Die "Metaphysik" des Aristoteles im Mittelalter: Rezeption und Transformation 9781501503221, 9781501511059

The present volume attends to the history of Aristotle’s text called ”Metaphysics“ in the Latin Middle Ages. At the same

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Autorenverzeichnis
Zur Einführung
Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter – Rezeption und Transformation
I. Zur Themenstellung
II. Zur Gliederung und zu den einzelnen Beiträgen
1. Selbstverständnis und Gestalt des metaphysischen Denkens in der Metaphysik
2. Die Metaphysik und metaphysisches Denken am „Vorabend“ der Aristoteles-Rezeption
3. Metaphysikentwürfe im 13. Jahrhundert
4. Metaphysikentwürfe und Metaphysikkritik im Spätmittelalter
III. Zu den Ergebnissen
IV. Zur Genese des Bandes und seiner redaktionellen Gestaltung
V. Danksagung
Literatur
Selbstverständnis und Gestalt des metaphysischen Denkens in der Metaphysik
Die Entstehung der Metaphysik – Zur Rekonstruktion eines Denkwegs
I. Die Frage nach der Herkunft
II. Der Anfang der Metaphysik
III. Das aristotelische Modell – Fluchtlinien metaphysischen Denkens
1. Von der Ontologie zur Ousiologie
2. Metaphysik als Theologie
IV. Metaphysik und Metaphysikkritik
1. Jenseits von Substanz und Wesen
2. Pluralität, Kontingenz, Negativität
Literatur
Probleme der Theorie der ??s?a der Metaphysik im Lichte sprachanalytischer Ontologie
Einleitung
I. Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben, substantielle Formen zu bezeichnen?
1. Das Argument am Ende von Buch Beta
2. Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben, substantielle Formen, als Universalien verstanden, zu bezeichnen?
3. Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben, substantielle Formen, als Particularia verstanden, zu bezeichnen?
II. Paradoxe Konsequenzen der These, dass jedes Universale t????de ist
Literatur
Die Metaphysik und metaphysisches Denken am „Vorabend“ der Aristoteles-Rezeption
Avicenna über Möglichkeit, Methode und Grenzen der Metaphysik
I. Was ist Metaphysik?
II. Kritik
III. Methode und Grenzen der Metaphysik Avicennas
1. Wie verfährt eine uns mögliche Metaphysik?
2. Die Grenzen der uns möglichen Metaphysik
Literatur
„Ma’aseh merkavah ist Metaphysik“ – Zur Rezeption des Aristoteles und seiner Metaphysik in der mittelalterlichen jüdischen Philosophie
I. Hinführung
II. Die Entwicklung des Bezugs zu Aristoteles bis Maimonides
III. Das Verhältnis zu Aristoteles bei Maimonides
IV. Die weitere Verbreitung der aristotelischen Lehren bis zum 15. Jahrhundert
V. Fazit
Literatur
Omnes decepti sunt. Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus (ca. 1150)
I. Einführung
II. Dicitur metaphysica, id est post naturam
III. Materia huius scientiae est ens
IV. Ceterae scientiae sunt sub scientia de ente
V. Konklusion
Literatur
Metaphysikentwürfe im 13. Jahrhundert
Metaphysik als Theologik? Rezeption und Transformation der Metaphysik bei Albertus Magnus
I. Alberts Metaphysik im Kontext der Aristoteles-Paraphrase
II. Einfache oder zweigeteilte Metaphysik?
III. Die Voraussetzungslosigkeit des esse
IV. Die Transzendentalität des Seinsbegriffes
V. Zwischen zwei Tradition von Metaphysik
VI. Ganzheits- und reihentheoretischer Ansatz der Metaphysik
VII. Die Ambivalenz der resolutiven Methode
VIII. Ergänzung der Metaphysik als Fokussierung ihrer Perspektive
IX. Erweiterung der aristotelischen Metaphysik und deren Verhältnis zur Theologie
Literatur
Simplicity and Aquinas’s Quantum Metaphysics
I. Introduction
II. Difficulties raised by the doctrine of simplicity
III. Agnosticism about God’s nature
IV. Esse and id quod est
V. Quantum metaphysics
VI. Simplicity, contingency, and divine free will
VII. Conclusion
Literatur
Duns Scot et la refondation de la métaphysique
I. La dimension critique
II. Première solution scotiste: l’analogie vers la substance
1. L’unité du sujet de la métaphysique
2. La structure de la science
3. Le sujet de la métaphysique
III. La deuxième solution scotiste: l’univocité de l’étant
1. L’unité de l’objet de l’intellect
2. La structure de la prédication
3. L’univocité de l’étant
IV. La troisième solution scotiste: l’attribution du multiple à Dieu
1. Une nouvelle structure de la science: l’agrégation
2. Le sujet de la métaphysique
3. L’articulation fondamentale de la métaphysique
V. Deux questions en suspens
1. L’ambiguïté de la res
2. L’hypothèse d’un Dieu non-existant
Literatur
Meister Eckhart: Aristotelische Metaphysik ohne aristotelische Ontologie
I. Vorbemerkungen
II. Der Begriff des Seins
III. Denken und Leben
IV. Schlussbemerkungen
Literatur
Metaphysikentwürfe und Metaphysikkritik im Spätmittelalter
Metaphysik als Ontologie und Sprachanalyse: Wilhelm von Ockham
I. Was ist Metaphysik, was tut der Metaphysiker?
II. Die sprachliche Erschließung des Seienden
III. Der Umgang mit Universalien und Transzendentalien
1. Was gibt es und wie finde ich das heraus?
2. Ockhams Methode am Beispiel der Quantität
3. Die Rolle der Transzendentalien
IV. Elemente der Erkenntnistheorie
Literatur
Subjekt und Metaphysik – Rezeption und Transformation der Metaphysik im Denken des Johannes Buridan
I. „Sein“ im Verständnis der Metaphysik Buridans – Gegenständlichkeit und faktische Existenz
1. Gegenständlichkeit statt Seiendsein
2. Faktische Existenz als Realitätsmodus des Gegenständlichen
3. Gegenstand und faktische Existenz – Der Sinn des Seins in Buridans Verständnis des Transzendentalen
II. Wahrnehmung als Bedingung der Gegenständlichkeit
1. Sensus communis und imaginatio bei Aristoteles
2. Sensus communis und imaginatio bei Buridan
III. Vernunft als Bedingung gegenständlicher Bestimmtheit
1. Die Kritik an Aristoteles
2. Das Identitätsprinzip als „erstes Prinzip“
IV. Die transzendentale Wende als Element der Geschichte der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter
Literatur
Metaphysik als Entwurf – Cusanus und die Metaphysik
I. Hinführung: Zu den Voraussetzungen der Überlegungen, zum methodischen Vorgehen und zu einer ersten Erläuterung der intendierten Deutung
1. Zu den Voraussetzungen und zum methodischen Vorgehen
2. Eine erste Erläuterung der intendierten Deutung: coniectura als Entwurf
II. Sinnliche Erkenntnis: Vermittelte Unmittelbarkeit dank imaginativer Vergegenwärtigung sinnlicher Gehalte
III. Die Erkenntnis der Vernunft (ratio): kategorial, logisch, modal
IV. Die Entwurfsgestalt der Erkenntnis des menschlichen Geistes
1. Der Ausgangspunkt: Die Hypothese der Faktizität von Vorkommnissen
2. Die Basis der Erkenntnis: Der Begriff des menschlichen Geistes
3. Die Entwurfsgestalt menschlicher Erkenntnis in den Wissenschaften und in der Wesenserkenntnis
4. Die Steigerung der Entwurfsgestalt menschlicher Erkenntnis zur Perfektion in der Gotteserkenntnis
V. Metaphysik als Entwurf – Ein Fazit
Literatur
Grund und Ungrund. Zur Metaphysik des Möglichen
I. Plotin: Das Eine als Ungrund und erster Grund
II. Das metaphysische Dispositiv von Kausalität bei Aristoteles
III. Die Unerkennbarkeit des ersten Grundes: Dionysius Areopagita, Liber de Causis
IV. Avicenna: Das Reich des Möglichen und die Vehementia essendi
V. Duns Scotus: Die Verwirklichung des Rationalen als irrationaler Willensakt
VI. Nikolaus von Kues: Modaltheologie des ersten Prinzips
1. Theogonie und Ursprung der Kraft
2. Spekulative Mathematik
VII. Leibniz: Cur potius aliquid quam nihil
Literatur
Register
1. Stellenregister
2. Namenregister
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Die "Metaphysik" des Aristoteles im Mittelalter: Rezeption und Transformation
 9781501503221, 9781501511059

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Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter

Philosophie der Antike Veröffentlichungen der Karl und Gertrud Abel-Stiftung Herausgegeben von Wolfgang Kullmann in Verbindung mit Jochen Althoff und Georg Wöhrle Band 35

De Gruyter

Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter Rezeption und Transformation Herausgegeben von Gerhard Krieger Akten der 14. Tagung der Karl und Gertrud Abel-Stiftung vom 4.–6. Oktober 2011 in Trier

De Gruyter

ISBN 978-1-5015-1105-9 e-ISBN (PDF) 978-1-5015-0322-1 e-ISBN (ePUB) 978-1-5015-0304-7 ISSN 0943-5921 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter Inc., Boston/Berlin Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII

Zur Einführung Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter – Rezeption und Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Krieger I. II.

Zur Themenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Gliederung und zu den einzelnen Beiträgen . . . . . . . . . . 1. Selbstverständnis und Gestalt des metaphysischen Denkens in der Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Metaphysik und metaphysisches Denken am „Vorabend“ der Aristoteles-Rezeption . . . . . . . . . . . . . . 3. Metaphysikentwürfe im 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 4. Metaphysikentwürfe und Metaphysikkritik im Spätmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zu den Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zur Genese des Bandes und seiner redaktionellen Gestaltung V. Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 3 6 6 8 9 13 16 18 19 19

Selbstverständnis und Gestalt des metaphysischen Denkens in der Metaphysik Die Entstehung der Metaphysik – Zur Rekonstruktion eines Denkwegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emil Angehrn I. Die Frage nach der Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Anfang der Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das aristotelische Modell – Fluchtlinien metaphysischen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Von der Ontologie zur Ousiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Metaphysik als Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 27 29 31 36

VI

Inhaltsverzeichnis

IV. Metaphysik und Metaphysikkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Jenseits von Substanz und Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pluralität, Kontingenz, Negativität . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 39 41 42

Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik im Lichte sprachanalytischer Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benedikt Strobel

45

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben, substantielle Formen zu bezeichnen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Argument am Ende von Buch Beta . . . . . . . . . . . . . 2. Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben, substantielle Formen, als Universalien verstanden, zu bezeichnen? . . . . . . . . . . 3. Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben, substantielle Formen, als Particularia verstanden, zu bezeichnen? . . . . . . . . . . . II. Paradoxe Konsequenzen der These, dass jedes Universale τοίόνδε ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

51 51

61

64 69 77

Die Metaphysik und metaphysisches Denken am „Vorabend“ der Aristoteles-Rezeption Avicenna über Möglichkeit, Methode und Grenzen der Metaphysik . . Tiana Koutzarova

81

I. Was ist Metaphysik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 III. Methode und Grenzen der Metaphysik Avicennas . . . . . . . . 92 1. Wie verfährt eine uns mögliche Metaphysik? . . . . . . . . . 93 2. Die Grenzen der uns möglichen Metaphysik . . . . . . . . . . 95 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

VII

Inhaltsverzeichnis

„Ma’aseh merkavah ist Metaphysik“ – Zur Rezeption des Aristoteles und seiner Metaphysik in der mittelalterlichen jüdischen Philosophie Frederek Musall I. II. III. IV.

Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung des Bezugs zu Aristoteles bis Maimonides Das Verhältnis zu Aristoteles bei Maimonides . . . . . . . . . . Die weitere Verbreitung der aristotelischen Lehren bis zum 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 . 103 104 . 115 . 118 . 122 . 123

Omnes decepti sunt. Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus (ca. 1150) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Alexander Fidora I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dicitur metaphysica, id est post naturam . . . . . . . . . . . . . . . III. Materia huius scientiae est ens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ceterae scientiae sunt sub scientia de ente . . . . . . . . . . . . . . V. Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131 132 138 145 149 150

Metaphysikentwürfe im 13. Jahrhundert Metaphysik als Theologik? Rezeption und Transformation der Metaphysik bei Albertus Magnus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Hannes Möhle I. Alberts Metaphysik im Kontext der Aristoteles-Paraphrase . . II. Einfache oder zweigeteilte Metaphysik? . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Voraussetzungslosigkeit des esse . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Transzendentalität des Seinsbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischen zwei Tradition von Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . VI. Ganzheits- und reihentheoretischer Ansatz der Metaphysik . . VII. Die Ambivalenz der resolutiven Methode . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ergänzung der Metaphysik als Fokussierung ihrer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Erweiterung der aristotelischen Metaphysik und deren Verhältnis zur Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155 158 163 165 170 173 174 177 184 187

VIII

Inhaltsverzeichnis

Simplicity and Aquinas’s Quantum Metaphysics . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Eleonore Stump I. Introduction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Difficulties raised by the doctrine of simplicity . . . . . . . . . . . III. Agnosticism about God’s nature . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Esse and id quod est . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Quantum metaphysics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Simplicity, contingency, and divine free will . . . . . . . . . . . . . VII. Conclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191 192 195 198 200 204 208 209

Duns Scot et la refondation de la métaphysique . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Olivier Boulnois I. II.

La dimension critique . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Première solution scotiste: l’analogie vers la substance . . . . . 1. L’unité du sujet de la métaphysique . . . . . . . . . . . . . . . . 2. La structure de la science . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Le sujet de la métaphysique . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. La deuxième solution scotiste: l’univocité de l’étant . . . . . . . 1. L’unité de l’objet de l’intellect . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. La structure de la prédication . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. L’univocité de l’étant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. La troisième solution scotiste: l’attribution du multiple à Dieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Une nouvelle structure de la science: l’agrégation. . . . . . . 2. Le sujet de la métaphysique . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. L’articulation fondamentale de la métaphysique . . . . . . . V. Deux questions en suspens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. L’ambiguïté de la res . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. L’hypothèse d’un Dieu non-existant . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

214 219 220 221 222 224 225 228 231 237 237 240 243 247 247 248 253

Meister Eckhart: Aristotelische Metaphysik ohne aristotelische Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Rolf Schönberger I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Der Begriff des Seins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Denken und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

Inhaltsverzeichnis

IX

IV. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

Metaphysikentwürfe und Metaphysikkritik im Spätmittelalter Metaphysik als Ontologie und Sprachanalyse: Wilhelm von Ockham Matthias Kaufmann I. Was ist Metaphysik, was tut der Metaphysiker? . . . . . . . . . . II. Die sprachliche Erschließung des Seienden . . . . . . . . . . . . . . III. Der Umgang mit Universalien und Transzendentalien . . . . . . 1. Was gibt es und wie finde ich das heraus? . . . . . . . . . . . 2. Ockhams Methode am Beispiel der Quantität . . . . . . . . . 3. Die Rolle der Transzendentalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Elemente der Erkenntnistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285 285 290 295 295 298 301 302 304

Subjekt und Metaphysik – Rezeption und Transformation der Metaphysik im Denken des Johannes Buridan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Gerhard Krieger I.

„Sein“ im Verständnis der Metaphysik Buridans – Gegenständlichkeit und faktische Existenz . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenständlichkeit statt Seiendsein . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Faktische Existenz als Realitätsmodus des Gegenständlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gegenstand und faktische Existenz – Der Sinn des Seins in Buridans Verständnis des Transzendentalen . . . . . . . . II. Wahrnehmung als Bedingung der Gegenständlichkeit . . . . . . 1. Sensus communis und imaginatio bei Aristoteles . . . . . . . 2. Sensus communis und imaginatio bei Buridan . . . . . . . . III. Vernunft als Bedingung gegenständlicher Bestimmtheit . . . . . 1. Die Kritik an Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Identitätsprinzip als „erstes Prinzip“ . . . . . . . . . . . . IV. Die transzendentale Wende als Element der Geschichte der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

308 308 312 317 318 318 319 323 325 326 329 331

X

Inhaltsverzeichnis

Metaphysik als Entwurf – Cusanus und die Metaphysik . . . . . . . . . . . 333 Gerhard Krieger I.

Hinführung: Zu den Voraussetzungen der Überlegungen, zum methodischen Vorgehen und zu einer ersten Erläuterung der intendierten Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu den Voraussetzungen und zum methodischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eine erste Erläuterung der intendierten Deutung: coniectura als Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sinnliche Erkenntnis: Vermittelte Unmittelbarkeit dank imaginativer Vergegenwärtigung sinnlicher Gehalte . . . . . . . III. Die Erkenntnis der Vernunft (ratio): kategorial, logisch, modal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Entwurfsgestalt der Erkenntnis des menschlichen Geistes 1. Der Ausgangspunkt: Die Hypothese der Faktizität von Vorkommnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Basis der Erkenntnis: Der Begriff des menschlichen Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Entwurfsgestalt menschlicher Erkenntnis in den Wissenschaften und in der Wesenserkenntnis . . . . . . . . . 4. Die Steigerung der Entwurfsgestalt menschlicher Erkenntnis zur Perfektion in der Gotteserkenntnis . . . . . V. Metaphysik als Entwurf – Ein Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333 333 335 339 342 348 348 348 352 356 357 361

Grund und Ungrund. Zur Metaphysik des Möglichen . . . . . . . . . . . . 363 Wilhelm Schmidt-Biggemann I. Plotin: Das Eine als Ungrund und erster Grund . . . . . . . . . . II. Das metaphysische Dispositiv von Kausalität bei Aristoteles III. Die Unerkennbarkeit des ersten Grundes: Dionysius Areopagita, Liber de Causis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Avicenna: Das Reich des Möglichen und die Vehementia essendi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Duns Scotus: Die Verwirklichung des Rationalen als irrationaler Willensakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Nikolaus von Kues: Modaltheologie des ersten Prinzips . . . . 1. Theogonie und Ursprung der Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spekulative Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Leibniz: Cur potius aliquid quam nihil . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

363 364 365 366 369 371 372 375 376 379

Inhaltsverzeichnis

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 1. Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 2. Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

Autorenverzeichnis Prof. em. Dr. Emil Angehrn Philosophisches Seminar Universität Basel Steinengraben 5 CH − 4051 Basel [email protected] Prof. Dr. Olivier Boulnois École Pratique des Hautes Études Sciences religieuses 52, rue Perronet F − 92200 Neuilly [email protected] Prof. Dr. Alexander Fidora ICREA-Universitat Autònoma de Barcelona MRA E − 08193 Bellaterra (Barcelona) [email protected] Prof. Dr. Matthias Kaufmann Institut für Philosophie Martin-Luther-Universität Schleiermacherstr. 1 06114 Halle [email protected] Dr. Tiana Koutzarova Institut für Philosophie Lehrstuhl Prof. Kobusch Universität Bonn Am Hof 1 D- 53113 Bonn [email protected] Prof. Dr. Gerhard Krieger Theologische Fakultät Trier Lehrstuhl für Philosophie I Universitätsring 19 54296 Trier [email protected]

Prof. Dr. Hannes Möhle Albertus-Magnus-Institut Adenauerallee 17 53111 Bonn [email protected] JProf. Dr. Frederek Musall Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg Landfriedstr. 12 69117 Heidelberg [email protected] Prof. Dr. Wilhelm Schmidt-Biggemann Institut für Philosophie Freie Universistät Berlin Habelschwerdter Allee 30 14195 Berlin [email protected] Prof. Dr. Rolf Schönberger Institut für Philosophie Universität Regensburg Universitätsstr. 31 93040 Regensburg [email protected] JProf. Dr. Benedikt Strobel Universität Trier Fachbereich I – Philosophie 54286 Trier [email protected] Prof. Dr. Eleonore Stump St. Louis University Humanities Building, 202 3800 Lindell Blvd. U.S.A. − St. Louis, MO 63108 [email protected]

Zur Einführung

Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter – Rezeption und Transformation Zur Einführung Gerhard Krieger

I. Zur Themenstellung Der vorliegende Band widmet sich mit seiner Themenstellung der Geschichte des mit dem Namen „Metaphysik“ angesprochenen Textes des Aristoteles im Mittelalter. In der Verwendung des Ausdrucks „Mittelalter“ orientiert sich der Band dabei an demjenigen Verständnis, das diesen Terminus in der Einschränkung auf das „lateinische“ Mittelalter bezieht.1 Vor diesem Hintergrund versteht sich die Ausrichtung des vorliegenden Bandes auf die im Titel angesprochene Rezeption und Transformation als Untersuchung der Übernahme und Weitergabe eines überlieferten antiken Textes. Übernahme und Weitergabe realisieren sich dabei in einem aktiven Vollzug, was sich schon in der Übersetzung der antiken (ebenso wie der arabischen und hebräischen) Texte zeigt. Die Geschichte der Metaphysik des Aristoteles steht im Zusammenhang des Verhältnisses des lateinischen Mittelalters zur Antike, welches Verhältnis in seiner Gestalt von Übernahme und Weitergabe aktiver Natur ist. In diesem Sinne realisiert sich in der Rezeption und Transformation der aristotelischen Metaphysik im Mittelalter das Fortleben der Antike, das nicht bloß gewachsenes Weiterleben ist. Wonach bestimmen sich diese Übernahme und Weitergabe in ihrem aktiven Charakter? Ohne Zweifel ist das christliche Selbstverständnis hier maßgeblich. Hinsichtlich der Bedeutung dieser Maßgabe ist zu bedenken, dass mit der Metaphysik ein philosophischer Text angeeignet wird. In dieser Hinsicht orientiert sich das Konzept des vorliegenden Bandes daran, dass die angesprochene Aneignung der Metaphysik zu sehen ist im Zusammenhang der 1

Vgl. zu diesem Verständnis und zum Hintergrund der folgenden Überlegungen insgesamt W. Kluxen: Charakteristik einer Epoche: zur Gesamtinterpretation der Philosophie des lateinischen Mittelalters, in: Ders., Aspekte und Stationen der mittelalterlichen Philosophie, hrsg. v. L. Honnefelder u. H. Möhle, Paderborn 2012, 401–410.

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Hinwendung zur Philosophie, die als Element und Teil der eigenen christlichen Tradition und nicht als fremdes Gut und außerchristliche Realität betrachtet wird.2 Die Philosophie und damit das Prinzip der Rationalität haben im Mittelalter einen legitimen Platz im christlichen Selbst- und Weltverständnis. Diese Stellung und Bedeutung der Philosophie hat für die Frage nach den bestimmenden Hinsichten der Übernahme und Weitergabe der Metaphysik im Mittelalter zur Folge, dass diese ihrerseits eine Herausforderung für das christliche Selbstverständnis darstellt. Wie sich diese Einschätzung im Besonderen versteht, zeigt sich im Blick darauf, dass sich die Übernahme und Weitergabe der aristotelischen Metaphysik im Zusammenhang der für gewöhnlich als „mittelalterliche Aristoteles-Rezeption“ bezeichneten Wiederentdeckung des corpus aristotelicum im lateinischen Westen vollzieht 3. Dieser Vorgang erfolgt vor dem Hintergrund der Kenntnis aristotelischer Auffassungen aus der Logik und im Rahmen eines umfassenderen Rezeptionsvorgangs. Soweit es die angesprochene Kenntnis bereits bekannter Schriften betrifft, wird Aristoteles weder gesteigerte Aufmerksamkeit entgegengebracht noch gar als besondere Herausforderung empfunden. Dies gilt auch noch für den ab dem 11. Jahrhundert allmählich zunehmenden, im 12. Jahrhundert sich zu einem bis dahin ungekannten Ausmaß steigernden Wissenstransfer, der zu Beginn vornehmlich auf Medizin und Naturwissenschaft ausgerichtet ist. In diesem Zusammenhang gelangen weitere aristotelische Schriften insbesondere aus Naturkunde und Naturphilosophie in den lateinischen Westen. Diese Schriften erweitern das betreffende Wissen, sie werden aber nicht als Teile eines Gesamtcorpus rezipiert. Entsprechend werden die Metaphysik und andere Schriften des Stagiriten in dieser Zeit zwar ebenfalls übersetzt und liegen insoweit vor, sie werden aber nicht weiter abgeschrieben, bleiben also ungelesen und damit unbeachtet. Aristoteles bleibt (noch) nur einer unter vielen. Bekanntlich ändert sich das bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts grundlegend. Innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts avanciert Aristoteles zur

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Vgl. dazu näher G. Krieger: Herausforderung durch Religion? Begegnungen der Philosophie mit Religionen in Mittelalter und Renaissance. Eine philosophiehistorische Hinführung in religionsphilosophischer Absicht, in: Ders. (Hrsg.), Herausforderung durch Religion? Begegnungen der Philosophie mit Religionen in Mittelalter und Renaissance, Würzburg 2011, 17–39, im Besonderen 19–25; G. Krieger: Christliches Heil und antikes Denken. Zur philosophischen Bedeutung der Zeit Konstantins, in: Ders., u. a. (Hrsg.), Konstantin der Große. Der Kaiser und die Christen – die Christen und der Kaiser, hrsg. v. M. Fiedrowicz/G. Krieger/W. Weber, Trier 32007, 267–292, im Besonderen 272–281. Vgl. dazu im Einzelnen B. G. Dod: Aristoteles-Latinus, in: N. Kretzmann u. a. (Hrsg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, Cambridge 1982, 45–79; C. Lohr: The Medieval Interpretation of Aristotle, in: N. Kretzmann u. a. (Hrsg.), The Cambridge History, ebd., 80–98.

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maßgeblichen philosophischen Autorität. Das erwähnte Desinteresse an bereits vorliegenden übersetzten Texten zeigt, dass diese Entwicklung nicht auf die bis zum genannten Zeitpunkt erfolgte Kenntnisnahme des aristotelischen Schrifttums zurückgeführt werden kann. Insoweit besteht eine Differenz zwischen dieser Rezeption der Schriften auf der einen Seite und der Aneignung der aristotelischen Philosophie als solcher auf der anderen Seite. Im Zusammenhang der hier zu bearbeitenden Aufgabe kann freilich die Erklärung dafür offen bleiben.4 Festzuhalten bleibt, dass die letztgenannte Aneignung zu verstehen ist im Sinne des Interesses an der „aristotelischen Philosophie als ganzer“ 5: Aristoteles repräsentiert die Philosophie als rationale und insoweit eigene Dimension umfassender Weltorientierung und menschlicher Selbstverständigung. In seiner Metaphysik tritt dem mittelalterlichen Denken die Philosophie im Sinne dieser Orientierung in zweifacher Hinsicht entgegen, zum einen als philosophische Grundlagendisziplin, welche das Seiende als Seiendes oder im Ganzen untersucht, zum anderen als Wissenschaft vom ersten göttlichen Seienden.6 Die Metaphysik stellt also in diesen beiden Hinsichten eine Herausforderung für das christliche Denken dar. Diese Herausforderung schließt nicht allein die Frage ein, wie das Verständnis des metaphysischen Denkens im Sinne der aristotelischen Betrachtung, im Sinne also der Hinsicht des Seins in seiner Begegnung mit der christlichen Auffassung rezipiert und transformiert wird. Da die Philosophie und damit das Prinzip der Rationalität im Mittelalter einen legitimen Platz im christlichen Selbst- und Weltverständnis haben, schließt dessen Herausforderung durch die Metaphysik durchaus auch die Frage ein, wie und inwieweit die aristotelische Sicht in kritischer Weise aufgenommen und weiter gegeben wird. Insoweit sich das christliche Denken im Modus wissenschaftlicher Theologie realisiert, ist die Disziplin der Metaphysik deswegen dasjenige Feld, in dem diese im Sinne der skizzierten Herausforderung unmittelbar (offenbarungs-) theologisch bedeutsam wird (was im vorliegenden Band nicht selbst thematisch wird). Umgekehrt besagt dies, dass im Mittelalter im Besonderen (Offenbarungs-) Theologen bedeutsame Beiträge zur Rezeption und Transformation der Metaphysik leisten. Die angesprochene Anerkennung der Selbständigkeit der Philosophie im christlichen Selbstverständnis lässt darüber hinaus die Möglichkeit ihrer

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Ein nach wie vor bedenkenswerter Versuch ist der Beitrag von G. Wieland: Plato oder Aristoteles? Überlegungen zur Aristoteles-Rezeption des lateinischen Mittelalters, Tijdschrift voor Filosofie 47, 1985, 605–630. J. R. Söder: Hochmittelalter: Die Wiederentdeckung des Politischen, in: C. Horn/A. Neschke-Hentschke (Hrsg.), Politischer Aristotelismus. Die Rezeption der aristotelischen ‚Politik‘ von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2008, 51–76, hier 57. Vgl. dazu: G. Krieger: Substanz, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe Bd. 3, Freiburg–München 2011, 2146–2158, hier 2146–2152.

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eigenständigen Realisierung unabhängig von der (Offenbarungs-) Theologie zu, wie es bei Johannes Buridan der Fall ist, insofern dieser in der ArtesFakultät verbleibt. Die Themenstellung des vorliegenden Bandes bestimmt sich somit nach zwei Hinsichten: Zum einen stellt die Geschichte der aristotelischen Metaphysik im Mittelalter einen aktiven Prozess dar, der als solcher nach den Aspekten der Rezeption und der Transformation, der Übernahme und der Weitergabe unterschieden werden kann; zum anderen schließt die Themenstellung des Bandes ein, dass sich dem christlichen Denken im Mittelalter mit der Metaphysik im Besonderen die Fragen nach der Gestalt und der Reichweite des metaphysischen Denkens nicht nur im Sinne der Hinsicht des Seins, sondern durchaus auch in kritischer Haltung dazu und damit in anderer Weise stellen. Der vorliegende Band versammelt seine Beiträge in der Absicht, die skizzierte Themenstellung zum einen in den Aspekten dieser Beiträge selbst näher zu beleuchten. Darüber hinaus ist angezielt, die Wirkungsgeschichte der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter gemäß diesem Zusammenhang von Rezeption und Transformation ebenso in ihrer Bedeutung für das metaphysische Denken selbst, d. h. im Blick auf sein aristotelisches Verständnis und auf dessen Kritik, zu beleuchten wie auch in Hinsicht auf dessen Verhältnis zum christlichen Selbstverständnis.

II. Zur Gliederung und zu den einzelnen Beiträgen 1. Selbstverständnis und Gestalt des metaphysischen Denkens in der Metaphysik Zu Beginn erfolgt eine Vergegenwärtigung des metaphysischen Denkens der Metaphysik selbst, und zwar zum einen im Blick auf gegenwärtige philosophische Auseinandersetzungen um das Anliegen und die Gestalt des metaphysischen Denkens als solchen und deren Verhältnis zur Metaphysik des Aristoteles. Im Beitrag „Die Entstehung der Metaphysik. Zur Rekonstruktion eines Denkweges“ zeigt E. Angehrn auf, dass die Problematisierungen zum einen die Grundüberzeugung betreffen, dass es in den Dingen ein festes Wesen gibt und dass Erkennen und Sprechen nur in Abstützung auf diese letzten Bestimmtheiten möglich ist. Zum anderen erfolgt eine Distanzierung in Bezug auf die tragende Grundhaltung, aus der heraus „Erste Philosophie“ ihr Ziel formuliert und ihre konzeptionellen Grundlagen erarbeitet. Geht es in der erstgenannten Auseinandersetzung um die besondere Grundüberzeugung der Metaphysik des Aristoteles, erscheint in der letztgenannten Diskussion das Projekt des metaphysischen Denkens als solchen fragwürdig. In diesen Ausei-

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nandersetzungen scheinen Weichenstellungen auf, die die Entstehungsgeschichte und den Gang der Metaphysik selbst bestimmen und deren frühe Profilierung sich in den Schriften des Aristoteles findet. Insofern erweist sich die aristotelische Metaphysik als ein Gründungsdokument der europäischen Denkgeschichte par excellence. Der Weg des Denkens, den sie eröffnet, indem sie sich ihrer Vorgeschichte vergewissert und sich in sie einschreibt, bleibt offen, im Blick sowohl auf die unabgeschlossene Arbeit des Denkens als auch auf die reflexive Selbstaufklärung und kritische Befragung. Die zweite Hinsicht, unter der im Blick auf die gegenwärtige Philosophie eine Vergegenwärtigung des metaphysischen Denkens in der Metaphysik selbst erfolgt, richtet das Augenmerk auf gegenwärtige philosophische Auseinandersetzungen, soweit diese ihren sachlichen Anspruch nicht historisch vermittelt verstehen und zur Geltung bringen. In diesem Feld sind es im Besonderen Bemühungen, die sich der sogenannten sprachanalytischen Philosophie zurechnen, die im Bezug zur Metaphysik des Aristoteles Ontologie betreiben, metaphysisches Denken also im Sinne jener Hinsicht realisieren, in der Aristoteles selbst das Seiende als solches untersucht. Im Sinne der zuvor angesprochenen Überlegungen im Beitrag Angehrns betrachtet handelt es sich um Bemühungen, die in die Richtung der Grundüberzeugung der Metaphysik zielen, dass es in den Dingen ein festes Wesen gibt und dass Erkennen und Sprechen nur in Abstützung auf diese letzten Bestimmtheiten möglich ist.7 Der Beitrag von B. Strobel „Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik im Lichte der sprachanalytischen Philosophie“ stellt sich in diesem Sinne die Frage, was generelle Terme der Substanz-Kategorie bezeichnen. Diese Frage versteht sich konkret im Bezug auf Ausdrücke wie „Mensch“ oder „Bär“, soweit diese dazu dienen, zu sagen, was ein X ist. Der Beitrag will im Blick auf die Metaphysik zeigen, dass das, was mit solchen Ausdrücken bezeichnet wird, ein Universale ist, dass das Universale seinerseits kein τόδε τι, sondern ein τοιόνδε ist, und dass Ausdrücke, die ein Universale bezeichnen, Ausdrücke also wie die genannten, auf mehrere Einzeldinge referieren können. Darüber hinaus sucht der Beitrag deutlich zu machen, dass Aristoteles und Frege darin übereinstimmen, dass ein τόδετι nur von singulären Termen wie z. B. Eigennamen bezeichnet werden kann, während Universalien nicht von derartigen Termen bezeichnet werden können. Anders gesagt: Ausdrücke wie die genannten „Mensch“ oder „Bär“ haben eine Bedeutung, die durch Ausdrücke wie die genannten bezeichnet werden können. Weiter können derartige Bedeutungen mit Hilfe von Ausdrücken wie den genannten auf mehrere Einzeldinge bezogen und von diesen ausgesagt werden. Insoweit zeigt sich, dass Bedeutungen im Unterschied zu Einzeldingen allgemeiner Natur sind. Deswe7

Vgl. dazu ebd., 2155 f.

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gen können Bedeutungen auch nicht durch Eigennamen bezeichnet werden. Deswegen kann gesagt werden, dass Sokrates Mensch, aber nicht der Mensch ist. 2. Die Metaphysik und metaphysisches Denken am „Vorabend“ der Aristoteles-Rezeption In diesem Teil richtet sich der Blick auf die Überlieferung der Metaphysik im arabischen und jüdischen Zusammenhang und auf das metaphysische Denken im christlichen Bereich vor der ersten lateinischen Übersetzung des aristotelischen Textes. Im Sinne der Rezeption stehen damit Überlieferungszusammenhänge im Blick, die ihrerseits im Bezug zur Metaphysik des Aristoteles im Besonderen wie zu philosophischer und wissenschaftlicher Literatur im Allgemeinen im Verhältnis zu Texten stehen, die sich in Kategorien griechischen Ursprungs entwickelt hatten. Insoweit gibt es für alle drei Überlieferungszusammenhänge eine gemeinsame Basis. Eine zweite Gemeinsamkeit ist darin gegeben, dass alle drei Traditionen auf diese gemeinsame Basis im Horizont eines religiösen Selbstverständnisses Bezug nehmen. Vor diesem Hintergrund richtet sich der Blick in den Beiträgen dieses Teils auf je ein Beispiel aus den genannten drei Traditionszusammenhängen. In ihrem Beitrag „Avicenna über die Möglichkeit, Methode und Grenzen der Metaphysik“ stellt T. Koutzarova ebenso das Konzept des genannten arabischen Denkers dar, wie sie einige zentrale Veränderungen im Verhältnis zu demjenigen des Aristoteles hervorhebt. Von zentraler Bedeutung ist für Avicenna die Fokussierung der metaphysischen Betrachtung auf den Begriff des Seienden als solchen, der den schlechthin gemeinsamen Kern jeder Erkenntnis eines bestimmten Seienden ausmacht und seinem Gehalt nach das anspricht, „dem es nicht widerstreitet, denkunabhängige Realität zu haben“. Auf diese Weise verfolgt Avicenna einen gegenüber der aristotelischen Vorlage neuen Weg der Explikation des Seienden über die Unterscheidung von Substanz und Akzidens hinaus: Alles Seiende ist entweder ein durch sich selbst extramental Bestehendes oder ein solches, dem an sich selbst betrachtet weder reale Existenz noch Nichtexistenz widersprechen. Die Betrachtung des ersten ausgezeichneten Seienden realisiert Avicenna durch die modale Explikation des Begriffs des Seienden. Insofern erweist sich ihm das göttliche Seiende in seiner Notwendigkeit als der Inbegriff der Seiendheit. Avicenna entwickelt auf diese Weise ein Konzept der Metaphysik, das im Mittelalter insbesondere bei Duns Scotus aufgegriffen und vermittels der Rezeption seines Denkens über das Mittelalter hinaus wirksam wird. F. Musall macht in seinem Beitrag „Ma’aseh merkavah ist Metaphysik“ – Zur Rezeption des Aristoteles und seiner Metaphysik in der mittelalter-

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lichen jüdischen Philosophie“ deutlich, dass sich der jüdische Bezug insbesondere zur Metaphysik im Verhältnis zu arabisch-islamischer Kommentarliteratur und Paraphrasen vollzieht, die dann später auch vom Arabischen ins Hebräische übertragen wurden. Im Denken des Maimonides realisiert sich ein Aristotelismus, der sich an Averroistischem Denken orientiert und eine maßgebliche Rezeptionslinie der Metaphysik initiiert.8 Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts kommt es zudem zu Übersetzungen sowohl der Metaphysik aus dem Lateinischen als auch von Kommentaren lateinischer Autoren ins Hebräische. Darüber hinaus entsteht im 13. Jahrhundert in Spanien mit der Kabbalah ein insbesondere mit dem Aristotelismus des Maimonides konkurrierendes jüdisches Denken, das in den folgenden Jahrhunderten zunehmend an Bedeutung gewinnt Die besondere Weichenstellung, die Dominicus Gundissalinus für die Rezeption der Metaphysik im 13. Jahrhundert vornimmt, erfolgt, wie A. Fidora in seinem Beitrag „Omnes decepti sunt. Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus“ darlegt, in den betreffenden Partien in De divisione philosophiae. Diese Weichenstellung vollzieht sich in der Abkehr vom boethianischchartresischen Konzept der Metaphysik als Theologik hin zu einer Metaphysik verstanden als Ontologie, indem Dominicus den Ausdruck metaphysica explizit im Unterschied zu theologi(c)a zur Bezeichnung einer Wissenschaft und nicht eines Buches einführt und das ens als deren eigentümliche materia bestimmt. In diesem ontologischen Konzept orientiert sich Gundissalinus an der über die arabische Tradition vermittelten aristotelischen Wissenschaftstheorie. 3. Metaphysikentwürfe im 13. Jahrhundert In der Metaphysik tritt dem mittelalterlichen Denken die Philosophie zum einen als philosophische Grundlagendisziplin entgegen, welche das Seiende als Seiendes oder im Ganzen untersucht, zum anderen als Wissenschaft vom ersten göttlichen Seienden. Im Zuge der Aristoteles-Rezeption realisiert sich mittelalterliches Denken zugleich im Modus wissenschaftlicher Theologie, so dass die Disziplin der Metaphysik dasjenige Feld darstellt, in dem diese (of-

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Im Blick auf die Auffassung des Maimonides sei über den vorliegenden Beitrag hinaus ergänzend auf deren Rezeption bei christlichen Denkern hingewiesen, in der sich zeigt, dass der jüdische Denker als gleichartiger Diskussionspartner angenommen wird und nicht ohne Einfluss im christlichen Raum bleibt. Vgl. dazu W. Kluxen: Maimonides und die Hochscholastik / Maimonides und die philosophische Orientierung seiner lateinischen Leser. Eine interpretatorische Reflexion, in: Ders., Aspekte und Stationen (wie Anm. 1) 284–298/299– 311.

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fenbarungs-) theologisch bedeutsam wird. Im Zusammenhang dieser Auseinandersetzung haben über die bereits angesprochenen arabischen und jüdischen Überlieferungszusammenhänge philosophischer Literatur der Antike hinaus auch Texte eine Bedeutung, die von Byzanz aus in das Mittelalter gelangen und ihrerseits antiken Ursprungs sind. Im Besonderen gilt das für Texte des Pseudo-Dionysius, die vor allem bei Albertus Magnus und Meister Eckhart in die Auseinandersetzung mit der Metaphysik einbezogen werden. Die in diesem Teil versammelten Beiträge betreffen insgesamt Denker, die wissenschaftliche Theologen sind und für die die genannten Kennzeichen metaphysischen Denkens zu bestimmenden Hinsichten ihrer Rezeption und Transformation der Metaphysik werden. Das geschieht in so unterschiedlicher Weise, dass im Ergebnis so wenig von einer einzigen Gestalt der Metaphysik gesprochen werden kann, wie zugleich die mittelalterliche Wirkungsgeschichte der Metaphysik in ihrer Dynamik und innovativen Kraft und Bedeutung hervortritt. H. Möhle befasst sich unter der Frage: „Metaphysik als Theologik?“ mit der „Rezeption und Transformation der Metaphysik bei Albertus Magnus“. Er hebt hervor, dass sich Albert mit der Kommentierung der Metaphysik des Aristoteles und des neuplatonischen Liber de causis zum Ziel setzt, den Lateinern Aristoteles verständlich zu machen; d. h. in den Kontext der christlichen Lehre zu integrieren und seine Schriften dem universitären Lehrbetrieb einzufügen. Daraus resultiert die Aufgabe, das Werk des Aristoteles und den Liber de causis einer einheitlichen Deutung zuzuführen, die, was ihre Inhalte betrifft, mit der christlichen Lehre in Einklang zu bringen ist und die in wissenschaftstheoretischer Hinsicht ein Nebeneinander der Disziplinen der Ersten Philosophie und der christlichen Theologie erlaubt. Im Besonderen bestimmt Albert den Gegenstand der Metaphysik als das Seiende und betont, dass dieses das erste Prinzip von allem ist; allerdings in der Beschränkung auf das geschaffene Sein, das als Geschaffenes nicht das erste Prinzip bzw. Gott als Voraussetzung der Schöpfung mit umfassen kann. Das begriffslogische Verfahren gelangt demnach bis zu einem primum creatum, nämlich dem durch den Begriff esse Beschreibbaren, und damit nicht bis zu Gott als dem ersten Prinzip selbst. In einem in Auseinandersetzung mit Dionysius entwickelten kausaltheoretischen Vorgehen innerhalb der Metaphysik gelingt weiter über den Ursachenbegriff noch eine eingeschränkte Erfassung des Ersten, das dadurch in den Blick kommt, dass man es als erste Ursache begreift. An diesem Punkt gelangt die kausaltheoretisch argumentierende Metaphysik zugleich an eine Schnittstelle, an der die metaphysisch ausweisbaren Begriffe der Verursachung und der Einformung vom offenbarungstheologischen Begriff der Schöpfung überboten und in ihrer Begrenzung als philosophische Grundbegriffe erkennbar werden. In Hinsicht auf das metaphysische Denken bei Albert zeigt sich also zum einen, dass die ganzheitstheoretische Betrach-

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tungsweise, die von einem allgemeinen Begriff des Seins ausgeht, reihentheoretisch ergänzt wird. Weiter wird offenbar, dass er von einer ursprünglichen Einheit in der Sache ausgeht, die sich prädikationslogisch oder kausaltheoretisch erfassen lässt. Dabei scheint das Verhältnis beider Betrachtungsweisen das einer vertiefenden Fokussierung des ganzheitstheoretischen Verfahrens durch die kausal orientierte und an den Substanzbegriff anknüpfende Betrachtung zu sein. Die Deutung Alberts wird somit davon getragen, dass das Seiende als Gegenstand der Metaphysik eben auch als Substanz und daran anschließend unter dem Aspekt der Ursache verstanden werden kann. Die Rede von einer Metaphysik als Theologik dürfte deshalb in Bezug auf Albert nicht angemessen sein. Wie ist die göttliche Freiheit gemäß der Identität von esse und essentia in Gott zu deuten? In dieser Frage richtet E. Stump im Beitrag „Simplicity and Aquinas’s Quantum Metaphysics“ ihr Augenmerk auf die Gotteslehre des Thomas von Aquin. Sie geht dabei von der Annahme aus, dass die besagte Identitätsthese nahelegt, dass Gott tatsächlich das tut, was er tun kann. Insoweit scheint göttliches Handeln notwendiger Natur zu sein. Die Interpretin setzt in ihrer Deutung daran an, dass sich die Identitätsthese bei Thomas doch nicht im Sinne einer strikten Bestimmung des göttlichen Wesens versteht. Gottes quid est ist für den Menschen unbegreifbar; gleichwohl wird es ihm zugeordnet, ein quid est zu haben. Gottes Sein sprengt die Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen, deshalb ist er in seinem Handeln frei, und diese Freiheit kommt nicht bloß als eine Eigenschaft hinzu. In Parallele zur Quantenphysik, die sich mit dem Licht befasst und ihm Attribute zuweist (z. B. Wellen), auch wenn diese das Objekt letztlich nicht in perfekter Weise zu beschreiben vermögen, spricht Stump von einer „Quantenmetaphysik“, die über Gott nachdenkt – beiden ist eine gewisse Unangemessenheit ihrer Sprache zur Erfassung ihres Gegenstandes zu eigen, beide sind aber auf diese Sprache angewiesen. Für Thomas von Aquin ist der letzte Grund der Realität wie bei Aristoteles ein Seiendes, doch ist dieses im Unterschied zur betreffenden aristotelischen Einschätzung eine Entität, der die Fähigkeit zukommt, schöpferisch tätig zu sein, zu wissen und zu lieben. Die beiden Hinsichten, unter denen dem mittelalterlichen Denken in der Metaphysik die Philosophie entgegentritt – als philosophische Grundlagendisziplin, welche das Seiende als Seiendes oder im Ganzen untersucht, und als Wissenschaft vom ersten göttlichen Seienden – erscheinen in den Quaestiones des Johannes Duns Scotus nach ihrer ersten Edition in der Ambivalenz zweier Themen und Dimensionen der Metaphysik. Diese Ambivalenz nimmt O. Boulnois zum Ausgangspunkt seines Beitrags „Duns Scot et la refondation de la metaphysique“, um die Haltung des mittelalterlichen Denkers dazu zu bestimmen. Sieht es in den Quaestiones nach der genannten Edition so aus, als ob Scotus nicht zu einer Lösung gelangt, zeigt ein Nachtrag in der neu

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erschienenen Edition, dass er die Univozität des Seins aufzeigen will. Im Lichte dieses Ergebnisses erörtert Boulnois weiter die Haltung des Scotus in der Frage nach dem subiectum der Metaphysik. Im Besonderen werden dazu drei Thesen erörtert: Erstens: Der fragliche Gegenstand ist die Substanz, diese These findet sich in ersten Ausgabe der Quaestiones. Zweitens ist nach den theologischen Schriften der Begriff des Seienden der infrage stehende Gegenstand. Schließlich ist der gesuchte Gegenstand das erste Seiende, Gott, im Sinne der Zuordnung zum Sein; diese These findet sich in den Quaestiones in ihrer neuen kritischen Ausgabe, die den besagten Nachtrag enthält. In der Einschätzung seines Interpreten kommen hier verschiedene Facetten der Haltung zu jener Ambivalenz zum Ausdruck, in der Scotus die beiden Hinsichten der Metaphysik wahrnimmt. Im Lichte der besagten Univozitätsthese betrachtet ergibt sich für seinen Interpreten, dass Scotus diese Schwierigkeiten bzw. diese Ambivalenz mit den beiden letztgenannten Thesen bewältigt. R. Schönberger knüpft in seinem Beitrag „Meister Eckhart: Aristotelische Metaphysik ohne aristotelische Ontologie“ daran an, dass die erste Proposition im Opus propositionum das Sein mit dem berühmten Satz: „esse est deus“ bestimmt. Eckhart begründet diesen Satz unter Berufung auf die Kategorienschrift des Aristoteles, kommt aber zu einem entgegengesetzten Ergebnis. Eckharts Seinsbegriff weicht in seiner Struktur ebenso wie in der Weise seiner Gewinnung ungeachtet von Eckharts Berufungen und Inanspruchnahmen auf markante Weise vom aristotelischen Begriff des Seins ab. Er macht sich auf diese Weise die Metaphysik im Sinne der Wissenschaft vom höchsten Seienden zu eigen. Weiter untersucht Schönberger Eckharts Seinsbegriff im Blick auf die Triade von Sein – Leben – Denken. Es zeigt sich, dass Eckhart zwischen dem Sein einerseits und Leben und Denken andererseits unterscheidet: Während Sein das Moment der Erschaffbarkeit enthält, kann dies von Leben und Denken seiner Auffassung nach nicht behauptet werden. Eckhart versteht sowohl Leben als auch Erkennen als etwas Unableitbares, von innen her Bestimmtes. Eckhart denkt also auf der einen Seite im Opus propositonum Gott als Sein und damit Seinverleihendes, auf der anderen Seite stellt er Leben und Denken als ursprüngliche Verhältnisse in eine Differenz zum erschaffbaren Sein. Liegt hier ein Widerspruch vor oder doch nur eine Unterscheidung des Seins nach einer Hinsicht, die durchaus im Zusammenhang mit dem göttlichen Sein gedacht werden kann? Im Blick auf Eckharts Bezugnahme auf philosophische auctoritates hebt Schönberger schließlich hervor, dass diese nicht Gegenstand kommentierender Aneignung, sondern Quelle der Inspiration und Material der Inanspruchnahme sind. In den Augen Eckharts selbst liegt wohl keinerlei Beliebigkeit vor, denn er sieht sie in dem Sinne, in der er sie versteht, zugleich als wahr an. Wenn ein Satz inhaltlich als wahr anerkannt werden muss, ist nicht mehr entscheidend, ob sein Sinn im historischen Sinne zutreffend bestimmt ist. Das wiederum heißt, dass die

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Bedeutung eines Satzes auf die Intention des Autors festgelegt werden kann – oder, um es im Sinne Eckharts zu formulieren: reduziert werden darf. 4. Metaphysikentwürfe und Metaphysikkritik im Spätmittelalter Der folgende Teil widmet sich der Rezeption und Transformation der Metaphysik im Blick auf Autoren des Spätmittelalters. Die Differenz zur Betrachtung der im vorangegangen Teil versammelten Beiträge ist aber nicht lediglich äußerer Natur. Eine wesentliche Hinsicht in der Betrachtung der Überlegungen der in diesem vierten Teil in der Blick genommenen Denker ist die der Metaphysikkritik, und zwar zunächst im Sinne der Frage, wie und inwieweit metaphysisches Denken, wie es den hier angesprochenen Denkern in der Metaphysik entgegentritt, in die Kritik gerät und wie und inwieweit sich auf diese Weise ihre Transformation bestimmt. Wie sich zeigt, besagt die Antwort, dass sich diese Kritik, soweit es Johannes Buridan und Nikolaus von Kues betrifft, im Verzicht auf die Hinsicht des Seins realisiert; bei Wilhelm von Ockham erscheint es in der Sicht des vorliegenden Beitrages zumindest fraglich, dass er diese Hinsicht über die formale Analyse ihrer Vermittlung im Modus sprachlicher Gestalt hinaus thematisiert und bestimmt. Weiter legt sich nahe, den Aspekt der Vermittlung umfassender Weltorientierung und menschlicher Selbstverständigung – sei es in sprachlicher Gestalt wie bei Ockham, sei es im Modus sinnlicher und vernunftbestimmter Erkenntnis bzw. der sinnlichen, rationalen und intellektiven Vollzüge des menschlichen Geistes wie bei Buridan bzw. Nikolaus von Kues – und deren Analyse als dasjenige Moment anzusehen, das den hier vorgestellten drei Metaphysikentwürfen aus dem Spätmittelalter gemeinsam ist und sie in je eigener Weise prägt. Von hier aus und im Lichte des angesprochenen metaphysikkritischen Aspektes betrachtet macht die Realisierung umfassender Weltorientierung und menschlicher Selbstverständigung unter der Hinsicht des Seins dann das verbindende Moment aus, das die Rezeption und Transformation der Metaphysik in den hier beleuchteten Entwürfen des 13. Jahrhunderts insgesamt prägt und bestimmt. In der Sicht des Beitrages von M. Kaufmann „Metaphysik als Ontologie und Sprachanalyse bei Wilhelm von Ockham“ befasst sich dieser mit Fragestellungen und Problemen, die man traditionell der Metaphysik zuordnet, indem er dabei eine übereilte Identifikation der Metaphysik mit der natürlichen Theologie vermeidet, eine besondere Ontologie voraussetzt und seine sprachanalytische Methode zur Anwendung bringt. Ockhams Methodik seiner metaphysischen Reflexionen bringt die Metaphysik in beachtliche Nähe zu Logik und Sprachphilosophie einerseits, zur Erkenntnistheorie andererseits. Die Verbindung der Metaphysik zur Sprachphilosophie und zur Er-

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kenntnistheorie ergibt sich aus der Korrespondenz zwischen den Gegenständen der Welt und den Termini, die sich auf sie beziehen. Durch die Erkenntnistheorie werden Ontologie und Sprachphilosophie miteinander verbunden, da sie zeigt, wie wahre Sätze über das Seiende gebildet werden können. Es zeigt sich insgesamt eine fundamentale Rolle formaler Analyse der sprachlichen Vermittlung des Bezugs auf Seiendes, insofern die Fokussierung auf die Vermittlung als wichtigstes Merkmal der Transformation angesehen werden könnte, der die aristotelische Metaphysik in Ockhams Werk unterliegt. Man könnte allerdings auch annehmen, dass Ockham lediglich die authentische aristotelische Auffassung richtig darzustellen versucht. In seinem Beitrag „Subjekt und Metaphysik. Rezeption und Transformation der Metaphysik im Denken des Johannes Buridan“ verdeutlicht G. Krieger zunächst, dass Buridan in seiner Stellungahme zum Gegenstand der Metaphysik die Hinsicht des Seins auf die Erfassung der Realität in ihrer faktischen Existenz begrenzt und die metaphysische Betrachtung dahin gehend wandelt, dass sie primär Erkenntnis in ihrer gegenständlichen Bestimmtheit in den Blick nimmt. Gemäß dieser Aufgabenstellung, so zeigt sich weiter, untersucht Buridan die Bedingungen für diese gegenständliche Betrachtung, die sich ihm als Bedingungen des Subjektes erweisen, so dass die Bedingungen der Erkenntnis in ihrer sinnlichen Bestimmtheit und in ihrer Vernunftbestimmtheit die der erkannten Gegenstände sind. In Hinsicht auf die Sinnlichkeit zeigt sich diese „subjektive“ Bedingtheit im Verständnis von sensus communis und imaginatio: Sinnliche Wahrnehmung ist für Buridan nicht eine sich unmittelbar ergebende Abbildung von Reizkonstellationen, sondern eine in vermittelter Unmittelbarkeit zustande kommende und insoweit gestaltete Sinneseinheit. Buridan versteht damit das Verhältnis von innerem sensus communis und äußeren Sinnen gemäß der Differenz zwischen innerem Grund der Gestalt der Wahrnehmung und äußerem Ursprung ihrer sinnlichen Gehalte. Zugleich steht der sensus communis im Verhältnis ursprünglicher Gestaltung der Wahrnehmung zu aufbewahrender Reproduktion des Wahrgenommenen in der imaginatio. Hinsichtlich Buridans Auffassung zu den „subjektiven“ Bedingungen der Vernunfterkenntnis untersucht Krieger dessen Haltung in der Frage des „ersten Prinzips“ des Wissens. Es zeigt sich, dass Buridan den Versuch einer eigenen „Letztbegründung“ des Wissens als solchen unternimmt: Buridan übt ebenso Kritik daran, dass Nichtwiderspruchsprinzip als das infrage stehende Prinzip anzusehen, wie er zugleich das Identitätsprinzip zum „ersten Prinzip“ erklärt und als ursprüngliches Vernunftprinzip begründet. Insoweit anerkennt Buridan zwar die Relativität unserer theoretischen Kompetenz im Verhältnis zu deren Gegenstand. Doch diese Kompetenz erfährt nicht eine Sinnbestimmung über das Ziel der Erfassung gegenständlicher Bestimmtheit selbst hinaus.

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Im Beitrag „Metaphysik als Entwurf – Cusanus und die Metaphysik“ legt G. Krieger dar, dass das Konzept der Metaphysik des Kardinals im Sinne der Rezeption und Transformation der Metaphysik des Aristoteles verstanden werden kann, soweit sich dieses Konzept zum einen nach Maßgabe des Motivs der Rückbindung aller geistigen Erkenntnis an sinnliche Erfahrung versteht. Weiter bietet dieses Konzept eine Deutung menschlicher Weltorientierung im Modus wissenschaftlicher Erkenntnis, die im Grundriss und in ihrer Gliederung der aristotelischen Konzeption entspricht. Schließlich lässt sich dieses Konzept im Sinne der Rezeption und Transformation auf die Metaphysik des Aristoteles vermittels des Verhältnisse dieser Konzeption zu Buridans Auffassung beziehen, soweit diese ihrerseits die Metaphysik transformiert. Im Besonderen beschränkt Cusanus mit Buridan die Hinsicht des Seins auf die Erfassung der Realität in ihrer faktischen Existenz. Weiter anerkennt Cusanus wie Buridan die Relativität unserer theoretischen Kompetenz im Verhältnis zu ihrem Gegenstand. Anders als Buridan gibt Cusanus dieser Kompetenz zugleich eine eigene Sinnbestimmung, indem er sie in ihrem Entwurfscharakter kennzeichnet. Dies tut der Kardinal im Verständnis sowohl der sinnlichen Erkenntnis als auch geistiger Erkenntnis in ihrer rationalen ebenso wie in ihrer intellektiven Gestalt: Sinnliche Wahrnehmung versteht sich bei Cusanus im Sinne einer aktiven Nachgestaltung der Wirklichkeit, soweit die sinnlichen Gehalte tatsächlich wahrgenommen werden. Dabei stiftet die imaginatio die Integration der gemäß den verschiedenen Sinnesorganen aufgenommenen Sinneseindrücke zu einer einheitlichen Wahrnehmung im Sinne vermittelter Unmittelbarkeit im Verhältnis zum Sinnlichen. Es zeigt sich auf der sinnlichen Ebene eine eigene Sinnbestimmtheit der Vermittlung, die der Mensch in und kraft seiner Geistigkeit zur Steigerung zu bringen vermag, indem die geistige Vergegenwärtigung selbst zum Ziel menschlicher Weltorientierung wird. Da menschliche Erkenntnis in ihrer sinnlichen ebenso wie in ihrer geistigen Bestimmtheit ihren Sinn in entwerfender Vergegenwärtigung findet, gewinnt Metaphysik (oder metaphysisches Denken) bei Cusanus im Verhältnis der Rezeption und Transformation der Metaphysik des Aristoteles die Gestalt des Entwurfs. W. Schmidt-Biggemanns Beitrag „Grund und Ungrund. Zur Metaphysik des Möglichen“ bildet den Abschluss der in diesem vierten Teil versammelten Beiträge wie des vorliegenden Bandes insgesamt, insofern der Beitrag sich als Versuch ansehen lässt, die zur Debatte stehende Rezeption und Transformation der Metaphysik im Mittelalter der Entwicklung metaphysischen Denkens im Ausgang des Gedankens des „Einen“ bei Plotin zuzuordnen. Die angesprochene Zuordnung kann zunächst im Sinne der Untersuchung von Bedingungen der infrage stehenden Rezeption gesehen werden. Dazu eröffnet die Betrachtung des Verständnisses des Einen einen ersten Aspekt, insofern die Hinsicht des Seins in der Unterscheidung von Sein und Nichts in der Be-

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stimmtheit ihrer Differenzierung gegenüber dem unbestimmten Einen sekundär ist: Nicht mehr ist Sein das allgemeinste Prädikat, sondern das Eine wird zur Bedingung des Seins. Zugleich verändert sich das Verständnis der Kausalität: Das Eine ist erste Ursache von Sein, indem es das Nichtsein zugleich definiert. Im Corpus Dionysiacum und im Liber de Causis tritt die Auffassung hinzu, dass das Eine als causa essendi zugleich Grund des Erkennens ist, der an sich selbst unerkennbar ist. Schließlich widmet sich der Beitrag dem (offenbarungs-) theologisch motivierten Problem, wie die Gedanken Gottes in ihrer Möglichkeit gefasst werden könnten, in dessen Diskussion bei Avicenna zwei unterschiedliche Begriffe von Welt konzipiert werden, die von Gott konzipierte Idealwelt des Möglichen und die erfahrbare reale Welt, die durch die vehementia essendi im Sinne metaphysischer Notwendigkeit zustande kommt. Vor dem Hintergrund der Untersuchung dieser Entwicklung, die in der Perspektive der Themenstellung des Bandes betrachtet im Sinne einer Entwicklung von Rezeptionsbedingungen der Metaphysik anzusehen ist, wenden sich die Überlegungen des Beitrages dem mittelalterlichen Denken zu, im Blick auf Johannes Duns Scotus und Nikolaus von Kues, was, wiederum in der angesprochenen Perspektive betrachtet, im Sinne der Erörterung der infrage stehenden Transformation zu sehen ist. Leitender Gesichtspunkt ist dabei der Aspekt der Möglichen: Insofern, so Schmidt-Biggemann, der freie Schöpfungsakt Gottes im Verständnis des Scotus ein Willkürakt ist, wird im Interesse der Vermeidung des Nezessitarismus Avicennas das Mögliche zum Irrationalen. Im Unterschied dazu kommt es in der Sicht des Beitrags bei Nikolaus von Kues zu einer Modaltheologie des ersten Prinzips, die im logischen und im metaphysischen Möglichkeitsbegriff besondere Modi von Sein fasst, das Sein der Möglichkeit und das der Realität, welche Modi Gott gleichermaßen zukommen, insofern er als Possest alles Mögliche und Wirkliche umfasst. Der Beitrag weitet schließlich den Blick über das mittelalterliche Denken hinaus, indem er sich Leibniz‘ Gedanken der „besten aller möglichen Welten“ zuwendet. Insofern es scheint, dass Leibniz mit diesem Gedanken seinerseits den Nezessitarismus Avicennas nicht zu vermeiden vermag, ist dieser Gedanke in der Einschätzung Schmidt-Biggemans „eher erbaulicher Natur“. Im Ergebnis kann wohl festgehalten werden, dass der Beitrag in seiner Betrachtung den Verzicht auf die Hinsicht des Seins in der Rezeption und Transformation der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter aufzeigt.

III. Zu den Ergebnissen In der Skizzierung der Themenstellung des vorliegenden Bandes wurde herausgestellt, dass der vorliegende Band seine Beiträge in der Absicht versam-

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melt, die Rezeption und Transformation der Metaphysik im Mittelalter zum einen in den Aspekten dieser Beiträge selbst näher zu beleuchten. Insoweit sei in Bezug auf die betreffenden Ergebnisse auf die vorangegangene Zusammenfassung der einzelnen Beiträge und natürlich auf diese selbst verwiesen. Darüber hinaus ist mit dem vorliegenden Band angezielt, die Wirkungsgeschichte der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter gemäß dem Zusammenhang von Rezeption und Transformation ebenso in ihrer Bedeutung für das metaphysische Denken selbst, d. h. im Blick sowohl auf sein aristotelisches Verständnis, als auch auf dessen Kritik, zu diskutieren wie auch in Hinsicht auf dessen Verhältnis zum christlichen Selbstverständnis. Dazu kann festgehalten werden: zunächst, dass, soweit es die Metaphysik und metaphysisches Denken am „Vorabend“ der Aristoteles-Rezeption betrifft, die Hinsicht des Seins allen drei hier in jeweils einem Beitrag in den Blick genommenen Überlieferungszusammenhängen gemeinsam ist, wenn gleich in durchaus unterschiedlicher Gestalt. Weiter, dass die Metaphysik ebenso in ihren Entwürfen aus dem 13. Jahrhundert wie in denen aus dem 14. Jahrhundert (soweit diese in den Beiträgen dieses Bandes im Einzelnen in Betracht bezogen wurden) in bedeutsamer Weise im Zusammenhang (offenbarungs-) theologischer Konzepte rezipiert und transformiert wird; ausgenommen davon ist die Metaphysik des Johannes Buridan insoweit, als dieser Philosoph bleibt und nicht in die theologische Fakultät wechselt. Schließlich, dass die hier näher untersuchten Metaphysikentwürfe aus dem 14. Jahrhundert ihren Fokus auf die Vermittlung umfassender Weltorientierung und menschlicher Selbstverständigung – sei es in ihrer sprachlichen Gestalt wie bei Ockham, sei es im Modus sinnlicher und vernunftbestimmter Erkenntnis bzw. der sinnlichen, rationalen und intellektiven Vollzüge des menschlichen Geistes wie bei Buridan bzw. Nikolaus von Kues – und deren Analyse richten und im Zuge dieser Ausrichtung auf die Hinsicht des Seins verzichten. In diesem Lichte betrachtet macht die Realisierung umfassender Weltorientierung und menschlicher Selbstverständigung unter der Hinsicht des Seins dann das verbindende Moment aus, das die Rezeption und Transformation der Metaphysik in den hier beleuchteten Entwürfen des 13. Jahrhunderts insgesamt prägt und bestimmt. Was wiederum das Verhältnis dieser Wirkungsgeschichte der Metaphysik zur Präsenz ihres metaphysischen Denkens selbst betrifft, soweit dieses im Beitrag von E. Angehrn in Betracht gezogen wird, legt sich zunächst eine Feststellung im Blick darauf nahe, dass die Problematisierungen des Denkens der Metaphysik in diesen Auseinandersetzungen die Grundüberzeugung betreffen, dass es in den Dingen ein festes Wesen gibt und dass Erkennen und Sprechen nur in Abstützung auf diese letzten Bestimmtheiten möglich ist. Die im vorliegenden Band thematisierte Wirkungsgeschichte der Metaphysik bietet zu diesen Auseinandersetzungen ebenso im Blick auf die angesprochene Grundüberzeugung wie auch hinsichtlich ihrer Problematisierungen insoweit

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Beiträge, als die Metaphysikentwürfe im 13. Jahrhundert im erstgenannten Sinne und die im 14. Jahrhundert im letztgenannten Sinne in Betracht gezogen werden können. Im Rahmen dieser Zuordnung kann weiter im Blick auf den Beitrag von B. Strobel gesagt werden, dass dessen Überlegungen in einer Nähe zu dem stehen, was im Beitrag von M. Kaufmann zu Ockhams Metaphysik gesagt wird. Insofern es in der Sicht dieses Beitrages zumindest fraglich erscheint, dass Ockham die Hinsicht des Seins über die formale Analyse ihrer Vermittlung im Modus sprachlicher Gestalt hinaus thematisiert und bestimmt, stellt sich eben diese Frage auch im Zusammenhang des näheren Vergleichs der Auffassung Ockhams mit den im Beitrag von B. Strobel entwickelten Überlegungen. Die letzte Feststellung im jetzigen Zusammenhang des Fazits sei schließlich im Blick darauf getroffen, dass in der Perspektive Angehrns gesehen der Weg des Denkens, den die Metaphysik des Aristoteles eröffnet, im Blick sowohl auf die unabgeschlossene Arbeit des Denkens als auch auf die reflexive Selbstaufklärung und kritische Befragung offen bleibt. Die Auseinandersetzung mit der Rezeption und Transformation der Metaphysik im Mittelalter mag sich ihrerseits, das sei dazu festgehalten, als Teil dieser unabgeschlossenen Arbeit des Denkens und reflexiven Selbstaufklärung gezeigt haben bzw. zeigen.

IV. Zur Genese des Bandes und seiner redaktionellen Gestaltung Der vorliegende Band geht auf die internationale Tagung zurück, die zum gleichen Thema 2011 an der Theologischen Fakultät Trier und der Universität Trier durchgeführt wurde. Über Beiträge aus dieser Tagung hinaus haben T. Koutzarova „Avicenna über die Möglichkeit, Methode und Grenzen der Metaphysik“ und F. Musall „Ma’aseh merkavah ist Metaphysik – Zur Rezeption des Aristoteles und seiner Metaphysik in der mittelalterlichen jüdischen Philosophie“ ihren Beitrag zur Aufnahme im vorliegenden Band zur Verfügung gestellt. In seiner redaktionellen Gestaltung folgt der Band den Richtlinien, die für die Reihe der „Philosophie der Antike. Veröffentlichungen der Karl und Gertrud Abel-Stiftung“ insgesamt maßgeblich sind. Im Besonderen gilt, dass Kursivierungen im Haupttext nur bei lateinischen, hebräischen und arabischen Texten und Werktiteln vorgenommen wurden. Darüber hinaus wurden Hervorhebungen nur vorgenommen, sofern sie auf die Autoren der Beiträge selbst zurückgehen. In den Anmerkungen werden die Quellen und sonstige Literatur beim ersten Mal vollständig angeführt, an späterer Stelle mit einem betreffenden Kurztitel und Verweis auf die Anmerkung, in der sie vollständig erscheinen. Die bibliographischen Angaben zu den im jeweiligen Beitrag insgesamt herangezogenen Werken des Albertus Magnus,

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des Thomas von Aquin, des Johannes Duns Scotus, Meister Eckharts und Wilhelms von Ockham finden sich in der Anmerkung, in der zum ersten Mal auf ein Werk des jeweiligen Autors verwiesen wird. Zu jedem Beitrag ist zudem ein vollständiges Literaturverzeichnis mit den Angaben zu den Quellen und zu sonstiger Literatur angefügt.

V. Danksagung Der erste Dank gilt den Beiträgerinnen und Beiträgern, sowohl dafür, dass sie ihren Beitrag für diesen Band zur Verfügung gestellt haben, als auch für ihre Geduld, mit der sie die Erstellung des Bandes begleitet haben. Weiter ist der KARL UND GERTRUD ABEL-STIFTUNG im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft zu danken sowohl für die wirklich großzügige Unterstützung der genannten Tagung als auch für die Finanzierung dieses Bandes. Auch möchte ich mich bei meinem Trierer Kollegen, Herrn Professor Dr. G. Wöhrle dafür bedanken, dass seine Initiative und sein Engagement den Anstoß dafür gegeben haben, dass die ABEL-Stiftung für die Unterstützung der Tagung und der vorliegenden Publikation interessiert werden konnte. Ein weiterer Dank richtet sich an den Herausgeber der Reihe „Philosophie der Antike“, Herrn Professor Dr. W. Kullmann, dafür, dass er sich zur Aufnahme des Bandes in diese Reihe bereit erklärt hat. Schließlich gilt mein Dank Frau H. Mockenhaupt-Hardt und Frau Dr. A. Ansari, ohne deren unermüdliches und beharrliches Engagement und nie nachlassende Unterstützung und Mitwirkung weder die Tagung zustande gekommen noch dieser Band zum Erscheinen gebracht worden wäre.

Literatur Dod, B. G.: Aristoteles-Latinus, in: N. Kretzmann u. a. (Hrsg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, Cambridge 1982, 45–79. Kluxen, W.: Charakteristik einer Epoche: zur Gesamtinterpretation der Philosophie des lateinischen Mittelalters, in: Ders. Aspekte und Stationen der mittelalterlichen Philosophie, hrsg. v. L. Honnefelder u. H. Möhle, Paderborn 2012, 401–410. Kluxen, W.: Maimonides und die Hochscholastik / Maimonides und die philosophische Orientierung seiner lateinischen Leser. Eine interpretatorische Reflexion, in: Ders., Aspekte und Stationen der mittelalterlichen Philosophie, hrsg. v. L. Honnefelder u. H. Möhle, Paderborn 2012, 284– 298/ 299–311.

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Krieger, G.: Christliches Heil und antikes Denken. Zur philosophischen Bedeutung der Zeit Konstantins, in: Ders., u. a. (Hrsg.), Konstantin der Große. Der Kaiser und die Christen – die Christen und der Kaiser, hrsg. v. M. Fiedrowicz/G. Krieger/W. Weber, Trier 32007, 267–292. Krieger, G.: Herausforderung durch Religion? Begegnungen der Philosophie mit Religionen in Mittelalter und Renaissance. Eine philosophiehistorische Hinführung in religionsphilosophischer Absicht, in: Ders. (Hrsg.), Herausforderung durch Religion? Begegnungen der Philosophie mit Religionen in Mittelalter und Renaissance, Würzburg 2011, 17–39. Lohr, C.: The Medieval Interpretation of Aristotle, in: N. Kretzmann u. a. (Hrsg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, Cambridge 1982, 80–98. Söder, J. R.: Hochmittelalter: Die Wiederentdeckung des Politischen, in: C. Horn/A. Neschke-Hentschke (Hrsg.), Politischer Aristotelismus. Die Rezeption der aristotelischen ‚Politik‘ von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2008, 51–76. Wieland, G.: Plato oder Aristoteles? Überlegungen zur Aristoteles-Rezeption des lateinischen Mittelalters, Tijdschrift voor Filosofie 47, 1985, 605– 630.

Selbstverständnis und Gestalt des metaphysischen Denkens in der Metaphysik

Die Entstehung der Metaphysik – Zur Rekonstruktion eines Denkwegs Emil Angehrn

I. Die Frage nach der Herkunft Metaphysik ist nicht ein zeitloses Gebilde. Sie ist eine kulturelle Größe, die in der europäischen Denkgeschichte ihren bestimmten Ort hat und ihre besondere Stellung einnimmt. Sie hat sich in einer historischen Konstellation herausgebildet und einen rekonstruierbaren Verlauf genommen, der sich in der Gegenwart fortsetzt oder – je nach Wahrnehmung – längst an sein Ende gekommen ist. Während noch vor wenigen Jahrzehnten das Ende der Metaphysik vielfach diagnostiziert worden ist, scheint diese in neueren Diskussionen nicht zuletzt der analytischen Philosophie wieder zur selbstverständlichen Größe geworden zu sein. Natürlich hängen solche Einschätzungen davon ab, wie wir den Begriff verwenden, was wir als leitende Fragen der Metaphysik definieren und wie wir ihre Geschichte beschreiben. Nun steht im Folgenden nicht die generelle Frage nach dem Status und historischen Schicksal der Metaphysik zur Diskussion. Es geht um die Rückbesinnung auf ein konkretes, herausragendes Modell, dessen prägende Kraft für die Denkgeschichte allerdings von eminenter Bedeutung ist. Bevor ich die charakteristischen Grundzüge dieses Modells ins Auge fasse, will ich zwei prinzipielle Fragen einer solchen Rückbesinnung ansprechen. Die erste betrifft das allgemeine Interesse und die Funktion der Beschäftigung der Philosophie mit ihrer eigenen Geschichte. Die zweite gilt dem logischen Problem, das sich mit der Besinnung auf die Herkunft einer Tradition verbindet, der wir selbst zugehören und aus der heraus wir nach dem Anfang fragen. Solche Fragen konfrontieren uns mit dem eigentümlichen Geschichtsbezug der Philosophie.1 Zu den auffallenden Merkmalen der Philosophie zählt deren spezifischer Bezug zur eigenen Geschichte. Es macht die typische Ar-

1

Zum Folgenden vgl. E. Angehrn, Wozu Philosophiegeschichte?, in: E. Angehrn/B. Baertschi (Hrsg.), Philosophie und Philosophiegeschichte (studia philosophica 61), Bern–Stuttgart– Wien 2002, 37–66 (auch in: Ders., Wege des Verstehens. Hermeneutik und Geschichtsdenken, Würzburg 2008, 111–134).

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beitsweise der Philosophie, wie sie sich in Forschung, Lehre und Publikationen dokumentiert, mit aus, dass zwischen systematischen und historischen Untersuchungen vielfache Verbindungen bestehen, ohne dass die Befassung mit der eigenen Geschichte für die Philosophie gleichsam als Zusatz oder Sonderthema (wie die Medizingeschichte in der medizinischen Ausbildung und Forschung) erscheint. Philosophie präsentiert sich weithin als eine historische Disziplin. Allerdings ist ihre Geschichtsverwiesenheit alles andere als klar und unstrittig; auch Autoren, die sich durchaus als Teil einer Geschichte verstehen, haben ihren Vorbehalt gegenüber der historischen Orientierung philosophischer Arbeit artikuliert. Bei den Konzepten, die sich in grundsätzlich affirmativer Weise auf die Geschichte beziehen, können wir unterschiedliche Stoßrichtungen unterscheiden, nach denen sie den ‚Nutzen der Historie‘ für die Philosophie bestimmen; schematisch seien drei Hauptrichtungen genannt, deren dritte für die folgenden Überlegungen im Zentrum stehen soll. Zum einen kann man das Interesse des Geschichtsbezugs darin sehen, dass die Philosophie auf einen Fundus von Theorien, Methoden und Begrifflichkeiten zurückgreift, deren Kenntnis der heutigen Arbeit an philosophischen Problemen zugute kommt. Aktuelle Debatten können sich auf historische Exempel zur Illustration, aber auch zur Exploration eines Themenfeldes und Erprobung von Lösungen abstützen, sie können sich am Beispiel früherer Argumentationsstrategien und Aporien über Prämissen, Schwierigkeiten oder Aussichten bestimmter Denkwege orientieren. Dabei fungieren vergangene Konzepte nicht nur als Ressourcen heutiger Begriffsarbeit, als Materialien im Steinbruch der Ideen. In anspruchsvollerer Weise können sie als Positionen in den Streit der Argumente einbezogen werden, so dass sich der philosophische Diskurs nicht nur als synchroner, idealiter grenzenloser Diskurs, sondern ebenso als Gespräch über die Zeiten und Generationen hinweg vollzieht. In emphatischen Versionen wird dieses Gespräch geschichtsphilosophisch untermauert, sei es, dass die Kontinuität und Identität der Begriffe und Theoreme statuiert wird, sei es, dass darüber hinaus deren gerichtete Weiterentwicklung, gegebenenfalls der Fluchtpunkt einer abschließenden Wahrheit festgehalten wird. Doch auch ganz abgelöst von solcher geschichtsphilosophischer Einordnung bleibt die Idee der „Philosophiegeschichte als Argumentationsgeschichte“ 2 ein möglicher Leitfaden historischer Reflexion in der Philosophie. Die Auseinandersetzung mit ihrer Vorgeschichte interessiert die Philosophie in ihrem Bemühen um Begründung und Wahrheit.

2

J. Mittelstraß, Die Philosophie und ihre Geschichte, in: H. J. Sandkühler (Hrsg.), Geschichtlichkeit der Philosophie. Theorie, Methodologie und Methode der Historiographie der Philosophie, Frankfurt am Main–Bern 1991, 25.

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Eine andere Interessenrichtung ist die der historischen Rekonstruktion und Erinnerung als solcher. Philosophie, die in Geschichte wurzelt und in Geschichte eingeht, hat eine Zielbestimmung darin, Vergangenes lebendig zu erhalten und das Gespräch der Menschen in die Zukunft hinein fortzusetzen. Philosophiehistorie ist darin Teil der allgemeinen historischen Kultur, zu deren Leitideen das Bewahren und Erinnern als solches, die Kultur des Gedächtnisses und das Festhalten des Gewesenen gegen sein Vergehen zählen. Die philosophische Bibliothek versammelt die flüchtigen Versuche der Welt- und Selbsterkenntnis der Menschen, vereint sie – so Jaspers3 – als Zeugnisse eines über das Vergängliche hinaus strebenden Erkennens. Nach Benjamin und Derrida hat das Denken, das sich vom Vergangenen ansprechen lässt, ein unabgeschlossenes Projekt weiterzuführen und ein Ungedachtes, Ungesagtes zur Sprache zu bringen; Richard Rorty bezeichnet es als letzte Aufgabe der Philosophie, das Gespräch der Menschheit nicht abbrechen zu lassen.4 In markanten Ausprägungen ist Philosophie darauf gerichtet, an einer Geschichte teilzuhaben und sich aus einer Geschichte heraus zu verstehen, welche die Geschichte einer Denkform, des abendländischen Denkens oder der Menschheit als ganzer sein kann. Philosophisches Denken hat an der Reflexivität des Historischen teil, worin sich das faktische Gewordensein mit der Kultur des Gedächtnisses verschränkt. Eine dritte Stoßrichtung historischer Besinnung, die mit dem Interesse des Erinnerns eng zusammenhängt und die im vorliegenden Kontext von besonderem Gewicht ist, ist die hermeneutische. Ihr Ziel ist die Verständigung über sich selbst. Philosophie ist nicht einfach eine Disziplin, die einen vorgegebenen Gegenstand untersucht; zu ihrem eigensten Anliegen gehört die Verständigung darüber, was sie ist und was sie will, welches die sie leitenden Fragen sind, welche Wissensform sie erstrebt und welche Funktion sie für die Menschen erfüllt. Solche Verständigung über das eigene Sein, Tun und Wollen ist eine teils begriffliche, teils anthropologische Reflexion; in signifikanten Fällen vollzieht sie sich in prägnanter Weise als historische Besinnung. Dabei lässt sich die Selbstaufklärung über Geschichte ihrerseits unter zwei verschiedenen Aspekten beleuchten. Auf der einen Seite kann uns historische Rekonstruktion dazu verhelfen, unser faktisches Handeln und Sosein genauer kennenzulernen und besser zu verstehen. Im Falle der philosophischen Arbeit bedeutet dies, die verwendeten Begriffe, die bearbeiteten Fragestellungen, die leitenden Intuitionen in ihrem Gehalt und ihrer Bedeutung zu

3 4

K. Jaspers, Weltgeschichte der Philosophie: Einleitung, aus dem Nachlass hrsg. von H. Saner, München–Zürich 1982, 20 f. R. Rorty, Der Spiegel der Vernunft. Eine Kritik der Philosophie, Frankfurt am Main 1981, 427.

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erfassen. Sich geschichtlich verstehen heißt sich jenseits introspektiver Selbsterforschung auch von außen, in seinem Gewordensein, von seinem Kontext her verstehen. So kann es im philosophischen Diskurs wichtig sein, die verborgenen Tiefenschichten von Begriffen, die kulturellen Prämissen einer Theorie, die Implikationen einer Sichtweise aufzudecken, die Problemlage, in welcher ein Argument entwickelt worden ist, freizulegen oder die fiktive Einheitlichkeit einer Problemgeschichte aufzulösen. In alledem geht es darum, sich darüber klar zu werden, was wir wirklich meinen und womit wir uns auseinandersetzen in ontologischen, ethischen, politischen, anthropologischen Theorien und Debatten. Auf der anderen Seite dient Selbstverständigung nicht nur der gleichsam retrospektiven Aufhellung dessen, was man faktisch tut und getan hat. Sie dient ebenso der prospektiven Selbstfindung, dem Sichklarwerden darüber, was man sucht und worauf man hinaus will. Nicht nur die Durchdringung der bisherigen Antworten, sondern die Klärung der Fragen und das Finden des Wegs, auf dem wir unterwegs sind, ist hier das treibende Motiv. Auch dafür stellt die historische Reflexion eine Grundlage dar. Philosophie findet zu ihren Fragen und gibt sich ihr Thema nicht im leeren Raum und rein aus sich heraus, sondern typischerweise im Umgang mit Zeugnissen der Vergangenheit, indem sie sich in eine Tradition stellt und in einen Dialog mit früheren Denkern begibt. In herausgehobener Weise findet solche Selbstvergewisserung in der Besinnung auf den Anfang einer Tradition statt. In einer prägnanten Gestalt hat Husserl dieses Motiv in der „Krisis“ ausformuliert, indem er die historische Besinnung als eine fasst, die auf eine ‚Urstiftung‘ zurückgeht (und idealiter auf eine ‚Endstiftung‘ vorausgreift), um sich dessen zu versichern, worauf das philosophische Projekt, an das wir anschließen und an dem wir selbst arbeiten, hinaus will.5 Doch auch wo nicht ein identifizierbarer, erster Anfang den Bezugspunkt bildet, kann die Selbstvergewisserung des Denkens ein zentrales Anliegen historischer Reflexion bilden. Es ist nun in unserem Zusammenhang ein bemerkenswerter Tatbestand, dass gerade die aristotelische Metaphysik, welche den Boden und Ausgangspunkt unserer Tradition bildet, in paradigmatischer Form eine solche historische Selbstverortung und Selbstvergewisserung durchführt. Es macht ein charakteristisches Kennzeichen dieses herausragenden Gründungsdokuments der abendländischen Philosophie aus, dass es nicht einfach mit Untersuchungen über den Kosmos, über Gott oder den Menschen einsetzt, sondern zunächst die Frage nach sich selbst stellt und systematisch erörtert. „Die gesuchte Wissenschaft“ – so lautet ein bezeichnendes Stichwort der Eingangsbetrachtun-

5

E. Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Den Haag 1962, §§ 6, 7, 9, 15.

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gen6: Zur ersten Aufgabe der Metaphysik gehört die Verständigung über ihren Begriff, zumal sie sich im Gegensatz zu anderen Wissenschaften – wie Politik, Geometrie, Naturphilosophie – nicht über einen bestimmten vorgegebenen Gegenstand, sondern über eine bestimmte Form des Wissens definiert. Zielpunkt des ersten Kapitels ist die vorläufige Definition der Ersten Philosophie als Erforschung der ersten Ursachen und Gründe. Es ist eine Definition, die in den weiteren Kapiteln des ersten Buches expliziert und beglaubigt wird, wobei diese Bestätigung sich wesentlich über einen Rückblick auf die Vorgeschichte vollzieht. Ausführlich referiert Aristoteles die Ansätze der Vorsokratiker mit dem Ziel des zweifachen Nachweises, dass erstens alle früheren Denker nach Gründen und Prinzipien geforscht haben und dass sie zweitens diese Forschung im Rahmen der von Aristoteles konzipierten vier Ursachentypen betrieben haben. Aufschlussreich und von tiefer Einsicht ist dabei die abschließende Bemerkung, dass die Vorgänger an dem von Aristoteles auf den Begriff gebrachten Projekt gearbeitet hätten, ohne es selbst schon genau zu kennen und präzise bestimmen zu können: „Über alles“, so heißt es im Schlusskapitel des Eingangsbuches, „schien die Erste Philosophie nur zu stammeln, als sie noch jung war und am Beginn stand.“ 7 Erst undeutlich und dunkel, ohne begriffliche Klarheit haben die frühen Denker von dem gehandelt, was sich im Nachhinein als ihr Gegenstand und eigentliches Anliegen herausstellte: Es war, meint Aristoteles, die Sache bzw. die Wahrheit selbst, die ihnen den Weg wies und ihre Forschungen lenkte.8 Philosophie versichert sich hier ihres Wegs nicht im Rückblick auf einen idealen Stiftungsakt, sondern im Gespräch mit einem seiner selbst noch unsicheren Gang des Denkens, einem tastenden Anfangen, das erst in der Fortschreibung seine klare Ausrichtung und reflexive Begründung erhält. Solches Gespräch trägt dem Paradox des Anfangens Rechnung, welches einen Weg einschlagen muss, dessen Bestimmtheit und Ausgang noch nicht vor Augen liegen. Erst die Geschichte führt zur Ausformulierung des Projekts, zum Finden seines Begriffs, der nach Hegel der Entwicklung nicht vorausliegt, sondern als Resultat aus ihr hervorgeht.

II. Der Anfang der Metaphysik Das aristotelische Paradigma der Rückbeziehung auf die Vorgeschichte kann in gewisser Weise als Modell für unsere Beschäftigung mit Aristoteles dienen. 6 7 8

Met. Α 2.983 a 21, vgl. 982 a 4. Met. Α 10.993 a 15 f.: ψελλιζομένῃ γὰρ ἔοικεν ἡ πρώτη φιλοσοφία περὶ πάντων. Met. A 3.984 b 18 f., 984 b 10 f.; A 10.993 a 13–15.

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Diese nimmt im Horizont philosophiehistorischer Forschung einen besonderen Rang ein. Es geht nicht einfach um eine historische Selbstsituierung gegenwärtigen Denkens und um die Aufhellung bestimmter Begriffe und Problemkonstellationen aus ihrer Herkunft und ihrem Kontext. Solches findet in der philosophischen Reflexion vielfach statt, und es ist für die Selbsttransparenz des fachlichen Diskurses von großer Bedeutung. Leitbegriffe wie ‚Mensch‘, ‚Staat‘, ‚Freiheit‘, ‚Leben‘ sind nicht transzendentale Gegebenheiten oder apriorische Konstrukte. Sie gewinnen ihre Bedeutung in real- und ideengeschichtlichen Zusammenhängen, von denen auch ihre Verwendung im aktuellen Diskurs nicht abgelöst ist. Doch meint die uns hier interessierende Rückschau Spezifischeres als diese generelle historische Selbstaufklärung des Denkens. Es geht um die Rückbesinnung auf einen Anfang, der für das aus ihm Kommende und die Rückbesinnung auf ihn selbst konstitutiv ist. Nun scheint eine Ursprungsreflexion dieser Art mit grundsätzlichen Problemen behaftet. Sie zeigen sich bereits im Blick auf die Herkunftsbesinnung der aristotelischen Metaphysik selbst. Wie können wir uns dessen vergewissern, dass die Vorgeschichte, auf die sich Aristoteles zurück bezieht, tatsächlich den Weg markiert und die Spuren anlegt, die Aristoteles in ihr erkennt, die er in seinem Werk aufnimmt und weiterverfolgt? Das Problem liegt darin, dass uns aus dieser frühen Periode nur Bruchstücke überliefert sind, die zudem in einer Tradierung auf uns gekommen sind, deren erste und in höchstem Maße prägende Station Aristoteles selbst ist. Jeder Versuch, die Zeugnisse in ihrem eigenen Anliegen und originären Gehalt zum Reden zu bringen, hat sich zuallererst mit dieser aristotelischen Perspektivierung auseinanderzusetzen. Deren Auswirkung tangiert nicht nur die Überlieferung des Textbestandes, sondern ebenso den Denkhorizont, innerhalb dessen wir uns bewegen, und das Vorverständnis von Metaphysik, das als heuristischer Schlüssel die historische Herkunftsforschung unweigerlich bestimmt. Die Frage, wieweit die vorsokratischen Formen des Denkens und Forschens wirklich die Vorgeschichte des metaphysischen Denkens bilden – und nicht vielmehr noch gar keinen Bezug zu Späterem haben und erst kontingenterweise zu diesem in ein Verhältnis zu stehen gekommen sind, vielleicht Anfänge von anderem waren, das sich anderswo oder nur fragmentarisch ausgebildet hat: Diese an sich berechtigte Frage ist in gewisser Hinsicht auch künstlich. Die Wahrnehmung des Anfangs ist eine nachträgliche. Frühere Ereignisse werden im Nachhinein zum Beginn einer Geschichte. Der Anfang einer Tradition wird von nachfolgenden Generationen, die sich von ihm ansprechen lassen und in ihm eigene Fragen und Anliegen erkennen, als solcher aufgefasst und zum Anfang gemacht.9 9

Vgl. H.-G. Gadamer, Der Anfang der Philosophie, Stuttgart 1996.

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Gewiss gibt es Anfangsformationen, die von sich aus prospektiv, als initiale Gründung angelegt sind und nicht erst im Nachhinein zum Ursprung einer mit ihnen einsetzenden Geschichte oder einer aus ihnen hervorgehenden Gestalt werden. In dieser Hinsicht unterscheidet sich unser Rückblick auf Aristoteles von dessen eigener Rekonstruktion des noch im Unbestimmten sich bewegenden vorsokratischen Denkens. Aristoteles’ eigene Schrift versteht sich durchaus als Gründungsdokument, als Beginn und reflektierte Bestimmung einer bestimmten Wissensform. Dennoch ist Aristoteles’ Bezug auf die stammelnde Vorgeschichte auch für unseren Rückblick auf ihn lehrreich. Auch seine Schrift tritt – ganz unabhängig von Fragen der Entstehung und textuellen Komposition – nicht als ein geschlossenes System auf, sondern als Dokument einer Suche nach dem eminenten Wissen, die unterschiedliche Anläufe nimmt, Überlegungen verfolgt und Orientierungen vereinigt. Zum herausragenden Referenzpunkt der Tradition wird sie durch die Wirkungsgeschichte, in welcher sich Rezeption, Interpretation, Profilgebung und Weiterbildung durchdringen. Sie integriert selbst eine mehrdimensionale Vor- und Entstehungsgeschichte, in welche neben den Strömungen der Vorsokratik vor allem eine durchgehende Auseinandersetzung mit der platonischen Philosophie eingeht, und sie erarbeitet auf dieser Grundlage ein Konzept von Metaphysik, das zum Referenzpunkt der weiteren Entwicklung wird. Die aristotelische Metaphysik bildet eine Grundlage für die Selbstverständigung der Philosophie und einen privilegierten Anknüpfungspunkt ihrer Entwicklung. Um genauer zu fassen, worin sie für das philosophische Denken eine Basis der Weiterbildung, aber auch der Distanzierung abgibt, sind die sie charakterisierenden Grundzüge herauszustellen.

III. Das aristotelische Modell – Fluchtlinien metaphysischen Denkens Das Eingangskapitel der Metaphysik will den Nachweis erbringen, dass die sogenannte Weisheit eine Wissenschaft der ersten Ursachen und Prinzipien ist.10 Beide Begriffe sind für das Verständnis der gesuchten Wissenschaft gleichermaßen grundlegend, der Begriff der ἀρχή wie der Begriff des Ersten. Zum einen gilt, dass nur Prinzipienkenntnis wirkliches Wissen (im Gegensatz zum bloßen Erfahrensein) begründet und dazu befähigt, zu lehren. Zum anderen geht es nicht nur um Prinzipienkenntnis als solche, sondern, wie Aristoteles in II.2. spezifiziert, darum, nach jeder der vier Ursachentypen das letzte bzw.

10

Met. A 1.981 b 28 – 982 a 3.

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erste Prinzip zu kennen, da ohne diese Letztbegründung das Wissen ins Unendliche progredieren würde und keine wirkliche Erkenntnis (wie in der Realität keine seinsmäßige Fundierung und Zweckausrichtung) zustande käme. Im Begriffskatalog des 5. Buches verschränkt Aristoteles beide Ideen, indem er den Begriff der ἀρχή bzw. der αἰτία als ein Erstes (πρῶτον) expliziert, „von welchem das Sein oder die Entstehung oder die Erkenntnis eines Dinges ausgeht“.11 Prinzip und Erstheit explizieren sich gegenseitig, wobei beides in der Mehrdimensionalität des Seins-, Entstehungs- und Erkenntnisgrunds thematisch wird. Der Begriff des Ersten, den Aristoteles wiederum nach der dreifachen Hinsicht des dem Begriff, der Erkenntnis oder der Zeit nach Ersten differenziert,12 markiert den Fluchtpunkt der (ihrerseits mehrschichtigen) Relation von Früher und Später 13. Diese Relation ist für alles seinsmäßige Begründen wie für alles Verstehen konstitutiv, welches immer eines von einem anderen her, das ihm gegenüber das Frühere ist, erfasst, in letzter Instanz von einem absolut Früheren, Unbedingten her, hinter welches nicht weiter zurückgegangen werden kann. Metaphysik ist Wissenschaft vom Ersten und Letzten. Nicht irgendwelche Gründe will sie ausfindig machen, sondern das unhintergehbar Erste, das allen anderen Fundamenten vorausliegt und selbst keine weitere Voraussetzung hat, sondern ‚voraussetzungsloser Anfang‘ (ἀρχὴ ἀνυπόθετος) ist.14 Diese Bestimmung charakterisiert das allgemeine Konzept der von Aristoteles ins Auge gefassten Wissenschaft. Nun bleibt in solcher Umschreibung offen, auf welchem Weg die Ursachenforschung vorangehen, in welcher Dimension, nach welcher Hinsicht sie das Erste suchen soll. Ersichtlich ist es ja nicht so, dass die Metaphysik etwa entsprechend der auch in der Physik statuierten Vier-Ursachen-Lehre das Erste in jeder dieser Ursachenketten ergründete. Erkennbar sind zwei Hauptstoßrichtungen, nach denen Aristoteles selbst die Frage nach den Prinzipien ausformuliert. Das eine ist die ontologische Fragerichtung, die Aristoteles im Buch Γ als Frage nach dem Seienden als Seienden exponiert und dann in den Büchern Ζ, Η, Θ als Frage nach der Substanzialität vertieft, das andere die theologische Forschungsrichtung, welche (in Buch Ε) die Frage nach dem höchsten Seienden, dem Göttlichen stellt und (in Buch Λ) die Existenz und Lebensform des ersten Bewegers und dessen Funktion für die Ordnung des Ganzen beschreibt. Damit sind zwei Richtungen angezeigt, nach denen Aristoteles die metaphysische Tradition begründet, die auf der einen Seite die

11 12 13 14

Met. Δ 1.1013 a 17–19: πασῶν μὲν οὖν κοινὸν τῶν ἀρχῶν τὸ πρῶτον εἶναι ὅθεν ἢ ἔστιν ἢ γίγνεται ἢ γιγνώσκεται. Met. Z 1.1028 a 32 f. Met. Δ 11. Met. Γ 3.1005 b 14; vgl. Platon, Resp. 510 b 7, 511 b 6, 533 c 8.

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allgemeinsten Formen des Seins bzw. die Kategorien unseres Sprechens über Wirklichkeit überhaupt analysiert, auf der anderen Seite das höchste Seiende und die Welt im Ganzen betrachtet. Wenn man so will, ist hier die Zweigleisigkeit der Metaphysik angelegt, die deren Folgegeschichte durchzieht und etwa in der neuzeitlichen Unterteilung von allgemeiner und spezieller Metaphysik begegnet, wobei Aristoteles die Zusammengehörigkeit beider Forschungsrichtungen behauptet,15 ohne indes ihre Verbindung letztlich zu klären; ohnehin ist klar, dass sich das unter dem späteren Titel der Metaphysik zusammengefasste Konvolut von Untersuchungen nicht problemlos auf diese spätere Systematisierung abbilden lässt, und es ist eine offene (von Aristoteles selbst als erste Aporie16 thematisierte) Frage, wieweit sich das aristotelische Konzept überhaupt einheitlich fassen lässt. Festzustellen ist zunächst nur, dass Metaphysik nach beiden genannten Hinsichten in der Geschichte strittig geworden ist, im Blick auf die mit der speziellen Metaphysik verbundenen Totalisierungen und Weltbilder wie mit Bezug auf die allgemeinen ontologischen Bestimmungen sowohl hinsichtlich ihrer spezifischen Prägung wie der von ihnen beanspruchten Objektivität und Universalität. Im Folgenden sollen aus den komplexen und vielschichtigen Untersuchungen der aristotelischen Metaphysik Eckpfeiler herausgestellt werden, welche die Wirkungsgeschichte prägen und nicht zuletzt Angelpunkte des Streits um die Metaphysik definieren. Dabei soll der Schwerpunkt auf der ersten Forschungsrichtung liegen. 1. Von der Ontologie zur Ousiologie Es ist die Forschungsrichtung, die auf die „ersten Ursachen des Seienden als solchen“ 17 zielt und die allgemeinsten Merkmale dessen, was überhaupt ist, bestimmen will. Sie hat für die Folgegeschichte vielleicht die größte Prägekraft gehabt. Aristoteles konzipiert eine Untersuchung, die sich durch ihren Abstraktheitsgrad jenseits der Fachwissenschaften ansiedelt: Sie interessiert sich für das, was ein Seiendes als solches ausmacht, unabhängig davon, ob es sich um ein Lebewesen, ein Dreieck, einen Menschen oder einen Gott handelt. Ihr Gegenstand sind Formbestimmungen, die unser Denken und Sprechen strukturieren und unser allgemeines Wirklichkeitsverständnis bestimmen, die aber nach dem Selbstverständnis der Metaphysik nicht nur subjektive Auffassungsweisen, sondern identischerweise objektive Seinsformen sind. Dazu zählt ganz Verschiedenes: Untersuchungen über die Einheit und 15 16 17

Vgl. Met. E 1.1026 a 29–32. Vgl. Met. Β 1.995 b 5 f.: ἔστι δ᾽ ἀπορία πρώτη μὲν περὶ ὧν ἐν τοĩς πεφροιμιασμένοις διηπορήσαμεν πότερον μιᾶς ἢ πολλῶν ἐπιστημῶν θεωρῆσαι τὰς αἰτίας. Met. Γ 1.1003 a 31: τοῦ ὄντος ἧ ὂν τὰς πρώτας αἰτίας.

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ihre Gegenbegriffe (Verschiedenheit, Unähnlichkeit, Ungleichheit, Gegensatz, Differenz),18 darüber hinaus „das Früher und Später, Gattung und Art, Ganzes und Teil und anderes dergleichen“ 19 sowie die allgemeinsten Denkgesetze, die Aristoteles stellvertretend am Beispiel des ausgeschlossenen Widerspruchs untersucht: In alledem geht es um Grundbegriffe und Formen des Denkens, die von den anderen Wissenschaften in Anspruch genommen, aber nicht reflektiert und systematisch erarbeitet werden. Die Durchführung dieser Aufgabe der Ersten Philosophie nimmt Aristoteles nun in einer ganz spezifischen Fokussierung vor. Genauer handelt es sich um einen zweifachen Schritt, eine zweifache Engführung, die dem metaphysischen Projekt seine charakteristische Prägung verleiht. Die erste führt vom Sein zur Substanz, die zweite von der Substanz zur Wesensform; in gewissem Sinn kann man daran die dritte Engführung anschließen, die zur höchsten, göttlichen Substanz führt und damit in die andere Hauptrichtung der Prinzipienforschung einmündet. Die beiden Schritte, die hier nur schematisch zu benennen sind, sind für den aristotelischen Gedankengang von schlechthin fundamentaler Bedeutung. Ihr Ausgangspunkt ist die Analyse des Worts ὄν, das nach der berühmten (aber uneindeutigen) 20 Formel in vielfacher Bedeutung ausgesagt wird, aber stets „in Beziehung auf Eines“ (πρὸς ἓν)21. Die πρὸς ἓν-Analogie unterstellt die basale Differenz zwischen einer primären, eigentlichen Wortverwendung und den sekundären, gleichsam indirekten Verwendungen, die immer nur im Rückbezug auf die erste verstehbar sind – eine Differenz, die das Paradigma des Prädikats ‚gesund‘ plastisch vor Augen stellt: Die Kleidung, die nicht selbst gesund ist, kann so heißen mit Bezug auf den Organismus, der an ihm selbst gesund oder krank sein kann. Die Übertragung dieser Relation auf das Verständnis von ὄν ist nun allerdings keine triviale Analogie semantischer Strukturen. Vielmehr beinhaltet sie eine gewichtige ontologische These. Sie steht für die Überzeugung, dass es Entitäten gibt, die im eigentlichen Sinn, durch sich selbst bestehen, und andere, die nur in Abhängigkeit von anderem oder mit Bezug auf anderes sind. Man kann darin eine

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Met. Γ 2.1004 a 8–22. Met. Γ 2.1005 a 16–18: προτέρου καὶ ὑστέρου, καὶ γένους καὶ εἴδους, καὶ ὅλου καὶ μέρους καὶ τῶν ἄλλων τῶν τοιούτων. Die Formel wird von Aristoteles in zwei unterschiedlichen Weisen verwendet, einerseits (in Γ 2) als Unterscheidung gemäß den Kategorien, anderseits (in Λ 7 und E 2) als Unterscheidung zwischen dem akzidentell ausgesagten Sein, dem Sein gemäß den Kategorien, dem Sein im Sinne des Wahrseins und dem Sein dem Vermögen und der Verwirklichung nach. Vgl. dazu E. Tugendhat, Über den Sinn der vierfachen Unterscheidung des Seins bei Aristoteles (Metaphysik Λ 7), in: Ders., Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 1992, 136–144. Met. Γ 2.1003 a 33: πρὸς ἓν.

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Erbschaft der zwar anders angelegten, doch im weiten Sinn verwandten platonischen Grundüberzeugung der „zwei Arten von Seienden“ 22 sehen, deren tiefste Seinsdifferenz (neben veränderlich-ewig, sichtbar-unsichtbar etc.) die zwischen selbständiger und unselbständiger Existenz ist. Im engeren Sinn wird die Differenz als die zwischen dem substantiell und dem akzidentell Seienden ausgearbeitet, die für Aristoteles schließlich zur Folgerung führt, dass das primär Seiende, die Substanz, das in der Untersuchung eigentlich Aufzuhellende sei, wie dies der emphatische Satz in Z 1 festhält: Da „die von alters her und jetzt und für immer uns umtreibende Frage, was das Seiende sei, nichts anderes meint als die Frage, was die ousia sei“, hat die Erste Philosophie „hauptsächlich und zuerst und sozusagen einzig zu betrachten, was das in diesem Sinne Seiende ist“.23 Innerhalb dieser Betrachtung kommt dann die zweite Fokussierung zum Tragen, welche die unterschiedlichen Kandidaten für substantiell Seiendes (Z 2) und die verschiedenen Begriffsbestimmungen von οὐσία (Z 3) analysiert und sich schließlich auf die Frage zentriert, ob eher der Stoff oder die Form das Wesentliche, wahrhaft Seiende in den Dingen ausmacht. Es ist die Alternative, die Aristoteles schon im Bericht über die Vorsokratiker als die basale Frontstellung des anfangenden Denkens herausstellt, wobei er festhält, dass „von den ersten Philosophen die meisten nur die stoffartigen Prinzipien für die Prinzipien aller Dinge“ gehalten haben, in welchen sie in der Tat so etwas wie deren Substanz erkannten: als dasjenige, „woraus etwas ursprünglich entsteht und wohin es zurückkehrt“ und welches zugleich das Beharrliche ist, das im Wandel der Eigenschaften konstant bleibt und ihm zugrunde liegt.24 Die nähere Analyse der οὐσία führt dann allerdings zur Verwerfung dieser Sichtweise, nach welcher „der Stoff Substanz ist“, da diesem die distinktiven Kennzeichen der οὐσία, selbständig (χωριστόν) und ein Bestimmtes (τόδε τι) zu sein, abgehen.25 Die Gegenvariante besteht darin, die Form (εἶδος) bzw. Wesensbestimmtheit (τί ἦν εἶναι) als dasjenige zu definieren, was letztlich die Substantialität des primär Seienden ausmacht. Die Argumente und Überlegungen, die Aristoteles in dieser Grundthese des Essentialismus zusammenschließt, sind vielschichtig-komplex und bilden einen der Hauptgegenstände der exegetischen Bemühung um die Metaphysik. Daraus seien nur wenige

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Phd. 79 a: δύο εἴδη τω˜ν ὄντων. Met. Z 1.1028 b 3–7: καὶ δὴ καὶ τὸ πάλαι τε καὶ νῦν καὶ ἀεὶ ζητούμενον καὶ ἀεὶ ἀπορούμενον, τί τὸ ὄν, τοῦτό ἐστι τίς ἡ οὐσία. […] διὸ καὶ ἡμĩν καὶ μάλιστα καὶ πρῶτον καὶ μόνον ὡς εἰπεĩν περὶ τοῦ ὅυτως ὄντος θεωρητέον τί ἐστιν. Met. A 3.983 b 6–18: τῶν δὴ πρώτων φιλοσοφησάντων οἱ πλεĩστοι τὰς ἐν ὕλης εἴδει μόνας ῲήθησαν ἀρχὰς εἶναι πάντων· […] καὶ ἐξ οὗ γίγνεται πρώτου καὶ εἰς ὃ φθείρεται τελευταĩον. Met. Z 3.1029 a 27: οὐσίαν εἶναι τὴν ὕλην.

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Aspekte genannt, die nicht zuletzt für die kritische Auseinandersetzung um das aristotelische Konzept von Belang sind. Der Rahmen der Argumentation ist durch die Zusammenführung von epistemologischer und ontologischer Betrachtung bestimmt, welche die Kriterien des in höchster Weise Seienden zugleich als die des am meisten Erkennbaren fasst. Es geht um ein Erstes, das in sich in eminenter Weise sowohl ist wie erkannt wird und darin, nach beiden Hinsichten, Voraussetzung und Grundlage für anderes ist. Die Herausforderung besteht darin, zu zeigen, dass beide Seiten nicht auseinanderfallen, sondern dass Seiendes gerade durch das, was es in sich begreifbar macht, sowohl Selbständigkeit erlangt wie anderem als Fundament dient. Zugrunde liegt die Intuition, dass etwas kraft seiner Bestimmtheit, die Aristoteles als Artbestimmung („Art einer Gattung“ 26) fasst und die es letztlich identifizierbar und in dem, was es ist, erkennbar macht, eigenständiges Sein besitzt. Zwischen dem Seienden und seiner Speziesbestimmtheit gibt es kein Auseinanderfallen: Es gibt nicht ein leeres Etwas, dem zusätzlich die Wesensbestimmtheit Pferd oder Baum zukäme. Vielmehr, so die aristotelische Formulierung, sind „das ti en einai und das einzelne dasselbe“ 27, wie es exemplarisch für die platonischen Ideen, das Verhältnis zwischen dem Guten selbst und dem Gutsein, gilt; sonst „würde es von dem einen [dem Seienden] keine Wissenschaft geben und das andere [das ti en einai] würde nichts Seiendes sein“.28 Etwas begreifen heißt auf der einen Seite es in seiner Bestimmtheit erfassen; auf der anderen Seite wäre ein Begreifen dieser Bestimmtheit, das diese nicht als seiend erfasst, kein wirkliches Erkennen, nicht von einer leeren Konstruktion zu unterscheiden. Die Ideen sind Modell eines eminenten Seienden, das mit seiner Bestimmtheit unmittelbar identisch ist; das durch sie verkörperte Verhältnis aber soll gelten, „auch wenn es keine Ideen gibt.“ 29 Kraft seiner Wesensbestimmtheit ist Seiendes eines in der zweifachen Bedeutung der inneren Einheit, welche mehr als bloße Kontinuität oder äußere Verbindung meint, und der Individualität des einen unter anderen.30 Anders als in der späteren Tradition, in welcher die causa formalis die allgemeine Wesensnatur darstellt, die den Exemplaren einer species gemeinsam ist und der gegenüber der Stoff als Individuationsprinzip fungiert, hat Aristoteles

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Met. Z 4.1030 a 12: γένους εἰδῶν. Met. Z 6.1031 a 15 f.: πότερον δὲ ταὐτόν ἐστιν ἢ ἕτερον τὸ τί ἦν εἶναι καὶ ἕκαστον, σκεπτέον. Met. Z 6.1031 b 3 f.: τῶν μὲν οὐκ ἔσται ἐπιστήμη, τὰ δ᾽ οὐκ ἔσται ὄντα. Met. Z 6.1031 b 14: κἂν μὴ ᾖ εἴδη. Zum Zusammenhang zwischen Wesensbestimmung und Individuation vgl. das „Prinzip der Sortaldependenz der Identität“, das Christof Rapp als Angelpunkt der aristotelischen Substanzlehre herausarbeitet: Chr. Rapp, Persistenz und Substantialität. Untersuchungen zum Verhältnis von sortalen Termen und aristotelischer Substanz, Freiburg–München 1995, 15.

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hier die inwohnende Form vor Augen, die zusammen mit dem Stoff das konkrete Einzelwesen konstituiert.31 Die Form ist die strukturierend-synthetische Kraft, die das materiale Substrat zum bestimmten Einzelwesen bildet; so wird nicht im eigentlichen Sinn die Wesensform vom Stoff ausgesagt, da sie ihn vielmehr erst zu dem Einen macht, dem Bestimmungen zugesprochen werden können.32 Sie verleiht dem Gegenstand seine spezifische Gestalt, die ihn nach außen unterscheidet und nach innen zusammenhält; kraft ihrer hat Seiendes als Individuiertes Bestand, kraft ihrer ist es nicht nur bestimmt, sondern ist es. Ich will an dieser Stelle nicht dieses schwierige Theorem der aristotelischen Substanzlehre, das in der Literatur auch unter dem Titel der individuellen Form diskutiert worden ist,33 für sich vertiefen. Erhellend für den Sachverhalt ist das Beispiel, das für Aristoteles als Paradigma der οὐσία dient: das Modell des Lebewesens. Menschen, Tiere, Pflanzen stehen stellvertretend für das, „was wir am meisten als ousia bezeichnen“ 34; die „natürlichen Wesen“ sind die allgemein anerkannten, unkontroversen Substanzen,35 ja, vielleicht „hat nichts von dem, was nicht von Natur besteht, zu den Substanzen zu zählen.“ 36 Lebewesen verkörpern exemplarisch jene Doppelseitigkeit von Einzelheit und Essentialität; sie sind von sich aus individuiert und spezifiziert. Anders als bei Artefakten ist sowohl ihr εἶδος eindeutig bestimmt, das nicht einer Aggregierung von Elementen gleichsam von außen zugewiesen (sondern durch Zeugung von einem Wesen gleicher Art übertragen) wird, wie auch ihre Zahl und Individuiertheit feststeht (während sie bei Artefakten und unbelebten Körpern schwankend sein kann). Die Stufen des Lebendigen sind zugleich Stufen der Individuation und Selbstbezüglichkeit. Das Lebewesen, exemplarisch in seiner höchsten, personalen Gestalt, steht für das Urmodell der Substanz – und ist in der Ideengeschichte als gleichermaßen voraussetzungsreich kontrovers diskutiert worden. Zwei Fluchtlinien dieser Zusammenführung von Bestimmtheit und Sein werden in den Büchern Θ und Λ der Metaphysik weiter ausgezogen. Die erste hat ihren Fluchtpunkt in der These, „dass die ousia und das eidos Verwirklichung (energeia) sind.“ 37 Im Kontext der allgemeinen Erörterung des Verhält-

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Met. Z 11.1037 a 29 f. Vgl. E. Tugenhat, Ti kata tinos. Eine Untersuchung zu Struktur und Ursprung aristotelischer Grundbegriffe, Freiburg–München 1958, 84 ff. Vgl. M. Frede/G. Patzig, Aristoteles’ „Metaphysik Z“. Text, Übersetzung und Kommentar, 2 Bde., München 1988. Met. Z 7.1032 a 19: ἃ δὴ μάλιστα λέγομεν οὐσίας εἶναι. Met. H 1.1042 a 7 f.: αἱ φυσικαί. Met. H 3.1043 b 21 f.: ἴσως μὲν οὖν οὐδ᾽οὐσίαι εἰσιν̀ οὔτ᾽ αὐτὰ ταῦτα οὔτε τι τῶν ἄλλων ὅσα μὴ φύσει συνέστηκεν. Met. Θ 8.1050 b 2 f.: ὥστε φανερὸν ὅτι ἡ οὐσία καὶ τὸ εἶδος ἐνέργειά ἐστιν.

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nisses von δύναμις und ἐνέργεια entwickelt Aristoteles die These vom Primat des Akts gegenüber dem Möglichsein, die er dann mit der ontologischen Relation von Stoff und Form verschränkt. Das wahrhaft Seiende, auf welches die Ousiologie hinzielt, ist wesentlich als Vollzug, als aktual Seiendes gedacht. In eminenter Weise trifft dies für das höchste Seiende zu: Das Göttliche, Ewige, existiert als reine Wirklichkeit; jedes Verfügen über Potentialität wäre eine Einbruchstelle des Nichtseinkönnens, der Sterblichkeit und der Kontingenz. Das Ewige ist ein notwendig Seiendes, das jede Möglichkeit des Nicht- und Andersseins aus sich ausschließt. Der reine Akt ist nicht einfach nur die eine Seite eines Gegensatzes, sondern gewissermaßen die Vereinigung beider Seiten durch die gänzliche Absorption der einen durch die andere. Von solcher Seinsmächtigkeit ist der erste Beweger, darüber hinaus aber alles, was in ewiger Bewegung ist: „Die Sonne, die Gestirne und der ganze Himmel sind stets in Verwirklichung, und man braucht keine Angst zu haben, dass sie einmal still stehen, wie dies die Naturphilosophen befürchten.“ 38 Die Form, die sich als vereinheitlichend-strukturierende Kraft gezeigt hat, ist generell das Prinzip der Verwirklichung, dem der Stoff als Dimension des Möglichen und Potentiellen gegenübersteht. Das εἶδος ist an ihm selbst nicht bloße Instanz der Identifizierbarkeit, sondern als vereinheitlichende Gestaltung zugleich Macht des Wirklichwerdens und Offenbarens.39 Beide Vollzüge sind zwei Seiten derselben ἐνέργεια: das Heraustreten aus dem Formlos-Potentiellen und die Zusammenfügung zur Einheit bis hin zur strikten Individualisierung, das Aktualsein und das Einssein. Die strukturelle Bestimmung der οὐσία als τί ἦν εἶναι findet ihren Abschluss, aber auch ihren Grund, in der dynamischen Überformung des εἶδος als ἐνέργεια. Verwirklichung kommt nicht als ein Anderes zur Form hinzu, sondern erweist sich als deren eigenste Seinsweise. Von da her wird die Eingangsthese der Fundierung des Seins im Wesen eingeholt, die ‚essentialistische‘ These, dass die Wesensform der wahre Seinsgrund 40 der Dinge sei. Sie ist Grund des Was und Dass zugleich, weil das Was gar nicht in Abstraktion vom Prozess seiner Verwirklichung konsequent zu Ende gedacht werden kann. Wahrhaftes Sein heißt Wesensverwirklichung. 2. Metaphysik als Theologie Die andere Fluchtlinie führt diese Idee weiter aus in der Beschreibung des höchsten Seienden, welches als Ursache der Bewegtheit und der Ordnung 38 39 40

Met. Θ 8.1050 b 22–24: διὸ ἀεὶ ἐνεργεĩ ἥλιος καὶ ἄστρα καὶ ὅλος ὁ οὐρανός, καὶ οὐ φοβερὸν μή ποτε στῇ, ὃ φοβοῦνται οἱ περὶ φύσεως. Tugendhat, Ti kata tinos (wie Anm. 32) 68, 90. Met. Δ 8.1017 b 14–16: ἄλλον δὲ τρόπον ὃ ἂν ᾖ αἴτιον τοῦ εἶναι, ἐνυπάρχον ἐν τοĩς τοιούτοις ὅσα μὴ λέγεται καθ᾽ ὑποκειμένου, οἷον ἡ ψυχὴ τῷ ζῴῳ. Ferner Z 17.1041 b 28.

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aller Dinge in den Blick kommt. Der Beweis der Existenz des unbewegten Bewegers verläuft wesentlich über die genannten Merkmale der Ewigkeit, Singularität, Notwendigkeit und reinen Aktualität, welche die Bewegung des Alls auszeichnen und zugleich für emphatische Merkmale des eminent Seienden stehen. Als Prinzip der ewig-notwendigen Bewegung kann nur eines in Frage kommen, „dessen Wesen Verwirklichung“ und das selbst „ohne Stoff“ ist.41 Die Kennzeichnung des ersten Ursprungs als einer potenzfreien, reinen Aktualität stellt die frontale Antithese zur mythischen Ursprungserzählung dar, welche das All aus dem Chaos und der Nacht hervorgehen lässt.42 Gegen solche genealogische Herleitung hält Metaphysik am strengen Grundsatz fest, dass das Höhere nicht aus dem Niedrigeren, das Bestimmte nicht aus dem Unbestimmten verständlich gemacht werden kann. Nur das in sich Intelligibelste, das gleichzeitig das in höchster Weise Seiende ist, kann Seins- und Erkenntnisgrund für Anderes sein. Seine letzte Überhöhung hat dieses Erste und Göttliche schließlich darin, dass sein Sein nicht nur reiner Vollzug und Verwirklichung, sondern Lebendigkeit, „bestes und ewiges Leben“ ist.43 Es realisiert sich als reines Denken, dessen Vollzug Aristoteles als höchste Tätigkeit und höchste Erfüllung, als Lustvollstes (ἥδιστον), auszeichnet. Gezeichnet ist eine Vollkommenheit, die zugleich Vollendung für das tätige Subjekt selbst ist. Im Bild des göttlichen Lebens kommen die beiden Leitideen des wahrhaften Seins und des Glücks in ihren höchsten Steigerungen zur Konvergenz. Nur stichwortartig sei der weitere Horizont benannt, in welchem Aristoteles das Prinzip aller Dinge im Schlusskapitel des XII. Buchs erörtert und das Themenfeld der Metaphysik gleichsam nach der komplementären Hauptstoßrichtung eröffnet. Das erste Prinzip steht hier nicht nur als Bewegungsursprung, sondern als Ordnungsprinzip des Alls in Frage, wobei Aristoteles die Frage in zweierlei Hinsicht spezifiziert und dadurch über die „Unmöglichkeiten und Ungereimtheiten“ 44 der vorsokratischen Welterklärungen hinausgelangt. Zum einen geht es nicht einfach darum, irgendwelche Gesetzmäßigkeiten im Werden und Vergehen, im Wechselspiel der Elemente oder der Aggregierung der Atome ausfindig zu machen, sondern es geht um das höchste Ordnungsprinzip, das zugleich das eminente Prinzip des Seins ist, um das Gute, das „unter allem am meisten Prinzip ist“.45 Zum anderen geht es darum, dieses Prinzip, das ein immanentes Strukturprinzip des Wirklichen ist, zugleich als erstes, transzendentes Prinzip jenseits der sinnlich erfahrbaren

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Met. Met. Met. Met. Met.

Λ Λ Λ Λ Λ

6.1071 b 20 f.: ἧς ἡ οὐσία ἐνέργεια …ἄνευ ὕλης. 6.1072 a 7 f. 7.1072 b 28: ζωὴ ἀρίστη καὶ ἀΐδιος. 10.1075 a 25: ἀδύνατα συμβαίνει ἢ ἄτοπα. 10.1075 a 37: καίτοι ἐν ἅπασι μάλιστα τὸ ἀγαθὸν ἀρχή.

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Dinge zu setzen. Es ist letztlich die Herrschaft des Einen, mit der Aristoteles die metaphysische Untersuchung abschließt.46 Ohne dass es näher ausgeführt würde, ist bemerkenswert, dass Aristoteles zum Schluss das Thema der Ordnung des Alls zur Sprache bringt, das in der Substanzlehre so nicht Thema ist und das auch im Theorem des unbewegten Bewegers nur am Rande aufscheint. Bedeutsam ist ebenso, dass dieses Ordnungsprinzip als erster Ursprung konzipiert ist, der wiederum als höchste Substanz und höchste Gestalt des Seienden gefasst ist, so dass das Grundkonzept hier Gedankenlinien zusammenführt, die sowohl in der vorausgehenden Entstehungsgeschichte der Metaphysik auf getrennten Wegen ausgebildet werden wie sie auch in der späteren Tradition in verschiedenen Strängen der Metaphysik – als Ontologie, Theologie, Kosmologie – ihre Ausarbeitung finden. Die Frage nach dem Seienden als Seienden konvergiert an ihrem Kulminationspunkt mit der Lehre vom höchsten Wesen, das seinerseits für die Bewegung und Ordnung des Alls Prinzipienfunktion ausübt. Die Erforschung der ersten Ursachen soll gleichzeitig eine Erkenntnis dessen, was die Seiendheit alles Seienden ausmacht, ein Wissen vom höchsten Seienden und ein Begreifen der Wirklichkeit im Ganzen ermöglichen. Allerdings ist die innere Einheit dieser Konstellation bei Aristoteles nicht systematisch reflektiert. Für ihn stellt weder die Unterschiedlichkeit der Fragerichtungen der Metaphysik einen Irritationspunkt noch ihre Zusammengehörigkeit ein Problem dar. In gewisser Weise geht die Unterbestimmtheit dieser Konstellation in die Wirkungsgeschichte seines Werks wie in die Problemgeschichte der Metaphysik ein. In welcher Weise sie darin mit dem Streit um metaphysischen Thesen und Prämissen interferiert, wäre im Einzelnen zu zeigen.

IV. Metaphysik und Metaphysikkritik Die Geschichte der Metaphysik ist keine homogen-lineare Entwicklung. Sie ist die Geschichte einer vielschichtigen, auf unterschiedlichen Wegen und in immer neuen Ansätzen operierenden Selbstverständigung des metaphysischen Denkens, in welcher dieses sich zugleich im Spiegel seiner Kritik über die eigenen Fragen, Wege und Denkformen verständigt. Wie die Fortschreibung und Neuinterpretation die Konturen des metaphysischen Denkens schärfer hervortreten lässt, so behauptet dieses seine Identität im Medium der Kritik. Die Auseinandersetzung lässt Weichenstellungen und Probleme erkennen, die 46

Die anschließenden Bücher M und N sind wiederum dem eher speziellen Thema der platonisch-pythagoreischen Lehre der Prinzipien, Ideen und Idealzahlen gewidmet. Buch Λ enthält umgekehrt einen Gesamtabriss der Ersten Philosophie.

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in ihm verhandelt werden. Kant sieht in der Metaphysik einen Kampfplatz endloser Streitigkeiten, die durch die Unabweisbarkeit, aber auch Unbeantwortbarkeit ihrer Fragen hervorgerufen werden (vgl. KrV A VII f.). Die Beharrlichkeit der Kritik, welche die Metaphysik wie einen Schatten begleitet, gehört zu deren auffallenden Merkmalen. Tatsache ist, dass analoge Streitpunkte die Auseinandersetzung um die Metaphysik vom Anfang bis in neueste Diskussionen hinein prägen. Daraus seien nur einige Aspekte genannt, die dem Profil der umrissenen Entstehungsgeschichte korrespondieren. Die beiden ersten entsprechen den zwei Hauptrichtungen, unter denen die Herausbildung des metaphysischen Denkens bei Aristoteles in den Blick gekommen ist: einerseits als Frage nach dem, was einen Gegenstand in sich begreifbar macht, mit den Fluchtlinien der Substantialität und Wesensbestimmtheit; andererseits als Frage nach dem höchsten Seienden und der Ordnung des Ganzen. Ergänzend ist drittens die Grundhaltung zu nennen, welche dem metaphysischen Denken als Suche nach objektiver Wahrheit zugrundeliegt und die letztlich auf eine affirmative Fundierung unseres Selbst- und Weltverständnisses zielt. Nach allen drei Hinsichten sind der Metaphysik im Laufe ihrer Geschichte Gegenströmungen erwachsen, die ihre Leitideen in Frage stellen. 1. Jenseits von Substanz und Wesen Die erste Problematisierung betrifft die Grundüberzeugung, dass es in den Dingen ein festes Wesen gibt und dass Erkennen und Sprechen nur in Abstützung auf letzte Bestimmtheiten möglich sind. In der aristotelischen Theorie wurde diese Sichtweise in zwei Schritten herausgearbeitet, deren erster zur Abhebung des substantiellen vom akzidentellen Sein führte, während der zweite die Substantialität über die Formbestimmtheit definierte. Beide Schritte bilden in der Folgegeschichte herausragende Kristallisationspunkte der Kritik. Einerseits wird die zentrale Bezugnahme auf ein ansichseiendes Wesen als Grundlage konsistenten Sprechens und Erkennens suspendiert; andererseits wird die Bindung der Substantialität an die essentielle Form in Frage gestellt. Gegen diese Bindung rehabilitieren Ansätze der frühen Neuzeit die älteste materialistische Antithese zur platonisch-idealistischen Sichtweise: Nach Thomas Hobbes ist es der Körper als solcher, welcher die Kriterien der Substanz erfüllt (vgl. De corpore VIII). Die Formursache, die nach Aristoteles in den Naturphänomenen die Entstehung, die Wesensbestimmung und die Zweckausrichtung begründet, verliert in der neuzeitlichen Wissenschaftstheorie ihre leitende Erklärungsfunktion. Noch tiefer geht die Infragestellung, welche die prinzipielle Ebenendifferenz zwischen einem Ansichseienden und einem ihm Zukommenden, zwischen einem Absoluten und einem Relationa-

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len unterläuft. Nicht das In-sich-Bestimmte und Identische gilt als das ursprünglich Intelligible, sondern die Relation, die Struktur, die Funktion und die Differenz. Unterschiedliche Strömungen des modernen Denkens artikulieren diese Antithese zur metaphysischen Option. Gegen die essentialistische Zentrierung auf das Wesen unterstreicht der Existentialismus den Vorrang der Existenz. Nicht in einer zugrundeliegenden Essenz, sondern in der Weise des Existierens liegt die Wahrheit über den Menschen. Hegels Logik ersetzt die Substanzontologie durch eine Theorie absoluter Relationalität. Kein Erstes und Unmittelbares, sondern die absolute Vermittlung und das Verhältnis von Verhältnissen bilden das Fundament von Sein und Erkenntnis. Anstelle des festen Relats macht das Strukturdenken die Kombinatorik der Relationen zur Basis von Intelligibilität; der Funktionalismus verschärft diese Wendung, indem er – emphatisch bei N. Luhmann – den Primat des Möglichen gegen das Wirkliche, der Bestimmbarkeit gegen das Bestimmte behauptet. Nicht das Einfache, sondern das Komplexe, nicht das aktual Seiende, sondern der Spielraum des Möglichen eröffnet den Raum des Verstehens. In noch anderer Akzentsetzung stellt das Differenzdenken die formalste Auszeichnung des Seins, sein Für-sich-Sein und Mit-sich-Identischsein in Frage. Dabei soll die Rehabilitierung der Relation und Funktion, der Potentialität und Differenz nicht einfach thematische Schwerpunkte verschieben oder begriffliche Hierarchien umkehren, sondern grundlegende ontologische Raster unterlaufen. Postuliert ist ein Denken, das ohne die fundamentalistische Ausrichtung traditionellen Denkens, ohne Suche nach ersten Gründen und letzten Referenzen auskommt. In direkter Umkehrung der Argumente, mit denen Platon und Aristoteles das Festhalten an einem Nichtrelationalen als Grundlage aller Rede behaupten, wird der Verzicht auf solche Fixierung zur Voraussetzung eines angemessenen Verstehens erklärt. In profilierten Konstellationen verbinden sich Gegenentwürfe zur ontologischen Weichenstellung mit Ansätzen moderner Metaphysikkritik. Stellvertretend sei auf die Kritik Heideggers verwiesen, dessen Destruktion der Ontologie die ursprüngliche Falschheit des metaphysischen Programms aufweisen will, die er nicht erst in der Zentrierung auf die substantiale Wesensform, sondern vorgängig in der Frage nach dem Seienden als Seienden sieht, welche die ontologische Differenz zwischen Sein und Seiendem nivelliert und das von der Metaphysik eigentlich zu bedenkende Sein unbefragt lässt. Darin erkennt er nicht nur einen Kategorienfehler, sondern einen fundamentalen Irrweg des Denkens, der dem nihilistischen Grundzug verwandt ist, den Nietzsche in der Metaphysik wahrnimmt. Heideggers Ansatz ist für Autoren wie Derrida und dessen Kritik an einer Metaphysik der Präsenz maßgeblich geworden, auch wenn Heideggers Idee einer Seinsgeschichte in Derridas Augen selbst der metaphysischen Suche nach dem Ersten verhaftet bleibt.

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2. Pluralität, Kontingenz, Negativität Die zweite Hauptstoßrichtung der Auseinandersetzung stellt jene Punkte ins Zentrum, die im gängigen Verständnis am entschiedensten der Kritik verfallen sind: metaphysische Weltbilder, die aufs Ganze des Wirklichen ausgreifen und dieses von letzten Prinzipien her begreifen. Totalitätssuppositionen und umfassende inhaltliche Deutungen – des Kosmos, der Ordnung der Kreaturen, der Menschheitsgeschichte – haben in der modernen Kultur weithin ihre Glaubwürdigkeit verloren. Zum Stein des Anstoßes werden Leitbegriffe wie Einheit, Transzendenz, Universalität, Totalität, die für das wissenschaftliche Erkennen Grenzwerte benennen; in radikalerer Problematisierung werden erkenntniskonstitutive Bestimmungen wie Identität und Ordnung zur Disposition gestellt. In vielfältigen Konstellationen werden gegenläufige Leitkonzepte zur herrschenden Diskursordnung rehabilitiert: Pluralität und Partikularität, Offenheit und Unabgeschlossenheit, Irrationalität und Kontingenz. Doch erschöpft sich die Infragestellung der Metaphysik nicht in der Revision der leitenden formalen und inhaltlichen Konzepte. Prinzipieller gilt die Distanzierung der tragenden Grundhaltung, aus der heraus Erste Philosophie ihr Ziel formuliert und ihre konzeptuellen Grundlagen erarbeitet. Nicht die Uneinholbarkeit ihrer Thesen, sondern die Fragwürdigkeit ihres Projekts wird zum Gegenstand der Kontroverse. Problematisiert wird auf der einen Seite die prinzipielle Ausrichtung auf Wahrheit und Objektivität, auf der anderen das Absehen auf eine affirmative Wirklichkeitsdeutung. Unverkennbar ist Letzteres vielfältig mit den theoretischen Leitbegriffen der Vernunft, Einheit und Ordnung verschränkt. Philosophie soll nicht nur auf das Ganze ausgreifen, sondern dessen Sinn und Rationalität erkunden und dadurch, so Hegel, mit der Wirklichkeit versöhnen. Der begriffliche Streit um Einheit und Vielfalt, Identität und Differenz ist nicht von der normativen Besetzung der Begriffe abzulösen; die Diskreditierung der großen Erzählungen und identifizierenden Festschreibungen versteht sich nicht nur als kategoriale Korrektur, sondern als Absage an überhöhte Sinnpostulate. Dagegen wird der Anspruch erhoben, ohne letzte Begründung und abschließendes Telos auszukommen, Kontingenz auszuhalten und sich im Vielfältigen und Offenen im Leben wie im Denken orientieren zu können. Vielleicht in stringentester Weise widerspricht ein ‚negativistisches‘ Denken, das auf der Unversöhntheit der Welt beharrt und seine Wahrheit aus dem Widerstand gegen das Negative gewinnt, den Prämissen metaphysischen Denkens – auch wenn es in solchem Widerstand zugleich das spekulative Moment und darin das Erbe der Metaphysik bewahrt.47 47

T. W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1967, 46.

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Die komplexe Konstellation der neueren Auseinandersetzungen um die Metaphysik ist hier nicht zu entfalten. Zu zeigen war nur, inwiefern darin Weichenstellungen aufscheinen, die den Gang der Metaphysik bestimmen und deren frühe Profilierung sich in den Schriften des Aristoteles findet. Nicht nur im Blick auf die Tradierung, Weiterentwicklung und Neuschreibung, sondern auch auf die Problematisierung und kritische Auseinandersetzung stellt die aristotelische Metaphysik ein Gründungsdokument der europäischen Denkgeschichte par excellence dar. Der Weg des Denkens, den sie eröffnet, indem sie sich einer tastenden Vorgeschichte vergewissert und sich in sie einschreibt, bleibt offen, sowohl im Blick auf die unabgeschlossene Arbeit des Erkennens wie auf die reflexive Selbstaufklärung und kritische Befragung. Die Verschränkung von Metaphysik und Metaphysikkritik bleibt unaufgelöst. Sich über die Gründe dieser Unabschließbarkeit zu verständigen, gehört zu den weiterführenden, letzten Fragen, die an die Metaphysik selbst gestellt sind.

Literatur Quellen Adorno, T. W.: Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1967. Aristoteles’ Metaphysik: griech.-dt., in d. Übers. v. H. Bonitz, neu bearb., mit Einl. u. Kommt. hrsg. v. H. Seidl, griech. Text in d. Edition v. W. Christ, Hamburg, 2. verbesserte Aufl. 1982. Gadamer, H.-G.: Der Anfang der Philosophie, Stuttgart 1996. Husserl, E.: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Den Haag 1962. Jaspers, K.: Weltgeschichte der Philosophie, hrsg. von H. Saner, München– Zürich 1982. Platon: Phaidon, in: Ders., Werke in acht Bänden, gr.-dt., Bd. 3, Darmstadt 1990. Rorty, R.: Der Spiegel der Vernunft. Eine Kritik der Philosophie, Frankfurt am Main 1981. Sonstige Literatur Angehrn, E.: Wege des Verstehens. Hermeneutik und Geschichtsdenken, Würzburg 2008. Ders.: Wozu Philosophiegeschichte?, in: Ders./B. Baertschi (Hrsg.), Philosophie und Philosophiegeschichte (studia philosophica 61), Bern–Stuttgart– Wien 2002, 37–66. Frede, M./Patzig, G.: Aristoteles’ „Metaphysik Z“. Text, Übersetzung und Kommentar, 2 Bde., München 1988.

Die Entstehung der Metaphysik – Zur Rekonstruktion eines Denkwegs

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Probleme der Theorie der οὐσία der Metaphysik im Lichte sprachanalytischer Ontologie Benedikt Strobel

Einleitung Wer vorhat, einen klassischen Text der Philosophiegeschichte im Lichte philosophischer Diskussionen der Gegenwart zu betrachten, mag im Sinn haben, den Text als Beitrag zu Fragen zu verstehen, um die sich philosophische Diskussionen der Gegenwart drehen; oder er mag im Sinn haben, Theorien und Konzeptionen, die in philosophischen Diskussionen der Gegenwart eine wichtige Rolle spielen, als Licht zu verwenden, um den Sinn dessen, was in dem Klassiker geäußert wird, aufzuhellen. Für die folgenden Überlegungen zu Problemen der Theorie der οὐσία der Metaphysik habe ich beides im Sinn: Ich möchte zum einen die Metaphysik als Beitrag zu Fragen verstehen, die in der sprachanalytischen Ontologie der Gegenwart eine wichtige Rolle spielen. Zum anderen möchte ich das, was in der Metaphysik zu diesen Fragen gesagt wird, mit sprachanalytischen Mitteln zu klären versuchen. Zu den zentralen Fragen, mit denen sich Philosophen, die Ontologie sprachanalytisch betreiben, beschäftigen, gehören Fragen des folgenden Typs: Auf die Annahme von Dingen welcher ontologischen Kategorien lege ich mich dadurch fest, dass ich behaupte, der-und-der Satz sei wahr? Welche der Ausdrücke, die in dem Satz vorkommen (einschließlich des Satzes selbst), stehen unter der Annahme seiner Wahrheit in bestimmen semantischen Relationen zu bestimmen Dingen? Um welche semantische Relation handelt es sich jeweils? Handelt es sich darum, dass der Ausdruck etwas bezeichnet (eine bestimmte Referenz hat)? Handelt es sich darum, dass er einen bestimmten, von seiner Referenz zu unterscheidenden Sinn ausdrückt, den er besitzen muss, um eine Referenz zu haben? Wie sind die Entitäten (sei es auf der Referenz-, sei es auf der Sinn-Ebene) ontologisch zu charakterisieren, um verständlich zu machen, dass die Ausdrücke, die in einer semantischen Relation zu ihnen stehen, genau diese Relation zu ihnen unterhalten? Die Frageintention lässt sich beispielsweise an einem singulär prädikativen Satz wie ,Sokrates ist ein Mensch‘ erläutern: Dass der Ausdruck ,Sokra-

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tes‘ etwas, das Einzelding Sokrates, bezeichnen muss, falls der Satz wahr sein soll, scheint selbstverständlich;1 aber unterhält der Ausdruck ,Sokrates‘ auch eine semantische Relation zu etwas, das festlegt, worauf er Bezug nimmt, nämlich zu etwas, das man mit Frege2 den Sinn des Ausdrucks nennen kann? Wenn ja, wie ist dieser Sinn ontologisch zu charakterisieren? Und wie steht es mit dem Rest des Satzes: ,ist ein Mensch‘? Bezeichnet auch dieser Ausdruck etwas? Oder eher nur ‚ein Mensch‘ (ohne die Kopula ,ist‘)? Oder keiner der beiden Ausdrücke? Wenn ,ist ein Mensch‘ (oder ,ein Mensch‘) etwas bezeichnet, handelt es sich hier um dieselbe semantische Relation wie die, die ,Sokrates‘ zu Sokrates unterhält, oder ist mit ,Bezeichnen‘ eine andere semantische Relation gemeint? Und wie ist das von ,ist ein Mensch‘ (oder ,ein Mensch‘) Bezeichnete ontologisch zu charakterisieren, v. a. in seiner Beziehung zu dem Einzelding Sokrates? Hat ferner auch der Ausdruck ,ist ein Mensch‘ (oder ,ein Mensch‘) einen von seiner Referenz verschiedenen Sinn, der seine Referenz festlegt? Wie verhält es sich schließlich mit dem Satz ,Sokrates ist ein Mensch‘ insgesamt? Hat er ebenfalls eine bestimmte Referenz? Wenn ja, was bezeichnet er? Einen Wahrheitswert (wie Frege3 dachte)? Oder vielmehr eine Tatsache? Was ist eine Tatsache? Wie verhält sich die Tatsache zu dem Einzelding und dem Universale? Ist sie aus beiden ,zusammengesetzt‘? Zudem: Hat der Satz nicht auch einen von seiner Referenz verschiedenen Sinn? Wenn ja, wie verhält sich dieser Sinn, die von dem Satz ausgedrückte Proposition, zur Referenz des Satzes? Wie sind Tatsachen und Propositionen ontologisch zu charakterisieren? Auch wenn Aristoteles in der Metaphysik keinen Beitrag zur neueren Diskussion dieser (und ähnlicher) Fragen zu leisten gedachte (und gedenken konnte), sagt er hier vieles, was so rekonstruiert werden kann, dass es für sie relevant ist. Allerdings ist der semantische Gehalt seiner Äußerungen in dem Werk weniger transparent als etwa in der Kategorienschrift, deren σκοπός darin gesehen werden kann, zu klären, Dinge welcher ontologischen Kategorien die – von den späteren Kommentatoren so genannten – einfachen Ausdrücke (ἁπλαῖ λέξεις, ἁπλαῖ φωναί) bezeichnen.4 Aristoteles knüpft in der Metaphysik in manchen Punkten an die in den Kategorien entwickelte Theorie

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Vgl. G. Frege, Sinn und Bedeutung, in: Ders., Kleine Schriften, hrsg. v. I. Angelelli, Hildesheim–Zürich–New York 21990, 143–162, hier 154: „Wenn man etwas behauptet, so ist immer die Voraussetzung selbstverständlich, dass die gebrauchten einfachen oder zusammengesetzten Eigennamen eine Bedeutung haben.“ Vgl. z. B. ebd., 144 ff. Vgl. z. B. ebd., 149. Vgl. hierzu B. Strobel, Von einem Subjekt ausgesagt werden und an einem Subjekt vorliegen: zur Semantik genereller Terme in der aristotelischen Kategorienschrift, Phronesis 54, 2009, 40–75, hier 48.

