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German Pages [443] Year 2023
U lrich Eisenhardt
Kaiserliche Gerichtsprivilegien Ihre Bedeutung für die Entwicklung der Rechtspflege im Alten Reich
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR HÖCHSTEN GERICHTSBARKEIT IM ALTEN REICH HERAUSGEGEBEN VON ANJA AMEND-TRAUT, FRIEDRICH BATTENBERG, ALBRECHT CORDES, IGNACIO CZEGUHN, PETER OESTMANN UND WOLFGANG SELLERT
Band 78
Kaiserliche Gerichtsprivilegien Ihre Bedeutung für die Entwicklung der Rechtspflege im Alten Reich Von ULRICH EISENHARDT
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Urkunde vom 14. März 1508, Kaiser Maximilian I. © Rst. Nürnberg, Kaiserliche Privilegien Nr. 584 Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: le-tex publishing services, Leipzig
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52859-1
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ................................................................................................ 13 Ziel der Untersuchung........................................................................... 15 Zu den verwandten Quellen................................................................... 17 A Gerichtsprivilegien und Gerichtsverfassung im Mittelalter ................... § 1 Die Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Reich ........................... I. Gerichtsprivilegien als Rechtsquelle....................................... II. Der König als oberster Gerichtsherr im Reich ......................... III. Die Gerichtsverfassung des Reiches ....................................... 1. Überblick ..................................................................... 2. Die königliche Gerichtsbarkeit – Vom königlichen Hofgericht zum Reichshofgericht ................... 3. Die königlichen Hof- und Landgerichte und die Gerichtsprivilegien ........................................................ 4. Das königliche Kammergericht ....................................... IV. Die Gerichtsverfassung in den Landesherrschaften .................. 1. Die weltlichen Gerichte .................................................. 2. Die geistlichen Gerichte ................................................. V. Die Gerichte in den Städten .................................................. § 2 Die Entwicklung der Gerichtsprivilegien im Mittelalter .................... I. Überblick ........................................................................... II. Die Erteilung und Bestätigung von Privilegien ........................ III. Das privilegium fori ............................................................. 1. Begriff und Bedeutung ................................................... 2. Die Entwicklung des privilegium fori................................ 3. Die geistlichen Gerichte und ihre Zuständigkeit ................ IV. Das privilegium de non evocando ........................................... 1. Das ius evocandi ............................................................ 2. Der Begriff des privilegium de non evocando ..................... 3. Privilegia de non evocando und Gerichtsstandsprivilegien... 4. Ab wann gab es privilegia de non evocando? ...................... 5. Zum Fortbestand der privilegia de non evocando nach 1495..................................................................... 6. Der Bedeutungswandel der Evokationsprivilegien .............
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V.
Die Exemtionsprivilegien ..................................................... 1. Begriff ......................................................................... 2. Ungewissheiten bei der Einordnung der Privilegien ........... 3. Abgrenzung von den Gerichtsstandsprivilegien................. VI. Gerichtsstandsprivilegien ..................................................... 1. Begriff ......................................................................... 2. Die Gerichtsstandsprivilegien in der Goldenen Bulle ......... 3. Die verschiedenen Arten von Gerichtsstandsprivilegien ..... 4. Abgrenzung von anderen Privilegien, Kombinationen ....... VII. Das privilegium de non appellando ......................................... 1. Überblick ..................................................................... 2. Das Rechtsmittel der Appellation .................................... 3. Die Bestimmungen der Goldenen Bulle (1356) ................. 4. Beschränkte und unbeschränkte Appellationsfreiheit ......... 5. Streitgegenstände, welche die Appellation ausschlossen ...... 6. Die Befolgung der Appellationsprivilegien........................ 7. Die ersten privilegia de non appellando ............................. 8. Appellationsbehinderungen als Konkurrenz zu den privilegia de non appellando ...................................... 9. Die Insinuation von Appellationsprivilegien ..................... 10. Die Folgen einer verstärkten Erteilung von privilegia de non appellando ............................................ VIII. Andere Gerichtsprivilegien................................................... 1. Überblick ..................................................................... 2. Die privilegia electionis fori ............................................. 3. Austrägalprivilegien ...................................................... 4. Privilegia de non arrestando ............................................ 5. Privilegium primae instantiae? ......................................... 6. Das Immunitätsprivileg.................................................. IX. Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung .......................... 1. Rechtsverweigerungsklauseln in Gerichtsprivilegien .......... 2. Ursprung und Charakter der Rechtsverweigerungsklauseln ......................................... § 3 Die Rechtsprechung des königlichen Hofgerichts ............................. I. Die Tätigkeit des königlichen Hofgerichts .............................. 1. Die Entwicklung der königlichen Gerichtsbarkeit .............. 2. Der Rechtszug an den König........................................... 3. Die Vidimierung von Urkunden durch das Hofgericht ....... 4. Zusammenfassung ........................................................ II. Die untersuchten Quellen.....................................................
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III.
Streitigkeiten betreffend die Gerichtsprivilegien vor dem königlichen Hofgericht ................................................. 1. Einleitung .................................................................... 2. Jurisdiktionsstreitigkeiten über die Abgrenzung zwischen geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit ............................................................ 3. Die Gerichtsstandsprivilegien ......................................... IV. Resümee zur Rechtsprechung des königlichen Hofgerichts ....... § 4 Die Rechtsprechung des königlichen Kammergerichts ...................... I. Überblick ........................................................................... II. Die Quellen ........................................................................ III. Zahl und Gegenstand der Verfahren ...................................... IV. Jurisdiktionsstreitigkeiten betreffend die geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit ............................................... 1. Überblick ..................................................................... 2. Ladungen und Klagen in weltlichen Angelegenheiten vor einem geistlichen Gericht ................. 3. Verfahren in weltlichen Sachen vor geistlichen Gerichten, in denen der Papst bzw. die Kurie involviert waren ............................................................ 4. Unterstützung der geistlichen Gerichtsbarkeit durch den Kaiser/König ................................................. 5. Anweisungen an geistliche und weltliche Gerichte ............. 6. Zusammenfassung ........................................................ V. Streitigkeiten betreffend die Gerichtsstandsprivilegien vor dem Kammergericht ...................................................... 1. Überblick ..................................................................... 2. Abgrenzung zu Evokation und Exemtion ......................... 3. Bezugnahmen auf Gerichtsstandsprivilegien einschließlich die Goldene Bulle...................................... 4. Die Entscheidungen des Kammergerichts ......................... 5. Verletzungsverfahren, die das Hofgericht zu Rottweil und die Landgerichte in Süddeutschland betrafen .. 6. Kammergericht und Westfälische Gerichte ...................... 7. Zusammenfassung ........................................................ VI. Die Erteilung und Bestätigung von Gerichtsstandsprivilegien ... VII. Der Widerruf von Gerichtsprivilegien.................................... VIII. Appellationen ..................................................................... 1. Überblick ..................................................................... 2. Der Rechtszug von der territorialen Gerichtsbarkeit an das Kammergericht.............................
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IX.
3. Appellationen von Landgerichten, dem Hofgericht zu Rottweil und den Westfälischen Gerichten ... 4. Abforderung und Appellation ......................................... 5. Die Zulässigkeit von Appellationen.................................. 6. Zusammenfassung ........................................................ Resümee zur Rechtsprechung des Kammergerichts..................
B Gerichtsprivilegien und Rechtsprechung in der Neuzeit....................... § 1 Die Gerichtsprivilegien nach 1500.................................................. I. Die Reichsgerichtsbarkeit ..................................................... II. Die Gerichtsverfassung in den Territorien und Städten ............ III. Erteilung, Bestätigung und Insinuation von Gerichtsprivilegien .............................................................. IV. Die Gerichtsprivilegien als Streitgegenstand in der Neuzeit....... 1. Überblick ..................................................................... 2. Privilegia de non evocando, Exemtions- und Gerichtsstandsprivilegien ............................................... 3. Die privilegia de non appellando ...................................... 4. Das privilegium fori ....................................................... § 2 Die Rechtsprechung des Reichskammergerichts............................... I. Überblick .......................................................................... II. Die untersuchten Quellen..................................................... 1. Vorbemerkung.............................................................. 2. Die Findbücher zu den Reichskammergerichtsakten .......... 3. Die Datenbank Höchstgerichtsbarkeit .............................. III. Die privilegia de non evocando .............................................. IV. Die Gerichtsstandsprivilegien ............................................... 1. Überblick ..................................................................... 2. Die unmittelbare Bezugnahme auf die Befreiung von fremder Gerichtsbarkeit ........................................... 3. Die Bezugnahme auf die Goldene Bulle............................ 4. Verweis auf Privilegien, welche die Kompetenz zentraler königlicher Gerichte einschließlich der Hof- und Landgerichte und der Westfälischen Gerichte einschränkten .................................................. 5. Der Verweis auf die Befreiung von geistlicher Gerichtsbarkeit ............................................................. V. Die Exemtionsprivilegien ..................................................... 1. Die „echten“ Exemtionsprivilegien .................................. 2. Die Abgrenzung zu den Gerichtsstandsprivilegien............. 3. Resümee ......................................................................
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VI.
Die privilegia de non appellando ............................................ 1. Überblick ..................................................................... 2. Die Appellationssumme ................................................. 3. Spezialmaterien ............................................................ 4. Die Bezugnahme auf reichsgesetzliche Vorschriften ........... 5. Die Wirkungen der Appellationsprivilegien ...................... 6. Verstöße gegen die privilegia de non appellando................. VII. Die privilegia fori – Streitigkeiten über die Abgrenzung von geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit....... 1. Überblick ..................................................................... 2. Statistisches .................................................................. 3. Das Berufen auf das privilegium fori................................. 4. Das Berufen auf reichsgesetzliche Vorschriften.................. 5. Die sachliche Zuständigkeit der geistlichen Gerichte.......... 6. Streitigkeiten um die Zulässigkeit des Rechtsweges an den Apostolischen Nuntius und an die Sacra Rota Romana .............................................. 7. Zusammenfassung ........................................................ VIII. Andere Privilegien .............................................................. 1. Überblick ..................................................................... 2. Die Austrägalprivilegien................................................. 3. Die privilegia de non arrestando....................................... IX. Zusammenfassung zur Rechtsprechung des Reichskammergerichts ......................................................... § 3 Der Reichshofrat und die Gerichtsprivilegien .................................. I. Der Reichshofrat als kombiniertes Rechtsprechungsund Regierungsorgan .......................................................... II. Die Erteilung von Gerichtsprivilegien durch den Reichshofrat .. 1. Überblick ..................................................................... 2. Die Erteilung von privilegia fori und electionis fori ............. III. Die Erteilungspraxis des Reichshofrats ................................... 1. Die Prüfung der Anträge und die Erteilung von Auflagen ... 2. Die Klärung verfassungsrechtlicher Vorfragen .................. 3. Bestrebungen des Reichshofrats, weitere Einschränkungen der kaiserlichen Jurisdiktion zu verhindern ................................................................... 4. Die Anordnung und Förderung von Justizreformen in den Territorialstaaten ........................... IV. Die Rechtsprechung des Reichshofrates.................................. 1. Gerichtsprivilegien in Prozessen vor dem Reichshofrat ...... 2. Die Gerichtsstandsprivilegien .........................................
