Die Pflegekammer – verwaltungspolitische Sinnhaftigkeit und rechtliche Grenzen [1 ed.] 9783428540938, 9783428140930

Die Pflegeberufe bilden das personelle Rückgrat des Gesundheitswesens. Ihre Bedeutung in einer arbeitsteiligen, vom demo

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Die Pflegekammer – verwaltungspolitische Sinnhaftigkeit und rechtliche Grenzen [1 ed.]
 9783428540938, 9783428140930

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 29

Die Pflegekammer – verwaltungspolitische Sinnhaftigkeit und rechtliche Grenzen Von Mario Martini

Duncker & Humblot · Berlin

MARIO MARTINI

Die Pflegekammer – verwaltungspolitische Sinnhaftigkeit und rechtliche Grenzen

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 29 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Die Pflegekammer – verwaltungspolitische Sinnhaftigkeit und rechtliche Grenzen

Von Mario Martini

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-14093-0 (Print) ISBN 978-3-428-54093-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-84093-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Dem Pflegewesen größere gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Achtung zuteil werden zu lassen, gehört zu den ebenso einmütig wie gebetsmühlenartig ertönenden Glaubensbekenntnissen politischer Liturgie. Wie ernst es der Politik mit diesem Anliegen wirklich ist, machen viele Mitglieder der Pflegeberufe daran fest, ob die politischen Entscheidungsträger willens sind, den Pflegeberufen in Gestalt einer Pflegekammer eine stärker hörbare Stimme im Konzert der Akteure des Gesundheitswesens zu verleihen. Inwieweit deren Gründung sinnhaft und zulässig ist, entzweit die Geister. Seit zahlreiche Länder gesetzgeberische Pläne für die Einrichtung einer Pflegekammer hegen, ist die politische und rechtliche Diskussion in voller Schärfe entbrannt. Befeuert wird sie von Befürchtungen bzw. Hoffnungen auf eine Veränderung des Kräfteverhältnisses der Gruppen im Gesundheitswesen. An Leidenschaftlichkeit und Emotionalität, auch missionarischem Eifer, mangelt es der Diskussion nicht, eher an Sachlichkeit und umfassender Aufarbeitung der Argumente. Den rechtlichen Handlungsrahmen und die verwaltungspolitischen Argumente auszuleuchten, die für und gegen die Einrichtung einer Pflegekammer sprechen, versteht die vorliegende Untersuchung als ihre Berufung. Sie bemüht sich um eine nüchterne Analyse aller relevanten, gerade auch der bisweilen ausgeblendeten kritischen verwaltungspolitischen Entscheidungsaspekte. Das Werk ist in Teilen aus einem (unveröffentlichten) Gutachten hervorgegangen, das ich im Auftrag des Bundesverbandes der privaten Anbieter sozialer Dienstleistungen e. V. (bpa) im Frühjahr 2012 erstellt habe (vgl. die Kurzzusammenfassung, bpa-magazin 2/2012, S. 6–8). Bei der Entstehung des Werkes haben sich die Mitarbeiter meines Lehrstuhls in hilfreicher Weise inhaltlich und redaktionell eingebracht. Danken möchte ich insbesondere meiner Sekretärin Beate Bukowski sowie Dr. Alexandra Albert, Florian Ammerich, Sarah Gremm, Yvonne Schmid und Quirin Weinzierl für ihre Unterstützung. Speyer, im Oktober 2013

Mario Martini

Inhaltsverzeichnis A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation eines Berufsstandes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Pflegeberufe – ein Berufsbild im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wachsender Bedarf nach Pflegekräften, insbesondere im Bereich der Altenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wachsende inhaltliche Anforderungen an die pflegerische Tätigkeit 3. Wachsendes Selbstbewusstsein und wachsende Sehnsucht der Pflegeberufe nach Anerkennung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aktuelle politische Entwicklungen: gesetzgeberische Pläne zur Einrichtung einer Pflegekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklungsgeschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anstöße zur Gründung einer Pflegekammer aus dem Kreis der Pflegenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frühere Gesetzesinitiativen zur Gründung einer Pflegekammer in den Bundesländern, insbesondere in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Vorstöße zur Gründung einer Pflegekammer . . . . . . . . . . . . . . . . a) Referentenentwurf zur Gründung einer bayerischen Pflegekammer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatzbeschlüsse zur Gründung einer Pflegekammer. . . . . . . . aa) Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Niedersachsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Politische Positionierung der anderen Bundesländer. . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Eine Stimme für die Pflege“ – rechtfertigende Zielsetzungen und Vorzüge einer Pflegekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Grundidee funktionaler Selbstverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben einer Pflegekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Standesvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Standesförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Standesaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Pflegekammern als Instrument berufsständischer Selbstorganisation im europäischen und internationalen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Disparate Ausgestaltung von Nursing Boards in den europäischen und außereuropäischen Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Finanzierungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis c) Aufgabenzuschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staaten ohne Pflegekammerstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Verwaltungswissenschaftliche Kritik eines öffentlich-rechtlichen Pflegezwangsverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Pflege tut gut – eine Pflegekammer ebenso?: Zu den Präferenzen der zu verkammernden und verkammerten Berufsangehörigen . . . . . . . . . . . . 1. Empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht repräsentative Erhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Befragungen im Auftrag der Landesregierungen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rheinland-Pfalz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schleswig-Holstein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Empirische Befunde zur Kammerzufriedenheit bereits verkammerter Berufszweige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kammeridee – ein Anachronismus oder ein zeitgemäßes Phänomen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ansehensgewinn – realistische Zielsetzung oder Beruhigungspille für die Mitglieder der Pflegeberufe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leistungspotenzial von Kammern zur Ansehensverbesserung . . . . . . . 2. Empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schlussfolgerungen: Enttäuschungspotenzial und „Münchhausen“Risiko. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eingeschränkte Wirkkraft einer Kammerorganisation bei abhängig Beschäftigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ökonomische Logik der Verkammerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstständigkeit und Selbstbestimmung als Basis der Berufskammerlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenfazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Effizienzverluste einer Kammerbürokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zumutbarkeit der Finanzierungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prinzipal-Agent-Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eingeschränkte Erreichbarkeit des Qualitätsziels bei nicht vorbehaltenen Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nichteinbindung ungelernter Hilfskräfte und der Helferberufe . . . . . . 2. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Strukturelle Gefahren einer personellen Verzahnung zwischen Gewerkschaften, Berufsverbänden der Pflege und Pflegekammern für die Unabhängigkeit der Interessenrepräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtspolitische Regelungsalternativen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausschöpfung der Selbstverwaltungskraft bestehender Institutionen

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Inhaltsverzeichnis

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a) Bestehende Mitwirkungsrechte der Berufsverbände im System der sozialen Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Bestehende Organisationen, insbesondere Träger der Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Wettbewerbliches Verbandssystem versus öffentlich-rechtliches Kammersystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Spartenverkammerung vs. Vereinigung aller Pflegeberufe unter einem Dach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 VII. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die „Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst des Bundes“ (Art. 71, Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die „Zulassung zu Heilberufen“ (Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) . . . . . . . 3. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das „Arbeitsrecht . . . sowie die Sozialversicherung“ (Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle in der öffentlichen Fürsorge sowie im Sozialversicherungsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG)? . . . . . . . . . . bb) Sozialversicherungsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) . . . . . . cc) Regelungen des Bundesgesetzgebers im Bereich des Sozialversicherungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Weiterbildungsverpflichtungen im Bereich der häuslichen Krankenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entwicklung von Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege. . . . . . . . . . (3) Personelle und sachliche Ausstattung der Pflegeeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechtspositionen des betroffenen Pflegepersonals . . . . . . . . . . . . a) Negative Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . aa) Negative Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Körperschaften als Teil des Schutzbereichs . . . . . . . . . bb) Rechtfertigungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Berufsregelnde Tendenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis bb) Eingriffsrechtfertigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). . . . . . . . . . . . . . aa) Erfüllung legitimer Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Aufgabentrias der Pflegekammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aufgabenerfüllung ausschließlich durch unmittelbare Staatsverwaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenfazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als verfassungsrechtliche Nagelprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geeignetheit zur Erfüllung eines legitimen Ziels, insbesondere Selbstorganisationsfähigkeit der Berufsgruppe? (a) Gemeinsamkeit der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Disparate Interessenstruktur der Berufsgruppen in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Hinreichende große Interessenschnittmenge . . . (b) Wirtschaftliche Selbstorganisationsfähigkeit . . . . . . . (2) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erforderlichkeit der Kammergründung . . . . . . . . . . . . (aa) Aufgabenerfüllung durch staatliche Stellen. . . . (bb) Aufgabenerfüllung durch private Selbstorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bestehende Mitwirkungsrechte der Berufsverbände in der sozialen Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Universales Aufgabenverständnis der bestehenden Berufsverbände . . . . . . . . . . . . (g) Umfassende und gleichmäßige Interessenrepräsentation als Proprium der Kammern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Unterschiede zwischen Kammern und Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Strukturelle Voraussetzungen vollständiger und gleichmäßiger Interessenrepräsentation. . . . . . . . . . . . . . . (d) Ökonomische und demokratische Rationalität der Verkammerung . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Das Dilemma öffentlicher Güter . . . (bb) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Zum Unterschied zwischen Mitgliedschaft und Mitwirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . (z) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis (cc) Aufgabenerfüllung durch Zwangsorganisation mit qualifiziertem Zustimmungsvorbehalt . . . . (b) Erforderlichkeit der Kammertätigkeit als Dauerlegitimationsaufgabe und Handlungsgrenze. . . . . . . . (3) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Angemessenheit der Zugehörigkeitslast . . . . . . . . . . . (b) Angemessenheit der Beitragslast . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Unangemessenheit einer Einbeziehung aller, auch ehemaliger Berufsträger in die Pflegekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Berücksichtigung unterschiedlicher Ausgangsvoraussetzungen und Interessenlagen der Kammermitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtspositionen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Positive Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit der bisher die Interessenwahrnehmung ausübenden Organisationen (Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzgehalt der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mittelbar-faktischer Eingriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Schnittmenge gewerkschaftlicher und kammerrechtlicher Tätigkeitsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Konzeptionelle Unterschiede zwischen gewerkschaftlicher und kammerlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . (c) Anforderungen an die Ausgestaltung der Konkurrenzbeziehung zwischen gewerkschaftlicher und kammerlicher Tätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Positive Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) von Pflegeberufsverbänden und ihren Mitgliedern . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzbereich und mittelbar-faktischer Eingriff. . . . . . . . (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriff in die Berufsfreiheit der die Pflegepersonen beschäftigenden Arbeitgeber – zu den Grenzen der Drittwirkung von Pflegekammerbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grenzen der rechtlichen Wirkmacht für Dritte. . . . . . . . . . . . . bb) Faktische Wirkmacht von Kammerbeschlüssen . . . . . . . . . . . . (1) Erfüllung von Weiterbildungsverpflichtungen. . . . . . . . . . (2) Abwälzung von Mitgliedsbeiträgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Art. 179 der bayerischen Landesverfassung als landesspezifische Grenze 1. Regelungsintention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinigungen im Sinne des Art. 179 S. 2 BayVerf. . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unionsrechtliches Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufsanerkennungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dienstleistungsrichtlinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltliche Schranken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer. . . . . . . . . II. Unionsrechtliches Primärrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 Abs. 1 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachlicher Anwendungsbereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Arbeitnehmer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bereichsausnahme des Art. 45 Abs. 4 AEUV . . . . . . . . . . b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einschränkung des Eingriffsbegriffs bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtfertigungsgründe nach Art. 45 Abs. 3 AEUV . . . . . . . . . bb) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geschriebene Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe nach der GebhardFormel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzbereich – Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vereinigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GrCh) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unionskartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195 196 196 197 198 198 199 199 200 201 201 201 201 201 202 203 203 203 205 206 206 208 209 211 211 211 212 213 213 214 214 214 214 215 215 216 219

E. Völkerrechtliche Gewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Art. 11 EMRK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Negative Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

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2. Positive Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Art. 22 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 III. Art. 20 Nr. 2 AEMR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verwaltungspolitische Rationalität einer Pflegekammer . . . . . . . . . . . . . . 1. Standesvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Standesförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Standesaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Risiken und Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Grenzen einer Pflegekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzgebungskompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechte der Pflegenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Positive Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit der Berufsorganisationen und Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Positive Vereinigungsfreiheit der Pflegeverbände und ihrer Mitglieder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Berufsfreiheit der Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Art. 179 BayVerf.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Grenzen des Unionsrechts und der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227 227 228 229 229 230 235 235 236 238 238 239 240 241 241 242

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation eines Berufsstandes Der Ruf nach einer landesgesetzlichen Etablierung von Pflegekammern erschallt in Deutschland immer vernehmbarer. Nach dem Willen zahlreicher Landesregierungen, insbesondere Bayerns, Niedersachsens sowie der Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, sollen die Mitglieder der Pflegeberufe Teil einer öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaft werden.1 Nach dem Vorbild der Berufskammern für Ärzte und Apotheker soll die Pflegekammer als Sprachrohr und Anwalt der Pflegenden die beruflichen Belange der Pflegeberufe bündeln, nach außen vertreten und wirksam durchsetzen.

I. Die Pflegeberufe – ein Berufsbild im Wandel In der Forderung nach Gründung einer Pflegekammer drückt sich nicht zuletzt das wachsende Selbstbewusstsein und Selbstverständnis einer Profession aus, die bislang im Schatten anderer Heilberufe agierte. Ihre Bedeutung in einer modernen Gesellschaft wächst – insbesondere mit der Zahl der Menschen, die auf ihre Dienstleistungen angewiesen sind. Der sich erhöhende Stellenwert der Pflegeberufe bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen. Die Angehörigen der Alten- und Krankenpflegeberufe tragen im Gesundheits- und Pflegewesen schon heute die personelle Hauptlast der Versorgung kranker und pflegebedürftiger Menschen. Sie bilden die zahlenmäßig größte Gruppe im Gesundheitswesen. Die Pflegebranche beschäftigt mehr als 1 Million Menschen, ca. 680.000 davon in Vollzeit.2 Eine arbeitsteilige Gesellschaft wird in Zukunft noch stärker auf die professionelle Unterstützung von Heilungsprozessen durch Pflegekräfte angewiesen sein. Nur eine professionelle Pflege sichert ein angemessenes Niveau staatlicher Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Leistungsfähige Pflegekräfte sind ein integraler Bestandteil eines modernen Gesundheitssystems. In einem qualitätsvollen Sozialversicherungssystem sollen sie ihre unverzichtbare Aufgabe nach der Vorstellung des Gesetzgebers eigenverant1 2

Zum aktuellen Stand der gesetzgeberischen Pläne siehe unten S. 21 ff. Mihm, Der verkannte Wachstumstreiber, FAZ v. 30.11.2011, S. 19.

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

wortlich und selbstständig wahrnehmen:3 Pflege ist Beratung, Begleitung und Betreuung Hilfebedürftiger.4 Ihr Auftrag besteht darin, entsprechend dem allgemein anerkannten Stand wissenschaftlicher und medizinischer Erkenntnisse verantwortlich bei der Heilung und Linderung, Diagnose und Verhütung von Krankheiten mitzuwirken.5 Dadurch soll sie zur Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit pflegebedürftiger Menschen beitragen, um ein Leben in Selbstständigkeit und Selbstbestimmung zu ermöglichen.6 1. Wachsender Bedarf nach Pflegekräften, insbesondere im Bereich der Altenpflege Besonders deutlich wird der unverzichtbare Beitrag der Pflegenden zu einer qualitätsgerechten Gesundheitsversorgung auf der Folie des Berufs des Altenpflegers. Der Bedarf nach Altenpflegekräften wächst in allen Ausbildungsstufen unaufhaltsam.7 Einer der Gründe ist der demografische Wandel. Bis 2030 werden ca. 3,22 Millionen Deutsche pflegebedürftig sein – ein Drittel mehr als heute.8 Aber nicht nur der demografische Wandel, sondern auch der Wandel der Lebens- und Arbeitsbedingungen, insbesondere die Auflösung traditioneller Familienstrukturen und die wachsende Zahl von Einpersonenhaushalten, bringt es mit sich, dass professionelle Leistungen von Pflegediensten die familiäre häusliche Betreuung in zunehmendem Umfang ablösen. Während die Zahl der stationär Betreuten zwischen 1999 und 2009 um 27% anwuchs,9 stagniert die Zahl der von Angehörigen unmittelbar betreuten Pflegebedürftigen.10 Auch die Förderung der Familienpflege durch die gesetzlich ermöglichte Teilzeitbeschäftigung für pflegende Angehörige wird daran voraussichtlich nichts substanziell ändern. Es ist vielmehr damit zu rechnen, dass die Angehörigenpflege quantitativ eher an Bedeutung einbüßen wird. Gegenwärtig rekrutiert die „Babyboomer“-Generation die Pflegenden; so3

Vgl. § 3 Abs. 1 AltPflG. Vgl. § 3 Abs. 1 AltPflG. 5 Vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 KrPflG. 6 Vgl. auch § 3 Abs. 1 S. 2 u. 3 KrPflG. 7 Vgl. dazu etwa Afentakis/Maier, Wirtschaft und Statistik 2010, 990 (991 ff.). 8 Mennicken/Augurzky, Der demografische Wandel und die Pflege – Die Herausforderungen der Zukunft, in: Göke/Heupel (Hrsg.), Wirtschaftliche Implikationen des demografischen Wandels, 2013, S. 193 (200). Vgl. auch etwa die Ergebnisse des Pflegeheim-Rating-Reports 2013, Augurzky et al., Pflegeheim Rating Report 2013 – Ruhiges Fahrwasser erreicht, 2013. 9 Die Zahl der ambulant Betreuten stieg im gleichen Zeitraum um 34%. 10 Kersel/Lennartz, Stationärer Pflegemarkt im Wandel, 2011, S. 10. 4

I. Die Pflegeberufe – ein Berufsbild im Wandel

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bald diese aber selbst pflegebedürftig werden, wird es vielerorts an entsprechenden familiären Strukturen fehlen.11 Zusätzlich zu den im Jahre 2011 bereits zur Verfügung stehenden 870.000 Pflegeplätzen prognostiziert eine Studie für das Jahr 2020 einen zusätzlichen Bedarf von 146.000 Plätzen, für das Jahr 2030 von 353.000 Plätzen.12 So erfreuen sich die Anbieter von mobilen und stationären Pflegediensten einer stark wachsenden Nachfrage. Die Pflegebranche gilt als die am meisten unterschätzte nationale Wachstumsbranche.13 33 Milliarden Euro setzt sie nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft gegenwärtig jährlich um.14 Das Volumen wird voraussichtlich bis zum Jahr 2030 auf 46,5 Milliarden Euro steigen.15 In Relation zu anderen Gesundheitsleistungen ist der Anstieg deutlich überproportional.16 Goldgruben sind Pflegeheime deshalb aber noch nicht. Ungeachtet der hohen Nachfrage kämpfen viele Anbieter mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die hohen Kosten, insbesondere die hohe Personalintensität des Betriebes, begrenzen die Margen oder sorgen, wie etwa im Falle eines der größten privaten Anbieter sozialer Dienstleistungen, der Curanum AG, gar für Verluste.17 Aufgrund der stark wachsenden Nachfrage schaffen die Pflegebetriebe im Vergleich zur übrigen Wirtschaft überdurchschnittlich viele neue Stellen. Bis zum Jahr 2020 wird ein zusätzlicher Bedarf von 220.000 Pflegekräften geschätzt. 10 Jahre später werden es nach einer Prognose der Bertelsmann Stiftung weitere 500.000 Vollzeitkräfte sein.18 Das bis dahin 11

Mennicken/Augurzky (Fn. 8), S. 197. Mennicken/Augurzky (Fn. 8), S. 202. 13 So schon BVerfGE 106, 62 (79) unter Hinweis auf das Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Bd. II, BR-Drucks. 267/01, S. 50; Mihm (Fn. 2). 14 Vgl. etwa Mihm (Fn. 2). 15 Mennicken/Augurzky (Fn. 8), S. 203. Noch 2009 waren es lediglich 30 Milliarden Euro, Mennicken/Augurzky, (Fn. 8), S. 195. 16 Mennicken/Augurzky (Fn. 8), S. 194. 17 Vgl. Curanum verbucht abermals Verlust, FAZ v. 29.2.2012, S. 17. 18 Rothgang/Müller/Unger, Themenreport „Pflege 2030“, 2012, S. 54. Eine andere Berechnung (Mennicken/Augurzky [Fn. 8], S. 201) sieht 2020 im Rahmen von verschiedenen Szenarien einen Bedarf zwischen 149.000 und 192.000 Pflegekräften im Bereich der stationären und ambulanten Pflege, daneben weitere 31.500 Pflegefachkräfte in Krankenhäusern und 1500 in Rehabilitationseinrichtungen. Diese Zahlen decken allerdings lediglich die Zunahme ab. Nimmt man den fluktuationsbedingten Bedarf hinzu, der durch Verrentung oder Berufswechsel entsteht, werden weitere 67.000 Pflegefachkräften und 88.000 Pflegehilfskräfte jeweils als Vollzeitstellen benötigt; Mennicken/Augurzky (Fn. 8), S. 201. Bis 2030 erwarten die Autoren der Studie einen zusätzlichen Bedarf zwischen 120.000 und 175.000 Pflegefachkräften und 160.000 bis 225.000 Pflegehilfskräften, Mennicken/Augurzky (Fn. 8), S. 201 f. 12

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

zu erwartende Defizit an Pflegekräften verteilt sich regional unterschiedlich. In Nordrhein-Westfalen ist der Bedarf mit knapp 100.000 Pflegekräften am höchsten, gefolgt von Bayern mit 68.000.19 Diese wachsende Nachfrage spiegelt sich schon heute auf dem Arbeitsmarkt wider: Es dauert gegenwärtig im Durchschnitt 115 Tage, bis eine Stelle mit einem Altenpfleger besetzt werden kann – 33 Tage länger als bei anderen Berufen.20 Drei freien Pflegestellen steht nach Informationen des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste nur ein Bewerber mit Fachkenntnissen gegenüber. Die Bundesagentur für Arbeit spricht bereits jetzt von einem „flächendeckenden Fachkräftemangel“21. Darin liegt eine der größten Wachstumsbremsen für den nationalen Pflegemarkt. Dieser wird den Bedarf nach geeigneten Pflegefachkräften nicht aus sich heraus befriedigen können. Die Mitglieder der Pflegeberufe erklären das mit unterdurchschnittlichen Lohnbedingungen in der Pflegebranche, der als körperlich und psychisch anstrengend geltenden Tätigkeit, unzureichenden Betreuungsschlüsseln sowie der vielfach schlechten Vereinbarkeit der Arbeitsbedingungen mit einem familiären Umfeld. Der hohe Anteil an Nacht-, Schicht- und Feiertagsarbeit, die in der Berufsgruppe überdurchschnittlich häufigen Muskel- und Skeletterkrankungen sowie psychische Erkrankungen geben einen Eindruck von den nicht selten schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen die Angehörigen der Pflegeberufe ihre Tätigkeit versehen. Der Krankenstand liegt bei Pflegekräften um fast ein Drittel höher als in anderen Branchen.22 2. Wachsende inhaltliche Anforderungen an die pflegerische Tätigkeit Mit der Nachfrage nach Pflegeleistungen wächst auch der Bedarf nach ihrer Professionalisierung – dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Veränderung der kommunikativen Rahmenstrukturen in den Pflegeberufen, insbesondere im Gefolge verstärkten Einsatzes von Informationstechnologie, steigendem Dokumentationsaufwand und Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie wachsenden Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung von Pflegekräf19

Rothgang/Müller/Unger (Fn. 18), S. 56. Entsprechend weisen auch Mennicken/Augurzky, (Fn. 8), S. 202, darauf hin, dass sich der Bedarf nach Pflegeplätzen – bedingt durch die geringe regionale Mobilität von (stationär) Pflegebedürftigen – regional unterschiedlich verteilt. 20 Siehe dazu Astheimer, Arbeitsagentur wirft Ländern Pflege-Blockade vor, FAZ v. 16.7.2012, S. 13. 21 Astheimer (Fn. 20). 22 Vgl. Meyer, Stress fressen Seele auf, Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 11/2011, S. 10.

I. Die Pflegeberufe – ein Berufsbild im Wandel

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ten.23 Entsprechend schreitet eine Akademisierung der Pflege voran: Die Pflegewissenschaft etabliert sich als eine eigene wissenschaftliche Größe. Gleichzeitig wachsen die Erwartungen der Gesellschaft an die Leistungsfähigkeit und die Qualität der Versorgung unaufhörlich. Die arbeitsteilige Gesellschaft erwartet eine Betreuung Kranker und Älterer, die ebenso persönlich, umfänglich und individuell wie die familiäre Pflege ist, aber nur ein Minimum an finanziellen Ressourcen bindet. Die Leistungserbringer müssen auf immer komplexere Nachfragelagen reagieren. Sie sehen sich insbesondere neuen Anforderungen an die administrative, koordinierende und steuernde Aufgabenwahrnehmung ausgesetzt: Immer mehr und zunehmend ältere Patienten gilt es zu versorgen, deren Gesundheitszustand durch Multimorbidität und chronische Krankheiten gekennzeichnet ist. In gleichem Umfang wächst die Bedeutung der Pflegevorsorge sowie komplexer Versorgungsangebote, die Prävention und Behandlungserfolg garantieren sollen (z. B. Diabetesberatung, Inkontinenzversorgung, Wundmanagement).24 Zu einer Verdichtung der Leistungserwartungen, die an die in den Krankenhäusern beschäftigten Pflegekräfte herangetragen werden, kommt es nicht zuletzt im Gefolge der Einführung von Fallpauschalen. Sie hat zu einer nachhaltigen Senkung der Verweildauer der Patienten im stationären Krankenhausbereich beigetragen. Die ambulante Pflege wird dadurch in weitaus stärkerem Umfang als früher in Anspruch genommen. Damit wachsen die Anforderungen an die Qualität des Entlassungsmanagements. Denn nur ein bruchfreier Übergang zwischen den Leistungseinheiten bürgt für einen kontinuierlichen Behandlungserfolg.25 Umgekehrt sinkt mit dem Wandel der Familienstrukturen die Zahl derjenigen, welche die Pflege älterer Menschen zu Hause ohne Inanspruchnahme professioneller Hilfe auf sich nehmen (können). Pflegekräfte sind in der Lage, den nahtlosen Übergang zwischen den Pflegeeinrichtungen zu gewährleisten und so eine optimale Versorgung des Patienten sicherzustellen. Aufgrund ihres großen Erfahrungsschatzes sowie ihrer frühzeitigen Einbindung in eine Krankheitshistorie und einen Heilungsverlauf können sie den Interventionsbedarf besser als andere in die Betreuung älterer und kranker Menschen eingeschaltete Personen einschätzen. Mithilfe eines Schnittstellenmanagements können sie Patienten sektorenübergreifend begleiten und führen. Ein patientenbezogenes Case Management ermöglicht so 23 Vgl. dazu etwa bereits Kellnhauser, Krankenpflegekammern und Professionalisierung der Pflege, 1994, S. 59 ff. 24 Vgl. etwa dazu BVerfGE 106, 62 (67); Dritter Altenbericht, BT-Drucks. 14/5130, S. 86; Igl, Weitere öffentlich-rechtliche Regulierung der Pflegeberufe und ihrer Tätigkeit, 2008, S. 18 f. 25 Vgl. auch BVerfGE 106, 62 (120).

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

eine optimale Koordination der in die Krankheitsversorgung eingebundenen Personen, die für eine auf die persönliche Situation des Patienten zugeschnittene Hilfe bürgt.26 Das macht die Leistung von Pflegekräften zu einem besonders wertvollen Baustein einer Effizienzoptimierung des zusehends unter Knappheitserscheinungen leidenden Gesundheitswesens. 3. Wachsendes Selbstbewusstsein und wachsende Sehnsucht der Pflegeberufe nach Anerkennung Die große Bedeutung der Pflegeberufe spiegelt sich aus der Sicht der betroffenen Berufsträger nicht in hinreichendem Maße in dem strukturellen Rahmen der Arbeitsbedingungen und dem Status, den die Pflegeberufe in der Gesellschaft genießen. Sie fühlen sich wie die Glieder in der Parabel des römischen Konsuls Menenius Agrippa: Die Wertschätzung, die dem Pflegeberuf entgegengebracht wird, empfinden sie als nicht hinreichend.27 Beklagt wird auch eine fehlende Durchlässigkeit zu höher qualifizierenden Berufs- und Studiengängen. Ungeachtet ihrer zahlenmäßigen Bedeutung sehen sich die Pflegeberufe einer nachhaltigen Dominanz der Arztberufe gegenüber. Aus deren großflächigen Schatten möchten die Pflegeberufe heraustreten und sich in dem Glanz eigenen Prestiges sonnen, das ihnen bisher nach ihrer Wahrnehmung versagt bleibt. Mit nahezu neidvoller Sehnsucht blicken sie auf die Organisationsstrukturen, welche die medizinischen Berufe insbesondere mit ihrem Kammersystem aufgebaut haben und durch politische Verflechtungen in wirksamer Weise zur Geltung bringen. Aus Sicht der die Pflegeberufe vertretenden Organisationen ist es daher hohe Zeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen und Organisationsstrukturen der Pflegeberufe neu zu ordnen. Sie sollen die berufliche Realität widerspiegeln, die durch Anforderungen hoher Professionalität und Verantwortungsteilhabe sowie persönlicher Zuwendung geprägt ist, und die Chance zur selbstverwaltenden Gestaltung der Berufsbedingungen eröffnen.28 Als eine Reaktion auf beklagte Defizite haben der Bund und die Länder in einem „Eckpunktepapier für die Vorbereitung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufegesetzes“ einen Vorstoß zur Neuordnung der Pflegeausbildungen unternommen.29 Dessen erklärtes politisches Ziel ist es, die bisher ge26

Igl (Fn. 24), S. 20. Die professionell Pflegenden stufen das Ansehen ihres Berufes damit deutlich schlechter als die Gesellschaft ein. Dazu unten S. 74. 28 Igl (Fn. 24), S. 38 f. 29 Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Pflegeberufe“: Eckpunkte zur Vorbereitung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufegesetzes v. 1.3.2012, 27

II. Aktuelle politische Entwicklungen

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trennten Ausbildungsgänge für Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege unter dem Dach eines Pflegeberufegesetzes zu vereinigen. Es soll das Krankenpflegegesetz und das Altenpflegegesetz ablösen. Als neue Berufsbezeichnung soll der Begriff „Pflegefachkraft“ bzw. „Generalistische Pflegefachkraft“ eingeführt werden. Auch die Europäische Union hat Vorschläge für eine Fortentwicklung der Pflegeausbildung erarbeitet. Sie bereitet eine Novellierung der Berufsanerkennungsrichtlinie vor,30 die auf eine weitere Harmonisierung der nationalstaatlichen Mindestanforderungen an die pflegerische Ausbildung zielt.31 Die Ausbildungsordnung der Pflegeberufe steht insoweit vor einer nachhaltigen Neuordnung. Mit ihr soll sich auch eine fortschreitende Akademisierung der Pflege verbinden. Die Aussicht auf diese politischen Reaktionen als solche stellt viele Angehörige der Pflegeberufe noch nicht zufrieden. Sie sehen die Schaffung einer Pflegekammer als Mittel der Wahl und verleihen ihrer Forderung immer hörbarer Ausdruck – nicht nur durch Veranstaltungen und politische Streitschriften, sondern auch auf der Straße durch Demonstrationen. Mit Slogans wie „Ist die Pflege in Not, kommt der Tod“ machen Pflegende dabei auf ihre Forderung aufmerksam. Sie verbinden damit die Hoffnung, in Zukunft den anderen Berufsgruppen des Gesundheitswesens auf Augenhöhe zu begegnen. Die Pflegeberufe möchten die Inhalte guter Pflege in eigener Verantwortung definieren, gleichberechtigt mit den anderen Heilberufen in den gesundheits- und sozialpolitischen Diskurs eingebunden werden und erhobenen Hauptes sowie mit starker Stimme für ihre Leitbilder und Interessen eintreten. Nicht nur über die Pflege, sondern auch mit den Pflegenden gelte es, über ihre Bedürfnisse und Nöte zu sprechen.

II. Aktuelle politische Entwicklungen: gesetzgeberische Pläne zur Einrichtung einer Pflegekammer Die Forderung der Pflegeverbände verhallt nicht ungehört. In einigen Bundesländern stehen die Pläne zur Verwirklichung einer Pflegekammer unmittelbar vor der Verwirklichung.32 Klare politische Lagerbildungen und klassische Positionierungsmuster lassen sich dabei nicht immer erkennen. S. 1 ff.; dazu auch Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BTDrucks. 17/11802, S. 1 ff. 30 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssystems, KOM(2011), 883 endg. v. 19.12.2011. 31 Pressemitteilung des Europäischen Parlaments „Mutual recognition of professional qualifications: MEPs strike deal with Council“ v. 13.6.2013. 32 Zu dem Stand der Planungen in den einzelnen Ländern siehe unten S. 27 ff.

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

Die Haltung der Volksparteien CDU, CSU und SPD unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Die FDP und DIE LINKE sprechen sich klar gegen, BÜNDNIS/DIE GRÜNEN unisono für eine Pflegekammer aus. 1. Entwicklungsgeschichtlicher Hintergrund Die im politischen Konzert deutlich vernehmbare Forderung nach Gründung einer Pflegekammer ist keineswegs neu. Bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts war vereinzelt der Wunsch Pflegender nach einer öffentlich-rechtlichen Selbstorganisation der pflegerischen Profession erklungen.33 Als gedankliche Wegbereiterin der Idee einer beruflichen Selbstorganisation der Pflegeberufe gilt die Krankenpflegerin Agnes Karll. Diese inspirierte ein Aufenthalt in den USA, der ihr die Unterschiede in der beruflichen Organisation und Wertschätzung für Pflegeleistungen in beiden Ländern deutlich vor Augen führte, beherzt für eine Reform der deutschen Krankenpflege einzutreten. Sie gründete im Januar 1903 die „Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands“. Erklärtes Ziel des Verbandes war es, die Krankenschwestern aus ihrem Zustand fehlender Selbstorganisation herauszuführen und zur Selbstständigkeit sowie zur Mitbestimmung zu befähigen. Aus dieser Vereinigung ist der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hervorgegangen, der sich als Dachverband zur Vertretung der allgemeinen beruflichen und wirtschaftlichen Interessen der Pflegeberufe versteht. a) Anstöße zur Gründung einer Pflegekammer aus dem Kreis der Pflegenden Bis die Diskussion um die Errichtung einer Pflegekammer in Deutschland Fahrt aufnahm, verstrich allerdings noch eine lange Zeit. Seinen ersten Höhepunkt erlebte der Vorstoß zur Verkammerung der Pflegeberufe erst in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Im Jahr 1990 konstituierte sich in München der deutschlandweit erste „Förderkreis zur Gründung einer Pflegekammer“. Ihm folgten entsprechende Fördervereine und Initiativgruppen in fast allen Bundesländern.34 Ihre Forderungen35 trugen sie in den jährlichen Sitzungen der „Nationalen Konferenz zur Errichtung von Pflegekammern in Deutschland“ zusammen.36 33 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung auch Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V., Pflegekammern – Beitrag zur Diskussion über Kammern in der Pflege, 2005, S. 7 f. 34 Vgl. dazu etwa http://www.pflegekammer.de/Historie.htm (14.8.2013). 35 Zu den Forderungen der Fördervereine vgl. etwa den Auszug einer Stellungnahme des Bundesausschusses der Lehrerinnen und Lehrer für Pflegeberufe (jetziger

II. Aktuelle politische Entwicklungen

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Zugunsten einer Pflegekammer positioniert sich allen voran der Deutsche Pflegerat e. V. in seiner Eigenschaft als Bundesarbeitsgemeinschaft der Pflegeorganisationen. Er bündelt die Interessen seiner 15 pflegenahen Mitgliedsverbände und vertritt nach eigener Darstellung 1,2 Millionen Angehörige der Pflegeberufe.37 Seine Unterstützung einer Pflegekammer hat der Deutsche Pflegerat in der sog. Strausberger Erklärung38 vom 31.8.2004 prononciert zum Ausdruck gebracht. Er „empfiehlt die Errichtung von Pflegekammern auf Landes- und Bundesebene für die professionell Pflegenden“.39 Der Pflegerat betont die Notwendigkeit, für die große Anzahl der Pflegenden einheitliche und verbindliche Berufsregeln zu schaffen und diese mittels berufsfachlicher Kontrolle durchzusetzen. Nur wenn die Länder Pflegekammern als Instrument der Überwachung schüfen, sei angesichts des demografischen Wandels eine hochqualitative Versorgung der immer größeren Anzahl Pflegebedürftiger sichergestellt.40 Die Kammern sollen sich für ein einheitlich verstandenes Berufsethos unter Einbindung der neuesten pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse einsetzen. Die Zusammenführung der Betroffenen in einer Körperschaft, die zur Schaffung eines Binnenrechts berufen ist, sei in besonderer Weise zur sozialen Disziplinierung eines Berufsstandes geeignet.41 Anderenfalls drohe ein um sich greifender Wildwuchs selbst ernannter pflegerischer Standards. In der Formulierung und Durchsetzung pflegerischer Qualitätsstandards erschöpft sich die Zielsetzung einer Pflegekammer aber nicht. Sie soll auch die Pflegenden, deren genaue Zahl in Deutschland bislang unbekannt ist, registrieren, das Ansehen ihres Berufes sowie die strukturellen Rahmenbedingungen der Beschäftigten und die Identifikation mit dem eigenen Berufsstand verbessern sowie pflegerische Fachkompetenz im Interesse einer Optimierung der Gesundheitsversorgung in gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse einspeisen.42 BLGS) von 1998 anlässlich der Anhörung im Landtag des Saarlandes; zu finden bei Wagner, Berufsständische Selbstverwaltung – eine Pflegekammer?, in: Stöcker (Hrsg.), Bildung und Pflege, 2002, S. 91 (92 ff.). 36 Näheres über die Arbeit der Nationalen Konferenz zur Errichtung von Pflegekammern in Deutschland und die einzelnen Mitglieder ist unter http://www.pflege kammer.de (14.8.2013) abrufbar. 37 Vgl. Imagebroschüre des Deutschen Pflegerates, abrufbar unter http://www. deutscher-pflegerat.de/ueber_uns.html (14.8.2013). 38 Abrufbar unter http://quepnet.fh-bielefeld.de/data/doc/id_808/Straussberg.pdf (14.8.2013). 39 Ibid. 40 Vgl. etwa den Newsletter des Deutschen Pflegerates 9/2011 „DPR fordert einstimmig: Pflegekammer jetzt“, S. 3 f. 41 Kluth/Goltz, Kammern der berufsständischen Selbstverwaltung in der EU, 2004, S. 47.

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

Bei seinen Forderungen weiß der Pflegerat die große Mehrzahl der Pflegeberufsverbände hinter sich. Gemessen am Engagement übergeordneter Vereinigungen und der offensiven Informationspolitik einzelner seiner Mitglieder scheinen die Bemühungen der Berufsvertretungen um die Einrichtung einer Pflegekammer prima facie bei ihren eigenen Mitgliedern weitgehend auf fruchtbaren Boden zu fallen. Die Berufsverbände verweisen auf eine hohe Zustimmungsquote unter ihren Mitgliedern. Aus den Präferenzen der Spitzenorganisationen und ihrer Mitglieder lassen sich allerdings kaum Rückschlüsse auf das repräsentative Meinungsbild der Pflegenden selbst ziehen, sind doch weniger als 10% der Pflegenden berufspolitisch organisiert.43 Hinzu kommt, dass über die Aufgaben und den Zuschnitt einer Pflegekammer bei zahlreichen Pflegenden diffuse Vorstellungen herrschen.44 Vielfach verbindet sich mit dem politischen Wunsch, eine Pflegekammer zu errichten, die (Fehl-)Vorstellung, die tariflichen Bedingungen der als nicht angemessen entlohnt empfundenen Arbeit durch eine staatliche Zwangsorganisation verbessern zu können. Nicht wenige verwechseln eine Pflegekammer als Instrument verstärkter berufsrechtlicher Regulierung mit einer staatlichen Ersatzgewerkschaft. Kammern sind aber keine Tarifpartner. Nicht bei allen ist auch das Bewusstsein dafür vorhanden, dass die Verwirklichung der Ziele von Pflegekammern notwendig mit einer stärkeren Freiheitsbeschränkung für die betroffenen Berufsmitglieder einhergeht. So begeistert und lautstark die Verfechter einer Pflegekammer die Idee proklamieren, so groß ist auch die Vehemenz, mit der andere Gruppen sie ablehnen. Eine Pflegekammer berührt nicht nur die Interessen der Berufsträger und ihrer Verbände, sondern auch die Interessen und Rechtspositionen der Leistungserbringer,45 der Gewerkschaften46 sowie der anderen im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Leistungserbringer machen keinen Hehl aus ihrem Widerstand gegen eine Pflegekammer; in ihren Augen ist die Pflegekammer die Ausgeburt einer Symbolpolitik.47 Auch einzelne Berufsorganisationen der 42

Vgl. dazu im Einzelnen S. 36 ff. Siehe dazu die Ergebnisse der repräsentativen Befragungen einzelner Bundesländer unten S. 58 ff. 44 Vgl. dazu etwa die Ergebnisse einer Befragung der Pflegenden Schleswig-Holsteins TNS Infratest Sozialforschung, Meinungsumfrage zur Errichtung einer Pflegekammer in Schleswig-Holstein, 2013, S. 15; dazu auch ausführlich unten S. 61 ff. 45 Dazu im Einzelnen unten S. 186 ff. 46 Dazu im Einzelnen unten S. 167 ff. 47 Vgl. Gemeinsame Erklärung „Bayern braucht keine Pflegekammer“ der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., des Arbeitgeberverbands Pflege, des Bayerischen Roten Kreuzes, des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste 43

II. Aktuelle politische Entwicklungen

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Pflege, namentlich der Deutsche Berufsverband für Altenpflege e. V., zeigen sich von den Plänen zur Gründung eines Zwangsverbandes wenig angetan, würde dieser sich doch ihres originären Wirkungsbereichs und ihres selbst gesetzten Auftrags bemächtigen. Manche zeihen die Kammerbefürworter in Berufsorganisationen gar, als unterdurchschnittlich bezahlte und unter schwacher Unterstützung aus dem eigenen Berufsstand leidende Funktionäre von Interessenorganisationen auf ihre eigenen Karriereoptionen in einer öffentlich-rechtlich gesicherten Position zu sinnen. Dafür seien sie bereit, die Belange der schweigenden Mehrheit auf dem Altar ihrer eigenen Karriereinteressen zu opfern.48 Die Entscheidung für oder wider eine Verkammerung der Pflegeberufe ist nicht zuletzt Teil eines sich in allen Bereichen des Gesundheitswesens abzeichnenden Positionierungswettstreits der Gesundheitsberufe. Viele „Götter in Weiß“ möchten an überkommenen Rollen- und Aufgabenverteilungen festhalten. Sie sehen sich zusehends durch eine Erosion tradierter Rollenverständnisse im Gesundheitswesen in ihrem eigenen Selbstverständnis tangiert. Gleichwohl unterstützt die Ärzteschaft mehrheitlich49 die Bestrebungen der Pflegenden nach Gründung einer eigenen Kammer. Denn sie spürt als Gruppe ein Bedürfnis nach einem tauglichen Ansprechpartner, der autorisiert ist, die Interessen, Bedürfnisse und evidenzbasierten Qualitätsmaßstäbe der Pflegenden zu formulieren.

e. V., des deutschen Berufsverbands für Altenpflege e. V., der Diakonie Bayern, des Diakonie Fachverbandes Evangelische Altenhilfe, des DGB Bayern, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sowie des Verbandes der Privatkrankenanstalten in Bayern e. V. vom 4.7.2013; abrufbar unter www.sozial.de/index.php?id=41&tx_ ttnews%255Btt_news%255D=26433&cHash=7abc72b679a2a603eefa10760c8b5572 (14.8.2013), ferner den Flyer „5 Wahrheiten über die Pflegekammer“ des Arbeitgeberverbandes Pflege, des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e. V. sowie des Deutschen Berufsverbands für Altenpflege e. V., abrufbar unter http:// www.dbva.de/docs/ %20Wahrheiten_Pflegekammer%20By.pdf (25.8.2013); ferner die Position der Dienstleistungsgewerkschaft „ver.di“ unter gesundheit-soziales. verdi.de/berufe/pflegeberufe/pflegekammer/++co++e3eb559c-1cf2-11e2-9216-52540 059119e (10.8.2013). 48 Wagner, in: Stöcker (Fn. 35), S. 92. 49 Vgl. Hommel, Eine Kammer für Schwester Ines und Pfleger Heiko, Ärzte Zeitung Online vom 8.2.2011, abrufbar unter www.aerztezeitung.de/politik_gesell schaft/berufspolitik/article/639872/kammer-schwester-ines-pfleger-heiko.html (14.8. 2013).

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

b) Frühere Gesetzesinitiativen zur Gründung einer Pflegekammer in den Bundesländern, insbesondere in Bayern Seit den neunziger Jahren haben die Landesregierungen eine Vielzahl von Gesetzesinitiativen angestoßen, welche die Einrichtung einer Pflegekammer als pflichtmitgliedschaftliche Selbstverwaltungsorganisation vorsehen.50 Bislang mündeten diese Initiativen jedoch nie in einen förmlichen Gesetzesbeschluss. Ähnliches gilt für die immer wieder aufkeimenden Bestrebungen zur Kammergründung in anderen Berufszweigen, etwa einer Fahrlehrerkammer, einer Heilpraktikerkammer oder einer Journalistenkammer.51 Anders als dort scheint die Etablierung einer pflichtmitgliedschaftlichen Kammerorganisation für den Bereich der Pflegeberufe gegenwärtig aber zum Greifen nahe. In Bayern erreichte der politische Wunsch der Interessengruppen zur Gründung einer Pflegekammer erstmals im Jahre 1992 den Bayerischen Landtag. Anlass war die Schriftliche Anfrage „Errichtung einer Pflegekammer“52 des Abgeordneten Dr. Doeblin (FDP). Die Frage, ob die Staatsregierung die Gründung einer Pflegekammer mit den Aufgaben der Aus-, Fortund Weiterbildung sowie der Berufsaufsicht und der Festlegung der Berufsinhalte für zweckmäßig halte, verneinte diese. Sie verwies darauf, dass die Aufgabe der Fort- und Weiterbildung die Gründung einer Pflegekammer nicht rechtfertige. Aus ihrer Sicht erfüllten vielmehr die bestehenden Einrichtungen und Verbände diese bereits in ausreichender und zweckmäßiger Weise. Die Errichtung einer neuen körperschaftlichen Zwangsinstitution sei daher unzweckmäßig.53 Ungeachtet schlechter Erfolgschancen brachte die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag am 20. Juni 1996 einen Gesetzesentwurf zur Gründung einer Pflegekammer54 ein. Zur Begründung verwies sie insbesondere auf den 50 Vgl. die Beispiele bei Seewald, Die Verfassungsmäßigkeit der Errichtung einer Kammer für Pflegeberufe im Freistaat Bayern, 1997, S. 8 ff. 51 Vgl. dazu etwa Kriele, ZRP 1990, 109; Ory, ZRP 1990, 289. 52 LT-Drucks. 12/6702. 53 LT-Drucks. 12/6702, S. 2 (Nr. 1). Das Staatsministerium des Inneren wies darauf hin, dass die Berufsaufsicht über die Pflege- als typische Arbeitnehmerberufe dem Arbeitgeber sowie staatlichen Gesundheitsaufsichtsbehörden unterworfen sei (LT-Drucks. 12/6702, S. 2 [Nr. 2]). Die Zulassung zur Ausübung eines Heilberufs selbst sei originäre Staatsaufgabe (LT-Drucks. 12/6702, S. 2 [Nr. 2]). Die beratende und gutachterliche Tätigkeit im Pflegebereich liege in den Händen der Berufsverbände und Gewerkschaften. Damit führe die Gründung einer Pflegekammer keinen erkennbaren positiven Veränderungsnutzen herbei, sondern trete ausschließlich zulasten bereits bestehender Akteure in Erscheinung (LT-Drucks. 12/6702, S. 2 [Nr. 2]). 54 Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion zur Einführung einer Kammer für Pflegeberufe in Bayern v. 20.6.1996, LT-Drucks. 13/5190.

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steigenden Bedarf nach Pflegeleistungen und die Gefahr eines Qualitätsverlusts der pflegerischen Versorgung.55 Die vielen kleinen Berufsorganisationen seien nicht in der Lage, dem entgegenzuwirken und die Interessen der Pflegenden angemessen zu artikulieren.56 Nur eine Pflegekammer stärke das Selbstverständnis der Pflegenden hinreichend,57 fördere ein Miteinander von ärztlicher sowie pflegerischer Leistung58 und lasse den Leistungen moderner Pflege in der Bevölkerung die ihr gebührende Anerkennung zuteilwerden.59 Auf Empfehlung des federführenden Ausschusses für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik60 hat der Bayerische Landtag den Gesetzesentwurf mit Plenarbeschluss vom 15. Mai 1997 erwartungsgemäß abgelehnt.61 Die parlamentarischen Bemühungen um die Gründung einer Pflegekammer fanden so ihr vorläufiges Ende. 2. Neue Vorstöße zur Gründung einer Pflegekammer a) Referentenentwurf zur Gründung einer bayerischen Pflegekammer Zur Überraschung vieler politischer Beobachter griff der Bayerische Gesundheitsminister Söder die Idee, eine Pflegekammer zu gründen, im Jahr 2010 wieder auf. Er sieht in einer Pflegekammer „die größte ideelle Aufwertung“, die den Pflegenden zuteilwerden könne.62 Der Minister berief sich dazu auf ein Konzeptpapier seines Hauses: Es attestiert den Pflegeberufen unzureichende strukturelle Rahmenbedingungen – insbesondere mit Blick auf ihre Bezahlung und Beschäftigungsumstände. Die Attraktivität und Akzeptanz des Berufs sinke zusehends. Der Minister erkennt darin insbesondere angesichts der steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen eine große gesundheitspolitische Herausforderung. Als eine der Ursachen macht er den niedrigen Selbstorganisationsgrad der Pflegenden aus. Die Gründung einer Pflegekammer hält er für das wirksamste Heilmittel, um der Pflege eine eigene, deutlich wahrnehmbare Stimme zu verleihen. Söder plante, mit der Umsetzung des Vorhabens im Februar 2011 zu beginnen. 55

LT-Drucks. 13/5190, S. 1 (Nr. 1). LT-Drucks. 13/5190, S. 1 (Nr. 2). 57 LT-Drucks. 13/5190, S. 1 (Nr. 3). 58 LT-Drucks. 13/5190, S. 1 (Nr. 4). 59 LT-Drucks. 13/5190, S. 1 (Nr. 5). 60 LT-Drucks. 13/7574. 61 LT-Drucks. 13/8081. 62 Szymanski, Pflegekammer in Bayern – „Größte ideelle Aufwertung“, Süddeutsche Zeitung vom 28.1.2011, abrufbar unter www.sueddeutsche.de/bayern/pflege kammer-in-bayern-groesste-ideelle-aufwertung-1.1052418 (15.8.2013). 56

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

Zu diesem Zweck gründete er am 9. Februar 2011 mit Vertretern von neun Pflegeverbänden das „Bündnis für Pflegekammer“, das eine Absichtserklärung zur Gründung einer Pflegekammer abgab.63 Im März 2011 folgte ein Referentenentwurf der Bayerischen Staatsregierung zur Änderung des Heilberufe-Kammergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (im Folgenden: BayHKaG-E), der eine Pflegekammer gesetzlich verankern und damit die erste deutsche Standesvertretung für Pflegeberufe gründen sollte. Seither ist der parlamentarische Prozess in Bayern aber ins Stocken geraten.64 Politische Gegenspieler erklären dies damit, dass die Idee der Grün63 Abrufbar unter http://www.stmug.bayern.de/doc/pflegekammer.pdf (14.8. 2013). 64 Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag stellte am 14.3.2011 den Antrag an die Landesregierung, im Ausschuss für Umwelt und Gesundheit über ihre Pläne zur Gründung einer Pflegekammer zu berichten (LTDrucks. 16/7833). Unter anderem solle die Landesregierung über Aufgabenzuschnitt, Fragen der Pflichtmitgliedschaft, der Rolle von Qualitätsstandards sowie verpflichtende Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen berichten. Dieser Bericht sollte im ersten Quartal 2011 erfolgen. Am 14.4.2011 wurde der Antrag dahin geändert, dass zeitnah eine mündliche Berichterstattung erfolgen solle (LT-Drucks. 16/8436). Der Bayerische Landtag stimmte diesem Antrag zu (LT-Drucks. 16/8608). Abgeordnete der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag beantragten am 24.3.2011, eine repräsentative Umfrage zur Einführung einer Pflegekammer unter den potenziellen Mitgliedern durchzuführen. Neben der Frage, ob die Einrichtung einer Pflegekammer mit Zwangsmitgliedschaft sinnvoll ist, sollte die Erhebung ermitteln, über welche Kompetenzen die Pflegekammer nach Meinung der Befragten verfügen sollte (LT-Drucks. 16/8099). Der federführende Ausschuss für Umwelt und Gesundheit empfahl am 19.5.2011 die Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der CSU und der FDP (LT-Drucks. 16/8738). Dem schloss sich der Bayerische Landtag am 9.6.2011 an (LT-Drucks. 16/8892). Eine Aussprache im Plenum erfolgte nicht. In einer Anfrage v. 9.6.2011 stellte die Landtagsabgeordnete Schopper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Frage, ob denn die Staatsregierung an der Ankündigung der Einrichtung einer Pflegekammer festhalte und wenn ja, wann mit deren Errichtung zu rechnen sei und welche Aufgaben sie wahrnehmen werde (LT-Drucks. 16/8881, S. 20). Das Staatsministerium für Umwelt und Naturschutz bekräftigte in seiner Antwort, an der Errichtung einer Pflegekammer mit dem Ziel der Steigerung der Attraktivität und des Ansehens der Pflegeberufe und der Weiterentwicklung der hohen Qualität der Pflege festzuhalten. Die notwendigen Rechtsgrundlagen würden derzeit erarbeitet, im Anschluss werde das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Hinsichtlich der Ausgestaltung sei eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft angedacht. Die Aufgaben würden sich an den Aufgaben der Heilberufekammern im Heilberufe-Kammergesetz orientieren. Insbesondere gehe es um eine Wahrnehmung der beruflichen Belange der Pflegekräfte, der Überwachung der pflegerischen Berufspflichten, der Förderung der Fort- und Weiterbildung sowie der Mitwirkung in der öffentlichen Gesundheitspflege (LT-Drucks. 16/8881, S. 21). Am 12.7.2011 kam die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf ihren Antrag vom März 2011 zurück und stellte den Dringlichkeitsantrag, die Landesregierung möge einen Zeitplan für die Errichtung einer Pflegekammer und deren Ausgestaltung vorlegen. Sie rügte insbesondere, dass der geforderte „zeitnahe mündliche Bericht“

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dung einer Pflegekammer lediglich einer Profilierungsabsicht des Ministers Söder in der Konkurrenz mit seiner politischen Widersacherin Hadertauer geschuldet sei, mit der kein ernsthafter inhaltlicher Wunsch und fachlich begründeter Sinneswandel zur Umsetzung der Idee korrespondiere.65 Söders Amtsnachfolger führen die politischen Pläne bisher nicht mit gleicher Vehemenz, aber unter Aufrechterhaltung des Ziels fort. Eine Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Umwelt und Gesundheit förderte im Oktober 2012 auf einen Dringlichkeitsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN66 hin unterschiedliche Einschätzungen des Vorhabens zutage.67 Die FDP-Fraktion im Landtag hat klar gegen eine Kammergründung Stellung bezogen. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Landtag und dem Verlust der Regierungsbeteiligung der FDP sind die Chancen auf Gründung einer Pflegekammer in Bayern signifikant gestiegen. Mittlerweile hat auch Bayern eine Umfrage unter den Pflegekräften durchgeführt.68 Ihre Ergebnisse69 deutet die neue Staatsministerin für Gesundheit und Pflege Melanie Huml als Mandat zur Einführung einer Pflegekammer.70 nach wie vor nicht erfolgt sei. Der federführende Ausschuss für Umwelt und Gesundheit empfahl am 27.10.2011 die Ablehnung des Antrags (LT-Drucks. 16/10096), dem folgte das Plenum am 9.11.2011 (LT-Drucks. 16/10257). Am 9.12.2011 beantragte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Landtagsanhörung zur Gründung einer Pflegekammer. Sie bemängelte, dass der Entstehungsprozess seit Söders Ankündigung zu Beginn des Jahres 2011 nicht wesentlich vorangekommen sei. Zwar bestehe Konsens über das generelle Ziel einer Aufwertung der Pflegeberufe, allerdings sei unklar, mit welchen Aufgaben und Leistungen die Pflegekammer ausgestattet werden soll, um dieses Ziel zu erreichen. Der federführende Ausschuss für Umwelt und Gesundheit hat diesen Antrag am 26.1.2012 zur Ablehnung empfohlen (LT-Drucks. 16/11540). Der Landtag entsprach dieser Empfehlung am 15.3.2012 (Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll Nr. 16/97 vom 15.3.2012, S. 8824, 8869). 65 Vgl. insbes. Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll Nr. 16/85 vom 20.10.2011, S. 7591. 66 LT-Drucks. 16/9260. 67 Siehe dazu Ausschuss für Umwelt und Gesundheit, Wortprotokoll der 77. Sitzung vom 18.10.2012. 68 Vgl. auch die Antwort des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Kathrin Sonnenholzner und Sabine Dittmar, LT-Drucks. 16/15368. 69 Siehe unten S. 64. 70 Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege „Huml: Bayerns Pflegekräfte pro Pflegekammer – Ergebnisse der repräsentativen Umfrage liegt vor“ vom 3.12.2013. Dass die Ministerin Melanie Huml als Staatssekretärin in dem von Markus Söder geführten Ministerium gewirkt und an den Beratungen zur Einrichtung einer Pflegekammer teilhatte, kommentiert sie gegenüber der Presse mit den Worten: „Ich sehe das als Verpflichtung.“ Lechner, Gründet die Neue die Pflegekammer?, ovb-online vom 15.10.2013, www.ovbonline.de/politik/gruendet-neue-pflegekammer-3165825.html (17.10.2013).

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

b) Grundsatzbeschlüsse zur Gründung einer Pflegekammer Auch in anderen Bundesländern stößt die politische Idee einer Pflegekammer gegenwärtig auf großen Widerhall. In Rheinland-Pfalz [unten aa)] und Schleswig-Holstein [unten bb)] schreitet der Vorbereitungsprozess mit Siebenmeilenstiefeln voran. Auch Niedersachsen hat sich grundsätzlich zu dem politischen Ziel der Gründung einer Pflegekammer bekannt [unten cc)]. aa) Rheinland-Pfalz Noch als Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Demografie hat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) seit Mitte 2011 Gespräche mit den Verbänden der Pflegeberufe, der Hebammen und der therapeutischen Berufe geführt, um die Einrichtung einer Pflegekammer zu prüfen. Die Landesregierung hat die Gründung einer Pflegekammer nach ihrem erklärten politischen Willen von der in einer repräsentativen Befragung ermittelten, mehrheitlichen Zustimmung der Pflegenden abhängig gemacht.71 Dieser politische Lackmustest hat aus der Sicht der Fraktionen endgültige Klarheit über die Gründung einer pflichtmitgliedschaftlichen Kammerorganisation gebracht.72 Alle im rheinland-pfälzischen Landtag vertretenen Fraktionen unterstützen inzwischen die Gründung einer Pflegekammer.73 Eine entsprechende Änderung des rheinland-pfälzischen Heilberufegesetzes soll so schnell wie möglich, voraussichtlich zum Juli 2015, in Kraft treten. Eine Gründungskonferenz von Vertretern der Berufsangehörigen, der Berufsverbände und Gewerkschaften sowie der Pflegeeinrichtungen hat im Sommer 2013 stattgefunden. Sie soll als Informations-, Beratungsund Anlaufstelle für die Pflegekräfte und als „Minenhund“ für den später einzusetzenden Gründungsausschuss fungieren. Dieser soll dann ab Sommer 2014 das organisatorische Fundament für die Einrichtung einer Pflegekam71 Dazu im Einzelnen die Antwort auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Thelen und Kessel (CDU), Landtag Rheinland-Pfalz, Plenarprotokoll Nr. 16 / 46 vom 8.3.2012, S. 2803. Unter www.pflegekammer-befragung-rlp.de hat das Land zu diesem Zweck eine Befragungshomepage eingerichtet, auf der sich die rheinland-pfälzischen Pflegenden als abstimmungsberechtigt registrieren und (anonym) zu ihrer Präferenz bekennen konnten. Zu den Ergebnissen siehe unten S. 57 ff. 72 Vgl. Pressemitteilung des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie „Schweizer: Wichtiger Schritt zur Einrichtung der Pflegekammer“ v. 28.3.2013. 73 Pressemitteilung des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie „Befragungs- und Registrierungsstelle nimmt Arbeit auf“ v. 17.12.2012; Antwort der rheinland-pfälzischen Landesregierung auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion, LT-Drucks. 16/1915; Antwort auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Thelen und Kessel (Fn. 71), S. 2802 ff.

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mer legen, so dass die Pflegekammer ihre Arbeit in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2015 aufnehmen kann. bb) Schleswig-Holstein In Schleswig-Holstein hat die SPD-Fraktion die Forderung nach Einrichtung einer Pflegekammer u. a. bereits in der parlamentarischen Diskussion um die Verabschiedung einer Berufsordnung für Pflegekräfte im Jahre 2010 erhoben.74 Einen entsprechenden Antrag hat der Sozialausschuss beraten75, dann aber mit den Stimmen der CDU und FDP ebenso wie später das Parlament abgelehnt.76 Am 15.11.2011 beantragte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Landesregierung möge die Einrichtung einer Pflegekammer prüfen.77 Dem schloss sich die SPD-Fraktion mit einem Änderungsantrag vom selben Tag an.78 Die Anträge hat das Parlament am 17.11.2011 in den Sozialausschuss überwiesen.79 Dieser empfahl nach Einholung schriftlicher Stellungnahmen u. a. von Pflegeverbänden80 die Ableh74 Antrag der SPD-Fraktion vom 4.11.2010, LT-Drucks. 17/993. Die SPD-Abgeordnete Birte Pauls erläuterte im Parlament: „Eine Pflegekammer in Schleswig-Holstein wäre sehr hilfreich“ (Schleswig-Holsteiner Landtag, Plenarprotokoll Nr. 17/34 vom 19.11.2010, S. 2903). Dieser Forderung schloss sich auch die CDU-Abgeordnete Ursula Sassen an, die darauf hinwies, dass auch das Altenparlament am 24. Oktober 2010 einen entsprechenden Antrag angenommen hatte, Schleswig-Holsteiner Landtag, Plenarprotokoll Nr. 17/34 vom 19.11.2010, S. 2904. 75 Ausschuss für Soziales, Protokoll der 22. Sitzung vom 9.12.2010, LT-Drucks. 17/22, S. 21; Ausschuss für Soziales, Protokoll der 28. Sitzung vom 5.5.2011, LTDrucks. 17/28, S. 5 (dort vertagt); Ausschuss für Soziales, Protokoll der 32. Sitzung vom 18.8.2011, LT-Drucks. 17/32, S. 9 ff. Bericht und Beschlussempfehlung finden sich unter LT-Drucks. 17/1725. 76 Schleswig-Holsteiner Landtag, Plenarprotokoll Nr. 17/34 vom 16.11.2011, S. 5039. 77 Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, LT-Drucks. 17/1933 (neu). 78 Änderungsantrag der SPD-Fraktion, LT-Drucks. 17/2007. 79 Schleswig-Holsteiner Landtag, Plenarprotokoll Nr. 17/63 vom 17.11.2011, S. 5457. 80 Siehe die Stellungnahme der Nationalen Konferenz zur Errichtung von Pflegekammern in Deutschland, LT-Drucks. 17/3359; Stellungnahme des Ökumenischen Bildungszentrums für Berufe im Gesundheitswesen eGmbH (ÖBIZ), LT-Drucks. 17/3507; Stellungnahme des Landesverbandes Geriatrie Schleswig-Holstein, LTDrucks. 17/3509; Stellungnahme der Techniker Krankenkasse, Landesvertretung Schleswig-Holstein, LT-Drucks. 17/3515; Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft Heimmitwirkung Schleswig-Holstein, LT-Drucks. 17/3516; Stellungnahme des Pflegerates Schleswig-Holstein (PRSH), LT-Drucks. 17/3517; Stellungnahme des Deutschen Bundesverbandes für Pflegeberufe Nordwest e. V. (DBfK), LTDrucks. 17/3532; Stellungnahme des Pflegestützpunkts im Kreis Herzogtum Lauenburg, LT-Drucks. 17/3534; Stellungnahme des Universitätsklinikums Schleswig-

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

nung des Antrags.81 Dem folgte das Parlament in seiner Sitzung vom 26.4.2012 – mit einer knappen Mehrheit von 44 zu 43 Stimmen.82 Nach dem Regierungswechsel in Schleswig-Holstein bekennt sich nunmehr der Koalitionsvertrag zwischen der schleswig-holsteinischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dem Südschleswigschen Wählerverband ausdrücklich zu dem politischen Ziel, zur Stärkung der Attraktivität des Pflegeberufes eine Pflegekammer zu etablieren.83 Vor diesem Hintergrund fügten die die Regierung stützenden Fraktionen ihrem Antrag „Pflegeausbildung zukunftssicher machen und Attraktivität des Pflegeberufes stärken“84 im Laufe der Beratungen im Sozialausschuss auch die Forderung nach einer Einrichtung einer Pflegekammer bei.85 Ein Gesetzesentwurf zur Einrichtung einer Pflegekammer ist in Vorbereitung.86 Gleichzeitig leitete TNS Infratest Sozialforschung im Auftrag der Landesregierung eine Befragung der Pflegekräfte in Schleswig-Holstein ein.87

Holstein (UKSH), LT-Drucks. 17/3542; Stellungnahme der Landesverbände/Landesvertretungen der Pflegekassen in Schleswig-Holstein, AOK NordWest, BKK-Landesverband NORDWEST, IKK Nord, Knappschaft, Landwirtschaftliche Krankenkasse Schleswig-Holstein und Hamburg, VdEK, Verband der Ersatzkassen e. V., LTDrucks. 17/3544; Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen Landesverbände, LT-Drucks. 17/3545; Stellungnahme des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck (UKSH), LT-Drucks. 17/3546; Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Nord, LT-Drucks. 17/3548; Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Bezirk Nord, LT-Drucks. 17/3551; Stellungnahme des Bundesverbandes Pflegemanagement e. V., Landesgruppe Schleswig-Holstein, LT-Drucks. 17/3566; Stellungnahme des Forums Pflegegesellschaft, LT-Drucks. 17/3567. 81 Sozialausschuss, Bericht und Beschlussempfehlung, LT-Drucks. 17/2485; vgl. Sozialausschuss, Protokoll der 41. Sitzung vom 15.3.2012, LT-Drucks. 17/41 und Sozialausschuss, Protokoll der 43. Sitzung vom 19.4.2012, LT-Drucks. 17/43. 82 Schleswig-Holsteiner Landtag, Plenarprotokoll Nr. 17/78 vom 26.4.2012, S. 6820. 83 Koalitionsvertrag 2012–2017 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Landesverband Schleswig-Holstein), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Landesverband Schleswig-Holstein) und dem Südschleswigschen Wählerverband v. 12.6.2012, Bündnis für den Norden – Neue Horizonte für Schleswig-Holstein, Zeile 2058. 84 LT-Drucks. 18/183. 85 Nr. 5 der Beschlussempfehlungen, LT-Drucks. 18/329. 86 So die Aussage der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung Kristin Alheit bei der Abgabe eines Sachstandesberichts, Schleswig-Holsteiner Landtag, Plenarprotokoll Nr. 18/30 vom 18.6.2013, S. 2474. 87 http://www.schleswig-holstein.de/MSGFG/DE/Service/Presse/PI/2013/130710_ msgfg_Pflegekammer.html (14.8.2013). Zu den Ergebnissen unten S. 61 ff.

II. Aktuelle politische Entwicklungen

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cc) Niedersachsen In Niedersachsen reichen die aktuellen Bestrebungen zur Gründung einer Pflegekammer in die 16. Legislaturperiode zurück. Bereits 2010 hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Gesetzesentwurf zur Gründung einer Pflegekammer eingebracht.88 In dieselbe Kerbe schlug auch ein Entschließungsantrag der SPD-Fraktion mit dem Titel „Attraktivität der Pflegeberufe steigern – Pflegekammer einrichten“.89 Nach der ersten Lesung am 18.2.2010 hat das Parlament beide Anträge in den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit überwiesen.90 Zwar hat es den Gesetzesentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in seiner Plenarsitzung vom 17.7.2012 abgelehnt, den Entschließungsantrag der SPDFraktion in geänderter Form91 aber angenommen.92 Nach dem durch die Neuwahl des Jahres 2013 eingeläuteten politischen Richtungswechsel haben sich die Realisierungschancen für die Umsetzung des politischen Ziels einer Pflegekammer fühlbar erhöht. Die neue rot-grüne Landesregierung bekannte sich am 21.6.2013 zu dem Ziel, „die Einrichtung einer niedersächsischen Pflegekammer (. . .) zu beraten und zu entscheiden.“93 Zu diesem Zweck hat sie einen „Arbeitskreis Dialog Pflegekammer“ gegründet, der „auf Fachebene über die Errichtung einer Pflegekammer in Niedersachsen beraten und grundsätzliche Fragen der Umsetzung diskutieren“ soll.94 Im Jahr 2014 will die Landesregierung einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Einrichtung einer Pflegekammer vorlegen.95

88 Gesetzesentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, LT-Drucks. 16/2175. 89 Entschließungsantrag der SPD-Fraktion, LT-Drucks. 16/2179. Die SPD-Fraktion hatte außerdem am 17.8.2009 eine Expertenanhörung zu dieser Frage durchgeführt, vgl. http://www.spd-fraktion-niedersachsen.de/docs/til/artikel/318239.php (25.9. 2013). 90 Niedersächsischer Landtag, Plenarprotokoll Nr. 16/63 vom 18.2.2010, S. 7913. Zur Beratung im Ausschuss siehe die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, LT-Drucks. 16/4937 sowie den Schriftlichen Bericht, LT-Drucks. 16/5026. 91 Vgl. die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, LT-Drucks. 16/4937. 92 Niedersächsischer Landtag, Plenarprotokoll Nr. 16/141 vom 17.7.2012, S. 18345. 93 Antwort der Landesregierung auf eine Mündliche Anfrage gemäß § 47 der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages, LT-Drucks. 17/345, S. 11 f. 94 Die konstituierende Sitzung fand am 13.5.2013 statt. 95 LT-Drucks. 17/345, S. 33.

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

c) Politische Positionierung der anderen Bundesländer Auch in einigen anderen Bundesländern finden sich Überlegungen zur baldigen Gründung einer Pflegekammer. So wie bereits Bayern, RheinlandPfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein wollen auch die Länder Berlin,96 Hamburg,97 Mecklenburg-Vorpommern98 durch Befragungen den Willen der Pflegenden ermitteln. In Sachsen-Anhalt haben die Fraktionen der CDU und der SPD die Landesregierung aufgefordert, einen Bericht über das Für und Wider der Einrichtung einer Pflegekammer sowie deren Voraussetzungen vorzulegen.99 Einen Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, welcher zusätzlich eine repräsentative Befragung der Pflegekräfte verlangte,100 hat das Parlament abgelehnt.101 Der Bericht war für das Ende des 3. Quartals 2013 angekündigt.102 Die anderen Bundesländer, namentlich Baden-Württemberg103, Brandenburg,104 Hessen,105 Nordrhein-Westfalen,106 das Saarland107 und Sachsen,108 96 Dort soll noch im Jahr 2013 eine Befragung stattfinden, vgl. Ab in die Kammer, FAZ v. 15.7.2013, S. 19. 97 Ein entsprechender Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, LTDrucks. 20/8215, wurde in den Gesundheitsausschuss verwiesen, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Plenarprotokoll Nr. 20/62 vom 12.6.2013, S. 4801. Die Umfrage sollte im 4. Quartal 2013 stattfinden (Antwort des Senats auf eine schriftliche Anfrage, LT-Drucks. 20/8884, S. 1). 98 Pressemitteilung „Schwesig: Pflegeberufe werden im Rahmen der Sozialberichterstattung untersucht – Votum zu Pflegekammer“ des Ministeriums für Arbeit, Gleichstellung und Soziales des Landes Mecklenburg-Vorpommern v. 14.11.2012; das Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern hat einen Vertragsabschluss zur Durchführung dieser Umfrage für den September 2013 angekündigt, vgl. die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage, LT-Drucks. 6/2114, S. 1. 99 LT-Drucks. 6/2298. 100 Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, LT-Drucks. 6/2273. 101 Landtag Sachsen-Anhalt, Plenarprotokoll Nr. 6/48 vom 11.7.2013, S. 4184 f. Das Parlament hat an den Landespflegerat Sachsen-Anhalt jedoch die Bitte herangetragen, bei seinen Verbänden eine Mitgliederbefragung der Fach- und Hilfskräfte mit staatlich anerkanntem Abschluss zu veranlassen. 102 LT-Drucks. 6/2373. 103 Das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren des Landes beobachtet die Entwicklung in den anderen Bundesländern. Der Einrichtung einer eigenen Pflegekammer räumt es nach Auskunft des Ministeriumssprechers gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“ derzeit keine Priorität ein, vgl. Siekmann, Die Pflegekammer soll auch Verbrauchern nützen, Stuttgarter Nachrichten Online 14.5.2012; http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.selbstverwaltung-ge plant-die-pflegekammer-soll-auch-verbrauchern-nuetzen.38159e79-0d66-4c6a-8aad-f4 380375b016.html (26.9.2013).

II. Aktuelle politische Entwicklungen

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stehen der Gründung einer Pflegekammer bisher abwartend bzw. zurückhaltend gegenüber. Der Thüringer Landtag hat mit den Stimmen der SPD, FDP und der CDU einen Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Gründung einer Pflegekammer bereits in der ersten Lesung abgelehnt,109 ohne den Antrag in den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit zu überweisen.110 Ähnlich geschah es auch in Bremen. Hier hat die Bürgerschaft ebenfalls in erster Lesung einen Antrag der CDU-Fraktion, die Einrichtung einer Pflegekammer zu prüfen,111 mit den Stimmen aller anderen in der Bürgerschaft vertretenen Fraktionen abgelehnt.112

104 Auch dort will das Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie zunächst die Vorgänge insbesondere in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen beobachten, bevor es sich zu einer eigenen Initiative entschließt, Landtag Brandenburg, Plenarprotokoll Nr. 5/73 vom 20.3.2013, S. 5939. Die CDU-Fraktion fordert, die Voraussetzungen für die Errichtung einer Pflegekammer zu prüfen, insbesondere eine Befragung der in der Pflege tätigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durchzuführen (LT-Drucks. 5/8132). Der Landtag hat diesem Ansinnen jedoch in seiner 85. Sitzung am 22.11.2013 nicht entsprochen (BePr. 5/85, S. 3). 105 Parlamentarische Initiativen zur Gründung einer Pflegekammer finden sich hier bisher nicht. Die CDU und DIE LINKE lehnen eine Pflegekammer ab, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern sie. Siehe dazu die Zusammenstellung der Positionen der politischen Handlungsträger (zurückgehend auf eine Anfrage des Landespflegerates Hessen) bei Freund, Wahlprüfsteine des Landespflegerates Hessen zur Landtagswahl, 2013, S. 12 f.; abrufbar unter http://www.dbfk.de/WahlpruefsteineHessen.pdf (26.9.2013); ferner „Kopf-an-Kopf-Rennen um die Macht“, Ärztezeitung vom 18.9.2013, abrufbar unter www.aerztezeitung.de/news/article/845939/landtags wahl-hessen-kopf-an-kopf-rennen-macht.html (18.9.2013). 106 Dort fördert eine Recherche in der Parlamentsdatenbank keinerlei entsprechende parlamentarische Initiativen zutage. 107 Dort sind – ebenfalls wie in Bremen – die Pflegekräfte bereits Mitglied der Arbeitskammer. Anstelle einer Pflegekammer will die Landesregierung einen „Runden Tisch“ einsetzen, vgl. Ärzte Zeitung Online, „Jein zur Pflegekammer“, 5.4.2013, abrufbar unter http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/pflege/ar ticle/836536/saarland-jein-pflegekammer.html (26.9.2013). 108 In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Kerstin Lauterbach, DIE LINKE, vom 26.2.2013, LT-Drucks. 5/11340, hat das Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz am 26.3.2013 in einem Schreiben seine abwartende Haltung gegenüber Plänen zur Errichtung einer Pflegekammer bekundet, insbesondere weder eine Befragung der Pflegekräfte noch eine gesetzgeberische Initiative in Aussicht gestellt (LT-Drucks. 5/11340–2). 109 Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, LT-Drucks. 5/5085. 110 Thüringer Landtag, Plenarprotokoll Nr. 5/105 vom 13.12.2012, S. 9914 f. 111 LT-Drucks. 18/361. 112 Bremische Bürgerschaft, Plenarprotokoll Nr. 18/23 vom 11.7.2013, S. 1503 f.

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

d) Zusammenfassung Die politische „Pflegekammer-Landkarte“ Deutschlands ist zweigeteilt. In Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sind die Pläne zur Gründung einer Pflegekammer bereits weit gediehen. Zahlreiche Bundesländer verhalten sich abwartend. Nur in wenigen Bundesländern versagen sich die Politiker aber vollends den Forderungen der Pflegekammerbefürworter. Angesichts der zahlreichen, bisweilen flammenden landespolitischen Absichtserklärungen gewinnt der unbefangene Betrachter geradezu den Eindruck, als befänden sich Politiker gegenwärtig in einem Planungswettbewerb um das politische Denkmal des Architekten und Bauherrn einer Pflegekammer. Die Aussichten für eine baldige Gründung der ersten Pflegekammer auf deutschem Boden waren noch nie so gut wie derzeit.

III. „Eine Stimme für die Pflege“ – rechtfertigende Zielsetzungen und Vorzüge einer Pflegekammer Unter den Gesetzesinitiativen ist der Gesetzesentwurf der Bayerischen Staatsregierung vom 7. März 2011 zur Änderung des Heilberufe-Kammergesetzes und anderer Gesetze der gegenwärtig wohl am weitesten ausgereifte Referentenentwurf für das Modell der Pflegekammer. Er eignet sich daher als Folie für die rechtliche Analyse einer Verkammerung der Pflegeberufe. Der BayHKaG-E will grundsätzlich alle nichtakademischen Gesundheitsfachberufe einer Verkammerung unterwerfen, wie sie für die akademischen Gesundheitsfachberufe bereits besteht. Zu diesem Zweck soll das BayHKaG in einem „Sechsten Teil“ um die Art. 65a bis 65g ergänzt werden. Ein ähnliches Regelungskonzept schwebt auch dem Land Rheinland-Pfalz vor. Schleswig-Holstein plant demgegenüber ein Errichtungsgesetz zur Gründung einer Pflegekammer, das auf den Aufgabenkatalog des Heilberufegesetzes verweist. 1. Die Grundidee funktionaler Selbstverwaltung Mit der Gründung einer Pflegekammer überlässt der Staat die Aufgabenerfüllung den durch die Sachaufgabe Betroffenen zur Selbstregulierung. Er bindet dadurch fachlichen Sachverstand nahtlos in staatliche Entscheidungsprozesse im Wege „organisierte(r) Beteiligung der sachnah Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen“113 ein. Das Regelungskonzept der Verkammerung im Wege funktionaler Selbstverwaltung geht davon aus, dass niemand besser die Herausforderungen und Interessen einer Berufs113

BVerfGE 107, 59 (92).

III. „Eine Stimme für die Pflege“

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gruppe kennt, vertreten und sachkundig gestalten kann als deren Mitglieder selbst. Indem es ihnen Regelungsverantwortung zur eigenständigen Lösung sie berührender Fragen anvertraut und gesellschaftliche Kräfte im Interesse der Mehrung des Gemeinwohls aktiviert, verkürzt es die regulative Distanz zwischen Normgeber und Normunterworfenen.114 Funktionale Selbstverwaltung ist gekennzeichnet durch die selbstständige, von fachlichen Weisungen freie Wahrnehmung pauschal überlassener bzw. zugewiesener Aufgaben. Sie ist Ausdruck gelebter Demokratie. Denn sie knüpft an die innerberufliche demokratische Willensbildung die Freiheit zur Selbstgestaltung derjenigen Angelegenheiten, welche die gemeinsamen beruflichen Interessen berühren. Ihr geht es um die Verbindung von Subsidiarität (gegenüber staatlicher Regulierung) und Solidarität (unter den Berufsangehörigen): Die dezentrale, aus den Strukturen unmittelbarer Landesverwaltung herausgelöste Problembewältigung unter Mitwirkung der betroffenen Akteure und unter staatlicher Aufsicht mit hoheitlichen Mitteln soll für eine optimale Aufgabenerfüllung bürgen. Ihre Mission besteht darin, die Einzelinteressen der Mitglieder des Berufszweiges zu bündeln, auszugleichen und gegenüber der Gesellschaft und dem Gesetzgeber sachgerecht zu vertreten sowie eine Überwachung der Berufsmitglieder und ihrer Arbeitsweise vorzunehmen. Von dem Modell des Zusammenschlusses von Gruppen zu einer Selbstverwaltungskörperschaft im Wege der Pflichtmitgliedschaft hat der Gesetzgeber bereits in einer Vielzahl von Rechtsbereichen Gebrauch gemacht. Das gilt längst nicht alleine in der berufsständischen Selbstverwaltung der freien Berufe, etwa der Rechtsanwälte, Ärzte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Ingenieure, Architekten und Notare: Sie sind kraft Gesetzes Mitglieder ihrer berufsständischen Kammerorganisation (vgl. §§ 60 ff. BRAO; §§ 65 ff. BNotO; §§ 73 ff. StBerG). Auch im allgemeinen Wirtschaftsrecht setzt der Gesetzgeber es als Katalysator gruppenpluraler wirtschaftlicher Selbstverwaltung ein, bspw. in Gestalt der Industrie- und Handelskammern bzw. Handwerkskammern als Interessenvertretung der Gewerbetreibenden bzw. Handwerksbetriebe eines Bezirks (vgl. §§ 1 ff. IHKG bzw. §§ 90 ff. HandwO). Anwendung findet das Instrument der Pflichtmitgliedschaft (jedenfalls in manchen Bundesländern) aber auch im Hochschulrecht: Mit der Einschreibung werden Studierende Pflichtmitglieder der verfassten Studierendenschaft (vgl. z. B. § 53 HochschulG NRW). Sie haben dann solidarisch zur Finanzierung der Aufgaben der Studierendenschaft beizutragen. Gerade im Bereich des Sozialversicherungsrechts ist die Pflichtmitgliedschaft ein wichtiger Stützpfeiler solidarischer Finanzierung der Versorgungslasten. Das System der Sozialversicherung lebt vom Gedanken eines 114

BVerfGE 33, 125 (156 f.).

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

institutionellen Gleichgewichts unterschiedlicher, korporatistisch strukturierter Interessenbündelungen, die ihre Interessen in den Entscheidungsfindungsprozess einspeisen. Die Sozialversicherungsträger, etwa die gesetzlichen Krankenkassen und die Deutsche Rentenversicherung Bund sowie die Berufsgenossenschaften (§§ 143 ff. SGB V; § 114 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VII; § 126 f. SGB VI), sind als pflichtmitgliedschaftliche Zusammenschlüsse konzipiert, welche die finanziellen Lasten typischer Lebensrisiken ihrer Mitglieder schultern. Diese Selbstverwaltungsträger sind nicht – wie Interessenverbände, die private und gesellschaftliche Interessen bündeln – Produkte gesellschaftlicher Selbstorganisation oder grundrechtlicher Freiheitsausübung, sondern „Zweckschöpfungen des Staates“,115 die als Hoheitsträger staatliche Aufgaben unter größtmöglicher Einbeziehung der Betroffenen wahrnehmen. Zur Erreichung dieser Ziele haben sich die Berufskammern in der Vergangenheit grundsätzlich bewährt. An diese Erfahrungen und Erfolge will die Pflegekammer anknüpfen. Sie soll das Selbstorganisationsrecht und damit den Berufsstand insgesamt sowie die Attraktivität des ausgeübten Berufs stärken. Im Idealfall trägt sie dazu bei, eine qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Pflegeleistungen sicherzustellen, die beruflichen Ziele der Berufsgruppe zu fördern und damit eine Professionalisierung der Pflegeberufe und ihrer Dienstleistungen zu erreichen.116 Auf der Grundlage dieser Zielvorstellung normiert Art. 65a BayHKaG-E117 eine eigenständige öffentlich-rechtlich verfasste Berufsvertretungskörperschaft für die Berufe des Gesundheits- und Krankenpflegers, des Gesundheits- und Kinderkrankenpflegers und des Altenpflegers.118 Die Mitgliedschaft in der Pflegekammer knüpft an eine Erlaubnis zum Führen einer Berufsbezeichnung nach dem Krankenpflegegesetz oder dem Altenpflegegesetz an. Wenn einer dieser Berufe in Bayern ausgeübt wird oder (auch ohne Berufsaus115

Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 369. Siehe dazu im Einzelnen unten S. 39 ff. sowie etwa Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (Fn. 33), S. 14; Wagner (Fn. 35), S. 92. 117 „(1) Es wird eine Berufsvertretung der Gesundheits- und Krankenpfleger, der Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und der Altenpfleger errichtet. (2) Die Berufsvertretung nach Absatz 1 ist die Landeskammer der Gesundheitsund Krankenpfleger, der Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und der Altenpfleger (Pflegekammer). (3) 1Die Pflegekammer ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. 2Sie führt ein Dienstsiegel.“ 118 Die Einbeziehung der jeweiligen Helferberufe ist danach nicht geplant. Bei diesen handelt es sich (wie das BVerfG klargestellt hat [BVerfGE 106, 62 (129)]) zwar nicht um Heilberufe im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG. Ihrer Verkammerung steht das jedoch nicht entgegen. Für ihre Regulierung kommt den Ländern vielmehr uneingeschränkt die Gesetzgebungskompetenz zu; vgl. dazu auch S. 102 ff. 116

III. „Eine Stimme für die Pflege“

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übung) in Bayern ein Wohnsitz besteht (Art. 65b BayHKaG-E),119 greift die Pflichtenbindung. Für Berufsangehörige, die länderübergreifend in verschiedenen Kammerbezirken tätig sind, kann sich nach der Vorstellung des Bayerischen Entwurfs damit eine mehrfache Mitgliedschaft ergeben.120 2. Aufgaben einer Pflegekammer Die Kammeraufgaben beschreibt Art. 65g BayHKaG-E121 durch Verweis auf die Grundnorm des Art. 2 BayHKaG, der sinngemäß Anwendung finden soll. Zu den Aufgaben der Pflegekammer sollen danach – wie bei den Ärztekammern – die Wahrnehmung der allgemeinen beruflichen Belange und die Überwachung der Erfüllung der pflegerischen Berufspflichten ebenso gehören wie die Förderung der beruflichen Weiterbildung, die Schaffung sozialer Einrichtungen, die Einbindung pflegerischen Sachverstandes in die Gesundheitsregulierung und die Mitwirkung in der öffentlichen Gesundheitspflege. Dazu gehört auch die Zulassung von Weiterbildungsstätten sowie die Gleichwertigkeitsprüfung absolvierter Weiterbildungen und die Erlaubniserteilung bei Zusatzbezeichnungen (Art. 69 f. BayHKaG-E).122 Herzstück des Rege119 „(1) Mitglieder der Pflegekammer sind alle Berufsangehörigen, die eine Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung als Gesundheits- und Krankenpfleger (Gruppe 1), Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger (Gruppe 2) oder Altenpfleger (Gruppe 3) besitzen und 1. einen dieser Berufe in Bayern ausüben oder 2. ohne einen dieser Berufe auszuüben, in Bayern ihre Hauptwohnung haben. (2) Sie sind verpflichtet, sich bei der Pflegekammer an- und abzumelden.“ 120 S. 6 der Begründung des BayHKaG-E: „Bei einer länderübergreifenden Tätigkeit eines Heilberufsangehörigen in verschiedenen Kammerbezirken ist klarzustellen, dass damit eine Mitgliedschaft in jeder betroffenen Kammer begründet wird (sog. Mehrfachmitgliedschaft). Innerhalb Bayerns wird die Mitgliedschaft in einer Berufsvertretung festgeschrieben, auch wenn der Heilberufsangehörige seinen Beruf im Zuständigkeitsbereich mehrerer Berufsvertretungen (Bezirks- oder Kreisverband) ausübt (sog. Monomitgliedschaft).“ Zu den Fragen von Doppelmitgliedschaften siehe Heusch, Rechtsfragen der Doppelmitgliedschaft in Kammern, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts 2005, 2006, S. 13 (20 f.). 121 „Im Übrigen finden auf die Berufsausübung und die Berufsvertretung der Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und der Altenpfleger die Vorschriften der Abschnitte I, II, IV und V des Ersten Teils, ausgenommen Art. 18 Abs. 2, sowie die Art. 55 und 59 Abs. 2 und 3 sinngemäß Anwendung.“ 122 „(2) 1Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und Altenpfleger dürfen neben ihrer Berufsbezeichnung weitere Bezeichnungen als Zusatzbezeichnung führen, die auf zusätzlich erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich gemäß der Weiterbildungsordnung hinweisen. 2 Mehrere Zusatzbezeichnungen dürfen nebeneinander geführt werden. (3) 1Eine Bezeichnung nach Absatz 2 darf führen, wer eine Anerkennung erhalten hat. 2Über die Anerkennung entscheidet die Pflegekammer. 3Das Nähere regelt die Weiterbildungsordnung.“

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

lungskatalogs ist dabei die Ermächtigung der Kammer, die Berufsausübung regulierendes Satzungsrecht zu erlassen (Art. 18 Abs. 3, 19 BayHKaG).123 Der Aufgabenkanon umfasst damit den klassischen kammertypischen Dreiklang „Standesvertretung“ [unten a)], „Standesförderung“ [unten b)] und „Standesaufsicht“ [unten c)].124 a) Standesvertretung Der Öffentlichkeit mangelt es keineswegs an einem (abstrakten) Bewusstsein für die Nöte und Bedürfnisse der Pflegeberufe. Was aber nach Einschätzung von Beobachtern fehlt, ist ein Sprachrohr, das die Interessen der Pflegenden gegenüber der Gesellschaft und konkurrierenden Interessen wirksam, hörbar und mit dem Legitimitätsanspruch vollständiger Interessenrepräsentation artikuliert. Berufsverbände können ihrem Wesen entsprechend nur für ihre Mitglieder, nicht aber für alle Pflegenden sprechen. Anders als diese kann eine pflichtmitgliedschaftliche Organisation diesem Anspruch dadurch gerecht werden, dass sie die Interessen der vertretenden Berufsgruppe systematisch, kontinuierlich und professionell organisiert vertritt. Eine Pflegekammer bündelt die gemeinsamen beruflichen Interessen der Berufsgruppe in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem Anspruch auf vollständige und verbindliche Interessenkonkretisierung und kommuniziert sie nach innen und nach außen. An die Stelle eines vielstimmigen Chors unterschiedlicher Vereinigungen und Interessenartikulationen tritt dann im Idealfall eine einheitliche Interessenvertretung, die mit einer Stimme gegenüber dem Staat, der Gesellschaft und anderen Akteuren des Gesundheitswesens zu sprechen vermag. Ob dies einen entscheidenden Beitrag zur (von vielen Befürwortern der Pflegekammer erhofften) Verbesserung des Ansehens und der Wertschätzung pflegerischer Leistungen zu erbringen vermag, 123 Die regelungstechnische Konstruktion des Verweises erweist sich als problematisch. Angesichts der in ihrer Struktur und ihren Aufgaben unterschiedlichen Sachbereiche der Pflege und der Ärzteschaft verbindet sich mit einer „sinngemäßen“ Anwendung ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Kompetenz der Kammern, insbesondere der Reichweite ihrer Satzungsbefugnis. Sachgerechter, wenn nicht gar geboten, wäre es, spezifisch auf die Pflegekammer zugeschnittene Vorschriften unter Beschränkung auf die regelungsfähigen Gegenstände vorzuhalten. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Satzungsbefugnis – insbesondere hinsichtlich der Dokumentationspflichten, der Qualitätssicherung und der Fortbildungsverpflichtungen – aufgrund von Überschneidungen mit den Regelungen des sozialrechtlichen Leistungserbringungsrechts (vgl. insbesondere §§ 71 ff., 113 ff. SGB XI und § 132a SGB V; dazu im Einzelnen insbesondere unten S. 92 ff.) de lege lata bereits prädeterminiert ist. 124 Vgl. zu dieser Charakterisierung auch etwa Gallwas, MedR 1994, 60; Seewald (Fn. 50), S. 22.

