gegen Urteile des RKG43
Darüber hinaus setzte sich die Kommission mit den vom Reichskammergericht übergebenen sog. „dubia cameralia“ auseinander. Hierbei handelt es sich um eine Sammlung von materiellen und prozessualen Problemen und zweifelhaften Rechtsfragen, die am Reichskammergericht aufgetreten waren und welche verbunden mit entsprechenden Anregungen und Verbesserungsvorschlägen der Assessoren der Visitation zur Klärung vorgelegt wurden.189 Aus diesen vom Reichskammergericht vorgelegten dubia cameralia190 ist der soeben schon erwähnte Vorschlag einer Überprüfung reichskammergericht licher Urteile interessant. Der Vorschlag des RKG, der mit identischem Wortlaut191 auch in der Beschwerdeschrift der Prokuratoren an die Visitation zu finden ist, sah eine Überprüfung reichskammergerichtlicher Urteile durch Universitäten vor. Da sich die Parteien über unrechtmäßige Urteile beschwerten und niemand „wider Recht, auch Gleich, am höchsten Gericht vertruckt“ werden solle, wurde vorgeschlagen, die Akten des Rechtsstreites auf Antrag und Kosten einer Partei durch die Visitation an ein oder zwei unparteiische Universitäten verschicken zu lassen. Diese sollten die Akten „revidiren“ und der Visitation Relation erstatten, ob „wohl oder übel geurthelt“ sei, allerdings sollte die Exekution des vom RKG gesprochenen Urteils während der Überprüfung durch die Universität fortgesetzt werden. Neben dem von den Prokuratoren und Beisitzern angegebenen Grund für den Vorschlag, dass „sich die Partheyen zu Zeiten beschweren, als sollten unrechtmässige Urtheln eröfnet werden“, könnte auch die Hoffnung der Beisitzer, durch eine Überprüfung ihrer Urteile einem erneuten Personalexamen zu entgehen, eine Rolle 188 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 83; Die Stände baten den Kaiser daraufhin, denselben wieder zu entlassen und sich künftig zu dergleichen Restitution nicht bewegen zu lassen, da „sonst alle Visitation und Reformation unnütz und vergeblich seyn werden“; Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 286. 189 Vgl. Dick, Entwicklung, S. 10. Derartige Zweifelsfragen wurden bereits 1526 dem Regiment und wohl auch der damaligen Visitationskommission vorgelegt; vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, S. 64, 209–219; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 27; Mencke, Visitationen, S. 38, 39. Die Bezeichnung dubia cameralia wurde allerdings erst Ende des 16. Jahrhunderts gebräuchlich; Dick, ebenda. 190 Bei Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 250–255. 191 Der Vorschlag lautete: „Item, dieweil sich die Partheyen zu Zeiten beschweren, als solten unrechtmässige Urtheln eröfnet werden, auf daß dann niemand wider Recht, auch Gleich, am höchsten Gericht vertruckt werde, soll den Partheyen, wider die obbemelter Gestalt ihres Vermeynens Urthel ergangen, auf ihr begehr, anbringen und Kosten durch die Jährliche Visitatores vergunt und zugelassen werden, daß einer oder zweyen unpartheyischen Universitaeten alle Gerichts-Acten inberaumt würden, dieselbigen zu revidiren, und berührten Visitatoren, ob wohl oder übel geurthelt, zum fürderlichsten es geseyn mag, Relation zu thun, doch daß nichts destoweniger mit der execution der gesprochen und erkanten Urthel am Cammergericht, wie Recht, volnfahrn und procedirt werde.“ Als Vorschlag des RKG bei Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 252 und als Vorschlag der Prokuratoren, ebenda, S. 256.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
gespielt haben. Möglicherweise wollten die Beisitzer und Prokuratoren einer derartigen unangenehmen Überprüfung und Kontrolle der einzelnen Personen, wie sie durch die vorherigen Visitationen erfolgt war, durch die Möglichkeit einer Überprüfung der Urteile zuvorkommen. Durch eine Überprüfung kammergerichtlicher Urteile durch unabhängige Universitäten wäre eine sachliche Kontrolle der Arbeit der einzelnen Urteiler möglich gewesen und ein unter Umständen erneut ausuferndes und zu persönliches Personalexamen durch die Visitation wäre entbehrlich gewesen. Die Visitationskommission hielt sich jedoch nicht befugt, „etwas von neuen zu setzen, oder zu statuiren, sondern allein zu reformiren“, weshalb sie hinsichtlich der „dubia cameralia“ mitsamt dem Vorschlag zur Überprüfung kammergerichtlicher Urteile keine Entscheidung traf und Kurfürsten, Fürsten und Stände aufforderte, „gebührlich insehens zu thun, künftig irrung zu vermeiden“.192 Dementsprechend kam es erst auf dem Reichstag 1532 zu einer Erörterung der von Kammerrichter und Beisitzern vorgebrachten Zweifelsfragen.193 Der Vorschlag der Beisitzer die Akten zur Überprüfung der Urteile an unparteiische Universitäten zu verschicken, wurde hier jedoch verworfen und stattdessen die Möglichkeit eines Rechtsmittels an die Visitation eingeführt.194 f) Beschwerden gegen das RKG bei der Visitation Zudem musste sich die Visitation mit verschiedenen Beschwerden des Herzogs von Jülich über das RKG auseinandersetzen, welche entsprechend der bereits erwähnten Regelung in RA § 1530 § 94 nunmehr an diese zu richten waren.195 Der Herzog beschwerte sich in zwei Sachen „wegen vorbey gegangener erster Instanz“196 und versuchte so eine Entscheidung des RKG zu verhindern. In der Sache Krampfen von Nieder-Wesel bestritt der Herzog, dass der Kläger dem Reich unmittelbar unterworfen und somit berechtigt war, direkt am RKG zu klagen. Das RKG sah jedoch die Reichsunmittelbarkeit des Klägers als gegeben an und verhandelte in der Sache, wogegen der 192 Harpprecht,
Staatsarchiv, 5. Teil, S. 264. Das Reichsgutachten über die Visitation von 1531 ist abgedruckt bei Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 281–287, der die dubia cameralia betreffende Teil S. 283–285. 194 RA 1532 III § 17 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 359; ebenso Mencke, Visitationen, S. 45, 46. 195 Vgl. J. J. Moser, Abhandlung, 12. Stück, S. 831; Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 85–87; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 31, 34 Fn. (o). 196 J. J. Moser, Abhandlung, 7. Stück, S. 459, 460; Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 85. 193 Vgl.
II. Revision gegen Urteile des RKG45
Herzog Beschwerde bei der Visitation erhob.197 In einer anderen Sache198 beschwerte sich der Herzog ebenfalls darüber, dass das RKG nicht zuständig sei. Einer seiner Untertanen, ein gewisser Culmann, war zunächst vor dem Gericht zu Sittard unterlegen und hatte hieraufhin zwei ihm günstige Sprüche des Aachener Oberhofes bewirkt, welche von dem Gericht zu Sittard allerdings nicht beachtet wurden. Nachdem Culmann sein Recht vehement weiter verfolgte und auf eine Berücksichtigung der Sprüche des Oberhofes bestand, wurden er und seine Frau kurzer Hand verhaftet. Um ihre Freiheit wiederzuerlangen, leisteten beide einen Eid, dass sie sich zur Durchsetzung ihrer Ansprüche nicht auf auswärtiges Recht berufen würden und das Widerfahrene nicht rächen oder gerichtlich klären lassen werden.199 Trotz dieses Eides wendete sich Culmann mit einer Klage wegen Rechtsverweigerung200 an das RKG, welches den Fall fortan verhandelte. Auch hier bestritt der Herzog von Jülich die Zuständigkeit des RKG und verwies darauf, dass das RKG die erstinstanzliche Zuständigkeit der Jülicher Gerichte missachtet habe, da kein Untertan eines Reichsstandes in erster Instanz am RKG klagen dürfe.201 Die Beschwerde des Herzogs bei der Visitation hatte keinen Erfolg und der Prozess wurde vor dem RKG fortgeführt. Weitzel hat aus dem tatsächlichen und prozessualen Geschehen der Sache Culmann zu Recht die Schlussfolgerung gezogen, dass sich der Herzog von Jülich nicht nur gegen die Appellationszuständigkeit des Reichskammergerichts wendet und dieses nicht in erster Linie als Obergericht, sondern als auswärtiges Gericht an sich, mit einer entsprechend umfassenden Abwehrhaltung, bekämpft.202 Demensprechend ist in der Beschwerde Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 85, 86. Fall Culmann ist ausführlich dargestellt bei Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 177–179 und ders., Reichsabschied, S. 457–462. 199 Derartige Eide kamen recht häufig vor und dienten u. a. dazu die während der Bauernkriege zwischen Obrigkeit und Untertanen entstandenen Streitigkeiten zu beenden. Daneben zwangen Landesherrn ihre Untertanen zur Abwehr auswärtiger Gerichtsbarkeit jedoch auch öfter, einen Eid zu schwören, auf Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Territorialgerichte zu verzichten. Auf diese Art versuchten die Landesherrn gegen Reichsrecht verstoßende Appellationsverbote auf dem Umweg über einen abgezwungenen eidlichen Rechtsmittelverzicht doch noch durchzusetzen und so ihre eigene Gerichtsbarkeit gegen das auswärtige Reichsgericht zu verteidigen. Vgl. Weitzel, Reichsabschied, S. 474, 476; ders., Kampf um die Appellation, S. 179; Dick, Entwicklung, S. 45, 69 und 103. 200 Vgl. zu der Verwendung des Begriffs „Appellation“ statt Beschwerde wegen Rechtsverweigerung bei Harpprecht (Staatsarchiv, 5. Teil, S. 86) Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 179 und insbes. Fn. 610, der darauf hinweist, dass eine strikte Trennung der Begrifflichkeiten damals noch nicht erfolgte. 201 Vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 178; die Unzuständigkeit des RKG für erstinstanzliche Klagen von Untertanen folgt aus RKGO 1495 §§ 13, 16. 202 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 178; ders., Reichsabschied, S. 474, 475. 197 Vgl. 198 Der
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des Herzogs an die Visitation ein machtpolitisch motivierter Versuch zu sehen, die Zuständigkeit des Reichskammergerichts an sich in Frage zu stellen und einer Erstreckung der reichskammergerichtlichen Gerichtsbarkeit auf Rechtssachen aus dem Territorium des Herzogs entgegenzutreten. Es ging bei den Beschwerden dagegen nicht um die Überprüfung eines Urteils des Reichskammergerichts, eine solche wäre nach dem Stand des Verfahrens auch gar nicht möglich gewesen, da zur Zeit der Beschwerde in der Sache Culmann noch gar kein reichskammergerichtliches Urteil vorlag, welches hätte überprüft werden können. Der Herzog versuchte vielmehr mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, eine Erstreckung der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts auf Streitigkeiten aus seinem Territorium zu verhindern. Dies dürfte entsprechend für die Sache Krampfen von Nieder-Wesel gelten. Ein wie auch immer gestaltetes Rechtsmittel zur Überprüfung reichskammergerichtlicher Urteile war in diesen Beschwerden also nicht zu sehen, sondern vielmehr der Versuch eine Entscheidung des RKG zu verhindern.203 Neben diesen Beschwerden beantragte der Herzog von Jülich jedoch auch die Überprüfung eines reichskammergerichtlichen Urteils, welches in einem Rechtsstreit zwischen der „Clerisey zu Cölln“ und dem Herzog von Jülich um die Erbringung der geforderten Türkenhilfe ergangen ist. Auf dieses Urteil hin beantragte das Herzogtum Jülich bei der Visitation „gebührliches Einsehen und Reformation zu thun, damit obgemelte Process allenthalben cassirt, abgethan, und mit Ersetzung Schaden und Kosten gehöriger Orthen remittiret und gewiesen würden.“204 Aufgrund dieses Antrages auf Überprüfung und Reformation des reichskammergerichtlichen Urteils durch die Visitation meinte Harpprecht, diese Klage sei „als eine der ersten coram Visitatoribus eingeführte Revisions-Sache anzusehen“.205 Diese Einschätzung ist jedenfalls insofern nachvollziehbar, als die Bitte um Einsehung, Reformation und Kassation des reichskammergerichtlichen Urteils Übereinstimmungen mit der späteren Revision aufweist. Diese Ähnlichkeiten beschränken sich jedoch darauf, dass ein reichskammergerichtliches Urteil durch die Visitation überprüft wird und der Rechtsstreit nach dieser Überprüfung endgültig beendet wird. Schon angesichts der vagen Regelung des RA 1530 § 94 zum Verfahren der Beschwerde an die Visitation ist die Feststellung weiterer Ähn203 So im Ergebnis auch J. J. Moser, Abhandlung, 7. Stück, S. 459, 460, der bzgl. der Beschwerden in Sachen Culmann und Krampfen von Nieder-Wesel der Ansicht ist: „Uebrigens beklagte sich also Jülich eigentlich und hauptsächlich nicht über ergangene Urtheile, sondern wegen ungebührlicher Erkennung einiger Proceße, die nicht hätten sollen erkannt werden.“ Auch Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 85, spricht lediglich hinsichtlich der „Clerisey-Sache zu Cölln“, nicht aber bzgl. der anderen Sachen von einer „Revisions-Sache“; dazu sogleich. 204 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 85. 205 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 85.
II. Revision gegen Urteile des RKG47
lichkeiten schwierig. Von einem Suspensiveffekt, einer Beschwer oder einer Beschränkung der Überprüfung auf die Prozessakten o. ä. ist in § 94 jedenfalls keine Rede. Die Beschwerde des Herzogs wurde letztlich mit dem Verweis, der Reichs-Abschied belehre darüber, „wie in solchen Sachen, wo der Clerisey ihre Gülten, Zehenden und Zinsen abgenommen würde, zu verfahren seye“ ohne großes Aufhebens abgewiesen.206 Insgesamt scheint es allerdings so, als wäre die Regelung des § 94 noch nicht als eine Möglichkeit gedacht gewesen, die Urteile des Reichskammergerichtes überprüfen zu lassen. Der Wortlaut des § 94 sprach recht allgemein lediglich von der Anzeige von „einigen weitern Mangel“ und der Beschwerde eines Standes, dass „ihm ungebührlich vom Kammer-Gericht begegnet wäre“, welche die Visitation sodann überprüfen und reformieren sollte.207 Von einer Überprüfung konkreter Urteile des Kammergerichts war nicht die Rede. Mit Mängeln i. S. d. § 94 dürften jedoch nicht unbedingt Mängel i. S. v. Rechtsanwendungsfehlern gemeint gewesen sein, welche zu einer Überprüfung des Urteils durch die Visitation führen sollten. Unmittelbar vor § 94 wurden in §§ 92 und 93 die Lossprechung von Urfehden und die Provokationsklagen behandelt. Bei der Lossprechung von geschworenen Urfehden (relaxatio iuramenti ad effectum agendi)208 ging das RKG recht großzügig vor, ohne zuvor weitere Nachforschungen anzustellen oder die Obrigkeit, gegenüber der die Urfehde geschworen wurde, anzuhören. Diese Praxis des RKG dürfte darauf zurückzuführen sein, dass etliche Landesherren ihre Untertanen dazu zwangen eidlich auf Rechtsmittel zu verzichten, um so reichsrechtlich unzulässigen Appellationsverboten „zumindest den Anschein einer rechtlichen Verbindlichkeit zu geben.“209 Hierüber beschwerten sich die Landesherren insofern zu Recht, als das RKG die Untertanen mangels genauer Überprüfung teilweise auch von rechtmäßig zustande gekommenen Urfehden lossprach. Dieses Problem wurde in § 92 lediglich angesprochen und durch die Visitation, wohl auch veranlasst durch die Beschwerden des Herzogs von Jülich,210 in RA 1531 § 22 dahingehend geregelt, dass das RKG zukünftig vor der Lossprechung einen Bericht der Lan206 Harpprecht,
Staatsarchiv, 5. Teil, S. 87. 1530 § 94: „Wo auch einiger Churfürst, Fürst oder Stand einigen weitern Mangel oder Beschwärd hätt, so ihm ungebührlich vom Kammer-Gericht begegnet wäre, soll und mag ein jeglicher sein Beschwärd den verordneten Commissarien, auf den ersten Tag Martii zuschicken und zu erkennen geben, die haben Befehl, derhalben gebührliches Einsehens und Reformation zu thun.“ Abgedruckt bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 321. 208 Vgl. hierzu allgemein Dick, Entwicklung, S. 103; Danz, Grundsätze, S. 438– 441; Cramer, Systema, S. 279–285. 209 Weitzel, Reichsabschied, S. 476, 477. 210 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 87; Mencke, Visitationen, S. 46. 207 RA
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desherren einholen und Untertanen nur von widerrechtlichen Urfehden absolvieren solle.211 Auf Beschwerden der Stände, dass Provokationsklagen (Proceß ex lege diffamari)212 missbraucht würden, um Rechtssachen anhängig zu machen und danach auf sich beruhen zu lassen,213 wird der Visitationskommission in RA 1530 § 93 aufgetragen, hierfür eine Regelung zu finden. Die Zulässigkeit der Provokationsklagen wurde hieraufhin zunächst durch die vorläufige Regelung in VA 1531 § 32 und dann dauerhaft durch den Reichstag 1532, RA 1532 Tit. 3 § 2, eingeschränkt.214 In den beiden §§ 92 und 93 wurden also auf Beschwerden der Stände hin allgemeine Mängel im reichskammergerichtlichen Verfahren angesprochen und einer Regelung zugeführt. Es ging hierbei jedoch nicht um Mängel oder Rechtsanwendungsfehler in einzelnen Prozessen, sondern um die grundsätzliche Frage, wie in diesen Fällen ganz allgemein zu verfahren ist. § 94 knüpft nahtlos an die §§ 92 und 93 an und beginnt mit den Worten „Wo auch einiger Churfürst, Fürst oder Stand einigen weiteren Mangel […] hätt […]“. Diese unmittelbare Nähe und die Formulierung „weitere Mängel“ lassen vermuten, dass mit der Beschwerde nach § 94 ebenfalls allgemeine Mängel, ähnlich den in §§ 92 und 93 angesprochenen, gerügt werden sollten und nicht die Überprüfung einzelner Urteile durch die Visitation im Vordergrund standen. Hierfür spricht neben dem Wortlaut insbesondere auch, dass während der Visitation des Jahres 1531 von Seiten des Reichskammergerichts der bereits erwähnte Vorschlag zur Einführung einer Überprüfungsmöglichkeit reichskammergerichtlicher Urteile gemacht wurde,215 welcher von der Visitationskommission an die Stände weitergeleitet wurde, weil sie sich zu einer verbindlichen Entscheidung hierüber nicht ermächtigt sah.216 211 Vgl. VA 1531 § 22 abgedruckt in CJC, S. 76, § 22; die Regelung wurde schließlich in RKGO 1555 Teil II Tit. 24 übernommen. 212 Die Provokationsklage war eine außergewöhnliche Prozesseinleitung, mit welcher ein angeblicher Schuldner von sich aus das Nichtbestehen einer Forderung gerichtlich klären lassen konnte. Behauptete ein Dritter zu Unrecht bspw., eine Forderung gegen einen Kaufmann zu haben, so konnte dieser das Nichtbestehen der Forderung mit der Provokationsklage gerichtlich klären lassen und so seine Kreditwürdigkeit schützen. Ebenso war die Provokationsklage bei anderen Diffamierungen statthaft. Vgl. hierzu allgemein Dick, Entwicklung, S. 102, 103; Oberländer, Lexicon, S. 578– 579; Danz, Grundsätze, S. 442–447; Cramer, Systema, S. 270–279. 213 RA 1530 § 93 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 321; zudem wurden durch die Provokationsklagen auch Zuständigkeitsvorschriften umgangen, s. Wetzell, System, S. 107, Fn. 37; Mencke, Visitationen, S. 47. 214 Mencke, Visitationen, S. 47. 215 Siehe Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 252. 216 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 264. Siehe oben S. 44.
II. Revision gegen Urteile des RKG49
Der Vorschlag zur Einführung einer Überprüfung von Urteilen des RKG sowie dessen Weiterleitung an die Stände durch die Kommission wären wohl kaum erfolgt, wenn RA 1530 § 94 bereits die Möglichkeit einer Überprüfung reichskammergerichtlicher Urteile enthalten hätte. Stattdessen sollte § 94 allgemein Beschwerden über das RKG regeln. Es ging hierbei weniger darum die Kompetenzen der Visitation, welche derartige Mängel gewissermaßen von Amtswegen bereits bei vorausgegangenen Visitationen geprüft hatte, zu erweitern. Vielmehr sollten die Beschwerden, welche zuvor bei Reichstag oder Kaiser angebracht worden waren, in geregelte Bahnen gelenkt und an die Visitation verwiesen werden. Trotzdem ist an dieser Regelung auch zu erkennen, wie sich die Aufgaben der Visitation immer weiter ausgedehnt hatten. Zur ursprünglichen Überprüfung der Finanzen des Reichskammergerichts kamen nun weitreichende Kontrollaufgaben wie die umfassende Überprüfung des Reichskammergerichts und seines Personals oder auch die Beteiligung an der Reformation der Kammergerichtskanzlei217 hinzu. Die Beschwerde bei der Visitation nach § 94 stellt insofern eher eine Beteiligung der Stände an der allgemeinen Aufsicht und Kontrolle über das RKG als eine Möglichkeit der Überprüfung einzelner Urteile dar. Hierfür spricht auch, dass sie explizit nur den Ständen gestattet war und auch nach Einführung einer Überprüfungsmöglichkeit reichskammergerichtlicher Urteile mit fast identischem Wortlaut beibehalten wurde.218 Wie jedoch die Klage des Herzogs von Jülich in dem Rechtsstreit um die Türkenhilfe zeigt, wurde von der Visitation auch schon eine Überprüfung konkreter kammergerichtlicher Urteile vorgenommen. g) Die Zulassung von Rechtsmitteln gegen kammergerichtliche Urteile im RA von 1532 als erste Stufe im Prozess der Ausbildung der Revision Die kontinuierlichen Beschwerden gegen Urteile des Reichskammergerichts und insbesondere die von den Prokuratoren und Beisitzern übergebenen dubia cameralia führten dazu, dass in RA 1532 Tit. 3 § 17 ein förm liches Rechtsmittel gegen Urteile des RKG eingeführt wurde:219
217 RA
1530 § 90 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 320. RKGO 1555 Teil I Tit. 50 § 5 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil,
218 Vgl.
S. 77.
219 Vgl. RA 1532 Tit. 3 § 16 der explizit die dubia cameralia als Veranlassung für die Regelung nennt; abgedruckt bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 359.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
RA 1532 Tit. 3 § 17 „Und damit Unsere Cammer-Richter und Beysitzer desto fleißiger seyn, so sie besorgen müssen, daß die Acta folgends nach gesprochener Urtheil auch besichtiget, und niemandes an Unserm Cammer-Gericht Unrecht geschehe, zu dem, daß solches Unsern kayserl. Rechten nicht entgegen, so wider End-Urtheil zu supplicieren zulassen, und die Richter, so unrechtmäßige Urtheil aussprechen, den Krieg ihr eigen machen, und deßhalben ad Syndicatum gestellt werden mögen: Setzen, ordnen und wöllen Wir, wo einige Parthey hinfürter vermeint, daß sie durch Cammer-Richter und Beysitzer beschwärt, und unrechtmäßige oder nichtige Urtheil, wider sie gesprochen und eröffnet, und derhalben Cammer-Richter und Beysitzer gedächte zu syndiciren, daß denselben solchs zu thun, Vermög Unser kayserl. Recht zugelassen seyn soll, doch dergestalt, daß derselbig, so Cammer-Richter und Beysitzer ad Syndicatum zu stellen willens, solches Unserm Freund und Oheim dem Cardinal und Erz-Bischoff zu Maynz, als des Reichs Erz-Canzlern, zween Monat, vor prima Maji, zu jederzeit in Schriften zu erkennen gebe. Darauf gedachter Erz-Bischoff den Churfürsten, Fürsten, Prälaten, Grafen und Ständen, so zu der jährlichen Visitation verordnet, schreiben, ihnen solches anzeigen, mit Begehren, ihr treffentliche, erfahrne, geschickte und gelehrte Räth zu schicken, in solchen Sachen, Vermög der Recht zu handeln, und die Billichkeit zu verfügen. Doch daß nichs destoweniger mit Execution der gesprochenen und erkanten Urtheil, am Cammer-Gericht vollfahren und procedirt werde. Und soll solches Syndiciren auf des Syndicanten Kosten beschehen, auch vor denselben verordneten Syndicatorn nichts neues, was die Partheyen und Merita causae betrifft, fürgewandt, sonder allein aus den vorigen beschlossenen Actis auf die Nichtigkeit oder unrechtmäßige Beschwärd der Urtheil gehandelt werden, und die gemeldte Syndicatores der Sachen auswarten, auch endliche Erkanntnuß der Hauptsachen und Unkosten thun.“220
Nachdem es immer wieder zu Beschwerden über Urteile des RKG gekommen war legt RA 1532 Tit. 3 § 17 erstmals fest, dass Parteien, die sich durch ein Urteil des RKG beschwert fühlen „wider End-Urtheil […] supplicieren“ können. Die Verwendung des Begriffs „supplicieren“ lässt die Nähe zur römisch-rechtlichen Supplicatio, welche ebenfalls gegen inappellable Urteile stattfand, erkennen.221 Anders als bei der Supplikation umfasste das neu geschaffene Rechtsmittel jedoch kein beneficium novorum222, sondern ordnete eine Überprüfung des Urteils alleine anhand der Akten an. Parteien, die sich durch unrechtmäßige oder nichtige Urteile beschwert fühlten, konnten bis zwei Monate vor dem 1. Mai bei dem Erzbischof von Mainz schriftlich und auf eigene Kosten „supplicieren“. Der Erzbischof von Mainz sollte sodann die zu der entsprechenden Visitation verordneten Stände von der Einlegung des Rechtsmittels informieren und diese auffordern qualibei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 359. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 375; Mencke, Visitationen, S. 50, Fn. 279; vgl. zudem oben S. 25. 222 Hülle, Supplikation, Sp. 91. 220 Abgedruckt 221 Vgl.
II. Revision gegen Urteile des RKG51
fizierte Räte zu schicken, welche eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache und hinsichtlich der Kosten treffen sollten. Die Exekution des kammergerichtlichen Urteils sollte in der Zwischenzeit allerdings weiter betrieben werden. Zudem sollte „nichts neues, was die Parteyen und Merita causae betrifft“ vorgetragen werden und die Entscheidung alleine auf der Grundlage der Akten erfolgen. Ausdrücklich wurde nur die Syndikatsklage genannt und es entsteht auf den ersten Blick der Eindruck, dass in RA 1532 Tit. 3 § 17 lediglich diese und nicht auch die Revision gemeint war. Bei der Syndikatsklage, welche ihren Ursprung ebenfalls im römischen Recht hatte,223 handelte es sich nicht um ein Rechtsmittel, sondern um einen materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den aus Arglist falsch urteilenden Richter.224 Aus diesem Grund wurde die Syndikatsklage im gemeinen Recht auch nicht zum Prozessrecht, sondern zum materiellen Zivilrecht gerechnet.225 Gleichwohl gab es zeitgenössische Autoren, welche, wohl auch aufgrund der unklaren Regelung des § 17, in der Syndikatsklage ein Rechtsmittel sahen.226 v. Selchow ist der Meinung, das „remedium Syndicatus“ wurde in RA 1532 Tit. 3 § 17 als Rechtsmittel gegen kammergerichtliche Urteile noch vor der Revision eingeführt. Die Syndikatsklage sei jedoch „gehässiger und gröber“ als andere Rechtsmittel, da man dem Richter „Bosheit, Bestechung und Betrug“ vorwerfe.227 Mit der Zeit habe man festgestellt, dass „dieses remedium allzuscharf und gefährlich“ sei und in RA 1548228 und der RKGO 1555 „ein gelinders und glimpflichers, nemlich die Revision“ eingeführt.229 Sellert hat zu Recht festgestellt, dass dieser Ansicht nicht gefolgt werden kann. Richtig sei zwar, dass der Begriff der Revision noch nicht in RA 1532, 223 Vgl. Wetzell, System, S. 421, Fn. 14; Koschaker, Europa, S. 85; Reinhardt, Handbuch II, S. 295–298; Osterloh, Lehrbuch I, S. 183, 184. 224 Danz, Grundsätze, S. 647; Gönner, Handbuch III, S. 532; Seyfarts, ReichsProceß, S. 521; Dick, Entwicklung, S. 218; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 396. Zuletzt zum Syndikatsprozess: Isenmann, Legalität und Herrschaftskontrolle, S. 33 ff. und 64 ff. 225 Vgl. Gönner, Handbuch III, 532; Wetzell, System, S. 421, Fn. 14; Endemann, Civilprozeß, S. 111; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 396. 226 Selchow, Einleitung, S. 887; J. J. Moser, Justizverfassung, I, S. 1204. Dieser Ansicht wurde von Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß, S. 240, welcher ebenfalls vom „Rechtsmittel der Syndikatsklage“ spricht, gefolgt. 227 Selchow, Einleitung, S. 887. 228 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 375, Fn. 11, verweist insofern zu Recht darauf, dass in RA 1548 die Revision nicht erwähnt sei, ebenso Schulz, Einflussnahme, S. 108, Fn. 166. Vermutlich meinte Selchow die RKGO von 1548, in welcher in Teil 3 § 53 von der Revision die Rede ist, vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1433–1437. 229 Selchow, Einleitung, S. 910, 911.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
sondern erst später230 verwendet werde. Inhaltlich sei aber in RA 1532 Tit. 3 § 17 neben der Syndikatsklage offensichtlich auch die Revision gemeint.231 Aus dem Umstand, dass § 17 von „unrechtmäßige oder nichtige Urtheil“ spricht und „auf die Nichtigkeit oder unrechtmäßige Beschwärd der Urtheil gehandelt werden“ solle, folgt, dass es sich nicht lediglich um eine Schadensersatzklage gegen den Richter handelte, sondern auch darum ging, ob das Urteil nichtig oder unrechtmäßig war.232 Wäre es ausschließlich um eine materiellrechtliche Schadensersatzklage gegen den Richter gegangen, hätte das alte Urteil bestehen bleiben können und es wäre lediglich die Frage der Rechtsbeugung durch den Richter zu klären gewesen. Gegen eine Schadensersatzklage spricht zudem, dass explizit angeordnet wurde, dass „mit Execution der gesprochenen und erkannten Urtheil, am Cammer-Gericht vollnfahren“ werden soll. Hätte § 17 tatsächlich lediglich eine Schadensersatzklage gegen den Richter und kein Rechtsmittel gegen Urteile eingeführt, wäre diese Anordnung überflüssig gewesen, da in diesem Fall das Urteil ohnehin vollstreckt worden wäre. Ferner wäre nicht die Rede von einer „endliche[n] Erkanntnuß der Hauptsache“ gewesen, da die Entscheidung darüber, ob eine Rechtsbeugung vorlag oder nicht ein vollkommen neue gewesen wäre. Insofern macht es keinen Sinn von einer „endlichen Erkenntnis“ zu sprechen. In § 17 sollte auch nicht, wie v. Selchow annahm, die Syndikatsklage als Rechtsmittel eingeführt werden. Hierfür spricht zunächst, dass das wesent liche Merkmal der Syndikatsklage, nämlich ein arglistig falsch entschiedenes Urteil, an keiner Stelle erwähnt wurde. Die verwendeten Begriffe „unrechtmäßige oder nichtige Urtheil“ umfassten nicht ausschließlich Urteile, die aufgrund einer vorsätzlichen Rechtsbeugung des Richters unrechtmäßig oder nichtig waren.233 Nach § 17 sollten also allgemein unrechtmäßige Urteile angreifbar sein und nicht bloß solche, die auf einer arglistigen Entscheidung 230 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 375, meint der Begriff der Revision tauche erstmals in der RKGO von 1555 auf. Tatsachlich wird er allerdings schon in der RKGO von 1548 verwendet, vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1433–1437. 231 In Prozeßgrundsätze, S. 375. Ihm folgend Mencke, Visitationen, S. 51; Dick, Entwicklung, S. 378, Fn. 1203. Im Ergebnis ebenso schon Mohl, Versuch II, S. 177– 179; Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 93; Haas, Vorschläge, S. 674, 675; Schwartz, Civilproceß, S. 86–87; sowie Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 45, der meint, dass das neue Rechtsmittel „vermuthlich aus Pedanterie der damaligen Rechtsgelehrten, welche alles nach dem Leisten des Römischen Rechts abmessen zu müssen glaubten, mit der in den gemeinen Rechten begründeten actione in factum contra judicem male judicantem et litem suam facientem, welcher Klage die Glossatoren den Namen der actionis de Syndicatu beyzulegen beliebt hatten, verbunden und gleichsam verwechselt“ worden sei. 232 So schon Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 395. 233 So schon Mohl, Versuch II, S. 177, 178; im Ergebnis ebenso Dick, Entwicklung, S. 45.
II. Revision gegen Urteile des RKG53
des Richters beruhten. Die Anfechtbarkeit von Urteilen nach § 17 sollte also nicht auf den Fall der Syndikatsklage beschränkt sein. Insbesondere zeigt auch die Beschränkung auf die „vorigen beschlossenen Actis“ und dass „denselben verordneten Syndicatorn nicht neues, was die Partheyen und Merita causae betrifft, fürgewandt“ werden sollte, dass sich die Regelung nicht auf die Syndikatsklage beschränkte, sondern der Sache nach auch die Revision einführte.234 Eine Beschränkung auf die Akten und ein Verbot neuen Vortrags passt nicht zur Syndikatsklage, ging es bei ihr doch darum, ob der Richter eine Rechtsbeugung begangen hat oder nicht. Der alte Sachverhalt und das angewandte Recht spielten hierbei in der Regel keine Rolle.235 Die Rechtsbeugung wird in aller Regel nicht in den Akten festgehalten worden sein und zudem waren ganz andere Tatsachen als im Ausgangsprozess relevant, wie z. B. ob eine Bestechung erfolgte oder der Richter parteilich handelte. In der Regel wird es nur um die Darlegung einer arglistigen Fehlentscheidung gegangen sein, hierbei handelte es sich um einen ganz neuen Fall, der sich nicht zwingend aus den Akten ergab. Mit der Beschränkung auf die Akten beschrieb § 17 sachlich die Revision,236 welche allerdings noch nicht von der Syndikatsklage getrennt wurde.237 Der Begriff der Revision und eine deutliche Trennung erfolgten erst in den RKGO von 1548 und 1555.238 h) Die Anfechtung reichskammergerichtlicher Urteile im Übergang von einer Gnadenbitte zum Rechtsmittel Die Rechtslage hinsichtlich einer Überprüfung reichskammergerichtlicher Urteile blieb auch nach der Regelung in RA 1532 unübersichtlich. Insbesondere ging aus ihr nicht hervor, ob die Supplikation i. S. d. Regelung ohne gleichzeitige Syndikatsklage möglich war und ferner ob sie traditionelle supplicatio ad Imperatorem ersetzen sollte.239 Nève und Sprenger haben anhand der Aufzeichnungen des Beisitzers Viglius über die Anfechtung eines 234 Ebenso Mencke, Visitationen, S. 51; Dick, Entwicklung; S. 378, Fn. 1203; Mohl, Versuch II, S. 178, 179. 235 So schon Mohl, Versuch II, S. 178. 236 Vgl. Fn. 177. 237 Mencke, Visitationen, S. 51, Fn. 282 m. w. N.; Mohl, Versuch II, S. 179; Häberlin, Handbuch II, S. 517; Neurode, Verfassung, S. 501; Lang, Lehre, S. 77; Dick, Entwicklung, S. 45, 378, Fn. 1203; Danz, Grundsätze, S. 637; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 38. 238 Vgl. RKGO 1548 Teil 3 § 53 in Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1433–1437 und RKGO 1555 Teil 3 Titel 53 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 134–153. 239 Vgl. Schulz, Einflussnahme, S. 110; Nève / Spenger, Restitution, S. 45, 46.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Urteils des RKG im Jahre 1536 etwas Licht in die damaligen Umstände bringen können:240 Der Bischof von Bamberg wandte sich gegen ein Endurteil des RKG und übermittelte zu diesem Zweck eine an Kaiser und König adressierte Supplikation an das Gericht. Der Bote wurde jedoch u. a. mit der Begründung zurückgewiesen, lediglich Prokuratoren könnten Schriftsätze beim RKG einreichen. Hieraufhin reichte ein Prokurator für den Bischof eine „Petitio“ ein, in welcher er sich auf die restitutio in integrum berief und forderte, der Gegenpartei den zugesprochenen Geldbetrag nur auszuzahlen, wenn diese durch eine Kaution sicherstellte, dass der Bischof das Geld zurückerhielt, wenn er nachträglich doch noch obsiegen sollte. Der Prokurator legte der Petition zudem die ursprüngliche Supplikation des Bischofs bei.241 Der in der Sache als Referent eingeteilte Beisitzer Viglius prüfte zunächst die von dem Bischof eingereichte Supplikation und dann die von dessen Prokurator eingereichte restitutio. Hinsichtlich der Supplikation war Viglius sich nicht sicher, ob eine Supplikation als Rechtsmittel gegen kammergerichtliche Entscheidungen überhaupt existierte. Er stellte fest, dass eine Supplikation gegen Entscheidungen des Kaisers nach dem gemeinen Recht grundsätzlich möglich sei und setzte sich mit verschiedenen möglichen Einwendungen gegen eine Supplikation am RKG auseinander. Insbesondere stünde dieser nicht der in RKGO 1495 § 25 festgeschriebene „gestracke Lauf“ des RKG entgegen, da dieser lediglich verbiete beim Kaiser persönlich zu supplizieren, nicht aber an das RKG im Namen des Kaisers. Die Regelung des § 25 sei entsprechend CJ. 1, 21. einschränkend so auszulegen, dass sie das gemeine Recht eher verstärke als es zu verbessern242. Ferner verwies er darauf, dass RA 1532 das Supplizieren am RKG erlaubt habe. Eine Einschränkung der Supplikation durch VA 1533243, der eine restriktive Handhabung der Restitution anordnete, sei ebenfalls nicht gegeben, da diese Regelung ausschließlich die Restitution betreffe. Darstellung des Falles erfolgt nach Nève / Sprenger, Restitution, S. 46–52. Nève / Sprenger, Restitution, S. 46, 47. 242 Gemeint ist wohl verbessern i. S. v. ausbessern. Mit anderen Worten die nach dem gemeinen Recht anerkannte Supplikation sollte durch RA 1495 nicht grundsätzlich abgeschafft werden, sondern zur Wahrung der Unabhängigkeit des RKG sollte lediglich eine Supplikation an den Kaiser verboten werden. 243 In VA 1533 § 5, CJC, S. 84, und RKGO 1533 § 6, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 404, wird angesichts der häufig eingelegten Restitutionen angeordnet, dass genau geprüft werden solle, ob diese „calumniose, oder gefährlicher Weiß, oder aus Ursachen, so vormahls in Gerichts-Handel angezogen“ eingelegt wurde, um eine weitere Verzögerung der Exekution zu vermeiden. 240 Die
241 Nach
II. Revision gegen Urteile des RKG55
Trotz dieser Ausführungen zweifelte Viglius aufgrund des Gnadencharakters der Supplikation daran, ob diese am RKG zulässig ist. Es sei Sache des Gerichts, Recht zu sprechen und nicht Gnade zu erweisen, andererseits verbiete RKGO § 25 dem Kaiser, Bittgesuche ohne Mitwirkung des RKG zu bearbeiten, sodass letztlich weder das Gericht noch der Kaiser für die Entscheidung über die Supplikation zuständig wären. Viglius ließ die Frage nach der Möglichkeit einer Supplikation am RKG daher offen und überlegte, wo eine solche gegebenenfalls einzureichen wäre und wer sie behandeln würde. Er kam zu dem Schluss, dass RKGO 1495 § 25 untersage, eine Supplikation an den Kaiser zu adressieren, weshalb an das RKG zu supplizieren sei. Entsprechend dieser Feststellung wies er aus formellen Gründen auch die Supplikation des Bischofs zurück, weil sie nicht an das RKG, sondern an den Kaiser adressiert war. Die nach Ansicht des Bischofs aus der Supplikation folgende Aussetzung der Vollstreckung bis zur Leistung einer Kaution durch den Vollstreckenden lehnte er zudem mit einem Argument aus Nov. 119, 5 ab, wonach die Exekution aufzuschieben ist, wenn innerhalb von zehn Tagen nach dem Urteil Supplikation eingelegt wurde und die obsiegende Partei keine Bürgen dafür stellte, dass das Erhaltene im Falle einer Aufhebung des Urteils zurückgewährt wurde.244 Die Supplikation des Bischofs sei nicht innerhalb von zehn Tagen eingelegt worden, so dass eine Aussetzung der Vollstreckung auch aus diesem Grund nicht in Betracht komme.245 Die Restitution des Prokurators wies Viglius ebenfalls zurück. Neben förmlichen Gründen verwies er darauf, dass es an nova mangele, die restitutio schikanös sei und schließlich die zuerst eingelegte supplicatio eine nachträgliche restitutio gemäß D. 14, 4, 9, 1246 ausschließe.247 Neben der Erkenntnis, dass die Rechtslage zu dieser Zeit recht unübersichtlich war und sich die verschiedenen Rechtsquellen aus römischem und kanonischem Recht sowie der RKO teilweise widersprachen248 zeigt sich auch, dass die Supplikation in dieser Zeit einer gewissen Veränderung unterlag. Wie schon Weitzel festgestellt hat, verliert die Supplikation zwischen 1532 und 1555 ihren ursprünglichen Charakter einer Gnadenbitte und entwickelt sich langsam zum Rechtsmittel.249 Aus den Ausführungen des Viglius ergibt sich, dass er mit der Supplikation einerseits immer noch ein Gnadengesuch verband, dessen Entscheidung nicht in den Aufgabenbereich des RKG fiel. Aufgabe des RKG war es, Recht 244 CIC
III, S. 574, 575. Restitution, S. 48–50. 246 CIC I, S. 224. 247 Nève / Sprenger, Restitution, S. 50, 51. 248 So Nève / Sprenger, Restitution, S. 51, 51. 249 Weitzel, Rechtsmittel, S. 18. 245 Nève / Sprenger,
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
zu sprechen und nicht Gnade walten zu lassen. Diese Aufgabe war dem Herrscher bzw. Kaiser vorbehalten. Einer Entscheidung durch den Kaiser stand jedoch RKGO 1495 § 25 und RA 1532 Tit. 3 § 17 entgegen. Die neuen Regelungen waren mit der ursprünglichen, gemeinrechtlichen Supplikation in Konflikt geraten. Diesen Widerspruch wusste Viglius nicht recht aufzulösen, weshalb er die Frage, ob die Supplikation als Rechtsmittel gegen kammergerichtliche Urteile zulässig sei, offen ließ. Sicher war er sich hingegen darin, dass, wenn das Kameralrecht dieses Rechtsmittel (bzw. Gnadenmittel) anerkennen sollte, beim Kammerrichter und nicht beim Kaiser zu supplizieren sei. An dieser Stelle zeigt sich auch, dass Viglius RA 1532 Tit. 3 § 17 lediglich als ein Argument für die grundsätzliche Möglichkeit einer Supplikation gegen kammergerichtliche Entscheidungen heranzog. Auf den konkreten Fall wendete er die Vorschrift jedoch nicht an, was sich schon daraus ergibt, dass nach § 17 die Visitationskommission für die Supplikation zuständig gewesen wäre. Außerdem hätte er die Zulässigkeit der Supplikation am RKG nicht aufwendig anhand gemeinrechtlicher Grundsätze diskutieren müssen, sondern einfach auf § 17 stützen können, wenn er diesen für einschlägig gehalten hätte. Das gleiche gilt für die Frage der Vollstreckung und der Kautionsleistung. Viglius hat einigen argumentativen Aufwand betrieben, um die Vollstreckung des angefochtenen Urteils sicherzustellen.250 Nach § 17 hätte das kammergerichtliche Urteil ohne weiteres und unabhängig davon, ob die Supplikation innerhalb einer bestimmten Frist eingelegt wurde, vollstreckt werden können. Der Umstand, dass Viglius nicht RA 1532 Tit. 3 § 17 auf die an den Kaiser adressierte Supplikation des Bischofs anwendete, legt die Vermutung nahe, dass die Supplikationen i. S. dieser Vorschrift über die Syndikatsklage und die Revision hinaus nicht auch die traditionelle supplicatio ad imperatorem umfassen sollte.251 Dieser Schluss ist natürlich nicht zwingend, da es beispielsweise auch möglich wäre, dass er die unklare Formulierung der Vorschrift bewusst eng auslegte, um die Zuständigkeit der Visitationskommission zu vermeiden und eine Entscheidung durch das RKG zu ermöglichen. Unabhängig davon ist an der Bejahung der Zuständigkeit des RKG für die supplicatio ad imperatorem zu erkennen, dass diese mit der Zeit von der Person des Herrschers bzw. Kaisers gelöst wurde.252 Der ursprüngliche Gnadencharakter verhinderte allerdings, dass Viglius in der Supplikation ohne weiteres ein eigenständiges, am RKG zulässiges Rechtsmittel sah. Nève / Sprenger, Restitution, S. 52 und 49–51. Schulz hat festgestellt, dass ungewiss sei, ob die Supplikation i. S. v. RA 1532 Tit. 3 § 17 auch die traditionelle supplicatio ad imperatorem umfassen solle, s. Einflussnahme, S. 110. 252 So im Erg. schon Weitzel, Rechtsmittel, S. 18, der insofern von einer „Entpersönlichung“ der Supplikation spricht. 250 Vgl.
251 Schon
II. Revision gegen Urteile des RKG57
i) Erste Syndikatsklagen gem. RA 1532 Tit. 3 § 17 und Beschwerde des Kammerrichters und der Beisitzer hiergegen Die ersten Syndikatsklagen gemäß RA 1532 Tit. 3 § 17 wurden in den Jahren 1538 und 1539 eingereicht.253 Im Zusammenhang mit diesen Verfahren kamen auch allgemeine verfahrensrechtliche Fragen auf, inwiefern Syndikatsklage und restitutio in integrum als „einander entgegen stehende Rechtsmittel nebeneinander bestehen konnten“, ob eine eingelegte und dann wieder abgebrochene Syndikatsklage bei der nächsten Visitation fortgesetzt werden könne und wie zu verfahren sei, wenn „die zum Syndicat beschriebenen Personen zum Theil nicht erscheinten“.254 Der Kammerrichter und die Beisitzer reagierten auf die unzulängliche Regelung und allgemein auf die Möglichkeit der Syndikatsklage mit einer ausführlichen Beschwerde255 und der Aufforderung „das Sindicat […] wie sich vermög der Recht, und des heiligen Reichs Ordnung gebürt, geordnet und fürgenommen werden.“256 Sie waren der Ansicht, „daß derselbig Artikel, von dem Sindicat geordnet, in viel Wegen dem gemeinen kayserlichen Recht widerlauft, auch nach Ordnung desselben nicht wohl gebraucht oder practicirt werden mag, und wo das Sindicat dermassen wider diß Gericht gübt werden solt, das denn Personen so jederzeit daran seyn werden, viel größer unleidentlicher Beschwernüssen daraus folgen würden, und letztlich kein Bidermann sich an dies Ort begeben, noch daran bleiben kundte.“257 Konkret wurde kritisiert, dass die Syndikatsklage nicht dazu geeignet sei, ein ganzes Kollegium zu syndizieren. Das Urteil werde nach der RKGO von acht Urteilern gefällt und da die syndizierende Partei nicht wisse, welche Beisitzer entschieden haben, wende sie sich gegen das ganze Gericht. Von Rechtswegen seien nur die acht Beisitzer, die an der Verfassung des Urteils beteiligt waren, anzuklagen und dennoch werde das ganze Gericht angeklagt. Andererseits sei die Bekanntgabe der urteilenden Beisitzer nicht möglich. Zum einen sei das Gericht dies nicht schuldig und zum anderen seien die Beisitzer, Protonotarien und Kanzleipersonen hinsichtlich der Personen und Voten zur Verschwiegenheit verpflichtet. Schließlich könnte eine Offenbarung der Urteiler für diese zu erheblichen Nachteilen führen, da manche Parteien sehr mächtig seien. Die Verschwiegenheitspflicht führe zudem dazu, dass Urteiler, die anderer Meinung waren und die Entscheidung nicht mitgetragen hatten, keine Möglichkeit zur Vertei253 Harpprecht,
Staatsarchiv, 5. Teil, S. 128; Lang, Lehre, S. 79. Staatsarchiv, 5. Teil, S. 129. 255 Die Beschwerdeschrift ist abgedruckt bei Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 379–386; vgl. auch Lang, Lehre, S. 80–81. 256 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 386. 257 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 380. 254 Harpprecht,
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digung hätten und zu Unrecht haften könnten. Hieraus folge, dass auch unbeteiligte Beisitzer beschwert werden könnten und letztlich auch der Ruf des ganzen Kollegiums leide. Sollten jedoch nur die beteiligten Urteiler und nicht das ganze Kollegium haften, so würde dies dazu führen, dass große Verfahren mit mächtigen Parteien vom ganzen Kollegium entschieden würden und die Bearbeitung anderer Sachen darunter leide.258 Selbst wenn die Verschwiegenheitspflicht aufgehoben würde und auch die anderen Kritikpunkte beseitigt würden, sei die Regelung des Syndicats „ganz beschwerlich, und an ihr selbst auch zu kurz und unlauter.“259 Sie bemängelten, dass eine Entscheidung von zehn, zwölf oder noch mehr Beisitzern durch lediglich sieben oder acht fürstliche Räte reformiert werden solle. Zudem seien die Beisitzer alle gelehrte und erfahrene Männer wohingegen die entsandten Räte in „dieses Gerichts Gebrauch und Stili nicht so geübt“ seien.260 Neben der mangelnden Qualifikation der fürstlichen Räte wiesen sie auch darauf hin, dass Vorsatz und Unredlichkeit bei den Beisitzern nicht zu vermuten sei, da sie nicht als Einzelrichter handelten und die beteiligten Beisitzer sich gegenseitig kontrollierten. Vielmehr sprachen sie den fürst lichen Räten ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ab, da unter ihnen viele seien, deren Urteile, welche sie an ihrer Fürsten Höfe gesprochen hatten, durch das RKG reformiert worden seien. Durch die Reformation reichskammergerichtlicher Urteile könnten diese nun größten Ruhm bei ihren Herren erlangen. Darüber hinaus zweifelten die Beisitzer auch an einer ausreichenden Qualifikation der entsandten Räte, weil die Fürsten die geschickten Räte lieber am eigenen Hof behielten.261 Ferner sei nicht nachzuvollziehen, wie die Syndikatoren innerhalb kurzer Zeit ein Urteil überprüfen können sollen, in dessen Vorfeld der zuständige Referent schon alleine zwei, drei Monate für das Aktenstudium benötigt habe. Es sei wider alle Vernunft und Billigkeit, dass die Syndikatoren weniger Zeit und Fleiß in solchen Sachen aufwendeten als besser qualifizierte Beisitzer des RKG.262 Auch sei die Form des Prozesses gar nicht bestimmt, es gebe keine Regelung zum Schutz des Gerichts vor mutwillig erhobenen Syndikatsklagen und wie mit Parteien verfahren werden solle, die solche erheben. Letztlich eröffne die Syndikatsklage die Möglichkeit, dem RKG mutwillig zu schaden, und belaste das Gericht zu Lasten anderer Verfahren.263
258 Harpprecht, 259 Harpprecht, 260 Harpprecht, 261 Harpprecht, 262 Harpprecht, 263 Harpprecht,
Staatsarchiv, Staatsarchiv, Staatsarchiv, Staatsarchiv, Staatsarchiv, Staatsarchiv,
5. Teil, 5. Teil, 5. Teil, 5. Teil, 5. Teil, 5. Teil,
S. 380, 381. S. 382. S. 382. S. 382. S. 383. S. 382, 383.
II. Revision gegen Urteile des RKG59
Von Seiten des RKG wurde also im Wesentlichen damit argumentiert, dass die Syndikatsklagen rechtlich nicht zulässig seien, da sie aufgrund der Verschwiegenheitspflicht nur gegen das ganze Gericht gerichtet werden konnten. In diesem Fall würden aber auch die an dem konkreten Urteil unbeteiligten Beisitzer anderer Senate sowie beteiligte, aber überstimmte Beisitzer, die das Urteil nicht mitgetragen hatten, durch die Syndikatsklage beschwert. Selbst wenn die Verschwiegenheitspflicht der Beisitzer gelockert oder aufgehoben würde, sei die Syndikatsklage in ihrer konkreten Ausgestaltung jedoch nicht geeignet, kammergerichtliche Entscheidungen zu überprüfen. Die Beisitzer seien zur Entscheidung kameralrechtlicher Verfahren besser qualifiziert, als die fürstlichen Räte, welche unter Umständen nicht einmal erfahren darin waren, als Urteiler tätig zu sein. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum weniger qualifizierte Urteiler in kürzerer Zeit bessere Entscheidungen treffen sollten. Zudem sei unter Berücksichtigung des Konkurrenzverhältnisses zwischen territorialen Hofgerichten und dem RKG sowie der Abhängigkeit von dem entsendenden Fürsten ein unvoreingenommenes Urteil fraglich. Zu einer Abschaffung der Syndikatsklage oder einer differenzierteren Regelung von Revision und Syndikatsklage kam es jedoch noch nicht. j) Verhandlungen über eine Neuregelung von Syndikatsklage und Revision auf dem Reichstag von 1548 In den 1530er Jahren forderten die protestantischen Stände des schmalkaldischen Bundes immer wieder eine Suspension von Religionsprozessen am RKG bis die aus der Reformation entstandenen Streitfragen durch ein Konzil oder den Reichstag grundlegend geklärt waren. Der Hauptgrund für diese Forderung bestand darin, dass sich die protestantischen Stände ständig der Gefahr ausgesetzt sahen, dass die in einem derartigen, an sich möglicherweise unwichtigen Prozess ausgesprochene Acht von katholischer Seite unter dem Vorwand der Vollstreckung zu kriegerischen Handlungen genutzt werden könnte.264 Der Kaiser kam der Forderung der Protestanten nach einer Suspendierung teilweise nach, allerdings überließ er dem Reichskammergericht die Beurteilung der Frage, was unter „Religionssachen“ zu verstehen ist.265 Das ausschließlich katholisch besetzte RKG legte diesen Begriff jedoch so eng aus, dass die Suspendierung der Religionsprozesse wirkungslos war.266 264 Smend,
Reichskammergericht, S. 142, 143; Mencke, Visitationen, S. 54. Mencke, Visitationen, S. 57. 266 Rabe, Reichsbund, S. 307, der auch darauf hinweist, dass u. a. Streitigkeiten um geistliche Pfründe, obwohl nach kanonischem Recht zu den res spirituales gehörig, vom RKG nicht als Religionssachen anerkannt worden seien. 265 Vgl.
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Die Erfolglosigkeit der Bemühungen um eine Suspendierung führte dazu, dass die Mitglieder des schmalkaldischen Bundes das Kammergericht 1542 insgesamt und für alle Streitsachen, also nicht lediglich Religionsprozesse, ablehnten.267 Nachdem Heinrich von Braunschweig aufgrund einer suspendierten Acht versucht hatte, militärisch gegen protestantische Stände vorzugehen und der schmalkaldische Bund in dieser Auseinandersetzung einen leichten Sieg eingefahren hatte, kam der Kaiser den Protestanten im Nürnberger Abschied von 1543 insofern entgegen, als er das Kammergericht in Sachen mit protestantischer Beteiligung suspendierte.268 Die Protestanten verlangten zudem erneut die Neubesetzung des Reichskammergerichts, welche Kaiser Karl V. ebenfalls zugestand. Allerdings verweigerten die altgläubigen Stände ihre Zustimmung zu einer Neubesetzung des RKG, was letztlich auch dazu führte, dass man zu keiner Einigung über die künftige Unterhaltung des Gerichts kam und dieses aufgelöst wurde. In der Folge stand das RKG von 1544 bis 1548 still und lediglich die laufenden Geschäfte wurden vom Kammerrichter und vier Beisitzern erledigt.269 Auf dem Reichstag zu Augsburg 1548 kam es schließlich zur Neubesetzung und Wiedererrichtung, sowie zu einer Überarbeitung der RKGO, welche „alle Cammer-Gerichts-Ordnungen, wie die auf vielen zuvor gehaltenen Reichstägen aufgericht, geändert, gebessert und erklärt seynd, in eine lautere verständliche Ordnung“270 brachte. Die ehemaligen Kammergerichtsassessoren Konrad Braun und Konrad Visch wurden mit der Aufgabe betraut, die über verschiedene Reichsabschiede und Reichskammergerichtsordnungen verteilten Regelungen des Kameralprozesses zusammenzufassen, zu kompilieren und zu systematisieren. Die von diesen beiden erarbeitete Ordnung wurde sodann von einem interkurialen Ausschuss, den beiden Kollegien der Fürsten und Kurfürsten und dem Kaiser durchgesehen und mit Bemerkungen versehen. Hierauf folgten Beratschlagungen zwischen den Kollegien und dem Kaiser, bis man sich schließlich auf ein Ergebnis einigte.271 Wie der Titel der Ordnung272 schon indiziert, stellte die Ordnung keine Kodifikation im neuzeitlichen Sinne dar, sondern eine systematische Kompi267 Smend,
Reichskammergericht, S. 159; Rabe, Reichsbund, S. 307. Smend, Reichskammergericht, S. 159. 269 Eine ausführlichere Darstellung der Religionsprozesse und des Stillstandes des RKG findet sich bei Mencke, Visitationen, S. 54–69, sowie bei Smend, Reichskammergericht, S. 144–171. 270 RA 1548 § 36, CJC, S. 103. 271 Vgl. Laufs in Einleitung zu RKGO 1555, S. 18–20; Schwartz, Civilproceß, S. 87–88. 272 Dieser lautete: „Der Römischen Kai. Mai. und gemeyner Stend des heiligen Reichs angenommene und bewilligte Cammergerichts-Ordnung zu Befürderung ge268 Vgl.
II. Revision gegen Urteile des RKG61
lation des seit Errichtung des RKG in Reichs- und Visitationsabschieden sowie verschiedenen Reichskammergerichtsordnungen erlassenen und mittlerweile unübersichtlichen Kameralrechts.273 Obwohl es sich im Wesentlichen um eine Kompilation handelte und das Prozessrecht „im ganzen außerhalb der Motionen und Kontroversen“274 blieb, gab es unter den Ständen und Fürsten auch Beratungen über die Syndikatsklage und die Revision, welche letztlich dazu führten, dass diese in RKGO 1548 Teil 3 Tit. 53275 klar von einander getrennt und ausführlicher geregelt wurden. Hinsichtlich der Syndikatsklage waren in den Beratungen des interkurialen Ausschusses276 deutlich die Kritikpunkte wiederzuerkennen, welche der Kammerrichter und die Beisitzer in ihrer Beschwerde über die Syndikatsklagen bereits 1538 / 39 vorgetragen hatten. Anders als die Beisitzer waren die Abgeordneten des interkurialen Ausschusses jedoch überwiegend dafür, die Möglichkeit der Syndikatsklage am RKG grundsätzlich beizubehalten. Lediglich Trier war ausdrücklich gegen die Syndikatsklage: Diese sei im Reich bisher nie erhört worden und auch Sachsen und Brandenburg ließen ihre Hofgerichte nicht syndizieren, welche doch niedriger seien als das RKG. Sollte sie dennoch zugelassen werden, müsse geregelt werden, ob das ganze Kollegium oder nur die urteilenden Richter syndiziert werden sollen und arglistige Syndikatsklagen seien zu bestrafen.277 Die übrigen Stände waren im Grunde alle für eine Beibehaltung der Syndikatsklage.278 Dies wurde damit begründet, dass sie nach gemeinem Recht zulässig sei und sie der Erhaltung der Reputation des RKG sowie der Assessoren diene, da der Unrechtsvorwurf der unterlegenen Partei ausgeräumt werden könne. Darüber hinaus führe die Möglichkeit der Syndikatsmeines Nuzes aus allen alten Cammergerichts-Ordnungen und Abschieden, jetzt uff dem Reichstag zu Augsburg Anno Domini MDXLVIII von newen zusasmen gezogen gemehrt und gebeßert.“ Vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1231; ebenso Lang, Lehre, S. 82, Fn. r; Laufs in Einleitung zu RKGO 1555, S. 18. 273 So Laufs in Einleitung zu RKGO 1555, S. 18, 19. 274 So Laufs in Einleitung zu RKGO 1555, S. 20. 275 Die RKGO 1548 ist abgedruckt in Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1231–1438, Tit. 53 des 3. Teils findet sich auf S. 1433–1437. 276 Diese sind abgedruckt in Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 999– 1067, die Syndikatsklage betreffend: S. 1024–1026. 277 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1024. 278 A. A. Schulz, Einflussnahme, S. 149, der mitteilt, Brandenburg und Sachsen hätten die Aufnahme der Syndikatsklage in die RKGO 1548 am entschiedensten abgelehnt. Jedenfalls nach dem Votenprotokoll in den Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1025, war Sachsen der Ansicht, „Das syndicat kunde nit bös sein […]“ und unbilliges syndizieren sei durch Strafe zu vermeiden. Brandenburg war zwar ebenfalls für eine Neuregelung, grundsätzlich hielt es aber „für notturftig und gut, das dieser articul pleib“.
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klage dazu, dass die Assessoren mit größerer Fürsorge und mehr Fleiß urteilten.279 Trotz der grundsätzlichen Tendenz zur Beibehaltung wurden die mit der bisherigen Regelung verbundenen Probleme, welche schon die Beisitzer vorgebracht hatten, durchaus gesehen. Dies führte bei manchen Ständen zu einer etwas zurückhaltenden Zustimmung mit dem gleichzeitigen Hinweis darauf, dass eine Einschränkung der Anwendungsmöglichkeit sowie eine Neuregelung des Verfahrens erfolgen müssten. Köln etwa wies darauf hin, dass es beschwerlich sei, wenn Urteiler, welche das Urteil nicht mitgetragen hatten syndiziert würden. Brandenburg sprach sich zwar grundsätzlich für die Beibehaltung der Syndikatsklage aus, war der Meinung, dass das Syndicat „dem Gericht ein verkleynerung geberen und den beysitzern unglympf bringen“ werde, wenn es in der damaligen Form beibehalten würde.280 Es ist nicht nachzuweisen, ob diese Argumentation der Beschwerde der Beisitzer des Reichskammergerichts folgte281 oder auf eigenen Überlegungen der Ausschussmitglieder beruhte. An der Beratung ist jedoch zu erkennen, dass man sich von der Syndikatsklage einerseits versprach, dass diese den Ruf des Kammergerichts und der Beisitzer zu schützen helfe, indem Vorwürfe unterlegener Parteien entkräftet werden. Zudem sollten die Beisitzer durch die Möglichkeit der Kontrolle dazu bewegt werden, sorgsamer und gewissenhafter zu arbeiten. Andererseits befürchtete man, dass die Syndikatsklage in der konkreten Ausgestaltung den Ruf des Kammergerichts und der Assessoren durch mutwillige Klagen oder die Erstreckung der Klage auf unbeteiligte oder rechtmäßig urteilende Beisitzer schädigen könnte. Naturgemäß hatten die Stände wenig Interesse an einer Rufschädigung des ständischen Reichskammergerichts und auch der in der Syndikatsklage enthaltene Vorwurf gegen die Richter würde letzten Endes zumindest teilweise auch dem Ruf der Stände schaden, welche die Richter an das Kammergericht entsendet hatten.282 Aufgrund dieser Befürchtung deckten sich die Interessen der Stände teilweise mit denen der Beisitzer, so dass die Forderung nach einer Einschränkung der Syndikatsklage erhoben wurde.283 279 Vgl.
Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1024–1026 passim. Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1024, 1025. 281 So schon Schulz, Einflussnahme, S. 151, der dies, nicht ganz zu Unrecht, für unwahrscheinlich hält, da das RKG schon 1544 auseinander gegangen war. Andererseits war der mit dem Entwurf der RKGO 1548 betraute Konrad Braun vor 1540, also zur Zeit der Beschwerde der Beisitzer, noch Assessor am RKG, vgl. Laufs in Einleitung zu RKGO 1555, S. 20. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch Räte der Stände in der einen oder anderen Form mit dem RKG zu tun hatten und daher die Beschwerde der Beisitzer über die Syndikatsklage kannten. 282 Bzgl. einer Rufschädigung der die Richter präsentierenden Stände ebenso Schulz, Einflussnahme, S. 149. 280 Reichstagsakten,
II. Revision gegen Urteile des RKG63
Bis auf wenige Ausnahmen waren daher alle Stände der Meinung, dass die Syndikatsklage neu geregelt werden müsse, wobei die Vorschläge sich im Wesentlichen auf die Fragen beschränkten, wie mutwillige Syndikatsklagen vermieden werden könnten und ob das ganze Kollegium oder nur einzelne Beisitzer zu syndizieren seien. Die letztere Frage blieb überwiegend zur späteren Klärung offen. Allerdings wurde auch vertreten, der Einfachheit halber solle das ganze Kollegium syndiziert werden und dieses solle „sich in der geheim an denen, so di urthail gfast, ires schadens erholen“284. Andere argumentierten, eine diesbezügliche Regelung sei nicht nötig, da die Parteien in kleinen Sachen „unvermogens halben“ sowieso nicht syndizieren könnten und in großen Verfahren ohnehin in „vollem rath referirt“ und entschieden werde.285 Zur Vermeidung mutwilliger Syndikatsklagen wurde überwiegend eine nicht näher bestimmte Strafe, sowie teilweise eine Kaution und ein Eid vorgeschlagen. Vereinzelt wurde auch die Ansicht vertreten, die Niederlage und die entstehenden Kosten seien Strafe genug.286 Die Meinungen und Ansichten der Stände wurden schließlich zur Stellungnahme den Referenten Braun und Visch vorgelegt,287 welche hieraufhin mitteilten, „Das das collegium syndicirt und ad effectum kommen soll, wurde die gantz ordnung anders gstelt werden mussen und sich niemants lassen zu assesor gebrauchen. Wurd dem chammergericht gros gschrei daraus und in verkleinerung kommen.“288 Aus ihrer Sicht sprachen also die Notwendigkeit einer grundlegenden Umgestaltung der Gerichtsordnung sowie die Befürchtung, dass dann niemand mehr als Assessor arbeiten wolle, dagegen, das ganze Kollegium zu syndizieren. Der Grund für diese Einschätzung wird nicht genannt. Jedoch dürften sich Braun und Visch insofern auf dieselben Überlegungen stützen, die sowohl von den Beisitzern in ihrer Beschwerde als auch von den Ständen in ihrer Beratschlagung vorgebracht wurden. Zugleich wiesen die beiden darauf hin, dass andere „remedia“ vorhanden seien, womit sie sich auf einen Entwurf des Titels „Von revision gsprochner urthail am ksl. chammergericht und wie es damit gehalten werden soll“ bezogen.289 Trotz dieses Hinweises wiesen die Stände in den abschließenden Bedenken des interkurialen Ausschusses zu dem den gerichtlichen Prozess betrefSchulz, Einflussnahme, S. 151. Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1025. 285 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1025, 1026. 286 Vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1024–1026. 287 Vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1026. 288 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1043. 289 Vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1043, nähere Ausführungen oder Erläuterungen werden jedoch nicht gemacht. Allerdings lassen sich die verschiedenen Entwicklungsstufen der RKGO 1548 ebenda, S. 1231 ff. nachvollziehen. 283 Ebenso
284 Reichstagsakten,
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fenden dritten Teil der RKGO darauf hin, dass Kaiser, Kurfürsten und Fürsten zu jeder Zeit fromme, redliche, erfahrene und gelehrte Personen an das Kammergericht verordneten und man von der Syndikatsklage nichts zu befürchten oder anderes als das was redlich und recht sei, zu erwarten habe.290 „Damit aber den unverstendigen zu clagen nit ursach geben werd, als ob chammerrichter und beisitzer ursach irer handlung und urtheil zu geben schein trugen“ waren die Stände dafür, die Syndikatsklage neben der Revision beizubehalten und es dem Kläger freizustellen, zwischen beiden zu wählen.291 Es sollten zwar der Kammerrichter und alle Beisitzer syndiziert werden, allerdings unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass nur die an der Urteilsfassung beteiligten und unrechtmäßig votierenden Beisitzer bestraft würden.292 Zudem sollte zur Vermeidung mutwilliger Syndikatsklagen im Voraus eine Kaution geleistet werden, welch im Falle einer Bestätigung des Urteils verfiel.293 Während in dem Bedenken des Fürstenrates lediglich darauf hingewiesen wurde, dass bei Revision und Syndikatsklage „noch eins mit dem anderen daselbst confundiert“ werde294 ging der Kurfürstenrat ausführlicher auf beide ein. Allerdings ging es hierbei nicht um die grundsätzliche Frage der Beibehaltung der Syndikatsklage, sondern um eine Abgrenzung zur Revision. Die Syndikatsklage wurde ohne weitere Ausführungen beibehalten und gefordert, „das der revision und sindicats halben ain lauttere underschidliche distinction und richtigkeit gemacht werde, also das diese baide nit widereinander lauffen“. Die Revision solle gebraucht werden, wenn ex imperitia, negligentia oder dergleichen übel geurteilt werde. Sei eine Partei jedoch der Meinung, es sei ex dolo vel fraude iudicium oder dergleichen kein rechtmäßiges Urteil ergangen, solle sie sich mit der Syndikatsklage behelfen.295 Wie sich insbesondere aus den Beratungen des interkurialen Ausschusses ergibt, stand man der Syndikatsklage, zumindest in ihrer damaligen Ausgestaltung, nicht unkritisch gegenüber. Letztlich entschieden sich die Stände jedoch für eine Beibehaltung, da sie sich hiervon erhofften, es würde die 290 Reichstagsakten,
Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1144. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1144, 1145. 292 Vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1145. In endgültigen Version der RKGO sollten allerdings doch nicht alle Beisitzer, sondern nur die jeweils Urteilenden verklagt werden: „gegen den urtheylern“, RKGO 1548 Teil 3 Tit. 53, in Reichstagskaten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1436 und RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 6, in Laufs, RKGO 1555, S. 277, sowie „die urtheyler, so angezeygtergestalt gehandelt“ RKGO 1548 Teil 3 Tit. 53, in Reichstagskaten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1437 und RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 10, in Laufs, RKGO 1555, S. 279. 293 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1145. 294 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1171. 295 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1157. 291 Vgl.
