Die Religionen Chinas [Reprint 2020 ed.] 9783111536590, 9783111168470

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Die Religionen Chinas [Reprint 2020 ed.]
 9783111536590, 9783111168470

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A r c h i v - N r . 630192 P r i n t e d in G e r m a n y

LEHRBÜCHER DER

AUSLAND - HOCHSCHULE AN D E R

UNIVERSITÄT

BERLIN (FRÜHER

SEMINAR

FÜR

ORIENTALISCHE

HERAUSGEGEBEN

VON

SPRACHEN)

DEM

KOMMISSARISCHEN LEITER DER AUSLAND-HOCHSCHULE

BAND

BERLIN

V E R L A G VON

«ALTER

XL

1940

DE

GRUYTER

&

CO.

VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VEI'LAGSHANDLUNG — J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP.

D IE RELIGIONEN CHINAS VON

DR. M. G. P E R N I T Z S C H PROFESSOR DES CHINESISCHEN AN DER AUSLANDHOCHSCHULE *

ZU

BERLIN

„INNERHALB DER VIER MEERE S I N D WIR ALLE B R Ü D E R ' KUNG-DSI

B E R L I N 1940 V E R L A G VON W A L T E R

DE

GRUYTER

& CO.

VORMALS G. J . G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G — J . G U T I ' E N T A G , V E R L A G S B Ü C H H A N D L U N G GEORG REIMER — KARL J.TRÜBNEK — VEIT & COMP.

Inhaltsangabe Vorwort Einleitung I. Religion der alten Zeit I I . Kosmologische Vorstellungen I I I . Konfuzianismus: 1. Leben und Persönlichkeit Kung-ds'i's 2. Kung-ds'i's Lehre A. Weltanschauung B. Ethik a) Individuum b) Familie c) Der Staat 3. Beurteilung des Kung-ds'i und Entwicklung seiner Lehre I V . Taoismus 1. Lao-ds'i A. Leben und Persönlichkeit B. Seine Lehre a) Metaphysik b) Ethik c) Staatslehre 2. Nachfolger Lao-ds'i's 3. Vulgärtaoismus V. Buddhismus 1. Gautama Buddha und seine Lehre 2. Der Mahäyäna-Buddhismus 3. Der Buddhismus in China 4. Der Lamaismus V I . Volksreligion V I I . Aberglaube

5 6—8 9—17 18—21 22—43 22—28 28—38 28—29 29—38 29—35 35—37 37—38 39—43 44—68 44—55 44—45 45—55 45—50 50—53 53—55 55 56—68 69—93 69—76 76—78 78—90 90—93 94—100 101—106

Schluß: Zusammenfassung und Ausblick

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Literatur

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Anhang: Chinesische Zeichen

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Vorwort Die L i t e r a t u r über die Religionen Chinas ist sehr umfangreich, jedoch setzen die meisten W e r k e fachliche Vorkenntnisse voraus, sind also eigentlich n u r f ü r den Sinologen b r a u c h b a n Die vorliegende Arbeit will eine E i n f ü h r u n g in das ebenso interessante wie u m f a n g reiche Gebiet der chinesischen Religionen sein, sinologische Kenntnisse werden nicht vorausgesetzt, die chinesischen Zeichen, die vor allem auch den Studierenden des Chinesischen willkommen sein werden, sind im A n h a n g aufgenommen, zum V e r s t ä n d n i s des T e x t e s aber nicht erforderlich. Die Romanisation der chinesischen W ö r t e r erfolgt nach dem System, das auch dem bekannten Lehrbuch von Lessing und O t h m e r zugrunde liegt. Im allgemeinen werden die L a u t e wie im Deutschen ausgesprochen, zu bemerken ist noch folgendes: e

ist ein L a u t zwischen e und i, etwa wie e in „ M a s c h e n " ;

i

lautet etwa wie das unbetonte e in Flasche;

u

wird vor a, ai und e wie das englische w gesprochen;

h

lautet wie ch in Bach;

hs lautet etwa wie ch in ich; j

wird wie im Französischen

ausgesprochen;

rl

ist ein Mittellaut zwischen Zungen-r und 1;

v

wird wie das deutsche j ausgesprochen.

F ü r freundliche U n t e r s t ü t z u n g bin ich H e r r n L e k t o r Y. Chen zu Dank verpflichtet. M. G. Pernitzsch.

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Einleitung Keine der großen Weltreligionen hat ihren Ursprung in China. Ganz im Gegensatz zum Inder ist der Chinese durchweg ein Diesseitsmensch, dem metaphysische Spekulationen im allgemeinen fern liegen, und es ist kennzeichnend, daß die chinesische Sprache im Grund kein Wort f ü r Religion in unserem Sinne hat. Das meist gebrauchte Wort „djiao" 1 )*) bedeutet nur „lehren" oder „Lehre", ein Ausdruck, der gleichermaßen von einer religiösen wie von einer philosophischen Lehre gebraucht werden kann. Neuerdings wird für Religion der Ausdruck „dsung-djiao" 2 ) gebraucht, indes bedeutet „dsung" auch eine religiöse, philosophische oder künstlerische Richtung, Schule oder Sekte. F ü r religiösen Kultus wird das vieldeutige Wort „Ii" 3 ) verwendet. Der linke Bestandteil des Schriftzeichens bedeutete ursprünglich den Schutzgeist der Erde und dient jetzt vielfach als Grundzeichen (Klassenzeichen) für Dinge der Religion und des Kultus, während der rechte Teil des Zeichens Altar- oder Opfergefäße symbolisiert. Zugleich aber versteht man von jeher unter „Ii" auch die Regeln der höfischen Etikette und des gesellschaftlichen Verkehrs, also Zeremonien überhaupt, zugleich aber auch die dem „richtigen' 1 Benehmen zugrunde liegende Geisteshaltung, also Schicklichkeit, Herzenshöflichkeit, Sittlichkeit. Dies „Ii" nun hat von jeher eine ausschlaggebende Rolle im Leben der Chinesen gespielt; ein bis ins einzelste ausgearbeiteter Ritualismus, geheiligt durch sein Alter, ist für das innere und äußere Leben der Chinesen von größter Bedeutung gewesen. Oft genug hat das freilich dazu geführt, daß die äußere Form, das korrekte Verhalten, das Übergewicht erlangten und der tiefere Sinn verlorenging, aber wo auf der Welt wäre es nicht vorgekommen, daß leere Form und Lippendienst überhandnahmen! Aus der Vieldeutigkeit der Begriffe „djiao" und „Ii" geht hervor, daß Religion und Kultus in China nie den Charakter der Ausschließlichkeit erlangt haben wie im Abendlande. Eine Offenbarungsreligion, *) D i e Ziffern beziehen sich auf die chinesischen Zeichen im Anhang.

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eine alleinseligmachende Lehre ist dem Chinesen fremd, ebenso eine Buchreligion mit kodifizierten Dogmen, i n gewissem Umfange macht der von Indien übernommene Buddhismus eine Ausnahme, doch sind dessen Dogmen sehr dehnbarer Natur, auch ist er äußerst tolerant und in viele Sekten gespalten. Es kann darum nicht auffallen, daß sich in China nie eine Staatskirche herausgebildet hat, die mit größerer oder geringerer Unduldsamkeit auftritt. Die religiöse Einbildungskraft konnte sich in China frei entfalten, viele religiöse Anschauungen und Gebräuche entstanden, die nur auf althergebrachter schriftlicher oder mündlicher Überlieferung beruhten, oft auch nur lokale Geltung hatten und nie die Abgeschlossenheit einer dogmatischen Religion erlangten. Alles ist im Flusse, immer neue Götter werden in das chinesische Pantheon aufgenommen, dem einzelnen bleibt es überlassen, ob er von ihnen Notiz nehmen will. Da es in religiösen Dingen keine bindende Autorität gibt, ist der Chinese meist sehr tolerant, allerdings oft auch skeptisch indifferent und, mangels einer festen religiösen Uberzeugung, sehr zum Aberglauben geneigt. Gewiß kennt auch die chinesische Geschichte Beispiele religiöser Unduldsamkeit und Verfolgung, doch lagen diesen, wie noch darzulegen, meist politische Motive zugrunde; Religionskriege, Kreuzzüge und dergleichen sind unbekannt. Da der Chinese zwischen Religion und philosophischer Lehre keinen grundsätzlichen Unterschied macht — beides nennt er „djiao" — und zu religiösem Fanatismus keinerlei Veranlagung besitzt, kann es kein Wunder nehmen, daß verhältnismäßig früh, etwa seit dem 6. Jahrhundert n. Chr., ein uns fremdartig anmutender Synkretismus entstand. Die drei Lehren: Konfuzianismus, Taoismus und Buddhismus — ju schi dao san djiao 4 ) — werden als eine Einheit betrachtet. Han san we i ä ) heißt es, d. h. der Inhalt der drei ist nur einer, nämlich der Weg zur Tugend. So konnte der chinesische Kaiser Pontifex Maximus des alten Staatskultus sein und zugleich Oberhaupt der buddhistischen, lamaistischen und taoistischen' Geistlichkeit; er opferte dem Himmel und dem Konfuzius, besuchte aber auch die Tempel der anderen Lehren, vor deren Gottheiten er sich allerdings nur verneigte, während er sich vor dem Himmel und Konfuzius zur Erde niederwarf. J. J. M. de Groot faßt in seinem „Universismus" die drei Religionen als Aste eines gemeinsamen Stammes auf, der seit uralten Zeiten

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bestanden hat, dieser S t a m m ist die Religion des U n i v e r s u m s , des Weltalls. „ U n i v e r s i s m u s " ist nach de Groot die e i n e Religion Chinas, die drei Religionen bilden n u r ihre integrierenden Bestandteile. D e m V e r f a s s e r erscheint diese A u f f a s s u n g nicht als zutreffend, der Buddhismus ist zweifellos eine vom Ausland übernommene Lehre, m a g diese auch in China sich in mancher Hinsicht eigenartig entwickelt haben, w ä h r e n d K o n f u z i a n i s m u s und T a o i s m u s allerdings beide auf chinesischem Boden erwachsen, aber doch reichlich verschieden voneinander sind, vor allem gilt dies vom sogenannten Vulgärtaoismus. — Aus den vorstehenden Bemerkungen ergeben sich U m f a n g und Einteilung des zu behandelnden S t o f f e s : Religion der alten Zeit, K o n f u zianismus, T a o i s m u s , Buddhismus, neuere Volksreligion und A b e r glaube. Nicht zu behandeln sind Islam und Christentum. D e r Islam ist zwar in China (einschließlich der Nebenländer) ziemlich verbreitet, aber er sowohl wie die christliche L e h r e sind auch in China g r u n d s ä t z lich geblieben, was sie in ihren U r s p r u n g s l ä n d e r n w a r e n ; mit anderen W o r t e n : es gibt chinesische Christen und Mohammedaner, aber kein chinesisches Christentum und keinen chinesischen Mohammedanismus. A u ß e r acht bleiben können schließlich auch andere Lehren, die sporadisch in China vorkommen oder vorgekommen sind, aber durchweg — so auch das J u d e n t u m — n u r geringe Bedeutung erlangt haben.

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I. Die Religion der alten Zeit Abgesehen von den für diese Zeit nicht in F r a g e kommenden buddhistischen Texten haben die Chinesen keine kodifizierte Sammlung religiöser Urkunden. M a n spricht zwar oft von den fünf heiligen Büchern, wu-djing 6 ), und vergleicht sie mit unserer Bibel, jedoch fälschlicherweise, denn die wu-djing sind klassische, durch ihr hohes Alter ehrwürdige Bücher ganz verschiedenen und durchaus nicht überwiegend religiösen Inhalts. Das schu-djing 7 ) z. B., das Buch der Urkunden, enthält hauptsächlich Reden, Erlasse, philosophische und politische Abhandlungen usw. von den ältesten Zeiten an bis zum 7. Jahrhundert v. Chr., aber wenig über Religion und Kultus. Das schi-djing 8 ), Buch der Lieder, enthält in vier Teilen 305 Lieder und Gesänge aus sehr alter Zeit, Volkslieder und Festgesänge, im vierten Teil Oden, die bei Opferfeiern und der Ahnenverehrung gesungen wurden. Das li-dji 9 ), Buch der Riten, enthält neben verhältnismäßig neuen auch sehr alte Aufzeichnungen über Sitten und Gebräuche des alten China, während die beiden letzten klassischen Bücher, das i-djing 1 0 ), Buch der Wandlungen, und das tschun-tjiu 1 1 ), „Frühling und Herbst" (die Annalen), hierfür wenig in Betracht kommen. Zu erwähnen sind noch zwei aus der Zeit der Dschoudynastie (1122—225 v. Chr.) stammende Werke, das i-li 1 2 ), „Sitten und Bräuche", und das dschou-li 1 3 ), „Riten der Dschoudynastie". Allzuviel über die religiösen Vorstellungen des alten China erfährt man aus diesen Quellen nicht. Das religiöse Empfinden der damaligen Zeit fand seinen Ausdruck in einer A r t Naturreligion — man verehrte den Himmel, die Erde und das Weltall bewohnende Geister — und in der Ahnenverehrung, die bis zum heutigen T a g e eigentlich d i e chinesische Religion ist. Eine beherrschende Stellung nahm der Himmel, tiän 1 4 ), ein, auch schang-di 1 5 ), oberster Herrscher, genannt. Das Walten der himmlischen Vernunft heißt dao 1 6 ), der Himmel sieht und hört, was auf

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Erden vorgeht, er belohnt und bestraft die Menschen, indem er sich des Volkes als Werkzeug bedient. Der Himmel irrt nie und handelt immer gerecht, er verteilt Glück und Unglück nach Verdienst. Gewiß sind auch die menschlichen Begierden und Leidenschaften ein Werk des Himmels, aber er gibt ihnen weise Männer als Führer, Könige und Weise sind Beauftragte des Himmels, die seine Befehle ausführen. Der Himmel handelt nach festen Grundsätzen, er liebt das Gute und haßt das Böse. Von einem persönlichen Gott kann man in den ältesten Zeiten nicht sprechen, der unpersönliche Ausdruck tiän, Himmel, wird ohne Bedeutungsunterschied mit dem mehr persönlichen schang-di, oberstem Herrscher, gebraucht, jedoch tiän viel häufiger als schang-di. In den ersten Jahrhunderten der Dschoudynastie machte die Vermenschlichung des Himmels Fortschritte und hätte wohl zur Idee eines persönlichen Gottes geführt, wenn nicht die philosophischen Lehren, der Mystizismus Lao-ds'i's und der Agnostizismus des Konfuzius, diese Entwicklung unterbrochen hätten. Der Himmel oder oberste Herrscher der früheren Dschouzeit sieht die Erde unter sich, er schaut auf die Menschen herab, hört auf sie, richtet über sie. Einige wenige Male wird er sogar redend eingeführt, er tritt in direkten Verkehr mit der Erde und steigt von seiner Höhe herab. Bei einer Gelegenheit hinterließ er sogar eine Fußspur, in die Djiang-yüan, die Gemahlin des mythischen Kaiser K'u, trat, wodurch sie schwanger wurde; sie gebar Hou-dji 1 7 ), den späteren Gott der Feldfrüchte und Ahnherrn der Dschoudynastie. In dieser Legende hat man allerdings wohl kaum etwas anderes als den Versuch zu sehen, der Dschoudynastie göttlichen Ursprung zuzuschreiben. Auch sonst war der Himmel der älteren Dschouzeit schon recht menschenähnlich geworden, er glich einem hervorragenden menschlichen Herrscher, er besitzt die höchste Weisheit, ist keinem Irrtum unterworfen, liebt sein Volk usw., aber er kennt auch H a ß und Zorn — und kann sogar ungerecht sein. Die Erschaffung der Welt wird ihm nicht zugeschrieben, wohl aber der immerwährende Wechsel in der Welt und die Entstehung der Lebewesen. Nach unergründlichem Ratschluß bestimmt er das Schicksal der Menschen, die nach ihren Taten beurteilt werden. Die Irrenden sucht er zu warnen und durch Strafen und Heimsuchungen zu bessern, ist alles umsonst, so vernichtet er sie. Warnende Vorzeichen sind Erscheinungen von Abnormitäten und Monstrositäten, Sonnen- und Mondfinsternisse, Über-

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schwemmungen, Bergrutsche, Dürre, Hungersnot und dergleichen. Will der Mensch sich die Gunst des Himmels erwerben, so muß er das Gute tun und das Böse meiden, sowie den Himmel fürchten und ehren. Widersetzen kann er sich dem Himmel nicht, ebensowenig einem „Auserwählten" des Himmels, sei dies nun ein Heiliger, den der Himmel schützt, oder ein Staat, dem er vor anderen Macht verleiht. Das Verhalten der Menschen untereinander wird durch die wu-lun 18 ), die fünf sittlichefi Beziehungen, geregelt: Fürst und Untertan, Eltern und Kinder, Ehegatten, älterer und jüngerer Bruder, Freunde. Man kannte auch neun Doppeltugenden oder Tugendpaare: Freundlich und würdig, milde und fest, grade und höflich, ordnungsliebend und respektvoll, gelehrig und kühn, aufrichtig und sanft, nachsichtig und maßvoll, stark und zuverlässig, mutig und gerecht zu sein. Wer drei dieser Tugendpaare besitzt, kann seine Familie, wer sechs, einen Lehnstaat oder eine Provinz leiten, während der Kaiser wohl alle neun sein eigen nennen sollte. Neben dem Himmel wurde auch die Erde, hou-tu 19 ), verehrt. Das Wort „hou" ist ursprünglich männlichen Geschlechts, ein Fürst, Herrscher, erst später bezeichnet es eine Fürstin, und von da an faßt man die Erde weiblich auf. Eine dualistische Auffassung, etwa in der Weise, daß man Himmel und Erde als oberstes Götterpaar verehrt hätte, hat sich nie entwickelt, der Kult der Erde trat von jeher hinter dem des Himmels zurück. Schon früh wurde auch ein ganzes Heer von Geistern verehrt, das wir in himmlische, irdische und menschliche Geister einteilen können. Es bestand ein Gestirnkult, der Sonne, dem Mond und den zwölf Sternbildern des Tierkreises brachte man Opfer dar, ebenso den damals bekannten fünf Planeten, die in Beziehung zu den fünf Elementen gesetzt wurden (Venus entsprach dem Metall, Merkur dem Wasser, Saturn der Erde, Mars dem Feuer, Jupiter dem Holz), Sterne, die Wind und Regen beherrschten usw., kurz, fast jede Naturerscheinung und jedes Gebiet menschlichen Eebens wird von Sterngottheiten regiert. Von den irdischen Geistern werden die Berge und Ströme am meisten genannt. Vom grauesten Altertum bis zum heutigen Tage gibt es heilige Berge, zuerst deren vier, nämlich im Osten den Taischan 20 ) in der Provinz Schantung, noch heute der berühmteste und meistbesuchte, auf dessen Gipfel im Altertum jeder Begründer einer neuen Dynastie opferte, im Westen den Huaschan 2 1 ) in Schansi, der 11

Herrscher ist über Metalle, Vierfüßler, Vögel und Reptilien, im Süden den Hengschan 2 2 ) in der Provinz Hunan, Herrscher über die Gestirne, die T i e r e des W a s s e r s und die Drachen, und im Norden den Hengschan 2 3 ) in Hopeh (der früheren Provinz T s c h i l i ) ; zu diesen vier kam später als Berg der Mitte noch der Sungschan 2 4 ) in Honan. Auch heiligen Strömen, Flüssen, Bächen, Quellen und Brunnen wurde geopfert, in der Zeit der Lehnstaaten (bis zum 'Ende der Dschouzeit) hatte außerdem noch jeder Lehnstaat seine heiligen Berge und Flüsse. Man opferte auch den Schutzgottheiten der vier Himmelsrichtungen, der fünf Elemente und lokalen Gottheiten des Bodens und der Saaten. Für das H a u s kannte man fünf Opfer: F ü r das innere Tor, den Herd, das äußere Tor, die W e g e und die Mitte des Hauses. Von diesen spielen noch heutigentags der Gott des Herdes (Küchengott) und die Türgeister eine Rolle. Schon früh bestand schließlich der Glaube an Geister menschlichen Ursprungs. W i e man sich das Fortleben der Toten dachte, ist nicht festzustellen, man begnügte sich anscheinend mit der Vorstellung, daß die Geister der Abgeschiedenen weiterlebten und Einfluß auf das Geschick der Lebenden hätten. Diese Vorstellung führte von selbst zur Ahnenverehrung, man bemüht sich, die Geister der Vorfahren durch Opfer sich geneigt zu machen, aber andererseits sirfd auch die Geister der Vorfahren von ihren noch lebenden Nachkommen abhängig; bringt ihnen kein Nachfahr mehr Opfer dar, so müssen sie als hungrige Geister im Jenseits herumirren. A u s religiösem Gebiet hat dies dazu geführt, daß man regelmäßig auch den „hungernden Geistern" opfert, auf sozialem aber dazu, daß der Chinese auf nichts so viel W e r t legt wie auf männliche Nachkommen, denn nur diese dürfen die Ahnenopfer darbringen, Frauen sind von ihnen ausgeschlossen. Schenkte die ,.Hauptfrau" ihrem Gatten keine Söhne, so durfte er ein oder mehrere Nebenfrauen nehmen, deren Söhne ebenso als eheliche Kinder galten wie die der Hauptfrau, oder man adoptierte einen oder mehrere Söhne. Die Mehrehe ist im modernen chinesischen Eherecht abgeschafft, dürfte aber trotzdem noch viel vorkommen, auch sind die vor Erlaß dieses Gesetzes geschlossenen Mehrehen nicht für ungültig erklärt worden. Der K u l t u s des alten China w a r einfach und würdig. Dem Himmel, der Erde und den Naturgoltheiten opferte man im Freien, den Hausgöttern im Hause. F ü r den Himmel wurde ein runder, für 12

die Erde ein viereckiger A l t a r errichtet, da man sich den Himmel rund, die Ede aber viereckig vorstellte, besondere Hallen oder Tempel kannte man zuerst nur für den Ahnenkult. Der Verkehr zwischen Menschen und höheren Wesen w a r durch strenge Satzungen geregelt. Der Kaiser als Sohn des Himmels war allein der Mittler zwischen Volk und Himmel, ihm allein stand das Recht zu, dem Himmel und der Erde, den Schutzgeistern des Bodens und der Saaten, den Bergen und Strömen zu opfern. Die Lehnsfürsten opferten den Gottheiten ihrer Staaten, die Würdenträger den Schutzgeistern des Hauses, das Volk seinen eigenen Ahnen. Im L a u f e der Zeiten hat sich hierin natürlich vieles geändert, doch blieb es bis zuletzt Vorrecht des Kaisers, dem Himmel zu opfern; das letzte Opfer auf dem berühmten A l t a r des Himmelstempels in Peking brachte Präsident Yüan Schi-kai am 21. Dezember 1915 dar, als er im Begriff war, sich zum Kaiser ausrufen zu lassen. W i e wohl in jedem Kult, kannte man Bitt- und Dankgebete. Ob in sehr alten Zeiten auch Menschenopfer dargebracht wurden, steht nicht fest, ist aber nicht ausgeschlossen. A l s vornehmste Opfertiere galten die sechs H a u s t i e r e : Rind, Pferd, Schaf, Schwein, Hund und Huhn. Die W a h l des Opfertieres richtete sich nach dem R a n g der Gottheit sowohl wie dem des Opfernden. Dem Himmel und der Erde wurde ein Ochse geopfert, den Göttern des Bodens und der Saaten vom Kaiser eine Kuh, von den Lehnsfürsten ein Schaf usw. Geopfert wurden auch Feldfrüchte wie Reis, Hirse, Weizen, oder auch wertvolle Gegenstände wie Nephrit, Seide und dgl., als Trankopfer spendete man klares W a s s e r oder Wein. Eine Priesterkaste gab es nicht, bei den Himmelsopfern z. B. standen dem Kaiser zwar hohe Würdenträger zur Seite, deren jeder ein besonderes Amt versah, doch waren diese Beamten nichts weiter als Hilfspersonen und nicht Priester etwa im Sinne des Buddhismus oder Taoismus. Jedem größeren Opfer gingen Fasten und Reinigung sowie eine gewisse Zeit zurückgezogenen Lebens voraus. Mit der Zeit wurde ein größerer Prunk entfaltet, zum Opfer gehörten nicht nur Gesang und Musik, sondern auch sakrale Tänze und pantomimische Darstellungen, aus denen sich, ganz wie im klassischen Altertum, das in China so ungemein beliebte Theater entwickelt hat. Der Ahnenkult trug der Natur der Sache nach ein persönlicheres, intimeres Gepräge. Großfamilien — der Begriff der Familie reicht in

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China sehr weit, alle T r ä g e r desselben Familiennamens betrachten sich auch dann noch als Verwandte, wenn von Blutsverwandtschaft keine Rede mehr sein kann •— haben vielfach einen eigenen Ahnentempel mit selbständigem, oft erheblichem Vermögen. I s t keine Ahnenhalle vorhanden, so bildet das Hauptgemach oder doch wenigstens eine Nische, in der den Ahnen geopfert wird, das häusliche Heiligtum. Den Geistern der Vorfahren werden die wichtigsten Ereignisse des Familienlebens mitgeteilt, Geburt, Volljährigkeit, Eheschließung, Rangerhöhung (die im kaiserlichen China bis in die neueste Zeit mit rückwirkender K r a f t erfolgen konnte, d. h. auch die Ahnen des Ausgezeichneten wurden im R a n g erhöht) und T o d . Der älteste Sohn bringt die Opfer dar, der Verstorbene, dem geopfert wird, wurde früher durch ein Kind, möglichst einen Enkel, vertreten. E r hieß schi 2 5 ), Leichnam, wofür Rückert und v. Strauß den hübschen Ausdruck „ T o t e n k n a b e " erfunden haben. M i t einem Gewand des Toten bekleidet, nahm der Totenknabe das Opfer entgegen und kostete von jeder Opferspeise, den Rest verzehrten die Teilnehmer beim gemeinsamen Mahle, an Freunde pflegte man Opferspeisen zu schicken, um sie so am Segen des Opfers teilnehmen zu lassen. E i n regierender F ü r s t schickte stets einen T e i l des den Ahnen dargebrachten Opferfleisches an seine Großwürdenträger, überging er einen seiner hohen Beamten, so galt dies als Beweis der Ungnade und eine Kränkung. Der Totenknabe wurde unterwegs von jedem, selbst vom Fürsten, feierlich begrüßt. E i n Totenknabe fungierte nur beim Opfer, sonst galt als Sitz der abgeschiedenen Seele die Ahnentafel, schen-dschu oder ling-pai 2 6 ) genannt. Der Gebrauch, den Toten durch ein K i n d vertreten zu lassen, ist mit dem Ende der Dschouzeit erloschen, seither wird nur vor den Ahnentafeln geopfert. Die Ahnenverehrung führte naturgemäß zum Heroenkult, wobei oft schwer zu sagen ist, ob historische Persönlichkeiten vergöttert oder schon bestehende Gottheiten nachträglich mit solchen Persönlichkeiten identifiziert wurden. V o r allem gilt dies von der alten Zeit, später sind viele historisch bekannte Persönlichkeiten zu Göttern erhoben worden, z. B . der Kriegsgott Guan-di u. a. m. W i e man sieht, fehlen in der alten chinesischen Religion ein Schöpfungsmythus und eine Mythologie. Der Chinese nimmt die W e l t hin, wie sie ist, über ihre Entstehung, ihren Zweck zerbricht er sich nicht gern den Kopf. Der Ahnenkult beweist, daß man immerhin an ein 14

Fortleben nach dem Tode glaubte, ohne sich viel Gedanken über das Jenseits zu machen. Das Leben nach dem Tode war nach der naiven Auffassung der Chinesen eine Art Fortsetzung des irdischen, mit ähnlicher Rangordnung und ähnlichen Bedürfnissen, aus nichts geht hervor, daß man an ein e w i g e s Fortleben der Abgeschiedenen glaubte, schließlich brachte ein zweiter Tod das völlige Erlöschen. Paradies und Hölle spielen erst seit Einführung des Buddhismus eine Rolle im religiösen L,eben Chinas. Ebenso dürftig ist es mit den mythologischen Vorstellungen der alten Zeit bestellt. Die ältesten Gottheiten Chinas sind eigentlich mehr Begriffe als Wesen, ganz im Gegensatz zu denen des klassischen Altertums und der alten Germanen. Die Personifizierung von Begriffen liegt dem Chinesen nicht, auch ist seine Sprache verhältnismäßig arm an bildlicher Anschaulichkeit. Wie anregend hat dagegen in den indogermanischen Sprachen das im Chinesischen nicht vorhandene grammatikalische Geschlecht auf die Veranschaulichung abstrakter Begriffe und damit auch auf die Mythenbildung gewirkt! Als Monotheismus kann man die altchinesische Religion nicht auffassen. Wohl ist der Himmel der oberste Herrscher, aber daneben wird vielen anderen Geistern und den Ahnen geopfert, so daß man doch wohl von Polytheismus reden muß. Auch kann man das alte so wenig wie das spätere China als eine Theokratie bezeichnen. Der Kaiser als Sohn des Himmels, tiän-ds'i 27 ), war wohl der Mittler zwischen Himmel und Volk, er verwaltete das Mandat des Himmels, tiän-ming 2 8 ), aber er gilt nicht als unfehlbar. „Das Mandat des Himmels währt nicht ewig", d. h. es kann einem unfähigen oder verruchten Herrscher auch wieder entzogen werden, go-ming 29 ), ein Ausdruck, der bezeichnenderweise auch „Revolution" bedeutet. Das Volk, das einer unfähigen, verkommenen Dynastie ein Ende bereitet, versündigt sich also nicht am Himmelssohn, im Gegenteil, es führt den Befehl des Himmels aus, der dem sich zu Unrecht Himmelssohn nennenden Herrscher das Mandat entziehen will. Der Kaiser ist also nie etwa der Papst der chinesischen Staatskirche gewesen, eine solche hat nie bestanden, und ebensowenig eine Hierarchie geistlicher Würdenträger. Man hat auch von einem altchinesischen Schamanentum gesprochen, mit Unrecht, denn der Schamanismus setzt eine nur den Eingeweihten zugängliche Geheimlehre und eine Priesterkaste voraus, und beides 15

fehlt in China. Noch andere, so vor allem de Groot, nennen die chinesische Religion einen Animismus. Mit Grube ist Verfasser der Auffassung, daß zum mindesten die alten Chinesen keine Animisten waren, sie opferten den Geistern der Berge, Ströme usw., die dort ihren Sitz hatten, aber eine Beseelung der Materie war den Chinesen fremd. — Ebenso alt wie der Glaube an höhere Mächte ist bei allen Völkern der A b e r g l a u b e , und gerade in China ist bei dem Fehlen fester Dogmen die Grenze zwischen Glaube und Aberglaube oft schwer zu ziehen. Schon in uralten Zeiten hat es eine Divination gegeben. Der Himmel redet nicht, aber er gibt seine Meinung durch Zeichen zu erkennen, wie Fruchtbarkeit oder Dürre, ungewöhnliche Naturereignisse und dgl., und es gilt, diese Zeichen richtig zu deuten. Man sucht durch regelmäßige Opfer den Himmel, die Erde und viele andere Gottheiten günstig zu stimmen, aber daneben kennt man in China, von der ältesten Zeit bis zum heutigen Tage, noch zahllose übersinnliche Mächte, die auf das Leben des einzelnen fördernd oder schädigend einwirken, auf Schritt und Tritt ist der Chinese von Geistern umgeben. Kein Wunder, daß es schon früh berufsmäßige Wahrsager und Exorzisten gab, die bei allen öffentlichen und privaten Unternehmungen zugezogen wurden. Sie mußten einen günstigen T a g für Krieg, Opfer, Heirat, T a g der Beisetzung eines Toten usw. bestimmen. Die Befragung des Loses geschah im Altertum auf zwei Arten: 1. Man hielt eine Schildkrötenschale über ein Feuer und suchte die sich bildenden Risse zu deuten. Die Schildkröte ist seit jeher ein Symbol der Langlebigkeit, die bis zu 3000 Jahren alt werden soll, sie sowohl wie der Drache, der Phönix und das Einhorn gelten als mit übernatürlichen Kräften begabt. 2. Durch Manipulationen mit Schafgarbenstengeln und Deutung der sich daraus ergebenden Figuren. Selbstverständlich gab es auch von altersher Traumdeuter. Die Träume galten oft als von Gestirnen und himmlischen Erscheinungen wie Sonnen- und Mondfinsternissen abhängig, wodurch ein enger Zusammenhang zwischen Traumdeutung und Astrologie entstand. Die Exorzisten heißen wie die Wahrsager wu 30 ), woraus zu schließen ist, daß die Wahrsager auch den Exorzismus ausgeübt haben, meistens Männer, doch kommen auch weibliche Exorzisten vor. Im 16

A l t e r t u m verwandte man E x o r z i s t e n auch bei Seuchen, D ü r r e usw., durch Beschwörungen und wilde T ä n z e sollten sie den ersehnten Regen herabrufen. Manches von diesem alten Aberglauben besteht noch heutigentags. Alles, was mit dem T o d e zusammenhängt, übt einen verunreinigenden und gefährdenden E i n f l u ß aus, vor dem man sich schützen muß: Der V e r f a s s e r darf hier ein selbst erlebtes Beispiel a n f ü h r e n : E i n e r der chinesischen Richter des Gemischten Gerichts in Schanghai und der Verfasser hatten eine amtliche Leichenschau abgehalten. Bei der Rückkehr brannte im E i n g a n g zu der W o h n u n g des Richters ein kleines Feuer, über das der chinesische Richter stieg, um sich so vor den schädigenden Einflüssen, die von dem T o t e n ausstrahlten, zu schützen. Ein weiteres, sehr bekanntes Beispiel uralten, noch bestehenden A b e r glaubens bietet die A u f f a s s u n g der Sonnen- und Mondfinsternisse. Man glaubt, daß ein Ungeheuer Sonne oder M o n d verschlingen will (der chinesische A u s d r u c k f ü r Sonnenfinsternis z. B., jih-schi 3 1 ), bedeutet wörtlich „die Sonne wird a u f g e f r e s s e n " ) , und bemüht sich, durch Abbrennen von Feuerwerkskörpern, Schlagen von T r o m m e l n usw., kurz, durch E r z e u g u n g eines infernalischen L ä r m s das Ungeheuer zu verjagen.