III. „Eine Stimme für die Pflege“

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ist damit noch nicht gesagt. Denn Letztere sind primär von anderen Kriterien und Voraussetzungen als von einer Standesvertretung abhängig (vgl. dazu auch unten S. 57). Mit der Aufgabe der Standesvertretung soll sich die Pflegekammer vor allem in der politischen Einflussnahme um die Wahrnehmung der Interessen des Berufsstandes verdient machen und pflegerische Fachkompetenz in gesundheitspolitische Entscheidungen hineintragen. Als repräsentatives Vertretungsorgan vermag sie den in der Schar der Mitglieder von Pflegeberufen verstreut vorhandenen Wissensschatz zu heben und als institutionelles Gedächtnis im Dienste der Gesellschaft Nutzen stiftend einzubringen. Er soll einfließen in die Entwicklung von Versorgungs- und Bildungskonzepten zur Zukunftsgestaltung der Pflege und für die Gesellschaft wie für Mitglieder des Berufsstandes Informations- und Öffentlichkeitsfunktion wahrnehmen. Mit ihrem Sachverstand sollen die Vertreter der Pflegeberufe auf der Grundlage einer professionalisierten Organisationsstruktur gesundheitspolitische Weichenstellungen kompetent begleiten; als rechte Hand des Gesetzgebers bereichern sie regulatorische Entscheidungen sowie Gesetzesvorhaben um ihr geronnenes praktisches Erfahrungswissen. Zu diesem Zweck soll die Pflegekammer insbesondere durch Stellungnahmen, Berichte und Gutachten für Gesetzgebungsprozesse, Behörden und Gerichte zu gesundheitspolitischen, die Pflege berührenden Themen den gesellschaftlichen Diskurs befruchten. Im Idealfall stellt das den Transfer abstrakter pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse in die berufliche Praxis im Interesse einer optimalen Versorgung der Bevölkerung mit Pflegeleistungen reibungsfrei sicher. b) Standesförderung Fester Bestandteil des klassischen Aufgabenkanons berufsständischer Selbstverwaltung ist die Unterstützung und Beratung der Berufsmitglieder in allgemeinen berufsstandsbezogenen Fragen – ferner die Entwicklung und Förderung des Berufsverständnisses, insbesondere die Wahrnehmung von Befugnissen in der Fort- und Weiterbildung. Das Recht, an der beruflichen Fortbildung mitzuwirken, gilt gleichsam als Königsrecht der Berufskammern.125 Berufskammern beteiligten sich an der Konkretisierung der Ausbildungsstandards126 und erarbeiten als Teil ihrer Selbstverwaltungskom125

Musielak/Detterbeck, Das Recht des Handwerks, 3. Aufl. 1995, § 91, Rdnr. 18 für den Bereich der Handwerkskammern. 126 Der gesetzliche Rahmen der Heilberufeausbildung liegt demgegenüber in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die dieser etwa durch das AltPflG und das KrPflG weitgehend wahrgenommen hat. Insoweit ist den Ländern die Gesetzgebung verschlossen (vgl. dazu im Einzelnen unten S. 105 ff.).

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

petenz insbesondere Weiterbildungsordnungen für ihre Mitglieder, die konkrete Pflichten zur Wahrnehmung von Weiterbildungsangeboten begründen.127 In dieser Funktion zertifizieren sie dann Fortbildungsveranstaltungen bzw. -anbieter und sind berechtigt, Fortbildungszertifikate auszustellen. Sie tragen die Erkenntnisse ihrer Fachdisziplin als Kompetenzzentrum berufsständischen Sachverstandes zusammen sowie das damit verbundene berufsrechtliche Selbstverständnis in die Öffentlichkeit hinein. Die Pflegekammer richtet eine Schlichtungskommission zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Berufsangehörigen bzw. zwischen Berufsangehörigen und Dritten ein. Sie benennt Gutachter für Streitfälle fachlicher Beurteilung pflegerischer Leistungen. Bislang nehmen diese Aufgabe noch überwiegend Ärzte wahr. Durch die Selbstorganisation beruflichen Sachverstandes soll eine Pflegekammer dazu beitragen, dass die Berufsgruppe der Pflegenden ihren Platz im Gesundheitswesen einnehmen und gegenüber konkurrierenden Interessen mit hörbarer Stimme vertreten kann. Ihren wissenschaftlichen Unterbau liefert die Pflegewissenschaft. Deren Förderung als eigenständige Disziplin ist die Pflegekammer um der Autonomie und der Qualität der Pflege willen verschrieben.128 Damit verbindet sich auch die Hoffnung, ein einheitliches Qualitätsniveau der Berufsausübung sichern und die Berufsmitglieder vor den mit einer möglichen Abwärtsspirale der Qualität129 verbundenen Folgen bewahren sowie die Attraktivität des ausgeübten Berufes in der öffentlichen Wahrnehmung erhöhen zu können. c) Standesaufsicht Zu den Kernaufgaben einer beruflichen Kammerorganisation gehört traditionell die Berufsaufsicht, also die Kontrolle sachgerechter Wahrnehmung der beruflichen Pflichten entsprechend den ethischen und rechtlichen Grundlagen des Berufsstandes. Die Standesaufsicht ist der hoheitliche und damit grundrechtssensibelste Kern kammertypischer Aufgabenwahrnehmung. Nach dem Vorbild der Kammern freier Berufe soll die Pflegekammer mithilfe ihres Rügerechts130 sowie durch die Einleitung standesrechtlicher Verfahren disziplinarrechtliche Befugnisse im Interesse der gesamten Mitglieder des Berufsstandes ausüben.131 127 Kritisch dazu Dielmann, Dr. med. Mabuse Nr. 200 (2012), 53 f. Er befürchtet eine Zersplitterung der Aus- und Fortbildungsvorschriften aufgrund der Kompetenzen der einzelnen Landeskammern. Letztere gehören aus seiner Sicht in die Hände staatlicher Organe; die Gründung von Pflegekammern sei daher kontraproduktiv. 128 Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (Fn. 33), S. 15. 129 Vgl. zur ökonomischen Ursache dieser Gefahren unten S. 77 ff. 130 Vgl. etwa für die Rechtsanwälte § 74 Abs. 1 S. 1 BRAO, für Ärzte z. B. Art. 38 Abs. 1 S. 1 BayHKaG.

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Voraussetzung für die sachgerechte Ausübung dieses Sanktionsrechts ist die Herausbildung eines Berufsethos der verkammerten Berufe. Bei Pflegeberufen gehört dazu auch die Vorbereitung von und Mitwirkung an pflegerischen Qualitätsstandards und ressourcenorientierten Pflegekonzepten. Die Pflegekammer soll nach ihrem Anspruch pflegewissenschaftliche Erkenntnisse schnell und in standardisierter Form in die berufliche Praxis einspeisen und Standards für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit setzen. Mit der Wahrnehmung berufsaufsichtlicher Funktionen können Pflegekammern zu einer Professionalisierung der Pflegeberufe und ihrer Dienstleistungen beitragen und damit eine qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Pflegeleistungen sicherstellen.132 Zu diesem Zweck erlassen einige im Ausland eingerichtete Pflegekammern für ihre Angehörigen Codes of Conduct, beaufsichtigen die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung und sanktionieren Verletzungen der ständischen Berufspflichten.133 Um die Ziele der Berufsaufsicht erreichen zu können, liegt auch die systematische Erfassung aller Personen, welche die Erlaubnis zur Ausübung von Pflegeberufen besitzen, international in den Händen der Pflegekammern.134 Bislang ist weitgehend unklar, wie viele Personen pflegerische Leistungen auf der Grundlage einer entsprechenden Ausbildung in Deutschland erbringen und wo sie ihre Tätigkeit ausüben. Die bestehenden Berufsverbände sind ausschließlich zur Registrierung ihrer eigenen Mitglieder legitimiert. Versuche freiwilliger Registrierungen sind bisher im Sande verlaufen. Im Jahr 2003 haben bspw. der Deutsche Pflegeverband (DVP) und der Deutsche Pflegerat eine Initiative ins Leben gerufen, die allen Pflegenden eine freiwillige Registrierung ermöglicht. Bis zum Jahr 2009 gelang es ihnen lediglich, weniger als 9.000 der geschätzt 1,2 Millionen Pflegekräfte zu erreichen.135 Daran wird die – gerade im Bereich der Pflege ausgeprägte – geringe Mobilisierungskraft der bestehenden Berufsverbände paradigmatisch sichtbar. Die selbstverwaltende Berufsaufsicht gründet sich legitimatorisch zum einen auf den Gedanken, dass die jeweiligen Berufsmitglieder selbst am ehesten ein vitales Interesse an einer sachgerechten Erfüllung beruflicher Pflich131 Kritisch dazu Dielmann (Fn. 127), 54. Er hält aufgrund der Interessenverquickung der Berufsmitglieder die Überprüfung von Berufsrechtsverstößen durch ordentliche Gerichte (bzw. landesunmittelbare Behörden) als unabhängige Dritte für den Weg der Wahl. 132 Vgl. Wagner (Fn. 35), S. 92. 133 Vgl. dazu auch die Zusammenstellung der Aufgaben und Befugnisse ausländischer Pflegekammern unten S. 44 ff. 134 Siehe dazu im Einzelnen auch S. 44 ff. 135 Die Daten sind der Internetseite des Verbandes (http://www.dpv-online.de/ registrierung.htm [14.8.2013]) entnommen.

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ten haben. Denn Schlechtleistungen von Berufskollegen strahlen auf die gesamte Berufsgruppe aus und beeinträchtigen die Interessen all ihrer Mitglieder. Aus diesem Grunde gesteht die Rechtsprechung den Kammern für die freien Berufe auch die Aktivlegitimation zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen im Interesse der Mitglieder der gesamten Berufsgruppe zu (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG).136 Zum anderen können die Berufsmitglieder selbst regelmäßig die Einhaltung fachlicher Standards und die Angemessenheit darauf bezogener Regelverletzungen am besten einschätzen. Sie speisen ihr Wissen dort in staatliche Entscheidungsprozesse ein, wo den staatlichen Entscheidungsträgern der Erkenntnishorizont fehlt. Mittelbar entlastet eine Pflegekammer dadurch die landesunmittelbare staatliche Verwaltung von der Wahrnehmung einzelner Aufgaben, die diese mit ihrer schwachen personellen Besetzung bislang häufig nur eingeschränkt nachzukommen vermochte.137 Auf sachliche und örtliche Spezifika kann diese nicht mit der gleichen Schnelligkeit und auf der Grundlage der gleichen Sachnähe wie Selbstverwaltungseinrichtungen138 (dafür umgekehrt aber mit unbefangener, von Eigeninteressen befreiter Distanz) reagieren.

IV. Pflegekammern als Instrument berufsständischer Selbstorganisation im europäischen und internationalen Vergleich Mit der Einführung einer berufsständischen Selbstverwaltung für Pflegepersonal betreten die deutschen Bundesländer im internationalen Vergleich keineswegs Neuland. In mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, aber auch außerhalb Europas, insbesondere in Australien,139 Kanada,140 136 BVerfGE 111, 366 (371); BGH, GRUR 1972, 607; BGHZ 109, 153; BGH, NJW 1997, 2681; NJW 1998, 2533; NJW 2002, 2039; GRUR 2003, 349; GRUR 2003, 886; OLG Bremen, NJW 2007, 1539; OLG Nürnberg, NJW 2007, 1984; OLG Hamm, NJW 2007, 2191; OLG Karlsruhe, NJW 2009, 3663; OLG Bamberg, Urt. v. 25.5.2011 – 3 U 7/11; OLG Jena, GRUR-RR 2012, 29; KG Berlin, MRD 2012, 794. 137 Vgl. auch BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (336); dazu auch allgemein bspw. Heusch, Was müssen die Kammern tun, um die Akzeptanz der Selbstverwaltung weiter zu stärken?, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammerund Berufsrechts 2010, 2011, S. 137 (141). 138 Vgl. BVerfGE 33, 125 (157). 139 Es existieren 14 „National Boards“, welche die Arbeit des „Nursing and Midwifery Board of Australia“ unterstützen. Letzteres wurde durch ein Parlamentsgesetz gegründet und ist bei seiner Arbeit an das „Health Practitioner Regulation National Law (2009)“ gebunden. Informationen zu den Aufgaben, der Zusammensetzung und der gesetzlichen Grundlage des „Nursing and Midwifery Board of Australia“ und

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Neuseeland,141 Südafrika142 und den USA,143 haben sich für die Beschäftigten in Pflegeberufen bereits unterschiedlich strukturierte institutionelle Formen berufsständischer Selbstverwaltung etabliert.144 Die Berufsvertretungen der Pflegekräfte (Nursing Boards bzw. Nursing Councils) blicken dabei teilweise auf eine Tradition von einem Jahrhundert zurück. Befürwortern des Systems der Pflegekammer dienen diese gerne als Blaupause für eine deutsche Regulierung der Gesundheitsberufe.145 Das Ansehen, das Pflegekräfte in einigen dieser Länder genießen, und ihre Stellung im Gesundheitswesen „auf Augenhöhe“ mit den anderen Berufsgrupden „National Boards“ sind abrufbar unter http://www.nursingmidwiferyboard.gov. au/About.aspx (11.8.2013). 140 In Kanada existieren zwölf „Bezirksorganisationen“ der ständischen Berufsvertretung, welche die Bestimmungen zur Berufsausübung der Schwestern/Pfleger rechtlich ausgestalten. Ihre gesetzliche Grundlage bilden die „Registered Nurse Acts“ jedes Bezirkes (vgl. exemplarisch für den Bezirk Skatchewan http://www. qp.gov.sk.ca/documents/English/Statutes/Statutes/R12-2.pdf [11.8.2013]). Vertreter der Bezirksorganisationen sind im „Canadian Council of Registered Nurse Regulators“ vereint. Dieser Verband stimmt das Vorgehen seiner Mitgliedsorganisationen ab und gewährleistet so die Einheitlichkeit des Außenauftritts. Eine Übersicht über die bestehenden Kammerorganisationen mit entsprechenden Verweisen auf deren eigene Internetauftritte ist abrufbar unter http://www.ccrnr.ca/ (11.8.2013). 141 Das sog. „Nursing Council of New Zealand“ ist auf der Grundlage des „Nurses Act“ und des „Health Practitioners Competence Assurance Act“ (Art. 114 Abs. 3; abrufbar unter www.legislation.govt.nz/act/public/2003/0048/latest/whole. html#DLM204329) entstanden. Informationen zu den Aufgaben und der Struktur dieser Organisation sowie zu ihrer gesetzlichen Grundlage sind abrufbar unter http://nursingcouncil.org.nz/ (11.8.2013). 142 Das „South African Nursing Council“, eingerichtet unter dem „Nursing Act 1944 (Act No. 45 of 1944)“, hält in seinem offiziellen Internetauftritt (abrufbar unter http://www.sanc.co.za/ [11.8.2013]) weitere Informationen zum Aufgabenspektrum, zur Zusammensetzung und seinem rechtlichen Rahmen bereit. 143 In den USA gibt es insgesamt 60 „Nursing Boards“. Einige der Staaten haben mehrere „Boards“ eingerichtet. Einheitlichkeit erreichen die zahlreichen Organisationen durch ihren Zusammenschluss unter dem gemeinsamen Dach des „National Council of State Boards of Nursing“. Nähere Informationen zu der Dachorganisation und den einzelnen „Boards“ – einschließlich der jeweils geltenden „Nurse Practice Acts“ – sind abrufbar unter https://www.ncsbn.org/contactbon.htm (11.8.2013). 144 Eine geraffte vergleichende Analyse dieser Kammerorganisationen findet sich bei Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (Fn. 33), S. 18 ff.; Kellnhauser (Fn. 23), S. 109 ff.; Schwochert, Deutsche Krankenpflege-Zeitschrift 1992, 329 (329). 145 Hanika sieht Deutschland im europäischen Vergleich in einer „Schlusslichtposition“. Pflegebedürftigkeit sei ein europaweites Problem, das Handlungsvorgaben europäischer Gremien erfordere. Hanika, Heilberufe/Das Pflegemagazin, 64 (2012), 16 (17); vgl. auch Schwochert (Fn. 144), 329. Ähnlich auch die Stellungnahme des „Fördervereins zur Errichtung einer Pflegekammer in Hamburg e. V.“, abrufbar unter http://www.pflegekammer-hh.de/ (14.8.2013).

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pen erscheinen auf den ersten Blick bereits Grund genug, ein solches System der Interessenbündelung auch in Deutschland zu etablieren. Valide ist der Vergleich über die europäischen Grenzen hinweg freilich nur, wenn Ursache- und Wirkungsfaktoren des Ansehens und der Stellung der Berufsgruppe in der Gesellschaft klar zurechenbar sind. Die Strukturen sowie Zielsetzungen ausländischer Nursing Boards bzw. Nursing Councils müssen ferner mit dem angedachten deutschen öffentlich-rechtlichen Kammersystem vergleichbar sein, um als taugliche Referenzgröße gelten zu können. Sonst entpuppt sich die Blaupause als Zerrbild und Chimäre, die unrealistische Erwartungen weckt, indem sie „Äpfel mit Birnen“ vergleicht. 1. Disparate Ausgestaltung von Nursing Boards in den europäischen und außereuropäischen Ländern Vorreiter einer beruflichen Selbstorganisation der Pflegenden ist Großbritannien. Dort registrieren sich die Mitglieder der Pflegeberufe bereits seit dem Jahr 1887 auf freiwilliger und seit dem Jahr 1919 auf gesetzlich festgeschriebener Basis in dem für sie zuständigen Council. Seit dem Jahr 2002 ist nunmehr das „Nursing and Midwifery Council“ (NMC) für die Aufgabenwahrnehmung zuständig.146 Dort sind derzeit 670.000 im Gesundheitswesen tätige Personen registriert.147 Andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind der britischen Idee gefolgt und haben für die in den Pflegeberufen Beschäftigten ähnliche Institute berufsständischer Selbstverwaltung eingerichtet, unter anderem Irland,148 Italien,149 Malta,150 Polen,151 Portugal,152 die Slowakei,153 Slowe146

Zuvor war das „United Kingdom Central Council for Nursing, Midwifery and Health Visiting“ (UKCC) zuständig, welches aus den 1919 gesetzlich geschaffenen Pflegekammern für England, Schottland, Wales und Irland im Jahr 1983 hervorgegangen ist. Die gegenwärtige gesetzliche Grundlage des Council bildet Art. 3 des „Nursing and Midwifery Order 2001“, abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ uksi/2002/253/pdfs/uksi_20020253_en.pdf (11.8.2013). 147 Vgl. http://www.nmc-uk.org/About-us/ (14.8.2013). 148 Das „Nursing and Midwifery Board of Ireland“ wurde bereits durch den „Nurses Act 1950“ gegründet. Weitere Informationen zu der Organisation und ihrem Aufgabenbereich finden sich unter www.nursingboard.ie (11.8.2013). 149 In Italien existieren landesweit gemeinnützige öffentlich-rechtliche Organisationen, denen die umfassende Aufgabe zukommt, die internen und externen Belange der Pflegekräfte, insbesondere die Sicherung der Leistungsqualität entsprechend den fachberuflichen Standards zu regeln und die Belange der Patienten zu schützen. Die regionalen Organisationen sind unter dem Dach der „Federazione Nationale Collegi Infermieri“ vereint. Dieses ist auch für die Registrierung der Berufsangehörigen zuständig. Weitere Informationen finden sich unter http://www.ipasvi.it/ (11.8.2013).

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nien,154 Spanien155 und Zypern156.157 Bei den berufsständischen Organisationen dieser Länder handelt es sich nicht ausschließlich um althergebrachte Relikte, an denen jene nur aus Gründen der Traditionsbindung und fehlenEine englischsprachige Zusammenfassung stellt das „International Council of Nurses“ bereit unter http://www.icn.ch/details/17/87.html (11.8.2013). 150 Das maltesische „Council for Nurses and Midwives“ ist zuständig für die Regulierung der Berufstätigkeit der Schwestern und Hebammen. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehören die Führung des Registers der Schwestern und Hebammen sowie die Festschreibung und Kontrolle berufsethischer Standards. Das Council hat zu diesem Zweck einen „Code of Ethics for Midwives and Nurses“ verabschiedet. Die gesetzliche Grundlage der Tätigkeit des „Councils“ bildet der „Health Care Professions Act 2003“. Detaillierte Informationen zu den gesetzlichen Regelungen und dem Aufbau des „Councils“ sind abrufbar unter https://ehealth.gov.mt/HealthPortal/ others/regulatory_councils/council_for_nurses_and_midwives/councils_for_nurses_ midwives.aspx (11.8.2013). 151 Die polnische Selbstverwaltungsorganisation für Schwestern und Hebammen „Naczelna Izba Piele˛gniarek i Poloz˙nych“ ist insbesondere für die Registerführung, die Berufsaufsicht und die allgemeine Vertretung der beruflichen und sozialen Interessen der Schwestern und Hebammen verantwortlich. Informationen zu dem Gremium finden sich unter http://www.izbapiel.org.pl/ (11.8.2013). 152 In Portugal sind die Schwestern/Pfleger und Hebammen in der vom Staat unabhängigen Organisation „Ordem dos Enfermeiros“ vereint. Sie geht auf das Gesetz Nr. 104/98 zurück. Zu ihren Hauptaufgaben gehört die Sicherung und Kontrolle der beruflichen Leistungsqualität sowie die berufliche Vertretung der gemeinsamen Interessen der Berufsgruppe. Siehe dazu im Einzelnen http://www.ordemenfermeiros.pt/ Paginas/default.aspx (11.8.2013). 153 Nähere Informationen über die slowakische Kammer der Krankenschwestern und Hebammen (SK SaPA) finden sich bei Hanzlíková/Juhász, Pflegezeitschrift 57 (2004), 731 (732 f.). 154 Die Vereinigung der Schwestern und Hebammen Sloweniens firmiert unter dem Namen „ZBORNICA ZDRAVSTVENE NEGE SLOVENIJE“. Ihre Gründung geht auf das Jahr 1992 zurück. Zu ihren Hauptaufgaben gehört es, die gemeinsamen beruflichen Interessen der Schwestern und Hebammen als den beiden größten Berufsgruppen im slowenischen Gesundheitssystem zu vertreten, an ihrer Ausbildung mitzuwirken, die Gesetzgebung im Bereich der Pflege zu begleiten und eine qualitativ hochwertige pflegerische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Weitere Informationen finden sich unter http://www.zbornica-zveza.si/ (11.8.2013) sowie http://www.icn.ch/details/17/98.html (11.8.2013). 155 Das „Consejo General de Colegios Oficiales de Enfermeria de España“ hat vor allem die Aufgabe, die Interessenvertretung der Pflegekräfte und die Standesaufsicht wahrzunehmen. Vgl. die Homepage der Vereinigung unter http://www.cge.enfermundi.com/servlet/Satellite?pagename=SiteCGE/Page/Home_cge (11.8.2013) sowie http://www.icn.ch/details/17/99.html (11.8.2013). 156 In Zypern gehört die Registrierung der Hebammen und Schwestern zu den Hauptaufgaben des „Nursing and Midwifery Council“. Vgl. dazu www.moh.gov.cy/ moh/moh.nsf/page24_en/page24_en?OpenDocument (11.8.2013). 157 Einen knappen allgemeinen Überblick über Pflegekammern in Europa geben etwa Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (Fn. 33), S. 18 ff.; Kellnhauser (Fn. 23), S. 109 ff.; Schwochert (Fn. 144), 329.

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dem politischen Antrieb zur Ablösung verkrusteter Strukturen festhalten. Die Slowakei hat z. B. erst im Jahr 2002 die endgültige Entscheidung für eine Pflegekammer getroffen.158 Allen ausländischen Kammerorganisationen ist der Handlungsauftrag gemeinsam, eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung im Pflegewesen zu sichern.159 Die Ausgestaltung der einzelnen Kammern ist allerdings disparat. Sie unterscheiden sich in der Zusammensetzung (unten a), Finanzierung (unten b)), ihren Aufgabenbereichen (unten c)) und den damit verbundenen Kompetenzen grundlegend. a) Organisationsformen Nicht immer verbirgt sich hinter einer „Pflegekammer“ oder einem Nursing Board ein pflichtmitgliedschaftlicher Verband. In einzelnen Fällen entpuppt sich eine als „Nursing Board“ bezeichnete Einrichtung als besondere Form eines Berufsverbandes, einer privatrechtlichen Organisation oder der Einbindung von Berufsvertretern in staatliche Aufsichtsgremien (ohne eigenen Körperschaftsstatus und pflichtmitgliedschaftliche Organisation).160 Regelmäßig handelt es sich nicht um eine lupenreine Selbstorganisationsstruktur nach deutschem Berufskammermuster. Vielmehr sind in den Vorständen bzw. Präsidien nicht selten auch Laien und Vertreter anderer Professio158

Die Kammer geht in ihrer heutigen Form auf das Gesetz 311 vom 16.5.2002 zurück. Sie vertritt die Krankenschwestern und Hebammen; vgl. Hanzlíková/Juhász (Fn. 153), 732. 159 Vgl. dazu beispielhaft Art. 3 Abs. 2 und 3 „Nursing and Midwifery Order 2001“: „(2) The principal functions of the Council shall be to establish from time to time standards of education, training, conduct and performance for nurses and midwives and to ensure the maintenance of those standards. (3) The Council shall have such other functions as are conferred on it by this Order or as may be provided by the Privy Council by order.“ (abrufbar unter www.nmc-uk.org/About-us/legislation/ the-order/ [3.8.2013]); ferner den Aufgabenkatalog des Art. 22 Abs. 1: „Health Care Professions Act 2003“ für maltesische Schwestern und Hebammen (abrufbar unter https://ehealth.gov.mt/download.aspx?id=849 [11.8.2013]); die Ausführungen des britischen Nurses and Midwifery Councils, auf dessen Homepage abrufbar unter http://www.nmc-uk.org/Press-and-media/FAQs-for-journalists-About-the-NMC/ (24.9. 2012); für Irland die Präambel des „Nurses and Midwives Act, 2011“, abrufbar unter http://www.nursingboard.ie/en/nurses-midwives-act-2011.aspx (11.8.2013) und für Neuseeland die Aussage des „Nursing Council“, abrufbar unter http://nursing council.org.nz/General-public (11.8.2013). 160 Das gilt etwa für Dänemark und die USA, Kellnhauser (Fn. 23), S. 151. Ebenfalls auf freiwilliger Basis organisiert sind die Pflegenden in Slowenien. Die Mitgliedschaft ist nicht verpflichtend, vgl. dazu www.wfhss.com/html/members/si_ zzns_en.htm#MEMBER_SI_ZZNS_PURPOSE (11.8. 2013).

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nen repräsentiert. So verhält es sich etwa in Großbritannien,161 in Teilen Kanadas162, in Malta163 und in Neuseeland.164 In mancher Hinsicht ein Unikat ist die spanische Kammer. Sie agiert als Körperschaft des öffentlichen Rechts und verfügt als solche über eine eigene Rechtspersönlichkeit. Neben der Möglichkeit als Verwaltungsträger zu handeln, kann sie die Interessen ihrer Mitglieder als Berufsverband privatrechtlich vertreten und als Privatrechtssubjekt handeln.165 Insoweit besteht eine Ähnlichkeit zu den deutschen Kammern der freien Berufe. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG gesteht diesen eine Aktivlegitimation für im Interesse ihrer Mitglieder erhobene wettbewerbsrechtliche Klagen zu.166 Als hybride Melange zwischen Berufsverband und nationalem Gesundheitsrat wirkte in Dänemark lange Zeit die Danish Nurses’ Organization.167 Bis zum Jahr 1934 lag die amtliche Registrierung der Pflegekräfte in ihren Händen. Im Nurses Act No. 127 hat der Gesetzgeber die Kompetenzen zur Kontrolle und inhaltlichen Gestaltung der Ausbildung sowie der Registrierung von Pflegepersonal dem National Board of Health übertragen.168 Während dieses öffentlich-rechtliche Handlungsbefugnisse ausübt, handelt es sich bei der Danish Nurses’ Organization um eine privatrechtliche Organisation, die hauptsächlich die Vertretung der Berufsinteressen gewährleistet sowie Service- und Beratungsleistungen erbringt. Obwohl ihre innere Verfassung eine Pflichtmitgliedschaft ausschließt, sind 87% aller Pflegenden in der Vereinigung organisiert.169 Dieser hohe Organisationsgrad der Vereinigung auf freiwilliger Basis lässt den Schluss zu, dass sich die Mitglieder der Pflegeberufe durch den Berufsverband umfassend und ausreichend vertreten fühlen. Auch eine privatrechtliche Vertretung kann – dort, wo sich eine entspre161 Das NMC setzt sich aus zwölf registrierten Mitgliedern und einer ebenso großen Zahl von Laienmitgliedern aus anderen Berufsgruppen zusammen. Zusätzlich werden zwölf weitere Mitglieder gewählt, welche die registrierten Mitglieder vertreten, falls diese verhindert sind, vgl. http://www.nmc-uk.org/About-us/The-Council/ (11.8.2013). 162 Neben Berufsvertretern finden sich auch Mitglieder, die keine Berufe im Gesundheitswesen ausüben. Vgl. z. B. für Nova Scotia http://mrcns.ca/index.php/ about-council/#members (14.8.2013). 163 Art. 19 (1) „Health Care Professions Act 2003“ (abrufbar unter https://ehe alth.gov.mt/download.aspx?id=849 [11.8.2013]). 164 Nach Art. 21 lit. g des „Health Care Professions Act 2003“ (abrufbar unter https://ehealth.gov.mt/download.aspx?id=849 [11.8.2013]) sind Vorstandmitglieder des „Council for Nurses and Midwifes“ auch zwei vom Minister bestellte Laien. 165 Rodriguez Artacho/Barnes Vazquez, Das Kammerwesen in Spanien, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammerrechts 2002, 2003, S. 316 (318). 166 Vgl. insbesondere BVerfGE 111, 366 ff.; BGH, DStR 2003, 1095 ff. 167 Vgl. Stallknecht, Nursing and Politics in Denmark – the Impact of Conflicts in a Historical Perspective, 2012, S. 12. 168 Schwochert (Fn. 144), 329. 169 Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (Fn. 33), S. 19.

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chende Selbstorganisationskultur etabliert hat – ein geeignetes Sprachrohr zur effektiven Durchsetzung gemeinsamer beruflicher Interessen bilden. b) Finanzierungsmodelle So disparat wie die Organisationsformen sind auch die Finanzierungsmodelle der Nursing Boards. Nur in einigen Ländern finanzieren sie sich durch Mitgliedsbeiträge, so etwa in Polen170, in dem österreichischen Hebammengremium171 und in Spanien172. Ebenso häufig sind andere Finanzierungsformen anzutreffen, mitunter die Finanzierung durch Gebühren für die zur legalen Berufsausübung erforderliche Registrierung bzw. Lizenzierung der Berufsangehörigen oder für berufsqualifizierende Examina. So verhält es sich etwa in Großbritannien,173 Irland,174 Italien,175 Malta,176 der Slowakei,177 den USA,178 Kanada179 und Neuseeland.180 In Großbritannien sind 170 Szafranski, Bericht über die Kammerorganisation in Polen, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts 2006, 2007, S. 215 (222). 171 Vgl. § 52 österreichisches Hebammengesetz; Rieger, Das Kammerwesen in Österreich, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammerrechts 2003, 2004, S. 279 (305). 172 Rodriguez Artacho/Barnes Vazquez (Fn. 165), S. 323. 173 Das „Council“ hat nach Art. 7 des „Nursing and Midwifery Order 2001“ (abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/uksi/2002/253/pdfs/uksi_20020253_en. pdf [11.8.2013]) die Möglichkeit, detaillierte Regelungen zu der Registrierungsverpflichtung seiner Mitglieder und den damit verbundenen Gebühren zu erlassen. Auf dieser Grundlage hat das „Council“ die „Nursing and Midwifery Council (fees) Rules 2004“ verabschiedet. Diese sind abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ uksi/2004/1654/pdfs/uksi_20041654_en.pdf (11.8.2013). 174 Das irische „Board“ führt das Register auf der Grundlage der Sec. 26 des „Nurses Act 2011“, abrufbar unter http://www.nursingboard.ie/en/nurses-midwivesact-2011.aspx (11.8.2013). Diese Vorschrift erlaubt dem „Board“, weitere Regelungen in Bezug auf die Registrierung zu treffen. Die aktuelle Gebührenliste ist abrufbar unter http://www.nursingboard.ie/en/fees_methods_payments.aspx (11.8.2013). 175 Vgl. http://www.fepi.org/docs/country_profils/Prof_IT_EN.pdf (15.8.2013). 176 Art. 22 Abs. 1 lit. i des „Health Care Professions Act 2003“ (abrufbar unter https://ehealth.gov.mt/download.aspx?id=849 [11.8.2013]). Die Ausübung des Pflegeberufs erfordert in Malta eine Lizenz; vgl. Art. 19 (1) „Health Care Professions Act 2003“. Nach Art. 19 (2) (c) ist dafür die Registrierung des Pflegenden erforderlich. Regelungen zur Führung und zum Inhalt des Registers enthalten Art. 23 des „Health Care Professions Act 2003“ und die auf seiner Grundlage (Art. 51 [1]) erlassenen Normen. Zu der Höhe der Gebühren siehe „Council For Nurses And Midwives (Fees) Regulations“; abrufbar unter https://ehealth.gov.mt/HealthPortal/ others/regulatory_councils/council_for_nurses_and_midwives/councils_for_nurses_mid wives.aspx (11.8.2013). 177 Die Registrierung in der slowakischen Kammer ist verpflichtend für die Tätigkeit als Krankenschwester oder Hebamme. Gleichzeitig ist die Registrierung an bestimmte Voraussetzungen, wie u. a. die Erfüllung von Fortbildungsverpflichtungen, gekoppelt; vgl. dazu Hanzlíková/Juhász (Fn. 153), 732 f.

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die Schwestern, Pfleger und Hebammen insbesondere verpflichtet, ihre Registrierung alle drei Jahre zu erneuern und für deren Aufrechterhaltung eine Gebühr zu entrichten.181 c) Aufgabenzuschnitt Auch im Aufgabenzuschnitt unterscheiden sich Nursing Boards nicht unwesentlich. Während einzelne Berufsvertretungen der Pflegenden überwiegend oder ausschließlich der Lizenzierung und/oder Registrierung dienen, gehören in der Mehrzahl der Fälle auch Ausbildungs- und die Berufszulassungsfragen zu den weiteren Aufgabenbereichen, so etwa in den USA,182 Polen183 und Großbritannien184. Viele Nursing Boards geben den eigenen Angehörigen eine ständische Berufsordnung vor, deren Einhaltung sie kontrollieren. Im Falle eines Verstoßes gegen die Berufsordnungen sind die Organisationen berechtigt, Disziplinarmaßnahmen gegen ihre Mitglieder zu verhängen. Dies gilt u. a. für Großbritannien,185 Irland,186 Polen,187 Spa178 Die Lizenzierung der Pflegenden ist zum Schutz der Bevölkerung auch in den USA einheitlich erforderlich, auch wenn die einzelnen Staaten divergierende Regelungen vorsehen, vgl. https://www.ncsbn.org/247.htm (11.8.2013). 179 In Kanada besteht keine einheitliche Rechtsgrundlage für die Veranschlagung von Mitgliedsbeiträgen und Registrierungsgebühren. Auch Teile der Ausbildung können hier kostenpflichtig sein, vgl. exemplarisch die Gebührenliste für Ontario, abrufbar unter http://www.cno.org/en/become-a-nurse/about-registration/application -membership-fees/#title3 (11.8.2013). 180 Gemäß Art. 184 des „Health Practitioners Competence Assurance Act 2003“ (dazu auch Fn. 141) unterhält die Kammer in Neuseeland ein Register, das die Pflegenden erfasst. Für die Eintragung, die Erneuerung der Eintragung und weitere Dienstleistungen erhebt das Council Gebühren. Die Gebührenliste ist abrufbar unter http://nursingcouncil.org.nz/Fees (11.8.2013). 181 Die Laufzeit der Lizenz für die Erstregistrierung nach Erwerb der Qualifikation beträgt fünf Jahre (Art. 7 des „Nursing and Midwifery Council [Education, Registration and Registration Appeals] Rules Order of Council 2004“; abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/uksi/2004/1767/pdfs/uksi_20041767_en.pdf [11.8.2013]. Art. 10 der „Nursing and Midwifery Order 2001“ (abrufbar unter http://www.legis lation.gov.uk/uksi/2002/253/pdfs/uksi_20020253_en.pdf [11.8.2013]) i. V. m. Art. 10 Abs. 3 lit. b der „Nursing and Midwifery Council (Education, Registration and Registration Appeals) Rules Order of Council 2004“ legt die Laufzeit für Folgeregistrierungen auf drei Jahre fest. 182 Kellnhauser (Fn. 23), S. 116 ff. 183 Szafranski (Fn. 170), S. 224. 184 Vgl. Art. 15 des „Nursing and Midwifery Order 2001“, abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/uksi/2002/253/pdfs/uksi_20020253_en.pdf (11.8.2013). 185 Siehe dazu Art. 3 Abs. 2, Art. 21 ff. des „Nursing and Midwifery Order 2001“, abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/uksi/2002/253/pdfs/uksi_2002 0253_en.pdf (11.8.2013).

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nien,188 die Slowakei189 und Kanada190. In Neuseeland verbleibt die Disziplinargewalt vorrangig in den Händen der staatlichen Behörden.191 In Großbritannien ergänzt ein eigens eingerichteter „Professional Advice Service“ das „Nursing and Midwifery Council“. Er eröffnet als Beratungsinstanz sowohl den Kammermitgliedern als auch der Öffentlichkeit die Möglichkeit, Fragen an das Council zu richten. Im Schnitt bearbeitet der „Professional Advice Service“ monatlich zwischen 6.000 und 9.000 Anfragen.192 Das Council veröffentlicht zahlreiche Broschüren, um die Öffentlichkeit zu informieren, und gibt Leitlinien heraus, die ein einheitlich hohes Niveau der Pflege sichern sollen. Einzelne Nursing Boards zählen auch die Interessenvertretung der Berufsangehörigen gegenüber ihren Arbeitgebern oder den Trägern der Sozialversicherungen zu ihrem Aufgabenkatalog.193 In Polen gehört es zu den Aufgaben der Kammer, ähnlich wie ein Tarifvertragspartner die Arbeitsund Vergütungsbedingungen für die Mitglieder auszuhandeln und festzulegen.194 Das österreichische Hebammengremium schließt stellvertretend Verträge zur Regelung der Beziehungen der Hebammen mit den Sozialversicherungsträgern ab.195 Die meisten Standesorganisationen distanzieren sich demgegenüber ausdrücklich von der Aufgabe, tarifliche Mitgliederinteressen zu verfolgen. Sie überlassen diese allein den zusätzlich existierenden und differenziert ausgestalteten Fachverbänden.196 Das britische „Nursing and Midwifery Coun186 Vgl. etwa Sec. 55 ff. „Nursing Act, 2011“ abrufbar unter http://www.nursingboard.ie/en/nurses-midwives-act-2011.aspx (11.8.2013). 187 Szafranski (Fn. 170), S. 225 f. 188 Vgl. zum Aufgabenkatalog der spanischen Kammer http://www.icn.ch/details/ 17/99.html (11.8.2013). 189 Hanzlíková/Juhász (Fn. 153), 733. 190 In Kanada existiert keine landesweit einheitliche Rechtsgrundlage. Die zwölf „Bezirkskammern“ erlassen eigene Regelungen. Jeder dieser Kammern kommt gegenüber ihren Mitgliedern die Disziplinargewalt zu, vgl. exemplarisch Art. 20 des „Nurses Act 1984“ für die „Nurses Association of New Brunswick“, abrufbar unter http://www.nanb.nb.ca/PDF/legislation/NursesAct%20E-F%202008.pdf (11.8.2013). 191 Vgl. insbesondere Art. 70 „Health Practitioners Competence Assurance Act 2003“ (dazu auch Fn. 141). 192 Beraus, Die Schwester/Der Pfleger 44 (2005), 682 (686). 193 Das gilt insbesondere für die slowakische Kammer; vgl. dazu Hanzlíková/Juhász (Fn. 153), 732. 194 Szafranski (Fn. 170), S. 240. 195 § 40 Abs. 2 Nr. 8 österreichisches Hebammengesetz. 196 Beispiele für solche Fachverbände sind das „Royal College Nursing“ und „The Royal Collage of Midwives“.

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cil“ etwa befasst sich ausdrücklich nicht mit den individuellen Löhnen, den Arbeitsbedingungen und Unterstützungsleistungen der Kammerangehörigen.197 Gleiches gilt etwa für die Organisationen in Irland,198 Neuseeland199 und den USA.200 Das Bild der Nursing Boards ist insgesamt international aufgrund unterschiedlicher nationaler Vorstellungen und Traditionen in vielfältigen Farben gezeichnet. 2. Staaten ohne Pflegekammerstruktur Eine Vielzahl europäischer Länder verzichtet auf eine Pflegekammer, so etwa Belgien, Finnland, die Niederlande und Schweden. Eine bewusste Entscheidung gegen die umfassende Verkammerung aller Pflegeberufe hat Österreich getroffen. Das „Land der Kammern“, das auch eine feste Tradition der Arbeitnehmerkammer kennt, hat lediglich für Hebammen eine Kammer eingerichtet.201 Das österreichische Hebammengremium finanziert sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts aus den Beiträgen der Mitglieder und verfügt über umfassende Befugnisse, die das österreichische Hebammengesetz in seinem § 40 Abs. 2 etabliert. Dazu gehört neben der Erfassung aller Hebammen in einem Register (Nr. 1), der Zulassung zur Berufsausübung (Nr. 3), dem Erlass von Richtlinien zur Berufsausübung (Nr. 4), der Erstattung von Gutachten (Nr. 7) auch der Abschluss von Verträgen mit Sozialversicherungsträgern (Nr. 8).202 Die Kompetenzen des österreichischen Hebammengremiums weisen eine hohe Schnittmenge mit den für eine deutsche Pflegekammer vorgesehenen Zuständigkeiten auf. Auch bei ihr klingt der Dreiklang der Standesaufsicht, der Standesförderung und der Standesvertretung in ihrem gesetzlichen Aufgabenkatalog an: Die Kammer nimmt die beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Belange der Hebammen wahr, überwacht die Erfüllung der Berufspflichten und sorgt für die Wah197 Siehe zum Aufgabenzuschnitt des „Nursing and Midwifery Council“ Art. 3 Abs. 2 bis 5 „Nursing and Midwifery Order 2001“. 198 Zu den Aufgaben des irischen „Nursing Boards“ siehe Sec. 6 ff. Nursing Act, 2011; http://www.nursingboard.ie/en/role_of_board.aspx (9.9.2013). 199 Für Neuseeland siehe die Homepage des Verbandes unter http://nursingcoun cil.org.nz/About-us (9.9.2013). 200 In den USA variieren die Zuständigkeit und das Aufgabenspektrum der Kammerorganisation innerhalb der Bundesstaaten. Eine Übersicht über den allen Kammerorganisationen gemeinsamen Aufgabenbereich findet sich unter https://www. ncsbn.org/boards.htm (9.9.2013). 201 Die gesetzliche Grundlage dieser Körperschaft des öffentlichen Rechts findet sich in den §§ 39 ff. österreichisches Hebammengesetz. 202 Vgl. allgemein zum Kammerrecht in Österreich Rieger (Fn. 171), S. 279 ff.

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A. Pflegekammern als politische Idee der Selbstorganisation

rung des Ansehens des Berufsstandes (§ 40 Abs. 1 österreichisches Hebammengesetz). Wie Deutschland debattiert Österreich seit geraumer Zeit die Einführung einer allgemeinen Pflegekammer.203 Seine Zurückhaltung gegenüber einer universellen Verkammerung der Pflegeberufe hat seinen Grund vermutlich darin, dass das Land eine Bündelung aller Pflegeberufe in einer Kammer wegen der Heterogenität ihrer Tätigkeiten als wenig zweckdienlich einstuft, Hebammen innerhalb dieser Gruppe demgegenüber herausstechen: Hebammen kommt im Vergleich zu Pflegern und Schwestern ein erhöhter Grad an Eigenverantwortlichkeit zu. Anders als diese nimmt ein größerer Teil der Hebammen die Tätigkeit in wirtschaftlicher Selbstständigkeit wahr. Sie üben ebenso wie Ärzte eine überwiegend als freier Beruf typisierte Tätigkeit aus.204 Die Verkammerung der Berufsgruppe der Hebammen ist aus diesen Gründen mit derjenigen der Ärzteschaft strukturell vergleichbar. Länder ohne Kammerstruktur zeichnen sich gegenüber Ländern, die Pflegekammern eingerichtet haben, im Vergleich nicht in erkennbarer Weise durch eine geringere Anerkennung für die Berufsgruppe der Pflegenden aus. Insbesondere das schwedische Gesundheitssystem gilt als vorbildlich und vermittelt den Schwestern und Pflegern ein hohes Ansehen in der Bevölkerung, verknüpft mit einer substanziellen Eigenverantwortung bei der medizinischen Versorgung der Patienten. Die schwedischen Pfleger und Schwestern sind vorwiegend über freie Verbände der Berufsvertretung organisiert, die ihre beruflichen Interessen wahrnehmen.205 Die Registrierung einzelner Mitglieder der Pflegeberufe sowie die Festlegung von Pflichten und Standards und deren Überwachung obliegt dort einer eigens eingerichteten, dem Gesundheits- und Sozialministerium unterstellten Behörde.206 Umgekehrt bleibt bspw. auch in Großbritannien als einem Land mit langer Pflegekammertradition der Status der Krankenschwestern in der Gesellschaft und unter den medizinischen Berufen hinter den Wünschen der Berufsträger fühlbar zurück.207 Ein unmittelbarer Zurechnungszusammenhang zwischen der Organisationsstruktur beruflicher Selbstverwaltung und dem Ansehen der Berufsgruppe der Pflegenden in der Bevölkerung lässt sich in203

Vgl. dazu Ecker, Österreichische Pflege-Zeitschrift 59 (2006), 11 (11). Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 69. Erglfg. 2013, Art. 12 GG, Rdnr. 268; siehe zu diesem Begriff die Nachweise in Fn. 312. 205 Z. B. „Swedish Society of Nursing“ oder der Berufsverband der „Health Professionals“. 206 Vgl. allgemein zum „Nursing in Sweden“ http://ec.europa.eu/internal_market/ qualifications/docs/nurses/2000-study/nurses_sweden_en.pdf (14.8.2013). 207 Siehe dazu Kirpal, Nurses in Europe, 2003, S. 23 f. 204

IV. Pflegekammern als Instrument berufsständischer Selbstorganisation

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sofern nur schwer ausmachen. Die Wirkungsfaktoren sind dafür zu schwer messbar und vielschichtig. 3. Zwischenfazit Andere europäische und außereuropäische Länder sind den Weg einer Verkammerung der Pflegeberufe bereits früh gegangen. Mit dem Zuschnitt deutscher berufsständischer Selbstverwaltungseinrichtungen sind Nurses and Midwifery Councils nicht immer und in jeder Hinsicht vergleichbar. Dafür unterscheiden sich Rechtsverständnis und Rechtskulturen sowie die Gesundheitssysteme, in die sie jeweils eingebettet sind, zu stark strukturell von dem deutschen.

B. Verwaltungswissenschaftliche Kritik eines öffentlich-rechtlichen Pflegezwangsverbandes In dem korporatistisch verfassten deutschen Gesundheitswesen steht sich eine Vielzahl verkammerter, gut organisierter Berufszweige gegenüber. Gegen die Gruppenmacht der anderen Korporationen des Gesundheitswesens kann eine Pflegekammer ein Gegengewicht bilden. Sie will der großen, aber angesichts geringen Organisationsgrades als durchsetzungsschwach geltenden Berufsgruppe der Pflegenden eine gewichtige Größe und hörbare Stimme verleihen sowie die Qualitätssicherung pflegerischer Leistungen des Berufsstandes unterstützen.208 Dass sich das Modell der Verkammerung, wie es für freie Berufe bereits besteht, auf die Berufsgruppe der Pflegenden in verwaltungspolitisch sinnhafter Weise transponieren lässt, versteht sich angesichts der strukturellen Besonderheiten der Pflegeberufe allerdings keineswegs von selbst. Die Vorzüge pflichtmitgliedschaftlicher Organisation einer Pflegekammer gehen mit Freiheitseinschränkungen und Belastungen einher, die sich grundrechtlich, aber auch verwaltungspolitisch rechtfertigen müssen. Nur dann, wenn Kammern ihre anvisierten Zwecke wirksamer und zugleich schonender als andere Formen der Interessenbündelung erreichen, sind sie einer freiheitlichen Gruppenorganisation und Interessenbündelung in jeder Hinsicht überlegen und das politisch unangefochtene Mittel der Wahl. Bei allen hochfliegenden Erwartungen an die Errichtung von Pflegekammern gilt es insbesondere sicherzustellen, dass das eingesetzte Instrument sich nicht als politische „Blendgranate“ mit hohem Frustrationspotenzial entpuppt, sondern die politisch erhofften Steuerungswirkungen auch tatsächlich erreicht.209 Das gilt umso mehr angesichts der strukturpolitischen Grundsatzentscheidung und der damit verbundenen langfristigen Weichenstellung, die sich mit der Gründung einer Pflegekammer für die Gesellschaft und die betroffenen Berufsgruppen verknüpft. 208

Zur intendierten Aufgabentrias siehe oben S. 39 ff. Die mögliche Verkammerung ist in den letzten Jahrzehnten in den unterschiedlichsten Berufsgruppen kontrovers diskutiert worden, zu einer Kammergründung kam es jedoch in der Regel nicht. Roßbruch, PfLR 2001, 2 (5) m. w. N., nennt etwa die Diskussion um die Fahrlehrerkammer, die Heilpraktikerkammer und die Kammer für Soziale Arbeit. Kriele (Fn. 51) spricht sich für, Ory (Fn. 51) gegen eine Journalistenkammer aus. 209

I. Pflege tut gut – eine Pflegekammer ebenso?

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I. Pflege tut gut – eine Pflegekammer ebenso?: Zu den Präferenzen der zu verkammernden und verkammerten Berufsangehörigen Ein wichtiger Gradmesser dafür, ob die Einrichtung einer eigenen Kammer für Pflegeberufe diese in der Bindung an ihren Berufsstand stärken und auf den notwendigen Rückhalt in der Berufsgruppe stoßen wird, ist die Unterstützung, welche die Gründung einer Zwangsorganisation bei den Betroffenen genießt. 1. Empirische Befunde Umfragen unter den potenziellen Mitgliedern einer Pflegekammer erlaubten in der Vergangenheit insoweit kein klares Meinungsbild. Bislang war der empirische Datenschatz zu klein und wenig aussagekräftig. Erst in jüngerer Zeit ist Bewegung in die empirische Datenbasis gekommen. a) Nicht repräsentative Erhebungen Eine der größten zusammenhängenden Befragungen von Pflegekräften hat Ende des Jahres 2010 der Sächsische Pflegerat durchgeführt. Die Frage „Braucht Sachsen eine Pflegekammer?“ beantworteten 69,8% mit „Ja“. 7,5% der Befragten sahen demgegenüber eine Pflegekammer nicht als notwendig an. 22,7% enthielten sich einer Meinungsäußerung. Als wichtigste Erwartung an die Pflegekammer benannten die Befragten die Regelung der Aus-, Fort- und Weiterbildung (87,1%) sowie die Verbesserung und Sicherung der Anerkennung ihrer Profession (83,9%).210 Der Rücklauf der Umfragebögen lag allerdings – gemessen an den in Sachsen insgesamt tätigen Pflegekräften – lediglich bei einer Quote von 6,36%. Den Anforderungen an Repräsentativität genügt diese Rücklaufquote nicht.211

210 Vgl. die Zusammenfassung der Befragungsergebnisse bei Spielbauer, 69,9% der Pflegekräfte in Sachsen wollen eine Pflegekammer, abrufbar unter www. pflegerat-sachsen.de/csdata/download/1/de/zeitungsartikel_befragung_pflegekammer _13.pdf (15.8.2013). 211 Das gilt jedenfalls so lange, wie der Erhebung – wie hier – kein Stichprobendesign zugrunde liegt, das die Repräsentativität der Ergebnisse sicherstellt. Die Ergebnisse der Befragung sind abrufbar unter http://dbfk.de/pressemitteilungen/wPa ges/index.php?action=showArticle&article=Pflegende-in-Sachsen-wollen-eine-Pflege kammer.php (14.8.2013).

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B. Verwaltungswissenschaftliche Kritik

b) Befragungen im Auftrag der Landesregierungen Breiter angelegte, auf ein repräsentatives Meinungsbild zielende Befragungen führten in jüngster Zeit einige Bundesländer, insbesondere Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein durch. Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern planen derartige Befragungen.212 Sie wollen sich auf diese Weise vor der Gründung einer Pflegekammer ein aussagekräftiges Meinungsbild über die Stimmungslage der Betroffenen verschaffen und ihre politische Entscheidung von dem Votum der Betroffenen abhängig machen. Die Ergebnisse aus Rheinland-Pfalz [unten aa)], Niedersachsen [unten bb)], Schleswig-Holstein [unten cc)] und Bayern [unten dd)] liegen bereits vor. aa) Rheinland-Pfalz Bei der Einholung des Meinungsbildes stand Rheinland-Pfalz wie die anderen Bundesländer vor der Schwierigkeit, die Mitglieder einer Berufsgruppe zu adressieren, deren exakte Größe und personelle Identität nicht bekannt sind. Deutschland führt bislang kein amtliches Register aller Pflegenden. Zur Erfassung der Abstimmungsberechtigten hat das Land Rheinland-Pfalz der Abstimmung über die Einführung einer Pflegekammer eine freiwillige Registrierung interessierter Pflegender vorgeschaltet. Das Abstimmungsverfahren war von Informationsveranstaltungen und Flyern zu den Aufgaben und Zielsetzungen einer Pflegekammer begleitet. Die Landesregierung hat damit einen intensiven Diskussionsprozess und gedanklichen Austausch zur Sinnhaftigkeit einer Pflegekammer ausgelöst. 9.324 Pflegende haben sich dem Registrierungsprozess unterzogen. Diese durften bis Ende März 2013 an der Abstimmung über die Frage teilnehmen: „Ja (bzw. Nein), im Land Rheinland-Pfalz soll eine (bzw. keine) Pflegekammer eingerichtet werden“. 75,87% der abgegebenen Stimmen sprachen sich für die Gründung einer Pflegekammer in Rheinland-Pfalz aus, 24,1% stimmten dagegen.213 Die Zustimmung ist damit von einer breiten Basis getragen; keine Pflegeberufs212 Sachsen-Anhalt hat seinen Landespflegerat aufgefordert, bei seinen Verbänden eine Mitgliederbefragung der Fach- und Hilfskräfte mit staatlich anerkanntem Abschluss zu veranlassen. Vgl. LT-Drucks. 6/2298. Die Befragung zielt nicht auf einen repräsentativen Querschnitt und wird daher kein repräsentatives Meinungsbild zutage fordern können. 213 Presseerklärung des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz v. 28.3.2013, abrufbar unter msagd.rlp.de/presse/ einzelansicht/archive/2013/march/article/schweitzer-wichtiger-schritt-zur-einrichtungder-pflegekammer/ (14.8.2013).

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gruppe lehnt die Pflegekammer mehrheitlich ab. Auf die geringste Ablehnung stieß die Pflegekammer in der Gruppe der Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger (20,5%), auf die größte in der Berufsgruppe der Gesundheits- und Krankenpflegehelferinnen und -helfern (32,3%).214 Das durchschnittliche Alter derjenigen, die gegen die Einrichtung einer Pflegekammer gestimmt haben (43,3 Jahre) lag um fast fünf Jahre höher als das mittlere Alter der Befürworter (38,8 Jahre).215 Die Zustimmung war in der Altersgruppe zwischen 18 und 23 Jahren sowie zwischen 45 und 55 Jahren am höchsten.216 Der Befragung lässt sich ein deutliches Indiz für einen nachhaltigen Rückhalt einer Pflegekammer in der betroffenen Berufsgruppe entnehmen. Einen zuverlässigen Rückschluss auf das Stimmungsbild in der gesamten Berufsgruppe lässt dieses Ergebnis jedoch nur bedingt zu. Denn an der Abstimmung haben sich insgesamt lediglich rund 16% der rheinland-pfälzischen Pflegekräfte beteiligt.217 Da der Erhebung keine Stichprobenauswahl, sondern ein Selbstselektionsprozess besonderen Eigeninteresses der Teilnehmer an der Abstimmung zugrunde liegt, sind ihre Ergebnisse nicht verzerrungsfrei.218 Die gewählte Befragungsmethode begünstigt das Meinungsgewicht derjenigen Gruppen, die an der Gründung oder der Verhinderung einer Pflegekammer ein besonderes Interesse haben. Die Meinung der schweigenden Mehrheit bleibt dann womöglich unerfasst. Der rheinland-pfälzischen Landesregierung genügt der Stimmungseindruck, den die Befragung hervorgebracht hat, als politisches Signal der Unterstützung für eine Pflegekammer. Seit Sommer 2013 bereitet eine Gründungskonferenz die Einrichtung einer Pflegekammer vor und legt deren Aufgabenkreis im Dialog mit regionalen Pflegeanbietern fest.

214 Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V., Abschlussbericht Befragungs- und Registrierungsstelle zur Einrichtung einer Landes Pflegekammer in Rheinland-Pfalz, S. 26, abrufbar unter https://www.pflegekammer-befragung-rlp.de (14.8.2013). 215 Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V. (Fn. 214), S. 28. 216 Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V. (Fn. 214), S. 28. 217 Rund 20% der Pflegenden haben das Registrierungsverfahren durchlaufen. Nicht alle Registrierten haben abgestimmt. 218 Unter den Registrierten und Abstimmenden war bspw. die Berufsgruppe der Gesundheits- und Krankenpfleger (76,4% der Registrierten; 77,2% der Abstimmenden) im Verhältnis zur Grundgesamtheit überrepräsentiert, die Gruppe der Altenpfleger mit einer Registrierungsquote von 11,4% bzw. einer Beteiligungsquote von 12,2% demgegenüber unterrepräsentiert. Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V. (Fn. 214), S. 14 und 22.

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B. Verwaltungswissenschaftliche Kritik

bb) Niedersachsen Größere Aussagekraft als der nicht repräsentativen rheinland-pfälzischen Befragung kommt einer Strichprobenanalyse des Meinungsbildes einer nach den statistischen Methoden der Demoskopie ausgewählten Gruppe zu. Letztere hat das Meinungsforschungsinstitut „Infratest dimap“ im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration für die Gruppe der niedersächsischen Pflegekräfte durchgeführt.219 Es hat zu diesem Zweck zum Jahresende 2012 einen Querschnitt der Berufsgruppe, nämlich 1.039 im Zufallsverfahren ausgewählte, examinierte niedersächsische Pflegekräfte, befragt. 67% der Befragten sprechen sich für die Gründung einer Pflegekammer aus.220 Besonders groß ist die Unterstützung bei Beschäftigten in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen (78%), unterdurchschnittlich demgegenüber in der Gruppe der in Pflegeheimen (57%) und ambulanten Pflegediensten Beschäftigten (53%).221 Personen mit Leitungsverantwortung zeigen sich an der Gründung einer Kammer stärker interessiert als Personen ohne Leitungsverantwortung: Von Letzteren befürworten 62% der Personen eine Pflegekammer. Auf der mittleren Leitungsebene sind es demgegenüber 81% der examinierten Pflegekräfte und auf der oberen Ebene 73%.222 Eine leichte Modifizierung der Fragestellung kehrt das Meinungsbild jedoch geradezu um: Eine Pflichtmitgliedschaft mit Beitragspflicht in einer Pflegekammer lehnen 47% der Befragten ab. Nur 42% befürworten eine solche Kammer. Die übrigen 6% meinten, die Frage nicht beurteilen zu können. 5% machten keine Angaben.223 Die rechtliche Konstruktion einer pflichtmitgliedschaftlich verfassten und aus Mitgliedsbeiträgen getragenen Selbstverwaltungskörperschaft findet bei den Befragten danach keine Mehrheit. Dieses Ergebnis legt Missverständnisse vieler Pflegekräfte über die Pläne zur Gründung einer Pflegekammer offen. Diese sind (abgesehen von einer staatlichen Anschubfinanzierung) ausnahmslos auf eine pflichtmitgliedschaftliche Organisation gerichtet, die ihre Einnahmen aus Beiträgen der Berufsmitglieder speist. Viele scheinen sich demgegenüber unter einer Pflegekammer eine staatlich finanzierte, nicht in Selbstverwaltung getragene Einrichtung vorzustellen. Die Hauptmotivation für die Gründung einer „Pflegekammer“ sehen die Befürworter vornehmlich in der Unabhängigkeit der Vereinigung (92%), 219 220 221 222 223

Infratest Infratest Infratest Infratest Infratest

dimap, Evaluationsstudie „Pflegekammer Niedersachsen“, 2013. dimap (Fn. 219), S. 9. dimap (Fn. 219), S. 10. dimap (Fn. 219), S. 11. dimap (Fn. 219), S. 6, 16.

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der Verschaffung von Anerkennung für die Pflegeberufe (91%), der Vertretung mit einheitlicher sowie starker Stimme (90%) sowie in der Stärkung der Pflegequalität (80%).224 Diejenigen, die eine Pflegekammer ablehnen, stützen ihre Haltung demgegenüber vor allem auf die mit einer Pflegekammer verbundene Beitragslast (89%) und die Befürchtung unnötiger Bürokratie (84%). 85% der Kammergegner sehen die Hauptprobleme der niedersächsischen Pflege, insbesondere Fachkräftemangel und niedrige Entlohnung, durch eine Pflegekammer nicht gelöst. Rund zwei Drittel der Befragten dieser Gruppe (63%) halten die bereits existierende Zahl von Verbänden und Vereinigungen für ausreichend.225 cc) Schleswig-Holstein Im Auftrag der schleswig-holsteinischen Landesregierung hat auch das Meinungsforschungsinstitut „TNS Infratest Sozialforschung“ von Anfang Juli bis Ende August 2013 auf der Grundlage einer Stichprobenanalyse unter den Pflegenden Schleswig-Holsteins eine Meinungsumfrage zur Errichtung einer Pflegekammer durchgeführt.226 1170 repräsentativ ausgewählte Pflegekräfte hat es dazu befragt.227 51% der Interviewten sprechen sich für die Gründung einer Pflegekammer aus.228 Die Mehrheit fällt damit zwar denkbar knapp aus. Die Zahl der Unentschlossenen ist aber hoch: 25% der Befragten konnten sich nicht zu einer klaren Meinung durchringen, sei es wegen prinzipiellen Desinteresses an der Frage, sei es, weil ihnen noch weitere Informationen fehlen.229 Je höher der Informationsstand der Befragten, umso größer die Zustimmung zur Pflegekammer.230 Ausdrücklich gegen eine Pflegekammer sprechen sich lediglich 24% der Befragten aus. 224

Infratest dimap (Fn. 219), S. 7. Infratest dimap (Fn. 219), S. 7, 19 f. 226 TNS Infratest Sozialforschung, Meinungsumfrage zur Errichtung einer Pflegekammer in Schleswig-Holstein, 2013. 227 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 20. Als methodisch herausfordernd erwies sich – wie in den anderen Bundesländern – die Ermittlung der Grundgesamtheit. Denn Schleswig-Holstein führt (ebenso wie die anderen Bundesländer) kein Register der Pflegenden. Um die Grundgesamtheit annäherungsweise bestimmen und damit nach Möglichkeit einen repräsentativen Querschnitt der Gruppe abbilden zu können, zog TNS Infratest Sozialforschung verschiedene Statistiken des Gesundheitswesens heran. Zwar konnten auf diese Weise nicht alle Pflegekräfte vollständig erfasst werden, allerdings ist davon auszugehen, dass der Anteil der auf diese Weise nicht erfassten Pflegekräfte unter 5% liegt (vgl. TNS Infratest Sozialforschung [Fn. 226], S. 17). Die methodische Qualität der Ergebnisse genügt den Anforderungen an eine repräsentative Erhebung. 228 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 4. 229 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 4. 230 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 9. 225

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B. Verwaltungswissenschaftliche Kritik

Die Unterstützung für eine Pflegekammer ist in Krankenhäusern und Vorsorge-/Rehabilitationseinrichtungen mit 61% am höchsten, in stationären Pflegeheimen liegt die Quote bei 42%, bei ambulanten Pflegediensten bei 41%.231 Wie in Niedersachsen ist die Zustimmung zur Pflegekammer in der Gruppe der Pflegekräfte, die eine Leitungsfunktion innehaben, spürbar größer (57%) als in der Gruppe der „einfachen“ Pflegekräfte (49%).232 Unter denjenigen, die Mitglied in einem Berufsverband sind, stößt eine Pflegekammer auf eine höhere Zustimmung: 55% von ihnen (im Vergleich zu 51% unter den Nichtmitgliedern) stimmten für die Einführung einer Pflegekammer, 25% (23%) dagegen und 20% (26%) sind unschlüssig.233 Ein ähnliches Bild zeigt sich in Bezug auf die gewerkschaftliche Mitgliedschaft: Unter den Gewerkschaftsmitgliedern sind 55% für eine Pflegekammer (Nichtmitglieder: 51%), 18% sind dagegen (23%); keine Meinung haben 20% (26%).234 Die Befürworter einer Pflegekammer sind davon überzeugt, dass diese der Vertretung der Pflegekräfte dienen könne (94%), der Pflege eine einheitliche und starke Stimme in Politik und Gesellschaft verleihe (92%) und die Position der Pflege als Akteur im Gesundheitswesen stärke (92%).235 Die Kammer wertet den Berufsstand aus ihrer Sicht allgemein auf (89%) und stärkt nachhaltig die Qualität in der Pflege (80%).236 Die Kammergegner machen ihre Ablehnungsgründe demgegenüber vor allem daran fest, dass die Pflegekammer die Hauptprobleme, etwa den Fachkräftemangel oder die niedrige Entlohnung in der Pflegebranche, nicht lösen könne (93%), sie nur zusätzliche Bürokratie schaffe (91%) und aufgrund ihrer Pflichtmitgliedschaft (86%) sowie ihres Pflichtbeitrags (80%) abzulehnen sei.237 Dass bereits eine Reihe von Verbänden und Vereinigungen den Interessen der Pflegekräfte ausreichend diene, glauben 85% der Gegner einer Pflegekammer.238 Die Beitragspflicht einer Pflegekammer lehnen 44% aller Befragten generell ab. Eine Beitragspflicht im Bereich von 5 bis 9 Euro im Monat können sich 33% aller Befragten (47% der Befürworter einer Pflegekammer) 231

TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 7. TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 10. 233 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 10. 234 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 10. Daraus ergibt sich ein interessanter Kontrast zur Haltung der gewerkschaftlichen Organisation, der sie angehören. Vgl. dazu S. 24. 235 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 13. 236 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 13. 237 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 14. 238 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 14. 232

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vorstellen.239 Einen Beitrag jenseits der Marke von 10 Euro halten lediglich 19% aller Befragten (31% der Befürworter) für angemessen.240 Nicht nur hinsichtlich der Höhe, sondern auch hinsichtlich des „Ob“ eines Beitrages ist die Zustimmung in der Gruppe, die eine Pflegekammer befürwortet, (naturgemäß) höher. Allerdings lehnen auch dort 17% einen Pflichtbeitrag ab.241 In dieser Ablehnung offenbart sich – wie auch im Rahmen der Befragung in Niedersachsen242 – ein weitverbreitetes Missverständnis über die Konzeption der politischen Pläne zur Gründung einer Pflegekammer. Die Landesregierung Schleswig-Holsteins hat in ihren Informationskampagnen darauf hingewiesen, dass sich die Pflegekammer aus Beiträgen finanzieren wird.243 Ähnliche Missverständnisse deuten sich auch im Bereich der freien (also mit einem offenen Textfeld versehenen) Antworten auf die Frage an: „Welche Aufgaben sollte eine Pflegekammer darüber hinaus noch wahrnehmen?“. Der größte Teil der Aussagen bezog sich hier auf das Themenfeld „Schaffung von besseren Arbeitsbedingungen“. Zum Aufgabenbereich einer Kammer sollten nach der Vorstellung der Befragten etwa bessere Bezahlung und Arbeitszeiten sowie mehr Fachkräfte und Unterstützung bei Krankenversicherung, Rentenversicherung und Altersversorgung gehören. Auch das Führen von Tarifverhandlungen schlugen einige Befragte als erwünschte Kammertätigkeit vor.244 Nach Einschätzung von TNS Infratest wäre aus der Sicht der Pflegekräfte „eine Pflegekammer demnach vor allem dann attraktiv, wenn diese die Sicherung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen als eine ihrer Aufgaben betrachten und entsprechend angehen würde“.245 Trotz einer seit Jahren andauernden Diskussion scheint somit das Informationsbedürfnis der Pflegekräfte noch nicht gedeckt zu sein. So fühlen sich lediglich 15% der Befragten auf einem hohen Informationsstand, während 42% sich auf einem niedrigen Informationsstand sehen.246

239

TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 5. TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 5. 241 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 5. 242 Siehe dazu oben S. 60. 243 Vgl. Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein, Pflegekammer in Schleswig-Holstein – Informationen zur Einrichtung einer Pflegekammer, http://www.schleswig-holstein.de/MSGFG/ DE/Service/Broschueren/PDF/pflegekammer__blob=publicationFile.pdf (25.8.2013). 244 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 15. 245 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 15. 246 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 6. 240

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dd) Bayern Die jüngste Befragung professionell Pflegender hat das Land Bayern vorgelegt. Im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit247 hat die Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München in Zusammenarbeit mit dem Institut TNS Infratest Sozialforschung eine repräsentative Befragung der beruflich Pflegenden durchgeführt. Sie haben im Frühjahr 2013 1118 nach einem Zufallsverfahren ausgewählte examinierte Pflegekräfte auf schriftlich-postalischen Weg sowie im Rahmen von Interviews befragt.248 Als Auswahlgrundlage diente den Meinungsforschern ein Adressverzeichnis, das sie auf der Grundlage verschiedener Teilstatistiken des Gesundheitswesens erstellt haben. Zurückgegriffen haben sie dazu auf die jährlich durchgeführte Krankenhausstatistik und die Statistik der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sowie die zweijährlich durchgeführte Pflegestatistik.249 Die Hälfte (50%) der bayerischen Pflegekräfte spricht sich für die Gründung einer Pflegekammer aus, 34% votieren dagegen. 16% der Befragten sind unentschlossen oder machen keine Angabe (13% bzw. 3%).250 Die relative (nicht aber die absolute) Mehrheit unterstützt damit die Gründung einer Pflegekammer. Die Zustimmungsquote hängt von der Art der Pflegeeinrichtung ab, in welcher die Befragten tätig sind: Während in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen der Anteil der Befürworter (55%) gegenüber den Ablehnenden (29%) deutlich überwiegt, liegen die Zustimmungs- bzw. Ablehnungsquoten in stationären Pflegeheimen (46% [ja] bzw. 40% [nein]) und ambulanten Pflegediensten (43% [ja] bzw. 39% [nein]) vergleichsweise dicht beieinander.251 Auch in der bayerischen Befragung ist die Zustimmung zur Pflegekammer in der Gruppe der Pflegekräfte, die eine Leitungsfunktion innehaben, größer (61%) als in der Gruppe der sonstigen Pflegenden (46%).252 Die Zustimmung ist auch – ebenso wie in Schleswig Holstein – tendenziell um so größer, je besser die Pflegekraft über die einzurichtende Kammer informiert ist.253 Während in der Gruppe derjenigen, die eine Pflegekammer be247 Seit dem 10. Oktober 2013 trägt das Ministerium die Bezeichnung „Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege“. 248 Vgl. zur Herausforderung, die Grundgesamtheit der professionell Pflegenden zu ermitteln, sowie zum Stichprobendesign der Studie, TNS Infratest Sozialforschung, Bayerische Pflegekräftebefragung – Abschlussbericht, 2013, S. 33 ff. 249 Büker/Lademann, Befragung der beruflich Pflegenden zur Einrichtung einer Pflegekammer in Bayern, Abschlussbericht, 2013, S. 6. 250 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 5. 251 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 6. 252 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 9.

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fürworten, 30% angeben, einen niedrigen Informationsstand zu haben, sind es in der Gruppe der Ablehnenden demgegenüber 38%.254 Insgesamt erwies sich der Informationsstand der Befragten als schwach. 37% aller befragten Pflegekräfte bekundeten, wenig über eine Pflegekammer und den Plan ihrer Gründung zu wissen. 24% hörten sogar von dem Thema „Pflegekammer“ im Zuge der Befragung zum ersten Mal.255 Besonders niedrig war der Informationsstand in stationären Pflegeheimen sowie bei Pflegekräften ohne Leitungsfunktion.256 Diejenigen, die eine Pflegekammer prinzipiell befürworten, stützen dieses Votum insbesondere auf die Erwartung, dass eine Pflegekammer die Position der Pflege im Gesundheitswesen stärkt (97%), der Vertretung der beruflich Pflegenden dient (98%) und der Pflege eine einheitliche Stimme in Politik und Öffentlichkeit verleiht (98%).257 Die Gegner einer Pflegekammer sehen in ihr demgegenüber v. a. ein unnötiges bürokratisches Gebilde (87%); sie verwahren sich nahezu einhellig gegen die ihr inhärente Pflichtmitgliedschaft und die Abverlangung von Mitgliedsbeiträgen (90% bzw. 91%) und sehen dem einzelnen Mitglied aus einer solchen Einrichtung keine bedeutenden Vorteile erwachsen (85%). Unter ihnen sind 79% der Auffassung, eine Pflegekammer sei unnötig, da es schon genug Verbände oder Vereinigungen gebe, welche die Interessen der Pflegekräfte vertreten.258 Auch in dieser Gruppe sehen aber immerhin 12% in einer Pflegekammer eine Stärkung der Position der Pflege im Gesundheitswesen und 20% einen Weg, der Pflege eine einheitliche und starke Stimme in Politik zu geben.259 Obwohl sich die relative Mehrheit der examinierten Pflegekräfte in Bayern grundsätzlich für die Einführung einer Pflegekammer ausgesprochen hat, relativiert sich bei einem Blick auf die Antworten zur Einstellung gegenüber der Pflichtmitgliedschaft bzw. dem Mitgliedsbeitrag – ebenso wie in Niedersachsen und Schleswig-Holstein – die grundsätzlich positive Haltung der professionell Pflegenden zu einer Standesvertretung fühlbar: 51% aller Befragten lehnen eine Pflegekammer aufgrund ihres Mitgliedsbeitrages,260 253

TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 11. TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 13. 255 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 12. 256 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 14 und 16. 257 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 20. 258 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 21. 259 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 20. 260 45% der Befragten lehnen die Pflichtmitgliedschaft nicht ab, 6% machten keine Angaben. TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 19. 254

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48% aufgrund ihrer Pflichtmitgliedschaft ab.261 Dass dieser Anteil in der Gruppe, die eine Pflegekammer prinzipiell ablehnt, sehr hoch ist (91 bzw. 90%), überrascht nicht. Dass aber auch unter denjenigen, die prinzipiell eine Pflegekammer befürworten, immerhin 17% – logisch widersprüchlich – ihre Pflichtmitgliedschaft und 20% den mit ihr verbundenen Mitgliedsbeitrag ablehnen, legt einerseits eine reservierte Haltung der Pflegenden gegenüber dem Zwangscharakter einer Pflegekammer, andererseits Informationsdefizite gegenüber dem Wesen der Einrichtung offen.262 Darin drückt sich ein Vermeidungsverhalten eines psychologischen Ambivalenzkonflikts aus, dessen Zielkollisionsstruktur das deutsche Sprichwort „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ treffend metaphorisch umschreibt. Aber auch hier lässt sich (wie bei der grundsätzlichen Abfrage des Votums zu einer Verkammerung) eine enge Korrelation zwischen dem Informationsstand und der Zustimmungsquote beobachten: Unter den sehr gut Informierten war die negative Haltung gegenüber der Pflichtmitgliedschaft bzw. dem Mitgliedsbeitrag mit jeweils 37% am schwächsten ausgeprägt, während die Ablehnung gegenüber einer Pflichtmitgliedschaft bzw. dem Mitgliedsbeitrag in der Gruppe der niedrig Informierten mit 53% bzw. 56% besonders deutlich ausfiel.263 Dass in der Berufsgruppe noch substanzieller Aufklärungsbedarf hinsichtlich des Charakters einer Pflegekammer besteht, macht auch ein anderer Befund deutlich: In der Kategorie der freien Antwortfelder tauchte (mit 18% der Nennungen) am häufigsten der Wunsch nach einer Verbesserung der Ausbildung, Arbeitsbedingungen und Bezahlung auf,264 obwohl diese Zielsetzung (mit Ausnahme der Mitwirkung in der Ausbildung) nicht zum gesetzlichen Auftrag einer Pflegekammer gehören darf. Da die bayerische Pflegekammer ihrer Natur nach auf eine pflichtmitgliedschaftliche Vertretung nichttariflicher Berufsinteressen angelegt ist und sich nach dem erklärten politischen Willen aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren soll, lässt sich aus der Befragung der professionell Pflegenden Bayerns bei genauerem Hinsehen kein klares Mandat zur Gründung einer solchen öffentlich-rechtlichen Körperschaft ableiten. Die Berufsgruppe stützt ihre Zielsetzung mehrheitlich, nicht aber die mit ihrer Umsetzung verbundenen Nachteile. Sie sieht sich einem Zieldilemma ausgesetzt und in ihrem Meinungsbild gespalten. 261 42% der Befragten sehen das anders. 5% machten auf die Frage keine Angaben. TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 19. 262 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 21. In der Gruppe der Unentschlossenen, die sich weder für noch gegen eine Pflegekammer klar positionieren, lehnen 61% eine Pflegekammer tendenziell wegen ihres Mitgliedsbeitrages und 54% wegen ihrer Pflichtmitgliedschaft eher ab; a. a. O., S. 21. 263 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 27 264 TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 248), S. 29.

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c) Empirische Befunde zur Kammerzufriedenheit bereits verkammerter Berufszweige In den einer Verkammerung bereits unterworfenen Berufszweigen ist das Kammerprinzip ebenso nicht unangefochten, sondern teilweise starker Kritik ausgesetzt. Für Industrie- und Handelskammern legen empirische Untersuchungen eine weitverbreitete Unzufriedenheit nicht nur mit dem Beitragswesen, sondern auch mit der Grundstruktur der Kammern als hauptsächlich beitragsfinanzierter Zwangsinstitution offen.265 Gegen die Pflichtmitgliedschaft in der IHK bringen sich seit geraumer Zeit eigene Vereine, wie der Bundesverband für freie Kammern266, der inzwischen 1.300 Mitgliedsunternehmen zählt, in Stellung. Sie warten etwa mit einer Umfrage auf, nach der rund 80% der Handwerker des Bundeslandes Sachsen ihre Pflichtmitgliedschaft in der Handwerkskammer ablehnen.267 Vielen erscheint das Kammerprinzip als nicht mehr zeitgemäß und nicht mehr hinreichend schlagkräftig, um die in es gesetzten Hoffnungen zu erfüllen. Zahlreiche Kammermitglieder nehmen ihre Selbstverwaltungsgremien nicht mehr als identifikationsund qualitätsstiftendes Institut, sondern ausschließlich als Zwangsverband268 wahr, der in erster Linie eine wirtschaftliche Belastung für seine Mitglieder darstellt.269 Ihren Berufsvertretungen werfen sie Selbstherrlichkeit, undemokratische Strukturen (etwa in Gestalt der legitimatorisch problematischen Friedenswahlen als Wahlen ohne Wahlhandlung [§ 95 Abs. 2 i. V. m. § 20 265

So z. B. Bundesverband mittelständischer Reiseunternehmen e. V., Auswertung asr-Umfrage 1996 zur IHK-Mitgliedschaft, 1996, S. 4 ff.; siehe auch die Ergebnisse der Online-Befragung von Kreuzer, Deutliche Mehrheit für Ende einer Pflichtmitgliedschaft in der IHK, 5.4.2011, http://www.bio-markt.info/web/Aktuelle_Kurz meldungen/Sonstiges/IHK/15/40/0/9970.html (14.8.2013). Dem Anspruch an eine repräsentative Untersuchung genügen diese Umfragen nicht. Jedoch spiegeln sie eine erste Tendenz wider, welches Konfliktpotenzial eine Verkammerung der Pflegeberufe in sich trägt. 266 Siehe dazu http://www.bffk.de (14.8.2013). 267 Unter Berufung auf eine von der FDP Sachsen durchgeführte (nicht repräsentative) Befragung, deren Ergebnisse abrufbar sind unter http://www.bffk.de/files/ fdp-umfrage_sachsen_von_2006.pdf (14.8.2013). 268 Diesen Begriff ebenso wie den der „Zwangsmitgliedschaft“ verwendend: Redeker, NJW 1982, 1266 (1266). 269 Kaltenhäuser, Möglichkeiten und Perspektiven einer Reform der Organisation der Wirtschaftsverwaltung, eine rechtshistorische, rechtsvergleichende und rechtspolitische Betrachtung des Industrie- und Handelskammerwesens, 1998, S. 224 ff. hier mit Bezug auf die IHK; Heusch (Fn. 137), S. 137, geht davon aus, dass sich die Akzeptanz der Selbstverwaltung bereits durch eine aktivere Einbindung der Mitglieder in das Kammergeschehen und die Darstellung der Tätigkeiten in der Öffentlichkeit – nach dem Motto „Gutes tun und darüber reden“ – erreichen ließe. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die Pflichtmitgliedschaft unter „permanentem Rechtfertigungsbedarf“ steht, der von den Kammern nicht unterschätzt werden dürfe.