II. Revision gegen Urteile des RKG65
Beisitzer zu gründlicherer Arbeit anspornen und dem Ruf des Gerichts und der Richter zuträglich sein, da Beschwerden der Parteien über unrechtmäßige Urteile widerlegt werden könnten. Die Nachteile der Syndikatsklage, wie unrichtige Anschuldigungen gegen das Gericht durch mutwillige und ungerechtfertigte Klagen sowie die Belastung von redlichen, an Fehlurteilen nicht beteiligten Beisitzern wollte man durch eine Neuregelung des Verfahrens vermeiden. Inwiefern auch die Revision zu einer Entschärfung dieser Probleme und einer Einschränkung der Syndikatsklage beitragen sollte, ist aus den Beratungen nicht unmittelbar ersichtlich. Die Äußerungen von Braun und Visch lassen jedoch vermuten, dass die Revision als Ersatz für die viel kritisierte Syndikatsklage dienen sollte.296 In die gleiche Richtung ging Selchow, der meint: „weilen aber dieses remedium [die Syndikatsklage] allzuscharf und gefährlich, so adjungierte man demselben in dem Reichsabschied do 1548 ein gelinders und glimpflichers, nemlich die Revision […].“297 Sicher ist jedenfalls, dass mit der Abschwächung des mit dem Rechtsmittel verbundenen Unrechtsvorwurfs von einer absichtlichen Rechtsbeugung zu einem auf Unerfahrenheit oder Unwissenheit beruhendem Fehlurteil auch ein möglicher Ansehensverlust der Richter oder des Gerichts abgemildert wurde. In der Praxis wurde von der Syndikatsklage nur äußerst selten Gebrauch gemacht298 und die wenigen anhängig gemachten Fälle wurden, soweit ersichtlich, nicht durch Endurteil entschieden.299 Die geringe praktische Bedeutung lag primär daran, dass eine vorsätzliche Rechtsbeugung insbesondere auch deshalb schwer nachzuweisen war, weil es für die unterlegene Partei aufgrund der Geheimhaltungspflicht der Beisitzer so gut wie unmöglich war, herauszufinden, wer das Urteil gefällt hatte.300 Neben diesem Umstand mag allerdings auch die Möglichkeit, auf die Revision zurückgreifen zu können, dazu geführt haben, dass nur sehr selten Syndikatsklagen eingelegt wurden.
296 Vgl.
Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1043; sowie oben S. 63. Einleitung, S. 910. 298 Vgl. Berg, Darstellung, S. 164, 165; Danz, Grundsätze, S. 647; Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 521, 522; Tafinger, Institutiones, Teil 4, S. 947; Balemann, Visita tionsschlüsse, S. 347, 348; Cramer, Institutiones, S. 492; Mencke, Visitationen, S. 126, Fn. 709 m. w. N. 299 So Mencke, Visitationen, S. 127, Fn. 709. 300 Vgl. Berg, Darstellung, S. 164, 165; Danz, Grundsätze, S. 647; Balemann, Visitationsschlüsse, S. 23; Mencke, Visitationen, S. 127, Fn. 709; Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß, S. 241. 297 Selchow,
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k) Trennung von Syndikatsklage und Revision 1548 / 1555 und Verbot der Supplikation Auf die aus den Beratungen der Stände hervorgegangene Regelung von Revision und Syndikat wird im Folgenden anhand der RKGO von 1555301 eingegangen. Hinsichtlich der Einteilung in die drei Teile, Personen, Jurisdiction und Proceß des kaiserlichen Kammergerichts, der äußeren Form und des prozessualen Inhaltes wurden die Regelungen der RKGO 1548 nahezu unverändert in die RKGO von 1555 übernommen,302 auch die das Syndikat und die Revision betreffenden Titel hatten einen weitestgehend übereinstimmenden Wortlaut. Die RKGO von 1555 ist allerdings aufgrund der zusätzlichen Gliederung in einzelne Paragraphen etwas übersichtlicher und war zudem weiter verbreitet,303 weshalb in der Literatur meistens auf die jeweiligen Paragraphen der RKGO von 1555 Bezug genommen wurde. Die Revision und die Syndikatsklage wurden in Teil 3 Tit. 53 der RKGO von 1555 wie folgt geregelt: Nach § 1 hatte die beschwerte Partei bei dem Erzkanzler zu Mainz mindestens zwei Monate vor dem 1. Mai, dem Beginn der jährlichen Visitation, einen schriftlichen Revisionsantrag zu stellen. Wurde das Urteil weniger als zwei Monate vor dem 1. Mai verkündet, sollte der Antrag zwei Monate vor dem 1. Mai des folgenden Jahres gestellt werden. Nachdem der Antrag beim Erzkanzler gestellt war, informierte dieser den Kaiser und die Stände, welche zur jährlichen Visitation berufen waren und forderte sie auf, „ire treffeliche, erfarne, geschickte und gelehrte räthe zu schicken“. Bei den von den Ständen zur Durchführung der Revision entsandten Räten musste es sich nicht zwangsläufig um die gleichen handeln, die zur Vornahme der Visitation entsandt wurden. Die Möglichkeit, zur Visitation und Revision unterschiedliche Räte zu schicken, wurde von den Ständen auch genutzt.304 Die Räte hatten zusammen mit den kaiserlichen Kommissaren und dem Präsidenten sowie den Beisitzern, welche das Urteil gesprochen hatten, „alle und jede gerichtsacta solcher sachen mit fleyß zu revidiren und zu besichtigen und darauf vermög der recht zu handlen und die billichheyt zu verfügen.“ (§ 1)
301 Im Folgenden wird die Ausgabe von Laufs, RKGO 1555 zitiert. Die Ordnung findet sich auch in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 43–136; CJC, S. 113– 196. 302 Vgl. Laufs in Einleitung zu RKGO 1555, S. 20; Mencke, Visitationen, S. 91, 92. 303 Vgl. Lang, Lehre, S. 82, Fn. (r). 304 Vgl. Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 100; Mencke, Visitationen, S. 86, Fn. 466 m. w. N.
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Zur Vermeidung eines mutwilligen Gebrauchs hatte die antragende Partei vor Durchführung der Revision eine Summe Geld zu hinterlegen, deren Höhe die Visitatoren nach „gelgenheyt der personen und sachen“ festlegen konnten. Wurde das kammergerichtliche Urteil bestätigt, verfiel die Summe als Strafe und zur Deckung der Kosten an den Fiskus. (§ 2) Gemäß § 3 stand es dem Antragsteller frei in einem Schriftsatz „die ursachen irer beschwerden“ mitzuteilen, allerdings durfte er „nichts newes, sonder alleyn die irrsall und ableynung derselben fürbringen“. Die Gegenseite durfte hierauf erwidern, allerdings ebenfalls unter Ausschluss neuen Vortrags. Bevor die Kommissare und Räte mit der Revision der Urteile anfingen, hatten sie gem. § 9 einen Eid zu leisten, die „vorigen richter in ehren [zu] halten“, alle Akten mit Fleiß zu revidieren, die Urteilsgründe der Beisitzer zu hören und alles nach des Reichs gemeinem Recht und ihrem besten Wissen zu entscheiden. Zur eigentlichen Überprüfung des Urteils sollten nach § 4 dann die kaiserlichen Kommissare, die verordneten Räte sowie der Präsident und die Bei sitzer, welche das Urteil gesprochen hatten, zusammen alle Gerichtsakten gründlich überprüfen und besichtigen. Zudem sollten die Beisitzer die „ursachen und gründe, daraus sollich urtheyl geschöpft ist“ anzeigen. Den Urteilern wurde also die Möglichkeit gegeben, ihre Urteilsgründe darzulegen und ihre Entscheidung zu erläutern. Diese Erläuterung der Urteilsgründe war jedoch nicht nur eine Möglichkeit, für die Beisitzer ihre Entscheidung zu rechtfertigen, sondern sie war für eine umfassenden Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Urteils von wesentlicher Bedeutung, weil das RKG seine Urteile nicht schriftlich begründete.305 Im Anschluss hieran sollten die Kommissare und Räte ohne die Beisitzer über die Revision entscheiden und das Urteil, „so sie gerecht erfunden, widerumb confirmiren und bekreftigen oder, so ichtzit durch die urtheyler ubersehen und geirrt oder söllich urtheyl sunst nichtig oder dem rechten nit gemeß were, reformieren.“ Für den Fall einer Reformation des Urteils wurde ferner angeordnet, dass der Partei ihre Kaution, auch Sukkumbenzgeld genannt, zurückgezahlt wird und das Kammergericht die Exekution des reformierten Urteils vornimmt. Wurde das Urteil „nit auß betrug oder argelist, sondern alleyn auß ubersehen, unfleiß, unwissenheyt oder irsall“ aufgehoben, so sollte „gegen denselben, bey denen solcher unfleiß befunden“ durch die Kommissare und Visitatoren, „vermög voriger ordnung und wie sunst recht und billich sein wirt, gehandelt, aber sunst mit derselben gesprochen urtheyl der urtheyler halben 305 Vgl. Werkmüller, Urteilsbegründung, Sp. 613; Sellert, Urteilsbegründung, S. 102, 103; Gehrke, in: Coing, Handbuch der Quellen II / 2, S. 1348; Diestelkamp, Arbeit des RKG, S. 305, 306.
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gleich wie mit andern underrichtern, von deren urtheyl supplicirt oder appellirt wird, gehalten werden.“ (§ 5) Der Verweis, dass gegen den Beisitzer „vermög voriger ordnung“ gehandelt werden solle, bezieht sich auf Teil 1 Tit. 5 der Ordnung. Hiernach waren Beisitzer, die „im referiren und votis nit gnug gelehrt, geübt und erfarn oder sunst seines wesens oder ander sachen halb untüglich angesehen“ wurden, zunächst zu verwarnen und gegebenenfalls auszutauschen.306 Ein unrechtmäßiges Urteil hatte also eine prozessuale und eine disziplinarrechtliche Folge. In prozessualer Hinsicht führte es zu einer Aufhebung des alten und Erlass eines neuen Urteils. Die disziplinarrechtliche Folge bestand darin, dass der fehlerhaft urteilende Beisitzer verwarnt oder gar aus dem Dienst entfernt werden sollte. War das Urteil aufgrund „von geschenck, miedt, gab, bitt, freundschaft, feindschaft oder ander dergleichen ursach“ nichtig oder unrechtmäßig, war gem. § 6 das erlegte Sukkumbenzgeld zurückzuzahlen und der beschwerten Partei war es vorbehalten, gegen die Urteiler die Syndikatsklage durchzuführen. Daneben sollten die Urteiler durch den Kaiser gebührlich bestraft werden. Das Verfahren der Syndikatsklage war gem. § 10 das gleiche wie bei der Revision. Wurde das Urteil durch die Revisoren bestätigt, sollte diese Entscheidung endgültig sein und weiteres „appellirn, supplicirn und revidirn“ nicht möglich sein, sondern mit der Exekution des erstgesprochenen Urteils an dem Reichskammergericht fortgefahren werden. (§ 7) Somit stellte das Revisionsverfahren die letztmalige Möglichkeit dar, das Urteil in der Sache zu überprüfen. Neben der Differenzierung von Revision und Syndikatsklage und der klaren Ausgestaltung des Revisionsverfahrens kam es zudem zu einem Verbot von Appellation und Supplikation gegen Urteile des Reichskammergerichts. In Teil 3 Tit. 51 wurde geregelt, „das von den urthailen, an unserm ksl. chammergericht ergangen und ausgesprochen, kein thail weither zu appelliren oder zu suppliciren macht haben soll.“ Parteien, die sich durch Urteile des RKG beschwert fühlten, sollten sich ferner nur noch der Revision und Syndikatsklage bedienen können.307 306 Das Verfahren ist in § 2 dieses Titels geregelt. Hiernach waren dem Beisitzer durch den Kammerrichter zunächst im Beisein von zwei oder drei Beisitzern und sofern dies nicht half im Beisein aller Assessoren seine Untauglichkeit und Mängel mit zu teilen. Ferner sollte der Kammerrichter ihn warnen, dass er nach der Ordnung gegen ihn handeln müsse und er sein Verhalten zu bessern bzw. abzustellen habe. Wenn der Beisitzer dem nicht nachkam hatte der Kammerrichter dies dem Stand zu melden, welcher den Beisitzer präsentiert hatte, damit diese den Beisitzer innerhalb von sechs Monaten durch einen tauglichen ersetzt. 307 Vgl. RKGO 1555 Teil 3 Tit. 51.
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In der Sache war das Verbot von Appellation und insbesondere der Sup plikation als an den Kaiser gerichtete Rechts- bzw. Gnadenbitte nicht neu. Schon § 25 der RKGO von 1495 forderte den „gestracken Lauf“ des Gerichts und sowohl das RKG selbst, als auch die Stände hatten sich im Laufe der Zeit immer wieder gegen eine Einmischung des Kaisers in Entscheidungen des Gerichts gewendet. Hierbei handelte es sich in der Regel jedoch zumeist um Einzelfälle und ein wirkliches Konkurrenzverhältnis zwischen dem RKG und dem Kaiser bzw. dessen Hofrat bestand noch nicht.308 Eine ausgeprägte kaiserliche Gerichtsbarkeit war aufgrund der häufigen Abwesenheit Kaiser Karls V. vom Reich in den Jahren nach 1521 nicht vorhanden und das RKG stellte nach Ansicht der Zeitgenossen die höchste Justizbehörde im Reich dar.309 Eine konkurrierende Gerichtsbarkeit entwickelte sich erst ab dem Stillstand des RKG zwischen 1544 und 1548. Der von Karl V. auf eigene Kosten weiter beschäftigte Kammerrichter und die vier Beisitzer waren in ihrer Tätigkeit im Wesentlichen auf sog. Extrajudizial sachen wie die Einleitung von Appellationsprozessen und die Erkennung von Mandaten und Monitorien in Landfriedens- und Reichsanlagesachen beschränkt.310 Endurteile konnten von dieser Notbesetzung nicht erlassen werden, da hierzu acht Beisitzer erforderlich waren.311 Nachdem auf den beiden Reichstagen von 1545 und 1546 keine Einigung über die Wiederaufrichtung des RKG zustande kam,312 wurde in RA 1546 § 9 festgestellt, dass aufgrund dieser Unfähigkeit zur Abfassung von Endurteilen „allerley unerörterte rechtliche Sachen, welche ohn sonder Nachtheil, ein solche Zeit und so lang nicht wol ferner verschoben [werden können], […] nicht erledigt werden mögen“. Zur Vermeidung dieses Missstandes sollte der Kaiser „auf anruffen der Recht begehrenden Partheyen, in solchen Sachen, auch mitlerweil solche Verordnung und Fürsehung thun, wie bey unseren Vorfahren am Reich, Röm. Kaysern und Königen gebräuchlich gewesen, und herkommen ist.“313 Unter dem Verweis auf die Unfähigkeit zur Urteilsfindung des RKG und der Berufung auf altes Herkommen wurde den Parteien so kurzerhand die Möglichkeit eingeräumt, zur Durchsetzung ihrer Rechte statt des RKG den Kaiser anzurufen. Der Kaiser hatte somit seine althergebrachte Stellung als oberster Ge308 Vgl. Smend, Reichskammergericht, S. 166–167; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 376; Sprenger, Viglius, S. 21; Bröhmer, Einwirkungen, S. 23; Harpprecht, Staats archiv, 5. Teil, S. 1. 309 Vgl. Smend, Reichskammergericht, S. 166, 167 mit Fn. 1. 310 Smend, Reichskammergericht, S. 171. 311 RA 1546 § 9 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 526; vgl. auch Dick, Entwicklung, S. 82; Smend, Reichskammergericht, S. 172. 312 Vgl. RA 1545 § 13 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 520 und RA 1546 § 7 ebenda, S. 525. 313 RA 1548 § 9 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, 526.
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richtsherr wiedereingenommen und die Aufgabe des RKG als oberstes Gericht übernommen. Natürlich handelte es sich hierbei um eine Maßnahme, die aus der Not des Stillstandes des RKG geboren war und nicht darauf abzielte, dem Gericht seine Kompetenzen gegen dessen Willen zu entreißen. Auf dem Reichstag 1546 forderte er die Stände vielmehr auf, das RKG schleunigst wiederzubesetzen.314 Ebenso wenig dachte der Kaiser zu dieser Zeit wohl an eine langfristige Übernahme der reichskammergerichtlichen Rechtsprechungstätigkeit in eigene Hände.315 Im RA von 1546 war lediglich die Rede davon, dass er „mitlerweil solche Verordnungen und Fürsehungen“316 vornehme. Zudem wurde in § 7 desselben Reichsabschieds angekündigt, dass man auf dem kommenden Reichstag „endlich und gewißlich“ eine Einigung über die Besetzung und eine Wiederrichtung des RKG herbeiführen wolle.317 Der Umstand, dass die Möglichkeit den Kaiser anzurufen, nur als Übergangslösung für die Zeit des Stillstandes des RKG gedacht war, änderte jedoch nichts daran, dass die Parteien zur Durchsetzung ihrer Rechte vorübergehend tatsächlich den RHR anriefen. Dies führte einerseits zu einem Zuwachs von Ansehen und Bedeutung des RHR und andererseits zu einem Machtverlust des RKG.318 Nachdem das RKG 1548 wiederaufgerichtet worden war, kam es zwar zu umfangreichen Verweisungen und Remissionen von Rechtssachen an das RKG, allerdings hat der RHR auch danach weiterhin Rechtstreitigkeiten entschieden.319 Auf diese Weise kam es zwischen dem RKG und dem RHR, der sich ab 1544 immer mehr zur Justizbehörde erweiterte, zu einer anhaltenden Konkurrenz.320 Natürlich war es auch vor dem Stillstand des RKG immer wieder dazu gekommen, dass der Kaiser einzelne Rechtsachen an sich zog oder von Parteien angerufen wurde. Sofern dies vorkam, protestierten die Stände und das RKG hiergegen oder ignorierten sogar teilweise Weisungen des Kaiser. Allerdings scheinen diese Vorfälle nicht so häufig vorgekommen zu sein, dass 314 Harpprecht,
Staatsarchiv, 6. Teil, S. 11, 12. Smend, Reichskammergericht, S. 172; Bröhmer, Einwirkungen, S. 24; vgl. auch Ranke, Dt. Geschichte, IV, S. 304, der mitteilt der Kaiser habe vor dem Krieg mit dem schmalkaldischen Bund auf Nachfrage gegen wen er sich zum Krieg rüste u. a. geantwortet: „[…] es seien die, welche unter dem Scheine der Religion […] die Rechtspflege des Reiches nicht leiden wollen […].“ Folglich war der Kaiser daran interessiert, den Zustand vor der Rekusation des RKG durch die Mietglieder des Bundes zu wahren. 316 RA 1546 § 9 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 526. 317 RA 1546 § 7 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 318 Harpprecht, Staatsarchiv, 6. Teil, S. 1; Bröhmer, Einwirkungen, S. 24, ihm folgend Sprenger, Viglius, S. 21, Fn. 18; Smend, Reichskammergericht, S. 172. 319 Vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 6. Teil, S. 1 und 6–8. 320 Bröhmer, Einwirkungen, S. 23; Harpprecht, Staatsarchiv, 6. Teil, S. 1. 315 Vgl.
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für das RKG oder die Stände eine Veranlassung bestand, grundsätzliche Maßnahmen dagegen zu ergreifen,321 welche über die Aufforderung, den ge strackten Lauf des RKG zu wahren, hinausgingen. Mit dem Stillstand des RKG und dem hieraus resultierenden Aufschwung der Rechtsprechungstätigkeit des RHR kam es jedoch zu einer neuen Konkurrenzsituation, die es notwendig machte, jeden Anhaltspunkt für eine Zuständigkeit des RHR bzw. des Kaisers zu vermeiden. Aus diesem Grund wurde die Supplikation verboten und die Verwendung des Begriffes in der RKGO von 1548 vermieden. Die Revision stellte nicht etwa ein neues Rechtmittel dar, sondern war die Weiterentwicklung dessen, was in RA 1532 § 17 noch mit dem Begriff „supplicieren“ umschrieben war. Die Revision wurde lediglich genauer ausgestaltet und einer differenzierteren Regelung zugeführt. Im Kern aber handelt es sich bei ihr noch immer um eine Überprüfung reichskammergerichtlicher Urteile durch die Visitation unter Ausschluss neuer Tatsachen. Die Einführung des Begriffs Revision und das explizite Verbot der Supplikation ist dem Umstand geschuldet, dass durch den Bedeutungszuwachs des RHR während des Schmalkaldischen Krieges eine konkurrierende kaiserliche Gerichtsbarkeit entstanden war und dem Begriff der Supplikation, als ursprünglich an den Kaiser gerichtete Gnadenbitte, infolgedessen plötzlich politisches Gewicht zukam.322 Durch das Aufkommen eines dauerhaften kaiserlichen Gerichts, welches für sich beanspruchte, gleichrangig neben dem ständischen RKG zu stehen, gewann der Begriff der Supplikation Bedeutung im Streit um die Zuständigkeit.323 Der Begriff der „supplicatio“ ließ sich auch so auslegen, dass zur Überprüfung reichskammergericht licher Urteile unmittelbar der Kaiser angerufen werden konnte und eröffnete dem Kaiser so die Möglichkeit, Urteile des RKG zu kassieren.324 Eine derartige Lesart des Begriffes Supplikation widersprach natürlich grund legend der ständischen Prägung des Gerichts und dessen Unabhängigkeit vom Kaiser. Zur Vermeidung einer Assoziation des Rechtsmittels mit dem Kaiser und um die Unabhängigkeit des RKG vom Kaiser deutlich zu machen, wurde daher das bisher Supplikation genannte Überprüfungsverfahren auch begrifflich von der Person des Kaisers gelöst. Der nicht mehr pas321 Ebenso Sellert, Prozessgrundsätze, S. 376, welcher der Ansicht ist, die Verwendung des Begriffs der „supplicatio“ in RA 1532 sei ein Anhaltspunkt dafür, dass zu diesem Zeitpunkt der Kaiser und dessen Hofrat noch nicht spürbar in die Kompetenzen des RKG eingegriffen hatten. 322 So schon Sellert, Prozessgrundsätze, S. 376. 323 Sellert, Prozessgrundsätze, S. 376, der allerdings davon ausgeht, dass die Supplikation erst in RKGO 1555 verboten wurde. 324 Sellert, Prozessgrundsätze, S. 375–376; Schulz, Einflussnahme, S. 110.
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sende Begriff „Supplikation“ wurde in der RKGO durch den der Revision ersetzt.325 l) Entwicklung der Revision nach 1555 In den ersten Jahrzenten nach der klarstellenden Neuregelung wurden relativ selten Revisionen eingelegt und sofern tatsächlich von dem Rechtsmittel Gebrauch gemacht wurde, handelte es sich überwiegend um bedeutendere Rechtssachen mit reichsständischer Beteiligung.326 Im Jahre 1559 wurde in der Sache Markgraf Johannes von Brandenburg-Küstrin gegen die Brüder von Borck Revision eingelegt, welche in den folgenden Jahren die Visitationen beschäftigte, bis sie aufgrund eines Hinweises der Revisoren ab 1564 nicht weiterverfolgt und schließlich 1576 durch Vergleich beendet wurde.327 Während der Visitation 1564 wurde zudem die Revision in Sachen H. von Westhofen gegen G. von Westhofen verhandelt, über welche allerdings nur berichtet wird, dass H. von Westhofen durch sein „kläglichs bittlichs unterthäniges Ersuchen“ eine Ermäßigung des Sukkumbenzgeldes von 700 auf 400 Fl. erreichen konnte.328 Der Revisionsprozess nahm dann zwar seinen ordentlichen Lauf, allerdings ist der Ausgang des Verfahrens nicht bekannt.329 325 Vgl. hierzu schon Sellert, Revision (Supplikation), S. 34; ders., Prozeßgrundsätze, S. 376, 377; ders., Problematik, S. 409; Weitzel, Rechtsmittel, S. 17, 18. 326 So Smend, Reichskammergericht, S. 192, der allerdings für die Zeit von 1559 bis 1589 von lediglich sieben eingelegten Revisionen ausgeht. Mencke, Visitationen, S. 127–129, zählt für den gleichen Zeitraum allerdings ein gutes Dutzend Revisionen auf. 327 Hierzu ausführlich Mencke, Visitationen, S. 100, Fn. 558. Die Verzögerungen bei der Bearbeitung der Revision resultierten daraus, dass das RKG einen Ausschluss der Gesandten des Kurfürsten von Brandenburg, eines Bruders des Revisionsklägers, von der Entscheidung über die Revision bewirkte und der Revisionskläger, das auf der folgenden Visitation 1560 auferlegte Sukkumbenzgeld von 4000 Gulden nie zahlte. Statt die Revision zu verwerfen, haben die Revisoren den Anwälten des Markgrafen während der Visitation 1564 jedoch „zu bedencken geben, ob nicht nach Gelegenheit dieser Sachen, die Fürsorge zu tragen, daß […] Marggraf Johannes des Gelts, so zu erlegen oder zu verbürgen, leichtlich verlustig werden möchte dargegen aber weniger Gewinnst zu verhoffen. Wollten wir S.L. und F.G. nicht gern zu Verlust Ursach geben“, Nettelbladt, Vermehrter Bericht, S. 52. Die brandenburgischen Vertreter nahmen den Hinweis dankend zur Kenntnis und verfolgten die Sache nicht weiter. Zu einem endgültigen Abschluss des Rechtsstreits kam es 1576 durch einen Vergleich, in welchem der Markgraf weitestgehend nachgab, vgl. hierzu Smend, Forschungen, S. 182. Vgl. allgemein Mencke, ebenda, S. 99–100 und Fn. 558; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 73, 78, 79; Nettelbladt, Vermehrter Bericht, Anhang, S. 51–53. 328 Nettelbladt, Vermehrter Bericht, Anhang, S. 53; vgl. auch Häberlin, Reichsgeschichte V, S. 663. 329 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 79; Mencke, Visitationen, S. 105, Fn. 585.
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Bemerkenswert ist das Revisionsurteil in Sachen Rudolph Häuser gegen Urban Beloisier & Konsorten aus dem Jahre 1574, in welchem die „Revision, aus vielfältig erheblichen und beständigen Ursachen, nicht statt zu geben, sondern hiermit gäntzlich abgeschlagen und der Supplicant von wegen solches seines freventlichen Fürnehmens und Muthwillens ein Monath lang mit dem Thurm zu Wasser und Brod zu strafen seyn soll.“330 Im Falle mutwillig eingelegter Revisionen stand es im Ermessen der Revisoren den Revisionskläger der Person und Sache angemessen zu bestrafen.331 In der Regel bestand die Strafe in der Zahlung eines bestimmten Geldbetrages. Bei armen Parteien, deren Revisionen grundsätzlich umsonst revidiert werden mussten, wurde „ihre Verwegenheit mit dem Thurm gestrafet.“332 In den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts kam es zu einem Anstieg der eingelegten Revisionen und auf beinahe jeder Visitation wurde mindestens ein Urteil des RKG angefochten.333 Bei den Revisionen Niklas Brom gegen die Stadt Frankfurt im Jahre 1581,334 Herzog von Lothringen gegen Kurpfalz 1586,335 Stadt Worms gegen Bischof von Worms 1587,336 Viermund gegen Viermund 1587337 und Kurpfalz gegen Speyer 1587338 ist nicht ersichtlich, ob diese überhaupt durch ein Urteil beendet wurden und wie dieses gegebenenfalls ausgefallen ist. In denjenigen Verfahren, in welchen eine Entscheidung ergangen ist, fiel dieses bis auf einen Fall immer gegen den Revisionskläger aus. Das reichskammergerichtliche Urteil wurde bestätigt oder die Revision erst gar nicht angenommen.339
330 CJC,
S. 325. DepA 1557 § 27, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 157. 332 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, Vorbericht, S. 39. Hinsichtlich vermögens loser Personen wurde später ausdrücklich Leibesstrafe angeordnet, vgl. JRA § 126, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663, 664. 333 Mencke, Visitationen, S. 128. 334 Borie, Beyträge … die Revision und derselben Prorogation betreffend, S. 30, 31. 335 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 104; Borie, Beyträge … in Ansehung des gebührlichen Einsehens, S. 110–114; ders., Beyträge … die Ausschreibung besagter ordinari Visitationen, S. 55, 56; Häberlin, Reichsgeschichte XIV, S. 458. 336 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, Vorbericht, S. 37, 38; Borie, Beyträge … die Ausschreibung besagter ordinari Visitationen, S. 61, 62. 337 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, Vorbericht, S. 37; Borie, Beyträge … die Ausschreibung besagter ordinari Visitationen, S. 62–64. 338 Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, Vorbericht, S. 37, Borie, Beyträge … die Ausschreibung besagter ordinari Visitationen, S. 64–65. 339 Vgl. Mencke, Visitationen, S. 127–129. 331 Vgl.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Lediglich in der Sache Bayern gegen Graf zu Ortenburg war die Revision erfolgreich und die Revisoren entschieden, dass die „Mandata wieder zu cassieren und auffzuheben seyen“.340 Die Revisionen der Gemeinde Freyensee gegen den Grafen zu Solms von 1580,341 des Grafen zu Solms gegen Freyensee von 1583,342 der Stadt Nürnberg gegen den Markgraf von Brandenburg von 1584343 und des Pfalzgrafen Johann Casimir gegen den Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg, Herzog Ludwig von Württemberg und Landgraf Ludwig von Hessen von 1585344 wurden jeweils gegen die Revisionskläger entschieden. Die letztgenannte Revision345 des Pfalzgrafen Johann Casimir beschäftigte die Visitationen über mehrere Jahre hinweg. Das lag zum einen an Einwendungen gegen die gesandten Revisoren durch das RKG346 und andererseits an verschiedenen Versuchen des Pfalzgrafen, eine Entscheidung hinauszuzögern.347 Nachdem die Revision in diesem sogenannten kurpfälzischen Vor340 CJC, S. 408; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 100. Nach Mencke, Visitationen, S. 128, 129, handelt es sich hierbei um „die einzige erfolgreiche Revision in der Geschichte des RKG.“ 341 Die Gemeinde Freyensee hatte anscheinend versucht, die Revision zurückzuziehen. Was eine Verurteilung zur Tragung der Kosten und einer Strafe i. H. v. vier Mark löthigen Golds allerdings nicht mehr verhinderte. CJC, S. 382; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 96. 342 CJC, S. 408; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 100; Nettelbladt, Vermehrter Bericht, S. 109, 110. 343 Die Entscheidung wurde zunächst auf die nächste Visitation verschoben, weil einer der zur Revision verordneten Stände nicht anwesend war, zu einem Urteil kam es dann allerdings erst 1587. Vgl. Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 101, 102; CJC, S. 450; Nettelbladt, Vermehrter Bericht, Anhang, S. 114, 115; Häberlin, Reichsgeschichte XIV, S. 210–220; Fortgesezte Reverien, S. 86–92; Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, Vorbericht, S. 37. 344 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 103, 109, 110; Häberlin, Reichsgeschichte XIV, S. 220–234; 630–635; Fortgesezte Reverien, 152. 345 In der Sache ging es darum, dass der pfälzische Kurfürst Ludwig VI. aus Angst, sein Bruder Pfalzgraf Johann Casimir würde seinen Sohn nach der reformierten Religion und nicht lutherisch erziehen und diese auch im Land einführen, in seinem Testament den Pfalzgrafen Reichard von Simmern, den Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg, den Herzog Ludwig von Württemberg und den Landgrafen Wilhelm von Hessen als Mitvormünder seines Sohnes einsetzte. Pfalzgraf Johann Casimir übernahm jedoch die Vormundschaft und die Regierung der Länder ganz alleine und ließ eine Beteiligung der übrigen im Testament genannten nicht zu, woraufhin diese eine kammergerichtliches Urteil gegen ihn erwirkten, welches er mit der Revision angriff, vgl. Häberlin, Reichsgeschichte XIII, S. 496–498. 346 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 103; ausführlich Häberlin, Reichsgeschichte XIV, S. 211–220. 347 Ompteda, Cammergerichts –Visitationen, S. 109; ausführlich Häberlin, Reichsgeschichte XIV, S. 220–234, 630–635; Die Akten und Schriftsätze der Parteien finden sich in Fortgesezte Reverien, S. 95–152.
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mundschaftsstreit diverse Male auf die nächste Visitation verschoben wurde, kam es auf die wiederholte Aufforderung von Brandenburg, Württemberg und Hessen, die Revision möge endlich entschieden und nicht wieder vertagt werden, im Jahre 1589 zu einer Entscheidung, welche das kammergericht liche Urteil von 1584 bestätigte.348 Soweit ersichtlich handelt es sich hierbei um die letzte Revision gegen kammergerichtliche Urteile, die entschieden wurde.349 Die mit der Revision der kammergerichtlichen Urteile betrauten ordentlichen Visitationen fanden ab 1588 nicht mehr statt, so dass auch die eingelegten Revisionen nicht mehr entschieden wurden. Die Revision Johann Casimirs wurde aufgrund des Drängens von Brandenburg, Württemberg und Hessen trotz des Stillstandes der ordentlichen Visitationen mit dem Argument fortgesetzt, eine Revision müsse von denjenigen Ständen erledigt werden, welche einmal dazu verschrieben wurden.350 Im konkreten Falle hatte dies zur Folge, dass die Revision mit den Ständen der Visitation des Jahres 1585 fortgesetzt werden konnte, ohne dass hierzu eine ordentliche Visitation nötig war. Nachdem bereits 1588 erfolglos versucht worden war, alle revidierenden Stände zu versammeln, gelang dies schließlich 1589 und die Sache wurde mit einer das kammergerichtliche Urteil bestätigenden Entscheidung be endet.351 Wie bereits erwähnt fand 1588 keine Visitation statt. Der Kaiser hatte diese mit dem Hinweis auf „vor Augen schwebende unruhige Läuften am Rheinstrom und der benachbarten Oerter, auch andere mehr wichtige und bedenckliche Ursachen und Verhinderungen fürfallen“ kurzerhand abgesagt, obwohl der Erzkanzler schon mit den Vorbereitungen für die Ausschreibung begonnen hatte.352 Mit dieser Begründung bezog sich Kaiser Rudolph II. vordergründig auf die Unruhen, welche durch den Übertritt des Kölner Erzbischofs Gebhard zum Protestantismus und dessen Versuch, das Erzstift zu säkularisieren, verursacht wurden.353 Hierbei scheint es sich allerdings nur um eine vorgeschobene Begründung für die Absage der Visitation zu handeln. Der wahre Grund dürfte darin bestanden haben, dass bei dieser Visitation der Administrator des Erzstifts Magdeburg, Markgraf Joachim Friedrich von Brandenburg, unter den nach der Ordnung zur Visitation berufenen Ständen war und die Katholiken in seiner Zulassung zur Visitation eine Ge348 Das Endurteil in Fortgesezte Reverien, S. 152. Vgl. auch Mencke, Visitationen, S. 129. 349 So Mencke, Visitationen, S. 129. 350 Vgl. Häberlin, Reichsgeschichte XIV, S. 459; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 109. 351 Vgl. Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 109, 110; Fortgesezte Reverien, S. 149–152. 352 Nettelbladt, Vermehrter Bericht, Anhang, S. 141–143. 353 Gatzert, S. 62, 63 und S. 52, 53; ebenso Mencke, Visitationen, S. 112.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
fahr für die Wirksamkeit des geistlichen Vorbehalts354 sahen.355 Tatsächlich hatte Markgraf Joachim Friedrich als protestantischer Administrator seine Herrschaft im Erzstift Magdeburg nicht aufgegeben. Die katholischen Stände sahen darin einen Verstoß gegen den geistlichen Vorbehalt. Daher wurden ihm Sitz- und Stimmrecht auf Reichstagen verweigert und die katholischen Stände bezweifelten sein Recht, bei besonderen Reichszusammenkünften und der Visitation des Kammergerichts zu erscheinen.356 In der Zulassung des Markgrafen zur anstehenden Visitation hätte eine indirekte Billigung seines Verstoßes gegen den geistlichen Vorbehalt gesehen werden können. Ein Austausch des Markgrafen durch einen anderen Stand war jedoch auch nicht möglich, weil die Berufung der Stände nach einer bestimmten festgelegten Reihenfolge zu erfolgen hatte. Das auf dem Reichstag 1566 festgelegte Schema, nach welchem die Stände zur jährlichen Visitation berufen wurden, wurde auch in der Folgezeit nicht geändert. Somit bestand das Problem auch in den folgenden Jahren fort, was zur Absage aller folgenden ordentlichen Visitationen führte.357 Aufgrund des hierdurch eingetretenen Stillstandes der ordentlichen Visitation wurde der Reichsdeputation durch RA 1594 § 98 übertragen, „extraor dinarie, und sine praejudicio“ das RKG zu „visitieren, und die gefundene Mängel, in personis & rebus [zu] ändern, [und zu] verbessern“.358 Dieser Auftrag zur Durchführung der Visitation äußerte sich jedoch nicht explizit zur Bearbeitung und Entscheidung der mittlerweile 11 anhängigen Revisionen, sodass es zwischen dem Kaiser und dem Erzkanzler zu Meinungsverschiedenheiten kam, ob die Revisionen von der Deputation zu entscheiden seien.359 Der Kaiser war der Auffassung, dass „die Revision der Visitation 354 Der „geistliche Vorbehalt“ wurde zur Wahrung des geistlichen Besitzstandes i. R. d. Augsburger Religionsfriedens in RA 1555 § 18 geregelt und hatte zum Inhalt, dass ein katholischer, geistlicher Territorialherr, der vom katholischen zum evangelischen Glauben wechselte, seine Herrschaft über das Erzbistum, Bistum, Prälatur oder ähnliches abgeben musste, vgl. Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 18. 355 Gatzert, S. 61–64; Bröhmer, Einwirkungen, S. 22; Mencke, Visitationen, S. 112., Pütter Historische Entwicklungen II, S. 27, sieht den Grund für die Aussetzung der Visitation darin, dass es erstmals zu einer evangelischen Stimmenmehrheit von fünf evangelischen zu zwei katholischen Stimmen gekommen wäre. Mencke, ebenda, S. 113, sieht den ausschließlichen Grund für die Aussetzung in der „politisch ungleich bedeutenderen Frage nach der Durchsetzbarkeit des geistlichen Vorbehalts“ und bezweifelt Pütters Ansicht. Wobei unverständlich ist, warum nicht beide Gründe, wenn auch mit unterschiedlichem Gewicht, zu der Aussetzung geführt haben können, so im Erg. auch Danz, Grundsätze, S. 628. 356 Gatzert, S. 61; Mencke, Visitationen, S. 112. 357 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 112; Nettelbladt, Vermehrter Bericht, Anhang, S. 143; Mencke, Visitationen, S. 113. 358 Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 437.
II. Revision gegen Urteile des RKG77
anhängig sey, und die Reichsversammlung den Deputirten alle Gewalt, die sonst bey ordentlichen Visitationen gebräuchlich sey, aufgetragen hätte“ und hatte seinen Kommissaren Vollmacht erteilt, neben der allgemeinen Visitation auch die Revisionen zu erledigen.360 Der Erzkanzler war jedoch gegen eine Erörterung der Revisionssachen auf diesem Deputationstag und setzte sich mit seinen Bedenken anscheinend auch durch. Jedenfalls wurden die anhängigen Revisionen nicht erledigt.361 Hieraufhin wurde der nächsten Reichsdeputation von 1600 erneut die Durchführung der allgemeinen Visitation des RKG aufgetragen362 und zusätzlich ausdrücklich angeordnet, dass diese zudem alle bereits anhängigen und vor dem Ende der Deputation hinzukommenden Revisionen „fürnehmen, erledigen, und darüber erkennen und sprechen“ soll.363 Wie der Deputationsabschied berichtet, wurden „die Paeparatoria der gesuchten Revisionen vorgenommen und so weit verfahren, dass man zur Tractation derselben gera then“ war, als „etliche Gravamina eingegeben“ wurden, welche eine Fortsetzung der Beratungen unmöglich machten.364 Der Deputationstag löste sich hieraufhin zunächst auf, versuchte allerdings im folgenden Jahr 1601 die Hindernisse zu beseitigen und die zwischenzeitlich 36 anhängigen Revisionen zu entscheiden.365 Die eingegebenen „Gravamina“ betrafen den sogenannten „Vierklosterstreit“, welcher sich um die Frage drehte, ob die Reichsstände auch nach dem Religionsfrieden mittelbare Klöster säkularisieren und einziehen konnten.366 Das RKG war in vier Fällen367 der Ansicht gewesen, dass dies nicht der Fall sei, und entschied auf Restitution der eingezogenen Klöster.368 Die Entscheidung der hiergegen eingelegten Revisionen hatte nicht nur Konsequenzen für die konkreten Streitsachen, sondern gefährdete als Präzedenzfall den mittlerweile erheb 359 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 123–125; vgl. auch Mencke, Visitationen, S. 129. 360 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 124. 361 Vgl. Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 125, Smend, Reichskammergericht, S. 193. 362 RA 1598 § 59, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 462. 363 RA 1598 § 62, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 463. 364 DepA 1600 § 151, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 496. 365 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 141–143. 366 Vgl. Mencke, Visitationen, S. 130. 367 Kartheuser gegen Graf von Öttingen wegen des Klosters Christgarten, Karmeliter gegen Reichsritter von Hirschhorn, Bischof zu Speyer gegen Markgraf Ernst Friedrich von Baden und Graf von Eberstein wegen des Klosters Frauenalb, St. Magdalenen Kloster gegen Straßburg, Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 141; Smend, Reichskammergericht, S. 191. 368 Mencke, Visitationen, S. 130.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
lichen protestantischen Besitzstand an ehemals geistlichem Gut, welchen die evangelischen Stände durch die Einziehung von Stiften und Klöstern erlangt hatten.369 Aufgrund der weitreichenden finanziellen und politischen Bedeutung der Sache forderten die Protestanten zunächst eine paritätische Besetzung der Revisionskommission, um eine nachteilige Entscheidung zu vermeiden. Nachdem sich allerdings herausstellte, dass die Entscheidung des RKG von den meisten protestantischen Beisitzern mitgetragen wurde und auch einige protestantische Revisoren diese Rechtsauffassung vertraten, forderten Kurpfalz, Kurbrandenburg und Braunschweig, die betreffenden Streitsachen an den Reichstag zu verweisen, was zur Auflösung der Deputationsversammlung von 1601 führte.370 Mit der Auflösung dieser Reichsdeputation wurde auch „die Revision zu Grabe getragen“, da es bis zum Ende des RKG trotz wiederholter Bemühungen nicht gelang, die ordentlichen Visitationen wiederzubeleben und mit ihr auch „die Revisionen gänzlich aufgehöret haben“.371 Dieser Umstand hatte jedoch nicht zur Folge, dass weniger Revisionen eingelegt wurden. Erstaunlicherweise stieg die Zahl der Revisionen vielmehr an, so dass 1607 weit über 150 und 1613 schon 300 Revisionen unerledigt liegen blieben.372 Für die Mitte des 17. Jahrhundert wird die Zahl der unerledigten Revisionen auf etliche tausend,373 teilweise sogar auf über 20.000374 geschätzt. Realistisch dürfte es sein von ungefähr 2.000 Revisionen auszugehen, bei welchen „die Zeit die Stelle des Urtheils vertreten“ hat.375 Angesichts der Zunahme der Revisionen und des Stillstandes bei der Er ledigung hatte das RKG bereits in den „dubia cameralia“ von 1595 ver schiedene Maßnahmen vorgeschlagen, um eine ausufernde Verwendung des Rechtsmittels zu verhindern und die Auswirkungen der fehlenden Erledigung abzumildern. Zur Vermeidung leichtfertiger oder gar mutwilliger Revisionen wurde vorgeschlagen, von der Revision einlegenden Partei und ihrem Advokaten ein „Juramentum Calumniae ad Exemplum Juramenti Appelationis“ zu 369 Mencke,
Visitationen, S. 130. Visitationen, S. 130, 131 m. w. N. 371 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 152; vgl. auch Danz, Grundsätze, S. 628. 372 Mencke, Visitationen, S. 132. 373 Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 177; Neurode, Verfassung, S. 565. 374 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 399. Balemann, Visita tionschlüsse, S. 331, weist jedoch zu Recht darauf hin, dass es sich bei dieser Zahl wohl um einen Schreibfehler handele und es 2.000 heißen müsse, da in der Zeit von 1600 bis 1653 niemals 20.000 Urteile ergangen seien, zumal in dieser Zeit das RKG aufgrund des 30-jährigen Krieges lange still stand. 375 So Balemann, Visitationsschlüsse, S. 331, 332; ihm folgend Mencke, Visitationen, S. 132. 370 Mencke,
II. Revision gegen Urteile des RKG79
verlangen,376 die Einlegung des Rechtsmittels von einer Mindestbeschwer abhängig zu machen377 und die Sukkumbenzgelder zu erhöhen sowie zudem gesonderte Strafen zu verhängen.378 Darüber hinaus wurde gefordert, die suspensive Wirkung der Revision zu beschränken, um so die Urteile des RKG nicht völlig zu entwerten und das Ansehen des Gerichts zu stärken.379 Eine Beschränkung der vollstreckungshemmenden Wirkung der Revision wurde in DepA 1600 § 144 allerdings ausdrücklich abgelehnt.380 Auch von den übrigen Vorschlägen wurde lediglich die Einführung eines Revisions eides in abgeschwächter Form, nämlich nur auf Verlangen der Gegenpartei, in DepA 1600 § 145 in die Tat umgesetzt.381 Der mit dem Revisionseid angestrebte Zweck, „daß unser Cammer-Gericht mit denen bißhero zu sonderer Vernachtheilung der Justitien und derselben Execution indifferenter ohne allen Unterschied gesuchten Revisionen nicht so vielfältig molestirt und beschwert werde“,382 wurde jedoch anscheinend nicht erreicht. In den Jahren von 1707–1713 und 1767–1776 kam es zwar wieder zu außerordentlichen Visitationen, allerdings wurden während dieser keine Revi sionen bearbeitet.383 m) Kritik und Verbesserungsvorschläge des RKG hinsichtlich der Revision Während nun einerseits tatsächlich keine Revisionen durchgeführt wurden, wurden andererseits Vorschläge zur näheren Ausgestaltung und Verbesserung der Revision gemacht.
376 Dub.
122 § 9, CJC, S. 520.
377 Ebenda. 378 Dub.
122 § 16, CJC, S. 521. Dub. 122 § 8, CJC, S. 519. Nach Ansicht des RKG sollte, wenn die Revision erkennbar nicht innerhalb eines Jahres seinen Fortgang finden werde, anhand der Akten überprüft werden, ob das „vorige Urtheil den Rechten gemäß, und mit Fug & de Jure nicht möge retractirt werden“. Wurde im Rahmen dieser Überprüfung das Urteil für rechtmäßig erachtet, sollte in der Sache „procedirt werden“. War mit der Vollstreckung des Urteils allerdings ein „gravissimum & irreparabile damnum, & periculum personae & vitae“ verbunden, „sollte dißfalls nicht geschritten, sondern damit deß Außgangs Revisionis erwartet, und interim still gestanden“ werden. 380 Vgl. Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495; vgl. hierzu auch unten S. 115. 381 Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495. 382 DepA 1600 § 145, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495. 383 Danz, Grundsätze, S. 629; Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 152; Mencke, Visitationen, S. 130. 379 Vgl.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Vor dem Frankfurter Deputationstag 1643 wurde das RKG beauftragt, ein Gutachten über die Verbesserung des Justizwesens384 zu erstellen, in welchem es u. a. darauf einging, wie die häufigen Revisionen zu vermeiden und denselben zu begegnen sei.385 Das Gutachten wurde auf dem Deputationstag, dessen Beratungen und Ergebnisse hinsichtlich der Verbesserung der Justizpflege maßgeblichen Einfluss auf den Jüngsten Reichsabschied 1654 hatten,386 überreicht und besprochen. In dem die Revision betreffenden Teil forderte das RKG, „daß die Revisiones totaliter möchten aufgehoben und abgethan werden, in reiffer Betrachtung, daß solche nichts andres seynd, dann refugium temere litigantium“.387 Allgemein wurde kritisiert, dass die Revision eine effektive Rechtsprechung behindere, da sie die Exekution aufhalte und „die Justitia gesteckt, und gleichsam gar zu Boden gelegt werden, dann je nichts nothwendiger, denn daß dermahleins finis litium gemacht, und was in supremo Judicio einmahl geschlossen, und decidirt, seinen würcklichen effectum erreichen, und ohne weitere Ausflucht exequirt und vollnzogen werden sollte“.388 Die Begründung dieser Forderung ähnelten teilweise den Argumenten in der Beschwerde des RKG gegen die ersten Syndikatsklagen 1538 / 39.389 Einerseits wurde argumentiert, aufgrund der Besetzung und des Verfahrens am RKG seien unrechtmäßige Urteile nicht zu erwarten. So wurde erneut vorgetragen, dass nicht „zu vermuten sei, dass [am RKG]von so vielen mehrenteils vornehmen Juris Consultis und nach so stracker Deliberation und Erwegung der Sachen, etwas wider die Jura solte geschlossen oder pronuncirt werden“.390 Ebenso wurde erneut darauf hingewiesen, dass die Revision sowohl aufgrund ihrer tatsächlichen Ausgestaltung, als auch aufgrund der mangelnden Qualifikation der Revisoren grundsätzlich nicht geeignet sei, eine angemessene Überprüfung der reichskammergerichtlichen Urteile durchzuführen. Die wenigen Revisoren könnten in der kurzen Zeit der Visitation die Akten nicht ebenso gründlich durcharbeiten und abwägen, wie dies am RKG getan werde, zumal diese Revisoren zumeist mehr mit der Praxis der Territorialgerichte als der des RKG vertraut seien.391 Außerdem würden sich für die Stelle als Assessor künftig keine qualifizierten Personen mehr finden lassen, wenn sie ständig solche „Syndicationes“ zu befürchten haben.392 384 Das Gutachten findet sich bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 132–159. 385 Vgl. Neurode, Verfassung, S. 502. 386 Lang, Lehre, S. 148. 387 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 151. 388 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 152. 389 Vgl. oben S. 57–59. 390 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 152. 391 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 152. 392 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 152.
II. Revision gegen Urteile des RKG
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Ein weiteres Argument wurde aus einem Vergleich mit den territorialen Obergerichten gezogen. Das RKG war der Ansicht, dass eine Überprüfung seiner Urteile mit der vielfältigen Vergabe von Privilegia in optima forma de non appellando ad Cameram an die Stände und sogar an gemeine Reichsstädte nicht vereinbar war. Durch die Vergabe dieser Privilegia komme die Annahme und Überzeugung zum Ausdruck, dass die Gerichte der privilegierten Stände und Städte dermaßen bestellt sind, dass sie keiner weiteren Überprüfung bedürften. Vor diesem Hintergrund sei unverständlich, warum Kaiser und Stände, welche dieses höchste Gericht selbst mit Urteilern besetzten und in ihren Präsentationsschreiben stets deren Geschicklichkeit und Qualifikation rühmten, nicht auch in die Fähigkeiten, Erfahrung und Redlichkeit der Assessoren vertrauten und die Urteile des RKG ohne weitere Überprüfung vollstreckten. Auf den bisherigen Visitationstagen seien die Urteile des RKG, bis auf wenige Ausnahmen, ebenfalls fast ausschließlich bestätigt und schließlich vollstreckt worden. Das RKG forderte daher, dass dieses höchste und letzte Gericht, welches von den Ständen des Reiches, nach deren eigenen Angaben, mit erfahrenen und wohl qualifizierten Personen besetzt wurde, „nicht weniger Authorität, Respect und Reputation haben soll, dann ein anderer Stand, welcher der auch seye“.393 Zudem war die durch die Revision verursachte Wirkungs- und Ergebnislosigkeit der kammergerichtlichen Rechtsprechung aufgrund fehlender Beendigung der Rechtsstreitigkeiten und ausgesetzter Vollstreckung nach Ansicht des RKG für den dreißigjährigen Krieg mitursächlich. Eingedenk des Zustandes des Reiches „wird leichtlich zu finden seyn, daß neben andern Ur sachen, auch die Revisions-Sachen, neben Steckung des Justiz-Wesens, das ganze Röm. Reich in diese augenscheinliche Flamm und quasi total Ruin gestürzet haben.“394 Es sei zu besorgen, dass auch künftig „durch unruhige, und die keine Justitiam leiden können noch wollen“ auf jedes ergangene Urteil und unter Vorbringen aller möglicher Begründungen Revision gesucht werde, „wann diesem schädlichen Revisions-Werck nicht in der Wurzel abgeholffen werden sollte“.395 Zur Vermeidung „solch gefährlichen Unheil[s]“ solle „die Wurzel solches Unkrauts radicitus abgeschnitten, die Revisiones universaliter ufgehoben, und die in Camera von so vielen alt geübten und anderen von den Ständen selbst vor gnugsam qualificirt gehaltenen, und approbirten Assessoren wohl ponderirt und ausgesprochene Urthel“ in Kraft gelassen und vollstreckt werden.396
insgesamt Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 153. Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 153. 395 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 153. 396 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 153. 393 Vgl.
394 Meiern,
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Die Frage, inwieweit der Missbrauch der Revision tatsächlich zum Ausbruch des dreißigjährigen Krieges beigetragen hat, kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden. Allerdings scheint offensichtlich, dass die Revision in ihrer damaligen Ausgestaltung und Umsetzung zu einer Beendigung von Rechtsstreitigkeiten und somit zu einer Befriedung der Gesellschaft nicht beitragen konnte, sondern vielmehr Ansehen und Wirkung der reichskammergerichtlichen Urteile untergrub. Die ohnehin schon langwierigen Prozesse wurden durch die Revision zusätzlich verlängert und ein Ende des Rechtsstreits war aufgrund des Stillstandes der Visitationen überhaupt nicht mehr absehbar. Zudem führte die suspensive Wirkung der Revision dazu, dass das kammergerichtliche Urteil praktisch wertlos war. Anstatt durch eine effektive Überprüfung der kammergerichtlichen Urteile sicherzustellen, dass „niemandt an dem cammergericht unrecht geschehe“397, führte die Revision nun faktisch dazu, dass kaum jemand zu seinem Recht gelangte bzw. es nicht durchgesetzt werden konnte. Für den Fall, dass die Stände der Forderung, die Revision ganz abzuschaffen trotz dieser Argumente und der deutlichen Worte nicht nachkommen sollten und „ferner Diffidenz in das Collegium gesezt“ werde, machten die Verfasser des Gutachtens eine Reihe von Vorschlägen, um die festgestellten Probleme zumindest abzumildern.398 Eines ihrer zentralen Anliegen war die Aufhebung des Suspensiveffektes der Revision und eine unverzügliche Vollstreckung der kammergerichtlichen Urteile. Nach Ansicht der Assessoren könne „nichts billigers und denn Justiz-Wesen mehr ersprießlichers gefunden werden“, als dass die Urteile „ihren effectum erreichen, und lediglich ohne weitere Ausflucht Executioni sollten mandirt werden.“399 Die Stände sollten verordnen, dass die Revision, wenigstens solange, bis die ordentlichen Visitationen und Revisionen wieder in Gang gebracht werden, keinen Suspensiveffekt mehr haben und die Urteile vollzogen werden sollten. Eine derartige Regelung sei bei vernünftiger Auslegung auch aus dem Sinn der bisherigen Ordnung abzuleiten. Die Stände hätten ganz auf die Revision verzichtet oder jedenfalls den Suspensiveffekt eingeschränkt, wenn sie damals bei ihrer Einführung den langen Stillstand und die gravierenden Nachteile sowie die irreparablen Schäden für die Parteien vorhergesehen hätten.400 Mögliche aus der Vollstreckung resultierende Nachteile der vor dem RKG unterlegenen Parteien sollten dadurch vermieden werden, dass die obsiegende Partei für den Fall 1555 Teil 3 Tit. 53 § 1 in Laufs, RKGO 1555, S. 275. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 153–155. 399 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 153, 154. 400 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 154. 397 RKGO 398 Vgl.
II. Revision gegen Urteile des RKG
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einer Änderung des reichskammergerichtlichen Urteils eine Sicherheit leistete.401 Ferner wurde vorgeschlagen, die Frist zur Einlegung der Revision auf drei Monate zu verkürzen. Nach der damaligen Regelung war es möglich, dass der unterlegenen Partei fast ein ganzes Jahr blieb, um Revision einzulegen. Aufgrund der hieraus folgenden langanhaltenden Rechtsunsicherheit und verglichen mit der kurzen Appellationsfrist hielt das RKG diese lange Frist für unbillig.402 Innerhalb dieser Frist sollte ferner von dem Revidenten oder unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht von dem Prokurator vor dem RKG ein Revisionseid geleistet werden, andernfalls die gesuchte Revision nichtig sein sollte.403 Zudem wurde vorgeschlagen, dass die Höhe des von dem Revidenten zu erlegenden Sukkumbenzgeldes bereits von dem RKG, welches über die Sache am besten informiert sei, festzusetzen und bei diesem auch schon tatsächlich zu erlegen sei. Im Falle einer erfolglosen Revision solle gegen den Revident zusätzlich zu dem Verlust des Sukkumbenzgeldes je nach den Umständen des Falles noch eine Geld- oder Leibesstrafe verhängt werden.404 Hinsichtlich der Frage, wie die vielen bereits eingelegten Revisionen zu erledigen seien, vertrat das RKG die Ansicht, viele Parteien würden ihre Revision fallen lassen, sobald von den Revisoren das Sukkumbenzgeld festgesetzt werde. Zudem seien einige schon durch Vergleich erledigt worden. Die Parteien sollten aufgefordert werden, bei Verlust der Sache und Auferlegung der Kosten innerhalb einer bestimmten Frist zu erklären, ob sie die Revision fortsetzen wollten. Resignierend wurde abschließend festgestellt, dass auch bei diesem Vorgehen immer noch viele Revisionen übrig blieben und eine Erledigung zudem dadurch erschwert würde, dass fast alle an den Urteilen beteiligten Assessoren inzwischen verstorben seien. Aus diesem Grund sei auf einen gütlichen Vergleich hinzuwirken.405 n) Reaktion auf die Kritik und Reform der Revision durch den JRA In den anschließenden Beratungen des Deputationstages wurden die von dem RKG vorgebrachten Gründe und Motive für eine Abschaffung der Revision von den Gesandten der vertretenen Stände grundsätzlich für nachvoll401 Meiern,
Acta Acta 403 Meiern, Acta 404 Meiern, Acta 405 Meiern, Acta 402 Meiern,
comitialia comitialia comitialia comitialia comitialia
Ratisbonensia Ratisbonensia Ratisbonensia Ratisbonensia Ratisbonensia
II, II, II, II, II,
9. Buch, 9. Buch, 9. Buch, 9. Buch, 9. Buch,
S. 154. S. 154. S. 154. S. 154, 155. S. 155.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
ziehbar und sehr triftig befunden.406 Trotz dieser grundsätzlichen Zustimmung wollten die Gesandten die Revision jedoch beibehalten und die Frage der Abschaffung einem allgemeinen Reichstag vorlegen.407 Zur Begründung führte sie an, dass eine Abschaffung der Revision nicht von ihrer Vollmacht umfasst sei und sie von den Ständen für einen derartigen Fall auch nicht instruiert worden seien.408 Insbesondere wurde auch zum Ausdruck gebracht, dass in der Forderung nach einer Abschaffung der Revision zum Ausdruck kommende Bestreben des RKG, seine Autorität und Jurisdiktionsgewalt zu erweitern, liefe dem Interesse der Stände, an einer Kontrolle des Gerichts zuwider. Recht unverhohlen wurde mitgeteilt, die Intention der Stände sei, dass die Herrn Cameralium „nicht Domini, sondern Ministri bleiben“ und eine Abschaffung der Revision durch die Gesandten dementsprechend eine Verfehlung gegenüber den Ständen wäre.409 Darüber hinaus wurde eingewendet, die Zweifel an der Revision seien auch bei Einführung schon gegen die Revision vorgetragen worden und dennoch sei die Revision mit Kenntnis und Einverständnis des ganzen Reiches eingeführt worden, weil die für sie sprechenden Gründe überwogen hätten.410 Unter dem Strich waren sich die Gesandten einig, dass eine so gravierende Änderung, wie die Abschaffung der vom gesamten Reich beschlossenen und durch jahrelange Anwendung bekräftigten Revision nicht von den Gesandten einiger Stände vorgenommen werden konnte, sondern auf einen allgemeinen Reichstag zu verweisen war.411 Statt die Revision an sich abzuschaffen, wollten sich die Gesandten auf diesem Deputationstag darauf konzentrieren, mittels der bereits vom 406 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 244–246; ebenso in dem abschließenden Gutachten der Reichsdeputation, ebenda, 10. Buch, S. 202, 203. 407 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 246; ebenda, 10. Buch, S. 203; vgl. auch Neurode, Verfassung, S. 503, 504. 408 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 244–246; ebenda, 10. Buch, S. 203. 409 Vgl. die Einwendung Braunschweigs: „Ob aber dergleichen Werck alhie abzustellen sich gebühren wolle, stünde er sehr an, zumahlen da neben dem Publico der Herrn Cameralium Intention dahin gerichtet wäre, wie sie ihre Autorität und Jurisdiction ampliiren möchten, hingegen aber a parte der Stände dahin zu sehen, damit sie nicht Domini, sondern Ministri bleiben, daher man im wiedrigen Fall schwehre Verantwortung bey künfftigen Reichs-Tagen auf sich laden würde, sonderlich weilen sich die zu Regensburg ertheilte Vollmacht hieher nicht erstreckte.“, Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 245; ebenso bei Neurode, Verfassung, S. 503, 504. In eine ähnliche Richtung zielte das bereits bekannte Argument Pommerns, die Revision sei beizubehalten, „damit die Camerales in dicendo desto fleißiger seyn, und die affectus beyseits setzen mögen“, Meiern, ebenda. 410 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 245; Neurode, Verfassung, S. 504. Ein Argument, das den Stillstand der Visitationen und die deshalb nicht erfolgende Erledigung der Revisionen völlig außer Betracht lässt. 411 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 244, 245.
II. Revision gegen Urteile des RKG
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RKG gemachten Vorschläge und ergänzender eigener Überlegungen Mängel und Missbrauch des Rechtsmittels abzuschaffen.412 In weitgehender Übereinstimmung mit den Vorschlägen des RKG wurden in dem abschließenden Gutachten der Reichsdeputation schließlich einige Punkte zur Verbesserung des Revisionsverfahrens und zur Vermeidung weiteren Missbrauchs beschlossen. Der Suspensiveffekt der Revision sollte solange aufgehoben werden, bis die Visitationen und Revisionen wieder in Gang gebracht wurden. Dies sollte allerdings nur für künftige Revisionen gelten, Religionssachen nicht betreffen und die Exekution begehrende Partei sollte genugsame „Caution de restituendo“ leisten.413 Die Revisionsfrist wurde auf vier Monate ab Urteilsverkündung verkürzt und innerhalb dieser Frist hatten sowohl die Partei als auch der Advokat zwingend einen Revi sionseid zu leisten.414 Zur Vermeidung von „frivolis revisionibus“ sollte das zu erlegende Sukkumbenzgeld bereits von den Assessoren festgesetzt und sodann auch wirklich hinterlegt werden und in besonders schweren Fällen eine zusätzliche Geld- oder Leibesstrafe verhängt werden können.415 Schließlich wurde eine Revisionssumme i. H. v. 3.000 Goldstücken beschlossen und wie bei der Appellation sollten Revisionen nicht möglich sein, wenn das kammergerichtliche Urteil das dritte gleichlautende Urteil war.416 Hinsichtlich der bereits anhängigen Revisionen sollten die Parteien aufgefordert werden, beim Erzkanzler in Mainz innerhalb einer bestimmten Frist anzuzeigen, dass sie die Revision weiter betreiben wollten.417 Letztlich blieb es auf dem Frankfurter Deputationstag jedoch bei diesem Gutachten. Zu einer verbindlichen Festsetzung der vorgeschlagenen Änderungen kam es erst auf dem Reichstag in Regensburg 1653 / 54, welcher auf Grundlage der Gutachten des RKG und des Frankfurter Deputationstages erneut ausführlich über die Verbesserung des Justizwesens beriet und die dort vereinbarten Änderungen, jedenfalls hinsichtlich der Revision, weitestgehend übernahm.418 Die von dem Deputationstag von 1643 / 44 nicht entschiedene Forderung des RKG nach der Abschaffung der Revision wurde auf dem Regensburger Reichstag endgültig zurückgewiesen.419 Der über den punctum Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 244–246. Acta comitialia Ratisbonensia II, 10. Buch, S. 203. 414 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 10. Buch, S. 203, 204. 415 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 10. Buch, S. 204. 416 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 10. Buch, S. 204. 417 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 10. Buch, S. 205, 206. 418 Vgl. Lang, Lehre, S. 155–159; Mohl, Versuch II, S. 186; Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 389; Neurode, Verfassung, S. XIX; vgl. auch JRA §§ 124–133 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 662–665. 419 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 398, 399 und S. 444; vgl. auch J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 702; Mohl, Versuch II, S. 186. 412 Vgl.