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V.
VI.
3. Jurisdiktionsstreitigkeiten die geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit betreffend ................................. 4. Die privilegia de non appellando ...................................... 5. Andere Gerichtsprivilegien............................................. Verfahren, die sich gegen das Reichskammergericht richteten ... 1. Überblick ..................................................................... 2. Die gerügte Verletzung von Gerichtsprivilegien................. 3. Andere Verfahrensgegenstände ....................................... 4. Die Qualifizierung dieser Tätigkeit des Reichshofrats......... Resümee zur Tätigkeit des Reichshofrats ................................
C Die Wirkungen der Gerichtsprivilegien ............................................... § 1 Gerichtsprivilegien und Gesetz ..................................................... I. Gerichtsprivilegien und Gesetz im Mittelalter ......................... 1. Privileg und Gesetz ....................................................... 2. Das privilegium fori und reichsgesetzliche Bestimmungen .. 3. Die Privilegienerteilung in der Goldenen Bulle ................. 4. Die Beschränkung des ius evocandi durch reichsgesetzliche Bestimmungen ..................................... 5. Die Beschränkung der Jurisdiktion der Westfälischen Gerichte (Femegerichte)............................. 6. Der Widerruf von Gerichtsprivilegien.............................. 7. Resümee ...................................................................... II. Gerichtsprivilegien und Gesetz in der Neuzeit ........................ 1. Einleitung .................................................................... 2. Der Privilegienbegriff in der Neuzeit................................ 3. Reichsgesetzliche Regelungen betreffend privilegia de non evocando und Gerichtsstandsprivilegien ... 4. Reichsgesetzliche Bestimmungen und Appellationsprivilegien .................................................. 5. Die Erteilung von privilegia electionis fori durch Reichsgesetze ................................................................ 6. Privilegia fori und Reichsgesetze...................................... 7. Das Hofgericht zu Rottweil, die süddeutschen Landgerichte, die Westfälischen Gerichte und reichsgesetzliche Bestimmungen ..................................... III. Resümee ............................................................................ § 2 Gerichtsprivilegien und die Ausgestaltung der Gerichtsverfassung im Reich ......................................................... I. Das Zuständigkeitsproblem im Mittelalter .............................
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II.
Zuverlässige Zuständigkeitsregeln, durch Gerichtsprivilegien, Gesetze und Rechtsprechung in der Neuzeit......................................................................... III. Zuständigkeit und Gerichtsverfassung gegen Ende des Alten Reiches ................................................................ § 3 Die Gerichtsprivilegien und die Ausbildung und Anwendung von eigenständigen Partikularrechten ........................... I. Überblick ........................................................................... II. Städte mit bedeutenden eigenständigen Rechtsentwicklungen ohne Appellationsprivilegien mit besonderen Streitkomplexen ........................................... 1. Lübeck ......................................................................... 2. Frankfurt am Main ........................................................ 3. Zusammenfassung ........................................................ III. Städte mit bedeutenden eigenständigen Rechtsentwicklungen mit Appellationsprivilegien, die Streitigkeiten über spezielle Materien von der Reichsgerichtsbarkeit ausschlossen ........................................ 1. Überblick ..................................................................... 2. Nürnberg ..................................................................... 3. Hamburg ..................................................................... 4. Ergebnis ...................................................................... IV. Zusammenfassung .............................................................. § 4 Gerichtsprivilegien und der Ausbau der territorialen und städtischen Gewalten ................................................................... I. Gerichtsgewalt und Landesherrschaft .................................... II. Der Beitrag der Gerichtsprivilegien zur Entstehung der Landesherrschaft ........................................................... § 5 Zusammenfassung der Ergebnisse.................................................. I. Privilegien und Gerichtsverfassung ....................................... 1. Gerichtsprivilegien und das Zuständigkeitsproblem........... 2. Die Entwicklung einzelner Privilegien.............................. II. Privilegien und Gesetze........................................................ III. Gerichtsprivilegien und Verfassung ....................................... 1. Die Ausbildung von Landesherrschaften .......................... 2. Bestrebungen, der Schwächung der Reichsjustiz entgegenzuwirken ......................................................... 3. Auseinandersetzungen zwischen weltlicher und kirchlicher Macht .......................................................... 4. Verfahren gegen das Reichskammergericht vor dem Reichshofrat ..........................................................
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IV.
V. VI.
Zum Einfluss von Gerichtsprivilegien auf die Ausbildung materiellen Rechts und Verfahrensrechts in den Reichsstädten............................................................ 1. Das materielle Recht ...................................................... 2. Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht........................ Kontinuitätslinien in der Rechtsprechung der obersten Reichsgerichte? ...................................................... Schlussbetrachtung..............................................................
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Abkürzungsverzeichnis.......................................................................... 399 Quellenverzeichnis................................................................................ I. Ungedruckte Quellen ................................................................... II. Gedruckte Quellen....................................................................... 1. Übergreifend ...................................................................... 2. Zum königlichen Hofgericht................................................. 3. Zum königlichen Kammergericht.......................................... 4. Zum Reichskammergericht .................................................. a) Relationen, Voten und Protokolle .................................... b) Inventare der Akten des Reichskammergerichts ................ c) Digitale Quellen ............................................................ 5. Zum Reichshofrat................................................................
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Literaturverzeichnis .............................................................................. 417 Sachregister ........................................................................................ 433
Vorwort
In vielen Abhandlungen, die sich mit der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege in den Territorien, in den Städten und auf Reichsebene befassen, wird auf Gerichtsprivilegien verwiesen. Gleichwohl fehlt bislang eine zusammenfassende Darstellung über Wirkung und Bedeutung dieser Privilegien für die Rechtspflege vor 1806. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass darüber ohne die Erforschung der rechtsprechenden Praxis kaum neue Erkenntnisse erwartet werden können. Nachdem in den letzten Jahrzehnten mehr Quellen über die Tätigkeit der höchsten Gerichte im Reich zugänglicher geworden sind, kann mit größerer Aussicht auf Erfolg als in der Zeit zuvor der Versuch unternommen werden, zu untersuchen, welche Bedeutung den Gerichtsprivilegien für die Höchstgerichtsbarkeit und die Entwicklung der Rechtspflege im Alten Reich zugemessen werden muss. In der Zeit, in der ich Mitherausgeber der „Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich“ war, hatte ich über den Kreis der Herausgeber hinaus Kontakt zu vielen Rechtshistorikern, die sich mit der Erforschung der höchsten Gerichtsbarkeit bis 1806 befasst haben. Der Teilnahme an Symposien zur Höchstgerichtsbarkeit verdanke ich manche wertvolle Anregung. Ich konnte verfolgen, wie sich im Verlauf vieler Jahre aufgrund intensiver Forschungen das Geschichtsbild zur Rechtspflege im Alten Reich nicht nur verdichtet, sondern auch verändert hat. Insbesondere die vielen Quelleneditionen haben zu neuen Erkenntnissen geführt. Schon in meinen frühen rechtshistorischen Arbeiten habe ich mich mit Problemen der Rechtspflege in den aufstrebenden Territorialstaaten und deren Einbindung in die Gerichtsverfassung des Alten Reiches beschäftigt. Dadurch konnte ich einen ersten Eindruck von Wirkung und Bedeutung der Gerichtsprivilegien gewinnen. Für die vorliegende Arbeit konnte ich an eine Reihe früherer Abhandlungen zu den privilegia de non appellando und den privilegia fori anknüpfen. Dank schulde ich Herrn Assessor iur. Thorsten Eisenmenger für die gute und reibungslose Versorgung mit Literatur und gedruckten Quellen. Zu danken habe ich auch meiner Frau, die geduldig und aufmerksam Korrektur gelesen hat.
Ziel der Untersuchung
Im modernen Staat der Gegenwart wird die Rechtsordnung zum überwiegenden Teil durch Gesetze geprägt, während das Gewohnheitsrecht nur theoretisch gleichgestellt ist und in der Praxis eine lediglich untergeordnete Rolle spielt. Privilegien in dem Sinne, dass den Begünstigten Sonderberechtigungen oder Befreiungen eingeräumt werden, die von den allgemeinen Rechtsregeln abweichen, sind modernen rechtsstaatlichen Ordnungen fremd. Der uns heute geläufige Zustand, dass soziale Realität durch gesetzliche Regeln mit Rechtsgeboten gestaltet und verändert wird, ist erst in einem Entwicklungsprozess erreicht worden, der sich über etliche Jahrhunderte, beginnend mit dem Spätmittelalter, erstreckt hat.1 Bis dahin stellten Privilegien eine wichtige Rechtsquelle dar. Indem der König/Kaiser Privilegien an Landesherren, Städte und andere verlieh, bestätigte, erweiterte, einschränkte und widerrief, gestaltete er seit dem Mittelalter das Recht auch ohne nennenswerte Gesetzgebung. Man kann die Privilegien als Herrschaftsinstrumente des Königs/Kaisers bezeichnen, ohne dass dieser bei der Verleihung und Gestaltung von Privilegien schrankenlose Freiheit genossen hätte, denn auch er stand nach mittelalterlicher Rechtsanschauung unter den Geboten des allumfassenden Rechts.2 Die Rechtsmaterien, die den Inhalt der Privilegien bildeten, reichen von Gerichtszuständigkeit und Verfahren bis zu Handel und Gewerbe.3 In der nachmittelalterlichen Zeit – ab dem 16. Jahrhundert – maß die Staatsrechtslehre dem Privileg Gesetzeseigenschaft zu.4 Die sich im Mittelalter herausbildende Gerichtsverfassung des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation war zu einem erheblichen Teil durch vom König/ Kaiser verliehene Privilegien geprägt. Diese Privilegien kann man unter dem modernen Begriff der Gerichtsprivilegien zusammenfassen. Zu den wichtigsten gehören die Privilegien, die von fremder Gerichtsbarkeit befreiten (Gerichtsstandsprivilegien), die Appellationsprivilegien, welche die Zulässigkeit der Appellation regelten, und die privilegia fori, die bestimmten, dass der ausschließliche Gerichtsstand für Kleriker und geistliche Korporationen die kirchlichen Gerichte waren. Gestützt auf die letztgenannten Privilegien, versuchten die geistlichen Gerichte ihre Zustän-
1 Diestelkamp, Das privilegium fori des Klerus. In: FS Thieme, S. 1. 2 Krause, Königtum und Rechtsordnung. ZRG Germ. Abt. 82, 1965, S. 1 ff.; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 147. 3 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 147. 4 Mohnhaupt, Untersuchungen zum Verhältnis Privileg und Kodifikation. IC V, 1975, S. 82 mit Nachw.