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der Referenz der ,einfachen Ausdrücke‘ an, scheint sie aber in anderen Punkten einer tiefgreifenden Revision zu unterwerfen. Einerseits ist von Entitäten die Rede, die in den Kategorien noch keine Rolle spielen, nämlich von Form und Materie, und es ist unklar, wie sich diese Entitäten in die in den Kategorien entwickelte Theorie der Referenz der ,einfachen Ausdrücke‘ integrieren lassen; andererseits scheinen die in den Kategorien eingeführten Substanzen im sekundären Sinne, also die Arten und Gattungen der Substanzen im primären Sinne, von der ontologischen Bildfläche verschwunden zu sein (jedenfalls ist nicht mehr von ,zweiten Substanzen‘ die Rede). Jedoch spielt die semantische Analyse der Ausdrücke, denen in den Kategorien (5.2 b 30) zugeschrieben wird, zweite Substanzen zu bezeichnen – es handelt sich z. B. um alltagssprachliche Ausdrücke des Typs ,ἄνθρωπος‘ (,ein Mensch‘) oder des Typs ,βοῦς‘ (,ein Rind‘) –, auch für die Theorie der οὐσία in der Metaphysik eine wichtige Rolle, ohne dass unmittelbar klar wäre, was – der Metaphysik zufolge – solche Ausdrücke bezeichnen. Vor allem ist unklar, ob sie – der Metaphysik zufolge – substantielle Formen bezeichnen oder nicht und ob sie Universalien bezeichnen oder nicht. Unter ,Ausdrücken‘ verstehe ich hier und im folgenden nicht Ausdruckstypen, sondern Ausdrucksvorkommnisse (d. h. sinnlich wahrnehmbare Zeichen) und lege fest, dass jeder Ausdruck genau einen (Fregeschen) Sinn hat, also nicht mehrdeutig ist.5 (Ebenso verfahre ich, wenn ich von ,Termen‘, ,ge5

Dieses Verständnis von ,Ausdruck‘ scheint mir gut zu dem zu passen, was Aristoteles unter ,λεγόμενον‘ versteht. In den Kategorien heißt es: „Von dem, was ohne Verbindung geäußert wird (τῶν κατὰ μηδεμίαν συμπλοκὴν λεγομένων), bezeichnet (σημαίνει) jedes entweder eine Substanz oder etwas so-und-so Bemessenes oder etwas so-und-so Beschaffenes oder etwas in Bezug auf etwas oder etwas an einem Ort oder etwas zu einer Zeit oder daß es liegt oder daß es hat oder daß es tut oder daß es leidet.“ (Cat. 4.1 b 25–27) Aristoteles setzt hier voraus, dass Ausdrücke nicht unabhängig von ihrem Sinn individuiert sind, dass wir es also mit verschiedenen Ausdrücken zu tun haben, wenn Ausdruck A einen anderen Sinn hat als Ausdruck B. Dies kann man sich an folgendem Beispiel klarmachen: Wenn der Ausdruck ,Σωκράτης‘ unabhängig von seinem Sinn individuiert wäre – sagen wir z. B. nach dem Kriterium, wie er buchstabiert wird (siehe zu den verschiedenen Kriterien für die Individuierung von Ausdruckstypen W. Künne, Abstrakte Gegenstände. Semantik und Ontologie, Frankfurt am Main 22007, 229) –, so wäre es falsch zu sagen, dass er entweder eine Substanz oder etwas so-und-so Bemessenes oder (usw.) bezeichnet. Wenn er in einem Sinn verwendet wird, in dem er eine bestimmte Person bezeichnet, bezeichnet er eine Substanz; aber wenn ich ihn – ungewöhnlicherweise – in einem Sinn verwende, in dem er die Farbe Weiß bezeichnet, bezeichnet er in diesem Kontext keine Substanz, sondern eine Qualität. Aristoteles scheint sich der Kontextvariabilität des Bezeichnens von Ausdrücken, die unabhängig von ihrem Sinn individuiert sind, durchaus bewusst gewesen zu sein. Vgl. F. A. Lewis, Predication, Things, and Kinds in Aristotle’s Metaphysics, Phronesis 56, 2011, 350–387, hier 356 mit Bezug auf De int. 1.16 a 5–6. Mit der Voraussetzung, dass Ausdrücke nicht unabhängig von ihrem Sinn individuiert sind, legt sich Aristoteles nicht auf die Auffassung fest, dass es sich bei den Ausdrücken nicht um Ausdruckstypen, sondern um Ausdrucksvorkommnisse, sinnlich wahrnehmbare Zeichen, handelt. Denn auch sinnlich wahrnehmbare Zeichen kön-

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nerellen Termen‘, ,singulären Termen‘, ,Prädikaten‘ und ,Sätzen‘ spreche: Gemeint sind jeweils Ausdrucksvorkommnisse mit genau einem Sinn.) Diese Festlegung hat auch den pragmatischen Vorteil, dass ich, wenn ich davon spreche, dass ein Ausdruck etwas bezeichnet, nicht immer hinzufügen muss: ,wenn er in dem-und-dem Sinn gebraucht wird‘. Die Ausdrücke, denen in den Kategorien zugeschrieben wird, zweite Substanzen zu bezeichnen, werde ich im Folgenden als ,generelle Terme der Substanz-Kategorie‘ bezeichnen. Mit dieser Redeweise präjudiziere ich weder Annahmen darüber, ob diese Ausdrücke laut der Metaphysik Universalien bezeichnen, noch darüber, ob sie laut der Metaphysik Substanzen bezeichnen. Ich möchte hier unter einem ,generellen Term‘ einen Ausdruck verstanden wissen, dessen Sinn damit vereinbar ist, dass der Ausdruck zusammen mit einem Vorkommnis der Kopula ein vollständiges Prädikat ergibt (selbst wenn er de facto nicht Teil eines Prädikats ist).6 Unter den generellen Termen grenze ich mit dem zusätzlichen Genitiv ,der Substanz-Kategorie‘ diejenigen aus, die einen Sinn haben, der es nach aristotelischer Lehre erlaubt, mit ihnen solche Fragen des Typs ,Was ist (τί ἐστι) x?‘ korrekt zu beantworten, in denen für ,x‘ der Name einer Substanz eintritt (wobei bewusst offenbleibe, ob es sich bei der Substanz um eine primäre oder sekundäre Substanz im Sinne der Kategorien oder um eine substantielle Form im Sinne der Metaphysik handelt). So sind z. B. alltagssprachliche Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ generelle Terme der Substanz-Kategorie, da sie einen Sinn haben, der es nach aristotelischer Lehre erlaubt, mit ihnen solche Fragen des Typs ,Was ist (τί ἐστι) x?‘ korrekt zu beantworten, in denen für ,x‘ der Name einer Substanz (z. B. ,Sokrates‘) eintritt. Die Frage, was – der Metaphysik zufolge – generelle Terme der SubstanzKategorie bezeichnen, wird die Leitfrage der folgenden Überlegungen sein. Sie hängt eng mit der vieldiskutierten Frage zusammen, ob Aristoteles in der Metaphysik den primären Kandidaten auf den Titel ,οὐσία‘, den substantiel-

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nen, zu ein und demselben Zeitpunkt oder zu verschiedenen Zeitpunkten, mehr als einen Sinn haben; und umgekehrt kann auch das Kriterium für die Individuierung von Ausdruckstypen so formuliert werden, dass aus ihm folgt, dass wir es mit verschiedenen Ausdruckstypen zu tun haben, wenn ein Vorkommnis von Typ A einen anderen Sinn hat als ein Vorkommnis von Typ B. Gleichwohl denke ich, dass Aristoteles hier unter Ausdrücken sinnlich wahrnehmbare Zeichen, also Ausdrucksvorkommnisse, verstanden wissen will (so jedoch, dass für die Zeichen festgelegt ist, dass sie weder zu ein und demselben Zeitpunkt noch zu verschiedenen Zeitpunkten mehrdeutig sind). Ich sehe bei Aristoteles die klare Tendenz, Ausdrucksvorkommnisse als die basalen sprachlichen Entitäten zu betrachten, um die es der semantischen Theorie primär geht. Siehe für den Fall wahrheitsfähiger Sätze P. Crivelli: Aristotle on Truth, Cambridge 2004, 72–75, und hier vor allem das erste Argument (72– 73). Vgl. dazu Künne (wie Anm. 5) 328 ff.

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len Formen, zuschreibt, Universalien zu sein, oder nicht. Denn wenn Aristoteles in der Metaphysik die Auffassung verträte, dass das, was ein genereller Term der Substanz-Kategorie bezeichnet, sowohl eine substantielle Form als auch ein Universale ist, so wäre dies ein gewichtiger Grund dafür, ihm die Auffassung zuzuschreiben, dass substantielle Formen Universalien sind. Nun gehen bekanntlich die Auffassungen darüber, ob den Formen in der Metaphysik zugeschrieben wird, Universalien zu sein, weit auseinander und reichen vom Eingeständnis der Unfähigkeit, eine überzeugende Antwort zu finden, die auf die Metaphysik als ganze zuträfe, bis hin zur Entwicklung elaborierter unitarischer Argumente für oder wider die Universalität der aristotelischen Formen.7 Auf das Interpretationsproblem trifft zu, was Sheldon Cohen einmal zur Deutung der aristotelischen Materiekonzeption bemerkte: „On the issues involved here, as on so many others, Aristotle says so many apparently incompatible things that it is virtually impossible to find an interpretation against which some text cannot be cited. This unhappy situation is aggravated because it is often difficult, and sometimes impossible, to tell whether Aristotle is presenting his own view, a rival view, or merely trying out an hypothesis.“8 Ich erhoffe mir von der folgenden Untersuchung der Frage, was – der Metaphysik zufolge – generelle Terme der Substanz-Kategorie bezeichnen, keine erschöpfende Antwort auf die Frage, ob den Formen in der Metaphysik zugeschrieben wird, Universalien zu sein. Gleichwohl wird die Untersuchung der erstgenannten Frage ein Nebenresultat haben, das eine Antwort auf die zweitgenannte Frage darstellt. Denn es wird sich zeigen, dass die Annahmen, deren sich Aristoteles in der Metaphysik zur Beantwortung der Frage bedient, was generelle Terme der Substanz-Kategorie bezeichnen, unvereinbar sind mit der These, dass substantielle Formen, sofern sie von sprachlichen Ausdrücken bezeichnet werden können, Universalien sind. Dies schließt freilich nicht aus, dass Aristoteles in anderen Kontexten der Metaphysik Annahmen macht, die die genannte These implizieren, z. B. wenn er den Formen zuschreibt, definierbar zu sein. Somit wird sich aus meinen Überlegungen zwar eine Antwort auf die Frage ergeben, ob den Formen in der Metaphysik zugeschrieben wird, Universalien zu sein, – jedoch sicher keine erschöpfende Antwort. Der erste Teil meiner Überlegungen wird der Frage gewidmet sein, ob Aristoteles in der Metaphysik (einigen) generellen Termen der Substanz-Kate7 8

Vgl. dazu den Forschungsüberblick bei D. Fonfara, Die Ousia-Lehren des Aristoteles. Untersuchungen zur Kategorienschrift und zur Metaphysik, Berlin–New York 2003, 149–168. S. Cohen, Aristotle’s Doctrine of the Material Substrate, Philosophical Review 93, 1984, 171–194, hier 173.

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gorie zuschreibt, substantielle Formen zu bezeichnen. Für die Beantwortung der Frage werde ich von einem explizit semantischen Argument ausgehen, das Aristoteles am Ende des Aporienbuchs (Met. Β) anführt. Aristoteles führt hier das Argument ohne behauptende Kraft an; aber einige Thesen des Arguments kehren an späteren Stellen der Metaphysik (insbesondere in Ζ) so wieder, dass sie Aristoteles dort mit behauptender Kraft zu äußern scheint (ich sage „scheint“, denn auch seine Untersuchung an den späteren Stellen trägt aporematische Züge, die es dem Interpreten schwer machen zu entscheiden, was Aristoteles an ihnen mit behauptender Kraft äußert und was nicht). Die Annahme, dass Aristoteles das Argument als ganzes akzeptiert,9 scheint mir plausibel, sie ist jedoch nicht vorausgesetzt für meine Antwort auf die Frage, ob Aristoteles in der Metaphysik (einigen) generellen Termen der SubstanzKategorie zuschreibt, substantielle Formen zu bezeichnen; für die Antwort setze ich nur voraus, dass Aristoteles eine der Zwischenkonklusionen des Arguments akzeptiert (sowie die Prämissen, mit denen sie in dem Argument begründet wird), nämlich die These, dass jeder Ausdruck, der ein Universale bezeichnet, kein τόδε τι, sondern τοιόνδε bezeichnet. Und dafür, dass er diese These (sowie die Prämissen, mit denen sie begründet wird) akzeptiert, gibt es, wie sich zeigen wird, gute Gründe. Im zweiten, kürzeren Teil werde ich zu zeigen versuchen, dass Aristoteles mit der Behauptung, dass jeder Ausdruck, der ein Universale bezeichnet, kein τόδε τι, sondern τοιόνδε bezeichnet, den Universalien etwas zuschreibt, das dem ähnlich ist, was Frege Begriffen zuschreibt, wenn er ihnen eine prädikative Natur zuschreibt.10 Und ich werde zu zeigen versuchen, dass sich Aristote9

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Vgl. S. Menn, Aporiai 13–14, in: M. Crubellier/A. Laks (Hrsg.), Aristotle: Metaphysics Beta. Symposium Aristotelicum, Oxford 2009, 211–265, hier 234: „Aristotle simply accepts the argument of B #14 1003a7–12.“ Vgl. auch ebd., 222. Der Vergleich zwischen aristotelischen Universalien und Fregeschen Begriffen ist nicht neu. Er wird etwa von H. Weidemann – in seinem Kommentar zur Einteilung der Dinge (πράγματα) in Universalien und Einzeldinge in De int. 7.17 a 38 – b 1 – gezogen. Weidemann zufolge „deckt sich seine [sc. Aristoteles’] Unterscheidung zwischen allgemeinen und einzelnen πράγματα im wesentlichen mit der Unterscheidung, die Gottlob Frege unter Berufung auf die von ihm so genannte ‚prädikative Natur des Begriffs‘ [...] zwischen einem Begriff als der ‚Bedeutung eines grammatischen Prädikats‘ [...] und einem Gegenstand als der Bedeutung eines (im Gegensatz zu einem Begriffswort nicht prädikativ verwendbaren) Eigennamens macht“. H. Weidemann, Aristoteles. Peri Hermeneias (= Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Bd. 1, Teil II), Berlin 1994, 209 f. Die Verwandtschaft zwischen Fregeschen Begriffen und aristotelischen Universalien betont auch J. Kung, Aristotle on Thises, Suches and the Third Man Argument, Phronesis 26, 1981, 207–247, hier 209. Zwar bin ich nicht der Auffassung, dass sich beide Unterscheidungen „im wesentlichen“ miteinander decken – die für Freges Begriffskonzeption sicher wesentliche Definition des Begriffs als „Funktion, deren Wert immer ein Wahrheitswert ist“. G. Frege, Funktion und Begriff, in: Ders., Kleine Schriften, hrsg. v. I. Angelelli, Hildesheim–Zürich–New York 21990, 125– 142, hier 133, hat in der aristotelischen Universalienkonzeption offenkundig kein Entspre-

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les damit ein Problem einhandelt, das dem ähnlich ist, das als ,Freges Paradox‘ in die Annalen der Philosophiegeschichte eingegangen ist.

I. Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben, substantielle Formen zu bezeichnen? 1. Das Argument am Ende von Buch Beta Das Argument, von dem ich ausgehen möchte, ist Teil der letzten Aporie von Buch Beta (Met. Β 6.1003 a 5–17): „Diese [vorher genannten] Aporien muß man nun mit Blick auf die Prinzipien [des Seienden] erörtern, und auch [die Aporie], ob die Prinzipien Universalien sind oder so, wie wir die Einzeldinge auffassen. [I] Wenn sie nämlich Universalien sind, werden sie keine οὐσίαι sein. Denn nichts der Dinge, die gemeinsam sind, bezeichnet ein τόδε τι,11 sondern τοιόνδε, die οὐσία [bezeichnet] aber τόδε τι. Wenn es möglich ist, das gemeinsam Ausgesagte als τόδε τι und Eines anzusetzen,12 wird Sokrates viele Lebewe-

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chungsstück –, doch sehe ich wie Weidemann auffällige Parallelen sowohl zwischen Fregeschen Gegenständen und aristotelischen Einzeldingen als auch zwischen Fregeschen Begriffen und aristotelischen Universalien. Ich lasse „τόδε τι“ hier und im folgenden unübersetzt, da ich mir unsicher bin, wie die folgenden Fragen zu beantworten sind: Ist hier „τι“ wie der unbestimmte Artikel „ein“ zu verstehen und „τόδε τι“ im Sinne von „ein Dieses“? So etwa W. D. Ross, Aristotle’s Metaphysics. A Revised Text with Introduction and Commentary, Vol. I, Oxford 1924, 248 oder Menn (wie Anm. 9) 223. Oder ist „τι“ im Sinne von „(von) einer Art“ und „τόδε τι“ im Sinne von „ein Dieses einer Art“ zu verstehen? So etwa – allerdings ohne definitive Festlegung – M. Frede/G. Patzig, Aristoteles ,Metaphysik Z‘. Text, Übersetzung und Kommentar. Zweiter Band: Kommentar, München 1988, 15. Wie Ross sind auch Frede und Patzig in ihren Überlegungen dazu von den Bemerkungen bei J. A. Smith, τόδε τι in Aristotle, Classical Review 35, 1921, 19 abhängig. Überliefert ist hier „εἰ δ’ ἔσται τόδε τι καὶ ἐκθέσθαι τὸ κοινῇ κατηγορούμενον“, wozu Ross (wie Anm. 11) 250 bemerkt: „The manuscript reading would require the rendering ‘if the common predicate is to be a this and it is to be possible to set it out apart from the particulars’ (for the meaning of ἐκθέσθαι cf. A. 992b 10 n.) – an intolerable zeugma. I had thought of ἐκθέσθαι ) ἐξέσται *, and Jaeger proposes ) δεῖ * ἐκθέσθαι (to which 999a 30 offers, as he remarks, a good parallel), but Richards’s ἓν θέσθαι (cf. l. 12 τόδε τι καὶ ἕν) is better. The corruption goes back beyond Alexander (cf. 236. 8).“ Wie Ross denke ich, dass die überlieferte Formulierung eine kaum erträgliche sprachliche Härte hat, und bin geneigt, die Emendation „ἓν θέσθαι“ zu akzeptieren. Andererseits bemerkt Menn (wie Anm. 9) 227 zugunsten von „ἐκθέσθαι“ mit Recht: „[...] the reference to ἔκθεσις is entirely à propos.“ Menn rechtfertigt die These mit einer erhellenden Explikation des relevanten Sinns von „ἔκθεσις“, 228–231. Freilich bemerkt Menn (wie Anm. 9) 233 auch mit Recht, dass für das

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sen13 sein, er selbst und der Mensch und das Lebewesen, da ja jeder [der entsprechenden Ausdrücke] ein τόδε τι und eines bezeichnet. Wenn nun die Prinzipien Universalien sind, folgt dieses. [II] Wenn sie nicht Universalien sind, sondern wie die Einzeldinge, werden sie nicht wißbar sein; denn das Wissen von allem ist universal. Somit wird es andere Prinzipien geben vor den Prinzipien, nämlich die universal ausgesagten, wenn es von ihnen Wissen geben soll.“ 14 Die Aporie hat die Gestalt eines Dilemmas mit den folgenden beiden Hörnern: Entweder [I] sind die Prinzipien [des Seienden] Universalien oder [II] eine spezielle Sorte von Einzeldingen. Tertium non datur. Aristoteles zieht zunächst unerfreuliche Konsequenzen aus der Annahme, dass die Prinzipien Universalien sind, sodann aus der gegenteiligen Annahme, dass sie eine spezielle Sorte von Einzeldingen sind. Es ist unkontrovers, dass die von Aristoteles hier bloß skizzierte Aporie eines der Hauptprobleme für seine Untersuchungen in den folgenden Büchern der Metaphysik darstellt, insbesondere für die Untersuchungen in Metaphysik Z;15 manche Interpreten sind sogar der Überzeugung, dass es Aristoteles nicht gelungen sei, die Aporie zu lösen. So fühlte sich bereits Eduard Zeller

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Verständnis des Arguments nicht viel davon abhängt, ob dem überlieferten „ἐκθέσθαι“ oder der Konjektur „ἓν θέσθαι“ der Vorzug gegeben wird. Erwähnt sei auch noch, dass Christ „κατ’ ἔκθεσιν“ anstelle von „καὶ ἐκθέσθαι“ vorschlägt, (vgl. W. Christ, Aristotelis Metaphysica, Nova impressio correctior, Leipzig 1906) und hiermit das syntaktische Problem löst, zugleich aber auch die Rede von „ἔκθεσις“ bewahrt; gegen den Vorschlag spricht jedoch, dass die Korruption von „κατ’ ἔκθεσιν“ in „καὶ ἐκθέσθαι“ schwer zu erklären wäre. Christ (wie Anm. 12) und W. Jaeger, Aristotelis Metaphysica, Oxford 1957, halten das entsprechende „ζῷα“ für zu tilgen; aber die Tilgung ist nicht notwendig. Aristoteles setzt für den Zusatz von „ζῷα“ die Gültigkeit der generellen Aussagen ,Der Mensch ist ein Mensch‘ und ,Das Lebewesen ist ein Lebewesen‘ voraus, die ja in der Tat trivialerweise wahr sind; handelte es sich nun bei den Subjekten der beiden Prädikationen jeweils um ein τόδε τι, so wäre im ersten Fall von einem bestimmten Menschen und im zweiten Fall von einem bestimmten Lebewesen die Rede, in beiden Fällen also von bestimmten Lebewesen. ταύτας τε οὖν τὰς ἀπορίας ἀναγκαῖον ἀπορῆσαι περὶ τῶν ἀρχῶν, καὶ πότερον καθόλου εἰσὶν ἢ ὡς λέγομεν τὰ καθ’ ἕκαστα. εἰ μὲν γὰρ καθόλου, οὐκ ἔσονται οὐσίαι (οὐθὲν γὰρ τῶν κοινῶν τόδε τι σημαίνει ἀλλὰ τοιόνδε, ἡ δ’ οὐσία τόδε τι· εἰ δ’ ἔσται τόδε τι καὶ ἓν θέσθαι [ἓν θέσθαι Richards, Ross: ἐκθέσθαι Hss. Alc, siehe oben Anm. 12] τὸ κοινῇ κατηγορούμενον, πολλὰ ἔσται ζῷα [ζῷα Hss., getilgt von Christ und Jaeger, siehe oben Anm. 13] ὁ Σωκράτης, αὐτός τε καὶ ὁ ἄνθρωπος καὶ τὸ ζῷον, εἴπερ σημαίνει ἕκαστον τόδε τι καὶ ἕν)· – εἰ μὲν οὖν καθόλου αἱ ἀρχαί, ταῦτα συμβαίνει· εἰ δὲ μὴ καθόλου ἀλλ’ ὡς τὰ καθ’ ἕκαστα, οὐκ ἔσονται ἐπιστηταί (καθόλου γὰρ ἡ ἐπιστήμη πάντων), ὥστ’ ἔσονται ἀρχαὶ ἕτεραι πρότεραι τῶν ἀρχῶν αἱ καθόλου κατηγορούμεναι, ἄνπερ μέλλῃ ἔσεσθαι αὐτῶν ἐπιστήμη. Vgl. A. Code, The Aporematic Approach to Primary Being in Metaphysics Z, Canadian Journal of Philosophy. Supplementary Volume 10, 1984, 1–20, hier 4.

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gezwungen, „an diesem Punkte [...] einen höchst eingreifenden Widerspruch im System des Philosophen anzuerkennen“ 16. Auf das zweite Horn des Dilemmas werde ich im folgenden nicht näher eingehen; es sei lediglich bemerkt, dass Aristoteles das Argument in Metaphysik Μ 10.1087 a 10–25 entkräften zu wollen scheint,17 ob dieser Versuch aber wirklich den Kern des Problems trifft, ist umstritten.18 Mein Interesse gilt dem ersten Horn und hier insbesondere der These, die von Aristoteles an anderen Stellen19 mit behauptender Kraft geäußert wird: „Denn nichts der Dinge, die gemeinsam sind, bezeichnet ein τόδε τι, sondern τοιόνδε“ (οὐθὲν γὰρ τῶν κοινῶν τόδε τι σημαίνει ἀλλὰ τοιόνδε, ἡ δ’ οὐσία τόδε τι).20 Das Argument ist enthymematisch: mehrere seiner Prämissen bleiben unausgesprochen – ebenso wie seine Schlusskonklusion. Ich werde in meiner Rekonstruktion das Pferd von hinten aufzäumen, also mich von der Schlusskonklusion nach vorne zu den Ausgangsprämissen vorarbeiten. Die (unausgesprochene) Schlusskonklusion lautet, dass die Prinzipien nicht Universalien sind; unmittelbar begründet wird sie mit der Feststellung, dass die Prinzipien, wenn sie Universalien sind, nicht οὐσίαι sind; nun sind sie aber οὐσίαι – diese Prämisse wird nicht explizit ausgesprochen –, also sind sie nicht Universalien: (K3) Wenn die Prinzipien [des Seienden] Universalien sind, sind sie nicht οὐσίαι [aus (K2): siehe unten] (P5) Die Prinzipien [des Seienden] sind οὐσίαι [implizit] (K4) Die Prinzipien [des Seienden] sind nicht Universalien [implizit, aus (K3) und (P5)]. (P5) wird von Aristoteles natürlich akzeptiert, hauptsächlich aufgrund der Überlegung, dass nur οὐσίαι die Arten von Priorität besitzen, die den Prinzipien des Seienden zukommen.21 Der unausgesprochene Grund für (K3) liegt in dem folgenden Prinzip: (K2) Alles, was ein Universale ist, ist nicht οὐσία [implizit, aus (K1) und (P4): siehe unten].

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E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Zweiter Theil, zweite Abtheilung. Aristoteles und die alten Peripatetiker, Leipzig 31879, 312. Vgl. Ross (wie Anm. 11) 250. Vgl. dazu z. B. R. Heinaman, Knowledge of Substance in Aristotle, Journal of Hellenic Studies 101, 1981, 63–77; Code (wie Anm. 15) 6–7; Menn (wie Anm. 9) 245–248. Vgl. Soph. el. 22.178 b 38 f.; Met. Ζ 8.1033 b 21 f.; Ζ 13.1039 a 1 f.; 1039 a 15 f.; in eingeschränkter Version auch Cat. 5.3 b 13–16. Met. Β 6.1003 a 9. Vgl. z. B. das Argument für die Priorität der οὐσία in Met. Ζ 1.1028 a 29 – b 2.

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Auch dieses Prinzip äußert Aristoteles an anderen Stellen mit, wie es scheint, behauptender Kraft.22 Das Prinzip wird an der vorliegenden Stelle wiederum damit begründet, dass keines der Dinge, die gemeinsam (κοινά) sind, ein τόδε τι bezeichnet (sondern τοιόνδε), die οὐσία aber ein τόδε τι [bezeichnet]. Hier stellt sich zunächst die Frage, was unter den „κοινά“ zu verstehen ist: Sind darunter die Universalien selbst zu verstehen? Oder vielmehr Ausdrücke, die – in welcher Weise auch immer – für Universalien stehen? Den κοινά wird zugeschrieben, dass sie etwas bezeichnen („σημαίνει“). Dies spricht auf den ersten Blick dafür, sie als Ausdrücke zu verstehen. Denn stricto sensu sind es Ausdrücke, die das-und-das bezeichnen. Andererseits verwendet Aristoteles „σημαίνειν“ („bezeichnen“) häufig so, dass er nicht von Ausdrücken, sondern von den Dingen, denen er zuschreibt, von Ausdrücken bezeichnet zu werden, sagt, sie bezeichneten das-und-das.23 Diese Stellen werfen die Frage auf, ob Aristoteles, wenn er von den Dingen spricht, auf die er die Ausdrücke bezieht, eigentlich die Ausdrücke meint oder aber tatsächlich die Dinge – und nicht die Ausdrücke – meint, aber ,etwas bezeichnen‘ im Sinne von ,etwas sein‘ verwendet. Ich denke, dass die erste Annahme vorzugswürdig ist; denn mit ihr lässt sich besser erklären, warum er überhaupt von ,bezeichnen‘ und nicht einfach von ,sein‘ spricht. Daraus ergibt sich für unsere Stelle, dass er mit den „κοινά“ – zumindest eigentlich – Ausdrücke meint und diesen zuschreibt, τοιόνδε und nicht ein τόδε τι zu bezeichnen. Welche Ausdrücke? Nun, offensichtlich Ausdrücke, die Universalien bezeichnen. (Ich erinnere daran, dass ich unter ,Ausdrücken‘ sinnlich wahrnehmbare Zeichen verstehe, die nicht mehrdeutig sind. Der Ausschluss von Mehrdeutigkeit ist auch hier wichtig, da ja ein Ausdruck willkürlich mal in einem Sinn verwendet werden kann, in dem er kein Universale bezeichnet, dann wieder in einem Sinn, in dem er ein Universale bezeichnet.) Der zweite Teil des Satzes, „ἡ δ’ οὐσία τόδε τι“, ist in dieser Hinsicht ähnlich zu verstehen, wenn man – wozu ich neige – annimmt, dass das Satzfragment, voll ausgesprochen, zu „ἡ δ’ οὐσία τόδε τι σημαίνει“ zu erweitern ist 24 (auch wenn die alternative Erweiterung zu „ἡ δ’ οὐσία τόδε τί ἐστι“ nicht ausgeschlossen ist 25); gemeint ist, dass jeder Ausdruck, der eine οὐσία bezeichnet, ein τόδε τι bezeichnet. Die Begründung des Prinzips, dass alles, was ein Universale ist, nicht οὐσία ist, lässt sich demnach folgendermaßen rekonstruieren:

22 23 24 25

Vgl. Met. Ζ 13.1038 b 8 f.; b 35; Ζ 16.1040 b 23; 1041 a 4; Ι 2.1053 b 16 f. Vgl. z. B. Cat. 5.3 b 10: πᾶσα δὲ οὐσία δοκεῖ τόδε τι σημαίνειν. Vgl. als Parallele die in der voraufgehenden Anmerkung zitierte Stelle. Die Erweiterung mit „ἐστι“ ist vorausgesetzt z. B. für die Übersetzung bei Menn (wie Anm. 9) 221: „whereas a substance is a this.“

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(K1) Jeder Ausdruck, der ein Universale bezeichnet, bezeichnet nicht ein τόδε τι26 [aus (P1), (P2) und (P3): siehe unten] (P4) Jeder Ausdruck, der eine οὐσία bezeichnet, bezeichnet ein τόδε τι (K2) Alles, was ein Universale ist, ist nicht οὐσία [implizit, aus (K1) und (P4)]. Der Schluss von (K1) und (P4) auf (K2) ist nicht gültig. Denn die Konjunktion von (K1) und (P4) ist damit kompatibel, dass es Allgemeines gibt, das überhaupt nicht bezeichnet wird (oder bezeichnet werden kann) und ein τόδε τι ist. Das Argument wäre gültig, wenn es – unter dem oben erwogenen Verständnis von ,etwas bezeichnen‘ als ,etwas sein‘ – so reformuliert werden würde: (K1*) Alles, was ein Universale ist, ist nicht ein τόδε τι27 [aus (P1) und (P2): siehe unten] (P4*) Jede οὐσία ist ein τόδε τι (K2) Alles, was ein Universale ist, ist nicht οὐσία [implizit, aus (K1*) und (P4*)]. Aus den oben genannten Gründen denke ich aber, dass diese Rekonstruktion dem von Aristoteles gewählten Wortlaut weniger gerecht wird als die vorher angeführte alternative Rekonstruktion. In der Einleitung habe ich das Argument als ein semantisches bezeichnet. Dies ist es allemal, unabhängig davon, welche der beiden Rekonstruktionen man wählt. Denn auch wenn in der zweiten Version nicht mehr von ,bezeichnen‘ die Rede ist, verweisen die von Aristoteles gewählten Pronomina „τόδε τι“ und „τοιόνδε“ jeweils auf bestimmte Typen von Ausdrücken, für die die Pronomina korrekterweise Pronomina sein können, d. h., Aristoteles unterscheidet zwischen zwei Sorten von Entitäten derart, dass er zwischen zwei Sorten von Ausdrücken unterscheidet, die jeweils diese Entitäten bezeichnen. Auf die problematischen Konsequenzen, die diese Unterscheidung hat, werde ich unten im zweiten Teil ausführlicher eingehen. (K1) stellt eine modifizierte – nämlich allgemeiner gefasste – Version der aus der Kategorienschrift bekannten These dar, dass jeder Ausdruck, der eine οὐσία im sekundären Sinne, also ein Universale der Substanz-Kategorie, bezeichnet, nicht τόδε τι, sondern ποιόν τι bezeichnet. Aristoteles bemerkt an der betreffenden Kategorien-Stelle (die bereits Alexander in seinem Kommentar zu unserer Metaphysik-Stelle heranzieht 28): 26 27 28

Ich lasse den Zusatz „sondern τοιόνδε“ weg, weil er für das Argument überflüssig ist, werde auf ihn aber unten im zweiten Teil zurückkommen. Siehe vorhergehende Anmerkung. Vgl. Alex. Aphr., In Met. 236,6 f.

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„Jede Substanz [d. h. jeder Ausdruck, der eine Substanz bezeichnet, B. S.] scheint ein τόδε τι zu bezeichnen. Im Fall der ersten Substanzen ist es unumstritten und wahr, dass sie ein τόδε τι bezeichnet: denn das Bezeichnete ist unteilbar und eines der Zahl nach. Im Fall der zweiten Substanzen scheint sie auf ähnliche Weise, bedingt durch die Form des Ausdrucks, ein τόδε τι zu bezeichnen, wenn von ‚Mensch‘29 oder ,Lebewesen‘ die Rede ist. Dies ist aber nicht wahr, sondern sie bezeichnet eher ein ποιόν τι. Denn das Zugrundeliegende ist nicht eines [sc. der Zahl nach, B. S.] wie die erste Substanz, sondern der Mensch und das Lebewesen werden von vielen Dingen ausgesagt. Andererseits bezeichnet sie auch nicht einfachhin ein ποιόν τι, wie etwa ,das Weiße‘. Denn ,das Weiße‘ bezeichnet nichts anderes als das ποιόν, die Art und die Gattung bestimmen das ποιόν im Bereich der Substanz: denn sie bezeichnen jeweils eine so-und-so-beschaffene Substanz.“ 30 Aristoteles gibt hier zunächst eine Begründung der These, dass jeder Ausdruck, der eine Substanz im primären Sinne, also ein Particulare der Substanz-Kategorie bezeichnet, ein τόδε τι bezeichnet: Das von diesen Ausdrücken Bezeichnete ist unteilbar (ἄτομον) und eines der Zahl nach (ἓν ἀριθμῷ). Er nennt damit zwei Bedingungen dafür, ein τόδε τι zu sein: nämlich unteilbar und eines der Zahl nach zu sein. Dass es sich bei der Bedingung, eines der Zahl nach zu sein, nicht nur um eine hinreichende, sondern auch um eine notwendige Bedingung dafür handelt, ein τόδε τι zu sein, geht aus der folgenden Begründung dafür hervor, dass jeder Ausdruck, der eine οὐσία im sekundären Sinne, also ein Universale der Substanz-Kategorie, bezeichnet, kein τόδε τι bezeichnet: die Begründung lautet: „Denn das Zugrundeliegende ist nicht eines [sc. der Zahl nach] wie die erste Substanz, sondern der Mensch wird von vielen ausgesagt und das Lebewesen.“ 31 Da das von Ausdrücken des Typs ,ein Mensch‘ oder des Typs ,ein Lebewesen‘ jeweils Bezeichnete die

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Strenggenommen müsste die Übersetzung lauten: „wenn von ,ἄνθρωπος‘ oder ,ζῷον‘ die Rede ist“. Ich führe aber hier und im Folgenden einfachheitshalber die den von Aristoteles angeführten griechischen Ausdrücken jeweils entsprechenden deutschen Ausdrücke an. Cat. 5.3 b 10–21: πᾶσα δὲ οὐσία δοκεῖ τόδε τι σημαίνειν. ἐπὶ μὲν οὖν τῶν πρώτων οὐσιῶν ἀναμφισβήτητον καὶ ἀληθές ἐστιν ὅτι τόδε τι σημαίνει· ἄτομον γὰρ καὶ ἓν ἀριθμῷ τὸ δηλούμενόν ἐστιν. ἐπὶ δὲ τῶν δευτέρων οὐσιῶν φαίνεται μὲν ὁμοίως τῷ σχήματι τῆς προσηγορίας τόδε τι σημαίνειν, ὅταν εἴπῃ ἄνθρωπον ἢ ζῷον· οὐ μὴν ἀληθές γε, ἀλλὰ μᾶλλον ποιόν τι σημαίνει, – οὐ γὰρ ἕν ἐστι τὸ ὑποκείμενον ὥσπερ ἡ πρώτη οὐσία, ἀλλὰ κατὰ πολλῶν ὁ ἄνθρωπος λέγεται καὶ τὸ ζῷον· – οὐχ ἁπλῶς δὲ ποιόν τι σημαίνει, ὥσπερ τὸ λευκόν· οὐδὲν γὰρ ἄλλο σημαίνει τὸ λευκὸν ἀλλ’ ἢ ποιόν, τὸ δὲ εἶδος καὶ τὸ γένος περὶ οὐσίαν τὸ ποιὸν ἀφορίζει, – ποιὰν γάρ τινα οὐσίαν σημαίνει. Cat. 5.3 b 16–18: οὐ γὰρ ἕν ἐστι τὸ ὑποκείμενον ὥσπερ ἡ πρώτη οὐσία, ἀλλὰ κατὰ πολλῶν ὁ ἄνθρωπος λέγεται καὶ τὸ ζῷον.

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Bedingung verfehlt, eines der Zahl nach zu sein, ist es kein τόδε τι. Aristoteles setzt also an der Kategorien-Stelle das Prinzip voraus, dass etwas genau dann ein τόδε τι ist, wenn es eines der Zahl nach ist. An unserer Stelle in der Metaphysik liefert er ebenfalls eine Begründung für die These, dass jeder Ausdruck, der etwas Allgemeines bezeichnet, kein τόδε τι bezeichnet (also für (K1)). Prima facie zeigt Aristoteles mit seiner Begründung nur, dass einige Ausdrücke, die Universalien bezeichnen, kein τόδε τι bezeichnen. Er zeigt nämlich nur, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ und ,ein Lebewesen‘ in Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch, und er ist ein Lebewesen‘ kein τόδε τι (sondern τοιόνδε) bezeichnen (wobei stillschweigend vorausgesetzt ist, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ und ,ein Lebewesen‘ in solchen Sätzen Universalien bezeichnen). Aber für die Begründung von (K1) anhand dieses Beispiels sind unausgesprochen allgemeine Annahmen vorausgesetzt, aus denen sich (K1) ableiten lässt. Ich betrachte die Argumentation zunächst anhand des Beispiels, das Aristoteles gibt. Die Argumentation lässt sich folgendermaßen verstehen: Wenn das mit Ausdrücken des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch und ein Lebewesen‘ gemeinsam Ausgesagte (worunter er hier nicht den das Universale bezeichnenden Ausdruck, sondern das vom Ausdruck bezeichnete Universale versteht) ein τόδε τι und [explikatives καὶ] ein ἕν (der Zahl nach) wäre und das mit Ausdrücken des Typs ,ein Lebewesen‘ Ausgesagte ebenso, so wäre Sokrates mehrere Lebewesen (der Zahl nach32): nämlich das von ,Sokrates‘ bezeichnete τόδε τι, das von ,ein Mensch‘ bezeichnete τόδε τι und das von ,ein Lebewesen‘ bezeichnete τόδε τι. Nun ist aber Sokrates nicht all dies; also ist die Voraussetzung falsch. Für diese Begründung setzt Aristoteles voraus, dass in Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch und ein Lebewesen‘ Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ und ,ein Lebewesen‘ je verschiedene Dinge bezeichnen;33 wäre nun jedes dieser Dinge ein τόδε τι, so würde – dem Argument zufolge – mit Sätzen jenes Typs die Identität von Sokrates mit zwei von ihm verschiedenen und voneinander verschiedenen τόδε τι behauptet: dem τόδε τι, das von ,ein Mensch‘ bezeichnet wird, und dem τόδε τι, das von ,ein Lebewesen‘ bezeichnet wird. Warum die Identität mit den beiden τόδε τι? Weil – dies setzt Aristoteles stillschweigend voraus – ein τόδε τι nur durch singuläre Terme bezeichnet werden kann und singuläre Terme wiederum nur so mit einem voraufgehenden ,ist‘ verbunden sein können, dass das ,ist‘ im Sinne von ,ist identisch mit‘ zu verstehen ist.

32 33

Vgl. zu diesem Zusatz Alex. Aphr., In Met. 236,9. Vgl. Menn (wie Anm. 9) 232.

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Das aristotelische Argument hat eine aufschlussreiche Parallele in Freges Aufsatz „Über Begriff und Gegenstand“ (1892), in dem Frege die These, dass ein grammatisches Prädikat keinen Gegenstand (bei Frege das Entsprechungsstück zum τόδε τι an unserer Aristoteles-Stelle) bedeuten oder, anders formuliert, die Bedeutung eines Eigennamens (unter der Frege einen Gegenstand versteht) „nie als Begriff [d. h. als Bedeutung eines grammatischen Prädikats], sondern nur als Gegenstand auftreten [kann]“,34 damit begründet, dass „ein Gegenstandsname [...], ein Eigenname [...] durchaus unfähig [ist], als grammatisches Prädikat gebraucht zu werden“.35 Mit dieser Begründung setzt Frege für den Gegenstand – ähnlich wie Aristoteles für das τόδε τι – stillschweigend voraus, dass ein Gegenstand nur durch Eigennamen (in heutiger Terminologie: singuläre Terme) bezeichnet werden könne. Die Unfähigkeit des Eigennamens, als grammatisches Prädikat gebraucht zu werden, erläutert Frege anhand des folgenden Einwands: „Kann man nicht ebensogut von etwas aussagen, es sei Alexander der Große, oder es sei die Zahl Vier, oder es sei der Planet Venus, wie man von etwas aussagen kann, es sei grün, oder es sei ein Säugetier?“ 36 Freges Antwort darauf lautet: „Wenn man so denkt, unterscheidet man nicht die Gebrauchsweisen des Wortes ,ist‘. In den letzten beiden Beispielen dient es als Kopula, als bloßes Formwort der Aussage. [...] In den ersten drei Beispielen wird dagegen das ,ist‘ wie in der Arithmetik das Gleichheitszeichen gebraucht, um eine Gleichung [Frege meint damit Identität, wie er in der betreffenden Fußnote erläutert] auszusprechen.“ 37 Genau diese Unterscheidung zwischen dem ,ist‘ als „bloßes Formwort der Aussage“ und dem ,ist‘ der Identität macht sich Aristoteles für seine Argumentation implizit zunutze. Dass Aristoteles annimmt, dass ein τόδε τι nur durch singuläre Terme bezeichnet werden kann, hängt eng damit zusammen, dass er – wie die oben zitierte Kategorien-Stelle zeigt – annimmt, dass etwas nur dann ein τόδε τι ist, wenn es eines der Zahl nach ist. Eines der Zahl nach zu sein bedeutet für Aristoteles, nicht von mehreren Dingen (zutreffend) ausgesagt werden zu können,38 d. h. nicht von Ausdrücken bezeichnet werden zu können, die auf mehrere Dinge zutreffen können (ohne diese zu bezeichnen). Was eines der Zahl ist, kann also per definitionem nur durch einen Ausdruck bezeichnet werden, der auf nicht mehr als ein Ding zutreffen kann (das er zugleich be-

34 35 36 37 38

Vgl. G. Frege, Über Begriff und Gegenstand, in: Ders., Kleine Schriften, hrsg. v. I. Angelelli, Hildesheim–Zürich–New York 21990, 167–178, hier 169. Vgl. ebd., 168. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Dies ist Aristoteles’ Definition von „καθ’ ἕκαστον“ in De interpretatione 7.17 a 40, die genauso als Definition von „ἓν ἀριθμῷ“ gesehen werden kann.

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zeichnet). (Vorausgesetzt ist dafür natürlich, dass der Ausdruck nicht mehrdeutig ist – siehe oben die Einleitung.) Aristoteles unterstellt nun für sein Identitäts-Argument, dass die Bedingung, auf nicht mehr als ein Ding zutreffen zu können, nur von Ausdrücken erfüllt wird, die wir – in der heute üblichen Terminologie – als ,singuläre Terme‘ (bei Frege: ,Eigennamen‘) bezeichnen würden. Diese Unterstellung impliziert ein Verständnis von singulären Termen, das in doppelter Hinsicht kritikwürdig ist: Erstens ist es irreführend, zu sagen, dass ein singulärer Term des Typs ,Sokrates‘ auf Sokrates zutrifft; selbst in Sätzen des Typs ,Diese Person ist Sokrates‘ ist der Ausdruck, der hier auf das, worauf mit einem singulären Term des Typs ,diese Person‘ Bezug genommen wird, zutrifft, nicht eigentlich ,Sokrates‘, sondern ,ist (i.e. ist identisch mit) Sokrates‘.39 Zweitens gibt es Ausdrücke, die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen können und keine singulären Terme sind; der Ausdruck ,ist identisch mit Sokrates‘ ist ein Beispiel. Auch wenn sich Aristoteles über die Natur singulärer Terme nur unzureichend klar geworden ist und die Bestimmung singulärer Terme als Ausdrücke, die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen können, problematisch ist, bleibt festzuhalten, dass Aristoteles in der Begründung von (K1) die Annahme voraussetzt, dass ein τόδε τι nur durch singuläre Terme bezeichnet werden kann40 (ähnlich wie Frege voraussetzt, dass ein Gegenstand nur durch singuläre Terme bezeichnet werden kann). Auf diese Annahme deutet ja übrigens schon die Rede von τόδε τι hin; denn Vorkommnisse des Pronomens τόδε fungieren üblicherweise als singuläre Terme.41 Daneben setzt er aber offenkundig auch voraus, dass ein Universale nicht (oder zumindest: nicht nur 42) durch singuläre Terme bezeichnet werden kann, 39 40

41

42

Vgl. Künne (wie Anm. 5) 25. Künne kritisiert mit diesem Argument nicht direkt Aristoteles, sondern Autoren, die in der aristotelischen Tradition stehen; es trifft aber Aristoteles ebenso. Menn (wie Anm. 9) 229–232 weist in seiner Interpretation des Arguments zwar darauf hin, dass Aristoteles für seine reductio ad absurdum mit der Ersetzung von Ausdrücken, die keine singulären Terme sind (,ein Mensch‘ und ,ein Lebewesen‘), durch Ausdrücke, die singuläre Terme sind und für die Menn als Platzhalter die Buchstaben ,B‘ und ,C‘ verwendet, operiert (wobei Menn [wie Anm. 9] 229 nicht von ,singular terms‘, sondern von [logischen] ,proper names‘ spricht), expliziert aber nicht die Prämisse, die hinter dieser Operation steht, nämlich die Prämisse, dass jedes τόδε τι nur von singulären Termen bezeichnet werden kann. Ich füge das einschränkende „üblicherweise“ hinzu, da ich nicht ausschließen möchte, dass es eine Verwendungsweise von „τόδε“ gab, in der Vorkommnisse des Pronomens nicht als singuläre Terme fungierten. Nur unter der Voraussetzung, dass alle Vorkommnisse von τόδε singuläre Terme sind, kommt es überhaupt in Betracht, Aristoteles folgende Auffassung zuzuschreiben: „Most generally, X is τόδε τι if X can, in some context, be referred to by a pronoun such as τόδε or τοῦτο, used either deictically or anaphorically.“ Menn (wie Anm. 9) 223. Siehe dazu unten Abschnitt II.

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sondern (auch) durch Ausdrücke, die auf mehr als nur ein Ding zutreffen können. (Eben dies, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ und des Typs ,ein Lebewesen‘ auf mehr als nur ein Ding zutreffen können, erklärt, dass Sätze des Typs ,Sokrates ist ein Mensch und ein Lebewesen‘ nicht als Identitätssätze gelesen werden können.) Der Begründung von (K1) liegen also letztlich folgende Annahmen zugrunde: (P1) Jedes τόδε τι kann nur von singulären Termen bezeichnet werden (P2) Jedes Universale kann von Ausdrücken bezeichnet werden, die keine singulären Terme sind.43 Daraus ergibt sich, dass alles, was ein Universale ist, nicht ein τόδε τι ist (= (K1*) oben); und unter der weiteren Annahme (P3) Jeder Ausdruck, der ein Universale bezeichnet, bezeichnet nur dieses ergibt sich: (K1) Jeder Ausdruck, der ein Universale bezeichnet, bezeichnet nicht ein τόδε τι. Die Beobachtung, dass Aristoteles für die Begründung von (K1) die Prämissen (P1) und (P2) voraussetzt, ist, wie wir gleich sehen werden, wichtig für die Beantwortung der in der Einleitung aufgeworfenen Frage, ob Aristoteles generellen Termen der Substanz-Kategorie zuschreibt, substantielle Formen zu bezeichnen. Dieser Frage werde ich mich nun in den folgenden beiden Abschnitten zuwenden, wobei ich sie unter kontradiktorischen Hypothesen betrachte: der Hypothese, dass substantielle Formen Universalien sind, und der, dass sie keine Universalien sind. (Ich erinnere im übrigen daran, dass ich mit der Rede von ,generellen Termen der Substanz-Kategorie‘ nichts darüber präjudiziere, ob solche Terme Substanzen bezeichnen oder nicht, und auch nichts darüber, ob sie Universalien bezeichnen oder nicht; als ,generelle Terme der Substanz-Kategorie‘ bestimme ich vielmehr, wie gesagt, diejenigen generellen Terme, deren Sinn es nach aristotelischer Lehre erlaubt, mit ihnen solche Fragen des Typs ,Was ist (τί ἐστι) x?‘ korrekt zu beantworten, in denen für ,x‘ der Name einer Substanz eintritt.)

43

Es ist erwägenswert, dass für die Begründung von (K1) nicht (P2), sondern die stärkere Prämisse (P2*) „Jedes Universale kann nur von Ausdrücken bezeichnet werden, die keine singulären Terme sind“, vorausgesetzt ist. Dafür spricht, dass sich aus (P1) und (P2*) direkt (K1) folgern lässt, aus (P1) und (P2) nicht; ferner ist Aristoteles in der Tat die Akzeptanz von (P2*) zuzuschreiben (wie wir unten im zweiten Teil sehen werden). Da diese Zuschreibung jedoch weiterer Rechtfertigung bedarf, ziehe ich es vorläufig vor, die Begründung von (K1) unter Einschluss der schwächeren Prämisse (P2) zu rekonstruieren.

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2. Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben, substantielle Formen, als Universalien verstanden, zu bezeichnen? Um die Antwort auf die Frage, ob Aristoteles generellen Termen der Substanz-Kategorie zuschreibt, substantielle Formen (ob als Universalien verstanden oder nicht) zu bezeichnen, gleich vorwegzunehmen: sie lautet „Nein“, jedenfalls unter Voraussetzung der Konsistenz der Zuschreibungen, die Aristoteles vornimmt. Denn (i)

Aristoteles schreibt in der Metaphysik jeder substantiellen Form zu, ein τόδε τι zu sein;44 (ii) er schreibt jedem generellen Term der Substanz-Kategorie zu, ein Universale zu bezeichnen;45 und (iii) unter Annahme von (K1) sind beide Zuschreibungen nur damit verträglich, jedem generellen Term der Substanz-Kategorie zuzuschreiben, keine substantielle Form zu bezeichnen.

These (i) ist unkontrovers; Thesen (ii) und (iii) sind es nicht. Bevor ich These (ii) – im nächsten Abschnitt – rechtfertige, möchte ich – in diesem Abschnitt – These (iii) verteidigen. Sie wird von manchen Interpreten46 – mehr oder weniger explizit – bestritten, und zwar so, dass diese Interpreten (K1) einen Sinn beilegen, unter dessen Voraussetzung These (iii) in der Tat falsch wäre. Mit der alternativen Deutung von (K1), die diese Interpreten vertreten, möchte ich mich in diesem Abschnitt beschäftigen. Die betreffenden Interpreten gehen davon aus, dass Aristoteles jeder substantiellen Form zuschreibe, ein τόδε τι zu sein47 und – als das τὸ τί ἦν εἶναι48 – definierbar 49 zu sein. Sie schreiben Aristoteles ferner die Auffassung zu, dass nur Universalien definierbar seien.50 Entsprechend schreiben sie ihm weiter, Konsistenz auf seiner Seite vermutend, die Auffassung zu, dass substantielle Formen Universalien sind.51 So sollte Aristoteles – unter der Annahme, dass jede substantielle Form ein τόδε τι ist – vernünftigerweise auch ge44 45 46

47 48 49 50 51

Vgl. z. B. Met. Δ 8.1017 b 24 f., Ζ 3.1029 a 27–30; Θ 7.1049 a 35; Λ 3.1070 a 11 f. Für diese These argumentiere ich unten, I.3. Es sind zu viele, um sie hier alle aufzuzählen. Ich beziehe mich im folgenden v. a. auf die konzise Darstellung bei S. M. Cohen, Substances, in: G. Anagnostopoulos (Hrsg.), A Companion to Aristotle, Oxford 2009, 197–212, hier 209 f., wo sich Referenzen auf frühere Vertreter dieser Interpretation finden. Weitere Vertreter werden genannt bei Lewis (wie Anm. 5) 365 Anm. 25. Vgl. für Belege für die Zuschreibung oben Anm. 43. Vgl. etwa Met. Ζ 7.1032 b 1 f. und Ζ 10.1035 b 32. Vgl. etwa Met. Ζ 4.1030 a 6 f. und Ζ 5.1031 a 12. Vgl. z. B. Met. Ζ 11.1036 a 28 f. und Ζ 15.1040 a 5–7. Was auch Aristoteles explizit zu konzedieren scheint; vgl. z. B. Met. Ζ 8.1034 a 7 f. und Ζ 11.1036 a 28 f.

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dacht haben, dass manche Universalien den Status eines τόδε τι haben. Unter der weiteren Annahme, dass diese Universalien von Ausdrücken bezeichnet werden, sollte er schließlich auch die Auffassung vertreten haben, dass es Ausdrücke gibt, die etwas bezeichnen, das ein Universale und ein τόδε τι ist. Wie aber lässt sich diese Auffassung mit (K1) in Einklang bringen? Unter dem von mir vertretenen Verständnis von (K1) gar nicht; denn nach diesem Verständnis sagt (K1) genau das, was (K1) prima facie sagt: dass jeder Ausdruck, der ein Universale bezeichnet, kein τόδε τι bezeichnet. Und aus den oben rekonstruierten Prämissen, die Aristoteles für seine Begründung von (K1) voraussetzt, ergibt sich erst recht, dass es keine Ausdrücke gibt, die etwas bezeichnen, das ein Universale und ein τόδε τι ist; denn wir haben gesehen, dass diese Prämissen unvereinbar sind mit der Annahme, dass etwas ein Universale und ein τόδε τι ist. Unter der alternativen Interpretation von (K1) lässt sich dagegen ein Einklang herstellen zwischen (K1) und der Auffassung, dass es Ausdrücke gibt, die etwas bezeichnen, das ein Universale und ein τόδε τι ist. Die Interpretation besagt nämlich, dass die Phrase ,Jeder Ausdruck, der ein Universale bezeichnet‘ in (K1) enger zu verstehen ist, nämlich im Sinne einer Phrase der Form ,Jeder Ausdruck, der im Kontext von Sätzen des-und-des Typs ein Universale bezeichnet‘. Die Vertreter dieser Interpretation meinen, dass es für Aristoteles vom jeweiligen Satzkontext, in dem ein genereller Term auftauche, abhänge, ob er ein τόδε τι bezeichne oder nicht. So bezeichne z. B. ein genereller Term des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch‘ kein τόδε τι (sondern τοιόνδε), wohl aber in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘.52 In ersteren bezeichne ,ein Mensch‘ die Art (kind), unter die Sokrates mit der Äußerung des Satzes subsumiert werde; in letzteren bezeichne ,ein Mensch‘ dagegen eine substantielle Form (und damit ein τόδε τι), die mit der Äußerung des Satzes von der Materie, dem Haufen Fleisch und Knochen, ausgesagt werde.53 Die Unterscheidung dieser beiden Typen von Kontexten, in denen ein Ausdruck ein Universale bezeichnen kann, geht mit der Unterscheidung von zwei Sorten von Prädikation von Universalien einher: Prädikation, die eine Antwort auf die Frage τί ἐστι gibt und mit der der Sache, von der das Universale prädiziert wird, zugeschrieben wird, essentiell das-und-das zu sein; und Prädikation, die keine Antwort auf die Frage τί ἐστι gibt und mit der der Sache, von der das Universale prädiziert wird, zugeschrieben wird, akzidentell das-und-das zu sein. Sokrates ist essentiell ein Mensch, aber seine Materie, dieser Haufen Fleisch und Knochen, ist akzidentell ein Mensch. 52 53

Die Beispielsätze nach Cohen (wie Anm. 46) 209–210. Vgl. zum zweiten Met. Ζ 10.1035 a 18 f., 1035 a 33, Met. Ζ 11.1036 b 11. Die Auffassung, dass die Form von der Materie prädiziert werde, kann sich insbesondere auf Met. Θ 6.1049 a 34–36 stützen: ὅσα δὲ μὴ οὕτως ἀλλ’ εἶδός τι καὶ τόδε τι τὸ κατηγορούμενον, τὸ ἔσχατον ὕλη καὶ οὐσία ὑλική. Vgl. ferner Met. Ζ 17.1041 b 4–9 und Η 2.1043 a 5 f.

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Mithilfe dieser Unterscheidung lässt sich angeben, um welche Sätze es Aristoteles bei der Äußerung von (K1) geht, und die entsprechende Paraphrase von (K1) lautet: (K1?) Jeder Ausdruck, der im Kontext eines Satzes ein Universale so bezeichnet, dass dieses mit der Äußerung des Satzes von etwas anderem essentiell ausgesagt wird, bezeichnet kein τόδε τι (sondern τοιόνδε). An sich wäre gegen eine solche einschränkende Interpretation von (K1) nichts einzuwenden, aber die Begründung, die Aristoteles für (K1) gibt, legt eine andere Lesart von (K1) nahe, nämlich eine, die ohne diese (oder andere) Einschränkungen auskommt. Denn die beiden Prämissen, die Aristoteles seiner (exemplarischen) Begründung von (K1) zugrunde legt, rechtfertigen (K1) in einem uneingeschränkten Sinn. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass Aristoteles’ reductio ad absurdum, mit der er (K1) begründet, ebenso auf die Annahme, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘ ein Universale und ein τόδε τι bezeichnen, anwendbar ist. Denn unter dieser Annahme und der für die reductio vorausgesetzten Annahme, dass ein τόδε τι nur durch singuläre Terme bezeichnet werden kann, müsste ,ein Mensch‘, verstanden als Bezeichnung eines τόδε τι, salva veritate durch einen singulären Term ersetzbar sein – sagen wir: ,die Form Mensch‘. Das Ergebnis der Ersetzung ist nun: ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist die Form Mensch‘. Und dies ist falsch – zumindest wenn die Form ein Universale sein soll (ob es auch falsch ist, wenn die Form nicht als Universale zu verstehen ist, werde ich unten [I.3] betrachten): denn dieser Haufen Fleisch und Knochen ist gewiss nicht identisch mit der als Universale verstandenen Form Mensch. ,Und so wird dieser Haufen Fleisch und Knochen mehreres sein – dieser Haufen Fleisch und Knochen und die Form Mensch [...]‘, könnte man auch im vorliegenden Fall folgern. Doch, mag man einwenden, ist es (a) nicht richtig zu sagen: ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen hat die Form Mensch‘? Und folgt daraus (b) nicht, dass in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘ Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ die Form Mensch bezeichnen? Auf diesen Einwand lässt sich entgegnen: Der Schluss von (a) auf (b) ist ungültig, und dies sieht man sehr einfach daran, dass man etwas Falsches erhält, wenn man in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘ Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ durch Ausdrücke des Typs ,die Form Mensch‘ ersetzt. *** Bisher habe ich die Schwierigkeiten betrachtet, in die man gerät, wenn man Aristoteles die Auffassung zuschreibt, dass gewisse Ausdrücke Universalien

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bezeichnen und letztere zugleich den Status eines τόδε τι haben. Ich habe dafür argumentiert, dass (K1) in einem Sinne zu interpretieren ist, in dem (K1) eben diese Auffassung ausschließt. Und damit wollte ich zeigen, dass von den folgenden drei (bereits oben angeführten) Thesen die dritte korrekt ist: (i) Aristoteles schreibt in der Metaphysik jeder substantiellen Form zu, ein τόδε τι zu sein; (ii) er schreibt jedem generellen Term der Substanz-Kategorie zu, ein Universale zu bezeichnen; und (iii) unter Annahme von (K1) sind beide Zuschreibungen nur damit kompatibel, jedem generellen Term der Substanz-Kategorie zuzuschreiben, keine substantielle Form zu bezeichnen. Wie aber steht es mit These (ii)? Schreibt Aristoteles den generellen Termen der Substanz-Kategorie möglicherweise gar nicht zu, Universalien zu bezeichnen? Nimmt er möglicherweise an, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ die Form Mensch bezeichnen, diese Form jedoch kein Universale ist, sondern von Mensch zu Mensch verschieden? Mit dieser Interpretation, derzufolge einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben wird, in Wirklichkeit singuläre Terme zu sein, will ich mich im Folgenden beschäftigen. 3. Wird einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Metaphysik zugeschrieben, substantielle Formen, als Particularia verstanden, zu bezeichnen? Namhafte Vertreter der Interpretation sind Michael Frede und Günther Patzig in ihrem Kommentar zu Metaphysik Zeta; sie bemerken zu den Zeilen Met. Ζ 10.1035 b 27–3154: „Gegenstand der Definition sind Bestimmungen. Wenn man nun etwa sagt ,Sokrates ist ein Mensch‘, dann läßt sich ,Mensch‘ auf zwei Weisen verstehen. Es kann so verstanden werden, daß es die bestimmte ousia bezeichnet, welche Sokrates eigentlich ist. Es kann aber auch so verstanden werden, daß es sich auf die allgemeine Eigenschaft, ein Mensch zu sein, bezieht. Wird der Ausdruck auf die letztere Weise verstanden, dann handelt es sich bei dem, was er bezeichnet, nicht um eine ousia.“ 55 Frede und Patzig unterscheiden hier zwischen zwei Arten, Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ zu verstehen: entweder versteht man sie so, dass sie die 54

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ὁ δ’ ἄνθρωπος καὶ ὁ ἵππος καὶ τὰ οὕτως ἐπὶ τῶν καθ’ ἕκαστα, καθόλου δέ, οὐκ ἔστιν οὐσία ἀλλὰ σύνολόν τι ἐκ τουδὶ τοῦ λόγου καὶ τησδὶ τῆς ὕλης ὡς καθόλου· καθ’ ἕκαστον δ’ ἐκ τῆς ἐσχάτης ὕλης ὁ Σωκράτης ἤδη ἐστίν, καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων ὁμοίως. Frede/Patzig, Bd. 2 (wie Anm. 11) 191.

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partikulare οὐσία dessen bezeichnet, worauf sie zutreffen (im Beispielfall: die partikulare οὐσία des Sokrates); oder man versteht sie so, dass sie etwas Allgemeines, ein Universale bezeichnen. Nun sagen hier Frede und Patzig nichts dazu, welcher der beiden Lesarten Aristoteles den Vorzug gibt oder ob er sie beide nebeneinander stehen lässt und für in gleicher Weise akzeptabel hält, aber eine Seite zuvor hatten sie schon bemerkt: „Ferner ist zu bedenken, daß der ,Mensch im allgemeinen‘, wenn er keine ousia ist, überhaupt nichts Reales sein kann. Denn es handelt sich sicher nicht um eine Qualität oder sonst ein Widerfahrnis. Es kann also dem ,Menschen im allgemeinen‘ überhaupt keine Existenz zugesprochen werden, nicht einmal die Art von abhängiger Existenz, welche den Widerfahrnissen eigen ist.“ 56 Frede und Patzig lassen also keine Zweifel daran, dass die Lesart von Ausdrücken des Typs ,ein Mensch‘, nach der sie ein Universale, nämlich ,den Menschen im allgemeinen‘, bezeichnen, für Aristoteles in der Metaphysik inakzeptabel geworden ist. Zwar räumen sie ein, dass es auch der Metaphysik zufolge „so etwas wie die Explikation des allgemeinen Prädikats ,Mensch‘ [gibt]“ 57. Aber bereits in ihrer Einleitung machen sie deutlich, dass mit dieser Explikation nichts Allgemeines bestimmt werde, sondern die Allgemeinheit der Explikation lediglich in ihrer Allgemeingültigkeit bestehe: „Was Aristoteles im Auge hat, wenn er behauptet, eine Definition sei Definition des Allgemeinen, ist nicht dies, daß es sich bei dem Gegenstand, auf den die Definition zutrifft, um etwas Allgemeines handeln muß. Vielmehr kommt es allein darauf an, daß die Definition allgemeingültig ist, d. h. auf alle Gegenstände einer Art zutrifft.“ 58 So weit die von Frede und Patzig vorgeschlagene Interpretation. Positiv ist zunächst zu werten, dass die Auffassung, die Frede und Patzig Aristoteles zuschreiben, nicht im Widerspruch zu (K1) steht. Denn dieser Auffassung nach bezeichnen Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch‘ kein Universale; mithin schließt (K1) nicht aus, dass sie ein τόδε τι bezeichnen; mithin ist (K1) damit vereinbar, dass sie eine substantielle Form bezeichnen. Fragwürdig ist aber, ob Aristoteles in der Metaphysik wirklich die Auffassung vertritt, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs

56 57 58

Ebd., 190. Ebd., 191. M. Frede/G. Patzig, Aristoteles ,Metaphysik Z‘. Text, Übersetzung und Kommentar. Erster Band: Einleitung, Text und Übersetzung, München 1988, 55.

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,Sokrates ist ein Mensch‘ kein Universale bezeichnen. Die von Frede und Patzig kommentierte Stelle (Met. Ζ 10.1035 b 27–31; siehe Zitat oben Anm. 53) legt genau das Gegenteil nahe: sie legt nahe, dass Aristoteles hier die Auffassung vertritt, Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch‘ bezeichneten ein „allgemein verstandenes Konkretes aus dieser Formel und dieser Materie“. Die Vertreter der oben (2.) besprochenen Interpretation sehen in dieser Formulierung mit Recht ein Indiz dafür, dass Aristoteles die Universalien, die in der Kategorienschrift als ,Substanzen im sekundären Sinne‘ bestimmt werden, auch in der Metaphysik annimmt, nun jedoch so charakterisiert, dass der in den Kategorien noch nicht berücksichtigten These Rechnung getragen ist, dass die Einzeldinge, die in den Kategorien als ,Substanzen im primären Sinne‘ bestimmt werden, Konkreta aus Form und Materie sind. Auch andere Stellen der Metaphysik legen dies nahe, etwa Met. Ζ 8.1033 b 19–26, wo Aristoteles über Ausdrücke des Typs ,eine Kugel‘ in Sätzen des Typs ,Dies ist eine Kugel‘ oder Ausdrücke des Typs ,ein Haus‘ in Sätzen des Typs ,Dies ist ein Haus‘ bemerkt: „Gibt es nun noch irgendeine Kugel neben diesen bestimmten Kugeln oder ein Haus neben den aus Ziegelsteinen bestehenden? Oder ist es nicht vielmehr so, dass ein Dies von der Art erst gar nicht entstehen könnte, wenn es so wäre? Vielmehr bezeichnen derlei Ausdrücke ein solches da, und es handelt sich nicht um ein Dieses und um etwas Bestimmtes, sondern man macht und erzeugt aus diesem ein solches, und wenn die Sache erst einmal erzeugt ist, dann ist sie ein Dieses solches. Dies bestimmte Ganze aber, Kallias oder Sokrates, entspricht dieser bestimmten ehernen Kugel; der Mensch und das Lebewesen hingegen entsprechen der ehernen Kugel überhaupt.“ (Übersetzung Frede/Patzig59) Problematisch ist auch, dass die semantische Position, die Frede und Patzig Aristoteles zuschreiben, so wenig plausibel ist. Sie impliziert, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch‘ etwas Anderes bezeichnen als in Sätzen des Typs ,Platon ist ein Mensch‘, nämlich in Sätzen des ersten Typs die partikulare οὐσία des Sokrates, in Sätzen des zweiten Typs die partikulare οὐσία des Platon. Sie impliziert weiter, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in falschen Sätzen des Typs ,Fido, mein Hund, ist ein Mensch‘ überhaupt nichts bezeichnen, denn die partikulare οὐσία von

59

Frede/Patzig, Bd. 1 (wie Anm. 58) 87: πότερον ου˜̓ ν ἔστι τις σφαι˜ρα παρὰ τάσδε ἢ οἰκία παρὰ τὰς πλίνθους; ἢ οὐδ’ ἄν ποτε ἐγίγνετο, εἰ οὕτως η˜̓ ν, τόδε τι, ἀλλὰ τὸ τοιόνδε σημαίνει, τόδε δὲ καὶ ὡρισμένον οὐκ ἔστιν, ἀλλὰ ποιει˜ καὶ γεννᾷ ἐκ του˜δε τοιόνδε, καὶ ὅταν γεννηθῇ, ἔστι τόδε τοιόνδε; τὸ δὲ ἅπαν τόδε, Καλλίας ἢ Σωκράτης, ἐστὶν ὥσπερ ἡ σφαι˜ρα ἡ χαλκη˜ ἡδί, ὁ δ’ ἄνθρωπος και ̀ τὸ ζῷον ὥσπερ σφαι˜ρα χαλκη˜ ὅλως.

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Fido besteht ja nicht darin, ein Mensch zu sein, sondern ein Hund. Sie impliziert weiter, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in generellen Sätzen des Typs ,Ein Mensch ist ein Lebewesen‘ ebenfalls nichts bezeichnen, denn sie lassen sich in Sätzen eines solchen Typs offenkundig nicht auf irgendeine partikulare οὐσία beziehen. Es hat m. E. einen hohen Preis, Aristoteles eine solche Theorie zuzuschreiben, denn sie ist philosophisch fragwürdig: warum sollten Ausdrücke desselben Typs – ,ein Mensch‘ – bald das eine, bald das andere, bald gar nichts bezeichnen, obwohl keine Verschiedenheit des Sinns zu beobachten ist? Ist die Annahme einer solchen Polysemasie nicht wenig glaubhaft? Allerdings haben Frede und Patzig für ihre Ablehnung der These, dass Aristoteles die Universalien, die in der Kategorienschrift als ,Substanzen im sekundären Sinne‘ bestimmt werden, in die Metaphysik übernommen habe, ein gewichtiges Argument. Aristoteles beim Wort nehmend, wenn er in Metaphysik Z 13 schreibt, es sei unmöglich, dass ein Universale οὐσία sei (1038 b 8 f.; vgl. auch 1038 b 35), folgern sie: „Ferner ist zu bedenken, dass der ,Mensch im allgemeinen‘, wenn er keine ousia ist, überhaupt nichts Reales sein kann. Denn es handelt sich sicher nicht um eine Qualität oder sonst ein Widerfahrnis. Es kann also dem ,Menschen im allgemeinen‘ überhaupt keine Existenz zugesprochen werden, nicht einmal die Art von abhängiger Existenz, welche den Widerfahrnissen eigen ist.“ 60 Frede und Patzig setzen für ihr Argument folgende Annahmen voraus: erstens, dass ,der Mensch im allgemeinen‘ laut der Metaphysik keine οὐσία ist; zweitens, dass ,der Mensch im allgemeinen‘ in Aristoteles’ Sicht kein Widerfahrnis ist; und drittens, dass etwas, um für Aristoteles real zu sein, entweder eine οὐσία oder ein Widerfahrnis zu sein hat. Semantisch gewendet, lässt sich Fredes und Patzigs Argument auch so formulieren: Wenn, dem oben in der Einleitung (Anm. 5) zitierten Prinzip zufolge, jeder ,einfache Ausdruck‘ entweder eine οὐσία oder etwas der neun übrigen Kategorien bezeichnet, so gilt dies auch für Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ (denn es handelt sich hier um ,einfache Ausdrücke‘). Wenn nun aber solche Ausdrücke etwas Allgemeines bezeichnen, so bezeichnen sie (K1) zufolge kein τόδε τι und damit auch keine οὐσία. Sie bezeichnen aber offenkundig auch nicht irgendetwas anderes (von den neun übrigen Kategorien). Also ist die Voraussetzung falsch, dass solche Ausdrücke etwas Allgemeines bezeichnen – zumindest falls das Prinzip weiterhin gelten soll, dass jeder Ausdruck, der sinnvollerweise an die Subjekt- oder Prädikat-Stelle eines Satzes tritt, entweder eine οὐσία oder etwas der neun übrigen Kategorien bezeichnet. 60

Frede/Patzig, Bd. 1 (wie Anm. 11) 190.

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Es gibt Grund zur Annahme, dass Aristoteles in der Metaphysik an dem Prinzip festhält; allerdings habe ich den Eindruck, dass es eine Doktrin ist, die im Rahmen der komplexen οὐσία-Untersuchung der Metaphysik ein allzu holzschnittartiger Fremdkörper ist, den Aristoteles nur gewaltsam zu integrieren vermochte. Man denke nur an die Materie, die sich der Einteilung in gewissen Hinsichten entzieht. Sie ist für Aristoteles ohne Zweifel real; sie ist aber, wie er in Ζ 3 begründet, in gewissen Hinsichten keine οὐσία (weil sie zwei Kriterien für den οὐσία-Status verfehlt: sie ist kein τόδε τι, und sie ist nicht χωριστόν: vgl. Ζ 3.1029 a 26–30), und sie ist sicher auch kein Widerfahrnis. Ich denke also, dass, wenn man Aristoteles in dieser Sache eine Inkonsistenz ersparen möchte, der Versuch, dies zu tun, an diesem Prinzip ansetzen sollte. Dagegen scheint mir die Folgerung, die Frede und Patzig ziehen, um Aristoteles die Inkonsistenz zu ersparen, mit einem zu hohen Preis erkauft zu sein. Denn die Auffassung, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch‘ nichts Allgemeines, sondern jeweils etwas Partikulares bezeichnen, ist nicht nur philosophisch fragwürdig; ihr wird auch von Aristoteles an verschiedenen Stellen explizit widersprochen. Nun sagt aber Aristoteles, wie wir oben gesehen haben, an diversen Stellen, dass die Form von der Materie prädiziert werde, und so könnte man sich fragen, ob Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ zwar nicht in Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch‘ – mit Frede und Patzig als Particularia verstandene – Formen bezeichnen, wohl aber in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘. (Ich erinnere daran, dass ich oben eine ähnliche Frage mit Bezug auf die Annahme, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘ eine als Universale verstandene Form bezeichnen, gestellt und dort verneint habe. Jetzt betrachte ich aber eine etwas andere Frage, da es jetzt um eine als Particulare verstandene Form geht.) Eine positive Antwort auf diese Frage ist jedenfalls mit (K1) vereinbar; denn unter der Annahme, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘ partikulare Formen bezeichnen, bezeichnen sie kein Universale, und somit ist es mit (K1) vereinbar, dass sie ein τόδε τι bezeichnen. Aber ist eine positive Antwort auf die Frage auch mit der Prämisse vereinbar, die Aristoteles in der Begründung von (K1) voraussetzt, mit der Prämisse nämlich, dass ein τόδε τι nur von singulären Termen bezeichnet werden kann? Unter dieser Prämisse ergäbe sich, dass in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘ Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ als singuläre Terme zu verstehen wären, mit Sätzen dieses Typs also die Identität der Materie mit der partikularen Form behauptet werden würde, und die Behauptung dieser Identität scheint jedenfalls nicht so absurd wie die Behauptung der Identität der Mate-

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rie mit einer als Universale verstandenen Form (s. o.). Immerhin legt ja Aristoteles in Metaphysik Η 6.1045 b 17–19 nahe, dass die Materie und die Form in gewisser Weise ein und dasselbe sind, die eine potentialiter, die andere actualiter. Andererseits setzt Aristoteles für die These, dass die Form von der Materie prädiziert werde, offenkundig beider Verschiedenheit voraus. Somit ist es auch unter der Annahme, dass die Form ein τόδε τι, aber kein Universale ist, schwierig, Aristoteles die Auffassung zuzuschreiben, dass in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘ Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ substantielle Formen bezeichnen. Aber sagt Aristoteles nicht, dass die Form von der Materie prädiziert wird? Und schließt das nicht ein, dass in Sätzen des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘ Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ eine Form bezeichnen? Ersteres gebe ich zu, letzteres würde ich gerne bestreiten. Zum einen ist nicht klar, ob Aristoteles, wenn er von der Prädikation der Form von der Materie spricht, überhaupt einen Beitrag zur semantischen Analyse von Sätzen leisten möchte,61 und zum anderen mag er – wenn er doch einen solchen Beitrag leisten möchte – eine andere semantische Relation zwischen Ausdrücken des Typs ,ein Mensch‘ und der (jeweils partikularen) Form im Sinn gehabt haben als die des Bezeichnens. In der Kategorienschrift registriert Aristoteles – implizit – neben dem Bezeichnen noch eine andere semantische Relation zwischen generellen Termen und Entitäten, nämlich die des Konnotierens.62 Ausdrücke des Typs ,schreib- und lesekundig‘ bezeichnen in Sätzen des Typs ,Sokrates ist schreib- und lesekundig‘ zwar nicht die Schreib- und Lesekundigkeit (denn sonst würde mit diesen Sätzen absurderweise gesagt, dass Sokrates mit der Schreib- und Lesekundigkeit identisch ist), aber sie konnotieren sie, insofern gilt, dass Sokrates schreib- und lesekundig genau dann ist, wenn er Schreib- und Lesekundigkeit besitzt. Könnte man in Bezug auf Sätze des Typs ,Dieser Haufen Fleisch und Knochen ist ein Mensch‘ nicht analog sagen: Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ bezeichnen hier zwar nicht die Form Mensch (anderenfalls würde mit diesen Sätzen – wenig plausibel – gesagt, dass dieser Haufen Fleisch und Knochen mit der Form Mensch identisch ist), konnotieren sie aber?

II. Paradoxe Konsequenzen der These, dass jedes Universale τοιόνδε ist Im vorhergehenden Teil dieses Aufsatzes habe ich versucht, die Frage zu beantworten, ob einigen generellen Termen der Substanz-Kategorie in der Me61 62

Vgl. die skeptischen Bemerkungen bei Lewis (wie Anm. 5). Vgl. dazu Strobel (wie Anm. 4).

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taphysik zugeschrieben wird, substantielle Formen zu bezeichnen. Dabei habe ich Gebrauch gemacht von einer bestimmten Interpretation des ersten Teils von Aristoteles’ These, dass nichts der Dinge, die gemeinsam sind, ein τόδε τι bezeichnet, sondern τοιόνδε. Diesen ersten Teil habe ich mit (K1) paraphrasiert und zu zeigen versucht, welche Prämissen Aristoteles für die Begründung von (K1) voraussetzt. Der zweite Teil der These – paraphrasierbar mit „Jeder Ausdruck, der ein Universale bezeichnet, bezeichnet τοιόνδε“ – ist von mir bisher nicht thematisiert worden (insofern mit gewissem Recht, als er für Aristoteles’ Argumentation an der Β-Stelle keine Rolle spielt). Auch habe ich mich bisher nicht mit der Frage befasst, was Aristoteles hier (im Rahmen der mit (K1) paraphrasierten Aussage) eigentlich unter einem Universale verstanden wissen möchte und was unter einem Ausdruck, der ein Universale bezeichnet. Die Erörterung dieser Fragen möchte ich nun im verbleibenden zweiten Teil nachholen, zusammen mit der Betrachtung des zweiten Teils der aristotelischen These. Ich beginne mit der Frage, was Aristoteles hier unter einem Ausdruck verstanden wissen will, der ein Universale (und somit kein τόδε τι, sondern τοιόνδε) bezeichnet. Wie wir oben (I.1.) gesehen haben, knüpft Aristoteles die Einstufung eines Dings als ein τόδε τι an die Bedingung, dass das Ding nur von Ausdrücken bezeichnet werden kann, die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen können, und wie wir weiter gesehen haben, hat er dabei Ausdrücke im Blick, die wir heute als ,singuläre Terme‘ bezeichnen. Als Ergänzungsstück zu der These, dass ein τόδε τι nur von Ausdrücken bezeichnet werden kann, die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen können, sind nun für das als τοιόνδε verstandene Universale zwei alternative Thesen in Betracht zu ziehen: (A) Ein Universale kann nicht nur von Ausdrücken bezeichnet werden, die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen können, sondern auch von Ausdrücken, die auf mehr als nur ein Ding zutreffen können. (B) Ein Universale kann nur von Ausdrücken bezeichnet werden, die auf mehr als nur ein Ding zutreffen können. (A) ist damit vereinbar, dass ein Universale von einem Ausdruck bezeichnet werden kann, der auf nicht mehr als ein Ding zutreffen kann; (B) schließt dies dagegen aus. Bevor ich auf die Frage zu sprechen komme, ob Aristoteles eher zu (A) oder eher zu (B) tendiert, will ich zunächst auf die Schwierigkeiten hinweisen, die mit der einen wie mit der anderen These verbunden sind. Ich nehme dafür mit Aristoteles an, dass unter Ausdrücken, die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen können, singuläre Terme zu verstehen sind.63 63

Vgl. zu den Problemen dieser Annahme allerdings oben, I.1.

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Die Schwierigkeiten von (A): Nehmen wir an, Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ bezeichnen das Universale Mensch. Ausdrücke dieses Typs: ,das Universale Mensch‘ sind nun singuläre Terme und können – nach dem aristotelischen Verständnis von singulären Termen – auf nicht mehr als ein Ding zutreffen; sie können nämlich nur auf das zutreffen, was sie bezeichnen: das Universale Mensch. Unter der Annahme, dass Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ das Universale Mensch bezeichnen, haben wir nun einen Fall, wie ihn (A) für Universalien generell anzunehmen erlaubt: das Universale Mensch wird sowohl von Termen bezeichnet, die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen können (,das Universale Mensch‘), als auch von Ausdrücken, die auf mehr als nur ein Ding zutreffen können (,ein Mensch‘). Und was soll daran nun so schlimm sein? Folgendes: Die Annahme, dass zwei Ausdrücke, die dasselbe bezeichnen, in (von indexikalischen Ausdrücken freien) singulär prädikativen Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch‘ salva veritate durcheinander ersetzbar sind, scheint auf den ersten Blick plausibel zu sein;64 so kann ich z. B. ,Sokrates‘ in ,Sokrates ist ein Mensch‘ salva veritate durch ,Der Sohn des Sophroniskos‘ ersetzen: ,Der Sohn des Sophroniskos ist ein Mensch‘. Das Prinzip, dass Ausdrücke, die dasselbe bezeichnen, in (von indexikalischen Ausdrücken freien) singulär prädikativen Sätzen des Typs ,Sokrates ist ein Mensch‘ salva veritate durcheinander ersetzbar sind, ist allerdings einer Einschränkung unterworfen; es gilt nur unter der Voraussetzung, dass die Ersetzung nicht etwas Ungrammatisches zum Resultat hat; wenn ich z. B. in ,Alkibiades liebt Sokrates‘ ,Sokrates‘ durch ,Der Sohn des Sophroniskos‘ ersetze, ergibt sich etwas Ungrammatisches und infolgedessen auch nichts Wahrheitsoder Falschheitsfähiges: ,Alkibiades liebt der Sohn des Sophroniskos‘. Das Prinzip ist entsprechend so einzuschränken: Ausdrücke, die dasselbe bezeichnen, sind in (von indexikalischen Ausdrücken freien) singulär prädikativen Sätzen salva veritate durcheinander ersetzbar, sofern sie salva congruitate (unter Erhaltung der grammatischen Wohlgeformtheit) ersetzbar sind. Und dieses Prinzip scheint mir nun tatsächlich plausibel zu sein. Aber genau dieses Prinzip wird von der Annahme, dass das Universale Mensch sowohl von Ausdrücken des Typs ,ein Mensch‘ als auch von Ausdrücken des Typs ,das Universale Mensch‘ bezeichnet wird, verletzt: denn wenn ich in einem wahren Satz des Typs ,Sokrates ist ein Mensch‘ einen Ausdruck des Typs ,ein Mensch‘ durch einen Ausdruck des Typs ,das Universale Mensch‘ ersetze, erhalte ich zwar etwas grammatisch Wohlgeformtes (,Sokrates ist das Universale Mensch‘), aber nichts Wahres. Soviel zu den Schwierigkeiten von (A). Die Schwierigkeiten von (B) sind noch gravierender. Nehmen wir an, Ausdrücke des Typs ,ein Mensch‘ bezeichnen ein Universale, wir dürften aber, 64

Vgl. Frege, Sinn und Bedeutung (wie Anm. 1) 150.

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um auf dieses Universale Bezug zu nehmen, nur Ausdrücke verwenden, die auf mehr als nur ein Ding zutreffen können, und keine, die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen können. Genau das ist der Fall, den (B) für Universalien vorsieht. Ein sehr unangenehmer Fall. Denn wir müssten uns aller Aussagen der Form ,Das Universale Mensch ist so-und-so‘ enthalten, würden wir doch im Rahmen solcher Aussagen zur Bezugnahme auf das Universale einen Ausdruck verwenden, der auf nicht mehr als ein Ding zutreffen kann (sondern nur auf das Universale Mensch). Wir müssten uns also auch der Aussage enthalten, dass das Universale Mensch etwas ist, das nur von Ausdrücken bezeichnet werden kann, die auf mehr als nur ein Ding zutreffen können. Und wir dürften dann auch nicht mehr behaupten: ,Das Universale Mensch ist ein Universale‘. (Mancher wird sich hier an ,Freges Paradox‘ erinnert fühlen; diese Erinnerung werde ich später noch einmal wachrufen.) Die Schwierigkeiten, die mit der Akzeptanz sowohl von (A) als auch von (B) verbunden sind, lassen sich dadurch vermeiden, dass man (B) ganz verwirft und (A) durch eine modifizierte Fassung ersetzt, in der neben der semantischen Relation des Bezeichnens noch eine weitere semantische Relation zwischen Ausdrücken und Universalien berücksichtigt ist, nämlich die (bereits oben erwähnte) des Konnotierens: (A+) Ein Universale kann nicht nur von Ausdrücken bezeichnet werden, die auf nicht mehr als ein Ding zutreffen können, sondern auch von Ausdrücken konnotiert werden, die auf mehr als nur ein Ding zutreffen können.65 Mit (A+) im Gepäck kann man sagen, dass das Universale Mensch von Ausdrücken des Typs ,das Universale Mensch‘ bezeichnet wird, jedoch von Ausdrücken des Typs ,ein Mensch‘ (nicht bezeichnet, sondern) konnotiert wird. (A+) verletzt nun – anders als (A) – nicht das Prinzip, dass Ausdrücke, die dasselbe bezeichnen, in singulär prädikativen Sätzen wie ,Sokrates ist ein Mensch‘ salva veritate durcheinander ersetzbar sind, sofern sie salva congruitate (unter Erhaltung der grammatischen Wohlgeformtheit) ersetzbar sind. Wie aber sieht Aristoteles die Sache? An anderer Stelle habe ich argumentiert, dass ihm die Unterscheidung zwischen den Relationen des Bezeichnens und des Konnotierens – der Sache, wenn auch nicht der Terminologie nach – nicht fremd ist: In der Kategorienschrift ist die Unterscheidung implizit vorausgesetzt.66 Dennoch bin ich geneigt, ihm nicht These (A+) und auch nicht

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Dieser Lösungsvorschlag ist in der Sache wie auch terminologisch angelehnt an den bei Künne (wie Anm. 5) 334–336. Vgl. auch W. Künne, Die Philosophische Logik Gottlob Freges. Ein Kommentar, Frankfurt am Main 2010, 227–235. Vgl. Strobel (wie Anm. 4).

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These (A), sondern These (B) zuzuschreiben. Mein Hauptgrund dafür ist seine Charakterisierung des Universale als τοιόνδε. Die Charakterisierung des Universale als τοιόνδε ist nicht so zu verstehen, als würden Universalien nur auf eine der zehn Arten der Prädikation (γένη τῶν κατηγοριῶν Top. I 9.103 b 20–2167) ausgesagt, nämlich auf die, dergemäß etwas als so-und-so-beschaffen (ποιόν, τοιόνδε) charakterisiert wird. Denn erstens bemerkt Aristoteles in Soph. el. 22.178 b 37: τὸ γὰρ ἄνθρωπος καὶ ἅπαν τὸ κοινὸν οὐ τόδε τι ἀλλὰ τοιόνδε τι ἢ ποσὸν ἢ πρός τι ἢ τῶν τοιούτων τι σημαίνει, und diese Bemerkung impliziert, dass Universalien gemäß allen zehn Arten der Prädikation ausgesagt werden. Und zweitens schränkt er die in den Kategorien formulierte These, dass Ausdrücke des Typs „ἄνθρωπος“ oder des Typs „ζῷον“, also Ausdrücke, die ein Substanz-Universale bezeichnen, ποιόν τι σημαίνει dahingehend ein, dass sie οὐχ ἁπλῶς ποιόν τι σημαίνει, ὥσπερ τὸ λευκόν, sondern ποιάν τινα οὐσίαν (Cat. 5.3 b 18–21). Es liegt an der besonderen Verwendung der Pronomina „τοιόνδε“ bzw. „ποιόν τι“, die es erlaubt, nicht nur von Beschaffenheits-Adjektiven, sondern z. B. auch von Termen der ersten Kategorie wie „ἄνθρωπος“ oder „ζῷον“ zu sagen, sie bezeichneten ein τοιόνδε“ bzw. „ποιόν τι“. Denn die Pronomina „τοιόνδε“ und „ποιόν τι“ lassen sich, anders als z. B. ποσόν, als Pronomina für beliebige generelle Terme verwenden, z. B. auch für generelle Terme des Typs „ἄνθρωπος“ und „ζῷον“. Freilich ist für meine These, dass Aristoteles mit der Charakterisierung des Universale als τοιόνδε Position (B) voraussetzt, eine andere Beobachtung entscheidend – nämlich die, dass „τοιόνδε“ und „ποιόν τι“ als Pronomina nur solche Ausdrücke zu vertreten geeignet sind, die auf mehrere Dinge zutreffen können. „τοιόνδε“ und „ποιόν τι“ sind dagegen nicht geeignet, als Pronomina Ausdrücke zu vertreten, die nicht auf mehrere Dinge zutreffen können. So kann ich z. B. nicht „Σωκράτης“ in „Σωκράτης ἄνθρωπός ἐστιν“ durch „τοιόνδε“ vertreten lassen und auch nicht „ὁ ἥλιος“ in „ὁ ἥλιος αἴτιος τῆς γενέσεως“. Daher scheint sich mir Aristoteles mit der These, dass ein Universale kein τόδε τι, sondern ein τοιόνδε ist, auf (B) festzulegen. Daraus ergeben sich zugleich folgende Antworten auf die eingangs gestellten Fragen, (i) was Aristoteles in (K1) unter einem Universale verstanden wissen will und (ii) was unter einem Ausdruck, der ein Universale bezeichnet. Die Antwort auf (i) lautet: etwas, das nur von Ausdrücken bezeichnet werden kann, die auf mehrere Dinge zutreffen können; die Antwort auf (ii): einen Ausdruck, der auf mehrere Dinge zutreffen kann. Im ersten Teil hatte ich festgestellt, dass Aristoteles’ in der Begründung von (K1) vorausgesetzte Annahme, ein τόδε τι könne nur von singulären Ter-

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Vgl. zur Stelle M. Frede, Categories in Aristotle, in: Ders., Essays in Ancient Philosophy, Oxford 1987, 29–48, hier 32 ff.

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men bezeichnet werden (= [P1]), eine direkte Parallele bei Frege hat. Zum Abschluss dieses zweiten Teils möchte ich zeigen, dass auch Aristoteles’ Festlegung auf (B) eine direkte Parallele bei Frege hat. Die Parallele besteht darin, dass Aristoteles den Universalien mit (B) etwas zuschreibt, das dem ähnlich ist, was Frege den Begriffen zuschreibt, wenn er ihnen eine „prädikative Natur“ zuschreibt, und dass sich Aristoteles mit dieser Zuschreibung ein ähnliches Problem einhandelt wie Frege – nämlich das Problem, auf das ich bereits oben bei der Besprechung von (B) hingewiesen habe. In dem Aufsatz „Über Begriff und Gegenstand“, einer Antwort auf seinen Kritiker Benno Kerry, in der Frege die These verteidigt, die Eigenschaften Begriff zu sein und Gegenstand zu sein schlössen einander aus, insistiert Frege auf der „prädikativen Natur des Begriffes“.68 Gleich zu Beginn seiner Erwiderung auf Kerrys Einwände stellt er fest: „Der Begriff – wie ich das Wort verstehe – ist prädikativ.“ 69 Was mit dieser Feststellung gemeint ist, erläutert er in einer kurzen Fußnote: „Er [sc. der Begriff] ist nämlich Bedeutung eines grammatischen Prädikats.“ 70 D. h., wenn ein grammatisches Prädikat etwas bedeutet, dann bedeutet es einen Begriff. Frege versteht hier unter ,Bedeutung‘ nicht das, was man normalerweise unter ,Bedeutung‘ versteht, nämlich den linguistisch feststellbaren Sinn eines Ausdrucks. Vielmehr versteht er unter der Bedeutung eines Ausdrucks das, was der Ausdruck bezeichnet, seine Referenz. Und unter einem ,grammatischen Prädikat‘ versteht er hier auch nicht das, was man üblicherweise unter einem ,grammatischen Prädikat‘ versteht. In Sätzen des Typs ,Romeo liebt Julia‘ fungieren Ausdrücke des Typs ,Romeo‘ als grammatische Subjekte, Ausdrücke des Typs ,Julia‘ als grammatische Objekte und Ausdrücke des Typs ,liebt‘ als grammatische Prädikate; aber Ausdrücke des Typs ,liebt‘ bezeichnen laut Frege in solchen Sätzen keinen Begriff (sondern eine Beziehung); in Sätzen des Typs ,Der Morgenstern ist nichts anderes als die Venus‘ bezeichnen laut Frege71 Ausdrücke des Typs ,nichts anderes als die Venus‘ einen Begriff, fungieren aber schwerlich als grammatisches Prädikat. Frege scheint unter einem ,grammatischen Prädikat‘ hier (eher) das verstehen zu wollen, was übrigbleibt, wenn wir von einem Satz (oder Teil-Satz) dessen grammatisches Subjekt abziehen. Freges These, dass der Begriff Bedeutung eines grammatischen Prädikats ist, impliziert nicht, dass ein Begriff nur von einem – so verstandenen – grammatischen Prädikat bezeichnet werden kann; aber sie impliziert, dass jeder

68 69 70 71

Frege, Begriff und Gegenstand (wie Anm. 34) 174. Ebd., 168. Ebd., 168 Anm. 1. Vgl. ebd., 169.

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Begriff fähig ist, von einem grammatischen Prädikat bezeichnet zu werden. Zwei Beispiele zeigen dies: (i) Für Frege bezeichnen in Sätzen des Typs ,Romeo liebt Julia‘ Ausdrücke des Typs ,Romeo liebt‘ einen Begriff; Ausdrücke dieses Typs sind nun aber nicht das, was von Sätzen des Typs ,Romeo liebt Julia‘ übrigbleibt, wenn man das grammatische Subjekt abzieht (was dann übrigbleibt, sind Ausdrücke des Typs ,liebt Julia‘), und somit keine grammatischen Prädikate; aber der Begriff, der von Ausdrücken des Typs ,Romeo liebt‘ bezeichnet wird, kann auch von einem grammatischen Prädikat bezeichnet werden, nämlich von einem Ausdruck des Typs ,wird von Romeo geliebt‘. (ii) Für Frege bezeichnen in Sätzen des Typs ,Alle Säugetiere haben rotes Blut‘72 Ausdrücke des Typs ,Säugetiere‘ einen Begriff; Ausdrücke des Typs ,Säugetiere‘ sind nun nicht das, was von Sätzen des Typs ,Alle Säugetiere haben rotes Blut‘ übrigbleibt, wenn man jeweils das grammatische Subjekt abzieht (was dann übrigbleibt, sind Ausdrücke des Typs ,haben rotes Blut‘); aber der Begriff, der von Ausdrücken des Typs ,Säugetiere‘ in Sätzen des Typs ,Alle Säugetiere haben rotes Blut‘ bezeichnet wird, kann auch von einem (im eben erläuterten Sinne) grammatischen Prädikat bezeichnet werden, nämlich von ,ist ein Säugetier‘ in Sätzen des Typs ,Wenn etwas ein Säugetier ist, hat es rotes Blut‘. Für Frege ist nun darin, dass der Begriff Bedeutung eines grammatischen Prädikats ist, eingeschlossen, dass er kein Gegenstand ist; denn ein Gegenstand kann nur von singulären Termen bezeichnet werden, und singuläre Terme können niemals als grammatisches Prädikat fungieren, wiewohl sie Teil eines solchen sein können.73 Frege geht aber noch einen Schritt weiter: Er sagt nicht nur, dass Gegenstände nur von singulären Termen bezeichnet werden können, er meint auch, dass singuläre Terme nur Gegenstände bezeichnen können. Nimmt man nun das vorhin gewonnene Resultat hinzu, dass Begriffe keine Gegenstände sind, ergibt sich, dass Begriffe nicht von singulären Termen bezeichnet werden können. Und daher fühlt sich Frege gezwungen anzuerkennen, dass Ausdrücke des Typs ,Der Begriff Pferd‘ keinen Begriff bezeichnen, und zu behaupten „Der Begriff Pferd ist kein Begriff“.74 Frege will damit nicht ausschließen, dass etwas von einem Begriff ausgesagt werden könne; aber „auch da wo etwas von ihm ausgesagt wird“, sagt Frege, „verhält sich der Begriff wesentlich prädikativ“.75 Frege hat dabei quantifizierte Sätze der Form ,Es gibt einen Menschen‘ oder ,Alle Säugetiere

72 73 74 75

Vgl. ebd., 171. Ebd., 169 und 174. Ebd., 170. Ebd., 174.

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haben rotes Blut‘ im Auge. Warum verhält sich der Begriff auch hier wesentlich prädikativ? Weil die entsprechenden Sätze sinnwahrend in Sätze übersetzt werden können, in denen der Begriff von grammatischen Prädikaten bezeichnet wird: ,Es gibt etwas, das ein Mensch ist‘, ,Wenn etwas ein Säugetier ist, hat es rotes Blut‘. Diese Feststellung erlaubt es nun, Freges Rede von der prädikativen Natur des Begriffs folgendermaßen zu explizieren: Der Begriff hat eine prädikative Natur, weil für jeden Satz, von dem einige seiner Elemente Begriffe bezeichnen, gilt: entweder sind alle in ihm enthaltene Begriffsbezeichnungen grammatische Prädikate, oder er lässt sich sinnwahrend in einen Satz übersetzen, für den gilt, dass alle in ihm enthaltene Begriffsbezeichnungen als grammatische Prädikate fungieren. Um nun zu Aristoteles zurückzukehren: Frege spricht von grammatischen Prädikaten, Aristoteles von Ausdrücken, die auf mehrere Dinge zutreffen können. Hier liegt ein wichtiger Unterschied: Denn nicht alle grammatischen Prädikate sind Ausdrücke, die auf mehrere Dinge zutreffen können (Frege selbst weist darauf hin am Beispiel von ,nichts anderes als die Venus‘76); zudem versteht Aristoteles unter Ausdrücken, die auf mehrere Dinge zutreffen können, nicht grammatische Prädikate der Form ,ist ein Mensch‘, sondern generelle Terme der Form ,ein Mensch‘ (allerdings nimmt es Frege hier selbst nicht so genau: siehe wiederum sein Beispiel ,nichts anderes als die Venus‘). Ein weiterer Unterschied: Frege spricht nicht davon, dass Begriffe nur von grammatischen Prädikaten bezeichnet werden können, sondern davon, dass für jeden Satz, der Begriffsbezeichner enthält, gilt, dass alle seine Begriffsbezeichner grammatische Prädikate sind oder er sich in Sätze des ersten Typs sinnwahrend übersetzen lässt; Aristoteles legt hingegen nahe, dass Universalien nur von Ausdrücken, die auf mehrere Dinge zutreffen können, bezeichnet werden können. Aber diese Unterschiede sollten nicht folgende wichtige Gemeinsamkeit verkennen lassen: Frege legt sich (explizit) auf die Auffassung fest, dass Begriffe nicht von singulären Termen bezeichnet werden können, und Aristoteles legt sich (implizit, durch die Charakterisierung des Universale als τοιόνδε) auf die Auffassung fest, dass Universalien nicht von singulären Termen bezeichnet werden können. Während sich Frege über die Schwierigkeiten dieser Auffassung Rechnung gibt, finden wir bei Aristoteles keine ähnlichen Reflexionen. Und man wird ohne Zweifel Stellen in seinem Werk finden, an denen er – unvermeidlicherweise – doch mit singulären Termen auf Universalien Bezug nimmt. Aber dies zeigt nicht, dass er sich mit der Charakterisierung des Universale als 76

Ebd., 169.

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τοιόνδε nicht auf die Auffassung festlegt, die ich ihm zugeschrieben habe. Es zeigt nur, dass es sehr schwer ist, diese Auffassung zu haben, ohne sich in Schwierigkeiten zu verwickeln.77

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Dieser Aufsatz ist aus verschiedenen Vorgängerversionen hervorgegangen, von denen ich eine der früheren bei der Tagung „Die Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter – Rezeption und Transformation“ im Oktober 2011 und eine der späteren im Kolloquium zur antiken Philosophie an der Universität Bonn im April 2012 vortragen konnte. Gerhard Krieger gilt mein Dank für die Einladung, mit einem Vortrag an der Tagung mitzuwirken, Christoph Horn für die Einladung in das Bonner Kolloquium. Weiter möchte ich Sebastian Gäb, Anna Schriefl und Simon Weber für hilfreiche Bemerkungen danken.

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Heinaman, R.: Knowledge of Substance in Aristotle, Journal of Hellenic Studies 101, 1981, 63–77. Jaeger, W.: Aristotelis Metaphysica, Oxford 1957. Künne, W.: Abstrakte Gegenstände. Semantik und Ontologie, Frankfurt am Main 22007. Künne, W.: Die Philosophische Logik Gottlob Freges. Ein Kommentar, Frankfurt am Main 2010. Kung, J.: Aristotle on Thises, Suches and the Third Man Argument, Phronesis 26, 1981, 207–247. Lewis, F. A.: Predication, Things, and Kinds in Aristotle’s Metaphysics, Phronesis 56, 2011, 350–387. Menn, S.: Aporiai 13–14, in: M. Crubellier – A. Laks (Hrsg.), Aristotle: Metaphysics Beta. Symposium Aristotelicum, Oxford 2009, 211–265. Minio-Paluello, L. (Hrsg.): Aristotelis categoriae et liber de interpretatione, Oxford 1949. Ross, W. D.: Aristotle’s Metaphysics. A Revised Text with Introduction and Commentary, Vol. I, Oxford 1924. Ross, W. D.: Aristotelis Topica et Sophistici Elenchi, Oxford 1979. Smith, J. A.: τόδε τι in Aristotle, Classical Review 35, 1921, 19. Strobel, B.: Von einem Subjekt ausgesagt werden und an einem Subjekt vorliegen: zur Semantik genereller Terme in der aristotelischen Kategorienschrift, Phronesis 54, 2009, 40–75. Weidemann, H.: Aristoteles. Peri Hermeneias (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Bd. 1, Teil II), Berlin 1994. Zeller, E.: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Zweiter Theil, zweite Abtheilung. Aristoteles und die alten Peripatetiker, Leipzig 31879.

Die Metaphysik und metaphysisches Denken am „Vorabend“ der Aristoteles-Rezeption

Avicenna über Möglichkeit, Methode und Grenzen der Metaphysik Tiana Koutzarova Mit der Übertragung bedeutender Teile des Kitāb aš-šifāʾ (Buch der Genesung) etwa 100 Jahre nach dem Tode Ibn Sīnās (428 A.H./1037 n. Chr.) ins Lateinische hält Avicenna ins Abendland Einzug. Sein Ansatz bei der Beantwortung der grundlegenden philosophischen Frage nach dem Seienden (almawgˇūd) weist dabei eine in mehrfacher Hinsicht herausragende Wirkungsgeschichte auf. Er markiert nämlich nichts Geringeres als die kritische Neubegründung der aristotelischen Ersten Philosophie als einer an den Kriterien der Zweiten Analytiken gemessenen Wissenschaft, und erweist sich zudem in zwei unabhängig voneinander sich entwickelnden Rationalitätstraditionen als äußerst einflussreich: Neben Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Heinrich von Gent oder auch Duns Scotus diskutieren nämlich Autoren wie z. B. Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 606/1209), Aṯīr ad-Dīn al-Abharī (gest. 663/ 1264), Nagˇm ad-Dīn al-Kātibī (gest. 675/1276), Naṣīr ad-Dīn aṭ-Ṭūsī (geb. 597/1201 − gest. 672/1273), ʿAḍud ad-Dīn al-Īgˇī (geb. um 700/1300 − gest. 756/1355), Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī (722/1322 -793/1390), as-Sayyid ašˇ urgˇānī (740/1339–816/1413), G ˇ alāl ad-Dīn ad-Dawānī (830/1427– Šarīf al-G 908/1502–3), al-Maybuḏī (gest. 909/1503–4), al-Qūšgˇī (gest. 879/1474), Ṣadr ad-Dīn aš-Šīrāzī (gest. 1050/1640) und Muḥammad Mahdīy b. ʾAbī Ḏarr an-Narāqī (gest. 1209/1794) dieselben von Avicenna zum ersten Mal erschlossenen oder zumindest explizit eingeführten Fragen, wie etwa die nach dem ersten Objekt der Erkenntnis (bayyin bi-nafsihī, primum cognitum) oder nach der Unterscheidung von Sein (wugˇūd, esse) und Wesen (māhīyah, essentia) etc. Avicennas Kritik an der aristotelischen Metaphysik betrifft ihren epistemologischen Status. Diesen in aller Klarheit herausgearbeitet zu haben und so die Disziplin der Ersten Philosophie zum zweiten mal begründet zu haben, hat schon manchen Forscher dazu veranlasst, ihn den „zweiten Andronikos“ zu nennen.1

1

Vgl. A. Bertolacci, The Reception of Aristotle’s Metaphysics in Avicenna’s Kitāb al-Sifāʾ. A Milestone of Western Metaphysical Thought (Islamic Philosophy, Theology and Science Bd. 63), Leiden 2006, 480.

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Als 1988 D. Gutas’ Werk Avicenna and the Aristotelian Tradition erschien, konnte man nicht ahnen, daß es zu einer bedeutenden Wende in der Haltung gegenüber der arabischen Philosophie auch außerhalb der Arabistenkreise oder gar zu einem Sprung in der ihr gewidmeten Forschung in der westlichen Welt führen würde. Doch genau das ist eingetreten, wie es Zahl, Qualität und das beinahe zeitgleiche Erscheinen der seitdem entstandenen Arbeiten eindrücklich bezeugen. Im besonderen Maße gilt dies für die Erforschung der avicennischen Ilāhīyāt (Metaphysik) des Kitāb aš-šifāʾ.2 Auch wenn die unter der Leitung von I. Madkūr zwischen 1952 und 1983 in Kairo erschienene Edition dieses gewaltigen Werkes sicherlich nicht als eine ausreichend kritische angesehen werden kann – eine solche und zwar des gesamten Korpus des Avicenna einschließlich vieler bislang unbekannter Schriften wird zur Zeit in Iran vorbereitet – so erlaubt der heutiger Forschungstand zumindest differenziertere Fragestellungen. Im Folgenden möchte ich einige zentrale Veränderungen des Konzepts Avicennas gegenüber der aristotelischen Metaphysik skizzieren und sie anschließend im Hinblick auf ihre Möglichkeitsbedingungen und in bestimmter Hinsicht neu entstehenden Problemen kritisch hinterfragen.

I. Was ist Metaphysik? Verstand Aristoteles die Erste Philosophie als Wissenschaft vom allgemeinen Seienden (Met. Γ 1; Ontologie), dessen ausgezeichnete Bedeutung die der Substanz ist (Met. Γ 2), so führt die Untersuchung des Seienden als solchen konsequenterweise zur Analyse der Substanz (Met. Ζ, Η, Θ; Ousiologie), an

2

Neben zahlreichen Artikeln und neuen Übersetzungen – genannt sei hier nur die englische von M. E. Marmura (Avicenna: The Metaphysics of The Healing. A parallel English-Arabic Text Translated [Islamic Translation Series: Al-H ̣ ikma], Introduced, and Annotated by M. E. Marmura, Provo [Utah] 2005) – sind auch die folgenden, sich ausnahmslos auf die arabischen Originalquellen stützenden Monographien erschienen: R. Wisnovsky, Avicenna’s Metaphysics in Context, Ithaca 2003; Bertolacci, Reception of Aristotle’s Metaphysics (wie Anm. 1); T. Koutzarova, Das Transzendentale bei Ibn Sīnā. Zur Metaphysik als Wissenschaft erster Begriffs- und Urteilsprinzipien (Islamic Philosophy, Theology and Science Bd. 79), Leiden 2009; O. Lizzini, Fluxus (fayd). Indagine sui fondamenti della metafisica e della fisica di Avicenna, Bari 2011. Zum Überblick über die Übersetzungen und Forschungsliteratur zur Avicennas Metaphysik vgl. J. Janssens, An Annotated Bibliography on Ibn Sīnā, Leuven 1991, und das sich daran anschließende First Supplement, Louvain-la-Neuve 1999, sowie A. Bertolacci, Arabic and Islamic Metaphysics, in: E. N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2012 Edition), Stanford 2012. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch D. N. Hasse/A. Bertolacci (Hrsg.), The Arabic, Hebrew and Latin Reception of Avicenna’s Metaphysics, Berlin–Boston 2012.

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deren Anschluss jedoch erneut ein Übergang folgt: ein Übergang nämlich zu einem bestimmten Seienden, das die Prinzipien der Substanz uneingeschränkt verwirklicht und darum als Inbegriff von Substantialität begriffen wird (Met. Λ; Theologie). Analog könnte man das avicennische Programm wie folgt zusammenfassen: Beginnend mit einer Neuerung gegenüber der Metaphysik des Aristoteles, nämlich mit einer Kritik der Erkenntnis zur Ermöglichung einer Ersten Philosophie (Kritik), gewinnt Avicenna einen solchen Begriff des Seienden, dessen Erkenntnis die Erkenntnis eines Anderes nicht nur nicht bedarf, sondern diese überhaupt erstlich bedingt (Prinzip aller begrifflichen und vermittels derer auch Urteilserkenntnis). Da dieser Begriff des Seienden so allgemein ist, dass er gegenüber extramentaler und ausschließlich denkabhängiger Existenz indifferent ist, ermöglicht er im Rahmen dieser Kritik die Klärung des ontologischen Status der Gegenstände der Logik,3 womit die Metaphysik – auch wenn nur vermittels der Kritik und nicht ihrem Subjekt nach – die aristotelische Forderung nach einer höchsten Wissenschaft erfüllt, die offengebliebene Fragen hinsichtlich der Gegenstände aller anderen Disziplinen klärt. Als Subjekt (mawḍūʿ) der Metaphysik kann dieser Begriff jedoch nur in der eingeschränkten Bedeutung von „etwas, dem es nicht widerspricht, denkunabhängige Realität zu haben“ fungieren (Subjektsbestimmung). Die zweiten Intentionen werden somit ebenso wie „Chimäre“ oder „Bockhirsch“ aus dem Gegenstandsbereich der Ersten Philosophie ausgeschlossen. Ausgehend von einem solch inhaltsarmen, erstlich erkannten und nur noch vom schlechthin Nichtseienden abgrenzbaren Begriff wie dem des Seienden als solchen kann man zur erweiterten Erkenntnis der so-und-so bestimmten Seienden nur dann gelangen, wenn gezeigt werden kann, in welcher Weise diejenigen Bestimmungen, die das allgemeine Seiende als erste einzuteilen vermögen, erfaßt werden können. Avicennas Lösung hierbei ist revolutionär: „Notwendig“ und „möglich“ sind nicht nur wesentliche Eigenschaften des Seienden als solchen, sondern dass es so ist, ist eine Erkenntnis a priori. Damit schlägt er einen gegenüber der aristotelischen Vorlage neuen Weg der Explikation des Seienden jenseits von Substanz und Akzidens, nämlich den der modalen Bestimmung ein: Alles Seiende ist entweder ein durch sich selbst extramental Bestehendes oder ein solches, dem durch sich selbst weder reale Existenz noch Nichtexistenz widersprechen (modale Explikation). Der Got-

3

Vgl. Ibn Sīnā, Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt, hrsg. v. G. Anawati, Saʿīd Zāyid, mit Einl. von Ibrāhīm Madkūr, Kairo al-Hayʾah al-ʿāmmah li-šuʾūn al-maṭābiʿ al-ʾamīrīyah 1960, I 2, 10.17–11.2, (= Avicenna Latinus: Liber de philosophia prima sive scientia divina I–IV. Édition critique de la traduction latine médiévale par Simone van Riet, introdution doctrinale par G. Verbeke, Louvain–Leiden 1977, I 2, 10.72–77); zur engl. Übersetzung vgl. Avicenna, The Metaphysics of The Healing (wie Anm. 2) 7.22–27. Dazu vgl. Bertolacci, Reception of Aristotle’s Metaphysics (wie Anm. 1) 272 ff., und Koutzarova (wie Anm. 2) 139 ff.

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tesbeweis, der im Rahmen der modalen Explikation durchgeführt wird, stellt eine weitere Veränderung gegenüber der aristotelischen Metaphysik, die ja den unbewegten Beweger der Physik (VIII 5) voraussetzt, dar. Schließlich geht die avicennische Erste Philosophie zur Explikation bestimmterer Seiender über und betrachtet sowohl das Möglich- wie auch das Notwendigseiende, das sich als Inbegriff an Seiendheit erweist (Theologie). Auch wenn dieser Überlick äußerst knapp ist, so durfte er verdeutlicht haben, dass der Schlüssel zum Verständnis des avicennischen Konzepts in der erwähnten Kritik zu suchen ist. Darum wende ich mich zunächst ihr zu, um dann in einem zweiten Schritt einige Probleme im Hinblick auf Methode und Grenzen der neuen Konzeption anzusprechen.

II. Kritik Der eigentliche Ort der Kritik ist Buch I der insgesamt zehn Bücher umfassenden ʾIlāhīyāt (Metaphysik) des Kitāb aš-šifāʾ. Führt man sich allerdings vor Augen, dass diese gewaltige summa als eine zusammenhängende Einheit entworfen worden ist,4 so darf es auch nicht überraschen, dass sich Elemente der Kritik auch in anderen Disziplinen, wie z. B. im Madḫal (Isagoge), alMaqūlāt (Kategorien) oder auch und insbesondere im wissenschaftstheoretischen Buch Burhān (Zweite Analytik) 5 des Buchs der Genesung finden. Hinweise darauf kann man aber auch außerhalb des Werkes ausfindig machen, etwa in der berühmten und so oft zitierten biographischen Notiz des Avicenna oder in Spätwerken wie at-Taʿlīqāt (Anmerkungen). Ich fasse nun einige der vielfältigen und ihrer Natur nach heterogenen Hinweise zusammen: – An der höchsten Wissenschaft angekommen, stößt Avicenna auf große Verständnisschwierigkeiten,6 deren Überwindung er explizit der Hilfe al-Fārābīs verdankt;7 4 5

6

7

Vgl. dazu Koutzarova (wie Anm. 2) 41–49. Worauf Avicenna auch selbst hinweist, vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 1, 5.1–3 (= Liber de philosophia prima I 1, 3.35–37 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 2.34–37). Vgl. The Life of Ibn Sīnā (Studies in Islamic Philosophy and Science). A Critical Edition and Annotated Translation by W. E. Gohlman, New York 1974, 32.1–34.4. Zur englischen Übers. vgl. D. Gutas, Avicenna and the Aristotelian Tradition. Introduction to Reading Avicenna’s Philosophical Work (Islamic Philosophy, Theology and Science; Texts and Studies Vol. IV), Leiden–New York 1988, 8, und Bertolacci, Reception of Aristotle’s Metaphysics (wie Anm. 1) 44; zur deutschen Übers. vgl. Koutzarova (wie Anm. 2) 13 f. Es handelt sich dabei um das Traktat Fī ʾaġrāḍ kitāb mā baʿd aṭ-ṭabīʿah (Über die Ziele der Metaphysik). Zur Edition vgl. F. H. Dieterici (Hrsg.), Alfārābī’s philosophische Abhandlungen aus Londoner, Leidener und Berliner Handschriften, Leiden 1890 [ND: Institu-

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– Bereits im Madḫal (Isagoge) weist Avicenna auf seine eigene Systematisierungen in der Metaphysik des Kitāb aš-šifāʾ hin;8 – Der epistemologische Status der Prinzipien der Metaphysik kann – so wird schon im Burhān (Zweite Analytik) festgehalten – nur noch als „durch sich selbst bekannte“ (bayyinah bi-nafsihā) aufgefaßt werden;9 – Die Notwendigkeit erkenntnisapriorischer Urteile, aber auch Begriffe wird ebenfalls im Burhān (Zweite Analytik) behauptet;10 – Subjekt (mawḍūʿ) der höchsten Wissenschaft kann nur ein solches sein, dessen Gemeinsamkeit (ʿumūm) sich auf alle Subjekte der übrigen Wissenschaften erstreckt, ein hier, im Burhān (Zweite Analytik), nur angenommenes Prinzip alles verursachten Seienden kann als eben solches nicht Subjekt einer partikularen Wissenschaft sein; da es aber weder Allgemeines (kullī) noch allen anderen Seienden Gemeinsames (ʿāmm) ist, kann es nur Teil, nicht aber Subjekt der höchsten Wissenschaft sein;11 – Der aristotelische Gottesbeweis aus Physik (VIII 5) 12 behauptet ausschließlich ein Prinzip der Bewegung, nicht aber des Seins;13

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9 10 11 12

13

te for the History of Arabic-Islamic Science at the Johann Wolfgang Goethe University (Publications of the Institute for the History of Arabic-Islamic Science: Islamic Philosophy Bd. 12), Frankfurt am Main 1999, 34–38]; zur Übersetzung und ausführliche Interpretation vgl. Gutas (wie Anm. 6) 238–254; Bertolacci, Reception of Aristotle’s Metaphysics (wie Anm. 1) 65–103, und Koutzarova (wie Anm. 2) 17–38. Vgl. Ibn Sīnā, Kitāb aš-šifāʾ: al-Manṭiq: I. al-Madḫal (Isagoge), hrsg. v. G. Anawati, M. alH ̮ uḍayrī, ʾA. F. al-ʾAhwānī, mit Einl. von Ibrāhīm Madkūr, Kairo 1952, I 1, 9.17–10.4, zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 44: „Alles Schätzenswerte, das sich in den Büchern der Alten findet, haben wir in diesem Buch angeführt. Wenn etwas nicht an seinem üblichen Ort aufzufinden ist, so befindet es sich an einer anderen Stelle, die ich für angemessener halte. Dem habe ich hinzugefügt, was ich selbst erkannt und durch eigene Untersuchung gewonnen habe, insbesondere in der Physik, der Metaphysik und der Logik.“ Vgl. Ibn Sīnā, Kitāb aš-šifāʾ, al-Manṭiq: V. al-Burhān (Zweite Analytik), hrsg. v. ʾAbū lʿAlāʾ ʿAfīfī, mit Einl. von Ibrāhīm Madkūr, Kairo 1956, II 10, 184.3–7. Vgl. Ibn Sīnā, Kitāb aš-šifāʾ, al-Burhān (wie Anm. 9) I 6, 77.1–5. Vgl. ebd., II 7, 165.3–10. Vgl. dazu Bertolacci, Reception of Aristotle’s Metaphysics (wie Anm. 1) 119, Anm. 23, und Koutzarova (wie Anm. 2) 121 ff. Einen ähnlichen Beweis eines unbewegten Bewegers führt Avicenna selbst in der Physik. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: aṭ-Ṭabīʿīyāt (Physik): I. as-Samāʿ aṭ-ṭabīʿī (Physikvorlesung), hrsg. von Saʿīd Zāyid, mit Einl. von Ibrāhīm Madkūr, Kairo 1983, IV 15, 329–333. Vgl. dazu J. Mc Ginnes, Avicenna (Great Medieval Thinkers), Oxford 2010, 151. Vgl. Ibn Sīnā, Šarḥ kitāb ḥarf al-lām, in: ʿAbdar-RaḥmānBadawī (Hrsg.), ʾArisṭūʿ ind alʿarab: dirāsah wa-nuṣūṣ ġayr manšūrah (dirāsātʾislāmīyah Bd. 5), 2al-Kuwayt 1978, 23.21– 24, zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 390: „Er [Avicenna] tadelt Aristoteles und die Kommentatoren mit folgenden Worten: ,Es ist schändlich, zum ersten Wirklichen (al-ḥaqqu l-ʾawwalu, [Gott]) auf dem Weg der Bewegung und dadurch, dass Er Prinzip der Bewegung ist, zu gelangen, und es ist vergebliche Mühe, davon ausgehend es [d. h. das Prinzip der Bewegung] zum Prinzip der Substanzen zu machen. Denn diese Leute haben nichts mehr erbracht, als den Erweis, dass Er Beweger ist, nicht aber, dass Er Prinzip des Seienden ist. Wie denn auch! Wie kann die Bewegung der Weg sein, um den Einen und Wahren, der

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– Die Alten sind der Auffassung, dass es keine Seinskontingenz, sondern nur Seinsnotwendigkeit gibt.14 Es ergeben sich mehrere Themenkomplexe, die im Hinblick auf die Konzeption der Metaphysik als Wissenschaft und zwar als erste und höchste in einem Zusammenhang und damit in eine bestimmte Ordnung gebracht werden müssen, was Avicenna auch im Buch I von ʾIlāhīyāt (Metaphysik) tut. Die immer wieder aufgeworfene Schwierigkeit im Zusammenhang mit der Ersten Philosophie betrifft ihren Gegenstand – ist es das Seiende als Seiendes, oder Gott, oder die letzten Ursachen oder das von der Materie Abgetrennte –, und die Antwort darauf bestimmt nicht nur das jeweilige Konzept von Metaphysik, sondern auch die Verschiebung vieler Fragen aus den partikularen Wissenschaften wie z. B. der Physik (etwa die Seele und ihr Verhältnis zum Körper) in die Erste Philosophie. Vor allem aber hängt von der Antwort darauf, was Subjekt der Metaphysik ist, ab, ob entsprechend der jeweils zugrundegelegten Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie von einem metaphysischen Wissen oder von Metaphysik als Wissenschaft gesprochen werden kann. Da nun Avicenna in einer Tradition steht, die die Bedeutung der Analytica posteriora des Aristoteles rasch erkannt hat,15 und er auch selbst nicht nur eine solche Schrift (al-Burhān) verfasst, sondern ein gewaltiges Projekt der Darstellung aller theoretischen Wissenschaften und der Logik vollendet (Kitāb aš-šifāʾ) hat, so ist seine „Zweite Analytik“ nicht nur Teil des Kitāb aš-šifāʾ, sondern nichts Geringeres als die wissenschaftstheoretische Grundlage des gesamten Werkes.16 Dass also auch die Erste Philosophie an dieser Wissenschaftstheorie gemessen werden muss, wußte Avicenna nicht erst als er bei der letzten Disziplin des Kitāb aš-šifāʾ angekommen war:

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Prinzip allen Seins ist, zu er weisen!‘“ Ist aber der Beweis der Physik in seiner Aussagekraft eingeschränkt, so kann er doch aus didaktischen Gründen sogar von Nutzen sein. Vgl. dazu auch Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 1, 7.3–6, (= Liber de philosophia prima I 1, 5.91–6.97 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 4.28–34), Übers. von mir: „Was dir davon [d. h. von der Existenz Gottes] bereits im Züge der Physik aufgeschienen ist, ist ihr fremd und wurde, obwohl es nicht zu ihr gehört, in ihr verwendet. Denn es wurde damit beabsichtigt, eine gewisse Kenntnis von der Existenz des ersten Prinzips vorweg zu nehmen, damit der starke Wunsch entstehe, die Wissenschaften zu erwerben und eben dorthin zu gelangen, wo man dies in Wirklichkeit erkennen kann.“ Vgl. Ibn Sīnā, at-Taʿlīqāt (Anmerkungen), hrsg. v. ʿAbdar-ar-Raḥmān Badawī, (al-Maktabah al-ʿArabīyah; 130), Kairo 1392/1973, 29.20: Vgl. dazu D. Black, „Fārābı̄: ii. Logic“, in: E. Yarshater (Hrsg.), Encyclopaedia Iranica, Vol. IX, Fasc. 2, New York 1999, 213–16. und M. Maróth, Die Araber & die antike Wissenschaftstheorie (Islamic Philosophy, Theology and Science; Texts and Studies; Vol. XVII). Übers. aus dem Ungar. von J. Till und G. Kerekes, Leiden–New York 1994, 73–171. Vgl. dazu Koutzarova (wie Anm. 2) 44–49.

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Weder die Existenz Gottes noch die der letzten Ursachen der Dinge können als bekannt vorausgesetzt werden und dürfen gemäß der Wissenschaftstheorie17 allein schon deshalb nicht als Subjekt der Ersten Philosophie aufgefasst werden. Sollte aber überhaupt nach Gott und den letzten Ursachen gefragt werden, so nur in der Metaphysik, so dass beide notwendig den Status eines „Gesuchten“ (maṭlūb) erfahren.18 Wissenschaftstheoretisch bedeutet das, dass die zunächst nur hypothetisch angenommenen letzten Ursachen der Dinge und Gott in einem ganz bestimmten Verhältnis zum Subjekt dieser Wissenschaft stehen müssen, so dass im Zuge seiner Explikation der Weg zu solch „Gesuchtem“ überhaupt gelegt werden kann. Das Problem der Gegenstandsbestimmung der Metaphysik ist damit zwar nicht gelöst, seine Ausgangsvoraussetzung hat sich aber wesentlich verändert: zwei der insgesamt drei ursprünglich als mögliches Subjekt (mawḍūʿ) angenommenen Kandidaten haben diesen Status verloren, müssen aber, sollte ihr Existenzerweis überhaupt möglich sein, zu den wie auch immer gearteten Teile des Subjekts gerechnet werden. Der Ausweis des Seienden als Seienden (al-mawgˇūd min ḥayṯu huwa mawgˇūd) als Subjekt der Ersten Philosophie ist vielschichtig und könnte wie folgt zusammengefasst werden: – Das Seiende als solches weist eine maximale Gemeinsamkeit (ʿumūm) auf, die sich sowohl auf Substanz und Akzidens als auch auf disjunktive transkategoriale Bestimmungen wie Notwendigkeit und Möglichkeit, Akt und Potenz erstreckt;19 während Substanz und Akzidens wissenschaftstheoretisch als die washeitlich überhaupt erst bestimmten „Als-ob-Arten“ des Subjekts verstanden werden,20 kann den disjunktiven Bestimmungen nur

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Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-Burhān (wie Anm. 9) II 10, 184.7. Vgl. ders.: al-ʾIlāhīyāt I 1, 5.16–8.18, (= Liber de philosophia prima I 1, 4.58–8.39 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 3.20–6.17). Zu den entsprechenden Argumenten und Interpretationen vgl. Bertolacci, Reception of Aristotle’s Metaphysics (wie Anm. 1) 116 ff., und Koutzarova (wie Anm. 2) 125–137. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 2, 12.11–13.19, (= Liber de philosophia prima I 2, 12.11– 13.46 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 9.9–10.16). Zur Analyse vgl. Bertolacci, Reception of Aristotle’s Metaphysics (wie Anm. 1) 121 ff., und Koutzarova (wie Anm. 2) 138–173. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 2, 13.14–16, (= Liber de philosophia prima I 2, 13.38–41 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 10.7–11), zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 167: „Einige von diesen Bestimmungen verhalten sich ihm [d. h. dem Begriff des Seienden] gegenüber so, als ob sie Arten wären, wie die Substanz, die Quantität und die Qualität. Denn um in diese eingeteilt zu werden, bedarf das ‚Seiende‘ keiner voraufgehenden Einteilung, wie die Substanz Einteilungen benötigt, ehe sie in ‚Mensch‘ und ‚Nicht-Mensch‘ geteilt werden kann.“

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noch der Status von eigentümlichen Eigenschaften (ʿawāriḍu ḫāṣṣah) des Seienden als solchen eingeräumt werden;21 – Eine äquivoke Gemeinsamkeit wäre aber Scheingemeinsamkeit und würde daher keine Subjektgattung begründen können. Deshalb verteidigt Avicenna die Einheit des „Seienden“ im Hinblick sowohl auf seine „Als-ob-Teile“ als auch seine Eigenschaften. Die Verhältnisart des „Seienden“ beidem gegenüber bestimmt er in al-Maqūlāt (Kategorien) I 2 als taškīk,22 die dem aristotelischen πρὸς ἕν zwar ähnlich, mit ihm aber nicht identisch ist.23 „Seiendes“ (das, was Bestand haben kann) ist nach Avicenna demnach ein solcher gemeinsamer und früherer Begriff, der die einzelnen washeitlich oder modal bestimmten Seienden nur unexplizit erfaßt, da er dem jeweiligen Grad an Seiendheit: Substanz, Qualität, Quantität etc. bzw. Kontingenz und Notwendigkeit gegenüber indifferent ist.24 – Schließlich gilt es, und das ist der Kernpunkt der Kritik von ʾIlāhīyāt (Metaphysik) des Kitāb aš-šifāʾ, ebenfalls aus wissenschaftstheoretischen Gründen die Apriorität des „Seienden“ zu verteidigen. „Seiendes“ wird dabei (ʾIlāhīyāt I 5) in seinen beiden Hinsichten, dem Was-es-ist (šayʾ/Ding; al-wugˇūdu l-ḫāṣṣ/das eigentümliche Sein) und dem Dass-es-ist (al-wugˇūdu l-ʾiṯbātī/das allgemeine Sein) 25 als „das, was extramental Existenz haben 21

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Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 2, 13.16–19, (= Liber de philosophia prima I 2, 13.42–46 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 10.11–16), zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 169: „Einige davon sind [d. h. verhalten sich zum ‚Seienden‘] ‚wie eigentümliche Eigenschaften‘, wie das ‚Eine‘ und das ‚Viele‘, ‚Akt‘ und ‚Potenz‘, das ‚Universale‘ und das ‚Partikulare‘, das ‚Mögliche‘ und das ‚Notwendige‘. Denn um diese Eigenschaften aufzunehmen und um für sie aufnahmefähig zu sein, bedarf das ‚Seiende‘ weder als physisches, noch als mathematisches, noch als ethisches, noch als etwas anderes spezifiziert zu werden.“ Zur Übersetzung vgl. Koutzarova (wie Anm. 2) 214–218. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-Manṭiq: II. al-Maqūlāt (Kategorien), hrsg. v. Ibrāhīm Madkūr, Kairo 1954, I 2, 11.5–7. Vgl. dazu Koutzarova (wie Anm. 2) 227 ff. Zur Taškīk-Gemeinsamkeit des Seienden als solchen gegenüber den washeitlich bestimmten Seienden vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-Manṭiq: II. al-Maqūlāt (Kategorien) I 2, 10.13–16; zu den Textstellen, die auch das Taškīk-Verhältnis zu den modal bestimmten Seienden belegen vgl. Koutzarova (wie Anm. 2) 289–302. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 5, 31.5–9, (= Liber de philosophia prima I 5, 34.54–35.61 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 24.16–24), zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 315: „Das Ding‘ und das, was seinen Platz einnimmt [d. h. dessen Äquivalente als sprachliche Zeichen], können in allen Sprachen als Zeichen für eine andere Bedeutung verwendet werden, denn [es verhält sich ja so:] Eine jede Sache (ʾamr) hat ihr Wesen (ḥaqīqah), kraft dessen sie das ist, was sie ist. So besteht das Wesen des Dreiecks darin, Dreieck zu sein, das Wesen der Weiße darin, Weiße zu sein. Und dieses ist das, was wir das ‚eigentümliche Sein‘ (al-wugˇūdu l-ḫāṣṣ) nennen sollten, wobei wir damit nicht das ‚behauptbare Dass-Sein‘ (al-wugˇūdu l-ʾiṯbātī) meinen. Denn mit dem sprachlichen Ausdruck (lafẓ) ‚Sein‘ (al-wugˇūd) werden mehrere begriffliche Strukturen (al-maʿānī) bezeichnet, von welchen eine die des Wesens (al-ḥaqīqah) ist, durch das das Ding das ist, was

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kann“ expliziert, welches dann als „notwendig“ oder „kontingent“ weiter bestimmt werden kann. Dies erreicht Avicenna dadurch, dass er zunächst die auf der vorprädikativen Ebene a priori unterschiedenen Hinsichten Ding (aš-šayʾ) und Bestand-haben (wugˇūdu l-ʾiṯbātī) zusammen mit den Modi notwendig (aḍ-ḍarūrīy), kontingent (al-mumkin) und unmöglich (almumtaniʿ) als Möglichkeitsbedingungen jedweder begrifflicher Erkenntnis (taṣawwur) einführt. Da der Erweis ihrer Apriorität nicht erst Ergebnis einer Rechtfertigung sein kann, beschreitet Avicenna den Weg einer transzendentalen Reflexion auf die Prinzipien aller begrifflichen Erkenntnis im Modus eines bloßen „Aufmerkam-Machens“ (at-tanbīh).26 – In einem zweiten Schritt gilt es dann aber, den Zusammenhang zwischen den eingeführten ersten Begriffen zu verdeutlichen. Hierfür schlägt Avicenna die Verknüpfung von Ding (aš-šayʾ) und Bestand-haben (wugˇūdu lʾiṯbātī) in der Form eines Aussagesatzes vor: „Ein Wesen ist entweder im Konkreten oder in der Seele oder schlechthin (muṭlaq) – was beide [vorher

26

es ist (allatīʿalayhā š-šayʾu), so als ob das, wodurch das Ding das ist, was es ist [d. h. sein Wesen], sein eigentümliches Sein wäre.“ Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 5, 29.5–16, (= Liber de philosophia prima I 5, 31.2–32.19 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 22.19–23.7), zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 310 f.: „Wir sagen nun: Die begrifflichen Strukturen (almaʿānī) des Seienden (al-mawgˇūd), des Dinges (aš-šayʾ) und des Notwendigen (aḍ-ḍarūrī) prägen sich erstlich in der Seele (an-nafs) ein. Diese Einprägung ist nicht derart, dass sie der Heranziehung von etwas Bekannterem als sie [d. h. als die Begriffe des Seienden, des Dinges und des Notwendigen] bedürfen würde. Denn wie es im Bereich des Urteilens (at-taṣdīq) erste Prinzipien gibt, die auf Grund ihrer selbst für wahr gehalten werden und die der Grund für das Urteilen über anderes sind, so dass, wenn der auf diese [Prinzipien] hinweisende sprachliche Ausdruck (al-lafẓ) einem nicht einfällt oder nicht verstanden wird, das Fortschreiten zu der Erkenntnis dessen, was durch diese [Prinzipien] [als gültig] erkannt wird (yuʿrafu bi-hā), nicht möglich sein wird – dabei versucht die Bekanntmachung (at-taʿrīf) das Ins-Bewußtsein-Rufen dieser [Prinzipien] oder das Verständlich-Machen derjenigen sprachlichen Ausdrücke, durch die diese [Prinzipien] bezeichnet werden, nicht um der Mitteilung von Wissen willen, welches [dem Menschen] gemäß seiner natürlichen Verfassung (al-ġarīzah) nicht [ohnehin schon] präsent wäre, sondern [lediglich] um darauf aufmerksam zu machen, was der Sprecher intendiert, möglicherweise geschieht dies durch etwas, was an sich (fī nafsihā) weniger bekannt (ʾaḫfā) ist, als dasjenige, dessen Bekanntmachung erstrebt wird, was jedoch aus irgendeinem Grunde und wegen eines [allgemein verbreiteten] Sprachgebrauchs bekannter geworden ist –, ebenso gibt es im Bereich des begrifflich Erfassbaren (at-taṣawwurāt) Bestimmungen (ʾašyāʾ), welche Prinzipien des begrifflichen Erfassens (attaṣawwur) sind und durch sich selbst begriffen werden (mutaṣawwaratun li-ḏawātihā). Würde man auf diese hinweisen wollen, wäre dies in Wirklichkeit kein Erläutern eines Unbekannten, sondern ein Aufmerksam-Machen und ein Zum-Einfallen-Bringen durch ein Wort (ism) oder ein Zeichen (ʿalāmah), welche vielleicht an sich weniger bekannt als jenes [zu Erläuternde] sind, es jedoch aus irgendeinem Grunde und dank irgendeines Umstandes deutlicher (ʾaẓhar) bezeichnen.“

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genannten Seinsweisen] erfaßt – seiend.“ 27 Die „Wissenserweiterung“ (ʾifādah) dieser Verknüpfung ist aber keine reale und lässt sich daher nur dann verstehen, wenn die beiden Begriffe ausschließlich formal logisch betrachtet werden. Wie schon al-Fārābī in aller Deutlichkeit zeigte, ist „Seiendsein“ kein reales Prädikat, denn es fügt dem jeweiligen Subjekt nichts hinzu.28 Bei dem Vorschlag Avicennas handelt es sich ebenfalls keineswegs um eine reale Prädikation der Form S ist P, sondern nur um ein Experiment, bei dem auf die Bedingung für eine reale Eigenschaftsexplikation eines S, nämlich das Gegeben-Sein von „S ist“ als eine radikal von der Begriffslogik unterschiedene Ebene, aufmerksam gemacht wird. Das „S ist“ ist aber nichts anderes als jener Begriff des Seienden, den Avicenna bereits als Subjekt der Metaphysik bestimmt hat. Er meint „etwas, was eine extramentale Wirklichkeit haben kann“, weswegen sich die für den Verstand a priori unterschiedenen Gehalte „Seiend-sein“ (Dass-es-ist) und „Ding“ (Was-esist) nur als dessen zwei voneinander nicht trennbare Hinsichten (mutalāzimān) zeigen können.29 – Für die Metaphysik ergibt sich damit notwendigerweise die Einschränkung des Umfangs der einzelnen Hinsichten: „Chimäre“, „Bockhirsch“ oder selbst das „Nichts“, das „schlechthin Nichtseiende“ (al-maʿdūmu ʿalā lʾiṭlāqi), mögen als Gedachtes bestehen oder eine Washeit haben, können aber weder unter das „Was-es-ist“ noch das „Dass-es-ist“ als die genannten Hinsichten fallen.30 Bei den zahlreichen Diskussionen sowohl in der post-avicennischen Tradition als auch in der heutigen Forschung31 muss also bedacht werden, dass es sich bei der Frage danach, welchem der beiden Erstheit zukäme, um eine Frage ausschließlich der formal-logischen Ebene handelt, auf die in al-ʾIlāhīyāt (Metaphysik) I 5 des Kitāb aš-šifāʾ 27

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Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 5, 31.12–13, (= Liber de philosophia prima I 5, 35.66–67 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 24.29–31), zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 316. al-Fārābī: Risālah li-l-muʿallim aṯ-ṯānī fī gˇawāb masāʾil suʾila ʿanhā, in: F. H. Dieterici (Hrsg.), Alfārābī’s philosophische Abhandlungen, Leiden 1890, 84–103, hier 90. Zur Übersetzung vgl. F. H. Dieterici, Alfārābī’s philosophische Abhandlungen, Leiden 1892, 148– 149; N. Rescher, Studies in the History of Arabic Logic, Pittsburgh 1963, 40 ff., sowie auch von F. A. Shehadi, Metaphysics in Islamic Philosophy (Studies in Islamic Philosophy and Science), Delmar–New York 1982, 56; Koutzarova (wie Anm. 2) 206 f. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 5, 31.10–32.5 und 34.1–10, (= Liber de philosophia prima I 5, 35.62–36.83 und 38.23–39.39 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 24.25–25.14 und 26.31–27.16). Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 5, 32.6–33.11, (= Liber de philosophia prima I 5, 36.84– 38.14 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 25.15– 26.17). Vgl. z. B. die Ausführungen in Wisnovsky, Avicenna’s Metaphysics in Context (wie Anm. 2) 161–180.