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Anlage C HandwO]), Verschwendungssucht und Entfremdung von den Interessen ihrer Mitglieder vor.270 Diese Skepsis gegenüber der eigenen Kammer wird auch an der einige Tausend Klageverfahren umfassenden Offensive gegen das Kammerprinzip der IHK deutlich.271 Die „IHK-Verweigerer“ stellen zwar nicht unbedingt die größte Gruppe der Kammermitglieder. Sie machen jedoch auf ein auch in der kritischen Basis bemängeltes und von einem breiten Medienecho272 begleitetes Rechtfertigungs- und Akzeptanzproblem der Kammern aufmerksam. Die Gruppe der Kritiker wächst.273 Ein klares Meinungsbild ist für Gesamtdeutschland zugleich schwer ermittelbar. Zum einen genügen viele Befragungen den Anforderungen an Repräsentativität nicht.274 Die empirische Basis repräsentativer Untersuchungen ist dünn. Zum anderen eignet sich die IHK als Dachvertretung einer Vielzahl verschiedenster Gewerbe nur bedingt als Referenzgröße für die Verkammerung der Berufsgruppe der (ganz überwiegend abhängig beschäftigten) Pflegenden. Die IHK unterscheidet sich schon durch ihren spezifischen Aufbau und ihren nicht auf die Förderung von Berufsgruppen, sondern unternehmerische Wirtschaftsinteressen ausgerichteten Auftrag von ihren homogener strukturierten Entsprechungen, wie den Ärzteoder Rechtsanwaltskammern. Einige Kammern freier Berufe stoßen in empirischen Erhebungen durchaus auf positive Resonanz.275 Beispielsweise attestierte eine Zufriedenheitsumfrage der Apothekenkammer Westfalen-Lippe, 270

Vgl. die Ergebnisse der Umfragen in Fn. 265. Vgl. dazu Kluth, Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Kammerrechts, 2011, § 5, Rdnr. 6; Heusch (Fn. 137), S. 136. Die Kläger verstehen sich lediglich als die „Spitze des Eisbergs“ der mit der Verkammerung unzufriedenen Mitglieder. Nachdem das BVerfG die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer als verfassungsgemäß eingestuft hatte (BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], NVwZ 2002, 335 [337], zuvor schon BVerfGE 15, 235 [244]; siehe dazu auch im Einzelnen unten S. 118 ff.), hat diese Initiative nachvollziehbarerweise an Kraft verloren. 272 Vgl. Zahlende Zwangsmitglieder, FAZ v. 12.11.1996, S. 10; Kleingewerbe wird von IHK-Finanzierung befreit, FAZ v. 26.10.1996, S. 13; IHK-Zwangsmitgliedschaft wackelt, Rheinischer Merkur v. 28.3.1997, S. 15. 273 Vgl. dazu etwa Unternehmer rebellieren gegen Kammerzwang, FAZ v. 13.9.2012, S. 14. 274 So füllten bei einer Mitgliederumfrage der Handwerkskammer HeilbronnFranken lediglich 5,6% der Befragten den Bewertungsbogen aus (Philippi/Noll, Ergebnisse der Mitgliederumfrage Heilbronn-Franken, 2011, S. 3), bei der Mitgliederumfrage der Apothekenkammer Westfalen-Lippe (Fn. 276) waren es 14%. 275 So etwa in der Mitgliederumfrage der Handwerkskammer Heilbronn-Franken; vgl. Philippi/Noll (Fn. 274), S. 53, die eine Zufriedenheitsquote von 66,8% auswies; siehe auch TNS Emnid, Wahrnehmungs- und Zufriedenheitsanalyse Deutscher Industrie- und Handelskammertag, 2009, S. 8 die (je nach Leistungssektor) Zufriedenheitswerte zwischen 31 und 44% ermittelte. 271

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dass nur 14% der 997 Befragten mit ihrer Arbeit unzufrieden sind; 87% würden sich nach Angaben der Kammer auf jeden Fall oder wahrscheinlich für eine Mitgliedschaft entscheiden, wenn diese freiwillig wäre.276 2. Die Kammeridee – ein Anachronismus oder ein zeitgemäßes Phänomen? Die Idee der Verkammerung ist als Instrument des Interessenausgleichs und der berufsständischen Qualifizierung in einer feudal geprägten Staatsordnung entstanden. Es mutet daher prima facie anachronistisch an, dieses vielfach als „Hort von Besitzständen und Bewahrer der Tradition zukünftiger Abschottung“277 eingestufte Institut nunmehr zusätzlich zu bestehenden Kammerstrukturen auch in neuen Berufsfeldern wie den Pflegeberufen etablieren zu wollen.278 Verkammerte Berufszweige sind intensiven Reglementierungen unterworfen, die viele Beobachter als nicht mehr zeitgemäß, sondern als eng geschnürte berufspolitische Zwangsjacke empfinden. Nicht wenige bescheinigen den Kammern eine Tendenz zu berufspolitischem Konservatismus, der über Gebühr an überkommenen Regelungsmustern festhält.279 Auch das BVerfG attestiert der Satzungsautonomie, die der Gesetzgeber den Kammern einräumt, ein Gefahrenpotenzial für die Betroffenen und die Allgemeinheit: „Zum Nachteil der Berufsanfänger und Außenseiter kann sie ein Übergewicht von Verbandsinteressen oder ein verengtes Standesdenken begünstigen, das notwendigen Veränderungen und Auflockerungen fest gefügter Berufsbilder hinderlich ist“.280 Dass die Kammeridee in die Jahre gekommen ist, stellt ihre Sinnhaftigkeit aber noch nicht infrage. Die ersten Kammergründungen im 19. Jahrhundert standen allerdings unter anderen Vorzeichen als jene, die heute die Einrichtung einer Pflegekammer legitimieren sollen.281 Die damals hand276

Siehe die Presseinformation der Kammer unter http://www.apotheke-adhoc. de/branchennews/mitgliederbefragung-der-akwl-hohe-zufriedenheit-in-schwierigemumfeld (17.8.2013). 277 Depenheuer, Die Freiheit des Berufs und Grundfreiheiten bei der Arbeit, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2001, S. 241 (270). 278 Zur Titulierung der Kammern als Relikt aus „vordemokratischer Zeit“ Roßbruch (Fn. 209), 5 m. w. N.; vgl. auch Vorstand der SPD/ASG Bundesvorstand, Pflegekammern – pro und contra, 1998, S. 7. 279 Vgl. Kämmerer, Die Zukunft der Freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung, 2010, H 38 ff.; zu den strukturellen ökonomischen Hintergründen siehe unten S. 85 ff. 280 BVerfGE 76, 171 (185). 281 Zur Geschichte etwa Tettinger, Kammerrecht, 1997, S. 57 ff.; Kluth, Entwicklungsgeschichte der deutschen Kammern, in: ders. (Fn. 271), § 3, Rdnr. 1 ff.

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lungsleitenden Interessen des frühliberalen Bürgertums, namentlich die Stärkung der Standesehre und die Selbstorganisation der Disziplinargewalt fernab staatlicher Stellen, mithin der erstrebte Übergang von der „Freiheit vom Zunftzwang“ zur „Freiheit vom Staatszwang“,282 haben in einem liberalisierten Staat an Bedeutung eingebüßt. Die Idee der Verkammerung ist als Befreiung von staatlichen Herrschaftsstrukturen konzipiert, die um den Preis erkauft wurde, sich einer eigenverantwortlichen Aufsicht der Selbstverwaltung zu unterwerfen. Das Grundprinzip der Kammer beruhte darauf, den obrigkeitlichen Einfluss der Staatsbehörden bei der Berufskontrolle zugunsten standeseigener Einrichtungen zurückzudrängen.283 Die Befreiung aus der Inpflichtnahme für staatliche Zwecke und die Loslösung von der Verstaatlichung im Rechts- und Gesundheitswesen – wie sie beispielhaft in von Gneist’s Schrift „Freie Advocatur. Die erste Forderung aller Justizreform in Preußen“ aus dem Jahr 1867 zum Ausdruck kam – war die gedankliche Geburtsstunde der „freien Berufe“.284 Ihr liegt aber gleichwohl der auch heute noch aktuelle Gedanke der Einbindung Regelungsunterworfener in die staatliche Aufgabenerledigung zugrunde. Dem gedanklichen Vater der Selbstverwaltungsidee Lorenz von Stein ging es darum, den Bürgern selbst einen Anteil an der Verwaltung zu geben. Seine Selbstverwaltungslehre ist von dem Gedanken der Partizipation durchdrungen.285 Sie soll den in den jeweiligen Interessengruppen gebündelten Sachverstand für die Ziele des Gemeinwesens fruchtbar machen und eine Mittlerrolle zwischen Staat und Gesellschaft einnehmen. Die mit einer Kammerbildung einhergehende Zentralisierung und Beaufsichtigung scheint indes gerade dem Zeitgeist zu widersprechen. Ausbildungs- und Berufswege sind in heutiger Zeit stärker ausdifferenziert und individualisiert; der Einzelne findet seine berufliche Identität vorwiegend in Eigenregie und ergänzt sie durch selbst, aus einem breiten Programmbouquet gewählte Fortbildungsprogramme. Einer Kammer als Katalysator eines einheitlichen Pflegeberufsverständnisses scheint es unter diesen Vorzeichen dann nicht mehr zwingend zu bedürfen, wenn die Fragmentierung der Lebensverhältnisse und die Unterschiedlichkeit berufsrechtlicher Anforderungen eine Einheitlichkeit der beruflichen Ausübungskontrolle entgegensteht und die Gesamtqualität der Leistungen nicht der Gefahr eines Race-to-the282 Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 105; Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 18 ff; BVerfGE 10, 354 (364 f.). 283 Dazu etwa für das Berufsfeld der Ärzteschaft Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991, S. 255 ff. 284 Vgl. auch Sodan (Fn. 282), S. 22 ff. 285 Vgl. Stein, Verwaltungslehre, 2. Aufl. 1869, S. 109 ff., insbesondere S. 129.

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bottom ausgesetzt ist. Nicht zuletzt existieren bereits zahlreiche Verbände und Gewerkschaften, die diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen trachten. Auch die Möglichkeit, Dienstleistungen und Informationen für und über Pflegeberufe in einer Hand zu bündeln und den Mitgliedern zur Verfügung stellen zu können, hat im digitalen Zeitalter an Nutzen eingebüßt. Über neue pflegerische Erkenntnisse benötigtes Wissen kann der Interessierte auf leichtere und kostengünstigere Art erwerben, als dies vor Anbruch des Informationszeitalters möglich war. Gleichzeitig steigt der Ausbildungsgrad der Pflegenden. Dies setzt sie grundsätzlich in den Stand, neue Entwicklungen im pflegerischen Bereich zu verfolgen, im beruflichen Alltag umzusetzen und durch selbstständige Fortbildungsmaßnahmen zu erweitern. Es hat sich eine bunte Vielfalt von Angeboten entwickelt, die ein uniformiertes, von der Zulassung einer Pflegekammer abhängiges Angebot eher zu beschränken als zu beflügeln droht. Die Qualitätssicherung im Pflegeberuf kann sich grundsätzlich auch in dezentralisierten, gruppenspezifischen Institutionen, etwa für das Pflegepersonal eines Krankenhauses, vollziehen. Die bestehenden Strukturen, deren sich die soziale Pflegeversicherung bereits im Rahmen von kooperativen Regelungen bedient, halten ferner etablierte Instrumente bereit, auf dener sich grundsätzlich zeitnäher und zielgenauer aufsetzen lässt als durch den Versuch, eine neue Einrichtung aus dem Stand heraus leistungsfähig zu machen. Gleichwohl soll eine Kammer ein Aliud zu denjenigen bereits vorhandenen Instrumenten und Organisationen schaffen, die eine hinreichende Schlagkraft der Pflegenden als Berufsgruppe angesichts ihres geringen Organisationsgrades bisher nicht erzeugt haben. Die Funktion repräsentativer Bündelung der Interessen einer Berufsgruppe im Wettstreit der Meinungen, die Kammern ihrer Funktion nach erfüllen sollen, hat auch im 21. Jahrhundert an Aktualität nichts eingebüßt. Das gilt in besonderer Weise in einem Regulierungsumfeld wie dem des Gesundheitswesens, in dem der Korporatismus wie in kaum einem anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich die Strukturen, Handlungsmuster und Chancen der Interessendurchsetzung prägt.

II. Ansehensgewinn – realistische Zielsetzung oder Beruhigungspille für die Mitglieder der Pflegeberufe? Zahlreiche Befürworter einer Pflegekammer – allen voran der ehemalige bayerische Gesundheitsminister Söder286 – sehen eine der größten legitimatorischen Stützen einer öffentlich-rechtlichen Standesvertretung in der mit 286

Siehe dazu Szymanski (Fn. 62).

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der Selbstorganisation verbundenen ideellen Aufwertung der Berufsgruppe.287 Nach ihrer Einschätzung wird eine Pflegekammer dazu beitragen, dass die Gesellschaft die Pflegenden anders wahrnimmt. Die Gründung einer Pflegekammer soll das Ansehen der Pflegeberufe in der Bevölkerung spürbar verbessern und ihnen eine starke politische Stimme verleihen. Als „Hilfe zur Selbsthilfe“ soll die Pflegekammer den Pflegenden aus dem Schatten der seit Langem in Kammern organisierten Ärzteschaft heraustreten helfen. Dass ihnen eine derartige Autarkie und Selbstbestimmtheit mit dem Hinweis auf die zeitliche Überholung des Kammergedankens vorenthalten, anderen Berufszweigen aber auch in jüngerer Zeit zugestanden wurde, werten einige gar als bewusste politische, aber unbegründete Benachteiligung der Pflegekräfte.288 So sind immerhin Psychotherapeuten ebenfalls im medizinischen Bereich tätig, zu eigener, dezentraler Fortbildung fähig und auch auf die identitätsstiftende Wirkung einer Kammer nicht essenziell angewiesen. Mitglieder einer Kammer sind sie dennoch. Einige Bundesländer haben für sie in der jüngeren Vergangenheit Kammern als Pflichtmitgliedschaftsverbände eingerichtet. Sieht man die Aufgabe der Kammern in der modernen Gesellschaft gerade in der Status hebenden Wirkung für die Berufsgruppe, hat eine Pflegekammer gerade im Vergleich zur Psychotherapeutenkammer starke Argumente auf ihrer Seite. Denn die Bedeutung der Pflegeberufe für die Gesellschaft ist angesichts des demografischen Wandels und der großen Anzahl der in diesem Sektor289 Beschäftigten gegenüber Psychotherapeuten (verkammert seit 1999/2000) mindestens gleichrangig. Einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden Berufsgruppen gibt es jedoch: Die Psychotherapeuten werden ganz überwiegend als Selbstständige tätig, die Pflegeberufe demgegenüber nicht. Darin drückt sich auch ein unterschiedliches Maß der Selbstorganisationsfähigkeit290 aus. 1. Leistungspotenzial von Kammern zur Ansehensverbesserung Die Perspektive eines ideellen Ansehensgewinns, den eine Pflegekammer für die darbenden Mitglieder der Pflegeberufe herstellen soll, schürt Hoffnungen. Sie kann sich aber auch als politisch verordnete Beruhigungspille 287

Vgl. auch Vorstand der SPD/ASG Bundesvorstand (Fn. 278), S. 6. Hanika/Mielsch/Schönung, PfLR 2005, 203 (215) führen hier eine Ungleichbehandlung gegenüber Bauingenieuren, Psychotherapeuten und Sozialarbeitern/Sozialpädagogen an. Vgl. auch Hanika (Fn. 145), 17. 289 Dazu im Einzelnen oben S. 15 ff. 290 Siehe dazu im Einzelnen S. 79 ff. 288

II. Ansehensgewinn – realistische Zielsetzung oder Beruhigungspille?

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mit Placebo-Effekt entpuppen. Das Prestige einer Berufsgruppe hängt von vielfältigen Faktoren ab. Entscheidend sind insbesondere die Ausbildung, das Maß an Eigenverantwortung, die Entscheidungs- und Kontrollbefugnis, das Einkommen, die Austauschbarkeit bzw. Individualität der Leistungserbringung, die Bedeutung, welche die Gesellschaft der beruflichen Leistung beimisst, und die Erwartungen der Gesellschaft an das außerberufliche Verhalten des Berufsträgers. Diese hängen nicht vorrangig, sondern lediglich mittelbar von einer Verkammerung der Profession ab. Ärzte, Rechtsanwälte und Steuerberater als Prototypen verkammerter Berufe beziehen ihr hohes gesellschaftliches Ansehen nicht daraus, dass sie Mitglied einer Kammer sind. Um die Kammermitgliedschaft werden die Patienten bzw. Klienten häufig nicht wissen oder sich darum keine Gedanken machen. Vielmehr stützt sich das hohe Ansehen, das speziell diese Berufsgruppen genießen, vorrangig auf den hohen Bildungsstandard, den ihre Tätigkeit voraussetzt, die damit verbundene Hochwertigkeit der zu erbringenden Dienstleistungen sowie die elementare Angewiesenheit des Einzelnen auf die – in eigener Person – erbrachte Leistung. In der Wahrnehmung des Klienten bzw. Patienten ist die Beziehung zu seinem Arzt, Anwalt oder Steuerberater eine eigener Auslese entspringende Vertrauensbeziehung: Seiner Person bringt er ein besonderes, in der Auswahl zum Ausdruck gebrachtes Vertrauen entgegen. Die Krankenschwester oder den Altenpfleger kann der Patient demgegenüber typischerweise nicht autonom auswählen, grundsätzlich lediglich die Einrichtung oder den Pflegedienst, dem diese angehören. Die konkrete Zuweisung der Pflegeperson zu einem Patienten ist vielmehr regelmäßig der Dispositionsbefugnis des jeweiligen Arbeitgebers überantwortet. Zwar beeinflusst die Professionalität des beruflichen Verhaltens die Wertschätzung der Mitglieder eines Berufsstandes in der Bevölkerung nicht unerheblich. Insofern kann eine effektive Berufsregulierung im Wege der Selbstverwaltung auf die Wahrnehmung des Berufsstandes in der Öffentlichkeit positiv ausstrahlen. Das Prestige der Pflegeberufe macht sich aber auch und vorrangig an Wertschätzungsfaktoren der Arbeitsbedingungen und der Voraussetzungen für die Zulassung zum Beruf fest. Letztere sind im Berufszulassungsrecht verankert, für das der Bund, nicht aber die Länder gesetzgebungsbefugt sind (so dass den landesrechtlich avisierten Pflegekammern keine Ausgestaltungskompetenz zukommt).291 Die Arbeitsbedingungen können die Pflegekräfte nicht autonom festlegen. Vielmehr handeln Arbeitgeber und Arbeitnehmer sie in Tarifverträgen aus. Geeignetes Sprachrohr sind insoweit nicht die Kammerorganisationen, sondern die Gewerkschaften.292 291 292

Dazu im Einzelnen S. 102 ff. Vgl. dazu auch im Einzelnen unten S. 167 ff.

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2. Empirische Befunde Dass den Pflegeberufen eine gesellschaftliche Anerkennung ihrer Tätigkeit versagt bleibt, entspricht der Wahrnehmung der Berufsgruppe und politischer Verlautbarung, nicht aber dem tatsächlichen empirischen Befund gesellschaftlicher Anerkennung. Die Mitglieder der Pflegeberufe selbst schätzen ihr gesellschaftliches Ansehen pessimistischer als die Gesellschaft ein. Der Beruf der Krankenschwester rangierte in der „Allensbacher Berufsprestige-Skala“, einer repräsentativen Umfrage unter der deutschen Bevölkerung, bereits im Jahr 2005 auf Platz 2 der beliebtesten Berufe.293 In den Folgebefragungen der letzten Jahre hat sich diese hohe gesellschaftliche Wertschätzung bestätigt.294 Eine aktuelle Forsa-Umfrage, die unter dem Titel „Bürgerbefragung öffentlicher Dienst 2013“ nach dem Beruf mit dem höchsten Ansehen fahndete, wies die Kranken-/Altenpfleger ebenfalls als Zweitplatzierte aus.295 Beliebter waren nur Feuerwehrmänner. Damit lagen die Schwestern und Pfleger in der Beliebtheitsskala vor allen sonstigen im Gesundheitswesen Beschäftigten, insbesondere knapp vor der Ärzteschaft.296 Die Divergenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung mag mit der Einkommenssituation, der leichteren Substituierbarkeit pflegerischer Arbeitskraft, dem hohen Anteil angelernter Kräfte in der Altenpflege oder mit der Tatsache zusammenhängen, dass viele zentrale Steuerungsfunktionen medizinischer Therapietätigkeit (Wahl der Therapieform, Medikation, Medikamentenverordnung) der Ärzteschaft vorbehalten sind. Gesellschaftliches Ansehen ist auch in hohem Maße von subjektiven Wertungen abhängig. Je nach Kontext der Fragestellung und individuellem Vergleichs- und Bezugsparameter können die Ergebnisse unterschiedlich ausfallen. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass sich das hohe Ansehen und die Wertschätzung der Pflegeberufe nicht gleichermaßen in guten Arbeitsbedingungen widerspiegeln. Für deren Verbesserung sind jedoch vorrangig die Gewerkschaften als Vorkämpfer auf den Posten gestellt. 293 Institut für Demoskopie Allensbach, Ärzte vorn, Allensbacher Berichte 12/2005, S. 2. Antworten sollten die Interviewten auf die Frage: „Hier sind einige Berufe aufgeschrieben. Könnten Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen sie am meisten Achtung haben?“. 294 Institut für Demoskopie Allensbach, Ärzte weiterhin vorn – Pfarrer verlieren deutlich an Ansehen, 2011; Institut für Demoskopie Allensbach, Hohes Ansehen für Ärzte und Lehrer – Reputation von Hochschulprofessoren und Ärzten rückläufig –, Allensbacher Berufsprestige Skala 2013, Kurzbericht vom 20.8.2013, S. 1 f. 295 Forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen, Bürgerbefragung öffentlicher Dienst 2013, 2013, S. 19 ff. 296 Forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen (Fn. 295), S. 20.

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Aus den Umfragen zum Berufsprestige lässt sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Verkammerung eines Berufes und seinem Ansehen in der Öffentlichkeit ablesen. Die „Bürgerbefragung öffentlicher Dienst 2013“ wies unter den zehn beliebtesten Berufen nur eine verkammerte Profession aus: die Ärzteschaft. Auf Platz 13 folgten die in die Handwerkskammern eingebundenen Dachdecker. Rechtsanwälte und Steuerberater rangierten abgeschlagen auf den Plätzen 17 und 20.297 Der Effekt einer Öffentlichkeitsarbeit von Kammern, etwa die Imagewerbung der Kampagne „Das Handwerk“ der Handwerkskammern, auf die Wahrnehmung eines Berufsstandes in der Gesellschaft ist nur schwer mess- und zurechenbar. Darin drückt sich eine grundlegende Problematik von Werbung aus. Henry Ford hat sie treffend auf den Punkt gebracht. Auf die Frage nach seiner Marketingstrategie soll er geantwortet haben: „Die Hälfte meiner Werbeausgaben ist zum Fenster herausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht welche Hälfte.“ Die Sinnhaftigkeit konzertierten Marketings stellt das keineswegs infrage, lediglich die lineare Zurechenbarkeit seines Erfolgs. Die Erwartungen sollten dabei allerdings den Boden des Realistischen nicht verlassen. Das Ansehen der Pflegenden in der Gesellschaft wird sich von ihrem beruflichen Bildungsstand, der Austauschbarkeit ihrer Leistungen und der individuellen Wertschätzung auch durch offensive Öffentlichkeitsarbeit einer Kammer nicht entkoppeln lassen. Die Hoffnung auf einen durch eine Verkammerung erzielten ideellen Ansehensgewinn steht in der Gefahr, Sand in die Augen der Mitglieder der betroffenen Pflegeberufe zu streuen. Diese messen sich zu gerne an dem Vorbild der Ärzteschaft, blenden dabei aber mitunter aus, dass deren Ansehen nicht aus ihrer Verkammerung herrührt und sie unter anderen strukturellen Bedingungen der Selbstständigkeit tätig werden298. 3. Schlussfolgerungen: Enttäuschungspotenzial und „Münchhausen“-Risiko Zu einer Verbesserung der unmittelbaren Arbeitsbedingungen, insbesondere der Lohnstruktur und der Arbeitszeiten, können die Kammern nach ihrem Aufgabenzuschnitt nur sehr wenig beitragen. Genau hier ruhen aber unausgesprochen die Hoffnungen vieler Berufsträger.299 Diese werden sich nicht erfüllen. Die Zulassungsvoraussetzungen für die Berufsgruppen, die 297

Forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen (Fn. 295),

S. 20. 298

Dazu oben S. 78 ff. Vgl. die Ergebnisse der Befragungen professionell Pflegender in Bayern (TNS Infratest Sozialforschung [Fn. 248], S. 29) und Schleswig-Holstein (TNS Infratest Sozialforschung [Fn. 226], S. 15). 299

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den Ausbildungsstandard erhöhen könnten, liegen in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. An dieser Stellschraube kann eine landesrechtliche Pflegekammer nicht drehen. Viele Pflegende erwarten von einer Kammer eine Erweiterung des beruflichen Handlungsspielraums. Die Berufsaufsicht als Teil des Aufgabenfeldes einer Pflegekammer zielt indes nach ihrer Struktur auf eine Beschränkung der Freiheit und Kontrolle, die Pflegende sich nicht unbedingt wünschen. Sollen die Bedingungen der Pflegeberufe nachhaltig verbessert werden, ist insoweit neben den Tarifpartnern zuvorderst der Gesetzgeber aufgerufen, selbst die strukturellen Rahmenbedingungen für eine Verbesserung der Pflegequalität und der Ausbildungsvoraussetzungen von Pflegepersonen anzupassen. Ob es hierfür aber nicht gerade einer starken Vertretung der Pflegenden gegenüber der Öffentlichkeit und dem Gesetzgeber bedarf, die angesichts des sehr geringen Organisationsgrades der Pflegeberufe nur eine Kammerorganisation hervorbringen kann, ist die Gretchenfrage der Pflegeberufspolitik. Der Selbstorganisationsgrad und die gesetzgeberische Fürsorge für rechtspolitische Regelungsbedürfnisse stehen nicht notwendig in einem Bedingungszusammenhang: Der Gesetzgeber ist grundsätzlich zur Wahrnehmung von Gemeinwohl- und berechtigten Berufsinteressen unabhängig von dem bisweilen lautstarken Trommeln einzelner Lobbygruppen aufgerufen. Allerdings entspricht es einem Befund der Regierungslehre, dass der Gesetzgeber und die Öffentlichkeit nicht selten erst auf einen entsprechenden Anstoß reagieren und erst dann diese Interessen vollständig in ihre Agenda aufnehmen. Einer professionell organisierten Pflegekammer kann die Rolle eines Weckrufers und kompetenten Begleiters parlamentarischer Prozesse zukommen, der Sichtblenden verkleinert oder beseitigt. Unserer Verfassung liegt das Modell der Interessenartikulation durch freie soziale Gruppenbildung zugrunde. Nur dort, wo diese vollständig versagt, ist in einer liberalen Grundordnung eine staatliche Übernahme der Organisationsleistung als Eingriff in das freie Spiel der Kräfte angezeigt. Die insgesamt ernüchternde Erfahrung, die das deutsche Gesundheitswesen in den letzten Jahrzehnten mit der Selbstorganisation der Pflegeberufe und ihrer Verbände gesammelt hat, rechtfertigen allerdings die gesetzgeberische Prognose, dass die Pflegenden nicht aus sich selbst heraus in absehbarer Zeit eine Selbstorganisationsstruktur aufbauen, die sie mit einer ihrem zahlenmäßigen Gewicht im Gesundheitswesen entsprechenden kritischen Schlagkraft ausstattet. Auch dann ist es mit der staatlichen Initialzündung einer Selbstorganisation aber nicht unbedingt getan: Die Pflegeberufe selbst sind nur bedingt in der Lage, sich im Wege der Selbstverwaltung – gleichsam wie Münchhausen – am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, um die äußeren Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit zu verbessern. Dafür ist ihre

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wirtschaftliche Abhängigkeit zu hoch. Der Losung von der „größten ideellen Aufwertung, die die Pflegekräfte erhalten können“300 ist insoweit eine Irreführungsgefahr und ein Enttäuschungspotenzial eigen. Sie insinuiert die (Fehl-)Vorstellung, dass der Gesetzgeber seine Hände in den Schoß legen könne, namentlich alle Probleme der Pflegeberufe dann gelöst seien, wenn diese sich erst einmal selbst überlassen bleiben. Möglicherweise wird er den Druck der Berufsgruppe zwar stärker spüren, wenn diese sich selbst zu organisieren in der Lage ist. Nicht unwahrscheinlicher ist aber, dass der Gesetzgeber diesen Druck auch im Falle erkannter struktureller Defizite wiederum dadurch aus dem Kessel zu nehmen versucht, dass er selbstgenügsam (wenn auch fadenscheinig) auf die Problemlösungskompetenz der Gruppe im Wege der Selbstorganisation verweist.

III. Rechtsökonomische Analyse 1. Eingeschränkte Wirkkraft einer Kammerorganisation bei abhängig Beschäftigten Dass sich ein Berufskammersystem in Deutschland nicht für alle Berufsgruppen, sondern nahezu ausschließlich für Selbstständige, insbesondere Freiberufler, etabliert hat,301 hat durchaus einen Grund: Als Selbstständige sind diese Berufsträger in der Gestaltung ihrer beruflichen Arbeitsbedingungen weitgehend frei und damit kraft Autonomie zur Selbstorganisation befähigt. Ihre Tätigkeiten sind durch fachliche Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit geprägt. Sie handeln ihre Arbeitsbedingungen nicht mit Arbeitgebern aus, sondern stehen vielmehr untereinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Wettbewerb. Dieser Wettbewerb ist Triebfeder wirtschaftlicher Innovation. Mit ihm verbindet sich aber die Gefahr unmittelbar oder mittelbar wechselseitig konkurrenzschädigenden Verhaltens, z. B. in Gestalt von beruflicher Schlechtleistung, die auf den gesamten Berufsstand ausstrahlt, oder wettbewerbswidriger Werbung. Um ihr zu begegnen, sind die Kammern als puffernde, selbstregulierende Organisationseinheit zwischengeschaltet. Sie sichern und organisieren berufliche Selbstkontrolle der freien Berufe und die Vertrauenswürdigkeit ihrer Leistungen durch demokratische Strukturen. Der Gesetzgeber lässt sich dabei von der Grundvorstellung leiten, dass die Selbstregulierung in diesem Bereich für sachgerechtere Ergebnisse sorgt 300

Vgl. Fn. 62. Das deutsche Kammerwesen kennt durchaus Arbeitnehmerkammern, die alle Beschäftigten vereinen – allerdings nur in Bremen und im Saarland. Vgl. zu ihnen insbesondere S. 154 mit Fn. 561. 301

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als eine staatliche Aufsicht. Nach dieser Idee ist das Eigeninteresse der unmittelbar betroffenen Akteure der sorgsamere „Wachhund“ einer ebenso gerechten wie funktionsfähigen Berufs- und Wettbewerbsordnung. Die Kammern sollen mithilfe ihres ordnungspolitischen Potenzials die wirksame Integration des jeweiligen Berufsstandes in das durch sie konstituierte soziale Ordnungsgefüge gewährleisten.302 a) Ökonomische Logik der Verkammerung Berufsständische Sanktionsmechanismen folgen dabei letztlich einer ökonomischen Logik: Sie nutzen das Instrument der Selbstorganisation, um von Berufsständen, die durch einen hohen Anteil an Selbstständigen geprägt sind, Gefahren abzuwenden. Ihnen fällt die Aufgabe zu, das Vertrauen in die Integrität des gesamten Berufsstandes zu sichern.303 Schlechtleistungen eines Anbieters treffen nämlich nicht nur diesen, sondern alle Berufsmitglieder. Sie können – wie die ökonomische Theorie nachgewiesen hat – insbesondere aufgrund der Eigenheiten freiberuflicher Leistungen zu einem Marktversagen führen, das dann auch auf zentrale gesellschaftliche Bereiche ausstrahlt: Das Verhältnis zwischen dem Freiberufler, etwa dem Rechtsanwalt, und seinem Klienten ist aufgrund der erforderlichen besonderen Sachkunde durch eine strukturelle Informationsasymmetrie geprägt. Der Klient kann die Qualität der ihm angebotenen Dienstleistung ex ante nicht einschätzen.304 Trifft er auf eine schlechte Einzelleistung eines Mitglieds der Berufsgruppe, sinkt sein Vertrauen in und damit seine Zahlungsbereitschaft für die gesamte Berufsgruppe. Als „gebranntes Kind“ ist er dann nicht mehr ohne Weiteres bereit, in Zukunft erneut das Risiko einer schlechten Dienstleistung gegen hohes Entgelt einzugehen, stehen ihm doch zuverlässige Informationen über Kompetenz- und Qualitätsunterschiede zwischen den Leistungsträgern regelmäßig nicht zur Verfügung. Seine Zahlungsbereitschaft sinkt. Qualitativ hochwertige Angebote erzielen dann nicht mehr den ihnen zukommenden sachgerechten Preis; die Anbieter passen ihre Leistungsqualität nach unten an, da sie ihre bisherige sehr hohe Leistungsqualität nicht zu den am Markt erzielbaren niedrigeren Preisen anbieten können; im Extremfall verschwinden sie vom Markt. Es kommt zu einer Abwärtsspirale der Leistungsqualität; der Markt droht zu versagen. Akerlof hat die 302

Kluth/Goltz (Fn. 41), S. 83. Vgl. dazu etwa BVerwG, NJW 2011, 1830 (1831); Kämmerer (Fn. 279), H 30 ff. 304 Vgl. BVerfGE 117, 163 (184); Kämmerer (Fn. 279), H 22 ff.; Rennert, DVBl. 2012, 593 (596 f.). 303

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Grundprinzipien dieses Mechanismus am Beispiel des Marktes für Gebrauchtwagen mit seinem sog. Zitronenprinzip305 wissenschaftlich erschlossen und die Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Nachfrager als seine Ursache identifiziert. Er lieferte damit zugleich eine ökonomische Legitimation für Berufskammern: Sie sichern die Integrität und Vertrauenswürdigkeit der beruflichen Leistung durch eine ethische Selbstbindung der Berufsträger ab, die regelkonformes Verhalten auch ökonomisch sinnvoll erscheinen lassen. Ihre Funktion liegt insbesondere in dem Aufbau von Vertrauen in die Leistungsqualität der Berufsgruppe und die Absicherung der Leistung des gesamten Berufsstandes gegen ein Marktversagen. Da alle Mitglieder der Berufsgruppe von diesem Vorteil profitieren, bindet der Gesetzgeber alle Berufsmitglieder in den Pflichtenkanon ein und schließt Anreize zu einem Trittbrettfahrerverhalten durch die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft aus.306 Kammern tragen dadurch mittelbar auch dem besonderen Gemeinwohlbezug der jeweiligen regulierten Tätigkeit Rechnung, etwa dem Bedürfnis nach geordneter Rechtspflege, der Steuerpflege bzw. der Bedeutung eines funktionierenden Gesundheitswesens als Grundinteressen der Gesellschaft. Die Berufskammern wirken als Instrument der Selbstregulierung des wirtschaftlichen Wettbewerbs in Berufsfeldern, die von Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Berufsträger sowie einer Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Nachfrager geprägt sind. b) Selbstständigkeit und Selbstbestimmung als Basis der Berufskammerlogik Die Wettbewerbssituation abhängig Beschäftigter stellt sich grundsätzlich in einem anderen Licht dar als diejenige Selbstständiger: Abhängig Beschäftigte konkurrieren nicht am Markt um Aufträge für Dienstleistungen und Waren. Sie treten einander nicht primär unmittelbar als Wettbewerber – wie in den klassischen Kammern der freien Berufe –, sondern als Kollegen gegenüber. Sie konkurrieren vielmehr um Beschäftigungsmöglichkeiten. Vertrauen in die Leistungsqualität bringt der Nachfrager von Pflegeleistungen grundsätzlich nicht dem einzelnen angestellten Pflegenden, sondern dessen Dienstherrn entgegen, der über das Direktionsrecht verfügt. An ihn richten sich seine Leistungserwartungen und ihm lastet er im Falle von Leistungsmängeln entsprechend ein Organisationsverschulden an.307 Die strukturelle Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Nachfrager, die zu einem Marktversagen im Sinne des Akerlofschen Zitronenprin305 306 307

Akerlof, The Quarterly Journal of Economics 84 (1970), 488 (488 ff.). Dazu im Einzelnen S. 148 ff. Ebenso Taupitz (Fn. 283), S. 508.

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zips308 führen kann, besteht hier also primär nicht zwischen dem Nachfrager von Pflegeleistungen und dem Mitglied des Pflegeberufes. Sie besteht vielmehr zwischen dem Nachfrager und dem Dienstherrn der Pflegeperson, mit dem der Vertrag über die Pflegedienstleistung geschlossen wird. Schutzbedürftig ist insoweit grundsätzlich nicht das Wettbewerbsverhältnis der Kammermitglieder untereinander, sondern ihrer Arbeitgeber zu deren Konkurrenten. Eine Pflegekammer kann zu einem solchen Schutz ihrer Natur nach nur wenig beitragen. Denn sie bezieht die Arbeitgeber nicht mit ein. Fehlleistungen eines Berufsträgers werden in der Dreieckskonstellation Pflegebedürftiger – Pflegender – Arbeitgeber primär nicht in dem Verhältnis zwischen Pflegendem und Nachfrager der Pflegeleistung, sondern in dem Dienstverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sanktioniert. Das Instrument der Wahl ist insoweit das Dienst- und Arbeitsrecht. Eines zusätzlichen Sanktionsmechanismus zum Schutz des Berufsethos der Pflegeberufe bedarf es grundsätzlich nicht, ist er doch – anders als bei Freiberuflern – bereits in dem durch ein Abhängigkeitsverhältnis gekennzeichneten Arbeitsvertrag angelegt. Hier ist der Ort, der Gefahr eines Marktversagens zu begegnen.309 In einem Markt freier Berufe hat der jeweilige Wettbewerber ein Interesse daran, dass für alle Mitglieder der Berufsgruppe die gleichen Regeln gelten und das Maß der auferlegten Pflichten, etwa der Fortbildungsverpflichtungen, nicht über das Ziel, die gemeinsamen beruflichen Interessen zu erreichen, hinausschießt. Der Arbeitnehmer demgegenüber hat ein Interesse daran, berufliche Weiterbildungspflichten im Interesse eigenen Fortkommens zu maximieren, wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Pflichten nicht unmittelbar ihn selbst, sondern seinen Arbeitgeber treffen. Abhängig Beschäftigte befinden sich schon aufgrund ihrer arbeitsrechtlichen Weisungsgebundenheit in einer anderen wettbewerblichen Lage als selbstständige Freiberufler. Die disziplinierende und disruptive Kraft des Wettbewerbs kann bei ihnen ihre Wirkung nur eingeschränkt entfalten. Die ökonomischen Gefahren, welche die berufsständischen Organisationen als Instrument gesellschaftlicher Vertrauensbildung in einen Berufsstand abzuwehren trachten, stellen sich für sie entsprechend anders dar. Die professionell Pflegenden verfügen auch aufgrund der Unselbstständigkeit ihrer Tätigkeit nicht über ein Maß an Selbstorganisation und Selbstbestimmung, das sie ohne Weiteres dazu befähigt, beschlossene Selbstverwaltungspflichten einer Pflegekammer 308

Siehe oben S. 78 f. Diesem Befund entspricht es, dass der Gesetzgeber den Arbeitnehmerkammern keine berufsrechtliche Sanktionsbefugnis anvertraut. Dazu auch Taupitz (Fn. 283), S. 80 ff. 309

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autonom umzusetzen. Legt eine Pflegekammer ihren Mitgliedern Fortbildungs- und Weiterbildungsverpflichtungen auf, können diese sich in Blütenträumen auflösen, wenn die abhängig Beschäftigten die entsprechenden Verpflichtungen nicht aus eigener Kraft erfüllen können: Die Verfügungsbefugnis über die regelmäßige Arbeitszeit und damit einen erheblichen Teil der einsetzbaren Zeitressourcen liegt in den Händen des Arbeitgebers.310 Den verkammerten Berufen ist dagegen der Gedanke freier Berufsgestaltung eigen. Sie sind von Vertrauen in die Expertenleistung sowie von fachlicher Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit gegenüber dem jeweiligen Auftraggeber getragen (vgl. etwa § 1 BRAO; § 57 Abs. 1 StBG; § 43 Abs. 1 S. 1 WPO; ferner § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG [„aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig“]; § 1 Abs. 2 S. 1 PartGG [„persönliche,311 eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit (. . .) auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation und schöpferischer Begabung“]).312 Der Begriff des freien Berufs steht zwar nach traditionellem Verständnis (als Ausdruck äußerer Freiheit und damit Korrelat sowie Strukturbedingung der inneren Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit) in einem notwendigen Konnex mit der Selbstständigkeit der Tätigkeit,313 schließt eine individuell wirtschaftlich unselbststän310

Zu diesem Konfliktfeld siehe auch unten S. 186 ff. Vgl. zu diesem Begriffsmerkmal Ludwig Sievers Stiftung (Hrsg.), Persönliche Leistungserbringung als Merkmal des Freien Berufs, 2012. 312 Zum Leitbild der freien Berufe und seinen Merkmalen siehe etwa BVerfGE 10, 354 (364); BVerwG, NJW 2013, 2214 ff.; Pitschas, Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts 2005, 2006, 349 (352 ff.); Sodan (Fn. 282), S. 26 ff., 66 ff.; Taupitz (Fn. 283), S. 38 ff., 148 f. jeweils m. w. N. 313 Vgl. etwa Taupitz (Fn. 283), S. 46 ff., 148 ff. m. w. N.: „Freiberufler erbringen in wirtschaftlich selbstständiger Stellung und aufgrund qualifizierter Ausbildung bzw. schöpferischer Befähigung persönlich ideelle Leistungen.“ Das BVerfG sieht das „Berufsbild der freiberuflich Tätigen“ (. . .) auf Selbstverantwortung, individuelle Unabhängigkeit und eigenes wirtschaftliches Risiko gegründet“ (BVerfGE 10, 354 [369]). Ähnlich auch schon Feuchtwanger (Der Staat und die freien Berufe, 1929, S. 11), der an die freien Berufe die Anforderung formuliert, dass sie „die Integrität des Beamten, also Sachlichkeitsstreben und Verantwortlichkeit für das Gemeinwohl, zu verbinden“ haben „mit der Initiative, Selbstständigkeit, Beweglichkeit des Unternehmers und dessen geschäftlicher Beziehung zu dem Leistungsempfänger. Diese spezifisch freiberufliche Tüchtigkeit, die gemeinwirtschaftliche Verantwortung mit Privatdienst, Abhängigkeit von Klienten mit innerer Freiheit vereint, wird gewährleistet durch ein System staatlicher und ständischer (genossenschaftlicher) Mittel“. Ähnlich hielt Deneke (Die Klassifizierung der freien Berufe, 1969, S. 27 f.) die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Berufsträger für ein konstituierendes Merkmal der freien Berufe. Es sei erforderlich, dass „die Berufstätigkeit üblicherweise, überwiegend oder mindestens in erheblichem Umfange in wirtschaftlich selbstständiger Tätigkeit ausgeübt“ werde. 311

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dige Beschäftigung aber nicht unbedingt aus.314 Immerhin liegt der Anteil unselbstständiger Berufsträger in manchen Kammerberufen, etwa in der Ärzteschaft, inzwischen bei mehr als 50%.315 Umgekehrt können auch pflegerische Leistungen – wie sich etwa mittelbar aus der Wertung des § 2 S. 1 Nr. 2 SBGB VI ergibt – in selbstständiger Tätigkeit erbracht werden.316 Mit einem Angestelltenanteil von rund 90% der Pflegekräfte ist der Anteil abhängig Beschäftigter bei den Pflegeberufen allerdings strukturell bedingt überproportional, prägt also nicht das Berufsbild.317 Anders als bei freien Berufen ist ihre Tätigkeit nicht auf Wahrnehmung in selbstständiger Beschäftigung angelegt.318 Nach Einschätzung des BVerfG „trägt das Berufsbild der freiberuflich Tätigen im ganzen den ‚unternehmerischen Zug‘ der auf Selbstverantwortung, individuelle Unabhängigkeit und eigenes wirtschaftliches Risiko gegründet ist“319. Der Angestelltenanteil unter den Pflegenden hat sich – anders als bei bereits verkammerten Berufen, die in jüngerer Zeit stärker als noch vor Jahrzehnten in Dienstleistungszentren gebündelt ihre Leistungen erbringen320 – auch nicht erst nach einer Kammergründung deutlich erhöht, sondern entspricht dem traditionellen Zuschnitt des Berufsstandes. Mitglied einer Kammer kann darüber hinaus auch in klassischen Kammern von Freiberuflern – auch als Angestellter – nur werden, wer von fachlichen Weisungen seines Arbeitgebers unabhängig ist und seinen Beruf eigenverantwortlich ausübt. In diesen funktionellen Strukturbedingungen sei314 Vgl. etwa § 58 StBerG; § 19 der „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“. 315 Vgl. dazu die Übersicht „Zahlenmäßige Struktur der Selbstständigen in Freien Berufen in Deutschland“ unter www.ifb.uni-erlangen.de/fileadmin/ifb/pic/statistiken/ 2009/selbst-fb-brd-STRUK2011_akt_28_6_2011.pdf (14.8.2013) sowie die Übersicht „Erwerbstätige in Freien Berufen in Deutschland“ www.ifb.uni-erlangen.de/ fileadmin/ifb/pic/statistiken/2009/erwerb-fb-brd-2011_akt_28_6_2011.pdf (14.8.2013); Kämmerer (Fn. 279), H 19 ff.; zu diesem fortschreitenden Wandlungsprozess auch bereits Taupitz (Fn. 283), S. 47. 316 Vgl. zur Abgrenzung etwa LSG Bayern, Urt. v. 28.5.2013 – L 5 R 863/12 –, BeckRS 2013, 72048 m. w. N. 317 Etwas anderes gilt für die Untergruppe der Hebammen. Ihnen hat das BVerfG auch ausdrücklich die Freiberuflichkeit attestiert (BVerfGE 9, 338 [347]). Ihre Einbeziehung in eine Pflegekammer planen die meisten Länder jedoch nicht. 318 Vgl. zu dieser dem Begriff des freien Berufs unterlegten Anforderung: Taupitz (Fn. 283), S. 47, 473 ff. m. w. N. Nach Deneke (Fn. 313), S. 28, bezieht sich das Kriterium der wirtschaftlichen Selbstständigkeit „nicht auf den individuellen Berufsträger, sondern stets nur auf den Beruf als Funktion und den Berufsstand als ein Ganzes“. Unter dieser Prämisse kann ein Berufsträger Angehöriger eines freien Berufsstands sein, ohne selbst freiberuflich tätig zu werden. Umgekehrt kann jemand freiberuflich tätig werden, ohne Angehöriger eines freien Berufsstands zu sein (vgl. Deneke, Deutsches Ärzteblatt 1967, 643 [644 f.]). 319 BVerfGE 10, 354 (369). 320 Vgl. zu dieser Entwicklung mit Zahlenbelegen etwa Sodan (Fn. 282), S. 85.

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ner beruflichen Tätigkeit hebt sich der Freiberufler von dem herkömmlichen Arbeitnehmer ab. Denn die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit ist Voraussetzung für die Entfaltung der beruflichen Kompetenzen, insbesondere der Kreativität und verantwortungsgerechten Auftragswahrnehmung, welche die freien Berufe prägen.321 Auch der Beamtenstatus, etwa von Hochschullehrern, ist mit einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft grundsätzlich inkompatibel (§ 7 Nr. 10, § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO) – ebenso grundsätzlich die Stellung des angestellten Syndikusanwalts für Mandate seines Arbeitgebers. Dieser darf für seinen Arbeitgeber nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden (§ 46 Abs. 1 BRAO).322 Er muss der Anwaltskammer eine Freistellungserklärung des Arbeitgebers vorlegen: Namentlich hat er zu versichern, dass er seinen Arbeitsplatz jederzeit zur Ausübung anwaltlicher Tätigkeiten verlassen kann, wenn er Mitglied der Kammer bleiben bzw. werden will.323 Rechtsstreitigkeiten um die Reichweite dieser Pflicht324 machen – ebenso wie die Tatsache, dass Syndikusanwälte dieses Privileg in der Praxis kaum in Anspruch zu nehmen wagen – deutlich, dass die von der Idee der freien Berufsgestaltung genährte Kammerzugehörigkeit und der Angestelltenstatus nicht leicht zu vereinen sind.325 Die Rechtsprechung sieht die mit dem Dienst- oder Anstellungsverhältnis verbundenen Bindungen und Abhängigkeiten mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts als freiem und unabhängigem Berater aller Rechtsuchenden jedenfalls als grundsätzlich nicht im Einklang stehend an.326 Darin drückt sich nicht zuletzt der historische Ursprung der Berufskammern als Abwehrinstrument gegen die Vereinnahmung bestimmter Berufe für das staatliche Gesundheitswesen und die Rechtspflege aus, die nach dem Verständnis des Liberalismus die Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit der Berufsausübung bedrohte.327 321 Dass die Ausübung bestimmter Berufe eine unabhängige berufliche Stellung erfordert, deutet die BÄO mit den Worten aus, dass der ärztliche Beruf „seiner Natur nach ein freier Beruf ist“ (§ 1 Abs. 2). 322 Dazu etwa BGHZ 33, 276 ff. 323 EuGH (Große Kammer), Urt. v. 14.9.2010 – C-550/07 –, NJW 2010, 3557 (3560, Rdnr. 42 ff.); BVerfGE 87, 287; BGH (Senat für Anwaltssachen), NJW 2011, 1517; BVerwGE 137, 58 (69 ff., Rdnr. 42 ff.). 324 OLG Frankfurt, BeckRS 2009, 20245; Anwaltsgerichtshof Koblenz, NJWSpezial 2008, 638 (638). 325 Vgl. zur Berücksichtigung von als Syndikusanwalt erbrachten Fallbearbeitungen im Rahmen der Fachanwaltszulassung BGHZ 141, 69 (76 f.); BGH NJW 2010, 377 (379, Rdnr. 17 f.); zur Befreiung eines Syndikusanwalts von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Vierkriterientheorie etwa LSG NRW, BeckRS 2013, 72705 m. w. N. 326 BGH, NJW 2011, 1517 (1518). 327 Vgl. Sodan (Fn. 282), S. 85.

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Die Mitglieder der meisten Pflegeberufe werden nicht nur in abhängiger Beschäftigung tätig. Sie nehmen auch inhaltlich regelmäßig nicht eine von fachlicher Unabhängigkeit getragene Tätigkeit wahr. Der Zuschnitt der Tätigkeit löst nicht aufgrund der Komplexität der übertragenen Aufgaben und der zu ihrer Ausübung erforderlichen besonderen fachlichen Vorbildung eine die Verkammerung ökonomisch tragende Informationsasymmetrie zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer aus. Die Pflegeberufe sind vielmehr Gesundheitsfachberufe, die zur Krankenbehandlung grundsätzlich nur aufgrund ärztlicher Verordnung befugt sind. Kennzeichnend für ihr Tätigkeitsfeld ist – wie beim Physiotherapeuten – die der ärztlichen Diagnose nachgelagerte medizinische Unterstützungsleistung und Heilmittelerbringung, nicht aber die eigenverantwortliche Entscheidung darüber, wie ein bestimmtes Leiden behandelt werden soll.328 Entsprechend sollen bspw. die Krankenpfleger nach dem gesetzlichen Ausbildungsziel „bei der Heilung, Erkennung und Verhütung von Krankheiten“ (§ 3 Abs. 1 S. 1 KrPflG) insbesondere bei ärztlich veranlassten Maßnahmen (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 lit. a KrPflG) verantwortlich mitwirken. Ein höheres Maß an Selbstständigkeit gesteht der Gesetzgeber dem Altenpfleger zu. Er stellt ihn „zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Pflege einschließlich der Beratung, Begleitung und Betreuung alter Menschen“ auf den Posten (§ 1 Abs. 1 S. 1 AltPflG). c) Zwischenfazit Teil der ökonomischen Logik einer Kammer ist das Ziel, die strukturelle Informationsasymmetrie zwischen Dienstleister und Nachfrager zu durchbrechen, welche die Funktionsfähigkeit eines Dienstleistungsmarktes qualitätsvoller Leistungen nachhaltig beeinträchtigen und dadurch den gesamten Berufsstand schädigen kann. Sie wirkt insoweit als Instrument der Qualitätssicherung unter selbstständigen Erbringern hochwertiger Dienstleistungen, die dadurch wirkungsvoll vor den Ausstrahlungen einer Schlechtleistung auf den gesamten Berufsstand geschützt werden sollen. Bei abhängig Beschäftigten ist grundsätzlich das Dienstverhältnis der geeignetste Ort, um Schlechtleistungen zu sanktionieren, deren ökonomische Folgen grundsätzlich zunächst den Arbeitgeber treffen. Es entspricht daher seinem ureigenen Interesse, von dienstrechtlichen Sanktionsmechanismen (an denen es im Verhältnis Selbstständiger ihrer Natur nach mangelt) Gebrauch zu machen. Das senkt den Bedarf nach einer ergänzenden kammerlichen Berufsaufsicht. Die dienstrechtliche Sicherung der Arbeitsqualität steuert die Leistungsqualität Pflegender regelmäßig nachhaltiger, als eine berufsständische Aufsicht dies zu tun vermag. 328

BVerwGE 134, 345 (347, Rdnr. 13).

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Eine Pflegekammer kann als Selbstverwaltungskörperschaft ihrer Natur nach Pflichten nur gegenüber ihren eigenen Mitgliedern, nicht aber gegenüber Arbeitgebern begründen.329 Wollten sie das tun, liefen die ihr zugedachten Aufgaben in diesem Bereich von Rechts wegen a priori leer. Angesichts der strukturellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ganz überwiegend abhängiger Beschäftigung, unter denen die Pflegeberufe ihre Tätigkeit versehen, ist der Gestaltungsspielraum von Pflegekammern gegenüber klassischen Kammerorganisationen faktisch eingeschränkt. Es gilt daher, Pflegende mit realistischen Erwartungshaltungen auf die erreichbaren Zielhorizonte einer Pflegekammer vorzubereiten und Aufgaben jeweils dort zu verankern, wo sie sich am ehesten bruchfrei und effizient erfüllen lassen. Bedeutung hat das etwa für die Weiterbildung. Grundsätzlich empfiehlt es sich daher, die Fragen der Weiterbildung der Pflegenden nicht von dem wirtschaftlichen Rahmen, in dem sich die Tätigkeit vollzieht, zu entkoppeln, sondern dort zu verankern, wo sie am besten beantwortet werden können: nämlich im Verhältnis zwischen der Gruppe der Arbeitgeber und den Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen sowie in ergänzenden gesetzlichen Bestimmungen des Berufsrechts für Pflegeberufe. 2. Effizienzverluste einer Kammerbürokratie Professionalisierung hat ihren Preis. Der Aufbau einer Kammerorganisation für Pflegeberufe bindet finanzielle, zeitliche und personelle Ressourcen, die auf ihre Opportunitätskosten, nämlich darauf zu überprüfen sind, ob diese Kosten nicht – aus gesellschaftlicher oder individueller Perspektive der Kostenträger – an anderer Stelle höheren Nutzen generieren können. a) Zumutbarkeit der Finanzierungslast Als Selbstverwaltungseinrichtungen finanzieren sich Pflegekammern aus den von den Mitgliedern als Ausfluss der pflichtmitgliedschaftlichen Verbandslast erhobenen Kammerbeiträgen. Diese finden ihren Grund, aber auch ihre Grenze in der Bestimmung, den Finanzierungsbedarf zu decken, der sich aus der legitimen Aufgabe des Verbandes und der den Mitgliedern dadurch auferlegten Verbandssolidarität ergibt.330 Manche Bundesländer, etwa Rheinland-Pfalz, haben der Gründung einer Pflegekammer eine finanzielle Starthilfe in Aussicht gestellt. Die regelmäßige Finanzausstattung werden aber auch nach ihrer Vorstellung die Mitglieder der Pflegeberufe selbst aufzubringen haben. 329 330

Vgl. dazu auch unten S. 186 ff. Martini, Jura 2008, 734 (737).

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In einer Branche, die sich durch einen chronischen Mangel finanzieller Leistungsfähigkeit ihrer Berufsträger, einen hohen Anteil an Teilzeitkräften und ein breites Niedriglohnsegment auszeichnet, tragen die Betroffenen an diesen Lasten schwerer als andere Berufsgruppen. Viele Pflegende tun sich bereits schwer damit, mit dem aus ihrer beruflichen Tätigkeit Erwirtschafteten ihren Lebensunterhalt angemessen zu bestreiten. Eine umso größere Bürde ist es für sie, einen Teil ihres Lohns nicht mehr für ihren Lebensunterhalt, sondern zur nicht-tarifären331 Verbesserung ihrer beruflichen Stellung und zur Finanzierung der Ressourcen einer eigenen Standesaufsicht einzusetzen. Die finanziellen Nöte, unter denen Pflegende typischerweise ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen und ihren Lebensunterhalt bestreiten, erhöhen nachhaltig den politischen Rechtfertigungsdruck, dem sich pflichtmitgliedschaftliche Kammerbeiträge ausgesetzt sehen. Der mit dem Aufbau einer Kammerorganisation verbundene organisatorische und bürokratische Aufwand muss den mit der Kammer einhergehenden Mehrwert auch vor dem Angesicht einer Kosten-Nutzen-Abwägung legitimieren. Das gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Umstands, dass die professionell Pflegenden ohnehin eine wachsende Bürokratisierung ihres beruflichen Alltags beklagen. Bismarcks im vorletzten Jahrhundert getroffene Aussage „Es ist die Bürokratie, an der wir alle kranken“, empfinden nicht wenige Berufsmitglieder als treffende Zustandsbeschreibung ihrer beruflichen Situation.332 Die repräsentative Befragung der bayerischen und niedersächsischen Pflegekräfte zur Jahreswende 2012/2013 hat diese Skepsis unterstrichen: Eine Pflegekammer, die mit der Pflicht zur Zahlung von Mitgliedsbeiträgen verbunden ist, fand dort unter den Pflegenden keine Mehrheit.333 Dieser Befund fügt sich bruchlos mit der ebenfalls im Rahmen der Befragungen zutage geförderten Erkenntnis zusammen, dass die Gründung einer Pflegekammer in den unteren Lohngruppen die (relativ) geringste Unterstützung genießt.334 In der niedrigen Zahlungskraft der Pflegenden liegt vermutlich auch der zentrale Schlüssel zur Erklärung des niedrigen Organisationsgrades, den der Berufsstand bisher aufweist. Ein pflichtmitgliedschaftlicher Verband verändert zwar die organisatorische Schlagkraft der Berufsgruppe, nicht aber ihre Zahlungsfähigkeit. Erforderlich sind jedenfalls im Bereich der Pflegeberufe mit einem hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigungen und wenig auskömmlichen Beschäftigungsverhältnissen maßvolle Beitragssätze und Frei331 Vgl. zum Unterschied zwischen Tarifpolitik als Aufgabe der Gewerkschaften und Berufspolitik als Aufgabe der Pflegekammer im Einzelnen S. 170 ff. 332 Vgl. die Antworten bayerischer Pflegender im Rahmen der Pflegendenbefragung; Büker/Lademann (Fn. 249), S. 19. 333 Siehe oben S. 60 und S. 65. 334 Siehe oben S. 60 und S. 64.

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stellungsregelungen für diejenigen Mitglieder, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens nur einen geringen Beitrag für die Pflegekammer aufzubringen in der Lage sind. Pflegekammern erfüllen im Interesse der Betroffenen staatliche Aufgaben, die der Staat anderenfalls durch Behörden in unmittelbarer staatlicher Eigenverwaltung wahrzunehmen hätte. Dieser Entlastungsfunktion entspricht eine Verlagerung der Aufgabenverantwortung und der (bisher grundsätzlich aus Steuermitteln bestrittenen) Finanzierungslast auf die verkammerte Berufsgruppe. Mit der Aufgabenwahrnehmung korrespondiert nicht immer unbedingt ein der betroffenen Berufsgruppe leicht vermittelbarer, individuell messbarer Vorteil.335 Daraus erwachsen ein Frustrationspotenzial und eine bei anderen verkammerten Berufen vielfach beobachtete Unzufriedenheit mit dem Gebaren der Kammerorgane336. Eine anfängliche Euphorie, welche die Hoffnung auf eine starke Stimme der Pflege im Gesundheitswesen auslöst, kann schnell einer Ernüchterung weichen. b) Prinzipal-Agent-Problematik Die Unzufriedenheit vieler Kammermitglieder mit ihrer Selbstverwaltungseinrichtung337 ist das Ergebnis einer ökonomischen Dilemmastruktur pflichtmitgliedschaftlicher Berufsorganisationen: Die Interessen des Prinzipals (Kammermitglieder) und der Agenten (Kammervorstand) sind nicht immer gleichläufig; die Ökonomik spricht von der sog. Prinzipal-AgentProblematik338. Die Mitglieder der Kammern sinnen auf die Wahrnehmung ihrer Individualinteressen, die Organe der Kammern sind demgegenüber gehalten, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, insbesondere ihre Verpflichtung gegenüber dem Gesamtinteresse der vertretenen Berufsgruppe wahrzunehmen. Eine in ihrem Bestand gesicherte pflichtmitgliedschaftliche Organisation setzt den Agenten – insbesondere im Vergleich zu einer auf freiwilligem Beitritt beruhenden Organisation – nur geringe Anreize, alles zur Erreichung der kollektiven Ziele zu unternehmen und die Präferenzen ihrer Mitglieder vollständig abzubilden. Denn die Notwendigkeit ständigen Bemühens um die Mitgliedschaft aller bzw. möglichst vieler Berufsmitglieder entfällt in einer pflichtmitgliedschaftlich verfassten Organisation. Jede 335

Vgl. auch BVerwGE 39, 100 (107). Vgl. dazu bereits oben S. 67 ff. 337 Vgl. dazu auch oben S. 67 ff. 338 Jensen/Meckling, Theory of the firm: managerial behavior, agency costs and ownership structure, 1976; dazu etwa Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung: Möglichkeiten und Grenzen einer marktgesteuerten staatlichen Verwaltung des Mangels, 2008, S. 331. 336

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Austrittsdrohung als Ausdruck der Unzufriedenheit und Möglichkeit, Handlungsdruck aufzubauen, verpufft wirkungslos. Bürokratische Strukturen von Organisationen, die sich kraft ihrer gesetzgeberischen Sonderstellung nicht in einem Wettbewerb mit anderen Gruppen behaupten müssen, neigen strukturell zu Verselbstständigungstendenzen, die mit einer Loslösung von den Präferenzen der Mitglieder, die sie vertreten, einhergehen.339 Die Präferenzen der Mitglieder und das tatsächliche Handeln der Agenten können sich unter diesen strukturellen Ausgangsbedingungen leicht entkoppeln. Es droht bürokratische Erstarrung. Unzufriedenheitspotenzial entsteht. Aufgefangen werden diese Gefahren durch regelmäßige Rechtfertigungen in Mitgliederversammlungen und mitgliedschaftliche Legitimationsakte, insbesondere in Vorstandswahlen. Diese sind aber auf eine lebendige innerverbandliche Demokratiekultur und personelle Alternativen angewiesen, die ein schlagkräftiges Gegengewicht zu verfestigten Professionalitätsstrukturen bilden können. Schnell sehen sich die Mitglieder des Verbandes nicht mehr hinreichend durch ihre Vorstandsspitze repräsentiert und von ihnen entfremdet.340 Für viele Kammern ist eine Lethargie der Mitglieder und eine schwache Teilhabe an den Entscheidungen der Kammer typisch.341 Oligarchische und bürokratische Strukturen im „Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft“342 im Sinne Max Webers, die sich ohnmächtig ihrem Schicksal fügt, entfernen sich dann von dem demokratischen Ideal der Herrschaftsteilhabe durch Partizipation. Die Prinzipal-Agent-Ausgangsproblematik delegitimiert nicht einen pflichtmitgliedschaftlich verfassten Verband, setzt seiner Fähigkeit zur umfassenden Interessenrepräsentation seiner Mitglieder aber Grenzen.

IV. Eingeschränkte Erreichbarkeit des Qualitätsziels bei nicht vorbehaltenen Tätigkeiten Von bereits verkammerten Berufsgruppen – etwa Rechtsanwälten und Ärzten – unterscheiden sich die Pflegeberufe nicht nur durch den strukturell höheren Anteil abhängig Beschäftigter. Sie unterscheiden sich von ihnen auch darin, dass die fragliche berufliche Tätigkeit – jedenfalls im Bereich der Altenpflege – realiter nur zu einem Teil von den Personen ausgeübt wird, die Mitglied der künftigen Kammer werden (können bzw. müssen). Die Ausübung der pflegerischen Tätigkeit ist der Berufsgruppe nicht gesetzlich vorbehalten. 339

Vgl. auch S. 67 ff. und 135. Vgl. dazu Gornig, WiVerw 1998, 157 (166); Schmidt-Trenz, Die Logik kollektiven Handelns bei Delegation, 1996, S. 6, 9, 178 ff. 341 Vgl. die Analyse der empirischen Befunde zur Oligarchienbildung in Kammern Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1972, S. 195 ff. 342 Weber (Fn. 341), S. 835. 340

IV. Eingeschränkte Erreichbarkeit des Qualitätsziels

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1. Nichteinbindung ungelernter Hilfskräfte und der Helferberufe Die Aufgaben der Altenpflege nehmen zu einem nicht unerheblichen Teil Personen wahr, die nicht die spezifische Ausbildung durchlaufen haben, wie sie etwa ein Altenpfleger aufweist. Ambulante und stationäre Altenpflege nehmen oft zu 50% ungelernte Hilfskräfte wahr.343 So geht auch das SGB XI von einem weiten Verständnis des Begriffs der Pflegekraft aus (vgl. etwa § 77 Abs. 1 S. 1, 4–7). Es fragt grundsätzlich nicht danach, ob eine Pflegeperson pflegefachlich ausgebildet ist oder auf andere Weise derartige Kenntnisse erworben hat. Gerade aus dem stetig wachsenden Anteil ungelernter Pflegekräfte rührt aber ein nicht unerheblicher Teil der Defizite her, die gegenwärtig in der Pflege beklagt werden.344 Die gesetzgeberischen Pläne einiger Länder, eine Pflegekammer zu gründen, richten sich auch nicht auf alle Berufe, die dem Pflegewesen zuzurechnen sind, sondern klammern die sog. Helferberufe, also die Altenpflegehelfer(-innen), Krankenpflegerhelfer(-innen) und Pflegehelfer(-innen), aus.345 Diese Berufsgruppe ist dann in die Pflichtenbindung der Qualitätssicherung nicht einbezogen. Sind nicht alle Personen verkammert, die eine Tätigkeit ausüben, über die eine Kammer wachen soll, erschwert das nicht nur eine Selbstbehauptung gegenüber dem Arbeitgeber bei der Erfüllung von Kammerpflichten. Vor allem lassen sich dann Sanktionen für die Verletzung von Qualitätsstandards bei pflegerischen Leistungen auch nicht einheitlich durchsetzen. Denn ein Teil derjenigen Personen, welche die Leistungen erbringen, sind den Qualitätssicherungsmaßnahmen und der Sanktionsgewalt, welche die Pflegekammer als wesentliches Zielelement auf den Weg bringen soll,346 nicht unterworfen. Der mit einer Verkammerung beabsichtigte einheitliche Qualitätsstandard für pflegerische Leistungen lässt sich dann nicht vollständig sicherstellen. Auch an ihrem Anspruch, spezifische Expertise und Sachkunde im Pflegebereich umfassend bereitzustellen, muss die Pflegekammer dann Abstriche machen. Sie kann lediglich Ausschnitte pflegerischen Wissens abbil343 Vgl. etwa Interview mit Gerd Dielmann, ver.di Bundesverwaltung, v. 26.4. 2010, abrufbar unter http://gesundheit-soziales.bayern.verdi.de/aktuelle_themen/ver di-bayern-zur-pflegekammer (29.3.2012). 344 In diesem Sinne etwa auch BVerfGE 103, 63 (79). 345 So verhält es sich etwa in Bayern. Der Referentenentwurf des Landes versteht die Pflegekammer als „eine Berufsvertretung der Gesundheits- und Krankenpfleger, der Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und der Altenpfleger“ (Art. 65a Abs. 1 BayHKaG-E). An die Einbeziehung weiterer Pflegeberufe ist nicht gedacht. 346 Vgl. zur Qualitätssicherung: Vorstand der SPD/ASG Bundesvorstand (Fn. 278), S. 9.

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den und in den politischen Willensbildungsprozess einspeisen. Für einen ganzheitlichen Ansatz müsste aber die Sachkunde aller Akteure – etwa der über Medikation entscheidenden Ärzte oder Pflegerahmen garantierenden Krankenhausträger – einbezogen werden.347 Eine allein die Sicht der professionell Pflegenden vertretende Kammer bildet daher in Bezug auf die Qualitätssicherung und Zentrierung von Fachwissen notwendigerweise einen Torso. Ein umfassendes Qualitätsversprechen vermag sie nicht einzulösen. 2. Schlussfolgerungen Auch wenn es eine legitime Aufgabe des Gemeinwohls und rechtlich durchaus möglich ist, solche Berufe zu verkammern, deren Tätigkeit auch von ungelernten Personen ohne Bezeichnungsschutz ausgeübt werden kann, so ist dieses Unterfangen doch verwaltungspolitisch nicht zwingend sinnvoll. Denn es erreicht seine Ziele nur für einen Teil der Personen, von dem die beklagten Qualitätsdefizite ausgehen. Die „Sorgenkinder“ der Regulierung werden einerseits dann gar nicht erfasst und andererseits Kenntnisse der Entscheider vor Ort nicht eingebunden. Der staatliche Schutzauftrag für die Gesundheit des Einzelnen kann die Festschreibung vorbehaltener Tätigkeiten in der Pflege zwar rechtlich rechtfertigen.348 Angesichts des chronischen Fachkräftemangels in der Pflegebranche bleibt ein solcher qualitätssichernder Vorbehalt politisch jedoch ein Tagtraum.

V. Strukturelle Gefahren einer personellen Verzahnung zwischen Gewerkschaften, Berufsverbänden der Pflege und Pflegekammern für die Unabhängigkeit der Interessenrepräsentation Für Kammerorganisationen, die durch einen hohen Anteil an Arbeitnehmern gekennzeichnet sind, ist eine enge personelle Verschränkung mit Gewerkschaften und Berufsverbänden typisch. Von dieser Koppelung kann eine Gefahr für die Vollständigkeit und Unparteilichkeit der Interessenrepräsentation als zentralen Legitimationsressourcen einer Berufskammerpflicht einhergehen. Ein Blick auf den Parallelfall der Einrichtung von Arbeitnehmerkammern in Bremen und im Saarland nährt diese Befürchtung. Dort 347

Gallwas (Fn. 124), 62. Zur Monopolisierung pflegerischer Aufgaben siehe Plantholz, Gutachten über die rechtlichen Probleme und Möglichkeiten der Einrichtung einer Pflegekammer auf Landesebene, erstattet im Auftrag der Fraktion Bündnis 90/GRÜNE (AL), UFVFraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, 1994, S. 54 f. 348

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sprechen auch Befürworter dieses Kammersystems von einer „vollkommenen Personalunion zwischen den Arbeitnehmerkammern und den Gewerkschaften“ bzw. Berufsverbänden.349 So gehörten in den siebziger Jahren „die Mitglieder der Vertreterversammlung der saarländischen Arbeitskammer [. . .] ausnahmslos den Gewerkschaften an. Etwa 46% davon sind hauptsächlich als Gewerkschaftssekretäre tätig. Ähnlich stark ist der Gewerkschaftseinfluss auf die Arbeitnehmerkammer Bremen. In ihrer Vollversammlung zogen seit dem Zweiten Weltkrieg nur Mitglieder des DGB und der Einzelgewerkschaften ein.“350 Aus der Sicht der Gewerkschaften ist ihre personale Verzahnung mit den Arbeitnehmerkammern essenzielle Voraussetzung ihres erfolgreichen Wirkens. Die Kammern können von den Erfahrungen und dem Fachwissen der Gewerkschaftsfunktionäre profitieren, welche die Anliegen der Arbeitnehmer kennen und es verstehen, deren Wünschen Nachdruck zu verleihen. Aber die Verwebung fördert auch zahlreiche Probleme und Dominanzrisiken zutage, die viele als nicht unbedenklich einstufen351. In Österreich als Geburtsland der Arbeitnehmerkammern sieht Peters etwa die gesetzliche Interessenvertretung der Arbeiter und Angestellten „eindeutig im Schatten des Österreichischen Gewerkschaftsbundes“352 stehen. Die Arbeiterkammern gelten dort als „verlängerter Arm der Gewerkschaften“353. Nichts anderes attestieren Beobachter der Arbeitnehmerkammer Bremen.354 Heimann hat vor dem Hintergrund dieses Befundes den Begriff der Arbeitnehmerkammern als „Zwangsgewerkschaften“355 geprägt. Die Majorisierung durch die Gewerkschaften und Berufsverbände gerät leicht in einen handfesten Widerstreit mit dem Auftrag der Zwangskörperschaften, die Interessen aller Mitglieder gleichmäßig zu vertreten. Die Gewerkschaften und Berufsverbände profitieren dann von der Lethargie un- oder desorganisierter Gruppen unter den Pflegenden, die nicht über eine hinreichende Schlagkraft zur Bündelung ihrer Interessen verfügen oder darauf keinen hinreichenden Wert legen. Umso mehr ist es von zentraler Bedeutung, bei der Ausgestaltung einer Pflegekammer strikt auf eine Ausgewogenheit der Interessenrepräsentation zu achten, die eine Majorisierung durch einzelne Interessengruppen verhindert. 349

Peters, Arbeitnehmerkammern in der BRD?, 1973, S. 133. In diesem Sinne etwa Peters (Fn. 349), S. 133. 351 Peters (Fn. 349), S. 135. 352 Peters (Fn. 349), S. 135 unter Berufung auf Kummer, Die Arbeiterkammern in Österreich, in: Müller (Hrsg.), Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Band 4, 1966, S. 65. 353 Peters (Fn. 349), S. 135. 354 Peters (Fn. 349), S. 135. 355 Heimann, BB 1956, 852 (852). 350

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VI. Rechtspolitische Regelungsalternativen Eine Analyse der Sinnhaftigkeit einer Pflegekammer hat nicht nur nach den Visionen der Berufsgruppe, sondern auch nach Regelungsalternativen zu fahnden. Als solche kommt zum einen eine Ausschöpfung der Selbstverwaltungskraft bestehender Institutionen in Betracht (unten 1.), zum anderen eine Verkammerung einzelner Berufsgruppen der Pflegeberufe statt einer Vereinigung unter einem Dach (unten 2.). 1. Ausschöpfung der Selbstverwaltungskraft bestehender Institutionen In der jüngeren Vergangenheit hat der Gesetzgeber im Wege experimenteller Gesetzgebung im Pflegewesen bereits eine Vielfalt von Regelungen etabliert, die dem Ziel der Selbstregulierung und Selbstorganisation der Akteure des Pflegewesens verschrieben sind. Die Lücke zwischen der erwünschten und der eingeräumten Freiheit zur Selbstverwaltung der Pflegeberufe zu vermessen, ist dann Teil einer sachgerechten verwaltungspolitischen Bedarfsanalyse. a) Bestehende Mitwirkungsrechte der Berufsverbände im System der sozialen Pflegeversicherung Der Regelungs- und Handlungsspielraum, den der Gesetzgeber den Vertretern der in die pflegerische Versorgung der Versicherten eingebundenen Interessengruppen einräumt, kommt an manchen Stellen den Grundideen der Selbstverwaltung zumindest im Ansatz durchaus nahe.356 aa) Mitwirkungsrechte Als Regelungsinstrument bedient sich der Gesetzgeber dabei insbesondere des Beteiligungs- und Anhörungsrechts sowie des Normsetzungsvertrages. Letzterer räumt den Betroffenen das höchste Maß an Regelungsautonomie ein, das der Gesetzgeber privaten Akteuren übertragen darf. Er gesteht Vereinigungen normative Regelungsmacht mit Wirkung für ihre Mitgliedsgruppen in Bereichen zu, in denen der Gesetzgeber auf die selbstregulative Kraft des Betroffenendiskurses vertraut.357 Auf diese Weise trägt er dem au356

Vgl. dazu die Übersicht bei Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (Fn. 33), S. 25. 357 Zur grundsätzlichen Vereinbarkeit von Normsetzungsverträgen mit der Verfassung vgl. etwa BSGE 94, 50 (71 ff.); LSG Sachsen, Beschl. v. 24.2.2010 – L 1 P

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tonomieschonenden Gedanken der Richtigkeitsgewähr und Sachnähe vertraglicher Regelungen der Betroffenen in besonderer Weise Rechnung. Mit dieser Zielrichtung legt der Gesetzgeber insbesondere die Veröffentlichungskriterien für Transparenzberichte zur Qualität von Pflegeeinrichtungen in die Hände der Vereinbarungspartner des § 115 Abs. 1a S. 6 SGB XI.358 Die Bundesverbände der Pflegeberufe sind bei deren Entwicklung kraft gesetzgeberischer Entscheidung zu beteiligen (§ 115 Abs. 1a S. 7 SGB XI). Auch bei der Entwicklung und Aktualisierung wissenschaftlich fundierter und fachlich abgestimmter Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege gesteht der Gesetzgeber den Berufsverbänden ein Beteiligungsrecht zu (§ 113a Abs. 1 S. 3 SGB XI). Gleiches gilt für die Beschlussfassung über Richtlinien für die Prüfung der in den Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität (§ 114a Abs. 7 S. 2 SGB XI). Der Schiedsstelle Qualitätssicherung, die der Gesetzgeber für die soziale Pflegeversicherung eingerichtet hat, kann nach seiner Wertentscheidung ein Vertreter der Verbände der Pflegeberufe angehören (§ 113b Abs. 2 S. 6 SGB XI). Auch § 78 Abs. 2 S. 4 SGB XI spricht den Verbänden der Pflegeberufe bei der Erstellung des Verzeichnisses der von der Leistungspflicht der Pflegeversicherung umfassten Pflegehilfsmittel ein Anhörungsrecht zu. Den Berufsverbänden der Pflegeberufe hat der Gesetzgeber im Interesse einer kooperativen Gemeinwohlkonkretisierung auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege in jüngerer Zeit zahlreiche Mitwirkungsrechte eingeräumt. Bei Richtlinien über die Verordnung häuslicher Krankenpflege kommt den für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Organisationen auf Bundesebene (§ 132a Abs. 1 S. 1 SGB V), die insbesondere die selbstständigen Krankenpfleger und selbstständigen Altenpfleger vertreten, das Recht zur Stellungnahme zu (§ 92 Abs. 7 S. 2 SGB V). Diese Organisationen entscheiden auch über Rahmenempfehlungen für Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Fortbildung (§ 132a Abs. 1 S. 4 Nr. 3 SGB V). Ebenso ist diesen Einrichtungen vor der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Richtlinien zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 92 Abs. 7b S. 1 SGB V) – gleichermaßen bei Richtlinien über Modellvorhaben der Substitution ärztlicher Tätigkeit (§ 63 Abs. 3b S. 4 SGB V). Die Verletzung dieses Mitwirkungsrechts macht die entsprechenden Richtlinien rechtswidrig. 1/10 B ER –, zitiert nach juris, Rdnr. 33; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 89 ff.; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, 2008, S. 79 ff. 358 Kritisch dazu Martini/Albert, NZS 2012, 247 (248 ff.).

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Die Berufsorganisationen der Pflegeberufe sind darüber hinaus bei den Beschlüssen über Qualitätssicherungsrichtlinien für zugelassene Krankenhäuser zu beteiligen (§ 137 Abs. 3 S. 5 SGB V) – ebenso bei der Entwicklung von Maßstäben der Versorgungsqualität für einrichtungsübergreifende Qualitätssicherungsmaßnahmen (§ 137a Abs. 3 SGB V). Auch für Richtlinien der Pflegekassen zur näheren Abgrenzung der Merkmale der Pflegebedürftigkeit, der Pflegestufen und zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit gesteht § 17 Abs. 1 S. 2 SGB XI den Berufsverbänden der Pflegeberufe ein Beteiligungsrecht zu. Gelegenheit zur beratenden Teilnahme ist ferner einem Vertreter der Berufsorganisation der Krankenpflegeberufe an den Sitzungen zur Einführung eines pauschalierenden Vergütungssystems für sog. DRG-Krankenhäuser359 zu geben (§ 17b Abs. 2 S. 4 Hs. 2 KHG). Das Land Rheinland-Pfalz gesteht dem Dachverband der Pflegeorganisationen Rheinland-Pfalz e. V. darüber hinaus die Rolle eines an der Krankenhausversorgung im Lande Beteiligten im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 KHG zu. Dieser ist damit in die Krankenhausplanung, die Aufstellung der Investitionsprogramme und die Durchführung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes eingebunden. bb) Bestehende Organisationen, insbesondere Träger der Mitwirkungsrechte Unter den zahlreichen zur Wahrnehmung seiner beruflichen Interessen infrage kommenden Pflegeberufsverbänden kann der Angehörige eines Pflegeberufs – je nach seinen persönlichen Schwerpunkten und Vorlieben – zwischen deutschlandweit agierenden360, regional bezogenen361, fachspezifischen362 oder religiösen und lebensanschaulich ausgerichteten363 Verbänden wählen. Die bedeutsamsten dürften der Deutsche Berufsverband für 359 Das Akronym steht für „Diagnosis Related Groups“, d.h. diagnosebezogene Fallgruppen. Das Vergütungssystem ordnet Krankenhauspatienten auf der Grundlage medizinischer Daten Fallgruppen zu, die ökonomisch ähnlichen Kostenkategorien und Abläufen zugehören. 360 Zu ihnen gehören etwa der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe, der größte Berufsverband für in der Pflege Tätige, sowie der Deutsche Pflegeverband. 361 Etwa „Landesverband freie ambulante Krankenpflege NRW e. V.“ oder „Dachverband der Pflegeorganisationen Rheinland-Pfalz e. V.“. 362 So besteht je nach beruflicher Spezialisierung etwa die Wahl zwischen dem „Arbeitgeber- und BerufsVerband Privater Pflege e. V.“, dem „Deutschen Berufsverband für Altenpflege e. V.“, dem „Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e. V.“ oder dem „Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e. V.“ 363 Etwa „Katholischer Pflegeverband e. V.“, „Evangelischer Fach- und Berufsverband für Pflege und Gesundheit e. V.“ oder „Verband für Anthroposophische Pflege e. V.“.

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Pflegeberufe, der Deutsche Pflegeverband, der Deutsche Berufsverband für Altenpflege e. V. und der Deutsche Pflegerat e. V. als Dachverband sein. Sie alle sind in dem Ziel vereint, den Belangen der in der Pflege Tätigen zu politischem Gewicht zu verhelfen. Die Qualitätssicherung in der Pflege ist eine wesentliche Säule ihrer Arbeit – ebenso die Fort- und Weiterbildung mit entsprechenden Informations- und Schulungsangeboten.364 Neben den Verbänden nehmen auch Gewerkschaften in vielen Berufsgruppen Tätigkeiten vereinzelt wahr, die eine zu gründende Pflegekammer zu ihrem Aufgabenkreis zählen würde. Mit der „Gewerkschaft für Beschäftigte im Gesundheitswesen“ (BIG), die aus der 1991 gegründeten „Gewerkschaft Pflege“ hervorgegangen war, verfügten die Pflegeberufe bis zum Jahre 2009 über eine eigene Gewerkschaft. Nachdem die Mitgliederzahl unter 800 Mitglieder gesunken war, hat sie sich jedoch aufgelöst. Nunmehr ist die Vertretung der Interessen der Pflegeberufe in der Gewerkschaft ver.di gebündelt. cc) Zwischenfazit Vergleicht man die Tätigkeitsfelder der Pflegeberufsverbände mit den perspektivischen Aufgaben von Pflegekammern, so werden große Schnittmengen erkennbar. Im Mittelpunkt ihrer jeweiligen Aufgabenfelder steht die Interessenvertretung der Mitglieder. Daneben treten die allgemeine Qualitätssicherung im Bereich Pflege, Fortbildung und Information der Arbeitnehmer. Ergänzend nehmen die ministeriellen Fachreferate in den einzelnen Bundesländern unterstützende Aufgaben der Qualitätssicherung und Berufsaufsicht für die Pflegeberufe wahr. Ihnen obliegen etwa die Regelungen von Aus- und Fortbildungsprogrammen, die Erhebung berufsrelevanter Statistiken und Maßnahmen zur Qualitätssicherung als Regelungsaufgabe. Der Gesetzgeber hat damit in der jüngeren Vergangenheit dem Bedürfnis nach einer weitergehenden Einbeziehung der Pflegeberufe in die Ausgestaltung der Selbstverwaltungsstrukturen in der sozialen Pflegeversicherung stärkeres Gewicht eingeräumt.365 Den eingeschlagenen Weg verstärkter 364 Beispielhaft für diese Zielsetzungen siehe § 2 Abs. 1 der Satzung und Wahlordnung des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe vom 4.5.2007. 365 Die im SGB V und XI begründeten bundesrechtlichen Beteiligungsrechte kann die Pflegekammer eines Bundeslandes nicht wahrnehmen. Denn das Bundesgesetz adressiert nicht sie, sondern die dort genannten, bereits bestehenden privaten Berufsverbände. Der Gesetzgeber hatte bei Inkraftsetzen der Regelungen existierende Berufsverbände vor Augen, so dass ein Austausch des Rechteinhabers nicht ohne Weiteres möglich ist. In diesem Bereich liefe ein Teil der Regelungsintentionen und Mitwirkungsfelder einer Pflegekammer daher so lange leer, wie der Bund diese Vorschriften nicht ändert. Allerdings betrifft das nur einen sehr kleinen Bruchteil des Aufgabenkreises, der einer Pflegekammer zukommt.

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Einbindung der Berufsorganisationen in die Selbstverwaltung des Gesundheitssystems konsequent weiter zu beschreiten366, erscheint prima facie – kurzfristig betrachtet – als denkbare Regelungsalternative. Auch die Europäische Union geht in ihrer Dienstleistungsrichtlinie (DLR)367 unausgesprochen davon aus, dass wirksame Qualitätssicherungskonzepte von Dienstleistungsberufen keineswegs zwingend aus der Feder pflichtmitgliedschaftlicher Organisationen stammen müssen. Art. 26 DLR setzt auf den Gedanken der freiwilligen Qualitätssicherung durch Verarbeitung von Qualitätschartas oder Gütesiegeln von Berufsverbänden.368 b) Wettbewerbliches Verbandssystem versus öffentlich-rechtliches Kammersystem Allerdings müsste der Gesetzgeber jenen Weg auch konsequent zu Ende gehen (können). Das gilt etwa auch für die Einbindung der Pflegeverbände in die nach § 92 SGB XI als Gremien zur Beratung über Fragen der Pflegeversicherung gegründeten Landespflegeausschüsse (soweit die Länder das nicht bereits realisiert haben). Bislang hat der Gesetzgeber erst kleine Schritte zur institutionellen Einbindung von Interessenverbänden der Pflege in das Gesamtgefüge des Gesundheitswesens unternommen. Er gesteht den Pflegeverbänden mitwirkende Gestaltung, nicht aber die Mitentscheidung zu. Ob der weitere Weg einer durchsetzungsstarken Interessenrepräsentation auf der Grundlage privater Selbstorganisation mit normativem Flankenschutz des Gesetzgebers gangbar ist, steht unter dem Vorbehalt hinreichender demokratischer Absicherung der auf freiwilliger Selbstorganisation basierenden Berufsverbände. Nur dann, wenn diese die professionell Pflegenden insgesamt zu repräsentieren vermögen und sich durch demokratische interne Willensbildungsprozesse auszeichnen, sind sie als Sprachrohr ihrer Berufsgruppe hinreichend legitimiert und darf der Gesetzgeber ihnen im Namen der Pflegenden wahrgenommene Mitwirkungsrechte zugestehen. Allen bestehenden Berufsverbänden fehlt indes zum einen der hinreichende demokratische Rückhalt, der die Vollständigkeit und Repräsentativität ihrer Interessenrepräsentation garantiert, um einen einheitlichen Qualitätsstandard zu definieren und rechtlich verbindlich durchzusetzen. Gleiches gilt zum anderen für die Ressourcen, die erforderlich sind, um die spezi366 Auch Igl ([Fn. 24], S. 769), einer der Befürworter einer Pflegekammer, spricht von einer „guten Entwicklung in der seit Langem praktizierten mitwirkenden Beteiligung der Pflegeberufe“. 367 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. Nr. L 376 v. 27.12.2006, S. 36 ff. 368 Dazu instruktiv Kämmerer (Fn. 279), H 110 ff.