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Ziel der Untersuchung
digkeit auf den weltlichen Bereich auszudehnen, was zu vielen Konflikten geführt hat, die auch vor den obersten Gerichten des Reiches ausgetragen worden sind. Die Frage nach der Zuständigkeit von Gerichten war im Spätmittelalter und auch in der Neuzeit ein grundlegendes Problem.5 Mit Hilfe der Gerichtsprivilegien wurde versucht, Gerichtszuständigkeiten für die Begünstigten in Regeln zu fassen. Ziel der dieser Arbeit ist es, Aufschlüsse über Wirkung und Bedeutung der Gerichtsprivilegien auf und für die Rechts- und Verfassungsordnung des Alten Reiches im Spätmittelalter und in der Neuzeit bis 1806 zu gewinnen. Will man die Wirkungen der Gerichtsprivilegien für die Praxis ermessen, so ist eine Untersuchung der Rechtsprechung der obersten Reichsgerichte, soweit sie zugänglich ist, unerlässlich. Aber nicht allein die Auswertung der Rechtsprechung der höchsten Gerichte im Alten Reich verspricht Erkenntnisgewinn. Auch die Erteilungspraxis der Könige/Kaiser und die Art und der Umfang der verliehenen Gerichtsprivilegien vermögen wichtige Aufschlüsse zu geben. Bei der Auswertung der Rechtsprechung der höchsten Gerichte ist zu berücksichtigen, dass die Gerichtsprivilegien nicht erst dann eine Wirkung entfalten konnten, wenn ein Streit an diese Gerichte gelangt war. Für den Fall, dass die Privilegien, wie etwa die Gerichtsstandsprivilegien, die von fremder Gerichtsbarkeit befreiten, einer klagewilligen Partei oder deren Rechtsbeistände bekannt waren, dürften diese im Zweifel davon Abstand genommen haben, eine Klage vor einem nach dem einschlägigen Privileg unzuständigen Gericht zu erheben. Wenn dennoch vor den erstund zweitinstanzlichen Gerichten über die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gestritten wurde, waren die Gerichtsprivilegien im Zweifel dort die Grundlage für eine Entscheidung über die Zuständigkeit. In welchem Ausmaße Gerichtsprivilegien bei den Untergerichten herangezogen worden sind, ist wegen der Vielfalt der Gerichtslandschaft kaum zu klären. Der Rechtsprechung der obersten Gerichte lässt sich aber, wenn auch nur bedingt, entnehmen, dass und auf welche Weise die Gerichtsprivilegien in der Praxis der territorialen und städtischen Gerichte eine Entscheidungsgrundlage gebildet haben.
5 Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte, S. 95.
Zu den verwandten Quellen
Die Auswertung der zugänglichen Quellen zur Höchstgerichtsbarkeit bildet im Hinblick auf die Anwendung der Gerichtsprivilegien einen Schwerpunkt dieser Arbeit. Für eine Untersuchung der Rechtsprechung des königlichen Hofgerichts stehen die von Bernhard Diestelkamp herausgegebenen 17 Bände umfassenden Urkundenregesten zur Tätigkeit des Deutschen Königs- und Hofgerichts bis 14511 und der von Hans Wohlgemuth herausgegebene Band über das Urkundenwesen des Deutschen Reichshofgerichts 1273–1378 zur Verfügung.2 Wichtige Erkenntnisse über Art und Umfang der Gerichtsprivilegien und auf die Verleihungspraxis durch Könige und Kaiser ermöglicht die Edition der Gerichtsstandsprivilegien von Friedrich Battenberg.3 Die Auswertung der Rechtsprechung des königlichen Kammergerichts kann sich u. a. auf die Regesta Imperii: Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493) stützen.4 Aufschlüsse über die Rechtsprechung dieses Gerichts geben auch die von Battenberg und Diestelkamp edierten Protokolle- und Urteilsbücher des königlichen Kammergerichts aus den Jahren 1465 bis 1480.5 Für die Analyse der Verfahren vor dem Reichskammergericht, in denen Gerichtsprivilegien eine Rolle gespielt haben, wurden in erster Linie Findbücher zu den Akten des Reichskammergerichts in vielen Archiven herangezogen. Auch die von Annette Baumann edierten Relationen und Voten des Reichskammergerichts vom 16. bis 18. Jahrhundert6 und das von Steffen Wunderlich herausgegebene Protokollbuch des Mathias Alber7 geben wichtige Aufschlüsse. Die Datenbank Höchstgerichtsbarkeit8 vermag auf die Frage, ob und gegebenenfalls welche Ge-
1 QFHG, Sonderreihe, Bd. 1 bis 17, 1988 ff. 2 QFHG, Bd. 1, 1973. 3 Battenberg, Friedrich, Die Gerichtsstandsprivilegien der deutschen Kaiser und Könige bis zum Jahre 1451. QFHG, Bd. 12/1 u. Bd. 12/2, 1983. 4 Regesta Imperii: Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440-1493) nach Archiven und Bibliotheken geordnet und herausgegeben von Heinrich Koller, Paul-Joachim Heinig und Alois Niederstätter. Heft 1 – 35, 1982 ff. Digital: Permalink: http://opac.regesta.imperii.de/id/102570. 5 Battenberg/Diestelkamp (Hrsg.), Die Protokoll- und Urteilsbücher des Königlichen Kammergerichts aus den Jahren 1465 bis 1480. Mit Vaganten und Ergänzungen. QFHG, Bd. 44, 3 Bände, 2004. 6 Baumann, Annette (Hrsg.), Gedruckte Relationen und Voten des Reichskammergerichts vom 16. bis 18. Jahrhundert. Ein Findbuch. QFHG, Bd. 48, 2004. 7 Wunderlich, Steffen (Hrsg.), Das Protokollbuch von Mathias Alber. Zur Praxis des Reichskammergerichts in frühen 16. Jahrhundert. QFHG, Bd. 58/1 und 58/2, 2011. 8 https://gams.uni-graz.at/context:hgbk
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Zu den verwandten Quellen
richtsprivilegien in Prozessen beim Reichskammergericht verwandt worden sind, nur bedingt Auskünfte zu geben. Sie zeigt bei der Eingabe „Reichskammergericht“ als „Höchstgericht“ und „Gerichtsverfahren/Prozess # Recht/Gericht # Gerichtsbarkeit # Gerichtsstandsprivilegien“ 999 Verfahren an. Jeder ausgewiesene Prozess ist unter der Rubrik „Inhalt“ mit anderen Suchbegriffen wie z. B. „Zuständigkeit“, „Appellationssumme“, „Privileg/Verletzung“, „Rechtsverzögerung“, „Kaufpreis“, „Erbschaft“, „Geistliche/weltliche Gerichtsbarkeit“ etc. verknüpft, aus denen man in der Regel darauf schließen kann, worum es in dem konkreten Verfahren im Wesentlichen gegangen sein könnte. Um welche Art Gerichtsprivileg es sich bei dem gerade angewandten handelte, etwa Gerichtsstandsprivileg oder Appellationsprivileg, ist nur in Einzelfällen zu erfahren. Der Zugang zur Rechtsprechung des Reichshofrats ist nun durch die unter Leitung von Wolfgang Sellert edierten Akten des Reichshofrats eröffnet.9 Was die Regierungs- und Verwaltungstätigkeit des Reichshofrats angeht, konnte neben dieser Edition auf ungedruckte Quellen im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen und in anderen Archiven zurückgegriffen werden. Ranieri10 hat darauf hingewiesen, dass bei Aktenregesten stets die Frage zu stellen ist, wie zuverlässig Regesten als Grundlage für eine historische Untersuchung überhaupt sein können, denn ein Regest verkürzt naturgemäß Informationen. Die Frage nach der Aussagefähigkeit dieser Art Quellen ist nicht generell zu beantworten. Es ist auf den Untersuchungsgegenstand abzustellen. Auch wenn Regesten keinen Ersatz für Originalakten bieten können, so vermögen sie doch auf ganz konkrete Fragen mehr oder weniger präzise Antworten zu geben.11 Die Qualität der Regesten, d. h. die sachkundige Aufarbeitung der Prozessakten, ist entscheidend dafür, auf welche Fragestellung sie eine Antwort geben können. Für den mit dieser Untersuchung verfolgten Zweck sind die Informationen über die Prozesse vor dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat, die aus den Regesten zu erhalten sind, überwiegend ausreichend. Denn in erster Linie sollte erforscht werden, ob und gegebenenfalls, welche Gerichtsprivilegien in den Verfahren vor den höchsten Reichsgerichten mit welchem Erfolg verwandt worden sind; dabei spielte auch die Quantität eine Rolle. Die Parteien des Streits (Prozessgegner) sind genannt. Das kann z. B. für die Frage, ob ein geistliches oder weltliches Gericht zuständig war, ausschlaggebend sein. Wenn es um die Abgrenzung zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit (privilegium fori) geht, 9 Wolfgang Sellert (Hrsg.), Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats. Herausgegeben von Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Österreichisches Staatsarchiv. Serie I: Alte Prager Akten. Bd. 1 bis 5, 2009 ff.; Serie II: Antiqua, Bd. 1 bis 6, 2010 ff. 10 Ranieri, Recht und Gesellschaft. QFHG, Bd. 17/1, S. 71 ff. 11 Ebenda, S. 72.