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II. Kosmologische Vorstellungen E s w u r d e schon darauf hingewiesen, daß man den H i m m e l zwar als obersten Herrscher, aber nicht als Weltschöpfer auffaßte. Eine populäre Vorstellung ist die, daß der — irgendwie schon vorhandene — Kosmos die F o r m eines riesigen Eies annahm, aus dem der D e m i u r g Pan-gu 3 2 ) entstand, dargestellt als ein häßlicher Riese mit Meißel und H a m m e r , der die Gebirge ausmeißelt und das Weltall formt. E i n e V a r i a n t e dieser Legende läßt die materielle Welt aus seinem Leichnam hervorgehen: Sein Atem wurde zu W i n d und Wolken, seine Stimme zum Donner, sein linkes Auge zur Sonne, sein rechtes zum Mond, seine Glieder zu den heiligen Bergen, seine Muskeln und Adern zu den Erdschichten, sein Blut zu den Strömen, sein Fleisch zum Erdboden, H a a r e und B a r t zu den Sternbildern, die H a u t und die H a a r e darauf zu P f l a n z e n und Bäumen, Zähne und Knochen zu Metallen, das M a r k zu Perlen und Edelsteinen, sein Schweiß zu Regen, und schließlich das seinen K ö r p e r bedeckende U n geziefer zu Menschen. Von dieser uns sonderbar anmutenden Weltschöpfung an bis zum Erscheinen eines E i n h o r n s kurz vor dem T o d e des K o n f u z i u s (479 v. Chr.) sollen 3 276 000 J a h r e vergangen sein, die in zehn Epochen eingeteilt werden. In der achten Epoche w u r d e die Seidenherstellung erfunden, und von sui-jen 3 3 ), dem chinesischen Prometheus, das Feuer und seine V e r w e n d u n g . In der neunten lebte Fu Hsi, der Begründer aller Zivilisation. E r lehrte die Menschen das Kochen, Säen und Ernten, stellte M u s i k i n s t r u m e n t e her, e r f a n d die Schrift und die noch zu besprechenden acht T r i g r a m m e , regelte den Kalender und f ü h r t e die Ehe ein. „ V o r h e r kannten die Menschen n u r ihre Mütter, nicht ihre V ä t e r " , ein Ausspruch, der auf ein M a t r i a r c h a t in uralten Zeiten hindeutet. Die E r d e stellte man sich als eine Scheibe vor, und zwar viereckig, das feste L a n d rings umgeben von den „vier M e e r e n " (daher be-

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deutet „innerhalb der vier Meere" so viel wie ,,auf der W e l t " ) , darüber das runde Himmelsgewölbe. Von den alten Schriften bietet nur das i-djing 1 0 ), das Buch der W a n d l u n g e n , einige kosmologische Ideen. Manche nehmen an, daß das i-djing das älteste Buch Chinas ist, sicher ist es uralt. K o n f u z i u s schätzte es sehr hoch ein, und einer der K o m m e n t a r e soll von ihm herrühren. E s dient bis zum heutigen T a g e als ein Weisheits- und Orakelbuch, stellt aber wohl ursprünglich den ersten Versuch einer N a t u r e r k l ä r u n g dar. Das W e r k beruht auf den ba-gua 3 4 ), den acht T r i g r a m m e n , deren jedes aus drei ganzen oder gebrochenen Linien besteht: tjiän 3 5 ), H i m m e l (sich beständig bewegen), :

"—dui —

:

3 6

) , See, W a s s e r d u n s t

(durchdringen),

37

Ii ), Feuer (leuchten),

_EE dschen 3 8 ), Donner (erschüttern), sun 3 9 ), W i n d (eindringen), i=E—EEE kan 4 0 ), W a s s e r (einsinken), ZE

TU gen 4 1 ), Berg (hemmen),

^

F Z kun 4 2 ), E r d e .

Das Buch der W a n d l u n g e n kombiniert jedes T r i g r a m m mit jedem andern und kommt so zu 64 H e x a g r a m m e n , zu denen tiefsinnige und o f t geradezu unverständliche E r l ä u t e r u n g e n gegeben werden. Die ganzen Linien werden mit yang 4 3 ), h a r t oder stark, die gebrochenen Linien mit yin 4 4 ), weich oder schwach, bezeichnet, die ungebrochene Linie symbolisiert den harten H i m m e l s s t o f f , die gebrochene die weiche Erde. Demnach w ä r e das erste T r i g r a m m Himmelssubstanz in der höchsten Potenz, das achte aber E r d s u b s t a n z in voller Ausschließlichkeit, die anderen sechs entstehen durch Vermischung der beiden Substanzen und stellen sich als ihre W a n d l u n g e n dar. Derselbe G r u n d satz gilt von den H e x a g r a m m e n des Buches der Wandlungen, dessen leitender Gedanke, wie schon sein Titel besagt, der der ewigen Wandlung ist: Erreicht das yang, das auch Sonne oder W ä r m e bedeutet, seinen höchsten Grad, so nimmt es ab und geht allmählich in yin 2*

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ü b e r , d a s a u c h M o n d o d e r K ä l t e b e d e u t e t , u n d h a t dieses seinen H ö h e p u n k t e r r e i c h t , so w i r d es w i e d e r s c h w a c h , u n d d a s y a n g e r s t a r k t a u f s neue. D i e im B u c h der W a n d l u n g e n schon v o r k o m m e n d e I Y ehre von den beiden e i n a n d e r p o l a r e n t g e g e n g e s e t z t e n M o d i , der D u a l i s m u s von Y i n u n d Y a n g , f a n d seit der Zeit des P h i l o s o p h e n D s c h u H s i ( 1 1 3 0 bis 1200) g r o ß e V e r b r e i t u n g . N a c h der Y i n - y a n g - L e h r c w a r im .Anf a n g d a s N i c h t s , die L e e r e . D a n n e n t s t a n d — wie, w i r d n i c h t deutlich — die M a t e r i e , t a i - d j i 4 3 ) , „ d a s g r o ß e Ä u ß e r s t e " ' , z u e r s t noch f o r m l o s u n d c h a o t i s c h . L a n g e k r e i s t e d a s t a i - d j i u n d s p a l t e t e sich endlich in zwei B e s t a n d t e i l e , der g r o b e u n d s c h w e r e s a n k h e r a b u n d b i l d e t e die

E r d e , der feine u n d leichte blieb oben u n d b i l d e t e den H i m m e l . D i e E r d e ist yin, d u n k e l , weiblich, d e r H i m m e l ist y a n g , hell, m ä n n l i c h . D i e s e L e h r e v o m Y i n u n d Y a n g spielt n i c h t n u r in der chinesischen P h i l o s o p h i e , s o n d e r n a u c h im t ä g l i c h e n L e b e n eine g r o ß e Rolle. D i e beiden K r ä f t e d u r c h d r i n g e n e i n a n d e r , a u s i h r e r V e r e i n i g u n g e n t s t e h t alles, z u s a m m e n b i l d e n sie die letzte, a l l u m f a s s e n d e E i n h e i t . E i n im F e r n e n O s t e n viel v o r k o m m e n d e s S y m b o l , die sog. M o n a d e (siehe o b i g e A b b i l d u n g ) , d e u t e t dieses Z u s a m m e n w i r k e n an. D a s helle y a n g t r ä g t in sich den A n s a t z z u m d u n k l e n yin, u n d dieses w i e d e r z u m

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hellen yang, beide durchdringen einander und gehen ineinander über. Yang ist der Himmel, das Licht, die W ä r m e , die Männlichkeit, das Positive, die Stärke, die Vaterschaft, das Leben, yin ist die Erde, das Dunkel, die Kälte, die Weiblichkeit, das Negative, die Schwachheit, die Mutterschaft, der Tod. T a i - y a n g 4 6 ) , das große männliche Prinzip, ist die Sonne, tai-yin 4 7 , das große weibliche Prinzip, der Mond (also gerade umgekehrt wie im Deutschen). Über den Einfluß der Yinvang-Theorie auf die neuere Volksreligion wird noch zu sprechen sein, hier sei noch erwähnt, daß gute Geister zu yang, böse zu yin gehören.

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Iii. Konfuzianismus Von den „drei L e h r e n " ist der K o n f u z i a n i s m u s von g r ö ß t e r Bed e u t u n g f ü r C h i n a g e w o r d e n . Zur Zeit der H a n d y n a s t i e , im 2. J a h r hundert v. Chr., g e w a n n e n die A n h ä n g e r der k o n f u z i a n i s c h e n L e h r e einen entscheidenden E i n f l u ß auf den chinesischen S t a a t , und der k o n f u z i a n i s c h e S t a a t hat, wenn auch mit manchen W a n d l u n g e n , den W e c h s e l v i e l e r D y n a s t i e n ü b e r d a u e r t , die k o n f u z i a n i s c h e S t a a t s i d e e blieb g r u n d l e g e n d bis zur A b d a n k u n g der Mandschudynastie Ende 1911, und w i r k t auch jetzt noch fort. E i n e S t a a t s r e l i g i o n ist der K o n f u z i a n i s m u s nie g e w e s e n , a u s dem einfachen Grunde, weil w e d e r K o n f u z i u s noch seine N a c h f o l g e r R e l i g i o n s s t i f t e r w a r e n , wohl aber k a n n m a n von einer S t a a t s p h i l o s o p h i e sprechen, die durch viele J a h r hunderte l a n g als orthodoxe L e h r e anderen A n s c h a u u n g e n g e g e n ü b e r den V o r r a n g genoß. Die K o n f u z i a n e r sind die Ü b e r m i t t l e r der ältesten chinesischen K u l t u r , die sie ü b e r l i e f e r t und w e i t e r g e b i l d e t haben. Nicht nach v o r w ä r t s blicken sie, sie streben nicht einem noch nicht erreichten und vielleicht auch nie e r r e i c h b a r e n Ideal nach, nein, sie schauen r ü c k w ä r t s , das A l t e r t u m g i l t ihnen als die Zeit höchster W e i s h e i t und Vollkommenheit, die weisen H e r r s c h e r der V o r z e i t a l s u n ü b e r t r o f f e n e und u n ü b e r t r e f f l i c h e V o r b i l d e r . Ihnen gleich zu tun g i l t es, nicht neue W e g e zu w a n d e l n . M e t a p h y s i s c h e n S p e k u l a t i o n e n sind sie abhold, sie sind echte Diesseitsmenschen. W i c h t i g ist ihnen der M e n s c h a l s E i n z e l w e s e n s o w i e im V e r b a n d der F a m i l i e und der Gemeinschaft. Der K o n f u z i a n i s m u s ist eine T u g e n d - und S t a a t s l e h r e , aber keine Religion.

1. Leben und Persönlichkeit des Konfuzius Der F a m i l i e n n a m e des i m A b e n d l a n d e unter dem N a m e n K o n f u z i u s bekannten W e i s e n ist K u n g . 4 8 ) Die Chinesen nennen ihn meist K u n g dsi 4 9 ) oder auch Kung-fu-ds'i 5 0 ), w a s beides „ M e i s t e r K u n g " bedeutet,

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aus dem letzten Ausdruck entstand dann die latinisierte F o r m des Namens. Die Familie K u n g kann ihren S t a m m b a u m bis in die halblegendäre Yindvnastie (1766—1122 v. Chr.) zurückführen. Der Urahn w a r ein jüngerer Sohn eines Yinkaisers, seine Nachkommen gehörten zum hohen Adel des Lehnsstaates Sung, später lebte die Familie im Staate L,u, der einen Teil der heutigen P r o v i n z Schantung einnahm. K u n g F u - d j i a t r u g zuerst den bürgerlichen Namen K u n g , er starb 709 v. Chr. Der Vater des Philosophen hieß K u n g Schu-liang Ho, er w a r Offizier, K o m m a n d a n t des D i s t r i k t s Dsou im heutigen Yenchoufu ( P r o v i n z Schantung). E r besaß die stattliche Größe von etwa zwei Meter und w a r so stark, daß er bei einer Belagerung ein herabgelassenes Falltor hochheben und dadurch sich und seine eingeschlossene M a n n s c h a f t retten konnte. Sein Sohn erbte übrigens seine stattliche F i g u r , er maß 1,92 m. K u n g Schu-liang H o hatte aus erster E h e nur Töchter und einen verkrüppelten Sohn; 64 J a h r e alt, heiratete er die junge Tscheng-dsai aus der Familie Yen. und diese gebar ihm im J a h r e 551 v. Chr., am 21. T a g e des 10. Monats nach chinesischem Kalender, einen Sohn. K u n g - d s i ist also ein Zeitgenosse von G a u t a m a Buddha (geb. etwa 560 v. Chr.) und P y t h a g o r a s (geb. etwa 540 vor Chr.). E r erhielt den Eigennamen tjiu 5 1 ) und den Beinamen dschung-ni 5 2 ). T j i u bedeutet „ H ü g e l " , der N a m e wurde gewählt, weil seine M u t t e r nach dem Hügel Ni gewallfahrtet w a r und um K i n d e r segen gebetet h a t t e : dschung heißt der Zweitgeborene. K u n g verlor seinen Vater, als er erst drei J a h r e alt war. Die Familie blieb in d ü r f t i g e n Verhältnissen zurück; die M u t t e r K u n g s nahm ihren W o h n sitz im Dorf T j ü ä - l i im K r e i s T j ü - f u 5 3 ) (auch Kiifu genannt) im heutigen Schantung. Schon in seinen K i n d e r j a h r e n zeigte er eine große Vorliebe f ü r Förmlichkeiten und Riten, er spielte mit Opfergeräten und ahmte Kulthandlungen nach. Nach chinesischem Brauch heiratete er jung, mit 19 Jahren, und wurde im J a h r e darauf V a t e r eines Sohnes, den er yü-bo-yü 5 4 ) nannte. D e r N a m e enthält eine Anspielung auf zwei K a r p f e n , die der F ü r s t von L u als Gratulationsgeschenk bei der Geburt des Sohnes gesandt hatte (vii heißt Fisch). Dieser Sohn blieb der einzige, doch hat K u n g mehrere Töchter gehabt. Seine Ehe w a r wenig glücklich, und das Verhältnis zu dem einzigen, geistig nicht eben bedeutenden Sohne blieb kühl. Viele seiner Schüler, vor allem Yen H u i , waren dem Weisen mehr ans H e r z gewachsen als der eigene Sohn.

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Die Familie K u n g stand in einer A r t Abhängigkeitsverhältnis zu dem adligen Geschlecht D j i , in dessen Diensten Kung-ds'i im J a h r e 533 Aufseher der Kornspeicher und im J a h r e darauf Aufseher der öffentlichen Felder wurde. Mit 22 Jahren begann er bereits seine Lehrtätigkeit, er erklärte das Buch der Lieder, das Buch der Urkunden, die Riten und die Musik. K u n g war ein ausgezeichneter Pädagoge und muß auf seine Schüler tiefen Eindruck gemacht haben; er verstand es, jeden nach seiner Eigenart zu behandeln und begnügte sich nicht mit trockener, schulmäßiger Erklärung der T e x t e , vielmehr war er seinen Schülern ein Freund und Berater in allen Dingen und regte sie zu selbständigem Denken an, wobei er mehr W e r t auf Charakter- als auf Verstandesbildung legte. Kung-ds'i soll 3 0 0 0 Schüler gehabt haben, was wohl möglich ist, denn seine Lehrtätigkeit erstreckt sich über nahezu 5 0 Jahre, von denen er viele auf Reisen in den verschiedenen Lehnsstaaten zubrachte. Als seine Schüler im engeren Sinne gelten 72, die im Konfuziustempel verehrt werden, unter ihnen nehmen die sch'i-örh-dschö 5 5 ), „die 12 W e i s e n " , und unter diesen wieder die si-pe 5 6 ), „die vier Beisitzer", deren Tabletten rechts und links von dem des Meisters stehen, eine bevorzugte Stellung ein. Im J a h r e 5 1 8 reiste Kung-ds'i nach der damaligen Reichshauptstadt Loyang (in der heutigen Provinz Honan) und studierte dort die alten Einrichtungen des Reiches sowie die Gebräuche am Hofe. E r sah das große Opfer für Himmel und Erde, lernte das Zeremoniell des H o f lebens kennen, und machte sich mit den Riten im kaiserlichen Ahnentempel vertraut. Die politischen Zustände der damaligen Zeit waren denkbar ungünstig, die Macht des Hauses Dschou war damals schon sehr gering, dreizehn Lehnsstaaten bekämpften einander, ohne sich viel um den Herrscher zu kümmern, dazu kamen unablässige innere Kämpfe und Intrigen in den einzelnen Staaten. Taoistischen Schriften zufolge soll Kung-ds'i damals mit Lao-ds'i zusammengetroffen sein, doch erscheint dies unwahrscheinlich. Meist nimmt man an, daß L a o ds'i etwa 50 J a h r e älter als Kung-ds'i war und zu der Zeit, in der letzterer in Loyang weilte, sich schon in die Einsamkeit zurückgezogen hatte, und es fällt auf, daß Kung-ds'i den Taoismus mit keinem W o r t erwähnt. Im Jahre 517 v. Chr. mußte der Fürst von L u nach dem benachbarten Lehnsstaat T j i flüchten. Kung-ds'i begleitete ihn und hörte in T j i die alte Musik, die ihn so begeisterte, daß er „drei Monate lang

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den Geschmack des Fleisches vergaß", wie er denn überhaupt ein großer Verehrer der Musik war, der er für die Charakterbildung höchste Bedeutung beimaß. Die Hoffnung Kung-ds'i's, ein Amt in T j i zu erhalten, erfüllte sich nicht, er kehrte wieder nach L u zurück, wo er sich 15 Jahre lang seiner Lehrtätigkeit widmete, ohne ein Staatsamt zu bekleiden. Man darf nicht denken, daß der Philosoph regelmäßige Vorlesungen gehalten hätte, seine Schüler standen durchweg schon im praktischen Leben, gingen ihren Berufen nach und besuchten den Meister von Zeit zu Zeit. Im Alter von 51 Jahren wurde Kung-ds'i zum M a g i s t r a t von Chung-tu, bald darauf zum Assistenten des Superintendenten der öffentlichen Arbeiten, und schließlich zum Justizminister ernannt. Charakteristisch für seine Rechtsauffassung ist der folgende berühmte F a l l : Ein Vater verklagt seinen Sohn, weil dieser es ihm gegenüber an der schuldigen Ehrfurcht hätte fehlen lassen. Kung-ds'i hält beide, Vater und Sohn, drei Monate lang in H a f t und entläßt sie dann, ohne ein eigentliches Urteil zu fällen. Nach dem Grunde dieses seltsamen Vorgehens g e f r a g t — nach den Auffassungen der damaligen Zeit hätte nur der Sohn S t r a f e verdient —, erwidert er; Vater und Sohn seien gleicherweise zu tadeln, der Sohn wegen unkindlichen Verhaltens, der Vater aber, weil er den Sohn nicht hinreichend in den Grundsätzen kindlicher Ehrfurcht unterwiesen habe, sonst wäre ein solches Verhalten des Sohnes unmöglich gewesen. Als Minister w a r Kung-ds'i erfolgreich. Er vereitelte einen Anschlag des Herzogs von T j i auf den Herzog von L u und setzte sogar durch, daß T j i ein früher erobertes Stück L a n d an L u zurückgab. Innerpolitisch stärkte er die Machtstellung des Herzogs gegenüber den oft aufsässigen adligen Familien, deren befestigte Städte geschleift wurden. Der Staat L u blühte auf, Wohlstand und öffentliche Moral hoben sich. Kein Wunder, daß die Nachbarstaaten eifersüchtig wurden; der Herzog von T j i , der sich von bewaffnetem Eingreifen nichts versprach, griff zur L i s t : Er sandte dem Herzog von L u 80 schöne Tänzerinnen und 120 erlesene Pferde. Der Anschlag glückte, der Herzog von L u w a r von dem Geschenk so entzückt, daß er die Regierung und seinen ebenso treuen wie fähigen Minister vollständig vernachlässigte. Kungds'i wartete noch einige Zeit, und als er sehen mußte, daß der Herzog seine Gesinnung nicht änderte, verließ er die Hauptstadt. Dreizehn Jahre lang führte er nun ein Wanderleben in den verschiedenen Staaten des damaligen China. Wiederholt geriet er in Lebensgefahr und Be-

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d r ä n g n i s , ohne je die R u h e und Gelassenheit zu verlieren. Im S t a a t e T s c h e n ließ einer seiner F e i n d e den B a u m fällen, unter dem 'Kung-dsi rastete, und im J a h r e 4 9 0 wären er und seine Schüler auf einer R e i s e beinahe verhungert. W ä h r e n d alle der V e r z w e i f l u n g nahe waren, schlug K u n g - d s i ruhig die L a u t e und s a n g dazu. Sein Schüler Dsi'-lu f r a g t e ihn, wie es zu erklären sei, daß der H i m m e l den M e i s t e r in eine solche L a g e geraten ließe. K u n g - d s i antwortete g e l a s s e n , die W e i s e n seien nicht immer glücklich in der Welt, der Mensch habe nur Gewalt über sein eigenes H e r z und seine E n t s c h l ü s s e , der E r f o l g hänge auch von äußeren U m s t ä n d e n ab. Zudem sei d a s U n g l ü c k nicht immer ein Übel, da es den C h a r a k t e r s t ä r k e ; d a s E r g e h e n des einzelnen sei kein M a ß s t a b f ü r seinen inneren Wert. D e r F ü r s t des S t a a t e s T s c h u wollte K u n g - d s i ein Lehen geben, unterließ es aber auf R a t seines M i n i s t e r s , der wohl eifersüchtig auf den bedeutenden M a n n w a r . Schließlich kehrte K u n g - d s i auf E i n l a d u n g des H e r z o g s von L u wieder in seine H e i m a t zurück, unterhielt gute Beziehungen zum H e r z o g , w u r d e aber nicht wieder angestellt. E r wandte sich nunmehr der H e r a u s g a b e der alten klassischen S c h r i f t e n zu, und mit dieser T ä t i g k e i t hat er Denken und K u l t u r C h i n a s bis zum heutigen T a g e beeinflußt. E i n eigentliches philosophisches S y s t e m hat er nicht g e s c h a f f e n , auch g a r nicht schaffen wollen, er selbst nannte sich nicht einen Schöpfer, sondern nur einen Ü b e r lieferer, nämlich der nicht zu übertreffenden Weisheit des A l t e r t u m s . D i e s w a r eine stolze Bescheidenheit, und gewiß hat er die alten L e h r e n eben in seinem Geist überliefert, aber zweifellos stets in dem Bestreben, den Geist der Alten und nicht seine eigenen Ideen zur G e l t u n g zu bringen. W i e er bei der R e d a k t i o n der alten Schriften v o r g i n g , wissen wir nicht, wohl so schonend wie möglich. M o d e r n e chinesische Philosophen, so vor allem K a n g Yu-wei, meinen, K u n g - d s i hätte kein ausreichendes Material wirklich alter Aufzeichnungen gehabt und deshalb die ,.heiligen" Bücher mehr oder minder a u s eignem Geist g e s c h a f f e n , aber diese B e h a u p t u n g ist unbeweisbar. I m J a h r e 4 7 9 v. Chr. fühlte K u n g - d s i den T o d nahen. E r s u m m t e vor sich hin: ,,Der große B e r g muß z u s a m m e n s t ü r z e n , der s t a r k e Balken muß zerbrechen, und der W e i s e schwindet dahin wie eine P f l a n z e . " Zu seinem Schüler D s i - g u n g s a g t e e r : „ K e i n weiser H e r r scher ersteht, niemand im Reich will mich zu seinem L e h r e r machen. Meine T o d e s s t u n d e ist gekommen.'' E i n e Woche d a r a u f s t a r b er.

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Seine Schüler trauerten drei J a h r e um ihn wie um einen 'Vater, die Literaten hielten an seinem Grabe ein großes Bankett und Bogenschießen ab. H e r z o g Ai ließ ihm einen Tempel errichten und ordnete an, daß ihm viermal im J a h r e geopfert werden solle. Im Gedenktempel wurden Kung-dsi's Galahut, Laute, W a g e n und Bücher noch j a h r h u n d e r t e l a n g a u f b e w a h r t . Im J a h r e 555 n. Chr. wurde verfügt, daß jede I ' r ä f e k t u r s t a d t einen Konfuziustempel haben müßte, und 1906 w u r d e ihm dasselbe O p f e r wie H i m m e l und E r d e zuerkannt, er also zum Gott erhoben. Sein Geschlecht mit dem Stammsitz in Kiifu, wo der Weise begraben liegt, blüht noch, keine zweite Familie der E r d e d ü r f t e einen so weit zurückreichenden S t a m m b a u m (75 Generationen!) aufzuweisen haben. Kung-ds'i w a r ein Mann von H a r m o n i e des K ö r p e r s und Geistes, ein Philosoph, der seine Lehre nicht nur verkündete, sondern auch lebte. E r w a r groß und stark von K ö r p e r b a u , flink im Lauf und mutigen Herzens. Starke moralische K r a f t und selbständiges W r ollen. sicheres praktisches Urteilsvermögen, gepaart mit nüchternem Verstand, zeichneten ihn aus, dazu w a r er eine gerade und unkomplizierte N a t u r . Buch X der Lun-yü 5 7 ), der „Gespräche", trägt viele Züge zu seiner L e b e n s f ü h r u n g bei. S t r e n g hielt er, bei H o f e wie im täglichen Leben, auf ein ins kleinste geregeltes Zeremoniell, nie ließ er sich gehen. Bei H o f e war er sehr korrekt, die überlieferten Formen bedeuteten ihm den Ausdruck der staatlichen Autorität. E r aß nicht viel und w a r mäßig im T r i n k e n , ohne den W e i n ganz zu verschmähen; er aß nichts, was nicht richtig zubereitet war, nicht richtig geschnitten war, nicht die richtige Brühe h a t t e ; wenn die Matte nicht richtig lag, setzte er sich nicht darauf uswr. Solche kleinen Züge mögen uns E u r o p ä e r oft ein wenig komisch anmuten, nicht so den Chinesen, f ü r den sie das Ideal einer wohlgeordneten L e b e n s f ü h r u n g darstellen. Dem Chinesen sind die äußeren F o r m e n so wichtig wie die innere Gesinnung, beides zusammen bildet ja das ,,li" 3 ) (siehe Einleitung S . 6 ) . Bei Zauberei und Magie der primitiven K u l t u r e n muß bekanntlich der Mensch alle Handlungen in genau vorgeschriebener Weise ausführen, sollen sie wirksam werden, und etwas davon blieb in China erhalten. U n s m a g vieles am K o n f u z i a n i s m u s etwas nüchtern vorkommen, aber es ist nicht zu verkennen, daß die konfuzianische K u l t u r einen Zug ruhiger Vornehmheit t r ä g t und dazu f ü h r t , daß in China oft auch der einfache M a n n sehr gute Manieren hat. Zere-

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moniell und R i t u a l bedeuten dem Chinesen die A u f r e c h t e r h a l t u n g der moralischen

und

sozialen

Ordnung

und

nicht

etwa

den letzten J a h r z e h n t e n hat sich unter dem E i n f l u ß

Pedanterie.

In

abendländischer,

vor allem a m e r i k a n i s c h e r Ideen hierin manches gewandelt, oft genug m i t dem E r g e b n i s , daß J u n g - C h i n a g a r keinen L e b e n s s t i l mehr hat. M i t der Zeit w i r d sich ein solcher wieder bilden, und es w ä r e nicht zu verwundern, wenn dann a l t k o n f u z i a n i s c h e

Ideen wieder m e h r

in

den V o r d e r g r u n d treten, baut doch M a r s c h a l l C h i a n g K a i - s h e k seine „Neue

Lebensbewegung"

auf

den

„vier

sozialen

Tugenden"

auf

(siehe S e i t e 2 9 ) .

2. Kung-dsTs L e h r e A. Weltanschauung Kung-ds'i w a r vor allem ein p r a k t i s c h e r

Philosoph,

Religion

und

K o s m o l o g i e lagen ihm fern, die letzten D i n g e behandelte er zurückhaltend

und

mit

einiger

Skepsis.

Seinem

Schüler

Ds'i-lu,

der

danach b e f r a g t e , erwiderte e r : „ D u kennst nicht einmal das

Leben,

wie k a n n s t du da vom T o d etwas wissen? 1 ' „ M a n ehrt G e i s t e r D ä m o n e n , hält sich aber fern von

ihn und

i h n e n . " E i n A t h e i s t w a r e r aber

nicht, er b e f o l g t e die religiösen G e b r ä u c h e und e r k a n n t e den H i m m e l als obersten Umständen

Herrscher zu folgen

an, dessen hat. E r

weiß,

Befehlen

der W e i s e

daß er unter

H i m m e l s steht und in seinem A u f t r a g w i r k t : es nicht der H i m m e l ? " gekannt,

es

ist

Einen

kennzeichnend,

persönlichen daß

er

dem S c h u t z

allen des

„ D e r mich kennt, ist

Gott

den

unter

hat er aber

Ausdruck

nicht

schang-di15),

o b e r s t e r H e r r s c h e r , nicht verwendet, sondern nur den unpersönlichen A u s d r u c k „ H i m m e l " . D a s S c h i c k s a l des Menschen ist auch ihm der B e f e h l des H i m m e l s , t i ä n - m i n g 2 8 ) , dem n i e m a n d sich entziehen kann, doch ist Kung-ds'i nicht etwa F a t a l i s t , dem T u n und L a s s e n des M e n schen

räumt

er

einen

gewissen

Einfluß

ein.

Gewiß

bestimmt

der

H i m m e l L e b e n und T o d , aber die G e s t a l t u n g des L e b e n s hängt vom Menschen ab, und das Geschick des S t a a t e s vom H e r r s c h e r und seinen B e a m t e n . D e r H i m m e l belohnt die Guten und s t r a f t die B ö s e n , aber Kung-ds'i hat W i r k l i c h k e i t s s i n n genug zu erkennen, daß dieser G r u n d satz A u s n a h m e n h a t ; nicht i m m e r siegt die T u g e n d ,

28

der

Ratschluß

des Himmels ist unerforschlich. Drei Faktoren bestimmen das E r gehen des Menschen: Das Wirken des Himmels, das von diesem bedingte Handeln des Menschen und die äußeren Verhältnisse. Neue Gedanken in religiösen Dingen bringt Kung-dsi nicht, über ein Leben nach dem T o d e sich zu äußern, lehnt er ab. Seine Bedeutung liegt nicht auf dem Gebiet der Metaphysik, sondern dem der Ethik, das sittliche Verhalten des Menschen als Einzelperson und als Mitglied der Familie und des — als Erweiterung der Familie aufgefaßten — Staates, das ist das für Kung-dsi im Vordergrund stehende Problem. Die Diesseitigkeit des Konfuzianismus geht auch aus den folgenden (nicht von Kung-dsi selbst herrührenden) Zusammenstellungen hervor: 1.

Die

vier

Kardinaltugenden,

s'i-i 5 8 ):

hsiao-di-dschung-hsin 5 9 ),

kindliche Ehrfurcht, Brüderlichkeit (eigentlich Verhalten des jüngeren zum älteren Bruder), Gewissenhaftigkeit oder Loyalität und W a h r haftigkeit

(Zuverlässigkeit).

2. Die vier sozialen Tugenden, s'i-we 6 0 ): li-i-liän-tsch'i 6 1 ), Schicklichkeit (siehe auch S. 6 und chinesisches Zeichen 3 )), Rechtlichkeit, Lauterkeit, Schamgefühl (Ehrgefühl). 3. Die fünf Universaltugenden, wu-tschang 6 2 ): jen-i-li-dschi-hsin 6 3 ), Nächstenliebe (Humanität), Rechtlichkeit, Schicklichkeit, Weisheit, Wahrhaftigkeit (Zuverlässigkeit). 4. Die fünf menschlichen Beziehungen, wu-lun 1 8 ): djiin-tschen, fu-ds'i, fu-fu, hsiung-di, peng-yu 6 4 ), Fürst und Untertan, Vater und Sohn, Ehegatten, älterer und jüngerer Bruder, Freunde (siehe auch oben Seite 6 ) .