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fische Fachkompetenz und pouvoir professionnel aufzubauen, welche die besondere Wirkmacht einer Pflegekammer ausmacht.369 Der Organisationsgrad der Berufsverbände und Gewerkschaften des Pflegewesens erweist sich im Verhältnis zur Gesamtzahl der Beschäftigten als deutlich unterdurchschnittlich. Auch die Summe der bestehenden Berufsverbände verbürgt nicht die Schlagkraft einer Pflegekammer. Lediglich 10% der professionell Pflegenden sind Mitglied eines solchen Verbandes. Diesen Mangel kann die Einrichtung einer Pflegekammer überwinden. Denn sie bürgt über die ihr eigene pflichtmitgliedschaftliche Einbindung aller Betroffenen für eine vollständige Interessenrepräsentation der (wenn auch heterogenen Gruppe der) professionell Pflegenden. Allerdings bürdet eine Kammer umgekehrt – im Gegenzug für die Mitwirkungschance – ihren Mitgliedern auf, ordnungsgemäße Kammerbeschlüsse als im eigenen Namen getroffen zu akzeptieren und diese „Identifikationslast“ hinzunehmen.370 Die Beschlüsse der Mitglieder sind zwar nicht dem einzelnen Mitglied unmittelbar und persönlich zuzurechnen; ihm ist es unbenommen, eine von der Mehrheitsmeinung abweichende Position als Teil ihrer Meinungsfreiheit weiter zu vertreten.371 Ihm ist es aber verwehrt, gegen die Position der Kammer zu berufsrechtlichen Themen mit Aussicht auf Erfolg rechtlich vorgehen zu können. 2. Spartenverkammerung vs. Vereinigung aller Pflegeberufe unter einem Dach Die Pflegeberufe sind durch Pluralität geprägt. Unter dem Dach des Begriffs „Pflegeberufe“ ist ein vielgestaltiges Bouquet unterschiedlicher Berufsrichtungen mit disparaten Aufgabenfeldern und Interessenrichtungen vereint. Zu ihnen gehören – je nach Verständnis des Berufsfeldes „Pflege“ – so unterschiedliche Bereiche wie die Altenpflege, die Gesundheits- und Krankenpflege, die Kinderkrankenpflege, die Heilerziehungspflege372 und die Entbindungspflege.373 Ihre Tätigkeitsbereiche sind in verschiedenartige Sachbereiche und in unterschiedliche Organisationsstrukturen, sei es von Krankenhäusern, Kindertagesstätten, stationären Einrichtungen der Altenpflege oder ambulanten Pflegediensten, eingebettet. Dementsprechend lau369

Vgl. auch Plantholz (Fn. 348), S. 95 f.; Roßbruch (Fn. 209), 13. Gallwas (Fn. 124), 64. 371 Vgl. etwa BVerwGE 107, 169 (177). 372 Vgl. etwa § 71 Abs. 3 S. 2 SGB XI. 373 Die beiden letztgenannten Berufsgruppen beziehen die bisher in den Ländern entwickelten gesetzgeberischen Pläne, insbesondere in Bayern und Rheinland-Pfalz, nicht in eine Pflegekammer ein. 370

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fen auch ihre Interessenlagen und Bedürfnisse und damit ihre Erwartungen an eine Berufsorganisation nicht immer parallel. Nicht umsonst differenziert der Gesetzgeber mit den unterschiedlichen Regelungen des Altenpflegegesetzes und des Krankenpflegegesetzes für den berufsrechtlichen Zulassungsregulierungsrahmen bislang strikt zwischen den einzelnen Berufsgruppen und sieht für sie verschiedenartige Anforderungen vor. Die Pflegekammer ersetzt sachnahe Vielstimmigkeit durch korporatistischen Unitarismus. Die Idee der „einen Stimme“ kann zur Belastung gerade jener Mitglieder werden, die ihre spezifischen Interessen – etwa jene der geriatrischen Pflege – bisher in speziellen kleineren Verbänden ebenso zielgenau wie sachgerecht zur Geltung bringen konnten. Ein zersplittertes System verschieden ausgerichteter Interessenvertretungen steht einer zentralen Einheit in ihrer Durchschlagskraft allerdings regelmäßig nach. Die soziale und politische Macht einer Kammerorganisation steigt mit der Zahl der Mitglieder, die sie in sich vereint. Die vielfältigen bisher bestehenden Interessengruppen und Verbandsstrukturen spiegeln dafür aber das breite Spektrum unterschiedlicher pflegerischer Realitäten, Weltanschauungen und Meinungen authentisch wider. Den unterschiedlichen Schwerpunkten der einzelnen Institutionen kann im Verhältnis zu dem „schweren Tanker“ einer universalen Interessenvertretungseinheit der Vorteil größerer Beweglichkeit zukommen. Zum Ziel effizienter Standesvertretung verhält sich die Kammergröße insofern häufig antiproportional. Je disparater die Interessen der Mitglieder einer Berufsorganisation sind, umso kleiner ist nämlich die Schnittmenge der Ziele, die eine Kammerorganisation für alle betroffenen Gruppen gemeinsam erreichen kann. Umso weniger kann eine Kammerorganisation als gemeinsame Klammer Ziele der Berufsorganisation sachgerecht bündeln. Am Beispiel der Industrie- und Handelskammern wird dieses Phänomen deutlich. Diese leiden in ihrer Struktur unter der Inhomogenität der in der Kammer zu vertretenden Interessen. Dies wirkt sich auf die Effizienz des Zielerreichungsgrades sehr nachteilig aus. In der hohen Unzufriedenheit zahlreicher Kammermitglieder mit ihren Organisationen374 bildet sich das sichtbar ab. Eine Kammer, die versucht, unüberwindbare Interessengräben zu überbrücken, scheitert an ihrem eigenen Auftrag. Auch die wünschenswerte Innovations- und Entdeckungskraft des Wettbewerbs, der gegenwärtig unter den einzelnen Verbänden um attraktive berufsbegleitende Angebote besteht, kommt durch die Einrichtung einer alle Pflegeberufe umspannenden Pflegekammer unter Umständen faktisch zum Erliegen. Die ohnehin schon ausgesprochen geringe Bereitschaft der Pflegenden, sich zusätzlich zur Kammerzugehörigkeit noch in einem Verband oder einer Gewerkschaft zu engagieren und die damit einhergehende doppelte fi374

Vgl. dazu S. 67 ff.

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nanzielle Belastung auf sich zu nehmen, nähme weiter ab. Eine Pflegekammer kann ihren Fortbestand gefährden.375 Diese Schattenseiten einer Verkammerung ändern aber nichts daran, dass unter den strukturellen Rahmenbedingungen schwach ausgeprägter institutioneller Mitwirkungsbereitschaft der Pflegenden wohl nur ein pflichtmitgliedschaftlicher Zusammenschluss eine Repräsentativität und Vollständigkeit der Interessenbündelung sicherstellt. So wie die pflegewissenschaftlichen Standards und beruflichen Herausforderungen eines Kinderkranken- und eines Altenpflegers nicht identisch sind, sollte grundsätzlich auch die Struktur einer Kammerorganisation für die Pflegeberufe die unterschiedlichen Interessenrichtungen möglichst feingliedrig widerspiegeln. Erwägenswert ist insofern eine getrennte Verkammerung einzelner in der Pflege tätiger Berufsgruppen, namentlich einer Altenpflegekammer, einer Krankenpflegekammer etc., auf die dann als Dachorganisation eine organisatorisch schlank konstruierte Pflegekammer aufgesetzt werden kann. Ein denkbarer politischer Regelungsansatz kann auch darin liegen, diejenigen Pflegeberufe, die sich durch einen substanziellen Anteil von Selbstständigen auszeichnen, einer Verkammerung zu unterwerfen, diejenigen Pflegeberufe hingegen, die ganz überwiegend oder nahezu ausschließlich in abhängiger Tätigkeit ausgeübt werden, nicht zu verkammern. Das trüge dem Gesichtspunkt Rechnung, dass eine Kammer ihre Ziele dort am besten erreichen kann, wo sich Berufsträger einander als Selbstständige gegenübertreten.376 Arbeitsrechtliche Sanktionsmechanismen, das primäre Instrument berufsrechtlicher Ahndung vertragswidrigen Verhaltens, können bei dieser Berufsgruppe – anders als bei Angestellten – nicht wirken. Die Kammer entfaltet im Interesse der Berufsgruppe die ihr eigene Disziplinierungsfunktion wirksam. Bei abhängig Beschäftigten kann eine Kammer ebenfalls sinnvolle Funktionen ausüben – dies allerdings mit geringerem Wirkungsgrad. Von diesem Regelungsgedanken ausgehend, würde sich – ähnlich wie in Österreich, das keine allgemeine Pflegekammer, wohl aber eine Kammer für Hebammen kennt377 – eine Verkammerung der Berufsgruppe der Hebammen empfehlen. Sie nehmen ihre Tätigkeit zu durchschnittlich 60% in selbstständiger Tätigkeit wahr.378 Das politische Ziel, den Pflegeberufen insgesamt 375 Zu den sich damit verbindenden rechtlichen Implikationen siehe unten S. 175 ff.; vgl. auch Gallwas (Fn. 124), 63. 376 Dazu im Einzelnen oben S. 79 ff. 377 § 39 Abs. 1 S. 1 österreichisches Hebammengesetz; dazu auch oben S. 53 f. 378 Vgl. „Viele Hebammen in prekärer Situation“, Ärzte Zeitung Online vom 1.5.2012, abrufbar unter www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/article/812163/ viele-hebammen-prekaerer-situation.html?sh=1&h=-122817615 (14.8.2013).

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eine einheitliche und starke Stimme zu verleihen, ließe sich dann allerdings nicht erreichen. Die politisch erhoffte Erhöhung der Interessendurchsetzungsmacht professionell Pflegender würde empfindlich leiden. Mit der politisch geplanten Zusammenführung der disparaten Typen von Pflegeberufen unter dem Dach „Pflegefachkraft“ bzw. „Generalistische Pflegefachkraft“ in einem einheitlichen Gesetz379 wird sich die Heterogenität der spezifischen realwirtschaftlichen Interessenlagen und Strukturbedingungen ein Stück weit strukturell abschwächen. Die aufgabenspezifischen Präferenzen der einzelnen Berufsmitglieder und die Struktur der Berufsbilder sind und bleiben dann zwar unterschiedlich. Einzelne Berufsverbände hat das dazu veranlasst, ihre Ablehnung gegenüber dem gesetzgeberischen Ansinnen eines einheitlichen Pflegeberufes zum Ausdruck zu bringen.380 Setzt der Gesetzgeber seine Pläne einer Vereinheitlichung der pflegerischen Ausbildungstypen in die Tat um, ist aber – ungeachtet strukturell unterschiedlicher Wirkungsorte – jedenfalls die Ausbildung vereinheitlicht; die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Pflegeberufswegen nimmt zu. Die gemeinsame generalistische Ausbildung vermittelt den professionell Pflegenden dann ein breites Kompetenzprofil mit vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten, was die Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Ziele weiter wachsen lässt.

VII. Schlussfolgerungen Die Kammeridee fußt ursprünglich auf dem Disziplinierungsgedanken des Wettbewerbs Selbstständiger. Als Zusammenschluss nahezu ausschließlich abhängig Beschäftigter kann eine Pflegekammer strukturell einige der Zielsetzungen, deren Ideen sie ihre Existenz verdankt, im Vergleich zu einer Berufskammer von Freiberuflern nicht mit der gleichen Leichtigkeit erreichen. Die Relation zwischen dem erreichbaren Vorteil und den Kosten einer Verkammerung, insbesondere den Gefahren bürokratischer Verselbstständigung, erweist sich gegenüber dem Kammermodell von Freiberuflern daher insgesamt als weniger günstig. Einen substanziellen Mehrwert erzielt die Verkammerung jedenfalls für den Staat: Er entledigt sich zu einem Teil der Aufgabenerfüllung durch landesunmittelbare Behörden, setzt damit im Idealfall z. B. personelle Ressourcen für andere Aufgaben frei und kann statt mit einer Vielzahl einzelner 379

Vgl. oben S. 20 mit Fn. 29. Vgl. dazu etwa Deutscher Berufsverband für Altenpflege e. V., Stellungnahme zur Weiterentwicklung der Pflegeberufe, Nov. 2011; abrufbar unter http://www. dbva.de/docs/stellungnahmen/Weiterentwicklung_Pflegeberufe_06122011.pdf (14.8. 2013). 380

VII. Schlussfolgerungen

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Interessengruppen mit einem singulären, besser greif- und einschätzbaren Ansprechpartner interagieren.381 Wiewohl dieser Vorteil der pflichtmitgliedschaftlichen Vereinigungsstruktur eine Verkammerung nicht rechtfertigt, erweist sich eine Pflegekammer deshalb aber auch aus der Perspektive der Pflegenden keineswegs als sinnfrei. Sie wird die Hörbarkeit der Stimme der professionell Pflegenden im vielstimmigen Konzert des korporatistisch verfassten Gesundheitssystems nachhaltig verbessern. Wenn ihr mit Hilfe zielgerechten Ressourceneinsatzes eine professionelle und schlagkräftige Selbstorganisation gelingt, kann sie auch im Hinblick auf die Vielzahl der Personen, die sie repräsentiert, zu einer gewichtigen Größe im Gesundheitswesen heranwachsen. Im Abgleich mit den weitergehenden, hochfliegenden Erwartungen vieler Pflegender ist – auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen anderer verkammerter Berufe – das Frustrationspotenzial einer Kammer aber nicht gering. Zu der erhofften gesellschaftlichen Aufwertung der Pflegeberufe wird eine Pflegekammer nur wenig beitragen. Insbesondere wird sie ihrem Wesen nach die gravierendsten Herausforderungen der Pflege, nämlich günstigere Betreuungsrelationen und die leistungsgerechte Entlohnung qualitativ hochwertiger und körperlich anspruchsvoller Tätigkeit, nicht lösen können. Denn diese gehören nicht zu ihrem Aufgabenportfolio, sondern fallen vorrangig in den Aufgabenbereich der Tarifpartner. Von der Professionalität und dem Engagement des jeweiligen Kammervorstandes sowie der Wachsamkeit und dem Engagement der Mitglieder wird es abhängen, ob es der Kammer gelingt, sich Verselbstständigungstendenzen bürokratischer Strukturen zu versagen und die Interessen ihrer Mitglieder wirksam zu vertreten, statt einer wechselseitigen Entfremdung den Boden zu bereiten. Die pflichtmitgliedschaftliche Struktur birgt die Gefahr einer Prinzipal-Agent-Problematik mit Effizienzverlusten, die in einem Berufsstand mit typischerweise geringer Zahlungskraft die Betroffenen besonders schmerzt. In den Wein der Kammereuphorie, die mit Rücksicht auf die Ziele und Vorteile einer Kammer den klaren Blick auf Risiken und Nebenwirkungen leicht vernebelt, gießt die nüchterne verwaltungspolitische Analyse insofern Wasser – Wasser, das eine Pflegekammer nicht zu einem ungenießbaren Verschnitt machen muss, sehr wohl aber notwendiger Bestandteil einer wirklichkeitsnahen Analyse der Gestaltungsoptionen ist.

381 Gallwas (Fn. 124), 64. Eine Arbeitserleichterung trete auch dadurch ein, dass der Abwägungsprozess sämtlicher Einzelinteressen bei Ermessensentscheidungen durch eine Stellungnahme der Kammer verkürzt werden könnte; vgl. auch Plantholz (Fn. 348), S. 95 f.

C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer Nicht jede Idee, die – wie die Gründung einer Pflegekammer – verwaltungspolitisch von Licht, aber auch von Schatten geprägt ist, insbesondere mit substanziellen Einschränkungen für die Entfaltungsfreiheit Betroffener einhergeht, ist deshalb gleich mit der Verfassungsordnung unvereinbar. Verwaltungspolitische Bedenken können aber auch auf die rechtliche Zulässigkeit durchschlagen. Die rechtlichen Hürden, die eine Pflegekammer insoweit überwinden muss, sind vielfältiger Natur. Sie reichen von verfassungsrechtlichen (unten C.) über unionsrechtliche Rechtfertigungsanforderungen (unten D.) bis hin zu den Schranken völkerrechtlicher Gewährleistungen (unten E.). Die einer Pflegekammer zugedachte Zwangsgewalt greift insbesondere in die Grundrechte der betroffenen Berufsträger ein.382 Sie bedarf daher einer tragfähigen gesetzlichen Grundlage. Diese muss sowohl im Einklang mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes (unten I.) stehen als auch die materiellen Verfassungsschranken der Freiheitsverbürgungen wahren (unten II.).

I. Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer Die Kompetenz zur Gesetzgebung weist die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in den Art. 30, 70 ff. GG grundsätzlich den Ländern zu. Der Bund verfügt nur dann über das Recht zur Gesetzgebung, wenn ihm ein Kompetenztitel dieses Recht ausdrücklich verleiht (Art. 70 Abs. 1 GG). Neben der Gründung der Pflegekammer als solcher muss dabei auch die Übertragung konkreter Aufgaben an die Pflegekammer den kompetenzrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes genügen. 382 A. A. Kluth, Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hrsg.), (Fn. 271), § 5, Rdnr. 70: Aus seiner Sicht handelt es sich bei der Gründung eines Trägers funktionaler Selbstverwaltung – ähnlich wie bei der Gründung einer Verbandsgemeinde – in erster Linie um die Eröffnung von demokratischen Partizipationsmöglichkeiten und damit um die Zuweisung von Rechten an die betroffene Personengruppe. Beschneidungen individueller Grundrechtspositionen lassen sich aber nicht durch einen kollektiven Mehrwert von Mitwirkungsrechten kompensieren. In diesem Sinne auch Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 142.

I. Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer

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1. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die „Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst des Bundes“ (Art. 71, Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG) Eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz weist das Grundgesetz dem Bund für die Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst des Bundes zu (Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG). In diesem Bereich verdrängt die Kompetenz des Bundes diejenige der Länder. Der Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG umfasst die Regelung der unmittelbaren Rechtsverhältnisse zwischen dem Bund bzw. seinen bundesunmittelbaren Körperschaften und seinen Beschäftigten.383 In personeller Hinsicht erfasst er sowohl Beamte im statusrechtlichen Sinn als auch Angestellte und Arbeiter. Der Begriff der Rechtsverhältnisse ist weit zu verstehen. Er bezeichnet das gesamte Dienstrecht einschließlich der Begründung und Beendigung des Dienstverhältnisses, des Laufbahnrechts, des Disziplinar- und Disziplinarverfahrensrechts sowie des Personalvertretungsrechts.384 Viele Pflegende in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen des Bundes stehen als Angestellte zu ihrem Arbeitgeber in einem öffentlichen Dienstverhältnis. Der Bund unterhält etwa – wenngleich nur wenige – Bundeswehrkrankenhäuser mit zahlreichen Pflegekräften (in diesem Fall ist zusätzlich die Kompetenz des Bundes aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG berührt385). Soweit eine Pflegekammer sie als Pflichtmitglieder einbeziehen will, setzt Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG dem eine kompetenzielle Grenze. Die Materien des öffentlichen Dienstrechts und der standesrechtlichen Regelungen eines Kammergesetzes sind allerdings nicht bereits per se deckungsgleich.386 Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG ist als verfassungsrechtlicher Ausnahmetatbestand eng auszulegen. Sie schließt insbesondere nicht die Zuständigkeit ein, für die Bediensteten außerhalb des Dienstrechts stehende standesrechtliche Vor383 Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2011, Art. 73 GG, Rdnr. 43; Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 2006, Art. 73, Rdnr. 38; a. A. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf u. a. (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 73, Rdnr. 108 (er hält für Angestellte und Arbeiter des Bundes einheitlich Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG für einschlägig). Bei Bundeswehrangehörigen ist die Zugehörigkeit ebenso strittig, Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG könnte insoweit der Vorrang gebühren. Für Art. 73 Abs. 1 Nr. 1: BVerfGE 62, 354 (367); Kunig, in: Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 73, Rdnr. 37; a. A. BVerfGE 39, 128 (141); Heintzen, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2010, Art. 73, Rdnr. 85; Höfling, in: Dolzer/Graßhof/Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, 162. Erglfg. 2013, Art. 73 GG, Rdnr. 26 f. 384 So die beispielhafte Aufzählung bei Stettner (Fn. 383), Art. 73 GG, Rdnr. 39. 385 Vgl. die Nachweise in Fn. 383. 386 BVerwGE 39, 110 (112 f.).

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

schriften zu erlassen oder die Zugehörigkeit zu einem pflegerischen oder ärztlichen Berufsverband zu regeln. Vielmehr erstreckt sie sich auf die Ausgestaltung der rechtlichen Beziehungen zwischen dem Bediensteten und seinem Dienstherrn. Insoweit lässt das Dienstrecht des Bundes durchaus Raum für landesrechtliche, standesbezogene Regelungen. Das rechtfertigt indes umgekehrt keine Verdrängung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes387 – auch nicht der Gedanke, eine Pflegekammer könne ihre Aufgaben nur dann sinnvoll erfüllen, wenn sie auf Erfahrungen von Pflegebediensteten auch des öffentlichen Dienstes des Bundes zurückgreifen kann. Vielmehr gilt umgekehrt: Wenn eine Pflegekammer ihre Aufgaben nur unter Inanspruchnahme von Gesetzgebungskompetenzen des Bundes wahrnehmen kann, greift sie in unzulässiger Weise in die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung ein und muss insoweit ihre Grenze finden. Soll eine Pflegekammer gegründet werden, gilt es danach insbesondere Vorkehrungen dafür zu treffen, dass sie von ihren Befugnissen in jeder Hinsicht nur in einer Art und Weise Gebrauch machen darf, die mit der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die in seinem öffentlichen Dienst stehenden Rechtsverhältnisse in Einklang steht. Ihre Aufgaben müssen dem standesrechtlichen Bereich zuzuordnen sein.388 Eine Pflegekammer regelt das Dienstverhältnis des Mitglieds eines Pflegeberufs zum Bund als Dienstherrn nicht unmittelbar. Sie tritt weder an die Stelle des Dienstherrn noch gleichberechtigt daneben. Ihr Wirken kann aber unter Umständen in die unmittelbare Beziehung zwischen Dienstherrn und Dienstnehmer ausstrahlen, etwa durch Qualitätsrichtlinien und Disziplinarmaßnahmen sowie Weiterbildungsverpflichtungen, die eine Pflegekammer etabliert bzw. ergreift.389 Nach ihrem Grundgedanken soll die Pflegekammer nämlich gerade die allgemeinen berufsrechtlichen Rahmenbedingungen der Pflegeberufe verbessern und im Rahmen einer autonomen berufsständischen Regelung in das Pflichtengefüge zum Dienstherrn hineinwirken. Was insoweit in einer Organisation von Freiberuflern regelmäßig unproblematisch ist, wächst sich im typischen Wirkungsbereich einer Pflegekammer zum grundsätzlicheren Problem aus. Für die Bediensteten des Bundes verengt sich dadurch der Regelungsspielraum eines Gesetzes zur Etablierung einer Pflegekammer, soweit mittelbar-faktisch Regelungsbereiche betroffen sind, die dem Bund, insbesondere im Hinblick auf die Konkretisierung der Berufspflichten, zu387

BVerwGE 39, 110 (112 f.); Seewald (Fn. 50), S. 30. BVerwGE 39, 110 (114) für den Fall eines Sanitätsoffiziers der Bundeswehr, der gegen seine Pflichtmitgliedschaft in der niedersächsischen Landesärztekammer klagte. 389 So wohl auch der Vortrag des klagenden Arztes in BVerwGE 39, 110 (112). Vgl. dazu, insbesondere zur Begrenzung der rechtlichen Bindungswirkung einer Pflegekammer auf die Kammermitglieder, aber ihrer faktischen mittelbaren Wirkung auch im Einzelnen unten S. 186 ff. 388

I. Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer

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geordnet sind. Wiewohl der Landesgesetzgeber mit der Etablierung einer Pflegekammer nicht im eigentlichen Sinne die berufsrechtliche Ausgestaltung bundesrechtlicher Beschäftigungsverhältnisse regelt, sondern die Regelung des berufsrechtlichen Rahmens der Autonomiemacht eines landesrechtlich etablierten Pflichtverbandes anvertraut, wirkt er aber dadurch, etwa sub specie einer Übernahme mitgliedschaftlicher Beitragslasten in sie hinein.390 Ob sich der dadurch ausgelöste faktische Anpassungsdruck Bahn bricht und in welchem Umfang dieser wirksam wird, liegt aber nicht in der Hand des Landesgesetzgebers, sondern bleibt allein der Entscheidung des Dienstherrn bzw. seiner Auseinandersetzung mit den Tarifpartnern überantwortet. Insofern sind Ausnahmeregeln in den Kammergesetzen für die jeweiligen Bediensteten des Bundes grundsätzlich nicht zwingend geboten.391 2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die „Zulassung zu Heilberufen“ (Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG verleiht dem Bund das Recht, die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe zu regeln. Unter den Begriff der „ärztlichen Berufe“ fallen die Berufe, für die eine besondere wissenschaftliche Ausbildung mit anschließender Approbation vorgesehen ist, also Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte. Mit dem Begriff der „anderen Heilberufe“ bezeichnet das Grundgesetz demgegenüber die nicht-ärztlichen Berufe auf dem Gebiet der Heilkunde und damit auch die helfende Betreuung von Menschen mit gesundheitlichen Problemen.392 Der Kompetenztitel erfasst damit sowohl Regelungen zur Zulassung von Gesundheits- und Krankenpflegern als auch von Gesundheits- und Kinderkrankenpflegern.393 Hinsichtlich des Altenpflegers war dies lange Zeit strittig,394 ist aber (auch nach der Rechtsprechung des BVerfG) zu bejahen.395 Denn der Schwerpunkt der von Altenpflegern 390

Vgl. dazu im Einzelnen unten S. 189 ff. Ebenso Zacher, Arbeitskammern im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1971, S. 47 ff.; vorsichtiger Seewald (Fn. 50), S. 33 f. 392 BVerfGE 106, 62 (107 f.); Maier, DVBl. 1991, 249; Steiner, in: Spickhoff/ Barth (Hrsg.), Medizinrecht 2011, Art. 74 GG Rdnr. 6 f.; Umbach/Clemens, in: dies. (Hrsg.) GG, 2002, Art. 74 GG, Rdnr. 115. 393 Vgl. zum verfassungsrechtlichen Verhältnis von Bezeichnungsschutz und Zulassung i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG BVerfGE 106, 62 (125 ff.). 394 Dagegen Gallwas, DÖV 1993, 17 (17). Zweifelnd auch Degenhart, in: Sachs (Fn. 383), Art. 74 GG, Rdnr. 86. 395 BVerfGE 106, 62 (104 ff.); vgl. auch Stettner (Fn. 383), Art. 74 GG, Rdnr. 92. 391

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ausgeübten Tätigkeit liegt – ungeachtet der sozial-pflegerischen Komponente der Berufstätigkeit – im medizinisch-pflegerischen Bereich. Altenpfleger treffen häufig eigenverantwortlich medizinisch relevante Entscheidungen, insbesondere in Notsituationen. Die sich mit ihrer beruflichen Tätigkeit verbindenden Gefahren für die Gesundheit der Pflegebedürftigen rechtfertigen eine Zuordnung zu den Heilberufen. Anders verhält es sich demgegenüber bei der Berufsgruppe der Altenpflegehelfer und der sonstigen Pflegehelferberufe. Sie nehmen zum einen eine lediglich assistierende Tätigkeit wahr; zum anderen gehen die für sie bestehenden Regelungen nicht über einen Bezeichnungsschutz hinaus, der im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG zulassungsrelevant ist.396 Der Kompetenzbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG umfasst mit der Zulassung die Gestattung der Berufsaufnahme, geht darüber aber auch nicht hinaus.397 Dies ergibt sich auch aus einer Zusammenschau und einem Vergleich mit der Kompetenzregelung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.398 Diese überträgt dem Bund – in unbestimmter und damit weitgehender Form – die Gesetzgebungskompetenz für die Rechtsanwaltschaft. Das umfasst sowohl Berufszulassungs- als auch Berufsausübungsregelungen. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass der Bund im Bereich der Heilberufe lediglich das regeln darf, was erforderlich ist, um der Zulassungsregelung Gehalt zu geben. Grundlage und Grenze der Kompetenz, die Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG einräumt, ist insoweit die ordnungsrechtliche Vorstellung, dass die dort genannten Tätigkeiten Personen eines bestimmten Qualifikationsgrades vorbehalten bleiben sollen, um Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung abzuwenden, die von einer ohne hinreichende Ausbildung erfolgenden Ausübung der Tätigkeit ausgehen können.399 Reine Ausübungsregelungen sind – anders als beispielsweise bei Rechtsanwälten und Notaren – nicht erfasst.400 Im Hinblick auf Ärzte ermöglicht die Kompetenzbestimmung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG lediglich Regelungen, die sich auf die Erteilung, Zurücknahme und den Verlust der Approbation sowie auf die Befugnis beziehen, den Arztberuf auszuüben.401 Für den Bereich des Pflegepersonals gilt Entsprechendes. Erfasst sind also die Gestattung der Berufsaufnahme, der Entzug der Berufserlaubnis und das zur Zulassung gehörende Prüfungs396

BVerfGE 106, 62 (129). BVerfGE 4, 74 (83); 7, 59 (60); 17, 287 (292); 68, 319 (331); Maunz, in: ders./Dürig (Fn. 204), Art. 74 GG, Rdnr. 215; siehe auch Braun, Die Schwester/Der Pfleger 1990, 741 (743). 398 BVerfGE 4, 74 (83) m. w. N. 399 BVerfGE 106, 62 (130). 400 BVerfGE 4, 74 (83); 7, 59 (60); 17, 287 (292); 68, 319 (331). 401 BVerfGE 4, 74 (83 ff.); 7, 18 (25); 17, 287 (292); Stettner (Fn. 383), Art. 74 GG, Rdnr. 91. 397

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wesen.402 Das impliziert auch Anforderungen an die Ausbildung, die das Berufsbild kennzeichnende fachliche Mindeststandards sicherstellen sollen.403 Die Kernsubstanz des Ausbildungsrechts bleibt davon aber ausgenommen. Sie unterfällt grundsätzlich der Kompetenz der Länder für das Schul- und Ausbildungswesen.404 Von der Bundeskompetenz zur Regelung der Zulassung ist die Begründung von Pflichten, die an die Berufszulassung anknüpfen, insbesondere die Zugehörigkeit zu einer Kammer und ihre Gründung, hingegen nicht erfasst.405 Soweit ein Landesgesetz – entsprechend den Forderungen des Deutschen Pflegerates406 – einer Pflegekammer aber auch die Aufstellung und Überwachung von Regelungen zur Berufszulassung überträgt, stößt das auf unüberwindliche Kompetenzgrenzen. Denn der Bund hat die Zulassung zu den pflegerischen Berufen bundesrechtlich geregelt und damit von seiner (sachlich begrenzten)407 Vorrangkompetenz Gebrauch gemacht.408 Als bun402

BVerfGE 61, 169 (174 f.); 106, 62 (130 ff.); Maunz, in: ders./Dürig (Fn. 204), Art. 74 GG, Rdnr. 215; Stettner (Fn. 383), Art. 74 GG, Rdnr. 91. 403 BVerfGE 106, 62 (131). Die Ausgestaltung des Ausbildungsverhältnisses zwischen Auszubildenden und Ausbilder sowie Regelungen zum sozialen Status des Auszubildenden kann der Bund auf seine arbeitsrechtliche Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 2 stützen, BVerfGE 106, 62 (132 f.). 404 BVerfGE 106, 62 (131 i. V. m. 125). 405 BVerwGE 39, 110 (112); zustimmend BVerfGE 41, 261 (262); Stettner (Fn. 383), Art. 74 GG, Rdnr. 91. 406 „Die Kammer würde durch Abhalten des pflegerischen Staatsexamens die Lizenzierung der Berufsangehörigen vornehmen (. . ..). Was die Berufsausbildung betrifft, läge es im Aufgabenbereich der Kammer, eine einheitliche Ausbildungs- und Prüfungsordnung zu erarbeiten und einzusetzen. Generell unterläge der Betrieb von Krankenpflegeschulen den Bestimmungen der Kammer. Das heißt, es würden Standards für die Eröffnung von Schulen, die Inhalte der Curricula und die Qualifikation der Lehrenden von dieser berufseigenen Institution festgelegt und überwacht. Gleichermaßen würden einheitliche Standards für praxisbezogene Fortbildungsmaßnahmen von der Kammer erarbeitet und deren Einhaltung durch regelmäßige Überprüfung gewährleistet. Durch diese und ähnliche Funktionen einer Kammer könnte ein höherer Organisationsgrad des Berufsstandes erreicht werden. Gleichzeitig könnte durch eine standeseigene Festlegung und Kontrolle beruflicher Aktivitäten eine erhöhte Autonomie des Berufes herbeigeführt werden. Außerdem könnten alle angeführten Maßnahmen zur Professionalisierung des Berufsstandes beitragen.“ (www. pflegekammer.de/Nutzen%20f%FCr%20die%20Pflege.htm [14.8.2013]). 407 BVerfGE 106, 62 (131). 408 Die Ausbildung der Kranken- und Kinderkrankenpfleger regelt das Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege (KrPflG) spezialgesetzlich und abschließend. In diesem Bereich ist das BBiG auch nicht mehr ergänzend anwendbar (vgl. § 22 KrPflG). Gleiches gilt für Altenpfleger (§ 28 AltPflG). Das KrPflG enthält Regelungen zur Ausbildung als Kranken- und Kinderkrankenpfleger sowie zu den damit verbundenen Ausbildungsvoraussetzungen. Das Altenpflegegesetz regelt die Ausbildung der Altenpflegerinnen und Altenpfleger, insbesondere die Voraussetzungen,

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desrechtliche Normen verdrängen diese die landesrechtliche Regelungsbefugnis, soweit die Gesetzgebungskompetenz des Bundes reicht. Dies gilt unabhängig von dem Rang der Rechtsnormen und damit auch für die Regelungsbereiche, in denen der Bund die Ausfüllung der Regelung durch Gesetz an den Verordnungsgeber delegiert. Kompetenzrechtliche Bedenken kann auch die in manchen Ländern angedachte Zuständigkeit der Pflegekammer für den Erwerb und die Führung von Zusatzbezeichnungen409 wecken. Denn sie kann mittelbar die bereits ausgeschöpfte konkurrierende (und damit vorrangige) Regelungsmacht des Bundes für die Gestaltung des Zugangs zu Pflegeberufen, insbesondere im KrPflG und im AltPflG, beeinträchtigen. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz eröffnet den Ländern nicht das Recht, den in dem Bundesgesetz erkennbar gewordenen Regelungswillen zu konterkarieren. Anderenfalls würde die verfassungsrechtlich auf eine Konkurrenz angelegte Kompetenzkategorie des Art. 72 GG durch ein pauschales, in der Verfassung aber nur für die Fälle des Art. 72 Abs. 3 GG vorgesehenes Abweichungsrecht ausgehöhlt. Verwehrt ist den Ländern die Verleihung eigener Berufsbezeichnungen aber nur dann, wenn sie sich als Zulassung zu einem eigenen Beruf entpuppt. Zusatzbezeichnungen zu bestehenden Berufen, insbesondere die Regelung der pflegerischen Weiterbildung nach der Berufszulassung und die gesamte Regelung des mit der Zusatzbezeichnung versehenen Berufswesens, fallen nicht darunter.410 Bei ihnen geht es nicht um die Ausübung eines – neben der Berufszulassung ausgeübten – weiteren Berufs, sondern um die besondere Gestaltung einer beruflichen Tätigkeit und den Ausweis zusätzlichen Qualifikationserwerbs.411 Den Ländern ist es damit – selbst unter denen die Berufsbezeichnung „Altenpflegerin“ bzw. „Altenpfleger“ erteilt bzw. widerrufen wird. Gegenwärtig zeichnet sich bei der Ausgestaltung der Ausbildungsvoraussetzungen eine Neuordnung ab. Bund und Länder planen die Aufhebung des KrPflG und des AltPflG. Sie sollen durch ein Pflegeberufegesetz abgelöst werden, das die berufliche Ordnung der Pflegeberufe umfassend reguliert. Es soll die Ausbildung der Altenpfleger, der Gesundheits- und Krankenpfleger sowie der Kinderkrankenpfleger zu einer generalistisch und akademisch ausgerichteten Pflegeausbildung zusammenführen (vgl. dazu die Eckpunkte zur Vorbereitung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufegesetzes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Pflegeberufe“ v. 1.3.2012 [Fn. 29]). Vgl. auch Seewald (Fn. 50), S. 39 ff. 409 Vgl. etwa Art. 65f Abs. 2 BayHKaG-E: „Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und Altenpfleger dürfen neben ihrer Berufsbezeichnung weitere Bezeichnungen als Zusatzbezeichnung führen, die auf zusätzlich erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich gemäß der Weiterbildungsordnung hinweisen. Mehrere Zusatzbezeichnungen dürfen nebeneinander geführt werden.“ 410 Vgl. BVerfGE 11, 30, (41); 33, 125 (155). 411 So für den Facharzt BVerfGE 33, 125 (153).

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wenn der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz bereits Gebrauch gemacht hat – unbenommen, einer Pflegekammer die Verleihung von Zusatzbezeichnungen als Aufgabe zuzuerkennen, soweit sich damit nicht im Ergebnis die Zulassung zu einem neuen Beruf verbindet. 3. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das „Arbeitsrecht . . . sowie die Sozialversicherung“ (Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) Für den Bereich des Arbeitsrechts, mithin das Sonderrecht der unselbstständig Beschäftigten, weist Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG dem Bund eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu. Innerhalb dieses Kompetenztitels löst eine Gesetzgebungstätigkeit des Bundes eine Sperrwirkung für die Länder aus (Art. 72 Abs. 1 GG). a) Arbeitsrecht Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erfasst das individuelle und kollektive ebenso wie das private und öffentliche Arbeitsrecht, also alle rechtlichen Regelungen, welche die in abhängiger Beschäftigung erbrachte Arbeit betreffen, etwa das Tarifrecht, den Kündigungsschutz, die Lohnfortzahlung und das Urlaubsrecht,412 aber auch die berufliche Weiterbildung als wichtiges Aufgabengebiet einer Berufskammer.413 Eine umfassende Regelung des Bundes auf diesem Gebiet würde den Regelungsspielraum der Länder nachhaltig einschränken. Die Bundesländer könnten dann nur in sehr eingeschränktem Maße Aufgaben der beruflichen Fort- und Weiterbildung von Mitgliedern der Pflegekammer übertragen. Auch die Gründung einer Arbeitnehmerkammer fällt unter den Kompetenztitel des Arbeitsrechts.414 Pflegekammern betreffen zwar nicht unmittelbar die Rechtsverhältnisse aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern lediglich einer Teilmenge der Beschäftigten, nämlich die der Pflichtmitgliedschaft unterworfenen Gesundheits- und Krankenpfleger, der Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und der Altenpfleger. Überdies knüpft die Mitgliedschaft in einer Pflegekammer – anders als die Arbeitnehmerkammer – nicht unmittelbar an ein Arbeitsverhältnis, sondern an das Recht zur Führung einer pflegerischen Berufsbezeichnung an. Die pflegeri412

BVerfGE 7, 342 (351); 106, 62 (132 f.). BVerfGE 77, 308 (329). 414 BVerfGE 38, 281 (299); Maunz, in: ders./Dürig (Fn. 204), Art. 74 GG, Rdnr. 161; Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, 11. Aufl. 2011, Art. 74 GG, Rdnr. 33. 413

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sche Tätigkeit muss nicht notwendig in abhängiger Beschäftigung ausgeübt werden. Das schließt aber noch nicht aus, dass der Bund jedenfalls für die Gruppe abhängig beschäftigter Pflegender von dem Kompetenztitel des Arbeitsrechts zur Gründung einer Pflegekammer Gebrauch machen darf, soweit er damit auf die Ausgestaltung der arbeitsrechtlichen Beziehung, insbesondere die Weiterbildung, einwirkt. Aber auch hier gilt: Erst dann, wenn der Bundesgesetzgeber von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat, d.h. die Selbstorganisation der Beschäftigten, sei es positiv, sei es negativ durch „beredtes Schweigen“,415 geregelt hat, sperrt er diesen Bereich des Arbeitsrechts für die Länder. In dem verbleibenden Korridor steht den Ländern das Recht zur Gesetzgebung weiterhin offen.416 Bislang hat der Bund nur sehr eingeschränkt von seiner Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Weiterbildung Gebrauch gemacht.417 Soweit das BBiG auf Pflegeberufe anwendbar ist (insbesondere soweit nicht die Berufsbildung in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis betroffen ist [§ 3 Abs. 2 Nr. 2 BBiG])418, enthält es Ermächtigungen für den Erlass von Rechtsverordnungen im Bereich der Fortbildung (§§ 53 ff. BBiG).419 Diese beschränken sich auf einen berufsordnenden Rahmen, der auf Ausfüllung angelegt ist. Solange keine Rechtsverordnung besteht, sind nach dem Willen des Bundesgesetzgebers die Berufskammern zur Regelung zuständig (§ 54 S. 1 i. V. m. § 71 Abs. 6 BBiG); anderenfalls bestimmt das Land die für die Regelungsbefugnis zuständige Stelle (§ 71 Abs. 8 BBiG). Die bestehende Gesetzeslage legt den Ländern bei der Übertragung der Fortbildungsaufgabe auf eine Pflegekammer insoweit keine substanziellen kompetenziellen Hindernisse in den Weg. b) Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle in der öffentlichen Fürsorge sowie im Sozialversicherungsrecht Eine Pflegekammer versteht sich nicht nur als Instrument beruflicher Selbstorganisation, sondern auch als Beitrag zur Verbesserung der pflegeri415 Auch in einem absichtlichen Unterlassen einer positiven Regelung kann ein Gebrauchmachen im Sinne des Art. 72 Abs. 1 von einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz liegen, von der eine Sperrwirkung für die Länder ausgeht (BVerfGE 98, 265 [300]). 416 BVerfGE 38, 281 (299); zu den Gesetzen über die Arbeitnehmerkammern in Bremen und im Saarland Maunz, in: ders./Dürig (Fn. 204), Art. 74 GG, Rdnr. 161. 417 BVerfGE 77, 308 (329 f.). 418 Für den Bereich der Ausbildung (nicht aber für die Fortbildung) schließen § 28 AltPflG und § 22 KrPflG den Anwendungsbereich des BBiG aus. 419 Vgl. dazu Schaub, in: ders./Koch/Linck u. a. (Hrsg.), Arbeitsrechts-Handbuch, 14. Aufl. 2011, § 173, Rdnr. 12.

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schen Leistungsqualität. Befürworter einer Pflegekammer stützen deren Notwendigkeit insbesondere auf das Bedürfnis, im Interesse der Versicherten das Versorgungsniveau zu erhöhen und Schlechtleistungen zielgenau zu sanktionieren.420 Gerade in diesem Bereich setzt eine Aufgabenzuweisung allerdings auch einen Regelungsspielraum der Pflegekammer voraus, um ihr entsprechende Wirkungsmöglichkeiten zu eröffnen.421 Die Regelungskompetenz für den Bereich des Sozialversicherungsrechts ist indes vorrangig dem Bund, nicht den Ländern zugewiesen. Das ergibt sich zwar nicht bereits aus der Kompetenz des Bundes für die Regelung der öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG; [unten aa)]), wohl aber aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG [unten bb)]. aa) Öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG)? Der Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge beschreibt die kollektive Unterstützung bei individueller Bedürftigkeit und ist damit weit zu verstehen.422 Auf ihn lässt sich namentlich grundsätzlich der gesamte Bereich des Sozialrechts stützen, insbesondere die „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ nach dem SGB II und die „Sozialhilfe“ nach SGB XII.423 Die öffentliche Fürsorge im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG beschränkt sich allerdings grundsätzlich auf die staatliche Unterstützung Hilfebedürftiger und damit den Bereich rein steuerfinanzierter Fürsorge.424 Die Kinderpflege in Kindergärten lässt sich zwar noch auf diese Kompetenz stützen (wiewohl diese auch bildungsbezogene Aufgaben umfasst, die an sich in die Kompetenz der Länder fallen).425 Anders verhält es sich aber im Hinblick auf die beitragsfinanzierten Versicherungssysteme der gesetzlichen Krankenund Pflegeversicherung. Diese bewegen sich außerhalb des Kompetenzkatalogs des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG. bb) Sozialversicherungsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) Für die Pflichtversicherungen der Kranken- und Pflegeversicherung eröffnet Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG dem Bund die Regelungskompetenz. Traditionell erstreckte sich das Sozialversicherungsrecht zwar nur auf die vier klas420

Dazu im Einzelnen oben S. 36 ff. Seewald (Fn. 50), S. 75. 422 BVerfGE 88, 203 (329 f.); 97, 332 (341). 423 Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar GG, 18. Edition 2013, Art. 74 GG, Rdnr. 24. 424 Schenkel, Sozialversicherung und Grundgesetz, 2008, S. 139. 425 BVerfGE 97, 332 (341). 421

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sischen Bereiche Krankheit, Alter, Invalidität und Unfall. Bei der Ausgestaltung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung ist der Gesetzgeber jedoch nicht an die historisch gewachsenen Paradigmen der Sozialversicherung gebunden. Sie umfasst keinen feststehenden Regelungskatalog. Es handelt sich vielmehr um einen verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff, der für die Einbeziehung neuer beitragsgestützter Formen der Absicherung gegen Lebensrisiken entwicklungsoffen ist. Die Sozialversicherung zeichnet sich durch die „gesetzliche Verteilung eines gemeinsamen Bedarfs, eine organisierte Vielheit“426 aus. Aus der Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung erwächst dem Gesetzgeber daher für die unterschiedlichen Regelungsbereiche der Sicherung gegen Schicksalsschläge des Lebens ein weiter Gestaltungsspielraum, insbesondere hinsichtlich der Frage, „ob er überhaupt eine Pflichtversicherung gründen will oder eine ihr nahekommende Regelung trifft und wen er in die Pflichtversicherung einbezieht“427. Die Kompetenz zur Gründung und Einführung neuer sozialrechtlicher Versicherungen umfasst notwendigerweise auch die Ausgestaltungskompetenz. Die inhaltliche Auskleidung der Versicherungssysteme schließt für den Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung insbesondere auch Regelungen zur Qualitätssicherung und -kontrolle gegenüber den Leistungserbringern ein. Das Regelungsbedürfnis ergibt sich aus der besonderen Struktur sozialrechtlicher Leistungsverhältnisse: Die Leistungserbringung im Sozialversicherungsrecht ist typischerweise durch ein Dreiecksverhältnis geprägt. Der Versicherte hat einen Leistungsanspruch (in Form eines Sachleistungsanspruchs) gegen den Versicherungsträger (z. B. die Krankenkasse oder die Pflegekasse), der seinerseits Verträge mit dem jeweiligen Leistungserbringer (z. B. dem Krankenhausträger) abschließt. Die Qualitätskontrolle gestaltet sich in dieser Konstellation als diffizil. Denn der Leistungsempfänger ist nicht unmittelbar zur Gegenleistung verpflichtet. Vielmehr trifft die Zahlungspflicht in dem zwischen ihm und dem Behandelnden geschlossenen privatrechtlichen Behandlungsvertrag (§ 630a Abs. 1 BGB)428 bspw. bei der ärztlichen Behandlung gesetzlich Versicherter unmittelbar den Versicherungsträger. Die Abrechnung erfolgt zwischen der Krankenkasse und der Kassenärztlichen Vereinigung. Der behandelnde Arzt hat als Mit426

Maunz, in: ders./Dürig (Fn. 204), Art. 74 GG, Rdnr. 171. Maunz, in: ders./Dürig (Fn. 204), Art. 74 GG, Rdnr. 176. 428 Unter die Vorschrift fallen nicht nur die Leistungen von Ärzten, sondern auch von Angehörigen anderer Heilberufe im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, insbesondere Hebammen. Die Erbringung reiner Pflege- oder Betreuungsleistungen erfüllt die Voraussetzungen des § 630a Abs. 1 BGB demgegenüber nicht. Diese fallen regelmäßig in den Geltungsbereich des Gesetzes über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen. BT-Drucks. 17/10488, S. 17 f. 427

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glied dieser Vereinigung aus § 85 Abs. 4 S. 1 und 2 SGB V dann einen Vergütungsanspruch gegen die Kassenärztliche Vereinigung.429 In diesem Dreiecksverhältnis agiert der Leistungserbringer gleichsam als verlängerter Arm des Versicherungsträgers. Da die Entgeltleistung der wirksamste Hebel ordnungsgemäßer Leistungserbringung ist, erfolgt die Qualitätssicherung und -kontrolle am sachgerechtesten unmittelbar im Verhältnis Versicherungsträger und Leistungserbringer. Um seine Regelungsaufgabe sachgerecht wahrnehmen zu können, kommt entsprechend dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung von Qualitätssicherungsmaßnahmen und deren Kontrolle in dem System der Sozialversicherung zu. Soweit der Bund von der Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat, sind die Länder nicht mehr regelungsbefugt. cc) Regelungen des Bundesgesetzgebers im Bereich des Sozialversicherungsrechts Seine Kompetenz zur Regelung der Qualitätssicherung und -kontrolle in der Sozialversicherung und der Weiterbildung Pflegender nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG hat der Gesetzgeber durch verschiedene Regelungsmechanismen inhaltlich ausgefüllt [unten (1)–(3)]. Insbesondere macht er von seinem verfassungsrechtlichen Recht Gebrauch, Standardisierungsregelungen zur Sicherung der Qualität der in der sozialen Pflegeversicherung als Sozialversicherung erbrachten Leistungen zu erlassen. (1) Weiterbildungsverpflichtungen im Bereich der häuslichen Krankenpflege So etablieren § 132a Abs. 1 S. 4 Nr. 3 sowie Abs. 2 S. 1 SGB V Regelungen zur Fortbildung für den Bereich der häuslichen Krankenpflege. Der Gesetzgeber vertraut diese normative Aufgabe dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen sowie den für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene an: Die Rahmenempfehlungen müssen „Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Fortbildung“ regeln (§ 132a Abs. 1 S. 4 Nr. 3 SGB V). Ferner beschließen die Krankenkassen mit den Leistungserbringern entsprechende Maßnahmen über deren Verpflichtung zur Fortbildung. Für den Fall fehlenden Fortbildungsnachweises lässt das Gesetz entsprechende Sanktionen, insbesondere die Möglichkeit einer Kündigung des Leistungsvertrages bzw. Vergütungsabschläge, zu (§ 132a Abs. 2 S. 2–4 SGB V). 429

BT-Drucks. 17/10488, S. 19; BGHZ 89, 250 (260); BSG, NJW-RR 1998, 273 f.

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Diese Regelungen schränken die Kompetenz der Länder zur Regelung der Fortbildung nur vordergründig nachhaltig ein. Die bestehenden Vorschriften des SGB V beschränken sich in ihrer Regelungswirkung nämlich ausschließlich auf das Verhältnis zwischen den Leistungserbringern und den Leistungsempfängern. Sie haben das Interesse an einer hinreichenden Pflegequalität, nicht das Interesse an einer beruflichen Fortbildung als Instrument der Personalentwicklung und des Ansehens des Berufsstandes in der Öffentlichkeit im Blick. Sie adressieren und sanktionieren die Leistungserbringer als Arbeitgeber der Pflegenden, nicht aber die Pflegenden selbst. Darin liegt der entscheidende Unterschied zu Fortbildungsregelungen einer Pflegekammer. Diese binden ihrem Wesen nach nur ihre eigenen Mitglieder. Gleichwohl kann von den Qualitätssicherungsregelungen des SGB V mittelbar eine Einschränkung landesrechtlicher Gestaltungsbefugnis der Pflegekammern ausgehen. Denn zwischen ihnen besteht eine Wechselbeziehung: Fortbildungsregelungen der Pflegekammer dürfen nicht hinter dem Stand des SGB V zurückbleiben und dessen Qualitätssicherungsregelungen damit konterkarieren. Sie unterlaufen die Regelungskompetenz des Bundes dann, wenn sie das Qualitätsniveau an Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung, das der Bund durch seine Gesetzgebung herstellen will, nicht sicherstellen, sondern absenken. Dieser Fall tritt aber nur dann ein, wenn eine Pflegekammer sich dazu aufschwingt, Obergrenzen einer Qualitätssicherungspflicht der Pflegeberufe zu formulieren, welche die Pflichtenerfüllung der Leistungserbringer im Verhältnis zu den Pflegekassen unmöglich machen. Eine solche Regelungsbefugnis darf der Landesgesetzgeber ihr nicht zusprechen – sehr wohl aber die Regelungsbefugnis, ein Mindestniveau pflegerischer Qualitätssicherungsmaßnahmen festzusetzen, das die Pflegenden durch Fortbildungsmaßnahmen erreichen müssen. So verstehen sich die berufskammerlichen Fortbildungsregelungen typischerweise auch. (2) Entwicklung von Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege In § 113a SGB XI vertraut der Bund den Vertragsparteien der Pflegeversicherung, unter anderem den Verbänden der Pflegeberufe auf Bundesebene (§ 113a Abs. 1 S. 3 SGB XI) die Entwicklung von Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege sowie von Maßstäben und Grundsätzen der Pflegequalität an.430 Deren Ziel ist es, die 430 Die Ärzte arbeiten mit dem Pflegepersonal im Versorgungsalltag Hand in Hand. Es bleibt daher nicht aus, dass Qualitätssicherungsmaßnahmen der Ärzteschaft auch das Pflegepersonal tangieren. Das ärztliche Berufsrecht kennt insoweit auch Regelungen zur Qualitätssicherung. Die Gestaltungsbefugnis der Pflegekam-

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gemeinsame Qualitätsverantwortung der Pflegeeinrichtungsträger für eine hinreichende Pflegequalität sicherzustellen. Sie tragen damit zur Konkretisierung des allgemein anerkannten Standes der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse bei. Die Expertenstandards formulieren insbesondere Fortbildungs- und Weiterbildungsanforderungen für alle in der Pflege tätigen Mitarbeiter und deren Leitung, die mit verschiedenen Dokumentationspflichten korrespondieren. Diese wären auch Gegenstand der Beschlüsse einer Pflegekammer. Die Weiterbildung der Pflegenden ist insoweit einerseits das Schlüsselinstrument einer Qualitätssicherung, andererseits Kernelement beruflicher Selbstorganisation einer Kammer. Beide stehen aber nicht unverbunden nebeneinander. Die Expertenstandards des § 113a SGB XI konkretisieren als Verständigung mitunter divergierender Gruppeninteressen nach außen den allgemein anerkannten Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse im Interesse des Schutzes der Pflegebedürftigen und der Leistungsfähigkeit der sozialen Pflegeversicherung (vgl. auch § 113a Abs. 1 S. 2 SGB XI). Die Beschlüsse einer Pflegekammer wirken als berufsständische Abrede demgegenüber nach innen in die Berufsgruppe hinein und konkretisieren die an sie nach eigenem Selbstverständnis gestellten Leistungserwartungen. Insofern stehen beide Zielrichtungen – wie kammereigene und sozialversicherungsrechtliche Weiterbildungsverpflichtungen431 – nebeneinander und greifen ineinander. Mit der Verpflichtung zur Qualitätssicherung in der sozialen Pflegeversicherung macht der Bund insofern noch nicht umfassend von seinen Regelungskompetenzen im Bereich der Weiterbildung der professionell Pflegenden Gebrauch. Insbesondere verbindet sich mit ihr nicht der Anspruch, eine berufliche Selbstorganisation der Pflegenden und berufsständische Weiterbildungsverpflichtungen obsolet werden zu lassen. Vielmehr ist die Konkretisierung pflegerischer Expertenstandards auf den Input beruflicher Erkenntnisse angewiesen, die in der Berufsgruppe selbst verstreut sind und dort als Wissensschatz gehoben werden können. § 113a SGB XI verdrängt damit die Regelungsmacht der Länder zur Gründung einer Pflegekammer, namentlich die autonome Regelungsbefugnis der Berufsträger zur Entwicklung von Expertenstandards für die Berufsmitglieder, nicht. mern ist dadurch jedoch nur mittelbar betroffen. Der Pflegekammer verbleibt ein originärer Zuständigkeitsbereich. Er umfasst die autonome Regelung des beruflichen Selbstverständnisses einer Berufsgruppe in Kooperation mit anderen Berufsträgern des Gesundheitswesens. Allein die Ausgestaltung des Vertragsarztrechts beschränkt die Gesetzgebungskompetenz der Länder im Bereich der Qualitätssicherung und -kontrolle mithin nicht. Hinzu tritt der Umstand, dass nur die in einem Beschäftigungsverhältnis mit einem Vertragsarzt stehenden Pflegenden von den Qualitätssicherungsmaßnahmen der Ärzteschaft betroffen sind, nicht aber die im privatärztlichen Bereich Tätigen. 431 Dazu bereits oben S. 113.

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(3) Personelle und sachliche Ausstattung der Pflegeeinrichtungen Auch in § 75 SGB XI vertraut der Gesetzgeber den Vereinbarungspartnern eine Regelungsbefugnis für Rahmenverträge an, welche die Qualitätsverantwortung der Leistungsträger ausfüllen sollen. Deren Ziel ist es, „eine wirksame und wirtschaftliche pflegerische Versorgung der Versicherten sicherzustellen“ (§ 75 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Ihr Inhalt ist für die Pflegekassen und die zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Inland unmittelbar verbindlich (§ 75 Abs. 1 S. 4 SGB XI). Der Wortlaut der Vorschrift legt den Erlass solcher Regelungen nahe, die eine hinreichende Qualität der pflegerischen Versorgung durch Weiterbildungsmaßnahmen sicherstellen. Insoweit sind auf dieser Grundlage möglicherweise einige durch eine Pflegekammer intendierte Selbstverwaltungsziele bereits im bestehenden Sozialrecht bundesgesetzlich angelegt bzw. verwirklicht. So erklärt auch § 75 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB XI „Maßstäbe und Grundsätze für eine wirtschaftliche und leistungsbezogene, am Versorgungsauftrag orientierte personelle432 und sächliche Ausstattung der Pflegeeinrichtungen“ zum obligatorischen Gegenstand der Vereinbarungen. Die personelle Ausstattung ist dann nicht nur quantitativ zu regeln, muss also vertraglich Verfahren zur Ermittlung des Personalbedarfs oder zur Bemessung der Pflegezeiten oder landesweite Personalrichtwerte vorsehen (§ 75 Abs. 3 S. 1 SGB XI). Sie muss, wenn sie ihrem Regelungssinn gerecht werden soll, vielmehr auch die qualitativen Voraussetzungen umschließen, welche die in den Pflegeeinrichtungen tätigen Personen erfüllen müssen. Mit der Wendung „insbesondere“ deutet § 75 Abs. 2 S. 1 SGB XI auch an, dass die dort genannten Regelungsgegenstände keineswegs abschließend, sondern als beispielhafter und erweiterbarer Katalog von Anforderungen konzipiert sind, die der Qualitätssicherung der Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung verschrieben sind. Von dieser bundesgesetzlichen Regelungsbefugnis können und dürfen die Länder auch in etwaigen Aufgabenzuweisungen zugunsten einer Pflegekammer nicht abweichen. Die Zielrichtungen einer Pflegekammer als Selbstverwaltung einer Berufsgruppe, die das personelle Rückgrat der sozialen Pflegeversicherung bildet, sind aber von den Anforderungen der Qualitätssicherung eines solidarisch finanzierten Versicherungssystems zu trennen. dd) Schlussfolgerungen Soweit zum Aufgabenbereich einer Pflegekammer außenwirksam verbindliche Regelungen der Fortbildung gehören sollen, findet die Regelungskompetenz der Länder in § 132a Abs. 1 S. 4 Nr. 3 und Abs. 2 S. 1 SGB V 432

Hervorhebung des Verf.

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und § 113a, § 75 SGB XI ihre Grenze. Eine Pflegekammer darf insbesondere keine die Leistungserbringer selbst bindenden Qualitätssicherungsmaßnahmen etablieren. Diese fallen in den Regelungsbereich des Bundes, die ihm Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 GG zugesteht. Die bundesgesetzlichen Regelungen zur Qualitätssicherung und -kontrolle im Bereich des Sozialrechts sperren die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Regelung beruflicher Qualitätsanforderungen an die Pflegeberufe jedoch nicht vollständig.433 Denn die Regelungsziele und Adressatenkreise der Regelungen sind unterschiedlich. Die Länder haben bei der Gründung einer Pflegekammer die Interessen eines Berufsstandes im Auge, der Bund die Sicherung der Leistungsfähigkeit des Sozialversicherungssystems, insbesondere den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Die rechtlich verbindlichen Wirkungen einer Pflegekammer bleiben auf die in der Kammer zusammengeschlossene Berufsgruppe beschränkt. Den Ländern bleibt es mithin grundsätzlich unbenommen, Qualitätssicherungsmaßnahmen zu etablieren, welche die Pflegenden im Wege beruflicher Selbstorganisation unmittelbar in die Pflicht nehmen. 4. Zwischenfazit Einer Verkammerung als solcher steht die Kompetenzordnung des Grundgesetzes gegenwärtig nicht entgegen. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst des Bundes nach Art. 71, 73 Abs. 1 Nr. 8 GG begrenzt aber für diese Personengruppe die Gesetzgebungskompetenz der Länder zur Errichtung einer Pflegekammer. Die den Kammern zugewiesenen Regelungskompetenzen dürfen diejenigen des Bundes als Dienstherrn nicht verdrängen, sondern müssen dem standesrechtlichen Bereich verhaftet bleiben. Grenzen zieht die Kompetenzanordnung des Grundgesetzes auch dem zulässigen Radius der Übertragung von Kammeraufgaben. Fragen der Berufszulassung sind nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG grundsätzlich der konkurrierenden Kompetenz des Bundes vorbehalten. Durch die Wahrnehmung der Aufgabe von Fortbildungsregelungen darf die Kammer die Kompetenz des Bundes zur Qualitätssicherung im Bereich der Sozialversicherung und des Arbeitsrechts im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht aushöhlen, soweit der Bund von dieser Gesetzgebungskompetenz zulässigerweise Gebrauch gemacht hat. 433 A. A. Deter, Rechtliche Zulässigkeit und mögliche Kompetenzen einer Pflegekammer in Niedersachsen, 2012, S. 22. Er vertritt die Auffassung, dass sich die bundesgesetzlichen Verpflichtungen zur Qualitätssicherung und -kontrolle auf die Pflegenden erstrecken, da diese „für die Leistungserbringer leisten“. Aus diesem Grund nimmt er Qualitätssicherungsmaßnahmen aus dem möglichen Kompetenzkatalog einer zu gründenden Pflegekammer aus.

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II. Grundrechte Durch ihre pflichtmitgliedschaftliche Verfassung legt die Pflegekammer den Berufsmitgliedern die Last einer grundrechtlichen Freiheitseinschränkung auf.434 Diese Zwangswirkung muss sich an den Grundrechten der betroffenen Mitglieder messen lassen (unten 1.). Darin erschöpft sich die grundrechtliche Ausstrahlungswirkung einer Pflegekammer nicht. Sie kann auch in die Grundrechte der Pflegeberufsverbände und der Gewerkschaften sowie der Arbeitgeber eingreifen (unten 2.). 1. Grundrechtspositionen des betroffenen Pflegepersonals Welche grundrechtliche Position der von einer Verkammerung betroffene Personenkreis gegen diese Zwangswirkung in Stellung bringen kann, diskutiert die Literatur seit langer Zeit lebhaft. Auch das BVerfG hatte diese Frage wiederholt zu entscheiden,435 in letzter Zeit etwa im Falle eines Grundstückseigentümers, der die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft angezweifelt hatte.436 Als betroffen kom434 Kritisch dazu Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 78 f., 187 ff.; Kluth (Fn. 115), S. 308; ders., Die Verwaltung 35 (2002), 349. Diese gehen von einem anderen Verständnis der Pflichtmitgliedschaft aus: Sie beschränke nicht die Freiheit der Bürger, sondern bringe im Gegenteil eine Erweiterung des Status activus der verkammerten Berufsmitglieder mit sich. Die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft sichere nämlich dem Bürger Teilhabe an der Ausübung von Staatsgewalt. Rechtfertigungsbedürftig sei daher weniger der Akt der Kammergründung an sich als vielmehr die konkreten Pflichten und Belastungen, die sich aus Aufgabenzuweisungen ergeben. Beides schließt sich allerdings nicht aus: Bereits mit dem Kammerzwang als solchem geht nämlich eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung der grundrechtlichen Freiheit vor staatlichem Zwang einher. Denn sie lässt dem Einzelnen sub specie des „Ob“ der Teilhabe keine Wahlfreiheit. von Hayek bringt das mit dem zugespitzten Vergleich auf den Punkt, ein Sklave werde nicht dadurch zum freien Mann, dass man ihm ein Stimmrecht verleihe, Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 3. Aufl. 1991, S. 27; vgl. dazu auch Goltz, Pflichtmitgliedschaftliche Kammerverfassung und die Logik kollektiven Handelns, 2005, S. 65. 435 Vgl. zu Wasser- und Bodenverbänden BVerfGE 10, 89 ff.; 58, 45 ff.; 107, 59 ff.; zu Fischereigenossenschaften BVerfGE 70, 191 ff.; zu Industrie- und Handelskammern BVerfGE 15, 235 ff.; BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 ff.; BVerwG, NJW 1998, 3510; zu Arbeitnehmerkammern als Instrumenten sozialer Selbstverwaltung BVerfGE 38, 281 ff.; zur Pflichtmitgliedschaft in der Studierendenschaft BVerwGE 109, 97 (99 ff.); zur Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft mit den Grundfreiheiten EuGH, Urt. v. 3.10.2000 – C-58/98 –, Slg. 2000, I-7919, Rdnr. 45 ff. 436 BVerfG, DVBl 2007, 248 ff.; dazu bereits BVerwG, NVwZ 2006, 92 ff.; BGH, NJW 2006, 984 ff.; nunmehr EGMR, NJW 2012, 3629; ihm folgend BayVGH, Beschl. v. 30.1.2013 – 19 AE 12/2123 –, BeckRS 2013, 46357; Sailer, ZRP 2005, 88 ff.; a. A. Müller-Schallenberg/Förster, ZRP 2005, 230 ff.

II. Grundrechte

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men einerseits die negative Vereinigungs- und die Berufsfreiheit, andererseits die allgemeine Handlungsfreiheit in Betracht. Welche grundrechtliche Schutzzone berührt ist, ist nicht allein von akademischer Relevanz, sondern determiniert die Höhe der Rechtfertigungshürden, die ein Grundrechtseingriff zu überwinden hat: Ein Eingriff in die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG [unten a)] und die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG [unten b)] ist nur in sehr engen verfassungsrechtlichen Schranken zulässig. Ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG [unten c)] ist demgegenüber unter leichteren Voraussetzungen gerechtfertigt. a) Negative Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) Art. 9 Abs. 1 GG unterstellt das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung als konstituierendes Prinzip demokratischer Ordnung besonderem verfassungsrechtlichem Schutz.437 Sein Gewährleistungsgehalt verbürgt allen Deutschen das Recht zur Persönlichkeitsentfaltung in Gruppenform. Tätigkeiten, die wahrzunehmen der freien Zweckbestimmung des Einzelnen unterworfen ist, darf die Gruppe auch in verfassungsrechtlich geschützter Form kollektiv verfolgen; die Wertentscheidung des Art. 9 Abs. 1 GG gesteht ein Ausübungsrecht zur kollektiven Verfolgung anderweit grundrechtlich geschützter Tätigkeiten zu.438 Die Gewährleistung des Rechts, sich zu einem gemeinsamen Zweck für eine unbestimmte Zeit freiwillig zusammenzuschließen und sich einer organisierten Willensbildung zu unterwerfen, ist Teil des Bekenntnisses der Verfassung zu einer lebendigen, auf einer Meinungs- und Strukturenvielfalt basierenden gesellschaftlichen Ordnung als Nukleus einer funktionierenden Demokratie.439 aa) Negative Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Körperschaften als Teil des Schutzbereichs Die Auferlegung einer Pflichtmitgliedschaft in einem Verband berührt nicht die in Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistete positive Gründungs- und Betätigungsfreiheit. Vielmehr ist ihre negative Seite betroffen, nämlich das Recht, einer solchen Vereinigung fernzubleiben. Grundsätzlich ist auch diese Freiheit von dem Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 1 GG erfasst.440 Denn 437

BVerfGE 38, 281 (303); 50, 290 (353). Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 9 GG, Rdnr. 40. 439 Vgl. nur Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 9 GG, Rdnr. 34, 36 ff. 440 BVerfGE 10, 89 (102); 30, 415 (426); 38, 281 (297); 50, 290 (356); von Münch, in: Dolzer/Graßhof/Kahl u. a. (Fn. 383), Art. 9 GG, Rdnr. 51; Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 9 GG, Rdnr. 48. 438

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die Vereinigungsfreiheit wäre keine echte Freiheit, wenn die von ihr geschützten Handlungen erzwungen werden könnten. Ein Zwangszusammenschluss zu privatrechtlichen Vereinigungen muss sich daher nach einhelliger Auffassung an Art. 9 Abs. 1 GG messen lassen.441 Für den Zwangszusammenschluss zu öffentlich-rechtlichen Vereinigungen sieht das BVerfG das jedoch bisher anders.442 Es misst die Pflichtmitgliedschaft in gefestigter Rechtsprechung nicht an Art. 9 Abs. 1 GG. Das ergibt sich in seiner Lesart aus einer Zusammenschau der positiven und der negativen Vereinigungsfreiheit: Die negative Vereinigungsfreiheit bildet die Kehrseite der durch Art. 9 Abs. 1 GG garantierten positiven Vereinigungsfreiheit. Sie geht damit auch grundsätzlich nicht über diese hinaus. Die positive Vereinigungsfreiheit beschränkt sich auf das Recht zur Gründung privater Vereinigungen; sie umfasst nicht das Recht, öffentlich-rechtliche Körperschaften zu gründen; dieses Recht ist dem Staat als Sonderrecht vorbehalten.443 Wenn der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG aber lediglich die Möglichkeit schafft, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, dann schützt das Grundrecht in negativer Hinsicht aus der Sicht des BVerfG als Korrelat auch nur vor Pflichtmitgliedschaften in privatrechtlichen Vereinigungen.444 So plausibel sich dieser Argumentationsansatz präsentiert, so sehr verliert er zugleich das Telos des Art. 9 Abs. 1 GG aus dem Blick. Das Recht, einem öffentlich-rechtlichen Zwangsverband fernzubleiben, ist nämlich nicht gleichzusetzen mit einer Inanspruchnahme hoheitlicher Handlungsformen. Es zielt vielmehr auf eine Abwehr staatlicher, freiheitsbeschränkender Zwangsakte und aktiviert damit eine klassische grundrechtliche Funktion.445 Daraus ergibt sich noch nicht, dass dieser Freiheitsschutz notwendig via 441 BVerfGE 10, 89 (104); 38, 281 (297 f.); 50, 290 (354); 123, 186 (237); BGHZ 130, 243 (254); Höfling, in: Sachs (Fn. 383), Art. 9 GG, Rdnr. 21; Jarass, in: ders./Pieroth (Fn. 414), Art. 9 GG, Rdnr. 7; Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 3. Aufl. 2009, § 165, Rdnr. 56 ff. 442 BVerfGE 10, 89 (201); 10, 354 (361 f.); 38, 281 (297 f.); BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (336); ausführlicher zu diesem Streitstand Hatje/ Terhechte, NJW 2002, 1849; Martini (Fn. 330), 735; Seewald (Fn. 50), S. 78 ff. 443 BVerfGE 10, 89 (102); 10, 354 (361 f.); 12, 319 (323); 15, 235 (239); 38, 281 (297 f.); BVerwGE 27, 228 (230); 32, 308 (310 f.); BVerwG, NJW 1962, 1311 (1312); von Münch, in: Dolzer/Graßhof/Kahl u. a. (Fn. 383), Art. 9 GG, Rdnr. 28; Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 9 GG, Rdnr. 48. 444 BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (336). 445 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), 3. Aufl. 2013, Art. 9 GG, Rdnr. 47; Höfling, in: Sachs (Fn. 383), Art. 9 GG, Rdnr. 22; Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 143; Murswiek, JuS 1992, 116 (118); vgl. auch die ausführliche Stellungnahme von Hellermann (Fn. 434), S. 60 ff.; Rinken, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), AK-GG, 3. Aufl. 2001, Art. 9 GG, Rdnr. 58; mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte auch Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 49 ff.

II. Grundrechte

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Art. 9 Abs. 1 GG hergestellt werden muss. Ein anderer Aspekt kommt aber hinzu: Wäre der Grundrechtsschutz gegenüber öffentlich-rechtlichen Vereinigungen schwächer als gegenüber privatrechtlichen, hätte es der Gesetzgeber in der Hand, durch die Wahl der rechtlichen Organisationsform darüber zu entscheiden, ob ihm ein enger (Art. 9 Abs. 1 GG) oder ein weiter Rechtfertigungsspielraum (Art. 2 Abs. 1 GG) für die Pflichtmitgliedschaft zur Verfügung steht. Der Umfang des Grundrechtsschutzes hinge dann von der Wahl der Rechtsform eines staatlichen Zwangsverbands ab.446 Angesichts dieser Umgehungsgefahr muss der Schutz gegenüber mitgliedschaftlich organisierten staatlichen Zwangsverbänden unabhängig von der Rechtsform gleichläufig konstruiert sein.447 Auch mit dem genuinen Zweck des Art. 9 Abs. 1 GG, das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung als konstituierendes Prinzip demokratischer Ordnung zu schützen, wäre das sonst nur schwer in Einklang zu bringen. Mit diesem Schutzgedanken bringt die Verfassung nämlich zum Ausdruck, dass das soziale System des durch sie verfassten Gemeinwesens „weder in ständischkorporativen Ordnungen, wie sie namentlich das Kennzeichen älterer Sozialordnungen waren, Gestalt gewinnen soll, noch in der planmäßigen Formung und Organisation durch den Staat nach den Maßstäben eines von der herrschenden Gruppe diktierten Wertesystems, wie sie den totalitären Staat der Gegenwart kennzeichnet“448. Typische Vereinigungsform im Sinne des Grundgesetzes soll nicht die Kooperation, also die mit Pflichtmitgliedschaft ausgestattete Vereinigung, sein, sondern die Assoziation, d.h. der interessenbestimmte private Verband.449 Für den Schutzgedanken der Vereinigungsfreiheit bleibt es insoweit im Ergebnis ohne Unterschied, ob der Zwangszusammenschluss privat- oder öffentlich-rechtlicher Natur ist. In beiden Fällen besteht nämlich gleichermaßen die Gefahr, dass der Einzelne gegen seinen Willen für die Ziele der ihm aufgezwungenen Vereinigung vereinnahmt und die freie private durch eine staatliche Gruppenbildung ersetzt wird. Davor zu schützen, ist gerade Zweck der negativen Seite der Vereinigungsfreiheit. Konsequent ist eine Heraustrennung von Pflichtmitgliedschaften aus dem grundrechtlichen Schutzbereich nur dann, wenn man die Freiwilligkeit des Gründungsaktes, also die Gründung durch die Mitglieder selbst, zur Voraussetzung des grundrechtlichen Schutzes erhebt.450 Art. 9 Abs. 1 GG zielt auf 446 Jäkel, DVBl. 1983, 1133 (1134); Mutius, Jura 1984, 529 (532 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 9 GG, Rdnr. 90. 447 Insoweit zustimmend Kemper, in: Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 59. 448 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, S. 178. 449 Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 9 GG, Rdnr. 37.

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die Freiheit zur Selbstorganisation, den freiwilligen Zusammenschluss, ab; der pflichtmitgliedschaftliche Verband wird gerade nicht freiwillig, sondern auf der Grundlage eines staatlichen Aktes gegründet. Unter dieser Prämisse greift der Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG bei der Bildung eines (privat- oder öffentlich-rechtlichen) Zwangsverbandes dann nicht. Die Ausklammerung öffentlich-rechtlicher Vereinigungen aus dem Schutzbereich widerspricht aber der historischen Zielrichtung des Art. 9 Abs. 1 GG: Er ist als Abwehrrecht gegen jegliche Art hoheitlicher Zusammenschlüsse, etwa in Zünften,451 und die damit verbundene Vereinnahmung des Einzelnen konzipiert.452 Ohne die Freiheit, auch einer staatlichen Vereinigung fernzubleiben, bliebe die Freiheit, Vereinigungen zu bilden, unvollständig. Der grundrechtliche Schutz gegen die nachträgliche pflichtmitgliedschaftliche Einbeziehung in einen aufgrund freiwilligen Gründungsakts entstandenen Verband wäre dann überdies anders gelagert als derjenige gegen einen originären Zwangsverband. Im einen Fall wäre die Person gegen die Pflichtmitgliedschaft geschützt, im anderen Fall nicht. Für die unterschiedliche Behandlung fehlt es aber an einer sachlichen Rechtfertigung. Denn die Beeinträchtigung ist in beiden Fällen von gleichem Gewicht. Folgerichtig ist es daher, die Freiheit von einem öffentlich-rechtlichen Zwangsverband in den Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 1 GG einzubeziehen. bb) Rechtfertigungsanforderungen Wenn die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG auch den Schutz gegenüber der Einrichtung einer pflichtmitgliedschaftlichen Kammer 450 In diesem Sinne Kemper, in: Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 27 ff., 60. 451 Vgl. dazu auch Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 144; Müller, Korporation und Assoziation 1965, 231 und 301 f. Nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur war das Bekenntnis der Vereinigungsfreiheit auch eine Antwort auf die in dieser Zeit vollzogene Gleichschaltung aller Verbände. 452 Andererseits lassen sich der historischen Auslegung auch Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die negative Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden gerade nicht von Art. 9 Abs. 1 GG geschützt sein soll. Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee erörterte den Formulierungsvorschlag, dass niemand gezwungen sein soll, sich einer Vereinigung anzuschließen. Er stieß jedoch auf Ablehnung, da man die Notwendigkeit sah, auch künftig die Angehörigen bestimmter Berufe in öffentlich-rechtlichen Körperschaften zusammenzufassen. Vgl. BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (336) m. w. N.; Doemming/ Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, 1951, S. 117. Einer generellen Verkammerung aller Berufe sollte die neue Verfassung entgegenwirken – für einzelne Berufsgruppen sollte bei Bedarf aber eine Verkammerung möglich sein, BVerwG, NJW 1962, 1311 (1312); Pathe, DVBl. 1950, 663.

II. Grundrechte

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umfasst, stellt das auch die – zurzeit der Verfassungsberatungen bestehenden – öffentlich-rechtlichen Körperschaften, etwa die IHK, in ihrem Aufgabenradius grundsätzlich verfassungsrechtlich infrage. Denn zugunsten öffentlich-rechtlicher Körperschaften lässt sich aus Art. 9 Abs. 1 GG selbst kein sachlich passender Einschränkungsvorbehalt und damit auch kein substanzielles Rechtfertigungsarsenal entnehmen. Deshalb den Inhalt des Schutzbereichs aus den Beschränkungsmöglichkeiten heraus zu bestimmen, ist jedoch methodisch unsauber, namentlich eine Erscheinungsform ergebnisbezogener Grundrechtsauslegung.453 Die Befürchtung, dass sich öffentlich-rechtliche Zwangsvereinigungen unter dem Grundgesetz nicht mehr rechtfertigen lassen, ist auch im Ergebnis in der Sache nicht zutreffend. Denn die Möglichkeit einer Einschränkung des Art. 9 Abs. 1 GG durch kollidierendes Verfassungsrecht bleibt unbenommen.454 Eine Rechtfertigung ist dann aber an hohe Voraussetzungen geknüpft: Es genügt insoweit – entgegen der Annahme des BVerfG – auch im Rahmen des Art. 9 Abs. 1 GG nicht alles, was „zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten“455 ist. Die Einschränkung muss vielmehr durch Grundrechte Dritter oder andere Güter von Verfassungsrang gerechtfertigt sein.456 Kollidierende Verfassungsgüter, die eine sachgerechte Vertretung speziell der Interessen der Pflegeberufe durch eine pflichtmitgliedschaftlich verfasste Körperschaft rechtfertigen, lassen sich der Verfassung selbst nur eingeschränkt entnehmen. Das gesamtgesellschaftliche Interesse an einer guten Qualität pflegerischer Leistungen sowie die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungen sind legitime Schutzgüter; die Verfassung bildet sie aber nur eingeschränkt ab. Die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungen (namentlich das Bedürfnis bundeseinheitlicher Regelung im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Bevölkerung) deuten Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 und 19 GG durch die Aufnahme in den Kompetenzkatalog zumindest vorsichtig an. Nur eine hinreichende Qualität pflegerischer Leistungen bürgt für eine angemessene Leistungsfähigkeit der sozialen Pflegeversicherung. Allerdings weisen diese Normen die Kompetenz zur Konkretisierung des hinreichenden Qualitätsniveaus der sozialen Pflegeversicherung und die Zulassung zu Heilberufen grundsätzlich dem Bund zu; vor allem aber taugen Kompetenznormen nicht als solche zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen. 453

In diesem Sinne bereits Martini (Fn. 330), 735. Vgl. BVerfGE 39, 334 (367); kritisch Kemper, in: Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 80. Dass der Verfassungskonvent und der Parlamentarische Rat diese neu- bzw. wiedergegründeten Institutionen nicht der Unzulässigkeit preisgeben wollten (Fn. 452), steht daher mit einer Einschlägigkeit des Art. 9 Abs. 1 GG nicht in einem unauflöslichen Widerspruch. 455 BVerfGE 30, 243 (247). 456 Vgl. etwa BVerfGE 28, 243 (261); 30, 173 (193); 83, 130 (139). 454

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Deutlicher findet die verfassungsrechtliche Wertentscheidung eines Schutzes der Bevölkerung vor gesundheitsbezogenen Fehlleistungen in der Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) Ausdruck. Aus ihr erwächst das Gebot, ein angemessenes Niveau pflegerischer Leistungen sicherzustellen und Qualitätsmängel unzureichender Pflege wirksam zu beseitigen,457 um Pflegebedürftigen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.458 Sofern Güter von Verfassungsrang kollidieren, für welche die Verfassung nicht selbst eine Kollisionsregelung getroffen hat, ist ihr Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz herzustellen. Die Güter sind in einem schonenden Ausgleich einander so zuzuordnen, dass jedes von ihnen zur möglichst weitreichenden Geltung gelangt.459 Gegenüberzustellen ist, welchen Mehrwert eine Pflegekammer für verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter im Verhältnis zu einer auf Freiwilligkeit basierenden Selbstorganisation des Berufsstandes zu erbringen vermag, um die Schutzziele zu erreichen, und wie diese ausgeglichen werden können. Eine Pflegekammer ist in der Lage, die Präferenzen der Berufsmitglieder einer Gruppe repräsentativ zu aggregieren, in einen demokratischen Willensbildungsprozess einzuspeisen und ihre Durchsetzungsfähigkeit durch die korporative Interessenbündelung zu erhöhen. Sie sichert eine wirksame Selbstorganisation, die Free-rider-Verhalten ausschließt, und fördert die Wahrnehmung der Interessen des Berufsstandes in der Öffentlichkeit sowie gegenüber den anderen Berufsgruppen des Gesundheitswesens. Dadurch trägt sie zur Attraktivität des Berufes bei und leistet damit einen Beitrag zur Bekämpfung des chronischen Fachkräftemangels professioneller pflegerischer Dienstleistungen. Ihr nachhaltiger Beitrag zur Verbesserung der Qualität pflegerischer Leistungen und damit des verfassungsrechtlich gebotenen Gesundheitsschutzes 457 Deren Bedeutung ist auch der Grund dafür, weshalb das GG die Zulassung zu Heilberufen dem Bund überantwortet, statt die Regelung dem Schicksal unterschiedlicher landesrechtlicher Regelungen zu überlassen. 458 Die kollektive Förderung gruppenspezifischer Zielsetzungen durch Selbstorganisation einer Berufsgruppe erkennt daneben Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG als besonderes verfassungsrechtliches Schutzgut an. Berufskammern genießen als öffentlich-rechtliche Zwangsvereinigungen dessen Schutz zwar nicht; obendrein sind sie – anders als Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG voraussetzt – nicht zugleich auf die Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gerichtet (deshalb fallen auch Verbraucherverbände und Wirtschaftsgenossenschaften etc. nicht unter dem Begriff der „Koalition“ im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG). Die abstrakte besondere Förderungswürdigkeit des Ziels kollektiver (privater) Selbstorganisation im Interesse effektiver gemeinsamer Interessendurchsetzung kommt aber in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG hinreichend klar als verfassungsrechtliche Wertentscheidung zum Ausdruck. 459 Vgl. etwa BVerfGE 83, 130 (143).

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bleibt jedoch ihrer Natur nach begrenzt. Zum einen werden bereits andere Qualitätssicherungsmechanismen wirksam, die auf der einen Seite das arbeitsvertragliche Pflichtenverhältnis, auf der anderen Seite der Bund aufgrund seiner Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung ausgestaltet hat. Eine staatliche Aufsicht kann das Ziel einer Kontrolle pflegerischer Leistungsqualität grundsätzlich ebenso erfüllen. Zum anderen kommt einer Berufsgruppe überwiegend abhängig Beschäftigter im Verhältnis zu Freiberuflern ein geringeres Maß an beruflicher Selbstbestimmung und Definitionsmacht über berufliche Qualitätsmaßstäbe zu.460 Ihr Anreiz, besonders strenge Qualitätsmaßstäbe einzuziehen und durchzusetzen, ist grundsätzlich im Vergleich reduziert. Ein grundrechtsschonender Ausgleich der beteiligten Interessen besteht dann primär in dem weiteren Ausbau bestehender Qualitätssicherungsmechanismen sowie der Förderung bestehender Berufsverbände und der Erweiterung ihrer Beteiligungsmöglichkeiten, wie sie das SGB XI und das SGB V bereits partiell kennen. Dieser Weg trägt dem Prinzip freier sozialer Gruppenbildung, wie es in Art. 9 Abs. 1 GG angelegt ist, besser Rechnung. Er präsentiert sich prinzipiell als eine Möglichkeit, die gegenläufigen Interessen ohne nachhaltige Freiheitsbeeinträchtigung zur Entfaltung zu bringen.461 Allerdings erreicht auch eine Professionalisierung der Berufsverbände denknotwendig nicht das gleiche Maß an Repräsentativität, das für eine demokratische Willensbildung und Einspeisung der pflegerischen Interessen als „Stimme der Pflege“ in den Willensbildungsprozess geboten wäre. Eine der Qualitätssicherung pflegerischer Leistungen verschriebene pflichtmitgliedschaftliche Selbstorganisation kann einen wirksamen ergänzenden Beitrag zum Schutz der Bevölkerung vor Gefahren etablieren, die mit einer unsachgemäßen Aufgabenwahrnehmung einhergehen können. Denn die Kontrolle durch die Berufsgruppe selbst kann auf ein Erfahrungs- und Betroffenenwissen zurückgreifen, das nur dieser selbst in dieser Tiefe zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber darf sich daher auch in Abwägung mit der negativen Vereinigungsfreiheit veranlasst sehen, eine Berufsgruppe einer Pflichtmitgliedschaft zu unterwerfen, wenn eine Kammer wichtige verfassungsrechtlich schutzwürdige Interessen, insbesondere den Gesundheitsschutz der Bevölkerung, verfolgt und hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese ohne eine Pflichtmitgliedschaft keinen hinreichenden Grad beruflicher Selbstorganisation erreicht. Bei der Gruppe der Pflegeberufe ist das der Fall.

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Vgl. dazu S. 77 ff. Vgl. zur Herstellung praktischer Konkordanz im Verhältnis zur positiven Vereinigungsfreiheit bestehender Pflegeberufsverbände auch unten S. 175 ff. 461

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

b) Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Die Pflichtmitgliedschaft in der Pflegekammer knüpft an eine berufliche Tätigkeit an und wirkt sich durch die Auferlegung von Zugehörigkeits-, Leistungs- und Duldungslasten nachhaltig auf die beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten der Pflegenden aus. Sie kann insoweit auch den Schutzbereich der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG tangieren, schützt diese doch die gesamte berufliche Tätigkeit, insbesondere hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Ausübung.462 aa) Berufsregelnde Tendenz Nicht jede auch nur indirekt wirkende Ausstrahlung auf die wirtschaftliche Tätigkeit von Berufsgruppen greift allerdings in Art. 12 Abs. 1 GG ein. Sonst müsste sich nahezu jedes Gesetz an Art. 12 Abs. 1 GG messen lassen; die Berufsfreiheit würde zu einer Allzweckwaffe des Grundrechtsschutzes mutieren. Denn nahezu jede gesetzgeberische Maßnahme wirkt sich unmittelbar oder mittelbar auf wirtschaftliches Verhalten der Marktakteure aus. Ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG setzt daher eine objektiv berufsregelnde Tendenz der Maßnahme voraus: Sie muss von einigem Gewicht sein und in engem Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen, so dass sie in ihrer Wirkung einem direkten Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG gleichkommt.463 Einer umweltgenossenschaftlichen Pflichtmitgliedschaft etwa mangelt es regelmäßig an einer solchen berufsregelnden Tendenz. Sie lässt nämlich keinen engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes erkennen.464 Anders stellt sich die Situation im Fall einer Pflichtmitgliedschaft in einer Pflegekammer dar: Eine Pflichtmitgliedschaft in einer berufsbezogenen Kammer knüpft nämlich nicht lediglich mittelbar an die Ausübung des Berufes an. Vielmehr stehen die Pflichten, die sich für die Mitglieder des Berufs mit der Gründung einer Pflegekammer und der Zuweisung entsprechender Satzungsautonomie ergeben, in einem direkten Zusammenhang mit den Pflichten, welche die Mitglieder des Verbandes als Berufsangehörige tragen. Die Kammer zielt gerade auf die Regelung der beruflichen Tätig462 Vgl. nur Jarass, in: ders./Pieroth (Fn. 414), Art. 12 GG, Rdnr. 10; Mann, in: Sachs (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 77 ff. 463 BVerfGE 13, 181 (186); 49, 24 (47); 70, 191 (214); 95, 267 (302); 110, 274 (288); BVerwGE 71, 183 (191); 75, 109 (115); 115, 189 (196); 121, 23 (27); Jarass, in: ders./Pieroth (Fn. 414), Art. 12 GG, Rdnr. 15; Mann, in: Sachs (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 94 f. 464 Vgl. etwa BVerfGE 70, 191 (214).