Zu den verwandten Quellen
kommt es auch auf die Streitgegenstände an. Diese sind erkennbar. Bei der Frage danach, wer besonders häufig Gerichtsprivilegien verletzt hat, konnten die verletzenden Gerichte festgestellt werden. Die rechtlichen Grundlagen, auf welche sich die Gerichte bei der Entscheidung über die Zuständigkeit gestützt haben – Privileg oder reichsgesetzliche Vorschrift – sind in der Regel erkennbar. Wenn es um die Anwendung eines privilegium de non appellando limitata ging, ist die Appellationssumme angegeben. Falls Spezialmaterien, wie z. B. Handels- und Bausachen, den Streitgegenstand gebildet haben, ist das ausgewiesen. Auch die Vorgerichte, Instanzenzüge, etc. sind in den meisten Regesten angegeben. Die Verfahrensart ist nicht durchgängig erkennbar; sie ist aber auch nicht Gegenstand der Untersuchung. Angesichts der Vielzahl der Findbücher zur Rechtsprechung des Reichskammergerichts musste eine repräsentative Auswahl getroffen werden. Dabei war auf ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Norden, dem Süden, dem Westen, dem Osten und der Mitte des Reiches zu achten. Auch das Verhältnis zwischen katholischen und protestantischen Territorien und Städten war zu berücksichtigen. Ranieri12 hat bei seinen Untersuchungen festgestellt, dass die Informationsbreite und die Informationsgenauigkeit der von ihm herangezogenen Regesten von Prozessakten des Reichskammergerichts sehr unterschiedliche Qualitäten aufweisen. Dieser Eindruck hat sich bestätigt. Als eines der besonders positiven Beispiele seien die drei Bände Regesten der Akten des Reichskammergerichts genannt, die das Stadtarchiv Köln herausgegeben hat.13 Die Verfahren sind sachkundig bearbeitet; der Prozessverlauf und die Inhalte sind nachvollziehbar dargestellt.
12 Ebenda, S. 72 f. 13 Als Beispiel: Band 1: Reichskammergericht Köln, Band 1. Nr. 1 – 600 (A –F). Bearbeitet von M. Kordes, Mitteilungen des Stadtarchivs von Köln. Herausgegeben von E. Kleinertz, Heft 81, 1998.
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A
Gerichtsprivilegien und Gerichtsverfassung im Mittelalter
§ 1 Die Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Reich I.
Gerichtsprivilegien als Rechtsquelle
Die Gerichtsverfassung des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation wurde im Mittelalter und der darauffolgenden Zeit zu einem nicht unerheblichen Teil durch Privilegien gestaltet, die u. a. die Zuständigkeit von Gerichten in den sich herausbildenden Territorien und Städten regelten. Sie legten zudem die Grenzen zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit fest. Seit dem ausgehenden Mittelalter bestimmten sie auch den Zugang zu den Appellationsinstanzen des Reiches mit. Wenn Gerichte über Anwendung, Wirkung und Gültigkeit von Gerichtsprivilegien zu befinden hatten, entschieden sie in der Regel über die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Die Rechtsquelle für die Entscheidungen war im Zweifel ein Gerichtsprivileg. Die Gerichtsprivilegien sind nur eine Gattung der vielen Privilegien, die der König im Mittelalter und in der Neuzeit an Landesherren, Städte und andere verlieh. Sie gewährten dem Begünstigten Sonderberechtigungen oder Befreiungen, die von den allgemeinen Rechtsregeln abwichen. Königliche bzw. kaiserliche Privilegien waren Rechtsquellen. Das Rechtsinstitut Privileg (privilegium) entstand in der Spätantike und ist eng mit der Entstehung des päpstlichen Privilegienwesens verbunden.1 Das privilegium entwickelte sich im Laufe des 6. Jahrhunderts aus der Dekretale als einem neuen sich verselbständigenden Typ von Papstschreiben.2 Es wurde bis zum Ende des Reiches im Jahre 1806 und auch noch in der Zeit danach verwandt und als „ein begünstigender Herrschaftsakt für einen Einzelempfänger“ bezeichnet.3 Mit einem mittelalterlichen Privileg wurde dem Begünstigten eine Berechtigung verliehen: entweder wurde der Empfänger in die Lage versetzt, vom Privilegiengeber oder
1 Zu den Begriffen Privileg und ius singulare siehe Duve, Sonderrecht, S. 20 ff. 2 Potz, Zur kanonistischen Privilegientheorie. In: Dölemeyer /Mohnhaupt, Das Privileg, Bd. 1, S. 15 ff. 3 Dazu Hecker, HRG IV (2), Sp. 816. Zur Entwicklung des Privilegienwesens im Alten Reich siehe Mohnhaupt, Die Unendlichkeit des Privilegienwesens. In: Dölemeyer /Mohnhaupt, Das Privileg, Bd. 1, S. 1 ff.; derselbe, Erteilung und Widerruf von Privilegien. In: Dölemeyer/Mohnhaupt, Das Privileg, Bd. 1, S. 93 ff.
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Gerichtsprivilegien und Gerichtsverfassung im Mittelalter
einem Dritten ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen zu fordern oder er war zu einer definierten Verweigerung berechtigt.4 Wenn hier von Gerichtsprivilegien die Rede ist, so wird damit ein moderner Begriff verwandt, den die rechtshistorische Forschung geschaffen hat, um Abgrenzungen zu anderen Privilegienformationen treffen zu können. Mit Gerichtsprivilegien sind in Anlehnung an Weitzel5 solche Privilegien gemeint, die urkundlich verbriefte Freiheiten enthalten, welche die Existenz, Zuständigkeit und konkrete Tätigkeitsformen von Gerichten, sowie die Verbindlichkeit gerichtlicher Entscheidungen und Anordnungen regeln. Sie „verteilen, begründen, sichern oder bestätigen zumeist Herrschaftskompetenz“.6 Die Gerichtsprivilegien wurden in der Regel in der Form eines königlichen/ kaiserlichen Diploms erteilt. Sie verliehen dem Begünstigten eine subjektive Sonderberechtigung mit Schutzgarantie; sie enthielten darüber hinaus ein an Dritte gerichtetes Störungsverbot.7 Die Funktion von Gerichtsprivilegien bestand u. a. darin, ein System von Zuständigkeiten zu schaffen.8 Gerichtsprivilegien sind überwiegend negativ begünstigend, indem sie den Empfänger davon befreien, etwas tun oder dulden zu müssen. Als Beispiel seien die privilegia de non evocando genannt: Sie befreiten die Begünstigten vom ius evocandi des Königs als oberster Gerichtsherr des Reiches; die Privilegierten mussten nicht dulden, dass der König einen Prozess, der vor einem ihrer Gerichte geführt wurde, an sich zog. Nur selten enthielten Gerichtsprivilegien positive Begünstigungen, indem sie dem Empfänger einräumten, etwas tun zu dürfen, wie z. B. eine bestimmte Art der königlichen Gerichtsbarkeit in Anspruch zu nehmen.9 Adressaten der Gerichtsprivilegien waren vornehmlich fürstliche Gerichtsherren und Städte. Bei Letzteren wandten sich die die Privilegien an die Organe der Stadt, Bürgermeister und Rat. Einbezogen in die Begünstigungen waren jeweils die Untertanen und Bürger. Auch Universitäten wurden Gerichtsstandsprivilegien verliehen, die sie allein der akademischen Gerichtsbarkeit unterstellten. So hat z. B. Friedrich III. 1486 der Universität Greifswald ein Gerichtsstandsprivileg verliehen, welches die Studierenden von der Rechtsprechung durch ordentliche Richter befreite.10 Ein ähnliches Privileg gewährte Kaiser Matthias 1615 der Universität Paderborn.11
4 Hecker, HRG IV (2), Sp. 816. 5 Funktion und Gestalt der Gerichtsprivilegien. In: Dölemeyer/Mohnhaupt, Das Privileg, Bd. 2, S. 191 ff. 6 So Weitzel, Funktion und Gestalt. In: Dölemeyer/Mohnhaupt, Das Privileg, Bd. 1, S. 198. 7 Ebenda, S. 197. 8 Ebenda, S. 199. 9 Weitzel, Funktion und Gestalt. In: Dölemeyer/Mohnhaupt, Das Privileg, Bd. 1, S. 197 10 Urk. von 1486 (ohne genaue Angaben). RI XIII, H. 20, n.87. 11 Angaben bei RHR-Akten, Serie II, Bd. 6, Nr. 20 (1696) mit Nachw.
Die Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Reich
Unter den Begriff der Gerichtsprivilegien fallen jedenfalls die Gerichtsstandsprivilegien (Befreiung von fremder Gerichtsbarkeit) in ihren vielfältigen Erscheinungsformen12 , die Exemtionsprivilegien, die privilegia de non evocando, die privilegia fori, die privilegia electionis fori und die privilegia de non appellando, aber auch die privilegia de non arrestando, die Austrägalprivilegien und einige andere weniger bedeutende. Im Hinblick auf die Jurisdiktionsgewalt über personae miserabiles – u. a. Witwen und Waisen, schwer Kranke etc. – spricht Duve von privilegia personarum miserabilium.13 Es handelt sich dabei allerdings nicht um Gerichtsprivilegien im hier verstandenen Sinne, denn der besondere Gerichtsstand der personae miserabiles, in erster Linie der der geistlichen Gerichte, wurde nicht aus einem von König/Kaiser verliehenen Privileg, sondern aus kirchlichem Recht abgeleitet. Duve benutzt denn auch zutreffender überwiegend den Begriff Sonderrecht. Die vor Gericht ausgetragenen Streitigkeiten, in denen es um die Gültigkeit und die Wirkungen von Gerichtsprivilegien ging, gehören zu den Jurisdiktionskonflikten. Das sind vor allem solche Auseinandersetzungen, in denen über die Ausübung von Gerichtsbarkeit, insbesondere über die Zuständigkeit von Gerichten gestritten wurde und in denen die Gerichtsprivilegien die – oft einzige - Rechtsquelle für die Entscheidung des Gerichts bildeten. Streitigkeiten dieser Art, die vor allem vor den obersten Gerichten des Reiches geführt worden sind, wurden häufig ausgetragen. Für das 16. Jahrhundert hat Ranieri14 nachgewiesen, dass 15% aller vor dem Reichskammergericht geführten Prozesse Jurisdiktionsrechte zum Gegenstand hatten. Die folgenden Untersuchungen beziehen nur solche Jurisdiktionsstreitigkeiten ein, in denen Gerichtsprivilegien im oben definierten Sinne eine Rolle gespielt haben. II.