B. Ethik a) ü a s Individuum

Kung-dsi lehrt nicht, daß der Mensch von Natur gut sei und erst durch eigene Schwäche, böse Einflüsse usw. schlecht werden könnte; diese Doktrin stellte erst Meng-ds'i 6 5 ), der große Jünger Kung-dsi" s

29

auf, unter seinem Einfluß wurde allerdings später diese Auffassung im Konfuzianismus vorherrschend. Ebensowenig nimmt Kung-dsi an, daß der Mensch von Natur schlecht sei, er lehrt nur, daß die Menschen von Natur einander nahestehen und erst durch die Gewohnheit des täglichen Lebens voneinander entfernt werden. Die Unterschiede der Charaktere und Veranlagungen erkennt er an, hält sie aber mehr für anerzogen als angeboren. Die Menschen teilt er ein in djün-ds'i 60 ), dschung-jen 6 7 ) und hsiao-jen 6 8 ). Djün-ds'i bedeutet Fürst oder Herr, im modernen Sprachgebrauch w i r d es oft wie das deutsche Wort Herr zum Familiennamen gefügt. Kung-ds'i bezeichnet damit den überlegenen, über das Mittelmaß hinausragenden Geist. „Nur mit denen, die über das Mittelmaß hinausragen, kann man über die höchsten Dinge reden." Wilhelm übersetzt djün-ds'i mit „der Edele", eine an sich glückliche Wendung, doch darf man j a nicht an einen Aristokraten, also an Geburtsadel, denken. Der djün-ds'i ist nicht vollkommen, auch hat er unablässig an sich zu arbeiten und weiterzustreben, wofür Kung-ds'i selbst das Vorbild gab, sagte er doch am Ende seines Lebens, er könne wohl frei von großen Fehlern sein, wenn ihm noch einige Jahre vergönnt wären, das Buch der Wandlungen zu studieren. Die Schar der Mittelmäßigen, der dschung-jen, kann gefördert oder herabgedrückt werden, zum mindesten kann der Mittelmäßige durch eifriges Lernen einiges erreichen, während es mit den hsiao-jen, wörtlich „den Kleinen, Geringen", man könnte fast sagen, den Schwachen im Geist, hoffnungslos bestellt ist, sie bleiben wie sie sind, ihnen kann niemand helfen. Irgendwelche Illusionen über die menschliche Natur macht sich Kung-dsi nicht. Die Tugend ist selten, wenige kennen sie, und noch geringer ist die Zahl derer, die sie lieben, die meisten Menschen ziehen die Schönheit der Tugend vor. Der Liebe zum Guten muß sich der Haß gegen das Böse gesellen, ohne diesen Haß kann die Liebe zur Tugend nicht stark sein. Man muß bereit sein, für die Tugend das Leben zu opfern, Kung-ds'i fordert also volle Hingabe, er ist kein Hedonist. Der W e g zur Tugend ist an sich leicht, man braucht sie nur ernsthaft zu wünschen, und schon ist sie da. Fehler hat jeder, aber man kann sie sich abgewöhnen, bedenklich werden sie erst dann, wenn man bei ihnen verharrt. Bei aller Wertschätzung guter äußerer Formen ist Kung-ds'i sich darüber im klaren, daß schöne Worte und liebenswürdige Formen nicht notwendig, ja nicht einmal h ä u f i g sich

30

mit der L i e b e zur T u g e n d vereinen. Zwei nicht leicht zu übersetzende A u s d r ü c k e verwendet der Weise, u m den „ E d e l n " zu kennzeichnen: 1. D s c h u n g 6 9 ) , w a s man mit „ G e w i s s e n h a f t i g k e i t , A u f r i c h t i g k e i t , L o y a l i t ä t " übersetzen kann. D a s chinesische Zeichen ist ein hübsches S c h r i f t b i l d : D a s H e r z in der Mitte (das H e r z auf dem rechten F l e c k haben). Rechtes Maßhalten ist höchste T u g e n d , der E d l e wandelt den goldenen Mittelweg. 2. S c h u 7 0 ) , meist, aber nicht genau, mit „ G e g e n s e i t i g k e i t " übersetzt. E s w i r d erklärt als die A r t und Weise, wie die H u m a n i t ä t sich in die P r a x i s umsetzt, und heißt auch „ v e r z e i h e n " . H u m a n i t ä t heißt auf chinesisch „ j e n " 7 1 ) , und auch hier ist d a s S c h r i f t b i l d charakteristisch, es besteht a u s den Bestandteilen „ M e n s c h " und „ z w e i " , gibt a l s o d a s (sittlich richtige) Verhalten der Menschen zueinander an. W a s K u n g dsi unter „ s c h u " versteht, geht a u s dem berühmten A u s s p r u c h h e r v o r : D j i so bu yü, wu sch'i yü j e n 7 2 ) , d. h. „ W a s du selbst nicht wünschst, d a s f ü g e keinem andern z u . " U n s E u r o p ä e r mutet die negative F a s s u n g f r e m d a r t i g an, aber die chinesische S p r a c h e verwendet gern doppelte N e g a t i o n e n , u m einen positiven S i n n a u s z u d r ü c k e n ; so w i r d z . B . „ A l l w i s s e n h e i t " wiedergegeben m i t : „ E s g i b t nichts, w a s er nicht w e i ß . " K u n g - d s i meint also, man solle seinen Nächsten s o behandeln, wie m a n selbst behandelt zu werden wünscht. V e r g e l t u n g von B ö s e m mit Gutem, die d a s Christentum fordert, lehnt er a b : „ W o m i t soll man dann Güte vergelten? V e r g i l t Unrecht mit Gerechtigkeit, und Güte mit G ü t e . " D e r sittliche L e b e n s w a n d e l hat den V o r r a n g vor der W i s s e n s c h a f t , wer viel weiß, aber keine moralische Persönlichkeit ist, ist kein „ E d l e r " . D e r W e i s e wird dargestellt als g ü t i g , rechtschaffen, höflich, mäßig, bescheiden, mild, w a h r h a f t i g . D a z u legt K u n g - d s i W e r t auf die V o r z ü g e , die ein wohlerzogener, feingebildeter M a n n zu haben p f l e g t : A n g e n e h m e U m g a n g s f o r m e n , freundliches und höfliches E n t gegenkommen, E i n f a c h h e i t usw. I m m e r wieder betont der Meister, daß dies alles nicht nur äußerer Schein sein darf — dann w ä r e es j a kein wirkliches „ I i " 3 ) — sondern innerlich echt sein muß, immer wieder wird der N a c h d r u c k auf W a h r h a f t i g k e i t , A u f r i c h t i g k e i t und T r e u e gelegt. Wohlwollen, Weisheit und M u t geziemen dem „ E d l e n ' ' , F e i g heit ist verächtlich. „ W e r d a s Rechte kennt und es nicht tut, ist f e i g e . "

31

Auf materielle Dinge kommt es nicht an, der Weise führt ein einfaches, frugales Leben. Kung-ds'i hält Studium und Wissen nicht nur für unentbehrlich, sondern geradezu für eine Tugend, die zur Moral erzieht und den Menschen gut und edel macht. W a r er doch selbst eip Gelehrter und hatte aus dem Studium der klassischen Schriften die Grundlagen für seine ethischen Untersuchungen gewonnen. Das (nicht von Kung-dsi verfaßte, sondern erst später zusammengestellte) Lun-yü 5 7 ), die Gespräche des Konfuzius, beginnt mit dem Ausspruch: „Lernen und sich beständig üben, ist das nicht auch eine F r e u d e ? " Von sich selbst meint Kung-dsi, die Liebe zum Studium sei sein Hauptvorzug, er sei nicht ein Heiliger, sondern strebe nur danach, einer zu werden, und werde nicht müde, andere zu unterweisen. Er behauptet nicht, daß er wie die Weisen und Heiligen angeborenes Wissen besitze, er liebe nur das Altertum, dem er alles verdanke, er sei kein Neuschöpfer, sondern nur ein Überlieferer. Jeder muß sich über die Grenzen des eigenen Wissens klar sein und ehrlich sein Nichtwissen eingestehen. Der Fleiß allein genügt natürlich nicht: „Lernen ohne Denken ist nutzlos, Denken ohne Lernen ist gefährlich." Eine voraussetzungslose Wissenschaft erkennt er nicht an, die klassischen Bücher enthalten die allein wahre Lehre, vor Irrlehren, zu denen das reine Denken leicht führt, warnt er nachdrücklich. Dem Erlernen der bewährten Wahrheiten mißt er viel größeren Wert bei als selbständigem Denken. Damit gewann Kung-ds'i wohl eine sichere Grundlage, verlegte aber der freien Entwicklung der Wissenschaft überhaupt und vor allem der Philosophie den W e g ; in späteren Jahrhunderten hatte er in China etwa dieselbe Stellung wie Aristoteles in den Zeiten der abendländischen Scholastik, nur seine Lehre w a r orthodox, alle anderen galten als Irrlehren. F ü r Fachwissenschaften hatte Kung-ds'i wenig übrig, doch gab es diese zu seiner Zeit auch kaum, Naturwissenschaften und Technik staken in den Kinderschuhen, beide haben sich in China überhaupt nie sehr entwickelt, die Medizin beruhte fast ganz auf Erfahrung, ebenso die Militärwissenschaft, soweit von einer solchen die Rede sein konnte. Eine eigentliche Rechtswissenschaft gab es auch nicht, überhaupt kaum kodifiziertes Recht. Staatsverfassung, Verwaltung und Rechtsprechung beruhten auf durch ihr Alter geheiligten Gewohnheiten, wichtiger als alle Gesetze w a r die Moral. Die Ethik ist also für Kung-dsi die einzig wesentliche Wissenschaft, man erlernt sie aus den klassischen Büchern,

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vor allem dem Buch der Lieder sowie den Werken über Geschichte und Riten. Bei seiner Lehrtätigkeit machte Kung-ds'i keine Klassenunterschiede, jeder Schüler, ob reich oder arm, ob von vornehmer oder geringer Abkunft, war ihm willkommen, wenn nur ernstliches Streben ihn beseelte. Nach der Aufnahmefähigkeit der Menschen unterschied er vier K l a s s e n : Die mit angeborenem Wissen, das sind die (naturgemäß seltenen) Weisen und Heiligen, dann die Begabten, die durch Studium zum Wissen gelangen, drittens die Beschränkten, die aber durch Fleiß doch etwas erreichen, und schließlich die Dummen, die es nie zu etwas bringen, mögen sie auch noch so hart arbeiten. Wissen ist eine Tugend und bahnt den W e g zu anderen Tugenden, deren keine ohne Wissen bestehen kann: Wohlwollen ohne Wissen verführt zur Einfalt, Tapferkeit ohne Wissen zur Unbeherrschtheit. Bei Meng-dsi und späteren Konfuzianern spielen Wohlwollen und Gerechtigkeit eine größere Rolle als bei Kung-dsi, der mehr W e r t auf Schicklichkeit (Ii) 3 ) und Musik legt. Die Schicklichkeitsregeln werden aus den Grundsätzen abgeleitet, die dem Wirken des Himmels zugrunde liegen und Analogien in den Vorgängen der E r d e haben. E s gibt 3 0 0 Hauptregeln und 3 0 0 0 Nebenregeln. Die Zeremonien sind je nach Verwandtschaft, Klasse und R a n g verschieden, eine allgemeine Gleichheit wird abgelehnt, und wenn auch der Klassenhaß Kung-dsi und dem Chinesentum überhaupt vollkommen fern lag — bis vor nicht langer Zeit gab es nicht einmal einen Ausdruck für Klassenkampf und dergleichen — , so werden doch Unterschiede des Ranges anerkannt. Schicklichkeit ist der Ausdruck der Tugend. „Sieh nichts Unschickliches an, höre nicht auf Unschickliches, tue nichts Unschickliches." Ebenso wie das Wissen, muß auch die Schicklichkeit zu den anderen Tugenden treten, fehlt sie, so können Tugenden leicht zu Schwächen werden, aus Ehrerbietung wird Übereifer, aus Aufrichtigkeit Grobheit usw. Zu wissen, was Sitte und Anstand in jedem Falle verlangen, erfordert eingehendes Studium der Regeln, hierdurch gewinnt man einen festen Halt und Charakterstärke. „Wenn man gründlich die L i t e r a t u r studiert und sich von den Regeln der Sitte leiten läßt, kommt man nicht leicht vom rechten Wege a b . " Die Sitten werden mit der Musik verknüpft, die nach Auffassung Kung-ds'i's eine veredelnde W i r k u n g ausübt, eine Wertschätzung der Musik, wie sie sich unter den Philosophen wohl nur noch bei Schopenhauer findet. Kung-ds'i sang selbst und spielte die Zither, wie zu seiner Zeit wohl alle Ge3

33

lehrten. Zur altchinesischen Musik gehörte Instrumentalmusik mit Zither, Harfe, Flöten, Glockenspiel und Klangsteinen, ferner von Instrumenten begleiteter Gesang sowie Tanz und Pantomimen. „Durch die Oden wird der Geist angeregt, durch die Regeln der Sitte der Charakter gefestigt und durch die Musik zur Vollendung geführt." Leider ist die altchinesische Musik vollständig verlorengegangen, so daß wir uns keinerlei Vorstellung von ihr machen können. — Wie wir schon sahen, ist in der Lehre Kung-dsi's der djün-ds'i 06 ), der „Edle", der Überlegene, der Mittelpunkt, nach dem alles gravitiert. Für sein Verhalten werden nicht allgemeine Prinzipien aufgestellt, sondern es wird untersucht, wie der „Edle" sich unter den verschiedensten Umständen benehmen würde. Diese Betrachtungen haben auf die führenden Schichten Chinas viele Jahrhunderte lang stark eingewirkt, denn jeder Chinese von Bildung strebte danach, ein djün-ds'i zu sein — oder doch wenigstens zu scheinen. Man hat oft das englische Ideal des Gentleman zum Vergleich herbeigezogen, doch wird aus dem Vorgehenden klar geworden sein, wie sehr verschieden der konfuzianische Edle vom englischen Gentleman ist. Am besten illustrieren wir das schon Gesagte durch einige Beispiele aus den Lun-yü: „Der Edle pflegt seine eigene Persönlichkeit mit größter Sorgfalt und wirkt dadurch auf das Volk ein, das Ruhe und Frieden erlangt, indem es seinem Beispiele folgt." „Wenn der Charakter die feine Bildung übertrifft, haben wir einen ,Bauern' (ungeschliffenen Edelstein), wenn umgekehrt die feine Bildung den Charakter übertrifft, einen ,Literaten' (wir würden modern sagen, einen Intellektuellen), wenn dagegen Bildung und Charakter sich vollkommen die Waage halten, haben wir einen ,Edlen'." Der Edle empfindet Ehrfurcht vor den Befehlen des Himmels, den Taten der großen Männer und den Worten der Heiligen. Im übrigen kennt er weder Sorge noch Furcht, denn was könnte ihm widerfahren? Sein Gewissen ist rein, er hat keinen Fehler, für den er Bestrafung fürchten müßte. Daher bewahrt er unter allen, auch den widrigsten Umständen vollkommene Seelenruhe. Gerät er in Not, so trägt er sein Mißgeschick mit Würde, während der Gemeine (hsiao-jen 68 ), der Geringe, jeden Halt verliert. Der Edle ist nicht frei.von Ehrgeiz, er will das Gute und tut es, will aber auch anerkannt sein. Niederdrückend ist für ihn der Gedanke, daß nach seinem Tode sein Name nicht mehr genannt wird, aber wichtiger als das Lob anderer ist ihm das Bewußtsein des eigenen 34

W e r t e s : „Der Edle ist betrübt über seinen Mangel an Fähigkeiten, aber nicht darüber, daß die Menschen ihn nicht kennen. Im Verkehr mit andern ist er leutselig, läßt sich aber mit schlechten Charakteren nicht ein." Man sieht, hier w i r d ein stolzes, fast hochmütiges Ideal aufgestellt, der konfuzianische „Edle" rechnet sich zweifellos auch zu den „aristoi", nur eben nicht auf Grund seiner Abstammung, die keine Rolle spielt. Ein Mann aus einfachem Stande kann ein „djünds'i" sein, ein Fürst ist vielleicht nur ein „hsiao-jen'', ein Geringer.

b) Die Familie

Der Familiensinn des Chinesen ist stark ausgebildet, ähnlich w i e bei den Indern und alten Römern ist im Grunde die F a m i l i e die kleinste Einheit, der einzelne gilt nur etwas als ihr Bestandteil, ein extremer Individualismus, wie ihn das Abendland in den letzten Jahrhunderten gekannt hat, w a r in China unbekannt, erst in neuester Zeit zeigen sich Ansätze dazu. Die ethische Grundlage des Familienlebens heißt chinesisch hsiao 7 3 ),-ein nicht leicht mit e i n e m Wort wiederzugebender Ausdruck. Er umfaßt die Liebe der Kinder zu ihren Eltern und zugleich die diesen schuldige Ehrfurcht, die kindliche Pietät. Sie zeigt sich im Gehorsam gegenüber den Eltern, Unterordnung unter ihren Willen und ehrerbietigem Verhalten. Ein wirklich vom hsiao beseelter Sohn dient seinen Eltern mit voller Hingabe. Meint er, daß sie irren oder g a r unrecht tun wollen, so darf er ihnen wohl in bescheidener Form Vorhaltungen machen, kehren sie sich aber nicht an seinen Rat, so darf er nicht etwa mit ihnen streiten oder auch nur in seiner Ehrerbietung nachlassen, und mögen die Eltern ihn noch so schlecht behandeln, er darf nicht murren. Es genügt nicht, das er gut für das leibliche Wohl der Eltern sorgt, er muß ihnen mit ganzem Herzen dienen. Die Sorge für die Eltern erstreckt sich auf die Zeit ihres Lebens, ihren Tod und die Zeit nach dem Tode. „Solange die Eltern leben, muß man ihnen nach der Sitte dienen, wenn sie gestorben sind, sie nach der Sitte begraben und ihnen nach der Sitte opfern." Die Trauerzeit für die Eltern dauerte drei Jahre, tatsächlich 27 Monate. Während dieser Zeit durfte der trauernde Sohn kein Staatsamt bekleiden, es sei denn auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers, er mußte sich alle Annehmlichkeiten des Lebens versagen, durfte nur die nötigste Nahrung zu sich nehmen, kein be3*

35

quemes L a g e r haben, mußte in einer besonders errichteten Hütte am Grabe wohnen und trug Trauerkleidung aus grobem, ungefärbtem Stoff. Die kindliche Ehrfurcht w i r d Vater u n d Mutter geschuldet, und wenn auch nach dem Tode des Vaters nicht die Mutter, sondern der älteste Sohn Familienoberhaupt wird, so schuldet er seiner Mutter doch nach wie vor kindlichen Gehorsam, so daß die Stellung auch der verwitweten Mutter in der F a m i l i e sehr stark ist. Von Pflichten der Eltern ihren Kindern gegenüber ist nicht die Rede, der Vater hat unbeschränkte Gewalt selbst über Leben und Tod seiner Kinder. In der P r a x i s hat dies glücklicherweiser selten zu schlimmen Dingen geführt, der Chinese ist sehr kinderlieb und stolz auf eine große Familie. In abgeschwächter Form stellt nsiao sich dar als brüderliche Liebe, der jüngere Bruder hat sich dem älteren unterzuordnen. Von Schwestern ist nicht die Rede, Mädchen galten nicht viel in China, auch deshalb, weil so gut wie alle durch Heirat in die Familie ihres Mannes übergingen und dann natürlich ihren Schwiegereltern kindliche Ehrerbietung schuldeten. Der Ehestand gehört zu den fünf sittlichen Beziehungen, wu-lun 1 8 ), dem patriarchalischen Grundsatz gemäß hat der Mann alle' Rechte, u. a. stand nur ihm das Recht der Ehescheidung zu, die übrigens in China selten vorkam. In der P r a x i s hat sich auch in China oft genug der Einfluß der F r a u als der stärkere erwiesen, viele Geschichtchen von Pantoffelhelden sind in Umlauf. Die Söhne leben in erster L i n i e für die Eltern, von einem „ J a h r hundert des Kindes" ist in China nie die Rede gewesen. Die Söhne sollen bei Lebzeiten ihrer Eltern keine weiten Reisen machen (außer im A u f t r a g e des Kaisers), und sie sollen ihren Körper, den sie ihren Eltern verdanken, unversehrt halten. Dies hat dazu geführt, daß die Chinesen sich ungern ein Glied amputieren lassen, auch wenn die Operation dringlich ist; in neuester Zeit haben allerdings die glänzenden Erfolge der modernen Chirurgie hierin manches verändert. Charakteristisch für die A u f f a s s u n g der kindlichen Pietät ist folgende Erzählung: Eine Familie, bestehend aus den alten Eltern, Mann, F r a u und zwei kleinen Kindern, w i r d von einer Überschwemmung bedroht. Mann und F r a u können sich selbst in Sicherheit bringen, müssen aber wählen, ob sie die alten Eltern oder die Kinder retten wollen. W i r Europäer würden hier von einem tragischen Konflikt' sprechen, für den Konfuzianer ist die Entscheidung nicht

36

zweifelhaft: tüchtigen

N a c h d e m die E h e l e u t e die K i n d e r

Körben

untergebracht

haben,

in g r o ß e n ,

nehmen

sie

schwimm-

die

Eltern

sich, denn die E l t e r n h a t m a n n u r e i n m a l , K i n d e r k a n n m a n

mit

wieder

h a b e n o d e r a d o p t i e r e n . N a t ü r l i c h f i n d e t die T u g e n d ihren L o h n : Wasser halten Ist

verlaufen,

und

das

Ehepaar

findet

kindlichen

Pietät

die

Kinder

Die

wohlbe-

vor. die

Doktrin

von

der

ein

Segen

für

China

g e w e s e n ? I m g r o ß e n und g a n z e n k a n n m a n diese F r a g e wohl b e j a h e n . Gewiß

litt und leidet

d e r e i n z e l n e o f t u n t e r dem s t a r r e n

Familien-

s y s t e m , die f r e i e E n t f a l t u n g der P e r s ö n l i c h k e i t v e r k ü m m e r t e o f t , d a s I n d i v i d u u m w u r d e von den K o l l e k t i v v e r b ä n d e n u n t e r d r ü c k t . A n d e r e r seits

ist

der

straffe

Zusammenhalt

der

Familie

nicht

nur

für

e i n z e l n e n doch a u c h ein g r o ß e r V o r t e i l g e w e s e n , s o n d e r n h a t los das S e i n e dazu b e i g e t r a g e n ,

daß

der als G r o ß f a m i l i e

den

zweifel-

aufgefaßte

c h i n e s i s c h e S t a a t die S t ü r m e v i e l e r J a h r h u n d e r t e ü b e r d a u e r t h a t . Die

alte

Kämpfen Der

Sitte

der

Blutrache,

feindlicher K l a n s

Sohn

soll den

rächen. M a n

Mord

die

noch

vorkommt, seines

jetzt

in

China

bei

w i r d von K u n g - d s i

Vaters

mit der W a f f e

— den

gebilligt.

am

Mörder

soll B ö s e s m i t G e r e c h t i g k e i t v e r g e l t e n , und als

gerecht

e r s c h e i n t n u r v o l l e V e r g e l t u n g , M o r d k a n n n u r durch M o r d

gesühnt

w e r d e n , und dazu ist der p i e t ä t v o l l e S o h n an e r s t e r S t e l l e b e r u f e n .

c) Der Staat Die

Regierung

ist

für

Kung-dsi

eine

göttliche

Einrichtung,

M e n s c h e n s i n d f ü r den S t a a t da u n d . h a b e n sich ihm Kung-dsi

folgt

auch

hierin

Schriften,

der H e r r s c h e r

ganz

den

Grundsätzen

ist der S o h n

des H i m m e l s

die

unterzuordnen. der

klassischen

und h a t

dessen

W i l l e n a u s z u f ü h r e n , w o b e i e r s i c h dem n a t ü r l i c h e n L a u f der

Dinge,

der

Weltvernunft,

gegenüber

wie

dem T a o 1 6 ) ,

ein V a t e r

seinen

anpaßt.

Seinen

Kindern,

Untertanen

seine

steht

Regierung

a u f T u g e n d b e r u h e n d e A u t o k r a t i e . F ü r K u n g - d s i w a r der

ist

er

eine

Herrscher

der w i c h t i g s t e B e s t a n d t e i l des S t a a t e s . „ D i e E i g e n s c h a f t e n des E d l e n (des F ü r s t e n )

s i n d wie der W i n d ,

die d e r g e w ö h n l i c h e n

Leute

wie

das G r a s . W e n n der W i n d ü b e r das G r a s w e h t , b e u g t es sich n i e d e r . " „ D e r F ü r s t ist das S c h i f f , s e i n e U n t e r t a n e n das W a s s e r . D a s

Wasser

t r ä g t das S c h i f f , k a n n es a b e r a u c h u m w e r f e n , d e s h a l b ist der der

Gefahr

eingedenk."

Kung-dsi

hält

also

die

Absetzung

Fürst eines

37

F ü r s t e n nicht f ü r unmoralisch, aber sonst liegen ihm ..demokratische" Grundsätze fern, wie etwa Entscheidung durch die Mehrheit, Volksvertretungen usw., und nie hat er an eine Republik gedacht. E r setzt den Lehnsstaat der Dschouzeit ebenso als selbstverständliche Staatsf o r m voraus wie etwa P l a t o die Polis seiner Epoche. Bei der Auswahl der Beamten ist vor allem der Charakter wichtig, fachliche V o r b i l d u n g und besondere E i g n u n g werden nicht gefordert, der djün-ds'i 6 6 ), der Edle, ist ohne weiteres f ü r jeden Posten geeignet. Zu den Zeiten Kung-ds'i's waren solche G r u n d s ä t z e angängig, eine patriarchalische R e g i e r u n g herrschte über einen noch sehr einfachen Organismus, das alte China w a r ein B a u e r n s t a a t mit wenig Handel, wirtschaftlich weitgehend autark, und hatte wenig oder keine Ber ü h r u n g mit dem Auslande. Da konnte, wer als guter Familienvater seine Familie in O r d n u n g hielt, auch die Großfamilie, den Staat, regieren. Entschlossenheit, Intelligenz und Geschicklichkeit verlangte man vom Beamten, aber es genügte, wenn jemand als besonders pietätvoller Sohn bekannt war, denn der Staat wird von denselben sittlichen Grundsätzen beherrscht wie die Familie. Baut K u n g - d s i so den Staat auf der Sittlichkeit auf, so erkennt er als praktischer Politiker doch an, daß unter U m s t ä n d e n die gewöhnlichen Moralregeln f ü r einen S t a a t s m a n n nicht gelten, doch soll dies die Ausnahme und nicht die Regel sein. „ W e n n man das Volk mit Verwaltungsmaßregeln lenken und mit S t r a f e n regieren will, dann wird es letztere zu vermeiden trachten, aber keine Scham empfinden (kein schlechtes Gewissen haben). Lenkt man es dagegen mit T u g e n d und regiert es mit Schicklichkeit (Ii) 3 ), d a n n wird es Scham empfinden und gute Grundsätze haben." Von der Juristerei hielt K u n g - d s i also wenig; regieren heißt, das Volk den richtigen W e g führen. Vielgeschäftigkeit ist vom Übel, die vorbildliche Persönlichkeit des F ü r s t e n ist wichtiger als irgendwelche Anordnungen, die umgangen werden können. Drei F o r d e r u n g e n stellt K u n g - d s i f ü r die praktische Politik und S t a a t s f ü h r u n g a u f : Genügend Lebensmittel, hinreichende Verteidigung, und Vertrauen des Volks zum Herrscher. Das letzte ist ihm das Wichtigste, ohne Vertrauen des Volkes zum H e r r s c h e r kann kein Staat bestehen. Die Notwendigkeit der L a n d e s v e r t e i d i g u n g erkennt K u n g - d s i an, E r o b e r u n g s k r i e g e v e r w i r f t er, wie er denn überhaupt den K r i e g nicht liebt, ohne ihn aber grundsätzlich abzulehnen.

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3. Beurteilung Kung-dsi's und Entwicklung seiner Lehre W i e jede große Erscheinung hat auch Kung-ds'i und seine Lehre sowohl begeisterte Anhänger wie erbitterte Gegner gehabt. Seine Schüler und Anhänger, von Meng-dsi an durch viele Jahrhunderte hindurch, zollen ihm eine schwärmerische Verehrung, für sie ist er d e r Heilige schlechthin, der nie erreicht worden ist und nie übertroffen werden kann. Doch hatte er zu seiner Zeit schon seine Gegner unter den Staatsmännern, die seine Staatslehre für unpraktisch und undurchführbar hielten, und unter den Philosophen. Vor allem befehdeten ihn die Taoisten und die Mehisten, die Anhänger des Mo-di 7 4 ), auch Mo-dsi 7 5 ), Meister Mo, latinisiert Micius genannt. Mo-di ist der P r e d i g e r der allgemeinen, gleichen, unterschiedslosen Menschenliebe, die er aus dem alles Weltgeschehen beherrschenden Prinzip der Liebe ableitet. „Der Himmel liebt alles, was unter dem Himmel ist, ohne Ausnahme", und nichts ist besser, als ihn zum Vorbild zu nehmen. Gegen ihn trat vor allem Meng-dsi auf, der die Forderung der gleichen Liebe zu allen verwarf, naturgemäß liebe man Angehörige mehr als Fernerstehende. Mo-di hatte zu seiner Zeit eine nicht geringe Zahl von Anhängern, aber später siegte der Konfuzianismus so völlig, daß Mo-di jahrhundertelang in China so gut wie vergessen war. Auch im Abendland schwankt das Urteil über Kung-dsi. Voltaire und die A u f k l ä r e r hielten große Stücke von ihm, andere wieder kritisierten ihn scharf, man sprach ihm Originalität der Gedanken und philosophische Tiefe ab. Nun wollte Kung-dsi selbst nur ein Uberlieferer und nicht ein Neuerer sein, und es ist richtig, daß er nicht der größte chinesische Philosoph genannt werden kann, Lao-dsi und manche seiner Nachfolger überragen ihn als Denker. Niemand aber kann bestreiten, daß er eine Persönlichkeit von hohem sittlichem Ernst war, er lebte die von ihm verkündete Lehre und erstrebte immer das Beste. Er w a r ein Charakter, unabhängig und unbeeinflußbar von äußeren Gesichtspunkten wie Lohn oder Strafe, ihn zeichneten ruhige Klarheit des Denkens und unermüdliche Energie des Forschens aus, immer trachtete er, der inneren Gesinnung auch den richtigen Ausdruck zu geben, und w a r so in seiner Art eine harmonische Per-

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sönlichkeit. E r w a r ein Weiser, der die überlieferte K u l t u r in feste F o r m e n brachte und f ü r wichtige L e b e n s f r a g e n praktische Lösungen fand, die sich in China lange Zeit hindurch bewährt haben. E r k e n n t man dem E r f o l g ein richtende Stimme zu, so ü b e r t r i f f t Kung-ds'i alle anderen Philosophen nicht n u r Chinas, sondern der ganzen Welt. Kein zweiter Philosoph hat wie er über mehr als zwei Jahrtausende eine ganze große K u l t u r — China u m f a ß t etwa ein Viertel der Menschheit, und die chinesische K u l t u r w a r jahrhundertelang führend in ganz Ostasien — so tief und nachhaltig beeinflußt. D e r Grund f ü r diese erstaunliche W i r k s a m k e i t seiner Lehre ist darin zu suchen, daß Kung-ds'i durch und durch Chinese war, wie keine zweite Lehre w a r die seine dem chinesischen Volk durchaus artgemäß — diesseitig, optimistisch, konservativ, zum tätigen Leben anspornend, aber auch von hohen sittlichen Idealen und dem Geist der Friedfertigkeit getragen. — Die weitere E n t w i c k l u n g der L e h r e K u n g - d s i ' s gehört in die Geschichte der chinesischen Philosophie, wir begnügen uns mit der H e r vorhebung einzelner wichtiger P u n k t e . Dseng-dsi 7 6 ), ein Schüler Kung-dsi's, machte in dem von ihm verfaßten hsiao-djing 7 7 ), dem „Klassiker der kindlichen E h r f u r c h t " , die kindliche P i e t ä t zur Grundlage aller anderen Tugenden, die n u r ihre A u s d r u c k s f o r m e n sind. Die Pietät wird auf das Verhältnis zum älteren B r u d e r und das zwischen F ü r s t und U n t e r t a n übertragen, hierdurch entstehen Bruderliebe und L o y a l i t ä t ; behandelt man ältere Personen wie ältere Brüder, so kommt man zur E h r e r b i e t u n g und Höflichkeit. A b e r auch jedes tadelnswerte Verhalten, z. B. mangelhafte A m t s f ü h r u n g eines Beamten, Feigheit im K r i e g e usw., beweist einen Mangel an kindlicher Pietät, denn wer sich so verfehlt, bringt U n g l ü c k und Schande über seine E l t e r n und beweist eben dadurch einen Mangel an P i e t ä t . Dseng-dsi meint, daß diese seine A u f f a s s u n g der Meinung seines Meisters entspräche. Dies d ü r f t e nicht zutreffen, obwohl die kindliche E h r f u r c h t bei Kung-ds'i wichtig genug ist, doch ist der E i n f l u ß der Lehre Dseng-ds'i's nicht zu unterschätzen, sein W e r k sowohl wie eine aus späterer Zeit stammende Sammlung von 24 Vorbildern kindlicher P i e t ä t haben in China enorme V e r b r e i t u n g gefunden. — W a r auch Kung-ds'i zur Zeit seines Todes ein berühmter und von vielen verehrter Meister, so blieb seine L e h r e doch zunächst eine unter mehreren, die Taoisten und Mehisten hatten ebenfalls viele Anhänger,

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und es w a r zweifelhaft, ob der Konfuzianismus das Übergewicht über die anderen Doktrinen erlangen würde. Daß dies schließlich geschah, ist das Verdienst des größten J ü n g e r s Kung-ds'i's, des Philosophen Meng Ko 7 8 ), auch Meng-ds'i 7 9 ), Meister Meng, oder latinisiert Mencius genannt. Meng-ds'i wurde um das J a h r 372 v. Chr. in Tsou, dem Nachbarstaat von Lu, der Heimat Kung-ds'i's, geboren, war also ein jüngerer Zeitgenosse von Plato und ein älterer von A r i stoteles, Zeno und Epikur. W i e sein großes Vorbild verlor auch er früh seinen Vater und wurde von seiner Mutter erzogen, die als ein Muster liebevoller und weiser Mütterlichkeit in die chinesische Geschichte eingegangen ist. Meng-ds'i wirkte als Lehrer und wanderte von einem Fürstenhofe zum andern, ohne je zu dauerndem Einfluß oder einer führenden Stellung zu kommen. In hohem Alter stellte er mit seinen Schülern das nach ihm benannte W e r k zusammen, das mit den schon erwähnten Lun-yü, den Gesprächen des Konfuzius, dem Dschung-yung 8 0 ), Maß und Mitte, und der Da-hsüä 8 1 ), der Großen Lehre, die s'i-schu 82 ), die „vier Bücher" bildet. Die „vier Bücher'' mit den schon erwähnten älteren wu-djing 6 ), den fünf klassischen Büchern, kann man als die neun „heiligen" Bücher des Konfuzianismus bezeichnen, wobei „heilig" allerdings mehr den Sinn „ehrwürdig'' hat, an von Gott inspirierte Schriften ist dabei nicht zu denken. In seinem Heimatort starb Meng-ds'i etwa 289 v. Chr. W i e Kung-ds'i erkennt er eine höchste Macht an, die er meist tiän 1 4 ), Himmel, nennt. Die menschliche Natur stammt vom Himmel, ist also von Natur gut, doch erfordert es unablässige Arbeit, um das Gute zu erhalten und weiterzubilden. Meng-ds'i ist also optimistischer noch als Kung-ds'i; jeder ist des Guten fähig, und auch die Bösen geben zu, daß ihr T u n im Widerstreit mit ihrem Gewissen steht, das der Himmel ihnen verliehen hat. Keiner ist für ewig verloren, auch der Böse kann sich bessern und dem Himmel dienen. W i l l e des Himmels ist es, daß das Volk sich seinen Fürsten und Führern unterordnet, diese aber wieder haben die heilige Pflicht, das Volk nicht nur zu regieren, sondern auch zum Guten anzuhalten; tun sie das nicht, so haben sie ihr Mandat verwirkt und sollen abgesetzt werden. Im Gegensatz zu Kung-ds'i ist für Meng-ds'i das Volk das Wichtigste, dann kommen die Schutzgötter des Reichs, und an letzter Stelle erst der Fürst. Dieser Ausspruch ist von modernen Chinesen republikanischer Richtung dahin ausgelegt worden, daß Meng-ds'i der erste Re-

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publikaner der chinesischen Geistesgeschichte sei. D i e s ist zweifellos u n r i c h t i g , Meng-ds'i so wenig wie Kung-ds'i hat j e an etwas wie eine R e p u b l i k im abendländischen

S i n n e gedacht, auch er setzt die mon-

archische S t a a t s f o r m voraus, nur daß ihm eben der M o n a r c h nicht der w i c h t i g s t e B e s t a n d t e i l des S t a a t e s ist. Ganz wie sein M e i s t e r ist Meng-ds'i ein D i e s s e i t s m e n s c h , um das Jenseits kümmert

er sich kaum,

in

religiösen

Dingen

folgt

er

der

auch von Kung-ds'i vertretenen alten R e l i g i o n mit ihren O p f e r n

für

den H i m m e l und die S c h u t z g ö t t e r . A u f den A h n e n k u l t legt auch er den g r ö ß t e n W e r t , die g r ö ß t e S ü n d e ist es, keine männlichen kommen

zu

hinterlassen,

die

ihren

Ahnen

die

Opfer

Nach-

darbringen

können. Spätere

Konfuzianer

haben

sich

von

der

in

gewissem

Umfang

monotheistischen A u f f a s s u n g vom H i m m e l als dem alleinigen obersten Herrscher Kosmos

entfernt.

auf,

als

Sie

Organ

fassen der

den

Menschen

Weltseele,

deren

als

Mittelpunkt

Denken

und

des

Fühlen

durch ihn zum A u s d r u c k k o m m t . D e r vollkommene, höchste T y p der s c h e n g - j e n 8 3 ) , der H e i l i g e . D i e s e r bildet mit

Himmel

eine D r e i h e i t , s a n - t s a i 8 4 ) , die drei Gewalten, er steht den

und

ist

Erde

Dämonen

und Geistern zur S e i t e und regelt mit ihrer H i l f e die V e r w a l t u n g des S t a a t e s . D e m H i m m e l steht er gleich, in manchen D i n g e n kann er die Führung

übernehmen, wobei der H i m m e l

sich ihm anschließt,

oder

er folgt dem H i m m e l , mit dem er sich in H a r m o n i e weiß. E i n solcher H e i l i g e r ist also eine A r t Ü b e r m e n s c h , er steht G o t t nicht nur gleich, er ist selbst ein Gott und u n f e h l b a r . Ganz wie der c h r i s t l i c h e fürchtet auch der k o n f u z i a n i s t i s c h e H e i l i g e weder T o d noch T e u f e l , aber wie groß

ist

in

allem

übrigen

der

Unterschied

zwischen

beiden!

c h r i s t l i c h e H e i l i g e weiß, daß er i m m e r nur ein sündiger M e n s c h stets

der

Erlösung

bedürftig,

nie

mehr

Gottes des H e r r n . D e r k o n f u z i a n i s t i s c h e

als

ein

Der ist,

demütiger

Knecht

H e i l i g e kennt den

Begriff

der S ü n d e nicht, er ist fehlerlos, er b e d a r f keiner E r l ö s u n g durch die Gnade Gottes, ein B e g r i f f , der dem Chinesentum von j e h e r f r e m d war. U n d er ist nicht ein K n e c h t des H ö c h s t e n , nein, er steht ihm gleich, auch er ist H e r r aller D i n g e . A l l e r d i n g s w a r man sich d a r ü b e r

im

klaren,

im

daß

ein

solcher

Heiliger

nur

höchst

selten

vorkommt,

Grunde galten nur die H e r r s c h e r der U r z e i t und Kung-ds'i als H e i l i g e , der in k o n f u z i a n i s t i s c h e n S c h r i f t e n oft auch schlechthin „der H e i l i g e " genannt

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wird.

Zu einem gewissen Abschluß w u r d e die konfuzianistische Lehre durch Dschu Hsi 8 5 ) (1130—1200) gebracht. Seine eigene N a t u r philosophie ist stark vom T a o i s m u s und Buddhismus beeinflußt, er selbst betrachtet sich aber als K o n f u z i a n e r . In ethischen F r a g e n hat er wenig neue Gedanken entwickelt, er begnügt sich damit, die konfuzianische Moral zu erläutern und auszubilden. Auch er verficht die These, daß der Mensch von N a t u r gut sei, die H a u p t t u g e n d ist f ü r ihn jen 8 6 ), das Wohlwollen, die H u m a n i t ä t , aus der sich alle anderen entwickeln. Sein K o m m e n t a r zu den klassischen Schriften galt 700 J a h r e lang als orthodox, so daß Dschu H s i den größten E i n f l u ß auf das chinesische Geistesleben ausgeübt hat.