413 Meiern,
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
justitiae beratende Ausschuss begründete diese Entscheidung damit, dass die Abschaffung der Revision viele Veränderungen in den „Constitutionibus“ mit sich bringen würde und dergleichen schon mal vorgeschlagen, „aber nicht vor practicirlich befunden“ wurde.420 Eine Abschaffung des Rechtsmittels würde außerdem die höheren Stände schlechter stellen als die niedrigeren, „da man gleich ad Cameram lauffet“.421 Den höheren Ständen, für welche eine erstinstanzliche Zuständigkeit des RKG galt, hätte somit keine weitere Instanz zur Überprüfung der Urteile zur Verfügung gestanden, wohingegen die niedrigeren Stände gegen die untergerichtlichen Urteile mehrmals appellieren konnten. Darüber hinaus wurde eine Abschaffung auch deshalb abgelehnt, weil nur wenige Jahre zuvor im Westfälischen Frieden 1648 gegen Urteile des RHR das Rechtsmittel der Supplikation zugelassen wurde.422 In der Einführung der Supplikation am RHR, welche als Pendant zur kammergerichtlichen Revision angesehen wurde,423 sah man auch eine grundsätz liche Bestätigung der Revision am RKG.424 Zudem „seye der Respectus judicii nicht cum damno partium zu erhalten“, weshalb grundsätzlich an der Revision festgehalten wurde.425 Die in dem Frankfurter Gutachten zur Abkürzung der Revision und Beförderung der Exekution gemachten Vorschläge wurden dagegen grundsätzlich für gut befunden und nur leicht verändert in den JRA übernommen.426 So wurde eine Revisionssumme von 2.000 Reichstalern statt 3.000 Goldstücken
420 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 398, 399; Mohl, Versuch II, S. 186. Hinsichtlich einer bereits früher erfolgten Erörterung und ausdrücklichen Ablehnung der Abschaffung der Revision wird auf den DepA von 1600 verwiesen, vgl. Meiern, ebenda, S. 399. Eine explizite Erörterung der gänzlichen Abschaffung der Revision ist dort m. E.n. jedoch nicht zu finden. Es wird lediglich der Vorschlag des RKG, den Suspensiveffekt aufzuheben, abgelehnt und die Absicht erklärt, die ordentlichen Visitationen entsprechend der RKGO wieder in Gang zu bringen, DepA 1600 § 144, § 147 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495, 496. 421 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 399; Mohl, Versuch II, S. 186. 422 Vgl. IPO Art. 5 § 55 bei in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 588, 589. 423 Vgl. IPO Art. 5 § 55: „… loco revisionis in Camera usitate …“, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 588; sowie Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 464, 505, 531 und 593. 424 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 399. 425 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 399; Mohl, Versuch II, S. 186. 426 Vgl. die Beratschlagungen der Stände bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 409, 419, sowie das erarbeitete Reichsgutachten, ebenda, S. 444– 447; JRA §§ 124–127 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 662–664.
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vereinbart427 und festgelegt, dass die Festsetzung der Sukkumbenzgelder lediglich in den bereits anhängigen Revisionen durch die Assessoren, in zukünftigen aber weiterhin durch die Revisoren erfolgen solle.428 Zu größeren Meinungsverschiedenheiten kam es hinsichtlich der Frage, ob der Suspensiveffekt auch in Religionssachen aufgehoben werden sollte. Die katholischen Stände forderten eine allgemeine Aufhebung des Suspensiveffektes wohingegen die evangelischen auf einer Beibehaltung in Religionssachen bestanden.429 Eine Einigung konnte nicht erzielt werden, weshalb die Frage auf einen künftigen Reichstag verschoben und die suspensive Wirkung der Revision in Religionssachen vorläufig weiterhin beibehalten wurde.430 Neben diesen, das eigentliche Revisionsverfahren betreffenden Vorschriften, wurden im JRA auch einige Regelungen erlassen, welche die Visitationen wieder in Gang bringen, bisherige Hindernisse bei deren Durchführung beseitigen und eine möglichst zügige Erledigung der anhängigen Revisionen bewirken sollten.431 Zu einer Wiederaufnahme der ordentlichen Visitationen 427 Vgl. JRA § 127 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 664; Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 445, 446. 428 JRA § 126 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663, 664. In dem Gutachten des Reichstages von 1654 war noch vorgesehen, dass die Festsetzung des Sukkumbenzgeldes allgemein, also auch für künftige Revisionen, durch die Assessoren erfolgen soll, Meiern, ebenda, 12. Buch, S. 445. Es wurde jedoch befürchtet, dass die Assessoren zur Vermeidung einer Überprüfung der kammergerichtlichen Urteile übertrieben hohe Sukkumbenzgelder festsetzten, weshalb die acta bei künftigen Revisionen weiterhin von den Revisoren taxirt werden sollten, vgl. Meiern, ebenda, 13. Buch, S. 506, 571. 429 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 14. Buch, S. 617, 618; vgl. auch die Äußerungen der einzelnen Stände bei der Diskussion des Reichsgutachtens, ebenda, 13. Buch, S. 462 ff., passim. Siehe zu den Einzelheiten auch unten S. 116–118. 430 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 14. Buch, S. 653, 654 und S. 657; vgl. Neurode, Verfassung, S. XX. 431 Da die Visitationen in der Vergangenheit oft ins Stocken gerieten, weil ein zur Visitation berufener Fürst ausblieb, wurde die Pflicht zu persönlichem Erscheinen abgeschafft und den Fürsten erlaubt einen Vertreter zu schicken, JRA § 128 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 664. Ferner sollte das Ausbleiben eines Revisors künftig nicht mehr dazu führen, dass die Entscheidung der Revision auf die nächste Visitation verschoben wurde. Eine Entscheidung sollte trotz des Ausbleibens erfolgen und der zur Entsendung verpflichtete Stand die Unkosten und eine Strafe zahlen. Zudem sollte den Ständen erlaubt sein, die Reihenfolge bei der Entsendung von Revisoren zu tauschen, vgl. JRA § 129, ebenda, S. 664. Zur Bearbeitung der Revisionen sollte bis zur Erledigung aller bereits anhängigen Revisionen eine außerordentliche Deputation eingesetzt werden, welche aus 24 regelmäßig wechselnden, auf 4 Räte aufgeteilten Gesandten bestehen sollte. Ein Rat sollte die neu eingelegten Revisionen bearbeiten und sobald diese erledigt waren, wie die übrigen drei Räte alte Revisionen entscheiden, vgl. JRA § 130, ebenda, S. 664, 665. Nachdem alle alten Revisionen erledigt waren, sollten die ordentlichen Visitationen wieder eingeführt
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und einer Erledigung der Revisionen kam es jedoch nicht. Die einzige Maßnahme, welche dem Abbau der anhängigen Revisionen diente und tatsächlich umgesetzt wurde war die Aufforderung an die Parteien, innerhalb einer bestimmten Frist zu erklären, ob sie die Revision weiter betreiben wollten.432 Durch kaiserliches Edikt vom 31. Dezember 1653 wurde angeordnet, dass ein jeder der Revision gesucht habe „sub poena desertionis“ bis zum letzten Tag des Monats Mai sowohl beim Kurfürsten von Mainz als auch beim RKG anzeigen solle, „ob er die Sache zu prosequiren gedencke“.433 2. Zulässigkeit der Revision a) Überprüfung der Zulässigkeit Die in der RKGO von 1555 genannten Voraussetzungen für die Durchführung der Revision waren lediglich die fristgerechte Einlegung des Revisionsantrages sowie die Leistung des in der Sache festgelegten Sukkumbenzgeldes. Zudem konnte die Revision nur gegen Endurteile des Reichskammergerichts eingelegt werden und erforderte eine Beschwer des Revisionsklägers.434 Dieser musste also zumindest teilweise unterlegen sein. Angesichts dieser überschaubaren Voraussetzungen entschied die Visita tionskommission bis zum Ende des 16. Jahrhunderts auch über die Zulässigkeit der eingelegten Revision, zu einer Zulässigkeitsprüfung durch das RKG kam es zu dieser Zeit noch nicht.435 Die einzige am RKG vorzunehmende und ein neues Schema zu deren Besetzung erarbeitet werden, vgl. JRA § 132, ebenda, S. 665. 432 Vgl. Häberlin, Handbuch II, S. 512. Ein ähnliches Edikt erließ Kaiser Joseph II. im Jahre 1766, um erneut die Anzahl der anhängigen Revisionen zu reduzieren, vgl. ebenda. 433 Das Edikt ist abgedruckt bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 460. Vgl. auch Neurode, Verfassung, S. 530; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 707. Beispiele für die Anzeige der Fortsetzung von Revisionen finden sich bei Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, Vorbericht, S. 41, 42. 434 Vgl. RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 1; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 243. 435 Vgl. zur Überprüfung der Zulässigkeit durch die Visitation im 16. Jh.: Mencke, Visitationen, S. 88. Der darauf hinweist, dass die älteren Kameralschriftsteller, welche sich mit dem Revisionsverfahren auseinander gesetzt haben, wie etwas Gaill, Denaisius, Schwanmann oder Weissenberger, eine Zulässigkeitsprüfung durch das RKG nicht erwähnen, ebenda. Für eine Prüfung der Zulässigkeit durch die Visitation spricht auch RA 1598 § 62, der bemerkt, dass „die Erörterung solcher Revisionen der Visitation anhängig“ sei und „auch alle Praeparatoria Revisionum bey derselben verrichtet werden“, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 463. Vgl. auch Mencke, ebenda, Fn. 474. Zudem hat die Visitationskommission in der Sache Solms gegen Freyensee am 31. Mai 1583 geurteilt, die begehrte Revision „nicht anzunehmen“, CJC, S. 408, was darauf schließen lässt, dass schon die Zulässigkeit verneint wurde. In der Sache
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Handlung der revidierenden Partei war die Einreichung einer durch Kurmainz bescheinigten Anzeige der eingelegten Revision, um so die Vollstreckung des reichskammergerichtlichen Urteils zu verhindern.436 Eine gesonderte Zulässigkeitsprüfung durch das RKG wäre angesichts der wenigen Zulässigkeitsvoraussetzungen zum einen wohl nicht sonderlich effizient437 und zum anderen auch impraktikabel gewesen, da sowohl die Überprüfung der Leistung des Sukkumbenzgeldes, dessen Höhe erst durch die Visitationskommission festgesetzt wurde, als auch die fristgerechte Revisionseinlegung bei dem Erzkanzler eine vorherige Unterrichtung des RKG erfordert hätten und daher einfacher von der Revisionskommission vorgenommen werden konnten. Zu einer Überprüfung von Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das RKG kam es erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als angesichts der ständig zunehmenden Anzahl eingelegter Revisionen die Zulässigkeitsvoraussetzungen verschärft und erweitert wurden, um so den zunehmendem Missbrauch des Rechtsmittels zu verhindern.438 Zur Vornahme einer umfangreicheren Zulässigkeitsprüfung war das Reichskammergericht besser geeignet als die Visitationskommission. Zum einen kamen die Visitationen nicht mehr zustande und waren schon aus diesem Grund nicht für die Überprüfung der Zulässigkeit geeignet.439 Darüber hinaus war das RKG schon mit den Akten des jeweiligen Verfahrens vertraut und die Visitationskommissionen tagten in der Regel nur für einen begrenzten Zeitraum von ein paar Wochen, innerhalb welcher die Durchführung einer Zulässigkeitsprüfung mit der Abnahme von Revisionseiden und der Kontrolle von Vollmachten etc. nur schwer möglich gewesen wäre. Insbesondere hätte eine Überprüfung durch die Visitation auch dem Zweck der neu eingeführten Zulässigkeitsvoraussetzungen widerPollweil gegen Murbach wurde die eingelegte Revision von den Revisoren am 7. Oktober 1600 ausdrücklich wegen eines Formmangels zurückgewiesen, Borie, Beyträge … zur Erläuterung des RA 1570, S. 79; vgl. auch Mencke, Visitationen, S. 88, Fn. 474. Auch in der Sache Lothringen gegen Kurpfalz erörterte die Visitationskommission die Zulässigkeit ausführlich, da Lothringen die Revision aufgrund eines angeblichen Verschuldens seines Anwalts nicht drei Monate vor dem 1. Mai eingelegt hatte, Borie, Beyträge … in Ansehung des gebührlichen Einsehens, S. 110, 111 und 106–109. Im Erg. ebenso, allerdings ohne Begründung Dick, Entwicklung, S. 217. 436 Lang, Lehre, S. 143. Die Einreichung der bescheinigten Revision diente also lediglich der Sicherstellung der Vollstreckungshemmung und somit ausschließlich dem Eigeninteresse des Revisionsklägers und nicht der Vermeidung missbräuchlicher oder unzulässiger Revisionen. Insofern ist fraglich, ob ein Unterlassen der Einreichung überhaupt zur Unzulässigkeit der gesamten Revision geführt hätte oder nur die Vollstreckung weiter möglich geblieben wäre. 437 So schon Mencke, Visitationen, S. 88. 438 Vgl. Mencke, Visitationen, S. 88; Lang, Lehre, S. 137, 138, 145, 148, 160. 439 Vgl. J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 708.
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sprochen, die übermäßige und missbräuchliche Inanspruchnahme der Revision zu vermeiden.440 Der Missbrauch bestand häufig darin, das Rechtsmittel trotz offenkundiger Aussichtslosigkeit einzulegen, um so die Vollstreckung des kammergerichtlichen Urteils zu verhindern oder zu verzögern. Zur Vermeidung eines derartigen Vorgehens konnte beispielsweise von dem Revident die Ablegung eines Eides verlangt werden,441 „dass er eine gerechte Sache zu haben glaube“ und „nicht aus Gefährde, oder Verlängerung der Sache“ handle.442 Die angestrebte Vermeidung einer missbräuchlichen Verzögerung des Rechtsstreits wäre jedoch grundsätzlich nicht zu erreichen gewesen, wenn derartige Zulässigkeitsvoraussetzungen erst von der Visitationskommission geprüft worden wären. Ein Revisionseid, der erst von den Revisoren der Visitation abgenommen wird, wäre per se, selbst bei Zustandekommen der Visitation, ungeeignet gewesen, einen Missbrauch des Rechtsmittels zu verhindern. In diesem Fall hätte der Revisionskläger weiterhin bis zur Bearbeitung der Revision durch die Visitation von der Vollstreckungshemmung profitiert. Selbst wenn der Eid grundsätzlich dazu geeignet gewesen wäre, Parteien von der missbräuchlichen Einlegung eines Rechtsmittels abzuhalten,443 hätte der böswillige Revident dennoch Revision einlegen können, um die Vollstreckung zu verzögern und schließlich den Eid vor der Visitationskommission schlicht verweigern können. Da es ihm ohnehin nur um einen Aufschub der Vollstreckung ging, dürfte ihm egal sein, ob die Visitation die Revision letzten Endes für unzulässig erklärte oder in der Sache gegen ihn entschied. Dementsprechend wurde die Revision einlegende Partei in DepA 1600 § 145 verpflichtet, auf Verlangen der Gegenpartei schon vor dem RKG und nicht erst vor der Visitationskomission einen Revisionseid zu leisten. Aus dem gleichen Grund wurde auf dem Reichstag 1653 auch vorgeschlagen, dass das Sukkumbenzgeld bereits von dem RKG und nicht erst von 440 Vgl. zu dem Zweck neuer Zulässigkeitsvoraussetzungen einen ausufernden und missbräuchlichen Gebrauch der Revision zu verhindern sowie die Vollstreckung kammergerichtlicher Urteile zu ermöglichen: DepA 1600 § 145, der vor dem Hintergrund, dass das „Cammer-Gericht mit denen bißhero zu sonderer Vernachtheilung der Justitien und derselben Execution indifferenter ohne allen Unterschied gesuchten Revisionen nicht so vielfältig molestirt und beschwert werde“ einen Kalumnieneid für den Revisionskläger einführt, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495; Lang, Lehre, S. 137, 138 und 145; Mencke, Visitationen, S. 88; Sellert, Revision (Supplikation), S. 26. 441 Vgl. DepA 1600 § 145 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495. 442 Der ganze Revisionseid ist abgedruckt bei Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß, S. 239. 443 Dies war offensichtlich nicht der Fall, wie, Hugo, Missbrauch, S. 56–70, im Hinblick auf den im Appellationsverfahren zu leistenden Kalumnieneid ausführlich darlegt. Dieser Meinung waren auch einige andere zeitgenössische Autoren, s. ebenda, S. 56.
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den Revisoren festgesetzt werden und der Revident dieses noch vor der Zulassung zum Revisionseid tatsächlich hinterlegen sollte.444 Neben dem Umstand, dass die Visitationen nicht mehr zustande kamen, war eine frühzeitige Zulässigkeitsprüfung durch das RKG also auch sinnvoll, um den angestrebten Zweck der Vermeidung von Missbrauch und Verzögerung der Vollstreckung zu erreichen. Das RKG übernahm daher mehr und mehr die Überprüfung der nach und nach zur Vermeidung leichtfertiger und missbräuchlicher Revisionen eingeführten Formalia. Allerdings mussten bestimmte Formalia auch weiterhin beim Mainzer Bischof als Kurerzkanzler und bei der Visitation beachtet werden.445 Umstritten war zeitweise, ob und gegebenenfalls inwiefern das RKG neben den Formalia auch in materieller Hinsicht eine Prüfungskompetenz zustand. Aufgrund des Missbrauchs der Revision äußerte das RKG im Jahre 1619 die Ansicht, dass es eine über die Feststellung der Zulässigkeit hinausgehende Prüfungsbefugnis habe.446 In dem GB von 1619 prangerte das RKG erneut an, dass die Revision zu „sonderm Nachtheil und Verhinderung der Justitien, auch derselben Execution“ führe, da sie vorsätzlich missbraucht und „nicht allein offt aus Muthwillen und ohnzeitigem Eiffer gesucht und vorgeschützt, sondern auch dergestalt die Sachen gäntzlich zum Stillstand gebracht“ werden.447 Es werde ohne Ziel und Maß unterschiedslos gegen fast jeden Bescheid Revision eingelegt, unabhängig davon, ob diese überhaupt 444 In dem allgemeinen Reichsgutachten hieß es: „Damit denn auch die Partheyen von frivolis Revisionibus um so viel mehr abgeschreckt werden, wäre zu verordnen, daß die Acta […] von den Assessorn pro qualitate causae taxiret, und die Sportulae alsbalden, und ante admissionem ad juramentum […] würcklich ad Archivum hinterlegt werden;“ Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 445. Der Vorschlag wurde letztlich allerdings aus Misstrauen gegenüber den Assessoren nicht umgesetzt; vgl. Neurode, Verfassung, S. 539, 540. Vgl. auch die Ausführungen zum Sukkumbenzgeld S. 101–102. 445 Vgl. Lang, Lehre, S. 159, 163 ff., 205 ff., 294 ff. Die Revision war sowohl am RKG als auch bei Kurmainz innerhalb von vier Monaten ab Verkündung des Urteils einzulegen, vgl. JRA § 125, Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. Bei der Visitation war vor Durchführung der Revision bei neu eingelegten Revisionen von den Revisoren zunächst noch die Höhe der Sukkumbenzgelder festzusetzen und diese sodann von dem Revisionskläger zu hinterlegen, vgl. JRA § 126, ebenda, NSdRA, 3. Teil, S. 663, 664. Je nachdem, wo die jeweiligen Voraussetzungen zu erfüllen waren, sprach man von fatalia interponendae revisionis, wenn sie Kurmainz betrafen oder von fatalia introducendae revisionis, wenn sie bei dem RKG zu beobachten waren, vgl. Lang, Lehre, S. 159. 446 Vgl. GB 1619, in CJC, S. 766. 447 In CJC, S. 765.
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statthaft ist oder nicht.448 Wo dieser Missbrauch nicht zur „gäntzliche[n] Zerstöhrung aller heilsamen Ordnungen“ führe, komme es jedenfalls „zu beschwehrlicher Verlängerung der Sachen“.449 Angesichts dieser Umstände vertrat das RKG in dem GB von 1619 die Ansicht, ihm „sei es verstattet und zugelassen, nicht allein de Formalibus Revisionum, sondern auch circa Materialia zu erkennen, ob denselben in Kraft obberuhrter Rechten zu deferiren“ sei.450 Allerdings wollte das RKG sich selbst hierdurch wohl keine umfassende materielle Prüfungskompetenz anmaßen und nicht allgemein in der Sache entscheiden, sondern nur prüfen, ob die Revision an die Visitationskommission zu übertragen (deferiren) war oder nicht. Das Ziel des RKG dürfte es gewesen sein, durch eine strenge Anwendung der vorhandenen Gesetze und einer frühzeitigen Verwerfung „frivoler“, d. h. leichtfertiger und offensichtlich unbegründeter Revisionen, den beschriebenen Missbrauch und die damit verbundenen Nachteile abzustellen.451 Neben der Frage, ob gegen den jeweiligen Bescheid des RKG überhaupt Revision gesucht werden konnte, wollte das RKG wohl auch entscheiden, ob die Revision „frivol“ eingelegt wurde und deshalb zurückzuweisen war.452 Grundsätzlich sollte die endgültige Überprüfung nicht missbräuchlicher Revisionen wohl auch nach der Ansicht des RKG weiterhin durch die Revisoren erfolgen.453 Das RKG glaubte allerdings befugt zu sein, offensichtlich unbegründete Revisionen zurückweisen und insofern auch circa Materialia entscheiden zu können.454 448 Vgl. GB 1619, in CJC, S. 765. Das RKG zählt die verschiedenen Arten von Bescheiden und Entscheidungen ausführlich auf und teilt allgemein mit, dass in „privilegirten Sachen, da nemlich vermöge der Rechten a praecepto wohl ohne vorhergehende Erkantnuß angefangen werden mag, und in denen keine Appellation, sondern vielmehr parata Eexecutio, zugelassen und anbefohlen“, Revisionen eingelegt wurden. „[…] sogar a Decretis, Citationibus, Mandatis, aliisque Processibus judicialibus vel extrajudicialibus, imò a jussis & praeceptis, so vi & authoritate Magistratus wider die General-Persohnen ertheilt werden“, werde Revision gesucht, ebenda. 449 Vgl. GB 1619, in CJC, S. 765. 450 GB 1619, in CJC, S. 766. 451 Vgl. GB 1619: „Damit dann denen Rechtshängigen Sachen desto mehr mit gebührlicher Erörterung abgeholffen, und ein jeder bey dem, was sich von Rechtswegen gebühret, gehandhabet, auch hinführo solcher zerstörlichen Unordnung und Verhinderung des Justiz-Wesen Rath geschaffet werde;“, CJC, S. 765, 766. 452 Vgl. GB 1619: „[…] auch circa Materialia zu erkennen, ob denselben in Kraft obberührter Rechten zu deferiren, oder aber wo nicht gäntzlich zu verwerfen, jedoch im Proceß ferner zu verfahren […]“, CJC, S. 766. Vgl. auch Cramer, Erörterung, in: Nebenstunden, 1. Teil, S. 127, 128; Mohl, Versuch II, S. 221, 222 und 227, 226. 453 Nach dem GB sollte das RKG ja gerade prüfen, ob die Revision „zu deferiren“ sei, vgl. CJC, S. 766. Vgl. auch Cramer, Erörterung, in: Nebenstunden, 1. Teil, S. 127, 128.
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Die Stände widersprachen einer solchen Prüfungskompetenz des RKG u. a. auf dem Reichstag 1654 mit der Begründung, dass sonst die Assessoren die Möglichkeit hätten, Revisionen zu vereiteln.455 Zu einer förmlichen Aufhebung des GB kam es anscheinend jedoch nicht,456 weshalb die Frage, ob das RKG nicht doch befugt war, im dem dargestellten Umfang auch circa materialia über die Revision zu entscheiden, zunächst offen blieb.457 Ein Recht des RKG offensichtlich „frivole“ Revisionen zurückzuweisen, wurde letzten Endes aber unter Hinweis auf § 133 des JRA verneint.458 Nach dieser Vorschrift, sollten die Revisoren darüber entscheiden, ob die Revision „frivol“ und deshalb abzuweisen war.459 Auch die Wahlkapitulation Leopolds II. stellte nochmals klar, dass die Revision niemandem versagt werden soll, wenn die formalia ihre Richtigkeit haben.460 Dementsprechend wurde dem RKG lediglich zugestanden, das Revisionsgesuch als „frivol“ zurückzuweisen, wenn schon aufgrund der Art der Sache offenkundig keine Revision möglich und das Gesuch insofern offensichtlich unzulässig war.461 Das RKG sollte also nicht befugt sein, Revisionsgesuche aus materiell-rechtlichen Erwägungen zurückzuweisen, sondern lediglich wenn die Revision nicht zulässig war.462
454 Vgl. GB 1619, in CJC, S. 766; Cramer, Erörterung, in: Nebenstunden, 1. Teil, S. 127, 128; Mohl, Versuch II, S. 221, 222. 455 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 14. Buch, S. 637, 640; vgl. auch Cramer, Erörterung, in: Nebenstunden, 1. Teil, S. 129; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 709. Auch zuvor hatten die Stände schon geäußert, dass es dem RKG nicht gebühre, eine derartige Regelung zu erlassen, J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 621, 622; Lyncker, De gravamine, S. 800, 801. 456 Cramer, Erörterung, in: Nebenstunden, 1. Teil, S. 129; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 709, 710. 457 Vgl. Cramer, Erörterung, in: Nebenstunden, 1. Teil, passim; Mohl, Versuch II, S. 221–226. 458 Vgl. Mohl, Versuch II, S. 221–223; Cramer, Erörterung, in: Nebenstunden, 1. Teil, S. 128, 129. 459 Vgl. JRA § 133: „[…] wo aber die Revisio frivole gesucht wird, solle derselben von denen Revisoribus keineswegs deferirt werden.“, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 665. 460 Vgl. Art. 17 § 2: „[…] und wann die Formalien ihre Richtigkeit haben, Niemanden versaget […] werden soll“, in Crome, Wahlcapitulation Leopolds II., S. 133. 461 So etwa bei Revisionen, die Bei-, Inhäsiv- oder provisorische Urteile betrafen, vgl. Cramer, Erörterung, in Nebenstunden, 1. Teil, S. 131; Mohl, Versuch II, S. 222, Anm. b). 462 Vgl. Cramer, Erörterung, in: Nebenstunden, 1. Teil, S. 130, 131; Mohl, Versuch II, S. 221, 222, Anm. b); im Erg. ebenso J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 709; Brainl, Lehrsätze, S. 299. Cramer meint, dass „Die Revisio aber mehr ex capite formalium seu mavis ex qualitate Causae abgeschlagen“ wird, ebenda, S. 133.
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b) Revisionssumme und Kanzleigebühren Bereits auf dem Deputationstag zu Speyer im Jahre 1600 hatte man sich im Fürstenrat darauf geeinigt, dass die Revision erst ab einem bestimmten Streitwert zulässig sein sollte und eine Revisionssumme i.H. v. 1500 Gulden festgesetzt, welche jedoch aus unbekannten Ursachen letztlich nicht in den Deputationsabschied aufgenommen wurde.463 Zu einer verbindlichen Einführung einer Revisionssumme kam es erst 1654 in JRA § 127, welcher zur Vermeidung der vielen Revisionen eine Summa revisibilis von 2.000 Reichstalern „ohne die Einrechnung der Zinß und Interesse“ festgesetzt hat.464 Es musste also allein der Streitgegenstand der Revision mindestens 2.000 Reichstaler betragen.465 Allerdings war bei der Ermittlung dieses Wertes nicht der ursprüngliche Streitwert der erstinstanzlichen Klage oder des Appellationsverfahrens ausschlaggebend, sondern die „Summa gravaminis“, also die Beschwer des Revisionsklägers, musste einen Wert von 2.000 Reichstalern haben.466 Wurde um jährlich wiederkehrende Leistungen, wie 463 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 10. Buch, S. 164; vgl. auch Lang, Lehre, S. 152, 153. 464 JRA § 127 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 664. In dem allgemeinen Reichsgutachten von 1653 war noch vorgesehen, dass die beschwerte Partei, die „sich des beneficii supplicationis ad alium senatum in Camera gebrauchen wollte, solches demselben ohne Unterscheid, ob das Gravamen mehr oder weniger als die obbestimte 2000. Rthlr. auswirft, erlaubet, auch Cammerrichter und Assessorn demselben gegen Erlegung eines dritten Theils, deren in Revisionibus ordinariis gewön lichen Sportuln zu deferiren, und die Sache mit ihren Umständen und sonderlich den rationibus decidendi prioris senatus, in uno vel duobus aliis senatibus, […] nochmahls zu examiniren, und was Recht, auszusprechen schuldig seyn.“, Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 446. Eine derartige Überprüfung von kammergerichtlichen Urteilen durch einen anderen Senat des RKG wurde dann allerdings doch nicht in den RA übernommen, vgl. Lang, Lehre, S. 208, 209; Mohl, Versuch II, S. 202. 465 Vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 379; ders., Revision (Supplikation), S. 26. 466 Vgl. Lang, Lehre, S. 216, 217; Wetzell, System, S. 777. Begründet wurde dies damit, dass es auch bei der Appellationssumme auf die Höhe der Beschwer des Appellanten ankam, vgl. den gemeinen Bescheid des RKG von 1603 in CJC, S. 564; Schildt, Reichskammergericht, S. 69; Danz, Grundsätze, 537. Aufgrund der Nähe der Revision zur Appellation und des Umstandes, dass der JRA für die Revision dieselben Voraussetzungen wie für die Appellation verlangte, sollte das gleiche für die Revision gelten, Lang, Lehre, S. 216, 209–211; vgl. auch JRA § 127 der bestimmt, dass „gleichwie eine gewisse Summa appellabilis“ eine Revisionssumme von 2.000 Reichstalern festgesetzt wird und „in den Sachen und Fällen, da von dem Unterrichter an Unser Cammer-Gericht nicht appellirt werden kan, auch von demselben CammerGericht, da sie daselbst in Gestalt simplicis querelae angebracht, keine Revision statt haben“ soll, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 664. Vgl. ferner JRA § 125: „In Fällen, da die Appellationes vermög gemeiner Rechten nicht zuläßig, sollen auch die Revisiones nicht statt finden […]“, ebenda, S. 663.
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Zinsen, Renten oder Gefälle, gestritten, betrug die Revisionssumme 80 Reichstaler.467 Bei Rechtsstreitigkeiten, deren Wert nicht berechnet werden konnte, wurde die Sache dennoch zur Revision zugelassen, wenn der Revident einen Eid leistete, dass der Wert der Sache die Revisionssumme erreiche.468 Eine weitere Voraussetzung für die Revision war die Bezahlung der Gebühren der Kammergerichtskanzlei. Wurden diese nicht innerhalb der viermonatigen Einlegungsfrist bezahlt und die hierüber ausgestellte Quittung der eingelegten Revision beigelegt, wurde die „Revision aus Mangel der Formalien für erloschen erachtet.“469 c) Frist zur Einlegung der Revision Der Revisionsantrag, welcher lediglich die Einlegung der Revision anzeigte und keine Begründung enthielt,470 musste ursprünglich zwei Monate vor dem ersten Mai beim Erzkanzler und falls dieser am Rechtsstreit beteiligt war beim Erzbischof zu Trier471 eingereicht werden. Sofern zwischen Urteilsverkündung und dem ersten Mai keine zwei Monate lagen, sollte die Einlegung zwei Monate vor dem ersten Mai des Folgejahres erfolgen.472 Diese Frist wurde in DepA 1557 § 23 von zwei auf drei Monate verlängert, um eine bessere Vorbereitung der Visitation zu ermöglichen.473 Gleichzeitig 467 Vgl. Danz, Grundsätze, S. 638. Die Revisionssumme für jährliche Nutzungen, Zinsen u. ä. beruhte ebenfalls auf einer analogen Anwendung der Appellationsvorschriften. Gem. JRA § 112 betrug die Appellationssumme 400 Reichstaler für vermögensrechtliche Streitigkeiten mit fixem Streitwert und 16 Reichstaler, wenn „um rechten Zinß und Nutzungen“ gestritten wurde, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 661. Für die Revision wurde das gleiche Verhältnis zugrunde gelegt und entsprechend der in JRA § 127 festgesetzten 2.000 Reichtaler für jährliche Nutzungen, Renten und Zinsen eine Revisionssumme von 80 Reichstalern festgesetzt, vgl. Lang, Lehre, S. 218; Mohl, Versuch II, S. 200, 201. 468 Danz, Grundsätze, S. 638 und 537, 538; Cameral-Lexicon, S. 102; vgl. auch RKGO 1555 Teil 2 Tit. 28 § 4 in Laufs, RKGO 1555, S. 205, 206; Concept der RKGO Teil 2 Tit. 31 § 8 in CJC, S. 695. 469 Lang, Lehre, S. 206, 207; vgl. auch Mohl, Versuch II, S. 194. 470 Ein solcher Revisionsantrag findet sich bei Schwanmann, De Processibus I, S. 350, 351. Die Bezeichnung „supplicatio pro revisione“ bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht auf die Supplicatio ad imperatorem, sondern meint die Bitte um Einleitung des Revisionsverfahrens. Als Supplikation wurden auch einseitige, beim Gericht eingebrachte Bitten bzw. Anträge verstanden. So leitete beispielsweise der Kläger das ordentliche Verfahren mit der supplicatio pro processibus, der Bitte um Prozess ein, Dick, Entwicklung, S. 130. 471 RA 1594 § 100 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 437, 438. 472 Vgl. RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 1. 473 Vgl. Lang, Lehre, S. 140, 141.
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wurde eingeführt, dass eine Rücknahme bereits eingelegter Revisionen gegen Erstattung entstandener Unkosten nur noch bis sechs Wochen vor dem ersten Mai zulässig ist. Eine spätere Rücknahme zog gem. § 24 eine Strafe nach sich, die im Ermessen der Visitatoren stand. Durch diese Regelung sollte vermieden werden, dass den Visitatoren und den zur Revision geladenen Beisitzern durch spontane Rücknahmen vermeidbare Kosten entstehen oder sie unnötiger Weise von ihrer sonstigen Arbeit abgehalten werden.474 Diese Regelung der Einlegungsfrist hatte zur Folge, dass der beschwerten Partei unter Umständen fast ein ganzes Jahr Zeit blieb, die Revision einzulegen. War ein Urteil beispielsweise zweieinhalb Monate vor dem ersten Mai ergangen, hatte die beschwerte Partei fast elf Monate Zeit, Revision einzulegen. Angesichts der ohnehin schon sehr lange dauernden Prozesse und der im Vergleich zur Revision sehr strikten Anforderungen der Appellation, bei welcher lediglich eine zehntägige Einlegungsfrist gewährt wurde,475 schien den Beisitzern eine derart lange Einlegungsfrist unbillig. In ihrem auf dem Reichsdeputationstag 1643 vorgelegten Gutachten über die Verbesserung des Justizwesens kritisierten sie daher, dass der Appellant, welcher unter strikter Einhaltung der zehntägigen Appellationsfrist an das Kammergericht appelliert und dort obsiegt habe, nun fast ein Jahr warten müsse, ob das erstrittene Urteil rechtskräftig werde oder ob er sich erneut auf eine langjährige Aus einandersetzung einstellen müsse: Es sei „wieder die Billigkeit […], daß nemlich derjenige, so ad Cameram appellirt, und die fatalia strictissime, bey Verlust der Sachen, observiren muß, nachdem er in causa triumphirt und sententiam vor sich erhalten, er fast ein gantzes Jahr warten muß, ob er der Urtheil geniessen könne, oder per Revisionem, welcher Erörterung wohl auf viel Jahr sich erstrecken kan, auf das weite Feld wiederum geführet werde“.476 Zur Vermeidung dieses Missstandes forderten sie, dass die beschwerte Partei innerhalb von drei Monaten ab dem Urteil Revision einzulegen habe.477 Entsprechend dieser Forderung einigten sich die Stände 1654 im JRA § 125 darauf, dass die Revision innerhalb von vier Monaten ab Verkündung des Urteils einzulegen ist.478 DepA 1557 §§ 23, 24 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 157. Dick, Entwicklung, S. 201. 476 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, S. 154. 477 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, S. 154. 478 JRA § 125 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; vgl. auch Lang, Lehre, S. 148–152. Die Frist wurde gegenüber dem Vorschlag des RKG von drei auf vier Monate verlängert, um den weiter vom Gericht entfernten Ständen die Einhaltung der Frist zu erleichtern, vgl. den entsprechenden Vorschlag Braunschweigs bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 252. Fristen sollten mit 30 Tagen pro Monat berechnet werden, sodass die Einlegungsfrist 120 Tage betrug, vgl. RKGO Teil 2 Tit. 30 § 4 bei Laufs, RKGO 1555, S. 210; Danz, Grundsätze, S. 639; Lang, Lehre, S. 166, 167 m. w. N. 474 Vgl. 475 Vgl.
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d) Einlegung der Revision beim Kurfürsten von Mainz und dem Kammergericht Die Revision war innerhalb der Einlegungsfrist sowohl beim Kurfürsten von Mainz als auch beim RKG einzulegen.479 Der Revident hatte die Durchführung aller im Rahmen der Revision erforderlichen Handlungen und Geschäfte einem eigenen Bevollmächtigten, in der Regel einem Notar, zu über tragen.480 Die Prokuratoren oder andere dem Reichskammergericht durch Eid und Pflichten verbundene Personen durften sich an der Revision nicht beteiligen481 und wurden mit Geldstrafen belegt, sofern sie es doch taten.482 Begründet wurde dies damit, dass die Prokuratoren „dem Kammergericht in corpore mit Eid und Pflichten zugethan, und demselben subordinirt sind“.483 Öffentlich gegen die Urteile des RKG aufzutreten und dem Ansehen und Respekt des Gerichts durch den der Revision immanenten Vorwurf der unrechtmäßigen und irrigen Gesetzes- und Rechtsanwendung zu schaden, würde ihren Pflichten gegenüber dem Gericht zuwider laufen.484 Bevor der Notar die Revision einlegen konnte, musste der Revident ihm zwei Generalvollmachten zu seiner Legitimierung beim Mainzer Kurfürsten und dem RKG ausstellen.485 Die Interposition der Revision erfolgte im Wege einer an den Kurfürsten von Mainz adressierten Supplik, in welcher der Revident die durch das kammergerichtliche Urteil erlittene Beschwer vorbrachte, mitteilte, dass er das Rechtsmittel der Revision einlegen wollte und darum bat, die entsprechenden Mitteilungen an den Kaiser und die künftigen Revisoren, sowie ein Denun ziationsschreiben zur Anzeige der Revision an das RKG zu erlassen.486 Dieser Supplik musste ein von der Kammergerichtskanzlei ausgefertigtes und mit Siegel beurkundetes Exemplar des kammergerichtlichen Urteils beigelegt werden.487 Die Kurmainzer Kanzlei erteilte dem Revidenten hieraufhin das 479 JRA § 125 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; vgl. auch Schildt, Reichskammergericht, S. 74; Danz, Grundsätze, S. 639, 640. 480 Schildt, Reichskammergericht, S. 74, 75; Mohl, Versuch II, S. 193. 481 Schildt, Reichskammergericht, S. 74, 75; Lang, Lehre, S. 167, 168; Danz, Grundsätze, S. 642; Neurode, Verfassung, S. 532. 482 Lang, Lehre, S. 184, 185. 483 Lang, Lehre, S. 168. 484 Vgl. Lang, Lehre, S. 168. Zur Gegenmeinung, wonach eine Einlegung und Durchführung der Revision durch die Prokuratoren zulässig sein soll, Lang, ebenda, S. 170–173. 485 Vgl. Danz, Grundsätze, S. 642; Schildt, Reichskammergericht, S. 75. 486 Neurode, Verfassung, S. 530; Danz, Grundsätze, S. 640. Vgl. auch die bei Neurode, ebenda, und Pütter, Practische Sammlung, S. 162, abgedruckten Suppliken. 487 Lang, Lehre, S. 192.
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beantragte Denunciations Schreiben, das die Einlegung der Revision bestätigte.488 Nach der Einlegung beim Kurerzkanzler hatte der Notar die Revision auch beim RKG einzuführen, indem er in der kammergerichtlichen Audienz den Recessum Introductionis Revisionis verlas und einen inhaltlich fast identischen schriftlichen Receß übergab.489 Im Wesentlichen handelte es sich hierbei um eine Mitteilung, dass Revision eingelegt wurde und eine Aufzählung der mit dem Receß überreichten Urkunden und Anlagen.490 Neben der bereits angesprochenen Generalvollmacht waren auch zwei Spezialgewalten zur Ablegung des Revisionseides im Namen des Revidenten und des Advo katen,491 das kurmainzische Denunciations-Schreiben, die Quittung über die bezahlten Kanzleigebühren und das Revisionslibell, in welchem die Revision begründet werden konnte, beim RKG einzureichen.492 Für die Einreichung des Revisionslibells konnte allerdings eine Fristverlängerung von drei Monaten beantragt werden, wenn der Abfassung desselben ein rechtliches Hindernis entgegenstand und dieses ausreichend bescheinigt wurde.493 Darüber hi naus musste ein Revisionslibell auch nicht zwingend eingereicht werden.494 Es stand dem Revidenten vielmehr frei, sich entweder nur auf die vorigen Akten zu berufen oder die Revision in einem Libell genauer zu begründen,495 wobei er sich im Falle einer genaueren Begründung nur auf die Akten stützen und nichts neues vorbringen durfte.496 Aufgrund der oftmals erst nach Fristablauf eingereichten Libelle wurde allerdings festgesetzt, dass die Revision für unzulässig erklärt werden solle, wenn die Partei die Einreichung ei488 Neurode, Verfassung, S. 531, bei welchem auch ein solches Denunciations Schreiben abgedruckt ist; vgl. auch Lang, Lehre, S. 231. 489 Vgl. den bei Pütter, Practische Sammlung, S. 163, 164, abgedruckten münd lichen und schriftlichen Receß. Vgl. auch Lang, Lehre, S. 231, 232. 490 Vgl. Pütter, Practische Sammlung, S. 163, 164; Lang, Lehre, S. 231. 491 Vgl. Danz, Grundsätze, S. 642; Schildt, Reichskammergericht, S. 75. 492 Vgl. die Receße bei Pütter, Practische Sammlung, S. 163, 164 und Lang, Lehre, S. 231; vgl. auch Danz, Grundsätze, S. 642. 493 Vgl. JRA § 125 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; Lang, Lehre, S. 252, 253; Danz, Grundsätze, S. 642; Neurode, Verfassung, S. 533. Neurode und Lang, ebenda, und der JRA § 125 sprechen zwar von „rechtlichen Hindernissen“, allerdings wurde bei glaubhafter Bescheinigung wohl auch Krankheit, vgl. Lang, ebenda, S. 253, oder Arbeitsüberlastung, Pütter, Practische Sammlung, S. 164, als Hindernis anerkannt. 494 Vgl. JRA § 125: „da er einige [Revisionsbeschwerden] zu produciren willens“, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. 495 Vgl. Danz, Grundsätze, S. 640, 641; Schildt, Reichskammergericht, S. 74; Berg, Darstellung, S. 167. 496 RKGO 1555 Teil 3 Titel 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276; vgl. auch Neurode, Verfassung, S. 533; Häberlin, Handbuch II, S. 511.
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nes Revisionslibells zwar ankündigte, dessen tatsächliche Einbringung innerhalb der Frist dann aber unterblieb.497 Neben den beizulegenden Urkunden und Anlagen musste in dem Receß der Revisionseid und die Leistung des noch zu taxierenden Sukkumbenzgeldes erboten werden.498 e) Revisionseid Der Revisionseid wurde erstmals in DepA 1600 § 145 geregelt und mit der Intention eingeführt, dass das „Cammer-Gericht mit denen bißhero zu sonderer Vernachtheilung der Justitien und derselben Execution indifferenter ohne allen Unterschied gesuchten Revisionen nicht so vielfältig molestirt und beschwert werde“.499 Nach § 145 musste der Revident allerdings noch nicht zwingend einen Revisionseid ablegen, sondern nur wenn die Gegenpartei dies verlangte.500 Der Eid konnte entweder durch die Revision einlegende Partei selbst oder durch ihren hierzu bevollmächtigten501 Anwalt vor dem RKG geleistet werden.502 Der gewünschte Effekt, dem ausufernden Gebrauch der Revision und der Hemmung der reichskammergerichtlichen Erkenntnisse abzuhelfen,503 wurde jedoch anscheinend nicht erreicht,504 weshalb im JRA schließlich geregelt wurde, dass bei jeder Revision sowohl der Revident als auch der Advokat unbedingt einen Revisionseid zu leisten hatten. Nach JRA § 125 war der Revisionseid von der Partei und ihrem Advokat in eigener Person oder durch 497 Der Gemeine Bescheid des RKG findet sich bei Oestmann, Gemeine Bescheide, S. 706, 707; Vgl. auch J. J. Moser, Von der Revision, S. 406, 407; Lang, Lehre, S. 265. Die Regelung diente dazu, Prozessverschleppung zu vermeiden, so Oestmann, ebenda, S. 708. Teilweise wurde allerdings auch die Ansicht vertreten, in derartigen Fällen sei nur die Einbringung des Libells präkludiert und die Revision lediglich auf die Akten zu stützen. Die Unzulässigkeit der Revision sei unverhältnismäßig, weil es den Parteien freistehe, überhaupt keinen Revisionslibell einzureichen, so Blum, Processus, S. 632; ihm folgend J. J. Moser, Von der Revision, S. 407, 408. 498 Vgl. Lang, Lehre, S. 231; Pütter, Practische Sammlung, S. 164. 499 DepA 1600 § 145, bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495. 500 Vgl. DepA 1600 § 145, bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495; vgl. auch Lang, Lehre, S. 146. 501 Ein Muster einer solchen Vollmacht, die es dem Anwalt ermöglichte einen Eid „in die Seele“ der von ihm vertretenen Partei zu leisten findet sich bei Lang, Lehre, S. 146, 147. 502 Vgl. DepA 1600 § 145, bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495. 503 Vgl. Lang, Lehre, S. 145. 504 Zur grundsätzlichen Ungeeignetheit des Kalumnieneides den Missbrauch der Appellation zu vermeiden, Hugo, Missbrauch, S. 56–70. Die Ausführungen dürften entsprechend für die Revision gelten.
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den von ihnen beauftragten Notar innerhalb der viermonatigen Revisionsfrist505 vor dem RKG zu leisten.506 Waren Revident und Advokat an der Ablegung des Eides verhindert, konnten sie ihren Notar bevollmächtigen, den Revisionseid für sie zu leisten.507 Eine Weigerung des Advokaten den Eid zu leisten, führte allerdings nicht zur Unzulässigkeit der Revision.508 Zur Bevollmächtigung mussten sie dem Notar jeweils eine Spezialgewalt erteilen, welche ihn zur „Leistung des Revisionseides in des Principalen und Advokaten Seele“ ermächtigte.509 Nach der Eidesformel hatten sie zu schwören, dass sie glauben, durch das „Urthel wider Recht beschwehrt zu sein, und daß ihr die vorhabende Revision nicht aus Gefährde oder böser Meinung zu Vernichtigung und Aufhaltung der Justiz und derselben Execution fordern, sondern allein zur Nothdurft suchet, auch keinen unnothdürftigen Aufschub begehren, und so ihr derhalben Rechten gefraget, die Wahrheit nicht verhalten, desgleichen in ermelten Sachen niemand anders, dann demjenigen, so das Recht zuläßt, etwas geben oder verheißen wolle, damit ihr die Urtehl erlangen, und erhalten möget. Alles getreulich und ohne Gefährde.“510 f) Leistung des Sukkumbenzgeldes Bereits in den Ordnungen von 1548 und 1555 war mit identischem Wortlaut geregelt, dass die Revision einlegende Partei zur Vermeidung von „calumnien 505 Umstritten war, ob der Eid dem Wortlaut des JRA § 125 entsprechend innerhalb der viermonatigen Frist tatsächlich abgelegt werden musste oder ob es ausreichte, wenn innerhalb dieser Frist die Spezialgewalten eingereicht und die Leistung des Eides angeboten wurden. Für letztere Ansicht wurde vorgebracht, dass der Notar zur Ablegung des Eides durch Zwischenurteil zugelassen werden musste und die Partei insofern keinen Einfluss darauf hatte, ob die tatsächliche Abgabe des Eides noch innerhalb der Frist erfolgte; so Cramer, Systema, S. 442, § 1559; ihm folgend Lang, Lehre, S. 271, 272; so im Erg. wohl auch Danz, Grundsätze, S. 640; a. A. Neurode, Verfassung, S. 535. 506 Vgl. JRA § 125 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; vgl. auch Neurode, Verfassung, S. 534, 535. 507 Vgl. Neurode, Verfassung; S. 534; Lang, Lehre, S. 286, 287. 508 Weigerte sich der Advokat den Eid selbst zu leisten oder von dem Notar in seine Seele schwören zu lassen, so führte dies nicht zur Unzulässigkeit der Revision, da es nicht die Schuld der Partei war und nicht in ihrer Macht stand, den Eid des Advokaten zu ersetzen, Lang, Lehre, S. 287; J. J. Moser, Von der Revision, S. 412. JRA § 125 war insofern dahingehend auszulegen, dass die Revision nur dann unzulässig ist, wenn das Versäumnis der Partei vorzuwerfen ist. Dem Advokaten wurde unter Androhung einer Geldstrafe auferlegt, die Spezialvollmacht zu erteilen, Lang, ebenda; J. J. Moser, ebenda. 509 Danz, Grundsätze, S. 642. 510 Der Revisionseid ist abgedruckt bei Lang, Lehre, S. 270; ein ähnlicher Eid bei Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß, S. 239.
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und mutwillen“ vor der Durchführung der Revision eine bestimmte Summe Geld, deren Höhe durch die Visitatoren je nach Beschaffenheit der Personen und der Streitsache festgelegt wurde, zu hinterlegen hatte. Als Strafe und zur Deckung der Kosten verfiel das Geld an den Fiskus, wenn das reichskammergerichtliche Urteil bestätigt wurde.511 Sofern das Urteil allerdings reformiert wurde, war der Betrag dem Revisionskläger zurückzuerstatten.512 Die Partei sollte das Sukkumbenzgeld, auch Sportulas genannt, „erlegen und darfür gnungsamlich verbürgen.“513 Ursprünglich waren die Sukkumbenzgelder von dem Revidenten tatsächlich zu hinterlegen, nachdem die Revisoren deren Höhe festgesetzt hatten.514 Als die Visitationen nicht mehr zustande kamen, trat an die Stelle der tatsächlichen Hinterlegung das Angebot, wegen der in Zukunft zu erlegenden Sukkumbenzgelder eine Kaution zu leisten, deren wirkliche Leistung allerdings nicht üblich gewesen zu sein scheint.515 Durch diese Praxis und den Umstand, dass ungewiss war, wann wieder eine Visitation zustande kam und die Höhe des zu erlegenden Sukkumbenzgeldes festgesetzt wird, verlor dieses seine abschreckende Wirkung weitestgehend.516 Das RKG forderte daher in seinem auf dem Deputationstag 1643 eingereichten Gutachten, dass bereits mit der Einlegung der Revision durch das RKG die Höhe der Sportulas festgelegt wird und der Revident dieses auch tatsächlich zu hinterlegen habe.517 Zudem sollte der Revident im Fall der Bestätigung des kammergerichtlichen Urteils mit einer ansehnlichen, den Umständen des Falles angemessenen Geld- oder Leibesstrafe bestraft werden.518 Das RKG versprach sich hiervon, „es solte sich mancher daran stossen, und so leichtlich dieses Mittels sich nicht unterfangen dörffen, noch die Revisiones so indifferenter und muthwilliger Weiß, wie bishero zu höchster Ungebühr, und Verkleinerung dieses höchsten Gerichts und ganzen Römischen Reichs, gleichsam keine Justitia mehr darinn zu finden wäre, beschehen, würden gesucht werden […].“519 Der Vorschlag des RKG fand zunächst auf dem Deputationstag 1643 Zustimmung520 und wurde auch noch auf dem Reichstag 1653 mit der Ergänzung, dass es den Revisoren frei stehen solle, die vom RKG festgelegten Sportulas zu mindern oder zu erhöhen, in das allgemeine Reichsgutachten aufge-
RKGO 1555 Teil 3 Titel 53 § 2 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. RKGO 1555 Teil 3 Titel 53 § 4 in Laufs, RKGO 1555, S. 277. 513 RKGO 1555 Teil 3 Titel 53 § 2 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 514 Vgl. Ompteda, Cammergerichts-Visitationen, S. 78, 79; Lang, Lehre, S. 268. 515 Lang, Lehre, S. 268. 516 Vgl. Häberlin, Handbuch II, S. 514. 517 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 154, 155. 518 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 155. 519 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 155. 520 Vgl. Neurode, Verfassung, S. 538, 539. 511 Vgl.
512 Vgl.
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nommen.521 Auf dem Reichstag 1653 wurden allerdings von einigen Ständen auch Bedenken geäußert, dem RKG die Festsetzung der Sukkumbenzgelder zu überlassen.522 Neben dem Argument, dass die Taxierung der Sportulas nach der RKGO Aufgabe der Visitatoren sei,523 wurde auch die Befürchtung geäußert, dass das RKG versuchen könne, durch die Auferlegung sehr hoher Sukkumbenzgelder die Parteien von einer Revision abzuhalten, damit dessen Assessoren nicht vor der Visitation das gesprochene Urteil rechtfertigen müssen.524 Mit Einlegung der Revision würden die Assessoren zur Gegenpartei, welcher man nicht die Möglichkeit einräumen sollte, dem Revidenten eine Überprüfung des Urteils zu erschweren.525 Diese Einwände führten dazu, dass der Vorschlag, die Sukkumbenzgelder durch das RKG festsetzen zu lassen, nicht in den JRA übernommen wurde.526 Nach JRA § 126 sollte die Höhe der Sukkumbenzgelder weiterhin von den Revisoren festgesetzt werden und diese „alsbald würklich ad archivum hinterlegt werden“.527 Zudem wurde, entsprechend dem kammergerichtlichen Vorschlag, die Möglichkeit eingeführt Partei und Advokaten im Falle mutwillig eingelegter Revisionen mit einer Geld- oder, wenn diese nicht gezahlt werden konnte, Leibesstrafe zu belegen.528 Die Strafen sollten zur Finanzierung des RKG und die Sukkumbenzgelder für den Unterhalt der Revisoren verwendet werden.529 Lediglich für die alten Revisionen, d. h. für diejenigen, welche erstens bereits vor dem Jahre 1654 eingelegt wurden, und zweitens, wenn der Revident auf das kaiserliche Edikt von 1653 hin angezeigt hatte, die Revision weiter zu betreiben, sollte die Höhe der Sporteln durch die Assessoren festgesetzt und den Parteien mitgeteilt werden.530 Die vom RKG 521 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 445; auch Neurode, Verfassung, S. 539. 522 Vgl. die Voten von Lautereck, Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 473, Altenburg, ebenda, S. 478, Ansbach, ebenda, S. 506, Hinterpommern, Halberstadt und Minden, ebenda, S. 561, Lübeck, ebenda, S. 564, Württemberg, ebenda, S. 571, 572; vgl. auch Neurode, Verfassung, S. 539. 523 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 506, 572. 524 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 571, 572. Das entsprechende württembergische Votum findet sich auch bei Neurode, Verfassung, S. 539, 540. 525 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 571, 572; ebenso bei Neurode, Verfassung, S. 539, 540. 526 Vgl. Neurode, Verfassung, S. 539. 527 JRA § 126 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663, 664. 528 Vgl. JRA § 126 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663, 664; vgl. auch Neurode, Verfassung, S. 542. 529 Vgl. JRA § 126 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 664. 530 Vgl. JRA § 126 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 664; vgl. auch Lang, Lehre, S. 297; Berg, Darstellung, S. 160; Neurode, Verfassung, S. 542.
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festgelegten Beträge konnten allerdings durch die Revisoren geändert werden und waren erst zu erlegen, „wann an die Sache die Hand geschlagen wird“.531 Unter dem Strich ergaben sich wohl keine gravierenden praktischen Unterschiede zwischen alten und neuen Revisionen, da das Sukkumbenzgeld in den alten Fällen erst zu zahlen war, wenn Hand an die Sache geschlagen wurde, also wenn sie durch die Visitation bearbeitet wurde. Bei neuen Revisionen sollte der Betrag durch die Revisoren am Anfang der Visitation bestimmt werden und war somit auch erst zu zahlen, wenn die Sache bearbeitet wurde.532 g) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen aa) Zulässigkeit der Appellation Im JRA wurde zudem geregelt, dass die Revision nur stattfinden sollte, wenn auch die Appellation zulässig war, respektive zulässig wäre. Es galt die Regel: Ein Fall der nicht appellabel ist, ist auch nicht revisibel.533 Allerdings gab die Regelung im Jüngsten Reichsabschied Anlass zu einer Kontroverse. JRA § 125 lautete: „In Fällen, da die Appellationes vermög gemeiner Rechten nicht zuläßig, sollen auch die Revisiones nicht statt finden […].“534 Ferner wurde in JRA § 127 geregelt, dass „auch in den Sachen und Fällen, da von dem Unterrichter an Unser Cammer-Gericht nicht appellirt werden kan, auch von demselben Cammer-Gericht, da sie daselbst in Gestalt simplicis querelae angebracht, keine Revision statt haben“ soll.535 Das Verhältnis dieser beiden Normen zueinander und ihr jeweiliger Regelungsgehalt waren im Einzelnen umstritten.536 Teilweise wurde die Ansicht vertreten, § 125 umfasse lediglich Verfahren, welche in zweiter Instanz537 an das RKG gelangten. Werde von einem Untergericht unzulässigerweise an das RKG appelliert und die Appellation dort verworfen, so solle hiergegen keine Revision möglich sein. § 127 betreffe dagegen Verfahren, welche in erster Instanz per modum simplicis querelae sive in prima instantia an das RKG gelangten und 531 JRA § 126 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 664; vgl. auch Lang, Lehre, S. 297. 532 Im Erg. wohl ebenso Lang, Lehre, S. 267, 268. 533 Riefl, Bd. 4, S. 125; Selchow, Einleitung, S. 939. 534 Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. 535 Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 664. 536 Der Streitstand wird dargestellt bei J. J. Moser, Von der Revision, S. 348–352; Neurode, Verfassung, S. 543–545 und Selchow, Einleitung, S. 939–941. 537 Tatsächlich war das RKG oft auch schon die dritte oder vierte Instanz, da das Verfahren in den jeweiligen Territorien schon mehrere Instanzen durchlaufen hatte, vgl. Schildt, Reichskammergericht, S. 67.
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dort entschieden wurden. In diesen Fällen sei eine Revision ebenfalls nicht zulässig, wenn auch gegen eine hypothetische Entscheidung des Untergerichts eine Appellation nicht zulässig gewesen wäre.538 Nach dieser Meinung war also die Revision nach § 125 unzulässig, wenn die Appellation tatsächlich unzulässig war. Nach § 127 war die Revision unzulässig, wenn bei einer erstinstanzlichen Entscheidung des RKG eine (hypothetische) Appellation nicht zulässig gewesen wäre.539 Die beiden Paragrafen regelten hiernach also nicht grundsätzlich unterschiedliche Fälle, sondern § 127 stellte nur klar, dass auch in Fällen, die in erster Instanz an das RKG gelangt waren, keine Revision erfolgen sollte, wenn eine Appellation unzulässig gewesen wäre.540 Nach einer anderen Ansicht galt § 125 sowohl für Fälle die in erster In stanz, als auch für solche, die in zweiter Instanz an das RKG gelangten. Hiernach sollte die Revision, unabhängig davon, ob das Verfahren in erster oder zweiter Instanz ans RKG gelangt war, immer nach § 125 ausgeschlossen sein, wenn die Appellation unzulässig war. § 127 regele dagegen Fälle, in welchen eine Partei wegen eines Privilegium de non appellando nicht an das RKG appellieren kann und die Sache deshalb per simplicis querelae dorthin bringt, um so das Appellationsverbot zu umgehen. In diesen Fällen sollte gegen das abweisende Urteil des RKG ebenfalls keine Revision zulässig sein.541 Unabhängig von diesem Meinungsstreit herrschte jedoch Einigkeit darüber, dass die Revision nur in solchen Fällen zulässig sein sollte, in welchen auch die Appellation zugelassen wurde.542 Die Appellation war beispielsweise nicht zulässig gegen Interlokute, welche keine irreparable Beschwer verursachten, Vollstreckungsbefehle, Ladungen, in summarischen (Besitz-) Streitigkeiten, Zehent- und Ehesachen, peinlichen Sachen und natürlich auch, wenn ein Privilegium de non appellando bestand.543 538 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 351; Selchow, Einleitung, S. 940; Neurode, Verfassung, S. 544. 539 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 351; Selchow, Einleitung, S. 940; Neurode, Verfassung, S. 544. 540 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 351. Dagegen ist Selchow, Einleitung, S. 940, der Meinung die beiden §§ enthielten „zweyerley Fälle“, obwohl er grundsätzlich auch der Meinung war, „daß § 125 diejenigen casus begreift, welche in in stantia secunda, § 127 die in prima instantia an die Reichsgerichte kommen.“ 541 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 351, 352; Selchow, Einleitung, S. 940; Neurode, Verfassung, S. 544, 545; Blum, Processus, S. 630, 631. 542 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 348–352; Neurode, Verfassung, S. 543– 545; Selchow, Einleitung, S. 939–941; im Erg. ebenso Häberlin, Handbuch II, S. 510; Danz, Grundsätze, S. 638, 639; Berg, Darstellung, S. 158; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 378. 543 Eine umfassende Aufzählung findet sich bei Selchow, Einleitung, S. 519–522; vgl. auch Schildt, Reichskammergericht, S. 68; Dick, Entwicklung, S. 199.
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bb) Anzeige gem. den Aufforderungen von 1653 und 1766, die Revision fortsetzen zu wollen Zur Verringerung der unerledigten Revisionen wurden in den Jahren 1653 und 1766 kaiserliche Edikte erlassen, in welchen die Revidenten aufgefordert wurden, innerhalb einer bestimmten Frist anzuzeigen, ob sie die anhängigen Revisionen weiter betreiben wollten.544 Wurde die Anzeige nicht innerhalb der Frist beim Kurerzkanzler und bei dem RKG abgegeben545 oder Gründe dargelegt, weshalb die Anzeige momentan nicht möglich sei, wurde die Revision als „desert“ behandelt.546 Die fristgerechte Anzeige, die Revision fortsetzen zu wollen, war für Revisionen, welche jeweils schon vor diesen Edikten eingelegt worden waren, also eine zusätzliche Zulässigkeitsvoraussetzung. 3. Begründetheit der Revision a) Grundlage des Revisionsurteils War die Revision zulässig, hatten die Revisoren anhand der kammergerichtlichen Akten zu überprüfen, ob das RKG tatsächlich ein „unrechtmessig oder nichtig urtheyl“ gesprochen hatte.547 Sofern die Revisoren zu dem Ergebnis kamen, dass das Urteil „gerecht erfunden“ war, sollte es bestätigt werden.548 War allerdings etwas „durch die urtheyler ubersehen und geirrt oder söllich urtheyl sunst nichtig oder dem rechten nit gemeß“ so war die Entscheidung zu „reformieren“.549 Zur Überprüfung des Urteils sollten die Revisoren die Akten der Revi sionssache nochmals gründlich durchsehen und sich von den an der Urteilsfindung beteiligten Assessoren die Ursachen und Gründe des Urteils erläutern 544 Vgl. das Edikt von 1653 bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 460; vgl. auch J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 707, 708; Häberlin, Handbuch II, S. 512; Neurode, Verfassung, S. 529, 530. 545 Umstritten war, ob die Anzeige sowohl bei Kurmainz, als auch bei dem RKG einzureichen war. Das kaiserliche Edikt von 1653 erforderte beides, JRA § 130 spricht hingegen nur von einer Anzeige bei der Reichskammergerichtskanzlei, vgl. das Edikt bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 460; JRA § 130 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 665; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 707. 546 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 460; vgl. auch J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 707, 708; Häberlin, Handbuch II, S. 512; Neurode, Verfassung, S. 529, 530. 547 Vgl. RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 1 in Laufs, RKGO 1555, S. 275. 548 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 4 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 549 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 4 in Laufs, RKGO 1555, S. 276, 277.
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lassen.550 Die Hinzuziehung und Anhörung der Assessoren war notwendig, da die reichskammergerichtlichen Urteile nicht schriftlich begründet wurden551 und die Beisitzer den Revisoren deshalb „die ursachen und gründe, darauß sollich urtheyl geschöpft ist“552 erläutern mussten. Nach der RKGO von 1555 sollten zwar alle beschlossenen Urteile mitsamt den Namen der mitwirkenden Assessoren schriftlich festgehalten werden und sofern sich die Beisitzer bei dem Urteil nicht einig waren, sollten auch „die beweglichen Ursachen, darauß die urtheyl gesprochen ist“ protokolliert werden.553 Der Umstand, dass die Entscheidungsgründe nur im Falle von Meinungsverschiedenheiten unter den Richtern aufgezeichnet werden sollten, spricht allerdings dafür, dass diese Regelung nicht dazu gedacht war, die Überprüfung der reichskammergerichtlichen Urteile zu erleichtern. Hierzu wäre es sinnvoll gewesen, die Entscheidungsgründe grundsätzlich festzuhalten, damit die Revisoren auch bei einstimmig gefällten Urteilen darauf hätten zurückgreifen können. Die Beschränkung der Protokollierung der Urteilsgründe auf den Fall unterschiedlicher Meinungen der Beisitzer, sowie die explizite Anordnung die Namen ebenfalls niederzuschreiben, lässt eher vermuten, dass die Regelung dazu diente, die Arbeitsweise und Fähigkeit einzelner Assessoren überprüfen zu können. In jedem Fall aber erfolgte die schriftliche Fixierung von Entscheidungsgründen nur für den internen Gebrauch am Reichskammergericht, denn eine Mitteilung der Entscheidungsgründe an die Parteien erfolgte bis zur Auflösung des RKG nicht554 und es wurde penibel darauf geachtet, dass sowohl die beteiligten Assessoren als auch die Beratschlagungen, die Voten der Assessoren und dergleichen geheim gehalten wurden.555 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 §§ 4 und 9 in Laufs, RKGO 1555, S. 276, 278. zur fehlenden Urteilsbegründung am RKG: Werkmüller, Urteilsbegründung, Sp. 613; Sellert, Urteilsbegründung, S. 101–103; Gehrke, in: Coing, Handbuch der Quellen II / 2, S. 1348; Diestelkamp, Arbeit des RKG, S. 305, 306. Vgl. zur fehlenden Urteilsbegründung in der Neuzeit allgemein: Sellert, ebenda, S. 97–113; Gehrke, ebenda, S. 1347–1349. 552 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 4 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 553 RKGO 1555 Teil 1 Tit. 28 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 116. 554 Vgl. Gehrke, in: Coing, Handbuch der Quellen II / 2, S. 1348; Dick, Entwicklung, S. 177; Sellert, Urteilsbegründung, S. 103. Vgl. zum Fehlen der Entscheidungsgründe im Urteil auch Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß, S. 110, 149. 555 Vgl. Brinkmann, Richterliche Urtheilsgründe, S. 42, 43; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 359–361. Den Richtern war es zwar nicht explizit verboten, die Urteile gegenüber den Parteien zu begründen, allerdings wurde ein Richter, der dies tat in der Regel „für einen Jecken und wahnsinnig gehalten“, vgl. Cramer, Gedancken, in: Nebenstunden, 75. Teil, S. 82–85, 103, 140, 141; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 358, 359 mit Fn. 1926. Darüber hinaus gab es etliche Regelungen, welche das Kammergerichtspersonal zur Geheimhaltung der Akten, der gerichtlichen Händel, der Referenten, der Beratschlagungen und deren Conclusa, sowie der einzelnen Voten der Beisitzer verpflichteten, vgl. RKGO 1495 § 3 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, 550 Vgl. 551 Vgl.