Der König als oberster Gerichtsherr im Reich
Nur der Kaiser bzw. König konnte Gerichtsprivilegien erteilen, die im gesamten Reich zu befolgen waren. Er konnte auch Privilegien bestätigen, erweitern und notfalls auch, bei Vorliegen bestimmter Gründe, widerrufen. Nur der König/Kaiser konnte die in den Gerichtsprivilegien erteilten Rechte garantieren und durchsetzen. Alles dies leitete er aus seiner „kaiserlichen Machtvollkommenheit“ ab, eine Formulierung, die in den meisten Privilegienurkunden benutzt wird. In der Literatur war streitig, ob der König/Kaiser oberster Richter im Reich war und daraus seine Befugnis zur Privilegienerteilung ableitete, oder ob er als 12 Dazu Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien. QFHG, Bd. 12/I, S. 11 ff. und unten A § 2 VI 3. 13 Duve, Sonderrecht, im Untertitel und 145 ff. Auf S. 95 ff. spricht Duve ausdrücklich von dem privilegium personae miserabilis als „Gerichtsstandsprivileg im ius civile“. 14 Ranieri, Recht und Gesellschaft. QFHG, 17/1, S. 244.
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oberster Gerichtsherr des Reiches kraft seiner Gerichtsgewalt das Recht hatte, Gerichtsprivilegien zu verleihen, zu erweitern und zu widerrufen. Nach lange Zeit herrschender Meinung15 nahm der König die Stellung des obersten Richters im Alten Reich ein. Conrad spricht ausdrücklich vom König als dem „obersten Richter im Reich“;16 an anderer Stelle17 findet sich mit Bezug auf die mittelalterliche Gerichtsverfassung die Formulierung „Inhaber der Gerichtshoheit war der König“. Oestmann18 spricht von „der Lehre vom König als oberster Richter“ im Reich. Er will dieselbe aus den Gesetzen von Roncaglia von 1158 ableiten, in denen von der omnis iurisdictio, von aller Gerichtsgewalt, die Rede ist, die dem Herrscher, also dem König, zustehe.19 Mit diesen Gesetzen hatte Friedrich I. Barbarossa versucht, die an die aufsteigenden Stadtgewalten in Oberitalien verlorengegangenen königlichen Rechte (iura regalia) wiederherzustellen und damit eine straffe königliche Regierungsgewalt aufzurichten. Mit Hilfe römisch-rechtlich vorgebildeter Juristen aus Bologna ließ Friedrich I. zu diesem Zwecke einen Katalog von königlichen Rechten aufstellen, der zum Inhalt der vom Reichstag von Roncaglia 1158 beschlossenen Gesetze wurde. In diesen roncalischen Gesetzen ist im zweiten Gesetz die omnis iurisdictio geregelt, wonach der Herrscher „alle Gerichtsgewalt“ hat und alle Richter den Gerichtsbann vom König erhalten. Oestmann20 sieht auch das ius evocandi als Indiz für die oberstrichterliche Stellung des Königs an.21 Dass dem König dieses Recht zustand, ist unstreitig. Das zeigen schon die den Fürsten des Reichs verliehenen privilegia den non evocando, welche die Begünstigten von der Möglichkeit befreiten, dass der König von seinem Evokationsrecht Gebrauch machen und Prozesse an sich ziehen konnte.22 Die Goldene Bulle von 1356 enthält für die sieben darin genannten Kurfürsten in Kap. VIII und XI privilegia de non evocando. Die in den Privilegien verbrieften Rechte wurden jedenfalls den drei
15 Conrad, Bd. I, S. 374 u. 378; Planitz-Eckhardt, S. 178; Mitteis-Lieberich, Kap. 28 II. 1.; Oestmann. ZRG Germ. Abt. 127, 2010, S. 51 ff.; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 477; ; derselbe, HRG II(2), Sp. 1462; siehe auch Tomaschek, Die höchste Gerichtsbarkeit, S. 7 ff.; Amend-Traut, Reichsverband als Rechtsverband. Der Staat. Beiheft 27, S. 210. 16 Bd. I, S. 378; so auch Rödel, Königliche Gerichtsbarkeit. QFHG, Bd. 5, S. 13 ff. mit Hinw. 17 Conrad, Bd. I, S. 374. 18 Rechtsverweigerung. ZRG Germ. Abt. 127, 2010, S. 51 ff. 19 1158 November Roncaglia, Regesta Imperii IV 2, 2 n. 617. Der lateinische Text lautet: omnis iurisdictio et omnis districtus apud principem est et omnes iudices a principe administrationem accipere debent et iusiurandum praestare, quale a lege constitutum est. 20 Rechtsverweigerung. ZRG Germ. Abt. 127, 2010, S. 51 ff. 21 So wohl auch Conrad, Bd. I, S. 378, der das ius evocandi zusammen mit der Stellung des Königs als oberster Gerichtsherr behandelt. 22 Kritisch äußert sich Diestelkamp (Der deutsche König als oberster Richter. ZRG Germ. Abt. 139, 2019, S. 97) zu dem „von der Forschung behaupteten Evokationsrecht“.
Die Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Reich
geistlichen Kurfürsten und dem König von Böhmen nicht erst 1356 verliehen; sie standen ihnen schon vorher zu und wurden durch die Goldene Bulle lediglich bestätigt und verfestigt.23 Das ius evocandi kann jedenfalls als ein Anhaltspunkt für die Stellung des Königs als oberster Richter angesehen werden. Manche Autoren24 wollen die Stellung des Königs als oberster Richter u. a. aus Stellen im Sachsenspiegel25 ableiten.26 Dafür scheint die Formulierung in Landrecht III § 26 I zu sprechen, wo es heißt: „Der König ist gemeiner Richter überall.“ Aus den anderen Stellen im Sachsenspiegel27 ergibt sich lediglich, dass dem König an allen Orten, an denen er sich aufhielt, wie z. B. in den Pfalzen und in den Bischofs- und Reichstädten, das Gericht ihm zufiel. Der König konnte die Jurisdiktion selbst oder durch den Hofrichter ausüben lassen.28 Dass der König dies tun konnte, setzte eine umfassende Gerichtsgewalt voraus.29 Die zitierten Sachsenspiegeltexte deuten auf die beim König liegende oberste Gerichtsgewalt hin, nicht aber auf eine Funktion des Königs als oberster Richter. Diestelkamp30 weist darauf hin, dass keine mittelalterliche Urkunde als Quelle der Rechtspraxis den deutschen König expressis verbis als obersten Richter bezeichnen. Er betont, keine normative oder theoretische Quelle des Hochmittelalters lasse erkennen, dass der König als oberster Richter im Reich den Gerichten Weisungen erteilen oder ihre Verfahren oder Urteile korrigieren konnte.31 Dabei geht es Diestelkamp in erster Linie nicht um die Stellung des Königs als Inhaber der höchsten Gerichtsgewalt im Reich, sondern er fragt, ob der König in einer Position als oberster Richter im Reich eine Kontrollinstanz über andere Richter war. Seiner Meinung nach32 spricht der Text der roncalischen Gesetze nicht von der Funktion des Königs als oberstem Richter, der als solcher das Handeln, d. h. die Urteile, unterer Richter korrigieren konnte. Er meint, es sei lediglich die Rede davon, dass sich die Gerichtsgewalt der anderen Richter vom König ableite. Nach Diestelkamp33 konnte der König die Position als oberster Richter im Reich also nur innegehabt haben, wenn er die anderen Richter und Gerichte – als eine
23 Dazu Eisenhardt, Die Rechtswirkungen. ZRG Germ Abt. 86, 1969, S. 75 f. 24 Conrad, Bd. I, S. 378. Siehe auch Baumbach, Königliche Gerichtsbarkeit. QFHG, Bd. 68, S. 33 ff. mit Nachw. 25 Landrecht III 33 § 1. Text: Eckhardt (Hrsg.) Sachsenspiegel I, Landrecht, S. 214 f.; Landrecht III 60 § 2 und 3. Text: Eckhardt (Hrsg.) Sachsenspiegel I, Landrecht, S. 245 f. 26 Darauf weist Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 17 ff. hin. 27 Landrecht III 60 § 2 und 3. Text: Eckhardt (Hrsg.) Sachsenspiegel I, Landrecht, S. 245 f. 28 Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 17 ff.; Conrad, Bd. I, S. 378. 29 Conrad, Bd. I, S. 378. 30 Der deutsche König als oberster Richter. ZRG Germ Abt. 139,2019, S. 95. 31 Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 17 ff. 32 Ebenda, S. 17. 33 Ebenda, S. 18.