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IV. Taoismus Die Taoisten sind in vieler Hinsicht die Antipoden der Konfuzianer. Ist das Reich der Anhänger Kung-dsi's streng genommen „nur von dieser W e l t " , so leben die Taoisten fast mehr im Jenseits als im Diesseits. Sie sind die Metaphysiker Chinas, ihre Lehre ist stark durchsetzt mit mystischen und phantastischen Vorstellungen. Der Konfuzianer ist ein Weltmann, ein Mann der T a t und des Kampfes, der Taoist ein Asket, der das Nichthandeln lehrt, alles Heil vom Übersinnlichen erwartet und auf die Macht der Demut und Schwäche vertraut. In seiner späteren Entwicklung wurde die ursprüngliche Lehre vom T a o von Phantastik und Aberglauben überwuchert, Magie, Zauberei und Alchimie fanden in ihr einen Nährboden.

1 . Lao-dsi' A. Leben und Persönlichkeit Als eigentlicher Begründer des Taoismus gilt Lao-ds'i 8 7 ), von dessen Person, ganz im Gegensatz zu der des Kung-dsi, wenig bekannt ist. Sein Familienname w a r L i 8 8 ) , sein R u f n a m e Örl 8 9 ), sein Beiname Bo-yang 9 0 ), und sein posthumer Name Dan 9 1 ). Dan bedeutet „Ohr ohne Rand", der Name deutet vielleicht auf die merkwürdig geformten Ohren Lao-ds'i's hin. Sein Geburtsort w a r das Dorf Tjü-jen-li in dem heutigen Bezirk Guetö (Kuei-te) in der Provinz Honan, nahe der Grenze der Provinz Anhui. Von seinem Leben ist nur bekannt, daß er Archivar der Zentralregierung, also des Hauses Dschou, in L o y a n g war. Ganz im Geist seiner Lehre lebte er in stiller Zurückgezogenheit, auf Ruhm und Ansehen legte er keinen W e r t . Als er den unaufhaltsamen Verfall der Dynastie sah, soll er weggezogen sein und bei einem Grenzpaß auf Bitten des Grenzkommandanten Yin Hsi das Dao-dö-djing 9 2 ) (Tao-tek i n g ) , bestehend aus zwei Abschnitten mit über 5000 Zeichen, ge-

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schrieben haben. Niemand weiß, wo er seine T a g e beschlossen hat. Manche nehmen an, er sei bis Kleinasien gekommen und habe dort die Lehren des Pythagoras und Plato kennengelernt, doch ist dies unwahrscheinlich. Lao-ds'i's bedeutendster Nachfolger Dschuang-dsi weiß nichts von einer solchen Reise, sondern berichtet vom Tode Lao-ds'i's im Kreise seiner Schüler. Die Frage, wann Lao-ds'i lebte, w i r d wohl für immer ungeklärt bleiben. Dschuang-dsi und, auf ihm fußend, der große Geschichtsschreiber Si-ma T j i ä n berichten von einem Gespräch Lao-ds'i's mit Kung^dsi, aber es wurde bereits darauf hingewiesen (S. 24), daß diese Unterredung wohl nie stattgefunden hat. Meist nimmt man an, daß Lao-ds'i um 604 v. Chr. geboren ist, aber aus den alten chinesischen Quellen geht dies nicht mit Sicherheit hervor. Angesichts so unbestimmter Angaben über das Leben Lao-ds'i's ist es nicht auffallend, daß manche ihn für eine sagenhafte F i g u r erklären und bestreiten, daß das Tao-te-king überhaupt von ihm herrührt. Chinesische wie europäische Gelehrte sind indes in ihrer großen Mehrheit der Ansicht, daß Lao-ds'i doch gelebt hat und daß Tao-te-king auf seiner Lehre beruht. Ob er es selbst geschrieben hat, ist allerdings eine andere Frage, denn das W e r k ist nur eine Sammlung von 81 Aphorismen, die untereinander wenig Zusammenhang haben, und man kann annehmen, daß es von seinen Schülern nach Aussprüchen des Meisters zusammengestellt ist. In China ist das W e r k seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. sehr populär geworden und seither geblieben, mehrere chinesische Kaiser waren überzeugte Taoisten. Im Abendlande ist das Taote-king seit Ende des vorigen Jahrhunderts auch in weiteren Kreisen bekannt geworden und hat viele Übersetzer gefunden. Oft genug sind diese Übertragungen „der chinesischen Urschrift frei nachgedacht", d. h. sie beruhen g a r nicht mehr auf dem Urtext, sondern sind freie Bearbeitungen, deren Geist oft mehr von dem des Bearbeiters als von dem des „Alten" beeinflußt ist.

B. Seine Lehre a) Metaphysik

Das grundlegende W e r k der taoistischen Lehre, das Tao-te-king 9 2 ), hat seinen Namen von den beiden Grundbegriffen dao (meist tao umschrieben) und dö (te). Beide Begriffe sind schwer mit e i n e m Wort

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wiederzugeben. Das Zeichen für dao hat die Bedeutungen: „Weg, Bahn (im konkreten wie abstrakten Sinne), Wort, sagen." W i e bereits dargelegt (S. 9), bezeichnete die alte chinesische Religion mit T a o das Walten des Himmels, und Lao-ds'i hat es offenbar übernommen, weil ihm dieser Ausdruck noch am geeignetsten zur Wiedergabe einer begrifflich nicht zu erfassenden Intuition erschien. Die Konfuzianer sprechen auch vom T a o (des Himmels oder des Menschen), verstehen darunter aber einen W e g oder eine Methode zur Tugend, die Buddhisten setzen es gleich mit bodhi = Vernunft, bei beiden hat es eine ganz andere Bedeutung als bei Lao-dsi. A m besten behält man den Ausdruck T a o bei, um so mehr, als keine Übersetzung hinreichend erscheint. Die Jesuiten setzten T a o gleich mit dem Logos (im Sinne des Johannes-Evangeliums I. 1: Im A n f a n g w a r das Wort, und das Wort w a r bei Gott, und Gott w a r das W o r t ) , aber der Taoismus kennt keinen persönlichen Gott. W e r T a o = Vernunft setzt, berücksichtigt zu wenig die Erscheinung des T a o auch in der Materie, wer es mit Natur wiedergibt, zu wenig seine Geistigkeit und moralische Natur. Noch weniger kann man T a o als Naturgesetz auffassen, denn es geht der Natur und ihren Gesetzen voraus. M a n hat T a o auch mit W e g oder Bahn im übertragenen Sinne übersetzt, wobei man aber unwillkürlich an den W e g denkt, den man wandeln soll, und nicht an das T a o als den U r g r u n d aller Dinge. M a n hat T a o auch Gott gleichgesetzt, aber das T a o steht der Welt nicht gegenüber wie der Gott der Christen, sondern ist sie selbst. Wilhelm gibt T a o mit „der S i n n " wieder, was es aber sprachlich nicht bedeutet, zudem ist auch diese Wiedergabe nicht umfassend genug. Das Wort T e (dö) bedeutet spontane Handlung, Energie, Macht, Einfluß, sittliches Handeln, Tugend. A m häufigsten w i r d es in den beiden letzten Bedeutungen gebraucht. W i l h e l m übersetzt es mit „Leben'', was es aber sprachlich nicht bedeutet, überdies kommt hierbei nicht zum Ausdruck, daß T e auch das Bereich der Ethik umfaßt. Lao-dsi geht aus vom Tao, dem Urprinzip, aus dem das Sein, die Welt hervorgeht; durch das wunderbare W i r k e n des Tao, eben das Te, w i r d die Welt erhalten und umgestaltet. „Es gibt ein Wesen, gebildet aus dem Unfaßbaren, das vor Himmel und Erde bestand. Still w a r es, leer, einzigartig und unveränderlich. Es bewegte sich nach allen Richtungen, ohne seinen Bestand zu beein-

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trächtigen. Man kann es als die Mutter der Welt ansehen. Ich kenne seinen Namen nicht und bezeichne es mit T a o . Ihm notgedrungen einen Namen gebend, nenne ich es das Große, das Große nenne ich fortschreitend, das Fortschreitende das unendlich Ferne, das unendlich Ferne das Rückkehrende." F ü r Lao-ds'i ist also die Bezeichnung T a o ein Notbehelf, ein Zeichen, eine Chiffre für etwas Unerfaßliches, das geahnt und erlebt, aber nicht begriffen werden kann; so wenig wie sonst ein Mensch vor oder nach ihm konnte er sich vom Wesen des Absoluten eine V o r stellung machen, niemand kann reines Sein erkennen. Lao-dsi sucht das T a o durch Feststellung einer Anzahl negativer Eigenschaften näher zu umschreiben, er legt nicht dar, wie es ist, sondern wie es nicht ist. T a o ist still, also nicht in Bewegung, sondern in Ruhe, es ist leer, d. h. immateriell, es ist einzig, d. h. es gibt nichts außer ihm, und es ist unveränderlich in seinem Wesen. Mit der Bewegung des T a o nach allen Richtungen beginnt die Weltschöpfung, ohne daß hierbei das T a o von seinem Wesen etwas einbüßte. Von allem Großen ist es das Größte, es schreitet fort bis in unendliche Fernen, erfüllt das Weltall und kehrt wieder zurück, somit die W e l t nach allen Richtungen durchdringend. T a o ist nicht sichtbar, hörbar oder greifbar, es ist in keiner Weise sinnlich wahrnehmbar und insofern nicht real wie die Dinge der Welt. Nachdem es sich in der Welt der Erscheinungen objektiviert hat, kehrt es in das Nichtsein zurück. W i e kann nun aber aus dem Nichtsein das Sein, aus der Irrealität die Realität entstehen? Lao-dsi erklärt dies dadurch, daß die Gegensätze einander erzeugen, und daß auch das T a o sich in Gegensätzen bewegt: „Sein und Nichtsein erzeugen einander, das Schwierige und das Leichte bringen einander hervor, das Lange und das Kurze verleihen einander Gestalt, das Hohe und das Niedrige wetteifern miteinander." „Die Wesen der Welt entstehen aus dem Sein, das Sein aus dem Nichtsein." Hierbei ist natürlich unter Nichtsein nicht das absolute Nichtsein, das alles aufheben würde, sondern nur die Verneinung des phänomenalen Seins zu verstehen. Das T a o ist nicht materiell, wir müssen es als eine geistige Macht auffassen, da es die Welt regiert und ihre Geschöpfe erhält, und nicht als eine bloße Naturkraft, da einer solchen Demut, Uneigennützigkeit, Wunschlosigkeit und Liebe zu den Geschöpfen nicht zugeschrieben werden kann.

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Kosmologisch unterscheidet Lao-ds'i drei Stufen der E n t w i c k l u n g : Zunächst den U r z u s t a n d vor E r s c h a f f u n g der Welt, während dessen das T a o im reinen Sinn v e r h a r r t , nicht erkannt und nicht benannt werden k a n n ; sagt Eao-ds'i doch ausdrücklich, daß das W o r t T a o nur ein Notbehelf, eine A n d e u t u n g eines Unaussprechlichen ist. E s folgt die Zeit der Weltschöpfung, und auf diese die Zeit der W e l t e r h a l t u n g und E n t w i c k l u n g aller Wesen. D a s Tao-te-king beginnt mit folgendem A u s s p r u c h : „Das T a o , das man aussprechen (dao) 1 6 ) kann, ist nicht das ewige Tao. D e r Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name. Als Namenloses ist es der A n f a n g von H i m m e l und Erde, als Benanntes ist es die M u t t e r aller Wesen. W e r daher stets ohne Begierden ist, erschaut das W u n d e r b a r e , wer stets Begierden hat, erblickt nur sein Äußeres (seine Grenze). Beides n i m m t denselben Ausgang, hat aber verschiedene Namen. Diese Einheit wird das Geheimnisvolle genannt, und des Geheimnisses weiteres Geheimnis ist das T o r alles W u n d e r b a r e n . " T a o ist also das Absolute, der U r g r u n d aller Dinge, das U n a u s sprechliche, von dem wir keine E r f a h r u n g haben, das w i r deshalb auch nicht benennen, d. h. begrifflich erfassen können. A u s diesem U r g r u n d entsteht durch geheimnisvolles W i r k e n die uns bekannte Welt. Will man sich eine Vorstellung vom u n f a ß b a r e n Absoluten machen, so muß man ihm ähnlich, also vollkommen frei von Wünschen und Begierden sein, n u r im Zustand völliger R u h e kann man in das Geheimnis aller Geheimnisse eindringen. T a o ist beides, das Namenlose, das noch nicht in Erscheinung trat, und das Benannte, nachdem es sich in der Welt o f f e n b a r t hat, dasselbe in verschiedenen Stadien der E n t f a l t u n g , aus dem auf f ü r uns unergründliche Weise sich alles Sein entwickelt. Das T a o ist ewig, der „ H i m m e l " n u r eine Erschein u n g s f o r m des T a o . Somit w ä r e T a o gleich Gott zu setzen, wobei man aber nicht an einen persönlichen Gott denken d a r f , das W a l t e n des H i m m e l s ist das W i r k e n des das U n i v e r s u m durchdringenden T a o . W o r i n besteht nun das H a n d e l n des T a o ? Lao-dsi gibt darauf die zunächst p a r a d o x anmutende A n t w o r t : Im Nichthandeln, wu-we. 9 3 ) „ D a s T a o ist ewig ohne H a n d e l n , aber es gibt nichts, was es nicht vollbrächte." Dies Nichthandeln ist natürlich nicht als Nichtstun a u f zufassen, das T u n , das W i r k e n des T a o ist natürlich, spontan und vollkommen selbstlos. Ganz anders als die Menschen ist T a o nicht auf eigenes Wohl und eigenen R u h m bedacht, es g r e i f t nie gewaltsam

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ein, sondern läßt die Dinge sich natürlich, ihrem Wesen nach, entwickeln. E s arbeitet langsam und mit den einfachsten Mitteln, erreicht aber alles, es „handelt" nicht, es „ w i r k t " . Rätselvoll ist Lao-ds'i's Weltentstehungstheorie: „ D a s T a o bringt die Einheit hervor, die Einheit die Zweiheit, und die Zweiheit die Dreiheit. Die Dreiheit bringt alle Wesen hervor. Diese tragen Yin und umschließen Yang. D a s F l u i d u m der Leere stellt die Vereinigung her." Dieser dunkle Ausspruch ist verschieden ausgelegt worden. Wilhelm f a ß t die E i n s als These, die Zwei als Antithese, und die Drei als Synthese, und verweist dabei auf Hegel. Dieser aber w a r ein Vertreter der rationalen Philosophie, während Lao-ds'i Mystiker ist. Zut r e f f e n d erscheint die E r k l ä r u n g Forkes, die auf Gedankengängen des chinesischen Philosophen H s i ä W u - l i a n g f u ß t . Die Einheit ist die U r k r a f t , der U r ä t h e r im leeren Raum, das F l u i d u m der Leere. Dieses wird wirksam, sobald das T a o aus dem Zustand des reinen Seins herv o r t r i t t und sich zu objektivieren beginnt. Die U r k r a f t oder U r substanz teilt sich in die Zweiheit der Modi Yin 4 4 ) und Yang 4 3 ) (siehe auch S. 19), und diese bringen durch ihr Zusammenwirken die Dreiheit: Formen, K r ä f t e und Stoffe hervor. Alle lebenden Wesen bestehen aus Yin und Yang, das Yin bildet ihren K ö r p e r , das Y a n g den Geist, daher heißt es, daß sie Yin tragen und Y a n g umschließen. Alle Dinge ne existieren dadurch, daß sie das E¡ » eben T a o , erlangt haben und von ihm erfüllt sind, dadurch ist der H i m m e l klar, die E r d e fest usw. Ohne Zwang, aus freien Stücken, verehren alle Wesen das T a o , es erschafft alle Wesen, sein W i r k e n ernährt sie, pflegt sie, ohne darauf stolz zu sein und eine H e r r s c h a f t zu beanspruchen. D a s geheimnisvolle W i r k e n des T a o , té (dö) genannt, wird meist mit „ T u g e n d ' ' übersetzt, und dies ist nicht unrichtig, denn das W i r k e n des T a o ist stets gut und edel. E r s c h a f f u n g , E n t f a l t u n g und E r h a l t u n g aller Lebewesen faßt Lao-dsi als vollendete Güte auf, denn auch er ist schließlich Optimist, das Leben ist etwas Köstliches. Dabei w i r k t das T a o ohne Selbstsucht, es kennt keine H e r r s c h a f t s g e l ü s t e und keinen Anspruch auf D a n k b a r k e i t , und zugleich ist es das höchste P r i n z i p der Sittlichkeit, an dem die Menschen sich ein Vorbild nehmen sollen. E s braucht kaum gesagt zu werden, daß das Tao-té-king keinerlei K u l t v o r s c h r i f t e n gibt, das T a o ist reines, leidenschaftsloses Sein und Wirken, aber nicht ein Gott, der f ü r O p f e r und Gebete empfänglich ist. 4

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Von den großen Herrschern des Altertums w i r d gesagt, daß sie das T a o zum Vorbild nahmen; w i r d ein Reich mit T a o regiert, dann ist alles von selbst in Ordnung, die Dämonen halten sich ruhig, und die Geister der Verstorbenen tun den Menschen nichts Böses. An sich ist es leicht genug, im Tao, dem Heilsweg, zu wandeln, aber die Menschen lieben oft genug U m w e g e und Abwege. Das T a o als höchstes Moralprinzip muß in der eigenen Person, der Familie, der Stadt, dem Einzelstaat, dem Reich, kurz, in der ganzen Welt gepflegt werden. Himmel und Erde sind nicht ewig, doch haben sie eine lange Dauer, weil sie nicht für sich und ihre Interessen leben, sondern selbstlos nur um Entstehen und Gedeihen ihrer Geschöpfe bemüht sind. Ihre lange Dauer ist eine Folge dieser Selbstlosigkeit, in ihrem W i r k e n nimmt die Erde den Himmel, dieser das T a o und dieses sich selbst zum Vorbild. Himmel und Erde gemeinsam bilden den Kosmos, oft ist auch vom Himmel allein die Rede, der auch für Lao-dsi noch in gewissem Sinne der Herrscher und Lenker der Welt ist. Er streitet nicht, wirkt aber unaufhörlich in der einmal eingeschlagenen Richtung, überwindet dadurch alle Widerstände und erzielt so die größten Wirkungen, dem W a s s e r vergleichbar, das den Stein aushöhlt. Der Himmel braucht nicht zu rufen oder zu reden, die Menschen erkennen seinen Willen aus seinem W i r k e n und wenden sich an ihn, in seinem Netz fängt er die Sünder. Dies ist weder das unbewußte Handeln der Natur, noch das voll bewußte Handeln eines dem Menschen ähnlichen Geistes, sondern eine Mischung von beidem. Manches bei Lao-dsi deutet auf einen Gott, z. B. wenn es heißt: „Der W e g des Himmels ist es, wohlzutun, und nicht, zu schaden", oder: „Es ist des Himmels Art, keine Vorliebe für irgend jemand zu zeigen, aber er steht immer auf Seiten der Guten." Lao-dsi tritt der Vermenschlichung des Himmels entgegen, ohne aber zu einer reinen Naturerkenntnis zu kommen, vor allem ist ihm, wie der chinesischen Philosophie überhaupt, der Begriff des Naturgesetzes fremd.

b) Ethik

Zwischen der Moral des Lao-dsi und der des Kung-dsi k l a f f t eine tiefe Kluft. Lao-dsi erkennt die klassischen konfuzianistischen Tugenden überhaupt nicht an, weil sie dem Ideal vom T a o nicht entsprechen.

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„Erst wenn das große Tao verlassen ist, gibt es Wohlwollen und Gerechtigkeit. Wenn Klugheit und Einsicht erscheinen, gibt es große L,ügen. Erst wenn die sechs Verwandtschaftsgrade (die Blutsverwandten) nicht miteinander harmonieren, gibt es kindliche Liebe und Güte. Erst wenn das Reich in Verwirrung geraten ist, gibt es treue Beamte." Nach dem Grundsatz der einander erzeugenden Gegensätze kommen die Tugenden (im gewöhnlichen Sinn) den Menschen erst zum Bewußtsein, nachdem sich die Laster gezeigt haben. Herrscht aber das Tao, dann werden alle Tugenden unbewußt und spontan geübt, sie sind da, ohne gewollt zu sein, es bedarf keiner Regeln und Sittengesetze. Diese unbewußt geübte Tugend nennt Lao-ds'i die hohe Tugend. Sie ist die einzig wahre; was sich sonst dafür ausgibt, die niedere Tugend, verdient diesen Namen eigentlich nicht. Lao-dsi nimmt eine bestimmte Reihenfolge an: Tao, Te (hohe Tugend), Wohlwollen, Gerechtigkeit, Schicklichkeit: „Tugend erscheint erst, nachdem T a o verloren ist, Wohlwollen nach dem Verlust der Tugend. Gerechtigkeit nach dem Verlust des Wohlwollens, und Schicklichkeit nach dem Verlust der Gerechtigkeit." Diese Reihenfolge zeigt auch die Bewertung der einzelnen Tugenden, die in folgender Weise charakterisiert werden: „Die hohe Tugend handelt nicht und verfolgt keinen Zweck. Die niedere Tugend handelt und hat einen Zweck dabei. Das hohe Wohlwollen handelt, verfolgt dabei aber keinen Zweck. Die hohe Gerechtigkeit handelt und hat einen Zweck dabei. Die hohe Schicklichkeit handelt, und wenn man ihr nicht willfahrt, so fuchtelt sie mit den Armen und geht zu Tätlichkeiten über." Nur die taoistische Tugend hält fest am Nichthandeln, wu-we, und verfolgt keine selbstsüchtigen Ziele, die bürgerlichen Tugenden üben sämtlich eine bewußte Tätigkeit aus und erstreben einen Zweck. Am edelsten ist das Wohlwollen, jen 86 ), denn es betätigt sich nur im Interesse anderer', ohne Selbstsucht, die Gerechtigkeit arbeitet f ü r andere, aber auch für sich, und am schlechtesten steht es mit der von den Konfuzianern so hochgeschätzten Schicklichkeit, Ii 3 ), denn diese ist so sehr darauf bedacht, sich durchzusetzen, daß sie auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, sie ist also ganz selbstsüchtig. Die Norm für jede Tugend ist das Tao, tugendhaft ist, wer dessen Walten und Wirken zur Richtschnur nimmt. Das Tao „tut das Nichttun", dies Nichthandeln ist, wie schon gesagt, keine absolute Untätig4

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keit, denn das T a o in der N a t u r wirkt auch, nur in einer von der gewöhnlichen menschlichen T ä t i g k e i t sehr verschiedenen Weise. Die N a t u r kennt kein H a s t e n und Streben, jeder F o r t s c h r i t t vollzieht sich in vollkommener Ruhe. Der Nicht-Taoist wird sagen, daß dem Menschen die K r ä f t e der N a t u r nicht zur V e r f ü g u n g stehen; er kann ihren Gang nicht nachahmen, sondern muß versuchen, ihn zu seinen Gunsten zu beeinflussen. A n d e r s Lao-ds'i. I h m bestätigt das stille Walten der N a t u r , daß der Quietismus und nicht der Kampf das richtige ist. D a s ruhige, beschauliche Leben der Dörfler, der Einsiedler und Mönche ist dem aufreibenden Kampf der W e l t k i n d e r vorzuziehen. Vom Willen zur Macht weiß Lao-ds'i nichts, man kann sagen, daß der echte T a o i s t überhaupt nichts will, er gestaltet nicht sein Leben, er „läßt sich leben", indem er sich im E i n k l a n g mit dem T a o weiß. Ebensowenig legt Lao-ds'i W e r t auf den „ F o r t s c h r i t t " , im Gegenteil, die „Rückkehr zur N a t u r " , eine ganz einfache Lebensweise ist sein Ideal, mit dessen Schilderung sein W e r k schließt. Der Weise rechnet mit dem in der N a t u r sich bewahrheitenden Grundsatz, daß die Gegensätze einander erzeugen und einander bekämpfen. Nach Lao-dsi's Meinung überwinden Weichheit und Schwäche H ä r t e und Stärke. D a s Weichste in der N a t u r , das Wasser, siegt schließlich über den Stein, den es aushöhlt, und das Weibliche bezwingt durch seine R u h e und P a s s i v i t ä t die männliche U n r u h e und Aktivität. W i e das T a o , so ist auch der Weise selbstlos und bescheiden, aber indem er sich selbst erniedrigt, wird er e r h ö h t : „ E r macht kein Aufheben von sich, daher glänzt er, er ist nicht rechthaberisch, daher wird er geachtet, er r ü h m t sich nicht und wird deshalb überall anerkannt, er ist nicht eingebildet und genießt deshalb das größte Ansehen." F ü r das Verhalten des Weisen seinen Mitmenschen gegenüber gilt allgemein, daß er gut sein muß nicht n u r gegen Gute, sondern auch gegen Böse, treu nicht n u r gegen T r e u e , sondern auch gegen T r e u lose. D e r E r f o l g wird sein, daß die Bösen gut und die Treulosen treu werden. Die taoistische E t h i k gipfelt in dem Satze: Bao yüan i dö 9 4 ), „Vergilt U n r e c h t mit G ü t e " ( T u g e n d ) , womit sich Lao-dsi dem christlichen Gebot „Liebet eure Feinde" nähert, allerdings n u r auf Grund rein verstandesmäßiger Folgerungen. Ohne E g o i s m u s und Überheblichkeit soll der Mensch auch f ü r sich sorgen und seinen K ö r p e r mit der nötigen Sorgfalt behandeln. Als Schädigungen gelten vor allem Begierden und Leidenschaften. Der Weise stärkt seihen K ö r p e r , unter-

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drückt aber Willen und Tatendrang. W e r so sein Leben pflegt, ist unverwundbar, denn er hat keine Stelle, in die eine W a f f e eindringen könnte. Vielleicht hat schon Lao-dsi gemeint, daß unverwundbar sei, wer das T a o besitzt, seine Nachfolger hegen diese Auffassung, im Tao-te-king indes ist von Zauberei nicht die Rede. Durch den Besitz des T a o erlangt man Unsterblichkeit, denn das T a o ist ewig. Der Körper zerfällt, aber das ist gleichgültig, denn „wer stirbt, aber nicht zugrunde geht, lebt e w i g . " Freilich sagt Lao-ds'i nichts darüber, wie das Leben nach dem leiblichen Tode sich gestaltet. Drei taoistische Haupttugenden werden aufgestellt, san-bao 9 5 ), die drei Kostbarkeiten: Ts'i 96 ), Milde (Liebe), djiän 9 7 ), Sparsamkeit (Genügsamkeit), und bu gan we tiän hsia hsiän 9 8 ), „nicht wagen, auf der Welt der Erste zu sein", d. h. sich nicht vordrängen, Bescheidenheit, Zurückhaltung. Nach dem Gesetz der Gegensätze ist der Milde besonders mutig, der Sparsame freigebig, und der sich Zurückhaltende steigt zu hohen Ehren empor. Auch ein Verehrer des „Alten" wird nicht umhin können, diese Meinung als recht weltfremd zu empfinden. Die Weltweisheit, die Kung-ds'i hochschätzt, w i r d von Lao-dsi gering geachtet. „Die Wissenden sind nicht gelehrt, wer sehr gelehrt ist, weiß nichts", nämlich vom Tao, das allein wissenswert ist, ohne daß es aber der Gelehrsamkeit bedürfte, um es zu erkennen. „Ohne aus dem Hause zu gehen, kennt man die Welt, ohne aus dem Fenster zu schauen, sieht man des Himmels W e g . J e weiter man sich entfernt, um so weniger erkennt man. Daher kennt der Weise, ohne hinzugehen, nennt die Dinge, ohne sie zu sehen, und vollendet, ohne zu handeln." Der Mensch kommt zur Erkenntnis durch Intuition, Forschung und Studium sind dazu weder nötig noch tauglich. Der W e i s e lehrt auch nicht, sondern wirkt durch sein Vorbild. Das „Nichtwissen" des Laodsi läßt sich mit dem „Nichthandeln" vergleichen, es ist das Nichtwissen aller Dinge, die sich nicht auf das T a o beziehen. Damit wird negiert, was wohl jene andere philosophische Richtung unter Wissen versteht. „Die sich mit Lernen befassen, nehmen täglich zu, wer sich mit dem Tao befaßt, nimmt täglich ab", indem er nämlich Wünsche und Neigungen unterdrückt, bis er beim Nichthandeln anlangt. c) Staatslehre

Die Grundsätze des T a o sind nicht nur auf den einzelnen und die Familie, sondern auch auf den Staat anzuwenden. Man soll das Reich

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durch Nichthandeln regieren, die Minister sollen dem Herrscher im Sinne des T a o zur Seite stehen. Das Volk kann unwissend bleiben, es soll ohne Wünsche und Begierden sein, und die Regierung soll es nicht zu Taten anspornen, dann w i r d es von selbst ruhig und zufrieden werden. Der Taoismus ist zweifelsohne geist- und kulturfeindlich, auf bürgerliche Tugenden, Wissenschaft, Gelehrsamkeit, Kunst, Gottesdienst usw. wird ebensowenig W e r t gelegt wie auf technischen Fortschritt und Verbesserung der Lebenshaltung. „Wenn man die Weisen nicht ehrt, läßt man das Volk nicht in Streit geraten. Wenn man schwer zu erlangende Güter nicht hochschätzt, läßt man das Volk nicht zu Räubern werden. Wenn man ihm nicht begehrenswerte Dinge zeigt, bringt man seinen Sinn nicht in V e r w i r r u n g . Deshalb regiert der Heilige so, daß er das Herz der Menschen leer macht, aber ihren L e i b füllt, ihren W i l l e n schwächt, aber ihre Knochen stärkt. Er erhält die Leute in Unwissenheit und Wunschlosigkeit, er gestattet den Wissenden nicht, daß sie sich erkühnen zu handeln, und indem er selbst das Nichthandeln übt, ist alles wohlgeordnet." J e mehr Verbote es gibt, um so ärmer w i r d das Volk, je mehr Gesetze, um so mehr Übertretungen und Missetäter, je mehr W a f f e n , desto mehr Streit. Deshalb sagt der H e i l i g e : „Ich handele nicht, und das Volk w i r d von selbst gebessert, ich liebe die Ruhe, und das Volk findet von selbst den rechten W e g , ich bemühe mich nicht, und das Volk w i r d von selbst reich, ich bin ohne Begierden, und das Volk ist von selbst einfach und natürlich." Der Heilige, worunter hier der ideale Fürst zu verstehen ist, soll also nicht durch sein Tun, durch Ergreifen irgendwelcher Maßnahmen, Erlaß von Gesetzen usw., sondern durch seine vorbildliche Persönlichkeit und die seelenbezwingende Macht der reinen, im T a o begründeten Sittlichkeit auf das Volk wirken. Man kann also sagen, daß Lao-ds'i Anarchist ist, wenn auch in einem ganz andern Sinne als die Anarchisten des Abendlandes. Er lehrt das Nichthandeln, das Nichtregieren, wodurch von selbst ein Zustand der Ruhe und H a r monie im Sinne des T a o entsteht, gewaltsamen Umsturz wie jede Gewalttat überhaupt lehnt er ab. Nicht Fortschritt und Kultur, sondern Rückkehr zur Natur ist das Ideal, den Krieg verabscheut Lao-dsi, allenfalls ist der Verteidigungskrieg erlaubt.

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Die Staatslehre des Lao-ds'i ist ohne Zweifel der schwächste Punkt seiner Lehre, mit den von ihm aufgestellten Grundsätzen ist in der T a t „kein Staat zu machen". Dies ist wohl auch der Hauptgrund dafür, daß Lao-ds'i von seinen eigenen Landsleuten nie recht gewürdigt worden ist, ausgenommen natürlich von den eigentlichen Taoisten, die ihn göttlich verehren. Die Konfuzianer haben viel an ihm auszusetzen, hauptsächlich an seiner Ethik und Staatslehre. U m so berühmter ist er im Abendlande geworden, und zweifellos ist er der vielleicht originellste chinesische Denker und ein großer Metaphysiker. Seine Ethik w i r d auch uns Abendländern anfechtbar erscheinen, mit Recht weist Forke darauf hin, daß Lao-ds'i alle Moral in unserem Sinne verwirft, und an ihre Stelle eine Asketenmoral der Schwäche, Untätigkeit und Entsagung setzt.

2. Nachfolger Lao-dsi's. Unter den chinesischen Philosophen gibt es eine stattliche Anzahl Denker, die auf der Lehre Lao-ds'i's fußen und sie weiterentwickeln, und selbst Philosophen konfuzianistischer Richtung sind von seiner Metaphysik h ä u f i g beeinflußt worden. Als die bedeutendsten Nachfolger Lao-ds'i's können L i ä - d s i " ) und mehr noch Dschuang-dsi 1 0 0 ) bezeichnet werden. Von dem Leben beider ist wenig bekannt; Liä-dsi hat vermutlich etwa ein halbes Jahrhundert später als Kung-dsi gelebt, Dschuang-dsi im 4. Jahrhundert v. Chr. Ebensowenig wie Laodsi haben Liä-dsi und Dschuang-dsi ein eigentliches philosophisches System entwickelt; in einer Reihe von Parabeln, fingierten Gesprächen usw. meist kurzen U m f a n g s entwickeln sie ihre Lehre, die im wesentlichen eine Weiterbildung und Vertiefung der ihres Meisters ist. Enthält das Tao-te-king orakelhafte Sprüche in oft dunklem Stil, so zeichnet sich vor allem Dschuang-dsi durch glänzenden Stil, Lebhaftigkeit der Darstellung, Schärfe des Denkens und wissenschaftliche Behandlung der Probleme aus. Beide sind zwar nicht tiefer als Lao-ds'i, aber ihre W e r k e sind, gerade auch für den Europäer, viel genießbarer, und so ist es nicht zu verwundern, daß vor allem Dschuang-dsi, meist in Auswahl und oft mehr als frei, viel in europäische Sprachen übersetzt worden ist.

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3. Vulgärtaoismus Es ist klar, daß die tiefsinnige, schwer verständliche Lehre Lao-dsi's nie Gemeingut der großen Menge werden konnte, ganz gewiß nicht in einem Volke, das ohnehin wenig zu metaphysischen Spekulationen neigt, und weiterhin konnte die weltfremde, unpraktische und asketische Tendenz seiner Lehrer auf Diesseitsmenschen wie die Chinesen keine große Anziehungskraft ausüben. W i e kam es nun, daß aus einer Philosophie eine Religion geworden ist? Hierzu hat vor allem der mystische Charakter der taoistischen Lehre das seine beigetragen. Der orakelhafte Ton vieler Aussprüche Lao-ds'i's regte die Einbildungskraft stark an, schon Liä-dsi und Dschuang-ds'i verfügen über eine blühende Phantasie und führen allerhand Fabelwesen ein, mögen diese auch meist mehr allegorische Bedeutung haben. Der dem Menschen eigentümliche H a n g zum Phantastischen und Wunderbaren hat einerseits zur Alchimie geführt, andererseits zum sogenannten Vulgärtaoismus, der eine A r t Religion geworden ist. Schon in der frühesten Periode des Taoismus scheint das Einsiedlertum vorgekommen zu sein, eine in China bis dahin unbekannte Erscheinung, denn der Chinese ist ein geselliger Mensch, dem das Alleinsein nicht liegt. Den Einsiedlern schrieb man übernatürliche K r ä f t e zu, und so entstand der Glaube an übernatürliche Wesen zwischen Menschen und Göttern, von denen drei Stufen unterschieden werden: 1. Die zahlreichste Klasse sind die hsiän-jen 1 0 1 ), Genien. Das chinesische Zeichen für hsiän (jen heißt Mensch) besteht aus den Bestandteilen „Mensch" und „Berg", der Mensch in den Bergen = der Einsiedler. Die Hsiän sind noch materielle Wesen, aber in ihrem sterblichen L e i b entsteht ein überirdischer, der nach Belieben den irdischen Leib verläßt, sich frei im Räume bewegt und unsterblich ist. 2. Die dschen-jen 1 0 2 ), wörtlich wahre oder echte Menschen, im Sinne des Taoismus Halbgötter oder Heroen, die fast immateriell und nahezu ganz spiritualisiert sind. Sie fliegen durch die L u f t , reisen von einem Weltkörper auf den andern und sind frei von den Fesseln der Materie. 3. Die scheng-jen 8 3 ) oder Heiligen, sie sind ganz immateriell und bilden die höchste Stufe.