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keit, namentlich die Förderung und die Pflege des Berufsverständnisses (Standesförderung), die Kontrolle der Einhaltung der beruflichen Standesregeln (Standesaufsicht) und die allgemeine Verbesserung der Rahmenbedingungen des Berufsstandes durch Bündelung der Einzelinteressen (Standesvertretung).465 Entgegen der Auffassung des BVerfG466 sowie Teilen der Literatur467 berührt sie damit (wenn auch nicht unmittelbar, so doch mittelbar) den speziellen, auf die Schaffung und Erhaltung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage gerichteten Freiheitsraum, den die Gewährleistung der Berufsfreiheit dem Einzelnen verbürgen soll.468 Die Regelungen, die eine berufsbezogene Kammer trifft, haben nämlich als solche Einfluss auf die Art und Weise, in der die Tätigkeit ausgeübt wird. Sie begründen Rechte und Pflichten, die unmittelbar an die Berufstätigkeit anknüpfen.469 Dass die Pflegekammer auch einen umfassenden sozial- und gesellschaftspolitischen Auftrag hat, ändert daran nichts. Denn diese zusätzliche Stoßrichtung ist gerade Ausdruck einer Inanspruchnahme der individuellen Freiheit des Art. 12 Abs. 1 GG für übergeordnete Kollektivziele, wie sie für Grundrechtseingriffe kennzeichnend ist, und eine berufspolitische Tendenz begründet. Einer landesrechtlichen Pflegekammer kommt zwar nicht die Befugnis zu, einem Berufsangehörigen die Berufszulassung zu entziehen. Diese Befugnis zur Regelung der Zulassung zu Heilberufen ist kraft der verfassungsrechtlichen Kompetenzzuordnung grundsätzlich der Vorranggesetzgebung des Bundes, nicht den Ländern vorbehalten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG; oben S. 105 ff.). Auch die unterhalb dieser Schwelle ansetzenden berufsaufsichtlichen Ausübungsregelungen, die eine Pflegekammer etabliert, strahlen jedoch auf die Art und Weise aus, in der der Pflegende seine berufliche Tä465

Vgl. dazu im Einzelnen S. 40 ff. BVerfGE 10, 354 (363); 15, 235 (239); 32, 54 (63 f.); BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ-RR 2005, 297. 467 Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 4. Aufl. 2011, S. 360; Dietlein, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd IV/1, 2006, S. 1976; Mann, in: Sachs (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 96; a. A. Manssen, in: Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 78. 468 Konsequenter daher die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, NJW 1997, 814 [815]), das die Frage der Berufsbezogenheit des Eingriffs offen lässt. Nach seiner Einschätzung genügt dann als Rechtfertigung jeder vernünftige Grund des allgemeinen Wohls. Insofern sei de facto nicht entscheidend, ob Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG Maßstab sei. Die Anforderungen seien äquivalent. 469 A. A. BVerfGE 10, 354 (362), bezogen auf die Mitgliedschaft in der bayerischen Ärzteversorgung; BVerfGE 13, 181 (184) zur Schankerlaubnissteuer; BVerfGE 15, 235 (239), bezogen auf die Mitgliedschaft in einer IHK; Frotscher, JuS 1984, 610 (613); Mann, Berufliche Selbstverwaltung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, 3. Aufl. 2008, § 146, Rdnr. 32. 466

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tigkeit versieht. Indem die Pflegekammer ihren Mitgliedern etwa berufliche Fortbildungsverpflichtungen auferlegt,470 und Regelungen auf den Weg bringen soll, die unmittelbar für die Mitglieder der Berufsgruppe verbindlich sind, insbesondere durch Standesregeln des Berufes fachliche Standards der Aufgabenerfüllung konkretisiert, greift sie in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG ein. bb) Eingriffsrechtfertigung Das Grundgesetz gewährleistet das Grundrecht der Berufsfreiheit nicht schrankenlos. Es kann durch Gesetze eingeschränkt werden, die überwiegenden Gemeinwohlinteressen zur Durchsetzung verhelfen sollen. Die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft legt dem Einzelnen Berufsausübungsregelungen auf, welche die Art und Weise (das „Wie“) der zulässigen und pflichtgemäßen Berufsausübung determinieren. Derartige Eingriffe sind dann gerechtfertigt, wenn sie vernünftigen Gründen des Allgemeinwohls dienen.471 Die Regelung muss namentlich im Verhältnis zur Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Berufsfreiheit angemessen sein. Das gilt nicht nur für die Auferlegung der Pflichtmitgliedschaft als solche, sondern auch für die auf der Grundlage des pflichtmitgliedschaftlichen Zusammenschlusses verfügten Kammermaßnahmen. Im Rahmen der insoweit vorzunehmenden Abwägung ist das spezifische Gewicht, welches das Grundgesetz der Entfaltung der Berufsfreiheit verbürgt, entsprechend dem Wertungsgefüge der Verfassung sowie der Bedeutung der Berufsfreiheit für die Persönlichkeitsentfaltung und Sicherung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage in die Waagschale zu werfen. Die mit der Pflichtmitgliedschaft und den daran anknüpfenden Mitwirkungs- und Fortbildungspflichten sowie Sanktionsmöglichkeiten der Kammer verbundenen Eingriffe können in ihrer Schwere faktisch nahe an Berufszulassungsvoraussetzungen heranreichen. Denn im Extremfall können sie je nach Ausgestaltung die berufliche Betätigung unmöglich machen oder unzumutbar erschweren. An die Befugnis zur Einräumung von Sanktionen sind deshalb besondere Anforderungen der Verhältnismäßigkeit zu stellen.472 Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Reichweite der Sank470 Soweit eine Kammer die Erfüllung von Fortbildungsverpflichtungen durch Sanktionen absichert, greift sie damit in die durch Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit ein. 471 BVerfGE 7, 377 (405 f.); 16, 286 (297); 65, 116 (125); 70, 1 (28); 77, 308 (332); 78, 155 (162); 81, 70 (84); 93, 362 (369); 104, 357 (364); 109, 64 (85); 111, 10 (32); 114, 196 (251 f.); 121, 317 (357). 472 Dazu im Einzelnen insbesondere unten S. 159 ff.

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tionsinstrumente, die der Gesetzgeber einer Pflegekammer für die Pflichtverletzung von Mitgliedern zugesteht. Nicht umsonst begründen zahlreiche Berufsordnungen für Kammerberufe zwar Fortbildungsverpflichtungen (vgl. etwa § 43a Abs. 6 BRAO; § 57 Abs. 2a StBerG), knüpfen daran aber keine unmittelbar berufsrechtlich relevanten Sanktionen. Die Entziehung einer Berufszulassung wegen Nichtteilnahme an Fortbildungsmaßnahmen schösse nämlich im Regelfall über das Ziel hinaus (und wäre darüber hinaus als Kehrseite der Berufszulassung der Vorrangkompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vorbehalten). c) Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Auch wenn man in der Begründung einer Pflichtmitgliedschaft (in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BVerfG) keinen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 und des Art. 9 Abs. 1 GG sieht, ist damit der Grundrechtsschutz Betroffener keineswegs preisgegeben. Die Pflichtmitgliedschaft ist dann jedenfalls an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen: Das Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit schützt als Auffanggrundrecht die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne.473 Sie rundet damit den als lückenlose Verbürgung menschlicher Freiheitsentfaltung konzipierten Gewährleistungskatalog der Grundrechte ab. Ihr Schutzbereich erfasst jedes menschliche Verhalten ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt.474 Geschützt ist sowohl das Handeln als auch das Nichthandeln-Müssen.475 Die allgemeine Handlungsfreiheit bietet insbesondere Schutz gegen die mit einer öffentlichrechtlichen Zwangsvereinigung476 intendierten, durch Rechtsakt vorgesehenen Belastungen für den Betroffenen.477 Denn mit einer Pflichtmitglied473 BVerfGE 37, 1 (18); 55, 7 (25); Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 2 GG, Rdnr. 116; Jarass, in: ders./Pieroth (Fn. 414), Art. 2 GG, Rdnr. 4a ff. 474 BVerfGE 75, 108 (154 f.); 80, 13 (157); 97, 332 (340); 114, 371 (383 f.); Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 2 GG, Rdnr. 12; Dreier, in: ders. (Fn. 445), Art. 2 GG, Rdnr. 27; Jarass, in: ders./Pieroth (Fn. 414), Art. 2 GG, Rdnr. 3. 475 BVerfG, NJW 2008, 2701; BVerfG, NJW 2010, 1289; Murswiek, in: Sachs (Fn. 383), Art. 2 GG, Rdnr. 52. 476 Die mit einer Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer verbundene Beeinträchtigung ist dabei mit der kraft gesetzlicher Wirkung eintretenden Zuordnung zu den öffentlich-rechtlichen Körperschaften der Länder und der Gemeinden vergleichbar. Diese selbst ist nicht als grundrechtserheblicher Eingriff anzusehen, vgl. Hellermann (Fn. 434), S. 195. So trifft die unmittelbare Staatsverwaltung den Bürger nach wohl überwiegender Auffassung nur punktuell, die Verkammerung führt jedoch zu einem öffentlich-rechtlichen Dauerrechtsverhältnis, das insbesondere durch die Beitragszahlung belastet, BVerwG DVBl. 1999, 47 (47); Schöbener, VerwArch 2000, 374 (379 f.).

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

schaft verbindet sich – wie es das BVerfG ausgedrückt hat – ein „empfindlicher Eingriff in das Grundrecht der individuellen Freiheit des Verhaltens im Wirtschafts- und Arbeitsleben“478. Als Grundrecht mit weitem Schutzbereich ist die allgemeine Handlungsfreiheit auch in weitem Umfang beschränkbar: Sie findet ihre Schranken in der Trias der „verfassungsgemäßen Ordnung“, „der Rechte anderer“ sowie dem „Sittengesetz“ (Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG). Gemessen an diesen Anforderungen sind öffentlich-rechtliche Zwangsverbände immerhin, aber auch nur dann rechtfertigbar, wenn sie durch ein formell479 und materiell verfassungsgemäßes Gesetz gedeckt sind, das legitime öffentliche Aufgaben erfüllt [(unten aa)] und Verhältnismäßigkeitsanforderungen [unten bb)] genügt.480 aa) Erfüllung legitimer Aufgaben Ein Zwangsverband erfüllt nur dann eine legitime öffentliche Aufgabe, wenn an ihrer Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht. Das trifft nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG auf solche Aufgaben zu, die weder allein im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen, welche der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muss.481 Ein abschließender Katalog legitimer öffentlicher Aufgaben existiert nicht. Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu.482 477 BVerfGE 10, 89 (99, 102); 10, 354 (361 f.); 12, 319 (323); 15, 235 (239); 32, 54 (64); 38, 281 (297 f.); BVerfG, NJW 1990, 1653; BVerwGE 39, 110 ff.; 42, 210 f.; 59, 231 (233); 109, 97 ff.; 64, 115 (117); 64, 298 (301); 106, 64 ff.; 107, 169 (170 ff.); 108, 169 ff. 478 BVerfGE 38, 281 (301 f.). 479 Dazu bereits oben S. 102 ff. 480 Darüber hinaus nennen manche als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Verkammerung die Qualifizierung einer Tätigkeit als „freier Beruf“ (zu dem Begriff siehe S. 81 f.) oder eine „Vorbehaltstätigkeit“ (dazu auch S. 88). Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Vorbedingung für die Zulässigkeit einer Kammergründung als solcher. Davon geht auch das BVerfG in seinem Urteil zur Zulässigkeit der Arbeitnehmerkammern in Bremen und im Saarland aus (BVerfGE 38, 281 [299 ff.]). So auch Seewald (Fn. 50), S. 48 f.; zur Diskussion vgl. auch Plantholz, Funktionelle Selbstverwaltung des Gesundheitswesens im Spiegel der Verfassung, 1998, S. 139 ff. Die Freiberuflichkeit der Tätigkeit ist aber gleichwohl für die Zielgenauigkeit des Instruments und damit jedenfalls für die verwaltungspolitische Sinnhaftigkeit des Instruments von erheblicher Bedeutung (vgl. dazu insbesondere S. 77 ff.). Zur rechtlichen Einordnung der Pflegeberufe als „freie Berufe“ vgl. etwa Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (Fn. 33), S. 16; Plantholz (Fn. 348), S. 13 ff. 481 BVerfGE 38, 281 (299); BVerfG, NVwZ 2007, 808 (811); kritisch zu dieser Rechtfertigungsvoraussetzung Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 145 ff.

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Ob Private die anvisierten Aufgaben einer Pflegekammer ebenso wirksam wie eine öffentlich-rechtliche Zwangsvereinigung erbringen können, ist jedoch – jedenfalls bei dogmatisch sauberer Betrachtung – keine Frage der Aufgabenlegitimität. Vielmehr ist dies Voraussetzung für die Erforderlichkeit des grundrechtlichen Eingriffs und daher dort zu untersuchen (dazu unten S. 138 ff.). Die Aufgabenwahrnehmung bleibt nämlich auch dann legitim, wenn Private sie ebenfalls erledigen könnten; es bedarf dann vielmehr keines staatlichen Eingriffs. Anders verhält es sich im Hinblick auf die Frage, ob die Aufgaben einer Pflegekammer der Erledigung durch staatliche Behörden vorbehalten sind. Sie beantwortet sich nach dem Charakter der einer Kammer anzuvertrauenden Aufgaben. (1) Aufgabentrias der Pflegekammern Bei ihrer Aufgabenwahrnehmung sind die Pflegekammern nicht vorrangig den individuellen Präferenzen ihrer Mitglieder verpflichtet. Sie haben stets das Gesamtinteresse der Berufsgruppe im Auge zu behalten und die beruflichen Interessen der einzelnen Pflegefachberufe (Krankenpflege, Kinderkrankenpflege, Altenpflege, Anästhesie- und Intensivpflege, psychiatrische Pflege etc.) abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Der Zweck des pflichtmitgliedschaftlichen Verbandes liegt in der Förderung der gemeinsamen beruflichen Interessen der Mitglieder im weitesten Sinn und in der Gewährleistung ihrer ordnungsgemäßen, dem Allgemeininteresse verpflichteten Berufsausübung.483 Diese Aufgabe spiegelt sich insbesondere auf den Gebieten der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung, des Prüfungswesens, der Förderung pflegewissenschaftlicher Forschung, der Mitwirkung bei der Entwicklung von Studiengängen, der fachlichen Betreuung der Mitglieder, dem Erlass einer Berufsordnung sowie der Aufsichtspflicht hinsichtlich der Einhaltung beruflicher Standards. Bei ihrem Wirken sind die Kammern dem Dreiklang „Standesvertretung, Standesaufsicht und Standesförderung“484 verschrieben.485 Zu den Aufgaben der Standesvertretung gehören insbesondere die Erfüllung gesetzlicher Aufgaben der Berufsorganisationen der Pflege, die Vermittlung der Leistungen und des Nutzens professioneller Pflege gegenüber 482 BVerfGE 38, 281 (302); BVerwG, Buchholz 430.1. Nr. 15 S. 3; BVerwG, NJW 1997, 814 (815); Thieme, Subsidiarität und Zwangsmitgliedschaft, 1962, S. 25 f. 483 Zur Überschneidung mit gewerkschaftlichen Interessen vgl. unten S. 167 ff. 484 Vgl. oben S. 40. 485 Siehe dazu S. 39 ff.

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der Öffentlichkeit und die Beratung des Gesetzgebers, zuvorderst aber die Beteiligung an Gesetzgebungsverfahren. Die (mit der Standesvertretung nicht ganz überschneidungsfreie) Standesförderung umfasst in erster Linie die Errichtung von Fürsorgeeinrichtungen für die Kammermitglieder und ihre Familien sowie das Bereitstellen von Informationen für die Kammermitglieder. Teil der Standesaufsicht ist u. a. die Registerführung, die Verankerung und Durchsetzung einer einheitlichen Berufsethik sowie einer pflegerischen Berufsordnung. Pflegekammern sollen diese Zwecke in erster Linie durch Vorschläge, Gutachten, Stellungnahmen und Berichte sowie durch die Einrichtungen zur Förderung der Berufsgruppe und vor allem durch ihren autonomen Erlass von Satzungen erfüllen.486 Insoweit nimmt eine Pflegekammer aufgrund ihrer besonderen Aufgabenstellung, das gesundheitliche Wohl der Bevölkerung aufrechtzuerhalten und zu fördern, an der Erfüllung einer echten Staatsaufgabe teil, an der der Gemeinschaft gelegen ist. Durch die Übertragung dieser Aufgaben auf die Pflegekammern nimmt der Staat Aufgaben, die seinem sozialstaatlichen Auftrag entsprechen, im Wege mittelbarer Staatsverwaltung wahr.487 (2) Aufgabenerfüllung ausschließlich durch unmittelbare Staatsverwaltung? Zahlreiche Funktionen der Pflegekammer, wie etwa der Erlass berufsrechtlicher Regeln, die Berufsaufsicht, die Qualitätssicherung und die Beratung von Kammerangehörigen, vor allem aber deren Aus- und Fortbildung, kann auch die unmittelbare staatliche Verwaltung wahrnehmen (manche sind gegenwärtig bereits unmittelbar in staatlicher Hand). Sie muss es aber jeweils nicht. Die Aufgabewahrnehmung ist nicht notwendigerweise nur mit einer bestimmten Organisationsform verknüpft. Sie steht auch der Erledigung durch Einheiten funktionaler Selbstverwaltung offen. So erklärt und rechtfertigt es sich auch, dass für bestimmte Berufsgruppen in einzelnen Bundesländern Kammern eingerichtet sind, etwa im Falle der Landwirtschaftskammer, während in anderen Ländern die staatliche Verwaltung die entsprechenden Aufgaben wahrnimmt.488 Um Vorbehaltsaufgaben, die der Staat notwendig durch eigene Behörden wahrnehmen muss, handelt es sich bei den Aufgaben der beruflichen Selbstorganisation, die eine Pflegekammer wahrnehmen soll, demnach nicht.

486 487 488

Vgl. etwa Plantholz (Fn. 348), S. 84. Dazu auch BVerfGE 38, 281 (301). Kluth/Goltz (Fn. 41), S. 34 f.

II. Grundrechte

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(3) Zwischenfazit Die bisherige ehrenamtliche Wahrnehmung der Vertretung pflegerischer Berufsinteressen erscheint dem Gesetzgeber nicht mehr als hinreichend.489 In seinen Augen wird sie den Herausforderungen, vor denen die Pflegeberufe einerseits und die alternde Gesellschaft mit ihrem rasant wachsenden Pflegebedarf andererseits stehen, nicht mit angemessener Professionalität und Kontinuität gerecht. Die meisten Aufgaben einer Pflegekammer, wie z. B. die Registrierung, der Erlass einer Berufsordnung und die Berufsaufsicht, könnten die Länder durch eigene, landesunmittelbare Behörden wahrnehmen. Der Gesetzgeber hält diesen Weg aber nicht für vorzugswürdig. Vielmehr bürgt nach seiner Vorstellung die unmittelbare Sachnähe und Sachkunde der im Wege funktionaler Selbstverwaltung einbezogenen Entscheidungsträger für eine Interessengerechtigkeit und Richtigkeitsvermutung der gefundenen Ergebnisse. Damit können sich zwar aufgrund der Eigeninteressen und Beharrungskräfte des Berufsstandes im Einzelfall strukturelle Effektivitätshemmnisse bei der Durchsetzung solcher politischer Leitvorstellungen des Gemeinwesens verbinden, die durchzusetzen grundsätzlich originäre Aufgabe des Parlaments und staatlicher Behörden ist. Gleichwohl erweist sich die Einschätzung angesichts struktureller Defizite alternativer Regelungsmodelle als nachvollziehbar, ist doch pflegerisches Sachwissen nirgendwo so kompetent gebündelt wie in der Berufsgruppe selbst und hat diese grundsätzlich selbst ein vitales Interesse an der Einhaltung fachlicher Mindeststandards, da ihre Missachtung auf die Berufsgruppe selbst zurückfällt. Diese Einschätzung überschreitet nicht den weiten Spielraum, den die Verfassung dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung seiner Aufgabenwahrnehmung zukommt.490 Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, die berührten Regelungsinteressen durch landesunmittelbare Behörden durchzusetzen, besteht jedenfalls nicht. bb) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als verfassungsrechtliche Nagelprobe Die Wahrnehmung legitimer öffentlicher Aufgaben, die eine Pflichtmitgliedschaft rechtfertigt, markiert den Grund, aber auch die Grenze auferlegter pflichtmitgliedschaftlicher Belastungen. Sie vermittelt keinen Freibrief für eine beliebige Aufgabenübertragung und -wahrnehmung. Pflichtmit489

Zur Gefahr einer Verdrängungswirkung gegenüber bestehenden privaten Anbietern unten S. 175 ff. 490 Vgl. etwa BVerfGE 38, 281 (297) m. w. N.; OVG Bremen, NZW-RR 2005, 429 (429).

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

gliedschaftliche Belastungen stehen unter dem Vorbehalt ihrer Verhältnismäßigkeit. Diese bildet die eigentliche Nagelprobe ihrer Zulässigkeit.491 Der Zwangsverband muss geeignet [unten (1)] und erforderlich [unten (2)] sein, die gesetzgeberisch festgelegten, legitimen Aufgaben492 zu erreichen. Der damit verbundene Eingriff muss ferner in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen der Verkammerung stehen [unten (3)], um Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG zu sein. (1) Geeignetheit zur Erfüllung eines legitimen Ziels, insbesondere Selbstorganisationsfähigkeit der Berufsgruppe? Zur Erfüllung einer legitimen öffentlichen Aufgabe ist die Pflegekammer schon dann geeignet, wenn sie zum gewünschten Erfolg zumindest beiträgt. Es genügt insoweit die Möglichkeit der Zweckerreichung.493 Insbesondere muss das gewählte Mittel nicht das bestmögliche oder geeignetste sein.494 Entsprechend der Sinnlogik der Verkammerung ist eine pflichtmitgliedschaftliche Vereinigung nur dann ihre Ziele zu erreichen geeignet, wenn diese sich als eigene und gemeinsame Angelegenheit der von der Verkammerung Betroffenen qualifizieren lassen und ihnen ein ausreichend großer Gestaltungsspielraum zukommt, der eigenverantwortlich verwaltet werden kann.495 Die Aufgabe muss namentlich selbstverwaltungsfähigen, also organisationsfähigen und vertretungswürdigen gemeinsamen Interessen der Gruppe verschrieben sein [unten (a)], die durch verbindliche Entscheidungen der Kammer für die von der Mitgliedschaft betroffenen Personen verpflichtend wirken können [unten (b)]. (a) Gemeinsamkeit der Interessen Eine Kammer setzt eine vorgeformte Zweckgemeinschaft voraus, die nur noch überformt zu werden braucht.496 Es bedarf mithin eines gemeinsamen Bandes, das die Interessenlagen der Gruppenmitglieder verbindet.

491

Kaltenhäuser (Fn. 269), S. 123. Dazu oben S. 130 ff. 493 BVerfGE 67, 157 (175). 494 BVerfGE 16, 147 (183); 30, 292 (316); 33, 171 (187); 67, 151 (173); 96, 10 (23); Grzesszick, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 20 GG, Rdnr. 112. 495 BVerfG 33, 125 (127 und 159); Kluth/Goltz (Fn. 41), S. 35. 496 Plantholz (Fn. 480), S. 175. 492

II. Grundrechte

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(aa) Disparate Interessenstruktur der Berufsgruppen in der Pflege Die Pflegeberufe vereinen unter einem Begriffsdach eine disparate Gruppe von Berufsträgern mit unterschiedlichen, zum Teil auch gegenläufigen Interessenlagen und berufsspezifischen Herausforderungen. Die Begleitung der körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklung von Kindern erfordert andere Kompetenzen als die krankenpflegerische Akutversorgung von Patienten in einem hoch technisierten Klinikalltag; diese verlangt Pflegekräften wiederum andere Kompetenzen ab als die Langzeitbetreuung multimorbider älterer Menschen durch Altenpfleger. Nicht nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die Aufstiegschancen und die Weiterbildungsmöglichkeiten unterscheiden sich beispielsweise bei Krankenpflegern und Altenpflegern. Das kann dem Versuch einer einheitlichen Willensbildung der vielschichtigen Interessen Grenzen setzen. Er mündet dann, wenn die strukturellen Voraussetzungen hinreichender gemeinsamer Interessen und gruppeninterner Willensbildung fehlen, in eine demokratietheoretische Fiktion der Einheitlichkeit, die den Realitäten der beruflichen Interessen keineswegs entsprechen muss.497 Dass schon zwischen den bislang bestehenden privatrechtlich organisierten Interessenvertretungen der Pflegeberufe keine Interessenhomogenität auszumachen ist, spricht insoweit nicht für, sondern im Grundsatz eher gegen eine Verkammerung.498 Denn die Kammer ist nur ein Abziehbild der disparaten Interessenlagen ihrer Mitglieder. Je uneinheitlicher die Interessenlagen der zu einer Selbstverwaltungseinheit zusammengeschlossenen Mitglieder sind, umso höher sind die Anforderungen an ihre innere Verfassung. Im Interesse einer umfassenden Förderung und Vertretung der Interessen aller in ihr vertretenen Gruppen muss eine pflichtmitgliedschaftliche Organisation einen binnenpluralen, demokratischen Willensbildungsprozess gewährleisten.499 Eine inhomogene Struktur der in einer Kammer vertretenen Interessen 497

Vgl. dazu bereits oben S. 97. Anders Seewald (Fn. 50), S. 95. 499 Die Wahrnehmung eines Gesamtinteresses mag prima facie zunächst als eine Fiktion erscheinen. Denn die wirtschaftliche Betätigung der betroffenen Pflegeberufe kann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Die konkreten Einzelinteressen der Kammermitglieder können sogar gegenläufig sein (vgl. BVerwG, DVBl. 1999, 47 [49] sowie oben S. 97 ff.). Das ist jedoch weniger eine Frage der Geeignetheit der Verkammerung an sich als der dort intern vorgesehenen Willensbildungsinstrumente. So erfordern staatliche Maßnahmen, die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Betätigung setzen, gerade keine Berücksichtigung konkreter Einzelinteressen, sondern sind vielmehr auf eine Gesamtbewertung aller Interessen angewiesen. Die Aufgabe, diese Gesamtbewertung vorzunehmen, darf der Gesetzgeber grundsätzlich dem internen Willensbildungsprozess einer Kammer anvertrauen (BVerwG, DVBl. 1999, 47 [49]). Daneben sichert die Pflichtmitgliedschaft die Unabhängigkeit dieses Willensbildungsprozesses: Die Drohung, die Mitgliedschaft bei einem entsprechenden Beschluss zu kündigen, verfängt in einer pflichtmitgliedschaftlich verfassten Organi498

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

kann die gesetzliche Regelung entsprechender Organisations- und Verfahrensmechanismen zum Schutz von Minderheiten erforderlich machen, damit Selbstverwaltung nicht zur Fremdverwaltung wird.500 (bb) Hinreichende große Interessenschnittmenge Voraussetzung für eine Verkammerung ist aber weder die Uniformität noch die Homogenität der Interessen. Der Gedanke der Selbstverwaltung lebt gerade von dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Zielvorstellungen und Ideen. Geboten ist lediglich eine hinreichende Schnittmenge der Interessenlagen, welche die Gruppenmitglieder zu einem gemeinsamen Ziel miteinander verbindet. Die Größe der sozialen Gruppe und ihr innerer Zusammenhalt sind dabei weniger entscheidend als ihre Verbundenheit in der Zielsetzung. So hat das BVerfG sogar die Förderung der Arbeitnehmerinteressen über Berufsgruppen hinweg als legitime, Kammerlasten grundrechtlich rechtfertigende Aufgabe mit einem hinreichend großen gemeinsamen Nenner anerkannt.501 Für die Gruppe der Pflegeberufe muss dies als eine Teilmenge der Arbeitnehmerschaft dann erst recht gelten. Eine gemeinsame selbstverwaltende Interessenvertretung der Pflegeberufe502 zielt insbesondere in legitimer Weise darauf, den genossenschaftlichen Gedanken wechselseitiger Kooperationsvorteile fruchtbar zu machen, den Friedrich Wilhelm Raiffeisen in die Worte gekleidet hat: „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen Viele gemeinsam“. Die Vereinigung soll diejenigen Herausforderungen sachgerecht bewältigen, vor denen alle Pflegesation nicht. Das sichert die Kammer gegen internen Druck ihrer Mitglieder ab, bringt sie allerdings strukturell in die Gefahr einer Entfremdung von den Interessen ihrer Mitglieder und umgekehrt einer Entfremdung ihrer Mitglieder von ihrer Organisation (vgl. Löwer, GewArch 2000, 89 (97); ferner S. 87 f.). 500 Vgl. Axer, Die Verwaltung 35 (2002), 377 (390); Hill/Martini, Exekutivische Normsetzung und andere Formen exekutivischer Selbstprogrammierung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 2. Aufl. 2012, § 34, Rdnr. 31. 501 BVerfGE 38, 281 (299 ff.). 502 Kritisch aber bereits zur Frage, ob die Interessenvertretung durch öffentlichrechtliche Körperschaften tatsächlich eine legitime Aufgabe darstellt, Redeker, JZ 1954, 625 (628); ders., NJW 1980, 187; ders. (Fn. 268), 1267: Die Interessenvertretung sei in der Ordnung des Grundgesetzes nicht Aufgabe des Staates, sondern müsse ohne dessen Einmischung von zivilgesellschaftlichem Engagement getragen sein. Der Bürger könne seine eigenen Interessen nur selbst vertreten, es handle sich somit um eine zutiefst private Angelegenheit und liege damit nicht in der Interessensphäre des Staates. Die Grundprämisse dieses Ansatzes verfängt im Ergebnis nicht: Ziel einer Verkammerung ist es nicht, die wirtschaftlichen Einzelinteressen des Bürgers, sondern das Gesamtinteresse des Berufsstandes zu ermitteln, Goltz (Fn. 434), S. 73; vgl. zu dieser Diskussion Plantholz (Fn. 348), S. 78, 82 ff.

II. Grundrechte

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berufe gemeinsam stehen. Dazu kann die Schaffung einer tragfähigen Organisation mit entsprechender Personal- und Finanzausstattung der Organe und ihrer Repräsentanten ebenso gehören wie die Vorhaltung berufspolitischer Fachlichkeit, um die Kontinuität der berufsfachlichen Arbeit und ein institutionelles Gedächtnis pflegerischen Sachverstands zu gewährleisten.503 (b) Wirtschaftliche Selbstorganisationsfähigkeit Die Förderung der gemeinsamen beruflichen Interessen, die eine Berufskammer intendiert, ist am ehesten dann verbürgt, wenn die Berufsträger in der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen weitgehend frei sind. Die Kammern der freien Berufe sind zu einer solchen Selbstorganisation, welche die Selbstverwaltung voraussetzt, ohne Weiteres in der Lage. Für die Pflegeberufe ist das hingegen nicht in gleichem Maße gesichert. Denn ihre Angehörigen sind typischerweise abhängig Beschäftigte, die ihre Arbeitsbedingungen nicht vollständig frei gestalten, sondern dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterworfen sind. Dieses ist Ausdruck der Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb des Arbeitgebers und des arbeitsvertraglich eingeräumten, konkretisierenden Leistungsbestimmungsrechts, welches eine entsprechende Organisationsgewalt impliziert. Unselbstständig Beschäftigte müssen ihre Arbeitsbedingungen mit ihren Arbeitgebern auf der Grundlage der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG verhandeln. Die Auferlegung von Weiterbildungsverpflichtungen, die eine Pflegekammer ersinnt, bleibt bspw. so lange ein Torso, wie diese Verpflichtungen weder alleine in der Freizeit ableistbar noch gegenüber den jeweiligen Arbeitgebern durch entsprechende dienstliche Freistellungsansprüche durchsetzbar sind.504 Bei manchen der berufspolitischen Vorstellungen, welche die Pflegekammer entwickelt, stößt sie insoweit an faktische Umsetzungsgrenzen. Aufgrund ihrer Verfasstheit als (Zwangs-)Zusammenschluss ganz überwiegend abhängig Beschäftigter ist die autonome wirtschaftliche Gestaltungs- und Durchsetzungsmacht ihrer Mitglieder geschwächt. Die Aufgaben, welche die Pflegekammer verfolgen soll, sind daher in besonderer Weise darauf zu durchleuchten, ob sie die selbst gesetzten Ziele vor diesem Hintergrund zu erreichen vermag. Angesichts des niedrigen Maßstabs, der an die Geeignetheit als Baustein der Verhältnismäßigkeit anzulegen ist, stellen mögliche Zweckstörungen die Geeignetheit allerdings nicht zwingend infrage. Sie machen die Etablierung 503

Igl (Fn. 24), S. 113. Entsprechend ihrer Natur als Selbstverwaltungskörperschaften können Pflegekammern Pflichten nur gegenüber den der Satzungsgewalt unterworfenen eigenen Mitgliedern begründen, nicht aber gegenüber Dritten, die außerhalb des Verbandes stehen. Entsprechend bleibt ihre Verpflichtungsmacht begrenzt. Vgl. dazu auch S. 186 ff. 504

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

einer Pflegekammer nur dann ungeeignet, wenn diese das Ziel einer Förderung der Standesbedingungen gar nicht zu erreichen in der Lage ist. Die Wirkmacht der Pflegekammer ist zwar aufgrund der Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Abhängigkeit, unter denen die Berufsangehörigen ihre Tätigkeit versehen, im Vergleich zu einer beruflichen Selbstorganisation von Freiberuflern reduziert. Trotzdem kann die berufliche Selbstorganisation in einer Pflegekammer noch ihren inneren Sinn, die Interessenvertretung gegenüber anderen Berufsgruppen des Gesundheitswesens sowie dem Gesetzgeber und die Qualitätssicherung pflegerischer Leistungen, erfüllen. Es bleiben Einwirkungsmöglichkeiten nach innen auf die eigenen Berufsgenossen wie auch nach außen auf den politischen Prozess und die gesellschaftliche Wahrnehmung durch die Standesvertretung. Sie muss sich an ihrem eingeschränkten Einflussradius freilich auch in ihrer rechtlichen Gestaltung festhalten lassen.505 (2) Erforderlichkeit Grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahmen des Staates sind nur dann Bestandteil der verfassungsgemäßen Ordnung, wenn sie erforderlich sind; unter mehreren zur Verfügung stehenden, zur Zielerreichung gleichermaßen geeigneten Möglichkeiten muss der an sein grundrechtliches Freiheitsversprechen gebundene Staat dasjenige Mittel wählen, das die geschützten Rechtspositionen am wenigsten beeinträchtigt.506 Einer Kammer darf der Gesetzgeber mithin solche Aufgaben grundsätzlich nicht zuweisen, die andere, grundrechtsschonendere Organisationsformen besser oder gleichermaßen gut zu erledigen in der Lage sind. (a) Erforderlichkeit der Kammergründung Auf drei Wegen könnte der Gesetzgeber womöglich seine Ziele einer Förderung beruflicher Selbstorganisation auch in anderer Weise erreichen, ohne die Grundrechte der Betroffenen in gleichem Maße zu beeinträchtigen: unmittelbar durch staatliche Behörden [unten (aa)], durch die Aufgabenwahrnehmung mithilfe anderer Träger der Selbstverwaltung bzw. private Selbstorganisation ohne Beitrittszwang [unten (bb)] oder durch eine Zwangsorganisation, deren Beitrittszwang von der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der betroffenen Grundrechtsträger abhängt [unten (cc)]. 505 Das wirkt sich vor allem auf die begrenzte Verpflichtungsmacht im Verhältnis zu Arbeitgebern bzw. Leistungsträgern der Sozialversicherung aus (dazu S. 186 ff), ferner auf die verwaltungspolitische Sinnhaftigkeit der Einrichtung einer Pflegekammer. Vgl. dazu bereits S. 77 ff. 506 BVerfGE 53, 135 (145 f.); 67, 157 (177); 68, 193 (216).

II. Grundrechte

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(aa) Aufgabenerfüllung durch staatliche Stellen Nicht jede der in der Diskussion um die Einrichtung einer Pflegekammer als essenziell genannten Aufgaben rechtfertigt bereits als solche die mit ihr verbundenen grundrechtlichen Beeinträchtigungen. Das gilt insbesondere für die Aufgabe der Registrierung aller Pflegenden. Diese lässt sich – ähnlich wie bei anderen Berufsgruppen – ohne Weiteres außerhalb einer Selbstverwaltungseinrichtung sicherstellen. Sie ist nicht nur dem Staat nicht vorbehalten (dazu oben S. 132), sondern lässt sich auch grundrechtsschonender als durch eine Selbstverwaltungseinrichtung bewältigen. Deutlich wird das etwa an dem Vergleich mit der für Gewerbetreibende bestehenden, bußgeldbewehrten Anzeigepflicht (§ 14 GewO). Sie befriedigt das Bedürfnis nach einer Erfassung aller in einem beruflichen Sektor Tätigen ebenso grundrechtsschonend wie effektiv. Sie setzt insbesondere keine Mitgliedschaft in einem Pflichtverband voraus. Für den Bereich krankenpflegerischer Tätigkeiten besteht in Bayern bereits nach Art. 18 des Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetzes (GDVG) eine gesetzliche Anzeigepflicht für Personen, die gegen Entgelt krankenpflegerische Tätigkeiten erbringen oder anbieten.507 Der zusätzlich mit der Einbindung in die Kammerorganisation und ihre Finanzierung erfolgende Eingriff in die grundrechtliche Freiheit der Pflegenden ist insoweit nicht durch besondere, im Verhältnis zur Anzeigepflicht gegenüber staatlichen Behörden bestehende Vorteile der Selbstorganisation gerechtfertigt. Zur Wahrnehmung der Aufgaben der Weiterbildungsregulierung, etwa der Anerkennung von Weiterbildungsstätten und der Regelung von Weiterbildungsabschlüssen, sowie einer Berufsaufsicht, die der Pflegekammer übertragen werden soll, sind die staatlichen Stellen ebenfalls berufen und grundsätzlich in der Lage. Die meisten Bundesländer haben Weiterbildungsordnungen, manche508 haben auch Berufsordnungen für Pflegekräfte erlassen. Zusätzlich greifen bei den regelmäßig abhängig beschäftigten Mitgliedern der Pflegekammer – anders als bei verkammerten Freiberuflern – dienstrechtliche Sanktionsmechanismen. Die Frage nach einem besonderen Bedürfnis für eine zusätzliche Berufsaufsicht stellt sich daher bei dieser Berufsgruppe mit besonderer Dringlichkeit.

507 Art. 18 GDVG bezieht sich dabei – wie die Wendung „gegen Entgelt“ andeutet – auf die selbstständige Erbringung der Tätigkeit. Das ergibt sich auch aus Abs. 2: Das Tätigwerden abhängig Beschäftigter hat der Arbeitgeber für seine Angestellten anzuzeigen. 508 Vgl. etwa Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz über die Berufsausübung von Pflegekräften vom 30.11.2012, SächsGVBl. Nr. 16 vom 15.12.2012, S. 696.

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

Zielt der Gesetzgeber aber gerade auf eine selbstorganisatorische Aufgabenwahrnehmung, vermag eine staatliche Aufsicht diese nicht in gleicher Weise wirksam zu erfüllen.509 Denn eine Selbstverwaltungsstruktur gewährleistet die Einbindung des in der Gruppe selbst vorhandenen Sachverstandes ihrer Natur nach eher als eine staatliche Aufsicht. Diese erweist sich gegenüber der partizipativen Form der Mitwirkungsmöglichkeit in einer Kammer auch nicht generell als grundrechtsschonender. Denn sie bezieht die Freiheitserwartungen der Mitglieder nicht in gleichem Maße in die Entscheidungsfindung ein. Insbesondere vermag sie eine sachgerechte und durchsetzungsstarke Vertretung der beruflichen Interessen Pflegender – und damit eine der zentralen Zielsetzungen einer Pflegekammer (vgl. dazu oben S. 36 ff.) – nicht zu erreichen. Eine Aufgabenwahrnehmung durch staatliche Behörden erweist sich insoweit nicht als gleichermaßen wirksames Mittel. (bb) Aufgabenerfüllung durch private Selbstorganisation Die grundrechtsschonende Mitgestaltung der Angelegenheiten, die alle Mitglieder der Pflegeberufe berühren, lässt sich grundsätzlich durch diejenigen Verbände erreichen, welche die Pflegeberufe bereits bisher in ihren Interessen vertreten. Diese Organisationen können teilweise auf eine lange Tradition zurückblicken und weisen mitunter auch eine kritische Schlagkraft auf. Insoweit sticht vor allem der Deutsche Pflegerat als Bundesarbeitsgemeinschaft der Pflegeorganisationen heraus. Ihm gehören 15 Berufsorganisationen der Pflege an.510 Deren Positionen beansprucht der Pflegerat zu koordinieren und in ihrer politischen Durchsetzung zu steuern.511 Wenn die Mobilisierungskraft der privaten Verbände die gesetzten Ziele in gleicher Weise zu erreichen vermag, lassen sie die Zwangswirkung eines öffentlichrechtlichen Verbandes entbehrlich werden.512

509

Vgl. dazu auch Kluth (Fn. 115), S. 327 f. Vgl. www.deutscher-pflegerat.de/mitgliedsverbaende.html (13.7.2013). 511 Dazu, dass öffentlich-rechtliche Zwangsverbände deren Betätigungsfreiheit und damit diese selbst in ihrer Existenz gefährden können, im Einzelnen S. 166. 512 In diesem Sinne auch ausdrücklich BVerfGE 38, 281 (303): „Bei echter Konkurrenz der solchen Körperschaften zugedachten Aufgaben mit solchen, die von frei gegründeten Vereinigungen ebenso gut erfüllt werden können, kann der in der Pflichtmitgliedschaft liegende Eingriff in die Freiheit des Einzelnen sich als übermäßig, weil nicht unbedingt erforderlich, und deshalb als verfassungswidrig erweisen.“ 510

II. Grundrechte

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(a) Bestehende Mitwirkungsrechte der Berufsverbände in der sozialen Pflegeversicherung In der Konzeption der sozialen Pflegeversicherung ist die Mitwirkung der privaten Berufsverbände an der Selbstverwaltung als Modell einer kooperativen Erzeugung rechtsverbindlicher Vorstellungen bereits angelegt. Der Gesetzgeber hat mit derartigen Verbänderegelungen in der Vergangenheit grundsätzlich513 gute Erfahrungen gesammelt. Gerade im Bereich der sozialen Pflegeversicherung hat er sie daher in jüngerer Zeit weiter ausgebaut.514 Der Gesetzgeber greift damit auf das bei den für die Gestaltung und Entscheidungsfindung verantwortlichen Gruppen geronnene Wissen zurück, um es für die gemeinwohlorientierte Gestaltung sozialversicherungsrechtlicher Rechtsbeziehungen fruchtbar zu machen. Wichtige Aufgabenfelder sollen auf diese Weise denjenigen anvertraut werden, die aufgrund ihrer unmittelbaren Befassung mit den relevanten Fragen über die höchste Sachkompetenz verfügen.515 Die Entscheidungsfindung ist dann das Ergebnis des konstruktiven Diskurses und des Aushandlungsprozesses, insbesondere der Pflegekassen, der Berufsträger und der Leistungserbringer, dem der Gesetzgeber die Vermutung der Ausgewogenheit und hinreichender Interessenrepräsentanz unterlegt. Der infolge einer vertraglichen Vereinbarung entstehende autonome Ausgleich von Interessen bürgt nach der Vorstellung des Gesetzgebers – ähnlich wie bei Tarifverhandlungen – für die Richtigkeit der getroffenen Sachentscheidung. Den erst eingeschlagenen Weg einer Einbindung der Pflegeverbände in den korporatistischen Entscheidungsfindungsprozess könnte der Gesetzgeber weiter beschreiten und in seinen Auswirkungen evaluieren, bevor er einer Pflegekammer Aufgaben zuweist und mit staatlicher Zwangsmacht die Entfaltungskraft privater Gruppenbildung notwendig ein Stück weit untergräbt.516 Dieser Ansatz trüge auch dem in der Verfassung angelegten Grundprinzip freier sozialer Gruppenbildung besser Rechnung als eine staatlich induzierte Willensbildung einer Zwangsvereinigung.517 513 Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Als konstruktiver Fehlschlag darf die Pflege-Transparenzvereinbarung gelten, welche die Vertragsparteien zur Ausgestaltung des so genannten Pflege-TÜV auf der Grundlage des § 115 Abs. 1a S. 6 SGB XI entwickelt haben. Siehe zu deren Konstruktionsmängeln Martini/Albert, NZS 2012, 201 (203 f.). 514 Vgl. dazu im Einzelnen oben S. 92 ff. 515 Diesem Grundgedanken ist auch und erst recht die Verkammerung der Pflegeberufe verpflichtet. Sie perfektioniert das in Verbändevereinbarungen angelegte Konzept der Interessenvertretung durch eine Repräsentativitätsanforderungen genügende institutionelle Verfestigung (dazu auch im Einzelnen unten S. 144 ff.). Sie erkauft dies jedoch um den Preis, das in Art. 9 Abs. 1 GG angelegte Prinzip freier sozialer Gruppenbildung umzukehren.

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

Allerdings sind einer Betrauung Privater mit normativer Macht enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Normative Gestaltungsmacht darf der Gesetzgeber nur demokratisch legitimierten Instanzen anvertrauen und sich seiner Aufgabe als Gravitationszentrum normativer Willensentscheidungen nur in den Grenzen des Art. 80 Abs. 1 GG und der Wesentlichkeitslehre entledigen. Der Gesetzgeber muss mithin einerseits selbst die Anforderungen an „Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung“ bestimmen und grundrechtswesentliche Fragen aufgrund des verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts einer parlamentsgesetzlichen Regelung zuführen.518 Andererseits ist eine Delegation von Rechtssetzungsmacht nur insoweit gerechtfertigt, als die Normsetzenden für eine vollständige Interessenrepräsentation und einen binnendemokratischen Willensbildungsprozess bürgen.519 Das setzt struktursichernde Steuerungsvorgaben voraus, die ein Mindestmaß demokratischer Legitimation und Repräsentativität herstellen. An dieser Gewähr mangelt es privaten Berufsverbänden. Sie können die Interessen ihrer Mitglieder, nicht aber einer gesamten Berufsgruppe wirksam und mit dem Anspruch demokratischer Absicherung vertreten. (b) Universales Aufgabenverständnis der bestehenden Berufsverbände Auch jenseits gesetzlicher Aufgabenzuweisungen nehmen die bestehenden privaten Organisationen in wichtigen Teilbereichen bereits einige Aufgaben wahr, die einer erst noch zu gründenden öffentlich-rechtlichen Pflegekammer zugedacht sind. So hat der Deutsche Pflegerat e. V. eine Rahmen-Berufsordnung für professionell Pflegende erstellt, die ihre Mitgliedsverbände bindet.520 In ähnlicher Weise hat der Verband der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz e. V. berufsethische Grundsätze verabschiedet521 – wie auch die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen e. V. – und eine Berufsordnung für professionell Pflegende auf den Weg gebracht522. Sogar die Registrierung der 516 Vgl. zu den Auswirkungen einer Pflegekammergründung auf die Wahrnehmung der kraft des SGB V und XI den Berufsorganisationen der Pflege zugewiesenen Mitwirkungsrechte oben Fn. 365. 517 In diesem Sinne für Arbeitnehmerkammern auch BVerfGE 38, 281 (302). 518 Dazu etwa Martini, AöR 2008, 155 (161 mit Fn. 24). 519 BVerfGE 37, 1 (27 f.); 107, 59 (90); Martini/Albert (Fn. 358), 249. 520 Deutscher Pflegerat e. V., Rahmenberufsordnung für professionell Pflegende vom 18.5.2004, abrufbar unter http://www.deutscher-pflegerat.de/dpr.nsf/0/3F6CE4 D95D84F8EDC12572B9003A1EF2 (14.8.2012). 521 Verband der Schwesternschaften vom DRK e. V., Berufsethische Grundsätze der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz, 2012, abrufbar unter www. rotkreuzschwestern.de/leitbild.html (15.8.2013).

II. Grundrechte

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Pflegeberufe als eine der für die Pflegekammern als essenziell genannten Aufgaben haben die Berufsverbände der Pflegeberufe bereits in Angriff zu nehmen begonnen: Unter „www.Freiwillige-Registrierung.de“ hat der Deutsche Pflegerat e. V. eine Initiative zur Erfassung der Mitglieder von Pflegeberufen gestartet. Kenner der Materie bescheinigen den bisherigen Pflegeorganisationen auch im Vergleich zu den anderen Heilberufen eine besondere Intensität der Beschäftigung mit berufsethischen Grundsätzen und Berufsordnungen.523 Igl als einer der prominentesten Befürworter einer Pflegekammer betont, dass bei einem Vergleich der „in einigen Gesetzesentwürfen zu Pflegekammern formulierten Aufgaben und Zielen von Pflegekammern [. . .] mit den Vereinszielen repräsentativer Pflegeverbände und insbesondere mit den Vereinszielen des Deutschen Pflegerats“524 (. . .), „auf den ersten Blick keine Aufgabe festzustellen ist, die nicht auch in privatrechtlicher Form zu erledigen wäre“525. Hinsichtlich der Art der Aufgaben unterscheiden sich die Tätigkeiten und Selbstverständnisse der Pflegeberufsverbände insoweit kaum. Als nicht erforderlich erweist sich die Pflegekammer auch vor dem Angesicht dieser Prämisse aber nur, wenn die privaten Organisationsformen durch ihren Organisationsgrad und ihre Wirkungsbreite die Aufgaben der Pflegekammer in der vom Gesetzgeber anvisierten Intensität zu erreichen 522 Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen e. V., Berufsordnung für professionell Pflegende, 2004, abrufbar unter http://www. ads-pflege.de/BO_Nachdruck2004.pdf (14.8.2013). 523 Igl (Fn. 24), S. 104. 524 Der Deutsche Pflegerat bekennt sich in § 2 Nr. 2 seiner Satzung zu dem Ziel „der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Gesundheitspflege“ sowie der „Förderung der beruflichen Bildung im Bereich des Gesundheitswesens“. Er versteht es als seinen zentralen Auftrag, „eine nachhaltige, qualitätsorientierte Gesundheitsversorgung der Bevölkerung“ sicherzustellen. Der Gemeinwohlbezug gehört damit zum Selbstverständnis der Organisation. Die Maßnahmen, welche die Organisation zu diesem Zweck in den Blick nimmt, lesen sich wie das Satzungsprogramm einer Pflegekammer: Als Instrumente zur Erreichung der selbst gesetzten Ziele nennt die Satzung insbesondere die „Darstellung der Bedeutung und des Nutzens professioneller Pflege und des Hebammenwesens“, die „Beratung der politischen Gremien auf Bundesebene in allen Fragen im Kontext Gesundheit und Pflege sowie für beruflich Pflegende und die Bevölkerung“, die „Initiierung und Förderung von Qualitätsentwicklung in allen berufsrelevanten Feldern des Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesens“, die „Förderung des Berufsnachwuchses und der Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe“ sowie die „Förderung der Kompetenzen der Berufsangehörigen durch Konzeptionierung und Umsetzung von Bildungsangeboten“ (§ 2 Nr. 3 der Satzung des Deutschen Pflegerates). 525 Igl (Fn. 24), S. 113. Ebenso Roßbruch (Fn. 209), 10. Insoweit überzeugt die Einschätzung von Hanika/Mielsch/Schönung (Fn. 288), 214 nicht, dass „Pflegekammern keine Konkurrenz zu den bestehenden Verbänden, Organisationen und Gewerkschaften“ darstellen, „da diese ganz andere Aufgabenstellungen zu erfüllen haben“.

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

vermögen. Das Maß des zu erreichenden Schutzniveaus festzulegen, obliegt dabei dem Gesetzgeber als Teil seiner politischen Gestaltungsfreiheit. (g) Umfassende und gleichmäßige Interessenrepräsentation als Proprium der Kammern Die Entdeckungsfunktion eines Wettbewerbs unterschiedlicher Verbände kann die Pluralität der vertretenen unterschiedlichen Meinungen einerseits grundsätzlich realitätsgerechter abbilden als ein in seinem Zuschnitt zu groß geratener Zwangsverband. Dieser läuft Gefahr, die Einheitlichkeit der Willensbildung seiner Mitglieder nur zu suggerieren und die (naturgemäße) Disparität der Positionen unter Rückgriff auf das Etikett einheitlicher Willensbildung zu kaschieren.526 Dass die bisherigen Berufsverbände nur die jeweiligen Mitglieder spezifischer Pflegeberufe adressieren, muss insoweit nicht von Nachteil für die sachgenaue Zielerreichung sein.527 Je geringer die Schnittmenge der gemeinsamen Interessen von Mitgliedern einer Berufsorganisation ist, umso schwächer ist grundsätzlich auch die Zielgenauigkeit der Arbeit des Verbandes, die Zufriedenheit seiner Mitglieder und die Kohärenz der Interessen, auf die der Verband als Organisation aufbaut. Die Schlagkraft eines Verbandes muss insoweit keineswegs unter seiner spezifischen Zweckorientierung leiden. Vielmehr verhalten sich beide sogar regelmäßig direkt proportional zueinander. Dass auch ein Potpourri von Verbänden in dem Wettstreit der Positionen ein Stimmungsbild der betroffenen Berufsgruppe hervorzubringen vermag, macht als solches eine Pflegekammer indes noch nicht entbehrlich. Entscheidend ist, ob die privaten Organisationen in der Lage sind, die Aufgaben einer Pflegekammer mit dem gleichen Grad an Zielgenauigkeit zu erfüllen. Für die Beurteilung dieser Äquivalenz ist es – wie das BVerfG zu Recht betont hat – „nicht zulässig, aus dem Gesamtzusammenhang Aufgaben herauszugreifen, die – isoliert betrachtet – auch von privaten Verbänden oder von staatlichen Behörden wahrgenommen werden könnten“528. Entscheidend ist die Gleichwertigkeit zur nachhaltigen Zielerreichung in einer das gesamte Aufgabenspektrum umfassenden Perspektive.

526 In diesem Sinne auch Gallwas (Fn. 124), 64 ff. Dieser Aspekt streitet tendenziell für eine Sparten- statt für eine Einheitskammer; dazu bereits oben S. 97 ff. 527 A. A. Seewald (Fn. 50), S. 95 f.; vgl. auch oben S. 97 ff. 528 BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (337).

II. Grundrechte

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(aa) Unterschiede zwischen Kammern und Verbänden Privaten Berufsverbänden wie pflichtmitgliedschaftlichen Kammern sind eine besondere Sachnähe der Aufgabenwahrnehmung und die Fähigkeit zur Abbildung eines Gruppenwillens eigen. Denn sie eröffnen jeder Teilgruppe die Möglichkeit zur Artikulation ihrer Interessen in einem Verfahren kooperativer Konkretisierung der Verbandsinteressen. Die Pflegekammer nimmt die Aufgabe einer Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen für die Mitglieder der Pflegeberufe nicht nur in einer anderen institutionellen Gestalt, sondern auch mit einem anderen Verbindlichkeitsanspruch als private Organisationen und staatliche Behörden wahr: Sie setzt auf das Instrument gleichmäßiger und umfassender Interessenrepräsentation aller Beteiligten. Ihr besonderer Wert liegt darin, die Vielfalt der in der betroffenen Gruppe vertretenen Interessen verzerrungsfrei widerspiegeln zu können. Das verschafft ihr als selbstverwaltungskörperschaftlich verfasster Interessenvertretung aller Berufsträger die Legitimität, ihre Mitglieder rechtlich bindend zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichten zu dürfen. Im Unterschied dazu sind Berufsverbände bei der Interessenwahrnehmung lediglich dem in ihrer Satzung privatautonom festgelegten Zweck verpflichtet.529 Das eröffnet ihnen die Möglichkeit, ihre Mitgliederinteressen nachdrücklich und auch einmal mit – zumindest in der medialen Landschaft Vorteile verheißenden – plakativen sowie einseitigen Äußerungen in Szene zu setzen. Da sie nicht an das Gebot der Sachlichkeit gebunden sind, können sie Interessen einzelner Gruppen in der Außendarstellung ein Gewicht einräumen, das ihnen – objektiv im Verhältnis zu anderen Interessen – nicht zukommt. Als spezifische Interessenvertreter können sie Themen leichter, flexibler und öffentlichkeitswirksamer darstellen als die Kammer. Die Organe der Kammer unterliegen bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit demgegenüber inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Beschränkungen. Diese sollen sicherstellen, dass die Stellungnahmen und die die Berufsgruppe bindenden Beschlüsse der Kammern repräsentative Abbilder der berufsgruppenspezifischen Meinungsbildung sind, das Gesagte also tatsächlich mit dem Mehrheitswillen der Betroffenen übereinstimmt und eine unzumutbare Benachteiligung anderer Berufsgruppen ausbleibt. Das legitimiert ihren Anspruch, nach außen mit einer Stimme zu sprechen.530 Nur unter dieser Prämisse ist es auch gerechtfertigt, den Kammern das Privileg anzuvertrauen, 529 Kluth, Kammern und Verbände – Rechtliche Rahmenbedingungen für die Konkurrenz und die Zusammenarbeit von Kammern und Verbänden sowie ein Vergleich der Legitimationsordnung, in: ders. (Hrsg.), Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts 2010, 2011, S. 13 (34). 530 Heusch (Fn. 137), S. 142.

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einheitliche, für alle Berufsmitglieder verbindliche Qualitätsmaßstäbe zu verankern. Private Berufsverbände können zwar einen einheitlichen Qualitätsstandard als Zielstandard entwickeln, dürfen diesen keinesfalls aber mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit durchsetzen. Sie können lediglich für sich reklamieren, die Interessen ihrer eigenen Mitglieder zu vertreten. Ihren Stellungnahmen kommt daher auch nicht die gleiche Authentizität und damit das gleiche Gewicht zu; damit gehen zugleich Funktionsverluste bei der Beratung staatlicher Organe einher. (bb) Strukturelle Voraussetzungen vollständiger und gleichmäßiger Interessenrepräsentation Die Gleichmäßigkeit und Vollständigkeit der Interessenrepräsentation setzt einerseits die Einbeziehung aller von den gemeinsamen Aufgaben betroffenen Personen voraus, ist doch nur so eine objektive und umfassende Vertretung der Belange aller Pflegekräfte in der institutionellen Struktur einer Selbstverwaltungsorganisation gewährleistet.531 Andererseits muss der Gesamtheit der Mitglieder maßgeblicher Einfluss auf das Handeln der Selbstverwaltungskörperschaft erhalten bleiben.532 Die Aufgaben- und Handlungsbefugnisse der Organe müssen in einem parlamentarischen Gesetz ausreichend programmiert sein und der Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegen.533 Das immunisiert die Kammern stärker als Berufsverbände gegen die Versuchung, sich dem Druck einzelner einflussreicher Mitglieder zu beugen, und stärkt die innerverbandliche demokratische Willensbildung. Das Gebot interessenunabhängiger und vollständiger Repräsentation der Mitglieder der Pflegeberufe schließt auch ein, dass die Besetzung der Vertretungsgremien so zugeschnitten ist, dass sie ein tatsächliches Abbild der unterschiedlichen Meinungsströme und Zielvorstellungen der Mitglieder erzeugt. Ein Vorrang bestimmter Gruppen bei der Beschickung der Vertretungsorgane ist damit nicht vereinbar. Das gilt auch für Gewerkschaften und Berufsvereinigungen.534 Zwar gelten sie kraft ihrer professionellen Erfahrung als „geborene Wahlparteien“ für Pflegekammern.535 Mit ihrer besonderen Affinität zu den Aufgaben einer Pflegekammer darf sich allerdings keine Majorisierung oder Privilegierung gegenüber anderen in den 531

Vgl. BVerfGE 15, 235 (243); 38, 281 (310); BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (337); vgl. dazu auch Kluth (Fn. 115), S. 458 ff. 532 BVerfGE 107, 59 (94). 533 BVerfGE 107, 59 (94). 534 Dazu auch bereits oben S. 90 ff. 535 Zacher (Fn. 391), S. 34 f.

II. Grundrechte

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Pflegekammern und ihren Organisationen vertretenen Gruppen ergeben. Das gilt insbesondere für die Urwahl als Initialzündung eigener Meinungsbildung der Kammerangehörigen. Als bedenklich erweisen sich insoweit Vorschriften, die exklusive Vorschlagsrechte bestimmter Gruppen für den Gründungsausschuss einer Pflegekammer oder die Gremien der Pflegekammer selbst vorsehen. Der Entwurf eines Gesetzes für eine bayerische Pflegekammer (namentlich Art. 103a BayHKaG-E536) enthält eine solche Regelung. Der Gründungsausschuss für eine Pflegekammer soll sich danach aus Mitgliedern rekrutieren, die das zuständige Staatsministerium „aufgrund von Vorschlägen der Vereinigungen, welche die beruflichen Interessen der Gesundheit- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger sowie der Altenpfleger vertreten“ bestellt. Bei wortgetreuem Verständnis spricht die Vorschrift den existierenden Berufsverbänden ein exklusives Vorschlagsrecht zu. Dieses schriebe ihnen eine Sonderrolle zu, die ihnen maßgeblichen Einfluss auf die Gründung der Pflegekammer einräumt und Dritte ohne sachlichen Grund von einem Vorschlag geeigneter Personen ausschließt. Eine Monopolisierung des Vorschlagsrechts ist nicht nur rechtspolitisch verfehlt,537 sondern auch verfassungsrechtlich mit dem Gebot umfassender Interessenrepräsentation und dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Einklang zu bringen. Nur als fakultatives Vorschlagsrecht ist eine solche Besetzung des Gründungsausschusses rechtfertigbar.538 (d) Ökonomische und demokratische Rationalität der Verkammerung Von den Vorzügen, die eine Berufsvereinigung erstreitet, profitieren alle Mitglieder der Berufsgruppe ohne Rücksicht darauf, ob sie selbst einen Bei536 „Das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit bestellt innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes aufgrund von Vorschlägen der Vereinigungen, die die beruflichen Interessen der Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger sowie der Altenpfleger vertreten, einen Gründungsausschuss.“ 537 In diesem Sinne schon für Arbeitnehmerkammern Peters (Fn. 349), S. 137, vgl. auch oben S. 90 ff. 538 Eine Regelung für den Gründungsausschuss einer Pflegekammer sollte anstelle des bisherigen bayerischen Vorschlags daher folgende Fassung erhalten: „Art. 103a Abs. 1 BayHKaG-E: Das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit bestellt innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes einen Gründungsausschuss. Vereinigungen, welche die beruflichen Interessen der Gesundheitsund Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger sowie der Altenpfleger vertreten, sowie alle Angehörigen der Pflegeberufe, die Mitglieder der Pflegekammer werden, dürfen Vorschläge für die Besetzung des Ausschusses unterbreiten.“

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trag zu ihrer Hervorbringung geleistet haben. Davon geht ein Anreiz zu einem Trittbrettfahrerverhalten aus, der die Bereitschaft zu eigenen Mitwirkungsbeiträgen und damit verbundenen Opfern limitiert. Er ist kennzeichnend für alle öffentlichen Güter im Sinne der ökonomischen Theorie539 und prägt die Logik kollektiven Handelns bei der Einreichung gesellschaftlicher Kollektivziele, wie sie etwa Olsen540 am Beispiel großer gesellschaftlicher Gruppen untersucht hat. (aa) Das Dilemma öffentlicher Güter Das Dilemma öffentlicher Güter541 macht sich in der Regel umso deutlicher bemerkbar, je größer die betroffene Gruppe ist. Denn soziales Kontrollverhalten und die Sanktionierung eines Free-rider-Verhaltens werden dann umso weniger wirksam. Die individuelle Rationalität der Eigennutzmehrung verhindert das optimale Kollektivergebnis, das sich durch kooperatives Verhalten herstellen ließe. Spieltheoretisch lässt sich dies durch das Gefangenendilemma542 sowie das Gemeinwohl-Spiel543 abbilden. Der geringe gewerkschaftliche und berufsverbandliche Organisationsgrad der Pflegenden als größter Gruppe im deutschen Gesundheitswesen ist ein Teil dieses Phänomens. Unter ihm leiden diese Organisationen seit ihrem Bestehen. Das Instrument der Pflichtmitgliedschaft antwortet als (paternalistische) Aktivierung der Selbstorganisation auf die Free-rider-Problematik. Sein Lösungsansatz besteht – ökonomisch betrachtet – darin, Trittbrettfahrerverhalten und seine dysfunktionalen Anreize dadurch auszuschließen, dass es alle Profiteure berufsrechtlicher Maßnahmen gleichsam in „Kollektivhaftung“ nimmt, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Die Pflichtmitgliedschaft folgt in ihrer Antriebswirkung unausgesprochen der Philosophie Waldo Emersons: „Was wir am nötigsten brauchen, ist jemand, der uns zwingt, das zu tun, was wir können“. Die Kammerstruktur beraubt den Anreiz, an gruppenspezifischen Kollektivgütern auch ohne eigenen Beitrag zu partizipieren, im Wege eines gesetz539 Für öffentliche Güter sind zwei Merkmale charakteristisch: das Fehlen der Möglichkeit, Nutzungswillige, die keinen Beitrag zur Produktion des Kollektivgutes beisteuern, auszuschließen und das Fehlen einer Nutzungsrivalität. Vgl. dazu etwa Martini (Fn. 338), S. 14 mit Fn. 61. 540 Vgl. Olson, The logic of collective action, 21. Aufl. 2003. 541 Vgl. dazu auch Martini (Fn. 338), S. 14 f. mit Fn. 61 ff. 542 Dazu etwa Martini, Mediation und Gemeinwohl – eine Beziehungsanalyse, in: Seok/Ziekow (Hrsg.), Mediation als Methode und Instrument der Konfliktmittlung im öffentlichen Sektor, 2010, S. 81 (85 mit Fn. 14 ff.). 543 Dazu Martini, in: Seok/Ziekow (Fn. 542), S. 85.

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lichen Mitgliedschaftszwangs seiner konstruktiven Grundlage. Eine Kammerorganisation durchbricht damit die „Tragedy of the Commons“. Sie verteilt die Last der Investitionsbereitschaft derjenigen Mitglieder, die mit finanziellen und zeitlichen Ressourcen das gemeinsame Ziel unterstützen, gleichmäßig auf alle Schultern. Dadurch verbessert sie die Voraussetzungen für die berufsständische Aufgabenerfüllung und bricht den Konnex von Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit auf, der die Gleichmäßigkeit der Interessenrepräsentation unter den Mitgliedern in privaten Verbänden beeinflussen kann. Denn anders als ein privater Berufsverband ist die Kammer der Sorge einer Werbung um Mitglieder enthoben.544 Das verleiht ihr die Unabhängigkeit, auch Meinungen zu vertreten, die im Kreise einzelner ihrer Mitglieder unpopulär sind. Die Notwendigkeit, um freiwillige Mitglieder zu werben, bringt in einem Interessenverband – in den Worten des BVerfG – die Gefahr mit sich, dass sich „die Interessen einzelner besonders aktiver Gruppen ungebührlich in den Vordergrund drängen“, finanzstarke Mitglieder mit Austrittsdrohungen die Berücksichtigung ihrer Sonderinteressen und Sonderauffassungen zu erzwingen versuchen „und der unbefangene gleichmäßige Überblick über die Bedürfnisse aller Arbeitnehmerschichten verloren ginge“545. Bei den typischerweise geringen Zahlungsfähigkeitsdifferenzen der in der Pflegebranche abhängig Beschäftigten sind diese Aspekte allerdings von vergleichsweise untergeordnetem Gewicht. Bedeutsamer ist der Umstand, dass die finanzielle Basis der Kammern ohne Pflichtmitgliedschaft nicht in der gleichen Weise gesichert ist, wenn eine – nur bei großer Mitgliederzahl mögliche – geringe Beitragshöhe angestrebt werden soll.546 Diese ökonomische Logik einer Bewältigung der „Tragedy of the Commons“ durch Pflichtmitgliedschaft war in der Sache auch der historische Auslöser zahlreicher Kammergründungen. Dokumentiert ist das etwa für die Gründung der Landwirtschaftskammern im 19. Jahrhundert. Es waren insbesondere die Unzulänglichkeiten des überkommenen Vereinssystems und das Empfinden einer Gerechtigkeitsschieflage zwischen denjenigen, die als Vereinsmitglieder Ressourcen für die Verbandszwecke aufbrachten, und denjenigen, die ohne eigene Mitwirkungsbeiträge an den Vorteilen partizipierten, sowie das Bedürfnis einer Bündelung der wirtschaftlichen Macht durch die gleichmäßige Verteilung der Lasten auf mehrere Schultern, die den Anstoß zur Gründung einer Landwirtschaftskammer gaben.547 544

BVerfGE 38, 281 (310). BVerfGE 38, 281 (310). 546 BVerfGE 38, 281 (310). 547 Hendler, Geschichte und Idee der funktionalen Selbstverwaltung, in: Kluth (Hrsg.), Handbuch des Kammerrechts, 2011, § 2, Rdnr. 14. 545

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(bb) Zwischenfazit Mit der Auferlegung eines Mitgliedschaftszwangs geht zwar eine Vereinnahmung des Einzelnen für Gemeinwohlzwecke einher, die den Präferenzen und grundrechtlichen Interessen der Mitglieder keineswegs entsprechen muss. Gleichwohl zeichnet sich die Aufgabenwahrnehmung der Selbstverwaltungskörperschaften durch Eigenrationalitäten aus, die andere Formen der Aufgabenerledigung in dieser Qualität nicht zu erreichen vermögen: Sie organisiert eine Berufsgruppe als repräsentativen Verband, der die demokratische Teilhabe und Einbindung des Einzelnen in das Staatswesen mit normativem Flankenschutz versieht. Diese Alleinstellungsmerkmale gehen bei einer Freiwilligkeit privater Interessenrepräsentation notwendig verloren.548 Aus diesem Grunde ist denn auch nach Einschätzung des BVerfG „die Interessenvertretung durch private Verbände“ im Vergleich „nicht in gleichem Maße am Gesamtinteresse und am Gemeinwohl orientiert“549. (e) Zum Unterschied zwischen Mitgliedschaft und Mitwirkung Zugleich geht die (gesetzlich erzwungene) Mitgliedschaft als solche noch nicht mit einem Engagement und einer aktiven innerverbandlichen Interessenartikulation in der Kammer einher. Mitgliedschaft bedeutet nicht automatisch Mitwirkung. Aufschlussreich sind insoweit die Ausführungen des BVerfG zu der mit einer Pflichtmitgliedschaft verbundenen Belastungswirkung: „Sie erschöpft sich in der formalen Mitgliedschaft und der Beitragszahlung. Irgendwelche Pflichten zu aktiver mitgliedschaftlicher Betätigung bestehen nicht.“550 Nicht „dabei sein und sich engagieren“, sondern „zahlen und zuschauen“ ist dann allzu schnell die Handlungsmaxime. (aa) Befund Eine zurückhaltende Mitgliederaktivität entspricht zwar dem Funktionsprinzip vieler Großorganisationen. Sie widerstrebt aber dem Legitimitätsanspruch der Kammer, der auf eine umfassende und gleichmäßige Interessenrepräsentation und demokratische Mitwirkung gründet. Das lediglich folgsame Erdulden einer Mitgliedschaftslast unterfüttert nicht hinreichend die besondere Schlagkraft und Verankerung einer Organisation, die ein vom Willen aller Mitglieder getragenes, die Positionierung und Perspektiven der 548 549 550

BVerfGE 15, 235 (243). BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (337). BVerfGE 38, 281 (310).

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Berufsgruppe berührendes Ziel gemeinsam erreichen will. Tatsächlich dürfte sich die Hoffnung als frommer Wunsch entpuppen, dass diejenigen Mitglieder einer Berufsgruppe, die sich bisher für deren Interessen nicht durch eine Mitgliedschaft in Berufsorganisationen eingesetzt haben, sich in einer pflichtmitgliedschaftlichen Organisation stärker einbringen. Dass Menschen sich bisweilen auch zu ihrem eigenen Glück zwingen müssen, z. B. häufiger Sport treiben, wenn sie einen Fitness-Vertrag abgeschlossen haben, oder sich das Rauchen effektiver und schneller abgewöhnen, wenn sie sich für den Fall, dass sie den Kampf gegen ihre guten Vorsätze verlieren, zu „Vertragsstrafen“ gegenüber Dritten verpflichten, tritt nicht den Gegenbeweis zu dieser These an.551 Denn dieser Entscheidungssituation liegt eine andere Motivationsstruktur zugrunde: Die jeweiligen Verpflichtungen und Verhaltensänderungen beruhen auf einer Selbstbindung, nicht einer staatlich erzwungenen Fremdbindung, welche die innere Mitwirkungsbereitschaft nicht verändert. Schiller lässt die Problematik in seinem Drama „Kabale und Liebe“ den Sekretär Wurm auf die Formel bringen: „Zwang erbittert die Schwärmer immer, aber er bekehrt sie nie.“552 Im Ergebnis bleibt es für die Intensität gelebter Partizipation ohne nennenswerten Unterschied, ob ein Personenkreis nicht in einen privaten Interessenverband eintritt, um sich dort freiwillig zu engagieren, oder ob er zwangsweise zu einer Kammermitgliedschaft verpflichtet wird – und sich dort ebenso wenig engagiert.553 Den Kammern muss es angelegen sein, gerade die aktive Mitwirkung ihrer Mitglieder zu fördern.554 Gelingt ihnen das nicht, unterscheidet sich ihre Aufgabenwahrnehmung von derjenigen privater Verbände in einem Anspruch demokratischer Repräsentanz, der aber nicht von aktiver Teilhabe unterfüttert und mit Leben gefüllt ist. Die Erfahrungen anderer Berufskammern nähren nicht die Hoffnung auf einen hohen Beteiligungsgrad der Berufsmitglieder einer Pflegekammer, z. B. bei Wahlen und Abstimmungen. (bb) Schlussfolgerungen Die Mitgliedschaft in einer Kammer vermittelt eine Mitwirkungschance ohne Austrittsmöglichkeit.555 Der Einzelne muss das im Rahmen des kam551

Vgl. zu dem dahinter stehenden Konzept des liberalen Paternalismus insbesondere Sunstein/Thaler, Nudge, 2009. 552 Schiller, Kabale und Liebe, 1784, Dritter Akt, Erste Szene. 553 Gallwas (Fn. 124), 64; vgl. auch Plantholz (Fn. 348), S. 96. 554 Heusch (Fn. 137), S. 139 f. 555 In diesem Sinne auch Seewald (Fn. 50), S. 93.

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merinternen verfahrensrechtlichen Legitimationsprozesses zustande gekommene Ergebnis des Willensbildungsprozesses ohne Rücksicht auf seine Mitwirkungsbereitschaft als Gesamtinteresse der Berufsgruppe gegen sich gelten lassen. Die Pflichtmitgliedschaft nötigt ihm insoweit eine formelle und materielle Identifikationslast556 auf. Das Mitglied trifft die Vermutungswirkung des Rechtsgedankens: „Qui tacet, consentire videtur“ – eine Rechtswirkung, die bei der Mitwirkung privater Berufsverbände an der öffentlichen Willensbildung nicht in rechtlich zulässiger Weise konstruierbar wäre. Die Handwerkskammer kennt sogar das legitimatorisch angreifbare Instrument der Wahl ohne Wahlhandlung (§ 95 Abs. 2 i. V. m. § 20 der Anlage C HandwO). Lässt sich inhaltliche Mitwirkung nicht erzwingen und bleibt ein großer Teil der (unfreiwilligen) Mitglieder passiv, eröffnet das aktiven Gruppen die Chance, ihre Partikularinteressen unter dem Deckmantel des Gruppenwohls durchzusetzen und die schweigende Mehrheit zu majorisieren – eine Gefahr, die auch Instrumenten der direkten Demokratie, insbesondere dem Bürger- oder Volksentscheid, vertraut und eigen ist. Dort dämmt der Gesetzgeber das Risikopotenzial durch entsprechende Beteiligungsquoren ein.557 Auch für die demokratische, innerverbandliche Entscheidungsfindung der Kammern kann das ein empfehlenswerter Weg sein, die Rückbindungen an die Mitgliederpräferenzen abzusichern. Sonst mündet die rechtliche Hypothese, dass die im Wege der Selbstverwaltung ermittelten Ergebnisse den Gesamtinteressen aller Angehörigen der Pflegeberufe entsprechen, in eine Fiktion. Die bunte Vielfalt privater Interessenorganisationen mit ihren unterschiedlichen Zielrichtungen als Repräsentanten des Spektrums beruflicher Interessen gedeihen zu lassen, kann nicht nur ein nachvollziehbares politisches Konzept sein. Die Förderung des Prinzips freier sozialer Gruppenbildung entspricht auch am ehesten den Wertvorstellungen des Grundgesetzes, wie es sie in seinem Art. 9 Abs. 1 GG zum Ausdruck bringt. In den meisten Berufsfeldern vertraut der Gesetzgeber auf die Innovations- und Selbstorganisationskraft privater Verbände zur Interessenvertretung. Verfassungsrechtlich ist er aber nicht daran gehindert, seiner Zielvorstellung umfassender und gleichmäßiger Interessenrepräsentation durch eine Verkammerung zur Durchsetzung zu verhelfen, wenn sich Selbstorganisation als unzureichend entpuppt. Er ist jedoch gehalten, die innerdemokratische Willensbildung eines pflichtmitgliedschaftlichen Verbandes durch verfahrensrechtliche Mechanismen abzusichern und dafür Sorge zu tragen, dass sich die Mitgliedschaft nicht in einer Identifikationslast erschöpft, sondern durch Aktivität und Engagement mit Leben gefüllt wird. 556 557

Gallwas (Fn. 124), 64. Vgl. dazu Martini, Wenn das Volk (mit)entscheidet . . ., 2011, S. 26 ff., 94 ff.

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(z) Zwischenfazit Zur Stärkung der Gruppenbildung und der Schlagkraft von Interessenverbänden steht dem Gesetzgeber ein breites Arsenal an unterschiedlichen Konzepten mittelbarer und unmittelbarer Unterstützung zur Verfügung. Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht von einer stärkeren steuerlichen558 und sonstigen finanziellen Förderung der Mitgliedschaft und des Engagements in Berufsverbänden bis hin zu einer Ausweitung der korporatistischen Mitwirkungsrechte, wie sie der Gesetzgeber den Interessenverbänden im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung zubilligt. Die Durchschlagskraft einer privaten Interessenvertretung korrespondiert dabei mit den Möglichkeiten, die der Gesetzgeber ihrer Entfaltung selbst einräumt. Den bereits eingeschlagenen Weg einer stärkeren Einbindung der Pflegeberufsverbände in die Ausgestaltung der strukturellen Rahmenbedingungen der Pflege (vgl. dazu S. 92 ff.) könnte der Gesetzgeber ein Stück weit weiter beschreiten. Mit der wachsenden Mitsprachemöglichkeit nimmt dann auch tendenziell das Interesse der professionell Pflegenden an einer entsprechenden Mitwirkung und Wahrnehmung von Einflussmöglichkeiten zu, ohne dass sich daran eine pflichtmitgliedschaftliche Bindung knüpfen muss. Allerdings findet die Zuweisung von Mitwirkungs- und normativen Gestaltungsrechten an Berufsverbände ihre Grenze im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes.559 Berufsverbände und Berufskammern unterscheiden sich in ihren strukturellen Voraussetzungen, geeignete Adressaten normativer Gestaltungsmacht sein zu können. Berufsverbände vertreten die Partikularinteressen ihrer Mitglieder, sind aber zur Vertretung der Berufsgruppe der Pflegenden als solcher nicht demokratisch legitimiert. Ihnen mangelt es an der Fähigkeit, berufsgruppenspezifische Willensbildungsprozesse repräsentativ zu spiegeln. Das disqualifiziert sie in weiten Teilen als Anknüpfungspunkt normativer Konkretisierungsmacht. Man mag den Sondervorteil einer Pflegekammer für die in den Pflegeberufen Tätigen als gering ansehen. Dem Gesetzgeber bleibt aber in den Bereichen, in denen alternative Instrumente zwar grundrechtsschonender, aber nicht eindeutig in gleicher Weise zur Zielerreichung geeignet sind, ein weiter Spielraum der Entscheidungsfreiheit.560 Er darf insoweit verfassungsrechtlich unangefochten zu der Einschätzung gelangen, dass die bereits bestehenden Einrichtungen, Organisationen und Verbände in ihrer gegenwärtigen fi558

Siehe de lege lata bereits § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG. Dazu im Einzelnen S. 142. 560 BVerfGE 25, 1 (20); 30, 292 (319); 101, 331 (349); OVG Bremen, NZA-RR 2005, 429 (431); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 9. Aufl. 2012, Rdnr. 530. 559

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nanziellen und personellen Verfassung nicht über die objektiven und subjektiven (Entwicklungs-)Möglichkeiten verfügen, die für eine wirksame Interessenvertretung der Pflegenden erforderlich sind. Der Gesetzgeber kann der umfassenden Interessenrepräsentation aller Mitglieder der Berufsgruppe ein höheres Gewicht als der Freiheit vor mitgliedschaftlichem Zwang einräumen und das Instrument der Selbstverwaltung als einen gangbaren und erforderlichen Weg der Aufgabenerledigung ansehen. So hat das BVerfG dem Gesetzgeber auch die Freiheit zugestanden, die Gesamtheit der Arbeitnehmer in einer Arbeitnehmerkammer561 zusammenzuschließen.562 Für die Gründung einer Pflegekammer gilt das dann grundsätzlich erst recht. (cc) Aufgabenerfüllung durch Zwangsorganisation mit qualifiziertem Zustimmungsvorbehalt Sachgerecht und zugleich grundrechtsschonender als eine präferenzunabhängige Verkammerung kann es sein, die Entscheidung über eine Pflichtmitgliedschaft von einer Zustimmung der Mehrheit der Gruppenmitglieder abhängig zu machen. Die mehrheitliche Unterstützung der Betrof561 Arbeitnehmerkammern kennen in der Bundesrepublik Deutschland nur Bremen und das Saarland. Dort haben sie eine feste Tradition. In Bremen besteht die Arbeitnehmerkammer seit 1921. Nach der Auflösung unter dem Regime der nationalsozialistischen Herrschaft im Jahre 1936 stellte Bremen im Jahre 1956 den früheren Rechtszustand wieder her. Im Saarland verbürgt Art. 59 S. 1 der Verfassung sogar den Bestand der Arbeitskammer. Auch in Bremen sah die Verfassung ursprünglich in Art. 83 und 84 der Verfassung von 1920 eine entsprechende Gewährleistung vor. Die Gründung von Arbeitnehmerkammern geht auf die Grundvorstellung zurück, dass die Gruppe der Arbeitnehmer durch gemeinsame Interessen verbunden ist, die aus ihrer sozialen Stellung im Wirtschaftsleben herrühren. Die Aufgabe der Kammern liegt darin, die allgemeinen wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wahrzunehmen und die auf die Hebung der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und kulturellen Lage der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen abzielenden Bestrebungen zu fördern (§ 2 Abs. 1 S. 1 SaarlArbKG). Sie sollen als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft fungieren, die das Gesamtinteresse der Arbeitnehmer wahrt und fördert. Zu diesem Zweck treffen sie „Maßnahmen zur Förderung und Durchführung der beruflichen sowie der allgemeinen und politischen Weiterbildung der Kammerzugehörigen“ und unterstützen die staatlichen Behörden durch Stellungnahmen und Gutachten (§ 2 Abs. 4 S. 1 SaarlArbKG). Der Staat verleiht ihnen einen Auftrag staatlicher Daseinsvorsorge für Aufgaben, an denen der Gruppe der Arbeitnehmer gelegen ist. Eingriffsbefugnisse gegenüber ihren Mitgliedern kommen ihnen demgegenüber nicht zu. Vgl. auch BVerfGE 38, 281 (282 ff.); Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 23 f.; Peters (Fn. 349), S. 34 ff. Auf eine lange Tradition können derartige Arbeitnehmerkammern auch in Österreich blicken. Dazu im Einzelnen Krisam, Die Beteiligung der Arbeitnehmer an der öffentlichen Gewalt, 1963, S. 29 ff., 65 ff. 562 BVerfGE 38, 281 ff.; bestätigend OVG Bremen, NZA-RR 2005, 429 ff.

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fenen bildet nicht nur ein Indiz dafür, dass die gemeinsamen Gruppenziele sich nicht anders als durch eine pflichtmitgliedschaftliche Einbeziehung in den Verband erreichen lassen. Sie sichert auch ein kritisches Maß an Unterstützung und Akzeptanz für den Verband und seine Ziele. Aus diesem Grund stellt ein anderes, in der jüngeren Vergangenheit entwickeltes Instrument zur Erreichung von Kollektivzielen – wenn auch in anderem rechtlichen Kontext, aber mit strukturell vergleichbarer Zielsetzung – die Begründung gemeinsamer Rechtspflichten unter den Vorbehalt der Zustimmung eines qualifizierten Teils der Gruppenmitglieder: das Instrument der Business bzw. Housing Improvement Districts.563 Bei ihnen handelt es sich um hoheitlich flankierte Instrumente privater Selbstinitiative zur Verbesserung der räumlichen Strukturbedingungen eines Stadtquartiers. Sobald ein bestimmtes Quorum der Grundstückseigentümer der Gründung eines Innovationsbereichs und damit der Beauftragung eines Aufgabenträgers mit der Umsetzung baulicher Maßnahmen oder von Dienstleistungen zur Erhöhung der Attraktivität eines Quartiers zustimmt,564 sind alle Mitglieder kraft hoheitlichen Zwangs verpflichtet, die damit verbundene Kostenlast zu tragen. Mithilfe einer schlanken Struktur sichert dieses Selbstregulierungsinstrument die Übereinstimmung hoheitlicher Schutzgewährleistung mit den Präferenzen der Mehrheit der Betroffenen. Indem es sich auf den Rückhalt einer kritischen Masse Betroffener stützen kann, stellt es die nachhaltige Unterstützung der Regulierungsziele sicher. Denn die Mitwirkung ist Voraussetzung ihres Erfolgs. Darin drückt sich unausgesprochen die Erkenntnis eines deutschen Sprichworts aus: „Pferde lassen sich zum Wasser bringen, aber nicht zum Trinken zwingen“. Der Zustimmungsvorbehalt für Business und Housing Improvement Districts kann insoweit grundsätzlich als Modell mit Vorbildcharakter dienen. Ein wichtiger Unterschied besteht jedoch: Anders als in Kammersystemen entsteht dort keine mitgliedschaftliche Verfassung. Der hoheitliche Zwang beschränkt sich auf die Inkassofunktion des Staates für die Abgabenerhebung, welche die Finanzierung der Aufgabenerledigung sichert. Rechtspolitisch kann es sich (ungeachtet dieser unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen) auch bei Kammern als sinnvoll erweisen, ihre gesetzliche Etablierung an die Zustimmung der betroffenen Mehrheit zu knüpfen. Diesen Weg, einen Lackmustest für das Bedürfnis zur Gründung einer Kammer durchzuführen sowie sich einer kritischen Unterstützungsquote in der späteren Kammer zu versichern, beschreiten sachgerechter563

Martini, DÖV 2008, 10 (10 ff.). Vgl. etwa § 5 Abs. 1 und 8 hmb. Gesetz zur Stärkung der Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gewerbezentren (GSED); § 5 Abs. 1 und 8 hess. Gesetz zur Stärkung von innerstädtischen Geschäftsquartieren (INGE). 564

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weise gegenwärtig insbesondere die Länder Bayern, Berlin und Hamburg mit einer Befragung der Berufsmitglieder. In den Ländern Bayern, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein liegen die Ergebnisse bereits vor.565 Diese erweisen sich dabei als ambivalent: Die Ziele der Pflegekammer stoßen zwar auf eine breite Unterstützung. Ihre Finanzierung aus Beiträgen der Mitglieder – ein typisches Merkmal der Kammerorganisation – findet jedoch jedenfalls unter den bayerischen, niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Pflegenden keine Mehrheit.566 Das macht die elementare Bedeutung des konkreten Befragungsdesigns und einer hinreichenden Informationsbasis der Befragten für eine Zustimmungslösung paradigmatisch deutlich. Die Befragungen bleiben auch insoweit nicht lediglich bei einem politischen Lippenbekenntnis stehen, als sich bei fehlender Zustimmung einer kritischen Masse der Berufsmitglieder eine Verkammerung politisch regelmäßig kaum wird durchsetzen lassen können. Konsequent ist es dann auch, die Mitglieder der Kammer nach gewissen Zeitabständen über das Fortbestehen der Kammer abstimmen zu lassen – insbesondere wenn sich Anhaltspunkte dafür abzeichnen, dass die Kammerorganisation nicht mehr von dem Willen der betroffenen Mitglieder getragen ist. Sonst werden künftige Generationen von Berufsträgern unter Berufung auf eine Binnenlegitimation an die Kammer gebunden, wiewohl diese die erwarteten Ziele womöglich nicht erreicht und nicht mehr von der Unterstützung der gegenwärtigen Mitglieder getragen ist. Diese bedarfsorientierte Legitimationserneuerung kann auch einen wirksamen politischen Ausgleich gegen die in vielen Kammerorganisationen zu beobachtende Gefahr einer Entfremdung der Kammer von ihren Mitgliedern herstellen. Ob die Durchführung einer Befragung und die Zustimmung der Mehrheit der Berufsmitglieder für eine Verkammerung verfassungsrechtlich erforderlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Zustimmung der Betroffenen sichert die Legitimation einer pflichtmitgliedschaftlichen Körperschaft des öffentlichen Rechts zusätzlich ab. Ihr Fehlen hindert den Gesetzgeber aber nicht, von dem Instrument der Pflichtmitgliedschaft auch ohne Rücksicht auf die Präferenzen der Betroffenen Gebrauch zu machen. Er darf sich durch übergeordnete Gemeinwohlgründe motivieren lassen, Gruppen ohne Rücksicht auf ihre Präferenzen zu einer Zwangsgemeinschaft zusammenzuschließen, wenn sich diese Ziele nicht anders erreichen lassen. So darf er eine Sozialversicherungspflicht begründen, selbst wenn die Mehrheit der Pflichtversicherten dem nicht zustimmen würde. Die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft steht insoweit zwar sinnvollerweise rechtspolitisch, 565 566

Vgl. dazu oben S. 58 ff. Vgl. dazu oben S. 60 ff.