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Ein explizites gesetzliches Verbot der Bekanntgabe von Entscheidungsgründen existierte zwar nicht,556 allerdings hatte das RKG im Jahre 1557 erklärt, dass sich die Ursachen für die abschlägige Entscheidung aus dem Urteil ergeben und es keinem Richter gebührt, darüber hinausgehende Urteilsgründe anzuzeigen.557 Im JRA wurde zwar schließlich angeordnet, dass die Beisitzer in Religionssachen ihre Urteilsgründe schriftlich zu den Akten geben sollten, damit erkennbar wird, ob sie den Rechten gemäß geurteilte hatten oder nicht.558 Allerdings dienten auch in diesem Fall die Entscheidungsgründe nur gerichtsinternen Zwecken und wurden den Parteien nicht mitgeteilt.559 Ein Grund für diese Anordnung könnte, neben der allgemeinen politischen Bedeutung von Religionssachen, der Umstand gewesen sein, dass es aufgrund des langen Stillstandes der Visitationen bei alten Revisionssachen Probleme mit der Ermittlung der Entscheidungsgründe gab, weil die zwischenzeitlich verstorbenen oder vom RKG abgegangenen Richter nicht gehört werden konnten und keine schriftlichen Aufzeichnungen vorlagen.560 S. 7; Reformation des RKG 1531 § 31, ebenda, S. 349; RKGO 1538 Einleitung, ebenda, S. 420; RKGO 1555 Teil 1 Tit 13 §§ 16, 17 in Laufs, RKGO 1555, S. 97, 98; RKGO 1555 Teil 1 Tit 57, ebenda, S. 151; VA 1713 §§ 88–90 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 4. Teil, S. 279. Eine Ausnahme von der Geheimhaltung der Entscheidungsgründe galt für prozessabweisende Zwischenentscheidungen, bei welchen den Parteien gelegentlich die Gründe mitgeteilt wurden, insbesondere, wenn es sich um formelle und behebbare Mängel bei der Klageerhebung handelte, Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 360, 361; Cramer, Gedancken, in: Nebenstunden, 75. Teil, S. 103. 556 Vgl. Cramer, Gedancken, in: Nebenstunden, 75. Teil, S. 103, 104; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 358, 359. 557 Auf Beschwerden über fehlende Urteilsgründe hatte das RKG erklärt: „[…] so werden je zu Zeiten die Supplicanten mit denen Decrets so viel thunlich, und von Rechtswegen geschehen kan, gnugsam gewiesen, dergestalt, daß sie daraus die Ursach des Abschlagens, wo sie ihme nachdencken wollen, wohl vernehmen mögen; […] dieweil keinem Richter, vermöge der Rechten gebührt, denen Partheyen die Ursachen seiner Erkanntnis in specie anzuzeigen, noch vielweniger eine Parthey, wie sie das Recht gegen eine andere suchen und fürnehmen solle, zu informiren und sich damit partheyisch zu machen, zu dem, daß solches in viele wege zur Verkleinerung des Gerichts Auctoritaet gereichen und denen Procuratoren zu mehrem Unfleiß auch sonsten denen Partheyen, die dann nit leichtlich abzuweisen, sondern gemeiniglich ihrer Sachen fug und Recht haben wollen, zu allerhand Cavillationen und Nachreden Ursach geben würde.“ Harpprecht., Staatsarchiv, 6. Teil, S. 430, 431. 558 JRA § 157 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 668: „ […] deßwegen auch die Rationes, Ursachen und Motiven seines Voti, (damit man daraus sehen möge, ob sie den Rechten und erstgemeldeten Reichs-Verordnungen conform und gemäß oder nicht,) in Schriften übergeben […]“. 559 Vgl. Gehrke, in: Coing, Handbuch der Quellen II / 2, S. 1348; Sellert, Urteilsbegründung, S. 103. 560 Vgl. Harpprecht., Staatsarchiv, 5. Teil, Vorbericht, S. 40: „Es wird daher wegen derer alten Revisions-Sachen viele Schwürigkeiten setzen, wo so wohl die Personen, als die ehemals abgelegte Vota ermangeln […].“
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Die Geheimhaltung der Urteilsgründe erschwerte den Parteien natürlich sowohl die Einschätzung der Erfolgschancen der Revision, als auch deren Begründung. Obwohl der Revident die Gründe der Entscheidung nur erahnen konnte, war ihm gestattet, die Ursachen seiner Beschwer in einem Schriftsatz darzulegen.561 Zur Begründung der Revision stand es dem Revidenten frei, sich lediglich auf die Akten der Vorinstanz zu berufen oder die Gründe für die Unrechtmäßigkeit des Urteils näher auszuführen.562 Die Revision wurde abgewiesen und der Revident mit einer Strafe belegt, wenn sich aus den Akten oder dem Schriftsatz ergab, dass sie „frivola“, also offenkundig unbegründet, eingelegt wurde.563 War dies nicht der Fall, wurde sie der Gegenpartei zugestellt, welcher hieraufhin gestattet war, ebenfalls in einem Schriftsatz ihren Standpunkt zu erläutern.564 Weitere Schriftsätze waren nicht zugelassen und beide Parteien durften keine neuen Tatsachen vorbringen.565 b) Ausschluss neuen Tatsachenvortrags Die RKGO ordnete an, dass die Parteien in ihren Schriftsätzen „nichts newes, sonder alleyn die irrsall und ableynung“ vorbringen durften.566 Neue Tatsachen durften im Rahmen der Revision also nicht mehr vorgetragen werden und die Parteien hatten auf Grundlage der Akten darzulegen, warum das kammergerichtliche Urteil ihrer Meinung nach aufzuheben bzw. zu bestätigen war.567 Bei der Revision handelte es sich um „eine wiederholte Vergleichung der schon vorgebrachten Thatsachen mit den Gesetzen, […] um die Rechtmäßigkeit der Urtheile des Kammergerichts […] zu untersuchen, und darüber zu erkennen.“568 Sofern die Abänderung eines Urteils auf neue Tatumstände oder Beweise gestützt werden sollte, war die RestituRKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 1555 Teil 3 Tit. 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276 und JRA § 125 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; Umstritten war, ob es prozesstaktisch sinnvoller war, in dem Revisionslibell schon auf einzelne Punkte besonders hinzuweisen oder überhaupt kein Revisionslibell abzugeben und die Revisoren so zu zwingen, die gesamten Akten nochmal genau zu überprüfen, vgl. Selchow, Einleitung, S. 941; J. J. Moser, Von der Revision, S. 462. 563 Vgl. JRA § 126 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663, 664; Selchow, Einleitung, S. 942. 564 Vgl. RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 565 Vgl. RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 566 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 567 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 472; Danz, Grundsätze, S. 637; Häberlin, Handbuch II, S. 511; Gaill, Practicarum, S. 563; Schwanmann, De processibus I, S. 344; ders., Practicae observationes, S. 304. 568 Berg, Darstellung, S. 156, 157. 561 Vgl.
562 RKGO
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tion569 einschlägig,570 im Rahmen der Revision wurden neue Tatsachen jedoch nicht mehr berücksichtigt.571 Ausgenommen von dem Verbot, neue Tatsachen vorzubringen waren allerdings solche nova, welche sich erst während der Revision ergaben.572 Als Beispiel für Tatsachen, welche noch während der Revision vorgebracht werden konnten, nennt J. J. Moser den Abschluss von Verträgen zwischen den Parteien nach dem kammergericht lichen Urteil.573 Hiermit war allerdings nicht gemeint, dass Tatsachen schon vor der Revision existierten und die Partei erst später davon Kenntnis erlangte, in diesen Fällen war die Restitution einschlägig. Die Überprüfung der kammergerichtlichen Urteile war somit auf die Frage beschränkt, ob die Beisitzer das Recht auf den in den Akten festgehaltenen Sachverhalt richtig angewendet hatten.574 Diese Beschränkung auf die Überprüfung der Rechtanwendung erfolgte sicherlich aus verschiedenen Gründen. Zum einen zwang sie die Parteien, die anspruchsbegründenden Tatsachen schon in der Vorinstanz vorzutragen und schloss so die Möglichkeit aus, Tatsachen aus taktischen Gründen bis zur Revisionsinstanz zurückzuhalten, um den Prozess zu verschleppen.575 Insofern diente die Beschränkung der Prozessökonomie und der Beschleunigung des Verfahrens. Darüber hinaus wird gleich zu Beginn des Abschnittes über die Revision erklärt, dass die Revision eingeführt wurde, „Damit auch cammerrichter und beisitzer desto fleissiger sein, so sie besorgen müssen, daß die acta volgendts nach gesprochner urtheyl auch besichtigt und niemandt an dem cammergericht unrecht geschehe“.576 Mit der Revision sollte folglich sichergestellt werden, dass am RKG niemandem Unrecht geschehen werde und die Beisitzer ord569 Vgl. zur Restitution allgemein: Danz, Grundsätze, S. 613–623; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 390–394. 570 Vgl. Berg, Darstellung, S. 166, 167; Danz, Grundsätze, S. 637; Schildt, Reichskammergericht, S. 76. 571 Vgl. Danz, Grundsätze, S. 637; Häberlin, Handbuch II, S. 511; vgl. auch die Beispiele bei Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 384 und J. J. Moser, Von der Revision, S. 474–476, für Revisionsverfahren, in welchen neue Tatsachen verworfen und aus den Akten removiert wurden. Die Beispiele beziehen sich zwar auf Revisionsverfahren vor dem RHR, allerdings beruht der Ausschluss der neuen Tatsachen auch hier auf RKGO Teil 3 Tit. 53 § 4, vgl. J. J. Moser, ebenda, S. 473; Sellert, ebenda, S. 383. Zudem kam es bei Revisionen gegen kammergerichtliche Urteile seit dem Stillstand der ordentlichen Visitationen Ende des 16. Jahrhunderts gar nicht mehr zu einer Bearbeitung, sodass auch kein unzulässiger Tatsachenvortrag festgestellt werden konnte. 572 J. J. Moser, Von der Revision, S. 474. 573 J. J. Moser, ebenda; vgl. auch Selchow, Einleitung, S. 947. 574 Vgl. Berg, Darstellung, S. 166; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 383; ders., Revision (Supplikation), S. 27. 575 So Sellert, Revision (Supplikation), S. 28. 576 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 1 in Laufs, RKGO 1555, S. 275.
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nungsgemäß arbeiteten. Die Revision diente also nicht nur dem Schutz der Parteien vor einem unrechtmäßigen Urteil, sondern auch dazu, die Beisitzer zur gründlichen Rechtsanwendung anzuhalten und diese zu überprüfen. Eine Kontrolle der Rechtsanwendung war jedoch nur möglich, wenn neue Tat sachen ausgeschlossen waren. Nur wenn in der Revisionsinstanz der gleiche Sachverhalt zugrunde lag, konnte überprüft werden, ob die Beisitzer das Recht hierauf richtig angewandt hatten. Nach dem kammergerichtlichen Urteil neu vorgebrachte Tatsachen hätten womöglich dazu geführt, dass ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegt werden muss, der auch eine andere rechtliche Bewertung nach sich ziehen konnte.577 Eine sinnvolle Kontrolle der Rechtsanwendung wäre dann nicht möglich gewesen. Der Ausschluss neuer Tatsachen und die Beschränkung auf Rechtsfragen ermöglichte somit erst eine sinnvolle Kontrolle der Rechtsanwendung durch die Beisitzer. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Beweismittel der Prozessakte beigelegt wurden578 und den Revisoren – anders als im heutigen Revisionsverfahren579 – keine Beschränkungen hinsichtlich einer eigenständigen Beweiswürdigung auferlegt waren.580 Insofern war es wohl theoretisch möglich, dass die Revisoren eine abweichende Beweiswürdigung vornahmen und ihrer Entscheidung deshalb, trotz des Ausschlusses neuer Tatsachen, einen anderen Sachverhalt zugrunde legten als das RKG. Inwiefern dies in der Praxis tatsächlich vorkam, dürfte angesichts der Geheimhaltung der Entscheidungsgründe schwer zu überprüfen sein. Allerdings wurde die Beweiserhebung nicht vom RKG, sondern von Kommissaren durchgeführt581 und das Gericht selbst konnte sich somit nur eingeschränkt ein eigenes Bild von der Glaubhaftigkeit der Beweismittel machen.582 Darüber hinaus wurden die Zeugen entsprechend bestimmter Fragekataloge z. B. 577 Vgl. hierzu Oestmann in Einleitung zu Hugo, Missbrauch, S. 33 und Hugo selbst, ebenda, S. 87–89. Allerdings wendet Hugo diesen Gedanken auf die Appellation an und beschwert sich darüber, dass dem Richter der Vorinstanz oft vorgeworfen werde, ein unrechtmäßiges Urteil gefällt zu haben, obwohl sein Urteil aufgrund der in der Vorinstanz vorgetragenen Tatsachen rechtmäßig gewesen sei und erst wegen der im Rahmen der Appellation neu vorgebrachten Tatsachen anders zu beurteilen sei. Das Versäumnis der Parteien, rechtzeitig die für sie relevanten Tatsachen vorzubringen, werde so zum Vorwurf an den Richter der Vorinstanz übel geurteilt zu haben. 578 Vgl. Diestelkamp, Arbeit des RKG, S. 307; für den RHR: Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 314. 579 Vgl. § 559 ZPO. 580 Derartige Beschränkungen sind jedenfalls nicht ersichtlich und die Beweismittel waren Bestandteil der Akten, auf welche die Revisoren ihre Entscheidung stützen sollten. 581 Vgl. Dick, Entwicklung, S. 168; Diestelkamp, Arbeit des RKG, S. 306; Brinkmann, Rechtsleben, S. 26, 27. 582 Vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 321, 322; Dick, Entwicklung, S. 169.
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über ihren Stand und ihre finanzielle Situation befragt, was zur Einschätzung ihrer Glaubwürdigkeit dienen sollte583 und eine recht formelle Beurteilung der Beweismittel vermuten lässt. Die Bewertung der Beweismittel dürfte daher trotz grundsätzlich freier richterlicher Beweiswürdigung am RKG584 maßgeblich von den kommissarischen Protokollen beeinflusst gewesen sein, auf welche auch die Revisoren ihre Entscheidung stützten, sodass unterschiedliche Beweiswürdigungen und hieraus resultierende Abweichungen beim zugrunde gelegten Sachverhalt eher die Ausnahme gewesen sein dürften. Die Intention, mit der Revision nicht nur die Parteien vor unrechtmäßigen Entscheidungen zu bewahren, sondern auch die Beisitzer und deren Rechtsanwendung zu überprüfen, zeigt sich auch in den ausführlichen Regelungen über den Umgang mit unrechtmäßig urteilenden Richtern. Die RKGO unterschied dazwischen, ob die Rechtsanwendung aufgrund von Unachtsamkeit und Irrtum oder von Betrug und Arglist fehlerhaft erfolgt war.585 Für die Begründetheit der Revision machte diese Differenzierung zwar keinen Unterschied, allerdings waren die Rechtsfolgen für die urteilenden Beisitzer unterschiedlich. Folgte die „nichtigkeyt oder ungerechtigkeit erstgesprochner urtheyl nit auß betrug oder argelist, sonder alleyn auß ubersehen, unfleiß, unwissenheyt oder irrsall“,586 so sollte der entsprechende Beisitzer verwarnt, suspendiert oder gar aus dem Gerichtsdienst entlassen werden.587 Diese Maßnahmen sollten sicherstellen, dass nur taugliche und qualifizierte Beisitzer am RKG tätig waren und stellten keine Bestrafung im engeren Sinn dar.588 Gegen einen Urteiler, der arglistig gehandelt und aufgrund „von geschenck, miedt, gab, bitt, freundtschaft, feindtschaft oder ander dergleichen ursach eyn nichtige oder ungerechte urtheyl geben“ hatte, war eine „gebürliche straff“ vorzunehmen und der beschwerten Partei stand gegen diesen zudem die Syndikatsklage frei.589 Darüber hinaus war der un583 Vgl. Diestelkamp, Arbeit des RKG, S. 306, 307; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 322, 323. 584 Vgl. hierzu Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 317, 318; Dick, Entwicklung, S. 171. 585 Vgl. RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 5 und § 6 in Laufs, RKGO 1555, S. 277. 586 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 5 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 587 Vgl. Berg, Darstellung, S. 162. Teil 3 Tit. 53 § 5 verweist bzgl. des Vorgehens gegen den unfleißigen Richter auf die vorausgehenden Teile der RKGO und was „sunst recht und billich ist“. In Teil 1 Tit. 5 der RKGO war geregelt, dass Urteiler, welche „im referiren und votis nit gnug gelehrt, geübt und erfarn oder sunst seines wesens oder ander sachen halb untüglich angesehen“ wurden zunächst verwarnt und sofern dies nichts half von dem Gericht entfernt werden sollten, in Laufs, RKGO 1555, S. 79. Vgl. zur Entfernung untauglicher Kammergerichtspersonen auch Teil 1 Tit. 50 § 2, ebenda, S. 147. 588 Vgl. Berg, Darstellungen, S. 72, 73. 589 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 6 in Laufs, RKGO 1555, S. 277.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
redliche Beisitzer ohne vorherige Verwarnung aus dem Gerichtsdienst zu entfernen.590 Für die Begründetheit der Revision war es jedoch egal, ob die Unrechtmäßigkeit des Urteils auf Irrtum oder Arglist beruhte. Im Falle eines arglistig gefällten Fehlurteils sollte sich der Revident „nit alleyn der revision“ bedienen können, sondern „auch fug und macht haben, die urtheyler […] ad syndicatum zu stellen“.591 Die Syndikatsklage trat in diesen Fällen also nicht an die Stelle der Revision, sondern der Revident hatte neben der Revision die Möglichkeit, mittels der Syndikatsklage direkt gegen den arglistigen Beisitzer seinen Schaden einzuklagen.592 Allem Anschein nach wurde mit der Revision lediglich die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit und eine Kontrolle der Rechtsanwendung durch die Beisitzer angestrebt. Anders als die heutige Revision sollte die reichskammergerichtliche Revision nicht der Vereinheitlichung der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung dienen. Dies zeigt sich schon daran, dass es den Untergerichten mangels Veröffentlichung der Urteilsgründe überhaupt nicht möglich war, sich in zweifelhaften Rechtsfragen an den Revisionsurteilen zu orientieren und eine einheitliche Rechtsprechung auszubilden. Mitunter führten die kurzen Urteile des RKG ohne Sachverhalt und Gründe dazu, dass sogar das RKG selbst in „ähnlichsten Fällen, ja in ein und demselben Falle“593 zu unterschiedlichen Urteilen kam.594 Ähnliches dürfte auch für die Revisionsurteile der Visitation gegolten haben. Abgesehen davon, dass eine Rechtsfortbildung und -vereinheitlichung aufgrund der fehlenden Veröffent lichung der Urteilsgründe faktisch nicht möglich war, sollte die Revision nach dem Verständnis der Zeitgenossen nicht dazu dienen zweifelhafte Rechtsfragen zu klären. In den dubia cameralia von 1595 äußerte das RKG, dass „in puncto juris dubio Revisio nit statt haben“ sollte.595 Später wurde 590 Vgl. RKGO 1555 Teil 1 Tit. 50 § 2 in Laufs, RKGO 1555, S. 147; Berg, Darstellung, S. 72. 591 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 10 in Laufs, RKGO 1555, S. 279. 592 Vgl. Berg, Darstellung, S. 162, 163; Danz, Grundsätze, S. 647, 648. Ebenso Sellert, der zu Recht schreibt, die Syndikatsklage sei kein Rechtsmittel, sondern eine privatrechtliche Haftung des Richters und im Falle der Rechtsbeugung werde keine besondere Nichtigkeitsklage zugelassen, sondern die Revision, Prozeßgrundsätze, S. 395, 396. Widersprüchlich hierzu sind allerdings seine Ausführungen in Revision (Supplikation), S. 28, Fn. 50, wo es heißt: „Handelte es sich um […] betrug oder arglist, also um schwere vorsätzliche Verfehlungen der Richter (Rechtsbeugung), kam keine Revision, sondern eine Nichtigkeits- und Syndikatsklage in Betracht.“ 593 Cramer, Von der allgemeinen Nützlichkeit, in: Nebenstunden, 76. Teil, S. 23. 594 Vgl. J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 680; Heusinger, Vom RKG, S. 25. 595 Vgl. Dub. 122 § 10, in CJC, S. 520.
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auch im Westfälischen Friedensvertag596 und in der RHRO597 ausdrücklich festgehalten, dass der Reichstag bei Zweifeln über die authentische Interpretation eines Reichsgesetzes entscheiden solle, wie dieses zu verstehen sei.598 4. Wirkung a) Devolutiveffekt Von einem Devolutiveffekt der Revision kann insofern gesprochen werden, als die Überprüfung der reichskammergerichtlichen Urteile von der Visitationskommission vorgenommen werden sollte599 und diese eine neue, höhere Rechtsprechungsebene darstellte.600 Die Revisoren wurden von den Zeitgenossen ihren Aufgaben und Befugnissen entsprechend als ordentliche Richter betrachtet601 und die Visitationskommission stellte gegenüber dem RKG insofern eine höhere Instanz dar. Dementsprechend wurde der Revision eine devolutive Wirkung zugerechnet und auch im JRA wurde geregelt, dass die Revision Effectus devolutivus haben solle.602 b) Suspensiveffekt Die Frage, ob durch die Revision die Rechtskraft des kammergerichtlichen Urteils aufgeschoben und dessen Vollstreckung gehemmt werden sollte, war umstritten und wurde im Lauf der Zeit unterschiedlich geregelt. In RA 1532 Tit. 3 § 17 wurde ursprünglich angeordnet, „daß nichts desto weniger mit der Execution der gesprochenen und erkannten Urtheil, am Cammer-Gericht vollnfahren und procedirt werde.“603 Die Revision sollte also ausdrücklich keine Suspensivwirkung haben.604 In der RKGO von 1555 wurde der Suspensiveffekt nicht explizit geregelt, allerdings hieß es in Teil 3 Tit. 53 § 4, dass „mit der execution solcher [i. R.d. 596 IPO Art. V § 56: Übersetzung von 1649 nach APW. Supplementa electronica, 1, URL: http: / / www.pax-westphalica.de / ipmipo / [27.10.2015]. 597 RHRO 1654 Tit. V § 22 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 210, 211. 598 Vgl. auch Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 398–400; ders., Recurs ad comitia, Sp. 446, 447. 599 Vgl. RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 1 in Laufs, RKGO 1555, S. 275. 600 Ebenso Sellert, Revision (Supplikation), S. 29; vgl. auch Schwartz, Civilproceß, S. 98. 601 Vgl. Mencke, Visitationen, S. 87, m. w. N.; Gaill, Practicarum, S. 563. 602 Vgl. JRA § 124 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. 603 In Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 359. 604 Vgl. Danz, Grundsätze, S. 645; Neurode, Verfassung, S. 506.
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Revision] reformirten urtheyl an dem cammergericht volnfaren werden“ soll.605 Zudem wurde in § 7 geregelt, dass im Falle einer Bestätigung der kammergerichtlichen Entscheidung „mit execution solcher erstgesprochner urtheyl an dem keyserlichen cammergericht fürgefarn“ werden sollte.606 Die widersprüchlichen Regelungen in RA 1532 und der RKGO von 1555 führten zu Meinungsverschiedenheiten, ob die Revision eine suspensive Wirkung habe oder nicht.607 Überwiegend wurde der Revision aufgrund der Formulierung der §§ 4 und 7 der RKGO 1555 allerdings eine suspensive Wirkung zugeschrieben.608 Insbesondere aus der Anordnung des § 7, dass im Falle einer Bestätigung des Urteils am RKG mit der Vollstreckung „fürgefarn“ werden solle, wurde im Umkehrschluss abgeleitet, dass die Vollstreckung bis zur Entscheidung über die Revision auszusetzen war.609 Mit dem Stillstand der Visitationen und den sich immer weiter anhäufenden, unerledigten Revisionen nahmen allerdings auch die Stimmen zu, welche sich gegen einen Suspensiveffekt der Revision aussprachen.610 Das RKG vertrat in seinen Dubia cameralia 1595 die Ansicht, in der RKGO sei mit keinem Buchstaben geregelt, dass die Revision zu einer Vollstreckungshemmung der kammergerichtlichen Urteile führe.611 Durch die großen Verzö gerungen würde es zu großen Nachteilen für die Richter und Parteien Laufs, RKGO 1555, S. 277. Laufs, RKGO 1555, S. 277; ebenso schon in Teil 3 Tit. 53 der RKGO 1548 in Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1436. 607 Neurode, Verfassung, S. 506. 608 Offenbach, De revisione actorum, in: Deckherr, Monumenta, S. 434; Gaill, Practicarum, S. 564; Schwanmann, Practicae observationes, S. 305; ders., De processibus I, S. 346; Meleander, In Noah Meureri … commentaria II, S. 36; Pütter, Epitome, S. 270; Limnaeus, Iuris publici, 3. Bd., IX, Cap. 2, Nr. 222; vgl. auch Danz, Grundsätze, S. 645, Anm. b); Wetzell, System, S. 776 Anm. 22); Mencke, Visitationen, S. 88–89; Dick, Entwicklung, S. 216, Fn. 1206; Sellert, Revision (Supplikation), S. 30, Fn. 62. 609 Gaill, Practicarum, S. 564; Offenbach, De revisione actorum, in: Deckherr, Monumenta, S. 434; Schwanmann, De processibus I, S. 346. 610 Vgl. Dub. 122 § 2, in CJC, S. 518. 611 Vgl. Dub. 122 § 6, in CJC, S. 519. Das für den Suspensiveffekt vorgebrachte argumentum e contrario bestehe nicht, da RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 7 nicht regele, „ob executio gäntzlich zu suspendiren, sondern ob die Executio perpetuum & irrevocabilem effectum hat, ita ut nec impediatur nec revocetur“, ebenda. Ebenso in Dub. 122 § 4, in CJC, S. 518, wo es heißt: In § 7 werde nicht geregelt, „ob in puncto Executionis möge procedirt, oder allerdings jurisdictio pro suspensa geachtet werden, sondern ob und in welchen Fällen die Executio realiter & cum effectu solito irrevocabili scilicet, ohne einige Einred, Hinderung, Appellation, Suppliciren, Revidiren ins Werck möchte gerichtet werden […].“ Nach der Ansicht des RKG lässt sich aus § 7 also nicht auf eine suspensive Wirkung der Revision schließen, sondern es werde lediglich zum Ausdruck gebracht, dass ab der Bestätigung des Urteils durch die Revisoren am RKG tatsächlich und unwiderruflich mit der Vollstreckung fortgefahren 605 In 606 In
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kommen,612 weshalb hinsichtlich des Suspensiveffektes danach zu unterscheiden sei, ob die Revision noch innerhalb eines Jahres ihren Fortgang finde oder nicht.613 Im ersteren Fall sei mit der Revision „still zu stehen und mit dem Proceß etwas einzuhalten“.614 Sei hingegen absehbar, dass die Revision nicht innerhalb eines Jahres bearbeitet werde, solle die Revision keine suspensive Wirkung haben, sondern mit dem Prozess fortgefahren werden.615 In diesem Falle sollten die Beisitzer anhand der Akten nochmals überprüfen, ob das „vorige Urtheil den Rechten gemäß, und mit Fug & de Jure nicht möge retractirt werden.“616 Sofern das Urteil als rechtmäßig erachtet wurde, sollte in der Sache „procedirt werden“.617 Lediglich in dem Fall, dass mit der Vollstreckung ein „gravissimum & irreparabile damnum, & periculum personae & vitae“ verbunden war, sollte die weitere Vollstreckung des Urteils ausgesetzt und der Ausgang der Revision abgewartet werden.618 Entgegen den Forderungen des RKG wurde die suspensive Wirkung der Revision in DepA 1600 § 144 jedoch bestätigt619 und ausdrücklich angeordnet, „daß pendente Revisione mit der Execution nicht zu verfahren, sondern damit eingehalten werden soll.“620 Ausgenommen hiervon waren allerdings Causae mandatorum de relaxando captivo und Causae decretorum alimentorum.621
werden solle. Hieraus ergebe sich jedoch nicht, dass die Vollstreckung bis zu diesem Zeitpunkt auszusetzen sei. 612 Vgl. Dub. 122 § 7, in CJC, S. 519. 613 Dub. 122 § 3, in CJC, S. 518. 614 Dub. 122 § 3, in CJC, S. 518. 615 Vgl. Dub. 122 § 8, in CJC, S. 519; vgl. hierzu bereits oben Fn. 379. 616 Dub. 122 § 8, in CJC, S. 519. 617 Dub. 122 § 8, in CJC, S. 519. 618 Dub. 122 § 8, in CJC, S. 519. 619 In DepA 1600 § 144 heißt es im Hinblick auf die bisherige Regelung des Suspensiveffektes: „[…] in unserer Cammer-Gerichts-Ordnung parte tertia tit. penultimo derwegen gut Versehung geschehen, darbey es zu lassen.“, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495. 620 In Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495; ebenso Concept der RKGO Teil 3 Tit. 63 § 5, in CJC, S. 762. 621 Vgl. DepA 1600 § 146, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 495; Concept der RKGO Teil 3 Tit. 63 § 6, in CJC, S. 762; vgl. auch Neurode, Verfassung, S. 506. Causae mandatorum de relaxando captivo betrafen gerichtliche Verfügungen im Mandatsprozess, durch welche ein zahlungsunfähiger Schuldner im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes aus der Schuldhaft entlassen wurde, vgl. Oestmann, Mandatsprozess, Sp. 1232. Causae decretorum alimentorum betrafen Beschlüsse über zu leistenden Unterhalt, vgl. Oberländer, Lexicon, S. 43.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Mit zunehmender Dauer des Stillstandes der ordentlichen Visitationen nahm jedoch auch die Überzeugung zu, dass der Suspensiveffekt eine wirksame Rechtsprechung und Justizpflege behinderte oder gar vollständig blockierte, so lange die Revisionen nicht erledigt wurden. Auf dem Deputationstag von 1643 nahmen daher die Gesandten den Vorschlag des RKG, den Suspensiveffekt jedenfalls so lange aufzuheben, bis die ordentlichen Visita tionen wieder in Gang gebracht und die Revisionen wieder erledigt werden, in ihr Gutachten auf.622 Auf der Grundlage dieses Gutachtens wurde auf dem Reichstag 1653 / 54 die Aufhebung des Suspensiveffektes schließlich beschlossen und in JRA § 124 geregelt.623 Bei den Beratschlagungen bestand zwischen den Ständen grundsätzlich Einigkeit darüber, dass es sinnvoll sei, den Suspensiveffekt aufzuheben.624 Allerdings forderten die evangelischen Stände, die suspensive Wirkung der Revision in Religionssachen beizubehalten und begründeten dies vordergründig damit, dass in derartigen Sachen ein „damnum irreparabile“ drohe, sowie der Streitwert nicht geschätzt werden und folglich keine ausreichende Kaution geleistet werden könne.625 Die wahre Motivation für eine Beibehaltung des Suspensiveffektes in Religionssachen dürfte vermutlich aber eher darin bestanden haben, dass die evangelischen Stände kein Interesse an einer Fortsetzung dieser Verfahren hatten, da sie einen für sie negativen Ausgang befürchteten.626 Das RKG hatte bereits im Vierklosterstreit entschieden, dass die evangelischen Stände wegen der Einziehung mittelbarer Klöster Restitution zu leisten haben.627 Diese Rechtsauffassung wurde auch von der Mehrzahl der protestantischen Assessoren und sogar von protestantischen Revisoren vertreten628 und so 622 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 10. Buch, S. 203; vgl. hierzu bereits oben S. 85. 623 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 409, 419 und 444, 445; vgl. auch oben S. 86. 624 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 14. Buch, S. 617, 618; vgl. auch die Äußerungen der einzelnen Stände bei der Diskussion des Reichsgutachtens, ders., Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 462 ff., passim; Neurode, Verfassung, S. XX. Ebenso Ruville, S. 116. 625 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 14. Buch, S. 618. Vgl. auch die Voten von Magdeburg, S. 465, Bremen, S. 471, Lautereck, S. 473, Altenburg, S. 476, 477, Coburg, S. 479, ebenda, 13. Buch. Vgl. allgemein zu dem Streit der katholischen und evangelischen Stände Neurode, Verfassung, S. 522–526. 626 So im Erg. schon Ruville, S. 116, 117; ihm folgend Smend, Reichskammergericht, S. 211, Fn. 1). 627 Smend, Reichskammergericht, S. 191; Mencke, Visitationen, S. 130; vgl. auch bereits oben S. 77. 628 Vgl. Mencke, Visitationen, S. 131, m. w. N.; Smend, Reichskammergericht, S. 191, 201.
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bestand für die evangelischen Stände die erhebliche Gefahr, dass sie in einer Vielzahl von Fällen eingezogene Kirchengüter zurückzugeben oder zu ersetzen hatten. Solange die Revisionen allerdings nicht bearbeitet wurden, versprach der Suspensiveffekt wirksamen Schutz vor einer Vollstreckung entsprechender Urteile.629 Neben dem Verweis auf die vermeintliche Besonderheit der Religionssachen beriefen sich die evangelischen Stände zudem darauf, dass eine Beibehaltung des Suspensiveffektes in Religionssachen bereits in das Gutachten des Deputationstages von 1643, als auch in das Gutachten des Reichstags von 1653 / 54 aufgenommen worden war.630 Die katholischen Stände bestritten dies allerdings und erklärten, die Aufrechterhaltung der suspensiven Wirkung in Religionssachen sei nach Abschluss der Verhandlungen versehentlich in das Protokoll geraten.631 Auf katholischer Seite konnte man natürlich auch die übrigen evangelischen Argumente nicht nachvollziehen und war der Ansicht, dass kein Unterschied zwischen Religionssachen und anderen Streitigkeiten bestand, der hinsichtlich des Suspensiveffektes eine unterschiedliche Regelung rechtfertigte.632 Demensprechend wurde auch eine unterschiedslose Aufhebung des Suspensiveffektes in allen Verfahren gefordert.633 Der Kaiser vertrat ebenfalls die Ansicht der katholischen Stände und sprach sich für eine unterschiedslose Aufhebung des Suspensiveffektes aus.634 Aufgrund des Widerstandes der evangelischen Stände konnte jedoch keine Einigung erzielt werden, weshalb die endgültige Entscheidung der
629 Vgl. hierzu auch die bei Ruville zitierte Äußerung einiger Mainzer Räte: Der Justizpunkt stoße sich an „dem effectu suspensivo in Religionssachen, in welchem die Katholischen den Protestirenden nicht weichen könnten, denn es würden ihnen diese ein Stift nach dem anderen sub variis praetextibus abzwacken, endlich auch gar an die weltlichen (Güter) kommen und eine Religionssach daraus machen, da hätten dann die Katholischen keiner Justiz noch Execution im Reich sich ferner zu getrösten […]“, ders., S. 117, Fn. 77. 630 Vgl. die Ausführungen von Altenburg in Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 476, 477. 631 Vgl. die Ausführungen von Österreich, S. 462, Worms, S. 471 und Cosnitz, S. 486, in Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch. „Was in puncto revi sionum ratione effectus suspensivi in Religions Sachen ultima Die dem Gutachten addiret worden, ist per errorem des Dictatoris beschehen, weil selbiger pass auf weitere Unterrede ist ausgestellt worden […]“, Cosnitz, ebenda. 632 Vgl. die Voten von Österreich, S. 463, Worms, S. 471, Würzburg, S. 473, Speyer, S. 478, Straßburg, S. 482, Augsburg, S. 489, 490, in Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch. 633 Wie Fn. 632. 634 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 14. Buch, S. 642.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Frage, ob die Aufhebung des Suspensiveffektes auch für Religionssachen gelte, auf den nächsten Reichstag verschoben wurde.635 In JRA § 124 wurde daraufhin geregelt, dass der Suspensiveffekt in Religionssachen jedenfalls bis dahin beibehalten werden sollte.636 In allen anderen Sachen wurde dagegen die suspensive Wirkung der Revision für die Zukunft aufgehoben.637 Für bereits anhängige Revisionen sollte die Aufhebung des Suspensiveffektes allerdings nicht gelten.638 Ebenso sollte die Vollstreckung weiterhin ausgesetzt werden, wenn mit ihr für die unterlegene Partei ein irreparabler Schaden verbunden war.639 Darüber hinaus sollte zum Schutz der unterlegenen Partei die Vollstreckung nur möglich sein, wenn die obsiegende Partei für den Fall, des Unterliegens in der Revisionsinstanz, eine ausreichende Sicherheitsleistung erbrachte. In welcher Höhe die vollstreckungswillige Partei diese „Caution de restituendo“ hinterlegte, stand in ihrem Ermessen. Allerdings konnte die unterlegene Partei eine unzureichende Sicherheitsleistung rügen, woraufhin der Richter nötigenfalls weitere Erkundigungen einholte640 und über die Angemessenheit der Kaution entschied.641 Die Entscheidung über die Frage, ob eine ausreichende Sicherheitsleistung erbracht war, traf das RKG.642 Eine Übertragung dieser Entscheidung auf die Visitationskommission wäre mit dem Sinn und Zweck der Sicherheitsleistung, eine zeitnahe Vollstreckung bei 635 JRA § 124, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; vgl. auch Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 14. Buch, S. 657; Ruville, S. 117. 636 JRA § 124, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; vgl. allg. zur Aufhebung des Suspensiveffektes auch J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 714; Danz, Grundsätze, S. 645, 646. 637 JRA § 124, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. 638 JRA § 124, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. 639 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 569. 640 Um Verzögerungen zu vermeiden und das Verfahren zu straffen sollte der Richter grundsätzlich ohne weitere Nachforschungen entscheiden, ob die Sicherheitsleistung ausreichend war. Hielt sich der Richter über den Wert der Sache und den Streitgegenstand jedoch nicht für ausreichend informiert, sollte er „ohne fernere Schrifft-Wechslung alsobald entweder bey den Creyß-ausschreibenden Fürsten der Obrigkeit, oder aber durch Mittel einer Commißion, wie er es für gut, und zu Beschleunigung des Proceß nützlich befinden würde, der eigentlichen Beschaffenheit sich wohl erkundigen, und alsdann darauf sprechen.“ Zudem stand es im Ermessen des Richters, die Parteien zu den erlangten Informationen noch mit einem Schriftsatz, welcher innerhalb von zwei Monaten einzureichen war, zu hören, vgl. JRA 124 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. 641 JRA § 124, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; vgl. zur Ermittlung der Höhe der Kaution auch Neurode, Verfassung, S. 516. 642 J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 721; Häberlin, Handbuch, S. 516; Mohl, Versuch II, S. 230; Neurode, Verfassung, S. 519; Danz, Grundsätze, S. 646.
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gleichzeitigem Schutz der unterlegenen Partei zu ermöglichen, nicht vereinbar gewesen.643 c) Beendigung des Verfahrens Unter den Zeitgenossen war umstritten, ob das Verfahren durch die Revision abschließend beendet wurde oder ob unter bestimmten Umständen noch weitere Rechtsmittel zulässig waren.644 Unstreitig war, dass der Rechtsstreit durch das Revisionsurteil jedenfalls dann endgültig beendet war, wenn das kammergerichtliche Urteil bestätigt wurde.645 Die RKGO schloss weitere Rechtsmittel gegen bestätigende Urteile ausdrücklich aus: „Im Fall aber, da die Urtheil durch die Verordnete bekrafftiget, soll es dabey ungeweigert, ohne weiter Appelliren, Suppliciren und Revidiren bleiben, und mit der Execution solcher erst gesprochener Urtheil fürgefahren […]“646 werden. Der Umstand, dass in der RKGO nur für den Fall eines bestätigenden Revisionsurteils weitere Rechtsmittel ausdrücklich ausgeschlossen wurden, führte teilweise zu der Ansicht, dass im Falle einer reformatorischen Entscheidung eine weitere Revision zulässig sei.647 Neben dem Argument, dass eine weitere Revision nur gegen bestätigende Urteile ausdrücklich verboten sei, wurde vorgebracht, dass es unbillig sei, wenn die durch das Urteil des höchsten Reichsgerichts erlangten Vorteile durch ein einzelnes Revisions urteil zunichte gemacht würden.648 Andererseits wurde die Ansicht vertreten, dass die RKGO nur von Rechtsmitteln gegen Urteile des Reichskammergerichts handele und nirgends ein 643 Gleichwohl kam es gegen Mitte des 18. Jahrhundert wegen eines missverständlich gesetzten Kommas in JRA § 124 vereinzelt zu Zweifeln, ob der Kautionspunkt nicht vor die Visitation gehöre, ausführlich hierzu: Mohl, Versuch II, S. 229–231; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 721, 722; Neurode, Verfassung, S. 515. 644 Siehe hierzu Berg, Darstellung, S. 175–177. 645 Vgl. Danz, Grundsätze, S. 645; Berg, Darstellung, S. 175. 646 Concept der RKGO Teil 3 Tit. 63 § 15 in CJC, S. 763; ebenso RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 7 in Laufs, RKGO 1555, S. 277. 647 Vgl. Berg, Darstellung, S. 175, 176; Danz, Grundsätze, S. 645. 648 Berg, Darstellung, S. 175, 176. Teilweise wurde die Ansicht vertreten, die Zulassung einer weiteren Revision im Falle einer reformatorischen Entscheidung sei auf Fälle zu beschränken, in welchen alle vorherigen Instanzen gewonnen wurden und die Partei in der Revisionsinstanz erstmalig unterlag, vgl. ebenda, S. 176, 177. Auf diesen Fall dürfte sich auch das Argument bezogen haben, es sei unbillig, alle bisher erlangten Vorteile durch ein einziges Urteil zunichte zu machen. Wieder andere wollten die Zulassung einer weiteren Revision gegen reformatorische Urteile auf Reichsunmittelbare beschränken, da diese oft in erster oder zweiter Instanz an das RKG gelangten, den Reichsmittelbaren mit der Revision dagegen drei oder vier Instanzen zur Verfügung standen, vgl. ebenda, S. 177.
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Rechtsmittel gegen Revisionsurteile gestattet wird.649 In Anbetracht des Stillstandes der Visitationen war dieser Streit allerdings eher theoretischer Natur, da es in der Praxis schon gar nicht zu einem (reformatorischen) Revisions urteil kam, gegen welches die vor dem RKG ursprünglich obsiegende Partei erneut hätte Revision einlegen können. Darüber hinaus setzten sich die Stimmen, welche die Zulassung einer weiteren Überprüfung reformatorischer Revisionsurteile forderten, nicht durch.650 Somit wäre auch im Falle einer Bearbeitung der Revisionen durch die Visitation die Einlegung weiterer Rechtsmittel nicht mehr möglich gewesen.651 Die in der Revisionsinstanz unterlegene Partei konnte zwar noch um Erläuterung des Urteils nachsuchen.652 Bei der Bitte um Erläuterung des Urteils handelte es sich allerdings schon gar nicht um ein Rechtsmittel, sondern lediglich um die Möglichkeit von dem Gericht klarstellende und verdeutlichende Ausführungen zu dem Urteil zu verlangen.653 Das Urteil an sich wurde hierbei nicht mehr in Frage gestellt und konnte nicht mehr abgeändert werden.654 5. Zusammenfassung a) Unübersichtliche Rechtslage nach Errichtung des RKG und Kontrollbedürfnis aufgrund verhältnismäßig großer Unabhängigkeit des RKG Zu Beginn der Tätigkeit des RKG war die Rechtslage bezüglich einer Überprüfung kammergerichtlicher Urteile unübersichtlich. Einerseits widersprachen einer Überprüfung kammergerichtlicher Urteile die Stellung des RKG als höchstem Reichsgericht sowie die RKGO von 1495, welche dessen „gestrackten Lauf“655 anordnete. Andererseits wurden schon kurz nach Errichtung des RKG mit Erfolg Beschwerden verschiedenster Art beim Kaiser und bald auch bei Reichstag und Reichsregiment vorgebracht, welche trotz der Anordnung des „gestrackten Lauf[s]“ des RKG auch angenommen wurden.656
649 Berg,
Darstellung, S. 176. Grundsätze, S. 391. 651 So im Erg. auch Dick, Entwicklung, 217; J. J. Moser, Grundsätze, S. 391–393; Neurode, Verfassung, S. 526. 652 Berg, Darstellung, S. 177; Danz, Grundsätze, S. 645. 653 Vgl. Danz, Grundsätze, S. 611; Schildt, Reichskammergericht, S. 76. 654 Vgl. Danz, Grundsätze, S. 611, 612. 655 RKGO 1495 § 25 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. 656 Siehe oben Kapitel A II 1 a) und b). 650 J. J. Moser,
II. Revision gegen Urteile des RKG121
Die Autorität des RKG und die Akzeptanz seiner Urteile wurden neben den tatsächlichen Eingriffen des Kaisers in dessen Gerichtsgewalt auch dadurch untergraben, dass verschiedene historische Gegebenheiten und die traditionelle Vorstellung von Gerichtsgewalt scheinbar für eine Überprüfungsmöglichkeit kammergerichtlicher Urteile sprachen. Diese wurden genutzt, um den Beschwerden, welche gegen den in der RKGO angeordneten „gestrackten Lauf“ verstießen, den Anschein von Rechtmäßigkeit zu geben. Bereits zu Zeiten des kaiserlichen Kammergerichts war es gängige Praxis gewesen, dass dessen Urteile einer erneuten Überprüfung durch den Kaiser unterzogen werden konnten.657 Darüber hinaus deckte sich die Möglichkeit, sogar gegen Urteile eines höchsten Reichsgerichtes Beschwerde einzulegen, mit der althergebrachten Vorstellung, wonach der Herrscher der Ursprung aller Gerichtsgewalt war.658 Diese Vorstellung wurde durch die im Rahmen der Rezeption wiederentdeckte Supplikation bekräftigt. Mit ihr hatten die Parteien ein konkretes Rechtsmittel, welches genau den Fall regelte, dass ein nicht mehr anfechtbares Urteil eines höchsten Gerichts eben doch noch durch den Kaiser überprüft werden konnte.659 Der Kaiser, der den ständischen Einfluß auf das RKG ohnehin nur widerwillig akzeptiert hatte, nutzte die Möglichkeit einen Teil der an die Stände verlorenen Jurisdiktionsgewalt wiederzuerlangen und nahm die Beschwerden gegen das RKG gerne an. Die Stände und insbesondere das RKG wehrten sich zwar gegen derartige Eingriffe, allerdings führte dies nicht dazu, dass die gängige Praxis geändert wurde. Die Stände beschränkten sich schon bald darauf, lediglich bei Eingriffen in laufende Verfahren an den „gestrackten Lauf“ zu erinnern.660 Hinsichtlich der übrigen Beschwerden unterstützten auch sie schon früh eine Überprüfung des RKG. Bereits auf dem Reichstag von 1512 wurden von den Räten der Stände verschiedene Beschwerden über allgemeine Mängel und konkrete Urteile des RKG bearbeitet, was Harpprecht als die „Anfangs-Gründe von einem eigentlichen Revisions-Geschäft“ bezeichnet.661 Neben der Motivation, an einer Überprüfung des RKG beteiligt zu sein und diese nicht alleine dem Kaiser zu überlassen, dürfte bei den Ständen Harpprecht, Staatsarchiv, 1. Teil, S. 93. Vorstellung wurde trotz aller Bemühungen, den Einfluss des Kaisers auf das RKG gering zu halten nicht grundsätzlich aufgegeben, vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 348. Vgl. auch Harpprecht, Staatsarchiv, 2. Teil, S. 91–92; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 489–490. 659 Im Erg. ebenso Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 648; Sellert, Revision (Supplikation), S. 24; vgl. auch Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 375–376; Mencke, Visitationen, S. 50, Fn. 279; Renaud, Lehrbuch, S. 526, 527. 660 Vgl. Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 356 und 365. 661 Harpprecht, Staatsarchiv, 3. Teil, S. 107. Vgl. auch oben S. 29–31. 657 Vgl.
658 Diese
122
A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
auch ein echtes Interesse an einer Kontrolle des RKG bestanden haben. Vielfach waren es die Stände selbst, welche sich über die mangelhafte Besetzung sowie die schlechten Urteile des RKG beschwerten und deren Überprüfung forderten. Zudem dürfte die mit der Errichtung des RKG einhergehende „Verselbstständigung und Verfestigung des Rechtsstabes gegenüber dem König“662 ein weiterer Grund für das Bedürfnis der Stände nach einer Überprüfung des Gerichts gewesen sein. Neben der von den Ständen erwünschten Lösung des RKG vom Kaiser, war es auch von den einzelnen Ständen relativ unabhängig. Dadurch, dass das RKG nicht mehr von einem einzelnen Herrscher abhing, sondern sowohl von verschiedenen Ständen, als auch vom Kaiser unterhalten und besetzt wurde, besaß es de facto eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Unabhängigkeit. Indem der ursprünglich beim Kaiser gebündelte Einfluss nun auf eine Vielzahl von Ständen und den Kaiser verteilt wurde, war keine der Parteien mehr stark genug, um eine maßgebliche Kontrolle über das Gericht ausüben zu können. Zu Recht hat schon Weitzel festgestellt, dass mit der Loslösung des RKG vom kaiserlichen Hof im Jahre 1495 die bis dahin grundsätzlich gegebene Verbindung von Rechtsprechung und politischer Reichsgewalt aufgehoben wurde.663 Die hieraus resultierende institutionelle Eigenständigkeit des RKG wurde zudem dadurch verstärkt, dass nicht mehr „die jederzeit politisch betroffenen Edlen des Reiches zu Gericht saßen, sondern gelehrte Juristen, die die Probleme in dem Bewusstsein angingen, Vertreter einer neuen Schicht zu sein, deren gesellschaftliche Stellung auf einer spezifischen fachlichen Qualifikation be ruhte“.664 Dies habe, trotz aller Eingriffe des Kaisers, des Reichsregiments und der Kurfürsten und trotz der Präsentation der Beisitzer durch die Stände zu einem „juristisch-elitär-unpolitischem Selbstverständnis“ des RKG geführt.665 Eines der zentralen Anliegen der Stände bei der Errichtung des RKG war zwar die Schaffung eines vom Kaiser weitestgehend unabhängigen Gerichts, allerdings dürften auch die Stände kein Interesse an einem Gericht gehabt haben, welches obrigkeitlicher Kontrolle in weiten Teilen entzogen war.666 Ganz sicher strebten weder die Stände noch der Kaiser eine Gewaltenteilung und eine daraus folgende unabhängige Justiz an. Das hieraus resultierende grundsätzliche Bedürfnis nach einer Kontrolle dieses, für das Verständnis der Zeitgenossen ungewöhnlich unabhängigen 662 Diestelkamp,
Krise des Reichsrechts, S. 484. Kampf um die Appellation, S. 352. 664 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 352. 665 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 352. 666 Im Erg. ebenso Weitzel, der der Ansicht ist, dass sowohl der Kaiser als auch die Stände kein wirkliches Interesse an einer juristisch festgelegten ‚wohlfunktionierenden‘ Gerichtsverfassung hatten, da diese nur ihr politisches Geschäft behindert hätte, Kampf um die Appellation, S. 352. 663 Weitzel,
II. Revision gegen Urteile des RKG123
Gerichts wurde zusätzlich durch das Misstrauen verstärkt, welches man den anderen Ständen und den von ihnen eingesetzten Beisitzern spätestens ab dem Aufkommen der Reformation und den damit verbundenen Konfessionsstreitigkeiten entgegen brachte.667 Dies zeigt sich besonders deutlich an der Überprüfung der fachlichen Qualifikation und insbesondere der persönlichen Eigenschaften der Beisitzer durch Personalexamen während der „Visitation & Inquisition“ des RKG von 1524 und den darauffolgenden Jahren.668 b) Einführung und Ausdifferenzierung von Überprüfungsmöglichkeiten Die völlig neue Situation nach der Errichtung des RKG und das daraus resultierende, anfangs vielleicht eher unterbewusst wahrgenommene, Bedürfnis nach einer Kontrolle des RKG führte schon früh zu Bestrebungen, das RKG einer Überprüfung zu unterziehen. Der alte Mechanismus, dass der Kaiser als oberster Richter Urteile des alten kaiserlichen Kammergerichts überprüfen konnte, war mit dem Grundgedanken eines vom Kaiser weitestgehend gelösten Gerichts nicht zu vereinen und musste auf den Widerstand der Stände treffen. Der von den kaiserlichen Räten im Jahre 1518 gemachte Vorschlag zeigt, dass es hierbei zunächst darum ging, ganz allgemein eine Überprüfung des RKG sowie dessen Personal zu ermöglichen und sowohl Urteile, Handlungen des Personals oder allgemeine Mängel des Gerichts als Beschwerdegegenstand zugelassen werden sollten.669 Da dieser Vorschlag nicht umgesetzt wurde, gingen die Beschwerden noch im Jahr 1524 an das Reichsregiment. Zu dieser Zeit wurden die Kontrollaufgaben und Kontrollmöglichkeiten der Visitation deutlich erweitert und deren Funktion als Kontrollorgan des RKG ausgebaut. Es kam zu wiederholten Überprüfungen des Reichskammergerichtspersonals mittels Personalexamen.670 Im Reichsabschied von 1530 wurde der Visitation zudem die Zuständigkeit für Beschwerden über Mängel oder ungebührliches Verhalten des RKG übertragen.671 Die Kontrollrechte der Visitation gegenüber dem RKG wurden hierdurch nur marginal erweitert, da sie bereits zuvor ermächtigt war, von sich aus festgestellte Mängel zu beseitigen. Allerdings wurden mit dieser Regelung für die Beschwerden ge667 Smend meint angesichts dieses Konflikts, „der bisherige ständisch-monarchische Gegensatz ging fast völlig unter in dem neuen der Konfessionen […]“, Reichskammergericht, S. 114, 115. 668 Vgl. Mencke, Visitationen, S. 29–34. Vgl. auch oben S. 35–39. 669 Der Vorschlag findet sich in Fn. 127; vgl. hierzu allgemein S. 32–35. 670 Vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 4, S. 172, 245 und 246; Mencke, Visitationen, S. 29–34; sowie oben S. 35–39. 671 Vgl. RA § 1530 § 94 oben in Fn. 207.
124
A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
gen das RKG, welche sich zuvor an den Kaiser, den Reichstag oder das Regiment richteten, erstmals Verfahren und Zuständigkeit verbindlich geregelt. Die Regelung diente dazu, den Ständen eine Beteiligung an der allgemeinen Aufsicht des RKG zu ermöglichen, weshalb die Beschwerde grundsätzlich auf allgemeine Mängel des Gerichts und nicht auf konkrete Urteile abzielte. Gleichwohl wurden i. R.d. Beschwerde auch Urteile von der Visitation überprüft.672 Kurz darauf, im Jahre 1531, machten die Beisitzer des RKG selbst den Vorschlag, eine Überprüfung der kammergerichtlichen Urteile durch unabhängige Universitäten einzuführen. Möglicherweise erhofften sie sich hiervon eine sachliche und von politischen sowie konfessionellen Interessen weitgehend unbeeinflusste Überprüfung ihrer Tätigkeit, die einerseits dem Bedürfnis nach einer Kontrolle des Gerichts genügen und andererseits ausufernde Personalexamen entbehrlich machen würde. Der Vorschlag wurde jedoch von Ständen und Kaiser nicht gebilligt.673 Eine spezielle Überprüfungsmöglichkeit für kammergerichtliche Urteile wurde jedoch schließlich in RA 1532 Tit. 3 § 17 eingeführt. Entgegen dem Vorschlag des RKG sollte die Überprüfung der Urteile nicht durch unabhängige Universitäten, sondern durch die Visitation vorgenommen werden. In der Regelung war zwar noch von „supplicieren“ die Rede und im Mittelpunkt stand noch die Syndikatsklage der Partei gegen den unrechtmäßig urteilenden Richter.674 Der Sache nach ist jedoch auch schon die Revision gemeint, welche jedoch noch nicht klar von der Syndikatsklage getrennt war.675 Durch die Einführung von RA 1532 Tit. 3 § 17 wurde allerdings weder die Überprüfung kammergerichtlicher Urteile auf tragfähige Weise geregelt, noch konnten hierdurch die strukturellen Friktionen beseitigt werden, welche darin bestanden, dass die bis zur Errichtung des RKG an den Kaiser zu richtenden Rechts- bzw. Gnadenmittel nicht mehr mit dem vom Kaiser nunmehr unabhängigen Gericht vereinbar waren. Wie sich an den Überlegungen des Beisitzers Viglius gezeigt hat, war eine vollständige Emanzipation des Rechtsmittels von der Person des Kaisers noch nicht erfolgt. Im „supplicieren“ nach RA 1532 Tit. 3 § 17 wurde entsprechend der traditionellen Bedeutung der Supplikation noch immer ein Gnadenmittel gesehen, dessen Entscheidung dem Kaiser vorbehalten war. Es 672 Vgl. 673 Der
44.
674 Vgl.
oben S. 44–49. Vorschlag des RKG findet sich oben in Fn. 191; vgl. hierzu auch S. 43,
oben S. 49–53. schon Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 375; ihm folgend Mencke, Visitationen, S. 51; Dick, Entwicklung, S. 378; im Erg. ebenso schon Mohl, Versuch II, S. 177–179; und andere vgl. oben Fn. 231. 675 So
II. Revision gegen Urteile des RKG125
sei nicht Aufgabe eines Gerichts, Gnade walten zu lassen, sondern Recht zu sprechen. Einer Zuständigkeit des Kaisers standen nun allerdings der „gestrackte Lauf“ des kammergerichtlichen Verfahrens und die neu eingeführte Möglichkeit, an die Visitation zu supplizieren, entgegen. Die neue Regelung wurde im Kern noch als Gnadenbitte und nicht als eigenständiges Rechtsmittel verstanden. Statt dem Kaiser war nun allerdings das RKG zuständig. Die Gnadenbitte löste sich so von der Person des Herrschers und entwickelte sich zum Rechtsmittel.676 Hinsichtlich RA 1532 Tit. 3 § 17 kam es schon bald zu massiver Kritik durch das RKG. Die Assessoren rügten, dass angesichts mangelnder Qualifikation der Visitatoren und knapper Bearbeitungszeiten keine besseren Urteile zu erwarten seien, die Überprüfung des gesamten Kollegiums gegen geltendes Recht verstoße und durch Klagen gegen unbeteiligte oder rechtmäßig urteilende Beisitzer dem Ruf des Gerichts und dessen Assessoren geschadet werden könne.677 Obwohl die Stände einige der Kritikpunkte des RKG an der Syndikatsklage nachvollziehen konnten678 und die mit der Neuordnung der RKGO betrauten Referenten diese gar als impraktikabel darstellten,679 hielt man auf dem Reichstag 1548 an einer modifizierten Syndikatsklage fest. Man sah in ihr eine Möglichkeit, den Vorwurf unrechtmäßiger Urteile zu widerlegen und die Assessoren zu mehr Fürsorge und Fleiß anzuspornen.680 Gleichzeitig wurde mit der klaren Ausgestaltung und der deutlichen Trennung der Revision von der Syndikatsklage in der RKGO 1548 aber auch ein Rechtsmittel gegen kammergerichtliche Urteile geregelt, welches eine nüchterne Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung ermöglichte, ohne gleich den schweren Unrechtsvorwurf einer vorsätzlichen Rechtsbeugung zu enthalten.681 Die Revision war nichts grundlegend Neues, sondern die Weiterentwicklung und Ausgestaltung des bereits in RA 1532 § 17 angelegten und mit dem Begriff „supplicieren“ umschriebenen Rechtsmittels.682 Das Aufkommen des RHR als dauerhaftes kaiserliches und mit dem RKG konkurrierendes Gericht führte allerdings zu einer Umbenennung in „Revision“ im Erg. auch Weitzel, Rechtsmittel, S. 18. Vgl. allgemein oben S. 53–56. Harpprecht, Staatsarchiv, 5. Teil, S. 379–386; sowie oben S. 57–59. 678 Vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1024–1026. 679 Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1043. 680 Vgl. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1024–1026; sowie allgemein oben S. 61–65. 681 Vgl. die Regelungen der Revision in RKGO 1548 Tit. 53 in Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1433–1437 und in RKGO 1555 Tit. 53 in Laufs, RKGO 1555, S. 275–279. 682 Vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 375; Mohl, Versuch II, S. 177–179; Haas, Vorschläge, S. 674, 675. 676 So
677 Vgl.
126
A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
und zu einem Verbot der „Supplikation“, um so eine Assoziation mit der ursprünglichen supplicatio ad imperatorem und der damit einhergehenden Zuständigkeit des Kaisers zu vermeiden.683 Die klarere und praktikablere Neuregelung der Revision, sowie die mit der Syndikatsklage verbundenen Beweisprobleme führten dazu, dass letztere in der Praxis eine verschwindend geringe Rolle spielte. Bereits ab 1588 kamen aufgrund konfessionell begründeter Streitigkeiten über die Zusammensetzung keine Visitationen mehr zustande und die Revi sionen blieben unerledigt. Dieser Stillstand der Bearbeitung und der Suspensiveffekt der Revision führten dazu, dass die Verfahren „unsterblich“ wurden und die Urteile des RKG mangels Vollstreckungsmöglichkeit praktisch nutzlos waren. Durch die Einlegung aussichtsloser Revisionen konnte die Vollstreckung jedes Urteils verhindert werden. Zur Vermeidung dieses Missbrauchs schlug das RKG bereits 1595 vor, den Suspensiveffekt der Revision einzuschränken und strengere Zulässigkeitsvorrausetzungen einzuführen. Die Stände lehnten dies jedoch ab.684 Angesichts dieser Probleme, welche nach Ansicht des RKG für den dreißigjährigen Krieg mitursächlich waren,685 wurde das RKG 1643 beauftragt, ein Gutachten zur Verbesserung des Justizwesens zu erstellen. In diesem forderte es, die Revision ganz abzuschaffen oder zumindest Maßnahmen zur Vermeidung des Missbrauchs und zur Wiederherstellung der Effektivität der Rechtsprechung zu ergreifen.686 Die Vorschläge des RKG wurden allerdings erst auf dem Reichstag 1653 / 54 umgesetzt. Obwohl die Stände die Gründe des RKG nachvollzogen, setzten sie die vorgeschlagene Abschaffung der Revision nicht um, weil dies u. a. ihrem Interesse an einer Kontrolle des RKG zuwider lief.687 Die Vorschläge des RKG zur Abkürzung der Revision und Beförderung der Exekution wurden dagegen weitestgehend übernommen. Neben besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen zur Vermeidung von Missbrauch wurde im Falle ausreichender Sicherheitsleistung der Suspensiveffekt für künftige Revisionen aufgehoben.688 Lediglich in Religionssachen 683 Vgl. Sellert, Revision (Supplikation), S. 34; ders., Prozeßgrundsätze, S. 376, 377; Weitzel, Rechtsmittel, S. 17, 18; vgl. auch oben S. 69–72. 684 Siehe hierzu oben S. 75–79. 685 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 153. 686 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 151–155; ausführlich oben S. 79–83. 687 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 245; sowie oben S. 84. 688 Vgl. die Beratschlagungen der Stände bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 12. Buch, S. 409, 419, sowie das erarbeitete Reichsgutachten, ebenda, S. 444– 447; JRA §§ 124–127 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 662–664; oben S. 86–88.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?127
wurde die suspensive Wirkung auf den Widerstand der Protestanten hin beibehalten.689
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision? 1. Entwicklung a) Die prozessrechtliche Situation am RHR Im Gegensatz zum RKG existierte für Verfahren am Reichshofrat keine eindeutige und gesetzlich geregelte Prozessordnung.690 Aufgrund der ursprünglich vorherrschenden politischen Funktion des RHR wurde keine förmliche Prozessordnung ausgearbeitet und die Streitigkeiten wurden überwiegend auf Regierungsebene und nicht auf rechtlichem Wege erledigt.691 Der RHR entschied daher nicht im Rahmen eines förmlichen Verfahrens, sondern frei nach den Anforderungen des konkreten Falles.692 Die früheren RHROen waren „eine systemlose Mischung von Geschäftsordnung und Gerichtsorganisationsgesetz“ und die späteren Ordnungen befassten sich „mit speziellen Einzelfragen des Prozessrechts, ohne jedoch einen Einblick in das Verfahren selbst zu gewähren.“693 Der Mangel einer klaren gesetzlichen Regelung des Verfahrens, die Konkurrenz mit dem Reichskammergericht, die rein katholische Besetzung des RHR und die Unanfechtbarkeit der Urteile führten zu vielen Beschwerden der protestantischen Stände.694 Sie warfen dem RHR vor, die Ausübung einer Gerichtsbarkeit ohne Gerichts- und Prozessordnung sei undenkbar, „weil sie sonst bloß willkürlich seyn würde.“695 Die Kaiser sahen in den Forderungen der protestantischen Stände eine Gefährdung ihrer Jurisdiktionsgewalt und waren nicht wirklich bemüht, ihnen nachzukommen. Auf die wiederkehrenden Beschwerden und Forderungen nach einer (Neu-)Regelung des Verfahrens reagierten sie entweder, indem sie neue, leicht veränderte Ordnungen erließen, an welchen die Stände allerdings nicht beteiligt waren und die ihnen nicht weit genug gingen, oder mit leeren 689 JRA § 124, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; vgl. auch Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 14. Buch, S. 657; oben S. 116–118. 690 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 93. 691 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 94; vgl. auch Moraw, Reichshofrat, Sp. 634. 692 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 66. 693 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 81. 694 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 28 ff.; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 562–568; Gschließer, Reichshofrat, S. 192. Eine ausführliche Darstellung des Streits zwischen den Ständen und dem Kaiser um den Erlass einer RHRO findet sich bei Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 66–77. 695 Pütter, Historische Entwicklung II, S. 97.