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Aus den Einsiedlern gingen die Adepten der taoistischen Alchimie hervor, die nach dem Lebenselixier und der Kunst des Goldmachens forschten. Ganz wie im Abendlande gab es unter ihnen viele Scharlatane, aber auch einige wirkliche Forscher. Sie alle verehrten Lao-ds'i als ihren Ahnherrn und Schutzpatron, und zwar auf Grund folgender Überlegung: Nur das T a o ist ewig; das Ziel des Heiligen ist es, das T a o in sich zu verkörpern und mit ihm eins zu werden; wer dies erreicht, muß vom T o d befreit sein. D a ferner das T a o alles hervorbringt, erhält, verändert und beherrscht, kann für den, der es besitzt, kein Ding unmöglich sein. Da schließlich das T a o allgegenwärtig ist, nimmt man an, daß die von den Körpern getrennten Seelen der höheren Wesen an mehreren Orten zugleich weilen können. Auf diese Art wurde aus dem unnennbaren Urprinzip Lao-dsï's eine übernatürliche K r a f t , aus einer mystischen Weltanschauung eine Art okkulter Wissenschaft. Diese Entwicklung wurde dadurch begünstigt, daß in den letzten drei Jahrhunderten vor Christi Geburt der Glaube an Zauberei und Wunder in China besonders stark war. W e i t verbreitet war u. a. der Glaube an wunderbare Inseln, die von überirdischen Wesen bewohnt waren, und auf denen ein Wunderpilz gedieh, dessen Genuß unsterblich machte. Immer wieder versuchte man, diese seligen Inseln zu erreichen, und der „Napoléon Chinas", K a i s e r Tjin-schï-huang-di ( 2 2 1 — 2 0 9 v. Chr.) rüstete eine ganze Flotte aus, diese Inseln zu suchen; die Schiffe wurden aber von widrigen Winden zurückgetrieben. Auch andere K a i s e r waren eifrige Taoisten und hielten sich Alchimisten, die nach dem Lebenselixier suchen sollten. E r f o l g hatten sie natürlich nicht, der K a i s e r Hsüandsung ( 8 4 7 — 8 6 0 ) starb sogar am Genuß eines solchen E l i x i e r s . Auch der religiöse oder Vulgärtaoismus schließt sich an den W u n derglauben der alten Zeit an, Religionsform wurde er vor allem dadurch, daß er die R e s t e - d e r alten Volksreligion in sich aufnahm. Diese war, wie schon gezeigt, polytheistisch, auch Fetischismus kam und kommt noch vor. So wird in der Stadt Ling-sch'i-hsiän in der Provinz Schansi ein Geisterstein (ling-schü), wohl ein Meteor, verehrt. Der Taoismus stellt sich das Weltall als vom T a o beseelt vor, was zu einer Umgestaltung der alten Religion in animistischem Sinne führte. Die alten Götter finden sich bei ihm wieder, aber durchweg anthropomorphisiert, dazu kommt eine Unzahl Legenden und Mythen über die Schicksale der Götter und Geister, Erzählungen von teils

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gewaltigem Umfang, die auf alten Märchen und Sagen beruhen, zum Teil aber auch frei erfunden oder buddhistischen Schriften entlehnt sind. Überhaupt hat der Buddhismus auf den Taoismus in vieler Hinsicht anregend gewirkt, so haben Tempelkult und Priestertum des Taoismus sich erst nach der Einführung des Buddhismus in China entwickelt. Das taoistische Pantheon ist unübersehbar, im L a u f e der Zeit kamen immer neue Götter hinzu, von denen viele nur eine örtliche Verehrung genießen. Ernennung, aber auch Absetzung von Göttern w a r Vorrecht des Kaisers als Sohn des Himmels bis in die Zeiten der Mandschudynastie (1644—1911). Das ganze taoistische Pantheon zu schildern ist unmöglich, im folgenden beschränken w i r uns auf diejenigen taoistischen Gottheiten, die am bekanntesten und volkstümlichsten sind. Es versteht sich von selbst, daß der Begründer der Lehre zur Gottheit wurde, und das wenige, was über sein Leben bekannt ist, läßt R a u m genug zur Legendenbildung. Bereits 156 v. Chr. wurde ihm auf kaiserlichen Befehl das erste Opfer in seinem Heimatsort dargebracht. Unter dem Einfluß der buddhistischen Lehre von der Wiedergeburt kam man zu dem Glauben, daß der historische Lao-dsi nichts anderes sei als eine seiner zahlreichen Menschwerdungen, eine Verkörperung des Tao. Volkstümlich ist die folgende Legende: Eine Yü-nü 1 0 3 ), d. h. Edelstein- oder Götterjungfrau (yü bedeutet Edelstein, insbesondere Jade, w i r d aber oft auch für „göttlich" gebraucht) stand eines Tages, an einen Pflaumenbaum gelehnt, in ihrem Garten. Plötzlich kam eine ganz kleine leuchtende Kugel aus Sonnensubstanz wie eine Sternschnuppe vom Himmel herab und setzte sich auf die Lippen der Jungfrau. Diese verschluckte die Kugel und gebar nach 81 Jahren den Laodsi (81 = 9 X 9 , die Neun ist eine heilige Zahl des Taoismus und soll hier die heilige Natur Lao-ds'i's andeuten). Das Kind hatte ein goldenes Antlitz, sehr lange Ohren, die bei den Chinesen als ein Zeichen der Weisheit gelten, und weißes H a a r (Lao-dsi 8 7 ) kann sprachlich sowohl „alter M e i s t e r " als „altes K i n d " bedeuten). Gleich nach der Geburt setzte sich Lao-dsi unter den Pflaumenbaum, unter dem seine jungfräuliche Mutter ihn empfangen hatte, und sagte, auf den Baum zeigend: „Dies ist mein Geschlecht" — ein naheliegendes Wortspiel, da L i 8 8 ) , der Familienname des Lao-dsi, „ P f l a u m e " bedeutet. Er begab sich später in die Lehre eines Unsterblichen, der ihn in magi-

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scheu Künsten unterwies, so daß er sein Leben auf mehrere hundert J a h r e verlängern konnte. Schließlich verließ er das Reich auf einem mit einem blauen Ochsen bespannten W a g e n in westlicher Richtung und gelangte nach Indien, wo er als Buddha wiedergeboren wurde. M i t dem Schluß der Legende bezwecken die Taoisten natürlich nur, die Konkurrenzreligion des Buddhismus als eine aus dem Taoismus hervorgegangene Lehre hinzustellen. Lao-dsi als Gott w i r d meist mit zwei anderen Idolen zusammen aufgestellt, diese taoistische T r i a s heißt san-tjing 1 0 4 ), die drei Reinen. Die in dieser Dreiheit außer Lao-dsi vorkommenden Gottheiten weichen in verschiedenen Gegenden voneinander ab, meist besteht die taoistische T r i a s aus Lao-dsi, Yii-huang-schang-di 1 0 5 ), dem „Edelsteinkaiser" (göttlichem K a i s e r ) und obersten Herrscher, und T a i schi 1 0 6 ), dem „großen A n f a n g " , der offenbar eine vergöttlichte Abstraktion, eine A r t Weltschöpfer, ist. Außer Lao-dsi ist Yü-huangschang-di besonders populär, von ihm w i r d die folgende Legende erzählt: In einem fabelhaften Reich lebte einst der König Djing-dö (reine Tugend) mit seiner Gemahlin Bao-yüä-guang (kostbarer Mondglanz). Beide waren kinderlos; der König ließ seinen P a l a s t köstlich ausschmücken und ordnete an, daß die Priester des T a o ein halbes J a h r lang unter Fasten und Beten Opfer brächten, damit dem Königspaar ein Sohn geschenkt würde. Bald danach träumte die Königin, daß ihr der „große, erhabene, alte H e r r " erschiene, unter dem natürlich Laodsi zu verstehen ist. Er saß in einem fünffarbigen, von Drachen gezogenen W a g e n und hielt ein Kind im Arm, von dem ein unendliches Licht ausstrahlte; auf die Bitte der Königin, die sich vor ihm niederwarf, gab er ihr das Kind. Ein J a h r nach diesem T r a u m gebar sie den langersehnten Thronerben. Der junge P r i n z wuchs heran, und immer mehr offenbarte sich seine göttliche Natur in größter Menschenliebe und Mildtätigkeit, er verschenkte alles, was er besaß, an die Armen, Kranken, W i t w e n und Waisen, jeder liebte ihn. Nach dem Ableben seines Vaters bestieg er den Thron, übergab aber bald die Regierung seinem Kanzler und zog sich in die einsamen Pu-ming-Berge, die Berge der alldurchdringenden Klarheit, zurück. Dort widmete er sich dem Studium des Tao, erlangte die vollkommene Weisheit und stieg gen Himmel auf, wo er die Geschicke der Welt leitet.

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Im Volk wird diese Gottheit oft auch tiän-gung 1 0 7 ), himmlischer Herzog, genannt, man opfert ihm nicht nur in Tempeln, sondern auch im Hause, der 9. T a g des 1. Monats des chinesischen Mondjahrs ist sein Geburtstag. Grube weist mit Recht darauf hin, daß zweifellos hier schang-di 1 5 ), der oberste Herrscher der alten Religion, popularisiert und vermenschlicht worden ist. Die Legende beruht offenkundig auf einem alten Naturmythos; die Königin ist der Mond, der K ö n i g die Sonne, das sechsmonatige Fasten das Winterhalbjahr, während dessen die Sonne an K r a f t einbüßt, die sie mit der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche wiedergewinnt. Im alten China fing das J a h r mit dem Frühling an, weshalb der Geburtstag des Edelsteinkaisers im 1. Monat gefeiert wurde, auch als später der Jahresanfang noch in die Winterszeit fiel. Von

den schon erwähnten

Genien

(hsiän)

werden

fünf

Klassen

unterschieden: 1. Irdische, di-hsiän 1 0 8 ), die in einsamen Bergen leben, vor allem in dem fabelhaften Kunlun-Gebirge, wo sich die paradiesischen Gärten der Hsi-wang-mu, der Königinmutter des Westens, befinden. 2. Himmlische Genien, tiän-hsiän 1 0 9 ). Sie hausen in den himmlischen Gestirnen und sind die mächtigsten von allen. 3. Menschliche, jen-hsiän 1 1 0 ), dies sind Aszeten und Adepten, die durch lange Meditation über das T a o frei von irdischen Wünschen, aber noch nicht unsterblich geworden sind. 4. Göttliche, schen-hsiän 1 1 1 ), selige Geister, die auf den Wunderinseln im Ostmeer leben. 5. Dämonen, gue-hsiän 1 1 2 ), die Parias unter den übersinnlichen Wesen, körperlose Geister, die ruhelos weder unter den Menschen noch bei den anderen Hsiän hausen. E s handelt sich hier wohl um die taoistische Metamorphose der hungrigen und obdachlosen Geister derer, die ohne Nachkommen verstorben sind oder kein gehöriges Begräbnis gefunden haben, wie Ertrunkene, Hingerichtete usw. Die Zahl der Genien und der über sie erzählten Geschichten ungeheuer

groß,

am

bekanntesten

sind

die ba-hsiän 1 1 3 ),

die

ist acht

Genien, deren Darstellung man in der Kunst und dem Kunsthandwerk Üstasiens auf Schritt und T r i t t begegnet:

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1. A l s ältester gilt Dschung-li-tjüan 1 1 4 ), angeblich ein Taoist der Dschou-Zeit, der die Unsterblichkeit erlangt hat. Er ist Meister in der Kunst der Verwandlung und w i r d vom Edelsteinkaiser (Yü-huangschang-di) als Götterbote auf die Erde herabgesandt, ist also Proteus und M e r k u r in einer Person. Seine Zaubermittel sind Fächer und Schwert, oft wird er dargestellt, wie er, auf dem Schwert stehend, über die Gewässer fährt. 2. Vielleicht der populärste der acht ist Lü-dung-bin 1 1 5 ), was wörtlich „Lü, der Gast der Höhle", bedeutet, er w i r d auch L ü - d s u l l ß ) , Großvater L ü , genannt. Er soll eine historische Persönlichkeit sein, geboren 755 v. Chr. in der Stadt Tehua, Provinz K i a n g s i . Von Dschung-li-tjüan unterrichtet, bestand er zehnerlei Versuchungen und erhielt ein Zauberschwert, mit dem er 400 Jahre lang im Reich umherzog und das Land von Drachen, Ungeheuern und anderen Landplagen befreite. Zugleich w a r er Schriftsteller und kommentierte das Tao-te-king, weshalb er Schutzpatron der taoistischen Literatur ist. Sonderbarerweise w i r d er auch .von den Barbieren als Schutzgott ihres Gewerbes verehrt, was auf folgende W e i s e erklärt w i r d : Lü-dsu wurde längst als Gottheit verehrt, aber es fehlte ihm noch die amtliche Anerkennung durch ein kaiserliches Dekret. Nun begab es sich, daß ein Kaiser der Mingdynastie (1368—1644) keinen Barbier fand, der ihm den Kopf rasieren konnte, ohne ihm weh zu tun. Lü-dung-bin gelang es. A l s einzigen Lohn erbat und erhielt er vom Kaiser die Anerkennung seiner Götterwürde. Diese kleine Geschichte enthält zwei Anachronismen: Wenn L ü 755 v. Chr. geboren war, konnte er nicht bereits das Tao-te-king kommentieren, da Lao-ds'i vermutlich erheblich später gelebt hat. Zweitens w a r es zur Mingzeit noch nicht Sitte in China, daß die Männer sich den vorderen Teil des Kopfes rasieren und die H a a r e in einen Zopf flechten ließen; diese Haartracht, die in China bis 1911 offiziell bestanden hat, wurde erst von den Mandschus eingeführt, als diese 1644 n. Chr. China eroberten. 3. Li-tiä-guai 1 1 7 ) ist eine reine Phantasiefigur. Er soll Schüler des Lao-ds'i gewesen sein; als er seinen Meister einmal im himmlischen Reich besuchen wollte, überließ er seine animalische Seele der Obhut eines Schülers und stieg zum Himmel empor. Hierzu ist zu bemerken, daß die Chinesen zwei Seelen unterscheiden, eine animalische, po 118 ),

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die die Lebensfunktionen leitet, und eine zweite, hun 119 ), von der die geistige und seelische Tätigkeit ausgeht. Solange po im Körper verbleibt, stirbt dieser nicht, hun dagegen kann, auch bei Ohnmächten oder Träumen, ohne Nachteil für den Körper, diesen zeitweilig verlassen. Der Schüler nun, der Li-tiä-guai's wie leblos daliegenden Körper sieben Tage bewachen sollte, wurde am sechsten Tage ans Sterbebett seiner Mutter gerufen und ließ den Körper unbewacht. Tags darauf kehrte Li-tiä-guai zur Erde zurück und fand seinen Leib entseelt vor. Um seiner hun eine Unterkunft zu schaffen, fuhr er in den ersten besten menschlichen Körper, den eines im Sterben liegenden lahmen und buckligen Bettlers. Seitdem erscheint er als buckliger und hinkender Bettler, der sich auf eine eiserne Krücke (tiä-guai) stützt; er ist Schutzpatron der Gaukler und Zauberer. 4. Historisch wieder ist Han Hsiang-ds'i 120 ), ein Neffe des berühmten Philosophen und Dichters H a n Yü (768—824). Als dieser, der dem Taoismus sehr abhold war, seinen Neffen ermahnte, sich nicht immerzu mit dem Tao, der Musik und der Poesie zu beschäftigen, legte Han Hsiang-dsi ein Häufchen Erde von ihn hin und deckte es mit einem Napf zu. Nach einiger Zeit nahm er das Gefäß wieder weg — eine Pflanze war aus der Erde gewachsen, die zwei Blütenknospen trug, auf diesen standen in goldenen Schriftzügen Verse, die sich auf die Han Yü bevorstehende Verbannung bezogen, bald danach wurde diese Tatsache. Han Hsiang-ds'i wird meist mit einer Flöte dargestellt, er ist Schutzgott der Musiker. Auch diese Erzählung verrät, ebenso wie das angebliche Gespräch Lao-dsi's mit Kung-dsi, das Bestreben der Taoisten, die Überlegenheit ihrer Anhänger über die des Kung-dsi zu beweisen. 5. Tsao Guo-djiu 121 ) war der jüngere Bruder einer Kaiserin, der Gattin des ersten Kaisers der Sungdynastie (960—1280). E r nahm sich den schlechten Lebenswandel eines Bruders so zu Herzen, daß er sich in die Wildnis zurückzog und ganz dem Studium des Tao hingab. Dschung-li-tjüan und Lü-dung-bin waren seine Lehrer. E r ist Schutzpatron der Schauspieler. 6. Dschang Guo-lao 122 ) wird immer mit einem weißen Maulesel dargestellt, auf dem er Tausende von Meilen an einem Tage zurücklegt. Am Ziel angelangt, faltet er das Tier wie ein Stück Papier zu-

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sammen und steckt es in einen Korb oder Flaschenkürbis; braucht er es wieder, so bespritzt er es mit Wasser, wodurch es seine frühere Gestalt wiedergewinnt. 7. Ho-hsiän-gu 123 ) wird als weibliche Figur dargestellt, mit einer Lotosblume in der Hand. Sie ist Schutzpatronin der Hausfrauen. 8. Lan-tsai-ho 1 2 4 ), ebenfalls eine weibliche Figur, Blumenkorb und ist die Beschützerin des Gartenbaus.

trägt

einen

Diese acht Genien sind höchst populär, dem Volksglauben nach erscheinen sie manchmal unter den Menschen. Sie sind glückbringende Geister; ist ein Kind einen Monat alt geworden, so schenkt man ihm ein Kästchen mit den aus Gold, Silber oder Blech gefertigten acht Genien, die an dem für das Kind bestimmten Mützchen befestigt werden. Um die Jahreswende — das chinesische Neujahrsfest war früher das größte der jährlichen Feste — klebt man rote Papierstreifen (Rot ist die Glücksfarbe) an Türen und Wände, die mit den Bildern der acht Genien oder auch glückverheißenden Sprüchen verziert sind. Zu den am meisten verehrten taoistischen Gottheiten gehört auch der Stadtgott, tscheng-huang-yä 125 ), wörtlich: „Der Herr der Stadtmauer und des Wallgrabens." In früheren Zeiten hatte jede größere Stadt in China eine Stadtmauer und einen Wallgraben, die Marktflecken und Dörfer oft einen Lehmwall. Jede dieser Städte hatte ihren Stadtgott, oft war es ein verdienter Beamter, der nach seinem Ableben vom Kaiser zu dieser Würde erhoben wurde. Ganz den irdischen Verhältnissen entsprechend hatten diese Stadtgötter untereinander denselben Rang wie die irdischen Beamten der Stadt, der Stadtgott einer Präfekturstadt stand höher im Range als der einer Kreisstadt, und die Dörfer hatten nur eine lokale Schutzgottheit von niedrigem Rang. Der Stadtgott sorgt für das Wohl seiner Stadt und ist der Mittler zwischen dem Diesseits und Jenseits, er berichtet dem Himmelsherrn wie dem Höllenfürsten über die guten und bösen Taten seiner Schutzbefohlenen. Da er also auch der Spion des Höllenfürsten ist, wird er sehr gefürchtet, oft ist mit seinem Kult der der Höllengötter eng verbunden, man findet in seinen Tempeln nicht selten Darstellungen der zehn Höllenregionen. Diese befinden sich tief im Innern der Erde, jede Region hat ihren König und ihr Tribunal. Jede abgeschiedene Seele

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muß sich vor einem der zehn Tribunale verantworten, durch das Urteil werden die Böcke von den Schafen gesondert. Die Guten kehren zur Oberwelt zurück und werden in ein glückliches L,eben wiedergeboren, die Missetäter aber erleiden schreckliche Strafen. Vor welches Tribunal sie kommen, hängt von der A r t ihrer Taten ab; so kommen Mörder vor das erste Tribunal, sie müssen im W a s s e r stehend verdursten. Mönche und Nonnen, die Geld für Seelenmessen genommen, diese aber nicht gelesen haben, werden auf einen hohen T u r m geführt, wo sie in Spiegeln die Gestalten der Tiere sehen, als die sie wiedergeboren werden sollen, vorher aber müssen sie bei schlechter Beleuchtung aus einem sehr schwer lesbaren Buch alle versäumten Messen nachlesen. Kennzeichnend für den chinesischen Synkretismus ist, daß auch der bestraft wird, der konfuzianistischen Schriften nicht die schuldige Ehrerbietung erwiesen oder sie g a r beschädigt oder vernichtet hat. Die Stadt- und Höllengötter sind eben auch Vertreter des staatlichen Konfuzianismus im Jenseits. In der Haupthalle des Stadtgottempels sieht man die überlebensgroße F i g u r des Gottes selbst in großem Ornat sowie die seiner phantastisch und grotesk dargestellten Sekretäre, Trabanten und Schergen. Hinter der Haupthalle befindet sich oft noch ein vollständig ausgestattetes Schlafgemach f ü r den Stadtgott und seine Familie, an bestimmten Tagen im J a h r ist dies Gemach geöffnet, das Volk wirft Kupfermünzen auf das Bett des Gottes, um ihn günstig zu stimmen. Herrschte Not im Lande, z. B. eine in Nordchina oft vorkommende Dürre, so begab sich der Verwaltungsbeamte zum Tempel und flehte um Regen; dabei trug er ein hänfenes Bußgewand, denn die Dürre wurde als eine S t r a f e des Himmels für die schlechte V e r w a l t u n g aufgefaßt. Anschließend fand dann ein Bittgang durch die Stadt ohne Beteiligung des Beamten statt, der Prozession wurde manchmal eine Papierpuppe vorangetragen, die den Geist der Dürre (oder sonstigen Not) darstellte und zum Schluß zerrissen oder ertränkt wurde. Erhörte der Stadtgott die Bitte nicht, so wandte sich oft genug die Volkswut gegen ihn, man setzte ihn nackt in die glühende Sonne, und wenn auch das nicht half, konnte der Kaiser ihn absetzen und einen anderen Stadtgott an seiner Stelle ernennen. Nicht minder populär als der Stadtgott ist der sogenannte Kriegsgott Guan Yii 1 2 6 ), auch Guan Di 1 2 7 ) genannt. Guan Y ü ist eine historische Persönlichkeit, er w a r einer der Generäle der verfallenden Han-

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dynastie, die er mit größter Tapferkeit und Loyalität verteidigte. Militärische Erfolge blieben ihm versagt, er konnte die Dynastie nicht vor dem Untergang bewahren und wurde von den Aufständischen im Tahre 219 n. Chr. gefangengenommen und enthauptet. Von seinen und seiner Blutsbrüder Taten handelt der große Roman „Geschichte der drei Reiche", vielleicht das populärste W e r k der chinesischen Romanliteratur. Guan Yü wurde bereits im 11. Jahrhundert unter die Götter erhoben, aber erst in der Mingdynastie erhielt er den Titel di, Herrscher, und damit die oberste W ü r d e in der himmlischen Hierarchie. Die Mandschudynastie (1644—1911) sah in ihm eine Art Schutzheiligen und förderte seinen Kult sehr. Manche Städte haben mehrere seiner Tempel, und oft findet man sein Standbild auch in buddhistischen Tempeln. Dargestellt wird er meist in sitzender Stellung, oft mit seinem Lieblingswerk, den Frühlings- und Herbstannalen (Tschun-tjiu), in der Hand, zu seinen Seiten stehen sein Waffengefährte Dschou T s a n g und sein Sohn Guan Ping. Manchmal findet man auch sein Schlachtroß in natürlicher Größe, aber nie wird Guan Yü reitend dargestellt. Mit dem römischen M a r s kann man den chinesischen Kriegsgott kaum vergleichen, den alten Römern wäre ein Kriegsgott, der Literat ist und ein Geschichtswerk liest, sonderbar genug vorgekommen. Die Chinesen, die ein außerordentlich friedfertiges Volk sind und früher alles Militärische gering schätzten — erst neuerdings bahnt sich hier eine W a n d l u n g an —, verehren in Guan Yü weniger den Kriegshelden, als den loyalen Beamten und getreuen Freund. Nicht selten w i r d er als Gott der Kaufleute verehrt, was sich aus einem Wortspiel e r k l ä r t : Der chinesische Satz „Kan ben dö Ii" läßt eine doppelte Übersetzung zu, entweder: „Ein Buch lesen und daraus Gewinn ziehen", oder: „Aufs Kapitel achten und daraus Gewinn ziehen." Guan Yü w i r d hin und wieder als Gott der Literatur verehrt, aber der Oberste der Literaturgötter ist Wen-tschang. 1 2 9 ) Dies ist der Göttername einer historischen Persönlichkeit, des Chang Ah, der in der Provinz Szechuan zur Zeit der Tangdynastie lebte. Wen Tschang ist eine Gestirngottheit, die ihren Sitz in einem ebenso genannten, aus sieben Sternen bestehenden Sternbild in der Nähe des großen Bären hat. P'rüher hatte Wen Tschang nicht nur in jeder Stadt, sondern in jedem Konfuziustempel und jeder Schule einen Tempel oder Altar. Man opferte ihm Zwiebeln; hier liegt wieder ein Wortspiel vor, das 5

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chinesische Wort für Zwiebel, tsung, kann auch „ k l u g " bedeuten. Außer Wen Tschang w i r d als Literaturgott auch Kue-hsing 1 2 9 ) verehrt, ebenfalls eine Gestirngottheit, kue ist der Name der vier Hauptsterne im Großen Bären. Er w i r d als ein häßlicher Teufel mit Hörnern dargestellt, wohl deshalb, weil in seinem Namen das Zeichen gue, „Teufel", enthalten ist, gehört aber trotz seines grotesken Aussehens zu den beliebtesten Göttern, weil er literarischen Ruhm verleiht, der im früheren China namentlich für die amtliche Laufbahn von unschätzbarem Werte war. Es gibt auch einen taoistischen Priesterstand, man unterscheidet Asketen, dao-sch'i 130 ) (eigentlich: Weise des Tao), und Weltgeistliche, gung-schi 1 3 1 ) (allgemeine Lehrer). Die Asketen leben als Einsiedler oder gemeinsam in Tempeln oder Klöstern, und tragen stets ein Mönchsgewand. Sie widmen sich der Meditation und treten selten in der Öffentlichkeit auf. Ihre Zahl ist gering, zahlreicher sind die Weltgeistlichen, die meist kein klösterliches Leben führen, oft verheiratet sind und ihren Ornat nur bei Ausübung ihrer Funktionen tragen. Ihre Haupttätigkeit besteht in der Vertreibung der vielen bösen Geister und Dämonen, von denen der Chinese sich auf Schritt und T r i t t umgeben wähnt. Nach einem Todesfall z. B. exorzieren sie die bösen Einflüsse, die der Tod im Gefolge haben kann, durch Verbrennung von Räucherkerzen, Verlesen von Gebeten, Opfern eines Huhnes usw. Von einer taoistischen Hierarchie kann man kaum sprechen, als oberster Taoist gilt der tiän-schi 1 3 2 ), der Meister des Himmels, der Vertreter des Edelsteinkaisers auf Erden. Man kann ihn nicht einen Taoistenpapst nennen, der in F r a g e n des Dogmas und der Geistlichkeit zu entscheiden hätte, denn diese Befugnisse gehen ihm ab, im wesentlichen ist er der oberste Exorzist. Der Begründer dieser W ü r d e ist Dschang Dao-ling, der im Jahre 34 n. Chr. bei Hangdschou geboren wurde und sich später in einer Höhle am Lunghuschan, dem Drachenund-Tigerberg in Kiangsi, niederließ. Die W ü r d e blieb erblich, das Ansehen des Amtes sank aber vor allem in der Zeit der Mandschudynastie, die dem Taoismus nicht wohlgesinnt war. M i t Amtssiegel und zwei Zauberschwertern beherrscht und bekämpft der Tiän-schi die Dämonenwelt, auch verkauft er Amulette, deren es sehr viele Arten gibt, meist sind es mit mystischen Zeichen beschriebene Papier- und Leinwandstreifen, und schließlich stand ihm eine A r t Aufsichtsrecht über das taoistische Pantheon zu, er konnte Neuernennung und Ab66

Setzung von Göttern beantragen, der Entscheid hierüber stand dem K a i s e r zu. Überall in China gibt es größere und kleinere taoistische Tempel, deren Kosten meist durch Sammlungen bei der B ü r g e r s c h a f t bestritten werden, die Regierung zahlt keine Gehälter an Geistliche irgendwelcher Religionsgemeinschaft. N u r die größeren Tempel haben einen oder mehrere Priester, die kleineren werden von den Bewohnern des D o r f e s oder Stadtviertels einigermaßen instandgehalten. In vielen dieser Tempel (und auch in buddhistischen) sieht man am A l t a r einen Behälter mit Bambusstäbchen, deren jedes eine N u m m e r trägt. Der Bittsteller opfert erst Räucherkerzen und schüttelt dann das Behältnis so lange, bis ein S t a b herausfällt. Die N u m m e r dieses Stabes verweist auf eines .der Rezepte, die an der T e m p e l w a n d a u f g e h ä n g t sind, o f t je hundert f ü r Männer, F r a u e n und K i n d e r . Der P r i e s t e r händigt das Rezept dem Bittsteller ein, der es dann zur Apotheke bringt. In manchen Tempeln verweisen die N u m m e r n nicht auf Rezepte, sondern auf Orakelsprüche, die an Unverständlichkeit denen des berühmten delphischen Orakels in keiner Weise nachstehen. A u ß e r den täglichen O p f e r n von W e i h r a u c h werden hin und wieder größere Feste gefeiert, deren Unkosten ebenfalls durch Subskription gedeckt werden, die L i s t e der Spender und ihrer Beiträge werden im Tempel ausgehängt. Solche Feste finden vor allem am Geburtstage des H i m m e l s h e r r n und der Gottheit statt, der der Tempel geweiht ist. Die taoistischen P r i e s t e r lesen auch Messen, deren es vielerlei A r t g i b t : Totenmessen, Regenmessen bei langwährender D ü r r e , Feuermessen bei Feuersbrunst, Messen f ü r die Seelen E r t r u n k e n e r , in Gegenden, wo T i g e r h ä u f i g sind, Tigermessen gegen die T i g e r p l a g e usw. Die Opfergaben werden von zwei P a p i e r f i g u r e n bewacht. Die eine reitet auf einem T i g e r , denn vor diesem haben die bösen Geister besonders große Angst, die andere auf einem Einhorn, einem Fabeltier mit Drachenschwanz und Beinen vom Elefanten, T i g e r , Leoparden und Löwen. Die Messen werden von drei oder mehr P r i e s t e r n gelesen, die zunächst in den H ä u s e r n der Subskribenten Amulette verteilen und geschriebene Gebete entgegennehmen; im Tempel folgt dann das D a r bieten der O p f e r g a b e n sowie die E r f l e h u n g von Segen f ü r die Spender. Die Opfergaben werden der Reihe nach emporgehoben und so der Gottheit symbolisch dargeboten, die P a p i e r f i g u r e n und Gebete werden mit Opferpapier v e r b r a n n t . Dies Verbrennen von Operpapier, das Geld

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in F o r m von den f r ü h e r üblichen Silberschuhen, Kleidungsstücke und andere Gegenstände des menschlichen Bedarfs darstellt, ist in China auch bei Begräbnissen und O p f e r n im H a u s sehr beliebt. M a n nimmt an, daß alles eine doppelte N a t u r hat, eine materielle, sichtbare, und eine immaterielle, unsichtbare. Die Götter genießen das Immaterielle am Opfer, und durch das Verbrennen werden die Gaben, die das O p f e r p a p i e r darstellt, nicht etwa vernichtet, sondern n u r ihrer körperlichen Hülle entkleidet, die Götter genießen sie nur körperlos. Die Tempel dienen o f t auch profanen Zwecken, Barbiere und H ä n d l e r lassen sich in ihnen nieder, Reisende übernachten dort, und in größeren Tempeln finden auch T h e a t e r a u f f ü h r u n g e n statt, die aber durchweg weltlichen, nicht selten sogar ausgelassenen C h a r a k t e r haben. Ein Gegenstück zu unseren Mysterienspielen gibt es in China nicht.

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V. Buddhismus 1. Gautama Buddha und seine Lehre Der Begründer der buddhistischen Lehre wird Buddha genannt, doch ist Buddha nicht ein Eigenname, sondern eine Würde, das Wort bedeutet: „Der Erkennende, der Erleuchtete." Der historische Buddha entstammte einer altindischen Adelsfamilie, Shakya, daher sein Name Shakyamuni, der Einsiedler aus den Shakya. Sein persönlicher Name w a r S i d d h a r t a ; diesen legte er bei Beginn seiner Lehrtätigkeit ab, beibehalten wurde der Name Gautama, ein Beiname seiner Familie, den er bei Lebzeiten meist trug. Sein Vater hieß Shuddhodana und w a r ein kleiner indischer Fürst, sein Land lag im heutigen Staat Nepal unweit der indischen Grenze, die Hauptstadt hieß Kapilavastu. Seine Mutter M a y a wollte ihre Niederkunft in ihrer nördlich gelegenen Heimat abwarten, wurde aber im Haine Lumbini von ihrer schweren Stunde überrascht, etwa 560 v. Chr., der König Ashoka errichtete hier später einen Gedenkstein. M a y a starb kurz nach der Geburt ihres Sohnes; Gautama wuchs als Fürstensohn auf, umgeben von der Pracht und dem L u x u s eines indischen Hofes. In jungen Jahren schon heiratete er die Yoshöharä, die ihm einen Sohn namens Rähula schenkte. Der S a g e nach wurde alles Häßliche und W i d e r w ä r t i g e , alles, was mit Krankheit und Tod zusammenhing, von ihm ängstlich ferngehalten. Eines T a g e s aber sah er doch erst einen gebrechlichen, alten Mann, dann einen Kranken, bald darauf einen Toten, und schließlich einen heiter aussehenden Bettelmönch. Diese Eindrücke sollen ihn dazu veranlaßt haben, der Welt zu entsagen. Er verließ W e i b und Kind, verzichtete auf das luxuriöse Leben am Hofe seines Vaters und zog sich in die Einsamkeit zurück, um über die letzten Dinge und den Sinn des menschlichen Lebens nachzudenken. Einsiedler gab es damals viele in Indien, auch Gautama suchte bei ihnen Belehrung und kasteite sich sieben Jahre lang mit größter Härte, ohne zum Ziele zu kommen.