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Avicenna selbst unmissverständlich eine Antwort gibt: „Ding“ (Was-es-ist) und „Bestand-haben“ (Dass-es-ist) sind zwei gleichursprüngliche und für den Verstand nicht nur unterscheidbare, sondern voraufgehend zum jeglichen Erkenntnisakt und darum a priori unterschiedene Gehalte.32 – Welcher Zusammenhang besteht aber zwischen dem Subjekt der Metaphysik und den modalen Begriffen? Die ebenfalls auf der formalen Ebene als Apriori begrifflicher Erkenntnis (taṣawwur) eingeführten Modalitäten „Notwendigkeit“, „Möglichkeit“ (Kontingenz) und „Unmöglichkeit“ können ja als solche gar nichts und also auch keine der übrigen mit diesem Status vorgestellten Begriffe explizieren.33 Das gilt selbstverständlich auch umgekehrt: eine formal-logische Betrachtungsweise vom „Was-es-ist“ als „Was-es-ist“ und dem „Daß-es-ist“ als „Daß-es-ist“ schließt ja an sich jede Explikation aus: Die berühmten avicennischen Beispiele wie etwa „Pferdheit“ (al-farasīyah/equinitas) zeigen ja eindrücklich, dass ein derart Betrachtetes weder ein Denkunabhängiges noch ein mentales Seiendes, weder Eines noch Vieles ist.34 Ein solches ist nämlich überhaupt kein ontologisch Vermögendes. Nur ein ontologisch Vermögendes aber, und zwar im Verhältnis zu seiner Aktualität, kann überhaupt weiter bestimmt werden. Andererseits kann das, was „notwendig“ und „kontingent“ als Modi unselbständiger Existenz schlechthin voraussetzen und daher erstlich explizieren, nicht schon der Zusammenhang zwischen einem Subjekt und seinem Prädikat (S ist P) sein, sondern allein jenes „Seiende“ (S ist), das Bedingung einer Eigenschaftsexplikation überhaupt ist.35 Dass es sich hierbei um das Subjekt der Metaphysik handelt, zu dessen eigentümlichen Eigenschaften (ʿawāriḍu ḫāṣṣah) die beiden Modi gerechnet werden, hat Avicenna ja an früherer Stelle gezeigt.36 – Die Bedingung für eine modale Aufteilung des „Seienden“ ist eine zweifache: in formaler Hinsicht besteht sie in der logisch-semantischen, für den Verstand a priori gegebenen Unterscheidung zwischen den beiden Hinsichten auf das transzendentale, gegenüber jeglicher Bestimmung noch gänzlich indifferente „Seiende“ (das, was extramental Existenz haben kann), näm-

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Vgl. dazu Koutzarova (wie Anm. 2) 339–346. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 5, 35.3–36.6, (= Liber de philosophia prima I 5, 40.54– 41.82 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 27.32– 28.32). Vgl. dazu Koutzarova (wie Anm. 2) 362–373. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt V 1, 196.10–13, (= Liber de philosophia prima V 1, 228.32– 229.38 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 149.21– 27). Vgl. dazu Koutzarova (wie Anm. 2) 373–380. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 2, 13.16–19, (= Liber de philosophia prima I 2, 13.42–46 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 10,11–16).

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lich „das Was-“ und „Dass-Sein“. Erst hierbei kann überhaupt von einer für den Verstand unterscheidbaren „Zweiheit“ gesprochen werden, deren Beziehung dann anhand des Kriteriums der „An-sich“-Inhärenz als „notwendig“ bzw. „beiläufig“ (ʿaraḍī, akzidentell, kontingent) disjunktiv bestimmbar wäre. Soll aber etwas, das von sich selbst her keine Wirklichkeit hat, als ein im Unterschied zum Ersten Seienden (Gott) auf eine außerhalb seiner selbst liegende Ursache notwendig Angewiesenes (muḥtāgˇ/Bedürftiges) begriffen werden, so muss auch eine andere Bedingung erfüllt werden: es darf nämlich keineswegs ausschließlich in seiner Washeitsbestimmung betrachtet werden, sondern insofern es extramentale Aktualität haben kann. Sein Wirklichkeitsmodus kann daher, im Unterschied zu dem des Ersten Seienden (Gott), vom Verstand als eine Zusammensetzung von Wesenheit (Was-es-ist) und Sein (Dass-es-ist) nach dem Schema von Kontingenz durch sich selbst und Notwendigkeit durch ein anderes erfasst werden, ohne damit eine reale Verschiedenheit von Wesenheit und Sein im aktualen Seienden zu behaupten.37 Mit all den genannten Schritten, die für die Klärung des epistemologischen Status der Metaphysik einerseits und für die Möglichkeit der Durchführung einer nun in dieser Weise konzipierten Wissenschaft andererseits notwendig sind, vollendet Avicenna seine Kritik. Diese selbst erweist sich dabei als ein erster und zugleich im höchsten Grade konstitutiver Bestandteil der Ersten Philosophie als Wissenschaft. Denn der aristotelische Wissenschaftsbegriff verpflichtet nicht nur zur Prüfung ihrer Möglichkeit, sondern bestimmt auch den systematischen Ort für solch eine Prüfung. Eine Reflexion über erste Begriffs- und Urteilsprinzipien kann darum nur Sache der Metaphysik sein.

III. Methode und Grenzen der Metaphysik Avicennas Während nun die Subjektsbestimmung als Ausweis aller von den Zweiten Analytiken geforderten Merkmale viele der berühmten Thesen Avicennas – wie die Apriorität und Einheit des „Seienden“, sowie die transzendentale Rechtfertigung beider – geradezu erzwingt, wirft die faktische Durchführung einer so konzipierten Ersten Philosophie viele Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf ihre Methode und Grenzen, denen ich mich im Folgenden zuwende.

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Das wird eindrücklich gezeigt in Avicenna: Šarḥ «Kitābʾuṯūlūgˇīyā» al-mansūbʾilāʾArisṭū, in: Abd ar-Raḥmān Badawī (wie Anm. 13) 35–74, hier 60.18–19; 61.16–22. Vgl. dazu Koutzarova (wie Anm. 2) 277–288, 373 ff.

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1. Wie verfährt eine uns mögliche Metaphysik? Der von Avicenna erhobene Anspruch an die von ihm in der oben erörterten Weise konzipierte Metaphysik lautet: „Du solltest wissen, daß es in Wirklichkeit einen Weg gibt, um als Ziel (al-ġaraḍ) dieser Wissenschaft den Erweis [der Existenz] eines Prinzips zu setzen, allerdings nur, nachdem [zuvor] ein anderes gewusst wird (ʾillā baʿda ʿilmin āḫara). Denn es wird dir im Folgenden ein Hinweis darauf deutlich werden, daß es uns möglich ist, auf die Existenz des ersten Prinzips [Gott] nicht von den sinneswahrnehmbaren Dingen, sondern von den ersten allgemeinen Verstandesprämissen zu schließen, die [einerseits] dazu zwingen, daß das Seiende ein notwendigseiendes Prinzip hat, und die [andererseits] ausschließen, daß dieses ein in irgendeiner Weise Veränderliches oder sich Vervielfältigendes ist, und die ferner erzwingen, daß dieses [Prinzip] Prinzip von allem sein soll, und daß alles durch es [d. h. durch dieses Prinzip] in der Ordnung des Ganzen notwendig wird. Auf Grund der Schwäche unserer Seelen [d. h. der Begrenztheit des menschlichen Verstandes] vermögen wir jedoch den Weg des Beweises, der ja von den Prinzipien zu den durch diese Prinzipiierten und von der Ursache zum Verursachten führt, nicht zu beschreiten. Wir können [auf diesem Wege] lediglich einige Grundzüge der [kausal, durch das Verhältnis von Ursache und Wirkung bestimmten] Ordnung der Seienden (marātibu l-mawgˇūdāti), nicht jedoch die Einzelheiten [dieser Ordnung] erkennen.“ 38 Was die üblicherweise vorgetragene Interpretation des Zusatzes des ersten Satzes – ʾillā baʿda ʿilmin āḫara – von der von mir vorgeschlagenen unterscheidet,39 ist der Blickwinkel: Verstehen die übrigen Übersetzungen darunter

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Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 3, 21.1–8:

(= Liber de philosophia prima I 3, 23.29–24.41 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 16.17–31), zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 391 f. Die lateinische Übersetzung (Liber de philosophia prima I 3, 23.29–24.41 [wie Anm. 3]) verzeichnet hier nisi postquam probatum fuerit in alia scientia, Marmuras (Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 16.18–19): „without [requiring first] another science“, Bertolacci, Reception of Aristotle’s Metaphysics (wie Anm. 1) 129, Anm. 46: „‘the goal’ (al-ġaraḍ) of metaphysics is described as ‘a determination [of reality] that does not begin after another science’“.

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„ohne dass hierfür eine andere Wissenschaft vorauszusetzen wäre“, so lese ich statt dessen: „allerdings nur, nachdem [zuvor] ein anderes gewusst wird“. Sie haben das Verhältnis zwischen der Zielsetzung der Metaphysik und den anderen Wissenschaften im Blick, ich hingegen das Verhältnis zwischen der in al-ʾIlāhīyāt I 5 vorgetragenen Kritik und der Setzung des Ziels der Ersten Philosophie. Sachlich könnte der Unterschied minimal erscheinen, denn die erwähnte Zielsetzung, der Gottesbeweis, darf nach der expliziten Erörterung der Wissenschaftstheorie im Burhān II 7 (Zweite Analytik) 40 tatsächlich kein in anderen Wissenschaften gewonnenes Wissen voraussetzen. Doch heißt das nicht, dass der Gottesbeweis, und damit die Erkenntnis eines besonderen Seienden, keine Voraussetzungen überhaupt hat. Wäre dem so, wäre eine der Subjektsetzung und der faktischen Durchführung der Metaphysik voraufgehende Kritik überflüssig. Auch wenn diese Kritik Bedingungen unserer Erkenntnis eines Seienden überhaupt betrifft und daher nur im Modus des „Aufmerksam-Machens“ (tanbīh) möglich ist, so liefert sie nichts Geringeres als die Fundierung einer uns möglichen Ersten Philosophie, mithin also auch die Begründung dafür, dass das göttliche Seiende kein Subjekt (mawḍūʿ), sondern nur im Zuge der Explikation des Subjekts erreichbares Ziel (maṭlūb) sein kann. Das Verhältnis zwischen dem auf Grund dieser Kritik erhobenen Anspruch einer metaphysischen Gotteserkenntnis und dem faktischen Weg, den Avicenna dorthin beschreitet, ist recht komplex und kann in diesem Rahmen adäquat wohl kaum erläutert werden. Hier wende ich mich, wie schon angekündigt, nur der Methode der avicennischen Metaphysik zu. Der zitierte Text aus al-ʾIlāhīyāt I 3 zeigt deutlich, dass die Metaphysik, die Avicenna intendiert, zweifach abgegrenzt wird: weder setzt sie den Gottesbeweis der Physik voraus, so dass sie dann jenes besondere Seiende, das als unbewegter Beweger erwiesen worden ist, zum Gegenstand hätte, noch kann sie dem Ideal der Wissenschaftstheorie folgen und deduktiv verfahren. Der Grund hierfür ist aber ausschließlich die „Schwäche unserer Seelen“, denn selbst wenn die Existenz des ersten Seienden (Gott) als ein von der Physik Bewiesenes angesehen werden könnte, müsste eine Metaphysik, die Gott zum Subjekt hat, auch sein „eigentümliches Sein“, sein Wesenswas, distinkt erfaßt haben. Dieser Text ist nicht nur Teil der Kritik, sondern bleibt ihrem Geiste auch treu, denn er verdeutlicht, dass es bei dem Unternehmen der Ersten Philosophie nicht um eine Metaphysik an sich, sondern nur um eine uns mögliche gehen kann, die aber gerade deswegen deduktiv nicht vorgehen kann.

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Vgl. dazu oben die Anm. 11.

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2. Die Grenzen der uns möglichen Metaphysik Es ist also klar, dass die Methode der Metaphysik ganz und gar von den Grenzen unserer Erkenntnis abhängig ist, so dass zu fragen ist, wo diese nach Avicenna zu ziehen sind. Auskunft darüber findet man an einer meines Wissens kaum beachteten Stelle aus dem Spätwerk at-Taʿlīqāt: „Das Wesen der Dinge ist dem Menschen nicht zugänglich, wir erkennen nur die propria (al-ḫawāṣṣ), die notwendigen Attribute (al-lawāzim) und die Akzidentien (al-aʿrāḍ) der Dinge. Wir kennen nicht für ein jegliches Ding die es konstituierende differentia specifica, welche auf sein Wesen verweist. So erkennen wir weder das Wesen des Ersten, noch des Intellekts, noch der Seele, noch der Sphäre, noch des Feuers, noch der Luft, noch des Wassers, noch der Erde. Ebenso wenig erkennen wir das Wesen der Akzidentien. Beispiel hierfür ist es, dass wir das Wesen von Substanz nicht erkennen, vielmehr erkennen wir etwas mit dieser Eigentümlichkeit, nämlich ‚nicht in einem Zugrundeliegenden sein‘, was jedoch nicht sein Wesen ist.“ 41 An anderen Stellen derselben Schrift heißt es: „Da nun der Mensch die Wesenheiten der Dinge, insbesondere der einfachen (al-baṣāʾiṭ), nicht zu erkennen vermag, wohl aber Attribute oder Proprien [der Wesen], und das Erste [Seiende, d. h. Gott] das einfachste (ʾabṣaṭu) aller Dinge ist, besteht hierbei das Maximum (al-ġāyah) des für den Menschen Erkennbaren in dem Attribut ‚Notwendigkeit des Seins‘ (wugˇūbu l-wugˇūdi), denn dies ist das eigentümlichste seiner Attribute (ʾaḫaṣṣu lawāzimihī).“ 42 „Und desgleichen erkennen wir das Wesen des Ersten nicht. Was wir aber in Bezug auf es [d. h. das erste Seiende] zu erkennen vermögen, ist, ‚dass ihm das Sein notwendig ist‘, oder eben, ‚dass es das ist, dem das Sein notwendig ist‘. Und dies [‚dass ihm das Sein notwendig ist‘] ist freilich nicht sein Wesen, sondern eines seiner Attribute. Vermittels dieses Attri-

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Ibn Sīnā, at-Taʿlīqāt (wie Anm. 14) 34.17–22:

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Ebd., 9–11:

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butes erkennen wir dann andere Attribute, wie die Einzigkeit und die übrigen Eigenschaften.“ 43 Die bekannte These Avicennas, dass uns die Erkenntnis des göttlichen Wesens verwehrt bleibt, wird zwar angesichts der zitierten Stellen nicht im geringsten erschüttert. Was aber dadurch ganz und gar erschüttert scheint, ist der epistemische Optimismus der uns bekannten Werke Avicennas hinsichtlich unseres Zugangs zu den Wesenheiten der Dinge dieser Welt. Sind sie uns epistemisch vollkommen unzugänglich, so muss der Anspruch, die Dinge an sich erkennen zu können, gänzlich aufgehoben werden. Dies hieße aber, dass die Extension eines solchen Philosophieverständnisses eingeschränkt werden müsste auf die Dinge insofern sie erkannt werden. Dafür scheint die folgende Stelle aus al-Madḫal (Isagoge) zu sprechen: „Wollen wir über die [realen] Dinge nachdenken und sie erkennen, so kommen wir nicht umhin, ihnen [d. h. den Dingen] Eingang in in das Denken (taṣawwur) zu gewähren, wodurch ihnen dann notwendig Merkmale zukommen werden, die [dem Sein] im Denken (taṣawwur) [eigentümlich] sind. Auf die Betrachtung der Merkmale, die ihnen im Denken zukommen, sind wir aber notwendig insbesondere dann angewiesen, wenn wir das Ziel verfolgen, ausgehend vom Bekannten Unbekanntes durch Überlegen zu erfassen.“ 44 All dies mutet doch seltsam kantisch an und führt unvermeidlich zu der Frage, warum Avicenna angesichts dieses möglicherweise erst spät gewonnenen Verständnisses seine bis dahin unkritisch durchgeführte und der realistischen Auffassung verpflichtete Philosophie, die sich nicht nur auf Seiendes im Denken (al-mawgˇūdu fī l-ʿaqli), sondern auch auf das von seinem Gedacht- und Erkanntwerden unabhängige reale Seiende an sich erstreckt, nicht revidiert. Wie sind also die angeführten Stellen zu deuten? Zur Gewinnung einer Antwort versuche ich diejenigen Grundlinien der avicennischen Metaphysik festzuhalten, die ich für nicht bezweifelbar halte: 1. Die Kritik in al-ʾIlāhīyāt I gründet in einer transzendentalen, nicht-empirischen Erhebung apriorischer Begriffe und Urteile, deren Verteidigung immer nur a posteriori in Form eines Aufmerksam-Machens (tanbīh) mög-

43

Ebd., 35.5–8:

44

Vgl. auch Kitāb aš-šifāʾ: al-Manṭiq: I. al-Madḫal (Isagoge) (wie Anm. 8) I 2, 15.9–12:

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lich ist.45 Hinsichtlich der Frage, ob damit die Dinge an sich erreicht werden können oder nicht, ist sie als solche aber indifferent. 2. Gegenstand der Metaphysik ist allerdings ein Begriff, der gegenüber einer näheren washeitlichen Bestimmung ganz und gar unterbestimmt (etwas, was extramental sein kann) ist und aller inhaltlich-sachhaltigen Erkenntnis deswegen nur noch voraufgehen und sie zugleich erst ermöglichen kann, so dass im Zuge seiner Explikation maximal heterogene Teile wie Notwendigseiendes, Substanz und Akzidens erreicht werden. Gegenstand der Metaphysik ist darum nicht ein bestimmtes Seiendes, wie z. B. Gott, die Substanz oder bestimmte Substanzen,46 sondern jenes Seiende als solches, durch das wir alles Seiende überhaupt erst erkennen können. 3. Die Gemeinsamkeit des „Seienden“ ist keine washeitliche. Seine Einheit wird im Rückgriff auf den Nichtwiderspruchssatz und den Satz vom ausgeschlossenen Mittleren in al-Maqūlāt (Kategorien) II 1 des Kitāb aš-šifāʾ transzendental verteidigt und in Folge dessen als die eines notwendigen Attributs (lāzim) begriffen: Jedwedes so-und-so Bestimmtes ist (mawgˇūd) oder ist nicht.47 4. Der Begriff des Seienden (al-mawgˇūd) erfasst für Avicenna aber nicht nur Gedachtes, sondern auch Wirklichkeit an sich. In al-ʾIlāhīyāt (Metaphysik) I 2 wird er als nicht leer (maʿnan muḥaqqaq)48 und sogar als ein a priori auf Realität an sich beziehbarer Begriff verstanden. Denn dort behauptet Avicenna, dass nicht nur das Wissen um sein „Was-Sein“, sondern auch das um sein „Dass-Sein“ nicht erst erworben werden muss,49 womit 45 46

47 48 49

Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 5, 29.5–16, (= Liber de philosophia prima I 5, 31.2–32.19 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 22.19–23.7). Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 8, 54.9–15, (= Liber de philosophia prima I 8, 63.4–64.14 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 43.57–44.4), zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 423, Anm. 79: „Wendet man sich ferner keiner anderen Wissenschaft zu, und wird das Subjekt dieser Wissenschaft [d. h. der Metaphysik] selbst in Substanz und in ihre eigentümlichen Eigenschaften eingeteilt, so wird jene Substanz, die Subjekt irgendeiner [partikularen] Wissenschaft oder Substanz schlechthin ist, nicht Subjekt dieser Wissenschaft sein, sondern Teil ihres Subjektes, und wird damit der Natur ihres Subjektes, welches nämlich das ‚Seiende‘ ist, in irgendeiner Weise zukommen, da ja die Natur des ‚Seienden‘ ohne die Vermittlung eines anderen vermag, sich mit jener Substanz zu verbinden bzw. sie zu sein. Das ‚Seiende‘ ist nämlich eine Natur, die von allem ausgesagt werden kann (yaṣiḥḥu ḥamluhā), ob dies nun Substanz oder etwas anderes ist. Denn wie dir im Vorangegangenen bereits klar geworden ist, ist etwas nicht auf Grund seines SeiendSeins Substanz, eine bestimmte Substanz oder ein bestimmtes Subjekt.“ Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-Manṭiq: II. al-Maqūlāt (Kategorien) (wie Anm. 23) II 1, 59.6–61.4. Zur Übersetzung und Analyse vgl. dazu Koutzarova (wie Anm. 2) 230–246 und 255–258. Vgl. Kitāb aš-šifāʾ: al-ʾIlāhīyāt I 2, 12.12–14, (= Liber de philosophia prima I 2, 12.14–18 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 9.11–15). Vgl. ebd., 13.8–10, (= Liber de philosophia prima I 2, 12.30–32 [wie Anm. 3]; Avicenna, The Metaphysics of The Healing [wie Anm. 2] 9.31–35).

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wohl kaum die Existenz des „Seienden“ als bloß Gedachtes, sondern allein seine tatsächliche Exemplifizierbarkeit an den Dingen gemeint sein kann. Was lässt sich aber auf Grund dieser Punkte im Hinblick auf die genannte Frage antworten? Mir erscheint es berechtigt, folgendes zu behaupten: Selbst wenn die Wesenheiten der Dinge uns epistemisch unzugänglich bleiben, so verfügen wir nach Avicenna über einen maximal sicheren und auf reale Seiende beziehbaren Begriff, der aber gegenüber aller washeitlichen oder modalen Bestimmung indifferent ist. Einer prinzipiellen Grenze unserer Erkenntnis im Hinblick auf die Wesenheiten der Dinge würde Avicenna mit seinem Subjekt der Metaphysik ein Maximum an Gewissheit gegenüberstellen, das allerdings nur noch ein Minimum an washeitlicher Bestimmtheit – nämlich ein Etwas (al-wugˇūdu l-ḫāṣṣ), das Sein haben kann (al-wugˇūdu l-ʾiṯbātī) – beinhaltet, so dass dann die Frage nach der Möglichkeit seiner Entfaltung zu stellen wäre. Die avicennische Antwort darauf ist ja bekannt: Die erste Aufteilung des uns möglichen Subjekts der Ersten Philosophie ist eine modale und diese Erkenntnis ist uns unmittelbar mit der Erkenntnis des „Seienden als solchen“ zugänglich. Auch die Einteilung in Substanz und Akzidens ist nach Avicenna eine uns unmittelbar mit dem Begriff des Seienden gegebene. Mit den beiden nur die apriorische Erkenntnis des Seienden voraussetzenden und für uns daher maximal sicheren Bestimmungsverfahren lassen sich so mehrere Begriffe – etwa notwendig und kontingent Seiendes wie auch Seiendes nicht bzw. in einem Zugrundeliegenden – gewinnen, die dann die jeweiligen Teilmengen des Seienden etwas näher, aber eben nur von den genannten Attributen her, und keineswegs wesenhaft, erfassen können. Auch wenn dieses Verfahren einer vom Prinzip zu dem durch es Konstituierten fortschreitenden Deduktion nicht genügen kann, die neben der Existenz des Prinzips sowohl die Einsicht in sein Wesen als auch in das Wesen alles anderen erfordert, so stellt es für Avicenna die an den Grenzen unserer Erkenntnis gemessen einzig mögliche Methode dar. Das von Aristoteles erhobene Ideal einer deduktiv verfahrenden Metaphysik kann für Avicenna, wie die folgende Stelle, ebenfalls aus at-Taʿlīqāt, deutlich belegt, nur einem ersten Seienden vorbehalten sein: „Die Weisheit (al-ḥikmah) ist die Erkenntnis des Notwendigseienden, nämlich des Ersten [Seienden, d. h. Gott]. Da nun kein Verstand es [d. h. das Notwendigseiende] so erkennt wie dieses sich selbst, ist es nur das Erste, das wirklich weise ist. [Denn] unter ‚Weisheit‘ (ḥikmah) verstehen ja die Philosophen das vollkommene Wissen. Das vollkommene Wissen auf der Seite des Begriffs (taṣawwur) ist das Erfassen [einer Sache] in [ihrer] Wesensdefinition. Auf der Seite des Urteils (taṣdīq) wiederum be-

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steht das vollkommene Wissen darin, etwas von seinen Gründe her zu wissen, sofern es denn Gründe hat. Was das angeht, was keinen Grund hat, so wird es durch sich selbst erfasst und durch sich selbst erkannt, wie das ‚Notwendigseiende‘, denn es [d. h. das Notwendigseiende] hat keine Definition und wird durch sich selbst erfaßt, in seinem ErfasstWerden ist es schlechthin voraussetzungslos [wörtlich: bedarf es keiner Sache], denn es ist ein Ersterfassbares (ʾawwalīyu t-taṣawwuri), und es wird durch sich selbst erkannt, da es ja keine Ursache hat […]. Das Notwendigseiende kennt jegliches Ding von seinen Gründen her, denn es weiß ein jegliches nicht vermittels außerhalb seiner liegender Dinge, sondern durch sein Selbst, da es ja der Grund für alles ist. In diesem Sinne ist es weise und seine Weisheit ist sein Wissen durch sich selbst.“ 50 Hier zeigt sich wohl besonders deutlich die oben angesprochene „Schwäche unserer Seelen“. Steht alles Intelligible nicht bloß einem abgetrennten Intellekt, sondern einem göttlichen Vermögen immer schon zur Verfügung, so steht es notwendigerweise und unmittelbar auch in der Ordnung vom Ersten her. Das Sich-in-Bezug-Setzen zum Ersten würde zwar das menschliche Erkenntnisvermögen gemeinsam mit den abgetrennten Intellekten aufweisen, allerdings nicht durch sich selbst, sondern erst als Ergebnis seiner Aktualisierung. Durch sich selbst ist das menschliche Erkenntnisvermögen kein tätiger Intellekt, sondern wesentlich komplexere, weil auf externes Material angewiesene Seele. Als solche verfügt sie über kein Wissen, weder von sich selbst, noch von einem anderen51 und ist nichts mehr als eine bloße Wahrnehmung ihrer selbst (šuʿūr bi-ḏāt).52 Wissen kann für die menschliche Seele nur erwor-

50

Ibn Sīnā, at-Taʿlīqāt (wie Anm. 14) 20.23–21. 2:

51

Vgl. dazu z. B. at-Taʾlīqāt (wie Anm. 14) 107: „Die Seele erkennt sich selbst nicht, solange sie mit Materie verbunden ist. Würde sie sich nämlich selbst erkennen, wäre sie vollkommen wie die [abgetrennten] Intellekte, die ja ihr Selbst erkennen.“

52

Vgl. Ibn Sīnā, at-Taʿlīqāt (wie Anm. 14) 161: „Die Wahrnehmung unseres Selbst ist unser Sein selbst (šuʿūrunā bi-ḏātinā huwanafsuwugˇūdinā) […]. Die Selbst-Wahrnehmung ist dem Selbst seiner Natur nach gegeben (ġarı̄zī), denn es ist sein Sein selbst, so dass wir keines Äußeren bedürfen, um das Selbst zu erfassen, sondern es ist vielmehr das Selbst selbst, durch das wir das Selbst erfassen.“

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ben sein.53 Mag nun die aristotelische Theorie der Zweiten Analytiken zweifelsohne auch für Avicenna die beste Anweisung zum Erwerb von Wissen sein,54 so kann sie ihre Ausgangsbedingung, die Potentialität des menschlichen Erkenntnisvermögens, nicht aufheben und vermag daher allenfalls die Bestform eines uns möglichen Wissens zu garantieren. Erreicht unsere Erkenntnis der seienden Dinge sogar ihr Prinzip und vermag sie daher eine daran ausgerichtete Ordnung des Seienden aufzustellen, so ist sie in ihrer Qualität äußerst defizitär. Auch wenn ihr alles Seiende zugänglich ist, so doch nur von den a priori erkannten Attributen her. Die unterstellten Träger dieser Attribute bleiben jedoch letztlich außerhalb ihrer Reichweite.

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Vgl. Ibn Sīnā, at-Taʿlīqāt (wie Anm. 14) 116, 23–25: „Das Wissen des Ersten ist nicht von den seienden Dingen gewonnen, sondern durch sein Selbst. Denn sein Wissen ist die Ursache für das Sein der Seienden, so dass keine Veränderung in seinem Wissen möglich ist. Unser Wissen hingegen ist von aussen, seine Ursache ist also das Sein der Dinge.“

54

Vgl. dazu Ibn Sīnā, Kitāb aš-šifāʾ: al-Burhān (wie Anm. 9) I 1, 53.15–18, zitiert nach Koutzarova (wie Anm. 2) 112: „Wenn wir des Zieles dieses Buches, nämlich der Bestimmung der Wege [d. h. der Methoden], die zum gewissen Urteil (at-taṣdīqu l-yaqīnī) und zur wirklichen Begriffsbildung (at-taṣawwuru l-ḥaqīqī) führen, eingedenk sind, dann ist der Nutzen dieses Buches offensichtlich, nämlich die Erlangung des gewissen Wissens (al-ʿilmu l-yaqīnī) und der wirklichen Begriffe, die für uns nützlich, ja notwendig sind, wenn wir daran gehen, das Werkzeug der Logik anzuwenden und sowohl die theoretischen als auch die praktischen Wissenschaften an ihrem [d. h. der Logik] Maßstab zu messen.“

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„Ma’aseh merkavah ist Metaphysik“ – Zur Rezeption des Aristoteles und seiner Metaphysik in der mittelalterlichen jüdischen Philosophie Frederek Musall

I. Hinführung Im litauischen Vilnius, einem der Zentren rabbinischer Gelehrsamkeit, gibt es eine Jeshivah, eine Talmudakademie, aus der die größten Gelehrten ihrer Zeit hervorgegangen sind. Nur einer ist ein wirklich hoffnungsloser Fall und der Rosh Jeshivah, der Leiter der Talmudakademie, ist gelinde gesagt verzweifelt, da es ihm nicht zu gelingen vermag, diesen an irgendeine Gemeinde zu vermitteln. Eines Tages erreicht ihn schließlich ein Schreiben aus einer kleinen galizischen Gemeinde, die ganz dringend einen Rabbiner sucht. ‚Galizien, da leben nur Bauern‘, denkt sich der Leiter der Talmudakademie, taucht seine Feder in das Tintenfass, überlegt kurz und verfasst folgende Zeilen: „Liebe Gemeinde, die Zeit Eures Wartens hat ein Ende: Ich werde Euch einen meiner Schüler schicken, der ist wie Moses, wie Salomon und wie Aristoteles.“ Im weit entfernten Galizien ist die Freude natürlich entsprechend groß! Was für ein Talmid Chakham – ein Gelehrter – und Gadol ba-Torah – ein Riese des TorahStudiums – wird da in ihre Gemeinde kommen? Doch Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude, aber sie währt häufig nicht lange; nach noch nicht einmal zwei Wochen nach Ankunft des neuen Rabbiners (wenn man den damaligen Postweg bedenkt also quasi postwendend) erreicht den Leiter der Talmudakademie ein wütender Brief: „Rosh Jeshivah, Du bist ein Lügner! Der Mann, den Du uns geschickt hast, ist ein Narr, obwohl Du uns versprochen hast, er sei wie Moses, Salomon und Aristoteles. Du bist ein gemeiner und hinterlistiger Lügner, erkläre Dich!“ Der Leiter der Talmudakademie ist erschüttert und erbost zugleich – er, ein Lügner?! Das will, das kann er nicht auf sich sitzen lassen und setzt sogleich sein Antwortschreiben auf: „Wie könnt Ihr Schmöcke es wagen, mich der Lüge zu bezichtigen?! Seid Ihr denn völlig von Sinnen?! Der Mann, welchen ich Euch geschickt habe, er ist wie Moses, wie Salomon

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und wie Aristoteles: Er stottert wie Moses, ist hinter den Weibern her wie Salomon und er kann genauso gut Hebräisch wie Aristoteles!“ Zugegeben, dieser einleitende Witz hat keinerlei besondere didaktische Pointe, aber hoffentlich sind trotzdem zwei grundlegende Dinge deutlich geworden: Erstens, dass der nichtjüdische Philosoph Aristoteles von dem Leiter der Talmudakademie als bedeutend genug eingestuft wird, um in eine Reihe mit den Meistern der jüdischen Weisheit, dem Propheten Moses und König Salomon, gestellt zu werden; und zweitens, dass Aristoteles kein Hebräisch konnte, was gewissermaßen die zuvor nahegelegte Behauptung sogleich wieder relativiert. Was Aristoteles letzten Endes repräsentiert, liegt folglich im Auge des Betrachters. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, dieses ambivalente Aristoteles-Bild im Rahmen der mittelalterlichen jüdischen Philosophie auf Basis der Rezeption seiner Schriften, insbesondere der Metaphysik, präzisierend zu umreißen. In diesem Zusammenhang ist das hier verwendete Kompositum „jüdische Philosophie“ eher als eine Art Arbeitsbegriff zu verstehen, denn was man eigentlich genau unter „jüdischer Philosophie“ zu verstehen vermag – einen Fremdimport, wie Julius Guttmann konstatiert,1 oder einen philosophischen Kommentar zur Traditionsliteratur, wie Collette Sirat im Bezug auf die mittelalterliche jüdische Philosophie feststellt,2 um hier nur zwei Zugangsweisen anzuführen – ist Gegenstand einer bis heute andauernden Debatte.3

II. Die Entwicklung des Bezugs zu Aristoteles bis Maimonides Unter alexandrinischen Juden existierte scheinbar die Legende, dass Aristoteles tatsächlich ein Schüler des Hohepriesters Simon dem Gerechten (hebr. Shimon ha-Tzaddik, um 310–291 bzw. 300–273 v. Z.) gewesen sei.4 So ist 1 2 3

4

Vgl. J. Guttmann, Philosophie des Judentums, Berlin 1933, hier 9. Vgl. C. Sirat, A History of Jewish Philosophy in the Middle Ages, Cambridge 1985, hier 5. Vgl. E. L. Fackenheim/R. Jospe (Hrsg.), Jewish Philosophy and the Academy, Madison/New Jersey 1996; A. W. Hughes/E. R. Wolfson (Hrsg.), New Directions in Jewish Philosophy, Bloomington/Indiana 2010; siehe zusammenfassend auch A. B. Kilcher, Zum Begriff der jüdischen Philosophie, in: A. B. Kilcher/O. Fraisse (Hrsg.) unter Mitarbeit von Y. Schwartz: Metzler Lexikon Jüdischer Philosophen, Stuttgart 2003, VIII–XVIII; Musall, F: Jüdische Philosophie, Philosophische Rundschau 53, 2006, 332–344; bezüglich der in diesem Beitrag thematisierten mittelalterlichen jüdischen Philosophie siehe ferner Y. Schwartz, Mittelalterliches Philosophieren. Zur Säkularisierung der interreligiösen Problematik, in: E. GoodmanThau (Hrsg.), Zeit und Welt: Denken zwischen Philosophie und Problematik, Heidelberg 2002, 185–205. Vgl. Sirat, Jewish Philosophy (wie Anm. 2) 7. Im Babylonischen Talmud, Traktat Joma 69a, wird von einer Begegnung zwischen Simon dem Gerechten und Aristoteles’ Schüler Alexan-

„Ma’aseh merkavah ist Metaphysik“

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es auch nicht verwunderlich, dass der hellenistisch-jüdische Philosoph Aristobolus von Paneas (vermutlich aus Alexandrien stammend, um 160 v. Z.), der als erster jüdischer Autor Aristoteles namentlich erwähnt, konstatiert, dass Aristoteles’ philosophisches Denken – wie im Übrigen auch das seiner Vorläufer Pythagoras, Sokrates und Plato – im Wesentlichen auf griechischen Übersetzungen der biblischen Offenbarung beruhe;5 folglich bestehe auch kein prinzipieller Unterschied zwischen griechischer Philosophie und jüdischer Tradition und die offensichtlich zwischen den beiden bestehenden Widersprüche (etwa das Problem der Anthropomorphismen) müssen nur entsprechend allegorisch umgedeutet werden. Allerdings lässt sich das Denken und Werk des Aristobolus nur fragmentarisch rekonstruieren6 und nicht alle Widersprüche lassen sich so einfach mittels hermeneutischer Interpretation harmonisieren, wie später Philon von Alexandrien (um 15/10 v. Z. – nach 40) deutlich macht, dessen Denken vor allem von mittelstoischen und mittelplatonischen Konzeptionen beeinflusst ist und die aristotelische Philosophie eher eklektisch aufgreift. Auch Philon sieht die grundlegende Übereinstimmung zwischen griechischer Philosophie und jüdischer Tradition, etwa in den platonisch-aristotelischen Gottesvorstellungen und dem jüdischen Monotheismus. Doch sowohl in seinen exegetischen (De opificio mundi) als auch in seinen philosophischen Schriften (De aeternitate mundi, De providentia) artikuliert Philon wiederholt Kritik an der mit dem biblischen Schöpfungsnarrativ unvereinbaren aristotelischen Lehre von der Ewigkeit der Welt. Philon setzt dieser das auf Platons Timaeus basierende Konzept eines ständigen Schöpfungsprozesses entgegen, wonach Gott immerwährend die intellegiblen Formen denkt, wodurch er die intelligible Welt des Logos, des göttlichen Urbildes, hervorbringt, was sich wiederum auf deren schattenhaftes Gegenbild, die sinnlich-wahrnehmbare Welt, ständig aktualisierend auswirkt.7

5

6 7

der dem Großen berichtet; das Motiv, dass Aristoteles ein Schüler von Simon dem Gerechten war, wird später vom litauischen Rabbiner und Kabbalisten Jechiel Heilprin (1660–1746) in seinem historiographischen Werk Seder ha-Dorot („Buch der Generationen“) noch weiter ausgeführt: Demnach sei Aristoteles sogar zum Judentum konvertiert! Dagegen schreibt nach Josephus Flavius, Gegen Apion (lat. Contra Apionem) I, 22, Aristoteles laut seinem Schüler Klearchos von Soli den Juden folgende Herkunft zu: „Die Juden stammen von den indischen Philosophen ab, sie werden von den Indern ‚Calami‘ und von den Syrern ‚Judaei‘ genannt und nehmen ihren Namen von dem Land, in welchem sie wohnen, was ‚Judaea‘ heißt; aber der Name ihrer [Haupt-]Stadt, der ist sonderbar, denn sie nennen sie ‚Jerusalem‘.“ Vgl. P. Kershenbaum, Jews in Egypt. The Special Case of Septuagint, in: A. T. Levenson (Hrsg.), The Wiley-Blackwell History of Jews and Judaism, Chichester 2012, 121–141, hier 127. Vgl. C. R. Holladay (Hrsg.), Fragments from Hellenistic Jewish Authors, (Bd. 3). Aristobulus, Atlanta/Georgia 1995. Vgl. Philon von Alexandrien, prov. 1, 7; Op. 7; Aet. 83–84.

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Anders als noch sein Vorgänger Aristobolus setzt sich Philon also kritisch mit den grundsätzlichen Problemfällen – wie Schöpfungslehre, göttliche Vorhersehung, das jenseitige Leben – auseinander, in denen sich aristotelische Lehre und jüdische Tradition widersprechen. Damit nimmt er in gewisser Weise jene Diskurse vorweg, die die mittelalterliche jüdische Philosophie wesentlich bestimmen. Doch ausgerechnet Philon, der eine paradigmatische Stellung im Denken der Patristik einnimmt und nach Hegel aufgrund seiner Logos-Theologie einen Wendepunkt in der europäischen Philosophiegeschichte markiert,8 spielt in diesen Diskursen keinerlei einflussgebende Rolle.9 Mit dem aufkommenden Christentum verlieren die hellenistisch-jüdischen Diaspora-Gemeinden wie Alexandria allmählich an Bedeutung und mit ihnen das von ihnen repräsentierte Modell einer möglichen kulturellen Synthese zwischen Hellenismus und Judentum. Die sich auf die religiöse Tradition berufenden philosophischen Weltdeutungen eines Aristobolus oder Philons vermögen zwar dem Frühchristentum eine weiterführende Perspektive zu eröffnen, aber im Vergleich zu den alternativen rabbinischen Weltdeutungsmodellen, die in den beiden anderen jüdischen Zentren Palästina und Babylonien artikuliert werden und beispielsweise in der reichhaltigen Midrash-Literatur zum Ausdruck kommen, erweisen sie sich als zu wenig eigenständig abgrenzbar von äußeren Einflüssen. Trotz seines Fokus auf der Kommentierung der schriftlichen und mündlichen Lehre ist auch im Rahmen des rabbinischen Judentums eine Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie spürbar; so legen etwa die in Mishnah und Talmud vorkommenden logischen Argumentationsregeln durchaus eine gewisse Vertrautheit mit vergleichbaren aristotelischen Modellen und Methoden nahe, wenngleich deren Redakteure es aber bewusst vermeiden auf mögliche Einflussgeber außerhalb der eigenen Tradition zu verweisen. Stattdessen wird in Verarbeitung der als konstitutives Krisenmoment wahrgenommenen hellenistischen Zeit in aller Deutlichkeit all jenes verdammt, was als „griechische Weisheit“ (hebr. chokhmat jevanit, womit ein eben spezifisches kulturelles Wissen gemeint ist) als suspekt gilt.10 Außerhalb des kulturellen Referenzrahmens des hellenistischen Judentums stellt die griechische Philosophie keine weltdeuterische Option dar, und folglich befindet sich auch Aristoteles zunächst einmal außerhalb des Judentums. Umso bemerkenswerter ist seine triumphale, wenn auch nicht unumstrittene Rückkehr – dieses Mal allerdings nicht in ein Himation, sondern in 8 9

10

Siehe hierzu ausführlich D. Westerkamp, Die philonische Unterscheidung – Aufklärung, Orientalismus und Konstruktion der Philosophie, München 2009. Philons Schriften werden erst wieder von den beiden italienisch-jüdischen Renaissance-Philosophen Azariah dei Rossi (1511–1578) und Jehudah Moscato (vor 1530–um 1593) aufgegriffen. Vgl. Babylonischer Talmud Sotah 49b; Menachot 64b; vergl. auch Bava Kamma 82a–b.

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eine Galabija verpackt. Denn die mittelalterliche jüdische Philosophie ist in ihrer formativen Phase in die arabisch-islamische11 Philosophie eingebettet, deren Problem- und Fragestellungen sie aufnimmt, reflektiert und verarbeitet und an deren Diskursen sie sich beteiligt.12 Der ägyptische Wissenschaftshistoriker A(bdelhamid). I. Sabra hat den Wissenstransfer im arabisch-islamischen Mittelalter in zwei konstitutive Phasen unterteilt: In der ersten Phase erfolgt die Aneignung des antiken Wissens (darunter eben auch die Philosophie), insbesondere durch die Übersetzung der Schriften aus dem Griechischen ins Arabische, und in der anschließenden zweiten Phase wird das erworbene Wissen „naturalisiert“ bzw. „islamisiert“, d. h. den religiös-kulturellen Bedürfnissen angepasst.13 Überträgt man nun Sabras Modell auf die jüdische Philosophie im arabisch-islamischen Kulturraum, ergeben sich weitere Differenzierungen, nämlich die Aneignung bzw. „Judaisierung“ der übersetzten Originalschriften oder aber die Aneignung bzw. „Judaisierung“ der „islamisierten“ Verarbeitungen. Charakteristisches Merkmal dieser „judaisierten“ Verarbeitungen ist, dass die meisten Texte in arabischer Sprache in hebräischen Lettern verfasst sind, weswegen man sie aufgrund ihrer spezifischen sprachlichen Äußerungen manchmal auch als „judäo-arabische Philosophie“ bezeichnet. Zwar vermögen arabisch-jüdische Denker beispielsweise die auf Arabisch verfassten Werke muslimischer oder christlicher Denker zu rezipieren, umgekehrt aber ist der Adressatenkreis – bis auf wenige Ausnahmen, die hebräische Lettern lesen können – auf ein jüdisches Publikum beschränkt. Wie in der arabisch-islamischen Philosophie nimmt auch in den unterschiedlichen Denkströmungen der judäo-arabischen Philosophie der „erste Lehrer“ (arab. muʽallīm al-awwal) Aristoteles eine Schlüsselstellung ein, 11

12

13

Bezüglich der Verwendung der Bezeichnung „arabisch-islamisch“ P. Adamson/R. C. Taylor, Introduction, in: Dies. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Arabic Philosophy, Cambridge 2005, 1–9, hier 3 f.; bezüglich der alternativen Bezeichnung „Philosophie im Islam“, welche in einem noch stärkeren Ausmaß andere religiöse Traditionen und sprachliche Artikulationen einbeziehen möchte, siehe T.-A. Druart, Philosophy in Islam, in: A. S. McGrade (Hrsg.), The Cambridge Companion to Medieval Philosophy, Cambridge 2003, 97–120, hier 97–100. Vgl. S. M. Wasserstrom, The Islamic social and cultural context, in: D. H. Frank/O. Leaman (Hrsg.), History of Jewish Philosophy, London 1997, 93–114; J. L. Kraemer, The Islamic context of medieval Jewish Philosophy, in: D. H. Frank/O. Leaman (Hrsg.), The Cambridge Companion to Medieval Jewish Philosophy, Cambridge 2003, 38–68; Zonta, M., Influence of Arabic and Islamic Philosophy on Judaic Thought, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2011 Edition), Stanford 2011. Vgl. A. I. Sabra, The Appropriation and Subsequent Naturalization of Greek Science in Medieval Islam. History of Science 25, 1987, 223–243 [nachgedruckt in F. Jamil Ragep u. a. (Hrsg.), Tradition, Transmission, Transformation: Proceedings of Two Conferences on Pre-modern Science Held at the University of Oklahoma, Leiden 1996, 3–27].

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nicht zuletzt da bereits im 10. Jh. fast das gesamte Korpus des Aristoteles (mit Ausnahme der Politik) in arabischer Übersetzung vorlag und darüber hinaus durch dessen Kommentatoren wie Alexander von Aphrodisias (2. Jh.), Porphyrius (233–301/5), Themistius (um 317–388) und Proklos (412–485) ergänzt wurde.14 Aber auch pseudoaristotelische Werke, wie das von Gerhard von Cremona (1114–1187) ins Lateinische übersetzte Liber de Causis (arab. Kitāb al-īḍāḥ [li-Arisṭūṭālis] fī l-ḫayr al-maḥd oder „Buch der Erklärung [des Aristoteles] über das reine Gute“),15 das sich im Wesentlichen aus den Elemente(n) der Theologie des Proklos zusammensetzt, oder die sogenannte Theologie des Aristoteles (arab. Uṯūlūğiyyāʼ Arisṭū),16 welche auf Plotins Enneaden IV–VI basiert, prägten das Aristoteles-Verständnis nachhaltig, so dass man in diesem Zusammenhang eher von einem neuplatonisch geprägten Aristotelismus sprechen muss, der je nach Denker zwischen neuplatonischen oder aristotelischen Positionen oszilliert. Klare Trennlinien zwischen Platon und Aristoteles, wie sie das Denken der lateinischen Scholastik kennt, existieren in der arabisch-islamischen Philosophie (und damit auch in der judäo-arabischen Philosophie) nicht, was aber auch auf die vorhandene Textgrundlage zurückgeführt werden kann, da sich das arabisch vorliegende Korpus des Platon im Wesentlichen auf Timaios, Politeia, Nomoi und Teilen des Symposium beschränkte.17 14

15

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Vgl. R. Walzer, Greek into Arabic: Essays on Islamic philosophy, Cambridge/Massachusetts 1962; D. Gutas, Greek Wisdom Literature in Arabic Translation. A Study of Graeco-Arabic Gnomologia, New Haven/Connecticut 1975; ders.: Greek Thought, Arabic Culture. The Graeco-Arabic Translation Movement in Baghdad and Early ‘Abbasid Society (2 nd–4 th / 8 th–10 th centuries), London 1998; ders.: Greek Philosophers in the Arabic Tradition. Aldershot 2000; siehe zusammenfassend ferner auch C. d’Ancona Costa, Greek Sources in Arabic and Islamic Philosophy, in: E. N. Zalta, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2011 Edition), Stanford 2011. Vgl. C. d’Ancona Costa, Recherches sur le Liber de causis. Paris 2002; C. d’Ancona Costa/ R. C. Taylor: Le Liber de causis, in: R. Goulet u. a. (Hrsg.), Dictionnaire des philosophes antiques, Ergänzungsband, Paris 2003, 599–647. Vgl. M. Aouad, La Théologie d’Aristote et autres textes du Plotinus Arabus, in: R. Goulet u. a. (Hrsg.), Dictionnaire des philosophes antiques, Bd. 1, Paris 1989, 541–570; P. S. Adamson, Arabic Plotinus: A Philosophical Study of the ‘Theology of Aristotle’, London 2002; ders.: The Theology of Aristotle, in: E. N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2012 Edition), Stanford 2012; bezüglich ihrer hebräischen Übersetzung und Rezeption im Mittelalter siehe ferner P. Fenton, The Arabic and Hebrew Versions of the Theology of Aristotle, in: J. Kraye/C. B. Schmitt/W. F. Ryan (Hrsg.), Pseudo-Aristotle in the Middle Ages: The ‚Theology‘ and Other Texts, London 1986, 241–264. Vgl. F. Rosenthal, On the Knowledge of Plato’s Philosophy in the Islamic World, Islamic Culture 14, 1940, 387–422; R. Walzer, Platonismus in der islamischen Philosophie (Arabische Übersetzung aus dem Griechischen), in: W. P. Eckert/P. Wilpert (Hrsg.), Antike und Orient im Mittelalter. Vorträge der Kölner Mediaevistentagungen 1956–1959 (Miscellanea Mediaevalia Bd. 1), Berlin 1962, 179–195; D. Gutas, Plato’s Symposion in the Arabic tradition, Oriens 31, 1988, 36–60; ders.: Platon. Tradition arabe, in: R. Goulet u. a. (Hrsg.),

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Aus dem aristotelischen Diktum, dass alle Menschen von Natur aus nach Wissen (εἰδέναι) streben,18 ziehen auch jüdische Denker die Konsequenz ihres Philosophierens. Doch es stellt sich diesbezüglich auch die grundlegende Frage, auf welchen Wissensquellen19 das erstrebte Wissen letztlich beruht: Auf der Vernunft oder auf der Offenbarung – auf den Werken des Aristoteles oder auf der Torah? Schließen die beiden als unterschiedliche Erkenntniszugänge zur Wahrheit einander aus oder ist eine Form der Synthese (hierarchisch; komplementär) möglich? An einer Synthese von aristotelischer und neuplatonischer Philosophie in muslimischer Verarbeitung und jüdischer Tradition versucht sich der insbesondere von dem muslimischen Philosophen Al-Kindī (um 800–873), dem Autor des Buch(es) über die Erste Philosophie (arab. Kitāb fī ʾl-falsafa alūlā), beeinflusste Isaak Israeli (um 840/50–932), der im Allgemeinen als der erste jüdischer Neuplatoniker gilt. Seine beiden später von Gerhard von Cremona (um 1114–1187) ins Lateinische übertragenen philosophischen Hauptwerke, das Buch der Definitionen und Beschreibungen (arab. Kitāb al-ḥudūd wa-ʾr-rusūm; hebr. Sefer ha-gevulim we-ha-reshumim; lat. Liber definitorum), das konzeptionell und strukturell von der Zweiten Analytik beeinflusst ist, und das Buch der Elemente (arab. Kitāb al-usṭuqusāt; hebr. Sefer hajesodot; lat. Liber elementorum), in welchem Isaak Israeli ausführlich die aristotelische Elementenlehre diskutiert, spiegeln einen durch neuplatonische und pseudo-aristotelische Schriften gefilterten Aristotelismus wieder. Isaak Israeli, der sich intellektuell in der Tradition der al-qudamāʾ, der „antiken Philosophen“, verortet, geht von einer ontologischen Hierarchie des Kosmos aus, die von der vollkommenen Gottheit bis hinunter in die unvollkommene sublunare Welt reicht. Allerdings emanieren im Gegensatz zur klassischen neuplatonischen Vorstellung die „erste Materie“ und die „erste Form“ nicht ungewollt und unzeitlich aus Gott, sondern werden von ihm ex nihilo erschaffen, wodurch Isaak Israeli den Schöpfungsgedanken in seine Emanationslehre integriert.20 Obwohl Moses Maimonides später zahlreiche bereits von Isaak Israeli thematisierte Fragestellungen und Probleme aufgreift, kritisiert er seine philo-

18 19 20

Dictionnaire des philosophes antiques, Bd. 5a, Paris 2012 845–63; R. Arnzen, Arabisches Mittelalter, in: C. Horn/J. Müller/J. Söder (Hrsg.), Platon-Handbuch, Stuttgart 2009, 439– 446; ders.: Platonische Ideen in der arabischen Philosophie: Texte und Materialien zur Begriffsgeschichte von ‚ṣuwar aflāṭūniyya‘ und ‚muthul aflāṭūniyya‘, Berlin 2011. Vgl. Met. Α 1.980 a 1. Vgl. Y. Elkana, Anthropologie der Erkenntnis. Die Entwicklung des Wissens als episches Theater einer listigen Vernunft, Frankfurt am Main 1986, hier 47–51. Vgl. Sirat: Jewish Philosophy (wie Anm. 2) 61; zur entsprechenden Textstelle bei Isaak Israeli siehe A. Altmann/S. M. Stern, Isaac Israeli: A Neoplatonic Philosopher of the Early Tenth Century, 2. Aufl. Chicago 2009, 85 f.

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sophische Unschärfe zwischen neuplatonischen und aristotelischen Ansichten und bezeichnet ihn im Hinblick auf seine eigentliche Profession polemisch „als Arzt“ (und eben nicht als ernstzunehmenden Philosophen);21 dagegen werden Isaak Israelis Schriften später von christlichen Denkern wie Dominicus Gundisalvi (um 1110–nach 1181), Albertus Magnus (um 1200–1280), Thomas von Aquin (um 1225–1274) oder Nikolaus von Kues (1401–1464) durchaus positiv rezipiert. Einen etwas anderen Ansatz, der das Verhältnis von Vernunfterkenntnis und göttlicher Offenbarung zum Gegenstand hat, verfolgt Saʽadiah ben Josef Gaon (882–942), der Vorsteher der Talmudakademie von Sura, mit dem Isaak Israeli während der gemeinsamen Zeit in Ägypten korrespondierte; vermutlich lassen sich Saʽadiah Gaons Konzeption der „Vernunftgesetze“ (arab. ʽaqliyyāt; hebr. sikhlijot) nicht nur auf entsprechende muʽtazilitische Modelle, sondern auch auf den Einfluss Isaak Israelis zurückführen.22 Saʽadiah Gaons zeigt in seinem philosophischen Hauptwerk Buch der Glaubenslehren und -meinungen (arab. Kitāb al-ʼamānāt wa-ʾl-iʽtiqādāt; hebr. Sefer emunot wedeʽot) eine grundsätzliche Vertrautheit mit der aristotelischen Lehre23 und teilt deren zentrale Positionen, etwa bezüglich der Logik oder der allgemeinen Sprachauffassung, dass die Sprache des Menschen konventionell ist.24 Auch im Rahmen der Diskussion der Schöpfungslehre und seiner daraus gefolgerten vier Beweisführungen für die Erschaffenheit der Welt ex nihilo (1. die Welt ist endlich; 2. die Welt ist aus Teilen zusammengesetzt; 3. alle Gegenstände verändern ihre akzidentiellen Eigenschaften; 4. die Zeit ist nicht unendlich) greift er auf aristotelische Argumentationsmuster zurück, um diese gegen die Atomtheorie des Kalām zu richten, welche er strikt ablehnt; allerdings bezieht er im vierten Beweis – nämlich dass Zeit nicht unendlich ist – dann explizit gegen die Meinung des Aristoteles Stellung. Mit der Zeit entwickelten Philosophen des Ostens der islamischen Welt, allen voran Al-Fārābī (um 872–950/1) und Avicenna (um 980–1037), wegweisende kosmologische Modelle, in denen sie aristotelische Ursachenmetaphysik, plotinische Emanationskosmologie und ptolemäische Astronomie miteinander zu verbinden versuchen.25 Im muslimischen Westen legt der an-

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Vgl. A. Marx, Texts By and About Maimonides, Jewish Quarterly Review 25, 1934–35, 371–428, hier 378. Vgl. Altmann/Stern: Isaac Israeli (wie Anm. 20) 217. In einem zuvor verfassten Werk, seinem Kommentar zum Sefer Jetzirah („Buch der Schöpfung“), hat Saʽadiah Gaon bereits die aristotelische Kategorienlehre ausführlich behandelt. Vgl. S. Stroumsa, Saadya and Jewish kalam, in: Frank/Leaman: Medieval Jewish Philosophy (wie Anm. 12) 71–90, hier 84 f. Vgl. D. Reisman, Al-Farabi and the Philosophical Curriculum, in: Adamson/Taylor: Arabic Philosophy (wie Anm. 11) 52–71, hier 56; bezüglich dieser kosmologischen Modelle siehe

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dalusische Dichter und Neuplatoniker Salomon ibn Gabirol (1021/2–1057/ 8) in seiner als Lehrer-Schüler-Gespräch verfassten Lebensquelle (arab. Janbūʼ al-ḥayāt; hebr. Meqor chajim; lat. Fons Vitae) ein eigenständiges kosmologisches Modell vor,26 welches den göttlichen Schöpfungsakt als Emanationsprozess beschreibt und damit die neuplatonische Emanationslehre und die Erschaffenheit der Welt ex nihilo miteinander zu verbinden versucht, was nicht von ungefähr an Isaak Israeli erinnert, der als einer seiner Einflussgeber ausgemacht werden kann.27 Ibn Gabirol übernimmt in der Lebensquelle zwar den grundsätzlichen aristotelischen Materie/Form-Dualismus, doch seine eigene hylemorphistische Konzeption geht von der Annahme einer universellen Materie aus; d. h. im Gegensatz zu Aristoteles, für den allein die körperliche Welt aus Materie und Form zusammengesetzt ist, ist für Ibn Gabirol dies auch bezüglich der seelisch-geistigen Welt der Fall, worin sich der deutliche Einfluss pseudo-aristotelischer Schriften wie des Liber de Causis – also Proklos – zeigt. Anders als die meisten jüdischen Denker vor und nach ihm versucht sich Ibn Gabirols Lebensquelle nicht an einer philosophischen Apologie des Judentums, sondern vertritt eine radikale universalistische Perspektive, die letzten Endes keinerlei Rückschlüsse auf eine bestimmte religiöse Verortung mehr zulässt. Seit der Scholastik wurde der unter dem Namen Avicebron oder Avencebrol bekannte Verfasser der Fons vitae irrtümlich für einen christlichen, augustinisch geprägten Denker gehalten, bis ihn der deutsch-französische Orientalist Salomon Munk 1846 anhand einer von Shem-Tov ben Josef ibn Falaquera angefertigten hebräischen Übersetzung von Auszügen aus der arabischen Originalfassung der Lebensquelle mit dem jüdischen Dichter Salomon ibn Gabirol identifizierte.28 Wenngleich andere neuplatonisch orientierte jüdische Denker wie Moses ibn Ezra (um 1055– 1138), Josef ibn Tzaddik (um 1075–1149) und Abraham ibn Ezra (1089– 1164) durchaus mit seinem Denken vertraut waren, verlieren die neuplatonischen Erklärungsmodelle im Verlauf des 12. Jahrhunderts nach und nach an Bedeutung und werden von aristotelischen zurückgedrängt. Zudem bestimmen andere Fragestellungen den philosophischen Diskurs, wie etwa das Verhältnis von Vernunft und Glauben.29

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ausführlich I. R. Netton, Allah Transcendent – Studies in the Structure and Semiotics of Islamic Philosophy, Theology and Cosmology, London 1995. Vgl. S. Pessin, Solomon Ibn Gabirol [Avicebron], in: E. N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2013 Edition), Stanford 2013. Siehe hierzu auch H. A. Wolfson, The meaning of ex nihilo in Isaac Israeli, Jewish Quarterly Review 50, 1959, 1–12 (nachgedruckt in: I. Twersky/G. H. Williams [Hrsg.]: Harry Austryn Wolfson: Studies in the History of Philosophy and Religion, Bd. 1, Cambridge 1973, 222– 33). Vgl. S. Munk, Mélanges de philosophie juive et arabe, Paris 1955, hier 152 f. Vgl. Sirat: Jewish Philosophy (wie Anm. 2) 80.

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Dieses ist zentraler Gegenstand in dem Buch des Chazaren(königs) (arab. Kitāb al-ḥuğğah wa-d-dalīl fī nuṣr al-dīn aḏ-ḏalīl oder Buch des Beweises und des Argumentes für den geringgeschätzten Glauben; hebr. Sefer ha-Kuzari) des andalusischen Arztes und Dichters Jehudah ha-Lewi (1075–1141/2), der eine grundsätzliche Differenz zwischen dem seiner Schöpfung und Geschöpfen gegenüber indifferenten Gott der Philosophen (womit Aristoteles im Allgemeinen und Al-Fārābī, Avicenna und Ibn Bāğğa im Speziellen gemeint sind) und dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (Israels), der sich in der Geschichte offenbart, konstatiert.30 Ha-Lewis Aristoteles-Kritik erinnert an die seines muslimischen Vorläufers Al-Ġazālīs (1058/9–1111);31 doch während dieser sich mit seinen beiden Werken Absichten der Philosophen (arab. Maqāṣid al-falāsifa), welches im Wesentlichen die Lehren der Philosophen zusammenfasst, und Inkohärenz der Philosophen (arab. Tahāfut al-falāsifa), in welchem er eine Widerlegung der neuplatonisch-aristotelischen Lehren auf Basis demonstrativer Beweisführung vornimmt, dem Problem systematisch annähert,32 verfolgt Jehudah ha-Lewi die primär apologetische Absicht, die Überlegenheit eines auf Erfahrung basierenden religiösen Glaubens über die Vernunft darzustellen. Da letztere seiner Überzeugung nach den Weg zur religiösen Vervollkommnung behindert, – schließlich widersprechen die unterschiedlichen Philosophen nicht nur der Offenbarung, sondern auch noch einander, was zusätzliche epistemologische Verwirrung stiftet –, versucht Ha-Lewi die Philosophen bewusst aus dem Bereich der Religion hinauszudrängen.33 Die aristotelische Elementenlehre weist er als unzureichendes Erklärungsmodell für die Entstehung der körperlichen Dinge zurück und verwirft – ähnlich wie Al-Ġazālī – die aristotelische Metaphysik, da diese sich auf Hypothesen anstatt auf demonstrative Beweise stütze. Das hindert ihn jedoch nicht daran, bestimmte Elemente der aristotelischen Philosophie – wie beispielsweise die Seelenlehre, die er jedoch um eine weitere Stufe, nämlich die der „prophetischen Seele“, erweitert – in seine Argumentation aufzunehmen. Trotz seiner grundsätzlichen, wenn auch im Rahmen des Werkes nicht 30

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Vgl. Y. Silman, Philosopher and Prophet: Judah Halevi, the Kuzari, and the Evolution of His Thought, Albany 1995, 3–13; siehe ferner auch H. Kreisel, Judah Halevi’s Kuzari. Between the God of Abraham and the God of Aristotle, in: R. Munk/F. J. Hoogewoud (Hrsg.), Joodse filosofie tussen rede en traditie, Kampen 1993, 24–34. Vgl. B. S. Kogan, Al-Ghazali and Halevi on Philosophy and the Philosophers, in: J. Inglis (Hrsg.), Medieval Philosophy and the Classical Tradition, Richmond 2002, 64–80; N. Sinai, Menschliche oder göttliche Weisheit? – Zum Gegensatz von philosophischem und religiösem Lebensideal bei al-Ghazali und Yehuda ha-Levi, Würzburg 2003. Zu dem Verhältnis der beiden Werke (Absichten der Philosophen und Inkohärenz der Philosophen) zueinander siehe auch F. Griffel, Al-Ghazali, in: E. N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2008 Edition), Stanford 2008. Vgl. D. Schwartz, Central Problems in Jewish Philosophy, Leiden 2005, hier 171–175.

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sonderlich tiefbegründeten Ablehnung der aristotelischen Lehre von der (Ur-)Ewigkeit der Welt-Elemente, verarbeitet er in seiner Diskussion bezüglich der Frage der Erschaffenheit der Welt platonische, aristotelische und stoische Positionen.34 Wenn man so will, formuliert Jehudah ha-Lewi im Buch des Chazaren(königs) eine philosophische Kritik an der Philosophie, um angesichts der aktuellen existenziellen wie spirituellen Krise des andalusischen Judentums eine genuin jüdische Alternative zu eröffnen: Der „geringgeschätzte Glauben“ mag sich historisch-politisch als unbedeutend und schwach erweisen, aber aufgrund seiner spezifischen religiösen Erfahrungsinhalte ist er der vernunftbegründeten Philosophie sowohl „wissenschaftlich“ als auch spirituell überlegen. Bereits 1167 wird das Buch des Chazaren(königs) von Jehudah ibn Tibbon (um 1120–um 1190), dessen Familie ebenfalls aus Andalusien fliehen musste, aus dem Arabischen ins Hebräische übersetzt, allerdings wird es rezeptionsgeschichtlich erst ab der Renaissance bedeutsam.35 Als Gegenentwurf zu Jehudah ha-Lewis religiösem Partikularismus und als explizite Kritik an der neuplatonischen Philosophie Ibn Gabirols kann das philosophische Hauptwerk Buch des Erhabenen Glaubens (arab. Kitāb ʽaqīda rafīʽa; hebr. Sefer Emunah Ramah) des ebenfalls aus Andalusien stammenden Abraham ibn Daud (1110–1180) verstanden werden. Es ist der erste systematische Versuch, aristotelische Philosophie und jüdische Traditionen miteinander zu verbinden, weshalb Abraham ibn Daud noch vor seinem jüngeren Zeitgenossen Maimonides als der erste Repräsentant eines jüdischen Aristotelismus gilt.36 Der eigentliche Zweck des Werkes ist, das Problem der Willensfreiheit zu ergründen, doch Abraham ibn Daud gibt einleitend zu verstehen, dass dies ohne ein grundlegendes Verständnis der physikalischen Welt unmöglich sei. Von daher dient der erste Teil des Buches als eine ausführliche Einführung in die zentralen aristotelischen Lehren und deren Begrifflichkeiten, wie beispielsweise die Substanz-, die Kategorien-, die Hylemorphismusund die Bewegungslehre. Anders als sein Vorgänger Jehudah ha-Lewi folgert Abraham ibn Daud, dass es kein spezifisches Verständnis der Wahrheiten geben kann. Religiöse und wissenschaftliche Wahrheitsansprüche unterliegen beide dem gleichen Kriterium, d. h. ihre Wahrheiten müssen demonstrativ

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Vgl. H. A. Wolfson, The Platonic, Aristotelian and Stoic Theories of Creation in Hallevi and Maimonides, in: I. Epstein/E. Levine/C. Roth (Hrsg.), Essays in Honour of the Very Rev Dr J. H. Hertz on the Occasion of his 70 th Birthday, London 1942, 427–442. Zur vielschichtigen Rezeptionsgeschichte siehe ausführlich A. Shear, The Kuzari and the Shaping of Jewish Identity, 1167–1900, Cambridge 2008. Vgl. T. A. M. (Resianne) Fontaine, In Defence of Judaism: Abraham Ibn Daud. Sources and Structure of ha-Emunah ha-Ramah, Leiden 1990; A. Eran, From Simple Faith to Sublime Faith. Ibn Daud’s Pre-Maimonidean Thought, Tel Aviv 1998 (hebr).

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nachgewiesen werden. Widerspricht der Offenbarungstext einer demonstrativ bewiesenen wissenschaftlichen Erkenntnis, muss der Offenbarungstext entsprechend uminterpretiert werden. Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet Moses Maimonides (1138– 1204) Abraham ibn Daud in seinem epochemachenden Wegweiser für die Verwirrten37 (arab. Dalālat al-hāʼirīn; hebr. Moreh nevuchim; lat. Dux Neutrorum) an keiner Stelle erwähnt, obwohl – oder gerade vielleicht weil – sich ihre philosophischen Projekte in zentralen Punkten gleichen. Wie schon sein Vorgänger beabsichtigt Maimonides zu erklären, denjenigen eine Orientierung zu geben, die aufgrund der scheinbaren Widersprüchlichkeiten von Vernunfterkenntnis und Offenbarungswissen in einen Zustand der Verwirrung geraten sind. Dabei macht er bereits in der Einleitung zum ersten Buch des Wegweiser(s) für die Verwirrten die grundsätzliche Übereinstimmung von religiöser und Vernunftwahrheit deutlich, indem er die „Lehre vom Schöpfungswerk“ (hebr. ma’aseh bereshit) mit der (aristotelischen) Physik und die „Lehre von der Thronwagen[-vision Ezechiels]“ (hebr. ma’aseh merkavah) mit der aristotelischen Physik bzw. Metaphysik identifiziert. Er leitet dadurch eine Übersetzung von der Bildsprache der Bibel hin zur wissenschaftlichen Begriffssprache der Philosophie ein, wobei Physik und Metaphysik für ihn die semantischen Schlüssel sind, um die „Geheimnisse des Gesetzes“ (hebr. sitrei torah) zu entschlüsseln.38 Zudem bezeichnet er Aristoteles als das „Haupt der Philosophen“, der bezüglich seiner Erkenntnisfähigkeit nur von dem „Meister derer, die wissen“, nämlich dem Propheten Moses, übertroffen wird. Mit seiner wegweisenden Erläuterung der 25 bzw. 26 aristotelischen Prämissen, mit denen er das zweite Buch und damit die Diskussion um die (Ur-)Ewigkeit der Welt versus ihrer Erschaffenheit ex nihilo einführt, macht Maimonides deutlich, dass Aristoteles hinsichtlich der Erkenntnis der physikalischen (sublunaren) Welt das beste wissenschaftliche Erklärungsmodell bietet, wohingegen bezüglich der metaphysischen Erkenntnis Grenzen gesetzt sind, die nur durch die Prophetie zugänglich ist. Trotz seiner hohen Wertschätzung für Aristoteles hat Daniel H. Frank – in Anlehnung an Ralph McInernys Deutung von Thomas von Aquin – treffend angemerkt, dass Mai-

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Warum hier anstatt des gebräuchlichen, auf die Übersetzung von Adolf Weiss zurückgehenden Titels „Führer der Unschlüssigen“ vom „Wegweiser für die Verwirrten“ die Rede ist, siehe F. Musall, (Aus-)Wege aus der Wüste: Moses Maimonides zwischen Philosophie und (Religions-)Gesetz, in: G. Krieger (Hrsg.), Herausforderung durch Religion? Begegnungen der Philosophie mit Religionen in Mittelalter und Renaissance, Würzburg 2011, 70–83. Vgl. A. Ravitzky, The Secrets of Maimonides: Between the Thirteenth and the Twentieth Centuries, in: Ders., History and Faith, Amsterdam 1997, 246–303, hier 272.

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monides ihn letzten Endes für seine eigenen Zwecke gebraucht,39 was auch seine zahlreichen auf Avicenna basierenden Positionen verdeutlichen.40

III. Das Verhältnis zu Aristoteles bei Maimonides Dass sich der Wegweiser für die Verwirrten und damit der jüdische Aristotelismus als Paradigma jüdischen Philosophierens etablieren konnte, hängt auch mit der herausragenden Übersetzungsarbeit von Salomon ibn Tibbon (um 1160–um 1232) zusammen, der das Werk 1204 ins Hebräische überträgt.41 Dadurch werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse der arabischislamischen Philosophie erstmals den Juden in Lateineuropa zugänglich. Allerdings stand Samuel ibn Tibbon vor der besonderen Herausforderung, einen wissenschaftlich-philosophischen Text in eine Sprache zu übersetzen, die über keinerlei dementsprechende Terminologie verfügte. Deshalb stand er während des Übersetzungsprozesses in Kontakt mit Maimonides.42 In einem epochemachenden Brief formuliert Maimonides schließlich eine Liste jener Bücher, die er maßgeblich für das Studium der (aristotelischen) Philosophie und damit zum Verständnis seines eigenen Werkes erachtet. Wie Steven Harvey aufgezeigt hat, definiert Maimonides damit nicht nur ein wissenschaftlich-philosophisches Curriculum, sondern übt auch Einfluss auf die Auswahl der Texte aus, die in den nächsten Jahren aus dem Arabischen ins Hebräische übersetzt werden.43 Ausgangspunkt bilden die Physik und die Meteorologie des Aristoteles, nicht zuletzt da laut Maimonides darin dessen grundlegende philosophische Begriffe und Kategorien definiert werden.44 Nicht von unge-

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Vgl. D. H. Frank, Maimonides and medieval Jewish Aristotelism, in: Frank/Leaman: Medieval Jewish Philosophy (wie Anm. 12) 136–156, hier 143 f. Siehe hierzu exemplarisch M. Zonta, Maimonides’ Knowledge of Avicenna Some Tentative Conclusions About a Debated Question, in: G. Tamer (Hrsg.), The Trias of Maimonides/ Die Trias des Maimonides: Jewish, Arabic, and Ancient Culture of Knowledge/Jüdische, arabische und antike Wissenskultur, Berlin 2005, 211–222. Zum Übersetzungsprozess des Werkes aus dem Arabischen ins Hebräische siehe C. Fraeṇ āʼirīn kel, From Maimonides to Samuel Ibn Tibbon: The Transformation of the Dalālat Al-H Into the Moreh Ha-Nevukhim, Jerusalem 2007 (hebr.). Vgl. A. Ravitzky, Samuel ibn Tibbon and the Esoteric Character of the Guide of the Perplexed, in: Ders., History and Faith (wie Anm. 38) 204–245, hier 243. Vgl. S. Harvey, Did Maimonides’ Letter to Samuel ibn Tibbon Determine Which Philosophers Would be Studied by Later Jewish Thinkers, Jewish Quarterly Review 83, 1992, 52– 70. Man beachte auch die besondere semantische Bedeutung, die Maimonides der Meteorologie in Bezug auf die Schöpfungsfrage beimisst in Wegweiser für die Verwirrten II, 30, siehe hierzu auch R. Fontaine, Meteorology and Zoology in medieval Hebrew Science, in: G.

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fähr übersetzt Samuel ibn Tibbon 1210 die Meteorologie als ersten Text des Aristoteles aus dem Arabischen ins Hebräische, was sich allerdings aufgrund der schlechten arabischen Vorlage als schwieriges Unterfangen erweist und nur unter Hinzuziehung der entsprechenden Kommentarliteratur (Alexander von Aphrodisias, Avicenna und Averroes) vollendet werden kann.45 In dem Vermittlungsprozess der antiken griechischen bzw. arabisch-islamischen Philosophie und Wissenschaften kommt den hebräischen Übersetzern eine zentrale Rolle zu.46 Da Maimonides aristotelische Philosophie zum Paradigma des Philosophierens erklärt hat, besteht das vornehmliche Interesse der Übersetzer darin, die Werke des Aristoteles oder seiner Kommentatoren – wie Alexander von Aphrodisias, Themistius und schließlich Averroes – einem hebräisch-sprachigen Publikum zugänglich zu machen.47 Dagegen finden interessanterweise andere zentrale Schriften der arabisch-islamischen Philosophietradition, wie etwa Avicennas Buch der Genesung (arab. Kitāb aš-šifāʼ; lat. Liber de philosophia prima sive scientia divina), anfangs kaum Beachtung. 1255 übersetzt schließlich Moses ben Samuel ibn Tibbon (um 1200– 1283), Samuel ibn Tibbons Sohn, Themistius’ Kommentar zum 12. Buch (Lambda) der Metaphysik aus dem Arabischen ins Hebräische; ferner existiert eine Übersetzung von Al-Fārābīs Kommentar Buch bezüglich der Absichten des Aristoteles im Buch der Metaphysik (arab. Kitāb fi aghrāḍ Aristo fī kitāb mā baʽd at-tabī ʽa), die anonym unter dem Titel Be-khavvanot Aristo be-sifro mah she-akhar ha-tevaʽ erschien. Wenngleich Maimonides in seinem Brief an Ibn Tibbon angibt, die Schriften seines Landsmannes und Zeitgenossen Averroes (1126–1198) nur oberflächlich rezipiert zu haben, dieser aber als die beste Quelle zum Verständnis der aristotelischen Schriften gilt, etabliert sich im Zuge der Übersetzung aus dem Arabischen ins Hebräische jenes Phänomen, welches man allgemeinhin

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Freudenthal (Hrsg.), Science in Medieval Jewish Cultures, Cambridge 2012, 217–229, hier 224–226. Vgl. A. Ravitzky, Aristotle’s Meteorology and the Maimonidean Modes of Interpreting the Account of Creation, Aleph 8, 2008, 361–400, ursprünglich erschienen auf Hebräisch in: Jerusalem Studies in Jewish Thought 9, 2, 1990: The Shlomo Pines Jubilee Volume, 225– 250 [nachgedruckt in A. Ravitzky, Maimonidean Essays, Jerusalem 2006, 139–156]. Siehe hierzu u. a. A. L. Ivry, Philosophical Translations from the Arabic into Hebrew during the Middle Ages, in: J. Harmesse/M. Fattori (Hrsg.), Rencontres de cultures dans la philosophie medieval, Louvain-la-Neuve 1990, 167–186; G. Freudenthal, Les sciences dans les communautés juives médiévales de Provence: Leur appropration, leur rôle, Revue des Etudes Juives 152, 1993, 29–136. Vgl. S. Harvey, Arabic into Hebrew. The Hebrew Translation Movement and the Influence of Averroes upon Jewish Thought, in: Frank/Leaman: Medieval Jewish Philosophy (wie Anm. 12) 258–280, hier 262.

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als „jüdischen Averroismus“ bezeichnet.48 So liegen etwa von Averroes’ Mittlere(m) Kommentar zur Metaphysik gleich drei hebräische Versionen vor: 1258 übersetzt durch Moses ibn Tibbon, 1284 von dem Maimonidianer Zerachiah ben Shealtiel Chen (vor 1290) in Rom unter dem Titel Mah sheachar ha-tevaʽ und schließlich 1317 von Kalonymus ben Kalonymus aus Arles (1286-nach 1328). Dessen Lehrer Moses Lewi ben Salomon von Beaucaire (1. Hälfte 14. Jh.) hat wiederum eine Übersetzung von Averroes’ Langer Kommentar zur Metaphysik erstellt, von der allerdings nur einige wenige hebräische Fragmente existieren.49 Die besondere Attraktivität, die die averroistische Lehre für mittelalterliche jüdische Denker ausmacht, erklärt sich durch die für Averroes mögliche Vereinbarkeit von Vernunft und religiöser Erkenntnis, was sich in besonders radikaler Form in Isaak Albalags (2. Hälfte 13 Jh.) Buch der Berichtigung der Glaubensmeinungen (hebr. Sefer tikkun ha-deʽot) zum Ausdruck kommt.50 Das Werk ist im Grunde genommen ein Kommentar zu Al-Ġazālīs Absichten der Philosophen, das Albalag aus dem Arabischen ins Hebräische übersetzte und welches für ihn die wahre Meinung Al-Ġazālīs repräsentiert. Alabalag vertritt darin allerdings weniger die Lehre „doppelter Wahrheit“, wie ihm häufig zugeschrieben wird, sondern beabsichtigt in letzter Konsequenz, eine radikale Trennung von Philosophie und Religion herbeizuführen, so dass die intensiv geführten Auseinandersetzungen bezüglich Vernunft- und Offenbarungswissen, welche wesentlich den philosophischen Diskurs im mittelalterlichen Judentum ausmachen und prägen, im Grunde genommen philosophisch völlig irrelevant sind.51 Nach Albalags Verständnis ist die Aufgabe der Philosophie, die theoretischen Wahrheiten zu ergründen, während die Religion die praktische Lebensführung zum Gegenstand hat. Folglich hat Albalag als „jüdischer Philosoph“ auch keinerlei Schwierigkeiten damit, gegen Maimonides für die Ewigkeit der Welt zu argumentieren.52 Eine gemäßigtere Haltung nimmt Lewi ben Gershon (lat. Gersonides, 1288–1344) ein.53 Dessen Kriege des Herrn (hebr. Milchamot ha-Shem) kann 48 49 50 51 52 53

O. Leaman, Jewish Averroism, in: S. H. Nasr/O. Leaman (Hrsg.), History of Islamic Philosophy, London 1996, 769–780. Vgl. A. S. Halkin/A. Sáenz-Badillos, Translation and Translators, in: M. Berenbaum/F. Skolnik (Hrsg.), Encyclopaedia Judaica 2 nd edition, Bd. 20, Detroit 2007, 94–102, hier 97. Vgl. G. Vajda, Isaac Albalag – Averroiste juif, traducteur et annotateur d’Al-Ghazali, Paris 1960. Vgl. S. Feldman, An Averroist Solution to a Maimonidean Perplexity, Maimonidean Studies 4, 2000, 15–30. E. Schweid, The Classic Jewish Philosophers: From Saadia Through the Renaissance, Leiden 2008, 321. Vgl. G. Freudenthal (Hrsg.), Studies on Gersonides: A Fourteenth-Century Jewish Philosopher-Scientist, Leiden 1992; S. Feldman, Gersonides: Judaism Within the Limits of Reason, Portland/Oregon 2010.

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als ein kritischer Kommentar zu Maimonides’ Wegweiser für die Verwirrten verstanden werden. Auch Lewi ben Gershon versucht sich an einer Synthese von aristotelischer Philosophie und jüdischen Glaubensvorstellungen, jedoch erweist er sich in vielen Punkten als konsequenterer Aristoteliker als sein Vorbild Maimonides. Anders als Isaak ist Albalag jedoch auch kein radikaler Averroist, was ihm erlaubt, durchaus eigenständige Positionen zu vertreten. Beispielsweise versucht er die widersprüchlichen Ansichten des Aristoteles und des Maimonides bezüglich der göttlichen Vorhersehung (nach Aristoteles ist es unmöglich, dass Gott Kenntnis über die Einzeldinge haben kann, während eben dies nach der in eine allgemeine und eine spezielle Vorhersehung unterteilten Vorhersehungslehre des Maimonides durchaus möglich ist) dadurch nahezubringen, indem er argumentiert, dass Gott die Einzeldinge aufgrund ihrer Ordnung kennen kann.54 Ein weiterer prominenter Vertreter dieser Strömung ist schließlich Moses Narboni (um 1300–1362),55 der in seinem Kommentar zum Wegweiser für die Verwirrten (hebr. Biʼur le-moreh nevukhim) Maimonides konsequent im Sinne des Averroes interpretiert und sich insbesondere gegen die neuplatonisch-avicennistischen Tendenzen im maimonidischen Denken richtet.56

IV. Die weitere Verbreitung der aristotelischen Lehren bis zum 15. Jahrhundert Es sind aber nicht nur Übersetzungen und Kommentarliteratur, die zu einer weiten Verbreitung der aristotelischen Lehren beitragen. Im Verlauf des 13. Jahrhunderts finden Bestrebungen statt, mittels wissenschaftlicher Enzyklopädien das philosophische Wissen zu popularisieren.57 Jehudah ben Salo54

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Vgl. N. M. Samuelson, Gersonides’ Account of God’s Knowledge of Particulars, Journal of the History of Philosophy, 10, 1972, 399–416; T. M. Rudavsky, Divine Omniscience, Contingency and Prophecy in Gersonides, in: Dies. (Hrsg.), Divine Omniscience and Omnipotence in Medieval Philosophy, Dordrecht 1984, 161–181; S. Klein-Braslavy, Determinism, Possibility, Choice and Foreknowledge in Ralbag, Da’at 22, 1989, 4–53; C. H. Mankin, On the Limited-Omniscience Interpretation of Gersonides’ Theory of Divine Knowledge, in: E. R. Wolfson/A. L. Ivry/A. Arkush (Hrsg.), Perspectives on Jewish Thought and Mysticism, Amsterdam 1998, 135–170. Vgl. M.-R. Hayoun, La Philosophie et la théologie de Moïse de Narbonne, Tübingen 1989. Vgl. H. A. Davidson, Averroes and Narboni on the material intellect, AJS Review 9, 1984, 175–184. Vgl. S. Harvey (Hrsg.), Mediaeval Hebrew Encyclopedias of Science and Philosophy, Amsterdam 2007; bezüglich der Rezeption der Metaphysik im Rahmen dieser enyklopädischen Projekte siehe darin: M. Zonta: The place of Aristotelian metaphysics in the thirteenthcentury, 414–426.

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mon ha-Kohen Matkah (1. Hälfte 13 Jh.) präsentiert in seiner Erläuterung der Wissenschaft (hebr. Midrash ha-chokhmah) eine erste systematische Darstellung der aristotelischen Physik und Metaphysik in averroistischer Deutung.58 Um 1270 legt der spanische Maimonides-Kommentator und Übersetzer Shem Tov ben Josef ibn Falaquera (um 1225–um 1295) unter dem Titel Meinungen der Philosophen (hebr. Deʽot ha-filosofim) eine enzyklopädische Textsammlung vor, die eigens von ihm aus dem Arabischen ins Hebräische übersetzte Auszüge aus den naturwissenschaftlichen und metaphysischen Werken von Aristoteles und seinen Kommentatoren (u. a. Alexander von Aphrodisias, Themistius, Al-Fārābī, Avicenna, Averroes) enthält und damit als umfassendes Kommentarwerk zur aristotelischen Philosophie fungiert.59 Ein ähnliches „aufklärerisches“ Vorhaben verfolgt auch Lewi ben Abraham ben Chajim von Villefranche (1235-nach 1305) mit seinem enzyklopädischen Werk Strophen über Broschen und Anhänger (hebr. Battei ha-nefesh ve-lechashim), in welchem er sich in zehn Büchern mit Fragen der Ethik, Logik, „Schöpfungs[-werk]“ (hebr. maʽaseh bereshit), Psychologie, „Thronwagen[vision]“ (hebr. maʽaseh merkavah), Prophetie, Mathematik, Physik, Astronomie und Astrologie sowie Metaphysik im Sinne des Maimonides auseinandersetzt.60 Zudem finden die auf der aristotelischen Philosophie basierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in den mittelalterlichen jüdischen Bibelkommentaren Niederschlag, wie etwa bei Zerachiah ben Shealtiel Chen, Immanuel ben Salomon von Rome (1261–nach 1328/35), oder Jehuda Romano61 (um 1293–nach 1330) in Italien oder auch bei eher der aufkommenden Kabbalah zugewandten Denkern wie Isaak ibn Latif (um 1210–1280) und Moses ben Nachman (lat. Nachmanides, 1194–1270).62 58

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Vgl. R. Fontaine, The first survey of the Metaphysics in Hebrew, in: R. Fontaine/R. Glasner/ R. Leicht/G. Veltri (Hrsg.), Studies in the History of Science and Culture. A Tribute to Gad Freudenthal, Leiden 2011, 265–282; dies.: The early reception of Aristotle through Averroes in medieval Jewish philosophy: the case of the Midrash ha-Hokhmah, in: A. M. I. Van Oppenraaij (Hrsg.), The Letter before the Spirit: The importance of text editions for the study of the reception of Aristotle (Aristoteles Semitico-Latinus), Leiden 2012, 211–226. Vgl. S. Harvey, Shem-Tov Falaquera’s Deʽot ha-filosofim: Its Sources and Use of Sources, in: Ders. (Hrsg.), Mediaeval Hebrew Encyclopedias of Science and Philosophy, Amsterdam 2007, 191–210. Vgl. W. Z. Harvy, Levi ben Abraham of Villefranche’s Controversial Encyclopedia, in: S. Harvey (Hrsg.), Mediaeval Hebrew Encyclopedias of Science and Philosophy, Amsterdam 2007, 171–178. Vgl. C. Rigo, The Beʽurim on the Bible of Rabbi Jehudah Romano – The Philosophical Method which comes out of them, their Sources in Jewish Philosophy and in Christian Scholasticism, Dissertation, 2 Bde., Jerusalem 1996. Vgl. J. T. Robinson, Philosophy and Science in Mediaeval Jewish Commentaries on the Bible, in: Freudenthal: Science in Medieval Jewish Cultures (wie Anm. 44) 454–475.

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Mit dem Aufkommen der sogenannten „hebräischen Scholastik“, die im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts in Italien und Spanien entsteht und den auf den Kommentaren des Averroes basierenden jüdischen Aristotelismus als zentrales Modell des jüdischen Philosophierens ablöst, entwickelt und etabliert sich ein auf anderen philosophischen Voraussetzungen gründender Zugang zur aristotelischen Philosophie.63 Thomas von Aquin und William von Ockham treten hier nun an die Stelle von Maimonides und insbesondere Averroes. Vorläufer dieser Bewegung ist Hillel ben Samuel ben Elazar von Verona (um 1220/30–1295), dessen Buch vom Lohn der Seele (hebr. Sefer tagmulei ha-nefesh) von christlichen Philosophen wie Dominicus Gundisalvi, Albertus Magnus und Thomas von Aquin beeinflusst ist.64 Hillel verteidigt zwar während des Maimonides-Streits von 1289–90 die philosophische Lehre des Maimonides, tritt zugleich aber als ein entschiedener Gegner der averroistischen Position auf, wie sie von seinem Freund Zerachiah ben Shealtiel Chen aus Rom vertreten wird.65 Ein verstärktes Interesse an den philosophischen Diskursen der lateinischen Scholastik führt zu einer zweiten Übersetzungsbewegung, diesmal aus dem Lateinischen ins Hebräische.66 Unter den zahlreichen Schriften, die Jehuda Romano aus dem Lateinischen ins Hebräische übersetzt,67 befindet sich auch der Metaphysikkommentar von Alexander Bonini von Alessandria (um 1270–1314).68 Der Spanier Elijah ben Josef Chabillo (oder Habillo, tätig um 63

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Vgl. M. Zonta, Hebrew Scholasticism in the Fifteenth Century: A History and Source Book (Amsterdam Studies in Jewish Thought), Dordrecht 2006, 1; siehe auch: T. M. Rudavsky, The Impact of Scholasticism upon Jewish Philosophy in the fourteenth and fifteenth centuries, in: Frank/Leaman: Medieval Jewish Philosophy (wie Anm. 12) 345–370. Vgl. Y. Schwartz, Die Seelenlehre des Hillel aus Verona: Aristotelische Psychologie zwischen Maimonismus und Thomismus, in: M. Lutz-Bachmann/A. Fidora/P. Antolic (Hrsg.), Erkenntnis und Wissenschaft: Probleme der Epistemologie in der Philosophie des Mittelalters/ Knowledge and Science: Problems of Epistemology in Medieval Philosophy, Berlin 2004, 253–264; ders.: Einleitung, in: Y. Schwartz (Hrsg. u. Übers.), Hillel von Verona, Die Vollendung der Seele/Tagmule ha-nefesh, Freiburg i. Br. 2009, 9–48. Vgl. A. Ravitzky, The Thought of R. Zerahiah b. Isaac b. Shealtiel Hen and the Maimonidean-Tibbonian Philosophy in the 13 th Century, Dissertation, Jerusalem 1977. Vgl. G. Freudenthal, Arabic and Latin Cultures as Resources for the Hebrew Translation Movement: Comparative Considerations, Both Quantitative and Qualitative, in: Ders., Science in Medieval Jewish Cultures (wie Anm. 44) 74–105. Siehe ferner auch die Arbeiten der internationalen Forschergruppe „Latin into Hebrew – Intercultural Networks in 13 th and 14 th Century Europe“ unter http://grupsderecerca.uab.cat/latintohebrew/. Vgl. W. Z. Harvey, Knowledge of God in Aquinas, Judah Romano and Crescas, Jerusalem Studies in Jewish Thought 14, 1998, 223–238; S. Pines, Scholasticism after Thomas Aquinas and the Teachings of Hasdai Crescas and His Predecessors, Proceedings of the Israel Academy of Science and Humanities, I, 10, 1967, 1–101. Vgl. C. Rigo, Yehudah b. Mosheh Romano traduttore degli Scolastici latini, Henoch 17, 1995, 141–170, insb. 161–164.

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1465–1480) übersetzt die Quaestiones super XII libros Metaphysicorum des Duns Scotus-Schülers Antonius Andreas (um 1280–1320) und besorgt eine Übersetzung des Buches I (Alpha major) der Metaphysik auf Grundlage der lateinischen Übersetzung von William von Moerbeke (1215–1286). Um 1485 fertigt schließlich Baruch b. Jaʽish (tätig um 1480–1490) ebenfalls eine auf dem Text von William von Moerbeke basierende hebräische Übersetzung der Bücher I–XII der Metaphysik für Samuel Sarfati (gest. 1519), Gemeindevorstand der jüdischen Gemeinde von Rom und Leibarzt Papst Clemens VII. (reg. 1523–1534), an.69 Und Thomas von Aquins Commentarii in Metaphysicam Aristotelis wird schließlich 1490 von Abraham Nechemiah ben Josef (Ende 15. Jh.) ins Hebräische übertragen. Neben den Übersetzungen entstehen auch von der lateinischen Scholastik geprägte Kommentare, wie das von dem spanisch-jüdischen Philosophen Abraham ben Shem Tov Bibago (oder Bibag, tätig um 1446–1489), verfasste Kommentar zu Averroes’ Mittlere(m) Kommentar zur Metaphysik, welcher wiederum auf der hebräischen Übersetzung von Kalonymus ben Kalonymus beruht.70 Mit dem Aufkommen der verstärkt wieder neuplatonische Elemente aufgreifenden Kabbalah etabliert sich eine weitere intellektuelle jüdische Alternative, die mit dem jüdischen Aristotelismus (insbesondere averroistischer Prägung) in Konkurrenz tritt.71 Dieser Diskurs spiegelt sich exemplarisch auch in dem komplexen dogmatischen Werk Licht des Herrn (hebr. Or Hashem) von Chasdai Kreskas (um 1340–1410/11) wieder, der in seinem Denken sowohl aristotelische, scholastische und kabbalistische Elemente verarbeitet.72 Kreskas’ erklärte Absicht ist es, die jüdische Religion von dem aristotelischen Weltbild zu befreien, an das sie seiner Meinung nach Maimonides in dem einleitenden Buch der Erkenntnis (hebr. Sefer ha-maddaʽ) seines Religionskodex Wiederholung der Lehre (hebr. Mishneh Torah) gebunden hat. Trotz seiner innovativen Kritik der aristotelischen Physik, in der er die Exis-

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Vgl. M. Steinschneider, Die hebräischen Übersetzungen des Mittelalters und die Juden als Dolmetscher, Berlin 1893 (Neudruck Graz 1956), 157 f.; zu Baruch ibn Jaʽish siehe auch Zonta: Hebrew Scholasticism (wie Anm. 63) 109–115. Vgl. Steinschneider: Die hebräischen Übersetzungen (wie Anm. 69) 168–171; Zonta, Hebrew Scholasticism (wie Anm. 63) 36. Vgl. H. Tirosh-Samuelson, Kabbalah and Science in the Middle Ages: Preliminary Remarks, in: Freudenthal, Science in Medieval Jewish Cultures (wie Anm. 44) 476–510. Vgl. H. A. Wolfson, Crescas Critique of Aristotle, Cambridge/Massachusetts 1929; W. Z. Harvey, Physics and Metaphysics in Hasdai Crescas, Amsterdam 1998; J. T. Robinson, Hasdai Crescas and anti-Aristotelianism, in: Frank/Leaman, Medieval Jewish Philosophy (wie Anm. 12) 391–413; bezüglich seiner kabbalistischen Einflüsse siehe W. Z. Harvey, Kabbalistic Elements in Crescas’ Light of the Lord, Jerusalem Studies in Jewish Thought 2, 1982, 75–109; N. Ophir, The Secret of the Kaddish – A Kabbalistic Text Attributed to Rav Hasdai Crescas, Daʽat 46, 2001, 13–28.

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tenz des Vakuums beweist, erweist sich Kreskas bezüglich der Methoden seiner Kritik als noch zu tief im jüdischen Aristotelismus verwurzelt, um die intendierte Abkehr davon zu vollziehen. Als letzter bedeutender Vertreter eines jüdischen Aristotelismus gilt der jüdische Renaissance-Philosoph Elijah Delmedigo (ca. 1458–93),73 der als Privatlehrer und Übersetzer in Diensten von Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) stand. Allerdings konnte er dessen Revitalisierung der platonischen Philosophie sowie den diesbezüglichen Harmonisierungsbestrebungen mit der aristotelischen Philosophie nur wenig abgewinnen. Allerdings wird sein von Averroes’ Maßgebliche(r) Abhandlung (arab. Faṣl al-maqāl) beeinflusstes philosophisches Hauptwerk Prüfung des Glaubens (hebr. Bechinat ha-dat), welches die Frage der Vereinbarkeit von Philosophie und jüdischem Religionsgesetz zum Gegenstand hat, später von Baruch Spinoza (1632–1677) aufgegriffen.74

V. Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Metaphysik des Aristoteles tiefe Spuren in der mittelalterlichen jüdischen Philosophie hinterlassen hat, wenngleich sie meistens in Form von Kommentarliteratur und Paraphrasen rezipiert wurde, die dann später auch vom Arabischen ins Hebräische übertragen wurden. Erst mit dem Aufschwung der „hebräischen Scholastik“ kommt es verstärkt zu direkten Übersetzungen aus dem Lateinischen, die häufig als Auszüge in die mittelalterlichen jüdischen Enzyklopädien eingearbeitet werden. Wenngleich Maimonides als maßgeblicher Initiator und sein Übersetzer Samuel ibn Tibbon als Katalysator eines jüdischen Aristotelismus ausgemacht werden können, existieren seit dem Ende des 13. Jahrhunderts zwei unterschiedliche Rezeptionslinien der aristotelischen Philosophie, eine,

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Vgl. A. L. Ivry, Remnants of Jewish Averroism in the Renaissance, in: Cooperman, B. D. (Hrsg.), Jewish Thought in the Sixteenth Century, Cambridge/Massachusetts 1983, 243– 265; A. L. Motzkin, Elia del Medigo, Averroes and Averroism, Italia 6, 1987, 7–20; K. P. Bland, Elijah Del Medigo, Unicity of Intellect, and Immortality of Soul, Proceedings of the American Academy for Jewish Research 61, 1995, 1–22; C. Fraenkel, Reconsidering the Case of Elijah Delmedigo’s Averroism and its Impact on Spinoza, in: A. A. Akasoy/G. Giglioni (Hrsg.), Renaissance Averroism and its Aftermath: Arabic Philosophy in Early Modern Europe, Dordrecht 2013, 213–236. Vgl. C. Fraenkel, Der Status der Theologie: Von der Magd der Philosophie zu einer unabhängigen Disziplin im Renaissance-Averroismus und bei Spinoza, in: H. Busche (Hrsg.), Departure for Modern Europe: A Handbook of Early Modern Philosophy (1400–1700), Hamburg 2011, 564–576.

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die sich an den Kommentaren des Averroes orientiert, und die andere an den Autoren der lateinischen Scholastik. Jedoch entsteht im 13. Jahrhundert in Spanien mit der Kabbalah ein konkurrierendes und dem Selbstanspruch nach genuines Modell jüdischen Philosophierens, das in den folgenden Jahrhunderten zunehmend an Bedeutung gewinnt. Auch die jüdischen RenaissancePhilosophen nach Elijah del Medigo wenden sich anderen philosophischen Strömungen hin.75

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Omnes decepti sunt. Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus (ca. 1150) Alexander Fidora

I. Einführung Für die Geschichte der Metaphysik am Vorabend der Aristoteles-Rezeption ist Dominicus Gundissalinus aus zwei Gründen von zentraler Bedeutung. Zum einen übersetzte der Toledaner Gelehrte in der Mitte des 12. Jahrhunderts eine Reihe metaphysisch hoch relevanter Texte aus dem Arabischen ins Lateinische, namentlich Ibn Gabirols Fons vitae, al-Ġazālīs Summa theoricae philosophiae, d. h. die Maqāṣid al-falāsifa, sowie vor allem Avicennas Liber de philosophia prima sive scientia divina aus dessen Kitāb aš-šifāʾ. Zum anderen befasste sich Gundissalinus auch in seinen eigenständigen Werken mit spezifischen metaphysischen Fragen, so z. B. in seiner Schrift De processione mundi, die in Auseinandersetzung mit lateinischen und arabischjüdischen Autoren einen beeindruckenden kosmologischen Entwurf vorlegt,1 sowie ferner in dem lange Zeit dem Boethius zugeschriebenen Kurztraktat De unitate et uno, in dem Gundissalinus in Orientierung an Ibn Gabirol seine Lösung des Form-Materie-Problems entwickelt.2 Die systematischste Behandlung der Metaphysik qua Wissenschaft findet sich freilich in seiner wirkmächtigen Enzyklopädie De divisione philosophiae,3 die ausdrücklich zwischen theologischem und philosophischem Wissen

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Nicht von Ungefähr hat De processione mundi in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren und liegt unterdessen in einer kritischen Edition mit spanischer Übersetzung von M. J. Soto Bruna und C. Alonso del Real (De processione mundi, Pamplona 1999) sowie in einer englischen Übersetzung von J. A. Laumakis (The Procession of the World, Milwaukee 2002) vor. Eine deutsch-lateinische Ausgabe des Textes findet sich in A. Fidora/A. Niederberger, Vom Einen zum Vielen – Der neue Aufbruch der Metaphysik im 12. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, 66–79. Dominicus Gundissalinus, De divisione philosophiae – Über die Einteilung der Philosophie (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters Bd. 11), hrsg. v. A. Fidora/D. Werner, Freiburg i. Br. 2007.

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unterscheidet, um sich exklusiv Letzterem zu widmen.4 Auch für diese Schrift bilden arabisch-jüdische Quellen den Hintergrund, namentlich al-Fārābī, Avicenna und al-Ġazālī, die mit den maßgeblichen Quellen der lateinischen Tradition, v. a. boethianischer Provenienz, zusammengebracht werden. Dabei gründet die philosophiegeschichtliche Bedeutsamkeit von De divisione philosophiae v. a. darin, dass das Werk mit seiner Synthese eine Vielzahl neuer Wissenschaften in die lateinische Philosophie einführt, etwa die Politik, aber v. a. die Metaphysik, die Gundissalinus als erster (lateinischer) Denker als Titel einer Disziplin, und nicht eines Werkes versteht. Charakteristisch für seine Darstellung der Wissenschaften, zumal der Metaphysik, ist sein dezidiertes Interesse daran, wie sich Selbständigkeit und wechselseitiger Zusammenhang der verschiedenen Disziplinen zugleich denken lassen.5 Die folgenden Ausführungen strukturieren sich entsprechend in drei Teile: ein erster, begriffsgeschichtlicher Anlauf soll zeigen, wie Gundissalinus die Metaphysik erstmalig als Titel einer Disziplin interpretiert; ein zweiter Schritt analysiert die wissenschaftstheoretische Grundlegung der Metaphysik als selbständiger Wissenschaft im Metaphysik-Kapitel von De divisione philosophiae, mit einem besonderen Blick auf Gundissalinus’ Kritik an der Theologik des 12. Jahrhunderts; ein dritter Schritt rückt schließlich einen zentralen, wenngleich kaum beachteten Text aus der Divisionsschrift in den Fokus des Interesses, nämlich eine von Gundissalinus in sein Werk inkorporierte Übersetzung aus Avicennas Kitāb al-burhān, worin die diffizile Frage der Unterordnung der übrigen philosophischen Disziplinen unter die Metaphysik verhandelt wird.

II. Dicitur metaphysica, id est post naturam Wie allgemein bekannt, wurde der Titel μετὰ τὰ φυσικά von Andronikos von Rhodos in seiner um die Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus besorgten Edition des aristotelischen Corpus eingeführt, um jene Bücher zu bezeichnen, deren Inhalt Aristoteles selbst unter den Begriff der Weisheit oder der ersten

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Gundissalinus, De divisione (wie Anm. 3) 54: Honesta autem scientia alia est divina, alia humana. Divina scientia dicitur, quae Deo auctore hominibus tradita esse cognoscitur [...]. Humana vero scientia appellatur, quae humanis rationibus adinventa esse probatur, ut omnes artes, quae liberales dicuntur. Vgl. zu Gundissalinus’ Wissenschaftstheorie, wie sie in De divisione philosophiae entwickelt wird, A. Fidora, Die Wissenschaftstheorie des Dominicus Gundissalinus – Voraussetzungen und Konsequenzen des zweiten Anfangs der aristotelischen Philosophie im 12. Jahrhundert, Berlin 2003.

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Philosophie bzw. Theologik stellte. μετὰ τὰ φυσικά bezeichnete so zunächst den bibliographischen Ort eines Textzusammenhangs, den Andronikos von Rhodos nach den Büchern der Physik edierte. Die spätantike griechische Tradition, von Alexander von Aphrodisias über Themistius bis Ammonios, blieb dieser bibliographischen Tradition treu. Mehr noch: Auch außerhalb des griechischen Schrifttums sollte die Bezeichnung μετὰ τὰ φυσικά im Sinne dessen, was in der editorischen Disposition nach der Physik kommt, dominant bleiben: dies gilt sowohl für den lateinischen Kulturraum als auch für die arabische falsafa.6 Bei Boethius etwa, dem für die frühe lateinische Metaphysik-Tradition maßgeblichen Autor, tritt der Ausdruck μετὰ τὰ φυσικά vier Mal in Erscheinung, davon zwei in seinem Kommentar zu De interpretatione, und zwei in seinem Kategorien-Kommentar. In allen vier Fällen wird die Bezeichnung des Andronikos von Rhodos, den Boethius verehrungsvoll als „genauen und sorgfältigen Richter und Sammler der Bücher des Aristoteles“ apostrophiert,7 „à la lettre“ übernommen, und zwar nicht im Sinne des Namens einer Disziplin, sondern als rein bibliographische Sammelbezeichnung für die metaphysischen Bücher.8 Dort, wo Boethius hingegen die Metaphysik als Wissenschaft adressiert, bedient er sich konsequent eines anderen Begriffs, nämlich desjenigen der Theologie. So heißt es etwa in seinem Porphyrios-Kommentar, dass es drei theoretische Wissenschaften gibt, nämlich die Naturwissenschaft, die Mathematik sowie eine dritte, welche sich mit der speculatio dei und der consideratio animi befasst, quam partem graeci θεολογíαν nominant.9 Letztere Bezeichnung, im Porphyrios-Kommentar in griechischen Buchstaben, findet sich lati6

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Die folgenden Ausführungen zur Genealogie des Begriffs der Metaphysik schließen eng an die leider viel zu wenig bekannten Arbeiten von I. Pérez Fernández an; vgl. I. Pérez Fernández, Verbización y nocionización de la metafísica en la tradición siro-árabe, Pensamiento 31, 1975, 245–271; ders.: Verbización y nocionización de la metafísica en la tradición latina, Estudios filosóficos 24, 1975, 161–222; sowie zusammenfassend ders.: Influjo del árabe en el nacimiento del término latino-medieval metaphysica, in: S. Gómez Nogales (Hrsg.), Actas del V Congreso Internacional de Filosofía Medieval, 2 Bde., Madrid 1979, hier Bd. 2, 1099–1107. Boethius, Commentarii in librum Aristotelis ΠΕΡΙ HERMENEIAΣ, hrsg. v. C. Meiser, Leipzig 1876/1880, I, 11: exactum diligentemque Aristotelis librorum et iudicem et repertorem. Vgl. Boethius, In Categorias Aristotelis (MPL 64), III, 252 u. 262: Quae vero hic desunt, in libros, qui μετὰ τὰ φυσικά inscribuntur, [Aristoteles] apposuit, und: De omnibus [praedicamentis] quidem altius subtiliusque in his libris, quos μετὰ τὰ φυσικά vocavit, exquiritur. Sowie Boethius, Commentarii in librum Aristotelis ΠΕΡΙ HERMENEIAΣ (wie Anm. 7) II, 5, 102 (1880): Et de eo disputat [Aristoteles] in his libris, quos μετὰ τὰ φυσικά inscripsit, quod est opus philosophi primum. I, 5, 74 (1876): Quae autem causa sit ut una sit, ipse [Aristoteles] discere distulit, sed in libris eius operis, quod μετὰ τὰ φυσικά inscribitur, expediet. Boethius, In Isagogen Porphyrii commenta, hrsg. v. S. Brandt, Leipzig 1906, ed. prima, I, 3, 8.

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nisiert in Boethius’ Opuscula sacra wieder, genauerhin in der bekannten Einteilung der theoretischen Wissenschaften aus dem Trinitätstraktat, wo es heißt: […] tres sint speculativae partes, naturalis […], mathematica […], theologica.10 Ganz klar zeigt sich so bei Boethius, dass der Ausdruck μετὰ τὰ φυσικά in einem strikt bibliographischen Kontext seine Verwendung findet, während für die sachliche Diskussion der Gegenstände der metaphysischen Bücher der aristotelische Begriff der Theologie bzw. Theologik reserviert ist. Es ist diese Nomenklatur aus den Opuscula sacra, die für die lateinischen Philosophen und Theologen der folgenden Zeit bis hin zur ersten lateinischen Übersetzung der metaphysischen Bücher im 12. Jahrhundert durch Jakob von Venedig – und sogar noch darüber hinaus – Geltung behalten sollte. Zu nennen sind hier vor allem die Chartreser Autoren – also Gundissalinus’ unmittelbare Zeitgenossen –, die in ihrer Boethius-Kommentierung ausführlich auf die Metaphysik als Wissenschaft eingehen; dabei befleißigen sich Thierry von Chartres, Gilbert von Poitiers und Clarembald von Arras der boethianischen Terminologie und sprechen durchweg von theologi(c)a.11 Diese hier nur skizzenhaft durchgeführte begriffsgeschichtliche Rekonstruktion der lateinischen Tradition weist erstaunliche Parallelen mit der terminologischen Entwicklung im arabischen Raum auf. Aristoteles’ metaphysische Bücher wurden früher als im lateinischen Westen übertragen. Die erste Übersetzung fertigte Asṭāṯ im 9. Jahrhundert im Auftrag al-Kindīs an, ein ̣ unains, vermutlich auf Jahrhundert später folgte die Übersetzung Isḥāq ibn H der Grundlage der von seinem Vater angefertigten syrischen Übertragung. Auf den Titel der Schrift beziehen sich die arabischen Autoren entweder in transliterierter Form als matātāfusīyqā oder aber in Übersetzung als mā baʿd aṭ-ṭabīʿa, also das, was nach der Natur ist. Letztere Bezeichnung findet sich etwa in dem auch und gerade für die lateinische Tradition außerordentlich bedeutsamen Werk Kitāb iḥṣāʾ al-ʿulūm des al-Fārābī, das von Gundissalinus ins Lateinische übersetzt wurde und explizit auf Aristoteles’ Kitāb fimā aṭṭabīʿa Bezug nimmt.12 Zugleich jedoch, und hierin liegt die bemerkenswerte Parallele zwischen lateinischer und arabischer Tradition, gelingt es diesen Adaptationen des griechischen μετὰ τὰ φυσικά nicht, sich als Bezeichnung der 10 11

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Boethius, Die theologischen Traktate, übers., eingel. u. mit Anm. versehen v. M. Elsässer, Hamburg 1988, tr. I, II, 6 u. 8. Vgl. Thierry von Chartres, Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and His School, hrsg. v. N. M. Häring, Toronto 1971, bes. II, 27, 163; Gilbert von Poitiers: The Commentaries on Boethius by Gilbert of Poitiers, hrsg. v. N. M. Häring, Toronto 1966, bes. II, 9, 80; sowie Clarembald von Arras: Life and Works of Clarembald of Arras. A Twelfth-Century Master of the School of Chartres, hrsg. v. N. M. Häring, Toronto 1965, bes. II, 16, 112. Vgl. al-Fārābī, Catálogo de las ciencias, hrsg. v. a. González Palencia, Madrid 21953, 87.

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Wissenschaft zu etablieren, von der die metaphysischen Bücher des Aristoteles handeln. Hier setzt sich allmählich über al-Kindī, al-Fārābī bis zu Avicenna der Begriff al-‘ilm al-ilāhī durch, also eben die Wissenschaft von den göttlichen Dingen, im Sinne von Aristoteles’ Theologik bzw. der theologi(c)a der lateinischen Autoren. So bezieht sich al-Fārābīs Kitāb iḥṣāʾ al-ʿulūm zwar, wie soeben erwähnt, auf Aristoteles’ Kitāb fimā aṭ-ṭabīʿa, also auf das Buch dessen, was nach der Natur kommt, bezeichnet die entsprechende Wissenschaft allerdings als al-‘ilm al-ilāhī, als Wissenschaft von den göttlichen Dingen.13 Die lateinische und arabische Rezeptionsgeschichte von Aristoteles’ Erster Philosophie teilen damit das Geschick eines zweifachen Bezugs auf die Metaphysik, je nachdem ob es sich um Aristoteles’ so genannte Schrift handelt oder aber um die in dieser entfaltete Wissenschaft. Die Gründe hierfür können nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein; allerdings gilt es anzumerken, dass in der aristotelischen Architektonik der Wissenschaften die bibliographische Einordnung der metaphysischen Bücher nach der Physik unbefriedigend oder doch zumindest kontingent ist; denn die systematische Klassifikation der Wissenschaften anhand ihrer Objektbereiche positioniert die Metaphysik klarerweise nach der Mathematik, nicht nach der Physik. So gesehen ist es wahrscheinlich kein schierer Zufall, dass sowohl die lateinische als auch die arabische Tradition dem Begriff der Theologik trotz all seiner Ambivalenz zunächst den Vorzug geben, wenn es darum geht, die Metaphysik als Wissenschaft anzusprechen. Dies ist der intellektuelle Hintergrund, vor dem Gundissalinus um 1150 seine Divisionsschrift verfasst – und nicht nur der passive Hintergrund: vielmehr sind die genannten Autoren und Diskussionszusammenhänge, namentlich die Boethius-Rezeption der Chartreser einerseits sowie al-Fārābī und Avicenna andererseits, die direkten Bezugsgrößen, in Auseinandersetzung mit denen er seine Wissenschaftseinteilung entwickelt.14 Umso bemerkenswerter ist es, dass De divisione philosophiae den Ursprung der Metaphysik als Bezeichnung einer Wissenschaft markiert, denn als solche findet sie sich weder in der griechischen noch in der lateinischen oder arabischen Tradition. Es ist das Verdienst des Toledaner Gelehrten, den

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Ebd., 87. Gundissalinus’ Abhängigkeit von arabischen Quellen ist unumstritten. Weniger bekannt ist seine Verbindung mit dem Chartreser Kontext bzw. allgemein mit dem französischen intellektuellen Milieu. Und dies obwohl N. M. Häring hierauf schon vor geraumer Zeit hingewiesen hat: Thierry of Chartres and Dominicus Gundissalinus, Mediaeval Studies 26, 1964, 271–286, vgl. ferner meinen Beitrag: Le débat sur la création: Guillaume de Conches, maître de Dominique Gundisalvi?, in: B. Obrist/I. Caiazzo (Hrsg.), Guillaume de Conches: Philosophie et science au XIIe siècle, Florenz 2011, 271–288.

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bibliographischen Titel μετὰ τὰ φυσικά so ins Lateinische gebracht zu haben, dass er zu einem weiblichen Substantiv des Singulars wird, womit er sich den Bezeichnungen der übrigen Wissenschaften, wie Physik (physica) oder Mathematik (mathematica) annähert. So heißt es gleich zu Beginn seiner Divisionsschrift in deren Prolog: „Der erste Teil der Einteilung aber heißt Physik (physica) oder Naturwissenschaft (naturalis), welcher der erste und unterste ist; der zweite [Teil] heißt Mathematik (mathematica) oder lernmäßige Wissenschaft (disciplinalis), welcher der mittlere ist; der dritte [Teil] heißt Theologie (theologia), erste Wissenschaft (scientia prima), erste Philosophie (philosophia prima) oder Metaphysik (metaphysica). Und deswegen sagt Boethius, dass die Physik nicht abstrakt und mit Bewegung [verbunden] ist, die Mathematik abstrakt und mit Bewegung [verbunden ist], die Theologie jedoch abstrakt und ohne Bewegung ist.“ 15 Ganz klar greift Gundissalinus hier die boethianische Einteilung der Wissenschaften aus dessen Trinitätstraktat auf, die er mit seiner Avicenna-Lektüre verbindet, wie der Begriff der prima philosophia suggeriert, den er aus seiner Übersetzung der Ersten Philosophie aus Avicennas Šhifā’ übernimmt.16 Doch bringt er nicht nur beide Traditionsstränge zusammen, sondern überbietet sie, eben indem er den Begriff metaphysica als ein substantivum femininum formuliert. Dass es Gundissalinus mit der Bezeichnung der Ersten Philosophie als metaphysica im nicht-bibliographischen, sondern sachlichen Sinne ernst ist, bestätigt ein Blick in das Metaphysik-Kapitel seiner Divisionsschrift. Zwar steht dieses unter dem traditionellen Titel De scientia divina, doch heißt es auch hier hinsichtlich des Namens dieser Wissenschaft unmissverständlich wie folgt: „Warum [diese Wissenschaft] so benannt ist. Diese Wissenschaft wird auf viele Weisen benannt. Sie heißt nämlich ‚göttliche Wissenschaft‘ (scientia divina) von ihrem würdigeren Teil her, weil sie von Gott fragt, ob er existiert, und beweist, dass er existiert. Sie heißt ‚erste Philosophie‘ (philosophia prima), weil sie die Wissenschaft von der ersten Ursache des 15

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Gundissalinus, De divisione (wie Anm. 3) 68: Prima autem pars divisionis dicitur scientia physica sive naturalis, quae est prima et infima; secunda dicitur scientia mathematica sive disciplinalis, quae est media; tertia dicitur theologia sive scientia prima, sive philosophia prima, sive metaphysica. Et ob hoc dicit Boethius, quod physica est inabstracta et cum motu, mathematica abstracta et cum motu, theologia vero abstracta et sine motu. Vgl. Avicenna, Liber de philosophia prima sive scientia divina, hrsg. v. S. van Riet, 2 Bde., Louvain–Leiden 1977–1980, hier I 1, 2.15: Et haec est philosophia prima, quia ipsa est scientia de prima causa esse.

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Seins ist. Sie heißt auch ‚Ursache der Ursachen‘ (causa causarum), weil es in ihr um Gott geht, der die Ursache von allem ist. Sie heißt auch ‚Metaphysik‘ (metaphysica), also ‚nach der Physik‘, weil sie von dem handelt, was nach der Natur kommt.“ 17 Hier fällt nicht nur erneut der Begriff der metaphysica als Wissenschaft, vielmehr liefert Gundissalinus, wiederum in Anlehnung an Avicenna,18 auch die entsprechende Begriffserklärung: die Metaphysik handelt von dem, was nach der Natur kommt. Klarerweise ist hierbei mit „nach der Natur“ nicht der bibliographische Ort gemeint, sondern der charakteristische Untersuchungsbereich der Metaphysik. Dass diese Begriffserklärung letztlich fragwürdig ist und Gundissalinus besser daran getan hätte, seine Metaphysik als Antephysik zu deklarieren, wie Th. Kobusch zu Recht bemerkt hat,19 braucht an dieser Stelle nicht zu stören. Wichtig ist, dass Gundissalinus den Begriff metaphysica dezidiert als Denomination einer Wissenschaft und nicht eines Buches einführt und sich zugleich bemüht, ihm eine angemessene Interpretation zu geben. Wie Gundissalinus zu dieser für die Geschichte der Metaphysik wegweisenden Neubenennung der theologi(c)a kommt, ist fraglich. Die kurz vor seiner Divisionsschrift entstandene erste lateinische Übersetzung der Metaphysik durch Jakob von Venedig dürfte ihm kaum bekannt gewesen sein; und selbst wenn, ist der handschriftliche Befund im Hinblick auf ihren Titel keinesfalls eindeutig.20 Näher liegt es, zu vermuten, dass Gundissalinus den Begriff der Metaphysik aus seiner Lektüre der boethianischen Kommentare zu den Kategorien und De interpretatione adaptierte.21 17

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Gundissalinus, De divisione (wie Anm. 3) 102: Quare sic vocatur. Multis modis haec scientia vocatur. Dicitur enim ‚scientia divina‘ a digniori parte, quia ipsa de Deo inquirit, an sit, et probat, quod sit. Dicitur ‚philosophia prima‘, quia ipsa est scientia de prima causa esse. Dicitur etiam ‚causa causarum‘, quia in ea agitur de Deo, qui est causa omnium. Dicitur etiam ‚metaphysica‘, i.e. ‚post physicam‘, quia ipsa est de eo, quod est post naturam. Vgl. Avicenna, Liber de philosophia prima (wie Anm. 16) I 1, 3.24: ipsa est de eo quod est post naturam. Vgl. Th. Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, München 2011, 157. ‚Metaphysica‘ scheint zunächst von Jakob von Venedig als neutrum pluralis verstanden worden zu sein. Vgl. G. Vuillemin-Diem, Praefatio: Wilhelm von Moerbekes Übersetzung der aristotelischen Metaphysik (Aristoteles latinus XXV 3.1), Leiden 1995, 31. Möglicherweise begegnete ihm der Titel in seinem Boethius-Manuskript schon in der uns hier interessierenden, kondensierten Form als metaphysica. Wie nämlich mehrere BoethiusHandschriften aus der Zeit des Gundissalinus bezeugen, hatten die Kopisten ihre Not mit dem Ausdruck meta ta physica. Einige hielten den bestimmten Artikel für eine fehlerhafte Dopplung und verkürzten meta ta physica zu meta physica. In diese Tradition gehört auch Abaelard, der in seiner Dialectica sowie in seinen Glossen zu den Kategorien Boethius’ zwei oben erwähnte Bezugnahmen auf die Bücher der meta ta physica aus dem KategorienKommentar zitiert, dabei allerdings den Ausdruck als metaphysica wiedergibt. Ganz ohne Anknüpfungspunkt in der Tradition ist Gundissalinus’ Nomenklatur mithin nicht; gleich-

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III. Materia huius scientiae est ens Mit Gundissalinus’ nomineller Abwendung von der Ersten Philosophie als theologi(c)a und seiner Hinwendung zur metaphysica stellt sich freilich auch in verschärfter, wenn nicht sogar in gänzlich neuer Weise die Frage nach ihrem wissenschaftstheoretischen Status. Die Etablierung der Metaphysik als Wissenschaft in De divisione philosophiae gehorcht dem Schema, das der Toledaner Gelehrte auch zur Bestimmung der übrigen Wissenschaften verwendet. So wird die Metaphysik, ebenso wie die weiteren Wissenschaften, am Leitfaden der sogenannten διδασκαλικά oder auch κεφάλαια entfaltet, das sind Fragen, die in der Tradition der spätantiken Aristoteles-Kommentare die Darstellung der einzelnen Wissenschaften strukturieren.22 Die für den lateinischen Raum maßgebliche Version der διδασκαλικά gibt Boethius in seiner Schrift De topicis differentiis. Diese werden hier als Strukturmerkmale der artes eingeführt; so heißt es, dass in Bezug auf jede Disziplin zunächst folgende Fragen zu behandeln seien: de generis artis, speciebus, et materia, et partibus, et instrumento instrumentique partibus, opere etiam officioque actoris et finis.23 Diese Fassung der διδασκαλικά sollte im 12. Jahrhundert großes Gewicht erhalten, und zwar zunächst und v. a. im Umkreis der Schule von Chartres. Dabei sind es diesmal nicht die Boethius-Kommentare, in denen sich das Interesse an den boethianischen διδασκαλικά kristallisiert, sondern vorwiegend die den Triviums-Wissenschaften gewidmeten Chartreser Glossen,24 etwa zu Cicero und Priscian.25 Das Chartreser accessus-Schema, so die nahezu einhellige Meinung der bisherigen Forschung,26 ist auch das Vorbild für Gundissalinus gewesen. In

22 23 24 25

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wohl gilt es zu betonen, dass der Ausdruck in der Boethius-Überlieferung und -Exegese eine strikt bibliographische Referenz bleibt. Eine tabellarische Übersicht der κεφάλαια bei den einschlägigen spätantiken Autoren gibt E. A. Quain, The Medieval accessus ad auctores, Traditio 3, 1945, 215–264. Vgl. Boethius, De topicis differentiis (MPL 64), IV, 1207. Vgl. R. W. Hunt, The Introductions to the Artes in the Twelfth Century, in: Studia Mediaevalia in Honor of R. J. Martin, Brügge 1948, 85–112. Hier ist vor allem der vielleicht bekannteste Chartreser accessus zu nennen, der aus der Feder Thierrys von Chartres stammt und sich in seinem Kommentar zu Ciceros De inventione findet: The Latin Rhetorical Commentaries by Thierry of Chartres, hrsg. v. K. M. Fredborg, Toronto 1988, 49: Circa artem rhetoricam decem consideranda sunt: quid sit genus ipsius artis, quid ipsa ars sit, quae eius materia, quod officium, quis finis, quae partes, quae species, quod instrumentum, quis artifex, quare rhetorica vocetur. Vgl. hierzu u. a. K. M. Fredborg in ihrer Einleitung zu Thierry von Chartres, The Latin Rhetorical Commentaries by Thierry (wie Anm. 25) 15–20; sowie C. Burnett, A New

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De divisione philosophiae werden die Fragen des Chartreser accessus-Schemas gleich zu Anfang des Werkes programmatisch als Leitfaden der Analyse aller Wissenschaften eingeführt.27 So beginnt die Divisionsschrift mit der Ankündigung: „Hinsichtlich eines jeden [Teils der Philosophie] ist [...] Folgendes zu untersuchen, nämlich: was er ist, welches sein Genus ist, was seine Materie ist, welche seine Spezies sind, welche seine Teile sind, was seine Aufgabe ist, was sein Ziel ist, was sein Instrument ist, wer der Künstler ist, warum er [d. i. der Teil] so genannt wird, in welcher Anordnung er zu lesen ist.“ 28 Wissenschaftstheoretisch besonders interessant sind hierbei die Fragen nach genus und species einer Wissenschaft, aber auch und vor allem nach deren materia, also dem spezifischen Untersuchungsobjekt, das die Selbständigkeit einer jeden Wissenschaft verbürgt. Den fundamentalen Begriff des Untersuchungsobjektes versteht Gundissalinus ganz im Sinne des Aristoteles und verbindet ihn systematisch mit dessen Lehrstück von der Unbeweisbarkeit des einer jeden Wissenschaft zugrundeliegenden Gegenstandes. So heißt es etwa im Logik-Kapitel aus De divisione philosophiae: „Die These ist nicht die Materie dieser Kunst [d. h. der Logik], wie einige meinen. Nach Aristoteles in den Analytiken beweist nämlich keine Wissenschaft ihre Materie; aber die Logik beweist jede These.“ 29 Denselben Grundsatz des Aristoteles, den Gundissalinus hier ausdrücklich mit den Analytica posteriora in Verbindung bringt, formuliert er nun auch für die Metaphysik: „Als Materie dieser Kunst haben einige die vier Ursachen, die Materialund Formal-, Wirk- und Zielursache, bezeichnet. Andere behaupteten, Gott sei die Materie dieser Kunst. All diese täuschten sich. Nach dem Zeugnis des Aristoteles ermittelt nämlich keine Kunst ihre eigene Mate-

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Source for Dominicus Gundissalinus’s Account of the Science of the Stars?, Annals of Science 47, 1990, 361–362. Ausnahmen sind die Kapitel De aspectibus, De ponderibus, De ingeniis und die praktische Philosophie, die nicht am Leitfaden der Fragen diskutiert werden. Gundissalinus, De divisione (wie Anm. 3) 74: Circa unamquamque autem earum haec inquirenda sunt, scilicet: quid ipsa sit, quod genus est, quae materia, quae partes, quae species, quod officium, quis finis, quod instrumentum, quis artifex, quare sic vocetur, quo ordine legenda sit. Ebd., 152: Non est autem thesis materiam huius artis, sicut quidam putant. Dicente enim Aristotele in ‚Analyticis‘ nulla scientia probat materiam suam. Sed logica probat omnem thesim.

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rie. Doch in dieser Wissenschaft wird ermittelt, ob Gott existiert. Also ist Gott nicht ihre Materie. Genauso wenig die Ursachen.“ 30 Der aristotelische Grundsatz von der Unbeweisbarkeit des spezifischen Gegenstandes einer jeden Wissenschaft aus den Analytica posteriora I 1.71 a 1– 11 und passim wird hier zur Grundlage einer scharfen Kritik an der philosophischen Tradition: weder die Ursachen noch Gott sind der spezifische Gegenstand der Metaphysik; wer dies behauptet, hat sich getäuscht. Denn gerade weil in der Metaphysik Gottes Existenz bewiesen wird, eine Wissenschaft jedoch nach Aristoteles niemals ihre Materie beweisen kann, ist Gott folglich nicht materia der Metaphysik. Daher, und weil keine andere Wissenschaft die materia der Metaphysik grundlegen kann, bleibt als deren Gegenstand einzig das Allgemeinste und Offenbarste: „Weil nun aber dasjenige, was in jeder Wissenschaft als Materie gesetzt wird, notwendigerweise in einer anderen bewiesen wird, nach dieser [also der Metaphysik] jedoch keine Wissenschaft mehr übrig ist, in der ihre Materie bewiesen wird, ist die Materie dieser Wissenschaft notwendigerweise dasjenige, was allgemeiner und offensichtlicher (communius et evidentius) ist als alles andere, nämlich das Seiende (ens), wovon man ja nicht fragen muss, ob oder was es ist, so als müsste man sich dessen in einer anderen Wissenschaft nach dieser vergewissern.“ 31 Eine ganz ähnliche Argumentation findet sich schon bei Avicenna, in seiner von Gundissalinus übersetzten Prima philosophia aus dem Kitāb aš-šifāʾ, die dem Toledaner Gelehrten zweifelsohne als Ausgangspunkt seiner Bestimmung des Gegenstandes der Metaphysik als ens dient.32 Gleichwohl fehlt bei Avicenna an dieser Stelle der emphatische Verweis auf Aristoteles und seine Analytia posteriora, vor allem aber auch die zugespitzte Kritik an denen, die sich in der Bestimmung des Gegenstandes der Metaphysik täuschen, indem sie ihn im Sinne einer Theologik konzipieren. 30

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Ebd., 100: Materiam huius artis quidam dixerunt esse quattuor causas: materialem et formalem, efficientem et finalem. Alii vero materiam huius artis dixerunt esse Deum. Qui omnes decepti sunt. Teste enim Aristotele nulla scientia inquirit materiam suam; sed in hac scientia inquiritur, an sit Deus. Ergo Deus non est materia eius. Similiter de causis. Ebd., 100: Sed quia in omni scientia id, quod materia ponitur, necessario in alia probatur, post hanc autem nulla restat scientia, in qua materia eius probatur, ideo necessario materia huius scientiae est id, quod communius et evidentius omnibus est, scilicet ens, quod siquidem non oportet quaeri, an sit vel quid sit, quasi in alia scientia post hanc debeat hoc certificari. Vgl. Avicenna, Liber de philosophia prima (wie Anm. 16) I 1, 1.5: Postquam inquiritur in hac scientia [= philosophia prima] an [deus] sit, tunc non potest esse subiectum huius scientiae. […] Nulla enim scientiarum debet stabilire esse suum subiectum. Statt auf Aristoteles verweist Avicenna in einem vorangehenden Passus auf seinen Kitāb al-burhān.

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Wen hat Gundissalinus aber mit dieser Kritik im Visier? Es ist unwahrscheinlich, dass er sich auf die diesbezügliche Kontroverse zwischen Avicenna und Averroes bezieht, zumal sich von Letzterem keine Spur in seinem Werk nachweisen lässt. Viel wahrscheinlicher scheint mir indessen, dass der spanische Philosoph hier Positionen aus seiner eigenen, lateinisch-christlichen Tradition attackiert, genauerhin die Reflexionen aus der Chartreser BoethiusKommentierung. Denn in der Tat definieren die Chartreser, mit deren Werken Gundissalinus wie bereits betont vertraut war, die boethianische theologica präzise in dem von ihm kritisierten Sinn. So beschreibt etwa Thierry von Chartres in seinen Lectiones in Boethii librum De Trinitate die theologia folgendermaßen: „Und nun zur dritten spekulativen Disziplin, die ohne Bewegung ist, d. h. ohne Veränderbarkeit, denn sie betrachtet die göttliche Einfachheit und Ewigkeit. [...] Das nämlich, was sie betrachtet, ist Gott, ohne den weder Materie noch sonst etwas sein kann […] die Ursache also und den Seinsgrund von allem, aus dem das Sein von allen Dingen kommt.“ 33 Gundissalinus setzt sich so nicht nur nominell von der boethianischen Beschreibung der Metaphysik als theologica ab, sondern distanziert sich auch inhaltlich von der auf Boethius folgenden Tradition: weder die erste Ursache noch Gott, die Thierry und mit ihm die restlichen Chartreser zum Gegenstand ihrer theologi(c)a erklären, sind die materia der gundissalinischen metaphysica. Diese ist vielmehr das ens.34 Dieser zunächst recht eindeutige Befund wird deutlich komplexer, wenn man sich den beiden weiteren zuvor genannten wissenschaftstheoretisch einschlägigen Kategorien zuwendet, die Gundissalinus’ Darlegung der Metaphysik strukturieren: genus und species. So heißt es nämlich zum genus der Metaphysik, in scheinbar widersprüchlicher Weise: „Das Genus dieser Kunst aber ist es, dass sie abstrakt und ohne Bewegung ist. Während die übrigen Wissenschaften nämlich davon handeln, 33

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Thierry von Chartres, Commentaries on Boethius (wie Anm. 11) II, 38, 163–167: Ecce de tertia parte speculativae, quae est sine motu, i.e. sine mutabilitate, quia considerat divinam simplicitatem [et] aeternitatem […] Id enim, quod ipsa considerat est deus, sine quo materia nec aliud potest esse […] causa scilicet et origo essendi omnium rerum et ex qua est esse omnium rerum. Gundissalinus’ Kritik wird später u. a. in Alberts des Großen Metaphysik-Kommentar aufgegriffen, Metaphysica. Opera omnia. Ed. Coloniensis, XVI, 1, Münster 1960, l. I, tr. 1, c. 2: Albert verwirft hier zuerst die Kausalität als Gegenstand der Metaphysik, an zweiter Stelle Gott, um schließlich das Seiende als ihren eigentümlichen Gegenstand zu präsentieren. Mit dieser Argumentationsfolge (Ursache, Gott, Seiendes) steht Albert Gundissalinus letztlich näher als Avicenna, den W. Senner als seine Quelle anführt. Vgl. W. Senner, Alberts des Großen Verständnis von Theologie und Philosophie, Münster 2009, 38.