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nicht aber verfassungsrechtlich unter dem Vorbehalt einer Zustimmung der Grundrechtsträgermehrheit. (b) Erforderlichkeit der Kammertätigkeit als Dauerlegitimationsaufgabe und Handlungsgrenze Das verfassungsrechtliche Gebot der Erforderlichkeit erstreckt sich nicht nur auf die Gründung einer Pflegekammer als solche. Es wirkt auch in die Betätigung der Vereinigung hinein: Eine Pflegekammer darf ihre Tätigkeit im täglichen Geschäft nicht über das hinaus ausdehnen, was zur Erreichung ihrer Aufgaben geboten ist. Sie muss sich bei ihrer Tätigkeit in den gesetzlich vorgegebenen Grenzen bewegen.567 Sie ist in „Ob“ und „Wie“ ihrer Äußerungen an die Grundrechte und ihren Aufgabenauftrag, namentlich das zur Erreichung der gruppenspezifischen Zielsetzungen Erforderliche, gebunden.568 Überschreitet sie den Wirkungskreis der gesetzlich festgelegten Aufgaben, erwächst dem Mitglied eines Zwangsverbandes aus den durch die Pflichtmitgliedschaft berührten Grundrechten ein mit der Unterlassungsklage prozessual durchsetzbarer Abwehranspruch.569 Zu welchen Gegenständen sich die Kammer in der Öffentlichkeit äußern darf, lässt sich drei Schichten zuordnen: In jedem Fall zulässig sind Äußerungen zum Kernbereich der kammerrechtlichen Tätigkeit. Dazu zählen all diejenigen Belange, welche die Pflichtmitglieder unmittelbar in ihrer spezifischen Eigenschaft als Kammermitglieder betreffen. Im Randbereich der Zulässigkeit bewegen sich Äußerungen, die zwar nicht mehr dem Kernbereich zurechenbar sind, allerdings noch „nachvollziehbare Auswirkungen auf die Pflichtmitgliedschaft im jeweiligen Zuständigkeitsbereich haben“570. Dass die Äußerung die Pflichtmitglieder nur in „irgendeiner weiteren Konsequenz“ berührt, ist hingegen nicht ausreichend. Solche Äußerungen sind 567

BVerfGE 15, 235 (242 f.). Vgl. auch zu den Grenzen des Äußerungsrechts die Entscheidung des BVerwG zur „Limburger Erklärung“, BVerwG, NVwZ-RR 2010, 882 ff.; zuvor bereits BVerwGE 112, 69 ff. Die Grundgedanken dieser Entscheidung lassen sich auf öffentliche Äußerungen anderer berufsständischer Kammern übertragen; Heusch (Fn. 137), S. 138. 569 Vgl. dazu etwa BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (337); BVerwGE 107, 169 (174 f.) m. w. N.; OVG Bremen, NZA-RR 2005, 429 ff.; KleineCosack (Fn. 382), S. 159; Kluth (Fn. 115), S. 332; Schliesky/Altmann, Das Recht auf eine gute Kammerverwaltung, in: Graf (Hrsg.), Strategische Perspektiven des Kammerrechts, 2007, S. 45 (55 ff.). 570 BVerwG, NJW 2010, 882 (883); Eisenmenger, Das spezialpolitische Mandat der Kammern – Grundlagen, Grenzen und verfahrensrechtliche Aspekte, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts 2010, 2011, S. 51 (57). 568

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unzulässig. Der Kammer steht es – im Gegensatz zu privatrechtlichen Verbänden – insbesondere nicht frei, sich im Rahmen der Interessenvertretung zu allgemeinpolitischen Themen zu äußern.571 Bei dem Wirken der Kammer im Verhältnis zum Staat handelt es sich nicht um reine individuelle Interessenvertretung.572 Sie wird vielmehr in einer gemeinwohlorientierten Bindung tätig. Der Kammer muss es angelegen sein, die Pflichtmitglieder im Ganzen zu fördern (vgl. etwa § 1 Abs. 1 IHKG; § 90 Abs. 1 Hs. 1 HwO, § 57 Abs. 1 Hs. 2 WPO); das Gesamtinteresse der Mitglieder bildet den Grund, aber auch die Grenze ihrer Tätigkeitslegitimation. Sie hat bei ihren Äußerungen auf das höchstmögliche Maß an Objektivität zu achten und dabei die Interessen einzelner Mitglieder lediglich in einem abwägenden Ausgleich aller Interessengruppen zu berücksichtigen.573 Stets zu wahren ist das Gebot der Sachlichkeit und Zurückhaltung, was eine einseitige Äußerung, die einen Sachbezug vermissen lässt, ausschließt.574 Das entspricht nicht nur dem Gebot, die Gesamtinteressen der Mitglieder zu vertreten, sondern auch dem Gemeinwohlauftrag der Kammern.575 Neben dem „Ob“ der Äußerung, ist insoweit auch das „Wie“ der jeweiligen Äußerung grundrechtlicher Bewährung unterworfen. Eine Pflegekammer als Bündelung unterschiedlicher Pflegeberufssparten muss die vertretenen Berufszweige, beispielhaft Krankenschwestern und Altenpfleger, gleichberechtigt und einheitlich vertreten. Das strahlt auch unmittelbar auf das bei der kammerlichen Interessenvertretung einzuhaltende Verfahren aus.576 Äußerungen der Kammer müssen durch das kammerinterne Legitimitätskonzept legitimiert sein. Dieses ist dem Gebot innerkammerlicher Demokratie verpflichtet.577 Durch Mitgliedervertretungen muss den Kammermitgliedern maßgeblicher Einfluss auf das Handeln der Kammer erhalten bleiben. Grundlegende Weichenstellungen sind ihrer Willensbildung vorbehalten. Deren Konkretisierung im Tagesgeschäft ist demgegenüber einer Delegation an die anderen Kammerorgane zugänglich. 571 BVerfGE 78, 320 (329 ff.); Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 164 ff.; vgl. auch zum fehlenden allgemeinpolitischen Mandat der Studierendenschaft BVerwGE 34, 69 ff.; 59, 231 ff. 572 BVerfGE 15, 235 (241 f.); BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (337); zur Reichweite des Interessenvertretungsauftrags der einzelnen Kammern siehe Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 155 ff. 573 BVerfGE 15, 235 (241 f.); BVerwG, NJW 2010, 882 (884). 574 BVerwG, NJW 2010, 882 (884). 575 Zu ihm siehe etwa BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (337). 576 BVerwG, NJW 2010, 882 (884). 577 Zu den Anforderungen an die demokratische Binnenstruktur siehe etwa Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 155 ff., 184 ff.

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Zum Schutz von Gruppenminderheiten sind Verfahrensmechanismen geboten, die eine hinreichende Abbildung von Minderheitsinteressen verbürgen. Die Organisations- und Verfahrensstruktur muss sicherstellen, „dass die betroffenen Interessen tatsächlich angemessen berücksichtigt und nicht einzelne Interessen bevorzugt werden“.578 (3) Angemessenheit Zur Verfolgung seiner Gemeinwohlziele darf der Staat keine Mittel einsetzen, deren Belastungswirkungen in einem erkennbaren Missverhältnis zu ihrem Ertrag stehen und damit die Grenze des Zumutbaren überschreiten.579 Mit Art. 2 Abs. 1 GG ist eine Kammer daher nur dann vereinbar, wenn die mit ihr erreichbaren Ziele der Standesförderung, -vertretung und -aufsicht in einem angemessenen Verhältnis zu den damit für die Betroffenen verbundenen pflichtmitgliedschaftlichen Belastungen, namentlich der Zugehörigkeitslast [unten (a)] sowie der Beitragslast [unten (b)] stehen. Weder dem BVerfG noch den sonstigen Gerichten steht es dabei zu, ihre eigenen Wertvorstellungen von einer politisch sinnvollen Abwägungsentscheidung an die Stelle des politischen Primats des hierzu berufenen Parlaments zu setzen. Sie sind vielmehr darauf beschränkt zu prüfen, ob die Abwägungsergebnisse offensichtlich fehlgewichtet sind.580 (a) Angemessenheit der Zugehörigkeitslast Eine Pflichtmitgliedschaft in einer Pflegekammer legt den Mitgliedern eine Zugehörigkeitslast auf, mit der Handlungs- und Duldungspflichten gegenüber den von der Kammer beschlossenen Maßnahmen, etwa der Berufsaufsicht und der Standesvertretung, korrespondieren. Deren Ausstrahlungen wirken nachhaltig auf die persönliche und berufliche Rechtsstellung ihrer Mitglieder ein.581 Insbesondere entpuppt sich die Etablierung einer Pflichtmitgliedschaft als ein intensiver Angriff auf das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung, das Art. 9 Abs. 1 GG582 als verfassungsrechtliche Wertentscheidung verbürgt.583 Auch wenn man dadurch – mit der Rechtspre578

BVerfGE 107, 59 (90); OVG Bremen, NZA-RR 2005, 429 (432). BVerwGE 107, 169 (177); 108, 169 (174). 580 Vgl. dazu etwa BVerfGE 44, 353 (373 f.); Martini, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl. 2011, S. 119. 581 Dazu bereits oben S. 126 ff. 582 Dazu oben S. 119 ff. 583 Insoweit überzeugt es – entgegen teilweise vertretener Auffassung (vgl. z. B. Rieger, Kammerfinanzierung, in: Kluth [Hrsg.], Handbuch des Kammerrechts, 579

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chung – den Schutzbereich spezieller grundrechtlicher Freiheitsgewährleistungen nicht betroffen sieht, geht davon eine nachhaltige Einschränkung der individuellen Freiheit des Verhaltens im Wirtschafts- und Arbeitsleben und damit der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG aus.584 Den Belastungen stehen Vorzüge gegenüber, die andere Formen der beruflichen Selbstorganisation oder unmittelbaren staatlichen Aufsicht nicht vollständig zu erreichen in der Lage sind. Die Mitgliedschaft in einer Kammer eröffnet insbesondere eine Partizipationschance der Mitwirkung an staatlichen und gruppenbezogenen Entscheidungsprozessen, welche die Erreichung gemeinsamer Gruppenziele fördert, ohne sie unmittelbarer Staatsverwaltung zu unterwerfen.585 Einige der politischen Zielvorstellungen erweisen sich freilich als politisches Mantra, dessen Anspruch die Pflegekammer nur mit Einschränkungen oder in einer nur schwer messbaren Weise gerecht werden kann. Das gilt insbesondere für die erhoffte Verbesserung des gesellschaftlichen Ansehens der Pflegeberufe586 sowie für die Gewährleistung einer „Kranken- und Altenpflege auf optimalem Niveau“587 (für deren Gewährleistung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG kompetenziell ohnehin dem Bund der Vorrang gebührt). Die häufig als wichtiges Ziel einer Pflegekammer genannte Registrierung der Pflegeberufe rechtfertigt die mit einer Verkammerung verbundenen Belastungen als solche nicht. Sie lässt sich ohne Weiteres im Wege einer (bußgeldbewehrten) Anzeigepflicht realisieren. Manchen anderen wichtigen Zielen lässt sich auch durch eine stärkere Förderung der beruflichen Selbstorganisation in der Pflegebranche, insbesondere eine Aufwertung der verbandlichen Beteiligungsinstrumente, annähern. Das gilt in Ansätzen für die Beteiligung der Pflegebranche an Gesetzgebungsverfahren sowie die Einbindung in die Selbstverwaltungsinstrumente der Pflegeversicherung. Dem setzen Art. 80 Abs. 1 GG sowie das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip jedoch Grenzen.588 Der Gesetzgeber hat es daher nur begrenzt in der Hand, durch eine Ausweitung und Aufwertung der Beteiligungsrechte privater Berufsorganisationen der als schwach empfundenen Stimme der Pflegeberufe stärker 2011, § 13, Rdnr. 24) – nicht, die Pflichtmitgliedschaft nicht als Grundrechtseingriff einzustufen, weil sie auch eine Chance zur Beteiligung eröffnet (vgl. BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], NVwZ 2002, 335 [337]). Denn die Beteiligungschance ist um den Preis der Identifikations- bzw. Zugehörigkeitslast erkauft. Sie besteht ungeachtet der eigenen Mitwirkung und droht damit das Prinzip der freien sozialen Gruppenbildung in sein Gegenteil zu verkehren. 584 In diesem Sinne etwa BVerfGE 38, 281 (301 f.). 585 BVerfG (2. Kammer des 1 Senats), NVwZ 2002, 335 (337). 586 Vgl. dazu auch S. 71 ff. 587 So aber Seewald (Fn. 50), S. 98. 588 Vgl. S. 142.

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Gehör zu verleihen. Der Kammer kommt nämlich im Hinblick auf einen Aspekt ein Alleinstellungsmerkmal zu: ihre Befähigung, eine umfassende, demokratisch legitimierte Interessenrepräsentation der Berufsmitglieder zu gewährleisten, die für die gesamte Berufsgruppe Verbindlichkeit zu beanspruchen vermag. Die berufliche Selbstregulierung im Wege der Verkammerung genießt insoweit einen Eigenwert, den andere Mitwirkungsformen mit diesem Grad an Verbindlichkeit nicht ohne Weiteres erzielen können. Bei abhängig Beschäftigten bleibt die Wirkmacht dieser Vorzüge freilich beschränkt.589 Denn Arbeitnehmer sind aufgrund der ihnen in einem Beschäftigungsverhältnis auferlegten Bindungen nur eingeschränkt zur Selbstregulierung ihrer beruflichen Belange in der Lage. Die Sanktionierung berufswidrigen Verhaltens findet grundsätzlich zielgenauer und wirksamer in dem Dienstverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer statt. Denn eher als die anderen Mitglieder der Berufsgruppe verfügt der Dienstherr über die zur Verfolgung von Berufsverstößen erforderlichen Informationen und Beweisinstrumente. Er hat zudem ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der Sanktionierung von Berufsverstößen. Dass er davon in der Praxis nicht immer Gebrauch macht, ist eher Ausdruck des Fachkräftemangels und faktischer Angewiesenheit auch auf schwächere Mitarbeiter als fehlenden Sanktionsanreizes. Wettbewerbsrelevante Verstöße, die bei traditionellen Berufskammern häufig den Anknüpfungspunkt berufsaufsichtlicher Maßnahmen bilden, stehen bei den Mitgliedern der Pflegeberufe nicht in Rede; diese stehen nicht in einem unmittelbaren Wettbewerbsverhältnis. Ein darüber hinausgehender disziplinarischer Überhang der Berufsgruppe, der ein weiteres Sanktionsbedürfnis auslöst, besteht bei den Mitgliedern der Pflegeberufe im Hinblick auf das primäre Sanktionierungsinstrument des Berufsrechts abhängig Beschäftigter im Verhältnis zur verkammerten Berufsgruppe der freien Berufe nur in abgeschwächtem Umfang. Aufgabe der Kammeraufsicht ist es dann, Schaden von der gesamten Berufsgruppe abzuwenden, den grobe Berufsverstöße auslösen. Der Ertrag, den eine Pflegekammer aus gesellschaftspolitischer und steuerungstheoretischer Sicht zu erbringen vermag, lässt – vor allem im Verhältnis zu der Gruppe der freien Berufe – aufgrund der strukturellen Besonderheiten der betroffenen Berufsgruppe insgesamt manchen Wunsch offen. Wahrscheinlich ist es kein Produkt des Zufalls, sondern grundrechtsschonender und steuerungspolitischer Einsicht des Gesetzgebers geschuldet, dass dieser andere Berufsgruppen (ganz überwiegend) abhängig Beschäftigter bisher grundsätzlich590 keiner Verkammerung unterworfen hat. Der be589

Vgl. dazu auch S. 77 ff. Eine Ausnahme bilden etwa die Arbeitnehmerkammern Bremens und des Saarlandes. Dazu Fn. 561. 590

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sondere Vorzug einer Verkammerung der Pflegeberufe liegt vor allem in einer Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit beruflicher Interessen der Pflegenden in dem korporatistisch verfassten Gesundheitswesen. Dem stehen nachhaltige Beeinträchtigungen der grundrechtlichen Freiheit der Berufsmitglieder gegenüber. Dass die Pflichtmitgliedschaft „die Möglichkeit offen lässt, sich nicht aktiv zu betätigen“,591 mildert den Grad der Beeinträchtigung nicht nennenswert. Denn den Einzelnen trifft auch ohne Rücksicht auf eine Mitwirkung eine Zugehörigkeits- und Identifikationslast, die seine Rechtsstellung beeinträchtigt. Völlig fehlgewichtet ist das durch eine Verkammerung der Pflegenden hergestellte Verhältnis von Belastungen und Vorteilen aber nicht. Nur darauf kommt es im Rahmen der verfassungsrechtlichen Analyse an. Denn dem Gesetzgeber gebührt insoweit eine Einschätzungsprärogative. Es ist vornehmlich seine Freiheit, „auf der Grundlage seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele und unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Sachgebiets zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will“592. Die Zugehörigkeitslast zu einer Pflegekammer überschreitet diesen Spielraum nicht. Sie trifft die pflichtmitgliedschaftlich miteinander verbundenen Beschäftigten der Pflegeberufe auf der Grundlage dieser Maßstäbe nicht unangemessen. (b) Angemessenheit der Beitragslast Will eine Pflegekammer ihre vielfältigen Selbstverwaltungsziele erreichen, ist sie auf stabile Einnahmen angewiesen. Die Beitragslast ist eine typische Begleiterscheinung der Zwangsvereinigung, ihr allerdings nicht notwendig inhärent.593 Ebenso wie die aus der Mitgliedschaft in einer Zwangsvereinigung erwachsende Zugehörigkeitslast darf auch die Beitragslast im Verhältnis zu den damit verbundenen Vorteilen nicht unangemessen 591 BVerfG (2. Kammer des 1 Senats), NVwZ 2002, 335 (337); ähnlich etwa BVerfGE 38, 281 (310). 592 BVerfG (2. Kammer des 1 Senats), NVwZ 2002, 335 (337). 593 Die meisten Heilberufegesetze bestimmen, dass die Kammer ihre nicht anderweitig gedeckten Kosten auf der Grundlage einer Beitragsordnung durch Beiträge deckt (vgl. etwa § 10 Abs. 1 S. 1 HessHeilBG; § 8 Abs. 1 NdsKammerG; § 15 Abs. 1 RhPfHeilBG). Anstelle einer Finanzierung durch Beitragseinnahmen können die Länder die Kammern auch auf die Möglichkeit einer Finanzierung durch anlassbezogene Gebühren und ergänzende staatliche Mittelzuweisungen verweisen. Vgl. auch P. Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 3. Aufl. 2007, § 11, Rdnr. 278; Martini (Fn. 330), 738; Vogel/Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts, 1999, Rdnr. 429; a. A. BVerfGE 12, 319 (323); BVerwGE 42, 210 (217).

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sein.594 Sie bedarf in ihrer Höhe und ihrem Erhebungsgrund einer besonderen Rechtfertigung – in grundrechtlicher, aber auch in finanzverfassungsrechtlicher Hinsicht. Finanzverfassungsrechtlich finden Mitgliedsbeiträge einer Zwangskörperschaft ihren Grund, aber auch ihre Grenze in der Verbandssolidarität. Der Beitrag entgilt den abstrakten, objektiven Vorteil, den ein Individuum durch die Vorhaltung der Leistungsressourcen eines gruppennützigen Verbandes genießt und beteiligt ihn an den dadurch entstehenden Kosten. Er beruht auf dem Gedanken der Lastengemeinschaft, namentlich dem Prinzip solidarischer Finanzierung des Finanzbedarfs, der sich aus der Wahrnehmung der legitimen Aufgaben des Verbandes ergibt.595 Nur zu diesem Zweck und nur in diesem Umfang dürfen Beiträge dann aber erhoben und verwendet werden. Sie müssen dem Vorteil der Gesamtheit der Mitglieder dienen, wenn auch sich nicht notwendig für jeden Einzelnen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil messbar niederschlagen.596 Anderenfalls erweist sich die Vorzugslast als unverhältnismäßig. Das Äquivalenzprinzip und der Gleichheitssatz bilden insoweit die Grenze der Kammerbeitragserhebung. Sie muss greifbare wirtschaftliche Vorteile vermitteln, die der Abgabepflichtige als Teil der Gruppe, in deren Interesse die Einrichtung besteht, nutzen können muss.597 Die Beitragslasten greifen in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit ein. Als solche sind sie verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig, insbesondere dem Gebot der Verhältnismäßigkeit unterworfen. Rechtfertigbar sind sie nur dann, wenn sie den besonderen Spezifika ausgewogen Rechnung tragen, unter denen die Mitglieder der Pflegeberufe ihre Berufstätigkeit versehen. Insoweit gilt es zwei Besonderheiten zu beachten: namentlich das niedrige allgemeine Verdienstniveau und die typischerweise kurze Verweildauer der Berufsangehörigen in ihrem Beruf [unten (aa)] sowie die teilweise disparaten Ausgangsvoraussetzungen und Interessenlagen der Berufsmitglieder [unten (bb)].

594 Plantholz (Fn. 348), S. 97 sieht – wohl etwas voreilig – „erfahrungsgemäß“ keine nennenswerte finanzielle Belastung. 595 Vgl. etwa BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (337); ausführlich zur finanzverfassungsrechtlichen Herleitung und kritisch zur Theorie der Verbandslast Rieger (Fn. 583), Rdnr. 22 ff. 596 BVerfGE 107, 169 (176). 597 BVerfGE 49, 343 (353).

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(aa) Unangemessenheit einer Einbeziehung aller, auch ehemaliger Berufsträger in die Pflegekammer Für einige Pflegeberufe ist eine kurze Verweildauer der Berufsangehörigen in ihrem ursprünglichen Beruf charakteristisch.598 Bereits nach wenigen Jahren der Berufstätigkeit ist nur noch ein geringer Bruchteil derjenigen, welche die Berufsbezeichnung erworben haben, weiterhin in diesem Beruf tätig. Altenpfleger haben ein doppelt so hohes Risiko vorzeitiger Berufsbeendigung als andere Berufe.599 Dem liegt ein komplexes Ursachenbündel zugrunde. Neben dem hohen Anteil weiblicher Berufsmitglieder,600 die aus Anlass der Familiengründung eine berufliche Pause einlegen und dann oft nicht mehr in den Beruf zurückkehren, ist auch eine hohe Unzufriedenheit mit den beruflichen Belastungen und den Arbeitsbedingungen der Pflegeberufe tragender Grund für die sich stark öffnende Schere zwischen Ausgebildeten und in dem Beruf Tätigen.601 Schichtarbeit, unangemessene Zeitarbeitsmodelle, unterdurchschnittliche Bezahlung, körperliche Anstrengung sowie die mit der pflegerischen Tätigkeit häufig verbundene psychische und physische Belastung tragen dazu entscheidend bei. Die aus dem erlernten Beruf ausgeschiedenen Berufsmitglieder stehen dem Pflegemarkt teilweise als „stille Reserve“, bisweilen nach Umschulung aber auch gar nicht mehr zur Verfügung. Ist das Ausscheiden aus dem ursprünglich erlernten Beruf nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel, dann ist es unangemessen und damit unverhältnismäßig, jeden, der die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung erworben hat, ohne Rücksicht auf die aktive Berufsausübung als Pflichtmitglied an die Kammer zu binden. So sieht es aber bspw. Art. 65b Nr. 2 BayHKaG-E602 gesetzlich für die Einrichtung einer bayerischen Pflegekammer vor. Die Regelung will jeden, der die Berufsbezeichnung der dort genannten Pflegeberufe führen darf und die Tätigkeit in Bayern ausübt oder einen Hauptwohnsitz in Bayern gemeldet hat, in den Pflichtverband einbeziehen. Das ist mit dem Grundgesetz, insbesondere 598 Vgl. dazu etwa Behrens/Horbach/Müller, Forschungsstudie zur Verweildauer in Pflegeberufen in Rheinland-Pfalz, 2009, S. 28. 599 Behrens/Horbach/Müller (Fn. 598), S. 36. 600 Immerhin liegt der Anteil der Frauen beispielsweise in der Altenpflege bei ca. 80%, vgl. BVerfGE 106, 62 (83). 601 So auch BVerfGE 106, 62 (81). 602 „Mitglieder der Pflegekammer sind alle Berufsangehörigen, die eine Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung als Gesundheits- und Krankenpfleger (Gruppe 1), Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger (Gruppe 2) oder Altenpfleger (Gruppe 3) besitzen und (. . .) 2. ohne einen dieser Berufe auszuüben, in Bayern ihre Hauptwohnung haben.“

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der Berufsfreiheit603 und der allgemeinen Handlungsfreiheit,604 nicht vereinbar.605 Dass die betroffenen Personen die Möglichkeit hätten, das Recht zur Führung der Berufsbezeichnung freiwillig aufzugeben, um der Pflichtmitgliedschaft zu entgehen, ändert an der Unverhältnismäßigkeit nichts. Denn eine solche Option treibt gleichsam den Teufel mit dem Beelzebub aus. Die betreffenden Personen verlieren mit der Aufgabe der Berufsbezeichnung nämlich die Rechte, die ihnen der erfolgreiche Abschluss ihrer beruflichen Ausbildung vermittelt. Die Wahlfreiheit, eine Berufsbezeichnung aufzugeben, um einer Pflichtmitgliedschaft zu entgehen, erweist sich nicht als eine angemessene Handlungsalternative. Angemessen erscheint vielmehr eine gesetzliche Ausnahmeregelung, die für solche Fälle das Ruhen der Mitgliedschaft – zumindest aber der Beitragspflicht – anordnet.

(bb) Berücksichtigung unterschiedlicher Ausgangsvoraussetzungen und Interessenlagen der Kammermitglieder An den Vorteilen, die eine Pflegekammer zu erreichen verspricht, partizipieren die einzelnen Mitglieder nicht gleichmäßig. Diejenigen, die ihre Tätigkeit als Selbstständige ausüben, ziehen aus einer Pflegekammer grundsätzlich in ähnlicher Weise wie die verkammerten Berufe der Rechtsanwälte, Ärzte und Apotheker Nutzen. Demgegenüber profitieren abhängig Beschäftigte – insbesondere in unteren Einkommensgruppen – typischerweise in geringerem Umfang von den Leistungen einer Pflegekammer, obwohl sie die quantitativ mit Abstand größte Gruppe der Pflegenden stellen. Das muss sich dann in einer niedrigeren Beitragslast für die abhängig beschäftigten Mitglieder der Pflegekammer niederschlagen.606 Dies ergibt sich einerseits aus ihrer regelmäßig beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit sowie andererseits aus dem Gebot der Beitragsgerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem finanzverfassungsrechtlichen Äquivalenzprinzip. 603

Dazu allgemein oben S. 126 ff. Dazu allgemein oben S. 129 ff. 605 Das BVerwG (Buchholz 430.1 Kammerrecht Nr. 12) hat allerdings in einer Entscheidung aus dem Jahr 1986 keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG darin gesehen, dass eine Satzung einer Apothekenkammer ein Kammermitglied, das keine Apothekertätigkeit ausübt und über kein eigenes Einkommen verfügt, in gleichem Maße einer Beitragspflicht unterwirft wie ein Kammermitglied, das eine abhängige Apothekertätigkeit ausübt und/oder über ein eigenes Einkommen verfügt. 606 Vgl. für die Konstellation einer Apothekerkammer ebenso BVerwG, NJW 1997, 814 (816); Rieger (Fn. 583), Rdnr. 184. 604

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

Das „Gesetz der großen Zahl“ erlaubt aufgrund der Größe der Berufsgruppe einer Pflegekammer einen moderaten durchschnittlichen Beitragssatz. Nach ersten Kalkulationen soll er sich in einem Korridor zwischen 5 und 10 Euro monatlich bewegen. Diese Belastung ist im Regelfall zumutbar. 2. Grundrechtspositionen Dritter Eine Pflegekammer greift nicht allein in Rechte ihrer eigenen Mitglieder ein. Sie kann auch Rechte Dritter verletzen. Ein pflichtmitgliedschaftlicher Verband kann namentlich die Betätigungsfreiheit und damit die Existenz neu entstehender bzw. bereits existierender Einrichtungen und Verbände gefährden [unten a)] sowie die Rechte der Arbeitgeber von Pflegepersonen verletzen [unten b)]. Einschränkungen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zur Gründung einer Pflegekammer ergeben sich insoweit sowohl aus Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG als auch aus Art. 12 Abs. 1 GG. a) Positive Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit der bisher die Interessenwahrnehmung ausübenden Organisationen (Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG) Pflegekammern verstehen sich als universale Berufsvertretung der Pflegeberufe. Mit einem weiten Handlungsauftrag ausgestattet, nehmen sie unter umfassender Einbeziehung aller Mitglieder der Pflegeberufe den Schutz der gemeinsamen beruflichen Interessen in Angriff. Ihre Tätigkeit bleibt nicht ohne Rückwirkung auf den Zulauf zu den privaten Organisationen, die den Schutz der beruflichen Interessen von Pflegenden zu ihrem Ziel erhoben haben. Pflegekammern, Berufsverbände und Gewerkschaften treten zueinander in Konkurrenz. Als öffentlich-rechtliche Zwangsverbände können Kammern in ihrer rechtlich abgesicherten Wirkmacht den Boden des Tätigkeitsfeldes der anderen Vereinigungen (Art. 9 Abs. 1 GG) und Koalitionen (Art. 9 Abs. 3 GG) schlimmstenfalls gleichsam „austrocknen“, so dass für deren Aufgabenwahrnehmung langfristig kein Raum verbleibt. Ein Verdrängungseffekt zulasten der im Pflegebereich spezialisierten Korporationen droht, wenn den Pflichtmitgliedern einer Pflegekammer eine Mitgliedschaft in den bereits bestehenden Vereinigungen nicht mehr lohnend erscheint und damit deren Funktionsfähigkeit ihre faktische Grundlage verliert.607 Als verfassungswidrig erweist sich diese staatlich induzierte Konkurrenz nicht erst, 607 Zur Interessenkollision siehe auch Vorstand der SPD/ASG Bundesvorstand (Fn. 278), S. 17; vgl. auch für Arbeitnehmerkammern Peters (Fn. 349), S. 179 f.

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wenn der Zwangsverband die Gründung eines privaten Verbandes mit ähnlicher Zielsetzung rechtlich behindert. Vielmehr genügt insoweit bereits, wie das BVerfG zu Recht festgestellt hat, dass einem freien Verband eine Tätigkeit „faktisch unmöglich“ gemacht wird, „die er im Rahmen seiner Zielsetzung legitimerweise ausübt. Dies gilt besonders im Verhältnis zu den Koalitionen; denn die Verfassung verleiht ihnen eine institutionelle und funktionale Garantie“608 – in abgeschwächter, aber im Falle einer Pflegekammer besonders realistischer Form aber auch für Berufsverbände. Eine Verkammerung verletzt den Kollektivschutzgehalt des Art. 9 Abs. 1 GG bzw. Art. 9 Abs. 3 GG, wenn sie bestehenden Gewerkschaften [unten aa)] oder Berufsverbänden [unten bb)] in dem ihnen zugeordneten grundrechtlichen Freiheitsbereich die Entfaltungschance nimmt.609 aa) Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG Art. 9 Abs. 3 GG verbürgt eine besondere Form der Vereinigungsfreiheit: die Freiheit zur Gruppenbildung mit dem Ziel, die Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen mit vereinten Kräften zu wahren und zu fördern. Die Verfassung vertraut die Interessenvertretung in der sozialen Auseinandersetzung um die wirtschaftsrechtliche Stellung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern der autonomen Verhandlungsmacht der Tarifparteien an.610 Denn sie geht davon aus, dass die Richtigkeitsgewähr des gefundenen Ergebnisses am ehesten gewährleistet ist, wenn der Staat nicht seine Vorstellungen von der besten Ordnung des Arbeitslebens zwangsweise durchsetzt, sondern der Auseinandersetzung und dem Interessenausgleich zwischen den sozialen Gegenspielern überlässt.611 Die Koalitionsfreiheit bedarf der gesetzlichen Ausgestaltung durch normative Regelungsstrukturen, welche die Ausübung der aufeinander bezogenen, aber gegenläufigen koalitionsspezifischen Betätigungen möglich machen und flankieren (insbesondere die Einräumung der Normsetzungsbefugnis in Tarifverträgen).612 Sie steht aber nicht unter Einschränkungsvorbehalt. Darin drückt sich der besondere Gewährleistungsschutz aus, den die Verfassung der Koalitionsfreiheit als Grundpfeiler seiner Wirtschaftsordnung angedeihen lassen möchte. 608 BVerfGE 38, 281 (303); zustimmend Kluth (Fn. 434), 325 f.; enger Thieme (Fn. 482), S. 31 f. 609 Vgl. etwa auch Peters (Fn. 349), S. 179. 610 Scheuner, Der Inhalt der Koalitionsfreiheit, in: Weber/Scheuner/Dietz (Hrsg.), Koalitionsfreiheit, 1961, S. 29 (53). 611 BVerfGE 88, 103 (114). 612 BVerfGE 84, 212 (228).

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

Gegen einen verfassungsrechtlich unzulässigen Eingriff können sich nicht nur die Koalitionen selbst zur Wehr setzen, sondern auch jedes ihrer Mitglieder.613 Art. 9 Abs. 3 GG verleiht damit als doppelfunktionales Kommunikations- und als Wirtschaftsgrundrecht sowohl ein individuelles als auch ein kollektives Freiheitsrecht sowie eine Funktionsgarantie für die koalitionsmäßige Betätigung.614 (1) Schutzgehalt der Koalitionsfreiheit Ob die Errichtung einer Pflegekammer in die angestammten grundrechtlichen Schutzsphären der Koalitionen eingreift, hängt von der Weite des Begriffsverständnisses „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ ab. Arbeitsbedingungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG sind solche Umstände, die sich unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis beziehen, insbesondere die Entlohnung, Urlaub, Arbeitsschutz und Arbeitszeit. Wirtschaftsbedingungen nehmen demgegenüber allgemeine wirtschafts- und sozialpolitische Verhältnisse der Arbeitnehmer in Bezug.615 Der Begriff ist grundsätzlich weit zu verstehen. Er umschließt insbesondere die friedliche Wahrnehmung der Mitgliederinteressen außerhalb von Arbeitskämpfen gegenüber dem Staat sowie dem sozialen Gegenspieler. In diesem Sinne deutet auch das BVerfG die grundrechtliche Gewährleistung. Es versteht auch „die freie Darstellung der in ihnen organisierten Gruppeninteressen gegenüber dem Staat“ als Teil des Schutzbereichs des Art. 9 Abs. 3 GG.616 Zu dem Kern des Schutzes der Koalitionsfreiheit gehört als grundsätzlich unantastbares Minimum jedenfalls die verbandsmäßige Gestaltung der Arbeitsbedingungen mit den Mitteln des Tarifvertrages, des Arbeitskampfes und der Schlichtung sowie der verbandsmäßigen Mitgestaltung und der Mitgestaltung der unternehmensverfassungsrechtlichen Ordnung.617 Ein mittelbares oder unmittelbares Einwirken des Staates in diesen originären Entfaltungsbereich der Gewerkschaften ist unzulässig.618 Daraus folgt mittelbar auch eine Einschränkung des Wirkungskreises von Pflegekammern: Die individualvertragliche Beratung von Mitgliedern der Pflegeberufe oder das 613

BVerfGE 38, 281 (303) m. w. N. BVerfGE 88, 103 (114); 94, 268 (282); 100, 214 (221); 100, 271 (282); 103, 293 (304); kritisch Kemper, in: Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 138 ff. 615 In diesem Sinne etwa auch Cornils, in: Epping/Hillgruber (Fn. 423), Art. 9 GG, Rdnr. 46. 616 BVerfGE 28, 295 (305) im Anschluss an BVerfGE 20, 56 (107). 617 Vgl. dazu BVerfGE 4, 96 (106); 18, 18 (26); 38, 281 (306). 618 Dazu etwa auch Mronz (Fn. 561), S. 283. 614

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Aushandeln individualvertraglicher Arbeitsbedingungen sind – auch wenn manche Befürworter dies gerne zu den Aufgaben einer Pflegekammer rechnen würden619 – aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Aufgabenbereich einer Pflegekammer verschlossen.620 In ihrem Kernbereich ist die Koalitionsfreiheit nur durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar.621 Darin drückt sich eine besondere Privilegierung der Koalitionen gegenüber den sonstigen Vereinigungen des Art. 9 Abs. 1 GG aus. Diese rechtfertigt sich aus der der Verfassung zugrunde liegenden steuerungstheoretischen Hypothese, dass die autonomen gegenläufigen Bestrebungen der Sozialpartner am ehesten für eine interessengerechte gemeinwohlverträgliche Gestaltung der Arbeits-, aber auch der Wirtschaftsbedingungen bürgen und deshalb auf einen besonderen Schutz angewiesen sind.622 Nur die Tarifparteien gewährleisten nach Einschätzung der Verfassungsväter in Zukunft einen das sozialstaatliche gesellschaftliche Gefüge stabilisierenden Ausgleich der Kräfte zwischen Kapital und Arbeit. Sie stützt sich dabei auf die historischen Erfahrungen des Ringens um sozialstaatliche Wohltaten des Wohlfahrtsstaates und die befriedende Funktion des Arbeitskampfes. Mit dem grundsätzlich vorbehaltlosen Schutz der koalitionsmäßigen Aktivität endet der verfassungsrechtliche Schutz der gewerkschaftlichen Betätigung allerdings noch nicht. Er erstreckt sich außerdem auf Betätigungen jenseits des Kernbereichs, lässt dort aber auch gesetzgeberische Ausgestaltungen des Grundrechtsschutzes zu.623

619 Vgl. dazu die Ergebnisse der Umfrage unter den Pflegekräften Schleswig-Holsteins, TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 15; dazu auch oben S. 61 ff. 620 Vgl. dazu auch BVerfGE 38, 281 (300). 621 Siehe dazu etwa Kemper, in: Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 116 m. w. N. 622 Vgl. auch Peters (Fn. 349), S. 185. 623 BVerfGE 93, 352 (359). Rüthers, Streik und Verfassung, 1960, S. 49 ff., 66 f. sieht das „Wesen der Kerninstitute der sozialen Selbstverwaltung“ durch Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip gewährleistet und will darunter auch die grundsätzliche Beteiligung der Koalitionen an der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Sozialgerichtsbarkeit, der Arbeitsverwaltung und der Sozialversicherung fassen. Letzteres erweist sich als nicht unproblematisch, da sich damit letztlich eine institutionelle Existenzgarantie für die Gewerkschaften in zahlreichen nicht koalitionsspezifischen Lebensbereichen verbände. Kritisch daher zu Recht Peters (Fn. 349), S. 185.

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(2) Mittelbar-faktischer Eingriff? (a) Schnittmenge gewerkschaftlicher und kammerrechtlicher Tätigkeitsbereiche Die Tätigkeitsbereiche von Pflegekammern und Pflegegewerkschaften weisen – gerade angesichts des überproportional hohen Anteils von Angestellten unter den Pflegenden – Schnittmengen auf: Sie zielen beide auf die Ausgestaltung der Wirtschaftsbedingungen eines Berufsstandes – auch in Auseinandersetzung mit dem sozialen Gegenspieler. Beiden geht es um die wirtschafts- und sozialpolitischen Verhältnisse der Arbeitnehmer in den Pflegeberufen.624 (b) Konzeptionelle Unterschiede zwischen gewerkschaftlicher und kammerlicher Tätigkeit Sind die Tätigkeitsfelder von Gewerkschaften und Berufsverbänden sowie Kammerorganisationen auch nicht überschneidungsfrei, sind sie andererseits aber nicht deckungsgleich. Gewerkschaften sind primär der tariflichen Gestaltung der Arbeitsbedingungen verschrieben, die in den Arbeitsverträgen ihren Niederschlag finden. Sie vertreten Partikularinteressen der in ihnen vereinigten Gruppe. Pflichtmitgliedschaftsverbände nehmen demgegenüber einen Gemeinwohlauftrag für sich in Anspruch, der auf allgemeine Standesvertretung und die Mitwirkung an der staatlichen Willensbildung, insbesondere in der Gesetzgebung zielt. Ihre Aufgabe ist es nicht und darf es nicht sein, Löhne und sonstige vertragliche Arbeitsbedingungen mit den Arbeitgebern auszuhandeln und diesen im Widerstreit mit dem sozialen Gegenspieler in tarifvertraglichen Vereinbarungen für die Beschäftigten Ausdruck zu verleihen. Sie sind nicht zum Arbeitskampf berechtigt und intervenieren nicht in konkrete Arbeitsverhältnisse zugunsten der Arbeitnehmer. Vielmehr zielen sie auf die Vertretung der Belange des Berufsstandes sowohl nach innen, insbesondere im Hinblick auf die ordnungsgemäße Berufsausübung, als auch nach außen, insbesondere gegenüber dem Gesetzgeber, den Arbeitgebern und der Gesellschaft. Die Gewerkschaften nehmen insoweit Aufgaben wahr, die den Pflegekammern verschlossen sind. Umgekehrt nehmen die Pflegekammern Aufgaben wahr, die nicht zum klassischen Zuschnitt originärer gewerkschaftlicher Tätigkeit gehören und zu einem guten Teil, wie beispielsweise die Berufsaufsicht, als öffentlichrechtliche Befugnis nicht gehören können. Die Gewerkschaften betreiben mit anderen Worten tendenziell Arbeitnehmerpolitik, die Kammern Berufs624

Ähnlich für Arbeitnehmerkammern Peters (Fn. 349), S. 182.

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politik.625 Der Blick der Gewerkschaften richtet sich vorrangig auf den sozialen Gegenspieler, der Blick der Pflegekammer vorrangig auf die Stellung der Pflegenden als Berufsgruppe im Gesundheitssystem und in der Gesellschaft. Beide Tätigkeitsfelder verhalten sich weitgehend komplementär zueinander. Dabei unterliegen sie zugleich einem steten Wandel. Ein grundlegender Veränderungsprozess hat sich in den letzten Jahrzehnten insbesondere in dem Bereich allgemeiner Wahrnehmung von Fürsorgeaufgaben für gewerkschaftlich gebundene Arbeitnehmer vollzogen. Die Gewerkschaften haben sich von Tarif- zu Berufsorganisationen aller Arbeitnehmer gewandelt und nehmen für sich die umfassende Repräsentation der Arbeitnehmerinteressen in Staat und Gesellschaft in Anspruch.626 Das gilt sowohl für den Bereich allgemeiner Interessenwahrnehmung, etwa bei Gesetzgebungsvorhaben, als auch für die Wahrnehmung von Förderaufgaben im Bereich beruflicher Weiterbildung. Das löst das Bedürfnis nach einer stärkeren Abgrenzung der Aufgabenbereiche aus, die eine Kannibalisierung sowohl der etablierten als auch der neu entwickelten gewerkschaftlichen Tätigkeitsbereiche durch die öffentlich-rechtliche Pflichtmitgliedschaft verhindert. Die Einrichtung einer Pflegekammer verletzt in diesem Schnittmengenbereich die verfassungsrechtliche gewerkschaftliche Rechtsstellung grundsätzlich nur dann, wenn sie die Wirkungsmöglichkeiten oder gar den Bestand der Gewerkschaften in einem Bereich beeinträchtigen, für den sie den exklusiven Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG genießen.627 Den Gewerkschaften muss ungeachtet der Pflichtmitgliedschaft ihrer Adressaten in einem öffentlich-rechtlichen Zwangsverband ein hinreichender Entfaltungsraum bleiben, der ihren Kernbereich der Tätigkeit nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch unangetastet lässt. Ihnen muss die ungestörte Ausübung ihrer koalitionsmäßigen Tätigkeit garantiert sein. Der besondere Schutz der Gewerkschaften bezieht sich auf ihre Rolle im Tarifvertragssystem, die Funktion als Kampfverbände im Widerstreit mit dem sozialen Gegenspieler, nicht aber auf eine allgemeine Interessenvertretung der Pflegenden als solche (ohne Bezug zu einem konkreten Arbeitgeber).628 Denn nur in jenem Bereich, das heißt hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsbedingungen, gesteht die Werteordnung des Grundgesetzes ihnen eine Sonderrolle zu. Jenseits dieses Kernbereichs ist ihnen kein Monopol vorbehalten, die Interessen der Arbeitnehmer umfassend gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit zu artikulieren. Insoweit stehen sie seit jeher in Konkurrenz mit anderen privaten 625 626 627 628

Roßbruch (Fn. 209), 12. BVerfGE 38, 281 (304 f.). Vgl. BVerfGE 38, 281 (306); Zacher (Fn. 391), S. 30. BVerfGE 38, 281 (306 f.).

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und öffentlich-rechtlichen Korporationen.629 Ihnen verbleibt insoweit ein einschränkbares Äußerungs- und Betätigungsrecht. (c) Anforderungen an die Ausgestaltung der Konkurrenzbeziehung zwischen gewerkschaftlicher und kammerlicher Tätigkeit Die Etablierung einer Pflegekammer als pflichtmitgliedschaftliche Organisation zielt in ihrer Sinnrichtung nicht auf eine Beschneidung oder Verdrängung gewerkschaftlicher Betätigung. Sie übt ähnlich wie Arbeitnehmerkammern Funktionen aus, welche die Gewerkschaften nicht oder nicht in dieser Form wahrnehmen. Das allein entkrampft die Konkurrenzbeziehung zwischen beiden Organisationstypen aber nicht.630 Denn es schließt, wiewohl sich beide Aufgabenbereiche nur teilweise überschneiden, eine faktische einseitige Kannibalisierung nicht aus. Indem eine Pflegekammer ihre Aufgaben bestimmungsgemäß wahrnimmt, kann sie namentlich die Attraktivität der gewerkschaftlichen Interessenvertretung mittelbar beeinträchtigen. Sie nimmt den Gewerkschaften womöglich die Chance, Mitglieder zu halten und neue Mitglieder zu werben. Nehmen die Pflegekammern die individuell prioritären Interessen der Pflegenden in zufriedenstellender Weise wahr, ist für diese nicht unbedingt ein schlagender Grund erkennbar, eine Doppelbelastung durch Kammer- und Gewerkschaftsbeiträge in Kauf zu nehmen.631 Kammerbeiträgen kann der Pflegende nicht ausweichen, Gewerkschaftsbeiträgen demgegenüber sehr wohl. Eine Mitgliedschaft in den bereits bestehenden Gewerkschaften erscheint manchem womöglich dann nicht mehr hinreichend attraktiv, um sie aufrechtzuerhalten. Wie die Arbeitnehmer die faktische Konkurrenz zwischen Kammern und Gewerkschaften werten und ihr Verhalten ausrichten,632 lässt sich nur schwer prognostizieren, ist aber für die rechtliche Würdigung entscheidend. Empirische Befunde dazu, wie sich die Gründung von Pflegekammern realiter auf das Organisationsverhalten tatsächlicher und potenzieller Gewerkschaftsangehöriger in Ländern ausgewirkt hat, die Pflegekammern kennen, lassen sich, soweit überhaupt verfügbar, angesichts unterschiedlicher Aufgabenverständnisse, Mitgliederbindungen und kultureller Traditionen nicht unbesehen auf deutsche Strukturbedingungen übertragen. Für den Parallelfall 629

BVerfGE 38, 281 (306). Ebenso Peters (Fn. 349), S. 188, in Entgegnung zu Fröhler, Stehen der Errichtung von Arbeitskammern mit Zwangsmitgliedschaft für die Arbeitnehmer verfassungsrechtliche Bestimmungen insbesondere Art. 179 der Bayerischen Verfassung entgegen?, 1970, S. 35. 631 Das vernachlässigt Mronz (Fn. 561), S. 284. 632 Ebenso Peters (Fn. 349), S. 188. 630

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der Arbeitnehmerkammern ließ sich eine mitgliedsschmälernde Wirkung ihrer Etablierung weder eindeutig be- noch widerlegen. Immerhin weicht der Organisationsgrad gewerkschaftlicher Mitgliedschaft im Saarland und in Bremen nicht exorbitant von demjenigen anderer Länder ab, sondern lag auch noch Jahrzehnte nach ihrer Gründung oberhalb des Bundesdurchschnitts.633 In diese Bilanz spielen jedoch überkommene politische Grundhaltungen der Bevölkerung, unterschiedliche Arbeitnehmerstrukturen in den Ländern und gewerkschaftliche Traditionen in signifikantem Umfang verzerrend hinein. Eine den Kernbestand gewerkschaftlicher Arbeit in seiner Funktionsfähigkeit gefährdende Verdrängungswirkung von Arbeitnehmerkammern hat sich allerdings jedenfalls nicht bewahrheitet. Das Korporationsverhalten der verkammerten Mitglieder von Pflegeberufen wird insbesondere davon abhängen, wie stark die Gewerkschaften derjenigen Bereiche beraubt werden, die Arbeitnehmer maßgeblich motivieren, einer Gewerkschaft beizutreten, und wie hoch die Beitragskonkurrenz sein wird, die von einer Pflegekammer ausgeht: Zentrale Beitrittsmotivationen sind traditionell die Absicherung der arbeitsvertraglichen Verhandlungsmacht gegenüber dem Arbeitgeber und die individuelle Beratung in Fragen des Arbeitnehmerrechts. Eine Kammer, die wichtige tarifliche oder individualvertragliche Beratungsaufgaben im Einzelfall wahrnähme, grübe den Gewerkschaften insoweit das Wasser im Hinblick auf potenzielle Mitglieder ab. Ihr insoweit eine Aufgabenkompetenz zuzuweisen, wäre indes ohnehin sowohl mit der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG als auch dem Legitimationsauftrag einer Kammer unvereinbar. Auch die Höhe von Kammerbeiträgen alleine kann daneben die Zahlungsbereitschaft der Pflegenden für die Entrichtung von Gewerkschaftsbeiträgen nachhaltig faktisch beeinflussen. Eine echte Konkurrenz tritt für die Arbeitnehmer dann ein, wenn die Kammerbeiträge ein Ausmaß erreichen, das ihre Bereitschaft zur gewerkschaftlichen Organisation finanziell erstickt, etwa gar die finanzielle Basis aufzehrt, von der die Beiträge entrichtet werden. Die Pflegekammer kann dann, wenn auch nicht zielgerichtet, so doch indirekt faktisch in den den Gewerkschaften verfassungsrechtlich vorbehaltenen Kernbereich der Koalitionstätigkeiten eindringen.634 Wenn die Gewerkschaften ihre Aufgabenentlastung durch ihre Schwächung, insbesondere in Form einer Abwanderung von Mitgliedern sowie schwindender Einflussmöglichkeiten, erkaufen, lässt sich das auch nicht mehr ohne Weiteres mit einer stärkeren Einbeziehung aller Mitglieder der Berufsgruppe und dem Ziel, Trittbrettfahrerverhalten auszuschließen, rechtfertigen. Lerche sieht aus diesem Grund eine womöglich anfänglich zulässige Arbeitnehmerkammer jedenfalls dann 633 634

Peters (Fn. 349), S. 131 f. Zacher (Fn. 391), S. 30.

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in einen Zustand verfassungsrechtlicher Unzulässigkeit umschlagen, „wenn sich nach dem jeweiligen Status des Arbeitsrechts der Gewerkschaftsangehörige im Hinblick auf die sonstigen Funktionen der Gewerkschaften nicht relevant besser gestellt sähe als der Außenseiter“635. Für die Arbeitskammern in Bremen und im Saarland636 hat das BVerfG eine Konkurrenzbeziehung zwischen Gewerkschaften und Arbeitnehmerkammern trotz einer hohen Schnittmenge der Tätigkeitsbereiche verfassungsrechtlich gebilligt. Es legitimiert die Koexistenz damit, dass es sich bei Arbeitskammern um „wesentliche, organisch gewachsene Bestandteile der Sozialverfassung“637 handele, die das Gesamtbild der staatlichen Organisationen mitbestimmen.638 Die einheimische Rechtstradition habe eine befriedigende Arbeitsteilung hervorgebracht, die der Freiheit des Gesetzgebers zur Gestaltung des Soziallebens Rechnung trage. Ob „in anderen Ländern, deren sozialgeschichtliche Entwicklung die in Bremen und im Saarland bestehenden Besonderheiten nicht aufweist“639, die Frage nach der Zulässigkeit einer Arbeitskammer anders zu beurteilen wäre, hat das BVerfG ausdrücklich offen gelassen.640 Dem Einwand der „Überflüssigkeit“ komme hier aber – so hat das Gericht festgehalten – „möglicherweise größeres Gewicht“ zu.641 Im Falle der Pflegekammern hat es bislang keine den Arbeitnehmerkammern in ihrer Struktur vergleichbare, etablierte öffentlich-rechtliche Einrichtung gegeben, die auf eine lange Tradition zurückblicken kann und deren Wirken durch eine friedliche Koexistenz mit den Gewerkschaften und Zwangsvereinigungen geprägt ist. Zugleich ist allerdings die Schnittmenge der Aufgaben im Falle von Pflegekammern geringer als bei Arbeitnehmerkammern. Letztere nehmen die auf der Grundlage ihres Auftrags zur Förderung des Gesamtinteresses der Arbeitnehmer (vgl. etwa § 2 Abs. 1 Nr. 1 BremArbnKG) auch arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtliche Beratungsleistungen wahr.642 Dass eine neu gegründete staatliche Pflichtmitgliedschaftsorganisation den bei den Gewerkschaften bestehenden Mitgliederstamm absorbiert und damit den bestehenden gewerkschaftlichen Entfaltungsraum torpediert, ist insgesamt wenig wahrscheinlich. Das entbindet 635 Lerche, Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit der erwogenen Einrichtung einer Arbeitskammer in Bayern unter besonderer Berücksichtigung von Art. 179 der Bayerischen Verfassung, 1970, S. 46. 636 Vgl. zu ihrem Auftrag und Wesen oben Fn. 561. 637 BVerfGE 38, 281 (309). 638 Vgl. zur Übertragung dieser Rechtsprechung auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Pflegekammern: Braun (Fn. 397), 742 f. 639 BVerfGE 38, 281 (309 f.). 640 BVerfGE 38, 281 (309 f.). 641 BVerfGE 38, 281 (310). 642 Vgl. dazu auch OVG Bremen, NZA-RR 2005, 429 (430).

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den Gesetzgeber aber nicht von der Verpflichtung zur grundrechtsschonenden Ausgestaltung des Aufgabenkatalogs einer Pflegekammer. Er muss sicherstellen, dass die Tätigkeit der Pflegekammer nicht unzulässig in den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich gewerkschaftlicher Tätigkeit übergreift oder durch die Höhe von Kammerbeiträgen eine Flucht aus gewerkschaftlichen Organisationen einsetzt. Bei sich abzeichnenden Fehlentwicklungen hat er seiner Nachbesserungspflicht nachzukommen. bb) Positive Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) von Pflegeberufsverbänden und ihren Mitgliedern Eine deutlich größere Schnittmenge als mit Gewerkschaften teilen Pflegekammern mit Pflegeberufsverbänden. Diese blicken auf eine feste Tradition zurück, bestehen in reicher Zahl und verfolgen ganz ähnliche Ziele wie eine Pflegekammer. Ein Vergleich der Satzungen dieser Vereinigungen, wie beispielsweise des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe,643 fördert einen sehr hohen Deckungsgrad der definierten Aufgabenbereiche und Ziele zutage. Zwischen Pflegekammern und Berufsorganisationen der Pflege besteht insoweit eine echte Konkurrenzbeziehung, wie sie das BVerfG in seiner Entscheidung zu Arbeitnehmerkammern ausdrücklich als Grenze staatlichen Eindringens in angestammte Funktionsbereiche von Vereinigungen benannt hat.644 Dass das Gericht den Mitgliedern einer öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinigung den Schutz der negativen Vereinigungsfreiheit gegenüber der Vereinigung versagt,645 rechtfertigt nicht den Schluss, dass Art. 9 Abs. 1 GG die positive Vereinigungsfreiheit bestehender privatrechtlicher Vereinigungen und ihrer Mitglieder gegenüber den externen Effekten einer solchen Zwangsvereinigung schutzlos lässt. Denn insoweit aktiviert sie die klassische abwehrrechtliche Funktion, die für die in dem Verein Zusammengeschlossenen einen Schutzbedarf vor den Auswirkungen staatlichen Handelns begründet.646 Art. 9 Abs. 1 GG begründet ein Doppelgrundrecht kollektiver und individueller Vereinigungsfreiheit.647 Die kollektive Vereinigungsfreiheit erstreckt 643 § 2 Abs. 1 der Satzung des Bundesverbandes des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe vom Nov. 2008. 644 BVerfGE 38, 281 (304). 645 Dazu oben S. 119 ff. 646 Treffend Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 9 GG, Rdnr. 91: „Der öffentlich-rechtliche Zwangszusammenschluß soll auch nach Auffassung des BVerfG zumindest dann an Art. 9 gemessen werden, wenn dieser als Konkurrenzverband zu einer privatrechtlichen Vereinigung (hier: Koalition) aufgezogen wird. Dieser Sicht des BVerfG ist vorbehaltlos zuzustimmen.“ 647 BVerfGE 13, 174 (175); 30, 227 (241); 50, 290 (354); 84, 372 (378); BVerwGE 54, 211 (219); ferner etwa Epping, Grundrechte, 5. Aufl. 2012, Rdnr. 861; die gegen-

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sich auf den Bestand, die Ausgestaltung der inneren Struktur der Vereinigung, insbesondere die Selbstbestimmung über die Willensbildung, die Geschäftsführung und den Kernbereich der Betätigung der Vereinigung, insbesondere ihre Existenz und Funktionsfähigkeit.648 Sie gewährt der Vereinigung selbst einen von ihren Mitgliedern getrennten Bestands- und Funktionsschutz.649 Die individuelle Vereinigungsfreiheit schützt demgegenüber insbesondere den Beitritt zu und Verbleib in der Vereinigung sowie die auf die Verwirklichung der Vereinsziele gerichtete vereinsspezifische Betätigung. Dazu gehören die Gründung einer Organisation und die Betätigung darin ebenso wie das Recht zur Auflösung und Beendigung der korporativen Betätigung. (1) Schutzbereich und mittelbar-faktischer Eingriff Als besonderer Ausdruck des Schutzes der Erscheinungsformen, in denen sich menschliche Handlungsfreiheit äußert,650 soll Art. 9 Abs. 1 GG die Bürger davor bewahren, dass der Staat die soziale Gruppenbildung auf staatlich kanalisierte Formen öffentlicher Meinungs- und Entscheidungsbildung reduziert.651 Das Wirken einer öffentlich-rechtlichen Zwangsorganisation „Pflegekammer“ steht in der Gefahr, den Entfaltungsraum bestehender privater Berufsorganisationen auszuhöhlen: Staatliche Gruppenbildung droht die durch Art. 9 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich abgesicherte Grundidee freier sozialer Gruppenbildung in ihr Gegenteil zu verkehren. Die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer absorbiert die Mitwirkungsbereitschaft ihrer Mitglieder und zieht sie unter Umständen aus bestehenden Organisationen ab, die ähnliche Zielrichtungen verfolgen. Die Kapazität und die Bereitschaft der Mitglieder von Pflegeberufen zur Mitwirkung in beruflichen Selbstverwaltungsorganen sind limitiert. Die vergleichsweise universale Ausrichtung der Pflegekammer und ihr pflichtmitgliedschaftlicher, die Aufgaben privater Berufsorganisationen umspannender Charakter können andere Organisationsformen mit ähnlicher Zielrichtung verdrängen. Im Extremfall lässt die Gründung und Entteilige (in der Minderheit befindliche) Auffassung (Kemper, in: Mangoldt/Klein/ Starck [Fn. 383], Art. 12 GG, Rdnr. 62) erreicht im Wesentlichen das gleiche Ergebnis über Art. 19 Abs. 3 GG. 648 BVerfGE 30, 227 (241); 84, 372 (378). 649 Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 9 GG, Rdnr. 43. 650 BVerfGE 17, 306 (314); 38, 281 (303). 651 „Der Staat darf nicht durch beliebige Errichtung öffentlich-rechtlicher Körperschaften das freie Verbandswesen unterlaufen und den freien Vereinigungen durch Pflichtmitgliedschaften in parallelen öffentlich-rechtlichen Verbänden die Lebensmöglichkeit nehmen“ (BVerfGE 38, 281 [302]).

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faltung einer Pflegekammer das bereits intensiv entwickelte Verbandswesen in Einzelbereichen erlahmen oder bringt es vollständig zum Erliegen.652 Für das Verhältnis der Kammern zu Gewerkschaften mag man noch zu der Einschätzung gelangen, „dass aller Voraussicht nach ein nennenswerter Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften nicht zu erwarten steht“653. Denn deren Aufgabenfelder sind nicht deckungsgleich.654 Für die Berufsverbände der Pflege liegt die Sache im Hinblick auf die wesentlich höhere Schnittmenge der Aufgaben mit den Pflegekammern anders. Die pflichtmitgliedschaftliche Zwangsorganisation wird bei realistischer Betrachtung die bestehenden Berufsverbände – jedenfalls ihre landesrechtlichen Untergliederungen – mittelfristig faktisch weitgehend ablösen. Als solche Surrogatorganisation ist die Pflegekammer auch konzipiert: Sie soll grundsätzlich an die Stelle der privaten Organisationsformen treten, die bisher als zu wenig schlagkräftig erschienen, und deren Aufgabenbereich um weitere Kompetenzfelder, insbesondere im Bereich der Weiterbildung und der Berufsaufsicht, erweitern. Der Entfaltungsraum privater Freiheit, den Art. 9 Abs. 1 GG verbürgt, wird insoweit weitgehend abgelöst durch eine staatlich eingesetzte und – als Teil mittelbarer Staatsverwaltung – auch staatlich gelenkte öffentlich-rechtliche Organisation. Zwar ist prinzipiell eine Kammergründung ohne Kannibalisierungsgefahren, gar eine wechselseitig befruchtende Koexistenz von Kammerstruktur und Berufsverbandsstruktur möglich. Ein Vergleich zur Ärzte- und Rechtsanwaltschaft, insbesondere das Beispiel des Hartmannbundes oder des Deutschen Anwaltsvereins, welche die berufspolitischen Interessen der Ärzte bzw. Rechtsanwälte parallel zu traditionellen Kammerstrukturen vertreten, sowie des mitgliederstarken Marburger Bundes, der sich neben den Ärztekammern als wichtige Stimme der angestellten und verbeamteten Ärzte behauptet, macht das ansatzweise deutlich. Für die Pflegeberufe erweist sich ein solches Szenario jedoch als wirklichkeitsfern und der Vergleich nur bedingt als tauglich. Dies aus zwei Gründen: Zum einen ist der Marburger Bund nicht nur Standesvertretung, sondern auch und vor allem Fachgewerkschaft für Ärzte. Gerade daraus speist sich in wesentlichen Teilen seine Attraktivität für seine Mitglieder und damit seine Behauptungsmacht. Zum anderen steht die Kammerstruktur der Ärzteschaft in einer längeren Tradition als der Marburger Bund. Bei der Berufsgruppe der Pflegenden verhält es sich umgekehrt: Eine Pflegekammer tritt zu bestehenden Berufsverbänden in Konkurrenz, die bereits ständische Interessen vertreten. Der Gesichtspunkt einer öffentlich-rechtlichen Organisation als „wesentlichem, orga652 653 654

Gallwas (Fn. 124), 63. Peters (Fn. 349), S. 188 f. bezogen auf Arbeitnehmerkammern. Vgl. oben S. 170 ff.

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nisch gewachsenem Bestandteil der Sozialverfassung“655, den das BVerfG im Falle von Arbeitnehmerkammern als Rechtfertigungsbaustein hervorgehoben hat, wird damit nicht wirksam. In einem Berufsfeld wie dem der Pflege, das traditionell von geringer Organisationsbereitschaft der Berufsmitglieder geprägt ist, sind die strukturellen Voraussetzungen dafür, dass sich auch private Verbände gut neben öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen behaupten können, strukturell deutlich schlechter als in der Ärzteund Rechtsanwaltschaft. Soweit die Pflegekammer ihre Aufgaben umfassender Vertretung der Interessen Pflegender zur vollen Zufriedenheit ihrer Mitglieder wahrnimmt, wird das Wirken der Berufsverbände weitgehend obsolet. Sie reduziert sich dann auf eine Reservefunktion, die Lücken staatlicher Interessenwahrnehmung ausfüllt. Diese kann sich im Zweifel vor allem dort entfalten, wo eine mehrere Pflegeberufe umspannende Pflegekammer die Sparteninteressen einzelner Berufsgruppen mitunter nicht vollständig gruppenspezifisch repräsentieren kann. Auch der Umstand, dass Berufsverbände nur den spezifischen Interessen ihrer Mitglieder, die Pflegekammer in ihrer Gemeinwohlbindung demgegenüber dem Gesamtinteresse der Pflegenden sowie dem Ganzen von Staat und Gesellschaft verpflichtet ist, ändert an dieser den bisherigen Aufgabenbereich der Berufsverbände umspannenden Konkurrenz nur wenig. Den Verbänden selbst wie auch ihren Mitgliedern erwächst aus Art. 9 Abs. 1 GG ein Abwehrrecht gegen staatliches, die korporative Betätigung oder die Existenz der Vereinigung torpedierendes Wirken. Die (als wahrscheinlich einzustufende) Auflösung zahlreicher Landesverbände privater Berufsorganisationen im vorauseilenden Gehorsam der staatlichen Etablierung einer Pflegekammer bzw. im Gefolge dadurch bedingten schwindenden Mitgliederinteresses beeinträchtigt die kollektive Vereinigungsfreiheit nachhaltig. Die Verfassung zwingt den Berufsorganisationen diesen Schutz gegen eine Auflösung und Beeinträchtigung der korporativen Vereinigungsrechte allerdings nicht auf. Soweit sie es als ihre Zweckbestimmung verstehen, in einer öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinigung aufzugehen, liegt in der Gründung einer Pflegekammer entsprechend dem Rechtsgedanken „volenti non fit iniuria“ kein Eingriff in die Vereinigungsfreiheit.656 Selbst wenn sich viele Berufsverbände als Transitorium des Übergangs bis zur Gründung einer Pflegekammer verstehen und sich bewusst für diese einsetzen,657 gilt das indes nicht für alle bestehenden Berufsorganisationen. Der Deutsche Berufs655

BVerfGE 38, 281 (309). Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 204), Art. 9 GG, Rdnr. 94. 657 Allen voran der Deutsche Pflegerat als Dachorganisation vieler Pflegerberufsverbände; vgl. www.deutscher-pflegerat.de/dpr.nsf/0/8ADD4B15E09D9D04C1257A 5A006F7BDE (14.8.2013). 656

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verband für Altenpflege e. V., der die beruflichen Interessen der Fachkräfte in der Altenpflege, insbesondere die Weiterentwicklung des Berufsbildes, zu seinem satzungsmäßigen Ziel erhoben hat (§ 2 Abs. 1 S. 1 und 3 der Satzung des Berufsverbandes), hat sich klar gegen eine Pflegekammer positioniert.658 Für ihn stellt sich die Gründung einer Pflegekammer als Eingriff, nicht nur als Ausgestaltung659 des Entfaltungsraums des normgeprägten Grundrechts des Art. 9 Abs. 1 GG dar. Denn sie betrifft das durch Art. 9 Abs. 1 GG gewährte Recht auf Fortbestand und Fortentwicklung der Vereinigung. Sie erweist sich als mittelbar-faktischer Eingriff, der grundsätzlich an den Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG zu messen ist. Denn die Maßnahmen des Staates beschränken die Ausübung der Vereinigungsfreiheit – wenn auch nicht rechtlich durch ein Verbot bestehender Organisationen, so aber doch faktisch durch die bewusste und gewollte nachhaltige Einschränkung der Betätigungsfreiheit bestehender Organisationen in dem ihnen angestammten Tätigkeitsfeld.660 Der mittelbar-faktische Eingriff ist einem klassischen Eingriff in seiner Zielsetzung und seinen Wirkungen funktional äquivalent.661 (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Das Grundgesetz gewährleistet die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG grundsätzlich vorbehaltlos. Eingriffe in den Bestand einer Vereinigung sind nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig. Die Verfassung erlaubt sie ausdrücklich nur, wenn die Vereinigung „den Strafgesetzen zuwiderläuft“ oder sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ bzw. „gegen den Gedanken der Völkerverständigung“ richtet. Diese Rechtfertigungshürden für ein Verbot bzw. ihm äquivalente Maßnahmen überwindet ein Gesetz zur Gründung einer Pflegekammer nicht. 658

Siehe www.dbva.de/pflegekammer.html (14.8.2013). Art. 9 Abs. 1 GG schützt nicht gegen jegliche Form gesetzgeberischer Regulierung vereinsmäßiger Betätigung, sondern gegen die Beschränkung der Selbstorganisation bei der Ausübung der Betätigung. Zu dieser Unterscheidung treffend Epping (Fn. 647), Rdnr. 885 f.; Kemper, in: Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 383), Art. 12 GG, Rdnr. 4, 47. Insoweit unterliegt die Vereinigungsfreiheit notwendig einer gesetzgeberischen Ausgestaltungsfreiheit. Denn – so formuliert es das BVerfG – sie ist „in mehr oder minder großem Umfang auf Regelungen angewiesen, welche die freien Zusammenschlüsse und ihr Leben in die allgemeine Rechtsordnung einfügen, die Sicherheit des Rechtsverkehrs gewährleisten, Rechte der Mitglieder sichern und den schutzbedürftigen Belangen Dritter oder auch öffentlichen Interessen Rechnung tragen“, BVerfGE 50, 290 (354). 660 Vgl. auch diesen Prüfungsmaßstab des BVerfG in seiner Entscheidung zur Arbeitnehmerkammer BVerfGE 38, 281 (305 f.). 661 Vgl. zu dieser in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Abgrenzungsfigur: BVerfGE 105, 252 (273); 105, 279 (303). 659

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Neben Art. 9 Abs. 2 GG sind aber Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit auch (allerdings zugleich nur) durch kollidierendes Verfassungsrecht662 zulässig. Prallen zwei Verfassungspositionen aufeinander, ist beiden im Wege praktischer Konkordanz durch einen schonenden Ausgleich zu optimaler Entfaltung zu verhelfen. Damit verbinden sich hohe Anforderungen – insbesondere deutlich höhere Maßstäbe als diejenigen, die Art. 2 Abs. 1 GG einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit setzt. Insbesondere genügt insoweit – entgegen der Rechtsprechung des BVerfG – im Rahmen des Art. 9 Abs. 1 GG nicht alles, was „zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten“663 ist. Als kollidierende verfassungsrechtliche Position zur Rechtfertigung einer Einschränkung der Vereinigungsfreiheit kommt zum einen die Funktionsfähigkeit des Pflegewesens und des diesen stützenden Berufsstandes infrage. Die besondere verfassungsrechtliche Schutz- und Regelungsbedürftigkeit der Pflegeberufe deutet die Verfassung mit dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG („Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe“) vorsichtig an. Aus dieser Bestimmung ergibt sich jedoch nur ein (angesichts der von den Berufsausübung ausgehenden Gefahren erkanntes) kompetenzielles Regelungsbedürfnis der Verfassung: Sie hält dort eine Konfliktschlichtungsregel für die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern vor, weist aber nicht einen grundrechtlichen Wertigkeitsrang zu, der einen Rückschluss auf hochrangige verfassungsrechtliche Eingriffsbefugnisse rechtfertigen könnte. Gleiches gilt für das Schutzbedürfnis der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung, dem das Grundgesetz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 normativen Ausdruck verleiht. Den Schutz der genannten Regelungsbereiche weist die Verfassung überdies nicht den für eine Pflegekammer gesetzgebungsbefugten Ländern, sondern kompetenziell dem Bund zu. Daneben tritt jedoch das Bedürfnis effektiven Gesundheitsschutzes, das Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich absichert, sowie der sozialstaatliche Regelungsauftrag des Art. 20 Abs. 1 GG.664 Sie verpflichten alle staatlichen Stellen auf eine sachgerechte soziale Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Gesundheitsangeboten. Die Gewährleistung solcher Leistungen der Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege entspricht dem sozialstaatlichen Regelungsauftrag und der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates, Gefahren für die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung durch unsachgemäß erbrachte Pflegeleis662

Siehe dazu bereits S. 123 ff. BVerfGE 30, 243 (247). 664 Zum sozialstaatlichen Auftrag und Rechtfertigungsansatz von Arbeitnehmerkammern BVerfGE 38, 281 (301). 663

II. Grundrechte

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tungen abzuwenden. Die Erhaltung und Förderung der psychischen und physischen Gesundheit und die Versorgung sowie Rehabilitation von alten und kranken Menschen ist integraler Bestandteil des staatlicher Schutzpflicht entsprechenden Sicherstellungsauftrages. Diese Verfassungsgüter können grundsätzlich die Vereinigungsfreiheit beeinträchtigende Maßnahmen, die auf die gesamtstaatliche Aufgabe der Sicherung einer angemessenen Pflegequalität gestützt sind, als kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigen.665 Diagnostiziert der Gesetzgeber aufgrund nachgewiesener struktureller Defizite ein zwingendes Regelungsbedürfnis zur Herstellung sachgerechter Bedingungen moderner Pflege und zur organisatorischen Stärkung der Berufsgruppe, welche die Pflegeleistungen erbringt, legt die Verfassung ihm prinzipiell keine unüberwindbaren Hindernisse in den Weg, dem zur Durchsetzung zu verhelfen. Ihr ist insbesondere keine Wertentscheidung zu entnehmen, die dem Gesetzgeber die Gründung weiterer öffentlich-rechtlicher Zwangsorganisationen, die sich nur um den Preis einer Tangierung des Wirkungsfeldes bestehender Berufsorganisationen realisieren lassen, für alle Zukunft verwehrt. Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee sah vielmehr ausdrücklich die Notwendigkeit, auch künftig die Angehörigen bestimmter Berufe in öffentlich-rechtlichen Körperschaften zusammenzufassen und verwarf aus eben diesem Grunde den seinerzeit diskutierten Formulierungsvorschlag, dass niemand gezwungen sein soll, sich einer Vereinigung anzuschließen.666 Voraussetzung für Eingriffe in die bestehende Verbandsstruktur auf der Grundlage kollidierenden Verfassungsrechts ist aber, dass die kollidierende Verfassungsposition von solchem Gewicht ist, dass sie Beschränkungen der in Art. 9 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung zu rechtfertigen vermag. Das setzt wiederum voraus, dass nur eine öffentlich-rechtliche Zwangsorganisation die angedachten Aufgaben sachgerecht wahrnehmen kann und sich das gewählte Instrument sub specie der Schwere der von ihm ausgehenden Beeinträchtigung als angemessener Ausgleich der berührten schutzwürdigen Positionen darstellt. Das Gewicht der verfassungs665

Dass das GG den besonderen Schutz der Selbstorganisation zur Herstellung von Waffengleichheit gegenüber dem sozialen Gegenspieler sowie zur Sicherung und Förderung gemeinsamer Interessen abstrakt anerkennt, lässt sich daneben aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG herauslesen. Da diese Verfassungsbestimmung aber aus der Gesellschaft heraus entstehende Koalitionen und die besondere staatliche Zurückhaltung gegenüber der Regelung der tariflichen Arbeitsbedingungen im Auge hat, lässt sich ihr keine klare Wertentscheidung zugunsten einer staatlichen Zwangsvereinigung bestimmter Berufsgruppen entnehmen. Vgl. auch S. 124 mit Fn. 458. 666 So die Dokumentation bei Doemming/Füsslein/Matz (Fn. 452), S. 117; vgl. auch BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), NVwZ 2002, 335 (336).

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rechtlichen Freiheitsvermutung, die Art. 9 Abs. 1 GG begründet, gebietet einen grundrechtsschonenden Ausgleich. Bestehende, über Jahrzehnte aufgebaute Verbandsstrukturen, deren Träger sich Anerkennung und Vertrauen erworben haben, durch eine öffentlichrechtliche Zwangsorganisation vollständig und unvermittelt zu verdrängen, stellt grundsätzlich keinen grundrechtsschonenden Ausgleich zwischen dem Prinzip freier Verbandsbildung des Art. 9 Abs. 1 GG und dem Bedürfnis wirksamer Regulierung der Pflegeberufe her. Vielmehr handelt es sich primär um eine einseitige Auflösung des Zielkonflikts zulasten der grundrechtlichen Wertentscheidung des Art. 9 Abs. 1 GG. Das gilt in besonderer Weise, wenn das eingesetzte Mittel den Alternativen in der Zielerreichung nicht klar überlegen ist. Nachdem der Selbstorganisationsgrad professionell Pflegender über Jahrzehnte nahezu unverändert geblieben ist, darf der Gesetzgeber aber davon ausgehen, dass nur eine pflichtmitgliedschaftliche Organisationsstruktur eine wirksame, vor allem demokratisch legitimierte Interessenvertretung der Pflegenden sicherstellt. Einer schlagkräftigen, wenn auch staatlich induzierten Selbstorganisation, der Übertragung von Rechten der Berufsaufsicht und der Möglichkeit umfassender Interessenrepräsentation kommt insoweit ein Eigenwert zu, der den Gesetzgeber verfassungsrechtlich grundsätzlich zum Handeln legitimiert. Er ist nicht daran gehindert, seine politischen Gestaltungsziele durchzusetzen, wenn diese schutzwürdigen verfassungsrechtlichen, nicht anders erreichbaren Zielen verschrieben sind. Zur Erreichung dieser kollidierenden Ziele müssen die Maßnahmen sich aber auch in ihrer konkreten Ausgestaltung im Rahmen des zwingend Erforderlichen bewegen. Soweit sich die Ziele ohne Beeinträchtigung der verfassungsrechtlichen Position umsetzen lassen, ist diesem Weg grundsätzlich der Vorzug zu gewähren. Könnte alleine eine Kammer ein den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten genügendes Maß an Gesundheitsschutz sicherstellen, hieße das im Umkehrschluss: Das heutige Schutzniveau genügt den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen staatlicher Schutzpflicht nicht – eine Schlussfolgerung, die niemand ernstlich ziehen würde. Wirksamer Gesundheitsschutz ist nicht notwendig auf eine kammerliche Selbstverwaltungsstruktur angewiesen. Der Staat kann ihn auf unterschiedlichen Wegen, insbesondere auch durch Verstärkung staatlicher Berufsaufsicht, wirksam erreichen. Eine Pflegekammer ist aber nicht alleine dem Ziel wirksamen unmittelbaren Gesundheitsschutzes der Bevölkerung durch selbstverwaltende Qualitätsaufsicht verschrieben, sondern verfolgt auch und vor allem das Ziel mittelbaren Gesundheitsschutzes. Vorrangig ist es ihr um die Stärkung des Pflegeberufes im Konzert der Gesundheitsberufe und die Stärkung seiner Stellung sowie Attraktivität bestellt. Die Versorgung der Bevölkerung mit Pflegeleistungen ist von der Attraktivität und Selbstorganisationskraft

II. Grundrechte

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der Pflegeberufe abhängig. Denn sie bilden die Grundlage qualitativ hochwertiger pflegerischer Berufsleistungen. Beide Ziele stehen insofern in einer Wechselbeziehung. Die Fähigkeit eines Berufsstandes zur Selbstorganisation kann ein wichtiger (wenn auch nicht der einzige und wohl auch nicht wichtigste)667 Baustein der Leistungsfähigkeit des Berufes in einem korporatistisch verfassten Gesundheitswesen sein. Wirksam und mit dem Anspruch auf repräsentative Einbindung aller Pflegenden erreicht dieses Ziel – angesichts der historischen Erfahrungen des Pflegewesens – nur eine öffentlichrechtliche Zwangsvereinigung, die Free-rider-Verhalten unmöglich macht. Der Gesetzgeber darf dieses Ziel als Bestandteil seiner ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Gestaltungsmacht betrachten. Macht er von ihr Gebrauch und kann er das Ziel nur um den Preis der Verdrängung bereits ausgeübter, gefestigter grundrechtlicher Positionen und unter Eingriff in das verfassungsrechtliche Prinzip freier sozialer Gruppenbildung erreichen, darf er dies tun, muss aber alle Möglichkeiten ausloten, den angestammten Entfaltungsbereich derjenigen Vereinigungen, welche die Vertretung der Pflegeberufe bisher wahrnehmen, durch einen gleitenden Übergang sichernden Ausgleich zu schonen. Die Einräumung von Vorzugsrechten für bestehende Berufsverbände, etwa die Sicherung ihres Einflusses auf die Entscheidungsfindung in der Kammer oder das Zugeständnis exklusiver Vorschlagsrechte in dem Gefüge der Entscheidungsfindung der neuen Pflegekammer, ist kein sachgerechter Ausgleichsmechanismus. Sie steht nämlich mit einem Grundprinzip in unauflösbarem Konflikt, das für die Rechtfertigung einer Pflegekammer konstitutiv ist: dem Gebot demokratischer und damit gleicher Zugangschancen in der Willensbildung der Vereinigung. Nur wenn die Kammer eine umfassende Interessenrepräsentation mit gleichen Zugangschancen ermöglicht, rechtfertigt sie die zwangsweise Einbeziehung aller Berufsmitglieder. Das setzt einen Verzicht auf die Einräumung von Vorzugsrechten und eine unbeeinflusste Willensbildung voraus. Ein gangbarer Weg, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden grundrechtlichen Interessen herzustellen, könnte darin liegen, die Zuweisung von Kammeraufgaben (vorübergehend) auf diejenigen Bereiche und den Umfang zu beschränken, dessen Ziele sich nur durch öffentlich-rechtliche Selbstorganisation unter Beteiligung aller Mitglieder der Pflegeberufe sachgerecht erreichen lassen. Der Bereich der Beratung der Mitglieder könnte auf dieser Grundlage – jedenfalls in einer Phase gleitenden Übergangs, der die bestehenden Entfaltungsräume gegen abrupten Wegfall si667 Von größerer Bedeutung für die Attraktivität des Berufs sind die tariflichen und sonstigen Arbeitsbedingungen, welche die Pflegenden in ihrem Beruf antreffen. Für diese fehlt den Pflegekammern ihrem Wesen nach die Aufgabenkompetenz.

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chert – möglicherweise weiterhin den bestehenden Berufsverbänden vorbehalten werden. Die Standesvertretung, die Verleihung von Zusatzbezeichnungen und die Berufsaufsicht als öffentlich-rechtliche Aufgabe der Selbstverwaltung wären demgegenüber den Pflegekammern anvertraut. Einzelne Bestandteile aus dem Aufgabentableau einer Pflegekammer heraus zu trennen, heißt allerdings ihre Aufgabenwirksamkeit in einen Torso zu verwandeln. Als notwendig erkannte Aufgaben wird sie dann nicht effektiv wahrnehmen können. Der überwiegende, nicht in Berufsverbänden organisierte Teil der Pflegenden wäre nämlich nicht mit der beruflichen Selbstorganisationsmacht versehen, die der Gesetzgeber ihr gerade angedeihen lassen möchte. Wenn der Gesetzgeber einer Kammer Aufgaben anvertraut, kann diese ihre Aufgaben regelmäßig nur für alle Mitglieder einheitlich wahrnehmen. Unteilbar sind namentlich jedenfalls diejenigen Aufgaben, die auf umfassende Interessenrepräsentation angelegt und angewiesen sind. Sie schaffen erst die Legitimation, der die Kammer ihre Existenz verdankt. Kaum praktikabel ist auch ein Kooperationsverhältnis, das der Pflegekammer die Gesamtvertretung aller Pflegenden, den bestehenden, häufig spartenbezogenen Berufsverbänden demgegenüber die berufsspezifische Interessenwahrnehmung einzelner Berufsgruppen anvertraut. Die Wahrnehmung berufsspezifischer Aufgaben gehört gerade zu der Berufung und dem Selbstverständnis der Berufskammern. Berufs- und gruppenspezifische Belange lassen sich auch schwerlich sauber voneinander scheiden. Noch schwieriger würde dies dann, wenn der Gesetzgeber seinen Plan einer Vereinheitlichung der Pflegeberufe zu einem gesamthaften Berufsbild unter dem Begriffsdach „Pflegefachkraft“ bzw. „Generalistische Pflegefachkraft“ realisiert.668 Als wirksames Instrument, grundrechtsschonende Koexistenz herzustellen, ist prinzipiell eine Beitragsreduzierung für diejenigen Pflegenden denkbar, die zugleich Mitglied einer bereits bestehenden Berufsorganisation sind. Eine solche Privilegierung senkt die Neigung Pflegender fühlbar, bestehenden Berufsorganisationen den Rücken zuzukehren. Sie setzt einen starken Anreiz, Mitglied einer Berufsorganisation zu bleiben bzw. zu werden. Sie trägt dadurch dem Prinzip sozialer Gruppenbildung, das in Art. 9 Abs. 1 GG angelegt ist, Rechnung und ermöglicht ein Kooperationsverhältnis öffentlich-rechtlicher und privater Berufsorganisationen. Eine Beitragsreduzierung für die Mitglieder von Berufsorganisationen gefährdet allerdings die Beitragsgerechtigkeit unter den Verbandsmitgliedern. Diese haben grundsätzlich nach gleichem Maßstab zu den Verbandslasten beizutragen. Dies gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der im Verhältnis der Kammerangehörigen zueinander Geltung beansprucht und 668

Vgl. dazu oben S. 20 f. mit Fn. 29.