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Eines T a g e s — er w a r damals etwa 36 Jahre alt — fand er nach tiefer Meditation, unter einem Bo-Baum (Feigen-Pappelbaum) sitzend, die Erkenntnis vorn Leiden und der Erlösung vom Leiden. Seit dieser Zeit bis zu seinem Tode, etwa 45 Jahre lang, wanderte er im Lande umher und predigte seine Lehre. Diese breitete sich rasch aus, auch seine eigene F a m i l i e gewann er für seine Lehre. E t w a 480 v. Chr. starb Gautama Buddha, 80 Jahre alt, bei dem Ort Kushinagara. Ein üppiger Kranz von Legenden schlingt sich um seine Geburt und sein Leben, u. a. soll aus dem Leibe seiner Mutter eine Lotosblume entsprossen sein, deren Kelch das heilige Kind trug. Daher w i r d Buddha oft auch „das Kleinod im Lotos" genannt, und der Lotos ist eines der beliebtesten Embleme des Buddhismus. Die Lehre Buddhas kann man eine „atheistische R e l i g i o n " nennen. Es ging Buddha nicht darum, einen neuen Gottesbegriff aufzustellen, über die Entstehung der Welt, die letzten Dinge, den Ursprung von Gut und Böse und dergleichen eine neue Lehre zu verkünden oder auch nur eine Morallehre zu predigen, wichtig w a r ihm einzig und allein die Erlösung des Menschen vom Leiden. Gautama Buddha geht von dem Gedanken a u s : Alles Leben ist Leiden, er empfand das Leben als etwas Schweres und Lastendes, ganz im Gegensatz zu den lebensfrohen Chinesen, die trotz allem Leid, das mit dem Menschenleben nun einmal untrennbar verbunden ist, das Leben doch bejahen und ein langes Leben zu den höchsten Glücksgütern rechnen. Die pessimistische Auffassung Buddhas erklärt sich wohl aus der tropischen Natur, deren Kind er war. Die Tropen mit ihrem ewigen Sommer haben etwas Eintöniges, Erstarrtes, der Reichtum wirkt nicht anregend, sondern eher lähmend, die ewige W ä r m e erschlafft Körper und Geist, kein Wunder, daß an Stelle der frischen Aktivität, die den Menschen der gemäßigten Zone auszeichnet, ein passives Hinnehmen des Schicksals, eine schwermütige, skeptische Betrachtung des Lebens tritt. Die Vergänglichkeit alles irdischen Seins ist Buddha stark zum Bewußtsein gekommen, hinter jedem Blühen steht ein Verwelken, hinter jedem Erreichen ein Verlieren, hinter allem Leben der Tod. Glück ist nur ein Schein, ein Sinnentrug, alles Leben ist Leiden. Weiterhin stand Buddha stark unter dem Einfluß der altindischen Lehre von der Seelenwanderung. Der Körper stirbt, aber die Seele geht sofort in eine neue Daseinsform über; diese mag auf höherer oder niederer Ebene liegen, glücklich oder unglücklich sein, gleich-

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viel, am Ende jeder von ihnen steht der Tod und neue Verkörperung, und diese Wanderung kennt kein Ende, keine Erlösung, kein Erlöschen. Fürwahr, kaum je hat das Menschenhirn einen Gedanken gefaßt, der so düster wäre wie der von der Seelenwanderung! Es erhebt sich nun die Frage nach der Ursache des Leidens, denn nur, wenn man diese kennt, kann man hoffen, einen Weg zur Aufhebung des Leidens zu finden. Darauf antwortet Buddha: Die Ursache des Leidens ist der „Durst", das Begehren im weitesten Sinne, vom Willen zum Leben an bis zum Verlangen nach Glücksgütern irgendwelcher Art. Es gilt also, den Durst zu bekämpfen, und dies ist nach Buddhas Lehre möglich. Der Mensch ist nicht einem ewigen, unabänderlichen Verhängnis unterworfen, die Wurzel des Leidens liegt in seiner Person, der Mensch kann sein Geschick lenken, das Leiden überwinden, den Weg hierzu lehrt der Buddhismus. Vier Grundwahrheiten stellt Buddha auf: Die Existenz des Leidens (alles Leben ist Leiden), die Ursache des Leidens, die Unterdrückung der Ursache des Leidens, und den Weg zur Unterdrückung der Ursache des Leidens. Die vorbuddhistische indische Philosophie kannte eine Seele, die als ein Dauerndes im Wechsel der Verkörperung von einer Behausung zur anderen geführt wird, erlöst kann sie nur werden, wenn sie mit der Weltseele, dem Brahma (Brahman) zur Einheit kommt, in ihr aufgeht. Buddha verwirft diese Lehre durchaus und leugnet das Bestehen der Einzelseele sowohl wie der Allseele. Letztere interessiert ihn nicht, da er nur die Erlösung des Menschen vom Leiden im Auge hat, um so wichtiger ist aber die Frage, ob eine individuelle Seele besteht. Buddha leugnet dies und meint, es sei ein Irrtum anzunehmen, daß die Seele Trägerin des Lebens sei und bei einer Neuverkörperung von einem Körper in den andern wandere, so daß die Verkörperung immer verschieden, die Seele jedoch stets dieselbe sei. Nach Buddha gibt es keine Seele, die Neuverkörperung entsteht nur durch den „Durst". Der Mensch ist nichts weiter als eine Ansammlung körperlicher und geistiger Vorgänge, das Zusammenwirken von Kräften- bringt eine scheinbare Einheit hervor, die man als wirklich bestehend angenommen und „Seele" genannt hat. Es gibt kein bleibendes Ich, das Ich besteht nur scheinbar, es ist lediglich die Zusammenfassung einer Gruppe von Prozessen aller Art, und ebenso wie diese immer wieder neu und verschieden. Ein Vorgang schließt 71

sich an den andern an, und so entsteht der Schein von etwas, das gleichmäßig dauert. Der D u r s t , der Wille zum Leben, das H a f t e n an den Erscheinungen hält alles Lebende an der E x i s t e n z fest und f ü h r t es aus einer D a s e i n s f o r m in eine neue, wenn der T o d den Zusammenhalt eines Lebewesens löst. Die Verflochtenheit in die Vorgänge der Welt durch irgendwelches Streben, irgendwelche Neigungen und W ü n s c h e ist f ü r Buddha die Ursache f ü r die F o r t s e t z u n g der E x i s t e n z über den leiblichen T o d hinaus. H i e r wirkt sich ein mitleidloses Naturgesetz aus, das übrigens nicht nur die T a t s a c h e der W i e d e r v e r k ö r p e r u n g , sondern auch ihre A r t und Weise bestimmt. Buddha übernimmt hier die altindische Idee vom K a r m a ( K a r m a n ) , daß die sittliche Beschaffenheit der menschlichen H a n d l u n g e n die A r t des neuen Daseins bestimmt. Gutes H a n d e l n f ü h r t zu einer besseren, böses zu einer schlechteren E x i s t e n z . Die N e u v e r k ö r p e r u n g kann nicht n u r durch alle Stufen der beseelten Wesen führen, die wir Menschen auf E r d e n kennen, sondern auch durch andere Daseinsformen, die man gewöhnlich mit Himmeln und Höllen bezeichnet. Aber auch die höchste, glücklichste D a s e i n s f o r m ist Leiden, denn auch sie ist vergänglich, ein ewiges Leben kennt der Buddhismus nicht. E s erhebt sich also die große F r a g e : W i e entrinnt der Mensch dem Lose der W i e d e r v e r k ö r p e r u n g ? Die A n t w o r t hierauf gibt die Erlösungslehre. A u s einer subjektiven, im Menschen liegenden W u r zel erwächst die immer wiederkehrende E r n e u e r u n g des Daseins, aber der einzelne kann diese W u r z e l zerstören und damit der Reihe der Wiederverkörperungen ein E n d e setzen. Diese W u r z e l nun ist der D u r s t , ist dieser völlig überwunden, so kann keine neue E x i s t e n z mehr beginnen. D e r Mensch muß sich vollständig von jeder Verbundenheit mit der Welt freimachen, bis jeder T r i e b zu irgendeinem körperlichen oder geistigen Objekt zu bestehen aufgehört hat. „Geh an der Welt vorüber, es ist nichts." So werden alle F ä d e n durchschnitten, die das Wesen des Menschen mit dem irdischen Dasein verbinden. Nicht mit dem Strom des Seins soll das Einzelwesen schwimmen, sondern quer durch diesen Strom zu einem neuen U f e r , dem Endziel des Buddhismus, dem N i r v a n a . D a s N i r v a n a ist nicht ein P a r a d i e s , ein Zustand höchster Glückseligkeit, sondern nichts weiter als ein Zustand völliger Leidlosigkeit, und da f ü r Buddha Leiden und E x i s t i e r e n identisch sind, auch ein Zustand der Existenzlosigkeit. Linter E x i stenz ist hier nicht n u r die irdische E x i s t e n z gemeint, von der wir

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Menschen eine E r f a h r u n g haben, sondern auch die dem Namen nach übersinnlichen Existenzen etwa der Geister und Götter, die Buddha letzten E n d e s n u r als Modifikationen des irdischen Daseins a u f f a ß t . N i r v a n a bedeutet also nicht das absolute Nichts, sondern eine E x i stenzform, die ganz verschieden von jeder anderen, vor allem natürlich der irdischen, ist. D a m i t ist N i r v a n a , zum mindesten f ü r uns E u r o päer, ein unvorstellbarer Begriff, und Buddha selbst hat sich hierüber nicht geäußert, da es ihm einzig und allein auf den E r l ö s u n g s gedanken ankam. W i e befreit sich der Mensch vom „ D u r s t " , dem Begehren, dem Willen zum Leben? H i e r f ü r gibt Buddha praktische Anweisungen, die aber nicht auf asketischer Grundlage beruhen. Die Askese als solche ist in Buddhas Augen kein W e g zum Heil, sie kann nützlich sein, bleibt aber doch äußerlich, während die E r l ö s u n g aus dem Strome der W i e d e r v e r k ö r p e r u n g e n von innen her geschehen muß. Die äußeren U m s t ä n d e können durch Einsiedlertum und einfache Lebensweise erleichtert werden, was zu der E i n r i c h t u n g der Mönchsund Nonnenorden g e f ü h r t hat, aber auch das Mönchstum ist nicht Selbstzweck, sondern bildet nur eine A r t schützender Mauer, hinter der die wirkliche A u f g a b e noch zu vollbringen ist. Diese drückt Buddha aus mit dem Bilde vom achtteiligen P f a d : 1. Rechtes Glauben. Dies ist die A n e r k e n n u n g der schon genannten vier G r u n d w a h r h e i t e n : Alles Leben ist Leiden, der D u r s t ist die Ursache des Leidens, diese U r s a c h e kann unterdrückt werden, der Gläubige muß den W e g zur U n t e r d r ü c k u n g der Ursache des Leidens wandeln. 2. Rechtes Entschließen, d. h. der unabänderliche Entschluß, auf alle Sinneslust zu verzichten, keine feindselige Gesinnung gegen irgend jemand zu hegen und kein lebendes Wesen, sei es Mensch oder T i e r , zu verletzen oder gar zu töten. 3. Rechtes W o r t , d. h. das Vermeiden von Lüge, Falschheit, Verleumdung, verletzender und unzüchtiger Rede. 4. Rechte T a t , d. h. Rechthandeln in allen Dingen, Vermeiden von Zerstören von Lebendigem, von Diebstahl, Unkeuschheit usw.

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5. Rechtes Leben, d. h. Aufgeben jeder verwerflichen Berufstätigkeit, die im Streit mit der Lehre steht, und Aufnehmen rechter Beschäftigung im Sinne der Lehre. 6. Rechtes Streben, d. h. bewußte und unermüdliche Unterdrückung alles Schädlichen und Steigerung alles Verdienstvollen. 7. Rechtes Gedenken, d. h. sorgfältige Selbstbeobachtung und Selbstzucht nach Körper, Sinneseindrücken, geistiger Haltung, geleitet von dem Streben, über Lust und Leid hinauszukommen. 8. Rechtes Sichversenken. Hiermit ist eine in steigende Methode der inneren Loslösung von allem bis ein Zustand erreicht wird, in dem keinerlei differenziertes Bewußtsein, keine Empfindung von mehr vorhanden ist (s. S. 76).

vier Stufen aufIrdischen gemeint, Nachdenken, kein Freude oder Leid

Mit dieser Lehre vom achtteiligen Pfad wird das rechte Leben des Jüngers angedeutet; will man den Weg der Heilsgewinnung völlig verstehen, so muß man noch weiter ausholen. Buddha hat darüber eingehende Votschriften für Laien wie Mönche erlassen. Wenn auch nur der Mönch das Endziel, das Nirwana, erreichen kann, so kann der Laie doch ein gutes Stück des Wegs zurücklegen und entweder noch in diesem Leben zum Mönchstum kommen oder eine glückliche Neuverkörperung erreichen, die ihm den Weg des zum letzten Ziel wandernden Mönches erleichtert und verkürzt. F ü r die Laien gelten die folgenden fünf Vorschriften: 1. Man darf nichts Lebendiges vernichten. 2. Man darf nicht stehlen. 3. Man darf keinen unerlaubten Geschlechtsverkehr pflegen. 4. Man darf nicht lügen. 5. Man darf keine berauschenden Getränke trinken. Zu diesen Vorschriften gesellt sich ein Moralkodex alles dessen, was als ehrenhaft und pflichtgemäß gilt. Über diese breite Grundlage der Ethik kann der Laie sich erheben, wenn er drei weitere Gebote beachtet: 1. Man darf nur zu bestimmten Zeiten Nahrung zu sich nehmen. 74

2. Man darf teilnehmen.

nicht an Tanz, Gesang und

Theateraufführungen

3. M a n darf den Körper nicht mit Blumen, Salben und Wohlgerüchen schmücken und pflegen. Zugleich wandelt sich das dritte der obigen fünf Gebote dahin, daß man g a r keinen Geschlechtsverkehr pflegen darf. W e r diese acht Gebote befolgt, betritt eine Vorstufe des Mönchstums, Laien, die sich ihnen zeitweilig unterwerfen, erwerben sich damit ein Verdienst. Der Mönch hat noch zwei weitere Gebote zu befolgen: 1. Er darf kein hohes oder breites L a g e r benutzen. 2. Er darf kein Gold oder Silber besitzen, d. h. er muß arm sein. Diese zehn Gebote sind teils ethischer Natur, teils zielen sie auf Isolierung des Mönches, eine einfache Lebensweise und Lösung von allen Banden der Familie, des Besitzes usw. hin. Dazu kommen für die Mönche noch viele Einzelanweisungen, u. a. sollen diese sich nur von erbettelter Nahrung erhalten, wobei Fleischnahrung nicht ausgeschlossen ist. Dies ist auffällig, da der Genuß von Fleisch doch das Töten eines lebendigen Wesens voraussetzt, in der P r a x i s sind denn auch die buddhistischen Mönche Vegetarier. Bei alledem ist immer im A u g e zu behalten, daß das Mönchtum an sich die Erlösung nicht bringt, diese kann nur durch geistige Arbeit erreicht werden, die allerdings am besten unter dem Schutze des mönchischen Lebens beginnt. Diese Arbeit besteht in Meditation und Erkenntnis. In die Meditation, die betrachtende Versenkung, tritt der Jünger erst ein, wenn er die äußeren Vorschriften des Mönchtums auch innerlich verarbeitet hat, wenn ihm innere Wachsamkeit, Selbstbeherrschung, Lenkbarkeit seiner Anlagen, Scharfblick für Fehler und Irrtümer vollständig g e l ä u f i g geworden sind. Unter Meditation versteht der Buddhismus die Methode des Abstrahierens, die einzelnen Erscheinungen werden in Verallgemeinerungen aufgelöst, je weiter diese geht, um so schattenhafter w i r d die W e l t als Feld der Beobachtungen, um so mehr löst der Meditierende sich von den Dingen. Neben der verstandesmäßigen w i r d auch die gefühlsmäßige Versenkung gefordert, die den Menschen aus den Banden des individuellen Empfindens in ein gegenstandsloses Allgemeinempfinden und

75

schließlich zum völligen Nichtempfinden f ü h r t . Die Versenkung geht in vier Stufen vor sich: Die erste in ein tiefes Gefühl von F r e u d e und Glück. Die zweite f ü h r t zu tiefer innerer R u h e und einheitlicher Richtung des Denkens. Die dritte ist ein indifferenter Zustand, in dem aber das Bewußtsein und das Gefühl körperlichen Behagens noch vorhanden sind, während in der vierten S t u f e alles E m p f i n d e n verschwindet und ein völlig unbewußtes inneres Schauen eintritt. Diesen vier Versenkungszuständen reihen sich vier Grade des Eindringens in A b s t r a k t i o n und Leere an. Der Mensch erreicht zuerst das Gebiet des grenzenlosen Raumes, dann das der grenzenlosen Unbewußtheit, darauf das Gebiet der Nichtigkeit, und endlich das Gebiet, in dem W a h r n e h m u n g und N i c h t w a h r n e h m u n g aufhören. H ö h e r noch als die Meditation steht die E r k e n n t n i s . H a t der Jünger alle Stufen der Meditation durchgemacht, so soll er mit ihrer H i l f e — auch die Meditation ist nur ein Mittel, kein Selbstzweck! — einen höchsten Grad von Einsicht erreichen, der alle Grundwahrheiten der buddhistischen L e h r e durchdringt. H i e r z u gehört vor allem das Wissen um die drei Eigenschaften der D i n g e : D a ß sie vergänglich sind, daß sie Leiden sind, und daß sie kein wirkliches Dasein haben, sondern nur den Schein eines solchen erwecken. D u r c h die E r k e n n t nis erreicht der J ü n g e r den Zustand höchster H e r r s c h a f t über das Leben, die völlige Loslösung aus dem Leben und die volle Freiheit von allen Bindungen an die ihn umgebende Welt.

2. Der Mahäyäna-Buddhismus Schon zu Buddhas Zeiten bestanden zunächst Mönchsorden und bald auch Nonnenklöster. Zur E i n r i c h t u n g der letzteren gab Buddha n u r zögernd seine Zustimmung. Über die Stellung der F r a u hat er sich nicht weiter ausgesprochen, aber wir können annehmen, daß er im Weibe den größten Stein des Anstoßes f ü r den M a n n gesehen hat, das größte H i n d e r n i s auf dem W e g e zur Erlösung. Die Lehre wurde zunächst mündlich überliefert, Gautama Buddha hat nichts Schriftliches hinterlassen. Bald nach seinem T o d e w u r d e ein Konzil abgehalten, auf dem der K a n o n der buddhistischen Kirche festgelegt wurde, das T r i p i t a k a , d. h. der Dreikorb, chinesisch san-tsang 1 3 3 ), aus den folgenden drei Teilen bestehend:

76

1. Das V i n a j a , Ordensregel.

chinesisch

lü 134 )

oder

Gesetz,

enthaltend

die

2. D i e Sutras, chinesisch djing 1 3 5 ), Legenden, die Buddha in den Mund gelegt werden. 3. Das A b h i d a r m a , chinesisch lun 1 3 6 ), Texte.

metaphysisch-philosophische

E s fanden noch mehrere Konzile statt, bald begannen sich auch Sekten zu bilden. D e r Buddhismus verbreitete sich rasch bis Kabul, K a s c h m i r und über Vorderindien bis Ceylon. U m das J a h r 100 n. Chr. redigierte ein Konzil die heiligen T e x t e im Sanskrit statt des bisher verwandten Pali, doch nahm nur die südliche Schule die Sanskritredaktion an. Dazu k a m in der nördlichen Schule eine neue Richtung auf, durch die das Schisma endgültig und eine ganz neue F o r m des Buddhismus geschaffen wurde. Buddha hatte nur die persönliche E r l ö s u n g des einzelnen im Auge, die jeder allein erstreben mußte, im G r u n d e konnte n u r der Mönch sie erreichen. Götter und ein Paradies kannte Buddhas L e h r e nicht, auch das N i r v a n a ist nichts anderes als ein Zustand der Leidlosigkeit. Diese gewiß tiefsinnige, aber auch schwer verständliche Lehre, die zudem an ihre A n h ä n g e r die denkbar höchsten A n f o r d e r u n g e n stellt, w a r f ü r die große Menge viel zu hoch. Die neue L e h r e suchte dem abzuhelfen, sie nennt sich Mahäyäna, das große Vehikel, chinesisch da-tscheng 1 3 7 ), im Gegensatz zu der älteren, reineren F o r m des Buddhismus, dem H i n ä y ä n a , dem kleinen Vehikel, chinesisch hsiao-tscheng 1 3 8 ). Der MahäyänaBuddhismus unterscheidet sich von dem H i n ä y ä n a - B u d d h i s m u s vor allem dadurch, daß er Götter und ein P a r a d i e s kennt und auch dem Laien den E i n t r i t t in das P a r a d i e s möglich macht. M a h ä y ä n a f ü h r t e einen ganz neuen, dem H i n ä y ä n a unbekannten Begriff ein, nämlich die Bodhisatvawürde. E i n Bodhisatva ist der, dessen Wesen, satva, die E r l e u c h t u n g oder E r k e n n t n i s , bodhi, ist, der chinesische A u s d r u c k d a f ü r ist pu-sa 1 3 9 ). U m die B o d h i s a t v a - W ü r d e zu erlangen, muß man zur E r k e n n t n i s der buddhistischen Wahrheiten gelangt sein; diese W ü r d e stellt also die V o r s t u f e zur B u d d h a w ü r d e dar, der Bodhisatva ist an sich fähig, ins N i r v a n a einzugehen, verzichtet aber darauf, um die Menschheit zu erretten und ihr auf ihrem W e g zur E r l ö s u n g beizustehen, bis eines T a g e s alle Menschen erlöst sein

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werden. Die Bodhisatva's haben Macht über die Illusion und verfügen über Worte und Formeln, dhärani, denen übernatürliche Zauberkräfte zugeschrieben werden. Ist der ursprüngliche Buddhismus atheistisch, so ist der Mahäyäna-Buddhismus polytheistisch, und der Begründer der Lehre, Gautama Buddha, eine von vielen Gottheiten, wenn auch eine der höchsten und am meisten verehrten, was ganz gewiß nicht Buddhas Meinung entspricht. Auch der Heilsbegriff wurde einer Änderung unterzogen. D a s Nirwana Buddhas, ohnehin ein schwer zu deutender Begriff, war den wenigsten zugänglich, im Mahäyäna tritt es zurück, es entstand die Lehre vom westlichen Paradies, in dem der Buddha Amitäbha, auch Amida Buddha genannt, thront. In dieses Paradies können auch Laien wiedergeboren werden, die sich durch tugendhaften Wandel und gute Werke auszeichnen (denen der ursprüngliche Buddhismus keinen Erlösungswert beimaß), ohne sich der strengen Ordensregel zu unterwerfen. Die Mahäyäna-Schule kommt also den Gläubigen sehr viel mehr entgegen als die ursprüngliche Lehre, auch hat sie die Politik religiöser Zugeständnisse inauguriert, der sie ihre große Ausbreitung verdankt. Nicht nur in der Theorie, sondern gerade auch in der P r a x i s ist der Buddhismus die sanfteste aller Religionen. Nie ist er eine ecclesia militans gewesen, nie hat er versucht, andere Religionsformen auzurotten, sondern er paßte sich ihnen an und nahm sie weitgehend in sein System auf, wodurch er natürlich seinerseits stark von ihnen beeinflußt wurde. Der südliche oder Hinäyana-Buddhismu.s hat sich in seinem Ursprungsland Indien nicht behaupten können, er existiert noch auf Ceylon und in Hinterindien, mit Ausnahme d£r Malaienstaaten und des malaiischen Archipels, Gebiete, in denen jetzt der Islam überwiegt. Der nördliche oder Mahäyäna-Buddhismus hat sich über Tibet, die Mongolei, China, K o r e a und Japan verbreitet. Innerhalb seines Bereichs entstand als besonderer Zweig mit eignem Kult der L a m a i s m u s , der sich von Tibet aus unter den Mongolen verbreitete, siehe Abschnitt 4.

3. Der Buddhismus in China Die Einführung des Mahäyäna-Buddhismus in China wird auf einen T r a u m zurückgeführt, den der K a i s e r der Handynastie Ming

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Di im Jahre 61 n. Chr. hatte. Ihm erschien ein goldenes Götterbild, das über dem P a l a s t in der L u f t schwebte, einer seiner Brüder deutete dies als eine Buddhastatue und überredete den Kaiser, die neue Lehre in China einzuführen; vielleicht w a r der Bruder des Kaisers bereits heimlicher Anhänger des Buddhismus. Kaiser M i n g Di entsandte eine Kommission nach Indien, deren Mitglieder im Jahre 67 n. Chr. in Begleitung indischer Gelehrter zurückkehrten, die zuerst buddhistische T e x t e ins Chinesische übersetzten. Die neue Lehre breitete sich zunächst aber nur langsam aus, erst im Jahre 335 erhielten Chinesen das Recht, sich in Mönchsorden aufnehmen zu lassen, und erst im 4. Jahrhundert unternahm der chinesische Buddhist Fa-hsiän eine P i l g e r f a h r t nach Indien. Zahlreiche andere P i l g e r folgten seinem Beispiel, und mit der Zeit kamen viele buddhistische T e x t e und Reliquien nach China. Selbstverständlich fehlte es den Buddhisten von A n f a n g an nicht an Gegnern, vor allem unter den Konfuzianern. Das asketische Mönchtum, das der Mahäyäna-Buddhismus zwar nicht unbedingt fordert, aber doch begünstigt, widerspricht gerade der konfuzianistischen Ethik, denn es lockert oder löst die Bande der Familie und der Blutsverwandtschaft, die j a recht eigentlich die Grundlage der Lehre Kung-ds'i's sind. Auch warfen die Konfuzianer dem Buddhismus vor, daß er dem Staat nützliche Kräfte entzöge und durch das Gebot der Ehelosigkeit für die Mönche die Gefahr der Entvölkerung heraufbeschwöre. Mehrfach kam es zu Verfolgungen des Buddhismus, Klöster wurden zerstört oder doch säkularisiert, und die Mönche und Nonnen gezwungen, ins bürgerliche Leben zurückzukehren. Diese Beweise von Intoleranz machen den Konfuzianern gewiß keine Ehre, aber es darf nicht übersehen werden, daß die Verfolgungen des Buddhismus in China nie zu so schrecklichen Greueln führten, wie Europa sie in den Ketzerverfolgungen und Religionskriegen erleben mußte. Trotz des Widerstandes einflußreicher chinesischer Kreise, und obwohl der Buddhismus fremden Ursprungs is-t, hat er sich in China weitgehend durchgesetzt. Dazu trug seine Anpassungsfähigkeit sowie die Tatsache bei, daß er vieles brachte, was auf Gemüt und Sinne des Menschen wirkt. Die alte chinesische Religion und der Ahnendienst waren recht unanschaulich, von den Ahnen nahm man an, daß sie weiterlebten, wußte aber nicht, wie das Jenseits nun eigentlich beschaffen war. Der Buddhismus mit seinem Götter- und Bilderkult,

79

seinem feierlichen Zeremoniell und seinen Legenden brachte demgegenüber viel Sinnfälliges und Anschauliches. D a s Pantheon des chinesischen Buddhismus ist ebenso unübersehbar wie das des Taoismus, und auch hier müssen wir uns auf die kurze E r w ä h n u n g der wichtigsten Gottheiten beschränken. E s liegt auf der H a n d , daß der Begründer der Lehre göttlich verehrt wird, Buddha heißt auf chinesisch Fo 1 4 0 ) oder auch Sch'i-djia-mou-ni 1 4 1 ) = Shakyamuni, das erste Zeichen, schi, wird o f t f ü r „buddhistisch" gebraucht. Meist wird Buddha mit untergeschlagenen Beinen in sitzender H a l tung, in tiefe Meditation versunken, wiedergegeben, manchmal auch stehend oder als sogenannter „schlafender B u d d h a " liegend, womit der ins N i r v a n a eingehende Buddha dargestellt werden soll. Manchmal erscheint Buddha in dreifacher Gestalt, als Buddha der Vergangenheit, der Gegenwart und der Z u k u n f t . Die Dreiheit ist n u r ein Versuch, den Buddhabegriff zu erläutern, zahllos sind die irdischen Erscheinungsformen der Buddhas, in Wirklichkeit aber gibt es nur e i n e n . Die Dreiheit, von den Buddhisten ebenso wie von den T a o isten san-bao 9 5 ), die drei Kostbarkeiten, genannt, ist auch sonst im Buddhismus sehr beliebt, wobei die Zusammenstellung wechselt; einmal sind gemeint Buddha, die Lehre, die Gemeinde, ein andermal drei der bedeutendsten Bodhisatvas usw. Der Buddha der Zukunft, Maitreya, chinesisch mi-lo-fo 1 4 2 ), wird oft als eine uns grotesk anmutende F i g u r dargestellt: D e r feiste, lächelnde Gott hockt auf dem Boden, das linke Bein quer vorm Unterleib, das rechte aufgestemmt. Sein Kopf ist ganz kahl, seine Ohren reichen bis zu den Schultern, der weit zurückgeschlagene Mantel läßt Schultern, Brust und Bauch sehen. Diese in China höchst populäre Gottheit wird von den E u r o päern meist „der lachende B u d d h a " genannt. W i r d der historische Buddha in China zwar noch viel verehrt, so tritt er doch gegen A m i t a b h a Buddha, auch A m i d a oder Omito Buddha genannt, zurück. A m i t a b h a bedeutet eigentlich „unendliches Licht", die Chinesen übersetzen dies entweder, nennen A m i t a b h a aber meist mit klanglicher N a c h a h m u n g O-mi-to-fo 1 4 3 ). E s gilt als verdienstlich, am Rosenkranz den Namen, O-mi-to-fo unendliche Male herzubeten, und O-mi-to-fo ist in China ein ganz gewöhnlicher Ausruf, etwa wie bei u n s : „Ach du lieber G o t t ! " Die Legende berichtet, daß A m i d a ein mächtiger K ö n i g war, der aber der W e l t entsagte und ein Asket wurde. E r nahm es auf sich, ein himmlisches Reich

80

von

vollendeter

Reinheit

zu

schaffen,

und

ist

der

Herrscher

des

westlichen P a r a d i e s e s . W e i t e r h i n sind hier zu nennen vier B o d h i s a t v a s , deren j e d e r seinen S i t z auf einem der vier buddhistischen heiligen B e r g e Chinas h a t : 1. D i e volkstümlichste unter den vier ist die Guan-yin japanisch

Kwannon144),

oft

mit

einem

Kind

auf

dem

(Kuan-yin, Arm

dar-

gestellt. U r s p r ü n g l i c h ist die K u a n y i n eine männliche Gottheit,

Bod-

hisatva A v a l o k i t e g v a r a , „der herabblickende H e r r " . F ü r iijvara, H e r r , wurde s v a r a , S t i m m e , gelesen, Guan-yin bedeutet „die den L a u t Stimme)

Beachtende" =

Legende

folgendes:

das Gebet E r h ö r e n d e . V o n

V o r langer Zeit herrschte im W e s t e n

(die

ihr erzählt die

ein K ö n i g M i a o

Dschuang,

dessen G a t t i n M i a o D ö hieß. I h r e E h e blieb kinderlos, das

Ehepaar

b e g a b sich deshalb zum heiligen B e r g H u a - s c h a n , wo sich das B i l d n i s einer

Gottheit

befand,

die

jeden

Wunsch

erfüllen

konnte.

Später

wurden dem K ö n i g s p a a r drei T ö c h t e r geboren, deren j ü n g s t e schan

hieß.