128
A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Versprechen, unter Berücksichtigung der Beschwerdepunkte eine RHRO ausarbeiten zu lassen. Kaiser Rudolf II. ließ zwar eine „Reichshofrats instruktion“696 ausarbeiten, allerdings wurde diese weder datiert noch vom Kaiser unterzeichnet und trat auch niemals in Kraft.697 Nach dem Tod Rudolfs II. forderten die protestantischen Stände von dessen Nachfolger eine konfessionell paritätische Besetzung des RHR und die Einführung einer Prozessordnung.698 Auf den Widerstand der katholischen Reichsstände hin, kam es 1612 in Art. 41 der Wahlkapitulation Kaiser Mathias’ jedoch lediglich zu einem vagen Versprechen, „Unserm Hof-Rath […] gewisse Ordnung und Instruction [zu] verfassen“.699 Die evangelischen Reichsstände gaben sich hiermit jedoch nicht zufrieden und forderten auf dem Reichstag von 1613 den Kaiser erneut auf, dem RHR eine „den ReichsConstitutionibus und Cammer-Gerichts-Ordnung gemäße Hofraths-Ordnung fürzuschreiben, damit die Justitia unpartheylich administrirt […] werden.“700 Neben einer unparteiischen Justiz ging es den Protestanten insbesondere darum, das Konkurrenzverhältnis zwischen RKG und RHR zu regeln und die Jurisdiktionsgewalt des kaiserlichen Gerichts auf einen mit der Reichsverfassung vereinbaren Umfang zu beschränken.701 Die katholischen Reichsstände stellten sich auf die Seite des Kaisers und wiesen jegliche Einschränkung des RHR mit der Begründung zurück,702 „daß alle Jurisdiction von Ihro Majestät, als einem Brunnquellen aller Obrigkeiten herfliesse“.703 Der Kaiser ließ denbei Uffenbach, Tractatus, im Anhang, S. 12–20. Geschichte der Entstehung, 1. Teil, S. 548–550; Gschließer, Reichshofrat, S. 193. 698 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, I, S. 55, 56; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 562–564; Gschließer, Reichshofrat, S. 184. 699 Art. 41 der Wahlkapitulation, auszugsweise abgedruckt bei F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, I, S. 56, 57; vgl. ferner Gschließer, Reichshofrat, S. 184, 185; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 564. 700 F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 177. 701 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 173–178; die evangelischen Stände warfen dem RHR vor, dass dieser „die Jurisdiction allzuweit erstrecken und ihm ein solche unlimitirte Macht und Gewalt über die Ständ des Reichs, beydes in Prophan- und Religions-Sachen zu cognosciren zueignen wollen, welches zumal unerträglich und den alten des Reichs-Cammer-Gerichts-Ordnungen durchaus entgegen und zuwider [sei]“, ebenda, S. 174; Es falle „den Evangelischen Ständen des Reichs ganz unmöglich und unleidentlich […] dergestalt zwey höchste Kayserliche Gericht zugleich zu ertragen“, ebenda, S. 177. 702 „[…] Ihro Kays. Maj. werden ihre durch Gottes-Verleihung und der hochlöblichsten Churfürsten einhellig ordentlich Wahl erlangte höchste Jurisdiction solches ungereimten unbegründeten Einstreuens halber nicht zurück stellen“, F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 178. 703 F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 179; vgl. auch Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 67, 68. 696 Abgedruckt
697 Herchenhahn,
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?129
noch einen im Wesentlichen auf der Ordnung von 1559 und der Reichshof ratsinstruktion Rudolfs II. beruhenden Entwurf einer RHRO ausarbeiten, welcher allerdings nicht die Zustimmung der evangelischen Stände erhielt.704 Ungeachtet dessen unterzeichnete und verkündete der Kaiser die Ordnung im Jahr 1617. Trotz dieser Verkündung wurde sie jedoch nicht zu einem gültigen und verbindlichen Gesetz, da es an der hierzu nötigen „Publication und Observation“ fehlte.705 Dies hatte zur Folge, dass die RHRO von 1559 weiterhin in Geltung blieb.706 Dieser unübersichtliche Zustand veranlasste die Reichshofräte, 1619 den neuen Kaiser Ferdinand II. aufzufordern, die RHRO von 1617 zu publizieren und bis dahin die RHRO von 1559 für verbindlich zu erklären.707 Der Kaiser antwortete hierauf, die neue Ordnung werde den Ständen zugestellt und bis man sich geeinigt habe, gelte die RHRO von 1559.708 Der angestrebte Vergleich kam jedoch nicht zustande, da sich der allgemeine politisch-religiöse Konflikt bereits weiter zugespitzt hatte und sich in der Folge auch der Ton in der Diskussion um die RHRO verschärft hatte.709 Die Stände hatten konkrete Vorstellungen vom Inhalt710 der RHRO und wollten deren Erlass nicht alleine dem Kaiser überlassen, sondern forderten eine von ihnen genehmigte und auf dem Reichstag verabschiedete Ordnung.711 Der Kaiser versuchte hingegen, den letzten Rest kaiserlicher Jurisdiktionsgewalt im Reich, den er alleine ausübte712, zu bewahren. Er vertrat die Ansicht, der RHR sei ein kaiserliches Gericht, welches allein von ihm besetzt, unterhalten und instruiert werde.713 Der Kaiser sprach daher den Ständen jedes Recht auf Teilhabe oder 704 Gschließer,
Reichshofrat, S. 193; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 68. Prozeßgrundsätze, S. 68; Gschließer, Reichshofrat, S. 193; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 571; vgl. auch Uffenbach, Tractatus, S. 6: „niemahl bestättiget noch in usum gebracht worden.“ 706 Gschließer, Reichshofrat, S. 193; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 571. 707 Gschließer, Reichshofrat, S. 201. 708 Gschließer, Reichshofrat, S. 202. 709 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 69. 710 Vgl. hierzu die Stellungnahmen der Stände bei F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 189–207. 711 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 69; vgl. auch Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 581–583. 712 Ferdinand III. schrieb im Jahr 1646 an einen seiner Gesandten: „So ist fürs andere dises (die Reichs-Hof-Raths-Jurisdiction) fast das einige Stück, welches Wir noch de summo Imperio übrig haben“, auszugsweise abgedruckt bei J. J. Moser, Von den kayserlichen Regierungsrechten, S. 56. 713 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 100; der RHR habe seinen „Nahmen und Uhrsprung nit immediate vom Reich, sondern von Ihrer Kayserl. Maj.“ und dessen Assessoren seien „ohne alles Mittel Ihr. Kayserl. Majest. be705 Sellert,
130
A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Mitsprache im Hinblick auf den RHR ab und war der Meinung, auch der Erlass einer RHRO fiele in seinen alleinigen Kompetenzbereich.714 Es gebe lediglich für das RKG eine rechtliche Grundlage für eine Beteiligung der Stände, hinsichtlich des RHR sei dies nicht vorgesehen.715 Hierbei handelte es sich freilich um ein Scheinargument, da sich Kaiser und Reich 1495 ge einigt hatten, mit der Schaffung des RKG explizit eine vom Kaiser unab hängige Reichsgerichtsbarkeit zu errichten und ein paralleles, kaiserliches Reichsgericht nicht vorgesehen war.716 Diese Bestrebungen und die damalige Einigung auf das RKG wurden nun allerdings durch die Tätigkeit des RHR und die Weigerung des Kaisers, eine verbindliche Regelung zu treffen, konterkariert, weshalb die Stände zu Recht ein klare Regelung unter Beteiligung des Reichstages forderten.717 Der Kaiser hatte jedoch kein Interesse daran, seine Jurisdiktionsgewalt durch eine vom Reichstag beschlossene Prozessordnung einzuschränken und so seine bereits geschwächte Stellung im Reich weiter zu untergraben.718 Um die Stände zu beruhigen legte der Kaiser auf dem Deputationstag 1643 dennoch eine neue RHRO vor, welche allerdings keine wirklichen Neuerungen enthielt und die von den Ständen bemängelten Punkte schlicht überging.719 Zu einer Einigung über den Erlass der RHRO soldete, und verpflichtete Räth und Diener […], consequenter auch ihre Instructiones und Ordnung von Ihrer Maj. Einzig zu gewarten […]“, ebenda, S. 102. Vgl. auch Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 591; Gschließer, Reichshofrat, S. 249; Kern, Geschichte, S. 32. 714 „Mit dem Reichs-Hoffrath aber haben Chur-Fürsten und Stände proprie und eigentlich nichts zu schalten oder zu walten, als welcher einzig und allein von Ihro Kayserl. Maj. zu dem Ende eigens bestellet, angenommen und besoldet wird, damit Sich Ihr. Maj. diese Raths-Collegii […] mit Ertheilung Rechts und Gerechtigkeit gegen und unter den Ständen des Reichs, bedienen könnte“, Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 102. Vgl. auch Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 69; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 591. 715 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 102; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 590, 591. 716 So schon Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 69; im Erg. ebenso Pütter, Historische Entwicklungen II, S. 25, 26, allerdings als Argument gegen eine mit dem RKG konkurrierende Gesetzgebung des RHR. 717 Ebenso schon Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 69. In eine ähnliche Richtung geht Pütter, Historische Entwicklungen II, S. 25, 26. 718 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 72, 82. 719 Vgl. Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 591; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 72. Österreich versuchte darüber hinaus, die Stände mit der vorgelegten Ordnung zu überrumpeln, indem es eine bereits zuvor ausformulierte Stellungnahme verlas und forderte die Beratungen „dergestalt fürzunehmen, damit sie auf einmahl durchlesen, betrachtet, bescheidet, und damit Zeit gewonnen werden möge.“, Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 100; vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte I, S. 128, 129. Die Stellungnahme, in welcher die Kritikpunkte kurz abgetan wurden, findet sich bei Meiern, ebenda, S. 100–105.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?131
kam es jedoch nicht, vielmehr trugen neben den protestantischen Ständen nunmehr auch katholische Abgeordnete Beschwerden und Kritikpunkte vor.720 Aufgrund der politischen und konfessionellen Differenzen drehte sich der Streit weniger um die Regelung des Verfahrens, sondern hauptsächlich um Fragen der Gerichtsverfassung und der Gerichtsorganisation.721 Insbesondere die Forderung der Protestanten nach einer konfessionell paritätischen Besetzung des RHR war äußerst umstritten.722 Im Westfälischen Friedensvertrag 1648 wurde schließlich versucht, die Auseinandersetzung um die RHRO jedenfalls formell zu beenden, indem dort eine paritätische Besetzung des Gerichts723 und die Anwendbarkeit der RKGO am RHR724 geregelt wurde.725 Ein Ende des Streits wurde hiermit jedoch nicht erreicht. Wie Sellert vermutet, lag dies daran, dass die jeweiligen Bestimmungen des Westfälischen Friedens kein im Reich unmittelbar geltendes Recht, sondern – nach modernem Verständnis – eher unverbindliche Programmsätze oder völkerrechtliche Regelungen gewesen seien, welche zu ihrer Geltung einer Verabschiedung durch den Reichstag bedurft hätten.726 Die Forderung nach einer Neuregelung der RHRO war damit nicht erfüllt, wie sich schon daran zeigt, dass König Ferdinand IV. in seiner Wahlkapitulation den Erlass einer RHRO ankündigte.727 720 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 105–132. Vgl. auch Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 592; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 73. 721 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 73; vgl. auch die Äußerungen der Stände im Protokoll des Deputationstages von 1643 in Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 105–132. 722 Vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 9. Buch, S. 105–132. 723 Die paritätische Besetzung des RHR wurde in Art. 5 § 54 IPO geregelt, abgedruckt bei Zeumer, Quellensammlung, 2. Bd., S. 413, 414. Eine paritätische Besetzung wurde anfangs dadurch erschwert, dass die protestantischen Räte nicht ordnungsgemäß besoldet wurden und der Kaiser in Wien keinen evangelischen Gottesdienst gewähren wollte, weshalb es nicht genügend Bewerber gab, Gschließer, Reichshofrat, S. 58; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 1. Teil, S. 625; Malblank, Abhandlung, 2. Teil, S. 72. Darüber hinaus war nach der RHRO von 1654 keine allgemeine Parität vorgesehen, von 18 Räten sollten lediglich 6 protestantische sein, damit in interkonfessionellen Streitigkeiten eine paritätische Besetzung erfolgen konnte. Auch dies wurde allerdings nicht konsequent umgesetzt. RHRO 1654 Tit. I § 3 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 56–60; vgl. auch ders., ebenda, S. 60, Fn. 371; Gschließer, Reichshofrat, S. 59–61; Malblank, Abhandlung, 2. Teil, S. 73–76. 724 Art. 5 § 55 IPO: „Quad Processum iudicarium Ordinatio Camerae Imperialis etiam in Iudicio Aulico servabitur per omnia“, bei Zeumer, Quellensammlung, 2. Bd., S. 414. 725 So Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 73. 726 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 74. 727 F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, I, S. 246; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 74.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Nachdem dieser allerdings vor seiner Krönung zum Kaiser verstorben war, legte sein Vater, Kaiser Ferdinand III., auf dem Reichstag 1653 / 54 überraschend eine ohne Beteiligung des Reichstags ausgearbeitete RHRO vor und publizierte diese am nächsten Tag gegen den Wiederstand und die Einwendungen der Reichsstände.728 Auch die nach dem Reichstag erfolgten Beschwerden der Reichsstände änderten nichts daran, dass die neue RHRO in Kraft blieb.729 Nach Smend war durch die RHRO von 1654 „die Verlegung des Schwerpunktes der Reichsjustiz von Speier nach Wien […] beendigt“ und „das Kammergericht war in den Hintergrund gedrängt und die Reichsgerichtsbarkeit damit ein Werkzeug der österreichischen Politik geworden.“730 Der Bedeutungszuwachs des RHR mag dadurch mitverursacht worden sein, dass die Stände keine Möglichkeit hatten, auf die RHRO einzuwirken und eine Abgrenzung der Zuständigkeiten von RKG und RHR durchzusetzen. Dies führte dazu, dass nach dem Prinzip der sog. Prävention letztlich das Gericht zuständig war, welches zuerst angerufen worden war.731 Die Tatsache, dass das RKG an Bedeutung verlor, obwohl letztlich die Parteien über die Zuständigkeit entschieden, indem sie die Sache zuerst beim RHR oder beim RKG anhängig machten, zeigt allerdings auch, dass die neue RHRO nicht die einzige Ursache für den Bedeutungsverlust des RKG war. Weitere Gründe für den Aufschwung des RHR bzw. den Ansehensverlust des RKG dürften darin gelegen haben, dass die Verfahren am RKG sehr lange dauerten, der Gerichtsbetrieb wiederholt still stand und die Revisionen nicht erledigt wurden. Letzteres hatte bis zur Aufhebung der Suspensivwirkung im JRA dazu geführt, dass die unterlegene Partei die Voll streckung dauerhaft verhindern und das Verfahren „unsterblich“ machen konnte. Obwohl die evangelischen Stände noch damit drohten, „Daß Sie Sich an die Reichs-Hof-räthliche Erkenntnisse nicht binden würden, bis die ReichsHofraths-Ordnung Churfürsten und Ständen zu Beybringung ihrer Erinnerungen communiciret worden seye“,732 gaben die Kaiser lediglich Versprechungen ab, eine von den Reichsständen gebilligte RHRO zu erlassen respektive die Zustimmung des Reichstages zu der Ordnung von 1654 nachzuholen.733 Trotz der fehlenden Zustimmung der Stände und Ratifizierung durch den 728 Gschließer, Reichshofrat, S. 269; Pütter, Historische Entwicklungen II, S. 98, 214; ders., Handbuch, 2. Bd., S. 769. 729 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, I, S. 247–260; J. J. Moser, Teutschland, S. 293, 294. 730 Smend, Reichskammergericht, S. 212. 731 Allg. zur Prävention Sellert, Zuständigkeitsabgrenzung, S. 112–124. 732 J. J. Moser, Teutschland, S. 291. 733 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 76.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?133
Reichstag blieb die RHRO von 1654 bis zur Auflösung des RHR im Jahre 1806 dessen grundlegende Ordnung.734 Die Ordnung von 1654 basierte auf den bereits erwähnten, vorausgegangenen Reichshofratsordnungen und Konzepten735 und enthält ebenso wie diese keine in sich geschlossene Regelung des Verfahrens.736 Der Kaiser orientierte sich auf Anraten der Reichshofräte bewusst an den älteren RHROen und vermied eine Angleichung an die Verfahrensordnung des RKG.737 Durch die Forderung der Reichsstände nach einer entsprechenden Ordnung werde nur versucht, die Jurisdiktionsgewalt des Kaisers weiter einzuschränken und den RHR unter ihre „direction“ zu bringen.738 Eine langwierige Prozessordnung würde zudem die Verfahren am RHR ebenso unsterblich machen, wie sie es am RKG bereits waren und stünde einer raschen Rechtsprechung grundsätzlich entgegen.739 Aus diesen Gründen sei es vorteilhafter, dass sich der RHR neben einer RHRO an das gemeine kaiserliche Recht, die Reichssatzungen, die Kammergerichtsordnung und die Reichsdeputationsabschiede lediglich als Richtschnur halte.740 Entsprechend dieser Einstellung wurde in der RHRO von 1654 auch keine strikte Befolgung der Reichskammergerichtsordnung angeordnet. Nach Tit. II § 8 sollten die Reichshofräte zwar grundsätzlich „so viel müglich“ die RKGO „gebrauchen unnd observiren“, allerdings sollten sie „jedoch auch allen ueberfluß unnd verzüglichkeit abschneiden“ und lediglich „in substantialibus requisitis proceßus nicht abweichen“.741 In § 9 ist ferner geregelt, dass die Reichshofräte an „unnöttige gerichtssolennia […] keinesweegs ver734 Sellert, 735 Vgl.
Prozeßgrundsätze, S. 77. Pütter, Historische Entwicklungen II, S. 214, 215; Gschließer, Reichshof-
rat, S. 269. 736 Vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 77, 78. 737 Gschließer, Reichshofrat, S. 247, 248. 738 Gschließer, Reichshofrat, S. 247. 739 Gschließer, Reichshofrat, S. 248. 740 Gschließer, Reichshofrat, S. 248; Pütter, Historische Entwicklungen II, S. 97. Unter Berufung „auf einige Stellen des Römisch-Justinianischen Gesetzbuchs“ behauptete der RHR, „daß die höchste Gerichtsstelle unter den Augen des Monarchen an subtile Rechtsförmlichkeiten so genau nicht gebunden sey, sondern gleichsam mit offenen Segeln verfahren könne.“, Pütter, Historische Entwicklungen II, S. 215. 741 RHRO 1654 Tit. II § 8: „[…] auch so viel müglich desselben unnsers kays. cammergerichtsordnung unnd in allen sachen gewönlichen proceß, termin unnd solenniteten gebrauchen unnd observiren, insonderheit aber in allen processen keine substantialia außlassen; jedoch auch allen ueberfluß unnd verzüglichkeit abschneiden, die gegebene terminos ohne erhebliche ursachen nit erstreckhen unnd in alle weeg, soviel die substanz eines gerichtlichen proceß anlangt, sonderlich darin unwiderbringliches praejudiz zu befahren, von der ordnung, wie sie im kays. Cammergericht eingeführt oder noch eingeführt unnd verbessert werden möchte, in substantialibus re-
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
bunden“ sein sollen, sondern vielmehr nach Praktikabilitäts- und Zweck mäßigkeitserwägungen handeln sollen.742 Am RHR galten die RKGO und allgemein die Reichsgesetze folglich nur subsidiär.743 Im Vordergrund stand eine schnelle und effiziente Streitbeilegung, welche man durch einen starren und langwierigen Prozess gefährdet sah.744 Aus diesem Grund wurden am RHR lediglich einzelne Grundsätze des Reichskammergerichtsprozesses beachtet, die diesem Zweck nicht entgegenstanden.745 Welche Grundsätze am RHR gelten sollten, war allerdings äußerst umstritten und nicht klar ersichtlich.746 b) Einführung eines Rechtsmittels gegen Endurteile erst im Westfälischen Friedensvertrag Ein Rechtsmittel gegen Endurteile des RHR wurde erstmals im Westfälischen Frieden geregelt.747 Zuvor konnte eine Überprüfung von Urteilen allenfalls auf dem Wege der kaiserlichen Gnade erfolgen.748 Die Einführung eines Rechtsmittels erfolgte erst auf Drängen der evangelischen Stände, welche sich durch den katholisch geprägten und kaisernahen Reichshofrat benachteiligt sahen. Bereits 1612 war es im Rahmen der Wahl von Kaiser Mathias zu entsprechenden Forderungen gekommen. Kurpfalz und Brandenburg hatten damals gefordert, es müsse auch am RHR die Revision zugelasquisitis proceßus nicht abweichen sollen.“, abgedruckt bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 122–127. 742 RHRO 1654 Tit. II § 9: „Hingegen wollen wir sy an andere unnöttige gerichtssolennia, dadurch dem haubtwerkh und genugsamen erkundigung der warheit nichts zue- oder abgehet, keinesweegs verbunden, sondern vielmehr auff den gemeinen nuzen unnd fürderung der hailsamben justiz gewiesen und verpflichtet haben.“, abgedruckt bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 128. Vgl. auch Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 80. 743 So Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 80; vgl. auch Brackenhoeft, Erörterungen, S. 36; Heimbach, Proceß, in: Weiske, Rechtslexikon, 8. Bd., S. 581, Fn. 44. 744 Vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 83. 745 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 80; vgl. auch, Selchow Einleitung, S. 618: „Jubet quidem ordinatio Consilii Imperialis Aulici, […] ut hic idem Ordo processus servetur, qui in Camera Imperiali, sed hoc intelligendum est de substantialibus non autem de ambagibus & formalitatibus, utpote plerumque partium stylum istum ignorantium muscipulis, Advocatorum vero compendiis.“ 746 Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 127, Fn. 503; ders., Prozeßgrundsätze, S. 80. 747 Vgl. Pütter, Historische Entwicklungen, II, S. 101; Selchow Einleitung, S. 914; Hanzely, Anleitung, II, S. 634, Anm. *); J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 236; Riefl, Bd. 2, S. 392. 748 So J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 237; Sellert, Revision (Supplikation), S. 22, 23; vgl. auch J. J. Moser, Von der Revision, S. 322, Anm. (a).
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?135
sen werden, da diese gegen Urteile des RKG möglich sei.749 Brandenburg forderte am darauf folgenden Tag erneut „den Gravatis ein Remedium vorzubehalten“, weil dies an allen Gerichten üblich sei, führte allerdings weiter aus: „Da nun das Remedium Revisionis zu odios, möchte man Remedium Supplications zulassen.“750 Auf dem Deputationstag von 1644 wiederholten Braunschweig und Pommern diese Forderung. Da gegen Urteile des Reichshofrates nicht appelliert werden könne, sei, insbesondere in Sachen erster Instanz, wie am RKG die Revision zuzulassen.751 Sofern die Revision nicht zu erlangen sei, müsse jedenfalls die Supplikation gestattet werden, da diese nach dem gemeinen Recht gegen nicht appellable höchstrichterliche Entscheidungen zulässig sei.752 Das Haupthindernis bei der Einführung der Revision am RHR scheint das gleiche gewesen zu sein, wie bei der Forderung nach einer neuen RHRO: Der Kaiser und der Reichshofrat sahen diese als einen unzulässigen Eingriff in ihre Autorität und Jurisdiktionsgewalt.753 Der Begriff der Revision wurde ursprünglich ja gerade deshalb verwendet, um eine Assoziation dieses Rechtsmittels mit dem Kaiser zu vermeiden.754 Infolge dessen wurde die Revision mit dem ständisch geprägten RKG sowie einer Lösung der Rechtsprechung von der Person des Kaisers verbunden und war darüber hinaus für den Kaiser auch aus verfahrenstechnischer Sicht nicht nachahmenswert.755 749 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 431, 432; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 236. 750 So bei F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 432; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 236. 751 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 11. Buch, S. 280 und 281, 282; F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 432, 433. 752 „ […] oder da je solches [das remedium Revisionis] nicht zu erhalten, das remedium supplicationis effective zu verstatten, quod jure communi competit ei, qui per sententiam Principis aut Praefecti pretorio, a qua propter excellentiam appellare non licet, Autentica, quae supplicatio ibique notata per Dd. C. de prec. Imper. Offer. [C. 1,19] & in §. aliud ad hoc &c. in autenthent. ut sponsalitia largitas &c [Authenticum 114 c. 5. entspricht Nov. 119 c. 5.] […]“ bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 11. Buch, S. 282; ebenso bei F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 433. 753 Die Erwiderung Österreichs auf die Forderung der evangelischen Stände lautete: „So wären die zu Schmälerung Kayserl. Majestät gereichende Erinnerungen dahero ganz unnöthig, weilen selbige mehrenteils zuvorhin in der Reichs-Hoffräthe Jurament und schweren Pflichten begriffen, welche dann Kayserl. Majestät Mund wären, und daher wieder derselben Ausspruch keine Revision statt haben könnte, immassen bey allen Völckern herkommen, daß sonderlich in Monarchico statu ein ultimum & supremum Judicium seyn müßte, und es sonsten nothwendig uff eine hochschädliche ἀναρχίαν und Confusion hinaus lauffen würde […].“, bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 11. Buch, S. 288. 754 Vgl. schon Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 376; sowie oben S. 71. 755 Im Erg. ebenso schon Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 376, 377.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Vor allem die Überprüfung der Entscheidungen des RHR durch eine Visita tionskommission, welche großteils aus ständischen Gesandten bestand und sich dem Einfluss des Kaisers weitestgehend entzog, widersprach diametral dem Interesse des Kaisers an der Erhaltung und Verteidigung seiner alleinigen Jurisdiktionsgewalt.756 Theoretisch war zwar auch eine Visitation des RHR vorgesehen, allerdings war diese mit der kammergerichtlichen Visitation nicht zu vergleichen.757 In der Wahlkapitulation Matthias sowie der nachfolgenden Kaiser und schließlich auch im Westfälischen Friedensvertrag758 wurde geregelt, dass die Visitation des RHR durch den Kurfürsten von Mainz vorgenommen werden soll.759 Hierbei handelte es sich allerdings um eine allgemeine Visitation in deren Rahmen lediglich beim RHR „sich befindende Mängel und abusus cum Effectu verbesseret“760 und keine konkreten Urteile überprüft werden sollten. Unabhängig davon bemühten sich die Kaiser stets erfolgreich, die Durchführung der Visitation zu vermeiden, sodass dieses Visitationsrecht in der Praxis niemals ausgeübt wurde.761 Die Unvereinbarkeit der kammergerichtlich geprägten Revision mit den Interessen des Kaisers war offensichtlich auch den evangelischen Ständen bewusst, welche hilfsweise die Einführung der Supplikation forderten, sofern die kaiserliche Jurisdiktionsgewalt durch die Revision zu sehr verringert würde. In der schriftlichen Stellungnahme aller evangelischen Gesandten des Deputationstages von 1644 heißt es, dass „[…] A Sententiis in Aula prolatis, loco Appellationis, wo nicht uff gewisse Maaß und ohne einige Schmälerung Ihrer Kayserl. Majest. und dero hochlöbl. Reichs-Hoffraths höchsten Jurisdiction und Authorität, das in Camera gewöhnliche remedium revisionis, dennoch Supplicationis sive restitutionis in integrum, cum effectu suspensivo, verstattet werden sollte.“762 Zu Zugeständnissen des Kaisers kam es erst während der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden. Die evangeliSellert, Prozeßgrundsätze, S. 376, 377. Pütter, Historische Entwicklungen, II, S. 100. 758 IPO Art. V § 56, bei APW. Supplementa electronica, 1, URL: http: / / www.paxwestphalica.de / ipmipo / [27.10.2015]. 759 Vgl. J. J. Moser, Vermischte Schrifften, S. 301–307. 760 Wahlkapitulation Kaiser Karls VI. Art. 24, S. 46; ebenso bei J. J. Moser, Vermischte Schrifften, S. 330, 331. 761 Vgl. Zoepfl, Grundsätze, S. 231; ausführlich J. J. Moser, Vermischte Schrifften, S. 299–332. Der von einer tatsächlichen Visitation des RHR durch den Kurfürsten von Mainz im Jahre 1664 berichtet, welche allerdings sehr oberflächlich war und zu keinem Ergebnis gekommen ist, ebenda, S. 310–316; vgl. auch Moraw, Reichshofrat, Sp. 634. 762 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 11. Buch, S. 286; F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 434. 756 Vgl. 757 Vgl.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?137
schen Stände hatten erneut einen Vorschlag zur Einführung eines Rechtsmittels am RHR gemacht, welcher von kaiserlicher Seite allerdings dahingehend abgeändert wurde, dass explizit von einer an den Kaiser zu richtenden Supplikation die Rede war.763 Der abgeänderte Vorschlag wurde wörtlich in den Westfälischen Friedensvertrag übernommen und somit erstmals ein Rechtsmittel gegen Urteile des RHR zugelassen.764 In IPO Art. V § 55 wurde unmittelbar nach der Anwendbarkeit der RKGO am Reichshofrat die Supplikation gegen dessen Urteile geregelt: „[…] dabenebenst damit nicht die Partheyen daselbst aller auffschüblichen Hülffe beraubt seyn / an statt der in der Cammer üblichen Vbersehung [loco revisionis] / dem beschwerten Theil von einer im Reichs=Hoffrath gesprochenen Vrtheil an Keys. Majest. zu suppliciren erlaubt seyn / da dann die Handlungen mit Zuziehung anderer der Sachen gewachsenen / vun keinen Theil beygethanen Räthen / aus beyderley Religionen vnd in gleicher Anzahl / die auch der Verfassung vnd Außspruch voriger Vrtheil nicht beygewohnt / oder ja keine Anbringere [= Referent] oder Miterzehlende [= Coreferent] gewesen / von newen übersehen werden sollen […]“765
Die Regelung wurde schließlich mit identischem Inhalt in die RHRO 1654 übernommen.766 Trotz des langen Ringens um die Einführung eines Rechtsmittels am RHR und der Beharrlichkeit mit welcher sich der Kaiser gegen die Revision gewehrt hatte, entsprach die Supplikation weitgehend der Revision am RKG. Das Supplikationsverfahren war im Grunde gar nicht ausdrücklich geregelt.767 In IPO Art. V § 55 wurde lediglich genauer ausgeführt, dass die Überprüfung der reichshofrätlichen Urteile durch Reichshofräte vorgenommen werden sollte, die der Sache gewachsen und an dem vorherigen Urteil nicht beteiligt waren.768 Entsprechend der Anordnung in IPO Art. V § 55 am RHR die RKGO anzuwenden, orientierte man sich hinsichtlich des übrigen Verfahrens an den entsprechenden Regelungen zur kammergerichtlichen Revision.769 Der Hauptunterschied zwischen Revision und Supplikation war 763 Beide Vorschläge finden sich bei F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 434, 435. 764 Wie Fn. 747. 765 IPO Art. V § 55: Übersetzung von 1649 nach APW. Supplementa electronica, 1, URL: http: / / www.pax-westphalica.de / ipmipo / [27.10.2015]. 766 Vgl. RHRO 1654 Tit. V § 7, bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 188– 190. 767 Vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 378. 768 Vgl. IPO Art. V § 55, wie Fn. 765. 769 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 393, 394; Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 4. Teil, Zugabe, S. 64, Fn. (8); Schmauß, Corpus, S. 932, Fn. e); F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 449, 450; Uffenbach, Tractatus, S. 267, 270.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
also, dass die Urteile des RHR nicht durch eine spezielle Visitationskommission oder ähnliches überprüft wurden, sondern durch den RHR selbst.770 Hierdurch sollte vermieden werden, dass die Supplikationen wie die Revisionen unerledigt liegen blieben. Insbesondere dürfte der Kaiser allerdings an einer Bearbeitung der Supplikationen durch den RHR interessiert gewesen sein, um sein Ziel zu erreichen, die Rechtsprechung des RHR und deren Überprüfung in seiner Einflusssphäre zu halten. Die unterschiedliche Bezeichnung der Rechtsmittel diente dazu, diesen Unterschied bei der Zuständigkeit für die Überprüfung der Urteile des RHR hervorzuheben. Im Sinne der ursprünglichen Bedeutung der Supplikation sollte verdeutlicht werden, dass es sich um ein Rechtsmittel an den Kaiser handelte und jegliche Assoziation mit der Revision, welche an eine vom Kaiser gelöste Kommission zu richten war, sollte vermieden werden.771 Abgesehen davon handelte es sich jedoch nicht um grundverschiedene Rechtsmittel, sondern die Supplikation war vielmehr der reichskammergerichtlichen Revision nachgebildet.772 Im Laufe der Zeit verlor die begriffliche Unterscheidung zwischen Revision und Supplikation an Bedeutung773 und auch am Reichshofrat wurde die Bezeichnung Revision üblich.774 Neben der sinkenden Machtstellung des Kaisers775 und der inhaltlichen Ähnlichkeit der beiden Rechtsmittel mag dies auch darauf zurückzuführen sein, dass mit zunehmender Dauer des Stillstandes der Visitation des RKG die kammergerichtliche Revision an Bedeutung verlor und deshalb das Bedürfnis von Kaiser und Reichshofrat nachließ, die eigene Zuständigkeit durch den Begriff Supplikation besonders hervorzuheben.
770 Vgl. Neurode, Verfassung, S. 501; J. J. Moser, Von der Revision, S. 339; Mohl, Vergleichung, S. 385. 771 So schon Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 377, 378. 772 Vgl. Wetzell, System, S. 777, 778; Selchow, Einleitung, S. 914; Sellert, Revision (Supplikation), S. 35. 773 Vgl. nur J. J. Moser, Von der Revision, S. 320 ff.; ders., Justizverfassung, II, S. 239, § 10, der mitteilt, der Begriff Revision sei „in der Praxi fast allein üblich.“; Pütter, Kurzer Begriff, S. 144; Hanzely, Anleitung, II, S. 633 ff; Seyfarts, ReichsProceß, S. 649, Anm. a). Bereits in der Wahlkapitulation Leopolds I. von 1658 wurde der Begriff Revision für die Supplikation verwendet, Wahlkap. Leopold I., § 42, S. 41, 42. Unklar bleibt freilich, ob der Begriff vom Kaiser oder den Kurfürsten verwendet wurde. 774 In der verbesserten RHRO von 1714 wird nur noch der Begriff der Revision verwendet, vgl. § 9 bei Pfeffinger, Corpus, IV, S. 654, Sp. 2. Vgl. auch J. J. Moser, Von der Revision, S. 338. 775 So Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 378.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?139
2. Zulässigkeit der Supplikation Eine eigenständige Regelung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Supplikation erfolgte weder im Westfälischen Frieden noch in der RHRO oder an anderer Stelle.776 Die Supplikation beim RHR sollte allerdings nach IPO Art. V § 55 an die Stelle der kammergerichtlichen Revision treten.777 Dementsprechend stellte sie schon nach der Auffassung der Zeitgenossen kein völlig andersartiges Rechtsmittel dar, sondern ein Surrogat der Revision,778 welches dieser im Wesentlichen nachgebildet war.779 Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Anordnung in IPO Art. V § 55, dass auch am RHR die RKGO angewendet werden soll, waren die formalia und solennia der kammergerichtlichen Revision auch bei der Supplikation einzuhalten, sofern eine entsprechende Anwendung möglich war.780 Aus dem Umstand, dass der RHR selbst über die Supplikationen entscheiden sollte, folgten im Vergleich zum Revisionsverfahren der RKGO einige Abweichungen. Der RHR überprüfte sowohl, ob die formalia für die Supplikation erfüllt waren, als auch, ob das Urteil unrechtmäßig ergangen und deshalb zu revidieren war781 – modern gesprochen, entschied der RHR über Zulässigkeit und Begründetheit der Supplikation. Anders als bei der Revision, welche sowohl beim RKG als auch beim Kurerzkanzler eingelegt werden musste,782 war die Supplikation aufgrund dieser umfassenden und alleinigen Prüfungskompetenz des RHR folglich nur bei diesem einzule-
Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 378. Art. V § 55: „[…], loco revisionis in camera usitatae […]“, bei APW. Supplementa electronica, 1, URL: http: / / www.pax-westphalica.de / ipmipo / [03.11. 2015]. 778 „Dann die Supplicatio, […], ist ein surrogatum der Revision, wie der Textus des Frieden-Schlusses ausweiset, so muß sie auch die Natur dessen, dem sie surrogiret worden an sich nehmen.“ so Regensburg auf dem Reichstag 1654 i. R. der Diskussion, ob die Supplikation ebenfalls Suspensiveffekt haben soll, bei Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 531. Vgl. auch die Voten von Bayern, ebenda, S. 464 und Leuchtenberg, ebenda, S. 593. 779 Vgl. hierzu oben S. 134–138. 780 Die Frage, ob bei der Supplikation die gleichen „Solennia und Formalia“ wie bei der Revision einzuhalten waren, war nicht ganz unumstritten, vgl. hierzu ausführlich J. J. Moser, Von der Revision, S. 392–395; Uffenbach, Tractatus, S. 265–268. In der Praxis wurde die Supplikation jedoch abgeschlagen, wenn „die formalia Revisionis Cameralis, so weit sie auf den Reichs-Hof-Rath quadriren“ nicht beachtet wurden, J. J. Moser, ebenda, S. 394; vgl. auch Uffenbach, ebenda, S. 267, 270; Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 4. Teil, Zugabe, S. 64, Fn. (8); Pütter, Historische Entwicklungen, II, S. 102; Selchow, Einleitung, S. 928. 781 Vgl. Brainl, Lehrsätze, S. 299; Selchow, Einleitung, S. 916, 917. 782 Vgl. hierzu oben S. 97, 98. 776 Vgl. 777 IPO
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gen.783 Darüber hinaus durften am RHR die Prokuratoren, im Gegensatz zu denen des RKG, auch in der Supplikationsinstanz in der Sache weiter für die Parteien tätig bleiben.784 Dies lag daran, dass die reichshofrätlichen Urteile durch den RHR selbst und nicht etwa durch eine externe Kommission wie am RKG überprüft wurden. Das RKG sah sich vor der Revisionskommission in gewisser Weise als „Partei“, welche sich vor der höheren Instanz für sein Urteil rechtfertigen musste. Aus diesem Grund wurde es als Verstoß der Prokuratoren gegen ihre Treuepflicht gegenüber dem RKG gesehen, wenn sie im Rahmen der Revision dessen Urteile angriffen und behaupteten, es habe unrechtmäßig geurteilt.785 Da der RHR seine Urteile selbst überprüfte und gegebenenfalls auch selbst reformierte, wurde die Supplikation nicht als ein Eingriff und eine Kontrolle von außen und die Beteiligung der Prokuratoren nicht als Respektlosigkeit gegenüber dem Gericht empfunden.786 Hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen entsprach die Supplikation im Wesentlichen der Revision. Die Supplikation war ebenfalls nur gegen End urteile zulässig787 und die supplizierende Partei musste hierdurch beschwert sein.788 Die Revisionssumme betrug 2.000 Reichstaler „ohne Einrechnung der Zinß und Interesse“.789 Nach JRA § 125, 127 sollte die Supplikation ferner nur zulässig sein, wenn auch die Voraussetzungen der Appellation erfüllt und eine solche zulässig wäre.790 Es galt eine Einlegungsfrist von vier Monaten ab Verkündung des Urteils, innerhalb welcher die Supplikation beim RHR eingereicht werden musste und welche nicht verlängert werden konnte.791 Innerhalb dieser Frist war die Supplikation lediglich formell ein783 Formell war sie zwar, wie alles Schriftsätze an den RHR, an den Kaiser zu adressieren, allerdings war sie beim RHR einzureichen, J. J. Moser, Von der Revision, S. 465; Selchow, Einleitung, S. 916. 784 J. J. Moser, Von der Revision, S. 346. 785 Vgl. hierzu schon oben S. 97. 786 Im Erg. ebenso J. J. Moser, Von der Revision, S. 346. 787 Vgl. RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 1 bei Laufs, RKGO 1555, S. 275, 276; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 243. 788 Hanzely, Anleitung, II, S. 633, 634; Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 648. 789 JRA § 127 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 664; vgl. auch Selchow, Einleitung, S. 931. Später wurde die Summe auf 3.000 Reichstaler erhöht, Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 379, Fn. 39, m. w. N. 790 Die Regel war: „Causa non appellabilis, non est etiam revisibilis“, Selchow, Einleitung, S. 939. Vgl. hierzu schon oben S. 103–104. 791 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 395, 396. Teilweise wurde auch vertreten, die Frist müsse zehn Tage, zwei Jahre oder 30 Jahre betragen. Diese Ansichten orientierten sich an der Appellation, der römisch-rechtlichen Supplikation bzw. der Nichtigkeitsklage, vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 396–398; Selchow, Einleitung, S. 929. Vgl. zur genauen Fristdauer oben Fn. 478.
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zulegen, eine Begründung war nicht erforderlich. Grundsätzlich stand es den Parteien frei, die Supplikation zu begründen oder sich nur auf die Akten zu berufen. Sofern sie eine Begründung abgeben wollten, musste diese prinzi piell auch innerhalb der Frist eingereicht werden, allerdings konnte der supplizierenden Partei auf Antrag eine Fristverlängerung gewährt werden, wenn erhebliche Hindernisse bescheinigt wurden.792 Die Partei und ihr Advokat hatten einen Revisionseid zu schwören,793 welcher mit dem bei der kammergerichtlichen Revision zu leistenden Eid fast identisch war. Auch vor dem RHR mussten sie versichern, zu glauben, durch das Urteil widerrechtlich beschwert zu sein und nicht zur Aufhaltung von Justiz und Exekution zu handeln.794 Der Eid konnte durch Partei und Advokat persönlich oder im Falle ihrer Abwesenheit stellvertretend für diese durch den bevollmächtigten Prokurator abgelegt werden.795 Hierzu waren diesem entsprechende Spezialvollmachten zu erteilen.796 Wie bei der Revision sollte die Weigerung des Advokaten, den Eid zu schwören wohl nicht die Unzulässigkeit der Supplikation, sondern lediglich eine Geldstrafe für den Advokaten zur Folge haben.797 Eine Besonderheit des Supplikationsverfahrens war, dass der Prokurator, auch RHR-Agent genannt, ebenfalls einen Revisionseid leisten musste.798 Der Ursprung des Revisionseides der RHR-Agenten ist unklar.799 Allerdings scheint der Eid des Prokurators nicht zwingend erforderlich gewesen zu sein und eine Verweigerung führte nicht zur Unzulässigkeit 792 Vgl. JRA § 125 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; Hanzely, Grundriß, 3,1, S. 39, 40 sowie die dortigen Beylagen S. 233–236; J. J. Moser, Von der Revision, S. 405–408. Vgl. auch allgemein zur Fristverlängerung bei der Revi sionsbegründung oben S. 98. 793 Vgl. JRA § 125 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; J. J. Moser, Von der Revision, S. 408, 410; ders., Justizverfassung, II, S. 244; Riefl, Bd. 4, S. 125; Selchow, Einleitung, S. 931; Hanzely, Anleitung, II, S. 636; Uffenbach, Tractatus, S. 270; Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 651; a. A. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 380, Fn. 49: „Am RHR schwur der Agent und nicht der „advocatus causae“.“ In der Tat musste der Agent wohl auch einen Eid ablegen, der Advokat war hiervon allerdings nicht befreit. 794 Vgl. den vollständig abgedruckten Eid bei Uffenbach, Tractatus, S. 270; ebenso bei J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 244, 245. 795 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 411; Selchow, Einleitung, S. 932. 796 Die Vollmachten sind abgedruckt bei Uffenbach, Tractatus, S. 270, 271. 797 So wohl J. J. Moser, Von der Revision, S. 412; vgl. zur identischen Situation am RKG oben Fn. 508. 798 Riefl, Bd. 4, S. 70, 71; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 244; ders., Von der Revision, S. 413, 414; Selchow, Einleitung, S. 932. 799 Vgl. Riefl, Bd. 4, S. 70, meint es gäbe keine gesetzliche Regelung und vermutet, der Revisionseid der RHR-Agenten stamme daher, „weil selbe vielleicht in ältern Zeiten selbst die advocatos causae gemacht haben.“ J. J. Moser ist dagegen der Ansicht, dass der Revisionseid der Prokuratoren aus JRA § 125 folge und am RKG le-
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der Revision.800 Obwohl der Revisionseid nach JRA § 125 innerhalb der viermonatigen Einlegungsfrist tatsächlich abgelegt werden sollte, reichte es in der Praxis aus, wenn innerhalb dieser Frist die Spezialvollmachten eingereicht wurden und der Eid erst nach Zahlung der Sporteln geleistet wurde.801 Der Supplikant wurde überhaupt erst zur tatsächlichen Ablegung des juramentum revisiorium zugelassen, wenn er die vom RHR festgesetzten Sportulas hinterlegt hatte.802 Sofern die übrigen formalia erfüllt waren, setzte der RHR die Höhe der zu zahlenden Sporteln nach seinem Ermessen fest, wobei er sich gem. JRA § 126 an der „Beschaffenheit der Sachen“ zu orientieren hatte.803 Eine genaue Regelung über die Ermittlung der Höhe des Sukkumbenzgeldes gab es nicht,804 weshalb die Reichsstände befürchteten, die Reichshofräte könnten ihren weiten Ermessensspielraum ausnutzen, um durch die Festsetzung erheblicher Sporteln Supplikationen zu vereiteln.805 Anlässlich der Wahlkapitulation Karls VI. überreichten die Reichsstände ein Gutachten mit Vorschlägen zur Verbesserung der RHRO, welches u. a. auch die Forderung enthielt, die Ermittlung oder die Höhe der Sukkumbenzgelder gesetzlich zu regeln.806 Auf kaiserlicher Seite stand man diesen Vorschlägen skeptisch gegenüber, da sie als Versuch der Reichsstände gewertet wurden, die Macht des Kaisers zu untergraben und selbst Einfluss auf den RHR zu erlangen.807 Der Forderung nach einer Regelung des Sukkumbenzgeldes kam diglich nicht üblich gewesen sei, Von der Revision, S. 413, 414; im Erg. ebenso Blum, Processus, S. 632. 800 Riefl berichtet von einem Fall, in welchem der RHR die Supplikation zuließ, obwohl sich der Agent weigerte, einen Eid zu schwören. Hintergrund war wohl, dass die „merita causae sehr schlecht waren“ und der Agent, dessen Aufgabe lediglich die (prozessuale) Führung des Prozesses war, auf diese keinen Einfluss habe, Bd. 4, S. 69–71. 801 Vgl. JRA § 125 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; J. J. Moser, Von der Revision, S. 415, 420; Selchow, Einleitung, S. 932, 933. 802 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 437, 438; der., Justizverfassung, II, S. 244; Selchow, Einleitung, S. 934; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 381. 803 JRA § 126 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; ähnlich schon RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 2 bei Laufs, RKGO 1555, S. 276. Vgl. J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 245. 804 Vgl. Selchow, Einleitung, S. 935; J. J. Moser, Von der Revision, S. 434, 435. 805 So schon Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 382. Vgl. zu der gleichen Befürchtung hinsichtlich einer Festsetzung der Sukkumbenzgelder durch die Assessoren am RKG oben S. 102. 806 Sie forderten, „das Quantum der Sportuln nicht ex mero arbitrio, sondern nach gewissen Reguln, so aus andern wohl gefaßten Gerichts-Ordnungen zu nehmen,“ festzusetzen, abgedruckt bei Pfeffinger, Corpus, IV, S. 649; ebenda findet sich auch das ganze Gutachten, S. 648–652. 807 Vgl. Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 265–267; Gschließer, Reichshofrat, S. 376.
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der Kaiser jedenfalls nicht nach und trug dem RHR lediglich auf, dass die Höhe „nach Proportion der Sachen“ und nicht willkürlich bestimmt werde.808 Spätere Beschwerden, dass die Sporteln für schwächere und arme Parteien zu hoch bemessen würden,809 führten in der beständigen Wahlkapitulation lediglich zu dem vagen Versprechen, dass die Revisionen „niemand […] durch übermäßige Sportulen schwehr gemacht werden soll“.810 In der Praxis wurde wohl häufig der siebente Teil des Streitwertes als Sukkumbenzgeld festgesetzt.811 Für den Revisionskläger bestand die Möglichkeit, einen Antrag auf Anpassung der Sporteln zu stellen. Sofern dieser begründet war, wurden die Sporteln vom RHR auch tatsächlich herabgesetzt.812 Wenn der Revisionskläger nachweisen konnte, dass er die Sporteln nicht aufbringen konnte, war es sogar möglich, einen Totalerlass der Sporteln zu erreichen.813 Für den Fall des Unterliegens war dem mittellosen Revisionskläger eine Strafe, wie z. B. Arrest, anzudrohen, welche dann auch tatsächlich vollstreckt werden sollte.814 Die festgesetzten Sporteln waren vor Ablegung des Revi sionseides „würklich“ beim RHR in bar zu hinterlegen.815 Eine Bürgschaft reichte nicht aus.816 Wie am RKG dienten die Sukkumbenzgelder auch am RHR dazu, frivole, missbräuchliche und leichtsinnige Revisionen zu vermeiden.817 War die Revision unzulässig oder unbegründet oder nahm die beschwerte Partei die Revision von sich aus zurück, wurden die Sporteln ein808 In einem Dekret an den RHR vom 14. Januar 1714 (§ 9) ordnete er an „die Welt aus der Meynung zu bringen, ob werde nicht nur das quantum Revisionis bloßen Gutdünckens eines und andern Raths, und nicht nach Proportion der Sache, determiniret“, bei Pfeffinger, Corpus, IV, S. 654. Das Dekret wurde wegen der umfassenden Regelungen teilweise als „verbesserte“ RHRO bezeichnet, vgl. ebenda, S. 652; Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 267. 809 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 444; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 382. 810 Wahlkapitulation Franz I. Art. 17 § 2 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 4. Teil, Zugabe, S. 22. 811 So J. J. Moser, Von der Revision, S. 435. 812 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 435–437; Selchow, Einleitung, S. 937; Hanzely, Grundriß, 3,1, S. 42, 43 sowie Beylagen Nr. 735, 736, ebenda, S. 250, 251. 813 Vgl. Hanzely, Grundriß, 3,1, S. 41 sowie die dortigen Beylagen Nr. 725–727 auf S. 240–242; vgl. auch J. J. Moser, Von der Revision, S. 437. 814 J. J. Moser, Von der Revision, S. 441; vgl. auch Selchow, Einleitung, S. 937. 815 JRA § 126 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. Vgl. J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 245. 816 Dies wurde vereinzelt angezweifelt, da es in RKGO Teil 3 Tit. 53 § 2 heißt: „erlegen und darfür gnugsamlich verbürgen.“ Nach JRA § 126 sollten die Sporteln allerdings „alsbald würklich ad archiuum hinterlegt werden“, was wohl auch gängige Praxis war, vgl. hierzu J. J. Moser, Von der Revision, S. 438–440; Selchow, Einleitung, S. 937. 817 Vgl. JRA 126.
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behalten und unter dem RHR-Kollegium aufgeteilt.818 Diese Aufteilung der Sporteln barg natürlich das Risiko, dass die Reichshofräte Revisionen abschlugen, nur um die Gelder unter sich aufteilen zu können. Die Vorschläge der Reichsstände, diesen Missstand zu beseitigen, indem die Sporteln unter den Armen verteilt819 oder allgemein zum Unterhalt des RHR genutzt und nicht unmittelbar an die Reichshofräte ausgezahlt werden,820 wurden jedoch nicht umgesetzt.821 Wurde das angegriffene Urteil hingegen reformiert oder verglichen sich die Parteien „vor würklicher Vernehmung der Sachen gütlich“, so waren die gezahlten Gelder zurückzuerstatten.822 Allerdings wurden die Sporteln anfangs auch dann nicht zurückgezahlt, wenn das angegriffene Urteil nur teilweise reformiert und im Übrigen bestätigt wurde.823 Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts erstattete der RHR die Sporteln auch dann zurück, wenn das Urteil nur geringfügig reformiert wurde.824 Die Supplikation war unzulässig und wurde vom RHR als „desert“ zurückgewiesen, wenn diese formalia nicht erfüllt waren.825 3. Begründetheit der Supplikation Auch hinsichtlich der Überprüfung des Urteils entspricht die Supplikation weitgehend der kammergerichtlichen Revision.826 Sofern alle formalia erfüllt und die Supplikation zulässig war, wurden „die gerichtliche acta nochmahls […] revidieret“827 und überprüft, ob ein „unrechtmessig oder nichtig urtheyl“828 ergangen ist. Der supplizierenden Partei stand es frei, sich lediglich auf die Akten zu berufen oder die Supplikation in einem Revisionslibell 818 Vgl. JRA § 126; Selchow, Einleitung, S. 938; J. J. Moser, Von der Revision, S. 445; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 386. 819 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 439. 820 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 444. 821 Vgl. hierzu insgesamt schon Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 386. 822 JRA § 126 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. Maßgeblicher Zeitpunkt im Falle eines Vergleiches war die Überreichung des libellum revisorium an die Gegenpartei, vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 446; Selchow, Einleitung, S. 938. 823 Vgl. Hanzely, Anleitung, II, S. 648. 824 Vgl. Riefl, Bd. 1, S. 391, 392. 825 Vgl. Selchow, Einleitung, S. 934: „ob defectum formalium pro deserta erkläret“. 826 Vgl. hierzu oben S. 105–112. 827 RHRO 1654 Tit. V § 7 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 189, 190; ebenso IPO Art. V § 55: „ut acta iudicialia denuo […] revideantur.“ bei APW. Supplementa electronica, 1, URL: http: / / www.pax-westphalica.de / ipmipo / [17.11.2015]. 828 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 1 bei Laufs, RKGO 1555, S. 275.
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näher zu begründen.829 Wenn die Revision offensichtlich frivol eingelegt worden war, wurde sie sofort abgelehnt und der Revident mit einer Strafe belegt, andernfalls wurde das Revisionslibell der Gegenseite zugestellt und dieser Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen.830 Weitere Schriftsätze waren weder dem Revisionskläger noch der Gegenpartei gestattet.831 Obwohl es ebenso wie am RKG auch am RHR Regelungen gab, die eine schriftliche Fixierung der für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen vorschrieben, waren den Parteien die konkreten Entscheidungsgründe nicht bekannt. Neben den Regelungen der RKGO und des JRA832 war in der RHRO 1654 angeordnet, dass die re- und correlationes der beiden Referenten versiegelt aufzubewahren waren und sofern das übrige Kollegium den Vorschlag der Referenten überstimmte „auch die rationes decidendi zu papier gebracht“ werden sollten.833 Nach kaiserlichen Dekreten aus den Jahren 1637 und 1766 sollten zudem die substantialia rationum wenigstens in den Protokollen festgehalten werden.834 Trotz dieser Anordnung erfolgte eine entsprechende Protokollierung der substantialia rationum in der Praxis nur selten835 und die Relationen der Referenten wurden nicht etwa bei den Akten, sondern in einer verschlossenen Truhe aufbewahrt, zu welcher nur der Reichshofratssekretär Zugriff hatte.836 Dies und der Umstand, dass die Relationen versiegelt wurden, zeigen schon, dass diese Regelungen nicht dazu dienten, die Entscheidungsgründe für die Parteien oder gar die Öffentlichkeit transparent und nachvollziehbar zu machen. Alle diese Aufzeichnungen erfolgten nur zu internen Zwecken, die Parteien erhielten keine Einsicht und die Entscheidungsgründe wurden, wie am RKG, nicht veröffentlicht.837
829 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276 und JRA § 125 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663; vgl. Selchow, Einleitung, S. 941; J. J. Moser, Von der Revision, S. 461, 462. 830 Vgl. JRA § 126 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 665; Selchow, Einleitung, S. 942; RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 831 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 832 RKGO 1555 Teil 1 Tit. 28 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 116; JRA § 157 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 668. Vgl. hierzu bereits oben S. 106–107. 833 RHRO 1654 Tit. IV § 18 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 175, 176. 834 Vgl. Sellert, Urteilsbegründung, S. 103, Fn. 9. 835 So Sellert, Urteilsbegründung, S. 104. Vgl. auch ders., Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 176, Fn. 619. 836 Vgl. Selchow, Einleitung, S. 811, 833; vgl. auch das Dekret von 1714 § 7 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 277, 278. 837 Vgl. Brinkmann, Richterliche Urtheilsgründe, S. 42, 43 Sellert, Urteilsbegründung, S. 103; ders., Prozeßgrundsätze, S. 360; Selchow, Einleitung, S. 811.
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Lediglich bei prozessabweisenden Zwischenurteilen wurden den Parteien teilweise die Entscheidungsgründe mitgeteilt, allerdings geschah dies eher willkürlich und primär dann, wenn es sich um behebbare, formelle Mängel handelte.838 Dem Revisionskläger dürfte es daher in der Regel nicht möglich gewesen sein, in seiner Begründung der Revision näher auf die Rechtsansichten des Gerichts einzugehen. In den Stellungnahmen der Parteien durfte „nichts newes, sonder alleyn die irrsall und ableynung“ des Urteils vorgebracht werden.839 Der Vortrag neuer Tatsachen war also ausgeschlossen und es konnten lediglich Rechtsverletzungen gerügt werden. Enthielten die Schriftsätze dennoch neue Tatsachen, wurde den Parteien aufgetragen diese innerhalb einer bestimmten Frist zu entfernen und das Libell erneut einzureichen.840 Allerdings kam es auch vor, dass neue Tatsachen zu spät bemerkt und erst im Revisionsurteil verworfen wurden.841 Die Überprüfung der Urteile beschränkte sich folglich auch im Rahmen der Supplikation auf die Frage der richtigen Rechtsanwendung. Ein Unterschied zum RKG bestand allerdings darin, dass der RHR selbst über die Frage entschied, ob er in der Vorinstanz das Recht auf den in den Akten festgehaltenen Sachverhalt richtig angewendet hatte.842 Hier zeigt sich der Hauptunterschied zur kammergerichtlichen Revision, die auch dazu diente, die Assessoren und deren Arbeit durch eine höhere Instanz zu überprüfen.843 Am RHR hatte der Kaiser allerdings kein Interesse an einer Überprüfung seiner Reichshofräte durch eine übergeordnete Instanz. Den Forderungen der Reichsstände nach einem Rechtsmittel gegen Urteile des Reichshofrates musste der Kaiser im Westfälischen Frieden zwar nachgeben, allerdings hatte er zu verhindern gewusst, die Rechtsprechung des Reichshofrates einer externen Überprüfung zu unterziehen.844 Der RHR war nicht in Senate unterteilt und die Urteile wurden von allen anwesenden Räten gefällt. Aus diesem Grund waren die meisten Räte in aller Regel schon an der Entscheidung des angefochtenen Urteils beteiligt gewesen. Die in der RKGO845 angeordnete Hinzuziehung der für das vorausgehende Urteil verantwortlichen Räte zur Erläuterung ihrer Entscheidungsgründe erfolgte daher am RHR nicht.846 Kam der RHR zu dem Ergebnis, 838 Sellert, Urteilsbegründung, S. 103; ders., Prozeßgrundsätze, S. 360; Riefl, Bd. 4, S. 19–24. 839 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 3 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. 840 Vgl. Riefl, Bd. 1, S. 393. 841 Vgl. Riefl, Bd. 1, S. 393. 842 RHRO 1654 Tit. V § 7 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 189, 190. 843 Vgl. hierzu oben S. 109–110 und S. 121–123. 844 Siehe oben S. 136–138. 845 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 4 in Laufs, RKGO 1555, S. 276.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?147
dass sein eigenes Urteil unrechtmäßig war, reformirte er es. Hielt er es hingegen für rechtmäßig, confirmirte er seine eigene Entscheidung. Überwiegend bestätigte der RHR seine ursprünglichen Entscheidungen,847 was allerdings nicht zwingend darauf zurückzuführen ist, dass er sie selbst überprüfte. Im Rahmen der kammergerichtlichen Revision wurden ebenfalls überwiegend bestätigende Revisionsurteile erlassen, obwohl die Urteile des RKG von einer anderen Instanz überprüft wurden.848 Dementsprechend wurde die überwiegende Anzahl bestätigender Revisionsurteile damit begründet, dass eben nicht alle, die Revision einlegen, auch eine gerechte Sache verfolgten.849 Andererseits wurde von einigen Zeitgenossen eine Voreingenommenheit des RHR vermutet und befürchtet, dass ein sich selbst überprüfendes Gericht versuchen würde, eine Aufhebung des eigenen Urteils zu vermeiden und den eigenen Fehler durch eine Bestätigung zu überdecken.850 Gegen eine derartige, grundsätzliche Weigerung des RHR, Fehler bei der Rechtsanwendung einzuräumen, spricht allerdings, dass er in der Supplikationsinstanz durchaus auch seine eigenen Urteile aufhob und abänderte.851 Im Falle eines unrechtmäßigen Urteils ordnete die RKGO neben der Aufhebung des Urteils auch Rechtsfolgen für die urteilenden Reichshofräte an.852 Beruhte die fehlerhafte Rechtsanwendung auf Unwissenheit oder Irrtum der Reichshofräte, sollten sie verwarnt, suspendiert oder gar entlassen werden.853 Hatten sie eine vorsätzliche Rechtsbeugung begangen und mutwillig unrechtmäßig entschieden, sah die RKGO neben der sofortigen Entlassung des Richters854 eine Bestrafung durch den Kaiser vor und stellte es der unterlegenen Partei frei, neben der Revision eine Syndikatsklage gegen den jeweiligen Urteiler einzulegen.855 Ebenso wie am RKG wurden Syndikatsklagen gegen Reichshofräte allerdings nur äußerst selten eingelegt, da es aufgrund der J. J. Moser, Von der Revision, S. 482. Selchow, Einleitung, S. 920; J. J. Moser, Von der Revision, S. 454. 848 Vgl. schon J. J. Moser, Von der Revision, S. 454, 455. 849 Selchow, Einleitung, S. 920; J. J. Moser, Von der Revision, S. 455. 850 Vgl. Henniges, Meditationum, V, S. 676, Anm. g); Hellfeld, Repertorium, I, S. 625. 851 Vgl. Hanzely, Anleitung, II, S. 649, Anm. ***); J. J. Moser, RHR-Conclusa, I, S. 191, 192; ebenda, V, S. 192 und S. 480, 481; Selchow, Einleitung, S. 920. 852 Vgl. hierzu bereits oben S. 111. 853 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 5 in Laufs, RKGO 1555, S. 276. Nach RKGO 1555 Teil 1 Tit. 5 sollten untaugliche Beisitzer abgemahnt und ggf. entlassen werden, in Laufs, RKGO 1555, S. 79; vgl. schon oben Fn. 587. 854 Vgl. RKGO 1555 Teil 1 Tit. 50 § 2 in Laufs, RKGO 1555, S. 147; Berg, Darstellung, S. 72. 855 RKGO 1555 Teil 3 Tit. 53 § 6 in Laufs, RKGO 1555, S. 277; vgl. auch J. J. Moser, Von der Revision, S. 488–490. 846 Vgl. 847 Vgl.