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was in der Materie ist, z. T. davon abstrahierend, wie die lernmäßige Wissenschaft [also die Mathematik], z. T. ohne davon zu abstrahieren, wie die Naturwissenschaft, ist diese die einzige, die darüber handelt, was völlig – der Daseinsweise und der Definition nach – von Bewegung und Materie getrennt ist. Sie handelt nämlich von den ersten Ursachen des natürlichen und mathematischen Seins und davon, was von jenen abhängt, und von der Ursache der Ursachen und dem Prinzip der Prinzipien, welches der erhabene Gott ist.“ 35 Hier bringt Gundissalinus in affirmativer Form die von ihm soeben strikt abgelehnte Bestimmung der Metaphysik als Theologik in Anschlag: das getrennte und unbewegliche Sein, also Gott und die ersten Ursachen, werden nun von ihm als genus der Metaphysik ausgewiesen. Und dies in offenbar naiver Übernahme der boethianisch-chartresischen Diktion. Wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu deuten? Zwar ist immer wieder auf den patchwork-Charakter von Gundissalinus’ Divisionsschrift hingewiesen worden, um mögliche Ungereimtheiten in seinem Wissenschaftsentwurf zu erklären; gleichwohl bleibt eine solche Erklärung des vermeintlichen Widerspruchs der zwei Bestimmungen der Metaphysik vordergründig, zumal die beiden zitierten Abschnitte im Text unmittelbar aufeinander folgen. Mir scheint vielmehr, dass Gundissalinus hier an eine immanente Schwierigkeit der aristotelischen Metaphysik selbst rührt und ihr, so paradox dies zunächst erscheinen mag, eine systematische Lösung zu geben versucht. Die Schwierigkeit, auf die ich mich beziehe, hängt mit Aristoteles’ Einsicht zusammen, dass das Seiende keine Gattung darstellt. Anders als Platon nämlich, der das Seiende unter die μέγιστα γένη, also die größten Gattungen zählt, erklärt Aristoteles wiederholt sowohl in der Metaphysik als auch in den Analytica posteriora, dass das Seiende kein γένος darstellt.36 Gleichwohl bestimmt Aristoteles aber den Untersuchungsgegenstand der Metaphysik in Buch Γ 1 als τὸ ὂν ῃ˜̔ ὂν (1003 a 21), also als das Seiende als Seiendes. Damit ergibt sich freilich eine nicht geringe Spannung zwischen der in den Analytica posteriora I 7 formulierten Anforderung an eine jede Wissenschaft, über ein ὑποκείμενον γένος (75 a 42), eine zugrundeliegende Gattung zu verfügen, und der Tatsache, dass das zugrundeliegende genus der Metaphysik eben gerade

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Gundissalinus, De divisione (wie Anm. 3) 98–100: Genus autem huius artis est, quod ipsa est abstracta et sine motu. Cum enim ceterae scientiae agant de his, quae sunt in materia, sed aliquando abstractis, ut disciplinalis, aliquando inabstractis, ut naturalis, haec sola est, quae agit de his, quae omnino sunt separata a motu et a materia secundum existentiam et definitionem. Agit enim de primis causis naturalis et disciplinalis esse et de eo, quod pendet ex his, et de causa causarum et de principio principiorum, quod est Deus excelsus. Siehe Platon im Soph. 254D, sowie Aristoteles in Met. Β 2.998 b 22 und passim.

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kein genus ist. Aristoteles selbst löst die so entstehende Spannung nicht auf, liefert allerdings eine Alternative, wenn er in Buch Ε 1 der Metaphysik das genus derselben als das immaterielle und unbewegliche Seiende bestimmt: so gesehen handelt die Metaphysik von der obersten Gattung des Seienden: περὶ τὸ τιμιώτατον γένος (1026 a 21). Prima facie hat die Metaphysik damit bei Aristoteles aber einen doppelten Gegenstand, einmal nämlich das Seiende als ihr eigentümliches Untersuchungsobjekt, zum anderen ein bestimmtes Seiendes als ihre Gattung. Die spätantiken Kommentatoren des Aristoteles versuchten diese Spannung durch eine intelligente Lektüre eines Passus aus Buch Γ 2 der Metaphysik zu lösen, wo es heißt, dass das Seiende nicht schlechthin äquivok ausgesagt werde, sondern πρὸς ἕν (1003 a 33), also auf ein Eines hin.37 Während Aristoteles mit diesem Einen die ουϛσία im Auge hatte, interpretierten die spätantiken Kommentatoren das πρὸς ἕν im Hinblick auf die oberste Klasse des Seienden: so lassen sich beide Gegenstandsbestimmungen aus Metaphysik Γ 1 und Ε 1 kompatibilisieren: der Gegenstand der Metaphysik ist in der Tat das Seiende, das allerdings in Relation zur Gattung des obersten Seienden ausgesagt wird. Mir scheint, dass Gundissalinus dieser Interpretation nicht fern steht: die Materie bzw. den Gegenstand der Metaphysik versteht er klar als das ens, während er ihre Gattung mit Aristoteles und seinen Kommentatoren als das oberste Seiende bestimmt. Interessant dabei ist sein Versuch begrifflicher Trennschärfe; so scheidet Gundissalinus letztlich den aristotelischen Begriff des ὑποκείμενον γένος in zwei separate Aspekte: zum einen die zugrundeliegende materia, auch subiectum genannt, die das ens darstellt, zum anderen das genus, nämlich die oberste Klasse des Seienden. In dieser Hinsicht kann Gundissalinus tatsächlich ohne Widerspruch behaupten, dass die materia der Metaphysik einzig und allein im ens besteht und dass es falsch ist, Gott oder die erste Ursache als materia der Metaphysik zu bezeichnen, obwohl Letztere die Gattung derselben ausmachen, insofern nämlich das ens im Hinblick auf dessen oberste Klasse prädiziert wird, die als solche eine Gattung darstellt. Gundissalinus’ Einlassungen lassen sich somit in ihrer Differenzierung von materia bzw. subiectum einerseits und genus andererseits als ein aufschlussreicher Versuch interpretieren, den ontologischen Primat des Metaphysik-Begriffs mit den epistemologischen Anforderungen an die Metaphysik qua Wissenschaft in Einklang zu bringen. 37

Vgl. J. Owens, The Doctrine of Being in the Aristotelian Metaphysics, Toronto 1951, 9– 15, sowie S. D. Dumont, Scotus’s Doctrine of Univocity and the Medieval Tradition of Metaphysics, in: J. A. Aertsen/A. Speer (Hrsg.), Was ist Philosophie im Mittelalter?, Berlin 1998, 197.

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Dass für Gundissalinus die ontologische Deutung der Metaphysik ausschlaggebend ist, zeigt sich schließlich auch in seiner Bestimmung ihres dritten Strukturmerkmals, nämlich ihrer species. Denn auch wenn das genus der Metaphysik im eigentlichen Sinne die oberste Klasse des Seienden darstellt, bestimmt er ihre species im Ausgang von ihrer materia bzw. ihrem subiectum. So heißt es im Metaphysik-Kapitel der Divisionsschrift weiter: „Die Spezies dieser Kunst aber sind das, was das Seiende begleitet, in welche das Seiende nämlich unterteilt wird. Das eine Seiende ist nämlich Substanz, das andere Akzidens, das eine Allgemeines, das andere Besonderes, das eine Ursache, das andere Verursachtes, das eine in Möglichkeit, das andere in Wirklichkeit und so weiter, worüber in derselben Wissenschaft hinreichend gehandelt wird.“ 38 Gundissalinus greift hier den Begriff der consequentia entis aus seiner Übersetzung von Avicennas Prima philosophia auf.39 Die detaillierte Aufzählung dieser das Seiende begleitenden Eigenschaften findet sich allerdings in dieser Form nicht bei Avicenna, sondern geht auf Gundissalinus zurück. Dabei ist insbesondere das Begriffspaar „Ursache und Verursachtes“ hervorzuheben, das es Gundissalinus und auch der späteren Tradition, insbesondere Thomas von Aquin, erlauben sollte, die Theologik in ihre ontologische MetaphysikDeutung systematisch zu integrieren: denn gerade als ens causatum, d. h. in seiner Geschaffenheit, verweist das Seiende, als Gegenstand der Metaphysik, auf seine Ursache, also Gott, der damit auch innerhalb einer primär ontologisch ausgelegten Metaphysik seinen Platz bekommt. Die Metaphysik muss von dem ausgehen, was allgemein und durch sich selbst evident ist: und dies ist das Seiende. Doch gerade indem sie dieses und seine Ursachen untersucht, gelangt sie zur ersten Ursache selbst, nämlich Gott, den Gundissalinus, wie seine weiteren Ausführungen zeigen, aus seiner Metaphysik nicht verbannt. Aufs Ganze gesehen stellen diese Reflexionen aus dem Metaphysik-Kapitel von Gundissalinus’ Divisionsschrift den Versuch dar, die boethianischchartresische Theologik-Tradition im Lichte des über Avicenna vermittelten Aristotelismus kritisch zu revidieren und zu transformieren. Ziel dieser Transformation ist es, die Metaphysik qua Ontologie im lateinischen Raum

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Gundissalinus, De divisione (wie Anm. 3) 100: Species vero huius artis sunt consequentia entis, in quae scilicet dividitur ens. Ens enim aliud est substantia, aliud accidens, aliud universale, aliud particulare, aliud causa, aliud causatum, aliud in potentia, aliud in actu et cetera, de quibus sufficienter tractatur in eadem scientia. Vgl. Avicenna, Liber de prima philosophia (wie Anm. 16) Bd. 1, 13: Ideo primum subiectum huius scientiae est ens inquantum est ens; et ea quae inquirit sunt consequentia entis.

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auf einem wissenschaftstheoretisch soliden Fundament als eigenständige Wissenschaft zu etablieren.

IV. Ceterae scientiae sunt sub scientia de ente Komplementär zu Gundissalinus’ Überlegungen im Metaphysik-Kapitel verhält sich ein weiteres Kapitel am Ende seiner Divisionsschrift. Geht es im Metaphysik-Kapitel nämlich um die Etablierung der Metaphysik als einer Wissenschaft mit einem eigenem Gegenstandsbereich, so stellt sich Gundissalinus später die schwierige Frage nach dem Verhältnis dieses Gegenstandsbereiches zu den Gegenstandsbereichen der übrigen Wissenschaften. Er tut dies in einem Kapitel, das den Titel „Summa Avicennae de convenientia et differentia subiectorum“ trägt. Dabei handelt es sich um die Übersetzung eines Abschnitts aus dem Kitāb al-burhān des Avicenna, also jenem Teil seines Kitāb aš-šifāʾ, der die Beweistheorie enthält und den Analytica posteriora entspricht. Gundissalinus’ Übersetzung umfasst das 7. Kapitel des 2. Buches des Kitāb al-burhān, das Lateinisch allein in der Divisionsschrift überliefert ist. Im Zentrum dieses Kapitels steht die bereits von Aristoteles aufgeworfene Frage nach der Unterordnung bzw. Subordination und Binnendifferenzierung der Wissenschaften. Tatsächlich bietet Aristoteles in seinen Analytica posteriora zwei verschiedene Modelle zur Erklärung der Unterordnung verschiedener Wissenschaften. So behauptet er in den Analytica posteriora I 7, dass zwei Wissenschaften denselben Gegenstand in verschiedener Hinsicht betrachten können, nämlich absolut (ἁπλω˜ς) oder in qualifizierter Weise (ἢ πῃ˜) (75 b 8–9). Während die absolute Betrachtung der übergeordneten Wissenschaft entspricht, charakterisiert die qualifizierte bzw. relative Betrachtung die untergeordnete Wissenschaft. In Kapitel 9 der Analytica posteriora I wird hingegen ein zweiter Vorschlag entwickelt: hier erklärt Aristoteles, dass die Harmonik der Arithmetik untergeordnet sei, weil Erstere allein das Dass (ὅτι) der Phänomene kenne, während Letztere auch um ihr Warum (διότι) wisse (76 a 11–15). Wie R. McKirahan gezeigt hat,40 sind diese beiden Modelle letztlich alternative Lösungen des Problems der Subordination der Wissenschaften, die sich nicht ohne Weiteres ineinander überführen lassen. Avicenna, und mit ihm sein Übersetzer Gundissalinus, greift Aristoteles’ erstes Modell auf, um es in systematisch anspruchsvoller Weise zu erweitern. So erklärt die Summa

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Vgl. R. McKirahan, Aristotle’s Subordinate Sciences, The British Journal for the History of Science 11, 1978, 197–220.

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Avicennae41 in einem ersten Schritt, dass es der Fall sein kann, dass eine Wissenschaft ein subiectum x betrachtet, während eine zweite Wissenschaft ein Subjekt x’ betrachtet, das sich zu x so verhält wie die species zum genus. Dieses Verhältnis zwischen dem subiectum x und dem derivativen Subjekt x’ etabliert eine klare Hierarchie zwischen den beiden in Frage stehenden Wissenschaften, insofern die mit x befasste Wissenschaft umfassender ist als jene, die x’ betrachtet. In einem zweiten Schritt unterscheidet die Summa Avicennae daraufhin mindestens zwei Arten, auf die eine Wissenschaft das derivative Subjekt x’ betrachten kann. Im ersten Fall betrachtet sie das derivative Subjekt x’ in absoluter Weise und wird daher als Teil bzw. pars der mit x befassten Wissenschaft bezeichnet. Ein Beispiel hierfür ist die Biologie in ihrem Verhältnis zur Physik: beide Wissenschaften befassen sich mit dem Körper, jedoch betrachtet die Physik das genus ‚Körper‘, während die Biologie dessen species ‚lebendiger Körper‘ betrachtet, und zwar in absoluter Weise. Die Biologie ist daher eine pars bzw. ein Teil der Physik bzw. Naturphilosophie. Der zweite Fall liegt dann vor, wenn eine Wissenschaft allein gewisse Akzidenzien des derivativen Subjekts x’ betrachtet; eine solche Wissenschaft steht dann unter der Wissenschaft, die x betrachtet, ist dieser also subordiniert. Die Medizin z. B. ist kein konstitutiver Teil der Physik bzw. der Naturphilosophie, sondern ist dieser subordiniert; beide sind mit dem genus ‚Körper‘ befasst, doch die Medizin betrachtet dessen species ‚lebendiger Körper‘, und dies lediglich im Hinblick auf einige seiner eigentümlichen Akzidenzien, nämlich Krankheit und Gesundheit, also nicht absolut, wie die Biologie. Folglich unterscheidet die Summa Avicennae zwei Arten, auf die eine Wissenschaft in einer anderen enthalten sein kann: entweder als konstitutiver Teil derselben, wie die Biologie in Bezug auf die Naturphilosophie, oder aber als eine ihr untergeordnete Wissenschaft, wie die Medizin hinsichtlich der Naturphilosophie. Diese allgemeinen wissenschaftstheoretischen Überlegungen münden in der Summa Avicennae schließlich in die Frage nach dem Status der Metaphysik. Wie verhält sich die Metaphysik zu den restlichen Wissenschaften, oder vielmehr umgekehrt: wie verhalten sich die übrigen Wissenschaften zur Metaphysik? Die Summa Avicennae gibt eine eindeutige Antwort auf diese Frage: „Die Wissenschaft von jenen Dingen aber, die unter dem sind, dessen Allgemeinheit so ist wie die Allgemeinheit von Seiendem und Einem, kann kein Teil der Wissenschaft von diesen sein [...]. Das Allgemeinere

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Vgl. für die folgenden Ausführungen den Text der Summa Avicennae in Gundissalinus (wie Anm. 3) 236–244. Eine ausgezeichnete Interpretation der schwierigen Passage bietet H. Hugonnard-Roche, La classification des sciences de Gundissalinus et l’influence d’Avicenne, in: J. Jolivet/R. Rashed (Hrsg.), Études sur Avicenne, Paris 1984, 54–57.

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findet sich nämlich nicht im weniger Allgemeinen und auch nicht umgekehrt. Daher sind die Einzelwissenschaften notwendigerweise keine Teile der Wissenschaft vom Seienden, sondern, weil das Seiende und das Eine allgemeiner sind als alle Gegenstände, ist es notwendig, dass die übrigen Wissenschaften unter der Wissenschaft sind, die diese behandelt.“ 42 Jedwede Wissenschaft, die unter der Allgemeinheit der scientia de ente, der Wissenschaft vom Seienden, steht, kann nicht als pars derselben verstanden werden, so wie die Biologie ein Teil der Naturphilosophie ist. Vielmehr müssen die Partikularwissenschaften als subordinierte Wissenschaften aufgefasst werden, weil und insofern ihr Gegenstand letztlich nicht gattungskonstitutiv für das Wesen des Gegenstandes der Metaphysik ist. Gleichwohl ergibt sich hieraus in der Summa Avicennae nicht zwangsläufig das Konzept einer Metaphysik als master science. Denn auch wenn die anderen Wissenschaften der Metaphysik subordiniert sind, so ist der Erkenntnisweg doch nicht der eines Abstiegs von den Wahrheiten der Metaphysik zu jenen der Partikularwissenschaften; vielmehr handelt es sich um einen rekursiven Prozess, der von den Partikularwissenschaften ausgeht, die in der Metaphysik ihr letztes Fundament erhalten: „Nachdem wir aber behauptet haben, dass von den Prinzipien der Wissenschaften einige nicht an sich bekannt sind, ist es notwendig, dass sie im Rahmen einer anderen Wissenschaft geklärt werden, entweder in einer genauso partikularen wie sie selbst oder in einer allgemeineren als sie selbst, und in diesem Fall würde man damit sicher bis zu einer Wissenschaft kommen, die allgemeiner ist als alle anderen. Daher muss man sich über die Prinzipien der übrigen Wissenschaften innerhalb dieser Wissenschaft Gewissheit verschaffen. Das wird aber [zunächst] so sein, als ob alle Wissenschaften durch miteinander verbundene hypothetische Argumente bewiesen würden, z. B.: Wenn der Kreis ist, ist das Dreieck so oder so. Wenn man aber [endlich] zur ersten Philosophie gelangt sein wird, so wird das Sein der Voraussetzung klar werden, wenn [nämlich] bewiesen werden wird, dass dem Prinzip, nämlich dem Kreis, Sein zukommt; und dann wird auch der Beweis der Folge vollendet werden können, dass ihr [nämlich] Sein zukommt, und so weiter, weil keine Partiku-

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Gundissalinus, De divisione (wie Anm. 3) 244: Scientia vero de rebus, quae sunt sub eo, cuius communitas est sicut communitas entis et unius, non potest esse pars scientiae de eis [...]. Communius enim non invenitur in minus communi nec e contrario. Unde oportet, ut scientiae particulares non sint partes scientiae de ente, sed quia ens et unum communia sunt omnibus subiectis, oportet tunc, ut ceterae scientiae sint sub scientia, quae tractat de eis.

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larwissenschaft ohne hypothetische Argumentation bewiesen werden kann.“ 43 So betrachtet, sind die restlichen Wissenschaften der Metaphysik subordiniert, weil diese ihre Prinzipien verbürgt: es ist die Metaphysik, die die zunächst hypothetisch angenommenen Untersuchungsbereiche der Partikularwissenschaften authentifiziert und ihnen ihre Geltung verleiht. Das hier zum ersten Mal in der lateinischen Welt formulierte Konzept von Metaphysik als subordinierender Wissenschaft sollte in den folgenden Jahrhunderten höchst kontrovers diskutiert werden. Es seien hier nur zwei Autoren genannt: Robert Kilwardby und Johannes Duns Scotus. Der englische Dominikaner Robert Kilwardby widmet in seinem stark von Gundissalinus abhängigen Werk De ortu scientiarum das 32. Kapitel der Frage nach dem Verhältnis der Metaphysik zu den anderen Wissenschaften. Zwar konstatiert er zunächst, dass die Metaphysik das Seiende schlechthin betrachte, die anderen Wissenschaften hingegen nur Teile desselben, doch sei dies noch kein Grund, von Subordination bzw. Subalternation zu sprechen. Vielmehr seien für ein solches Verhältnis drei Kriterien zu erfüllen: erstens müsse die subalternierte Wissenschaft dem Subjekt der subalternierenden Wissenschaft etwas hinzufügen; zweitens dürfe diese Hinzufügung nicht in die Gattung des Subjekts der subalternierenden Wissenschaft fallen, und drittens müsse die Beweisrichtung von der subalternierenden zur subalternierten Wissenschaft führen. Keine dieser drei Bedingungen jedoch, so Kilwardby, treffe in vollem Umfang auf das Verhältnis der Metaphysik zu den übrigen Wissenschaften zu.44 43

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Ebd., 244–246: Postquam autem posuimus, quod de principiis scientiarum quaedam sunt, quae non sunt manifesta per se, tunc oportet, ut manifestentur in alia scientia, aut in particulari qualis ipsa sit, aut in communiore quam ipsa sit, et sic perveniet hoc sine dubio ad communiorem omnibus scientiis. Oportet igitur principia ceterarum scientiarum certificentur in hac scientia. Hoc autem sic erit, quasi omnes scientiae probentur argumentationibus hypotheticis coniunctis, verbi gratia: si circulus est, talis vel talis triangulus est. Cum autem pervenerimus ad philosophiam primam, tunc manifestabitur esse antecedentis, cum probabitur quod principium, scilicet circulus, habet esse; et tunc complebitur probatio consequentis, quod habet esse, et ita, quia nulla scientiarum particularium probetur sine hypothetica. Robert Kilwardby: De ortu scientiarum, hrsg. V. A. G. Judy, London–Toronto 1976, c. 32, 115: Quaeritur enim an [metaphysica] subalternat sibi omnes alias speculativas. […] Et videtur quod sic. […] Sed haec [argumenta] solvuntur per hoc, quod sicut supra dictum est quod ad subalternationem tria requiruntur: unum est quod subiectum subalternatae sit ex appositione respectu subiecti subalternantis; aliud, quod illud adiectum sit res alterius generis in natura […], tertium, quod descendat demonstratio a subalternante ad subalternatam. Primum aliquo modo est in metaphysica et aliis speculativis, non tamen omnino. […] Secundum non est illic. […] Tertium etiam non. Eine sehr ähnliche Argumentation findet sich in einem von G. Gál edierten anonymen Metaphysik-Kommentar, der stark von Kilwardby abhängig ist, auch wenn Kilwardby nicht – wie Gál behauptet – als dessen Autor in Frage

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Kilwardby erteilt damit der von Avicenna und Gundissalinus vorgebrachten Konzeption eine klare Absage. Anders Johannes Duns Scotus in seiner Pariser Reportatio. Hier erklärt Duns Scotus, dass ein Wissen um die Prinzipien auf zweierlei Weise vorliegen kann: entweder weiß man um die Prinzipien in Form einer notitia confusa, wie es der Fall bei der Sinneswahrnehmung und der Erfahrung ist; oder man weiß um die Prinzipien in Form einer notitia distincta, wie es der Fall des metaphysischen Wissens ist. Und daher, so konkludiert er, omnes scientiae possunt dici sibi subalternatae, scilicet metaphysicae.45 Es ist hier nicht der Ort, um auf Kilwardby und Duns Scotus weiter einzugehen; entscheidend ist allein, dass die Idee von Metaphysik als subalternierender Wissenschaft, wie sie in Gundissalinus’ Avicenna-Adaptation aufscheint, in der Folge eine lebhafte Diskussion nach sich zog. Diese Diskussion selbst geht über die simplen textuellen Abhängigkeiten und direkten Filiationen hinaus: Kilwardby, der Gundissalinus sonst sehr nahe steht, wendet sich gegen die Idee der Subordination, während Duns Scotus, den historisch nichts mit dem spanischen Gelehrten verbindet, sie affirmativ reformuliert.

V. Konklusion Gundissalinus’ Verdienst innerhalb der Geschichte der Metaphysik beschränkt sich bei Weitem nicht auf die Bereitstellung metaphysischer Schlüsseltexte in lateinischer Übersetzung, wie etwa Avicennas Prima philosophia. Wie die vorangegangenen Analysen zeigen wollen, stellt Gundissalinus darüber hinaus entscheidende begriffliche wie auch systematische Weichen für die Rezeption der aristotelischen Metaphysik im 13. Jahrhundert. Denn begrifflich wie auch systematisch vollzieht sich bei Gundissalinus die Abkehr vom boethianisch-chartresischen Konzept der Metaphysik als Theologik hin

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kommt. Vgl. die Fragmente in G. Gál, Robert Kilwardby’s Questions on the Metaphysics and Physics of Aristotle, Franciscan Studies 13, 1953, 7–28. Vgl. Johannes Duns Scotus, The Examined Report of the Paris Lecture, Reportatio I-A, Latin Text and Engl. Translation, by. A. B. Wolter, O. Bychkov, St Bonaventure (NY) 2004, q. 2, § 157, 56–57: Ad auctoritatem Philosophi dico, quod principia dupliciter possunt esse nota. Uno modo notitia confusa, ut si termini confuse apprehendantur per sensum et experientiam, et hoc sufficit ad scientiam terminorum in scientia qualibet speciali, ut quod linea sit longitudo, ignorando utrum quiditas eius sit substantia, quantitas vel qualitas, etc. Alio modo possunt cognosci notitia distincta sciendo ad quod genus pertinet quiditas eorum, cum definitiones terminorum distincte cognoscuntur ex evidentia terminorum, et hoc contingit per scientiam metaphysicalem dividendo et componendo. Et sic omnes scientiae possunt dici sibi subalternatae, scilicet metaphysicae.

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zu einer Metaphysik verstanden als Ontologie: diese Abkehr kündigt sich mit der Einführung des Begriffs der metaphysica als Gegenbegriff zur theologi(c)a an und gelangt mit der Bestimmung des ens als deren eigentümlicher materia in ihr Ziel. Seinen Weg von der Theologik zur Ontologie findet Gundissalinus in der über die arabische Tradition vermittelten aristotelischen Wissenschaftstheorie; diese erlaubt es ihm, den für die lateinische Welt neuen MetaphysikBegriff auf der Grundlage eines soliden epistemologischen Fundaments einzuführen – ein Fundament, das der Frage nach der Selbständigkeit der Metaphysik und ihrem Zusammenhang mit den anderen Wissenschaften gleichermaßen Rechnung trägt.

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Omnes decepti sunt. Die Metaphysikkritik des Dominicus Gundissalinus

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Metaphysikentwürfe im 13. Jahrhundert

Metaphysik als Theologik? Rezeption und Transformation der Metaphysik bei Albertus Magnus Hannes Möhle

I. Alberts Metaphysik im Kontext der Aristoteles-Paraphrase Mit dem Physikkommentar beginnt Albertus Magnus zu Beginn der 50er Jahre des 13. Jahrhunderts ein philosophisches Großprojekt, in dessen Rahmen auch die Auseinandersetzung mit der aristotelischen bzw. der für aristotelisch gehaltenen Metaphysik fällt. Mit der Abfassung seines Kommentars zum Liber de causis (abgeschlossen 1267) hält Albert dieses Projekt, was den metaphysischen Teil betrifft, für abgeschlossen. Der erste, bzw. je nach Sichtweise, der letzte Teil der Realphilosophie ist nach der Kommentierung der Metaphysik des Aristoteles (um 1264) und der anschließenden Kommentierung des Liber de causis, den Albert für eine Kompilation aus aristotelischen Texten hält, vollständig bearbeitet. Damit folgt Albert den im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts in Paris üblichen Vorgaben, wonach der Teildisziplin der natürlichen Philosophie, nämlich der Metaphysik, drei Werke zugrunde zu legen sind. Wie der zwischen 1230 und 1240 in Paris entstandene Studienführer zeigt, der als Leitfaden des üblichen Lehrbetriebs gelten kann und damit einen gemeinsam geteilten Hintergrund repräsentiert, gehört zum Studium der Metaphysik die Lektüre der Metaphysica vetus, der Metaphysica nova, also des aristotelischen Werkes der Metaphysik, sowie des Liber de causis, der eine arabische Kompilation aus der Elementatio theologica des Proklos darstellt und dessen wahre Herkunft Albert noch unbekannt war.1 Das Aristoteles-Projekt ist aber für Albert nicht nur ein zeitlicher Rahmen, sondern bedeutet vor allem eine sachliche und methodische Einheit, die

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Vgl. C. Lafleur, „Guide de l’étudiant“ d’un maître anonyme de la faculté des arts de Paris au XIIIe siècle. Québec 1992, § 10, 33. Vgl. hierzu A. de Libera, Structure du corpus scolair de la métaphysique dans la première moitié du XIIIe siècle, in: C. Lafleur/J. Carrier (Hrsg.), L’enseignement de la philosophie au XIIIe siècle. Autour du „Guide de l’étudiant“ du ms. Ripoll 109 (Studia Artistarum V), Turnhout 1997, 61–88.

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ihre besonderen Ziele und Ansprüche hat. Auf den ersten Blick nimmt sich das von Albert genannte Ziel dieses Projektes wenig spektakulär und eher bescheiden aus: Er will alle Teile der Philosophie, die er weitgehend durch aristotelische Schriften bearbeitet sieht, den Lateinern verständlich machen: nostra intentio est omnes dictas partes [philosophiae] facere Latinis intelligibiles.2 Betrachtet man z. B. die Auseinandersetzung, die Albert bereits sehr früh mit David von Dinant führt und in der er versucht, Aristoteles von den Fehldeutungen zu befreien, für die er David verantwortlich macht, so erscheint das zurückhaltende facere intelligibiles in einem ganz anderen Licht. David und die von ihm betriebene Aristoteles-Exegese waren beispielhaft dafür verantwortlich, dass die Lektüre aristotelischer Schriften, vor allem der naturphilosophischen und der metaphysischen, an der Pariser Universität verboten wurde.3 Aristoteles zu erklären, bedeutet damit für Albert, ihn so zu deuten, dass er in den Kontext der christlichen Lehre zu integrieren und seine Schriften dem universitären Lehrbetrieb einzufügen waren. Für die von Albert angestrebte Deutung der Metaphysik ergibt sich daraus die Aufgabe, das unter diesem Titel bekannte Werk des Aristoteles und den Liber de causis einer einheitlichen Deutung zu zuführen, die, was ihre Inhalte betrifft, mit der christlichen Lehre in Einklang zu bringen ist, und die, was ihren wissenschaftstheoretischen Status angeht, ein Nebeneinander

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Die Werke des Albertus Magnus werden in folgender Weise angegeben: Alberti Magni: Physica I. l. 1–4. Opera Omnia. Editio Coloniensis IV/1, Münster 1987 [= Op. om. IV/1]; Alberti Magni: Metaphysica I l. 1–5. Opera Omnia. Editio Coloniensis XVI/1, Münster 1960 [= Op. om. XVI/1]; Alberti Magni: De causis et processu universitatis a prima causa. Opera Omnia. Editio Coloniensis XVII/2, Münster 1993 [= Op. om. XVII/2]; Alberti Magni: Summa de mirabili scientia dei I (q.1–50A). Opera Omnia. Editio Coloniensis XXXIV/1, Münster 1978 [= Op. om. XXXIV/1]; Alberti Magni: Super Dionysium de divinis nominibus. Opera Omnia XXXVII/1, Münster 1972 [= Op. om. XXXVII/1]; Alberti Magni: Super Dionysium mysticae theologiae. Opera Omnia XXXVII/2, Münster 1972 [= Op. om. XXXVII/2]; Alberti Magni: Logicae secunda pars. Editio Borgnet 2, Paris 1890 [= Ed. Bor. 2]; Alberti Magni: Commentarii in I Sententiarum (d. I–XXV). Editio Borgnet 25, Paris 1893 [= Ed. Bor. 25]; Alberti Magni: Commentarii in I Sententiarum (d. XXVI–XLVIII). Editio Borgnet 26, Paris 1893 [= Ed. Bor. 26]. Die angegebene Stelle findet sich Op. om. IV/1, 48–49. Vgl. H. Denifle/Ae. Chatelain, Chartularium Universitatis Parisiensis, I–III, Paris 1889– 1894, I, n. 20. Hierzu H. Anzulewicz, David von Dinant und die Anfänge der aristotelischen Naturphilosophie im Lateinischen Westen, in: L. Honnefelder u. a. (Hrsg.), Albertus Magnus und die Anfänge der Aristoteles-Rezeption im lateinischen Mittelalter (Subsidia Albertina Bd. 1), Münster 2005, 71–112.

Metaphysik als Theologik? Rezeption und Transformation der Metaphysik

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der Disziplinen der Ersten Philosophie und der christlichen Theologie erlaubt. Das Intelligibel-Machen der aristotelischen Philosophie, das Albert als seine primäre Intention zu Beginn seines Physikkommentars bezeichnet, soll diejenige Ignoranz beseitigen, die der Aufnahme des Aristoteles in den christlichen Kontext im Wege steht. Blickt man auf das Ende seiner Auseinandersetzung mit der aristotelischen Metaphysik, gemeint ist auf das Ende seines Kommentars zum Liber de causis, dann stellt Albert den Bezug zu seiner ursprünglich formulierten Intention wieder her; denn, was die Metaphysik betrifft, ist seine Intention erst jetzt, d. h. nach der Kommentierung des Liber de causis und der Anknüpfung der dort erwogenen Lehren an das elfte Buch4 der aristotelischen Metaphysik erfüllt. Wörtlich bringt Albert die von ihm unterstellte Einheit des aristotelischen Werkes der Metaphysik und des Liber de causis zum Ausdruck, wenn es dort heißt: „In diesem Buch also sind wir zum Ziel unserer Intention gelangt. Wir haben nämlich die erste Ursache und die Ordnung der zweiten Ursachen gezeigt und auf welche Weise das Erste Prinzip des umfassenden Seins ist (primum universi esse principium) und wie das Sein von allem entsprechend der Auffassung der Peripatetiker aus dem Ersten fließt. Und wenn diese [Lehren] dem elften Buch der Ersten Philosophie angefügt sein werden, dann erst ist das Werk vollendet.“ 5 Diese von Albert verfolgte Intention ist kein Sonderweg, sondern entspricht dem geistigen Klima in Paris während der 40er Jahre des 13. Jahrhunderts, wie de Libera vor allem mit Blick auf die zeitgenössische Einleitungsliteratur zur Philosophie an der Pariser Artistenfakultät betont.6 Um das Verhältnis von Metaphysik Buch 11 und den Lehren des Liber de causis zu bezeichnen, verwendet Albert nicht den unspezifischen Ausdruck der Hinzufügung, sondern den der inneren Verbindung, er spricht nicht von addita, sondern adi-

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Da die von Albert kommentierte lateinische Vorlage der Metaphysik nicht das nach heutiger Zählung elfte Buch enthält, entspricht das heute als Buch 12 gezählte Buch Lambda in Alberts Metaphysik dem Buch XI. Vgl. G. Vuillemin-Diem, Praefatio, in: Aristoteles Latinus XXV, 2, Leiden 1976, ix–lxix, vor allem xii–xiii. Alberti Magni, Op. om. XVII/2 (wie Anm. 2) 191: In hoc ergo libro ad finem intentionis pervenimus. Ostendimus enim causam primam et causarum secundarum ordinem et qualiter primum universi esse est principium et qualiter omnium esse fluit a primo secundum opiniones Peripateticorum. Et haec quidem quando adiuncta fuerint XI Primae philosophiae, tunc primo opus perfectum est. Compléter les Livres de métaphysique d’Aristote par un autre livre – le Livre des causes – pour arriver à la science métaphysique complète, c’est-à-dire à la théologie de l’émanation [...] voilà le geste philosophique qui sous-tend le programme scolaire parisien des années 1240. Vgl. de Libera (wie Anm. 1) 76–77.

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uncta, offensichtlich um die innere Einheit des metaphysischen Unternehmens zu unterstreichen. Den Lateinern ist demnach Aristoteles mit seinem Entwurf einer ersten Philosophie nur dann intelligibel zu machen und d. h. von den Fehldeutungen zu befreien, die seinerzeit zur Verurteilung des Aristoteles und seiner Metaphysik geführt haben, wenn es gelingt, die innere Einheit der Schriften der Metaphysik und des Liber de causis aufzuzeigen.

II. Einfache oder zweigeteilte Metaphysik? Aber genau das ist das große Problem der Metaphysikkonzeption Alberts des Großen. Wie verhalten sich die aristotelische Metaphysik im engeren Sinne und die neuplatonischen Lehren des Liber de causis zu einander? Bilden diese beiden Ansätze überhaupt eine mögliche Einheit und wenn ja, wie sind sie im Einzelnen zu deuten, damit man zusammengenommen eine innere Verbindung unterstellen kann. Liegt auf den ersten Blick eine Zweistufentheorie nahe, wie sie Alain de Libera vertritt,7 wonach Alberts Kommentar zum Liber de causis einen die genuin aristotelische Metaphysik ergänzenden und überhöhenden Neuanfang mit neuplatonischen Mitteln darstellt, so steht dieser Interpretation allein schon das Wort adiuncta im Wege. Aber der Verweis auf eine einzige Stelle wird so lange nicht überzeugen, bis es gelingt, die systematische Stringenz aufzuzeigen, die die aristotelische und die neuplatonische Metaphysik in der Perspektive Alberts des Großen verbindet. Aber auch ein anderes Modell, wie es etwa Jan Aertsen vertritt, lässt durchaus Fragen offen. Aertsen widerspricht zunächst der Deutung von de Libera und betont die Einheit von Alberts Metaphysik. Der Kerngedanke ist hierbei, dass Albert die Metaphysik durchgängig als Transzendentalwissenschaft konzipiert, die im Anschluss an Met. I und IV, ihren Gegenstand im Seienden als Seienden hat. Die Deutung, dass Albert den Gegenstand der Metaphysik im Anschluss an den aristotelischen Text als das ens inquantum ens versteht und damit den Charakter dieser Fundamentalwissenschaft daran festmacht, dass ihr Gegenstand sich durch die Allgemeinheit eines übergeordneten Prädikates auszeichnet, scheint im Grundsatz kaum bestreitbar zu sein. Hierzu sind Alberts Äußerungen vor allem im ersten Buch seines Metaphysikkommentars viel zu klar.8 Nicht ein ausgezeichnetes Erstes, sondern ein Ersterkanntes, das sich

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Vgl. A. de Libera, Albert le Grand et Thomas d’Aquin interprètes du Liber de causis, Revue des Sciences Philosophiques et Théologiques 74, 1990, 347–378; Ders.: Métaphysique et noétique. Albert le Grand, Paris 2005, insbes. 69–74. Vgl. etwa Alberti Magni, Op. om. XVI/1 (wie Anm. 2) 3–5.

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als letztes Glied einer Begriffsresolution erweist, ist Gegenstand dieser Wissenschaft und der Grund für ihren fundamentalen Charakter.9 In diesem Sinne ist das Sein der erste aller Begriffe – wobei Albert, soweit erkennbar, in diesem Kontext nicht strikt zwischen den Begriffen „Sein“ und „Seiendes“, „esse“ und „ens“ unterscheidet. Der so verstandene Seinsbegriff ist deshalb der erste, weil er als Endpunkt eines Verfahrens hervortritt, in dem alle Begriffe auf die jeweils zugrundeliegenden Begriffselemente zurückgeführt werden, wie Albert bereits in seinem Kommentar zu De divinis nominibus feststellt.10 Aus diesem Primat des Seinsbegriffs resultiert dann die Grundlegungsfunktion der Metaphysik anderen wissenschaftlichen Disziplinen gegenüber. „Deshalb scheint es angemessen, in Übereinstimmung mit allen Peripatetikern, die die Wahrheit sagen, zu behaupten, dass das Subjekt [der Metaphysik] das Seiende ist, insofern es Seiendes ist, und dass die Bestimmungen, die aus dem Seienden folgen, insofern es Seiendes ist und nicht insofern es dieses Seiende ist, seine Eigenschaften sind, wie es Ursache [und] Verursachtes, Substanz und Akzidens, Getrenntes und Nicht-Getrenntes, Möglichkeit und Wirklichkeit und derartiges sind. Denn, da diese die erste Wissenschaft unter allen ist, ist es notwendig, dass sie vom Ersten handelt. Das ist aber das Seiende.“ 11 Der Charakter der Metaphysik als der allen anderen Wissenschaften vorgeordneten Disziplin ergibt sich daraus, dass die Grundannahmen aller Einzelwissenschaften letztlich auf die fundamentalen Prinzipien zurückgeführt werden können, die sich aus diesem Gegenstand der Metaphysik, nämlich dem Seienden als Seienden, ergeben, wobei das Seiende selbst von Albert ausdrücklich als erstes Prinzip von allem bezeichnet wird. 9

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Vgl. A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen (Recherches de Théologie et Philosophie médiévales. Biblioteca Bd. 1), Leuven 21998, 186–198. Alberti Magni, Op. om. XXXVII/1 (wie Anm. 2) 314: Dicendum, quod esse simpliciter secundum naturam et rationem est prius omnibus aliis; est enim prima conceptio intellectus et in quo intellectus resolvens ultimo stat. Alberti Magni, Op. om. XVI/1 (wie Anm. 2) 4: Ideo cum omnibus Peripateticis vera dicentibus dicendum videtur, quod ens est subiectum inquantum ens et ea quae sequuntur ens, inquantum est ens et non inquantum hoc ens, sunt passiones eius, sicut est causa causatum, substantia et accidens, separatum et non-separatum, potentia et actus et huiusmodi. Cum enim sit prima ista inter omnes scientia, oportet, quod ipsa sit de primo, hoc autem est ens. Der deutsche Text folgt der Übersetzung von S. Donati, in: Albertus Magnus Institut (Hrsg.), Albertus Magnus und sein System der Wissenschaften. Schlüsseltexte in Übersetzung Lateinisch-Deutsch, übersetzt und für den Druck vorbereitet von H. Möhle u. a., Münster 2011, 301. Zu Alberts Haltung gegenüber den Peripatetikern vgl. die Bemerkung in seinem Kommentar zum Alberti Magni: Op. om. XVII/2 (wie Anm. 2) 192: Liber de causis: Ea enim quae dicta sunt, secundum Peripateticorum rationes determinata sunt et non assertionibus nostris inducta et assiduis postulationibus sociorum nostrorum potius extorta quam impetrata.

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„Und [da] sie die Prinzipien aller Einzelwissenschaften, sowohl die zusammengesetzten als auch die einfachen, stützt, und diese nur durch ihnen vorgeordneten [Prinzipien] gestützt werden können, und nur das Seiende und die Prinzipien des Seienden, insofern es Seiendes ist, ihnen vorgeordnet sind, allerdings nicht Prinzipien, die das Seiende begründeten, da das Seiende das erste Prinzip aller Dinge ist, sondern Prinzipien, die aus dem Seienden folgen, insofern es Seiendes ist, ist es notwendig, dass die Prinzipien aller [Einzelwissenschaften] durch diese Wissenschaft gestützt werden, deswegen, weil sie vom Seienden handelt, das die erste Grundlage aller Dinge ist, das seinerseits in überhaupt nichts, was ihm vorgeordnet wäre, begründet ist.“ 12 Bei diesen Überlegungen zum Gegenstand der Metaphysik ist allerdings zu bedenken – so hebt Aertsen mit Recht hervor –, dass Albert aufgrund der Vorgaben des Liber de causis den Begriff des Seienden bzw. des Seins auf das geschaffene Sein reduziert.13 Diese für das Verständnis von Alberts Metaphysik folgenreiche Beschränkung auf den Bereich des Kreatürlichen ergibt sich aus der zentralen These des Liber de causis, wonach das Sein zwar das erste Geschaffene, aber eben ein Geschaffenes ist und deshalb nicht das erste Prinzip bzw. Gott als Voraussetzung der Schöpfung mit umfassen kann: „Das erste von den geschaffenen Dinge ist das Sein und kein anderes Geschaffenes ist vor ihm. ‚Prima rerum creatarum est esse et non est ante ipsum creatum aliud‘.“ 14 Betrachtet man diesen Begriff des Seins in einer prädikationslogischen Perspektive, wie es aufgrund der Vorgaben von Alberts Metaphysikkommentar und der dort getroffenen Entscheidung hinsichtlich des Gegenstandes dieser Wissenschaft naheliegt, dann ergibt sich folgendes Bild. Die Beschränkung dieses Seinsbegriffes betrifft zunächst den Bereich der durch ihn bezeichneten Gegenstände, er kann also nicht extensional umfassend sein. Aus diesem Grund muss sein Bedeutungsgehalt etwas enthalten, das die Anwendung auf Gott bzw. auf das erste Prinzip verhindert. Offensichtlich konnotiert dieser Seinsbegriff das Geschaffensein, so dass er auch in intensionaler Perspektive 12

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Alberti Magni, Op. om. XVI/1 (wie Anm. 2) 4; Übersetzung nach: Albertus Magnus Institut (wie Anm. 11) 301: [E]t „cum“ stabiliat omnium particularium principia tam complexa quam incomplexa, nec stabiliri possint nisi per ea quae sunt ipsis priora, et non sint eis aliqua priora nisi ens et entis, secundum quod ens, principia, non quidem quae ens principient, cum ipsum sit principium omnium primum, sed principia, quae sunt ex ente, secundum quod est ens: oportet, quod omnium principia per istam scientiam stabiliantur per hoc quod ipsa est de ente, quod est primum omnium fundamentum in nullo penitus ante se fundatum. Vgl. auch G. Wieland, Untersuchungen zum Seinsbegriff im Metaphysikkommentar Alberts des Großen (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Neue Folge Bd. 7), Münster 21992, 57–66. Alberti Magni, Op. om. XVII/2 (wie Anm. 2) 88.

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nicht wirklich alles umfasst und in diesem Sinne auch kein erstes weil allgemeinstes Prädikat sein kann. Allerdings findet diese Beschränkung des Begriffs des Seins bei Albert nicht erst im Kommentar zum Liber de causis Erwähnung, sondern wird auch ausdrücklich zu Beginn des Metaphysikkommentars hervorgehoben, wenn es dort bereits unter Anspielung auf den Wortlaut des Liber de causis und auf dem Hintergrund gleichlautender Vorgaben aus dem Guide de l’étudiant 15 heißt: „Deswegen wird diese Wissenschaft ‚jenseits der Physik‘ [transphysica] genannt, weil dasjenige, was eine durch die Quantität oder die Gegensätzlichkeit bestimmte Natur ist, durch die Prinzipien des Seins schlechthin begründet wird, die jedes sogenannte „Physische“ übersteigen [transcendunt]. Aber sie wird auch göttlich genannt, da alle Dinge, die von dieser Art sind, göttlich und vorzüglich und die ersten sind, und alle anderen Dinge bezüglich des Seins vollenden. Das Sein nämlich, das diese Wissenschaft betrachtet, wird nicht als auf dieses oder jenes verengt aufgefasst, sondern eher, insofern es das erste Hervorfließen Gottes [prima effluxio dei] und das erste Geschaffene [creatum primum] ist, dem kein anderes Geschaffenes vorangeht. Diese Dinge werden allerdings im Folgenden genauer untersucht.“ 16 Das Seiende, das Gegenstand der Metaphysik ist, ist einerseits nicht auf etwas bestimmtes beschränkt – so wie die Gegenstände der Physik aufgrund ihrer Materialität immer nur bestimmte sind –, doch ist das Sein der Metaphysik als Hervorgang aus Gott auf das beschränkt, was man in einer theologischen Sprache als Geschaffenes bezeichnet. Aertsen selbst macht in Anschluss an die Überlegungen von Beroald Thomassen17 auf das sich hieraus ergebende Folgeproblem aufmerksam, wenn er 15

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Et dicitur a ‚metha‘, quod est ‚trans‘, et ‚phisis‘, quod est ‚natura‘, quasi ‚transcendens phisim‘, in eo quod de maxime transcendentibus naturam considerat, scilicet de divinis. Lafleur, Le „Guide de l’étudiant“ (wie Anm. 1) § 9, 33. Diese Formulierung nimmt die Deutung der Metaphysik in ihrer besonderen Beziehung zu den transcendentia, die Aertsen genuin Alberts Ansatz zuschreibt, vorweg. Vgl. J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca. 1225) to Francisco Suárez, Leiden 2012, 206. Alberti Magni, Op. om. XVI/1 (wie Anm. 2) 2 f.; Übersetzung nach: Albertus Magnus Institut (wie Anm. 11) 293: Propter hoc ista scientia transphysica vocatur, quoniam quod est natura quaedam determinata quantitate vel contrarietate, fundatur per principia esse simpliciter, quae transcendunt omne sic vocatum physicum. Vocatur autem et divina, quia omnia talia sunt divina et optima et prima, omnibus aliis in esse praebentia complementum. Esse enim, quod haec scientia considerat, non accipitur contractum ad hoc vel illud, sed potius prout est prima effluxio dei et creatum primum, ante quod non est creatum aliud. De his autem in CONSEQUENTIBUS perquiretur subtilius. Vgl. B. Thomassen, Metaphysik und Lebensform. Untersuchungen zur Grundlegung der Metaphysik im Metaphysikkommentar Alberts des Großen (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Neue Folge Bd. 27), Münster 1985, 71–82.

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nun fragt, ob das Seiende als solches, das Gegenstand der Metaphysik ist, nicht seine Transzendentalität und die Metaphysik ihren Status als Fundamentalwissenschaft verlieren? 18 Denn offensichtlich meint esse weder ein Erstes im strengen Sinne noch besitzt der so interpretierte Begriff eine uneingeschränkte extensionale Allgemeinheit. Zudem ergibt sich von der Sache her die Schwierigkeit, zu erklären, wie es vereinbar ist, einerseits das Sein aus dem Liber de causis als verursacht zu denken und anderseits im Metaphysikkommentar als Grund für Subjektcharakter dieses Begriffs hinsichtlich der Metaphysik darauf zu verweisen, dass das Seiende alles Nachfolgende fundiert, selbst aber in nichts, was ihm vorausliegt, selbst fundiert ist.19 Wie kann es sich um ein und denselben Begriff des Seienden handeln, wenn er einmal als verursacht und ein anderes Mal als nicht in etwas anderem fundiert gedacht werden soll? Aertsen sieht diese Schwierigkeiten und führt zwei Argumente an, mit denen er die genannten Bedenken beheben möchte. Zum einen beruft er sich darauf, dass das Sein auch als Geschaffenes in einem hinreichenden Maße voraussetzungslos ist. Das ist der Fall, weil das Sein durch sein Geschaffensein zwar den Schöpfer voraussetzt, aber, was seine konstituierenden Bestimmungen betrifft, unabhängig von diesem ist. Analysiert man alles, was das Wesen eines Geschaffenen ausmacht, so gelangt man als letzte Bestimmung zum esse und nicht noch über dieses hinaus. Als Beleg dient folgende Stelle aus Buch II des Liber de causis: „Wenn man sagt, dass das Erste nichts voraussetzt, meint man, dass es nichts von sich [nihil sui] voraussetzt, d. h. nichts mit Blick auf die Bestimmungen, die in sein Wesen eingehen und es innerlich konstituieren. Und so ist das Sein ein Erstes, das nichts voraussetzt. Weil [das Sein] aber ein Hervorgang oder ein Ausfluß vom Ersten ist, ist es notwendig, dass es den Schöpfer voraussetzt. Aber dieser ist nichts von ihm [nihil sui]. Das erste Prinzip geht nämlich nicht wesentlich in die Konstitution irgend eines Dinges ein. Deshalb gelangt die Auflösung des Seienden [resolutio entium] nicht bis zum ersten Prinzip, wenn die Auflösung in Wesensmerkmale geschieht.“ 20 18

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Vgl. J. A. Aertsen, Die Frage nach dem Ersten und Grundlegenden, in: W. Senner u. a. (Hrsg.), Albertus Magnus. Zum Gedenken nach 800 Jahren: Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, Neue Folge Bd. 10), Berlin 2001, 91–112, 109. Hierzu auch Aertsen, Medieval Philosophy (wie Anm. 15) 202–204. Alberti Magni, Op. om. XVI/1 (wie Anm. 2) 4: [O]portet, quod omnium principia per istam scientiam stabiliantur per hoc quod ipsa est de ente, quod est primum omnium fundamentum in nullo penitus ante se fundatum. Alberti Magni, Op. om. XVII/2 (wie Anm. 2) 81: Cum enim dicitur, quod primum nihil supponit ante se, intelligitur, quod nihil sui supponit ante se, hoc est, de essentiantibus et

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Zum anderen argumentiert Aertsen dafür, dass der transzendentale Charakter des Seinsbegriffes auch dann erhalten bleibt, wenn er sich allein auf den Bereich des Kreatürlichen bezieht. Denn wenn „transzendental“ die universelle Prädizierbarkeit eines Begriffes und nicht die Voraussetzungslosigkeit eines Gegenstandes meint, dann hängt die Kennzeichnung der Metaphysik als Transzendentalwissenschaft zunächst davon ab, ob ens ein universell prädizierbarer Begriff ist, auch wenn er auf das Geschaffene begrenzt ist. Dies scheint der Fall zu sein, da Albert dem Begriff des Seins eine Allgemeinheit zuspricht, die, wie Aertsen sagt, zwar von einer anderen Art als die der Universalien ist, die aber gleichwohl als unbegrenzt gelten kann. Als Beleg führt Aertsen ebenfalls eine Aussage Alberts aus dem zweiten Buch des Liber de causis an, allerdings aus dem Kontext einer Frage, die das Verhältnis des Seins als dem ersten Geschaffenen und der seienden Dinge im Einzelnen betrifft. Auf dieses Argument und den besonderen Kontext, in den es einzuordnen ist, wird noch einzugehen sein. Diese beiden Argumente betreffen den Status der Metaphysik, da sich beide auf die Interpretation des Begriffes des Seins und damit auf den für die Metaphysik zentralen Gegenstand beziehen. Die Frage, die sich mit Blick auf die unterschiedliche Deutung der Metaphysik Alberts durch de Libera und Aertsen ergibt, betrifft den Zusammenhang der in diesem Argument im Vordergrund stehenden Grundbestimmungen des Seins, nämlich die der Voraussetzungslosigkeit und die der umfassenden Prädizierbarkeit. Wie verhalten sich diese Momente zueinander und welche Bedeutung kommt ihnen jeweils in der Gegenstandsbestimmung der Metaphysik Alberts zu? Zunächst ist nach dem Argument hinsichtlich der Voraussetzungslosigkeit des Seins zu fragen (III), in einem nächsten Schritt steht dann die Frage nach dem transzendentalen Charakter des Seinsbegriffes im Vordergrund (IV).

III. Die Voraussetzungslosigkeit des esse Was den Aspekt der Voraussetzungslosigkeit des Seins betrifft, differenziert Albert in seinem Argument zwischen zwei Formen der Abhängigkeit, bzw. der Voraussetzungslosigkeit. Das Sein ist in einer anderen Weise von einem ersten Prinzip abhängig als alles das, was dem Sein nachfolgt, eben von die-

intrinsece constituentibus ipsum. Et sic esse primum est, quod nihil ante se supponit. Quia tamen est processus sive effluxus a primo, necesse est, quod supponat ante se creatorem. Sed ille nihil sui est. Primum enim principium non ingreditur essentialiter constitutionem rei alicuius. Propter quod resolutio entium non devenit usque ad primum principium, quando in essentialia fit resolutio.

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sem abhängig ist. Für die Abhängigkeit des Seins vom ersten Prinzip verwendet Albert die Ausdrücke processus, effluxus oder creatio. Creatio meint eine Verursachung besonderer Art, nämlich eine causatio ex nihilo. Eine solche causatio ist nicht nur voraussetzungslos, sondern sie teilt dem folgenden, also dem esse keinerlei Bestimmungsmoment mit, denn von sich her ist das esse nichts, nur durch das Vermögen und die Kraft des ersten Prinzips ist es: Non enim secundum seipsum est, sed a potentia et virtute primi. Secundum autem seipsum nihil est.21 Der Gegenbegriff zur creatio ist der der informatio.22 Alles, was nach dem Sein ist, ist nicht im engeren Sinne geschaffen, sondern informiert. Informatio setzt eine Unterscheidung zwischen dem Akt des Seins und der je eigentümlichen Ausprägung des Seienden voraus. So ist beispielsweise das Leben die besondere Weise, in der bestimmten Seienden, nämlich den Lebewesen, das Sein eigen ist. Den sinnenbegabten Wesen ist wiederum eine bestimmte Weise zu eigen, wie ihnen das Lebendigsein zukommt. Informatio meint also einen Prozess fortschreitender Bestimmung und Konkretion, die als solche eben nicht voraussetzungslos ist. Das Sein ist das Anfangsmoment einer jeden Bestimmungsreihe und wird deshalb in Bezug auf alles Folgende als incohatio aufgefasst.23 Alles, was ist, lässt sich also in die zugrundeliegenden Bestimmungsmomente zerlegen. Am Ende einer solchen Resolution gelangt man zum esse als dem Moment, das nicht weiter zu zerlegen ist, da es als einfach zu gelten hat, wenngleich es von der Einfachheit der ersten Ursache ausgeschlossen ist.24 Als Konsequenz dieses Ansatzes, dass das esse seinerseits als geschaffen, mit Blick auf alles Geschaffene aber als das Erste zu verstehen ist, ergibt sich eine Interpretation des Seins, die dieses sowohl als Akt wie auch als Potentialität deutet. Albert behauptet sowohl, dass das Sein Akt des Seienden ist,25 wie auch, dass es von sich aus im Status der Potentialität ist.26 Gemeint ist offensichtlich eine jeweils unterschiedliche Blickrichtung. Gegenüber dem ersten Prinzip ist das Sein in potentia, ja sogar eine nihil, wie Albert ausdrücklich sagt. Als Erklärungsgrund der seienden Dinge aber ist das Sein Akt, d. h. dasjenige Moment, das die je eigentümlichen Bestimmungsmomente, die jedes Seiende kennzeichnet, verwirklicht. Das Sein kann also für Albert gleichzeitig als geschaffen und doch als erstes gelten, als im weitesten Sinne verursacht und doch als voraussetzungslos, insofern Sein eben beides ist: Erstes 21 22 23 24 25 26

Alberti Magni, Op. om. XVII/2 (wie Anm. 2) 81. Vgl. Alberti Magni, Op. om. XXXVII/1 (wie Anm. 2) 314. Vgl. Alberti Magni, Op. om. XVII/2 (wie Anm. 2) 81. Vgl. ebd. Ebd., [E]sse actus est entium. Ebd., Et secundum seipsum in potentia est.

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und Zweites, Akt und Potenz, nichts und nichts seiner selbst voraussetzend [nihil et nihil sui supponens]. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die durch den Liber de causis bedingte Neigung zur negativen Theologie sich dem Seinsbegriff der aristotelischen Metaphysik insofern anschließt, als hier eine Lehre von disjunktiven passiones entis einen geeigneten Anknüpfungspunkt bietet. Allerdings sollte hierbei nicht die Differenz missachtet werden, die man annehmen muss zwischen einem allgemein prädizierbaren Seinsbegriff sowie den ihn explizierenden disjunktiven Prädikaten auf der einen Seite und dem Sein als einer ontologischen Instanz, die sowohl dem übergeordneten Prinzip als auch den untergeordneten Seienden gegenüber in einer Kausalrelation steht. Nicht nur die Bestimmungen, die Albert vom Sein gibt, scheinen diesen einander widerstreitenden Charakter zu haben, sondern der Seinsbegriff selbst scheint in seiner Anwendbarkeit nicht klar zuzuordnen zu sein. Denn einerseits scheint er für das primum creatarum, bzw. primum causatum vorbehalten zu sein, doch wendet ihn Albert eben auch auf die erste Ursache, bzw. das erste Prinzip selbst an, wenn er vom esse dictum de primo principio spricht. Albert trägt damit der Intuition Rechnung, dass auch das erste Prinzip in gewisser Weise ist. Er selbst hat bereits im ersten Buch seines Kommentars zum Liber de causis unter Rückgriff auf die Metaphysik Algazalis und die dort aufgeführten zwölf Eigenschaften des Ersten eben dieses nicht nur als Sein, sondern als notwendiges Sein apostrophiert.27 Die Frage, wie diese Verwendungsweise des Begriffs esse zu rechtfertigen ist, läuft auf eine Untersuchung der Einheit des Begriffs und damit auf die Frage nach der univoken oder aequivoken bzw. analogen Prädikation des Begriffs des Sein hinaus. Diese Frage nach der Einheit des Seinsbegriffes betrifft damit unmittelbar das zweite Grundsatzproblem der Metaphysik, nämlich die Frage, inwiefern die Metaphysik eine Transzendentalwissenschaft genannt werden kann.

IV. Die Transzendentalität des Seinsbegriffes Wenn transzendental eine jede Wissenschaft ist, die transkategoriale Begriffe zum Gegenstand hat, dann kann man Alberts Analyse an den Schlüsselstellen seines Kommentars zum Liber de causis tatsächlich als Beleg dafür ansehen, dass die Metaphysik mit ihrem Gegenstand des ens inquantum ens durchgängig als Transzendentalwissenschaft zu begreifen ist. Denn Albert wendet sich ausdrücklich gegen die Annahme, dass durch die Anwendung des Seinsbegrif-

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Vgl. ebd., 17 f.

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fes sowohl auf das erste Prinzip als auch auf das primum creatum die Einheit des esse als eines transkategorialen Begriffes in Frage gestellt würde. Zwar ist es so, dass esse in den beiden genannten Verwendungsweisen nicht mehr dasselbe meinen kann, also keine univoke Prädikation vorliegen kann, doch hebt dies nicht die Einheit einer überkategorialen Aussage dieses Begriffes auf. In einem ersten Schritt stellt Albert die nicht-univoke Bedeutung des esse explizit fest: „Aus dem zuvor gesagten folgt, dass Sein, wenn es vom ersten Prinzip ausgesagt wird, und Sein, wenn es von den zweiten ausgesagt wird, nicht univok ist. Etwas univok Ausgesagtes ist nämlich wesentlich in allen Dingen, von denen es ausgesagt wird.“ 28 Diese These wird erläutert und begründet, indem Albert die Möglichkeit, einen Begriff univok zu verwenden, ganz auf das Prädikationsschema der kategorialen Begriffe reduziert. Eine univoke Aussage ist immer die einer Gattung von den darunter fallenden Dingen. Albert spricht explizit nur von der Aussage eines genus, was der Sache nach auf die Art- und Differenzbegriffe zu erweitern wäre. Die Aussage eines Gattungsbegriffes, so argumentiert Albert, beinhaltet aber immer eine essentielle Gemeinsamkeit mit den durch die Gattung konstituierten Gegenständen. Dass das erste Prinzip in diesem Sinne eine wesentliche Gemeinsamkeit mit dem Nachfolgenden haben könnte, die im Begriff esse ausgesagt würde, hält Albert für eine absurde Annahme.29 Soll sich der Zusammenhang von erstem Prinzip, nachfolgendem Sein und den konkreten Einzelgegenständen nicht vollends auflösen, bleibt auf dieser Grundlage nur die Möglichkeit, eine Gemeinsamkeit aufgrund eines analogen Verhältnisses anzunehmen. „Wenn also das erste Prinzip Sein genannt wird und das Geschaffene bzw. Verursachte Sein genannt werden, dann handelt es sich in diesem Fall nur um eine Gemeinsamkeit aufgrund von Analogie. Diese Gemeinsamkeit besteht in dem einen durch sich und im eigentlichen Sinne, in den anderen aber durch eine Nachahmung von jenem, wie im vierten Buch der Ersten Philosophie bewiesen wurde.“ 30

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Ebd., 82: Ex quo sequitur, quod esse dictum de primo principio et esse dictum de secundis non sit univocum. Univocum enim in omnibus his est essentialiter, de quibus praedicatur. Ebd.: Sequitur etiam ulterius, quod esse dictum de primo principio et esse dictum de secundis nec unum genus sit entium nec in uno genere. Si enim esset unum genus, cum natura, quae genus est, secundum essentiam sit in his quorum genus est et essentialiter constituens ea, sequeretur, quod esse primi principii essentialiter constitueret entia, quod impossibile est. Si vero esset in uno genere cum esse aliorum, sequeretur, quod aliquid esset prius primo principio et simplicius eo, quod absurdum est. Ebd.: Cum ergo primum principium esse dicitur et creata sive causata esse dicuntur, non est ibi communitas nisi per analogiam. Quae communitas in uno est per se et proprie, in aliis autem per imitationem illius, sicut in IV PRIMAE PHILOSOPHIAE probatum est.

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Dieses Argument ist für die im Raume stehende Frage nach der Einheit von Alberts Metaphysikkonzeption von besonderer Bedeutung. Offensichtlich ist es Alberts Absicht, die Metaphysik, wie sie sich einerseits in Metaphysik Α und Ζ darstellt und wie sie andererseits auf der Grundlage der Ausführungen zum ersten Prinzip und zum Sein als dem ersten Geschaffenen im Liber de causis entfaltet wird, in einer Einheit zu begreifen. Diese Einheit ergibt sich nicht aus einer wesentlichen Gemeinsamkeit all dessen, was Seiendes genannt wird, sondern aus der Bezogenheit jeder Verwendung des Seinsbegriffes auf ein erstes, von woher sich eine analog gemeinsame Prädikation des metaphysischen Grundbegriffes esse ergibt. Der Seinsbegriff, auf den man stößt, wenn man eine Resolution aller von den seienden Dingen aussagbaren Bestimmungen durchführt, ist deshalb nur auf das Sein des primum creatum anwendbar und dieser wird eben nicht univok vom schlechthin Ersten, wie es im Liber de causis thematisiert wird, also vom ersten Prinzip ausgesagt.31 Dieser Aspekt von Alberts Prädikationstheorie, der das Verhältnis des ersten Prinzips zum Sein als dem Ersterschaffenen betrifft, geht nicht in die Überlegungen ein, die Aertsen hinsichtlich der Transzendentalität der Metaphysik anstellt. Aertsen beantwortet die Frage nach der Einheit des Seinsbegriffes und der davon abhängenden Transzendentalität unter Rückgriff auf ein Argument, das Albert als Antwort auf eine andere Frage entwickelt. Die resolutive Analyse des konkreten Seienden führt zu einem ersten Begriff, der eben nicht das erste Prinzip einschließt. Er mag transkategorial sein, wird aber wohl nicht im Sinne einer Fundamentalwissenschaft als transzendental gelten können. Ist für Albert mit den bisher genannten Überlegungen die Frage nach der Univokation des Begriffs des Seins in Bezug auf das erste Prinzip und das primum creatum beantwortet, und zwar negativ beantwortet, harrt die Frage nach der Einheit des Seinsbegriffes hinsichtlich des primum creatum und allem Seienden, das diesem nachgeordnet ist, noch einer Klärung. Im Ergebnis geht Albert von einer Einheit des Seinsbegriffes aus, die sich aber nicht als Einheit eines kategorialen Begriffes ergibt, so dass esse in dem Sinn ein einheitlicher Begriff wäre, wie es die Begriffe Mensch oder Lebewesen sind. Gleichwohl ist der Begriff des esse einheitlich wie einfach und zeichnet sich zudem durch die größte mögliche Allgemeinheit aus. „Die umfassendste Prädikation ist die, die in allem vorkommt. Das Sein aber als erstes Geschaffenes ist durch keine Differenz bestimmt. Der Umfang seiner Prädikation ist also durch nichts beschränkt. Es folgt also,

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Ebd.: Est ergo esse, quod primum est in entium compositione et in resolutione ultimum, non simpliciter primum, sed primum creatum.

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dass [dem Sein] die umfassendste Allgemeinheit zu eigen ist, obwohl seine Allgemeinheit weder die einer Gattung, einer Differenz, einer Art, eines Propriums noch die eines Akzidens ist, sondern die eines ersten Prinzips, das in das Sein aller Dinge eingeht und durch eine Analogie auf alles Seiendes bezogen ist. Das Sein ist also ein erstes Geschaffenes, eines, einfach und ein im Sinne der umfassendsten Allgemeinheit allgemeines.“ 32 Zu beachten ist allerdings, dass die hier genannte umfassendste Allgemeinheit insofern einer Einschränkung unterliegt, als Albert mit diesem Ausdruck auf die ursprüngliche Frage antwortet, ob der Begriff des Seins allgemeiner ist und weiter reicht als alles Seiende, das dem Sein nachfolgt: universalius et latius omnibus entibus se sequentibus.33 Der Superlativ latissima universalitas zur Kennzeichnung des Seinsbegriffes ist also einzuschränken auf die komparativische Verwendung zu Beginn des Kapitels, wo von einer größeren Allgemeinheit des Seinsbegriffes im Vergleich zu den Begriffen, die konkret Seiendes bezeichnen, die Rede ist. Diese gegenüber den seienden Dingen weitreichendere Allgemeinheit kommt dem Begriff des Seins aufgrund seiner Annäherung zum ersten Prinzip zu. In Nachahmung der Einheit des Ersten, die das Sein als creatum primum nicht selbst erreicht, besitzt es eine in Relation gesehen größere Allgemeinheit als die anderen Seienden. „Das Sein als das erste Geschaffene ist aufgrund seiner Annäherung zu jenem [ersten Prinzip] und durch die Nachahmung von [dessen] Einheit in einem höheren Maße eines als alles Nachfolgende, wenngleich es keine reine Einheit besitzt.“ 34 Dies liegt an seinem transgenerischen Charakter, der allerdings nicht gleichbedeutend ist mit einer uneingeschränkten Allgemeinheit, wie sie einem uneingeschränkt und univok prädizierbaren Seinsbegriff zukäme. Albert erläutert mit Blick auf das Sein den Grund, weshalb sich die Einheit des Seins gegenüber den nachfolgenden Seienden auszeichnet. Nach Albert ist es die Art und Weise, wie sich Akt und Potenz im Sein bzw. den konkreten Dingen verhalten. Alles, was dem Sein nachfolgt, ist durch eine Zusammensetzung oder Vereinigung von Akt und Potenz gekennzeichnet, die

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Ebd., 83: Latissima enim praedicatio est, quae est in omnibus. Esse autem primum creatum nulla differentia determinatum est. Ambitus ergo suae praedicationis a nullo restrictus est. Sequitur ergo, quod latissimae universalitatis est, quamvis universalitas sua non sit generis vel diffentiae vel speciei vel proprii vel accidentis, sed principii primi ingredientis in esse rerum omnium, quod per analogiam refertur ad entia. Est igitur esse creatum primum unum, simplex, universale latissimae universalitatis. Ebd., 82: Ex praeinductis accipitur, quod esse unicius sive simplicius est et per consequens universalius et latius omnibus entibus se sequentibus. Ebd.: Esse autem creatum primum ex accessu ad illud per unitatis imitationem unicius [Fauser liest: unius] est omnibus sequentibus, sed non vere unum purum.

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darin besteht, dass sich nicht ein und dasselbe in Akt und Potenz befindet. Seiendes in diesem Sinne enthält sowohl aktuierte Momente als auch das Vermögen, dass andere Bestimmungen erst noch aktualisiert werden. Das Gegenmodell zu einer solchen congregatio aus Akt und Potenz besteht darin, dass sich ein und dasselbe in Akt und Potenz befindet. Albert denkt hier offenbar an einen einheitlichen und das Ganze betreffenden Übergang von einem Anfangszustand, den er incohatio nennt, zu einem Endzustand, den er als perfectio bezeichnet.35 Diese Beschreibung einer zwar dem konkreten Seienden überlegenen Einheit, die aber gleichwohl eingeschränkt bleibt, trifft offensichtlich auf das Sein zu. Denn dieses ist, wie bereits gesehen, für Albert sowohl Akt als auch Potenz, allerdings nicht in Gestalt einer Zusammensetzung aus aktuellen und noch in Potenz befindlichen Teilen, sondern als eine Vermittlung von Anfang und Vollendung, die sich jeweils auf ein und dasselbe bezieht und nicht nur Teile eines Ganzen betrifft. Anders ausgedrückt kann man vielleicht sagen: Das Sein ist als Ganzes dynamisch, da es gegenüber dem ersten Prinzip im Status der Möglichkeit ist, während es mit Blick auf die Vielheit des Seienden das Moment des Wirklichseins beinhaltet. Das Sein als Ganzes in seiner Dynamik von Akt und Potenz zu deuten, hat im Liber de causis selbst kein Vorbild, sondern geht offensichtlich auf Alberts durch die aristotelischen Vorgaben geprägtes Verständnis zurück. Mit dieser Dynamik ist eine Grundstruktur gemeint, wie sie immer schon vorausgesetzt werden muss, wenn man etwa das Sinnesvermögen eines Tieres als die Weise verstehen will, in der sich das Lebendigsein der Tiere verwirklicht, oder die Vernunft als das begreifen will, worin sich die besondere Ausprägung der Sinnlichkeit des Menschen zeigt. Albert deutet das Sein nicht nur als Einheit von Akt und Potenz, sondern auch als Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit, das Sein ist nämlich auf gewisse Weise beides, endlich und unendlich.36 Vieleicht liegt in dieser Eigenschaft des Seins, widersprechende Bestimmungen, wie Akt und Potenz, Endlichkeit und Unendlichkeit, in sich zu enthalten, auch ein Hinweis, das esse des Liber de causis deutlicher in einer prädikationslogischen Weise zu verstehen. Die genannten Bestimmungen sind dann nicht als Eigenschaften einer ontologischen Instanz, sondern als mögliche begriffliche Entfaltungen

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Ebd., 82 f.: Sequentia vero unitatem non habent nisi compositionis potentiae et actus, quae unitas non esset, sed congregatio, si idem et unum non esset in potentia et actu. Idem enim et unum est, cuius esse secundum incohationem est in potentia et secundum perfectionem est in actu. Ebd., 143: Ens autem creatum primum, quod est intelligentia, non simpliciter est infinitum quid. Et si dicitur esse infinitum, non est infinitum secundum seipsum et proprie loquendo; nec simpliciter est finitum nec simpliciter infinitum, sed quodam modo finitum et quodam modo infinitum.

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eines übergeordneten allgemeinen Prädikates, nämlich dem des Seienden, auszufassen.

V. Zwischen zwei Traditionen von Metaphysik Der Seinsbegriff bietet Albert die Gelegenheit, die durch den Liber de causis vorgegebene Lehre vom processus bzw. effluxus des Alls aus einem ersten Prinzip mit der aristotelischen Doktrin vom Seienden als dem ausgezeichneten Gegenstand der Metaphysik zu verbinden. Albert hat beide Ansätze, die er zumindest einer einheitlichen Schultradition zugeschrieben hat, mehrfach in seinem Werk als einen in sich stimmigen und einheitlichen Ansatz von Metaphysik zu begreifen versucht. Albert steht mit diesem Vorgehen ganz in der Pariser Tradition des Guide de l’étudiant, der ganz selbstverständlich den Gegenstand der Metaphysik als erstes Seiendes bezeichnet, um diesen dann unmittelbar folgend als den Begriff des Seienden aufzufassen, der in allgemeiner Weise von allen Prinzipien der Dinge aussagbar ist.37 Erstheit im Sinne einer Fundierung des Emanationsprozesses und Erstheit im Sinne der allgemeinen Prädizierbarkeit verbinden sich in dieser Tradition des Studienführers mit Blick auf den Gegenstand der Metaphysik ganz selbstverständlich und ohne eine weiter gehende Problematisierung hervorzurufen. Für den Guide de l’étudiant verbindet sich im Gegenstand der Metaphysik ganz offensichtlich ein Begriff des Seienden, der als Ursprung eines Emanationsprozesses gedacht wird, mit einem prädikationslogisch allgemeinsten Begriff, dessen Prinzipiencharakter davon abhängt, dass er als Begriffsgehalt in allen anderen Begriffen enthalten ist. Neben dieser bei Albert erkennbaren Tendenz, die Einheitlichkeit der beiden Deutungsmöglichkeiten zu betonten, ist allerdings auch auf Alberts Auffassung zu verweisen, wonach es sich hierbei tatsächlich um sich ausschließende Konzeptionen handelt. In besondere Weise wird dies im zweiten Kapitel von Alberts Einleitung zum Metaphysikkommentar deutlich. Es ist nicht zu bestreiten, dass hier explizit die Unvereinbarkeit einer Deutung des Gegenstandes der Metaphysik im Sinne eines praedicatum commune, das einheitlich von den disjunktiven Bestimmungen ausgesagt wird, auf der einen Seite und einer causa prima, auf die alle kategorialen Bestimmungen zurückgeführt werden, auf der anderen Seite, ausgeschlossen wird. Gerade in dieser Diffe-

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Lafleur, Le „Guide de l’étudiant“ (wie Anm. 1) § 12, 34: Subiectum uero methaphisice potest dici primum ens, eo quod est illud a quo omnia alia exeunt in esse et a quo conseruantur. Et potest dici subiectum eius ens communiter dictum ad omnia uniuersalia principia rerum.

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renzierung liegt Alberts Hauptargument gegen die von ihm für falsch gehaltenen Interpretationen des Gegenstandes der Metaphysik. Alberts zentrale These besteht ausdrücklich darin, dass das Subjekt der Metaphysik nicht die Ursache sein kann, insofern sie als Ursache oder insofern sie als ein Erstes begriffen wird.38 Gleichwohl versucht Albert offensichtlich in Metaphysik IV die drohende Spannung zu beheben, die daraus resultiert, dass man den Gegenstand der Metaphysik einerseits aus der Priorität eines allgemeinsten Prädikats ableitet oder andererseits auf der Prioriät in einem Fundierungsgefüge und damit in einer dem Sein eigentümlich zukommenden Voraussetzungslosigkeit gründet. Das entscheidende Interpretament ist hierbei die aus dem Liber de causis herrührende These, wonach das Sein insofern das Erste ist, als es kein anderes Seiendes voraussetzt. Das Sein selbst ist in diesem Sinne voraussetzungslos, was daher kommt, dass es nicht durch Einformung, die ein Seiendes bereis voraussetzt, sondern durch Schöpfung, die unabhängig von jedem Seienden ist, hervorgebracht wird.39 Die Ausführungen im Liber de causis zeigen, dass hierzu gewisse Modifikationen notwendig sind, die Albert bereits in seinem Metaphysikkommentar

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Alberti Magni, Op. om. XVI/1 (wie Anm. 2) 3: Ex his igitur et huiusmodi talem isti acceperunt opinionem. Sed quod errent, non difficile est ostendere, quoniam subiectum est in scientia, ad quod sicut ad commune praedicatum reducuntur partes et differentiae, quarum quaeruntur proprietates in ipsa, et ad quod consequuntur passiones, quae inesse subiecto demonstrantur. Certo autem certius est, quod substantia, quantitas, qualitas et huiusmodi non reducuntur ad causam sicut ad praedicatum commune, cum tamen de modis et proprietatibus talium omnium in hac scientia determinetur. Similiter autem per se esse et per accidens, potentia et actus, unum et multum, idem et diversum, conveniens et contrarium, separatum et non-separatum et huiusmodi, quae sunt passiones, quae subiecto istius scientiae universaliter et ubique probantur inesse, non sequuntur causam, inquantum causa aut inquantum est prima. Et cum passio immediata sit subiecto in scientia omni, non potest esse causa subiectum scientiae istius. Ebd., 163: Ens enim est subiectum habens accidentia multa, quae accidunt ei per se, quae licet realem ad ipsum non habeant differentiam, habent tamen differentiam in modo. Quod patet per hoc, quia cum ens nihil habeat ante se, patet, quod non procedit in esse sicut forma alicui addita praecedenti, sed sicut subiectum, in quo informata sunt omnia sequentia. Vita enim est ex additione formae cuiusdam se habens ad ens, et similiter substantia et sensus et ratio et intellectus. Nec dicitur esse subiectum sicut species, quae subicitur generi differentia constitutiva, sed dicitur subiectum sicut id quod praesupponitur in omnibus sequentibus et omnibus substat eis. Et sic patet, quod licet sequentia realem ad ipsum non habeant differentiam, habent tamen ad ipsum differentiam in modo, et haec differentia sufficit scientiae primae philosophiae. Sic enim omnia sequentia enti demonstrantur inesse, ut entia per informationem esse habentia insunt enti per creationem solam esse habenti, eo quod nihil penitus ante se habeat, reliqua autem ad minus sibi praesupponunt ipsum ens. Sic enim intelligitur, quod in LIBRO DE CAUSIS dicitur, quod ‚prima rerum creatarum est esse, et non est ante ipsum creatum aliud‘. Omnia autem alia sunt per informationem, ut bonum et omnia alia.

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andeutet, wenn er die Metaphysik dort als scientia transphysica und ebenso als scientia divina bezeichnet. Die Frage, die sich jetzt stellt, betrifft die Spannungen, die zwischen den unterschiedlichen Deutungsweisen einer ersten Wissenschaft bestehen, und die sich aus Alberts eigenen Ausführungen ergeben. Behält der von Albert in den verschiedenen Kontexten der Auseinandersetzung mit Aristoteles, mit dem Liber de causis und mit dem Werk des Dionysius Ps. Areopagita, entworfene Seinsbegriff eine hinreichende Einheitlichkeit, um als Gegenstand der alle anderen Wissenschaften fundierenden Metaphysik dienen zu können? Die allgemeine Prädizierbarkeit des Seinsbegriffes, so wie sie von Aristoteles zumindest in Metaphysik I und auch in IV zum Ausdruck gebracht wird, kann mit Blick auf den Liber de causis nur bedingt aufrecht erhalten werden, da in der dort vorgetragenen Reihung von primum principium, esse und entia das Sein eben nicht an erster Stelle steht, so dass ein entsprechender Begriff des Seins in prädikationslogischer Hinsicht nicht alles umfassend sein kann. Gelegentlich finden sich Andeutungen, den Seinsbegriff auch auf das erste Prinzip auszudehnen, was naheliegt, da man eben davon sprechen kann, dass das principium primum ist. Albert schränkt diese Prädikation aber dahingehend ein, dass der Seinsbegriff in diesem Fall nur in Analogie nicht aber in einer univoken Bedeutung verwandt wird. Ebenfalls hält Albert die Anwendung des transkategorialen Seinsbegriffes auf das kategorial Aussagbare auch für einen Fall analoger Prädikation. Albert gelangt zwar zu einer Interpretation der umfassenden Allgemeinheit des Begriffes esse und damit zu einer korrespondierenden Einheit der Aussage, allerdings ist er nicht der Meinung, dass diese Einheit des Begriffs zu einer univoken Prädikation des esse führt. Statt einer strikt prädikationslogischen Deutung greift Albert deshalb auf die eher metaphorische Beschreibung einer imitatio40 des jeweiligen Analogon zurück. Wenn man also Alberts Ansatz der Metaphysik mit Aertsen als Transzendentalphilosophie bezeichnen möchte, sollte man im Blick behalten, dass der zentrale Begriff dieser Metaphysik in seinem Umfang eingeschränkt ist bzw. seine Aussage aufgrund der Analogielehre einen Rest metaphorischen Sprechens nicht ablegen kann. Für Albert schwingt im Ausdruck transcendere eben immer die Konnotation auf die transphysica mit, weshalb die Metaphysik nicht eine Transzendentalwissenschaft ist, die einer scientia divina gegenübersteht, sondern die mit dieser zusammenfällt, oder zumindest auf diese ausgerichtet ist. Wobei der von Aristoteles her übernommene Begriff der göttlichen Wissenschaft nicht ein grenzüberschreitendes weil göttlich offenbartes Wissen meint.

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Vgl. Alberti Magni, Op. om. XVII/2 (wie Anm. 2) 82.

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Der tiefere Grund dieses Befundes scheint darin zu bestehen, dass Albert in seiner Metaphysik tatsächlich zwei unterschiedliche Ansätze zu verbinden sucht. L. Honnefelder spricht deshalb davon, dass Albert den Versuch unternimmt, ein ganzheitstheoretisches Modell einer transzendentalen Metaphysik mit einem reihentheoretichen Ansatz eines am Leitfaden der Kausalitätsverhältnisse orientierten Entwurfs der ersten Philosophie zu verbinden.41 Albert schließt auf diese Weise die Metaphysik mit der aus dem Liber de causis gewonnen Lehre von Gott als dem Ursprung aller Dinge ab.42 Die sachliche Differenz unterschiedlicher Ansätze im Werk Alberts scheint ebenso evident zu sein, wie der Versuch Alberts diese zu vereinen. Letzteres wird von de Libera unterschätzt, wenn er zwei völlig losgelöste Ansätze Alberts konstatiert, ersteres wird nicht ausreichend gewürdigt, wenn Aertsen Alberts Metaphysik als ganze und ohne Differenzierung als Transzendentalwissenschaft deutet.43 Gegenüber Honnefelder ist zu fragen, worauf sich die Verbindung der beiden Ansätze bei Albert im Detail stützt und wie weit sie aufgrund der inneren Spannungen, die sich aus der Kombination zweier unterschiedlicher Paradigmen ergeben, tatsächlich reicht.

VI. Ganzheits- und reihentheoretischer Ansatz der Metaphysik Honnefelder hebt hervor, dass für diese Verbindung zweier zumindest prima facie heterogener Ansätze Alberts Interpretation der Zweiten Analytiken und insbesondere seine Deutung des Begriffs des Subjektes einer Wissenschaft eine entscheidende Rolle spielen.44 Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Interpreten der Zweiten Analytiken antwortet Albert auf die Frage, was denn

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Vgl. L. Honnefelder, Metaphysik als „Erste Wissenschaft“. Die kritische Rezeption der aristotelischen Metaphysik durch Albert den Großen, in: Ders. (Hrsg.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft, Berlin 2011, insbes. 347. Vgl. ders.: Albertus Magnus und die kulturelle Wende im 13. Jahrhundert. Perspektiven auf die epochale Bedeutung des großen Philosophen und Theologen (Lectio Albertina Bd. 13), Münster 2012, insbes. 11. Eine gewisse Akzentverschiebung scheint in Aertsens jüngestem Buch festzustellen zu sein. Gegenüber dem fast gleichlautenden Aufsatz aus dem Jahr 2001 ergänzt er seine ursprüngliche Deutung nun um den Hinweis, dass Albert zur Begründung der Annahme, dass das Seiende als solches Gegenstand der Metaphysik sei, weniger auf „commonness of being“ als eher auf seine „firstness“ abhebt. Vgl. Aertsen, Medieval Philosophy (wie Anm. 15) 204. Zum folgenden vgl. H. Möhle, Albertus Magnus und die Vielheit der Wissenschaften, in: Honnefelder, Ursprung der Universitätsidee (wie Anm. 41) 301–331, 511–520, insbes. 303– 314.

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unter einem Subjekt einer Wissenschaft zu verstehen ist und wodurch sich die Einheit der in einer Wissenschaft zugrundegelegten Beweisprinzipien, also die Einheit eines Wissenschaftsgenus ergibt, mit dem Hinweis, dass es sich hierbei um einen Kausalzusammenhang handelt.45 Die Einheit einer Wissenschaft ergibt sich nicht auf der Ebene von unter- und übergeordneten Begriffen und Sätzen, wie man vermuten könnte, wenn man eine Wissenschaftstheorie am Leitfaden der demonstrativ verfahrenden Geometrie betreibt, wie Aristoteles dies über weite Strecken der Zweiten Analytiken tut. Vielmehr sieht Albert die Lösung der Frage nach der Einheit einer Wissenschaft durch den Hinweis auf einen jeweils abgrenzbaren und erklärungskräftigen Kausalzusammenhang gegeben.46 Für die Metaphysik scheinen diese beiden Optionen der Gegenstandsbestimmung, nämlich aufgrund der prädikativen Ordnung allgemeiner und weniger allgemeiner, also über- und untergeordneter Begriffe mit einem allgemeinsten Begriff an der Spitze einerseits und einem System auseinander folgender Kausalzusammenhänge andererseits, eine entscheidende Rolle zu spielen. Doch ist dieser methodische Dualismus tatsächlich ein adäquates Mittel, sich den Texten Albert in allen ihren Facetten zu nähern? Wird hier vielleicht eine idealtypische Unterscheidung, die aus heutiger Sicht durchaus eine sachliche Angemessenheit postulieren kann, auf die von Albert vertretenen Metaphysikdeutung übertragen, die sich der modernen Perspektive nicht fügt und aufgrund der durch mehrere Traditionen bestimmten konkreten historischen Situation von Alberts Denken weitaus komplexer ist?

VII. Die Ambivalenz der resolutiven Methode Es scheint tatsächlich so, dass diese für die moderne Interpretation der metaphysischen Modelle zum Standard gewordene Unterscheidung im Werk Alberts weitaus weniger trennscharf ist. Dies zeigt sich vor allem in Alberts Deutung des Begriffs der resolutio, die eben nicht nur die Begriffsresolution meint, sondern auch unmittelbar gleichgesetzt wird mit der Zurückführung einer Kausalkette auf ihr erstes Glied. Offensichtlich wendet Albert das reso-

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Alberti Magni, Ed. Bor. 2 (wie Anm. 2) 60: Ex his autem quae dicta sunt, ulterius quasi ex corollario concluditur, quod non est sive contingit ex alio genere descendentem in aliud genus demonstrare. Genus autem hic non dicimus praedicabile unum vel primum secundum ordinem praedicati: sed dicimus genus, quod est generationis principium sicut causa: eadem enim est per se causa subiecti, et per consequens passionis principium: quia quod est causa causae, est etiam causa causati: unde generans subiectum, generat per se passiones. Vgl. Möhle, Vielheit der Wissenschaften (wie Anm. 44) 301–331, 511–520.

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lutive Verfahren sowohl im begriffslogischen als auch im kausaltheoretischen Kontext an. Es bildet damit eine Klammer, die die Bezugnahme auf allgemeine Begriffe mit der Erörterung kausaler Zusammenhänge verbindet. Programmatisch entfaltet Albert diesen Zusammenhang als Grundlage für seine Auseinandersetzung mit Dionysius Ps. Areopagita zu Beginn seines Kommentars zu De divinis nominibus. Demnach ist eine zweifache Verwendung des Begriffs einer resolutiven Methode zu beachten: zum einen die aristotelische Methode der Begriffsresolution, die auf allgemein prädizierbare Begriffsgehalte zielt, und zum anderen die kausalresolutive Methode, die Albert entfaltet und die eine Zurückführung der für uns erkennbaren Wirkungen auf die zugrundeliegende Ursache im Blick hat und in diesem Sinne synthetisierend und nicht analytisch vorgeht.47 Albert gibt diese Gleichstellung keineswegs auf, wenn er auch an späterer Stelle vom Sein spricht, das einerseits der Endpunkt der vom Verstand betriebenen Begriffsresolution ist und das aber auch genau jenes ist, das selbst durch Schöpfung und nicht durch Einformung hervorgebracht wurde und deshalb als erster der göttlichen Hervorgänge zu deuten ist.48 Die gleiche Ambivalenz, die der Begriff der resolutio zeigt, wiederholt sich auch im Blick auf den Begriff der Allgemeinheit. Allgemeinheit kann nämlich ebenfalls prädikationslogisch und kausaltheoretisch gedeutet werden. Im ersten Fall betrifft die Allgemeinheit ein Prädikat, das eine maximale Extension hat und sich darin zeigt, dass sich kein weiterer Begriff finden lässt, der den vorliegenden in sich enthielte.49 Im zweiten Fall kann man von einer mehr oder weniger allgemeinen Kausalität sprechen, je nachdem, welcher Bereich möglicher Verursachung größer ist. Albert scheint diesen Begriff

47

48 49

Alberti Magni, Op. om. XXXVII/1 (wie Anm. 2) 2 f.: Quis autem sit auctor, patet per ea quae dicta sunt in principio CAELESTIS HIERARCHIAE, et similiter, quis habitus regens in hac scientia, quia fides, secundum quod tradita est in sacra scriptura. Modus autem duplex est, scilicet modus agendi et modus materiae. Modus agendi in omnibus suis libris est resolutorius. Sed videtur, quod in hoc libro sit modus compositivus. Determinat enim, sicut dictum est, de nominibus significantibus causam secundum exitum causatorum ab ipsa; procedere autem causatum a causa pertinet ad modum compositionis; ergo modus huius libri est compositivus. Et dicendum, quod est duplex modus, quo proceditur de causa in causatum aut e converso. Unus est factivus, secundum quod causa producit effectum; et hic modus est compositivus, quia effectus recedit a simplicitate causae. Sed quia nos non possumus cognoscere causam ipsam, secundum quod est simplex in se, ut per eam accipiamus cognitionem causati, sed potius e converso, ideo est alius modus cognoscitivus, quo per causata accipimus causam; et hic est resolutorius, et talis est modus huius scientiae, non secundum quod fit resolutio in causam, prout est ignota propter eminentiam sui, ad modum significandi per nomen, quia hoc pertinet ad mysticam theologiam, sed secundum quod fit resolutio in causam, prout est univoce producens causatum. Vgl. ebd., c. 5 n. 20, 314. Vgl. ebd.

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der kausalen Allgemeinheit sogar als Maßstab und Ursprung prädikativer Allgemeinheit aufzufassen, wenn er explizit davon spricht, dass sich die Ordnung dieser nach jener, nämlich der kausaltheoretischen bemisst. Beide Formen der Allgemeinheit lassen sich aus Alberts Perspektive auf den Begriff des Seins anwenden.50 Die Ambivalenz des Begriffes einer Resolution wird auch in Alberts Sentenzenkommentar deutlich, wenn er mit Blick auf die Frage nach der Einfachheit des durch die resolutio Erreichten auf eine Inkompatibilität zweier Verfahren aufmerksam macht. Das Verfahren einer Begriffsresolution führt demnach zu einem allgemeinen Begriff des Seienden, der hinsichtlich der Kennzeichnung als geschaffenes oder ungeschaffenes Seiendes indifferent ist. Dieser Begriff, so argumentiert Albert, ist aber auf keine Weise identisch mit einer Bestimmung, die auf Gott angemessen angewandt werden könnte. Dies liegt daran, dass erst der durch eine Differenz zusammengesetzte Begriff des ens increatum Gott bezeichnen würde. Damit wird aber eine Zusammensetzung von Teilmomenten, nämlich Seiendheit und Ungeschaffenheit, auf Gott übertragen und so seine schlechthinnige Einfachheit nicht adäquat zum Ausdruck gebracht. Dies vermag hingegen der Begriff der causa, denn dieser erlaubt es, die Unzusammengesetztheit Gottes und die Vorgängigkeit des Begriffes ens increatum vor dem Begriff ens, die durch das begriffsresolutive Verfahren nicht abgebildet werden kann, zu erfassen.51 Im Ergebnis bleibt 50

51

Alberti Magni, Op. om. XXXVII/1 (wie Anm. 2) 314: [C]ausalitas boni communior est quam causalitas entis, quia inquantum est finis, extendit se etiam ad non-existentia, quae eam desiderant, ut supra dictum est, et ideo secundum principium communicationis eius est ordo nominum. Alberti Magni, Ed. Bor. 25 (wie Anm. 2) 253: Ad primum quod obiicitur de ente, dicendum quod id in quo stat resolutio nostri intellectus, est simplex secundum quid, et simpliciter compositum. Intellectus enim resolvens abstrahit universale a particulari: et ulterius magis universale a minus universali – et ideo non aufert nisi differentias coarctantes: et verum est, quod secundum ablationem illarum differentiarum ens simplex est: et ideo stat in ipso resolutio: sed ulterius compositum est et concretum habitudinibus potentialibus, scilicet quod ipsum est post nihil, et ideo variabile in nihil: et ideo privatio et potentia decidentiae est in eo nisi contineatur: et etiam habet habitudinem ad ea cum quibus est componibile, quae habitudo non nihil est in eo, sicut supra diximus: sed tamen illae habitudines abstrahi possunt ab eo secundum intellectum: sed illa quae est potentiae privationis, non potest abstrahi ab ente creato: quia in ratione eius est per hoc quod ipsum est creatum. Si autem obiicitur, quod ens abstrahit ab ente creato et increato, dicendum quod hoc frivolum est: quia ex hoc sequitur, quod ens increatum esset compositum: si enim ens per unam rationem communem conveniret ei et creato, oporteret quod ens commune coarctaretur in ipso per aliquam differentiam: et sic ab alio haberet esse, et hoc esse: et hoc supra improbatum est: ergo ens in quo stat resolvens intellectus, non est ens increatum: sed ens increatum est ante ipsum sicut causa. Ad hoc autem quod obiicitur, quod unum, verum, et bonum, et aliquid sunt de primis simplicibus, dicendum quod hoc frivolum est: quia non convertuntur cum ente secundum suas intentiones, sed secundum sua supposita: et ideo non est dubium quin illa sint composita.

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festzuhalten, dass diese unterschiedlichen Resolutionsverfahren, das begriffslogische und das kausaltheoretische, nicht zur Deckung gebracht werden können, ja, was gravierender ist, offensichtlich zu Spannungen führen und sich deshalb nicht ohne weiteres einem einheitlichen Ansatz subsumieren lassen. Diesen Befunden entspricht es dann auch wiederum, dass der Begriff der Fundierung und damit der Prinzipiencharakter von Begriffen und den daraus abgeleiteten Wissenschaften ebenfalls ambivalent wird. Das ist nämlich insofern der Fall, als ein Begriff als Fundamentalbegriff verstanden wird, weil er der allgemeinste im Sinne der Aussagbarkeit ist, gleichwohl aber auch von einem ersten Begriff deshalb die Rede ist, weil er ein Erstes in einem kausalen Prozess bezeichnet.52 Fundierung geschieht in Alberts Perspektive in beiderlei Hinsicht, weshalb es kein einseitig ausgerichtetes Fundierungsverhältnis geben kann. Diese Mehrdeutigkeit des Fundierungsparadigmas macht dann im Übrigen auch die von de Libera mit Blick auf die Pariser Magister der 1240er Jahre vertretene These53 in ihrer Anwendung auf Albert zweifelhaft, wonach eine genuin aristotelische Metaphysik, deren Fundierungsparadigma prädikationslogisch ausgerichtet ist, eine darauf folgende neuplatonisch bestimmte Theologie, die kausaltheoretisch bestimmt ist, fundieren würde.

VIII. Ergänzung der Metaphysik als Fokussierung ihrer Perspektive Trotz dieser Ambivalenzen benutzt Albert die Unterscheidung der begriffslogischen Methode vom kausalanalytischen Verfahren wiederum für eine keineswegs in Frage gestellte Differenzierung von theologischer und philosophischer Vorgehensweise. Wie Albert zu Beginn des fünften Kapitels seines Kommentars zu De divinis nominibus deutlich macht, lässt sich durch eine Unterscheidung eines begriffslogischen und eines kausalanalytischen Verfahrens eine theologische Rede über das Sein von einer philosophischen Betrachtungsweise abheben. Während der Theologe die kausale Interpretation des Seienden verfolgt, richtet sich das Interesse des Philosophen auf die Begriffsresolution, die bei einem ersten allgemeinen Prädikat zum Stillstand kommt. Der Kontext für diese Feststellung ist die Aussage des Dionysius PseudoAreopagita, dass er sich nun, zu Beginn des fünften Kapitels seiner Schrift über die Gottesnamen, dem theologischen Lob des wahrhaft existierenden Gottes zuwenden wolle. Albert schreibt: 52 53

Vgl. Alberti Magni, Op. om. XVI/1 (wie Anm. 2) 2 f.; ebd., 4. Vgl. De Libera, Structure de corpus scolair (wie Anm. 1) 77.

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„[Dionysius] sagt also zuerst: Gesprochen ist genug über das Gute; jetzt aber ist überzugehen zum wahrhaft existierenden theologischen Lob des wahrhaft existierenden Gottes, d. h. zur Auslegung des Lobes Gottes, durch das er in diesem Namen ‚wahrhaft Existierender‘ gelobt wird; und [Dionysius] sagt theologisches [Lob] im Unterschied zur philosophischen Beschäftigung mit dem Seienden, deren Absicht darin besteht, dasjenige Seiende zu bestimmen, bei dem die resolutio des Verstandes wie bei einem ersten Begriff zum Halten kommt, indem seine Eigenschaften und Teile bezeichnet werden. Die Absicht des Theologen besteht aber darin, vom Seienden zu handeln, insofern über die Ursache eines jeden Seienden gesprochen wird, wie nämlich von ihm alles Existierende herausfließt.“ 54 Der Begriff des Lobes gehört natürlich in den Kontext des dionysischen Textes, die Unterscheidung einer philosophischen und einer theologischen Rede vom Seienden hingegen findet sich ebenso in den im engeren Sinne metaphysischen Schriften Alberts, wie sich dort auch die inhaltliche Abgrenzung der beiden Blickrichtungen findet. Während der philosophische Ansatz die Begriffsresolution verfolgt, steht für das theologische Verfahren der Kausalitätsleitfaden im Mittelpunkt, der sich wie im Liber de causis – und auch bereits im Metaphysikkommentar angekündigt – an der Fluxustheorie orientiert. Was hier unter Theologie zu verstehen ist, bedarf sicher weiterer Analysen. Eine Theologie, die sich auf die Kenntnis übernatürlich geoffenbarter Prinzipien stützt, wie sie Albert zu Beginn des Sentenzenkommentars entwirft, und die sich zudem durch Ihren Charakter als scientia affectiva auszeichnet, kann in diesem Kontext keinesfalls gemeint sein. Jede Form einer im engeren Sinne washeitlich von Gott handelnden Theologie ist hiervon zu unterscheiden.55 Albert weiß von Anbeginn seiner akademischen Laufbahn deutlich zwischen den Untersuchungsgegenständen und -methoden der Philosophen und der Theologen zu unterscheiden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es um die zentralen metaphysischen Grundbegriffe geht. In seinem Sentenzenkommentar stellt er mit Nachdruck fest, dass Aristoteles aus philosophischer Perspektive die transzendentalen Begriffe des ens und unum und nicht die sie begleitenden Begriffe des verum und bonum in den Vordergrund der Betrach-

54

55

Alberti Magni, Op. om. XXXVII/1 (wie Anm. 2) 303: Dicit ergo primo: Dictum est sufficienter de bono; nunc autem transeundum est ad vere existentem laudationem theologicam dei existentis vere, idest ad exponendum laudem dei, qua laudatur in hoc nomine quod est ‚vere existens‘; et dicit theologicam ad differentiam philosophici negotii de ente, cuius intentio est determinare de ente, in quod stat resolutio intellectus sicut in primam conceptionem, assignando passiones et partes eius; theologi autem intentio est determinare de ente, secundum quod dicitur de causa omnis entis, prout ab ipso fluunt omnia existentia. Vgl. etwa Op. om. XXXVII/2, c. 1, 458 f.

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tung stellt, was hingegen die Sancti, die Kirchenlehrer, wobei vor allem Dionysius Ps. Areopagita gemeint sein dürfte, tun.56 Der Grund hierfür besteht nach Albert darin, dass Aristoteles den Begriff des Seienden als letztes Ergebnis eines begriffsresolutorischen Verfahrens und nicht als Bezeichnung eines ersten Seienden versteht, das Ursprung einer Fluxus-Bewegung ist. In diesem letzten Sinne wird das Seiende dann von den Sancti als erstes Seiendes, Eines, Weises und Gutes betrachtet, das jeweils Ursprung einer Kette von Hervorbringungen ist, deren Quellgrund jeweils das Erste ist. Dieses Verfahren der Sancti, nämlich ihr Modus der Betrachtung, rückt dann andere transzendentale Begriffe, wie vor allem das bonum, in den Blickpunkt der Betrachtung. Im Ergebnis ist an den Eigenheiten der unterschiedlichen Perspektiven festzuhalten, die zwar aufeinander bezogen werden können, die aber kein Einheitsmodell einer neuplatonisch-aristotelischen Einheitswissenschaft sein kann, in der die Sancti ebenso wie die Philosophi das ihnen jeweils Eigentümliche unter einem gemeinsamen Dach aufgeben müssen. Dies gilt auch, wenn man dieses Dach transzendentalphilosophisch konstruieren will. Denn I Sent. d. 46 a. 14 macht ja gerade deutlich, dass für Albert die Grenzlinie zwischen einer universalistisch philosophischen Methode der Begriffsresolution und eines an der Fluxustheorie orientierten Verfahrens der Sancti mitten durch die vermeintlich transzendentalen Begriffsbestimmungen verläuft, weshalb von einer theologischen Grundlegung der transcendentia, wie mehrfach von Aertsen behauptet,57 nicht die Rede sein kann. Denn offensichtlich geht die Behandlung verschiedener transzendentaler Begriffe Hand in Hand mit einer jeweils grundlegend anderen Methode, nämlich der prädikationslogischen Begriffsresolution einerseits und der am Kausalitätsleitfaden vollzogenen Fluxustheorie andererseits. Albert trägt dieser Differenz zudem dadurch Rechnung, dass er zwischen dem Philosophen Aristoteles, der paradigmatisch den ersten Weg repräsentiert, und den Sancti, die die zweite Zugangsweise verkörpern, unterscheidet. Ausschlaggebend ist bei dieser Vorgehensweise, dass Albert sehr genau zwischen einer Metaphysik, die sich des Verfahrens der Begriffsresolution bedient, und einer Theorie der Sancti, die ihren Ausgangspunkt vom fluxus ab ente primo nimmt, zu differenzieren weiß. Im Einzelnen sind es drei Elemente, die Albert als Kennzeichen des philosophisch-metaphysischen Verfahrens anführt: die durch die Begriffsresolution erreichbare Zurückführung des Späteren auf das Frühere, die Reduktion des Zusammengesetzten auf das Einfache und schließlich die hieraus resultierende Allgemeinheit, die alles in sich versammelt (colligit omnia) und die – so ist zu er-

56 57

Vgl. hierzu Aertsen, Medieval Philosophy (wie Anm. 15) 183–186. Vgl. ebd.,184; Ders.: Die Frage nach dem Ersten (wie Anm. 18) 97.

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gänzen – durch den umfassenden Begriff des Seienden, insofern es Seiendes ist, gegeben ist.58 Das von Albert den Sancti zugeschriebene theologische Wissen, das sich des kausalresolutorischen Verfahrens bedient, steht aber, wie Albert an anderer Stelle ausführt, unter einem deutlich ausgesprochenen Erkenntnisvorbehalt, der dieses zwar einerseits über die Lehre der Philosophen heraushebt, es aber gleichwohl an die mit der Endlichkeit des menschlichen Verstandes gegebenen Grenzen bindet. „Die göttliche Substanz kann in gewisser Weise von uns erkannt werden, auch an sich, allerdings nicht vollkommen. Dass etwas vollkommen erkannt wird, sagt man, wenn man von etwas weiß, was es ist und was seine Eigenschaften sind. Dies vermag der geschaffene Verstand aber nicht hinsichtlich der göttlichen Substanz aufgrund [Gottes] Unendlichkeit. [Gott] wird aber erkannt wie der Endpunkt einer Resolution, insofern wir ihn nach allem Verursachten und nach jeder Einfachheit der Kreaturen finden. Aber eine solche Erkenntnis richtet sich eher auf das, was er nicht, ist als auf das, was er ist, insofern wir nämlich die göttliche Substanz durch Beiseitelassen alles Geschaffenen erkennen und indem wir so zu ihr gelangen, benennen wir sie auch. Und deshalb sagt [Dionysius], dass [Gott] unbekannt und unaussprechlich ist.“ 59 Gott fällt aus der Perspektive einer Seinsmetaphysik, die sich an das implizite Verdikt des Liber de causis hält, Gott außerhalb des Skopus des Seins zu 58

59

Alberti Magni, Ed. Bor. 26 (wie Anm. 2) 449 f.: Si autem quaeritur, secundum quem ordinem se habeant ad invicem unum, verum, bonum et ens, dicendum quod secundum Philosophum ante omnia sunt ens et unum. Philosophus enim non ponit, quod verum et bonum sint dispositiones generaliter concomitantes ens, nec divisio entis secundum quod est ens, est per verum et bonum. Quia Philosophus non considerat ens secundum quod fluit ab ente primo et uno et sapiente et bono, sed ipse considerat ens secundum quod stat in ipso intellectus resolvens posterius in prius et compositum in simplex et secundum quod ipsum per prius et posterius colligit omnia. Et ideo de vero et bono non determinat per hunc modum, sed de bono quod est finis ad quem est motus, et ideo dicit, quod nec una est demonstratio in mathematicis per rationem boni. Et ideo sic generaliter considerando ista, ut consideraverunt Sancti, dicemus quod inter ista, scilicet essentia et ens, est primum natura, circa quod ut substratum sibi ponuntur alia. Alberti Magni, Op. om. XXXVII/1 (wie Anm. 2) 304: Solutio: Dicendum, quod divina substantia aliquo modo a nobis cognosci potest, etiam secundum se, sed non perfecte; perfecte enim cognosci dicitur, de quo scitur, quid ipsum sit et proprietates eius; hoc autem non potest intellectus creatus in substantia divina propter sui infinitatem. Cognoscitur tamen ut terminus resolutionis, secundum quod invenimus ipsum post omnia causata et post omnem simplicitatem creaturarum. Sed talis cognitio potius est, quid non est quam quid est, inquantum scilicet cognoscimus substantiam divinam per remotionem ab omnibus causatis, et sic devenientes in ipsam etiam nominamus ipsam; et propter hoc dicit, quod est ignotum et ineffabile.

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denken, heraus. Erweitert man aber diesen Ansatz der Metaphysik durch die Frage nach dem Grund des Seins, d. h. versteht man das Sein als herausragendes, aber doch als Glied einer Kausalreihe, wie es der Liber de causis nahelegt, ergibt sich die Möglichkeit in einer anderen Weise von einem Ersten zu sprechen. Die oben angedeutete Theorie einer negativen Theologie erlaubt es nämlich, die resolutiv gewonnenen Letztbestimmungen einer Seinsmetaphysik in Richtung auf ein quid zu überschreiten, von dem man dann zumindest sagen kann, was es nicht ist. In Alberts Interpretation des Dionysischen Ansatzes wird diese negative Theologie begleitet durch eine Abbild- oder Ähnlichkeitsmetaphorik. Die Grundlage hierfür ist das von Albert beispielhaft im ersten Kapitel von De divinis nominibus zugrundegelegte Analogieverständnis, wonach Gott eine der analogen Aussage zugrundeliegende Konvenienz gegenüber allem von ihm Verursachten zukommt, die einem Urbild-Abbild Verhältnis von Gott und Schöpfung entspricht. Dieser Analogiekonzeption entspricht dann eine sich hieraus ergebende Partizipationslehre, die diese Urbild-Abbild Metapher ontologisch ausdeutet.60 Albert beruft sich für dieses Vorgehen einer exemplarursächlich motivierten Deutung, die er auf die grundlegenden transzendentalen Begriffe des Wahren, Guten und Seienden anwendet, ausdrücklich auf Platon und dessen Begriff des ersten Guten.61 Auf diesem Hintergrund lässt sich in einem reihentheoretischen Ansatz eine Ursachenfolge als abbildhafte Explikation eines processus aus der göttlichen Substanz deuten, so dass es dann im fünften Kapitel von De divinis nominibus heißt: „Die ursprungshafte göttliche Substanz schreitet in alle Seiende fort wie eine wirkmächtige und formhafte Ursache, die in jede Substanz die Ähnlichkeit ihrer eigenen Substanz verströmt.“ 62 60

61 62

Alberti Magni, Op. om. XXXVII/1 (wie Anm. 2) 35: Dicimus, quod haec ratio est sufficiens, ut deus possit nominari ab omnibus causatis, quia est causa omnium; et bene concedimus, quod habet convenientiam cum causatis non univocationis, sed analogiae, non tamen talis analogiae, quod aliquid idem participetur a deo per prius et a causatis per posterius, quia sic esset aliquid simplicius et prius deo, sed quia deus est secundum substantiam aliquid ut vita vel sapientia vel huiusmodi non per participationem et alia participant illud accedendo ad primum, quantum possunt, sicut est convenientia exemplatorum ad exemplar, ut si intelligeretur aliqua rectitudo per se existens, quae imprimeretur diversis lignis, quaedam plus participarent rectitudinem, secundum quod essent minus nodosa, nullum tamen participaret rectitudinem secundum simplicitatem exemplaris. Similiter in exitu rerum ad esse unumquodque tantum participat de esse, quantum similatur divino radio secundum formam suam, et similiter in reditu ad finem unumquodque in tantum est bonum et appetibile, quantum habet de similitudine ultimi finis, quod est primum bonum, et ideo propter talem convenientiam causatorum ad causam potest deus nominari ex omnibus causatis. Vgl. Alberti Magni, Op. om. XXXIV/1 (wie Anm. 2) 182. Alberti Magni, Op. om. XXXVII/1 (wie Anm. 2) 305: [...] divina substantia principalis procedit in omnia entia sicut causa effectiva formalis, profundens in omnem substantiam similitudinem suae substantiae.

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Die Absicht des Dionysius in diesem Kontext besteht nach Albert darin, über das Existierende zu sprechen, insofern es in Gott ist, bzw. von ihm ausgeht. Dies kann aber nur auf die Weise geschehen, dass Gott als Ursache begriffen wird, indem der Hervorgang des Seienden hinreichend durch den Hervorgang der göttlichen Substanz expliziert wird. Der tiefere Grund liegt darin, dass ein Ansatz einer ganzheitstheoretischen Metaphysik zwar mit dem Begriff des Seins über das Prädikat verfügt, das umfassender ist als der Begriff der Substanz, communior quam intellectus substantiae. In der Substanz aber, so interpretiert Albert den Text des Dionysius, findet sich das Sein zuerst und ungetrübt, primo et simpliciter. Die Substanz aber, so fährt Albert fort, lässt sich qua causa und d. h. reihentheoretisch explizieren. „Obwohl der Begriff des Seienden allgemeiner ist als der Begriff der Substanz, erfasst man [den Begriffsgehalt des] Seienden erstlich und schlechthin im [Begriffsgehalt der] Substanz. Anderes, insofern es Seiendes ist, hat eben diese [Bestimmung des Seienden] von der Substanz als einer Ursache. Und alles, was auf Gott zurückgeführt wird, fällt aus dem Begriffsfeld des Akzidentellen heraus. Und weil [Dionysius] hier beabsichtigt vom Existierenden zu handeln, insofern es in Gott in der Weise ist, in der er Ursache ist, wird der Hervorgang des Seienden durch den Hervorgang der Substanz hinreichend erläutert.“ 63 In dieser Passage stellt Albert zwei Leistungsmerkmale, die man dem Begriff des Seienden zuschreiben kann, gegenüber: zum einen die Allgemeinheit, zum anderen die grundlegende und uneingeschränkte Bedeutung, die diesem Begriff zukommt. Alberts These lautet nun, dass beides nicht notwendig zusammenfällt. Der Grund hierfür besteht darin, dass die größte Allgemeinheit des Begriffs des Seienden gerade dadurch zu Stande kommt, dass man von der Einschränkung auf den Begriff der Substanz absieht, also unter Sein nicht ausschließlich das Sein einer Substanz versteht. Will man aber auf der anderen Seite – so argumentiert Albert – den Begriff des Seienden erstlich und schlechthin, also in grundlegender Weise begreifen, dann muss man ihn vom Substanzsein her denken. Dies bedeutet, Seiendes kausal zu interpretieren, also von seiner Verursachung her zu verstehen. Seiendes soll von der Substanz her verstanden werden, insofern diese als Ursache verstanden wird (a substantia sicut a causa). Der substantielle Charakter des Seienden kommt am 63

Ebd., 305: Et dicendum, quod quamvis intellectus entis sit communior quam intellectus substantiae, ens tamen primo invenitur et simpliciter in substantia. Alia autem, secundum quod sunt entia, et hoc ipsum habent a substantia sicut a causa, et omnia reducta in deum cadunt a ratione accidentis. Et quia hic intendit determinare de existente, secundum quod est in deo per modum, quo est causa, ideo sufficienter explicatur processus entis per processionem substantiae.

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deutlichsten dadurch zustande, dass man die Substanz nicht nur irgendwie als Ursache versteht, sondern sie bis auf Gott als die eigentliche Ursache zurückführt. In diesem Fall verliert der Begriff alle Konnotationen des akzidentiellen Seins und wird im engeren Sinne als Substanz/Ursache in den Blick genommen. Was das fünfte Kapitel seines Kommentars zu De divinis nominibus betrifft, scheint Albert tatsächlich von einer einheitlichen Interpretation der Metaphysik überzeugt zu sein, unabhängig davon, welcher Methode sie sich bedient. Offensichtlich besteht nur eine perspektivische Differenz innerhalb der Metaphysik, ob sie den Weg der Begriffsresolution mit dem Zielpunkt eines ersten Verstandesbegriffes beschreitet, oder ob sie die kausale Rekonstruktion der Emanationsprozesse bis hin zu der grundlegenden Differenz einer nur Gott zukommenden Schöpfung und eine alles weitere bestimmenden Informationsprozesses betreibt. Die Erstheit des Seinsbegriffes stellt sich nämlich für Albert in beiden Fällen ein, sowohl in prädikationslogischer Perspektive als auch mit Blick auf die von Gott ausgehenden Emanationsprozesse, innerhalb derer dem Sein wiederum eine entsprechende Erstheit zukommt: „Man muss nämlich sagen, dass das Sein schlechthin gemäß der Natur und dem Begriff nach früher als alles andere ist. Es ist nämlich der erste Begriffsgehalt des Verstandes und hierin kommt der auflösende Verstand letztlich zu einem Stillstand. Nur [das Sein] selbst wird aber auch durch Schöpfung hervorgebracht, ohne das etwas anderes vorausgesetzt würde; alles andere aber [wird hervorgebracht] durch Einformung, nämlich über das vorausexistierende Seiende hinaus, wie der Kommentator im Liber de causis sagt. Jenes aber ist das Erste, das von einem anderen hervorgeht, und das nicht hervorgeht, indem etwas [anderes] vorausgesetzt wird. Und so bleibt [als Ergebnis] übrig, dass unter allen göttlichen Hervorgängen das Sein das Erste ist.“ 64 So eng Albert in dieser Passage die genannten Perspektiven mit Blick auf die Erstheit des Seins als Einheit begreift, so nachdrücklich wird durch dieses Vorgehen aber auch die Differenz eines auf das Geschaffene beschränkten Seinsbegriffes zu einem allgemeinsten Prädikat, das Gott und Schöpfung umfasst, deutlich. Von der Sache her scheinen hier nicht alle Folgeprobleme gelöst zu sein: Entweder führt die Begriffsresolution nicht wirklich zu einem 64

Ebd., 314: Dicendum, quod esse simpliciter secundum naturam et rationem est prius omnibus aliis; est enim prima conceptio intellectus et in quo intellectus resolvens ultimo stat. Ipsum etiam solum per creationem producitur non praesupposito alio, omnia autem alia per informationem, scilicet supra ens praeexistens, ut dicit Commentator in LIBRO DE CAUSIS. Illud autem est primum procedens ab alio, quod non procedit supposito quodam; et ita relinquetur, quod inter omnes processiones divinas esse sit primum.

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Ersten, oder der Seinsbegriff muss sich in einer hier scheinbar ausgeschlossenen Weise doch noch auf Gott beziehen lassen.

IX. Erweiterung der aristotelischen Metaphysik und deren Verhältnis zur Theologie Im Ergebnis zeigt sich also, dass die ganzheitstheoretische Betrachtungsweise, die von einem allgemeinen Begriff des Seins ausgeht, reihentheoretisch zu ergänzen ist. So stellt sich zumindest Alberts Vorgehen dar, wenn man es von seinem in den Aristoteleskommentaren hervortretenden Kernbestand her versteht. Der Blick auf die Auseinandersetzung mit Dionysius zeigt aber auch, dass Albert hierbei von einer ursprünglichen Einheit in der Sache ausgeht, die sich prädikationslogisch oder kausaltheoretisch erfassen lässt. In diesem Sinne, nämlich dass eine Wissenschaft vom transzendentalen Seinsbegriff um eine am Leitfaden der Kausalverhältnisse orientierte Betrachtung zu erweitern ist, könnte man versucht sein, in Bezug auf die Metaphysik Alberts von einer Theologik oder besser von einer Gott als Ursache in den Blick nehmenden Erweiterung der Metaphysik zu sprechen. Die Rede von der Erweiterung unterstellt eine Nachordnung der Inhalte dieses Teils der Metaphysik, was Albert selbst betont, wenn er von den Hervorgängen aus dem göttlichen Wesen, die hier zur Sprache kommen, sagt, dass sie in der Erkenntnisordnung nachgeordnet sind, weil sie als nähere Bestimmungen dem Sein nachfolgen, das in epistemologischer Hinsicht das Erste und damit im eigentlichen Sinne Gegenstand der Metaphysik ist.65 Gleichwohl sollte man diese Deutung der Metaphysik, die ein inklusives Modell von Theoriestücken mit heterogener Herkunft nahelegt, nicht überspitzt als eine grenzüberschreitende Vermischung einer genuin philosophischen und einer genuin theologischen Perspektive verstehen. Vielmehr scheint das Verhältnis beider eher das einer vertiefenden Fokussierung des ganzheitstheoretischen Verfahrens durch die kausal orientierte und an den Substanzbegriff anknüpfende Betrachtung zu sein. Diese Verbindung der Perspektiven integriert das kausaltheoretische Vorgehen, ohne dass dadurch die Ursache als solche das eigentliche Subjekt der Metaphysik würde. Diese Position, die

65

Alberti Magni, Op. om. XVI/1 (wie Anm. 2) 4: [...] processiones illae divinae, quas inducit, non sunt primae per hoc quod sunt divinae, sed per hoc quod ad entis primi sunt simplicitatem reductae. Et ideo patet, quod nulla ipsarum est absolute prima nisi ens, et omnes sunt ad ens consequentes, et ideo solum ens simplex est primum et subiectum, et alia consequuntur ad ipsum sicut partes et passiones eius. Talia etiam licet sint causata divina et processiones simplices, non tamen esse habent extra materiam [...].

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als Gegenstand der Metaphysik eine erste Ursache annähme, schließt Albert mit Nachdruck zu Beginn seines Metaphysikkommentars aus,66 um demgegenüber das Seiende als Seiende ausdrücklich als Gegenstand der Metaphysik herauszustellen. Diese Deutung Alberts wird davon getragen, dass das Seiende als Gegenstand der Metaphysik eben auch als Substanz und damit als Ursache verstanden werden kann. Mit Blick auf den Anfang von Alberts Metaphysikkommentar ist hervorzuheben, dass diese Einheit insofern vorgezeichnet ist, als die Kennzeichnungen der Ursache und der Substanz als Eigenschaften (passiones) des allgemeinen Begriffs des Seienden und damit des eigentlichen Gegenstandes der Metaphysik verstanden werden.67 Die aus der Verbindung unterschiedlicher Verfahren, auf die Albert zurückgreift, resultierenden Spannungen sind Spannungen nicht etwa zwischen der Theologie und der Philosophie, sondern entstehen innerhalb der Metaphysik selbst. Das begriffslogische Verfahren gelangt demnach bis zu einem primum creatum nämlich dem durch den Begriff esse Beschreibbaren, und damit nicht bis zu Gott als dem ersten Prinzip selbst. Bei einem kausaltheoretischen Vorgehen innerhalb der Metaphysik gelingt zumindest über den Ursachenbegriff noch eine eingeschränkte Erfassung des Ersten, das dadurch in den Blick kommt, dass man es als erste Ursache begreift. An dieser Stelle gelangt allerdings auch die kausaltheoretisch argumentierende Metaphysik an eine Schnittstelle, an der die metaphysisch ausweisbaren Begriffe der Verursachung und der Einformung vom theologischen Begriff der Schöpfung überboten und in ihrer Begrenzung als philosophische Grundbegriffe erkennbar werden.68 Die Rede von einer Metaphysik als Theologik scheint deshalb in Bezug auf Albert nicht angemessen zu sein. Gegenüber einer solchen Vermutung unterscheidet Albert viel zu deutlich zwischen dem Göttlichen, wie es in der Philosophie durch entsprechende Ersatzbegriffe, wie den der Ursache, in den Blick kommt, und dem Göttlichen, das eine auf Offenbarung rekurrierende affirmative oder eine auf bejahende Aussagen verzichtende negative Theologie zum Gegenstand hat. Zwar lässt sich Gott als Ursache begreifen, so dass sich im Ausgang von einer kausalen Kette affirmative Aussagen von ihm treffen lassen, doch übersteigt Gott diese Ursachenkette wesentlich, so dass seine Washeit letztlich auch dem kausalen Zugriff entzogen bleibt.69 Soll die geschaffene Welt in 66 67 68

69

Vgl. Alberti Magni, Op. om. XVI/1 (wie Anm. 2) 3. Vgl. ebd., 4. Alberti Magni, Op. om. XVII/2 (wie Anm. 2) 80 f.: Sicut enim SAEPIUS dictum est, creare ex nihilo producere est. Quod autem causat non supposito quodam alio, quo causet, consequenter sequitur, quod causet ex nihilo. Primum autem causat non supposito quodam alio, quo causet. Primum ergo causat ex nihilo. Causatio ergo ipsius creatio est. Alberti Magni, Op. om. XXXVII/2 (wie Anm. 2) 458 f.: [E]t dicit, quod deus est causa omnium et tamen essentialiter est super omnia. Et ideo quamvis causaliter omnium affirma-

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ihrem Verursachtsein verstanden werden können – was für die Metaphysik und ihren Gegenstand von ganz zentraler Bedeutung ist, insofern das Sein das primum causatum ist, – so ist vor diesem Hintergrund zu fragen, inwiefern dies auf der Grundlage der geschilderten Transzendenz Gottes möglich sein soll. Albert beantwortet diese Frage, die er sich selbst in Form eines Einwandes im Anschluss an die dionysische Konzeption der negativen Theologie stellt,70 mit einer spezifischen Analogielehre. Gilt einerseits, dass die Washeit Gottes außerhalb des kausalen Zugriffes liegt, so ist doch andererseits eine gewisse Gemeinsamkeit von Gott als Ursache und den verursachten Dingen selbst zu konstatieren. Diese Gemeinsamkeit verbindet Ursache und Wirkung nicht durch kategorial aussagbare Prädikate, sondern durch eine Analogie der Nachahmung (analogia imitationis), in der die verursachten Dinge als Bilder oder Ähnlichkeiten Gottes erscheinen können, die in Begriffen wie ‚Weisheit‘ und ‚Gutheit‘ ausgedrückt werden. „Dazu, dass eine Wirkung von der Ursache ausgesagt werden kann, ist es erforderlich, dass Ursache und Wirkung auf irgendeine Weise etwas miteinander teilen. Daher sagen wir, dass Gott, wenngleich er mit den Geschöpfen weder der Gattung, noch der Art, noch der Analogie nach in Gemeinschaft steht, wodurch etwas ein ‚eines‘ wäre in ihm und den anderen, so steht er doch in einer gewissen Gemeinschaft der Analogie der Nachahmung, insofern andere ihn nachahmen, soweit sie es können. Einige aber ahmen ihn nur als von ihm Gedachte nach, wie die, die nicht erstlich in ihm sind, wie Esel und Stein in ihrer Gestalt; und diese werden von Gott nicht wesenhaft ausgesagt, sondern nur ursächlich. Einige aber ahmen ihn nach als Bild oder Ähnlichkeit seiner selbst, welche erstlich in ihm sind, wie Weisheit, Gutheit usf., und diese werden von Gott wesenhaft und ursächlich ausgesagt.“ 71

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tiones ponantur in ipso, tamen multo magis essentialiter omnia removentur ab ipso, et ipse nihil est eorum. Et istae negationes non sunt oppositae illis affirmationibus, quia non sunt secundum idem, sed oportet causam omnium ponere et super negationes et super affirmationes, quia per neutrum horum comprehenditur quiditas dei. Vgl. ebd., 459. Ebd.: Solutio: Dicendum, quod ad hoc quod effectus praedicetur de causa, oportet, quod causa et effectus sint communicantia aliquo modo; unde dicimus, quod deus, quamvis non communicet cum creaturis genere vel specie vel analogia, per quam aliquid unum sit in ipso et aliis, communicat tamen quadam analogia imitationis, secundum quod alia imitantur ipsum, quantum possunt. Quaedam tamen imitantur ipsum tantum ut ideata, sicut quae non sunt per prius in ipso, sicut asinus et lapis in formis suis, et ista non praedicantur de deo essentialiter, sed causaliter tantum. Quaedam imitantur ipsum ut imago vel similitudo ipsius, quae per prius sunt in ipso, sicut sapientia, bonitas etc., et ista dicuntur de ipso essentialiter et causaliter. Übersetzung nach: Albertus Magnus Institut (wie Anm. 11) 473.

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Die kausale Deutung des Seinsbegriffes, die Albert dem Liber de causis entnimmt, bietet die Möglichkeit, den prädikationslogisch betrachtet allgemeinen Begriff des ens inquantum ens auf einen Grundbestand seiner Bedeutung hin zu fokussieren, die Albert im Substanzcharakter einer wirkmächtigen causa prima erblickt. Der Preis dieser Fokussierung ist eine Einschränkung des Allgemeinheitscharakters des Seinsbegriffes. Albert lehnt sich mit seiner Kombination eines prädikationslogischen und eines kausaltheoretischen Vorgehens insofern an die Möglichkeiten der aristotelischen Metaphysik selbst an, als Aristoteles die vielfache Aussagbarkeit des Seinsbegriffes auf eine primäre Bedeutung hin zuspitzt, die ebenfalls das substantielle Sein akzentuiert.72 Die neuplatonische Fluxuslehre verbindet sich in Alberts Perspektive mit der aristotelischen Substanzmetaphysik insofern, als der Ursachenbegriff die Brücke zwischen der göttlichen Substanz einerseits und den aus ihr hervorfließenden Wirkungen andererseits zu schlagen vermag, was Albert unter Rückgriff auf Dionysius feststellen kann.73 Die aristotelische Analogielehre wiederum findet Aufnahme in eine neuplatonisch inspirierte Urbild-Abbild Relation, die Albert im Anschluss an Dionysius als Nachahmungsanalogie versteht. Diese Analogie drückt die Gemeinsamkeit aus, die man zwischen Ursache und Wirkung annehmen muss, um dass Hervorgebrachte als Wirkung letztlich einer ersten Ursache begreifen zu können, wie es die Lehre des Liber de causis nahelegt.

Literatur Quellen Alberti Magni: Physica I. l. 1–4. Opera Omnia. Editio Coloniensis IV/1, Münster 1987. Alberti Magni: Metaphysica I, l. 1–5. Opera Omnia. Editio Coloniensis XVI/ 1, Münster 1960. Alberti Magni: De causis et processu universitatis a prima causa II 5 24. Opera Omnia. Editio Coloniensis XVII/2, Münster 1993. Alberti Magni: Summa de mirabili scientia dei I (q.1–50A). Opera Omnia. Editio Coloniensis XXXIV/1, Münster 1978.

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Diesen Zusammenhang der Lehre von der Analogie der Nachahmung zu den entsprechenden Thesen des Aristoteles stellt Albert ausdrücklich her. Vgl. Alberti Magni, Op. om. XVII/ 2 (wie Anm. 2) 82. Alberti Magni, Op. om. XXXVII/1 (wie Anm. 2) 305: [...] divina substantia principalis procedit in omnia entia sicut causa effectiva formalis, profundens in omnem substantiam similitudinem suae substantiae.

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Alberti Magni: Super Dionysium de divinis nominibus. Opera Omnia. Editio Coloniensis XXXVII/1, Münster 1972. Alberti Magni: Super Dionysium mysticae theologiae. Opera Omnia. Editio Coloniensis XXXVII/2, Münster 1972. Alberti Magni: Logicae secunda pars. Editio Borgnet 2, Paris 1890. Alberti Magni: Commentarii in I Sententiarum (d. I–XXV). Editio Borgnet 25, Paris 1893. Alberti Magni: Commentarii in I Sententiarum (d. XXVI–XLVIII). Editio Borgnet 26, Paris 1893. Aristoteles’ Metaphysik: griech.-dt., in d. Übers. v. H. Bonitz, neu bearb., mit Einl. u. Kommt. hrsg. v. H. Seidl, griech. Text in d. Edition v. W. Christ, Hamburg, 2. verbesserte Aufl. 1982. Sonstige Literatur Aertsen, J. A.: Die Frage nach dem Ersten und Grundlegenden, in: W. Senner u. a. (Hrsg.), Albertus Magnus. Zum Gedenken nach 800 Jahren: Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, Neue Folge Bd. 10), Berlin 2001. Aertsen, J. A.: Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca. 1225) to Francisco Suárez, Leiden 2012. Anzulewicz, H.: David von Dinant und die Anfänge der aristotelischen Naturphilosophie im Lateinischen Westen, in: L. Honnefelder u. a. (Hrsg.), Albertus Magnus und die Anfänge der Aristoteles-Rezeption im lateinischen Mittelalter (Subsidia Albertina 1), Münster 2005. de Libera, A.: Albert le Grand et Thomas d’Aquin interprètes du Liber de causis, Revue des Sciences Philosophiques et Théologiques Bd. 74, 1990, 347–378. de Libera, A.: Structure du corpus scolaire de la métaphysique dans la première moitié du XIIIe siècle, in: C. Lafleur/J. Carrier (Hrsg.), L’enseignement de la philosophie au XIIIe siècle. Autour d’un „Guide de l’étudiant“ du ms. Ripoll 109 (Studia Artistarum Bd. V), Turnhout 1997. de Libera, A.: Métaphysique et noétique. Albert le Grand, Paris 2005. Denifle, H./Chatelain, Ae.: Chartularium Universitatis Parisiensis, I–III, Paris 1889–1894. Honnefelder, L.: Metaphysik als „Erste Wissenschaft“: Die kritische Rezeption der aristotelischen Metaphysik durch Albert den Großen, in: Ders. (Hrsg.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft, Berlin 2011, 332– 353 u. 520–524. Honnefelder, L.: Albertus Magnus und die kulturelle Wende im 13. Jahrhundert. Perspektiven auf die epochale Bedeutung des großen Philosophen und Theologen (Lectio Albertina Bd. 13), Münster 2012.

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Simplicity and Aquinas’s Quantum Metaphysics Eleonore Stump

I. Introduction Aristotle and Aquinas inhabit vastly different cultures, one pagan and one Christian, and their metaphysics are correspondingly different. The ultimate foundation of reality for Aquinas is the triune God, and this is obviously “not” the ultimate foundation of reality for Aristotle. As Aristotle sees it, the metaphysical foundation of reality is being, which is transcendental to everything there is, and the modes of which are given in the ten categories of everything there is. On Aquinas’s Christian worldview, it is also true that at the metaphysical foundation there is being, but this being is a God who creates, knows, and loves creatures. The difference in outlook between Aristotle’s pagan worldview and Aquinas’s Christian worldview has far-ranging effects in many areas of philosophy, and most notably in the area of metaphysics which has to do with being. For Aquinas, there is such a thing as subsistent being, as distinct from the being of the categories.1 In this paper, I will explore what Aquinas has to say about subsistent being and the way in which it influences his distinctly non-Aristotelian understanding of the ultimate foundation of reality. The heart of Aquinas’s view of subsistent being is comprised in his understanding of the doctrine of divine simplicity. As Aquinas understands it, the doctrine can be summarized in three claims. The first distinguishes God from material objects:2 1

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Aquinas has a place for this kind of esse in his metaphysics, too, of course. (See especially De ente et essentia c.5.) On his view, this esse is common to everything there is; when it is abstracted by the mind, it is a universal in the sense that it is common to many, although under different significations. What distinguishes the esse which is God from the common esse is that the divine esse precludes combination with anything else, whereas the common esse is open to combination with form and matter. Die Werke Thomas von Aquins werden in folgender Weise angegeben: Sancti Thomae Aquinitatis, Summa theologiae, ed. Leonina IV–XII, Rom 1888–1906 [= ST]; In quattuor Libros Sententiarum, Stuttgart 1980 [= In Sent]; Summa contra gentiles, ed. Leonina XXXIII, Rom 1918 [= SCG]; Quaestiones disputatae de potentia, Turin 1965 [= QDP];

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1. It is impossible that God have any spatial or temporal parts that could be distinguished from one another as here rather than there or as now rather than then. The second claims that the standard distinction between an entity’s essential and intrinsic accidental properties cannot apply to God:3 2. It is impossible that God have any intrinsic accidental properties. And the third rules out the possibility of components of any kind in the essence that is the divine nature. Even when it has been recognized that all God’s intrinsic properties must be essential to him, it must be acknowledged as well that 3. whatever can be intrinsically attributed to God must just be the single, undivided unity that is God. For this reason, God is his own essence or nature.4 For all things other than God, there is a real distinction between what they are and that they are, between their essence and their existence; but, on the doctrine of simplicity, the essence that is God is not different from God’s existence. Therefore, unlike all created entities, God is his own being.

II. Difficulties raised by the doctrine of simplicity There is a large literature attempting to explain and evaluate the claims constitutive of the doctrine of simplicity, and it is not possible in this short paper to explore all the controversies at issue in this literature. Here I will focus on just one, which Norman Kretzmann and I raised in earlier work.5 It has to do with the apparent incompatibility of God’s simplicity and God’s free

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Quaestiones disputatae de veritate, ed. Leonina, XXII, Vol. III, Rom 1973 [= QDV]; De ente et essentia, ed. Leonina, XLIII, Rom 1976 [= ENTE]; Expositio libri Boetii De ebdomadibus, ed. Leonina L, Rom–Paris, 1992 [= In De hebd.]. Die angegebene Stelle in der ST findet sich I q.3. a.1–2; cf. also q.9 a.1 and q.10. a.1. Sancti Thomae Aquinitatis, ST (wie Anm. 2) I q.3 a.6. Ebd., a.3. See N. Kretzmann/E. Stump, “Absolute Simplicity”, Faith and Philosophy 2, 1985, 353– 382. For further development of our original view and attempts to take account of objections to it, see the chapter on simplicity in E. Stump, Aquinas, London–New York 2003, 92– 130. Some paragraphs of this paper are taken from that chapter.

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choice. In my view, this is the most challenging difficulty for the doctrine of simplicity. On the face of it, the doctrine of simplicity seems to entail that the only things God can do are the things God does in fact do.6 If God could do otherwise than he does, then some characteristics of God would be contingent, not necessary. But contingent features of God would be accidents in God, or so it seems. In medieval logic, an accident is just a characteristic that a thing can have or lack and still be what it is.7 Since the doctrine of simplicity rules out accidents in God, it seems to entail that everything about God is essential to him and therefore necessary for him. For this reason, on this interpretation of divine simplicity, God is the same in all possible worlds, as contemporary philosophers would put it. Or, to put the same point in other words, on this interpretation of divine simplicity, God cannot do other than he does. It is perfectly clear, however, that Aquinas does hold that God can do other than he does. In fact, Aquinas takes God to be possessed of choice or liberum arbitrium,8 and he argues for this claim vigorously in a variety of places. But, for Aquinas, liberum arbitrium is the power for choosing among alternative possibilities. In addition to the standardly cited passage in Summa theologiae I q.19 a.10, for example, Aquinas says in Quaestiones disputatae de veritate q.24 a.3: “there remains to God a free judgment [liberum iudicium] for willing either this or that, as there is also in us, and for this reason we must say that liberum arbitrium is found in God.”9 In particular, Aquinas holds that God was free to create or not to create. God’s creating was not brought about in God by any necessity of nature.10

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The question whether God could do what he does not do, or refrain from doing what he does, is a well-recognized problem in the tradition of rational theology. Aquinas, for instance, discusses it several times – z. B. Sancti Thomae Aquinitatis, Commentarii in libros sententiarum [= In Sent] (wie Anm. 2) I 43. 1.1–2; Sancti Thomae Aquinitatis, SCG (wie Anm. 2) II c.23, 26–27; Sancti Thomae Aquinitatis, QDP (wie Anm. 2) q.1 a.5; Sancti Thomae Aquinitatis, ST (wie Anm. 2) I q.25 a.5. I discuss this question further later in this paper. See, for example, Peter of Spain (Petrus Hispanus Portugalensis), Tractatus. Afterwards Called Summule logicales, ed. L. M. de Rijk, Assen 1972, 23: Accidens est quod adest et abest praeter subiecti corruptionem. The notion of liberum arbitrium is not equivalent to our notion of free will but is rather a narrower concept falling under the broader concept of freedom in the will. For more explanation of Aquinas’s understanding of liberum arbitrium, see the chapter on freedom in Stump, Aquinas (wie Anm. 5) 277–306. Sancti Thomae Aquinitatis, QDV (wie Anm. 2) q.24, a.3: unde remanet ei liberum iudicium ad volendum hoc vel illud, sicut etiam et in nobis est. Et propter hoc oportet dicere in Deo liberum arbitrium inveniri, […]. The translations of Aquinas’s texts in this paper are mine. See, for example, Sancti Thomae Aquinitatis, SCG (wie Anm. 2) II c.23.

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And since this is so, with regard to creating, God could do other than he did. In fact, God did create; but it was open to God not to create. Not creating is therefore something that God could have done but did not do. Thomists have typically supposed that Aquinas’s claim that God has no accidents is consistent with Aquinas’s claim that God could do other than he does. For example, Reginald Garrigou-Lagrange says, “God’s free act of creation, although it would be possible for Him not to act, is not an accident.”11 And later he says: “God is absolutely immutable, although it was in His power not to choose that which He freely chooses from eternity. For this free choice is not even in the least degree a superadded accident in God, and it posits no new perfection in Him.”12 But how are these positions to be reconciled? If God can do other than he does, then it is possible for God to exist as God and yet act differently from the way he actually does act. In that case, however, the way God actually acts is not necessary to him. Hence, that God acts in the way he does is a contingent fact about God. For this reason, God’s acting in this way certainly does appear to be an accident of God’s. And yet Aquinas holds not only that God has no accidents but even that God is his own nature; and so, since the nature of God is invariable, it seems that God cannot do other than he does. Put in contemporary terms, on this interpretation of divine simplicity, God must be the same in all possible worlds in which he exists. We can put the conundrum this way. Since no one whose will is bound to just one set of acts makes real choices among alternative acts, it looks as if accepting God’s absolute simplicity as a datum leads to the conclusion that God has no alternative to doing what he does. If we begin from the other direction, by taking it for granted that God does make choices among alternatives, then it seems that God cannot be absolutely simple. Furthermore, this problem looks particularly intractable because it seems to show a deep and irreducible difference among those things characterizing God, contrary to the doctrine of simplicity, which seems to imply that God’s nature is utterly and indivisibly one. If God has free choice, then some of the things characterizing God are things God chooses to be characterized by – such as his being a God who creates. But it makes no sense to suppose that God freely chooses all the things that characterize him, so that it is up to him, for example, whether or not the principle of non-contradiction applies to him, or whether or not he is omnipotent, good, eternal, or simple. Considerations of this sort evidently require us to draw a distinction between two

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R. Garrigou-Lagrange, The One God, St. Louis–London 1943, 190–191. Ebd., 511 f.