Ihre

Schwestern

verheirateten

sich,

dem

Miao-

Gebot

der

E l t e r n folgend, M i a o - s c h a n aber weigerte sich und ging, um dem Zorn ihres V a t e r s zu entgehen, in ein K l o s t e r . D e r K ö n i g ließ es in B r a n d s t e c k e n ; als M i a o - s c h a n das F e u e r gewahrte, durchstach sie sich mit einem H a a r p f e i l die K e h l e . D a s gen H i m m e l spritzende B l u t fiel als R e g e n nieder und löschte den B r a n d . ergreifen

und

wollte

sie

hinrichten

N u n m e h r ließ der K ö n i g lassen,

aber

das

Schwert

H e n k e r s z e r b r a c h in seiner H a n d , ohne sie zu verletzen.

sie des

Schließlich

g e l a n g es, sie zu erdrosseln, da erhob sich ein O r k a n , und die S c h u t z gottheit des O r t e s eilte auf himmlische W e i s u n g in T i g e r g e s t a l t bei, um sie in die U n t e r w e l t zu retten. In den H ö l l e n r e g i o n e n

her-

wurde

M i a o - s c h a n von den L e i d e n der V e r d a m m t e n e r g r i f f e n und erlöste sie durch die M a c h t ihres Gebetes. S e l b s t die H ö l l e n f ü r s t e n baten darum, ihren Gebeten beiwohnen zu dürfen, M i a o - s c h a n b e w i l l i g t e es unter der B e d i n g u n g , daß die armen Seelen befreit würden, und die H ö l l e wurde zum P a r a d i e s . S c h l i e ß l i c h fürchtete Y e n - l o - w a n g , der

Höllen-

fürst, seine H e r r s c h a f t ganz einzubüßen, g a b die Seele der M i a o - s c h a n frei und ließ sie auf die E r d e zurückgeleiten. A u f Geheiß b e g a b sie sich auf die Insel P u - t o

(Putu),

D i e s e malerische kleine Jnsel gehört zum D s c h u s a n a r c h i p e l , K ü s t e der P r o v i n z T s c h e k i a n g

6

vorgelagert

Buddhas

wo seither ihr S i t z i s t ; neben einem

ist.

der der großen

81

und schönen H e i l i g t u m befinden sich dort noch viele kleinere Tempel der K u a n y i n . Groß ist die Zahl der die Insel besuchenden Pilger, merkwürdigerweise ist F r a u e n der dauernde A u f e n t h a l t auf P u t u untersagt, obwohl doch die Schutzpatronin der Insel eine F r a u ist. K u a n y i n ist die Göttin der Barmherzigkeit; sie w i r d auch von Seef a h r e r n in Seenot angerufen, vor allem aber von F r a u e n , die sich Kindersegen wünschen. M a n hat sie mit der Madonna des Christentums verglichen, mit Unrecht, denn die K u a n y i n ist wohl eine j u n g fräuliche Göttin, aber keine Gottesmutter. 2. Pu-hsiän 1 4 5 ), S a m a n t b h a d r a , der Allbarmherzige. Sein Sitz ist der Berg Omi in der P r o v i n z Szechuan, im Tempel thront die Bronzef i g u r des Gottes auf einem Elefanten. D e r Berg erhebt sich aus der Ebene steil bis fast 4000 m H ö h e and bietet eine herrliche Aussicht über die chinesische Ebene und die Schneeberge Tibets, wie denn überhaupt die buddhistischen Tempel meist in landschaftlich schöner U m g e b u n g liegen und mit erlesenem Geschmack in die L a n d s c h a f t hineingebaut sind. 3. Di-dsang 1 4 6 ), K s h i t i g a r b h a , der O b e r h e r r der Höllen, sein Sitz ist der Djiuhuaschan, zwei Tagereisen von Anking, der H a u p t s t a d t der P r o v i n z Anhui, entfernt. E r ist kein f u r c h t b a r e r Gott, sondern ein milder H e r r , der die Verurteilten zu erlösen trachtet. 4. Wen-schu 1 4 7 ), M a n j u s i r i oder M a n j u s c h r i . Sein Sitz ist der W u t a i s c h a n im Norden der P r o v i n z Schansi, er ist die P e r s o n i f i k a tion der Weisheit. In seiner Rechten hält er ein Schwert (Symbol des scharfen Verstandes), in seiner Linken ein Buch auf einer Blüte (Symbol der heiligen L e h r e Buddhas). Auf dem W u t a i s c h a n mischen sich chinesischer Buddhismus und L a m a i s m u s , mongolische L a m a s teilen sich mit chinesischen Bonzen in die Tempel und Götterbilder. In den größeren Tempeln findet man auch die A r h a n t , chinesisch Lo-han 1 4 8 ), die heiligen Schüler Buddhas. Meist sind es ihrer 18, 16 Inder und 2 Chinesen. U r s p r ü n g l i c h gab es n u r 16 Schüler Buddhas, denen er seine L e h r e anvertraute. Sie überwachen die Lehre, bis Maitreya, der z u k ü n f t i g e Buddha, eine neue L e h r e bringt. O f t ist ihre Anzahl viel größer, 500, ja selbst 1200 kommen vor, unter ihnen merkwürdigerweise der italienische Entdeckungsreisende M a r c o Polo, der

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zur Zeit der Mongolendynastie lange Jahre in China" lebte. Häufig dargestellt werden auch die Patriarchen des Buddhismus, von denen der bekannteste Bodhidarma ist, der 5 2 6 n. Chr. das Patriarchat von Indien nach China verlegte. Zu all diesen Göttern gesellten sich noch eine Unzahl Schutzgottheiten teils indischen, teils chinesischen U r sprungs. Ganz im Geiste des chinesischen Synkretismus liegt es, wenn in buddhistischen Tempeln auch „fremden Göttern" gehuldigt wird. So sah Verfasser auf J a v a einen chinesischen Tempel, dessen Haupthalle der Kuanyin geweiht war, in einer Nebenhalle thronte der Kriegsgott Guan-di, und in einer zweiten war eine Statue des Kungds'i untergebracht! In sehr geschickter Weise hat sich der Buddhismus dem altchinesischen Ahnendienst angepaßt, dem er erst einen konkreten Inhalt verlieh, wozu die Lehre von der Wiederverkörperung sowie die vom Paradies und der Hölle dienten, die beide auf der altindischen K a r m a lehre (s. o. S. 72) beruhen; je nach Verdienst oder Schuld wird der Abgeschiedene belohnt oder bestraft, kommt in das Paradies oder muß Höllenqualen leiden. E s gibt sechs Arten der Wiedergeburt: Höllenwesen, Pretas, T i e r e , Dämonen, Menschen und Götter. Pretas sind gespenstische Wesen von furchtbarem Aussehen, sie haben struppiges Haar, ganz dünne Arme und Beine und einen aufgedunsenen Bauch. Immerzu sind sie hungrig und durstig und können sich nie sättigen, da sie nur einen nadelöhrgroßen Mund haben. Sie hausen in der Unterwelt und dürfen nur am letzten T a g e des sechsten Monats auf die Erde. An diesem T a g e wird ihnen geopfert. Höllenfürst ist der brahmanische Todesgott Y a m a , von den Chinesen Yen-lo-wang 1 4 9 ) genannt, der auch dem Vulgärtaoismus bekannt ist. E i n Paradies gab es schon im indischen Mahäyäna. Auf Chinesisch heißt es dji-lo-sch'i-djiä 1 5 0 ), die W e l t der äußersten Freude, oder djingtu 1 5 1 ), das reine Land. In ihm thront der schon erwähnte Buddha Amitabha. Das Paradies wird in glühenden Farben geschildert als ein Ort unendlicher Seligkeit, wo L e i d und Kummer unbekannt sind. Auf einem See schwimmen Lotosblüten, in ihnen wird der Gläubige wiedergeboren. Sobald er den Namen Amitabha's" (Omitofo's) anruft, erscheint eine Lotosblüte im paradiesischen See, die je nach seinem Lebenswandel gedeiht oder welkt. Kuanyin kommt ans Totenbett des Gerechten, den Lotos in der Hand, und setzt die Seele des Toten in

6*

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die Blüte. Engel tragen sie ins Paradies, wo sie sich zur bestimmten Zeit öffnet, bei lauteren Seelen sogleich, bei weniger tugendhaften erst nach längerer oder kürzerer Zeit. Diese W a r t e z e i t ist also eine A r t schmerzloses Fegefeuer. W i e beim Aufbrechen der Knospe der D u f t frei wird, so wird der selige Geist frei von der T ä u s c h u n g des irdischen Seins. D e r Lotos ist das beliebteste Symbol des Buddhismus. Buddha selbst sagte: „ W i e der Lotos, der im W a s s e r geboren ist und im W a s s e r aufwächst, das W a s s e r überwindet und nicht von ihm angegriffen wird, so habe ich, geboren und aufgewachsen in der Welt, die Welt überwunden.'' Ähnlich dem P r o t e s t a n t i s m u s im Abendland, ist der MahäyänaBuddhismus in viele Sekten gespalten, womit nicht gesagt ist, daß diese einander ständig befehden, o f t kommt es zu Kompromissen, und der Unterschied ist zwischen den einzelnen Sekten mehr oder weniger verwischt. E i n e der ältesten und bedeutendsten ist die Schule vom reinen Lande, djing-tu 1 5 1 ). Diese lehrt die R e c h t f e r t i g u n g durch den Glauben und hat die schon besprochene Lehre vom westlichen P a r a dies ausgebildet. Ihre H a u p t g ö t t e r sind Amitabha 1 4 3 ), die Kuanyin 1 4 4 ) und Da-sch'i-dsch'i 152 ), der Allermächtigste. D a ß das P a r a d i e s in den Westen verlegt wird, deutet vielleicht darauf hin, daß die K u a n y i n und andere Gottheiten vom Westen, Persien oder Kleinasien, aus, nach Indien und von dort nach China gekommen sind. Die Meditationsschule, indisch Dyana, chinesisch tschan 1 5 3 ), japanisch zen, legt, wie schon der N a m e sagt, den H a u p t w e r t auf die Meditation. Sie v e r w i r f t alles Schriftliche und kennt nur mündliche Unterweisung. Die Tiän-tai- 1 5 4 ) Sekte nimmt eine mittlere H a l t u n g ein, sie sucht die Meditation mit der Benutzung von heiligen Büchern und K u l t handlungen in E i n k l a n g zu bringen. Die Gesetzesschule, lii-dsung 1 5 5 ) ist die Schule der strikt durchg e f ü h r t e n Disziplin. Die altbuddhistischen Ordensregeln werden hier am stengsten beobachtet und auf die Teilnahme der Mönche an K u l t handlungen und Vorlesung heiliger Schriften besonderer W e r t gelegt. Diese Schule steht von allen chinesischen Sekten dem H i n ä y ä n a - B u d dhismus am nächsten. Buddhistische Tempel, Klöster und Pagoden findet man überall in China, vor allem in Mittel- und Südchina, weniger in Nordchina, mit Ausnahme der U m g e b u n g Pekings. So sah V e r f a s s e r auf einer Reise

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im südlichen T e i l der P r o v i n z Schansi nur sehr w e n i g e buddhistische Tempel und Pagoden. L e t z t e r e finden sich oft alleinstehend, meist an Punkten, wo sie weithin sichtbar sind, denn der V o l k s g l a u b e meint, daß der g u t e E i n f l u ß der P a g o d e so weit reicht, w i e man sie sehen kann. P r i e s t e r t u m , T e m p e l , P a g o d e n und Götterbilder sind sämtlich durch den B u d d h i s m u s nach C h i n a gekommen, auch das M ö n c h t u m des V u l g ä r t a o i s m u s ist k a u m mehr als eine N a c h a h m u n g des buddhistischen. Ein eigentliches P r i e s t e r t u m bestand, w i e schon d a r g e l e g t , im alten C h i n a nicht, T e m p e l w u r d e n n u r f ü r die M a n e n V e r storbener errichtet. Götterbilder w a r e n in C h i n a f r ü h e r unbekannt, w ä h r e n d sie jetzt u n g e m e i n populär sind. Die einzigen götterlosen Tempel C h i n a s sind die K o n f u z i u s t e m p e l , in denen sich nie S t a t u e n des Kung-ds'i und seiner S c h ü l e r finden, sondern nur N a m e n s t a f e l n . Das Götterbild w i r d in C h i n a nicht nur als eine bildliche D a r s t e l l u n g der Gottheit, sondern als von ihr bewohnt und beseelt a u f g e f a ß t . Der V o l k s g l a u b e n i m m t an, daß die Gottheit das Bild' z e i t w e i l i g v e r l ä ß t , w e s h a l b bei einem Opfer der Bittende die A u f m e r k s a m k e i t des Gottes durch A n r u f u n g e n , S c h l a g e n eines Gongs u s w . auf sich und sein A n liegen zu lenken versucht. Ein neues Götterbild w i r d vor ein altes derselben Gottheit gebracht und dieses a n g e f l e h t , einen T e i l seiner S e e l e n s u b s t a n z in das neue übergehen zu lassen und so g l e i c h s a m zu beleben. Dies g i l t g l e i c h e r m a ß e n von buddhistischen und taoistischen Idolen. Dann w i r d das neue Götzenbild in den ihm geweihten Tempel gebracht, wo eine Zeremonie s t a t t f i n d e t , die von den Chinesen k a i g u a n g 1 5 0 ) , das ö f f n e n des Glanzes ( L i c h t s ) , g e n a n n t w i r d . A u g e n , M u n d , N a s e und Ohren, m a n c h m a l auch H ä n d e und F ü ß e des Götterbildes werden m i t roter T u s c h e betupft, h i e r d u r c h werden dem Gott die S i n n e s o r g a n e geöffnet, und nun erst k a n n er mit der Menschenwelt in V e r b i n d u n g treten, die Gebete hören, den W e i h r a u c h riechen u s w . Die Mönche und Nonnen r e k r u t i e r e n sich meist a u s K i n d e r n , die von ihren Eltern dem K l o s t e r d a r g e b r a c h t werden, m a n c h m a l gegen Entgelt, m a n c h m a l auf Grund eines Gelübdes. E r w a c h s e n e treten seltener ins K l o s t e r ein, doch kommt es vor, daß j e m a n d , den das Leben enttäuschte, die W e l t v e r l ä ß t und seine Zuflucht bei B u d d h a sucht. Nicht selten entsteht zwischen dem Novizen und dem ihn unterweisenden Mönch ein V e r h ä l t n i s w i e zwischen V a t e r und Sohn. Der Novize sieht in seinem L e h r e r seinen geistlichen V a t e r und b r i n g t ihm nach seinem T o d e Opfer d a r . Der A h n e n k u l t und der W u n s c h , Nach-

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kommen zu haben, sind eben in China so eingewurzelt, daß auch der Buddhismus sie nicht ganz hat unterdrücken können. Mit zwanzig Jahren werden die Novizen in den Orden aufgenommen. Zu den Zeremonien, die hierbei stattfinden, gehört auch eine sehr schmerzliche Prozedur, durch die bewiesen werden soll, daß der Mönch fähig ist, Schmerzen zu ertragen und sich aufzuopfern. An drei, neun, zwölf oder selbst achtzehn Stellen des glattrasierten Kopfes werden zylinderförmige Stücke Holzkohle befestigt und abgebrannt, wodurch ziemlich tiefe Brandwunden entstehen, die dauernde Narben hinterlassen. Mancher erträgt die Schmerzen mit stoischer Gelassenheit, meist hebt aber das Opfer die Hände hoch und ruft unausgesetzt O-mi-to-fo. Ein Mönch hält ihm den Kopf und drückt die Daumen fest in die Schläfen des Novizen, was den Schmerz lindern soll. Ist die Holzkohle niedergebrannt, so werden Rübenscheibchen auf die Wunden gelegt. Die buddhistischen Mönche werden von den Europäern meist Bonzen genannt; der chinesische Ausdruck ist ho-schang 1 5 7 ), und für die Nonnen ni-gu. 1 5 8 ) Die Anzahl der Nonnen beträgt etwa nur ein Zehntel von der der Mönche, die Nonnenklöster sind meist nur klein, sie finden sich in Südchina häufiger als im Norden. Der Einfluß der Nonnen ist immerhin nicht zu unterschätzen, da sie viel mehr als die Mönche mit dem weiblichen Teil der Bevölkerung in Berührung kommen. Mönche wie Nonnen lassen sich den Kopf kahl scheren, die Nonnen tragen aber oft eine Mütze, die Mönche keine Kopfbedeckung. Die Kleidung ist bei beiden ziemlich gleich. Getragen werden Beinkleider, Schuhe und Strümpfe und dazu die drei Teile der altbuddhistischen Mönchstracht: ein Unterkleid vom Nabel bis zu den Knien, ein den ganzen Körper bedeckendes Obergewand und ein Mantel. Das Gewand ist meist grau, der Mantel gelb oder gelbbraun. Mönch und Nonne sollen jeweils nur e i n e n Anzug ihr eigen nennen. Die Mönche nehmen an gemeinsamen Kulthandlungen teil, die mehrmals am T a g e stattfinden, heilige Schriften werden gemurmelt, rezitiert oder gesungen, Reis und Tee geopfert, Weihrauch verbrannt, und dazu ertönen Glocken, Pauken, Gongs, Tamburins und die „Holzfische", mu-yü 1 5 9 ), fischähnliche, mit einem Holzklöppel geschlagene Trommeln aus Holz von verschiedener Größe und damit verschiedener Tonhöhe. Der Fisch ist das Symbol der Wachsamkeit, denn er schließt nie die Augen zum Schlafe. H ä u f i g wirken die Mönche auch bei Totenmessen mit. Jede Familie, die es sich leisten kann, läßt bei einem

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Todesfall im T r a u e r h a u s Messen lesen, wenn möglich von buddhistischen u n d taoistischen P r i e s t e r n , wohl nach dem G r u n d s a t z : Doppelt genäht hält besser. Die Mönche sind dazu verpflichtet, einen Teil des T a g e s der Meditation zu widmen, doch wird dies oft — außer natürlich in den K l ö s t e r n der Meditationsschule — vernachlässigt. F e r n e r sollen die Mönche die A r b e i t verrichten, die das klösterliche Leben sonst noch mit sich bringt, diese wird aber oft von Laien getan, die sich dem Kloster f ü r kürzere oder längere Zeit anschließen, ohne in den Orden einzutreten. Mönche und Nonnen leben vegetarisch und dürfen keine berauschenden Getränke genießen. Die Bestattung der Heimgegangenen erfolgt durch Verbrennen, den Abgeschiedenen werden in einem besonderen R a u m Ahnentafeln errichtet, denen man opfert. Auch f ü r Laien werden auf ihren W u n s c h Ahnentafeln aufgestellt, denen sie Mönche opfern. E i n hierarchisches System hat sich im chinesischen Buddhismus nicht entwickelt, es gibt kein O b e r h a u p t f ü r die buddhistische Kirche Chinas oder auch nur einzelner Teile des Riesenreiches, sondern n u r den Abt als Leiter des einzelnen Klosters. Die Mandschudynastie (1644—1911) kannte drei R a n g s t u f e n aufsichtführender Persönlichkeiten f ü r P r ä f e k t u r e n , Bezirke und Kreise, die zwischen der Regier u n g und den Klöstern vermittelten und über letztere die Aufsicht f ü h r t e n . Die Klöster, deren jedes u n a b h ä n g i g vom andern ist, stehen aber dadurch in Verbindung, daß jeder Mönch, der von seinem Abt einen Ausweis, eine A r t P a ß , erhält, gegen Vorzeigung dieser U r k u n d e von jedem anderen Kloster aufgenommen werden muß. Viele Mönche verbringen einen großen Teil ihres Lebens auf W a n d e r u n g e n von einem Kloster zum andern, manche sinken allerdings dabei zum L a n d s t r e i c h e r herab. Die buddhistischen Mönche und Nonnen sind im allgemeinen bei den Chinesen wenig geachtet. Sie rekrutieren sich überwiegend aus den ärmeren, ungebildeten Volksschichten. Literarische Bildung, die f r ü h e r in China so viel galt, fehlt ihnen meistens, allenfalls werden sie mehr oder weniger gründlich in den buddhistischen T e x t e n unterwiesen. Dazu kommt, daß das ehelose Leben der Mönche und Nonnen dem Chinesen unnatürlich vorkommt, und daß das klösterliche Leben einem so bienenfleißigen Volk, wie die Chinesen es sind, einfach als Faulheit erscheint. Bonzen und Nonnen gelten als Drohnen im Bienen-

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Staat. D i e s e A u f f a s s u n g e n spiegeln sich auch in der L i t e r a t u r wider. Tn vielen E r z ä h l u n g e n werden die Mönche als faul, h a b g i e r i g , betrügerisch und dem schönen Geschlecht nur zu sehr geneigt dargestellt. Die Nonnen kommen nicht besser weg. E i n vielgelesener R o m a n , D i e Jadelibelle zum Beispiel, spielt in einem Nonnenkloster, dessen Schilderung s t a r k an Boccaccios D e c a m e r o n e erinnert. In all dem steckt natürlich viel Ü b e r t r e i b u n g . E s gibt unter den Mönchen und Nonnen auch viele hochstehende N a t u r e n , die B u d d h a s L e h r e wirklich leben und nicht nur im buddhistischen S c h r i f t t u m wohlbewandert sind, sondern oft auch über K e n n t n i s s e anderer Religionen, auch des Christentums, v e r f ü g e n . M ö g e n auch die buddhistischen P r i e s t e r und Nonnen nicht sehr geachtet sein, so nimmt der Chinese ihre D i e n s t e doch oft in A n s p r u c h . Von den T o t e n m e s s e n und O p f e r n f ü r die T o t e n w a r schon die Rede, dazu kommen die O p f e r und d a s B e f r a g e n des O r a k e l s im T e m p e l sowie P i l g e r f a h r t e n zu berühmten T e m p e l n , wie dem auf den vier heiligen Bergen, den schönen und großen Tempeln bei H a n g d s c h o u , auf den beiden T i ä n m u s c h a n , den „ H i m m e l s a u g e n b e r g e n " an der Grenze der P r o v i n z e n T s c h e k i a n g und Anhui u. a. in. D i e s e P i l g e r fahrten, an denen auch viele F r a u e n teilnehmen, finden vor allem im F r ü h j a h r statt. Meist geht es dabei sehr lustig zu, die P i l g e r f a h r t e n gehören g e r a d e z u zu den chinesischen V o l k s b e l u s t i g u n g e n . Alles vert r ä g t sich gut miteinander, denn der Chinese kennt keinen K l a s s e n stolz oder K a s t e n g e i s t . V e r w a n d t e und F r e u n d e schließen sich zu Reisegesellschaften z u s a m m e n , manchmal wird auch eine L o t t e r i e veranstaltet. W e r einen T r e f f e r zieht, bekommt a u s der gemeinsamen K a s s e einen B e i t r a g zu den K o s t e n der Reise. G a s t h ä u s e r , Bootsleute, S ä n f t e n t r ä g e r usw. genießen eine Hochkonjunktur. U n t e r k u n f t finden die P i l g e r oft auch in den größeren T e m p e l n . A b s t o ß e n d sind nur die zahllosen Bettler a m W e g e zum H e i l i g t u m , die ihre oft ekelerregenden Gebrechen zur Schau stellen und ununterbrochen um A l m o s e n winseln. A b e r auch f ü r diese Ä r m s t e n unter den A r m e n bedeutet die P i l g e r fahrt eine ergiebige Einnahmequelle. Mit dem Christentum und dem I s l a m ist der B u d d h i s m u s eine der drei Weltreligionen, die sich von ihrem U r s p r u n g s l a n d weit über andere Gebiete verbreitet haben. Mit dem Christentum hat der B u d dhismus manche Ähnlichkeiten, auch er kennt den E r l ö s u n g s b e g r i f f und die Nächstenliebe, und auch in seinem K u l t u s ist vieles dem des

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Christentums sehr ähnlich; vielleicht liegen hier E i n f l ü s s e des nestorianischen Christentums, das sich bis China verbreitet hatte, vor. Zur Staatsreligion ist der Buddhismus in China nicht geworden, neben ihm behauptet sich K o n f u z i a n i s m u s und Taoismus. Die buddhistische L e h r e hat ihre V e r b r e i t u n g in China nicht zuletzt dem U m s t ä n d e zu verdanken, daß sie den schon bestehenden Lehren viele Zugeständnisse machte. D a r i n liegt natürlich auch eine gewisse Schwäche, die allzu große Toleranz, der Mangel an bindenden Dogmen, die Spaltung in Sekten verhinderten, daß der Buddhismus sich ganz und gar durchsetzte. Dazu kommt, daß es im Buddhismus zwar eine P r i e s t e r s c h a f t und Laien gibt, aber keine Gemeinde, in der beide Elemente sich vereinen. Der Laie ist n u r passiver Zuschauer, er wendet sich an den Priester, wenn er meint, ihn nötig zu haben, aber von einer eigentlich seelsorgerischen T ä t i g k e i t der Geistlichen ist kaum die Rede. Immerhin sind die Leistungen des chinesischen Buddhismus auf religiösem wie sittlichem Gebiet nicht gering. Der chinesische Buddhismus hat unbestrittene Macht auf dem Gebiete des Jenseits erlangt, er gibt bestimmte Lehren über das Fortleben nach dem Tode und übernimmt die Sorge f ü r die Toten, die den Chinesen ja eigentlich mehr als die f ü r die Lebenden am Herzen liegt. So ist denn aus der ursprünglichen Lehre Buddhas, die im Grunde genommen kein Jenseits kannte, eine Religion des Daseins nach dem T o d e geworden. Sittlich veredelnd hat der Buddhismus auch durch seine Lehre vom Gebot der Nächstenliebe gewirkt. Diese ist weder dem K o n f u z i a n i s m u s noch dem T a o i s m u s fremd, aber der Buddhismus geht weit über beide — und sogar über das Christentum — hinaus, indem er das Gebot der Liebe nicht auf die Menschen beschränkt, sondern auf alle lebenden Wesen ausdehnt, also auch auf die Tiere. Dies ist die natürliche Folgerung der Lehre von der Wiederverkörperung, ein Mensch kann als T i e r wiedergeboren werden, in einem T i e r , das ein Mensch mißhandelt oder tötet, haust vielleicht die Seele eines abgeschiedenen Familienmitgliedes. Mancher gläubige Buddhist k a u f t gefangene T i e r e auf und gibt ihnen die Freiheit wieder, oder er b r i n g t sie ins Kloster, wo sie auf seine Kosten bis zu ihrem natürlichen T o d e erhalten werden. Die Lehre vom K a r m a hat auch sonst das sittliche Handeln gefördert und zu praktischer Nächstenliebe g e f ü h r t , die an sich dem Chinesentum ziemlich fremd w a r und teils noch ist. In China gilt mehr noch als anderswo der G r u n d s a t z : „Charity begins at home'", der Familienzusammenhalt ist

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sehr fest, die Mitglieder der Großfamilie, des Klans, sorgen nach Kräften für einander, aber darüber hinaus übte man wenig Wohltätigkeit. Erst der Buddhismus führte zur Gründung von wohltätigen Vereinen und Stiftungen, die sich auch fremder Not annahmen. Schließlich hat der Buddhismus auch auf wissenschaftlichem und künstlerischem Gebiet die chinesische Kultur befruchtet. Die großen Reisen der chinesischen Buddhisten nach Indien haben den geographischen Horizont des damaligen China sehr erweitert. Bis dahin w a r für die Chinesen China das einzige Kulturreich, das rings von barbarischen Völkern umgeben war, nun lernte man eine neue, hohe Kultur kennen. Größer noch ist der Einfluß des Buddhismus auf die chinesische Kunst und L i t e r a t u r . Durch Alexander den Großen w a r das Griechentum in Berührung mit Indien gekommen, und es entstand in Indien die gräkobuddhistische Skulptur, die später nach China und Japan überging. Die menschliche Gestalt, das Hauptmotiv der hellenischen Kunst, tritt in China erst seit der Einführung des Buddhismus stärker in den Vordergrund, und noch heutigentags zeigen die vielen Buddhas, Boddhisatvas und andere mythologische Figuren des chinesischen Buddhismus deutlich nichtchinesische, d. h. hellenisch-indische Züge. In der Baukunst sind hier vor allem die Pagoden wichtig, die das alte China überhaupt nicht kannte, und die jetzt so oft eine Zierde der chinesischen Landschaft sind. Natürlich hat der Buddhismus durch seinen Bilderdienst und seine zahllosen Legenden auch die Malerei Chinas angeregt, und mehr noch vielleicht die L i t e r a t u r . Viele mythologisch-phantastische Romane, deren bekanntester wohl „Die Reise nach dem Westen" ist, verwerten buddhistische Ideen und Legenden. Diese Bücher sind in China sehr volkstümlich und können als T e x t bücher des Volksglaubens bezeichnet werden.

4. Der Lamaismus Der L a m a i s m u s ist eine Abart des Mahäyäna-Buddhismus, die zuerst in Tibet entstand und sich von da aus nach der Mongolei verbreitete; im eigentlichen China kommt der L a m a i s m u s nur im Wutaischan sowie in Peking und Umgebung vor. In Tibet herrschte vor der Einführung des Buddhismus die Bon-Lehre. Man verehrte Naturgeister, die man zu beschwören trachtete, und die Geister der

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Toten. Es bestand eine Priesterkaste, den Geistern wurden auch Menschenopfer dargebracht. Im 7. Jahrhundert n. Chr. wurde Srongtsan Gampo Herrscher des Landes und Apostel des Buddhismus. Mit der Zeit wurde der Einfluß der Geistlichkeit allmächtig und Tibet zum Kirchenstaat. Die Kirche hieß die rote Lehre, hung-djiao 1 6 0 ), nach der Farbe der Tracht und Kopfbedeckung. Im L a u f e der Zeit entarteten Kirche und Geistlichkeit, der auch das Heiraten wieder gestattet wurde. Gegen diese Mißstände richtete sich A n f a n g des 15. Jahrhunderts der Reformator Tsongkhaba, der die Lehre reinigte und die gelbe Kirche, huang-djiao 1 6 1 ), gründete. Er hinterließ zwei Jünger, die nach seiner Aussage als hubilhan, chinesisch hua-schen 1 6 2 ), immer wiedergeboren werden, den Dalai L a m a und den Panschen L a m a . Der zweite Dalai L a m a gründete in Lhasa, der Hauptstadt Tibets, die lamaistische Hierarchie und organisierte die Körperschaft der Huthukthus, der sogenannten „lebenden Buddhas". Die Bezeichnung L a m a 1 6 3 ) w i r d von allen Priestern des tibetanischen (und mongolischen) Buddhismus gebraucht, es bedeutet „der Unübertreffliche", und Dalai „Ozean". Der Dalai L a m a residiert in Lhasa und ist das politische Oberhaupt Tibets, obwohl er im R a n g nicht höher steht als der Panschen Erdeni L a m a . Panschen bedeutet Lehrer, der mongolische Ausdruck Erdeni entspricht dem tibetanischen Rinpoch'e = kostbarer Lehrer. Er residiert in Taschilumbo, dem Berg des Segens, etwa 350 km westlich von Lhasa, und ist mehr das geistliche Oberhaupt Tibets. Der Dalai L a m a genießt göttliche Verehrung, die Geistlichkeit regiert unumschränkt und ist sehr zahlreich, aus jeder Familie w i r d mindestens ein Sohn L a m a . Unverkennbar hat die Natur des Landes dem tibetanischen L a m a ismus ihren Stempel aufgedrückt. Tibet ist ein rauhes Hochgebirgsland, seine Natur großartig, aber düster und wild. Ganz im Gegensatz zu den freundlichen Tempeln Chinas mit ihren schönen und würdigen Götterbildern, sind in Tibet die Klöster massige, finstere Gebäude, und die Gottheiten oft abschreckend und grauenerregend. Die Fülle der Götter ist womöglich noch verwirrender als im chinesischen Buddhismus. Man verehrt fünf Buddhas, deren einer der historische Gautama Buddha ist. Diese gelten als irdische Erscheinungen, die sich von einem unvergänglichen Untergrund losgelöst haben, und deshalb gesellt man jedem der fünf noch einen himmlischen Buddha zu. Der berühmteste von diesen ist Amitabha Buddha, über den fünf Buddhas

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aber thront als höchster Herr noch Adi Buddha. Zu den Buddhas kommen zahlreiche Bodhisatvas männlichen wie weiblichen Geschlechts, Schutzgötter, Dämonenfürsten von grotesker und abschreckender Gestalt, jeder mit seiner Gattin dargestellt, gefährliche Geister, und schließlich die Arhans (Lohan 1 4 8 ). Auch der L a m a i s m u s kennt die Lehre von der Wiedervergeltung, von P a r a d i e s und Hölle, doch nimmt er, im Gegensatz zu dem reinen Buddhismus, eine echte Seelenwanderung an. Das Volk lebt in ständiger Furcht vor bösen Geistern, vor denen es sich nur mit Hilfe der L a m a s schützen kann, ebenso wie ihm der W e g ins Paradies nur mit Hilfe der Geistlichkeit zugänglich wird. ,,Ohne L a m a gibt es keinen Zugang zur Gottheit", das erklärt den übergroßen Einfluß der Priester, von dem diese natürlich weidlich Gebrauch machen. Gegen die bösen Geister verlangt das Volk Zauber, besonders beliebt ist der Wortzauber, der in Verlesung der heiligen Schriften, und mehr noch in heiligen Formeln besteht. Die bekannteste von dieser ist ,,Om mani padme hum", d. h. Om, das Kleinod ist im Lotos, hum (om und hum sind Interjektionen). Zauberformeln werden auf Zettel, die man als Amulett bei sich trägt, oder auf Flaggen, die sog. Gebetsflaggen, geschrieben. Wunderlich sind die Gebetsmühlen. U m einen Metallzvlinder wickelt man Zauberformeln; das Umdrehen des Zylinders gilt als verdienstliche Handlung. Kein Wunder, daß Schlauköpfe auf die Idee gekommen sind, die Zylinder durch W a s s e r k r a f t anzutreiben und sich so mühelos Verdienste zu erwerben! Unter den Symbolen des L a m a i s m u s sind zu nennen das altbuddhistische Hakenkreuz ( S w a s t i k a ) , das in Indien die folgende Form hat: Hz' ^ ' ^ e t dagegen: ferner das Rad, dessen Rollen die Ausbreitung der buddhistischen Lehre darstellen soll, die Lotosblume usw. Den Göttern werden Opfer aller Art dargebracht, manchmal auch Tieropfer, obwohl dies gegen den Geist der buddhistischen Lehre ist. Die Opfer werden manchmal von Prozessionen, religiösen Tänzen und Aufführungen begleitet. Dem Einfluß christlicher bzw. halbchristlicher Sekten ist es wohl zuzuschreiben, daß der lamaistische R i t u s fast wie eine Parodie der katholischen Messe wirkt. In der Mongolei fand der L a m a i s m u s zur Zeit der Mongolendynastie (von den Chinesen Yüandynastie genannt, 1280—1368) Eingang, der große Mongolenkaiser Kublai Khan begünstigte ihn sehr. Der mongolische L a m a i s m u s ist eine Organisation von ehelosen

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Lamas, die meist in Tempeln und Klöstern, vielfach unter Leitung eines Huthukthu leben; von den Huthukthus wird angenommen, daß ihre Seelen sich sofort nach dem Tode wieder in Neugeborenen verkörpern, eine Auffassung, die auch dem tibetanischen L a m a i s m u s eigen ist. Die Lamaklöster mit allem Besitz sind steuerfrei, fast die Hälfte der männlichen Bevölkerung ist Lama, doch halten die meisten L a m a s das Gebot der Ehelosigkeit nicht mehr ein, sie sind oft verheiratet, haben aber ihre Familien nicht in den Klöstern und Tempeln. Als höchste geistliche Stellen wurden der Dalai L a m a und der Panschen L a m a in Tibet sowie der Cheptsun Damba Huthukthu in U r g a anerkannt. In der äußeren Mongolei (mit U r g a als Hauptstadt) beschloß im Jahre 1924 der „Große Churaldan", die allmongolische Konferenz der Werktätigen, eine Sowjetverfassung einzuführen. Die Enteignung und Entrechtung der Fürsten und Klöster führte mehrfach zu blutigen Aufständen, die aber alle niedergeschlagen wurden. Ob und inwieweit der L a m a i s m u s doch noch Einfluß im Volke hat, ist schwer zu sagen, denn die Außenmongolei unterhält nur zu Rußland diplomatische Beziehungen und ist vom übrigen Ausland hermetisch abgeschlossen.

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VI. Volksreligion Zum Volksglauben, dessen Grenze mit dem Aberglauben nicht immer leicht zu ziehen ist, liefert die alte Religion, der Taoismus und der Buddhismus unterschiedslos die Gottheiten, der Konfuzianismus kommt seiner ganzen Wesensart hierfür nicht in Betracht, abgesehen davon, daß Kung-ds'i gelegentlich als Gottheit erscheint. Der Chinese ist eben Synkretist, es kommt ihm nicht darauf an, drei Lehren zugleich anzugehören und nebenher noch eine mehr oder minder große Anzahl höherer Wesen zu verehren, die oft nur lokale Bedeutung haben. Gern führt der Chinese seine Götter auf geschichtliche Persönlichkeiten zurück, was beim Kriegsgott Guandi, w i e w i r sahen, stimmt, meist aber auf Legenden beruht. Die Chinesen haben einen starken geschichtlichen Sinn, und sind eher geneigt, an eine Gottheit zu glauben, wenn diese — angeblich oder wirklich — einmal als Mensch auf Erden gewandelt ist. Zu dem schon unübersehbaren taoistischen und buddhistischen Pantheon treten so noch eine Unzahl Götter und Geister aller Art, von denen hier nur einige der wichtigsten und volkstümlichsten erwähnt werden können. U r a l t und weitverbreitet ist der D r a c h e n k u l t . Der Glaube an Drachen findet sich auch in Europa, aber die chinesische A u f f a s s u n g ist eigenartig, in China ist der Drache nicht ein grauenerregendes Untier, sondern ein wohltätiges Geschöpf, verehrt vor allem als Spender des oft so heiß ersehnten Regens. ,,Die Drachen steigen im Frühjahr zu den Himmeln empor und kehren im Herbst in die Tiefen des Ozeans zurück", d. h. sie weilen im Sommer, wenn die Regen fallen, im Himmel, und halten sich im Winter, wenn es in Nordchina, dem Ursprungsland der chinesischen Kultur, nicht regnet, verborgen. Seit den ältesten Zeiten ist der Drache, lung 1 6 4 ) mit dem Einhorn, tjilin 1 6 5 ), dem Phönix, feng-huang 1 6 6 ) und der Schildkröte, gue 1 6 7 ) eines, und zwar das oberste der si-ling 1 6 8 ), der vier geistig begnadeten 94

Wesen. Der Drache hat den Kopf eines Kamels, die Hörner eines Widders, die Ohren eines Rinds, den H a l s einer Schlange, die Schuppen eines Fisches, die Klauen eines Adlers und die Tatzen eines T i g e r s . In späterer Zeit entstanden Abarten dieses Fabeltieres, große und kleine Drachen, Drachen mit Flügeln, mit Backenbart usw., allen aber rühmt der Volksglaube einen vortrefflichen Gesichtssinn nach. Den Osten ( F r ü h l i n g ) beherrscht der blaue oder grüne, den Westen (Herbst) der weiße, den Norden ( W i n t e r ) der schwarze, und den Süden (Sommer) der rote oder gelbe Drachen. Schon im 12. J a h r hundert n. Chr. wurden Drachen als Schutzgötter vom Kaiser feierlich sanktioniert, und die Mandschudynastie (1644—1911) betrachtete den Drachen als ihren besonderen Schutzgeist; der kaiserliche Thron hieß der Drachensitz, das Banner zeigte den Drachen, vier Drachen beschützten die Hauptstadt Peking, und es wurde der Orden vom doppelten Drachen verliehen. Der volkstümlichste aller Drachen ist der Eung-wang 1 6 9 ), der Drachenkönig, als Symbol des befruchtenden Prinzips ist er der Regengott. Herrscht, w a s in Nordchina oft genug vorkommt, eine lange Dürre, so bittet man den Drachenkönig um Regen und veranstaltet wohl auch Bittprozessionen. Eine große Drachenfigur wandelt einher, Gongs ertönen, Feuerfrösche werden abgebrannt, Opfergeld w i r d verbrannt und der Drache mit W a s s e r besprengt. Gewährt er den ersehnten Regen, so findet eine Dankprozession statt, versagt er aber, so w i r d er zur S t r a f e in die glühende Sonne gesetzt, einmal wurde er sogar durch kaiserliches Edikt verbannt, aber wieder in Gnaden aufgenommen, als es dann doch regnete. Ein alter Aberglaube faßt den Regen als die mystische Vereinigung zwischen Himmel und Erde und meint, es bringe Unglück, im Freien zu sein, wenn es regnet, deshalb geht der Chinese bei Regenwetter ungern aus. Das Einhorn hat den Körper eines Hirsches, den Schwanz eines Rindes, und trägt nur e i n Horn. Es erscheint sehr selten auf Erden, meist in Zeiten einer guten, dem Himmel wohlgefälligen Regierung. Es gilt also im allgemeinen als ein glückbringendes Geschöpf und eine Verkörperung des Guten, doch sah Kung-ds'i, als ihm sein Erscheinen kurz vor seinem Tode berichtet wurde, dies als ein unheilvolles Omen an. Auch der Phönix erscheint, wenn ein guter Herrscher auf dem Thron sitzt. Er hat den Kopf eines Fasanen, den Schnabel einer

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Schwalbe und den Hals einer Schildkröte. Abgebildet wird er meist in bunten Farben als ein Mittelding zwischen Fasan und P f a u . Von der Schildkröte soll es zehn verschiedene Arten geben. Sie wird manchmal als Flußgottheit verehrt, gilt aber in der Regel als Symbol der Langlebigkeit und Weisheit, es wurde schon darauf hingewiesen, daß man im alten China aus den Rissen ihrer Schale Orakelsprüche herauszulesen versuchte. Sie gilt auch als sehr verwandlungsfähig und riesenstark, die chinesische Plastik verwendet die Schildkröte oft als T r ä g e r i n einer Steintafel mit Inschrift. Vielleicht beruht die Meinung, daß die Schildkröte so stark sei, auf indischen Einflüssen, die Inder nehmen nämlich an, daß die Schildkröte einen Elefanten und dieser die Welt trägt. — Wohl in keinem chinesischen Haushalt fehlt der dsao-wang 1 7 0 ), der König des häuslichen Herdes, der zugleich Schutzpatron der Köche und Köchinnen ist. Früher w a r er identisch mit dem Feuergott huo-shen 1 7 1 ), der jetzt in eignem Tempel verehrt und wie der heilige Florian als Beschützer vor Feuersgefahr angerufen wird. Der Küchengott nimmt in der Familie eine ähnliche Stellung ein wie der Stadtgott in der städtischen Gemeinschaft, er trägt den Himmelsherrn gegenüber die Verantwortung für seine Schutzbefohlenen. Man findet ihn entweder als hölzerne Statuette in sitzender Stellung, oder als Buntdruck, oder man klebt wenigstens einen roten Papierstreifen, der seinen Namen trägt, über dem Herd an. A m 24. T a g des 12. chinesischen Monats, kurz vor Neujahr, steigt er zum Himmel empor und erstattet Bericht über seinen Haushalt. Man bringt ihm dann Opfer dar, meist Süßigkeiten, und Heu für sein Pferd. Gegen Abend wird sein papiernes Bildnis im Hof in einem eisernen Behälter verbrannt, dazu Opfergeld und Papierblättchen mit Abbildungen von Pferden, Sänften und Sänftenträgern, deren Dienste der Küchengott auf seiner Reise sich bedienen soll. Man w i r f t auch etwas Zuckerzeug ins Feuer mit der Bitte, der Gott möge im Himmel nur honigsüße Reden führen, oder aber man bestreicht die Lippen seiner Statuette mit Honig oder einer klebrigen Süßigkeit, damit er den Mund g a r nicht aufmachen, also auch nichts Ungünstiges von „seiner" F a m i l i e aussagen kann. Am letzten T a g e des Jahres kehrt der Küchengott wieder zur Erde zurück, bei welcher Gelegenheit ihm wieder Opfer dargebracht werden. Merkwürdigerweise nehmen an diesen Opfern nur die Männer teil, die Frauen halten sich abseits.