148
A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
Geheimhaltung der Entscheidungsgründe, der Beteiligung grundsätzlich aller Räte an der Urteilsfindung sowie des Abstimmungsverhaltens äußerst schwierig war, einem konkreten Rat eine mutwillige Rechtsbeugung nachzuweisen.856 Unabhängig davon erscheint es fraglich, ob die Regelungen über Maßnahmen gegen fehlerhaft urteilende Räte sonderlich streng auf die Reichshofräte angewendet wurden. Die übliche Praxis, die RKGO am RHR eher als unverbindliche Richtschnur zu sehen, die Tatsache, dass der RHR seine Urteile selbst überprüft hat, und das Bedürfnis des Kaisers, sich hinsichtlich des Reichshofrates und dessen Besetzung keine Vorschriften machen zu lassen, sprechen eher gegen eine konsequente Anwendung. Obwohl grundsätzlich der RHR die angefochtenen Urteile überprüfen sollte, war es auch möglich, dass der Kaiser über die Revision entschied. Nach RHRO 1654 Tit V §§ 18 und 20 durfte der RHR unter bestimmten Voraussetzungen keine Entscheidung treffen, sondern der Reichshofratspräsident hatte den Rechtsstreit im Rahmen der sog. „vota ad imperatorem“857 dem Kaiser zur Entscheidung vorzulegen. In Fällen, in welchen Referent und Korreferent über Tatsachen uneinig waren und auch der Präsident keine Übereinstimmung herstellen konnte, sollte die Sachlage dem Kaiser in einem Gutachten dargestellt werden. Der Kaiser entschied dann im Beisein des Präsidenten und, sofern er es für erforderlich hielt, der Referenten und „etlichen derienigen reichshoffräthen, so der unverglichenen meinung absonderlich beweglichen bedenckhens gewesen“.858 Darüber hinaus war auch dann ein Gutachten an den Kaiser zu verfassen und ihm die Entscheidung zu überlassen, wenn „die stimmen in ziemblicher anzahl zertheilt“ und der Präsident der Meinung war, „daß beeder theil mainung mit statlichen grundtfesten ursachen besterckhet“ waren.859 Das gleiche galt, wenn „sachen vorkommen werden, darinnen unnsere reichshofräth sich nicht vergleichen möchten, dahero wegen ihrer hochwichtigkeit deren erledigung bey unns [dem Kaiser] vonnöthen“.860 Diese Regelungen dienten der Kontrolle des Reichshofrates und ermöglichten es dem Kaiser, in wichtigen Rechtsstreitigkeiten die Verfahren mit dem Argument, sie seien von höchster Wichtigkeit, an sich zu ziehen und selbst zu entscheiden.861 Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 521, 522; Berg; Danz, Grundsätze, S. 647. hierzu Zoepfl, Grundsätze, S. 175, Anm. 9) und 10); Sellert, Votum, Sp. 1070–1073; ders., Prozeßgrundsätze, S. 346–352. 858 RHRO 1654 Tit. V § 20 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 206, 207; vgl. auch Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 346; Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 2. Teil, S. 470. 859 RHRO 1654 Tit. V § 18 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 200, 201. 860 RHRO 1654 Tit. V § 18 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 200, 201. 861 Sellert, Votum, Sp. 1070; vgl. auch Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 2. Teil, S. 304; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 221. 856 Vgl. 857 Vgl.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?149
Anfangs waren diese kaiserlichen Entscheidungen konsequenterweise nicht mehr mit der Revision angreifbar. Aus Sicht des Kaisers schien es sinnlos zu sein, wichtige Rechtssachen zunächst vom RHR an sich zu ziehen und diese selbst zu entscheiden, nur um diese eigene Entscheidung im Rahmen der Revision dann wiederum vom RHR überprüfen zu lassen. Die Entscheidung des Kaisers sollte endgültig und verbindlich sein. Weitere Rechtsmittel hiergegen waren nicht zugelassen.862 Lediglich wenn eine Partei neue Tatsachen beibringen und beweisen konnte, war eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich. Da der Vortrag neuer Tatsachen an der grundsätzlichen Einstufung als Rechtsstreit von höchster Wichtigkeit nichts änderte, hatte der RHR auf Grundlage der neuen Tatsachen ein neues Gutachten zu fertigen und die Sache wieder dem Kaiser vorzulegen, welcher sie dann entschied. Für den Kaiser bestand allerdings die Möglichkeit, das Urteil nicht als eigenes, sondern als ordentliches Urteil des RHR veröffentlichen zu lassen und so den Parteien die Gelegenheit zu bieten, hiergegen Revision einzulegen.863 Erst 1742, in der Wahlkapitulation Karls VII., wurde schließlich durchgesetzt, dass die Supplikation auch gegen Entscheidungen des Kaisers uneingeschränkt zulässig sein sollte, unabhängig davon, ob sie als Urteil des RHR oder als eigene veröffentlicht wurden.864 In der Prozesspraxis des RHR nahmen die vota ad imperatorem eine wichtige Stellung ein865 und da die Vorschriften allgemein für Entscheidungen des RHR galten, dürften sie auch hinsichtlich der Revision anwendbar gewesen sein. Allerdings dürfte ihre praktische Bedeutung im Rahmen der Revision mindestens bis zur Zulassung der Revision gegen vota ad imperatorem in der Wahlkapitulation von 1742 wesentlich geringer gewesen sein, als bei den Ausgangsentscheidungen des RHR. Im Grunde war ein Votum ad imperatorem im Rahmen der Revision zu dieser Zeit nur möglich, wenn die besondere Wichtigkeit der Sache während der ersten Verhandlung vor dem RHR übersehen und die Sache deshalb nicht an den Kaiser gezogen wurde. Da im Rahmen der Revision auf die bereits bekannten Akten abgestellt und nichts Neues vorgetragen wurde, war es eigentlich nicht möglich, dass die Sache erst während der Revision besondere Wichtigkeit erlangte. Bis 1742 dürften 862 Herchenhahn,
Geschichte d. Entstehung, 2. Teil, S. 311. Selchow, Einleitung, S. 265. 864 Vgl. zum Ganzen Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 2. Teil, S. 304. Vgl. auch Wahlkap. Karls VII Art. XVII § 2, S. 64; Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 279, Fn. 56). Selchow meint dagegen, die Revision sei nur möglich gewesen, wenn die Entscheidung als ordentliches Urteil des RHR publiziert wurde, gegen Machtsprüche des Kaisers sei sie niemals zulässig gewesen, Einleitung, S. 265. 865 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 347, 348; vgl. auch Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 4. Teil, Zugabe, S. 66, Fn. (3). 863 Vgl.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
die wichtigen Sachen daher in aller Regel schon vor der Revision an den Kaiser gegangen und von diesem endgültig entschieden worden sein. 4. Wirkung a) Devolutiveffekt In IPO Art. 5 § 55 und RHRO 1654 Tit. V § 7 war mit fast identischem Inhalt geregelt, dass „die gerichtliche acta nochmahls mit zueziehung anderer, die der sachen genuegsam gewachsen und keiner parthey zugethan in gleicher anzahl beederley religionsräthen und welche bey fellung des ersten urthels nit gewesen oder doch deß re- unnd correferenten stell nit vertretten, revidiert werden mögen“.866 Die Überprüfung des Urteils sollte also durch andere Räte erfolgen, welche bei der Fällung des ersten Urteils nicht beteiligt waren oder hierbei zumindest nicht als Referent oder Korreferent tätig gewesen sind. Angesichts dieser Regelung könnte man annehmen, dass die Supplikation, obwohl sie nicht an eine höhere Instanz übertragen wurde, jedenfalls insofern eine devolutive Wirkung hatte, als eine Überprüfung durch bisher nicht mit der Sache befasste Richter erfolgen sollte. Möglicherweise hat dies und die Tatsache, dass im Rahmen kammergerichtlicher Regelungen der Devolutiveffekt genannt wurde867 und die RKGO nach dem IPO Art. V § 55 grundsätzlich auch am RHR angewendet werden sollte, dazu geführt, dass einige Zeitgenossen auch der Supplikation einen Devolutiveffekt zuschrieben.868 In der Praxis kam es jedoch nicht einmal dazu, dass über die Supplikation von neuen, bisher nicht involvierten Richtern entschieden wurde, weshalb von einem Devolutiveffekt keine Rede sein kann. Der Ausschluss von denjenigen Räten, welche schon am Zustandekommen des ersten Urteils mitgewirkt hatten, war am RHR überhaupt nicht zu realisieren. Der RHR war nicht in Senate aufgeteilt und fällte seine Urteile immer im vollen Rat, weshalb auch stets alle Räte an den Entscheidungen mitwirkten, sofern sie nicht aufgrund von Krankheit oder anderen Gründen abwesend waren.869 Eine Übertragung auf einen anderen, mit der Sache bisher nicht befassten Senat 866 RHRO 1654 Tit. V § 7 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 190; vgl. auch IPO Art. V § 55 bei APW. Supplementa electronica, 1, URL: http: / / www.paxwestphalica.de / ipmipo / [17.11.2015]. 867 Vgl. JRA § 124 bei Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. 868 Vgl. Selchow, Einleitung, S. 951; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 248; ders., Von der Revision, S. 541. 869 Vgl. RHRO 1654 Tit. I § 15 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 82. Vgl. auch Herchenhahn, Geschichte d. Entstehung, 2. Teil, S. 278; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 340, 342.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?151
oder ein Rückgriff auf bisher unbeteiligte Räte waren infolgedessen gar nicht möglich.870 Die Supplikation hätte daher nur von Räten entschieden werden können, welche bei dem ersten Urteil zufällig abwesend waren. Es war allerdings äußerst unwahrscheinlich, dass eine ausreichend große Anzahl von Räten bei dem ersten Urteil abwesend war und dann für die Entscheidung der Supplikation geschlossen zur Verfügung stand.871 Vermutlich hat die Kenntnis um dieses Problem zu der Ergänzung geführt, dass wenigstens Referent und Korreferent des ersten Urteils an der Entscheidung über die Supplikation nicht mehr teilhaben sollen.872 Die Referenten hatten maßgeblichen Einfluss auf die spätere Entscheidung des RHR. Mit ihren Relationen unterrichteten sie alle übrigen Reichshofräte über den Inhalt der Akten und die entscheidungserheblichen Umstände und legten so die Grundlage, aufgrund welcher die Räte ihre Entscheidung trafen.873 Darüber hinaus dürfte ihr Abstimmungsverhalten als Berichterstatter die Stimmabgabe der anderen Räte deutlich beeinflusst haben. Angesichts dieses großen Einflusses auf das Urteil und der vermutlich geringeren Bereitschaft, von dem maßgeblich von ihnen vorbereiteten Urteil wieder abzuweichen, sollten die Referent in jedem Fall von der Entscheidung über die Supplikation ausgeschlossen sein. Dieser Ausschluss sollte dazu dienen, eine gewisse Neutralität zu gewährleisten, „damit die parthey den trost bekomme, daß sie von vorigen re- und correferenten amore propriae sententiae […] nicht zu hart gehalten werde“.874 Hinsichtlich der anderen Räte ging man davon aus, dass sie sich leichter von einem fehlerhaften ersten Urteil lösen könnten, da sie ihre Entscheidung aufgrund der Relationen der Referenten getroffen hatten und den Fehler daher nicht bei sich suchen mussten.875 870 Vgl. Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 4. Teil, Zugabe, S. 64, Fn. (10): „Hoc non esse potest, secundum hodiernam hujus judicii formam […].“ Vgl. auch J. J. Moser, Von der Revision, S. 451; Pütter, Historische Entwicklungen, II, S. 102. 871 Für eine Entscheidung des RHR waren außer dem Präsidenten mindestens acht Räte erforderlich. Bei einer Besetzung mit insgesamt 18 Räten hätte beim ersten Urteil also fast das halbe Kollegium abwesend sein müssen, um später für die Supplikation eine ausreichende Zahl unbeteiligter Räte stellen zu können. Selbst wenn eine so hohe Anzahl bei dem ersten Urteil abwesend gewesen wäre, wäre es purer Zufall gewesen, wenn alle diese Räte dann bei der Entscheidung über die Supplikation anwesend gewesen wären. Es war also alleine vom Zufall abhängig und höchst unwahrscheinlich, dass eine ausreichende Zahl von unbeteiligten Räten für die Supplikation gegeben war. Im Erg. ebenso J. J. Moser, Von der Revision, S. 451. 872 Vgl. hierzu insgesamt J. J. Moser, Von der Revision, S. 450–452; vgl. auch Selchow, Einleitung, S. 919. 873 Vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 339, 340; Pütter, Historische Entwicklungen, II, S. 102. 874 Dekret von 1714 § 9 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 279. 875 Vgl. J. J. Moser, Von der Revision, S. 455, 456; in eine ähnliche Richtung geht Mohl, Vergleichung, S. 380, 381.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
In der Praxis kam es allerdings trotz des Ausschlusses von Referent und Korreferent häufig vor, dass diese an der Überprüfung des Urteils beteiligt waren. In aller Regel wurde den Referenten wohl nicht zugestanden, bei der endgültigen Entscheidung tatsächlich mit abzustimmen und ein votum decisi vum abzugeben. Allerdings nahmen die Referenten insofern oft maßgeblichen Einfluss auf das Urteil des RHR, als sie in Form eines votum informativum ihre Einschätzung der Sache dem üblichen Kollegium vortrugen.876 Aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung als Referenten und der hieraus folgenden besonderen Kenntnis des Falles, hatte diese Art der Beteiligung sicherlich eine besondere Wirkung auf das Abstimmungsverhalten der übrigen Räte. Durch diese Praxis wurde der Sinn und Zweck des Ausschlusses der Referenten, eine möglichst unvoreingenommene Überprüfung zu gewährleisten, weitgehend unterlaufen. Die Stände waren daher der Meinung, dass das votum informativum „eben so schlimm ist, als ob er mit decidirte“877 und forderten einen frühzeitigen und umfassenden Ausschluss der Referenten. Wenn schon die Räte über die Revision entschieden, welche auch an dem ersten Urteil mitgewirkt hatten, sollten wenigstens Re- und Korreferent „abtretten, auch so gleich, post interpositam Revisionem […] sich weiter der Sache nicht annehmen, noch das geringste darinnen thun, noch verordnen“.878 Die Beschwerden der Stände veranlassten den Kaiser 1714 dazu, den vollständigen Ausschluss der Referenten von der Revision klarzustellen und anzuordnen, dass „stracks anfänglich und nicht erst wann der processus revisorius geschlossen ist, die vorhin in der sache gewesene re- und correferenten aus dem rath abtreten sollen“.879 Angesichts des Umstandes, dass die meisten Räte auch schon das erste Urteil mit entschieden hatten, kann trotz dieser konsequenteren Anordnung des Ausschlusses der Referenten nicht von einem Devolutiveffekt der Supplikation gesprochen werden. Die Supplikationen wurden in aller Regel überwiegend von den Räten entschieden, welche auch schon das erste, nun zu überprüfende Urteil gefällt hatten. Aus diesem Grund sprach auch schon Pütter der Supplikation eine devolutive Wirkung ab.880 Nach der IPO und der RHRO sollte es dem Kaiser „bevorstehen“, in wichtigen Rechtssachen, aufgrund welcher im Reich ein Aufruhr zu befürchten 876 Vgl.
650.
J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 238; Pfeffinger, Corpus, IV, S. 649,
877 Pfeffinger,
Corpus, IV, S. 650; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 238. Corpus, IV, S. 649. 879 Dekret von 1714 § 9 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 279; vgl. auch Selchow, Einleitung, S. 951; J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 238. 880 Pütter, Historische Entwicklungen, II, S. 102; ihm folgend Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 387. 878 Pfeffinger,
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?153
war, „etliche beeder religion, chur- und fürsten, mit ihrem guettachten und mainungen zu vernemmen.“881 Die Beteiligung der Fürsten und Kurfürsten an derartigen Streitigkeiten war jedoch nicht verpflichtend, sondern stand im freien Ermessen des Kaisers.882 In aller Regel beteiligte der Kaiser die Reichsstände an derlei politisch wichtigen Verfahren nicht,883 sondern bezog stattdessen den Geheimen Rat mit ein.884 Da der Westfälische Friedensvertrag und die RHRO die Beteiligung in das Ermessen des Kaisers stellten, konnten die Reichsstände ihre Einbeziehung nicht erzwingen. Allerdings bestanden sie darauf, dass die Entscheidung des Kaisers, wie in der RHRO vorgesehen, im Beisein neutraler Personen zu erfolgen hatte, um so einer Kabinettsjustiz entgegenzuwirken. Die RHRO sah eigentlich vor, dass die vota ad imperatorem dem Kaiser im Beisein des Reichshofratspräsidenten und gegebenenfalls der Re- und Korreferenten sowie der Reichshofräte, welche eine abweichende Meinung vertreten hatten, referiert wird und er hie raufhin in Anwesenheit dieser Personen seine Entscheidung fällte.885 Die Entscheidungskompetenz lag alleine beim Kaiser, aber die genannten Personen hätten gegebenenfalls durch ihre Darstellung des Falles oder eigene Hinweise Einfluss nehmen können. Der Kaiser ließ sich jedoch sämtliche Gutachten lediglich von einem ständigen Referenten, der für alle Vota zuständig war, vortragen und entschied nicht im Beisein der genannten Personen.886 Im Jahr 1663 forderten die Reichsstände daher, dass der Kaiser sich das Votum „in Anwesenheit des Reichs-Hofraths-Präsidentens und ReichsVice-Canzlars, mit Zuziehung der Re- und Correferenten und anderer ReichsHofräthe beyder Religionen vortragen, mit denenselben berathschlage und in keinem anderen Rath resolviren“ solle.887 Zwei Jahre später wies der Kaiser 881 RHRO 1654 Tit. V § 7 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 190; vgl. auch IPO Art. V § 55: „Liberumque sit suae maiestati in causis maioribus […]“ bei APW. Supplementa electronica, 1, URL: http: / / www.pax-westphalica.de / ipmipo / [2.12.2015]. 882 Vgl. Pütter, Historische Entwicklungen, II, S. 111, der hierin „das Grab des uralten Herkommens des ehemaligen Fürstenrechts“ sieht. Ihm folgend Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 350, Fn. 1864. Malblank ist dagegen der Meinung, es stehe lediglich im Ermessen des Kaisers, ob die Rechtssache als wichtig i. S. der Regelung anzusehen war. Sofern er dies bejahte war die Beteiligung der Reichsstände jedoch notwendig und stand nicht in seinem Ermessen, Abhandlung, 3. Teil, S. 274. 883 Vgl. die Beschwerde der Reichsstände von 1686 bei F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 438; vgl. auch Mohl, Vergleichung, S. 346; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 387. 884 Vgl. Selchow, Einleitung, S. 73; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 387. 885 Vgl. RHRO 1654 Tit. V § 20 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 207; vgl. auch Gross, Reichshofkanzlei, S. 251; Mohl, Vergleichung, S. 346; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 350. 886 So Gross, Reichshofkanzlei, S. 251, 252; vgl. auch Selchow, Einleitung, S. 73. 887 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 507.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
diese Forderung zurück, weil hierdurch die kaiserliche Autorität geschmälter würde, „da doch vor 100. und mehr Jahren ein anders practicirt worden.“888 Erst im Jahre 1711 gelang es den Reichsständen, sich die Anwesenheit der entsprechenden Personen in Art. 16 der Wahlkapitulation Karls VI. zusichern zu lassen.889 Die Kaiser hielten sich jedoch nicht an diese Zusage und sahen sich daher mit zahlreichen weiteren Beschwerden890 der Stände konfrontiert. Sie forderten wiederholt nachdrücklich, „Daß der regierende Kayser bey dem ReichsHofrath den Mißbrauch derer Votorum ad Imperatorem abstelle, und solche nicht anderst, als nach der Reichs-Hofraths-Ordnung, zulasse.“891 Teilweise wurde sogar gefordert, dass die Resolution „zu ewigen Zeiten keine vires & effectum rei judicatae“ erlange, wenn sie nicht in Anwesenheit des Reichshofrats und Reichsvizekanzlers sowie mit Zuziehung der Re- und Korreferenten und anderer Reichshofräte entschieden wurde.892 Die Beschwerden führten allerdings lediglich dazu, dass in der Wahlkapitulation Karls VII. von 1742 in Art. 16 ergänzt wurde, dass der Kaiser die Vota „anders nicht“ als in Anwesenheit der genannten Personen entscheiden dürfe.893 In der Praxis beteiligte der Kaiser den Reichshofratspräsidenten und die Reichshofräte jedoch weiterhin meistens nicht an den Entscheidungen über die vota ad imperatorem.894 Der Streit zwischen Kaiser und Ständen um die Anwesenheit der genannten Personen bei der Entscheidung der vota ad imperatorem dürfte im Rahmen der Revision eine untergeordnete Rolle gespielt haben, weil eine vota ad imperatorem in der Revisionsinstanz jedenfalls bis 1742 eher unwahrscheinlich war.895 Die Auseinandersetzung zeigt allerdings sehr deutlich, wie groß das Interesse der Stände war, durch die Anwesenheit mehr oder weniger neutraler Personen wenigstens ansatzweise eine Kontrolle und Überwachung der kaiserlichen Entscheidungen zu erreichen.
F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 507. Kaiser Karls VI. Art. 16, S. 35; vgl. auch F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 509, 510. 890 Die Beschwerden sind aufgelistet bei F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 510–514; vgl. auch Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 208, 209, Forts. Fn. 685. 891 J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 220; F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 510. 892 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 512, 513. 893 Vgl. Wahlkapitulation Karls VII. Art. XVI § 15, S. 62. 894 Vgl. Mohl, Vergleichung, S. 346; Selchow, Einleitung, S. 73, 270; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 351, 352. 895 Vgl. hierzu oben S. 149. 888 Vgl.
889 Wahlkapitulation
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?155
b) Suspensiveffekt Die Frage, ob die Supplikation einen Suspensiveffekt hat oder nicht, war sehr umstritten.896 Neben den Meinungsverschiedenheiten zwischen Protestanten und Katholiken lag dies daran, dass die Rechtslage in Bezug auf den Suspensiveffekt relativ unübersichtlich war und sich die einzelnen Regelungen teilweise scheinbar widersprachen. Im Westfälischen Friedensvertrag und in der RHRO 1654 hieß es, dass die Supplikation zugelassen werde, damit den Parteien „am kaiserlichen hofgericht das remedium suspensivum nit benommen werde“.897 Hiernach sollte die Supplikation also eindeutig eine suspensive Wirkung haben. Im JRA war dagegen geregelt, dass „der Effectus suspensivus bey den gesuchten Revisionibus wider die CammerGerichtliche Urtheil inskünfftige aufgehebt“ werde.898 Da im westfälischen Frieden die Anwendung der RKGO am RHR angeordnet wurde, kam die Frage auf, ob durch diese Regelung auch der Suspensiveffekt der Supplikation aufgehoben wurde. Schon auf dem Reichstag 1653 / 54 fanden zwischen den Reichsständen Diskussionen darüber statt, ob die Aufhebung des Suspensiveffektes auch für die Supplikation, respektive Revision am RHR gelten sollte. Die katholischen Stände waren der Meinung, die Aufhebung des Suspensiveffektes gelte auch für die Supplikation.899 Als Argument hierfür führten sie an, dass nach IPO Art. V § 55 die RKGO in vollem Umfang auch am RHR Anwendung finden sollte. Zudem sei die Supplikation „loco revisionis in camera visitatae“ eingeführt worden, weshalb sie als Surrogat der Revision dieser gleich gehalten werden müsse.900 Die evangelischen Stände, welche sich durch den katholisch gesinnten RHR benachteiligt fühlten und meinten, dieser unterstütze soweit möglich die katholische Partei,901 wirkten dagegen auf eine Beibehaltung des Suspen-
896 Eine sehr ausführliche Darstellung des Streites findet sich bei J. J. Moser, Von der Revision, S. 490–542. Einen Überblick über weitere zeitgenössische Autoren gibt Neurode, Verfassung, S. 510. 897 RHRO 1654 Tit. V § 7 bei Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 189; IPO Art. V § 55: „Tum ut ne partes ibidem litigantes omni remedio suspensivo destituantur […]“ bei APW. Supplementa electronica, 1, URL: http: / / www.pax-westphalica. de / ipmipo / [18.12.2015]. 898 JRA § 124 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 663. 899 Vgl. die Voten von Bayern und Leuchtenberg in Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 464, 593. Vgl. auch Neurode, Verfassung, S. 511. 900 Wie Fn. 899. 901 Vgl. hierzu Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 290; F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, I, S. 268.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
siveffektes hin.902 Ebenso wie bereits bei ihrer Forderung, bei kammergerichtlichen Revisionen in Religionssachen den Suspensiveffekt beizu behalten,903 erhofften sie sich hiervon, sich so gegen die Vollstreckung von Urteilen des RHR in Religionsprozessen besser wehren zu können.904 Die evangelischen Stände vertraten daher die Ansicht, die Aufhebung des Suspensivseffektes im JRA beziehe sich nur auf das RKG und die Supplikation habe weiterhin suspensive Wirkung. Der Suspensiveffekt der Supplikation sei aufgrund reiflicher Überlegung erst wenige Jahre zuvor im Westfälischen Frieden festgelegt worden und an diese Regelung habe man sich nun auch zu halten. Die Aufhebung der suspensiven Wirkung der kammergerichtlichen Revision erfolgte lediglich, weil diese nicht bearbeitet wurden und eine wirksame Rechtspflege u. a. dadurch erschwert wurde, dass mit Hilfe des Suspensiveffektes jede Vollstreckung für unbestimmte Zeit verhindert werden konnte. Dieses Problem bestand jedoch am RHR nicht, da die Supplikationen hier in überschaubarer Zeit entschieden wurden.905 Für eine Aufhebung der suspensiven Wirkung der Supplikation bestand aus ihrer Sicht daher keine Veranlassung. Wie sich aus einem Gutachten und entsprechenden Stellungnahmen ergibt, einigten sich die Reichsstände und der Kaiser schließlich jedoch darauf, dass die Aufhebung des Suspensiveffektes nicht für den RHR gelten und die Supplikation weiterhin suspensive Wirkung haben sollte.906 Der Kaiser hielt sogar eine explizite Klarstellung im JRA, dass der Suspensiveffekt der Supplikation beibehalten werden sollte, nicht für nötig, da sich dies bereits aus der kurz zuvor veröffentlichen RHRO ergebe.907 Obwohl die Supplikationen zeitnah entschieden wurden, also insofern kein Grund für die Aufhebung des Suspensiveffektes gegeben war und obwohl Reichsstände und Kaiser eine Aufhebung des Suspensiveffekts abgelehnt hatten, setzte sich in der Praxis schließlich die Ansicht durch, dass die Aufhebung des Suspensiveffektes 902 Vgl. die Voten von Ansbach, S. 506, Regensburg, S. 531, 532, und Magdeburg, S. 646, in Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch. Vgl. auch Neurode, Verfassung, S. 511. 903 Vgl. hierzu oben S. 116. 904 So schon Sellert, Revision (Supplikation), S. 30, 31; ders., Prozeßgrundsätze, S. 389. 905 Vgl. hierzu insgesamt Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 531, 532; Neurode, Verfassung, S. 511. 906 Vgl. das Gutachten der Reichsstände vom 19. April 1654 worin ausdrücklich „die jenige Fäll und Sachen hievon außgenommen werden, worinnen deß H. Reichs Hoffrahts ergangene Urtheil, das beneficium supplicationis juxta dispositionem instr. Pacis […] gesuchet würde“ von „cassatio effectus suspensivi revisionum“ ausgenommen werden, bei Lundorp, Acta, S. 668. Die Stellungnahme des Kaiser hierauf findet sich ebenda, S. 687. Ebenso bei J. J. Moser, Einleitung, I, S. 717–719. 907 Vgl. Lundorp, Acta, S. 687; J. J. Moser, Einleitung, I, S. 718.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?157
auch für die Supplikation gelten sollte.908 In der sog. oldenburgischen Sukzessions-Sache beriet schließlich der RHR selbst über diesen Streit und sprach sich schließlich gegen einen Suspensiveffekt der Supplikation aus, weil „demselben so wohl die Stelle unsers R. A. von der wir hier reden, als die Observanz entgegen gesetzet“ seien.909 J. J. Moser vermutet, die fehlende Kenntnis der Beratungen auf dem Reichstag von 1653 / 54 und der damaligen Übereinkunft, den Suspensiveffekt der Supplikation beizubehalten, habe dazu geführt, dass sich diese Ansicht in der Praxis durchsetzen konnte und der Supplikation keine suspensive Wirkung mehr zugestanden wurde.910 Dem ist insofern zuzustimmen, als die faktische Abschaffung des Suspensiveffektes der Supplikation sicherlich schwieriger gewesen wäre, wenn die vom Kaiser für entbehrlich gehaltene Klarstellung, dass der Suspensiveffekt für die Supplikation beibehalten werden sollte, tatsächlich erfolgt wäre. Allerdings beruht die Nichtbeachtung des Suspensiveffektes in der Praxis sicherlich nicht auf bloßer Unkenntnis der Beratungen und der Einigung auf dem Reichstag 1653 / 54. So wurde bei den Beratungen über eine beständige Wahlkapitulation 1664 genau darauf geachtet, dass lediglich der Suspensiveffekt der kammergerichtlichen Revision und nicht auch derjenige der Supplikation ausgeschlossen wurde. In einem Entwurf der Kurfürsten hieß es ursprünglich, dass neben anderen Maßnahmen zur Beschleunigung der Revisionen: „[…] sondern auch zu desto mehrerer Abkürzung solcher Revisionen die dißfalls in dem Reichs-Abschied de An. 1654. beliebte und noch ferners beliebende Ordnung genau in acht nehmen und denenselben keinen effectum suspensivum zugestehen noch zu gestatten“ sei.911 Obwohl der Fürstenrat hieraufhin bzgl. einer anderen Stelle dieses Entwurfs zur Klarstellung forderte, dem ursprünglichen Wortlaut „Beneficium Revisionis“ die Ergänzung „Et Supplicationis“ hinzuzufügen, verzichtete er auf eine derartige Klarstellung hinsichtlich der Aufhebung des Suspensiveffek908 Vgl. Uffenbach, Tractatus, S. 269; J. J. Moser, Von der Revision, S. 541, 542; ders., Justizverfassung, II, S. 248. 909 So bei Neurode, Verfassung, S. 511, 512; vgl. auch Selchow, Einleitung, S. 951; F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 450. 910 J. J. Moser, Justizverfassung, II, S. 248. 911 F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 436. Sellert sieht in dem kurfürstlichen Entwurf den Versuch, den Suspensiveffekt der reichshofrätlichen Supplikation zu beseitigen, Revision (Supplikation), S. 31; ders., Prozeßgrundsätze, S. 389. Es ist schwer zu sagen, ob die Kurfürsten mit „Revisionen“ auch die Supplikationen meinten oder ob tatsächlich nur die kammergerichtlichen Revisionen gemeint waren. Für letzteres spricht allerdings, dass sie die von den Fürsten vorgeschlagene Änderung zu Revision des kayserlichen Cammer-Gerichts anscheinend bereitwillig akzeptierten, vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 436.
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A. Revision gegen Urteile der Reichsgerichte
tes.912 Stattdessen forderten die Fürsten an dieser Stelle nach „solcher Revisionen“ klarstellend „des kayserlichen Cammer-Gerichts“ einzufügen.913 Schon hieraus folgt, dass der Suspensiveffekt nur hinsichtlich der kammergerichtlichen Revisionen, nicht aber hinsichtlich derjenigen am RHR versagt werden sollte. Dies wird noch deutlicher anhand des Wortlauts der Wahlkapitulation Karls VI. von 1711. Zum einen heißt es nun entsprechend dem Vorschlag der Fürsten: „solcher Revisionen Unsers Kayserl. CammerGerichts […] keinen Effectum Suspensivum zugestehen, noch gestatten“.914 Zum anderen schließt sich hieran nahtlos an: „mit der im Reichs-Hoff-Rath an statt der Revision gebräuchlicher Supplication, auch nach Inhalt deß Instrumenti Pacis Art. 5. § quo ad Processum Judiciarium & c. und nach der Reichs-Hoffraths-Ordnung allerdings verfahren, und darob seyn, daß derselben ein Genügen geleistet, und darwider keines Weegs gehandelt werden möge“.915 In dieser Wahlkapitulation wurde also die Aufhebung des Suspensiveffektes ausdrücklich auf die kammergerichtliche Revision beschränkt und zudem festgelegt, dass hinsichtlich der Supplikation nicht gegen IPO Art. 5 § 55 und die RHRO, welche der Supplikation beide suspensive Wirkung zusprachen, verstoßen werden sollte.916 Gleichwohl setzte der RHR die Vollstreckung seiner Urteile in der Praxis nicht aus,917 was Kurtrier dazu veranlasste, während der Verhandlungen über die Wahlkapitulation Karls VII. 1741 zu fordern, es solle dem „Beneficio Supplicationis der Effectus suspensivus jedesmahlen ohnweigerlich gestattet“ werden.918 Obwohl die Forderung ausführlich von den Ständen diskutiert wurde,919 fand sie keinen Niederschlag in der Wahlkapitulation und es blieb beim Wortlaut der Wahlkapitulation von 1711.920 Warum den Supplikationen am RHR trotz dieser Regelungen kein Suspensiveffekt eingeräumt wurde, lässt sich nur vermuten. Sellert meint, der Grund F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 436. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 436. 914 Wahlkapitulation Kaiser Karls VI. Art. 17, S. 36; mit identischem Wortlaut auch schon im Entwurf einer beständigen Wahlkapitulation von 1711 bei Zeumer, Quellensammlung, 2. Bd., S. 487. Hervorhebung (fett) hinzugefügt. 915 Wie Fn. 914. 916 Ebenso schon J. J. Moser, Von der Revision, S. 531–533; a. A. Sellert, der meint in der Wahlkapitulation wurde die Aufhebung des Suspensiveffektes schriftlich fixiert, Prozeßgrundsätze, S. 389; ders., Revision (Supplikation), S. 31. 917 Uffenbach, Tractatus, S. 269; J. J. Moser, Von der Revision, S. 541, 542; ders., Justizverfassung, II, S. 248; Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 653, Anm. b). 918 F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 441. 919 Vgl. F. C. Moser, Pragmatische Geschichte, II, S. 441–443. 920 Vgl. Wahlkapitulation Kaiser Karls VII. Art 17 § 2 und § 14, S. 64 und 68. Vgl. auch Sellert, Ordnungen des RHR, 2. Hbd., S. 279, Fn. 56. 912 Vgl. 913 Vgl.
III. Die Supplikation am RHR – Eine verkappte Revision?159
könne möglicherweise darin liegen, dass man am kaiserlichen Hof im Sinne eines friedlichen Ausgleichs zwischen den Religionsparteien und zum Wohlsein des Reiches den beständigen Forderungen der Protestanten nachgegeben habe, sich am RHR strikt an die reichskammergerichtliche Verfahrensordnung zu halten.921 Dies mutet zunächst insofern merkwürdig an, als es ursprünglich gerade die protestantischen Stände waren, welche die Beibehaltung des Suspensiveffektes am RHR forderten und darauf verwiesen, dass sich die Aufhebung im JRA nur auf das RKG beziehe. Andererseits ist es möglich, dass der Suspensiveffekt zur Abwehr von Urteilsvollstreckungen aus Religionsprozessen an Bedeutung verloren hatte, weil er aufgrund der relativ zügigen Bearbeitung der Supplikationen ohnehin nicht die erhoffte Verzögerung bot.922 Zudem kam es wohl vor, dass die obsiegende Partei die Vollstreckung gar nicht beantragte und den Ausgang der Revision abwartete, um sich beispielsweise bei zweifelhaften Erfolgsaussichten vergebliche Vollstreckungskosten zu ersparen.923 Wurde Revision beantragt, so hatte die obsiegende Partei die Leistung einer ausreichenden Kaution anzubieten.924 Die unterlegene Partei konnte jedoch einwenden, die angebotene Kaution würde als Sicherheit nicht ausreichen und auf diese Weise einen faktischen Suspensiveffekt bewirken. Riefl meint, dass die Klärung dieses Streits mitunter solange dauern konnte, dass die eigentliche Revision aufgrund der relativ zügigen Bearbeitung in der Zwischenzeit entschieden worden wäre und deshalb wenige Parteien die Vollstreckung des angegriffenen Urteils begehrten.925 Aufgrund dieser Umstände könnte es durchaus sein, dass dem Suspensiveffekt der Supplikation auch von den protestantischen Ständen nicht mehr so viel Bedeutung beigemessen und dessen Anwendung nicht mehr so energisch gefordert wurde.
921 Sellert,
Revision (Supplikation), S. 31, 32. Bd. 1, S. 393, meint die Supplikation dauere selten „länger als ein oder das andere Jahr.“ 923 Vgl. Selchow, Einleitung, S. 951. 924 Vgl. zur Festlegung der Kaution J. J. Moser, Von der Revision, S. 543–548. 925 Riefl, Bd. 1, S. 393; vgl. auch Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 653, Anm. b). 922 Riefl,
B. Überblick über die Lage in den Territorien I. Die zwei Arten der Revision auf territorialer Ebene In den Territorien war die Rechtslage hinsichtlich der Revision vielschichtig, unübersichtlich und nicht einheitlich,926 sodass eine verallgemeinernde Beurteilung nur begrenzt möglich ist. Angesichts der Vielzahl der Territorien würde eine genaue Vergleichung der Entwicklung und Ausgestaltung der Revisionsregelungen in den einzelnen Territorien ein uferloses Unterfangen darstellen und den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen. Ganz allgemein kann zunächst festgehalten werden, dass es neben der Revision gegen Urteile der Reichsgerichte noch zwei weitere als Revision bezeichnete Rechtsmittel auf territorialer Ebene gab.927 Zum einen wurde den Landesherren im Jahr 1600 durch Reichsrecht vorgeschrieben, eine landesrechtliche Revision als Ersatz für die Appellation an die Reichsgerichte einzuführen, wenn diese mangels Erreichen der Appellationssumme ausgeschlossen war. Zum anderen existierten unterschiedlich ausgestaltete partikularrechtliche Revisionen, welche als außerordentliche Rechtsmittel auch in solchen Fällen ergriffen werden konnten, in welchen eine Appel lation an die Reichsgerichte möglich war.928 Neben dem Umstand, dass beide Formen der Revision unterschiedliche, nämlich reichsrechtliche bzw. partikularrechtliche Wurzeln hatten, unterschieden sie sich insbesondere in ihrem Verhältnis zur Appellation voneinander.929 Die eine war in Fällen, in welchen die Appellationssumme nicht erreicht wurde, gerade als Ersatz für die Appellation angeordnet und nicht statthaft, wenn die Appellation zulässig war. Die andere war hingegen unabhängig vom Vorliegen der Appel lationssumme und konnte auch dann ergriffen werden, wenn die Appellation zulässig war. Während die durch Reichsrecht angeordnete landesrechtliche Revision also an die Stelle der ausgeschlossenen Appellation an die Reichsgerichte trat, konkurrierte die partikularrechtliche Revision mit die-
926 Vgl. Danz, Ordentlicher Prozess, S. 649; Hofmann, Reichspraxis, S. 543–546, insbes. Fn. (y) und S. 564–566; Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 639–643. 927 Vgl. Hofmann, Reichspraxis, S. 543–546; Wetzell, System, S. 778–780; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 289; Lenel, Rechtsverwaltung, S. 149. 928 Wie Fn. 927. 929 Lenel, Rechtsverwaltung, S. 149, 150.
I. Die zwei Arten der Revision auf territorialer Ebene161
ser.930 Der Unterschied zwischen beiden Rechtsmitteln wurde von den Landesherren oft bewusst verwischt und übergangen, weil sie versuchten, die Parteien auch dann zur Einlegung der Revision zu bewegen, wenn eine Appellation zu den Reichsgerichten möglich war, um den Rechtsstreit so innerhalb der territorialen Gerichtsbarkeit zu halten.931 Bereits vor Anordnung einer landesrechtlichen Revision durch Reichsrecht gab es in den Territorien die Möglichkeit, sich mittels einer Supplik an den Landesherren zu wenden und diesen um eine Überprüfung des Urteils zu ersuchen.932 Bei der aus dem römischen Recht übernommenen Supplikation handelte es sich um ein nicht unbedingt spezifisch juristisches Gesuch an den Herrscher, welches Ansinnen aller Art zum Inhalt haben konnte.933 Die Supplik hatte sich jedoch noch nicht zum Rechtsmittel im eigentlichen Sinne entwickelt. Sie vermittelte den Parteien keinen Anspruch auf eine erneute Überprüfung, hatte keinen Suspensiveffekt und sie folgte keinem bestimmten, gesetzlich geregelten Verfahren.934 Es handelte sich vielmehr um ein Gnadenmittel, welches als einfache, formlose Bitte und außerhalb des eigentlichen Instanzenzuges an den jeweiligen Territorialherren gerichtet wurde. Das Recht des Herrschers, diese Gnadengesuche anzunehmen und eine den Rechtsstreit beendende Entscheidung zu treffen, obwohl der ordentliche In stanzenzug noch nicht erschöpft war, ergab sich aus dessen Stellung als oberster Richter in seinem Herrschaftsgebiet und einer entsprechenden Observanz. Mit der Abnahme der königlichen Macht und dem Erstarken der Territorien verfestigte sich auch die Stellung der Landesherren als oberste Richter für ihr Territorium.935 Aus dieser Position, die ursprünglich dem König für das gesamte Reich zukam, folgte auch die Befugnis zu persönlicher Rechtsprechung.936 Die Möglichkeit, als oberster Richter einen außerordentlichen Abschluss des Verfahrens herbei führen zu können, nutzten die Territorialherren gerne, um so eine Appellation an die Reichsgerichte zu unterbin930 Vgl. Linde, Lehrbuch, S. 522–524; Wetzell, System, S. 780; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 289, 290; ders., Zuständigkeit, S. 235; Lenel, Rechtsverwaltung, S. 150. 931 Vgl. Lenel, Rechtsverwaltung, S. 150, 151; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 269, 291. 932 Vgl. Hülle, Supplikenwesen, S. 198; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 287, 288; Jäger; Rechtsmittel, S. 19; Stölzel, Rechtsverwaltung I, S. 240. 933 Weitzel, Zuständigkeit, S. 235; vgl. auch schon oben S. 25. 934 Hülle, Supplikenwesen, S. 197; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 288; ders., Zuständigkeit, S. 237; vgl. zum Verfahren auch das hessische Supplikationsausschreiben vom 1. Januar 1538 in Sammlung HLO I, S. 106, 107; Schmidt, Kammergericht, S. 11. 935 Vgl. Hülle, Supplikenwesen, S. 198; Trusen, Anfänge, S. 185. 936 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 283, 288; ders., Zuständigkeit, S. 235; Hülle, Supplikenwesen, S. 197; Schmidt, Kammergericht, S. 8.
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B. Überblick über die Lage in den Territorien
den und die Rechtstreitigkeiten innerhalb der eigenen Jurisdiktionsgewalt zu halten.937 Diese Möglichkeit bestand allerdings nur, soweit die Parteien auf andere Rechtsmittel verzichteten. Insbesondere konnten die Landesherren nicht den reichsrechtlich festgelegten Instanzenzug unterbinden, indem sie die Appellation an die Reichsgerichte nicht zuließen.938 Für die Parteien hatte ein entsprechendes Vorgehen jedoch den Vorteil, dass sie so die beträchtlichen Kosten und lange Verfahrensdauer des reichskammergericht lichen Verfahrens vermeiden konnten.939 Die Überprüfung der territorialgerichtlichen Urteile durch den Landesherren konkurrierte schon früh mit der Appellation ans RKG. Seit Errichtung des RKG versuchten die Territorialherren die Rechtsstreitigkeiten in den eigenen Territorien zu halten, indem sie den Parteien anstelle der Appellation an das Reichsgericht die Möglichkeit anboten, mittels einer formlosen Bittschrift eine Überprüfung des Urteils zu erreichen.940 Diese Möglichkeit wurde in Abgrenzung zur Appellation in den verschiedenen Territorien unterschiedlich bezeichnet und hieß mitunter Leuterung, Supplication, Restitution oder auch Revision.941 In der Sache war ihnen jedoch gemein, dass sie als außerordentlicher Verfahrensabschluss dazu dienten, die Rechtsstreitigkeiten in den Territorien zu halten. In den Territorien existierte also schon früh die Möglichkeit, mittels einer formlosen Bittschrift bei dem Landesherren um die Überprüfung von Urteilen zu ersuchen. Mit der Errichtung des RKG trat diese Möglichkeit in Konkurrenz zur Appellation an das Reichsgericht, ohne zunächst allerdings eine konkrete Ausgestaltung als Rechtsmittel zu erfahren. Erst als vom Reichsrecht vorgeschrieben wurde, auf Landesebene einen Ersatz für die aufgrund mangelnder Appellationssumme ausgeschlossenen Appellationen ans RKG anzubieten, kam es zu gesetzlichen Normierungen der landesrechtlichen Supplik und zu einem Ausbau als Rechtsmittel. Die Landesherren spielten die Unterschiede zwischen beiden Formen der Revision häufig herunter und nutzten die Anordnung der reichsrechtlichen Revision dazu, beide bewusst miteinander zu vermischen und als ein einheitliches Rechtsmittel in den Partikularrechten zu regeln, um so die Parteien von der Appellation ans RKG abzuhalten und stattdessen zu Revisionen an die Territorialgerichte zu bewegen.942 937 Lenel, Rechtsverwaltung, S. 150; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 291, 292; vgl. auch den bei Weitzel, Zuständigkeit, S. 217 ff. dargestellten Fall der Anna Sailer. 938 Vgl. hierzu S. 169–171. 939 Weitzel, Zuständigkeit, S. 235. 940 Vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 287, 288. 941 Vgl. Jäger, Rechtsmittel, S. 19; Hofmman, Reichspraxis, S. 538; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 284.
II. Reichsrechtlich angeordnete bzw. subsidiäre Revision163
II. Reichsrechtlich angeordnete bzw. subsidiäre Revision Im Jahr 1600 wurde durch Reichsrecht angeordnet, dass den Parteien im Wege einer Revision auf Territorialebene eine erneute Überprüfung der territorialgerichtlichen Urteile zu gestatten war, wenn aufgrund eines Unterschreitens der Appellationssumme die Appellation an das RKG ausgeschlossen war.943 Bereits auf dem Reichstag zu Augsburg 1547 / 48 wurde im Rahmen der Beratungen über die RKGO von 1548 vorgeschlagen, in Fällen, in welchen von den Untergerichten keine Appellation möglich war, die Revision auch auf diese Untergerichte anzuwenden und zu erstrecken, um auch den Parteien in Verfahren mit geringem Streitwert zu ermöglichen, zu ihrem Recht zu kommen.944 Der Vorschlag wurde jedoch nicht umgesetzt.945 Stattdessen wurde 1570 die Möglichkeit, territorialgerichtliche Urteile im Wege der Appellation ans RKG überprüfen zu lassen, durch eine Erhöhung der ursprünglichen Appellationssumme von 50 auf 150 weiter eingeschränkt, um mutwillige und unnötige Appellationen, deren Unkosten den Streitwert oft überstiegen zu unterbinden.946 Anlässlich dieser Einschränkung der Appellationsmöglichkeiten wurden die Landesherren explizit aufgefordert, ihre „Unter- oder Hof-Gericht mit verständigen Urtheilern besezt [zu] halten, auf das daselbst den Partheyen zu Recht und Billigkeit verholffen werden möge.“947 Erst als im Reichsdeputationsabschied von 1600 die Appellationssumme erneut deutlich, auf 300 Gulden angehoben wurde, um eine Überhäufung des RKG mit vielfältigen, mutwilligen und frevelhaften Revisionen zu vermeiden, wurde als Ausgleich eine Revision auf Landesebene angeordnet. Angesichts der weiteren Einschränkung der Appellation wurde in § 16 des Reichsdeputa tionsabschieds geregelt, dass es den Parteien in Fällen, in welchen die Appel942 So schon Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 291; vgl. Lenel, Rechtsverwaltung, S. 150 ff. zur badischen Revisionsordnung von 1748; Reuß, Beiträge I, S. 358– 368 sowie den Auszug HGO 1663 für Braunschweig-Wolfenbüttel, ebenda, S. 381. Weitere Beispiele finden sich bei Reuß, ebd., S. 359 und Hofmman, Reichspraxis, S. 564, 565. 943 Vgl. Weiske, Rechtslexikon, 9. Bd., S. 251; Linde, Handbuch II, S. 377; ders., Lehrbuch, S. 522; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 290, 291. 944 In den Bedenken des Fürstenrates heißt es: „[…] ist von etlichen bedacht worden, ob nit gut were, das solliche revision oder sindicat in fällen, darin die undergericht von der appellation gefreyt, auch auf dieselben undergericht gezogen und erstreckt wurde, damit der armen sein recht auch zu erholen wisse. Ein solches hat aber den mherern theil zu erhalten fur unmuglich angesehen.“, abgedruckt in Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 18 / 2, S. 1171. 945 Wie Fn. 944. 946 Vgl. RA 1570 § 66 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 296. 947 Vgl. RA 1570 § 68 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 296.
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B. Überblick über die Lage in den Territorien
lationssumme nicht erreicht wurde, frei stehen solle, von ihrer Obrigkeit eine erneute Überprüfung des Urteils im Wege der Revision zu fordern.948 Anlässlich einer weiteren Erhöhung der Appellationssumme wurde diese Regelung JRA § 113 erneut bekräftigt, ohne dass jedoch wesentliche Änderungen eingeführt wurden.949 Die Revision sollte den Parteien in solchen Fällen offen stehen, „da sie unter benannter Summa der dreyhundert Reichs-Güldener, darvon nicht appellirt werden mag“ bleiben.950 Sie war folglich ein Surrogat der Appellation und sollte diese in allen Fällen ersetzen, in welchen mangels erreichen der Appellationssumme nicht an das RKG appelliert werden konnte.951 Dementsprechend sahen die Zeitgenossen in ihr ein subsidiäres Rechtsmittel, welches den Regeln der Appellation folgte und immer dann zulässig war, wenn ungeachtet des Unterschreitens der Appellationssumme die Appellation zulässig gewesen wäre.952 Diese neu angeordnete „subsidiarische Revision“ gewann zudem dadurch an Bedeutung, dass sie auch auf Verfahren angewandt wurde, in welchen die Appellation aufgrund von Privilegia de non appellando ausgeschlossen war.953 Die Neuvergabe unbegrenzter Appellationsprivilegien machten die Kaiser davon abhängig, dass die jeweiligen Territorialherren ein judicium revisorium anordneten.954 Die Bemühungen der Landesherren, sich der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte soweit wie möglich zu entziehen, führten dazu, dass es zu einer Zunahme und weiten Verbreitung von Appellationsprivilegien kam. Diese ermöglichten es den Territorialherren die Appellation von ihren Obergerichten an die Reichsgerichte, je nach Umfang des Privilegs, allgemein, für bestimmte Rechtssachen oder bis zu einem bestimmten DepA 1600 § 16 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 476. JRA § 113 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 661. 950 Vgl. DepA 1600 § 16 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 476. Ebenso in JRA § 113, wonach die Revision „auf den Fall die Suuma nicht appellabel, und den Effectum devolutivu an das Cammer-Gericht nicht gehaben könnte“ anzuwenden ist, in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 661. 951 Vgl. Jäger, Rechtsmittel, S. 24; Linde, Lehrbuch, S. 522; ders., Handbuch, II, S. 383; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 289. 952 Vgl. Wetzell, System, S. 779, 780; Jäger, Rechtsmittel, S. 24, 25; Linde, Handbuch II, S. 377, 383; ders., Beiträge, S. 330, 331; Weiske, Rechtslexikon, 9. Bd., S. 251. 953 Vgl. Jäger, Rechtsmittel, S. 31–34; Linde, Handbuch II, S. 384; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 291. 954 Vgl. Eisenhardt, Entstehung, S. 338; ders., Rechtswirkungen, S. 89, 90, 93, 95; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 291; Linde, Handbuch II, S. 380; Reuß, Beiträge I, S. 371; vgl. auch die Erteilung des Privilegiums an Kurköln bei Oestmann, Wege, S. 180, 181. 948 Vgl. 949 Vgl.
II. Reichsrechtlich angeordnete bzw. subsidiäre Revision165
Streitwert zu verbieten.955 Die Stände strebten in aller Regel an, die erlangten Appellationsprivilegien zu erweitern. Sofern ihr Appellationsprivileg auf eine bestimmte Summe beschränkt war und die Appellationssumme erhöht wurde, versuchten sie, in dem gleichen Verhältnis eine Erhöhung der Summe zu erreichen, bis zu welcher sie eine Appellation an das RKG verbieten konnten.956 Aufgrund derartiger Appellationsprivilegien war die Appellation oft auch in Fällen ausgeschlossen, in welchen die Appellationssumme eigentlich erreicht war. Der Anwendungsbereich der subsidiären Revision ging daher deutlich über diejenigen Fälle hinaus, in welchen lediglich die allgemeine Appellationssumme nicht erreicht war. Das Verfahren der subsidiären Revision wurde weder im Reichsdeputa tionsabschied von 1600 noch im JRA im Detail geregelt. In § 16 des RDepA wurde lediglich angeordnet, dass es den Untertanen in Fällen, welche unter der Appellationssumme von 300 Gulden blieben und daher nicht appellabel waren, freistehen solle, „[…] ihre Beschwerde und gravamina per viam supplicationis an ihre ordentliche Oberkeit und Herrschafften in gebührender Zeit Rechtens anzubringen, welche auch schuldig seyn sollen dieselbe anzunehmen, und per modum Revisionis ex eisdem actis (es hätten dann die Partheyen etwas Neues fürzubringen, darüber sie gehört werden müsten, indeme ihnen noch zween Sätz, oder zwo Schrifften, weiter zu gestatten wären,) endlich zu entscheiden oder aber nach Gelegenheit einer jeden Sachen, und da es von einer oder der andern Parthey begehrt wird, und erhebliche Ursachen vorhanden wären, auf einer Universität, oder aber zweyen oder dreyen Rechts-Gelehrten ad revidendum zu überschicken.“957
Angesichts des Umstandes, dass es sich bei der subsidiären Revision um ein Surrogat der Appellation handelte, wurden die Grundsätze und Regeln der Appellation auch auf diese angewandt.958 Diese analoge Anwendung der Appellationsregelungen hatte zur Folge, dass deren Voraussetzungen, soweit sie mit der Revision vereinbar waren, auch bei dieser vorliegen mussten und die Revision ebenfalls suspensive Wirkung hatte.959 Sofern in den Reichsgesetzen hinsichtlich der subsidiären Revision keine Regelungen getroffen waren, wurden die Vorschriften über die Appellation angewandt und nur, wenn Teile des Verfahrens hiernach immer noch unklar und regelungsbedürftig waren, durften insofern die Landesherren Regelungen treffen.960 Diesem Grundsatz entsprechend wurden die reichsgerichtlichen Regelungen der ReWeitzel, Kampf um die Appellation, S. 36, 37. Mohl, Versuch II, S. 38, 39; Linde, Handbuch II, S. 380. 957 DepA 1600 § 16 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 476. 958 Jäger, Rechtsmittel, S. 24; Linde, Handbuch II, S. 380; ders., Lehrbuch, S. 523; Danz, Ordentlicher Prozess, S. 649; Weiske, Rechtslexikon, 9. Bd., S. 251, 252. 959 Gönner, Handbuch III, S. 386; Bayer, Vorträge, S. 1079. 960 Vgl. Gönner, Handbuch III, S. 387. 955 Vgl. 956 Vgl.
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B. Überblick über die Lage in den Territorien
vision in § 16 des Reichsdeputationsabschiedes von 1600 und in § 113 des JRA in Anlehnung an die Vorschriften hinsichtlich der Appellation ausgelegt. Nach RDepA 1600 § 16 sollte die Revision innerhalb „gebührender Zeit“ eingelegt werden. Hieraus wurde entsprechend den Regelungen über die Appellation eine Einlegungsfrist von zehn Tagen abgeleitet.961 Jäger vertritt dagegen unter Berufung auf verschiedene partikularrechtliche Regelungen die Ansicht, die Territorialherren hätten diese Frist zwar nicht verkürzen, aber sehr wohl über 10 Tage hinaus verlängern können.962 Daneben wurde die Ansicht vertreten, dass eine spätere Einlegung der Revision zwar ebenfalls zulässig sei, deren suspensive Wirkung allerdings nur eintrete, wenn sie innerhalb von zehn Tagen eingelegt werde.963 Beide Ansichten dürften jedoch darauf zurückzuführen sein, dass die Landesherren absichtlich nicht zwischen der subsidiären und der partikularrechtlichen Revision unterschieden und für letztere längere Fristen festlegten, was möglicherweise dazu dienen sollte, die partikularrechtliche Revision gegenüber der Appellation ans RKG attraktiver erscheinen zu lassen. Andere zeitgenössische Autoren und das RKG waren jedenfalls der Ansicht, dass die Revision als Surrogat der Appellation unzulässig sei, wenn sie nicht innerhalb von 10 Tagen eingelegt werde.964 Die Revision war an die „ordentliche Oberkeit und Herrschaften“ zu richten.965 Hierunter wurde der Iudex a quo verstanden, welcher das beschwerende Urteil auch gefällt hatte.966 Zweifelhaft war allerdings, wer über die Begründetheit der Revision entscheiden sollte.967 Nach RDepA 1600 § 16 war die Revision entweder durch die „ordentliche Oberkeit und Herrschaften“, also durch den Iudex a quo „endlich zu entscheiden“ oder aber zur Entscheidung an eine Universität oder ein Gelehrtenkollegium zu übersenden, wenn die Sache dazu geeignet war, eine Partei es beantragte und erhebliche Ursachen dazu Anlass gaben.968 In JRA § 13 wurde die Möglichkeit einer Entscheidung durch den Iudex a quo jedoch nicht mehr genannt, sondern explizit eine Überprüfung durch unparteiische Rechtsgelehrte oder eine 961 Cramer, Transmissionem Actorum, in: Nebenstunden, 8. Teil, S. 122, 123; Linde, Handbuch II, S. 387; ders., Lehrbuch, S. 523; Gönner, Handbuch III, S. 388. 962 Jäger, Rechtsmittel, S. 81–83. 963 Vgl. Cramer, Transmissionem Actorum, in: Nebenstunden, 8. Teil, S. 122; Linde, Handbuch II, S. 387. 964 Cramer, Transmissionem Actorum, in: Nebenstunden, 8. Teil, S. 122, 123; Linde, Handbuch II, S. 387; Lyncker, De gravamine, S. 555, 556; Mynsinger, Singularium, S. 492; Gail, Practicarum, S. 499. 965 So DepA 1600 § 16. 966 Vgl. Jäger, Rechtsmittel, S. 75, 76. 967 Linde, Handbuch II, S. 393. 968 Vgl. DepA 1600 § 16 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 476; ebenso oben S. 165.
II. Reichsrechtlich angeordnete bzw. subsidiäre Revision167
Übersendung an eine unparteiische Universität oder ein anderes Collegium Juridicum angeordnet.969 In der Praxis wurde dies wohl nicht immer kon sequent umgesetzt, allerdings scheinen Verstöße gegen den Ausschluss des Iudex a quo auch nicht die Regel gewesen zu sein.970 Wie bei der Appellation war es beiden Parteien auch im Rahmen dieser Form der Revision gestattet, neue Tatsachen vorzubringen. In RDepA 1600 § 16 war als Regelfall zwar eigentlich vorgesehen, dass die Parteien ihre Beschwerde in einem Schriftsatz vorbringen und dann „ex eisdem actis“, also ohne die Berücksichtigung neuer Tatsachen, über die Revision entschieden wird. Allerdings waren Nova nicht per se ausgeschlossen, sondern den Parteien wurde ausdrücklich gestattet in zwei weiteren Schriftsätzen neue Tatsachen vorzutragen.971 Eine Frist für die Einreichung dieser Schriftsätze war in den Reichsgesetzen nicht festgesetzt, weshalb diese auf Territorialebene geregelt werden konnten.972 Trotz des eindeutigen Wortlautes der Norm vertrat z. B. Gönner die Ansicht, neue Tatsachen seien ausgeschlossen, weil JRA § 113 die Möglichkeit neuen Vortrags nicht ausdrücklich bestätigt und somit konkludent verworfen habe.973 Überwiegend nahm die juristische Literatur jedoch an, aus dem Umstand, dass JRA § 13 Nova nicht nochmals ausdrücklich gestattete, könnte man nicht schließen, dass sie nunmehr (konkludent) ausgeschlossen seien. Zudem verweise JRA § 13 explizit auf RDepA 1600 § 16, welcher neue Tatsachen ausdrücklich gestatte, und auch mit der Natur der subsidiären Revision als Surrogat der Appellation sei ein Ausschluss neuer Tatsachen nicht vereinbar.974 969 JRA § 113: „[…] auf den Fall die Summa nicht appellabel, und den Effectum devolutivum an das Cammer-Gericht nicht gehaben könnte, daß alsdann der Partey ordentliche Obrigkeit auf derselben gebührendens Ansuchen und Begehren die vollkommene Acta, […] durch gewisse unparteyische Rechts-Gelehrte revidiren, oder auf unparteyische Universität, oder anders Collegium Juridicum zu schicken, und dero Rechtliches Gutachten darüber zu erfordern, schuldig seyn […]“ in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 661. Vgl. auch Jäger, Rechtsmittel, S. 128–131; Linde, Handbuch II, S. 392, 393. 970 Jäger berichtet zwar davon, dass noch zu seiner Zeit (1788) einige Revisionen durch den Iudex a quo entschieden werden. Allerdings entscheidet nach allen von ihm angesprochenen partikularrechtlichen Regelungen der ursprüngliche Richter gar nicht oder zumindest nur als Teil eines Kollegiums und mit einem neuen Referenten über die Revision, vgl. Rechtsmittel, S. 131 und 134, 135. 971 Vgl. DepA 1600 § 16 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 476; vgl. auch Hofmann, Reichspraxis, S. 559; Gönner, Handbuch III, S. 386, 387. 972 Gönner, Handbuch III, S. 388. 973 Der Streit wird ausführlich bei Jäger, Rechtsmittel, S. 119–124 dargestellt. Vgl. auch Linde, Handbuch II, S. 389; Weiske, Rechtslexikon, 9. Bd., S. 253. 974 So Jäger, Rechtsmittel, S. 120–122; Linde, Handbuch II, S. 389; Weiske, Rechtslexikon, 9. Bd., S. 253; Gönner, Handbuch III, S. 390, 391; im Erg. ebenso Martin, Lehrbuch, S. 467, 468.
168
B. Überblick über die Lage in den Territorien
Die übrigen Eigenschaften und Voraussetzungen der subsidiären Revision waren vielfach ebenfalls umstritten. Wie die soeben dargestellten Streitigkeiten vermuten lassen, dürfte dies zum einen auf die oberflächliche und nicht abschließende Regelung in den Reichsgesetzen zurückzuführen sein. Zum anderen lag es vermutlich auch daran, dass die Landesherren das Verfahren insoweit eigenständig regeln konnten, als diese Frage ungeklärt war und keine reichsrechtlichen Regelungen entgegenstanden.975 Dies führte dazu, dass die Landesherren in den partikularrechtlichen Regelungen hinsichtlich bestimmter Punkte oft unterschiedliche Anordnungen trafen. Jäger hat dar gelegt, dass Revisionssumme,976 Sukkumbenzgeld,977 Kaution978 und Revi sionseid979 diverse eigenständige und je nach Territorium unterschiedliche partikularrechtliche Regelungen erfahren haben.980 Allerdings war hinsichtlich der einzelnen Punkte umstritten, inwieweit den Landesherren tatsächlich eine eigene Regelungskompetenz zukam. Entgegen Jäger war beispielsweise Gönner der Ansicht, die partikularrechtliche Einführung einer Revisionssumme verstoße gegen die Reichsgesetze, weil diese den Landesherren vorschrieben, die Revision in allen Fällen anzunehmen, in welchen die Appellationssumme nicht erreicht wurde.981 Weitere ordentliche Rechtsmittel waren gegen die Revision nicht mehr zulässig, lediglich die außerordentlichen Rechtsmittel der Nichtigkeitsklage und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnten noch ergriffen werden.982
III. Partikularrechtliche Revision Die Möglichkeit, der Landesherren den Rechtsstreit durch einen außerordentlichen Verfahrensabschluss zu beenden, wurde im Laufe des 16. Jahrhun975 Gönner,
Handbuch III, S. 387; Jäger, Rechtsmittel, S. 63. Rechtsmittel, S. 101–105. 977 Ebenda, S. 105–110. Obwohl es bei der Appellation und folglich auch bei dem Surrogat der Appellation keine Sukkumbenzgelder gebe, will sich Jäger auch nicht ganz gegen diese aussprechen, weil sie geeignet seien, unnötige Revisionsgesuche zu verhindern, ebenda. 978 Ebenda, S. 110–112. 979 Ebenda, S. 112–115. 980 Vgl. hierzu auch Knorre, Anleitung, S. 304–306. 981 Gönner, Handbuch III, S. 389, 390. 982 Linde, Handbuch II, S. 393, 394; a. A. Jäger, Rechtsmittel, S. 160–163, der meint dem unterlegenen Revisionsbeklagten stünde es aus Gerechtigkeitsgründen zu, seinerseits Revision einzulegen. Die Überlegungen ähneln denjenigen, welche hinsichtlich der reichskammergerichtlichen Revision angestellt wurden, vgl. oben Fn. 648. 976 Jäger,
III. Partikularrechtliche Revision169
derts weiter ausgebaut und bestand auch neben der reichsrechtlich angeordneten Revision fort.983 Wie bereits erwähnt, wurde unter dem Begriff Sup plikation, Revision oder Leuteratio häufig auch in solchen Verfahren ein landesrechtliches Rechtsmittel zugelassen, in welchen die Appellationssumme erreicht wurde und folglich auch eine Appellation an die Reichsgerichte zulässig war.984 Den Landesherren stand es aufgrund ihrer Stellung als obersten Gerichtsherren frei, auch in solchen Fällen außerordentliche Rechtsmittel zuzulassen. Andererseits konnten sie hierdurch nicht den in den Reichsgesetzen festgelegten ordentlichen Instanzenzug ausschließen und den Parteien verbieten, an die Reichsgerichte zu appellieren.985 Die landesrechtliche Revision und die Appellation an die Reichsgerichte standen daher in elektiver Konkurrenz zueinander und den Parteien stand es grundsätzlich frei, zwischen beiden zu wählen.986 Vor diesem Hintergrund wurden seitens der Landesherren immer wieder Versuche unternommen, die Möglichkeit der Appellation an die Reichsgerichte einzuschränken oder zu verhindern. Teilweise wurden sowohl Parteien als auch Anwälte unter Druck gesetzt, von Appellationen abzusehen.987 Die Landesherren verzichteten bewusst auf eine genaue Differenzierung zwischen der reichsrechtlich angeordneten, subsidiären und der landesrechtlichen Revision. Stattdessen erließen sie einheitliche Revi sionsordnungen, worin sie die Revision für alle Streitwerte als letztes ordentliches Rechtsmittel darstellten, um den Eindruck zu erwecken, die Revision trete unabhängig von der Appellationssumme alternativlos an die Stelle der Appellation.988 Anlässlich der missbräuchlichen Beschränkungen der Appellation durch die Landesherren wurde schon in der RKGO von 1555 geregelt, dass ein erzwungener Verzicht auf die Appellation nicht wirksam sein solle.989 Andererseits wurde auch ausdrücklich angeordnet, dass die Appellation dann ausgeschlossen war, wenn „freiwillig und ongetrungen“ auf sie verzichtet worden war.990 Die Verweigerung der Appellation durch die Landesherren war also auch nach Reichsrecht nicht immer unzulässig.
schon Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 291. Knorre, Anleitung, S. 309; Hofmann, Reichspraxis, S. 535, 536 und 564, 565; Wetzell, System, S. 780, 781; Estor, Anfangsgründe I, S. 344 und 593, 594. 985 Vgl. RKGO 1555 Teil 2 Tit. 28 § 2 in Laufs, RKGO 1555, S. 205. 986 Vgl. Wetzell, System, S. 780; Bayer, Vorträge, S. 1081; Lenel, Rechtsverwaltung, S. 150. 987 Vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 269, 291. 988 Wie Fn. 942. 989 Vgl. RKGO 1555 Teil 2 Tit. 28 § 2 in Laufs, RKGO 1555, S. 205; vgl. auch Linde, Handbuch I, S. 417. 990 Vgl. RKGO 1555 Teil 2 Tit. 28 § 2 in Laufs, RKGO 1555, S. 205. 983 So
984 Vgl.
170
B. Überblick über die Lage in den Territorien
Dementsprechend erkannte das Schrifttum und das RKG ein mit der Appellation konkurrierendes außerordentliches Rechtsmittel grundsätzlich an.991 Die Verweigerung der Appellation wurde in zwei Fallgruppen für zulässig gehalten. Zum einen war eine Appellationsverweigerung rechtmäßig, wenn die subsidiäre Revision als reichsrechtlich ordentliches Rechtsmittel die Appellation ersetzte, also immer dann wenn eine Appellation aufgrund eines Appellationsprivilegs oder mangelnder Appellationssumme reichsrechtlich ohnehin ausgeschlossen war. Zum anderen wurde eine Verweigerung immer dann als rechtmäßig angesehen, wenn die Parteien freiwillig auf die Appellation verzichtet hatten.992 Dies galt allerdings nur, wenn beide Parteien auf die Appellation verzichteten. Grundsätzlich hatte die Appellation Vorrang und sofern eine Partei Revision einlegte, die andere aber appellierte, musste der Revident der Appellation folgen.993 War nur Revision eingelegt, stand es dem Revisionsbeklagten noch solange frei, Appellation einzulegen, bis er ausdrücklich oder konkludent, beispielsweise durch Einlassungen zur Revision, auf diese verzichtete.994 Die Landesherren hatten teilweise versucht, diesen Vorrang der Appellation abzumildern und die Meinung vertreten, es müsse, den Grundsätzen der Prävention entsprechend, demjenigen Rechtsmittel gefolgt werden, welches zuerst eingelegt wurde.995 In den Beratungen zum Jüngsten Reichsabschied beschwerten sich Paderborn und Münster darüber, dass diejenigen Parteien, welche bei ihrer eigenen Obrigkeit Revision einlegen wollten, stets entgegengehalten werde, dass ihnen die Appellation offen stehe und sie „darum ad extraordinarium remedium revisionis nicht zu zulassen“ seien. Die revisionswilligen Parteien sähen sich dadurch gezwungen, Appellation ans RKG anstatt der Revision an das jeweilige Territorialgericht einzulegen. Es wurde daher gefordert, dass den Parteien die freie Wahl zwischen beiden Rechtsmitteln eingeräumt werde und in derartigen Fällen niemand schuldig sei, die „exceptio, quod existente remedio ordinario non competat extraordinarum“ zu beachten.996 Dieser Vorschlag konnte jedoch nicht durchgesetzt werden und wurde letztlich nicht in den JRA aufgenommen.997 991 Vgl. Jäger, Rechtsmittel, S. 34–47; Reuß, Beiträge I, S. 367; Cramer, In vim Revisionis, in: Nebenstunden, 37. Teil, S. 18–22. 992 Ebenso schon Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 292, 293. 993 Estor, Anfangsgründe I, S. 595; vgl. auch Jäger, Rechtsmittel, S. 95, 96; Stölzel, Entwicklung II, S. 306, 307. 994 Jäger, Rechtsmittel, S. 89–91; vgl. auch Cramer, Vermehrung, in: Nebenstunden, 2. Teil, S. 80. 995 Vgl. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 293, 293; vgl. auch den bei Cramer, Vermehrung, in: Nebenstunden, 2. Teil, S. 83–85, dargestellten Fall, in welchem das RKG eine Folgepflicht an das Bonner Revisorium verneint. 996 Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia II, 13. Buch, S. 502, 554.