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bei einem gerechten Interessenausgleich ebenfalls Berücksichtigung finden muss. Die Entlastung derjenigen, die sich für die kumulative Zugehörigkeit zu einer privatrechtlichen Organisation und der Kammer entscheiden, benachteiligt die nicht in Berufsverbänden gebundenen Kammermitglieder. Denn jener Beitragsanteil der Kammer fehlt für die Erledigung erforderlicher Aufgaben; das Recht der Kammermitglieder auf eine berufsverbandliche „Fluchtalternative“ kann damit die wirksame Aufgabenerfüllung der Kammer gefährden und diese ihrer notwendigen Finanzausstattung berauben. Die Ungleichbehandlung knüpft auch nicht an Merkmale an, die einen unmittelbaren Bezug zur Berufstätigkeit der Kammerangehörigen oder ihrer Kostenverursachung haben. Die Leistung der Kammer kommt vielmehr allen Mitgliedern des Berufsstandes gleichermaßen zugute. Immerhin ist das Beratungsinteresse berufsverbandlich Gebundener im Verhältnis zu anderen Kammermitgliedern tendenziell reduziert. Der von den Kammerangehörigen zu entrichtende Beitrag hat sich an dem durch die Kammer geschaffenen Vorteil zu orientieren.669 Ferner erwirken auch privatrechtliche Berufsverbände Vorteile für den gesamten Berufsstand, die auch dem nicht berufsverbandlich Gebundenen mittelbar zugutekommen. Gleichwohl lässt sich ein unterschiedlicher Beitragssatz mit dem Gedanken der Vorteilsgerechtigkeit nur schwer in Einklang bringen. Die Ungleichbehandlung ist allenfalls durch die verfassungsrechtliche Kollisionslage zwischen den Interessen der Berufsgruppe als solcher und den Bestandsund Entwicklungsinteressen der Berufsorganisationen rechtfertigbar – gleichsam als Beitrag, einen grundrechtsschonenden Ausgleich herbeizuführen. Ist der Schutz privater Berufsverbände vor Verdrängung durch die Institution „Kammer“ von überragender Bedeutung, der sich auf andere Weise nicht sachgerecht erreichen lässt, ist es mit dem Gebot der Abgabegerechtigkeit vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Herstellung von Gleichheit zukommt,670 – je nach Ausgestaltung – indes nur ausnahmsweise vereinbar, eine Beitragsreduzierung auf außerhalb des Verhältnisses der Kammerangehörigen stehende Schutzzwecke zu stützen. Lässt sich ein ebenso funktionaler wie grundrechtsschonender Ausgleich zwischen den Grundrechtspositionen der bestehenden Berufsorganisationen und den konkurrierenden Interessen der Berufsgruppe als Ganzer nicht anderweit sachgerecht herstellen, ist eine Konfliktentscheidung zugunsten des einen oder des anderen Verfassungsgutes gerechtfertigt. Ein kammerlicher Universalitätsanspruch umfassender Aufgabenwahrnehmung, der übergangslos die bestehenden Berufsorganisationen ablöst, hat insoweit hohe verfassungs669 670

OVG Rheinland-Pfalz, NJOZ 2005, 4998 (5000). BVerfGE 25, 371 (400); 34, 252 (256); 49, 148 (165).

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rechtliche Hürden zu überwinden. Das Schicksal der Pflegeberufe und des nationalen Gesundheitsschutzes hängt nicht gleichsam am Tropf einer Pflegekammer. Sie ist vielmehr einer von mehreren Bausteinen zur strukturellen Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen für Pflegende. Ein vollständiges öffentlich-rechtliches Handlungsverbot zur Beförderung der Selbstorganisation ist dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich aber nicht verordnet. Er ist nicht daran gehindert, eine Pflegekammer zu etablieren, soweit er rechtlich zulässige Wege zur Wahrung der kollidierenden Vereinigungsfreiheit privater Berufsverbände ausschöpft. Denn nur durch eine Pflegekammer kann er das verfassungsrechtlich zulässige Ziel umfassender und gleichmäßiger Interessenrepräsentation eines im korporatistisch verfassten Gesundheitswesen bislang durchsetzungsschwachen Berufsstandes wirksam erreichen. b) Eingriff in die Berufsfreiheit der die Pflegepersonen beschäftigenden Arbeitgeber – zu den Grenzen der Drittwirkung von Pflegekammerbeschlüssen Die Konstruktion einer Pflegekammer ist von einem Strukturkonflikt gekennzeichnet: Ihr Auftrag ist die berufliche Selbstorganisation; ihre Mitglieder sind aber ganz überwiegend abhängig Beschäftigte, die über ihre eigenen Arbeitsbedingungen daher nur eingeschränkt disponieren können.671 Insbesondere Weiterbildungsverpflichtungen, die eine Pflegekammer etabliert und für ihre Mitglieder verbindlich beschließt, werden die Betroffenen im Hinblick auf die damit verbundenen zeitlichen und finanziellen Ressourcen häufig nicht ohne eine Abstimmung mit ihrem Arbeitgeber erfüllen können.672 aa) Grenzen der rechtlichen Wirkmacht für Dritte Soweit unabgestimmte Weiterbildungsverpflichtungen gegenüber den Arbeitgebern und ihren Beschäftigungsverhältnissen unmittelbar rechtliche Verbindlichkeit beanspruchen, greifen sie in deren Unternehmerfreiheit ein. Öffentlich-rechtliche Maßnahmen beschränken dann die unternehmerischen Entfaltungsmöglichkeiten. Mit dem Anspruch, den eine Pflegekammer als Teil mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen kann, sind derartige Beschränkungen indes nicht vereinbar. 671 Dieses Spannungsverhältnis zwischen Direktionsrecht des Arbeitgebers und fachlicher Unabhängigkeit ist auch der Grund dafür, weshalb die Rechtsordnung dem Syndikusanwalt die Vertretung des eigenen Arbeitgebers vor Gericht versagt (§ 46 Abs. 1 BRAO). Dazu etwa BGH, NJW 1961, 219 (219) sowie S. 83. 672 Vgl. dazu auch oben S. 79 ff. und S. 137 f.

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Als Einrichtung funktionaler Selbstverwaltung kann eine Kammerorganisation Verpflichtungsmacht grundsätzlich nur für diejenigen Personen entfalten, die dem mit Autonomie ausgestatteten Träger angehören, nicht aber gegenüber Dritten. Denn diese stehen außerhalb des durch Selbstbetroffenheit und Sachnähe begründeten demokratischen Legitimations- und Verpflichtungszusammenhangs. Sie sind durch die satzungsgebenden Organe, die sich entsprechend ihrem Auftrag von Verbandsinteressen leiten lassen,673 nicht repräsentiert und haben keine Möglichkeit, auf den Inhalt ihrer Beschlüsse einzuwirken. Entscheidungen der Kammer dürfen entsprechend über den Kreis der eigenen Mitglieder – anders etwa als im Falle der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen – nur ausnahmsweise hinausgreifen.674 Eine Pflichtenbindung Dritter ist nicht nur an eine besondere gesetzliche Ermächtigung gebunden, die eine Geltungserstreckung auf der Grundlage einer Abwägung der widerstreitenden Interessen anordnet und mit der der Gesetzgeber seine Rolle als Hüter der Gemeinwohlinteressen gegenüber Gruppeninteressen ausfüllt.675 Sie ist auch inhaltlich engen Grenzen unterworfen: Die Entscheidungsgegenstände müssen in einem engen Sachzusammenhang mit der funktionalen Aufgabe der jeweiligen Selbstverwaltungskörperschaft stehen und in ihrem Gewicht oder hinsichtlich des erfassten Personenkreises von lediglich nachgeordneter Bedeutung sein.676 Während Ersteres sich im Hinblick auf Pflichten, die Pflegekammern den Arbeitgebern von Pflegenden auferlegen, noch begründen lässt, gilt dies für Letzteres nicht. Solche Bindungen gestünden einer Interessengruppe eine normative Verpflichtungsmacht gegenüber dem sozialen Gegenspieler und damit eine nachhaltige Eingriffsbefugnis in Art. 12 Abs. 1 GG zu, die ein Handeln „ultra vires“ gegenüber einer großen Betroffenengruppe ermöglichen würde. Die von den Kammern beschlossenen verbindlichen Regeln erschöpfen sich in ihrer Wirk- und Bindungsmacht daher auf die eigenen Kammermitglieder.677 Entsprechend wirken diese auch nicht 673

BVerfGE 76, 171 (185); 101, 312 (323). BVerfGE 33, 303 (346); ausführlich dazu etwa Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 262 ff.; Papenfuss, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 1991, S. 174 ff; a. A. noch OLG Bremen, NJW 1954, 1938 (1939). 675 BVerfGE 101, 312 (323); Bieräugel, Die Grenzen berufsständischer Rechte, 1976, S. 169 ff., 190 ff. 676 Dazu Bieräugel (Fn. 675), S. 169 ff.; Hill/Martini (Fn. 499), Rdnr. 30; Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 269 ff.; Ossenbühl, Satzung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 3. Aufl. 2007 § 105, Rdnr. 35. 677 Bieräugel (Fn. 675), S. 183 ff.; Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 263; Lücke, Die Hierarchie des Ärztlichen Dienstes im Spannungsfeld von Direktionsrecht und freiem Beruf, 1995, S. 27; exemplarisch für Ärztinnen und Ärzte auch Papenfuss (Fn. 674), S. 46. 674

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unmittelbar in die arbeitsvertragliche Beziehung ihrer Berufsangehörigen hinein678 und begründen keine Pflichten für die Arbeitgeber, es sei denn, diese sind als Mitglieder der Kammer, z. B. als Ärzte, die in ihrer Praxis Kammerkollegen angestellt haben, selbst an die Kammerpflichten gebunden (vgl. z. B. § 19 Abs. 3 MBO-Ä679, § 26 Abs. 1 BORA).680 Etwas anderes gilt auch dann, wenn die Vertragsparteien selbst Regelungen der Berufsordnung als Ausdruck ihrer privatautonomen Vereinbarungsmacht zum Gegenstand arbeitsvertraglicher Rechte oder Pflichten erheben. Dies kann ausdrücklich geschehen oder sich aus einer konkretisierenden Auslegung auf der Grundlage der §§ 133, 157 BGB ergeben. Die Vertragsparteien gehen nämlich regelmäßig stillschweigend davon aus, dass Vertragsgegenstand eine Tätigkeit des Arbeitnehmers im Rahmen der von ihm zu beachtenden berufsrechtlichen Regelungen ist. Zur vertraglichen Übereinkunft gehört dann, dass die Tätigkeit dem vereinbarten, kammerlich regulierten Berufsfeld entspricht.681 Dahinter steht auch die Überlegung, dass es dem Kammermitglied insbesondere vertragsrechtlich unzumutbar sein kann, gegen Berufspflichten zu verstoßen, denen er als Kammermitglied unterworfen ist. Ärzten legt die MBO-Ä etwa auf, Anstellungsverträge nur zu schließen, wenn die Grundsätze der Berufsordnung gewahrt sind, insbesondere Ärzte in ihrer Tätigkeit keinen Weisungen von Nichtärzten unterworfen sind (§ 2 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 MBO-Ä; ähnlich § 25 Abs. 1 und 2 MBO der Bundespsychotherapeutenkammer). Das trägt auch dem Grundgedanken der Verkammerung Rechnung: Staat und Gesellschaft schreiben den verkammerten Berufen Autonomie in der Festlegung beruflicher Verhaltensstandards zu. Ihren inneren Ausdruck findet sie für Ärzte in dem Grundsatz der Therapiefreiheit. Diese ist die Folge freiberuflicher Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, der die berufliche Tätigkeit verschrieben ist.682 Wo diese auf besondere Qualifikation und fachliche Standards gestützte Entscheidungsfreiheit und Autonomie nach dem Wesen der zu er678 Dem privatrechtlichen Arbeitsrecht kommt im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich primärer Geltungsanspruch zu, Laufs, Die Freiheit des ärztlichen Berufs, in: ders./Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 2010, § 3, Rdnr. 12. 679 „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“. 680 Zu den angemessenen Beschäftigungsbedingungen, welche die Ordnungen im Verhältnis der Berufsstandskollegen als geboten erachten, gehört danach insbesondere die Einräumung einer „angemessenen Zeit zur Fortbildung“ (§ 19 Abs. 3 S. 2 MBO-Ä; § 26 Abs. 1 S. 1 lit. c BORA). Die Vorschriften richten sich unmittelbar nur an diejenigen, die ihr selbst unterworfen sind, namentlich die Mitglieder von Ärzte- bzw. Rechtsanwaltskammern, die Kollegen in ihren Praxen beschäftigen, nicht hingegen Dritte, wie z. B. Kapitalgesellschaften. Vgl. dazu etwa BGH, NJW 2010, 1972 (1973 ff.); Filges, NZA 2011, 234 (239); Lücke (Fn. 677), S. 27. 681 Lücke (Fn. 677), S. 27 m. w. N. 682 Lücke (Fn. 677), S. 78 m. w. N.

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bringenden Leistung nicht besteht, fehlt ihr aber eine tragfähige Grundlage. Für pflegerische Tätigkeiten ist dies bei einigen Berufsbildern der Fall.683 Soweit man demgegenüber den professionell Pflegenden eine den freien Berufen äquivalente Gestaltungsfreiheit ganz oder teilweise zugesteht,684 erstreckt sie sich auf die Konkretisierung des Kernbereichs pflegerischer Fachlichkeit, mithin die Art und Weise inhaltlicher Pflegebehandlung, nicht aber auf andere Aspekte der Berufsausübung. Nur insoweit hat das Arbeits-, insbesondere Weisungsrecht dann hinter den Berufspflichten des Kammerangehörigen zurückzutreten.685 Eine Pflichtenkollision des Kammermitglieds ist kein geeigneter Konstruktionsweg, um über diesen Umweg eine unmittelbare rechtliche Pflichtenbindung nicht unmittelbar berufsrechtlich gebundener Dritter zu begründen. bb) Faktische Wirkmacht von Kammerbeschlüssen Ungeachtet ihrer fehlenden unmittelbaren rechtlichen Bindungswirkung kann den Kammerbeschlüssen eine nicht unerhebliche faktische Wirkmacht zuwachsen: Die abhängig beschäftigten Mitglieder einer Pflegekammer werden ihren Arbeitgebern mit der Forderung gegenübertreten, die von ihrer Berufsvertretung beschlossenen Verpflichtungen anzuerkennen und sie zu deren Erfüllung entsprechend arbeitsrechtlich freizustellen bzw. dabei zu unterstützen. Zwischen den unterschiedlichen Rechtssphären binnenrechtlicher Wirkung von Kammerbeschlüssen und dem Arbeitsvertragsverhältnis werden sie im Zweifel keinen Unterschied machen. Den Arbeitgebern wird das entsprechende Anpassungen im Hinblick auf die Freistellung für die Erfüllung von Weiterbildungsverpflichtungen [unten (1)] und die Übernahme von Mitgliedsbeiträgen abnötigen [unten (2)]. (1) Erfüllung von Weiterbildungsverpflichtungen Bei der Ausübung seines Direktionsrechtes hat der Arbeitgeber das Interesse der Pflegekraft an der Wahrnehmung ihrer Weiterbildungspflichten zu berücksichtigen. Er ist aber – jenseits landesrechtlicher Pflichten der Bildungsurlaubsgesetze686 – grundsätzlich nicht rechtlich verpflichtet, dem Pflegenden zu diesem Zweck Arbeitszeit einzuräumen. Dadurch kann es zu 683

Siehe dazu oben S. 84. Vgl. zu dieser Frage etwa Taupitz (Fn. 283), S. 37 f. 685 Lücke (Fn. 677), S. 28 m. w. N. 686 Vgl. etwa das hessische Gesetz über den Anspruch auf Bildungsurlaub vom 28.7.1998 (GVBl. I 1998, S. 294), das nordrhein-westfälische Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG) vom 6.11.1984 (GVBl. NRW, S. 678) oder das Weiterbildungsgesetz Schleswig-Holstein (WBG) vom 6.3.2012 (GVOBl. 2012, 282). 684

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Wertungswidersprüchen und Inkonsistenzen zwischen den ausschließlich binnenrechtlich wirkenden Beschlüssen der Pflegekammer und den außenrechtlichen Fortbildungsverpflichtungen kommen, welche die Leistungserbringer mit den Pflegekassen vereinbart haben. Die Arbeitgeber sehen sich mit dem Wunsch konfrontiert, die Kosten und den zeitlichen Rahmen für die Erfüllung von Weiterbildungsverpflichtungen, welche die Pflegekammer begründet, als Teil des vertraglichen Leistungsgefüges anzuerkennen. Dafür lassen sich auch gute Gründe finden: Die Weiterbildung dient nicht alleine dem Interesse der kammerangehörigen Pflegekraft, sondern – jedenfalls auch – dem Interesse des Arbeitgebers. Denn sie steht im Dienst der Aufrechterhaltung und Verbesserung der pflegerischen Fachkompetenz. Der Betreiber einer Pflegeeinrichtung ist aufgrund der vertraglichen Bindungen, die er gegenüber seinen Auftraggebern eingegangenen ist, verpflichtet, den aktuellen Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse in seinem Betrieb abzubilden. Dieser lässt sich nur garantieren, wenn das Pflegepersonal regelmäßig an Weiterbildungsveranstaltungen teilnimmt. Das heißt nicht, dass nur eine Pflegekammer dieses Niveau abbilden könnte. Vielmehr unterliegt die Qualitätsverantwortung regelmäßig bereits verbindlichen Vereinbarungen der Leistungspartner, an deren Konkretisierung die Vertretungen professionell Pflegender mitwirken (vgl. § 112 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 113 SGB XI, § 75 SGB XI, § 132a Abs. 1 S. 4 Nr. 3 sowie Abs. 2 S. 1 SGB V; dazu bereits S. 113 ff.). Insbesondere geht dann, wenn die wirtschaftlichen Folgen kammerlicher Weiterbildungsverpflichtungen nicht die Pflegenden, sondern Dritte treffen, davon ein Anreiz aus, die Pflichten über das Maß desjenigen hinaus auszudehnen, das sich als sachlich unbedingt erforderlich erweist. Der entstehende Eigennutzen mildert aber die faktische mittelbare Außenwirkung der kammerrechtlichen Regelung gegenüber dem Arbeitgeber zusätzlich ab. (2) Abwälzung von Mitgliedsbeiträgen Ein faktisches Verlagerungsszenario wird sich nicht nur im Hinblick auf die Lasten der Weiterbildung, sondern auch im Hinblick auf die finanziellen Lasten abzeichnen, die von den Mitgliedsbeiträgen der Kammern ausgehen: Die abhängig Beschäftigten werden ihre Beitragslast – auch angesichts des akut wachsenden Fachkräftemangels in der Pflegebranche – auf ihren Arbeitgeber abzuwälzen suchen. In anderen verkammerten Berufen ist das nicht selten bereits geschehen.687

687 Der BFH (BFHE 220, 266) stuft die Übernahme der Beiträge in diesen Fällen steuerrechtlich als Arbeitslohn ein.

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(3) Rechtliche Würdigung Ob diese Durchsetzungsmacht für kammerliche Mitgliedsbeiträge und Weiterbildungsverpflichtungen professionell Pflegender besteht, ist indes keine Frage der rechtlichen Verbindlichkeit von Kammerbeschlüssen, sondern des Kräfteverhältnisses der Kontrahenten in dem relevanten Berufsmarkt. Die vertragliche Durchsetzungsmacht hat sich bei der Berufsgruppe der Pflegenden in der Vergangenheit als schwach erwiesen. Wer nur mit Mühe einen existenzsichernden Lohn durchzusetzen versteht, wird sich mit der Überwälzung von Zusatzkosten für Mitgliedsbeiträge erst recht schwertun. Die Kammerorganisation unterstützt diese Durchsetzungsmacht für die Forderung nach Weiterbildung mithilfe des Gesetzgebers allerdings bewusst und gewollt. Ihre erklärte Zielsetzung ist die strukturelle Verbesserung der beruflichen Interessendurchsetzung. Die unmittelbare Durchsetzung besserer tarifärer Arbeitsbedingungen für professionell Pflegende gehört freilich nicht zu ihrem Mandat. Diese obliegt weiterhin der Autonomie der Koalitionen. Forderungen nach Kostenüberwälzung sind jeweils Teil des vielschichtigen tariflichen Gesamtverhandlungspakets vertraglicher Leistung und Gegenleistung. Setzen die Pflegenden bestimmte Forderungen nach Kostenüberwälzung kammerbedingter Belastungen durch, schwächt das in dem Verhandlungsprozess grundsätzlich die Durchsetzungsmacht für Forderungen auf anderen Gebieten, etwa im Bereich von Lohnerhöhungen. Die Überwälzung von Kammerlasten auf die Arbeitgeber hat insoweit auch für die Pflegenden im Rahmen ihrer Gesamtverhandlungsmasse ihren Preis. Denn das als Ergebnis der Verhandlungen herzustellende Kräftegleichgewicht wird vorrangig durch das Verhältnis des Angebots an Arbeitskräften und der Nachfrage nach ihrer Arbeitsleistung bestimmt, nicht so sehr durch den Inhalt oder das Hinzutreten von Forderungen. Auf diese tarifliche Durchsetzungsmacht, ob also eine Abwälzung kammerbedingter Lasten oder Forderungen stattfindet, hat die Pflegekammer keinen Einfluss. Mit den Forderungen, die Mitglieder einer Pflegekammer an ihre Arbeitgeber richten, verbindet sich insofern kein unzulässiger mittelbarer Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Soweit eine Pflegekammer die faktische organisatorische, nichttarifliche Schlagkraft und Interessenbündelung der Pflegenden für bestimmte Forderungen verbessert, kann sich diese auf die verfassungsrechtlich grundsätzlich legitime Zielsetzung einer Förderung der Selbstorganisation von Mitgliedern der Pflegeberufe und das Bedürfnis nach einem Kräftegleichgewicht zwischen den im korporatistisch strukturierten Gesundheitswesen repräsentierten Selbstverwaltungsgruppen stützen.

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

III. Art. 179 der bayerischen Landesverfassung als landesspezifische Grenze Für den Geltungsbereich der bayerischen Verfassung schließt Art. 179 S. 2 als landesverfassungsrechtliches Unikat eine Pflichtmitgliedschaft in den „in dieser Verfassung bezeichneten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Körperschaften, Selbstverwaltungsorganen der Wirtschaft und Organisationen der Erzeuger, Verteiler und Verbraucher“ aus. Diese pflichtmitgliedschaftlichen Organisationen dürfen keine staatlichen Machtbefugnisse ausüben (Art. 179 S. 1 BayVerf.). Das schließt die Einkleidung dieser Verbände in eine öffentlich-rechtliche Rechtsform – auch wenn sie keine Behörden sein dürfen – zwar nicht aus. Sie müssen dann die Mitgliedschaft aber in das Belieben ihrer Angehörigen stellen und dürfen keine berufsaufsichtlichen Befugnisse wahrnehmen. 1. Regelungsintention Art. 179 fand auf Wunsch der amerikanischen Besatzungsmacht Eingang in die bayerische Verfassung. Die Vorschrift zielt darauf, eine Verwebung von Standespolitik und staatlichen Zwangsbefugnissen zu verhindern. Damit verleiht sie dem Bestreben nach weitgehend strikter Trennung zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Ordnungsebene und dem Prinzip freier Meinungs- und Gruppenbildung aus der Mitte der Gesellschaft heraus besonderen Ausdruck. Die Vereinigungen sollten dem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet sein und nur auf freiwilliger, nicht aber erzwungener Grundlage entstehen.688 Dadurch sollten sie sich von solchen Organisationen klar unterscheiden, die in der Zeit des Nationalsozialismus zur Stützung des faschistischen Regimes missbraucht wurden.689 2. Vereinigungen im Sinne des Art. 179 S. 2 BayVerf. Die bayerische Verfassung spricht die Rechtsfolge einer verfassungsrechtlichen Unvereinbarkeit allerdings nicht generell, sondern nur für „die in dieser Verfassung“, namentlich in Art. 154, 155, 164 BayVerf. bezeichneten Vereinigungen aus. Von diesen Einrichtungen abgesehen, erklärt Art. 179 S. 2 BayVerf. eine Pflichtmitgliedschaft – auch nach der Intention des Verfassungsgebers – für andere Organisationen nicht in jedem Falle für unzu688

Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassungsgebenden Landesversammlung, 1946, Bd. III, S. 739. 689 Lindner, in: ders./Möstl/Wolff (Hrsg.), Verfassung des Freistaates Bayern, 2009, Art. 179, Rdnr. 4.

III. Art. 179 der bayerischen Landesverfassung

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lässig. Entsprechend lautete eine Protokollnotiz: „S. 2 über den Ausschluss der Zwangsmitgliedschaft bezieht sich nicht auf die für besondere Zwecke (Entwässerung, Flurbereinigung und dergleichen) gebildeten Zwangsgenossenschaften.“690 Zu den Organisationen, die keiner Zwangsmitgliedschaft unterworfen werden dürfen, zählen insbesondere „die auf demokratischer Grundlage aus den Kreisen der Berufsverbände gewählten Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft“, wie z. B. der bayerische Bauernverband (Art. 154 i. V. m. Art. 179 S. 2 BayVerf.).691 Rätsel gibt insoweit die Wendung des Art. 154 S. 1 BayVerf. „auf demokratischer Grundlage aus den Kreisen der Berufsverbände gewählte[n] Selbstverwaltungsorgane“ auf. Sie deutet darauf hin, dass mit den einer Pflichtmitgliedschaft unzugänglichen Vereinigungen solche gemeint sind, die aus den Kreisen der Berufsverbände hervor- und in Selbstverwaltungskörperschaften übergegangen sind. Dann wären auch Pflegekammern keiner Pflichtmitgliedschaft zugänglich. Aus der bewussten Unterscheidung des Art. 179 BayVerf. zwischen dem Begriff der „Selbstverwaltungsorgane“ und der „Körperschaften“ lässt sich aber schlussfolgern, dass die Vorschrift mit dem Begriff „Selbstverwaltungsorgane“ gerade keine Körperschaften im staatsrechtlichen Sinne, sondern Interessenverbände meint: In Berufsverbänden darf dann keine Pflichtmitgliedschaft begründet werden. Soll dieses Verbot nicht seiner leichten Umgehung die Tür öffnen, ist nicht nur die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft in solchen privaten Organisationen unzulässig, sondern konsequenterweise auch die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft durch Neugründung einer Körperschaft zur Ablösung dieser Berufsorganisationen. Denn beides steht sich im Ergebnis nahezu gleich. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof wird sich auf der Grundlage der engen Interpretation, die er dem Art. 179 BayVerf. bisher unterlegt,692 aber ebenso wie die Kommentarliteratur693 einer solchen Auslegung im Zweifel verschließen. Er fasst in der Sache unter die Vorschrift lediglich reine Interessenverbände der Wirtschaft und Landwirtschaft, wie etwa die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.694 Den Sinn des Art. 179 BayVerf. sieht er darin, die Unvereinbarkeit zweier gesetzgeberischer Entscheidungen zu begründen: nämlich die Unvereinbarkeit der Privilegierung einer Einrichtung nach Art. 154, 155 und 164 BayVerf. mit der Einräumung des Behör690

Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfassungsgebenden Landesversammlung, 1946, Bd. III, S. 749. 691 Lindner (Fn. 689), Art. 155, Rdnr. 1. 692 BayVerfGH 4, 30 (38); 4, 150 (164); 4, 219 (246); 5, 287 (294). 693 Vgl. die Belege bei Lindner (Fn. 689), Art. 155, Rdnr. 1. 694 Lindner (Fn. 689), Art. 155, Rdnr. 3.

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C. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

dencharakters und der Pflichtmitgliedschaft:695 Die ursprüngliche Bedeutung des Art. 179 S. 1 BayVerf. beschränkt sich in diesem Verständnis auf die Konsequenz, die dort bezeichneten Körperschaften für nicht senatsfähig zu erklären, wenn sie eine Zwangsmitgliedschaft kennen.696 Bis zur Abschaffung des Bayerischen Senats als einer (in die Verfassungsordnung integrierten) ständischen Vertretung zählten (konsequenterweise) auch die in Art. 34 BayVerf. a. F. genannten, im Senat vertretenen Vereinigungen, nämlich „die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und gemeindlichen Körperschaften des Landes“, zu denjenigen Einrichtungen, für die eine Pflichtmitgliedschaft ausgeschlossen war. Soweit sie eine Pflichtmitgliedschaft kannten, sah die Verfassung ihre Mitgliedschaft im Bayerischen Senat mit der Grundidee einer grundsätzlichen Trennung staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre als unvereinbar an, sollte dieser doch die Vielfalt gesellschaftlicher Gruppen des Landes repräsentieren. Staatliche Machtbefugnisse und eine Zwangsmitgliedschaft, wie sie die Kammern kennen, vertrugen sich damit nicht. Mit der Abschaffung des Senats ist diese Sicherungsfunktion weggefallen. Der Vorschrift kommt nach dem Verständnis der bayerischen Verfassungsrichter keine praktische Bedeutung mehr zu.697 Immerhin hat der Verfassungsgeber die Vorschrift aber mit der Abschaffung des Bayerischen Senats nicht gleichzeitig aufgehoben, sondern im Regelungsgeflecht belassen. Ihr kommt daher auch weiterhin ein normativer Gehalt zu, der ihr nicht im Wege der Verfassungsexegese abgesprochen werden darf. In seiner ursprünglichen Funktion, die Meinungsbildung der Gesellschaft in Bayern aus der Mitte der Gesellschaft und nicht vom Staat zu den Bürgern zu entwickeln, wirkt Art. 179 S. 2 BayVerf. insoweit als verfassungsrechtliche Wegentscheidung unverändert fort.

695

Gallwas (Fn. 124), 65; Zacher (Fn. 391), S. 51 ff. Vgl. Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 4. Aufl. 1992, Art. 179, Rdnr. 1; Seewald (Fn. 50), S. 116 f. 697 Lindner (Fn. 689), Art. 179, Rdnr. 3. 696

D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer Die deutschen Bundesländer betreten mit den Überlegungen zur Einführung einer berufsständischen Pflegendenselbstverwaltung im europäischen Vergleich keineswegs Neuland. Mehrere Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben für ihre Pflegekräfte bereits entsprechende Institutionen berufsständischer Selbstverwaltung eingeführt.698 Bisher haben die Organe der Union keine Maßnahmen gegen Pflegekammern anderer Mitgliedstaaten ergriffen. Das lässt jedoch keinen zwingenden Rückschluss darauf zu, dass diese bzw. die jetzt in Deutschland diskutierten Pflegekammern dem Unionsrecht entsprechen,699 muss doch die tatsächliche der normativen Unionsordnung nicht unbedingt genügen.700 In den Europäischen Verträgen haben sich die Mitgliedstaaten auf die Sicherstellung eines hohen Gesundheitsniveaus bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen verständigt (Art. 168, 169 AEUV). Ihren Einfluss auf den sozialen Fortschritt innerhalb ihrer Mitgliedstaaten sucht die Europäische Union entsprechend zu erweitern. Sie gewinnt in gesundheitspolitischen Fragen auch vermehrt Wirkmacht. Befürworter der Pflegekammer erblicken in der europäischen Gesundheitspolitik gar einen tauglichen „Geburtshelfer für die Pflegekammern in Deutschland“701. Gleichwohl bleiben die Kompetenzen der Europäischen Union im Gesundheitswesen eng begrenzt. Die Ausgestaltung der Berufe im Gesundheitssektor und der sozialen Sicherungssysteme ist weiterhin grundsätzlich den Mitgliedstaaten vorbehalten.702 Die Einrichtung einer berufsständischen 698

Vgl. dazu bereits oben Fn. 145. Einen solchen (Fehl-)Schluss deutet z. B. Hanika an (Hanika [Fn. 145], 17); die Vereinbarkeit der Pflegekammer mit dem Unionsrecht bejahend auch Roßbruch, PfLR 2013, 265 (266). 700 Außerdem kann – wie bei der grundrechtlichen Betrachtung – die Einführung einer Pflegekammer anders zu bewerten sein als eine schon bestehende Verkammerung. Darüber hinaus sind die ausländischen Paradigmen der Pflegekammer mit dem Zuschnitt deutscher berufsständischer Selbstverwaltungseinrichtungen nicht ohne Weiteres vergleichbar. Vgl. dazu die Darstellung zur Zusammensetzung, Finanzierung und Kompetenzen einzelner europäischer Pflegekammerorganisationen oben S. 44 ff. 701 Hanika, PfLR 2010, 415 (415). 702 EuGH (3. Kammer), Urt. v. 27.10.2011 – C-255/09 –, EuZW 2012, 65 (67, Rdnr. 47) m. w. N. 699

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D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

Selbstverwaltung fällt nicht in die Kompetenz der Union, sondern ist der Autonomie der Mitgliedstaaten unterworfen. Aus der mangelnden eigenen Einrichtungskompetenz der Union folgt umgekehrt aber nicht, dass die Mitgliedstaaten in der Gestaltung der Berufsausübung im Gesundheitswesen völlig frei wären. Die konkrete Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Kammersysteme muss sich vielmehr entsprechend dem Vorrang des Unionsrechtes an den gemeinsamen Rechtsprinzipien messen lassen, auf die sich die Organe der Europäischen Union in ihren sekundärrechtlichen Rechtsakten (unten I.) und den Europäischen Verträgen (unten II.) verständigt haben.

I. Unionsrechtliches Sekundärrecht Die Europäische Union hat den im unionalen Primärrecht begründeten allgemeinen Schutz des Binnenmarktes und die Kompetenzen der Union im Bereich des Gesundheitsschutzes insbesondere durch sekundärrechtlichen Regelungen, namentlich die Berufsanerkennungsrichtlinie (unten 1.) und die Dienstleistungsrichtlinie (unten 2.), näher ausgeformt. Soweit die Union die mitgliedstaatlichen Verpflichtungen abschließend sekundärrechtlich harmonisiert hat, bleibt für die Prüfung der Grundfreiheiten703 dann kein Raum mehr. 1. Berufsanerkennungsrichtlinie Die Berufsanerkennungsrichtlinie704 zielt darauf, Personen, die ihre Berufsqualifikationen in einem Mitgliedstaat erworben haben, den Zugang zu demselben Beruf und seine Ausübung in einem anderen Mitgliedstaat unter denselben Voraussetzungen wie Inländern zu gewähren. Aus diesem Grund befreit ihr Art. 6 S. 1 diejenigen Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie ansässig sind, Dienstleistungen vorübergehend oder gelegentlich erbringen wollen, grundsätzlich von dem Erfordernis einer Zulassung, Eintragung oder Mitgliedschaft in einer Berufsorganisation. Eine „Pro-forma-Mitgliedschaft“ schließt das nach dem Willen des Richtliniengebers aber dann nicht aus, wenn sie die Erbringung der Dienstleistung in keiner Weise verzögert oder erschwert und für den Dienstleister keine zusätzlichen Kosten verursacht (Art. 6 S. 1 lit. a). 703

Dazu unten S. 200 ff. Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 7.9.2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. Nr. L 255 v. 30.9.2005, S. 22. 704

I. Unionsrechtliches Sekundärrecht

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Art. 6 S. 1 der Berufsanerkennungsrichtlinie will nicht nur unmittelbaren, sondern gleichermaßen mittelbaren Behinderungen grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung entgegenwirken. Eine unzulässige mittelbare Diskriminierung träte für Pflegende aus anderen Mitgliedstaaten namentlich dann ein, wenn die Erlaubnis zur Ausübung der Tätigkeit an zusätzliche Berufsqualifikationen und -titel anknüpfen würde, die nur im Rahmen der Weiterbildungsmaßnahmen der geplanten Pflegekammern vergeben werden. Ist den Pflegenden aus anderen Mitgliedstaaten keine Möglichkeit eröffnet, diese von der Pflegekammer eingeführten Bezeichnungen auch ohne eine Mitgliedschaft in der Kammer zu erlangen, so beeinträchtigt das den gleichen Zugang zum Markt über Gebühr. Der Verstoß liegt dann aber noch nicht in dem Recht zur Verleihung von Berufsbezeichnungen, sondern erst in der Anknüpfung eines Zulassungstatbestandes an diese Qualifikation.705 2. Dienstleistungsrichtlinie Im Verbund mit der Berufsanerkennungsrichtlinie soll die Dienstleistungsrichtlinie (DLR)706 dazu beitragen, Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbrin705 Die Europäische Union unterzieht die Berufsanerkennungsrichtlinie gegenwärtig einer Revision. Bereits Ende 2011 hatte die Kommission einen Vorschlag vorgelegt (Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssystems vom 19.12.2011, COM(2011) 883 endg.). Er sah noch das Abitur als Voraussetzung für die Ausbildung zur Krankenschwester und Hebamme vor (Art. 1 Nr. 22 lit. a, a. a. O., S. 37). Aufgrund des nachhaltigen Widerstandes insbesondere Deutschlands und einer ablehnenden Haltung des Europäischen Parlaments blieb diese Änderung jedoch ohne politische Realisierungschance (vgl. Änderungsantrag Nr. 54 des Europäischen Parlaments. Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 13.2.2013, A7-0038/2013; Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Oktober 2013, P7_TA(2013)0408). Die revidierte Entwurfsfassung der Berufsanerkennungsrichtlinie führt insbesondere einen Berufsausweis für reglementierte Berufe ein, der die Aufnahme einer Tätigkeit außerhalb des eigenen Mitgliedstaates vereinfacht. Zugleich etabliert sie für Gesundheitsberufe ein Warnsystem, das verhindern soll, dass Berufsträger, die in ihrem Heimatland mit einem Berufsverbot belegt sind, in einem anderen EU-Staat ihre Tätigkeit unverändert fortsetzen. Art. 31 Abs. 6 und 7 etablieren Anforderungen an spezifische Inhalte für die Ausbildung und Kompetenzen von Krankenschwestern und Krankenpflegern. Die Richtlinie fordert die Mitgliedstaaten auf, die ständige berufliche Weiterbildung ihrer Krankenschwestern und Krankenpfleger, die für die allgemeine Pflege verantwortlich sind, zu fördern (Erwägungsgrund Nr. 15). Mit einem Inkrafttreten der geänderten Berufsanerkennungsrichtlinie wird im Laufe des Jahres 2014 gerechnet.

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D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

gern in der Europäischen Union zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen.707 Die Dienstleistungsrichtlinie schützt zu diesem Zweck die Dienstleistungserbringer ausdrücklich davor, dass Mitgliedstaaten die Ausübung einer Tätigkeit im Inland an die Mitgliedschaft in einem inländischen Berufsverband oder einer Berufsvereinigung knüpfen (Art. 10 Abs. 3, Art. 14 Nr. 2, Art. 16 Abs. 2 DLR). „Berufsverbände und Berufsvereinigungen“ umfassen entsprechend dem Zweck der Richtlinie insbesondere pflichtmitgliedschaftliche Zusammenschlüsse. Dieses Verbot setzt den nationalen Regelungen für Berufskammern Grenzen. a) Anwendungsbereich Auf „Gesundheitsdienstleistungen“ ist die Richtlinie allerdings ausdrücklich nicht anwendbar (Art. 2 Abs. 2 lit. f DLR). Was sie unter „Gesundheitsdienstleistungen“ im Einzelnen versteht, lässt die Richtlinie zwar offen, bekennt sich aber bewusst zu einem grundsätzlich weiten Verständnis des Begriffs: Gesundheitsleistungen sollen nach ihrer Zielvorstellung allgemein dann nicht unter die Richtlinie fallen, wenn sie „durch Einrichtungen der Gesundheitsversorgung“ (also insbesondere im Rahmen des Systems der Sozialversicherungen) „erbracht werden“.708 Es spielt auch keine Rolle, ob es sich um öffentliche oder private Dienstleistungen handelt und wie sie organisiert und finanziert werden.709 Die Dienstleistungsrichtlinie ist daher auf diejenigen Gesundheitsleistungen, welche die Mitglieder der Pflegeberufe erbringen, nicht anwendbar. b) Inhaltliche Schranken Selbst wenn man den Begriff Gesundheitsleistungen thematisch eng verstehen, insbesondere Betreuungsmaßnahmen der Altenversorgung, nicht in ihrer ganzen Bandbreite darunter fallen lassen will, mithin von einer zumindest partiellen Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie auf einzelne verkammerte Pflegeberufe ausgeht, stehen ihre Verpflichtungen der Gründung einer Pflegekammer nicht als solche entgegen, wirken dann aber auf ihre Ausgestaltung ein. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Freiheit der Dienstleister, ihre Dienstleistung unabhängig von Beschränkungen aus706 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. Nr. L 376 v. 27.12.2006, S. 36 ff. 707 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 116. 708 Art. 2 Abs. 2 lit. f DLR. 709 Art. 2 Abs. 2 lit. f DLR.

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zuüben [Art. 14 Nr. 2, Art. 16 Abs. 2 lit. b DLR; unten aa)] als auch im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit der Dienstleister [Art. 10 Abs. 3 DLR; unten bb)]. aa) Dienstleistungsfreiheit Nach den politischen Gestaltungsvorstellungen der meisten Landesgesetzgeber kann sich für Berufsangehörige, die länderübergreifend in verschiedenen Kammerbezirken tätig sind, grundsätzlich eine Pflicht zu mehrfacher Mitgliedschaft in einer Pflegekammer ergeben.710 Art. 14 Nr. 2 und Art. 16 Abs. 2 lit. b DLR verbieten den Mitgliedstaaten indes, die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates von einer Genehmigung, von der Eintragung in Register oder von der Registrierung bei Berufsverbänden oder -vereinigungen in mehr als einem Mitgliedstaat abhängig zu machen. Ähnlich wie bei Ärzten (vgl. etwa Art. 41 Abs. 1 BayHKaG) sollten die Pflegekammern der Länder daher solche Pflegende, die ihre Tätigkeit im Rahmen des Dienstleistungsverkehrs oder vorübergehend von einer festen Niederlassung aus ausüben, von einer Pflichtmitgliedschaft ausnehmen. Sie dürften jedenfalls aber die Möglichkeit, in Deutschland Pflegedienstleistungen zu erbringen, nicht an eine Mitgliedschaft in der Zwangskörperschaft knüpfen. bb) Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer Art. 10 Abs. 3 DLR begrenzt die Doppelbelastung von Dienstleistungserbringern bei der Etablierung einer neuen Niederlassung (also einer Zweitniederlassung) im Hinblick auf solche Anforderungen und Kontrollen, denen sie bereits in einem anderen Mitgliedstaat unterworfen sind. Eine Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Selbstverwaltungseinheit darf daher nicht Voraussetzung der Erteilung einer Genehmigung für eine neue Niederlassung sein, wenn die Pflegekraft bereits in ihrem Heimatland einem äquivalenten Kontrollmechanismus ausgesetzt ist. Jene wird in Deutschland aber 710 Vgl. etwa S. 6 der Begründung des BayHKaG-E: „Bei einer länderübergreifenden Tätigkeit eines Heilberufsangehörigen in verschiedenen Kammerbezirken ist klarzustellen, dass damit eine Mitgliedschaft in jeder betroffenen Kammer begründet wird (sog. Mehrfachmitgliedschaft). Innerhalb Bayerns wird die Mitgliedschaft in einer Berufsvertretung festgeschrieben, auch wenn der Heilberufsangehörige seinen Beruf im Zuständigkeitsbereich mehrerer Berufsvertretungen (Bezirks- oder Kreisverband) ausübt (sog. Monomitgliedschaft)“. Ferner S. 11 der Begründung des BayHKaG-E: „Die Länder haben sich für die Zulassung einer Mehrfachmitgliedschaft ausgesprochen, so dass die Regelung einer Monomitgliedschaft für Bayern allein deshalb nicht in Frage kommt.“

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D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

keine formelle Voraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung zur Niederlassung sein. Die Mitgliedschaft in einer Pflegekammer knüpft vielmehr an das Recht zur Führung einer Berufsbezeichnung, nicht aber an die Niederlassung an (vgl. etwa 65b BayHKaG-E711; § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 5–8 RhPfHeilbG-E). Sie lässt sich als solche aber – insbesondere zur Verhinderung von Umgehungen der Richtlinie – bei weitem, funktionalen Verständnis des Begriffs als „Voraussetzung“ verstehen. Dann tritt angesichts der unterschiedlichen Typen und Ausgestaltungsformen von pflichtmitgliedschaftlichen Zusammenschlüssen in den Mitgliedstaaten der Union die Frage auf den Plan, ob es hier um eine doppelte „Anwendung von gleichwertigen oder aufgrund ihrer Zielsetzung im Wesentlichen vergleichbaren Anforderungen und Kontrollen“ im Sinne des Art. 10 Abs. 3 DLR handelt, wie sie auch schon im Heimatland bestehen.712 Das ist vor dem Hintergrund der Schutzfunktion des Art. 10 Abs. 3 DLR, Marktzutrittshindernisse abzubauen, im Zweifel zu bejahen. Uniformität der Kammerpflichten ist insoweit nicht erforderlich. Es genügt vielmehr grundsätzlich die Begründung einer zweiten Pflichtmitgliedschaft. Eine solche ist unter diesen Prämissen mit der Dienstleistungsrichtlinie nicht vereinbar.

II. Unionsrechtliches Primärrecht Soweit das Sekundärrecht keine abschließende Regelung der unionsrechtlichen Gewährleistungen getroffen hat, welche die mitgliedstaatlichen Verpflichtungen harmonisiert, setzt das unionsrechtliche Primärrecht der Freiheit der Mitgliedstaaten zur Gründung von Pflegekammern bzw. zur Einbeziehung von Unionsbürgern ergänzende Schranken. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit (unten 1.), die Niederlassungs- (unten 2.) sowie die Dienstleistungsfreiheit (unten 3.) der betroffenen Berufsmitglieder. Die Grundfreiheiten sind jeweils anwendbar, sobald ein EU-Ausländer in Deutschland Pflegeleistungen anbieten möchte und dadurch ein grenzüberschreitender Anknüpfungspunkt entsteht. Soweit die Durchführung von Unionsrecht betroffen ist, ist auch die Vereinigungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GrCh eröffnet (unten 4.). Darüber hinaus sieht der EuGH aus den kartellrechtlichen Regelungen des Unionsprimärrechts Schranken für pflichtmitgliedschaftliche Verbände erwachsen (unten 5.).

711

„Mitglieder der Pflegekammer sind alle Berufsangehörigen, die eine Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung als Gesundheits- und Krankenpfleger (Gruppe 1), Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger (Gruppe 2) oder Altenpfleger (Gruppe 3) besitzen.“ 712 So auch Kluth anlässlich eines Vortrages zum 10. Kammerrechtstag am 3. und 4.11.2011, siehe dazu den Tagungsbericht von Heyne, DVBl 2012, 347 (347).

II. Unionsrechtliches Primärrecht

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1. Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 Abs. 1 AEUV) a) Anwendungsbereich Die Berufsgruppe der Kranken-, Altenpfleger und Gesundheitspfleger ist in ihrer Tätigkeitsstruktur sehr disparat: Einige üben ihren Beruf in selbstständiger Tätigkeit aus. Die ganz überwiegende Mehrheit der Mitglieder von Pflegeberufen versieht ihre Tätigkeit aber in abhängiger Beschäftigung. Diese Personen können sich nicht auf diejenigen Grundfreiheiten berufen, die an selbstständige Tätigkeiten anknüpfen (dazu unten S. 211 ff.). Für sie kommt aber die Arbeitnehmerfreizügigkeit als Schutzposition in Betracht. aa) Persönlicher Anwendungsbereich Die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 Abs. 1 AEUV gewährt allen Unionsbürgern, also allen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Art. 20 Abs. 1 S. 2 AEUV), Schutz. bb) Sachlicher Anwendungsbereich (1) „Arbeitnehmer“ Der unionsrechtliche Begriff „Arbeitnehmer“ ist mit demjenigen des deutschen Arbeitsrechts nicht vollständig deckungsgleich. Er ist vielmehr entsprechend der autonomen Ordnung des Unionsrechts auszulegen. Nach dem Verständnis des Unionsrechts ist „Arbeitnehmer“, wer für einen anderen nach dessen Weisungen gegen Entgelt für eine bestimmte Zeit Leistungen des Wirtschaftslebens erbringt.713 Kennzeichnend sind das fehlende unternehmerische Risiko und die Fremdbestimmtheit seiner Tätigkeit. Auf die Pflegekräfte, die in einem abhängigen Arbeitsverhältnis angestellt sind, trifft das zu. Soweit eine angestellte Pflegekraft aus einem anderen Mitgliedstaat in einem abhängigen Arbeitsverhältnis in Deutschland tätig wird (grenzüberschreitender Anknüpfungspunkt), ist daher die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 Abs. 1 AEUV thematisch einschlägig. Das gilt auch dann, wenn und soweit abhängig Beschäftigte eines anderen Mitgliedstaates einem deutschen Arbeitgeber vorübergehend zur Beschäftigung überlassen werden (sog. Arbeitnehmerüberlassung).714

713 Vgl. EuGH, Urt. v. 6.11.2003 – C-413/01 –, EuZW 2004, 117, Rdnr. 24 – Ninni-Orasche. 714 EuGH, Urt. v. 27.3.1990 – C-113/89 –, Slg. 1990, I-1417, Rdnr. 16.

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D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

Auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne des Art. 45 Abs. 1 AEUV kann sich nicht nur der Arbeitnehmer selbst berufen, sondern auch der Arbeitgeber. Denn das Recht der Arbeitnehmer, bei Einstellung und Beschäftigung nicht diskriminiert zu werden, kann nur dann seine volle Wirkung entfalten, wenn damit ein Recht der Arbeitgeber korrespondiert, Arbeitnehmer nach Maßgabe der gewährleisteten Freizügigkeit einstellen zu können.715 (2) Bereichsausnahme des Art. 45 Abs. 4 AEUV Die Pflegeberufe erbringen nach deutschem Verständnis eine Dienstleistung der Daseinsvorsorge. Diese besondere Natur findet ihren besonderen Ausdruck sehr häufig in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen, insbesondere bei kommunalen Arbeitgebern. Für bestimmte Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung sieht der AEUV eine Bereichsausnahme vor, die den Mitgliedstaaten für diese Gruppe von Arbeitnehmern zur Sicherung ihrer nationalen Interessen besondere Gestaltungsspielräume vorbehält: Die Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit findet hier keine Anwendung (Art. 45 Abs. 4 AEUV). Für die Zuordnung einer Tätigkeit zur „öffentlichen Verwaltung“ i. S. d. Art. 45 Abs. 4 AEUV kommt es aber nicht auf das Verständnis der oder die Bezeichnung in der nationalen Rechtsordnung an. Ebenso wenig ist entscheidend, ob das Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet ist. Maßgeblich ist vielmehr, dass mit der Tätigkeit eine unmittelbare oder mittelbare Teilhabe an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse einhergeht, die auf die Wahrung von allgemeinen Belangen des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind und aus diesem Grund ein besonderes Treueverhältnis zum Staat erfordern.716 Die Bereichsausnahme des Art. 45 Abs. 4 AEUV setzt daher Tätigkeiten voraus, die ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat begründen sowie auf der Reziprozität von Rechten und Pflichten basieren, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegt.717 Anzustellen ist insoweit eine funktionelle Betrachtung. Es ist also zu fragen, inwiefern es sich um eine Tätigkeit handelt, die typisch für die öffentliche Verwaltung ist. Entscheidend ist der Teil der Tätigkeit, der das Berufsbild prägt.

715

EuGH, Urt. v. 7.5.1998 – C-350/96 –, Slg. 1998, I-2521, Rdnr. 19 ff. EuGH, Urt. v. 17.12.1980 – 149/79 –, Slg. 1980, 3881, Rdnr. 10; EuGH, Urt. v. 2.7.1996 – C-290/94 –, Slg. 1996, I-3285, Rdnr. 2; in jüngerer Zeit EuGH (Große Kammer), Urt. v. 24.5.2011 – C-54/08 –, NJW 2011, 2941 (2942, Rdnr. 86 ff.) eine Ausübung öffentlicher Gewalt im Falle von Notaren verneinend. 717 EuGH, Urt. v. 3.7.1986 – 66/85 –, Slg. 1986, 2121, Rdnr. 27. 716

II. Unionsrechtliches Primärrecht

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Wiewohl zahlreiche Pflegekräfte in Deutschland in einem Beschäftigungsverhältnis des öffentlichen Dienstes angestellt sind, mit dem sich besondere Treuepflichten verknüpfen, ist die jeweils wahrgenommene Tätigkeit nicht aufgrund ihrer jeweiligen Natur auf die Einhaltung solcher Verbundenheitspflichten notwendig angewiesen. Vielmehr kann die pflegerische Tätigkeit auch außerhalb eines öffentlichen Dienst- und Treueverhältnisses ausgeübt werden. Krankenpfleger,718 Altenpfleger und die weiteren Pflegeberufe nehmen (mit Ausnahme der Angehörigen von Streitkräften) keine „Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung“ im Sinne des Art. 45 Abs. 4 AEUV wahr. Ihre Tätigkeiten unterfallen vollständig dem Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit. b) Eingriff aa) Diskriminierung Die Verpflichtung aller Pflegenden, Mitglied einer Pflegekammer zu werden, diskriminiert nicht unmittelbar oder mittelbar nach der Staatsangehörigkeit.719 Sie trifft vielmehr jeden, der als Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder Altenpfleger in einem Bundesland, das eine Pflegekammer einführt, tätig werden möchte. Typischerweise berührt die Mitgliedschaft deutsche Staatsangehörige, aber auch – nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Anwerbebemühungen – Pflegekräfte, die nach Deutschland zur Berufsausübung kommen. bb) Beschränkung In die Arbeitnehmerfreizügigkeit greift ein Mitgliedstaat nicht nur durch diskriminierende Maßnahmen, also Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, ein. Auch eine bloße Beschränkung des freien Verkehrs zwischen den Mitgliedstaaten begründet einen Eingriff.720 Der EuGH hat aus dem reinen Diskriminierungsverbot auch ein Beschränkungsverbot entwickelt. Eine staatliche Maßnahme beschränkt die Arbeitnehmerfreizügig718 EuGH, Urt. v. 3.6.1986 – 307/84 –, Slg. 1986, 1725, Rdnr. 13; Schlussanträge des Generalanwalts Mancini, Slg. 1986, 1725, Rdnr. 7. 719 Anders verhält sich das prima facie im Hinblick auf Doppelmitgliedschaften. Diese treffen typischerweise (wenn auch nicht ausschließlich [vgl. Fn. 120]) ausländische Pflegekräfte. Sie wirken dadurch aber noch nicht diskriminierend. Denn die Doppelbelastung ist nicht die Folge allein der nationalen Maßnahme. Diese behandelt In- und Ausländer vielmehr als solche rechtlich und faktisch gleich. Vgl. zur Doppelmitgliedschaft auch S. 204 f. mit Fn. 726. 720 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.1995 – C-415/93 –, Slg. 1995, I-4921, Rdnr. 96.

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D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

keit in der Regel schon dann, wenn sie die Ausübung der Freiheit der Angehörigen eines EU-Mitgliedstaates, in einem anderen Mitgliedstaat einer abhängigen Tätigkeit nachzugehen, unterbindet, behindert oder zumindest weniger attraktiv macht.721 Die Pflichtmitgliedschaft in einer Pflegekammer schafft Melde-, Mitwirkungs- und Beitragspflichten, die nicht lediglich (wie teilweise vertreten)722 einen mittelbaren Konnex herstellen, sondern unmittelbar an die Ausübung der Tätigkeit anknüpfen. Erst recht geht mit der Gründung einer Pflegekammer nicht ausschließlich eine Begünstigung für ihre Mitglieder einher.723 Denn sie erlegt den Beschäftigten eine Verpflichtung auf, die nicht Teil der Ausübung privatautonomer freier sozialer Gruppenbildung ist. Dass die Einrichtung der Pflegekammer der Förderung der beruflichen Bedingungen verschrieben ist, ändert daran nichts. Die Pflichtmitgliedschaft ausschließlich als mit der Zuweisung von demokratischen Partizipationsrechten verbundene begünstigende Rechtsposition zu verstehen,724 überzeugt dementsprechend nicht,725 sondern entpuppt sich als Euphemismus. Die Kammer begründet Rechte und Pflichten, welche die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit im Bereich der Pflegeberufe weniger attraktiv machen und damit die Freiheit beschränken, als Pflegender in Deutschland tätig zu werden. Insbesondere kann die Befugnis der Pflegekammer, Zusatzbezeichnungen für Qualifikationen mit von ihr festgelegten Weiterbildungsverpflichtungen zu verknüpfen (Art. 65f Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BayHKaG-E i. V. m. Art. 29 Abs. 1 BayHKaG), für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten Freizügigkeitshindernisse begründen. Die exklusive Verleihungsbefugnis kann deren Durchsetzungschancen im Wettbewerb bremsen und dadurch die Freizügigkeit beschränken. Ob ein Eingriff vorliegt, hängt auch nicht davon ab, ob die Berufsangehörigen durch die Pflichtmitgliedschaft zu einer Doppelmitgliedschaft neben einer möglicherweise bereits bestehenden Mitgliedschaft in einer berufs721 St. Rspr. des EuGH, Urt. v. 15.12.1995 – C-415/93 –, Slg. 1995, I-4921, Rdnr. 95 ff.; EuGH (Große Kammer), Urt. v. 10.4.2004 – C-442/02 –, Slg. 2004, I-8961, Rdnr. 11; EuGH, Urt. v. 17.3.2005 – C-109/04 –, Slg. 2005, I-2421, Rdnr. 25 f.; EuGH, Urt. v. 16.2.2006 – C-185/04 –, Slg. 2006, I-1453, Rdnr. 15; EuGH, Urt. v. 16.3.2010 – C-325/08 –, Slg. 2010, I-2196, Rdnr. 33. 722 Hanika (Fn. 701), 420 ff.; Kaltenhäuser (Fn. 269), S. 214 ff.; Kluth/Goltz (Fn. 41), S. 59. 723 So aber Kluth (Fn. 115), S. 337 f. 724 Vgl. Hanika (Fn. 145), 17; Kluth, Verfassungsfragen der Privatisierung von Industrie- und Handelskammern, 1997, S. 32; ähnlich ders./Goltz (Fn. 41), S. 59; Gornig (Fn. 340), 180. 725 Insbesondere lassen sich Beschneidungen individueller Grundrechtspositionen nicht ohne Weiteres durch einen kollektiven Mehrwert von Mitwirkungsrechten auffangen. In diesem Sinne auch Kleine-Cosack (Fn. 382), S. 142.

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ständischen Selbstverwaltungseinheit in ihrem Heimatstaat gezwungen werden.726 Denn bereits die einfache Pflichtmitgliedschaft in Deutschland greift in die Freizügigkeitsrechte des Einzelnen ein, indem sie die Attraktivität der Tätigkeit in dem Zielstaat beeinträchtigt. Eine Befreiung der Angehörigen anderer Unionsmitgliedstaaten von der Pflichtmitgliedschaft kann den Eingriffscharakter entfallen lassen. Von dieser Möglichkeit werden die meisten Bundesländer allerdings nicht Gebrauch machen wollen, sondern die Pflegenden möglichst umfassend in die Kammer einzubeziehen suchen. So sieht etwa Bayern die Möglichkeit der Befreiung anderer EU-Bürger in seinem Gesetzesentwurf nicht vor. Zwar soll über den neuen Art. 65g BayHKaG-E727 auch die bereits bestehende Vorschrift des Art. 41 Abs. 1 BayHKaG728 entsprechende Anwendung finden, die eine Befreiung vorsieht. Sie gilt aber gerade dann nicht, wenn die Beschäftigung in Deutschland auf Dauer angelegt sein soll, sondern ermöglicht eine Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft nur bei einer vorübergehenden oder gelegentlichen Ausübung des Heilberufes. Die Pflichtmitgliedschaft, wie sie etwa der BayHKaG-E zu etablieren sucht, beschränkt insoweit die Arbeitnehmerfreizügigkeit. cc) Einschränkung des Eingriffsbegriffs bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen? Die Weite des Eingriffsbegriffs, wie ihn der EuGH im Gefolge der Rechtssache Gebhard729 seiner Rechtsprechung zugrunde legt, steht in der Gefahr, ihn ufer- und konturlos zu machen und damit die Rechtfertigungsbedürftigkeit nationaler Maßnahmen über Gebühr auszudehnen. In der Rechtsprechung des EuGH deutet sich seit der Rechtssache Bosman730 daher die Tendenz an, einen Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit – in dogmatischer Anlehnung an die Keck-Rechtsprechung – bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen dann zu verneinen, wenn die staatlichen Maßnahmen reine Berufsausübungsregelungen sind, die nicht diskriminierend 726 Zu den Rechtsfragen von Doppelmitgliedschaften in Kammern allgemein siehe Heusch (Fn. 120), S. 13 ff. 727 Siehe Fn. 121. 728 „Ärzte, die nach Maßgabe von § 10b Abs. 1 der Bundesärzteordnung im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Beruf gelegentlich oder vorübergehend nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaft ausüben (Dienstleistungsverkehr), sind von der Mitgliedschaft zu einem ärztlichen Kreisverband befreit.“ 729 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94 –, Slg. 1995, I-4165, Rdnr. 37 – Gebhard. 730 EuGH, Urt. v. 15.12.1995 – C-415/93 –, Slg. 1995, I-4921, Rdnr. 102 f. – Bosman.

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wirken.731 Zu solchen Maßnahmen zählen etwa Arbeitszeitregelungen. Maßnahmen eines Zielstaates greifen nach diesem Verständnis nur dann in Art. 45 AEUV ein, wenn sie den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Staates behindern, also den heimischen Arbeitsmarkt gerade für ausländische Arbeitskräfte weniger attraktiv machen. Einzelne Aufgabenbereiche einer Pflegekammer stellen sich als Phänotypen einer Ausübungsregelung dar. Das gilt etwa grundsätzlich für die Sanktionierung beruflichen Fehlverhaltens oder Weiterbildungsregelungen. Diese Regelungen treffen die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auch nicht intensiver als deutsche Pflegende. Ihre Maßnahmen erschöpfen sich aber nicht in einer Ausübungsregelung. Vielmehr wirken sie auch auf die Voraussetzungen ein, unter denen die Unionsbürger den Beruf des Gesundheitsund Krankenpflegers, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegers oder Altenpflegers rechtmäßig im Inland ausüben dürfen. Denn die Mitgliedschaft knüpft unmittelbar an das Recht zur Führung der Berufsbezeichnung an. Jeder, der dieses Recht erworben hat, ist kraft staatlicher Pflicht Mitglied der Pflegekammer und hiervon bei dauernder Tätigkeit auch nicht als Mitglied eines anderen Mitgliedstaates befreit.732 Wer die Kammermitgliedschaft vermeiden möchte, ist damit im Umkehrschluss an der Ausübung des Berufes im Inland an sich gehindert. Mit der Pflichtmitgliedschaft in der Pflegekammer verbindet sich daher ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit. c) Rechtfertigung Eingriffe in die Arbeitnehmerfreizügigkeit können aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit [Art. 45 Abs. 3 AEUV; unten aa)] oder aufgrund ungeschriebener Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt sein [unten bb)]. aa) Rechtfertigungsgründe nach Art. 45 Abs. 3 AEUV Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer steht unter einem Ordre Public-Vorbehalt: Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit erlauben ihre Beschränkung. Diese Rechtfertigungen erstrecken sich nach dem Wortlaut des Art. 45 Abs. 3 AEUV unmittelbar nur auf die dort genannten Rechte der Bewerbung auf eine Stelle, der Einreise, des Aufenthalts und 731 EuGH, Urt. v. 24.11.1993 – C-267/91 und C-268/91 –, Slg. 1993, I-6097, Rdnr. 11 – Keck und Mithouard. 732 Vgl. S. 205.

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des Verbleibs in dem Beschäftigungsstaat.733 Damit hat es nach der Ratio des Art. 45 Abs. 3 AEUV jedoch nicht sein Bewenden. Ebenso wie die Rechtfertigungstatbestände der anderen Grundfreiheiten versteht die Vorschrift sich vielmehr als allgemeiner Rechtfertigungsgrund, der sich auf alle Gewährleistungen des Art. 45 Abs. 3 AEUV bezieht. Er erstreckt sich auch nicht nur auf Diskriminierungen, sondern auch auf Beschränkungen. Das ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut sowie zum anderen aus einem Erstrecht-Schluss: Wenn bereits diskriminierende Maßnahmen durch solche Gründe gerechtfertigt werden können, dann muss das für die Rechtfertigung von Beschränkungen a fortiore ad minus gelten. Die mit der Errichtung einer Pflegekammer verbundene Pflichtmitgliedschaft beschränkt die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Gründen des Gesundheitsschutzes. Sie soll die Qualität pflegerischer Leistungen sowie die Attraktivität des Heilberufes sichern und erhöhen. Der Begriff „öffentliche Gesundheit“ im Sinne des Art. 45 Abs. 3 AEUV ist jedoch eng auszulegen. „Öffentliche Gesundheit“ meint vor allem (aber nicht abschließend)734 den Schutz vor bestimmten, insbesondere in Art. 29 der EU-Unionsbürger-Aufenthaltsrichtlinie735 genannten übertragbaren Krankheiten. Erforderlich ist in jedem Falle ein Mindestmaß der Beeinträchtigung der Schutzgüter, die zu einer so schwerwiegenden Gefährdung werden können, dass ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt ist.736 Die Etablierung einer Pflegekammer zielt nicht primär direkt auf Maßnahmen pflegerischer Versorgung und damit des unmittelbaren Gesundheitsschutzes. Vielmehr hat sie vorrangig die Verbesserung der beruflichen Strukturbedingungen der in der Pflege beschäftigten Personen im Auge. Die gestärkte pflegerische Selbstorganisationskraft soll die Pflegeberufe attraktiv machen und dadurch indirekt für eine Verbesserung der Pflegequalität zum Wohle der gesamten Bevölkerung sorgen. Dieser mittelbare Konnex reicht nicht aus, um von der Zielsetzung „öffentliche Gesundheit“ im Sinne des Art. 45 Abs. 3 AEUV als Rechtfertigung sprechen zu können. Sonst würde das enge Verständnis, dem dieser Begriff im Unionsrecht unterworfen ist, mitgliedstaatlicher Beliebigkeit und Aushöhlung preisgeben. 733

Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 27, Rdnr. 45 ff. Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 50. Erglfg. 2013, Art. 52 AEUV, Rdnr. 24. 735 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABl. Nr. L 158 v. 30.4.2004, S. 77. 736 Vgl. Forsthoff (Fn. 734), Art. 52 AEUV, Rdnr. 26. 734

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bb) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe Neben den in Art. 45 Abs. 3 AEUV ausdrücklich genannten Rechtfertigungsgründen können auch sonstige zwingende Gründe des Allgemeininteresses Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit rechtfertigen.737 Ein abgeschlossener Katalog solcher zwingenden Gründe existiert nicht. Vielmehr ist der Begriff offen für die Konkretisierung von Schutzanliegen durch die Mitgliedstaaten.738 Anerkannt hat der EuGH insoweit unter anderem den sozialen Schutz der Arbeitnehmer,739 die Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen ärztlichen oder klinischen Versorgung,740 den Gläubigerschutz,741 die Wirksamkeit der Steueraufsicht742 und die Regelung beruflicher Qualifikationen743. Die Pflegekammer verschreibt sich als berufliche Selbstorganisation der Pflegeberufe dem Ziel, im Rahmen der Gesetze die beruflichen Belange der Pflegekräfte wahrzunehmen, die Erfüllung ihrer Berufspflichten zu überwachen, die Fortbildung zu fördern, soziale Einrichtungen für die Kammermitglieder und deren Angehörige zu schaffen sowie in der öffentlichen Gesundheitspflege mitzuwirken. Sie soll mithin nicht nur rein organisatorische Aufgaben oder solche der Interessenvertretung und der Verbesserung beruflicher Selbstorganisation wahrnehmen.744 Vielmehr ist sie auch der Gewährleistung und Kontrolle einer gleich bleibend hohen Qualität der Pflegeleistungen verpflichtet. Zu diesem Zweck darf die Kammer nach den Vorstellungen derjenigen Landesgesetzgeber, die eine Pflegekammer planen, eine Berufsordnung erlassen, die konkrete Verhaltensregeln für die Gesundheitsund Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder Altenpfleger vorsieht (vgl. etwa Art. 65g BayHKaG-E745 i. V. m. Art. 18 Abs. 3, 737 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94 –, Slg. 1995, I-4165, Rdnr. 37 – Gebhard; EuGH, Urt. v. 16.3.2010 – C-325/08 –, Slg. 2010, I-2177, Rdnr. 38 – Olymique Lyonnais. 738 Forsthoff (Fn. 734), Art. 45 AEUV, Rdnr. 379 ff. 739 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 –, Slg. 2007, I-10779, Rdnr. 77; EuGH, Urt. v. 5.3.2009 – C-350/07 –, NJW 2009, 1325, Rdnr. 82. 740 EuGH, Urt. v. 19.5.2009 – C-171/07 und C-172/07 –, Slg. 2009, I-4171, Rdnr. 27. 741 EuGH, Urt. v. 9.3.1999 – C-212/97 –, Slg. 1999, I-1459, Rdnr. 32. 742 EuGH, Urt. v. 15.5.1997 – C-250/95 –, Slg. 1997, I-2471, Rdnr. 31. 743 EuGH, Urt. v. 7.5.1991 – C-340/89 –, Slg. 1991, I-2357, Rdnr. 9; EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94 –, Slg. 1995, I-4165, Rdnr. 35. 744 Darin unterscheidet sie sich wesentlich von den Zielen der Industrie- und Handelskammern, die Kempen für unionsrechtswidrig hält, vgl. Kempen, Beschwerde an die Kommission der Europäischen Union wegen Nichtbeachtung des Unionsrechts, http://www.bffk.de/files/4.pdf (14.8.2013). 745 Siehe Fn. 121.

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Art. 20 BayHKaG; § 15 Abs. 4 Nr. 4746 i. V. m. § 23 f.747 RhPfHeilBG-E). Deren Einhaltung hat sie zu überwachen und Konsequenzen aus der Missachtung zu ziehen (Art. 65g BayHKaG-E748 i. V. m. Art. 66 ff., 37 ff. BayHKaG; §§ 51 ff. RhPfHeilBG-E). Den Pflegekammern kommt insoweit eine für das Gesundheitswesen des Mitgliedstaates relevante Funktion der inhaltlichen Qualitätssicherung zu, die grundsätzlich als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses einen Rechtfertigungsgrund bilden kann. So hat auch der EuGH in der Rechtssache Auer im Hinblick auf Tierärzte „die Zuverlässigkeit und die Beachtung der standesrechtlichen Grundsätze sowie die disziplinarische Kontrolle der Tätigkeit“749 als schutzwürdige Rechtsgüter anerkannt. cc) Verhältnismäßigkeit Ein zwingender Grund des Allgemeininteresses rechtfertigt einen Eingriff in die nach Art. 45 Abs. 1 AEUV gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit als solcher noch nicht. Hinzu kommen muss, dass ein solcher Eingriff ein legitimes Ziel verfolgt, dazu geeignet ist, die Verwirklichung des Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung erforderlich ist.750 Insofern sind im Grundsatz ähnliche Maßstäbe anzulegen, wie sie das nationale Recht für die Grundrechte entwickelt hat (dazu im Einzelnen oben S. 134 ff.). Aufgrund der unterschiedlichen Zielrichtung des nationalen Verfassungsrechts auf der einen und des Unionsrechts auf der anderen Seite sowie der divergierenden Prüfungsintensität des BVerfG und des EuGH können die Prüfungsergebnisse aber voneinander abweichen. Denn während das Unionsrecht den Binnenmarkt gegen eine Errichtung von Marktzutrittshindernissen zu schützen trachtet und die Grundfreiheiten in den Dienst dieses Schutzes stellt, hat das nationale Recht die individuelle Entfaltungsfreiheit der Person als Teil einer verfassungsrechtlichen Selbstbeschränkung des Leviathan im Blick.

746 „Durch besondere Satzungen sind insbesondere Bestimmungen zu treffen über die allgemeine Berufsausübung der Kammermitglieder einschließlich der Berufsfortbildung und der Teilnahme an einem Notfalldienst (Berufsordnung).“ 747 „Das Nähere (. . .) regelt die Berufsordnung. Sie hat insbesondere (. . .) vorzusehen, dass (. . .)“. 748 Siehe Fn. 121. 749 EuGH, Urt. v. 22.9.1983 – 271/82 –, Slg. 1983, 2727, Rdnr. 18. 750 St. Rspr.; EuGH, Urt. v. 31.3.1993 – C-19/92 –, Slg. 1993, I-1663, Rdnr. 32; EuGH, Urt. v. 16.3.2010 – C-325/08 –, Slg. 2010, I-2196, Rdnr. 33.

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Wie weit der Schutz des Unionsrechts im Einzelnen reicht, trifft auf unterschiedliche Antworten. Heyne zieht etwa nach einem Vergleich der Standesorganisationen in der EU den Schluss, dass „der Gesundheitsschutz international zum Teil nicht als derart hochrangig beurteilt werden kann, dass dies stets eine Pflichtmitgliedschaft der Ärzte (. . .) in den entsprechenden Organisationen als erforderlich und verhältnismäßig rechtfertigen kann“751. Daran gemessen, ließe sich erst recht eine Kammer für Pflegeberufe unionsrechtlich kaum rechtfertigen. Die Prämisse widerspricht aber zwei Befunden: zum einen dem Umstand, dass die Verkammerung nicht allein dem Gesundheitsschutz verschrieben ist, sondern in erster Linie die berufliche Selbstorganisation einer Gruppe des Gesundheitswesens verbessern soll, um dadurch mittelbar dem Gesundheitsschutz zu dienen. Soll diese berufliche Selbstorganisation eine vollständige Interessenrepräsentation mit demokratischer Beteiligungsstruktur ermöglichen, erweist sich eine pflichtmitgliedschaftliche Kammerstruktur auch als erforderlich.752 Zum anderen widerspricht sie der Rechtsprechung des EuGH. Er hat in der Rechtssache Auer753 die Pflichtmitgliedschaft von Tierärzten in einer berufsständischen Kammer nicht nur als schutzwürdigen Zielsetzungen verschrieben, sondern auch als verhältnismäßig und damit mit dem Unionsrecht vereinbar erklärt.754 Dass Pflichtmitgliedschaften mit dem Unionsrecht als solche in Einklang stehen können, impliziert noch nicht, dass auch die konkrete Ausgestaltung einer Pflegekammer den Segen des Unionsrechts erhält. Die Bewertung steht insoweit unter ambivalenten Vorzeichen. Auf der einen Seite vermag eine Pflegekammer einen Teil der Ziele klassischer Berufskammern aufgrund der unselbstständigen Beschäftigung ihrer Mitglieder und der spezifischen Struktur ihrer Berufe nicht in dem gleichen Umfang zu erreichen.755 Auf der anderen Seite kommt dem nationalen Gesetzgeber auch im Unionsrecht ein erheblicher Spielraum bei der Ausgestaltung seiner wirtschaftlichen Zielvorstellungen zu. Die Mitgliedstaaten dürfen eine Selbstorganisation der Berufsträger auch im Verhältnis zu einer Qualitätskontrolle durch eine rein staatliche Aufsicht, wie etwa die Gewerbeaufsicht, die ohne eine 751 Heyne, Das Kammerwesen in anderen Staaten, in: Kluth (Hrsg.), Handbuch des Kammerrechts, 2011, § 4, Rdnr. 54 ff. 752 Dazu im Einzelnen oben S. 138 ff. 753 EuGH, Urt. v. 22.9.1983 – 271/82 –, Slg. 1983, 2727, Rdnr. 18; vgl. auch zur Zulässigkeit der Pflichtmitgliedschaft in einer Berufsgenossenschaft EuGH (3. Kammer), Urt. v. 5.3.2009 – C-350/07 –, NJW 2009, 1325 ff. 754 Ärzte können sich allerdings, soweit sie ihre Tätigkeit als Selbstständige ausüben, regelmäßig nicht auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern auf die Niederlassungsfreiheit (zu ihr S. 211 ff.) berufen. Im Ergebnis käme der EuGH jedoch auch für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer wohl nicht zu einer anderen Einschätzung. 755 Dazu im Einzelnen oben S. 77 ff. und S. 137 f.

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Kammerzugehörigkeit auskommt, grundsätzlich als weniger einschneidend betrachten. Denn die Kammerorganisation lässt den Berufsmitgliedern in größerem Umfang die Freiheit, durch Partizipation an der Regelung der eigenen Angelegenheiten und der Ausgestaltung der beruflichen Rahmenbedingungen teilzuhaben, ohne dadurch notwendig weniger wirksam zu sein.756 Sie aktiviert die gesellschaftlichen Kräfte zur Wahrnehmung von Aufgaben, an deren sachgerechter Erledigung die Pflegenden aufgrund ihrer Selbstbetroffenheit ein hohes Eigeninteresse haben. Liegt der besondere Sinn der Selbstorganisation in der Einbeziehung aller Berufsträger mit dem Ziel vollständiger Interessenrepräsentation, darf der Gesetzgeber eine Pflichtmitgliedschaft auch in ihren konkreten Gestaltungsfacetten als erforderliches Instrument bewerten. Eine freiwillige Mitgliedschaft in der Kammer kann dann den Zielen einer Pflegekammer nicht in gleicher Weise gerecht werden. Eine Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit würde der EuGH einer pflichtmitgliedschaftlich verfassten Pflegekammer wohl nicht attestieren. Gleichwohl ist es unionsrechtlich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten, für Personen, die ihre Tätigkeit nur vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat ausüben, einen Befreiungstatbestand vorzusehen. Sonst entstünde für die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die Pflegeberufe ausüben, ein unverhältnismäßiges Zugangshindernis zur Wahrnehmung ihres Freizügigkeitsrechts. 2. Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) Soweit von einer Pflegekammer Diskriminierungen oder Beschränkungen einer Niederlassung im Inland ausgehen, zieht Art. 49 i. V. m. Art. 54 AEUV dem Grenzen. a) Persönlicher Anwendungsbereich Auf die Niederlassungsfreiheit können sich neben Unionsbürgern (Art. 49 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 20 AEUV) auch alle Gesellschaften berufen, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Union haben (Art. 54 AEUV). b) Sachlicher Schutzbereich Anders als die Arbeitnehmerfreizügigkeit knüpft die Niederlassungsfreiheit an selbstständige Tätigkeiten an, also an wirtschaftliche Leistungen, die 756

A. A. Kempen (Fn. 744).

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gegen Entgelt in eigener Verantwortung und weisungsfrei erbracht werden. Sofern diese von einer festen und dauerhaften Einrichtung des Leistungserbringers im Mitgliedstaat aus erbracht werden, ist die Niederlassungsfreiheit tatbestandlich einschlägig.757 Neben der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten schützt die Niederlassungsfreiheit auch die Gründung und Leitung von Unternehmen vor Beschränkungen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates. Zahlreiche selbstständige Anbieter von Pflegeleistungen erbringen ihre Dienste aus festen Dienstlokalen heraus. Dass sie ihre Dienste häufig mobil vor Ort in der Wohnung der Pflegenden erbringen, schließt die Einrichtung eines festen Dienstlokals nicht aus. Ihnen verleiht die Niederlassungsfreiheit, soweit ein grenzüberschreitender Bezug gegeben ist, Schutz. c) Eingriff Indem eine Pflegekammer alle Pflegenden gleich welcher Nationalität einbezieht,758 diskriminiert sie nicht unmittelbar nach der Staatsangehörigkeit. Ihre pflichtmitgliedschaftliche Bindung und die daran anknüpfenden Folgen wirken sich auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten auch nicht faktisch stärker aus als auf deutsche Berufsträger. Sie diskriminiert also auch nicht mittelbar. Ebenso wie in die Arbeitnehmerfreizügigkeit greifen neben Diskriminierungen auch Beschränkungen in die Niederlassungsfreiheit ein. Für einen Eingriff genügt insoweit, dass eine mitgliedstaatliche Maßnahme die Aufnahme einer Niederlassung tatsächlich oder potenziell, mittelbar oder unmittelbar weniger attraktiv macht.759 Die Pflegekammer verknüpft die Ausübung einer selbstständigen pflegerischen Tätigkeit mit Mitwirkungs- und Zahlungspflichten innerhalb der Organisation. Diese dienen insgesamt dem Wohl des Berufsstandes und bringen dadurch dem Einzelnen mittelbar Vorteile. Jedoch macht sie damit aufgrund ihres Zwangscharakters auch die Freiheit der Aufnahme einer von einer festen und dauerhaften Einrichtung aus betriebenen, selbstständigen pflegerischen Tätigkeit zumindest potenziell weniger attraktiv760 (vgl. 757

Vgl. EuGH, Urt. v. 25.7.1991 – C-221/89 –, Slg. 1991, I-3905, Rdnr. 20. Vgl. auch S. 203 und 205. 759 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 31.3.1993 – C-19/92 –, Slg. 1993, 1663, Rdnr. 32 – Kraus. 760 Ob sich die Einschränkungen, welche die (für die Warenverkehrsfreiheit entwickelte) Keck-Rechtsprechung des Gerichtshofes für das Beschränkungsverbot entwickelt hat, auf die Niederlassungsfreiheit übertragen lassen, ist in der Rechtsprechung des EuGH noch nicht geklärt (vgl. dazu etwa Haratsch/Koenig/Pechstein, 758

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hierzu im Einzelnen S. 201 ff.). Darin liegt eine Beschränkung und damit ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit.761 d) Rechtfertigung Ebenso wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Grundrechte des Grundgesetzes ist auch die Niederlassungsfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet. aa) Geschriebene Rechtfertigungsgründe Art. 52 AEUV nennt ausdrücklich Gründe, die einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können: die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. Zwar beziehen sich diese Rechtfertigungsgründe nach dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 AEUV („Sonderregelungen für Ausländer“) allein auf diskriminierende Eingriffe. Allerdings sind sie, wie bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch, auf beschränkende Maßnahmen zumindest analog anwendbar.762 Der Rechtfertigungsgrund „öffentliche Gesundheit“ im Sinne des Art. 52 Abs. 1 AEUV ist – ebenfalls wie bei Art. 45 Abs. 3 AEUV763 – eng zu verstehen und autonom nach Unionsrecht auszulegen.764 Die mittelbare Förderung der öffentlichen Gesundheit durch pflichtmitgliedschaftliche BinEuroparecht, 8. Aufl. 2012, Rdnr. 833 sowie oben S. 205 f.). Relevant wird diese Einschränkung aber auch nur bei unterschiedslos geltenden Ausübungsregelungen, die erst nach erfolgter Niederlassung ansetzen und dabei das Recht ausländischer Unternehmer, sich im Inland niederzulassen, nicht behindern. Die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft setzt jedoch an einen vorherigen Zeitpunkt, nämlich der Möglichkeit der Niederlassung an. Sie macht die Niederlassung von einer Mitgliedschaft in der Pflegekammer und entsprechender Registrierung abhängig. 761 A. A. Kluth, NVwZ 2002, 298 (301). Er geht davon aus, dass bei einer Pflichtmitgliedschaft neben der Beitragspflicht keine besonderen Pflichten entstehen, welche sich auf die Berufstätigkeit auswirken können und die Beitragspflicht zu unspezifisch sei, um als Beschränkung qualifiziert werden zu können. Burgi, Europarechtliche Perspektiven der funktionalen Selbstverwaltung, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammerrechts 2002, 2003, S. 23 (35), hält eine Beschränkung für ausgeschlossen, weil die Pflichtmitgliedschaft die Niederlassungswilligen nicht von einer Niederlassung abhalten könne. Zur Europarechtskonformität der Pflichtmitgliedschaft in der IHK vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, GewArch. 2011, 326 ff. Das Gericht sieht die Niederlassungsfreiheit durch die Pflichtmitgliedschaft nicht tangiert, da lediglich eine Gleichstellung mit inländischen Unternehmen erfolge. Siehe auch die Zusammenfassung in Heusch, Rechtsprechung zum Kammerrecht im Jahre 2010, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts 2010, 2011, S. 177 (180). 762 Vgl. dazu bereits oben S. 203 f. 763 Siehe dazu oben S. 207.

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dung der Pflegeberufe genügt seinen begrifflichen Anforderungen nicht (vgl. oben S. 207). bb) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe nach der Gebhard-Formel Zusätzlich zu den in Art. 52 Abs. 1 AEUV ausdrücklich genannten Rechtfertigungsgründen rechtfertigen auch sonstige zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit.765 Da die Pflegekammern nicht nur als Interessenvertretung, sondern auch als Mittel inhaltlicher Qualitätskontrolle der pflegerischen Tätigkeit konzipiert sind, kann sich der Staat insoweit auf den allgemeinen Gesundheitsschutz berufen. Daneben ist auch das allgemeine Interesse an der Förderung und umfassenden Interessenrepräsentation des Berufsstandes in einem korporatistisch verfassten Gesundheitswesen ein zwingendes Erfordernis des Allgemeinwohls. cc) Verhältnismäßigkeit Das alleine genügt jedoch – ebenso wie im Falle der Arbeitnehmerfreizügigkeit – nicht. Die beschränkenden Maßnahmen müssen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein und dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist.766 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH ist insoweit gegenüber dem nationalen Recht zurückgenommen. Liegt der Zweck der Gründung einer Pflegekammer gerade in einer umfassenden Interessenrepräsentation aller Mitglieder der Pflegeberufe, erweist sich ihre pflichtmitgliedschaftliche Konstruktion aber als erforderlich. Sie schießt nicht in unverhältnismäßiger Weise über das Ziel hinaus (vgl. dazu im Einzelnen oben S. 209). 3. Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) a) Schutzbereich – Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit Wie die Niederlassungsfreiheit gewährt auch die Dienstleistungsfreiheit in den Fällen Schutz, in denen ein Angehöriger eines Mitgliedstaates in Deutschland eine entgeltliche Leistung weisungsfrei und unabhängig er764 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 52 AEUV, Rdnr. 3 m. w. N. 765 EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94 –, Slg. 1995, I-4165, Rdnr. 37 – Gebhard. 766 Vgl. die Nachweise in Fn. 750.

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bringt. Von der Niederlassung unterscheidet sie sich die Dienstleistung aber dadurch, dass sie nur vorübergehend in dem „fremden“ Mitgliedstaat ausgeübt werden soll, während Erstere die dauerhafte Eingliederung in das Wirtschaftsleben des Empfangsmitgliedstaates voraussetzt. Die Dienstleistungsfreiheit schützt also den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesundheits-, Kranken-, oder Altenpfleger, der seine Dienste vorübergehend selbstständig in einem Bundesland erbringen möchte, das für die verkammerten Berufsgruppen eine Pflichtmitgliedschaft vorsieht. b) Eingriff Ebenso wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit hat der EuGH auch die Dienstleistungsfreiheit über ein bloßes Diskriminierungsverbot hin zu einem Beschränkungsverbot entwickelt.767 In den Gewährleistungsgehalt der Dienstleistungsfreiheit greifen danach alle Maßnahmen ein, die eine Ausübung der Freiheit behindern, unterbinden oder weniger attraktiv machen, selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleister und für Dienstleister aus anderen Mitgliedstaaten gelten. Die landesrechtlichen Pläne zur Etablierung einer Pflichtmitgliedschaft für Pflegeberufe knüpfen nicht unmittelbar an die Erbringung der Dienstleistung eines Krankenpflegers oder Gesundheits- bzw. Altenpflegers an, sondern an die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung an (vgl. etwa Art. 65b BayHKaG-E768). Gesundheits- und Krankenpfleger oder Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger, die ihre Berufstätigkeit als vorübergehende und gelegentliche Dienstleistung im Sinne der Dienstleistungsfreiheit ausüben, führen die entsprechende Berufsbezeichnung nach § 1 Abs. 2 und 3 KrPflG bzw. § 1a AltPflG aber, ohne die Erlaubnis beantragen zu müssen. Sie werden daher – jedenfalls nach dem Entwurf des Landes Bayern – nicht Mitglied der Kammer.769 c) Rechtfertigung Bezieht der Gesetzgeber auch die Erbringer vorübergehender Leistungen aber in die pflichtmitgliedschaftlichen Bindungen ein, liegt darin eine nach767 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.5.1995 – C-384/93 –, Slg. 1995, I-1141, Rdnr. 35; nicht eindeutig noch EuGH, Urt. v. 3.12.1974 – 33/74 –, Slg. 1974, 1299, Rdnr. 10 und 12. 768 Siehe dazu Fn. 711. 769 Art. 65g i. V. m. Art. 44 Abs. 1 BayHKaG-E. Für die Gruppe gelten aber nach näherer Maßgabe des Art. 44 Abs. 3 BayHKaG kammerliche Berufsregeln. Insoweit gelten sie als Mitglieder der Pflichtverbände.