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groups of things characterizing God: those that are freely chosen by God and those regarding which God has no choice. And this apparently real distinction among things characterizing God cannot be explained as only a reflection of diversity in the temporal effects brought about by the single eternal activity which is God, or as no more than different manifestations of a single active goodness. Instead, on this interpretation of divine simplicity, this distinction appears to express a radical diversity within the divine nature itself, in that some characteristics of God – such as his existing – are not subject to his control, while others – presumably such as his creating the world – are consequences of his free choice.13 In this paper, I will first outline the heart of the doctrine of simplicity by focusing on Aquinas’s connection between God’s simplicity and the quid est or essence of God. Then I will argue that these considerations provide a certain resolution of the apparent incompatibility between divine simplicity and divine free will. The result is a metaphysics of the ultimate foundation of all reality that is decidedly non-Aristotelian, but rich and powerful in its applications.

III. Agnosticism about God’s nature It is helpful to begin by setting aside one interpretation of Aquinas’s position. Aquinas places a discussion of God’s simplicity at the start of his treatment of the nature of God in the Summa theologiae,14 and he begins that discussion with a short prologue. In the prologue, he says: 13

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This apparent diversity is clearly expressed by Aquinas in such passages as these (Sancti Thomae Aquinitatis, SCG I c.80) (wie Anm. 2): Deus de necessitate velit suum esse et suam bonitatem, nec possit contrarium velle. (“God necessarily wills his own being and his own goodness, and he cannot will the contrary”); Sancti Thomae Aquinitatis, SCG I c.88 (wie Anm. 2): […] respectu sui habeat voluntatem tantum, respectu autem aliorum electionem. Electio autem semper per liberum arbitrium fit. Deo igitur liberum arbitrium competit. (“in respect of himself God has only volition, but in respect of other things he has selection (electio). Selection, however, is always accomplished by means of free choice. Therefore, free choice is suited to God”). Ebd.: Nam liberum arbitrium dicitur respectu eorum quae non necessitate quis vult, sed proprie sponte […]. (“free choice is spoken of in respect of things one wills not necessarily but of one’s own accord”). Notice that even though God’s existence and attributes are conceived of here as being willed by God, they are expressly excluded from among the objects of God’s free choice. This diversity is discussed further later in this paper. Sancti Thomae Aquinitatis, ST (wie Anm. 2), I q.3: Cognito de aliquo an sit, inquirendum restat quomodo sit, ut sciatur de eo quid sit. Sed quia de Deo scire non possumus quid sit, sed quid non sit, non possumus considerare de Deo quomodo sit, sed potius quomodo non

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“When we know with regard to something that it is, we still need to ask about its mode of being (quomodo sit), in order to know with regard to it what it is (quid sit). But because we are not able to know with regard to God what he is, but [rather] what he is not, we cannot consider with regard to God what the mode of being is but rather what the mode of being is not … it can be shown with regard to God what the mode of being is not by removing from him those things not appropriate to him, such as composition and motion and other things of this sort.” This passage and others like it have sometimes been cited as evidence for an interpretation of Aquinas as committed to the via negativa in a radical way. So, for example, Leo Elders says: “The comprehension of God’s essence is altogether excluded. This conclusion is presupposed in the Prologue to the Third Question. Even if we say that God is perfect, good or eternal, we must realize that we do not know what these terms mean when predicated of God.”15 Claims such as this can give the impression that, for Aquinas, because of God’s simplicity, it is not possible for human beings to have any positive knowledge of God. On this interpretation of Aquinas’s views, Aquinas maintains that because God is simple, human beings can know what God is not, but they cannot know anything of what God is.16 But caution is warranted here. It is true that Aquinas explains divine simplicity in terms of what God is not – not a body, not composed of matter and form, and so on. On the other hand, however, in the course of showing what God is not, Aquinas relies heavily on positive claims about God. So, for example, he argues that God is not a body on the basis of these claims among others: God is the first mover; God is pure actuality; God is the first being; God is the most noble of beings. In arguing that God is not composed of matter and form, Aquinas in fact makes a huge, substantial, positive metaphysical claim about the nature of God. He says: “a form which is not able to be received in matter but is subsistent by itself (per se subsistens) is individuated in virtue of the fact that it cannot be received in something else. And God is a form of this sort.”17

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sit. […] Potest autem ostendi de Deo quomodo non sit, removendo ab eo ea quae ei non convenient, utpote compositionem, motum, et alia hujusmodi. E. L. Elders, The Philosophical Theology of St. Thomas Aquinas, Leiden 1990, 143. For discussion of this position in the secondary literature, see the chapter on simplicity in Stump, Aquinas (wie Anm. 5) 92–130. Sancti Thomae Aquinitatis, ST (wie Anm. 2) I, q.3, a.2 ad 3.: Sed illa forma quae non est receptibilis in materia, sed est per se subsistens, ex hoc ipso individuatur, quod non potest recipi in alio: et hujusmodi forma est Deus.

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In Summa theologiae I q.13, the question about the names of God, Aquinas explicitly repudiates the sort of agnosticism some scholars attribute to him. Aquinas himself associates such a position with Moses Maimonides and attacks it vigorously. In still other texts, Aquinas bluntly rejects the view that human beings can have no positive knowledge of God. In Quaestiones disputatae de potentia q.7 a.5, for example, he says: “[…] the understanding of a negation is always based on some affirmation. And this is clear from the fact that every negation is proved by an affirmation. For this reason, unless the human intellect knew something affirmatively about God, it would be unable to deny anything of God.”18 For all these reasons, it is a mistake to read the prologue to Summa theologiae I q.3 as implying a radical agnosticism with regard to knowledge of God. In my view, the problem in interpreting Aquinas’s remarks in the prologue has to do with the expression ‘quid est’ in the claim that we do not know of God what he is (quid est).19 The expression ‘quid est’ is a technical term of medieval logic. For example, Peter of Spain, the author of a standard scholastic logic text, gives the traditional medieval formula for a genus as “that which is predicated of many things differing in species in respect of what they are (in eo quod quid)”20. This phrase (‘in eo quod quid est’) in a slightly different definition captures the notion of species as well. The quid est of something therefore has to do with the genus or species of that thing, or more generally, with the kind of thing it is. So if one cannot know something’s quid est, one cannot know what kind of thing it is. It is helpful to see in this connection that one can know a great deal about something even if one does not know (or cannot know) what kind of thing it is. According to quantum physics, we do not know what kind of thing light is. The best we can do is sometimes to think of light as a wave and sometimes to think of it as a particle, although we recognize that ‘wave’ and ‘particle’ are not synonymous terms and we certainly understand that nothing can be at the same time both a wave and a particle. So we do not know the quid est of light, and our modes of speaking about light are irredu-

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Sancti Thomae Aquinitatis, QDP (wie Anm. 2) q.7, a.5: intellectus negationis semper fundatur in aliqua affirmatione: quod ex hoc patet quia omnis negativa per affirmativam probatur; unde nisi intellectus humanus aliquid de Deo affirmative cognosceret, nihil de Deo posset negare. See, in this connection, particularly Sancti Thomae Aquinitatis, SCG (wie Anm. 2) I c.14. Peter of Spain, Tractatus (wie Anm. 7) 17: Et sic diffinitur: genus est quod predicatur de pluribus differentibus specie in eo quod quid. (19): Species est que predicatur de pluribus differentibus numero in eo quod quid est.

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cibly imprecise. Even so, however, we have a great deal of positive knowledge about light. So it is not accurate to take Aquinas as embracing a radical agnosticism about God’s nature. However we are to understand his version of the doctrine of divine simplicity, it does not imply that we cannot know anything positive about God. With this worry over agnosticism put to one side, we can now turn again to the doctrine of simplicity.

IV. Esse and id quod est On the doctrine of simplicity, God is his own essence or quid est, and his essence is being or esse. It seems to follow from these claims that God just is identical to esse. If God is the ultimate foundation of all reality and God is esse, then Aquinas’s position seems at least similar to Aristotle’s, at least insofar as it privileges being as foundational in metaphysics. Furthermore, in his commentary on Boethius’s treatise De hebdomadibus, Aquinas makes a careful distinction between esse and an entity or id quod est.21 Among the many differences between esse and id quod est that Aquinas introduces, he calls attention to the fact that ‘id quod est’ signifies something concrete whereas ‘esse’ does not.22 He also highlights the fact that id quod est is particular 23 whereas esse is not. In these and other ways, Aquinas argues for the metaphysical difference between esse and id quod est. Since, on the doctrine of simplicity, God is esse, and esse is distinct from id quod est in these ways, some scholars conclude that for Aquinas God is not a concrete particular; in fact, God is not an entity at all.24 It is an advantage of this interpretation of Aquinas’s view of divine simplicity that it helps to explain the three basic claims of the doctrine of simplicity formulated above. Nothing which is not an id quod est has temporal or spatial parts. And nothing which is not an id quod est has intrinsic accidents either. For example, “redness” is not an id quod est, and it has no intrinsic accidents. It is the wrong “sort” of thing, we might say, to have intrinsic accidents. If we think of intrinsic accidents as belonging somewhere in the

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In this connection, cf. also Sancti Thomae Aquinitatis, ENTE (wie Anm. 2) c.3. Cf. also John Wippel: Being. The Oxford Handbook of Aquinas, ed. B. Davies/E. Stump, Oxford 2011, 77–84. Sancti Thomae Aquinitatis, In De hebd. (wie Anm. 2) II 22. Ebd., II 24. Vgl. z. B. Elders, Philosophical Theology (wie Anm. 15) 22; “For St. Thomas God is never “an object”, for God is far above our understanding.”

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nine Aristotelian categories other than substance, then it is easy to see why nothing that is not an id quod est should be thought to have intrinsic accidents. “Redness” does not have a certain size or quantity, for example; it does not engage in action or receive the action of anything else – and so on. Redness is what it is – redness – and nothing else at all. In addition, with regard to something that is not an id quod est, even existence cannot be attributed to it. Because “redness” is not an id quod est, then it might be true that there is redness; but its being redness would be all there is to it. For Aquinas, who is not tempted to Platonism in this connection, redness is not the kind of thing that can exist. Consequently, we cannot separate redness into itself and its existence. The same point holds as regards esse. There is no distinction between esse and the existence of esse. If there were, esse would become something concrete and particular, an id quod est rather than only esse. So the supposition that God is only esse helps to make sense of the three claims of simplicity presented at the outset. Nonetheless, this supposition is misleading at best and at worst certainly false if not nuanced carefully. One problem is that, on this supposition, the concept of God as only esse seems religiously pernicious. Alvin Plantinga puts the problem in terms of God’s being a property, but his objections remain the same if we transpose his ‘property’ into ‘esse’. Plantinga says: “This view [that God is identical to esse alone] is subject to a difficulty both obvious and overwhelming. No property could have created the world; no property could be omniscient, or, indeed, know anything at all.”25 On Aquinas’s own views of the difference between esse and id quod est, Plantinga’s conclusions are right. As Aquinas himself explains, nothing that is not an id quod est can exercise any causal efficacy or enter into any causal relations, whether in creating or in knowing. Consequently, if the doctrine of simplicity implies that God is esse alone, then it seems that many of the standard divine attributes discussed and accepted by Aquinas cannot be applied to God. Those attributes apply only to something that is an id quod est. Moreover, many of the biblical stories about God’s interactions with human persons, which Aquinas himself takes seriously and literally,26 cannot be understood as Aquinas understands them if God is only esse and not id quod est. So, here is where matters stand. As Aquinas himself is at pains to show in his commentary on Boethius’s De hebdomadibus, there is all the difference

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A. Plantinga, Does God Have a Nature?, Milwaukee 1980, 47. As he does, for example, with regard to God’s interactions with Job; see his prologue to his Expositio super Job.

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in the world between something which is esse and something which is an id quod est. If the doctrine of simplicity is correctly understood as some defenders of the doctrine, and also some detractors of it, suppose, to mean that God is only esse, then it is hard to know how to ward off the dramatic infelicities Plantinga laments, and Aquinas appears caught in large, obvious self-contradictions.

V. Quantum metaphysics It is worth noticing, however, that on this interpretation of Aquinas’s view of divine simplicity, as found in some defenders and detractors of the doctrine of simplicity, we do in fact know the quid est of God. That is because, on this interpretation, we know that God is esse; and we know something about the nature of esse, as Aquinas’s own discussion of it in his commentary on Boethius’s De hebdomadibus shows, where he gives a detailed characterization of esse. So, if the doctrine of simplicity has to be interpreted as claiming that God is only esse and nothing more, then, on Aquinas’s own views, we would actually know a reasonable amount about the quid est of God. But, as is clear from Aquinas’s prologue to the question on simplicity in Summa theologiae, Aquinas is insistent that we are unable to know the quid est of God because of God’s simplicity. And so the implication of the view that God is esse alone, namely, that we do know a reasonable amount about the quid est of God, should be a warning sign about this interpretation. In my view, the problem with this interpretation is not that it identifies God with esse. The problem is that it rejects the notion of God as id quod est. This rejection looks sensible, especially given Aquinas’s care to distinguish esse from id quod est; but, in fact, it is not true to Aquinas’s position, as can be seen from the very commentary on Boethius in which Aquinas exercises so much care to distinguish esse from id quod est. In his commentary on Boethius’s De hebdomadibus, Aquinas begins his discussion of esse and id quod est by saying: “We signify one thing by ‘esse’ and another thing by ‘id quod est’, just as we signify one thing by ‘running’ (‘currere’) and another thing by ‘a runner’ (‘currens’). For ‘running’ and ‘esse’ signify in the abstract, just as ‘whiteness’ also does; but ‘id quod est’, that is, ‘an entity’, and ‘a runner’, signify in the concrete, just as ‘a white thing’ also does.”27 27

Sancti Thomae Aquinitatis, In De hebd. (wie Anm. 2) II 22: Aliud autem significamus per hoc quod dicimus esse et aliud per id quod dicimus id quod est, sicut et aliud significamus cum dicimus currere et aliud per hoc quod dicitur currens. Nam currere et esse significatur

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And Aquinas concludes that discussion this way: “it is evident on the basis of what has been presented that […] in composite things esse and id quod est differ as regards the things themselves (realiter) 28…. And so [Boethius] says that in every composite thing, esse is one thing, and the composite thing itself [the thing as an id quod est] is another.”29 But, having worked so hard to distinguish between esse and id quod est in this way, Aquinas then goes on immediately to say something that is on the face of it quite surprising. He says: “In simple things, [however,] esse itself and id quod est must be one and the same as regards the things themselves (realiter).”30 And, after giving an argument that there cannot be more than one thing which is both esse and also id quod est, Aquinas sums up his position by saying: “This one sublime simple is God himself.”31 On Aquinas’s view, then, the distinction he has been arguing for between esse and id quod est does not hold in God’s case. It is right to say that God is esse, as the doctrine of simplicity makes clear. But this esse is also – somehow – an id quod est. We could suppose that in making this claim about God Aquinas is willing to violate the laws of logic as regards God, since he himself has just shown that the characteristics of esse and those of id quod est are incompatible. But this would be a rash conclusion, since in many other places Aquinas manifestly supposes that even God cannot do what is logically contradictory.32 But if we remember Aquinas’s insistence that we cannot know the quid est for God, then another interpretation suggests itself. Another way to think

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in abstracto sicut et albedo; sed quod est, id est ens et currens, significatur in concreto velut album. The qualifier ‘realiter’ is needed here because in the preceding discussion Aquinas has examined the distinction between esse and id quod est considered just as concepts. Once that conceptual distinction has been established, he moves next to show that the conceptual distinction is exemplified by all composite things, but that it does not apply to the one thing which is entirely simple, namely, God. Sancti Thomae Aquinitatis, In De hebd. (wie Anm. 2) II 32: sicut esse et quod est differunt secundum intentiones, ita in compositis differunt realiter. Quod quidem manifestum est ex praemissis. […] et ideo dicit quod in omni composito aliud est esse et aliud ipsum compositum quod est participando ipsum esse. Ebd., II 33: in simplicibus in quibus necesse est quod ipsum esse et id quod est sit unum et idem realiter. Vgl. also, Sancti Thomae Aquinitatis, SCG (wie Anm. 2) I c.38. Sancti Thomae Aquinitatis, In De hebd. (wie Anm. 2) II 35. For an excellent discussion of Aquinas’s theory of modality and its connection to God’s nature, see T. Pawl, Thomistic Account of Truthmakers for Modal Truths, Saint Louis University Dissertation 2008.

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about the doctrine of simplicity as Aquinas understands it is as the expression of a kind of quantum metaphysics. What kind of thing is it which has to be understood both as a wave and as a particle? We do not know. That is, we do not know the quid est of light. At the ultimate foundation of all reality, things get weird, we might say. The ultimate foundation of physical reality includes light; and quantum physics, which is our best attempt at understanding the kind of thing light is, requires alternately attributing to light incompatible characteristics. Analogously, we can ask: What kind of thing is it which can be both esse and id quod est? We do not know. The idea of simplicity is that at the ultimate metaphysical foundation of reality is something that has to be understood as esse – but also as id quod est. We do not know what kind of thing this is either. And this conclusion is precisely what we should expect from Aquinas’s insistence that we do not know the quid est of God. Nonetheless, on Aquinas’s view, we can have considerable positive knowledge about God, even so, just as we can have a significant body of knowledge about light on quantum physics. We can begin by recognizing that God’s nature is such that there is something false about conceiving of it either as esse alone or as id quod est alone. That is why Aquinas says of God: “With regard to what God himself is (secundum rem), God himself is neither universal nor particular.”33 For this reason, we have to exercise care in the way we frame our claims about God. It is acceptable to say that God is esse, provided that we understand that this claim does not rule out the claim that God is id quod est, an entity, a concrete particular. Aquinas puts the point this way: “Those [material] creatures that are whole and subsistent are composite. But the form in them is not some complete subsisting thing. Rather, the form is that by means of which some thing is. For this reason, all the names imposed by us to signify some complete subsisting thing signify in the concrete, as is appropriate for composite things. But those names that are imposed to signify simple forms signify something not as subsisting but rather as that by means of which something is, as for example ‘whiteness’ signifies that by means of which something is white. Therefore because God is both simple and subsistent, we attribute to God both abstract names – to signify God’s simplicity – and concrete names – to signify God’s wholeness and subsistence. Nonetheless, each kind of name

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Sancti Thomae Aquinitatis, ST (wie Anm. 2) I q.13 a.9 ad 2. Deus, secundum rem, non sit nec universalis nec particularis.

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falls short of God’s mode [of being], just as our intellect does not know God as he is, in this life.”34 We can gain insight into Aquinas’s position here by considering that there are Scriptural texts claiming that God is loving and Scriptural texts claiming that God is love.35 It seems, however, that these claims cannot be true together. If they were, it would have to be true that love is loving. But love is abstract and universal. And, as Plantinga’s lines call to our attention, an abstract universal is not the sort of thing that can be loving. It isn’t a person, and only persons can be loving.36 So it seems just a category mistake to attribute loving to love. On Aquinas’s understanding of the doctrine of simplicity, however, we can make sense of both these Scriptural claims. Because God is simple and we do not comprehend his quid est, the best we can do is to adopt quantum metaphysics. Sometimes we have to characterize God with abstract terms – and so we say that God is love – and sometimes we have to characterize God with concrete terms – and so we say that God is loving. Consequently, it turns out that, in one sense, Plantinga is after all in agreement with Aquinas. Each of them thinks that God must be characterized as an id quod est, a concrete entity. The difference between them lies precisely in the quantum metaphysics mandated by the doctrine of simplicity. For Aquinas, it is right to describe God as an id quod est, capable of creating, loving, and acting – but only with the proviso that it is also right to describe God as esse.

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Sancti Thomae Aquinitatis, ST (wie Anm. 2) I q.13 a.1 ad 2: Et quia in hujusmodi creaturis, ea quae sunt perfecta et subsistentia, sunt composita; forma autem in eis non est aliquid completum subsistens, sed magis quo aliquid est: inde est quod omnia nomina a nobis imposita ad significandum aliquid completum subsistens significant in concretione, prout competit compositis; quae autem imponuntur ad significandas formas simplices, significant aliquid non ut subsistens sed ut quo aliquid est: sicut albedo significat ut quo aliquid est album. – Quia igitur Deus et simplex est, et subsistens est, attribuimus ei et nomina abstracta, ad significandam simplicitatem ejus; et nomina concreta, ad significandam subsistentiam et perfectionem ipsius: quamvis utraque nomina deficient a modo ipsius, sicut intellectus noster non cognoscit eum ut est, secundum hanc vitam. Vgl. also Sancti Thomae Aquinitatis, SCG I c.30. For an example of the first, see 1 Joh 4, 10; and for an example of the second, see 1 Joh 4, 8. In this context, I am using ‘person’ in a contemporary sense, not the medieval sense in which it is true that there are three persons in the Trinity. On medieval theology, there is one mind and one will in God; and, therefore, God counts as a person, in our contemporary sense of ‘person’.

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VI. Simplicity, contingency, and divine free will On the doctrine of eternity, God is outside time.37 Some scholars have taken that doctrine to imply that God cannot act, since (on their view) all action presupposes temporal duration or temporal location. Or they have supposed the doctrine implies that God’s mode of existence is that of a frozen point, as it were, without duration of any kind, since (on their view) all duration is persistence through time. In effect, such interpretations of the doctrine of eternity take the doctrine to imply a metaphysical smallness about an eternal God by comparison with temporal creatures. But, on Aquinas’s view, this is to get the doctrine backwards, as it were. The mode of existence of an eternal God is greater than that of temporal entities. God is able to act at any and every point in time, and his mode of existence is broad enough to encompass all of time within it.38 Just as all of a two-dimensional world can be here from the point of view of a person inhabiting a three-dimensional world, so all of time is present from the point of view of an eternal God inhabiting the now of eternity. For Aquinas, the doctrine of eternity implies not a metaphysical smallness in God but rather a metaphysical greatness in God, whose mode of duration encompasses the whole world of time in which temporal creatures live. There is an analogous conceptual move to be made as regards the doctrine of simplicity. On the doctrine of simplicity, God is subsistent esse. Some scholars have interpreted the doctrine to imply that God is identical only to esse,39 giving rise to the complaint voiced by Plantinga that a simple God cannot act as persons do, or to the equally worrisome objection that everything about God is absolutely necessary, since there are no accidents in God. In effect, such an interpretation of the doctrine of simplicity takes it to imply that God is metaphysically more limited than concrete things such as composite human beings, who can act and who can do otherwise than they do. But this is to get the doctrine of simplicity backwards. The doctrine of simplicity implies that at the ultimate metaphysical foundation of all reality there is the esse that is God. But it also implies that this esse, without losing any of its character as esse, is also somehow an id quod est: subsistent and concrete, with more ability to act and with more freedom in its acts than any concrete composite entity has.

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For defense of this claim, see the chapter on eternity in Stump, Aquinas (wie Anm. 5) 131– 158. For explanation and defense of these claims, see the chapter on eternity in Stump, Aquinas (wie Anm. 5) 131–158. That is, not to common esse but to the esse that is God.

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On this way of understanding divine simplicity, when the esse that is God acts, its action is not an accident in it. This is not because esse is an inert universal like redness that is the same in all possible worlds. Rather, because this esse is subsistent, because it is also an id quod est, it is more active than anything composite is, and it has more power to do otherwise than any composite entity does. It is not that Aquinas fails to see that there is an incompatibility between esse and id quod est, or that he supposes the laws of logic do not hold in God’s case. Rather, on his interpretation of the doctrine of simplicity, it is not strictly speaking correct to assert just that God is esse or just that God is an id quod est. In fact, God’s true nature is unknown to us, at least in this life. Human reason can see that human reason cannot comprehend the quid est of God. But what human reason can comprehend is that, whatever God’s nature really is, it is such that those things true of esse and those things true of an id quod est should both be affirmed of it, even if differently, and in different contexts. Since it is right to say that God is esse, even if his real nature is not correctly and precisely specified as identical to esse, then it is also right to say that God has no accidents. Nothing characterizable as esse can have accidents, any more than redness can have accidents. Redness is redness and not redness plus accidents. Redness is only its own nature. The same point applies to God, as the doctrine of simplicity affirms. But one very big metaphysical difference between redness and God lies in the difference between the nature of redness and the nature of the subsistent esse that God is. Redness is not the kind of thing that exists, since it is not a particular. But the esse that is God is not a universal like redness. Rather, this esse is such that it is also right to say that it is an id quod est. As such, it is right to say that it is a particular, an entity, and that it does exist. Since it nonetheless remains right to say of it that it is esse, it is right to say that there is nothing to it except its nature as esse. Even its existence, then, is its esse. Similar things have to be said about God’s acts. Nothing that is only an abstract universal could act. But because it is also right to say that God is an id quod est, it is right to hold that God has the power to act and does act. Nonetheless, when God acts, it is also right to say that what acts is esse; and so God’s acting remains within his nature as esse. That is, the acts engaged in by the esse that is also an id quod est are not added on to esse as something additional to esse. In acting, the esse that is God remains esse; it does not become esse plus the property of acting. Our mode of speaking is therefore inaccurate as regards God, but we can nonetheless see how to frame a quantum metaphysics, just as we can

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work out the mathematics of a quantum physics, even if our mode of speaking about light is analogously imprecise. On the doctrine of simplicity, then, the esse that is the ultimate foundation of reality has the power to do more than created, composite things can do but without its ceasing to be esse. In the power and the richness that is the subsistent esse which God is, God can do otherwise than he does without ceasing thereby to be esse. Creation is a free and not a necessitated act on God’s part.40 Consequently, on Aquinas’s interpretation of divine simplicity, not all God’s acts are necessitated; as contemporary philosophers would put this point, God is not the same in all possible worlds. On the contrary, on Aquinas’s interpretation of divine simplicity, it is in fact right to say that there is contingency in God, in our sense of the term ‘contingency’. But if so, then there is no problem about God’s having alternative possibilities open to him. It is true that God is not changeable across time. At each and every time, God is one and the same. But since even on the doctrine of simplicity, God can do other than he does, this is sufficient for the claim that God has free will, that God has the power to choose among alternative possibilities. Furthermore, for the same reasons, it is also the case that a simple God is responsive to things in time. A simple God cannot do anything after something happens in time, but a simple God has the power to act because of something that happens in time. That is because, if something in time had been otherwise, a simple God might have acted otherwise than he did. To say this is clearly not to say that God decides what to do after something happens in time or that God can change in time or that there is any potency in God. To say this is only to claim that God has the power to do otherwise than he does, as Aquinas himself argues.41 As long as a simple God does at least some of what he does because of what happens in time, God is responsive to things in time. But it is still not the case that there are accidents in God or a radical diversity within God. For composite things, contingency (in our sense of the term) comes with composition of subject and accident; but not for God. To ascribe contingency, free will, and action to God is to affirm God as an id quod est, a subsistent particular, who has causal power of a sort provided by his nature, as other particulars also do. The subsistent esse that is God has more power to act than a composite thing does, not less. But because

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For a discussion of this point and the relevant Thomistic texts, see the chapter on simplicity in Stump, Aquinas (wie Anm. 5) 92–130. For a more detailed discussion of this point, see the chapter on simplicity in Stump, Aquinas (wie Anm. 5) 92–130.

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the doctrine of simplicity requires simultaneously affirming that God is esse, it remains the case that what acts with free will is esse; and there are no accidents in esse or any other radical diversity within it either. Finally, just as it is true that redness is one single indivisible unity, not divisible into subject and accident or even into entity and existence, so it is right to say the same things about the esse that is God. Esse is one single indivisible unity. But because this esse is also an id quod est, it is right to distinguish in God those things which are subject to his control, such as his creating, and those that are not, such as his divine nature. This conclusion does not deny that God is esse, however, on the quantum metaphysics mandated by the doctrine of simplicity. On the doctrine of simplicity, it is right to say that God is an id quod est without its thereby being necessary to deny that God is esse. That these apparently contradictory claims all have to be affirmed shows that there is a deficiency in our mode of speaking, because, of course, strictly speaking these claims cannot all be true. Furthermore, the laws of logic still apply to God, and not just anything can be correctly affirmed of God. But the problem is that we do not know how to formulate the claims about God in an accurate mode of speaking. If we could do so, then we would know the true nature of God. We would know the quid est of God. But this is precisely what we do not know. So although, on Aquinas’s view, we can have considerable positive knowledge of God, the modes of speaking about God retain their inaccuracy in anything having to do with the quiddity of God. What is it, at the ultimate foundation of all reality, which is neither an abstract universal nor a concrete particular, but which is such that it has to be affirmed sometimes as esse and sometimes as an id quod est? Because we cannot give the answer to this question, the best we can do is a sort of quantum metaphysics, analogous to quantum physics, where we are in the same position as regards light. We do not understand the quid est of light either, but we have a large and well-developed physics anyway, which gives us a powerful connection to physical reality, even if its modus dicendi is deficient. For Aquinas, the same is true as regards the metaphysics of being and the philosophical theology of God’s nature. And so, in lines that sum up well the idea of God as esse that is also id quod est, Aquinas says: “although God is esse only [and not something composite, as material creatures are], … nonetheless God has all the perfections which are in all the genera [of created things] … . And this is because all these perfections come together in him in accordance with his simple esse. By way of analogy, if someone could bring about the functioning of all qualities

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by means of one quality, he would have [in effect] all the qualities in that one quality. In just this way, God has all the perfections in his esse.”42

VII. Conclusion The difficulty of thinking one’s way up the ladder of being can leave one with the impression that the immutable, impassible, eternal, simple God of Thomistic philosophical theology is frozen, static, inert, unresponsive, totally necessitated, and incapable of action. But Aquinas’s notion of God is exactly the opposite. If it were not so subject to misinterpretation, one might well say that for Aquinas God is maximally dynamic, and not static at all. On Aquinas’s views, there is more ability to act – one might say, more action – and more responsiveness on the part of a God with the classical divine attributes than there could be on the part of a composite entity acting in time.43 That is why Aquinas can say that in the esse that is God there are all the perfections of all the genera of created things – including responsiveness and action, which are perfections of any id quod est with mind and will.44 To try to explain the doctrine of simplicity in this way is not to provide an argument for the truth or even the compatibility of its claims. It is just to try to contribute to insight into this most challenging part of Thomistic philosophical theology. If, contra Aquinas, we could grasp the quid est of something that is both esse and id quod est, we might understand exactly how to explain what kind of thing can be described in all these ways and what arguments might demonstrate such a description of a simple God. But, as it is, on Aquinas’s views, we do not comprehend God’s quid est. It is

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Sancti Thomae Aquinitatis, ENTE (wie Anm. 2) c.5: quamvis sit esse tantum, habet omnes perfectiones que sunt in omnibus generibus. Et hoc est quia omnes ille perfectiones conveniunt sibi secundum esse suum simplex; sicut si aliquis per unam qualitatem posset efficere operationes omnium qualitatum, in illa una qualitate omnes qualitates haberet, ita Deus in ipso esse suo omnes perfectiones habet. God’s actuality or act of being is an important implication of the doctrine of divine simplicity, but a detailed exploration of this issue has to be left to one side in this brief paper. In this connection, it is hard to resist calling attention to the case of light again. When Newton first discovered that white light contained within it all the richness of the other colors of light, there was considerable opposition to his finding. The opposition supposed that the simplicity of white light excluded the other colors, whose richness was thought to be somehow tarnishing of the pure whiteness of white light. Goethe, who was among the opposition, summed up this sort of attitude by saying that white light is “the simplest most undivided most homogenous being that we know.” I am indebted to Andrew Pinsent for the point and the historical information.

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easy to imagine how difficult it would be for a two-dimensional creature to comprehend three-dimensional beings. But the metaphysical distance between God and creatures is very much greater than this. And so we are limited to the kind of quantum metaphysics sketched here. On this quantum metaphysics, a great deal of positive knowledge about God is possible, but the modes of speaking retain an irreducible inaccuracy as regards God’s quiddity. At the ultimate foundation of all reality, for Aquinas, there is, then, something very different from the transcendental being which is the Aristotelian metaphysical ultimate. It is being, too, but being that is somehow also an entity, with the ability to create, to know, and to love.45

Literatur Quellen Peter of Spain (Petrus Hispanus Portugalensis), Tractatus. Afterwards Called Summule logicales, ed. L. M. de Rijk, Assen 1972. Sancti Thomae Aquinitatis: Summa theologiae, ed. Leonina IV–XII, Rom 1888–1906. Sancti Thomae Aquinitatis: In quattuor Libros Sententiarum, Stuttgart 1980. Sancti Thomae Aquinitatis: Summa contra gentiles, ed. Leonina XXXIII, Rom 1918. Sancti Thomae Aquinitatis: Quaestiones disputatae de potentia, Turin 1965. Sancti Thomae Aquinitatis: Quaestiones disputatae de veritate, ed. Leonina, XXII, Vol. III, Rom 1973. Sancti Thomae Aquinitatis: De ente et essentia, ed. Leonina, XLIII, Rom 1976. Sancti Thomae Aquinitatis: Expositio libri Boetii De ebdomadibus, ed. Leonina L, Rom–Paris, 1992.

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I owe a debt of gratitude to Theodore Vitali, C. P., whose relentless questioning of my previous presentation of the doctrine of simplicity led me to want to examine the topic again. And I have learned a great deal from the seminar presentations on divine simplicity given by John Foley, S. J. His seminar presentations led me to rethink the doctrine in the way I have outlined it here. I am also grateful to him for trenchant criticisms of more than one earlier draft, which caused me to rework some central parts of this paper. Finally, I am grateful as well to David Burrell, Brian Davies, Tim Pawl, and Andrew Pinsent for helpful comments on an earlier draft.

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Sonstige Literatur Elders, L.: The Philosophical Theology of St. Thomas Aquinas, Leiden 1990. Garrigou-Lagrange, R.: The One God, St. Louis–London 1943. Kretzmann, N./Stump, E.: “Absolute Simplicity”, Faith and Philosophy 2, 1985, 353–382. Pawl, T.: A Thomistic Account of Truthmakers for Modal Truths, Saint Louis 2008. Plantinga, A.: Does God Have a Nature? Milwaukee 1980. Stump, E: Aquinas, London–New York 2003. Wippel, J.: Being. The Oxford Handbook of Aquinas, ed. B. Davies/E. Stump, Oxford 2011, 77–84.

Duns Scot et la refondation de la métaphysique* Olivier Boulnois Dans la Métaphysique du Shifa, Avicenne soutenait que le sujet de la métaphysique était l’étant en tant qu’étant. Il donnait à son analyse une dimension noétique, en affirmant que l’étant est l’objet premier de notre intellect. Albert le Grand, Thomas d’Aquin et Duns Scot, qui lisent Aristote à travers Avicenne, ne contestent pas ces deux points. Le problème est plutôt de savoir où se situe Dieu dans ce schéma. Soit l’on fait de Dieu le principe du sujet de la métaphysique, mais cela oblige à situer Dieu au-delà de l’étant et de notre intellect. Soit l’on inclut Dieu à l’intérieur de l’étant, mais alors, ne risque-t-on pas de sacrifier la transcendance de Dieu? Henri de Gand part d’un idéal de science a priori, qui permet de déduire par la cause l’ensemble des thèses métaphysiques; il interprète l’analogie de l’être comme une analogie au sein du concept d’être; enfin, il croit pouvoir construire une démonstration a priori de l’existence de Dieu. Cette voie, qui inclut Dieu a l’intérieur de l’étant, saisi en un concept, fut celle que Duns Scot choisit. De nombreux travaux ont analysé ses thèses1. Mais la récente édition critique des Quaestiones super libros Metaphysicorum ébranle bien des certitudes acquises. En effet, dans ce commentaire par questions sur la Métaphysique.2 Duns Scot s’efforce d’unifier des développements provenant d’œuvres logiques ou théologiques, et de les harmoniser de manière à construire un système philosophique et théologique cohérent. Le projet de Scot est tout simplement de fonder la métaphysique comme science au sein du système général des sciences. Comparé au caractère complexe et aporétique des développements d’Aristote, cette entreprise est une véritable refondation.

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2

Une première version de cet article a eté publicé dans O. Boulnois, Métaphysiques rebelles, Paris 2013. Par exemple, L. Honnefelder, Ens inquantum ens, Münster 1979; ders.: Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus – Suarez – Wolff – Kant – Pierce), Hamburg 1990; O. Boulnois, Etre et Représentation, Une généalogie de la métaphysique moderne à l’époque de Duns Scot, Paris 1999. Quelques fragments de son commentaire littéral de la Métaphysique viennent d’être retrouvés par G. Pini, mais ils sont encore inédits.

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Duns Scot caractérise d’abord la métaphysique comme une « science transcendantale » (scientia transcendens). S’appuyant sur le prologue du commentaire de Thomas (qui suit le fil conducteur de Gundissalinus), Duns Scot reprend le même point de départ: la métaphysique porte sur le souverainement connaissable. Mais parmi les trois dimensions ouvertes par Thomas, Duns Scot n’en retient que deux. « Les connaissables au plus haut point, sont appelés connaissables en deux sens: [a] ou bien parce qu’ils sont connus en premier lieu, et que sans eux les autres ne peuvent être connus; [b] ou bien parce qu’ils sont les connaissables les plus certains »3. – Concernant la première dimension [a], Scot retient, à la suite d’Henri de Gand, l’orientation

3

Die Werke Johannes Duns Scotus’ werden in folgender Weise angegeben: Duns Scotus: Quaestio de cognitione Dei, ed. by C. R. S. Harris, Duns Scotus, vol. 2, Oxford 1927 [= Q. c. d.]; Ioannis Duns Scoti: Ordinatio prologus (Opera omnia Bd. 1), edited by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1950 [= Ord. prol.]; Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d. 3 (Opera omnia Bd. 3), ed. by. C. Balić et alii, Città del Vaticano 1954 [= Ord. I.3]; Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d. 4–10 (Opera omnia Bd. 4), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1956 [= Ord. I.4–10]; Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d. 26–48 (Opera omnia Bd. 6), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1963 [= Ord. I.26–48]; Ioannis Duns Scoti: Lectura I, prologus, d. 1–7 (Opera Omnia Bd. 16), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1960 [= Lect. prol. I.1–7]; Ioannis Duns Scoti: Lectura I, d. 8–45 (Opera Omnia Bd. 16), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano, 1966 [= Lect. I.8–45]. Ioannis Duns Scoti: Collatio 24, ed. by K. Balic. Bogoslovni Vestnik 9 (1929), 212–219 [= Col.]; Ioannis Duns Scoti: Reportata Parisiensia III, ed. Wadding-Vivès, Vol. XXIII, Paris 1894 [= Rep. III]; Ioannis Duns Scoti: In Categorias (Opera Philosophica Bd. I, [Quaestiones in Librorum Porphyrii Isagoge et Quaestiones super Praedicamenta Aristotelis]), ed. R. Andrews et alii, St. Bonaventure (NY) 1999 [= Cat.]; Ioannis Duns Scoti: Quaestiones in Librorum Porphyrii Isagoge et Quaestiones super Praedicamenta Aristotelis (Opera Philosophica Bd. I), ed. R. Andrews et alii, St. Bonaventure (NY) 1999 [= Praed.]; Ioannis Duns Scoti: Quaestiones Super Librum Elenchorum Aristotelis (Opera philosophica Bd. II), ed. by R. Andrews et alii, St. Bonaventure, NY 2004 [= sup. Elench.]; Ioannis Duns Scoti: Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis I–V (Opera Philosophica Bd. III), ed. R. Andrews et alii, St. Bonaventure (NY) 1997 [= In Met. I–V]; Ioannis Duns Scoti: Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis, VI–IX, edited by G. Etzkorn et alii (Opera Philosophica Bd. IV), St. Bonaventure, NY 1997 [= In Met. VI– IX]; Ioannis Duns Scoti: Quaestiones super secundum et tertium De anima, ed. by C. Bazán et alii (Opera philosophica Bd. V.), St. Bonaventure, NY 2006 [= De an.]; Ioannis Duns Scoti: Cuestiones Cuodlibetales. In Obras del Doctor Sutil, Juan Duns Escoto, ed. Felix Alluntis, Madrid 1963 [= Q. q.];

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primordiale de la métaphysique vers les conditions de possibilité les plus communes: le souverainement connaissable est également le plus commun (communissimum), comme l’étant en tant qu’étant et ce qui en découle: « de ce que les réalités les plus communes sont pensées en premier – ainsi que l’a montré Avicenne –, il en résulte que les autres réalités, plus spéciales, ne peuvent être connues sans que ces choses communes soient connues d’abord »4. Ainsi, Duns Scot privilégie l’interprétation avicennienne de la métaphysique, en surimpression de la lecture ontologique qu’en donnait Aristote dans la Métaphysique IV. Ce qui est le plus commun ne peut pas être connu dans les sciences particulières, au contraire, il est la condition de cellesci: « Il est donc nécessaire qu’il existe une science universelle qui considère par elle-même ces transcendantaux (transcendentia). Et cette science, nous l’appelons ‹ métaphysique ›, de ‹ meta › qui signifie ‹ trans ›, et de ‹ ycos ›, ‹ science ›, c’est-à-dire ‘science transcendantale’, puisqu’elle porte sur les transcendantaux. »5 La structure de la science justifie son étymologie (fantaisiste): « métaphysique » est un équivalent de « science transcendantale », qui désigne clairement à la fois la science des réalités les plus communes et celle des réalités connues d’abord – autrement dit, la condition de possibilité universelle des savoirs particuliers. Duns Scot n’oublie pourtant pas la seconde branche de l’alternative [b]. Le développement reste pourtant très succinct. La métaphysique porte aussi sur les objets les plus certains: « les connaissables les plus certains sont les principes et les causes, et ils sont d’autant plus certains par eux-mêmes qu’ils sont antérieurs. En effet, toute la certitude des choses postérieures en dépend. Or cette science considère les principes et les causes de cette sorte, comme le prouve le Philosophe, au livre I, chapitre 2, parce qu’elle est une sagesse »6. Il y a donc, dans la première rédaction de ses Questions sur la Métaphysique, une ambivalence non résorbée entre deux sujets et deux dimensions de la métaphysique: la considération des transcendantaux, et l’enquête sur les premières causes7.

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John Duns Scotus: The Examined Report of the Paris Lecture, Reportatio I–A, Latin Text and Engl. Translation, by A. B. Wolter, O. Bychkov, St Bonaventure (NY) 2004 [= Rep. I–A]. Die angegebene Stelle findet sich in In Met. I–V, Prologus, § 16, 8. Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) Prologus, § 17, 8, en référence à Avicenna: Liber de philosophia prima sive scientia divina, I, 5, ed. S. Van Riet, Louvain−Leyde, 1977, 31, et Met. Γ 1.1003 a 21 f. Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) Prologus, § 18, 9. Ebd., § 21, 10; vgl. Met. A 2.982 a 5–10. J. A. Aertsen n’a donc pas tort de dire que le prologue des Questions sur la Métaphysique de Duns Scotus garde un « caractère traditionnel »: J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, From Philip the Chancelor (ca. 1225) to Francisco Suarez, Leiden–Boston 2012, 375. Mais on ne peut nier que dès cette époque, Duns Scotus met tout son effort sur l’analyse de la possibilité d’une science transcendantale. Et l’addition postérie-

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Mais l’édition critique de Duns Scot témoigne d’une addition postérieure, qui prouve que Duns Scot n’était pas satisfait de sa première rédaction, touchant l’universalité de la science transcendantale. « Cette preuve n’apparaît pas efficace, puisque l’être se dit prioritairement de la substance, d’après le livre IV de cet [ouvrage]. Et il en va de même de l’un, s’il est un transcendantal; et s’il relève seulement du genre de la quantité […] il n’est pas dit à égalité de toutes choses. »8 Pour que la science des transcendantaux puisse être la première, il faudrait qu’elle s’applique indifféremment à toutes les différences, à commencer par la différence entre la substance et les autres catégories. Il faudrait ainsi que l’être et l’un se disent à égalité de toutes choses, et non par priorité de la substance (pour l’être) ou de la quantité (pour l’un). Or une telle égalité de prédication ne peut être acquise que si l’on admet l’univocité des transcendantaux, et d’abord l’univocité de l’être. Cette addition marginale nous donne accès à l’atelier du penseur: Duns Scot, se relisant, a pleine conscience de l’idée que la dimension transcendantale de la métaphysique ne sera pleinement conquise qu’avec la démonstration de l’univocité de l’être. Il doit donc affronter la question aristotélicienne de l’équivocité de l’être, qui semblait rendre impossible une science univoque. Pour analyser ce travail, j’étudierai d’abord sa théorie de la science (I), puis son élaboration de l’aporie aristotélicienne en trois solutions successives (II, III et IV), et enfin les ambiguïtés qu’il lègue à la postérité (V).

I. La dimension critique Dans ses premières Questions sur la Métaphysique, Duns Scot pose la question de la possibilité de la science. Qu’est-ce qui l’a conduit à cette question? – Rien de moins que la question de la possibilité de la métaphysique. Pour répondre à la question: « à quelles conditions de possibilité la métaphysique est-elle possible? », Duns Scot doit d’abord demander: « à quelles conditions de possibilité une science est-elle possible? » Cette question, il la pose dans ses Questions sur la Métaphysique I, q.4: « La science est-elle engendrée par l’expérience? » Provient-elle de l’expérience des sens, ou de principes in-

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ure que nous allons étudier ne fait que renforcer cette orientation, l’ensemble de ses travaux tendant à reconquérir la connaissance de la cause première à partir de celle des transcendantaux. Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) Prologus § 19, 9. Ou encore, dans la relation entre Dieu et la créature, il faudrait que les transcendantaux soient prédiqués également de Dieu et de la créature. Mais cet aspect théologique ne joue un rôle décisif que dans les commentaires des Sentences.

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nés ou a priori? – Si la métaphysique est originairement la connaissance de l’étant, de la substance et de Dieu, il faut parvenir à déterminer l’essence de cette science. Or s’enquérir de l’essence de la métaphysique, c’est déterminer de l’intérieur sa possibilité, et la distinguer de ce qui lui est impossible: réaliser une critique. Pour Duns Scot, la critique fait partie intégrante de la détermination de l’essence de la métaphysique. Duns Scot affronte deux thèses opposées: 1. D’une part, une lecture strictement empiriste d’Aristote, pour laquelle toute connaissance provient de l’expérience sensible. 2. De l’autre, la théorie platonicienne de la science, et sa reprise par Augustin, pour lesquelles toute science a une origine transcendante et intelligible. 1. La position empiriste est impossible. L’expérience ne nous montre qu’une pluralité limitée d’événements singuliers; or la science supposer une régularité universelle. Il ne serait donc pas légitime d’extrapoler à partir de ces cas singuliers pour conclure à une loi universelle. Ce type de déduction commet la faute de logique appelée fallacia consequentis: il y a plus dans les conséquences que dans les prémisses. 2. L’origine transcendante de la science a ses lettres de noblesses. L’esclave du Ménon a su trouver en lui-même la réponse aux interrogations qu’on lui faisait. Augustin, avec la doctrine de l’illumination, pensait trouver la « vérité authentique » (veritas sincera) dans une connaissance permanente, intelligible et universelle, qui ne venait pas du sensible et du muable. Et Henri de Gand a fait de la sinceritas veritatis la clé de sa doctrine de l’illumination. – Mais dans son analyse, Duns Scot souligne qu’il faut distinguer entre la nécessité objective d’une science et l’accès subjectif et pédagogique à cette science. L’aide que peut donner un maître dans l’enseignement est comparable à celle du médecin: c’est principalement la nature qui guérit le malade, le médecin n’est qu’un instrument extérieur; de même, c’est principalement la science qui instruit l’élève, l’enseignement n’est qu’une aide extérieure. Lorsque « la lumière naturelle de l’intellect est assez puissante pour déduire les conclusions à partir des principes »9, cette science est acquise par une découverte. Mais lorsqu’on a besoin d’un maître, celui-ci (comme le disait déjà Augustin dans le De Magistro), ne fait que fournir des signes sensibles extérieurs: l’élève conçoit les termes et tire de lui-même les conclusions. Finalement, tout savoir doit être un savoir par soi-même. Pour construire une science, il faut enchaîner trois opérations de l’intellect: l’appréhension des termes simples, la composition de propositions articulées, 9

Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) I, q.4, § 11, 98.

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et enfin l’argumentation déductive10. Or la connaissance des termes simples a pour condition sine qua non leur sensation dans le singulier 11. On ne peut pas concevoir le rouge si on n’a pas déjà vu ou moins une fois la couleur rouge. Pour Scot, comme pour Aristote, le concept d’expérience ne désigne évidemment pas ce que nous appellerions une connaissance expérimentale (construite et reproductible); il indique des perceptions fréquentes accumulées dans la mémoire. Par conséquent, la science des termes n’exige même pas une expérience, mais elle requiert au minimum une sensation12. L’abstraction de l’universel ne vient pas d’un processus expérimental de surimpression des sensations; une seule perception suffit pour abstraire. À l’aide de cette connaissance des termes simples, nous pouvons élaborer la science des principes: ceux-ci nous apparaissent avec évidence dès que nous en connaissons les termes13. Ainsi le principe « le tout est plus grand que la partie » nous apparaît comme évident dès lors que nous savons ce qu’est un tout et ce qu’est une partie. Objectivement, une fois donnée la connaissance des termes, la science se construit par son évidence formelle. Pourtant, Duns Scot indique que l’on peut en avoir une connaissance par les effets (quia), à partir d’une expérience: nous vérifions ainsi que les termes du principe se rencontrent fréquemment dans les objets sensibles. Par exemple, je peux percevoir fréquemment par les sens que tel tout singulier coïncide avec ce qui est plus grand 14. Dans l’expérience, il y a donc une confirmation subjective de la cohérence objective de la science, mais celle-ci n’en dépend pas. La certitude des connexions intelligibles est plus forte que celle de l’expérience: « Même là où le sens perçoit la conjonction des termes singuliers dans la réalité, on adhère encore plus certainement à un principe complexe par la lumière naturelle de l’intellect qu’en raison d’une appréhension du sens »15. Il est possible de raisonner juste avec des figures fausses, ou de produire des propositions correctes alors qu’on est victime d’une illusion des sens16. Je peux voir une tour comme ronde alors qu’elle est carrée, mais je ne me tromperai pas sur la définition du cercle. La science a donc une structure axiomatico-déductive. En droit, elle parvient à ses conclusions sans recourir à l’expérience, sauf pour l’appréhension des termes simples dont elle se sert. « C’est pourquoi ceux qui ont acquis

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Ebd., § 12, 99; vgl. De an. III 6.430 a 27-b 6, résumé dans J. Hamesse (Ed.), Auctoritates Aristotelis, Louvain–Paris 1975, 187. Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) I, q.4, § 13, 99; vgl. Anal. post. I 18.81 a 37–39. Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) I, q.4, § 16, 100: frequens acceptio sensibilium. Ebd., § 14, 100; vgl. Anal. post. I 3.72 b 23–25. Ebd., § 14, 100: hanc totalitatem et hanc maioritatem coniungi. Ebd., § 17, 101. Ebd., § 18, 101.

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l’expérience d’une conclusion par les effets (quia est), semblent se rapporter à elle comme ceux qui s’étonnent (admirantes), ignorant encore la cause de ce qu’ils connaissent comme vrai par les effets, et à partir de là, ils commencent à philosopher et à rechercher la cause »17. La science n’est pas la dialectique. En dialectique, lorsqu’une proposition est confirmée par plusieurs expériences et qu’on ne peut pas présenter d’objection, on admet cette thèse. La dialectique se satisfait d’une approche empiriste, humienne, de la science. Mais elle n’est pas vraiment la science. Pour qu’il y ait science, il faut une connaissance universelle, qui permette de déduire nécessairement les conclusions à partir de principes. L’expérience est seulement l’« occasion » de la science, et les propositions expérimentales sont du domaine du probable18. Scot rejette ainsi avec vigueur tout empirisme: « toutes les conclusions qui nous sont naturellement connnaissables par une démonstration pourraient être connues, même si tous les sens se trompaient »19. Un aveugle-né peut former des propositions parfaitement scientifiques sur les couleurs, même s’il ne les perçoit pas20. On ne peut pas pour autant admettre l’hypothèse d’une source transcendante de la science. On ne peut recourir à la réminiscence, car celle-ci croit retrouver la science au fond de notre mémoire; or il importe que celui qui connaît ait conscience de ce qu’il connaît. Augustin lui-même a montré contre Platon qu’il ne suffit pas d’interroger un jeune homme pour qu’il retrouve la science, il faut l’interroger avec ordre. Cela signifie fondamentialement qu’on lui fait apercevoir l’évidence objective de l’enchaînement des propositions21. Duns Scot peut alors énumérer quatre degrés d’accès à la science: 1. L’homme dépourvu d’expérience et de démonstration n’a qu’une croyance: il croit que telle proposition est vraie. 2. L’homme d’expérience, mais sans démonstration, a un savoir certain, mais contingent. Il voit un effet, et il est certain que la nature agit de manière régulière. Il peut bien affirmer que le soleil se lèvera demain, mais c’est une connaissance intuitive du contingent, ce n’est pas une science. 3. L’homme qui a la science du principe, mais n’en tire pas les conclusions, a seulement une science virtuelle.

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Ebd., § 20, 101. Ebd., §§ 22–23, 102–103. Ebd., § 45, 109: « il en découle que toutes les conclusions qui sont naturellement connaissables par nous par une démonstration pourraient être connues, même si tous les sens se trompaient. » Ebd., § 46, 109–110. Ebd., § 37, 107; vgl. Augustinus, De Trinitate XII, 15, 24.

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4. L’homme qui atteint la démonstration applique le principe aux conclusions: il a la vraie science, la science « par la cause » (propter quid)22. Ainsi, la structure de la science est celle d’une déduction propter quid: elle part de certains principes et arrive à des conclusions de manière déductive et a priori. Tandis que l’expérience ne nous donne que l’étonnement, et le désir de rechercher la cause à partir de ses effets (quia). – Nous arrivons ainsi à la définition de la science selon Duns Scot, dans le prologue des Reportata Parisiensia et celui de l’Ordinatio. La science est 1. la connaissance « certaine », 2. d’une vérité nécessaire, 3. ayant pour nature de tirer son évidence d’une autre vérité nécessaire, 4. par un discours syllogistique 23. 1. Elle est certaine, ce qui exclut l’illusion, l’opinion et le doute. 2. Elle porte sur un objet nécessaire, car si la science, faite de propositions nécessaires, portait sur une vérité contingente, son objet pourrait changer et elle deviendrait fausse. 3. Elle est déductive, et ne se réduit pas à une intelligence des principes. 4. Elle passe d’une proposition à une autre au moyen d’un discours syllogistique; ce n’est pas une vision intuitive des relations intelligibles entre les vérités. Autrement dit, ce n’est pas la science que Dieu possède; elle est le propre d’un sujet fini de connaissance. Nous pouvons donc répondre au problème des conditions de possibilités de la science. Celle-ci commence avec l’expérience, ou plus exactement avec la sensation. Mais elle a sa valeur objective indépendamment de l’expérience, qui n’en est que l’occasion. Certes, nous avons besoin de penser les termes premiers de la science, mais on peut produire ces termes premiers à partir d’une expérience sensible fausse, ou même sans expérience sensible. On peut donc dire que, pour Scot (comme plus tard pour Kant), la science commence avec l’expérience, mais qu’elle n’en dérive pas.

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Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) I, q.4, § 79, 118. Duns Scotus: Rep. I–A (wie Anm. 3) Prologus q.1, §§ 9–13: Prima condicio, scilicet quod scientia sit cognitio certa, excludens omnem deceptionem, opinionem et dubitationem, convenit omni virtuti intellectuali. [... 2.] Secunda condicio, scilicet quod sit veri necessarii, sequitur ex prima. Quia si scientia esset veri contingentis, posset sibi subesse falsum propter mutationem obiecti. [... 3.] Tertia condicio, [quod natum est habere evidentiam ex necessario prius evidente], est propria, distinguens scientiam ab intellectu principiorum, quia iste est veri habentis evidentiam ex terminis. [… 4.] Quarta condicio scilicet quod notitia evidentiae posterioris sit causata a priore per discursum syllogisticum, est imperfectionis, nec est de per se ratione scientiae secundum se sed tantum scientiae imperfectae.

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II. La première solution scotiste: l’analogie vers la substance Le lecteur qui s’efforce de comprendre l’ensemble de la pensée de Duns Scot rencontre une série très complexe d’affirmations. – D’une part, concernant le sujet de cette science, nous trouvons des textes où Duns Scot soutient que l’étant est le sujet premier de la métaphysique. Mais nous avons aussi des textes où il admet, conformément à la tradition, que c’est Dieu ou la substance. – D’autre part, touchant sa structure, nous avons des textes où Duns Scot soutient, conformément à la tradition, que l’être est équivoque. Mais nous en rencontrons d’autres, où il affirme, de manière absolument inouïe dans l’histoire de la métaphysique, que l’être est univoque. Cela forme un puzzle assez complexe, que je vais essayer de schématiser ici, en partant de l’hypothèse que, pour fonder la métaphysique comme science, Duns Scot doit affronter l’aporie fondatrice de la métaphysique d’Aristote. L’avantage de cette complexité est qu’elle nous permet de voir la genèse de la pensée de Scot, et la manière dont il dépasse progressivement l’interprétation d’Aristote. La position aristotélicienne sur la métaphysique peut être exprimée en trois propositions incompatibles: 1. La « science recherchée » porte sur l’être. 2. Il n’y a de science que d’un genre-sujet. 3. L’être se dit en plusieurs sens: il n’est pas un genre. La seule manière de dépasser l’aporie aristotélicienne consiste à remodeler chacune des trois propositions. Dans ses commentaires de l’Organon d’Aristote, et dans la première version de son commentaire de la Métaphysique, Duns Scot a réélaboré chacune d’elles. Afin d’atteindre sa nouvelle définition de la métaphysique, il a fallu que Duns Scot fasse évoluer le concept de sujet d’une science, en même temps que sa structure24. 24

Certains travaux récents (notamment ceux de D. Demange, S. Dumont, T. Noone, G. Pini, R. Wood) suggèrent que plusieurs passages des Questions sur la Métaphysique seraient plus tardifs que les œuvres théologiques. Malheureusement, l’édition des Questions sur la Métaphysique ne propose ni stemma ni datation des couches rédactionnelles. C’est pourquoi je parle ici de deux couches postérieures l’une à l’autre, et considérées de manière immanente. Je décris ici une généalogie conceptuelle, et non une évolution chronologique. Mais, selon une communication récente de K. Emery, qui travaille à l’édition critique des Reportata Parisiensia, il faut distinguer aussi diverses étapes rédactionnelles du Commentaire des Sentences. D’abord le commentaire d’Oxford, puis celui qui fut donné à Paris de 1302 à 1305; ce dernier fit l’objet d’une Reportatio, laquelle fut ensuite complétée par des éléments venus de l’enseignement d’Oxford pour former une nouvelle synthèse destinée à être publiée dans ce que nous appelons l’Ordinatio. Cela signifie qu’on ne peut plus considérer tous les passages communs avec les Reportata parisiensia comme des interpolations

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1. L’unité du sujet de la métaphysique La proposition 3 avait déjà été remodelée par l’histoire de la métaphysique occidentale, depuis le néoplatonisme25. Elle consistait à surdéterminer philosophiquement la remarque d’Aristote, en Métaphysique Γ, 2: l’être se dit en plusieurs sens, mais par référence à un terme premier, la substance. Cette référence (attributio) était pensée comme une analogie, c’est-à-dire une provenance et une participation au terme premier, la substance, ou à Dieu. La position la mieux connue de Scot était celle d’Henri de Gand, qui soutenait à la fois, comme Avicenne, que le premier concept que nous avons dans l’intellect est celui d’étant, et comme Thomas d’Aquin, que l’étant créé se disait par analogie de l’étant incréé; il rendait ces deux thèses compatibles en affirmant que le concept d’étant créé, obtenu par abstraction à partir de notre expérience, était privativement indéterminé, tandis que le concept de d’étant incréé, obtenu par négation de toutes les imperfections, était négativement indéterminé; pourtant, dans notre esprit, à la suite d’une erreur d’accommodation, l’un se confondait avec l’autre. Henri appelait cela un « concept commun analogue ». Au départ, Duns Scot ne semble pas avoir contesté les deux thèses fondamentales sur lesquelles s’appuie cette interprétation. Il a d’abord soutenu, en bonne tradition aristotélicienne, que l’étant est équivoque aux dix catégories, auxquelles correspondent dix concepts. Mais cela n’empêche pas qu’il y ait en même temps une relation réelle d’attribution entre les réalités qu’ils signifient. – Sur ce point, Scot se conforme à une longue tradition: Albert le Grand et Henri de Gand ont déjà soutenu que l’étant était équivoque selon le logicien, et analogue selon le métaphysicien26. Scot admet donc la thèse, déjà défendue par Albert le Grand, que l’ens est équivoque logiquement, tout en étant analogue réellement 27. L’étant est analogue pour ce qui concerne la

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(ainsi que l’ont fait les éditeurs). Ainsi, il est vraisemblable que la première couche rédactionnelle des Questions sur la métaphysique est contemporaine de l’enseignement d’Oxford, et la seconde, contemporaine ou postérieure à l’enseignement de Paris. Vgl. J.-F. Courtine, Inventio analogiae, Paris 2005. Albertus Magnus, De praedicabilibus. Opera Omnia I, Ed. Borgnet, Paris 1890, 70 b: Tamen quia in talibus respectus est ad unum quod est simpliciter ens, ideo non simpliciter est aequivocum. Quare non omnium ad unum respicientium est idem modus et ratio respiciendi; unum enim est ut mensura, alterum ut dispositio. Ideo quoad hoc est aequivocum. Et ideo totum simul analogum, hoc est commune secundum proportionem vocatur, quod medium est inter univocum et aequivocum; vgl. Henricus a Gandavo, Quodlibetum XI, q.11; Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) IV, q.1, § 70, 315 f. Voir A. de Libera, Les sources gréco-arabes de la théorie médiévale de l’analogie de l’être, Les Études philosophiques 3–4, 1989, 319–345. Duns Scotus, Praed. (wie Anm. 3) q.4, § 38, 285: Intelligendum tamen quod vox, quae apud logicum simpliciter aequivoca est, quia scilicet aeque primo importat multa, apud

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relation des autres catégories à la substance, parce qu’elle suppose une dépendance réelle, tandis que la signification logique est simplement équivoque: aucun sens de l’être n’a de priorité logique sur les autres. Dans ce sens, on pourrait admettre que l’unité du sujet de la métaphysique est une unité d’analogie: il suffit qu’il y ait une unité d’analogie entre tous les termes qui sont attribués à ce sujet, c’est-à-dire que tous ces termes aient une attribution à un terme premier. 2. La structure de la science Mais pour que la métaphysique soit une science, il faut remplir des conditions drastiques. Connaître, c’est connaître par la cause28. La science devrait donc se déployer a priori, Avicenne l’a rappelé, suivi par Henri de Gand. Mais pouvons-nous avoir une connaissance a priori de Dieu ou de la substance? Dans le sujet simple d’une science sont contenus tous les principes et toutes les conclusions que l’on peut établir sur ce sujet 29. Dans ce cas, chacune des vérités de cette science appartient au même genre30. Il faudrait donc, pour être science par la cause, que la métaphysique puisse déduire les autres propriétés à partir de son sujet. Or cette prétention se heurte à un phénomène décrit par Aristote: l’équivocité de l’être, qui se dit en plusieurs sens. Duns Scot en conclut l’impossibilité d’avoir une science unique de l’être: il semble qu’il y ait autant de sciences qu’il y a de genres-sujets. Or les catégories sont les réalités ultimes; au-delà d’elles, il n’y a rien. Une voie vers la solution consiste à dire que lorsqu’un sujet est analogue, les propriétés démontrées ne se déduisent pas du sujet, mais se rapportent à lui comme au terme premier auquel tous les autres sont attribués31. Scot abandonne ainsi l’idéal d’une science a priori, ou déductive. La connaissance du sujet de la science ne peut permettre de déduire ses propriétés. Lorsqu’on

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metaphysicum vel naturalem, qui non considerant vocem in significando sed ea quae significantur secundum illud quod sunt, est analoga, propter illud quod ea quae significantur, licet non in quantum significantur; tamen in quantum exsistunt habent ordinem inter se. Ideo ‹ ens › a metaphysico in IV et VII Metaphysicae ponitur analogum ad substantiam et accidens, quia scilicet haec quae significantur, in essendo habent ordinem; sed apud logicum est simpliciter aequivocum, quia in quantum significantur per vocem, aeque primo significantur. Anal. Post. I 2.71 b 9–12. Duns Scotus, In Met. VI–IX (wie Anm. 3) VI, q.1, §§ 39–40, 15 f. Anal. post. I 28.87 a 38 f.; vgl. Duns Scotus, In Met. VI–IX (wie Anm. 3) VI, q.4, § 38, 15 et § 41, 17. Duns Scotus, Cat. (wie Anm. 3) q.4, §§ 48 f., 288 f.

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possède une science par analogie, son sujet ne peut pas servir de majeure dans une démonstration. Ici, il s’agit de la substance, qui, selon Aristote, joue le rôle d’unité focale de référence (attributio). Dans le cas de l’étant, il y a bien un concept univoque, c’est celui d’étant, mais tous les prédicats qui lui sont attribués sont dits par analogie: la science ne peut pas porter sur les divers sens de l’étant selon leur analogie (les catégories postérieures), mais elle porte sur le terme premier, univoque, auxquels les autres sont attribués: la substance. La démonstration ne pourra pas porter sur une propriété universelle du sujet, mais on démontrera les propriétés des analogués, avant de les reporter sur le terme premier auquel tous les objets de la science sont attribués. Quelle structure peut-on alors donner à cette science? Duns Scot estime que son unité est moins forte que l’unité générique. La métaphysique, en raison de la pluralité des sens de l’être (et des genres correspondants) ne contient pas virtuellement toutes les propositions scientifiques comme incluses dans son sujet. En effet, le concept d’étant ne contient en lui-même aucune autre connaissance. On ne peut en déduire ni Dieu, ni la substance. Pourtant, la détermination des divers sens de l’être (du sens propre de chacun des analogués), dépend de la détermination du sens du terme premier auquel tout le reste est attribué: « Quand le sujet est analogue, les démonstrations ne portent pas sur ce sujet pris en lui-même, mais sur le « terme » premier auquel tous les autres sont attribués. Car pour déterminer une multiplicité d’analogués, il suffit de déterminer le « terme » premier auxquels tous les autres sont attribués, comme il est dit au commencement de la Métaphysique VII. Et si on ne peut montrer aucune propriété du sujet de la science quand il est analogue, ce n’est pas inconvénient, du moins tant que ces propriétés sont démontrées du « terme » premier auquel tous les autres sont attribués »32. Faute d’une saisie complète et déductive qui déduirait de la connaissance du terme premier la science de tous les autres objets de cette science, on se limitera à une connaissance plurielle des diverses relations d’attribution des sens de l’être envers la substance. 3. Le sujet de la métaphysique Venons-en maintenant au troisième problème. La première Question sur la Métaphysique porte sur le sujet de cette science: s’agit-il de l’étant, de Dieu ou de la substance? L’ambivalence structurelle de la métaphysique dans ses traditions motive le questionnement sco-

32

Duns Scotus, Praed. (wie Anm. 3) q.4, § 49, 288.

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tiste: « Pour ce qui est de l’objet de cette science, il a été montré plus haut que cette science porte sur les transcendantaux. Il a aussi été montré qu’elle porte sur les causes les plus hautes. […] C’est pourquoi on se demandera en premier lieu si le sujet propre de la métaphysique est l’étant en tant qu’étant (comme le soutient Avicenne), ou bien Dieu et les Intelligences (comme le soutient le Commentateur Averroès) »33. La première réponse examinée par Scot est celle d’Averroès, qui estime que ce sujet est constitué par « les substances séparées, c’est-à-dire Dieu et les intelligences »34. La seconde est celle d’Avicenne: « le premier sujet de cette science est l’étant en tant qu’étant »35. Il est facile à Duns Scot de montrer que les deux objets évoqués par Averroès n’ont pas d’unité entre eux, et laissent de côté le troisième thème de la métaphysique, à savoir l’étant 36. La réfutation d’Avicenne est plus longue et plus difficile, d’autant plus que celuici peut s’appuyer sur la Métaphysique IV (Γ). Le fondement principal de l’avicennisme est la nécessité d’avoir une science qui considère les termes les plus communs, une science universelle, condition de toute connaissance scientifique des réalités particulières37. L’esprit général de la réponse de Scot est qu’en toute science, il faut partir des principes, or l’étant comme tel n’a pas de principe38. Averroès et Avicenne ayant été réfutés, Duns Scot envisage finalement la substance comme sujet premier. Une telle décision était déjà impliquée dans le concept d’analogie d’attribution, puisque la Métaphysique IV (Γ), 2 d’Aristote atténuait déjà l’équivocité des sens de l’être en invoquant la référence à un sens premier: la substance. Scot invoque aussi la priorité de la substance d’après la Métaphysique VII (Z) d’Aristote39. – Par conséquent, la métaphysique démontre, non les propriétés de l’étant, réellement analogue et logiquement équivoque, mais celles de la substance, comme unité focale et objet

33 34 35 36 37 38 39

Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) I, q.1, § 1, 15. Ebd., § 13, 19. Ebd., § 68, 38. Vgl. ebd., §§ 34–35 et 71, 29 et 39. Vgl. ebd., § 70, 39. Vgl. ebd., § 76, 41 et § 84, 43. Vgl. Met. Ζ 1.1028 a 29–34: δη˜λον ου˜̔ ν ὅτι διὰ ταύτην κἀκείνων ἕκαστον ἔστιν. ὥστε τὸ πρώτως ὂν καὶ οὐ τὶ ὂν ἀλλ᾿ ὂν ἁπλω˜ς ἡ οὐσία ἂν εἴη. πολλαχω˜ς μὲν ου˜̓ ν λέγεται τὸ πρω˜τον· ὅμως δὲ πάντως ἡ οὐσία πρω˜τον καὶ λόγῳ και ̀ γνώσει και ̀ χρόνῳ. τω˜ν μὲν γὰρ ἄλλων κατηγορημάτων οὐδὲν χωριστόν, αὕτη δὲ μόνη. « À l’évidence, donc, c’est par cette substance que chacun de ces êtres aussi existe, de sorte que l’être au sens premier et non pas un être quelconque, mais l’être, au sens absolu, serait la substance. Sans aucun doute, premier se dit en plusieurs sens; pourtant, dans tous les sens, la substance est première par l’énoncé, par la connaissance et chronologiquement, car aucun de tous les autres prédicats n’est séparable, seule la substance l’est. »

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d’attribution pour toutes les propositions métaphysiques. Ici, le sujet n’est pas un sujet commun, mais un sujet d’attribution, par référence auquel les autres catégories se disent. Il est l’unité à laquelle on se raccroche, malgré la pluralité des catégories. Résumons tout le travail de déplacement accompli par Duns Scot: à gauche, nous avons la position d’Aristote, à droite, la réélaboration de Duns Scot. Aristote

Duns Scot

1. Toute science est science par les causes, et présuppose l’unité d’un sujet commun.

1. Une science peut connaître une pluralité d’objets, selon leur attribution à un sujet premier. 2. L’étant est équivoque conceptuellement, mais réellement analogue (Albert le Grand). 3. Le sujet de la métaphysique est la substance.

2. L’étant n’est pas un genre.

3. La métaphysique porte sur l’ousia (Γ, 2; Z, 1).

1. Parti de l’idée aristotélicienne qu’une science est a priori et présuppose l’unité de son sujet, Duns Scot invoque la structure d’une science qui démontre les propriétés des divers sens de l’étant, puis les attribue à son sujet. 2. Scot va de l’idée aristotélicienne que l’étant n’est pas un genre, mais est équivoque, à l’idée qu’il est équivoque conceptuellement mais réellement analogue. 3. Il en conclut que la métaphysique porte sur l’étant en tant que substance. Mais celle-ci est le sujet d’attribution des autres propositions que l’on démontre d’elle. On peut appeler cette première figure de la métaphysique une métaphysique de l’être analogue. Pour penser la métaphysique, seul compte ici le problème de la prédication transcatégoriale. La question de la causalité réelle passe à l’arrière-plan.

III. La deuxième solution scotiste: l’univocité de l’étant Dans ses œuvres théologiques, la Lectura, la Reportatio parisiensis, et l’Ordinatio, Duns Scot réélabore en profondeur la question. La distinction entre métaphysique et théologie ne vient pas de la distinction entre leurs deux

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sujets, Dieu et l’étant, mais de leur mode de connaissance. En effet, la théologie porte sur Dieu et sur toutes choses en tant que connaissables à partir de l’essence divine connue dans sa singularité (mais sous le mode de la révélation); la métaphysique porte sur toutes choses connaissables naturellement, à partir de notions universelles.40 Dans la Lectura et l’Ordinatio, Duns Scot n’hésite pas à affirmer que le sujet de la métaphysique est l’étant. Avicenne a bien montré qu’une science ne peut démontrer l’existence de son sujet, mais doit le présupposer 41. Comme l’existence de Dieu est démontrée en métaphysique, celui-ci ne peut être son premier sujet. Si Dieu en était le sujet, il faudrait une science préalable de l’étant, qui démontrerait l’existence d’un étant premier 42. Plus généralement, le sujet est constitué par les transcendantaux, obtenus par abstraction d’un terme commun, l’étant, ou d’autres propriétés coextensives. Mais pour que l’étant soit le sujet de la métaphysique, il faut donner à son sujet une autre unité, et à la science une autre structure. 1. L’unité de l’objet de l’intellect Duns Scot fait dépendre l’une de l’autre deux thèses d’Avicenne: l’étant est le sujet de la métaphysique parce qu’il est aussi l’objet premier de notre pensée, « id quod primo cadit in intellectu ». Pourquoi fonder ainsi la métaphysique sur la noétique? Et que veut dire ici premier? La Lectura et l’Ordinatio distinguent trois types de priorité: le premier objet connu peut l’être selon l’origine, la perfection ou l’adéquation.43 1. Le premier objet selon l’origine est l’espèce sensible, si l’on s’en tient à des connaissances confuses, mais c’est l’étant, si on le considère selon l’ordre des connaissances distinctes: l’étant est le concept le plus simple et le plus universel; la métaphysique est donc la science première dans l’ordre des réalités connues distinctement.44 2. Le premier objet selon l’ordre de perfection est Dieu, si l’on considère la science la plus parfaite que nous puissions avoir. Mais le plus proportion40 41

42 43 44

Duns Scotus, Ord. prol. (wie Anm. 3) § 200, 135. Duns Scotus, Lect. prol. I.1–7 (wie Anm. 3) p.2, q.2, § 97, 34 f.; Ord. prol. (wie Anm. 3) p.3, q.2, §§ 193 f., 129–131; Rep. I-A, prol. (wie Anm. 3) q.3, § 215, 74: Avicenna bene dicit et Averroes valde male. Duns Scotus, In Met. VI–IX (wie Anm. 3) VI, q.4, § 10, 87. L’opposition entre origine et perfection remonte à la Met. Θ 8.1050 a 4–8; la définition de l’objet adéquat provient de la celle de l’universel dans les Anal. post. I 4.73 b 32 f. Duns Scotus, Lect. prol. I.1–7 (wie Anm. 3) d.3, §§ 70–81, 251–256; Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) §§ 71–94, surtout 81, §§ 49–61, surtout 55.

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né à notre connaissance est le sensible. Dieu n’est pas une sorte d’idée innée; il n’est pas le premier objet connu par nous dans l’ordre de notre apprentissage.45 3. L’objet premier par adéquation (ou par précision) est pensé à partir d’un passage où Aristote analyse l’extension égale entre le sujet et le prédicat. Il se prend encore en deux sens. Au premier sens, celui d’une communauté formelle, parce que sa raison est incluse dans tout ce qui peut être l’objet de cette puissance. Au second sens, celui d’une primauté virtuelle, parce que l’objet meut la puissance à l’acte envers tout ce qui est virtuellement contenu en lui. C’est ainsi que l’essence divine est l’objet premier virtuel de la science que Dieu a de toutes choses: en se connaissant, il connaît toutes choses. Or en ces deux sens, l’objet premier de l’intellect fini n’est ni Dieu (thèse attribuée par Scot à Henri de Gand), ni la quiddité de la chose matérielle (thèse attribuée à saint Thomas), ni la substance. Car aucun de ces trois objets n’est contenu dans tous les objets que notre intellect peut considérer. Et aucun d’eux ne meut l’intellect à connaître tout le reste. Selon la Lectura, une alternative s’ouvre: « soit il n’y aura aucun objet premier [adéquat] de notre intellect, soit il faut poser l’univocité de l’étant »46. Il faut que l’étant soit univoque, sans quoi il n’y a pas d’objet premier et adéquat de notre intellect.47 – Pourtant, « il n’est pas dit univoquement et de manière quidditative », de tous les intelligibles.48 Il faut lire ce passage comme un hendiadys: l’étant dit univoquement est l’étant dit in quid; or l’étant n’est pas dit de manière quidditative de toutes choses. Mais selon l’Ordinatio, ce n’est plus une alternative: les deux thèses sont vraies en même temps. Il n’y a tout simplement pas d’objet premier de l’intellect au sens strict et l’étant est univoque. L’univocité est pourtant la condition sine qua non de l’existence d’une certaine unité de l’objet de notre intellect, qui n’est ni l’unité formelle, ni l’unité virtuelle déjà évoquées.49 La nature et 45 46 47 48 49

Duns Scotus, Lect. prol. I.1–7 (wie Anm. 3) d.3, § 85, 257; Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) §§ 94–98, 62 f. Duns Scotus, Lect. prol. I.1–7 (wie Anm. 3) d.3, § 97, 261. Vgl. ebd., § 98, 261: Oportet ponere quod ens sit univocum, quod etiam sit obiectum primum adaequatum intellectui nostro. Ebd., § 99, 261: Dico quod ens non est dictum univoce et in quid de omnibus per se intelligibilibus; même doctrine dans la Collatio 13, § 3. Vgl. Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 129, 80; pour la traduction vgl. Jean Duns Scot: Sur la connaissance de Dieu et l’univocité de l’etant. Introduction, traduction et commentaire, p. O. Boulnois, Paris 1988, 138: Quod si ens ponatur aequivocum creato et increato, substantiae et accidenti, cum omnia ista sint primum obiectum intellecus nostri, nec propter virtualitatem, nec propter communitatem. Sed ponendo illam positionem […] potest aliquo modo salvari aliquod esse primum obiectum intellectus nostri.

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l’extension de l’objet de notre intellect correspondent à la nature et à l’extension de l’univocité, qui dépend à son tour de la structure de la prédication. Autrement dit, la métaphysique de l’univocité dépend de l’unité du concept. Cela permet à Duns Scot d’introduire une analyse précise du concept d’étant. Le concept d’étant est un concept « absolument simple », qui « n’est pas analysable en plusieurs concepts ». En cela, il se distingue d’un concept « simple, mais non absolument simple », lequel correspond à « tout ce qui peut être conçu par l’intellect d’un acte d’intelligence simple, quoique pouvant être analysé en plusieurs concepts concevables séparément »50, par exemple le concept d’étant infini. – Discrètement, Duns Scot renverse une tradition multiséculaire: le concept le plus simple que nous puissions avoir n’est pas celui de Dieu, mais celui d’étant. On peut alors aborder la question de la primauté du concept d’étant. Pour établir ce point, Duns Scot doit d’abord préciser ce qu’il entend par concevoir confusément ou distinctement. Aristote affirmait que « les choses confuses sont connues d’abord »51. Saint Thomas soutenait que nous avons d’abord une connaissance imparfaite et indistincte, sous un mode confus52. Mais, pour Scot, connaître un objet confus n’est pas nécessairement connaître confusément 53. Il existe des réalités confuses, c’est-à-dire qui mêlent de manière indistincte diverses parties. Mais une même réalité peut être conçue confusément, c’est-à-dire simplement visée par une définition nominale, et elle peut être conçue distinctement, lorsqu’on possède la définition qui décrit son essence54. L’étant enveloppe bien une réalité plus ou moins complexe. Mais parce qu’il est absolument simple, « l’étant ne peut être conçu que distinctement ». Il est même le « premier concept distinctement concevable »55. Cela fait de la métaphysique la condition de possibilité de toute science distincte: « il peut être conçu distinctement sans les autres, et non pas les autres sans qu’il soit conçu distinctement »56. – Second renversement: l’étant n’est pas l’objet d’une connaissance confuse et imparfaite, mais d’une connais-

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54 55 56

Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 71, 49, trad. Boulnois (wie Anm. 49) 116. Phys. I 1, 184 a 21–22, cité par Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 83, 57, trad. Boulnois (wie Anm. 49) 121. Thomas d’Aquin, Summa theologiae II, q.85, a.3: sub quadam confusione. Duns Scotus, De an. (wie Anm. 3) q.16, § 27, 154: « Thomas a été trompé […] parce qu’il n’a pas distingué entre connaître quelque chose confusément et distinctement, et connaître quelque chose de confus » (trad. Boulnois); vgl. W. Goris, The Confuse and the Distinct – Towards a Proper Starting Point of Human Knowledge in Thomas Aquinas and Duns Scotus, in: R. L. Friedman/J. M. Counet (Eds.), Soul and Mind, Ancient and Medieval Perspectives on the De anima (à paraître). Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 71, 49, trad. Boulnois (wie Anm. 49) 116. Ebd., § 80, 54 f., trad. Boulnois (wie Anm. 49) 119. Ebd., § 55, trad. Boulnois (wie Anm. 49) 119.

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sance distincte et parfaite, parce qu’elle est simple. Sa connaissance distincte n’est pas atteinte au terme de la science, mais donnée au commencement. Cette priorité conduit à opposer l’ordre transcendantal à l’ordre expérimental, car toute expérience commence par la connaissance de l’espèce la plus spéciale57. La réflexion sur la primauté de l’objet de l’intellect permet de comprendre « en quel sens la métaphysique est première et en quel sens elle ne l’est pas »58. Elle est dernière dans l’ordre de l’apprentissage, car elle est connue après toutes les autres. Mais elle est première dans l’ordre de la distinction, car non seulement elle est la science première dans l’ordre de la connaissance distincte, mais elle est celle qui permet aux autres sciences de devenir distinctes. En effet, les principes des sciences particulières sont admis comme évidents par eux-mêmes à partir de la combinaison des concepts confus de leurs termes. Mais « à partir de la science métaphysique, on a ensuite la possibilité de rechercher distinctement la quiddité de se termes »; et de cette façon, les « principes des sciences spéciales sont connus plus distinctement qu’auparavant »59. Mieux vaut être métaphysicien et géomètre que géomètre. Au lieu de principes admis à partir d’une connaissance confuse, la science particulière aura une connaissance distincte de ses propres principes. Elle pourra même en découvrir de nouveaux. Ainsi, la métaphysique est la condition de possibilité, non certes de tout exercice de la science, mais de toute science distincte, fondée sur des prémisses conçues distinctement. C’est une condition structurelle, en soi, dont nous n’avons pas nécessairement conscience. 2. La structure de la prédication La clé pour penser l’unité de la métaphysique consiste en effet à penser les modes d’articulation de l’étant, c’est-à-dire ses modes de prédication. Duns Scot repart d’une définition stricte de la science, qui provient des Seconds analytiques: le sujet d’une science est celui de la conclusion établie par une démonstration qui lui attribue des propriétés par soi. Il l’assouplit cependant, en soulignant que pour Aristote, il y a deux modes d’inclusion par soi60. L’inclusion per se primo modo, où le sujet est inclus dans le prédicat, s’articule à l’inclusion per se secundo modo, où le prédicat est inclus dans le sujet. L’exemple aristotélicien montre bien que l’inclusion per se secundo 57 58 59 60

Ebd., § 73, 50; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 117. Ebd., § 81, 56; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 121, modifiée. Ebd., trad. Boulnois (wie Anm. 49) 120, modifiée. Anal. Post. I 4.73 a 34-b 3.

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modo convient particulièrement à des propriétés disjonctives par paires, telles que l’ensemble formé par leur conjonction a la même extension que le sujet qu’ils qualifient. Or précisément, Duns Scot utilisera des propriétés disjonctives par paires, comme fini/infini; contingent/nécessaire, pour les appliquer à l’étant et parvenir ainsi à remonter jusqu’à Dieu. L’idée d’articuler les deux modes de prédication pour fonder une science remonte à Aristote lui-même: « Donc, à propos des objets de science au sens absolu, ceux qui sont dits ‹ par soi › de telle sorte qu’ils soient contenus dans les sujets dont ils sont prédiqués, ou que ces sujets les contiennent, sont à la fois du fait d’eux-mêmes et par nécessité »61. Toute science est science de prédicats qui contiennent analytiquement les sujets, ou qui sont contenus virtuellement en eux. Or l’étant n’est pas prédiqué quidditativement de tout ce qui est intelligible par soi, parce qu’il n’est prédiqué ainsi ni des différences ultimes, ni des autres transcendantaux62. En effet, les différences ultimes et les transcendantaux ne tombent pas sous l’étant, ils n’en sont pas des sousensembles. Les différences ultimes sont tout à fait extérieures au concept d’étant auquel elles s’ajoutent pour le déterminer: l’étant se dit quidditativement (per se primo modo) de ses inférieurs (catégories, genres, espèces), mais les autres transcendantaux et les différences ultimes s’en disent qualitativement (per se secundo modo).63 En d’autres termes, la prédication quidditative concerne uniquement le concept d’étant et ce qui lui est inférieur: les catégories (substance), les genres (animal), les espèces (homme). Pourquoi exclure les autres transcendantaux de la prédication essentielle? – Parce qu’ils introduiraient une redondance (nugatio). Les transcendantaux convertibles ne sont pas d’autres ensembles d’essences: chaque étant est vrai et bon, et pourtant le vrai et le bien ne sont pas autre chose que l’étant, mais toujours l’étant pris sous un autre rapport, en tant qu’intelligible ou désirable64. Les transcendantaux disjonctifs ne sont pas non plus autre chose que l’étant, mais des modalités de l’étant: tout étant est nécessaire ou contingent, infini ou fini, mais la nécessité et l’infinité sont des modes de l’étant divin, la contingence et la finité des modes de l’étant créé.65 – Pourquoi exclure les différences ultimes? pour la même raison: si la différence ultime

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Anal. Post. I 4.73 b 16. Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 131, 81; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 138. Sur les « deux orientations principales du savoir », ebd., 47 f. Vgl. Collatio 24 (wie Anm. 3) § 21, 212–219, trad. Boulnois (wie Anm. 49) 303. Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) §§ 134–136, 83–85; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 139– 141. Sur l’explication modale de l’étant, voir Duns Scotus, Ord. I.4–10 (wie Anm. 3) d.8, §§ 100–109; 136–140, 199–203; 221–223, et l’analyse de Honnefelder, Scientia transcendens (wie Anm. 1).

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était inférieure à l’étant, l’objet défini par elle serait deux fois étant, une fois par son genre, qui est un étant, une fois par sa différence, qui serait aussi un inférieur de l’étant. L’homme n’est pas deux fois étant, en tant qu’animal et en tant que rationnel: par son genre (animal), l’homme est un étant, mais la différence (rationnel) est purement qualitative, elle n’a rien de quidditatif.66 Comme le dit un célèbre adage inspiré d’Aristote, souvent cité par Duns Scot, « il ne faut pas multiplier les entités sans nécessité ». C’est bien l’étant qui est le fondement, auquel s’articulent qualitativement les autres transcendantaux et les différences ultimes. Pourtant, malgré cette articulation complexe, ou plutôt grâce à cette articulation complexe entre deux ordres de primauté, on peut encore dire que le premier objet de notre intellect est l’étant, en un sens indirect. Il l’est au sens précis où se rencontre en lui cette articulation; on ne peut pas dire que tous les intelligibles incluent essentiellement le concept d’étant. Mais on peut renverser le sens de l’inclusion, et l’assouplir, pour dire qu’il inclut « essentiellement » une partie des intelligibles, et qu’il est inclus qualitativement dans le reste. L’étant est bien le premier objet adéquat de l’intellect, parce qu’il a une « double primauté, de communauté et de virtualité »: de communauté envers certains objets, de virtualité envers d’autres. « Tout ce qui est intelligible par soi, ou bien inclut essentiellement la raison d’étant, ou bien est contenu virtuellement ou essentiellement dans ce qui inclut essentiellement la raison d’étant. »67 L’étant reste un prédicat univoque, mais il n’est pas prédiqué univoquement de toutes choses. Il a une primauté de communauté envers ses inférieurs qui l’incluent essentiellement, ou quidditativement, et une primauté de virtualité envers les concepts qualitatifs des différences ultimes et des propriétés transcendantales. Les intelligibles qui incluent essentiellement l’étant sont les concept’s universels qui le divisent: genres, espèces, individus et l’étant infini. Les autres sont soit contenus essentiellement dans ce qui inclut l’étant, comme les différences ultimes, soit contenus virtuellement dans l’étant, comme les transcendantaux convertibles. La mention d’une primauté virtuelle de l’étant pose un problème difficile: comment une notion irréductiblement simple peut-elle causer une connaissance des transcendantaux convertibles? – Du moins, cette solution complexe signifie que là où l’étant n’est pas un terme univoque prédiqué quidditativement comme le supérieur de l’inférieur, il est inclus dans l’altérité de la différence et des autres transcendantaux68. La solution est éminemment subtile, mais elle permet de maintenir 66 67 68

Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 131, 81: « son concept est seulement qualitatif, tandis que le genre ultime a seulement un concept quidditatif », trad. Boulnois (wie Anm. 49) 138. Ebd., § 137, 85; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 141, commentaire 51–53. Ebd., trad. Boulnois (wie Anm. 49) 121: « En lui se rencontre une double primauté, de communauté et de virtualité, puisque tout ce qui est intelligible par soi, ou bien inclut

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une unité indirecte et minimale du concept d’étant, en le soumettant aux règles logiques des relations entre sujet et prédicat. La seconde difficulté que doit aborder Duns Scot est le problème de l’articulation entre métaphysique et connaissance de Dieu. Si l’on veut conserver les deux principales affirmations d’Avicenne, l’étant est le sujet de la métaphysique, et celle-ci a pour but la connaissance de Dieu. Mais nous devons renoncer à la définition habituelle de la science: le concept d’étant n’est pas une cause qui nous permet de déduire l’existence de Dieu. Le concept d’étant est le plus simple et le plus indéterminé de tous, il n’inclut en lui-même aucune détermination, et surtout pas la plus parfaite, l’existence de Dieu. La preuve ontologique n’est pas possible. Et la métaphysique ne peut pas être une science a priori. Elle est une science quia, par les effets. 3. L’univocité de l’étant Remarquons que le problème posé dans ces œuvres théologiques est celui de la connaissance de Dieu, c’est-à-dire de la prédication de catégories finies à propos de l’infini. L’analogie ne porte plus, catégorialement, sur les divers sens de l’être par rapport à la substance, mais transcendantalement, sur le rapport entre notre concept d’être référé au créé et le concept d’être référé à l’incréé. Comme Henri de Gand, Duns Scot admet que les transcendantaux sont la voie d’accès à Dieu. Mais contrairement à lui, Duns Scot pense qu’il existe un seul concept d’étant, sous-jacent à la prédication analogique des termes à Dieu. « Dieu n’est pas seulement conçu dans un concept analogue au concept de la créature, c’est-à-dire [un concept] qui soit entièrement autre que celui qui est dit de la créature, mais dans un certain concept univoque à lui et à la créature ». C’est précisément en cela que consiste l’univocité: « J’appelle concept univoque, celui qui est d’une telle unité que celle-ci suffit à ‹ produire › une contradiction, si on l’affirme ou si on le nie du même ‹ terme ›; il suffit aussi à tenir lieu de moyen terme dans un syllogisme, de telle façon que l’on puisse conclure que les extrêmes unis dans un moyen terme doté d’une telle unité sont unis entre eux »69. L’univocité signifie désormais qu’il s’agit d’un concept unique, obtenu par abstraction à partir des créatures, il possède une

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essentiellement la raison d’étant, ou bien est contenu virtuellement ou essentiellement dans ce qui inclut essentiellement la raison d’étant », vgl. Boulnois, « Introduction. La destruction de l’analogie et l’instauration de la métaphysique. » Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 26, 18; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 94–95; vgl. Duns Scotus, Lect. prol. I.1–7 (wie Anm. 3) d.3 § 21, 232; ce critère logique a été élaboré par Simplicius, vgl. aussi Duns Scotus, Sup. elench. (wie Anm. 3) q.15–16, 331–345.

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unité telle qu’il peut servir de moyen terme dans un syllogisme, et qu’il suffit à entraîner une contradiction logique lorsqu’on le nie et qu’on l’affirme en même temps d’un même sujet. La question de l’univocité est donc soumise à la théorie de la démonstration supposée par les Réfutations sophistiques. Une science ne peut être une science que si ses concepts sont univoques; sinon, il se glisse entre eux une tromperie (fallacia). Dans un second temps, l’étant est distingué par des modes propres, en fini et infini. Le grand argument en faveur de l’univocité est alors la certitude, au double sens de discernement objectif (certitudo vient de cernere, discerner) et d’expérience subjective: nous discernons et nous expérimentons que le concept d’étant, dit en lui-même est certain, alors que nous pouvons douter de ses modes, douter de Dieu, par exemple. Le concept d’étant comme tel est donc distinct du concept d’étant divin et d’étant créé70. En même temps, toute connaissance de Dieu suppose que l’on possède un concept commun à Dieu et aux créatures71. Ainsi, l’étant est conçu antérieurement à toute autre notion. Contrairement au concept d’étant tel que le décrivait Henri de Gand, obtenu par surimpression du concept « privativement indéterminé » de l’étant créé et du concept « négativement indéterminé » de Dieu, il est absolument simple. Enfin, il faut démontrer l’univocité. Parmi les cinq arguments développés par Scot, l’un d’entre eux concerne la structure de la démarche métaphysique: « Toute enquête métaphysique à propos de Dieu procède en considérant la raison formelle de quelque chose, en ôtant de cette raison formelle l’imperfection qu’elle a dans les créatures, en réservant cette raison formelle, en lui attribuant totalement la perfection souveraine, et en attribuant cela à Dieu »72. Toute enquête métaphysique a pour but la connaissance de Dieu, mais suppose que l’intellect construise par abstraction un concept identique et univoque, dont il niera le mode imparfait, et auquel il attribuera la perfection la plus haute, en le prédiquant de Dieu. Les trois voies dionysiennes: causalité, négation et éminence, s’intègrent dans un substrat conceptuel affirmatif 73. Duns Scot démontre ainsi qu’une perfection absolue n’est ni propre 70

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Duns Scotus, Lect. prol. I.1–7 (wie Anm. 3) d.3, §§ 21–25, 232 f.: omnis intellectus certus de uno conceptu et dubius de duobus, habet aliquem conceptum de quo certus est, alium ab utroque de quo dubius est, aliter enim de eodem conceptu esset dubius et certus; sed omnis intellectus viatoris habet conceptum certum de ente et bono, dubitando per accidens de bono Dei et de bono creaturae, et de ente Dei et de ente creaturae; igitur ens et bonum secundum se important alium conceptum a conceptu boni et entis in Deo et in creatura; vgl. Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) §§ 26–55; 18–38. Duns Scotus, Lect. prol. I.1–7 (wie Anm. 3) d.3 § 29, 235. Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 39, 26; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 99. Vgl. Boulnois, O. Introduction. La destruction de l’analogie et l’instauration de la métaphysique. Duns Scotus, Sur la connaissance de Dieu (wie Anm. 49) 63–69.

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à la créature, ni propre à Dieu, mais qu’elle est une perfection pure, qui a un concept commun, distinct de la détermination qui le rend propre à Dieu. « On connaît en premier lieu qu’une chose est de cette sorte et en second lieu on l’attribue à Dieu »74. Au lieu d’apercevoir les perfections pures dans la transcendance du principe, comme le néoplatonisme y invitait, on peut déterminer ce qu’est une perfection pure sans l’attribuer à Dieu. L’univocité est devenue la condition de possibilité de la science transcendantale. Il y a un moment ontologique antérieur au moment théologique. Certes, l’univocité des attributs divins n’est pas un scoop. C’est plutôt un retour, par-delà Thomas d’Aquin et Henri de Gand, aux auteurs anciens, ceux du début du XIIIeme siècle, comme Prévotin de Crémone, Pierre de Capoue, Guillaume d’Auxerre et même Alexandre de Halès, qui affirment sans hésitation que les attributs divins, ou des concepts propres comme celui de personne, sont univoques à Dieu et à la créature75. Mais ce qui est nouveau chez Scot, c’est d’identifier cette univocité théologique à une démarche métaphysique. Pour lui, la théologie s’appuie sur la métaphysique: les théologiens partent des concepts communs à Dieu et à la créature, qui sont des « concepts métaphysiques », et ils les attribuent à Dieu, au plus haut degré76. Métaphysique et transcendantal sont devenus synonymes. C’est donc l’univocité des transcendantaux qui détient la clé de la solution. Ces concepts sont étudiés par Scot à partir d’une exigence théologique, la possibilité d’attribuer à Dieu des prédicats77. Le problème le plus aigü, depuis Maïmonide, est d’éviter de porter atteinte à la transcendance et à la simplicité de Dieu en lui attribuant des propriétés qui ne conviennent qu’à la créature. L’analogie servait précisément à éliminer les imperfections de la créature, pour éviter de les transposer en Dieu. Et lorsqu’on remplace l’analogie des attributs divins par leur univocité, comme le fait Scot, cette purification n’est plus possible. Mais pour Scot, il est possible d’affirmer l’univocité de l’étant sans faire de Dieu une réalité finie (générique). Il faut soutenir deux thèses, l’une négative: « rien de ce qui est dit de Dieu n’est dans un genre », en raison de son infinité et de son être nécessaire; l’autre positive: « tout ce qui est dit de Dieu est transcendantal »78.

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Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 38, 25; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 99. Vgl. Boulnois, Etre et représentation (wie Anm. 1) 265–267. Duns Scotus, Lect. prol. I.1–7 (wie Anm. 3) d.3, § 29, 235: conceptus metaphysicales. Duns Scotus, Ord. I.4–10 (wie Anm. 3) d.8, §§ 112–115, 205–207; voir le commentaire A. B. de Wolter, The Transcendentals and their Function in the Metaphysics of Duns Scotus, St Bonaventure (NY) 1946, 4–11. Duns Scotus, Ord. I.4–10 (wie Anm. 3) d.8, § 112, annotation de Duns Scotus, 205; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 241.

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Or cette thèse positive dissimule un renversement remarquable de la problématique: elle pousse Duns Scot dans ses derniers retranchements, l’oblige à une nouvelle définition du transcendantal. Alors que transcendantal (transcendens) signifie originairement « ce qui transcende l’unité d’un genre », Duns Scot remarque: « L’étant est divisé plus tôt en infini et en fini qu’en dix catégories, puisque l’un de ceux-ci, le fini, est commun aux dix genres. Donc tout ce qui convient à l’étant en tant qu’indifférent au fini ou à l’infini, ou en tant que propre à l’étant infini, lui convient […] en tant qu’il est transcendantal et hors de tout genre »79. Le sens ordinaire de transcendantal est trop étroit: un concept commun à tous les genres peut encore s’appliquer au fini. Déjà, les propriétés transcendantales sont ici (en théologie) considérées comme communes à Dieu et à la créature, elles sont donc indifférentes au fini et à l’infini. L’unité du transcendantal est donc extérieure à tout genre parce qu’elle est antérieure à la division entre fini et infini. Mais Scot va encore plus loin en caractérisant le transcendantal: un attribut propre à Dieu est lui-même transcendantal. D’une manière décisive, Duns Scot abandonne la définition traditionnelle du transcendantal comme propriété commune (à toutes choses). C’est ainsi que l’on peut considérer des prédicats théologiques, les attributs propres à Dieu, comme des transcendantaux. Ainsi, pour Scot, la sagesse est un transcendantal; c’est pourtant un attribut qui convient par éminence à Dieu, et qui n’est pas commun à tous les étants. Il va donc falloir redéfinir négativement les transcendantaux: « De même que la raison de [genre] très général n’est pas d’avoir au-dessous de soi plusieurs espèces, mais de ne pas avoir de genre qui vienne par-dessus […] de même un transcendantal quelconque n’a aucun genre sous lequel il soit contenu »80. La véritable définition du transcendantal est négative, elle consiste dans sa souveraineté. Or une telle définition permet justement de maintenir l’ambiguïté onto-théologique du transcendantal 81. Dieu, en raison de sa transcendance, aussi bien que l’étant, en raison de son universalité, ne sont contenus dans aucune catégorie. Les attributs divins sont transcendantaux par éminence, tandis que l’étant est transcendantal en raison de sa communauté. Ce sont pourtant l’un et l’autre des transcendantaux.

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Duns Scotus, Ord. I.4–10 (wie Anm. 3) d.8, § 111, 205; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 241– 242, je souligne. Ebd., § 114, 206; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 242; on retrouve le même jeu logique que celui d’Avicenne, Liber de philosophia prima VIII, 4, 402, l.55–60. Comme le dit J. Aertsen (wie Anm. 7) 386: « La définition négative dissimule des raisons très différentes pour n’être pas déterminé par un genre: la communauté prédicative ou la transcendance ontologique » (i. e. théologique); vgl. aussi O. Boulnois, Quand commence l’ontothéologie? Aristote, Thomas d’Aquin et Duns Scotus, Revue thomiste 95 (1995), 108.

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Pour que les prédicats univoques ne portent pas atteinte à la transcendance de Dieu, il faut qu’ils soient transcendantaux et non génériques. Mais si tous les attributs divins sont transcendantaux, il faut que les propriétés disjonctives soient elles-mêmes des transcendantaux. Cela n’est nullement évident: en quoi des prédicats « spécifiques », appropriés à Dieu, comme l’être nécessaire, la sagesse ou la volonté seraient-ils des transcendantaux? 82 Ils sont spécifiques en ce qu’ils appartiennent à une métaphysique spéciale – celle qui traite de Dieu. Par extension, c’est à la même science de traiter des transcendantaux communs (l’être, l’un, le vrai, etc.), des propriétés disjonctives par paire (être nécessaire ou être possible, infini ou fini), et de « chacun des deux membres de ce qui est disjoint »; la première extension est évidente: une paire de propriétés est convertible avec un transcendantal commun; mais la seconde est subtile: chaque membre d’une paire est particulier, et différencié de l’extérieur par rapport au socle fondamental qu’est l’étant. Pourtant, puisqu’il revient à « la même science » transcendantale de connaître l’étant et Dieu, il faudra que les concepts propres à Dieu soient transcendantaux. Les transcendantaux culminent ainsi dans l’attribution à Dieu: « tous les transcendantaux disent des perfections absolues (perfectiones simpliciter) et conviennent à Dieu au plus haut point. »83 Le concept de perfection absolue est un terme précis dans le vocabulaire de Scot, il désigne les propriétés qui sont telles que les posséder est supérieur au fait de ne pas les posséder. C’est le fond de l’argument de saint Anselme: « tout x qui est absolument meilleur que non-x doit être attribué à Dieu »84. La position de Scot l’entraîne, étrangement, à identifier tous les transcendantaux à des perfections absolues, et à faire fi du membre imparfait dans les transcendantaux disjonctifs par paire. Cela montre, encore une fois, que les transcendantaux disjonctifs ne sont qu’une médiation provisoire entre les transcendantaux communs (comme l’étant) et les propriétés construites par voie d’éminence (et attribuées à Dieu), c’est-à-dire, dans les deux sens du mot, une simple « cheville » pour l’articulation onto-théologique. Ainsi, parti de l’idée que « tout ce qui est dit de Dieu est transcendantal », Duns Scot conclut: « est un transcendantal tout ce qui est dit de Dieu », dans

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Vgl. Duns Scotus, Lect. I.8–45 (wie Anm. 3) d.8, § 108, 37: « Tu diras : si la sagesse convient d’abord à l’étant avant qu’il soit divisé en genres, la sagesse sera transcendantale (transcendens) – ce qui semble faux, puisque c’est un prédicat spécial ». Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 135, 84; trad. Boulnois, 140, je souligne; vgl. Duns Scotus, Ord. I.4–10 (wie Anm. 3) d.8 § 78, 188; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 229: « les attributs sont des perfections absolues dites de Dieu formellement ». Anselmus Cantabrigiensis, Monologion 15, cité par Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 38, 25; trad. Boulnois (wie Anm. 49) 99.

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un cercle que l’historien pourra qualifier, selon son degré de charité, de vicieux ou d’herméneutique. Dans les œuvres théologiques, Duns Scot montre que toute possibilité de connaître Dieu repose d’abord sur l’univocité de l’étant: « Comme on a montré par l’argumentation que Dieu n’est pas connaissable naturellement par nous, à moins que l’étant ne soit univoque au créé et à l’incréé, de même on peut argumenter à propos de la substance et de l’accident »85. C’est la théologie qui exige et établit l’univocité métaphysique, « et non l’inverse ». Elle ne s’applique à l’ontologie de la créature qu’après-coup. Et pourtant elle est si fondamentale que Duns Scot n’hésite pas à dire que, sans l’univocité, c’est la philosophie elle-même qui serait détruite dans son ensemble86. Pour une raison théologique, la connaissance de Dieu, Duns Scot établit une thèse métaphysique, l’univocité de l’étant, qui dépend elle-même d’une thèse épistémologique sur l’unité de l’objet de la métaphysique: celui-ci ne peut être l’étant que si l’on admet une combinaison complexe de prédication quidditative et de prédication qualitative87. Ainsi dans ses œuvres théologiques (Lectura et Ordinatio), Duns Scot a reformulé autrement les trois thèses principales de la métaphysique: 1. L’unité d’une science provient d’une combinaison complexe de prédicats qui incluent formellement leur sujet, et de prédicats qui sont virtuellement inclus dans le sujet. 2. L’unité de l’étant correspond précisément à cette combinaison complexe de prédication quidditative et qualitative. 3. La métaphysique porte sur le concept transcendantal d’étant, qui en est le sujet. Paradoxalement, ce n’est pas dans un traité de métaphysique, mais dans une œuvre théologique, que Duns Scot pose l’univocité de l’être. On peut appeler cette troisième figure de la métaphysique une métaphysique de l’être univoque. La question de la prédication devient si radicale que ce sont des critères logiques qui permettent de définir l’univocité de l’étant (une identité qui résiste à la fallacia), et de comprendre sa structure (la double prédication per se). C’est

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Duns Scotus, Ord. I.3 (wie Anm. 3) § 139, 87. Duns Scotus, Lect. prol. I.1–7 (wie Anm. 3) d.3 § 110, 265; voir mon introduction à Duns Scotus. Sur la connaissance de Dieu (wie Anm. 49) 13–23; comme l’a montré G. Pini, Scotus on Doing Metaphysics in statu isto, Archa Verbi, Subsidia 3 (2011), 29–55, cette extension repose sur l’idée que, sans l’univocité, la connaissance des substances serait impossible. Position semblable dans Duns Scotus, De an. (wie Anm. 3) q.21, §§ 6–7, 208 f.: l’étant est l’objet premier de notre intellect par une double primauté d’adéquation, selon la puissance et selon la prédication.

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à cette condition que l’étant devient le sujet de la métaphysique, et qu’il s’applique à tous ses modes, y compris Dieu, devenu ens infinitum. C’est cette position, diffusée par les nombreuses copies du Commentaire des Sentences, qui a marqué la postérité. Elle est devenue la plus classique et la plus commentée. Mais, en raison de sa portée théologique, elle ne va pas jusqu’au bout de l’orientation ontologique exigée par une science transcendantale.

IV. La troisième solution scotiste: l’attribution du multiple à Dieu Et pourtant, comme l’a montré un article pionnier de D. Demange, appuyé sur une étude minutieuse de la nouvelle édition critique, ainsi que plusieurs travaux récents (Wood, Pini), il semble que Scot n’ait pas été satisfait de sa propre définition de la science. Dans ses Questions sur la Métaphysique, il semble avoir entrepris une révision et avoir ajouté de nouveaux développements.88 1. Une nouvelle structure de la science: l’agrégation Dans ces additions, Duns Scot examine la structure de la métaphysique, et souligne qu’une métaphysique a priori est inaccessible. La métaphysique, qui va de la cause aux effets, est le propre des intelligences séparées, c’est-à-dire des bienheureux et des anges: partant d’une connaissance intuitive de l’essence de Dieu, ils peuvent en déduire les attributs.89 Néanmoins ce n’est pas une connaissance discursive, et donc pas tout à fait une science.90 Duns Scot

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Vgl. D. Demange, Pourquoi Duns Scot a critiqué Avicenne. Antonianum, Giovanni Duns Scotus, Studi e Ricerche nel VII centenario della sua morte, ed. M. Carbajo Nunez, Rome 2008, 235–269; R. Wood, The Subject of the Aristotelian science of Metaphysics, in: R. Pasnau, C. Van Dyke (Eds.), The Cambridge History of Medieval Philosophy, Vol. II, 2010, 609–622. Selon ces auteurs, la révision a été entreprise après la rédaction des œuvres théologiques. Par exemple, un texte des Questions sur la Métaphysique, VI, renvoyant, selon les éditeurs, à la Lectura, a été biffé par Duns Scotus, qui lui préfère manifestement une autre solution (OPh IV, 708). Cependant, il me semble difficile de s’appuyer sur certaines annotations ou ratures postérieures pour affirmer que toutes le sont. Duns Scotus, Q. q. (wie Anm. 3) VII, § 33, 266: Primum principium ad quod attingit metaphysicus, et hoc proprium de Deo, non est sibi notum nisi tantum quia; esset autem notum sibi propter quid, si posset habere conceptum de Deo virtualiter et evidenter includentem veritates ordinatas de Deo. Vgl. Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) I, q.1, § 135, 62: Talem metaphysicam habet Deus, sed non est sibi scientia.

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polémique en effet contre l’interprétation de la métaphysique comme une science par la cause, procédant more geometrico à la déduction des vérités qu’elle contient. Dans les Quaestiones de cognitione Dei, Duns Scot oppose la métaphysique en soi à la métaphysique pour nous.91 La métaphysique en soi supposerait qu’en connaissant parfaitement le concept d’étant, on puisse en déduire par la cause (propter quid) toutes les vérités métaphysiques. Mais pour nous, le concept d’étant est absolument simple: obtenu par abstraction, il ne contient aucune détermination. Pour atteindre les vérités métaphysiques, le vagabond sur terre (viator) est obligé de s’en tenir à ses propres limites: il ne pourra que remonter vers le principe à partir de ses effets (quia). En soi, on pourrait sans doute, à partir du seul concept d’étant et par la cause, déduire l’existence d’un étant infini – ce serait une preuve a priori de l’existence de Dieu, telle qu’Henri de Gand a cru la réaliser 92. Mais pour nous, une telle preuve est impossible: on ne peut connaître cette existence qu’à partir des effets, en remontant vers Dieu à partir de notre connaissance finie. Selon les Questions sur la Métaphysique, une métaphysique a priori est possible en soi, mais non pour nous: toute notre connaissance métaphysique part des effets (quia) 93. Dans le même texte, Duns Scot renonce à donner à toute science la rigueur de conclusions incluses per se primo ou secundo modo dans le sujet. Car il est encore possible de prendre le terme de science en un autre sens. Dans ce cas, la science constitue l’agrégation d’une série « de termes simples et complexes, de principes et de conclusions », un peu comme la géométrie est une, alors qu’elle consiste à la fois en éléments, en axiomes et en conclusions.94 Dès lors, Scot peut à la fois dire que le sujet de cette science est commun à tous les sujets qui sont examinés dans cette science (le concept de figure s’applique à toutes les figures géométriques), et que c’est un terme premier auquel tous les autres sont attribués (on démontre telle propriété du triangle, mais la figure comme telle a d’autres propriétés). En ce sens, la métaphysique ne démontrerait pas les propriétés de son sujet en tant que tel, mais celui-ci serait à la fois un terme commun et le terme auquel on attribue toutes les propriétés des sujets considérés dans cette science. Or dans ce cas, nous dit Scot, même si on admettait l’univocité de l’étant (alternative qu’il commence à envisager sérieusement), on pourrait encore

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Vgl. Duns Scotus, Q. c. d. (wie Anm. 3) 379, 384–385. Vgl. P. Porro, Enrico di Gand: La via delle proposizioni universali, Bari 1990. Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) I, q.1, § 119, 56, § 136, 62–63, § 150, 67. Ebd., § 103, 50–51.

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poser Dieu comme sujet de la métaphysique, comme c’est le cas en théologie.95 Est-ce simplement un retour à la position d’Averroès? – Non, car le véritable problème n’est pas de savoir si Dieu ou la substance sont le sujet de la métaphysique, mais de savoir si les principes premiers et absolus de la métaphysique contiennent les principes des sciences qui en dépendent.96 Or Scot insiste sur le fait que la science première ne permet pas de déduire les autres. Il y a de nombreuses causes de l’homme, mais aucune qui explique « pourquoi l’homme est l’homme »97. La métaphysique de Scot porte sur des quiddités, et non sur des existences. Or, les essences ne peuvent pas se déduire a priori: « Ce n’est pas parce que Dieu est Dieu que l’homme est l’homme, même si l’homme vient de Dieu. »98 La clé de la deuxième solution scotiste est dans la méthode (modus).99 Selon cette méthode, nous avons virtuellement l’idée d’une autonomie des sciences comme ensembles discursifs indépendants. Il y a des principes plus ou moins primitifs, mais cela ne veut pas dire que l’un est la cause de vérité de l’autre. Il peut donc y avoir un ordre des principes, sans déduction causale100. Pour ce modèle non-causal de la science, selon lequel il y a plusieurs principes indéductibles les uns des autres, il n’est pas possible de partir de la cause pour déduire toutes les propositions de cette science. Loin de revenir à Averroès, Duns Scot découvre l’autonomie des essences et des discours. Scot propose donc un nouveau modèle d’unité de la science, par agrégation: de même que l’on peut construire la géométrie à partir de l’agrégation des sciences du cercle, du triangle, etc., on peut atteindre la métaphysique à partir de l’addition des sciences de la substance et des autres catégories. L’agrégation doit se comprendre comme la superposition de divers principes: il existe des principes pour chaque science, qui sont des énoncés complexes, et ces énoncés ont un certain ordre d’antériorité les uns par rapport aux autres. Ainsi, même si l’homme a une cause, la proposition « l’homme est homme » n’a pas de cause. La causalité ontologique n’est pas la même chose que l’ordre de priorité formelle; c’est dans ce cadre que la métaphysique peut être une science par agrégation.

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Vgl. ebd., § 153, 68. L’univocité mentionnée ici, en métaphysique, est l’univocité entre la substance et les accidents, et non, comme en théologie, entre Dieu et la créature. 96 Vgl. ebd., § 104, 51. 97 Ebd., § 105, 52. 98 Ebd., § 109, 53: Non quia ‹ Deus est Deus ›, ideo ‹ homo est homo ›, licet a Deo sit homo. 99 Vgl. ebd., § 110, 53–54. 100 Ebd., § 108, 52.

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2. Le sujet de la métaphysique Duns Scot relie ensuite la question de la structure de la métaphysique à celle de son sujet. Une agrégation de principes et de conclusions n’a d’unité que si elle est attribuée à un terme premier, en l’occurrence Dieu. De même, nous pouvons accepter l’univocité du concept d’étant, à condition de soutenir que c’est l’étant créé, attribué au premier étant, c’est-à-dire encore à Dieu.101 Duns Scot semble dire que l’étant créé est univoque « sous la raison du premier étant », c’est-à-dire sous la raison par laquelle il a le même concept que Dieu. De ce fait, la métaphysique comme agrégat ne se rapporte plus à la substance, mais à Dieu. L’univocité de l’étant est maintenant intégrée à l’intérieur d’une analogie de la créature à Dieu. Dès lors, la métaphysique a Dieu pour sujet. Mais ce n’est plus au sens d’Averroès. Cela peut arriver de deux façons: soit parce que c’est la connaissance de Dieu qui les fait connaître, et c’est une science par la cause; soit parce que les prédicats ainsi attribués le font connaître, et c’est une science par les effets. Certes, l’ange peut avoir une connaissance déductive de la créature à partir de Dieu, dans une métaphysique qui procède par la cause (propter quid). Mais ce n’est pas celle qui nous est accessible. Notre métaphysique est une connaissance de Dieu par les effets, qui part de l’expérience finie du viator, et qui en abstrait des concepts universels.102 En partant d’une définition nominale, grâce au principe qu’il n’y a pas d’effet sans cause, on peut conclure, à partir d’un effet donné, l’existence et la nature de sa cause. Une fois devenue science par les effets, la métaphysique construite par agrégation peut être une science de l’étant premier: elle porte sur toutes choses, mais en tant qu’attribuables à Dieu. Dans l’état présent (nunc), l’homme peut seulement avoir une métaphysique selon la seconde méthode (quia), car toute notre connaissance provient des sens. C’est pourquoi la première science accessible à l’homme par la raison naturelle est une science par

101 La science est une agrégation de conclusions et de principes. Et même si l’on admet une univocité du concept d’étant créé (dit de la substance et des accidents), on peut le considérer comme attribué au premier concept d’étant, c’est-à-dire au concept du premier étant, donc comme attribué à Dieu. Mais alors, la considération de tous les étants sera métaphysique en tant qu’elle est attribuée au premier étant, et non plus à la substance; la métaphysique porte donc sur toutes choses sous la raison d’étant. Ou bien elle porte sur toutes choses, parce qu’elles sont connues à partir de la connaissance de Dieu, comme ses attributs. Mais cela ouvre un abîme, car ce sont deux voies opposées: la première voie passe par les effets (quia), la seconde, par la cause (propter quid); vgl. Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) I, q.1, § 134, 61–62. 102 Vgl. ebd., § 132, 60 f.

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les effets (quia) – elle porte sur Dieu comme sujet premier, et sur tout étant comme sur sa « matière », en tant qu’il est attribué au premier étant.103 Duns Scot admet donc ici une structure analogique, et une priorité de Dieu comme sujet de la métaphysique. Mais attention! Il ne s’agit plus d’une métaphysique déductive. C’est une « scientia quia aggregata » – une agrégation de propositions disparates. En passant, Duns Scot mentionne un doute – une hypothèse qu’il ne retiendra pas. Selon celui-ci la science de l’étant en tant qu’étant semble antérieure à la science des étants dans leur relation à Dieu.104 Ainsi, une autre métaphysique (alia metaphysica prior), celle qui considère l’étant en tant qu’étant, sera antérieure à la science qui a Dieu pour sujet. Dans sa réponse, Scot accepte de dire que cette considération de l’étant en tant que tel est antérieur par l’origine (prioritate originis), mais non par la visée (prioritate intentionis). Or le premier objet d’une science est celui qui est visé principalement, c’est-à-dire celui envers qui est ordonnée l’agrégation des connaissances qui composent cette science.105 Ainsi, lorsque Duns Scot affirme que Dieu est le « sujet » de la métaphysique, il veut dire qu’il est le principe visé par toutes les sciences agrégées et impliquées par elles, c’est-à-dire au fond encore un terme visé par une analogie d’attribution. Une objection surgit alors: s’il existe au moins une métaphysique portant sur l’étant a priori (propter quid), pourquoi la science de Dieu n’en fait-elle 103 Vgl. ebd., § 136, 62 f.: Secundo modo tantum potest homo nunc metaphysicam habere (quidquid sit de notitia naturali Dei beati vel in statu innocentiae), quia nunc ‹ omnis nostra cognitio oritur a sensu › tantum. Igitur sic potuit tradi a Philosopho. Potest igitur prima scientia possibilis homini per rationem naturalem acquiri, et poni scientia quia – et de Deo ut de subiecto primo, et de omni ente ut de materia in quantum attribuitur ad primum ens –, quae nec supponet Deum esse, nec ab eius notitia incipiet ad cognoscendum alia, licet utrumque oporteret si esset scientia propter quid. Sicut enim in scientia quia, proprie dicta, non praesupponitur de subiecto nisi tantum quid dicitur per nomen, et concluditur tam esse quam quid est, ut praedictum est, similiter potest esse in scientia quia aggregata. Quod enim in alia scientia posset probari Deum esse ‹ quia › et non in tali, esset inconveniens, cum talis consideret effectus ita immediatos eius, sicut aliqua alia. Quare etiam scientia quia non probat propter quid subiectum esse; quare etiam scientia propter quid praesupponit subiectum esse et quid est, cum hoc posset probare per principia subiecti, si habet principia. 104 Vgl. ebd., § 137, 63: Prima dubitatio est circa hoc quod ponitur Deum esse subiectum in metaphysica, et quod consideret entia ut attribuuntur ad Deum, quoniam consideratio entium in quantum entia videtur esse prior quam in quantum attribuuntur ad primum ens; igitur erit alia metaphysica prior, quae consideret entia in quantum entia, quam illa quae ponitur de Deo ut de subiecto. 105 Vgl. ebd., § 140, 64: Illa consideratio, qua considerantur entia in se, prior est prioritate originis […], sed non prioritate intentionis. Et primum sub-iectum ponitur cuius cognitio principaliter intenditur; vel ad quod, ut ad principium, tota aggregatio multarum cognitionum principaliter ordinatur.

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pas autant? 106 Si l’on atteint Dieu, c’est à partir d’une propriété disjonctive, par exemple l’étant contingent, puis en remontant à Dieu comme à sa cause, par exemple au nécessairement être; on l’atteint donc par les effets (quia). Et même si on peut établir propter quid un certain nombre de thèses à partir de l’attribut necesse esse (par exemple l’immutabilité divine), la première prémisse était établie par une démonstration quia, donc l’ensemble de la démonstration est tout entier par les effets. Il y a ici une tension entre la métaphysique portant sur l’étant, qui va de la cause à l’effet, et la science de Dieu, qui remonte de l’effet vers la cause. Mais en raison de la priorité logique du concept d’étant, c’est toute la science de l’étant qui est ordonnée à la connaissance de Dieu par les effets.107 Duns Scot envisage en passant l’univocité de l’étant: « Si l’étant est d’une seule et même raison en Dieu et en les autres, pourquoi ne peut-on pas admettre que l’étant est le premier sujet sous lequel sont contenus toutes les réalités connues, aussi bien la première que les autres? »108 – La réponse est claire: « même si l’on admet que l’étant est univoque, le sujet principal sera encore ici Dieu, car cette science n’a pas été transmise en vue d’acquérir en elle la connaissance de l’étant; en effet, elle viserait alors également la connaissance de toutes choses sous elle-même »109. Même si l’étant était univoque, la métaphysique ne serait pas une ontologie, indifférente aux différents objets qui tombent sous elle. La connaissance de l’objet suprême de la métaphysique reste ce en vue de quoi tout le reste est connu. Dans cette phase de sa réflexion, l’univocité de l’étant n’était qu’une hypothèse, et Duns Scot n’admettait absolument pas que la métaphysique soit d’orientation ontologique.

106 Vgl. ebd., § 149, 67: Cum scientia de ente in quantum ens sit propter quid, quare scientia de Deo est tantum quia? Metaphysica est propter quid, quare etiam de Deo non est scientia propter quid? Nam habita prima proprietate eius de ipso, possunt aliae, ut videtur, propter quid de ipso ostendi. Je ne comprends pas: on vient de dire que la métaphysique était quia, et pas propter quid – la prémisse n’est plus bonne, dans cet état de la pensée de Scot. 107 Vgl. ebd., § 150, 67: Respondeo quod tota illa scientia propter quid, quae est de ente in quantum ens, ordinatur ad quia de Deo. Metaphysica vero, ut est nobis possibilis nunc, non est principaliter scientia propter quid de Deo. Semper enim prima proprietas habetur quia. Et licet ex illa demonstretur secunda propter quid, tamen secunda non cognoscitur simpliciter propter quid, quia eius cognitio dependet ex cognitione quia primae passionis. 108 Ebd., § 152, 68: Si ens est unius rationis Deo et aliis, quare non potest ens poni primum subiectum sub quo continentur omnia cognita, tam primum quam alia? 109 Ebd., § 153, 68: Dato quod ens sit univocum, adhuc principale subiectum erit hic Deus, quia non traditur scientia propter cognitionem de ente in se habendam; tunc enim aequaliter intenderet cognitionem omnium sub ipso, quia propter cognitionem totam eius primo.

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3. L’articulation fondamentale de la métaphysique Henri de Gand distinguait déjà entre une « science universelle », qui considère « l’étant pris absolument », et les « sciences particulières, qui considèrent un étant particulier créé », pour rechercher son principe; pour lui, « Dieu tombe sous la science philosophique comme une partie de son sujet ».110 Duns Scot donne à ces deux aspects de la science les noms de « science transcendantale » (scientia transcendens) et « science spéciale » (scientia specialis). Au sein de la démarche métaphysique, la science transcendantale, portant sur l’étant et les transcendantaux, doit précéder la science spéciale, portant sur un objet spécifique, le premier étant. Ainsi, le divin n’est pas le sujet d’une science différente de la science de l’étant, car les réalités immobiles et séparées sont bien considérées comme des « parties principales » de son sujet.111 Cela exclut en tout cas que Dieu soit considéré comme au-delà de l’étant, ou comme « principe du sujet » de la métaphysique. La métaphysique a pour but de démontrer l’existence de Dieu et de ses principaux attributs. Mais pour cela, il faut partir du concept d’étant, et s’efforcer de montrer que l’existence d’un premier étant est d’abord possible, c’est-à-dire non-contradictoire, puis réelle, comme chez Henri de Gand. Si l’on part de la priorité conceptuelle de l’étant, la métaphysique « considère seulement l’étant en commun »; pour considérer le premier étant, il faut ajouter des « caractéristiques spécifiques (speciales) de l’étant »112. Une difficulté remet en cause l’unité de cette science: si la métaphysique est une science transcendantale, Dieu ne peut être connu que par l’intermédiaire des transcendantaux, propriétés universelles de l’étant. Mais le concept de Dieu ajoute quelque chose de particulier, il n’est distingué que comme primum ens, c’està-dire comme un particulier, à partir d’une détermination supplémentaire, extérieure, accidentelle. Et comme l’essentiel est antérieur à l’accidentel, la propriété transcendantale sera connue avant la démonstration de Dieu comme premier, de même que la connaissance des propriétés du nombre est antérieure à la démonstration de l’unité première. Puisque la métaphysique construit l’essence divine à partir du concept universel d’étant, et que son existence n’est établie que par des prémisses postérieures, un dédoublement

110 Henricus a Gandavo, Summa Quaestionum Ordinariarum a.7, q.6 ad 3, I, 56 v T. 111 Duns Scotus, In Met. I–V (wie Anm. 3) I, q.1, § 59, 36: Haec scientia est ‹ circa separabilia et immobilia ›, non tanquam circa subiecta, sed tamquam circa principales partes subiecti, quae non participant rationes subiecti alterius scientiae. Il n’y a pas, sur ce point, de revirement chez Scot. 112 Ebd., § 142, 65: dicendum quod condiciones principales concludendae de primo ente sequuntur ex proprietatibus entis in quantum ens. Speciales enim condiciones entis non concludunt primo aliquid de ipso, ideo tantum considerat de ente in communi.

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de la métaphysique en résulte, ce qui pose un problème: « C’est ainsi qu’il faut d’abord démontrer les propriétés du nombre en général avant de démontrer qu’il y a un premier nombre. La métaphysique transcendantale sera donc tout entière antérieure à la science divine, et il y aura alors quatre sciences théorétiques: une science transcendantale et trois sciences spéciales. »113 Cette difficulté formule, pour la première fois dans l’histoire, l’hypothèse de ce qu’on appellera l’ontologie: une quatrième science précédant les trois sciences théorêtiques traditionnelles (physique, mathématique et théologique) pour les fonder. Selon cette objection, il faudrait abandonner la tripartition des sciences en Métaphysique E. Ce serait aussi l’abandon de l’orthodoxie aristotélicienne. La métaphysique commune (ontologie) devrait précéder la métaphysique de l’objet spécial (théologique). La métaphysique se scinderait en métaphysique transcendantale et métaphysique spéciale, une articulation que l’on retrouvera chez Suarez et chez Kant. Mais Duns Scot répond en prenant pour clé sa propre démonstration de l’existence de Dieu. C’est à une même science de démontrer les propriétés communes et simples convertibles avec son sujet (pour la métaphysique, l’un et le bien), de démontrer les propriétés convertibles par disjonction avec ce sujet (être nécessaire et être contingent, infini et fini), et de démontrer l’une des deux parties de cette disjonction, par une démonstration particulière114. Scot regimbe donc devant les conséquences radicales de sa découverte: il préfère dire qu’il n’y a que trois sciences théorétiques, donc une seule métaphysique, laquelle comprend une partie générale et une partie appropriée à Dieu: « Pour éviter qu’il n’y ait quatre sciences théoriques, et si l’on pose que cette science-ci [la métaphysique] porte sur Dieu, tout ce qui est connaissable naturellement de Dieu, ce sont des transcendantaux. »115 Pour éviter qu’il n’y ait quatre sciences théoriques, on soulignera que tous les prédicats qui s’appliquent à Dieu sont des transcendantaux ou leurs modes (summum, primum, etc.). Finalement, on ne parlera que d’une seule science, qui est trans-

113 Ebd., § 155, 69: Sed demonstratio concludens ‹ primum › de ente, cum sit particularis, non potest esse per naturam entis. Igitur demonstra-tio passionis transcendentis de ente prior est istá, sicut universalis particulari, sicut medium medio, sicut omnis demonstratio de numero in communi est ante illam qua probatur aliquis numerus esse primus. Igitur metaphysica transcendens erit tota prior scientia divina, et ita erunt quattuor scientiae speculativae, una transcendens, et tres speciales. 114 Ebd., § 159, 70. 115 Ebd., §§ 160–161, 71: Finis cognitionis metaphysicae est cognitio entis in summo, et hoc est in primo ente; ergo ad metaphysicum pertinet de primo ente considerare. […] Ideo vitando quattuor esse scientias speculativas, et hanc ponendo de Deo, omnia naturaliter cognoscibilia de ipso sunt transcendentia. Finis huius est perfecta cognitio entis, quae est cognitio primi. Sed primo occurrens et notissimum intellectui est ens in communi, et ex ipso probatur primitas et alia, in quibus est consummatio.

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cendantale, parce qu’elle contient en elle-même les moyens de déduire le particulier; la science spéciale ou théologie est donc incluse dans la métaphysique transcendantale. La métaphysique est donc une science unique, qui démontre l’existence de Dieu uniquement à partir de propriétés transcendantales, et non de preuves physiques: elle se spécialise transcendantalement.116 Pour atteindre Dieu au sein de l’étant, on utilisera un moyen terme, les propriétés disjonctives par paire (par exemple, infini/fini), à la fois transcendantales, puisque chaque paire recouvre dans son extension la totalité de l’étant, et particulières, puisqu’elles se singularisent dans chacune des deux propriétés visées. La structure métaphysique de la preuve de Dieu fonde alors l’unité de la métaphysique, comme science à la fois transcendantale et capable de se spécialiser. « C’est à la même science de démontrer une propriété commune et simple convertible avec le sujet, une propriété disjonctive convertible avec ce sujet, et l’une des deux parties de cette propriété disjonctive à propos du même sujet, par une démonstration particulière. »117 La même science établit les propriétés transcendantales de l’étant (l’un, le vrai, etc.), la disjonction entre un premier et un second dans l’étant, et l’existence d’un premier à l’intérieur de l’étant. Il n’y a donc pas quatre sciences théoriques, mais trois, parce que la métaphysique comporte deux aspects, transcendantal et spécial, ce que la Schulmetaphysik appellera plus tard l’ontologie, métaphysique transcendantale de l’étant, et la théologie naturelle, métaphysique spéciale de Dieu. La même science sera science de l’universel et du particulier. Autrement dit, c’est à la science des transcendantaux de traiter de Dieu, selon le principe que la connaissance parfaite de l’étant culmine dans la connaissance de l’étant parfait.118 La connaissance de Dieu fait partie de la science transcendantale. Ainsi, Duns Scot refuse la conséquence ultime de l’interprétation de la métaphysique comme science transcendantale. Dans les Questions sur la Métaphysique, il envisage bien un dédoublement de la métaphysique en science transcendantale (ontologie) et science spéciale (théologique), mais il le rejette, car ce serait enfreindre la tripartition aristotélicienne des sciences119. La clé 116 Vgl. ebd., § 159, 70 f. 117 Ebd., 70: Et ideo ipisus metaphysicae est demonstrare passiones entis, ut unum, verum, etc. de ente, si possunt demonstrari de deo, et primum vel secundum de ente, et esse primum de ente. 118 Ebd., § 161, 71. 119 Il faut donc maintenir, pour sa validité objective, l’hypothèse que je formulais dans ‹ Etre et représentation › (wie Anm. 1) 508: « La grande mutation de la métaphysique à la fin du XIIIe siècle est son dédoublement en scientia transcendens et scientia specialis », mais ajouter que, subjectivement, dans les Questions sur la métaphysique, Duns Scotus recule encore devant elle, comme le fait observer J. Aertsen (wie Anm. 7) 381. Cependant, ce n’est pas sa

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de sa solution est le concept de propriété disjonctive, qui permet de dire que la science transcendantale se spécialise en restant transcendantale, et atteint Dieu, objet spécifique, transcendantalement. La complétude de l’analyse transcendantale de l’étant doit inclure la théologie naturelle. Il n’empêche que cette formalisation a priori bute sur une limite: dans la démonstration même de l’existence de Dieu selon Scot, il faut admettre une expérience de l’étant fini pour remonter à l’étant infini. Il faut, au moins minimalement, sortir du concept, et accepter de constater une existence. Déjà, dans le livre VI de ses Questions sur la Métaphysique, Duns Scot insiste sur l’idée que l’identification entre le sujet de la métaphysique et le concept d’étant peut aussi se justifier uniquement à partir d’arguments philosophiques. « De tous les objets des sciences spéculatives, on peut abstraire un ‹ terme › commun, à savoir l’étant »120. L’étant apparaît donc comme une unité minimale, universelle car constituant une sorte d’objet commun, sous-jacent à toutes les sciences théoriques. « Ce ‹ terme › commun possède des propriétés qui lui sont propres, selon le Philosophe, Métaphysique IV, et tels sont tous les transcendantaux dénominatifs, tels que ‹ bon ›, ‹ un ›, ‹ vrai ›, ‹ acte › et ‹ puissance ›, etc. Donc une science de l’étant est possible pour ce qui concerne de telles propriétés. Et elle est nécessaire, car notre connaissance procède « à partir des ‹ termes › communs vers les ‹ termes › propres », selon la Physique I. Or l’étant est un objet réel; ce qui est manifeste parce qu’il est prédiqué quidditativement des choses. Et il est proprement l’objet d’une science spéculative […]. Et ses propriétés peuvent être montrées à partir des principes connaissables par la voie des sens et lui être attribuées »121. L’universalité de l’étant est présupposée dans chaque science théorique, elle est donc, non seulement possible, mais nécessaire, pour fonder l’ensemble du savoir théorique. Duns Scot oriente ainsi la métaphysique vers une direction nouvelle. Les trois thèses fondamentales, qui lui permettent de prendre rang parmi les sciences, s’énoncent maintenant: 1. La métaphysique a pour fin la connaissance de Dieu. 2. L’unité de la science est une agrégation de multiples propositions, qui ne se déduisent pas nécessairement les unes des autres.

position définitive: il fera un pas de plus dans son Commentaire des Sentences avec l’univocité de l’étant (d’origine théologique). Il reviendra à l’école scotiste de faire le pas décisif vers une ontologie indépendante. 120 Duns Scotus, In Met. VI–IX (wie Anm. 3) VI q.1 § 47, 19. 121 Ebd., 19 f.; Scot renvoie aux « propriétés de l’étant en tant qu’étant » de Met. Γ 2.1004 b 5 f.

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3. Par conséquent, on peut dire que l’ensemble des principes et des conclusions scientifiques est attribué à Dieu comme sujet. Dans cette troisième figure, Duns Scot oriente la métaphysique vers la connaissance de Dieu. Duns Scot insiste sur le problème de la causalité réelle au sein de l’être. Mais alors, on ne peut partir ni de l’étant, ni de Dieu comme causes, il faut donc avoir une scientia quia portant sur Dieu à l’intérieur de l’étant.

V. Deux questions en suspens 1. L’ambiguïté de la res Jusqu’ici, il est clair que Duns Scot pense l’objet de la métaphysique comme un être réel (ens reale). Que faut-il entendre par là? Négativement, l’être réel exclut l’être de raison (ens rationis), objet de la logique, ce qui signifie que l’objet de la métaphysique et l’objet de la logique ne sont pas sur le même plan. Certes, la métaphysique, comme la logique, reposent toutes les deux sur le concept. La métaphysique soutient l’unité du concept commun d’étant malgré la diversité des réalités qui n’ont rien de commun entre elles (Dieu et la créature). Mais la logique étudie le concept en tant que représentation, tandis que la métaphysique étudie le concept en tant qu’il renvoie au réel.122 Pourtant, dans le Quodlibet III, Duns Scot propose une analyse importante du concept de res, qui fait rebondir le problème. Comme, dans l’énumération d’Avicenne, ce concept fait partie des termes les plus universels et les premiers connus, aux côtés d’ens et d’aliquid, il faut passer par son contraire pour parvenir à le penser. Dans son extension la plus vaste, le concept de res « s’étend à tout ce qui n’est pas rien (nihil) ». Les différents sens du néant formeront le fil conducteur du tableau des sens de la res. Au sens « le plus véritable », est néant ce qui inclut une contradiction, c’est-à-dire ce qui n’est même pas pensable, telles la chimère ou la fiction. Le pur néant n’est même pas intelligible. Son contraire, la chose (res), prise « de la manière la plus commune » (communissime), est alors « tout concevable qui n’inclut pas de contradiction ». En ce sens, la chose inclut l’être de raison (ens rationis) et l’être réel (ens reale): « Le nom de chose n’est pas déterminé à la chose hors de l’âme ». 122 Duns Scotus, Quaestiones in librum Porphyrii Isagogè, in Praed. (wie Anm. 3) q.8, § 28, 42: le logicien considère l’intention en tant qu’intention, et le métaphysicien l’intention en tant qu’étant.