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Gerichtsprivilegien und Gerichtsverfassung im Mittelalter
übergeordnete Instanz – kontrollieren konnte. Er hat deshalb untersucht, ob die Rechtspraxis des Mittelalters dem König eine solche Funktion zugestanden hat, und dabei festgestellt, dass erst die allmähliche Umorganisation der oberen Gerichte in den Territorien von einstufigen Gerichten zur Spitze von hierarchischen Instanzenzügen dazu geführt hat, dass die unteren Gerichte der Jurisdiktionsgewalt und damit der Kontrolle der Obergerichte mit dem Gericht des Königs an der Spitze unterworfen worden sind.34 Er gelangt schließlich für das 15. Jahrhundert zu dem Ergebnis, dass mit der Entstehung von mit Juristen besetzten Gerichten und der damit verbundenen hierarchischen Ordnung dem deutschen König Funktionen zugewachsen seien, die er bis dahin nicht besessen hatte. Denn er erlangte gegenüber den Reichsständen die Kompetenz, als Appellationsrichter in deren sich verfestigende Gerichtsorganisation einzugreifen.35 Die Könige konnten die wachsende Zahl der Appellationen dazu benutzen, um ihre Stellung als oberster Richter im Reich zu begründen und zu festigen.36 Verbindet man also die Stellung des Königs/Kaisers mit der Kontrollfunktion im hier verstandenen Sinne, kann vom Reichsoberhaupt als oberstem Richter im Reich erst die Rede sein, nachdem sich im ausgehenden Mittelalter Instanzenzüge herausgebildet hatten. Dieser Befund wird dadurch bestätigt, dass die Könige/Kaiser seit dem 14. Jahrhundert sich selbst als obersten Richter bezeichnet haben oder sich in Urkunden so haben benennen lassen.37 Diestelkamp38 hat die ausdrückliche Benennung des Königs als oberster Richter und seines Gerichts als oberstes Gericht in vielen Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts nachgewiesen. Für die Selbstbezeichnungen finden sich Formulierungen wie z. B. vor uns als ihrem Kaiser und obersten Richter und Herrn in weltlichen Sachen39 , als ein oberster und ordentlicher Richter 40 und vor dem König als vor dem obersten Gericht.41 Friedrich III bezeichnete sich als rechten Herrn und obersten Richter 42 oder als irem obersten Richter, natürlichen Herrn und Richter.43 Das königliche Kammergericht nannte Friedrich III. einen romischen kunig und obristen Richter.44 An anderen Stellen fehlt der Bezug zur Person des
34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 147 f. Diestelkamp, Der deutsche König als oberster Richter. ZRG Germ. Abt. 139, 2019, S. 128. Ebenda, S. 148. Dazu Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 148 mit Nachw. Der deutsche König als oberster Richter. ZRG Germ. Abt. 139, 2019, S. 99 ff. Urk. von 1358 Februar 19. URH, Bd. 7, Nr. 329. Urk. von 1364 Dezember 23. URH, Bd. 8, Nr. 459. Urk. von 1381 April 22. Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien Nr. 898. Urk. von 1447 Mai 8. RI XIII, H. 1, n. 28. Urk. von 1466 August 16. RI XIII, H. 17, n. 183. Urk. von 1447 Oktober 23. RI XIII, H. 17, n. 181.
Die Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Reich
Königs.45 Es ist dann die Rede etwa vom obersten Gericht 46 , vom Reichshofgericht als dem obersten Gericht aller weltlichen Sachen47 oder vom königlichen Gericht als das oberste Gericht 48 . Aus alledem ergibt sich, dass der König/Kaiser, vor der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zwar nicht der oberste Richter im Reich gewesen sein mag; jedenfalls war er aber der Inhaber der höchsten Gerichtsgewalt im Reich und damit der oberste Gerichtsherr im Reich. Ab wann er mit seinen Gerichten die Spitze eines Instanzenzuges im Reich gebildet hat, und damit auch der oberste Richter geworden ist, kann dahin gestellt bleiben, denn hier geht es nur darum, woraus der König/Kaiser die Befugnis ableiten konnte, Gerichtsprivilegien zu vergeben. Seine Stellung als oberster Gerichtsherr ergab sich auch daraus, dass durch Verleihung des Gerichtsbanns alle Gerichtsgewalt von ihm ausging. Das wird u. a. durch die roncalischen Gesetze und das Landrecht des Sachsenspiegels bestätigt. Untermauert wird diese Position durch das ihm zustehende ius evocandi. Die Stellung des Königs als oberster Gerichtsherr im Reich kommt eindrucksvoll auch dadurch zum Ausdruck, dass sich jeder Reichsstand und alle Untertanen derselben mit der Behauptung, ihnen sei das Recht verweigert worden, an den König bzw. seine Gerichte wenden konnten. Dieses Recht hatte sich schon vor der 1356 erlassenen Goldenen Bulle entwickelt und wurde in derselben bestätigt.49 Die Stellung als oberster Gerichtsherr im Reich verlieh dem König/Kaiser das Recht, den Reichsständen und Städten Gerichtsprivilegien zu erteilen, zu denen u. a. die Exemtionsprivilegien, die privilegia de non evocando, die Privilegien, die von fremder Gerichtsbarkeit befreiten (Gerichsstandsprivilegien), die privilegia fori und electionis fori und später die privilegia de non appellando gehörten. Damit hatte er ein wirksames Mittel in der Hand, mit dem er die Gerichtsverfassung im Reich gestalten konnte.
45 Diestelkamp (Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 149) spricht in diesem Zusammenhang von „Fremdzuschreibungen“. 46 Urk. von 1356 Januar 26. URH, Bd. 7, Nr. 126. 47 Urk. von 1366 Mai 12. Battenberg, Nr. 735; zur Bezeichnung Reichshofgericht siehe auch Rödel, Königliche Gerichtsbarkeit. QFHG, Bd. 5, S. 19 ff. 48 Urk. 1419 April 17. Battenberg, Nr. 1243 a. 49 Siehe dazu Oestmann, Rechtsverweigerung. ZRG Germ. Abt. 127, 2010, S. 51 ff.; Perels, Die Justizverweigerung. ZRG Germ Abt. 25, 1904, S. 1 ff; Eisenhardt, Die Bedeutung der kaiserlichen privilegia de non appellando. QFHG, Bd. 7, S. 25 ff.
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Gerichtsprivilegien und Gerichtsverfassung im Mittelalter
III.
Die Gerichtsverfassung des Reiches
1.
Überblick
Die Gerichtsverfassung des mittelalterlichen Reiches, die durch die Gerichtsprivilegien wesentlich mitgestaltet worden ist, bietet aus heutiger Sicht ein kompliziertes Bild, was auch darauf zurückzuführen ist, dass sie einem steten Wandel unterworfen war. Zunächst beruhte die Gerichtsverfassung noch auf karolingischen Grundlagen. Der König blieb oberster Gerichtsherr im gesamten Reich. Die Übertragung des Gerichtsbannes vom König auf den Richter (Bannleihe) verschwand fast ganz und behauptete sich nur noch vereinzelt. Seit den Staufern trat an die Stelle der Bannleihe die lehnsrechtlich an das Königtum gebundene landesherrliche Hochgerichtsbarkeit.50 Die aufsteigenden Territorialgewalten konnten dem Reich zunächst die Niedergerichte entziehen, die für mindergewichtige Rechtsfälle, wie Klagen um Schuld, Fahrnis und leichtere Straffälle, zuständig waren. Danach ging auch die Hochgerichtsbarkeit, das Recht, über wichtige Zivil- und Straffälle, häufig auch über Leben und Tod (Blutgerichtsbarkeit) zu richten, durch Verlehnung auf sie über.51 Im Zuge einer fortschreitenden Rechtszersplitterung bildeten sich in den Territorien und Städten zunehmend Sondergerichte, wie z. B. Mark- und Dorfgerichte, sowie Berggerichte. Es handelte sich dabei um nichtstaatliche Gerichte auf genossenschaftlicher oder ständischer Grundlage. Nichtstaatliche Gerichte waren auch die Lehngerichte und die grundherrlichen Hofgerichte.52 In den geistlichen Territorien urteilten immer häufiger auch kirchliche Gerichte in weltlichen Rechtsangelegenheiten. 2.
Die königliche Gerichtsbarkeit – Vom königlichen Hofgericht zum Reichshofgericht
Das königliche Hofgericht, seit 1235 in den Quellen auch als Reichshofgericht bezeichnet, und das königliche Kammergericht waren in vielen Verfahren mit den Gerichtsprivilegien befasst. Funktion und Bedeutung der Königsgerichtsbarkeit in der sich ständig wandelnden Gerichtsverfassung des Alten Reiches bestimmten die Wirkung der Gerichtsprivilegien.
50 Baumbach, Königliche Gerichtsbarkeit. QFHG, Bd. 68, S. 36. 51 Lück, HRG II (2), Sp. 1055 f., weist darauf hin, dass spätestens seit dem statutum in favorem principum (1212/13) die Hochgerichtsbarkeit der Landesherren reichsrechtlich anerkannt war. 52 Conrad, Bd. II, S. 382.
Die Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Reich
Die Geschichte der königlichen Gerichtsbarkeit ist eng verbunden mit dem fränkisch-deutschen Königtum.53 Unter königlicher Gerichtsbarkeit ist die Rechtsprechung der fränkischen, später der mittelalterlichen Könige zu verstehen. Man kann auch vom „Königsgericht“ sprechen,54 in dem der König den Vorsitz innehatte. Das königliche Hofgericht war eng an das persönliche und politische Geschick des Königs gebunden.55 Diese Bindung des Hofgerichts an die Person des Königs führte zwangsläufig dazu, dass es keinen festen Gerichtsort gab, sondern der jeweilige Aufenthaltsort des Königs die Gerichtsstätte war.56 Der König konnte kraft seiner Jurisdiktionsgewalt allein entscheiden; er konnte seine Gerichtsgewalt aber auch dinggenossenschaftlich ausüben.57 Unter letzterer ist mit Weitzel58 in Anlehnung an die Terminologie Max Webers eine Gerichtsorganisation zu verstehen, bei der der Richter lediglich die Aufgabe hatte, die Verhandlungen nach formalisierten Regeln zu leiten. Das Urteil fällte nicht der König. Eine Entscheidung wurde vielmehr in der Versammlung der am Hofe anwesenden Adeligen gefunden. Diese Urteilsfinder entschieden in der Regel im Konsens nach tradiertem Rechtswissen oder nach Rechtserfahrung.59 Das dinggenossenschaftliche Verfahren wird als ein Charakteristikum der spätmittelalterlichen höchsten Reichsgerichtsbarkeit angesehen.60 Da die Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung noch unbekannt war, wird bei einem Blick auf die Quellen, nicht immer deutlich, ob es sich um eine richterliche Tätigkeit des Königs oder eine administrative handelte.61 Wenn ein Gerichtsprivileg die Ursache des königlichen Handelns war, trat der Unterschied allerdings zu Tage. Stützte sich in einem Rechtsstreit eine Partei auf ein Privileg, so wollte sie damit in der Regel die Zuständigkeit des Gerichts begründen oder in Frage stellen. Die Entscheidung eines solchen Zuständigkeitsstreits war ein richterlicher Akt. Hatte ein Reichsstand den Antrag auf Erteilung oder Bestätigung eines Gerichtsprivilegs gestellt, so waren sowohl die Erteilung oder Bestätigung des Privilegs als auch die Ablehnung des Antrags rein administrative Akte.