III. Partikularrechtliche Revision171
Der Vorrang der Appellation wurde beibehalten und für eine rechtmäßige Verweigerung der Appellation war weiterhin ein freiwilliger Verzicht der Parteien erforderlich. Hatten die Parteien keine Wahlmöglichkeit, weil ihnen durch territoriale Gesetze vorgeschrieben wurde, dass sie die Revision statt der Appellation ergreifen oder der Revision folgen mussten, war die Verweigerung der Appellation unzulässig.998 Wie Weitzel festgestellt hat, wurde ein konkludenter Verzicht sowohl von den zeitgenössischen Autoren als auch vom RKG anfangs allerdings schon darin gesehen, dass Revision eingelegt wurde.999 Mitunter dürfte den Parteien allerdings gar nicht bewusst gewesen sein, dass sie durch die Einlegung der Revision auf eine Appellation ans RKG verzichteten. Diese Rechtsfolge verschwiegen die Landesherren in den entsprechenden landesrecht lichen Regelungen in aller Regel. Auch die Advokaten wurden wohl teilweise unter Druck gesetzt, ihre Mandanten hierüber nicht zu unterrichten.1000 Vermutlich auch aufgrund derartiger Praktiken setzte sich allerdings in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Literatur und am RKG die Ansicht durch, dass der Verzicht auf die Appellation ausdrücklich erklärt werden müsse.1001 Sofern ein Ausschluss der Appellation nicht zu erreichen war, wurde die Revision von den Landesherren teilweise auch als weitere Instanz vor der Appellation an die Reichsgerichte eingeführt. Die Revision wurde dann als remedium ordinarium ausgestaltet und musste von den Parteien eingelegt und durchlaufen werden, bevor eine Anrufung der Reichsgerichte möglich war.1002 Wendeten sich die Parteien ohne vorherige Einlegung der Revision direkt an das RKG, so warfen die Landesherren ihnen vor, sich nicht an den Instanzenzug zu halten, und beriefen sich auf die Einrede der Appellation per Jäger, Rechtsmittel, S. 21. Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 293. 999 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 284 mit Fn. 72, 294. 1000 So Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 269, 291. 1001 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 292, 294 f.; vgl. auch Jäger, Rechtsmittel, S. 91–93; Roding, Pandectae, S. 407–409; Cramer, Vermehrung, in: Nebenstunden, 2. Teil, S. 96–99. Der Grundsatz für einen konkludenten Verzicht lautete: „Ein stillschweigender Verzicht auf die Appellation setzt solche Handlungen voraus, aus denen der Wille, die Appellation fallen lassen zu wollen, als nothwendige Folge hervorgeht.“, Linde, Handbuch I, S. 423. Grundsätzlich dürfte nach dieser Regel auch die Einlegung der Revision einen Verzicht dargestellt haben. Angesichts der unklaren partikularrechtlichen Regelungen und der Versuche der Territorialherren, Appellationen zu unterbinden, schloss man allerdings aus der Einlegung der Revision vermutlich nicht mehr notwendig auf den Willen, die Appellation fallen zu lassen. 1002 Cramer, Vermehrung, in: Nebenstunden, 2. Teil, S. 76–80; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 295, 296. 997 Vgl. 998 So
172
B. Überblick über die Lage in den Territorien
saltum.1003 Das RKG wertete dieses Vorgehen jedoch als unzulässige Instanzenvermehrung und ließ die Einrede, dass der Instanzenzug nicht eingehalten sei, nur dann gelten, wenn eine kaiserliche Genehmigung des Revisoriums vorlag oder wenn die zusätzliche Instanz für einen Personenkreis galt, dem andernfalls innerhalb des Territoriums nur eine Instanz offen stand.1004 Die Forderung des RKG nach einem ausdrücklichen Verzicht der Parteien auf die Appellation an die Reichsgerichte sowie die weitgehende Zurückweisung der Einrede der Appellation per saltum vereitelten die Absicht der Landesherren, mit der partikularrechtlichen Revision eine Anrufung der Reichsgerichte zu unterbinden oder zumindest eine weitere Instanz auf Territorialebene zu erhalten. Dieser Umstand und die Tatsache, dass im Laufe der Zeit fast alle größeren Territorien ein unbegrenztes privilegium de non appellando erhalten hatten, waren vermutlich der Grund dafür, dass im 18. Jahrhundert die partikularrechtlichen Revisionen vielfach abgeschafft oder zumindest beschränkt wurden.1005 Die Einzelheiten des Verfahrens waren je nach Territorium unterschiedlich ausgestaltet. Die partikularrechtliche Revision hatte in der Regel suspensive Wirkung,1006 ein Devolutiveffekt im engeren Sinne kam ihr dagegen nicht zu.1007 Die Revisionen wurden jedenfalls keiner höheren Instanz im Sinne eines übergeordneten Gerichts zur Entscheidung vorgelegt, sondern allenfalls im Wege der Aktenversendung an Universitäts- oder Rechtsgelehrtenkollegien übermittelt.1008 Hinsichtlich der Möglichkeit, neue Tatsachen vorzubringen, unterschieden sich die Regelungen in den verschiedenen Territorien ebenfalls. Teilweise wurden nova, wie bei der restitutio, nur zugelassen, wenn man von diesen bisher weder Kenntnis hatte noch haben konnte. Andernorts war der Vortrag neuer Tatsachen entweder grundsätzlich ausgeschlossen oder generell zugelassen.1009
1003 Cramer, Vermehrung, in: Nebenstunden, 2. Teil, S. 76, 77; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 295. 1004 Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 296; vgl. auch Cramer, Vermehrung, in: Nebenstunden, 2. Teil, S. 76, 78; Gönner, Handbuch III, S. 78, 79. 1005 Vgl. zur Abschaffung der partikularrechtlichen Revisionen: Linde, Handbuch II, S. 395–397; Wetzell, System, S. 782. 1006 Vgl. Danz, Ordentlicher Prozess, S. 650; vgl. aber auch Seyfarts, Reichs-Proceß, S. 647; Knorre, Anleitung, S. 304. 1007 Vgl. Oestmann, Wege, S. 181. 1008 Vgl. Jäger, Rechtsmittel, S. 133–136. 1009 Vgl. hierzu Jäger, Rechtsmittel, S. 123; vgl. auch Estor, Anfangsgründe I, S. 594; Hofmann, Reichspraxis, S. 568; Lenel, Rechtsverwaltung, S. 155.
C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert Nach dem Ende des alten Reiches und der damit verbundenen Auflösung seiner höchsten Reichsgerichte nahmen das Interesse an und die Kenntnis über das reichsgerichtliche Verfahren deutlich ab.1010 Wie Heusinger dargestellt hat, gehörte das RKG für Rechtsgelehrte und Praktiker des 19. Jahrhunderts einer toten Vergangenheit an. Dies habe zum einen an der veränderten politischen Lage und dem fehlenden Interesse der souveränen Einzelstaaten, die Erinnerung an das zentrale Reichsgericht wach zu halten, gelegen. Zum anderen sei eine Auseinandersetzung mit der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung unterblieben, weil Urteile des RKG stets ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe verkündet wurden und es an einer amtlichen Entscheidungssammlung als Diskussionsgrundlage gefehlt habe.1011 Schließlich sei das gemeine Recht, welchem das RKG in erster Linie gedient habe, vor anderen Rechten wie dem Code Civil, dem österreichischen Allgemeinen BGB oder dem Wechsel- und Handelsrecht zurückgewichen. Auch im rechtswissenschaftlichen Bereich kam es nicht zu einer fundierten Auseinandersetzung mit dem RKG, obwohl man sich an den Universitäten noch lange Zeit am gemeinen Recht orientierte.1012 Im Zuge dieser Entwicklung verlor mit dem Verschwinden der Reichsgerichte auch die reichsgerichtliche Revision ihre Bedeutung.1013 Allerdings führte weder das Ende des alten Reiches und die damit zusammenhängende Auflösung des RKG, noch das mangelnde Interesse der Zeitgenossen am RKG und dessen Rechtsprechung dazu, dass das reichskammergerichtliche Verfahren und dessen Grundsätze völlig verschwanden. Auf territorialer Ebene waren das gemeinrechtliche Verfahren und die Grundsätze des kammergerichtlichen Prozesses in unterschiedlich starkem Umfang auch nach 1806 noch in Geltung. Bereits im DepA 1600 und im JRA wurde den Renaud, Lehrbuch, S. 4, 5. privaten Entscheidungssammlungen konnten diese Lücke nach Heusinger nur unzureichend füllen, Vom RKG, S. 25, 26. Dies scheint auch deshalb plausibel, weil die privaten Sammlungen angesichts des Schweigens des RKG hinsichtlich der Entscheidungsgründe oft auch nur auf eigenen Auslegungen und Ergänzungen der vermuteten Urteilsgründe beruhten, vgl. Gehrke, in: Coing, Handbuch der Quellen II / 2, S. 1349. 1012 Vgl. hierzu ausführlich Heusinger, Vom RKG, S. 24–33. 1013 Vgl. Wetzell, System, S. 778; Renaud, Lehrbuch, S. 529; Linde, Handbuch II, S. 377; Weiske, Rechtslexikon, 9. Bd., S. 251. 1010 Vgl. 1011 Die
174
C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
Reichsständen aufgetragen, das Gerichtsverfahren an ihren eigenen Unter-, Ober- und Hofgerichten in eine „der rechten Reichs- und Cammer-Gerichts Process gemässe Ordnung“ zu bringen, soweit dort nicht bereits andere Prozessordnungen eingeführt waren.1014 Zur Verbreitung des Kameralprozesses hatte zudem beigetragen, dass immer wieder Beisitzer, Advokaten und Prokuratoren vom Reichskammergericht in den Dienst ihrer Landesherren zurückkehrten und dort in einflussreichen Positionen ihre Erfahrung mit der RKGO einbrachten.1015 Auf diese Weise hatte sich der gemeine Prozess mehr oder weniger stark1016 auch in den einzelnen deutschen Staaten etabliert und blieb dort teilweise noch weit bis in das 19. Jahrhundert hinein in Geltung.1017 Insbesondere die lange Verfahrensdauer, die Schriftlichkeit des Verfahrens und der Ausschluss der Öffentlichkeit führten jedoch zu immer stärkerer Kritik und zunehmenden Reformbemühungen.1018 Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte Preußen mit der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preussischen Staaten das Gerichtsverfahren neu geregelt. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts kam es auch in anderen deutschen Staaten zu Reformbestrebungen, wobei das französische Verfahrensrecht, welches in den linksrheinischen Gebieten auch nach der französischen Herrschaft weitgehend in Geltung blieb, teilweise großen Einfluss ausübte. Aufgrund guter Erfahrungen mit dem französischen Prozess in diesen Gebieten wurden die Forderungen, die Prinzipien von Öffentlichkeit, Mündlichkeit und freier Beweiswürdigung auch in den übrigen Staaten zu übernehmen, immer lauter.1019 Diese Forderungen wurden jedoch nicht in allen deutschen Staaten gleichermaßen umgesetzt, sodass sich hinsichtlich der Prozessordnungen ein mannigfaltiges und vielschichtiges Bild ergab. In einigen Staaten wurde der gemeine Prozess 1014 DepA 1600 § 15 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 3. Teil, S. 476; JRA § 137, ebenda, S. 665, 666. 1015 Vgl. Heusinger, Vom RKG, S. 22; Laufs, RKGO 1555, S. 4. Vgl. zum Einfluss des RKG auf die Territorialrechtsordnungen Diestelkamp, RKG im Rechtsleben, S. 449–457; Laufs, Entstehung, S. 240, 241; Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 459. 1016 Der gemeine Prozess wurde nicht in seiner wissenschaftlich-akademischen Reinform angewendet, sondern in den einzelnen Territorien mit unterschiedlich starker Berücksichtigung des Partikularrechts ausgestaltet, vgl. Wach, Civilprozessrecht, S. 130, Fn. 2; Seynsche, Kassationshof, S. 32; Ahrens, Prozessreform, S. 13. 1017 Im Königreich Sachsen, den sächsisch-thüringischen Fürstentümern, beiden Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Kurhessen, Nassau, den freien Städten, HessenDarmstadt rechtsrheinisch und in gewissen Grenzen auch in Oldenburg und in Braunschweig blieb das gemeine Verfahrensrecht bis zum Inkrafttreten der ZPO in Geltung, Wach, Civilprozessrecht, S. 130, Fn. 2; Ahrens, Prozessreform, S. 14, Fn. 20. 1018 Vgl. Boetticher, Justizorganisation, S. 36–38; Ahrens, Prozessreform, S. 13, 14. 1019 Vgl. Boetticher, Justizorganisation, S. 37; Wach, Civilprozessrecht, S. 135; Mittermaier, Erscheinungen, S. 270 ff.; ders., Standpunkt der Gesetzgebung, S. 122.
C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert175
ohne nennenswerte Reformen beibehalten.1020 In anderen Staaten kam es hingegen zu mitunter weitreichenden Reformen, welche mehr oder weniger stark vom französischen Recht beeinflusst waren.1021 Die soeben angerissene Entwicklung spiegelte sich auch in den Rechtsmitteln wieder. Wie bereits erwähnt, verlor die reichsgerichtliche Revision jegliche praktische Relevanz.1022 Ebenso verlor die partikularrechtliche Revision als ein Rechtsmittel, das mit der Appellation an die Reichsgerichte konkurrierte, mit dem Wegfall der Reichsgerichte weitestgehend ihre praktische Bedeutung.1023 Allerdings bestand die subsidiäre Revision, welche im Falle eines Unterschreitens der Appellationssumme oder eines privilegium de non appellando als Ersatz für die Appellation an die Reichsgerichte eingeführt worden war,1024 auch nach dem Untergang des alten Reiches fort.1025 In denjenigen Staaten in welchen ein unbeschränktes oder sehr weitreichendes Appellationsprivileg bestanden hatte, waren an die Stelle der Reichsgerichte landesherrliche Obergerichte getreten. Die Anrufung der Reichsgerichte war somit ohnehin (fast) vollständig ausgeschlossen.1026 Die Revision an die obersten landesherrlichen Gerichte, welche häufig auch als Oberappellation bezeichnet wurde,1027 hatte noch zu Zeiten des alten Reichs die Appellation an die Reichsgerichte ersetzt, weshalb sich in diesen Staaten hinsichtlich des Instanzenzuges auch nach dem Wegfall der Reichsgerichte nichts änderte. In den übrigen Staaten wurde der Wegfall der Reichsgerichtsbarkeit durch die Einführung eigener oder gemeinschaftlich mit anderen Einzelstaaten eingerichteter oberster Gerichte kompensiert.1028
1020 Wie
Fn. 1017. nicht vom französischen Recht beeinflusst war die preußische AGO von 1793. Braunschweig folgte im Wesentlichen der gemeinrechtlichen Tradition, wohingegen sich Bayern, Österreich, Baden und Hannover an den Grundsätzen orientierten, auf welchen der französische Prozess beruhte, vgl. Wach, Civilprozessrecht, S. 133– 144; Mittermaier, Erscheinungen, S. 271 ff.; bzgl. Hannover ders., Erscheinungen (Forts.), S. 121, 122. 1022 Wie Fn. 1013. 1023 Vgl. zum Rückgang der partikularrechtlichen Revision im 18. Jh. schon oben S. 172. 1024 Vgl. hierzu oben S. 164 f. 1025 Vgl. Seynsche, Kassationshof, S. 35; Döhring, Oberappellationsgericht, Sp. 1128. 1026 Vgl. Eisenhardt, Entstehung, S. 338, ders., Rechtswirkungen, S. 93, 95; Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 287, 288; Stodolkowitz, Appellation, S. 269; Seynsche, Kassationshof, S. 35; vgl. auch oben S. 164. 1027 Vgl. Eisenhardt, Rechtswirkungen, S. 93, 95; Weitzel, Kampf um die Appellation, S. 291. 1028 Vgl. Döhring, Oberappellationsgericht, Sp. 1128. 1021 Noch
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C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
Durch den bereits angesprochenen Einfluss des französischen Rechts kam es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dazu, dass neben die Revision bzw. Oberappellation an die obersten Territorialgerichte teilweise auch die Kassation trat oder Mischformen beider Rechtsmittel gebildet wurden. Ein Überblick über diese Entwicklung soll im Folgenden beispielhaft anhand der Staaten Preußen, Hannover und Bayern erfolgen.
I. Die Revision in Preußen im 19. Jahrhundert 1. Die Revision nach der AGO von 1793 Bereits im Jahre 1702 wurde die Reichsgerichtsbarkeit in Preußen durch ein umfassendes privillegium de non appellando weitgehend ausgeschlossen und ein Oberappellationsgericht errichtet.1029 An die Stelle der Appellation an die Reichsgerichte trat die Revision bzw. Oberappellation an das neu gegründete preußische Oberappellationsgericht.1030 Diese Grundkonstellation lag auch der Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten von 1793 (AGO 1793) zugrunde. Die Revision war als dritte Instanz grundsätzlich in allen Fällen zulässig, in welchen auch die Appellation stattfand.1031 Sie wurde daher auch als zweite oder Oberappellation bezeichnet.1032 Die Zulässigkeit der Revision war von einer Revisionssumme abhängig, die, je nachdem welches Gericht in erster Instanz für den Rechtsstreit zuständig gewesen war und wie die beiden Vorinstanzen entschieden hatten, 100 oder 200 Taler betrug.1033 Die Revision war innerhalb von 10 Tagen bei dem Gericht einzureichen, welches das erstinstanzliche Urteil gefällt hatte.1034 In dem Revisionsgesuch mussten die Beschwerden 1029 Sonnenschmidt, Geschichte des Ober-Tribunals, S. 3, 4; Stölzel, Rechtsverwaltung II, S. 5. 1030 Vgl. Seynsche, Kassationshof, S. 35; Sonnenschmidt, Geschichte des OberTribunals, S. 3. 1031 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 1 AGO, S. 408. 1032 Vgl. Koch, Der preußische Civil-Prozeß, S. 664. 1033 Die Revisionssumme betrug 100 Taler, wenn das erstinstanzliche Urteil von einem Untergericht gefällt worden war. Handelte es sich bei dem erstinstanzlich zuständigen Gericht um ein Obergericht betrug sie ebenfalls 100 Taler, wenn dessen Urteil in der zweiten Instanz abgeändert worden war. Wurde das erstinstanzliche Urteil in der zweiten Instanz hingegen bestätigt, lagen also zwei übereinstimmende vorinstanzliche Urteile vor, betrug die Revisionssumme 200 Taler, vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 2 AGO, S. 408, 409. Später wurden die Revisionssummen auf 200 bzw. 400 Taler erhöht, vgl. Evelt, Gerichtsverfassung, S. 317; Seynsche, Kassationshof, S. 324, Fn. 505. 1034 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 5 AGO, S. 410; Evelt, Gerichtsverfassung, S. 316.
I. Die Revision in Preußen im 19. Jahrhundert177
deutlich und bestimmt angezeigt werden, eine „bloß in allgemeinen Ausdrücken abgefasste Angabe“ musste nicht zugelassen werden.1035 Die zulässige Revisionsanmeldung war der Gegenseite unverzüglich bekannt zu geben. Der Revisionskläger konnte dann innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen bis zu vier Wochen, welche das Gericht je nach Bedeutung und Umfang der Sache festsetzte, weitere erläuternde schriftliche Ausführungen zu den Akten bringen. Hieraufhin wurde der Gegenseite Gelegenheit gegeben, binnen gleicher Frist zu den Ausführungen des Revidenten Stellung zu nehmen. Nach erfolgter Stellungnahme oder Ablauf der Frist wurde das Verfahren geschlossen, die Akten dem Revisionsgericht übersandt und „von Amtswegen zum Spruche befördert“.1036 Zwei Referenten fertigten Relationen an, über welche das Kollegium des Geheimen Obertribunals beriet und entsprechend der Stimmenmehrheit das Revisionsurteil fällte.1037 Die Entscheidungsgründe wurden den Parteien nicht mitgeteilt,1038 obwohl das preußische Recht eine Mitteilung der Entscheidungsgründe in anderen Verfahren zwingend anordnete.1039 Die Freistellung von der Pflicht zur Urteilsbegründung im Revi sionsverfahren sollte dem Rechtsfrieden dienen und verhindern, dass die unterlegene Partei Anknüpfungspunkte für weitere Kritik oder Beschwerden erhält, welche angesichts der Unanfechtbarkeit des Revisionsurteils ohnehin zwecklos gewesen wären.1040 Gegen das Revisionsurteil waren keine weiteren Rechtsmittel mehr zulässig.1041 Die Berücksichtigung neuer Tatsachen und Beweismittel war im Wesent lichen ausgeschlossen.1042 Die AGO ordnete an, dass der Revisionsrichter seine Entscheidung nicht auf neue Tatsachen oder neue Beweismittel gründen durfte, welche in den beiden ersten Instanzen gar nicht vorgekommen
1035 1. Teil,
15. Titel, § 5 AGO, S. 410. 1. Teil, 15. Titel, § 6 AGO, S. 410, 411; Evelt, Gerichtsverfassung, S. 319; Seynsche, Kassationshof, S. 324. 1037 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 7 AGO, S. 411, 412. 1038 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 22 AGO, S. 418; vgl. auch Sonnenschmidt, Geschichte des Ober-Tribunals, S. 202, 203. Erst 1825 wurde diese Regelung gelockert und eingeführt, dass die Entscheidungsgründe den Parteien in den Fällen mitgeteilt werden sollen, wo zwei übereinstimmende Urteile ganz oder zum Teil abgeändert werden, ebenda, S. 203. 1039 1. Teil, 13. Titel, § 36 AGO, S. 364; 1. Teil, 13. Titel, §§ 10, 11 Corpus Juris Fridericianum, S. 116, 117; vgl. auch Seynsche, Kassationshof, S. 325. 1040 Seynsche, Kassationshof, S. 325; vgl. auch den Bericht über die Revision der Prozeß-Ordnung abgedruckt in Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. II 9 / 1, S. 228. 1041 1. Teil, 15. Titel, § 24 AGO, S. 419. 1042 Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. II 9 / 1, S. 233; Grävell, Kommentar zur AGO, III, S. 103, 104; Seynsche, Kassationshof, S. 324; Koch, Der preußische Civil-Prozeß, S. 672. 1036 Vgl.
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C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
waren. Das Urteil sollte lediglich nach der in der ersten und zweiten Instanz ausgemittelten Lage der Sache abgefasst werden.1043 Dieser Ausschluss aller neuen Tatsachen und Beweismittel und die Beschränkung auf die Rechtmäßigkeit des Urteils ließ sich allerdings nur schwer mit dem Untersuchungsgrundsatz vereinbaren,1044 welcher gegen Ende des 18. Jahrhunderts im preußischen Zivilprozess eingeführt wurde. Mit der Abkehr von der Verhandlungs- und Eventualmaxime und der Einführung von Inquisitions- und Instruktionsmaxime1045 wurde die Untersuchung und Aufklärung der wesentlichen Tatsachen zur Aufgabe des Gerichts.1046 Der mit der Instruktion betraute Richter hatte unter Ausnutzung aller vorhandenen Beweismittel alle erheblichen Tatsachen vollständig aufzuklären.1047 Diese Untersuchungspflicht war durch die Anträge der Parteien begrenzt1048 und Ermittlungen sollten nur insofern erfolgen, als der Parteivortrag und die Verhandlung neue Ansatzpunkte zur Erforschung der Wahrheit ergaben.1049 Trotz dieser Begrenzung war das zentrale Anliegen die Ermittlung der Wahrheit. Hierzu wurden dem Richter die Aufklärung der Tatsachen und die Beweiserhebung übertragen, auf die Eventualmaxime und Präklusionsregeln verzichtet und auch in späteren Verfahrensabschnitten vorgetragene neue Tatsachen noch berücksichtigt.1050 Im Sinne dieses Bestrebens, die materielle Wahrheit zu ermitteln, konnten unter bestimmten Voraussetzungen auch im Revisionsverfahren neue Beweismittel berücksichtigt werden. Dementsprechend verwies das Revisionskollegium die Sache von sich aus an die entsprechende Vorinstanz zurück, wenn es feststellte, dass ein schon dort vorgekommener erheblicher Umstand gar nicht oder nicht ausreichend ermittelt worden war und folglich keine Entscheidungsreife vorgelegen hatte.1051 Die Akten wurden mitsamt einer Resolution über Art und Umfang der nötigen Nachermittlungen an dasjenige Gericht zurückgeschickt, bei welchem die erhebliche Tatsache zuerst vorgekommen war. Dieses Gericht hatte die angeordneten Nachermittlungen durchzuführen und eine neue Entschei1043 1. Teil,
15. Titel, § 10 AGO, S. 413. Evelt, Gerichtsverfassung, S. 316; Grävell, Kommentar zur AGO, III,
1044 Ähnlich
S. 104.
1045 Vgl. hierzu Wesener, Prozeßmaximen, Sp. 59; vgl. auch Nörr, Abriss, S. 44– 46; Boetticher, Justizorganisation, S. 109. 1046 Ausführlich zum Umfang der Untersuchungspflicht Ahrens, Prozessreform, S. 137–141. 1047 1. Teil, 10. Titel, § 2 AGO, S. 184, 185. 1048 Mittermaier, Neueste legislative Erscheinungen, S. 299. 1049 Stollberg, Instruction, S. 17. 1050 Vgl. Ahrens, Prozessreform, S. 139, 141. 1051 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 8 AGO, S. 412, 413; Seynsche, Kassationshof, S. 325, 326.
I. Die Revision in Preußen im 19. Jahrhundert179
dung zu fällen.1052 Die Entscheidung von Rechtsfragen betreffenden Vorgaben enthielt die Resolution nicht1053 und gegen das neue Urteil waren wiederum die ordentlichen Rechtsmittel zulässig.1054 Neben dieser von Amts wegen angeordneten Nachermittlung regelte die AGO in verschiedenen Fallgruppen auch, wie mit von den Parteien vorgebrachten neuen Tatsachen und Beweismitteln zu verfahren war.1055 Neue, noch nicht in irgendeiner Form in den Akten erwähnte Tatsachen waren von den Revisionsrichtern nicht zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie zur Unterstützung des bisherigen Klagegrundes dienten, ein ganz neuer Klagegrund auf sie gestützt werden sollte oder der Beklagte neue, auf Tatsachen beruhende Einwendungen vorbrachte.1056 Die AGO begründete dies damit, dass die Parteien in der ersten und zweiten Instanz genügend Zeit gehabt hätten, alles, was zur Aufklärung des Falles gehörte, anzuführen.1057 Voraussetzung für die Berücksichtigung neuer Beweismittel war, dass sie eine erhebliche Tatsache betrafen und diese Tatsache in einer der Vorinstanzen bereits vorgekommen war.1058 Traf dies zu, wurde weiter unterschieden, ob die Tatsache in den Vorinstanzen auch wirklich zur Instruktion1059 gezogen und erörtert worden war oder nicht.1060 Wenn die Tatsache in den Vorinstanzen nicht zur Instruktion gezogen und erörtert worden war, mussten die sie betreffenden neuen Umstände oder Beweismittel berücksichtigt werden.1061 Hierbei handelte es sich um Fälle in welchen das Revisionskollegium die Sache mittels einer Resolution ohnehin zur Nachermittlung an diejenige Vorinstanz zurückverwies, in welcher die erhebliche Tatsache erstmals relevant wurde.1062 Im Rahmen der Nachermitt1052 Vgl.
1. Teil, 15. Titel, § 8 AGO, S. 412, 413. Merckel, Commentar, S. 177–179; Seynsche, Kassationshof, S. 326. 1054 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 8 AGO, S. 413. 1055 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 11 AGO, S. 414. 1056 1. Teil, 15. Titel, §§ 16–18 AGO, S. 416, 417; vgl. auch Evelt, Gerichtsverfassung, S. 316; Grävell, Kommentar zur AGO, III, S. 104. Zu den Einwendungen gehörten auch Einreden nach modernem Sprachgebrauch, vgl. Nörr, Abriss, S. 51. 1057 1. Teil, 15. Titel, § 17 AGO, S. 417. 1058 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, §§ 12 und 13 AGO, S. 414, 415. 1059 Im Verfahren der preußischen Prozessordnungen wurden im Rahmen der sog. Instruktion die Parteien vernommen und examiniert, der Status causae & controversiae reguliert und Beweismittel vorbereitet und aufgenommen, vgl. 1. Teil, 10. Titel, § 1 AGO, S. 183, 184; ebenda Einleitung, Nr. 8, S. 4; vgl. auch Ahrens, Prozessreform, S. 133–136; Nörr, Abriss, S. 52 zum ähnlichen Verfahren im CJF. 1060 1. Teil, 15. Titel, §§ 12–15 AGO. Vgl. Evelt, Gerichtsverfassung, S. 316. 1061 1. Teil, 15. Titel, § 11 Nr. 1) i. V. m. § 12 AGO, S. 414, 415. 1062 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 12 AGO, S. 414, 415. 1053 Vgl.
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C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
lungen hatte der Richter sowieso eine neue Instruktion über die erheblichen Tatsachen zu veranlassen, innerhalb welcher er auch die neuen Umstände und Beweismittel berücksichtigen musste. Da der Richter, an den zurückverwiesen wurde, i. R.d. Instruktion umfassend nachermitteln und „jede Begebenheit nach seiner wahren Beschaffenheit“ aufnehmen musste, hatte er auch „neue Umstände“1063 zu berücksichtigen.1064 Wenn die Tatsache bereits in der Vorinstanz zur Instruktion gezogen worden war, kam es weiter darauf an, ob es zu einer Beweisaufnahme gekommen war oder nicht.1065 Sofern in der ersten Instanz aus Mangel an Beweismitteln überhaupt kein Beweis erhoben werden konnte, war die Sache zur Aufnahme der neuen Beweismittel an die Instanz zurückzuverweisen, in welcher die Tatsachen zum ersten Mal vorgekommen waren.1066 Neu vorgeschlagene Zeugen waren in der Revisionsinstanz dagegen nicht zu berücksichtigen, wenn in der Vorinstanz schon eine Beweisaufnahme erfolgt war, die streitige Tatsache ein eigenes Faktum der Partei war und diese nicht schon in der Vorinstanz die Zeugen, wenigstens allgemein, erwähnt hatte.1067 Fand sich in den Akten der Vorinstanzen hingegen eine wenigstens allgemeine Bezugnahme auf die Zeugen oder betraf die streitige Tatsache kein eigenes Faktum der Partei, so konnte der Revisionsrichter die Sache nach seinem Ermessen zur Aufnahme der neuen Beweismittel zurückverweisen, wenn er sich unter Berücksichtigung der bisherigen Beweisaufnahme hiervon eine weitere Aufklärung der Wahrheit versprach.1068 Ebenso sollte verfahren werden, wenn es sich bei dem neuen Beweismittel um eine sogleich beigelegte Urkunde handelte.1069 Zur Vermeidung von Missbrauch sollte bei der erneuten Entscheidung berücksichtigt werden, warum die Beweismittel erst in der dritten Instanz vor1063 Was genau mit „neuen Umständen“ gemeint ist, wird nicht ganz klar. Im Ergebnis handelt es sich wohl um Tatsachen. Allerdings scheinen sie auch nicht mit Tatsachen i. S. d. AGO identisch zu sein, da diese davon spricht, dass über eine „erhebliche Thatsache neue Umstände oder Beweismittel angebracht werden.“, vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 11 Nr. 1) AGO, S. 414. 1064 Grävell, Kommentar zur AGO, III, S. 104, 105. 1065 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, §§ 13 und 14 AGO, S. 415, 416. Vgl. auch Evelt, Gerichtsverfassung, S. 316. 1066 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 13 AGO, S. 415; Grävell, Kommentar zur AGO, III, S. 106. 1067 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 14 AGO, S. 415. 1068 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 14 AGO, S. 415; Grävell, Kommentar zur AGO, III, S. 107. 1069 1. Teil, 15. Titel, § 14 AGO, S. 415.
I. Die Revision in Preußen im 19. Jahrhundert
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gebracht wurden. Der von den Parteien hierüber zu erbringende Nachweis sollte nicht nur bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der neuen Beweismittel, sondern auch bei der Kostenentscheidung und einer möglichen Strafe wegen Verschleppung des Verfahrens berücksichtigt werden.1070 Sofern neue Beweismittel berücksichtigt wurden, stand es der Gegenseite frei, zur Widerlegung ebenfalls neue Beweismittel vorzubringen.1071 Der Revisionsrichter hatte die angebrachten neuen Umstände oder Beweismittel ausdrücklich zu verwerfen, wenn er sie an sich für unerheblich befand. Ebenso wenig waren die neuen Beweismittel zu berücksichtigen, wenn das vorherige Urteil schon aus anderen Gründen zugunsten des Revidenten abzuändern war.1072 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass neuer Tatsachenvortrag ausgeschlossen war und sich das Revisionsurteil grundsätzlich auf die in den Vorinstanzen ermittelte Sachlage stützen sollte. Nur wenn Beweismittel oder „Umstände“ wegen eines Verstoßes gegen den Untersuchungsgrundsatz nicht berücksichtigt worden waren, mussten diese nachermittelt werden. Die Revisionsinstanz diente nicht dazu, den Parteien zu ermöglichen, eigene Versäumnisse nachzuholen.1073 Die Parteien hatten in den Vorinstanzen genug Gelegenheit, die zur Aufklärung des Falles nötigen Tatsachen vorzutragen.1074 Die Berücksichtigung neuer Beweismittel und in engen Grenzen auch „neuer Umstände“ war vielmehr dem Bestreben geschuldet, die Wahrheit als Entscheidungsgrundlage zu ermitteln. Zu diesem Zweck wurde auf Präklusionsregeln verzichtet und auch noch nachträglich neue Beweismittel akzeptiert. Durch die Einführung des Untersuchungsgrundsatzes wurde mittelbar auch der Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Urteilen geändert. Die durch das Revisionsgericht angeordneten Nachermittlungen waren – modern gesprochen – keine neue Tatsacheninstanz, sondern sollten den Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz beseitigen und die von der AGO angestrebte Ermittlung der Wahrheit ermöglichen. 2. Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch Einführung der Nichtigkeitsbeschwerde Die mit dem Ende der Freiheitskriege gegen Frankreich einhergehende territoriale Neuordnung Preußens hatte zur Folge, dass in einigen neu hinzu1070 1. Teil,
15. Titel, § 15 AGO, S. 416. 1. Teil, 15. Titel, § 19 AGO, S. 417, 418. 1072 Vgl. 1. Teil, 15. Titel, § 20 AGO, S. 418. 1073 Vgl. Bericht über die Revision der Prozeß-Ordnung in Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. II 9 / 1, S. 228. 1074 So ausdrücklich 1. Teil, 15. Titel, § 17 AGO, S. 417. 1071 Vgl.
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C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
gekommenen Teilen des preußischen Staatsgebietes französisches Verfahrensrecht oder gemeines Prozessrecht angewendet wurde. Der Friedensschluss führte dazu, dass alle drei großen Prozessrechtssysteme in den preußischen Staaten vorzufinden waren.1075 In den altpreußischen Gebieten galt weiterhin die AGO. In den meisten vormals preußischen Gebieten, die unter der französischen Herrschaft das französische Verfahrensrecht übernommen hatten, wurde 1815 die AGO wieder eingeführt. Ebenso wurde in einigen anderen, insbesondere von Sachsen abgetretenen Territorien, in welchen noch das gemeine Prozessrecht galt, die AGO eingeführt. In den linksrheinischen Gebieten und einigen rechtsrheinischen Bereichen wurde das französische Recht beibehalten.1076 Das hieraus resultierende Bedürfnis, die verschiedenen prozessrechtlichen Gegebenheiten in den altpreußischen Staaten und den hinzugekommenen Gebieten zu vereinheitlichen und die lautstark vorgetragene Kritik an der AGO, welche ihrer flächendeckenden, einheitlichen Anwendung entgegenstand, beeinflussten die einsetzende Prozessrechtsrevision maßgeblich.1077 Die Kritik an der AGO richtete sich vor allem gegen das umständliche und komplizierte Instruktionsverfahren und die richterliche Wahrheitserforschung, welche die Gerichte überforderten und zu äußerst langen Verfahren führten.1078 Hinsichtlich der Revision bestand das größte Problem in einer starken Zunahme der Revisionsverfahren und einer damit einhergehenden Überlastung des Geheimen Obertribunals.1079 Zur Abstellung dieses Missstandes wurden die Revisionssachen an andere Gerichte verwiesen und zudem versucht, die Zahl der Revisionen über die Höhe der Revisionssumme zu reduzieren.1080 Wie Seynsche festgestellt hat, resultierte ein weiterer Mangel der preußischen Revision daraus, dass sie ausschließlich dem Zweck einer endgültigen Befriedung des Rechtsstreits diente. Um dieses Ziel nicht zu gefährden und den Parteien keine Argumente oder Anlass zu weiteren Diskussionen oder Kritik zu geben, habe man die Entscheidungsgründe weder den Parteien noch den Vorinstanzen mitgeteilt.1081 Tatsächlich habe die Geheimhaltung der Entscheidungsgründe die Anzahl der Rechtsmittelprozesse jedoch erhöht, weil sich 1075 Ahrens,
Prozessreform, S. 145. Ahrens, Prozessreform, S. 145, 146. Vgl. auch Conrad, Preussen und das frz. Recht, S. 107–112. 1077 Ahrens, Prozessreform, S. 145. 1078 Vgl. das bei Marchand dargestellte Verfahren, Haupt-Hindernisse, S. 6–19; Mittermaier, Der gemeine Prozeß, S. 75–92; Gaertner, Kritik, S. 25–54; Ahrens, Prozessreform, S. 147, Fn. 416 m. w. N. 1079 Seynsche, Kassationshof, S. 326. 1080 Vgl. Seynsche, Kassationshof, S. 327; Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. II 9 / 1, S. 228. 1081 Wie Fn. 1040. 1076 Vgl.
I. Die Revision in Preußen im 19. Jahrhundert
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keine gefestigte Rechtsprechungspraxis entwickeln konnte. Die Veröffent lichung der Entscheidungsgründe hätte es den Untergerichten ermöglicht, sich mit den Argumenten auseinanderzusetzten und ihre eigene Rechtsprechung an den höchstrichterlichen Entscheidungen zu orientieren. Eine solche gefestigte Rechtsprechungspraxis hätte zudem den Parteien eine bessere Prognose über den Ausgang des Verfahrens ermöglicht und sie von aussichtslosen Verfahren abgehalten.1082 Dieses Problem wurde durch die Verteilung der Revisionsverfahren auf verschiedene Gerichte sogar noch verstärkt, da sich so von Gericht zu Gericht unterschiedliche Rechtsauslegungen und Überzeugungen etablieren konnten und diese Differenzen nicht durch die einheitliche und gleichförmige Rechtsprechung beseitigt werden konnten.1083 Im Rahmen der Revision der AGO 1827 wurden daher verschiedene Vorschläge gemacht, wie eine Entlastung des Geheimen Obertribunals und eine Vereinheitlichung der obergerichtlichen Rechtsprechung zu erreichen sei.1084 Diese ausdrückliche Zielsetzung, mittels eines Rechtsmittels eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung herbeizuführen, war neu und dem gemeinen Recht fremd.1085 Einig war man sich darin, dass für die Entscheidungen in dritter Instanz ausschließlich das Geheime Obertribunal zuständig sein sollte.1086 Zudem sollte der Instanzenzug auf zwei ordentliche Instanzen reduziert und die Revision in ein außerordentliches Rechtsmittel verwandelt werden, welches durch einen eng umgrenzten Prüfungsumfang eine Überlastung des Obertribunals vermeiden und gleichzeitig die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherstellen sollte. Dieses als Nichtigkeitsbeschwerde bezeichnete Rechtsmittel sollte nur statthaft sein, bei Inkompetenz des Richters, wegen Verletzung wesentlicher Förmlichkeiten, die der Richter selbst begangen oder gut geheißen hat, und wegen Gesetzesverletzungen, welche auf falscher Anwendung oder unrichtiger Auslegung des Gesetzes beruhen.1087 Im Rahmen der Nullitätsbeschwerde war somit die Berücksichtigung von Tatsachenfragen ausgeschlossen und es sollte eine reine Rechtsanwendungskontrolle erfolgen. Der Vorschlag knüpfte an Savignys Versuch von 1824 an, die Revision nach dem Vorbild der französischen Kassation in ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel umzuwandeln.1088 1082 Seynsche,
Kassationshof, S. 328. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. II 9 / 1, S. 234. 1084 Siehe hierzu Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. II 9 / 1, S. 237; Seynsche, Kassationshof, S. 346. 1085 Vgl. Hülle, Supplikenwesen, S. 211; Schwinge, Grundlagen, S. 6. 1086 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. II 9 / 1, S. 235. 1087 Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. II 9 / 1, S. 236; Seynsche, Kassa tionshof, S. 345. 1088 Hierzu ausführlich Seynsche, Kassationshof, S. 341–346. 1083 Vgl.
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C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
Eine Umsetzung erfolgte zunächst jedoch nicht. Der Deputation wurde aufgrund des allgemeinen Einflusses des französischen Rechts vielmehr vorgeworfen, sie hätten eine revidierte französische Prozessordnung entworfen.1089 Hinsichtlich der Rechtsmittel sprach sich die Gesetzrevisionskommission gegen einen zweigliedrigen Instanzenzug aus. Die Revision sollte als ordentliches Rechtsmittel dritter Instanz beibehalten und die Nichtigkeitsbeschwerde lediglich als außerordentliches Rechtsmittel eingeführt werden.1090 Auch aufgrund guter Erfahrungen mit dem Kassationsverfahren in den linksrheinischen Gebieten1091 wurde im Jahr 1833 schließlich doch die Nichtigkeitsbeschwerde eingeführt. Entgegen den ursprünglichen Überlegungen bestanden jedoch sowohl die Revision als auch die Nichtigkeitsklage daneben fort.1092 Allerdings wurde der Anwendungsbereich der Revision erheblich begrenzt, so dass sie nur noch in Familien-, Standes- und Ehesachen uneingeschränkt zulässig war. In den weit häufigeren vermögensrechtlichen Streitigkeiten war sie nur noch dann zulässig, wenn das erst- und das zweitinstanzliche Urteil voneinander abwichen und die Beschwer mindestens 500 Taler betrug.1093 Die Nichtigkeitsbeschwerde war dagegen in Zivilsachen, bei Steuervergehen und bei Dienstvergehen von Beamten gegen Urteile der ersten oder zweiten Instanz zulässig, gegen die kein anderes Rechtsmittel mehr gegeben war. Sie war begründet, wenn in dem angefochtenen Urteil ein ausdrück licher oder ein aus dem Sinn und Zusammenhang des Gesetzes folgender Rechtsgrundsatz verletzt oder falsch angewendet wurde, oder wenn eine wesentliche Prozessvorschrift verletzt wurde.1094 Wann eine Verletzung wesentlicher Prozessvorschriften vorlag wurde in der Verordnung in einem abschließenden Katalog geregelt.1095 Sofern die benachteiligte Partei die Verletzung der wesentlichen Prozessvorschrift trotz Kenntnis nicht in der Verhandlung gerügt hatte, wurde dies als stillschweigende Genehmigung angesehen und die Nichtigkeitsbeschwerde war nicht zuzulassen.1096 Die Beschwerde musste innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung des Urteils bei dem Ge1089 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. II 9 / 1, S. XVI, XVII. Vgl. allgemein zur Gesetzesrevision und den Forderungen der Anhänger des preußischen Rechts und derjenigen, welche am französischen Recht orientiert waren: Ahrens, Prozessreform, S. 145–185. 1090 Vgl. Nörr, Reinhardt, S. 31; Seynsche, Kassationshof, S. 347. 1091 Vgl. hierzu Ahrens, Prozessreform, S. 151, 152; Seynsche, Kassationshof, S. 348. 1092 Vgl. Seynsche, Kassationshof, S. 349, 350, Fn. 611. 1093 §§ 1 und 2 der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 302. 1094 Vgl. § 4 der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 303. 1095 Siehe § 5 der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 303–304. 1096 § 6 der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 304.
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richt erster Instanz angebracht werden.1097 Dem Beschwerdegegner wurde dann Gelegenheit gegeben, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung der Nichtigkeitsbeschwerde bei demselben Gericht eine Erwiderung einzureichen.1098 Nach erfolgter Erwiderung oder abgelaufener Frist wurden die Akten zur Entscheidung an das für Revisionen und Nichtigkeitsbeschwerden ausschließlich zuständige Geheime Obertribunal geschickt.1099 Die Nichtigkeitsbeschwerde hatte folglich devolutive Wirkung. Einen Suspensiveffekt hatte sie dagegen nicht, die Vollstreckung des angefochtenen Urteils sollte nur ausnahmsweise ausgesetzt werden, wenn durch die Vollstreckung ein unersetzlicher Schaden entstanden wäre.1100 Das Geheime Obertribunal traf seine Entscheidung auf der Grundlage des schriftlichen Vortrags zweier Referenten.1101 Hielt das Kollegium die angefochtene Entscheidung für nichtig, hatte es diese aufzuheben und dann in der Sache selbst zu entscheiden. Lag keine Entscheidungsreife vor, war die Sache nach der aufhebenden Entscheidung zu weiteren Ermittlungen und nochmaligen Entscheidung an diejenige Instanz zurückzuverweisen, in welcher die noch zu ermittelnden Umstände zuerst vorgebracht worden waren.1102 Darüber hinaus konnte das Geheime Obertribunal in bestimmten Fällen einer Verletzung wesentlicher Prozessvorschriften die Sache auch vor seiner Entscheidung zurückverweisen, wenn es eine nähere Instruktion und Beweisaufnahme für nötig hielt. Hierbei handelte es sich allerdings um Verletzungen von wesentlichen Prozessvorschriften, welche typischerweise eine fehlerhafte Sachverhaltsermittlung vermuten ließen.1103 Eine Zurückverweisung zur Nachermittlung war also nur möglich, wenn nachgewiesene formale Verfahrensfehler Zweifel an einer ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung begründeten. Mittels Resolut ernannte das Obertribunal in derartigen Fällen ein Gericht, ordnete diesem die Durchführung der erforderlichen Ermittlungen an und bestimmte, dass die Sache demnächst zur Entscheidung wieder dem Obertribunal zurück gesandt werden sollte. Die Sache wurde also nicht zur 1097 § 11
der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 305. §§ 13, 14 der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 306. 1099 Vgl. §§ 15, 26 der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 306, 308. 1100 Vgl. § 10 der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 305. 1101 Vgl. § 16 der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 306. 1102 § 17 der Verordnung, in Gesetzsammlung 1833, S. 306, 307. 1103 Die Zurückverweisung sollte in den Fällen des § 5 Nr. 1, 5 und 6 erfolgen. Dies waren Fälle, in welchen dem Beschwerdeführer in der Vorinstanz keine ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme hatte (§ 5 Nr. 1), ein Richter mit entschieden hatte, der an dem Rechtstreit persönlich beteiligt ist oder mit einer Partei bis zum vierten Grad verwandt oder verschwägert ist (§ 5 Nr. 5) oder der Richter einer der Parteien in der Sache Rat erteilt hat oder darin als Zeuge vernommen wurde (§ 5 Nr. 6). 1098 Vgl.
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C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
anderweiten Entscheidung sondern lediglich zur vorbereitenden Ermittlung zurückverwiesen.1104 Das Geheime Obertribunal hatte allen seinen Entscheidungen Urteilsgründe anzufügen und diese sowohl den Parteien als auch dem Gericht erster Instanz mitzuteilen.1105 Die Nichtigkeitsbeschwerde war nach dem Vorbild des rheinischen Kassationsverfahrens ausgestaltet worden.1106 Wie bei der Kassation war ausschließlich ein einziges Gericht für die Bearbeitung zuständig, es erfolgte lediglich eine Kontrolle der Rechtsanwendung und sie konnte als letztes Rechtsmittel gegen alle Urteile eingelegt werden, welche anderweitig nicht mehr anfechtbar waren.1107 In Kombination mit der Pflicht, die Entscheidungsgründe mitzuteilen, waren hierdurch die angestrebten Ziele, das Obertribunal zu entlasten und eine Kontrolle und Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu ermöglichen, umgesetzt.1108
II. Die Situation im Königreich Hannover 1. Beschränkung auf zwei Instanzen mit Berufung als einzigem ordentlichen Rechtsmittel Anders als in den linksrheinischen Gebieten Preußens setzte sich im Königreich Hannover zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast niemand für die Beibehaltung des französischen Rechts ein, sondern es wurde überwiegend gefordert, das französische Rechtssystem wieder abzuschaffen.1109 Entsprechend schnell und konsequent ersetzte man das „Revolutions-Recht“ durch das gemeine Recht und verfuhr wieder nach dem gemeinen Prozess.1110 Das Oberappellationsgericht Celle wurde wiederhergestellt und die ursprüngliche Oberappellationsgerichtsordnung von 1711 in kaum veränderter Form wieder angewendet.1111 Die zivilverfahrensrechtlichen Regelungen vor den Unter1104 § 17 der Verordnung, ebenda; Vgl. auch Seynsche, Kassationshof, S. 351, Fn. 615. 1105 § 25 der Verordnung, ebenda, S. 308. 1106 Vgl. zum Einfluss der französischen und rheinischen Kassation Seynsche, Kassationshof, S. 341–347, 352–356. Der Hauptunterschied bestand darin, dass nach französischem Recht der Kassationshof keine Sachentscheidungsbefugnis hatte, vgl. Seynsche, ebenda, S. 352. 1107 Vgl. Seynsche, Kassationshof, S. 351. 1108 Vgl. Seynsche, Kassationshof, S. 351; vgl. auch Silberschlag, Über die Rechtsmittel, S. 124, 125. 1109 Vgl. Boetticher, Justizorganisation, S. 81, 82. 1110 Boetticher, Justizorganisation, S. 82, 83. 1111 Vgl. Ahrens, Prozessreform, S. 335, 336; Boetticher, Justizorganisation, S. 84.
II. Die Situation im Königreich Hannover
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und Mittelgerichten lassen sich dagegen nur schwer überblicken, da in den einzelnen Provinzen verschiedene Gerichtsordnungen für das Verfahren galten.1112 Dem gemeinen Prozess entsprechend bestand ein dreigliedriger In stanzenzug in dessen Rahmen die Urteile u. a. mit der Appellation und Oberappellation angegriffen werden konnten.1113 Das Problem einer zersplitterten und unübersichtlichen Rechtslage auf unter- und mittelgerichtlicher Ebene in den neu hinzugekommenen Provinzen ließ sich durch die schlichte Wiederherstellung des früheren Rechtszustandes allerdings nicht bewältigen.1114 In der Folge kam es zu umfassenden Reformbestrebungen, welche sich über mehrere Jahrzehnte hinzogen.1115 Grundlegende Änderungen des Instanzenzuges und des Rechtsmittelsystems erfolgten allerdings erst in der Bürgerlichen Prozessordnung (BPO) von 1850. Das Rechtsmittelsystem wurde stark vereinfacht, indem die Appellation und die Supplikation durch die Berufung ersetzt und der Instanzenzug auf zwei Instanzen reduziert wurde.1116 Einziges ordentliches Rechtmittel war die Berufung (§§ 392–430), daneben gab es noch die Nichtigkeitsbeschwerde (§§ 431–443), die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 444– 452) und die Beschwerde wider das Gericht (§§ 453–458).1117 Letztere war allerdings für die eigentliche Verhandlung der Streitsache fast ohne Bedeutung.1118 Die Berufung fand gegen alle Endurteile statt, es sei denn, es handelte sich lediglich um Bagatellsachen, deren Streitwert 10 Taler nicht überschritt, oder das Gesetz bestimmte ausnahmsweise etwas anderes.1119 Die Berufung war „ein Recht auf Gewährung eines neuen judicium an der Stelle des ersten, auf Erneuerung und Wiederholung des ganzen Rechtsstreits vor einem andern Richter“.1120 Die Möglichkeit neuen Vorbringens folgte schon aus dieser Einordnung als novum judicium.1121 Die Berufung war eine Wiederholung des ganzen Rechtsstreites, weshalb das Berufungsverfahren weitestgehend dem Verfahren der ersten Instanz entsprach und die Einbringung neuer Tat 1112 Ahrens,
Prozessreform, S. 341, 342, 354. Oesterley, Handbuch, I, S. 141, 142. 1114 Boetticher, Justizorganisation, S. 85. 1115 Hierzu ausführlich Boetticher, Justizorganisation, S. 85–104; umfassend Ahrens, Prozessreform, S. 363–433. 1116 Vgl. Dahlmanns in Einleitung zu Neudrucke, Bd. 1, S. 41; ebenda, S. 589; Leonhardt, Justizgesetzgebung, II, S. 165; ders. Civilproceßverfahren, S. 145. 1117 Vgl. Neudrucke, Bd. 1, S. 589. 1118 Leonhardt, Civilproceßverfahren, S. 145, Fn. 1. 1119 Vgl. §§ 392, 393 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 592, 593. Zu den Ausnahmen ebenda, S. 592, Fn. 1. 1120 Leonhardt, Zur Reform, S. 156; vgl. auch Schüler, Verhältnis, S. 80, 85. 1121 Schüler, Verhältnis, S. 80. 1113 Vgl.
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sachen, Einreden und Beweismittel uneingeschränkt zulässig war.1122 Es mussten lediglich die wesentlichen Grundlagen der neuen Entscheidung dieselben bleiben und die Identität des Rechtsstreites gewahrt werden,1123 weshalb auch eine Veränderung der Klageanträge unzulässig war.1124 Die Berufung ging an das nächsthöhere Gericht1125 und ihre Einlegung hemmte die Vollstreckung des angefochtenen Urteils, sofern nicht die vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet war.1126 Sie hatte also Devolutiv- und Suspensiveffekt.1127 Nach der Berufung war der ordentliche Instanzenzug erschöpft, nur hinsichtlich der Frage, ob eine Verwaltungsbehörde ihre Zuständigkeit überschritten hatte, war in dritter Instanz eine weitere Berufung an das Oberappellationsgericht zulässig.1128 Im Anschluss an die Berufung war in § 431–§ 443 der BPO als außerordentliches Rechtmittel die Nichtigkeitsbeschwerde geregelt. Mit dieser konnten unter bestimmten Voraussetzungen sowohl erstinstanzliche Urteile als auch Berufungsurteile angefochten werden. Sofern die Nichtigkeitsbeschwerde gegen Berufungsurteile zulässig war, stellte sie gewissermaßen eine beschränkte dritte Instanz dar.1129 Anders als bei der preußischen Nichtigkeitsbeschwerde wurde jedoch nicht überprüft, ob ein ausdrücklicher oder ein aus dem Sinn und Zusammenhang des Gesetzes folgender Rechtgrundsatz verletzt oder falsch angewendet wurde. In dem abschließenden Katalog der BPO werden als Nichtigkeitsgründe vielmehr formale und verfahrensrechtliche Fehler, wie Unzuständigkeit des Gerichts, dessen nicht ordnungsgemäße Besetzung, Bestechlichkeit des Richters oder Kompetenzüberschreitung aufgezählt.1130 Die Nichtigkeitsbeschwerde war „im Allgemeinen auf die Fälle der sog. unheilbaren Nichtigkeit beschränkt, und gegen solche Richterverfügungen, die ohne Verletzung der wesentlichen processualischen Formen nur gesetzlichen oder vertragsmäßigen Bestimmungen zuwider laufen, ausgeschlossen.“1131 1122 Vgl. Leonhardt, Zur Reform, S. 156; Schüler, Verhältnis, S. 85; Boetticher, Justizorganisation, S. 263. 1123 Schüler, Verhältnis, S. 85. 1124 § 418 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 610. 1125 Vgl. § 400 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 598. 1126 Vgl. §§ 408–411 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 274–276. 1127 Vgl. hierzu auch Schüler, Verhältnis, S. 86. 1128 Vgl. § 430 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 615; vgl. auch Schlüter, Commentar, II, S. 2; Leonhardt, Civilproceßverfahren, S. 145; Schüler, Verhältnis, S. 92; Boetticher, Justizorganisation, S. 262; Dahlmanns, in: Coing, Handbuch der Quellen III / 2, S. 2623. 1129 Vgl. Dahlmanns in Einleitung zu Neudrucke, Bd. 1, S. 41; ders., in: Coing, Handbuch der Quellen III / 2, S. 2623; Schüler, Verhältnis, S. 93. 1130 Vgl. § 431 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 616–618. 1131 Anmerkung zu § 431 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 618.
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Die richtige Anwendung des materiellen Rechts wurde im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde der BPO überhaupt nicht überprüft.1132 Die hannoversche Nichtigkeitsbeschwerde war die einzige, deren Anwendungsbereich auf Verstöße gegen prozessrechtliche Vorschriften beschränkt war und die insofern noch mit der gemeinrechtlichen Beschwerde wegen unheilbarer Nichtigkeit übereinstimmte.1133 In allen übrigen Staaten hatte man den Prüfungsumfang der Nichtigkeitsbeschwerde mehr oder weniger stark ausgedehnt und diese auch bei der Verletzung unbestrittener Rechtssätze oder der falschen Anwendung oder unrichtigen Auslegung materieller Gesetze zugelassen.1134 Im Vergleich zum gemeinen Recht wurde die Bedeutung der hannoverschen Nichtigkeitsbeschwerde dadurch deutlich eingeschränkt, dass sie gegenüber der Berufung subsidiär war. Gem. § 432 Nr. 1) BPO war die Nichtigkeitsbeschwerde in bestimmten Fällen nur zulässig, wenn der Partei die Berufung nicht zustand.1135 Darüber hinaus mussten im Berufungsverfahren die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bereits bekannten Nichtigkeitsgründe sowohl vom Berufungskläger als auch vom Berufungsbeklagten geltend gemacht werden.1136 Wegen eines bereits mit der Berufung verfolgten Nichtigkeitsgrundes konnte nicht noch besonders die Nichtigkeitsbeschwerde erhoben werden.1137 Die Nichtigkeitsbeschwerde war je nach Fallgruppe innerhalb von zwei Monaten ab Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes oder Bekanntmachung des Urteils zu erheben. Nach Ablauf von zehn Jahren seit Rechtskraft des Urteils war sie ausgeschlossen.1138 Die Nichtigkeitsbeschwerde hatte devolutive Wirkung,1139 allerdings wurde die Vollstreckung durch ihre Einlegung grundsätzlich nicht gehemmt.1140 1132 Vgl. 1133 Vgl.
S. 93.
Leonhardt, Civilproceßverfahren, S. 167, 168. Leonhardt, Zur Reform, S. 176, Fn. 11), S. 199; Schüler, Verhältnis,
Leonhardt, Zur Reform, S. 199–201. § 432 Nr. 1) BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 619, 620; vgl. auch Leonhardt, Lehre, S. 12; Schüler, Verhältnis, S. 93. 1136 Vgl. § 432 Nr. 2) BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 620; vgl. auch Leonhardt, Lehre, S. 11, 12; 1137 Vgl. § 432 Nr. 2) BPO, ebenda. 1138 § 434 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 621. Die zehnjährige Verjährungsfrist galt nicht für Erkenntnisse, die gegen einen an dem Rechtsstreit Unbeteiligten ergingen oder der Richter bestochen war, ebenda. Vgl. auch Schlüter, Commentar, S. 80–82. 1139 Vgl. § 433 BPO, ebenda, S. 620. 1140 Vgl. § 437 BPO, ebenda, S. 622. Lediglich wenn die Ausschwörung eines Eides einer Partei verhindert werden sollte, hatte die Nichtigkeitsbeschwerde Suspensiveffekt, ebenda. Der über die Nichtigkeitsklage entscheidende Richter konnte die Vollstreckung jedoch gegen Sicherheitsleistung aussetzen, wenn die Gefahr eines irreparablen Nachteils bestand, vgl. Schlüter, Commentar, S. 84, 85. 1134 Vgl. 1135 Vgl.
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Das zuständige höhere Gericht hatte das angefochtene Urteil zu vernichten und eine anderweite Entscheidung abzugeben, wenn es die Nichtigkeitsbeschwerde für begründet hielt. Allerdings sollte die Sache zur Entscheidung an das frühere oder ein anderes Gericht gleichen Ranges zurückverwiesen werden, wenn der Nichtigkeitsgrund in dem Verfahren und nicht in der Entscheidung selbst lag oder die anderweite Entscheidung besonderer Verhandlung bedurfte. Dieses Gericht hatte bei seiner Entscheidung allerdings diejenigen Rechtsgrundsätze zugrunde zu legen, welche das über die Nichtigkeitsbeschwerde entscheidende Gericht der Aufhebung des angefochtenen Urteils zugrunde gelegt hat. Hielt sich das Gericht, an welches zurückverwiesen wurde, nicht an die bei der Aufhebung zugrunde gelegten Rechtsgrundsätze, konnte dagegen mit der Nichtigkeitsbeschwerde vorgegangen werden.1141 Darüber hinaus war gegen die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde eine weitere selbstständige Nichtigkeitsbeschwerde zulässig, wenn sie auf einen erst in dem Nichtigkeitsverfahren oder dem Urteil entstandenen Nichtigkeitsgrund gestützt wurde.1142 Abgesehen von dieser Ausnahme war gegen Erkenntnisse über die Nichtigkeitsbeschwerde kein weiteres Rechtsmittel zulässig.1143 Anders als in Preußen sollte die hannoversche Nichtigkeitsbeschwerde nicht dazu dienen, eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu bewirken. Dies folgt schon daraus, dass die Nichtigkeitsbeschwerden von verschiedenen Gerichten entschieden wurden, was die Festlegung auf eine einheitliche Linie bei der Rechtsprechung zumindest deutlich erschwerte. Insbesondere wurde jedoch die Richtigkeit der Rechtsanwendung überhaupt nicht überprüft. Zur Kontrolle der richtigen Rechtsanwendung wurde daher in der BPO noch eine gesonderte Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes eingeführt. 2. Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war in § 443 BPO geregelt und hat außer dem Namen wenig mit der eigentlichen Nichtigkeitsbeschwerde gemein. Anders als diese ist jene ganz allgemein statthaft, wenn ein Gericht durch eine richterliche Verfügung oder sonstige Amtshandlungen eine gesetzliche Vorschrift verletzt oder falsch angewandt oder die Grenzen seiner Befugnisse überschritten hat. Zur Einlegung war alleine der Oberstaatsanwalt berechtigt, welcher dem Vorsitzenden des Cassationssenats 1141 Vgl. § 440 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 623; vgl. auch Leonhardt, Civilproceßverfahren, S. 169; Schüler, Verhältnis, S. 93. 1142 Vgl. § 433 BPO, ebenda, S. 623. 1143 Vgl. Schlüter, Commentar, S. 88.
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hierzu einen schriftlichen und begründeten Antrag zu überreichen hatte. Nähere Ausführungen konnten zudem schriftlich oder mündlich in der anzuberaumenden öffentlichen Sitzung erfolgen. Eine Frist zur Einlegung existierte nicht. Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war allerdings insoweit und solange ausgeschlossen, wie der anzugreifende Punkt von den Parteien im Rahmen der eigentlichen Nichtigkeitsbeschwerde als Nichtigkeitsgrund geltend gemacht werden konnte. Im Anschluss an die öffentliche Sitzung urteilte der Cassationshof nach Anhörung eines Berichterstatters in beratender Sitzung. Wurde die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes für begründet erachtet, war das „vernichtende Urteil“ zusammen mit einer Abschrift des Antrages des Oberstaatsanwaltes dem betreffenden Gericht zu übersenden. Die Rechte der Parteien sollten durch diese Entscheidung unberührt bleiben. Sie waren nicht an dem Verfahren beteiligt. Das Verfahren blieb ihnen fremd.1144 Wie sich schon aus dem Namen und dem Prüfungsmaßstab der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ergibt, diente diese der Kontrolle der richtigen Rechtsanwendung. An den weiteren Regelungen des § 443 BPO zeigt sich allerdings, dass sie ausschließlich dem Zweck diente, eine fehlerhafte Rechtsanwendung festzustellen und dem Ausgangsgericht mitzuteilen. Die Anordnung, dass durch die Entscheidung des Cassationshofes die Rechte der Parteien nicht berührt und diesen das Verfahren „fremd“ bleiben sollte, zeigt, dass eine Anfechtung und Korrektur nicht zum Schutz der Parteien erfolgte. Abgesehen davon, dass die Einlegung und Durchführung des Verfahrens schon nicht im Ermessen der Parteien lag, war eine Aufhebung des Urteils bzw. dessen rechtlicher Wirkung auf die Parteien überhaupt nicht vorgesehen. Zwar spricht § 443 BPO von einem „vernichtenden Urteil“ des Cassationshofes, allerdings wurde die ursprüngliche, nun zur Überprüfung stehende Entscheidung tatsächlich nicht aufgehoben. Jedenfalls sollte sie ihre rechtliche Wirkung gegenüber den Parteien beibehalten.1145 Im Ergebnis wurde das „vernichtende Urteil“ des Cassationshofes damit zu einer reinen Belehrung bzw. Zurechtweisung des Ausgangsgerichtes, wie es eigentlich hätte entscheiden sollen.1146 Auswirkungen zugunsten der Partei, die durch das rechtswidrige Urteil belastet worden war, hatte das Urteil daher nicht.1147 1144 Vgl. insgesamt zur Regelung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes: § 443 BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 624; Schlüter, Commentar, S. 89–91. 1145 Vgl. § 443 a. E. BPO in Neudrucke, Bd. 1, S. 624; Schlüter, Commentar, S. 89, 90. 1146 So im Ergebnis auch Schlüter, Commentar, S. 89. 1147 Im Ergebnis ebenso Schlüter, Commentar, S. 89, der meint, durch die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes werden „die Interessen und Rechte der Proceßparteien nicht berührt“.