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Au second sens, le néant est un simple néant d’existence. Prise « de manière moins commune », la res, son contraire, correspond à ce qui a ou peut avoir une entité (entitas) « hors de la considération ». Cela exclut l’ens rationis, qui ne peut avoir d’être que dans l’intellect qui le considère, et cela correspond à l’ens reale: ce qui a un être d’essence et qui peut avoir un être d’existence. Il y a donc deux sens de la res, ou de l’être: le simple pensable, le représentable, et le possible, les quiddités ou les entités. On peut considérer cette analyse comme une variation sur le thème des deux sens de la res chez Henri de Gand: res a reor (le représentable), ou res a ratitudine (le possible, l’être quidditatif). Or étrangement, elle est déliée de toute considération sur l’objet de la métaphysique. Scot semble sous-entendre (par prétérition) que la question de l’analogie ou de l’univocité ne se pose pas seulement sur le plan de l’être réel, mais encore sur celui du pur représentable, de la res comme nonnihil: « est appelé chose ou étant tout concevable qui n’inclut pas de contradiction (que cette communauté soit d’analogie ou d’univocité, je ne m’en soucie pas pour l’instant) » – la même remarque étant formulée à propos de l’être quidditatif. De plus, Duns Scot proclame que le premier objet de l’intellect est bien la res au sens du représentable, ce qui veut dire qu’il inclut à la fois l’ens rationis et l’ens reale. Je peux penser tout ce qui n’est pas rien: le non-nihil égale le représentable. Scot a voulu généraliser la démarche de l’Ordinatio, et rappeler que l’ens rationis est aussi (voire d’abord) un objet de pensée. Mais ce faisant, il ouvre la voie à une nouvelle interrogation: si la res = non-nihil, est l’objet premier de la pensée, et s’il est licite de demander si ce concept est univoque ou analogue, pourquoi ne pourrait-on pas faire de la res au sens le plus universel le sujet de la métaphysique? Celui-ci inclurait à la fois l’être réel et l’être de raison; il ne serait plus alors un transcendantal, mais ce que l’on appellera plus tard un surtranscendantal. Duns Scot lui-même n’a pas franchi ce pas, mais d’autres le feront après lui. 2. L’hypothèse d’un Dieu non-existant On sait que la théorie moderne du droit s’appuie sur l’hypothèse d’un Dieu non-existant 123. Pensons à la thèse de Grotius, qui caractérise le droit naturel

123 Vgl. O. Boulnois, Si Dieu n’existait pas, faudrait-il l’inventer?, Philosophie 61 (1999), 50– 74.

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moderne comme valide etiamsi Deus non daretur – même si aucun Dieu n’existait. Or cette hypothèse a été formulée pour la première fois par Duns Scot. Se demandant si notre fin est le bien pris en lui-même, ou plutôt ce qui est bien pour nous, Duns Scot répond qu’il s’agit du bien en soi, ce qui apparaît clairement si l’on considère que le bien doit nécessairement être aimé par Dieu autant que par nous. « Si par impossible un autre Dieu était posé, qui ne nous ait pas créé, et qui ne devrait pas nous glorifier, il serait encore, de manière absolue, souverainement aimable par nous. Même si Dieu n’était ni notre principe ni notre fin, même s’il n’était pas lui-même la Providence, il demeurerait le suprême objet de notre amour, parce que le souverain bien, comme souverain, devrait être aimé par nous par-dessus tout. »124 On ne peut pas dire que le bien est bien parce qu’il est bon pour nous – le souverain bien est le même, qu’il soit notre créateur et notre rémunérateur, ou non. Ainsi, le bien resterait bon même si le Dieu créateur n’existait pas. Duns Scot semble donc envisager ici une cohérence nouvelle du bien, tel qu’il demeure le bien en soi même si Dieu n’était pas notre Dieu. Bien sûr, Duns Scot ne va pas jusqu’à supprimer tout idée de souverain bien, mais il admet qu’il reste un bien même s’il ne s’identifie avec le Dieu créateur, donc qu’il a une consistance autonome, indépendante de l’existence de Dieu. Ainsi, contrairement à sa définition habituelle des transcendantaux, il semble entrevoir la possibilité que les transcendantaux ne soient plus des attributs divins. Ils se trouvent ainsi déliés de leur fonction théologique la plus obvie. Or cette thèse croise le problème des sens de la res. Lorsqu’il distinguait entre la res comme pur objet de représentation, et la res comme dotée d’une essence, Henri de Gand soutenait que la res rata (dotée d’une essence), tirait sa solidité (ratitudo) de la participation à l’être divin, et de son imitation des idées divines: une chose était possible de par sa relation à Dieu. Or pour Scot, le possible est possible en lui-même, non contradictoire en soi, et ne tire cette propriété d’aucune relation à quoi que ce soit d’autre. Ainsi le contradictoire resterait contradictoire, l’impossible demeurerait impossible, même si Dieu n’existait pas. « Ce qui est contradictoire est contradictoire par soi-même, et non immédiatement en raison d’une relation affirmative ou négative à quelque chose d’autre. En effet, toute contradiction est une contradiction des termes, provenant de leur raison formelle et inhérente, abstraction faite de tout autre rapport [...] des deux extrêmes à quoi que ce soit d’autre. [...] Est donc absolument impossible ce à quoi l’être répugne par soi, et

124 Duns Scotus, Rep. III (wie Anm. 3) d.27, n. 6, 481.

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ce qui est immédiatement tel qu’être lui répugne. Au contraire, être lui répugnerait, même si, par impossible, Dieu n’existait pas. »125 De même, la possibilité logique reste possible « même si, par impossible, aucune toute-puissance ne s’y rapportait »126. La possibilité et l’impossibilité reposent sur des fondements logiques et ne peuvent pas être dérivées de la puissance divine: si Dieu n’existait pas ou était impuissant, la possibilité resterait la même. La possibilité de l’être, ainsi que le désidérabilité du bien, peuvent donc être analysés indépendamment d’une référence à Dieu. Il semble donc qu’avec ces percées (qui sont réalisées dans les œuvres théologiques les plus tardives), Duns Scot ait implicitement détaché les deux dimensions de la métaphysique qu’il avait distinguées sans les séparer dans les Questions sur la Métaphysique. S’il est maintenant possible de considérer certains transcendantaux – au moins l’étant en tant qu’étant ou le bien en tant que bien – sans les rapporter à Dieu, il semble que la scission soit accomplie, qu’il y ait deux sciences métaphysiques: l’une considérerait les objets transcendantaux (communissima) comme l’être en tant qu’être, et la seconde considérerait les objets spécifiques (particularia), la première étant la conditio sine qua non de la dernière. La métaphysique serait alors articulée en « deux sciences distinctes », une science transcendantale et une science particulière. En un mot, l’ontologie serait séparée de la théologie naturelle. Cette conclusion, Scot ne la tire pas explicitement, mais d’autres le feront pour lui. La pensée de Duns Scot est en travail permanent; mais ce travail est resté inachevé, interrompu par sa mort. Rappelons les points saillants de son évolution. Lors de la première rédaction des Questions sur la Métaphysique, Duns Scot soutient l’équivocité de l’étant, lors de la seconde, l’univocité de l’étant. De même, Duns Scot a soutenu trois thèses différentes sur le sujet de la métaphysique: 1. Le sujet de la métaphysique est la substance (Questions sur la Métaphysique, première rédaction) 2. Le sujet de la métaphysique est le concept d’étant (écrits théologiques).

125 Duns Scotus, Ord. I.26–48 (wie Anm. 3) d.43, § 5, 353 f. Sur cette question, voir T. Hoffmann, Creatura intellecta: Die Ideen und Possibilien bei Duns Scotus mit Ausblick auf Franz von Mayronis, Poncius und Mastrius, Münster 2002; O. Boulnois/J.-C. Bardout (éds.), Sur la science divine, Paris 2002, 41: « D’une part l’objet est antérieur à la pensée divine par sa teneur formelle; d’autre part, la pensée divine produit l’objet dans son être intelligible. » 126 Duns Scotus, Ord. I.26–48 (wie Anm. 3) d.36, § 61, 296.

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3. Le sujet de la métaphysique est le premier étant, Dieu, comme sujet d’attribution (Questions sur la Métaphysique, deuxième rédaction). Mais Duns Scot n’est pas une girouette. Seul un regard superficiel, qui ne s’attache pas au fond du problème, peut donner l’impression que Duns Scot a passé sa vie à changer de position. En réalité, ce sont les diverses facettes d’une même difficulté, qu’il s’est efforcé de saisir, d’assumer, dans un gigantesque travail sur lui-même et sur l’aporie aristotélicienne. La difficulté est alors de penser les relations entre ces différentes figures. Le paradoxe est qu’au moment même où Duns Scot s’efforçait de surmonter l’aporie de la pensée aristotélicienne, ses diverses tentatives d’interprétation construisent à leur tour une aporie au second degré. Il est tentant de s’en tenir à une explication chronologique, qui privilégierait l’évolution de sa pensée. Mais il semble difficile de s’en tenir à cela: à un niveau fondamental, c’est la question de la compatibilité de ses différentes approches qui reste posée. Par exemple, il semble indispensable de distinguer l’approche des Questions sur la Métaphysique, qui s’interrogent d’abord sur l’univocité de l’étant selon les divers sens des catégories, et celle des œuvres théologiques, qui s’interrogent sur l’univocité dans le rapport des créatures à Dieu. On doit considérer que c’est précisément parce qu’il a dû résoudre le problème de la connaissance de Dieu que Duns Scot a pu poser l’univocité de l’être et donc la nouvelle construction de la métaphysique comme science. Rappelons que l’analogie réelle et l’univocité logique sont logiquement compatibles, et que Duns Scot entend démontrer que les concepts des attributs divins ne sont pas seulement analogues, mais encore univoques. L’unité d’attribution est moindre que l’unité d’univocité, mais elle demeure, même quand on admet l’univocité du concept. « Les attributs ont une unité d’univocité »127. Scot est donc passé d’une situation où l’analogie réelle se doublait d’une équivocité logique (première rédaction des Questions sur la Métaphysique et œuvres logiques) à une situation où elle se doublait d’une univocité logique (œuvres théologiques) 128. Dans toutes ces considérations, Duns Scot fait passer au premier plan les exigences logiques et épistémologiques. Quant au statut de la science, Scot établit d’une manière critique que toute science commence avec la sensation, qui en est l’occasion, mais que sa validité objective n’en dérive pas. Il y a en effet des constantes sous-jacentes à la position de Scot, si on la compare à alles de ses contemporains: dans la classification de Zimmermann,129 127 Duns Scotus, Ord. I.4–10 (wie Anm. 3) d.8, § 83, 191; trad. Boulnois (wie Anm.125) 230 f. 128 Vgl. Boulnois, Etre et Représentation (wie Anm. 1) 223–292. 129 A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert, Leuven 21998.

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il fait partie (du moins pour son œuvre théologique) de ceux qui considèrent Dieu comme une partie du sujet de la métaphysique, et non comme le principe de ce sujet (comme par exemple saint Thomas). La question de l’universalité de l’étant l’a définitivement emporté sur celle de la causalité. Le principe est considéré à l’intérieur du concept d’étant, même s’il faut ensuite réfléchir sur la causalité au niveau des essences. Dès les Questions sur la Métaphysique, Duns Scot envisageait une nouvelle configuration de la métaphysique où la scientia transcendens était une orientation dominante, sinon exclusive. Mais il y renonçait, au nom de l’articulation onto-théologique de la métaphysique, qui devait asseoir la connaissance de Dieu sur celle des transcendantaux, passant de l’un à l’autre par le jeu d’une orientation prioritaire sur le divin, c’est-à-dire de l’analogie d’attribution. Dans l’Ordinatio, Duns Scot, à la suite de son travail acharné, refonde la métaphysique comme science. Il y parvient en établissant l’univocité du concept d’étant. Désormais, l’analogie étant exclue, l’articulation des transcendantaux porte à elle seule le passage de l’ontologique au théologique: des transcendantaux convertibles avec l’étant aux perfections absolues, par le biais des transcendantaux disjonctifs. La science transcendantale repose sur une science des transcendantaux. Mais pour établir cette univocité de l’étant, et la structure de la métaphysique qui lui correspond, Duns Scot a dû développer trois autres thèses: 1. Une nouvelle conception du transcendantal, qui ne se définit plus par une compréhension transgénérique, mais négativement, comme l’absence d’un englobant supérieur, et positivement, comme perfection absolue. 2. Le primat noétique de l’étant, comme premier concept distinct, et condition de toute science distincte, qui lui donne valeur de condition a priori et structurelle. 3. Enfin, pour conserver la distinction du concept d’étant, Scot doit accepter de renoncer à tout inclure en lui. Cela débouche sur une articulation complexe de la prédication de l’étant, telle que le concept primordial ne se prédique pas univoquement de toutes choses, parce qu’il ne s’en prédique pas essentiellement. Scot articule savamment, d’une part, les réalités inférieures à l’étant, quidditativement incluses en lui, et de l’autre, les réalités qualitativement distinctes, comme les transcendantaux et les différences ultimes. Dans le cours de sa réflexion, Duns Scot établit quelques points essentiels: notamment l’impossibilité pour nous d’une preuve a priori de l’existence de Dieu. Surtout, chez lui, la metaphysica transcendens est devenue une démarche antérieure et nécessaire à la metaphysica specialis, c’est-à-dire que l’ontologie est une condition de possibilité de la théologie transcendantale. Cette articulation restera la structure porteuse de l’histoire de la métaphy-

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sique, de Suarez à Kant. Ce travail imnense a durablement modifié la structure de la métaphysique. Il lui a donné le statut de science. Il lui a légué l’articulation moderne entre ontologie et théologie rationnelle, jusqu’à la Schulmetaphysik et jusqu’à Kant. Pourtant, nous l’avons vu, Scot renâcle devant les conséquences ultimes de ses découvertes: il n’accepte pas de faire de la métaphysique une quatrième science, totalement séparée de la metaphysica specialis. Car finalement, les transcendantaux restent orientés vers le divin, à tel point que la doctrine culmine en une identification circulaire entre les attributs divins, les perfections absolues, et les transcendantaux. Ce cercle en résumait un autre, celui de l’ensemble de la démarche: c’est au nom d’exigences théologiques, de validité des attributs divins, que Duns Scot développait l’univocité de l’étant, nouveau fondement de l’orientation ontologique de la métaphysique. Et réciproquement, au cœur de la nouvelle orientation, ontologique, de la métaphysique, l’orientation théologique restait présente, puisque les transcendantaux servaient à nommer Dieu. L’école scotiste héritait ainsi d’une double tâche, pédagogique et théorique: puisque la définition la plus radicale de la métaphysique ne se trouvait pas dans ses questions sur la Métaphysique, mais dans son commentaire des « Sentences », il restait à verser ses analyses dans le commentaire d’Aristote130; puisque Scot refusait de tirer les conséquences les plus radicales de ses analyses, et d’affirmer l’autonomie d’une ontologie distincte de la théologie naturelle, la tâche s’offrait aux différentes sortes de scotismes.

Literatur Quellen Albertus Magnus: De praedicabilibus. Opera Omnia I, ed. Borgnet, Paris 1890. Anselmus Cantuariensis: Monologion, Turnhout 2010. Avicenna: Liber de philosophia prima sive scientia divina, ed. S. Van Riet, Louvain–Leyde 1977.

130 C’est ce que fait Antoine André, dont les Quaestiones super Metaphysicam firent l’objet de 17 éditions (la plus accessible est celle de Venise, 1495), bien plus que les Quaestiones de Duns Scotus même. Cet ouvrage ne fait preuve d’aucune originalité par rapport à Scot, mais reverse les analyses de l’Ordinatio dans les passages correspondants du commentaire d’Aristote. Vgl. G. Pini, Sulla fortuna delle Quaestiones super metaphysicam di Duns Scoto: le Quaestiones super metaphysicam di Antonio Andrea, Documenti e Studi sulla tradizione filosofica medievale 6, 1995, 281–361.

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Duns Scotus: Quaestio de cognitione Dei, ed. by C. R. S. Harris, Duns Scotus, vol. 2, Oxford 1927. Ioannis Duns Scoti: Ordinatio prologus (Opera omnia Bd. 1), edited by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1950. Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d.3 (Opera omnia Bd. 3), ed. by. C. Balić et alii, Città del Vaticano 1954. Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d.4–10 (Opera omnia Bd. 4), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1956. Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d.26–48 (Opera omnia Bd. 6), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1963. Ioannis Duns Scoti: Lectura prologus I, d.1–7 (Opera Omnia Bd. 16), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1960. Ioannis Duns Scoti: Collatio 24, ed. by K. Balic. Bogoslovni Vestnik 9 (1929), 212–219. Ioannis Duns Scoti: Reportata Parisiensia III, ed. Wadding-Vivès, Vol. XXIII, Paris 1894. Ioannis Duns Scoti: Quaestiones in Librorum Porphyrii Isagoge et Quaestiones super Praedicamenta Aristotelis (Opera Philosophica Bd. I), ed. R. Andrews et alii, St. Bonaventure (NY) 1999. Ioannis Duns Scoti: Quaestiones Super Librum Elenchorum Aristotelis (Opera philosophica Bd. II), ed. by R. Andrews et alii, St. Bonaventure, N.Y. 2004. Ioannis Duns Scoti: Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis I– V (Opera Philosophica Bd. III), ed. R. Andrews et alii, St Bonaventure (NY) 1997. Ioannis Duns Scoti: Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis, VI–IX, edited by G. Etzkorn et alii (Opera Philosophica Bd. IV), St. Bonaventure, N.Y. 1997. Ioannis Duns Scoti: Quaestiones super secundum et tertium De anima, ed. by C. Bazán et alii (Opera philosophica Bd. V.), St. Bonaventure, N.Y. 2006. Ioannis Duns Scoti: Cuestiones Cuodlibetales. In Obras del Doctor Sutil, Juan Duns Escoto, ed. Felix Alluntis, Madrid 1963. John Duns Scotus: The Examined Report of the Paris Lecture, Reportatio I– A, Latin Text and Engl. Translation, by A. B. Wolter, O. Bychkov, St Bonaventure (NY) 2004. Jean Duns Scot: Sur la connaissance de Dieu et l’univocité de l’etant. Introduction, traduction et commentaire, p. O. Boulnois, Paris 1988. Henricus a Gandavo: Summa quaestionum ordinariarum, Paris 1520. Henricus a Gandavo: Quodlibeta, Paris 1518.

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I. Vorbemerkungen Vor geraumer Zeit hat der Freiburger Religionsphilosoph Bernhard Welte „Meister Eckhart als Aristoteliker“ interpretiert.1 Man kann freilich bei fast jedem Denker eine Zuordnung zu einer philosophischen Schule vornehmen, doch sollte dabei nicht die Frage übersprungen werden, ob man damit einen wesentlichen Aspekt seines Denkens trifft. Im Falle von Eckharts Aristotelismus lag die Begründung zudem in einem Gedanken, der gar nicht in jeder Hinsicht als spezifisch aristotelisch gelten kann, denn die Bestimmungslosigkeit als Bedingung des Bestimmtwerdenkönnens betrifft zwar das Verhältnis von Form und Materie, also die komplementäre Beziehung der beiden Grundbegriffe der aristotelischen Metaphysik, allerdings findet sich dieser Gedanke auch schon beim späten Platon.2 Nun lassen sich bei Meister Eckhart in der Tat wichtige Anknüpfungspunkte an Aristoteles – dem princeps philosophorum, wie er ihn mit Maimonides nennt 3 – wie etwa an dessen 1 2 3

B. Welte, Meister Eckhart als Aristoteliker, Philosophisches Jahrbuch 69, 1961, 64–74; jetzt in: Ders., Auf der Spur des Ewigen, Freiburg 1965, 197–210. Vgl. Tim. 50 b–e. Aristoteles selbst hat ja in Platons Raum eine Verwechslung mit der Materie gesehen: Phys. IV 2; 209 b 11–12. Die Werke Meister Eckharts werden in folgender Weise angeführt: Meister Eckhart: Die lateinischen Werke, Stuttgart Bd. 1,1: Prologi in Opus Tripartitum, hrsg. v. Weiß, 1964 [ND 1988]. [= Prol. gen. in Op. trip. und Prol. in Op. prop.]; Bd. 1,2: Expositio Libri Genesis, hrsg. v. K. Weiß, 1964 [ND 1988]. [= In Gen. I]; Bd. 1,3: Liber parabolarum Genesis, hrsg. v. K. Weiß, 1964 [ND 1988]. [= In Gen. II]; Bd. 2,1: Expositio Libri Exodi, hrsg. v. K. Weiß, 1992. [= In Exod.]; Bd. 2,2: Sermones et Lectiones super Ecclesiastici cap. 24, hrsg. v. J. Koch u. H. Fischer, 1992. [= In Eccli.]; Bd. 2,3: Expositio Libri Sapientiae, hrsg. v. J. Koch u. H. Fischer, 1992. [= In Sap.]; Bd. 3: Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem, hrsg. v. K. Christ u. a., 1994. [= In Ioh.]; Bd. 4: Sermones, hrsg. v. E. Benz, B. Decker u. J. Koch, 1956. [= Ser.]; Bd. 5: Magistri Echardi opera Parisiensia, hrsg. v. B. Geyer u. a., Stuttgart 2006. [= Qu. Par.]

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Theorie der Einheit von wirklich Erkennendem und wirklich Erkannten namhaft machen,4 doch dies betrifft eben nicht spezifisch die Metaphysik im ursprünglichen, sondern eher im abgeleiteten Sinne, insofern nämlich in dieser Konzeption der Erkenntnis die in der Metaphysik entwickelte Unterscheidung von Wirklichkeit und Möglichkeit eine bedeutungsvolle Konkretisierung findet. Wie also vorgehen, wenn man bei der Bestimmung des Verhältnisses Eckharts zur aristotelischen Metaphysik sich nicht in Beliebigkeiten verlieren will? Es geht um einen Text, den die Tradition zu einem Werk des Aristoteles gemacht hat und das als solches in der Philosophie des Mittelalters häufig und in verschiedener Form kommentiert worden ist. Eckhart hatte sicherlich nicht – wie etwa Ockham5 – die nur eben nicht realisierte Absicht, einen solchen Kommentar zu schreiben. In seinen Schriften finden sich auch keine Passagen, in denen er sich länger mit einer Aristoteles-Stelle oder gar mit ihren alternativen Interpretationen auseinandersetzt. Auslegungsvariationen beziehen sich in seinem Werk immer nur auf biblische Sätze und Ausdrücke. Etwa fünfzig verschiedene Stellen führt Eckhart aus der Metaphysik des Aristoteles in seinem Werk an – im Vergleich zu anderen scholastischen Autoren eine eher geringe Zahl, doch als eine quantitative Angabe ist sie naturgemäß wenig aussagekräftig für die Substanz seines Denkens. Es kann sich also bei der Bestimmung der Präsenz der aristotelischen Metaphysik im Denken Eckharts nur um die Form oder die Formen der Inanspruchnahme handeln, darum also, was Eckhart zitiert und in welchem Sinne er sie zitiert, aber gewiss auch darum, was er nicht zitiert – sofern es sich nicht um eine rein faktische Nichterwähnung handelt. Da die direkten und erst recht die indirekten Bezugnahmen auf die Metaphysik des Aristoteles sowohl unübersehbar als auch so gut wie nicht spezifizierend sind, läge es vielleicht nahe, die Gesamtkonzeption des Eckhart’schen Denkens mit Aristoteles in Bezug zu setzen. Dies ist denn auch tatsächlich vorgeschlagen worden. Heribert Fischer hat darauf verwiesen, dass für das geplante Opus propositionum, das ja über 1000 Thesen umfassen sollte, eine

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Meister Eckhart: Die deutschen Werke, Stuttgart Bd. 1: Meister Eckharts Predigten (1–24), hrsg. v. J. Quint, 1958 [ND 1986]. [= Pred. 1]; Bd. 3: Meister Eckharts Predigten (60–86), hrsg. v. J. Quint, 1976 [ND 1999]. [= Pred. 3]. Die zitierte Stelle findet sich: In Exod. n. 10, 15,14. Vgl. R. Schönberger, Intellectus in actu est intellectum in actu. Der aristotelische Begriff der Einheit der Erkenntnis im Mittelalter, in: J.-M. Narbonne/A. Reckermann (Hrsg.), Pensées de l’‚un‘ dans l’histoire de la philosophie. Études en hommage au Professeur Werner Beierwaltes, Québec 2004, 143–179. Vgl. Guillelmi de Ockham: Expositio in libros physicorum Aristotelis, Prologus et libri I– III (Opera Philosophica Bd. IV), St. Bonaventure (NY) 1985, prol., 4, 14; II, 5, 3, 282.

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Gliederung in 14 Traktate vorgesehen war. Dies schien ihm kein zufällige Gliederung, sondern geradewegs an die 14 Bücher der aristotelischen Metaphysik angelehnt.6 Da er eine Erläuterung ganz unterlässt, scheint es sich tatsächlich auf die Übereinstimmung der schieren Anzahl zu beschränken. Es bleibt somit von dieser Entsprechung, die man, wie Karl Albert schon vermerkt hat, für die Traktate IX–XI des Opus propositionum kaum wird nachliefern können,7 eigentlich nichts übrig, was dem Verständnis Eckharts dienlich sein könnte. Daher scheint wohl nur noch der Weg übrigzubleiben, sich auf bestimmte Themen zu beschränken, um an diesen die Aneignung und die Inanspruchnahme sichtbar zu machen. Wenn es sich um solche Beziehungen handelt, dann sind eigentlich noch Reflexionen zur Methode und zum Status des damit Gewonnenen vonnöten. Diese seien aber an dieser Stelle beiseitegelassen.8 Aufs Ganze gesehen darf zunächst der Eindruck nicht relativiert werden, dass Eckhart ein im Wesentlichen durch den Neuplatonismus geprägter Denker ist. Aber ist damit alles gesagt? Sicherlich nicht alles, denn es kommt darauf an zu bestimmen, welcher Platonismus denn vorliegt, worin Eckharts Distanzierung von Aristoteles begründet liegt und wie sich seine vielfältigen und ja unübersehbaren Berufungen auf Aristoteles zu dem ebenso unverkennbar bestimmenden Platonismus verhalten. Die Art und Weise, wie Eckhart solche Autoren anführt, ist nach meinem Eindruck nicht bestimmt durch eine bestimmte Schulorientierung und kann deshalb eine solche auch nicht zum Ausdruck bringen. Er beruft sich nicht auf Aristoteles statt auf Platon, auf Dionysius statt auf Augustinus – oder umgekehrt. Die Thomas-Polemik Dietrichs hat er ohnehin nicht wiederholt. Es ist bei Eckhart aber auch nicht das Bemühen des Neuplatonismus erkennbar, die beiden großen Autoren der antiken Philosophie möglichst nicht auf ihre konzeptionellen Alternativen zu fixieren, sondern ihre Konvergenz aufzuzeigen.9 Es fehlt eine entsprechende These und selbst eine dahingehende Bemerkung. Allerdings, die Kritik des

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Vgl. H. Fischer, Die theologische Arbeitsweise Meister Eckharts in den lateinischen Werken, in: A. Zimmermann/R. Hoffmann (Hrsg.), Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters (Miscellanea Mediaevalia Bd. VII,) Berlin 1970, 50–75, hier 57. Vgl. K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum, Saarbrücken 1976; jetzt in: Ders., Meister Eckhart und die Philosophie des Mittelalters (Betrachtungen zur Geschichte der Philosophie, Teil II), Dettelbach 1999, 11–358, hier 39 n. 108. Solche Fragen habe ich an anderer Stelle aufgeworfen, wo es um die Beziehung zweier noch weit unterschiedlicherer Denker geht: Bergson und Heidegger, in: Bergson und Deutschland, hrsg. v. M. Vollet [im Erscheinen]. Vgl. R. Schönberger, Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses (Studien zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Seinsbegriffs im Mittelalter), Berlin–New York 1986, 44 f. n. 11.

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Aristoteles an seinem Lehrer Platon, die von manchen mittelalterlichen Autoren10 – auch von solchen, die man nicht einem reinen Platonismus zurechnen würde – in ihrer Berechtigung und Treffsicherheit relativiert worden ist, hat er ohnehin nicht wiederholt.11 Bemerkenswert scheint aber doch immerhin, dass die Infragestellung des Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten, das im Neuplatonismus in der Theorie des Einen radikal betrieben worden ist, bei Eckhart nicht fortgeführt wird; er beruft sich vielmehr auf die einschlägigen Passagen der aristotelischen Metaphysik, in denen der Gegensatz von Sein und Nichts als ein letzter Gegensatz aufgefasst wird.12 Es gilt jetzt aber insgesamt die Frage zu verfolgen, an welchen Gedanken der aristotelischen Metaphysik er anknüpft, in welchem Sinne und in welchem Zusammenhang er dies tut. Für die Bewältigung dieser Fragen kann es wohl nur einen Einsatzpunkt geben: Dieser liegt im Begriff des Seins.

II. Der Begriff des Seins Die Frage nach dem Seienden wird von Aristoteles als eine alte und bis heute immer umstritten gebliebene Frage charakterisiert.13 Umstritten ist dabei nicht allein der Inhalt der Bestimmung, sondern auch die Art der Gewinnung dieser Bestimmung. Das Seiende ist der Grundbegriff der höchsten Wissenschaft.14 In dem Standardwerk zu den Metaphysikkonzeptionen des Mittelal-

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Vgl. ders.: Relation als Vergleich. Die Relationstheorie des Johannes Buridan im Kontext seines Denkens und der Scholastik, Leiden 1994, 293 f. Die metaphorische Sprache ist für ihn – anders als für Aristoteles: Anal. post. II 13.97 b 37–39; Top. VI 2.139 b 34 f.; Met. A 9.991 a 21 f.; M 5.1079 b 24–26; Thomas von Aquin, In Post. Anal. II, 16 (ed. R. Spiazzi nr. 559; ed. Leon. I*/2, p. 231, 151–153); Albertus Magnus, Metaph. III, 2, 10 (ed. Col. XVI/1, 127, 3–5): Et ideo praeter nos philosophos, inter quos peccatum in problematibus est metaphoris uti [...] – kein Gegenstand der Kritik: In Gen. II n. 2, 451 (wie Anm. 3). Die Unbewegtheit des alles Bewegenden (Boethius, Philos. consol. III metr. 9 (Corpus Christianorum Series Latina 94, p. 51) ist keine Alternative zur Selbstbewegung, selbst nicht zur Seele als sich selbst bewegende Zahl: In Gen. II n. 42, 509 (wie Anm. 3). Vgl. In Sap. n. 255, 587,6–7 (wie Anm. 3): Nihil enim tam adversum, nihil tam contradictorium, quam ens et non ens, esse et nihil. De quolibet enim dicitur ens vel non ens, et in nullo simul. Vgl. Met. Z 1.1028 b 2–4: „Und so ist denn das, wonach man von alters und jetzt und immer sucht und was immer in Verlegenheit führt, nämlich die Frage: ‚Was ist das Seiende?‘“ (Th. A. Szlezák) (και ̀ δὴ καὶ τὸ πάλαι τε καὶ νῦν και ̀ ἀεί ζητούμενον καὶ ἀεί ἀπορούμενον, τί τὸ ὄν). Vgl. Met. Г 1.1003 a 21 f.

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ters von Albert Zimmermann15 fehlt eine Darstellung Meister Eckharts. Dies ist kein Zufall und kein Manko. Denn Eckhart hat dazu keine eigene Theorie entwickelt. Eckhart verweist gelegentlich auf die aristotelische Bestimmung, wenn er sagt: metaphysicus considerans ens inquantum ens …16 Doch er kann eben auch sagen: evangelium contemplatur ens inquantum ens.17 Dies kann er wohl nur deswegen sagen, weil „Seiendsein“ hier so viel heißt wie Unkörperlich-Sein, Unvergänglich-Sein. Eckhart macht sich ersichtlich diejenige Konzeption der Metaphysik zu eigen, welche diese als Wissenschaft vom höchsten Seienden bestimmt. Er beruft sich daher ebenso auf die Dreigliederung der theoretischen Wissenschaft aus dem ersten Kapitel von Metaphysik Ε.18 Während Thomas von Aquin eine innere Verbindung beider Metaphysikkonzeptionen herzustellen versucht hatte, hat während Eckharts früher Phase Duns Scotus die Auffassung der Metaphysik als allgemeiner Ontologie entwickelt und in Grundzügen ausgeführt. Von grundlegender Bedeutung scheint hier übrigens, dass Eckhart den Grundgedanken des Aristoteles, wonach das Sein vielfältig, aber mit Bezug auf eine primäre Bedeutung ausgesagt wird 19 und mit dem dieser ja die Einheit der Metaphysik als Disziplin begründet, nirgends zitiert, worauf bereits Heribert Fischer 20 hingewiesen hat. Dies ist sicherlich kein zufälliges Ignorieren. Aristoteles’ Hinweis auf die Mehrdeutigkeit des Seins war gegen den Eleatismus ebenso wie gegen Platon gerichtet. Bei Eckhart fehlt wiederum nicht zufällig diese kritische Distanzierung, vielmehr beruft er sich für die Einheit des Seins gerade auf Parmenides und Melissos, deren These er aus Aristoteles kennt, ohne freilich dessen Problematisierung zu erwähnen oder gar zu erörtern.21 15

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A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion um den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen (RThPhMA. Bibl.1), Leuven 21998 (11965). In Sap. n. 20, 341,1–2 (wie Anm. 3); In Ioh. n. 443, 380,8 (wie Anm. 3): metaphysica, cuius subiectum est ens inquantum ens. In Ioh. n. 444, 380,13 f. (wie Anm. 3). Vgl. Met. Ε 1.1025 b 25–1026 a 32; die Editoren verweisen an anderen Stellen auf Met. Г 1 – ist dies wirklich gemeint? Vgl. Met. Г 2.1003 a 33; Δ 7.1017 a 7 ff.; Ε 2.1026 a 33–34; Z 1.1028 a 10. Vgl. H. Fischer, Meister Eckhart. Einführung in sein philosophisches Denken, Freiburg– München 1974, 50, schreibt von dieser Aussage, sie finde „sich an keiner Stelle in seinem Gesamtwerk, nicht einmal andeutungsweise erwähnt“. Vgl. Prol. in Op. prop. n. 5, 168,8–12 (wie Anm. 3): Ad hoc facit quod Parmenides et Melissos, I Physicorum, ponebant tantum unum ens; ens autem hoc et hoc ponebant plura, ignem et terram et huiusmodi, sicut testatur Avicenna in libro suo Physicorum, quem Sufficientiam vocat; dies ist im Übrigen nicht der einzige Rückgriff auf die Vorsokratiker via Aristoteles: vgl. R. Schönberger, Das gleichzeitige Auftreten von Nominalismus und Mystik, in: A. Speer (Hrsg.), Die Bibliotheca Amploniana. Ihre Bedeutung im Spannungsfeld von Aristotelismus, Nominalismus und Humanismus (Miscellanea Mediaevalia Bd. XXIII), Berlin 1995, 409–433, hier 416 n. 28.

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Eckhart will auch in der Tat weder eine begriffliche Vielfältigkeit behaupten noch die interne Struktur des Seinsbegriffs mit Aristoteles bestimmen. Bekanntlich greift er durchaus das aristotelische Konzept der Pros-hen-Attribution aus Metaphysik Γ auf, er legt allerdings den Akzent vollständig auf den Verweis als solchen und damit zugleich auf die Negation des In-sichBestimmtseins. Was in sich ist und für sich bestimmt ist, verweist nicht auf anderes. Es ist für ihn kein Einwand zu sagen, dass es als etwas, das von anderem hervorgebracht worden ist, doch zu diesem in der Relation der Kausalität steht. Die causa efficiens geht nach Eckhart nicht in den Wesensbegriff ein.22 Für Eckhart ist der Begriff des Seins ebenfalls von elementarer Bedeutung: Die erste Proposition in seinem Opus propositionum bestimmt das Sein mit dem berühmten Satz: esse est deus.23 Aristoteles hatte umgekehrt Gott als eine (!) οὐσία bestimmt und zwar als eine solche, die keinerlei Potenzialität in sich enthält und daher reine ἐνέργεια ist, „daß sein Wesen Wirksamkeit (Aktualität) ist“ (Szlezák), „dessen Wesen Tätigkeit ist“ (Gadamer).24 Dies kann hier nicht im Einzelnen expliziert werden; es geht ja in erster Linie um Eckhart. Angesichts von dessen Bestimmung kommt man nicht umhin zu fragen: Ist Gott identisch mit Sein? Wie kann mit Sein überhaupt etwas identisch sein? Wie muss Sein gedacht werden, damit es mit etwas und im ersten Ansatz sogar mit Gott selbst als identisch gesetzt werden kann? Bekanntlich ist an dieser Ineinssetzung nicht diese selbst neu – nach Gilsons nicht unwidersprochen gebliebener These kennzeichnet dies überhaupt den Gottesbegriff der christlichen Philosophie25 –, sondern die Umkehrung von deus est ipsum esse zum schon zitierten esse est deus. Es scheint allerdings, dass Eckhart dieser Umkehrung – anders als Heidegger 26 – keine sonderliche Bedeu22

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Vgl. R. Schönberger, Causa causalitatis. Zur Funktion der aristotelischen Ursachenlehre in der Scholastik, in: I. Craemer-Ruegenberg/A. Speer (Hrsg.), Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter (Miscellanea Mediaevalia Bd. XXII), Berlin 1994, 421–439, hier 428–430. Prol. gen. in Op. trip. n. 12, 156,15 (wie Anm. 3) Prol. in Op. prop. n. 1, 166,2; weitere Belege: K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein, in: Ders. (wie Anm. 7) 265 f. n. 920. Met. Г 6.1071 b 19 f.: δεῖ ἄρα εἶναι ἀρχὴν τοιαύτην ἧς ἡ οὐσία ἐνέργεια. Aristoteles: Metaphysik XII. Übersetzung und Kommentar von Hans-Georg Gadamer, Frankfurt 52004 (11948). Aristoteles: Metaphysik, übers u. eingel. von Thomas Alexander Szlezák, Berlin 2003; G. W. F. Hegel, Vorlesungen über Geschichte der Philosophie (Vorlesungen Bd. 8), hrsg. v. P. Garniron u. W. Jaeschke, Hamburg 1996, 71: „Die absolute Substanz, das wahrhaft an und für sich Seiende ist danach das Unbewegte, Unbewegliche und Ewige, was aber zugleich reine Tätigkeit, actus purus ist. Die Scholastiker haben dies mit Recht für die Definition Gottes angesehen, daß Gott der actus purus ist. Gott ist die reine Tätigkeit, ist das, was an und für sich ist.“ É. Gilson, L’esprit de la philosophie médiévale, Paris 1932, I, p. 54. Heidegger hat den ersten Satz als einen metaphysischen, den zweiten als einen spekulativen angesehen, wie man in einem Protokoll aus Le Thor vom Sommer 1968 lesen kann: Seminare (1951–1973), GA XV, ed. C. Ochwadt, Frankfurt 1986, 325: „Als Beispiel nimmt Hei-

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tung zugeschrieben hat. Denn er verwendet beide Formeln häufig, ohne dass man aus diesen Verwendungen entnehmen könnte, welche Differenz er damit verbindet. Außerdem beruft er sich für beide Aussagen auf dieselben biblischen Texte, zumeist auf Exodus 3, 14. Von besonderer Bedeutung ist hier vielmehr, wie Eckhart diesen Satz begründet. Er tut dies nämlich in der Weise, dass er an erster Stelle sich auf einen Satz aus einem philosophischen Werk beruft – nämlich auf die Kategorienschrift des Aristoteles. Denn wenn es sich dabei nicht um eine terminologische Identifizierung handelt, sondern um eine Erkenntnis, dann muss Eckhart unweigerlich einen Schritt zurück tun. Denn er muss dem Begriff „Sein“ ja schon eine Bedeutung zugeschrieben haben, damit seine Identität mit Gott notwendig und also einsichtig wird. Diese Bestimmung kann nur vollzogen werden, wenn man den Weg verständlich machen kann, auf dem wir dahin gelangen, von dem Sein oder vom Sein überhaupt zu sprechen. Eine solche Bestimmung ist wiederum nur möglich, wenn das Sein mit irgendetwas wenigstens in irgendeiner Hinsicht vergleichbar ist.27 Auch Aristoteles hat dem Sein eine einzigartige, weil universelle Bedeutung zugeschrieben, denn alle Aussagen enthalten diesen Begriff,28 sie enthalten aber keinen anderen gemeinsam, gleichwohl unterscheidet er sich doch von semantisch bedeutsamen Termini. Auf dieser Voraussetzung beruht denn auch in der Tat das Argument Meister Eckharts. Er vollzieht in diesem Sinne zwei Schritte: 1. Sein wird nicht unmittelbar durch das bestimmt, was es bezeichnet. Denn es ist selbst etwas, worauf etwas verweist, nämlich das Wort ens.

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degger den Satz: Deus est ipsum esse; Gott ist das Sein selbst. Das ist ein normaler metaphysischer Satz […]. Von ihm kommt man zum spekulativen, wenn das Prädikat dieses Satzes (Sein) zum Subjekt gemacht wird, Subjekt wird. Nämlich: das Sein ist Gott. Dabei geschieht aber keine bloße Umkehrung der grammatikalischen Struktur des normalen Satzes. Es hat sich etwas geändert. Und was hat sich geändert? […] Es handelt sich nicht nur um eine Umkehrung, sondern um einen Gegenstoß, eine auf das erste ‚ist‘ wirkende Gegenbewegung des zweiten ‚ist‘. Aber was bedeutet nun das so umgestoßene ‚ist‘? Meister Eckhart sagte: Istic-heit. Das Sein ist Gott, jetzt spekulativ verstanden, bedeutet: das Sein ‚istet‘ Gott, das heißt das Sein läßt Gott Gott sein. ‚Ist‘ spricht hier transitiv und aktiv.“ (Hervorheb. im Original) Ähnlich bin ich bei Thomas von Aquin verfahren: Ipsum esse nondum est. Zu einer Neuinterpretation einer neudatierten Thomasschrift, in: G. Leibold/W. Löffler (Hrsg.), Entwicklungslinien mittelalterlicher Philosophie, Wien 1999, 107–119. Met. Δ 7.1017 a 27–30: „So bezeichnet ‚sein‘ dasselbe wie jede dieser Formen der Aussage; denn es ist kein Unterschied zwischen den Aussagen ‚der Mensch ist bei gutem Befinden‘ und ‚der Mensch befindet sich wohl‘, auch nicht zwischen den Aussagen ‚der Mensch ist gehend oder schneidend‘ und ‚der Mensch geht oder schneidet‘, und ebenso bei den anderen (Kategorien).“ (Th. A. Szlezák) (Hervorheb. im Original) (ἑκάστω̣ τούτων τὸ εἰ˜ναι ταὐτὸ σημαίνει. οὐδὲν γὰρ διαφέρει τὸ ἄνθρωπος ὑγιαίνων ἐστὶν ἢ τὸ ἄνθρωπος ὑγιαίνει, οὐδὲ τὸ ἄνθρωπος βαδίζων ἐστὶν ἢ τέμνων του˜ ἄνθρωπος βαδίζει ἢ τέμνει. ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τω˜ν ἄλλων.)

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2. Dieses Bezeichnungsverhältnis, in dem das Sein in der Weise bestimmt wird, dass es selbst das von einem anderen Wort Bezeichnete ist, hat es nun mit vielen anderen Begriffen gemein. Genauer gesagt, mit allen Begriffen, bei denen sich eine konkrete Form von einer abstrakten Form unterscheiden lässt. Und genau für diesen zweiten Schritt beruft sich Eckhart hier und an vielen anderen Stellen auf Aristoteles: Denn für die Verhältnisbestimmung: ens solum esse significat 29 bezieht er sich auf einen Aristoteles-Satz, der dieses Verhältnis auch an einem völlig beliebigen Beispiel vorzufinden scheint und daher als Beleg für ein generelles Verhältnis gelten kann: album solam qualitatem significat.30 Und hier ergibt sich bereits eine erste Gelegenheit, das Verhältnis Eckharts zur Metaphysik des Aristoteles zu bestimmen. Denn es handelt sich nicht um die Berufung auf einen aristotelischen Satz, mithin darauf, was Aristoteles gemeint oder woran er gedacht hat, sondern um eine Inanspruchnahme, bei der Zitat und zu belegender Sinn völlig entgegengesetzt sind. Während nach Aristoteles mit diesem Wort „weiß“ dasjenige bezeichnet wird, dem sein Inhalt zukommt, wird nach Eckhart umgekehrt nichts anderes als dieser Inhalt selbst bezeichnet. Aristoteles bringt den von Eckhart oftmals angeführten Satz als Beispiel dafür, dass zweite Substanzen nicht, wie es durch die sprachliche Form den Anschein hat, ein „Dieses“ bezeichnen, sondern, wie er sagt, „eher“ (μᾶλλον) etwas Qualitatives. Doch gehören Begriffe wie „Mensch“ oder „Lebewesen“, die, da sie von vielem ausgesagt werden, für zweite Substanzen stehen, nicht im strengen Sinne in die Kategorie der Qualität. Es handelt sich kategorial betrachtet somit nicht um denselben Fall wie beim Begriff der Qualität „weiß“. Und hier sagt Aristoteles: „Weiß bezeichnet nichts anderes als ein Qualitatives.“ Nach Aristoteles scheint es also so bestellt zu sein, dass das Prädikat etwas im Hinblick auf seine Qualität, hier die Qualität der Farbe und zwar die Farbe „weiß“ bezeichnet. Dies trifft für Eckhart eben gerade nicht zu. Das Prädikat „weiß“ bezeichnet das Weißsein als solches, soll heißen gerade nicht in irgendeiner Weise dasjenige, dem das Weißsein zukommt. Das zufällige Zukommen der Eigenschaft des Weißseins kann ebenso wenig wie das, was das Weiß-sein im Wesentlichen ausmacht, in dem begründet liegen, dessen Eigenschaft es ist. Denn wäre dies möglich, dann wäre es eben keine faktische Eigenschaft. Also muss sie in der allgemeinen Form begründet liegen. Eckhart lässt also den Umstand, dass es sich im Falle von „weiß“ um

29 30

Prol. in Op. prop. n. 2, 166,6 (wie Anm. 3). Cat. 5.3 b 19: οὐδὲν γὰρ ἄλλο σημαίνει τὸ λευκὸν ἀλλ᾽ ἢ ποιόν.

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eine Qualität und bei einer Qualität um eine faktische Eigenschaft (accidens) handelt, ganz beiseite. Wovon es eine Eigenschaft ist oder sein kann, besagt nichts im Hinblick auf seinen Inhalt. Für das Verhältnis von konkreter und abstrakter Wortform führt Eckhart so viele verschiedene Beispiele an,31 dass man denken muss, es gebe davon keinerlei Ausnahme: weder betrifft es nur die transzendentalen Begriffe, noch nur die positiven Begriffe. Eckhart behauptet somit ein gänzlich formales Verhältnis der Bezeichnung, das bei ausnahmslos allen konkreten Begriffen statthat und sich in allen Fällen ausnahmslos auf den Gehalt als solchen bezieht. Eckhart vermerkt weder die Differenz zu Aristoteles – im Gegenteil, er beruft sich ja gerade auf ihn – noch begründet er explizit seine Auffassung. Sein Argument könnte in Folgendem liegen: Nur diese Beziehung zwischen der konkreten Bezeichnung und der abstrakten Bedeutung ist eine notwendige, wohingegen die Beziehungen zu den Dingen, denen der Gehalt des Gemeinten zukommt, in ihrer Wirklichkeit unbestimmt bleiben. Natürlich kommt das Weißsein nur an konkreten Dingen vor – die Vorstellung Karl Alberts, es gäbe nach Eckhart eine Idee des Weißseins, ist völlig abwegig32 –, aber an welchem Ding und in welcher Weise es vorkommt, ist doch notwendiger Weise kontingent. Diese Bezeichnungsrelation scheint somit völlig unabhängig davon zu gelten, von welchem Inhalt das jeweilige Prädikat ist. Sobald freilich dieser Gesichtspunkt der Prädikatsform ins Spiel kommt, gilt es einen prinzipiellen Unterschied zu beachten: Es macht erstens einen wichtigen Unterschied aus, ob es sich um einen spezifischen Begriff oder um einen überkategorialen Begriff handelt. Man müsse in beiden Fällen anders auffassen – sentiendum33 – wenn es sich um den Begriff ens handelt im Unterschied dazu, dass es sich um ein bestimmtes Seiendes handelt. Dies gilt nach Eckhart für alle transzendentalen Bestimmungen. Allerdings ist zu beachten, dass Eckhart diesen Unterschied dreimal anführt und die beiden ersten Differenzen das Begriffsfeld

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Prol. in Op. prop. n. 2, 166,6–11 (wie Anm. 3): Similiter autem se habet et in aliis, puta quod unum solum unitatem significant, verum veritatem, bonum bonitatem, honestum honestatem, rectum rectitudinem, iustum iustitiam et sic de aliis et horum oppositis, puta malum solum malitiam, falsum solum falsitatem, obliquum obliquitatem, iniustum iniustitiam et sic de aliis. K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum, Saarbrücken 1976; jetzt in: Ders. (wie Anm. 7) 65: „Das von Eckhart gemeinte Weißsein ist, wie wir soeben feststellten, ein im Sinne der Platonischen Philosophie für sich bestehendes Weißsein, das für alles einzelne Weißsein die Ursache dafür ist, daß es weiß ist.“ Die Koch’sche Übersetzung „urteilen“ scheint auf den ersten Blick zu spezifisch zu sein, in seiner Zusammenfassung verwendet Eckhart aber dann selbst loquendum; vgl. In Exod. n. 54, 58,3 (wie Anm. 3): aliter loquendum est et sentiendum.

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Sein betreffen: ens und ens hoc et et hoc, sodann esse absolute und esse huius et huius. Eckhart meint wohl einerseits das Seiende im Allgemeinen und andererseits das konkrete Seiende, dieses Buch und dieses Blatt Papier. Im zweiten Fall spricht er einerseits von dem, was mit dem Seienden bezeichnet wird und das als solches keine Einschränkung enthält, und andererseits von dem, was das Sein dieser Dinge ausmacht, das Buchsein, das Papiersein. Eckhart gibt am Ende dieser Modellproposition eine Zusammenfassung, die zum einen die doppelte Unterscheidung beim Sein unterlässt und zum anderen das sentiendum durch das loquendum ersetzt. Es geht also eindeutig um das Urteil. Anders als bei Aristoteles steht dabei, wie bereits vermerkt, die These im Hintergrund, dass „Sein“ nur in einem Sinne ausgesagt wird. Die Zusammenfassung erbringt nun noch eine doppelte Erläuterung: Durch die Unterscheidung des Redens ergibt sich eine Folgerung und ein Weg zu ihrer Begründung. Wenn vom Seienden die Rede ist, dann ist lediglich von einem die Rede, wohingegen selbstredend das ens hoc aut hoc ein Begriff für die Mannigfaltigkeit der Dinge ist. Die entscheidende Frage ist allerdings, in welcher Weise anders zu reden ist und woraus dies hervorgeht. Eckhart zieht eine bekannte Unterscheidung heran, der er aber eine neue Deutung gibt. Von „ist“ kann in einem Satz in zweifacher Weise die Rede sein: Zum einen im Sinne eines Existenzurteils, zum anderen in der Form einer Kopula, durch die Subjekt und Prädikat miteinander verbunden werden. Die unproblematische Form ist die zweite. Wenn man von etwas etwas Bestimmtes aussagt, dann hat das „ist“ die Funktion einer copula bzw. eines adiacens praedicati. Von etwas zu sagen, es ist ein Mensch, ist ein Beispiel dafür. Dasselbe gilt für die anderen Transzendentalien. Man kann von etwas auch sagen, es sei ein Mensch, ein Gutes, ein Eines etc. „Seiend“ meint also in einer Hinsicht etwas Bestimmtes, mit einem aus der Tradition entnommenen Ausdruck: ens hoc. Gemeint ist damit kein Dieses, sondern ein solches. Natürlich wird erst durch die Kopula die Verbindung zweier Begriffe hergestellt und damit ein Satz gebildet. Dann liegt dasjenige vor, was wahr oder falsch sein kann. Von entscheidender Bedeutung ist hingegen seine Deutung des Existenzurteils.34 Eckhart formuliert es im ACI: cum dico aliquid ens (und entsprechend unum, verum, bonum). Soll das heißen: „Etwas ist seiend (aliquid esse ens)“ oder „Etwas ist (aliquid est)“. Irreführend ist vielleicht die Verwendung des aliquid. Es kann nicht irgendetwas im unbestimmt gelassenen Unterschied zu irgendetwas anderem gemeint sein. Eckhart denkt offenbar, wenn nicht etwas Bestimmtes und damit Begrenztes ausgesagt wird, dann wird nur Sein ausgesagt. Dies kann dann nur die Bedeutung Existenz haben. Es ist 34

Prol. in Op. prop. n. 25 (wie Anm. 3).

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nicht ganz sicher, ob sich Eckharts Aussagen völlig zur Klarheit bringen lassen. Von etwas etwas aussagen, heißt immer, bereits eine Einschränkung vorgenommen zu haben. Aber man kann doch von Einzeldingen die Existenz aussagen. Allerdings, so die These Eckharts, nicht im selben Sinne. Nach Eckharts Auffassung, in die erstmals Alain de Libera35 Licht gebracht hat, ist Sein bei allen transzendentalen Bestimmungen Teil des Prädikats – wodurch Eckhart zwar von der mittelalterlichen Semantik grundlegend abweicht, aber ein semantisches Konzept artikuliert, das seiner Metaphysik entspricht.36 An zweiter Stelle – der Sache nach, nicht im Hinblick auf die Abfolge im Text – geht es um die Gemeinschaft mit den anderen termini generales, den transzendentalen Bestimmungen. Der Umkreis entnimmt Eckhart natürlich unmittelbar der mittelalterlichen Tradition, aber zuletzt der Metaphysik des Aristoteles. Auch für sie gilt, was für alle konkreten Bestimmungen gilt, nämlich das dargelegte Verhältnis von konkreter und abstrakter Wortform. Aber im Unterschied zu den hinzukommenden Eigenschaften sind diese Begriffe schlechterdings allgemeine Bestimmungen. Sie enthalten nichts, wodurch sich die Dinge unterscheiden. Eckharts Bestimmung: prima in rebus et omnibus communia37 formuliert einen Zusammenhang parataktisch, der doch der Sache nach als ein Begründungszusammenhang gedacht ist. Diese Bestimmung sind nicht erstrangig und allgemein, sondern weil allem gemeinsam deshalb erstrangig. Alle anderen Bestimmungen, die einer Sache zukommen, kommen ihr unter Voraussetzung dieser Bestimmungen zu. Sie selbst gehen auf eine Ursache zurück, was man sowohl lesen kann im Sinne auf jeweils eine Ursache oder auf eine einzige Ursache. Diese Ursache wird demgemäß als eine bestimmt, die zwar universell ist, sofern sie eine allgemeine Bestimmung vermittelt, aber doch Raum lässt für das andere. Dies ergibt sich notwendig daraus, dass sie eben schlechterdings allgemeine Bestimmungen vermittelt, die Dinge haben als je spezifische und besondere darüber hinaus aber noch weitere Bestimmungen. Wenn man auch die Vorform der Transzendentalienlehre bei Aristoteles nachweisen kann,38 so kommt ihr doch erst jetzt im Mittelalter eine systembildende Funktion zu. 35 36

37 38

A. de Libera, Le problème de l’être chez Maître Eckhart: logique et métaphysique de l’analogie (CRThPh Bd. 4), Genève 1980, 28–37. Jüngst dazu, wenn auch weitgehend rekapitulierend: T. Tsopurashvili, Sprache und Metaphysik. Meister Eckharts Prädikationstheorie und ihre Auswirkung auf sein Denken (Bochumer Studien zur Philosophie 52), Amsterdam–Philadelphia 2011; über die Präsenz der neuplatonischen Semantik in der Scholastik: L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken, in: J. P. Beckmann u. a. (Hrsg.), Sprache und Erkenntnis im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia Bd. XIII/1), Berlin 1981, 19–35. Prol. in Op. prop. n. 11, 171,11 f. (wie Anm. 3). K. Bärthlein, Die Transzendentalienlehre der alten Ontologie, Bd. I: Die Transzendentalienlehre im Corpus Aristotelicum, Berlin 1972.

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Darin liegt eine ganz offenkundige Abkehr von Aristoteles. Denn ein Inbegriff lässt sich nur bilden, wenn ihm ein gemeinsamer Begriff zugrunde liegt. Das Gute selbst ist daher für Platon eine Idee, nicht aber für Aristoteles. Diese kritische Abkehr ist ein metaphysischer Exkurs in der Nikomachischen Ethik (im zweiten Kapitel des ersten Buchs) 39 gewidmet. Hier wendet sich Aristoteles nicht nur mit den bekannten Argumenten gegen die Annahme von Ideen, sondern ganz spezifisch gegen Platons Auffassung von der begrifflichen Verfassung des Guten, welches ja nur unter der angegebenen Bedingung überhaupt eine Idee zulässt. Hinsichtlich der Aussageweise stellt Eckhart das Sein mit den anderen transzendentalen Bestimmungen gleich. Es gibt aber gleichwohl einen letzten Unterschied und dieser bezieht sich nicht allein auf die aus Avicenna entnommene Aussage, wonach Sein das erste, was der Verstand auffasst ist, sondern darauf, dass Sein das Prinzip der Vollkommenheit ist. Es sieht über weite Strecken so aus, als würde Eckhart das Sein nun doch als Form auffassen. Die Entsprechung, mit der Eckharts Bestimmung des Seinsbegriffes einsetzt, lässt erwarten, dass er es als eine Form nimmt und wie eine Form bestimmt. Dies rechtfertigt er nicht eigens, doch lassen sich zum einen zwei Gedanken anführen, die er wohl als Argumente für diese Statusbestimmung angesehen hat: Jede allgemeine (!) Form wie Leben und Denken ist bereits eine bestimmte, soll heißen eine eingeschränkte Weise – des Seins. Das Sein ist also in allem vorausgesetzt. Sein ist das erste des Geschaffenen, wie er mit dem Liber de causis häufig sagt.40 Eckhart zitiert aber auch wiederholt den Satz des Avicenna: id quod desiderat omnis res, est esse et perfectio esse, inquantum est esse.41 Dies ist freilich nur dann ein Argument, wenn mit ‚Sein‘ hier nicht das je spezifische Sosein gemeint ist. Und dies ist denn auch tatsächlich nicht der Fall. Die drastische Formulierung in der Predigt 8: „Keine Kreatur ist so gering, dass sie nicht nach dem Sein begehrte. Die Raupen, wenn sie von den Bäumen herabfallen, so kriechen sie an einer Wand hoch, auf dass sie ihr Sein erhalten. So edel ist das Sein.“ 42 Zum anderen aber scheint sich Eckhart – wohl gerade wegen des Charakters des Erstbestimmenden – doch nicht vollständig auf den Formstatus festzulegen.

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Vgl. H. Flashar, Die Platonkritik (I 4), in: O. Höffe (Hrsg.), Aristoteles, Nikomachische Ethik, Berlin 1995, 63–82 [zuvor unter dem Titel „Die Kritik der platonischen Ideenlehre in der Ethik des Aristoteles“, in: Synusia. Festschrift für Wolfgang Schadewaldt, Pfullingen 1965, 223–246]. Vgl. Anonymus, Liber de causis (Philosophische Bibliothek Bd. 553), übers. v. A. Schönfeld, Hamburg 2003, 161 f. Avicenna, Met. VIII, 6 (ed. S. Van Riet, Louvain 1980, 412, 63–64); zitiert in: Prol. gen. in Op. trip. n. 8 (wie Anm. 3); Qu. Par. Responsio (wie Anm. 3) I n. 115, 288, 16–289, 2. Pred. 8 (wie Anm. 3) Pred. 1, 134, 1–4.

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Eckhart greift durchaus auch die Konzeption des Thomas auf, wonach das Sein ein Akt – auch der Formen selbst – ist. Ein Akt hat aber für sich genommen keinen Inhalt, sondern nur, sofern er der Akt einer bestimmten Wirklichkeit ist.43 Die vorangegangene Analyse von Eckharts Seinsbegriff sollte gezeigt haben, dass dieser in seiner Struktur ebenso wie in der Weise seiner Gewinnung ungeachtet von Eckharts Berufungen und Inanspruchnahmen auf markante Weise vom aristotelischen Begriff des Seins abweicht und damit in deutlicher Distanz zu dessen Metaphysik steht. Da die Aufklärung des Seinsbegriffes sich aber nur zu einem Teil auf das stützen kann, was Eckhart selbst dazu explizit sagt – und was er sagt, variiert oder iteriert er oftmals – muss in einem zweiten Teil der Schwerpunkt darauf gelegt werden, wie er mit dem Seinsbegriff umgeht. Dies ist wohl am aufschlussreichsten dort, wo er ihn nicht für sich bestimmt, sondern in einen anderen Zusammenhang bringt als den der Transzendentalien.

III. Denken und Leben An einer berühmten Stelle in Metaphysik Λ bestimmt Aristoteles die Wesenszüge des ersten unbewegten Bewegers. Nachdem er ihn zuerst als Geist und sodann den Bezug seines Denkens erschlossen hat, fährt er fort: „Auch Leben kommt ihm natürlich zu. Denn die Tätigkeit des Geistes ist Leben, und jener ist die Tätigkeit. Seine Tätigkeit ist an ihm selbst vollkommenes und ewiges Leben. Wir behaupten also, daß der Gott ein 43

Er sagt aber etwa, Prol. gen. in Op. trip. n. 8, 153,7–8 (wie Anm. 3): Ipsum enim esse comparatur ad omnia sicut actus et perfectio et est ipsa actualitas omnium; In Eccli. n. 44, 273,7–9 (wie Anm. 3): Sine esse enim non plus valet totum universum quam musca, nec plus sol quam carbo, nec sapientia plus quam ignorantia; dies erinnert wiederum an Thomas von Aquin (Sancti Thomae Aquinitatis, Summa contra gentiles, ed. Leonina XXXIII, Rom 1918 [= SCG]), I, 28, 260: Omnis enim nobilitas cuiuscumque rei est sibi secundum suum esse: nulla enim nobilitas esset homini ex sua sapientia nisi per eam sapiens esset; ST I, 4, 3: omnium autem perfectiones pertinent ad perfectionem essendi: secundum hoc enim aliqua perfecta sunt, quod aliquo modo esse habent. Aber Eckhart beruft sich selbst in seiner Rechtfertigungsschrift, Responsio ad articulos sibi impositos, Qu. Par., I n. 115, 288 f. (wie Anm. 3) auf Thomas (Sancti Thomae Aquinitatis, Summa theologiae, ed. Leonina IV–XII, Rom 1888–1906 [= ST ], I, 4, 1 ad 3: ipsum esse est perfectissimum omnium: comparatur enim ad omnia ut actus. Nihil enim habet actualitatem, nisi inquantum est: unde ipsum esse est actualitas omnium rerum, et etiam ipsarum formarum. Das Sein des Menschen wird nicht als dasjenige betrachtet, dem Sein zukommt, sondern ut formale et receptum. Die Frage ist, was hier das ut heißt: Man kann es als Vergleich lesen: „wie ein Formbestimmendes“, oder als Bestimmung des Sinnes: „im Sinne von“. In dieser zweiten Deutung wäre auch das Sein eine Form und in diesem Sinne versteht es Eckhart.

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lebendiges Wesen, ewig und vollkommen ist, so daß Leben und beständiges, ewiges Dasein dem Gotte zukommen, denn dies ist das Wesen des Gottes.“ 44 Auf diese Stelle verweist Eckhart, so scheint es, zwar nirgends selbst, seine Editoren freilich schon,45 etwa dort, wo er den Satz formuliert: intelligere intellectui ut sic est vivere. Zunächst ist dabei auffällig, dass er selbst den Satz als einen analogen formuliert, nämlich zu einem anderen, aber ebenfalls aristotelischen Satz: vivere viventibus est esse. Diesen Satz aus De anima46 zitiert Eckhart überaus häufig.47 Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass Eckhart – wie übrigens bereits Albertus Magnus,48 aber im Unterschied zu Thomas von Aquin – auch noch einen weiteren analogen Satz formuliert – und ebenfalls mehrfach vorbringt: intelligere intelligentibus est esse.49 Er stellt die Verbindung zwischen beiden auch ausdrücklich selbst her: cognoscere cognoscentibus est vivere, sicut ‚vivere viventibus est esse‘ ut ait philosophus.50 Es ergibt sich also ein dreistufige Folge von Sein – Leben – Denken. Eckhart erläutert nicht explizit, was es mit dieser Abfolge auf sich hat und 44

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Met. Λ 7.1072 b 26–30: καὶ ζωὴ δέ γ̓ ὑπάρχει· ἡ γὰρ νοῦ ἐνέργεια ζωή, ἐκεῖνος δὲ ἡ ἐνέργεια· ἐνέργεια δὲ ἡ καθ᾽ αὑτὴν ἐκείνου ζωὴ ἀρίστη καὶ ἀΐδιος. Φαμὲν δὲ τὸν θεὸν εἶναι ζῷον ἀΐδιον ἄριστον, ὥστε ζωὴ καὶ αἰὼν συνεχὴς καὶ ἀΐδιος ὑπάρχει τῷ θεῷ· τοῦτο γὰρ ὁ θεός. (Übers. Gadamer, wie Anm. 34); E. N. X 8.1178 b 21–23; 25–26: „So muss denn die Tätigkeit der Gottes, die an Seligkeit alles übertrifft, eine betrachtende sein […] Das Leben der Götter ist seiner Totalität nach selig“ (Übers. O. Gigon) (ὥστε ἡ του˜ θεου˜ ἐνέργεια, μακαριότητι διαφέρουσα, θεωρητικὴ ἂν εἴη. […] τοι˜ς μὲν γὰρ θεοι˜ς ἅπας ὁ βίος μακάριος); De an. II 2.413 a 22–25: „Nun hat aber das Wort Leben mehrere Bedeutungen, wenn auch nur eine von ihnen zutrifft, so sprechen wir einem Wesen Leben zu, so bei Geist, Wahrnehmung, Bewegung und Ruhe im Raume, endlich Bewegung im Sinne von Ernährung, Verfall und Wachstum“ (Übers. O. Gigon). πλεοναχω˜ς δὲ του˜ ζη˜ν λεγομένου, κἂν ἕν τι τούτων ἐνυπάρχη̣ μόνον, ζη˜ν αὐτό φαμεν, οἱ˜ον νου˜ϛ, αἴσθησις, κίνησις καὶ στάσις ἡ κατὰ τόπον, ἔτι κίνησις ἡ κατὰ τροφὴν καὶ φθίσις τε καὶ αὔξησις. In Ioh. n. 679, 593 (wie Anm. 3). De an. II 4.415 b 13: τὸ δὲ ζῆν τοῖς ζῶσι τὸ εἶναί ἐστιν. In Sap. n. 270, 600; n. 289, 623; In Eccli. n. 2, 232; n. 68, 298; In Gen. I n. 78, 240; In Gen. II n. 103, 368; In Ioh. n. 136, 116; n. 141, 118; n. 291, 244; n. 341, 290; n. 545, 477; n. 679, 593; Ser. II, 2 n. 15, 17,167; Ser. XVII, 4 n. 174, 165; Ser. XVII, 5 n. 179, 167 f.; Ser. LIV, 1 n. 528, 445 (insgesamt wie Anm. 3). De homine, ed. Col. XXVII/2, p. 54, 79–80. In Ioh. n. 61, 51; n. 136, 116; n. 139, 117; n. 141, 118; n. 294, 244; n. 341, 290; n. 426, 361; n. 500, 431; n. 679, 593; n. 681, 595 (insgesamt wie Anm. 3). In Ioh. n. 545, 476 f.; In Gen. I n. 78, 240,6–7: cognoscere siquidem proprie et vere vivere est cognoscentibus, et vivere esse; In Ioh. n. 679, 593,2–3: sicut ‚vivere viventibus est esse‘, sic intelligere intellectui ut sic est vivere; die Editoren des Genesis-Kommentars verweisen zudem auf In Ioh. n. 139, 117,9–10 (insgesamt wie Anm. 3), dort ist aber vom Liber de causis die Rede: esse et intelligere in vita sunt vel potius vita est et vivere, ut patet ex De causis: Liber de causis, prop. XI n. 105 (ed. Schönfeld [wie Anm. 39] 26).

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auf Grund wovon sie gebildet wird. Er übernimmt sie aus der – ja nicht der aristotelischen, sondern offenkundig der neuplatonischen51 – Tradition, aber dieser Umstand macht diese Begriffsfolge nicht hinreichend verständlich, da es ja noch einen Grund dafür geben muss, warum er sich dieser Tradition angeschlossen hat, und noch zu klären ist, in welchem Sinne er diese Triade verstanden hat. Da diese Zitate aber besonders häufig vorkommen, muss es mit ihnen eine besondere Bewandtnis haben. Diese zu erschließen, bedarf es mangels einer expliziten Erläuterung, eines rekonstruktiven Zugangs. Die Frage lautet also: Wie muss Eckhart diese Begriffe aufgefasst haben, damit sich diese besondere Rangfolge ergibt? Auf den ersten Blick scheint dies eine schlichte Stufung der Allgemeinheit zu sein: Sein ist gegenüber Leben und Leben ist gegenüber dem Erkennen das je Allgemeinere, weil es auch Seiendes gibt, das nicht lebendig ist, und Lebendiges, das nicht erkennt. Dies stellt Eckhart durchaus auch selbst fest.52 Dies würde es ermöglichen beides zu sagen: „Das Erkennen ist für die Erkennenden das Sein“, aber auch: „Erkennen ist für das Erkennende das Leben“. Er verwendet für die höchste Tätigkeit des Erkennens den mittlere und den allgemeinsten Begriff und für den mittleren des Lebens die allgemeinste Bestimmung Sein. Warum ist das so? Eckhart zieht hierfür einen Text aus dem Liber de causis heran. Dieses Prinzip verweist eindeutig auf die platonische Tradition. Das Enthaltende ist zugleich das Bestimmende – es bestimmt nicht den Inhalt, aber immerhin doch seine Realisierungsweise. Es geht aber vor allem um die Bestimmung des Verhältnisses der drei Begriffe. Eckhart begründet es nicht ausdrücklich, so dass es scheinen könnte, er verweise eben doch unausgesprochen auf einen klassischen Text – hier wohl die Metaphysik des Aristoteles. Er stellt dabei aber eine Verknüpfung her, die Aristoteles nicht hergestellt hat (schon die Verbindung von Denken und Leben scheint auch den neueren Interpreten53 einige Schwierigkeit zu tun bereiten). Eckhart gibt diesem Zusammenhang zwar keine Begründung im Ganzen, aber doch für die engere Beziehung von Leben und Erkennen. Genauer gesagt, er gibt drei Begründungen: 1. Das Aufnehmende ist das Bestimmende: Dieser eben schon gestreifte Satz aus der neuplatonischen Tradition54 gilt generell und hat als solcher mit 51 52 53

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P. Hadot, Être, vie, pensée chez Plotin et avant Plotin, in: Les sources de Plotin (Entretiens sur l’antiquité classique V), Vandoeuvres–Genève 1960, 105–141. In Ioh. n. 500, 431,10–11 (wie Anm. 3): Intellectivum abundantius est quam vivum, sicut vivum abundantius est quam ens. M. Bordt, Aristoteles’ „Metaphysik XII“, Darmstadt 2006, 121; E. Sonderegger, Aristoteles’ Metaphysik Lambda. Ein spekulativer Entwurf: Einführung, Übersetzung, Kommentar, Bern 2008, 393–395. Liber de causis, prop. 9, n. 93 u. 7, n. 73 ff. (ed. O. Bardenhewer, Freiburg i. Br. 1882 [ND Frankfurt 1957], 173 u. 170; ed. Schönfeld [wie Anm. 39] 24 u. 18): Omne receptum

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dem Verhältnis von Denken und Leben gar nichts spezifisch zu tun, nur eben in der Weise, dass der Verstand etwas aufnehmen in der Lage ist. Damit dreht sich das Verhältnis um, denn jetzt ist „das Leben im Verstand“, als Begriff „Leben“ oder als Vollzug des Erkennens, d. h. als Verwirklichung des Verstandesvermögens. 2. Die Bestimmung des Erkennens als Leben ergibt sich aus der Beziehung, die für das Erkennen nun wirklich spezifisch ist: durch die Beziehung auf ein Objekt. Eckhart behauptet, dass dies zu einer Wirklichkeit von Lebendigkeit dadurch würde, dass es erkannt wird. Dies ist das Bestimmtwerden durch eine Form. Damit kommt er dem Aristoteles schon näher. 3. Die eigentlich interessante Version ist nun aber tatsächlich diejenige, von der wir ausgegangen sind. Warum ist für die erkennenden Wesen das Erkennen ein Leben und für die Lebendigen das Leben das Sein? Wenn es sich einfach um die jeweils allgemeinere Bestimmung handelte, wäre tatsächlich auch nur etwas Allgemeineres gesagt: Gehen ist eine Art der Fortbewegung und Fortbewegung ist eine Art der Tätigkeit. Es handelt sich aber gar nicht um eine generische Bestimmung. Denn diese ließe sich auch alle begrifflichen Beziehungen anwenden und hätte mit der konkreten begrifflichen Konstellation der Triade gar nichts zu tun. Man kann denken, dass Gattungsbegriffe durch Abstraktion von spezifischen Bestimmungen gebildet werden; aber wovon etwas eine Weise – und eben keine Art – ist, ergibt sich keinesfalls durch dieses Verfahren. Bei Descartes etwa hat das Denken nur mit Bewusstsein, nichts mit dem Leben zu tun.55 Es kann also nur mit dem besonderen begrifflichen Charakter der in Frage stehenden Begriffe zu tun zu haben. Dieser scheint in Folgendem zu liegen: Sowohl Denken als auch Leben enthalten zwei formal unterschiedliche Momente: ein inhaltliches und ein Moment des Vollzuges. „Leben“ kommt demjenigen zu, was durch seine Beseelung eine organische Struktur hat; gleichzeitig ist aber Leben ein Vollzug, für uns ein zunächst zeitlich bestimmter Vollzug mit einem besonderen, von rein un-

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est in recipiente per modum recipentis. Mit bedeutsamer Anwendung auf den Begriff der Erkenntnis: Boethius, Phil. consol. V, pr. 4, 25 (Corpus Christianorum Series Latina 94, p. 96 f.): Omne enim, quod cognoscitur, non secundum sui vim, sed secundum cognoscentium potius comprehenditur facultatem; ebd. V, pr. 5, 1 (Corpus Christianorum Series Latina 94, p. 100 f.); vgl. R. Schenk, Die Gnade vollendeter Endlichkeit. Zur transzendentaltheologischen Auslegung der thomanischen Anthropologie, Freiburg–Basel–Wien 1989, 153 f., 255 ff., 555 ff. Zu dieser Alternative und ihren jeweiligen Implikationen: R. Spaemann, Das Sum in Descartes’ Cogito Sum, jetzt in: Schritte über uns hinaus. Gesammelte Reden und Aufsätze, I, Stuttgart 22010, 136–148.

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belebten Dingen unterschiedenen Verhältnis zur Zeit. Im Begriff „Denken“ liegt ebenfalls ein Bezug auf einen Inhalt, auf den Gedanken, zugleich aber auch auf den Prozess des Denkens, auf die Tätigkeit und den Vollzug des Nachdenkens in all seinen Formen. Die Frage ist, ob diese wechselseitige Bedingtheit der beiden Momente sich auch beim Seinsbegriff zeigen lässt. Eckhart scheint jedenfalls dieser Auffassung zu sein, denn er sagt: Vom reinen Sein müsse, da es keinerlei Negativität enthalten könne, auch die Existenz ausgesagt werden.56 Die Autoren, die jenen aristotelischen Satz vom Leben als Sein des Lebendigen ebenfalls häufig anführen57 und im Blickfeld Eckharts stehen, haben diesen Satz wohl ganz im Sinne des Aristoteles verstanden: Thomas von Aquin geht in seinem Kommentar zu De anima der Behauptung nach, dass die Seele im mehrfachen Sinne Prinzip des lebendigen Körpers ist, weil der Begriff „Prinzip“ selbst mehrfach ausgesagt wird. In einem ersten Sinne ist das Wesen, soll heißen die Form einer Sache, was Grund für dessen Sein ist (causa essendi). Die Form – bzw. ihre Präsenz – macht ein Ding zu einem wirklichen. Diese Form ist bei den Lebewesen die Seele. Er fährt fort: per animam enim vivunt et ipsum vivere est esse eorum.58 Das Sein des Lebendigen zu sein, heißt also genauer, deren Seinsgrund zu sein. Dies offenbar nicht in dem Sinne, dass es ein äußerlicher Grund wäre. Es ist ja von der Form die Rede – diese wiederum wird hier nicht im Sinne einer wirklichkeitsindifferenten Struktur verstanden, sondern im Sinne eines inneren Wirklichkeitsgrundes. Diese Konzeption der Form scheint ohnehin für Eckhart maßgebend, weil er ausdrücklich die Form zusammen mit der Materie als eine innere Ursache auffasst.59 Sie macht das Ding zu dem, was es ist. Aber kein indifferentes Sosein, sondern eine, wenn man so sagen kann, strukturierende Struktur, keine abstrakte Konstellation, die gegenüber Sein und Nichtsein gänzlich indifferent wäre. Die Ambivalenz dieses Formbegriffs, der einerseits als bestimmendes Moment des Wesens keinerlei Existenz mit einschließt, andererseits aber als Bestimmungsgrund die Existenz gerade begründet, gehört vielleicht

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Prol. gen. in Op. trip. n. 13, 158,11–13 (wie Anm. 3). Soweit es sich hat überprüfen lassen, hat Duns Scotus an jenem Adagium kein Interesse, er scheint es nirgends anzuführen. Wenn das Sein von allen Differenzierungen abstrahiert, dann kann es auch nicht durch den Verweis auf solche Differenzierungen näher bestimmt werden. Der Frage, ob nicht gleichwohl in der Art der Bestimmung eine Analogie in Anspruch genommen wird, eben statt der verschiedenen Weisen zu dem, dessen Weise sie sind, die Analogie zur Differenzierung von Gattung in seine Arten, müsste gesondert nachgegangen werden. In De an. II 7 (ed. Leon. XLVI/1, p. 98, 179–180). Vgl. oben Anm. 22.

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nicht zum aristotelischen Grundgedanken in seiner Metaphysik, aber doch wohl zu einem repräsentativen Zug des mittelalterlichen Aristotelismus. Albertus Magnus versteht jenen Satz in seinem Kommentar zu De anima ganz ähnlich: Auch er bezieht ihn auf eine der Prinzipienbestimmungen der Seele, nämlich auf ihren Charakter als causa formalis. Was er – übrigens nicht nur hier – hinzufügt, ist der Verweis darauf, dass es sich um einen kontinuierlichen Vollzug handelt: vivere est actus animae in corpus continuus.60 Die Verbindung der beiden begrifflichen Beziehungen, aus der sich die berühmte Triade ergibt, wird freilich bei Eckhart nicht zum ersten Mal hergestellt. Sie findet sich etwa auch bei Albertus Magnus. Dieser hat auch schon die Analogie sentire sentientibus est esse gefunden.61 Es scheint Eckhart weiter nicht erforderlich, auf diese berühmten Adagia eine eigene interpretatorische Anstrengung zu wenden. Solche Schnittstellen sind aber gerade dann interessant, wenn sie ein Selbstverständnis zum Ausdruck bringen, demgegenüber sich das unsere deutlich verändert hat. Solche Schnittstellen sind für beide Voraussetzung von Belang, sowohl für die des Textes wie für die seiner späteren Interpreten. Auffällig ist, dass in einem Fall eine Tätigkeit gefasst wird: die des Geistes, im anderen Fall ein Sein. Das Sein des Lebendigen ist das Leben. Im einen Fall wird, so scheint es, die Aussage auf eine allgemeinere Ebene verlagert; er sagt eben nicht, das Sein des Geistes ist Leben, sondern die Tätigkeit des Verstandes ist Leben und nicht Erkennen. In beiden Fällen wird etwas allgemeiner gefasst: Das Sein des Lebendigen im anderen Fall die Tätigkeit des Verstandes. Leben ist auch nach Aristoteles eine Art von Praxis, also eine Tätigkeit: ὁ δὲ βίος πρᾶξις, οὐ ποίησις.62 Was freilich von erheblicher Bedeutung ist, ist der Umstand, dass in dieser Traide der Begriff des Lebens von dem der Seele abgelöst wird. Hatte Aristoteles in De anima überlegt, ob denn der Verstand zur Seele gehört, und diese Frage in dem berühmten Kapitel 5 des dritten Buches verhandelt, dann bleibt doch der Umstand, dass Gott zwar lebendig, aber doch kein beseeltes Wesen ist. Was kann das heißen? In der Tradition des Neuplatonismus wird das Leben zu einer eigenen, vom Geist unterschiedenen Stufe. Dies verbindet sich mit der Weltseele, die sich wiederum von den Lebensstufen des Aristoteles abhebt. Das Leben scheint in gewisser Weise eher eine Form als eine Tätigkeit zu sein. Denn es handelt sich um eine bestimmte, von anderen abgehobene Tätigkeit und diese Abhebung ist wiederum unweigerlich von einer Form 60 61

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De an. II 2.2 (ed. Col. VII/1, p. 85, 13); De causis et proc. univ. I, 2, 2 (ed. Col. XVII/2, p. 27, 49–50): Esse, vivere et intelligere actus continui sunt, qui sunt in fieri. Metaph. I, 1, 6 (ed. Col. XVI/1, p. 8, 40–42): Actus enim animalis est sensibilis anima, et sentire secundum potentias vitae sensibilis ipsis sentientibus animalibus est esse; De homine, ed. Col. XXVII/2, col. 603 a, 415 b 13. Pol. I 4.1254 a 7.

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bestimmt. Diese begriffliche Verschiebung ist aber wohl mit dem Konzept dieser Triade selbst zwar nicht notwendig, aber doch eng verbunden, geht also nicht aus einer Neuinterpretation Eckharts hervor. Die Bedeutung und Eigenart der Triade Sein – Leben – Denken ist aber auch gar nicht in einem Zuge zu bestimmen. Schon Thomas von Aquin hat darauf aufmerksam gemacht, dass wie bei allen Begriffen hier eine doppelte Möglichkeit vorliegt.63 Es ist nämlich nicht gleichgültig, ob diese Begriffe konkret oder abstrakt gefasst werden. Sie verhalten sich nämlich, was den Charakter der Vollkommenheit angeht, sogar spiegelverkehrt. Innerhalb der Ordnung der abstrakten Termini muss Sein als vollkommener als Leben und Denken angesehen werden. Dem Sein (esse) selbst kann keine Form oder Weise der Vollkommenheit abgesprochen werden. Denn, so das Argument des Thomas, es kann ja dem Sein selbst nichts abgesprochen werden. Jede Unvollkommenheit enthält ein Nichtsein bzw. bringt ein Fehlen zum Ausdruck, somit das Gegenteil des Seins. Entsprechend ist auch Leben edler als Erkennen. Beim konkreten Ausdruck verhält es sich freilich umgekehrt. Das jeweils Konkrete hat seine Bestimmung durch Teilhabe – an dem nämlich, was durch die abstrakte Wortform zum Ausdruck gebracht wird. Von dieser konkreten Wirklichkeit sagt Eckhart nun, dass sie für sich genommen nackt, also bar jeder Bestimmung und damit bar jeder Vollkommenheit ist. Die verschiedenen Bestimmungen vermitteln unterschiedliche Teilhabeverhältnisse. Deren Vollkommenheit richtet sich nach dem sachlichen Gehalt. Es ist mehr, lebendig zu sein als nur zu sein und in den Augen Eckharts ist es sogar nicht bloß mehr, erkennend zu sein als nur zu leben, denn ein Erkennendes zu sein ist die höchste Stufe der Teilhabe überhaupt. Der Begriff „lebendig“ enthält mehr als der Begriff „seiend“. Eckhart sagt nun, nicht auf Grund dessen, dass es diese Bestimmung vivens est, als vielmehr auf Grund dessen, dass es etwas nur dann lebendig ist, wenn es auch ist. Das Sein ist der Grund: ratione esse quod includit.64 Dies gilt allein auf Grund dessen, dass es ist, denn von den nicht-lebendigen, aber wirklichen Dingen kann überhaupt nur gesagt werden, dass sie sind, also nicht etwas sind, in dem das Sein darüber hinaus noch eingeschlossen wäre. Diese Stelle ist deswegen besonders aufschlussreich, weil Eckhart diesen Gedanken aus Thomas von Aquin übernimmt, wobei man freilich fragen muss, ob er ihn auch wirklich im Sinne des Thomas auffasst. Bevor wir aber das tun, muss noch ein Blick auf eine andere Stelle geworfen werden, in der er ebenfalls auf jene Thomas-Stelle sich bezieht, hier aber in kritischer Absicht. Er gibt die thomasische Fassung der Triade aus der Summa theologiae

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ST I, 4, 2 ad 3. In Ioh. n. 63, 53,3 (wie Anm. 3).

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wieder und bekundet in der frühen Pariser Quaestio: Ego autem credo totum contrarium.65 Warum das? Eckhart gibt mehrere Begründungen: Wenn doch im Prolog des Johannes-Evangeliums gesagt wird, dass im Anfang das Wort war, das Wort aber zum Verstand gehört, dann ist doch das Erkennen – intelligere – dasjenige, was den höchsten Grad der Vollkommenheit innehat. Andernfalls wäre es nicht das Erste. Seiend und Sein wird an dieser Stelle durch ein vel verbunden bzw. gleichgesetzt, während bei Thomas gerade der gegensätzliche Charakter der Wortformen die Pointe gewesen war. Es handelt sich bei Eckhart gleichwohl in allen Fällen um Vollkommenheiten. Und Eckhart bezieht und beruft sich zudem gerade auch auf die Metaphysik des Aristoteles, der doch – davon war schon die Rede – von den mathematischen Gegenständen des Gute – das doch mit dem Sein austauschbar ist, ausschließt.66 Und einer anderen Stelle der aristotelischen Metaphysik glaubt Eckhart nochmals einen Einwand gegen die Universalität des Seins entnehmen zu können: Gut und Schlecht findet sich in den Dingen, aber nicht Wahr und Falsch, die ihren Ort in der Seele haben.67 Das darin implizierte Argument ist wohl ein doppeltes: 1. Erkennen darf gerade nicht als eine Weise von Sein verstanden werden, sondern als Nichtsein. Andernfalls wäre all das, was mit Wahrheit, Erkenntnis, Wort zusammenhängt, nichts Ursprüngliches, stattdessen eine Spezifikation von anderem und erst diesem könnte dann Ursprünglichkeit zugeschrieben werden. 2. Sein enthält keinen kognitiven Bezug. Nur was als Nichtseiendes gedacht wird, kann auch als etwas gedacht werden, das auf anderes verweist. Seiendes verweist immer nur auf sich selbst. Also ist der Begriff des Erkennens umfassender und bringt damit eine höhere Vollkommenheit zum Ausdruck als der Begriff des Seins, denn er bezieht sich zwar auf Seiendes, ist aber selbst keines. Das Sein in der Seele ist kein Fall

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Qu. Par. I n. 6, 43,3 (wie Anm. 3); der Sache nach setzt sich Eckhart damit auch von Albert ab: De causis et proc. univ. I, 3, 13 (ed. Col. XVII/2, p. 150, 44–56): Primum enim in omnibus est esse, quia nihil ante se supponit secundum intellectum, necesse est, quod ex nihilo sit. Et ideo in omnibus in quibus est, necesse est ipsum fieri per creationem. Per creationem enim fit, quod ex nihilo fit. Vita autem ante se supponit ens secundum naturam et intellectum et ex esse producitur sicut determinatum ex confuso. Unde vita non dicit simplicem esse conceptum, sed dicit esse formatum ad aliquid. Vita igitur per creationem fieri non potest, quid fit ex aliquot. Relinquitur igitur, quod fiat per informationem. Similiter autem est de intellectivo et scitivo. Hoc enim supponit ante se vivere et esse. Vgl. Met. Β 4.996 a 29–32. Vgl. Met. Ε 4.1027 b 25–27.

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oder Modus von Sein, sondern das Gegenteil von Sein. Wäre das Erkenntnisbild in der Seele selbst etwas, für sich genommen ein Seiendes, könnte es nicht auf anderes verweisen, wo doch dieser Verweis gerade seinen Bildcharakter ausmacht. Sofern, um noch weiter den Argumenten Eckharts zu folgen, sofern etwas ist, fällt es unter die Allmacht Gottes. Im Denken können wir aber Feuer und Hitze trennen, wie ja auch verbinden. Auch daraus ergibt sich eine größere Reichweite des Denkens gegenüber dem Sein. Eckhart übernimmt auch den schon augustinischen Gedanken, dass das göttliche Wissen Grund der Dinge, die Dinge aber Grund unseres Wissens sind. Wenn aber das Sein der Dinge im Wissen begründet wird, dann hat dies einen weiteren Radius. All dies sind Gründe dafür, dass das Denken den reicheren Inhalt als der Begriff des Seins hat. Auf die konkreten Termini und ihr Verhältnis zueinander geht Eckhart gar nicht mehr ein. Dies scheint ihm mit den vorgebrachten Argumenten bei dem abstrakten Begriff bereits erledigt und hinfällig geworden. Es geht jetzt nicht darum, den Gründen für die spätere Wendung bzw. auf die Hinsicht der Wendung zu reflektieren. Hinzuweisen ist freilich noch, dass die spätere Ansetzung, welche den thomasischen Gedanken übernimmt, sich auch in einer Predigt findet.68 Thomas von Aquin hatte sich demgegenüber auf Dionysius berufen. Im Begriff des Seienden sind der des Lebens und der der Weisheit nicht eingeschlossen und daher ist dieser der ärmere Begriff. In ihm wird etwas gedacht, mit dem nicht notwendig der Begriff Leben verbunden ist. Dass „seiend“ lebendig nicht (begrifflich) einschließt, ist nur ein anderer Ausdruck dafür. Denn seiend ist etwas durch seine Teilhabe am Sein, aber in diesem Fall des Lebendigseins wird nur eine Weise der Teilhabe am Sein gedacht. Das Sein Gottes hingegen schließt notwendig alle Vollkommenheiten, d. h. alle vollkommenen Seinsweisen ein.69 Welche Vollkommenheit auch immer gedacht wird, es ist doch immer eine wirkliche Vollkommenheit. Denn – und dies ist die entscheidende Behauptung – vollkommen wird etwas nur dadurch, dass es wirklich ist.70 Wie dies mit Eckharts semantischer Theorie konkreter Begriffe zur Kohärenz zu bringen ist, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Die rekonstruktiven Überlegungen blieben unvollständig, bliebe ausgeblendet, dass Eckhart in die Triade Sein/Leben/Denken auch selbst einen Bruch einfügt. Er unterscheidet grundsätzlicher als dies in den zitierten Stellen zu entnehmen oder auch nur zu erahnen ist, zwischen dem Sein einerseits 68 69 70

Pred. 8 (wie Anm. 3) Pred. 1, 129,6–130,3. ST I, 4, 2 ad 3. De pot. 7,2 ad 9. SCG I, 28 (260): Omnis enim nobilitas cuiuscumque rei est sibi secundum suum esse: nulla enim nobilitas esset homini ex sua sapientia nisi per eam sapiens esset; ST I, 4, 3: Omnium autem perfectiones pertinent ad perfectionem essendi: secundum hoc enim aliqua perfecta sunt, quod aliquo modo esse habent.

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und Leben und Denken andererseits. Während Sein das Moment der Erschaffbarkeit enthält, kann dies von Leben und Denken seiner Auffassung nach nicht behauptet werden.71 Er fasst diese beiden also in ihrer Unterschiedenheit vom Sein. Dies ist weder für sich genommen leicht zu verstehen noch ohne weiteres mit der anderen Aussagereihe in Einklang zu bringen. Eckhart versteht sowohl Leben als auch Erkennen als etwas Unableitbares, von innen her Bestimmtes. Insofern ist von diesen Begriffen keine Brücke zu einer Ursache zu schlagen. Obgleich Eckhart anfangs und grundlegend Gott als Sein und damit Seinverleihendes denkt, denkt er dann Leben und Denken doch nicht als Weisen von Sein, denn dann dürften sie dessen Grundbestimmung nur modifizieren. Sie stehen dazu aber in diesem Kontext gerade in einem Oppositionsverhältnis. Neben den Kohärenzproblemen sollte nicht ganz übergangen werden, in welchen Zusammenhängen die Verknüpfung der Begriff Leben und Denken eine Rolle spielen. Dabei seien nur einige Beispiele herangezogen: Innerhalb der Gnadenlehre ist der Lebensbegriff von entscheidender Bedeutung: Gratia dei vita aeterna.72 Dies verbindet Eckhart mit dem Satz ego veni, ut vitam habent 73. Die Gnade ist im eigentlichen Sinne Leben – und da erhebt sich die Frage, da erhebt sich für Eckhart die Frage, wie der Lebensbegriff zu bestimmen ist. Er stellt eine Frage: Quid tam formale quam vita? Er antwortet darauf mit dem schon erörterten Aristoteles-Zitat und sagt dann: Nihil est ipso esse formalius. Es wird dabei nicht eigentlich die erste Aussage überboten, sondern interpretiert: Wenn das Leben das Sein des Lebendigen betrifft, dann heißt das in der Deutung Eckharts negativ: nicht die Vermögen der Seele und nicht deren Äußerungen, sondern dieses Leben bezieht sich auf das Wesen der Seele (in diesem Sinne ihr Sein) selbst.74 Sed li esse – ‚sumus‘ – quanto communius, quanto abstractius, tanto purius vitam, quod li ‚vivere‘, significant.75 Hier kehrt also, wenn auch verklausuliert formuliert, wieder: „Das Leben ist das Sein des Lebendigen.“ Die Verknüpfung beider Begriffe geschieht jedoch nicht im Hinblick auf den Vollzugssinn, sondern im Hinblick auf den Gehalt als solchen. Auf diesen bezieht sich, so sagt er hier, auch das Verbum vivere. Es steht also nicht der konkrete Lebensbegriff des Aristoteles im Blick, der die verschiedenen Lebensformen

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In Sap. n. 22, 343; In Ioh. n. 62, 51; Ser. XXXI, 5 n. 323 f., 283; Pred. 3: Pred. 66, 123; Pred. 82, 425 f. etc. (insgesamt wie Anm. 3). Röm 6, 23. Joh 10, 10. Ser. XVII, 6 n. 179, 167,11 f. (wie Anm. 3). In Eccli. n. 2, 232 (wie Anm. 3); vgl. Thomas von Aquin, SCG I, 93 (817): Vita enim viventis est ipsum vivere in quadam abstractione significatum: sicut cursus non est secundum rem aliud quam currere.

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einerseits unterschieden, andererseits in eine Stufenfolge gebracht hat. Genau dies hat ja zu der neuralgischen Stellung des Verstandes geführt, bei dem erst entschieden werden muss, ob dieser denn selbst auch eine Lebensfunktion ist oder umgekehrt sich zu den Lebensfunktionen heterogen verhält. Wenn Gott lebendig ist, wie Aristoteles selbst sagt,76 dann jedenfalls nicht durch die Seele, sondern eben durch seinen Verstand. Mit diesem wird der Lebensbegriff hier ja auch verknüpft. Dies erklärt den Ansatz des neuplatonischen Begriffes von Leben, der als eine Form verstanden wird und eben nicht im Hinblick auf die diversen Funktionen und Formen des Lebendigen.

IV. Schlussbemerkungen Diese Vergegenwärtigung von Eckharts Verhältnis zur Metaphysik des Aristoteles, die im Wesentlichen durch Analyse Eckhart’scher Bestimmungen und ihrer argumentativen Gewinnung unternommen wurde, hat sich auf Themenkreise bezogen, die unmittelbar mit dem Begriff des Seins zu tun haben, der das Kernthema der aristotelischen Metaphysik ausmacht. Die Resultate könnten erst dann mit der erforderlichen Prägnanz beurteilt werden, wenn sie gegen andere Inanspruchnahmen, Berufungen und Kommentare gehalten würden. Dies ist in diesem Rahmen nicht möglich. Es lässt sich zudem absehen, dass andere mittelalterliche Auseinandersetzungen mit der aristotelischen Metaphysik – Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus, Johannes Buridan – zwar allesamt über Aristoteles mehr oder weniger weit hinausgehen, dass man aber sehr stark vermuten muss, dass dies bei Eckhart in der radikalsten Weise der Fall ist. Dies wiederum hat aber nichts spezifisch mit dem aristotelischen Metaphysikkonzept und einzelnen metaphysischen Theoremen des Aristoteles zu tun – auch wenn er sonst, etwa in der Theorie der Erkenntnis, mitunter Aristoteles sicherlich näher steht –, sondern gilt generell für seine Beziehung auf philosophische77 auctoritates. Sie sind nicht Gegenstand kommentierender Aneignung, sondern Quelle der Inspiration und Material der Inanspruchnahme. Unter dem Maßstab exegetischer Aufschließungskraft wirkt das von Eckhart Vorgelegte zweifellos willkürlich. In den Augen Eckharts selbst liegt dabei wohl keinerlei Beliebigkeit vor, denn er sieht sie in dem Sinne, in der er sie versteht, zugleich als wahr an. Wenn ein Satz inhaltlich als wahr anerkannt werden muss, ist nicht mehr

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Vgl. oben Anm. 44. Zur Methode biblischer Exegese: S. Grotz, Auslegung oder Zerlegung? Interpretatorische Gewalt bei Meister Eckhart, in: R. Schönberger/S. Grotz (Hrsg.), Wie denkt der Meister? (Meister-Eckhart-Jahrbuch Bd. 5), Stuttgart 2012, 99–115.

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entscheidend, ob sein Sinn im historischen Sinne zutreffend bestimmt ist. Das wiederum heißt, dass die Bedeutung eines Satzes nicht auf die Intention des Autors festgelegt werden kann – oder, um es im Sinne Eckharts zu formulieren: reduziert werden darf.

Literatur Quellen Anonymus: Liber de causis, (Philosophische Bibliothek Bd. 553), übers. v. A. Schönfeld, Hamburg 2003. Aristoteles’ Metaphysik: griech.-dt., in d. Übers. v. H. Bonitz, neu bearb., mit Einl. u. Kommt. hrsg. v. H. Seidl, griech. Text in d. Edition v. W. Christ, Hamburg, 2. verbesserte Aufl. 1982. Gigon, O.: Aristoteles, Die nikomachische Ethik, gr.-dt., Düsseldorf 2001. Hegel, G.W. F.: Vorlesungen über Geschichte der Philosophie (Vorlesungen Bd. 8), hrsg. v. P. Garniron u. W. Jaeschke, Hamburg 1996. Meister Eckhart: Die lateinischen Werke, Stuttgart Bd. 1,1: Prologi in Opus Tripartitum, hrsg. v. Weiß, 1964 [ND 1988]; Bd. 1,2: Expositio Libri Genesis, hrsg. v. K. Weiß, 1964 [ND 1988]; Bd. 1,3: Liber parabolarum Genesis, hrsg. v. K. Weiß, 1964 [ND 1988]; Bd. 2,1: Expositio Libri Exodi, hrsg. v. K. Weiß, 1992; Bd. 2,2: Sermones et Lectiones super Ecclesiastici cap. 24, hrsg. v. J. Koch u. H. Fischer, 1992; Bd. 2,3: Expositio Libri Sapientiae, hrsg. v. J. Koch u. H. Fischer, 1992; Bd. 3: Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem, hrsg. v. K. Christ u. a., 1994; Bd. 4: Magistri Echardi Sermones, hrsg. v. E. Benz, B. Decker u. J. Koch, 1956; Bd. 5: Magistri Echardi opera Parisiensia, hrsg. v. B. Geyer u. a., Stuttgart 2006. Meister Eckhart: Die deutschen Werke, Stuttgart Bd. 1: Meister Eckharts Predigten (1–24), hrsg. v. J. Quint, 1958 [ND 1986]. Bd. 3: Meister Eckharts Predigten (60–86), hrsg. v. J. Quint, 1976 [ND 1999]. Platon: Timaios, in: Ders., Werke in acht Bänden, gr.-dt., Bd. 7, Darmstadt 1990. Ross, W. D.: Aristotelis De anima, Oxford 1956. Ross, W. D.: Aristotelis Topica et Sophistici Elenchi, Oxford 1979. Sancti Thomae Aquinitatis, Summa theologiae, ed. Leonina IV–XII, Rom 1888–1906.

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Rolf Schönberger

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Metaphysikentwürfe und Metaphysikkritik im Spätmittelalter

Metaphysik als Ontologie und Sprachanalyse: Wilhelm von Ockham Matthias Kaufmann

I. Was ist Metaphysik, was tut der Metaphysiker? Wilhelm von Ockham hat bekanntlich keinen Kommentar zur aristotelischen Metaphysik und erst recht keine Abhandlung oder Disputation entsprechenden Titels verfasst. Er lässt indessen entgegen einer in der Sekundärliteratur immer wieder vorgetragenen Einschätzung1 keineswegs grundsätzliche Skepsis gegenüber dieser Wissenschaft erkennen, eine Bemerkung im Prolog zu seinem Physikkommentar deutet sogar darauf hin, dass er vorhatte die aristotelische „Metaphysik“ zu kommentieren.2 Womöglich ist er in Oxford oder 1

2

Vgl. die Beispiele bei O. Boulnois, Une métaphysique nominaliste est-elle possible? Le cas d’Occam, Le réalisme des universaux, Cahiers de Philosophie de l’université de Caen, 38– 39, 2002, 187. Die Werke Ockhams werden in folgender Weise angegeben: Guillelmi de Ockham: Opera philosophica, St. Bonaventure (NY) [= Oph] Bd. 1: Summa logicae, 1974 [= Oph 1]; Bd. 2: Expositionis in libros artis logicae prooemium et expositio in librum Porphyrii de praedicabilibus; expositio in librum praedicamentorum Aristotelis; expositio in librum perihermenias Aristotelis; tractatus de praedestinatione et de praescientia dei respectu futurorum contingentium, 1978 [= Oph 2]; Bd. 3: Expositio super libros elenchorum, 1979 [= Oph 3]; Bd. 4: Expositio in libros physicorum Aristotelis: prologus et libri I–III, 1985 [= Oph 4]; Bd. 5: Expositio in libros physicorum Aristotelis: libri IV–VIII, 1985 [= Oph 5]; Bd. 6: Brevis summa libri physicorum, summula philosophiae naturalis et quaestiones in libros physicorum Aristotelis, 1984 [= Oph 6]; Bd. 7: Opera dubia et spuria Venerabili Inceptori Guillelmo de Ockham adscripta, 1988 [= Oph 7]. Guillelmi de Ockham: Opera theologica, St. Bonaventure (NY). [= Oth] Bd. 1: Scriptum in librum primum Sententiarum, ordinatio: prologus et distinctio prima, 1967 [= Oth 1]; Bd. 2: Scriptum in librum primum Sententiarum, ordinatio: distinctiones II–III, 1970 [= Oth 2]; Bd. 3: Scriptum in librum primum Sententiarum, ordinatio: distinctiones IV–XVIII, 1977 [= Oth 3]; Bd. 4: Scriptum in librum primum Sententiarum, ordinatio: distinctiones XIX–XLVIII, 1979 [= Oth 4];

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London durch die Einbestellung nach Avignon nicht mehr dazu gekommen, eine derartige Schrift zu verfassen, nach der Ankunft in München hat er sich allemal nur noch politischen und rechtstheoretischen Schriften gewidmet. Man muss seine Auffassungen zur Metaphysik somit aus den unterschiedlichen Schriften, aus mitunter eher nebensächlichen Anmerkungen extrahieren. Man erhält hinsichtlich des Gegenstandsbereichs der Metaphysik ein eher traditionelles Bild: So ist es eher Aufgabe des Metaphysikers als des Logikers, über die Natur des Begriffes nachzudenken und z. B. über die Bemerkungen des Porphyrius zum Status der Universalien, aber auch über die Seinsweise des Begriffes selbst zu reflektieren,3 generell sich mit dem Seienden zu befassen. Der Metaphysiker befasst sich hinsichtlich des Vorrangs der Aussagen zuerst mit dem Seienden, hinsichtlich des Vorrangs der Vollkommenheit mit Gott,4 so wie jede Wissenschaft ihre Aussagen und ihre Gegenstände nach unterschiedlichen Kriterien ordnen kann und möglicherweise Aussagen, die in einer Wissenschaft als nicht mehr thematisierte Prinzipien fungieren, in einer anderen Untersuchungsgegenstand sind.5 Offenbar nimmt Ockham selbstverständlich an, dass die Metaphysik eine Wissenschaft mit eigener Aufgabenstellung und eigenem Gegenstandsbereich ist. Dabei muss er angesichts der Mehrdeutigkeit des Wortes scientia klarstellen, dass damit Verschiedenes gemeint sein kann. Einmal ist es nämlich die Kenntnis eines wahren Satzes über einen bestimmten Gegenstand, über ein subiectum, die wiederum in (evidente) Kenntnis notwendiger oder kontingenter Wahrheiten eingeteilt werden kann.6 Zum anderen handelt es sich um einen Habitus der verschiedene Habitus umfasst, eine in sich geordnete Sammlung verschiedener Kenntnisse, zu der auch die Kenntnis der unzusammengesetzten Termini wie der Sätze gehört,7 heute würde man wohl von einer Theorie sprechen. Eine solche Theorie hat nicht einen Gegenstand, ein subiectum, wie eine einzelne Aussage, vielleicht allerdings ein primäres Objekt, wie etwa das Seiende, mit dem sich die Metaphysik befasst.

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Bd. 5: Quaestiones in librum secundum Sententiarum (Reportatio), 1981 [= Oth 5]; Bd. 6: Quaestiones in librum tertium Sententiarum (Reportatio), 1982 [= Oth 6]; Bd. 7: Quaestiones in librum quartum Sententiarum (Reportatio), 1984 [= Oth 7]; Bd. 8: Quaestiones variae, 1984 [= Oth 8]; Bd. 9: Quodlibeta septem, 1980 [= Oth 9]; Bd. 10: Tractatus de quantitate et tractatus de corpore Christi, 1986 [= Oth 10]. Die angegebene Stelle im Prolog zum Physikkommentar findet sich Oph 4, § 4, 14. Guillelmi de Ockham, Oph 2 (wie Anm. 2) 349. Guillelmi de Ockham, Oph 4 (wie Anm. 2) 10. Guillelmi de Ockham, Oth 2 (wie Anm. 2) 251 f., 255 f.; Guillelmi de Ockham, Oth 2 (wie Anm. 2) 10. Guillelmi de Ockham, Oph 4 (wie Anm. 2) 5 f. Guillelmi de Ockham, Oth 1 (wie Anm. 2) 8 f.

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Ockham akzeptiert, so könnte man sagen, ohne Einschränkung die zu Beginn des vierten Buches der aristotelischen Metaphysik gestellte Aufgabe, sich dem Seienden als Seiendes mit seinen Attributen und Widerfahrnissen zu widmen (Met. Γ 1.1003 a 21 f.) und das Verhältnis zu den Prinzipien der diversen Wissenschaften zu bestimmen. Er warnt allerdings davor, die Verbindung von Metaphysik und natürlicher Theologie, die in der Metaphysik bei der Rede vom ersten Beweger, dessen Untersuchung nicht zur Physik gehören könne, nahegelegt wird (Met. E 1.1026 a 18 f.), falsch zu interpretieren. Wenn man den Begriff der natürlichen Theologie und den der Metaphysik weit auslegt, kann es gewisse Überschneidungen geben, im Kern aber, so hält Ockham in expliziter Wendung gegen Duns Scotus fest, bleibt die Metaphysik eine spekulative,8 und die Theologie eine teils spekulative, zu anderen Teilen jedoch – dies gegen Heinrich von Gent und andere – eine praktische Wissenschaft, weil sie sich auf unser Handeln bezieht.9 Selbstverständlich hat Ockham keinerlei Probleme, sich mit den traditionellen, insbesondere im Kontext der Sentenzen des Petrus Lombardus von Autoren wie Heinrich von Gent und insbesondere Duns Scotus diskutierten Fragen der Gotteserkenntnis und anderen theologischen Problemen zu befassen, darunter der Frage, ob die Existenz Gottes von Natur und für sich bekannt sei,10 ob sich in jedem Geschöpf eine Spur der Trinität finde11 und ob jedes rationale Geschöpf ein Bild der Trinität sei.12 Er wendet dabei wie in anderen Zusammenhängen seine auf der sorgfältigen Differenzierung von Bedeutungsnuancen der verwendeten Termini basierende Methode an. So untersucht er jeweils erst, wie vestigium und imago gewöhnlich gebraucht werden, ehe er der Frage nach der Übertragung auf Gott 13 nachgeht: In allgemeiner Verwendung ist eine Spur „eine Wirkung, die von einer der Art oder gar nur der Gattung nach bestimmten Ursache hinterlassen wurde, an diese erinnert und nach einem allgemeinen Gesetz zum Glauben an eine kontingente Aussage führt, die sagt, dass etwas mit dieser Ursache präsent ist oder war oder dergleichen“.14 In dieser Weise sind der Rauch und das Verbrannte eine Spur des Feuers und der Geruch eine Spur eines vorbeige-

8 9 10 11 12 13 14

Ebd., 325 ff., 365. Ebd., 335 ff. Guillelmi de Ockham, Oth 2 (wie Anm. 2) 432 ff. Ebd. Ebd., 552 ff. Ebd., 543. Ebd., 548: vestigium, prout una creatura dicitur vestigium alterius, tripliciter accipitur: Uno modo large, et sic vestigium est effectus derelictus ex aliqua causa determinatae speciei, vel saltem generis, rememorativum ipsius, ducens ex communi lege in adhaesionem alicui propositioni contingenti enuntianti esse vel fuisse vel aliquid tale de illa causa.

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gangenen Tieres. Strenger genommen bedeutet „Spur“ den Eindruck, den etwas in etwas hinterlässt, wenn es wieder verschwindet, wie etwa der Siegelring im Wachs. Im engsten Sinne ist Spur der Eindruck irgendeines Teiles irgendeines Ganzen, der zurückbleibt, wenn dieses Ganze verschwindet (etwa der Eindruck eines Hufs). Auch „Bild“ kann mehrfach verstanden werden: „Im engsten Sinne ist es eine Substanz, die von einem Künstler so geformt wurde, dass sie etwas gemäß einiger Akzidentien ähnlich ist“, etwa eine Holzfigur, die Herkules darstellt. In einem anderen Sinn bezieht sich „Bild“ auf alles, „was so geformt ist, ob nun zur Nachahmung hergestellt oder nicht. In dritter Weise kann man unter Bild das verstehen, was eindeutig von einem anderen hervorgebracht wird und aus Gründen seiner Hervorbringungsweise mit einer Ähnlichkeit entsteht. Auf diese Weise kann man den Sohn ein Bild seines Vaters nennen.“ 15 Diese Untersuchungen schließen an an die Auseinandersetzung mit dem Universalienproblem, mit der erkenntnistheoretischen Frage nach der Erkenntnis des Einzelnen und des Allgemeinen, ebenso wie mit der Frage, ob Gottes Wesen das erste von unserem Intellekt Erkannte sei, was im Hinblick auf die Entstehung und die Angemessenheit des Erfassens nicht gilt, wohl aber im Hinblick auf die Vollkommenheit,16 oder auch die Frage, ob es etwas Universales gibt, das univok für Gott und seine Geschöpfe gilt, wofür Ockham die Prädizierbarkeit des Seienden, ens ermittelt.17 Ockham folgt in diesem Punkt relativ weitgehend der Auffassung von Ioannes Duns Scotus, kann durch seinen prädikationstheoretischen Zugang jedoch einige von dessen theoretischen Problemen vermeiden.18 Ockham gibt also wenig Anlass für die These, er befasse sich nicht mit den Fragen und Problemen, die man traditionell der Metaphysik zuordnet.19 Er vermeidet nur eine übereilte Identifikation der Metaphysik mit der natürli-

15

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Ebd., 553: imago tripliciter accipitur: Uno modo strictissime, et sic imago est substantia formata ab artifice ad similitudinem alterius secundum aliqua accidentia conformia et eiusdem speciei cum accidentibus illius ad cuius similitudinem fit, [...]. − Alio modo accipitur imago pro tali formato sive fiat ad imitationem alterius sive non. − Tertio modo accipitur imago pro omni univoce producto ab alio, quod secundum rationem suae productionis producitur ut simile, et isto modo Filius potest dici imago Patris. Ebd., 389. Ebd., 317. L. Honnefelder, Wilhelm von Ockham. Die Möglichkeit der Metaphysik, in: T. Kobusch u. a. (Hrsg.), Große Philosophen Bd. 2, Darmstadt 2010, 154 f. So auch L. M. de Rijk, War Ockham ein Antimetaphysiker?, in: J. P. Beckmann/L. Honnefelder/G. Schrimpf/G. Wieland (Hrsg.), Philosophie im Mittelalter, Hamburg 1996, 313– 328.

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chen Theologie, setzt seine besondere Ontologie voraus und wendet seine sprachanalytische Methode an, weshalb es unvermeidlich wird, diese seine ontologischen und methodischen Prämissen zu untersuchen. Die Metaphysik wird bei Ockham außer von der Theologie auch von der Naturphilosophie einerseits, der Logik andererseits abgegrenzt. Die Metaphysik trifft z. B. andere Aussagen über die Materie als die Naturphilosophie. Während letztere z. B. über das Verhältnis von Materie und Form reflektiert, etwa dass die Materie nicht von sich eine bestimmte Form hat, aber niemals jeglicher Form entkleidet werden kann, befasst sich die Metaphysik damit, dass sie zum Wesen des Ganzen gehört, dass aus ihr ein Teil der Definition entstammt etc.20 Der Commentator will andererseits, so Ockham in seinem Kommentar zur Physikvorlesung, nicht sagen, dass die abgetrennten Substanzen genau der Gegenstand, das subiectum der Metaphysik seien, nur dass sie zu einem wesentlichen Teil derselben gehören, während sich ein anderer mit dem Seienden als solchem befasst. In jedem Fall kann sie, wie es für jede Wissenschaft gilt, die Existenz ihres Gegenstandsbereichs nicht beweisen, diese ist entweder offenkundig oder wird von einer anderen Wissenschaft bewiesen.21 Auch die Metaphysik als Wissenschaft vom Unbewegten kann ferner unseren unvollkommenen Verstand nicht zur Erkenntnis des ersten Bewegers an sich führen, aber doch deutlich mehr an Eigenschaften zusammentragen, als die Physik, die ihn nur im Hinblick darauf versteht, dass er anderes bewegt.22 Ebenso selbstverständlich behandelt Ockham erklärtermaßen innerhalb seiner logischen Werke auch metaphysische Probleme, um Missverständnissen vorzubeugen.23 Dabei legt er Wert darauf, dass die Metaphysik keine neuen seienden Dinge schafft, sondern sich mit der Frage befasst, welche Formen des Seienden es gibt. So gibt es keinen metaphysischen neben dem natürlichen Menschen.24 Ockham wendet sich insbesondere gegen die von einigen (alii) 25 seiner scholastischen Kollegen vorgenommene Verdinglichung z. B. von Orts- und Zeitangaben zur „Woheit“ und „Wannheit“. Ähnlich wie die Naturwissenschaft, aber auch die Logik ist die Metaphysik also durchaus eine scientia realis. Natürlich nicht, weil es Dinge sind, die gewusst werden, denn wissen kann man nach Ockham nur Komplexes, also Sätze, und Komplexes gibt es, da Ockham in seiner Ontologie nur erste Subs-

20 21 22 23 24 25

Guillelmi de Ockham, Oph 4 (wie Anm. 2) 269. Ebd., 208. Ebd., 354 ff. Guillelmi de Ockham, Oph 2 (wie Anm. 2) 6. Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 86 f.; Guillelmi de Ockham, Oth 9 (wie Anm. 2) 542. Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 59 f.

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tanzen und einige Qualitäten, nicht jedoch Sachverhalte anerkennt, außerhalb der Seele nur als Gesprochenes, oder als eine andere Form von Zeichen.26 Doch supponieren zumindest die Termini einiger Aussagen, die zu diesen Wissenschaften gehören, für Gegenstände außerhalb der Seele, weshalb man von einer scientia realis sprechen kann.27 Wie Olivier Boulnois festgehalten hat: le nominalisme n’est pas un idealisme28. Das Bestreben, am direkten Realismus festzuhalten, war vermutlich eines der Motive, warum Ockham seine Ansicht über den ontologischen Status des Begriffs revidierte. Ockhams besondere Weise sich dem, was ist zu widmen, die Methodik seiner metaphysischen Reflexionen bringt die Metaphysik freilich in beachtliche Nähe zu Logik und Sprachphilosophie einerseits, zur Erkenntnistheorie andererseits. Da er bei den angesprochenen Fragestellungen, gerade im Umgang der Erkenntnis Gottes und der Trinität, zwar eigene Positionen vertritt, sich indessen durchaus im Rahmen der „gängigen“ Auffassungen bewegt, während seine Auseinandersetzung mit Logik, Sprachphilosophie, aber auch dem, was man später Erkenntnistheorie nannte, enorme Innovationskraft besaß und besitzt, sei nunmehr das Augenmerk auf diesen Bereich seines Schaffens gelenkt.

II. Die sprachliche Erschließung des Seienden Die Verbindung der Metaphysik zur Sprachphilosophie und zur Erkenntnistheorie ergibt sich gerade daraus, dass der Nominalismus dieser Form kein Idealismus ist, nämlich durch die unmittelbare Korrespondenz zwischen den Gegenständen der Welt und den Termini, die sich auf sie beziehen. Aus diesem Grund wird die zugehörige Untersuchung auch ein Gegenstand der Summa Logicae. Durch die Erkenntnistheorie werden Ontologie und Sprachphilosophie miteinander verbunden, da sie zeigt, wie wahre Sätze über das Seiende gebildet werden können. Diese fundamentale Rolle relativ formaler sprachlicher Analyse könnte das wichtigste Merkmal der Transformation sein, der die aristotelische Metaphysik in Ockhams Werk unterliegt, um das Thema des vorliegenden Bandes aufzugreifen. Es ist indessen eher fraglich, ob er sich damit gegen den Stagiriten in Stellung bringt. Man könnte auch annehmen, dass er nur die authentische aristotelische Auffassung richtig dar-

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Guillelmi de Ockham, Oth 2 (wie Anm. 2) 137: Nihil scitur, nisi complexum; complexum autem extra animam non est, nisi forte in voce vel in consimili signo. Ebd. Boulnois (wie Anm. 1) 199.

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zustellen versucht, dass seine eigene Auffassung „nichts anderes als konsequenter Aristotelismus“ ist.29 Aus welchen Dingen besteht also die Welt, wie strukturiert sich das Seiende? Außerhalb der Seele gibt es laut Ockham nur die res absolutae. Dies sind aus dem aristotelischen Kategorienschema die (ersten) Substanzen und ein Teil der Qualitäten. Da die Seele eine Substanz ist, besitzt auch sie Qualitäten als Akzidentien, darunter Leidenschaften und Erkenntnisakte. Auch derartige Akte sind somit wirklich existierende Dinge für Ockham. Quantitäten, Relationen und die Entitäten aus den anderen aristotelischen Kategorien gibt es dagegen, ebenso wie Gattungen und Arten, nur in anima, in der Seele, wiederum als Erkenntnisakte. Die Annahme, dass es Seiendes extra animam gibt und dass dies die ersten Substanzen und individuellen Qualitäten – also diese Weiße, diese Süße, diese Röte – sind, ist für Ockham offenbar keines Beweises bedürftig, wird als veritas manifesta vorausgesetzt. Wie sich nach Ockham feststellen lässt, was zu den Gegenständen außerhalb der Seele gehört und was nicht, soll im Folgenden kurz geklärt werden. Ebenso wird der erkenntnistheoretische Realismus, übrigens keineswegs in naiver Form, eher als Selbstverständlichkeit unterstellt denn begründet, was nicht heißt, dass er unvernünftig ist.30 Durch sog. absolute Termini, die sich auf die absoluten Gegenstände beziehen, entsteht bei Ockham eine direkte Beziehung zu den Gegenständen der Welt, werden die Wissenschaften, die sie verwenden, zu realen Wissenschaften. Dies gilt indessen im unmittelbaren Sinne nicht für die absoluten Namen aus den gesprochenen konventionellen Sprachen, sondern nur für die aus der mentalen Sprache, „die keiner konkreten Sprache angehören und nur im Geiste vorkommen“ (Summa Logicae I 1). Diese mentale Sprache, die Ockham an die Stelle der als geistige Bilder gedachten Begriffe, Vorstellungen oder Ähnlichem setzt, ist vielleicht einer der zentralen, aber auch heikelsten Punkte in seiner Theorie. Einerseits soll sie keine überflüssigen Terme enthalten, trägt deutliche Züge einer Idealsprache der modernen Logik, andererseits soll sie bei allen Menschen gleich sein, quasi biologisch fundiert. Die absoluten Namen der mentalen Sprache stellen die spontane Reaktion des Verstandes auf die aktive Präsenz des Gegenstandes dar, in analoger Weise, wie der Seufzer die natürliche Reaktion auf den Schmerz und das Lächeln die spontane Reaktion auf die Freude ist.31 Die mentalen absoluten Namen stehen somit 29 30 31

Honnefelder (wie Anm. 5) 149. M. Kaufmann, Ockhams direkter Realismus, in: B. Merker/G. Mohr/L. Siep (Hrsg.), Angemessenheit, Würzburg 1998, 21–36. Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 49; T. de Andrés, El Nominalismo de Guillermo de Ockham como Filosofía del Lenguaje, Madrid 1969, 95–101; M. Kaufmann, Begriffe, Sätze, Dinge. Referenz und Wahrheit bei Wilhelm von Ockham, Leiden 1994, 17 ff.

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in unmittelbarer kausaler Verbindung zu den bezeichneten Dingen, sind mitbedingt durch die psychosomatische Struktur des Menschen. Durch den absoluten Namen „Mensch“ werden alle Menschen gleichermaßen bezeichnet, nicht einer mehr als der andere. Weitere Beispiele sind „Ziege“, „Stein“, „Feuer“, „Erde“, „Himmel“, „Schwärze“, „Wärme“, „Süße“, „Geruch“ (Summa log. 35 f./15–37). Zu beachten ist, dass der qualitative Terminus „Schwärze“ sich nicht auf eine universelle Schwärze, sondern vielmehr auf die je einzelnen Schwärzen aller schwarzen Gegenstände bezieht. Da hingegen ein konnotativer Name einer ist, „der etwas an erster und etwas an zweiter Stelle bezeichnet“ (36/38–41), bezieht „weiß“ sich auf ein Ding, das weiß ist, und auf die Weiße. „weiß“ ist definiert als „etwas, das Weiße besitzt“. Es geht hier um konnotative Referenz, also darum, dass ein Terminus sich gleichzeitig, jedoch in verschiedener Weise auf mehrere absolute Dinge bezieht, beim „Konnotat“ handelt es sich nicht um Vorstellungsinhalte oder einen platonistisch interpretierten „Sinn“. Diese Terminologie eröffnet für Ockham die Möglichkeit, zusätzliche Bezeichnungsweisen einzuführen, ohne dafür die Dinge extra animam vermehren zu müssen. Mit Hilfe konnotativer und relativer Termini kann man die anderen Kategorien definieren und als außerhalb der Seele existierende Gegenstände weiterhin nur erste Substanzen und einige Qualitäten anerkennen.32 Die Verbindung wird dadurch hergestellt, dass ein konnotativer Name referentiell synonym ist zu einer bestimmten Kombination von absoluten Namen. Referentielle Synonymie besteht nicht in einer Austauschbarkeit salva veritate, sondern eben darin, dass die Namen in derselben Weise für dieselben Dinge stehen. Ein Beispiel wäre, dass humanitas zwar nicht austauschbar ist mit homo inquantum homo, sich jedoch auf dieselben Gegenstände in derselben Weise bezieht. Den Unterschieden zwischen den Gegenständen entsprechen also Unterschiede zwischen Gruppen von Termini – in Ockhams Ausdrucksweise: Namen. Absolute Namen beziehen sich auf absolute Gegenstände. Die sog. konnotativen Namen, u. a. aus den Kategorien, deren Entitäten lediglich in anima existieren, beziehen sich gleichfalls auf absolute Gegenstände, nur in anderer, komplexerer Weise. Hier gilt es auch, die Besonderheiten in Ockhams Umgang mit dem Begriff der Supposition zu beachten, der bekanntlich erstens die Funktion hat, die Referenz von Termini auf Einzeldinge für verschiedene Formen und Grade der Allgemeinheit zu systematisieren wie in den verschiedenen Formen personaler Supposition. Zweitens soll sie die Unterscheidung von Begriff und Gegenstand sowie drittens die von Gebrauch und Erwähnung benennbar und so Fehlschlüsse bestimmter Art erkennbar machen. In personaler Supposition 32

Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 154.

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steht ein Terminus oft für Dinge, in einfacher Supposition stets für einen Begriff und in materialer Supposition für ein gesprochenes oder geschriebenes Wort.33 Supposition ist im Unterschied zur Bezeichnung (significatio) laut Ockham eine Eigenschaft, welche dem Terminus ausschließlich innerhalb eines Satzes (numquam nisi in propositione) zukommt.34 Generell gilt, dass ein Terminus nur für das supponieren kann, wovon er wahrhaft ausgesagt wird. Personale Supposition liegt vor, wenn ein Terminus für das supponiert, was er bezeichnet, sei dies ein extramentales Ding, ein gesprochenes oder ein geschriebenes Wort, eine Intention der Seele oder sonst irgendetwas Vorstellbares (quodcumque aliud imaginabile) 35 und wenn er dabei signifikativ verwendet wird. Dass auch die zweite Bedingung wichtig ist, zeigt das Beispiel des Wortes „Substantiv“ in „Substantiv hat drei Silben“. „Substantiv“ gehört zu den Substantiven, wird aber hier nicht verwendet, um Substantive zu bezeichnen. Wichtig ist für unseren Kontext, dass Ockham, anders als Sherwood oder Burley oder Buridan, als Signifikat eines Namens nicht den Begriff, sondern den Gegenstand ansieht, auf den er sich bezieht, bzw. den Bereich von Gegenständen. Ein genereller Terminus wie „Katze“ bezieht sich auf alle Dinge, die den uns bekannten Katzen für den kompetenten Sprecher identifizierbar ähnlich sind, ohne dass damit der Anspruch verbunden wäre, sie vollständig aufzählen zu können. Es geht um Gegenstandsbereiche, eben um die Dinge, von denen die betreffenden generellen Termini durch kompetente Sprecher prädiziert werden können. Um eine einfache Supposition handelt es sich laut Ockham da, wo der Begriff für eine Intention der Seele supponiert, ohne signifikativ aufgefasst zu werden. So supponiert in homo est species das Wort homo für eine Intention der Seele, weil nur eine solche eine Art sein kann, und doch bezieht es sich im eigentlichen Sinne nicht darauf. Durch den Rückgriff auf den Suppositionsbegriff kann Ockham die Weisen ordnen, in denen Dinge durch Termini bezeichnet werden und zugleich an seiner Ontologie der absoluten Dinge festhalten:36 1. Einmal sagt man, ein Zeichen bezeichne etwas, wenn es dafür supponiert oder geeignet ist dafür zu supponieren, da es von einem Pronomen, das für jenes steht, ausgesagt werden kann. So bezeichnet „weiß“ den Sokra-

33 34 35 36

Eine etymologische Rekonstruktion ihrer Entstehung im 12. Jahrhundert findet sich bei L. M. de Rijk, Logica modernorum. Bd. II.1, Assen 1967, 589–593. Guillemi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 63. Ebd., 64. Ebd., 95 f.

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tes, weil „Dieser ist weiß“ wahr ist, wenn man dabei auf Sokrates deutet.37 2. In anderer Weise wird unter „bezeichnen“ verstanden, dass ein Terminus in einer Vergangenheits-, Zukunfts-, Gegenwarts- oder einer wahren Modalaussage für das Betreffende supponieren kann. Diese Erweiterung wird nötig, weil sonst Begriffe durch bloße Veränderung der Dinge oft ihr Signifikat ändern würden.38 Man muss hier beachten, dass für Ockham die Kopula est in der dreiteiligen aristotelischen Satzstruktur stets eine Existenzaussage impliziert, so dass weder Chimaera est Chimaera, noch Chimaera est non-ens für ihn wahr wären.39 Deshalb gilt es bei Modal- und Vergangenheitssätzen auf die richtige Form der Supposition zu achten.40 3. Wieder anders wird „bezeichnen“ verstanden, wenn das bezeichnet wird, wodurch das Wort eingeführt wird, oder das, was durch den Hauptbegriff oder das Hauptwort bezeichnet wird. So sagen wir, dass „weiß“ die Weiße bezeichnet, weil „Weiße“ die Weiße bezeichnet, für die „weiß“ jedoch nicht supponiert. So bezeichnet „rationale“, als Differenz aufgefasst, die Verstandesseele.41 4. Im weitesten Sinn wird „bezeichnen“ verstanden, wenn ein Zeichen, das Teil einer Aussage sein kann oder eine Aussage oder ein Ausdruck in irgendeiner Weise etwas bezeichnet oder mitbezeichnet, sei es auch negativ, wie etwa „blind“ das Augenlicht negativ bezeichnet und „immateriell“ die Materie.42

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Ebd., 95: ‚Significare‘ multipliciter accipitur apud logicos. nam uno modo dicitur signum aliquid significare quando supponit vel natum est supponere pro illo, ita scilicet quod de pronomine demonstrante illud per hoc verbum ‚est‘ illud nomen praedicatur. Et sic album significat Sortem; haec enim est vera ‚iste est albus‘ demonstrando Sortem. Ebd.: Aliter accipitur ‚significare‘ quando illud signum in aliqua propositione de praeterito vel de futuro vel de praesenti vel in aliqua propositione vera de modo potest supponere. [...] Secundo modo accipiendo ‚significare‘ et ‚significatum‘ sibi correspondens, vox vel conceptus per solam mutationem rei extra non cadit a suo significato. Vgl. ebd., l. II 14. Kaufmann, Begriffe (wie Anm. 31) 181–186. Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 95: Aliter accipitur ‚significare‘ quando illud dicitur significari a quo ipsa vox imponitur vel illud quod primo modo significatur per conceptum principalem vel vocem principalem. Et sic dicimus quod ‚album‘ significat albedinem, quia albedo significat albedinem, pro qua tamen albedine non supponit hoc signum ‚album‘. Sic ‚rationale‘ si sit differentia, significat animam intellectivam. Ebd., 96: Aliter accipitur ‚significare‘ communissime quando aliquod signum quod est natum esse pars propositionis vel natum est esse propositio vel oratio aliquid importat, [...] sive det intelligere sive connotet illud, vel quocumque alio modo significet, sive significet illud affirmative sive negative, quo modo hoc nomen ‚caecus‘ significat visum, quia negative et hoc nomen ‚immateriale‘ significat negative materiam, [...].

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Eine weitere terminologische Differenzierung ist essentiell für Ockhams Vorgehen, nämlich die zwischen Termini erster und zweiter Intention: Erste Intentionen im engeren Sinn sind natürliche Zeichen für Dinge, die selbst keine Zeichen sind und die für diese Dinge supponieren können, im weiteren Sinn alle intentionalen Zeichen, die nicht gerade Intentionen oder Zeichen bezeichnen. Zweite Intentionen sind natürliche Zeichen für erste Intentionen im engeren Sinne, sofern diese einfach supponieren. Dazu gehören etwa genus und species wie in animal est genus.43 Diese Unterscheidung ist wesentlich für Ockhams Reflexion darüber, was z. B. Kategorien generell sind,44 jedoch auch insofern etwa Begriffe wie „Relation“, „Relativum“ etc. Namen zweiter Intention.45 Generell ist es ein wesentliches Merkmal für Ockhams Umgang mit dem Universalienproblem, dass er Vieles von dem, was seine Vorgänger und Zeitgenossen für Namen von Dingen halten, als Namen zweiter Intention erklärt. Wie unterscheidet Ockham indessen Namen für Zeichen von Namen für Dinge?

III. Der Umgang mit Universalien und Transzendentalien 1. Was gibt es und wie finde ich das heraus? Ockham beantwortet Porphyrius’ Eingangsfrage nach dem ontologischen Status der Universalien genau entgegengesetzt zu der Auffassung, die Porphyrius trotz seiner Beteuerung, die Frage nicht beantworten zu wollen, in der gesamten Isagoge als selbstverständlich unterstellt. Für Ockham sind Universalien stets Zeichen. Wir können uns jetzt nicht mit den umfangreichen und mitunter etwas komplizierten Argumentationen befassen, die Ockham gegen die diversen Varianten des moderaten Begriffsrealismus anwendet. Die Strategie besteht meist darin, ihnen nachzuweisen, dass sie letztlich doch in einen Platonismus zurückfallen, „den niemand bei gesundem Geiste verstünde.“ 46 Gegen die Auffassung seines wichtigsten Gegners, Duns Scotus, mit seiner Formaldistinktion mit der natura communis und der differentia contrahens innerhalb eines jeden Gegenstandes, will Ockham zum einen bezweifeln, dass es solch eine Formaldistinktion gibt, da alles, was verschieden ist, entweder realiter verschieden ist oder begrifflich oder so wie ein reales Ding von

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Ebd., 43 f. Ebd., 40. Ebd., 155. Guillelmi de Ockham, Oth 2 (wie Anm. 2) 118.

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einem Begriff. Selbst wenn man sie akzeptiert, so weiter, habe man Schwierigkeiten, die Identität des betreffenden realen Gegenstandes zu erklären. Man hat hier von einem persistent begging of the question gesprochen,47 weil Ockham die besondere Ontologie seines Gegners souverän ignoriert. In der Tat kann er diesem keinen Widerspruch nachweisen, wohl aber zahlreiche Kollisionen mit der traditionellen aristotelischen Begrifflichkeit.48 Für Ockham sind genus, species usw. also Namen zweiter Intention, die sich auf Namen erster Intention beziehen.49 Letztere erfassen Ensembles kontingenter individueller Gegenstände aus den Kategorien Substanz und Qualität. Dementsprechend verlieren die Regeln über die Beziehungen zwischen Art und Gattung den Charakter der Notwendigkeit. So ist es beispielsweise zumeist richtig, dass die Gattung universell von der Art ausgesagt wird, also von allen zur Art gehörigen Gegenständen, die Art hingegen nur partikulär von der Gattung, also von einigen ihrer Gegenstände. Wenn es aber auf der Welt keine anderen Lebewesen gäbe als Menschen, so wäre der Satz „Jedes Lebewesen ist ein Mensch.“ genauso wahr wie der Satz „Jeder Mensch ist ein Lebewesen.“.50 Art- und Gattungsbegriffe sind stets allgemeiner Natur. So gibt es zwar nur eine Sonne, doch könnten durch Gottes Allmacht mehrere existieren, ebenso, wie Gott mehrere Engel einer species schaffen könnte.51 Art und Gattung sind auch nicht in dem Sinne „früher“ als das Individuum, dass sie vor ihm in rerum natura bestehen. Schließlich kann das Individuum ohne eine (es erfassende) Seele bestehen, nicht jedoch Art und Gattung. Lediglich ist der Schluss von der Existenz des Individuums auf die von Art und Gattung berechtigt, nicht umgekehrt.52 Da das, was ist, in die zehn Kategorien eingeteilt ist, taucht die Frage auf, wie das Universale als Zeichen, als ens rationis nach der in der Summa Logicae zugrundegelegten Auffassung des Begriffs als subiective, also für sich existierende qualitas mentis hier eingeordnet wird. Fällt es aus dem Kategorienschema heraus? Ockham deutet die vom Philosophen und seinem Commentator vorgenommene Einteilung des Seienden in der Vernunft nach Seiendes (ens rationis) und wirklich Seiendes (ens reale) nicht als Gegensatz wie die Einteilung der Lebewesen in vernünftige und unvernünftige, sondern mehr wie die Einteilung der Bedeutungen eines Wortes. Als Qualität der Seele, gewisserweise als seinem ontologischen Träger, ist auch das ens rationis

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M. M. Adams, William Ockham, Notre Dame 1987, 49. Kaufmann, Begriffe (wie Anm. 31) 59 ff. Ausführlicher über die Prädikabilien: P. Schulthess, Sein, Signifikation und Erkenntnis bei Wilhelm von Ockham, Berlin 1992, 85 ff. Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 71 f. Ebd., 72. Ebd., 73.

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ein ens reale, nicht jedoch bezogen auf seinen Inhalt z. B. als Zahl oder Relation.53 Zu dieser Sicht ist Ockham allerdings erst durch eine längere Reflexion gekommen: Die Diskussion um den ontologischen Status der Begriffe ist ein gutes Beispiel für Ockhams Umgang mit metaphysischen Grundlagen von Logik und Sprachphilosophie. Ursprünglich vertritt er die sog. fictum-Theorie: „So kann man [...] sagen, dass das Universale nichts Reales ist, das subjektives Sein besitzt, weder in der Seele noch außerhalb, sondern nur objektives Sein in der Seele hat, und etwas Geschaffenes (fictum) ist, das so im objektiven Sein (d. h. als intentionales Objekt; M. K.) existiert wie das äußere Ding im subjektiven Sein. Und dies derart, dass der Verstand, wenn er irgendein Ding außerhalb der Seele sieht, ein sehr ähnliches Ding im Geiste schafft [...].“ 54 Diese war wohl die ursprüngliche Ansicht Ockhams, in der Reportatio, der ersten Fassung des Sentenzenkommentars, als einzig gültige akzeptiert, noch bei der ersten Fassung seiner Ordinatio, also des von Ockham selbst überarbeiteten ersten Buches, bevorzugt.55 Später sieht er diese ficta, wohl unter dem Eindruck der Kritik seines Mitbruders Walter Chatton, als mögliche Quelle von Irrtümern, die den direkten Realismus bedrohen.56 Generell fragt er sich, ob die mit dem Begriff verbundene Qualität der Seele eine vom eigentlichen Verstehens-Akt (actus intelligendi, intellectio ipsamet) verschiedene Qualität ist oder nicht.57 Ockham entscheidet sich letztlich für die actusintelligendi-Theorie, wonach der Begriff nichts anderes ist, als der Verstehensakt selbst. Er begründet dies unter Verweis auf das nach ihm benannte Ökonomieprinzip, Ockhams Rasiermesser: frustra fit per plura quod potest etiam fieri per pauciora (vergebens geschieht durch mehrere, was auch durch wenigere geschehen kann), da sich alles, was durch die anderen Theorien haltbar sei, auch mit der actus-intelligendi-Theorie vertreten lasse.58

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Ebd., 113. Guillelmi de Ockham, Oth 2 (wie Anm. 2) 271 f.: Ideo potest [...] dici quod universale non est aliquid reale habens esse subiectivum, nec in anima nec extra animam, sed tantum habet esse obiectivum in anima, et est quoddam fictum habens esse tale in esse obiectivo quale habet res extra in esse subiectivo. Et hoc per istum modum quod intellectus videns aliquam rem extra animam fingit consimilem rem in mente. Kaufmann, Begriffe (wie Anm. 31) 70 ff. Adams (wie Anm. 18) 84; K. Tachau, Vision and Certitude in the Age of Ockham, Leiden 1988, 151. Guillelmi de Ockham, Oth 2 (wie Anm. 2) 291. Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 42 f.