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Neben dem Küchengott, der Kuanvin und den Ahnentafeln findet man auf dem H a u s a l t a r oft auch den tsai-schen 1 7 2 ), den Gott des Reichtums. Meist w i r d er als weißbärtiger Greis in sitzender Haltung dargestellt, in der einen Hand hält er einen Stab, in der anderen einen Goldbarren. In der chinesischen Symbolik bedeutet auch der Frosch oft Reichtum, oft findet man einen Knaben abgebildet, der mit einem Frosch und einer Geldschnur spielt (die durchlochten chinesischen Kupfermünzen der früheren Zeit wurden meist auf einen Faden aufgereiht). Unter den N a t u r g o t t h e i t e n nimmt der Mond die erste Stelle ein. Der Mond vertritt das Yin 4 4 ), das kalte, nächtliche, weibliche Prinzip, und w i r d deshalb oft als eine weibliche F i g u r mit der Mondscheibe in der Hand dargestellt. Das Mondfest oder Mittherbstfest w i r d am 15. T a g e des 8. Mondmonats gefeiert (nach unserem Kalender A n f a n g bis Mitte September), v/eil dann das dunkle, kalte Yin wieder die Übermacht über das helle, warme Yang 4 3 ) gewinnt. Dies ist auch der Grund, daß sich, außer in den Tempeln, nur die zum Yin gehörigen Frauen und die Kinder am häuslichen Mondopfer beteiligen. Das Opfer findet unter freiem Himmel angesichts des Vollmonds statt, auf dem A l t a r befindet sich stets der Mondhase. Zwar kennen die Chinesen auch einen Mann im Mond, den yüä-lao 1 7 3 ), den Alten im Mond, der die Füße der füreinander als Ehegatten bestimmten Kinder mit einer roten Schnur verbindet, aber der Hase ist viel populärer. Sein Kult ist uralt, von ihm erzählt auch eine buddhistische Legende: Alle T i e r e eilten herbei, um Buddha etwas Nahrung zu bringen, nur der Hase kam mit leeren Pfoten. Da stürzte er sich ins Feuer und briet sich selbst, nachdem er erst noch alles Ungeziefer aus seinem Fell geklaubt hatte, um es nicht mit in den Flammen untergehen zu lassen. Zum Lohn für diese Selbstaufopferung versetzte Buddha ihn in den Mond. Die Taoisten übernahmen ihn, der „Jadehase'', abgebildet mit sehr kurzen Vorderläufen, sehr langen Hinterläufen und weißem Schweif, stößt in einem Mörser die P i l l e der Unsterblichkeit. Über ihn wölbt sich der wundertätige Cassiabaum, dessen Blüten sich am Mondfest öffnen. Der Hase wird oft mit dem Holzknecht abgebildet, der sich vergebens bemüht, den Cassiabaum zu fällen. Dieser chinesische Sisyphos soll ein Gelehrter gewesen sein, der eines Vergehens wegen zu dieser unfruchtbaren Arbeit verurteilt wurde. Im Mond finden sich auch herrliche Paläste mit Pagoden 7

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und ausgedehnten Gärten; der Kaiser M i n g H u a n g soll im Jahre 713 n. Chr. von einem M a g i e r in den Mond geleitet worden sein, nach seiner Rückkehr unterwies der Herrscher, dem die singenden und tanzenden Mondfeen über alles gefallen hatten, im Birnengarten seines Palastes junge Leute in Gesang und Tanz. Dies soll der U r sprung des chinesischen Theaters sein, noch heute nennen die Schauspieler sich „Schüler des Birnengartens". Die Gastgeberin des Kaisers w a r die Mondfee Heng O, die in eine dreibeinige Kröte verwandelt wird. Diese seltsame Verwandlung deutet auf den Zusammenhang zwischen dem Mond und den Gewässern (Ebbe und F l u t ) hin, die Kröte, ein Amphibium, gehört dem Element W a s s e r an. Ihr chinesischer Nanje ist tschan 1 7 4 ), auf ihrer Kehle steht das chinesische Zeichen für die Zahl acht, deshalb gehört sie in den 8. Monat. An ihren Füßen sondert sie Nässe ab, mit ihrer Haut kann sie Pfeile ablenken, und schließlich schreibt man ihr ewiges Leben zu. Die Mondfee Heng O und ihr Gatte Hou Y i lebten zur Zeit des mythischen Kaisers Yao. Hou Y i w a r ein übernatürliches Wesen, das in der L u f t schwebte und sich vom Blumenduft nährte, zugleich w a r er Offizier der Leibgarde und besaß einen Zauberbogen, mit dem er einmal neun Sonnen herabschoß, als ihrer zehn am Himmel standen und eine unerträgliche Hitze ausströmten. Hsi-wang-mu, die Königin-Mutter des Westens, ließ sich von ihm einen Palast erbauen, und gab ihm zum Lohne die P i l l e der Unsterblichkeit, befahl ihm aber, sich zwölf Monate durch Fasten und Beten vorzubereiten, ehe er sie schlucke. Seine Gattin Heng O sah die P i l l e und verschluckte sie; als ihr Gatte heimkehrte und den Verlust der P i l l e entdeckte, entfloh sie. Hou Y i verfolgte sie über den halben Himmel, wurde aber vom W i n d zurückgehalten, so daß es Heng O gelang, im Mond Zuflucht zu suchen. Dort hustete sie atemlos die Hülle der P i l l e aus, die sich in den Mondhasen verwandelte, sie selbst wurde zur dreibeinigen Kröte. Hou Y i lebt in der Sonne, die beiden Gatten lenken als die Dualkräfte Yin und Y a n g die Welt, und einmal im Jahr, eben am 15. T a g des 8. Monats, kommt Hou Y i zu Heng O, und in dieser Nacht scheint der Mond am schönsten. Beim Mondfest fertigt man kleine Hasenfiguren aus Ton an, und auch die Mondkuchen zeigen sein Bild. Das Mondfest ist besonders bei den Kindern beliebt, der Mondhase ist für sie etwa das, was für unsere Kinder der Osterhase ist. Beim Mondfest sind alle Opfergaben

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und alles Gebäck rund, einmal, weil die Mondscheibe rund ist, dann aber auch, weil der Ausdruck tuan-yüan 1 7 5 ) sowohl „rund" wie „vollzählig, vereint" bedeutet: Die Familie soll vollzählig und vereint bleiben. Von den Opferfrüchten haben mehrere eine symbolische Bedeutung: Der Apfel, ping, ist Symbol des Friedens, der auf chinesisch ebenso heißt, die Pfirsiche sind Embleme des langen Lebens, und die Granatäpfel mit ihren vielen Kernen Symbole reichen Kindersegens. Auch Sternengöttern wird geopfert, man unterscheidet 72 gute und 36 böse Sterne. Sterngottheiten sind auch die Götter des Glücks und langen Lebens. Fu-schen 1 7 6 ), der Glücksgott, wird meist mit blauem Amtsgewand angetan dargestellt. Schou-hsing 1 7 7 ), wörtlich „der Stern des langen L e b e n s " , einer der Sterne des Sternbilds Canopus, auch alter Mann des Südens genannt, zeichnet sich durch eine auffallend hohe Stirn aus. Zahllos ist auch die Anzahl der S c h u t z g e i s t e r . F ü r die Kinder sorgen die djiu-niang-niang 1 7 8 ), die neun Mütter. Drei von ihnen sorgen für die Geburt, andere für das Augenlicht, auch gibt es unter ihnen eine Scharlach- und eine Pockengöttin, sind doch in China gerade die Pocken außerordentlich verbreitet. Im übrigen hat in China nahezu jedes Lebensgebiet seinen Schutzgeist, es gibt einen Schutzpatron der Zimmerleute, Töpfer, Gärtner, Ärzte, Wahrsager, Barbiere usw., von denen einige schon bei der Besprechung der acht Genien erwähnt wurden, aber selbst wenig ehrenvolle Berufe, wie Spieler, Diebe, Prostituierte usw. haben ihren Schutzgeist. Auch die Haustiere haben ihre Schutzgeister, es gibt einen Gott der Rinder, der Pferde usw. Als Kuriosum ist noch zu erwähnen, daß in Peking sogar der Abort seine Schutzgöttin hatte, die wunderlicherweise zugleich Schutzpatronin der Handarbeiten war. Indes, die Götter, so zahlreich sie sind, genügen doch noch nicht, und spielen vielleicht nicht einmal die Hauptrolle. Jede Gottheit hat ihren bestimmten Wirkungskreis, und auch innerhalb desselben ist sie anscheinend nicht allmächtig, denn nur zu oft bleiben Gebete und Opfer erfolglos, offenbar arbeiten dämonische K r ä f t e den Göttern entgegen. M i t diesen kann man rechnen, die D ä m o n e n hingegen sind ganz unberechenbar. Daher stammt das allgemeine Streben in China, die Dämonen zu bekämpfen, und zahllos sind die Wege, die man hierzu einschlägt. Man glaubt, daß die Dämonen nur geradeaus gehen können — die chinesischen Teufel wandeln also keine krummen Wege — , 7*

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deshalb errichet man im Hofe dem Toreingang gegenüber eine Schutzmauer und legt W e g e und manchmal auch Brücken im Zickzack an. um so die Dämonen aufzuhalten. Amulette aller A r t sind ungemein verbreitet. Manchmal trachtet man auch die bösen Geister irre zu führen. Man ruft Knaben mit Mädchennamen, die Dämonen sollen ihn dann für ein Mädchen halten und verschonen, da sie lieber die Knaben verfolgen und sich aus Mädchen nicht viel machen, oder man malt den Kindern das Zeichen w a n g auf die Stirne, da angeblich der T i g e r vier schwarze Striche in der Form dieses Zeichens auf der Stirn trägt und die Dämonen ihn über alles fürchten. Gern vermeidet man Redensarten und Ausdrucks weisen von unheilvoller Vor- oder Nebenbedeutung, vor allem am Neujahrstage. Zum Jahresschlüsse werden die Bilder der men-schen 1 7 9 ), der Türgeister, ans Haustor geklebt. Dies sind zwei Brüder, Shen-tu und Yü-lii, die im grauen Altertum Macht über die Dämonen besaßen. Unter einem Pfirsichbaum hielten sie Heerschau über die Dämonen ab, und als sie feststellten, daß einige von ihnen den Menschen grundlos geschadet hatten, fesselten sie sie mit Schilfsträngen und warfen sie den Tigern zum Fraß vor. Noch bis in die heutige Zeit hinein schreibt das Volk den Türgeistern, dem T i g e r und dem Pfirsichbaum bzw. der pfirsichroten Farbe exorzierende K r a f t zu. Sehr wichtig für das tägliche Leben der Chinesen ist auch heutzutage noch der K a l e n d e r , dessen Herausgabe früher Sache der Regierung war. Man entnimmt aus ihm nicht nur die Angaben, die jeder Kalender bringt, sondern es wird in ihm auch für jeden T a g angegeben, was man tun und lassen soll, z. B. ein T a g ist nicht geeignet, eine Reise anzutreten, ein anderer wieder eignet sich sehr gut zur Eröffnung eines Geschäftsbetriebes usw.

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VII. Aberglaube Der europäische Leser wird vieles im Vulgärtaoismus und chinesischen Buddhismus einfach für Aberglauben erklären, und in der T a t sind hier die Grenzen oft kaum zu ziehen. Überall auf der Welt ist der Mensch abergläubisch, und in China kann der Aberglaube um so üppiger gedeihen, als das Gegengewicht fehlt, das im Abendlande kirchliche Organisationen mit festen Dogmen einerseits und die exakten Naturwissenschaften andererseits bilden, der Chinese ist deshalb geneigt, jedem ihm unverständlichen Vorgang der Natur eine abergläubische Auslegung zu geben. Ist das Gebiet der chinesischen Religionen schon ungeheuer groß, so ist das des Aberglaubens unermeßlich, und es kann nur kurz auf einige weitverbreitete Formen des Aberglaubens hingewiesen werden. In China wie überall auf der Welt wird der Mensch immer wieder versuchen, den Schleier der Zukunft zu lüften, und sich dazu der Hilfe eines W a h r s a g e r s bedienen. Der Methoden gibt es hier viele: Der Wahrsager „zerlegt" Schriftzeichen (die Chinesen haben bekanntlich keine Alphabet-, sondern eine Bilderschrift), d. h. er teilt ein ihm vorgelegtes Schriftzeichen so ein, daß neue Zeichen oder T e i l e von solchen entstehen, aus denen er dann prophezeit, wobei es zu recht hübschen Geistesspielereien kommen kann. Manchmal bedient er sich auch der Orakelbücher, deren berühmtestes das altehrwürdige Buch der Wandlungen ist, oder der sogenannten Geisterzahlen, d. h. eine Anzahl willkürlich aus dem Spiel herausgegriffener Dominosteine werden zusammengelegt und die so entstandene Gruppierung gedeutet. Auch das Vogelorakel kommt vor: Der Kunde des Wahrsagers zieht aus einer Anzahl mit Sprüchen beschrifteter Karten eine heraus und legt sie dann wieder ins Spiel zurück. Der Vogel zieht dann eine K a r t e , ist es die vom Kunden gezogene, dann gilt das Orakel als günstig. Physiognomik ist auch bekannt, doch wird in China der ganze Körperbau berücksichtigt. Glücklich ist, wer einen großen K o p f

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und einen verhältnismäßig kleinen K ö r p e r hat, ihm wird es im Leben gut gehen. L a n g e Augenbrauen und I i a a r e in den Ohren deuten darauf hin, daß ihrem T r ä g e r ein langes Leben beschieden ist. Große Ohren verheißen Reichtum, auch gelten sie als Zeichen geistiger Begabung, die alten Weisen werden o f t mit sehr großen Ohren abgebildet. V o r Eheschließungen, meist noch vor der schon als bindend geltenden Verlobung, werden auch die Horoskope der künftigen Ehegatten genau g e p r ü f t . Das H o r o s k o p besteht aus acht Zeichen, je zwei f ü r J a h r , Monat, T a g und S t u n d e der Geburt, und diese Zeichen werden in einen geheimnisvollen Z u s a m m e n h a n g mit den Elementen, P l a neten, Tierkreiszeichen und symbolischen Tieren gebracht; Sache des W a h r s a g e r s ist es festzustellen, ob die beiden Horoskope gut zueinander passen, so daß eine glückliche Ehe erwartet werden kann, oder aber, ob die beabsichtigte Eheschließung nicht besser unterbleibt. W i c h t i g ist es auch, genau zu wissen, ob ein P l a t z , an dem man ein H a u s bauen oder ein G r a b anlegen will, günstig liegt, d. h. gegen böse E i n f l ü s s e gefeit ist. Mehr noch als bei H ä u s e r n f ü r Lebende ist man darauf bei Gräbern bedacht, denn die Lebenden können ihr ungünstig gelegenes H a u s verlegen oder verlassen, die T o t e n aber nicht. Nicht verschwiegen soll werden, daß hierbei nicht nur die P i e t ä t mitspricht, sondern auch Aberglaube und Eigennutz, denn die Toten, die sich schlecht behandelt fühlen, haben die Macht, sich an den Lebenden zu rächen und ihnen allerhand Schaden zuzufügen. H i e r tritt eine besondere F o r m des W a h r s a g e r s , der Geomant, in Erscheinung. Die chinesische Geomantik heißt feng-schui 1 8 0 ), W i n d und W a s s e r . D e r W i n d weht und das W a s s e r fließt, beide wirken also auf die E r d o b e r f l ä c h e ein, wir können das Feng-schui als eine Lehre von den atmosphärischen und tellurischen Einflüssen bezeichnen. Möglicherweise liegen hier Ansätze einer alten N a t u r w i s s e n s c h a f t vor, praktisch aber sind die beiden B e g r i f f e in okkultistischem Sinne zu verstehen, mit der Zeit hat sich Feng-schui zu einer überaus komplizierten Pseudowissenschaft entwickelt. Feng-schui bedeutet ferner die aus dem Z u s a m m e n t r e f f e n von „ W i n d und W a s s e r " sich ergebenden Verhältnisse, ein O r t hat ein gutes, ein anderer ein schlechtes F e n g schui, ein schlechtes kann verbessert, ein gutes aber auch verdorben werden. Die L e h r e vom Feng-schui beruht auf einer richtigen Verteilung der einander entgegengesetzten und einander ergänzenden D u a l k r ä f t e Yang 4 3 ) und Yin 4 4 ) (s. S. 19), der Geomant hat heraus-

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zufinden, ob diese besteht und inwieweit hier abändernd eingegriffen werden kann und muß. D a s verborgene Wirken der beiden K r ä f t e in der E r d e heißt schan-ling 1 8 1 ), die Energie der Berge, und ist eine A r t Fluidum, das sich nach allen Richtungen hin ergießt. Als besonders günstig gelten Abhänge, geneigte Ebenen und dergleichen, also Orte, von denen das Wasser abfließen kann. D a s Feng-schui ist aber nicht nur von den Linien und Gestaltungen der Erdoberfläche abhängig, sondern auch von denen der Himmelssphäre. Diese teilt man in vier Bezirke ein, deren jeder einen Tiernamen trägt: Der östliche Bezirk ist der blaue Drache, der südliche der rote Vogel, der westliche der weiße Tiger, und der nördliche die schwarze Schildkröte. D a s beste Feng-schui ist das, bei dem alle Elemente ideal zusammenwirken, was natürlich sehr selten vorkommt. Die Bodenformen des zu wählenden Platzes müssen sich möglichst mit den genannten vier Tieren vergleichen lassen, besonders wichtig sind der T i g e r , der dem Wind, und der Drache, der dem Wasser entspricht, da ja Wind und Wasser die Grundlagen der Lehre vom Feng-schui sind. Aus den Bodenformen, also ohne geologische Untersuchung, erkennt der Geomant, ob die fünf Elemente, Wasser, Feuer, Holz, Metall und E r d e in harmonischem Verhältnis zueinander stehen, Feuer und Holz lassen Feuersgefahr befürchten, Feuer und Wasser heben einander auf. Zu beachten sind schließlich noch die Einflüsse der fünf den Chinesen bekannten Planeten, die fünf Elemente stehen in geheimnisvollem Zusammenhang mit ihnen, jeder Teil der E r d e steht unter der Herrschaft eines der Planeten. F a s t nie finden sich alle erwünschten Vorbedingungen vor, und so korrigiert man denn das Feng-schui; eine Grabstätte z. B. soll nur nach Süden offen liegen, da vom Süden aus keine üblen Einflüsse zu fürchten sind, deshalb baut man nötigenfalls in den drei anderen Richtungen um das Grab herum eine hufeisenförmige Umwallung; R i s s e und Spalten in einem Bergzuge werden durch Errichtung einer P a g o d e oder, wenn das zu teuer ist, eines Steinhaufens ausgeglichen usw. Daß man den Pagoden oft eine gute Wirkung zuschreibt, wurde schon erwähnt, auch Flußläufe sind von Wichtigkeit, und ebenso die Höhe von Gebäuden. In Peking z. B. baute niemand, selbst der K a i s e r nicht, höher als die T ü r m e der Stadttore waren, um deren gutes Feng-schui nicht zu stören. Oft suchen die Geomanten monatelang nach einem guten Feng-schui, vor allem natürlich, wenn der Auftraggeber die oft erheblichen Kosten

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bestreiten kann. In neuerer Zeit hat der Glaube an das Feng-schui nachgelassen, doch konnte V e r f a s s e r sich davon überzeugen, daß er auch bei modern denkenden Chinesen noch nicht ausgestorben ist. Naturerscheinungen bieten selbstverständlich auch Stoff zum Aberglauben. Sonnen- und Mondfinsternisse wurden schon erw ä h n t ; Donner und Blitz sind Äußerungen des Ä r g e r s einer Gottheit, der D o n n e r g o t t schleudert seine Donnerkeile, die Göttin des Blitzes w i r f t mit einem Spiegel den Blitzstrahl auf den schuldigen Menschen, damit ihr Gemahl ihn sehen kann, denn nach chinesischer A u f f a s s u n g tötet nicht der Blitz, sondern der Donner. Vom Glauben an Geister und Dämonen ist schon mehrfach die Rede gewesen. Die Geister Verstorbener erscheinen in Kleidern, wie sie die Lebenden auch tragen, man erkennt sie daran, daß sie kein K i n n haben und sich durch ein grünliches Feuer ankündigen. O f t schreibt man den Geistern R i e s e n k r ä f t e zu, so gelang es einem von einem Geiste Verfolgten, sich hinter einem Baum zu retten, das Gespenst u m f i n g den Baum und g r u b seine Nägel so tief in seine Rinde, daß es sie nicht wieder herausziehen konnte. Besonders gefürchtet sind die Geister von Selbstmördern und F r a u e n , die im Wochenbett verstorben sind. Merkwürdigerweise findet sich derselbe Gedanke auch im chinesischen Buddhismus, der Frauen, denen die E n t b i n d u n g das Leben gekostet hat, in die tiefste Hölle verbannt. Den „bösen Blick" kennen die Chinesen anscheinend nicht, wohl aber besteht auch bei ihnen der Glaube an Z a u b e r e r und H e x e n , doch sind Verfolgungen von H e x e n und Magiern wenig bekannt, der entsetzliche H e x e n w a h n E u r o p a s hat in China nie gewütet. Zum Schutz gegen böse Einflüsse, mögen diese von H e x e n oder ü b e r n a t ü r lichen Wesen ausgehen, bedient man sich der schon besprochenen Amulette und der T a l i s m a n e . Als solche dienen u. a. auch Metallspiegel, die über Götzenbildern aufgehängt werden, spiegelt ein böser Geist sich in ihnen, so erschrickt er vor seinem f u r c h t b a r e n Anblick und läuft weg. Wie bei anderen Völkern, gibt es auch in China allerhand T i e r a b e r g l a u b e n . Vom Fuchs, Wiesel, Stachelschwein, der Schlange und der R a t t e glaubt man, daß sie in langsamer E n t w i c k l u n g überirdische K r ä f t e erreichen. Sie können in Menschen fahren, was aber durchaus nicht immer als unheilvoll gilt. In Märchen und phantastischen Erzählungen spielt namentlich der Fuchs eine große Rolle. E r

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gilt nicht nur als schlau und verschlagen, sondern auch als sehr langlebig. O f t nimmt er Menschengestalt an, er verwandelt sich in einen Greis, einen Gelehrten oder ein schönes Mädchen. Nicht immer b r i n g t er den Menschen U n g l ü c k , manche Märchen erzählen davon, daß ein j u n g e r M a n n ein schönes Mädchen kennenlernt und lange Zeit mit ihr in glücklicher E h e lebt. E i n e s T a g e s entdeckt er, daß seine F r a u ein F u c h s g e i s t ist, und nunmehr muß sie ihn v e r l a s s e n — ein M o t i v , d a s ähnlich auch in unsern Märchen vorkommt. M a n c h m a l ist aber der F u c h s auch ein böser Geist in Menschengestalt, der den Menschen schweren Schaden z u f ü g t . D i e anderen vier T i e r e gelten als R e i c h t u m s b r i n g e r , gefürchtet aber ist die s a g e n h a f t e d o p p e l k ö p f i g e Schlange, deren Anblick, wie d a s Gorgonenhaupt der Griechen, schon den T o d bringt. A u c h im Glauben an Vorbedeutungen spielen T i e r e eine Rolle. Der E u l e n r u f , d a s K r ä c h z e n der K r ä h e , d a s Schnattern der E n t e gelten als unheilvoll, der E l s t e r n r u f aber als glückverheißend. F o l g t ein H u n d einem F r e m d e n , dann kann dieser auf materiellen Gewinn rechnen, folgt ihm eine K a t z e , dann stehen ihm V e r l u s t e bevor. F l e d e r m ä u s e sind beliebt, wohl deshalb, weil sie fu heißen, w a s auch , , G l ü c k " bedeutet. D a ß d a s Erscheinen eines K o m e t e n Unheil v o r a u s s a g t , und daß der Chinese höchst ungern einem L e i c h e n z u g begegnet, sind auch uns wohlbekannte Züge des menschlichen A b e r g l a u b e n s . U n g l ü c k b r i n g t auch d a s Zerbrechen eines S p i e g e l s , vermutlich weil man geheimnisvolle Z u s a m m e n h ä n g e zwischen dem Menschen und seinem S p i e g e l b i l d annimmt. D i e s e r G l a u b e hat sich auch auf die P h o t o g r a p h i e übertragen, wer d a s B i l d seines F e i n d e s verletzt, f ü g t ihm selbst Schaden zu. D a h e r k o m m t es, daß E e u t e a u s dem V o l k sich nicht gern photographieren lassen, sie fürchten eben, daß Macht über sie bekommt, wer über ihr B i l d v e r f ü g t . In modernen Städten wie S c h a n g h a i u. a. ist dieser A b e r g l a u b e allerdings längst a u s g e s t o r b e n , dort gehen die Chinesen beiderlei Geschlechts sehr gern zum Photographen. D i e rätselhafte E r s c h e i n u n g der T r ä u m e hat in China wie überall zu allerhand abergläubischen V o r s t e l l u n g e n geführt, und auch in China sucht man die T r ä u m e zu deuten. M a n g l a u b t , daß die Seele im S c h l a f e zeitweilig den K ö r p e r verläßt und in einer anderen Welt erlebt, w a s wir eine T r a u m e r s c h e i n u n g nennen. G ü n s t i g e V o r b e d e u tung hat ein T r a u m , in dem man mit angesehenen P e r s o n e n z u s a m m e n t r i f f t , oder Glückstiere wie die Schildkröte oder die F l e d e r m a u s

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sieht. Unheil bedeutet es, wenn man im Traume einen Spiegel zerbricht, neue Kleider trägt, oder Schnee sieht, denn Schnee ist weiß, und Weiß ist in China die Trauerfarbe. Mond- und Sonnenuntergang sagen den baldigen Tod der Mutter oder des Vaters voraus, und träumt man von einer Nonne, dann wird man arm. Weit verbreitet ist auch die Auffassung, daß der Traum alles umgekehrt angibt, träumt man also von einer Hochzeit, dann wird sich bald ein Todesfall ereignen, während umgekehrt der Traum von einem Begräbnis eine Hochzeit voraussagt usw. Mit der Deutung der Träume befassen sich die Wahrsager, und natürlich gibt es auch Traumbücher — ganz wie bei uns.

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Schluß:

Zusammenfassung und Ausblick Mit Recht sagt man oft, daß China eine Welt für sich sei, in allen Dingen verschieden vom Abendlande. Dies gilt auch von seinen Religionen; bunt und verwirrend wirkt ihr Bild auf den europäischen Betrachter. Drei Hauptreligionen, in ihrem innersten Wesen von einander recht verschieden, werden in einem uns fremdartig anmutenden Synkretismus verschmolzen, unübersehbar ist das Pantheon des Taoismus und Buddhismus, dazu gesellen sich noch zahllose Götter, Geister und Dämonen des Volksglaubens, und oft weiß man nicht, ob man noch von Religion oder nicht einfach von Aberglauben reden soll. Ist dem Chinesentum auch nicht eben ein tiefer religiöser Sinn eigen, so ist der Chinese doch selten ein Atheist, irgendwie glaubt er an höhere Mächte, zum mindesten an Geister und Dämonen. Erst in neuerer Zeit hat sich unter westlichen Einflüssen auch in China eine A r t A u f k l ä r u n g und Freigeisterei entwickelt. Jungchina erklärte oft alles an der altererbten Religion kurzerhand für Aberglauben, den man bekämpfen müsse, und in den unruhigen Zeiten der Bürgerkriege, etwa zwischen 1916 und 1928, erlebte auch China seine Bilderstürmer, denen manch schönes, altes Heiligtum zum Opfer fiel. Die breiten Massen des Volkes wurden hiervon wenig berührt, und bald setzte auch hier eine rückläufige Bewegung ein. Der Atheismus ist eben durchaus unchinesisch, und der Menschheit überhaupt der Glaube an eine höhere Macht viel zu tief eingewurzelt, als daß er je ausgerottet werden könnte. Welche von den in China bekannten Religionen hat vermutlich Aussicht, überlebte Auffassungen zu verdrängen und sich im chinesischen Volke durchzusetzen? Der Islam scheidet ohne weiteres aus. Er ist im eigentlichen China nicht sehr verbreitet, entfaltet auch kaum eine propagandistische T ä t i g k e i t und hat nur geringen Einfluß. Die christliche Lehre katholischer wie evangelischer 107

Konfession zählt zwar in China mehrere Millionen Anhänger, doch ist nicht zu verkennen, daß trotz reger Missionstätigkeit ihre F o r t schritte nicht groß sind. D a ß das Christentum eine f r e m d e Religion ist, würde an sich seine A u s b r e i t u n g nicht hindern, denn auch der Buddhismus kam vom Ausland nach China. M a n darf aber nicht vergessen, daß der Buddhismus sich in hohem Maße der chinesischen D e n k u n g s a r t angepaßt hat, und vom Chinesentum mindestens ebenso stark beeinflußt w u r d e wie er es seinerseits beeinflußte. E i n e solche Anpassungsfähigkeit hat das Christentum nicht und kann sie nicht haben, will es nicht sich selbst aufgeben, vor allem verträgt die christliche L e h r e sich nicht mit dem Ahnenkult, der nun einmal in China das F u n d a m e n t aller Religion ist und bis auf weiteres wohl auch bleiben wird. Zwar w a r der chinesische Nationalheros Sun Y a t Seil Christ, und unter den führenden Persönlichkeiten des heutigen China finden sich mehrere A n h ä n g e r des Christentums, wie Marschall Chiang K a i Shek und seine Gattin, der S t a a t s m a n n K u n g Hsiang-hsi und andere, aber die christliche Lehre ist f ü r den Chinesen eben doch zu a r t f r e m d , als daß sie in absehbarer Zeit f ü h r e n d werden könnte. A m meisten Aussicht dazu hat allem Anschein nach der Buddhismus. Vieles am chinesischen Buddhismus ist r e f o r m b e d ü r f t i g , aber seine Lehre ist den Chinesen seit vielen J a h r h u n d e r t e n vertraut, u n d unter den führenden Buddhisten Chinas gibt es feine und bedeutende Köpfe, deren W i r k e n bereits beachtliche Ergebnisse gezeitigt hat.

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Literatur Im folgenden sind nur einige der wichtigsten und dem deutschen L e s e r leicht zugänglichen W e r k e a u f g e f ü h r t . Fast alle hier genannten W e r k e enthalten weitere L i t e r a t u r a n g a b e n . W . J. C 1 e n n e 11 , The historical development of religion in China. H. D o r é , Recherches sur les superstitions en Chine, 18 B ä n d e (in V a r i é t é s .sinologiques, herausgegeben von der Jesuitenmission in Zikawei bei S c h a n g h a i ) . A. F o r k e , Geschichte der alten chinesischen Philosophie. Geschichte der mittelalterlichen chinesischen Philosophie. Geschichte der neueren chinesischen Philosophie. Die Gedankenwelt des chinesischen Kulturkreiscs T h e world conception of the Chinese. J. J. W . d e G r o o t , The religions of the Chinese. „ The religious system of China, 6 Bände. ,, Universismus. W . G r u b e , Religion und Kultus der Chinesen. H. H a c k m a n n , Der Buddhismus. K. S. L a t o u r e t t e , The Chinese, their history and culture, 2 Bände. F . E. A. K r a u s e , J u T a o Fo. Die religiösen und philosophischen Systeme Ostasiens. H. O 1 d e n b e r g , Buddha. R. W . R e i c h e ' t , Der chinesische Buddhismus W . E. S o o t h i 1 1, The three religions of China. H. O. H. S t a n g e , Tschuangtse. R. W i l h e l m , Laotse. Dschuangdsï. Liâdsï. I Ging, 2 Bände. Kungfutse, Gespräche. Mongdsï. J . W i t t e , Die ostasiatischen Kulturreligionen

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ANHANG Chinesische Zeichen N B . Die den Zeichen beigefügten Ziffern geben den Ton an, den das betreffende Zeichen in der Reichssprache (guo-yü) hat

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