53 Wohlgemuth, Das Urkundenwesen. QFHG, Bd.1, S. 12 ff.; Weitzel, Dinggenossenschaft. QFHG, Bd. 15/1, S. 214 ff. 54 Weitzel, HRG III (2), S. 91. 55 Franklin, Reichshofgericht, S. 4 f.; Rödel, Königliche Gerichtsbarkeit. QFHG, Bd. 5, S. 20 f. 56 Rödel, Königliche Gerichtsbarkeit. QFHG, Bd. 5, S. 19 ff. 57 Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 18. Zur Entscheidungsfindung in den Dinggerichten siehe Teuscher, Annäherungen. QFHG, Bd. 75, S. 127 ff. 58 Dinggenossenschaft. QFHG, Bd, 15/1, S. 56 ff. 59 Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 18 f. 60 Weitzel, Die Bedeutung der Dinggenossenschaft. In: De Schepper (Hrsg), Höchste Gerichtsbarkeit, S. 71 ff. 61 Diestelkamp, Einleitung. In: URH, Bd. 1, S. XXI.
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Gerichtsprivilegien und Gerichtsverfassung im Mittelalter
Mag auch lange Zeit eine feste Organisation der königlichen Gerichtsbarkeit gefehlt haben, so änderte sich das 1235. Mit dem Mainzer Reichslandfrieden aus diesem Jahr wurde nach dem Vorbild der sizilianischen Gerichtsverfassung das Amt des Hofrichters eingerichtet, der den König im Gericht vertreten sollte. Mit der Schaffung des Hofrichteramtes war die Einrichtung einer eigenen, von der königlichen Kanzlei getrennten, Hofgerichtskanzlei als ein wichtiges Kontinuitätselement verbunden. Zu dieser gehörte das Amt des Hofgerichtsschreibers. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Bezeichnung Reichshofgericht für die königliche Gerichtsbarkeit benutzt.62 Auch der Hofrichter leitete lediglich eine die die Entscheidung findende Gerichtsversammlung, die sich aus den am Hofe anwesenden Personen zusammensetzte.63 Der adelige Hofrichter nahm seit 1235 im Namen des Königs das Richteramt wahr. Er sollte die königliche Gerichtsgewalt regelmäßig und dauerhaft ausüben64 und über die Klagen aller Leute richten, allerdings nicht ausnahmslos. Der König behielt sich die Entscheidung in Verfahren gegen Fürsten und Fürstengleiche vor, wenn deren Person, Ehre, Lehen oder deren Eigentum betroffen waren.65 Seit 1274 wurde es unter Rudolf von Habsburg zur Regel, dass der Hofrichter im königlichen Hofgericht den Vorsitz einnahm.66 Ab wann das königliche Hofgericht sich als oberste Instanz in einem Rechtsmittelzug etablieren konnte, soll an anderer Stelle behandelt werden.67 Jedenfalls eröffneten Rechtsverweigerungs- und Rechtsverzögerungsbeschwerden schon im Verlaufe des 14. Jahrhunderts den Zugang zum Königsgericht.68 Der unmittelbare Einfluss des Königs beschränkte sich im Mittelalter im Wesentlichen auf das 1235 geschaffene königliche Hofgericht, das Hofgericht zu Rottweil, sowie auf einige kaiserliche/königliche Landgerichte in Süddeutschland und die Westfälischen Gerichte (Femegerichte). Kaiserlich bzw. königlich wurden diese Landgerichte genannt, weil sie ihre Legitimation unmittelbar vom Kaiser/König ableiten konnten. Mit der Einrichtung des königlichen Hofgerichts durch den Mainzer Reichslandfrieden im Jahre 1235 wurde die königliche Gerichtshoheit institutionalisiert. Das inzwischen zugängliche Quellenmaterial lässt die Bedeutung des Prozesses der
62 Conrad, Bd. 1, S. 378; Wohlgemuth, Das Urkundenwesen. QFHG, Bd. 1, S. 15 ff. Oestmann, HRG II (2), Sp. 1088. 63 Diestelkamp, HRG II (2), S. 23. 64 Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 22. 65 Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 22 ff. 66 Battenberg, Studien zum Personal des königlichen Hofgerichts. In: FS Diestelkamp, S. 62. 67 Siehe unten A § 3 I 2. 68 Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 42 ff.
Die Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Reich
Verrechtlichung durch Verfahren vor dem königlichen Hofgericht für die Ausgestaltung der Verfassung des Reiches erkennen. U. a. entschied das Gericht in denjenigen Fällen, in denen Fürsten untereinander um Rechte stritten, durch welche die Verfassung des Reiches geprägt war.69 Dabei spielten die Prozesse um Bestand und Durchsetzung von Gerichtsprivilegien eine wichtige Rolle. Der Mainzer Reichslandfrieden von 1235 wird zwar als ein wichtiges Datum für die Verfestigung der Königsgerichtsbarkeit angesehen, einen echten Wendepunkt stellt er jedoch nicht dar, denn die gerichtliche Tätigkeit des römisch deutschen Herrschers hatte schon vor 1235 seit Friedrich Barbarossa deutlich zugenommen.70 Mit Beginn des 15. Jahrhunderts wurde das königliche Kammergericht gegründet. Die Bezeichnung „Kammergericht“ ist durch Urkunden erst ab 1415 nachgewiesen.71 Diestelkamp72 nimmt für die Gründung das Jahr 1400 an. Wenn auch Kammergericht und königliches Hofgericht etliche Jahre nebeneinander bestanden, so nahm die Bedeutung des Hofgerichts bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts doch ständig ab.73 In diesem Zeitabschnitt trat das Kammergericht immer stärker hervor, bis es nach 1450/51 zur alleinigen Institution der Königsgerichtsbarkeit wurde.74 Beachtenswert ist, dass beide Gerichte nach unterschiedlichen Regeln verfuhren. Während das Hofgericht noch nach tradiertem Verfahrensrecht urteilte, wandte das Kammergericht bereits die Regeln des gelehrten Rechts an.75 3.
Die königlichen Hof- und Landgerichte und die Gerichtsprivilegien
a)
Überblick
Neben dem Königsgericht am Königshof hielten sich noch etliche königliche/ kaiserliche Hofgerichte mit beschränkter Jurisdiktionsgewalt in manchen Teilen des Reiches, vorzugsweise in Süddeutschland. Zu ihnen gehörten z. B. das Hofgericht zu Rottweil, welches ein besonderes Ansehen genoss,76 das nürnbergische und das bambergische Landgericht, sowie die Hofgerichte zu Würzburg, in Ulm und auf der Leutkirchener Heide. 69 Diestelkamp, Vom königlichen Hofgericht. In: Dilcher/Diestelkamp (Hrsg.), Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey, S. 48; derselbe, Einleitung. In: URH, Bd.1, S. XII. 70 Diestelkamp, Einleitung. In URH, Bd. 1, S. XXII ff. Dazu Oestmann, Bernhard Diestelkamp und die mittelalterliche Reichsgerichtsbarkeit. In: Amend-Traut (Hrsg.), Ein Leben für die Rechtsgeschichte, S. 60 f. 71 Diestelkamp, HRG II (2), Sp. 1550. 72 Vom einstufigen Gericht. QFHG, Bd. 64, S. 27 mit Quellenangaben. 73 Zu den schwierigen Beziehungen zwischen dem königlichen Hofgericht und der Kammergerichtsbarkeit siehe Baumbach, Königliche Gerichtsbarkeit. QFHG, Bd. 68, S. 285 ff. mit Nachw. 74 Diestelkamp, Zwei Prozesse aus Stettin vor dem Hofgericht. In: FS Eisenhardt, S. 34. 75 Ebenda, S. 34. 76 Tomaschek, Die höchste Gerichtsbarkeit, S. 7, Anm. 2.
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Gerichtsprivilegien und Gerichtsverfassung im Mittelalter
Zu den königlichen/kaiserlichen Gerichten sind schließlich auch die Westfälischen Gerichte (Femegerichte) zu zählen, die aus den unter Königsbann richtenden Freigerichten entstanden sind, die in Westfalen länger als in anderen deutschen Landschaften den bannus regis konservieren konnten und auf das nachkarolingische Grafengericht mit seiner Zuständigkeit bei Gewaltvergehen zurückgeführt werden.77 Das Hofgericht zu Rottweil, die süddeutschen Landgerichte und jedenfalls zeitweise auch die Westfälischen Gerichte, waren in viele Zuständigkeitsstreitigkeiten vor den obersten Reichsgerichten verwickelt, in denen sich Parteien auf Gerichtsprivilegien beriefen. b)
Das Hofgericht zu Rottweil
Aus den zugänglichen Prozessakten des königlichen Hofgerichts, des Kammergerichts, des Reichskammergerichts und des Reichshofrates geht hervor, dass das Rottweiler Gericht besonders häufig Gerichtsstandsprivilegien verletzt hat. Insbesondere beim Reichskammergericht häuften sich die Appellationsprozesse, in denen um die Zuständigkeit des Hofgerichts zu Rottweil gestritten wurde.78 Das waren Missstände, welche die Inhaber der verletzten Privilegien nicht hinzunehmen bereit waren. Die Ursprünge des Hofgerichts zu Rottweil sollen auf die 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts zurückgehen. Als Dank für die ihm in der Auseinandersetzung mit Lothar III. erwiesene Treue soll Konrad III. den Rottweiler Bürgern das Privileg verliehen haben, dass das imperiale iudicium seu curia imperialis iudicii immer in Rottweil bleiben solle.79 Über den eigentlichen Ursprung des Gerichts – ob ehemaliges Herzogsgericht oder Pirschgericht – gibt es keine gesicherten Erkenntnisse.80 Der erste urkundliche Nachweis des Rottweiler Gerichts stammt aus dem Jahre 1299. Albrecht I. verlieh der Stadt Rottweil ein Gerichtsstandsprivileg, in dem das Hofgericht zu Rottweil zum ersten Mal ausdrücklich erwähnt wird.81 In dem Privileg werden die Stadt Rottweil und ihre Bürger von fremden Gerichten außerhalb der Stadt befreit; sie sollten nur vor ihrem Stadtschultheißen und Stadtrichter verklagt werden können. Klagen der Bürger gegen Fremde sollten jedoch vor das Hofgericht gebracht werden (eam coram illo, qui in curia nostra R. iudicio loco nostri pro tempore praesederit, dirigant).82
77 Fricke, Vemegerichtsbarkeit, publiziert am 23.11.2009. In: Historisches Lexikon Bayerns, URL: . 78 Siehe dazu unten B § 2 IV 4. 79 Laufs, HRG IV (1), Sp. 1174. 80 Schillinger, Die Entstehung, S. 9 f. mit Nachw. 81 Urk. von 1299 Januar 19. Battenberg, Nr. 184. 82 Ebenda.