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Als Erkenntnisakte, als Qualitäten der Seele somit, besitzen sie also in Ockhams „ausgereifter“ Position reale Existenz, nicht jedoch als Gegenstände sui generis. Dies heißt indessen nicht etwa, dass Zahlen, Relationen etc. nur irreal fingiert wären. Papst Alexander VI. war tatsächlich der Vater von Cesare Borgia, nicht nur in anima, doch gab es in realitate rerum nicht Papst Alexander VI., Cesare Borgia und die Vaterschaft als je eigene Gegenstände. Wir leben, wie gesagt, nach Ockham in einer Welt von Individuen, von absoluten Dingen. Über diese Welt können wir jedoch wahre Sätze bilden, in denen arithmetische, geometrische, relationale und andere Termini auftauchen. Die direkten Referenten dieser Termini existieren allerdings nur in der Seele, als Verstandesbegriffe. Innerhalb der Kategorien ist die Ordnung nicht so, dass das Höchste stets als Substantiv im Nominativ von allen Untergeordneten aussagbar sein muss (alle A sind B), wie manche „Modernen“ dies behaupten, so daß es eine „Woheit“ und eine „Wannheit“ geben müßte.59 Die Unterscheidung dieser Kategorien wird [...] von der Unterscheidung der Fragewörter (Fragemöglichkeiten) genommen, die man auf die Substanz, bzw. das Individuum der Substanz anwenden kann. Gemäß dem, wie auf verschiedene Fragen, die sich auf die Substanz beziehen, durch verschiedene Termini geantwortet wird, gemäß dem wird Verschiedenes in verschiedene Kategorien gesetzt.60 So wird auf die Frage, „was ist es?“ (quid est) gewöhnlich mit „Mensch“, „Tier“, „Stein“, „Sonne“, also mit Termini geantwortet, die in der Kategorie der Substanz sind, auf „wie“ (quale) mit solchen in der Kategorie der Qualität usw., wenn wir auch nicht immer in unserer Umgangssprache die passenden Fragewörter haben. So wird mit „Was macht Sokrates?“ nach einem Tun gefragt. Alles Unzusammengesetzte, das als Antwort auf eine derartige Frage verstanden werden kann, befindet sich in einer dieser Kategorien, handle es sich nun um ein Adverb oder ein Verb. Dies gilt jedoch nicht für synkategorematische Termini wie „falls“, „und“, „jeder“, „kein“.61 2. Ockhams Methode am Beispiel der Quantität Am Beispiel der Quantität sei kurz skizziert, wie Ockham seine ontologischen Analysen durchführt, mit denen er zu zeigen versucht, dass es bestimmte 59 60

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Ebd., 114; Guillelmi de Ockham, Oth 9 (wie Anm. 2) 564–569. Guillelmi de Ockham, Oth 1 (wie Anm. 2) 116: Sumitur autem distinctio istorum praedicamentorum [...] ex distinctione interrogativorum de substantia sive de individuo substantiae. Unde secundum quod ad diversa quaestiones factas de substantia per diversa incomplexa respondetur, secundum hoc diversa in diversis praedicamentis collocantur. Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 116 f.

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Dinge nicht in realitate rerum, sondern lediglich in anima gibt. In der Summa Logicae (I 44–48) wendet er sich vehement gegen die Ansicht der „Modernen“, die Quantität sei ein von der Substanz und der Qualität verschiedenes eigenes Ding, ein Akzidens zwischen Substanz und Qualität und seinerseits fähig, Subjekt von Qualitäten zu sein. Ockham zeigt, dass diese Auffassung gegen den Geist des Aristoteles ist.62 Die intensive Beschäftigung mit der Kategorie der Quantität erklärt sich daher, dass es durchaus nicht unüblich war, als absolute Entitäten nur solche aus den Kategorien Substanz, Qualität und Quantität zu akzeptieren. Dies vertreten z. B. auch Heinrich von Gent und Duns Scotus, die sich beide auf eine Passage aus Boethius’ De Trinitate berufen.63 Die Beseitigung der Quantität als Kategorie absoluter Dinge ist dagegen eine Besonderheit Ockhams. Die Gründe, die Ockham gegen die Meinung der Modernen anführt, sind etwa die Folgenden. Zunächst kann Gott jedes absolute Ding, das früher als ein anderes ist, ohne räumliche Veränderung erhalten, während er das andere zerstört. Eine Substanz mit Teilen, die voneinander entfernt sind, etwa ein Holzstück, ist aber früher als ihre Länge, einmal angenommen, es gäbe diese Länge als eigenen Gegenstand. Demnach kann Gott die Länge des Holzstücks zerstören, während dieses erhalten bleibt. Dabei sind seine Teile nach wie vor voneinander entfernt, da keine räumliche Veränderung stattgefunden hat.64 Länge, Breite und Tiefe sind somit keine von Substanz und Qualität verschiedenen Dinge. Sodann beweist er, dass eine Linie (auf einer Oberfläche) nicht von dieser Oberfläche verschieden ist. Denn es sei eine Linie dasjenige, was zwei Oberflächen miteinander verbindet (continuans superficies ad invicem) 65. Wird nun eine Oberfläche geteilt, so entsteht entweder eine neue Linie, oder die frühere bleibt. Entsteht eine neue, so werden unendlich viele entstehen. Denn bei einem geteilten Körper werden unendlich viele Oberflächen entstehen, die unendlich viele Linien haben, so wie bei einer geteilten Oberfläche unendlich viele Punkte entstehen, die unendlich viele Linien beenden. Der Grundgedanke dieses Arguments besteht darin, dass es mathematisch jeweils unendlich viele Teilungsmöglichkeiten und damit Teile von Körpern, Oberflächen und Linien

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Ebd., 44–48. Vgl. M. Henninger, Relations, Oxford 1989, 50 f., 93 f.; laut Theo Kobusch übten dagegen Hervaeus Natalis und Petrus Aureoli den größten Einfluss auf Ockham aus: Th. Kobusch, Substanz und Kategorialität. Die Reduzierung der Kategorien nach Wilhelm von Ockham, in: B. Koch (Hrsg.), Kategorie und Kategorialität. Festschrift für Klaus Hartmann, Würzburg 1990, 79. Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 134. Ebd., 135.

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gibt, die gleichzeitige Existenz von unendlich vielen real existierenden (z. B. „physikalischen“) Gegenständen jedoch nicht akzeptierbar ist. Diese Verbindung der Einsicht in eine aktuale mathematische Unendlichkeit mit der für Ockham selbstverständlichen (und m. E. plausiblen) Ablehnung einer aktualen Unendlichkeit real existierender Dinge könnte ein Hauptmotiv für die Beseitigung der Quantität als Kategorie absoluter Dinge sein. Falls aber dieselbe Linie bei der Teilung der Oberfläche bleibt, so ist sie nicht mehr in einem Teil als im anderen. Also ist sie entweder für sich (also ganz unabhängig von jeder Oberfläche) oder an verschiedenen Orten in den beiden Oberflächen. Jedes von beiden ist absurd. Falls außerdem Linien und Punkte voneinander verschiedene Gegenstände wären, könnte Gott eine Linie erhalten und den (End-)Punkt zerstören. Wäre die verbleibende Linie dann endlich oder unendlich? Offenkundig nicht unendlich, also endlich und dennoch ohne Punkt. Somit setzt man vergeblich einen Punkt, der die Linie beendet. Ähnlich könnte Gott alle Punkte zerstören, ohne dass die Linien ihre Eigenschaften verlören. „Umsonst nimmt man daher solche von der Linie verschiedenen Punkte an. Und aus dem selben Grunde nimmt man vergeblich Linien an, die von den Oberflächen verschieden sind und aus demselben Grund nimmt man vergeblich Oberflächen an, die von den Körpern verschieden sind.“ 66 Nach Ockhams Auffassung ist eine kontinuierliche Quantität nichts anderes als ein Ding mit voneinander entfernten Teilen, so dass „kontinuierliche Quantität“ und „Ding mit voneinander entfernten Teilen“ dasselbe bezeichnen und vertauschbar sind, falls nicht irgendein synkategorematischer Ausdruck oder eine andere Bestimmung, die in einem enthalten ist, die Konvertibilität und die Prädizierbarkeit des einen vom anderen verhindert.67 Über die diskrete Quantität besagt diese Auffassung, dass die Zahl nichts anderes ist als die gezählten Dinge selbst und die Einheit nichts als das eine Ding selbst.68 Wir konnten jetzt am Beispiel der Quantität Ockhams wichtigste Analyseinstrumente am Werk sehen, mit deren Hilfe er überprüft, ob es die Referenten bestimmter Termini in realitate rerum gibt oder nicht. Dies sind 69: Die referentielle Synonymie: man zeigt, dass man bestimmte Termini auch gebrauchen kann, wenn man nur erste Substanzen und Qualitäten außerhalb der Seele annimmt.

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Ebd., 136: Frustra igitur ponuntur talia puncta distincta a linea. Et eadem ratione frustra ponuntur lineae distinctae a superficiebus, et eadem rationen frustra ponuntur superficies distinctae a corporibus. Ebd., 137. Ebd., 138. Dazu ausführlicher Kaufmann, Begriffe (wie Anm. 31) 91–100.

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Das Ökonomieprinzip oder Rasiermesser: Vergeblich geschieht durch mehr, insbesondere durch mehr Gegenstände, was auch durch weniger geschehen kann. Gottes Allmacht Gott kann alle kontingenten Dinge aus dem Nichts erschaffen, aber auch wieder zerstören, ohne dass sich etwas in der Welt ändert. Er kann sich aber nicht widersprechen. Wir kommen also zu Differenzierungen zwischen analytischen, nur auf dem Widerspruchsprinzip basierenden, und synthetischen, von kontingenten Dingen handelnden Wahrheiten. Keine aktuale Unendlichkeit in der realen Welt: Im Unterschied zu Aristoteles akzeptiert Ockham die aktuale Unendlichkeit im mathematischen Bereich, ihre Ablehnung in der physischen Welt wird oft als machtvolles Argument benutzt – sogar beim Gottesbeweis.70 3. Die Rolle der Transzendentalien Dominik Perler hat zu Recht vor einigen Jahren darauf hingewiesen, dass Ockham durchaus eine eigene und originelle Art des Umganges mit den transzendentalen Begriffen, ihrerseits ein traditioneller Gegenstand metaphysischer Reflexion pflegt. In unserem Kontext ist speziell die auch bei Perler 71 zu findende Beobachtung wichtig, dass er sie neben diverse Universalien bei der Behandlung absoluter und konnotativer Namen setzt. Sie gehören bei normaler Wortverwendung zu den Namen erster Intention, ferner sind „Wahres“ und „Gutes“ im Unterschied zu „Seiendes“ konnotative Termini, so ist „Gutes“ synonym mit „etwas, das nach rechter Auffassung wünschenswert oder begehrenswert ist“.72 „Gut“ und „Seiendes“ konvertieren für Ockham allerdings nicht immer problemlos, da das eine zur praktischen, das andere zur theoretischen Wissenschaft gehören kann.73 Zu klären bleibt, um welche Art von Termini es sich bei „wahr“ und „Wahrheit“ handelt. Auch hier ist Ockham sehr stringent: „wahr“ ist ein konnotativer Terminus, der für den Satz supponiert, über den er ausgesagt wird, und noch etwas in der Welt mitbezeichnet (Exp. Praed. a. a. O.). Die Wahrheit eines wahren Satzes ist in personaler Supposition von „Wahrheit“, wenn sich der Terminus also auf sein Signifikat bezieht, der wahre Satz selbst,

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Guillelmi de Ockham, Oth 2 (wie Anm. 2) 354 ff. D. Perler, Ockhams Transformation der Transzendentalien, in: M. Pickavé (Hrsg.), Die Logik des Transzendentalen: Festschrift für Jan A. Aertsen zum 65. Geburtstag, Berlin 2003, 386 f. Guillelmi de Ockham, Oph 1 (wie Anm. 2) 38. Ebd., 365.

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die Falschheit eines falschen Satzes ist der falsche Satz selbst.74 Die Wahrheit, dass Rom in Italien liegt, ist dasselbe wie der wahre Satz, der sagt, dass Rom in Italien liegt. In einfacher Supposition, wenn er sich auf den Begriff „Wahrheit“ bezieht, ist der Terminus „Wahrheit“ dagegen Bestandteil der Reflexion über den Satz als sinnvolles sprachliches Gebilde, weshalb in einfacher Supposition die Wahrheit des Satzes von diesem verschieden ist 75 (Quodl. V 24). Betrachtet man die derzeit meistdiskutierten Wahrheitstheorien aus diesem Blickwinkel, so ließe sich sagen, dass die Korrespondenztheorie untersucht, was jemand meint, wenn er sagt, ein Satz sei wahr. Dagegen stellt die Redundanztheorie zu Recht fest, dass die Behauptung seiner Wahrheit der Behauptung eines Satzes nichts hinzufügt. Die Erklärung für diese unterschiedlichen Ansätze läge nach Ockham darin, dass man im zweiten Fall Wahrheit in personaler Supposition verwendet. In einfacher Supposition dagegen bezieht sich Wahrheit auf ein Urteil über den Satz, auf das Urteil, dass es so ist, wie er sagt.

IV. Elemente der Erkenntnistheorie Dieses Urteil wiederum, der actus iudicativus, ist nach Ockham ein Urteil des Intellekts über einen, seinerseits aus einfachen Erkenntnisakten des Intellekts zusammengesetzten, actus apprehensivus, der im intellektuellen Erfassen eines Satzes besteht.76 Mit einem actus apprehensivus erfassen wir alles, worauf sich ein Akt der Verstandesfähigkeit richten kann, sei es unzusammengesetzt oder zusammengesetzt. Denn wir erfassen ja nicht nur Unzusammengesetztes, also einzelne Gegenstände, sondern auch Sätze und Argumente und Unmögliches und Notwendiges.77 Ein actus iudicativus dagegen bezieht sich nur auf zusammengesetzte Akte, auf Sätze also. Denn wir stimmen nur dem zu, was wir für wahr halten, und lehnen nur das ab, was wir für falsch halten.78 Die Sätze, denen man beim Urteilsakt zustimmt oder nicht sind solche der mentalen Sprache, in denen die sog. notitia intuitiva evidente Erkenntnis über Kontingentes, über das Vorhandensein kontingenter Dinge ermöglicht, im Unterschied zur anderen Form der unzusammengesetzten Erkenntnis, der cognitio oder notitia abstractiva.79 74 75 76 77 78 79

Ebd., 131. Vgl. Guellimi de Ockham, Oth 9 (wie Anm. 2) 135. Guillelmi de Ockham, Oth 1 (wie Anm. 2) 16. Ebd. Ebd. Ebd., 22–24.

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Einige der erkenntnistheoretischen Ansichten Ockhams haben zu heftigen Kontroversen geführt. So etwa die Behauptung, dass es eine intuitive Erkenntnis von einem nicht existenten Ding geben kann.80 Dass wir evidente Wahrnehmung von einem nicht existenten Ding haben können, wenn Gott dies will, wird als Einfallstor des Skeptizismus angesehen und ist vielleicht wirklich das Urbild von Descartes’ Deus malignus, der uns noch über die gewissesten Dinge zu täuschen vermöchte, außer darüber, dass wir denken. Descartes Ausweg, Gott als unbegrenzt gutes Wesen könne uns nicht fortgesetzt betrügen wollen, steht für Ockham zudem nicht offen, da Gott uns gegenüber keine moralischen Verpflichtungen besitzt, eine Täuschung somit auch kein Betrug wäre.81 Doch behauptet Ockham nur: „[...] wenn eine solche vollkommene Erkenntnis eines nicht-existierenden Dinges durch die Macht Gottes erhalten würde, könnte der Intellekt kraft dieser unverknüpften Erkenntnis mit Evidenz erkennen, dass dieses Ding nicht ist“.82 Es handelt sich also klar um ein irreales Konditional, und sowohl in der zu den frühen Schriften zählenden Reportatio83 wie in der Quaestio 6 des Quodlibets VI, einem relativ späten Werk, betont Ockham, dass eine derartige evidente Erkenntnis von NichtExistentem nicht natürlicherweise, sondern nur durch Gottes Allmacht geschehen kann.84 Diese Auffassung hat daher weniger erkenntnistheoretische als ontologische Bedeutung: Wenn die notitia intuitiva eine Qualität der Seele – eine res absoluta also – ist, so muss sie auch für sich weiterbestehen können, wenn das Erkannte zerstört wird, wenngleich nur im Ausnahmefall des Eingreifens Gottes.85 Die intuitive Erkenntnis des Nicht-Existenten hätte nicht notwendig das Urteil zur Folge, dass dieses Ding existiert, da ihrerseits inkomplexe intuitive Erkenntnis evidente Erkenntnis komplexer Akte, darunter auch negativer kategorischer Sätze, ermöglicht. Die Zustimmung zu positiven bzw. zu negativen kategorischen Sätzen hängt davon ab, dass Subjekt und Prädikat im einen Fall für dasselbe supponieren im anderen Fall nicht für dasselbe supponieren. Soll die evidente Erkenntnis kontingenter Sätze dieser Art auf der notitia intuitiva basieren, so muss für die unzusammengesetzte Erkenntnis, die zur Bestätigung dient bereits ein Platz im Satz bereitstehen. So deute ich eine Passage aus der Reportatio,86 wo es heißt, für die Bildung eines Komplexen –

80 81 82 83 84 85 86

Ebd., 38. Adams (wie Anm. 18) 627. Guillelmi de Ockham, Oth 1 (wie Anm. 2) 31/14–16. Guillelmi de Ockham, Oth 5 (wie Anm. 2) 259 f. Guillelmi de Ockham, Oth 9 (wie Anm. 2) 604–607. D. Perler, Theorien der Intentionalität im Mittelalter, Frankfurt am Main 2002, 342 ff. Guillelmi de Ockham, Oth 5 (wie Anm. 2) 280 f.

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eines Satzes also – seien nicht drei, sondern nur zwei Akte erforderlich: Mit einem inkomplexen Akt werden die Gegenstände erfasst und mit einem anderen die Kopula und die „Vorzeichen“. So ist für „weiß ist nicht schwarz“ erstens der auf die Weiße und die Schwärze gerichtete Akt erforderlich und zweitens der auf die Kopula und die negative Bezeichnung des einen Extremums gerichtete Akt. Wir können in einem inkomplexen Akt zwei für sich existierende Dinge erfassen. Die Zusammensetzung bezieht sich offenbar lediglich auf die Satzbildung.87 Die zentrale Bedeutung sprachlicher Einordnung, durch die er derart vordergründigen Skeptizismus ebenso vermeiden kann, wie manch andere Fallen neuzeitlicher Erkenntnistheorie, die ihm aber auch im Umgang mit metaphysischen Fragestellungen gute Dienste leistet, bestätigt sich bei Ockhams Argumentation gegen Petrus Aureolis esse apparens. Ockhams Argumente richten sich zuerst auf den problematischen ontologischen Status des esse apparens. Ockhams Strategie bei der Analyse einiger „Erfahrungen“, die Aureoli anführt, um die Notwendigkeit einer esse apparens genannten Zusatzentität zu begründen, geht dahin, sie aus dem Bereich der Sinneserfahrungen in den des Verstandesurteils zu verlagern. Ockham erkennt sehr wohl die Möglichkeit von Sinnestäuschungen an, glaubt jedoch, es sei kein esse apparens nötig, um die Meinung der Alten, wonach alles so ist, wie es scheint, zurückzuweisen.88 Gewiss können die Fähigkeiten der Sinne so wie unsere anderen Fähigkeiten versagen. Doch gibt es dann immer noch nichts anderes als absolute Dinge, über die falsch geurteilt wird, den (fehlerhaften) Akt der Erkenntnisfähigkeit 89 und einen falschen Satz.

Literatur Quellen Aristoteles’ Metaphysik: griech.-dt., in d. Übers. v. H. Bonitz, neu bearb., mit Einl. u. Kommt. hrsg. v. H. Seidl, griech. Text in d. Edition v. W. Christ, Hamburg, 2. verbesserte Aufl. 1982. Guillelmi de Ockham: Opera philosophica, St. Bonaventure (NY). Bd. 1: Summa logicae, 1974; Bd. 2: Expositionis in libros artis logicae prooemium et expositio in librum Porphyrii de praedicabilibus; expositio in librum praedicamentorum Aristotelis; expositio in librum perihermenias Aristotelis; tractatus de 87 88 89

Adams (wie Anm. 18) 498. Guillelmi de Ockham, Oth 4 (wie Anm. 2) 250 f. Ebd., 251.

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praedestinatione et de praescientia dei respectu futurorum contingentium, 1978; Bd. 3: Expositio super libros elenchorum, 1979; Bd. 4: Expositio in libros physicorum Aristotelis: prologus et libri I–III, 1985; Bd. 5: Expositio in libros physicorum Aristotelis: libri IV–VIII, 1985; Bd. 6: Brevis summa libri physicorum, summula philosophiae naturalis et quaestiones in libros physicorum Aristotelis, 1984; Bd. 7: Opera dubia et spuria Venerabili Inceptori Guillelmo de Ockham adscripta, 1988. Guillelmi de Ockham: Opera theologica, St. Bonaventure (NY). Bd. 1: Scriptum in librum primum Sententiarum, ordinatio: prologus et distinctio prima, 1967; Bd. 2: Scriptum in librum primum Sententiarum, ordinatio: distinctiones II– III, 1970; Bd. 3: Scriptum in librum primum Sententiarum, ordinatio: distinctiones IV– XVIII, 1977; Bd. 4: Scriptum in librum primum Sententiarum, ordinatio: distinctiones XIX–XLVIII, 1979; Bd. 5: Quaestiones in librum secundum Sententiarum (Reportatio), 1981; Bd. 6: Quaestiones in librum tertium Sententiarum (Reportatio), 1982; Bd. 7: Quaestiones in librum quartum Sententiarum (Reportatio), 1984; Bd. 8: Quaestiones variae, 1984; Bd. 9: Quodlibeta septem, 1980; Bd. 10: Tractatus de quantitate et tractatus de corpore Christi, 1986. Sonstige Literatur Adams, M. M.: William Ockham, Notre Dame 1987. Boulnois, O.: Une métaphysique nominaliste est-elle possible? Le cas d’Occam, Le réalisme des universaux, Cahiers de Philosophie de l’université de Caen 38–39, 2002, 187–228. Henninger, M.: Relations, Oxford 1989. Honnefelder, L.: Wilhelm von Ockham. Die Möglichkeit der Metaphysik, in: T. Kobusch u. a. (Hrsg.), Große Philosophen Bd. 2, Darmstadt 2010, 146–162. Kaufmann, M.: Begriffe, Sätze, Dinge. Referenz und Wahrheit bei Wilhelm von Ockham, Leiden 1994. Kaufmann, M.: Ockhams direkter Realismus, in: B. Merker/G. Mohr/L. Siep (Hrsg.), Angemessenheit, Würzburg 1998, 21–36. Kobusch, T.: Substanz und Kategorialität. Die Reduzierung der Kategorien nach Wilhelm von Ockham, in: B. Koch (Hrsg.), Kategorie und Kategorialität. Festschrift für Klaus Hartmann, Würzburg 1990, 75–97.

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Perler, D.: Theorien der Intentionalität im Mittelalter, Frankfurt am Main 2002. Ders.: Ockhams Tranformation der Transzendentalien, in: M. Pickavé (Hrsg.), Die Logik des Transzendentalen: Festschrift für Jan A. Aertsen zum 65. Geburtstag, Berlin 2003, 361–382. de Rijk, L. M.: Logica modernorum. Bd. II.1, Assen 1967. Ders.: War Ockham ein Antimetaphysiker?, in: J. P. Beckmann/L. Honnefelder/G. Schrimpf/G. Wieland (Hrsg.), Philosophie im Mittelalter, Hamburg 1996, 313–328. Schulthess, P.: Sein, Signifikation und Erkenntnis bei Wilhelm von Ockham, Berlin 1992. Tachau, K.: Vision and Certitude in the Age of Ockham, Leiden 1988.

Subjekt und Metaphysik – Rezeption und Transformation der Metaphysik im Denken des Johannes Buridan Gerhard Krieger Der Name des Johannes Buridan dürfte nicht so ohne weiteres unter diejenigen gezählt werden, die mit der Geschichte der Metaphysik im Mittelalter in Zusammenhang gebracht werden.1 Zum Zusammenhang von Rezeption und Transformation der aristotelischen Metaphysik in der mittelalterlichen Philosophie scheint ein Beitrag zu Buridans Metaphysik aber deswegen unverzichtbar, weil diese die aristotelische Metaphysik in durchaus grundlegender Hinsicht betrifft und transformiert. Diese Transformation möchte ich in drei Schritten näher vorstellen und erläutern: Zunächst will ich auf Buridans Haltung hinsichtlich der Kennzeichnung der Metaphysik als Wissenschaft vom Seienden als Seienden eingehen. Dieser Punkt betrifft, soweit es die besonderen Rezeptionsbedingungen der Metaphysik Buridans angeht, das Verhältnis zum transzendentalen Ansatz im Sinne des Duns Scotus. Im zweiten Schritt werde ich mich dem Thema der Sinnlichkeit in Buridans Betrachtung zuwenden, während ich im dritten Punkt auf seine Auffassung in der Prinzipienfrage zu sprechen komme. In diesen die Erkenntnis sowohl in ihrer sinnlichen Bestimmtheit als auch in ihrer Vernunftbestimmtheit kennzeichnenden Überlegungen stellen die Auffassungen Ockhams und Nikolaus von Autrecourts im Besonderen die Rezeptionsbedingungen dar, unter denen Buridan seine Position entwickelt. Zum Abschluss will ich eine Bemerkung dazu anfügen, wie ich Buridans Transformation der Metaphysik im Ganzen beurteile.

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Buridans Metaphysik ist als solche bisher lediglich in meiner Untersuchung: Subjekt und Metaphysik. Die Metaphysik des Johannes Buridan, (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Neue Folge Bd. 65), Münster 2003, behandelt worden. Außerdem ist noch zu nennen: J. M. M. H. Thjissen/J. Zupko (Eds.): The Metaphysics and Natural Philosophy of John Buridan, Leiden, Boston, Köln 2001. Soweit Beiträge zu Einzelaspekten im Zusammenhang der in den vorliegenden Überlegungen thematisierten Frage nach der Rezeption und Transformation der aristotelischen „Metaphysik“ in Buridans Metaphysik vorliegen, werden diese im Rahmen der Diskussion der betreffenden Aspekte genannt werden.

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I. „Sein“ im Verständnis der Metaphysik Buridans – Gegenständlichkeit und faktische Existenz Das Verständnis der Transzendentalität bei Duns Scotus, das im Besonderen die Rezeptionsbedingung der betreffenden Auffassung bei Buridan ausmacht, lässt sich im Anschluss an Olivier Boulnois unter zwei Aspekten kennzeichnen: Zum einen, dass die Metaphysik die Hinsicht des Seins im Sinne eines allumfassenden transzendentalen Begriffs zur Aufgabe hat, und dass dieser Begriff zweitens univoker Natur und als solcher modal zu explizieren ist.2 1. Gegenständlichkeit statt Seiendsein Buridan nimmt zur Frage, ob das Seiende der Gegenstand der Metaphysik sei,3 im Ausgang von zwei „Feststellungen“ (conclusiones) Stellung. Deren erste besagt, dass das Seiende für jedes bestimmte Wissen den eigentümlichen und angemessenen Gegenstand darstellt. Denn jegliche Wissenschaft betreffe entweder Seiendes oder Nicht-Seiendes. Niemand aber behaupte das letztgenannte.4 Die zweite Feststellung lautet: Der Ausdruck „seiend“ ist der eigentümliche Gegenstand der Metaphysik. Denn in jeder Wissenschaft muss die allgemeinste Gattung als der eigentümliche Gegenstand angesehen werden, und zwar die allgemeinste unter denjenigen, die nicht über das hinaus gehen, was im Sinne dieses Gegenstandes in Bezug auf die ersten und grundlegenden Eigenschaften in dieser Wissenschaft untersucht wird (genus communissimum inter omnia, quae non transcendunt metas scientiae consideratarum per modum subiecti respectu primarum et principalium passionum). Genau in diesem Sinne verhält sich die Gattung des Seienden in der Metaphysik.5 2

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Vgl. dazu O. Boulnois, Johannes Duns Scotus, Transzendentale Metaphysik und normative Ethik, in: T. Kobusch (Hrsg.), Philosophen des Mittelalters. Eine Einführung, Darmstadt 2000, 219–235. Zu Buridans Auffassung hat Stellung genommen J. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philipp the Chancellor (ca. 1225) to Francisco Suarez, (Studien und Texte zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 107), Leiden–Boston 2012, 537–544. Johannes Buridanus: Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (In Metaphysicen Aristotelis quaestiones), Parisiis 1588 (Nachdruck Ffm. 1964), l. IV, q. 5: Utrum metaphysicae proprium subiectum sit ens, f. 15 vb–16 va. Ebd., f. 16 ra: Respondendum est satis faciliter ponendo duas conclusiones. Prima est: cuiuslibet scientiae subiectum proprium et adaequatum est ens, quia est ens vel non ens, et nullus dicit, quod non ens, igitur. Ebd.: Alia conclusio. Iste terminus ‚ens‘ est subiectum proprium ipsius metaphysicae, quia, sicut in alia quaestione dicebatur, in qualibet scientia subiectum proprium debet assignari genus communissimum inter omnia, quae non transcendunt metas scientiae consideratarum per modum subiecti respectu primarum et principalium passionum in illa scientia consideratarum. Modo sic se habet illud genus ens in metaphysica.

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Der entscheidende Punkt in dieser Feststellung liegt darin, dass Buridan – ganz im Sinne des aristotelischen Wissenschaftsverständnisses – die Metaphysik in gegenständlicher Hinsicht auf eine (bestimmte) Gattung bezieht.6 Im Sinne dieses Schrittes gibt Buridan im weiteren das Verständnis der Metaphysik als Wissenschaft vom Seienden als Seienden auf und reduziert den Begriff des Seienden auf den des Vorkommnisses oder Gegebenseins. Im Einzelnen erfolgt dies in drei Schritten: Zunächst stellt Buridan fest, dass die Metaphysik nicht, wie Aristoteles es tue, als Wissenschaft vom Seienden als Seienden bezeichnet werden könne. Denn diese Redeweise müsse im spezifischen Sinne gemeint sein. Insoweit mache sie erforderlich, die begriffliche Hinsicht anzugeben, unter der das Seiende Gegenstand der Metaphysik wäre.7 Diese begriffliche Hinsicht aber, so macht Buridan weiter deutlich, ist die des bloßen Vorkommnisses oder Gegebenseins, und insoweit ist sie nicht spezifischer Natur. Um dies zu tun, schließt er im zweiten Schritt aus, dass der Begriff des Seienden apriorischer Natur ist (istius termini ‚ens‘ non essent partes integrales apud mentem), so dass er sich auf diesem Wege erschließen ließe. Die nähere Bestimmung dessen, was ist, ergibt sich allein vermittels der Kategorien. Diese stellen zwar ebenso wenig wie die Hinsicht des Seins apriorische Hinsichten dar, gleichwohl sind sie ihrem Ursprung nach begriffliche Hinsichten, die sich ihrem Gehalt nach objektiv verstehen (sunt eius partes subiective, scilicet decem praedicamenta).8 Insofern bleibt die Hinsicht auf das Sein bloß generisch. Mit den skizzierten beiden ersten Schritten ist also die Hinsicht auf das Sein für die Metaphysik ausgeschlossen. Im dritten Schritt erfolgt die Ersetzung dieser Hinsicht durch die auf den Gegenstand oder die Sache. Buridan tut dies, indem er die Konvertibilität der Ausdrücke unum, res und aliquid mit ens bestreitet, soweit sie die partizipative Verwendung des letztgenannten Ausdrucks betrifft. Dieser konnotiere nämlich mit temporaler Präsenz (connotat praesens tempus). Vielmehr haben für Buridan die Ausdrücke res und aliquid Vorrang und bezeichnen insoweit den eigentümlichen Gegenstand der Metaphysik (deberet poni subiectum primum iste terminus ‚res‘ vel iste termi-

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Met. Γ 2.1003 b 20–22. Buridanus, Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (wie Anm. 3) f. 16 ra: sed ibi possunt fieri aliquae quaestiones. Prima est, utrum debeamus dicere ens inquantum ens est subiectum in ista scientia. Videtur quod sic per Aristotelem. […] Ad primam quaestionem potest dici quod non est propria locutio, saltem vera, dicere quod ens inquantum ens sit subiectum proprium in metaphysica. Ebd., f. 16 ra–b: Secundo potest quaeri, cum subiectum debeat habere partes et passiones, quae sunt illae partes et passiones. […] Ad aliam quaestionem respondetur, quod licet istius termini ‚ens‘ non essent partes integrales apud mentem, tamen sunt eius partes subiective, scilicet decem praedicamenta.

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nus ‚aliquid‘). Insofern die Verwendung von „seiend“ sich im nominalen Sinne verstehe, könne dieser Ausdruck synonym zu res oder aliquid gebraucht werden und ebenso den Gegenstand der Metaphysik bezeichnen. Davon nimmt Buridan „unum“ aus. In diesem Falle handle es sich vielmehr um eine Eigenschaft, die mit sich selbst konvertibel sei.9 Indem Buridan die partizipative Verwendung von „seiend“ der Bedeutung nach als temporales Präsens kennzeichnet, begrenzt er den Sinn von Sein auf das Gegebensein. Der Vorrang der Ausdrücke res und aliquid kennzeichnet die Metaphysik in den Hinsichten, die an die Stelle der Hinsicht des Seins treten. Die Metaphysik richtet den Blick auf das, was sachhaltiger oder gegenständlicher Natur ist. Die Benennung des Seienden als Gegenstand der Metaphysik hat nur nominale Bedeutung und ist der Sache nach im Sinne des Gegenständlichen oder Sachhaltigen gemeint. Seiendes ist insoweit im spezifischen Sinne Gegenstand der Metaphysik, als diese danach fragt, was das, was gegeben ist, gegenständlicher oder sachhaltiger Natur sein lässt. Mit diesen Begriffen ist schließlich die mit unum angesprochene Einheit nicht mehr konvertibel, weil diese letztlich nicht eine Bestimmtheit ist, die dem Begriff des Gegenständlichen oder Sachhaltigen einfach gleichzusetzen wäre, insofern sie das Fehlen der Teilung einschließt.10 Eines zu sein, besagt, von gegenständlicher Natur zu sein und darüber hinaus auszuschließen, ein Geteiltes zu sein. Insofern gibt Buridan im Ergebnis das traditionelle Verständnis der Transzendentalität auf. Jan Aertsen hat zu dieser These kritisch Stellung genommen11: Er gesteht zwar durchaus ein, dass Buridan, indem er die Hinsichten der Sachhaltigkeit und Gegenständlichkeit der Hinsicht des Seins vorordnet und den Sinn von Sein auf das Gegebensein begrenzt, „Seiendes“ aus der metaphysischen Be9

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Ebd.: Tertio potest quaeri, utrum aeque bene posse unus dicere de istis terminis ‚unus‘, ‚res‘, ‚aliquid‘, quod essent subiectum in ista scientia. […] Ad tertiam quaestionem potest dici, quod si iste terminus ‚ens‘ acciperetur, prout est participatum, non bene poneretur hic subiectum primum propter hoc, quod connotat praesens tempus, immo magis hic deberet poni subiectum primum iste terminus ‚res‘ vel iste terminus ‚aliquid‘. Sed si ille terminus ‚ens‘ accipiatur nominaliter, tunc est nomen synonymum cum isto termino ‚res‘ vel cum isto termino ‚aliquid‘ et sic est ponendum subiectum in ista scientia. Sed illud nomen ‚unum‘, quia est connotativum, non debet poni tanquam subiectum primum, immo tamquam passio secum convertibilis. Buridanus, Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (wie Anm. 3) l. IV, q. 7, f. 18 ra: isti termini ‚ens‘ et ‚unum‘ non sunt synonymi […] differunt enim secundum rationem: iste enim terminus ‚ens‘ vel ‚aliquid‘ accipitur secundum conceptum simplicem, scilicet absolutum a connotatione, et iste terminus ‚unum‘ est terminus connotativus, connotat enim carentiam divisionis. Aertsen, Medieval Philosophy (wie Anm. 2). Der Autor bezieht sich auf G. Krieger, Menschliche Vernunft als Terminus der Reflexion. Zu einer Übereinstimmung zwischen mittelalterlicher Philosophie und Kant, Kant-Studien 96, 2005, 182–207.

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trachtung ausschließt (excludes beings).12 Buridans Begrenzung des konvertiblen Gebrauchs von ens mit res und aliquid im Sinne einer lediglich nominalen Verwendung interpretiert er aber zugleich als „identification“ bzw. „‚homogenization‘ of the term ‚being‘“.13 Vor diesem Hintergrund stellt er infrage, dass Buridan die transzendentale Betrachtung in ihrem traditionellen Verständnis aufgibt, insofern dieser im Rahmen seines Kategorienkommentars erklärt, dass der im absoluten (d. h. nicht-konnotativen) Sinne realisierte Begriff einer Sache die Grundlage des nominalen Gebrauchs der Ausdrücke ens, res und aliquid darstelle.14 Die betreffende Feststellung bei Aerstsen lautet: „How is it possible to see in this statement, which maintains that ‚being‘ is the first concept, an expression of the ‚nominal‘ significance of Buridan’s doctrine of transcendentals?”15 Buridan sagt aber nicht, dass der Begriff des Seienden der erste absolute Begriff ist, sondern, dass der im absoluten Sinne erfasste Begriff einer Sache (prius oportet concipere rem absolute) die Grundlage der nominalen Verwendung von ens, res und aliquid (a quo sumitur hoc nomen ‚ens‘, ‚res‘ vel ‚aliquid‘) darstellt. Im Ergebnis lässt sich somit festhalten: Buridan setzt in seiner Kennzeichnung des „Subjektes“ der Metaphysik die Hinsicht der Gegenständlichkeit oder Sachhaltigkeit an die Stelle der Hinsicht des Seins. Er folgt dabei methodisch der aristotelischen Auffassung von der Gattungsbezogenheit einer Wissenschaft. Insofern begrenzt Buridan den Blick der Metaphysik, und das Motiv dafür ist der Aspekt der Bestimmtheit des metaphysischen Wissens.16 Wie sich diese Begrenzung mit dem Verständnis der Metaphysik als allumfassender Wissenschaft verträgt, ergibt sich im Zusammenhang der jetzt folgenden Erörterung des Realitätsmodus des Gegenständlichen.

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Aertsen, Medieval Philosophy (wie Anm. 2) 540: „If ‚being‘ is taken as participle, it cannot be posited as the proper subject of metaphysics, since it connotes the present (and thus excludes beings).“ Ebd., der erste Ausdruck S. 544, der zweite S. 541. Johannes Buridan, Quaestiones in Praedicamenta, (Ed. J. Schneider, München 1983), q. 13, 96: prius oportet concipere rem absolute, saltem conceptu, a quo sumitur hoc nomen ‚ens‘, ‚res‘ vel ‚aliquid. Aersten, Medieval Philosophy (wie Anm. 2) 543. Diese absolute Vorrangigkeit der Perspektive des Wissens verweist auf den Primat der praktischen Vernunft und die darin grundgelegte Normativität des Wissens, vgl. dazu im Einzelnen Krieger, Subjekt und Metaphysik (wie Anm. 1) §§ 6 und 7.

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2. Faktische Existenz als Realitätsmodus des Gegenständlichen Aristoteles führt die Untersuchung des Seienden als solchen im Blick auf die Substanz durch17, insofern allein das, was unter diese Kategorie fällt, „weder in einem Zugrundeliegenden enthalten ist noch von einem solchen ausgesagt zu werden vermag“ 18. Im Unterschied dazu ist es für den Bereich des NichtSubstantialen oder Akzidentellen kennzeichnend, in oder an einem anderen zu sein und von etwas anderem ausgesagt zu werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es als konsequent, dass Buridan sich, insofern er die Synonymität von ens und quid bzw. aliquid im nominalen Sinne und gemäß dem Vorrang der Hinsicht des Gegenständlichen begreift 19, der Frage stellt, ob im Blick auf die Unterscheidung von Substanz und Akzidens die mit dem Ausdruck ens angesprochene begriffliche Hinsicht in einheitlicher Weise erfolgt 20. Demgemäß betrifft die zur Diskussion stehende Frage die Einheit der begrifflichen Hinsicht des Gegenständlichen: Sind Substanz und Akzidens für die Metaphysik, insofern diese Gegenständliches betrachtet, gleichermaßen und unterschiedslos Gegenstand? Buridan geht bei seiner Antwort von einer Differenz zwischen Aristoteles und der christlichen Auffassung in den betreffenden Stellungnahmen aus. Im Ergebnis stellt Buridan für Aristoteles die skizzierte Vorrangstellung der Substanz vor dem Akzidens in der fraglichen Hinsicht heraus. Substanz und Akzidens werden bei Aristoteles nicht nach ein- und derselben begrifflichen Hinsicht betrachtet bzw. ausgesagt. In uneingeschränktem Sinne wird bei Aristoteles „seiend“ lediglich von Substanzen ausgesagt, während Akzidentien insgesamt nur eingeschränkt als „seiend“, und zwar in Bezug auf ihr Hinzugefügtsein zur Substanz, betrachtet werden (accidentia non dicuntur simpliciter entia, immo entia secundum quid, scilicet secundum additione et cum attributione ad substantiam). Darüber hinaus hebt Buridan im Blick auf Aristoteles hervor, dass dieser die gegenständliche Hinsicht als erste Kategorie und allgemeinste Gattung (primum praedicamentum et genus generalissimum) über die Substanz hinaus betrachtet habe.21 17

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Met. Ζ 1.1028 a 13–15: τοσαυταχῶς δὲ λεγομένου τοῦ ὄντος φανερὸν ὅτι τούτων πρῶτον ὂν τὸ τί ἐστιν, ὅπερ σημαίνει τὴν οὐσίαν; 1028 b 2–4: καὶ δὴ και ̀ τὸ πάλαι τε καὶ νῦν και ̀ ἀ’εὶ ἀπορούμενον, τί τὸ ὄν, τοῦτό ἐστι τίς ἡ οὐσία. Cat. 5.2 a 11 ff.: μήτε καθ ’ὑποκειμένου τινὸς λέγεται μήτε ἐν ὑποκειμένῳ τινί ἐστιν. Buridanus, Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (wie Anm. 3) 1. IV, q. 6, f. 17 ra: accipiendo enim ‚ens‘ nominaliter, ita quod ista sunt nomina synonyma ‚ens‘ et ‚aliquid‘. Ebd., l. IV, q. 6: Utrum hoc nomen ens significet substantias et accidentia secundum unam rationem sive secundum unum conceptum, f. 16 va–17 vb. Ebd., f. 17 ra: Et tunc possumus respondere ad opinionem Aristotelis de substantiis et accidentibus et de conceptu entis, […]. Unde ultimo quantum ad praesens debemus notare quod certe Aristoteles credidit hoc nomen ‚aliquid‘ vel ‚quid‘ esse primum praedicamentum et genus generalissimum magis quam hoc nomen ‚substantia‘.

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Im Unterschied zu Aristoteles kann laut Buridan nach christlicher Auffassung ein Akzidens unabhängig von einer Substanz vorkommen. Demzufolge kann ein Akzidens ebenso wie die Substanz als Gegenstand vorkommen und in uneingeschränkter Weise als ein solcher angesprochen werden (hoc nomen ‚aliquid‘ aeque simpliciter et secundum conceptum aeque simplicem dicitur de albedine sicut dicetur de lapide vel de asino). Daraus ergibt sich weiter, dass etwa im Falle der Weiße diese nicht identisch ist damit, dass es Weißes gibt. Denn sofern die Weiße für sich separiert ist, kann zwar gesagt werden, dass dieses die Weiße ist. Trotzdem ist dieses nicht ein Vorkommnis eines Weißen. Denn dazu ist erforderlich, dass etwas weiß ist (non est nisi album nisi aliquid sit album), ohne dass allerdings, wie Buridan betont, etwas weiß wäre durch jene separierte Weiße.22 Die christliche Auffassung dient Buridan offensichtlich zum einen dazu, die über Aristoteles hinausgehende gegenständliche Betrachtung eines Akzidens unabhängig vom Zusammenhang seiner Zuordnung zu einer Substanz anzusprechen, und zwar zum zweiten im Sinne einer Hypothese. Denn zum einen kennzeichnet Buridan diese Annahme, soweit sie im christlichen Verständnis mit der der Separierbarkeit eines Akzidenz verknüpft ist, als irreal: Zunächst verfährt er in dieser Weise, als er an der gegenständlichen Kennzeichnung des Akzidens unabhängig von der Voraussetzung des christlichen Glaubens festhält, und zwar sowohl im Blick darauf, dass dieses in Verbindung mit einer Substanz vorkommt, als auch in Bezug darauf, dass letztgenanntes nicht der Fall ist (non oportet quod de eo [scl. de illo termino ‚albedo‘] praedicaretur secundum aliquam attributionem ad substantiam subiectam vel ad aliquem terminum substantialem, quia sine substantia subiecta ipsa est ens et aliquid et non minus ipsa est ens vel aliquid, quando inhaeret, quam si subiectum esset ablatum). Zum anderen tut Buridan dies, indem er feststellt, dass die separierte Weiße (in casu posito quod albedo sit separata)

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Ebd., f. 17 ra–b: Dico ergo quod nos tenemus ex fide, quod per potentiam dei accidentia possunt separari a substantiis et separatim conservari sine substantia sic subiecta […]. Si igitur ponamus quod albedo sic per se subsistit absque hoc, quod alicui subiecto inhaereat, tunc manifestum est quod illa albedo manifeste est ens et vere est aliquid, et etiam ex hoc manifestum est ita simplex sine aliqua connotatione […]. Si de illo termino ‚albedo‘ praedicaretur hoc nomen ‚ens‘ vel hoc nomen ‚aliquid‘, non oportet quod de eo praedicaretur secundum aliquam attributionem ad substantiam subiectam vel ad aliquem terminum substantialem, quia sine substantia subiecta ipsa est ens et aliquid et non minus ipsa est ens vel aliquid, quando inhaeret, quam si subiectum esset ablatum. Ideo hoc nomen ‚ens‘ vel hoc nomen ‚aliquid‘ aeque simpliciter et secundum conceptum aeque simplicem dicitur de albedine sicut dicetur de lapide vel de asino. Postea etiam sequitur quod albedo non est idem quod esse album, quia in casu posito quod albedo sit separata, verum est dicere quod hoc est albedo, et tamen hoc non est esse album, quia non est nisi album nisi aliquid sit album, et tamen ista albedine nihil est album.

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keinerlei Bedeutung für das Vorkommnis eines Weißen besitzt (ista albedine nihil est album).23 Der hypothetische Charakter zeigt sich weiter darin, dass Buridan im Anschluss an die Erläuterung der christlichen Auffassung diese angesprochene Hypothese ihrem Gehalt nach diskutiert, indem er dazu Stellung nimmt, was ist, insofern es Weißes gibt (quid est esse album) 24: Wie ist die Existenz eines Akzidens näherhin zu kennzeichnen, insofern dieses unabhängig von seinem Zusammenhang mit einer Substanz als Gegenstand vorkommt bzw. ein solcher ist? Allgemein gefragt: Was macht einen Gegenstand seiner Realität nach aus? Die Gegenüberstellung von aristotelischer und christlicher Auffassung durch Buridan hat also ein zweifaches Ergebnis: Erstens soll die gegenständliche Betrachtung im Sinne Buridans die allumfassende Perspektive der Metaphysik auch unter der Voraussetzung des Verzichts auf die Hinsicht des Seins gewährleisten. Denn diese Betrachtung soll über alle kategoriale Betrachtung hinausreichen.25 Damit dies der Fall sein kann, ist zweitens Gegenständlichkeit ihrer Realität nach zu bestimmen. Buridan setzt dazu zunächst mit der Kritik einer Lösung an, die die objektive Gültigkeit akzidenteller Bestimmung an deren prädikative Verwendung knüpft. Demgegenüber macht er geltend, dass die betreffenden sprachlichen Ausdrücke auf etwas der Realität nach eigenes verweisen (pro rebus vel dispositionibus rerum extra existentibus). In diesem Sinne verweist er auf Ausdrücke für Vorgänge wie ‚schneiden‘ und ‚leben‘ einerseits und ‚folgen‘ und ‚verbrennen‘ andererseits. Diese sind der infrage stehenden Kennzeichnung der Prädikation akzidenteller Bestimmungen vergleichbar, insofern sie für die Verhältnisse von Aktivität und Passivität stehen. Auf diese Weise sind diese Vorgänge etwas, das für etwas anderes steht. Am Beispiel gesagt: Der Vorgang des Schneidens bzw. Verbrennens ist von dem unterschieden, was schneidet bzw. verbrennt, auch wenn der genannte Vorgang mit dem identisch ist, was schneidend ist oder als solches vorkommt. Das, was schneidend existiert, ist zugleich etwas, was im aktiven Modus existiert (esse secans est esse agens).26 Insofern ist der Vorgang des Schneidens bzw. Verbrennens in 23

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Vgl. zu der in diesem Zusammenhang relevanten, in der vorangegangenen Anm. angesprochenen Haltung Buridans zur Annahme göttlichen Könnens Krieger, Subjekt und Metaphysik (wie Anm. 1) § 15. Buridanus, Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (wie Anm. 3) 1. IV, q. 6, f. 17 rb: Tunc restat difficultas, quid est esse album. Ebd., f. 17 va: Et ita etiam oportet concedere quod hoc nomen ‚substantia‘ non esset genus generalissimum, sed hoc nomen ‚quid‘ vel ‚aliquid‘. Ebd., f. 17 rb: Tunc restat difficultas, quid est esse album, de qua difficultate aliqui volentes se faciliter expedire dicunt quod esse album vel hominem esse album non est nisi una oratio, ita quod illa oratio ‚hominem esse album‘ non supponit nisi pro illa propositione ‚homo est albus‘. Sed hoc non est bene dictum, quamvis secundum suppositionem materialem esset illa, sicut illi dicunt, tamen secundum suppositionem significativam sive personalem illae

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seiner eigenen Bestimmtheit und insoweit in seiner eigenen Realität bestimmbar. In der Sache zielt Buridans Überlegung darauf ab, deutlich zu machen, dass die gegenständliche Hinsicht sowohl die Differenz von Substanz und Akzidens übersteigt als auch Relationen ansprechen lässt. Insofern hat sich bestätigt, dass die gegenständliche Hinsicht die allgemeinste Hinsicht und Gattung darstellt.27 Zugleich kann gesagt werden, dass Buridans Kritik Ockhams Auffassung gilt, insofern die infrage stehende Hinsicht im Besonderen Relationen betrifft. Zur Begründung sei auf Buridans Nachweis der Selbstständigkeit der Ausdehnung und im Zusammenhang damit auf seinen Begriff der Bewegung verwiesen. Diese verstehen sich der Sache nach als Nachweis der objektiven Realität relationaler Bestimmtheit und historisch als Kritik an deren Infragestellung bei Ockham.28 Die fragliche Bestimmung der Gegenständlichkeit ihrem Realitätsmodus nach erzielt Buridan weiter durch die Erläuterung des Verhältnisses der kategorialen Betrachtung zur gegenständlichen Hinsicht. Auf diese Weise steht zur Debatte, welche kategoriale Hinsicht im Besonderen die gegenständliche Betrachtung kennzeichnet. Denn insofern diese Betrachtung sich nicht mehr im Sinne des Vorrangs der Kategorie der Substanz versteht, stellt sich die genannte Frage. Buridan betont zunächst die tatsächliche Geltung der gegebenen kategorialen Einteilung: dico quod adhuc ponenda sunt decem praedicamenta sive decem generalissima29. Im Blick auf Buridans Begründung dieser Feststellung seien weiter zwei Gesichtspunkte hervorgehoben: zum einen,

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orationes ‚esse album‘ vel ‚hominem esse album‘ non supponunt pro aliqua propositione, immo pro rebus vel dispositionibus rerum extra existentibus, quod sic appareret, quia Aristoteles dicit et verum est dicere quod secare est agere vel etiam vivere est agere naturaliter et sequari vel uri est pati, et tamen cum hoc dicit septimo huius ‚manifestum est etiam quod secare est idem quod esse secans et vadere idem est quod est vadens‘, et sic de aliis. Igitur esse secans est esse agens. Ebd., f. 17 rb–va: Ex istis visis videtur quod oportet concedere quod hoc nomen ‚ens‘ vel hoc nomen ‚aliquid‘ dicitur univoce secundum conceptum communem simpliciter absolutum a connotatione de terminis significantibus substantias et de terminis significantibus accidentia talia nec prohibit inhaerentia vel dependentia nec prioritas nec posterioritas in essendo […]. Et ita etiam oportet concedere quod hoc nomen ‚substantia‘ non esset genus generalissimum, sed hoc nomen ‚quid‘ vel ‚aliquid‘. Diese Auffassung Buridans ist erstmals in den genannten beiden Hinsichten aufgewiesen worden durch A. Maier, Metaphysische Hintergründe der spätscholastischen Naturphilosophie (Studien zur Naturphilosophie des Spätscholastik, Bd. 4), Rom 21952, 210–218. Darüber hinaus zu ihrer Bedeutung im Zusammenhang der methodologischen Begründung der Physik und in ontologischer Hinsicht vgl. Krieger, Subjekt und Metaphysik (wie Anm. 1) 226–231. Buridanus, Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (wie Anm. 3) l. IV, q. 6, f. 17 va.

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dass er die quantitative und die qualitative Hinsicht ebenfalls als allgemeinste Gattungen kennzeichnet, die keine Gattung über sich haben (haec nomina ‚quantum‘ et ‚quale‘ non habent genus supra se, sed sunt generalissima) 30. Zum anderen, dass die Kategorien nach seiner Einschätzung gemäß den verschiedenen Prädikationsweisen in Bezug auf die ersten Substanzen bzw. die singulären Termini zu unterscheiden sind. Allerdings könne es durchaus der Fall sein, dass die abstrakten Bezeichnungen und deren Konkretionen nicht immer zu ein- und derselben Kategorie gezählt werden, so dass andere kategoriale Unterscheidungen in Bezug auf die ersten Substanzen möglich erscheinen. In diesen Zusammenhang gehört für Buridan schließlich auch, dass Aristoteles seinerseits die Anzahl der Kategorien durchaus nicht einheitlich bestimmt.31 Die angesprochenen Begründungen zeigen zum einen, dass Buridan die kategoriale Einteilung nur im faktischen Sinne als begründet ansieht und deswegen ihre tatsächliche Geltung betont. Sie entspricht der tatsächlich geübten prädikativen Praxis, und in dem Maße, wie diese eine andere Einteilung zeigt bzw. ermöglicht, ist letztgenannte begründet.32 Zum anderen sind die quantitative und qualitative Hinsicht vorrangig in der kategorialen Betrachtung.

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Ebd. Ebd.: Et debemus scire secundum intentionem Aristotelis et rei veritatem, quod praedicamenta debent distingui secundum diversos modos praedicandi de primis substantiis sive de terminis singularibus contentis sub hoc genere quid vel aliquid. […] Sed isto modo dicendi apparet quod nomina abstracta et sua concreta non semper reducerentur ad unum et idem praedicamentum […]. Vos potestis aliter distinguere praedicamenta, scilicet penes nomina concreta et diversos modos praedicandi ipsorum de primis substantiis. Et sic iterum haberentur decem […] Tamen certe Aristoteles […]. valde multiplicat genera generalissima. Buridan, Quaestiones in Praedicamenta (Anm. 14) q. 3, 19: Et ideo in vanum laboraverunt plures, qui per huiusmodi divisiones voluerunt assignare sufficientiam numeri praedicamentorum. Credo ergo, quod non possit aliter assignari vel probari sufficientia numeri praedicamentorum, nisi quia tot modos praedicandi diversos invenimus non reducibiles in aliquem modum praedicandi communiorem acceptum secundum aliquam unam communem rationem, ideo oportet tot esse. Sed etiam quia non invenimus praedicabilia communia, quae sub istis modis non contineantur vel ad eos reducantur, ideo non ponimus plura praedicamenta. Unde si aliqua praedicabilia communia inveniamus habentia alios modos praedicandi praeter dictos decem, apparet mihi, quod non esset negandum, quin essent plura praedicamenta. Unde bene invenimus, quod Aristoteles enumeravit et assignavit ista decem. Sed non invenimus, quod ipse dixit, quod non sint plura. Et si visus est innuere, quod non sint plura, tamen numquam ad hoc probandum rationem apposuit nec apponere potuit convenientem, nisi quia non invenimus alia praedicabilia, quae sub istis non contineantur, vel de eis non consideramus. Et haec ratio statim non valeret, si unus alter talia praedicamenta inveniret. Cum enim ista consideramus non esse sub istis decem contenta, non debemus negare, quin sint plura. Sed tamen mihi apparet pro certo, quod ista decem, si sint aliqua alia, sunt magis manifesta et continentia sub se maiorem pluralitatem praedicabilium.

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Dies verweist wiederum darauf, dass Gegenständliches insoweit erfasst wird bzw. erfassbar ist, als es erscheint.33 Dies geschieht in quantitativer und qualitativer Weise, weil die Quantität ihrem Träger eine qualitätsartige Bestimmtheit verleiht, die die Einzeldinge im graduellen Sinne unterschieden sein lässt.34 Dem entspricht schließlich der Bezug der kategorialen Unterscheidungen auf die erste Substanz. Denn damit ist nicht gesagt, dass sich der Sinn faktischer Existenz im Besonderen in der Substanz zeigte.35 Vielmehr versteht sich dieser Vorrang der ersten Substanz und damit deren Begriff funktional, er ist beschränkt auf das Moment des Zugrundeliegens.36 3. Gegenstand und faktische Existenz – Der Sinn des Seins in Buridans Verständnis des Transzendentalen Im Blick auf die hier analysierten Stellungnahmen Buridans zum Verständnis des Transzendentalen kann zunächst festgehalten werden, dass dieser die Metaphysik als eine allumfassende Wissenschaft begreift, insofern sie in ihrer besonderen Hinsicht die kategoriale Einteilung transzendiert. Buridan folgt dabei strikt der aristotelischen Perspektive der Gattungsbezogenheit der Wissenschaft. Weiter ist die Besonderheit der metaphysischen Hinsicht die gegenständliche Hinsicht, „Subjekt“ der Metaphysik ist nicht das Seiende in der Hinsicht des Seins, sondern etwas, insofern es Gegenstand ist. Das Verständnis des Seins ist damit auf das des Gegebenseins oder des Vorkommnisses begrenzt, während die Realität der Gegenstände als solche bzw. solcher die faktischer Existenz ist. Gegenstand zu sein und als solcher zu existieren besagt, ein tatsächliches Vorkommnis zu sein und als solches bestimmt und

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Buridanus, Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (Anm. 3) l. IV, q. 9, f. 19 vb–20 ra: Et videtur mihi esse dicendum quod res percipiuntur et iudicantur esse secundum quod percipiuntur tamquam in prospectu cognoscentis. Unde rem aliquam non iudicas esse nisi in prospectu sensus. [...] Et ideo [...] videtur mihi quod hoc verbum ‚esse‘ [...] licet non connotat praesentiam temporalem et succesivam, immo praesentiam [...] quamvis ad intelligendum rem esse non oporteat aliquid temporis cointelligere, sed solum quod res apprehendantur per modum praesentialitatis in prospectu cognoscentis, licet nulla esset vel imaginaret successio. Näher dazu Krieger, Subjekt und Metaphysik (Anm. 1) 222–226. Buridanus, Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (Anm. 3) l. V, q. 6, f. 29 vb–30 ra: Supposito enim quod equus et asinus habent adinvicem aliquam convenientiam ex natura rei, propter hoc quod natura eorum consequuntur accidentia magis similis quam consequantur ad naturam lapidis et asini. Oportet igitur concedere quod ex natura rei equus et asinus magis conveniunt quam asinus et lapis. Ebd., l. IV, q. 6, f. 17 va: nos possumus dicere, scilicet quod omne illud esset substantia quod naturaliter per se subsistit, ita quod non inhaeret alteri [...] et omne illud est accidens quod sic non subsistit per se naturaliter. Näher und im Einzelnen dazu Krieger, Subjekt und Metaphysik (wie Anm. 1) 231–239.

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bestimmbar zu sein. Letztgenanntes geschieht auf der Basis der Kategorien, die freilich, insofern sie sich ihrerseits vom faktisch Existierenden her verstehen, nur insoweit mit Bestimmtheit urteilen lassen, als sie tatsächlich zur Anwendung gebracht werden können. Deswegen reicht die kategoriale Bestimmbarkeit eines Gegenstandes nur soweit, wie dieser als solcher erscheint. Insofern dringt die Bestimmung eines Gegenstandes in seiner faktischen Existenz nur bis hin zu seiner quantitativen und qualitativen Bestimmtheit, dessen Wesen und damit das ihm von sich her zukommende Sein sind nicht zu bestimmen. Historisch folgt Buridan dem transzendentalen Ansatz in der Metaphysik, wie ihn Scotus realisiert, insoweit, als er die Metaphysik gleichfalls als allumfassende Hinsicht konzipiert. Er tut dies in der Hinsicht des Seins nur insoweit, als diese Hinsicht die Realität in ihrer faktischen Existenz betrifft. Die metaphysische Betrachtung hat sich auf diese Weise dahin gehend gewandelt, dass sie primär etwas als etwas in den Blick nimmt. Welche Bedingungen sind für diese gegenständliche Betrachtung maßgeblich? Wie sich zeigen wird, liegen diese Bedingungen auf der subjektiven Seite, so dass die Bedingungen der Erkenntnis zugleich die der erkannten Gegenstände sind. Im Sinne dieser Antwort Buridans werde ich mich zunächst der Wahrnehmung, dann der Vernunft als Bedingungen der Gegenständlichkeit zuwenden. Ich beginne mit dem erstgenannten Aspekt.

II. Wahrnehmung als Bedingung der Gegenständlichkeit Hinsichtlich der Bedingungen sinnlicher Erkenntnis nehme ich im Besonderen Buridans Einschätzung des sogenannten sensus communis und in Verbindung damit die der imaginatio in den Blick. Dieses Vorgehen begründet sich letztlich vom Ergebnis her. Denn es zeigt sich, dass Buridan in diesem Punkte einen Schritt tut, der auf eine Vorgängigkeit des Wahrnehmenden vor dem Wahrgenommenen führt. Die Gestalt des sinnlich Erkannten als solche oder dessen Einheit gründet im Erkenntnisverhältnis selbst, wenn gleich dieses Erkannte seiner Realität nach der Erkenntnis vorausliegt. 1. Sensus communis und imaginatio bei Aristoteles Wie denkt Buridan also über den sogenannten Gemeinsinn und die Einbildungskraft? Ich beginne mit einem kurzen Blick auf die betreffende Auffassung bei Aristoteles:37 In dem Lehrstück vom sensus communis spricht dieser 37

In dieser Darstellung stütze ich mich im Einzelnen auf folgende Beiträge: H. Busche, Hat Phantasie bei Aristoteles eine interpretierende Funktion in der Wahrnehmung? Zeitschrift

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die Integrierung verschiedener Sinne zu einem einheitlichen Sinnesraum, einem gemeinsamen Rahmen an, wenn etwa Gesehenes und Gehörtes zu einer einheitlichen Wahrnehmung zusammengeführt werden. Dieses gemeinsame Wahrnehmungsvermögen konzipiert Aristoteles als Zentralsensorium, in dem die Formen aus den peripheren Sinnen „notwendig zusammentreffen“ [und] das im Herzen zu lokalisieren“ 38 sei. Aristoteles nimmt also einen zentralen Gemeinsinn an, an den die Formen aus den äußeren Sensorien rückgemeldet werden und mit dessen Affektion es allererst zur bewussten Wahrnehmung kommt. Die Imagination bzw. Phantasie ist für Aristoteles im Unterschied dazu die sinnliche Fähigkeit, rein innere Erscheinungen zu haben, denen keine gleichzeitige Wahrnehmung äußerer Erscheinungen korrespondiert. Aristoteles ordnet das Zusammenspiel von Gemeinsinn und Einbildungskraft zwar der jeweiligen Sinnrichtung nach gegenläufig, dem Verlauf nach aber nacheinander: Die bewusste Wahrnehmung als Produkt des Gemeinsinns ist das Ergebnis der Affektion, die unmittelbar aus den Rückmeldungen aus den äußeren Sensorien an das Zentralorgan zustande kommt. Die Affektion, die den Gemeinsinn zu der genannten bewussten Wahrnehmung befähigt, ist also letztlich, wegen ihrer Unmittelbarkeit, äußerlich. Die angesprochene Affektion ist zwar ebenso Grundlage der durch die Imagination zustande kommenden Vorstellung. Aber diese kann es als innere erst von dem Zeitpunkt an geben, zu dem der betreffenden Empfindung kein äußeres Objekt mehr korrespondiert. Die spezifische Differenz der Imaginärerscheinungen zur Wahrnehmung macht somit aus, dass „die Extreme innerhalb der natürlichen Bewegungsabfolge zwischen wirkendem Objekt, peripherer und zentraler Affektion sich nicht zeitlich überlappen.“ 39 Insofern „denkt die Seele niemals ohne eine Vorstellung“ 40, bei der Wahrnehmung aber wird sie durch das Vorstellen eher behindert. 2. Sensus communis und imaginatio bei Buridan Aus Sicht Buridans ist es notwendig, den inneren Gemeinsinn im Unterschied zu den äußeren Sinnen anzunehmen, da ansonsten keine Veränderung wahr-

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für philosophische Forschung 51, 1997, 565–589; Ders.: Art. aisthesis/Wahrnehmung, in: O. Höffe (Hrsg.), Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005, 10–14; D. Frede, The Cognitive Role of Phantasia in Aristotle, in: M. Nussbaum/A. O. Rorty (Eds.), Essay on Aristotle’s De Anima, Oxford, 1992, 279–295; S. Herzberg, Wahrnehmung und Wissen bei Aristoteles. Zur epistemologischen Funktion der Wahrnehmung (Quellen und Studien zur Philosophie 97), Berlin 2011, 121–127; A. Schmitt, Synästhesie im Urteil aristotelischer Philosophie, in: H. Adler/U. Zeuch (Hrsg.), Synästhesie. Interferenz – Transfer – Synthese der Sinne, Würzburg 2002, 109–147. Busche, Phantasie bei Aristoteles (wie Anm. 37) 11. Ebd., 574. De an. III 7.431a 16; 432a 8–9.

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genommen werden könne. Käme die Wahrnehmung von Veränderung im inneren Sinn durch einen äußeren Sinn zustande, wäre nämlich eine zuvor erfolgte Veränderung eines anderen äußeren Sinnes vorausgesetzt.41 Im Einzelnen begründet Buridan diese Notwendigkeit der Annahme des Gemeinsinns mit dem Nachweis, dass dieser die Bedingung sowohl der inneren Wahrnehmung der äußeren Wahrnehmung als auch der Wahrnehmungsgestalt als solcher darstellt. Dazu geht er davon aus, dass der äußere Sinn nicht zur inneren Wahrnehmung der Wahrnehmung in der Lage ist, dass wir aber gleichwohl nicht nur wahrnehmen, sondern zugleich auch urteilen, dass wir dies tun.42 In Bezug auf die innere Wahrnehmung der äußeren Wahrnehmung verweist Buridan auf die Erfassung und Bestimmung von Sinneseindrücken unter der Bedingung der Inaktivität des betreffenden äußeren Sinnes. Dabei nimmt er zum einen Beispiele in den Blick, bei denen es zu einer „privativen“ sinnlichen Erfassung kommt, wenn etwa in der Nacht bei geschlossenen Augen oder Ohren Schatten bzw. Stille wahrgenommen werden: Für diese Wahrnehmungen fungiert der innere Sinn in zweifacher Hinsicht als Bedingung, zum einen insoweit, als er gemäß seiner Disposition zur Erfassung der Aktivität des äußeren Sinnes in der Lage ist, dessen Inaktivität festzustellen. Insofern es zum anderen zur Feststellung kommt, dass es Schatten oder Stille gibt, beruht diese ebenso auf dem betreffenden Urteil des inneren Sinns.43 Über diese „privativen“ sinnlichen Erkenntnisse hinaus sind wir zum anderen in der Lage, unter der genannten Bedingung geschlossener Augen nicht nur Schatten zu erfassen, sondern darüber hinaus auch bestimmte, nicht-

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Johannes Buridan, Quaestiones de anima (Ed. Lokert), l. II, q. 26, in: B. Patar, Le Traité de l’ame de Jean Buridan, Longuenil (Québec) 1991, 643: Dico primo quod praeter sensus exteriores necesse est ponere alium sensum interiorem, quem vocamus communem, quia non immutatur a sensibilibus exterioribus, nisi mediante alio sensu exteriore prius immutato. Ebd.: Prima ratio est: quia sensus exterior non est perceptivus sui actus, ut suppono ad praesens, ita tamen aliquando percipimus illos actus. Tu enim manifeste iudicas non solum quod hoc est album vel nigrum, vel quod haec vox est acuta vel gravis, sed etiam iudicas te hoc videre vel audire. Ergo necesse est ponere sensum interiorem percipientem et iudicantem actus sensuum exteriorum. Ebd.: de nocte in camera iudicamus esse tenebras, cum tamen tunc visus exterior nihil pericipiat; et sic etiam iudicamus esse silentium quando auditus exterior nullam habet sensationem per quam possit iudicare. Et iste modus iudicandi est per sensum interiorem qui habebat cognoscere actum sensus exterioris; ideo etiam poterat cognoscere quod sensus exterior non sit in actu. Et sic quando pericpit visum exterioris, oculis apertis, non moveri ad actum, iudicat esse tenebras; et quando pericpit auditum exteriorem, auribus apertis, non moveri ad actum, iudicat esse silentium.

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präsente Wahrnehmungsgehalte wie Berge, Täler oder Sterne.44 Die dritte Art von Beispielen, die Buridan zum Beleg seiner These von der Notwendigkeit des inneren Gemeinsinns anführt, betrifft sinnliche Wahrnehmungen, die in Träumen wie Anschauungen erscheinen. Auch für diese Beispiele gilt, dass sie unter der Bedingung der Inaktivität der äußeren Sinne stehen.45 Die bisher geltend gemachten Belege betreffen den inneren Gemeinsinn, soweit dieser die innere Wahrnehmung der äußeren Wahrnehmung bedingt. Diese Bedeutung des inneren Gemeinsinns schließt ein, dass er zum einen die Inaktivität der äußeren Sinne erfasst, zum anderen, dass er unter dieser Voraussetzung Wahrnehmungsgehalte zu realisieren vermag, so dass diese im Modus der Anschauung erscheinen. Im nächsten Argument für seine These zeigt Buridan die Bedeutung des Gemeinsinns für die Wahrnehmung insoweit auf, als es deren besondere Gestalt betrifft, die Einheit also des jeweiligen Wahrnehmungsgehaltes. Buridan tut dies im Blick auf die Unterschiedenheit zweier Wahrnehmungsgehalte wie das Gehörte und das Gesehene und deren Vereinheitlichung. Dabei veranschaulicht er diesen Zusammenhang an der Wahrnehmung eines Hundes. Dieser hört seinen Herrn rufen und sieht ihn, er wird darauf hin urteilen, dass der Rufende der ist, den er sieht, und wird zu ihm gehen. Die Übereinstimmung und Verschiedenheit der sinnlichen Gehalte erschließt sich nicht über deren Wahrnehmung gemäß den jeweiligen Wahrnehmungsorganen, so dass zu deren Erfassung über die äußeren Sinne hinaus der Gemeinsinn erforderlich ist.46 Im Ergebnis erscheint Wahrnehmung im Verständnis Buridans nicht als bloßer Reflex äußerer Reize, sondern als besonderer Akt der Erfassung eines sinnlichen Gehaltes. Dieser Akt steht zum einen unter der Bedingung äußerer Reize, die nach Maßgabe der Sinnesorgane aufgenommen werden. Zum anderen hat dieser Akt den inneren Gemeinsinn zur Voraussetzung, der den

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Ebd.: oculis clausis vel cum sint tenebrae, apprehendimus montes et valles et astra, et formamus in nobis diversa phantasmata; et ibi non solum reservatio specierum, sed etiam cognitio et actualis apprehensio ipsorum sensibilium, cum tamen non sint sensibilia a praesentia. Ebd.: in somno, clausis sensibus exterioribus, apparent nobis sensibilia ac si essent in conspectus nostro; cum simpliciter hoc non sit per sensus exteriores, eo quod sunt clausi, sequitur quod hoc est per alium sensum interiorem. Ebd., 643 f.: si homo vocat canem et canis eum videat, iudicabit quod ille quem videt est vocans eum, et ibit ad ipsum; modo hoc iudicium non potest fieri per aliquem sensum exteriorem nec per plures sensus exteriores, si non sit alius sensus communis, quia visus nihil cognoscit de vocatione, sed solum auditus; ideo non potest iudicare quod ille sit vocans. Et ita etiam auditus non iudicat de proprio visibili nec ambo sensus simul componerent vel dividerent propria sua sensibilia, quia ponens convenientiam vel differentiam inter alia, oportet quod cognoscat ambo illa. […] oportet enim quod sit eadem virtus formans actum compositivium vel divisivum, quem formare non potest, si non apprehendat utrumque extremorum.

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Aktcharakter der Wahrnehmung bedingt, wie er sich in der Wahrnehmung der Wahrnehmung sowie in der Einheit des jeweiligen Wahrnehmungsgehaltes zeigt. Im Ergebnis bestimmt Buridan den Gemeinsinn im Blick auf dessen Funktion der Gewährleistung der Wahrnehmung in deren Bedeutung als sinnlicher Erkenntnis: Die sinnliche Bestimmtheit dieser Erkenntnis ist durch die Sinnesorgane bedingt, ihre Erkenntnisnatur, d. h. ihr Bestimmungscharakter verdankt sich dem Gemeinsinn. Im Sinne dieser Kennzeichnung des Gemeinsinns nimmt Buridan schließlich zu dessen physiologischer Rückbindung bei Aristoteles47 Stellung: Die organische Bestimmtheit des Gemeinsinns versteht sich für Buridan insoweit, als er Element der Sinnlichkeit ist. Demgemäß erklärt sich die fragliche organische Bestimmtheit von der Sinnlichkeit als solcher her, insoweit diese die Bedingung sinnlicher Bestimmbarkeit darstellt. Die Besonderheit des Gemeinsinns in diesem Zusammenhang ergibt sich schließlich im Sinne der besonderen Disposition im Zusammenhang der verschiedenen sinnlichen Dispositionen.48 Im Ergebnis kennzeichnet Buridan die organische Bestimmtheit des Gemeinsinns damit unter dem Aspekt funktionaler Zweckbestimmung dieses Sinns im Zusammenhang der Funktion sinnlicher Erkenntnis insgesamt und deren organische Bestimmtheit als Bedingung dieser Funktion. Die funktionale Hinsicht bestimmt ebenfalls die Differenz der imaginatio oder phantasia zum Gemeinsinn, insofern letztgenannter die Aufgabe der Aufbewahrung der im Gemeinsinn realisierten sinnlichen Gehalte zufällt.49 Buridan ersetzt damit die zeitliche Vorrangstellung des Gemeinsinns vor der

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De an. III 3. Buridan, Quaestiones de anima (wie Anm. 41) 644: potest addi quod ille sensus communis est unus sensus, scilicet habens unum organum, ad quod organum terminantur et copulantur organa sensuum exteriorum. […] Et ut magis appareat quomodo hoc sit verum, debetis notare quod ad sensum tria principaliter et intrinsece concurrunt. Primum est anima sensitiva quae est principalis forma corporis et organi sensitivi. Et ratione eius sensus communis bene est unus, cum illa sit una in uno animali et eiusdem rationis per totum corpus; anima enim est simplex forma sic quod non composite ex partibus diversarum rationum. Secundum quod requiritur est materia organi, ratione cuius etiam sensus potest dici unus, quia materia in totali corpore animalis est una indivisa et non habens partes diversarum rationum. Tertium quod requiritur est dispositio qualitativa organi quae in diversis membris est diversa et propter cuius solius diversitatem dicuntur membra et organa diversa. Unde propter huiusmodi diversitatem dicuntur organa sensuum exteriorum diversa et etiam sensus exterior est diversus. Et imaginandum est etiam quod quantum ad huiusmodi qualitativas dispositions sensus communis est unus in se et diversus a sensibus exterioribus. Ebd., l. II, q. 27: Utrum in homine sint ponendae quattuor virtutes sensitivae interiores: senus communis, phantasia, cogitativa et memorativa, 648: praeter sensum communem aut omnem virtutem cognoscitivam oportet ponere aliam virtutem non cognoscitivam quae sit reservativa specierum sensibilium […] et talem dicunt auctores esse phantasiam quae alio nomine vocatur imaginativa, quae reservat imagines seu similitudines rerum sensibilium.

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Imagination durch das Verhältnis von ursprünglicher Gestaltung der Wahrnehmung im Gemeinsinn in Relation zu aufbewahrender Reproduktion des Wahrgenommenen in der Imagination. Im Ergebnis vertritt Buridan also folgende Auffassung: Die Gestaltung der Wahrnehmung durch den inneren Gemeinsinn betrifft die wahrgenommenen Gehalte nicht in ihrer Realität, sondern insoweit, als diese Gehalte tatsächlich wahrgenommen werden. Insoweit liegen die sinnlichen Gehalte der Wahrnehmung der Realität nach voraus, aber der Einheit ihrer sinnlichen Gestalt nach kommt die Wahrnehmung unabhängig davon zustande. Der Gemeinsinn ermöglicht also auf der Ebene der Wahrnehmung, etwas als etwas zu erkennen, der Gemeinsinn ist die Bedingung der Erkenntnisnatur sinnlicher Wahrnehmung und diese Natur liegt in der Bestimmungsfunktion der sinnlichen Erkenntnis. Sinnliche Wahrnehmung ist für Buridan also nicht eine sich unmittelbar ergebende Abbildung von Reizkonstellationen, sondern eine in vermittelter Unmittelbarkeit zustande kommende und insoweit gestaltete Sinneseinheit. Buridan versteht damit das Verhältnis von innerem Gemeinsinn und äußeren Sinnen gemäß der Differenz zwischen innerem Grund der Form der Wahrnehmung und äußerem Ursprung ihrer Bestimmungen. Zugleich steht der Gemeinsinn im Verhältnis ursprünglicher Gestaltung der Wahrnehmung zu aufbewahrender Reproduktion des Wahrgenommenen in der Imagination.

III. Vernunft als Bedingung gegenständlicher Bestimmtheit An dieser Stelle ist wiederum eine kurze Bemerkung in Bezug auf die Rezeptionsbedingungen der Auffassung Buridans angebracht: Diese ergeben sich zum einen von Ockhams Kritik an der Annahme extramentaler Realität allgemeiner und notwendiger Entitäten her. Insoweit stellt sich für Buridan die Frage, wie sich diese Allgemeinheit und Notwendigkeit über die logische und sprachliche Repräsentation hinaus begründet. In Verbindung damit stellt zugleich der Skeptizismus des Nikolaus von Autrecourt eine besondere Rezeptionsbedingung für Buridans Auffassung dar. Zugespitzt gesagt führt dieser Skeptizismus nämlich zur Infragestellung von Erkenntnis und Wissenschaft überhaupt. Buridans Verhältnis zu Nikolaus von Autrecourt hat Dominik Perler im Zusammenhang der Diskussion skeptischer Debatten im Mittelalter näher untersucht.50 Dabei betrachtet der genannte Interpret beide Autoren, Niko50

D. Perler, Zweifel und Gewissheit. Skeptische Debatten im Mittelalter, Frankfurt a.M. 2006, 350–401.

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laus ebenso wie Buridan, als Reaktionen auf skeptische Herausforderungen. Im Unterschied dazu verhalten sich die beiden Auffassungen im Lichte meiner Betrachtung im Sinne eines Skeptizismus (Nikolaus) und dessen Widerlegung (Buridan).51 Im Besonderen ist Perler der Auffassung, dass es für Buridan „abwegig [sei], ein letztes Fundament für jedes Wissen zu suchen. […] Für Buridan war ein radikaler Zweifel ausgeschlossen, weil er als Aristoteliker immer schon voraussetzte, dass es natürliche kognitive Vermögen gibt, die auf die Gegenstände der Welt abgestimmt sind.“ 52 Innerhalb dieses „metaphysischen Rahmens“ 53 steht Wissen „in Kontexten“ 54, d. h. es ist in seiner „jeweiligen Verflechtung und damit als Bestandteil eines kohärenten Ganzen“ aufzufassen. Insoweit ist Buridans Ansatz in der Betrachtung Perlers ein „kohärentistischer und gleichzeitig pluralistischer“ 55. Im Besonderen biete der angesprochene „metaphysische Rahmen“ in Perlers Betrachtung Buridan „einen eleganten Ausweg aus der skeptischen Falle“, insofern er ihn vor einem unendlichen Regress bewahre: „Würde man sich nämlich darauf einlassen, eine Kontrollinstanz für den Intellekt anzunehmen, könnte auch für diese Instanz wieder eine Kontrollinstanz gefordert werden. […] Genau diesem Problem entgeht Buridan, indem er den Intellekt von vornherein als das höchste kognitive Vermögen des Menschen bestimmt und ihm – wie der ganzen Natur – Zuverlässigkeit zuspricht. […] Als Teil der Natur funktioniert der Intellekt im Prinzip korrekt und bildet unter normalen Bedingungen korrekte Urteile“.56 Zum Ansatzpunkt der Stellungnahme zu dieser Deutung der Auffassung Buridans im Rahmen der hier verfolgten Darstellung der Transformation der aristotelischen Metaphysik in Buridans Denken bietet sich dessen Haltung in der Frage des „ersten Prinzips“ des Wissens an. In der Sache stellt sich damit nämlich die Frage, inwieweit Buridan den Versuch einer eigenen „Letztbegründung“ des Wissens als solchen unternimmt. In Perlers Sicht liegt ein solcher Versuch bei Buridan jedenfalls nicht vor, insofern für diesen „das Prinzip der Widerspruchsfreiheit […] das erste und fundamentalste […] nicht weiter beweisbare Prinzip“ 57 ist. Da es sich tatsächlich aber anders verhält, d. h. da Buridan in der Frage des „ersten Prinzips“ ebenso Kritik an Aristote-

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Vgl. dazu im Einzelnen G. Krieger, Transzendental oder kohärentistisch? Buridans Widerlegung des Skeptizismus, in: Acta Mediaevalia XXII (2009), 301–332. Perler, Zweifel und Gewissheit (wie Anm. 50) 400 f. Ebd. Ebd., 382. Ebd., 375. Ebd., 389. Ebd., 371 f. Perler unterlässt eine Stellungnahme zu den im Folgenden angeführten, durchaus anders lautenden Äußerungen Buridans.

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les übt, wie er zugleich das Identitätsprinzip zum „ersten Prinzip“ erklärt und es als solches ausdrücklich begründet, erweist sich Perlers Deutung sowohl in Bezug auf das „erste Prinzip“ als auch hinsichtlich des kohärentistischen Charakters des Wissenskonzeptes Buridans als nicht zutreffend. 1. Die Kritik an Aristoteles In Hinsicht auf Buridans hier infrage stehende Aristoteleskritik ist noch zu berücksichtigen, dass diese dem Nichtwiderspruchsprinzip in der fraglichen Bedeutung in ontologischer Hinsicht gilt, d. h. insoweit, als Aristoteles sagt, dass es unmöglich sei, dass dasselbe demselben zukommt oder nicht zukommt (idem simul inesse et non inesse eidem est). Dass diese Aussage nach Aristoteles das erste Prinzip darstelle, müsse, so Buridan, offensichtlich bestritten werden (statim videtur quod primum principium deberet negari quod est tale secundum Aristotelem). Dabei versteht sich die fragliche Aussage für Buridan in kategorischer und affirmativer Weise, d. h. als uneingeschränkt wahre Aussage.58 Vor diesem Hintergrund argumentiert Buridan zur Begründung seiner Kritik folgendermaßen: Er geht davon aus, dass die als Subjektausdruck gebrauchte Wendung „dasselbe kommt demselben zu oder kommt ihm nicht zu“ etwas oder nichts ist; dabei zeigt seine weitere Argumentation, dass er „sein“ im Sinne faktischer Existenz oder Vorkommens versteht. In diesem Sinne verstanden ist der angesprochene Subjektausdruck, so Buridan, etwas, das vorkommt. Deswegen kann eben dieser Ausdruck ‚dasselbe kommt demselben zu oder kommt ihm nicht zu‘ in einer Aussage Verwendung finden. Wird ausgesagt: „‚dasselbe kommt demselben zu oder kommt ihm nicht zu‘ ist unmöglich“, wird ausgesagt, dass das, was ist, nicht möglich sei. Denn in dieser Aussage supponiert einer ihrer Ausdrücke für etwas, das es laut dieser Aussage nicht gibt: „dasselbe kommt demselben zu oder kommt ihm nicht zu“ ist ein Ausdruck, der in der Aussage vorkommt, „‚dasselbe kommt demselben zu oder kommt ihm nicht zu‘ ist unmöglich“. Gemäß dieser Aussage ist also ‚dasselbe kommt demselben zu oder kommt ihm nicht zu‘ etwas, das ist und doch nicht sein kann. Diese Aussage steht somit nicht für sich selbst. Falls „‚dasselbe kommt demselben zu oder kommt ihm nicht zu‘ ist unmög-

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Buridanus, Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (wie Anm. 3) l. IV, q. 12, f. 21 vab: statim videtur quod primum principium deberet negari quod est tale secundum Aristotelem ‚idem simul inesse et non inesse est impossibile‘. Et ista est vera propositio cathegorica et affirmativa, cuius subiectum est ista oratio ‚idem simul inesse et non inesse‘ et praedicatum est ille terminus ‚impossibile‘. Die betreffende Stelle in der Metaphysik findet sich Γ 3.1005 b 23 f.: ἀδύνατον γάρ ὁντινοῦν ταὐτὸν υ‛πολαμβάνειν εἶναι καὶ μὴ εἶναι.

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lich“ nichts ist, ist die Aussage falsch. Denn eine Wahrheit beanspruchende Aussage ist falsch, wenn einer ihre Ausdrücke für nichts steht. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Aussage: „‚dasselbe kommt demselben zu oder kommt ihm nicht zu‘ ist unmöglich“ nicht als das infrage stehende Prinzip fungieren kann, wie immer sie in den beiden ins Auge gefassten Modi verwendet wird.59 Buridan macht also in seiner Kritik geltend, dass der Ausschluss widersprüchlicher Bestimmtheit im angesprochenen ontologischen Sinne nicht als das erste Prinzip fungieren kann, indem er diesen Ausschluss in seiner Funktion der Aussage methodisch analysiert, d. h. in seiner suppositiven Funktion gemäß der suppositio materialis. Buridan setzt auf diese Weise an der Aussage in ihrer Faktizität an, insofern folgt er der Hinsicht der Gegenständlichkeit oder Sachhaltigkeit. 2. Das Identitätsprinzip als „erstes Prinzip“ Buridans eigene Stellungnahme zur Gestalt des „ersten Prinzips“ besagt, dass er glaube (credo), dass die von ihm getroffenen Formulierungen des schlechthin ersten Prinzips angenommen werden müssten (simpliciter primum principium debet poni). Weiter nimmt Buridan zwei Formulierungen vor: Zunächst: „Jegliches ist oder ist nicht.“ (Quodlibet est vel non est.). Dann fügt Buridan die als universell qualifizierte Aussage an: „Nichts ist ein Identisches und nicht ein Identisches“ (ista universalis: nihil idem est et non est).60 Diese Feststellung werde ich in insgesamt drei Schritten näher untersuchen. 1. Buridan kennzeichnet seine Feststellung, dass die beiden dann folgenden Formulierungen des schlechthin ersten Prinzips angenommen werden müssten, ihrem epistemischen Modus nach als subjektive Annahme (ego credo). Weiter unterstreicht Buridan, indem er die Einfachheit oder Schlechthinnigkeit des ersten Prinzips (simpliciter primum principium) hervorhebt, seinen objektiven Anspruch, er zeigt sich davon überzeugt, das erste Prinzip mit der getroffenen Formulierung im Modus des Urteils definitiv auszusagen.

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Ebd., f. 21 vb: Tunc arguo sic: ‚idem simul inesse et non inesse eidem‘ est aliquid vel nihil. Si est aliquid, ergo potest esse, quia omne, quod est, potest esse. Et si potest esse, tunc ipsum non est impossibile. Si vero nihil sit, tunc propositio est falsum, quoniam affirmativa est falsa, si aliquis terminorum pro nullo supponit. Et ita quocumque modo dicatur, ista propositio videtur esse falsa. Ebd., f. 23 ra: Sed ego credo quod simpliciter primum principium debet poni ista propositio: quodlibet est vel non est. Vel ista universalis: nihil idem est et non est.

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Dass Buridan auf der einen Seite seine Aussagen ihrem epistemischen Modus nach einschränkt und sie zugleich auf der anderen Seite mit einem uneingeschränkten Wahrheitsanspruch verknüpft, findet seine Entsprechung darin, dass die beiden zu analysierenden Formulierungen des ersten Prinzips ihrer Form nach hypothetischer Natur sind. Dem Gehalt nach entspricht Buridans Stellungnahme diesem Verhältnis, insofern die beiden Formulierungen die beiden Seiten der Erkenntnis des Intellektes zum Ausdruck bringen, insoweit dieser sich selbst in seiner urteilenden Tätigkeit in prinzipieller Hinsicht erfasst: zum einen die Erkenntnis, dass in jeglichem Urteil Gegebenes als Zu-Erkennendes vorausgesetzt wird, zum zweiten, dass in jeglichem Urteil der Intellekt sich selbst in seiner Bestimmtheit als Bestimmendes voraussetzt. Das erste Prinzip Buridans macht die Selbsterkenntnis des Intellektes als Bedingung jeglicher Erkenntnis im subjektiven und im objektiven Sinne ausdrücklich. Damit artikuliert der zur Diskussion stehende Text den Kern der transzendentalen Grundlegung der Metaphysik durch Buridan.61 2. Buridans erste Formulierung des ersten Prinzips lautet: Jegliches ist oder ist nicht (Quodlibet est vel non est).62 Insofern kann das Prinzip auch so formuliert werden: Es wird vorausgesetzt, dass ein jegliches ist. Daher stellt sich die Frage nach der Begründung der objektiven Geltung dieser Aussage, d. h. konkret nach dem Grund, der entscheiden lässt, dass ein Jegliches ist. Es liegt nahe anzunehmen, dass dieser Grund darin besteht, beurteilen zu können, als was ein jegliches ist. Die erste Formulierung des ersten Prinzips lässt sich damit folgendermaßen deuten: Im Sinne subjektiven Für-wahr-Haltens besteht der Ausgangspunkt des Erkennens in der alternativen Annahme, dass es Jegliches gibt oder nicht gibt. Diese Alternative lässt folgende Annahme als den fraglichen Ausgangspunkt zu: Es wird vorausgesetzt, dass es Jegliches gibt. Dementsprechend stellt sich die Frage nach dem Grund bzw. Kriterium für die Entscheidung darüber, dass ein Jegliches vorkommt. Es legt sich nahe anzunehmen, das das fragliche Kriterium die Entscheidung darüber ermöglicht, als was es etwas gibt, als was es etwas geben kann, und schließlich auch, als was es etwas geben muss. Denn ansonsten könnte der gesuchte Gehalt nicht wirklich Kriterium sein, sondern wäre seinerseits nur etwas, das es gibt. Das mit der diskutierten Formulierung 61

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R. Schönberger, Relation als Vergleich: Die Relationstheorie des Johannes Buridan im Kontext seines Denkens und der Scholastik, Leiden–Köln 1994, 285, sieht in Buridans Formulierung des primum principium complexum zwar durchaus „in Absetzung von Aristoteles eine Neuformulierung“. Er unterlässt aber deren Analyse und übersieht demzufolge die skizzierte Bedeutung dieses Textes. Vgl. oben Anm. 60.

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des schlechthin ersten Prinzips fragliche Kriterium eröffnete, so verstanden, also die Bestimmung realer Möglichkeit (im Unterschied zur logischen Denkbarkeit, d. i. die durch die Elemente eines Begriffs und die logischen Prinzipien bedingte, innere Nichtwidersprüchlichkeit), von Wirklichkeit und von realer Notwendigkeit (im Unterschied zur logischen, durch die logischen Prinzipien bestimmten Notwendigkeit). 3. Buridan fügt der zuvor analysierten Fassung des ersten Prinzips folgende zweite als universell qualifizierte Formulierung an: „Nichts ist ein Identisches und nicht ein Identisches“ (ista universalis: nihil idem est et non est).63 Hinsichtlich der Deutung dieser Aussage sei zunächst festgehalten, dass der Ausdruck est ebenso wie bei der ersten Formulierung des schlechthin ersten Prinzips im Sinne des „Es gibt“ verstanden wird. Weiter bringt Buridan mit der universellen Qualifizierung dieser Aussage zum Ausdruck, dass die jetzt zur Diskussion stehende Fassung die ist, die als das schlechthin erste Prinzip angenommen werden muss, wenn es denn tatsächlich als ein solches angenommen wird. Im Ergebnis besagt dies: Die erste Formulierung des ersten Prinzips bringt die dem subjektiven Ausgangspunkt des Erkennens und Urteilens entsprechende Feststellung der Annahme des Dass eines Jeglichen zum Ausdruck. Die zweite Formulierung stellt das Prinzip der Bestimmbarkeit oder der realen Möglichkeit von Bestimmtem dar. Denn mit dem Gesichtspunkt der Identität ist ein Kriterium zur Beurteilung dessen gegeben, als was etwas vorkommt, vorkommen kann oder vorkommen muss. Insofern charakterisiert diese Formulierung das schlechthin erste Prinzip als die schlechthin grundlegende Bedingung von Bestimmtheit und damit zugleich als die grundlegende Bedingung von Gegenständlichkeit oder Sachhaltigkeit im Allgemeinen. Schließlich gehört es für Buridan zu einer evidenten Annahme (evidentis opinionis), dass es unmöglich ist, in irgendeinem Falle der zu dieser Annahme konträren Meinung zu sein. Denn letztgenannte Möglichkeit erforderte es, konträre Annahmen in ein- und demselben Intellekt zu realisieren, was unmöglich ist.64 Diese Bemerkung versteht sich folgendermaßen: Zwei Überzeugungen schließen sich nicht bereits dadurch gegenseitig aus, dass sie sich ihrem sachli63 64

Ebd. Buridanus, Kommentar zur aristotelischen Metaphysik (wie Anm. 3) l. IV, q. 12, f. 23 ra: Et iterum illa de hypothetico extremo vel etiam propositio hypothetica disiungens concedenda est. Ita evidentis opinionis quod impossibile est ipsi opposita opinari in quocumque casu, quia oporteret opinantem habere simul in intellectu opiniones contrarias, quod est impossibile.

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chen Gehalt nach kontradiktorisch zueinander verhalten, sondern erst dann, wenn sie sich in ihrer gedanklichen Realität und damit konträr zueinander verhalten. Unter dieser Voraussetzung steht nämlich jede der beiden Überzeugungen für sich im Verhältnis der Bejahung des betreffenden Sachverhaltes. Damit stehen die beiden Überzeugungen zugleich im konträren Verhältnis zueinander. Denn im Falle der einen Überzeugung stimmen Überzeugung und Sachverhalt überein, während dies im Falle der entgegengesetzten Überzeugung nicht zutrifft. Die beiden Überzeugungen stehen also deswegen im konträren Verhältnis zueinander, weil der Intellekt sich dabei in Bezug auf den Sachverhalt gleichzeitig im Verhältnis der Bejahung und der Verneinung befindet. Dass die beiden Überzeugungen im konträren Verhältnis zueinander stehen, heißt also kurz gesagt, dass dasselbe Subjekt bzw. derselbe Intellekt sich selbst gleichzeitig bejaht und verneint, urteilt und zugleich nicht oder gegensätzlich urteilt. Das aber ist unmöglich: contraria non possunt esse in eodem subiecto vel intellectu. Damit zeigt sich im Ergebnis zweierlei: erstens, dass es sich bei dem Sachverhalt des ersten Prinzips als solchen um nichts anders handelt als um die Form des Intellektes oder der Bestimmtheit als solcher. Der Sachverhalt des ersten Prinzips ist der Gesichtspunkt der Identität. Und zweitens, dass dieser wie jeder Sachverhalt oder Gegenstand zur „Welt“ gehört, insofern er der meines Intellektes ist oder sein kann, d. h. insofern ich mir bzw. mein Intellekt sich dieses Gegenstandes gewiss zu sein vermag. Denn der Sachverhalt des ersten Prinzips selbst bleibt in seiner Objektivität unerkennbar, da diese Erkenntnis die subjektive Gewissheit oder die Realität der Vernunft bereits voraussetzt. Insofern schließt, so Buridan, die Gewissheit, dass es unmöglich ist, im selben Intellekt gleichzeitig konträre Annahmen realisieren zu können, nicht die einfache und kategorische Aussage über die objektive Realität des Intellektes als Identitätsverhältnis ein.65 Im Ergebnis bestimmt sich Realität überhaupt nach der Realität des Intellektes als tatsächlich realisierten Bestimmungs- oder Erkenntnisverhältnisses. Die subjektive Selbstgewissheit der Vernunft ist die unhintergehbare Basis allen Erkennens und Wissens.

IV. Die transzendentale Wende als Element der Geschichte der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter Buridans Beitrag zur Geschichte der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter besteht im Ergebnis zugespitzt gesagt darin, die subjektive Hinsicht als

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Ebd.: Talem autem evidentiam non includit aliqua simplex cathegorica, saltem explicite.

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das Prinzip des Erkennens und Wissens und damit das der Gegenstände hervorgehoben zu haben, und zwar sowohl im Blick auf die sinnliche als auch auf die intellektive Erkenntnis. Gemeinsam ist beiden Erkenntnisweisen die Ursprünglichkeit und damit der Vorrang der Erkenntnisbeziehung als solcher im Verhältnis zu ihrem Gehalt. Der Sache nach begründet sich damit die sinnliche ebenso wie die begriffliche Gestalt des Erkannten als solchen im Erkenntnisverhältnis selbst, wenn gleich das Erkannte seiner Realität nach der Erkenntnis vorausliegt. Insoweit gehört die transzendentale Wende in diesem Sinne verstanden zur Geschichte der Metaphysik des Aristoteles im Mittelalter selbst. Buridan vollzieht diesen Schritt nämlich ganz im Sinne der spezifischen Selbstdeutung des Denkens, wie sie für die mittelalterliche Sicht im generellen Sinne kennzeichnend ist: Diese Selbstdeutung führt Buridan ihrem Ursprung wie ihrem Geltungsanspruch nach auf die antike Philosophie zurück, er begründet Wissen der Sache nach mit dem Motiv der Wahrheit, und historisch führt er dieses Motiv auf Plato und Aristoteles zurück.66 Zugleich versteht Buridan seine tatsächliche Realisierung der Philosophie als einen individuellen Akt, als Ausdruck und Konsequenz von Freiheit. Konkret zeigt sich diese Individualität und Freiheit bei Buridan in dem historisch durchaus ungewöhnlichen Verbleib in der philosophischen Fakultät und dem Verzicht auf den Aufstieg in die theologische Fakultät.67 Systematisch gesehen ist es in heutiger Perspektive nicht selbstverständlich und anerkannt, dass die subjektive Hinsicht als Prinzip des Erkennens und Wissens zu gelten hat. Buridans Überlegungen scheinen mir für diese Auseinandersetzung durchaus Ansätze und Perspektiven zu eröffnen. Das näher auszuführen, dazu bedürfte es freilich nicht allein einer anderen Gelegenheit. Bei meiner Stellungnahme würde ich auch das mitberücksichtigen, was ich in meinem Beitrag zum Denken des Nikolaus von Kues vortragen möchte. Insofern schließe ich mit der Ankündigung, dass ich das, was ich hier zu Buridan vorgetragen habe, im Blick auf Cusanus in einzelnen Gesichtspunkten aufgreifen werde.

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Vgl. dazu näher G. Krieger, Die Rückkehr des Sokrates. Oder: Wo liegen die Grenzen mittelalterlichen Denkens?, in: Grenze und Grenzüberschreitungen im Mittelalter (11. Symposion des Mediaevistenverbandes Frankfurt/O.), hrsg. v. Ulrich Knefelkamp, Kristian BosselmannCyran, Berlin 2007, 439–452. Vgl. dazu näher B. Michael, Johannes Buridan. Studien zu seinem Leben, seinen Werken und zur Rezeption seiner Theorien im Europa des späten Mittelalters, Berlin (Diss. FU) 2 Bde., 1985, hier: Bd. I, S. 203.

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Metaphysik als Entwurf – Cusanus und die Metaphysik Gerhard Krieger Meine Überlegungen zur Stellung und Bedeutung des cusanischen Denkens in metaphysischer Hinsicht können sich nicht auf einen Kommentar zur aristotelischen Schrift stützen. Aus diesem Grund werde ich zunächst einige Bemerkungen dazu machen, wie sich mein Beitrag von seinen Voraussetzungen und methodisch versteht. In diesem Rahmen werde ich auch etwas zu den Rezeptionsbedingungen sagen, unter denen nach meiner Einschätzung der angesprochene Beitrag des Cusanus zu sehen ist. Ebenso erfolgt in diesem Zusammenhang eine erste Erläuterung der Deutung der Metaphysik durch Cusanus im Blick auf dessen Verständnis der coniectura (I.). Weiter werde ich dieses Verständnis dann im Einzelnen näher vorstellen und erläutern (II.– IV.). Abschließend wird ein Fazit gezogen werden (V.).

I. Hinführung: Zu den Voraussetzungen der Überlegungen, zum methodischen Vorgehen und zu einer ersten Erläuterung der intendierten Deutung 1. Zu den Voraussetzungen und zum methodischen Vorgehen Meine Überlegungen basieren zum einen auf der Annahme, dass Cusanus in seinem Denken insgesamt im Sinne mittelalterlicher Intellektualität ansprechbar ist, wie sie ihre Gestalt in der Universität erfährt und entwickelt. Insoweit wird im Blick auf das cusanische Denken ein metaphysischer Deutungszusammenhang unterstellt, der sich als solcher zwar nicht bei Cusanus selbst dargelegt und expliziert findet, der aber gleichwohl als gedanklicher Zusammenhang des Nikolaus von Kues und damit als cusanisch angesehen werden kann. Im Lichte dieser Annahme beziehe ich mich auf eine Reihe von Texten des Kardinals, die insoweit die methodische Grundlage meiner Überlegungen bilden, damit als Ausdruck des angesprochenen Deutungszusammenhangs genommen und in ihrem sachlichem oder philosophischen Anspruch analysiert und diskutiert werden. Der Ausdruck „Metaphysik“ wird dabei in kur-

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sivierter Schreibweise gebraucht, soweit damit die betreffende Schrift des Aristoteles gemeint ist, während sich der Ausdruck ohne Kursivierung auf die betreffende Wissenschaft oder „Erste Philosophie“ im Verständnis des Aristoteles bezieht. Die Zuordnung des Cusanus zur Geschichte der Metaphysik des Aristoteles basiert darüber hinaus auf zwei Annahmen, deren erste die beiden Motive betrifft, die Cusanus seinerseits in Bezug auf sein Verhältnis zu Aristoteles und Platon benennt: Er tut dies im Blick auf die aristotelische Leugnung apriorischer Erkenntnisinhalte und den betreffenden Vergleich des Geistes mit einer unbeschriebenen Tafel. Insoweit bestimmt der Kardinal sein Verhältnis zu Aristoteles von dem Motiv her, dass sich die inhaltliche Bestimmtheit der Erkenntnis der Erfahrung verdankt.1 Im Unterschied dazu kennzeichnet Cusanus sein Verhältnis zu Platon von der Urteilsfähigkeit des menschlichen Geistes her, die diesem ursprünglich und aus sich heraus zukomme.2 Insofern möchte ich dieses Motiv hier im Sinne der Vereinheitlichungs- oder Bestimmungsfunktion des Urteils, bzw. allgemeiner: des menschlichen Geistes aufgreifen. Die zweite Annahme in Bezug auf das Verhältnis des Kardinals zu Aristoteles betrifft dessen Hinsichten auf die aristotelische Metaphysik. Diese ergeben sich aus meiner Sicht im Besonderen aufgrund der historischen Bezüge zur aristotelisierenden Tradition im mittelalterlichen Denken. Im Besonderen sind dies Auffassungen, die als ockhamistisch und als scotisch bzw. scotistisch gelten können sowie solche, die auf Buridans Denken verweisen. Im Einzelnen lassen sich diese Bezüge in Texten des Cusanus identifizieren. Insofern verstehe ich diese Positionen zugleich im Sinne der besonderen Rezeptionsbedingungen der aristotelischen Metaphysik im cusanischen Denken. Im Blick auf die Frage, wie das Verhältnis des Cusanus zur Metaphysik des Aristoteles in der Literatur gesehen wird und wie sich die hier vorgelegte

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Nikolaus von Kues: Der Laie über den Geist/Idiota de mente (Philosophische Bibliothek 432), lat.-dt., neu übers. u. mit Anm. hg. R. Steiger, Hamburg 1995, c. IV n. 77.: Aiebat Aristoteles menti seu animae nostrae nullam notionem fore concreatam, quia eam tabulae rasae assimilavit. Plato vero aiebat notiones sibi concreatas, sed ob corporis molem animam oblitam. […] Non est igitur credendum animae fuisse notiones concreatas, quas in corpore perdidit, sed quia opus habet corpore, ut vis concreata ad actum pergat. […] In hoc igitur Aristoteles videtur bene opinari animae non esse notiones ab initio concreatas, quas incorporando perdiderit. Ebd., c. IV n. 77 f.: Verum quoniam non potest proficere, si omni caret iudicio, […] quare mens nostra habet sibi concreatum iudicium, sine quo proficere nequiret. Haec iudicaria est menti naturaliter concreata, per quam iudicat per se de rationibus, an sint debiles, fortes aut concludentem. Quam vim si Plato notionem nominavit concreatam, non penitus erravit. […] Experimur ex hoc mentem esse vim illam, quae licet dareat omni notionali forma, potest tamen excitata se ipsam omni formae assimilare et omnium rerum notiones facere.

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Sicht dazu verhält, sei auf die Stellungnahme verwiesen, die dazu im Zusammenhang des Fazits erfolgen wird. 2. Eine erste Erläuterung der intendierten Deutung: coniectura als Entwurf Was schließlich die besondere Gestalt der Transformation der Metaphysik betrifft, wie Cusanus sie in meiner Sicht vollzieht, sei diese hier vorerst im Blick auf die Kennzeichnung menschlicher Erkenntnis als coniectura erläutert. Im Besonderen geht es um die Feststellung, dass es sich bei einer coniectura um eine bejahende Behauptung handelt, die zur Wahrheit selbst im Verhältnis von Andersheit und Teilhabe steht (positiva assertio in alteritate veritatem, uti est, participans).3 In seiner Erläuterung dieser Kennzeichnung geht Cusanus von der sinnlichen Erfassung eines Gegenstandes in dessen Gegenwart aus. Die betreffende begriffliche Bestimmung erfolgt im Sinne einer „positiven Bejahung“ (positiva assertio), sie basiert insoweit auf der sinnlichen Erfassung und wird gemäß ihrer sinnlichen Gegebenheit als zutreffend erachtet (Nam dum tu clarissimis tuis oculis faciem pontificis coram conspicis, de ipsa positivam assertionem concipis, quam praecisam secundum occulum affirmas.). Angesprochen ist also etwa folgendes Urteil: „Ich sehe das Antlitz dieser Person vor mir“, das in seiner sinnlichen Unmittelbarkeit „bejaht“ wird. Unterscheidet man weiter das angesprochene Sehen etwa vom betreffenden Hören, indem man feststellt, dass die angesprochene Person zwar gesehen, aber nicht gehört wird, zeigt sich ein zweifaches: erstens ist diese Feststellung ihrerseits nicht ein Urteil der angesprochenen Sinne, sondern der Vernunft (ratio), und dieses Urteil verweist zweitens auf die Einsicht, dass die Differenz von Sehen und Hören in ihrer gemeinsamen Sinnlichkeit organisch bedingt ist (Dum ad radicem illam, unde discretio sensus emanat, te convertis – ad rationem dico –, intelligis sensum visus participare vim discretivam in alteritate organice contracta.4). Gemäß ihrer organischen Bedingtheit verhält sich die einzelne Sinneserkenntnis als solche standpunktbezogen oder relativ zu ihrem Gegenstand.

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Nikolaus von Kues: Mutmaßungen/De coniecturis (Philosophische Bibliothek Bd. 268), lat.dt., übers. u. mit Einf. u. Anm. hg. v. J. Koch u. W. Happ, Hamburg 1971, p. I c. XI n. 57: Coniectura igitur est positiva assertio, in alteritate veritatem, uti est, participans. Ebd.: Nam dum tu, pater clarissimis tuis oculis faciem pontificis summi […] coram conspicis, de ipsa positivam assertationem concipis, quam praecisam secundum oculum affirmas. Dum autem ad radicem illam, unde discretio sensus emanat, te convertis – ad rationem dico –, intelligis sensum visus participare vim discretivam in alteritate organice contracta.

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Insofern realisiert sich in der Sinneserkenntnis keine Wesenserkenntnis (faciem ipsam non, uti est, sed in alteritate secundum angelum tui oculi, ab omnibus viventium oculis differentem, contemplaras). Die Vernunft (ratio) bringt in ihrer Unterscheidungsfähigkeit zwar die Vielfalt und Verschiedenheit der sinnlichen Erkenntnisse zur Einheit. Insofern sind die sinnlichen Erkenntnisse im Vergleich zu dieser Einheit in deren Präzision „Mutmaßungen“. So wenig die sinnliche Erkenntnis Wesenserkenntnis ist, so wenig ist freilich die Erkenntnis der (menschlichen) Vernunft, soweit sie die Sinneserkenntnis überschreitet, in ihrer Differenz zum schöpferischen Intellekt Wesenserkenntnis. Insofern realisiert auch die menschliche Vernunft „Mutmaßungen“.5 Im Lichte dieser Erläuterungen betrachtet wird die angesprochene Kennzeichnung der coniectura hinsichtlich ihres positiv-behauptenden Charakters (positiva assertio) im Sinne subjektiver Selbstgewissheit dieser Erkenntnis gedeutet: Cusanus erläutert seinerseits diesen Aspekt mit dem Hinweis auf die Affirmation der sinnlichen Erkenntnis gemäß ihrer sinnlichen Gegebenheit. Allerdings wird auf diese Weise der infrage stehende, positive Behauptungscharakter mutmaßender Erkenntnis nicht auf deren sinnliche Bestimmtheit bezogen. Denn Cusanus spricht diese Erkenntnis bereits als sinnliche in ihrem „konzeptionellen“ Charakter an und hebt dementsprechend die Vernunft als „Wurzel der sinnlichen Unterscheidungsfähigkeit“ hervor.6 Soweit eine Erkenntnis in ihrer Konjekturalität eine „bejahende Behauptung“ darstellt, ist sie als diese Erkenntnis (und nicht in ihrer Sinnlichkeit) im subjektiven Sinne gewiss. Insofern auch die Vernunfterkenntnis, soweit sie die Sinneserkenntnis überschreitet, ebenso wenig wie diese Wesenserkenntnis zu realisieren vermag, ist sie ihrerseits mutmaßender Natur. Deswegen verbindet sich mit dieser Vernunfterkenntnis ebenfalls deren subjektive Selbstgewissheit. Ist auf diese Weise die infrage stehende Kennzeichnung mutmaßender Erkenntnis in ihrem affirmativ-behauptenden Charakter erläutert, soll jetzt darauf näher eingegangen werden, dass die „Mutmaßung“, wie Cusanus sagt, zur Wahrheit im Verhältnis der Teilhabe und Andersheit (in alteritate veritatem, uti est, participans) steht. Zum näheren Verständnis dieser Kennzeichnung sei zunächst an die Begründung angeknüpft, die Cusanus seiner

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Ebd.: Ob quam causam defectum casus a praecisione intueris, quoniam faciem ipsam non, uti est, sed in alteritate secundum angullum tui occuli, ob omnibus viventium oculis differentem, contemplaras. […] Quemadmodum vero sensus in unitate rationis suam alteritatem experitur et assertationes sensibiles ab unitate praecisionis absolvendo coniecturas facit, ita ratio in radicali unitate sua, in ipso scilicet intelligentiae lumine, suam alteritatem et casum a praecisione in coniecturam invenit. Ebd.: positivam assertionem concipis, quam praecisam secundum occulum affirmas […] ad radicem illam, unde discretio sensus emanat, te convertis – ad rationem dico. Vgl. Anm. 4.

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Einschätzung der menschlichen Vernunfterkenntnis in ihrem Verhältnis zum göttlichen Intellekt gibt. Cusanus dient dieser Vergleich dazu, auch die mutmaßende Natur der die Sinneserkenntnis überschreitenden Vernunfterkenntnis herauszustellen. In seiner betreffenden Begründung setzt er an der Differenz des Erkennens zu seinem Gegenstand an: Dieser wird seinem Wesen nach nur in demjenigen Erkennen erfasst, dessen Geschöpf dieser Gegenstand ist (in proprio suo intellectu, cuius ens existit, uti est, intelligitur). Insofern realisiert sich (wahre) Wesenserkenntnis nur in derjenigen Erkenntnis, der sich dieses Wesen seinem Sein nach verdankt (Non igitur attingitur aliquid, uti est, nisi in propria veritate, per quam est.). Dementsprechend wird die Wahrheit derjenigen Dinge, die ihre Realität dem göttlichen Erkennen verdanken, im menschlichen Erkennen „nur anders und abgewandelt“ (aliter atque varie) erfasst, die betreffende Wesenserkenntnis ist in einem anderen Erkennen (als dem göttlichen) nicht erreichbar (neque intellectus rei, uti est, in alio attingibilis est) 7. Die menschliche Vernunft (ratio) vermag also zum einen keine Wesenserkenntnis zu realisieren, insofern es ihr an schöpferischer Kraft in Bezug auf den zu erkennenden Gegenstand in dessen Realität mangelt. Zum anderen begründet sich dieser Mangel für Cusanus in der Verschiedenheit der gedanklichen Realität einer Wesenserkenntnis: Ein und dasselbe Wesen eines Dinges unterscheidet sich nach der Realität seiner jeweiligen Erkenntnis.8 Weil das Wesen eines Dinges und die menschliche Vernunft ihrer Realität nach verschieden sind und sich menschliche Vernunfterkenntnis nur individuell und damit mannigfaltig und verschieden realisiert, verwirklicht sich die Wesenserkenntnis der menschlichen Vernunft in der „Mannigfaltigkeit von Mutmaßungen“ (varietas coniecturarum). Was gewährleistet zugleich den Zusammenhang der verschiedenen Mutmaßungen gemäß ihrer Erkenntnisnatur, so dass diese sowohl voneinander als auch in Bezug auf das zu erkennende Ding nicht nur der Realität nach verschieden, sondern zugleich in ihrer Bestimmtheit als Erkenntnis vergleich-

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Ebd., p. I c. XI n. 55: Assis hic totus, ut ad coniecturam varietatem subintres. Nullum enim intelligibile, uti est, te intelligere posse conspicis, si intellectum tuum aliam quandem rem esse admittis quam intelligibile ipsum; solum enim intelligibile ipsum in proprio suo intellectu, cuius ens exsistit, uti est, intelligitu, in aliis autem omnibus aliter. Non igitur attingitur aliquid, uti est, nisi in propria veritate, per quam est. In solo igitur divino intellectu, per quem omne ens exsistit, veritas rerum omnium, uti est, attingitur, in aliis intellectibus aliter atque varie. Neque intellectus rei, uti est, in alio attingibilis est. Ebd.: Neque intellectus rei, uti est, in alio attingibilis est, sicut circulus, uti est in hoc sensibili paviemento, alibi nisi aliter fieri nequit. Identitas igitur inexplicabilis varie differenter in alteritate explicatur, atque ipsa varietas concordanter in unitate identitatis complicatur.

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bar sind? Cusanus sieht diesen Zusammenhang gewährleistet durch das Verhältnis „unserer Intelligenz“ (intelligentia nostra) zum „göttlichen Intellekt“ (divinus intellectus). Näher hin deutet er dieses Verhältnis im Sinne der Andersheit und Teilhabe. Der göttliche Intellekt stellt in seiner Erkenntnis eine Wirklichkeit dar, an der der menschliche Geist Anteil nimmt, und zwar in der Weise unmittelbarer geistiger Teilhabe (participatio intellectualis incommunicabilis). Der menschliche Geist steht im Vollzug seiner Erkenntnis zur Wirklichkeit des göttlichen Erkennens unmittelbar im Verhältnis ebenso von Teilhabe wie von Andersheit oder Möglichkeit (hinc participantes mentes in ipsa alteritate actualissimi intellectus quasi in actu illo, qui ad divinum intellectum relatus, alteritas sive potentia existit, participare contingit).9 Der menschliche Geist nimmt unmittelbar Anteil am göttlichen Geist im Vollzug des Erkennens selbst. Er tut dies zugleich in Andersheit oder Möglichkeit, insofern es ihm an der schöpferischen Kraft des göttlichen Erkennens mangelt. Insofern kann er das Wesen eines Dinges nur „anders und abgewandelt“ erkennen, ohne dass ihm die Erkenntnis des Dinges gänzlich verwehrt bliebe. Insoweit versteht sich die „Andersheit oder Möglichkeit“ (alteritas sive potentia), in der eine Mutmaßung menschlicher „Intelligenz“ das Wesen eines Dinges und damit die Wahrheit erfasst, nicht primär im Sinne realer Differenz und Vielheit, sondern einer Differenz in Bezug darauf, wie dieses Wesen erkannt wird und zur Darstellung gelangt. Dabei kann in jedem Falle ausgeschlossen werden, dass die fragliche Erkenntnis eine bloße Abbildung oder Repräsentation des fraglichen Wesens realisiert. Denn in diesem Falle wäre die „Mannigfaltigkeit der Mutmaßungen“ lediglich durch ihre reale Differenz gegeben, aber nicht gemäß ihrer jeweiligen Bestimmtheit als Erkenntnis. Ein und dasselbe Wesen eines Dinges unterschiede sich in den verschiedenen Erkenntnissen zwar nach deren Realität, aber nicht nach deren Verschiedenheit als Erkenntnisse ein und desselben Wesens (Identitas igitur inexplicabilis varie differenter in alteritate explicatur.).10 Gemäß diesen Überlegungen zu der angesprochenen Kennzeichnung der coniectura wird deren herausgestellte subjektive Gewissheit als der Ausgangspunkt des konjekturalen Erkennens verstanden und die „Mannigfaltigkeit der Mutmaßungen“ als Ausdruck und Konsequenz des deutenden und kreativen Charakters dieses Erkennens. Näher hin besagt dies zum einen, dass Er-

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Ebd., p. I c. XI n. 56: Nam sunt mentes ipsae in se divini luminis radium capientes, quasi participationem ipsam natura praevenerint, sed participatio intellectualis incommunicabilis ipsius actualissimae lucis earum quiditas exsistit. Actualitas igitur intelligentiae nostrae in participatione divini intellectus exsistit. […] hinc participantes mentes in ipsa alteritate actualissimi intellectus quasi in actu illo, qui, ad divinum intellectum relatus, alteritas sive potential exsistit, participare contingit. Vgl. Anm. 8.

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kenntnis in ihrem angesprochenen Ausgangspunkt zugleich ihre unhintergehbare Basis besitzt. Ihren letzten Grund findet menschliche Erkenntnis in der Evidenz, die sie für den Erkennenden besitzt, für den also, der sie als solche realisiert. Denn insofern menschlichem Erkennen die definitive Wesenserkenntnis verwehrt bleibt, ist sie in ihrer Wahrheit oder Objektivität nicht auf einen der Erkenntnis vorausliegenden Grund zurückführbar. Für die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit, in denen sich menschliche Erkenntnis gemäß ihrer mutmaßenden Natur realisiert, besagt dies zum anderen, dass sich darin nicht eine Defizienz menschlicher Erkenntnis zeigt, vielmehr ist menschliche Erkenntnis als solche standpunktgebunden und perspektivischer Natur und hat deswegen die Charaktere von Deutung und Entwurf. Gemäß seiner Grundverfasstheit steht dieses Erkennen von vornherein nicht in einem bloßen Abbildungs- bzw. Angleichungsverhältnis zu seinen Gehalten, sondern in einer deutenden bzw. entwerfenden Beziehung. So verstanden kann die Verwendung des Ausdrucks „Entwurf“ durchaus auch als Übersetzung von coniectura angesehen werden. Wenn ich in diesem Sinne das cusanische Verständnis der Metaphysik als „Entwurf“ anspreche, soll damit also gesagt sein, dass der Kardinal der „Ersten Philosophie“ eine Gestalt gibt, die die Relativität unserer theoretischen Kompetenz im Verhältnis zu deren Gegenstand ebenso anerkennt, wie sie ihr zugleich eine eigene Sinnbestimmung zu geben vermag. Diese Sicht soll am Leitfaden bestimmter Hinsichten des Verständnisses der Metaphysik entfaltet werden, und zwar in der Weise, wie wiederum dieses Verständnis sich im Lichte der angesprochenen historischen Bezüge darstellt. Insofern menschliche Erkenntnis für Cusanus bereits in ihrer Sinnlichkeit mutmaßender Natur ist, nimmt die Darstellung ihren Ausgang bei dessen Einschätzung sinnlicher Erkenntnis. Gemäß wiederum der historischen Perspektive der intendierten Darstellung liegt es nahe, dabei den Blick im Besonderen auf den Zusammenhang zwischen sensus communis und imaginatio zu richten.

II. Sinnliche Erkenntnis: Vermittelte Unmittelbarkeit dank imaginativer Vergegenwärtigung sinnlicher Gehalte Vor dem Hintergrund der betreffenden Darlegungen in der Darstellung der Auffassung Buridans in diesem Punkt 11 sei zunächst das Problem, das sich

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Vgl. dazu näher die Ausführungen im Beitrag zu Buridan unter II. Sinnliche Wahrnehmung als Bedingung der Gegenständlichkeit.

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im Blick auf diesen Zusammenhang bei Aristoteles zeigt, kurz angesprochen: Dieser nimmt über die Einzelsinne hinaus einen zentralen Gemeinsinn an, an den die Formen aus den äußeren Sensorien rückgemeldet werden und mit dessen Affektion es allererst zur bewussten Wahrnehmung kommt. Die Affektion, die den Gemeinsinn zu der genannten bewussten Wahrnehmung befähigt, ist wegen ihrer Unmittelbarkeit also äußerlich. Die Imagination bzw. Phantasie ist für Aristoteles im Unterschied dazu die sinnliche Fähigkeit, rein innere Erscheinungen zu haben, denen keine gleichzeitige Wahrnehmung äußerer Erscheinungen korrespondiert. Die angesprochene Affektion ist zwar ebenso Grundlage der durch die Imagination zustande kommenden Vorstellung. Aber diese kann es als innere erst von dem Zeitpunkt an geben, zu dem der betreffenden Empfindung kein äußeres Objekt mehr korrespondiert. Ihrer jeweiligen Sinnrichtung nach agieren Gemeinsinn und Einbildungskraft somit zwar gegenläufig im Sinne der Differenz von äußerer Wahrnehmung und innerer Vorstellung oder Erscheinung, dem Verlauf nach sind sie aber nacheinander geordnet. Die spezifische Differenz der Imaginärerscheinungen zur sinnlichen Wahrnehmung in Gestalt des Gemeinsinns macht aus, dass „die Extreme innerhalb der natürlichen Bewegungsabfolge zwischen wirkendem Objekt, peripherer und zentraler Affektion sich nicht zeitlich überlappen“ 12. Im Blick auf die betreffende Auffassung des Cusanus knüpfe ich an eine Erläuterung an, die dieser der traditionellen Einteilung der Zeichen gibt. Und zwar begründet er diese Einteilung von der Ursache her, durch die die Zeichen ihre Bezeichnungsfunktion für sinnliche Lebewesen ausüben: Im Falle der natürlichen Zeichen erklärt sich diese Funktion von der Affektion her, vermittels derer ein Gegenstand im Sinnesvermögen bezeichnet wird. Im Unterschied dazu ergibt sich die Bezeichnungsfunktion gesetzter Zeichen vom Akt ihrer betreffenden Setzung her. Insoweit bestimmt sich Zeichenhaftigkeit generell für Cusanus im Verhältnis zu empfindungsfähigen Lebewesen.13 Weiter erklärt sich die Erfassung der natürlichen Zeichen vermittels einer Repräsentationsleistung der Imagination, die sich nicht den natürlichen Zeichen selbst verdankt. Deren Erfassung bedarf, so stellt Cusanus fest, eines „Mediums, durch das hindurch der Gegenstand ein Bild oder Zeichen von sich vervielfältigen kann“. Insoweit knüpft der Kardinal an die aristotelische

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H. Busche, Hat Phantasie bei Aristoteles eine interpretierende Funktion in der Wahrnehmung?, Zeitschrift für philosophische Forschung 51, 1997, 565–589; hier 574. Nikolaus von Kues, Kompendium/Compendium (Philosophische Bibliothek Bd. 267) lat.dt., übers. u. mit Einl. und Anm. hg. v. B. Decker und K. Bormann, Hamburg 1966, c. II n. 5: Signa omnia sensibilia sunt et aut naturaliter res designant aut ex instituto. Naturaliter, uti signa per quae in sensu designatur obiectum. Ex instituto vero, uti vocabula et scripturae et omnia, quae aut auditu aut vis capiuntur et res, prout institutum est, desginant.

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Auffassung an, dass etwa die Farbe des Mediums der Luft bedürfe, um erfasst zu werden. Cusanus geht zugleich über Aristoteles hinaus, indem er feststellt, dass jene natürlichen Zeichen, die durch den jeweiligen Gegenstand zustande kommen, ihrerseits „als bezeichnete“ (signa remaneant signata) in der Imagination zurückbleiben. „Die Zeichen der Dinge in der Einbildungskraft sind Zeichen der Zeichen in den Sinnen (Sunt igitur signa rerum in phantasia signa signorum in sensibus“ […] vergleichbar den Wörtern, die auf dem Papier geschrieben zurückbleiben, wenn sie nicht mehr ausgesprochen werden.“ 14 Der Kardinal setzt also in seinem Verständnis sinnlicher Erkenntnis von vornherein an der Repräsentation der sinnlichen Gehalte auf Seiten des Erkennenden an, um von daher das Verhältnis von Repräsentation und repräsentiertem Gehalt zunächst von seiner Funktion und Bedeutung und dann im Lichte dieser Betrachtung auch seiner Genese nach zu kennzeichnen. Im Einzelnen unterscheidet er die realen sinnlichen Gehalte und die durch sie bewirkten natürlichen Zeichen auf der einen Seite und jene Zeichen, die in der Imagination gegeben sind, auf der anderen Seite. Deren Bezeichnungsfunktion bezieht sich unmittelbar auf die natürlichen Zeichen und vermittels dieser auf die realen Dinge. Die imaginativen Zeichen haben ihrerseits vermittels derartiger Medien wie der Luft eine materielle Grundlage, insofern findet sich dort „nichts, was nicht vorher in der Sinneswahrnehmung war“. Auf diese Weise ist also die Unmittelbarkeit der Beziehung der Imagination mit den sinnlichen Gehalten und damit die Zuordnung oder das Verhältnis von Repräsentation und repräsentiertem Gehalt als solche gegeben und begründet. Die repräsentative Funktion selbst aber verdankt sich der Einbildungskraft und ist insoweit ursprünglicher Natur, was sich in der Vermittlung der imaginativen Bezeichnung über die natürlichen Zeichen zeigt. Was die realen sinnlichen Gehalte angeht, ist über diese zwar nichts über ihre tatsächliche sinnliche Erfahrung hinaus sinnlich repräsentiert, gleichwohl erschließen sich diese Gehalte in ihren sinnlichen Zeichen nur kraft der Repräsentationsleistung der Imagination. Insoweit ermöglicht diese, etwas als etwas sinnlich zu erkennen. Im historischen Vergleich nimmt Cusanus also ebenso wie Buridan sinnliche Erkenntnis in funktionaler Perspektive in den Blick. Zugleich geht Cusanus dabei über Buridan hinaus, indem er in der Betonung der Zeichenhaftigkeit der imaginativen Vorstellungen als solcher 14

Ebd., c. IV n. 8 f.: Quare oportet inter sensibile obiectum et sensum medium, per quod obiectum speciem seu signum sui multiplicare possit. […] Et quoniam haec non nisi praesente obiecto fiunt, nisi haec signa sic possent annotari, quod etiam recedente obiecto remaneant signata, non maneret rerum notitia. In istis signorum designationibus in interiori phantastica virtute manent res designatae, uti vocabula manent in charta scripta prolatione cessante; […]. Sunt igitur signa rerum in phantastica signa signorum in sensibus.

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deren eigene Sinnbestimmtheit hervorhebt. Insofern Cusanus im Blick auf die sinnliche Erkenntnis zugleich von deren mutmaßender Natur spricht, kann im Sinne der skizzierten Deutung der coniectura von einem Entwurfscharakter der sinnlichen Erfassung realer Gehalte gesprochen werden. Dass Cusanus an der Zeichenhaftigkeit der natürlichen Zeichen festhält und Zeichenhaftigkeit generell im Verhältnis zu empfindungsfähigen Lebewesen bestimmt, verweist auf eine Hinordnung der Dinge auf ihre Erkenntnis, die sich in der Perspektive eben ihrer tatsächlichen Erkenntnis und Erkennbarkeit zeigt. In diesem Sinne wird man deuten dürfen, dass Cusanus betont, der Intellekt sei, insofern er sich in der Wahrnehmung und Imagination nach Maßgabe der betreffenden Befähigungen realisiert, „mehr in Wirklichkeit“ (secundum inferiores regiones plus est in actu) im Vergleich dazu, dass er in Bezug auf seinen eigenen Bereich „im Seinsmodus der Möglichkeit“ (secundum regionem intellectualem in potentia est) 15 sei. In Bezug auf die realen Dinge besagt dies schließlich, dass diese nicht lediglich physikalische und biochemische Elementarereignisse sind, sondern Sinneinheiten, die sich freilich nie als solche, sondern allein in ihrer sinnlichen Bestimmtheit in der vermittelten Unmittelbarkeit ihrer imaginativen Vergegenwärtigung erschließen.

III. Die Erkenntnis der Vernunft (ratio): kategorial, logisch, modal Im Blick auf den jetzt anstehenden Übergang zur Analyse des Erkennens und Wissens als geistiger Vergegenwärtigung wird im Sinne vorläufiger terminologischer Festlegung unter dem Aspekt geistiger Erkenntnis insgesamt deren Realisierung sowohl durch Vernunft (ratio) als auch durch den Intellekt (intellectus) angesprochen. Eine nähere Kennzeichnung des Verständnisses geistiger Erkenntnis gemäß dieser Unterscheidung erfolgt im weiteren Verlauf der Überlegungen. Weiter gilt es, das Moment der Verknüpfung zwischen der geistigen Erkenntnis und der sinnlichen Ebene zu benennen. Wenn das Problem des Verhältnisses der Einzelwahrnehmungen zum Gemeinsinn bzw. der Imagination

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Nikolaus von Kues, Mutmaßungen/De coniecturis (wie Anm. 3) p. II c. XVI n. 157. Im Blick auf diesen Zusammenhang hat sich M. Thurner, Imagination als Kreativität nach Nicolaus Cusanus, in: J. André/G. Krieger/H. Schwaetzer, Intellectus und Imaginatio. Aspekte geistiger und sinnlicher Erkenntnis bei Nicolaus Cusanus (Bochumer Studien zur Philosophie Bd. 44) Amsterdam–Philadelphia 2002, 97–109; hier 103, für ein „Verständnis der Imagination als Kreativität“ ausgesprochen.

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das der Einheit der Erfahrung als der eines einheitlichen Wahrnehmungsfeldes ist, dann steht jetzt die Frage zur Debatte, wie der Zusammenhang zwischen der sinnlichen Wahrnehmung als Vergegenwärtigung eines singulären sinnlichen Gehaltes und der Erkenntnis und dem Wissen als begrifflicher Vergegenwärtigung, d. h. eines Gehaltes allgemeiner Natur gewährleistet ist. Eine Auskunft des Cusanus dazu besagt, dass „die sinnlichen Vorstellungen die Andersheiten der Einheit der Vernunft“ sind (phantasmata alteritates sunt unitatis rationis) 16. Diese Stellungnahme wird dahin gehend verstanden, dass Einheit für sich betrachtet Sache der Vernunft (ratio) ist bzw. diese den Inbegriff der Einheit darstellt. Die sinnliche Vorstellung realisiert ihrerseits Einheit, wenn auch als sinnliche auf andere Weise als die Vernunft. Deswegen kann Einheit als dasjenige Moment angesehen werden, das sinnliche und geistige Vorstellung vergleichbar macht. Wie versteht sich für Cusanus die Erkenntnis der Vernunft (ratio)? Die Feststellung, von der zur Klärung dieser Frage ausgegangen werden soll, besagt, dass „zuerst in der Ordnung der Natur die Menschhaftigkeit (humanitas) in sich und aus sich sei [...], sodann der Mensch durch die Menschhaftigkeit [...], sodann der Artbegriff in der Vernunft“ 17. Zunächst kann festgehalten werden, dass Cusanus mit dieser Aussage die objektive Seite unserer Erkenntnis in den Blick nimmt, insofern er von der Ordnung der Natur spricht (ordo naturae). Weiter trifft Cusanus die Unterscheidung von drei Ebenen: zum einen die der humanitas als solcher, zweitens die der tatsächlichen Realisierung der humanitas in Gestalt des konkreten Menschen und schließlich drittens die der Ebene des Artbegriffs ‚Mensch‘. In allgemeiner Weise könnte man diese Differenzierung im Sinne der Unterscheidung reiner Sachhaltigkeiten, konkreter Einzeldinge und des Logischen kennzeichnen. An dieser Stelle legt sich zunächst eine Bemerkung in historischer Hinsicht nahe. Dazu bietet der Text des Cusanus insofern selbst einen Anknüpfungspunkt, als dieser in dem in den Blick genommenen Zusammenhang seinerseits im Stile eines historischen Referates verfährt. Diese Ausführungen schließen insgesamt mit der Feststellung ab, dass nicht mehr Weisen der Untersuchung angegeben werden könnten.18 Darüber hinaus findet sich im in den Blick genommenen Zusammenhang noch der Hinweis, dass die von Cusanus in seinem Referat ins Auge gefassten Unterschiede mit Hilfe der von ihm selbst verfolgten Betrachtungsweise in Übereinstimmung gebracht wer16 17

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Nikolaus von Kues, Mutmaßungen/De coniecturis (wie Anm. 3) p. II c. XVI n. 161. Nikolaus von Kues: Der Laie über den Geist/Idiota de mente (wie Anm. 1) c. II n. 66: Et ordinem dant talem, primo ordinae naturae sit humanitas in se et ex se, scilicet absque praeiacenti materia, deinde homo per humanitatem, et quod ibi cadat sub vocabulo, deinde species in ratione. Ebd.: Arbitror non posse plures inquisitionum modos dari.

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den könnten.19 Insofern bringt diese Stelle das historische Selbstverständnis des Cusanus zum Ausdruck, mit seiner Auffassung im Blick auf vorliegende Auffassungen eine Vereinheitlichung zu ermöglichen, die gegebene Lehrunterschiede durchaus bestehen lässt. Weiter lässt sich sagen, dass der Kardinal mit der zur Diskussion stehenden Unterscheidung der drei Ebenen dem Diskussionsstand entspricht, der sich mit der Kritik Ockhams an der extramentalen Realität allgemeiner Entitäten insbesondere im Blick auf die betreffende Auffassung des Duns Scotus ergibt. Das sachliche Problem, das die Feststellung des Cusanus mit sich bringt, ist die Frage, wie dieser die angesprochene Unterscheidung von reinen Sachhaltigkeiten, konkreten Einzeldingen und dem Logischen als solche deutet. Der Ansatzpunkt der betreffenden Stellungnahme des Cusanus ist die mens, der Geist. In Bezug auf diesen geht es Cusanus zunächst um das Verhältnis von Sachhaltigkeiten in ihrer Bestimmungsfunktion zu den konkreten Einzeldingen auf der einen Seite und zum Logischen auf der anderen Seite. Cusanus nimmt dabei, wie er sagt, die Natur, die ein Lebewesen ist, (natura, quae est animal) in den Blick. In Bezug darauf unterscheidet er drei Verständnisweisen auf Seiten des Geistes, nämlich zum einen das Verständnis der genannten Natur als Gattung, dann das im Sinne ihrer Bezeichnung als „Lebewesensein“ (animalitas) und schließlich das Verständnis der genannten Natur als des aus Gattung und spezifischer Differenz Zusammengesetzten. Das Verständnis der genannten Natur als Gattung nennt Cusanus unbestimmt und formlos im Sinne der aristotelischen Materie, während er das Verständnis im Sinne der Bezeichnung „Lebewesensein“ mit der aristotelischen Form vergleicht. In Bezug auf das Verständnis der Natur als Kompositum führt er aus, dass dieses Kompositum auf dieselbe Weise in der Verknüpfung und im Geist besteht. Das, was mit diesen drei Verständnisweisen insgesamt der Sache nach verstanden wird, ist „ein und derselbe Begriff und ein und dieselbe Substanz“. Cusanus fügt weiter zwei Beispiele an, nämlich das der humanitas und das des Weißseins. Das Beispiel der humanitas versteht er im Sinne substantieller Bestimmtheit, das der Weiße im Sinne akzidenteller Bestimmtheit.20 19 20

Ebd., c. II n. 67: Hae omnes et quotquot cogitari possent modorum differentiae facillime resolvuntur et concordantur. Ebd., c. XI n. 134: Hanc naturam, quae est animal, inspicito. Nam eam mens comprehendit aliquando ut genus est, tunc enim quasi confuse et informiter animalis naturam considerat materiae modo; aliquando ut significatur per nomen ‚animalitas‘, et tunc modo formae; aliquando modo compositi ex illo genere et differentiis ei advenientibus, et tunc, ut in mente est, dicitur esse in connexione, ita ut illa materia et illa forma vel potius illa similitudo materiae et illa similitudo formae et illud modo compositi consideratum sit una et eadem notio unaque et eadem substantia. Sicut dum animal ut materiam considero, humanitatem vero ut formam ei advenientem et connexionem utriusque, dico illam materiam, illam for-

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Entsprechend dieser Unterscheidung betont Cusanus schließlich in Hinsicht der kategorialen Hinsicht, dass „der Geist die zehn allgemeinsten Gattungen als erste Prinzipien bildet“ und diese ihrerseits „keine gemeinsame Gattung haben“ 21. Zugleich unterstreicht Cusanus, dass die kategoriale Hinsicht durch den Geist grundgelegt ist (mens faciat decem genera generalissima prima principia).22 In Bezug auf diese Überlegungen des Cusanus legt sich folgende Deutung nahe: Der Kardinal begreift Sachhaltigkeit von ihrer Funktion der Bestimmung her, ohne diese Funktion zugleich an einen eigenen ontologischen Status zu binden. Sachhaltigkeit von der Funktion der Bestimmung her zu verstehen, besagt: Zu sein heißt immer, ein Gehalt oder eine Sache zu sein, und das bedeutet wiederum, Bestimmtheit zu besitzen. Indem Cusanus Sachhaltigkeit in dieser Bestimmungsfunktion nicht mit einem eigenen ontologischen Status verknüpft, negiert er den extramentalen Realitätsstatus von Begriffen bzw. Bedeutungen. Weiter verstehen sich die Sachhaltigkeiten, die uns in ihrer besonderen Bestimmtheit gegeben bzw. zugänglich sind, für Cusanus vom erfahrbaren Einzelgegenstand her, zugleich sind sie in ihrer kategorialen Ordnung durch den Geist grundgelegt. Schließlich ist die logische Hinsicht in ihrer ausschließlich mentalen Natur für Cusanus der sachhaltigen Erkenntnis nachgeordnet. Die Art-Gattungsunterscheidung verdankt sich ihrem Ursprung und ihrem Gehalt nach zwar allein unserem Verstand, aber sie kann es erst geben im Blick auf erkannte Sachgehalte. Dementsprechend bindet Cusanus die Artbestimmung einerseits ihrem ontologischen Status nach an die mens. Andererseits ist sie in der Weise an die Erkenntnis des Einzelgegenstandes gebunden, dass sie als solche die unterste Stufe in der Hierarchie der Begriffe darstellt und im Blick auf den Einzelgegenstand anzutreffen bzw. aussagbar ist: Sokrates ist zwar nicht selbst die Art „Mensch“, sondern ihr Vertreter. Aber darunter gibt es keine weitere Stufe. Die beiden Beispiele des Menschseins und der Weiße machen schließlich deutlich, dass Cusanus diese bestimmungsfunktionale Kennzeichnung der Sachhaltigkeit und ihres Verhältnisses zum Einzelgegenstand sowie zur logischen Hinsicht im umfassenden Sinne versteht.