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D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

haltige und rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit. Auf die Dienstleistungsfreiheit sind insoweit die gleichen Rechtfertigungsprinzipien anwendbar wie auf die Niederlassungsfreiheit. Das ergibt sich aus Art. 62 AEUV. Da der eng verstandene Begriff der „Gesundheit“ im Sinne des Art. 52 i. V. m. Art. 62 AEUV pflichtmitgliedschaftliche Beschränkungen der Grundfreiheiten nicht deckt,770 können ausschließlich (sonstige) zwingende Gründe des Allgemeininteresses die Auferlegung einer Mitgliedschaftspflicht für nur vorübergehende Tätigkeiten rechtfertigen. Die berufliche Selbstorganisation der Pflegekräfte im Interesse einer Sicherung der Pflegequalität erfüllt die Voraussetzungen eines solchen zwingenden Bedürfnisses. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Einbeziehung solcher Dienstleister in eine Kammerorganisation, die ihre Leistungen nur vorübergehend in der Bundesrepublik anbieten, aber nicht zwingend erforderlich und angemessen. Die Verpflichtung zu beruflicher Selbstorganisation setzt nämlich ein Mindestmaß kontinuierlicher Verknüpfung mit dem Berufsstand und der Integration in den Sektor der zu erbringenden Leistungen voraus. Wo es – wie bei den Dienstleistern, die ihre Dienstleistungen nur vorübergehend erbringen – daran gerade fehlt, erweist sich die Anknüpfung einer Pflichtmitgliedschaft an lediglich gelegentliche Dienstleistungen als unverhältnismäßig und verstößt daher gegen Art. 56 AEUV.771 Der Dienstleister unterliegt regelmäßig in seinem Herkunftsland bereits berufsrechtlichen Regelungen und einer entsprechenden Berufsaufsicht. 4. Vereinigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GrCh) Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union hat durch den Verweis des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV gleichrangig zu den Verträgen Einzug in das unionsrechtliche Primärrecht gehalten. Ihr Art. 12 Abs. 1 stellt die Vereinigungsfreiheit der Unionsbürger unter besonderen Schutz. Er gewährleistet – in Anlehnung an Art. 11 EMRK772 sowohl positiv wie negativ den Zusammenschluss einer Personenmehrheit zu einem gemeinsamen Zweck, soweit er ein Mindestmaß zeitlicher und organisatorischer Stabilität aufweist. Die in der Grundrechtecharta normierten Grundrechte finden allerdings nicht auf alle Maßnahmen, sondern ausschließlich bei der „Durchführung des Rechts der Union“ (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh) Anwendung. Handeln die Mitgliedstaaten in einem Bereich, der alleine in ihren nationalen Kompeten770

Siehe dazu oben S. 207. Ebenso EuGH, Urt. v. 3.10.2000 – C-58/98 –, Slg. I-2000, 7919, Rdnr. 32 ff. – Corsten; Burgi (Fn. 761), S. 34; Igl (Fn. 24), S. 111. 772 Dazu unten S. 223 ff. 771

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zen wurzelt und keine Verpflichtungen berührt, welche die Mitgliedstaaten unionsrechtlich übernommen haben, beansprucht die Grundrechtecharta daher keine Geltung. Ein bloß hypothetischer Bezug zum Unionsrecht genügt insoweit nicht.773 Wiewohl sich diese Unterscheidung prima facie als trennscharf darstellt, verursacht sie nicht unerhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Dies gilt insbesondere dort, wo nationale Regelungen betroffen sind, die nicht eigens zur Umsetzung von Unionsrecht erlassen wurden, den Behörden aber auch zum Vollzug des Unionsrechts dienen. Denn die mitgliedstaatlichen Verpflichtungen und unionalen Kompetenzen sind in dem Staatenverbund der Europäischen Union eng miteinander verflochten. Die Einrichtung einer Pflegekammer setzt nicht Unionsrecht in klassischer Form um oder dient seiner normativen oder administrativen Durchführung. Sie entspringt weder der Umsetzungsverpflichtung einer Richtlinie in nationales Recht noch der unmittelbaren Anwendung einer EU-Verordnung. Nur in diesem Bereich ist die Bindungswirkung allgemein anerkannt.774 Vielmehr handeln die jeweiligen Länder als Herren über die nationale Normenordnung grundsätzlich aus eigenem Antrieb. Dabei beschränken allerdings die Grundfreiheiten ihre inhaltliche Gestaltungsfreiheit. Der Begriff der „Durchführung“ von Unionsrecht deutet darauf hin, dass bei Handlungen, die lediglich durch eine Beeinträchtigung von Grundfreiheiten unionsrechtliche Qualität gewinnen, die Grundrechtecharta keine Geltung beanspruchen kann. Der Wortlaut markiert nach verbreiteter Auffassung insoweit eine eindeutige Grenze.775 Der EuGH vertritt jedoch einen anderen Standpunkt: Soweit in einem Sachverhalt der Schutzbereich der Grundfreiheiten eröffnet ist, sieht er Unionsrecht als betroffen an; es finde insoweit eine „Durchführung von Unionsrecht im weiteren Sinne“776 statt. Aufgrund ihrer primärrechtlichen Bindungen müssen die Mitgliedstaaten nämlich auch in diesem Fall „die Erfordernisse des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung beachten“777. Eine Stütze findet diese Einschätzung in den Charta-Erläuterungen, die auf die entsprechende, vor Erlass der Grundrechtecharta bestehende Rechtsprechung des EuGH verwei773

EuGH, Urt. v. 29.5.1997 – C-299/95 –, Slg. 1997 I-2629, Rdnr. 16. So allgemein Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2013, Art. 51, Rdnr. 16 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 764), Art. 51 GrCh, Rdnr. 10 f. jeweils m. w. N. 775 Etwa Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2011, Art. 51, Rdnr. 29 ff.; Cremer, NVwZ 2003, 1452 (1455 ff.); Kingreen (Fn. 774), Art. 51 GrCh, Rdnr. 17. 776 So Jarass (Fn. 774), Art. 51, Rdnr. 21 unter Berufung auf EuGH, Urt. v. 26.6.1997 – 368/95 –, Slg. 1997, I-3689, Rdnr. 24 f. 777 EuGH, Urt. v. 13.4.2000 – C-292/97 –, Slg. 2000, I-2737, Rdnr 37; zustimmend Ohler, NVwZ 2013, 1433 (1435 f.). 774

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sen.778 Der EuGH hat dort nämlich bereits die Grundrechtstraditionen der Mitgliedstaaten und Gewährleistungen der EMRK als ungeschriebenen Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Union bei der Auslegung herangezogen und insoweit als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung behandelt. Auch vor dem Angesicht des Wortlauts des Art. 51 Abs. 1 GrCh („ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“) hält er an seiner Rechtsprechung fest: Er liest die Wendung als alle „Fallgestaltungen [. . .], die vom Unionsrecht erfasst würden“779. Für die Anwendbarkeit der GrCh genüge, dass „eine nationale Rechtsvorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts“780 falle. Dass die Charta die Zuständigkeit der Union ausweislich des Art. 51 Abs. 2 GrCh und des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 EUV nicht über die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten hinaus erweitert, steht dem aus der Sicht des EuGH nicht entgegen. Denn nach seiner Lesart war die Zuständigkeit der Union gerade in diesen Fällen schon in der Vergangenheit eröffnet. Er sieht keine Fallgestaltungen als denkbar an, die vom Unionsrecht erfasst sind, ohne dass die Grundrechte der GrCh anwendbar wären,781 entstünde doch ohne die Prüfung der mitgliedstaatlichen Maßnahmen an der GrCh womöglich eine Schutzlücke, welche diese zu einem zahnlosen Tiger zu machen droht. Unter diesen Prämissen kann auch eine Pflegekammer, die auch ausländische Beschäftigte binden will, die Vereinigungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GrCh berühren. Denn sie tangiert sowohl den Schutzbereich der Grundfreiheiten782 als auch den Anwendungsbereich der Berufsanerkennungsrichtlinie783. Art. 6 S. 1 der Berufsanerkennungsrichtlinie schützt Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie ansässig sind, Dienstleistungen erbringen wollen. Diese Personen muss der Empfangsmitgliedstaat grundsätzlich von einer Mitgliedschaft in einer Berufsorganisation befreien. Die Einhaltung dieser mitgliedstaatlichen Verpflichtungen sähe der EuGH wohl als Durchführung des Unionsrechts (im weiteren Sinne) in den 778

Charta-Erläuterungen zu Art. 51 GrCh, ABl. EG Nr. C 303/33 v. 14.12.2007 mit den Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH vor Erlass der Grundrechtecharta, etwa EuGH, Urt. v. 18.6.1991 – C-260/89 –, Slg. 1991, I-2925, Rdnr. 43 – ERT; Urt. v. 4.10.1991 – C-159/90 –, Slg. 1991, I-4685, Rdnr. 30; Urt. v. 26.6.1997 – C-368/95 –, Slg. 1997, 3689, Rdnr. 24 ff.; EuGH, Urt. v. 18.12.1997 – C-309/96 – Slg. 1997, I-7493 – Annibaldi. 779 EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – C-617/10 –, NJW 2013, 1415, Rdnr. 21 – Fransson; ablehnend BVerfG, NJW 2013, 1499, Rdnr. 91. 780 EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – C-617/10 –, NJW 2013, 1415, Rdnr. 20 – Fransson. 781 EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – C-617/10 –, NJW 2013, 1415, Rdnr. 20 – Fransson. 782 Dazu im Einzelnen S. 201 ff. 783 Dazu im Einzelnen S. 196 f.

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Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GrCh fallen. Allerdings kann der Geltungsbereich des Unionsrechts und damit die Anwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 GrCh nur so weit wie die mitgliedstaatlichen Verpflichtungen selbst reichen:784 Zu beachten ist die Vereinigungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GrCh daher – bei der Bestimmung der Reichweite zulässiger Beschränkungen – nur so weit, wie Pflegekammern Verpflichtungen mit grenzüberschreitendem Bezug für Angehörige anderer Mitgliedstaaten, etwa im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen oder ihrer Niederlassung, begründen. Die generelle Begründung einer Kammerpflicht ist davon hingegen nicht erfasst. Insoweit sind keine unionsrechtlichen Verpflichtungen berührt, welche die Mitgliedstaaten untereinander eingegangen sind.785 5. Unionskartellrecht Ebenso wie die Grundfreiheiten setzen die kartellrechtlichen Regelungen des Unionsprimärrechts (Art. 101 Abs. 1 AEUV) pflichtmitgliedschaftlichen 784 Ähnlich im Sinne eines „Systems kommunizierender Röhren“ Ohler (Fn. 777), 1437; mit ähnlicher Tendenz ebenso Kirchhof, NJW 2011, 3681 (3684). 785 Darüber hinaus berühren Zwangsvereinigungen öffentlich-rechtlicher Art, wie der Zusammenschluss in einer Pflegekammer, nach überwiegender Einschätzung nicht originär den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GrCh (Bernsdorff, in: Meyer [Fn. 775]), Art. 12 GrCh, Rdnr. 15; Jarass [Fn. 774], Art. 12, Rdnr. 27). Denn der besondere grundrechtliche Schutz des Zusammenschlusses impliziert die Freiwilligkeit seiner Gründung (so auch das Begriffsverständnis bei Bernsdorff, ibid.; Jarass [Fn. 774], Art. 12, Rdnr. 21 f.). Art. 12 Abs. 1 GrCh schützt immerhin aber bestehende Berufsvereinigungen gegen einen öffentlich-rechtlichen Zwangsverband, wenn dieser deren Handlungsspielraum mittelbar derart beschränkt, dass das in seiner Wirkung ihrem vollständigen oder teilweisen Verbot gleichkommt (siehe dazu bereits oben S. 175 ff.). Auch soweit man auf der Grundlage eines sehr extensiven Verständnisses des Art. 52 Abs. 1 GrCh diesen Schutz der bestehenden Berufsvereinigungen gegen einen öffentlich-rechtlichen Zwangsverband in den Anwendungsbereich der GrCh nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 fallen sieht, steht Art. 12 Abs. 1 GrCh der Gründung einer Pflegekammer nicht entgegen. Denn Eingriffe in Art. 12 Abs. 1 GrCh müssen zwar den Anforderungen des Art. 52 Abs. 1 GrCh genügen und die Vorgaben des Art. 11 Abs. 2 EMRK beachten, da Art. 12 Abs. 1 der Gewährleistung des Art. 11 EMRK entspricht (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GrCh); Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit dürfen daher „nicht über die Einschränkungen hinausgehen, die als mögliche rechtmäßige Einschränkungen im Sinne von Artikel 11 Absatz 2 EMRK gelten“ (so die Charta-Erläuterungen zu Art. 12 GrCh, ABl. EG Nr. C 303/33 v. 14.12.2007). Art. 11 Abs. 2 EMRK lässt aber Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit „zum Schutz der Gesundheit“ sowie „zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ zu. Indem eine Pflegekammer alle Pflegenden in die Qualitätsaufsicht und Interessenrepräsentation einbezieht, genügt sie den Rechtfertigungsanforderungen effektiven (mittelbaren) Gesundheitsschutzes, welche die Vereinigungsfreiheit aufstellt (vgl. dazu auch im Einzelnen oben S. 133 ff. und unten S. 224).

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D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

Verbänden Schranken: Berufskammern zielen darauf, die gemeinsamen Interessen einer Berufsgruppe gegenüber der Öffentlichkeit und anderen Wirtschaftsteilnehmern mit einem umfassenden Anspruch zu vertreten und treten zu privatrechtlichen Vereinigungen mit ähnlichen Zielsetzungen in unmittelbare, ja geradezu erdrückende Konkurrenz. Dass sie als öffentlichrechtliche Körperschaften verfasst sind und ihnen der Gesetzgeber die Festlegung von Rechtspflichten durch Satzungen normativ zugesteht, schließt eine Einstufung als Unternehmensvereinigung im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts nicht aus.786 Denn unter diesen Begriff fallen grundsätzlich auch Zusammenschlüsse, die selbst keine wirtschaftlichen Tätigkeiten ausüben oder mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut sind, sofern die Tätigkeit einen Bezug zum Wirtschaftsleben hat.787 Aus dem Begriff scheiden pflichtmitgliedschaftliche Verbände nach dem Verständnis des EuGH erst dann aus, wenn sie unter staatlicher Aufsicht Aufgaben sozialer Natur wahrnehmen, die dem Gedanken der Solidarität verschrieben sind.788 Berufsgenossenschaften gegen Arbeitsunfälle und Betriebskrankheiten hat das Gericht daher nicht an Art. 101 AEUV gemessen.789 Denn sie sind vorrangig der sozialen Sicherung ihrer Mitglieder gegen den Ausfall ihrer Arbeitskraft verpflichtet. Als solche nehmen sie wichtige Funktionen des Gemeinwesens wahr, sind insbesondere im Gemeinwohlauftrag Gruppeninteressen zu dienen bestimmt. Berufskammern erfüllen demgegenüber vorrangig keine auf dem Solidaritätsgrundsatz beruhenden Aufgaben. Ihre Satzungsregelungen misst der EuGH daher grundsätzlich am europäischen Wettbewerbsrecht.790 Entsprechend kann ihr Handeln grundsätzlich gegen das Verbot des Art. 101 AEUV verstoßen, soweit die Kammern autonom Regeln für das Verhalten ihrer Mitglieder aufstellen, die dem Willen der Berufsvertreter entsprechen.791 Etwas anderes gilt nur, wenn es sich bei der Kammertätigkeit um die Ausübung von Hoheitsgewalt 786

Kluth, in: ders. (Fn. 271), Rdnr. 240. Die Tätigkeiten der in der Vereinigung zusammengeschlossenen Pflegenden erfüllen auch die Voraussetzungen von Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 S. 1 AEUV. Denn darunter fallen alle Einheiten, die (unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art der Finanzierung) eine wirtschaftliche Tätigkeit, namentlich eine auf Dauer angelegte Teilnahme am Wirtschaftsverkehr in Gewinnerzielungsabsicht ausüben. Dazu etwa EuGH (6. Kammer), Urt. v. 23.4.1991 – 41/90 –, Slg. 1991, 1979, Rdnr. 21 – Höfner/Elsner/Macrotron. 788 EuGH (3. Kammer), Urt. v. 5.3.2009 – C-350/07 –, NJW 2009, 1325 ff.; dazu auch Waldhorst, Die Kammern zwischen Kartell- und Verwaltungsorganisationsrecht, 2005, S. 100 ff. 789 Dazu EuGH (3. Kammer), Urt. v. 5.3.2009 – C-350/07 –, NJW 2009, 1325 ff. 790 EuGH (Plenum), Urt. v. 9.2.2002 – C-309/99 – Slg. 2002, I-1577, Rdnr. 56 ff. – Wouters. 787

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handelt. Die Satzungsbestimmungen bleiben dann als staatliche Regeln der Prüfung entzogen. Diese Voraussetzungen sieht der EuGH als gegeben an, wenn der Mitgliedstaat bei der Verleihung der Rechtsetzungsbefugnisse Kriterien des Allgemeininteresses sowie wesentliche Grundsätze festlegt, die bei der Setzung des Rechts zu beachten sind, und sich die Letztentscheidungsbefugnis vorbehält.792 Während die ersten beiden Voraussetzungen auf die Einräumung kammerlicher Satzungsautonomie zutreffen, gilt das für die dritte nicht: Staatliche Rechtsaufsicht, wie sie für die Satzungen der Berufskammern vorgesehen ist, genügt nicht den Anforderungen an eine staatliche Letztentscheidungsbefugnis im unionsrechtlichen Sinne.793 Denn jene impliziert keine fachliche Inhaltskontrolle, sondern lediglich eine Rechtmäßigkeitskontrolle. Satzungen deutscher Berufskammern unterliegen daher den für die Unternehmen geltenden Bestimmungen des AEUV; sie sind grundsätzlich daran zu messen, ob sie eine Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken und zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet sind. Entsprechend der Rationalität des Art. 101 AEUV ist jedoch für Satzungen berufsständischer Kammern seine teleologische Reduktion geboten. So schränkt auch der EuGH seine Prüfungsgrundsätze für Satzungen der Berufskammern ein, die nicht als öffentliche Gewalt im Sinne des Unionsrechts zu qualifizieren sind, und berücksichtigt den „Gesamtzusammenhang, in dem der fragliche Beschluss zustande gekommen ist oder seine Wirkungen entfaltet, und insbesondere dessen Zielsetzungen“794 sowie, ob die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen notwendig mit der Verfolgung legitimer Ziele zusammenhängen.795 Das trägt richtigerweise dem Umstand Rechnung, dass den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Berufsregelungen für ihr Hoheitsgebiet solange ein erheblicher Entscheidungsspielraum zukommt, wie diese nicht unionsrechtlich vereinheitlicht sind. Sachgerecht ist daher eine Beschränkung des kartellrechtlichen Prüfungsrahmens auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung wettbewerbsbeschränkenden 791 EuGH (Plenum), Urt. v. 9.2.2002 – C-309/99 – Slg. 2002, I-1577, Rdnr. 64 – Wouters. 792 EuGH (Plenum), Urt. v. 9.2.2002 – C-309/99 – Slg. 2002, I-1577, Rdnr. 68 – Wouters. Vgl. auch EuGH (Große Kammer), Urt. v. 5.12.2006 – C-94/04 und C-202/04 –, NJW 2007, 281, Rdnr. 46 ff.; siehe auch die Ausführungen von Kube, Die berufliche Selbstverwaltung der Steuerberater, in: Kluth (Hrsg.), Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts 2010, 2011, S. 95 (118). 793 A. A. Kluth (Fn. 271), § 5, Rdnr. 242. 794 EuGH (Plenum), Urt. v. 9.2.2002 – C-309/99 – Slg. 2002, I-1577, Rdnr. 97 – Wouters. 795 EuGH (Plenum), Urt. v. 9.2.2002 – C-309/99 – Slg. 2002, I-1577, Rdnr. 97 – Wouters.

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D. Unionsrechtliche Grenzen einer Pflegekammer

beruflichen Satzungsrechts.796 Satzungen von Berufskammern verstoßen unter dieser Prämisse solange nicht gegen das unionsrechtliche Wettbewerbsrecht, wie eine Satzung „bei vernünftiger Betrachtung als notwendig angesehen werden“ kann, um die ordnungsgemäße Ausübung des Berufs in dem betreffenden Mitgliedstaat sicherzustellen.797 Überschreiten die berufsständischen Regelungen diesen Rahmen nicht, sind sie mit den Regelungen des europäischen Wettbewerbsrechts vereinbar. Das ist bei den typischen kammerrechtlichen Satzungsermächtigungen der Fall.

796

In diesem Sinne Kluth (Fn. 271), § 5, Rdnr. 243. EuGH (Plenum), Urt. v. 9.2.2002 – C-309/99 – Slg. 2002, I-1577, Rdnr. 107 – Wouters. 797

E. Völkerrechtliche Gewährleistungen I. Art. 11 EMRK Wie das nationale und europäische Verfassungsrecht verbürgt auch die Europäische Menschenrechtskonvention jedermann Vereinigungsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 EMRK). Die EMRK gilt im deutschen Recht als transformierter völkerrechtlicher Vertrag im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Als Folge der völkerrechtsfreundlichen Haltung des Grundgesetzes beeinflusst sie darüber hinaus die Auslegung der Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes.798 Verletzungen des Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 EMRK können, soweit der nationale Rechtsweg erfolglos geblieben ist, mit der Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geltend gemacht werden (Art. 34 S. 1 EMRK). 1. Negative Vereinigungsfreiheit Ebenso wie Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GrCh gewährleistet Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 EMRK sowohl die positive als auch die negative Vereinigungsfreiheit. Gegen Zwangskörperschaften des öffentlichen Rechts bietet die EMRK jedoch nach gefestigter Rechtsprechung des EGMR799 (in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 9 Abs. 1 GG) grundsätzlich keinen Schutz: Der Einzelne habe weder das Recht, solche Vereinigungen zu gründen noch ihnen fernzubleiben.800 Zwangsvereinigungen in diesem Sinne sind aber nicht alle diejenigen, die der Vertragsstaat der EMRK als solche bezeichnet oder die nach nationalem Recht öffentlichrechtlichen Rechtsstatus innehaben. Sonst läge es in der Hand der Vertragsstaaten, den Gewährleistungsgehalt der EMRK auszuhöhlen. Ebenso wenig genügt für eine Charakterisierung als Zwangsorganisation i. S. d. Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 EMRK, dass eine Interessenvertretung von Berufsangehörigen, etwa eine Vereinigung von Taxifahrern,801 auch im öffentlichen 798

BVerfGE 111, 307 (317). Zur sachlich gleichen Rechtsprechung des BVerfG siehe oben S. 119 ff. 800 Vgl. EGMR, Urt. v. 23.6.1981, EuGRZ 1981, 551, Rdnr. 64 ff. – Le Compte u. a.; dazu auch Meyer-Ladewig, in: ders. (Hrsg.), EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 11, Rdnr. 13. 801 EGMR, Urt. v. 30.6.1993, Serie A, Bd. 264, S. 13 Nr. 30 – Sigurjónsson. 799

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E. Völkerrechtliche Gewährleistungen

Interesse tätig wird. Entscheidend sind vielmehr der Ursprung, das Ziel und die Mittel der Organisation.802 Aus dem Gewährleistungsgehalt des Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 EMRK fällt eine Organisation daher erst dann heraus, wenn sie in staatliche Strukturen eingebettet ist, etwa hoheitliche Verwaltungsrechte, Rechte zum Normerlass oder Disziplinarrechte inne hat und damit materielle öffentlich-rechtliche Befugnisse wahrnimmt.803 Soweit Pflegekammern die Verleihung von Zusatzbezeichnungen und die Berufsaufsicht anvertraut sind, ist ihnen eine solche Einbettung in staatliche Strukturen eigen. Aus eben diesem Grund hat der EGMR denn auch Ärztekammern diesen besonderen Status zugesprochen und den Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 EMRK in ihrem Falle grundsätzlich nicht als berührt angesehen.804 2. Positive Vereinigungsfreiheit Etwas anderes gilt jedoch, soweit die Berufstätigen durch den Zusammenschluss in der Kammer an der Gründung oder am Beitritt zu anderen berufsständischen Vereinigungen gehindert werden.805 Der EGMR stellt insoweit ähnliche Erwägungen an wie das BVerfG (vgl. dazu bereits oben S. 166 ff.): Verdrängt eine öffentlich-rechtliche Zwangsorganisation die in Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 EMRK angelegte Freiheit sozialer Gruppenbildung mittelbar dadurch, dass sie den Entfaltungsraum privater Vereinigungen zerstört, kommt das einem vollständigen oder teilweisen Verbot in der Wirkung gleich und kann dann Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 EMRK verletzen. Denn die Konvention wollte mit der Vorschrift des Art. 11 gerade Missbräuchen der Zwangsmitgliedschaft entgegenwirken. Sie zielt insbesondere darauf, einer Praxis der Ersetzung von Berufsvereinigungen und herkömmlichen Gewerkschaften durch Pflichtmitgliedschaft in Einheitsorganisation mit Ausschließlichkeitsstatus entgegenzuwirken.806 Dass sich – wie im Falle von Ärztekammern – neben den Zwangsorganisationen rein tatsächlich weitere berufsständische Vereinigungen finden, schließt eine solche Verletzung – entgegen der Auffassung des EGMR und anderer Gerichte807 – noch nicht zwingend aus. Denn dies alleine verhin802

Meyer-Ladewig (Fn. 800), Art. 11, Rdnr. 13. EGMR (Große Kammer), Urt. v. 29.4.1999, NJW 1999, 3695 (3699, Rdnr. 100). 804 Zur Rechtfertigung für den Fall eines bestehenden Abwehranspruchs gegen öffentlich-rechtliche Zwangsverbände vgl. VG Ansbach, Urt. v. 31.8.2007 – AN 4 K 07.0059 –, juris Rdnr. 24; siehe auch Heusch (Fn. 761), S. 182. 805 EGMR, Urt. v. 23.6.1981, EuGRZ 1981, 551, Rdnr. 65 – Le Compte u. a. 806 Recueil des Travaux préparatoires, Bd. II, S. 117 ff. 803

I. Art. 11 EMRK

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dert noch nicht, dass staatliche Zwangsorganisationen zentrale Entfaltungsbereiche der privaten Vereinigungen in ihrem ursprünglichen Bestand in der Vergangenheit entschieden beschnitten haben oder noch beschneiden, so dass diese sich nicht entsprechend der Gewährleistung des Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 EMRK entfalten können. Die Gründung einer Pflegekammer kann und wird den angestammten Tätigkeitsbereich wichtiger Berufsverbände der Pflege in zentralen Bereichen beschränken (vgl. dazu bereits oben S. 175 ff.). Sie greift damit auch in den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit der EMRK ein. Art. 11 Abs. 2 EMRK lässt aber Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit zu, soweit diese gesetzlich vorgesehen und „zum Schutz der Gesundheit“ oder „zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind. Das staatliche Bedürfnis effektiven Gesundheitsschutzes durch qualitativ hochwertige Pflege und die wirksame Durchsetzung beruflicher Interessen der Pflegenden in einem korporatistisch verfassten Gesundheitswesen kann ein tauglicher Anknüpfungstatbestand der Rechtfertigung sein. Der sich durch die Gründung einer Pflichtmitgliedschaft vollziehende Eingriff in die Vereinigungsfreiheit bestehender Organisationen darf aber nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der intendierten Ziele tatsächlich erforderlich ist.808 Der Mitgliedstaat muss die Verdrängungswirkung gegenüber bestehenden Vereinigungen auf das erforderliche Mindestmaß beschränken, insbesondere ggf. seiner fortwirkenden gesetzgeberischen Nachbesserungspflicht nachkommen. Die allgemeine Beratung der Pflegenden zählt prima vista nicht zu unverrückbaren Erfordernissen des Gesundheitsschutzes oder des Schutzes der Rechte anderer. Die bestehenden Organisationen stellen diese Leistungen vielmehr (wenn auch nur für ihre Mitglieder) grundsätzlich hinreichend sicher. Gehört zu den Zielsetzungen einer Pflegekammer aber die umfassende, demokratische Interessenrepräsentation sowie die wirksame Berufsaufsicht über alle Pflegenden, erweisen sich diese Aufgaben als unteilbar.809 Diese Aufgabenerfüllungen lassen sich insbesondere nur durch eine pflichtmitgliedschaftliche Einbeziehung aller Pflegenden erreichen (vgl. dazu auch bereits im Einzelnen S. 138 ff.). Eine Pflegekammer erweist sich insoweit auch mit umfänglichem, die gemeinsamen beruflichen Interessen aller Pflegenden bündelnden Aufgabenkatalog als verhältnismäßig.

807 EGMR, Urt. v. 23.6.1981, EuGRZ 1981, 551, Rdnr. 65 – Le Compte u. a.; VG Göttingen, Urt. v. 2.7.2008 – 1 A 223/06 –, BeckRS 2008, 37535. 808 Vgl. dazu im Einzelnen bereits oben S. 175 ff. 809 Siehe dazu S. 184.

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E. Völkerrechtliche Gewährleistungen

II. Art. 22 IPBPR Einen sachlich dem Art. 11 EMRK vergleichbaren Gewährleistungsgehalt verbürgt Art. 22 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR). Auch er schützt die Freiheit, keiner Vereinigung anzugehören, und verteidigt bestehende Vereinigungen gegen eine Verdrängung durch hoheitliche Zwangszusammenschlüsse, die in ihrer faktischen Wirkung einem Verbot gleichkommen. Ebenso wie Art. 11 EMRK lässt aber auch Art. 22 Abs. 1 IPBPR im Interesse der Sicherung von Grundwerten der Gemeinschaft Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit zu. Sie sind insbesondere zum Schutz der Volksgesundheit und zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer, aber gleichfalls nur zu den dort genannten Zielen und nur im Rahmen des Verhältnismäßigen zulässig.

III. Art. 20 Nr. 2 AEMR Anders als alle anderen Gewährleistungen verbürgt Art. 20 Nr. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) die negative Vereinigungsfreiheit in einer unmissverständlichen Form: „Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören“. Die Regelung hat jedoch ausschließlich empfehlenden Charakter. Es handelt sich um eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die lediglich organisationsinterne Bindungswirkung entfaltet (vgl. Art. 13 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen). Sie steht daher einer nationalen Begründung einer Pflichtmitgliedschaft nicht als zwingendes Hindernis im Wege.810

810 VG Ansbach, Urt. v. 31.8.2007 – AN 4 K 07.0059 –, juris Rdnr. 25; Heusch (Fn. 761), S. 183 m. w. N.

F. Zusammenfassung Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.811 Ob die Zeit einer Pflegekammer gekommen ist, daran scheiden sich die Geister. Die Idee, eine Pflegekammer zu gründen, ist nicht neu. Sie erhitzt – in wechselnden Intensitätsgraden – die Gemüter der Akteure des Gesundheitswesens und der politischen Entscheidungsträger. Die Initiative des bayerischen Gesundheitsministers Markus Söder hat die Debatte um die Etablierung einer Pflegekammer im Jahre 2011 neu belebt. „Wer gegen eine Pflegekammer ist, ist gegen die Pflege“, ließ der Minister verlauten. Der Referentenentwurf seines (inzwischen ehemaligen) Ministeriums konstruiert diese mit ihren Aufgaben der Standesvertretung, -förderung und -aufsicht analog zu den bestehenden Ärztekammern. Auch andere Länder spielen mit dem Gedanken einer Verkammerung der Pflegeberufe. In acht Bundesländern steht inzwischen die Gründung einer Pflegekammer auf der politischen Agenda. Politisch besiegelt ist sie in Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Diese Länder haben die professionell Pflegenden ebenso wie Niedersachsen nach ihrer Zustimmung zu einer Pflegekammer befragt. Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern planen eine solche Befragung. Sachsen-Anhalt steht der Gründung einer Pflegekammer positiv gegenüber. Die übrigen acht Bundesländer hegen aktuell keine Gründungspläne. Entweder haben sie sich, wie z. B. Bremen, bewusst gegen eine Verkammerung der Pflegeberufe entschieden oder sie warten gleichsam wie das Kaninchen vor der Schlange die weitere Entwicklung in den anderen Ländern ab.812

I. Verwaltungspolitische Rationalität einer Pflegekammer Die Betriebsamkeit in vielen Bundesländern hat einen einfachen Grund: Die Bedeutung der Pflegenden in einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft, die tradierte Familien- und Betreuungsmodelle überholt, wächst. Der 811

In Anlehnung an Victor Hugo. Die obige Wendung wird ihm häufig zugeschrieben. Im Original hat sie jedoch einen leicht anderen Gehalt. Sie lautet: „On résiste à l’invasion des armées; on ne résiste pas à l’invasion des idées“ (Man kann der Invasion von Armeen Widerstand leisten, nicht aber einer Invasion von Ideen). Hugo, Histoire d’un crime – Déposition d’un Témoin, 1877, S. 600. 812 Siehe S. 27 ff.

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F. Zusammenfassung

Pflegebedarf nimmt unaufhaltsam zu. Bis zum Jahr 2020 entsteht im Bereich der Altenpflege ein zusätzlicher Bedarf von 220.000 Pflegekräften. Im weiteren Zeitverlauf steigt diese Zahl überproportional stark an. Gleichzeitig trägt die Gesellschaft wachsende Erwartungen an die Leistungsfähigkeit der Pflegenden und die Qualität der Pflege heran. Soll der akute Bedarf nach zusätzlichen Pflegenden gedeckt werden, muss der Pflegeberuf attraktiver werden: Die Pflegenden fühlen sich schon heute häufig nicht ausreichend wertgeschätzt – nicht zuletzt wegen der unterdurchschnittlichen Lohnbedingungen, der körperlich und psychisch anstrengenden Tätigkeit und der schlechten Vereinbarkeit der Arbeitsbedingungen mit einem familiären Umfeld.813 Mit neidvollen Blicken schauen sie auf das Ansehen, das die verkammerte Ärzteschaft genießt, sowie die Durchsetzungsmacht, mit der diese Berufsgruppe ihre Interessen im deutschen Gesundheitswesen zur Geltung zu bringen versteht. Anders als die Ärzte haben die professionell Pflegenden bislang keine Lobby. Die größte Gruppe im Gesundheitswesen spricht nicht mit einheitlicher und vernehmbarer Stimme. Nur ca. 10% der Pflegenden sind in Berufsorganisationen engagiert. Der geringe Organisationsgrad der professionell Pflegenden folgt einer einfachen ökonomischen Logik: Die Leistungen von Berufsorganisationen sind öffentliche Güter im Sinne der ökonomischen Theorie. Der Einzelne profitiert von ihnen, auch wenn er zu ihrer Gestehung nichts beiträgt. Davon geht ein Anreiz zum Trittbrettfahrerverhalten aus. Individuell nutzenmaximierendes Verhalten verhindert den besten Kollektivnutzen für die Berufsgruppe. Die Pflichtmitgliedschaft einer Berufskammer schließt Trittbrettfahrerverhalten aus. Die dadurch ermöglichte Verbesserung der pflegerischen Selbstorganisationskraft soll nun die Pflegeberufe attraktiv machen, die beklagten Missstände beheben und dadurch auch zu einer Verbesserung der Pflegequalität beitragen.814 1. Standesvertretung Die Kammer verleiht den Pflegenden ein Sprachrohr, mit dessen Hilfe sie ihrer Stimme im Idealfall ebenso deutlich und wirksam Gehör verschaffen können, wie es die anderen Interessengruppen auf dem Spielfeld des deutschen Gesundheitswesens bereits tun. In dem nahezu durchgängig korporatistisch verfassten Gesundheitswesen kann das von geradezu überlebenswichtigen Nutzen sein. Bisher treffen die Funktionsträger der Pflege813 814

Dazu im Einzelnen S. 15 ff. Dazu im Einzelnen S. 36 ff.

I. Verwaltungspolitische Rationalität einer Pflegekammer

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berufsverbände als Feierabend-Lobbyisten auf professionell agierende und mit entsprechendem Unterbau ausgestattete Funktionäre anderer Kammern. Das begünstigt eine Asymmetrie der Interessendurchsetzungschancen. Den anderen Berufsgruppen tritt mit einer Pflegekammer ein Gegenspieler, der für einen Ausgleich des Kräftegleichgewichts zugunsten der größten Gruppe im Gesundheitswesen streitet, aber auch ein tauglicher Ansprechpartner gegenüber. Die Kammer ist legitimiert, die Interessen der Pflegenden zu bündeln und in ihrer Gesamtheit zu repräsentieren. Anstelle eines vielstimmigen Chors unterschiedlicher Vereinigungen und Interessenartikulationen ertönt eine Stimme. Die Kammer trägt die Interessen des Berufsstandes und die pflegerische Fachkompetenz in gesundheitspolitische Entscheidungen hinein, gibt Stellungnahmen ab und erstattet Gutachten. 2. Standesförderung Gleichzeitig organisiert sie die Pflegenden nach „innen“. Sie berät und unterstützt die Berufsmitglieder bei allgemeinen beruflichen Fragen, nimmt Befugnisse in der Fort- und Weiterbildung wahr und fördert ein gemeinsames Berufsverständnis der Pflegenden. Damit verknüpft sich auch die Hoffnung, ein einheitliches Qualitätsniveau der Berufsausübung zu sichern sowie die Attraktivität des ausgeübten Berufes in der öffentlichen Wahrnehmung zu erhöhen. 3. Standesaufsicht Wie die bereits bestehenden Berufskammern freier Berufe legt die Pflegekammer die Qualitätssicherung in die Hände der Berufsmitglieder. Sie kontrolliert die sachgerechte Wahrnehmung der beruflichen Pflichten im Interesse der Pflegenden und der Gesellschaft. Das hat einen guten Sinn: Die Pflegenden haben selbst ein vitales Interesse an der sachgerechten Erfüllung der Pflichten. Denn Schlechtleistungen Einzelner strahlen auf die gesamte Berufsgruppe aus. Mittelbar entlastet eine Pflegekammer dadurch die landesunmittelbare staatliche Verwaltung von der Wahrnehmung einzelner Aufgaben, die diesen mit ihrer schwachen personellen Besetzung in der Vergangenheit häufig nur eingeschränkt nachzukommen vermochte. Wenn eine Pflegekammer ihre Aufgaben optimal wahrnimmt, wird sie eine schlagkräftige Interessenvertretung der Mitglieder der Pflegeberufe etablieren und eine Qualitätssicherung pflegerischer Leistungen gewährleisten. Die Pflegekammer wird dann dazu beitragen, für alle Pflegebedürftigen professionelle Pflegeleistungen entsprechend den aktuellen pflegewissen-

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F. Zusammenfassung

schaftlichen Erkenntnissen sicherzustellen und als Stimme der Pflegenden den berufspolitischen Interessen der größten Berufsgruppe im Gesundheitswesen Gehör verschaffen. Die Leidenschaftlichkeit, in der die Auseinandersetzung um die Gründung einer Pflegekammer geführt wird, erstaunt da nicht. Sie ist letztlich ein Seismograf für das Ringen um die Kräfteverteilung im Gesundheitswesen. 4. Risiken und Nebenwirkungen Dass es bislang nicht zu einer Kammergründung kam, ist nicht allein das Ergebnis eines internen Machtkampfes der Akteure des Gesundheitswesens, sondern hat mehrere Gründe. Denn mit einer Pflegekammer verhält es sich nicht anders als mit Arznei: Sie ist nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen. Namentlich geht sie mit Belastungen und Kosten für die betroffenen Berufsmitglieder einher, die ein überwiegender Nutzen rechtfertigen muss. Der wichtigste Grund für die bisherige Zurückhaltung des Gesetzgebers liegt in strukturellen Eigenheiten der Berufsgruppe begründet. Die Berufsgruppe der Pflegenden unterscheidet sich nämlich in einem zentralen Punkt von den anderen Kammerberufen: Anders als diese nehmen Pflegende ihre Tätigkeit zu ca. 90% in abhängiger Beschäftigung wahr. Das bringt es mit sich, dass eine pflichtmitgliedschaftlich verfasste Pflegekammer die Ziele der ökonomischen Verkammerungslogik nicht mit dem gleichen Erfolg wie in anderen verkammerten Berufen zu erreichen vermag: Die Rationalität von Berufskammern ist auf den Aufbau von Vertrauen in die Leistungsqualität einer durch den Wettbewerb Selbstständiger gekennzeichneten Berufsgruppe mit dem Ziel gerichtet, ein Marktversagen zu verhindern.815 Berufskammern sind als selbstverwaltendes Aufsichtsinstrument für im wechselseitigen Wettbewerb stehende Freiberufler entstanden. Sie sollen die anderen Berufsmitglieder und die Gesellschaft vor dem Schaden schützen, der von schlechter Leistungsqualität eines Berufsmitglieds für die anderen Berufsträger und die Gesellschaft ausgeht. Unter Selbstständigen fehlt (jenseits der staatlichen Berufsaufsicht und des Wettbewerbsrechts, das den Schutz vor unlauteren geschäftlichen Handlungen, nicht aber individuellen Schlechtleistungen mit Ausstrahlungscharakter im Auge hat [vgl. § 1 UWG]) sonst ein geeignetes Sanktionierungsinstrument. Bei abhängig Beschäftigten ist ein solches indes bereits im System implementiert: die dienstrechtliche Sanktionsbefugnis des Arbeitgebers. Pflegekräfte unterliegen dem Direktionsrecht des Arbeitgebers, der über die Ausübung der Tätigkeit in zeitlicher sowie fachlicher Hinsicht wacht und Verstöße durch die Instrumente des Arbeitsrechts ahnden kann. Ein direktes Wettbewerbsverhältnis Pflegender vergleichbar demjeni815

Siehe im Einzelnen S. 77 ff.

I. Verwaltungspolitische Rationalität einer Pflegekammer

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gen unter Selbstständigen besteht – jedenfalls für den ganz überwiegenden Teil der abhängig beschäftigten Mitglieder von Pflegeberufen – nicht. Einer zusätzlichen, über die unmittelbare staatliche Berufsaufsicht und die arbeitsrechtliche Weisungs- sowie Sanktionsbefugnis des Arbeitgebers hinausgehenden selbstverwaltenden Qualitätsaufsicht durch die verkammerten Berufsgenossen bedarf es für diese Berufsgruppe aus steuerungsökonomischer Sicht nicht unbedingt. Soweit noch weitergehender Sanktionierungsbedarf besteht, lässt sich dieser wirksam auch durch staatliche Aufsicht ergänzen. Auch für die Wahrnehmung der Registrierungsaufgabe bedürfte es einer Kammer nicht notwendig. Diese ließe sich – nach dem Vorbild der gewerberechtlichen Anzeigepflicht des § 14 GewO – ebenso ohne Zwangskörperschaft hinreichend zuverlässig erfüllen. Die abhängige Beschäftigung engt auch die mit der Selbstverwaltung intendierte Selbstorganisationsfähigkeit und damit den Gestaltungsspielraum von Pflegekammern gegenüber klassischen Kammerorganisationen ein.816 Angestellte verfügen nicht ohne Weiteres über ein Maß an Selbstbestimmung, das sie dazu befähigt, beschlossene Selbstverwaltungspflichten einer Kammer vollständig autonom umzusetzen. Die Selbstdefinition von Pflegequalität und Weiterbildungsverpflichtungen einer Pflegekammer beseitigt insbesondere das Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht.817 Sie greifen daher grundsätzlich ins Leere, wenn sie mit den Arbeitgebern nicht abgestimmt sind bzw. auf der Grundlage arbeitsvertraglicher Abreden zum Gegenstand des arbeitsrechtlichen Rechte- und Pflichtenkanons werden. Manche Blütenträume der Pflegekammer zerplatzen insoweit beim Aufeinanderprallen des Kammeranspruchs mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers bzw. rufen insoweit Konfliktpotenzial hervor. Die Kammeridee kann ihre Ziele am besten bei einer Berufsgruppe Selbstständiger erreichen – konstruktiv aber weniger gut bei einer Berufsgruppe, die ganz überwiegend aus abhängig Beschäftigten besteht. Erwägenswert ist es daher, diejenigen Pflegeberufe mit einem substanziellen Anteil von Selbstständigen, namentlich die Hebammen, einer Verkammerung zu unterwerfen,818 bei den übrigen Pflegeberufen demgegenüber private Selbstorganisation stärker zu fördern. Diesen Weg ist in ähnlicher Weise Österreich gegangen. Allerdings schwächt eine Spartenverkammerung nachhaltig die Gesamtschlagkraft und Einheitlichkeit der Stimme, mit der die Pflegenden dann als Berufsgruppe sprechen.819 816

Siehe im Einzelnen S. 79 ff. Dazu im Einzelnen S. 186 ff. 818 Vgl. zu insoweit bestehenden Bestrebungen und zur reservierten Haltung der Berufsgruppe selbst bereits Taupitz (Fn. 283), S. 474. 819 Dazu im Einzelnen S. 97 ff. 817

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F. Zusammenfassung

Die in Deutschland beklagten Defizite praktizierter Pflegequalität rühren zu einem erheblichen Teil nicht von den professionell Pflegenden, sondern dem hohen Anteil unausgebildeter Hilfskräfte her. Diese nehmen zwar Pflegetätigkeiten wahr, sind dafür aber häufig nicht hinreichend ausgebildet oder geeignet. Die Maßnahmen und Verpflichtungen einer Pflegekammer erreichen diese Personengruppe ihrer Natur nach nicht. Denn sie ist von vornherein nicht in die Kammerpflicht und die damit möglichen Sanktionsmaßnahmen der Berufsgruppe eingebunden. Das Versprechen einer umfassenden Sicherung der Pflegequalität in der Bundesrepublik kann eine Pflegekammer ihrer Natur nach insoweit nicht einlösen. Soll eine Verkammerung eine umfassende Qualitätsgewährleistung erreichen, setzt sie an einer unzureichenden Stellschraube an.820 Auch soweit die Pflegekammer die Berufsmitglieder durch Einbindung in die Kammerpflichten erreicht, wird sie die drängendsten in der Pflege beklagten Missstände ihrem Wesen nach nicht beseitigen können. Das sehen 69% der examinierten Pflegekräfte Schleswig-Holsteins821, die mit dieser Frage konfrontiert wurden, und 49% der befragten niedersächsischen Pflegenden822 (realistischerweise) auch so. Denn die Problembewältigungskompetenz für die Sorgen und Nöte, die den Pflegenden am meisten unter den Nägeln brennen, sind einer Kammer ihrem Wesen nach weithin verschlossen: An der unterdurchschnittlichen Bezahlung der Pflegekräfte wird eine Pflegekammer nichts ändern. Die Aushandlung der tariflichen Arbeitsbedingungen ist vielmehr Aufgabe der Gewerkschaften. Die häufig angemahnte Verbesserung des Betreuungsschlüssels liegt grundsätzlich in der Macht der Leistungsträger. Auch zu einer Verbesserung des Ansehens des Berufs in der Bevölkerung wird die Pflegekammer nicht entscheidend beitragen. Die Anerkennung verkammerter Berufszweige speist sich nämlich überwiegend aus anderen Quellen als aus ihrer Verkammerung. Das – oft bewunderte – hohe Ansehen des Arztes ist nicht an seine Mitgliedschaft in der Ärztekammer gekoppelt, sondern ergibt sich vorrangig aus der Hochrangigkeit seiner Ausbildung und der erschwerten Austauschbarkeit seiner Leistung.823 Das gesellschaftliche Ansehen der Pflegeberufe ist in der Gesamtbevölkerung interessanterweise höher als in der eigenen Wahrnehmung der Berufsgruppe selbst. Der Beruf der Kranken820

Siehe S. 88 ff. Bei einer Ablehnungsquote von 23% und 8% Unentschlossenen, TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 12. 822 Bei einer Ablehnungsquote von 20% und ebenfalls 20% Unentschlossenen, welche die Frage nicht beurteilen können; Infratest dimap (Fn. 219), S. 16. 823 Dazu im Einzelnen S. 71 ff. Darüber hinaus ist es um die gesellschaftliche Anerkennung der Pflegeberufe nicht so schlecht bestellt, wie in der politischen Diskussion häufig suggeriert. Siehe dazu oben S. 74 ff. 821

I. Verwaltungspolitische Rationalität einer Pflegekammer

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schwester rangiert – noch vor den Ärzten – auf Rang 2 der beliebtesten deutschen Berufe.824 Zu einer kritischen Analyse der Rationalität einer Pflegekammer gehört auch ein Blick auf die Zufriedenheit derjenigen Berufe, die bereits verkammert sind.825 Nicht wenige Kammermitglieder sind mit den Leistungen ihrer bisweilen als angestaubt und wenig dynamisch empfundenen Berufskammer unzufrieden. Sie bemängeln die Selbstgerechtigkeit, Veränderungsresistenz und Ineffizienz ihrer Berufsvertretung. In dieser Wahrnehmung offenbart sich ein strukturelles ökonomisches Phänomen: die Prinzipal-AgentProblematik.826 Die Interessen der Kammermitglieder und ihrer Vertreter sind nicht immer gleichläufig. Wo Mitglieder nicht mit Austritt drohen können, drohen sich die Verbandsorgane von den Präferenzen der Mitglieder zu entfremden. Es kommt zu einem bürokratischen Überbau. Der Nutzen der Kammerbeiträge erschließt sich vielen nicht. Auch die Befragungen der Pflegenden in Niedersachsen827 und Bayern828 fördern insoweit eine ambivalente Erwartungshaltung zutage. Zwar spricht sich dort eine deutliche Mehrheit der Befragten grundsätzlich für eine Pflegekammer aus. Wenn diese aber – entsprechend der typischen Gestaltung einer Berufskammer – mit einem Pflichtbeitrag verknüpft ist, schmilzt die Zustimmung in beiden Ländern auf 42% zusammen.829 Je niedriger die Hierarchieebene der Befragten, umso geringer die Zustimmung zur Kammergründung. Das hat einen einfachen Grund: Die Pflegeberufe bewegen sich durchschnittlich am unteren Ende der Lohnskala. Die einfache Pflegekraft muss mit ihren regelmäßig bescheidenen finanziellen Ressourcen im Alltag stärker haushalten als der Durchschnitt der Bevölkerung. Für einen bürokratischen Überbau lässt ihr Geldbeutel nur wenig Platz. Dass viele Mitglieder verkammerter Berufe mit ihrer Zwangsorganisation unzufrieden sind, nährt die Befürchtung, dass eine Pflegekammer sich für hochfliegende heutige Erwartungen manch eines Pflegenden weniger als die als politisches Mantra proklamierte „größte ideelle Aufwertung“830 denn als Danaergeschenk erweisen wird. Der Gesetzgeber, der den Pflegenden berufliche Selbstverwaltungsautonomie zugesteht, ist nicht zuletzt der Ver824

Dazu Fn. 295. Dazu im Einzelnen S. 67 ff. 826 Dazu im Einzelnen S. 87 ff. 827 Dazu im Einzelnen S. 60 ff. 828 Dazu im Einzelnen S. 64 ff. 829 In der Tendenz ähnlich, im Detail aber weniger deutlich lehnen in SchleswigHolstein 44% der Befragten und 17% der Befürworter jeglichen Beitrag für eine Pflegekammer ab, TNS Infratest Sozialforschung (Fn. 226), S. 5. 830 Siehe dazu Fn. 62. 825

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F. Zusammenfassung

suchung ausgesetzt, im politischen Alltagsgeschäft seine Hände unter Verweis auf die neu eingeräumte Handlungsautonomie in sozialpolitischer Unschuld zu waschen und in dem Bemühen um strukturpolitische Reformen der Pflege nachzulassen, auch wenn die Pflegekammer selbst zur Behebung dieser strukturellen Probleme kompetenziell gar nicht in der Lage ist. Die Errichtung einer Pflegekammer schwächt die Pluralität unterschiedlicher Interessenvertretungen durch bestehende Berufsorganisationen. Sie schränkt auch den (grundsätzlich wünschenswerten) Wettbewerb dieser Institutionen faktisch weitgehend ein. An seine Stelle tritt eine in ihrer Struktur notwendig weniger pluralistische Vereinigung, die nur eine einheitliche Willensbildung ermöglicht. In der jüngeren Vergangenheit hat der Gesetzgeber den bestehenden Berufsverbänden einzelne Mitwirkungsrechte im Bereich der sozialen Pflegeversicherung eingeräumt: Sie können unter anderem Rahmenempfehlungen abgeben sowie bei der Entwicklung von Expertenstandards mitwirken.831 Den eingeschlagenen gesetzgeberischen Weg einer „Kooperation statt Konfrontation“ aller beteiligten Interessengruppen durch einen konsequenten Ausbau der bereits bestehenden Mitwirkungsrechte der Berufsverbände im Recht der sozialen Pflegeversicherung weiter zu beschreiten und die freiwillige, durch das Eigeninteresse motivierte Selbstorganisation der Pflegeberufe nach Kräften zu fördern,832 kann eine denkbare freiheitssichernde Alternative zur Gründung einer Pflegekammer sein. Allerdings stößt dieses Konzept, sofern das politische Regelungsziel in vollständiger Interessenrepräsentation besteht, schnell an unüberwindbare verfassungsrechtliche und faktische Grenzen: Private Berufsverbände repräsentieren ihrem Wesen nach nur die Interessen ihrer Mitglieder, nicht aber der gesamten Berufsgruppe. Es mangelt ihnen an einer demokratischen Absicherung, die eine Betrauung mit normativer Macht rechtfertigt. Art. 80 Abs. 1 GG sowie das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip begrenzen die Delegation von Rechtssetzungsmacht an Private.833 Das Potenzial zur Förderung einer zahlenstärkeren Mitwirkung der Berufsmitglieder in privaten Berufsorganisationen – etwa stärkere, über § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG hinausreichende Anreize oder unmittelbare staatliche Leistungen – ist begrenzt. Es kann eine Stärkung privater Selbstorganisation erzielen. Vollständige Repräsentativität gewährleistet aber nur eine Pflegekammer.834 Ob eine Kammerorganisation den professionell Pflegenden einen die Nachteile der Verkammerung übersteigenden Mehrwert vermittelt, der insbesondere im Verhältnis zu den schon bestehenden Einrichtungen zeitnah 831 832 833 834

Dazu im Einzelnen S. 92 ff. Dazu im Einzelnen S. 92 ff. und S. 140 ff. Dazu im Einzelnen S. 142 ff. Siehe dazu S. 96 ff. und S. 144 ff.

II. Rechtliche Grenzen einer Pflegekammer

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zu einer Bekämpfung der gegenwärtigen Defizite beitragen kann, ist nicht gesichert. Das Risiko, dass sie bei den Betroffenen Enttäuschungen verursachen wird, ist nicht gering. Das alles ändert aber nichts daran, dass es sachgerecht und sinnvoll ist, den professionell Pflegenden als Gegengewicht gegen die anderen korporatistisch verfassten Gruppen im Gesundheitswesen eine hörbare Stimme zu verleihen und dadurch zu einer ausgewogenen Verteilung der Kräfteverhältnisse beizutragen. Alle verfügbaren politischen Regelungsalternativen sind insbesondere gleichfalls nicht ohne „Fehl und Tadel“. Die Gesamtbewertung fällt insoweit gemischt und je nach Gewichtung der politischen Prioritäten unterschiedlich aus. Fest steht nur: Die Pflegekammer entpuppt sich weder als Allheilmittel noch ausschließlich als Placebo.

II. Rechtliche Grenzen einer Pflegekammer Dem Gesetzgeber kommt in der Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung, insbesondere der beruflichen Mitwirkungsformen, weitgehende Freiheit zu. Die Gründung und Ausgestaltung beruflicher Zwangsvereinigungen sieht sich aber Schranken des nationalen Verfassungsrechts,835 des Unionsrechts (insbesondere der Grundfreiheiten der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit836) und des Art. 11 EMRK837 ausgesetzt. 1. Gesetzgebungskompetenz Die Gründung einer Pflegekammer berührt Kompetenzfelder, für die dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zugewiesen ist. Insbesondere Regelungen der Berufszulassung darf der Landesgesetzgeber einer Pflegekammer nicht anvertrauen. Insoweit liegt die Regelungsmacht in der (bereits ausgeübten) Vorranggesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG).838 Das gilt auch, soweit sich mit der Verleihung des Rechts zur Führung einer Zusatzbezeichnung die Zulassung zu einem neuen Beruf verknüpft. Die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst des Bundes nach Art. 71, 73 Abs. 1 Nr. 8 GG begrenzt die Gesetzgebungskompetenz der Länder zur Errichtung einer Pflegekammer ebenfalls.839 835 836 837 838 839

Dazu Dazu Dazu Dazu Dazu

S. S. S. S. S.

102 195 223 105 103

ff. ff. ff. ff. ff.

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F. Zusammenfassung

Fortbildungsregelungen und Qualitätssicherungsmaßnahmen der Pflegekammer dürfen die auf der Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ausgeübte Kompetenz des Bundes zur Qualitätssicherung im Bereich der Sozialversicherung und des Arbeitsrechts nicht aushöhlen.840 Das entspricht aber auch ihrem Selbstverständnis: Sie richten sich intern an die Berufsmitglieder, verpflichten aber grundsätzlich nicht Dritte, insbesondere die Leistungsträger. Die Länder können daher den Pflegekammern grundsätzlich in rechtlich zulässiger Weise die Aufgabe der internen Qualitätssicherung und -kontrolle pflegerischer Tätigkeiten übertragen. 2. Grundrechte der Pflegenden Eine pflichtmitgliedschaftliche Organisation der Pflegeberufe greift (entgegen der Rechtsprechung des BVerfG) nicht nur in die negative Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), sondern auch in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ihrer Mitglieder ein. Diese Eingriffe sind dem Gebot der Verhältnismäßigkeit unterworfen.841 Es schränkt den Kreis der von einer pflichtmitgliedschaftlich verfassten Organisation zulässigerweise wahrnehmbaren Aufgaben ein. Ein gesteigertes öffentliches Interesse der Allgemeinheit an der Gründung einer Pflegekammer ergibt sich aus dem Aufgabendreiklang „Standesaufsicht, Standesvertretung und Standesförderung“, den die Kammer anstimmen soll.842 Diese muss der Staat auch nicht unmittelbar durch eigene Behörden orchestrieren. Die Aufgabenerledigung im Wege der Selbstverwaltung aktiviert gesellschaftliche Gestaltungspotenziale und Problemlösungskompetenzen, welche die Regelungsziele fördern.843 In den sehr unterschiedlichen Wirkungsbereichen der Pflege (Alten-, Kinder-, Behindertenpflege) haben sich in der Vergangenheit vielfältige lokal oder konfessionell fokussierte Berufsverbände herausgebildet. Einige weisen eine sachgerechte Spezialisierung (insbesondere hohe Expertise und berufspolitisches Know-how) sowie ein Schwellengewicht in der öffentlichen Wahrnehmung auf. Nur soweit sie die einer Kammer zugedachten Aufgaben nicht gleichermaßen wirksam erfüllen können, erweist sich die Etablierung einer Pflegekammer als erforderlich.844 In den meisten anderen Berufsfeldern vertraut der Gesetzgeber auf die Selbstorganisationskraft pri840 841 842 843 844

Dazu Dazu Dazu Dazu Dazu

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Einzelnen Einzelnen Einzelnen Einzelnen Einzelnen

S. S. S. S. S.

109 133 130 134 138

ff. ff. ff. ff. ff.

II. Rechtliche Grenzen einer Pflegekammer

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vater Verbände. Der Grad, in dem die Pflegeberufe in den bisher bestehenden Berufsverbänden organisiert sind, ist allerdings gering. Eine umfassende Interessenrepräsentation, die alle Mitglieder der Pflegeberufe einbindet, werden diese ihrem Wesen nach nie erreichen können; die Pflichtmitgliedschaft verleiht einer Pflegekammer insoweit ein Alleinstellungsmerkmal. Dieses höher zu gewichten als eine in privater Gruppenbildung unter den Pflegeberufen erfolgende wettbewerbliche Meinungsbildung, steht dem Gesetzgeber frei. Auch bei einem Abgleich zwischen der Schwere der Belastungen, die eine Kammer den Pflichtmitgliedern auferlegt, und den Vorzügen, die sie realistischerweise erreichen kann, erweist sich ihre Gründung nicht als völlig fehlgewichteter Eingriff. Die Beitragslast ist aber in einer den finanziellen Rahmenbedingungen der Pflegeberufe angepassten Weise auszugestalten. Jeden, der die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung erworben hat, ohne Rücksicht auf die tatsächliche Ausübung des Berufs als Pflichtmitglied in die Kammer einzubeziehen, erweist sich als unangemessen und damit unverhältnismäßig.845 Für die Mitglieder der Pflegeberufe sind der Berufswechsel und das Ausscheiden aus dem erlernten Beruf nämlich eher die Regel als die Ausnahme. Nicht nur die Gründung, sondern auch die Wahrnehmung der Aufgaben einer Pflegekammer im Einzelfall steht unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt ihrer Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Erforderlichkeit. Entscheidet sich der Gesetzgeber für die Verkammerung der Pflegeberufe, muss insbesondere die innere Verfassung der Körperschaft eine unbeeinflusste demokratische Meinungsbildung tatsächlich ermöglichen und institutionelle Schutzvorkehrungen gegen eine Monopolisierung bzw. Verfälschung von Meinungsbildungen vorsehen. Das gilt auch im Hinblick auf eine Vorrangstellung gewerkschaftlicher Interessenwahrnehmungen, sind doch Berufsorganisationen und Gewerkschaften gleichsam „geborene Keimzellen“ arbeitnehmerorientierter Zwangsorganisationen.846 Bezugspunkt und Prüfstein aller rechtmäßigen kammerlichen Tätigkeiten ist die Erfüllung ihrer gesetzlich zugewiesenen öffentlichen Aufgaben. Dem einzelnen Mitglied der Pflegeberufe steht ein aus Art. 9 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 GG erwachsender Abwehranspruch gegen die Überschreitung der Verbandskompetenz einer Pflegekammer zu.

845 846

Dazu im Einzelnen S. 159 ff. Dazu im Einzelnen S. 90 ff.

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F. Zusammenfassung

3. Positive Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit der Berufsorganisationen und Gewerkschaften Neben den Grundrechten der Pflichtmitglieder darf die Gründung einer Pflegekammer auch weder die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG bzw. Art. 11 Abs. 1 Hs. 2 EMRK) noch die positive Vereinigungsfreiheit der bereits bestehenden Gewerkschaften oder Berufsorganisationen (Art. 9 Abs. 1 GG bzw. Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 EMRK) verletzen.847 a) Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften Der Aufgabenzuschnitt von Kammerorganisationen unterscheidet sich von demjenigen der Gewerkschaften: Während sich Kammern auf die allgemeine berufspolitische Interessenvertretung ausrichten, konzentrieren sich die Gewerkschaften auf den Schutz der Arbeitnehmerrechte, um für die Verbesserung der unmittelbaren Arbeitsbedingungen zu streiten. Gleichwohl verbindet sich mit der Etablierung einer pflichtmitgliedschaftlichen Kammerorganisation die Gefahr, dass die Mitglieder der Pflegeberufe ihren Gewerkschaften angesichts der mit den Mitgliedschaften verbundenen Lasten in nicht unerheblicher Zahl den Rücken kehren. Den bestehenden Gewerkschaften bricht dann in der Konkurrenz mit der pflichtmitgliedschaftlichen Organisation der Entfaltungsraum faktisch weg. Der bisher bereits geringe Organisationsgrad der Mitglieder von Pflegeberufen macht dies noch wahrscheinlicher. Den Gewerkschaften muss – ungeachtet der Pflichtmitgliedschaft ihrer Zielgruppe in einem öffentlich-rechtlichen Zwangsverband – ein hinreichender Entfaltungsraum verbleiben, der den Kernbereich ihrer Tätigkeit nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch unverletzt lässt. Ihnen muss insbesondere die ungestörte Ausübung ihrer spezifisch koalitionsmäßigen Tätigkeit weiterhin garantiert sein. Ein mittelbares oder unmittelbares Einwirken des Staates in diesen originären Entfaltungsbereich der Gewerkschaften ist unzulässig. Insbesondere ist die individualvertragliche Beratung von Mitgliedern der Pflegeberufe oder die Aushandlung tariflicher Arbeitsbedingungen den Pflegekammern versagt.848 Dass eine neu gegründete staatliche Pflichtmitgliedschaftsorganisation den bei den Gewerkschaften bestehenden Mitgliederstamm absorbiert und damit den bestehenden gewerkschaftlichen Entfaltungsraum torpediert, entpuppt sich aber als nicht wahrscheinliches Szenario.

847 848

Dazu ausführlich S. 166 ff. Siehe dazu im Einzelnen S. 167 ff.

II. Rechtliche Grenzen einer Pflegekammer

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b) Positive Vereinigungsfreiheit der Pflegeverbände und ihrer Mitglieder Größer als im Falle von Gewerkschaften ist die Gefahr einer faktischen Verdrängungswirkung der Kammern im Verhältnis zu privaten Berufsverbänden. Denn ihr beider Aufgabenbereich weist eine sehr hohe Schnittmenge auf. Das Wirken einer Pflegekammer droht den Entfaltungsraum derjenigen zahlreichen privaten Berufsverbände auszuhöhlen, welche die berufspolitischen Interessen der Pflegenden im Wege privater Selbstorganisation schon bisher zu vertreten suchen. Staatliches Handeln kehrt dann die durch Art. 9 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich abgesicherte Grundidee freier sozialer Gruppenbildung in ihr Gegenteil um. Der Entfaltungsraum privater Freiheit, den Art. 9 Abs. 1 GG verbürgt, wird namentlich partiell abgelöst durch eine staatlich eingesetzte, als Teil mittelbarer Staatsverwaltung öffentlich-rechtliche Organisation: Die Gründung einer pflichtmitgliedschaftlich verfassten Pflegekammer nimmt die nachhaltige faktische Einschränkung der Betätigungsfreiheit bestehender Organisationen in einem angestammten Tätigkeitsfeld als voraussehbares, notwendiges Übel staatlicher Einwirkung in Kauf. Lediglich im Hinblick auf diejenigen originär als öffentlich-rechtliche Angelegenheit der Selbstverwaltung konzipierten Aufgaben tritt keine Aufgabenkonkurrenz ein, die private Berufsverbände strukturell nicht wahrnehmen dürften, insbesondere die Berufsaufsicht – sehr wohl aber im Hinblick auf die Beratung und Repräsentation der eigenen Mitglieder. Im Falle von Arbeitnehmerkammern im Saarland und in Bremen hat das BVerfG deren Aufgabenkonkurrenz zu privatrechtlichen Vereinigungen insbesondere deshalb gebilligt, weil es diese dort als „wesentliche organisch gewachsene Bestandteile der Sozialverfassung“849 eingestuft hat. Auf die neu zu gründenden Pflegekammern trifft die Beschreibung aber nicht zu. Sie können nicht auf eine Tradition angestammter Rechte zurückblicken, sondern drohen, private Berufsorganisationen aus ihrem bisher wahrgenommenen Betätigungsfeld weitgehend zu verdrängen. Denn ihre Mitglieder werden – angesichts ohnehin geringer Zahlungskraft – in einer Mehrfachmitgliedschaft in Organisationen grundsätzlich ähnlichen Aufgabenzuschnitts nicht mehr unbedingt einen Mehrwert erkennen. Dass sich in anderen Berufszweigen, etwa in der Ärzteschaft und der Anwaltschaft, auch neben den Kammerorganisationen schlagkräftige Berufsverbände behauptet haben, entkräftet die Befürchtung nicht vollständig. Denn die Organisationsbereitschaft, Zahlungskraft und Gestaltungsfreiheit der Pflegeberufe ist strukturell deutlich schwächer ausgeprägt als diejenige anderer Berufs849

BVerfGE 38, 281 (309).

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F. Zusammenfassung

zweige. Die Gründung einer pflichtmitgliedschaftlichen Organisation stellt sich für die bestehenden Berufsorganisationen insofern nicht lediglich als Ausgestaltung der Vereinigungsfreiheit dar; sie ist einem klassischen Eingriff vielmehr weitgehend funktional äquivalent. Dieser muss sich durch kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigen lassen.850 Bei der Wertigkeit der verfassungsrechtlichen Freiheitsvermutung des Art. 9 Abs. 1 GG besteht praktische Konkordanz zwischen den berührten konfligierenden Regelungsinteressen darin, den angestammten Entfaltungsbereich derjenigen Vereinigungen, welche die Vertretung der Pflegeberufe bisher wahrnehmen, nur soweit anzutasten, wie dies zur Wahrnehmung zwingender Gemeinwohlaufgaben unabdingbar ist. Der Gesetzgeber darf mithin einer Pflegekammer nur in den Bereichen und in dem Umfang Aufgabenbereiche zuweisen, deren Ziele sich nur durch eine öffentlich-rechtliche Selbstorganisation unter Beteiligung aller Mitglieder von Pflegeberufen sachgerecht erreichen lassen. Eine vollständige und unvermittelte Verdrängung bestehender Verbandsstrukturen gegen den Willen bestehender Berufsorganisationen,851 die sich über Jahrzehnte aufgebaut und bei den Pflegenden Anerkennung und Vertrauen erworben haben, durch eine öffentlich-rechtliche Zwangsorganisation löst den Zielkonflikt einseitig zulasten der grundrechtlichen Wertentscheidung des Art. 9 Abs. 1 GG für die Freiheitsentfaltung auf der Grundlage des Prinzips freier sozialer Gruppenbildung. Eine Aufgabenteilung zwischen einer Pflegekammer und privaten Berufsverbänden erweist sich angesichts der Unteilbarkeit einer Aufgabe umfassender Interessenrepräsentation jedoch als wenig taugliche Regelungsoption. Dem Gesetzgeber ist es unter diesen Rahmenbedingungen einer nicht auflösbaren Zielkollision nach der Wertvorstellung der Verfassung nicht prinzipiell verwehrt, im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung und der Stärkung eines Berufsstandes, der das Rückgrat der Gesundheitsversorgung bildet, eine neue Kammerstruktur aufzubauen, die faktische Ausstrahlungen auf bestehende Berufsverbände zeitigt. 4. Berufsfreiheit der Arbeitgeber Als Einrichtung funktionaler Selbstverwaltung kann eine Kammerorganisation Verpflichtungsmacht grundsätzlich nur gegenüber den eigenen Mitgliedern entfalten – nicht aber gegenüber Dritten, die außerhalb dieses 850

Dazu im Einzelnen S. 175 ff. Auch insoweit gilt, dass die von Handlungsdruck unbeeinflusste Zustimmung bestehender Berufsverbände zu einer Pflegekammer – entsprechend dem Grundgedanken „volenti non fit iniuria“ – einen rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff ausschließt. Dazu S. 178. 851

II. Rechtliche Grenzen einer Pflegekammer

241

durch Selbstbetroffenheit und Sachnähe begründeten demokratischen Legitimationszusammenhangs stehen. Insbesondere binden Weiterbildungsverpflichtungen, die eine Kammer beschließt, rechtlich grundsätzlich nur die Pflegenden, nicht aber deren Arbeitgeber. Kammerbeschlüsse beschränken sich auf eine Binnenwirksamkeit. Sie können aber faktische Ausstrahlungen auf die unternehmerische Freiheit der Arbeitgeber zeitigen. Das gilt insbesondere für die Abwälzung der Mitgliedsbeiträge und die Freistellung für Weiterbildungszeiten. Diese insbesondere im Wege vertraglicher Inbezugnahme kammerrechtlicher Verpflichtungen der Pflegenden entstehenden Wirkungen, sind, soweit sie eintreten, eine Folge faktischer Verhandlungsmacht und zivilrechtlicher Gestaltungsfreiheit, nicht aber eine unmittelbar zurechenbare Folge staatlichen Eingriffs.852 5. Art. 179 BayVerf. Bei strenger Lesart steht Art. 179 der Bayerischen Landesverfassung der Gründung einer Pflegekammer entgegen. Der BayVerfGH spricht der Vorschrift in seiner bisherigen Auslegung allerdings die ihr ursprünglich zugedachte Bedeutung ab.853 6. Grenzen des Unionsrechts und der EMRK Aus der Berufsanerkennungsrichtlinie854 sowie aus den Grundfreiheiten855 fließt das unionsrechtliche Gebot, diejenigen Berufsträger, die ihre Tätigkeit als Dienstleistung in der Bundesrepublik Deutschland anbieten wollen, grundsätzlich von einer Mitgliedschaft in einer Pflegekammer zu befreien. Soweit eine Pflegekammer zusätzliche Berufsqualifikationen und/ oder -titel zu verleihen berechtigt ist, dürfen sie dadurch den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Zugang zu dem Erwerb derartiger Sonderqualifikationen nicht verwehren oder unzumutbar erschweren.856 Aus Art. 11 Abs. 1 Hs. 1 EMRK erwachsen im Grundsatz ähnliche Einschränkungen für die Zulässigkeit von Pflegekammern wie aus Art. 9 Abs. 1 GG.857

852 853 854 855 856 857

Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe

dazu dazu dazu dazu dazu dazu

S. S. S. S. S. S.

186 192 196 201 197 223

ff. ff. f. ff. ff. und 204. ff.

242

F. Zusammenfassung

7. Conclusio Eine Pflegekammer lässt sich rechtskonform ausgestalten. Der Gesetzgeber sollte sich aber der Erkenntnis nicht verschließen, dass sie manche der hochgesteckten Erwartungen, die einige Pflegende an sie richten, enttäuschen wird. Weder die so dringend erhofften Verbesserungen der unmittelbaren tariflichen Arbeitsbedingungen und der Betreuungsschlüssel noch die politisch ausgelobte „größte ideelle Anerkennung“858 wird eine Pflegekammer hervorbringen. Strukturbedingt wird ihr Effizienzgrad niedriger sein als derjenige der Kammern der freien Berufe. Zusätzlich zur arbeitsrechtlichen Pflichtenkontrolle und zur staatlichen Berufsaufsicht bedarf es für professionell Pflegende einer kammerrechtlichen Berufsaufsicht nicht mit der gleichen Notwendigkeit wie bei freien Berufen. Ob der Gewinn, den eine Interessenvertretung und Mitgliederberatung durch eine Kammer anstelle von Berufsverbänden erzeugt, die damit verbundenen Nachteile aufwiegt, ist nicht sicher.859 Auf vage Hoffnungen für eine bessere Zukunft der Pflege sollte sich ein Einschnitt, wie ihn die Begründung einer Zwangsorganisation für Pflegeberufe mit sich bringt, nicht stützen. Denn „Hoffnung“ allein – so wusste bereits Francis Bacon – „ist ein gutes Frühstück, aber ein schlechtes Abendbrot“. Nach der langjährigen Erfahrung struktureller Selbstorganisationsdefizite der Pflegeberufe kann der Gesetzgeber allerdings konkret erreichbare, über kühne Hoffnungen hinausgehende Zielsetzungen einer Pflegekammer benennen. Ihre Gründung erschöpft sich nicht lediglich in einem gesetzgeberischen Feldexperiment. Die größte Chance, die sie für die Pflegeberufe in sich birgt, liegt in ihrem Aktivierungspotenzial. Im Idealfall kann sie der Pflege in dem korporatistisch verfassten Gesundheitswesen eine starke Stimme als Gegenspieler verleihen und dadurch zu einer ausgewogeneren Verteilung der Kräfteverhältnisse beitragen. Ob das gelingt, liegt vorrangig in der Hand der Pflegenden. Insoweit ist die Gründung einer Pflegekammer weniger ein Geschenk als ein Auftrag. Zufriedene Gesichter wird diese Mission aber nur dann hinterlassen, wenn weder die Politik zu viel verspricht noch die Pflegenden zu viel von ihr erwarten.

858 In diesem Sinne der ehemalige bayerische Gesundheitsminister Söder, vgl. Fn. 62. 859 Dazu im Einzelnen S. 77 ff.

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Sachverzeichnis Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 20 Nr. 2) 226 Allgemeine Handlungsfreiheit 129 ff. Allgemeininteresse, zwingende Gründe des i. S. d. Unionsrechts 208, 214, 216 Altenpflege – Fachkräftemangel 16 ff. – Gesetzgebungskompetenz 105 f. – gesetzlicher Auftrag 15 f., 84 – Wandel des Berufsbildes 15 ff. Altenpflegegesetz 16 (mit Fn. 3 und 4), 21, 38, 84, 107 f. (mit Fn. 408), 110 (mit Fn. 418), 215 Ansehen der Pflegeberufe, gesellschaftliches 74 f. Ansehensgewinn als Ziel einer Pflegekammer 27, 71 ff. Arbeitnehmer i. S. d. Unionsrechts 201 f. Arbeitnehmerfreizügigkeit 201 ff. – Anwendungsbereich 201 f. – Bereichsausnahme des Art. 45 Abs. 4 AEUV 202 f. – Beschränkung 203 ff. – Diskriminierung 203 – Eingriff 203 ff. – Rechtfertigungsgründe 206 ff. – zwingende Gründe des Allgemeininteresses 208, 214, 216 Arbeitnehmerkammer/Arbeitskammer 91, 109, 154, 172 ff., 177 f., 239 Arbeitsbedingungen i. S. d. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG 168 Aufenthaltsrichtlinie der Europäischen Union 207

Aufgabe, öffentliche (als verfassungsrechtliche Zulässigkeitsbedingung einer Pflegekammer) 130 ff. Aufgaben einer Kammer – Standesaufsicht 42, 127, 132 – Standesförderung 41, 127, 132 – Standesvertretung 40, 127, 131 f. Bayerische Landesverfassung – Art. 154 193 f. – Art. 179 192 ff. Bayerischer Senat 194 Bayern – Befragung der professionell Pflegenden zur Einrichtung einer Pflegekammer 64 ff. – Pflegekammer-Diskussion in den neunziger Jahren 26 f. – Referentenentwurf zur Gründung einer Pflegekammer 27 ff., 36, 38 ff., 147, 164, 200, 205 Befragungen der professionell Pflegenden zur Kammerakzeptanz – Bayern 64 ff. – nicht repräsentative Befragungen 57 – Niedersachsen 60 f. – Rheinland-Pfalz 58 f. – Schleswig-Holstein 61 ff. Beitragslast, Zumutbarkeit 85 ff., 162 ff. Bereichsausnahme des Art. 45 Abs. 4 AEUV 202 f. Berufsbildungsgesetz 107 (mit Fn. 408), 110 Berufsfreiheit 126 ff. Berufsregelnde Tendenz 126 ff.

Sachverzeichnis Berufsverbände des Pflegewesens – Beeinträchtigung ihrer positiven Vereinigungsfreiheit durch eine Pflegekammer 166 f., 175 ff. – Mitwirkungsrechte 92 ff. – Positionierung gegenüber einer Pflegekammer 24 f. – Typen 94 f. – universales Aufgabenverständnis 142 f. Bindungswirkung von Kammerbeschlüssen – faktische 189 ff. – rechtliche Schranken 186 ff. Bundesverband für freie Kammern 67 Bundesverbände der Pflegeberufe siehe dazu Berufsverbände des Pflegewesens Bündnis für Pflegekammer 28 Case Management 19 Codes of Conduct 43, 51 f. Dachverband der Pflegeorganisationen Rheinland-Pfalz e. V. 94 Deutscher Berufsverband für Altenpflege e. V. 25, 95, 100 (mit Fn. 380), 178 f. Deutscher Pflegerat 23 f., 43, 95, 107, 140, 142 f. Deutscher Pflegeverband 43, 94 f. (mit Fn. 360) Dienstleistungsfreiheit, unionsrechtliche – primärrechtliche 214 ff. – sekundärrechtliche 199 Dienstleistungsrichtlinie 96, 197 ff. Dilemma öffentlicher Güter 148 f. Direktionsrecht des Arbeitgebers 78 f., 137, 186 Doppelmitgliedschaft in einer Kammer 39 (mit Fn. 120), 203 (mit Fn. 719), 204 f. DRG-Krankenhäuser 94

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Drittwirkung von Kammerbeschlüssen – faktische 189 ff. – rechtliche Schranken 186 ff. Durchführung des Rechts der Union (Art. 51 Abs. 1 S. 1 S. 1 GrCh) 216 ff. Effizienzverluste einer Kammerbürokratie 85 ff. EMRK (Art. 11) 216, 223 ff. Erforderlichkeit einer Pflegekammer 138 ff., 210 f., 214, 216, 225 Expertenstandards (§ 113a SGB XI) 93, 114 f. Finanzierungslast – dogmatische Rechtfertigung 85 – Zumutbarkeit 85 ff., 162 ff. Free-rider-Problematik 79, 124, 148 ff. Freie Berufe, Begriff 81 ff. Freizügigkeit siehe Arbeitnehmerfreizügigkeit Friedenswahlen 67 Funktionale Selbstverwaltung, Grundidee und Anwendungsbereiche 36 ff. Gebhard-Formel des EuGH 214 Gesetzgebungskompetenz – ausschließliche 103 ff. – für das Arbeitsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG 109 f. – für das Sozialversicherungsrecht Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) 111 ff. – für die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) 111 – für die Rechtsanwaltschaft 106 – für die Zulassung zu Heilberufen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) 105 ff. – für Pflegehelferberufe 106 – für Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst des Bundes (Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG) 103 ff. – konkurrierende 105 ff.

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Sachverzeichnis

Gesundheitsleistungen i. S. d. Dienstleistungsrichtlinie 198 Gewerkschaft für Beschäftigte im Gesundheitswesen (BIG) 95 Gewerkschaften – Anforderungen an die Ausgestaltung der Konkurrenzbeziehung zu einer Pflegekammer 172 ff. – Beeinträchtigung ihrer Rechtspositionen durch eine Pflegekammer 166 ff. – enge personelle Verflechtung zwischen Kammern und Gewerkschaften 90 ff. – Konkurrenz zur Arbeitnehmer- bzw. Arbeitskammer 109, 174, 177 f. – konzeptionelle Unterschiede zwischen gewerkschaftlicher und kammerlicher Tätigkeit 179 ff. – Positionierung gegenüber einer Pflegekammer 24 – verfassungsrechtliche Sonderstellung 167 ff. GrCh – Anwendungsbereich (Art. 51) 216 ff. – Vereinigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1) 216 ff. Grundfreiheiten – Arbeitnehmerfreizügigkeit 201 ff. – Dienstleistungsfreiheit 214 f. – Niederlassungsfreiheit 211 ff. Grundrechte – allgemeine Handlungsfreiheit 129 ff. – Berufsfreiheit 126 ff. – Koalitionsfreiheit 167 ff. – kollidierendes Verfassungsrecht 123 ff., 169, 180 ff. – Vereinigungsfreiheit 119 ff., 175 ff., 216 ff. – Verhältnismäßigkeit 133 ff. Handwerkskammer 37, 67, 75 Hebammengremium, Österreich 53 f.

Heilberufe, Begriff (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) 105 f. Helferberufe 38 (mit Fn. 118), 89 f., 106 Industrie- und Handelskammer – Auftrag 158 – Mitgliederzufriedenheit 67 f. Informationsasymmetrie 78 ff. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), Art. 22 Abs. 1 226 Kartellrecht 219 ff. Keck-Rechtsprechung des EuGH 205 f., 212 (mit Fn. 760) Koalitionsfreiheit 167 ff. Kollidierendes Verfassungsrecht 123 ff., 169, 180 ff. Krankenpflegegesetz 16 (mit Fn. 5 und 6), 21, 38, 84, 107 f. (mit Fn. 408), 110 (mit Fn. 418), 215 Logik kollektiven Handelns (Olsen) 148 Mehrfachmitgliedschaft in einer Kammer 39 (mit Fn. 120), 203 (mit Fn. 719), 204 f. Mitgliederzufriedenheit in bestehenden Kammern 67 ff. Mitgliedsbeitrag in einer Pflegekammer – Abwälzung auf den Arbeitgeber 190 ff. – dogmatische Rechtfertigung 85 – Zumutbarkeit 85 ff., 162 ff. Niederlassungsfreiheit, unionsrechtliche – der Dienstleistungserbringer 199 f. – primärrechtliche 211 ff. Nursing and Midwifery Council (NMC) 46 ff. Nursing Boards 45 ff.

Sachverzeichnis Öffentliche Aufgabe (als verfassungsrechtliche Zulässigkeitsbedingung einer Pflegekammer) 130 ff. Öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) 111 Öffentliche Gesundheit i. S. d. Art. 45 Abs. 3 AEUV 207 Öffentliche Verwaltung i. S. d. Art. 45 Abs. 4 AEUV 202 f. Öffentlicher Dienst des Bundes (Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG), Gesetzgebungskompetenz 103 ff. Ordre Public-Vorbehalt des Unionsrechts 206 ff., 213 f., 216 Palliativversorgung, Verordnung (§ 92 Abs. 7b S. 1 SGB V) 93 Pflegeberufe – Akademisierung der 19, 21 – Altenpflege siehe dazu unter Altenpflege – Berufsbild 15 ff. – Bezeichnungsschutz 106 – Fachkräftemangel 15 ff. – Fort- und Weiterbildung 93, 110 ff., 131, 139, 189 f. – Heterogenität 39, 41 f., 97 ff., 135 ff. – Organisationsgrad in Berufsverbänden 24, 97 – Vereinheitlichung 20 f., 100 Pflegeberufegesetz 20 f., 100 Pläne zur Gründung einer Pflegekammer – Baden-Württemberg 34 – Bayern 26 ff. – Berlin 34 – Brandenburg 34 – Bremen 35 – Hamburg 34 – Hessen 34 – Mecklenburg-Vorpommern 34 – Niedersachsen 33, 60 f. – Nordrhein-Westfalen 34

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– Rheinland-Pfalz 30 f., 58 ff. – Saarland 34 – Sachsen 34 – Sachsen-Anhalt 34 – Schleswig-Holstein 31 – Thüringen 35 Primärrecht, unionsrechtliches 200 ff. siehe dazu auch im Einzelnen unter Unionsrecht Prinzipal-Agent-Problematik 87 f. Professional Advice Service 52 Pro-forma-Mitgliedschaft 196 Rahmenverträge über die pflegerische Versorgung (§ 75 SGB XI) 116 Registrierung der Pflegeberufe – als Aufgabe einer Pflegekammer 43, 139, 160 – freiwillige 43, 143 Satzungsautonomie 39 f., 132 – Vereinbarkeit mit unionsrechtlichem Kartellrecht 220 ff. Schiedsstelle Qualitätssicherung 93 Sekundärrecht, unionsrechtliches 196 ff. siehe dazu auch im Einzelnen unter Unionsrecht Selbstverwaltung, funktionale 36 ff. Spartenverkammerung 97 ff. Standesaufsicht 42, 127, 132 Standesförderung 41, 127, 132 Standesvertretung 40, 127, 131 f. Strausberger Erklärung 20 f. Syndikusanwalt 83 Tragedy of commoms 148 f. Transparenzberichte für Pflegeeinrichtungen 93, 141 (mit Fn. 513) Trittbrettfahrerverhalten 79, 124, 148 ff. Ultra vires-Handeln von Berufskammern 157, 187

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Sachverzeichnis

Unionsrecht – Arbeitnehmerfreizügigkeit 201 ff. – Aufenthaltsrichtlinie 207 – Berufsanerkennungsrichtlinie 196 f. – Dienstleistungsfreiheit 214 f. – Dienstleistungsrichtlinie 197 ff. – Gebhard-Formel 214 – Kartellrecht 219 ff. – Keck-Rechtsprechung 205 f., 212 (mit Fn. 760) – Niederlassungsfreiheit 211 ff. – Primärrecht 200 ff. – Rechtssache Auer 205, 209 f. – Rechtssache Bosman 205 – Sekundärrecht 196 ff. – Vereinigungsfreiheit 216 ff. Unternehmensvereinigung im Sinne des EU-Kartellrechts 220 f. Ver.di 24, 95 Vereinigungsfreiheit – Art. 9 Abs. 1 GG 119 ff., 175 ff. – Art. 11 EMRK 223 ff. – Art. 12 Abs. 1 GrCh 216 ff. – Art. 20 Nr. 2 AEMR 226 – Art. 22 IPBBR 226 – Doppelgrundrecht 175 f. – negative 119 ff., 223 f., 219 (mit Fn. 785), 226 – positive 176 ff., 219 (mit Fn. 785), 224 f., 226 Verhältnismäßigkeit einer Pflegekammer – Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit 209 ff. – Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit 216 – Eingriff in die Niederlassungsfreiheit 214

– Eingriff in die Vereinigungsfreiheit 133 ff. Verkammerung – abhängig Beschäftigter 91, 79 ff., 137 f., 166 ff., 186 ff. – Alternativen 92 ff., 138 ff. – Ansehensgewinn 27, 71 ff. – finanzielle Belastung 85 ff., 162 ff. – freiwillige Mitgliedschaft 67, 148 ff., 211 – historischer Ursprung 69 f. – Mitgliederzufriedenheit in bestehenden Kammern 67 ff. Volenti non fit iniuria 178 Vorbehaltene Tätigkeit 88, 106, 130 (mit Fn. 180) Weiterbildung – als Aufgabe einer Pflegekammer 39, 41 f., 131, 139 – Einräumung von Arbeitszeit durch den Arbeitgeber 189 f. – Gesetzgebungskompetenz 109 f., 113 ff. – im Bereich der häuslichen Krankenpflege 113 f. – Verhältnis einer kammerlichen Weiterbildungsordnung zu den sozialversicherungsrechtlichen Regelungen 113 ff. Wirtschaftsbedingungen i. S. d. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG 168 Zitronenprinzip nach Akerlof 78 ff. Zusatzbezeichnungen – Arbeitnehmerfreizügigkeit 204 – Erlaubniserteilung als Aufgabe einer Pflegekammer 39 – Gesetzgebungskompetenz 108 f.