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Die vorgenommene Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung diente allein dazu, Rechtsanwendungsfehler zu erkennen und zu dem Zweck einer einheitlichen Rechtsanwendung dem Ausgangsgericht mitzuteilen. Eine Korrektur der Rechtsfolgen des überprüften Urteils und die damit verbundene Herstellung von Gerechtigkeit im Einzelfall waren nicht angestrebt. Nach Leonhardt wurde in der Praxis von der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nur in äußerst seltenen Fällen Gebrauch gemacht.1148
III. Das letztinstanzliche Rechtsmittel in Bayern 1. Die Revision nach dem Codex Juris Bavarici Judiciarii Im Jahr 1753 trat in Bayern der Codex Juris Bavarici Judiciarii in Kraft, durch welchen jedoch keine grundlegende Reform des Zivilprozesses beabsichtigt war. Die Kodifikation Kreittmayrs sollte vielmehr den überkommenen gemeinen Prozess mitsamt bayerischer Besonderheiten und Umgestaltungen bestimmt und eindeutig zusammenfassen und Meinungsverschiedenheiten ausräumen, um so die Rechtssicherheit zu stärken und „Unabhängigkeit des heimischen Gerichtswesens von der Doctrin und dem stylus des Reichskammergerichts [zu] erlangen.“1149 Der Codex Juris Bavarici Judiciarii galt bis zur Einführung der französisch geprägten bayerischen Civilprozeßordnung im Jahre 1869 fort, obwohl es ab Anfang des 19. Jahrhunderts zu etlichen Reformversuchen kam, welche jedoch letztlich nicht zu grundlegenden Neuerungen, sondern lediglich zu zurückhaltenden Modifizierungen des gemeinen Prozesses führten.1150 Wie Dahlmanns festgestellt hat, steht die bayrische Zivilprozessgeschichte zwischen 1753 und 1869 mit ihren Versuchen, aus dem gemeinen Prozeß auszubrechen, mit den stattdessen unternommenen Einzelverbesserungen eben dieses Systems und mit der schließlichen Kehrtwendung zum französisch geprägten Rechtsgang, stellvertretend für die Entwicklung in anderen Territorien.1151 Im Gegensatz zu dieser Übereinstimmung bei der historischen Entwicklung des Zivilprozesses unterscheidet sich das Rechtsmittelsystem des Codex hinsichtlich der Ausgestaltung der Appellation sehr deutlich von den meisten anderen Territorien. Kreittmayr selbst kommentierte diese Abweichung mit den Worten: „In kei1148 Leonhardt,
Civilproceßverfahren, S. 169. Civilproceß, S. 265, 266; vgl. auch Dahlmanns, in: Coing, Handbuch der Quellen III / 2, S. 2634, 2635. 1150 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch der Quellen III / 2, S. 2634. Ausführlich zu den einzelnen Reformvorschlägen und Novellen: ebenda, S. 2636–2639; Hartig, Die Reform, S. 188–198; Ahrens, Prozessreform, S. 495–533. 1151 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch der Quellen III / 2, S. 2634. 1149 Schwartz,
III. Das letztinstanzliche Rechtsmittel in Bayern193
ner Materie geht der stylus Bavaricus sowohl von dem jure communi, als von der Bayerischen Gerichtsordnung so weit ab“.1152 Ordentliche Rechtsmittel waren die Appellation und die Revision, wobei „das ‚Revision‘ genannte Rechtsmittel nicht Anderes ist, als eine Appellation an die dritte Instanz.“1153 Der Codex legte ausdrücklich fest, dass zwischen Revision und Appellation grundsätzlich kein Unterschied bestand.1154 Beide Rechtsmittel liefen nach dem gleichen Verfahren ab. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestand lediglich darin, dass die Revision das letztinstanzliche Rechtsmittel war. Gegen Appellationsurteile war also noch die Revision zulässig, eine weitere Appellation oder Super-Revision war gegen das instanzenbeendende Revisionsurteil hingegen nicht mehr möglich.1155 Anders als nach dem sonst geltenden gemeinrechtlichen System vermittelte die Appellation in Bayern kein beneficium novorum, aufgrund dessen neue Tatsachen vorgetragen werden konnten. In konsequenter Anwendung der Eventualmaxime war nach XV § 5 S. 8 des Codex der Vortrag neuer Tatsachen in der Appellationsinstanz ausgeschlossen,1156 sofern es sich nicht um neue Tatsachen handelte, die erst nach dem Urteil stattfanden oder in Erfahrung gebracht wurden.1157 Zur weiteren Aufklärung schon vorgetragener Tatsachen war eine Zurückverweisung an die erste Instanz möglich, allerdings war das Urteil durch das Appellationsgericht zu fällen.1158 Bayern war damit neben dem sächsischen Rechtsgebiet das einzige deutsche Land, welches trotz der Rezeption des römisch-kanonischen Prozesses an dem deutschen Grundsatz des Ausschlusses von Neuerungen in der Oberinstanz festhielt.1159 Der Ausschluss neuer Tatsachen war jedoch nicht die einzige Besonderheit der bayerischen Appellation. Das Verfahren zeigt Ähnlichkeit mit der deutschrechtlichen Urteilsschelte und ist als Streitverfahren zwischen Appellant und Untergericht ausgestaltet.1160 Nach XV § 1 des Codex war die Appellation eine förmliche Beschwerde „bey dem oberen Richter gegen den 1152 Kreittmayr,
Anmerkungen, S. 488. Kommentar, IV, S. 3. Vgl. auch Wendt, Handbuch, S. 401; Stürzer, Bemerkungen, S. 813. 1154 Vgl. XV § 13 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. 1155 Vgl. XV § 13 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753; vgl. auch Hartig, Die Reform, S. 181; Dahlmanns, in: Coing, Handbuch der Quellen III / 2, S. 2635. 1156 Vgl. Stürzer, Bemerkungen, S. 795; Hartig, Die Reform, S. 181. 1157 XV § 5 S. 8 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. 1158 XV § 7 S. 9 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. 1159 So Schwartz, Civilproceß, S. 567; ihm folgend Hartig, Die Reform, S. 181. 1160 So Schwartz, Civilproceß, S. 266; Hartig, Die Reform, S. 181, 182; vgl. auch Dahlmanns, in: Coing, Handbuch der Quellen III / 2, S. 2635. 1153 Seuffert / Lauk,
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Unteren über sein ungerecht oder nichtiges Verfahren“.1161 Die Appellation konnte auch von Dritten, die nicht selbst Partei waren, eingelegt werden, sofern sie mittelbar oder unmittelbar beschwert waren.1162 War die Appellation zulässig, sollte sie „dem judici a quo um Bericht, Acta, und nach Gestalt der Sach auch um gegentheilige Verantwortung zugeschlossen werden“.1163 Die in erster Instanz obsiegende Partei hatte dagegen lediglich eine Stellungnahme abzugeben, wenn sich die Appellation gegen ein Urteil eines Untergerichtes richtete. In den übrigen Fällen wirkte sie an dem Verfahren nicht mit.1164 Trotz dieser verfahrensmäßigen Ähnlichkeiten zur Urteilsschelte war die bayerische Appellation ihrem Charakter nach jedoch ein Rechtsmittel im Sinne des mehrstufigen gemeinrechtlichen Rechtsmittelsystems. Anders als nach dem deutschrechtlichen einstufigen Gerichtsverfahren ging es nicht darum, noch vor Erlass des Urteils das richtige Recht mittels der Hilfe eines Oberhofes zu „finden“ und dieses dann als eigenes Urteil zu verkünden.1165 Die Appellation eröffnete eine neue Instanz. Mit ihr wurde das erstinstanz liche Urteil bei einem höheren Richter angefochten und von der Appella tionsinstanz ein neues, eigenes Urteil gefällt.1166 Offensichtlich sahen die Zeitgenossen die Appellation jedoch eher als Verfahren zwischen den Parteien, denn als Verfahren zwischen erstinstanzlichem Richter und unterlegener Partei. Entgegen der ausdrücklichen Reglung, die Gegenseite nur bei Appellationen gegen untergerichtliche Entscheidungen zu beteiligen, setzte sich in der Gerichtspraxis bald durch, auch in den übrigen Fällen dem Appellationsbeklagten ein Duplikat der Appellationsschrift zu übersenden. Aufgrund dieser „Verschiedenheit des Gerichtsgebrauchs“ wurde 1816 durch Verordnung geregelt, dass dem Appellationsbeklagten immer eine Appellationsschrift übermittelt und seinerseits Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden sollte.1167
1161 XV
§ 1 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. § 2 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. Vgl. auch Seuffert / Lauk, Kommentar, IV, S. 5–7. 1163 XV § 7 S. 1 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. 1164 Vgl. XV § 7 S. 7 und S. 8 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. Vgl. auch Schwartz, Civilproceß, S. 266; Hartig, Die Reform, S. 182, 185. 1165 Vgl. ausführlicher zur Urteilsschelte Weitzel, Über Oberhöfe, S. 4–19; Oestmann, Wege, S. 93. 1166 Vgl. XV § 11 S. 2 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. 1167 Königlich-Baierisches Regierungsblatt 1816, Sp. 844–846; Hartig, Die Reform, S. 188, 189. 1162 XV
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Die Appellation war direkt beim judex ad quem einzulegen1168 und hatte folglich Devolutiveffekt.1169 Ihre Einlegung hemmte grundsätzlich die Vollstreckung.1170 Die Appellationsschrift war innerhalb von 60 Tagen ab Urteilsverkündung bei dem Appellationsgericht einzureichen.1171 In der Appellationsschrift war die Appellation zu begründen. Der Appellant hatte sowohl das beschwerende Urteil, als auch ein etwaiges vorinstanzliches Urteil anzuführen und die Beschwer so darzulegen, dass diese „deutlich und specifice“ ersichtlich wird.1172 Die Darlegung der Beschwer konnte innerhalb der 60 Tage Frist in einem gesonderten Schreiben nachgeholt werden. Eine bloße Bezugnahme auf die vorherigen Akten war nicht ausreichend.1173 Mit der Appellation waren fast alle Arten richterlicher Entscheidungen, wie bspw. bloße Kommunikativdekrete oder auch Bewilligungen, Beschränkungen oder Versagungen eines Termins anfechtbar. Dies führte dazu, dass die Parteien es in der Hand hatten, innerhalb ein und desselben Rechtsstreits hinsichtlich der verschiedenen richterlichen Entscheidungen jeweils alle drei Instanzen zu durchlaufen und das eigentliche Verfahren aufgrund des Suspensiveffektes teilweise über Jahre zu blockieren.1174 Angesichts dieses Problems wurde im Rahmen der bereits angesprochenen Novellen versucht, die zu weitreichenden und ausufernden Anfechtungsmöglichkeiten einzuschränken. Zu diesem Zweck wurden die Beschwerdesumme erhöht, die Appella tionsfrist auf 30 Tage verkürzt, die Möglichkeit der Anfechtung von einfachen Dekreten, Zwischenbescheiden und anderen richterlichen Entscheidungen stark eingeschränkt und in bestimmten Fällen die Revision gegen zwei gleichförmige Urteile ausgeschlossen.1175 Bei all diesen Änderungen ging es jedoch lediglich um eine Verkürzung der Verfahren und nicht um eine grundsätzliche Reform des Rechtsmittelsystems.1176
1168 XV
§ 4 und § 6 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. XV § 9 S. 1 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. 1170 Vgl. XV § 9 S. 2 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. Zu Ausnahmen hiervon siehe XV § 3, ebd. Und Seuffert / Lauk, Kommentar, IV, S. 121, 122. 1171 XV § 6 S. 1 und S. 3 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. Zur Fristwahrung konnte die Appellationsschrift auch bei der nächsthöheren Instanz eingereicht werden, ebenda. 1172 XV § 5 S. 1–4 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753. 1173 XV § 5 S. 4 des Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753; a. A. Hartig, Die Reform, S. 185. 1174 Vgl. hierzu Gönner, Commentar, S. 246–248; Hartig, Die Reform, S. 184. 1175 Vgl. Moritz, Real-Commentar, S. 11, S. 484–489, 505–507; Hartig, Die Reform, S. 188–198; Gönner, Commentar, S. 237. 1176 Hartig, Die Reform, S. 198. 1169 Vgl.
196
C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
Ein weiteres Problem bestand darin, dass die Revisionen nicht von einem, sondern mehreren Spruchkörpern entschieden wurden, wodurch eine einheitliche Rechtsprechung verhindert wurde. Die Zahl der Senate des Oberappellationsgerichts, welche die letztinstanzlichen Urteile selbstständig und voneinander unabhängig fällten, erhöhte sich im Lauf der Zeit kontinuierlich von 3 im Jahr 1809 auf sechs im Jahr 1832.1177 Eine zunehmende Anzahl voneinander abweichender Urteile führte schon 1820 zu einem Beschluss der Plenarversammlung, dass Plenarbeschlüsse des Oberappellationsgerichts für alle seine Mitglieder bindend sein sollten.1178 Da sich die Senate jedoch nicht an die Plenarbeschlüsse hielten, kam es weiterhin vor, dass „über dieselbe Rechtsfrage nach denselben Gesetzen in entgegengesetzter Weise entschieden“ wurde.1179 Die hieraus entstehenden Nachteile für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtssicherheit versuchte man schließlich mit dem Gesetz über die Verhütung ungleichförmiger Erkenntnisse bei dem obersten Gerichtshofe in bürgerlichen Rechtstreitigkeiten abzustellen.1180 Stellte ein Senat mit Stimmeneinheit oder -mehrheit fest, dass eine Rechtsfrage entscheidungserheblich war, die das Oberappellationsgericht in gleichgelagerten Fällen schon mindestens zweimal auf ungleichförmige Weise entschieden hatte, so musste er nach dem neuen Gesetz die Rechtssache vor die Plenarversammlung des obersten Gerichtshofes bringen, wo sie unter Anführung der tatsächlichen Umstände vorgetragen, beraten und entschieden werden sollte.1181 Das gleiche galt für Verfahren in welchen zwar bisher nur gleichförmige Erkenntnisse des Oberappellationsgerichts vorlagen, der zuständige Senat in einem gleichgelagerten Fall nun aber einhellig oder mehrheitlich von der bisherigen Rechtsprechung des Oberappellationsgerichts abweichen wollte.1182 Das Gesetz diente also dazu, sowohl bereits bestehende Ungleichförmigkeiten zu beseitigen, als auch künftige Ungleichförmigkeiten zu vermeiden.1183 Der Plenarbeschluss entschied nicht nur den konkreten Rechtstreit, sondern war als Präjudiz für künftige gleichgelagerte Fälle auch verbindlich, sofern nicht zwischenzeitlich eine authentische Auslegung der Rechtsfrage unter Mitwirkung der Ständeversammlung erfolgt war.1184 Jeder Plenarbeschluss über solche Rechtsfragen war mit den juristischen Motiven, allerdings ohne Nennung der konkreten Streitsache, im Regierungsblatt bekannt zu machen.1185 Moritz, Real-Commentar, S. 819; Lauk, Ergebnisse, S. 312. Real-Commentar, S. 820. 1179 Moritz, Real-Commentar, S. 814; vgl. auch Lauk, Ergebnisse, S. 311. 1180 Vgl. Gesetzblatt 1837, Sp. 106; Lauk, Ergebnisse, S. 311. 1181 Vgl. Art. I des Gesetzes in Gesetzblatt 1837, Sp. 106, 107. 1182 Vgl. Art. II des Gesetzes in Gesetzblatt 1837, Sp. 107. 1183 Vgl. Lauk, Ergebnisse, S. 312, 313. 1184 Vgl. Art. III, ebenda. 1185 Vgl. Art. IV Abs. 2, ebenda, Sp. 108. 1177 Vgl.
1178 Moritz,
III. Das letztinstanzliche Rechtsmittel in Bayern197
2. Die CPO von 1869 Die bayerische Prozessordnung von 1869 (CPO) orientierte sich in weiten Teilen am französischen Verfahrensrecht. Dementsprechend sah das Rechtsmittelsystem der CPO zwei ordentliche Instanzen und im Anschluss hieran eine der französischen Kassation nachgebildete Nichtigkeitsbeschwerde vor.1186 Gegen erstinstanzliche Endurteile war die Berufung zulässig, welche jedoch, anders als die bayerische und die gemeinrechtliche Appellation nur noch gegen Endurteile eingelegt werden konnte.1187 Zur Reduzierung der Geschäftslast und Vermeidung von Prozessverschleppung1188 war nach der CPO eine Berufung gegen Zwischenurteile nicht mehr möglich.1189 Die Berufung hatte stets Devolutivkraft1190 und grundsätzlich auch suspensive Wirkung, sofern nicht die vorläufige Vollstreckung nach gesetzlicher oder richterlicher Anordnung zugelassen war.1191 Das Berufungsverfahren deckte sich im Wesentlichen mit dem Verfahren der ersten Instanz.1192 Ein deutlicher Unterschied zu der früheren bayerischen Appellation bestand allerdings darin, dass die Berufung eine zweite Tatsacheninstanz darstellte und neue Tatsachen, Angriffs- und Verteidigungsmittel oder Beweismittel vorgebracht werden konnten.1193 Allerdings durfte die ursprüngliche Klage nicht abgeändert und keine neuen Ansprüche erhoben werden.1194 Im Anschluss an die Berufung konnte die beschwerte Partei noch das außerordentliche Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde einlegen. Diese war der gemeinrechtlichen Nichtigkeitsklage lediglich dem Namen nach ähnlich, ansonsten aber der französischen Kassation nachgebildet.1195 Gem. § 788 CPO war die Nichtigkeitsbeschwerde nur gegen im letzten ordentlichen Rechtszug ergangene Endurteile oder Urteile, welche hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung Endurteilen gleichstanden, zulässig. Die 1186 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch der Quellen III / 2, S. 2640, 2641; Hartig, Die Reform, S. 198, 199; Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 653. 1187 Vgl. Art. 682 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 172. Vgl. auch Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 556; 557. 1188 Vgl. oben Fn. 1174. 1189 Vgl. Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 595. 1190 Vgl. Art. 696 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 175. 1191 Vgl. Art. 699 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 176. 1192 Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 592, 593; Hartig, Die Reform, S. 200. 1193 § 707 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 177; vgl. auch Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 617; Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 593. 1194 §§ 704, 707 Abs. 2 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 177. 1195 Hartig, Die Reform, S. 201; Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 653.
198
C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
Nichtigkeitsgründe konnten in einer Verletzung bestimmter formeller Voraussetzungen des Urteils1196 oder einer Verletzung, falschen Auslegung oder unrichtigen Anwendung von Rechtsregeln liegen.1197 Der Begriff der Rechtsregeln wurde recht weit verstanden und umfasste neben dem geschriebenen Recht auch durch Doktrin und Jurisprudenz ausgebildete Rechtsregeln, geltendes Gewohnheitsrecht und sogar ausländisches Recht, so dass dieser Nichtigkeitsgrund die übrigen Nichtigkeitsgründe zum größten Teil mitumfasste.1198 Prüfungsmaßstab war somit die richtige Anwendung des prozessualen und materiellen Rechts im weitesten Sinne. Im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde hatte der oberste Gerichtshof zu prüfen, ob das Untergericht aufgrund des von ihm festgestellten Tatbestandes so entschieden hat, wie es nach den Prinzipien des Rechtes entscheiden musste.1199 Die Nichtigkeitsbeschwerde konnte nicht darauf gestützt werden, dass das Ausgangsgericht die tatsächlichen Ergebnisse der Beweise und Verhandlungen unrichtig aufgefasst oder den Inhalt einer Urkunde falsch ausgelegt habe, es sei denn, dass gesetzliche Vorschriften dabei verletzt worden waren.1200 Tatsächliche Behauptungen, Angriffs-, Verteidigungs- und Beweismittel, welche im früheren Rechtszug nicht geltend gemacht wurden, waren im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde nur dann relevant, wenn sie von Amtswegen zu berücksichtigen gewesen wären.1201 Reine Tatsachenfragen wurden also nicht mehr überprüft.1202 Die Entscheidung, ob das Urteil rechtmäßig war, erfolgte aufgrund des vom Ausgangsgericht festgestellten Sachverhalts, wobei nicht nur die Feststellungen in den Entscheidungsgründen zu berücksichtigen waren, sondern zur Ergänzung und Erläuterung der Entscheidungsgründe das ganze Material des Prozesses, wie es dem erkennenden Richter vorlag, in Betracht gezogen werden konnte.1203
1196 Nach dem Katalog des § 788 CPO war die Nichtigkeitsbeschwerde statthaft, wenn in derselben Sache bereits eine rechtskräftige Entscheidung existierte, ein Verstoß gegen die Öffentlichkeit des Verfahrens, die Zuständigkeit oder Besetzung des Gerichts vorlag, die Entscheidung auf einer nichtigen Prozesshandlung beruhte oder das Urteil nicht mit Gründen versehen war, vgl. § 788 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 194. 1197 Vgl. § 788 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 194; vgl. auch Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 654. 1198 Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 657; Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 633. 1199 Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 658. 1200 § 791 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 195. 1201 § 792 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 195. Das gleiche galt für die Verletzung der gesetzlichen Vorschriften über die Förmlichkeit des Verfahrens, vgl. § 793 CPO, ebenda. 1202 Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 657. 1203 Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 658–660.
III. Das letztinstanzliche Rechtsmittel in Bayern199
Wie die französische Kassation diente die Nichtigkeitsbeschwerde der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Angesichts dieses Ziels war im Entwurf der CPO auch noch vorgesehen, dass der Oberstaatsanwalt von Amtswegen die Nichtigkeitsbeschwerde einlegen kann.1204 Diese Regelung wurde aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit der Dispositionsmaxime letztlich jedoch nicht beibehalten.1205 Allerdings konnte die Nichtigkeitsbeschwerde auch von bisher unbeteiligten Dritten erhoben werden, wenn sich die Wirkung der angefochtenen Entscheidung gegen sie erstreckte.1206 Im Sinne einer weitreichenden Einheitlichkeit der Rechtsprechung waren die Zulässigkeitsvoraussetzungen vergleichsweise niedrig. Eine bestimmte Beschwerdesumme war nicht erforderlich, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde auch gegen erstinstanzliche Urteile zulässig war, gegen welche mangels Erreichen der Berufungssumme keine Berufung eingelegt werden konnte.1207 Die Nichtigkeitsbeschwerde war innerhalb von sechzig Tagen ab Zustellung des beschwerenden Urteils einzulegen1208 und nur zulässig, wenn keine anderen Rechtsmittel mehr zur Verfügung standen.1209 Sie war allerdings auch dann ausgeschlossen, wenn die beschwerte Partei zuvor durch andere Rechtsmittel Abhilfe hätte erlangen können, hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht hat.1210 Die Einlegung erfolgte durch eine vom Anwalt der beschwerten Partei verfasste Beschwerdeschrift, welche die angefochtene Entscheidung, die Nichtigkeitsgründe mitsamt den relevanten Gesetzen bzw. Rechtsregeln und ein bestimmtes Gesuch enthalten musste. Eine nachträgliche Geltendmachung von in der Beschwerdeschrift nicht enthaltenen Nichtigkeitsgründen war nicht möglich.1211 Die Beschwerdeschrift war auf Betreiben des Beschwerdeführers an den Nichtigkeitsbeklagten zuzustellen, welcher sodann innerhalb von dreißig Tagen hierzu Stellung nehmen konnte.1212 Sowohl die Beschwerdeschrift, als auch die Antwort hierauf durften weder eine Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse noch eine einfache Wiederholung rechtlicher Ausführungen aus früheren Schriftsätzen enthalten.1213
1204 Hartig, Die Reform, S. 202; Dahlmanns, in: Coing, Handbuch der Quellen III / 2, S. 2641. 1205 Wie Fn. 1204. 1206 § 789 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 195. 1207 Hartig, Die Reform, S. 202; Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 633. 1208 § 797 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 196. 1209 Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 556. 1210 § 795 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 196; vgl. auch Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 660. 1211 § 798 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 196. 1212 Vgl. §§ 800, 801 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 197. 1213 § 802 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 197.
200
C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
Die Nichtigkeitsbeschwerde war stets an den obersten Gerichtshof zu richten.1214 Eine devolutive Wirkung im eigentlichen Sinn wurde hierin jedoch nicht gesehen, da der Rechtsstreit zur Entscheidung in der Sache an einen anderen Senat des Ausgangsgerichts zurückverwiesen wurde, wenn die Nichtigkeitsbeschwerde begründet war.1215 Ein Suspensiveffekt war nur dann gegeben, wenn durch die Nichtigkeitsbeschwerde eine Eidesleistung verhindert werden sollte. In allen anderen Fällen war das angegriffene Urteil grundsätzlich vollstreckbar. Die Vollstreckung konnte jedoch durch Sicherheitsleistung bis zur Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde verhindert werden.1216 War die Nichtigkeitsbeschwerde begründet, vernichtete der Gerichtshof das Urteil.1217 Er hob jedoch nur den Teil des Urteils auf, der gegen das Gesetz verstieß, sowie davon abhängige oder damit untrennbar verbundene Punkte wie z. B. die Kostenentscheidung.1218 Die weiteren Rechtsfolgen richteten sich danach, welcher Nichtigkeitsgrund gegeben war. Existierte in derselben Rechtssache bereits ein rechtskräftiges Urteil, verfügte der Gerichtshof dessen Vollstreckung.1219 Bei Verstößen gegen die Zuständigkeit, wurde die Sache an das zuständige Gericht verwiesen.1220 Lag einer der übrigen formellen Nichtigkeitsgründe vor, wurde die Sache in der Regel an das nämliche (Ausgangs-) Gericht zurückverwiesen, allerdings stand es im Ermessen des Gerichtshofes, die Sache je nach den Umständen an einen anderen Senat oder an ein anderes gleichrangiges Gericht zu verweisen.1221 Die Sache war stets an einen anderen Senat oder ein anderes gleichrangiges Gericht zu verweisen, wenn die Aufhebung des Urteils aufgrund einer Verletzung, falschen Auslegung oder unrichtigen Anwendung einer Rechtsregel erfolgte.1222 Durch die Vernichtung des Urteils wurde die Sache in den Stand vor dessen Erlass versetzt und die Zurückverweisung der Sache erfolgte zur neuer lichen Verhandlung und Entscheidung in der Hauptsache.1223 In der neuen Verhandlung hatten die Parteien die gleichen Rechte wie in der früheren, 1214 § 769
CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 196. Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 646. 1216 § 799 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 197; vgl. auch Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 646; Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 663. 1217 §§ 814, 815 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 200. 1218 Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 669; Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 656. 1219 § 814 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 200. 1220 § 815 Abs. 1 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 200. 1221 § 815 Abs. 2 und 4 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 200. Vgl. auch Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 669. 1222 § 815 Abs. 3 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 200. 1223 Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 659; Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 672. 1215 Schmitt,
III. Das letztinstanzliche Rechtsmittel in Bayern201
dem angefochtenen Urteil vorausgegangenen Verhandlung, was auch den Vortrag neuer Tatsachen einschloss.1224 Die neue Verhandlung war nicht als Ersatz, sondern vielmehr Fortsetzung der früheren zu verstehen, weshalb damals bereits abgegebene Geständnisse, Verzichtserklärungen u. ä. weiterhin galten.1225 Bei der neuerlichen Entscheidung konnte das Gericht, an welches die Sache zurückverwiesen wurde, nach seiner freien Überzeugung urteilen und war an die Rechtsansicht des Gerichtshofes nicht gebunden.1226 Wenn das Gericht die zurückverwiesene Sache entsprechend der Rechtsansicht des Gerichtshofes entschied, konnte aus demselben Grund keine neuerliche Nichtigkeitsbeschwerde erhoben werden. Aus anderen Gründen als den bereits geltend gemachten war eine weitere Nichtigkeitsbeschwerde jedoch möglich.1227 Wenn das Gericht der Rechtsansicht des obersten Gerichtshofes nicht folgte, war zu unterscheiden, ob eine Identität der Rechtssache vorlag und die der neuen Entscheidung zu Grunde gelegte Rechtsanschauung zu der des obersten Gerichtshofes in Widerspruch stand oder ob die Abweichung lediglich aufgrund anderer rechtlicher Gesichtspunkte oder einer abweichenden Tatsachengrundlage beruhte.1228 Widersprach die neue Entscheidung der mitgeteilten Rechtsansicht, war eine zweite Nichtigkeitsbeschwerde zulässig, über welche der oberste Gerichtshof im Plenum entschied.1229 Vernichtete der oberste Gerichtshof die neue Entscheidung abermals, so entschied er auch gleich in der Hauptsache, wenn hierzu keine weiteren tatsächlichen oder rechtlichen Erörterungen notwendig waren. Waren derartige Erörterungen erforderlich, verwies er die Sache an ein anderes, gleichrangiges Gericht, welches bei seiner Entscheidung nun jedoch an die von dem obersten Gerichtshof festgestellte Rechts ansicht gebunden war.1230 Gegen diese Entscheidung konnte aufgrund anderer Gründe jedoch wiederum gewöhnliche, d. h. erste Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt werden1231.
1224 Wie
Fn. 1223. Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 659. 1226 Vgl. § 820 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 201, 202; Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 672. 1227 Vgl. § 820 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 201, 202. 1228 Vgl. Wernz, Commentar, Bd. 2, S. 672; Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 660. 1229 § 820 Abs. 2 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 201, 202. 1230 § 820 Abs. 3 CPO in Neudrucke, Bd. 4, S. 202. 1231 Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 660, 661. 1225 Vgl.
202
C. Ausblick auf die Revision im 19. Jahrhundert
Beruhte die Abweichung von der Rechtsansicht des obersten Gerichtshofes dagegen auf anderen rechtlichen Gesichtspunkten oder anderen Tatsachen, war ebenfalls Nichtigkeitsbeschwerde zulässig, welche jedoch nicht im Plenum entschieden wurde.1232 Diese hatte wohl die Natur einer ersten Nichtigkeitsbeschwerde, weshalb der Gerichtshof das Urteil lediglich vernichtete und die Sache ohne Bindungswirkung zurückverwies.1233 Im Ergebnis hatte also erst die zweite Zurückverweisung des obersten Gerichtshofes Bindungswirkung und dies auch nur, wenn die gleichen Rechtsfragen bei identischer Tatsachenlage entschieden wurden.
1232 Wernz,
Commentar, Bd. 2, S. 672; Schmitt, Bayer. Civilproceß, Bd. 2, S. 660. ist nicht ersichtlich, warum diese Fälle strengere Rechtsfolgen nach sich ziehen sollten, als diejenigen in welchen der oberste Gerichtshof die Sache zum zweiten Mal und mit Bindungswirkung zurück verweist, wie Fn. 1231. 1233 Jedenfalls
D. Ergebnis I. Die Revision am RKG Die Errichtung des Reichskammergerichts im Jahre 1495 führte zu der völlig neuen Situation, dass das höchste Gericht nicht mehr unmittelbar der alleinigen Kontrolle und Einflussnahme des Herrschers unterstellt war. Die Lösung des RKG vom Kaiser war zwar das erklärte Ziel der Stände, jedoch hatten weder die Stände, noch der Kaiser ein Interesse an einer völlig unabhängigen und von jeglicher politischen und obrigkeitlichen Kontrolle entkoppelten Justiz. Trotzdem war das RKG für damalige Verhältnisse erstaunlich unabhängig. Durch die Lösung vom Kaiser und die Besetzung und Unterhaltung des Gerichts durch eine Vielzahl von Ständen und den Kaiser unterstand es nicht mehr einem einzelnen Machthaber, sondern einer Vielzahl von Personen mit unterschiedlichen Interessen. Dementsprechend verringerte sich der Einfluss, den Einzelne auf das Gericht nehmen konnten. Zugleich erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht im Falle von Streitigkeiten unter der Vielzahl der Stände auch Unterstützer fand. Zu dieser institutionellen Eigenständigkeit des RKG trat noch eine relativ hohe Unabhängigkeit der einzelnen Beisitzer. Das Gericht war nicht mehr mit Adeligen besetzt, die von den Entscheidungen stets selbst mehr oder weniger direkt politisch betroffen waren, sondern mit gelehrten Richtern, die aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation ein „juristisch-elitär-unpolitisches Selbstverständnis“1234 entwickelt hatten. Aus dieser neuartigen Unabhängigkeit des RKG resultierte ein Kontrollbedürfnis, welches zudem maßgeblich durch das Misstrauen verstärkt wurde, welches sich die Stände und der Kaiser untereinander entgegenbrachten. Zu dem klassischen Dualismus zwischen Kaiser und Ständen trat in den Jahren nach 1517 noch die Aufspaltung in Katholiken und Protestanten. Das Bedürfnis nach einer Kontrolle und Überprüfung des RKG zeigt sich in der wiederholten Ausweitung der Kontrollaufgaben der Visitation. Zudem lässt das Vorgehen gegen protestantische Beisitzer durch Überprüfung der fachlichen Qualifikation und insbesondere der persönlichen Eigenschaften mit Personalexamen während der „Visitation & Inquisition“ des RKG von 1524 und den darauffolgenden Jahren deutlich erkennen, mit welchem Eifer um den Einfluss am RKG gekämpft wurde.
1234 Weitzel,
Kampf um die Appellation, S. 352.
204
D. Ergebnis
Aufgrund dieser Situation wurden im Grunde von Anfang an Beschwerden gegen das RKG zugelassen. Obwohl das RKG als höchstes Gericht des Reiches angesehen wurde und in der RKGO von 1495 ausdrücklich geregelt war, dass das kammergerichtliche Verfahren seinen „gestrackten Lauf“ haben solle ohne durch „Restitution, Supplication, Advocation oder in ander Wege“1235 verhindert oder beeinflusst zu werden, kam es im Rahmen dieser Beschwerden auch zur Anfechtung von Urteilen. Die Überprüfung von Urteilen des RKG wurde in der Regel auf die aus dem römischen Recht übernommene Supplikation gestützt und an den Kaiser gerichtet. Mit ihrer Angriffsrichtung, an sich nicht mehr appellable oder anderweitig anfechtbare Urteile einer erneuten Überprüfung zu unterziehen, bot die Supplikation eine scheinbar rechtmäßige Möglichkeit, die eigentlich unanfechtbaren Urteile des RKG doch anzugreifen. Die Adressierung der Supplikation an den Kaiser deckte sich zudem mit der traditionellen Vorstellung, dass der Kaiser als Inhaber der obersten Gerichtsbarkeit der höchste Richter des Reichs war. Die Supplikation und die traditionelle Vorstellung vom Kaiser als höchstem Richter verliehen den Beschwerden so den Anschein von Rechtmäßigkeit. Das RKG und die Stände sahen hierin jedoch einen Verstoß gegen die Lösung des Gerichts vom Kaiser sowie gegen den „gestrackten Lauf“ des Verfahrens und wehrten sich gegen die Supplikationen an den Kaiser. Aufgrund des grundsätzlich auch bei den Ständen vorhandenen Interesses an einer Überprüfung des RKG kam es allerdings nicht zu einer grundsätzlichen Zurückweisung der Beschwerden. Stattdessen wurden die Beschwerden in der Folge sowohl vom Reichstag als auch vom Reichsregiment bearbeitet. Zeitgleich gab es erste Vorschläge für geregelte Verfahren zur Erledigung der Beschwerden. Ein Verfahren zur Überprüfung der Urteile wurde trotz Vorschlägen der kaiserlichen Räte und des RKG zunächst nicht eingeführt, jedoch wurde in RA 1530 § 94 geregelt, dass die Stände ihre Beschwerden über das RKG an die Visitation zu richten haben. Obwohl im Rahmen dieser Regelung auch Beschwerden über Urteile vorgebracht wurden, zielte die Regelung eigentlich darauf ab, die allgemeinen Beschwerden der Stände gegen das RKG in geregelte Bahnen zu lenken und den Ständen eine Möglichkeit zur Teilnahme an der allgemeinen Aufsicht und Kontrolle des RKG einzuräumen. Ein spezielles Rechtsmittel zur Anfechtung von Urteilen wurde erst in RA 1532 Tit. 3 § 17 eingeführt. Im Vordergrund dieser Regelung stand noch die Syndikatsklage, welche der Durchsetzung eines materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs gegen den falsch urteilenden Richter diente und keine Anfechtung des Urteils darstellte. Neben der Syndikatsklage wurde jedoch auch die Möglichkeit eingeführt, gegen unrechtmäßige Urteile zu „supplicie1235 § 25
RKGO 1495 in Schmauß / Senckenberg, NSdRA, 2. Teil, S. 9.
I. Die Revision am RKG205
ren“. Mit diesem neuen Rechtsmittel war es möglich, das Urteil einer letztmaligen Überprüfung der Rechtmäßigkeit zu unterziehen. Neuer Tatsachenvortrag war nicht gestattet, die Überprüfung des Urteils erfolgte alleine auf Grundlage der Akten. Der Rechtsstreit devolvierte an die Visitation, die Vollstreckung des angefochtenen Urteils wurde jedoch nicht gehemmt. Der Sache nach war in RA 1532 Tit. 3 § 17 bereits die Revision beschrieben, welche allerdings noch nicht klar von der Syndikatsklage getrennt wurde. Die Verwendung des Begriffs „supplicieren“ und der mangels gesetzlich geregelter Rechtsmittel bis dahin übliche Rückgriff auf die Supplikation zur Anfechtung reichskammergerichtlicher Urteile führte in der Folge zu Fragen bei der Einordnung und Handhabung des neuen Rechtsmittels. Einerseits wurde es i. S. d. supplicatio ad imperatorem noch als an den Kaiser zu richtende Gnadenbitte aufgefasst, andererseits ordnete RA 1532 Tit. 3 § 17 eine Entscheidung durch die Visitation an und gewährte Parteien, die sich durch das Urteil beschwert fühlten, einen grundsätzlichen Überprüfungsanspruch, der nicht von irgendjemandes Gnade abhing. Die sich hierin andeutende Entwicklung von einer Gnadenbitte zum Rechtsmittel endete schließlich mit der klaren Ausgestaltung der Revision in der RKGO von 1548. Aufgrund der Kritik des Reichskammergerichts an der Syndikatsklage, welche von den Ständen grundsätzlich nachvollzogen und teilweise geteilt wurde, kam es in der RKGO von 1548 zu einer ausführlicheren Regelung der Revision und einer klaren Trennung von der Syndikatsklage. Die Revision wurde als eigenständiges Rechtsmittel geregelt, welches unter Ausschluss neuen Tatsachenvortrags, alleine auf Grundlage der Akten der Vorinstanz eine letztmalige Überprüfung des Urteils ermöglichte und sowohl Devolutiv- als auch Suspensiveffekt hatte. Insofern entsprach die Revision der in RA 1532 geregelten „Supplikation“, abgesehen davon, dass letztere keinen Suspensiveffekt aufgewies. In der Sache war die Revision nichts neues, sondern die Weiterentwicklung des im RA 1532 bereits angelegten Rechtsmittels. Die neue Bezeichnung als „Revision“ sowie das in der RKGO von 1548 eingeführte Verbot der Supplikation waren lediglich auf den zwischenzeitlich erfolgten Bedeutungszuwachs der Rechtsprechungstätigkeit des kaiserlichen RHR zurückzuführen. In den Jahren vor 1548 stand das Reichskammergericht aufgrund von Streitigkeiten über die Besetzung und den Unterhalt des Gerichts weitestgehend still. In dieser Zeit erledigte der RHR die beim RKG anhängigen Rechtssachen. Der hierdurch entstandene Bedeutungszuwachs der reichshofrätlichen Rechtsprechung führte dazu, dass dem Begriff der Revision plötzlich politisches Gewicht zukam. Als ursprünglich an den Kaiser zu richtendes Rechts- bzw. Gnadenmittel legte der Terminus „Supplikation“ die Möglichkeit nahe, dass zur Überprüfung reichskammergerichtlicher Urteile der Kaiser oder dessen Reichshofrat angerufen werden konnte. Dies widersprach natürlich diametral der ständischen Prägung des Gerichts und
206
D. Ergebnis
dessen Unabhängigkeit vom Kaiser. Zur Vermeidung jeglicher Assoziation des Rechtsmittels mit dem Kaiser und zur Verdeutlichung der Unzuständigkeit des Kaisers und des RHR für die Überprüfung kammergerichtlicher Urteile wurde das Rechtsmittel auch begrifflich von der Person des Kaisers gelöst und der nicht mehr passende Begriff der „Supplikation“ durch den der Revision ersetzt. Die Revision wurde als Rechtsmittel gegen unrechtmäßige oder nichtige Urteile ausgestaltet und führte im Falle ihrer Begründetheit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Erlass eines Neuen durch die Visitation. Hinsichtlich der weiteren Rechtsfolgen wurde danach unterschieden, ob die Unrechtmäßigkeit des Urteils auf Unachtsamkeit und Irrtum oder auf Betrug und Arglist beruhte. Die Revision war in beiden Fällen zulässig und begründet. Urteilte der Beisitzer jedoch aufgrund von Bestechung, Parteilichkeit o. ä. absichtlich unrechtmäßig, war er gebührlich zu bestrafen und neben der Revision konnte Syndikatsklage gegen ihn erhoben werden. War die Rechtsanwendung aufgrund von Unachtsamkeit, Unwissenheit oder Irrtum unrichtig, war lediglich die Revision zulässig. Allerdings hatte die Revision auch in diesen Fällen neben der prozessualen Folge der Aufhebung und erneuten Entscheidung in der Sache die disziplinarrechtliche Konsequenz, dass der Beisitzer zu verwarnen und ggf. sogar vom Gericht zu entfernen war. Die Rechtsfolgen zeigen, dass die Revision nicht nur dem Schutz der Parteien vor einem unrechtmäßigen Urteil diente, sondern auch dazu, die Beisitzer zu gründlicher Rechtsanwendung anzuhalten und diese zu überprüfen. Diese beiden Ziele werden in der RKGO von 1548 / 1555 auch ausdrücklich genannt. Gleich zu Beginn des Abschnittes über die Revision heißt es, die erneute Überprüfung der Akten geschehe „Damit auch cammerrichter und beisitzer desto fleissiger sein“ und „niemandt an dem cammergericht unrecht geschehe“.1236 Eine sinnvolle Kontrolle der Rechtsanwendung war jedoch nur möglich, wenn neue Tatsachen ausgeschlossen waren und folglich in der Revisionsinstanz der gleiche Sachverhalt zugrunde lag. Nach dem kammergerichtlichen Urteil neu vorgebrachte Tatsachen hätten zur Folge gehabt, dass möglicherweise schon aufgrund des neuen Sachverhalts ein anderes Urteil hätte ergehen müssen, obwohl das Recht auf den ursprünglichen Sachverhalt einwandfrei angewendet worden und das angefochtene Urteil rechtmäßig war. Eine Überprüfung der Rechtsanwendung kann immer nur auf Grundlage des Sachverhaltes erfolgen, auf den das Recht angewendet wurde. Der Ausschluss neuer Tatsachen war daher weitestgehend durch den Zweck der Revision vorgegeben.
1236 RKGO
1555 Teil 3 Tit. 53 § 1 in Laufs, RKGO 1555, S. 275.
I. Die Revision am RKG207
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Beweismittel der Prozessakte beigelegt wurden und den Revisoren – anders als im heutigen Revisionsverfahren – keine Beschränkungen hinsichtlich einer eigenständigen Beweiswürdigung auferlegt waren. Insofern war es wohl theoretisch möglich, dass die Revisoren eine abweichende Beweiswürdigung vornahmen und ihrer Entscheidung deshalb, trotz des Ausschlusses neuer Tatsachen, einen anderen Sachverhalt zugrunde legten. Angesichts der Geheimhaltung der Urteilsgründe ist jedoch schwer zu beurteilen, inwiefern dies in der Praxis tatsächlich vorkam. Das RKG erhob die Beweise nicht selbst, sondern bewertete diese lediglich anhand der zu den Akten gegebenen kommissarischen Protokolle, auf welche auch die Revisoren ihre Entscheidung stützten. Da beide Instanzen ihre Beweiswürdigung auf dieselben kommissarischen Protokolle stützten und nach recht formellen Vorgaben bewerteten, dürften unterschiedliche Beweiswürdigungen und hieraus resultierende Abweichungen beim Sachverhalt jedoch eher die Ausnahme gewesen sein. Anders als die heutige Revision diente die Revision der RKGO jedoch nicht der Vereinheitlichung der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung. Dies zeigt sich schon daran, dass weder das RKG noch die Visitation die Entscheidungsgründe veröffentlichte, sodass es den Untergerichten gar nicht möglich war, sich bei zweifelhaften Rechtslagen an den Revisionsurteilen zu orientieren und eine einheitliche Rechtsprechung auszubilden. Die Geheimhaltung der Entscheidungsgründe und das Fehlen verlässlicher Entscheidungs- und Rechtsprechungssammlungen führten mitunter sogar dazu, dass das RKG selbst in gleichen oder ähnlichen Rechtssachen unterschiedlich entschied. Unabhängig von diesem praktischen Hindernis sahen die Zeitgenossen den Zweck der Revision nicht darin, zweifelhafte Rechtsfragen zu entscheiden und widersprüchliche rechtliche Regelungen durch Auslegung oder Rechtsfortbildung in Einklang zu bringen. In den Jahren nach der Neuregelung bearbeitete und entschied die Visitation die Revisionen zunächst ordnungsgemäß. Aufgrund von Streitigkeiten zwischen den protestantischen und katholischen Ständen über die Besetzung, kamen jedoch ab dem Jahr 1588 keine ordentlichen Visitationen mehr zustande. Der hieraus resultierende Stillstand bei der Bearbeitung der Revisionen führte dazu, dass die stetig zunehmenden Revisionen unerledigt blieben und die Verfahren nicht beendet werden konnten. Trotz dieses Stillstandes wurde der Suspensiveffekt der Revision beibehalten, wodurch es möglich war, durch Einlegung der Revision die Vollstreckung der reichskammergerichtlichen Urteile für unbestimmte Zeit zu blockieren. Mangels Vollstreckungsmöglichkeit waren die Urteile des RKG daher faktisch wertlos. In einem anlässlich des Deputationstages von 1643 verfassten Gutachten äußerte das RKG, dass es die hieraus resultierende Wirkungs- und Ergebnislosigkeit der Rechtsprechung als für den dreißigjährigen Krieg mitursächlich ansah
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D. Ergebnis
und übte heftige Kritik an der Revision. Es forderte, die Revision ganz abzuschaffen oder hilfsweise zumindest das Revisionsverfahren zu verbessern und insbesondere durch die Aufhebung des Suspensiveffektes missbräuch liche Revisionen zu verhindern und die Wirksamkeit der Rechtsprechung wiederherzustellen. Obwohl die Stände die Kritik des RKG an der Revision nachvollziehen konnten, lehnten sie deren Abschaffung ab. Nach wiederholter Beratung setzten sie allerdings die Vorschläge des RKG zur Verbesserung des Revisionsverfahrens auf dem Reichstag in Regensburg 1653 / 54 weitestgehend um. So wurde die Revisionsfrist auf 4 Monate verkürzt, für Partei und Advokat ein zwingender Revisionseid eingeführt, die Revisionssumme auf 2.000 Reichstaler erhöht und der Suspensiveffekt der Revision bis zur Fortsetzung der ordentlichen Visitationen jedenfalls teilweise aufgehoben. Die Aufhebung des Suspensiveffektes galt allerdings nur für zukünftige Revisionen und nur bei ausreichender Sicherheitsleistung. Auf den Druck der protestantischen Stände hatte die Revision in Religionssachen jedoch weiterhin suspensive Wirkung. Bis zum Ende des alten Reiches kamen jedoch keine ordentlichen Visita tionen mehr zustande, weshalb auch keine Revisionen mehr entschieden wurden.
II. Die Supplikation / Revision am RHR Der zwischenzeitliche Stillstand des RKG an sich und der dauerhafte Stillstand bei der Erledigung der Revisionen führten u. a. dazu, dass die Rechtsprechungstätigkeit des RHR stark zunahm und dieser als zweites höchstes Reichsgericht neben das RKG trat. Aufgrund dieses Bedeutungszuwachses des RHR kam es schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu Forderungen der evangelischen Stände, welche sich durch den katholisch geprägten RHR benachteiligt sahen, die Revision auch am RHR zuzulassen. Der Kaiser und dessen RHR sahen in der Zulassung der Revision jedoch einen Eingriff in ihre Autorität und Jurisdiktionsgewalt. Insofern stellte sich die Bezeichnung „Revision“, welche ursprünglich gerade gewählt wurde, um die Unabhängigkeit des Rechtsmittels vom Kaiser zu verdeutlichen, nun als Hindernis dar, da der Kaiser kein Interesse daran hatte, am RHR ein Rechtsmittel einzuführen, welches eine Lösung der reichshofrätlichen Jurisdiktionsgewalt von seiner Person andeutete. Darüber hinaus war die Revision für Kaiser und RHR auch aus verfahrenstechnischer Sicht wenig nachahmenswert, da eine Überprüfung der Rechtsprechung des RHR durch eine mit Gesandten der Stände besetzte Visitation einen empfindlichen Eingriff in die kaiserliche Jurisdiktionsgewalt dargestellt hätte. Die evangelischen Stände waren sich dieser Problematik durchaus bewusst und forderten hilfsweise die Einführung der Supplikation.
II. Die Supplikation / Revision am RHR209
Der Kaiser erklärte sich schließlich im Rahmen des Westfälischen Friedens zu Zugeständnissen bereit und in IPO Art. V § 55 wurde geregelt, dass „an statt der in der Cammer üblichen Ubersehnung / dem beschwerten Theil von einer im Reichs=Hoffrath gesprochenen Urteihl an Keys. Majest. zu suppliciren erlaubt seyn“. Die Regelung des IPO wurde mit identischem Inhalt in die RHRO 1654 übernommen. Eine nähere Ausgestaltung des Supplikationsverfahrens erfolgte jedoch nicht. Stattdessen wurden die Vorschriften der reichskammergerichtlichen Revision entsprechend angewendet. Unter dem Strich handelte es sich bei der Supplikation um ein Surrogat der Revision. Die Bezeichnung als Supplikation sollte lediglich verdeutlichen, dass es sich um ein Rechtsmittel an den Kaiser respektive dessen RHR handelte. Im Laufe der Zeit verlor diese begriffliche Unterscheidung jedoch an Bedeutung und auch am RHR wurde der Begriff Revision üblich. Inhaltlich entsprach die Supplikation der Revision und wich lediglich in einigen Punkten vom reichskammergerichtlichen Revisionsverfahren ab. Anders als bei der kammergerichtlichen Revision wurden die Urteile des RHR nicht durch eine Visitation oder eine sonstige selbstständige Instanz überprüft, sondern der RHR entschied selbst darüber, ob die formalia der Supplikation vorlagen und das Urteil unrechtmäßig war. Obwohl in IPO Art. 5 § 55 und RHRO 1654 Tit. V § 7 geregelt war, dass über die Supplikation ohne die bei der Abfassung des angefochtenen Urteils beteiligten Räte und Referenten entschieden werden sollte, wurde dies in der Praxis nicht umgesetzt. Da der RHR nicht in Senate eingeteilt war und seine Urteile im Plenum fällte, war es ausgeschlossen, dass für die Entscheidung der Supplikation genügend unbeteiligte Räte zur Verfügung standen. Auch der Ausschluss des Referenten und Korreferenten des angefochtenen Urteils wurde zunächst nicht umgesetzt und erst auf den Druck der Stände im Jahr 1714 durch eine klarstellende Anordnung des Kaisers unterbunden. Hinsichtlich der übrigen Räte blieb es jedoch dabei, dass diese i. R.d. Supplikation die Rechtmäßigkeit des von ihnen mitgetragenen Urteils prüften. Der Supplikation kam somit weder in personeller noch in institutioneller Hinsicht devolutive Wirkung zu. Die Frage, ob die Supplikation einen Suspensiveffekt haben sollte war zunächst streitig. Im Westfälischen Friedensvertrag und der RHRO von 1654 war eine suspensive Wirkung angeordnet, allerdings wurde auch die Ansicht vertreten, die Aufhebung des Suspensiveffekts der reichskammergericht lichen Revision auf dem Reichstag 1653 / 54 gelte auch für die Supplikation. Obwohl dieser Streit dahingehend entschieden wurde, dass die Supplikation wie in IPO und RHRO angeordnet suspensive Wirkung habe, wurde dies in der Praxis anders gehandhabt und dem Rechtsmittel vom RHR kein Suspensiveffekt eingeräumt. Der Grund hierfür lag vermutlich darin, dass dem Suspensiveffekt auch von den Parteien nicht mehr so viel Bedeutung beigemessen wurde. Teilweise wurde von der obsiegenden Partei überhaupt keine
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Vollstreckung beantragt und der Ausgang der Supplikation abgewartet, um sich beispielsweise bei zweifelhaften Erfolgsaussichten vergebliche Vollstreckungskosten zu sparen. Zudem wurden die Supplikationen am RHR recht zügig erledigt und die beschwerte Partei hatte darüber hinaus die Möglichkeit, mit dem Einwand, die angebotene Sicherheitsleistung sei nicht ausreichend, die Vollstreckung des angefochtenen Urteils zu verhindern. Mitunter waren die Supplikationen erledigt, bevor die Frage einer ausreichenden Kautionsleistung geklärt war.
III. Die Revision auf territorialer Ebene 1. Zu Zeiten des RKG und RHR Auf territorialer Ebene gab es zwei als Revision bezeichnete Rechtsmittel, welche in den territorialen Regelungen jedoch nicht allzu genau unterschieden wurden. Im Jahr 1600 wurden die Landesherren reichsrechtlich verpflichtet, den Parteien ersatzweise eine Revision zu ermöglichen, wenn die Appellation an das RKG aufgrund eines Unterschreitens der Appellationssumme oder eines Appellationsprivilegs ausgeschlossen war. Ein Verfahren wurde für dieses neue Rechtsmittel nicht geregelt. Da es sich um ein Surrogat der Appellation handelte, wurden die gesetzlichen Regelungen der Appellation analog angewandt. Es bestand überwiegend Einigkeit darüber, dass die Revision suspensive Wirkung hatte, von unparteiischen Gelehrten oder einer unparteiischen Universität zu entscheiden war und die Einlegungsfrist 10 Tage betrug. Als Regelfall war vorgesehen, dass die Entscheidung ex eisdem actis, also ohne Berücksichtigung neuen Vortrags, erfolgte, allerdings war den Parteien der Vortrag neuer Tatsachen in zwei weiteren Schriftsätzen ausdrücklich gestattet. Die übrigen Eigenschaften und Voraussetzungen waren umstritten und in den einzelnen Territorien unterschiedlich geregelt. Neben dieser subsidiären Revision existierte auf territorialer Ebene noch eine partikularrechtliche Revision, welche die Landesherren unabhängig vom Vorliegen der Appellationssumme oder eines Appellationsprivileges auch dann zuließen, wenn die Appellation an das RKG zulässig war. Sie war kein Ersatz für die Appellation, sondern stand in elektiver Konkurrenz zu dieser. Bereits vor einer konkreten gesetzlichen Fixierung war es in den Territorien möglich, mittels einer Supplik bei dem Landesherrn um eine Überprüfung des Urteils zu bitten. Hierbei handelte es sich um formlose Bittschriften, die keinem gesetzlich geregelten Verfahren folgten und den Parteien keinen Rechtsanspruch auf Überprüfung des Urteils vermittelten. Mit der Errichtung des RKG trat dieses Gnadenmittel in Konkurrenz zur Appellation an das
III. Die Revision auf territorialer Ebene211
Reichskammergericht. Die Landesherren versuchten, mit der Supplik die Rechtsstreitigkeiten innerhalb ihrer Jurisdiktionsgewalt zu halten. Den reichs rechtlich festgelegten Instanzenzug und die Appellation an das RKG konnten sie zwar nicht selbstherrlich ersetzen, allerdings verzichteten die Parteien aufgrund geringerer Kosten und kürzerer Verfahrensdauer der Supplik teilweise freiwillig auf die Appellation. Mit der Einführung der subsidiären Revision bauten die Landesherren auch die partikularrechtliche Revision zu einem gesetzlich geregelten Rechtsmittel aus. Um den Vorrang der Appellation ans RKG zu unterlaufen, differenzierten die Landesherren in ihren Revisionsordnungen bewusst nicht zwischen subsidiärer und partikularrechtlicher Revision. Sie stellten die Revision allgemein und unabhängig vom Vorliegen der Appellationssumme oder eines Appellationsprivilegs als letztes ordentliches Rechtsmittel dar, um den Eindruck eines einheitlichen Rechtsmittels zu erwecken, welches stets alternativlos an die Stelle der Appellation trat. Als das RKG hieraufhin einen ausdrücklichen Verzicht der Parteien auf die Appellation forderte, führten die Landesherren die Revision teilweise als zusätzliche Instanz vor der Appellation ein, um die Anrufung der Reichsgerichte zumindest zu erschweren. Das RKG sah hierin jedoch eine unzulässige Instanzenvermehrung. Aufgrund dieser Entwicklung und der zwischenzeitlich weiten Verbreitung unbegrenzter Appellationsprivilegien wurde die partikularrechtliche Revision im 18. Jahrhundert vielfach abgeschafft oder beschränkt. 2. Nach dem Ende des alten Reichs In den exemplarisch betrachteten Einzelstaaten Preußen, Hannover und Bayern hat sich das Rechtsmittelwesen nach dem Ende des alten Reiches unterschiedlich entwickelt. Teilweise setzte diese unterschiedliche Entwicklung aufgrund unbegrenzter Appellationsprivilegien und der hiermit verbundenen Lösung von den Reichsgerichten sogar noch zu Zeiten des alten Reichs ein. So kam es in Bayern schon 1753 mit dem Codex Juris Bavarici Judiciarii zu einer eigenen Ausgestaltung der Appellation und Revision und in Preußen änderte sich der Prüfungsumfang der Revision (Oberappellation) 1793 aufgrund der Einführung des Untersuchungsgrundsatzes deutlich. Hannover hielt dagegen noch relativ lange am gemeinen Prozess fest und beschränkte erst 1850 den Instanzenzug auf 2 Instanzen mit der Revision als einzigem ordentlichen Rechtsmittel. Im Laufe des 18. Jahrhunderts führten alle drei Staaten unterschiedlich ausgestaltete Nichtigkeitsbeschwerden ein, die unter Außerachtlassung aller Tatsachenfragen und ausschließlicher Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung der Vereinheitlichung der Rechtsprechung dienen sollten. Neuartig war hieran nicht die Konzentration auf Rechtsfra-
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gen, sondern die ausdrückliche Zielsetzung, mittels der Nichtigkeitsbeschwerde eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung herbeizuführen. In Preußen und Bayern war die Nichtigkeitsbeschwerde 1833 bzw. 1869 als ein an der französischen Kassation orientiertes Rechtsmittel ausgestaltet, welches durch Erlass eines neuen Urteils neben der Rechtseinheit zumindest auch der Einzelfallgerechtigkeit diente. Die hannoversche Nichtigkeitsbeschwerde konnte dagegen nur durch den Staatsanwalt eingelegt werden und berührte die Rechte der Parteien überhaupt nicht. Sie diente lediglich der Zurechtweisung des Gerichts und als Orientierung für künftige Entscheidungen. Eine neue Entscheidung zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit erging auch bei begründeten Nichtigkeitsbeschwerden nicht.
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Stichwortverzeichnis Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten (AGO) 176 ff., Fn. 1063, 181 ff. Appellation 16 ff., 23 f., Fn. 143, Fn. 200, 68 f., 85, Fn. 466, 96, 103 f., 140, 160 ff., 163 ff., 168 ff., Fn. 1001, 176, 187, 192 ff., 197, 210 f. Appellationsfrist 83, 96, 195 Appellationsgericht 16 f., 193, 195 Appellationsprivileg 104, 164 f., 170, 172, 175, 210 f. Appellationssumme Fn. 466, Fn. 467, 160, 162 ff., 168 ff., 175, 210 f. Appellationsverbot Fn. 199, 47, 68 f., 104 Assessor 29, 38, 40 ff., 60 ff., Fn. 306, 80 ff., 85, 87, Fn. 428, Fn. 444, 93, 102, 105 f., 116, 125, 146 Avokation 27, Fn. 93, Fn. 94, 28 f. Begründetheit –– der Revision 105 ff., 111 ff., 166, 206 –– der Supplikation 139, 144 ff. Beisitzer 28, 32, 35, 37 f., 40 f., 43 f., 49, 53 f., 57 ff., 66 ff., Fn. 306, 78, 96, 106 f., 109 ff., 115, 122 ff., 147, 174, 203, 206 beneficium novorum 50, 193 siehe auch Tatsachenvortrag neu Berufung 13 f., 186 ff., 197, 199 Beweisaufnahme 13, 180, 185 Beweiserhebung 27, 110, 178 Beweiswürdigung 110 f., 174, 207 Bittschrift 25, 162, 210 Codex Juris Bavarici Judicarii 192, 211 Devolutiveffekt 15, 30, 113, 150 ff., 172, 185, 188, 189, 195, 197, 200, 205, 209
Entscheidungsgründe 67, 106 ff., Fn. 555, Fn. 557, 110, 112, 145 f., 148, 173, Fn. 1011, 177, Fn. 1038, 182 f., 186, 198, 207 Eventualmaxime 178, 193 Exekution siehe Vollstreckung Gerichtsbarkeit 15 f., 21 f., 25, Fn. 199, 46, 69 ff., 127, 130, 132, 161, 164, 175 f., 204 Gerichtsherr 26, 169 Gnadenbitte 53 ff., 69, 71, 125, 161, 205 Inhibition 27 f., Fn. 94, Fn 98, 29 Inquisition 36 f. 39, 123, 178, 203 Instanzenzug 13 f., 16 ff., 23 f., 161 f., 169, 171 f., 175, 183 f., 187 f., 211 Jüngster Reichsabschied 80, 103, 170, 83, 86 f., 93 f., Fn. 466, 96, 99, 102 f., 107, 113, 116, 118, 132, 140, 142, 145, 155 f., 159, 164 ff, 170, 173 Kalumnieneid Fn. 440, Fn. 443, Fn 504 Kammerrichter 28, 35, 37 f., 44, 56 f., 60 f., 64, Fn. 306, 69 Kanzleigebühren 94 ff., 98 Kassation 18, 46, 176, 183 f., 186, Fn. 1106, 197, 199, 212 Kaution 54 ff., 63 f. 67, 101, 116, 118, 159, 168, 210 Ladung 27, 104 Leuterung 24, 162, 169 Nichtigkeitsbeschwerde 18, 181, 183 ff., 190, 197 ff., 211 f. Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes 190 ff.
Stichwortverzeichnis229 Oberappellation 175 f., 186 ff., 196, 211 Oberhof 15, 45, 194 Personalexamen 38, 42 ff., 123 f. 203 Präklusion 178, 181 Prävention 132, 170 Privilegium de non appellando siehe Appellationsprivileg Prokurator 35, 37 f., 41 ff., 49, 54 f., 83, 97, 140 f., 174 Provokationsklage 47 f., Fn. 212, Fn. 213 Rechtsmittel 14 ff., 17 ff., 21, 23 ff., 44, 46 f., 49 ff., Fn. 231, 53 f., 55 f., 57, 65, 71 f., 78 f., 85 f., 89 f., 97, Fn. 592, 119 ff., 124 f., 134 f., 137 ff., 146, 149, 160 ff., 164, 168 ff., 175 ff., 179, 183 f., 186, 190, 192 ff., 197, 199, 204 ff., 208 ff. Rechtsmittelverzicht Fn. 199, 47, 162, 169 ff., Fn. 1001, 172, 211 Rechtszug 15 f., 197 f. Reichsdeputation 76 ff., 85, 96 Reichsdeputationsabschied 133, 163, 165 f. Reichshofrat 17, 19, 20 ff., 70 f., 86, 125, 127 ff., 133 ff., 139 ff., 144 ff., 150 ff., 155 ff., 205 f., 208 ff. Reichshofratsordnung 22, 113, 127 ff., 134 f., 137, 139, 142, 145, 148, 150, 152 f, 155 f., 158, 209 Reichskammergericht 17, 19 ff., 24 ff., 29 ff., 39 ff., 49 f., 54 ff, 58 ff., 62, 67 ff., 73, 76 ff., 88 ff., 97 ff., 105 ff., 111 ff., , 118 ff., 127 ff., 139 f., 143, 145 ff., 156, 159, 162 ff., 173, 192, 203 ff., 210 f. Reichskammergerichtsordnung 17, 23 f., 26, 39, 41, 51, 53 ff., 60 f., 64, 66, 69, 71 f., 88, 102, 106, 108, 111, 113 f., 119 ff., 125, 131, 133 f., 137, 139, 145, 147 f., 150, 155, 163, 169, 174, 204 ff.
Reichsregimen 5 f., 120, 122 f., 204 Reichstag 28 ff., 36, 39 ff., 44, 48 f., 59 ff., 70, 76, 78, 84 f. 87, 90, 93, 101 f., 113, 116, 118, 120 f., 124 ff., 128 ff., 139, 155, 157, 163, 204, 208 f. Restitutio in integrum siehe Wieder einsetzung Revision 13 ff., 17 ff., 21 f., 30, 35, 46, 49, 51 ff., 56, 59, 61, 63 ff., 71 ff., Fn. 327, 78 ff., 83 ff., Fn. 420, 88 ff, Fn. 440, Fn. 445, 94 ff., Fn. 466, 99 ff., 108 ff., 113 ff, 118 ff., 124 ff., 134 ff., 139 ff, 144 ff., 152, 154 ff., 160 ff., 163 ff., 168 ff., 173, 175 f., 182 ff., 192 f., 195, 203, 205 ff., 210 f. Revisionseid 79, 83, 85, 89 ff., 98 ff., 141 ff., Fn. 799, 168, 208 Revisionsfrist 85, 100, 208 Revisionssumme 85 f., 94 f., Fn. 466, Fn. 467, 140, 168, 176, Fn. 1033, 182, 208 Sporteln 101 f., 142 ff. Sukkumbenzgeld 67 f., 72, 79, 83, 85, 87 ff., Fn. 428, Fn. 445, 99 ff., 142 f., 168 Supplik 97, 161 f., 210 f. Supplikation 21, 25, 27 f., 50, 53 ff., Fn. 242, 66, 68 f.,71 f., 86, Fn. 470, 121, 124, 126 f., 135 ff., Fn. 773, 139 ff., Fn. 778, Fn. 780, 144, 146, 149 ff., 155 ff., 161, 169, 187, 204 ff., 208 ff. Suspensiveffekt 30, 47, 82, 85, 87, 113 ff., 126, 155 ff., 161, 185, 188, 195, 200, 205, 207 ff. Syndikatsklage 33 f., 51 ff., 56 ff., 61 ff., 66, 68, 80, 111 f., 124 ff., 147, 204 ff. Tatsachenvortrag neu 14, 17, 30, 50, 108 ff., Fn. 571, 177 ff., 193, 197 f., 201 f., 205 ff., 210 f. Urteilsgründe siehe Entscheidungs gründe Urteilsschelte 15, 193 f.
230 Stichwortverzeichnis Vierklosterstreit 77, 116 Visitation 19, 30 f., Fn. 116, 35 ff., 40 ff.,44 ff., 49 f., 57, 66, 71 ff., Fn. 327, Fn. 355, 75 ff., 80 ff., 85, 87 ff., Fn. 431, Fn. 435, 95, 101 ff., 107, 112, 114, 116, 120, 123 ff., 136, Fn. 761, 138, 203 ff. Visitationsabschied 42, 61 Visitationskommission 37 ff., 41 f., 44, 48, 56, 88 ff., Fn. 435, 92, 113, 118, 136, 138 Vollstreckung 27, 32, 34, 43, 51, Fn. 243, 55 f., 59, 67 f., 79, Fn. 379, 80 ff., 89, Fn. 436, 90 f., Fn. 440, 113 ff., Fn. 611, 117 f., 126, 132, 141, 156, 158 f., 185, 188 f., Fn. 1140, 195, 197, 200, 205, 207, 210 Vorrang der Appellation 170 f., 211
Wahlkapitulation 93, 128, 131, 136, Fn. 773, 142 f., 149, 154, 157 f. Westfälischer Friede 86, 131, 134, 136, 139, 146, 155 f., 209 Westfälischer Friedensvertrag 113, 131, 134, 136 f., 153, 155, 209 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 24, 54 f., Fn. 243, 57, 109, 136, 149, 168, 187, 172 Zulässigkeit –– der Revision 88 ff., Fn. 435, 100, Fn. 508, 103, 105 –– der Supplikation 139, 141 Zuständigkeit Fn. 93, Fn. 94, 40, 45 f., 56, 71, 86, 123 ff., 132, 138, 188, 200, 206