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mam et connexionem esse substantiam. Aut dum colorem quasi materiam considero, albedinem quasi formam ei advenientem et connexionem utriusque, dico illam materiam, illam formam et connexionem illius materiae et illius formae unum et idem accidens esse. Ebd., c. XI n. 135: cum mens faciat decem genera generalissima prima principia, quod tunc illa generalissima nullum genus commune habent [...]. Mens potest aliquid modo materiae et idem modo advenientis formae, quae tali materiae adveniat, atque idem modo compositi considerare, ut dum considerat possibilitatem essendi substantiam et aliquod aliud de decem [...] et considerat mens idem ut formam advenientem ei, ut est materia, ut sit compositum. Ebd., c. XI n. 134 f.

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Insofern Cusanus die Sachhaltigkeiten in ihrer Bestimmungsfunktion nicht an eine ontologische Basis zurückbindet, legt sich nahe, diese Funktion und damit die begriffliche Einheit oder Form der Sachhaltigkeiten auf die menschliche Vernunft zu beziehen, während sich die inhaltliche Bestimmtheit dieser Sachhaltigkeiten durch Erfahrung ergibt und damit auf die Dinge selbst verweist. Insoweit können die Kategorien ihrem Ursprung nach als rein rationale Begriffe angesehen werden, ohne dass sie deswegen als einzelne und in ihrer Gesamtheit aus ihrem rationalen Ursprung abgeleitet wären. Die Dinge gibt es als bestimmte nur für unseren Geist, zugleich liegen sie ihrer Realität und damit ihrer konkreten Bestimmung nach dieser Erfassung voraus. Damit ist gewährleistet, dass Begriff und Begriffenes in der Einheit ihres Bestimmtseins einander entsprechen (ut in mente est, dicitur esse in conexione) 23. Weiter spricht Cusanus die modale Kennzeichnung von Sachhaltigkeit bzw. des Bestimmtseins an. In dieser modalen Betrachtung beschränkt er sich allerdings auf die Aspekte des Möglichseins und des Faktischen und deren Verhältnis. Dass er den Aspekt des Notwendigseins unbeachtet lässt, entspricht der fehlenden ontologischen Kennzeichnung reiner Sachhaltigkeiten. Die Unterscheidung zwischen dem Möglichsein und dem Wirklichsein im Sinne der Faktizität besagt auf der einen Seite, das, was unter die Kategorien fällt, in der Hinsicht seines Möglichseins (possibilitas essendi) zu betrachten. Derselbe Gehalt kann auf der anderen Seite in Bezug auf seine tatsächliche konkrete Realisierung hin in den Blick genommen werden. In Bezug auf das Beispiel der Menschhaftigkeit (humanitas) bzw. den Menschen (homo) gesagt: Im Blick auf die humanitas kann zum einen von der Möglichkeit gesprochen werden, Mensch zu sein. Auf diese Weise wird Sein als Möglichsein ausgesagt, die Bestimmtheit der humanitas schließt ein, dass das, was durch sie bestimmt ist, zu sein vermag. Im Ergebnis heißt dies: Der bzw. ein Mensch kann vorkommen. Ebenso ist die humanitas im Sinne eines tatsächlichen Vorkommnisses ansprechbar, d. h. es kann gesagt werden, dass es Menschsein tatsächlich gibt, etwa, wenn gesagt wird, dass Sokrates Mensch ist und als solcher Menschsein hat.24 Das Verhältnis dieser beiden Modi von Realität bestimmt sich nach Cusanus von dem her, was „wirklich ist im Sinne dessen, was hier und in diesen Dingen ist“ (omnia ut actu sunt, id est hic et in his rebus sunt). Demgemäß

23 24

Ebd., c. XI n. 134. Ebd., c. XI n. 137: Hoc ipsum enim, id est humanitas, illa scilicet natura, ut est possibilitas essendi hominem, materia est, sicut enim humanitas est, forma est, ut autem homo est, ex utroque compositum conexumque est, ita scilicet, ut unum et idem sit possibilitas essendi hominem, forma et compositum ex utroque, rei ut una sit substantia.

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begreift er das Möglichsein nicht vom logisch Möglichen, d. h. vom widerspruchsfrei Denkbaren, her, sondern vom Faktischen. Die Möglichkeit, eine Kerze bzw. eine Schüssel zu sein, ergibt sich vom Wachs bzw. vom Kupfer her.25 Auf andere Weise beschreibt Cusanus dieses Verhältnis von Möglichsein und Faktizität damit, dass er die in der Erfahrung durch Vielheit und Differenz gekennzeichnete Bestimmtheit von Körpern der durch das Fehlen dieser Momente bedingten Unbestimmtheit der Möglichkeit gegenüberstellt: „Was der Geist vorher in der Körperlichkeit unterschieden und bestimmt wirklich existierend sah, sieht er jetzt verworren, unbestimmt, der Möglichkeit nach. Und dies ist der Modus der Allgemeinheit, in der alles in der Möglichkeit gesehen wird.“ Entsprechend der Unbestimmtheit des Möglichen negiert Cusanus schließlich dessen Realitätsstatus: „Seinkönnen ist nicht“ (posse esse non est).26 An dieser Stelle mag ein Fazit zur bisherigen Betrachtung der Auffassung des Cusanus zur Erkenntnis der Vernunft (ratio) in kategorialer, logischer und modaler Hinsicht angebracht sein. Im Sinne der leitenden Hinsicht auf das darin sich zeigende Verständnis der Metaphysik kann herausgestellt werden, dass der Kardinal den Sachhaltigkeiten oder Begriffen keinen eigenen ontologischen Status zubilligt, sie vielmehr in ihrer Bestimmungsfunktion, d. h. in ihrer Einheit oder Form oder Allgemeinheit auf die Ebene der mens begrenzt. Entsprechend kommt diesen Gehalten im Verständnis des Kardinals in modaler Hinsicht keine Notwendigkeit zu, sondern lediglich faktische Geltung. In historischer Hinsicht trägt die cusanische Auffassung einerseits der Scotischen Unterscheidung reiner Sachhaltigkeiten, konkreter Einzeldinge und des Logischen Rechnung, andererseits folgt Cusanus der Kritik Ockhams an der extramentalen Realität allgemeiner Entitäten. Insofern Cusanus den Sachhaltigkeiten bzw. Begriffen und Kategorien keinen eigenen ontologischen Status über ihre mentale Realität hinaus zubilligt und sich entsprechend in der modalen Kennzeichnung extramentaler Realität, soweit diese in der Erfahrung zugänglich ist, auf die Aspekte des Wirklichen und Möglichen begrenzt, dieses wiederum von jenem her bestimmt und Wirklichkeit als Faktizität versteht, stimmt er insoweit mit Buridans betreffenden Auffassungen27 überein.

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26 27

Ebd., c. XI n. 138: Nam non recipio esse actu, ut repugnet ei, quod est esse in materia; sed sic intelligendum est, quod omnia ut actu sunt, id est hic et in his rebus sunt, in materia quidem sunt. Verbi gratia in cera haec possibilitas est essendi candelam, in cupro pelvim. Ebd., c. VII n. 107. Vgl. dazu im Einzelnen im Beitrag zu Buridan I. 3 Faktische Existenz als Realitätsmodus des Gegenständlichen.

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IV. Die Entwurfsgestalt der Erkenntnis des menschlichen Geistes 1. Der Ausgangspunkt: Die Hypothese der Faktizität von Vorkommnissen Insofern Cusanus eine transkategoriale Betrachtung über die analysierte modale Verhältnisbestimmung hinaus unterlässt, legt sich nahe, in Orientierung am Leitfaden aristotelisierender Betrachtung jetzt zur Kennzeichnung des ersten Prinzips und des ersterkannten Begriffs überzugehen. Im ersten Punkt bestätigt sich in sachlicher Hinsicht der Vorrang der Faktizität, in historischer Hinsicht schließt Cusanus an Buridan an. Der Zusammenhang, in dem diese Kennzeichnung des ersten Prinzips erfolgt, betrifft der Sache nach die Überlegungen zur Sinnlichkeit und zum Intellekt (intellectus) als den zwei Quellen menschlicher Erkenntnis. Im Blick auf die jetzt in Betracht gezogenen Überlegungen zum Intellekt sei auch an dieser Stelle darauf verwiesen, dass eine nähere Erläuterung des Verständnisses des intellectus im Verhältnis zur ratio an späterer Stelle erfolgt. Im jetzigen Zusammenhang kommt der intellectus insoweit in den Blick, als Cusanus ihn in dessen Unabhängigkeit und Ursprünglichkeit anspricht. Demgemäß kann der Intellekt ohne weitere Hilfe das Urteil hervorbringen, dass jegliches sei oder nicht sei.28 Gemäß wiederum der Analyse dieses Urteils im Blick auf seine Feststellung bei Buridan29 versteht es sich der Sache nach im Sinne der Hypothese, dass es Jegliches als ein Vorkommnis gibt. Insoweit entspricht dieses Urteil des Intellektes der zuvor hervorgehobenen Beschränkung des Wirklichkeitsverständnisses auf den Aspekt der Faktizität. 2. Die Basis der Erkenntnis: Der Begriff des menschlichen Geistes In der Frage nach dem Gesichtspunkt der Beurteilung jeglichen Vorkommnisses setzt Cusanus an der Einheit des menschlichen Geistes an (mentis tuae unitatem) und spricht dem Geist in seiner absoluten Einheit im schlechthinnigen Sinne Bestimmtheit (absolutae unitatis praecissima est certitudo) zu. In seiner Erläuterung macht der Kardinal weiter geltend, dass der Begriff der absoluten Einheit als solcher einer möglichen Kontradiktion entzogen bleibt

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Nikolaus von Kues, Kompendium/Compendium (wie Anm. 13) c. XI n. 36: Intellectus enim non dependet ab aliquo, ut intelligibilia intelligat, et nullo alio a se ipso indiget instrumento, cum sit suarum actionum principium. Intelligt enim hoc complexum: ‚quodlibet est vel non est‘, sine aliquo instrumento seu medio. Vgl. dazu näher im Beitrag zu Buridan III. Vernunft als Bestimmung gegenständlicher Bestimmtheit.

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(de absoluta unitate nec alterum oppositorum aut potius unum quodcumque quam aliud affirmantur). Im Anschluss daran kennzeichnet er den Begriff der Seiendheit ebenso als einen im Sinne seiner objektiven Bestimmtheit vorausgesetzten Begriff (cum dicitur, ‚an sit‘, respondeatur entitatem, quae praesupponitur).30 Im Besonderen bildet der Begriff des menschlichen Geistes den Ansatzpunkt dieser Argumentation. Insofern kommt der Begriff der absoluten Einheit nicht unvermittelt zustande. Weiter bleibt der letztgenannte Begriff in Bezug auf seine Objektivität eine Annahme, die im Zuge der Entfaltung dieses Begriffs zwar thematisiert, aber nicht eigentlich bewiesen wird. Insofern handelt es sich um eine Annahme, die ihrerseits nicht der Differenz von wahr und falsch unterliegt. In diesem Sinne gilt von der absoluten Einheit, dass sie die jedem Zweifel entzogene Wahrheit ist, der kein Mensch zu widersprechen vermag (verissimum illud esse, cui omnis sana mens nequit dissentire).31 Diese Aussage lässt sich dahin gehend deuten, dass der infrage stehende Begriff nur dann unbeachtet bleiben kann, wenn dieser nicht als solcher gedacht wird. Wird er gedacht, und sei es im Sinne seiner Infragestellung, ist er doch zugleich in seiner Bestimmtheit bereits gedacht und vorausgesetzt. Die weitere Explikation dieses Begriffs kann sich weiter nicht im Sinne des Beweises seiner Objektivität verstehen. Insofern bleibt dieser Begriff in seiner Wahrheit „unbezweifelbar“, d. h. der Beurteilung im Sinne der Differenz von wahr und falsch entzogen. Weiter sagt Cusanus auch vom Begriff der Seiendheit (entitas), er sei jedem Zweifel entzogen. Insofern gilt von diesem Begriff, dass er in seiner Infragestellung doch als solcher bereits gedacht wird. Weiter kommt der Begriff der Seiendheit, wenn er auch in jeder bestimmten Realitätserkenntnis vorausgesetzt wird, doch nicht unvermittelt zustande. Er erklärt sich vielmehr aus jener Ausgangserkenntnis des Intellektes, die das Gegebensein von Vor-

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Nikolaus von Kues, Mutmaßungen/De coniecturis (wie Anm. 3) p. I c. V n. 19 f.: Contemplare igitur mentis tuae unitatem per hanc absolutionem ab omni pluralitate, et videbis eius vitam corruptibilem in sua unitate absoluta, in qua est omnia. Huius autem absolutae unitatis praecissima est certitudo […]. Omnis enim quaestio de quaesito oppositorum alterum tantum verificari posse admittit, aut quid aliud de illo quaestio quam de aliis affirmandum negandumve exsistat. Haec quidem de absoluta unitate credere absurdissimum est, de qua nec alterum oppositorum aut potius unum quodcumque quam aliud affirmantur. Si vero affirmative quaesito satisfacere optas, absolutum praesuppositum repetas, ut, cum dicitur, ‚an sit‘, respondeatur entitatem, quae praesupponitur. Nikolaus von Kues: Die belehrte Unwissenheit/De docta ignorantia I (Philosophische Bibliothek Bd. 264 a), lat.-dt., 3. durchges. Aufl., besorgt v. H. G. Senger, Hamburg 1979, l. I c. 1 n. 2: dicimus non dubitantes verissimum illud esse, cui omnis sana mens nequit dissentire.

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kommnissen betrifft. Insofern besagt der Begriff des Seienden, soweit es diese Ausgangserkenntnis betrifft, das Gegebensein im faktischen Sinne. Gemäß der zuvor betrachteten Argumentation dient der Begriff des menschlichen Geistes zur Vermittlung für den Begriff der absoluten Einheit. Insofern dieser seinerseits in seiner Objektivität oder Wahrheit vorausgesetzt und als solcher weder infrage gestellt und begründbar ist, liegt es nahe, dass der Begriff des menschlichen Geistes, insofern sich vermittels seiner dieser Begriff erschließt, die Basis aller sonstigen Erkenntnis darstellt, soweit diese Bestimmtheit besitzt und bezweifelbar ist. Wie versteht sich dieser Begriff des menschlichen Geistes? Und wie bildet dieser Begriff die angesprochene Basis? Zur Beantwortung dieser Fragen soll zuerst die Stellungnahme des Kardinals zur These von der Inkorruptibilität der Wesenheiten näher analysiert werden. Der Sache nach verbindet sich damit das Problem, inwieweit Cusanus die infrage stehende Bedeutung des menschlichen Geistes an die Vorgabe bestimmter Gehalte knüpft. Anders gefragt: Inwieweit bestätigt sich in diesem Punkte das Ergebnis der Überlegungen zur Erkenntnis der Vernunft (ratio), dass der Kardinal den Sachhaltigkeiten oder Begriffen keinen eigenen ontologischen Status zubilligt, sie vielmehr in ihrer Bestimmungsfunktion, d. h. in ihrer Einheit oder Form oder Allgemeinheit auf die Ebene der mens begrenzt? Cusanus bringt im Zusammenhang der angesprochenen Stellungnahme die Unvergänglichkeit der Wesenheiten mit der Zahl als Inbegriff der Einheit in Verbindung, während er die Vergänglichkeit der Einzeldinge mit der Vervielfachung der Einheit parallelisiert.32 Weiter führt Cusanus die Zahl in ihrer tatsächlichen Gestalt als gezählte bzw. zählbare Zahl auf die gezählten bzw. zählbaren Einzeldinge zurück.33 Dem entspricht, dass Cusanus der Zahl als solcher, d. h. der Zahl in ihrer Bedeutung als Inbegriff von Einheit, keine eigene Realität zuerkennt. Aus diesem Grund gehört die Vergänglichkeit ebenso wenig zur Zahl als solcher. Weiter ist für den Kardinal der Sinngehalt der Zahl als solcher Einheit. Diesen Aspekt bezieht Cusanus auf unseren Geist (mens nostra sit numerus),34 insofern dieser in seiner Begriffsbildung Unterscheidungen nach Art von Zusammenfassungen und Einteilungen vornimmt (de omni enim harmonia iudicium in mente reperiebant mentemque ex se notiones fabricare) und darin der Zahl in ihrer Bedeutung als Einheit entspricht.35 Es liegt nahe, diese 32

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Nikolaus von Kues: Der Laie über den Geist/Idiota de mente (wie Anm. 3) c. VI n. 96: tunc aliqualiter attingis, quomodo essentiae rerum sunt incorruptibiles uti unitas, ex qua numerus, quae est entitas, et quomodo res sunt sic et sic ex alteritate, quae non est de essentia numeri, sed contingenter unitatis multiplicationem sequens. Ebd.: Conspicis etiam, quomodo non est aliud numerus quam res numeratae. Ebd., c. VI n. 89. Ebd., c. VII n. 97: Credo omnes, qui de mente locuti sunt, talia vel alia dixisse potuisse [...] De omni enim harmonia iudicium in mente reperiebant mentemque ex se notiones fabricare

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Funktion des begrifflichen Ordnens zunächst auf das Logische zu beziehen. Dass der Geist in der Ausübung der angesprochenen Funktion der Vereinheitlichung über das Logische hinaus den Inbegriff von Einheit und damit den Inbegriff von Form, Gestalt und Bestimmtheit darstellt, zeigt sich im Blick auf die cusanische Begründung von Notwendigkeit. Hat sich in den bisherigen Überlegungen zum cusanischen Verständnis des Geistes die Begrenzung der Bestimmungsfunktion der Sachhaltigkeiten auf eben die mens gezeigt (und damit das betreffende Ergebnis in Bezug auf die Vernunfterkenntnis bestätigt), steht jetzt zur Diskussion, inwieweit der Kardinal sich in seiner Begründung der Notwendigkeit ebenfalls auf die Ebene des Geistes begrenzt, so dass sich in diesem Punkte die Beschränkung in der modalen Betrachtung auf die Aspekte des Wirklichen in seiner Faktizität und des Möglichen, soweit dieses sich von jenem her bestimmt, bestätigt. Cusanus spricht zunächst von der komplexen oder bestimmten Notwendigkeit (necessitas complexionis vel determinatae). Diese ist auf der einen Seite von der Einfachheit und absoluten Notwendigkeit (simplicitas ac necessitas absoluta) und auf der anderen Seite von der bestimmten Möglichkeit (possibilitas determinata) unterschieden.36 Zusammen genommen stellen diese drei Momente Gesichtspunkte dar, nach denen sich der menschliche Geist in der erläuterten Einheitsfunktion orientiert. In Bezug auf das nähere Verständnis der necessitas complexionis vel determinatae gibt Cusanus zum einen den Hinweis auf die Verknüpfung, die der Geist selbst hervorbringt (mens est locus seu regio necessitatis complexionis). Weiter bezieht er derartige Verknüpfungen in ihrer Wahrheit und insofern in ihrer Notwendigkeit (quae vere sunt, sunt mentaliter) auf den Geist selbst.37 Schließlich ist mit dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit der notwendigen Verknüpfung ein sachlicher Gehalt angesprochen, den der Geist aus der sinnlichen Erfahrung nimmt. Im Blick darauf unterstreicht Cusanus, dass in der Erfahrung nie reine Sachhaltigkeiten angetroffen werden.38 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass Cusanus mit der necessitas complexionis vel determinatae das Urteil in seiner Gestalt als notwendige Erkenntnis im Blick hat, wie

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et sic se movere, quasi vivus numerus discretivus per se ad faciendum discretiones procederet, et iterum in hoc collective ac distributive procedure. Ebd.: in hoc collective ac distributive procedere aut secundum modum simplicitatis ac necessitatis absolutae vel possibilitatis determinatae vel necessitatis complexionis vel determinatae vel possibilitatis determinatae. Ebd., c. IX n. 122: mens [...] est locus seu regio necessitatis complexionis, quia quae vere sunt, abstracta sunt a variabilitate materiae et non sunt materialiter, sed mentaliter. Ebd., c. VII n. 102: nostra vis mentis [...] res attingit modo, quo in possibilitate essendi seu materia concipiuntur, et modo, quo possibilitas essendi per formam determinata [...] formae rerum non sunt verae, sed obumbratae variabilitate materiae.

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es bzw. sie in der Wissenschaft intendiert ist. Insofern liegt es in historischer Hinsicht nahe, dieses Verständnis mit Ockhams und Buridans entsprechender Auffassung in Verbindung zu sehen. Im Zusammenhang dieser Erläuterung der necessitas complexionis vel determinatae legt sich noch nahe, die betreffende Überlegung bezüglich der possibilitas determinata einzubeziehen. Da Cusanus das Mögliche, soweit es in seiner Unbestimmtheit gemeint ist, als jenes Seinkönnen bezeichnet, das keine Realität besitzt,39 ist mit der possibilitas determinata das Mögliche angesprochen, soweit es sich um die faktischen Möglichkeiten handelt. Der Aspekt der Notwendigkeit des Urteils ist hier zur Explikation der Annahme aufgegriffen worden, dass der Geist den Inbegriff von Einheit und Bestimmtheit überhaupt darstellt: Im Blick auf die Verbindung von Zahl und Begriffsbildung hatte sich ergeben, dass das Logische gemäß der einheitsstiftenden Funktion des menschlichen Geistes begründet ist. Darüber hinaus hat sich zuletzt gezeigt, dass Cusanus die Notwendigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis auf die Erkenntnis selbst begrenzt und nicht auf deren Gegenstand bezieht, soweit wissenschaftliche Erkenntnis auf Erfahrung beruht. Insoweit ist der menschliche Geist gemäß seiner einheitsstiftenden Funktion nicht nur in Bezug auf das Logische, sondern darüber hinaus in Bezug auf begriffliche Erfahrungserkenntnis der Inbegriff von Einheit und Bestimmtheit. Damit ergibt sich im Blick auf die Frage nach der Bestimmtheit des Begriffs des menschlichen Geistes ein zweifaches: Diese Bestimmtheit bzw. dieser Begriff entspringt einer Selbsterfahrung des menschlichen Geistes in seinem Tätigsein. Dem Ursprung nach handelt es sich also um den Begriff des menschlichen Geistes. Seinem Gehalt nach ist der fragliche Begriff der von Einheit und Bestimmtheit (oder Sachhaltigkeit) überhaupt. 3. Die Entwurfsgestalt menschlicher Erkenntnis in den Wissenschaften und in der Wesenserkenntnis Was bedeutet diese Begründung von Bestimmtheit für das konkrete Erkennen? Zunächst gilt für die wissenschaftliche Erkenntnis, soweit diese auf Erfahrung beruht, dass sie sich letztlich aus ihrer tatsächlichen Evidenz legitimiert. Denn wenn dieser Erkenntnis nicht die Möglichkeit offen steht, ihre Sachhaltigkeit über die gegebene Erfahrung hinaus auf eine Basis zu beziehen, die ihrerseits die Notwendigkeit der Erkenntnis begründet, kann sich die Wahrheit oder Objektivität einer Erkenntnis nur aus der Tatsache oder Existenz eben dieser Erkenntnis legitimieren. Wenn Cusanus erklärt, dass die me-

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Vgl. ebd., c. VII n. 107.

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chanischen Künste und die Physik infolge der Unsicherheit ihrer Begriffe „eher Mutmaßungen als Wahrheiten“ (potius coniecturae quam veritates) 40 erzielen, wird man diesen Hinweis gemäß der dargelegten Deutung der Konjekturalität im Sinne der Legitimation der angesprochenen wissenschaftlichen Erkenntnis durch Evidenz verstehen dürfen. Wenn Cusanus darüber hinaus auch von der Logik feststellt, sie erziele „eher Mutmaßungen als Wahrheiten“, kann dies ebenfalls im Sinne der Legitimation logischer Erkenntnis durch Evidenz gedeutet werden: Die logische Erkenntnis unterscheidet sich insoweit von der auf Erfahrung beruhenden wissenschaftlichen Erkenntnis, als ihre Gehalte sich nicht auf diesem Wege ergeben, sondern ausschließlich durch den Geist selbst. Demgemäß erklärt Cusanus, dass der Intellekt des Logikers selbst zuerst die Voraussetzung dafür schafft, dass es die Logik überhaupt gibt. Insofern aber die logischen Formen im Einzelnen derart im Geist verankert sind, dass sie erst in der konkreten logischen Operation zur Erscheinung gelangen,41 erweist sich die Wahrheit der logischen Erkenntnis letztlich ebenso wie die auf Erfahrung beruhende aufgrund ihrer Evidenz. Hinsichtlich der Begründung der Modalitäten hat sich bisher die Möglichkeit als bestimmte auf die der Erkenntnis vorgegebene Wirklichkeit zurückführen lassen. Die necessitas complexionis vel determinatae bezieht Cusanus in ihrer Objektivität oder Wahrheit auf den Geist selbst, unabhängig von aller vorgängigen Erfahrung.42 Ebenso tut er dies in Bezug auf wesenhafte und mathematische Gehalte. Im Blick auf diese Gehalte legt sich zunächst eine Bemerkung zum Verständnis geistiger Erkenntnis gemäß der Unterscheidung von Vernunft (ratio) und Intellekt (intellectus) nahe. Die Einheit geistiger Tätigkeit insgesamt beruht auf der Befähigung des Begreifens und dem diesem zugrunde liegenden seelischen Vermögen (vis concipiendi ab aptitudine a creatione). Der genannte Unterschied versteht sich von daher, dass die Befähigung des Begreifens zunächst bezogen ist auf die Begriffe und Urteile, die der Geist im Bereich der auf Erfahrung beruhenden Wissenschaft und der Logik hervorbringt (facit notiones seu genera, differentia, species, proprium

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Ebd., c. VII n. 102: nostra vis mentis ex illis talibus notionibus [...] facit mechanicas artes et physicas et logicas coniecturas [...] omnes tales sunt potius coniecturae quam veritates. Nikolaus von Kues: Die Jagd nach der Weisheit/De venatione sapientiae (Philosophische Bibliothek Bd. 549), lat.-dt., neu hrsg. v. K. Bormann, Hamburg 2003, c. IV n. 9 f.: Intellectus magistri vult creare artem syllogisticam. Ipse enim posse fieri huius artis praecedit; quae ars in ipso est ut in causa. Ponit igitur et firmat posse fieri huius artis. (...) Et hae sunt specificae formae syllogisticae in ratione fundatae et permanentes, quas necesse est omnem syllogismum, qui sensibili sermone exprimitur, imitari. Et ita posse fieri huius artis explicatur. Nikolaus von Kues: Der Laie über den Geist/Idiota de mente (wie Anm. 3) c. IX n. 122.

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et accidens). Insofern der Geist in Bezug sowohl auf wesenhafte und mathematische Gehalte als auch auf Gott sich auf sich selbst im instrumentellen Sinne bezieht, begreift er auch insoweit, als Erkenntnis entwerfender Natur ist und zur Vollendung gelangt (tunc mens concipit, cum ad perfectionem ducitur intellectus) 43. Insofern erweist sich die Vernunft (ratio) als die entscheidende Instanz für den Zusammenhang zwischen Sinnlichkeit auf der einen Seite und Erkenntnis auf der anderen Seite. Denn in der Begriffs- und Urteilsbildung realisiert sich Einheit, die für sich betrachtet Sache der Vernunft ist. Die sinnliche Vorstellung verwirklicht ihrerseits Einheit, wenn auch als sinnliche auf andere Weise als die Vernunft. Deswegen kann Einheit zunächst als dasjenige Moment angesehen werden, das sinnliche und geistigrationale Vorstellung vergleichbar macht. Darüber hinaus macht der Aspekt der Einheit die Erkenntnis der Vernunft (ratio) und die des Intellektes (intellectus) nicht nur vergleichbar, sondern gewährleistet ihren Zusammenhang als Erkenntnis. Insofern sind diese beiden Modi der Erkenntnis zwei Aspekte geistiger Tätigkeit, und ihren Unterschied macht die modale Differenz von bestimmter Möglichkeit und bestimmter Notwendigkeit aus.44 Im Blick auf die Erkenntnis wesenhafter und mathematischer Gehalte kommt weiter die im Zusammenhang der Erörterung der Konjekturalität menschlicher Erkenntnis bereits angesprochene Wesenserkenntnis in den Blick. In dem genannten Zusammenhang hat sich gezeigt, dass der menschliche Geist auf der einen Seite im Vollzug seiner Erkenntnis als solchem bzw. als solcher unmittelbar Anteil nimmt am göttlichen Geist. Er tut dies zugleich auf der anderen Seite in „Andersheit oder Möglichkeit“ (alteritas sive potentia), insofern es ihm an der schöpferischen Kraft des göttlichen Erkennens mangelt. Insofern kann er das Wesen eines Dinges nur „anders und abgewandelt“ (aliter atque varie) erkennen, ohne dass ihm die Erkenntnis des Dinges gänzlich verwehrt bliebe. Insoweit versteht sich die „Andersheit oder Möglichkeit“, in der eine Mutmaßung das Wesen eines Dinges und damit die Wahrheit erfasst, im Sinne einer Differenz in Bezug darauf, wie dieses Wesen jeweils erkannt wird und zur Darstellung gelangt. Die fragliche Erkenntnis stellt nicht lediglich eine Abbildung oder Repräsentation des fraglichen Wesens dar, vielmehr unterscheidet sich ein und dasselbe Wesen eines Dinges nach der Verschiedenheit seiner jeweiligen Erkenntnisse als solchen (Identitas igitur inexplicabilis varie differenter in alteritate explicatur.) 45. 43 44

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Ebd., c. VIII n. 108 f. In diesem Sinne deutet auch S. Dangelmayr, Gotteserkenntnis und Gottesbegriff in den philosophischen Schriften des Nikolaus von Kues, Meisenheim a.G. 1969, 81, die Differenz von ratio und intellectus als „Funktionen“ bzw. „Aspekte derselben Tätigkeit“. Nikolaus von Kues, Mutmaßungen/De coniecturis (wie Anm. 3) p. I c. XI n. 57: Neque intellectus rei, uti est, in alio attingibilis est, sicut circulus, uti est in hoc sensibili paviemento, alibi nisi aliter fieri nequit. Identitas igitur inexplicabilis varie differenter in alteritate

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Näherhin werden diese Gehalte als in sich und an sich unwandelbar erfasst, indem der Geist „auf seine Unwandelbarkeit blickt“ (respicit ad suam immutabilitatem) und „sich selbst als Instrument bedient“ (utens se ipsa pro instrumento) 46. Dies besagt, dass der Geist im Ausgang von der Definition erstens erkennt, dass der so definierte Gehalt, wie etwa der Kreis, als solches nicht in der Erfahrung angetroffen werden kann (quo modo essendi circulus extra mentem in materia esse nequit). Zweitens fungiert diese Definition, wiederum im Blick auf das genannte Beispiel gesagt, als „Urbild und Maß der Wahrheit des Kreises auf dem Boden“ (circulus in mente est exemplar et mensura veritatis circuli in pavimento) 47. Drittens kann sich die Wahrheit der Definition im gegebenen Falle in der konstruktiven Sichtbarmachung eines Kreises zeigen (ad praedeterminatam circuli respicit rationem, secundum quam studet operari, quantum hoc posse fieri sensibilis subiecti permittit) 48. Im gegebenen Falle fungiert die Definition also wie eine Anweisung oder eine praktische Regel. Insofern zeugt erst die tatsächliche Anwendung dieser Regel von der Richtigkeit der Definition bzw. ihrer Erkenntnis. Die bestimmte Notwendigkeit wesenhafter und mathematischer Gehalte beruht somit darauf, dass „die eine Notwendigkeit so ist, die andere so, und jede aus ihren Teilen zusammengesetzt“ (una est sic, alia sic, et quaelibet ex suis partibus composita),49 die Notwendigkeit der betreffenden Gehalte macht deren Verschiedenheit und jeweilige Bestimmtheit aus. Insofern sich diese Gehalte ihrer Realität nach dem Geist in seiner „Instrumentalität“ verdanken, kommt diesen zwar unveränderbare Bestimmtheit (incorruptibilis certitudo) 50 zu. Aber sie besitzen doch keine Realität an sich selbst. Denn in diesen Erkenntnissen ist der menschliche Geist, wiederum in Bezug auf die Mathematik gesagt, schöpferisch tätig (mathematicalia et numeros ex nostra mente procedunt et sunt modo, quo nos concipimus, esse tantum entium rationis, quorum nos sumus conditores) 51. Die angesprochenen Sachverhalte

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explicatur, atque ipsa varietas concordanter in unitate identitatis complicatur. Vgl. dazu im Einzelnen die Überlegungen im Abs. I. 2. Nikolaus von Kues, Der Laie über den Geist/Idiota de mente (wie Anm. 1) c. VII n. 103. Ebd. Nikolaus von Kues, Die Jagd nach der Weisheit/De venatione sapientiae (wie Anm. 41) c. V n. 11. Vgl. Nikolaus von Kues, Der Laie über den Geist/Idiota de mente (wie Anm. 1) c. VII n. 105. Nikolaus von Kues, Die belehrte Unwissenheit/De docta ignorantia I (wie Anm. 31) l. I c. XLV n. 32. Nikolaus von Kues, Über den Beryll/De beryllo (Philosophische Bibliothek Bd. 295), lat.dt., neu übers., eingel. u. mit Anm. hg. v. K. Bormann, 2. Aufl. Hamburg 1977, c. XXXIII n. 56. Im Blick darauf hebt M. C. Rusconi, Natürliche und künstliche Formen bei Thierry von Chartres und Nikolaus von Kues, in: A. Moritz (Hrsg.), ‚Ars imitatur naturam‘. Transformationen eines Paradigmas menschlicher Kreativität im Übergang vom Mittelalter zur

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trifft der Geist nicht bereits als konstituierte an, er „fabriziert“ (fabricat) sie52. In der Erkenntnis wesenhafter und mathematischer Gehalte gestaltet der menschliche Geist sich selbst. Deswegen ist die einzelne Erkenntnis allein gemäß ihrer jeweiligen Bestimmtheit wahr und repräsentiert nicht die Wahrheit im schlechthinnigen Sinne.53 Im cusanischen Verständnis der Mathematik und der Wesenserkenntnis zeigt sich also ein erstes Beispiel für die Selbstgestaltung und Entwurfsgestalt menschlicher Erkenntnis.54 Diese Gestalt repräsentiert insoweit eine Steigerung der menschlichen Erkenntnisbefähigung, als sie zwar die Befähigung zur sinnlichen Wahrnehmung, Erfahrungserkenntnis und Logik voraussetzt, aber deren Erkenntnisse konstituieren nicht die infrage stehende Gestalt. In Bezug auf die Differenz im Verhältnis zur Logik gesagt: Die logischen Gehalte gibt es, insofern der menschliche Geist denkt, die mathematischen und wesenhaften, insofern er diese als solche denkt. Mit der Entwurfsgestalt mathematischer und wesenhafter Erkenntnis verknüpft sich zugleich insoweit objektive Bestimmtheit und damit ein Wahrheitsanspruch, als der betreffende Gehalt von „bestimmter Notwendigkeit“ ist. Gemäß dieser Natur ist der Wahrheitsanspruch kein absoluter. Insofern weiß der Geist in dieser Erkenntnis zugleich um seine Standpunkthaftigkeit und Perspektivität. Die fragliche Erkenntnis basiert schließlich insoweit auf subjektiver Gewissheit oder Evidenz,55 als deren Wahrheit ebenso wenig wie die auf Erfahrung beruhende wissenschaftliche und die logische Wahrheit auf eine der Tätigkeit des Geistes vorausliegenden Ebene zurückgeführt werden kann. 4. Die Steigerung der Entwurfsgestalt menschlicher Erkenntnis zur Perfektion in der Gotteserkenntnis In der Gotteserkenntnis bedient sich der Geist seiner selbst wie in der wesenhaften und der mathematischen Erkenntnis in seiner instrumentellen Funk-

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Neuzeit, Münster 2010, 253–265, hier 262 f. hervor, dass Cusanus sich darin von Thierry von Chartres unterscheidet, mit dem er ansonsten in der Bestimmung der „bestimmten Notwendigkeit“ mathematischer Gehalte übereinstimmt. Nikolaus von Kues: Über den Beryll/De beryllo (wie Anm. 51) ebd. Vgl. Nikolaus von Kues, Der Laie über den Geist/Idiota De mente (wie Anm. 1) c. VII n. 105. T. Van Velthoven, Gottesschau und menschliche Kreativität. Studien zur Erkenntnislehre des Nikolaus von Kues, Leiden 1977, kennzeichnet seinerseits (142, 159) das cusanische Verständnis mathematischer Erkenntnis als Entwurf. In: Nikolaus von Kues, Mutmaßungen/De coniecturis (wie Anm. 3) p. II c. II n. 80, betont der Autor den konjekturalen Charakter der (Selbst-) Erkenntnis der Vernunft als Ursprung mathematischer Erkenntnis.

Metaphysik als Entwurf – Cusanus und die Metaphysik

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tion. Geht es in den letztgenannten Erkenntnissen um die Erfassung bestimmter Notwendigkeit, erfasst der Geist jetzt absolute Notwendigkeit und Einfachheit. Cusanus kennzeichnet diese Erkenntnis in negativer Weise, indem er sie von der Erkenntnis bestimmter Notwendigkeit unterscheidet: In dieser erfasst der Geist Wahrheit gemäß dem betreffenden Gehalt jeweils verschieden, so dass die eine Erkenntnis so und die andere anders wahr ist. Im Unterschied dazu kann es in Bezug auf die absolute Notwendigkeit und Einfachheit sowohl dem Weg wie dem Ergebnis nach nur eine einzige Weise der Wahrheitserkenntnis geben: Dem Weg nach, indem der Geist sich in seiner Bedeutung als Inbegriff von Einheit und Einfachheit erfasst, und dem Ergebnis nach, indem der Geist die Wahrheit selbst nicht nur als den genannten Inbegriff, sondern als Einheit und Einfachheit selbst erfasst, d. h. „ganz einfach, ohne Zahl und Größe und jede Andersheit“ (simplicissime, sine numero et magnitudine et omni alteritate) 56. Das bedeutet im Ergebnis: Die Gotteserkenntnis im Begriff der absoluten Einheit bleibt hinsichtlich ihrer Objektivität eine Annahme (intuitio veritatis absolutae), die in der skizzierten Erfassung zwar entfaltet, aber nicht bewiesen wird. Sie ist zwar ihrem Gehalt, aber nicht ihrer Geltung nach absolut notwendig. Insofern der Geist sich dabei seiner selbst bedient, realisiert er zugleich eine Erkenntnis im Bewusstsein der Differenz zum Erkannten selbst (sciat esse veritatem, quae non est figurabilis in aliquo aenigmate), die um ihre Standpunkthaftigkeit und Perspektivität weiß57. Gotteserkenntnis legitimiert sich damit wie alle übrige Erkenntnis letztlich aus ihrer Evidenz (coniecturas de ipsis [scl. divinis] facimus) 58. Aufgrund ihres Gehaltes, genauer seiner Absolutheit, ist sie zugleich Steigerung der Entwurfsgestalt menschlicher Erkenntnis zur Perfektion.

V. Metaphysik als Entwurf – Ein Fazit Das Fazit zu den vorangegangenen Überlegungen erfolgt in zwei Aspekten: zum einen soll das dargelegte Konzept der Metaphysik des Cusanus zusammengefasst werden, zum anderen wird dieses Konzept in seinem Verhältnis der Rezeption und Transformation der Metaphysik des Aristoteles gekennzeichnet. Sinnliche Wahrnehmung versteht sich gemäß dem hier entwickelten Konzept nicht im Sinne eines abbildenden, sondern eines gestaltenden Verhältnisses. Da diese Gestaltung nicht die wahrgenommenen Dinge in ihrer Realität 56 57 58

Nikolaus von Kues, Der Laie über den Geist/Idiota de mente (wie Anm. 1) c. VII n. 105 f. Nikolaus von Kues, Über den Beryll/De beryllo (wie Anm. 51) c. VI n. 7. Nikolaus von Kues, Der Laie über den Geist/Idiota de mente (wie Anm. 1) c. V n. 82.

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betrifft, sondern insoweit, als diese Dinge tatsächlich wahrgenommen werden, liegt eine aktive Nachgestaltung der Wirklichkeit vor. Dabei stiftet die Imagination oder Einbildungskraft die Integration der gemäß den verschiedenen Sinnesorganen aufgenommenen Sinneseindrücke zu einer einheitlichen Wahrnehmung im Sinne vermittelter Unmittelbarkeit im Verhältnis zum Sinnlichen: die in der Imagination gegebenen Repräsentationen beziehen sich in ihrer repräsentierenden Funktion unmittelbar auf die vermittels der Sinnesorgane zustande kommenden Eindrücke und vermittels dieser auf die realen Dinge. Auf diese Weise ist die Beziehung der Imagination mit den Dingen auf der einen Seite vermittelter Natur. Auf der anderen Seite verdanken sich die imaginativen Repräsentationen selbst der Einbildungskraft und sind insofern ursprünglicher Natur. Das Verhältnis zu den sinnlichen Dingen ist also von imaginativ vermittelter Unmittelbarkeit. Was die realen Dinge angeht, ist über diese zwar nichts über ihre tatsächliche Erfahrung hinaus gewusst, gleichwohl erschließen sie sich nur kraft der Repräsentationsleistung der Imagination. Insoweit ermöglicht diese, in sinnlicher Weise etwas als etwas zu erkennen. In der imaginativ vermittelten Unmittelbarkeit zeigt sich im Verhältnis zum Sinnlichen zugleich die eigene Sinnbestimmtheit dieses Verhältnisses, insofern der sinnliche Gehalt eben in der der Einbildungskraft entspringenden Einheit und Gestalt repräsentiert wird. Diese eigene Sinnbestimmtheit der Vermittlung vermag der Mensch in und kraft seiner Geistigkeit zur Steigerung zu bringen, indem die Vergegenwärtigung selbst zum Ziel menschlicher Weltorientierung im Modus des Erkennens und Wissens wird. Den Zusammenhang zwischen sinnlicher und geistiger Vergegenwärtigung gewährleistet deren jeweilige Einheit. Die Einheit geistiger Tätigkeit insgesamt beruht auf der Befähigung des Begreifens und dem diesem zugrunde liegenden seelischen Vermögen. Diese Befähigung ist zunächst bezogen auf die Begriffe und Urteile, die der Geist im Bereich des auf Erfahrung beruhenden Wissens und der Logik hervorbringt. Insofern realisiert sich in der Begriffs- und Urteilsbildung Einheit, die für sich betrachtet Sache der Vernunft ist. Die sinnliche Vorstellung verwirklicht kraft der Imagination ihrerseits Einheit, wenn auch als sinnliche auf andere Weise als die Vernunft. Deswegen kann Einheit zunächst als dasjenige Moment angesehen werden, das sinnliche und geistig-rationale Vorstellung vergleichbar macht. Weiter erweist sich auf diese Weise die Vernunft als die entscheidende Instanz für den Zusammenhang zwischen Sinnlichkeit auf der einen Seite und Erkenntnis auf der anderen Seite. Denn geistige Tätigkeit kann in zwei Modi unterschieden werden, deren Zusammenhang durch die ursprüngliche und spontane Befähigung des Geistes zur Einheit gewährleistet ist. Die Differenz der beiden geistigen Tätigkeiten oder Funktionen bestimmt sich modal, durch den Unterschied von bestimmter Möglichkeit und bestimmter Notwendigkeit. Im erstgenannten

Metaphysik als Entwurf – Cusanus und die Metaphysik

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Falle ist der Geist auf Gehalte bezogen, die sich in ihrer bestimmten Möglichkeit vom Wirklichen in seiner Faktizität her bestimmen. Diese Gehalte sind zum einen die der imaginativ vermittelten, sinnlichen Erfahrung einschließlich deren technischer Gestalt, zum anderen die in der Erfahrung des Begreifens selbst zugänglichen logischen Gehalte. Die Gehalte bestimmter Notwendigkeit sind solche, die es gibt, insofern der Geist sie in ihrer bestimmten Notwendigkeit denkt. Sie verdanken sich deswegen in ihrer Bestimmtheit und Wahrheit nicht bereits der Tatsache geistiger Aktivität, sondern der bewussten Hinwendung des Geistes zu sich selbst und der Nutzung seiner selbst. Auf diese Weise kann der Geist zu Wesenserkenntnis und Mathematik gelangen. Darin kommt es zugleich zu einer Steigerung, genauer: einer Selbststeigerung geistiger Aktivität gemäß ihrer Bedeutung als Inbegriff von Einheit und Sachhaltigkeit. Auf diese Weise hat geistige Tätigkeit ihr Ziel zwar nicht außerhalb ihres Vollzuges selbst, sie ist aber im Maße ihrer Selbstgestaltung transzendierender, also selbsttranszendierender Natur. Spezifisch menschliche Weltorientierung findet also ihren Sinn im Entwurf. In diesem weiß der Geist sich selbst als entwerfender, insofern weiß er um die Standpunktbezogenheit und Perspektivität seiner Erkenntnis. Da sich die Erkenntnisse der genannten Gehalte gemäß der Ursprünglichkeit und Spontaneität des menschlichen Geistes letztlich in ihrer Evidenz legitimieren, tritt in ihnen menschliche Weltorientierung schließlich in der Unableitbarkeit ihrer Individualität und Kreativität hervor. Die Metaphysik, die Cusanus auf diese Weise entwickelt, kann zunächst insoweit im Sinne der Rezeption und Transformation der Metaphysik des Aristoteles verstanden werden, als sich das cusanische Konzept zum einen nach Maßgabe des Motivs versteht, dass nichts im Verstand ist, was nicht zuvor in den Sinnen war, nach Maßgabe also der Rückbindung aller geistigen Erkenntnis an sinnliche Erfahrung. Weiter bietet dieses Konzept eine Deutung menschlicher Weltorientierung im Modus wissenschaftlicher Erkenntnis, die im Grundriss und in ihrer Gliederung der aristotelischen Konzeption entspricht. Schließlich lässt sich dieses Konzept im Sinne der Rezeption und Transformation auf die Metaphysik des Aristoteles vermittels des Verhältnisses dieser Konzeption zu Buridans Auffassung beziehen. Insofern Cusanus nämlich in seinem Verständnis der Metaphysik in zwei Hinsichten mit Buridan übereinstimmt, welche Hinsichten ihrerseits die aristotelische Metaphysik transformieren, steht die Metaphysik des Cusanus ebenfalls im Verhältnis der Rezeption und Transformation zur Metaphysik des Aristoteles. Im Besonderen verfolgt Buridan die Hinsicht des Seins nur insoweit, als diese die Realität in ihrer faktischen Existenz betrifft. Die metaphysische Betrachtung hat sich auf diese Weise dahin gehend gewandelt, dass sie primär etwas als etwas in den Blick nimmt. Gemäß dieser Aufgabenstellung untersucht Buridan die Bedingungen für diese gegenständliche Betrachtung, die

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sich ihm als Bedingungen des Subjektes erweisen, so dass die Bedingungen der Erkenntnis zugleich die der erkannten Gegenstände sind. Im Ergebnis anerkennt Buridan in seiner Auffassung zwar die Relativität unserer theoretischen Kompetenz im Verhältnis zu deren Gegenstand. Doch diese Kompetenz erfährt nicht eine eigene, über ihr praktisches Verständnis hinausgehende Sinnbestimmung. Cusanus stimmt mit Buridan zum einen insoweit überein, als er sich seinerseits in der Hinsicht des Seins auf den Aspekt der Faktizität beschränkt. Insofern verzichtet Cusanus wie Buridan auf die transzendentale Betrachtung im Sinne ihres transkategorialen Verständnisses. Diese Feststellung bietet zugleich den Ansatzpunkt, dazu Stellung zu nehmen, wie sich die hier vorgestellte Sicht des Verhältnisses des Cusanus zur Metaphysik des Aristoteles zur betreffenden Beurteilung in der Literatur verhält. Im Besonderen legt sich nahe, auf die Beurteilung Bezug zu nehmen, dass Cusanus die „Abwendung von Tranzendentalien als alle Kategorien überschreitende Seinsbestimmungen“ 59 vollziehe. Denn zunächst bestätigt diese Feststellung die hervorgehobene Beschränkung. Weiter wird in der näheren Erläuterung dieses Befundes darauf verwiesen, dass Cusanus sich dabei im Besonderen gegen Aristoteles wendet.60 Wenn schließlich in dieser Stellungnahme betont wird, dass es Cusanus „im Rahmen einer extremen Steigerung der Transzendenz Gottes […] um das extremissimum und um absolute Begriffe (conceptus absoluti) geht“, dann stimmen die hier vorliegenden Überlegungen auch damit insoweit überein, als sich gezeigt hat, dass der Begriff des Geistes als absolute Einheit in Bezug auf seine Objektivität eine Annahme darstellt, die als solche (bzw. der genannte Begriff) eine „jedem Zweifel entzogene Wahrheit ist, der kein Mensch zu widersprechen vermag“ (verissimum illud esse, cui omnis sana mens nequit dissentire),61 eine Wahrheit also, die zwar dem Gehalt, nicht aber der Geltung nach notwendig ist und insofern nur ohne Beachtung bleiben kann, im Verzicht nämlich auf ihre tatsächliche Realisierung. Insoweit ergänzen die vorliegenden Überlegungen die angesprochene Einschätzung des

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H. G. Senger, Warum es bei Nikolaus von Kues keine Transzendentalien gibt und wie sie kompensiert werden, in: M. Pickavé (Hrsg.), Die Logik des Transzendentalen (Miscellanea Medievalia Bd. 30), Berlin–New York 2003, 554–577, hier 560. Der Autor betont – ganz im Sinne der eingangs hier vorgelegten Überlegungen namhaft gemachten Annahme der Ansprechbarkeit des cusanischen Denkens im Sinne mittelalterlicher Intellektualität –, ebd. 556, dass „als selbstverständlich“ vorausgesetzt werden kann, dass „schon ein baccalaureus artium im 15. Jahrhundert mehr oder weniger Kenntnis über die Transzendentalienlehre“ besessen habe. Vgl. ebd., 556–562. Nikolaus von Kues: Die belehrte Unwissenheit/De docta ignorantia I (wie Anm. 31) l. I c. I n. 2. Vgl. zum angesprochenen Zusammenhang die Überlegungen in IV. 2 und 4.

Metaphysik als Entwurf – Cusanus und die Metaphysik

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Verhältnisses des Cusanus zur aristotelischen Metaphysik dahin gehend, wie der Kardinal diese Metaphysik seinerseits deutet und in einen sie transformierenden und überschreitenden Zusammenhang bringt. Im Ergebnis passen sich die hier vorgelegten Überlegungen also durchaus in den Rahmen der angesprochenen Beurteilung ein. Den Ansatzpunkt zu dieser Einschätzung bot die Übereinstimmung zwischen Buridan und Cusanus in der Beschränkung in der Hinsicht des Seins. Die zweite Übereinstimmung zwischen ihnen besteht in der Anerkennung der Relativität unserer theoretischen Kompetenz im Verhältnis zu ihrem Gegenstand. Doch anders als Buridan gibt Cusanus dieser Kompetenz eine eigene Sinnbestimmung, indem er sie in ihrem Entwurfscharakter kennzeichnet. Insofern menschliche Erkenntnis ihren Sinn in entwerfender Vergegenwärtigung findet, gewinnt die Metaphysik selbst bei Cusanus im Verhältnis der Rezeption und Transformation der Metaphysik des Aristoteles die Gestalt des Entwurfs.

Literatur Quellen Aristoteles’ Metaphysik: griech.-dt., in d. Übers. v. H. Bonitz, neu bearb., mit Einl. u. Kommt. hrsg. v. H. Seidl, griech. Text in d. Edition v. W. Christ, Hamburg, 2. verbesserte Aufl. 1982. Nikolaus von Kues: Der Laie über den Geist/Idiota de mente (Philosophische Bibliothek Bd. 432 ), lat.-dt., neu übers. u. mit Anm. hrsg. v. R. Steiger Hamburg 1995. Nikolaus von Kues: Mutmaßungen/De coniecturis (Philosophische Bibliothek Bd. 268), lat.-dt., übers. u. mit Einf. u. Anm. hrsg. v. J. Koch u. W. Happ, Hamburg 1971. Nikolaus von Kues, Kompendium/Compendium (Philosophische Bibliothek Bd. 267) lat.-dt., übers. u. mit Einl. und Anm. hrsg. v. B. Decker u. K. Bormann, Hamburg 1966. Nikolaus von Kues: Die belehrte Unwissenheit/De docta ignorantia, I (Philosophische Bibliothek Bd. 264 a), lat.-dt., 3. durchges. Aufl., besorgt v. H. G. Senger, Hamburg 1979. Nikolaus von Kues: Die Jagd nach der Weisheit/De venatione sapientiae (Philosophische Bibliothek Bd. 549), lat.-dt., neu hrsg. v. K. Bormann, Hamburg 2003. Nikolaus von Kues, Über den Beryll/De beryllo (Philosophische Bibliothek Bd. 295), lat.-dt., neu übers., eingel. u. mit Anm. hrsg. v. K. Bormann, 2. Aufl. Hamburg 1977.

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Sonstige Literatur Busche, H.: Hat Phantasie bei Aristoteles eine interpretierende Funktion in der Wahrnehmung?, Zeitschrift für philosophische Forschung 51, 1997, 565–589. Thurner, M.: Imagination als Kreativität nach Nicolaus Cusanus, in: J. André/G. Krieger/H. Schwaetzer, Intellectus und Imaginatio. Aspekte geistiger und sinnlicher Erkenntnis bei Nicolaus Cusanus (Bochumer Studien zur Philosophie 44) Amsterdam–Philadelphia 2002, 97–109. Dangelmayr, S.: Gotteserkenntnis und Gottesbegriff in den philosophischen Schriften des Nikolaus von Kues, Meisenheim a.G. 1969. Rusconi, M. C.: Natürliche und künstliche Formen bei Thierry von Chartres und Nikolaus von Kues, in: A. Moritz (Hrsg.), ‚Ars imitatur naturam‘. Transformationen eines Paradigmas menschlicher Kreativität im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Münster 2010, 253–265, hier 262 f. Senger, H. G.: Warum es bei Nikolaus von Kues keine Transzendentalien gibt und wie sie kompensiert werden, in: M. Pickavé (Hrsg.), Die Logik des Transzendentalen (Miscellanea Medievalia Bd. 30), Berlin–New York 2003, 554–577. Van Velthoven, T.: Gottesschau und menschliche Kreativität. Studien zur Erkenntnislehre des Nikolaus von Kues, Leiden 1977.

Grund und Ungrund. Zur Metaphysik des Möglichen Wilhelm Schmidt-Biggemann

I. Plotin: Das Eine als Ungrund und erster Grund Plotins entscheidende Neuerung in der Philosophie ist seine Lehre vom Einen (Enneaden V, 4). Das unbestimmte Eine, fand er heraus, ist, was durch keine Differenz bestimmt ist. Das unbestimmte Eine ist ein Nicht-Begriff; er kann nur durch die Negation aller Begrifflichkeit gewonnen werden, dergestalt also, dass sich alle Negation selbst negiert. Es ist das Weder-Noch, das weder eine Grenze nach außen noch eine Bestimmung nach innen hat; es ist ein Unwesen. Wenn das unbestimmte Eine – Schelling wird es später präzise das „Indifferente“ nennen – vor jeder Unterscheidung ist, dann ist es auch vor der Unterscheidung von Sein und Nichts. Das „vor“ in „vor der Unterscheidung“ ist passend: Denn mit dem „vor“ wird deutlich, dass die Unterscheidung von Sein und Nichts bereits sekundär ist; schließlich handelt es sich um eine Unterscheidung. Diese Unterscheidung ist deshalb sekundär, weil sie die Semantik des Einen bedient; denn sobald das Eine vom Andern unterschieden wird, ist es durchs Zweite definiert. Dann ist es nicht mehr unbestimmt, sondern bestimmt. Im Prozess dieser Bestimmung des Einen wird folgende Dialektik sichtbar: Nur durch die Trennung des Einen vom Andern ist das unbestimmte Eine als das fassbar, was die Trennung negiert, sie aber zugleich ermöglicht. Ohne das Eine gibt es keine Trennung; die Trennung ist in diesem Sinne Folge des Einen, dessen Unbestimmtheit sich in Bestimmtheit wandelt. Indem die Trennung Folge ist, wird das unbestimmte Eine zum Grund der Trennung. Es teilt sich dialektisch in Ungrund,1 sofern es unbestimmt war, und in Grund, sofern es als Anfang einer Kausalität bestimmt ist. Der Grund, wenn er einmal aus dem Ungrund geworden ist, generiert die Folge und unterscheidet sich zugleich von ihr, er ermöglicht und negiert sie, weil die Folge nicht ohne den Grund sein kann. Unter dieser Voraussetzung wird das unbestimmte Eine zum Grund der Bestimmung, zum Grund seiner Negation, Distinktion, Definition. Indem das Eine Grund wird, ist das Erste seine Folge, denn das Erste ist eine Ordinalzahl, und Ordnung verlangt drei Positionen: Eines und anderes und beides im Verhältnis. 1

Der deutsche Terminus kommt zuerst bei Jakob Böhme, und dort an vielen Stellen, vor.

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II. Das metaphysische Dispositiv von Kausalität bei Aristoteles Diese Erwägungen zur Kausalität verändern das aristotelische Dispositiv der Metaphysik entscheidend, und zwar in folgenden Hinsichten. 1. Nicht mehr ist Sein das allgemeinste Prädikat sondern das Eine wird zur Bedingung des Seins. Aber dieses Eine entzieht sich der Prädikation, denn durch die Prädikation verlöre es seinen Status als Eines. Diese Semantik impliziert, dass dieses Eine auch nicht dem Satz des Widerspruchs unterliegt. Es entzieht sich den aristotelischen Wahrheitskriterien, die dadurch bestimmt sind, dass sie ein Etwas als etwas prädizieren und so Subjekt und Objekt auseinanderhalten müssen, damit sie überhaupt prädizieren können. Ein Urteil kann nur dann wahr sein, wenn Subjekt und Objekt zueinander passen. Wenn zwei Prädikate eines Subjekts sich gegenseitig widersprechen und ausschließen, ist das ein Kriterium der Unwahrheit für eines der beiden Urteile2. Wenn aber das Eine ungeschieden ist, ist ein affirmatives Urteil ausgeschlossen. Man kann über das ungeschiedene Eine nicht urteilen, denn indem man urteilt, setzt man die Scheidung. Das gilt auch für ein negatives Urteil, denn auch ein negatives Urteil besteht noch aus Subjekt und Prädikat. Wenn es das Sein und das Nichts umfasst, ist nicht das Sein der allgemeinste Begriff,3 sondern das Eine. Das Insistieren darauf, dass „nur Etwas aus Etwas wird“ – die spätere schulphilosophische Tradition macht daraus: a nihilo nihil fit 4 – ist unter der Bedingung der Metaphysik des

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Vgl. Met. Θ 10.1051 b 3–6: ὥστ᾿ ἀληθεύει μὲν ὁ τὸ διῃρημένον οἰόμενος διῃρη˜σθαι και ̀ τὸ συγκείμενον συγκει˜σθαι, ἔψευσται δὲ ὁ ἐναντίως ἔχων ἢ τὰ πράγματα. „Der also denkt wahr, der das Getrennte für getrennt und das Zusammen-gesetzte für zusammengesetzt hält; der aber falsch, dessen Gedanken sich entgegengesetzt verhalten.“ Vgl. Met. Ε 1.1026 a 29–32: εἰ δ᾿ ἔστι τις οὐσια ἀκίνητος, αὕτη προτέρα καὶ φιλοσοφία πρώτη, και ̀ καθόλου οὔτως ὄτι πρώτη· καὶ περὶ του˜ ὄντος ᾗ ὂν ταύτης ἂν εἴη θεωρη˜σαι, καὶ τί ἐστι καὶ τὰ ὑπάρχοντα ᾗ ὄν. „Gibt es aber eine unbewegte Wesenheit, so ist diese die frühere (scil. als die Gegenstände der Physik) und die sie behandelnde Philosophie die erste und allgemeine, insofern als sie die erste ist, und ihr würde es zukommen, das Seiende, insofern es Seiendes ist (ὂν ᾗ ὄν), zu betrachten, sowohl sein Was als auch das ihm als Seiendes Zukommende.“ Met. Ζ 7.1032 a 12–14: τω˜ν δὲ γιγνομένων τὰ μὲν φύσει γίγνεται, τὰ δὲ τέχνῃ, τὰ δ᾿ ἀπὸ ταὐτομάτου. πάντα δὲ τὰ γιγνόμενα ὑπό τέ τινος γίγνεται καὶ ἔκ τινος καὶ τί. „Das Werdende wird teils durch Natur, teils durch die Kunst, teils von ungefähr. Alles Werdende aber wird durch etwas und aus etwas und etwas.“ Vgl. Lucretius, De rerum natura 1.II, 287: De nihilo quoniam fieri nihil posse videmus. In der philosophischen Diskussion der frühen Neuzeit ist der Topos a nihilo nihil fit durch Henry More wichtig geworden, der ihn in seinen Thesen zur christlichen Kabbala benutzte. H. More, Opera philosophica, London 1679 [ND: Hildesheim 1966], Bd. 2,1, 523.

Grund und Ungrund. Zur Metaphysik des Möglichen

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Einen, der Henologie, die Stipulation der Geltung des Satzes vom Widerspruch5. Es verändert sich mit dieser Theorie des Einen die aristotelische Kausalitätstheorie. Die Lehre von den vier Ursachen, die eher analytischen Charakter hatte, wird substituiert. Das Verhältnis des Einen als Bedingung der Möglichkeit (um Kants Formulierung zu benutzen) des Anderen ist weder causa efficiens, noch causa finalis, noch causa formalis oder materialis. Vielmehr wird das Eine als erste Ursache so gefasst, dass ohne es Existenz überhaupt nicht denkbar ist. Die Kausalität des ersten Grundes ist modal: Sie umfasst Wirklichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit und deren Gegenteil. Das Eine wird erste Ursache von Sein, indem es das Nichtsein zugleich definiert. Damit wird der Grund, die Kausalität, zur Bedingung der Existenz überhaupt, die ihrerseits als ständige Trennung von Sein und Nichts gefasst wird. Der erste Grund ist auch nicht identisch mit der ἀρχή bzw. der αἰτία, dem Prinzip, das im ersten Buch der aristotelischen Metaphysik verhandelt wird. Diese Prinzipien sind bei Aristoteles Referat seiner eleatischen Vorgänger und von eher materialer Natur. Sie haben mit den Modalerwägungen der Henologie nichts gemeinsam. Freilich verändert sich unter dem Einfluss der Henologie die Konnotation des Begriffs Prinzip in Richtung auf das Eine. Auch die Lehre vom unbewegten Beweger aus Metaphysik XII ist nicht mit dem ersten Grund der Henologie identisch. Der unbewegte Beweger ist das Ziel aller Bewegung der Natur; er ist selbst die Pointe der Natur und ihres Lebens; aber der erste Grund, der sich in der Definition, der ursprünglichen Trennung von Sein und Nichts, manifestiert, ist er gewiss nicht. Allerdings wird die Theorie von δύναμις und ἐνέργεια, die in Metaphysik IX behandelt wird, für die weitere Entwicklung der Kausaltheorie wichtig – freilich ist auch hier evident, dass δύναμις und unbestimmtes Eines nicht identisch sind.

III. Die Unerkennbarkeit des ersten Grundes: Dionysius Areopagita, Liber de Causis Die Metaphysik des Einen ist, auch ohne dass die Texte Plotins und Proklos’ verbatim zur Verfügung standen, im Abendland durchgehend bekannt geblie5

Ob Aristoteles’ Insistieren auf der Geltung des Satzes vom Widerspruch schon eine Reaktion auf Platons „ungeschriebene Lehre“ ist, muss hier nicht untersucht werden.

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ben; die wichtigsten Quellen waren das Corpus Dionysiacum, durch das die Metaphysik des Einen als „Mystik“ gefasst wurde, und der Liber de Causis, eine arabische Neubearbeitung unter anderem von Proklos’ Stoicheiosis theologike, die von Gerhard von Cremona nach 1167 ins Lateinische übersetzt wurde und in dieser Übersetzung eine schwer überschätzbare Wirkung entfaltete. In beiden Fassungen, im Corpus Dionysiacum und im Liber de Causis, geht es darum, dass der Erste Grund unerkennbar ist. Dionysius Areopagita beschreibt diese Unfasslichkeit des ersten Grundes als Selbstauflösung der Seele im Einen. In einem Aufstieg lässt die Seele zunächst die materiellen Äußerlichkeiten, dann ihre eigenen Gedanken, schließlich den Gedanken an sich selbst, ihr eigenes Bewusstsein, hinter sich, um sich im indefiniten Einen zu verlieren, aber auch zu finden, denn jetzt weiß sie sich als von ihm verursacht und ständig in ihrer Existenz getragen.6 Der Liber de Causis hat die Frage nach der Unerkennbarkeit des Ersten Grundes in seinem § 5 formuliert: Derjenige, der den ersten Grund erfassen wolle, müsse in seiner Existenz und seiner Fassungskraft vor diesem Ersten sein; dann aber wäre das Erste nicht das Erste; und alle Folge – das ist die Semantik des Ersten – beginnt mit dem Zweiten, setzt aber das Erste voraus.7 In beiden Fällen wird der Erste Grund als Causa essendi des Seins und des Erkennens bestimmt; als Grund des Seins ist er der Grund, der Sein und Nichts unterscheidbar macht, als Grund des Erkennens bewirkt er Differenz überhaupt und ist damit die Bedingung der Möglichkeit von Erkennendem und Erkanntem sowie des Einzelnen und seiner Prädikation.

IV. Avicenna: Das Reich des Möglichen und die Vehementia essendi Die Frage nach Einheit und Vielheit stellt sich mit der Entfaltung der Dialektik des Einen in durchaus distinguierter neuer Weise. Zwar war diese Frage 6

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Ps. Dionysius Areopagita: De Theologia Mystica. Corpus Dionysiacum II, hrsg. v. A. M. Ritter, Berlin–New York 1991, 133–150. Die Wirkung dieses Textes ist unüberschaubar. Einen Eindruck liefert die Editionsgeschichte, vgl. dazu: Dionysiaca. Recueil donnant l’ensemble des traductions latines des ouvrages attribués au Denys de l’Aréopage, Brügge 1937 [ND in vier Bänden, mit einem Nachwort von M. Bauer, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989]. Anonymus: Liber de causis. Das Buch von den Ursachen, hrsg. u. übers. v. A. Schönfeld, Hamburg 2003, 57: Causa prima superior est omni narratione. Et non deficiunt linguae a narratione eius nisi propter narrationem esse ipsius, quoniam ipsa est supra omnem causam et non narratur nisi per causas secundas quae illuminantur a lumine causae primae. Dieser Text entspricht ungefähr dem § 20 der Stoicheiosis Theologike des Proklos (Proclus: The Elements of Theology, hrsg. u. übers. v. E. R. Dodds, Oxford 1992, 22). Aber es gibt nicht unerhebliche Differenzen: Es ist nämlich bei Proklos nicht von Causa die Rede, sondern

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seit dem platonischen Parmenides virulent, zwar hatte Aristoteles das Moment des Einen als des Ganzen8 in seiner Metaphysik angesprochen, aber die Frage danach, wie denn das Verhältnis des Einen und des Vielen gedacht werden könne, war nur in Bezug auf das logische Urteil entfaltet worden, in dem das Individuum als ein Allgemeines bestimmt wurde. Die Frage danach, wie es logisch möglich wurde, dass Eines Vieles sei, war unbeantwortet geblieben. Die Frage nach der Möglichkeit hatte Aristoteles in ähnlicher Weise entspannt – oder vergleichgültigt – wie die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Nichts. Er hatte Möglichkeit als das Noch-nicht der Wirklichkeit gefasst 9 und damit klar gemacht, dass die Wirklichkeit und ihre Prädikation das für ihn Wesentliche sei, nicht eine „irreale“ Anders-Welt. Diese Frage nach der Möglichkeit änderte sich mit der Entfaltung der Schöpfungstheologie, die mit dem Einfluss der monotheistischen Offenbarungsreligionen virulent wurde. Die Theologie der Schöpfung, also ihre Beschreibung als Wissenschaft, wurde seit Philo von Alexandrien mit platonischen Mustern versucht.10 Diese Platonisierung geschah so, dass Gott einen Schöpfungsplan gedacht habe, der mit den platonischen Ideen identifiziert wurde; nach diesem Idealplan habe er die Welt dann als extramentale Existenz durch Information der Materie verwirklicht. In dieser Weise wurde das Mögliche, der Plan Gottes, wirklich – das war das fiat der Schöpfung. Mit dieser Theorie wurde die Frage danach interessant, wie denn dieser Weltenplan aussehe, der in der Schöpfung verwirklicht wurde. Es ging also um das Problem, wie die Gedanken Gottes in ihrer Möglichkeit gefasst werden könnten, der Möglichkeit, die dann in der geschaffenen Natur verwirklicht wurde. Hier wurde der Begriff Möglichkeit nun neu gefasst – die entscheidende Figur war Avicenna. Er wies darauf hin, dass die Modalbegriffe Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit zirkulär sind und sich untereinander definieren. Nach ihm wurde Möglichkeit nicht mehr nur in Bezug auf die Wirklichkeit gedacht, sondern als logischer Begriff. Der Gegenbegriff war jetzt nicht mehr Wirklichkeit, sondern Unmöglichkeit.11

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vom Einen, dem Hen. Es heißt dort, dass der Nous dem Hen nachgeordnet sei und dass der Nous, obwohl unbewegt, nicht das Eine sei; und indem es sich erkenne, sei es Objekt seiner eigenen Aktivität, das es damit ins Werk setze: noei gar heauton kai energei heauton. Met. Δ, 26.1023 b 27–1024 a 10. Met. Θ behandelt die Modaltheorie. Vgl. Philo von Alexandrien: De Opificio mundi, hrsg. v. L. Cohn, Berlin 1896. Vgl. Avicenna Latinus: Liber de philosophia prima sive scientia divina I–IV. Édition critique de la traduction latine médiéval par S. van Riet, Louvain–Leiden 1977, I 1, 5. 40: Difficile autem est declarare dispositionem necessarii et possibilis et impossibilis certissima cognitione, nisi per signa. Quicquid enim dictum est ab antiquis de ostensione istorum, in plerisque reducitur ad circularem, eo quod ipsi, sicut nosti in logicis, cum volunt definire possibile, assumunt in eius definitione necessarium vel impossibile, nec habent alium modum nisi hunc. Cum autem volunt definire necessarium, assumunt in eius definitione possibile vel

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Avicenna unterschied die metaphysische Notwendigkeit des Seins von dieser logischen „Manier“. Für diesen metaphysischen Sachverhalt fand er eine Formulierung, die im Lateinischen als vehementia essendi, Drang zur Existenz, wiedergegeben wurde. Die vehementia essendi bezeichnete die Realität, die sich ihrer Realisierung nicht entziehen kann. Diese durch die vehementia essendi verwirklichte Realität bestimmte das Verhältnis von Sein und Nicht-Sein; und das, was real war, war erkennbarer als das, was nicht da war.12 Damit unterschied Avicenna das Reich des Möglichen als das, was nicht da war, von dem, was durch die vehementia essendi real geworden war. Diese vehementia war als Notwendigkeit bestimmt, nicht als Kontingenz. Wenn in diesem Verwirklichungsprozess irgendetwas als Kausalität beschreiben werden konnte, dann die vehementia essendi. Man konnte diesen Sachverhalt als die Trennung eines Reichs des Möglichen von einem des Wirklichen interpretieren. Mit der Formulierung der vehementia essendi gab es einen doppelten Begriff von Möglichkeit: Der erste war der der Kontingenz. Er war dadurch definiert, dass etwas sein kann oder auch nicht, und dass es einen Drang, eben die vehementia, geben müsse, das Mögliche wirklich zu machen. Der andere Möglichkeitsbegriff war der der Kompossibilität: Das, was gedacht wird, darf in sich nicht dergestalt widersprüchlich, dass ein affirmatives Prädikat eines grammatisch-logischen Subjekts zugleich negiert wird. Der Satz vom Widerspruch wurde als Bedingung der Denkbarkeit gefasst, und diese Denkbarkeit wurde als formales Kriterium von Möglichkeit interpretiert. Die logische Möglichkeit war die Bedingung dafür, dass eine Welt formal unabhängig von der wirklichen denkbar war – und dieser Gedanke war auf das Konzept des göttlichen Weltenplanes ebenso wie auf das menschliche Denken anwendbar. Damit war die Idee der möglichen Welt geboren. Mit diesem Konzept gab es zwei unterschiedliche Begriffe von Welt, die von Gott konzipierte Idealwelt des Möglichen und die erfahrbare reale Welt, die durch die vehementia essendi zustande gekommen war. Die von Gott

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impossibile, et cum volunt definire impossibile, assumunt in eius definitione necessarium vel possibile. Verbi gratia, cum definiunt possibile, dicunt aliquando quod est non necessarium vel quod ipsum est quod non est in praesenti, cuius tamen esse, in quacumque posueris hora futura, non est impossibile. [Das ist jetzt der Sprung von der logischen zur metaphysischen Möglichkeit, zur Kontingenz]. Deinde cum volunt definire necessarium, dicunt quod necessarium est quod non est possibile poni non esse, vel quod est id quod, si aliter ponitur quam est, est impossibile. Ebd., 41: Sed detectio huius maneriae in hoc est haec quia iam nosti in Analyticis quod, ex his tribus [scil. necessarium, possibile, impossibile, W. S.-B.], id quod dignius est intelligi est necesse, quoniam necesse significat vehementiam essendi; esse vero notius est quam non esse, esse enim cognoscitur per se, non esse vero cognoscitur per esse aliquo modo.

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präkonzipierte Welt konnte vom Menschen zwar nicht inhaltlich, aber sie konnte formal gedacht werden, indem die menschliche Vernunft der göttlichen strukturanalog war. Da die menschliche Vernunft aber von der göttlichen abhing, war es sinnlos, die göttliche und die menschliche Vernunft unabhängig voneinander zu denken, zumal der entscheidende Grundsatz der propositional bestimmten Sprach-Vernunft, der Satz vom Widerspruch, für dieses Konzept der Kompossibilitätsstruktur einer möglichen Welt galt. Neben dieser logischen Weltkonzeption gab es die reale Welt; diese unterschied sich durch die vehementia essendi von der möglichen. In ihrer Erkennbarkeit unterlag auch sie den logischen Kompossibilitätskriterien. Es war eine in sich selbst widersprüchliche Realität unerkennbar, denn erkennbar war nur das, was propositional war und wessen Propositionen dem Satz des Widerspruchs unterlagen. Aber sie war entscheidend mehr, denn sie war real. Logisch gesehen war die reale Welt freilich nur ein Spezialfall der möglichen Welten, denn in sich selbst Widersprüchliches war auch als Realität nicht erkennbar. Der Unterschied zwischen der möglichen und der wirklichen Welt war allein modalmetaphysischer Natur.

V. Duns Scotus: Die Verwirklichung des Rationalen als irrationaler Willensakt Bei der Bestimmung des Möglichen und Wirklichen wurde nun das Verhältnis von δύναμις und ἐνέργεια, mit dem Aristoteles (Metaphysik IX) die Realität des individuell Realen gefasst hatte, wichtig. Bei Aristoteles dienten diese beiden Begriffe zur Analyse der Realität: Das Mögliche verwirklichte sich im Realen und bestimmte die Realität in ihrer weiteren Entfaltung. Die δύναμις war deshalb nicht als eigene logische Welt des Möglichen gefasst, sondern nur in Bezug auf die Frage danach, wie denn das natürliche Sein so geworden war, wie es war. Den Begriff Existenz hatte Aristoteles noch nicht. Mit der Bestimmung der möglichen Welt wurde eine eigene Welt der Essenzen gedacht, die Welt logisch möglicher Wesen, die zur Existenz kommen konnten oder nicht. So, wie Avicenna im Abendland gelesen wurde, lehrte er, dass der Schritt aus der möglichen Welt der Essenzen in die wirkliche existierende Welt als vehementia essendi geschehe, und dieser Schritt definierte bei Avicenna die Notwendigkeit. Mit der vehementia essendi wurden das Reich der Möglichkeit und die Wirklichkeit als metaphysische Notwendigkeit verschränkt. Diese Engführung von möglicher Essenz und realer Existenz hatte Konsequenzen für die Schöpfungstheologie, die unerwünscht waren. Denn wenn der Übergang von der Möglichkeit in die Wirklichkeit mit Notwendigkeit

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erfolgte, dann konnte theologisch nicht unterschieden werden, ob Gottes primordialer Schöpfungsgedanke notwendig Realität werden müsse oder ob Gott auch Mögliches denken könne, das möglich blieb, aber nicht real wurde. Im Fall der ersten Alternative war die Konsequenz unvermeidbar, dass Gott, wenn er denn überhaupt als denkend konzipiert wurde, notwendig die Welt schaffen musste; und das war für alle monotheistischen Religionen inakzeptabel, weil der Pantheismusverdacht unabweislich war. Es blieb also für die schöpfungstheologische Explikation der Modalphilosophie nur die zweite Alternative akzeptabel. Deshalb musste das Verhältnis vom Reich des Möglichen, der Essenz, und dem Reich des Wirklichen, der Existenz, anders als mit der Konzeption der vehementia essendi gefasst werden. Wenn die primordiale Welt der göttlichen Gedanken und der extramentalen Verwirklichung dieser Gedanken als Schöpfung und nicht als Emanation interpretiert werden sollte, dann durfte dieser Akt nicht notwendig sein, denn Gott wäre sonst zur Schöpfung gezwungen gewesen, und das war mit dem Gottesbegriff unvereinbar. Aus diesem Grunde wurde der Schöpfungsakt, sofern er für die Menschen überhaupt verständlich war, von Duns Scotus in drei Schritten beschrieben: Zunächst entschließt sich Gott aus freiem Willen zur Schöpfung der Welt,13 dann konzipiert er sie in ihrer logischen Möglichkeit als notwendige, ewige Wahrheiten,14 und schließlich realisiert er sie: voluit, potuit, fecit. Die beiden ersten Schritte wurden als duplex ratitudo entis15 beschrieben, für den letzten Schritt hat Scotus das Lehrstück der potentia absoluta und potentia ordinata,16 nach dem Gott aus freien Willen die logisch konzipierte Welt 13

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Ioannis Duns Scoti: Quodlibetum 16, §§ 30, 32: Dico quod cum necessitate ad volendum stat libertas in voluntate. [...] Probatur idem ‚propter quid‘ Et primo sic: Actio circa finem ultimum est actio perfectissima; in tali actione firmitas in agendo est perfectionis; igitur necessitas in ea non tollit sed magis ponit illud quod est perfectionis; sic est libertas. Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d. 3 (Opera omnia Bd. 3), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1954, § 262: Ad intellectum primi, dico quod omnia intelligibilia actu intellectus divini habent esse intelligibile, et in eis omnes veritates de eis relucent, ita quod intellectus intelligens ea, et veritates de eis relucent, ita quod intellectus intelligens eas, et virtutem eorum intelligens necessaria veritates de eis, videt in eis sicut in obiectis istas veritates necessarias. Illa autem inquantum sunt obiecta secundaria intellectus divini, sunt veritates quia conformes suo exemplari; et sunt immutabiles et necessariae. Vgl. L. Honnefelder, Die Lehre von der doppelten Ratitudo Entis und ihre Bedeutung für die Metaphysik des Johannes Duns Scotus, in: Deus et Homo ad mentem I. Duns Scoti, Acta Tertii Scotistici Internationalis Vindenonae 1970, Studia Scholastico-Scotistica 5, 1972, 661–671. Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d. 26–48 (Opera omnia Bd. 6), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1963, d. 44, § 7: Deus ergo, agere potens secundum illas rectas leges ut praefixae sunt ab eo, dicitur agere secundum potentiam ordinatam; ut autem potest multa agere quae non sunt secundum illas leges iam praefixas, sed praeter illas, dicitur eius potentia absoluta: quia enim Deus quodlibet potest agere quod non includit contradictionem, et omni modo potest agere quod non includit contradictionem (et tales sunt multi alii), ideo dicitur tunc agere secundum potentiam absolutam.

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verwirklichen kann, die nach ihrer Verwirklichung in ihrer Ordnung existiert. Dieser Akt ist unumkehrbar: Wenn die Welt geschaffen wurde, ist mit dem Schöpfungsakt die Welt in ihrer Ordnung bestimmt. Wenn Gott bei Scotus in dieser Weise durch den Willen bestimmt war und der Wille der Grund der Schöpfung war, dann war auch diese Schöpfungstheologie theologisch alles andere als risikolos. Indem die möglichen Welten als die Bedingungen der wirklichen gefasst wurden, war deutlich, dass die Welt insgesamt, die mögliche und die wirkliche Welt, als logisch konzipiert begriffen werden mussten – das bedeutete, dass die Welt insgesamt als kausal determiniert galt, weil Ursache und Wirkung als logische Implikationen begriffen werden mussten. Da Gott alles als Möglichkeit und ewige Wahrheit dachte – eine andere Rationalität als diese war für Menschen undenkbar – und weil er alles gleichzeitig konzipierte, konnte Kausalität nur als die äußere, raumzeitliche Erscheinung der göttlichen Präkonzeption verstanden werden. Die Kausalität war deshalb nur der äußere Ausdruck der inneren Kompossibilität der Welt in Raum und Zeit. In dieser Welt war ein Raum der Freiheit für den Menschen kaum zu finden; diese aber war erforderlich, wenn Schuld und Verdienst dem Menschen zugerechnet werden sollten. Auf der anderen Seite wurde der Übergang von der möglichen in die wirkliche Welt dadurch, dass der Schöpfungsakt aus freiem Entschluss Gottes geschah, zu einem Willkürakt. Der skotistische Gott war merkwürdig doppeldeutig: Er war zugleich hochrational, weil er die mögliche Welt durchkalkulierte, und er war zugleich irrational in seinem freien Entschluss zur Verwirklichung der extramentalen Welt. Die Kluft zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit war einerseits nahezu unüberwindbar, auf der andern Seite war die geschaffene Realität kausal durchdefiniert.

VI. Nikolaus von Kues: Modaltheologie des ersten Prinzips Bei Duns Scotus war die Dialektik des ersten Grundes offensichtlich nicht berücksichtigt. Das lag wesentlich auch daran, dass die negative Theologie, die seit Dionysius Areopagita Teil auch der christlichen Tradition war, zu Schwierigkeiten in der Trinitätstheologie führte. Denn wenn das unbestimmte Eine, das Göttliche, sich erst zum Sein dadurch bestimmte, dass es sich vom Nichts als seinem Definiens trennte und wenn es sich, sobald es sich als getrennt vom Nichts begriff, selbst zum Objekt seiner selbst machte und sich dadurch zum höchsten Gut wurde, dann wurde in diesem Prozess das Negative des höchsten Gutes, und das war das Böse, freigesetzt. Die Objektwerdung seiner selbst war der erste Schritt zur trinitarischen Fassung Gottes. Gott wurde sich selbst zum Logos, der nach dem Prolog des

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Johannesevangeliums im Anfang bei Gott war. Das entsprach dem Verhältnis des Vaters zum Sohn, die sich gegenseitig definierten; die Liebesbeziehung beider zueinander als je höchstes Gut war die Rolle des Heiligen Geistes, der vom Vater und vom Sohne ausging. Die dogmatischen Schwierigkeiten lagen auf der Hand: Wie konnte das Verhältnis des unbestimmten Einen zum sich konstituierende dreifaltigen Gott, vor allem zum Vater, beschrieben werden? Wurde der trinitarische Gott, der sich in diesem theogonischen Selbstwerdungsprozess verstehen ließ, zur Ursache des Nichts und, schlimmer noch, des Bösen? Da diese Probleme schon 1215 auf dem vierten Laterankonzil eine Rolle gespielt zu haben scheinen, als Peri Physeos, das Hauptwerk Eriugenas, des ersten Übersetzers des Corpus Dionysiacum, anathematisiert wurde, galt die negative Theologie als dogmatisch risikoträchtig. Nikolaus von Kues knüpfte sehr wirkungsvoll an diese Tradition an; er verstand die dogmatischen Risiken als Chancen zu produktiven theologischen Spekulationen über die Selbstwerdung Gottes, den absoluten Anfang und die mathematische Repräsentation dieses Prozesses. 1. Theogonie und Ursprung der Kraft Nikolaus behandelt die Theorie des Einen in ihrer Dialektik in vielen Variationen. Die weitestgehende Fassung ist die Logik der Theogonie, die als sich selbst mitteilenden Wahrheit verstanden wird, in deren Ursprünglichkeit die Opposita eines Urteils aufgehoben sind. Das ist ein Angriff auf die aristotelisch-scholastische Urteilslehre. Nikolaus macht mit diesem Argument deutlich, dass Gott „weder ist noch nicht ist“, höher als jede Frage, einfach, absolut, eine unaussprechliche Einheit (ineffabilis entitas) 17. Aber er ist in dieser Unnahbarkeit der Grund für jedes Etwas; in diesem Sinne ist er der letzte Grund. „Gott ist“, schreibt Nikolaus, „Nichts und Etwas, denn ihm gehorcht das Nichts, damit Etwas wird. Und darin besteht seine Allmacht, dass durch seine Macht alles, was ist oder nicht ist, hervorgerufen wird, dass es ihm so gehorcht, dass es nicht anders ist, als es ist“ 18. Diese Macht, zwi17

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Nikolaus von Kues: Mutmaßungen/De coniecturis (Philosophische Bibliothek Bd. 268) lat.dt., übers. u. mit Einf. u. Anm. hrsg. v. J. Koch u. W. Happ, Hamburg 1971, p. I c. V n. 21: Absolutior igitur veritatis exstitit conceptus, qui ambo abicit opposita, disiunctive simul et copulative. Non poterit enim infinitius responderi „an Deus sit“ quam quod ipse nec est nec non est, atque quod ipse nec est et non est. Haec est una ad omnem quaestionem altior, simplicior, absolutior conformiorque responsio ad primam ipsam simplicissimam, ineffabilem entitatem. Nicolai de Cusa; De deo abscondito. Opuscula I. Opera omnia IV, ed. P. Wilpert, Hamburg 1959, 9, 8–11: Deus est supra nihil et aliquid, quia sibi oboedit nihil, ut fiat aliquid. Et haec est omnipotentia eius, qua quidem potentia omne id quod est aut non est, excedit ut

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schen Nichts und Etwas zu vermitteln, die dem unbenennbaren Gott zukommt, ist das Moment der Kausalität, das hier aber nicht, wie bei Avicenna und Scotus, auf das Verhältnis Gottes zur Schöpfung, sondern auf Gott selbst angewandt wird. Er wird sich selbst ständig wirklich: Er ist die vehementia essendi, die Kraft zum Realwerden. So ist er Causa sui. Die Dialektik des Ersten Grundes macht es, dass er allein negativ, als ineffabel, vor jedem Anfang, als Ungrund bezeichnet werden muss; denn der Grund zeigt sich als Grund erst, wenn er eine Folge hervorbringt. Wie sollte er sonst Grund sein? Er geht, selbst grundlos, aus sich selbst hervor. Die Frage nach dem Anfang ist die prozessuale Variante der Frage nach dem Verhältnis des Unbestimmten zum bestimmten Einen. Wenn sich das unbestimmte zum bestimmten Einen wandelt, dann wird es dadurch zum ersten Grund. Der Grund hat eine Folge – folglich ist er der erste Anfang. Jetzt gibt es eine Richtung, ein Vorher und Nachher. Mit dem Begriff des Ersten wird Ordnung installiert, es muss ein Nächstes, Zweites, Anderes geben, das die ein Zweites heischende Semantik des Ersten bedient und diesen Prozess dadurch zur neuen, triadischen Einheit macht. Für die spekulative Theologie hat Nikolaus diese Frage logostheologisch verhandelt, indem er das sich selbst verstehende Eine zum Musterbild jeder Verursachung macht: Die höchste definite Einheit sei die, die sich selbst verstehe und die deshalb ihre Definition oder ihren Logos aus sich selbst hervorbringe.19 Diese Hervorbringung des innertrinitarischen Logos sei der Sohn, der das Leben der väterlichen Substanz ausmache20. Dieser Prozess sei der ewige Ursprung, non est aliud dicere principium principiati quam aeternitas aeterni seu aeternitas principiati21. Dieser Prozess verbinde den Vater und den Sohn in der Liebe, das sei die Trinität, an die die Christen glaubten, die aber auch die Platoniker kennten. In dieser Bewegung zeige sich die unhintergehbare triadische ewige Anfänglichkeit des ersten Prinzips, das das Prinzip seiner selbst und der Schöpfung sei. Nikolaus fasst seine Erwägungen zusammen: Resumendo itaque, quae tacta sunt, principium esse unitrinum et ipsum aeternum manifestum. Dico hunc mundum ab unitrino principio id esse, quod est.22 Die Trinität ist die prozessuale Einheit der Selbstverwirklichung Gottes, die als Possest in sich die Kraft enthält, das Moment des Nichts, das im „noch-nicht-Sein“ des Könnens liegt, zu überwinden und das Mögliche ins

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ita sibi oboediat id, quod non est sicut id, quod est. Übersetzung nach Nikolaus Cusanus: Philosophisch-theologische Schriften, hrsg. v. L. Gabriel/W. Dupré, Wien 1964, Bd. 2, 304. Vgl. ders.: Tu quis es (De principio). Über den Ursprung (Philosophische Bibliothek Bd. 487), lat.-dt., neu übers. u. hrsg. v. K. Bormann, Hamburg 2001, n. 9. Vgl. ebd.: Est igitur filius vita vivificans sicut pater eiusdem scilicet naturae et essentiae. Ebd., n. 10. Ebd., n. 34.

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Sein, in die Existenz zu vermitteln. Diese Kraft ist selbst nicht fassbar, sie zeigt sich nur im Übergang von der Möglichkeit in die Wirklichkeit, indem sie das Mögliche zum Wirklichen macht. Wenn man diese Kraft Gottes beschreiben will, dann besteht sie darin, possibilitas und actualitas miteinander zu verbinden. Beide sind gleichewig; und sie sind eines in Principio. Wenn in Gott als im ersten Prinzip das Mögliche und Wirkliche vereinigt sind, dann ist er der, auf den das Prädikat possest zutrifft. Welchen Status hat in diesem possest das posse? Posse ist das, dem gemäß alles sein kann. Außer dem posse ist also nichts. Nikolaus unterscheidet den Status des Könnens vom Sein und vom Nichts. Das, was nicht sein kann, ist Nichts. Was sein kann, ist verschieden vom Nichts, aber es existiert auch noch nicht; es umfasst also schlechterdings alles, was ist und sein kann, denn das, was ist, kann logischerweise auch sein. Das ist keine rein modalphilosophische Festlegung, sondern hier werden der logische und der metaphysische Möglichkeitsbegriff als eine besondere Form von Sein begriffen, das in zwei Klassen zerfällt: Das Sein der Möglichkeit und das Sein der Realität. Es ist Gott allein, dessen Kraft beide umfasst, ihm kommen Sein-Können und Sein gleichermaßen zu. Gott umfasst als Possest alles Mögliche und Wirkliche; dieses Possest expliziert philosophisch die Selbstprädikation Gottes „Ich bin der ich bin“ (Ex 3,14). Wer Gott so nenne, erläutert Nikolaus, könne viele Schwierigkeiten mit dem Gottesbegriff schneller lösen.23 Der Begriff possest fasst nicht nur das Modalverhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit, sondern auch den Begriff Kraft; denn possest ist die Kraft, die das Mögliche dazu bringt, sich zu verwirklichen. In Gott, der das Mögliche und Wirkliche und damit alles zugleich umfasst, weil er sich ständig verwirklicht, sind Wirklichkeit und Möglichkeit vereinigt. Durch diese Allumfassendheit unterscheidet sich Gott von den Geschöpfen: Die allmächtige Kraft des Principiums geht über jedes Geschöpf hinaus: Ideo nulla creatura est possest.24 Im Prozess der Schöpfung, die eine von Gott unterschiedene Realität ist, kann deshalb zwischen Möglichkeit (possibilitas) und Wirklichkeit (realitas) unterschieden werden; die Schöpfung ist wirklich, weil sie möglich war; und diese Kraft verwirklicht und offenbart sich allein in der Schöpfung durch das wirkende Wort: qui dicit et facta sunt (Ps 32,9).25 Das ist die Kraft des Grundes, der sich nur in Verbindung von Möglichkeit und Wirklichkeit zeigt. 23

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Vgl. Nikolaus von Kues: Dreiergespräch über das Können-Ist/Trialogus de possest (Philosophische Bibliothek Bd. 285), lat.-dt., neu übers. u. mit Einl. hrsg. v. R. Steiger, Hamburg 1973, n. 24: Qui sibi de Deo conceptum simplicem facit quasi significati huius compositi vocabuli possest, multa sibi prius difficilia citius capit. Ebd., n. 27. Ebd., n. 36.

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2. Spekulative Mathematik Die unprädizierbare Prädikation Gottes (ineffabilis entitas) hat ihre symbolische Variante in der mathematischen Lehre vom Einen. Nikolaus behandelt sie arithmetisch und geometrisch. Das unbestimmte Eine fasst sich zunächst als Zahl. Schon dieser Prozess zeigt, dass es sich bei der Mathematik darum handelt, symbolice ac rationabiliter26 zu reden. Dieser Prozess ist durchaus ein „sich-fassen“ und zwar so, dass das Infinitum principium, das infinite simplex ist, sich als Primum principiatum fasst: Das erste aus dem Ursprung Zusammengesetze kann nicht unendlich einfach sein, es kann auch nicht aus anderem zusammengesetzt sein, also muss es aus sich selbst zusammengesetzt sein. Das ist das Prinzip der Zahlen: sie bestehen aus sich selbst. Numerus est compositus et ex seipso compositus27; jede Zahl ist durch die Differenz definierbar und fassbar, aber die Zahlen sind in sich selbst gleich: deshalb sind sie einzeln, different und gemeinsam. Es braucht also drei Prinzipien, um die Zahlen zu begreifen. In diesem triadischen Begreifen zeigt sich die Seele als Abbild der göttlichen Trinität. Sie ist selbst triadisch spekulativ: Weil sich die Einheit der Vernunft in der Seele entfaltet, widerstrahlt sie in ihr als in ihrem eigenen Abbild. Wie in der göttlichen Trinität entfaltet sich in ihr die begriffliche Dynamik von Unitas, Aequalitas und Nexus: „Diejenigen aber“, schreibt Nikolaus in De non aliud, „die die Dreieinigkeit als Vater, Sohn und Geist bezeichnen, kommen zwar weniger genau an sie heran, verwenden aber wegen der Entsprechung zur Schrift diesen Namen zu Recht“ 28. Diese Entfaltung des göttlichen Lebens ist das Urbild aller Entfaltung überhaupt, es erschließt das Leben, das in Unitas, Aequalitas und Nexus besteht, und es ist auch der Ursprung der Räumlichkeit. Die Räumlichkeit ist die geometrische Variante der Trinität. Zugrunde liegt die Idee, die Dimensionen des Raumes seien die Entfaltung (explicatio) des unbestimmten Einen,29 das sich zunächst geometrisch als Punkt bestimmt 30 (complicatio) und sich dann in Zehnerpotenzen in die Dimensionen des Raumes entfaltet (explicatio):31 Die 10 bedeutet die Linie, die 26 27 28

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Nikolaus von Kues: Der Laie über den Geist/Idiota de mente (Philosophische Bibliothek Bd. 432), lat.-dt., neu übers. u. mit Anm. hrsg. v. R. Steiger, Hamburg 1995, c. VI n. 88. Ebd., c. VI n. 89. Nicolai de Cusa: Directio speculantis seu de non aliud, hrsg. v. L. Baur u. P. Wilpert, Leipzig 1944, n. 19: Qui vero unitatem, aequalitatem et nexum Trinitatem nuncupant proius accederent, si termini illi sacris in literis reperirentur inserti. Übersetzung nach Nikolaus Cusanus: Philosophisch-theologische Schriften (wie Anm. 18) 464. Vgl. ders.: Mutmaßungen/De coniecturis (wie Anm. 17) p. I, c. VII, De tertia unitate. Ders.: Der Laie über den Geist/Idiota de mente (wie Anm. 26) c. IX n. 116: Quomodo mens mensurat faciendo punctum, lineam et superficiem. Ders.: De coniecturis p. II, c. VII.

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100 die Fläche, die 1000 den Raum; und damit erfüllt sich die Zahlenordnung der Weltwerdung.

VII. Leibniz: Cur potius aliquid quam nihil Monotheismus ist für Leibniz ein ganz zentrales, nicht nur theologisches, sondern metaphysisches Problem. Es lässt sich bei der Rede von Gott das Verknäueln von metaphysischen, logischen und theologischen Fragen gar nicht vermeiden. Leibniz ist, wie überhaupt, so auch in diesem Punkt, ein radikaler Idealist. Er geht davon aus, dass die wesentliche Realität die der Ideen ist. Was also bedeutet Ratio? Für Leibniz ist Ratio dasselbe wie Denkmöglichkeit, bzw. die Möglichkeit, gedacht werden zu können. Diese Denkmöglichkeit kann beschrieben werden als Kompossibilität von Prädikaten eines Dings. D. h.: ein Ding ist dann möglich, wenn bei einem Denkgegenstand die vorkommenden Prädikate a b c etc. nicht zugleich negiert werden. Unmöglich ist mithin ein Ding, das die Prädikate a b c –c hätte32. Diesen logischen Möglichkeitsbegriff unterscheidet Leibniz vom metaphysischen, der Kontingenz. Kontingent ist das, was sowohl existieren als auch nicht existieren kann. Auch diese Definition, die ursprünglich von Avicenna stammt, ist ein Topos der skotistischen Schulmetaphysik. Das Argument lautet: Dasjenige ist möglich, dem es nicht widerspricht, nicht zu sein (cui non repugnat esse).33 Mit diesem zweiten, metaphysischen Möglichkeitsbegriff wird zugleich das Verhältnis von Sein und Nichts (oder nicht-Sein) umfasst; und insofern ist dieser Begriff von Möglichkeit der umfassendste metaphysische Begriff, denn er umfasst Sein und Nichts. Sein und Nichts stehen in einem logischen und zugleich metaphysischen Zusammenhang: beide negieren einander. Leibniz hat eine ähnliche Logikkonzeption wie Avicenna und ordnet die Modalbegriffe wie folgt 34: Möglich ist, was keinen Widerspruch impliziert. (Das ist der logische Möglichkeitsbegriff.)

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33 34

Vgl. G. W. Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe. Reihe 6. Philosophische Schriften. Bd. 4. 1677−Juni 1690. Teil B, hrsg. v. der Leibnizforschungsstelle der Universität Münster, Berlin 1999, 1634 f., Nr. 314 [= Leibniz, Sämtliche Schriften]. S. o. das Kapitel zu Scotus. Leibniz, Sämtliche Schriften (wie Anm. 32) Teil A, 865, Nr. 1822: POSSIBILE est quod non implicat contradictionem, CONTINGENS quod esse non implicat contradictionem. IMPOSSIBILE quod implicat. NECESSARIUM quod non esse implicat contradictionem (Hervorhebung im Original).

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Kontingent ist, dessen Nicht-Sein keinen Widerspruch impliziert. (Das ist der metaphysische Möglichkeitsbegriff.) Unmöglich ist, was einen Widerspruch impliziert. (Der logische Möglichkeitsbegriff, negiert.) Notwendig ist, dessen Nicht-Sein einen Widerspruch impliziert. (Der metaphysische Möglichkeitsbegriff, negiert.) Es gab nun zwei Wege, die Möglichkeitsbegriffe aufeinander zu beziehen. Der eine bestand darin, danach zu fragen, welchen metaphysischen Status denn der logische Möglichkeitsbegriff hatte – und dann konnte die Antwort nur sein: Der Begriff Möglichkeit ist denknotwendig. In diesem Sinne hatte die Rationalität eine notwendige Existenz, denn die logischen Gesetze kennen keinen Anfang und kein Ende, sie sind ohne Zeitindex. Zum Zweiten bleibt aber die Frage nach dem Begriff der Existenz. Scotus kennt den Unterschied zwischen dem Ens rationis und dem Ens reale, zwischen Gedankending und Realding. Beide haben eine – wenngleich verschiedene – Existenz. Es ist evident, dass die notwendige Existenz der Logik eine Denk-Existenz ist. Dieses Ens rationis – cuius non esse implicat contradictionem – ist keine Chimäre, sondern verbindliche, notwendige Existenz, durch die das Denken und die Realität gleichermaßen grundgelegt werden. Diesen Prozeß beschreibt Leibniz knapp so: Ens necessarium est existificans; und er kommt allein dem Gottesbegriff zu. Dieser Begriff erinnert sehr an das possest bei Nikolaus von Kues. Die Ratio, weshalb eher etwas als nichts ist, muss also, stellt Leibniz fest, in einem realen Seienden als in seinem Grunde (causa) liegen. Dieses reale Seiende hat eine begriffliche Existenz, die notwendig ist, weil das, was möglich war, sich in ihm realisiert hat. Diese Realisierung des Möglichen muss über den logischen Möglichkeitsbegriff hinaus die Wirklichkeit des Möglichen bewirken – also die Kausalität für die Verwirklichung ausmachen. Diese Fähigkeit zur Selbstverwirklichung schreibt Leibniz Gott zu: Est scilicet ens illud ultima ratio rerum, et uno vocabulo solet appellari Deus. Gott wird hier nicht in seiner Selbstkonstitution beschrieben, sondern als existierender erster Grund. Est ergo causa cur Existentia praevaleat non-Existentiae, seu Ens necessarium est existificans.35 Wenn dieser erste Grund selbst möglich sein soll, muss er widerspruchsfrei sein. Das ist für Leibniz kein Problem der Metaphysik des Einen und seiner henologischen Dialektik, die der Liber de Causis aufgezeigt hatte, son-

35

G. W. Leibniz, Die Philosophischen Schriften, Bd. 7, 2. Abteilung, hrsg. v. C. I. Gerhard, Hildesheim 1961, Nr. 3,4, 289.

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dern der Frage nach der Möglichkeit der Kompossibilität göttlicher Prädikate. Leibniz legt deshalb das cur des cur potius aliquid quam nihil zunächst nach dem Satz des Widerspruchs aus. Es geht nicht um die Einheit und Denkbarkeit des Ersten als Prozess, sondern dieses Erste wird als ein Gedankending, als Ens rationis aufgefasst. Vorausgesetzt wird ein Begriff des Ganzen, das die Einheit seiner Teile ist, nicht eine unbestimmte Einheit als Bedingung der bestimmten. Die wesentlichen Gottesprädikate sind Perfektion, Allwissen, Allmacht, Weisheit, Gerechtigkeit, Güte, Liebe. Damit sind kategoriale Begriffe eingeführt, die über die Modallogik und Modalmetaphysik weit hinausgehen. Sie werden dem Gottesbegriff zugesprochen; und es geht nun darum, ob ihre Widerspruchsfreiheit bewiesen werden kann. Wenn ein solcher Beweis möglich ist, hat Gott die logische Existenzform des Möglichen. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, einen Begriff zu finden, der die Bedeutungen Allwissen, Allmacht, Güte und Liebe als kompossibel vereinigt. Leibniz’ Lösung ist sein Begriff der göttlichen Gerechtigkeit, den er als Caritas sapientis definiert. Diese Definition von Gerechtigkeit ermögliche es, alle göttlichen Prädikate widerspruchsfrei zu vereinigen. Wenn aber Gott möglich sei, stellt er fest, dann sei er auch notwendig. Dieses Argument gilt, weil die göttlichen Prädikate selbst keinen Raum- und Zeitindex haben und folglich ewig sind. Dann ist Gott die widerspruchsfreie Einheit seiner Prädikate. Die Frage danach, worin seine Dynamik besteht, stellt sich nicht; es geht nicht um sein Werden, sondern um sein Sein. Gott ist also ein notwendiges, widerspruchsloses Ens rationis. Allerdings ergibt sich nun die Schwierigkeit, wie Gottes Sein zur Handlung komme, wie also die Schöpfung begründet werden könne; denn dass Gott der Existenzgrund der extramentalen Welt sei, war für Leibniz ausgemacht. Wie muss man sich also die Schöpfung vorstellen? Diese „Gott“ genannte Substanz stellt sich nun etwas vor, das gilt im genauen Sinn des Wortes: Sie stellt etwas vor sich selbst, was sie nicht ist. Damit kommt ein neuer, systematisch nicht abgeleiteter Begriff auf, nämlich der der göttlichen Tätigkeit. Diese Tätigkeit produziert zunächst eine geistige Schöpfung, einen Plan. Hier denkt sich Gott nicht selbst, aber dennoch ist der Plan seiner und darf von ihm nicht völlig verschieden sein. Die Inhalte des Plans haben am Göttlichen Anteil, weil Gott ihn denkt. Diese Teilhabe nun macht es aus, dass der Plan die göttlichen Prädikate enthalten muss. Er muss also perfekt im Sinne von moralisch gut und widerspruchsfrei sein. Die Perfektion der Welt hat Leibniz mit seiner genialen Formel „beste aller möglichen Welten“ gefasst. Dieses Konzept setzt voraus, dass die möglichen, präkonzipierten Welten zahlreicher sind als die wirklichen; und dass aus den logisch möglichen – d. h. widerspruchsfrei denkbaren – Welten die beste realisiert wird. Das ist die Ratio sufficiens der Existenz der Welt. Wenn Gott die

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Welt schaffen will, dann schafft er die beste aller möglichen Welten. In diesem Sinne ist Gott dann die Ursache der Welt und eines jeden Wesens, das in seiner Möglichkeit gedacht war und als perfektes selbst zur Existenz drängt – denn Gott, dessen Prädikate Allmacht, Allwissen und Güte sind, ist wegen dieser Prädikation geradezu gezwungen, das beste Mögliche wirklich zu machen. Diesen Drang zur Existenz, der Avicennas vehementia essendi neu fasst, nennt Leibniz existiturire36. Mit der Formel der „besten aller möglichen Welten“ wird dieser Drang des existiturire genauer qualifiziert: Nicht die Möglichkeit als solche, sondern die beste aller Möglichkeiten drängt zur Existenz. Diese Spekulation ist freilich theologisch auch wieder nicht ohne Risiko: Auch wenn er Avicennas Möglichkeitsbegriff korrigiert und die realisierte Welt als die beste mögliche fasst, ist Leibniz die Schwierigkeit nicht los, die schon Duns Scotus mit Avicenna hatte: Die Teilhabe der Welt an den göttlichen Prädikaten, d. h. die Univozität der geschöpflichen und der göttlichen Begriffe macht es unausweichlich, dass der gute Gott die beste mögliche Welt aus sich entlässt. Er hat als liebender Gott („Liebe ist die Freude am Glück des andern“ 37) auch gar keine Chance, etwas anderes zu machen. Er muss die beste Welt „schaffen“, weil er ein liebender Gott ist; und der muss die beste Welt schaffen, weil er ein guter Gott ist. Die Rede von der „Wahl“ der besten aller möglichen Welten ist deshalb eher erbaulicher Natur. Aber vielleicht spricht es gar nicht gegen die Philosophie, wenn sie sowohl scharfsinnig als auch erbaulich ist.

Literatur Quellen Anonymus: Liber de causis. Das Buch von den Ursachen. Hrsg. u. übers. von A. Schön, Hamburg 2003. Aristoteles’ Metaphysik: griech.-dt., in d. Übers. v. H. Bonitz, neu bearb., mit Einl. u. Kommt. hrsg. v. H. Seidl, griech. Text in d. Edition v. W. Christ, Hamburg, 2. verbesserte Aufl. 1982. 36

37

Ebd.: (4) Est ergo causa cur Existentia praevaleat non-Existentiae, seu Ens necessarium est existificans. (5) Sed quae causa facit ut aliquid existat, seu ut possibilitas exigat existentiam, facit etiam ut omne possibile habet conatum ad Existentiam, cum ratio restrictionis ad certa possibilia in universali reperiri non possit. (6) Itaque dici potest Omne possibile Existiturire, prout scilicet fundatur in Ente necessario actu existente, sine quo nulla est via qua possibile perveniret ad actum. Vgl. Definition aus Leibniz’ Confessio philosophi, in: G. W. Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe. Reihe 6. Philosophische Schriften, Bd. 3, 1672–1676, hrsg. v. der Leibnizforschungsstelle der Universität Münster, Berlin 1980, 116: AMARE autem? […] Felicitate alterius DELECTARI. (Hervorhebung im Original)

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Avicenna Latinus: Liber de Philosophia Prima Sive Scientia Divina I–IV. Édition critique de la traduction latine médiéval par S. van Riet, Louvain– Leiden 1977. Dionysiaca. Recueil donnant l’ensemble des traductions latines des ouvrages attribués au Denys de l’Aréopage, Brügge 1937 [ND in vier Bänden mit einem Nachwort von M. Bauer, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989]. Duns Scotus: On Will and Morality, hrsg. v. A. B. Wolter, Washington 1986. Frank, W. A.: John Duns Scotus’ Quodlibetal Teaching on the Will, Ph. D. dissertation, Washington D.C.: Catholic University of America 1982. Honnefelder, L.: Die Lehre von der doppelten Ratitudo Entis und ihre Bedeutung für die Metaphysik des Johannes Duns Scotus, in: Deus et Homo ad mentem I. Duns Scoti, Acta Tertii Scotistici Internationalis Vindenonae 1970 (Studia Scholastico-Scotistica Bd. 5), 1972, 661–671. Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d. 3 (Opera omnia Bd. 3), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1954. Ioannis Duns Scoti: Ordinatio I, d. 26–48 (Opera omnia Bd. 6), ed. by C. Balić et alii, Città del Vaticano 1963. Leibniz, G. W.: Philosophische Schriften (Sämtliche Schriften und Briefe, Reihe 6), hrsg. v. der Leibnizforschungsstelle der Universität Münster, Bd. 3: 1672–1676, Berlin 1980, Bd. 4: 1677–Juni 1690, Teil B, Berlin 1999. Lucretius Carus, T.: De rerum natura Bd. 1 (L. I–III), Neapel 2002. More, H.: Opera philosophica, Bd. 2,1, London 1679 [ND Hildesheim 1966]. Nicolai de Cusa: Directio speculantis seu de non aliud, ed. L. Baur/P. Wilpert, Leipzig 1944. Nicolai de Cusa; De deo abscondito. Opuscula I. Opera omnia IV, ed. P. Wilpert, Hamburg 1959. Nicolaus von Kues: Über den Ursprung/De principio (Philosophische Bibliothek Bd. 487), neu übers. u. hrsg. v. K. Bormann, Hamburg 2001. Nikolaus von Kues: Der Laie über den Geist/Idiota de mente (Philosophische Bibliothek Bd. 432), neu übers. und mit Anm. hrsg. v. R. Steiger, Hamburg 1995. Nikolaus von Kues: Dreiergespräch über das Können-Ist/Trialogus de posset (Philosophische Bibliothek Bd. 285), neu übers. und mit Anm. hrsg. v. R. Steiger, Hamburg 1973. Nikolaus von Kues: Mutmaßungen/De coniecturis (Philosophische Bibliothek Bd. 268), übers. und mit Einf. u. Anm. hrsg. v. J. Koch u. W. Happ, Hamburg 1971. Nikolaus von Kues: Philosophisch-theologische Schriften, Bd. 2, hrsg. v. L. Gabriel/W. Dupré, Wien 1964. Philo von Alexandrien: De Opificio mundi, hrsg. v. L. Cohn, Berlin 1896.

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381

Proclus: The Elements of Theology, hrsg. u. übers. v. E. R. Dodds, Oxford 1992. Ps.-Dionysius Areopagita: De Theologia Mystica. Corpus Dionysiacum II, hrsg. v. A. M. Ritter, Berlin–New York 1991.

Register 1. Stellenverzeichnis* Albertus Magnus Commentarii in I Sententiarum 25 d. 8 a. 24, 253 176 26 d. 46 a. 14, 449 f. 180 De causis et processu universitatis a prima causa I tr. 1 c. 9, 17 f. 165 II tr. 1 c. 17, 80 ff. 162, 164, 166 f., 172, 185, 187 II tr. 1 c. 18, 82 ff. 168 f. II tr. 1 c. 23, 88 160 II tr. 3 c. 4, 143 169 II tr. 5 c. 24, 191 157 II tr. 5 c. 24, 192 159 De praedicabilibus I 70 b 220 Logicae secunda pars l. I tr. 1 c. 16, 60 174 Metaphysica I tr. 1 c. 1, 2 f. 161, 177 I tr. 1 c. 2, 3–5 141, 158–160, 162, 171, 177, 184 f. Physica I tr. 1 c. 1, 48 f. 156 Super Dionysium de divinis nominibus c. 1 n. 4, 2 f. 175 c. 1 n. 57, 35 181 c. 5 n. 1, 303 178 c. 5 n. 3, 304 180 c. 5 n. 4, 305 181, 182, 187 c. 5 n. 20, 314 159, 164, 175 f., 183

Summa de mirabili scientia Dei I tr. 6 q. 26 c. 1, 182 181 Super Dionysium mysticae theologiae c. 1, 458 f. 178, 185 f. Alexander von Aphrodisias In Aristotelis Metaphysica commentaria 236,6 f. 55 236,9 57 Anselm von Canterbury Monologion 15 235 Anonymus Liber de causis 57 366 161 f. 268 Aristoteles Analytica posteriora I 1.71 a 1–11 140 I 2.71 b 9–12 221 I 3.72 b 23–25 216 I 4.73 a 34–b 3 228 I 4.73 b 16 229 I 4.73 b 32 f. 225 I 7.75 a 42 142 I 7.75 b 8–9 145 I 9.76 a 11–15 145 I 18.81 a 37–39 216 I 28.87 a 38 f. 221 II 13.97 b 37–39 260

* Im Stellenverzeichnis sind die Autoren alphabetisch angeordnet. Die mittelalterlichen Autoren einschließlich der arabischen und jüdischen sind nach dem Vornamen eingeordnet. Für die Ausgaben der Texte wird auf die Literaturverzeichnisse zu den einzelnen Beiträgen verwiesen.

384 Categoriae 4.1 b 25–27 47 5.2 a 11 ff. 312 5.2 b 30 47 5.3 b 10 54 5.3 b 19 264 5.3 b 10–21 56 5.3 b 13–16 53 5.3 b 16–18 56 5.3 b 18–21 73 De anima II 2.413 a 22–25 270 II 4.415 b 13 270 III 3 322 III 6.430 a 27–b 6 216 III 7 431a 16; 432a 8–9 319 De interpretatione 1.16 a 5–6 47 7.17 a 38–b 1 50 7.17 a 40 58 De sophisticis elenchis 22.178 b 37 73 22.178 b 38 f. 53 Metaphysica Buch Α 1.980 a 1 109 1.981 b 28–982 a 3 29 2.982 a 4 27 2.982 a 5–10 213 2.983 a 21 27 3.983 b 6–18 33 3.984 b 10 f. 27 3.984 b 18 f. 27 9.991 a 21 f. 260 10.993 a 13–15 27 10.993 a 15 f. 27 Buch Β 1.995 b 5 f. 31 2.998 b 22 142 4.996 a 29–32 276 6.1003 a 5–17 51 6.1003 a 9 53 Buch Γ 1 82 1.1003 a 21 142 1.1003 a 21 f. 213, 260, 287

Register 1.1003 2.1003 2.1003 2.1004 2.1004 2.1005 3.1005 3.1005

a 31 31 a 33 32, 143, 261 b 20–22 309 a 8–22 32 b 5 f. 246 a 16–18 32 b 14 30 b 23 f. 325

Buch Δ 1.1013 a 17–19 30 7.1017 a 7 ff. 261 7.1017 a 27–30 263 8.1017 b 14–16 36 8.1017 b 24 f. 61 11 30 26.1023 b 27–1024 a 10

367

Buch Ε 1.1025 b 25–1026 a 32 261 1.1026 a 18 f. 287 1.1026 a 21 143 1.1026 a 29–32 31, 364 2.1026 a 33–34 261 4.1027 b 25–27 276 Buch Ζ 1.1028 a 10 261 1.1028 a 13–15 312 1.1028 a 29–34 223 1.1028 a 29–b 2 53 1.1028 a 32 f. 30 1.1028 b 2–4 260 1.1028 b 3–7 33 3.1029 a 26–30 68 3.1029 a 27 33 3.1029 a 27–30 61 4.1030 a 6 f. 61 4.1030 a 12 34 5.1031 a 12 61 6.1031 a 15 f. 34 6.1031 b 3 f. 34 6.1031 b 14 34 7.1032 a 12–14 364 7.1032 a 19 35 7.1032 b 1 f. 61 8.1033 b 19–26 66 8.1033 b 21 f. 53 8.1034 a 7 f. 61 10.1035 a 18 f. 62 10.1035 a 33 62

385

1. Stellenverzeichnis 10.1035 10.1035 11.1036 11.1036 11.1037 13.1038 13.1038 13.1039 13.1039 15.1040 16.1040 16.1041 17.1041 17.1041

b 27–31 64, 66 b 32 61 a 28 f. 61 b 11 62 a 29 f. 35 b 8 f. 54 b 35 54 a 1 f. 53 a 15 f. 53 a 5–7 61 b 23 54 a 4 54 b 4–9 62 b 28 36

Buch Η 1.1042 a 7 f. 35 2.1043 a 5 f. 62 3.1043 b 21 f. 35 6.1045 b 17–19 69 Buch Θ 6.1049 a 34–36 62 7.1049 a 35 61 8.1050 a 4–8 225 8.1050 b 2 f. 35 8.1050 b 22–24 36 10.1051 b 3–6 364 Buch Ι 2.1053 b 16 f.

54

Buch Λ 3.1070 a 11 f. 61 6.1071 b 19 f. 262 6.1071 b 20 f. 37 6.1072 a 7 f. 37 7.1072 b 26–30 270 7.1072 b 28 37 10.1075 a 25 f. 37 10.1075 a 37 37 Buch Μ 5.1079 b 24–26 260 10.1087 a 10–25 53 Physica I 1. 184 a 21–22 227 IV 2. 209 b 11–12 257 Politica I 4.1254 a 7

274

Ethica Nicomachea X 8.1178 b 21–23; 25–26

270

Topica I 9.103 b 20–21 73 VI 2.139 b 34 f. 260 al-Fārābī Risālah li-l-muʿallim aṯ-ṯānī fī gˇawāb masāʾil suʾila ʿanhā (Die Antworten des Zweiten Lehrers auf einige an ihn gerichteten Fragen) 90 90 Kitāb iḥsāʾ al-ʿulūm (Über die Wissenschaften) 87 134 f. Avicenna (Ibn Sīnā) Kitāb aš-šifāʾ (Buch der Heilung) al-Manṭiq (Logik) I. al-Madḫal (Isagoge) I 1, 9.17–10.4 85 I 2, 15.9–12 96 II. al-Maqūlāt (Kategorien) I 2, 10.13–16 88 I 2, 11.5–7 88 II 1, 59.6–61.4 97 V. al-Burhān (Zweite Analytik) I 1, 53.15–18 100 I 6, 77.1–5 85 II 7, 165.3–10 85, 94 II 10, 184.3–7 85 II 10, 184.7 87 al-ʾIlāhīyāt (Metaphysik) I 1, 5.1–3 84 I 1, 5.16–8.18 87 I 1, 7.3–6 86 I 2, 10.17–11.2 83 I 2, 12.11–13.19 87 I 2, 12.12–14 97 I 2, 13.8–10 97 I 2, 13.14–16 87 I 2, 13.16–19 88, 91 I 3, 21.1–8 93 I 5, 29.5–16 89, 97 I 5, 31.5–9 88

386 I 5, 31.10–32.5 90 I 5, 31.12–13 90 I 5, 32.6–33.11 90 I 5, 34.1–10 90 I 5, 35.3–36.6 91 I 8, 54.9–15 97 V 1, 196.10–13 91 at-Taʿlīqāt (Anmerkungen) 20.23–21.2 99 29.20 86 34.9–11 95 34.17–22 95 35.5–8 96 107 99 116.23–25 100 161 99 aṭ-Ṭabīʿīyāt (Physik) I. as-Samāʿ aṭ-ṭabīʿī (Physikvorlesung) IV 15, 329–333 85 Liber de philosophia prima sive scientia divina I 1, 1.5 140 I 1, 2.15 136 I 1, 3.24 137 I 1, 3.35–37 84 I 1, 4.58–8.39 87 I 1, 5.40 367 I 1, 5.91–6.97 86 I 2, 10.72–77 83 I 2, 12.11–13.46 87 I 2, 12.14–18 97 I 2, 12.30–32 97 I 2, 13.38–41 87 I 2, 13.42–46 88, 91 I 3, 23.29–24.41 93 I 5, 31 213 I 5, 31.2–32.19 89, 97 I 5, 34.54–35.61 88 I 5, 35.62–36.83 90 I 5, 35.66–67 90 I 5, 36.84–38.14 90 I 5, 38.23–39.39 90 I 5, 40.54–41.82 91 I 8, 63.4–64.14 97 V 1, 228.32–229.38 91 VIII 4, 402 234

Register Šarḥ kitāb ḥarf al-lām (Kommentar zu Buch „Lambda“ [Metaphysik]) 23.21–24 85 Šarḥ «Kitāb ʾuṯūlūgˇīyā» al-mansūb ʾilā ʾArisṭū (Kommentar zur „Theologie des Aristoteles“) 60.18–19 92 61.16–22 92 The Life of Ibn Sīnā 32.1–34.4 84 Boethius Commentarii in librum Aristotelis ΠΕΡΙ ΗΕΡΜΕΝΕΙΑΣ I, 11 133 I, 5 133 II, 5 133 De topicis differentiis IV 138 De Trinitate II 134 In Categorias Aristotelis III 133 In Isagogen Porphyrii commenta I, 3 133 Clarembald von Arras Tractatus super librum Boethii De Trinitate II, 16 134 Dominicus Gundissalinus De divisione philosophiae 54 132 68 136 74 139 98–100 142 100 140, 144 102 137 152 139 244 147 244–246 148 Gilbert von Poitiers Expositio in Boethii librum De Trinitate II, 9 134

387

1. Stellenverzeichnis Heinrich von Gent Quodlibetum XI q. 11 220 Summa Quaestionum Ordinariarum a.7, q. 6 ad 3 243 Johannes Buridanus Kommentar zur Aristotelischen Metaphysik l. IV, q. 5, f. 15 vb–16 va 308 l. IV, q. 5, f. 16 ra 308 f. l. IV, q. 5, f. 16 ra–b 309 f. l. IV, q. 6, f. 16 va–17 vb 312 l. IV, q. 6, f. 17 ra 312 l. IV, q. 6, f. 17 ra–b 313 l. IV, q. 6, f. 17 rb 314 f. l. IV, q. 6, f. 17 rb–va 315 l. IV, q. 6, f. 17 va 314–317 l. IV, q. 7, f. 18 ra 310 l. IV, q. 9, f. 19 vb–20 ra 317 l. IV, q. 12, f. 21 va–b 325 l. IV, q. 12, f. 21 vb 326 l. IV, q. 12, f. 23 ra 326, 328 f. l. V, q. 6, f. 29 vb–30 ra 317 Quaestiones de anima l. II, q. 26, 643 320 f. l. II, q. 26, 643 f. 321 l. II, q. 26, 644 322 l. II, q. 27, 648 322 Quaestiones in Praedicamenta q. 13, 96 311 q. 3, 19 316 Johannes Duns Scotus Collatio 13, § 3 226 24, § 21 229 In Categorias §§ 48 f. 221 Lectura I, Prologus § 97 225 d. 3 § 21 231 §§ 21–25 232 § 29 232 f. §§ 70–81 225

§ 85 § 97 § 98 § 99 § 110

226 226 226 226 236

d. 8 § 108

235

Ordinatio Prologus §§ 193 f. 225 § 200 225 d. 3 § 26 231 §§ 26–55 232 § 38 233, 235 § 39 232 §§ 49–61 225 § 55 227 § 71 227 §§ 71–94 225 § 73 228 § 80 227 § 81 228 § 83 227 §§ 94–98 226 § 129 226 § 131 229 f. §§ 134–136 229 § 135 235 § 137 230 § 139 236 § 262 370 d. 8 § 78 235 § 83 251 §§ 100–109 § 111 234 § 112 233 §§ 112–115 § 114 234 §§ 136–140 §§ 199–203 §§ 221–223 d. 36 § 61 250

229

233 229 229 229

388

Register

d. 43 § 5 250

§§ 160–161 § 161 245

d. 44 § 7 370

l. I, q. 4 § 11 214 f. § 12 216 § 13 216 § 14 216 § 16 216 § 17 216 § 18 216 § 20 217 §§ 22–23 217 § 37 217 § 45 217 § 46 217 § 79 218

Quaestiones de cognitione Dei 379 238 Quaestiones in librum Porphyrii Isagogè q. 8, § 28 247 Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis Prologus § 16 213 § 17 213 § 18 213 § 19 214 § 21 213 l. I, q. 1 § 1 223 § 13 223 §§ 34–35 223 § 59 243 § 68 223 § 70 223 § 71 223 § 76 223 § 84 223 § 103 238 § 104 239 § 105 239 § 108 239 § 109 239 § 110 239 § 119 238 § 132 240 § 134 240 § 135 237 § 136 238, 241 § 137 241 § 140 241 § 142 243 § 149 242 § 150 238, 242 § 152 242 § 153 239, 242 § 155 244 § 159 244 f.

244

l. IV, q. 1 § 70 220 l. VI, q. 1 §§ 39–40 221 § 47 246 l. VI, § 10 § 38 § 41

q. 4 225 221 221

Quaestiones super librum elenchorum Aristotelis q. 15–16 231 Quaestiones super Praedicamenta Aristotelis q. 4, § 38 220 q. 4, § 49 222 Quaestiones super secundum et tertium De anima q. 16, § 27 227 q. 21, §§ 6–7 236 Quodlibeta VII § 33 237 XVI § 30 370 XVI § 32 370 Reportatio I Prologus q. 1, §§ 9–13 218 q. 3, § 215 225 q. 2, § 157 149

389

1. Stellenverzeichnis Reportatio III d. 27, n. 6 249

66, 123 278 82, 425 f. 278

Robert Kilwardby De ortu scientiarum c. 32 148

Prologus generalis in Opus tripartitum n. 8, 153 268 f. n. 12, 156 262 n. 13, 158 273

Lukrez De rerum natura l. II, 287 364 Meister Eckhart Expositio libri Exodi n. 10, 15,14 258 n. 54, 58,3 265 Expositio libri Genesis I n. 78, 240 270 Expositio libri Sapientiae n. 20, 341 261 n. 22, 343 278 n. 255, 587 260 n. 270, 600 270 n. 289, 623 270 Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem n. 61, 51 270 n. 62, 51 278 n. 63, 53 275 n. 136, 116 270 n. 139, 117 270 n. 141, 118 270 n. 291, 244 270 n. 294, 244 270 n. 341, 290 270 n. 426, 361 270 n. 443, 380 261 n. 444, 380 261 n. 500, 431 270 f. n. 545, 477 270 n. 679, 593 270 n. 681, 595 270 Liber parabolarum Genesis II n. 2, 451 260 II n. 42, 509 260 II n. 103, 368 270 Predigten 8, 129–130 277 8, 134 268

Prologus in Opus propositionum n. 1, 166 262 n. 2, 166 264 f. n. 5, 168 261 n. 11, 171 267 n. 25 266 Quaestiones parisienses I n. 6, 43 276 Responsio ad articulos sibi impositos I n. 115, 288 f. 268 f. Sermones II, 2 n. 15, 17 270 XVII, 4 n. 174, 165 270 XVII, 5 n. 179, 167 278 XVII, 5 n. 179, 167 f. 270 XVII, 6 n. 179, 167, 11 ff. 278 XXXI, 5 n. 323 f., 283 278 LIV, 1 n. 528, 445 270 Sermones et lectiones super Ecclesiastici n. 2, 232 270, 278 n. 44, 273 269 n. 68, 298 270 Nikolaus von Kues Compendium c. II n. 5 340 c. IV n. 8 f. 341 c. XI n. 36 348 De beryllo c. VI n. 7 357 c. XXXIII n. 56

355 f.

De coniecturis p. I c. V n. 19 f. 349 p. I c. V n. 21 372 p. I c. VII 375 p. I c. XI n. 55 337 p. I c. XI n. 56 338 p. I c. XI n. 57 335 f., 354

390 p. p. p. p.

II II II II

Register c. c. c. c.

II n. VII XVI XVI

80 356 375 n. 157 342 n. 161 343

Petrus Hispanus Tractatus 17 197 23 193

De deo abscondito c. 9, 8–11 372

Platon Phaidon 79a 33

De docta ignorantia l I c. I n. 2 349, 360 l I c. XLV n. 32 355

Sophistes 254D 142

De non aliud n. 19 375 De principio n. 9 373 De venatione sapientiae c. IV n. 9 f. 353 c. V n. 11 355 Idiota de mente c. II n. 66 343 c. II n. 67 344 c. IV n. 77 334 c. IV n. 77 f. 334 c. V n. 82 357 c. VI n. 88 375 c. VI n. 89 350, 375 c. VI n. 96 350 c. VII n. 97 350 f. c. VII n. 102 351, 353 c. VII n. 103 355 c. VII n. 105 355 f. c. VII n. 105 f. 357 c. VII n. 107 347,352 c. VIII n. 108 f. 354 c. IX n. 116 375 c. IX n. 122 351, 353 c. XI n. 134 344, 346 c. XI n. 134 f. 345 c. XI n. 135 345 c. XI n. 137 346 c. XI n. 138 347 Trialogus de possest n. 24 374 n. 27 374 n. 36 374

Timaios 50b–e 257 Thierry von Chartres Commentum in Ciceronis librum De inventione 49 138 Commentum super Boethii librum De Trinitate II, 27, 163 134 II, 27–38, 163–167 138 Thomas von Aquin De ente et essentia c. 3 198 c. 5 208 Expositio libri Boetii de ebdomadibus II 22 198, 200 II 24 198 II 32 201 II 33 201 II 35 201 In quattuor libros sententiarum I 43. 1.1–2 193 Quaestiones disputatae de potentia q. 1 a. 5 193 q. 7 a. 5 197 Quaestiones disputatae de veritate q. 24 a. 3 c. 193 Summa I c. 14 I c. 28 I c. 30 I c. 38 I c. 80

contra gentiles 197 269, 277 203 201 195

1. Stellenverzeichnis I c. 88 I c. 93 II c. 23 II c. 23,

195 278 193 26–27

193

Summa theologiae I q. 3 prol. 195 I q. 3 a. 1–2 192 I q. 3 a. 2 ad. 3 196 I q. 3 a. 3 192 I q. 3 a. 6 192 I q. 4 a. 1 ad. 3 269 I q. 4 a. 2 ad. 3 275, 277 I q. 4 a. 3 269, 277 I q. 9 a. 1 192 I q. 10 a. 1 192 I q. 13 a. 1 ad. 2 203 I q. 13 a. 9 ad. 2 202 I q. 19 a. 10 193 I q. 25 a. 5 corp. 193 II q. 85 a. 3 227 Wilhelm von Ockham Expositio in libros artis logicae prooem. 6 289 Expositio in libros physicorum Aristotelis Prologus § 4, 14 286 l. I c. 1, 5 f. 286 l. I c. 1, 10 286 l. I c. 18, 208 289 l. II c. 4, 269 289 l. II c. 11, 354 ff. 289 Expositio in librum perihermenias Aristotelis l. I prooem., 349 286 Ordinatio Prologus q. 1, 8 f. 286 q. 1, 16 302 q. 1, 22 ff. 302 q. 1, 38 303 q. 2, 116 f. 298 q. 12, 325 ff. 287 q. 12, 365 287 q. 12, 335 ff. 287 Distinctiones 2–3 d. 2 q. 1, 10 286 d. 2 q. 4, 118 295

d. 2 q. 4, 137 290 d. 2 q. 7, 251 f. 286 d. 2 q. 7, 255 f. 286 d. 2 q. 7, 271 f. 297 d. 2 q. 8, 291 297 d.2 q. 9, 317 288 d. 2 q. 10, 354 ff. 301 d. 3 q. 1, 389 288 d. 3 q. 4, 432 ff. 287 d. 3 q. 9, 543 287 d. 3 q. 9, 548 287 d. 3 q. 10, 552 ff. 287 d.2 q. 10, 553 288 Distinctiones 19–48 d. 27 q. III, 250 f. 304 Quodlibeta II q. 5, 16, 135 302 V q. 15, 5, 542 289 V q. 22, 13, 564–569 298 VI q. 6, 18, 604–607 303 Reportatio l II q. XIII, 280 f. 303 l II q. XII–XIII, 259 f. 303 Summa logicae p. I c. 11, 38 301 p. I c. 11, 40 295 p. I c. 11, 42 f. 297 p. I c. 12, 43 f. 295 p. I c. 13–14, 44–48 299 p. I c. 14, 49 291 p. I c. 17, 59 f. 289 p. I c. 18, 63 f. 293 p. I c. 22, 71 ff. 296 p. I c. 26, 86 f. 289 p. I c. 32/33, 95 f. 293 f. p. I c. 40, 113 297 p. I c. 41, 114 298 p. I c. 41, 116 f. 298 p. I c. 43, 131 302 p. I c. 44, 134–138 299 f. p. I c. 49, 154 292 p. I c. 49, 155 295 p. II c. 14 294 p. III c. 3, 365 301

391

2. Namenregister* Abraham ibn Daud 113 f. Abraham ibn Ezra 111 Abu Hamid Muhammad ibn Muhammad al-Ġazālī 112, 117, 131 f. ʿAḍ ud ad-Dīn al-Īgˇī 81 Aertsen, Jan Adrianus 158, 160–163, 167, 172 f., 179, 213, 310 Albert, Karl 259, 265 Albertus Magnus 10 f., 18, 81, 110, 120, 141, 155–161, 163–187, 211, 220, 224, 270, 274, 276, 279 Ali ibn Muhammad al-Qūšgˇī 81 Ali ibn Muhammad as-Sayyid aš-Šarīf al-Guˇrgˇānī 81 An-Narāqī, Muḥammad Mahdīy b. ʾAbī Ḏarr 81 Anselm von Canterbury 235 Aristoteles 3–8, 10–12, 15–18, 27–40, 42, 46–50, 52–70, 72–74, 76, 82 f., 85 f., 98, 103–112, 114–116, 118 f., 122, 132–135, 139 f., 142 f., 145, 155–158, 172, 174, 178 f., 187, 191, 198, 211, 213, 215 f., 219–224, 226–230, 253, 257–265–269, 271–274, 276, 278 f., 299, 301, 309, 312 f., 315 f., 318 f., 322, 325, 327, 329 f., 334, 340 f., 357, 359–361, 364 f., 367, 369 Aristobolus von Paneas 105 f. Aṯīr ad-Dīn al-Abharī 81 Augustinus 215, 217, 259 Averroes 116–123, 141, 223, 239 f., Avicenna (Ibn Sina) 8, 16, 18, 81–86, 88– 98, 100, 110, 112, 115 f., 119, 131 f., 135–137, 140 f., 144–147, 149, 225, 261, 268, 366–369, 373, 376, 379

Boëthius 131, 133 f., 136–138, 141, 198– 201, 299 Boulnois, Olivier 11 f., 290, 308

Cicero 138 Cohen, Sheldon 49 Crescas, Chasdaj ben Judah

121 f.

David von Dinant 156 De Libera, Alain 157 f., 163, 173, 177, 267 Delmedigo, Elia ben Moses Abba 122 Derrida, Jacques 25, 40 Dionysius Areopagita 10, 172, 175, 177– 180, 182, 184, 187, 259, 277, 365 f., 371 Dominicus Gundissalinus 9, 131 f., 134– 145, 148–150, 212

Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī 81 Fischer, Heribert 258, 261 Frede, Michael 51, 64–68 Frege, Gottlob 7, 46, 50 f., 58 f., 72, 74–76

ˇ alāl ad-Dīn ad-Dawānī 81 G Gerhard von Cremona 108 f., 366 Gersonides 117 f. Gilson, Étienne 262 Gutas, Dimitri 82 Guttmann, Julius 104

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 27, 40 f., 106 Heidegger, Martin 40, 262 Heinrich von Gent 81, 287, 299 Hobbes, Thomas 39 Honnefelder, Ludwig 173 Husserl, Edmund 26

Isaak Albalag 117 f. Isaak ben Salomon Israeli

109–111, 118

* Im Namenregister sind ausschließlich die Namen verzeichnet, die im Haupttext und in den Anmerkungen, sofern dort Ausführungen nach Art des Fließtextes vorkommen, genannt werden.

394

Register

Isaak ibn Latif 119 Isḥāq ibn Hunain 134 Jaspers, Karl Theodor 25 Jehudah ben Salomon ha-Kohen Mathah 118 Jehudah ben Samuel ha-Lewi 112 f. Jehudah ibn Tibbon 113 Johannes Buridan 6, 13–15, 17, 279, 293, 307–330, 334, 339, 341, 347 f., 352, 359– 361 Johannes Duns Scotus 8, 11 f., 16, 19, 81, 121, 148 f., 211–233–253, 261, 273, 279, 287 f., 295, 299, 307 f., 318, 344, 369– 371, 377, 379 Johannes Scottus Eriugena 372 Josef ibn Tzaddik 111 Kant, Immanuel 39, 218, 244, 253, 365 Kretzmann, Norman 192 Lewi ben Abraham ben Chajim von Villefranche 119 McKirahan, Richard 145 Meister Eckhart 10, 12 f., 19, 257–280 Melissos 261 Moses ben Jakob ibn Ezra 111 Moses ben Josua von Narbonne 118 Moses ben Nachman 119 Moses ben Samuel ibn Tibbon 116 Moses Maimonides 9, 104, 109, 113–122, 197, 233, 257 Nagˇm ad-Dīn al-Kātibī 81 Naṣīr ad-Dīn aṭ-Ṭūsī 81 Nikolaus von Autrecourt 307, 323 Nikolaus von Kues 13, 15–17, 110, 330, 333–353, 356 f., 359–361, 371–375, 377 Parmenides 261 Patzig, Günther 51, 64–68 Perler, Dominik 301, 323–325

Petrus Aureolis 299, 304 Petrus Lombardus 287 Philo von Alexandrien 105, 367 Plantinga, Alvin 199 f., 203 f. Platon 40, 66, 105, 108, 142, 181, 217, 257, 259–261, 268, 334, 365 Plotin 15, 108, 363, 365 Porphyrius 108, 286, 295 Priscian 138 Proklos 108, 111, 155, 365 f. Qadi Mir Husayn al-Maybuḏī

81

Robert Kilwardby 148 f. Rorty, Richard McKay 25 Saʽadiah ben Josef Gaon 110 Sabra, Abdelhamid Ibrahim 107 Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī 18 Ṣadr ad-Dīn aš-Šīrāzī 81 Salomon ben Jehuda ibn Gabirol 111, 113, 131 Salomon ibn Tibbon 115 Samuel ibn Tibbon 115 f., 122 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 363 Shem-Tov ben Josef ibn Falaquera 111, 119 Sirat, Colette 104 Spinoza, Baruch 122 Thierry von Chartres 134, 138, 141, 356 Thomas von Aquin 11, 19, 81, 110, 114, 120 f., 144, 191, 193–209, 211 f., 220, 226 f., 233, 252, 261, 263, 269 f., 273, 275–277, 279 Walter Burley 293 Wilhelm von Ockham 13 f., 17–19, 120, 258, 285–304, 307, 315, 323, 344, 347, 352 Wilhelm von Sherwood 293 Zeller, Eduard

52