Die Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Reich
Das Hauptbetätigungsfeld des Hofgerichts zu Rottweil soll zunächst auf Materien beschränkt gewesen sein, die heute zur freiwilligen Gerichtsbarkeit gehören. Es war eine Beurkundungs- und Beglaubigungsinstanz und wurde als solche auch vom Adel in Anspruch genommen.83 Später war das Gericht auch für Zivilverfahren, sowie für Acht und Anleite zuständig. Aus dem Privileg von 129984 ergibt sich, dass das Hofgericht wohl schon vor der Privilegierung der Stadt Rottweil für Zivilund Strafsachen zuständig war (actionem realem vel personalem aut causam civilem seu criminalem habuerint, eam coram illo, qui in curia nostra R. iudicio loco nostri pro tempore praesederit, dirigant). Den Vorsitz im Gericht nahm ein Hofrichter als Stellvertreter des Königs ein. Daneben wirkten mindestens sieben Urteiler mit.85 Ab 1430 ernannte die Stadt Rottweil die Beisitzer. Damit verwandelte sich das Gericht mehr und mehr zu einer städtischen Institution.86 Das Hofgericht zu Rottweil nahm eine bevorzugte Stellung ein und konnte seinen Einzugsbereich über ganz Schwaben und bis nach Franken hinein ausdehnen.87 In seiner produktivsten Zeit (ca. 1360 bis 1494) waren Verfahren mit Beteiligten aus Frankfurt am Main, Speyer, Worms, Köln88 und Mainz, sowie aus Österreich und dem Elsass bei dem Gericht anhängig.89 Indem das Gericht vor allem in Schwaben aber auch darüber hinaus die königliche/kaiserliche Gerichtsbarkeit ausübte, geriet es mehr und mehr in Konkurrenz zu den sich immer stärker entwickelnden territorialen und städtischen Gerichtsbarkeiten. Das Spannungsverhältnis wuchs mit der Gründung des Reichskammergerichts, an das vom Hofgericht appelliert werden konnte. Seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts versuchten immer mehr Territorialherren und Städte, sich durch Gerichtsstandsprivilegien von der Gerichtsbarkeit des Gerichts zu Rottweil zu befreien.90 Manche Privilegien befreiten die Begünstigten von fremder Gerichtsbarkeit generell, nannten jedoch ausdrücklich zusätzlich das Gericht zu Rottweil.91 Hin und wieder enthielt ein Privileg auch nur die Befreiung
83 84 85 86 87 88 89 90
Laufs, HRG IV (1), Sp. 1174. Urk. von 1299 Januar 19. Battenberg, Nr. 184. Blell, HRG II (1), Sp. 208. Oestmann, HRG II (2), Sp. 1088. Blell, HRG II (1), Sp. 208. Z. B. Urk. von 1471 Februar 15. RI XIII, H. 7 n. 159; Urk. von. 1474 Januar 15. RI XIII, H. 7 n. 397. Schillinger, Die Entstehung, S. 10 mit Nachw. Wenn Schillinger, Die Entstehung, S. 11, davon spricht, die Territorien hätten mit Hilfe von privilegia de non evocando et de non appellando ihre eigene Gerichtsbarkeit zu Lasten des Hofgerichts zu Rottweil gestärkt, so meint sie wohl die Gerichtsstandsprivilegien, die von fremder Gerichtsbarkeit befreiten. 91 So z. B. Urk. von 1337 April 4. Battenberg, Nr. 417; Urk. von 1433 August 10. Battenberg, Nr. 1313.
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Gerichtsprivilegien und Gerichtsverfassung im Mittelalter
vom Gericht zu Rottweil.92 Im Übrigen dürfte in der generellen Befreiung von fremden Gerichten die vom Hofgericht zu Rottweil eingeschlossen gewesen sein. So wies das königliche Hofgericht 1361 das Gericht zu Rottweil z. B. in einem Fall an, in keiner Angelegenheit der Bürger zu Schaffhausen zu richten;93 die Stadt Schaffhausen verfügte über ein Privileg, das sie generell von fremder Gerichtsbarkeit befreite, ohne dass das Rottweiler Gericht in der Urkunde ausdrücklich erwähnt wurde94 . Die von den oben genannten Verletzungen von Gerichtsprivilegien durch das Rottweiler Gericht betroffenen Kurfürsten, Fürsten und anderen Reichsstände, sowie auch die Städte beklagten sich beim Kaiser. Daraufhin wurde in den Reichabschied von Regensburg von 1532 eine Bestimmung aufgenommen, welche die Missstände beseitigen sollte.95 Es sollte eine Visitation stattfinden und das Gericht sollte in bessere Ordnung und Reformation gebracht werden. Die Richter wurden ermahnt, die Mängel und Gebrechen abzustellen, was heißen sollte, die Privilegienverletzungen müssten aufhören. Wie sich dem Reichsabschied von Speyer aus dem Jahren1570 entnehmen lässt, waren die Mängel nicht abgestellt worden; die Beschwerden der betroffenen Stände dauerten an.96 Insbesondere wurde gerügt, dass wegen der Privilegienverletzungen durch das Rottweiler Gericht die Zahl der Appellationsprozesse beim Reichskammergericht zugenommen hätten.97 Deshalb ordnete der Reichsabschied von 1570 an, dass das Hofgericht zu Rottweil mit verständigen Urtheilern besetzt, der Prozess und Gerichtsordnung gebessert werden sollten; außerdem sei sicher zu stellen, dass die eximirenden Privilegien, womit die Gerichtsstandsprivilegien gemeint waren, die insinuiert worden waren, auch beachtet würden.98 Die Privilegienverletzungen durch das Hofgericht zu Rottweil wirkten so nachhaltig, dass auch in die Wahlkapitulationen Karls VI. (1711)99 Franz I. (1745)100 davon die Rede ist. Darin wurde versprochen, dass die an die Kürfürsten, Fürsten und Stände verliehenen Exemptions-Privilegien – gemeint sind damit die Gerichtsstandsprivilegien101 – angewandt würden.102 Betont wird, dass die von Alters hergebrachte 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102
Urk. von 1348 Juli 24. Battenberg, Nr. 517. Urk. von 1361 März 10. URH, Bd. 8, Nr. 149. Urk. von 1278 Mai 25. Battenberg, Nr. 89. RA von 1532, Cap. V. NS II, S. 360. RA von 1570, § 73. NS III, S. 297. RA von 1570, § 75. NS III, S. 297. RA von 1570, § 75. NS III, S. 297. Art. XVIII. Text: Burgdorf (Hrsg.), Wahlkapitulationen, S. 346 f. Art. XVIII § 9. NS Zugabe, S. 25; Burgdorf (Hrsg), Wahlkapitulationen, S. 523. Siehe dazu unten A § 2 V 2 u. 3. Wahlkapitulation Franz I., Art. XVIII § 11. NS Zugabe, S. 25; Burgdorf (Hrsg), Wahlkapitulationen, S. 523.
Die Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Reich
Exemtion von vorberührten Rottweilischen und anderen Gerichten bey ihren Kräffte erhalten und angewandt werden müssten.103 Damit wurde auf die Gerichtsstandsprivilegien verwiesen, welche die Kompetenz zentraler königlicher bzw. kaiserlicher Gerichte einschließlich der Hofgerichte und der Landgerichte beschränkten.104 Die meisten dieser Privilegien befreiten vom Hofgericht zu Rottweil.105 c)
Die süddeutschen Landgerichte
Nicht nur das Hofgericht zu Rottweil, sondern auch die süddeutschen Landgerichte verletzten, insbesondere im 16. und 17. Jahrhundert, häufig die Gerichtsstandsprivilegien von Kurfürsten, Fürsten und anderen Reichsständen, vor allem diejenigen der Städte.106 Das führte nicht nur zu einer Zunahme der Appellationsprozesse beim Reichskammergericht, sondern auch zu Beschwerden der Kurfürsten, Fürsten und anderer betroffener Reichsstände. In Schwaben hatten sich einige Landgerichte erhalten, die ihre Legitimation unmittelbar vom König/Kaiser ableiteten.107 Sie spielten, wie die Quellen nahelegen, bis in die Neuzeit im Gerichtsgefüge von Reich und Territorien eine nicht unbedeutende Rolle. Zu diesen Gerichten zählten u. a. das Landgericht auf der Leutkirchner Heide und die Landgerichte zu Nürnberg und Würzburg.108 Die Landgerichte waren ursprünglich Gerichte mit umfassender Zuständigkeit für Freie und sprachen mit kaiserlicher Autorität Recht.109 ”Kaiserlich” wurden sie genannt, weil ihre Verfassung und ihr Verfahren auf der Privilegierung durch das Reichsoberhaupt als oberster Gerichtsherr im Reich beruhten. Ihre Zuständigkeit war nicht an die Grenzen eines bestimmten Territoriums gebunden.110 Sie waren entweder aus königlichen Gerichten auf Reichsgut oder aus Grafengerichten vom Reich lehensabhängiger Grafschaften entstanden.111 Dem Landgericht des Burggrafentums Nürnberg kam eine besondere Bedeutung zu, was die überregionale Prozesstätigkeit ausweist.112 Die Bezeichnung deutet auf die von Konrad III. im Jahre 1113 errichtete Burggrafschaft hin, die mit einem
103 Wahlkapitulation Franz I., Art. XVIII § 11. NS Zugabe, S. 25; Burgdorf (Hrsg), Wahlkapitulationen, S. 523 f. 104 Siehe die Einteilung bei Battenberg, Gerichtsstandsprivilegien. QFHG, Bd. 12/1, S. 19 f. 105 Siehe dazu unten A § 2 VI 3 e. 106 Siehe dazu unten B § 2 IV 4. 107 Diestelkamp, Einleitung. In: URH, Bd. 1, S. XX ff. 108 Dazu Feine, Die kaiserlichen Landgerichte. ZRG Germ. Abt. 66, 1948, S. 148 ff. 109 Merzbacher/Lück, HRG III (2), Sp. 525. 110 Hofacker, Kaiserliche Landgerichte in Schwaben, publiziert am 21.01.2015. In: Historisches Lexikon Bayerns, URL: