Die Mächte des Guten und Bösen: Vorstellungen im XII. und XIII. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte [Reprint 2013 ed.] 9783110848779, 3110072610, 9783110072617


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German Pages 556 [564] Year 1977

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Table of contents :
Vorwort
„Malum auget decorem in universo“. Die kosmologische Integration des Bösen in der Hochscholastik
Gut und Böse in der hochmittelalterlichen Historiographie
Das Fehlen des Aspekts der Heilsgeschichte in der islamischen Theologie
Maimonides: Political Theory and Realistic Messianism
Die Konzeption des Heilsgeschehens und die Frage nach dem Ursprung des Bösen im Hexaemeron Arnos von Reichersberg
Bonaventuras christologischer Einwand gegen die Geschichtslehre des Joachim von Fiore
Die geschichtsphilosophische Bedeutung der Engellehre bei Bonaventura. Ein Beitrag zur Deutung des Itinerarium mentis in Deum IV 4
Dynamisme du bien et Statut historique du destin créé. Du traité sur la chute du diable de S. Anselme aux questions sur le mal de Thomas d’Aquin
Sünde und Gottesliebe nach Thomas von Aquin
Die Kritik des Thomas von Aquin an der origenistischen Seelenlehre
Thomas und die Utopisten. Planungsoptimismus und universale Harmonie
Die Schilderung des Guten und Bösen in der Chronica des Vincentius Kadlubek
Haeretica pravitas und Ekklesiologie. Zum Verhältnis von kirchlichem Ketzerbegriff und päpstlicher Ketzerpolitik von der zweiten Hälfte des XII. bis ins erste Drittel des XIII. Jahrhunderts
Die Rolle der HL. Schrift in der Auseinandersetzung des Alanus de Insulis mit dem Neu-Manichäismus
Bien et Mal dans un mythe cathare languedocien
Der Taufexorzismus und seine Kritik in der Theologie des XII. und XIII. Jahrhunderts
Kaiser und Papst als Protagonisten des Guten und Bösen in der späteren Kaiserzeit – ein „phänomenologischer“ Versuch
Teufel, Götter und Heiden in geistlicher Ritterdichtung. Corpus Antichristi und Märtyrerliturgie
„Camuse chose“. Das Häßliche als ästhetisches und menschliches Problem in der altfranzösischen Literatur
Der „Traum Adams“ – das „Große Geheimnis“ (Ephes. 5,32) von Liebe und Tod und die Erkenntnis des Guten und Bösen in der mittelalterlichen Kunst. Die Bilderkenntnis als anthropologische Voraussetzung für die Entscheidung des Menschen zwischen Gut und Böse
Über Wertkriterien in der Musikanschauung des XII. und XIII. Jahrhunderts
Namenregister
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Die Mächte des Guten und Bösen: Vorstellungen im XII. und XIII. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte [Reprint 2013 ed.]
 9783110848779, 3110072610, 9783110072617

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DIE MÄCHTE DES GUTEN UND BÖSEN Vorstellungen im XII. und XIII. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte

w DE G

M I S C E L L A N E A M E D I A E VALIA VERÖFFENTLICHUNGEN DES THOMAS-INSTITUTS D E R U N I V E R S I T Ä T ZU KÖLN H E R A U S G E G E B E N V O N ALBERT ZIMMERMANN

BAND 11

D I E MÄCHTE D E S G U T E N U N D B Ö S E N Vorstellungen im XII. und XIII. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte

WALTER D E GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1977

D I E MÄCHTE DES G U T E N U N D BÖSEN Vorstellungen im XII. und XIII. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte

HERAUSGEGEBEN VON ALBERT

ZIMMERMANN

FÜR D E N D R U C K B E S O R G T V O N G U D R U N

VUILLEMIN-DIEM

WALTER D E GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1977

CIP-Kurzfitelaufnähme der Deutschen Bibliothek

Die Mächte des Guten und Bösen : Vorstellungen im XII. u. XIII. Jh. über ihr Wirken in d. Heilsgeschichte / hrsg. von Albert Zimmermann. — Berlin, New York : de Gruyter, 1977. (Miscellanea mediaevalia ; Bd. 11) ISBN 3-11-007261-0 NE: Zimmermann, Albert [Hrsg.]

© 1977 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sehe Verlagshandlung · J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer Karl J . Trübner · Veit & Comp., Berlin 30 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Printed in Germany Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Bindearbeit : Lüderitz & Bauer, Berlin

VORWORT

Vom 1. bis 4. September fand die zwanzigste vom Thomas-Institut der Universität zu Köln veranstaltete Mediävistentagung statt. Das Rahmenthema: „Die Mächte des Guten und Bösen. Vorstellungen im 12. und 13. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte" schien uns geeignet, die bewährte Tradition der Mediävistentagungen als eines interdisziplinären Gesprächsforums fortzusetzen. Unsere Erwartungen wurden erfüllt; denn wieder fanden sich zahlreiche Gelehrte aus dem In- und Ausland ein, um in Vorträgen und Diskussionen ein Stück mittelalterlichen Lebens zu rekonstruieren und sich gemeinsam um dessen Verständnis zu bemühen. Das berechtigt uns zu der Hoffnung, daß auch der vorliegende elfte Band der Miscellanea Mediaevalia, in welchem die Vorträge der Tagung und weitere Beiträge zu deren Rahmenthema veröffentlicht sind, auf ein gutes Echo bei den Mediävisten aller Forschungsrichtungen, und vielleicht in weiteren Kreisen stoßen wird. Um die geistige und organisatorische Vorbereitung dieser Tagung hat sich Frau Privatdozentin Dr. Ingrid Craemer-Ruegenberg in besonderer Weise verdient gemacht. Mein Dank gilt ferner Herrn Privatdozent Dr. Klaus Jacobi für seinen Rat und mancherlei wertvolle Hilfe, sowie allen anderen Mitarbeitern des Instituts. Zu danken ist dem Herrn Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle Unterstützung. Frau Dr. Gudrun Vuillemin-Diem hat dankenswerterweise die Texte für den Druck bearbeitet. Dem Verlag de Gruyter sei für die bewährte Ausstattung auch dieses Bandes der Miscellanea Mediae valia gedankt. Köln, im Juli 1977

Albert Zimmermann

INHALTSVERZEICHNIS

A L B E R T ZIMMERMANN

(Köln):

Vorwort

V

(Berlin): „Malum äuget decorem in universo". Die kosmologische Integration des Bösen in der Hochscholastik

1

(Frankfurt): Gut und Böse in der hochmittelalterlichen Historiographie . .

27

(Köln): Das Fehlen des Aspekts der Heilsgeschichte in der islamischen Theologie

72

(LOS Angeles) : Maimonides : Political Theory and Realistic Messianism. . . .

81

WOLFGANG H Ü B E N E R

JOACHIM E H L E R S

ABDOLDJAVAD FALATURI

AMOS F U N K E N S T E I N

(Thiergarten): Die Konzeption des Heilsgeschehens und die Frage nach dem Ursprung des Bösen im Hexaemeron Arnos von Reichersberg 104

ISRAEL P E R I

(München): Bonaventuras christologischer Einwand gegen die Geschichtslehre des Joachim von Fiore 113

STEPHAN OTTO

(Köln): Die geschichtsphilosophische Bedeutung der Engellehre bei Bonaventura. Ein Beitrag zur Deutung des Itinerarium mentis in Deum IV 4 131

ULRICH WIENBRUCH

O. P. (Paris) : Dynamisme du bien et statut historique du destin créé. Du traité sur la chute du diable de S. Anselme aux questions sur le mal de Thomas d'Aquin 154

EDOUARD-HENRI WÉBER

(Mainz) : Sünde und Gottesliebe nach Thomas von Aquin

WILLIAM J . H O Y E

206

(Köln): Die Kritik des Thomas von Aquin an der origenistischen Seelenlehre 235

INGRID CRAEMER-RUEGENBERG

Vili

Inhaltsverzeichnis

(Bochum): Thomas und die Utopisten. Planungsoptimismus und universale Harmonie 253

FERDINAND SEIBT

(Krakow): Die Schilderung des Guten und Bösen in der Chronica des Vincentius Kadlubek 271

MIECZYSLAW MARKOWSKI

G. W A L T H E R (Konstanz) : Haeretica pravitas und Ekklesiologie. Zum Verhältnis von kirchlichem Ketzerbegriff und päpstlicher Ketzerpolitik von der zweiten Hälfte des XII. bis ins erste Drittel des XIII. Jahrhunderts 286

HELMUT

M. H Ä R I N G (Toronto) : Die Rolle der Hl. Schrift in der Auseinandersetzung des Alanus de Insulis mit dem Neu-Manichäismus 315

NIKOLAUS

(Paris): Bien et Mal dans un mythe cathare languedocien

A N N I E CAZENAVE

344

(Münster): Der Taufexorzismus und seine Kritik in der Theologie des XII. und XIII. Jahrhunderts 388

ARNOLD ANGENENDT

(Heidelberg) : Kaiser und Papst als Protagonisten des Guten und Bösen in der späteren Kaiserzeit — ein „phänomenologischer" Versuch 410

GUNTHER WOLF

(Saarbrücken): Teufel, Götter und Heiden in geistlicher Ritterdichtung. Corpus Antichristi und Märtyrerliturgie 417

H E R B E R T BACKES

(Göttingen) : „Camuse chose". Das Häßliche als ästhetisches und menschliches Problem in der altfranzösischen Literatur 442

B E A T E SCHMOLKE-HASSELMANN

J. (München) : Der „Traum Adams" — das „Große Geheimnis" (Ephes. 5,32) von Liebe und Tod und die Erkenntnis des Guten und Bösen in der mittelalterlichen Kunst. Die Bilderkenntnis als anthropologische Voraussetzung für die Entscheidung des Menschen zwischen Gut und Böse 453

H E R B E R T SCHADE S .

(Neckargemünd): Über Wertkriterien in der Musikanschauung des XII. und XIII. Jahrhunderts 489

MATHIAS B I E L I T Z

Namenregister

533

„MALUM AUGET DECOREM IN UNIVERSO" D I E KOSMOLOGISCHE INTEGRATION DES BÖSEN IN D E R HOCHSCHOLASTIK von

WOLFGANG H Ü B E N E R

(Berlin)

Die Überzeugung, daß das Übel keine eigenständige Existenz und Wirksamkeit habe und alles Existierende und Wirkende als ein solches gut sei, ist für die mittelalterliche Theologie stets mehr als ein bloßes Theologumenon gewesen, garantierte doch sie allein eine theoretisch befriedigende Abwehr dualistischer Tendenzen. Von lehramtlichen Verurteilungen des Manichäismus begleitet, die von der Anathematisierung der Priscillianisten auf dem Konzil von Braga 561 über das gegen die Albigenser gerichtete „Caput firmiter" des Lateranense IV (1215) bis zum Jakobitendekret des Florentinum (1442) reichen, markierte sie — obwohl selbst bereits das Resultat einer 'paganen' neuplatonischen Reaktion auf den gnostischen Dualismus —- die unüberschreitbare Grenzlinie zur kosmologischen Heterodoxie. Es gab jedoch innerhalb dieses Transgressionsverbotes noch genügend Spielraum für theologische Spekulation, deren epochenkritisch interessantestes Ergebnis die Wiederaufnahme und Ausgestaltung jenes kosmologischen Kalküls sein dürfte, der die Fragestellung der Theodizee im engeren Sinne über die Vorstellung einer das Übel einschließenden antithetischen Vollständigkeit des Universums zu der Vision einer durch die Integration des Übels nur noch erhöhten abbildlichen Totalschönheit der Schöpfung verknüpft, einer Totalschönheit, die in ihrer Rückführung auf ihren Urheber jene Spielart des teleologischen Argumentes ergibt, die Paul Barth 1 „Theokalie" genannt hat. Als der Vollender dieses von den Stoikern nach wesentlichen Rücksichten begründeten und nach der geläufigen Ansicht seither im Prinzipiellen nicht weiterentwickelten Systems gilt Plotin2, der dem Mittelalter durch Augustin und Macrobius als ,magnus Platonicus' bekannt war. Wichtige Beiträge zur Rekonstruktion der plotinischen Theo1 Vgl. P. Barth, Die Stoa, Stuttgart 1922 3 / 4 , p. 157. — Aus Zeitgründen belasse ich diesem Beitrag die lockere Form, in der er vorgetragen worden ist, und beschränke mich im Anmerkungsteil auf die nötigsten Hinweise. 2 Eine informative und eingängige Darstellung der Theodizee Plotins findet sich bei F . Billicsich, Das Problem des Übels in der Philosophie des Abendlandes, Bd. 1, Wien 1955 2 , p. 98—184.

1

Med. X I

2

Wolfgang

Hiibener

kalie in der Hochscholastik — vor allem in der Lehre vom Schönen und vom Übel — hat Ps.-Dionysius Areopagita im vierten Kapitel von De divinis nominibus beigesteuert. Mit gutem Grund konnte daher Dionysius der Karthäuser im 15. Jahrhundert sein Opusculum De venustate mundi et pulchritudine Dei, das die Summe aus einer mehr als tausendjährigen Tradition zieht, mit dem Satz beginnen: „Quid autem sit pulchrum, et quae ratio ejus, originaliter sumitur ex theoricis S. Dionysii documentis . . ," 3 . Die augmentatorische Weltformel — so will ich fortan das kosmologische Schema einer Vollkommenheitssteigerung durch Beimischung von Unvollkommenem nennen, das ich hier in einer Formulierung Bonaventuras 4 zum Leitthema gewählt habe — ist auch im frühneuzeitlichen Denken noch nachvollziehbar gewesen. Der Cartesianer Johannes Clauberg etwa hat sich ausführlich mit der Anwendbarkeit des in der Hochscholastik 5 so oft zu ihrer Illustration herangezogenen Juxtapositionstheorems des „παράλληλα τα εναντία μάλιστα φαίνεσθαι" aus der aristotelischen Rhetorik — in der gebräuchlichsten Cartesischen Adaptation: „contraria juxta se posita magis elucescunt" — befaßt. Er bezieht es hierbei vorrangig auf die Ordnung der göttlichen Providenz und die Vermehrung der Schönheit der natürlichen Dinge. „Noluit rerum Conditor hoc Universum partibus constare homogeneis ac similaribus, sed heterogeneis at que diversis . . .." Ein weißes Blatt Papier gewährt der Betrachtung wenig Vergnügen. Erst wenn es mit verschiedenartigen und gegensätzlichen Bildern und Buchstaben bemalt ist, rekreiert es das Auge des Beschauers und bekundet zugleich die ungewöhnliche Kunstfertigkeit des Schreibers. So auch in Gottes Weltregiment 6 . Dem Gesamtsystem der Theokalie hat dann die Leibnizisch-Wolffische Philosophie in einem Nachhutgefecht größeren Stils noch einmal für einige Jahrzehnte zu europäischer Geltung verholfen. Christian Wolff war sich durchaus bewußt, daß Leibnizens „Theodicee" in einer langen neuplatonisch-scholastischen Tradition steht. Er macht Jamblich und Thomas von Aquino als die Ahnherren der augmentatorischen Weltformel namhaft 7 . „Agnovit hoc pro acumine suo D. Thomas, quod mala 3

Dionysius Cartusianus, Opera omnia, t. 34, Tournai 1909, p. 227 aA. Cf. Bonaventura, I Sent., d. 46, a. un., q. 5, arg. 5, Opera omnia, t. 1, Quaracchi 1882, p. 830 b. (Ich gebe im folgenden stets den in der Interpunktion etwas modernisierten Text der „editio minor" des Sentenzenkommentars (Quaracchi 1934—49) mit den Stellenangaben der „editio maior.") 5 Cf. Alexander de Haies, Summa theologica I, a. 120, Quaracchi 1924, p. 189a; Bonaventura, I Sent., d. 46, a. un., q. 5, co. a., ed. cit. p. 831b; Thomas de Aquino, Q. d. de malo 1, 1, arg. 14, IV Sent., d. 50, q. 4, a. 4, sol. 1; al. 6 Cf. Aristoteles, Rhet. 3,2, 1405a 12 sq. — J. Clauberg, Defensio Cartesiana, c. 35, n. 8, Opera omnia philosophica, Amsterdam 1691, p. 1098sq. 7 Cf. Christian Wolff, Cosmologia generalis, § 548, Gesammelte Werke, II. Abt., Lat. Schriften, Bd. 4, Hildesheim 1964, p. 429. 4

„Malum auget decorem in universo"

3

faciant, ut major sit in hoc universo perfectio." Das Übel nehme nach ihm akzidentell auf das Gute in dieser Welt Einfluß. ,,. . . docuit enim . . . malum per accidens pertinere ad decorem universi." Ähnlich habe bereits Jamblich argumentiert. Leibniz habe diesen Grundgedanken nur um neue Überlegungen bereichert („calculum suum ipsis adjecit") 8 . Der einschneidende Traditionsbruch der Mitte des 18. Jahrhunderts, in dem sich die Ablösung der „philosophia nov-antiqua" durch die eigentliche philosophische Moderne ankündigt, hat auch der Theokalie den Todesstoß versetzt. Der junge Kant vermag zwar in seinen durch die Preisaufgabe der Berliner Akademie für 1755 veranlaßten Reflexionen zum Optimismus zumindest das Prinzip kosmologischer Vollständigkeit noch nachvollziehend zu entwickeln. Er folgt dabei freilich schon hier wie später in seinem Talergleichnis dem Grundsatz der extensionalen Gleichheit des Möglichen und Wirklichen, der Leibniz' Prinzip der Restriktion des bloß Möglichen auf Kompossibilität nach der Regel des Besten9 durchaus zuwiderläuft: ,,Die vornehmste Regel der Vollkommenheit der Welt ist, daß sie im höchsten Grade vollständig sey, das alles dasey, was möglich ist und daß weder in der Kette der Wesen noch in der Manigfaltigkeit ihrer Abänderung etwas fehle, welches nur des Daseyns fähig ist ; denn es ist vor die Welt überhaupt kein größer Gebrechen, als das Nichts in irgend einem ihrer Theile. Daher begreift das Feld der Offenbahrung der Gottlichen Macht alle Gattungen endlicher Dinge und mit einer Art des Reichthums erstreckt sich es bis auf die Mängel und verlieret sich nicht anders als durch alle Stufen der Verminderung von den höchsten Graden der Vollkommenheit bis zum Nichts" 10 . Der eigentliche Anwendungsbereich des Ordnungsideals schöner Vollständigkeit sollte für Kant jedoch die Analyse unserer Erkenntnisausstattung werden. Es mutet wie eine Bestätigung von Hans Blumenbergs These von der Auflösung der Einheit von Kosmos und System im neuzeitlichen Denken an, wenn Kant die Schönheit, die er in der wirklich existierenden Welt vermißt, im System seiner zwölf Kategorien wiederentdeckt. Der analytische Teil der Metaphysik, der nach ihm in der Subsumption der Begriffe unter die in sich vollständige und regelmäßige Tafel der Kategorien entspringt, ..würde . . . durch seine Bestimmtheit und Vollständigkeit nicht allein Nutzen, sondern vermöge des Systematischen 8 Id., Theologia naturalis, P. 1, § 683, 556, Frankfurt u. Leipzig 1736, p. 642, 506; Cosnt.gen., 1. c. 9 Cf. L. Couturat, Opuscules et fragments inédits de Leibniz, Paris 1903/Hildesheim 1961, p. 530, 534, 360, 376. 10 Kant's gesammelte Schriften, hgg. v. d. Preuß. Ak. d. Wiss., 3. Abt., 4. Bd. Metaphysik. 1. Teil, Bd. 17, Berlin und Leipzig 1926, p. 235.

1*

4

Wolfgang Hiibener

in ihm noch überdies eine gewisse Schönheit enthalten . . ,"11, von welcher — müssen wir hinzufügen — für Kant in der Beschaffenheit der Welt von früh an mit Ausnahme eines Intermezzos größerer Optimismusnähe 12 nichts mehr zu spüren gewesen war. Deren Verfassung ist ihm nur dazu angetan, das teleologische Argument zu entkräften. Folgerichtig läßt er daher Epikur gegen Leibniz auftreten und Zweifel an der Allmacht und ordnenden Weisheit Gottes anmelden, der es angesichts einer Welt, die „allenthalben mehr als der Hälfte nach Ungereimtheiten und wiederwärtige Abweichungen in sich enthält", offensichtlich „nicht vermocht hat, alle Dinge in einen Plan von zusammenstimender Schönheit zu bringen" 13 . Begeben wir uns auf die Suche nach scholastischen Ausprägungen des Systems der Theokalie, machen wir alsbald die überraschende Feststellung, daß einige seiner wesentlichsten Bestimmungsstücke nach der Meinung angesehener Geisteshistoriker im mittelalterlichen Denken entgegen dem vielfältigen Zeugnis der Quellen dort von Rechts wegen gar nicht hätten auftreten dürfen und vorgeblich auch de facto nicht aufgetreten sind. Ein nie ernstlich überprüftes falsches Mittelalterverständnis hat zur Aufrichtung zahlreicher irreleitender Wegmarken geführt, die sich zum überwiegenden Teil daraus erklären, daß man die antike Unbefangenheit der Weltzuwendung durch das frühe Christentum auf lange Zeit zerstört glaubte und eine neue Weltgläubigkeit erst mit der Renaissance einsetzen zu lassen gewillt war. Anders ist es nicht zu verstehen, daß Pflaum es als „den entschiedensten Schritt aus der mittelalterlichen Vorstellungswelt heraus" ansieht 14 , wenn Leone Ebreo den Gedanken ausspricht, alle geschaffenen Dinge seien irgendwie schön („ogni corpo ha qualche belleza")15. Bei genauerem Zusehen war es eher ein Schritt zurück. Die durch die Florentiner platonische Akademie inaugurierte Plotinrezeption erschwerte die unbefangene Anwendung des Begriffs des Schönen auf den Gesamtbereich des Seienden. Pio tin hatte die Materie für das wahrhaft und ursprünglich Böse erklärt, das in seiner vollendeten Mangelhaftigkeit und Häßlichkeit keinerlei Anteil am Guten habe, und sich in diesem Zusammenhang entsprechend dem sogenannten alexandrinischen Schema zu einer Zwei-Prinzipien-Lehre bekannt 18 . Der spätere Neuplatonismus, den das Mittelalter besser gekannt hat, ist ihm hierin

11 Kant, Prolegomena § 39, Anm., Werke in 10 Bänden, Bd. 5, Darmstadt 19683, p. 196. 12 Vgl. T. Pinder, Kants Gedanke vom Grund aller Möglichkeit, Berlin (1975), p. 148ff. 13 Vgl. Ges. Sehr., Bd. 17, p. 238f. 14 H. Pflaum, Die Idee der Liebe — Leone Ebreo, Tübingen 1926, p. 130. 15 Leone Ebreo, Dialoghi d'amore, ed. C. Gebhardt, Heidelberg 1929, f. 103v. " Cf. Enn. I 8,5,8 sqq., 6, 33 (edd. P. Henry/H.-R. Schwyzer).

„Malum auget decorem in universo"

5

nicht gefolgt. Schon Jamblich hat Dissens angemeldet17. Proklos verwirft dann nachdrücklich die Annahme eines πρώτως κακόν als der alleinigen Quelle alles Übels18, „εν μεν δή καθ' έcorrò των κακών αίτιον ουδαμώς Θετέον.19" Von daher fiel es Ps.-Dionysius leicht, das πολυθρύλλητον ,έν Ολη τό κακόν20 zu suspendieren. Nicht nur alles Seiende ist des Schönen und Guten teilhaftig, sondern es finden sich Spuren solcher Kalokagathie auch im Bereich der Materie als des respektive Nichtseienden: Και γαρ και αύτη τοϋ κόσμου καί κάλλους και είδους εχει μετουσίαν21. Es kommt ein Zweites hinzu. Der von der Plotinforschung konstatierte 22 Wechsel der Betrachtungsweise von einer objektiven, gegenständlichen, am Teilhabecharakter der Erscheinungswelt orientierten zu einer subjektiven, aktualen, auf Erhebung über die Diesseitigkeit zielenden Sicht, der im Raum christlichen Denkens — exemplarisch faßbar an Hugo von St. Viktor — seine Parallele im Wechsel von dem Auftrag von Rom. I, 20, im Buch der Schöpfung zu lesen, zur vanitas-mundi-Haltung hat, führt zu völlig unterschiedlichen Bewertungen der sichtbaren Welt. Marsilio Ficino malt sie, wo er den 'subjektiven' Plotin paraphrasiert, in recht düsteren Farben 23 . Schon Grabmann hatte es daher merkwürdig gefunden, ,,daß bei diesem Philosophen der Renaissance das Körperlichschöne in geringerem Maße zur Geltung kommt als bei den mittelalterlichen Scholastikern" 24 . Auch für Leone Ebreo ist die Schönheit der Körperwelt nur eine „ombrosa belleza": „bassa, piccola, e superficiale" 26 . 17 Vgl. P. R. E. Günther, Das Problem der Theodizee im Neuplatonismus, Leipzig 1906, p. 43f., E. Schröder, Platins Abhandlung πόθεν τά κακά (Enn. I 8), Leipzig 1916, p. 186 ff. 18 Cf. De malorum subsistentia, Cap. 10, Tria opuscula, ed. H. Boese, Berlin 1960, p. 210 sqq. 19 Ib., 17, 47,2 sq., p. 241. 20 Cf. De divinis nominibus, c. 4, § 28, S. Thomae Aquinatis . . . in librum Beati Dionysii de divinis nominibus expositio, ed. C. Pera, Turin 1950, n. 231, p. 205b. 21 Ib., n. 232. 22 Vgl. P. O. Kristeller, Der Begriff der Seele in der Ethik des Plotin, Tübingen 1929, p. 5 ; H.-R. Schwyzer, RE-Art. Plotinos, col. 549, 567. 23 Über die Verschattung der Formen durch die sie mit ihrer informitas infizierende Materie vgl. die Paraphrase zu Enn. I 8, 8, Opera, Basel 1561, t. 2, p. 1587 sq. —- Über die Unvollkommenheit und Unwahrheit der Körperweit vgl. auch M. Ficino, De immortalitate animorum Theologia Platonica 1. 11, c. 4, ed. cit. p. 253; „Nusquam in corporibus perfectas unitatis, bonitatis, pulchritudinis rationes invenimus. . . . In corporibus . . . miscetur . . . pulchritudo deformitati. Nusquam rectas figurarum rationes inspeximus in materia corporum, eas tarnen ipsi tenemus." — C. 6, p. 261 : „Quoniam igitur tota sensibilis machina vanitas quaedam est, vanitatisque quotidie sensibus causa, ideo exclamavit Salomon : Vanitas vanitatum, et omnia vanitas. Non est igitur in rebus sensibilibus Veritas." 24 M. Grabmann, Des Ulrich Engelberti von Strassburg Ο. Ρr. (+ 1277) Abhandlung De pulchro, München 1926 (SB., Philos.-phil. u. hist. Kl., Jg. 1925, 5. Abh.), p. 21. 25 L. c., f. 102r, 101 v.

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Wolfgang

Hübener

Die Plotinrenaissance hat der Renaissanceästhetik Züge vermittelt, die das Mittelalter den ps.-dionysischen Texten nicht entnehmen konnte. Dieses hat sich daher auch mit größerer Unbefangenheit als der Renaissancepiatonismus zu dem Grundsatz „pulchrum . . . convertitur cum ente" 26 bekennen können. Die Revisionsbedürftigkeit der geläufigen Genealogie des neuzeitlichen Weltverständnisses enthüllt sich vollends in einer Prüfung der Stichhaltigkeit ihrer hermeneutischen Rahmenbedingung: der prinzipiellen Leugnung einer beobachtend-nachahmenden Ausrichtung des mittelalterlichen Menschen auf Gegebenheiten der sinnenfälligen Wirklichkeit. Die Naturwirklichkeit war danach für ihn „noch weithin in Nebel eingehüllt". Dem Künstler kam es „bei der metaphysischen Richtung der mittelalterlichen Kunst" nicht darauf an, seine Umwelt künstlerisch zu verwerten, und so sah er sie denn, „ohne die Absicht der Gestaltung" und damit auch ohne die zweckbestimmte Beobachtung, „die allein zur Gestaltung führt" 27 . Die Frage nach dem Verhältnis einer künstlerischen Vorstellung zu ihrem äußeren Gegenstand „konnte vom mittelalterlichen Denken überhaupt nicht aufgeworfen werden". Es kennt keine Naturnachahmung im Sinne einer Bezugnahme auf die Anschauung eines natürlich Gegebenen28. Alle diese Feststellungen sind so offenkundig falsch, daß sich die Denkanstrengung weniger darauf richten sollte, sie zu widerlegen, als vielmehr die Voraussetzungen aufzuhellen, die ihre Persistenz und unaufhörliche Reproduktion ermöglichen. Es ist das mittelalterliche und nicht das neuzeitliche Denken gewesen, das Senecas These von der Gleichwertigkeit des inneren und äußeren Formvorbildes im ideengeleiteten Tun aufgegriffen hat. Ein integrales Strukturmoment dieser Äquivalenzthese ist die nachahmende Ausrichtung eines sich Zwecke setzenden Wesens auf ein natürlich Gegebenes. Thomas von A quino — neben Wilhelm von Ockham der prominenteste Anhänger der Äquivalenzthese — hat denn auch die „intentio agentis, qui determinat sibi finem" ausdrücklich für die Gegenstandsbeziehung der mimetischen Künste in Anspruch genommen: ,,. . . pictura ad hoc fit a pletore ut imitetur aliquem cuius figura depingitur . . ," 2 9 Es ist umgekehrt der Aufwertung des inneren Vorentwurfes oder „disegno interno" in der Renaissance zuzuschreiben30, daß eine Äquivalenz von exemplar internum und externum kunsttheoretisch seither nicht mehr ernstlich in Erwägung gezogen werden In dieser Fassung bei Ulrich von Straßburg; vgl. M. Grabmann, op. cit. p. 77, 11. W . Goetz, Italien im Mittelalter, Bd. 2, Leipzig 1942, p. 7f. 28 E . Panofsky, Idea, Berlin I960 2 , p. 21 f. 29 Quaestiones disputatae de veritate, q. 3, a. 1, Opera omnia (ed. Leon.), t . 22, vol. 1, fase. 2, p. 99b, 1. 185 sq. 3 0 Vgl. die Belege bei Panofsky, op. cit. p. 96, 104ff. 26 27

„Malum auget decorem in universo"

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konnte. Schon für Leone Ebreo war nicht nur die Schönheit eines Naturdinges, sondern auch die eines Kunstwerkes als eines „corpo bellamente artificiato" unvergleichlich geringer als die der Idee im Geiste des Künstlers 31 . Es war nur konsequent, wenn Suarez mit dem Begriff des „exemplar externum" auch die vorrangig auf Seneca zurückgehende mittelalterliche Deutung der Idee als Woraufhin einer nachahmenden Hinblicknahme verwirft: „illa . . . locutio, quod artifex respiciens ad exemplar operatur ad illius imitationem, non oportet quod cum omni proprietate sumatur" 32 . Sie sei aus der Orientierung an sensibilia exemplaria, die für das artifizielle Tun nicht erforderlich seien, entsprungen. Im eigentlichen Verstände sei ein „exemplar" vielmehr „illud quo artifex sibi repraesentat rem quam effecturus est, . . . ut illius repraesentationem expleat" 33 . Es liegt in der Prolongatur dieser Rücknahme aller weltbezogenen Intentionalität in die produktive Betätigung der eigenen Vorstellungskraft, wenn Hegel meint, Gott habe „mehr Ehre von dem . . . , was der Geist macht, als von den Erzeugnissen und Gebilden der Natur", denn er habe in der Form des bewußten, sich tätig hervorbringenden menschlichen Geistes allein „das Medium, durch welches das Göttliche hindurchgeht" 34 . Für Hugo von St. Viktor war die ganze sinnlich erfahrbare Welt „quasi quidam . . . liber scriptus digito Dei". Für Hegel ist sie „keine dem Göttlichen angemessene Weise der Erscheinung", denn sie hat den „Durchgang durch den Geist" nicht gemacht. Er kann sich daher auch gar nicht vorstellen, daß schon jemand auf den Einfall gekommen sei, „den Gesichtspunkt der Schönheit der natürlichen Dinge herauszuheben", denn wahrhaft schön ist alles Schöne — auch das Naturschöne — nur als des Geistes teilhaftig und durch ihn erzeugt35. Neben dieser Revolutionierung der Weltbewertung durch Neubestimmung des Verhältnisses von Geist und Natur haben Remplaçements in der Region der obersten Wirklichkeitsbegriffe zur Devaluierung der Idee einer „pulchritudo universi" beigetragen. In den Metaphysiklehrbüchern der Barockscholastik wird die Zahl der „passiones simplices entis" gegenläufig zum Ausbau des Lehrstücks von den „passiones disjunctae" auf den Ternar „unum —verum—bonum" reduziert — eine Entwicklung, an der sicher auch die klassisch gewordene Behandlung des Transzendentalienproblems durch Thomas von Aquino in De veritate I, 1 rezeptionsgeschichtlich nicht ganz schuldlos 31

Cf. op. cit., f. 106 v. F. Suarez, Disputationes metaphysicae, d. 25, s. 1, n. 41, Opera omnia, t. 25, Paris 1877, p. 910a. 33 Ib., p. 910b. 34 Eruditio didascalica, 1. 7, c. 4, P L 176, 814 B. 35 Vgl. G. W. F. Hegel, Ästhetik, hgg. v. F. Bassenge, Berlin 1955, p. 73f., 50. 32

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ist. Ein pulchrum transcendentale wird man hier vergeblich suchen. Zugleich wird die Ebene der transzendentalen Begriffe seit der spanischen Renaissancelogik durch die der sogenannten supertranszendentalen Begriffe, wie „cogitabile", „apprehensibile" und ähnliche, überlagert 36 . Wird nun von ihnen her, wie dies in der Schulphilosophie des 17. Jahrhunderts geschieht, der Gegenstandsbereich der Metaphysik vom Seienden als Seienden auf alles, was nur gedacht und gesagt werden kann 37 , ausgedehnt, läßt sich die Schönheit alles Wirklichen nicht mehr, wie in der älteren Transzendentalienspekulation, als eine Weiterbestimmung des Zentralbegriffes der Metaphysik verstehen. Das pulchrum kommt im System der Philosophie nun nur noch in dritter Linie zum Zuge: in die Höhenregion des supertranszendentalen ens cogitabile hat es nicht vordringen können ; im Gebiet der Transzendentalien hat es sein Bürgerrecht verloren; nur in den Einleitungsfragen der späten Disputationen über die aristotelischen „Libri de coelo et mundo" haben sich deutlichere Spuren der älteren Theokalie erhalten 38 . Halten wir als vorläufiges Resultat unserer Überlegungen zum Weltverhältnis des mittelalterlichen Denkens fest : die kosmologischen und ästhetischen oder besser schönheitsmetaphysischen Voraussetzungen der augmentatorischen Weltformel müssen unverständlich bleiben, wenn die grundsätzlich neuartige Einstellung der Renaissance zur Welt darin gesehen wird, ,,daß sie das Objekt gewissermaßen aus der inneren Vorstellungswelt des Subjekts herausnimmt und ihm eine Stelle in einer festgegründeten 'Außenwelt' anweist" 39 . Der Basisprozeß verläuft vielmehr in der Gegenrichtung. Es ist jedoch nicht damit getan, daß dem Mittelalter nur von dieser Seite her Vieles von dem revindiziert wird, was für das gängige Verständnis die mundane Gloriole der frühen Neuzeit ausmacht. Der Bogen müßte weiter gespannt werden. Nach Blumenberg hätte der Renaissancehumanismus nur den human relevanten Kosmos der Stoa zu retten versucht, den das frühe Christentum theologisch mediatisiert und die Scholastik vollends zerstört hatte. Hat dieser Restitutionsversuch aber, wie ich vermute, gerade zu der Aufgabe von Positionen geführt, mit denen das Mittelalter der Antike näher stand als die Renaissance, müßte auch der Übergang von der Antike zum Mittelalter anders bestimmt 36

Vgl. W. Hübener, Scientia de aliquo et nikilo, „Denken im Schatten des Nihilismus", Festschr. f. W. Weischedel, Darmstadt 1975, p. 34f., Anm. 2. 37 Vgl. J. Clauberg, Metaphysica de ente, η. 6, ed. cit., p. 283. 38 Cf. Β. Mastrius et Β. Belluti, Disputationes in libros de coelo, et metheoris, d. 1, q. 4, n. 32—4, Philosophiae ad mentem Scoti cursus integer, Venedig 1708, t. 3, p. 505 a. — Bei Christian Wolff werden dann Ontologie und allgemeine Kosmologie zu getrennten Disziplinen. 39 Panofsky, op. cit. p. 25 f.

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werden. Da Blumenberg ihn in nahezu allen für unsere Fragestellung wichtigen Punkten anders gedeutet hat, als ich das Zeugnis der Quellen glaube verstehen zu müssen, ist mir die Aufgabe einer Neubestimmung leicht gemacht. Es braucht seinem Sic40 jeweils nur ein quellengestütztes Non entgegengesetzt zu werden : 1. Nach Blumenberg ist Cicero die Quelle dessen, was er universale anthropozentrische Teleologie nennt, nämlich der Annahme einer Sinnzentriertheit des Kosmos im Menschen, für den und um dessentwillen er verfertigt ist. Cicero setzt jedoch, wo er den Weltzweck erläutert, durchgängig die „di et homines"-Dyas der älteren Stoa ein41. Der Kosmos wäre dann nicht nur und vorrangig für den Menschen bestimmt. Seneca, den Blumenberg übergeht, hat diese Konsequenz gezogen. Schon Pierre Bayle hat der Frage gründliche Erörterungen gewidmet und bei Seneca eine antike Bestätigung für die anthropologische Bescheidenheit Descartes' gesucht42. — 2. Bei Thomas von Aquino ist nach Blumenberg „von einem auf den Menschen bezogenen Telos der Natur . . . überhaupt nicht mehr die Rede" 43 . Thomas selbst macht den Menschen jedoch zum „finis totius generationis" 44 . — 3. Aristoteles und der Aristotelismus haben nach Blumenberg eine „absolute Scheide der teleologischen Bezugsrichtungen" 45 zwischen die sublunare und supralunare Welt gelegt. Im Gegensatz hierzu bezieht Thomas von Aquino den „motus caeli" final auf den Menschen: ,,. . . finis motionis caeli ordinatur ad hominem sicut in ultimum finem in genere generabilium et mobilium" 46 . — 4. Für Thomas ist es nach Blumenberg angeblich nicht erweisbar, daß die Vorsehung den Kosmos bis „nach unten" 47 durchdringt. Die Himmelssphären kon40

Ich sehe Blumenbergs Versuch einer Rekonstruktion des Wandels der Kosmosidee als eine faszinierende Arbeitshypothese an, die ihre Bewährungsprobe für meinen Teil nach meiner Überzeugung nicht bestanden hat. Auch hier gelte wie stets in sachgegründeten Differenzen: Amicus Plato, amicus Aristoteles, amicus Blumenberg, sed magis amica Veritas. 41 Cf. S V F II, f. 1131, 1145, III, f. 371. — Laktanz hat in diesem Punkt für P. Bayle „die Hauptsache" vergessen. Er bringt jedoch auch aus ihm einen Beleg für das „Deorum et hominum causa" bei . Cf. Continuation des pensées diverses, § 58, η. g, Oenvres diverses, t. 3, Den Haag 1727, p. 1, p. 269b. 42 Cf. op. cit., § 55—60, p. 263a—76a. — Die Hauptstelle bei Descartes, den Bayle nicht nennt: Princ. philos., p. 3, η. 2—3. Der entsprechende Text des „Entretien avec Burman" schon bei J. Clausberg, De cognitione Dei et nostri, exerc. 69, n. 22, ed. cit., p. 712. 43 H. Blumenberg, Kosmos und System. Aus der Genesis der kopernikanischen Welt, „Studium generale" 10, H. 2 (1957), p. 71b. (Vgl. auch: Die kopernikaniscke Wende, edition suhrkamp 138, Frankfurt M. 1965, p. 68.) 44 Cf. Summa contra gentiles, 1. 3, c. 22, ed. C. Pera, vol. 3, Turin 1961, n. 2030 d. 45 L. c., p. 6 9 b ( = D. kop. W„ p. 63). 46 L. c., n. 2032. 47 L. c„ p. 72a ( = D. kop. W., p. 69).

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zentrieren die göttliche Aktivität ganz auf sich. Nach Thomas jedoch wie für die übrige Scholastik erstreckt sich die Vorsehung unmittelbar bis auf die kontingenten Einzeldinge48. — 5. Die „gloria Dei" als mittelalterliche Formel für den Weltsinn ist nach Blumenberg „ein Reflex der ausschließlichen Selbstbezogenheit des unbewegten Bewegers bei Aristoteles" 49 . Thomas folgt demgegenüber, wie schon Abaelard50, der Devise: „. . . Deus suam gloriam non quaerit propter se, sed propter nos" 51 . — 6. Die „Durchdringung der Kosmologie mit dem gloria-Dei-Gedanken" bedeutet nach Blumenberg „die Zerstörung des Kosmos als der für den Menschen zugänglichen Ordnungsgestalt des Seienden". Die Welt wird darin zum puren „Faktum verdinglichter Allmacht", und der „ganze Sinn der Schöpfungsveranstaltung" ist „Zurschaustellung" der Macht Gottes und die „Genugtuung, die er am Staunen und an der Bewunderung seiner Untertanen empfinden soll"52. Die Scholastik dagegen identifiziert die „gloria Dei" mit der sich der Schöpfung mitteilenden göttlichen Güte. „. . . res factae sunt propter Dei gloriam . . .", jedoch — fügt Bonaventura hinzu, „non . . . (sc. propter gloriam) acquirendam vel ampliandam" „sed propter gloriam manifestandam et propter gloriam suam communicandam" 53 . Insofern kann die „gloria sive bonitas Dei" als der externe Zweck der „bonitas universi" angesehen werden. „. . . singulae creaturae sunt propter perfectionem totius universi. Ulterius autem, totum universum, cum singulis suis partibus, ordinatur in Deum sicut in finem, inquantum in eis per quandam imitationem divina bonitas repraesentatur ad gloriam Dei . . ," 54 . — 7. In der aristotelischen Kosmologie verbietet es die Ökonomie der sublunaren Natur laut Blumenberg „insbesondere, ästhetische Charaktere in das Verhältnis von Mensch und Natur einzubeziehen"55. Für Aristoteles dagegen bietet die δημιουργήσασα φύσις in allen Dingen — auch den niedrigsten und verachtetsten — etwas Schönes, weil Zweckmäßiges dar, das der „theoria" unaussprechliche Vergnügungen (άμηχάυους ήδουάς) bereitet 66 . — 8. Für Augustin ist die Welt nach Blumenberg nicht mehr 48 Cf. Thomas, op. cit., 1. 3, c. 75. Quod Providentia Dei sit singularium contingentiura. — C. 76. Quod Providentia Dei sit omnium singularium immediate. 49 L. c., p. 73a (etwas abgeschwächt: D. hop. W., p. 74). 50 Cf. Theologia Christiana V, 50, ed. Buytaert, CC, Cont. med. 12, Turnholt 1969, p. 369. 51 S. th. II—II, 132, 1 ad 1. 52 L. c„ p. 73b ( = D. kop. W., p. 75f.). 53 II Sent., d. 1, p. 2, a. 2, q. 1, co. et ad 3, ed. cit., t. 2 (1885), p. 44b, 45a. 54 5. th. I, 65, 2 co. 55 Vgl. D. hop. W., p. 62. 56 Cf. De part. an. 1, 5, 645a 9. — In diesen Kontext gehört auch das ,,είναι γ α ρ KCtl έντσΟθσ θεούς" (645 a 21) der Anekdote von dem sich an einem Ofen wärmenden Heraklit.

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Gegenstand menschlichen Schönheitsverlangens. „Die intelligibilis pulchritudo, die Einheit von Sein. Wahrheit und Schönheit, welche dem contemplator caeli Erfüllung bedeutete und wesentlich die utilitas der Welt ausmachte, ist in die Transzendenz absorbiert" 67 . Augustin übernimmt jedoch gerade aus dem Neuplatonismus den Gedanken eines Abglanzes der intelligibilen Schönheit in der Schönheit der vergänglichsten und niedrigsten Dinge: „De Providentia . . . Plotinus Platonicus disputât eamque a summo Deo, cuius est intellegibilis adque ineffabilis pulchritudo, usque ad haec terrena et ima pertingere flosculorum adque foliorum pulchritudine conprobat . . ,"58. Blumenberg ist in seinem Versuch, die ältere Geistesgeschichte als Verfallslogik der Kosmosidee zu konstruieren, der methodischen Fehleinschätzung zum Opfer gefallen, Aristoteles und Augustin hätten für das Mittelalter Entscheidungen getroffen, die von der späteren Entwicklung nicht mehr modifiziert worden seien, und die Patristik sei generell als ein rezeptionsgeschichtliches Purgatorium — oder richtiger 'Verunreinigungsbad' — anzusehen, durch das die Grundannahmen des antiken Denkens um ihr Bestes gebracht worden seien. Diese Einschätzung ist ihm offensichtlich schon früh als so zwingend erschienen, daß er nie mehr ernstlich geprüft hat, ob das mittelalterliche Denken denn auch wirklich stets und überall die Positionen bezogen hat, die seine transzendentalhistorische Konstruktion für es vorsieht. Wir müssen dies für die wesentlichen Voraussetzungen der augmentatorischen Weltformel verneinen, die von der Scholastik nie hätte aufgenommen werden können, wenn Blumenberg recht hätte. Eine dieser Voraussetzungen ist das Ausgehen von der „unitas mundi". Diese wird nach Auffassung der Hochscholastik durch den „ordo universi" garantiert, der — selbst Ziel und Zweck der Weltschöpfung („finis productionis ipsius")59 — alle weltimmanenten Einzelzwecke zu unverbrüchlicher Einheit zusammenfaßt. Weit entfernt, durch die vorgeblich absolute Spaltung der Welt in eine sub- und supralunare Region gefährdet zu werden, gelangt er gerade erst durch die damit markierte „amplitudo ambitûs" 60 in seine eigene Suffizienz61. Eine zweite Voraussetzung der Theokalie ist die Annahme einer kosmogonischen Funktion des Guten und Schönen, die seiner ontologischen 57 Kosmos und System, p. 68 a. (Diese Feststellung hat Blumenberg, soweit ich sehe, später nicht wieder aufgegriffen.) 59 De civitate Dei X, 14, CSEL 40/1, p. 470. 59 Cf. Thomas, Summa contra gent., 1. 2, c. 39, ed. cit., vol. 2, n. 1157. 60 Cf. Bonaventura, II Sent., d. 1, p. 2, a. 1, q. 2 co., ed. cit., t. 2, p. 42a. 61 Diese Auffassung ist einer der Gegengründe gegen Blumenbergs Annahme, Kopernikus habe das homogene Universum als nova ratio mundi gegen die ältere Kosmologie durchgesetzt. Ein anderer Einwand wäre die oben berührte finale Einheit der Weltprozesse, ein dritter die Vereinheitlichung der Weltmaterie bei Ockham.

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Transzendentalität erst ihr volles Gewicht gibt. In der ps.-dionysianischen Tradition ist das Gute durch Selbstmitteilung d e f i n i e r t : . . bonitas consistit in diffusione et communicatione sui in alterum .. ," e2 . In axiomatischer Kürze: ,,bonum est diffusivum sui". Ps.-Dionysius hat durch eine kühne Transformation der Etymologie des Schönen als des die Dinge benennenden Denkens (καλόν = καλοϋυ) aus dem platonischen Kratylos63 auch den Begriff des Schönen dieser Wesenseigentümlichkeit des Guten angenähert. Nun ist es das überwesentliche Schöne, das κάλλος genannt wird als in seiner pulchrifizierenden Selbstmitteilung alle Dinge zu sich rufend 64 . Ulrich von Straßburg hat diese Figur auf das „bonum" ausgedehnt und auch auf die Schöpfung selbst bezogen: . . kalos id est bonum et kallos id est pulchrum dicuntur a kalo id est voco vel clamo, non solum quia omnia vocavit Deus de nihilo ad esse quando dixit et facta sunt, sed etiam sub ratione pulchri et boni ipse est finis advocans ad se omne desiderium . . ," es . Diese Etymologie ist zweifellos auch der Hintergrund einer bekannten Passage des Dialogus de genesi des Nikolaus von Kues, in der die Welt — es heißt bezeichnenderweise „cosmos seu pulchritudo, quae et mundus dicit u r " — als die vielstimmig-einstimmige Antwort („consonans clamor") der Anähnlichung der Kreaturen an die das Nichtseiende zu sich rufende und verselbigende Tätigkeit des Schöpfers gedeutet wird 66 . Eine dritte Voraussetzung ist das Festhalten an der grundsätzlichen Einbeziehbarkeit des Übels in die Disposition der allumfassenden Vorsehung gegen die vielfältigen Versuche von Averroes, Algazel, Maimonides und anderen, die sublunaren Einzelgegebenheiten von letzterer auszunehmen. Dies sei „contra Sanctos", reklamiert Aegidius Romanus in den Errores philosophorum, „quia nihil hie agitur quod penitus effugiat dictum ordinem, quia omne quod hic aspicimus vel divina Providentia efficit vel permittit" 67 . Auf diesen Voraussetzungen ruht der „ordo"-Kalkul als das Grundgerüst der scholastischen Kosmologie. Er ist in den verschiedenen Dimensionen seiner möglichen Anwendung nach Augustin niemals umsichtiger und gründlicher durchdacht worden als in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Wir greifen ihn daher im Kernbereich seiner geschichtlichen Geltung auf und entwickeln ihn zunächst im Ausgang von Thomas von Aquino. Seine Keimzelle ist die Überlegung, 62

Bonaventura, 1. c., sed c. 3, ed. cit., t. 2, p. 41 b. Cf. Crai. 416d 4—10. 64 De div. nom., c. 4, § 7, ed. cit., η. 135: ,,Τό δέ ύπερούσιον καλόν, κάλλο; μέν λέγεται . . . ¿os π ά ν τ α προς έαυτό καλούν . . ." 65 Vgl. Μ. Grabmann, op. cit., p. 81, 14ff. 86 Vgl. Nikolaus von Kues, Opera omnia, vol. 4 (Opuscula I), Hamburg 1959, p. 109. 67 Errores philosophorum, ed. J . Koch, Milwaukee 1944, p. 22, 7ff. (Ich unterstelle die nicht völlig gesicherte Autorschaft des Aegidius Romanus.) 63

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daß die Güte und Weisheit Gottes durch eine Vielzahl endlicher Dinge angemessener repräsentiert wird als durch ein einziges, und wiederum durch eine gegliederte Mannigfaltigkeit von Ungleichem angemessener als durch die Einförmigkeit von Gleichem. Die für den „ordo universi" konstitutive „distinctio rerum" ist daher kein Zufallsprodukt, sondern ein notwendiges Erfordernis der möglichst weitgehenden Anähnlichung der Kreatur an Gott. „Quanto aliquid in pluribus est Deo simile, tanto perfectius ad eius similitudinem accedit" 68 . Da eine unendliche Ursache ihre endlichen Wirkungen unendlich übertrifft, kann das, was in ihr vereinigt enthalten ist, in den Wirkungen, sollen sie ihr insgesamt so weit wie möglich ähneln, ohne ihr doch je gleichen zu können, nur „composite et multipliciter" zur Erscheinung kommen. ,,. . . perfecta bonitas, quae in Deo est unite et simpliciter, in creaturis esse non potest nisi secundum modum diversum et per plura" 69 . Wenn Gott die „similitudo suae bonitatis" den Dingen so sehr wie möglich hat einprägen wollen, sie aber durch eine einzige Kreatur oder einen einzigen „gradus bonitatis in rebus" nicht hinlänglich repräsentiert werden kann, so entstammt die Vielgestaltigkeit und Verschiedenheit der Dinge der „intentio primi agentis" 70 . „. . . oportuit esse diversitatem in rebus, ut quod perfecte ab uno aliquo repraesentari non potest, per diversa diversimode perfectiori modo repraesentaretur . . ," 71 . Vollständige Gleichheit ist Indiz eines Vollkommenheitsdefizits. „. . . si aequalitas omnímoda esset in rebus, non esset nisi unum bonum creatum: quod manifeste perfectioni derogat creaturae" 72 . Die Welt könnte dann nicht mehr die in ihrer Art beste genannt werden. „Factor . . . omnium, Deus, non faceret totum universum in suo genere optimum, si faceret omnes partes aequales: quia multi gradus bonitatis in universo deessent, et sic esset imperfectum" 73 . Hierin liegt bereits, daß Ungleichheit auch die Grundvoraussetzung für Vollständigkeit ist. „Si essent aequalia, non essent omnia", heißt es immer wieder mit Augustin 74 . ,,. . . perfectio universi requirit inaequalitatem esse in rebus, ut omnes bonitatis gradus impleantur" 75 . Die Gesamtheit der „gradus possibiles bonitatis" 76 macht das „bonum ordinis" aus, das Thomas nicht müde wird, als das Beste und Vollkommenste in allem Geschaffenen und den eigentlichen Schöpfungszweck zu 68 69 70 71 72 73 74 75 76

Thomas, Summa contra geni., 1. 2, c. 45, ed. cit., η. 1222. Ib., 1. 3, c. 97, n. 2724. Cf. ib., n. 2724; S. th. I, 47, 1 co. S. c. g. III, 97, η. 2724. S. c. g. III, 71, n. 2469. S. c. G. II, 44, n. 1218. Liber 83 quaestionum, q. 41, P L 40, 27. Thomas, S. th. I, 48, 2 co. Cf. S. c. g. III, 71. n. 2469.

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preisen. Auf dieses „bonum universitatis" bezieht sich nach einer auf Augustin zurückreichenden Auslegungstradition das „Vidit Deus cuncta quae fecerat, et erant valde bona" aus Genesis I, 31. Bei Thomas heißt es dazu: . . singula quidem sunt in suis naturis bona: simul autem omnia valde bona, propter ordinem universi, quae est ultima et nobilissima perfectio in rebus" 77 . Durch ihn wird das Universum in seiner Totalität und Integrität konstituiert. Er ist gleichsam seine „ultima forma" 78 und kann nicht gegen partikuläre Vervollkommnungen ausgespielt werden. „. . . cum bonum totius sit melius quam bonum partium singularium, non est optimi factoris diminuere bonum totius ut aliquarum partium augeat bonitatem . . ," 79 . Seine Funktion ist vielmehr die Ermöglichung einer — „suppositis istis rebus" 80 — nicht steigerungsfähigen substantiellen Gesamtvollkommenheit. Um ihretwillen ist in Kauf zu nehmen, daß einem bestimmten Teil des Ganzen nicht derjenige Grad von Vollkommenheit verliehen werden kann, der ihm — isoliert und außerhalb des Ganzen betrachtet — zukommen könnte. „Ad providum . . . gubernatorem pertinet negligere aliquem defectum bonitatis in parte, ut fiat augmentum bonitatis in toto . . ." 81 — eine Überlegung, die noch in der Auseinandersetzung von Leibniz mit Bayle einen der hauptsächlichsten Differenzpunkte ausmacht 82 . Zur Erläuterung setzt Thomas neben dem Beispiel des Hauses, dessen Fundament im Interesse der Festigkeit des Ganzen unter die Erde verlegt wird83, den schon von Plotin gebrauchten 84 Vergleich des Fußes mit dem Auge ein. ,,. . . quaelibet . . . pars inferioris gradus, in se considerata, melior esset si esset in gradu superioris partis. . . . dignior enim pars esset pes si oculi pulchritudinem et virtutem haberet; corpus autem totum esset imperfectum, si ei officium pedis deesset"85. Schon hier dürften zwei Eigentümlichkeiten des „ordo"-Kalkuls deutlich geworden sein. Wenn nämlich das „bonum ordinis" nicht mit der möglichen „bonitas partium universi" zusammenfällt, lassen sich — anders als in Leibniz' bester aller möglichen Welten, die total aus einem Guß und in sich nicht verbesserungsfähig ist — Teilver77

S. c. G. II, 45, n. 1228. II, 42, n. 1185. 79 II, 44, n. 1218. 80 Cf. S. th. I, 25, 6 ad 3. 81 S. c. g. III, 71, n. 2473. 82 P. Bayle übernimmt diese Thomas-Stelle in seiner Réponse aux questions d'un provincial, ch. 155 (ed. cit., t. 3, p. 2, p. 827b) aus den Meditazioni filosofiche des Bernardo Trevisano. Leibniz greift den Punkt in den Essais de Théodicée § 214 (ed. Gerhardt, Bd. 6, p. 246) auf. 83 Cf. S. c. g. III, 71, η. 2473, II, 44, η. 1218. 84 Cf. Enn. III, 2, 11, 5sq. (edd. P. Henry/H.-R. Schwyzer). 85 S. c. g. III, 94, η. 2695. 78

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besserungen denken. Es gilt jedoch immer: „quamvis aliquid non sit optimum in se, tarnen optime ordinatur". Das, was „absque distinctione" an einem Ding das Beste ist, ist seine Einordnung in den ,,ordo substantialis" der Welt, der deren bleibende Schönheit ausmacht 86 . Der kosmologische Optimismus der Hochscholastik ist insofern seiner „ratio obiectiva" nach87 ein an dem Substantiellen der Welt orientierter ,,ordo"-Optimismus. Dies galt als unstrittig „supposita natura eadem talium partium". Thomas hat darüber hinaus die Frage bejaht, ob der „ordo qui sequitur bonitatem essentialem", in einer anderen Welt besser sein könnte88. Entsprechend der wechselnden Nähe zur neuplatonischen Tradition ist das in der Logik des „bonum diffusi vum sui" liegende Problem einer größtmöglichen Vollkommenheitsmitteilung in unterschiedlicher Akzentuierung behandelt worden. Thomas meint, wenn den Kreaturen auch prinzipiell alles mitteilbare Gute mitgeteilt worden sei, so doch nicht in jeder Weise möglicher Teilhabe89. Ulrich von Straßburg dagegen hat die Integrität des „ordo"

86 Bonaventura, I Sent., d. 44, a. 1, q. 3, ad 4 et co., ed. cit., t. 1, p. 787a, 786b. — Ähnlich Petrus de Tarentasia, In IV Libros Sententiarum Commentarla, I Sent., d. 44, q. un., a. 2 co., Toulouse 1652/Ridgewood, N. J . 1964, t. 1, p. 364a: „Ordo earum partium manentium sine mutatione meliorari non potest, quia ab optimo artifice secundum propriam uniuscuiusque capacitatem optime ordinatae sunt." — Ricardus de Mediavilla, Super quator libros sententiarum Petri Lombardi Quaestiones subtilissimae, I Sent., d. 44, a. 1, q. 1 co., Brescia 1591/Frankfurt/M. 1963, t. 1, p. 390a: ,,Nec etiam secundo modo (sc. potuit universum melius fieri) supposita eadem bonitate creaturarum, quam habent secundum se: quia ita bene ordinatae sunt inter se, quod nullo modo possunt melius ordinari, nisi secundum se mutentur in maiorem bonitatem." — Thomas von Aquino hatte in die Frage dadurch eine Unklarheit gebracht, daß er den „ordo partium" zumindest intensive hinsichtlich der „bonitas accidentalis" für verbesserungsfähig erklärt hat. (Cf. I Sent., d. 44, q. 1, a. 2 co., Opera omnia, edd. Fretté-Maré, vol. 7, Paris 1873, p. 527b.) Aegidius Romanus wendet gegen eine derartige Auffassung ein: „Sed non est bene dictum: quia sic considerare ordinem magis est considerare ipsum quantum ad partes ordinatas ad quas se extendit quam in se. oportet autem nos dicere quod secundum ordinem in se aliquo modo universum sit valde bonum. . . . Ergo intensive quantum ad ordinem non potest meliorari universum considerando proportionem quae in ordine consistit: potest tamen meliorari quantum ad bonum quod ex proportione résultat : verum quia ordo magis essentialiter se tenet ex parte proportionis quam ex parte boni quod ex proportione résultat / cum ipsa proportio sit quidam ordo et non bonum quod ex proportione esse habet magis negare debemus secundum ordinem intensive universum meliorari posse quam affirmare." (I Sent., d. 44, pr. 1, q. 2, co., Primus Egidii, Venedig 1521/Frankfurt/M. 1968, f. 226 K, M.) 87 So umschreibt Cajetan den Gesichtspunkt des „melius facere" „ex parte facientis" bei Thomas, S. th. I, 25, 6, ad 1. 88 Cf. I Sent., d. 44, q. 1, a. 2, co., ed. cit. p. 527b: „ordo qui sequitur bonitatem essentialem, non posset esse melior, nisi fierent aliae partes et aliud universum." 89 Ib., ad 3, p. 528a: „Quamvis ergo omnes perfectiones forte creaturae communicabiles sint creaturae communicatae, non tamen secundum omnem modum quo possunt a creatura participari."

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gerade in den generischen Vollkommenheiten gesehen und die Welt, da sie letztere sämtlich enthält, in dieser Rücksicht als schlechthin beste angesehen. ,,. . . si sumatur universum . . . secundum quod consistit integratum ex generibus perfectionum . . . , sie . . . est ita simpliciter optimum, quod non posset fieri melius a Deo, quia cum omnia genera perfectionum divinarum communicabilium creaturis communicati sunt et insuper nulla perfectio possit esse ultra genus intellectualis naturae, patet quod nec extensive potest universum melius esse"90. Er kommt hierdurch freilich in gefährliche Nähe zu der von Abaelard im Anschluß an den platonischen Timaios vertretenen und auf Betreiben Bernhards von Clairvaux verurteilten Auffassung, Gott könne nur das, was er irgendwann auch tue (,,id solum posse facere Deum quod aliquando facit"), und habe deswegen die Welt in keiner Hinsicht besser machen können91. Die Offenheit des ,,ordo"-Optimismus für die Verschiedenwertigkeit der Teile ist die Voraussetzung für eine zweite Eigentümlichkeit des ,,ordo"-Kalkuls. Weil durch größtmögliche extensive und qualitative Verschiedenheit definiert, ist er gewissermaßen schon von seinem Begriff her auch für die Integration derjenigen Vollkommenheitsdefekte offen, die als „malum naturae" und „malum poenae" bezeichnet werden. Damit gewinnt er eine wichtige Funktion für das Theodizeeproblem. Die Frage, die sich für dieses von ihm her stellt, ist: „utrum malum sit ordinabile a volúntate Dei" 92 ? Sie wird von der Hochscholastik mit derjenigen Einschränkung, die den gnostisch-manichäischen Dualismus ausschließt, zustimmend beantwortet. Das Übel ist, weil es ohne Eigenwirksamkeit ist, nicht „per se", sondern nur „per accidens" unter dem „ordo" begriffen. „. . . malum ñeque ad perfectionem universi pertinet, ñeque sub ordine universi concluditur, nisi per accidens, idest ratione boni adiuncti" 93 . Es wird nicht als solches gewollt, sondern nur anläßlich eines eigentlich intendierten Guten, das ohne seine Zulassung nicht verwirklichbar ist. Ein uns heute anstößig erscheinendes, aber den physiologischen Anschauungen der Zeit entsprechendes Beispiel für diese Annahme ist die „generatio feminae", die, obwohl Resultat eines Defektes der zeugenden Kraft des Samens und insofern „praeter intentionem naturae (particularis)", doch komplementär zur Erhaltung des Menschengeschlechts notwendig ist und daher okkasionell in die Intention der den Gesamtprozeß steuernden „naturae universalis" fällt 94 . Die Übel sind in diesem Sinne 80 91 92 93 M

Vgl. Text 3 im Anhang. Cf. P. Abaelard, Introductio ad theologiam, 3, 5, P L 178, 1093 D sqq.; al. Cf. Bonaventura, I Sent., d. 46, a. un., q. 5, ed. cit., t. 1, p. 830. Thomas, S. th. I, 48, 1 ad 5. Cf. S. c. g. III, 94, η. 2695.

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nicht „causae", sondern „occasiones perfectionum" 95 . Sie werden in ihrer Komplementärfunktion gleichwohl als so unerläßlich für die Realisierung des Vollkommenheitsmaximums angesehen, daß Thomas sagen kann: „. . . de omnibus malis universaliter verum est quod si non permitterentur esse, universum imperfectius esset. . ," 96 . Oder anders: „Ipsum . . . totum quod est universitas creaturarum, melius et perfectius est, si in eo sint quaedam quae a bono deficere possunt, quae interdum deficiunt . . ,"97. Oder unter Hinzunahme des Gesichtspunktes gesteigerter Schönheit: ,,. . .si malum a quibusdam partibus universi subtraheretur, multum deperirei perfectionis universi, cuius pulchritudo ex ordinata malorum et bonorum adunatione consurg i t . . ."98.

Diese Auffassung wird von der Mehrzahl der Theologen des 13. Jahrhunderts geteilt. Alexander von Haies sagt: „. . . universitatis pulcritudo maior est ex interpositione bene ordinaiorum malorum" 99 . Dasselbe besagt Bonaventuras Devise ,,malum auget decorem in universo" 100 , und auch bei Ulrich von Straßburg lesen wir: „Malum . . . amplificai in universo bonum sibi extrinsecum scilicet ordinem in bonum primae causae . . .". Die „pulchritudo universi" wird hierdurch für ihn freilich nicht vermehrt, weil ihr immer nur das, was ihr auf der einen Seite entzogen wird, auf der anderen Seite intensiv und extensiv wieder zuwächst. Albertus Magnus dagegen hat recht nachnachdrücklich Einspruch erhoben. Er sagt von der These, das Übel trage „ad decorem complementumque mundi" bei: ,,. . . istam Solutionen! aut non intelligo, aut falsa est meo judicio . . .". Verliert jemand etwas, so geht es der „universitas" selbst verloren, denn weder er noch ein anderer gewinnen ebendasselbe zurück. Es wäre auch verwunderlich, wenn das Gute nicht durch sich selbst das durch das Übel okkasionierte Gute rekompensieren könnte. Albertus Magnus schließt daraus in deutlicher Absetzung von allen Komplementaritätserwägungen: ,,. . .si non fuissent nec essent mala, melior esset universitas quam sit modo" 101 . Thomas von Aquino hat eine derartige Annahme ebenfalls gemacht, wenn auch nur für das „malum culpae". 95

Cf. Thomas, I Sent., d. 46, q. 1, a. 3 ad 6, ed. cit., p. 547a. Ib., p. 546b. 97 S. th. I, 48, 2 ad 3. 98 S. c. g. III, 71, n. 2473. — Kühn setzt Thomas der alten Frage ,,Si quidem Deus est unde mala?" aus der Consolatio philosophiae des Boethius (1. 1, pr. 4, n. 30, CC, S. lat. 94, Turnholt 1957, p. 9) die provozierende Antwort entgegen: „Esset autem e contrario arguendum: Si malum est. Deus est. Non enim esset malum sublato ordine boni. . . Hic autem ordo non esset, si Deus non esset." (S. c. g. III, 71, η. 2476.) 99 Summa theologica I, a. 121, ad 2, ed. cit., p. 190a. 100 Vgl. Anm. 4. 101 Dionysius Cartusianus, In librum I Sententiarum, dist. 46, q. 3, Opera omnia, t. 20, Tournai 1902, p. 633b/634a. 96

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Hätte kein Mensch gesündigt, wäre das Universum vollkommener102. Dionysius der Karthäuser hat die kategorischen „dieta Alberti" mit der Beschränkung, die Thomas macht, dadurch zu konkordieren versucht, daß er annimmt, jener habe ebenfalls nur vom „malum culpae" gesprochen103. Dies liegt jedoch nicht am Tage. Aber auch die Verfechter der augmentatorischen Weltformel gehen miteinander nicht gänzlich konform. In der Verwendung des Schönheits-Vokabulars und der Berufung auf die den freien Künsten entlehnten Beispiele Augustine für die Steigerung der Schönheit durch Kontraste ist Thomas im ganzen zurückhaltender als Alexander von Haies, Bonaventura oder Ulrich von Straßburg. Die „pictura cum colore nigro loco suo posito", das „pulcherrimum carmen", das erst durch gewisse antitheta seine höchste Zierde erhält104, das aristotelische Juxtapositionstheorem, aber auch das seit Wilhelm von Auxerre immer wieder verwendete Bild von der Narbe, die in „loco debito" das Gesicht des Kriegers verschönt105, wird man in diesen Zusammenhängen bei ihm vergeblich suchen. Kein Zufall ist andererseits wohl die mehrfache Verwendung der Augustin-Stelle von der „universitatis admirabilis pulchritudo, in qua etiam illud quod malum dicitur, bene ordinatum, et loco suo positum, eminentius commendai bona" 106 , entsprach sie doch seiner Vorstellung von einem Universum, „in quo quaelibet res suum locum ordinarissime tenet" 107 , noch am ehesten. Aber bereits Hugo v. St. Viktor hat sie sich durchaus im Sinne der augmentatorischen Weltformel zueigen gemacht, wenn er Gottes Absicht bei der Zulassung des Übels so auslegt: „ . . . et consideravit, quod his malis adjunctis bona commendarentur . . . et amplius bonum acciperent ad decorem et pulchritudinem universorum" 108 . Wichtiger sind Divergenzen in der Auslegung des „malum culpae". Für Ulrich von Straßburg vermindert es die Vollkommenheit der Welt zumindest nicht. „Malum . . . sive sit naturae sive culpae sive poenae hoc bonum universi non diminuit". Für Bonaventura trägt auch das 102 I Sent., d. 46, q. 1, a. 3 ad 6, ed. cit., p. 547a: „Quaedam . . . mala sunt quae, si non essent, universum perfectius esset; illa scilicet quibus majores perfectiones privantur quam in alio acquirantur, sicut praecipue est in malis culpae, quae ab uno privant gratiam et gloriam, et alteri conferunt bonum comparationis, vel aliquam rationem perfectionis, qua etiam non habita, posset perfectio ultima haberi; . . . Unde si nullus homo peccasset, universum genus humanum melius foret; . . .." 103 L. c., p. 636a. 104 Cf. De civ. Dei XI, 23 (ed. cit., p. 545,1. 15), 18 (p. 537,1. 14 sq.) 105 Cf. Alexander de Hales, Summa theologica I, a. 121, ad 3, ed. cit., p. 190a/b; Bonaventura, I Sent., d. 46. a. un., q. 6, co., ed. cit., t. 1, p. 833b. — An peripheren Stellen rekurriert Thomas gelegentlich auch auf das Juxtapositionstheorem. Vgl. o. Anm. 5. κ» Cf. S. th. I, 19, 9, arg. 2; 48, 1, arg. 5. 1( " 5. th. I, 49, 3 co. 108 De sacramentis, 1. 1, p. 4, c. 6, P L 176, 236 B/C.

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„malum culpae" zur Erhöhung des „decor universitatis" bei. Auch ohne die durch den Sündenfall okkasionierte Heilsgeschichte („illa quae gesta sunt in nostra reparatione") wäre das Universum vollständig. Mit den Narben, die sie seinem Antlitz eingegraben hat, ist es jedoch schöner. „. . . si ultra procedas: quis decor magis excedit? potest dici, sine praeiudicio, quod decor qui nunc est". Das „bonum", das Gott im heilsgeschichtlichen Prozeß aus dem „peccatum originis" hat hervorgehen lassen, übertrifft das Gute, das durch es verderbt worden war. Deswegen ist die Welt jetzt mehr wert als zu Anbeginn („plus valet universum nunc, quam valuisset tunc") 109 . Thomas dagegen schließt das „malum culpae" deswegen von dem Anwendungsbereich der augmentatorischen Weltformel aus, weil durch es mehr zerstört als gewonnen wird und sich die „perfectio ultima" eines jeglichen auch ohne sein Dazwischentreten erreichen läßt. In heilsgeschichtlicher Perspektive könnte so kaum noch von einer „felix culpa Adae" gesprochen werden. Zugleich gerät der heilsgeschichtliche Begründungszusammenhang in Widerstreit mit dem kosmologischen. Das Universum wäre ohne „malum culpae" besser, jedoch ohne den „ordo iustitiae", der das „malum culpae" zu seiner Voraussetzung hat, schlechter110. Thomas hat allerdings diese in sich unstimmige Argumentation seines Sentenzenkommentars, die vielleicht unter dem Einfluß von Albertus Magnus steht, später in dieser Form nicht wiederaufgegriffen. Sie kann daher nicht ohne weiteres als seine definitive Doktrin gelten. Die methodischen Vorzüge des ,,ordo"-Kalkuls liegen auf der Hand. Er ist gegenüber vielen einseitigen Bewertungsschemata, wie etwa einer naiven Anthropozentrik, der folgend jeder, was ihm widerfährt, nur „ex suo commodo vel incommodo" beurteilt, die reflektiertere Position. Für den Bereich der Naturvorgänge leistet er durch seine Rechtfertigung alles überhaupt Daseienden so etwas wie eine 'Hermeneutik der Faktizität' 111 . Da die oberste Einteilung des Wirklichen die in Notwendiges und Kontingentes ist, aber die Realisierung von Unterschieden die Vollkommenheit des Ganzen steigert, trägt der Bereich des Kontingenten durch seine Existenz zur „perfectio universi" bei112. Thomas setzt sich unter diesem Gesichtspunkt mit Avicennas 109

I Sent., d. 46, a. un., q. 6 co., ed. cit., t. 1, p. 833b. Vgl. Anm. 102. Wir verstehen hierbei „Faktizität" natürlich nicht als Existenzial und „Hermeneutik" nicht als Analytik der Existenzialität der Existenz. 112 Thomas, S.c.g. I, 85, n. 713: „Deus principalius vult bonum universitatis suorum effectuum quam aliquod bonum particulare : quanto in ilio completior invenitur suae bonitatis similitudo. Completio autem universi exigit ut sint aliqua contingentia : alias non omnes gradus entium in universo continerentur. Vult igitur Deus aliqua esse contingentia." — Cf. S. th. I, 19, 8 co. ; 22, 4 co. ; al. 110 111



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Satz „supra orbem lunae non est malum" auseinander, obwohl die supralunare Natur ranghöher ist als die sublunare, gilt für ihn doch: „melius est quod utraque sit simul, quam quod altera tantum". Wenn Gott der sublunaren Natur die Eigenschaften der supralunaren mitgeteilt hätte, wäre sie nicht mehr sie selbst, und so wären nicht beide Naturen und das Universum wäre insgesamt unvollkommener113. Nachdrücklicher kann die Existenz des Vergänglichen kaum gerechtfertigt werden. Zugleich zeigt sich auch hier wieder, daß Blumenbergs These vom gespaltenen Kosmos auf die Hochscholastik nicht anwendbar ist. Fragwürdig wird der Ausgang von der Faktizität, wo diese in nichts anderem als in einer veränderungsfähigen und möglicherweise veränderungsbedürftigen positiven Rechtsordnung bestellt. Augustin, der hierfür wohl die härtesten Beispiele beigesteuert hat, meint, niemand werde die Sonne dafür tadeln, wenn die Richter gewisse Übeltäter zur Strafe in die Sonne zu legen befehlen — in Nordafrika sicher eine nicht unwirksame Strafmethode. Die Sonne wird man darob nicht tadeln wollen, aber vielleicht doch die Richter. Und wenn er fragt: „Quid enim est igne fiammante vigente lucente pulchrius?", wird man ihm ebenso zustimmen, wie wenn er dann hinzufügt: „quamvis eo nihil sit urente molestius". Aber muß man deswegen Hexen und Ketzer verbrennen ? Augustin ist in diesem Zusammenhang bereits bis zu einer Rechtfertigung der ewigen Höllenstrafen fortgeschritten und hat damit der Subsumierung des Höllenfeuers unter den „decor universi" den Weg gebahnt 114 . Hier wird kein Wohlmeinender ein energisches 'cautius !' unterdrücken können. Ein detaillierter Vergleich des ,,ordo"-Kalkuls mit den Grundannahmen des Plotinischen Denkens ist im Rahmen dieses Vortrages nicht möglich. Soviel sei gesagt: obwohl Plotin von gänzlich anderen theologisch-metaphysischen Voraussetzungen ausgeht als das christliche Denken — ich nenne nur: Emanation versus „permissio mali", punktuelle Zuordnung idealer 'dortiger' und hiesiger Gegebenheiten statt assimilativer Beziehung der kreatürlichen Vielfalt auf die Einfachheit Gottes, Prinzipiencharakter des Bösen usf. —, so ist doch die strukturelle Verwandtschaft der kosmologischen Ordnungsprinzipien 113

Cf. I Sent., d. 39, q. 2, a. 2 co., ed. cit., p. 483b. Cf. De civ. Dei XII, 4, ed. cit., p. 572: „Sic est et natura ignis aeterni sine ulla dubitatione laudabilis, quamvis damnatis impiis futura poenalis." — Deutlicher wird die „pulchritudo inferni" bei Wilhelm von Auvergne ausgesprochen. Cf. Guilielmus Parisiensis, De universo I—II, c. 20, Opera omnia, Paris 1674/Frankfurt/M. 1963, p. 718ab: ,,. . . omnia, quae in universo sunt, decenter collocata, et utiliter ordinata a creatore sunt. Sustinet igitur bonitas creatoris, et permittit mala esse, et fieri, non tam utiliter, quam etiam decenter, et pulchre, et hoc in tractatu de cura ejusdem circa universum. Ubi etiam apparebit tibi quid utilitatis, et etiam pulchritudinis infernus habeat, totaque damnatio, et supplicia reproborum." 114

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auffällig groß. Dies mag sich zu einem guten Teil aus der Logik der Sache erklären, aber sicherlich ebenso sehr aus der wirkungsgeschichtlichen Mittlerrolle Augustins, der, wenn irgendwo, dann in den Fragen der Ordinabilität des Übels der „plotinizans" ist, zu dem ihn Loesche115 vor Zeiten erklärt hat. Wir halten als kosmologische Postulate Plotins fest : es durfte nicht alles gleich sein (où yàp πάντα ίσα εδει) ; es ist vielmehr auszugehen von einer funktionellen Mannigfaltigkeit von Teilen, die man stets in Beziehung auf das Ganze betrachten muß (τά τε yàp μέρη προς αύτό τό δλον δε! σκοπεϊν) ; jeder ist an seiner Stelle im Ganzen schön, weil er auf seine Weise zur Vollendung und Schönheit des Ganzen beiträgt (. . . εν τω ôAco τό -πρέπον και τό καλόν, εΐ έκαστος ou δει τετάξεται)116; in den Ordnungszusammenhang schöner Mannigfaltigkeit gehört auch das Übel; ohne es wäre das Universum unvollständig (εί μή ταύτα ήν, ατελές αν ήν τό παν) 117 , vergleichbar einem Drama, das seine Schönheit verliert, wenn man in ihm nicht verschiedenwertige Charaktere, sondern lauter Helden auftreten läßt 118 . Sich auch des Übels schön, und d. h. zur Ordnung und Vollendung des Ganzen (είς σύνταξιν καί συμπλήρωσιν τοϋ όλου) bedienen zu können, ist die eigentliche Leistung der πρόνοια119. Suchen wir bei Augustin nach Parallelen zu dieser Auffassung, bemerken wir bald, daß hier der Gegenstand der ordnenden und integrierenden Wirksamkeit der göttlichen Providenz einen unübersehbaren Temporalitätsindex trägt. Das Geschäft der Providenz ist die „distributio temporum", ein „ordinäre temporum cursum", und Gott der „ordinator temporum". Auch das „pulcherrimum carmen", das Weltgedicht, dessen Schönheit gerade in seinem antithetischen Aufbau liegt, wird ausdrücklich als Bild für den ,,ordo saeculorum" eingeführt, wie denn auch die Schönheit der Welt für Augustin eine „pulchritudo temporum" ist120. Ähnlich ist bei Boethius die Weltordnung ,,ordo temporalis" und der Weltzusammenhang „series mobilis"121. Es wäre voreilig, hinter derartigen Akzentuierungen sogleich ein emphatisches Geschichtsverständnis zu vermuten. Wohl ist die „dispositio temporum", auf den Menschen bezogen, für Augustin zugleich die „distributio aetatum generis humani" 122 . Der Grund der Temporalisierung des „ordo" ist jedoch höher zu suchen: Temporalität ist die 115

G. Loesche, De Angustino Plotinizante in doctrina de Deo disserenda, Jena 1880. Cf. Enn. III, 3, 3, 18; 2, 3, 10 sq.; 2, 17, 64 sq. (edd. P. Henry/H.-R. Schwyzer). 117 Enn. II 3, 18, 2 sq. 118 Cf. Enn. III 2, 11, 13 sqq. 119 Cf. Enn. III 2, 5, 8 sq., 22 sqq. 120 Cf. De civ. Dei X, 15, p. 472, 6; 471, 17; XI, 6, p. 519, 12; XI, 18, p. 537, 14; XII, 4, p. 571, 10. 121 Cf. Cons. phil., 1. 4, pr. 6 n. 13, 17, ed. cit., p. 80. 122 Cf. De civ. Dei X, 32, p. 507, 27. 116

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Signatur alles Geschaffenen im Gegensatz zur Ewigkeit und Unveränderlichkeit seines Urhebers. Wenn daher geordnet werden soll, muß zuvörderst der Fluß der Veränderung selbst gebändigt werden. In diesem Sinne spricht Boethius von den Weltdingen als von „res... alioquin temere fluiturae" 122a . Für das scholastische ,,ordo"-Denken dagegen ist die Zeitachse nicht mehr die vorrangige Projektionsbahn göttlicher Weltdisposition. Zwar liegt in der „ordinario mali" immer auch ein Moment von Sukzession. Aber sie führt nur zu den Kurzsequenzen der Zuordnung eines bestimmten „malum antecedens" oder „subsequens" zu einem bestimmten „bonum", die nicht mehr in eine temporale Gesamtdisposition eingebettet werden. Wie ist es zu dieser eigentümlichen Enttemporalisierung der „ordo"-Idee gekommen ? Eine kryptomaterialistische Deutung des Vorganges, die Augustin und Boethius aus dem Bewußtsein sichtbar fortschreitenden politischen Niederganges, die Hochscholastik hingegen aus dem Bewußtsein einer zunehmenden Stabilisierung kirchlicher Ordnung denken ließe, griffe sicher zu kurz. Die Gewichtsverlagerung hat andere Dimensionen. Sie fällt in die Grundeinteilung des Übels selbst. Es ist immer wieder als unbefriedigend empfunden worden, daß Augustin auch alle „mala naturalis defectus" als „poena peccati" versteht und insofern den „ordo naturae" vom „malum culpae" infiziert werden läßt. Die Hochscholastik hat diese Einbeziehung der Naturvorgänge in die Folgelasten des Sündenfalls für ihre ,,ordo"-Systematik stillschweigend zurückgenommen. Die Natur ist nun wieder ein Ordnungsraum sui generis neben dem „ordo iustitiae". J a noch mehr: der Temporalitätsrezeß erfaßt auch den „ordo iustitiae". Als eher statisch begriffener Bezugsrahmen für die Gesamtheit der Vergeltungs- und Erstattungsregelungen wird er nicht mehr von Fall zu Fall auf seine heilgeschichtliche Ausgangsbedingung zurückbezogen. Die Zuordnungs- und Abhängigkeitsbeziehungen haben ihre Richtung gewechselt. Das „malum naturae", einst selbst im Sog der „poena inoboedientiae", ist jetzt im „ordo universi", der das „malum culpae" außer sich hat, mit dem „malum poenae" zusammengeschlossen. Da aber die menschliche Freiheit als Quellgrund der „malae voluntates" kosmologisch nicht integrierbar ist, bleibt das „bonum ordinis" davon abhängig, daß auch auf der Willensseite Gutes und Schlechtes gemischt ist. Ein Universellwerden des guten Willens würde dem „ordo iustitiae" den Nährboden entziehen. Wenn der „ordo universitatis" das Beste ist, ist es besser, wenn nicht jeder Wille gut ist. Was hatte dann aber der „status naturae integrae" an substantieller Vollkommenheit dem „decor qui nunc est" voraus, und was wird die „aeterna beatitudo" der „electi" ihm voraus haben ? Die augmentatorische Weltformel versteht sich selbst 122» Cf. 2. c., n. 20, p. 81.

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als die reichste und umfassendste Bestimmung. Als Instrument einer radikalen Rechtfertigung der substantiellen Vielfalt der existierenden Weltwirklichkeit drängt sie — recht bedacht — die Ausrichtung unseres Strebens auf kontrastärmere Zustände und damit die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies und die eschatologische Hoffnung in den Bereich akzidenteller Veränderungen ab 123 . Sie ist die — in ihren Konsequenzen offenbar nie deutlich gesehene große kosmologische Herausforderung an die Heilsgeschichte gewesen, mit welcher sie sich nur durch eine Retemporalisierung versöhnen läßt. E s gehört zu den eigentümlichsten Zügen der Hochscholastik, das sie mit Hilfe ihrer die Welt aus der Mitte ihrer Geschichte zu deuten versucht hat, ohne in diesem Zusammenhang mehr als nur einen Seitenblick auf die integritas des Anfangs zu werfen und ohne die „consummatio saeculi" in den Kernüberlegungen zum „bonum ordinis" zu berücksichtigen 124 . 123 Nach der sententia communis bedeutet die „innovatio m u n d i " im jüngsten Gericht n u r eine die Weltteile nicht substantiell verändernde „melioratio accidentalis." Richard von Middleton h a t sich im T r a k t a t De novissimis m i t der Frage auseinandergesetzt: „ U t r u m m u n d o innovato, et facta distinctione bonorum, et malorum Deus posset aliquid addere ad bonitatem universi" (IV Sent., d. 48, a. 2, q. 7, ed. cit., t. 4, p. 644a.). Gehen wir von numerisch derselben Welt wie der jetzigen aus, schließt es nach ihm einen Widerspruch ein, d a ß Gott ihr etwas zur Vollkommenheit hinzufügen könnte. 124 Frau Gößmann h a t mich auf eine Stelle im 3. Buch der Summa Halensis hingewiesen (ed. cit., t. 4, Quaracchi 1948, 1. 3, a. 226 ad 1, p. 317b), a n der zwischen dem ,,ordo ut n u n c " und dem „ordo simpliciter, secundum quod comprehendit t o t a m Seriem ordinis praesentium, praeteritorum et f u t u r o r u m " unterschieden wird: ,,. . . res quae praesens est, a d h u c h a b e t ordinem ad rem praeteritam et ad aliam rem f u t u r a m . Si ergo dicatur ordo universi et accipiatur pro ordine u t nunc adhuc non est dicere quod omnia sint valde bona in universo, quoniam possent esse meliora. Sed comprehendendo t o t a m Seriem ordinis praesentium, praeteritorum et f u t u r o r u m , sic omnia sunt valde bona in universo, ita quo non possunt esse meliora." (Vgl. auch E . Gößmann, Metaphysik und Heilsgeschichte München 1964, p. 259f.). Von einer solchen, an Leibniz gemahnenden Einbeziehung der noch ausstehenden Z u k u n f t in das kosmologische Optim u m ist in der im späteren 13. J a h r h u n d e r t herrschend gewordenen Gleichsetzung des „valde b o n a " mit „optime o r d i n a t a " nichts mehr zu spüren. Züge eines seriellen Weltverständnisses haben sich auch bei Wilhelm von Auvergne erhalten, f ü r den das „ r e g n u m creatoris" die „universa series saeculorum" ( = totalitas universi) ist (cf. op. cit. I — I I I , c. 8, p. 770b E / F ; c. 14, p. 777b B/C). Derartige Temporalitätsresiduen scheinen nach der J a h r h u n d e r t m i t t e aus dem , ,ordo"-Denken verschwunden zu sein.

Textanhang Auszüge aus der Summa de bono Ulrichs von Straßburg A = Ms. Berlin, Theolo. lat. 2° 233 Β = Clm 6469 (1) Begriff des ,,ordo" : lib. 4, tract. 1, cap. 6 (A 82ra/B 286 r) Capitulum VI tractatus primi de ordine universi secundum philosophos. — Ordo qui est in fluentibus a primo quantum ad

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formalem suam rationem est perfectio quam supra probavimus causali ex scientia primi. Et hoc dicit Rabi Moyses sic (B 286 v) enim est forma (A 82rb) uniens partes universi ad constitutionem unius mundi tamquam unius totius universaliter perfecti propter quod super1 illud Genes. I o vidit deus cuneta quae fecerat et erant valde bona dicit Augustinus quod singula sunt per se bona sed universitas est optima idest valde bona quia secundum Priscianum superlativus sine genetivo positus pro valde exponitur. . . . 1 A : supra (2) Die Ursache des „ordo" ist die göttliche Weisheit: lib. 4, tract. /, cap. 3 (A 80 va/Β 282 ν) . . . Est etiam ipsa scientia causa ordinis universorum. Cum enim in genere non (A 80 vb) sint nisi duo effectiva principia scilicet natura et intellectus natura non est causa ordinis quia tantum est ad unum et illud ad se non habet ordinem. Intellectus autem plura producit et1 si intellectualiter operatur idest secundum rationem sapientiae cuius est ordinare ut dicit philosophus2 primo metaphysicae necessario producit ea in ordine cuius ordinis causa est sua sapientia. Cum ergo intellectus primus ex hoc quod ipse est3 sua scientia sive sapientia necessario secundum sapientiam causet4 omnia quae causat producit sua causata in ordine et sua scientia est causa illius ordinis. 1 A : ut — 2 Β add. : in — 3 A add. : ipsa — 4 A : -at (3) Das ,,bonum universi": lib. 2, tract. 3, cap. 3 (A 15ra/B 39 r) Capitulum tertium de bono universi1. — Bonum autem universi secundum philosophum in XI° metaphysicae2 consistit in duobus sicut et bonum cuiuslibet exercitus. unum est bonum separatum ab ipso universo quod est bonum primae causae quod est omnis boni bonum ut desideratum ab omnibus sicut ad bonum ducis in victoria hostium totus exercitus ordinatur. Et ideo scriptura deum nominat dominum exercituum. Aliud est bonum participatum a gradibus universi secundum proportionem capacitatis per quod bonum singula ordinantur ad primum optimum, et sic3 materialiter loquendo verum dicit Augustinus quod bonum universi consistit in ordine et quod licet unumquodque sit bonum in se tamen universitas est optima secundum illud Gen.4 vidit deus cuneta quae fecerat et erant valde bona5, quia omnes bonitates dei communicabiles creaturae participantur a creaturis6 et universum insuper addit bonitatem ordinis praedicti. In hoc enim ratio sapientiae apparet in creaturis et insuper una pars universi cum adminiculo alterius perfectius adipiscitur summum bonum quam per se sola inquantum cooperatur una alteri quia per operationem est ilia consecutio finis ultimi. Unde si sumatur universum formaliter secundum quod consistit integratum ex generibus perfectionum secundum quarum majorem vel minorem assimilationem ad summum bonum distinguuntur gradus priores7 et posteriores8 in ordine universi sic universum est ita 9 simpliciter optimum quod non posset10 fieri melius a deo. quia cum omnia genera perfectionum divinarum communicabilium creaturis communi-

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catae sunt et insuper nulla perfectio possit esse ultra genus intellectualis naturae patet quod nec extensive nec intensive potest universum melius fieri11. Si autem sumatur 12 materialiter secundum ipsa 13 participantia istas 14 perfectiones et secundum modos participandi sic posset 15 esse melius tripliciter. Uno modo ut sit comparatio 16 duorum omnino diversorum inter se quorum unum est in potentia creatoris et aliud in rerum natura, sic enim in (B 39 v) potentia dei est facere alium mundum cuius infima species esset superior suprema specie huius mundi cum sit infinita distantia inter deum et supremam creaturam. Sed tamen iste mundus secundum primum modum esset imperfectior hoc mundo quia non haberet omnes naturas perfectionum sicut iste habet mundus 17 . Dico autem in potentia dei quia in potentia naturae non est quod hic mundus suppositis istis principiis sit melior naturali et substantiali bonitate quia cum optimi sit optimum adducere ut dicunt Dionysius Boetius et Plato deus fecit hunc mundum sicut ex his principiis (A 15rb) melius potuit fieri, aliter enim 18 non essent dei perfecta opera. Alius modus est secundum additionem sive extensionem quia in intellectual! natura posset deus facere multos modos participationis illius naturae secundum diversas species quae omnes essent altiores suprema species quae nunc est. Tertius modus est secundum accidentalia et sic mundus a principio fuit melior ad minus quantum ad corporalia et in renovatione erit melior. Ex his patet quod magis est 19 bonum universum cum aliquibus minoribus bonis quam si essent omnia 20 aeque bona, quia sicut 21 dicit Avicenna in metaphysica 22 universum est ex universitate. Sed sicut dicit Augustinus in libro 83 quaestionum si essent aequalia non essent omnia scil. quia non haberent omnis generis perfectiones sicut nunc habent. ergo patet propositum. tamen etiam quaelibet res licet 23 accidentali bonitate possit esse melior tamen manens haec res idest huius naturae secundum speciem non potest esse melior essentiali bonitate quamvis deus potuisset et posset earn facere alterius et mêlions naturae et speciei quia illa bonitas non esset nisi appositio maioris formalis perfectionis. haec autem est differentia specifica et constat quod nec a deo potest fieri quod mutata differentia completiva alicuius naturae maneat eadem specie natura, malum etiam sive sit naturae sive culpae sive24 poenae hoc bonum universi non diminuit quia licet diminuât bonum intrinsecum aliquarum partium universi tamen amplificai in universo bonum sibi extrinsecum scil. ordinem in bonum primae causae quia in malo 25 naturae manifestat universum secundum apparentiam divinam providentiam per quam corruptio unius est generatio alterius. Malum vero culpae demonstrat eius nimiam bonitatem quae dissimulât peccata in poenitentiam. Sed malum poenae ostendit eius iustitiam. tamen insuper 26 haec mala etiam in bono intrinseco ipsi universo quod privant 27 in suis subiectis restituunt 28 in aliis sicut corruptio unius est generatio alterius et culpa tyranni est corona martyrum 2 9 et poena reproborum est correctio iustorum vel gaudium beatorum. Insuper quamvis contrarietas ex dissensu (B 40 r) ipsorum adinvicem videatur consensum ordinis qui est bonum universi disturbare tamen inquantum illa pugna est operatio multiplicativa utriusque naturae contrariorum et etiam naturarum perfectarum 30 quam sint 31 naturae simplicium (. . .32) contrariorum sicut sunt naturae mixtorum et animalium sic conveniunt bono universi unde dicit Augustinus in libro de civitate dei 33 deus

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saeculum quibusdam antithetis34 idest contrapositionibus35 honestat tamquam carmen pulcherrimum. Sunt autem contrapositiones36 de quibus Ecclesiasticus 3337 contra malum bonum et contra vitam mors et sic intuere in omnia38 opera altissimi unum contra unum et duo contra duo. haec etiam ornant sermonem apostolicum II Corinth. 6° per gloriam et ignobilitatem etc. per se autem non pertinet malum ad perfectionem universi quia non est pars perfectionis eius nec causa alicuius perfectionis in alio ut patebit in tractatu de malo. 1 A add. Tractatus tertii. — 2 Met. 12, c. 10, 1075all sqq. — 3 sic om. Β — 4 Gen. 1,31 — 5 A fecerat — bona) f' etc. — 6 a c. om. Β —1A -rum —8 A -rum — 9 ita om. Β — 10 Β potest — 11 A fieri) esse — 12 A assumatur — 13 A ipsa) quae — 14 i. om. Β — 15 A possit — 16 Β compositio — 17 Β h. m.) m. h. — 18 e. om. Β — 19 Β q. m. e.) magis esse — 20 A e. o.) o. e. — 21 A ut - 22 tract. 4, c. 3, ed. Ven. (1508), f. 86rb - 2 3 Β licet) sicut 24 Β add. sit —25 Β malum —26 Β inferi —27 A add. etiam —28 Β resarciuntur — 29 A -ris — 30 A -torum —31 A s.) sicut — 32 lac. ? — 33 XI, 18 — 34 A antithesis — 35 Β compos- — 36 c. add. Β — 37 v. 15 — 38 i. o. om. Β

GUT UND BÖSE IN D E R HOCHMITTELALTERLICHEN HISTORIOGRAPHIE. von

JOACHIM E H L E R S

(Frankfurt)

"Dann fanden alle moralischen Ereignisse in einem Kraftfeld statt, dessen Konstellation sie mit Sinn belud, und sie enthielten das Gute und das Böse wie ein Atom chemische Verbindungsmöglichkeiten e n t h ä l t . "

Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften I, 2. 62 I. V o r f r a g e n Die Frage nach Herkunft und Wirken des Bösen in dieser Welt gehört zu den Grundfragen. Sie beunruhigt stets das Denken an einen allmächtigen Schöpfer oder an eine vollkommene Weltordnung1. In der Formulierung 2 : ,,Si Deus est, unde sunt mala ? E t si Deus non est, unde bona?" liegt zugleich die Möglichkeit einer Antwort im Sinne des Dualismus, den die Kirche stets bekämpfte3. Immer wieder war das Nebeneinander von Gut und Böse Thema heidnischer Anfragen, die apologetisch beantwortet werden mußten. So meinte Orosius, daß 1 J . Maritain, Dieu et la permission du mal, Paris 1963. — Die wichtigsten Belege jetzt zusammengefaßt bei A. Locher/K. Riesenhuber, Art. „Gut", „Histor. Wörterbuch d. Philosophie" 3, Darmstadt 1974, Sp. 946—960. 2 Anselm von Alexandria, Tractatus de haereiicis, ed. A. Dondaine, ,,Archivum Fratrum Praedicatorum" 20 (1950), p. 308. Vgl. Tertullian, Adversus Marcionem I, 2; „ C S E L " 47, p. 292f. 3 Dabei handelt es sich freilich nicht um ein katharisches Grundproblem: A. Borst, Die Katharer, Stuttgart 1953, pp. 143—222. Vgl. ferner H. C. Puech, Der Begriff der Erlösung im Manichäismus, , , E r a n o s - J b . " 1936, pp. 183—286. — S. Pètrement, Le dualisme dans l'histoire de la philosophie et des religions, Paris 1946. — R . Morghen, Problèmes sur l'origine de l'hérésie au Moyen Age, „Revue historique" 236 (1966), pp. 1—16. — H. Grundmann, Ketzergeschichte des Mittelalters, „Die Kirche in ihrer Geschichte" 2 G 1. Göttingen 2 1967, pp. 22—28. — C. N. L. Brooke, Heresy and religious sentiment, 1000—1250, „Bull, of the Instit. of Hist. Research" 41 (1968), pp. 1 1 5 — 131. — M. Roquebert, L'épopée cathare, Toulouse 1970. — M. Loos, Dualist heresy in the Middle Ages, Den Haag 1974. — Eine klare Darstellung der (wechselnden) Positionen Augustine mit gründlichen Quellennachweisen bei P. Brown, Der heilige Augustinus, München 1975, pp. 39—51.

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die Geschichte, d. h. das Leiden in der Welt, Zeugnis für Gottes Langmut sei. Der Mensch habe seine Freiheit mißbraucht und nun in der Prüfung Gelegenheit zu Reue und Erlösung4. Es ist von großer innerer Folgerichtigkeit, daß in einer solchen Antwort der heilsgeschichtliche Weg beschritten wird, denn die Verbindung des zentralen christlichen Heilsgeschehens und des Gut/Böse-Problems mit der erinnerten und erfahrenen Profangeschichte liegt am Tage. Freilich ist damit zugleich die Gefahr harmonisierender und freundlich relativierender Betrachtung gegeben, vor der ebenfalls Orosius schon warnen mußte: Vergangenes Elend läßt sich angenehm erzählen, während auch geringfügige Übel in der Gegenwart drückender erscheinen als die größten in Vergangenheit und Zukunft5. Die Historiographie des 12. und 13. Jahrhunderts hat diese Voraussetzungen übernehmen müssen. Auch die großen und weithin wirkenden Veränderungen auf dem Gebiet theologischer und philosophischer Studien haben die Frage nur ausgearbeitet und näherungsweise gelöst, sie aber nicht als solche aufgehoben6. Wenn wir in einem ersten Schritt nach allgemeinen Urteilen der Geschichtsschreiber über Herkunft und Wirken von Gut und Böse fragen, so wird das etwas deutlicher und mit Einzelbeispielen faßbar werden. Eine Beziehung zur Wissenschaft seiner Zeit darf nicht für jeden Autor vorausgesetzt werden, aber gerade an den Stadien solcher Rezeption zeigt sich ein Ausschnitt bildungsgeschichtlicher Wirklichkeit. In Verbindung mit Werturteilen zur jeweiligen Zeitgeschichte ist der Historiograph zugleich unmittelbarer Zeuge für die Mentalität seines Lebenskreises. Vorarbeiten zu einer Untersuchung der Historiographie unter dieser Fragestellung gibt es, jedenfalls im strengen Sinne, nicht7. Infolgedessen kann hier keine Vollständigkeit angestrebt werden, wohl aber muß ein möglichst breites Fundament durchgesehener Texte vorausgesetzt werden. Freilich ist es auch dann noch unmöglich, alle einschlägigen Stellen mitzuteilen, so daß eine Beschränkung auf das Charakteristische nötig ist in der Hoffnung, nichts Wesentliches übersehen zu haben. Mit diesen Praemissen sind zugleich methodische Notwendigkeiten gegeben. Texte wie die Chronica Adefonsi imperatoris repräsentieren natürlich nicht die spanische Historiographie der Zeit Orosius, Historiarum adversum paganos libri VII VII, 1 ; , , C S E L " 5, pp. 431—434. Orosius (wie Anm. 4) IV, Praef. ; p. 204. 6 Dazu W. Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Mainz 1964. — J . Schneider, Das Gute und die Liebe nach der Lehre Alberts des Großen, München 1967. — K. Riesenhuber, Die Transzendenz der Freiheit zum Guten, Freiburg 1971. ' Vgl. die Bibliographie von S. Mähl bei W. Lammers (Hg.), Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter, Darmstadt 1961, pp. 460—475. — Die sehr wichtige, kurz gefaßte Synthese von B. Lacroix, L'historien au moyen âge, Montréal/Paris 1971, nennt pp. 133—207 unter den Motiven der Historiographen das Problem von Gut und Böse nicht. 4

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schlechthin, sondern eine Art von chronikalischer Literatur, die der Annalistik so verwandt ist, daß sie kaum zu reflektierter Wertung vorstößt. Insofern kann mit unserem Material nur eine gattungsbezogene, keine regional ausgerichtete Fragestellung Ergebnisse bringen. Dabei sind verschiedene Schichten oder auch Arten des Bösen und des Guten zu unterscheiden, und zwar auch dann, wenn die gleichen Ausdrücke dafür verwendet werden. Ein „bonus"- oder „malus"Prädikat aus politischer Zu- oder Abneigung ist etwas anderes als ein grundsätzlich gemeintes Urteil über den Weltzustand. Alles, was dem Aufstieg der Kirche oder der Glaubensstärke im weltgeschichtlichen Maßstab dient, ist für den christlichen Historiographen a priori „gut" ; an Belegen für diese Haltung liegt nicht viel. Wenn wir aber unsere Texte im allgemeinen Sinne auf Herkunft und Wirken des Übels in der Welt befragen, dann werden wir viele Autoren doch eher historisch als moralisch denkend finden. Galbert von Brügge will als Berichterstatter vom Tode des Grafen von Flandern den „eloquentiae ornatum" und die „diversorum colorum . . . modos" nicht bemühen, sondern die Wahrheit der Sachen selbst („rerum veritatem") in den Vordergrund stellen 8 . Rhetorische Sprachgestaltung wird als hinderlich für die einfache, aufs Faktische gerichtete Erzählweise dargestellt. Dieser Gestus ist seinerseits topisch 9 und hindert nicht die Wertung, aber Galbert meinte als Schilderer einer Person besonderes Gewicht auf den Eindruck der Objektivität legen zu müssen. Forderte also das historiographische Genus eine bestimmte Haltung des Historiographen heraus ? Um von der hier verfolgten Thematik her eine Antwort zu finden, müssen die Voraussetzungen analysiert werden, unter denen Urteile zustande kamen. Eine scharfe begriffliche Scheidung alles dessen, was ein „malum" sein kann 10 , haben die Geschichtsschreiber nämlich auch dann kaum angestrebt, wenn sie wie Otto von Freising philosophischen Sinn und theologische Bildung genug empfangen hatten. Die Gründe dafür liegen in der Sache selbst, so daß wir aus einer Betrachtung des exemplarisch Guten oder Bösen die zeitgenössischen Maßstäbe erst rekonstruieren müssen, be-

8 Galb. p. 2. — Um die Anmerkungen zu entlasten, werden für die historiographischen Quellen Siglen verwendet, deren Auflösung unten pp. 68—71 in einem besonderen Verzeichnis gegeben ist. Aus dem gleichen Grund ist Literatur zum allgemeinhistorischen Zusammenhang nur in wenigen, besonders dringenden Fällen angeführt. 9 Vgl. G. Simon, Untersuchttngen zur Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, „Arch. f. Diplomatili" 4 (1958), pp. 52—119 u. 5/6 (1959/60), pp. 73—153. Zur Verbindung von Tatsachenbericht und Nutzen für den Leser seit Thukydides bes. 4 (1958), pp. 98ff. 10 Eine philosophiegeschichtliche Bibliographie kann hier nicht geboten werden; nützlich waren außer den bekannten Nachschlagewerken Ch. Werner, Das Problem des Bösen, Zürich 1947 und A.-D. Sertillanges, Le problème du mal, Paris 1949.

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vor wir weiteres über die je besonderen Bedingungen guter und böser Handlungen und Ereignisse erfahren können. Ist dieses Instrumentarium wenigstens skizzenhaft beschrieben, so werden die Autoren bei seiner Anwendung auf ihre eigene Zeitgeschichte beobachtet, um die Bedingtheit moralischer Urteile und die Festigkeit ethischer Grundüberzeugungen gegeneinander abzuwägen. Weil der historische Prozeß viel seltener präsent ist als das historische Ereignis, wirkt das Einzelne stärker als das Ganze; aus vielen Urteilen über viele Teilaspekte formt sich das Bild von der Geschichte in der Historiographie. Auch im Mittelalter war das Nebeneinander von allgemeiner Konzeption und persönlicher Erfahrung Ursache produktiver Spannungen.

II. A l l g e m e i n e U r t e i l e ü b e r H e r k u n f t u n d W i r k e n von G u t u n d Böse Während der Belagerung von Caesarea durch die Genuesen stellten zwei islamische Unterhändler dem Patriarchen Daimbert von Jerusalem und dem päpstlichen Legaten Mauritius von Porto eine grundsätzliche Frage: „Ihr seid Magister und Doktoren des christlichen Gesetzes, warum befehlt Ihr dann Euren Leuten, uns zu töten und unser Land zu nehmen, wenn doch in Eurem Gesetz geschrieben steht, daß niemand jemanden töten oder seiner Habe berauben soll, der ein Ebenbild Eures Gottes ist ? Wenn es wahr ist, daß so etwas in Eurem Gesetz steht und wir Ebenbilder Eures Gottes sind, dann handelt Ihr gegen das Gesetz"11. In seiner Antwort bestätigt der Patriarch zunächst die Richtigkeit der Gesetzesparaphrase, erklärt aber, daß die Stadt nicht den Mohammedanern, sondern dem heiligen Petrus gehöre und die Belagerer mithin als Stellvertreter Petri keine Räuber fremden Eigentums sein könnten. Auch sei jeder Gegner des göttlichen Gesetzes zu vernichten, denn erst der Tote sei kein Gegner mehr. Folglich sollten die Städter freiwillig abziehen; täten sie das nicht, so würden sie rechtmäßig umgebracht werden. Als diese Aufforderung nicht befolgt wird, verlangt der Patriarch in einer Heeresversammlung den Sturm auf Caesarea: Gott werde die Stadt mit männlichen und weiblichen Einwohnern, mit Geld und allem, was sonst darin sei, sogleich in die Gewalt der Genuesen geben. 11 „O domini, v o s qui estis magistri et doctores Christiane legis, quare precipitis vestratibus, u t nos interficiant et terram nostram tollant, c u m in lege vestra scriptum sit, u t aliquis non interficiat aliquem formam Dei vestri habentem, vel rem s u a m tollat ? E t si v e r u m est, quod in lege vestra scriptum sit hoc et nos forman Dei vestri habemus; ergo contra legem facitis". Ann. Jan. zu 1101 ; p. 13. D o r t auch das Folgende. Über den Verfasser der Berichte 1099—1163, den politisch erfahrenen Genueser Bürger Caffaro, vgl. C. Imperiale di St. Angelo, Caffaro e i suoi tempi, Turin 1894.

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Caffaro kommentiert seinen Bericht nicht weiter ; für ihn stellt sich in diesem Falle keine Frage nach Gut und Böse. Die Angegriffenen freilich hatten so verhandeln wollen, um die christlichen Gegner im Netz der Widersprüche zu fangen, aber gerade weil Daimbert ein gelehrter Theologe war12, wendete er das Problem ins Juristisch-Politische. Das Interesse des Historiographen, eines Laien aus der bürgerlichen Führungsschicht Genuas und selbst diplomatisch kundig13, ist politisch bestimmt und läßt Gut und Böse hier nur als Teil der Verhandlungstechnik aufscheinen. Gegenstand der Reflexion wurde weder das eine noch das andere. Dabei war die Frage von der Art gewesen, wie sie schon Orosius mit Recht als Herausforderung empfunden 14 und Otto von Freising zu dem Ausruf veranlaßt hatte: „Wie kann man die, die den Glauben zerstören wollen, widerlegen? 15 " Gott ist der Schöpfer des Lichtes, dem das Gute gefällt ; als Schöpfer auch der Finsternis kann das Böse nicht ohne ihn sein. Wieso läßt er die Zerrüttung der Welt zu? 16 Otto gibt die immer wiederkehrende Antwort der christlichen Apologeten: Um der menschlichen Freiheit willen17. In der mittelhochdeutschen Kaiserchronik (um 1150/52) wird der christlichen Ansicht, daß Gott Schöpfer der „tugende" und „vater aller guote" sei18, während eines Streitgesprächs von heidnischer Seite entgegengehalten, daß es schon im persönlichen Leben viele Dinge gäbe, die „unrehte geordenet" sind und die so nicht vorkommen dürften, wenn ein Schöpfer sei. Menschliches Leid sei ein Widerspruch zur Annahme eines Schöpfers, denn er müßte doch verhindern, daß ein Mensch dem anderen Übles tut.

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Über ihn, der auch politisch höchst ambitioniert war, vgl. St. Runciman, A History of the Crusades 1, Cambridge 1951, pp. 299—326 und Κ. M. Setton, A History of the Crusades 1, Philadelphia 1958, pp. 374—383. 13 Er war 1154 als Gesandter zu Friedrich I. gegangen; vgl. Ann. Jan. p. 22. — Zu den Gesandtschaften H. Simonsfeld, Jahrbücher des dt. Reiches unter Friedrich I. 1, Leipzig 1908, p. 256f. 14 Orosius (wie Anm. 4) I, 3; pp. 40—42. Sein ganzes schriftstellerisches Konzept ist ja in diesem Sinne apologetisch; vgl. B. Lacroix, La importancia de Orosio, „Augustinus" 2 (1957), pp. 3—13; ders., Orose et ses idées, „Université de Montréal. Pubi. Inst. Étud. médiév." 18 (1965). 15 Otto Fris. III, Prol. ; p. 131. 16 Otto Fris. VIII, 20; p. 422f. Das Zerstörerische liegt eben in Fragen und Argumenten dieser Art. 17 Otto Fris. III, Prol. ; p. 132. Zur Tradition und weiteren Ausgestaltung dieses Gedankens K. Deissner, Autorität und Freiheit im ältesten Christentum, Leipzig 1931. — E. Gilson, Le thomisme, Paris β1948, pp. 332—348. — Α. Μ. Landgraf, Dogmengeschichte der Frühscholastik I, 1, Regensburg 1952, pp. 65—140 und I, 2, ebd. 1953, pp. 82—110. — G. Siewerth, Einführung, „Die menschliche Willens-Freiheit. Texte zur thomistischen Freiheits-Lehre", Basel 1954, pp. 1—134. 18 Kais. v. 3297ff.; p. 141.

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„waz orthaben ist er denne, / sô er die ubele muoz verhengen ? 19 " Wiederum die Grundfrage, und wieder die bekannte Antwort : Gott will den Menschen ,,in ainer frîhait" lassen 20 . Für Caffaro blieb all das außerhalb der Betrachtung. Gerade in der nahezu pragmatisch anmutenden Distanziertheit eines solchen Textes zeigt sich freilich auch die Abhängigkeit der Anschauungsweise historischer Vorgänge von allgemeinen Urteilskategorien und vom historiographischen Ziel. In anderen Fällen wird das noch deutlicher. Wenn der anonyme Verfasser der nach 1106 entstandenen Vita Heinrici IV. den Abfall Konrads von seinem Vater Heinrich IV. zum Anlaß für eine allgemeine Betrachtung über den Weltzustand und über die Folgen nimmt, die daraus zu ziehen sind, so ist das rhetorisch und ergibt sich aus der Absicht, ein tragisches Bild des Kaisers zu entwerfen 21 . An einer Welt, in der das Böse das Gewöhnliche ist, mußte Heinrich scheitern, sobald er versuchte, sich als Herrscher dagegen zu stellen22. Indem er Verbrechen verhinderte, für Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Frieden sorgte, schuf er sich mächtige Gegner, die der Biograph mit eindringlicher Frage moralisch verurteilt: „Cur, obsecro, vobis non aliunde, nisi ex rapto vivere placet?" Ein Jahrhundert später hat Rigord die Taten des Königs Philipp II. August von Frankreich beschrieben und sich dabei der gleichen Gedankenführung bedient wie der Biograph Heinrichs IV. 23 Er mußte zwar keinen tragischen Helden darstellen, überblickte auch nur die ersten zwei Drittel der Regierungszeit des Königs, stellte ihm aber eine Welt gegenüber, deren verwirrte Werturteile auf den Sündenfall zurückgeführt werden konnten. Die daraus resultierende destruktive Kritik läßt alle ,,virtus" stets dem Neid ausgesetzt sein. Hier enthüllt sich Rigords Motiv: Die Taten des Königs sollen vor dem düsteren Hintergrund der allgemeinen Weltzustände nur um so heller strahlen. Nicht die Welt ist der feste Punkt für den Schriftsteller, sondern der Monarch. Um seinetwillen wird das Bild der Welt geformt.

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Kais. v. 3315if.; p. 141ff. Kais. v. 3413ff.; p. 143. Ebenso Vine. Bell. I, 6; p. 3f. 21 Vita H. IV. c. 7; p. 26. Zum Text und zur Entstehungszeit vgl. F.-J. Schmale, Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., ,,Frhr. v. Stein-Gedächtnisausgabe" 12 (1963, pp. 35—45. Gegen H. F. Haefele (Fortuna Heinrici IV. imperatoris. Untersuchungen zur Lebensbeschreibung des dritten Saliers, Graz/Köln 1954, pp. 86—89), der für spätere Entstehungszeit eintrat, hielt Schmale (pp. 40—42) mit guten Gründen an der Datierung etwa 1106/07 fest. 22 Vita H. IV. c. 8; p. 28 f. 23 Zum folgenden Rig., Prol.; p. 4f. Der Verfasser war zunächst Arzt in Südfrankreich, dann Mönch in Argenteuil und St. Denis gewesen, bevor er als Leibarzt in den Dienst Philipps II. trat: Delaborde pp. X X V I I — X X X I I I . 20

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Daß der Bezug des Textes auf eine Person eher zu Wertungen herausfordert als eine chronologisch orientierte Ereignisgeschichte, zeigt sich besonders deutlich auf dem Gebiet der Autobiographie. Wibert von Nogent (f 1121) hat in einer stark an Augustine Confessiones orientierten einleitenden Passage seiner Lebensbeschreibung den Wert von Erfahrungen für die Ruhe des inneren Menschen betont. Zu diesen Erfahrungen gehöre auch die Kenntnis des Guten, um das Böse verabscheuen zu können24. Der Verfasser ordnet sich selbst in eine fundamentale christliche Anthropologie ein, für die nach Gen. II, 17 und III, 5 eben diese Unterscheidungsfähigkeit zum Wesen des Menschen gehört 25 . Doch sind das alles eher allgemeine Vorstellungen, die präziser formuliert werden mußten, wenn der Historiograph sie treffend einsetzen wollte. Um mit der Frage nach Gut und Böse Geschichte zu schreiben, bedurfte es der Kategorien, unter die das einzelne Ereignis, die einzelne Person subsumiert werden konnten; die Wertbegriffe mußten für den Schriftsteller funktional werden. Hier lag für die hochmittelalterlichen Autoren eine Schwierigkeit, die hauptsächlich darin bestand, daß sie mehr als illustrierende Beispiele für theologisch-philosophische Lehren liefern wollten. Das zeigt zuerst Ordericus Vitalis (f um 1142) und, fast gleichzeitig, aber sehr viel deutlicher, Otto von Freising (f 1158). An mehreren Stellen seiner Historia ecclesiastica hat Ordericus ausgeführt, wie seiner Ansicht nach das gegenwärtige Zeitalter durch den dauernden Wechsel („volubilitas") von Freude und Leiden gekennzeichnet sei26. Endlose Debatten würden von den Weltkindern über diesen Tatbestand geführt. Wenn jeder besser als seine Standesgenossen sein wolle, so führe das erst zum Abweichen von Gottes Gesetz und endlich zu Blutvergießen. Davon sei die bisherige Geschichtsschreibung voll und beweise das hinlänglich. Für die Gegenwart will Ordericus selbst die nötigen Belege beibringen. Neben dem instabilen Zustand der Welt, wie er auch bei anderen Autoren beklagt wird, hat dieser Historiograph noch die ehrgeizige, Standesschranken durchbrechende Machtgier als einen Faktor heraus24

Wib. I, 1; p. 3. Vgl. J. F. Benton, Self and Society in Medieval France. The Memoirs of Abbot Guibert of Nogent, New York 1970. 25 M.-M. Labourdette, Le péché originel et les origines de l'homme, Paris 1953. — A. M. Landgraf, Dogmengeschichte der Frühscholastik IV, 1, Regensburg 1955. — M. Huftier, Le péché dans la théologie augustinienne et thomiste, Lille 1958. 26 Ord. Vit. IV; 2, p. 251 f. Dort auch das Folgende. Ähnlich V i l i ; 3, p. 416 zur „volubilis fortuna". Zur „mutabilitas" bei Otto von Freising J. Koch, Die Grundlagen der Geschichtsphilosophie Ottos von Freising, „Geschichtsdenken und Geschichtsbild im MA", hg. W. Lammers, Darmstadt 1961, pp. 321—349. Für Hugo von St. Viktor J. Ehlers, Hugo von St. Viktor, Wiesbaden 1973, pp. 80—88. 3

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gestellt, der immer wieder ins Unglück und zur Untat treibt. Er kann ihn auch als tief in der Heilsgeschichte verwurzelt belegen, denn in der Bibel findet er viele Stellen, die den Vorgängen in seiner Gegenwart zu entsprechen scheinen27. Aber hier tritt die formale und theoretische Eigengesetzlichkeit historiographischer Tätigkeit hervor und weist dem Schriftsteller seine Richtung: Solche Allegorese will er den Gelehrten überlassen und die einfache Normannengeschichte weiter erzählen28. Dieser Drang zur Erzählung erklärt die Seltenheit moralischer Reflexion nicht nur bei Ordericus, der die Frage nach Herkunft des Bösen nicht grunsdätzlich stellte; gleichwohl war nicht naive Fabulierlust oder Stoffhuberei am Werk. Hinter solcher Arbeitsweise stand vielmehr die theologisch fundierte Überzeugung, daß mittels narrativer Synthese die Welt zu verstehen sei29. Mit Otto von Freising haben wir den seltenen, ja einmaligen Fall vor uns, daß ein Historiograph mit großem theologisch-philosophischen Können über ein von ihm selbst erlebtes und berichtetes Ereignis grundsätzlich nachdenkt, und zwar im Hinblick auf das Gute in Welt und Geschichte. Ausgangspunkt ist die zeitgenössische Kritik am elenden Ende des 2. Kreuzzuges, der mit so viel Elan begonnen hatte. Ist das ein gutes Werk gewesen ? Man muß, so meint Otto von Freising30, davon ausgehen, daß nur Gott ein „vere bonum" sein kann und daß alles übrige Gute von Gottes Gutheit abgeleitet ist. Er unterscheidet dann zwischen dem „simpliciter bonum", das eine Gnadengabe sei, und dem „secundum quod bonum", das die Nützlichkeit eher als die Herkunft des Gewordenen beträfe. Dieses Gute ist ein mehrdeutiger Begriff und auf unbegrenzt vieles anwendbar, vor allem aber ist es relativ : Ein und dieselbe Sache kann unter verschiedenen Gesichtspunkten gut oder schlecht sein, aber immer nur unter diesen Gesichtspunkten, nie absolut. Was für die eine Art gut ist, kann für andere schlecht sein: Bilsenkraut ernährt den Sperling, für den Menschen ist es tödlich. Die gleichen Verhältnisse finden sich in der Heilsgeschichte, denn für die Juden war es durchaus nicht gut, Christus zu verraten und zu kreuzigen, für die Christenheit dagegen wohl. Die böse Tat einzelner kann also für die 27

Ord. Vit. V I I I ; 3, p. 358. Ebd. 29 Ehlers (wie Anm. 26), pp. 156—177. Κ. Η. Krüger, Die Universalchroniken, „Typologie des sources du moyen âge occidental" 16, Turnhout 1976 (m. Lit.). — Natürlich kann das nicht für jeden Historiographen vorausgesetzt werden. Sigebert von Gembloux ζ. B. hat seine „Weltchronik" annalistisch aufgebaut und auf Reflexion weitgehend verzichtet, offenbar deshalb, weil ihm in erster Linie an den Tatsachen um ihrer selbst willen lag. M Otto Fris./R. I, 66; pp. 266 ff. 28

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Gesamtheit gut sein, und daraus folgt für den Kreuzzug, daß er für Grenzerweiterung und leibliches Wohl nicht gut war, gut dagegen für das Heil vieler Seelen. Wenn Bernhard von Clairvaux bei der Kreuzzugspredigt vom Geist Gottes angehaucht war, wenn die Kreuzfahrer dann aus Hochmut und Zügellosigkeit die heilsamen Gebote nicht beachtet und infolgedessen Verluste erlitten haben, dann ist das kein Widerspruch zu vernünftigen Überlegungen31. In dieser großen, Schritt für Schritt vorgehenden und um logische Sicherung bemühten Untersuchung wird das abgeleitete Gute weiter relativiert und auf einen Zweck bezogen, finalisiert. Die Zahl der möglichen Gesichtspunkte, unter denen Handlungen als gut oder schlecht beurteilt werden können, ist aber prinzipiell unbegrenzt, infolgedessen gibt es keinen einfach zu handhabenden Maßstab für die Einstufung von Personen und Handlungen hinsichtlich des Guten. Von da her gesehen gewinnt Ottos Absicht, „non disputantis more, sed disserentis ordine" 32 Geschichte zu schreiben, erst ihre rechte Bedeutung. Ebenso wie bei Ordericus Vitalis soll bei ihm der Geschichtsverlauf in seiner besonderen Qualität nicht begrifflich, sondern im Zusammenhang der Ereignisse erkennbar werden. Das entspricht einer Theologie, für die das Heilsgeschehen (von dem auch das einzelne profanhistorische Ereignis immer nur ein Teil ist) nie logisch erklärt, sondern immer nur geschichtlich verstanden werden kann 33 . Insofern ist auch die auf Innerweltlich-Faktisches gerichtete Historiographie, wie sie besonders ausgeprägt in der Annalistik begegnet, jederzeit für eine heilsgeschichtliche Betrachtungsweise zu verwenden und zu aktualisieren. Hier ist die Frage nach Gut und Böse innerhalb der hochmittelalterlichen Historiographie am weitesten theoretisch vorgetrieben. 31 Vgl. Alb. Aach. I, 25; p. 291 (zum 1. Kreuzzug): Weil die Kreuzfahrer sich nicht „ab illicitis et fornicariis" freigehalten haben, fielen sie in Maßlosigkeit und Unmoral. Ähnlich I, 16; p. 284. Vgl. unten p. 46. Grundsätzlich ferner Otto Fris. VII, Prol.; p. 308: Gott läßt nichts Böses geschehen außer dem, das der Gesamtheit nützt, wenn es auch an und für sich schädlich ist. 32 Otto Fris. II, Prol.; p. 68. Vgl. ebd. VI, 23; p. 286: Die Ereignisse sollen erzählt, aber nicht beurteilt werden. 33 Th. Hoppe, Die Idee der Heilsgeschichte bei Paulus mit besonderer Berücksichtigung des Römerbriefes, Gütersloh 1926. — H.-D. Wendland, Geschichtsanschauung und Geschichtsbewußtsein im Neuen Testament, Göttingen 1938. — O. Cullmann, Christus und die Zeit. Die urchristliche Zeit- und Geschichtsauffassung, Zollikon/Zürich 2 1948. — J . Daniélou, The Conception of History in the Christian Tradition, ,,The Journal of Religion'* 30 (1950), pp. 171—179. — Κ. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart 3 1953. — J . Daniélou, Vom Geheimnis der Geschichte, Stuttgart o. J . (1955). — A. Funkenstein, Heilsplan und natürliche Entwicklung, München 1965, pp. 29—50. — O. Brunner, Abendländisches Geschichtsdenken, „Neue Wege d. Verfassungs- u. Sozialgesch.", Göttingen 2 1968, pp. 26—44. — Η. ν. Campenhausen, Die Entstehung der Heilsgeschichte, „Saeculum" 21 (1970), pp. 189—212.



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Wir finden sonst außer den schon genannten Allgemeinheiten eher eine pragmatische Herkunftslehre des Bösen, so bei Saxo Grammaticus (f um 1220), der die in Friedenszeiten steigende Kriminalität mit der Neigung zum Laster bei müßigen Menschen erklärt 34 . Das ist eine standesbezogene Vorstellung, die auch in der hochmittelalterlichen Adelsethik für den Mann in der Welt kämpferische Bewährung als Erfüllung aktiven Lebens und zugleich als einzig angemessenes Tun betrachtet 35 . Dem entspricht es, daß die Herrschertugend als auslösendes Moment für umwälzende Veränderungen des heilsgeschichtlichen Prozesses angenommen wird36 : Der König Frotho hat eine lange, glückliche Zeit des Friedens herauf geführt. Zu dieser Zeit wollte Christus geboren werden, denn sie war dafür günstig, weil ihre ungewöhnliche Güte („temporis beneficium") die Gegenwart des Schöpfers der Zeiten bezeugte37. Der innere Zusammenhang einer Standesethik mit dem christlichen Universum zeigt sich, indem der nordische König mit seiner adligen Gefolgschaft als irdisches Komplement der Herrschaft Christi gedacht wird. Dieser Gedanke einer unmittelbaren Beziehung zwischen den Mächten des Guten und Bösen einerseits, irdischen Ereignissen, Handlungen und Personen andererseits hat die Historiographie stärker beschäftigt als die eher am Rand diskutierte Frage nach Herkunft und Wirken des Guten oder Bösen im allgemeinen. Ihre Behandlung war abhängig vom jeweiligen Zweck der Darstellung, wobei sich die theologischphilosophische Bildung des Autors dem Fluß der Erzählung unterzuordnen hatte.

III. Exempla Der Mensch, so heißt es in der Historia Calamitatum, wird oft stärker durch „exempla" als durch Worte angerührt 38 . Diese lang bekannte

34 S. Gramm. V, 1. 3; p. 105. Vgl. V, 1. 11; p. 107, wo verzögerte Strafe als stärkste Förderung des Hangs zu Vergehen genannt ist. 35 So schon Tacitus, Germ. c. 14. Dazu die Erläuterungen von R. Much/H. Jankuhn/ W. Lange, Die Germania des Tacitus, Heidelberg 3 1967, pp. 227—234. Zum Fortwirken vgl. die Ausführungen von K. Bosl, Die germanische Kontinuität im deutschen Mittelalter (Adel — König — Kirche), „Frühformen der Gesellschaft im ma. Europa", München 1964, pp. 80—105 u. ders., Der aristokratische Charakter der europäischen Staats- und Sozialentwicklung, „Hist. Jb." 74 (1955), pp. 631—642. 36 S. Gramm. V, 15.3; p. 141 f. 87 Dieses Motiv des langen Friedens findet sich auf die Regierungszeit des Augustus bezogen bei Otto Fris. III, Prol.; pp. 132—134. 38 P. Ab. (Prol.) ; p. 63. Zur umstrittenen Echtheitsfrage für diesen Text vgl. in dem Sammelwerk „Pierre Abélard, Pierre le Vénérable", Paris 1975, die Beiträge von J.

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Maxime ist hier als Erfahrung verstanden und als stilistisches Motiv zugleich, indem die als Brief sich gebende Lebensbeschreibung ebenso wie die formal gleiche Vita Heinrici IV. ihren Helden selbst zum „exemplum" erheben will. Damit aber ist die Parallelität der beiden Texte für uns schon erschöpft, denn unter den Kategorien von Gut und Böse begriff der Verfasser Abaelards Leben nicht. Für viele andere Autoren ist das Exemplarische hingegen willkommenes Mittel, um ihre Meinungen und Befunde zu diesem Problem vorzutragen. Dabei werden Arbeitsweisen deutlich, die das begrenzte Vertrauen in den allgemein formulierten Lehrsatz zeigen. So wurden die Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium gegen 1142 nach eigenem Bekunden deshalb verfaßt, ,,ut et boni ex bene gestis virtutis sumant exemplum et a male gestis discant salubriter abstinendum 39 ". Zielgruppe sind also die Guten; offenbar war nicht damit zu rechnen, daß böse Menschen durch gute Beispiele gebessert werden. Diese eingeschränkte Wirkung des Exemplarischen erklärt sich in der Gesta-Literatur freilich auch aus gattungsspezifischen Merkmalen, denn nicht jeder kann sich mit denen vergleichen, deren Taten und Amtshandlungen ihm dort als musterhaft vor Augen geführt werden. Der Bezug zum Menschlich-Allgemeinen ist hier geringer als in der Weltchronistik. Waren in der eben angeführten Quelle die Magdeburger Erzbischöfe aus ihrer Amtswaltung als ,,exempla" verstanden worden, so entwickelte Galfred von Monmouth (f 1154) das gleiche anhand einer Königsreihe. Dort kann der Monarch ob seiner „bonitas" berühmt sein und die „bonos mores" seines Vaters nachahmen 40 , aber diese Qualität ist so standes- und amtsbezogen, daß der Vergleich mit weiteren Belegstellen rasch die Herrschertugend enthüllt. Es hat nichts mit

Monfrin (pp. 409—424) und J. F. Benton (pp. 469—506). Benton hat auf Fälschung plädiert, aber trotz guter Argumente die Beweislast nicht tragen können. Bis zu einer sehr nötigen Auseinandersetzung mit seiner These muß gleichwohl Vorsicht walten. Für unsere Frage ist es indessen weniger erheblich, ob Abaelard selbst oder ein unbekannter Mensch in den achtziger Jahren des 13. Jh.s diesen rhetorischen Gemeinplatz verwendet hat. — Über Geschichte, Bedeutung und Verbreitung der „exempla" in mittelalterlichen Texten J.-Th. Weiter, L'Exemplum dans la littérature religieuse et didactique du moyen âge, Paris 1927. — E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 2 1954, pp. 67—70. — R. Schenda, Stand und Aufgaben der Exemplaforschung, „Fabula" 10 (1968), pp. 69—85. — F. C. Tubach, Index exemplorum. A Handbook of Medieval Religious Tales, Helsinki 1969. 39 G. arch. M., Prol.; p. 376. Über Text und Autor am besten F.-J. Schmale, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vom Tode Kaiser Heinrichs V. bis zum Ende des Interregnums 1, Darmstadt 1976, pp. 18ff. (m. Lit.). — Ermutigung zu „bonis moribus" ist auch für Hugo Fleur, p. 349 (Widmungsbrief an Adela von Blois-Chartres) Zweck des Werkes. 40 Galfr. Mon. IV, 16; p. 84.

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gut im ethischen Sinne zu tun, wenn Forderungen an den Feind gestützt auf die eigene „bonitas" energisch durchgesetzt werden41, sondern hier handelt es sich um politische Fähigkeiten42. Wird mit diesen Voraussetzungen aber negativ geurteilt, treten rasch ethisch gefärbte Prädikate auf. Es kommt dann zu einem Schuld/Strafe-Mechanismus aus politischer Sicht wie bei Saxo Grammaticus, der einen König kritisiert, weil er seine Herrschaft auf Verbrechen gründen wollte. Was hier so bezeichnet wird, waren Kämpfe gegen die Macht des Adels und die Strafe für den König bestand in seiner Tötung während eines Adelsaufstandes43. Solche Sehweise versteht sich auch aus der nüchternen Grundhaltung dieses Autors, der das Übel in den Menschen selbst entstehen sah, und zwar aus ihren Wertvorstellungen eher als aus ihrer Konstitution44. Die Christianisierung hat hieran nichts geändert. Der Magdeburger Historiograph, Galfred von Monmouth und Saxo Grammaticus wollten eine klar bestimmbare Gruppe von Menschen schildern, die in einem geographisch und politisch abgegrenzten Lebenskreis wirkten. Aus dessen Beschreibung ergaben sich die Urteile, nur auf ihn bezogen galten sie45. Im Gegensatz dazu steht die universalhistorische Betrachtungsweise Ottos von Freising, dem sich für die Historia de duabus civitatibus aus der theologischen Einsicht in Gottes Heilspädagogik der Auftrag ergeben hatte, die Übel („mala") zu nennen, um das Elend der Sterblichen („miseria mortali-

41 Galfr. Mon. X , 11; p. 180. Die Herrschertugend ganz deutlich auch III, 15; p. 65 (König Elidurus und sein Bruder Gorbonian). 42 Vgl. das Wortspiel um den Namen des Markgrafen Bonifaz von Canossa und seine „bonitas" bei Don. I, 9. 789ff. ; p. 367. Zur Bedeutungsbreite O. Prinz/J. Schneider, Mittellatein. Wörterbuch 1, München 1967, Sp. 1517—1519. — Den „vir bonus" in der römischen Republik beschreibt H. Wolfram, Splendor imperii. Die Epiphanie von Tugend und Heil in Herrschaft und Reich, Graz/Köln 1963, pp. 45—64. 4 3 S. Gramm. I, 2.2; p. 11. Über die verfassungsgeschichtliche Bedeutung eines solchen Vorgangs F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter, Darmstadt 2 1954, pp. 158—166. — Direkte Einsicht in den Zusammenhang von Schuld und Strafe vermittelt eine Nonne der Mathilde von Bourbon durch Eröffnung einer Vision, die Mathildes Gemahl Wido von Dampierre als unrettbar Verdammten gezeigt habe: Alb. Tr. zu 1232; p. 929. Bekanntestes Produkt dieser Mentalität ist Dantes Göttliche Komödie. 4 4 S. Gramm. VII, 2.6; p. 185: Bei den Alten war Kriegsruhm die einzige erstrebenswerte Sache, infolgedessen mußten sie dauernd Aufruhr stiften („seditiones amplecti") und den Krieg dem Frieden vorziehen („paci militiam anteferre"). Vgl. unten p. 44, 49. 4 5 Entsprechend können ganze Völker exemplarisch böse sein, so die Goten bei Gottfr. Vit., Pan. (Part. X I I , 44; p. 204) oder die Byzantiner (Chron. reg. Col. zu 1181, Ree. I I ; p. 132), deren „innata malicia" hier als Topos auftritt, aber als solcher doch auf die Vorstellung hinweist, daß Böses auch angeboren, gleichsam als Nationalcharakter vorkommt.

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um") sichtbar zu machen46. Zwar kann die ,,ci vitas Christi" von den Nöten der Welt („mala mundi" 47 ) nicht erschüttert werden, aber für die römische Geschichte ist von vornherein deutlich zu sehen, daß sie fast niemals von auswärtigen Kriegen und im Innern von verborgenen Übeln frei gewesen ist48. Hier haben wir noch den apologetischen Ansatz des Orosius, und von ihm getragen meint der Chronist, daß allein an den schlimmen Ereignissen des ersten Punischen Krieges die „mutabilitas" gezeigt werden könne, der die Menschen unterworfen sind49. Sein Ziel ist es nicht, positive „exempla" zu liefern, gleichsam innerweltlich zu erbauen, sondern eine theologisch bestimmte Strukturgeschichte zu schreiben, bei der jedes Einzelfaktum im Dienst einer höheren Erkenntnis steht : der Einsicht in den transitorischen Zustand der Welt. Zwar gibt es auch lobenswerte Erscheinungen in der heidnischen Antike50, aber sie formen das Urteil nicht. Wenn Otto dagegen das Ende des Mithridates beschreibt51, so als Beispiel für die „conditio misera mortalium" ; hier zeigt sich, anders als bei den eben behandelten Autoren, sein Streben zum Allgemeingültigen. Er will Einsicht in die Bedingtheit menschlichen Lebens überhaupt, unabhängig von besonderen politischen, sozialen, rechtlichen, mit einem Wort: historischen Voraussetzungen. Seine „exempla" sind insoweit häufig metahistorisch und als solche übertragbar. Mitunter aber besteht das Exemplarische auch nur in der besonderen Scheußlichkeit des Verbrechens52, wobei göttlicher Ratschluß doch immer unterstellt wird: Caligula als Strafe für Römer und Juden 53 , der noch schlimmere Nero als Christenverfolger mit Gottes Einverständnis, weil er als erster Feind seines irdischen Reiches jemanden haben wollte, dessen Verbrechen selbst der Weltstaat verabscheut 54 . Für die fränkische Geschichte kann Otto auf Brunichilde verweisen, 46 Otto Fris. II, 17; p. 87 und II, 43; p. 119. Zur Heilspädagogik vgl. ebd. II, 14; p. 83. Die „miseria rerum mutabilium" als beherrschendes Kennzeichen des Geschichtsverlaufs IV, 31 ; pp. 222—224. 47 II, 25; p. 98. 48 II, 30; p. 101 f. 49 II, 32; p. 105. 50 Vgl. das zustimmende Zitieren Senecas (Luciliusbrief 86) anläßlich der „magnitudo animi" des Scipio Africanus: II, 40; p. 114. Ferner II, 47; p. 123 (Ptolemaeus Philadelphus). Der heidnischen Antike fehlt aber die „caritas", durch die alle sonst gleich guten Taten im Rang erhöht werden: Caes. II, 5; p. 256f. mit dem Vergleich Trajan/Engelbert von Köln. Ablehnung der antiken Ethik wegen der fehlenden „caritas" ist üblich; vgl. Hugo von St. Viktor, De scripturis et scriptoribus sacris, „PL" 175, col. 9f. 51 II, 45; p. 121 f. Im gleichen Sinne schon II, 14; p. 82f. (Kyros). 52 Der Kindermord des Herodes (III, 7; p. 143 f.) oder die Wandlung des Tiberius zur „sevissima bestia" (III, 11; p. 147). 53 III, 12; p. 148f. 54 III, 15; p. 153f.

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die Columban verfolgte und auch sonst eine böse Frau war ; sie wurde für ihre Untaten bestraft, so daß die grausame Hinrichtung durch Chlothar als „exemplum abhorrendi inmanitatem" dienen kann 55 . Das waren allesamt klare Fälle. Schwieriger wurde es immer dann, wenn einem verhältnismäßig guten Menschen Übles widerfuhr. Hier mußte der Geschichtsschreiber Erklärungen finden und behalf sich mit dem Schritt ins Allgemeine. Aufstieg und Niedergang Karls III. (des Dicken) nahm er so wieder als Beispiel für den elenden Zustand der Welt überhaupt: „Vide rerum humanarum miserrimum statum!" Dieser fromme Christ wurde am Ende seines Lebens schwer geprüft 56 , ebenso wie Heinrich IV.57, mit dem Otto nicht nur ein Stück Zeitgeschichte, sondern auch einen nahen Verwandten beurteilen mußte 58 . Heinrich erfuhr die Strafe für sein sündhaftes Leben schon im Diesseits ; die göttliche Prüfung, als die sein Ende verstanden wurde, wies die immer offenstehende Möglichkeit zur Wende nach. Auch das ist durch allgemein bekannte heilsgeschichtliche „exempla" bereits angezeigt: Lucifer ging vom Guten zum Bösen („de bono ad malum"), als er, der Engel, ein Teufel wurde; den umgekehrten Weg nahm Paulus 59 . Wie konventionell solche Urteile letztlich waren, zeigt ihre Verbreitung, nicht minder ihr ungebrochenes Weiterleben. Auch Gottfried von Viterbo (f um 1192) fand Nero und Domitian besonders abscheulich80, die Kaiserchronik berief die von Teufeln gepeinigte Seele Domitians 61 , sah in ihm und Maximian zwei auffallend schlimme Herrscher 62 , diesen sogar als Teufelsschüler63. Umfangreiche und weitverbreitete Handbücher setzten das fort, so die Chronik des Martin von Troppau (f 1278), in der die eingeführten Wertungen kompiliert sind64. Dieses kompilatorische Moment geht bei Vincenz von Beau vais (f 1264) so weit, daß er von der Sache her zwar ungeheure Materialmassen für die 55

V, 7; p. 239. VI, 9; p. 270f. Die Fragestellung stammt übrigens von Regino, Chron. zu 888; MG SS rer. Germ. i. u. s. [50], p. 128f., ist dort auch präziser durchgeführt. 57 VII, 11; p. 322 f. 58 Heinrich IV. war Ottos Großvater mütterlicherseits. Zur Biographie B. v. Simson in der Einleitung zur Ausgabe der Gesta Friderici: MG SS rer. Germ. i. u. s. [46], pp. IX—XIII. 59 VIII, 9; p. 402f. 60 Gottfr. Vit., Sp. II, 9; p. 72 (Nero) u. II, 12; p. 73 (Domitian). II, 58; p. 90 wird Chilperich (I.) als ein Abbild des Verbrechens unter den fränkischen Herrschern vorgeführt. Zu Nero im gleichen Sinne Kais. v. 4085f.; p. 156. 81 Kais. v. 5674; p. 185. «2 v. 6451 ff.; pp. 199ff. 63 v. 6595; p. 202. 64 Vgl. über Nero Mart. Tr. p. 444f.; nach Paulus Diaconus, Hist. Romana und Gilbert, Chronicon pontif. et imperai. Romanorum. 66

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bekannten Urteile aufnahm 65 , aber als Autor für die Frage nach Gut und Böse nicht mehr in Betracht kommt: Selbst wenn die Maxime Ottos von Freising bedacht wird, wonach nicht raisonniert, sondern dargestellt werden soll, kann die in ihren Bestandteilen viel zu disparate Sammlung keine profilierte Aussage mehr liefern66. Die „exempla" für Gut und Böse sehen wir also gattungsbezogen eingesetzt, wobei Gesta und Chronistik im strengeren Sinne historisch verfuhren als die Weltchronisten. Deren universales Ziel konnte in mehrfacher Hinsicht und aus verschiedenen Gründen ins Allgemeine verlegt werden: Aus theologischer Reflexion oder aus dem einfachen Wunsch nach Vollständigkeit. Ihre Muster sind nicht so sehr aus spezifischen Voraussetzungen zu begreifen als aus der Tradition, die sie dem Historiographen überlieferte. IV. B e w i r k e n d e M ä c h t e Die Lektüre der Geschichtsschreiber zeigt, daß sie lieber erzählen als Theologisches demonstrieren wollten. Im 12. und 13. Jahrhundert war das freilich deshalb schwer, weil der Aufschwung der theologischen und philosophischen Studien die besten Köpfe zur Reflexion drängte und zugleich ein heftiger Kampf um die Berechtigung geschichtlicher Studien entbrannt war67. Auch ihre Verteidiger ließen diese nur insoweit gelten, als sie die Bedeutung historischen Wissens für die Exegese anerkannten 68 ; damit lieferten sie zwar ein theoretisches Fundament 65 Vgl. Vine Bell. IX, 1 ; p. 322 mit der kurzen Charakteristik des frühen Nero nach Hugo von Fleury, Eusebius und Sueton. Die eigene Zusammenfassung (IX, 11 ; p. 325f.) richtet er dann ohne wertende Akzente ganz auf die äußeren Tatsachen. —· Zum Gesamtwerk L. Lieser, Vincenz von Beauvais als Kompilator und Philosoph, Leipzig 1928 ; über die Arbeitsweise jetzt am besten A. L. Gabriel, Vinzenz von Beauvais. Ein mittelalterlicher Erzieher, Frankfurt am Main 1967, bes. pp. 15—25. 86 Was er XIV, 26f. ; p. 550f. aus Hieronymus, der Historia tripartita und Gregor von Nazianz zu einem Bild des Julian Apostata zusammenfügt, ist unter den Kategorien Gut und Böse ohne pressende Deutung nicht faßbar. Damit wird natürlich nicht die Möglichkeit geleugnet, in einer besonderen Studie seine Geschichtskonzeption, mindestens aber das Selektionsprinzip, aus den Exzerpten zu destillieren. 67 A. Borst, Geschichte an mittelalterlichen Universitäten, „Konstanzer Universitätsreden" 17, Konstanz 1969. — J. Ehlers, Monastische Theologie, historischer Sinn und Dialektik, „Miscellanea Mediaevalia" 9 (1974), pp. 58—79. 68 Grundlegend C. Spicq, Esquisse d'une histoire de l'exégèse latine au moyen âge, Paris 1944. Ferner und im einzelnen Β. Smalley, The Study of the Bible in the Middle Ages, Oxford 1952, bes. pp. 83—106, 120—149 (Viktoriner), 214—242 (Petrus Comestor, Petrus Cantor, Stephan Langton) ; Η. Wolter, Geschichtliche Bildung im Rahmen der artes liberales, „Studien u. Texte z. Geistesgesch. d. MA" 5, Leiden/Köln 1959, pp. 50— 83; L. Boehm, Der wissenschaftstheoretische Ort der historia im früheren Mittelalter, „Festschr. J. Spörl", München 1965, pp. 663—693; Β. Smalley, L'exégèse biblique du

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für eine neue Verbindung von Theologie und Geschichte, aber nur in sehr allgemeiner Weise eine Theorie der Geschichtsschreibung69. Bei Otto von Freising hat sich dieses Problem darin gezeigt, daß er autonome Darstellung forderte, als hochgebildeter Universalhistoriker aber die einzelne Erscheinung um des Exemplarischen willen so ins Allgemeine hob, daß sie ihre Besonderheit verlor. Je besser ihm das gelang, um so schwächer war er als Historiker im Vergleich zu seinen Zeitgenossen70. Nachweisen läßt sich das unter anderem anhand einer vergleichenden Untersuchung der Art, wie unterschiedlichste Autoren Gutes und Böses praktisch Zustandekommen sahen. Natürlich ist Gott mit seinen Engeln und Heiligen hier ebenso am Werk wie der Teufel mit Dämonen und überwundenen heidnischen Göttern. Das ist als Tatsache gewiß nicht überraschend, es fragt sich nur, wie es jeweils geschieht und welche Bedeutung ihm zugesprochen wird. Dabei können die Standpunkte im Hinblick auf das Wirken Gottes schon im allgemeinen sehr unterschiedlich sein71. Daß es göttliche Zeichen in der Geschichte gibt, war verbreitete Überzeugung, aber nicht alle zogen die gleichen Folgerungen daraus. Neben der bitteren Einsicht in die Ignoranz der Menschen72 gibt es die Auffassung, daß zeichenhafte Katastrophen durchaus als Antwort auf die Übel der Zeitgeschichte erkannt werden73 und Gott der ,,malignitas" entgegentritt, indem er das Gute noch zum Besseren befördert74. Politische 12e siècle, „Entretiens sur la renaissance du 12e siècle" (1968), pp. 273—283; P. Meinhold, Thomas von Aquin und Joachim von Fiore und ihre Deutung der Geschichte, „Saeculum" 27 (1976), pp. 66—76. β9 Sie ist implizit u. a. in der Historia scholastica des Petrus Comestor enthalten („PL" 198, col. 1053—1844), die um 1169 im Anschluß an die Lehren der Viktoriner geschrieben wurde : Dominanz der Bibel für den Berichtshorizont, der nur selten in den „Additiones" überschritten wurde (ζ. B. col. 1109, 1541 Β) ; deren Autorschaft ist freilich unsicher. Smalley, Bible (wie Anm. 68), pp. 178—180 u. pp. 196—231. 70 Dazu F.-J. Schmale, Einleitung zu Otto Fris./R., pp. 15—26; vgl. ebd. p. 11 Anm. 42: „Der Geschichtsdeuter hatte den Vorrang vor dem empirischen Historiker." 71 Immer wiederkehrende Floskeln wie ζ. B. die, daß „divina ammonitione" oder „sancti Spiritus instinctu ammonitus" Schenkungen an die Kirche gemacht werden (Vita Meinw. c. 31; p. 34 und c. 35; p. 36) bleiben hier außer Betracht. 72 Ann. Dis. zu 1117; p. 23. 73 Rol. Pad. II, 3; p. 48. Vgl. ebd. IV, 9; p. 71 (Bannung Friedrichs II. im März 1239) und V, 22; p. 85 (Tod des Gegenkönigs Heinrich Raspe, 1247). Allerdings wird differenziert: Otto Bl. c. 26; p. 38 schreibt, daß der Sturm während des Mainzer Hoffestes 1184 gerade von einsichtigen Teilnehmern „non pro bono omine" genommen wurde, sieht selbst aber keine Folgen eintreten. Ähnlich Chron. reg. Col. zu 1184; p. 133. Dagegen bezieht Arn. Lüb. III, 10; p. 94 das Ereignis auf den Tod der Kaiserin. 74 Rol. Pad. XII, 4; p. 139. Die Konversion, nach der Graf Ludwig von Arnstein „mutatus in vir alterum" lebt, ist auf direktes Einwirken Gottes zurückzuführen: Vita Lod. p. 390f. Zum Text Schmale (wie Anm. 39), p. 356f.

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und militärische Ereignisse können als Gericht Gottes verstanden werden, wobei dem Teufel mitunter die Ausführung übertragen wird75. Gerade bei theologisch weniger reflektierenden Schriftstellern war dieses Schema beliebt, ζ. B. beim Pseudo-Turpin (um 1150), der Karls Nachhut wegen der Trunkenheit vieler Krieger untergehen läßt und dann die Frage beantworten will, warum Gott auch die Nüchternen in den Tod schickte 76 : „Quia noluit ut ad propriam patriam amplius redirent, ne forte in aliquibus delictis incurrerent". Das Erleiden eines Übels, so schon die aus der Antike bekannte Meinung77, ist in keinem Falle schlecht, vor allem dann nicht, wenn es mit der menschlichen Sündhaftigkeit ursächlich verbunden gesehen wird. Diese Grundkonstitution kann von übermenschlichen Kräften genutzt werden, so daß die Opfer „a daemonibus lapsi" ins Verbrechen fallen78. Gott bedient sich aber auch der Menschen als Werkzeug; sie können dabei in irdische Schuld geraten, die irdisch gesühnt werden muß79. Am einfachsten ist auch hier immer die Angabe eines direkten Schuld/Strafe-Zusammenhangs80, wobei das selbst im Sinne der Zeit Banale nicht vermieden wird81. Mit diesem Gerüst von Vorstellungen machte man sich daran, die beschriebene Geschichte durch zusätzliche Erklärungen auszulegen, wobei die politische Absicht oft genug durchschlug82. Der Krieg 75

Ann. Pal. zu 1179; p. 95, wo die Eroberung Haiberstadts durch die Partei Heinrichs des Löwen „non sine iusto Dei iudicio" verhängt, dann aber ,, human i quoque generis hoste . . . incitante" ins Werk gesetzt ist. *> Ps.-T. II, 21; p. 75f. Dort auch das Folgende. 77 Piaton, Gorgias 469 c ff. 78 So auch Chron. reg. Col. zu 1160; p. 104f., wo der Volkshaufe, der Eb. Arnold von Mainz tötete, im Zorn, „imrao demonium habens", vorgestellt wird. Hier ist aber auch Rhetorik zu sehen, mit der eine bis zum Wahnsinn gesteigerte W u t beschrieben werden soll. 79 Chron. reg. Col., Cont. I I I zu 1208; p. 226: Die Ermordung Philipps von Schwaben geschah „secundum disposicionem Dei", aber (p. 228) sein Mörder Otto von Wittelsbach wurde ebenfalls ermordet, ,,ut decuit digna morte vitam finivit". 80 Chron. Erf. zu 1166 (statt 1167); p. 184, wo die vor Rom im deutschen Heer wütende Pest als Strafe Gottes für zuvor begangene Kirchenschändungen gesehen ist. Bei Lamb. Ar. c. 18; p. 571 fällt Graf Radulf von Ghisnes „iusto Dei iudicio" im Kampf, weil er ein Bedrücker des Volkes über jedes Maß hinaus war. Das ist bemerkenswert, weil dieser sonst ganz am Stoff orientierte, fast nie wertende Text dynastisch festgelegt ist. 81 Alb. Stad. zu 1183; p. 350: Während eines Hoftages in der Pfalz Erfurt brechen die Bodenbalken, so daß die Versammlung in eine darunter liegende Abtrittgrube stürzt. Am tiefsten fällt Graf Heinrich von Schwarzburg, der immer zu schwören pflegte: „Si haec fecero vel dixero, submergar in latrina". Die Stelle charakterisiert überhaupt den Reflexionsstand des Autors im Hinblick auf Schuld und Sühne, Herausforderung und göttliche Vergeltung. Diese „Weltchronik" ist ganz aus dem Geist der Annalistik verfaßt. 82 Das ist freilich innerhalb einer politischen Theologie zu sehen, der die neuzeitliche Trennung beider Bereiche noch unbekannt war. Diese Denkweise ist mittlerweile

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mit seinen meist unmenschlichen Formen und lange spürbar nachwirkenden Begleiterscheinungen war natürlich eine Herausforderung, und es ist bemerkenswert, daß ihr im Grundsätzlichen ausgewichen wurde. Für den Pisaner Bernardo Marago (f nach 1182) siegte seine Stadt „virtute Dei, qui exaltat humiles et deponit superbos" über Lucca und Genua83; bei Rahewin (f 1170/77) erklären die Einwohner von Crema ihre Niederlage gegen den Kaiser mit dem Zorn Gottes über ihre Sünden84. Angesichts der Fülle von Kriegsberichten, die notwendigerweise von den Historiographen zu liefern waren, sind die wenigen und dürftigen Kommentare auffällig. Das erklärt sich aus der pragmatischen Haltung, mit der viele Schriftsteller ans Werk gingen, des weiteren mit ihrer eigenen und teilweise großen politischen Erfahrung. Heinrich von Lettland (f um 1259) leitet die irdischen Übel aus innerweltlichen Ursachen ab, obwohl er als Kämpfer gegen heidnische Götter natürlich Dämonen kennt85. Sie spielen aber keine Rolle im politischen und militärischen Geschehen, das er im Gegenteil ganz unter den praktischen Gesichtspunkten schildert, unter denen es ja auch meist von den handelnden Personen angefaßt worden ist86. Wenn dagegen der Pseudo-Turpin die Einnahme Pamplonas durch Karl den Großen auf die Hilfe Gottes und des hl. Jacob zurückführt87, so ist häufig untersucht worden; vgl. E. H. Kantorowicz, The Kings's two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton 1957. — Ders., Laudes regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Mediaeval Ruler Worship, Berkeley 21958. — G. Koch, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert, Berlin (Ost) 1972. 83 Bern. Mar. zu 1171; p. 260. Bei der sehr deskriptiven Arbeitsweise dieses Autors ist das eher eine Redensart als eine Erklärung. Vgl. zu 1172; p. 264. Auch der Ausruf „O divinam ob praeterita scelera ultionem!" angesichts eines Sieges über nordische Seefahrer, die vorher das Land verwüstet hatten (bei Galfr. Mon. V, 15; p. 102), muß im gleichen Sinne verstanden werden. Ebenso Vita Arn. p. 161 f. über die von Gott niedergeworfenen Gegner des Erzbischofs Arnold von Mainz. Zur Sache L. Falck, Mainz im frühen und hohen Mittelalter, Düsseldorf 1972 ( = Gesch. d. Stadt Mainz 2), pp. 150—154. 84 Otto Fris./R. IV, 71; p. 658. Dem entspricht aber nicht etwa eine Gunst Gottes, der Friedrich I. seinen Sieg verdankt: ihm half die Fortuna. — Die Eroberung Edessas (1143/44) durch 'Imäd ad-Din Zengi ist ähnlich auf die Sündhaftigkeit der Christen zurückzuführen: Otto Fris. VII, 30; p. 356. 85 Vgl. Heinr. L. X, 14; p. 39f. Skeptische Abwertung der heidnischen Götter aus Naturkenntnis bei S . G r a m m . III, 3.8; p. 69f. ; sie waren von Priestern abhängig (III, 4.1; p. 70) und konnten allenfalls früher naive Menschen betrügen (VI, 5. 3—6; p. 152). 86 Das zeigen seine Berichte über Bündnisse mit den heidnischen Semgallen, deren man sich immer versicherte, wenn es zweckmäßig schien: Heinr. L. VI, 7; p. 14. IX, 2; p. 21 f. X, 10; p. 34 u. ö. 87 Ps.-T. I, 2; p. 43. Hilfe Gottes im Krieg auch Ann. Pal. zu 924; p. 60, wo die Niederlage gegen die Ungarn als nur deshalb möglich dargestellt ist, weil der sonst wunderkräftige Bischof Ulrich von Augsburg den Sieg nicht erbeten konnte.

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das aus den besonderen Bedingungen zu erklären, unter denen dieser Text entstanden ist88. Er wollte den Kampf Karls mit dem islamischen Feind als einen von Christus unterstützten Krieg der „bonae virtutes" 89 gegen Anbeter des Teufels90 zeigen, weil er propagandistische Ziele im Gewände der Historiographie verfolgte. Dieses propagandistische Motiv ist immer dort von Bedeutung, wo Herrschergestalten unter dem Gesichtspunkt von Gut und Böse ihrem Gott konfrontiert werden. Er kann dem gerechten Herrscher helfen 91 und den ungerechten strafen 92 , er kann böse Handlungen des Königs verhindern 93 oder durch seinen Tod Verbrechen entstehen lassen94. Der politische Standort des Geschichtsschreibers bestimmt die Auswahl solcher Charakteristiken, die immer dann besondere, oft anekdotisch-langlebige Wirkung erzielen, wenn sie mit dem Schuld/StrafeMechanismus arbeiten 95 . Dabei erreichen sie mitunter große Schärfen in der Verurteilung: Heinrich IV., so notiert der Annalista Saxo (t nach 1139), verehrte ein kleines ägyptisches Idol; jedesmal, wenn er von ihm eine Auskunft erbat, mußte er einen Mord oder an einem kirchlichen Hochfest einen Ehebruch begehen. ,,Infeliciter ergo vixit, quia sicut voluit vixit 96 ". Der freie Wille, Argument gegen die Zweifler an Gottes Schöpfermacht und Weltordnung, ist hier die Ursache allen Unglücks von König und Reich. Andere politische Konstellationen brachten freilich andere Wertungen hervor. Als Heinrich V. von den Großen seiner Umgebung mit dem Hinweis auf die göttliche Strafe davon abgehalten werden sollte, den gefangenen Grafen von Bar hängen zu lassen, erwiderte er zornig : „Der Himmel gehört dem Herrn des Himmels, die Erde aber hat er den Menschenkindern gegeben". Mit diesem Wort aus dem 113. Psalm läßt Otto von Freising den Kaiser, seinen eigenen Onkel, für sich die 88 P. E. Schramm, Der König von Frankreich 1, Darmstadt 2 1960, pp. 142f. — I. Short, A Study in Carolingian Legend and its Persistence in Latin Historiography (XTI^—XTVth Centuries), „Mittellat. Jb." 7 (1972), pp. 127—152. 89 Ps.-T. I, 8; p. 49 f. 90 Ps.-T. I, 12; p. 56. Ganz trocken und ohne Einsatz übermenschlicher Mächte beschreibt dagegen Chr. Ad. die Sarazenenkämpfe. Die Chronik ist im übrigen annalistisch aufgebaut und wirkt wie eine historiographische Primitivform. 91 Ann. Saxo zu 1037; p. 681 (Konrad II.). — Vita H. IV. c. 9; p. 32 (Heinrich IV.). — Otto Fris. IV, 2; pp. 185—187 (Constantin). 92 Ann. Saxo zu 1056; p. 691 (Heinrich IV.). — Vita H. IV. c. 11; p. 36 (Heinrich V.). 93 So die Aufhebung des Bistums Bamberg durch Konrad II. mittels einer Vision des Bischofs Brun von Augsburg: Frut. zu 1025; p. 56ff. 94 Vita H. IV. c. 2; p. 13 (Tod Heinrichs III.). 95 In der abgehauenen Schwurhand des Gegenkönigs Rudolf (Schlacht an der Elster, 1080) zeigt sich Gottes gerechte Strafe für den Meineidigen : Vita H. IV. c. 4; p. 19. 96 Ann. Saxo zu 1068; p. 697. Vgl. Ann. Pal.; p. 70.

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innerweltliche Autonomie in Anspruch nehmen, ohne daß darin ein Anlaß zur Kritik gesehen wird97. Mitunter zeigt man den Herrscher auch durch dominierende Eigenschaften wie „caritas" oder „compassio" in einer Verfassung, die dann nur noch als Heiligkeit beschrieben werden kann und mit der er jeder Betrachtung unter den Gesichtspunkten von Gut und Böse entzogen wird98. Die politische Absicht ist hier ebenso offensichtlich wie im negativen Urteil. Gleichwohl gab es auch Unsicherheit gegenüber als schlimm empfundenen Vorgängen und der doch hinter ihnen angenommenen Fügung Gottes. Diese Unsicherheit konnte in der Erzählung nur mitschwingen99, sich gelegentlich bis zu leisem Zweifel steigern100, aber auch Erklärungen herbeizwingen. Für die grausamen Judenmorde durch die Kreuzfahrer in Köln und anderen rheinischen Städten wußte Albert von Aachen (f vor 1150) keine genaue Begründung zu geben, weil er nicht entscheiden konnte, ob sie „Dei judicio aut aliquo animi errore" zustandegekommen waren101, sah aber im Untergang dieser Gruppe mit Emicho von Leiningen eine von Gott verhängte Sühne dafür 102 und übernahm gern die Feststellung Peters von Amiens, wonach die Verbrechen seiner Kreuzfahrer auf dem Wege bis Byzanz auf ihre „imprudentia" zurückzuführen waren103. Solche Irritationen müssen vor der stets drohenden Gefahr dualistischer Erklärungsmodelle verstanden werden, denen Otto von Freising

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Otto Fris./R. I, 11; p. 150. Der Graf blieb am Leben, aber nicht, weil Heinrich von der Zurede beeindruckt war, sondern weil sein Zorn „irrationabili motu" abflaute. 98 G. Lud. I X . ; p. 52f. Vgl. R. Folz, La sainteté de Louis IX d'après les textes liturgiques de sa fête, „Revue d'histoire de l'Église de France" 57 (1971), pp. 31—45. — Bei Th. Tusc. p. 497 f. prüft Christus selbst in Gestalt eines Aussätzigen die Barmherzigkeit Robert Guiskards und verspricht ihm dann die Erhöhung seines Hauses. 99 Helm. I, 6; p. 16 der Bericht vom Rückfall der schon christianisierten Einwohner der Insel Rügen ins Heidentum „permitiente Deo". 100 Ann. Marb. zu 1212; p. 82f. mit der zwischen „Unsinn" und „frommes Werk" schwankenden Beurteilung des Kinderkreuzzuges durch die Zeitgenossen. Der Autor entschied sich übrigens mit der „mens sanior" für „Unsinn" und sah die Kritik durch den Ausgang des Unternehmens bestätigt. — G. arch. M. c. 21 ; p. 400 wird die Erhebung des Erzbischofs Werner von Magdeburg „per violentiam" Heinrichs IV. gemeldet und auf Kritik verzichtet, weil das „Dei permissione" geschehen sei. 101 Alb. Aach. I, 26; p. 292. 102 Alb. Aach. I, 29; p. 295. Während des Berichts über die anschließenden Kämpfe mit den Türken werden auch die fürchterlichsten Grausamkeiten der Christen anekdotisch und ohne wertenden Bezug auf ethische Normen behandelt; vgl. bes. VI, 23; VI, 30; VII, 40. 103 Alb. Aach. I, 15; p. 283. Das auch mehrfach für andere Gruppen, z. B. I, 23; p. 289f. (Priester Gottschalk).

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mitunter schon bedenklich nahe kam104. Robert von Auxerre (f 1212), der diese Klippen sehr gut kannte105, verlangte gleichwohl Aufschluß über Gründe und Ursachen, die jedem Geschehen zugrundelägen108; angesichts der unbezweifelten, empirisch beschreibbaren Realität des Teufels107 konnte ein solches Postulat aber dazu verleiten, Gutes auf Gott, Böses auf den Teufel als Urheber zurückzuführen; zum mindesten als Auftraggeber aber war Satan unentbehrlich. Er trat der Kirche in vielerlei Weise entgegen; bekämpfte den Papst 108 , der die offene Feldschlacht seinerseits nicht scheute109 und in Visionen Warnung und Trost erfuhr110, oder gefährdete den Episkopat 111 und die Klöster112. Vieles ist dabei aus der Polemik gekommen 104 Otto Fris. I, 20; p. 54: Christi Geburt schreckte den König Herodes, die Führung des Volkes Israel durch Gott den Teufel, der deshalb seine „civitas" zu verbrecherischem Tun antrieb. 105 j r r w a r verständnisvoller Zeuge und Chronist der Albigenserkreuzzüge in ihrer ersten Phase und wußte auch über die theologisch-propagandistische Vorbereitung Bescheid. Zum politischen und militärischen Ablauf P. Beiperron, La croisade des Albigeois et l'union du Languedoc à la France (1202—1249), Paris 1942; seine Verbindung zu Theologie und Kirche bei W. L. Wakefield, Heresy, Crusade, and Inquisition in Southern France, 1100—1250, London 1974. 106 Rob. Aux. zu 1181; p. 245, mit Bezug auf Hiob V, 6. 107 Vgl. die Abbildung „Diabolus sedens super Bçemoth" mit der fast naturkundlichen Erklärung bei Lamb. Om. p. 125 (fol. 62 r ), die im Zusammenhang eines kompilierten Realienbuches gesehen werden muß. Bilder wie dieses sind bei Lambert keine illustrierenden Beigaben, sondern Teil der Darstellung selbst; weil es sich hier um das Autograph handelt, ist dieser Befund gesichert. 108 Don. II, 1.186; p. 383, wo die Gegner Gregors VII. als „sathanae . . . proles" auftreten und II, 14. 994ff. ; p. 399: „Speciem zabuli gerit iste" über den Volkshaufen, der einen Kardinal beschimpft. Bei Gunth. c. 8; p. 28 fürchtet Innocenz I I I . nach der Belagerung von Zara 1202, daß sein Kreuzzugsunternehmen „maligni hostis invidia" behindert würde. Zur Sache H. E. Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart 1965, pp. 174—177. Nach Rob. Aux. zu 1208; p. 272 wird der päpstliche Legat Peter von Castelnau durch einen Pagen Raimunds IV. von Toulouse ermordet; dieser Page ist ,,unus ex satellitibus Sathane". Vgl. dagegen Alb. Tr. zu 1208; p. 888. — P. Bern. § 49; p. 500 erkennt in einem Attentäter den „minister diaboli", erklärt sonst aber die Anschläge auf Gregor VII. mit säkularen Motiven. Der Gegenpapst Clemens I I I . (Wibert von Ravenna) als „missus sathanae" und „homullus antichristi" bei Don. II, 1. 250f.; p. 384 und II, 12.884f.; p. 397. 109 Gregor VII. sah in der Auseinandersetzung mit Heinrich IV. „pugnam diaboli in apertum prosilire campum" (P. Bern. § 71 ; p. 513) und ein „signum antiqui serpente" (§ 74; p. 514). 110 Vor seiner Erhebung zum Papst schaute Hildebrand den Freudentänze aufführenden Simon Magus, der bisher in der Kirche sein Unwesen treiben konnte: P. Bern. §25; p. 484. Zum Realitätsgehalt vgl. ebd. §31; p. 487 und die Marienvision § 33; p. 488 f. 111 Caes. I, 4; p. 240 und II, 2; p. 253 zu Engelbert von Köln, dessen Mörder schließlich „dyabolo pieni" sind (II, 7; p. 262) und nach der Tat „cum duce suo sathana" umherirren (II, 17; p. 279). Ganz „innerweltlich" aber Chron. reg. Col. zu 1225; pp. 255ff. Die Schwierigkeiten Norberts als Erzbischof von Magdeburg werden auf „invi-

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und es bestand kein Zweifel, daß mit dem Anwachsen der Teufelsmacht die Kirche stärker wurde113, aber die Realität der bösen Macht wurde zu ernst genommen, als daß reines Kalkül sie in den historiographischen Bericht hätte führen können. Ein gutes Beispiel dafür ist die wörtliche Aufzeichnung einer Offenbarung, die dem Abt Richard von St. Vaast im Jahre 1011 zuteil wurde. Hugo von Flavigny (f um 1140) überliefert das Wechselgespräch zwischen dem Erzengel Michael und der Seele, in dem die große eschatologische Perspektive von Antichrist und Weltgericht enthüllt wird und in dem zuletzt Christus selbst das Wort nimmt114. Dennoch wirkt vieles in derartigen Berichten wie eine dunkle Folie, vor der sich Verdienste strahlender abzeichnen sollen. Alle die armen „vom Schwanzende des Teufels Getroffenen", denen die Hilfe Norberts von Xanten zuteil wird115, haben auch ihre literarische Funktion, indem sie den Dämonenkampf personenbezogen schildern helfen116 und das Charisma des heiligmäßigen Helden ins Übermenschliche steigern117. Mit diesen mentalen Voraussetzungen und schriftstellerischen Techniken arbeiteten die Autoren auch bei der Wertung politischer Ereignisse und setzten gegen den Bezug des Herrschers auf Gott seine Verstrickung in teuflische Machenschaften. Das reicht von der Kritik an bestimmten Maßnahmen118 bis zur negativen Gesamt-

dia diaboli" zurückgeführt (G. arch. M. c. 26; p. 413), ebenso ein Überfall auf Dietger, den Elekten von Metz (Vita Th. M. II, 22; p. 476). 112 Vita Th. M. I, 16; p. 455f. Ferner Rig. c. 8; p. 17f. und Chron. M. Ser. zu 1151; p. 148. Vgl. ebd. zu 1124; p. 139 (Kreuzreliquie). 113 Hugo Flav. I; p. 315. 114 Hugo Flav. I I ; p. 381 ff. Vgl. ergänzend die Satansvision ebd. I I ; pp. 387ff. 115 „. . . aculeo caudae demonis percussi"; Vita Norb. c. 13; p. 685. Weitere Zeugnisse lebendigen Teufels- und Dämonenglaubens ebd. c. 3; p. 673. — c. 9; p. 679f. — c. 10; p. 680f. — c. 14; pp. 686ff. — c. 17; p. 692f. — c. 21; p. 702f. 116 Mitunter reichte die Nennung des Namens Norbert aus, um Teufel zu vertreiben, ohne daß er selbst anwesend war: Vita Norb. c. 15; p. 690. Einfache Gegenwart ohne exorzistische Aktivität genügte bei Gottfried von Cappenberg: Vita God. c. 8 ; p. 523. Ähnlich für den Bischof Pulchronius von Verdun (um 430) : Hugo Flav. I; p. 311. 117 So der Christusvergleich aus Norberts eigenem Munde : Der gleiche Teufel, der die Juden zur Tötung Christi verleitet hätte, würde nun ihm nachstellen: Vita Norb. c. 18; p. 696. 118 Ann. Dis. zu 1081; p. 8 geschieht die Ernennung Wiberts von Ravenna als Clemens III. zum Gegenpapst durch Heinrich IV. unter dem Einfluß des Teufels. — Rig. c. 92; p. 124f. läßt Philipp II. August „instigante diabolo" seine Ehe mit der dänischen Prinzessin Ingeborg lösen. Ähnlich Hugo Flav. I I ; p. 493, der die Unterstützung französischer Bischöfe für Philipps I. Ehehandel nur „diabolico astu" erklären kann. Bei Ord. Vit. I I I ; 2, p. 72 ist der Angriff Heinrichs I. von Frankreich auf die Normandie Resultat einer Feindschaft, die der Teufel angestiftet hatte.

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Charakteristik119, wenn der Teufel den Herrscher in seinem Handeln bestimmt, und liefert andererseits Argumente zur Verteidigung gegen Vorwürfe120. Der Böse kann, wiederum als Kontrast, das Herrscherlob aufs Höchste steigern, wenn er als Gegner auftritt. Dieses Motiv hat der sonst eher minutiös am sachlichen Detail interessierte Galbert von Brügge sehr wirksam verwendet, als er dem idealen Landesherrn Karl von Flandern den Teufel gegenüberstellte, dessen größte Heimsuchung der Kirche die Ermordung Karls war121. Weil dieser Autor rhetorische „colores" im übrigen bewußt vermeidet, darf er hierin ernst genommen werden. Anders liegt das im Falle eifriger Polemik; so ist Salimbene von Parma (f 1287/88) mit Teufel und Dämonen allzu rasch bei der Hand122. Kriegerische Handlungen ließen sich im Falle besonderer Grausamkeit letztlich auf den Teufel zurückführen123. Das gilt auch für Begleiterscheinungen124 und disziplinarische Probleme im Heer125, aber niemals wird der Krieg als solcher in Frage gestellt oder als böse verurteilt, wenn er gegen äußere Feinde geht. Kämpfe im Innern dagegen

119 P. Bern. § 108; p. 538 (Heinrich IV.). — Hugo Flav. I I ; p. 429 (Heinrich IV.). — Kais. v. 1253ff.; p. 104 (Claudius), v. 56771; p. 185 (Domitian), v. 10634ff.; pp. 276ff. (Julian Apostata). — Der byzantinische Kaiser Andronikos I. (1183—1185) hatte einen Ratgeber , .specie quidam monachum, sed in veritate diabolum' ' ; entsprechend breit werden die Schandtaten dieses Herrschers ausgemalt: Arn. Lüb. III, 8; pp. 84ff. Vgl. Chron. reg. Col., Ree. II zu 1181; p. 131f. 120 „Diaboli instinetu malorum invidia" wird die Gemahlin Heinrichs II. des Ehebruchs beschuldigt: Ann. Pal. zu 1001; p. 66. Selbst die makellose Erscheinung Heinrichs II. sah die im Dienst Bamberger Kanonisationsbestrebungen verfaßte Vita H. II. I, 21; p. 805 von den Nachstellungen des Teufels bedroht. 121 Galb., Prol. ; p. 3. Die T a t selbst wird aber säkular mit dem H a ß des Propstes Bertulf von St. Donatian (über ihn F. L. Ganshof, Anmerkungen zu einer flandrischen Schenkungsurkunde des frühen 12. Jahrhunderts, „Hist. Forsch, f. W. Schlesinger", Köln 1974, pp. 215—225) erklärt. Ganz ähnlich, auch vom schriftstellerischen Ethos her, W. Thér., der (c. 24; p. 548) die Verschwörung gleichwohl auf R a t des Teufels Zustandekommen läßt. Anschläge auf den Herrscher als Teufelswerk auch bei Rig. c. 9; p. 18 und Cosm. III, 13; p. 173. 122 Sal. Par. zu 1249; p. 331 (Julian von Sesso in Cremona), zu 1250; p. 363 (Alberich da Romano), zu 1259; p. 464 (Ezzelino da Romano). 123 Vine. Pr. (zu 1159); p. 678: „Diabolo suadente" schleudern die belagerten Verteidiger Cremonas Steine auf ihre Freunde und Verwandten, die als Geiseln in der Hand des Kaisers sind und vor seinen Belagerungsturm gebunden wurden. Dies ist die einzige Stelle, an der Vincenz nicht säkular erklärt; wahrscheinlich h a t ihn der Vorgang tief betroffen. Ganz anders, nämlich mit militärischer Notwendigkeit und recht teilnahmslos argumentierend. Otto Fris./R. IV, 57; pp. 616/18. 124 Kais. v. 936; p. 98: Auf Anraten des Teufels tötet und brät eine Frau im von Titus belagerten Jerusalem ihr Kind (vgl. Flavius Josephus VI, 20). 125 Hist, ex.; p. 22 (Verlassen des Heeres) und 79 (Überlaufen zum Feind). — Ekkeh. Ree. I zu 1099; p. 144 ließ den Teufel schlechte Leute unter das Kreuzfahrerheer mischen, um es in Mißkredit zu bringen.

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können sehr ausführlich mit dem Eingriff teuflischer oder dämonischer Mächte begründet werden. Helmold von Bosau (f 1177) sah die Ursache für den Aufstand des Sven Gabelbart (989—1014) gegen seinen Vater Harald darin, daß Sven „dyabolico spiritu inflammatus" gewesen sei126. Das war keine für den Augenblick geschaffene Erklärung, sondern Anwendung eines Prinzips, dessen Richtigkeit Helmold mehrfach nachweisen wollte127. So ließ er von Vizelin ausgetriebene Dämonen bekennen, daß sie noch Aufträge des Teufels in Dänemark auszuführen hätten und nahm die Unruhen nach der Ermordung König Erichs im September 1137 als Beweis für einen Zusammenhang, dessen Allgemeingültigkeit ohnehin jedermann bekannt sei: „Bella enim et tempestai es, pestilentias et cetera humano generi inimica demonum ministerio fieri quis nesciat?" 128 Tatsächlich finden wir diese Überzeugung in anderen deutschen Quellen129 und sehen sie auch in Italien130, England131, Frankreich132 und Osteuropa133 wirken. Sicherlich ist das vielfach topisch und konventionalisiert, kann auch nicht als historiographische Maxime für jeden Autor in Anspruch genommen werden, bei dem es sich finden läßt, aber es bleibt doch aussagekräftig für eine Mentalität, die dergleichen für wirksam hielt. Wenn selbst der hochgelobte ,,rex christianissimus" Philipp II. von Frankreich und der zur Heiligsprechung anstehende Kaiser Hein-

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Helm. I, 15; p. 31. Säkulare Begründungen wie Helm. I, 16; p. 34 (Slavenaufstand wegen der schlechten Herrschaftsführung des Markgrafen Dietrich und des Herzogs Bernhard) sind Übernahmen aus Adam von Bremen (hier II, 48) ; vgl. auch Helm. I, 21 mit Adam II, 71. 128 Helm. I, 55; p. 108f. Zur Sache W. Lammers, Vicelin als Exorzist, „Festschr. H. Aubin" 2 (1965), pp. 652—673. 129 Chron. Erf. zu 1283; p. 288 (Aufstand des Volrad von Gotha in Erfurt, weil sein Urheber „spiritu dyabolico inflammatus" ist). Die Gegner des Erzbischofs Arnold von Mainz sind „filii diaboli" (Vita Arn. p. 632), die ihn schließlich ,,deiectione demonica" ermorden (ebd. p. 671). — Alb. Stad. zu 1234; p. 361f. vergleicht die Stedinger mit Lucifer. 130 Ann. Jan. zu 1187; p. 101 (Ermordung des Konsuls Anglerius de Mari und nachfolgender Bürgerkrieg „diabolico arreptus spiritu"). — Rol. Pad. I, 2; p. 40 (Geschlechterkämpfe vom Teufel als dem „discordie seminator" ausgelöst). 131 Ord. Vit. I I I ; 2, p. 157 führt den bekannten Zwischenfall bei der Krönung Wilhelms des Eroberers auf den Teufel zurück : Die Wachen vor der Kirche halten die ihnen ungewohnte Akklamation für Kampfgeschrei und legen sogleich Feuer an das Gebäude. 132 Rob. Aux. zu 1188; p. 253: Spannungen unter den französischen Fürsten am Vorabend des Kreuzzuges sind Machenschaften des Teufels. 133 Cosm. II, 41; p. 145: Die Beziehung zwischen König Wratislaw II. und seinem Bruder, Bischof Gebhard von Prag, ist durch den Teufel gestört. Vgl. ebd. I I I , 18; p. 182 (Heinrich IV./Heinrich V.). 127

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rich II. vor den Listen des Teufels nicht sicher waren, so konnten es gewöhnliche Menschen erst recht nicht sein. Wibert von Nogent berichtet von der zerrütteten Ehe seiner Eltern und den vielfältigen Schwierigkeiten, die seine Mutter im Verband der Großfamilie hatte. Als der Vater in normannische Gefangenschaft geriet, was nach aller Erfahrung lebenslange Haft bedeutete, verweigerte die Frau jede Nahrung und wurde eines Nachts, als sie in großer Angst auf dem Bette lag, vom Teufel besessen, der sich, so Wiberts Kommentar134, ja immer an Trübsinnige hält. Mit vernichtendem Druck lastete der Feind auf ihr, so daß sie kein Glied rühren und keinen Ton herausbringen konnte, aber mit klarem Verstand bat sie um Gottes Hilfe. Da erhob am Kopfende des Bettes ein guter Geist seine Stimme und rief die Maria an, worauf der Böse mit solcher Gewalt ausfuhr, daß die Kammer bebte, und der freundliche Geist versicherte ihr, daß sie eine gute Frau sei. Jedem modernen Leser dieser Geschichte steht mindestens eine vulgärpsychologische Erklärung zu Gebote ; hier kommt es indessen auf einige andere Gesichtspunkte an. Für Wibert ist das Dämonische, die Macht des Bösen, als reale Kraft vorhanden. Er repräsentiert gewissermaßen einen persönlichen Erfahrungshorizont, innerhalb dessen auch andere Nachrichten vom Wirken dieser Mächte verstanden wurden und auch jetzt im Nachvollzug verstanden werden müssen. Manches, was uns als Redensart erscheint, mag dieser Erfahrung ein Signal gewesen sein, eine Kürzel, die sogleich zur vollen Aussage erweitert werden konnte. Die Wirkung Gottes oder des Teufels auf die Entschlüsse des Menschen waren zu sehr aus dem individuellen Lebenskreis bekannt135, als daß wir nur mit literarischen Traditionen und Versatzstücken rechnen dürften. Freilich gehört Wibert zur älteren Mönchsgeneration, für deren Lebensgefühl Dämonengeschichten alltäglich waren ; man sammelte und archivierte sie, tauschte das Gesammelte auch aus136, aber die Erfahrung blieb nicht auf diesen Kreis beschränkt. Peter Abaelard (f 1142) zog gegen Ende seiner Historia die Summe aus seinem bisherigen Weg und sah sich vom Teufel an einem ausgeglichenen Leben

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Die ganze Erzählung Wib. I, 13; p. 43f. 135 wib. I, 15; p. 55f. (Teufel). Eine Marienerscheinung hinderte ihn am Verlassen. seines Konvents (I, 16; p. 61 f.), nach einer weiteren Vision wandte er sich vom Verfassen erotischer Lyrik ab und zum Bibelstudium zurück (I, 17; p. 64f.). 136 Wib. II, 5; p. 122ff. — Vita Th. M. I, 19; p. 458. — Ord. Vit. III; 2, p. 42f. berichtet von einem Mönch in St. Évroul, der unter dem Einfluß eines Dämons so intensiv stiehlt, daß er aus dem Konvent entfernt werden muß. Für Thietmar von Merseburg jetzt einiges bei H. Lippelt, Th. v. M., Köln 1973, p. 70. Eine Gesamtdarstellung dieses Komplexes fehlt. 4»

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gehindert137; auch Mönche in der zweiten Hälfte des 12. und im 13. Jahrhundert haben mit ähnlicher Intensität berichtet wie Thietmar oder Wibert vor ihnen138. Dämonen stiften zu Schaden an139 oder weisen durch ihr Erscheinen auf kommendes Unheil hin140, gelegentlich finden sie sich im Gefolge von Häretikern141 oder stehen im Krieg auf der Seite des Feindes142. Vorsichtige Kritik am Dämonenglauben findet sich zwar auch143, steht aber vereinzelt und richtet sich an übertriebene Erscheinungformen eher als an das Phänomen im ganzen144. Dennoch darf eine noch so umfangreiche Sammlung von Belegstellen nicht zu der optischen Täuschung verführen, daß die Historiographie von solchen Anschauungen durchweg bestimmt worden wäre. Bedenkt man die Masse des Materials, also den äußeren Umfang der Texte, die Vielzahl berichteter Ereignisse und charakterisierter Personen, dann stellen sich die angemessenen Relationen wieder her und die Ausbeute erscheint weniger eindrucksvoll. Es gibt Autoren, die nicht überirdische Mächte, sondern menschliche Leidenschaften für die Ursache aller Übel hielten und dabei zu so kräftig weiterlebenden Schilderungen fanden wie sie dem Saxo Grammaticus mit der Geschichte Hamlets gelangen145. Andere griffen antike Muster

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P. Ab.; p. 105. Caes, (f 1240) I, 2; p. 237f.: Güterzuweisungen als „retia demoniorum" dem Seelenheil abträglich. Ebd. II, 15; p. 273f.: Ein Fall von schwerer Besessenheit in Magdeburg. Über diese Stadt als berühmten Tummelplatz von Dämonen Arn. Lüb. VI, 4; p. 221 f. Reliquien gegen Dämonen: G. abb. Lobb. c. 15; p. 318. Vgl. ebd. c. 24; p. 328 (ein Engel Satans bei Abt Leonius von Lobbes). 139 Rig. c. 52; p. 79 f. 140 Otto Fris./R. IV, 16; p. 548: Glaubwürdige Kleriker und Laien sahen vor dem Brand der Freisinger Kirche (1159) ,,monstra quedam quadrupedia aliaque f a n t a s m a t a " bei Nacht durch die L u f t fliegen; auch hörte man oft Kobolde, sog. Satyrn, in den Häusern („Pilosi, quos Satyros vocant"). 141 Für Berengar von Tours behauptet das Alb. Tr. zu 1050; p. 789. Zahlreiche Belege für die Realität dieser Mächte h a t Alberich in seinen eigenen Zusätzen innerhalb der Kompilation beigebracht, so zu 1160 (p. 845), 1199 (p. 877f.), 1240 (p. 948), 1241 (p. 949). Über einen Häretiker als ,,magnus diaboli laqueus" Rob. Aux. zu 1198; ρ. 258. 142 Ps.-T. I, 4; p. 45: Nach (unwidersprochener) arabischer Überlieferung beschützt eine „legio daemoniaca" das Heiligtum Mohammeds gegen christliche Angriffe. Vgl. auch ebd. I, 7; p. 47f. und I, 15; p. 60. 143 W. Malm. II, 124; p. 134f. tadelt die „pene innata credulitas" der Engländer in dieser Hinsicht. 144 Der gleiche Verfasser glaubt, daß Gerbert von Reims einst mit Hilfe des Teufels über See gelangt wäre (W. Malm. II, 167; p. 195) und berichtet von verschiedenen Teufelserscheinungen als Vorzeichen zum Tod König Wilhelms II. im Jahre 1100 (ebd. IV, 331; p. 376). 145 S. Gramm. III, 6.5 — IV, 2.4; p. 77—92. Das ist nur ein Beispiel für mehrere bei diesem Historiographen. 138

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wieder auf 146, wobei gelegentlich eine bewußte Wendung zur säkularen Deutung nachweisbar ist147. Nur am Rande sei gefragt, welche Bedeutung dann im 12. und 13. Jahrhundert die Dämonen und Monstren der bildenden Kunst für die Zeitgenossen hatten. Welcher Rang kam ihnen zu, welche Bewußtseinsstufe repräsentierten sie? Wurden sie im wesentlichen schon als dekorativ empfunden oder zeigte ihr Bild den „illitterati" als dominierend, was der Gebildete in seinen Büchern nur als ein Prinzip unter vielen fand148. V. R e l a t i v i t ä t der Wertung und e x e m p l a r i s c h e Z e i t g e s c h i c h t e Für eine zusammenfassende Bewertung unserer Ergebnisse im Hinblick auf die Historiographen wird es indessen von größerem Nutzen sein, die methodischen Voraussetzungen ein wenig besser kennenzulernen, aus denen sich Urteile über Gut und Böse im Geschichtsverlauf ergeben konnten. Die Nähe zur theologischen Lehrmeinung war auf diesem Gebiet besonders groß, und trotz ihrer Prägnanz sind dualistische Figuren durchweg vermieden worden. Zwar gibt es die Antithese149, aber im grundsätzlichen wird kein Zweifel daran gelassen, 146 Rieh. Ger. zu 1190; p. 7 läßt Friedrich I. „sinistrante fortuna" ums Leben kommen. Zugleich ist das die einzige Stelle in diesem Text, an der andeutungsweise eine Macht evoziert wird. 147 Burch. Ursb. p. 79: Die Auseinandersetzungen nach dem Tode Heinrichs VI. h a t „genitrix et nutrix omnium malorum Discordia" verursacht. In Burchards Vorlage, der Brevis historia occupationis et amissionis terrae sanetae war die „Discordia" noch als „filia dyaboli" erschienen: ebd. p. 62. Zur Vorlage vgl. ebd. p. XVII f. — Für Burchard leiten sich Gutes und Böses meist aus den politischen Verhältnissen ab; vgl. ebd. p. 80. Ähnlich Ann. Alt. zu 1227; p. 388 (Bannung Friedrichs II.). 148 Zweifellos war die Grenze zum Dekorativen fließend, wobei aber nach Lebensbereichen zu unterscheiden ist. Wenn Bernhard von Clairvaux, A pologia ad Guillelmum XI. 29, „ P L " 182, col. 915f. in seinem Kampf für puristische Bauweisen auch die Entfernung monströser Skulpturen aus den Klöstern fordert, so unterstreicht das sein Verständnis der Bauornamentik als überflüssigen Zierat mindestens für Mönche, sagt aber natürlich nichts gegen den Dämonenglauben dieses auch als Exorzist charismatischen Mannes. — Die religiösen Traditionen in der bildlichen Darstellung des Dämonischen untersuchten W. v. Blankenburg, Heilige und dämonische Tiere, Leipzig 1943 u. A. Rosenberg, Engel und Dämonen, München 1967. — Die Deutung im einzelnen wird sehr durch Bezüge auf schriftliche Quellen erleichtert; dazu H. Schade, Dämonen und Monstren. Gestaltungen des Bösen in der Kunst des frühen Mittelalters, Regensburg 1962. — E. R. Labande, Le credo épique. A propos des prières dans les chansons de geste, „Recueil Clovis Brunei" 2 (1955), pp. 62—80 hat, allerdings auf sehr schmaler Quellenbasis, den Unterschied im Bildungsstand des jeweiligen Publikums angedeutet, der von Literatur und bildender Kunst in Rechnung gezogen wurde. 149 Sal. Par. zu 1247; p. 195 glaubt „certissime", daß Christus einen besonderen Freund haben wollte, den er sich ähnlich machte (Franziskus) ; ganz entsprechend habe es der Teufel mit dem Ezzelino da Romano gehalten.

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daß selbst die Auslieferung an den Teufel ohne Gottes Willen nicht geschehen kann150 und daß die Bösen („mali") nur deshalb schädigend wirken dürfen, weil Gott es ihnen erlaubt151. Lag diese Ansicht fest, so gab die Theologie doch mit exegetischen Methoden vielfältige Impulse für die Deutung historischer, besonders politischer Vorgänge. Allegorese und figurale Interpretation152 lenkten immer wieder vom Problem der Herkunft des Guten und des Bösen auf seine Wirkungsweisen ab153 und formten die Übergangszone von politischer Publizistik und Historiographie so, daß beides sich häufig vermischte. Unter den Kategorien von Gut und Böse wurde der realhistorische Verlauf zu einer Reihe figurai ausdeutbarer Fälle, die Fallstudie zum Teilstück einer propagandistischen Anwendungslehre. So teilt Paul von Bernried (f 1146/50) eine Rede Gregors VII. mit, in der vom Papst sein Kampf mit Heinrich IV. als ein gottesgesetztes „signum antiqui serpentis" erklärt wird. Die Kirche trägt Gut und Böse vermischt in sich bis ans Ende der Welt, aber wenn das Böse offenbar wird, schwingt sie das strafende Schwert. „Rex iste (Heinrich IV.), cujus figuram Deus mihi demonstran et cognosci per serpentis similitudinem voluit", ist ein Beispiel dafür154. Dieses Verfahren kann überaus häufig nachgewiesen werden155 und lieferte gelegentlich 150 Hugo Flav. II ; p. 387 : Dem Teufel, der die Seele eines Mönchs in seiner Gewalt zu haben behauptet und erklärt, er sei in Wahrheit Gott, wird von dem Bedrohten entgegengehalten : „Quod ergo in vinculis tuis sum, Domini potestas est et voluntas, non tua." 151 Otto Fris. V i l i , 3; p. 396: Das ist so, weil die Kirche nicht erschlaffen darf, nachdem Gott sie auf die Höhe des irdischen Triumphes geführt hat. 152 E. Auerbach, Figura, „Archivum Romanicum" 22 (1938), pp. 436—489. — H. de Lubac, Exégèse medievale, 2 Bd. e, Paris 1959/61. — F. Ohly, Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, Darmstadt 1966 (ND d. Aufs. v. 1958/59). 153 w i e sie direkt bei der Ketzerbekämpfung verwendet wurden, zeigte G. SchmitzValckenberg, Grundlehren katharischer Sekten des 13. Jahrhunderts, München 1971, pp. 58—79. 154 P. Bern. § 74; p. 514f. Heinrich IV. gebärdet sich wie ein neuer Nebukadnezar in Rom, das schon von Petrus und Johannes als Babylon bezeichnet wurde: ebd. § 108; p. 538. 155 Ich nenne hier nur Caes. II, 9; p. 265, der die 47 Wunden an der Leiche des ermordeten Erzbischofs Engelbert von Köln zahlenallegorisch interpretiert (40 [Reue] + 7 [Gaben des Heiligen Geistes] = die aus der Reue empfangene siebenfache Gabe des Heiligen Geistes und aus ihr das Martyrium) und genau ausführt, wie die Strafe alle Glieder erreichte, mit denen er vorher gesündigt hatte. Ferner natürlich Otto Fris., u. a. I I I , 45; p. 175 (10 ägyptische Plagen = 10 Plagen des Weltstaates während der neronischen Christenverfolgung), IV, 16; p. 203 (der arianisch gewordene Kaiser Valens verbrennt 378 bei Adrianopel, so wie er mit dem Feuer des Unglaubens die Gläubigen verbrannte), IV, 28; p. 220 (Attilas Blutsturz ein „iudicium Dei", weil der an seinem eigenen Blut Erstickte zeitlebens nach Menschenblut gedürstet hatte) und IV, 31 ; p. 223f., wo die Geschichte Babylons präfigurativ auf Rom bezogen ist. — Ein Zusatz des Bearbeiters zur Vita Steph. c. 2; p. 230 will in ähnlicher Weise die Gegenläufigkeit des

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auch Periodisierungshinweise für die Weltgeschichte unter dem Gesichtspunkt des Guten und Bösen. Am Niedergang des Frankenreiches nach dem Tode Ludwigs des Frommen wollte Gott „mortalium miserias ac instabiles mundi" zeigen156, Ordericus Vitalis sah die Ursache für diesen Reichsverfall in der Sündhaftigkeit der Franken 157 und die Kaiserchronik führte die jüdische Katastrophe des Jahres 70 auf die moralische Verkommenheit dieses Volkes zurück158. Das gemeinsame Leben von Guten und Bösen im Schoß der Kirche, mit dem Gregor VII. rechnete159, warf aber gerade im Zeitalter der Kirchenreform Probleme auf, die lange nachgewirkt und im 12. Jahrhundert noch energische Stellungnahmen herausgefordert haben 160 . Als Sigebert von Gembloux (f 1112) über Gregor VII. schrieb, dessen Wirken er selbst erlebt hat, kritisierte er die Exkommunikation von Simonisten und den Ausschluß verheirateter Priester vom Gottesdienst, weil es der Vätermeinung widersprach, wonach die Sakramente durch den Heiligen Geist „seu per bonos, seu per malos intra ecclesiam" wirksam seien161. Auf dieser Ebene waren Gut und Böse als Urteilskategorien demnach nicht zu brauchen : Soweit die Kirche eine Anstalt zur Verwaltung der Sakramente darstellte, mußten sie und ihre Amtsträger solchen Wertungen entzogen bleiben162. Ähnliches wurde bald auch für die königliche Gewalt in Anspruch genommen, indem man den Herrscher als im Auftrage Gottes handelnden Rächer definierte, dem die Menschen wegen ihrer Schuld unterworfen sein sollten163, während die Könige selbst „legibus . . . absoluti" Weltprozesses zeigen, indem er unterstreicht, daß eben zur Zeit ihrer Kirchenverfolgung den Ungarn jener Fürst (Geza, Vater Stephans) erstand, dem sie ihre Christianisierung zu verdanken haben. — W. Thér. c. 38; p. 554 läßt den Auftraggeber zum Mord am Grafen von Flandern sein eigenes Ende in frivoler Rede unfreiwillig vorherbestimmen. 156 Otto Fris. V, 35; p. 259. » 7 Ord. Vit. III; 2, p. 5f. 158 Kais. v. 1006ff.; p. 100. 159 Über die ekklesiologischen Vorstellungen Gregors VII. vgl. Y. Congar, Die Lehre von der Kirche. Von Augustinus bis zum abendländischen Schisma, „Handbuch der Dogmengeschichte" 3, Fase. 3 c, Freiburg 1971, pp. 61—65. 160 Otto Fris. VIII, Prol.; p. 390f. wendet sich im Zusammenhang mit dieser Frage gegen jene, die mit „subtilitates" erörtern, ob die Bösen wegen ihrer Teilhabe an den Sakramenten zur Kirche gerechnet werden sollen und will das Urteil über die Gesamtheit der irdischen „civitas Christi" Gott anheimgegeben wissen. 161 Sig. zu 1074; p. 362f. — Vgl. unten Anm. 205. 162 Noch allgemeiner Otto Fris. VI, 23; p. 286: Einem Papst darf eigentlich nicht kritikwürdiges Leben vorgeworfen werden, denn nach dem Glauben der Kirche kann er um der Verdienste Petri willen weder von der Hölle noch von den Stürmen der Zeit auf Abwege geführt werden. 163 Gottfr. Vit., Sp. I, 1; p. 30. Zum Text Schmale (wie Anm. 39), pp. 79—82. Uber Gottfrieds Bedeutung als Staatstheoretiker W. Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters, Leipzig 1938, pp. 103—107.

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waren und infolgedessen nicht gegen die Gesetze, sondern nur gegen Gott sündig werden konnten164. Das im Menschen angelegte Böse forderte aus dieser Sicht politische Konsequenzen, die dann ihrerseits als im Weltplan verankert erschienen. Leitendes Prinzip der Darstellung ist das zwar bei Gottfried von Viterbo nicht geworden, besondere Verantwortung für die Historiographie und den Historiographen ergab sich aber aus seinem Postulat, daß gerade wegen ihrer Sonderstellung die Herrscher zum Studium der Geschichte verpflichtet seien, um aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen165. In der Mahnung an Heinrich VI., daß gerade er, dem alles erlaubt sei, die Zügel des Gesetzes festhalten müsse, übertrug sich das Motiv in die politische Wirklichkeit, wo freilich die Entschuldigung moralisch verwerflicher Taten mit einer höheren politischen Notwendigkeit längst verbreitet war. Das galt nicht nur für Aktionen im Dienste weltlicher Herrscher, sondern, wie von Nichtchristen seit je polemisch oder nur erstaunt registriert, auch für Handlungen zum Wohl der Kirche und des Glaubens166. Herrscherkritik durch moralisierende Urteile war damit natürlich nicht ausgeschlossen167 und zeigt außer der Vielfalt nebeneinander hergehender Auffassungen auch die Relativität der von politischen Zwängen oft genug hart betroffenen Prinzipien. Beides zu vereinen Gottfr. Vit., Pan. (Proem.); p. 132. ι«5 Wie Anm. 164. 1ββ Ein Anschlag Heinrichs des Stolzen auf Friedrich von Schwaben im Interesse des Reichsfriedens: Otto Fris./R. I, 20; p. 162f. — Graf Emicho von Leiningen ist zwar ein zweiter Saul (mit der naheliegenden Assoziation Saulus/Paulus), vernichtet aber „execrabilem Iudeorum . . . plebem" im Gebiet von Rhein, Main und Donau „zelo christianitatis" : Ekkeh. Ree. I zu 1099; p. 146. Ganz anders als der überhaupt recht eifrige Ekkehard zur gleichen Sache Alb. Aach. I, 26; pp. 292ff. — Die Ermordung aller Einwohner von Beziers während des Albigenserkreuzzuges berichtet zustimmend Rob. Aux. zu 1209; p. 273, für den als Ketzer verbrannte Menschen „diaboli mártires" sind (ebd. zu 1210; p. 275). Vgl. die „specialis amica Luciferi" vor dem Scheiterhaufen bei Alb. Tr. zu 1233; p. 931. — Die Vorgänge bei Eroberung und Plünderung von B y zanz (April 1204) sind bei Gunth. c. 18; pp. 52—54 ohne Gut/Böse-Wertung mitgeteilt. Sein Abt Martin hält (c. 19; pp. 54—57) gewöhnlichen Raub für unwürdig, verschafft sich aber mit brutalen Todesdrohungen gegen einen alten byzantinischen Geistlichen Reliquien. Zum Motiv des Reliquienraubes beim Angriff auf die Stadt Mayer (wie Anm. 108) p. 175 m. Anm. 71. Vgl. Rob. Aux. zu 1204; p. 269. 167 W. Malm. II, 164; p. 185 erklärt die lange und unglückliche Regierung des Königs Aethelred (979—1016) mit seiner Duldung des Mordes am eigenen Bruder Edward, ist sich im übrigen aber der Problematik einer mit Gut und Böse arbeitenden Geschichtsschreibung besonders der eigenen Zeit durchaus bewußt (IV, Prol.; p. 357). — Die Katastrophe des deutschen Heeres vor Rom 1167 als rechtmäßige Strafe für die Schandtaten des Kaisers in Italien: Hist. Weif. c. 32; p. 41. — Heinrich IV. wird moralisch verurteilt bei Gottfr. Vit., Pan., Part. X V I , 24; p. 145 f. — Die letzte Verschwörung der Fürsten gegen Heinrich IV. resultiert aus ihrem Haß wegen der „execranda et nefanda" des Königs: Chron. Erf. zu 1105; p. 158. 164

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fiel auch damals schwer, aber auch damals wurde das Problem gesehen. Kann man eine Lage jederzeit auf ihren guten und bösen Kern hin beurteilen und, was noch schwieriger ist, sich dann entsprechend verhalten ? Dem Ereignis sieht man seine Qualität nicht immer an und muß vergebens fragen, ob übermenschliche Mächte am Werk sind oder ob eine säkulare Erklärung genügt. Warum Schloß sich Anno von Köln dem neidgetriebenen Fürstenkomplott vor dem „Staatsstreich" von Kaiserswerth (1062) an, der doch so ersichtlich böse Folgen hatte ? Wollte Gott es so oder hatte der Erzbischof verborgene Absichten168 ? Während der Belagerung von Tortona durch Friedrich I. im Jahre 1155 baten Klerus und Mönche der Stadt für sich um freien Abzug, weil sie mit dem Entschluß der Bürger zur Empörung nichts zu tun gehabt hätten und man doch durch Gesetz mit jemandem verbunden sein könnte, ohne seine Schlechtigkeit zu teilen ; wenn also in derselben Stadt Demütige und Stolze lebten, dürften nicht alle Bewohner gleich behandelt werden. Der König, so schreibt Otto von Freising169, habe darauf zwar Mitleid empfunden, aber nicht in den Geruch der Schwäche kommen wollen und die Abordnung zurückgeschickt. Der Historiograph hat die Entscheidung gebilligt170 und drückte noch in der Beschreibung Friedrichs Meinung aus, daß eine Abwägung von Gut und Böse hier fehl am Platze war. Begriffe und Wertvorstellungen konnten sich unter politischen Bedingungen verwirren, ja in ihr Gegenteil verkehren. Das war manchem Autor bewußt 171 , bei anderen wieder sind zelotische Naivität und Propaganda ineinandergeflossen172. Der Einbruch des Bösen in die Geschichte stellte sich so am häufigsten in Gestalt des politischen Verbrechens dar, wobei dessen Definition sich aus dem Parteistandpunkt des Historiographen ergab. Bereits einfache Gegnerschaft konnte mo168

Frut. zu 1057; p. 72. Ähnlich zu 1096; p. 108 (Judenmorde am Rhein). Otto Fris./R. II, 27; p. 334. Die Rede der Kleriker ebd. II, 26; pp. 328—334 mit stark auf den Gegensatz von Gut und Böse abgestimmter Argumentation. 170 Zur Einstellung Ottos von Freising gegenüber seinem kaiserlichen Auftraggeber zusammenfassend F.-J. Schmale, Einleitung zu Otto Fris./R., pp. 1—26 und zuletzt W. Lammers, Weltgeschichte und Zeitgeschichte bei Otto von Freising, „ S B Wissenschaftl. Ges. J. W. Goethe-Universität Frankfurt a. M.", Wiesbaden 1977. — Eine ganz andere Art des Urteils Vita Arn. p. 627, wo Erzbischof Arnold beim Zug durch die kriegszerstörte Lombardei 1158 v o m Mitleid mit den geplagten Bewohnern ergriffen wird. Das ist Stilmittel, um die „caritas" unter die übrigen hervorragenden Eigenschaften des umstrittenen Mannes einzufügen. Zur Bedeutung der „caritas" als kennzeichnende Eigenschaft oben p. 39. 171 Die Gefangennahme Heinrichs IV. 1105 wird v o m Mainzer Hoftag mit Jubel begrüßt: „nefas iusticiae, fraudem virtuti ascribebant." Vita H. IV. c. 10; p. 34. 172 Heinr. L. X , 15; p. 40f. sieht die Taufe der Liven zugleich als Dienst am weltlichen Recht, indem Raub, Gewalttaten und Diebstahl endlich unter Strafe gestellt werden. Für weite Bereiche ist diesem Volk damit das Bewußtsein ethischer Normen abgesprochen. 169

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raiisch verwerflich sein173, um wieviel mehr Verrat174 und Kriegshandlungen, deren zeitübliche Begleiterscheinungen immer dann kriminalisiert wurden, wenn vom Gegner die Rede war175. Natürlich lagen gerade im Falle des Krieges objektiv grauenhafte Tatbestände offen zutage und rechtfertigten jede Kritik, aber die ethische Norm stand eben nicht im Vordergrund176. Das galt auch für den politischen Mord, der je nach Lage beklagt oder als Wohltat gepriesen werden konnte. Für den anonymen Verfasser der Vita Heinrici IV. war der Anschlag auf den König im August 1086 ein Verbrechen177, während der Überfall auf Ekbert von Meißen, bei dem der Markgraf in einer Mühle erschlagen wurde, als Beginn einer Erfolgsserie Heinrichs hoch gerühmt wurde178. Die

173 Don. I, 6. 503f.; p. 362 zeigt die lombardischen Gegner der Markgrafen von Tuscien als „more malorum" handelnd. — Vita Arn. p. 611 (zusammenfassendes Urteil des Erzbischofs über seine innerstädtischen Gegner). — 1093 distanzieren sich die Großen in Breslau und Umgebung von den „malis operibus" des Pfalzgrafen Zeczech gegen das Herzogshaus: Gall. an. II, 4; p. 446. Vgl. aber die „mali consiliarii", von denen Zbignew (Sohn Herzog Wladislaws I.) immer wieder zum Aufstand veranlaßt wird; ebd. II, 41; p. 460. Neue Widersetzlichkeiten, diesmal gegen Boleslaw III., erlaubt er sich 1111 „stultorum consiliis acquiescens" (III, 25; p. 476), d. h. weniger ein ethisches als ein intellektuell qualifizierendes Urteil. Ähnlich gehen „malum" und „stultitia" ineinander über bei Sal. Par. zu 1252; p. 448ff. (über Ghibertus de Gente). — Das Urteil über die „malicia" des Pfalzgrafen Otto von Scheyern und seine Familie bei Otto Fris. VI, 20; p. 283 f. ist ein Reflex der Schwierigkeiten, die der Bischof mit diesem Vogt der Freisinger Kirche hatte. 174 Chr. Ad. II, 48; p. 361. Aus der besonderen Lage des spanischen Chronisten konnte Verrat an die Araber nur „a malis hominibus" verübt werden. 175 Gerh. St. zu 1179; p. 214. Der auf Seiten Heinrichs des Löwen stehende Verfasser hebt die Grausamkeiten hervor, mit denen der Erzbischof von Köln als ein „vastator hostilis et impius exactor" im Auftrage des Kaisers das Steterburger Gebiet verwüstete. Besonders die Vergewaltigung von Nonnen ragt unter den begangenen „scelera" hervor. Vgl. ebd. (zu 1187) p. 221 (Erzbischof Konrad von Mainz gegen Heinrich den Löwen). — Vom gleichen Standort zu 1179 Arn. Lüb. II, 11; p. 49. — Über die mit Mailand verbündeten Städte und ihre „scelera" an Pavia der prostaufische Burch. Ursb. p. 27. 176 Für Otto Mor. p. 34f. ist unter allen „terribilia mala", welche die Mailänder den Einwohnern von Lodi zufügten, eines so furchtbar, daß es seit langer Zeit in der Christenheit unerhört ist: Nur mit Zustimmung der Mailänder Konsuln soll ein Bürger Lodis Land verkaufen dürfen. Ein Problem der Stadtverfassung, nicht der Ethik bewegt diesen Schriftsteller, für den Gut und Böse sonst keine historisch-politische Bedeutung haben. 177 Vita H. IV. c. 4; p. 18. Ähnlich Otto Fris./R. IV, 43 ff. ; pp. 596 ff. über die Mordanschläge auf Friedrich I. in Italien. — Leidenschaftliche Verurteilung des Mordes an Philipp von Schwaben Chron. Erf. zu 1208; p. 205. Dieser Teil der Chronik wurde im Jahre 1208 kompiliert; vermutlich war der Verfasser von den Stimmen der „öffentlichen Meinung" beeinflußt. Zum Text Schmale (wie Anm. 39), p. 407f. — W. Thér. c. 26; p. 549 vergleicht die Ermordung des Grafen von Flandern mit der Kreuzigung Christi, seine Mörder mit den Juden. 178 Vita H. IV., c. 5; p. 21 f.

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kühlste Abwägung findet sich beim Gallus anonymus, der die Blendung Zbignews durch den eigenen Bruder Boleslaw rechtfertigen mußte, wobei die zur Schau gestellte Reue des Herzogs Vereinfachungen der üblichen Art ausschloß. Zunächst führte der Historiograph deshalb zwei theologische Argumente ins Feld: Bei einer Sünde („peccatimi") wirke die Ausführung der Tat im Zorn mildernd, Vorsatz dagegen erschwerend179; außerdem müßten „persona", „aetas" und „opportunitas" genau geprüft werden180. Nach dieser Aufforderung zum relativierenden historischen Verständnis der je besonderen Lage kam als allgemeiner Erfahrungssatz die Feststellung, daß aus Bösem nicht notwendig Schlimmeres folge, denn es könne sich auch um einen heilsamen Eingriff handeln181. Angesichts dieser Vorherrschaft des Politischen bei der historischen Urteilsbildung ist es auffällig, wie wenig differenziert die Zeitgeschichtsschreibung den exemplarisch guten Herrscher herausgestellt hat. Es blieb bei konventionellen Kriterien: Gerechtigkeit182, Kampf gegen „malefici" 183 , im äußersten Falle Heiligkeit184, also Herrscher fügenden, nicht so sehr moralische Qualifikation. Auf der anderen Seite, beim Katalog der Anschuldigungen und Klagepunkte, bietet sich insofern ein anderes Bild, als hier die böse Tat, der schlechte Charakter verhältnismäßig individuell hervorgehoben sind und die Skala im ganzen etwas farbiger wirkt. Heinrich IV. muß sich durch „nefanda et inaudita . . . flagitia" kennzeichnen lassen, als „homo perversus", der das Böse („malum") wachsen ließ185, als moralisch schlechthin minderwertig186 und 179 Gall. an. III, 25; p. 476, dort auch das Folgende. Zum theologischen Zusammenhang J. Gründel, Die Lehre von den Umständen der menschlichen Handlung im Mittelalter, Münster 1963. 180 Das entspricht methodisch der Reduktion einer biblischen Erzählung auf den Litteralsinn als Ausgangspunkt der Exegese; vgl. Hugo von St. Viktor, De tribus maximis circumstantiis gestorum, Prolog, ed. W. M. Green, „Speculum" 18 (1943), pp. 488— 492. 181 So schon Boethius, Philosophiae consolatio IV, bes. 2.44f. und 6. 52f.; „Corpus Christ., ser. lat." 94.1, pp. 69 u. 83. 182 Ann. Saxo zu 1137, p. 775 über Lothar von Supplinburg, den Helden dieses Historiographen. — Sug. c. 25; pp. 180/182 („amor justicie" Ludwigs VI.). — Entsprechend erwachsen aus dem Tod des Königs „multa mala" für die Welt: Ann. Marb. zu 1197; p. 70 (Tod Heinrichs VI.); Gerechtigkeit, Frieden und Rechtssicherheit verschwinden: Vita H. IV. c. 1; p. 9 (Heinrich IV.). 183 Chr. Ad. I, 28; p. 347. — Otto Mor. p. 167 (Acerbus M. über Friedrich I.). — Sug. c. 14; p. 84. 184 G. Lud. IX., Proem.; p. 45. Vgl. oben p. 46. Einen musterhaften Herrscher ganz ohne Gut/Böse-Wertung charakterisiert W. Malm. V, 412; p. 488 (Heinrich I. von England, 1100—1135). 185 Ann. Dis. zu 1075; p. 7 und zu 1106; p. 19. Diese sichtlich zeitbezogene Wertung hat der wohl in den 40er Jahren des 12. Jahrhunderts schreibende Autor aus seinen sächsischen Quellen übernommen. Zum Text am besten Schmale (wie Anm. 39) p. 142 f. 188 Ord. Vit. VII; 3, pp. 163ff.

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mit gewöhnlichen Verbrechen nicht zufrieden187. Die Feindschaft Heinrichs V. gegen seinen Vater ist „contra ius naturae et fas legum"188; Friedrich II. quält die Kirche und ihre Getreuen im Reich „malis mala accumulans"189 und die Regierung Adolfs von Nassau besteht aus einer Anhäufung von Verbrechen190. Mit Heinrich IV. und Friedrich II. hatten die Historiographen ihre negativen Helden gefunden; besonders der Salier vermochte alle Rollen zu spielen : Er war nicht nur grausam191, sondern auch ein Feind Gottes und des Glaubens192, ein exemplarischer Verbrecher, der auf die alten Muster zu beziehen war193. Blaß nehmen sich dagegen die guten menschlichen Eigenschaften im allgemeinen aus194 ; wenn Lob konkret wird, bezieht es sich auf Aspekte der jeweiligen Amtsführung195 und hat mit der Frage nach Gut 187 Ekkeh. Ree. I I I zu 1106; p. 288. Das erklärt sich hier aus der Parteinahme für Heinrich V., aber auch ihm gegenüber h a t sich der Verfasser später anders verhalten. Vgl. Ree. IV, bes. zu 1125; p. 374. 188 Sig. zu 1106; p. 369 189 T h . Tusc. p. 511. Ebd. p. 515 über Enzio: ,,. . . sicut plurima mala fecit, sic et mala plurima passus fuit." 190 Chron. Erf. zu 1295; p. 313 f. : Ein Reflex von Adolfs Versuch, sich in Thüringen und Meißen eine eigene Machtgrundlage zu schaffen. Dazu F. Trautz, Studien zur Geschichte und Würdigung König Adolfs von Nassau, „Geschichtl. Landeskunde" 2 (1965), pp. 1—45. 191 Don. I, 18. 1160ff. ; p. 375. Als seine Mutter Agnes mit ihm schwanger ging, h a t t e sie schon geträumt, daß ihr Kind in Wahrheit ein Drache sei. — Grausamkeit ist auch einer der Vorwürfe gegen König Harald von England, mit denen Ord. Vit. I I I ; 2, p. 116 den Angriff Wilhelms des Eroberers rechtfertigte. — Jeder dieser Punkte war Tatbestand im Sinne des Widerstandsrechtes; Kern (wie Anm. 43) pp. 186—189. 192 Hugo Flav. I I ; p. 424. — Friedrich II. als „homo pestifer et maledictus, scisma ticus, hereticus et epycurus" bei Sal. Par. zu 1216; p. 31. 193 Sein Lehrmeister war Nero: Don. II, 1.250Í.; p. 384. Er selbst als „Nero modernus" bei P. Bern. § 6; p. 476, als zweiter Saul „velud furens ignis e celo lapsus" (vgl. 1. Sam. XV, 26f.) in den G. arch. M. c. 23; p. 407. Ebenso Rol. Pad. VII, 13; p. 102f„ für den Ezzelino da Romano als „exemplum" noch über Nero, Hannibal, Herodes und den Pharao hinausgeht, sowie Sal. Par. zu 1247; p. 195 und 1250; p. 367f. Die politische Bedeutung solcher Vorwürfe ergibt sich aus der allgemein bekannten Signifikanz dieser „exempla"; vgl. oben pp. 39—41. 194 Ans., Proem., v. 30ff.; p. 569 kündigt eine Schilderung der „exempla morum bonorum" aus dem Leben des Erzbischofs an, löst dieses Versprechen aber nicht ein. •— Philipp II. August von Frankreich ist „bonis operibus semper intentus" (Rig. c. 47; p. 71), was nur der am französischen Hof üblichen Stilisierung des Herrschers entsprach. Dazu M. Bloch, Les rois thaumaturges, Paris 1961, bes. pp. 185—260. •— D. M. Bell, L'idéal éthique de la royauté en France au moyen âge d'après quelques moralistes de ce temps, Genf/Paris 1962. — G. M. Spiegel, The cult of Saint Denis and Capetian kingship, "Journal of Medieval History" 1 (1975), pp. 43—69. 195 Aus dem Geist des Reformmönchtums wird Abt Leonius von Lobbes als musterh a f t für eine „concuetudo bona" demonstriert: G. abb. Lobb. c. 22 (zu 1131) ; p. 324. — Propst Gerhard I. von Steterburg galt als „exemplum bonorum", weil er in Verwaltung und Politik gleichermaßen tüchtig war: Gerh. St. zu 1142; p. 204f. — Für Sal. Par. zu 1285; pp. 599 ff. ist Karl von Anjou wegen seiner militärischen und politischen Fähigkeiten ein positiver Held.

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und Böse nichts mehr zu schaffen. Kein Zweifel : Das Böse war für die Darstellung ergiebiger. Entsprechend formte das Erlebnis der Gegenwart die grundsätzlichen Urteile. Aus der Betrachtung seiner Zeitgeschichte fragte Rolandin von Padua (f 1276), ob denn die bisher gerade noch funktionierenden sozialen Beziehungen auch in Zukunft standhalten könnten 196 , und für Otto von Freising hatte die Bannung Heinrichs IV. das Ende aller Dinge näher gerückt. Nicht nur für Deutschland sollte das gelten, denn in anderen europäischen Reichen sah es nicht besser aus und jenseits der Grenzen des Abendlandes war es so fürchterlich, daß nichts Bestimmtes mehr darüber zu sagen war. Wenn die Welt überhaupt noch weiter bestehen konnte, so verdankte sie das den erhaltenden Gebeten der Mönche197. Im Kampf Heinrichs IV. gegen Gregor VII., im Aufstand Heinrichs V. gegen seinen Vater hatte das Böse so zugenommen, daß diese Welt nur noch Verachtung ihrer selbst erzeugte198 ; in ihr würde der Antichrist nicht selbst tätig werden, sondern sich irdischer Einrichtungen bedienen und Otto wollte nichts gegen die Behauptung einwenden, daß der römische Kaiser solch ein möglicher Gehilfe sein möchte 199 . Hier ist das Übel in der Welt zum wichtigsten Problem der Historiographie geworden und wir werden uns abschließend in einer vergleichenden Zusammenfassung fragen müssen, ob diese Anschauung für die Mentalität gebildeter Zeitgenossen typisch war oder vielmehr Produkt der besonders forcierten Behandlung einer literarischen Gattung. V I . Z u r B e d e u t u n g d e r F r a g e n a c h G u t u n d B ö s e f ü r die h o c h mittelalterliche Historiographie Eine strikte Trennung von literarischer Eigengesetzlichkeit und verbindlicher Grundanschauung sicher feststellbarer Autoren- und Leserkreise ist leider vor allem deshalb unmöglich, weil sich die Gut/BöseProblematik als von Anfang her mit der Heilsgeschichte eng verbunden erweisen läßt. So waren die Historiographen über ihre perRol. Pad. I. 9; p. 44. Otto Fris. VII, 2 1 ; ρ 343 und VII, 3 4 ; p. 369. 1 9 8 Otto Fris. VI, 36; p. 305f. VII, Prol.; pp. 3 0 7 — 3 1 0 und VII, 9; p. 319Í. Diese Periode als Prüfungszeit auch Vita Th. M. I, 11; p. 452 und II, 1; p. 466. 1 9 9 Otto Fris. V I I I , 3; p. 397. Das entspricht, auch in der vorsichtigen Formulierung, dem Gedankengang des „Ludus de Antichristo", demzufolge sich der deutsche König nach Kampf und Zögern endlich doch mit den übrigen Monarchen auf die Seite des Antichrist stellt. — Über diese Vorstellungswelt im ganzen A. Jeremias, Der Antichrist in Geschichte und Gegenwart, Leipzig 1930. — H. D. Rauh, Das Bild des Antichrist im Mittelalter. Von Tyconius zum deutschen Symbolismus, Münster 1973. — Zur literarischen Bearbeitung K. Aichele, Das Antichristdrama des Mittelalters, der Reformation und Gegenreformation, Den H a a g 1974. 196 197

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sönliche Gläubigkeit hinaus mit der kirchlichen Wissenschaft verbunden und folgten in mehr oder minder direktem Bezug deren Veränderungen. Andererseits hat sich ihre schriftstellerische Autonomie insofern erwiesen, als sie weniger das systematisch faßbare Allgemeine herausarbeiten wollten, sondern sich um ein zeitlich gestaffeltes Kontinuum von Einzelfällen bemühten. Bei Ordericus Vitalis war das nicht nur klar gesagt, sondern auch weitgehend durchgehalten worden. Bei einer Bewertung dieser Fälle im Hinblick auf Gut und Böse stellte sich aber nicht so sehr die Frage nach dem Bösen oder Guten in der Welt schlechthin, sondern die nach jeweils aufweisbaren Ursachen oder bewirkenden übermenschlichen Mächten. Das zunächst etwas unübersichtliche Feld der vielen Einzelangaben läßt sich auf ein Grundschema zurückführen, innerhalb dessen sich die Autoren bebewegen. Kaum einer erfüllt es ganz, niemand durchbricht es. Gott, Teufel und Dämonen sind diese Mächte, und die Resultate ihres Tuns weisen nicht immer klar auf den Urheber hin. Darin liegt eine gewisse Schwierigkeit für den Geschichtsschreiber, der das Gute nicht einfach auf Gott, das Böse auf den Teufel zurückführen darf. Er kennt aber die Mittel zur Differenzierung, indem für Gott drei immer wiederkehrende Wirkweisen angenommen werden, die sich wiederum an bestimmten Handlungen ablesen lassen : Gott mahnt (durch Katastrophen), fördert das Gute (durch Kampf gegen die Bosheit und Hilfe für den guten Herrscher) und richtet (indem er Übel verhängt und den schlechten Herrscher straft). Indem er für diese Zwecke Menschen, Dämonen und den Teufel selbst als Werkzeuge einsetzt, wird die Aufgabe des Kommentators schwerer; seine Zweifel und Unsicherheiten angesichts verwirrender Erscheinungsbilder im Geschichtsverlauf sind mitunter deutlich faßbar. Auffällig ist, daß der Teufel als gleichsam universal verwendbares Werkzeug auf allen Ebenen tätig sein kann, während die Dämonen für die Menschheit im ganzen fester umschriebene Aufgaben wahrzunehmen haben (Auslösen innerer Kriege, Helfer des äußeren Feindes, Begleiter von Häretikern, Vorboten kommenden Unheils) und nur dem Individuum gegenüber mit einer allgemeinen Vollmacht auftreten 200 . Es muß aber festgehalten werden, daß trotz einer stattlichen Zahl von Belegen das Wirken böser Mächte bei den Historiographen eine erstaunlich geringe Rolle spielt. Die aus

200 Uber die im Mittelalter nur selten systematisierte Dämonenlehre vgl. die bedeutende und an Belegen reiche Zusammenfassung bei E . Mangenot/T. Ortolan, Art. „Démon", „Diet. Théol. Cathol." 4.1, Paris 1924, Sp. 321—407; ferner E . Langton, Essentials of Demonology, London 1949. — Schon in der persönlichen Ansprache und namentlichen Feststellung des bösen Geistes beim Exorzismus liegt ein individueller Zug; zum Verfahren und seiner Geschichte J . Forget, Art. „Ecorcisme", „Dict. Théol. Cathol." 5.2, Paris 1924, Sp. 1762—1780.

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älterem monastischen Bestand herrührende Dämonenrealität eines Thietmar von Merseburg läßt sich zwar noch aufweisen, aber hauptsächlich in biographischen Texten, deren Funktion noch kurz zu besprechen sein wird. Schon jetzt kann freilich gesagt werden, daß Dämonisches in den Berichten der Geschichtsschreiber eher den einzelnen Menschen als seine Gemeinschaften bedroht. Offenbar wurde mit dieser Darstellungsweise auch Erwartungen der Leser entsprochen, so daß aussichtsreiche Ansätze für bewußtseinsgeschichtliche Forschungen gerade an dieser Stelle gesehen werden dürfen. Für solche Fragen nach dem Weltbild lesender und schreibender Zeitgenossen im 12. und 13. Jahrhundert ist ferner die Feststellung wichtig, daß einige von Gut und Böse bestimmte Gegensatzpaare nicht nur personifiziert auftreten (der „gute König" in der „bösen Welt", der heiligmäßige Mann im Angesicht des Teufels), sondern auch bewußt eingesetzt werden, um den jeweiligen Helden noch besonders zu erhöhen : Eine kleine Freiheit zum Instrumentalisieren großer Mächte und Zustände, deren Gefährlichkeit und theologische Aussagekraft im übrigen nicht bezweifelt werden. Diese Freiheit kann erst dann recht erkannt und in ihrer Bedeutung erfaßt werden, wenn sie mit der Verbreitung säkularer Erklärungsmodelle verglichen wird, die sich in den Texten aufweisen lassen und insgesamt stärker ins Gewicht fallen als die Rückführung des Guten und Bösen auf Gott, Teufel oder Dämonen. Standesbezogene Ethik wäre hier ebenso zu nennen wie politische Kausalität, für die innerweltliche Autonomie und Willensfreiheit zusammengehören. Der Wunsch nach kommentierender Begründung wichtiger Vorgänge hat zu solchen Modellen geführt, angesichts derer wohl gefragt werden darf, ob die literarische Absicht im Falle der Dämonen- und Teufelsberichte nicht zuweilen höher zu bewerten ist als der Wunsch, Ursachen für ungewöhnliche Erscheinungen anzugeben. Wenn ein Autor geradezu akribisch Details sammelt, um alle Einzelheiten zu er klären, so zeigt er damit, daß sein Glaube an übermenschliche Urheber nicht mehr im Mittelpunkt steht. Falls er überhaupt dergleichen annimmt, dann nur als allgemeine Grundvorstellung, die ihm als Geschichtsschreiber nicht genügt. Er will, und das zeigt besonders deutlich Galbert von Brügge, die innerweltlichen Zusammenhänge erkennen; über ihrem Studium geraten dann die höheren Mächte aus dem Gesichtsfeld. Sucht man nach den Gründen für dieses Verhalten, so ist der Bezug zur politischen Geschichtsschreibung, überhaupt : die Nähe oder Ferne eines Autors zur praktischen Politik, ein sicherer Leitfaden. Je näher der Historiograph dieser politischen Sphäre steht, um so weniger arbeitet er mit der Vorstellung von guten oder bösen Mächten. Das gilt

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für Suger von St. Denis, aber auch für den Kanzler Balduins von Hennegau Giselbert von Möns, für den Notar Friedrichs II. Richard von San Germano, für den Angehörigen des normannischen Herrscherhauses, Diplomaten und Erzbischof Romuald von Salerno, den Bischof von St. Asaph in Wales Galfred von Monmouth. Aber auch Mönche legten eine pragmatische Betrachtungsweise an den Tag, die nicht einmal mehr die Kategorien von Gut und Böse selbst einsetzte 201 , und ein Kanoniker schrieb im gleichen Sinne die politische Biographie eines geistlichen Reichsfürsten 202 , ein Laie sammelte hauptsächlich militärische und einige politische Ereignisse seiner Zeit ohne alle Wertung „ad utilitatem posterorum" 203 . Selbst dort, wo das säkulare Ereignis deutend mit der Heilsgeschichte verbunden wurde, in der narrativen Synthese weltchronistischer Entwürfe, trat die Frage nach der Herkunft von Gut und Böse sehr zurück, wurde das Problem historisiert. Von der philosophischen Relativierung bis zur Anwendung exegetischer Methoden auf Personen, Lagen und Ereignisse reichte der theoretische Horizont, innerhalb dessen die Geschichtsschreiber sich bewegten. Ihre Arbeitsweise war im einzelnen häufig konventionell, indem vorliegende „exempla" übernommen und weitergereicht wurden ; für Otto von Freising, Gottfried von Viterbo, Martin von Troppau oder Vincenz von Beauvais läßt sich das zeigen, während andere, so der Autor der Vita Heinrici IV., neue Muster schaffen wollten. In der politischen Verwendung des Gut/Böse-Komplexes zeigt sich aber, daß es sichere Kriterien zur Beurteilung nicht gab: Dem Krieg gegen äußere Feinde haftete kein Makel an, der Herrscher war gut oder böse je nach Standort des Historiographen, Berichte von politischen Verbrechen wurden literarisch zielbewußt als Stilmittel eingesetzt. Eine solche Tendenz zur Kriminalisierung bestimmter politischer Verhaltensweisen ist aus der Verfassungsgeschichte wohlbekannt, denn die Gottes- und Landfriedensbewegung baute seit ihren Anfängen im 10. Jahrhundert auf sie204. 201 W. Malm.; über ihn Stubbs 1, pp. XVIIff. — Th. Tusc. p. 490 nennt Kürze und das Bestreben, die Wißbegier des Lesers zu erregen, als seine schriftstellerischen Hauptgesichtspunkte. Über die Wertkriterien könnte Endgültiges freilich erst anhand des ganzen, ungedruckten Textes gesagt werden. 202 Bald. Flor. Er war seit etwa 1147 Leiter der Trierer Domschule und Propst an St. Simon; Schmale (wie Anm. 39) p. 348f. Vgl. auch die sehr weltliche Nüchternheit der Vita Meinw. und der Hist. Weif. ; deren Verfasser war vielleicht Kaplan Welfs VI. und schrieb am Hof von Altdorf-Ravensburg: Schmale pp. 298—302. 203 G. Fed. L. Das Zitat aus dem Prolog, p. 14. —· Kein Wort von Schuld, Strafe oder Gottes Zorn auch bei Bern. Mar. 204 H. Hoffmann, Gottesfriede und Treuga Dei, Stuttgart 1964. — J. Gernhuber, Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, Bonn 1952. — E. Wadle, Heinrich IV. und die deutsche Friedensbewegung, „Vorträge u. Forschungen" 17 (1973), pp. 141—173 (Lit.).

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Auch die erstrebte Stellung der Kirche als Institution über den ethischen Wertmaßstab hatte ebenso politische Motive205, wie sie für die Ansätze zur Lösung des Monarchen vom menschlichen Gesetz nachgewiesen sind206. Wenn angesichts dieser Verhältnisse der „gute König" als Typus viel seltener und schwächer charakterisiert wurde als der „böse", so ist das mit einem literarischen Aspekt zu erklären, der bis heute seine Bedeutung nicht verloren hat : Das Böse ist für den Schriftsteller als Sujet ergiebiger, für das Publikum interessanter. In solchem Zusammenhang von Geschichtsschreibung und Literatur stellt sich aber die Frage, wie literarische Gattung und Geschichtskonzeption, Form und Inhalt wechselweise einander bestimmen. Seit Herbert Grundmann die mittelalterliche Historiographie in ihren Formen dargestellt hat 207 , sind die methodischen Möglichkeiten eines solchen Ansatzes in Umrissen bekannt, und das ganze von Léopold Genicot inaugurierte Projekt einer Typologie des sources du moyen âge occidental beruht auf dem Vertrauen in seine Fruchtbarkeit 208 . Franz-Josef Schmale hat die Bezüge kürzlich so beschrieben209, daß ein Geschichtsbild nicht Folge des literarischen Genus sei, sondern sich umgekehrt die historiographische Gattung wähle. Sei das Geschichtsbild personenorientiert, so bringe es Viten oder Gesta hervor, bei Interesse an Chronographie und Zeitgeschichte produziere es Annalen. 205 Sie kommen für das Institutionelle am deutlichsten in der neuen Auffassung v o m Papstamt zum Ausdruck, wie sie Gregor VII. vertrat. Vgl. C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1935, pp. 134—165; J. Haller, Das Papsttum 2, Darmstadt 2 1962, pp. 369—383 u. 427—430; L. F. J. Meulenberg, Der Primat der Römischen Kirche im Denken und Handeln Gregors VII., Den Haag 1965; H. Mordek, Dictatus papae e proprie auctoritates apostolice sedis. Intorno all' idea del primato pontificio di Gregorio VII, ,,Riv. chiesa Italia" 28 (1974), pp. 1—22. — Für die Weihegewalt persönlich Unwürdiger, die schon Augustin befürwortet, Gregor VII. aber abgelehnt hatte, wurde erst im Laufe des 12. Jahrhunderst mittels der Unterscheidung von „sacramentum", „sacramentum et res", „res sacramenti" ein Maßstab geschaffen und die Kirche als Anstalt mindestens in dieser Hinsicht der moralischen Wertung und Kontroverse entzogen. Dazu J. Fuchs, Weihesakramentale Grundlegung kirchlicher Rechtsgewalt, „Scholastik" 16 (1941), pp. 496—520; H. Barion, Ordo und regimen fidelium, „ZRG KA" 77 (1960), pp. 112—134; J. Gilchrist, ,.Simoniaca haeresis" and the Problem of Orders from Leo IX to Gratian, „Proceed. Second Intern. Congr. Mediev. Canon Law" (1965), pp. 209—235. 204 Zum Liber Augustalis Friedrichs II. vgl. E. Kantorowicz, Friedrich II. 1, Düsseldorf 1927, pp. 207—228 und 2 (1931), pp. 80—102. — Zur Rechtsüberlieferung H. Dilcher, Die sizilische Gesetzgebung Friedrichs II., eine Synthese von Tradition und Erneuerung, „Vorträge u. Forsch." 16 (1974), pp. 23—41. 207 H. Grundmann, Geschichtsschreibung im Mittelalter, Göttingen 1965, pp. 7—51. 208 L. Genicot, Introduction, T u m h o u t 1972, pp. 8—11. 209 In seinem Vortrag Mentalität und Berichtshorizont, Absicht und Situation hochmittelalterlicher Geschichtsschreiber vom 25. September 1976 auf dem Mannheimer Historikertag.

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Das ist in dieser allgemeinen Form sicher richtig, gleichwohl gibt es Interdependenzen. Auf einer anderen Ebene kann die Gattung durchaus über die historiographische Technik ein Geschichtsbild erzeugen, das wir aus dem Werk herauslösen und -lesen, ohne sicher sein zu dürfen, die ganze Konzeption des Schriftstellers ermittelt zu haben. Wenn er primär an Zeitgeschichte interessiert war, so schrieb er vielleicht Annalen, aber welche Folgen hat das für eine kritische Beurteilung? Wir sahen die Annalisten meist säkulare Erklärungen für berichtete Phänomene geben und nur selten, meist in anekdotischer Passage, auf bewirkende Mächte hinweisen. Die Frage, ob Handlungen, Ereignisse oder Personen in den Kategorien von Gut und Böse zu sehen seien, stellte sich diesen Geschichtsschreibern praktisch nicht, weil der Annalist auch bei größtem Blickwinkel immer mikroskopisch sehen wollte. Sofern eine Erklärung überhaupt wichtig schien, sollten sie die Vorgänge aus sich selbst liefern; Unglücksnachrichten, selbst schlimmste Grausamkeiten, wurden fast durchweg ohne Wertung, ohne Kommentar mitgeteilt. Darf hieraus aber geschlossen werden, daß der Verfasser solcher Texte ein minderes ethisches oder Unrechtsbewußtsein gehabt hätte als der Weltchronist oder der persönlich betroffene Biograph ? Zumindest kann diese Frage nicht mit Sicherheit beantwortet werden, denn die historiographische Gattung legte ihm ihre Eigengesetzlichkeit auf, was im Falle der Annalistik besagt, daß solche Wertungen weniger gefordert waren. Ebenso wird sich der moderne Historiker beim Abfassen eines Handbuchartikels mit geschichtsphilosophischer Deutung und Werturteilen möglichst zurückhalten, ohne daß daraus auf seine ausschließlich positivistische Intelligenz geschlossen werden könnte und auf ein Herausgebergremium, das nur theoriebedürftige Geister berief: Die historiographische Gattung, derer sich ein solcher Autor momentan bedient oder bedienen muß, stellt ihn unter die ihr zukommenden Regeln. Der Schluß vom Geschichtsbild, das der Text vermittelt, auf die Vorstellungswelt des Verfassers ist also immer unsicher. Noch schwerer ist die Mentalität der Zeitgenossen aus der Historiographie zu erschließen, wenn über allgemeine Feststellungen hinausgegangen werden soll. Aus der vergleichenden Untersuchung einiger Historiographen des 12. und 13. Jahrhunderts lassen sich von der hier verfolgten Fragestellung aus in aller Kürze und sehr unvollkommen immerhin einige Beobachtungen zum Gattungsbezug mitteilen. Es hat sich gezeigt, daß biographische Texte in ihrer Wertung forcierter sind als etwa die schon erwähnten Annalen, weil Gut und Böse häufig als Motive für Erfolg oder Mißerfolg des Helden dienten. Im Gegensatz dazu sind die ebenfalls personenbezogenen Gesta sehr viel zurückhaltender im Urteil, denn sie sahen den Menschen als Amts-

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träger in einer Abfolge, die als solche über den einzelnen hinausweist. Ähnliches gilt für die Chronistik, obwohl ein stärker summierendes Verfahren immer wieder zu Zwischenbilanzen führte. Dennoch haben gerade hier einige Autoren ihr Amt definiert210 und dabei Moralisches sehr zurückhaltend eingestuft, bei anderen überwog deutlich das Interesse am politischen Vorgang211. Die Weltchronistik wollte demgegenüber den Einzelfall verallgemeinern, strebte also wieder eine gewisse Systematik an und benutzte dabei die ,,exempla"-Technik. Das Exemplarische war hier freilich nicht so sehr Muster als vielmehr Beleg für den schlechten Zustand der Welt 212 : Damit aber sah sich diese Art von Geschichtsschreibung schon wieder auf dem besten Wege, den Raum der Historie in Richtung auf Theologie und Philosophie zu verlassen. In den Handbüchern für Theologen und Juristen 213 lebte von der theologisch bestimmten Weltchronistik nur mehr ein universaler Berichtshorizont, der aber inhaltlich ganz vom Faktischen bestimmt blieb. Das muß auf großes Interesse gestoßen sein, denn die Texte waren weit verbreitet. 214 Trotz der mitunter programmatisch verkündeten Absicht vieler Historiographen, sich mit dem Problem des Guten und des Bösen in der Geschichte auseinandersetzen zu wollen215, werden wir seine Bedeutung daher nicht überschätzen dürfen. 210 W. Malm. H. I, 452; p. 5: Wenn er ein „uerax historicus" sein will, kommt ihm eine moralische Wertung politisch handelnder und „pro uolubilitate fortune" sich notwendigerweise anpassender Männer nicht zu. — Selbst der temperamentvolle Salimbene fordert wenigstens Gerechtigkeit: „Debet enim historiarum scriptor communis esse persona, ita quod nec tantum omnia mala describat unius et omnia bona subticeat." Sal. Par. zu 1266; p. 472. 211 Gall. an. selbst bei den Herrschercharakteristiken (vgl. I, 6ff. ; pp. 428ff. [Boleslaw I. Chrobry]) ; Ord. Vit. (Kreuzzugserzählung: I X ; 3, pp. 476ff.); Otto Bl. wollte zwar Otto Fris, fortsetzen, baute sein Werk aber annalistisch auf; ähnlich Chron. reg. Col. 212 Otto Fris. V, 36; p. 260 f. und die anderen bereits genannten Stellen. 213 Dies nennt Mart. Tr. p. 397 als Zweck seiner Arbeit. — Ganz entsprechend Alb. Tr., der mit seinem Interesse für Chronologie und Genealogie schon wieder ins Annalistische einmündet. Annalistischer Aufbau auch bei Rob. Aux., der sich zwar für das weltchronikalische Konzept an Hugo von St. Viktor {De tribus maximis circumstantiis gestorum, Prolog ed. Green [wie Anm. 180], Papst- und Kaiserliste MG SS X X I V , pp. 90—97. Wichtigste Handschriften bei Ehlers [wie Anm. 26] p. 198; zum Inhalt ebd. pp. 53—55 u. 94—103.) anlehnte, aber eher dessen Interesse am historischen Faktum teilte. — Über Gottfr. Vit., Pan. läßt sich angesichts des Zustandes der Edition nur mit Vorbehalt Zusammenfassendes sagen. Abgesehen von Anekdotischem (Part. X X I I I , 29; p. 235f. [Otto I.] u. 31; p. 238f. [Otto II.]. Sein Held, Heinrich VI., hat alle „regiae virtutes", zu denen „Gutsein" nicht gehört [Part. X X I V , 10; p. 269]) schlägt moralische Reflexion im Text nicht durch. 214 Uber Martin von Troppau und seine Fortsetzer W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 2, Berlin «1894, pp. 466—472. 215 Belege bei Simon (wie Anm. 9) 5/6, pp. 105—109. Es handelt sich dabei vielfach allerdings um Rechtfertigungstopoi für die Behandlung der Profangeschichte; dazu H. Beumann, Widukind von Korvei, Weimar 1950, pp. 15—20.



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Quellen Alb. Aach. Alb. Stad. Alb. Tr. Ann. Alt. Ann. Ann. Ann. Ann. Ann. Ann. Ans.

Dis. Jan. Mag. Marb. Pal. Saxo

Arn. Lüb. Bald. Flor. Bern. Mar. Burch. Ursb. Caes.

Chr. Ad. Chron. Erf. Chron. M. Ser. Chron. reg. Col. Cosm. Don. Ekkeh. Frut. G. abb. Lobb.

Albert von Aachen, Historia Hierosolymitanae expeditionis, „Ree. hist, crois., Hist, occ." 4, pp. 269—713 Albert von Stade, Annales Siadenses, „MG SS** XVI, pp. 2 8 3 - 3 7 4 (Ausz.) AlberichvonTroisfontaines, Chronicon, „MG SS" X X I I I , pp. 6 7 4 - 9 5 0 Annales Altahenses, „MG SS" XVII, pp. 360—365, 381-407 Annales Disibodi, „MG SS" XVII, pp. 6—30 Annales Januenses, „MG SS" XVIII, pp. 11—356 Annales Magdeburgenses, „MG SS" XVI, pp. 107—196 Annales Marbacenses, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [9] Annales Palidenses, „MG SS" XVI, pp. 51 —96 Annalista Saxo, [Chronica,] „MG SS" VI, pp. 550—777 Anselm, Vita Adalberti Maguntini archiepiscopi, ed. Ph. Jaffé, „Bibl. rer. Germ." 3, pp. 5 6 8 - 6 0 3 Arnold von Lübeck, Chronica, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [14] Balderich von Florennes, Gesta Alberonis archiepiscopi Trevirensis, „MG SS" VIII, pp. 243—260 (als Teil der Gesta Treverorum) Bernardo Marago, Annales Pisani, „MG SS" X I X , pp. 238-266 Burchard von Ursberg, Chronicon, „MG SS rer. Germ, i. u. s." [16] Caesarius von Heisterbach, Vita, passio et miracula s. Engelberti archiepiscopi Coloniensis, ed. F. Zschaeck/A. Hilka, „Die Wundergeschichten des C." 3 (1937) pp. 234-328 Chronica Adefonsi imperatoris, „España sagrada" 21, pp. 3 2 0 - 4 0 9 Chronica s. Petri Erfordensis moderna, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [42], pp. 150-398 Chronicon Montis Sereni, „MG SS" X X I I I , pp. 138—226 Chronica regia Coloniensis, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [18] Cosmas von Prag, Chronica Boemorum, „MG SS rer. Germ. NS" 2 Donizo von Canossa, Vita Mathildis, „MG SS" X I I , pp. 351-409 Ekkehard von Aura, Chronica, ed. F.-J. Schmale/I. Schmale-Ott, „Frhr. v. Stein-Gedächtnisausgabe" 15 (1972), pp. 124-208, 2 6 8 - 3 7 6 Frutolf von Michelsberg, Chronica, ebd. pp. 48—118 Gesta abbatum Lobbiensium, „MG SS" X X I , pp. 308 bis 333

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G. arch. M.

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Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium, „MG SS" XIV, pp. 3 7 6 - 4 8 4 G. Fed. L. Gesta Federici I. in Lombardia, ,,MG SS rer. Germ. i. u. s." [27] G. Lud. IX. Gesta s. Ludovici IX., „ H F " XX, pp. 4 5 - 5 7 Galb. Galbert von Brügge, Passio Karoli comitis Flandriae, ed. H. Pirenne, „Collection de textes" 10 (1891) Galfr. Mon. Galfred von Monmouth, Historia regum Britanniae, ed. J . Hammer, Cambridge/Mass. 1951 Gall. an. Gallus anonymus, Chronicae Polonorum, „MG SS" IX, pp. 4 2 3 - 4 7 8 Gerh. St. Gerhard von Steterburg, Chronicon Stederburgense, „MG SS" XVI, pp. 199-231 Gis. Möns. Giselbert von Möns, Chronicon Hanoniense, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [29] Gottfr. Vit., Pan. Gottfried von Viterbo, Pantheon, „MG SS" XXII, pp. 107-307 (Ausz.) Gottfr. Vit., Sp. Gottfried von Viterbo, Speculum regum, „MG SS" XXII, pp. 2 1 - 9 3 Gunth. Gunther von Pairis, Historia Constantinopolitana, ed. P. Riant, Genf 1875 Heinr. L. Heinrich von Lettland, Chronicon Livoniae, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [31] Helm. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [32] Hist. ex. Historia de expeditione Friderici, „MG SS rer. Germ. NS" 5, pp. 1 - 1 1 5 Hist. Weif. Historia Welforum, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [43] Hon. Honorius Augustodunensis, Summa totius, „MG SS" X, pp. 1 2 8 - 1 3 1 Hugo Flav. Hugo von Flavigny, Chronicon Virdunense, „MG SS" VIII, pp. 2 8 8 - 5 0 2 Hugo Fleur. Hugo von Fleury, Historia ecclesiastica, „MG SS" IX, pp. 349—364 (Ausz.) Kais. Kaiserchronik, „MG Dt. Chron" I, pp. 79—392. Lamb. Ar. Lambert von Ardre, Historia comitum Ghisnensium, „MG SS" XXIV, pp. 5 5 7 - 6 4 2 Lamb. Om. Lambert von St. Omer, Liber Floridus, ed. A. Derolez, Gent 1968 Mart. Tr. Martin von Troppau, Chronica summorum pontificum imperatorumque ac de Septem aetatibus mundi, „MG SS" X X I I , pp. 3 9 7 - 4 7 5 Ord. Vit. Ordericus Vitalis, Historia ecclesiastica, ed. A. le Prévost, 5 Bd.e, Paris 1 8 3 8 - 5 5 Otto Bl. Otto von St. Blasien, Chronica, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [47] Otto Fris. Otto von Freising, Chronica sive historia de duabus civitatibus, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [45]

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Otto Fris/R. Otto Mor. P. Ab. P. Bern. Ps.-T. Rieh. Ger. Rig. Rob. Aux. Rol. Pad. Rom. Sal. S. Gramm. Sal. Par. Sig. Sug. Th. Tusc. Vine. Bell. Vine. Pr. Vita Arn. Vita God. Vita H. II. Vita H. IV. Vita Lod.

Joachim Ehlers

Otto von Freising/Rahewin, Gesta Frederici [Chronica], ed. F.-J. Schmale, „Frhr. v. Stein-Gedächtnisausgabe" 17 (1965) Otto Morena und Fortsetzer, Historia Frederici I. imperatoris, „MG SS rer. Germ. NS" 7 Petrus Abaelardus, Historia calamitatum, ed. J . Monfrin, Paris 31967 Paul von Bernried, Vita Gregorii papae VII., ed. J . M. Watterich, „Pontificum Romanorum . . . Vitae" 1 (1862), pp. 474 - 5 4 6 Pseudo-Turpin, Historia Karoli Magni et Rotholandi, ed. A. de Mandach [a. d. Nachlaß v. A. Hämel], „SB Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl." (1965. 1) Richard von San Germano, Chronica Regni Siciliae, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [53] Rigord von St. Denis, Gesta Philippi Augusti, ed. H. F. Delaborde, „Oeuvres de Rigord et de Guillaume le Breton" 1, Paris 1882, pp. 1 - 1 6 7 Robert von Auxerre, Chronicon, „MG SS" X X V I , pp. 226-276 Rolandin von Padua, Chronica, „MG SS" X I X , pp. 38 — 147 Romuald von Salerno, Annales, „MG SS" X I X , pp. 398-461 Saxo Grammaticus, Gesta Danorum, ed. J . Olrik/H. Raeder, Kopenhagen 1931 Salimbene von Parma, Cronica, „MG SS" X X X I I , pp. 1-652 Sigebert von Gembloux, Chronica, „MG SS" VI, pp. 300-374 Suger von St. Denis, Vita Ludovici grossi regis, ed. H. Waquet, „Les classiques de l'histoire de France au MA" 11 (1929) Thomas Tuscus, Gesta imperatorum et pontificum, „MG SS" X X I I , pp. 4 9 0 - 5 2 8 (Ausz.) Vincenz von Beauvais, Speculum historíale, Douai 1624 (ND Graz 1965) Vincenz von Prag, Annales, „MG SS" XVII, pp.658 — 710 Vita Arnoldi archiepiscopi Moguntini, ed. Ph. Jaffé, „Bibl. rer. Germ." 3, pp. 606—675 Vita Godefridi Capenbergensis, „MG SS" X I I , pp. 514 — 530 Vita Heinrici II. imperatoris, „MG SS" IV, pp. 792 bis 814 Vita Heinrici IV., „MG SS rer. Germ. i. u. s." [58] Vita Lodewici comitis de Arnstein, ed. J . F. Böhmer, „Fontes rer. Germ." 3, pp. 326—339

Gut und Böse in der Historiographie

Vita Meinw. Vita Norb. Vita Steph. Vita Th. M. W. Malm. W. Malm. H. W. Thér. Wib.

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Vita Meinwerci episcopi Patherbrunnensis, „MG SS rer. Germ. i. u. s." [59] Vita Norberti, „MG SS" XII, pp. 6 7 0 - 7 0 3 Vita maior Stephani regis Ungariae, „MG SS" XI, pp. 229-242 Vita Theogeri Mettensis, „MG SS" XII, pp. 4 5 0 - 4 7 9 Wilhelm von Malmesbury, Gesta regum Anglorum, ed. W. Stubbs, 2 Bd.e, London 1887/89 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, ed. Κ. R. Potter, „Nelson's Medieval Texts" (1955) Walter von Thérouanne, Vita Karoli comitis, „MG SS" XII, pp. 5 3 7 - 5 6 1 Wibert von Nogent, De vita sua sive monodiarum libri I I I , ed. G. Bourgin, „Collection de textes" 40 (1907)

DAS F E H L E N DES ASPEKTS D E R HEILSGESCHICHTE IN D E R ISLAMISCHEN THEOLOGIE von

ABDOLDJAVAD F A L A T U R I

(Köln)

Dieser Vortrag soll im Rahmen dieser Tagung uns einige Vorstellungen vermitteln, die in einem gewissen Kontrast zu der allgemein akzeptierten christlichen Überzeugung von Heil und Heilsgeschichte in ihrer Verbindung mit den Mächten des Guten und Bösen stehen. Wir beschränken uns deshalb auf diejenigen Punkte, die diesen Kontrast am besten veranschaulichen. Wörter wie Heil, Heiland, Erlöser, Erlösung, Salvator, σωτήρ u. ä. werden — ζ. T. — in der arabischen und — durchweg in der — persischen Übersetzung der Bibel mit dem arabischen Wortstamm „nagä" wiedergegeben1. Im Koran wird dieser Stamm hauptsächlich2 im Sinn von „erretten" angewandt, zum Beispiel: Gott errettete („naggaynä") Hud und diejenigen, die ihm glaubten, vor einer harten Strafe3. E r errettete („angaynä") Mose und alle, die mit ihm waren, vor dem Ertrinken4 oder vor den Leuten Pharaos 5 . E r errettete („naggaynä") Jonas und die Gläubigen aus der Bedrängnis® usw. 1 Diejenigen arabischen Übersetzungen, die aber die koranischen Formulierungen vermeiden, bedienen sich eines anderen Wortes, das — weder im Koran noch in der islamischen Theologie — im Sinne einer Erlösung nach christlicher Vorstellung oder einer Rettung nach koranischer Auffassung vorkommt, nämlich „tal&is" (retten). Im Gegensatz zum Terminus „nagä" weist „talhls" in der islamischen Theologie keine Relevanz auf. Wir konzentrieren uns deshalb hier im Text nur auf „nagä". Es handelt sich hauptsächlich um die Bibelstelle wie J 4,42: ,,αύτοί yàp άκηκόαμεν, κσΐ οίδαμεν δτι οΰτός έστιν άληδώ; ό σωτήρ του κόσμου", "σωτήρ του κόσμου" wird übersetzt mit „muhallis al- c älam", (so ζ. B. die Übersetzung der amerikanischen und englischen Bibelgemeinde, Beirut, Amerikanischer Verlag, 1922, 1936, 1948, oder Verlag dar al-Kasääf 1949) wobei „mungi al- c älam" der islamischen Theologie adäquater ist, was bei der persischen Übersetzung der genannten Stelle berücksichtigt wird. Dabei heißt es „negät dehandeye gahän" bzw. „ c älam" (vgl. ζ. B. die Übersetzung der englischen und iranischen Gemeinde, Edinburgh 1846, oder Lepsiye 1887). 2 An zwei Stellen, intransitiv verwendet, bedeutet „nagä" 'gerettet werden' {Koran, Sure 12, Vers 45 : „Und derjenige von den beiden, der gerettet worden war — "nagä" — sagte . . ."), oder 'entkommen' (Koran 28, 25: „Hab keine Angst! Du bist dem Volk der Frevler entkommen — nagauta — . . ."). Hier und im folgenden lege ich zugrunde: Der Koran, Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart 1966. 3 Koran 11, 58f. 4 Ebd. 26, 65. 5 Ebd. 2, 49: „Und als wir euch (ihr Kinder Israels) von den Leuten Pharaos erretteten ("naggaynäkum") . . ." « Ebd. 21, 88.

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„Naggä" und „angä" bedeuten zwar — jeweils in der Grundform •— 'Errettung', aber nur 'Errettung' der Propheten, Gläubigen und frommen Personen vor einem Feind oder aus einer unangenehmen, sogar gefährlichen Situation. Kein Wort aus diesem Stamm kommt auch sonst im Koran im Sinne einer Erlösung von einer Sündhaftigkeit oder Vergebung einer Sünde vor. Auch die islamische Theologie kennt keinen Terminus, der in Sinn und Funktion den Ausdrücken Heiland, Erlöser, Erlösung usw. im christlichen Sinne gleichkommt. Das einzig für die islamische Theologie relevante Phänomen in diesem Zusammenhang ist „nagät" im Sinne 'Rettung vor der göttlichen Strafe'; eine Rettung, die durch den Glauben an einen einzigen Gott und durch die Zuwendung zu ihm — ohne Vermittlung irgendeines Erlösers — möglich ist. Auch diese Vorstellung, die im Koran ihre Belege7 findet, hat mit Erlösung und Erlöser im christlichen Sinn nichts zu tun. Selbst diejenigen islamischen Richtungen, die an einen Mahdi glauben und diesem den Beinamen „mungi" (Retter) geben, denken nicht an eine Rettung von der Sündhaftigkeit. Seine Rettungsaktion besteht darin, daß er — ihrer Überzeugung nach — eines Tages kommt, die Welt von Ungerechtigkeit befreit und auf der Erde ein einziges Reich gründet, ein islamisches Reich, in dem erst der von Allah und Muhamad konzipierte Islam Verwirklichung findet. Auf der anderen Seite kennen der Koran und die islamische Theologie für Sünde, Schuld, Reue, Gnade, Vergebung und dergleichen mehr, mehrere Ausdrücke, die ihrerseits weitgehend das Verhältnis zwischen Mensch und Gott bestimmen. Es fragt sich, woran diese Abweichung des Islam von Judentum und Christentum liegt, obwohl dessen Stifter Muhamad sich als Vertreter derjenigen Lehre verstanden hat, die Mose und Jesus verkündet haben. Dafür sind zunächst historische und damit zusammenhängende sachliche Faktoren verantwortlich, worauf wir hier kurz hinweisen möchten : a) Im Gegensatz zu dem Volk Israel, das seinerzeit der Erlösung aus der Knechtschaft bedurfte, war die Existenz und Würde des arabi7 Koran 40, 38: „Derjenige (von den Leuten Pharaos), der gläubiger war, sagte: . . . (40, 41) : Ihr Leute! Wie komme ich dazu, euch zur Rettung (an-nagät) zu rufen, während Ihr mich zum Höllenfeuer ruft?" Annagät wird von den Korankommentaren gleichgesetzt mit " c ibädatu 'lläh" — Anbetung Gottes — (z. B. Ibn Katir, Tafsir alQur'ân al- c aiïm, Kairo 1371/1952, Bd. 4, p. 80), mit "al-imän" — dem Glauben — welcher die Rettung bewirkt (so z. B. Fahr ad-Dïn er-Râzï, Mafâtih al-gaib, Bulaq 1278/1861, Bd. 5, p. 480; al-Häzin, Lubâb at-ta' awil fi macâni at-tanzil, Ägypten 1318/ 1901, Bd. 4, p. 72), ganz allgemein mit "al-imän billäh" — den Glauben an Gott — (so z. B. at-Tabarî, Gämi' al-bayän, 2. Aufl., Kairo 1954, 24. Teil. p. 68) mit "al-ganna" — Paradies — (so z. B. an-Nasafï, Madárik at-tanzil wa haqäyiq at-ta'wìl, Bayrut o. J., Bd. 4, p. 80). Auch hier ist von der Rettung von der Sündhaftigkeit keine Rede.

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sehen Volkes bei der Entstehung des Islam von keiner fremden Macht und Gewalt bedroht. Es gab keinen Anlaß für die Vorstellung einer Volkserlösung oder für die Notwendigkeit eines Erlösers. b) Auch das Lebensgeschick Muhamads, der im Gegensatz zu Jesus seinen Erfolg zu seinen Lebzeiten erlebte und eines natürlichen Todes starb, konnte den islamischen Theologen keinen Grund zu weiteren Spekulationen in die Hand geben und zu Überzeugungen von der Notwendigkeit einer individuellen Erlösung aus Sündhaftigkeit führen. c) Das Leben des arabischen Volkes stand seit Jahrzehnten — vor Muhamad und zu seiner Lebzeit — im Zeichen einer tief verwurzelten Uneinigkeit und eines ständigen Bruderkrieges, also im Zeichen der geistigen und blutigen Auseinandersetzung der Stämme, was zusätzlich zu der Art und Weise des herkömmlichen arabischen Stammeslebens religiös dahin wirkte, daß jeder Stamm oder jede Stammesunion eigene Götter oder eigene Götzen hatte, die sie verehrten und woran sie als einen Halt für ihr individuelles Leben festhielten und wovon sie die gesellschaftlichen und politischen Funktionen und den Sieg über ihren Feind erwarteten. d) Den religiösen Einstellungen und Überzeugungen verschiedener arabischer Stämme gegenüber standen Judentum und Christentum, die zwar jenen weit überlegen waren, aber es nie geschafft haben, sich ganz durchzusetzen und eine religiöse und gesellschaftliche Einheit innerhalb des arabischen Volkes — der arabischen Stämme — zu schaffen. e) Allen diesen gegenüber behauptete sich aber eine über alle dort vorhandenen Volks- und Offenbarungsreligionen hinausgehende religiöse Richtung, von deren Existenz wir sichere Beweise haben, über ihre Entstehung und Entwicklung aber noch nicht zufriedenstellend Bescheid wissen8. Der Anhänger dieser Glaubensrichtung heißt ,, Hanïf''/Plural: „Hunafä". „Haniif" kommt im Koran wiederholt als Bezeichnung derer vor, die die echte und reine Religion haben, echt und rein insofern, als sie eine reine Gottesverehrung zum Inhalt hat, und das Götzendienen — dies betrifft Stammesreligionen —, und die Personenverehrung — dies betrifft Judentum und Christentum — ablehnen. Diese Glaubensrichtung hat offensichtlich zusammen mit der Situation des arabischen Volkes auf Muhamad entscheidend gewirkt, so daß er über das damalige Christentum und Judentum hinausging, obwohl er diese beiden Religionen akzeptierte und seine eigene damit gleichsetzte 9 . In diesem Sinn äußert sich der Koran vielfach über Hanïf — wofür Abraham ein Musterbeispiel darstellt — zum Beispiel wie folgt : 8 9

Vgl. Artikel Hanïf, E I (Enzyklopädie des Islam) 2. Aufl., Bd. III, p. 165f. z. B. Koran 2, 41, 91, 97; 3, 50; 5, 46.

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„Und sie (die Schriftbesitzer) sagen: Ihr müßt Juden oder Christen sein, dann seid ihr rechtgeleitet. Sag: Nein! die Religion Abrahams, eines Hanifen — er war kein Heide!" 10 Abgesehen von den koranischen Belegen lassen die vereinzelten historischen und literarischen Zeugnisse darauf schließen, daß es sich in der Tat bei „ H a n i f " um eine religiöse Bewegung gehandelt hat, die sich kraft ratio — mit einer philosophisch ähnlichen Weltbetrachtung — gegen alle damals vertretenen religiösen Richtungen wandte und einen strengen Monotheismus als das wichtigste Glaubensmoment vertrat11 ; ein Monotheismus nämlich, der für Muhamad den eigentlichen Inhalt des Islam, die Hingabe an einen einzigen Gott ausmacht, weswegen er (Muh.) das Wort „ H a n i f " mit Islam gleichsetzt ; „Abraham war weder Jude noch Christ, sondern Hanif, Muslim, und kein Heide" 12 . Damit ist die Position Muhamads allen anderen religiösen Richtungen seinerzeit gegenüber festgelegt und die Basis für die Entwicklung seiner Lehre geschaffen. Uns interessieren diejenigen Momente, die aufgrund der aufgeführten Faktoren das Verhältnis des Menschen zu Gott in seiner Zuwendung zu und Abwendung von ihm bestimmen. Es ist die koranische Überzeugung, daß — seit Bestehen des Menschengeschlechts — immer und überall jede Gemeinschaft („umma") einen Gesandten hatte13. Es ist aber auch seine Überzeugung, daß sie alle nur eine einzige Lehre vertreten haben, die unabhängig von Raum und Zeit und unabhängig von historischen Entwicklungen immer die gleiche gewesen ist: den Islam. „Als (einzig wahre) Religion gilt bei Gott der Islam" 14 . Von Adam bis Muhamad haben alle, unabhängig von den geschichtlichen Umständen, diese einzige Lehre verkündet, die Hingabe an einen einzigen Gott. Es ist immer auch die Aufgabe des Menschen gewesen, diese Lehre zu verwirklichen. Die Verwirklichung dieser Lehre erschöpft sich darin, daß der Mensch dem einzigen Gott, und nur dem einzigen Gott, dient. Dieses Dienen, welches einzig und allein das Verhältnis des Menschen zu Gott bestimmt, wird sogar als Ziel der Erschaffung des Menschen angegeben: „Und ich habe die Dschinn und die Menschen nur dazu geschaffen, daß sie mir dienen"15. Der Mensch ist auch im Stande, dieses Ziel zu erfüllen, weil ihn der Schöpfer von Anfang an als ein Wesen geschaffen hat, das den Islam als den einzig gegebenen Kern seines Daseins in sich trägt: „Richte

Ebd. 2, 135. N . A. Faris and H. W . Glidden, The development of the meaning of the koranic Hanif, "Journal of the Palestine Oriental Society" X I X (1939) 1—13. 12 Koran 3, 67. 13 Ebd. 10, 47; 16, 36. 14 Ebd. 3, 19. 15 Ebd. 51, 56. 10

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nun dein Antlitz — indem du dich als Hanif verhältst— auf die (einzig wahre) Religion ! (Das ist) die natürliche (besser gesagt : schöpfungsmäßige) Art („fitra"), in der Gott die Menschen geschaffen hat. Die Art und Weise, in der Gott die Menschen geschaffen hat, kann man nicht abändern, das ist die richtige Religion, aber die meisten Menschen wissen es nicht" 16 . Der Mensch ist von Natur aus und seiner Existenz nach rein, unverdorben, unbelastet und befähigt, sogar durch die Gesandten Gottes dazu gefordert, das einzige Gute, den Islam, als Inbegriff aller seiner — auf den einzigen Gott gerichteten — Handlungen und Überzeugungen zu verwirklichen. Jeder Mißbrauch dieser schöpfungsmäßigen Anlage, jeder Verstoß gegen die Vorschriften, die die Entfaltung dieser Anlage bestimmen, ist eine Gebotsübertretung, ist eine Sünde, eine Schuld, die eine Strafe nach sich zieht, wie das Dienen andererseits Lohn zur Folge hat. Strafe und Lohn im weitesten Sinne des Wortes von Paradies und Hölle angefangen bis zur Nähe und Ferne Gottes als Strafe. Der Koran differenziert nicht die kultische, ethische und juristische Sünde; alle Gebote und Verbote, auf welche Art von Handlungen sie sich auch beziehen, sind in gleicher Weise göttliche Vorschriften, deren Übertretung eine Sünde ist. Das heißt eine schicksalhafte Sündhaftigkeit, ein existenzielles Unheil haftet der Natur des Menschen nicht in der Weise an, daß er infolge göttlicher Gnade und seiner Vorplanung einer entsprechenden Erlösung benötigt, und d. h. daß die Sünde lediglich etwas ist, was dem Wesen des Menschen, seiner Schöpfung nach, widerspricht ; sie ist etwas, was sein Dasein akzidentell belastet, was auch dementsprechend zu bereinigen ist. Wie dies geschieht, hängt davon ab, zu wissen, wie der Koran sich das Wirken der Mächte des Guten und des Bösen vorstellt : Der ganze Komplex wird anhand der Schöpfungsgeschichte des Menschen demonstriert. Vor Erschaffung des ersten Menschen hat Gott als Urheber des Guten bereits die Engel geschaffen, die als reine Wesenheiten stets ihm untergeben waren. Als der Herr ihnen seinen Plan bezüglich der Schaffung des Menschen verkündete, protestierten sie dagegen und sagten 17 : „Willst du auf ihr (der Erde) jemand einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt, wo wir (Engel) dir lobsingen und deine Heiligkeit preisen?" Der Herr antwortete: „Ich weiß (vieles), was ihr nicht wißt". E r schuf Adam und sagte zu den Engeln: „Werft euch vor Adam nieder! Da warfen sie sich alle nieder außer Iblis. Der weigerte sich und war hochmütig". Iblis, einst hochrangiger Engel, wurde infolge seines Ungehorsams von Gott wie

16 17

Ebd. 30, 30. Ebd. 2, 30—37.

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7?

folgt angesprochen: „Du bist verflucht: Der Fluch wird auf dir liegen bis zum Tage des Gerichtes"18. Sich rächend an dem Menschen, dessen Erzfeind er von Anfang an wurde, sagte Iblis zu Gott: „Bei deiner Allmacht, ich werde sie (die Menschen) allesamt abirren lassen"19. So bilden sich mit der Schöpfung des Menschen zwei Fronten: Einerseits Gott und seine Heerscharen : Mächte des Guten, und andererseits Iblis und seine Heerscharen, Mächte des Bösen20. Sie bekämpfen sich nicht gegenseitig, sondern sie bewirken die Handlungen des Menschen jeweils in eine entgegengesetzte Richtung. Iblis hat bereits bei Adam sein Wort wahrgemacht. Er ließ Adam abirren und gegen das Gebot Gottes verstoßen, „und so war Adam gegen seinen Herren widerspenstig"21. Infolge dieser seiner Sünde mußte er zwar das Paradies verlassen. Diese Sünde hatte aber keine existenzielle Wirkung auf ihn oder auf seine Nachkommenschaft gehabt. Adam bereute diese seine Sündentat, worauf er von seinem Herren Worte (der Verheissung) entgegennahm, und „Gott wandte sich ihm wieder zu. Er ist ja der Gnädige (tawwäb) und Barmherzige"22. Auf diese Weise konstruierte der Koran ein Modell für eine unmittelbare Mensch-Gott-Beziehung, Mensch als Gott Ergebener oder Widerspenstiger, und Gott als den Menschen von Natur aus gut Schaffenden und als dem Menschen im Falle seiner Widerspenstigkeit Gnade erweisenden; ein Modell, das bis heute für jeden Muslim gilt; ein Modell, innerhalb dessen weder Sündenfall noch existenzielles Unheil, noch Erbsünde bzw. Grundsünde Platz hat. Nur aktuelle Sünde des Individuums und die unmittelbare Sündenvergebung als eine göttliche Handlung bilden das Gerüst dieses Modells, welches vom Aufbau und von der Zielsetzung her gesehen keinen Raum für eine geschichtliche Rettung und Erlösung übrig läßt. Selbst wenn man die Sünde und Sündenvergebung als einen UnheilHeil-Prozeß auffassen würde, könnte man im Rahmen der islamischen Denkweise keine planmäßige oder zufällige Heilsgeschichte daraus entwickeln, und zwar aus folgenden Gründen : Entsprechend der koranischen Vorstellung von einer überzeitlichen, in ihrem Wesen immer gleichbleibenden göttlichen Lehre als einem einzig heilbringenden Faktor, fehlt dem Koran auch überhaupt die Vorstellung einer sich

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Ebd. 15, 35. Ebd. 38, 82. 20 Nicht als Gottesgeschöpf ist Iblis Urheber des Bösen, sondern als der vom Gottesgebot Abtrünnige. Demnach bleibt Gott zwar der einzige Schöpfer, auf den alles — sogar Handlungen — zurückgeht, was irgendwie eine Existenz besitzt ; er kann dennoch nicht für den Urheber der bösen Handlungen gehalten werden. 21 Koran 20, 121. 22 Ebd. 2, 37. 19

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sukzessiv und kontinuierlich vollziehenden Geschichte 23 . Der Koran hat seine eigene Vorstellung von der Geschichte bzw. von der Geschichtlichkeit der geschichtlichen Ereignisse. Die Überprüfung der koranischen Äußerungen über die ansich historischen Fakten beweist diese Behauptung, nämlich über die Fakten wie 'frühere Gesandte und Propheten und ihre Offenbarungen', wie 'die vergangenen Völker und ihr Verhältnis zu den jeweiligen Botschaften', und wie 'der erwartete Tag des Jüngsten Gerichts' 24 . Diese Punkte werden von Muhamad nur im Rahmen der Begründung der Wirklichkeit und Notwendigkeit seiner Lehre, der Lehre der Hunafä, also der Hingabe an einen einzigen Gott, herangezogen, unabhängig davon in welcher Reihenfolge und in welcher Form sie auch geschehen sind. Die Sukzessivität und Kontinuität fehlen in der koranischen Geschichtsvorstellung. Mit anderen Worten: Nicht die vergängliche Geschichte, sondern das ungeschichtliche an den geschichtlichen Faktoren, sind für ihn maßgebend. Woran liegt das? Liegt es in der Art seiner — glaubens- und handlungsmäßig — strengen monotheistischen Überzeugung, oder gibt es andere Gründe dafür. Philosophisch gesehen scheint der entscheidende Grund darin zu liegen, daß der Koran kein Verständnis für die einzig notwendige Voraussetzung einer Geschichtsauffassung im uns geläufigen üblichen Sinn zeigt, nämlich für eine sich sukzessiv und kontinuierlich vollziehende Zeit. Der Koran hat seine eigene Zeitvorstellung und dementsprechend seine eigene Vorstellung von den geschichtlichen Ereignissen, wie auch von göttlichen und menschlichen Handlungen, wozu der Unheil-, Heil-Prozeß gehört. Der eigentliche koranische Ausdruck für die Zeit ist das Wort „waqt", das — bei der arabischen Übersetzung der griechischen Texte — nicht für die Wiedergabe des griechischen Wortes χρόνος ausreichte, wofür man dann ein nicht koranisches Wort, ,,zamän", verwenden mußte. ,,Waqt" ist keine sich sukzessiv vollziehende Zeit und weist keinen regulierenden Charakter auf. „ W a q t " als Behälter (zarf, ,,wi c ä"') erweist sich vielmehr raumartig als ein in sich geschlossenes statisch unveränderliches Wo der Ereignisse. Im Raum und in der Zeit, beide als Wo, finden die Ereignisse in einem bloß zufälligen, aber in keinem notwendigen Zusammenhang statt. Das Nacheinander der Ereignisse in einer Wo-Zeit ist genauso umkehrbar wie ihr Nebeneinander in einem Wo-Raum. Im „waqt", als einer nicht-linearen, nichtzyklischen, sondern raumhaften Wo-Zeit, d. h. als in einem von Gott geschaffenen, 23 Vgl. dazu A. Falaturi, Zeit- uncí Geschichtserfahrung im Islam, Glauben an den einen Gott, herausgegeben von A. Falaturi und W. Strolz, Freiburg 1975, pp. 85—101. 24 Ebd. S. 89 ff.

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immer vorhandenen Behälter der Ereignisse, haben alle Ereignisse unabhängig voneinander eine direkte Beziehung zu ihrem allmächtigen, immer und überall gegenwärtigen Urheber. Der Urheber hätte den Gang der Geschichte völlig anders gestalten können. Danach hätte er als Gestalter der Wo-Zeit („waqt") z. B. Noah vor Adam, Jesus vor Abraham, Muhamad vo:: allen anderen usw. auftreten lassen können25, und es hätte sich nichts an seinem Ziel von der Schöpfung des Menschen : der Verwirklichung der Gottergebenheit 26 , geändert — wie keine Änderung aufgekommen wäre, wenn der eine Gesandte hier und der andere dort die immer gleichbleibende Lehre verkündet hätte. Für ihn (Gott) ist die gesamte Zeit wie der gesamte Raum immer präsent und vorhanden, seine Plazierung der Ereignisse vertikal (nacheinander in der Wo-Zeit) und horizontal (nebeneinander im Wo-Raum) bleibt im Wesen die gleiche. Der Koran bietet keinen Raum dafür, daß man sich die göttlichen Handlungen nach einer — in einer zeitlichen Abfolge gedachten —Vorplanung vorstellt. Selbst „qadä" und qadar", die man — ungeachtet der spezifisch koranischen Denkweise — mit Vorherbestimmung und Prädestination in einer zeitlichen Abfolge verstanden hat, sind Zeuge dafür 27 , daß es sich nicht um eine Prädestination im üblichen Sinn handelt. „Qada", das heißt 'Beschluß', und „qadar", das heißt 'Bestimmung', sind weitere Bestätigungen dafür, daß das gesamte Geschöpf, — alle Geschehnisse und Handlungen der Menschen und anderen Wesenheiten eingsschlossen — aus Beschluß und Bestimmung Gottes her Wirklichkeii; finden. In diesem Sinne sagt der Koran: ,,. . . Gott hat euch und was ihr macht geschaffen" 28 , ohne damit dem Menschen die Verantwortung für seine Handlungen abzunehmen 29 . Die Besonderheit des göttlichen Wissens und der göttlichen Macht besteht gerade darin, daß er alles und jedes spontan verwirklichen läßt, ohne eine Vorplanung, ohne Notwendigkeit einer durch die Zeit regulierten Abfolge desselben zu benötigen. Im Gegenteil, jede Gebundenheit an Zeit und Geschichte bedeutet eine Einschränkung des göttlichen Willens und der göttlichen Macht. Dies gilt auch für die Sünde und Vergebung wie auch für Unheil und Erlösung. Diese geschichtlich sich vorzustellen hieße, das göttliche Wissen, den göttlichen Willen und die göttliche Macht einzuschränken.

25

Ebd. S. 89 mit Anmerkungen 10 und 11. Koran 51, 56. 27 Vgl. A. Falaturi, Wie ist menschliche Gotteserfahrung trotz des strengen islamischen Monotheismus möglich ? „Drei Wege zu dem einen Gott", herausgegeben von A. Falaturi, J. J. Petuchowski und W. Strolz, Freiburg 1976, pp. 45—59. 28 Koran 37, 96. 29 Vgl. K. Falaturi — wie Anm. 27 —, p. 53 ff. mit Anmerkungen. 26

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Dasselbe ist auch bezüglich der göttlichen Lehre vorzustellen, die zwar als der einzige Heilsfaktor in dem obengenannten Sinne in der Zeit ist, aber nicht in einem entwicklungsgeschichtlichen Sinne zeitlich und geschichtlich sein kann. Dem Koran und somit der islamischen Theologie fehlen — philosophisch und theologisch gesehen — jede Basis und jeder Anlaß für eine Heilsgeschichte im jüdischen und christlichen Sinne.

MAIMON IDES: POLITICAL THEORY AND REALISTIC MESSIANISM* by

AMOS. F U N K E N S T E I N (LOS

Angeles)

1. "Realism" is a vague term, and at least as an attribute of political theories it means little more than the rejection of Utopian models. Giambattista Vico summed up the classical tradition of political realism in a succinct (though borrowed) phrase. Plato and Grotius, he said, construed their ideal constitution to fit "man as he should be". While sharing their aspirations, Vico nonetheless concurs with their adversaries from Aristotle through Tacitus to Machiavelli and Hobbes in the search for the best constitution to accommodate "man as he is, in order to turn him to good uses in human society. Out of ferocity, avarice and ambition . . . it makes civil happiness" 1 . All varieties of political realism share the belief that no form of social organization is capable of changing the basic ingredients of human nature. No constitution, they maintain, could produce a better species man. Campanella, a most interesting forerunner of the modern brand of secular-totalitarian utopianism, recognized better than others the continuity of the realistic attitude in its diverse manifestations: "exiit machiavellismus ex Peripatetismo" 2 . If neither the cosmos nor man can ever be changed, what else is left in politicis but the despicable logic of "raison d'état" : And indeed, already Aristotle insists against Plato that even an imaginary constitution must not transgress the realm of human possibilities3. In response, the modern Utopian will * For his encouragement and constructive criticism, I wish to thank my friend and teacher, H. H. Ben-Sasson (Jerusalem). 1 Giambattista Vico, La Scienza Nuova (1744) ed. F. Nicolini, Opere IV (Bari, 1928) I, 75—76; Autobiography, transi. Th. G. Bergin and M. H. Fisch (Ithaca, New York, 1944), p. 138. Cf. De Universo iuris uno principio et fine mo liber unus, Opere II, 1 (ed. Nicolini, Bari, 1936) p. 32 and our essay Natural Science and Social Theory: Hobbes, Spinoza and Vico, in "Giambattista Vico", ed. G. Tagliacozzo (Baltimore, 1975). The phrase "man as he is etc.," is taken from Machiavelli or Hobbes or Spinoza. 2 Th. Campanella, Atheismus Triumphatus (Paris, 1636) 20; cf. Metafisica ed. G. Napoli (Bologna, 1967) I, 22; HI, 114; F. Meinecke, Die Idee der Staatsraison, Werke I (2nd ed., München, 1960) 115 — 129, and recently G. Bock, Thomas Campanella, politisches Interesse und philosophische Spekulation (Tübingen, 1974) 229 — 298, esp. 265 ff. 3 E. g. Aristotle, Politics Δ, 1.1288b 2 5 - 4 0 ; Δ , 1 1 . 1 2 9 5 a 2 5 - 3 0 ; H, 4.1324b 3 4 - 4 0 ; even the imaginary constitution must still be possible. The best study of Utopian designs in antiquity is still R. v. Poehlmann, Geschichte der sozialen Fragen u. des Sozialismus in der antiken Welt, 2 vol. (München, 1912). 6

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answer that a change to the better of the human condition is possible or even an inevitable historical necessity ; and that he, the Utopian, is in fact the true realist. He foresees the inevitable outcome of history. Such are the contours of a dialogue which dominates a good portion of the classical history of political theories in the West. 2. The Jewish occupation with designs for the best constitution or with discussions concerning the relative merit of forms of government —• the core of political theories until the 19th century — was very modest indeed. While the Christian reception of Aristotle secured for his politics an influence even stronger and longer than the profound influence of his metaphysics or natural philosophy, Jewish medieval thought knew Aristotle — the philosopher — mainly in the nonpolitical portions of his doctrine. Being without a sovereign state, what little of political theory may be found in the Jewish tradition is linked to the mythical past or to the eschatological future. "In ilio tempore" Israel had a state and believed that it would have one again. But with or without a political theory Judaism did not miss the fruitful confrontation between the Utopian and the realistic mentality. Both found their expression in the very domain of Utopian images, in the difference between the upotian and the realistic Messianism. Maimonides was the first theoretician of a "realistic Messianism"; but he only gave a systematic expression to a deep-rooted, yet hitherto ill-articulated tradition of attitudes towards messianic images. Vis a vis the professional optimists in the last decades of Jehuda and Israel, the prophets did not deny coming of the "day of Jahwe"*, but insisted that it will be a time of "darkness, not light" (Amos 5 : 18) which will precede the future redemption. Vis à vis the apocalyptic expectations that the new αιωυ would bring both a cosmic and social revolution, the famous dictum of Shmu'el (Babylon, 3rd century) insists that "nothing distinguishes this world from the messianic days except for the subjugation under Kingdoms"5. Wherever the dictum appears, it includes the reference to Deut. 15—11 "for the poor will not vanish from the land". The long array of so called calculations of the end ("hisubei haqitsin") in Sanhédrin X I (Helek), if it is not a mere 4 Whether or not one agress with the deemphasis oí Amos 5:18, it certainly is directed against the vulgi opinio. Cf. G. v. Rad, The Message of the Prophets (New York, 1962) 9 5 - 9 9 . 5 B. T. Sanhédrin 91b, 99a; Sabat 63a, 151b; Berakhot 34b. It is interesting to note that while the intrinsic reference is to a change of social order, the extrinsic reference to the dictum by later Amora'im is in relation to changes of cosmic order. On the tanaitic and amoraitic messianic attitudes in general see E. E. Urbach, Chazal : Pirqe emunot vedeot (Jerusalem 1969) 585 — 623; here also the expression "realistic conception of redemption" — an equivalent to G. Scholem's "restorative" type of messianism (below n. 19).

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presentation of various traditions, seems to have been gathered merely to prove their extreme divergence and unreliability; it concludes with the curse: "Let the spirit of those who calculate ends expire". Among the famous three oaths inferred from the triple repetition of the verse "I bequeath you the daughters of Jerusalem . . . not to awaken love until it desires" (Song of Songs 2, 7) one oath construes the obligation not to push for the end ("selo lidhoq et haqets")®. Indeed, these and similar traditions do not yet consitute a theory or even a doctrine. They amount to the admonition not to expect too much and not to expect it too soon. The lack of a theory is all the more astonishing in view of the natural suspicion extended by the legal establishment ("establishment" in the positive sense of the term) towards messianic eruptions. It was a well-grounded suspicion. Christianity grew out of a Messianic heresy. The Barkochba revolt was a catastrophe greater than the big revolt of 66—70 A. D. : it left Judea depopulated7. The Abu-Issa movement was, or grew into, a syncretistic heresy8. Messianism was often the hotbed of antinomian trends. Yet precisely this very suspicion may in part explain the lack of a normative messianic doctrine. Whenever definite characteristic of the messian and the messianic age were given, no matter how restrictive, ÍL generation pregnant with acute messianic hopes found it all the easier tc recognize such criteria in the present age and

6 B. T. Ketubot I l l a ; Cant. Rabba 2, 7. I t is not necessarily an admonition against calculations of the end, b u t against political activity which aims to precipitate the end, without, of course, casting any doubt of its eventual (or even immediate) coming. Literally the formula is not an oath, b u t a playful imitation of one; wherefore t h e invocation of God (el sadai) :.s replaced by a phonetical simile ("aylot ha'sade"). Cf. R. Gordis, The Sons of Songs, "Mordechai M. Kaplan Jubilee Vol.", (JIS, New York 1953) 281—397, eso. 307 — 9. No study of the history of the topos exists, yet it is the main reference for all protagonists of a strictly passive messianism. A review of the tradition, with a strong polemical-ideologically intent, can be found in the polemical tract of J. Taitelbaum, Va'joel Moshe (New York, 1952). 7 M. Avi-Jona, Biyme Rema u'Bizantion (Jerusalem 1946) 1—4. Maimonides himself invokes, in the Iggeret Teman, a long list of heresies and tribulations which resulted from messianic contentions: Iggeret eman (henceforth IT) ed. J . Kapah (Jerusalem 1952) 21f, 5 3 - 5 3 . 8 A. Z. Eshkoli, Jewish Messianic Movements (Hebr. Jerusalem (1956), 117 — 128 (Sources) ; S. Baron, A Social and Religious History of the Jews (New York 1957) V, 193 — 4. We must, here as in other applications of the term, distinguish between conscious and unconscious "syncretism". The latter is, in several degress, the mark of all creeds; the former is a particular attitude towards other religions which is in itself a part of a religion. Such attitudes characterize, since antiquity, a good many religious communities, among them Minichaeism and Islam. I t is based on the assumption t h a t the own religion received the best from, or is the crowning and the ideal, of many true elements in former or other religions. Abu Issa commands his followers to stay in their respective religions, and recognized Mohamet and Jesus as true prophets.



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in some present contender. The more vague the criteria, the less room there is for an actualizing interpretation. The archetype of actualizing interpretation, the apocalyptic "peser" or "decoding" of old prophecies which we know from the Qumran documents, is based on the systematic exploitation of such concrete suggestive identifications 9 . The rabbinical establishment may have felt instinctively that the best messianic doctrine is no doctrine at all. Y e t in response to repeated messianic eruptions, a position had repeatedly to be taken. 3. Maimonides raised this very desire to refrain from detailed doctrines to the level of a theory. The influence of his theory on Jewish life and thought was considerable indeed. In his letter to the Yemenite community, recently afflicted by a messianic contender, he clarifies first and foremost the duty of the rabbinical leadership when confronted with messianic aspirations 10 . " B u t regarding what you (Jakob ben Nethan'el) said in the matter of this man claiming to be the messiah, the truth is that I was not astonished about him or his followers. Not about him, for he is undoubtedly a madman, and the sick does not bear guilt. . . nor about his followers, for due to the hardship of the situation and their ignorance in the subject of the Messiah and his high status they imagined what they did . . . But I was astonished at your words — for you are the sons of the tora, and have learnt the dicta of the sages — (in that you said) 'perhaps this is true' . . . What proof did he advance for his lies . . . ? " 9 K. Elliger, Studien zum Habakuk-Kommentar vom Toten Meer (Tubingen 1953) 150ff. ; F . M. Cross, The Ancient Library of Qumran (New York 1961) 111 ff. ; The word "peser" is the Hebrew form of the Aramaic "pisra" and equivalent to the biblical ptr\ the bible (Gen. 41:12; Dan. 2:26) uses it in the sense of "decoding dreams". The various "decodings" of old prophecies in the apocalyptic literature assume that the true meaning of a prophecy will be revealed only at the end of days ; for these prophecies were not aimed at the near future of their authors, but meant the last days of the old, wicked world and were to be understood only by the "adat qodes", the believers in the "more tsedeq". The very fact that, indeed, they "understood" —i. e., identified — the prophecy is a testimony to the present times being the end of tribulations and to the community being the elect one, the avantgarde of the new α!ων. The sectarian-apocalyptic exeget thus raises the technique of apocalyptic litrature to a higher level. An apocalypse testifies for itself and for the fact that the end of days have come by the mere fact that it has been rediscovered ; for it was meant to be sealed until the end. Cf. Α. Funkenstein, Heilsplan und natürliche Entwicklung (München 1965) 11 — 15. With the normative tradition, the apokalyphic literature in all of its varieties — i . e . , as "discovered" prophecies and as explication of prophecies — shares the assumption that since the first destruction, spontaneous prophecy has ceased from Israel. 1 0 Moshe ben Maimón, Iggeret teman Ch. 4, p. 50. Cf. also Eshkoli, op. cit. 178 — 182. Our following remarks do not yet distinguish the style and content of the Yemenite letter from the other instances in which Maimonides expoundet his Messianic doctrines, i.e., Mishne Tora, Hilkhot tesuba (HT); ibid, Hilokhot Melakhim (HM); Ma'amar Techiat Hametim (Ma'amar) ; Perush hamishina (PH). We shall rather treat all of Maimonides' assertions in the matter as part of one comprehensive theory, and we shall discuss the possible evolution of these doctrines below.

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Scepticism is not a mark of disbelief in the coming of the messiah, but rather the foremost, duty of the learned. He should not give in to the natural inclination of hoping "perhaps it is true". The normative leadership can never afford the luxury of a protracted illusion11. Its very function in the midst of a messianic eruption is to voice extreme criticism. The rabbinical authority is, by nature, anti-charismatic both "in foro interno" and "in foro externo"; or at least opposed to any charisma which is not derived from law and learning. The critical duty of the learned legal expert ist, paradoxically, his very eschatological function. Maimonides sincerely believed that his age was close to redemption. The rapid increase of false messiahs is in itself a sign of the end12. By surpressing false messiahs, the rabbinical authorities perform, so to say, an eschatological role, their role at the end of tribulations. Maimonides establishes three categories of signs for the veracity of the messiah. The first category is a negative one. The messiah will not change an iota of the law. An antinomian attitude is the clearest indication of an imposter. The second category includes a few positive specific signs. The messiah cannot but arise in the land of Israel, the forum of his actions13. He will emerge out of obscurity, but must be nonetheless most learned in the law, the utmost synthesis of charisma and legal expertise. The third category is the most decisive of all. His main and only proof will be his ultimate success ; success in the restitution of the sovereign kingdom : "If he acted successfully and built the temple at its place and gathered the dispersed of Israel, he is in certainty a messiah" 14 . 11

Maimonides succeeded here in identifying a pattern of reaction of the rabbinical leadership which will occur t i n e and again in similar situations. During the height of the Sabbatai Tsvi Movement, R. Jacob Sasportas was particularly enraged by letters from colleagues in Italy who urged him to keep his opposition silent, for one should wait and see the outcome of the movement and, besides, an opposition too harsh will damage the positive trend of tesuba which came in the wake of the movement. R. Jacob Sasportas, Sefer tsitsat novel tsvi (Jesrualem 1954) 58—60; G. Scholem, Sabbatai Sevi: The Mystical Messiah, tränst. S. Werblowsky (Princeton 1973) 498. 12 IT Cha. 4 (ed. Kafih p. 55) : "And in this matter a prophetic stipulation preceded . . . that when days of the true Messiah will draw close, claimers and imitators of Messianity will multiply". On the other hand, Maimonides refers to a well-guarded tradition in his family for eschatological renewal of prophecy to come in the year 1210, a tradition to which he gives some credence (ibid., Ch. 3, p. 48—9). But he quotes this tradition only as a possibility, and warns against its publication. 13 IT Ch. 4, p. 52; not repeated in the HM, in which Maimonides refrains, as much as possible, from dogmatic assertions. Cf. below, p. 99 f. 14 HM Ch. 11, 4. Whereas if the future Davidic king only achieves sovereignty and leads the state within the rule of the law ("tora"), he is yet only a potential messia ("behezqat masiah").On the revolutionary character of the "first phase" of the messianic days below p. 101 f., (This, also, against Scholem, below n. 19).

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The transition to the messianic age will be revolutionary. But will it also be miraculous ? The messiah, Maimonides, admonishes, does not have to perform miracles to prove his messianity18. But he must accomplish extraordinary things indeed. The restoration of sovereignty and the gathering of the exiles are but the beginnings of his deeds. The messiah will establish, through fame of invincibility, the hegemony of Israel over the nations, a "pax aeterna" in which all nations have embraced monotheism as the only religion and look up to Israel for law and arbitration1®. It is true that Maimonides warns against the apocalyptic ornamentation of "yemot hamasiah". The messianic days will neither bring a change in the cosmic order nor an egalitarian society. "And the wolf shall dwell with the lamb" should be understood allegorically17. But is not a perpetual peace of the kind Maimonides envisages in itself a miracle, a change in human nature18 ? And even if we agree with G. Scholem that the messianic age of Maimonides only actualizes man's natural potentialities, we cannot fully agree with Scholem's following characterization of the messianic age as being merely restorative19. The messianic days are at least a "reformatio in melius" and they exceed in perfection any age known before. It seems, then, as if we face an ambiguity in Maimonides' messianic images. But we ought to study them within the context of his social theories as a whole, and pay specific attention to the meaning and role of miracles in history. We shall see how and why Maimonides regarded the laws of nature, the laws of society and the course of history as successive instances of divine accommodation to an ultimatly contingent world. 4. In the More Nebukhim III, 26—56, Maimonides unfolds his philosophy of law, the doctrine of "reasons for the commandments"20. Ma'amar Ch. 6, p. 76; HM Ch. 11, 3. IT CH. 4, P. 52; HM CH. 11, 4. Even an ultimate political hegemony of Israel is not invoked directly except for the Perus Hamisna (Sanhédrin, Helek) : "and all the nations will make peace with him and all the lands will serve him in his abounding righteousness". 1 7 HM Ch. 12, 1. In his critical notes ("hasagot"), the Raábad of Posquiers objected that the extermination of predatory animals is, after all, mentioned in the Pentateuch itself; i.e., one may allegorize, if at all, only prophetical passages. Cf. Abraham ben haRambam, Milhamot hasem ed. R. Margoliot (Jerusalem 1953) p. 65 and the editor's note (n. 79). 1 8 A contemporarian of Maimonides, R. Eliezer of Beaugency, went even further: and assumed the perpetuation of national tensions even in the messianic age, in which Israel will be assigned the role of an arbiter. H. H. Ben-Sasson, "Yihud 'am yisrael le'da'at bne hame'a hastem esre", Peraqim le'heger toldot yisrael II (HUC 1971) 212—214. 1 9 G. Scholem, The Messianic Idea in Judaism (New York, 1971) 24—32. 2 0 Henceforth MN. We use the edition of S. Münk, Moise ben Maimón, Dalalat al Hairin (3 rol., 1856—-1866) and the translation of S. Pines, The Guide of the Perplexed 15

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Against the Saadianic disjunction between commandments of obedience ("mitsvot sim'iyot") and of reason ("sikhliyot") a disjunction which combined the Kalam terminology with Midrashic reminiscences21, Maimonides holds that every single precept has a dual structure and may be seen as both a commandment of reason and a commandment of obedience. Every commandment serves a rational design: "The law of God is perfect" (tora t hasemtemima"). But the right obedience to every commandment should not be dictated by insight into its purpose : It must be based on the "potestas coactiva" of the law, the fact that it is the will of the sovereign22. Maimonides is thus forced to look for a specific rationalization of those commandments — the ceremonial and dietary laws — to whi:h Sa'adia assigned only a generic rationale. A perfect constitution, Sa'adia held, must include some irrational commandment as an opportunity for the subjects to profess blind loyalty ; and Sa'adia, in the endeavor to demonstrate that the written an oral law form a perfect constitution, valid for all societies and all times, had to limit the number of such pure "commandments of obedience" to a minimum. Maimonides, who questioned this very axiom of Sa'adia's legal philosophy, needed a new starting point. He started, as so often, by trying to define anew the meaning of old questions. What do we really look for when we ask for the reason of a commandment ? Must a rationale for a specific law cover every part and detail of that law ? In a preliminary answer, Maimonides draws a strict analogy between laws of nature and social laws23. In the second part (Chicago, 1963). The following pages are in part a summary, in part a modification of m y earlier article Gesetz and Geschichte. Zur historisierenden Hermeneutik bei Moses Maimonides und Thomas von Aquin, "Viator" I (1970), 147—178. 21 The Midrash furnished the name for the discipline (ta'ame hamitsvot, e.g., Numeri Rabba 16. 1., 149a; and some of the paradigms (the red heifer). Cf. I. Heinemann. Ta'ame hamitsvot be-safrut Yisrael (Jerusalem, 1959) I 22—35; E. E. Urbach, ibid (above n. 5) 320—347. 22 Even in the domain of obligations pertaining to non-Jews (seba mitsvot bne Noah) Maimonides insists that insight into their rationality (hekhra hada'at) does not suffice to characterize an obedient gentile, a "pious from among the nations", but only the fulfillment of these commandments because they are the will of God (HM VIII, 11). Cf. also J. Levinger, Maimonides' Techniques of Codification (Hebr., Jerusalem, 1965), esp. 37f; J. Paurs, The Basis for the Authority of the Law According to Maimonides, "Tarbiz" 3 8 , 1 (1969) 43ff. (Hebr.). I disagree with Paurs' assumption that, contrary to Sa'adia, Maimonides could not h a v e developed an equivalent to the concept of a "lex naturalis". The classical theories of the "lex naturalis" separate between the rationality and the "potestas coativa" even of natural law. 23 MN III, 26, transi. Pines p. 509: "This resembles the nature of the possible for it is certain that one of the possibilities will come to pass . . ." i.e. which necessitates the actualization of one of the possibles within a material substrate. Cf. MN II, 25 as well as our following notes.

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of the Guide, Maimonides developed one of the most original philosophies of science in the middle ages. There he proved that not only are laws of nature (the ordering structures of nature) in themselves contingent upon God's will; but that each of them must include, by definition, a residue of contingency, an element of indeterminacy. No law of nature is completely determining, and no natural phenomenon completely determined ("omnímododeterminatum"),noteveninGod's mind 24 . To illustrate the matter, allow me to invent an example. Assume that tables should all be made out of wood; assume that the kind of wood most suitable to make tables from is mahogany, and that the best mahogany can be found in a remote forest in Indonesia only. A carpenter who wishes to make a perfect table has good reasons to choose mahogany and to travel all the way to the said forest. But there and then he will ultimately be confronted with two or more equally reasonable possibilities. Should he choose the tree to his right or to his left? He must choose one, and both are equally suitable. The purpose can never determine the material actualization in all respects, down to the last particular; a "through-going determination" is ruled out by the very material structure of our world. In the very same way, there may (indeed must) be a purpose to the universe ; but it does not govern all particulars. The purpose of the universe may require the circular orbit of the celestial bodies. But it does not account necessarily for the different velocities or colors of the planets 25 . Technically, Maimonides seems to have recognized26 that the Aristotelian concept of matter (υποκείμενου) carried two different explanatory burdens. It was both a principle of potentiality and a "principium individuationis". Maimonides abandons the second connotation of matter ; matter becomes to him the source of contingency throughout the universe, and not only in the sublunar realm only. 24 Maimonides does not say so explicitly, but it follows clearly from his discussion of the particularization of precepts and of natural phenomena. The Maimonidean theory of nature, and in particular his doctrine of contingency, have not yet received due emphasis. But cf. J. Guttmann, "Das Problem der Kontingenz in der Philosophie des Maimonides", MGWJ 83 (1939) 406ff. 25 MN II, 19 (Pines pp. 302—314). On similar examples in the Kalam, H. Davidson, Arguments from the Concept of Particularization, "Philosophy East and West" 18 (1968) 299ff. esp. 311f„ 313 n. 50 (Maimonides). On the Aristotelian concept of contingency (e.g., De Generatione animalium Δ, 3.778b 16—18) Cf. J. Hintikka, Time and Necessity. Studies in Aristotle's Theory of Modality (Oxford 1973) 27—40, 93—113, 147—175. 26 MN II, 19 discusses Aristotle's failure to account for the particularization of terrestial as well as celestial bodies ; the failure to account for the particularization of terrestial as well as celestial bodies ; the failure is then converted into a virtue—-namely that matter can never be "omnímodo determinatum", since it is, by definition, a principle of potentiality (cf III, 26n. 22 above). Of prime importance for the understanding of this chapter is the distinction between necessity and purpose.

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Between essential forris (laws, necessities) and matter qua mere potentiality (contingency, possibility) lies a hierarchy of contingent structures — "causae finales" — which account for the individuation (i. e., particularisation) of all singulars. The natural world is thus a continuum of instance:; of the accommodation of divine planning to indifferent if not resilient substrates. The influence of parts of this doctrine on scholastic philosophy was considerable. One may or may not agree that Maimonicles prepared the way for the Scotistic suggestion of individual forms no less than Ibn Gebirol. Certain and more important is the impact of his view of physical (or contingent) necessities on the confrontation of the "potentia dei absoluta et ordinata", a backbone issue of later scholasticism. I have shown elsewhere how the Thomistic interpretation of the "potentia dei ordinata" mirrors the Maimonidean theory of contingency and at times relies on it explicitly 27 . In a sense, Maimonides' principle of indeterminacy is closer to modern physics than to the Newtonian: modern physics likewise assumes a principle of indeterminacy not as a limit to our knowledge, but as an objective indeterminacy within nature itself28. 27 E . G., Thomas Aquinas, De potentia q. 3. a. 17 (ed. Marietti, p. 103) : "Cum autem de toto universo loquimur educendo in esse, non possumus ulterius aliquod creatum invenire ex quo possit sumi ratio quare sit tale vel tale ; unde cum nec etiam ex parte divinae potentiae quae est infinita, nec divinae bonitatis, quae rebus non indiget, rationes determinatae dispoiiitionis universi sumi possit, oportet quod eius ratio summatur ex simplici volúntate producentis, ut si quaeratur, quare quantitas caeli sit tanta et non major (cf. Maimonides, MN I I I , 26: "veheyotmisparo e h a d " ) non potest unius ratio reddi nisi ex volur.tate producentis. E t propter hoc etiam, ut Rabbi Moyses dicit, divina Scriptura inducit homines ad considerationem caelestium corporum (cf. Maimonides, MN II, 19:24), per quorum dispositioneum maxime ostenditur quod omnia subjacent voluntati et proviclentiae creations. Non enim potest assignari ratio quare talis Stella tantum a tali diste t, vel aliqua hujusmodi quae in dispositione caeli consideranda occurunt, nisi ex ordine sapientae dei . . . " From these and similar references (e.g., Summa Theologica 9.25 a 5 resp. 3) we obtain to following structure of the "potentia-ordinata" relation: whatever is not self contradictory ("per se impossibile") falls under potentia absoluta ever if it is not well ordered. Under the "potentia ordinata" falls not only our world, but also every other well-ordered possible universe, and it is futile to ask why this or that universe has been chosen to be created—for the questions could be repeated ad infinitum: it is a voluntary act. From here, the road to Scotus proof of contingency is not very long; cf. Duns Scotus, Opus Oxoniense Idist. 8 q. 5. (ed. Quarracchi, I, 655) and Id. 39. 3n. 14 (ibid. I, 1215); and E. Gilson, Johannes Duns Scotus (Düsseldorf 1959) 280 ff. On the influence of Maimonides in the West, and in particular on Thomas, Cf. J . Guttmann, Das Verhältniss des Thomas von Aquino zum Judenthum und zur jüdischen Literatur (Göttingen 1891); W. Kluxen, Literaturgeschichtliches zum lateinischen Moses Maimonides, "Rech, theol. anc. et med", xxi (1954) 23—50. 28 Niels Bohr, Discussion with Einstein on Epistemological Problems in Atomic Physics, in: Albert Einstein: Philosopher Scientist, 3rd ed. P. A. Schilpp, (London 1949) I, 199—241. Here and there, 'indeterminacy' is not a limit to our understanding, but a limit within nature itself.

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His principle of indeterminacy and the corresponding principle of accommodation allowed Maimonides to rephrase that which Kant later was to call the "physico-theological argument", the proof for God's existence from the order of the universe. If the universe were to be throughout well-ordered, it would be of itself necessary and would not imply an ordering hand. The physico-theological argument assumes neither that the universe is completely ordered not that it is completely disconnected (in the manner of the extreme nominalism of the Isharia), but that its order is imposed on the heterogenous elements which of themselves do not demand or imply this particular order29. The argument from particularization has been used already by the Kalam ; Maimonides gave it the balanced form in which it was to remain effective until Kant. The principle of indeterminacy allowed him likewise to introduce most miracles — or, more generally, instances of special providence — without violating laws of nature 30 . Miracles are mostly, but not always, taken from the reservoir of the remainder of contingency on all levels of nature. Maimonides calls such miracles "miracles of the category of the possible ("moftim . . . misug ha'efsari") 31 . 5. And precisely the same figure of thought is used by Maimonides to clarify what we look after in the search for "reasons of the commandments" ("ta'ame hamitsvot"). Take, e.g., the sacrifices. We may be able to explain, in view of their purpose, why sacrifices should have been instituted in the first place; "but the fact that one sacrifice is a lamb and another a ram; and the fact that their number is determined — to this one can give no reason at all, and whoever tries to assign a rationale enters a protracted madness" 32 . Rather than looking for an always determining principle for each law, we should look for a contingent rationale. Maimonides found such a contingent rationale in the concrete historical circumstances under which these laws were given to the nascent Israel. Sacrifices and the bulk of the dietary laws are not in themselves beneficial for every society at every time. The former are in particular suspicious, because they invoke 2 9 I. Kant, Kritik der Reinen Vernunft ed. W. Weischedel, Werke (Wiesbaden 1956) IV, 552 (B654 A626) : „Den Dingen der Welt ist diese zweckmäßige Anordnung ganz fremd und hängt ihnen nur Zufällig an, d.i. die Natur verschiedener Dinge konnte von selbst, durch so vielerlei sich vereinigende Mittel, zu bestimmten Endabsichten nicht zusammenzustimmen, wären sie nicht durch ein anordnendes vernunftiges Prinzip . . . dazu ganz eigentlich gewählt und angelegt worden". 3 0 MM II, 48 and Ma'amar lOed. Kafih, p. 98—101. The words "sekol ze taluy behiyuv hokhma seen anu yod'im ba me'uma, velo od eia se'anu hizkarnu kevar ofen ha' hokhma bekhakh", whose meaning eluded the translator and editor, may de taken as reference to the divine "cunning", i.e., to "purpose" (rather than necessity). 3 1 Maimonides, Ma'mar, ibid., p. 98. 8 2 Maimonides, MN III, 26. (Pines, p. 509; ours is a translation from the Hebrew).

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anthropomorphistic associations of a smelling or an eating deity. Considering the vigor with which Maimonides eradicated even the most abstract positive attributes of essence from the concept of God33, the institution of sacrifice must have been to him unworthy of a truly monotheistic community. And indeed he interprets it as a remnant of the universal polytheistic culture of the Sa'aba which prevailed in the times of Abraham and Moses. So deeprooted and pervasive34 were its abominable creeds that they could not be eradicated altogether in one sweeping act of revelation and legislation. Human nature does not change from one extreme to another suddenly ("Lo yistane teba ha'adam min hahefekh el hahekh pitom: natura non facit saltus"). Had anyone demanded of the nascent Israel to cease the practice of sacrifices, it would be just as impossible a demand as if "someone demanded today (of a religious community) to abandon prayer for the sake of pure meditation". Only a miracle could have transformed the polytheistic mentality immediately into an altogether monotheistic one : But God does not wish to act "contra naturam". He rather prefers to act with the aid of nature, to accommodate his plans to existing, contingent circumstances, to use contingent elements within nature in order to change it. Rather than eradicating all polytheistic inclinations among the emerging monotheistic community from the outset in a miraculous act, he preferred to use elements of the polytheistic mentality and culture in order to transform this very mentality by degrees35. Sacrifices 3 3 The doctrine of negative attributes, as we wish to prove on another occasion, should not be taken as a mechanical, indefinite enumeration of negations, but rather as constructive generation of cne "negative attribute" from another until we reach the ultimate, transcendental 'unity' of God (i.e., the negation of multiplicity). This movement, described in MN I, 58, is a dialectical one, and employs the negation of privations rather than simple negations. Without explicitly saying so, Maimonides commits himself to the exemption of the divine attributes from the principle of excluded middle; to say that God is "not unjust' is not the same as saying that he is just—or, if " » " stands for privation, we may write:

3 (X. y) < [ A(y) = A(y)] A ~ [ ~ *> A(x) = A(x)]>. B u t once we have established such a negation, we try to invest it with meaning, and produce a more precise "negative attribute", aided by our knowledge of science. — The most convincing interpretation of this doctrine was therefore given by Herman Cohen, precisely because he relied on bis theory of "infinite judgment" as a generative logic. 3 4 Maimonides calls these practices and beliefs "an abomination (to'eba) to human nature ('altaba 'alanasani)" (MN I I I , 29), "against nature" (MN I I I , 37). On the other hand, he described how mankind lapsed gradually, i. e. almost naturally, into such a universal error (below p. 9). 3 5 I t seems as if Maimonides implies a somewhat similar structure of understanding to explain the polytheistic residues within Islam. In his famous letter to Obadia the Proselyte he remarks, "Those Ismaelites are not all idolators, of long [idolatry] has been eradicated from their mouth and heart and they unify the exalted God properly . . . And should one say that the house they worship (theQua'aba) is a house of idolatry and contains idolatry which their fathers used to worship, so what. Those who kneel against

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were conceded with maximal restrictions and changed intents. They are turned into a fruitful error36. Just as Hegel's "objektiver Geist" uses the subjective, egotistic freedom of man to further the objective goals of history (for otherwise, history would cease to be "Fortschritt imBewußtsein der Freiheit") 37 , so also Maimonides' God fights polytheism with its own weapons and uses elements of its worship as a fruitful deceit. Maimonides spoke of the "cunning of God" ("'ormat hasem utebunato ; talattuf fi'allahu") 38 where Hegel will speak of the "cunning of reason" ("List der Vernunft") — their point of agreement is at one and the same time the point of their difference. Hegel's List der Vernunft, much as its forerunners — Mandevill's "private vices, publick benefits" or Vico's "providence" it today have no other intention but towards god ("en Iibam eia lasamayin") . . . Indeed, the Ismaelites once held in their places three kinds of idolatry, "pe'or", "marqolis" [ = Mercurius] and "khemos", they admit it today and give them arabic names . . . And these matters were clearly known to us long before the emergence of Islam, but the Ismaelites of today say that the fact that we untie our hair and refrain from sewn clothes is so as to submit oneself to God, be he blessed . . . And some of their sages ("paqahehem") give a reason and say there were idols there, and we throw stones on the place of idols ; that is : we do not believe in the idols which were there and in a manner of despise we throw stones on them; and others say: it is a costume. . . . " Here as in the outset of Israel, pagan cults are reinterpreted. R . Moses b. Maimón, Responso, ed. J . Blau (Jerusalem 1960) I I , 726—7. — A different but explicit usage of the principle of accomodation to explain the origins of Islam can be found in Petrus Alfunsi, Dialogi V, Migne, P L 157, 605 B ; cf. our article Change in the Patterns of Christian Anti-Jewish Polemics in the 12th Century, "Zion" 33 (1968) 136. 36 Comparable, perhaps, to Ambrosius' "felix culpa" — except for the lacking background of a doctrine of original sin. Ambrosius, De Jacobo I, 6, 21, C S E L 32, 2p. 18. 37 This, of course, is a historiosophical projection of the Kantian ethical prescription never to use man as means but only as an end unto itself. Hegel's objective Spirit does not directly use man as means; its "cunning" allows history in its totality to remain ethical without infringing on the "limitless right" of the individual to pursue his goal. 38 Maimonides, MNIII, 32 ed. Münk p. 69: "talattuf alallah wahakhmatah". (cf. I l l , 54 where " t a l a t t u f " stands for 'practical reason' as against wisdom or Hokhma) ; Hegel, Philosophie der Geschichte, ed. F . Brunstädt (Reclam 1961) 78ff. On the further history of this "topos" in early modern historical reasoning cf. our article Periodization and S elf-Under standing in the Middle Ages and Early Modern Times", Medievalia et Humanística" V (1975) 3—23. The resemblance of the Maimonidean to the Hegelian metaphor was noted by S. Pines in the introduction to his translation of the "Guide". Pines draws attention to Maimonides' use of Alexander of Aphrodisias. B u t in a sense, one should trace the origin of this historiosophical figure of thought not so much to the Greek notion of harmony — for the Greek harmony is a throughout transparent harmony — but to the prophetic dialectical demonstration of God's omnipotence through the very misery of the people he chose to protect. The prophets introduced a revolutionary theodicy, an inversion of the common belief that the measure of the power of a deity is the success of the community obliged to it in the bonds of a "religio". God's power manifests itself by using the greatest empires as "rod of his wrath" to purify Israel while they are unaware ("vehema lo yada'u").

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or again the "invisible hand" of Adam Smith and lastly Kant's "geheimer Plan der Natur" — articulate a sense of the absolute autonomy of human history and its self-regulating mechanisms. Maimonides, as all other medieval versions of the divine economy, allows at best a relative autonomy to the collective evolution of man. Maimonides demonstrates with considerable detail how every single allegedly "irrational" precept is a countermeasure to this or that Sabean practice. Now it matters little that the Sabeans, of whom Maimonides speaks with the genuine enthusiasm of a discoverer, were actually a small remanent of a gnostic sect of the second or third century A.D. rather than a polytheistic universal community39 — note that Maimonides uses for it the Moslem self-denomination "umma". The mistake in the identification of the background of the Mosaic law led Graetz to discard the Maimonidean explanations as "flat" 4 0 . But it is still possible that the argument of Maimonides is new and reliable in its method rather than in the actual validity of his historical reconstruction. Yet the interpretation of sacrifices as a divine concession to polytheistic usages in order to eradicate idolatry all the more forcefully was not altogether new. VajiqraRabba (22 : 6) attributes it to Pinhas ben Levi: "[A simile to] a prince whose heart has forsaken him and who was used to eating carcasses and forbidden meat. Said the king, let these dishes be always ori my table, and of himself he will get weaned. So also : since Israel were eagerly attracted to idolatry and its sacrifices in Egypt. . . God said : let them always bring their sacrifices before me in the tabernacle and thus they will separate themselves from idolatry and be saved" 41 . And then: the Middle Ages, both Christian and Jewish, gave the broadest meaning to the originally merely legal principle "dibra torakilsonbne 'adam" ("Scriptura humane loquitur"). From Theodoret of Cyrrhus and Augustin, through Walahfrid Strabo, to William of Auvergne and Thomas Aquinas, some Christian exegets interpreted the sacrifices as well as the whole of the vetus lex (except the Decalog) not as a mere "burden" but rather as the accommodation of God to the phase of understanding of humanity at that time. "Aptum fuit primis temporibus sacrificium, quod praeceparat deus, nunc vero non its est, aliud enim praecepit, qui multo magis quam homo novit,

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note.

Pines, Introduction (above n. 20); p. cxxiii-iv. H. Graetz, Die Konstruktion der jüdischen Geschichte (Berlin 1936) 85 — 86 and the

41 Leviticus Rabba 22, 6. It seems that a similar Jewish tradition is the source of Theodoret of Cyrrhus, Questions in Leviticum, PG L X X X , 300 Cf. our „Gesetz und Geschichte", (above η. 20), 1Ó5 and η. 71. For the further references to Christian exegesis cf. our Periodization a,id Self Understanding (above n. 36) p. 10 — 14.

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quid cuique tempori accommodate adhibeatur" (Augustin)42. The sacrifices were but "bona in sua tempore" (Hugh of St. Victor), a concession to a primitive mentality, and antidote to Egyptian idolatry. Maimonides himself may have drawn his version of the principle of accommodation from Quirqasani43. Paradoxically, a similar figure of thought was exploited earlier by Graeco-Roman anti-Jewish polemicists. The Jewish cult and law, this was the essence of Manetho's counter-biblical reconstruction of Jewish history, were nothing but an inverted mirror of the Egyptian cult and laws44. It seems as if Maimonides' theory is just another variation of the principle of accommodation. Yet consider the following. None of these traditions is actually concerned with the reconstruction of the original meaning of biblical legal and ritual institutions out of their forgotten historical background. Maimonides raised such a reconstruction to a methodical level. His theory not only explains, in detail, how the "forgotten" culture of the Sa'aba accounts for opaque parts of the law. It explains at one and the same time why these original "reasons for the commandments" were forgotten and must now be reconstructed so painfully. The very intention of the lawgiver was to eradicate all the reminiscences of the abominable rites and opinions of the Sabean '"umma". The fact that the reasons for certain commandments were forgotten is in itself a testimony to the success of the divine "cunning" or pedagogy. Not only among the Jews: the whole inhabited world, Maimonides believes, is by now monotheistic45. In the last few decades, we learnt to pay attention the the "historical revolution" of the 16th and 17th centuries, the transformation of historical understanding into a genuinely contextual reasoning™. Among 42

Augustin. Ep. 138 I, 5 ed. Rademacher, CSEL 44, 130. Qirqasani. Kitäb al Anwar ed. L Nemoy (New York 1939) I, 44: TT, 214; index (P. V. Sabians). I owe the reference toQirqassanito my friend and colleague, I. Twersky (Harvard). 44 Josephus, Contra Apionem I, 237 ed. Thackeray (Loeb Class. Library) 260ff: ó 5è πρώτοι» αύτοϊ; νόμο; Ιθετο μήτε ττροκυνεΐν θεούς μήτε τ ω ν μάλιστα έν' Α Ι γ ύ π τ ω Θεμιστευμένον Ιερόν ξώων άττέχεσθαι μη δε vos etc. Cf. Tacitus, Hist. V. 3: "profana illic omnia quae apud nos sacra, rursum concessa apud illos quae nobis incesta". Contrary to modern antisemitism, to whom the Jews are an indestructible race even where they pretend to assimilate (which they do in order to destroy the healthy texture of nations from within), the so-called ancient antisemitism wanted to show t h a t the Jews are neither an autochtonous εθνοξ nor do they have a genuine body of customs and laws. For these reasons, I regard the term "Antiker Antisemitismus" (I. Heineman in: Pauli-Wissowa Realencyklopädie, Suppl.-Band V, s.v.) as a misnomer. Cf. also J. Levi, 'Olamot nifgasim (Jerusalem 1969) 115 — 189. 45 MN III," 52; Cf. below p. 97 ff. and nn. 5 7 - 6 7 , above n. 35. 46 For the following, W. Dilthey, Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation, Werke II (Leipzig-Berlin, 1927) 110 — 113; recently J. G. A. Pocock, The Ancient Constitution and the Feudal Law: A Study of English Historical Thought in the Seventeenth Century (Cambridge, 1957) Ch. 1; D. R. Kelly, 43

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the humanistic commentators of the Corpus Iuris Civilis (the so-called "mos Gallicus") as well as biblical critics we notice a growing awareness to the demand that in order to understand the meaning of ancient institutions, texts or monuments, they ought to be alienated from any present connotation and placed in their original context. No historical fact is in itself meaningful unless it obtains meaning from its proper context. This method of "understanding through alienation and reconstruction" matured 47 long before it found its way into historiography proper. Maimorides' reconstruction of the "ta'ame hamitvot" was a genuine medieval precursor of the revolution of historical reasoning. A lesson in political theory was closely linked to the new historical reasoning since the 16th century: that no ideal ττόλις can be conceived in a historical vacuum. Even the best of all constitutions must bear the marks of its historical origins. This was the modern contribution to the old tradition of political realism. The political realism of Maimonides seems to be grounded on a similar historical perspective. Even the Mosaic legislation is not an ideal which can be abstracted from its origin to fit all societies at all times. Sa'adia's fault, so Maimonides seems to imply, was his endeavor to uncover an absolutely rational social structure: while he, Maimonides, established methods of contingent rationalization. Of course, the new perspective was apt to be challenged as dangerous. Did not Maimonides relativise the validity of those precepts which he interpreted against the background of a concrete and now bygone Foundations of Modern Historical Scholarship: Language, Law and History in the French Renaissance (New York, 1970). In a more recent study, D. R. Kelly referred to the medieval roots of the "mos Gallicus", i.e., to many "topoi" of later historical reasoning which are to be found in the exegesis of the CIC since its reception (Klio and the Lawyers, "Medievalia et Humanística" V, 1975, 24—49). Important as these references are, they are certainly not thî sole medieval roots of the 'historical revolution' of the 17th century. Kelly himself notes the influence of rhetorics; and indeed many of the criteria of historical relativization he mentions (circumstantiae, tempus, etc.) belong to the standing canon known as "accessus ad auctorem". A. H. Wolters, Geschichtliche Bildung im Rahmen der Artes Liberales, "Artes Liberales, Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters" ig. J. Koch (Leiden-Köln, 1959). More important, the Biblical exegesis and the theological interpretation of the Middle Ages applied extensively the principle of accomodation — the idea that Revelation and the Church "adapt" themselves to the degree of progress of mankind; Cf. our remarks in "Medievalia et Humanística" (above η. 38). 47 By the beginning of the 18th century, it was already a truism to warn against those who "de rebus antiquissimis secundum sui temporis conditionem notiones forment"; Franz Budde, Historia Ecclesiastica (3rd ed., Jena, 1726) Praef., L. Diestel, Geschichte des Alten Testaments in der christlichen Kirche (Jena 1864) 463. It is not our contention that Maimonides refrained from anachronisms. To the contrary : his historical remarks are usually full of them, as when he lets Jacob make Levi a "ros yesiba" : MT, hilchot 'Alodat Kohkabim 1,3. But his interpretation of sacrifices is free from them.

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historical situation ? Maimonides himself never addressed this problem directly, and the problem was to become one of the main issues in the anti-Maimonidean controversy 48 . Should laws be changed ? Maimonides, we have seen, insists on the validity of every iota of the law even in the messianic age. He includes explicitly the restoration of the temple and its sacrifices in the schedule of messianic deeds. Then as once the law will save the masses from a relapse to the superstition to which they are and will remain prone. Maimonides was no "Aufklärer", and he did not believe in an essential "Erziehung des Menschengeschlechts", i. e. in the capability of the masses to rise to the level of the philosopher49. The respect of the masses before the law is founded on their belief in the law's immutability. Which is not to say that the law cannot be modified at all. Again we have to resort to his doctrine of contingency, A good law, this was already the essence of the Aristotelian doctrine of equity (έτπεκεία)50, must be formulated so as to remain flexible enough to meet changed conditions. It must be precise in its "core" and allow for a "penumbra" for indeterminacy. The absolute immutability of the law may be a necessary fiction for the masses, but the legal experts of every generation have the right and the duty to adjust the law "in casu necessitatis" 51 . 6. The messianic doctrines of Maimonides are therefore only the tip of the iceberg, a part and a consequence of his historical perspective and of his political realism in the sense of our introductory remarks. I suggest to understand the emergence of that "eternal peace" which Maimonides envisages in analogy to the emergence of the Israelite monotheistic community out of an all-pervasive polytheistic environment. Every order, physical or social, contains a residue of contingency. Direct providence operates with this residue of indeterminacy in nature and society; at times man calls such acts miraculous. God used poly48 D. J. Silver, Maimonides' Criticsm and the Maimonidean Controversy, 1180 — 1240 (Leiden 1965) 148ff., 157ff; for criticism of the Book, H. Davidson, Jewish Social Studies 30/ 1 (1968) 46 — 7. It was of course, part of the controversy over the "hagsama." 49 Against L. Strauss, cf. our remarks in Gesetz und Geschichte: Zur historisierenden Hermeneutik bei Moses Maimonides und Thomas von Aquin, "Viator" I (1970) 147 — 178, 162 η. 60. Maimonides, we argue there, depicts e. g. Abraham as already on the height of wisdom; if there is a relative progress, it consists in the taming of superstitions among the masses. For asimilar view of the question "an secundum mutationes temporum mutata sit fides" in the christian horizon (Hugh of St. Victor) see our Heilsplan und Natürliche Entwicklung pp. 52—3. 50 CfG. Kisch, Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit (Basel, 1960) 18 —26 for the Aristotelian origin of the demand to complement law through equity (to cover the necessary residue of indeterminacy in any liegislation). My knowledge of the Arabic sources does not suffice to trace the possible vehicles through which Maimonides might have received the doctrine. 51 This interpretation is given by J. Levinger, Hamahsaba hahalakhtit sel haRambam ; "Tarbits" 37.3 (1968) 282ff.

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theistic images in order to eradicate polytheism in a slow and imperceptible process of "purification", rather than changing human nature all of a sudden. Similarly, human nature will not have to change when the entire world will be transformed into a peaceful community. Again God will first combat the present state of things with its own elements, antagonism and war. "But the removal of strife and war from east to west will not come in the beginning of his (the messiah's) appearance, but only after the war of Gog"52. The king messiah will establish the hegemony of Israel by force and fear. "When he will appear God will frighten the kingdoms of the earth by his fame, their dominion will weaken, they will cease to rebell against him . . ." 53 . Only afterwards, when recognized and established, the political dominion of Israel will become an ideological hegemony. While fear secured the establishment of the "pax Iudaica", the paradigm of the kingdom of Israel and its very preoccupation with the true knowledge of God — the purpose of the Utopian society—will secure the conditions for the perpetuation of that peace. The durability of the eschatological body politic is explainable in natural terms: "And there is no cause to be astonished that his kingdom will endure thousands of years, for the philosopher ("hakhamim") say that once a good body politic is constituted, it does not dissolve easily"54. The analogy we drew between the time of Israel's birth and the time to come of its rebirth became under our hand more than a mere analogy. The latter does not only resemble the former, but complements it. The messianic age crowns a didactic and dialectic process which began with the modest establishment of a monotheistic community by Abraham, continued with the fortification through laws of this community after its relapse, advanced with the growing hold of the monotheistic imagery in Israel, and made a decisive progress even in the time of the diaspora. Even if Maimonides does not go as far as Philo or Jehuda Halevi in seeing the function of the diaspora as a missionary one — the Jews carrying the σπέρματα του λογού among the nations 55 — he nonetheless recognizes a growing process of monotheisation of 52

IT Ch. 4, p. 5 2 - 5 3 ; less definitive HM, ch. 12, 2. IT ibid. Scholem (above n. 19) denies the revolutionary character of Maimonides' Messianic days, and does so by equating revolutions to apocalyptic-cosmical catastrophes only. True, Maimonides de-apocalypticized his eschatology; but envisaged nonetheless, in the first phase a the messianic age, a rapid radical change, utmost tribulations and a world-war. 54 Perush hamishna. Sanhédrin (Helek). In a similar reference to national causes Maimonides explains there the longevity of life in the Messianic days: security and abundance prolong the life expectation of the individual. 55 Jehuda Halevi, Kuzari (ed. Zifroni) 4,23; J. Baer, Galuth (New York 1947) 32; below n. 67. 53

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the entire world. Christianity and Islam are for him "of the nature of a religion", even though the one was founded by a heretic and the other by a lunatic56. It is from the phrase of Maimonides that Hame'iri later borrowed the somewhat similar phrase" 'umot hagdurot bedarkhe hadatot" 57 . Still in another context Maimonides distinguishes between those nations of the world which obey the seven Noachidic laws and should be tolerated, as against those who do not conform to this Jewish counterpart of the "ius naturale" (or rather "ius gentium") and could be killed58. The distinction calls in mind the Moslem distinction between the "ahi al kitab" and the "ahi al maut", all the more so since Maimonides does not envisage the proselytization of the world even in the messianic days. All he wants is to make the world a safe place to obey God's laws and increase the knowledge of him59. And finally : In yet another allusion to the divine cunning, Maimonides calls Christianity and Islam outright "roadpavers for the king messiah" — "meyasre derekh lamelekh hamasiah" 60 . These and other scattered passages add up to a distinct view of the course and phases of human history seen as a history of monotheization. It is a gradual process, which shall be succeeded by an indefinite period of unchallenged, universal monotheism, and was preceded by a likewise gradual process of polytheisation. From Enosh to Abraham, the original monotheism of Adam degenerated through polylatrism into polytheism, which them enabled a priestly class to exploit and terrorize a superstitious mass61. If this sounds as an outright inversion of the evolutionary models of anthropologists since the 19th century, it is due to one basic agreement and another basic disagreement. The medieval and modern rationalistic views of the development of (true or false) religions share the dislike of radical mutations; they only disagree as to the starting point of the evolutionary process. To the middle ages, the knowledge of God's unity was part of the "lumen naturale". Not its presence, but any deviation from it called for a historical explanation : all the more so since Adam, as it were, encounIT, ch. 1, p. 12., and below p. 100. Cf. J . Katz, Ben Yehudim le'goyim (Jerusalem 1960) 116—128. Katz emphasizes rightly the halachitic differences between Maimonides and Hameiri in their treatment of Christianity. But the expression itself belongs first and foremost to the philosophical tradition and is the medieval version of the "natural religion". 5 8 MT, HM ch. 6, 1. 5 9 HM ch. 12,4; "The sages and prophets did not desire the days of the Messia in order to rule the entire world, nor in order to tyrannize the nations, nor again so that they be elevated by all people, nor in order to eat, drink and be merry — but in order to be free for the to'ra and its wisdom, and so that there be no tyranny over them to cause distraction". Cf. Perush hamishna loc. cit. and HT Ch 9,2. 6 0 Cf. below. 61 MT, Sefer hamada, Hilhhot 'avodat kokhabim, Ch. 1, /—3. 58 57

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tered the Almighty frequently and directly, if not always on friendly terms. Schmidt's anthropological arguments for the primacy of the "Urmonotheismus" are but a modern guise of old theologoumena, e. g. Eusebius of Caesarea's description of the gradual corruption of man's "kingly nature" through polytheism and polyarchy and its restitution through universal monarchy and monotheism®2. Similar questions bothered already the author of the Wisdom of Salomo63 ; and of similar scope is also the Maimonidean attempt to reconstruct the prehistory of monotheism. The second period in the essential history of mankind begins with the establishment of a monotheistic community. The "feeble preaching" of Abraham64 did not suffice to guard from a relapse of his followers: The masses were, and still are, prone to superstition, and can be held in the boundaries of religion by laws only. These laws, we have seen, were construed by the "cunning of God" so as to utilize polytheistic images and rites with the intent to abolish them. The emergence of a monotheistic mentality was slow and difficult: "tanta molis erat Romanam conderegentem". Graduality and slowness, we noted already, are the formal marks of natural change — here as in the Christian versions of the principle of accommodation since Irenaeus of Lyons. If already the transformation of a small nation into a monotheistic community was a slow and difficult process, all the more so the monotheization of the entire "oikoumene". This is a dialectical and highly dramatic process, guided again by the operation of the divine ruse. Time and again "the nations of the world" wish to destroy the people of Israel, whose election they envy (even if, one may add, they deny it)65. They generate successively destructive ideologies — Maimonides calls them "sects" — each of greater sophistication than the former, though all of them exist at present, wherefore they correspond only loosely to the "four monarchies" of the book of Daniel66. Having failed in their attempt to extinguish the true religion by force or argumentative persuasion (Hellenization), the nations of the world

62 Eusebius of Caesarea, Historia Ecclesiastica I, 2, 19 ed. E. Schwarz (Berlin5 1952) p. 8—-9; On the "political theology" of Eusebius E. Peterson, Der Monotheismus als politisches problem. "Theologische Traktate" (München 1951) 44ff., 89. 63 Sap. Salomonis 14: 12—17; a Euhemeistic interpretation. 64 MN III, 32. In his placing of the role of Moses above that of Abraham's Maimonides may also have intended to invest the Moslem historical scale of values, which placed Abraham way above Moses. 65 IT ch. 1. p. 21. 6e IT ibid. Maimonides, ulike some Jewish and most Christian philosophies of history, did not pay specific attention to detailed periodizations. Nor was he interested in history as such. Cf. S. Baron, The Historical Outlook of Maimonides, "History and Jewish Historians" (Philadelphia 1964) 109—163, esp. 110—113.



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resort to a ruse. A third sect emerges which imitates the basic idiom of the monotheistic, revelatory religion in order to assert a contradictory law, so as to confuse the mind and thus cause the extinction of both the original and its imitation. "And this is of the category of ruses which a most vindictive man would device, who intends to kill his enemy and survive, but if this is beyond his reach will seek a circumstance in which both he and his enemy will be killed." Yet inasmuch as this latter sect and those similar to it — Christianity and Islam — do imitate a monotheistic mentality, they help to propagate and prepare the acceptance of the true religion against their will: their stratagem turns, by a divine ruse, against them ; or better : their ruse turns to have been a divine ruse from the outset. The effect of their resistance to the truth is a negative "preparatio messianica" (or, in the fortunate phrase of H. H. Ben Sasson, a "preparatio legis") : in this sense, I believe, one has to interpret the phrase that Christianity and Islam are "roadpavers for the king messiah" 67 . Our attention was drawn repeatedly to some analogies between Maimonides' historical employment of the principle of accommodation and its Christian counterparts. The broad role which Maimonides assigned to the divine (as against the polytheistic — adversary) "ruse" also reminds us of one of the most original pieces of historical speculation in the 12th century, Anselm of Havelberg's Dialogi68. The "spiritus sanctus" accommodates its historical operations not only to the degree of perception of man, but also to the ever more refined stratagems of Satan: each of the seven successive "status ecclesiae" is characterized by a less obvious and therefore more dangerous opposition of the adversary; in his own, fourth, "status ecclesiae" Anselm sees the Satan penetrating the church with pretention and imitation, "sub praetextu religionis", through "falsi fratres" — amove which the holy spirit counters by a variety of new, fresh turns of religiosity. Needless to say that such analogies do not suggest direct mutual influence; their interest lies precisely in the circumstance that these figures of thought belong to so disparate cultural horizons. The search for the theological meaning of history was much more a part of Judaism and Christianity than of Islam. A similarity of the problem-situation led, at times, to somewhat similar patterns of answers. Returning to Maimonides, we note that even though the scheme of each of the "sects" is doomed to failure, they still inflict on Israel 67

H. H. Ben-Sasson, ibid, (above n. 18). Anselm of Havelberg, Dialogi I, 10 Migne, P L 188, 1152ff. Cf. W. Kamlah, Apokalypse und Geschichtstheologie (Berlin, 1935) 64; W. Berges, Anselm von Havelberg in der Geistesgeschichte des 12. Jahrhunderts, "Jb für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands", 5 (1956) 38ff., esp. 52 (reference to Hegel's "List der Vernunft"); Funkenstein, Heilsplan 60—67, esp. 66. 68

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severe physical and mental blows. It is the lot of Israel to endure in spite of dispersion and deflection. Among the current types of historical theodicies — i. e. attempts to invest meaning into the discrepancy between being the people of God's choice and the present humiliation in dispersion — Maimonides occupies a unique position. His explanation is neither of the cathartic, nor of the missionary, nor again of the soteriological type 69 . Not the purification and punishment for old sins, nor the propagation of the seeds of the logos, nor again suffering for the sins of the nations so as to redeem the world are for Maimonides the essential rationale of the "galut". His language is rather sacrificialmartyrological. Israel is constantly called to bear witness. Time and again it brings itself as sacrifice, "korbankalil" 70 throughout this long phase of world history. The last period, namely the messianic age, will finally transform the hostile and implicit recognition of the spiritual primacy of Israel, which most nations share already now against their will and word, into a more or less voluntary explicit recognition of the community of Israel as a most perfect and paradigmatic society. It will be a time of material affluence and security71, but not of total egality either among men or nations. The messianic age of Maimonides is in all its aspects a part of history, the concluding chapter in the long history of the monotheisation of the world. In the Christian medieval horizon there is only one eschatological doctrine which seems to come nearer to Maimonides in this respect — Joachim of Fiore's version of the "tempus spiritus sancti". But the similarities are only superficial. Joachim's Millennium, even though it is within the boundaries of history, is of an order which altogether transcends historical processes72. 7. With the impact of Maimonides' theory, practical and theoretical, we shall deal elsewhere. One instance of the later discussions must be mentioned here, for it touches on the very texture of the theory. Did Maimonides envisage, in accord with his messianic views, any practical measures to be taken by those generations which are close to the "eschaton" to percipitate the coming of the messiah; measures which are in the natural domain of possibilities? We spoke earlier73 of the negative, critical eschatological task of the legal experts of the last generations — the duty to unmask false contenders, of which the time

• 9 I have explained this classification in Patterns of Christian-Jewish Polemics in the Middle Ages, "Viator" 2 (1971) 376. 70 IT, Ch 1, p. 30. 71 Above, n. 59. 72 See H. Grundman, Studien über Joachim von Fiore (Leipzig, 1927) 56—118. 73 Above p. 85.

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close to the end will be particularly pregnant. But later admirers of Maimonides took some of his enigmatic remarks concerning the possible renewal of the institution of ordination to mean a positive eschatological task for the legal experts in the preparation for the messiah. When Jacob Berab attempted the renewal of the "semikha" (1538), he relied on a messianic interpretation of a view which Maimonides expounded first in his Exegesis of the Mishna and reiterated later in the Mishne tora74. With an indication that it is but his personal view, Maimonides considers in both his earlier and later work the possible renewal of the authentic courts through an initial act of ordination by consent of the sages in the land of Israel only. As is well known, the attempt of Jacob Berab failed mainly due to the opposition of the Jerusalemian Rabbis, led by Levi ben Habib75. But Levi ben Habib, out of deference to the authority of "the Rav", had to explain away if not the remark of Maimonides as such, then at least the eschatological implications drawn by Jacob Berab. He did so by introducing an evolution into Maimonides thought. Eschatological implications, he admits, are present in the Perush hamishna : there the renewal of ordination prepares the renewal of the full Sanhédrin of 71 members, which again will precede the first acts of the messiah. But later, in his code, Maimonides drops both references to the full court and to the coming of the messiah. He speaks of the renewal of the minimal civil courts only76. In other words, Levi ben Habib makes him retract the view allowing for practical, active preparations for the Messianic era. This is by no means an altogether impossible interpretation. Maimonides of the code is much more cautious, in his assertions concerning the messianic era, than Maimonides of either the Perush hamishna or the Iggeret77. And so it may well be that he refrained, in the Code, from making an all too radical judgment pertaining to the renewal of the courts. But there is no reason to assume that he actually gave up the messianic connotation of the renewal of some elements of the pristine

Perush hamishna to Sanhédrin X I (Heleq); MT, Hilkhot Sanhédrin 4,11. On the ideological background of the Controversy cf. J . Katz, Mahaloqet hasemikha ben Rabbi Jacob Beyab vehaRalbah, "Zion" 17 (1951) 34ff. In the meantime,some new material has been discovered: H. Z. Dimitrowski, New Documents Regarding the Semicha —• Controversy in Safed, "Sefunot" 10 (1966) 115—192. 76 Responsa (Venice 1565) p. 283 col. a : "ukefi hanir'e seharab hazar bo beziknuto mima sekatab bamisna bisne debarim". Ralbach's feigned deference comes to the fore where he pretends that, of course, Maimonides must have had sources (books) for his opinion, and unless these are recovered, no one can really know what Maimonides meant. But, of course, Maimonides makes it clear that it is his opinion only. Cf. also Dimitrowski, ibid 149. 77 Above nn. 13,16. 74

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judicial system. He just may have chosen not to invoke them as a definite, binding part of the messianic doctrine. 8. To sum up, it would be wrong to deny a this-wordly character to the processes and even actions of the messianic era, for which the entire history of the dispersion is a preparation of sorts. But it would be equally wrong to relegate the messianic era to the realm of ordinary political processes. The contradistinction of Maimonides' theory to the rationalistic consequences which Josef ibn Caspi drew from it makes it very clear. S. Pines has shown78 how ibn Caspi derived his assertions (which were to be repeated, in another context, by Spinoza) from the Peripatetic belief in the recapitulation of similar states of affairs. Just as a political constellation once existed in which a Jewish sovereignity was an actualized possibility, it is probable to assume that again such a constellation will exist in which it may even be in the interest of the nations of the world to have a Jewish monarchy exist. How far from this is the Maimonidean doctrine! True, the messianic age is in the realm of the possible by nature; but it also excels every previous historical period by leaps. Maimonides does not deny the occurrence of genuine miracles, simple violations of the order of nature. They occurred at the birth of Israel and will occur again "biymot hamasiah". But he distinguished them from miracles taken from the domain of the possible. And he regards the Messianic period itself, much as the transformation of Israel from an idolatrous into a monotheistic community, as a miracle in the second sense, miracles taken from the vast residue of contingencies. He is mute concerning genuine miracles. Indeed, there will be a resurrection of the dead — but when and where, whether in the days of the Messias or thereafter, he does not know nor, it seems, care too much79. Genuine miracles are isolated events of no lasting significance. But their counterpart, "the miracles of the category of the possible" ("moftim musug haéfsari") are the inner driving force of human history from each phase to a higher one. Realistic utopianism is not a contradiction in terms. The modern history of political thought from Vico to Marx differs from the classical or medieval tradition precisely in that it sought to overcome the abyss between "man as he is" and "man as he should be" through possible if not even necessary historical processes. The Jewish Utopian tradition knew a meditation between the ideal and the possible earlier. For it was committed to a messianic ideal, but had always to sharpen its critical faculties against it. 78

S . P i n e s , Joseph Ibn Kaspi's

and Spinoza's

opinions on the probability of a Resto-

ration of the Jewish State, " l y y u n " 14—15 (1963—4) 289ff. 79

Ma'amar Ch. 7, ed Kafih 98—9.

DIE KONZEPTION DES HEILSGESCHEHENS UND DIE FRAGE NACH DEM URSPRUNG DES BÖSEN IM HEXAEMERON ARNOS VON REICHERSBERG 1 von

ISRAEL P E R I

(Thiergarten)

I Durch die erleuchtende Vision in einer Osternacht gelangte Joachim von Fiore zur Erkenntnis der in der Heiligen Schrift befindlichen Hinweise auf die Verwirklichung des Heils in der Geschichte. Das wahre Verstehen beider Testamente zeigt nicht nur Übereinstimmung, „Concordia", zwischen ihnen, die Erfüllung des Alten im Neuen Testament, sondern die aus der Erleuchtung stammende Erkenntnis brachte Joachim darüber hinaus zum Verständnis des Ablaufs der menschlichen Geschichte nach Christus und wies auch auf die fernere Zukunft hin. Er wußte sich am Ende des zweiten Weltalters, zu Beginn eines dritten. Diese dritte Weltzeit würde durch das unmittelbare Wirken des Heiligen Geistes bestimmt sein, in ihr wird die „ecclesia spiritualis" auf Erden entstehen. Die zwei vorhergegangenen waren die des Vaters und die des Sohnes. Durch seine Klostergründung und das damit verbundene Entstehen einer neuen Ordensgemeinschaft kann sich Joachim als einer der Initiatoren der neuen Zeit empfinden. Die „initiatio" dieser dritten Weltzeit begann für ihn allerdings schon mit Benedikt von Nursia, so wie auch die zweite Weltzeit im Schöße der ersten verborgen heranwuchs, sich aber in den letzten Generationen vor Christus durch Zeichen bereits angedeutet hatte. Diese Konzeption des „tertius status" war etwas genuin Neues in der christlichen Geschichtsauffassung und führte im späteren Joachimismus zu revolutionären, von Joachim selbst wohl gar nicht beabsichtigten Konsequenzen. Doch sowohl in der Art der Deutung der Heiligen Schrift als auch in den Bestrebungen zu radikalen Änderungen in der Kirche sind im 12. Jahrhundert zu den Gedanken Joachims viele Parallelen zu finden und sogar auch — mindestens in Ansätzen — manche Auffassungen von einem kommenden dritten Zeitalter des

1 In meiner Untersuchung Das Hexaemeron Arnos von Reichersberg, „Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg", Neue Folge 10, Wien 1976, pp. 9—115, habe ich mich hauptsächlich auf die zeitgenössischen Quellen des Werkes konzentriert und Analogien mit den Auffassungen Joachims von Fiore nur beiläufig (p. 15) erwähnt.

Arno von Reichersberg

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Heiligen Geistes. „Die Geistesgeschichte kann sich nicht unterfangen, eine lückenlose Kausalkette zu rekonstruieren, aber sie kann unter der Fülle der Bewegungen Ordnung herstellen, ideell Verwandtes in Beziehung setzen und gegen andere Ideen und Tendenzen abgrenzen." 2 Unter die „Vorgänger" Joachims wurden von mehreren Forschern der Propst von Reichersberg, Gerhoch (1093—1169), und sein Bruder und Nachfolger im Amt, Arno (f 1175), gezählt 3 . Interessant ist es, die Ähnlichkeiten im Lebenslauf von Joachim und Gerhoch festzustellen. Beide finden ihren festen Platz erst im fortgeschrittenen Alter, und wenn auch Gerhoch kein neues Kloster gründet, so prägt doch seine Persönlichkeit das junge Stift Reichersberg. Der Italiener sowie der Deutsche suchen die Zustimmung der Kurie für ihre Auffassungen, Päpste empfangen sie zu Gesprächen. Beide aber erreichen nicht, daß Rom die Rechtmäßigkeit ihrer Meinung uneingeschränkt bestätigt. Weder der Propst von Reichersberg noch der Abt aus Kalabrien wollten die Autorität der bestehenden Hierarchie antasten. Doch Gerhochs Anliegen, die Überführung der gesamten Seelsorge in die Hände von Regularkanonikern, die Aufhebung des Weltklerus, kann durchaus mit dem Prädikat „revolutionär" bezeichnet werden, denn die konsequente Durchführung dieser Reformidee hätte eine tiefgehende Änderung der kirchlichen Hierarchiestruktur zur Folge gehabt. Neben Arnos Auslegung der Schöpfungsgeschichte soll hier in Kürze auch Gerhochs Werk über den Antichrist 4 betrachtet werden, da dieses von Arno in seinem Hexaemeron 5 mit Recht als „nostrum opus" (fol. 149 r) bezeichnet wird. Insbesondere im zweiten Buch dieser Schrift tritt eine naturphilosophische Komponente zutage, die nur in Arnos Exegese noch deutlicher zum Ausdruck kommt. Die typologische Auslegung der Schrift ermöglicht das „Aufspüren des Antichrist"®, sie erhellt das Geschehen in der Geschichte bis hinein in die Zeit des Verfassers. Gerhoch unternimmt es, den von Christus genannten 2

H. Grundmann, Studien über Joachim von Floris, Leipzig und Berlin 1927, Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 32, pp. 162 f. 3 Siehe z. B. A. Dempf, Sacrum Imperium, Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der Renaissance, München 1929, pp. 252—261 ; P. Classen, Gerhoch von Reichersberg, Wiesbaden 1960, pp. 113 und 319f. ; J. Ratzinger, Joachim von Fiore, „Lexikon für Theologie und Kirche" 2 , V, 975f. (der auch Arno erwähnt) und B. Töpfer, Das kommende Reich des Friedens, Berlin 1964, „Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte" 11, pp. 28—33. 4 Libri III de investigatione Antichristi, F. Scheibeiberger, Gerhohi opera 1, Linz 1875. Eine umfassende Analyse des Werkes (auf die sich die folgenden Ausführungen stützen), bei Classen, Gerhoch (Anm. 3), pp. 193—248 und 421—424; siehe auch H. D. Rauh, Das Bild des A ntichrist im Mittelalter : Von Tyconius zum deutschen Symbolismus, Münster 1973, „Beiträge zur Geschichte und Philosophie des Mittelalters", N. F. 9, pp. 416—474. 5 Exameron A monis, Stiftsbibliothek Klosterneuburg, Codex 336. β So übersetzt Classen, Gerhoch (Anm. 3), p. 216 4 zutreffend den Titel des Werkes.

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„Greuel der Verwüstung am Heiligen Ort" (Mt 24, 15) für die verschiedenen Zeitalter zu identifizieren. Das Schicksal des Tempels in Jerusalem weist auf das Geschehen im geistigen Tempel, in der Kirche, hin. Seine Zerstörung durch die Babylonier wird der Verfolgung der Christen durch die römischen Kaiser gleichgesetzt, die Störungen durch die Samariter bei seinem Wiederaufbau dem Aufkommen der Häresien7. Aus den Verfolgungen ging die Kirche siegreich dank ihren Märtyrern hervor, die Häretiker wurden durch die Doctores der Kirche, von denen Hilarius, Ambrosius und Augustinus aufgezählt werden, überwunden. In den folgenden Kapiteln werden die Zeichen des Antichrists zur Zeit des Antiochus Epiphanes mit dem Zustand der Kirche zu Gerhochs Zeiten, beginnend mit der Herrschaft Heinrichs IV., verglichen. Gemäß dem Schema des Buches hätte nun der Sieg der Makkabäer, die Wiederherstellung des Tempels in seiner alten Herrlichkeit durch Herodes und die damit verbundene Vorbereitung der Ankunft Christi in der Weise gedeutet werden können, daß die Überwindung der Greuel der Gegenwart zu einer wiederhergestellten Kirche führen wird, damit der Weg frei werde für die Wiederkunft Christi. Doch dies führt Gerhoch nicht aus. Das zweite Buch des Werkes beginnt mit der Erklärung, daß die „propria . . . Jesu Christi . . . pensanda sunt . . ., ut ex oppositi Antichristi quoque propria invenire valeamus" (II, Proömium, p. 185). Die Eigenschaften Christi werden in einer langen Reihe von Temaren, von denen einige auch in Arnos Hexaemeron wieder auftauchen, dargestellt. Sie sind teils auf Christus selbst (via, ventas, vita) und teils auf die drei Personen der Trinität bezogen8. Bedeutsam erscheint z. B. die dreifache Verfluchung der Schlange (nach Gn 3, 14—15) und damit des Primus Antichristus. Die Majestät des Vaters richtet den Hochmut des Teufels, die Wahrheit des Sohnes seine Verschlagenheit und die Güte und Heiligkeit des Heiligen Geistes seine Unreinheit. Analog dazu schließt sich eine Parallelisierung von Erzählungen aus der Genesis mit den oben erwähnten Perioden der Kirchengeschichte an. Das Gericht der Sintflut geht vom Vater aus, und ihm entspricht das Gericht über die Verfolger der jungen Kirche. Der Sohn richtet die ihn leugnenden Häresien, die der einstmaligen Verwirrung der Sprache bei dem Turmbau zu Babel gleichzusetzen sind. Doch für das Gericht des Heiligen Geistes über Sodom findet Gerhoch keine Analogie in der Kirchengeschichte seiner Zeit. Im nur fragmentarisch erhaltenen dritten Buch wird in einer Rekapitulation die Dreiteilung des Geschehens ,,ante legem" wiederholt, aber anschließend daran ein weiterer Ternar ,,sub lege" auf die 7 8

De investigatione Antichristi (Anm. 4), I, 13—14, pp. 36—38. Siehe Classen, Gerhoch (Anm. 3), pp. 230f.

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Kirchengeschichte bezogen. Das Gericht des Vaters über Ägypten und die darin liegende Erlösung Israels wird mit der Errettung der ersten Christen aus den Verfolgungen in Rom verglichen. Die Abtrennung des Nordreiches von Juda nach dem Tode Salomons als Strafe für die Abweichungen des Königs von Gottes Gesetz weist auf die Überwindung der Häretiker hin, und beide sind als vom Sohn ausgehender Vollzug zu sehen. Doch es wird wiederum der durch den Heiligen Geist verhängten Strafe über Jerusalem, der Zerstörung des Tempels durch Nebukadnezar, keine diesem Geschehen analoge Strafe für die Kirche gegenübergestellt. Dem studierenden Leser fällt das auf. „Aus der seit langem betriebenen „aktuellen Exegese" ist das planmäßige Typologisieren von der Bibel auf die Kirchengeschichte hervorgegangen, und die Dreigliedrigkeit der Typologie führt ihn jetzt zur Erwartung des Geist-Gerichtes — aber drei oder viermal scheut er sich vor der Konsequenz und sucht das christozentrische Bild zu bewahren." 9 Das Hexaemeron Arnos enthält fast keine „aktuelle Exegese". Nur in einem kurzen Abschnitt spricht er über die Versuchungen des Antichrist und den Kampf wider ihn, der zur Zeit Gregors VII. begann und noch nicht beendet war. Diese Versuchungen werden nach Arnos Worten in dem Werk über den Antichrist („nostrum opus") ausführlich behandelt. In der Konzeption seines Hexaemeron folgt Arno Rupert von Deutz, insbesondere dessen Hauptwerk De sancta Trinitate et operibus eins. Eine zweite Quelle ist De divisione naturae des Scottus Eriugena, vermittelt durch die Clavis physicae des Honorius Augustodunensis. Arno geht von der Darstellung des Wirkens der Trinität bei der Erschaffung der Welt aus, das er als Hinweis auf ihr Wirken auch im weiteren Laufe der Geschichte versteht. Dreigeteilt ist Arnos Erklärung des Berichtes über die Schöpfung, gemäß drei Schriftsinnen : „sensus litteralis (historiáis), sensus allegoricus (physicalis simul et moralis), sensus tropologicus (allegoricus seu mysticus)"10. Dreimal wird das Sechstagewerk mit dem abschließenden Sabbat entsprechend den sieben Geistesgaben erläutert. Die drei Schriftsinne werden zwar nicht explizit auf die drei Personen der Trinität bezogen, doch, analog anderen Temaren im Werk, müssen der „sensus litteralis" dem Vater, der „sensus allegoricus" dem Sohn und der „sensus tropologicus" dem Heiligen Geist zugeordnet werden. Dies würde auch dem Werk Ruperts entsprechen, denn in der tropologischen Erklärung lehnt sich Arno besonders an den abschließenden Teil des großen Werkes des Abtes von Deutz, die neun Bücher De operibus Spiritus sancti, an. Gemäß dem „sensus tropologicus" ist der eigentliche Sinn der Schöpfungs9 10

Classen, Gerhoch (Anm. 3), p. 233. Die Benennungen sind an verschiedenen Stellen des Hexaemeron unterschiedlich.

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geschichte erfaßt, der in dem Hinweis auf die Erlösung durch Christus liegt. Arno leitet diesen dritten Teil seiner Auslegung mit der augustinischen Einteilung der Weltzeitalter (aus De Genesi contra Manichaeos I, 23—24, PL 34, 190—193) ein. Unter den auf das Heilsgeschehen bezogenen Septenaren 11 übernimmt er von Rupert dessen Periodisierung der Kirchengeschichte in sieben Epochen {De operibus Spiritus sancii I, 31, CC cont. med. 24, p. 1860f.) : Passion, Apostel, Ausbreitung des Evangeliums unter den Heiden, Märtyrer, Kirchenväter, Christianisierung des Imperiums durch Konstantin (ergänzend werden von ihm der Kaiser und Papst Silvester ausdrücklich erwähnt), Jüngstes Gericht. Arno bleibt also hier bei der traditionellen Auffassung, nach der die siebente Epoche selbst ja bereits außerhalb des Bereichs der Geschichte liegt. In dieser Periodisierung ist für seine eigene Zeit als eine selbständige Größe kein Raum, sie bleibt unberücksichtigt. Mehrere Ternare bringt Arno im Laufe seiner Exegese, sei es, um verschiedene Wirkungsbereiche der Trinität bei der Schöpfung zu bezeichnen, sei es, um einzelne Eigenschaften Gottes hervorzuheben. So werden Wesen, Potenz und Wirkung (essentia, virtus, operario), die von Pseudo-Dionysius Aeropagita stammenden Begriffe, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist in dieser Reihenfolge zugeteilt, ebenso „usia", „quantitas" und „qualitas". Bei der Erschaffung der Welt war der Vater der Schöpfer der Wesenheiten, im Sohn sind die substantiellen Unterschiede begründet, und von dem Heiligen Geist stammen die sich zeigenden (akzidentellen) Erscheinungsformen. Die besondere Eigenschaft des Vaters ist die Allmacht, die des Sohnes die Weisheit und die des Heiligen Geistes die Güte. Dabei aber betont Arno, daß durch diese Einteilungen die Einheit der Trinität nicht berührt wird ; sowohl der Vater als auch der Sohn als auch der Heilige Geist sind alle gleichermaßen allmächtig, weise und gut. Bei all diesen Temaren ist keine Zeitenfolge der Wirkungsbereiche der einzelnen Personen der Trinität angedeutet; eine derartige Einteilung findet sich jedoch in der Einleitung zur tropologischen Erklärung an dem Punkt des Hexaemeron, wo Arno nach seinen eigenen Worten zum unverhüllten Sinn der Schöpfungsgeschichte gelangt ist12. Drei sind die Werke der Trinität: Schöpfung (creatio), Vollendung (consummatio), Wiederherstellung (restauratio). Hier vermeidet Arno eine Zuteilung der einzelnen Bereiche zu einer der Personen der Trinität. Die tropologische Erklärung weist ausschließlich auf das Werk der Wiederherstellung durch die Inkarnation Christi hin. Die drei Personen der Trinität finden indessen nur zu Ende dieses Abschnittes wieder ausdrückliche Erwähnung: Die Heilige Trinität wußte um den 11 12

Siehe die Tabelle bei Peri, Hexaemeron (Anm. 1), p. 44. Der Text bei Peri, Hexaemeron (Anm. 1), p. 89.

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Sündenfall des Menschen schon vor der Schöpfung und ordnete deswegen ihr Wirken so, daß der Vater den Grund legte, der Sohn die Wiederherstellung nach dem Fall begann, der Heilige Geist aber diese Wiederherstellung vollenden wird: „Nunc vero, quia eum peccaturum sancta trinitas in ipsa creatione et ante creationem eius praescivit, opus suum circa eum sibi congrue divisit, ut pater conderet, filius lapsum restaurarci, spiritus sanctus restauratum perficeret" (fol. 90r). Sicher ist dies keine Aussage über ein Reich des Heiligen Geistes hier auf Erden, aber — ähnlich wie im Werk über den Antichrist — mindestens ein Ansatz, der, konsequent weiterentwickelt, zu der joachitischen Konzeption führt. Dieser Ansatz wird jedoch im Fortgang der Auslegung nicht weiter verfolgt. Es ist zwar bei Arno ein Suchen greifbar, eine Sehnsucht nach der Vervollkommnung der Wiederherstellung, die Christus begann, aber Arno erfährt nicht wie Joachim eine Erleuchtung, die als Prophetie die geschichtliche Zeit erhellt. In Ruperts oben erwähnter Periodisierung der Kirchengeschichte fällt das siebente „Zeitalter" schon selbst nicht mehr unter den gewöhnlichen Zeitbegriff, da mit dem Jüngsten Gericht die irdische Zeit ja bereits zu Ende ist. In ihr kann also nicht die ersehnte Unmittelbarkeit von Mensch zu Gott erreicht werden, und die Bildhaftigkeit ist nicht schon aufgehoben, wie es Joachim für den „tertius status" vorschwebt. Die Zuordnung der sieben Geistesgaben zu den sieben Epochen von der Passion Christi bis zum Jüngsten Gericht : Weisheit, Erkenntnis, Rat, Stärke, Wissen, Frömmigkeit und Gottesfurcht vollzieht sich in umgekehrter Reihenfolge wie die Zuordnung zu den Schöpfungstagen, die mit der Gottesfurcht beginnt und bei der der das Sechstagewerk abschließende Sabbat die Reihe der Geistesgaben mit der Weisheit enden läßt. Erst im Weltensabbat kann nach Ruperts Worten die erstrebte Unmittelbarkeit erreicht werden: „Sed illic tamquam in imagine, hic autem in re ipsam nobis adesse intuemur personam Dei sancti Spiritus". Arno fügt noch hinzu: „operantem nostrae naturae innovationem" (fol. 112r). In der Fortsetzung der tropologischen Erklärung spricht Arno nicht mehr von einer dritten Zeit. In der Auslegung nach dem „sensus litteralis" wurde die von Eriugena-Honorius entlehnte Auffassung von der Rückkehr alles Geschaffenen in seine ursprünglichen Ursachen und damit zur göttlichen Trinität als Ende des Kreislaufs der erschaffenen Welt dargestellt. Im abschließenden Teil der Auslegung spricht Arno von drei Welten oder drei Himmeln13. Der erste, materielle, ist der Äther über unserer Erde, der zweite, ganz geistige Himmel beheimatet Engel und Seelen, und zwar, getrennt durch ein Chaos, sowohl 13 Zu ähnlichen Erörterungen in De investigatione Antichristi (Anm. 3), p. 244.

siehe Classen, Ger hoch

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die Seelen der Gerechten als auch die der Verdammten. Der dritte Himmel ist die in sich ruhende göttliche Trinität selbst. Arnos eigentlicher Kommentar (es folgt nur eine Rekapitulation in Form einer Auslegung des „Vater Unser") endet mit der Deutung des Textes von Gn 2, 1—3. Gott hatte im Materiellen geschaffen (creavit), um im Geistigen zu wirken (ut faceret) und im Übergeistigen die Vollendung von Himmel und Erde zu erreichen (ut perficeret). Die Menschen beten darum, daß sie einmal als Geheiligte und Vollendete die Ruhe in Gott genießen dürfen: ,,ut. . . sanctificati at que perfecti nos in Deo et Deus in nobis requiescat" (fol. 132r). Damit spricht Arno also auch von einem „tertius status", ohne allerdings dies Wort direkt zu gebrauchen, er spricht von einem erhofften Zustand, der aber weder räumlich noch zeitlich begriffen werden kann. II Schon gleich nach der Auslegung des Berichtes über den ersten Schöpfungstag gemäß dem „litteralis sensus" unterbricht Arno seinen Kommentar mit einem langen Exkurs (fol. 11 ν—27 ν) über den Ursprung des Bösen, ein Problem „. . . a multis quidem attemptatem, sed a paucis piene absolutam". Warum hatte Gott den Engel, von dem er wußte, daß er das Böse in die Welt bringen würde, geschaffen ? Da ja nach der traditionellen Exegese, der Arno hier folgt, ein Hinweis auf den Fall der Engel bereits in der Trennung von Licht und Finsternis am ersten Tag der Schöpfung zu sehen ist, bestand das Böse schon quasi von Anbeginn der Welt an. Der Kommentator meint, diesen Widerspruch auflösen zu müssen, bevor er das dann im ganzen als „sehr gut" bezeichnete Sechstagewerk weiter betrachtet. In der Ausarbeitung der Problematik stützt sich Arno auf zwei Werke Ruperts von Deutz De omnipotentia Dei und De volúntate Dei, und damit natürlich indirekt auf Augustin. Die Erörterung wird mit der Frage eröffnet, wie Gottes Allmacht, Güte und Vorwissen mit der Existenz des Bösen vereinbar seien und wie die Aussage Jesaias (Is 45, 6—7) über Gott als Schöpfer auch des Bösen verstanden werden könne. Rupert folgend, unterscheidet Arno zwei Arten des Bösen: Sünde (peccatum) und Bedrängnis (afflictio). Sicher ist, daß die Sünde nicht von Gott stammen kann, denn dies wäre mit seiner Güte unvereinbar. Er verhängt die Bedrängnis als Strafe. Daß Gott nun seine Macht nicht einsetzt, um den Menschen vor der Sünde zu bewahren, erweckt den Anschein einer Einschränkung seiner Stärke. Dem ist in Wirklichkeit jedoch nicht so. Denn auf diese Weise bleibt eines der höchsten Güter, die Gott seinen Geschöpfen gegeben hat, erhalten: der freie Wille, nach Arnos Worten das Gottähnlichste im Menschen „divinae libertati subliberum et aeternitati

Arno von Reichersberg

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subaeternum". So erklärt sich, daß Gott in seiner Barmherzigkeit zwar vom Übel der Bedrängnis befreien kann, aber die Möglichkeit zu sündigen dem Menschen immer offen läßt. Es steht in Gottes Gnade und ist für menschliches Verständnis nicht faßbar, wann und warum Gott seine Gerechtigkeit gegen den Menschen und wann und warum er seine Barmherzigkeit ihm gegenüber walten läßt. Die genannte Möglichkeit, die allen Menschen offensteht, zwischen Gutem und Bösem zu wählen, ist ja auch schon in der Notwendigkeit begründet, daß sie als Geschöpfe Gottes veränderlich sind. Unveränderliche wären in dieser Beziehung Gott gleich. So aber können sie das Böse wählen und sich damit von Gott entfernen wie andererseits auch zum Guten umkehren und dadurch aufsteigen. Hierin konstituiert sich übrigens auch der Unterschied zwischen Menschen und Engeln: Nach der einmal getroffenen Wahl gibt es für Luzifer kein Zurück, und die Engel, die von Gott nicht abfielen, beharren im Guten. Die Seelen der Menschen, die dem Teufel völlig verfielen, sind Ausnahmen; als Prototypen führt Arno Achitophel und Judas an — für sie gibt es keine Reue, sie können der Verdammnis nicht entrinnen, die konsequent durch Gottes Gerechtigkeit bewirkt wird, auch wenn er in seiner Güte ja alle Menschen erlösen will. Es lag in Gottes Vorwissen, so schließt Arno seinen Exkurs, daß das Böse in die Welt käme, doch gleichermaßen war von ihm bestimmt, daß seine Güte in der Erlösung durch den Kreuzestod Christi manifest werden würde. Wenn dieser Exkurs in seinen großen Zügen den Gedanken Ruperts von Deutz folgt, so ist in dem nachfolgend betrachteten Abschnitt der Einfluß Scottus Eriugenas durch Exzerpte aus der Clavis physicae des Honorius Augustodunensis gekennzeichnet. Arno nimmt im abschließenden Teil seiner Auslegung zu der Kontroverse, ob in der Hölle ein materielles Feuer brenne oder ob sie ein geistiges Phänomen sei, Stellung, wobei er als Vertreter der verschiedenen Positionen Ambrosius und Augustin zitiert und sich der Meinung des ersteren anschließt. Höllenqualen sind rein geistig, sind Qualen des menschlichen Gewissens. Niemand bezweifelt — so Arno —, daß das Himmelreich geistig ist, da die Gerechten (nach Hbr 12, 27 f.) ein unbewegliches, d. h. also ein unkörperliches Reich empfangen werden ; so spricht nichts dagegen, daß auch die Hölle geistig zu verstehen sei. Die geistige Strafe der in Ewigkeit verdammten Seelen ist härter und bedrückender als jede körperliche Qual es je sein könnte, wie andererseits das geistige Sein der erlösten Seelen im Himmelreich eine für noch körperhafte Menschen nicht einmal erahnbare Freude ist. Die Hölle befindet sich im oben erwähnten zweiten Himmel. Das Chaos, das sie von dem Bereich der Gerechten trennt, ist Gottes Gericht. Arno betont, daß diese Schilderung nicht als sinnlich oder auch nur als räumlich zu verstehen ist. ,,Et inter hos quidem polos sibi oppositos chaos magnum firmatum est,

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non autem loco vel immenso locorum spatio, sed divinae inflexibilitatis iudicio" (fol. 121 r). Und: „Nam si regnum Dei intra nos est, quomodo non etiam iniquorum career intra ipsos est" (fol. 123r). Der geistige Himmel ist kein Ort für die Seelen, wiederholt Arno, sondern besteht aus den Seelen der Gerechten und der Verdammten. Dieser Verzicht auf zeiträumliche Begriffe führt andererseits — im gewissen Widerspruch zu Arnos Ausführungen über die höllischen Gewissensqualen — dazu, die rein geistige Strafe als „Nichts" zu bezeichnen. Denn Sünde führt zum Tod, der Tod aber ist das Nichts, und dieses kann ja nicht materiell sein. Außer seinem Hexaemeron sind von Arno zwei polemische Schriften erhalten: Scutum canonicorum14 (PL 194,1489—1528) und Apologeticus contra Folmarum15 (ed. C. Weichert, Linz 1888). Das erstere Werk ist der Klerusreform gewidmet, der Apologeticus ist als die wohl wichtigste Schrift aus der Zeit der christologischen Auseinandersetzungen mit Folmar von Triefenstein anzusehen. In diesen beiden Werken erörtert Arno die zentralen Anliegen der Reichersberger, und wir erhalten durch sie geradezu eine Zusammenfassung der von Gerhoch in zahlreichen Schriften etwas weitschweifig geführten Argumentationen, wobei Arno diese mit eigenen Gedanken vertieft und bereichert. Die ausführliche Exegese des Hexaemeron, die im Gegensatz zu diesen beiden Werken selbst nicht mit zeitgenössischer Polemik verbunden ist, bietet aber gewissermaßen die theoretischen Grundlagen zu der aktuellen Auseinandersetzung. Die behandelten Ausschnitte des Dekans von Reichersberg zu den Weltzeiten des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes gewähren einen Einblick in den umfangreichen Kommentar, denn in ihnen stellt Arno sein „exegetisches Programm" dar und — damit verbunden — eine Konzeption des Heilsgeschehens, das ihm das eingehende Studium der Heiligen Schrift vermittelt. Seine Auffassung ist betont christozentrisch, erfüllt von dem Glauben an die eigentlich bereits vollendete Erlösung der Menschheit durch die Inkarnation und den Kreuzestod Christi. Doch aus den Mißständen in der Kirche erwächst ihm ein Ärgernis, das zu den radikalen Reformbestrebungen der Reichersberger führte. Ihre Erwartung aber richtete sich nicht auf die visionäre „ecclesia spiritualis" Joachims, sondern es sollte nur ein Idealzustand, ähnlich der Urkirche, wiederhergestellt werden. Gerhoch und Arno sehen sich wohl nicht als Wegbereiter einer neuen Epoche, jedoch ihre Auffassung vom Wirken der Trinität, ausgedrückt in der Sehnsucht nach einer Vervollkommnung der Wiederherstellung (perfectio restaurationis) schließt in ihrer Konsequenz die Hoffnung auf ein kommendes Reich des Heiligen Geistes nicht aus. 14

Siehe Classen, Gerhoch (Anm. 3), pp. 445f. Zum Dogmenstreit mit Folmar von Triefenstein siehe Classen, Gerhoch (Anm. 3), pp. 248—272; zu Arnos Schrift ibid., pp. 446f. 15

B O N A V E N T U R A S CHRISTOLOGISCHER E I N W A N D GEGEN D I E GESCHICHTSLEHRE DES JOACHIM VON F I O R E v o n STEPHAN O T T O ( M ü n c h e n )

Der hier vorgelegte Diskussionsbeitrag zum Geschichtsdenken des Mittelalters bedarf einer methodologischen Rechtfertigung. Er versteht sich nämlich nicht als historischer Bericht über die Geschichtslehre Joachims und auch nicht als in erster Linie historisch orientierte Deutung der Kritik Bonaventuras an Joachim von Fiore. Vielmehr ist er als Versuch einer philosophischen Strukturanalyse von Texten gedacht, in denen Aussagen über Geschichte und über den Sinn von Geschichte gemacht werden. Ausgangspunkt und zugleich Erweis der Notwendigkeit solcher Strukturanalyse ist die Einsicht in den Sachverhalt, daß die Bedeutung der Lehre Joachims vom „Zeitalter des Geistes" mit den klassischen Methoden der Geschichtswissenschaft und der historisch verbleibenden Analyse nicht erschlossen werden kann. Die historische Mittelalterforschung hat zwar in dankenswerter Weise eine Fülle von Materialien bereitgestellt, die es ermöglichen, das Geschichtsdenken des Joachim von Fiore in seinem geistesgeschichtlichen Kolorit und auch in seiner theologiegeschichtlichen Bedingtheit verständlich werden zu lassen; die Frage indes, was es eigentlich „bedeutet" und was Joachim „meint", wenn er die dritte Geschichtsepoche — den „tertius status Spiritus Sancti" — eine Geschichtszeit ohne jede figurale Abbildlichkeit nennt, kann mit den Verfahrensweisen der herkömmlichen Geschichtswissenschaft nicht mehr beantwortet werden — schon deshalb nicht, weil auch die kontextuelle Auslegungsmethode versagt: der Kontext der Schriften Joachims steht nämlich hinsichtlich seiner symbolischen Verschlüsselung den entscheidenden Passagen über die Geistzeit in nichts nach. Joachims Geschichtsvorstellung ist in ihrer Metaphorik gleichsam hermetisch versiegelt. Aufzubrechen ist diese Metaphorik nur, wenn die in ihr verborgen liegende Denkstruktur Joachims einsichtig gemacht werden kann. Was aber ist eine Denkstruktur? Jedenfalls nicht immer ein explizites theoretisches Konzept, das vom Autor oder vom Text in unmißverständlicher Weise verbalisiert werden könnte oder müßte; eine Denkstruktur ist deshalb auch nicht immer „bewußt". Der Begriff der Denkstruktur, wie er in dieser Studie verwendet wird, soll deshalb lediglich jene „innere Organisation" von Gedankenreihen bezeichnen, die erst im interpretativen Zugriff desjenigen, der diese Gedankenreihen 8

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aufdeckt, aktuale Intelligibilität gewinnt. Die sachliche und logische Stringenz eines Textes oder eines Gedankens kommt ja oft noch gar nicht seinem Autor, sondern erst dem Interpreten „zu Bewußtsein", der sich um eine philosophische Strukturanalyse bemüht. Das gilt in besonderem Maße für das Geschichtsdenken Joachims und seine Auslegung; erst durch die Aufdeckung seiner „inneren Organisation" wird es, über seine historische Relevanz hinaus, auch philosophisch intelligibel. Aus diesem Grund sagt Nicolai Hartmann zu Recht: „Der philosophisch problemlose Historiker hat das methodische Mittel nicht, latentes Gut philosophischer Einsicht aufzuspüren, er gleitet darüber hinweg. Der historisch inkorrekte Philosoph dagegen irrt nur im Sinne einseitiger Auswahl und Ausdeutung; er identifiziert zu leicht, zieht zu gewagte Schlüsse. Aber er hat wenigstens die Chance, das kognitiv Wesentliche wiederzuerkennen, wenn er darauf stößt" 1 . Die vorliegende philosophische Strukturanalyse des joachimschen Geschichtsdenkens bemüht sich sowohl um historische Korrektheit als auch darum, das in ihm verborgene „kognitiv Wesentliche" herauszuarbeiten; sie hält sich deshalb nicht an die „einfühlende" Methode des Lebensphilosophen Wilhelm Dilthey, sondern operiert mit der rationalen Einsicht Ernst Cassirers, daß in der Geistesgeschichte „Inhalt und Zusammenhang nicht gegeben, sondern von uns auf Grund der Einzeltatsachen erst zu erschaffen ist" — Geistesgeschichte überhaupt „ist nur das, was wir kraft gedanklicher Synthesen aus ihr machen" 2 . Eine strukturale Analyse der Denkwelt des Joachim von Fiore hat demgemäß die tragenden Gedankenketten dieses „Geschichtstheoretikers" sichtbar zu machen und—kraft „gedanklicher Synthese" — ihren logischen Zusammenhang zu prüfen bzw. herzus t e l l e n . Mit Hilfe einer solchen strukturalen und konstruktiven Interpretationsmethode läßt sich zeigen, daß Joachims Geistzeitlehre an einer nicht aufgelösten Vermittlungsproblematik laboriert: was Joachim — aus der Sicht des strukturanalytisch verfahrenden Interpreten — nicht „gelingt", ist die Vermittlung von Geschichte und Sinn der Geschichte. Dabei kann — in der lediglich historischen Perspektive — durchaus offen bleiben, ob es Joachims Absicht war, sich diesem Vermittlungsproblem zu stellen oder es zu unterlaufen. Das Sachproblem der Vermittlung zwischen Sinn und Geschichte, zwischen „Geist" und „Geistzeit", bleibt bestehen, gleichgültig, worauf Joachims historisch verifizierbare oder nicht verifizierbare Intentionen abzielten. Eine Strukturanalyse der „inneren Organisation" des joachimschen Denkens vermag jedenfalls aufzuhellen, daß jene Unmittelbarkeit von 1 N. Hartmann, Der philosophische Gedanke und seine Geschichte, Kleinere Schriften I I , Berlin 1957, pp. 16—17. 2 E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit I, Darmstadt 3 1974, p. 15.

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Sinn und Geschichte, die die „Geistzeit" Joachims charakterisiert, ihren rationellen und kognitiven Grund in der von Joachim nicht durchgehaltenen Dialektik von Bild und Abbild besitzt. In seinem Sacrum Imperium bemerkt Alois Dempf einmal treffend, es sei „schwer, die geistesgeschichtliche Bedeutung Joachims festzustellen" 3 . In der Tat dürfte es kaum zureichend sein, die Geschichtstheorie des Joachim von Fiore in den Rahmen des „deutschen Symbolismus" 4 einzufügen, also in Analogie zu setzen zu den Geschichtstheologien eines Anselm von Havelberg und eines Rupert von Deutz — wie Dempf es selber tut — , oder auf Joachims allegorisierende Bibelexegese abzuheben, um sodann seine Rede von der Endzeit des Geistes als Rede von einer eher „mystischen" als historischen Zeit zu bezeichnen — wie Marjorie Reeves vorschlägt 5 ; weder eine „symbolistische" noch eine „spiritualistische" Interpretation stößt nämlich bis zu dem rationellen und philosophischen Kern der joachimschen Geschichtslehre vor. Joachims Lehre vom kommenden Reich des Geistes und der Freiheit ist nicht bloßer religiöser Hoffnungstraum; sie ist auch nicht nur symbolisierend verfahrende Exegese des Alten und Neuen Testaments zum Zweck der Extrapolation von Vergangenheit in Zukunft. Ganz gewiß ist sie auch nicht nur „die folgenreichste Sozialutopie des Mittelalters", in welcher „Utopia . . . ausschließlich im Modus und als Status historischer Zukunft" erscheint, wie Ernst Bloch es gerne sähe®, und schon gar nicht ist Joachims Geistzeitlehre eine Geschichtslehre mit „rein fatalistischem Charakter", wie der Sowjethistoriker M. M. Smirin in seinem mit dem Stalinpreis ausgezeichneten Werk „Die Volksreformation des Thomas Münzer und der große Bauernkrieg" 7 vermeint. Völlig verfehlt wäre es schließlich, Joachims Geschichtstheorie ausschließlich als einen Abschnitt im Buch der „europäischen Revolutionen" lesen zu wollen, wozu Eugen Rosenstock-Huessy rät8. Wie aber ist es dann zu lesen, dieses faszinierende und zugleich perfekt verschlüsselte Werk des Kalabreser Abtes über die Geschichte ? Die Intentionen des joachimschen Denkens sind überaus verdeckt; sie sind überwuchert — so schreibt Franz Förschner9 — „von einem A. Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, München u n d Berlin 1929, p. 281. 4 Ibid. p. 270. 5 M. Reeves, The Liber figurarum of Joachim of Fiore, ,,Medieval and Renaissance Studies" 2 (1950) p. 77. 6 E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, F r a n k f u r t M. 1959, pp. 590, 592. 7 M. M. Smirin, Die Volksreformation des Thomas Münzer und der große Bauernkrieg, Berlin 1952, pp. 198, 206. 8 E. Rosenstock-Hussey, Die europäischen Revolutionen, S t u t t g a r t 1951, p. 21. 9 F. Förschner, Concordia. Urgestalt und Sinnbild in der Geschichtsdeutung des Joachim von Fiore. Eine Studie zum Symbolismus des Mittelalters, Dissertation Freiburg/ Br. 1970, p. 2. 3



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unentwirrbaren Dickicht von Allegorien, die uns in ihren Ausläufern geradezu geistlos vorkommen". Was die Dechiffrierung der Schriften Joachims so schwierig macht, ist zweierlei : zum einen der hermeneutische Schein seines bibelauslegenden Verfahrens überhaupt, zum anderen die Tatsache, daß dem Gedanken Joachims von der dritten Geschichtsphase — dem „tertius status" des Geistes und der Freiheit — eine strukturale Inkonsequenz innewohnt, die sowohl einer „revolutionären" als auch einer „orthodoxen", sein kritisches Anliegen entschärfenden Joachimdeutung immer neue Ansatzpunkte bietet. Es ist meine Absicht, diese strukturale Inkonsequenz im Denken Joachims herauszuarbeiten und darzutun, daß sie die Folge der von Joachim nicht geleisteten Bewältigung eines philosophischen Problems ist: des Problems nämlich der Vermittlung zwischen dem absoluten, als Subjekt die Geschichte steuernden Geist einerseits und der von diesem Geist geführten Geschichte andererseits. Mir scheint, daß erst die Freilegung dieses geschichtsphilosophischen Strukturproblems und des Fehlens seiner Auflösung ein Eindringen in Joachims Denkweise ermöglicht sowie zu einer sachgerechten Einschätzung der geistesgeschichtlichen Bedeutung des Abtes von Fiore führen kann. Ihre deutlichste Formulierung hat Joachims Geschichtsauffassung in der Concordia veteris ac novi testamenti gefunden, einem Werk, das darauf abzielt, die verweisenden Zusammenhänge zwischen der Zeit des Alten Testaments — des „primus status" von der Erschaffung der Welt bis zum Kommen Christi — und der Zeit des Neuen Testaments — des „secundus status", der sich von Christus bis zum nahen Anbruch der Endzeit erstreckt — festzustellen, um aus diesen Verweisungen nach dem Modell einer kontinuierlichen Entwicklung den Charakter der Endzeit — des „tertius status" — abzuleiten: „Auf drei Geschichtsepochen dieser Welt weisen uns die Heiligen Schriften hin : die erste, in der wir unter dem Gesetz waren, die zweite, in der wir unter der Gnade sind, die dritte, die wir aus der Nähe erwarten als Zeit einer noch reicheren Gnade. Die erste Epoche ist die der Wissenschaft, die zweite die der Weisheit, die dritte die der Fülle der Einsicht. Die erste ist die der Knechtschaft der Sklaven, die zweite die der Knechtschaft der Söhne, die dritte die der Freiheit. Die erste ist die der Züchtigung, die zweite die des Handelns, die dritte die der Beschauung. Die erste ist die der Furcht, die zweite die des Glaubens, die dritte die der Liebe. Die erste die der Sklaven, die zweite die der Freien, die dritte die der Freunde. Die erste die der Greise, die zweite die der Männer, die dritte die der Knaben. Die erste steht im Licht der Sterne, die zweite in der Morgenröte, die dritte in der Tageshelle. Die erste bringt Wasser, die zweite Wein, die dritte Öl. Die erste Epoche ist dem Vater zugehörig,

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die zweite dem Sohn, die dritte dem Heiligen Geist, von dem der Apostel sagt : Wo der Geist des Herrn ist, da herrscht Freiheit"10. Will man diesen Text verstehen, dann gilt es vor allem zu bedenken, daß die Geisteswelt des Mittelalters eine Symbol- und Zeichenwelt ist und natürlich auch von Joachim als solche betrachtet wird. Papsttum und Kaisertum, Symbole geistlicher und weltlicher Gewalt schlechthin, beanspruchen, eine im Grunde göttliche Herrschaft in menschlicher Zeichensetzung auszuüben. Auch dem hierarchischen und ständischen Aufbau der Sozialstrukturen in Kirche und Gesellschaft liegt ein Symbolfaktor zugrunde, der der gottgewollten Ordnung und Stufung; Ps-Dionysios Areopagites hatte ihn zur Beschreibung der „Coelestis Hierarchia" und der „Ecclesiastica Hierarchia" verwendet. Kirchliche Ordnung und hierarchische Gesellschaftsstruktur bedingen sich gegenseitig und werden als Abbilder der himmlischen Ordnung gedeutet. Nicht zuletzt sollen die Sakramente, Symbole göttlicher Kraft in der Hand der Kirche, als Ordnungssymbole für das private, gesellschaftliche und politische Leben fungieren. Die parallel zur Verfestigung der mittelalterlichen Gesellschaftsstrukturen entstehende kanonistische Wissenschaft erarbeitet zur Zeit der Frühscholastik ihre eigene Systematik ; es ist kennzeichnend, daß man in England und Frankreich — trotz kanonistischen Einspruchs — sogar an dem sakramentalen Charakter der Herrscherweihe festhält, und sei es auch nur, um dem Kaiser oder König eine durch dieses Quasisakrament verliehene übernatürliche Heilkraft gegen die Skrofulose zuzuschreiben11. Gegen diese, den Menschen in eine Knechtschaft der Zeichen versetzende Bilderwelt läuft Joachims Geschichtsdenken Sturm ·— sich dabei freilich selber der Bildersprache und der biblischen Symbolik bedienend. Die chiliastische Zeit des Geistes soll die Epochen der Versinnbildlichungen, Figurationen und Bilder (figurae, imagines) ablösen, die Offenbarung des Geistes (aperta re velario spiritus) soll alle theologischen, kirchlich-institutionellen sowie gesellschaftlichen Spiegelbilder (aenigmata) hinfällig werden lassen und die Menschen zur Fülle der Einsicht und des Geistes befreien. Das leitmotivische Schriftwort, das auf diesen von Joachim herbeigewünschten Geschichtsverlauf hinweist, müssen wir in den Paulusbriefen suchen: „Jetzt erkennen wir nur wie durch einen Spiegel (per speculum in aenigmate), später aber werden wir von Angesicht zu Angesicht schauen" (1 Kor 13, 12). Im Hinblick auf dieses Pauluswort beschreibt Joachim den Ablauf der 10 Concordia Novi ac Veteris Testamenti, Venetiis 1519, Lib. V cap. 84, fol. 112 rb— 112va. 11 Vgl. R. Elze, Herrscherweihe, „Lexikon für Theologie und Kirche" V, Freiburg 2 1960, col. 279—281.

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Geschichte als einen Prozeß von der Knechtschaft zur Freiheit, als einen Prozeß, der nicht nur ein Altern, sondern auch ein Sich verjüngen der Zeit besagt. Die entscheidende Epochenwende wird dabei der Umbruch der zweiten Bilderzeit in die bilderlose und eben deswegen freie Geistzeit sein. Sentenzenhaft benennt Joachim die Kriterien der Endzeit: „Cessabit observatio omnis figurae" 12 , oder: ,.Oportet ex toto evacuali figuras" 13 . Zu den „Figurationen" der ablaufenden Bilderzeit rechnet Joachim sowohl die Papst- und Klerikerkirche als auch den Sakramentenglauben, die scholastische Philosophie und Theologie als „doctrina" (d. h. als Buchstabenwissenschaft) ebenso wie die gesellschaftliche Stufung in Herrscher und Beherrschte. Die jetzt noch Beherrschten — die „simplices et idiotae", wie sie schon der Montanist und parakletgläubige Tertullian nannte 14 — werden in der Geistzeit nur mehr der Leitung durch „viri spirituales" 15 bedürfen : Gemeint sind die Mönche der Zukunft, die die Epoche des institutionalisierten Klerikertums ablösen werden; in ihnen sieht Joachim die Macht des Guten dargestellt, die neue Wege der Frömmigkeit zu eröffnen vermag, ohne sich dabei in der Figur einer Institution zu verbergen und kraft dieser Institution Herrschaft auszuüben. Das Millennium bringt also das Ende der Bildzeiten — die Aufhebung, wenn ich so sagen darf, der aenigmatischen Geschichte. Dabei zeigt die Endzeit im Vollzug dieser Aufhebung ihren dialektischen Charakter : Sie bleibt einerseits zwar echte und beschreibbare zukünftige Geschichte ; andererseits aber soll sie — als Zeit des Geistes — den absoluten Geist selber im kontingenten historischen Zeitablauf zur Darstellung bringen. Joachims ternarisches Epochenschema ist auf dem Boden einer trinitarischen Abbildmetaphysik konzipiert und setzt 12

Concordia Lib. V, cap. 74, fol. 103 ra. Concordia Lib. IV cap. 37, fol 58 rb. 14 Exposìtio in Apocàlipsin, Venetiis 1527, fol 83 r . — Tractatus super quatuor Evangelia, ed. E. Buonaiuti, Roma 1930, p. 284. 15 Tractatus, p. 168. — Der „Orden" der Geistzeit, der von den ,,viri spirituales" geleitet werden soll, ist zwar als Ersatz der „Institution Kirche" gedacht, wird andererseits aber auch wieder als Nachbild des himmlischen Jerusalem beschrieben (ad instar supernae Jerusalem. Liber figurarum, Tafel XII). Die Geistzeit ist also nicht von jeglicher Abbildlichkeit „gereingt", der neue Orden befindet sich in einer Entwicklung zum vollen Geistbesitz: Joachim kalkuliert augenscheinlich eine Übergangszeit bis zur Herstellung völlig geistiger Gemeinschaftsformen ein. Hieraus ist sein Eliteideal zu erklären, denn nur eine Elite vermag die chiliastischen Bewußtseinsspannungen zu ertragen, während die Menge der „Schwächeren" („infirmiores", De vita Sancii Benedirti, ed. C. Baraut, „Analecta Sacra Tarraconensia" 24, 1951, p. 38) den Lebensbedingungen des „secundus status" verhaftet bleibt. Geistreich nennt B. Töpfer, Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter, Berlin 1964, p. 70, Joachims Ordenverfassung ein „Sofortprogramm", das schon die Züge der Endzeit trägt, aber zugleich noch mit deren Vorbereitung befaßt ist. Zum Elitegedanken Joachims vgl. auch A. Dempf, Sacrum Imperium, p. 282. 13

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deshalb bei einer historischen Aenigmatik der Zeit des Vaters, der Zeit des Sohnes und der Zeit des Geistes an; es läuft aber darauf hinaus, für den ,,tertius status", die Zeit des Geistes und der Freiheit, alle Abbildlichkeit und historische Aenigmatik zu negieren. Hier liegt das eigentlich philosophische Problem und zugleich auch die Aporie der Geschichtstheorie Joachims. Ihr Ausgangspunkt ist traditionell und auch bei anderen mittelalterlichen Geschichtstheologen nachweisbar: Wie der Vater den Sohn zeugt, und wie Vater und Sohn als ihre gegenseitige Vollendung den Geist hervorbringen, so entspringt die zweite Geschichtsphase aus der ersten und die dritte aus den beiden vorausliegenden. Zwar hat die Geistzeit noch nicht begonnen, aber ihr baldiger Anbruch ist ebenso gewiß wie die Hauchung des Geistes in Gott — die aber nun in der Endzeit nicht nur abgebildet wird, sondern, in Aufhebung aller Aenigmatik, zur Darstellung des Geistes in der Geschichte führen soll. Es ist ja das Kennzeichen des „tertius status Spiritus sancti", den Geist nicht nur nachzubilden, sondern in zukünftiggeschichtlicher Konkretion zur Darstellung zu bringen und damit alle Abbildlichkeit und Figuralität überflüssig werden zu lassen. Joachims Geschichtslehre steht und fällt mit der trinitätstheologischen Abbildspekulation — sie fällt mit ihr in dem Moment, wo Joachim für die Geistzeit die „aperta revelatio spiritus" zu beanspruchen wagt. Im A n s a t z seiner Theorie will Joachim Geschichte in allen drei Epochen als abbildendes, aenigmatisches Geschehen begreifen — die I n k o n s e q u e n z der joachimschen Geschichtstheorie liegt darin, daß im „tertius status" diese Aenigmatik sich selber zur Aufhebung bringt; der übergeschichtliche, absolute Geist bleibt nicht mehr nur das Urbild der ihn abbildenden Geistzeit, er bricht vielmehr in die Geschichte ein, um in ihr selber sich zur Darstellung zu bringen. Das philosophische Problem der Geschichtstheologie Joachims liegt in einer nicht durchgehaltenen Dialektik des Bildbegriffes, in der nicht bewahrten Differenz von Urbild und Abbild. Die Idee der „imago Trinitatis in historia salutis" liefert die Grundskizze der Geschichtslehre Joachims. Das bedeutet, daß die S y s t e m a t i k seines Geschichtsdenkens vom trinitätstheologischen Abbildgedanken, und nicht etwa vom Schema der „septem aetates" her erschlossen werden muß. Ich freue mich, daß dieses von mir in meinem Buch „Die Funktion des Bildbegriffes in der Theologie des 12. Jahrhunderts" 16 aufgestellte Interpretationspostulat in der Studie von 16

S. Otto, Die Funktion des Bildbegriffes in der Theologie des 12. Jahrhunderts, „Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters" XL, 1, Münster/W. 1963, p. 293. — Ders., Die Denkform des Joachim von Fiore und das Caput ,,Damnamus" des 4. Laterankonzils, ,,Münchener Theologische Zeitschrift" 13 (1962) pp. 145—154. — Ders., Gottes Ebenbild in Geschichtlichkeit, München-Paderborn-Wien 1964, pp. 97—99.

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Winfried Schachten Intettectus Verbi. Die Erkenntnis im Mitvollzug des Wortes nach Bonaventura17 ausdrückliche Bestätigung gefunden hat. Schachten notiert mit Recht: „Der transzendentale Horizont der Geschichte bezüglich ihrer Dynamik und ihrer Struktur ist so sehr das Wesen der trinitarischen Gottheit selbst, daß dieser transzendentale Horizont mit der Geschichte der Art identisch erscheint, so daß die trinitarische Gottheit selbst zur Geschichte wird" 18 . Der Präzisierung bedarf diese Joachimdeutung Schachtens allerdings insofern, als es im eigentlichen Sinne jedoch nur der Geist ist, den Joachim in seiner Dreizeitenlehre „historisiert". Zuzustimmen ist Schachten wiederum, wenn er von der „Vergeistigung der Menschheit" als von einer ,,geschichtslogischen Folge" spricht 19 . Es ist diese Rede Joachims von der Vergeistigung der Menschheit aber sensu stricto nicht eine Folge aus seinem ursprünglichen, aenigmatischen Denkansatz, sondern eine Folge aus jener Inkonsequenz, mit welcher er die historische Aenigmatik preisgibt und eine „aperta revelatio" des Geistes selber in der Endphase der Geschichte behauptet. Damit macht Joachim den „tertius status" zu einer in sich selber absoluten und insofern alle aenigmatische Historizität überbietenden Zeitspanne •— und eben hierin liegt nach Joachim die Begründung von Freiheit. Das Absolute begreift sich in seiner absoluten Freiheit als geschichtslenkender Geist, die Geschichte hinwiederum kommt in das Stadium der Freiheit zur Geistzeit — aber der Bildgedanke, der diese Spekulation trägt, geht bei ihrer Durchführung zugrunde, denn in der Geistzeit bringt sich nach Joachim der Geist selber — ohne jede figurale Mediation — zur geschichtlichen Selbstdarstellung. Deshalb lesen wir bei Joachim, in der künftigen Zeit des Geistes werde der Mensch in den Besitz einer „intelligentia spiritualis" gelangen, die nicht mehr an Bilder gebunden ist. Hier ist der Ort, an die erzjoachitischen Sätze Hegels in der Einleitung zu den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zu erinnern, wo es heißt : „Alles, was im Himmel und auf Erden geschieht — ewig geschieht —, das Leben Gottes und alles, was zeitlich getan wird, strebt nur danach hin, daß der Geist sich erkenne, sich selber gegenständlich mache, sich finde, für sich selber werde, sich mit sich zusammenschließe. Er ist Verdoppelung, Entfremdung, aber um sich selbst finden zu können. Nur dies ist Freiheit"20.

17 W. Schachten, Intettectus Verbi. Die Erkenntnis im Mitvollzug des Worts nach Bonaventura, Freiburg — München 1973. 18 Ibid., pp. 29—30. 19 Ibid., p. 30. 20 G. W. Fr. Hegel, Werke (ed. Glockner) 17, p. 52.

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Freilich: der Gewinn solcher Freiheit bedeutet den Verlust der Geschichte als bloß aenigmatischer, als bloß abbildender Zeitlichkeit, denn Zeitlichkeit wird aufgehoben in die Selbsterkenntnis des absoluten Geistes. Der Struktur der Gedankenführung nach entdecken wir bei Hegel in der Frage nach der Begründung von Freiheit dieselbe Konsequenz wie bei Joachim: Joachims chiliastische Geistzeit kann nur deshalb „Freiheit" bringen, weil auch sie alle „entfremdende" Aenigmatik beendet, alle Geschichte bilderlos macht, und damit die Konkretheit figuraler Zeitlichkeit aufhebt in den Begriff zeitloser und bildloser Erkenntnis oder „sich selber gegenständlich machenden" Geistes. Dem hegelschen Wort „Aufhebung" korrespondiert nicht zufällig der joachimsche Ausdruck „consummatio" ; aufgehoben in den Begriff der „intelligentia spiritualis" wird bei Joachim alles historische Erkennen „in speculo et aenigmate", aufgehoben wird von Joachim sein eigener Denkansatz, Geschichte als Abbild der trinitarischen Prozessionen zu deuten. Diese der joachimschen Geschichtstheorie innewohnende inkonsequente Konsequenz transzendiert das Niveau der traditionellen mittelalterlichen Historiologie und mußte den geharnischten Protest wenigstens der schärfer blickenden Vertreter der kirchlichen Orthodoxie hervorrufen, da sie ja deren geschichtliches Selbstverständnis in Frage stellte. Joachim bezweifelt schließlich nichts Geringeres als die Sukzessionsidee der Papstkirche, er formuliert mit beschwörendem Blick auf Rom: „Niemals, niemals, niemals möge dies der Nachfolge Petri widerfahren: daß sie dahinsieche vor Neid über die Vollkommenheit jener geistlichen Ordnung, welche sie erkennen wird als eines Geistes mit ihrem Gott!"21.

Der Satz läßt deutlich erkennen, daß eine vollkommene Geistzeit die Zeit der petrinischen Papstkirche ablösen soll — die johanneische Zeit des „evangelium aeternum" 22 wird der petrinischen Zeit folgen und sie damit historisch relativieren. Schelling wird in der 36. Vorlesung seiner „Philosophie der Offenbarung" denselben Gedanken entwickeln — und dann, nach der Lektüre der kirchengeschichtlichen Arbeiten von Johann August Wilhelm Neander, überrascht feststellen, daß er sich in der Nachfolge Joachims befindet 23 . Dessen eindringliches „Niemals, niemals, niemals" hat aber auch seit jeher die harmonisierende Deutung begünstigt, derzufolge Joachim die Papstkirche und 21

Tractatus, p. 87. Psalterium decern chordarum, Venetiis 1527, fol 260 ra. 23 Fr. W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung, Nachdruck der Ausgabe von 1858, Bd. 2, Darmstadt 1966, p. 298: „Ich freue mich, daß Gedanken, die ich doch nicht umhin konnte mit einiger Schüchternheit zu betrachten, eine so große Bestätigung geworden ist." 22

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ihre Bilderzeit nie habe außer Kurs setzen wollen. Geht man indes auf den Denkansatz der Geschichtstheorie Joachims und ihr philosophisches Strukturproblem zurück — was in der historischen Joachimsforschung nicht geschieht —, dann wird eine derartige Interpretation unhaltbar. Daß trotz der Verurteilung der verloren gegangenen Streitschrift Joachims gegen die Trinitätslehre des Petrus Lombardus auf dem 4. Laterankonzil (1215), trotz der Untersuchung und Inkriminierung seiner Schriften durch die Kommission von Anagni (1225), und schließlich trotz der Verurteilung seiner Lehre auf dem Provinzialkonzil zu Arles (1263) der Einfluß Joachims beträchtlich blieb, daß Papst Honorius III. sogar erklären konnte, der Abt habe als „vir catholicus" zu gelten, dürfte mehrere Gründe haben. Erstens: Die theoretische Begründung der Geschichtslehre Joachims war und ist nicht leicht zu durchschauen; die Sonde stichhaltiger Kritik konnte folglich gar nicht von jedermann, sondern nur von scharfsichtigen Intellektuellen gehandhabt werden. Zu ihnen gehören Thomas von Aquin und Bonaventura. Zweitens: Joachim legt seine Geschichtstypologie so an, daß er in jeder vorlaufenden Epoche Vorzeichen auf die folgende entdeckt. Vorzeichen z. B. der Geistzeit ist Benedikt mit seinem Kontemplationsideal. Die Zeit der Figuren und Bilder weist also schon auf die Geistzeit hin, und auch dies konnte dazu beitragen, jenen Bruch einzuebnen, den Joachim tatsächlich zwischen den „secundus status" und den „tertius status" einträgt. Drittens : Die zeitgenössische Kritik an der Prälatenkirche und an der Verweltlichung des Christentums, die politische Apokalyptik mit ihrer Hoffnung auf Engelspapst, Friedensreich und Friedenskaiser24 — alles dies sind Faktoren, die die Geistzeitlehre Joachims „verständlich" machten und ihr den Boden bereiteten. Man muß diese Tatsachen berücksichtigen, um einerseits den enormen Widerhall, den Joachim fand, richtig einschätzen zu können, und um andererseits die Fehldeutungen jener katholischen Joachimforschung nicht zu wiederholen, die zwar in der Trinitätslehre, nicht aber in der Geschichtstheologie Joachims Haeretisches zu entdecken bereit ist — und deshalb übersieht, daß das Verurteilungsdekret des 4. Laterankonzils, das sich ausschließlich auf die Trinitätslehre Joachims zu beziehen scheint, auch jene philosophische „Analogieformel" enthält, die den Kern der joachimschen Geschichtsauffassung trifft. Von dieser Analogieformel soll gleich die Rede sein; sie zeigt jedenfalls, daß die Konzilsväter des Lateranense IV. die Verknüpfung von Joachims Trinitäts- und Geschichtslehre erkannt und die „Systematik" seiner Geschichtstheorie durchschaut hatten. 24 Vgl. dazu das Kapitel „Friedenskaiser und Engelspapst" bei B. Töpfer, Das kommende Reich des Friedens, pp. 154—210.

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Mit Hilfe einer zahlensymbolisch begründeten Theorie der Generationenabfolge errechnet Joachim das Jahr 1260 als Beginn der Geistzeit. Für diese selber bleiben seine Angaben widersprüchlich; einmal läßt er ihre Dauer unbestimmt25, dann wieder mißt er ihr fünfzig Jahre zu26, wobei er sich auf die alttestamentlichen Kultschriften beruft: Nach 3 Moses 25, 10 soll jedes 50. Jahr im israelitischen Kalender ein Jubeljahr sein zur Feier der Versöhnung Jahwes mit seinem Volk, und es soll „Freiheit für alle Bewohner des Landes verkündet werden". Auf diese Weise legt Joachim das Eschaton auseinander in das Ende der Zeit der Knechtschaft und in das Ende der Geistzeit, den endgültigen Weltuntergang. Das zwischen diesen beiden Punkten liegende „Tausendjährige Reich" wird als Epoche der Freiheit nicht nur die Bekehrung der Juden, sondern auch die Einigung der lateinischen und griechischen Christen bringen27. Die Bedrohung des Christentums durch den Islam wird noch einmal übermächtig werden, aber auch dieser „Antichrist" — im Liber figurarum als das sechste Haupt eines eindrucksvoll rotgemalten siebenköpfigen apokalyptischen Drachens dargestellt und mit der Überschrift „Saladin" versehen — muß sein Ende im Abgrund finden28. Hatte Joachim noch 1190 dem Richard Löwenherz den Sieg über Saladin prophezeiht29 und damit den Kreuzzugsgedanken unterstützt, so ändert sich hierin nach dem Fehlschlag des 3. Kreuzzuges seine Einstellung völlig30. Nunmehr hält er den Einsatz von politischer und militärischer Gewalt gegen die antichristlichen Mächte für sinnlos, da auch sie sich den 2 5 Nach Expositio in Apocalipsin fol 15 ν und fol 212 ν umfaßt die Zeitspanne von der Auferstehung des Herrn bis zum endgültigen Weltende „tausend Jahre", fol. 211 r heißt es aber, die Zahl 1000 dürfe nicht wörtlich genommen werden, sondern komme nur als „vollkommene Zahl" (numerus perfectissimus) zur Verwendung. Darausfolgt, daß über die Dauer der Endzeit keine bestimmten Angaben gemacht werden können. 26 Vgl. die Exzerptsätze des Protokolls von Anagni bei H. Denifle, Das evangelium aeternum und die Kommission zu Anagni. „Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters" 1, Berlin 1885, p. 104. 27 Liber figurarum, ed . L. Tondelli, Turin 2 1953, Tafel X I V . — Vgl. E. R. Daniel, Apocalyptic Conversion·. The joachite alternative to the crusades, ,,Traditio" 25 (1969) p. 138. 28 Liber figurarum, Tafel XIV. 29 So der Bericht des Roger von Hoveden, Gesta regis Henrici, ed. W. Stubbs, London 1867, Bd. 2, pp. 151—155. — E. R. Daniel, Apocalyptic Conversion, p. 134 vertraut Rogers Berichterstattung, während J . Chr. Huck, Joachim von Floris und die joachitische Literatur, Freiburg 1938, p. 38, sie eine „freie Dichtung" nennt. —Vgl. dazu die Hinweise von M. Reeves und B. Hirsch-Reich, The Figurai of Joachim of Fiore, „Warburg Studies", Oxford 1972, pp. 86—87, eine Studie, auf die mich freundlicherweise Herr Professor Leighton, New York, aufmerksam gemacht hat. M. Reeves und B. Hirsch-Reich schreiben: „The problem of Howden's double story has been much debated, though opinion now veers towards regarding it as genuine" (loc. cit.). 3 0 S. E . R. Daniel, Apocalyptic Conversion, p. 136.

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Plänen Gottes beugen müssen. Diese aber zielen auch ohne das Zutun der Menschen auf die Herstellung von Frieden, Gerechtigkeit und Ruhe. Diese Ruhe (quies) ist die Aufhebung aller geschichtlichen Mühe (labor). Schon in der Geschichtstheorie Augustins hatte der Begriff der Ruhe eine entscheidende, wenn auch völlig andere Rolle als bei Joachim gespielt. Die in Analogie zur Weltwoche der Schöpfung zeichenhaft zu verstehenden sechs Epochen des handlungsgefüllten Geschichtsablaufs münden nach Augustin in die Ruhe des Weltendes oder des siebten Tages 31 ; er gehört zwar noch dem zeitlich-geschichtlichen Menschen, „denn der siebte Tag: das werden wir selber sein". Gott aber wird den siebten Tag in den achten Tag, in seine eigene ewige Ruhe, aufheben 32 . In solcher „Aufhebungsdialektik" läßt Augustin, im Schlußkapitel der Civitas Dei, die Bewegung der Zeit einmünden in die unbewegte Ruhe der Ewigkeit. Ewigkeit ist für den Neuplatoniker Augustin ein Einwand gegen Zeit — ebenso wie „Geist" gegen „Fleisch" und „civitas dei" gegen „civitas terrena". Diese Widersprüche müssen, bis zu ihrer Aufhebung durch Gott, in der Geschichte bestehen bleiben. Auf dieser augustinischen Konzeption des widersprüchlichen Gegeneinander von „Gut" und „Böse" beruht das Geschichtsverständnis des von Joachim eben deswegen kritisierten mittelalterlichen Christentums. Joachim unterläuft nicht nur die theologisch-politische Theorie des notwendigen Nebeneinander der „Zwei Reiche", er unterläuft auch den von Augustin formulierten „eschatologischen Einwand" der ewigen Ruhe gegen die bewegte Zeit, wenn er den „tertius status" selber schon eine Geschichtszeit der Ruhe sein läßt. Damit bricht, wie der Geist, so auch die Unbewegtheit, Ewigkeit und Ruhe in den Geschichtsablauf ein — und wieder ist dieser Einbruch Ermöglichungsgrund der „Freiheit". Die augustinischpatristische Geschichtsphilosophie ist damit überwunden. Geschichte ist bei Joachim nicht mehr nur Prozeß vom Anfang zum Ende, wie bei Irenaios von Lyon 33 und Augustin, wobei sich am Ende in Gestalt der Ruhe und Ewigkeit der Widerspruch gegen die geschichtliche Bewegtheit auftut; vielmehr werden Ruhe, Geist, Ewigkeit und Unbewegtheit, kurz: das „Reich", zu Momenten der Geschichte selber — zu Momenten freilich, die nun den erwarteten historischen „tertius status" zu einer nicht mehr nur historisch deutbaren „Geistzeit" 31 Augustin gliedert bekanntlich die Geschichte in sechs Weltalter. Das sechste hat mit Christus begonnen und währt bis zum Weltende oder siebten Tag, vgl. z. B. De Trin IV, 4, 7. Dazu A. Dempf, Sacrum Imperium, p. 117 32 Civ. Dei XXII, 30. — Zur „Aufhebungsdialektik" als Strukturproblem des Geschichtsdenkens bei Augustin, Joachim von Fiore und E. Bloch vgl. S. Otto Symbolik und Utopik, „Hochland" 62 (1970) pp. 67—77. 33 Vgl. dazu S. Otto, Das Problem der Zeit in der voraugustinischen Theologie, „Zeitschrift für katholische Theologie" 82 (1960) pp. 74—87.

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werden lassen. Die Aenigmatik, die den „primus status" und den „secundus status" in abbildlicher Historizität beließ, bricht zusammen ; der absolute Geist — theologisch gesprochen : die Vorsehung — lenkt den Geschichtsprozeß bis zu einer alle Historizität überbietenden Idealität. Die ontologische Differenz zwischen kontingenter Geschichtlichkeit und ihrem übergeschichtlichen, geistigen Sinn wird damit eingeebnet. In der Sprache der mittelalterlichen Metaphysik erklärt darum das 4. Laterankonzil zutreffend, Joachim verkenne das Gesetz der Analogie : daß bei aller Ähnlichkeit zwischen Gott und Schöpfung die Unähnlichkeit beider uneinholbar, und daß folglich die Differenz zwischen absolutem Geist und Geschichte unaufhebbar bleibt: „quia inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notan, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda". Im Kontext dieser Erklärung nimmt das Konzil Bezug auf den Unterschied zwischen der naturhaften Einheit der trinitarischen Personen einerseits und der gnadenbewirkten Liebeseinheit der Gläubigen andererseits34, das heißt: der Konzilstext moniert die Defizienz der joachimschen Bildlehre hinsichtlich seiner Anwendung auf die Geschichte. Indem Joachim mit seiner Rede von der „aperta revelatio" des Geistes in der dritten Geschichtsphase — also mit der Behauptung einer die Offenbarung überbietenden Selbstdarstellung des Geistes in der Geschichte — die Dialektik von „similitudo" und „dissimilitudo" zwischen Geist und Geistbegründetem verkennt, läßt er auch, modern gesprochen, die Subjekt-Objekt-Spannung zwischen dem geschichtslenkenden Geist und der von ihm gelenkten Geschichte zusammenbrechen. Die Geschichte geht unter in der Subjektivität des Geistes, sie steht dem Geist nicht mehr in abbildhaft-aenigmatischer Objektivität gegenüber. Der Geist als Subjekt der Geschichte hat alle objektiv-geschichtliche Faktizität eingeholt. Hier liegt der Legitimationsgrund dafür, Joachims Geschichtstheorie als „Theorie der Utopie" zu bezeichnen, und hier tritt auch das philosophische Dilemma der Geschichtskonzeption Joachims zutage: als G e s c h i c h t s k o n z e p t i o n negiert sie sich selber, um zu einer P h i l o s o p h i e des G e i s t e s zu werden. Fragwürdig wird dabei auch Joachims Freiheitsidee: Sollte — gemäß dem Denkansatz Joachims — die Offenbarung des Geistes die Epoche der Freiheit bringen, so führt die systematische Inkonsequenz in Joachims Geschichtstheorie nun dazu, daß der Geist das eigentlich herrschende Subjekt der Freiheitszeit bleibt. Mit anderen Worten: Die geschichtliche Freiheit des Menschen vermag den Geist, die Vorsehung, nicht einzuholen. Die Frage nach dem Verhältnis oder der Vermittlung von absolutem Geist einerseits und geschichtlicher menschlicher Freiheit andererseits, 34

H. Denzinger, Enchiridion

Symbolorum,

432.

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die Frage also: „Wer ist das Subjekt der Geschichte? Gott oder der Mensch?" ist eine Grundfrage in allen großen geschichtsphilosophischen Systemen. Wir begegnen ihr in strukturaler Konsistenz bei Augustin und Joachim ebenso wie bei Vico und Hegel. Insofern ist Joachims Geschichtstheorie alles andere als eine „mittelalterliche" Quisquilie. Noch Vico — den man gern den Begründer der neuzeitlichen Philosophie der Geschichte nennt — schreibt in seiner Neuen Wissenschaft: Zwar „haben die Menschen selbst die Welt der Völker geschaffen"; dennoch ist diese Welt „hervorgegangen aus einem Geist, der den besonderen Zielen der Menschen . . . immer überlegen ist" 35 . Aber während Vico die Vermittlung zwischen dem geschichtsüberlegenen göttlichen Geist und der geschichtsmächtigen Freiheit des Menschen mit Hilfe der „geometrischen Methode" und mit Hilfe einer Theorie des „metaphysischen Punktes" zu leisten versucht 36 , während Augustin den „siebten Tag, der wir sein werden" und „den Gott in sich selber zur Ruhe bringen wird" zur dialektischen Mitte zwischen den sechs Tagen geschichtlicher Mühsal und dem achten Tag göttlicher Ewigkeit macht 37 , entbehrt Joachims Geschichtslehre jeder Vermittlung zwischen absolutem Geist und Geschichte ; der Geschichtstheorie des Joachim von Fiore fehlt jener entscheidende „terminus médius", der diese Vermittlung leisten könnte. Die Christologie spielt bei Joachim eine nur untergeordnete Rolle ; infolgedessen ermangelt auch sein Geschichtsdenken einer Theologie des zwischen Gott und geschichtlicher Welt vermittelnden Logos. Der trinitarische Gott in seiner e i n e n Substanz und Wesenheit ist und bleibt das „formale Prinzip" 38 des joachimschen Geschichtsbegriffes — nur deshalb kann die Trinitätslehre auch das ganze System der Konkordanzen in der Heilsgeschichte tragen. Für Joachim ist die Einheit des dreifaltigen Gottes jene höchste Einheit, „in qua non est minus aliquid in singulis quam in tribus" 39 . Dennoch versteht sich Joachim nicht dazu, den Einheits- und Substanzbegriff der vom Lombarden formulierten Trinitätsspekulation zu übernehmen. Aufschlußreich für seine im Grunde tritheistische Denkweise ist der Satz im Psalterium decern chordarum'. „Est enim substantia genita in ingenita et econverso, et nihilominus procedens substantia ingenita et in ingenita et econverso 35 G. Vico, Die neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker, übers, von E. Auerbach, Hamburg 1966, pp. 225—226. 36 Ibid. p. 59. — Die Philosophie des „metaphysischen Punktes" entwickelt Vico in seiner Schrift Der antiquissima Italorum sapientia im Kapitel IV/II ,,De punctis metaphysicis et conatibus" (G. Vico, Opere, ed. G. Gentile—F. Nicolini, Band I, Bari 1914, pp. 152—159). 37 Civ Dei X X I I , 30. 38 F. Förschner, Concordia, p. 117. 39 Psalterium, fol 232 va.

Bonaventuras christologischer Einwand

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— ita tarnen, ut propter summam unitatem sic alia persona dicatur et sit substantia ingenita et alia subgenita et alia procedens" 40 . Joachim denkt den Vater als „substantia ingenita", den Sohn als „substantia subgenita", und den Geist als „substantia procedens" — die heilsökonomische Trinitätsauffassung der griechischen Patristik meldet sich zu Worte. Das wesenhaft eine göttliche Leben ergießt sich aus dem ungezeugten Vater über den Sohn als „substantia s u b genita" in den Hervorgang des Geistes, ebenso wie in der Geschichte das Reich des Vaters in das des Sohnes einmündet, um im Reich des Geistes seine Aufgipfelung zu erfahren. Joachim denkt nicht christozentrisch, sondern pneumatozentrisch. Wie in der Einheit der göttlichen „Substanz" der Geist die Vollendung der trinitarischen Lebensbewegung darstellt, so bringt die Geistzeit die Vollendung der die Trinität abbildenden Geschichte. Zwischen dem Geist und der Geistzeit aber bedarf es keiner dialektischen Vermittlung, denn: „donum et donator est spiritus sanctus, quia et se dedit et sua" 41 . Der Geist ist beides, Schenkender und Geschenk ; trinitarischer und geschichtlicher Prozeß laufen asymptotisch aufeinander zu, auf die „aperta revelatio spiritus". Der absolute Geist b e d a r f keiner Vermittlung, um sich in der Geschichte manifestieren zu können, er ist selber diese Vermittlung — als „donum et donator". Die Idealisierung der Geschichte ist perfekt, aber die Geschichtlichkeit der Geschichte geht in diese Idealisierung nicht ein. Die Analogieformel des 4. Laterankonzils deutet auf den neuralgischen Punkt: die „dissimilitudo" zwischen Gott und Schöpfung, zwischen Sinn und Geschichte bleibt uneinholbar. Joachim hingegen erklärt unmißverständlich: „alienum est a fide, per dissi mi le s similitudines ascendere ad notitiam creatoris" 42 . Philosophisch bedeutet dies, daß Joachim von Fiore die Dialektik von „Darstellbarkeit" und „Nichtdarstellbarkeit" des absoluten Geistes in der Geschichte verkennt, und der Grund hierfür ist, daß Joachim die in der Bildmetaphysik liegende V e r m i t t l u n g s p r o b l e m a t i k außer Acht läßt. Vor diesem Hintergrund scheint mir von den beiden Joachimkritikern Bonaventura und Thomas von Aquin Bonaventura der eindringlichere und kompetentere zu sein. Bonaventura sieht nämlich ganz klar die Relevanz des eben skizzierten Vermittlungsproblems, und formuliert von hier aus seinen „christologischen Einwand" gegen die Geschichtslehre Joachims. Zwar weist auch Thomas, christologisch argumentierend, in seinem Sentenzenkommentar darauf hin, daß alle Vorausweisungen des Alten Testaments in Christus erfüllt seien43. 40 41 42 43

Ibid. fol 233 v b — fol 234 ra. Psalterium fol 235 va. Ibid. fol 233 va. IV Sent d. 43 a. 3 q. 2.

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Zur Geistzeitlehre Joachims bemerkt er in der Summa theologiae, das Wirken des Geistes dürfte nicht auf eine bestimmte Geschichtsphase eingeschränkt werden, da die Menschen aller Zeiten in größerem oder geringerem Maße des Geistes teilhaftig werden können; wenn schon von einer Geistzeit die Rede sein soll, dann müsse das die Zeit der Apostel — also die Zeit Christi — sein44. Im Hinblick auf die Dreizeitenlehre Joachims schreibt Thomas: „lex vêtus non solum fuit Patris, sed etiam Filii, quia Christus in veteri lege figurabatur . . . similiter etiam nova lex non solum est Christi, sed etiam Spiritus Sancti" 45 . Damit wird die christologische Kritik an Joachim eingebettet in die Frage nach der „unitas Dei", mit der ja auch die Systematik der Summa theologiae anhebt 46 . Den Fluchtpunkt, auf den alle Gedankenreihen Joachims perspektivisch hingeordnet sind, trifft Thomas indes nicht ; er kann ihn auch deshalb gar nicht treffen, weil er die allegorisierende Bibelexegese und die figurale, aenigmatische Denkweise des Abtes von Fiore von vornherein ablehnt. Ganz anders Bonaventura, der „katholische Joachim". Er anerkennt nicht nur die symbolisierende Methode der Auslegung der heiligen Schriften, sondern eignet sie sich auch selber an. Der Tradition der Bildmetaphysik verpflichtet, schenkt Bonaventura auch dem Bilddenken Joachims größte Beachtung. Die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichtslehre Joachims hebt zwar ebenfalls trinitätstheologisch an — aber in der bonaventuranischen Trinitätstheologie ist der Brennpunkt des Erkenntnisinteresses immer der Logos als „media persona", als Mitte und Vermittlung, und von hier aus vermag Bonaventura die dem joachimschen System innewohnende Vermittlungsproblematik scharf ins Auge zu fassen. Im Denken Bonaventuras erhält die entscheidende Funktion des menschgewordenen Logos für die Erkenntnis der „summa trinitas" einerseits und für die Erkenntnis der Geschichte andererseits ihre sachgemäße Akzentuierung. „Licet tota trinitas sit lumen intelligendi, Verbum tarnen naturaliter habet rationem exprimendi", so lesen wir im Hexaemeron11. Dieser Satz birgt den Schlüssel nicht nur zur ganzen Theologie und Philosophie Bonaventuras, sondern auch zu seiner Joachimkritik. „Wenngleich die ganze Trinität das erkenntnisermöglichende Licht unseres Denkens ist, so liegt doch im Wort von Natur aus der Grund aller Darstellbarkeit", so möchte ich diesen entscheidenden Satz übertragen. Es ist nicht der Geist, es ist 44

S Th Iallae q. 106 a. 4. S Th Iallae q. 106 a. 4 ad 3um. 46 Vgl. dazu C. Sträter, Le point de départ du traité thomiste de la Trinité, « Sciences Ecclésiastiques», Montréal, 14 14 (1962) pp. 71—87, und S. Otto Augustinus und Boethius im 12. Jahrhundert. Anmerkungen zur Entstehung des Traktates «De Deo uno », „Wissenschaft und Weisheit" 26 (1963), pp. 15—26. 47 Hexaemeron XI, 13. 45

Bonaventuras christologischer Einwand

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das Wort, das Gott — den Sinn der Geschichte — in der Geschichte zur Darstellung bringt; es ist das Wort, das zwischen dem Sinn der Geschichte und der Geschichtlichkeit der Geschichte vermittelt. Der „christologische Einwand" Bonaventuras gegen Joachims Geschichtskonzeption zielt exakt auf das in ihr ungelöste Problem : das Problem der „Darstellbarkeit" von Sinn. Die Lösung des von Joachim nicht reflektierten Vermittlungsproblems finde ich in beispielhafter Weise in einem Text, der sich überhaupt nicht mit Joachim befaßt ; ich meine die quaestio IV der distinctio I I im 1. Buch des Sentenzenkommentars: „Utrum tres tantum sint personae divinae". Bonaventura unterscheidet die trinitarischen Hypostasen: „una quae tantum dat, alia quae tantum accipit, media quae dat et accipit". Den Vater denkt er als „principium", den Geist als „principiatum", den Sohn als „principiatum et principium". Dabei kommt es unserem Theologen darauf an, diese „trinitas rationum" in der Dreifaltigkeit als logische Notwendigkeit zu begreifen; denn eine vierte Hypostase — die weder „principium" noch „principiatum" wäre — ist logisch undenkbar. Logisch notwendig ist hingegen die Vermittlungsfunktion des Sohnes als „principiatum et principium" zu denken. Der Logos wird von Bonaventura also als die vermittelnde Mitte des trinitarischen Lebens begriffen: als Relation der Relata ist er jener formale Vermittlungsgrund, der die Einheit in der Dreiheit begreifbar macht. Der Satz aus dem Hexaemeron „Verbum habet naturaliter rationem exprimendi" zeigt seine trinitätstheologische Relevanz; das Verbum bringt nämlich zur Darstellung, was die Dreiheit ist: vermittelte Einheit. Die schöpfungs- und geschichtstheologische Relevanz des Hexaemeron-Satzes hinwiderum deutet sich an in der Bezeichnung des Sohnes als „persona media quae dat et accipit" : Der Logos ist Mitte, weil er empfängt und gibt. Bonaventura fügt hinzu, die Dreiheit von „geben" und „empfangen" sowie von „empfangen und geben" enthalte in sich höchste Vollkommenheit, sei es, daß sie in sich, sei es, daß sie im kreatürlichen Abbild betrachtet wird48. Nicht den Geist nennt Bonaventura „donator", sondern der Sohn wird von ihm als die „persona quae dat" bezeichnet. Der menschgewordene Logos kann sich deshalb der geschichtlichen Menschheit „geben", weil er schon als trinitarischer Logos die Funktion des „Gebens" erfüllt; „geben" ist die „ratio", der Strukturgrund des Logos. Joachim hatte behauptet, der Geist gebe sich selber dem Menschen ebenso wie seine Gaben49 ; Bonaventura hingegen eignet die 18 I Sent d. I I q. 4: . . . numerus iste, scilicet ternarius, habet in se primam perfectionem et summam, sive consideretur in se . . . sive in creatura . . . trinitatem vestigli contingit reperire in qualibet creatura . . . 49 Vgl. Anm. 39.

9 Med. XI

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Vermittlungsfunktion des „Gebens" dem Sohn zu, der als Wort die „ratio exprimendi", den „Grund aller Darstellbarkeit" enthält. Als „persona media quae dat" vermittelt das Wort im innertrinitarischen Lebensvollzug, indem es die Einheit in der Dreiheit zur Darstellung bringt; als „persona media quae dat" vermittelt das Wort aber auch zwischen Gott und Schöpfung, zwischen Gott und Geschichte, indem es Gott in der Geschichte zur Darstellung kommen läßt. Aber das Entscheidenste ist, daß die urbildliche Trinität in der Geschichte eben nur „per trinitatem vestigii" zur Darstellung gebracht werden kann, und von diesem trinitarischen Abbild gilt: „est valde simile Trinitati increatae — non tarnen est omnino simile". Die „dissimilitudo" in der „similitudo" ist gewahrt; die Dialektik der Abbildlichkeit ist reflektiert und die Konsequenz aus dieser Dialektik — die Vermittlungsidee — ist gezogen. Der „christologische Einwand" Bonaventuras gegen die Geschichtslehre des Joachim von Fiore ist insofern kein bloß „christologischer" Einwand, als er die philosophischen Mängel im Denken Joachims aufdeckt und korrigiert. Es erscheint mir dringend erforderlich, daß die Forschung von den vielen Korrespondenzen, die ohne jede Frage zwischen Bonaventura und Joachim bestehen, einmal absieht und den Blick auf den philosophisch-systematischen Widerspruch richtet, der zwischen der Denkstruktur Joachims und der Denkstruktur Bonaventuras herrscht. Es ist in meinen Augen bedauerlich, daß selbst Winfried Schachten sein ansonsten vorzügliches, von mir schon eingangs genanntes Buch über Bonaventura mit der Bemerkung abschließt, man werde „aufgrund der vielen Textstellen des Hexaemeron, die mit Joachim fast wörtlich übereinstimmen, sagen können, daß Bonaventura grundsätzlich — trotz aller sachlichen Verschiedenheit — der Denkart Joachims, besonders dem spiritualistischen Denken bezüglich der Geschichtsbetrachtung, sehr nahe steht" 50 . Die philosophische Strukturanalyse, die ich durchzuführen versuchte, dürfte das Gegenteil erwiesen haben. Bonaventura ist, was Joachim weder sein wollte noch konnte: Theoretiker der Geschichte und der „analogia entis" : hierin liegt seine philosophische Bedeutung. 50 W. Schachten, Intellectus Verbi, p. 177. — Anders und richtig J . Ratzinger, Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura, München und Zürich 1959, pp. 119—120: „Der Unterschied, der Bonaventura von Joachim trennt, ist größer, als es auf den ersten Blick scheinen möchte".

D I E GESCHICHTSPHILOSOPHISCHE

BEDEUTUNG

DER ENGELLEHRE BEI BONAVENTURA (Ein

Beitrag

zur

Deutung

des

Itinerarium

mentis

in

I V 4)

Deum

v o n ULRICH WIENBRUCH ( K ö l n )

Die Erörterung der geschiehtsphilosophischen Bedeutung der Engellehre bei Bonaventura erfolgt in zwei Teilen. Der erste Teil erarbeitet die einschlägige Auffassung durch Deutung des vierten Abschnittes des vierten Kapitels des Itinerarium mentis in Deum (V). Die Deutung ordnet den Abschnitt in das Werk, dem er entnommen ist, ein und versucht, ihn aus diesem Zusammenhang zu verstehen ( I — I V u. V I — V I I ) . Der Verweis auf andere Textstellen dient der Verdeutlichung und erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Die Herkunft der Gedanken Bonaventuras wird nicht untersucht. Zuweilen wird sie angedeutet. Der zweite Teil greift das Ergebnis der Textinterpretation auf. Er behandelt es in systematischer Absicht, indem er auf grundlegende Fragen der Philosophie und Theologie Bonaventuras eingeht ( V I I I ) . Sodann unterzieht er es einer Kritik, die vor allem dem methodischen Ansatz und dem Begriff der Erfahrungserkenntnis gilt ( I X ) . I Bonaventura beginnt sein Itinerarium mentis in Deum1 mit der Anrufung des „primum prineipium" (prol. 1). Zugleich gründet er seinen Traktat auf diesen Urgrund. Das Prinzip ist der eine Gott, der in drei Personen aufgrund ihrer gänzlichen Ungeteiltheit notwendig in einheitlichem Miteinander wirkt (It. I I I 5, V I 2 u. V I I 4—5). Er ist das Licht der ewigen Wahrheit (It. I I 9 u. V 1). Als der ewige Vater gewährt er alle Erleuchtungen (It. prol. 1). Er ist der Ursprung jeder Erleuchtung (Red. 1). Der Vermittler dieser zuvorkommenden Gnadengabe (It. I V 4) ist der gekreuzigte Gottmensch Jesus Christus (It. 1 Zur mehrfachen Bedeutung des Wortes „itinerarium" als Reisebeschreibung, -anweisung und -gebet s. G. Teichtweier, Die aszetisch-mystische Methode im Itinerarium mentis in Deum des Bonaventura, „Theologische Quartalschrift" 136 (1956), pp. 436—461, p. 444 s.; zur Bedeutung der Schrift im Gesamtwerk Bonaventuras s. A. Gerken, Das Verhältnis von Schöpfungs- und Erlösungsordnung im Itinerarium mentis in Deum des hl. Bonaventura, „S. Bonaventura 1274—1974", t. I V (Theologica), Grottaferrata (Roma) 1974, pp. 283—310, p. 285.



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Ulrich Wienbruch

prol. 1 u. 3—4 u. 17). Die Gnade ist das „fundamentum illustrationis perspicuae rationis" (It. I 8). Durch Christus soll der Vater dem Geist jedes Menschen erleuchtete Augen geben (It. prol. 1). Das ungeschaffene Wort ist die Wurzel der Einsicht in alles („radix intelligentiae omnium" (Hex. III 4))2. Christus ist unser Lehrer (It. V 2 u. Hex. XII 5). Solche begnadeten Augen sind die Voraussetzung dafür, daß der durch eigene bzw. Erbschuld der Sünde verfallene Mensch (It. I 7 u. Brev. III 6) ein Mann der Sehnsucht („vir desideriorum" (It. prol. 3)) nach göttlicher Weisheit wird (It. prol. 4; vgl. Hex. III 1). Die Sehnsucht bereitet die vernunftbegabte Seele zur Empfängnis des Lichtes (Hex. II 6 u. X X I I 29; vgl. It. VII 4 u. 6). Sie äußert sich im Gebet, das die Mutter und der Ursprung der Aufwärtsbewegung ist („oratio . . . est mater et origo sursum actionis" 3 (It. 11 ; vgl. ebd. VII 5—6))4. Die erleuchteten Augen ermöglichen es dem Menschen, die göttliche Weisheit, die sich in ihnen spiegelt, „per contemplationem" zu erfassen (It. prol. 3—4 u. II 13). „Contemplatio" meint „libera mentis perspicacia in sapientiae spectacula cum admiratione suspensa" (Richard v. St. Viktor, Benjamin maior I 4 (PL 196, 67))5. Man gelangt zu ihr nur durch tiefeindringendes Nachdenken, heiligen Wandel und frommes Gebet (It. I 8). Wer solche „contemplatio" übt, kann durch glühendste Liebe zu dem, der sie gewährt, den Weg zum himmlischen Jerusalem einschlagen (It. prol. 3, IV 4 u. VII 1). Das Ziel des Weges ist die „pax mentis" oder „spiritus" (It. prol. 2 u. VII 1 u. 6) als „pax ecstatica" (It. prol. l) e . Dieser Friede ist die Ruhe in Gott als der Genuß Gottes (It. VI 7 u. I. Sent. d. 1 a. 3 q. 2 conci.). Auf Erden ist der ekstatische Friede eine zeitliche Teilhabe an dem ewigen Frieden der Seele. Der ewige Friede besteht in vollendeter Liebe zu Gott in unmittelbarer Weisheitsschau (Brev. VII 7, 3 ; vgl. I. Sent. d. 1 a. 2 q. un. fund. 1—3 u. conci.). Solcher Friede ist zu erreichen in geistigen Aufstiegen zu Gott („mentales ascensiones in Deum" (It. prol. 2)). Die Aufstiege führen zu oder besser vollziehen sich als „mentales excessus" (It. prol. 3) oder „supermentales excessus" (It. I 7) oder „ecstatici excessus sapientiae christianae" (It. prol. 3). Der Erleuchtete bemüht sich, über sechs fortschreitende Stufen zur Ruhe der Beschauung 2 S. W. Schachten, Intellectus Verbi. Die Erkenntnis im Mitvollzug des Wortes nach Bonaventura, Freiburg-München 1973. 3 Zum Begriff der „sursumactio" bzw. des „modus sursumactivus" = „excessivus" oder „ecstaticus" s. It. VII 1 und Hex. X X I I 22 u. 27; vgl. Ps.-Dionysius, De cael. Merarch. 11—2. 4 Zum Erfordernis des Gebetes vgl. Ps.-Dionysius, De div. nom. III 1. 6 S. auch F. Andres, Die Stufen der Contemplatio in Bonaventuras Itinerarium mentis in Deum und im Benjamin-maior des Richard von St. Viktor, „Franziskanische Studien" 8 (1921), pp. 189—200; zu Richard von St. Viktor s. J. Beumer, Richard von St. Viktor, Theologe und Mystiker, „Scholastik" X X X I (1956), pp. 213—238. • Vgl. Ps.-Dionysius, De div. nom. X I 1—5.

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Gottes zu gelangen (It. prol. 3 u. I 5). Die Gesamtheit alles Gegebenen ist für ihn eine Leiter, die dazu dient, zu Gott aufzusteigen („ipsa rerum universitas . . . scala ad ascendendum in Deum" (It. I I ) ) . Die erleuchtende Wissenschaft der Wahrheit oder die Theologie (It. I 7—8) übt die Erkenntnisweisen der Seele, die den einzelnen Stufen entsprechen (It. I 6 u. Hex. V 24)7. Der Geist des Menschen gelangt im Überstieg über sich zeichenhaft mittels der Spur („vestigium") alles Geschaffenen und besonders des zeitverhafteten Körperlichen außer ihm, des Bildes („imago") des nicht anfangslos, aber endlos dauernden Geistes und Geistigen in ihm und des Ebenbildes (,,similitudo") dessen, was die Gnade gottförmig gemacht hat, über ihm zu Gott (It. I 2, VI 7 u. VII 1; Christ, mag. 16—17; Brev. II 12, 1 u. 3; Red. 12 u. Hex. XXII 34). Der fortschreitende Vollzug kann das, worauf er sich bezieht, folgernd wie durch einen Spiegel oder unmittelbar gegenwärtig und wirksam wie im Spiegel („ut per speculum et ut in speculo" (It. I 5)) betrachten (I. Sent. d. 3 p. 1 a. un. q. 3; s. auch Hex. II 27). In beiden Fällen gelangt er zur Erkenntnis der Urbildlichkeit („exemplaritas" (It. III 3 u. V 8)) alles Gegebenen in der „ars aeterna" Gottes, „secundum quam res habent aptitudinem et habitudinem ad invicem secundum illius aeternae artis repraesentationem" (It. III 3). Gott ist das letzte und beste Ziel, das „summum bonum", auf das hin alles andere erstrebt wird (It. III 4 u. V 2 u. 7—8). Auf dieses zuhöchst Erstrebenswerte, das um seiner selbst willen gewollt wird, richtet sich von selbst unablässig die Gipfelspitze des Geistes („apex mentis" (It. I 6)8) als „synderesis" (ebd.; II. Sent. d. 39 a. 2 q. 1 conci, u. ad 4 u. Brev. II 11, 6). Im Gelingen des „transiré in Deum (It. VII 3)9 per ecstaticum amorem" (It. IV 3) hören alle Vernunfttätigkeiten auf (It. VII 1 u. 4—5)10. Im „excessus mentalis et mysticus" geht der „apex affectus" ganz in Gott auf (It. VII 4). Jenseits aller Erkenntnisvollzüge erfährt die Seele ihre Liebeseinigung mit Gott (Reel. 25 u. Hex. II 29). Allerdings gilt dies für den irdischen Zustand nur mit der Einschränkung : soweit es dem sich bemühenden Geiste auf der Pilgerschaft möglich ist (It. III 3 u. VII 1—2 u. 5). Sodann bleibt Gott der Seele, die ihn gemütshaft erfährt, immer und auf jeden Fall erkenntnismäßig unzugänglich (Hex. XII 11). Er ist ihr zwar als sie erleuchtendes Licht am nächsten und innerlichsten und zwar mehr als sie sich selbst (III. 7 Die Wissenschaft bzw. die Philosophie bedarf zu ihrer Ermöglichung wie Vollendung des Glaubens und der Theologie (Christ, mag. 10 u. 15 u. De Donis IV 12). Zur Bestimmung der Theologie bei Bonaventura s. J. Beumer, Die Aufgabe der Vernunft in der Theologie des heiligen Bonaventura, „Franziskanische Studien" 38 (1956), pp. 129—149. 8 Zu diesem Begriff s. E. v. Ivánka, Plato Christianus, Einsiedeln 1964, pp. 315—351. 9 S. W. Hülsbusch, Die Theologie des transitus bei Bonaventura, ,,S. Bonaventura 1274—1974", 1. c„ pp. 533—566. 10 Vgl. Ps.-Dionysius, De myst. theol. I.

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Sent. d. 29 a. un. q. 2 ad 6). Aber die höchste Erleuchtung des menschlichen Geistes in der „visio mystica" ist und bleibt Dunkelheit für sein Denken (It. V 4 u. VII 5—6; Brev. V 6, 8 u. Hex. XX 11). II Die Vermögen der vernunftbegabten Seele sind Wirkkräfte ein und derselben Substanz. Sie gehen unmittelbar von ihr aus und sind in ihrer Verschiedenheit voneinander geordnet (II. Sent. d. 24 p. 1 a. 2 q. 1 conci, u. ad 1). — Der Geist erfaßt in seiner Sinnlichkeit („sensualitas") das Körperlich-Äußere (It. I 4) der Sinnenwelt (It. I 9 u. II 4). Das Erfassen vollzieht sich zunächst mittels der fünf Sinne und des „sensus interior" („communis") (It. II 6). Die „similitudines" oder „species sensibiles" des von außen Gegebenen reizen die Sinnesorgane und damit die „potentia sensitiva". Dadurch entstehen Sinneseindrücke („impressiones"). Der „sensus interior" vereinheitlicht den Vollzug der Einzelsinne. Zugleich vergleicht er ihre Eindrücke und veranlaßt ihre Ergänzung. Zur Sinnlichkeit gehören ferner die (niedere) „memoria", die „imaginario" („phantasia") und die „vis aestimativa" (It. I 6 u. II 3—4; Brev. II 9, 5 u. Hex. V 24 u. XXII 35). Die (niedere) „memoria" hält die Sinneseindrücke gedächtnishaft fest und vermag sie wieder zu vergegenwärtigen. Die „imaginario" bildet einen Zusammenhang zwischen den Sinneseindrücken. Dadurch kommt die Wahrnehmung zustande. Die Wahrnehmung („apprehensio" (It. II 4)) vollzieht sich aufgrund der eigentätigen Hinwendung der „potentia apprehensiva" zu den Sinneseindrücken. Die ergänzten und behaltenen Eindrücke werden zu Sinnesempfindungen verbunden (It. II 4 u. 7 u. III 2 u. Red. 8). Die „vis aestimativa" stellt unmittelbar fest, ob die Sinneseindrücke und -empfindungen den sie aufnehmenden und vollziehenden Vermögen angemessen und förderlich sind. Die Feststellung der verhältnismäßigen Übereinstimmung beider ruft Wohlgefallen hervor (It. II 2 u. 5—6). — Der Geist („spiritus") richtet sich in seiner Unabhängigkeit vom Körper auf sein Inneres und verbleibt in ihm (It. I 4). Das geschieht als Verstand („ratio") und Vernunft („intellectus") (It. I 6). Es handelt sich bei ihnen nicht um real unterschiedene Vermögen, sondern unterschiedliche Funktionen, die zu ein und derselben Erkenntnistätigkeit gehören (II. Sent. d. 24 p. 1 a. 2 q. 4 ad 5—6). Die „potentia cognitiva" bezieht sich als Verstand auf das, was unter ihr ist, und als Vernunft auf das, was ihr gleichkommt (ebd. q. 3 conci.). Der Verstand löst im schon erleuchteten Beurteilen („diiudicatio") die als angepaßt erlebte Sinnesempfindung („species apprehensa" (It. II 7)) von allem Veränderlichen in Raum und Zeit und diesen selbst. Er übermittelt das so Erfaßte der „potentia" oder „virtus intellect!va", die es in seiner Wohlgeordnetheit in sich und zu anderem

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innerhalb des für sie unendlichen geistigen Stellensystems begreift (It. II 6 u. 9 u. III 3). Die Vernunft erfaßt nur, was im (höheren) Gedächtnis gegeben ist (It. III 1 u. 5). Das (höhere) Gedächtnis betätigt sich als Behalten (,,retentio") und Sichwiedervergegenwärtigen („repraesentatio") und Voraussehen („praevisio") alles geistig Erfaßten einschließlich des Geistes selbst (It. III 2; vgl. I. Sent. d. 3 p. 2 a. 1 q. 1 ad 3; M y st. Triti. V 1 u. Hex. III 6). Vor allem aber enthält es die immer gültigen „principia scientiarum" (It. III 2 u. 7 u. Red. 4) und die „regulae infallibiles" (It. II 9 u. Hex. II 10). Beide ermöglichen es allein, etwas Behaltenes so zu ordnen, daß es einen an sich gültigen Zusammenhang ergibt (It. III 2). Die Prinzipien und Regeln werden bei Sinnenfälligem anläßlich der Sinneserfahrung, bei Geistigem aus ihm als in jedem Fall nur der Vernunft vorgegeben erkannt (It. II 6; II. Sent. d. 39 a. 1 q. 2 conci, u. De Bonis VIII 13). Der „intellectus" vollzieht sich als Bilden von Begriffen, Sätzen und Schlüssen (It. III 3). Er nimmt eine eindeutige Bestimmung von etwas in theoretischer oder praktischer Hinsicht vor, indem er es in einen ausweisbaren begrifflichen Ordnungszusammenhang mit anderem bringt (Hex. III 8). Das Prinzip dieses Zusammenhangs ist eine Größe, die „im höchsten Maße eins und allseitig" ist (It. V 8). Von ihr hängt alles andere ab, ohne daß sie von ihm abhängt. Diese Größe ist das absolute „ens per se" (It. III 3 u. V 5). Sie ist das „esse divinum" (It. V 3). Das göttliche Sein ist das „ipsum esse" und „ipsum bonum" (It. V 2 u. VI 1). Das Sein selbst bedeutet „ipsum purum actum entis" (It. V 3; vgl. ebd. 5—7), das Gute selbst den „actus purus" der selbstlosen Liebe (It. VI 2). Ohne dieses Sein kann die Vernunft nichts erkennen (It. V 3—4). Durch es erkennt sie anderes (It. V 4) bzw. das übrige (It. VI 6). „Esse igitur est quod primo cadit in intellectu et illud esse est quod est purus actus" (It. V 3; vgl. I. Sent. d. 28 dub. 1). Nur im Rückgriff auf das Sein kann man berechtigt von „scire" reden, „quoniam non potest falli in illa comprehensione" (It. I I I 3). Der Rückgriff muß dem, worauf er zielt, angemessen sein. Da der geschaffene Geist in seiner Veränderlichkeit einer unveränderlichen Größe nicht von sich aus teilhaftig werden kann, muß sich ihm diese Größe von sich aus gewähren. Sie muß sich ihm so gewähren, daß sie sich ineins immer bewährt (ebd.). Daher ist Gott — obwohl ,,supra mentem" (It. II 10 u. Scient. Christ. IV fund. 23) — gleichwohl als „lux veritatis" (It. II 9 u. V 1 ; vgl. Scient. Christ. IV conci.) ständig im Gedächtnis gegenwärtig (It. II 9 u. III 2). „Deus est unitus ipsi animae per praesentiam" (I. Sent. d. 3 p. 1 a. un. q. 1 fund. 3). Er ist der Vollzugsgrund und das Vollzugsziel des menschlichen Sichvollziehens, das sich immer schon als von ihm unmittelbar bestimmt vorfindet (It. II 9). In Gott sind die „rationes omnium in sua puritate" (It. III 3; vgl. ebd. II 9). Der Scharfblick des Geistes merkt bei der Prüfung eines Gehaltes auf diese Gründe. Er erfaßt sie als das,

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was Gott ihm schlechthin vorgegeben hat und insofern von ihm gedächtnishaft gehabt wird. Er eignet sie sich gewußt an, damit er sich beim bedächtigen Urteilen als durch sie geordnet ordnend vollzieht (Hex. X X I I 30—31 ; s. auch It. VI 7). Solchen Gründen als den Regeln oder Gesetzen des Urteilsvollzuges (It. II 9 u. III 4 u. Hex. II 9) zuzustimmen, besagt, die Vernunft widerspruchsfrei und mit sicherer Bewährung ihres Wahrheitsanspruches zu gebrauchen (It. III 2). — Indem die Vernunft sich auf das bezieht, was allein die Wahrheit ihres Vollzuges verbürgt, betätigt sie sich als Einsicht („intelligentia") (It. I 6 u. VI 1). Die Einsicht richtet sich auf das, was über ihr ist (II. Sent. d. 24 p. 1 a. 2 q. 3 conci.). Da in ihr der Vollzug des Geistes zu seiner erkenntnishaften Erfüllung kommt, wird sie im besonderen Sinne als ,,mens" bezeichnet (It. I 4; s. auch II. Sent. d. 25 p. 1 a. un. q. 2 conci.). Sie erfaßt, was ihr im sich erinnernden Gedächtnis, in dem sie bei sich ist, als nicht durch ihren Vollzug bestimmt, aber ihn stets bestimmend gegeben ist: Gott (It. III 1—2 u. 5 u. Hex. II 29). Doch ist Gott nicht in seiner Wesenheit einzusehen (II. Sent. d. 23 a. 2 q. 3 conci.). Der Grund des Vollzuges des Geistes kann nicht urteilshaft als das, was er in sich ist, eingeholt werden. Daraus folgt, daß wir nicht „in ventate vel in rationibus, sed quod a rationibus videamus" (Scient. Christ. IV fund. 3; vgl. ebd. conci.). Gleichwohl wissen wir aus dem Glauben, daß Gott dreieinig und in Jesus Christus Mensch geworden ist. Daher müssen wir uns bemühen, in Gott die Einheit des Wesens zugleich mit der Verschiedenheit der Personen zu betrachten (It. VI 3 u. 7). Der Mensch erreicht die Vollendung der Erleuchtung seines Geistes in der Schau des Gottmenschen Jesus Christus, der alles ist (It. VI 7). III Der Mensch soll in seinen Geist eintreten (It. I 2, II 13 u. III l) 11 . Er soll sich auf sich besinnen. Er vermag es, ohne sich der äußeren Sinne und ihrer Eindrücke zu bedienen (II. Sent. d. 39 a. 1 q. 2 conci.). Der Seele eignet aus sich heraus die Fähigkeit, sich unmittelbar sich selbst zuzuwenden. Denn sie ist schon in sich eine vollständige Substanz aus Form und geistiger Materie12 (ebd. d. 17 a. 1 q. 2 conci.). Daher ist sie sich selbst gegenwärtig und durch sich selbst erkennbar (It. III 2 u. Myst. Trin. I 1, 10). Sie erkennt sich in ihren eigenen Vermögen und Vollzügen, in denen sie bei sich selbst ist. Der Geist erfaßt sein dreifaches Vermögen: „memoria, intelligentia (notitia), amor" (It. III 1; vgl. I. Sent. d. 3 p. 2 a. 1 q. 2 u. Hex. V 24). In dieser überschaubaren 11

Vgl. Ps.-Dionysius, De div. nom. IV 9. Zur Lehre von der „materia spiritualis" s. P. Bissels, Die sachliche Begründung und philosophiegeschichtliche Stellung der Lehre von der materia spiritualis in der Scholastik, „Franziskanische Studien" 38 (1956), pp. 241—295. 12

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Selbstgegenwart hat er in sich zugleich Gott gegenwärtig (It. III 2 u. IV 1). Denn er ist als Bild Gottes (It. I 2, III 1 u. IV 1) ein Spiegel, in dem das Göttliche aufleuchtet (It. I 13; vgl. ebd. III 1). Es leuchtet auf die Wahrheit Gottes (It. I 2 u. III 1), mit der er verbunden ist (It. III 3). Daher soll der Geist nicht bei sich verweilen. Vielmehr soll er sich übersteigen, um zum Seins- und Erkenntnisgrund seiner Wahrheit, dem primum principium, zu gelangen (It. I 2; vgl. ebd. IV 4). IV Der Geist des Menschen vermag sich seiner selbst zu vergegenwärtigen. Tut er es, so kehrt er in sich ein (It. IV 1). Die Einkehr führt ihn „ad contuitum sui et aeternae veritatis" (It. IV 2). Allerdings muß sich der Geist dazu von der Verstrickung in das Sinnenfällige lösen. Er muß sich von Phantasiebildern und Unwissenheit, bangen Sorgen und Begierden freimachen (It. I 7, IV 1, V 4 u. VII 5—6; vgl. Hex. XXII 38). Das gelingt vollständig und das meint über die natürliche Ausstattung („natura") des Menschen und seine beflissene Eigentätigkeit („industria") hinaus (It. IV 4 u. VII 5) nur mittels der Gnade des Gottmenschen Jesus Christus (It. IV 2 u. VII 6). Als der Mittler zwischen Gott und den Menschen (It. prol. 1 u. 3, IV 2—3 u. 5, VI 4—7 u. VII 1) läutert, erleuchtet und vervollkommnet (It. prol. 4, I 7, IV 5 u. 7 u. VII 1—2 u. 6 ; vgl. Hex. III 32)13 er durch seine Gnade (It. I 8) oder die Gaben seiner überströmendsten Liebe (It. IV 4) den menschlichen Geist (It. I 7 u. IV 2—3 u. 5 u. 7; vgl. Brev. II 8,1 u. V 1, 2 u. 5, 8). Die ungeschuldet gegebene Gnade, die vor Gott genehm macht, ist „ein geistlicher Einfluß, der die vernünftigen Geister der Quelle des Lichtes angleicht und gleichgestaltet" (II. Sent. d. 26 a. un. q. 2 conci.). Die heilige Schrift berichtet über das begnadende Wirken Jesu Christi (It. IV 5—7). Dieses Wirken vollzieht sich in der einzelnen Seele in der Stufenfolge „theologische Tugenden, Wonnen der geistlichen Sinne und ekstatische Erhebungen" (It. IV 3—4 u. 7). Die drei voneinander nicht trennbaren theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe berichtigen die Seele (It. IV 4—5 u. VII 2; III. Sent. d. 34 p. 1 a. 1 q. 1 ad 5 u. Brev. V 4, 3—4). Sie reinigen sie zu einem ehrbaren Leben (It. IV 6; vgl. ebd. I 8). Sie stellen sie wieder her (III. Sent. d. 27 a. 1 q. 1). Die sieben Gaben des heiligen Geistes (It. VI 2; vgl. ebd. VII 4—5) entbinden sie (Brev. V 4, 3 u. V 5). So u. a. „ad verum speculandum" (Brev. V 5, 4). Sie unterweisen (Hex. III 19). Der Geist wird zur Klarheit der Einsicht erleuchtet (It. IV 6 u. Brev. V 5, 9). Die sieben Seligkeiten des heiligen Geistes vollenden die Seele zur evangelischen Voll13

Zu dieser Dreiheit „purgatio", „illuminatio" und „perfectio" (It. IV 4 u. 6—7; vgl. ebd. I 6) s. z. B. auch Brev. II 8, 1 u. V 1, 2 u. 5, 8 u. Hex. III 19; vgl. Ps.-Dionysius, De cael. hierarch. III 2—3 u. ö..

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kommenheit (It. V 2 u. Brev. V 6). Sie lassen sie „per excessum mentalem" ihren Frieden finden im Verkosten der göttlichen Weisheit (It. I 8 u. IV 6 u. Brev. V 6). „Nam sapientia iungit nos summo vero et bono, in quo est finis et tranquillitas totius nostri rationalis appetitus" (Brev. V 6, 5). So wird der Geist umgestaltet oder erlöst (It. IV 3—5). Er wird gottförmig (De Donis III 5; Brev. V 1, 3—4; vgl. It. IV 4). In seiner Vollendung empfängt er die fünf inneren oder geistlichen Sinne (It. IV 3—4 u. 6—7). „Geistlicher Sinn wird genannt der innere Gebrauch der Gnade in bezug auf Gott selbst im Verhältnis zu den fünf Sinnen" (III. Sent. d. 13 dub. 1; vgl. ebd. d. 34 p. 1 a. 1 q. 1 conci, u. Brev. V 6). Dieser Sinn hat seine Wurzel in der Vernunft und dem Gemüt („in intellectu et affectu" (III. Sent. d. 13 dub. 1)). Mit den inneren Sinnen ausgestattet, kann der Geist die „consideratio rationalis" durch die „cognitio experimentalis" (ebd., d. 34 p. 1 a. 2 q. 2 ad 2 u. dist. 35 a. un. q. 1 conci.) oder „experientia affectualis" (It. IV 3) ersetzen14. Damit ergibt sich: „Die Ordnung ist nämlich, daß man ausgehe von der Festigkeit des Glaubens und fortschreite durch die Klarheit des Verstandes, um zur Wonne der Beschauung zu gelangen" (Christ. mag. 15). V Der Geist des Menschen muß die Stufen aufweisen, die dem himmlischen Jerusalem entsprechen bzw. auf denen er zu ihm gelangen kann (Hex. XXII 24). Er muß geistlich geordnet oder hierarchisch sein (It. IV 4). Was besagt Hierarchie? Hierarchie ist ein „ordo divinus, scientia et actio, ad deiforme, quantum possibile est, assimilata, et ad inditas ei divinitus illuminationes proportionaliter in Dei similitudinem ascendens" (Hex. XXI 17; vgl. II. Sent. d. 9 praen.)15. Von der Wortbedeutung her kann sie bestimmt werden als „rerum sacrarum et rationabilium ordinata potestas, in subditis debitum retinens principatum" (II. Sent. d. 9 praen.). Die oberste Hierarchie ist die Dreifaltigkeit Gottes. Unter ihr steht die Hierarchie der Engel. Ihr ist unterworfen die Hierarchie der Kirche (behandelt in Hex. XXII 2—23)16. Zu dieser gehört die Hierarchie der Seele (II. Sent. d. 9 praen. u. Brev. prol. 3, 1—2; vgl. It. IV 5—6)17. Die Stufen der Ordnung der Seele werden in 14

Seit dem Senlenzenkommentar steht der „affectus" über dem „intellectus". Dieser Vorrang wird bis zum Hexaemeron immer deutlicher. 15 S. R. Guardini, Systembildende Elemente in der Theologie Bonaventuras, Leiden 1964, p. 148 s. ; zur Geschichte des Hierarchiegedankens s. ebd. pp. 176—183. 16 Zur Auffassung der christlichen Ekklesia als der „zum Vollzug bestimmter Kulthandlungen . . . zusammentretenden Versammlung der Vollbürger der Himmelsstadt" s. E. Peterson, Theologische Traktate, München 1950, pp. 328—330. 17 Zur Parallelisierung der Hierarchien s. E. Gilson, Die Philosophie des heiligen Bonaventura, 2 Darmstadt 1960, p. 719, und J. Ratzinger, Die Geschichtstheologie des hl. Bonaventura, München 1959, p. 49.

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Anlehnung an Thomas Gallus18 „natura", ,,industria" und „gratia" genannt (It. IV 4 u. Hex. XXII 24). Doch eigentlich kommen bei der geistlichen Ordnung gemäß dem Aufstieg („hierarchizatio secundum ascensum" (Hex. XXII 27; vgl. ebd. 24))19 nur die Eigentätigkeit der Seele ohne und mit Begnadung und die Gnade in Frage (It. VII 5 u. Hex. XXII 24 u. 35). Zum selbsttätigen Vollzug der vernunftbegabten Seele („industria") gehören einmal das Erfassen der Eindrücke, die die einzelnen Sinne melden (It. II 3 u. Hex. XXII 25), und die Tätigkeit des „sensus communis", der über die Zulänglichkeit der Eindrücke entscheidet („discernere" (Hex. X X I I 25 u. 35) ; „diiudicare" (It. II 6)), = „ n u n t i a t i o " (Hex. XXII 25)20, zum andern das beratschlagende Überlegen über die Richtigkeit einer Vorstellung („diiudicatio" als „rationem reddere" (It. II 6)) oder die Zulässigkeit eines Handlungsentwurfes (consilium (It. III 4)) = „deliberatio" oder „ d i c t a t i o " (Hex. XXII 25) bzw. „discreta praeelectio" (Hex. X X I I 35) und schließlich der urteilshafte Willensentschluß zur Durchführung (,,virtus electiva" als „iudicium" und „desiderium" (It. III 4; vgl. Hex. XXII 35)) = „ d u c t i o " (Hex. XXII 25). Die „deliberatio" bedarf zu ihrem Gelingen der Ausrichtung auf Gott ( „ o r d i n a t i o in Deum" (Hex. XXII 26)) als Licht der Wahrheit, um ruhig und letztgültig urteilen zu können (It. II 9 u. III 4 u. Hex. XXII 31—32). Der Gottmensch Jesus Christus ist der höchste Hierarch (It. IV 5; Brev. prol. 3, 2; Hex. III 12 u. 17 und in bezug auf den heiligen Geist ebd. 19). Die Ausrichtung auf ihn ist nur mittels seiner zuvorkommenden göttlichen Gnade möglich (Hex. XXII 26 u. 35). Die Gnade muß den menschlichen Geist in seiner Schwachheit stärken ( „ r o b o r a t i o " (Hex. XXII26) bzw. „confortatio" (Hex. XXII 37)) und den Leidenschaften gebieten ( „ i m p e r a t i o " (Hex. XXII 26 u. 38) bzw. „castigatio" (Hex. XXII 36)). Letztlich muß sie ihn über ihn hinausheben (It. V 1 u. VII 1 u. Hex. XXII 27). In dieser „sursumactio" über seine nur wenig vermögende Eigentätigkeit hinaus (It. prol. 4 u. VII 5) ereignet sich die Empfängnis („susc e p t i o " (Hex. X X I I 27)) der mystischen Weisheit, die von Jesus Christus durch den heiligen Geist geoffenbart wird ( „ r e v e l a t i o " (ebd.)) (It. VII 4). Es geschieht die gemütshafte Einigung („unio" (Hex. X X I I 27 u. 39; s. auch Red. 5)21) mit Gott oder die Salbung, die in ihn übergehen läßt ( „ u n c t i o " (It. prol. 4 u. VII 5—6; vgl. Hex. 18 Thomas Gallus verbindet „die augustinische Mystik der Viktoriner mit der des Areopagiten" und leitet zu Bonaventura über (Cl. Baeumker, Die christliche Philosophie des Mittelalters, „Kultur der Gegenwart" I 5, 2 Berlin u. Leipzig 1913, p. 326) ; zur Bedeutung des Thomas Gallus für Bonaventura s. auch J. Ratzinger, 1. c., p. 90 s . . 19 Zum „modus descendendi", auf den It. IV 4 anspielt, s. Hex. X X I I 28—33. 20 S. auch Hex. X X I I 35, wo außerdem „memoria", „imaginatio" und „ratio" hinzugenommen werden. 21 Vgl. Ps.-Dionysius, De eccl. hierarch. I 3 u .De div. nom. VII 1.

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XXII 28)). „Wenn die Seele sich mit der Salbung des heiligen Geistes bis ins Innerste erfüllt fühlt, dann wird sie entfremdet, und das heißt Ekstase" („quando anima sentit se impletam unctione Spiritus sancti usque ad intima, tunc alienatur, et hoc vocatur ecstasis" (Sabb. sermo 1 3))22. Diesen neun Stufen des Aufstiegs entsprechen die neun Ordnungen der aufsteigenden Engel (It. IV 4 u. Hex. XXII 33)23. Denn die göttliche Erleuchtung vollzieht sich durch die Hierarchie der Engel und der Kirche hindurch (Hex. III 32; vgl. It. IV 7). Infolgedessen richtet sie sich auch nach dem jeweiligen geschichtlichen Stand der göttlichen Offenbarung 24 . VI Die Engel kommen mit dem Menschen darin überein, Bild Gottes zu sein (II. Sent. d. 16 a. 1 q. 3 conci.). Daher vermag der Mensch sie ebenso wie sich mittels seiner Vernunft zu erkennen (Hex. V 24). Allerdings unterscheiden sich die Engel zugleich von ihm. Denn sie sind die vollkommenen Geschöpfe (Brev. II 6, 3). Ihre Geistigkeit ist ohne jede Bindung an einen Körper (,,in teiligen tiae" (It. II 2) ; „spiritus caelestes" (It. I 13 u. II 2)). Auch die menschliche Seele ist eine vollendete Substanz. Aber sie ist mit dem dadurch geformten Körper vereinigt. Dadurch unterscheidet sie sich vom Engel (II. Sent. d. 1 p. 2 a. 3 q. 2 conci.). Gleichwohl sind die Engel nicht einfach (Hex. IV 12). Das ist schon durch die „differentia entis et esse" ausgeschlossen (I. Sent. d. 8 p. 2 q. 2 conci, u. II. Sent. d. 3 p. 1 a. 1 q. 1 conci.). Sie sind ebenso wie die menschliche Seele aus Materie und Form zusammengesetzt (II. Sent. d. 3 p. 1 a. 1 q. 1 conci.). Dabei ist unter Materie ein völlig unbestimmtes homogenes Fassungsvermögen zu verstehen (ebd. q. 2 conci, u. ad 3). Es handelt sich um die „materia spiritualis" (ebd. d. 17 a. 1 q. 2 conci.). Diese Materie ermöglicht die substantielle Individuation (ebd. d. 3 p. 1 a. 1 q. 1 conci, u. q. 3 conci.). Allerdings ist sie nur die Bedingung für zahlenmäßige Vielheit. Das Prinzip der Individuation ist die Vereinigung von Form und Materie, die sich einander aneignen (ebd. a. 2 q. 2 conci, u. q. 3 conci.; vgl. Hex. II 23—24). So sind die Engel substantiell zahlenmäßig voneinander unterschiedene Individuen (II. Sent. d. 3 p. 1 a. 2 q. 1 fund. 1 u. 3—4 u. conci, u. q. 2 conci.). In ihrer Zusammensetzung aus Materie und Form kommt den Engeln 25

22 S. auch K. Rahner, Der Begriff der ecstasis bei Bonaventura, „Zeitschrift für Aszese und Mystik" 9 (1934), pp. 1—19. 23 Zur Erläuterung s. É. Gilson, 1. c., pp. 476—488. 24 S. J. Ratzinger, 1. c., p. 94 s.. 25 Zur Engellehre Bonaventuras s. auch É. Gilson, 1. c., pp. 265—297, und G. Palhoriès, Saint Bonaventure, Paris 1913, cap. I X ; zur Unterscheidung von Engeln und Dämonen s. Hex. X I X 4 ; zum theologischen Verständnis der Stellung und Bedeutung der Engel im Kultus s. E. Peterson, Von den Engeln, „Theologische Traktate", 1. c., pp. 323—407.

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eine bestimmte Dauer zu. Diese Dauer hat einen Anfang. Aber sie weist kein Ende auf. Die aeviternitas (ebd. d. 2 p. 1 a. 1 q. 1 fund. 4—6 u. conci, u. q. 3) ist die beständige Aufeinanderfolge eines rein geistigen Vollzuges, der die substantielle Wesensveränderung von sich ausschließt. Die Engel befinden sich wegen ihrer individuellen Begrenztheit auch an einem Ort. Dieser Ort ist das Empyreum, das unbeweglich, gleichförmig und lichtartig ist (vgl. It. II 2). Es ist auch der Ort der Seligen (II. Sent. d. 2 p. 2 a. 1 q. 1 ad 3—4). Somit sind die Engel in ihrer individuellen Ungleichartigkeit immer an einer bestimmten Orts- und Dauerstelle. Ferner eignet ihnen aufgrund der formgebundenen „proprietas distinguens" und des damit jeweils unterschiedlichen Vollzuges ihrer Vernünftigkeit die Würde der Unmitteilbarkeit der Person (ebd. d. 3 p. 1. a 2 q. 3 conci. ; vgl. I. Sent. d. 25 a. 1 q. 2 ad 4). —- Das Prinzip der Ordnung der Engel ist ihre zwar volle, aber unterschiedlich gestufte Teilhabe an der Gnadengabe der Erleuchtung. Da es neun Gnadengaben gibt, gibt es auch neun Ordnungen der Engel. Jede Ordnung ist durch die Gnadengabe gekennzeichnet, die sie vorzüglich besitzt (II. Sent. d. 9 a. un. q. 4 conci, u. ad 4—5 ; s. auch Brev. II 8 u. Sol. IV 17). Die Zahl neun dieser Ordnungen entspricht den drei göttlichen Personen in ihrer Beziehung zueinander sowohl in sich allein als auch hinsichtlich der von ihnen Erleuchteten (Hex. XXI 2—3 u. 16). — Die Engel empfangen von Gott eine so vollkommene Erleuchtung, daß sie unmittelbar sich selbst und in sich die gesamte Schöpfung erkennen (II. Sent. d. 3 p. 2 a. 2 q. 1 conci.). Allerdings ist der einzelne Engel nicht imstande, die Geheimnisse der anderen Engel oder der Herzen der Menschen zu erfassen (ebd. d. 8 p. 2 a. un. q. 6). Ebensowenig vermag er Zukünftiges, das von der Freiheit Gottes oder eines anderen Engels oder eines Menschen abhängt („futurabilia"), zu begreifen (ebd. d. 4 a. 2 q. 2). Darüberhinaus schauen die Engel Gott in seiner Wesenheit an sich trotz des unendlichen Abstandes von ihm soweit klar, als er auch sich ihnen gnadenhaft gewährt (ebd. d. 3 p. 2 a. 2 q. 2 fund. 6 u. conci.). Insofern vollbringt Gott all ihre Vollzüge (It. IV 4). — Als solch begnadeten Geschöpfen hat Gott ihnen die Leitung des Weltalls zugewiesen. Sodann sollen ihm die Engel bei der Wiederaufrichtung des sündhaft gefallenen Menschen behilflich sein (It. II 2). Daher sind sie zum Dienst an den pilgernden Menschen bestellt (II. Sent. d. 10 u. 11 u. Brev. II 8,1). So erscheint z. B. Gott dem Abraham durch eine „angelica operario" (It. II 12) in der Gestalt von drei Engeln (I. Sent. d. 16 a. un. q. 1 u. II. Sent. d. 10 a. 3 q. 2 ad 4). Er gibt

uns die heilige Schrift mittels der Engel (It. IV 7). Die Engel erheben die menschliche Vernunft, damit sie die Erleuchtung zum Verständnis der Offenbarung empfängt (Hex. V 27 u. XXI 16 u. 21)2e. Sie wollen sie 26

S. J. Ratzinger, 1. c., pp. 76—78.

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in das Vaterland der ewigen Seligkeit heimführen (Sol. IV 17). Dazu sind sie besonders geeignet, weil sie durch Gottes Gnade im Aufstieg zu seiner Beschauung nicht verwirrt werden können (Brev. II 8). Allerdings sind sie nur auf Veranlassung Gottes tätig, der durch sie alles wirkt (Hex. III 32). Vor allem erleuchten nicht sie, sondern nur Gott unmittelbar den geschaffenen Geist (II. Sent. d. 23 a. 2 q. 3 ad 7 u. Hex. II 10)27. In ihrer unterschiedenen Ordnung wirken sie verschieden auf die Menschen ein (Hex. XXI 17)28. VII Eine besondere Bedeutung kommt innerhalb der himmlischen Geister den Seraphim zu. Franziskus 29 ist ein Vorbild vollkommener Beschauung (It. prol. 1 u. VII 3). Denn ihm ist das Wunder der Stigmatisation und der mit ihr verbundenen Erscheinung eines ans Kreuz gehefteten Seraphs mit sechs Flügeln30 zuteil geworden (It. prol. 2 u. VII 3 u. Hex. XXII 23). Die Erscheinung bedeutet die Erhebung oder Entrückung in der Beschauung und den Weg, auf dem man zu ihr gelangt (It. prol. 2). Die sechs Flügel des Seraphs (bzw. Cherubs) versinnbilden den Weg der Beschauung als sechs leiterartig fortschreitende Erleuchtungen. Der Weg fängt bei den Geschöpfen an und führt bis zu Gott (It. prol. 3, I 5 u. VII 1). Die Beschauung vollendet sich in der Liebe (It. IV 3). Die liebende Einigung der menschlichen Seele mit Gott als ihrem Geliebten entspricht den Seraphim (Hex. XXII 27). Die Seraphim sind die oberste Ordnung der himmlischen Hierarchie der Engel (II. Sent. d. 9 a. un. q. 2 fund. 2 u. conci.). Ihr Vorzug ist die Glut ihrer Gottesliebe (ebd. u. Sol. IV 17; s. auch Brev. II 8)31. VIII Der Zusammenhang verständigungsgemäßer Überlieferung in vor allem sprachlicher Bedingtheit ist für Geschichte konstitutiv. Über Geschichte grundsätzlich nachsinnen, heißt den Umstand bedenken, der mit der Verständigung unter Menschen unabdingbar verknüpft ist : die Überlieferung. Bonaventura behandelt die Verständigung und die Überlieferung unter dem Stichwort „locutio" oder „sermo". Das Reden 32 ist dreifach zu bestimmen. Einmal durch seine Kundgabe27

Die Verbindung augustinischer und avicennistischer Auffassungen führt z. B. bei Johannes von Rupella zu einem Verständnis der Erleuchtung als Teilnahme an den kosmischen Sphärenintelligenzen. Dagegen wendet sich Bonaventura. S. J. Ratzinger, 1. c., pp. 74—76. 28 S. auch die Ausführungen Urs von Balthasars zur Geisterwelt, ,,Die Deutsche Thomas-Ausgabe" 23. Bd., Heidelberg 1954, pp. 317—320. 29 Zur Franziskustheologie Bonaventuras s. J. Ratzinger, 1. c., pp. 31—40. 30 S. die Schrift De sex alis Seraphim ; vgl. auch Ps.-Dionysius, De cael. hierarch. X I I I . 31 Zur Deutung der Seinsform der Seraphim und Cherubim s. auch E. Peterson, 1. c., p. 375 s. ; zur Deutung der Vision des Franziskus s. J. Ratzinger, 1. c., p. 95 s . . 32 Vgl. W. Schachten, 1. c„ pp. 66—70.

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funktion. Jede Rede bezeichnet einen Gedanken des Geistes („omnis sermo significat mentis conceptum" (Red. 16) ; vgl. ebd. 4 u. 18 u. Hex. IV 18—19; s. auch I. Sent. d. 27 p. 2 a. un. q. 1 conci.). Sie soll ihn angemessen bekanntmachen (Red. 4 u. 17 u. Hex. IV 18). Sodann ist die Beweiskraft für die Rede mitbestimmend. Es kommt auf die Wahrheit der Zeichen oder Worte (,,Veritas signorum seu vocum") oder die Wahrheit der Reden („Veritas sermonum") an (Hex. IV 2; vgl. Red. 4). Das besagt: gefordert wird die Übereinstimmung von Wort und Vernunft („adaequatio vocis et intellectus" (Hex. IV 2 u. V 1 u. De Donis IV 7)). Die Übereinstimmung wird in diesem Zusammenhang unter formalen Gesichtspunkten betrachtet. Es wird gefragt, nach welchen Hinsichten sich Gegebenes zu anderem so in Beziehung setzen und von der erstellten Beziehung her deuten läßt, daß es einsichtig wird (Red. 4 u. Hex. IV 4). Diese Hinsichten sind die Erkenntnisweisen („rationes intelligendi"), über die man verfügen muß, um die Triftigkeit einer Unterweisung („veritas doctrinae") verbürgen zu können (Red. 4 u. Hex. IV 3). Es handelt sich um das, was das aristotelische Organon umfaßt (Hex. IV 20). Nur mittels rechter Beweisführung kann man zum Glauben anregen (Red. 4) oder die Zustimmung jedes Geistes herbeiführen („trahere omnis mentis assensus" (Hex. IV 18) ; vgl. ebd. IV 20). Die dritte Bestimmungshinsicht der Rede ist die Überzeugungsstärke. Das meint die Fähigkeit, so zu überzeugen, daß man die Gefühle des Geistes entscheidend lenkt („persuasiones inclinantes mentis affectus" (Hex. IV 18) ; vgl. ebd. IV 21 u. Red. 4 u. 18). Die Fähigkeit muß sich ausrichten an dem öffentlichen Nutzen, der die Uneinigkeit der Geister zu vermeiden gebietet (Hex. IV 21). Diese drei Punkte zielen auf den Zweck, den die Rede verfolgt : der Verstand gedenkt, das, was in ihm ist, in einem anderen zu bewirken und, was in einem anderen ist, in sich („ratio cogitai facere quidquid in se est in alio et quidquid est in alio facere in se" (Hex. IV 18)). Daraus ergibt sich, woran Verständigung und Überlieferung gebunden sind: die Gemeinschaft. Aber auch das Umgekehrte gilt: Gemeinschaft ist an Verständigung und Überlieferung gebunden. Die Verständigung und Überlieferung sind ihre Voraussetzung. Aber — und das ist bezeichnend — sie sind nicht ihr Ziel. Bonaventura fordert zwar eine Vielzahl von numerisch unterschiedenen Menschen und Engeln. Er begründet die Forderung mit dem Angewiesensein des einen auf den anderen (I. Sent. d. 1 a. 2 q. un. ad 2 u. II. Sent. d. 3 p. 1 a. 2 q. 1 fund. 4). „Die Liebe der Wertschätzung jubelt auf in der Vielzahl einer guten Gemeinschaft" („amor caritatis exsultat in multitudine bonae societatis" (II. Sent. d. 3 p. 1 a. 2 q. 1 ad 1—2)). Aber die Gemeinschaft ist nicht die Instanz, auf deren Urteil die Wahrheitsfindung angewiesen ist. Deshalb entscheidet auch nicht sie über den Überlieferungswert eines Ereignisses und damit dessen Geschichtlichkeit. Die gemein-

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schaftsbezogene Verständigung ist nicht Selbstzweck. Allerdings kann sich die zeichenhafte Kundgabe von etwas funktional auf sich selbst beziehen. Aber auch in diesem Fall reicht sie wie in jedem anderen über den jeweiligen Ausdruck von etwas Vermeintem hinaus. Sie beansprucht für das Ausgedrückte Geltung für jedermann. Das Ausgedrückte soll unangesehen der individuellen Bedingungen von Redendem und Hörendem (Red. 16) für alle wahr sein. Die Rede ist ausgerichtet auf eine Verständigungsgemeinschaft, die alle umfaßt, die ihren Bedeutungsgehalt in formaler und inhaltlicher Hinsicht verstehen und auf seine Stimmigkeit hin überprüfen können. Zu dieser Überprüfung bedarf es eines Maßstabes. An ihm muß sich der Wahrheitsanspruch einer Rede bewähren lassen. Die Rede selbst kann dieser Maßstab nicht sein. Denn ihre Ausdrucksgestalt vergeht. „Sie geht vorüber und bleibt nicht" („sermo transit et non manet" (Hex. XI 16)). Auch ihr Bedeutungsgehalt kann nicht von sich aus seine Richtigkeit verbürgen, weil er Ergebnis eines geistigen Vollzuges in der Zeit ist (ebd.). Insoweit gilt: „Nihil cognoscitur per sermonem perfecte" (Red. 18). In bezug auf dieses Ungenügen kann Bonaventura sagen : es ist wenig auf Beredsamkeit, Wort und Schrift zu geben (It. VII 5). Der gesuchte Maßstab kann nur die Größe sein, in der das „principium essendi et cognoscendi" zeitlos identisch ist (Hex. I 13). Die Wahrheit ist „die Übereinstimmung der Vernunft mit der eingesehenen Sache, jener Vernunft, die die Ursache der Sache ist, nicht meiner Vernunft, die nicht die Ursache der Sache ist" („adaequatio intellectus et rei intellectae, illius intellectus, qui est causa rei, non intellectus mei, qui non est causa rei" (Hex. III 8); vgl. It. III 3, Scient. Christ. IV u. Christ, mag. 6—18). Infolgedessen belehren sich nicht die Mitglieder einer Verständigungsgemeinschaft untereinander. Vielmehr unterweist sie der, der die geforderte Identität ist. Das ist Jesus Christus. Er belehrt den Geist der Menschen als ihr innerer Lehrer (It. V 2; Christ, mag. 10; Red. 18 ; De Donis IV 1 u. Hex. 113). Er lehrt „non loquendo sicut nos, sed interius illustrando" (Hex. XII 5). Dadurch daß er ihren Geist erleuchtet, werden für sie die beiden Bedingungen erfüllt, von denen wahre Erkenntnis im Modus der Gewißheit abhängt. „Cognitio certitudinalis esse non potest, nisi sit ex parte scibilis immutabilitas, et infallibilitas ex parte seientis" (Scient. Christ. IV conci.; vgl. Christ, mag. 6). Christus verhindert die Uneinigkeit der Ansichten und bewahrt vor der Verzweiflung, das Wahre finden zu können (Christ, mag. 28). Daher ist er die Mitte aller Wissenschaften (Hex. I 11). Er ist die Allheit der Wahrheiten. Der genannte Maßstab ist eine Glaubensgewißheit aufgrund einer göttlichen Offenbarung. Damit beruht diese Gewißheit auf einer schlechthinnigen Autorität. Infolgedessen überragt sie jeden Scharfsinn menschlicher Denkkraft (Brev. prol. V 3). Sie bewährt sich in der Gewißheit der inneren Erleuchtung (Comm. Joan, prooem. 10). Der authentische ge-

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schichtliche Niederschlag dieser Offenbarung ist die Hl. Schrift. Im Hinblick auf sie sagt Bonaventura: in ihr sind alle Erkenntnisse beschlossen, und in ihr werden sie vollendet {Red. 7). „Omnis nostra cognitio in cognitione sacrae Scripturae debet habere statum" (ebd.). Die göttliche Offenbarung fordert und gewährt ein bestimmtes Selbstverständnis des Menschen, von dem aus sich sowohl sein Wollen und Handeln als auch das, was es vollzieht, so verstehen lassen müssen, daß sie diesen Anspruch auf schlechthinnige Verbindlichkeit bezeugen und bewähren. Das bewährende Zeugnis ist die Wahrheit des Wandels als die Rechtheit des Lebens (,,Veritas morum est rectitudo vivendi" (Hex. V 1); vgl. Red. 23 u. It. I 8). Sie besteht darin, sich Christus gleichzugestalten (Comm. Luc. IX 55). Das ist nur möglich, wenn die Selbstmitteilung Gottes oder seine Gnade die Grundlage der Willensrechtheit ist (It. I 8; vgl. III. Sent. d. 33 a. un. q. 5conci.). Infolgedessen ist der Gläubige schon in seinem irdischen Leben zugleich über es hinausverwiesen. Er ist so in seinen raumzeitlichen Selbstvollzug in der Gemeinschaft mit anderen gestellt, daß er ihn auf Endgültigkeit hin übersteigt. Dieses Aussein kann er nur erfüllen, wenn er für die gnädige Verfügung Gottes offen ist. Daher ist Geschichte für Bonaventura nur als Heilsgeschichte verstehbar. „Historia" besagt den „aspectus fidelis considerans hunc mundum" (It. I 12; vgl. II. Sent. d. 13 a. 1 q. 2 u. Brev. prol. V 3). Die Hl. Schrift enthält den Schlüssel zum Verständnis des Weltgeschehens. Der Schlüssel ist das Christusereignis. Jesus Christus ist die Mitte derer, die ihm vorangingen, und derer, die ihm folgten (Brev. IV 4, 5 u. Hex. I 20)33. Er ist es als Gott und als Gottmensch (Hex. I 11). „Diese Mitte bringt das Heil" (Hex. I 23)34. Daher vergegenwärtigt der Gläubige sie nicht nur als irgendein irdisches Vorkommnis, sondern als das, das schlechthin überlieferungswert ist, weil es das Gelingen der überlieferungsgemäßen Verständigung verbürgt. Erst der Bezug auf dieses Ereignis ermöglicht die historische Lokalisation anderer Vorkommnisse und ihre überschaubare Ordnung35. Er läßt den wohlgeordneten Ablauf der vergangenen, gegenwärtigen und auch zukünftigen Ereignisse erkennen (Brev. prol. II 1—4 u. Hex. X I I I 17, XV 11—28 u. XVI). Von der Einmaligkeit des Heilsereignisses in Jesus Christus her sind grundsätzlich alle Zeitalter Glieder eines einheitlichen Beziehungszusammenhanges, der sich hierarchisch entfaltet. Wie läßt sich die grundlegende Vorzugsstellung des genannten Richtpunktes erweisen ? Über sie kann nicht unmittelbares affektives Erleben des einzelnen entscheiden. Denn die Bedeutung 33

Zur Auffassung von Christus als der Mitte der Zeit s. J. Ratzinger, 1. c., pp. I l l —

113. 34 S. auch W. Dettloff, Christus tenens medium in omnibus, Weisheit" 20 (1957), pp. 28-^12 u. 120—140. 35 S. außer J. Ratzinger auch W. Schachten, 1. c., p. 160 s . .

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des ausschlaggebenden geschichtlichen Ereignisses muß begründet werden. Jede Begründung ist allgemein. Sie beansprucht, für alle gültig zu sein. Daher richtet sie sich aus an der überlieferungsbedingten und -bedingenden Gemeinschaft. Die Gemeinschaft kann dieser Bezugspunkt nicht bloß grundsätzlich, sondern auch tatsächlich nur sein, wenn in ihr Eintracht in bezug auf die Prüfung von Zubewährendem herrscht und sich durchhält: wenn sie in allumfassender Verbindung befriedet ist {Hex. I 37). Von solcher Eintracht handelt nach Bonaventura der Theologe, der betrachtet, wie die Welt, die Gott geschaffen hat, zu ihm zurückgeführt wird (Hex. I 11 u. 37). Die Rückführung 36 geschieht hauptsächlich durch den Gottessohn und Erlöser. Er führt uns zur Einheit des versammelnden Vaters (Hex. I 17)37. Daher soll der Mensch seine Liebe nicht auf die Schönheit der Schöpfung richten. Vielmehr soll er das Geschaffene als eine Vergegenwärtigung Gottes verstehen und sich durch es zu diesem zurückführen lassen (Hex. X I I I 12). Es kommt darauf an, sich von falscher Selbstbezüglichkeit dadurch zu befreien, daß man sich von der Kenntnis der Schöpfung zur Wahrheit ihres Ursprungs erhebt (Hex. I 17). Luzifer und seine Gesinnungsgenossen fielen durch freie Entscheidung in das Begehren und den Genuß ihrer Erhabenheit und verweigerten sich Gott (Brev. II 7 u. Hex. I 17; vgl. II Sent. d. 5 a. 1 u. 2). Ähnlich Adam (Hex. I 17 u. XIX 4; vgl. II Sent. d. 24 p. 1 a. 1 q. 1 conci., It. I 7 u. Brev. III 3). Um diese Selbstüberhebung zu vermeiden, muß der nachadamitische Mensch die richtige metaphysische Mitte, die zurückführt („medium metaphysicum reducens" (Hex. I 17)), erkennen und anerkennen (Hex. I 30). Das wird erschwert durch die vielfältigen Versuchungen, denen er von Seiten der Dämonen ausgesetzt ist (Brev. II 7, 1; vgl. II. Sent. d. 8 p. 2). Dazu gehört Täuschung durch Voraussagen der Zukunft (Brev. II 7, 4). Allerdings hat Gott die Macht der Dämonen grundsätzlich gebrochen und nur zugelassen (ebd.). Den Dämonen stehen die Engel gegenüber, die sich Gottes Gnade nicht versagten und daraufhin von ihm vollkommen in ihrer Vernunft erleuchtet, in ihrem Willen gefestigt, in ihrer Kraft gestärkt und in ihrer Tätigkeit geordnet worden sind (Brev. II 8; vgl. II. Sent. d. 3 p. 2 a. 2 u. d. 4 a. 3 q. 1 u. 2). Gott hat sie zum Schutze der Menschen beauftragt. Bonaventura setzt das Gegebensein der Engel voraus. Das IV. Laterankonzil hatte es 1215 ausdrücklich gelehrt (Denz. 428). Die Engel bringen die Öffentlichkeit der Herrschaft Gottes zum Ausdruck 38 . 38

Zum Begriff der „reductio" s. II. Sent. d. 24 p. 1 a. 2 q. 1 ad 8. Vgl. Ps.-Dionysius, De div. nom. X I 5. 38 S. E. Peterson, 1. c., p. 370; Peterson weist darauf hin, daß das himmlische Jerusalem v o m Selbstverständnis des Urchristentums her nicht nur Tempel, sondern auch Polis ist. Daher hat der Kult der himmlischen und irdischen Kirche eine ursprüngliche Beziehung zu politischen Vorstellungen (1. c. p. 335 s.). 37

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Zusammen mit den Menschen stehen sie in dem Zusammenhang der einen Geschichte. Die Entfaltung dieser Geschichte spiegelt sich in ihrer Hierarchie. Die Engel weisen darauf hin, daß der Mensch in seinem irdischen Dasein gefährdet ist, aber zugleich von Gott behütet wird. Denn er steht in einer Gemeinschaft, die weiter reicht als die der Mitmenschen. Daher beschränkt sich seine Geschichte nicht auf die innermenschliche Szene. Sie steht vielmehr in Verbindung mit den vielen himmlischen Geistern. Diese Verbindung wird so bestimmt: „Der Mensch hat die Neigung zu häufigem Fallen und die Möglichkeit zum Wiederaufstehen; der Engel aber, der steht, hat Beständigkeit im Stehen und, wenn er fällt, nicht die Möglichkeit zum Wiederaufstehen; daher stützt der Engel, der steht, den Menschen oder die menschliche Schwäche, und der Mensch, der wieder aufsteht, macht den Fall der Engel wieder gut. Infolgedessen ist gewissermaßen der Engel wegen des Menschen und gewissermaßen der Mensch wegen des Engels da; und darum sind sie in dieser Ordnung gleich" (II. Sent. d. 1 p. 2 a. 2 q. 2 conci. ; s. auch ebd. d. 2 p. 2 a. 1 q. 1 ad 3—4 u. d. 9 a. un. q. 7 conci.). Die heiligen Menschen füllen die Lücken, die im himmlischen Jerusalem durch den Fall der bösen Engel entstanden sind, entsprechend der Stufe ihrer Vollkommenheit wieder aus. Die übrigen erlösten Menschen bilden zusammen eine zehnte Hierarchie (ebd. d. 9 a. un. q. 7 conci, u. d. 18 a. 2 q. 1 ad 3 u. III. Sent. d. 13 a. 2 q. 3 ad 3)39. Diese eine Heilsgemeinschaft der Engel und Menschen hat in Gott ihren Ursprung und ihr Ziel (Brev. II 1,4). Auch die Engel sind nur Durchgang zu ihm (Hex. V 27). Jesus Christus ist die Mitte der Engel und der Menschen (Hex. I 22). Das Verhältnis der Engel und Menschen zueinander kann so aufgefaßt werden : die Engel bekunden dem Menschen, daß sich der Bezug seiner vernunftbegabten Seele auf Gott hin gnadenhaft erfüllen läßt. Denn der einzelne menschliche Geist weist ebenso wie der einzelne himmlische Geist eine Kräfteordnung und -stufung auf, die zum Aufstieg zu Gott befähigt, wenn Gott ihren Vollzug zuvorkommend lenkt. Auf dieses Lenken machen die Engel aufmerksam. An sich selbst machen sie beispielhaft die Erhebung der seinsmäßigen Verfaßtheit deutlich. Bonaventura folgt in seiner Auffassung voll Ps.-Dionysius Areopagita (vor allem De cael. hierarch. X)40. 39

Diese Auffassung von der Lückenergänzung stammt von Augustin, de civ. Dei X X I I 1, der sie eigenständig entwickelt hat. Vgl. B. Lohse, Zu Augustins Engellehre, ,,Zeitschrift für Kirchengeschichte" 70 (1959), pp. 278—291. Während Augustin die Engel letztlich als Glieder der ,, ci vi tas Dei" auffaßt und nur vereinzelt neuplatonisch als Hinweis für den Aufstieg der Seele zu Gott, gibt Bonaventura umgekehrt der letzteren Ansicht den Vorrang. Als weitere Quelle für die Meinung Bonaventuras s. Anselm von Canterbury, Cur Deus homo, cap. X V I — X V I I I . 40 S. O. Semmelroth, Die Lehre des Ps.-Dionysius Areopagita vom Aufstieg der Kreatur zum göttlichen Licht, „Scholastik" X X I X (1954), pp. 24—52; zu Bonaventuras Einschätzung des Ps.-Dionysius s. Red. 5. 10*

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Allerdings sind die Engel für den Menschen nicht nur ein solcher Verweis. Sie sind ihm in ihrer vollendeten Offenheit für und Eintracht in Gott auch gemeinsam behilflich, seine Bestimmung zu erfüllen (It. IV 7 u. Hex. V 27). Die Engel können beide Aufgaben erfüllen, weil sie die Mitte einhalten zwischen Gott und dem gefallenen Menschen (II. Sent. d. 11 a. 1 q. 1 conci.). In dieser Mitte üben sie eine heilsgeschichtliche Funktion aus. Sie stellen dem Menschen die unterschiedlichen und gestuften Vermittlungshinsichten dar, unter denen sein innerseelisches Geschehen als ein Heilsgeschehen zu betrachten ist (ebd. d. 9 a. un. q. 4 u. Brev. II 8, 3). Eine solche Darstellung kann nur der einzelne Mensch verstehen und annehmen. Er ist und bleibt in seiner „discretio personalis" oder individuellen Personalität unersetzlich. Daher kann für ihn der Engel ein angemessener Hinweis im genannten Sinne lediglich sein, wenn er ebenfalls auch der Zahl und der Würde nach von jedem anderen substantiell unterschieden ist. IX Der Maßstab, an dem die Bedeutung eines geschichtlichen Ereignisses ermessen werden kann, wird von Bonaventura als unverrückbar bestimmt. Die Unverrückbarkeit des Maßstabes ergibt sich aus seiner schlechthinnigen Losgelöstheit von dem, für das er als solcher gilt. Gleichwohl soll er zugleich mit ihm verspannt sein. Das heißt: der Maßstab wird einmal funktional als Moment des Sachverhalts, auf den er jeweils bezogen ist, verstanden und zum anderen gerade solcher Funktionalität enthoben. Diese zweifache Hinsicht macht es unmöglich, Geschichte ausschließlich als einen unaufhörlichen und darin sinnvollen Fortgang von stets gestellten und nie endgültig erfüllten Aufgaben aufzufassen. Geschichte ist für Bonaventura ein solcher Fortgang nur und kann als solcher sinnvoll einzig bestimmt werden, weil sie ihm schon letztlich als eine sich fortschreitend aufklärende letztbestimmte Heilsveranstaltung in der Zeit feststeht. Jede geschichtliche Tatsache ist als Funktion eines allumfassenden, einheitlichen und in sich abschließbaren Sinnzusammenhanges zu betrachten. Das besagt — dasselbe nur anders gesehen : Der einzelne Mensch, der zusammen mit anderen in der Geschichte steht, ist an eine zugleich ereignishafte und übergeschichtliche Gegebenheit von schlechthinniger Verbindlichkeit gebunden (It. I 14 u. Hex. I 17). Die Fähigkeit, das Gebundensein an diese Instanz zu verstehen, verleiht dem Menschen Würde. Die Würde besteht in der „personalis discretio", die zur „singularitas" hinzukommt (I. Sent. d. 25 a. 2 q. 1 conci, u. II. Sent. d. 3 p. 1 a. 2 q. 3 fund. 3 u. conci.). Gott verleiht sie der vernunftbegabten Seele des Menschen als seinem Bild (II. Sent. d. 18 a. 2 q. 3 conci, u. d. 19 a. 1 q. 1 conci.). Daher vermag sich der Mensch in seinem geschichtlichen Erleben von Gott als dem Grund

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und Ziel alles Gegebenen überhaupt (Ii. V 7—8) sowohl schlechthin abhängig als auch in seinem Wollen und Handeln gefordert wissen. Er wahrt seine Würde, wenn er sich gemäß seiner begnadeten Bestimmtheit so vollzieht, daß Gott ungeschuldet in seiner Seele die würdige Zulassung („digna admissio") und das heilige Erfassen („sancta perceptio") bewirkt, die sie ,,in Deum sive dilectum" entrücken (Hex. XXII 39). Den gestuften Vollzügen der menschlichen Seele („actus hierarchici" (It. IV 6—7)) entsprechen die Engelordnungen. Sie weisen auf die durchgängige wirksame Verbundenheit alles geschaffenen Geistigen in seinem Aussein auf Gott hin (Hex. XXII 39). Das Wissen des Menschen um seinen schlechthinnigen Maßstab ist von einer Art, die seinem Gegenstand entspricht. Es ist weniger eine „consideratio rationalis" als eine „experientia affectualis" (It. IV 3). Die gemütshafte Erfahrung übersteigt das Sinnenhafte und geistig Erfaßbare einschließlich der Engel (It. VII 4 u. Hex. II 29 u. 32). In ihr ist der einzelne Mensch den leiblichen Sinnen und den Erkenntniskräften entfremdet und in die Ekstase versetzt (Hex. II 30). Die Ekstase41 besteht in der höchsten Einigung der Seele mit Gott durch die Liebe („suprema unitio per amorem" (ebd.)). „Iste amor transcendit omnem intellectum et scientiam" (ebd.)42. Gleichwohl handelt es sich um eine Erfahrung, in der der Geist trotz der Blendung seines erforschenden Vermögens erleuchtet ist (Hex. XX 11 ; s. auch It. V 4). In ihr wird sich der, der ihrer durch Gottes Gnade teilhaftig wird, der einenden Verbindung mit Gott unmittelbar bewußt (Hex. II 30). Solches Innesein ist für Bonaventura stets durch das Christusereignis vermittelt (It. VI 7 u. VII 6). Gott schenkt sich in der liebenden Begegnung mit ihm in Jesus Christus dreipersönlich (It. VI 6). Doch diese Erfahrung kann nicht zulänglich mitgeteilt und ausgelegt werden (Hex. II 30 u. 32). Daher handelt es sich um eine „docta ignorantia" (II. Sent. d. 23a. 2 q. 3 ad 6)43. Die menschliche Seele erfährt sich in ihrem innersten Gemüt Gott unmittelbar verbunden. Nur von ihm her kann sie sich in ihrem geschichtsbedingten und gemeinschaftsbezogenen Selbstvollzug angemessen verstehen. Solches Verständnis läßt sich nicht in einem Gottesbeweis vorführen. Es gibt zwar die „demonstratio quia" und die „demonstratio propter quid", und ihre Ergebnisse sind unbestreitbar (III. Sent. d. 24 a. 2 q. 3). Aber diese Beweise zehren bereits von einer Voraussetzung: die „anima rationalis" ist sich so gegenwärtig und durch sich erkennbar, daß sie logisch vorgängig zu jedem Urteil mit 41

Es handelt sich um die Ekstase und nicht die Ausnahme des Raptus. Zum Unterschied zwischen Ekstase und Raptus s. Hex. III 30 u. die o. a. Abhandlung von K. Rahner. 42 Zum Zusammenhang Mystik-Engel s. E. Peterson, 1. c., pp. 371—382. 43 Vgl. Ps.-Dionysius, De myst. theol. III u. Ep. V, mit Hex. II 29—30.

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Evidenz um den göttlichen Grund dieses Selbstbezuges weiß (I. Sent. d. I a. 3 q. 2 conci. ; Myst. Trin. I 1, 10; It. I I I 3 u. Hex. IV 1). Das göttliche Sein fungiert nicht als bestimmt bestimmender Begriff (I. Sent. d. 8 p. 1 a. 1 q. 2 conci.). Dem Gottesbegriff wird die schlechthinnige Existenz nicht zugeordnet. Vielmehr wird sie ihm eingeordnet (Myst. Trin. I 1, 6 u. It. V 3). Infolgedessen ist das göttliche Sein die notwendige Voraussetzung jeglicher Bestimmung (I. Sent. d. 8 p. 1 a. 1 q. 2 conci. ; Myst. Trin. I 1, 5; It. V 3 u. Hex. X 11). Daher ist es auch nicht verneinbar (It. V 3 u. 6 u. Hex. IV 1). In diesem Sinne wird es unmittelbar erfaßt. Es wird eingesehen in einer Weise, die nicht satzhaft und sprachlich beschränkbar ist (Hex. II 30), weil es unumgrenzbar ist (It. II 9 u. VI 3 u. 5). Es wird unmittelbar als absolut verstanden (It. V 5; vgl. ebd. I I I 3). Bonaventura fragt nach den Bedingungen und der letzten Bedingung jedes Vollzuges des menschlichen Geistes. Dieses Fragen wäre sinnlos, wenn es den Bezug auf die Erkenntnis verlöre. Es kann nicht erkenntnisfremd sein. Nicht erkenntnisfremd ist es nicht schon dadurch, daß es in der Erkenntnis beginnt und sich im Gemüt vollendet (III. Sent. d. 35 a. un. q. 1 conci.). Entscheidend ist, daß solches Fragen eine letztbewährbare Einsicht ergibt. Denn es geht um die Letztheit des sozusagen gleichzeitigen Mittelpunktes und Umkreises von allem, wie sich Bonaventura in Anlehnung an Alanus ab Insulis (Regulae (oder Maximae) theologicae, reg. 7 (PL 210, 627)) und das pseudo-hermetische Buch der 24 Meister (prop. II) 44 ausdrückt (It. V 8 u. VI 7). Ein solcher Mittelpunkt umfaßt in seiner Selbstgenügsamkeit alles so, daß es nur von ihm und durch ihn und auf ihn hin ist. Daher muß er von demjenigen, der in seinem Erfassen von ihm abhängt, in einer Weise verstanden werden, die seiner als des letzten Grundes angemessen ist. Nicht als ob er erst in dieser Erfassung der oberste Grund wäre. Wohl aber muß jedes allgemeingültige Verständnis als von ihm herkünftig und damit als sein Implikat aufweisbar sein. Der letzte Grund muß die vollendete Erfüllung alles dessen sein, was in jemandes Erfassen überhaupt erfaßbar ist. Das besagt: jemandes Erfassen wird im Bezug auf den höchsten Grund zur Absolutheit dieses Grundes erhöht. Darauf verweist Bonaventura, wenn er das aristotelische Verständnis der Zeit als „mensura durationis" durch das neuplatonische der „mensura egressionis" ergänzt (II. Sent. d. 2 p. 1 a. 2 q. 3 conci.). Doch das kann nicht genügen. Alles kommt darauf an, daß und wie die Notwendigkeit der Setzung und Überwindung des zeitlichen und geschichtlichen Abstandes in ihrer Wechselseitigkeit begründet werden. Solche Begrün44 S. Cl. Baeumker, Studien und Charakteristiken zur Geschichte der Philosophie insb. des Mittelalters, hg. von M. Grabmann, Münster 1927 (Baeumker-Beiträge X X V 1—2), p. 208.

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dung kann sich nicht damit begnügen, das höchste Prinzip nur als nicht beurteilbar {It. II 9) zu verstehen, weil es das „ipsum esse extra omne genus" {It. V 4) und als solches völlig eins und einfach {It. V 5—7 u. VI 5) und zeitlos {It. V 7) sei. Selbstverständlich kann der oberste Grund nicht als Sinn aller Begründung selbst einer Begründung unterworfen werden. Aber es muß geklärt werden, wie der menschliche Geist den letzten Grund unmittelbar so erleben kann, daß er für das von ihm Erlebte rechtens schlechthinnige Geltung beansprucht. Dieser Forderung wird nicht genügt, wenn darauf hingewiesen wird, daß sich die überschreitende Kenntnis („notitia excessiva") des Geistes erst in der ewigen Glorie vollende {Brev. V 6, 7; vgl. ebd. VII 7). Eine solche Behauptung kommt dem Verzicht auf Klärung gleich. Es genügt eben nicht, den menschlichen Geist als Haus Gottes zu verstehen, das begründungsenthoben von der göttlichen Weisheit bewohnt und gegebenenfalls immer mehr erfüllt wird {It. IV 8). Denn diese Auffassung erfordert ihre Ausweisung. Um der Verbindlichkeit ihres Gehaltes willen muß von methodenfremder Unmittelbarkeit seines Verständnisses zu begrifflicher Darlegung übergegangen werden. Das gilt auch allgemein von der mystischen Schau. In solchem Übergang genügen das unmittelbare Verständnis und die mystische Schau der Struktur ihres höchsten Prinzips. Diesem Prinzip eignet, alles zu unterscheiden {It. II 9). Es ist „omnis multitudinis universale principium" {It. V 7; vgl. ebd. V 8). Das kann es nur sein, weil es als der wahre Ursprung von allem zugleich und das heißt ohne jede zeitliche Differenz wahre Unterscheidung (vera distinctio {It. VI 3) ; s. auch Brev. I 4, 5—6 u. Hex. X I I 3)45 ist. Daher muß es als ein einzigartiger Beziehungszusammenhang gefaßt werden: als der eine Gott in drei Personen {It. I I I 5 u. vor allem VI). Allerdings darf dieser Beziehungszusammenhang nicht so angesetzt werden, daß er letztlich in seiner unabdingbaren Gegliedertheit uneinsichtig wird. Die Verneinung der Möglichkeit, den geheimnisvollen Sachverhalt des dreieinigen Gottes zu begreifen {It. VI 3), muß sich auf sein schlechthinniges Vorgegebensein als Ermöglichungsgrund jeglichen Verstehens von etwas beziehen. Sie darf aber nicht das höchste Erfassen dieses Grundes so einschränken, daß das unterscheidende Denken auch seine gegliederten Wesensbestimmungen über ihn nicht mehr ausweisen kann. Ein solches Ausweisen ist aber unmöglich, wenn als oberste irdische Erkenntnismöglichkeit die unmittelbare Gotteserfahrung ohne jede Begrifflichkeit, das ,,in caligine sentire Deum in se" (II. Sent. dist. 23 a. 2 q. 3; vgl. Hex. X X 11), ausgegeben wird. In diesem Fall wird darauf verzichtet, den letzten Grund als einen einsehbaren Begründungszusammenhang aufzufassen. Die mystische oder ekstatische Schau hält sich in der Schwebe eines Vollzuges, der 45

Vgl. Ps.-Dionysius, De div. nom. V 8.

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sich der analytischen Begründung nicht nur entzieht, sondern verweigern muß. Das gibt Bonaventura zu, wenn er betont: es kommt ihm mehr auf die „exercitatio affectus" als auf die „eruditio intellectus" an (It. prol. 5; vgl. ebd. VII 6). Denn „multo magis ascendit affectus noster et vis affectiva quam vis cognitiva" (III. Sent. d. 31 a. 1 q. 1 conci. ; vgl. ebd. d. 35 q. 3 ad 5). Doch verbürgt die eigentümliche Gewißheit der gemütshaften Erfahrung noch nicht ihre Unbedingtheit. Ihre Kriterien enthobene Unmittelbarkeit kommt nicht methodischer Sicherung gleich. Vielmehr läßt der Mangel an einsichtiger Begründung lediglich Grund und Zubegründendes in der mystischen Schau in einem übereinkommen: im Verweis auf das Faktum ihres unmittelbaren Miteinandergegebenseins. Da sich Bonaventura letztlich mit der gläubigen Annahme dieses Faktums begnügt, lehnt er einmal eine Philosophie ab, die sich gegenüber der Theologie verselbständigt (Hex. IV 1 u. VII 13), und für die Endzeit sogar die Vernunfttheologie (Hex. XVII 28 u. XIX 14)4e. Diese Haltung, die im Entscheidenden die Autoritätsgründe („auctoritates") den „argumenta" der „ratio" vorzieht (Hex. XVII 28), ist auch der Einsatzpunkt seiner Christologie. Christus ist die Synthesis von Unendlichem und Endlichem (It. VI 5 u. VII 6). Der geschaffene Geist versteht ihn als eine unmittelbare Verständigungsgemeinschaft zwischen sich und ihm (Red. 18). Diese Gemeinschaft wird von dem, der das Wort im ausgezeichneten Sinne ist, unverbrüchlich hergestellt (Hex. I 17). In der Belehrung durch das gottmenschliche Wort lernen Engel und Menschen zu dem, was sie aus sich vollziehen, das Wahre hinzu (Hex. 114; s. auch ebd. II 10). Das ist nur möglich, weil die geschichtliche Tatsächlichkeit des entscheidenden Heilsereignisses zugunsten seiner schlechthinnigen Vermittlungsfunktion vorausgesetzt und zugleich entwertet wird. Die Voraussetzung der Entwertung ist die ungeklärte Gleichsetzung beider Gesichtspunkte in der mystischen Schau. Sie läßt das Eigengewicht und das Verhältnis von Kategorie und Empirie unbestimmt. Die Unbestimmtheit ermöglicht die unbegründete Bevorzugung des einen Moments vor dem anderen. Dabei ist es grundsätzlich gleichgültig, welches Moment jeweils besonders betont wird. Diese Beliebigkeit hat Folgen. Sie läßt sowohl unterschiedliche Deutungsschemata für den Ablauf der Geschichte47 als auch vielfältige Gliederungshinsichten für die Engelhierarchien zu. Man kann zwischen ihnen willkürlich wählen, weil sie nicht nur zahllos sind (Hex. XIII 2 u. XV 10), sondern auch und vor allem infolge ihrer Unbegründetheit einander gleichrangig sind. Sie weisen auf, was schon E. v. Ivánka als Eigentümlichkeit des hierarchiω

Vgl. J. Ratzinger, 1. c., pp. 148—161. Zu den unterschiedlichen Geschichtsschemata Bonaventuras unter Bevorzugung des 2 x 7 Zeitenschemas s. J. Ratzinger, 1. c., pp. 13—21 u. die Tabelle p. 23. 47

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sehen Wissens bei Ps.-Dionysius Areopagita feststellte: „inhaltliche Leerheit" 48 . Daß Bonaventura diese Leerheit nicht überwinden kann, liegt an der unzureichenden Methode seines Denkens. Seine Methode ist die „plena résolutio". Sie begnügt sich nicht damit, bloß Seiendes als solches und Seinsgattungen losgelöst voneinander zu erfassen und damit das, was in Gott einen untrennbaren Zusammenhang bildet, als Bestimmungen zu begreifen, die allem oder vielem ungeachtet seiner sonstigen Unterschiedenheit zukommen. Vielmehr führt sie die urteilshafte Erkenntnis alles geschaffenen Seienden auf das zurück, wovon es einheitlich abhängt: auf die „rationes aeternae" bzw. „divinae leges" und letztlich das „unum primum prineipium", das absolute Sein (I. Sent, prooem. q. 1 ad 3—4 u. d. 28 dub. 1 u. II. Sent. d. 1 p. 2 dub. 2; Red. 4; It. III 3—4 u. Hex. III 2 u. XI 10)49. Sie ist für Engel und Menschen verbindlich {Hex. I 17). Doch die Rückführung alles Vereinzelten auf seine Bedingungen und seinen letzten Grund mißversteht die Wahrheit des Gegebenen, wenn sie sie als Abbildung einer ,,ούσία" auffaßt. Wahrheit ist nicht die v o l l e n d e t e Gliederung von dadurch Gültigem. Sie ist die grundsätzliche Möglichkeit aller einzelnen, ihre gegenständlichen Bestimmungen miteinander zu vereinbaren. In der Verwirklichung dieser Möglichkeit ist Erkennen nie am Ziel, sondern schreitet unablässig fort. Es ist und bleibt ein „Itinerarium mentis in Deum". Als solches ist es aber nicht eine Anweisung zum abschließbar „wahren" Denken und „seligen" Leben. Vielmehr ist es ein sich kontinuierlich fortsetzender Vollzug von einzelnen, erkenntnismäßig Gesetztes innerhalb eines es ermöglichenden Systems von Bedingungen auf Eindeutigkeit hin zu verknüpfen. Die entgegengesetzte Auffassung Bonaventuras läßt vor den Augen des Lehrbegierigen „im Fortschritt der Untersuchung sich öfters Alpen erheben, wo andere einen ebenen und gemächlichen Fußsteig vor sich sehen, den sie fortwandern oder zu wandern glauben" (I. Kant, Träume eines Geistersehers, Ak. Ausg. II 324). 48

I. c. p. 275 S. auch A. Engemann, Erleuchtungslehre als Resolutio u. Reductio nach Bonaventura, „Wissenschaft und Weisheit" 1 (1934), pp. 211—242. 49

DYNAMISME DU BIEN ET STATUT HISTORIQUE DU DESTIN CRÉÉ. DU TRAITÉ SUR LA CHUTE DU DIABLE DE S. ANSELME AUX QUESTIONS SUR LE MAL DE THOMAS D'AQUIN par

EDOUARD-HENRI WÉBER O .

P. (Paris)

Dans son traité Sur la chute du diable qu'on date des années 1085— 90, s. Anselme de Cantorbéry tente de discerner quelle fut la cause du pire malheur qui soit, la damnation 1 . Développant plusieurs exposés de s. Augustin en lutte contre les théories manichéennes, il s'efforce d'approfondir la question redoutable du bien et du mal2. Il projette du coup une lumière nouvelle sur la nature du choix heureux d'où résulte le salut. Il instaure surtout un type de recherches qui vont se poursuivre avec ardeur jusqu'au XIII o s. L'examen du cas principal de mystère du mal de faute, celui de la chute de Lucifer, ange de rang suprême pour la tradition, n'éloigne nullement le théologien du cas humain. Pour l'ange ou pour l'homme, c'est au problème du libre arbitre qu'on s'attache 3 . On évite ainsi la tentation de subtiliser: on conserve si bien le cas de l'homme au premier plan que les anthropomorphismes abondent et, chez les grands maîtres, sont conscients et même voulus. Albert le Grand, par exemple, dépeint avec humour, par recours à un fait trop humain pour être fictif, la complicité qui lie les démons subalternes à la faute d'orgueil traditionnellement prêtée à Lucifer. Il en a été, écrit-il, comme de ce collège de chanoines qui a promu (évêque) un personnage indigne, escomptant que cette élection leur vaudra en retour quelque poste honorifique4. Mais au XIII°s. on achève la mise à l'écart méthodique des anthropomorphismes faciles. On confère sa rigueur austère au problème du 1 S. Anselmi Cantuariensis Opera omnia ed. F.-S. Schmitt, I pp 227—276 (on cite toujours cette éd.); Migne P L 158, 325—360. Pour la datation: F.-S. Schmitt, Zur Chronologie der Werke des hl Anselm vom Canterbury, " R e v u e Bénédictine» 44 (1932) ρ 350. 2 L'éd. Schmitt identifie les diverses oeuvres d'Augustin utilisées par Anselme. Ce sont surtout: De Genesi ad litter am X I et De Civitate Dei X I ; en outre Contra Maxim., Enchir., De corrept. et gr., Confess, etc. Pour les antécédents de l'essai d'Augustin dans la patristique, cf éd. de la Biblioth. August. n° 49, La Genèse au sens littéral, notes par P. Agaesse et A. Solignac, note compi. n° 46 ρ 545 s. 3 Anselme étend au cas de l'homme son analyse: cf c. 1 (fin) ρ 235, 16. 4 Albert le Gd, In II Sent d 6 a 2 sol. (B e t 27 ρ 128).

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bien et du mal considéré dans le cas exemplaire de l'esprit pur qui se pervertit librement. Sous l'influence de la philosophie gréco-arabe, on pose la question, inquiet que l'on se sent devant le silence d'Aristote sur notre connaissance de la substance séparée, des limites du savoir humain à ce sujet 5 . Avant d'accentuer les réserves au cours de la discussion de 1270 contre les averroïsants, Thomas tire parti d'une indication d'Averroès : nous parlons de l'intellect séparé à partir de notre propre intellect®. D'Anselme à Thomas d'Aquin une suite de variations apparentées se construit, qui scrute la question du bien et du mal face à la liberté créée. Ainsi s'est élaborée une doctrine riche d'aperçus trop négligés sur les rapports qui relient en les distinguant métaphysique du sujet créé et soit l'accès au salut, soit l'échec absolu de la chute aux enfers.

I. Au X l l è m e siècle 1. S.

Anselme

En vue d'expliquer le mal de faute chez un être libre dont la nature est bonne et la volonté faite pour le bien, le maître du Bec propose deux discernements fondamentaux. Le premier concerne deux sens à sérier pour la notion de bien : d'une part il y a le bien au sens de bonheur de bien-être, «bonum commodum», qui fait abstraction de la sainteté, «justitia». Son contraire est le mal de mésaise, «malum incommodum ». De l'autre il y a le bien de béatitude au sens plein, le bonheur qui comprend la sainteté 7 . La seconde distinction concerne le principe de vouloir. Il faut sérier deux pouvoirs d'agir, «potestates»: l'un est déjà dans la nature de l'agent, l'autre n'y est pas encore8. Le premier est aptitude naturelle, la volonté comme faculté (au sens moderne) ; le dernier est la volonté comme vouloir d'ordre primordial et préside à toutes les opérations ultérieures de vouloir, les «voluntates»9. Par la simple aptitude naturelle, le sujet angélique ne veut encore rien: il est seulement apte à vouloir10. Il ne veut encore rien parce que, pour mettre en branle sa vo5 Albert, Summa de creaturis tr IV q 19 a 1 (B e t 34 ρ 453 s) ; Super Dionysium De Divinis Nominibus éd. P. Simon, Cologne 1972, c 4 § 68 ρ 177, 4; cf c 7 § 23 ρ 354, 84; In De coel. Hier, c 11 (B e t 14 ρ 308); De anima III tr 3 c 6 éd. Cologne ρ 215, 19: quaestio gravissima. 6 Thomas d'Aquin, In II Sent d 3 q 1 a 3 sol. ; cf De ente et ess. c 4 (fin) ; QD de anima a 16 Resp (fin); De substantiis separ., Prologus, éd. Léon, ρ D 41, 7. 7 Anselme, De casu diaboli, c 12 ρ 255, 2—15. 8 ibid ρ 252, 30—31. 9 ibid ρ 254, 25 : (naturalis voluntas) qua volúntate se movet ad alias voluntates. 10 ibid ρ 252, 9; cf ρ 254, 6—8.

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lonté, il lui faut un principe extérieur. Celui qui ne veut (encore) rien, absolument rien, ne peut en aucune façon se mouvoir lui-même à l'opération de vouloir quelque chose11. Il lui faut la volonté primordiale ou vouloir du bonheur de bien-être. Ce vouloir premier n'a pas sa source dans l'aptitude du sujet créé: il représente une impulsion, une attraction dont l'origine est extérieure à la nature du sujet. C'est le désir delà béatitude, au moins celle du bien-être12. Ce double discernement éclaire l'énigme du péché. Avec l'Ecriture qui montre en Dieu seul la source de tout bien13, en compagnie de s. Augustin attribuant à la seule volonté du sujet créé d'être la cause du mal, Anselme série chez l'esprit révolté deux moments du vouloir: 1) la volonté de nature qui est bonne, et 2) le choix pervers ou volonté de ce qui ne devait pas être voulu. Le vouloir de nature, «naturalis voluntas», désir de posséder la béatitude, est principe moteur de toutes les opérations volitives, «voluntates»: observer le pluriel, témoin du sens d'objet de vouloir14. Par ce vouloir naturel, le sujet créé s'éveille au vouloir portant sur le bien qu'est le bonheur de bien-être et qui, sans être de l'ordre de la sainteté, est cependant issu de Dieu15. Don de Dieu et réalité créée, «essentia», qui est un certain bien16, le vouloir de nature entraîne la faculté de volonté avec nécessité17. D'où l'impossibilité de qualifier le sujet qu'il anime de juste ou injuste 18 . Pour l'accès à la béatitude de sainteté, il faut que s'ajoute, venant de Dieu, le don d'une autre «voluntas», le vouloir de la béatitude selon la sainteté. Celui-ci est don de sainteté, «addita justitia», qui module, tempère, la volonté primordiale du bonheur de façon à en élaguer les déviances, mais il n'y supprime pas toute possibilité de déborder la mesure19. Dépassant le registre volontariste souvent utilisé (devoir vouloir, devoir ne pas vouloir)20, cette idée de modulation, de régulation, engage quelque chose d'intellectif. Sans être développée, l'indication éclaire les trois sens de «voluntas» qu'Anselme manifeste finalement: 1) volonté au sens de faculté ou aptitude; 2) volonté au sens de vouloir du bonheur, tension motrice de tous les vouloirs conséquents; 3) volonté au sens de vouloir dûment modulé, c'est-à-dire volonté du bon11

ibid ρ 254, 31. ibid ρ 254, 33s. 13 ibid c 1 ρ 233, 6 (cite I Corinth. 4,7). 14 ibid c 12 ρ 254, 23 : nullus ( . . . ) attrahitur amore ( . . . ) ad volendum aliquid nisi qui prius habet naturalem voluntatem (. . .) habendi commodum. 15 ibid c 19 ρ 264, 13. 16 ibid c 13 ρ 257, 26 s. 17 ibid c 14 ρ 258, 18 s. 18 ibid c 28 ρ 276, 4 s; cf c 13 ρ 257, 30 s. 19 ibid c 14 ρ 258, 21 s. 20 ibid c 14 (suite) ρ 258, 27 s. 12

157 heur de sainteté, ou, en négatif par absence de modulation, vouloir pervers21. La régulation typique de la volonté au sens n° 3 est décrite, mais non expliquée, pour le péché de l'ange : c'est une préférence, donc une appréciation, pour le bien supérieur que le Créateur ne voulait pas donner encore, avec dédain pour le bien, limité et subordonné mais conféré, du bonheur de bien-être22. Pour le cas de la volonté dûment rectifiée, Anselme est plus heureux. L'agir volontaire moralement bon découle de trois principes: 1) la volonté comme aptitude ou faculté: par exemple, des yeux pour voir: 2) l'objet du vouloir: pour discerner une montagne, il faut qu'il y ait une montagne à voir; 3) un principe nommé «medium», qui aide la faculté: la lumière, par exemple, pour apercevoir la montagne 23 . Ce que le mal de faute corrompt, c'est non pas la volonté comme faculté, mais la volonté du sujet libre, celle du sens n° 3, et, en cette dernière, le principe nommé «medium», ou encore et plus fréquemment, «rectitudo»24. Dynamisme du bien et destin créé

2. Hugues de

Saint-Victor

Sur l'entrée en gloire de l'esprit bienheureux et la chute de l'ange pervers, Hugues de St-Victor, dans sa Somme De Sacramentis, propose, sans doute aux environs de 1140, une explication qui, pour rester proche de celle d'Anselme, la dépasse en ceci qu'elle se centre sur la notion de temps et dispose d'une acception enrichie du thème de «bonum»25. Les deux moments du vouloir, à savoir le premier qui est relatif au bonheur de bien-être et est excellent parce que effet du Créateur, et le second où s'exerce la liberté créée en adoptant ou en refusant une modulation, le maître du Bec ne les affirmait nullement d'ordre temporel et successif. Hugues, lui, assure qu'il y a là deux temps réellement distincts. Il axe son explication sur l'idée de nécessaire déploiement temporel. A son gré, il faut discerner deux étapes: la première se situe avant la conversion de l'esprit créé à Dieu (ou le refus de se convertir); la deuxième, caractérisée par l'exercice de la conversion, ou, en négatif, l'aversion, inaugure l'état définitif de gloire ou de déchéance. 21

Anselme, De concordia praescientiae et praedestinationis et gratiae Dei cum libero arbitrio, III c 11, éd Schmitt II c 11 pp 278—84, formule la triple distinction: voluntas ut instrumentum (=faculté), v. ut affectio, v. ut usus. 22 De casu diab. c 6 ρ 243, 22 s. 23 De liberiate arbitrii, c 3 et 4 (I ρ 212—214) ; cf c 3 ρ 213, 16—17: potestas videndi aliquod corpus alia est in vidente, alia in re videnda, alia in medio. 24 ibid c 3 ρ 212, 23 s. 25 Hugonis de S. Victore, De sacramentis christianae fidei, PL 176, 173—618.

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Tous les esprits angéliques furent d'abord, en un moment premier d'une antériorité temporelle, excellents en ce sens qu'ils étaient selon la nature reçue du Créateur 26 . Cependant, lors de ce premier temps, ils ne sont encore ni dans la justice ou sainteté, ni dans l'injustice d'impiété 27 . Comme pour Anselme, à l'état natif, en sortant des mains du Créateur, l'esprit pur n'est pas encore en exercice: il doit s'éveiller au vouloir actif, ce qui entraîne succession et donc délai, «mora» 28 . Cette façon de comprendre ne prête pas au Créateur de n'avoir réalisé qu'une oeuvre imparfaite en créant l'ange dans un état non encore actif. Dieu a créé l'ange pour la perfection, mais à condition de passer d'un état imparfait pour accéder à l'état achevé 29 . En effet, perfection se dit en trois sens: 1) il y a le parfait ou achevé dans l'ordre du temps, ce qui concerne l'institution d'une nature, «natura condita»; 2) perfection selon le mode d'être, «secundum naturam», qui regarde l'état de nature créée chez un sujet accédant à la gloire; 3) perfection suprêmement universelle, celle qui est propre à l'être incréé 30 . L'ange est créé dans l'état de perfection au sens n° 1, nature achevée. Il est destiné à la perfection au sens n° 2, laquelle se subordonne à la perfection au sens n° 3 31 . Le moment ultérieur, celui qui succède au premier temps d'éveil, se caractérise au moyen de deux traits. L'un est tout proche du psychologisme volontariste d'Anselme: pour une liberté créée, le bien réside dans l'activité de se convertir, de se conformer à la volonté divine32. Cette conversion à ce qu'il était permis à un esprit créé d'accomplir en son vouloir33 est une activité menée selon une mesure qui est celle de la justice de sainteté 34 . Le mal de faute réside dans l'activité conduite en dehors de la mesure, «extra mensuram», dans le désir tourné vers ce qu'il n'est pas permis de rechercher et même dans l'absence d'activité modulée selon la mesure35. Le second trait destiné à expliciter la notion de bien s'éloigne un peu d'Anselme. On le lit dans l'idée de plus-être apporté par le bien et de moins-être valu par le mal. Au sortir de sa création, l'esprit angélique se trouve en état de nature complète, parfaite (sens n° 1), car il ne convenait pas qu'il commence son existence en jouissant d'emblée 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

ibid I pars V c 19 (254 C; Β 13) ; cf c 23 (256 D 3). ibid c 19 (254 D). ibid c 20 (255 A). ibid c 15 (252 D). ibid c 16 (253). ibid c 17 (253). ibid c 26 (258 Β 4 s). ibid c 26 (257 D). ibid: moveri secundum mensuram erat moveri secundum justitiam. ibid (258 A 7 s).

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de la perfection de gloire. Il ne pouvait que progresser vers son état ultime, qui est accroissement — ou privation d'accroissement — réservé pour un temps ultérieur, après les dons premiers de nature 36 . Du fait de sa conversion à Dieu — ou de sa désertion —, l'ange quitte l'état initial de bonté relative qui le destinait à devenir autre qu'il n'était encore, soit qu'il progresse par delà cet état premier pour bénéficier de l'excellence absolue, soit qu'il défaille en deçà pour devenir pervers. Conversion et aversion départagent ainsi les personnalités de nature angélique que rassemblait d'abord un état commun de bonté primitive37. A la différence de ce que cerne le premier trait limité à l'ordre volontariste, la seconde façon de rendre compte du bien, par son centrage sur la notion de plus-être, est de venue plus métaphysique. Sans contredire les notations d'Augustin et Anselme, elle les dépasse en discernant un principe qui, interne au sujet créé, est le lieu précis du bien ou du mal comme plus-être ou moins-être. La conception est d'inspiration dionysienne: en est témoin le thème déjà noté des dons premiers de nature qui mènent à la perfection supérieure38. On sait en effet que Denys est en honneur à Saint-Victor. Pour avoir discerné que le «bonum» réside dans l'acquisition d'un état supérieur aux biens conférés au titre de dons naturels, Hugues peut accuser la succession réelle que constitue le passage de la perfection primitive à celle, supérieure, de la perfection de gloire. D'où la densité métaphysique qui leste sa doctrine des deux étapes, des deux moments temporels en quoi se distribue le destin de l'esprit créé. D'où encore la profondeur de sa description du libre arbitre comme pouvoir qui concerne par définition le futur 39 . La formulation est visiblement issue des textes d'Augustin et de leur fine notation sur l'absence de prescience de la chute chez l'esprit angélique avant sa perversion40, mais désormais elle véhicule ce sens enrichi que lui vaut la mise en évidence du caractère supérieur de la perfection acquise lors de la seconde étape discernable dans le destin de l'ange. 3. La Summa Sententiarum Attribuée autrefois à Hugues de St-Victor et aujourd'hui, non sans conteste, à Hugues de Mortagne, la Summa Sententiarum propose, sur le problème de la déchéance volontaire de l'ange, une explication qui 36

ibid c 17 (253). ibid c 23 (256 D). 38 ibid c 17. 39 ibid c 22 (256 A 4) ; cf infra (256 Β 14—C 1). 40 Ci Augustin, De Genes, ad litt. XI, repris par Anselme dans son c 21 ; Schmitt ρ 271 note d'autres textes d'Aug. 37

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ne coïncide pas avec celle du maître victorin41. L'auteur y expose d'abord une conception identique à celle du De Sacramentis qu'on vient de noter: en son premier temps, l'esprit angélique n'est ni juste ni injuste 42 . Se référant à la triple perfection relevée en cet ouvrage, il montre que l'ange n'était alors ni heureux ni malheureux de la béatitude ultime ou du malheur de damnation, car de par sa création, il n'était pas encore établi dans l'état définitif 43 . Mais la suite du traité développe une question sur le thème de délai, «mora», entre création et chute44. La réponse est hostile à la façon de voir préconisée par Hugues de St-Victor: «Non, il n'y a pas eu de délai. Il y a certes eu un moment antérieur et un moment postérieur, mais tous deux étaient simultanés du point de vue temporel »45. L'auteur n'admet pas la thèse qu'on retrouvera plus loin: «les anges déchus n'ont pas toujours été pervers . . . »4e. Augustin est invoqué pour lester d'autorité la théorie de la perversion de l'esprit angélique au premier instant de sa création47. Il faut observer ici que le Sic et non d'Abélard, en vue d'accuser la disparité des positions sur ce problème de la chute de l'ange, rapporte entre autres ce texte d'Augustin 48 . Abélard joignait un passage du même livre X I du Commentaire littéral sur la Genèse où Augustin signale l'immédiateté de la déchéance du démon: «factus continuo se a luce veritatis avertit» 49 . Ceci éclaire sans doute l'assurance de l'auteur de la Summa en sa prise de distance envers St-Victor50. Plusieurs auteurs du XII o siècle enseignent cette façon de comprendre. Ils admettent la présence, dans le destin de l'ange déchu, des deux moments, mais en refusant d'y voir deux temps, deux étapes temporelles distinctes, pour se limiter à deux instances en quelque sorte contemporaines51. 4. Pierre Lombard En son recueil des Sentences, qui devait jouir d'une prodigieuse destinée puisqu'il a été quatre siècles durant le manuel de base pour 41

P L 176, 41—174. Summa Sententiarum, tr 2 c 2 PL 176, 82 A 2; cf A 14. 43 ibid (81 Β 4) ; pour la triple perfection: 82 C 1. 44 ibid c 3 (83 C 2 s). 45 ibid (C 3—5) : ad quod potest dici quod non fuit mora, et tarnen illud prius, istud posterius, sed sine intervallo. 46 47 ibid (83 C 5—6). ibid (83 D) : référence au De Gen. ad litt XI. 48 Abélard, Sic et non pars III c. 47 (PL 178, 1415 C). 49 ibid c 47 (1415 D) cite De Gen. ad litt. X I c 23 n°30. 50 ibid c 46 (1414 Β 6) cite De Civ. Dei X I c 11. 51 Cf H. de Lubac, Surnaturel. Etudes historiques, Paris 1946 ρ 210—212. Cf ρ 211: «Non pas qu'on doive forcément étaler dans le temps, comme ce fut le cas pour l'homme, cet avant et cet après du choix angélique . . . » 42

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l'enseignement de la théologie, P. Lombard, vers le milieu du XII o siècle, expose, au livre II Distinctions III et IV, une doctrine du péché de l'ange qui reprend celle de Hugues de St-Victor mais n'ignore pas l'apport du courant issu de P. Abélard. Il met en forme le problème auquel les grands maîtres du XIII o siècle s'attaqueront. La distinction III se construit comme une «quaestio» du XIII°s.: on y montre que, sur le haut problème du péché de l'ange, des solutions diverses ont été proposées52. La mise en forme aboutit à l'opposition de deux thèses: 1) perversion de l'ange déchu dès sa création; 2) perversion après un délai. Les partisans de la première opinion invoquent Augustin dissertant sur la parole de l'Ecriture «le diable est homicide dès le commencement», «ab initio». Gaucherie ou perfidie? Le Maître des Sentences amalgame cette opinion à la thèse des manichéens: l'ange pervers a été créé mauvais, ce n'est pas par son libre arbitre qu'il est tombé53. La seconde opinion, celle de Hugues de St-Victor, est lestée de textes du docteur d'Hippone lus en négligeant leur caractère plus ou moins dubitatif. Le Lombard expose en conséquence l'explication suivante. Tous les esprits angéliques ont été créés à l'état d'excellence. Ils ont subsisté, «extitisse», en cet état au commencement de leur création en ce sens qu'ils étaient sans reproche, «innocentes», mais pas encore justes de la justice de sainteté, c'est-à-dire en exercice des vertus (théologales). Ils n'étaient pas encore revêtus de ces dons qui ne devaient être conférés que par grâce, lors de la confirmation dans le bien, à ceux qui se seraient maintenus fidèles, les autres s'insurgeant contre Dieu en leur libre arbitre pour leur propre ruine. Il y a eu un certain petit délai, «morula», disent les partisans de cette façon de voir, entre la création de l'esprit séparé et sa chute ou sa confirmation. Durant ce court laps de temps, tous les anges étaient dotés de l'excellence de nature, non pas par leur libre arbitre mais par suite du don de création. Les tenants de cette thèse la confirment à l'aide d'Augustin. Celuici enseigne que la nature angélique a d'abord été créée à l'état informe — elle est alors dite «ciel » —, et qu'ensuite elle a acquis sa forme — on l'appelle alors «lumière » — grâce à la conversion qui la relie au Créateur par un amour parfait. C'est pourquoi il est d'abord dit, dans la Genèse: «Au commencement Dieu créa le ciel et la terre», et ensuite seulement il est ajouté: «Dieu dit: Que la lumière soit et la lumière fut ». C'est qu'il s'agit d'abord de la création de la nature spirituelle à l'état informe, puis ensuite, «postea», de l'infusion de la forme.

52 53

Petri Lombardi Libri IV Sententiarum II dist. III c 4 édQuaracchi I ρ 319. ibid ρ 319 citant Aug., Sup. Gen. ad litt. XI.

11 Med. XI

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La raison s'oppose, ajoute P. Lombard en reprenant un texte de Hugues de St-Victor, à la première thèse, celle de la création à l'état déchu. Suivent deux textes d'Augustin qui éliminent la théorie des deux instants non temporels. Le premier dit que, créée par Dieu, la nature de l'ange possède valeur de bien54. L'autre, relatif au démon pervers «ab initio», manifeste que l'expression n'exclut nullement un devenir choisi par mode de libre arbitre. Pierre Lombard coiffe la citation d'une phrase de son crû qui enrôle Augustin pour soutenir sans nuance la théorie du délai. Une conclusion homogène achève l'annexion du docteur d'Hippone: «les anges ont été créés à l'état d'excellence et sont tombés après leur création. Il y a eu un certain délai, «aliqua morula», bien que ce laps de temps fût très bref, «licet brevissima»65. La seule concession à l'auteur de la Summa Sententiamm se solde par un amenuisement du délai: on passe de la «mora» de Hugues de St-Victor à une petite «morula». Un passage d'Origène est apporté en confirmation. D'où l'on conclut: «chez le diable, entre création et chute, s'est interposé un petit délai, «interposita morula »Be. Le Maître des Sentences transcrit, au début de la Distinction V, un texte de la Summa Sententiarum mais en accusant, au moyen de menues retouches, l'idée de succession temporelle. L'auteur de ce dernier ouvrage écrivait: aussitôt après la création, certains anges se sont convertis (. . .), d'autres pervertis: «statim autem post creationem quidam sunt conversi (. . .), quidam aversi». Le Lombard, au terme «statim», substitue l'adverbe temporel «mox» et obtient ceci: «après leur création, c'est-à-dire sans guère tarder, certains . . . »57. La Distinction VII réaffirme l'acception temporelle du moment de la confirmation dans le bien pour l'esprit élu58. Mais cette accentuation se fonde sur une notion fort floue du bien et du mal. Elle se limite aux notations psychologiques élémentaires d'Augustin prédicateur: le péché de l'ange fut envie, orgueil, ambition d'être pareil à Dieu59. Si même il se fait l'écho de la distinction introduite par Hugues de St-Victor sur les trois sens de perfection 60 et de l'idée de conversion comme acquisition d'un plus grand bien que celui déjà possédé par nature 61 , le texte des Sentences trahit une indifférence pour l'élucidaM

Super Gen. ad, litt. XI c 21—23. P.Lombard, ibid ρ 322: (Augustinus) evidenter docens ( . . . ) post creationem, interposita aliqua morula, cecidisse . . . 56 ibid (infra) : Ecce hic aperte declarat angelos (. . .) post creationem cecidisse, et fuit ibi aliqua morula, licet brevissima. 67 ibid Dist. V c 1 (p 326). Summa Sent, tr 2 c 3 (PL 176, 83 D). 68 ibid Dist. VII c 3 (ρ 334) ; c 4 (début; ρ 335). 69 ibid Dist V c 1 (ρ 326). β0 ibid Dist IV (ρ 325). β1 ibid Dist V c 4 (ρ 328). 55

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tion métaphysique de la notion du bien. Au cours des Distinctions XXXIV et XXXV du même livre II, là où il examine la question du mal et du péché, Pierre ne retient guère que les textes d'Augustin et élague les développements victorins qui s'affairent à dégager une meilleure conception du bien62. Le rôle important de manuel académique qui va revenir aux Sentences va priver les maîtres qui y limiteront leur information des précieux discernements acquis par Hugues de St-Victor. II. Au X I I I ème S I E C L E 1. Guillaume

d'Auvergne

Guillaume d'Auvergne est un témoin important pour nous. Avant d'être élu évêque de Paris en 1228 et d'assurer la mesure universitaire de 1241 dont il est fait état plus loin, il offre, au titre de Maître en théologie réputé, une explication intéressante sur la problématique impliquée dans le thème de la chute de l'ange perverti. L'ouverture qu'il ménage aux philosophies grecque (Aristote) et arabe, pour être souvent inchoative, amorce un élargissement des perspectives. En son De Universo, Guillaume consacre une section importante de la II*Pars aux doctrines philosophiques relatives à la substance intellective séparée63. Intitulé: «Que les anges pervers, durant un certain temps («per aliquam moram»), se sont maintenus dans un état excellent », le chapitre 48 justifie comme suit la doctrine traditionnelle du caractère excellent du premier moment de l'existence, «initio existentiae suae», chez l'esprit déchu64. L'opération peccamineuse chez celui-ci n'a pu être que l'usage abusif, «malus usus vel abusus», d'un pouvoir bon par nature. Que de soi le pouvoir naturel soit excellent, le ch. 47, au terme des exposés relatifs à la nature que l'ange reçoit du Créateur, l'a clairement établi : aucune des substances séparées n'a pu être mauvaise par mode de nature, «naturaliter», ni à titre essentiel, «vel essentialiter». Il faut donc que le mal y soit de statut adventice, c'est-à-dire non essentiel, non inné65. Pour l'esprit angélique il n'en va pas comme pour la nature de l'âme humaine. Celle-ci, unie à un corps marqué par la faute originelle, est affectée d'une tare de nature. Au contraire, chez l'esprit pur, la nature 62 Cf Summa Sententiarum tr 3 c 14 (PL 176, 111 D) : Triplex itaque est bonum hominis . . . 63 Guillelmi Alverni, De universo, pars II a — 2, c. 47—61 (Opera omnia Venise 1591 ρ 838—859). " ibid c 47 (ρ 838 H 11); c 48 (ρ 839 A 13). 65 ibid c 47 (début; ρ 838).

il»

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ne souffre rien de semblable6®. Ses puissances volitives et opératives sont indemnes et sauves de tout défaut: il lui est impossible de commettre une faute en passant à sa (première) activité 87 . Certes, en aucune tradition religieuse, «nec Lex aliqua», ni en aucun oracle prophétique on ne trouve la détermination du temps qu'a pu durer cette existence de pureté et d'excellence68. Cependant un des prophètes hébreux énonce avec une clarté suffisante (la réalité effective de) ce temps (suivent citations de Ezéchiel, Job et Evangile selon Jean) 69 . Comment, doté d'une nature excellente, l'ange a-t-il failli ? Guillaume est ici prolixe, mais ses dires restent vagues et assez moralisateurs 70 . La question du bien et du mal reçoit tout de même un certain éclairage grâce à des notations de style dynamique et opératif. Impossible d'imputer à la nature, qui est produit exclusif du Créateur, le mal qui affecte l'usage qu'en fait l'esprit déchu, fût-ce en omettant ce qui devait être accompli71. Le bien consiste à adhérer à Dieu créateur au moyen de nos principales facultés: par la faculté intellective comme au Docteur qui enseigne, car Dieu est la vérité très lumineuse; par la volonté de conquête, «vis irascibilis », car Dieu est la gloire la plus magnifique et l'honneur le plus sublime72. Le mal du premier péché fut de se détourner de Dieu73 pour se tourner vers autre chose qui était un bien moindre que le Créateur74. Quelques notations philosophiques prennent forme: le mal est nuisance et dommage, «nocumentum et damnum» 75 , mais ceci n'est guère développé. La conviction d'un premier moment excellent se justifie par un argument où se décèle le contact avec le péripatétisme arabe. Il n'est pas possible, en aucune manière, qu'en son premier instant, «nunc», l'esprit pur se soit perverti et transmué de bon en mauvais. Soutenir pareille affirmation équivaut à déclarer que sa première opération fut vicieuse. Comme l'activité droite découle des principes constitutifs de la nature et que l'agir peccamineux n'est chez l'ange qu'à titre acquis ou issu de principes acquis, il faut que d'abord chez lui l'agir mo"« ibid c 47 (p 838 H 3 s) ; cf c 48 (p 839 A) ; De virtutibus c 1, éd. Venise 1591 Opera Omnia ρ 100 H; c 9 (ρ 123 C). 67 ibid c 48 (p 838 H 9 s). 68 ibid (p 839 A 11) . . . licet nec lege aliqua nec sermonibus prophetarum determinatum sit tempus durationis munditiae sive bonitatis istius . . . «9 ibid : citations d'Ezéchiel 28, 14—15, Job 4, 18 (cf c 58 p 851 B), et Evang. selon Jean 8, 44. La source est Aug., Civ. Dei X I et Sup. Gen. lit. 70 Cf c 57—58 (broderies sur la superbia). 71 ibid c 48 (p 838). 72 ibid c 52 (p 841). 73 ibid c 54 (p 844). 74 ibid c 52 (p 841—42). 75 ibid c 54 (p 844 E 1) : primum malum, idest nocumentum et damnum.

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ralement bon précède l'activité perverse, et donc qu'il ait été en état d'excellence avant de se pervertir. Si l'on fait instance en demandant: quelle est l'antériorité de cet agir bon sur l'acte peccamineux?, la réponse est celle-ci: le pouvoir d'appréhender et la faculté active, chez l'esprit pur, ne sont jamais restés oisifs, «otiosae », ni comme endormis depuis leur commencement. Ceci se fonde surtout sur Aristote affirmant que la substance séparée est libre et indemne du mal de potentialité, «immunis a malo potentialitatis », comme de toute imperfection 76 . Cette référence au Stagirite en faveur d'une première activité de statut excellent suppose ce que les chapitres précédents ont établi en exposant la doctrine aristotélicienne d'absence de potentialité chez la substance séparée. Guillaume y souscrit à condition de discerner deux sens de la formulation. Oui, il n'y a pas de «potentia» chez l'ange au sens de sujétion aux délais temporels, «distantia temporis»77. Ceci est indiscutablement vrai: par nature l'esprit pur ne comporte rien de dilatoire entre la puissance et l'acte. La cause en est que l'ange agit de lui-même, sans avoir besoin, pour son activité, de quelque chose d'extrinsèque qui serait en dehors de son être. Puisqu'il dispose en luimême de tout ce qu'exige son agir, aucun délai, «mora», ne s'interpose entre sa puissance et son action : il n'est pas soumis aux délais temporels. Mais «potentia» peut désigner autre chose. Pour les activités qui s'exercent à l'aide des illuminations nouvelles descendues depuis le Créateur (...), rien ne s'oppose à admettre de multiples délais. La raison en est que pour une opération de ce genre l'esprit angélique n'agit pas par soi seul ni de soi seul. Il agit alors en vertu et à la faveur des principes qui s'écoulent de Dieu en lui qui les reçoit. Ces principes émanés de Dieu sont soit de nouvelles visions du Créateur, soit de nouvelles révélations, soit de nouvelles illuminations. Tout ceci reste étranger au sens propre de la doctrine d'Aristote. Celui-ci a pensé que les substances séparées sont tout à fait exemptes de toute nouveauté ou innovation, et qu'elles sont immuables à tout point de vue. C'est là une de ses erreurs sur notre sujet(. . .). Appréciant comme erreur l'identification de la puissance et de l'acte comme y prétend une autre théorie, Guillaume assigne une limite à son jugement négatif. Si on accorde à «puissance» le sens d'habitus, alors la proposition est soutenable. On appelle souvent l'habitus puissance proche, et même tout à fait prochaine, par rapport à l'acte. L'habitus

76 ibid c 47 (ρ 838 F-G). Sous le nom d'Aristote, Guill. désigne de nombreux auteurs philosophiques, jusqu' à Gilbert de la Porrée. 77 Aristote, Metaph. IX c 8 (1050 b 8 s.)

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est ici ce qui échoit, «accidit», à la substance séparée. C'est une perfection surajoutée, apposée par-dessus les facultés qui sont les racines ultimes de l'agir, racines qui sont chez l'ange essentielles, substantielles. A la différence des facultés homologues de notre âme, les facultés de l'ange sont aptes à être d'emblée parachevées par leurs perfections naturelles78. Sur le thème de l'amour du bien, Guillaume reste dans l'optique augustinisante traditionnelle. Il y intègre toutefois l'enseignement de s. Bernard. Il distingue trois sens de «bonum» ou «bonitas»: 1) l'utilité, «utilitas», 2) la ressemblance avec la bonté vraie et parfaite; 3) un bien intermédiaire où se trouve mêlé le sens n°2. L'explication concerne Dieu comme source de félicité appréciée de façon égoïste et non comme bien aimé pour lui-même. Cette bonté intermédiaire relève d'une conduite mercenaire79. Dans l'intention d'accuser la supériorité de l'amour gratuit de charité, Guillaume use de formules assez gauches : aimer le bien en tant que bien ou parce qu'il est bien, ce n'est pas une conduite absolument vertueuse80. 2. Alexandre de Halès Alexandre de Halès, qui, avant sa mort survenue en 1245, fut le maître de s. Bonaventure, enseigne durant une vingtaine d'années. Maître révéré, il entre chez les Mineurs en 1236 et y devient chef d'une équipe qui est à l'origine de la Summa Halensis. Touchant notre sujet, son enseignement est témoin du revirement doctrinal provoqué par la mesure de 1241. Le premier enseignement d'Alexandre rejoint le point de vue de la Summa Sententiarum : les deux moments ne sont pas d'ordre temporel. Dans la Glose sur les Sentences, datée de 1225 environ, face aux textes très orientés du Lombard, Alexandre écrit : Si l'on soutenait qu'il n'y a pas eu de délai avant la chute, on répondrait, face à l'argument d'autorité (le texte d'Origène), que ce texte concerne non pas le premier péché de l'ange, mais la métamorphose du diable sous forme de serpent en vue de tenter l'homme81. Un texte d'Alexandre, à coup sûr antérieur à 1241, à été intégré dans la Summa Halensis8Z. Il est incorporé tel quel, mais un développement y est joint qui le corrige et même le contredit, très probablement Guill. d'Auv., De universo II—2 c 22 (p 816). De virtutïbus c 2 (p 108 F) ; cf c 9 (p 124 F-G). 80 ibid c 11 (p 130 F) ; cf p 131 D: dilectio infirma ex rerum bonitate dependet. 81 Magistri Alexandri de Haies Glossa in IV lib. Sententiarum, II n°32 éd. Quaracchi 1952 p 39. 82 Summa Halensis II—1 inq. 2 tr 3 sect 2 q 2 tit 1 art 7 (éd. Quar. II p 208 n°159). 78

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pour harmoniser la doctrine avec la mesure de 124183. La première difficulté développe une idée grecque qu'on a déjà notée chez Guillaume d'Auvergne: l'intellect, chez l'esprit angélique, n'est pas oisif. Il connaît Dieu car il est plus appliqué à connaître Dieu que tout autre objet. Or l'intellection entraîne nécessairement, au plan affectif, l'inclination correspondante, surtout lorsqu'il s'agit de Dieu souverain bien. Donc l'esprit pur exerçait l'amour de Dieu: il méritait et se convertissait déjà au bien. Donc le prétendu moment de la conversion a été précédé par une activité de conversion. Celle-ci doit se reculer jusqu'au premier moment. Il faut donc situer la conversion dans le premier instant de l'existence chez l'ange84. Un argument contra est jeté dans la balance, mais il est assez léger85. Face au dossier, la solution d'Alexandre se prononce: Nous concédons (la distinction des deux moments). Les esprits pervertis ne furent pas toujours tels ni les anges élus dans l'état d'excellence confirmée car c'est par la suite qu'ils l'ont obtenu. Nous dirons donc: le moment où l'ange commence d'exister est autre que celui de sa conversion. Mais il n'est pas nécessaire d'admettre entre ces deux moments un temps intermédiaire. Le principe qu'entre deux moments il y a un temps intermédiaire concerne seulement les moments propres au temps qui est mesure du continu. Ce principe ne s'applique pas (dans le cas de l'ange), où règne la possibilité de deux instants contigus sans aucun intervalle de temps intermédiaire86. Déjà notée dans la Summa Sententiarum, la thèse des deux instants non séparés par une durée intermédiaire est partagée par d'autres auteurs de la première moitié du XIII o s. : Fishacre87, Richard Rufus 88 . Mais en 1241, puis de façon plus accentuée en 1244, les Maîtres en théologie de Paris censurent la proposition: «l'ange déchu n'a jamais été bon car il fut pervers dès le premier instant de sa création »8®. Enseignant à Oxford, le dominicain Fishacre et le franciscain Richard Rufus s'étonnent de cette promotion à l'état de dogme d'une simple opinion de Hugues de St-Victor adoptée par Pierre Lombard. Rufus fait ob83

Cf V. Doucet, La date des condamnations parisiennes dites de 1241. «Mélanges Auguste Pelzer», Louvain 1947 pp 183—216; pour la datation avant 1241, cf ρ 192. 84 Summa Hal., ibid diff. n°l ρ 208. 85 ibid Contra (p 209). 86 ibid, solutio (p 209) La suite n'est plus de la même veine. Cf Doucet, op. cit. ρ 191. 87 Cf H-F. Dondaine, Le premier instant de l'ange d'après s. Thomas d'Aq., «Rev. des Sciences Philosophiques et Théologiques» 39 (1955) pp 213—227. Pour Fishacre, ρ 216 n. 14. 88 Cf Doucet, ibid p 191—92 et Dondaine, ibid p 215. 89 Chartularium Univers. Paris, éd. Denifle-Chatelain, I p 170—171. En 1244, le 5 janvier, Guill. d'Auvergne, évêque de Paris aggrave la mesure d'interdiction de 1241 en menaçant d'excommunication. On pense que Jean Pagus et Etienne de Venizy sont visés : cf Doucet, ibid.

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server que les textes d'Augustin restent dans l'ambiguïté90. Mais quand il viendra enseigner à Paris, il se bornera avec prudence à la doctrine de Bonaventure sur ce point91. Il semble clair que le dilemme forgé par le Lombard: ou création en état de perversion ou délai entre création et chute, a pesé sur l'avis des maîtres parisiens92. La théorie des deux instants distincts mais contigus parce que relevant d'un ordre supérieur à la durée temporelle éludait parfaitement la position manichéenne. Cependant, une fois dénoncée la faiblesse de l'argumentation de P. Lombard et de ses émules qui censurent la thèse opposée à la «morula», il faut soupçonner la présence d'autres raisons, fort mal élucidées mais dignes d'attention93. Avant que les grands maîtres qui vont se lever réussissent à les exposer, on se borne à nier l'identité, chez l'ange déchu, du moment de la création et du moment de la faute94. Les raisons avancées par la Summa Halensis pour corriger le texte d'Alexandre qu'elle incorpore ne sont guère à la hauteur du problème. Le rédacteur tente de justifier le caractère nécessairement temporel que suppose, chez l'ange, le passage de l'état de nature à l'état de gloire ou de perdition95. Au cours de l'énorme traité sur le mal et le péché qu'elle comporte, la s. Halensis reprend à nouveau le problème96. Après l'exposé nerveux du pour et du contre, une brève réponse déclare : chacune de ces thèses a été affirmée par mode d'opinion, car l'Ecriture ne dit rien d'évident en faveur de l'une ou de l'autre. Cependant, d'après l'opinion du Maître des Sentences, il faut dire que la chute peccamineuse de l'ange s'est produite après un certain délai, «morula»97. 3. S. Bonaventure Le Commentaire sur les Sentences de s. Bonaventure, daté de 1250— 52, à son tour présente la question: Est-ce au premier instant de sa création que l'ange est devenu volontairement pervers?98 La formu9 0 Cf Dondaine, ibid ρ 215—16 pour un passage ironique de Fishacre: «Sit igitur, pro ratione, voluntas . . . » ; voir F-M. Henquinet, A utour des écrits d'A lex. de H aies et de Richard Rujus, «Antonianum» 11 (1936) pp 187—218, notamment ρ 192—93. 9 1 Voir Dondaine, ibid ρ 217 et η. 16. 9 2 Cf Dondaine, ibid ρ 216. 9 3 « . . . violenter hoc extorquet Magister» dit Fishacre (cité Dondaine, ibid ρ 215

η. 12).

S. Halensis, ibid. section II de l'art. 7 ρ 209—210. ibid ad objecta (ρ 210) : simul, idest repente, hoc est in tempore imperceptibili . . . 86 S. Halensis I I — 2 inq 2 tr 2 sect 1 q 1 tit 1 c 11 (n° 92 ρ 109—110 du vol. III) 97 ibid ρ 110; cf c 8 art n° 89 ρ 105—106: Quare Scriptura non facit mentionem de primo peccati Luciferi ? 9 8 S. Bonaventure, In II Sent d 3 p 2 a l q 2 ; Quar. II pp 115—117. 94

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lation est précise : elle écarte la thèse manichéenne de l'opinion qui tient pour la simultanéité temporelle des deux instants". Au nombre des raisons favorables à cette dernière thèse, deux sont à noter. L'une met en question l'idée avancée par Anselme : à l'instant de sa création, l'esprit créé n'est pas encore en exercice du vouloir. Cette distinction entre le moment de la nature ou mode d'être et celui de l'agir qui est effet de la nature est réduite et limitée à une relation d'antériorité axiologique, «natura», et non temporelle, «tempore sive duratione», avec appui sur l'avis d'Augustin concernant le rapport entre ces deux choses simultanées que sont la lumière, «lux» et son rayonnement, «splendor». Cette priorité axiologique est compatible avec une simultanéité chronologique. La nature propre à l'esprit angélique relevant de l'acte dans une mesure au moins égale à celle de la lumière, il est tout à fait possible qu'au premier instant de son existence elle soit en exercice de son activité propre, le vouloir. Dès que le libre arbitre est, il est complètement constitué100. La seconde raison à relever est convergente. Elle reprend la première réponse d'Alexandre: l'ange dispose, dès son premier instant, de son intellect agent et des formes intelligibles infuses. Dès qu'il existe, il est en activité d'intellection et en exercice du vouloir. Qu'on n'objecte pas qu'intellection et vouloir déterminent deux instants distincts. La simplicité propre à la nature de l'ange permet à celui-ci d'exister et de vouloir simultanément. Intellection et vouloir sont comme deux points contigus : ils sont simultanés101. La Réponse prend ses distances envers la prétention du Lombard d'annexer Augustin à sa thèse et se réfère à la mesure universitaire de 1241—1244. Celle-ci vise la théorie de la simultanéité que soutenaient des contemporains, «aliqui moderni», et que Bonaventure désigne comme «positio antiqua», car Augustin l'évoque déjà. Avec appel un peu forcé à la Cité de Dieu du grand docteur, la thèse de la simultanéité est montrée proche de la théorie hérétique de la création à l'état pervers: «quasi haeresim sapit». L'opinion qui rassemble les Maîtres parisiens est celle-ci: c'est par mode de durée temporelle que la création a précédé la chute chez l'ange. Sur l'avis de la Communauté de ces Maîtres, la thèse opposée de la simultanéité a été excommuniée par l'évêque de Paris. La position à adopter est celle qui est la plus vraie et la plus catholique, celle qui jouit des meilleures raisons, «magis probabilem», et est devenue la position communément partagée: il y a eu un court délai, «morula»,

99 100 101

ibid q 1 pp 112—114. ibid ad opp. n° 3 ρ 115. ibid ad opp. n° 4.

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entre création et chute, bien que cet intervalle de temps fût très bref, «licet parvula»102. Les appuis les plus fermes du maître Mineur s'énoncent aux Fundamenta'. on en retient deux. La thèse de la simultanéité se réclamait d'Augustin enseignant que Dieu a créé tout de façon simultanée103. Bonaventure met au point: oui, Augustin tient pour la création simultanée de tout quant à la nature comme mode d'être, «quantum ad esse naturale», non quant au «bene esse», quant à l'achèvement de la béatitude. Augustin enseigne que la série des jours (dont parle la Genèse) relève de l'ordre spirituel en tant qu'il s'agit d'une septuple conversion de l'intellect angélique à l'égard de l'univers de l'être réel104. La façon de voir du second fundamentum accuse le caractère dynamique du rapport qui distingue en les unissant être et agir, nature comme mode d'être, «esse naturale», et achèvement, «bene esse». De manière assez proche de l'ajout correctif du premier Alexandre noté dans la S. Halensis, la réponse ad 3 de Bonaventure concède qu'il y a pu avoir simultanéité entre l'instant de la création et l'exercice de la pensée intellective, mais nie cette simultanéité en ce qui concerne l'acte de choisir, «electio». Celui-ci est en effet précédé par une délibération et par la découverte cognitive de plusieurs possibilités. Là où il y a délibération, il y a forcément confrontation et succession d'activités. Si donc la faute est consécutive à une délibération, le péché est un élément second par rapport à l'être de l'esprit pur, non seulement en nature mais aussi du point de vue de la durée. Le désir, chez l'esprit angélique, présuppose la connaissance de trois choses: l'objet désirable, le sujet pour qui cet objet est tel, et la raison qui meut le sujet à désirer, car il y a une raison qui chez lui a éveillé ce désir. Ces trois choses étant diverses, il est impossible à un pouvoir intellectif simple de se tourner dans un même et unique instant en direction de trois objets d'intellection105. La simplicité de l'ange qui a été invoquée en faveur de la simultanéité du vouloir et du connaître par mode d'instants contigus s'oppose à la simultanéité du connaître et du choisir. En effet, par son activité de conversion, il est impossible à l'ange de se concentrer sur un autre objet 106 . Le point de convergence de ces deux raisons s'identifi e dans le fundamentum n° 6 qui s'applique à déterminer le «bonum » comme fruit d'une 102

ibid Resp. ρ 116. Bonav., d 4 a 3 q 1 Resp (p 139—140) montre que le texte d'Augustin, De Civ. Dei doit être pris comme clef pour celui de Sup Genes, ad litt. 104 in d 3 ρ 2 a 1 q 2 ad 2 ρ 117. 105 ibid fund. n° 3 ρ 116. 108 ibid ad 3 (p 117): una conversione totus capitur intellectus ab uno objecto ita quod incompossibilis est in ilio instanti conversio ad aliud objectum. 103

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acquisition active et le « malum» comme corruption consécutive à l'agir peccamineux. L'instrument philosophique utilisé par l'argumentation reste mal adapté: il s'agit d'une proposition puisée chez Aristote mais ployée au service d'une conception qui lui est étrangère. Au cours du devenir hylémorphique, il y a simultanéité du devenir, «fieri», et du résultat, «factum esse». De même pour la corruption, il y a simultanéité et de la disparition (d'un être corporel) et du résultat, l'anéantissement. Donc le bien ne se trouve pas dans ce moment: en effet le mal est principe qui corrompt un bien et il ne le corrompt que si un bien existe. Aristote déclare: «entre deux devenirs opposés il y a nécessairement un certain repos intermédiaire »107. Objecte-t-on qu'il en fut pour l'ange comme pour l'âme humaine (du fait du péché originel), à savoir qu'il n'y a pas eu perte d'un bien déjà possédé, mais d'un bien qui aurait été acquis s'il n'y avait pas eu faute ? C'est supposer que l'esprit séparé n'a jamais été dans un état juste et excellent, mais qu'il y fût été s'il n'avait point failli. Pareille objection contredit Augustin dans son De correptione et gratia, là où il explique la parole de l'Ecriture: «celui-là ne s'est pas tenu dans la vérité», en montrant que le diable a été dans un état de vérité mais ne s'y est pas maintenu. D'où la thèse qui est soutenue: Il y a eu, entre la production (créatrice) de l'état final et son acquisition par l'ange, un certain intermédiaire de repos et donc un certain délai: «inter illius boni productionem et adeptionem fuit quies media »108. Cette distinction entre moment de la production du bien ultime par la Cause première et moment de l'acquisition effective de ce même bien par l'esprit créé représente une notable avancée. La pensée de Bonaventure se meut certes dans le sillage du Commentaire littéral sur la Genèse d'Augustin, mais elle reste personnelle109. Le recours à l'analyse aristotélicienne du changement hylémorphique ne paraît pas topique, mais l'essentiel en est indépendant, qui concerne la dissociation du moment de l'acte producteur du bien chez le Créateur et de l'instant primitif chez le sujet créé. Le Maître Mineur centre ainsi le problème sur la relation de l'être et de l'agir et l'éclairé avec des notions noétiques relatives aux objets d'activité intellective et volitive. Si même il se fait lui aussi l'écho des développements moralisateurs de style traditionnel 110 , Bonaventure, équipé des discernements acquis entre excellence de nature, «bonitas naturalis ou essentialis », et excel107

Aristote, Phys. VIII c 7 (261 b 3—7) Bonav., ibid, fund. n° 6 ρ 116. 109 cf in d 4 a 3 q 1 Resp. ρ 139—140. 110 Bonav., dans son commentaire sur les Disi. 34—35 et 37, puis 38 et 40—41 s'exerce à élucider le problème du bien et du mal. 108

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lence morale, «bonitas morís»111, ou, en style anselmien, rectitude de nature, «rectitudo naturae instituae»et rectitude de grâce, «rectitudo gratiae »U2, montre, au moyen d'une conception plus philosophique de l'activité de «conversio», qu'il y a une double façon de se centrer, de se convertir au bien, une première en vertu de la rectitude naturelle, la deuxième en vertu de la grâce113. Sous la problématique qui s'est développée, on identifie la double acception du «bonum» proposée par Anselme. N'est-ce pas pour rester proche de la problématique du maître du Bec que, sur la question de la création de l'ange en grâce, Bona venture opine pour la négative114 ? En tout cas il réserve la totalité du bien d'ordre moral au moment actif de la conversion libre à Dieu115. Cette référence exclusive à Dieu pour définir le bien passe sous silence la relation du bien à la nature du sujet libre. D'où l'embarras pour rendre quelque raison du mal116. La formule «privation du bien» qui décrit le mal a trois sens, dit la maître Mineur: 1) défaut naturel, «defectus naturalis»; 2) faute coupable, «defectus culpabilis»; 3) défaut au sens de dommage qui pénalise la faute, «defectus poenalis». Défaut naturel dit pour la volonté possibilité de défaillir, «ipsa defectibilitas », du fait qu'elle est tirée du néant. Il est présupposé par le mal de faute ou péché, car jamais la volonté ne pourrait défaillir dans le vouloir du bien si elle n'avait en elle la (tare de) vanité et (de) possibilité de défaillir117. Cette façon de comprende le mal ne doit pas s'entendre en un sens contraire à l'affirmation de l'excellence de la nature du sujet 118 . Elle cherche à cerner l'impact réel, et, en ce sens, naturel, du mal sur la nature de l'agent créé. Elle est solidaire d'une autre explication de style très anselmien: le mal ne s'oppose pas au bien de la nature ou substance: il s'oppose de façon directe et absolue au bien de la «virtus » et de la grâce. Par rapport à ce bien (intermédiaire) qu'est l'aptitude moyenne, «habilitas media », le mal s'oppose d'une certaine manière et de l'autre non. Cette aptitude moyenne peut se rapporter soit à la nature où elle inhère, soit à la grâce vers laquelle elle oriente. En sa 111 In II Sent d 41 a 1 q 1 Resp ρ 938 : . . . de bono, prout dicitur a bonitate essentiali vel naturali; sic enim bonum non est differentia actionis, immo convertitur cum ente et reperitur in omni actione. Prout autem bonum dicitur a bonitate moris . . . 112 in d 5 a 3 q 1 Resp ρ 155. 113 ibid (supra) 114 in d 4 a 1 q 2 Resp ρ 133. 115 in d 3, Dubium II ρ 129, Bon. met en oeuvre la distinction d'Augustin entre connaissance a Verbo et in Verbo. 116 in d 37 a 1 q 1 Resp ρ 862 :. . . haec positio quae dicit, omnem actionem esse a Deo secundum quod est actio, absque ambiguitate tenenda est. 117 in d 34 a 1 q 2 Resp ρ 807. 118 ibid a 2 q 2 Resp ρ 813.

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relation à la nature du sujet, l'aptitude moyenne n'est pas contrariée par le mal, car elle dit alors support du mal, «subjectum mali», lequel est indifférent au mal. Mais en sa relation à la grâce ou à la vertu, elle entre en opposition avec le mal. Celui-ci détruit, «tollit », l'ordination droite (envers le bien) et la réduit à une aptitude moindre, «reddit minus et minus habilem ». Parce qu'il prive la faculté de volonté d'habilitation au bien, le mal de faute s'oppose, à titre premier et principal, à ce principe habilitant qui normalement constitue la faculté de volonté en état de recherche du bien et de fuite du mal119. L'opposition du mal et de ce que Bonaventure nomme «habilitas media » ne relève pas simplement de la dialectique mais de l'ordre réel. Le mal prive le sujet qu'il vicie d'une réalité effective120. Pour que se vérifie la rectitude de la volonté, il faut le concours de trois choses: 1) la faculté de volonté comme sujet apte à la rectitude; 2) l'habitus de rectitude; 3) 1'«habilitas media». Le péché ne corrompt pas la faculté comme telle, il détruit absolument l'habitus de rectitude, il exténue, «diminuit », d'une certaine manière l'aptitude moyenne tout en la laissant, de l'autre, elle-même121. Il faut observer le caractère anselmien du développement : la notion de «habilitas media» dérive directement de ce que le maître du Bec appelait «medium» et montrait, telle la lumière pour la vue, habilitant la volonté -faculté pour aimer et choisir le bien. Le maître Mineur adosse au thème d'habitus, aux attaches à la fois augustiniennes et aristotéliciennes, le dynamisme que cette «habilitas media» représente pour la volonté122. Au sens de principe de perversion pour la volonté, le mal est habitus, bien qu'à parler formellement le mal soit pure privation 123 . Ce soushabitus qu'est 1'«habilitas media» assure à la volonté-faculté d'être référée au bien et donc d'être de nature excellente. Il relève non pas de l'être au sens de la nature du sujet, mais de son «bene esse», de son «être bon», lequel dit état d'orientation vers le bien, «esseordinatum», ou être achevé, «esse completum »124. On touche ici au point philosophique extrême qu'atteint l'effort développé par Bonaventure pour rendre compte du bien et du mal. Une indéniable tension se constate entre la doctrine si ferme de la nature comme principe excellent et soit la détermination du mal comme dé-

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ibid ρ 813. in d 35 a 1 q 1 Resp ρ 822. 121 ibid ρ 823. 122 La notion d'habitus sert traditionnellement pour définir la grâce : cf in d 26 q 5 fund. n° 3 ρ 642. 123 in d 34 a 1 q 1 Resp ρ 804: secundum autem quod malum dicitur malus habitus . . . 121 ibid a 2 q 3 Resp ρ 815. 120

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faut naturel, soit celle du sujet comme indifférent au mal et donc au bien. Autre version de la même ambiguïté: l'exposé, doté d'une virtuosité dialectique suspecte, sur le caractère tout de même excellent du pouvoir de pécher, «potentia peccandi». Puissance, «potentia», à l'égard du bien ne dit pas ordination en acte à un effet bon, mais seulement virtuel, «habitualis». Volonté par contre dit ordination en acte. Au registre du mal, «potentia» ne signifie pas ordination en acte à agir de façon déréglée, mais plutôt ordination virtuelle. C'est la volonté qui est le principe reliant la puissance à l'agir: «voluntas est approximativa ipsius potentiae ad agendum»125. C'est pourquoi la volonté peccamineuse est mauvaise, tandis que le pouvoir de pécher, «potentia peccandi», ou possibilité de pécher, n'est pas à taxer de mauvais126. A la racine de ce texte obscur aux prises avec ce que Guillaume d'Auvergne, après Anselme, cherchait à cerner en parlant d'un double niveau de puissance, il y a le souci d'accuser l'impact réel sur le sujet et ses pouvoirs opératifs du bien ou du mal. L'obscurité tient au fait que sous le terme de volonté on désigne non pas la nue faculté mais la faculté animée par une certaine détermination. Celle-ci n'est pas opération mais principe d'orientation d'où l'opération découle127. 4. Albert le Grand Albert enseigne à Paris durant les années 1240—48. Cette période voit la rédaction de deux ouvrages où il est traité du problème de la perversion de l'esprit angélique: la Summa de creaturis et le Commentaire sur les Sentences128. Une troisième oeuvre, achevée sans doute à Cologne vers 1250, s'affaire également au problème: le Commentaire sur les Noms Divins129. Les deux premières naissent dans le contexte doctrinal parisien et sont contemporaines de la mesure universitaire 125 Cette formulation est à comprendre à l'aide de In I Sent d 45 a 2 q 1 Resp (I ρ 804—805) qui parle de l'union du principe efficient avec sa fin en vertu d'une réflexion de la volonté; ceci suppose que la volonté est une activité: illud ergo quod dicit conjunctionem principii effectivi cum fine est ratio causandi ( . . . ) ; sed voluntas est actus, secundum quem bonum reflectitur supra bonum. Bonav. use de l'idée dionysienne du cercle de l'amour qui vient de Dieu et y retourne. 126 In II Sent d 44 a 1 q 2 Resp ρ 1003. 127 Volonté comme détermination a ici le sens de vouloir activement déterminé: il ne s'agit pas de la faculté naturelle exclusivement. 128 Pour la chronologie, cf F. van Steenberghen, La philosophie au XIII°s. pp 585— 586. Le Comment, sur les Sent, est publié vers 1244—49; la S. de creaturis date de 1240—43. 129 Cf Alberti Magni Super Dionysium De Div. Nomin., éd. Cologne 1972, Prolegomena de P. Simon, ρ VI, 47. On néglige ici la S. Theologiae, oeuvre tardive qui soulève des doutes sur l'authenticité intégrale.

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de 1241 et 1244. Philosophe indépendant, Albert élargit l'horizon. Il fait grand cas de deux sources trop négligées : la noétique du péripatétisme arabe et les textes dionysiens. On relève ce qui concerne notre problème en le sériant en deux sections: A) les textes principaux; B) les éclaircissements proposés. A) les textes

principaux

La Summa de creaturis, au traité IV consacré à l'esprit séparé, étudie le problème de l'ange perverti de la q 62 à la q 69130. A la q 66, examen de la question : Quand l'ange pervers est-il tombé ? Réponse : Le temps et le moment de la chute ne sont pas déterminés, mais ce qui est certain, c'est que l'ange a été créé à l'état d'excellence et qu'ensuite, «postea», par un vouloir contraire à la justice, il est devenu pervers131. Brièveté et discrétion donc, car auparavant Albert a institué une Question sur l'activité chez l'esprit angélique et, plus précisément, sur la possibilité, chez celui-ci, d'être affecté, changé, du fait de sa propre activité. De plus cette Question est précédée par tout le traité II consacré au temps compris comme un des quatre co-principes ou coingrédients, tout à fait premiers et donc concomitants, «coaequaeva», qui constituent toute créature 132 . Selon qu'il s'agit de Dieu, de l'ange ou de l'homme, le temps est «aeternitas», «aevum» ou «tempus»133. Albert coordonne ici les doctrines d'Aristote et d'Augustin. Ce dernier offre une sentence de haute portée: Dieu meut l'esprit créé au moyen du temps134. Le temps, écrit Albert, se comprend de deux manières: selon les théologiens et selon les physiciens. Selon les théologiens, le temps dit mesure de tout changement, aussi bien pour un sujet divisible que pour un indivisible, pour le corps et pour l'esprit. En ce sens le temps accompagne la création de toute créature et même la modification, «vicissitudo», qui se trouve dans l'affection ou l'intellection chez l'esprit angélique. Alors le temps ne comporte ni avant ni après (...). En un second sens, temps dit mesure du mouvement ou du changement dans l'ordre du continu. C'est le sens des philosophes, tel qu'Aristote le définit. On le comprend avec évidence en le référant au mouve13

° S. de créât, tr IV qq 62—69 (B e t 34, 661—723). ibid q 66 sol. (p 680); la suite observe que P. Lombard a glosé la formule «ab initio» i. e. statim post initium. 132 ibid tr II qq 3—6 ρ 338—94. Cf tr 1 q 1 et 2 (ρ 307—37) : dans l'introd. de la q. 2 ρ 319 Alb. cite la Glossa super Genesim pour ces quatre «coequaeva». En sa S. Theol. Thomas d'Aq. nie que ce soit là un simple emprunt à Augustin (I q. 66 a 4 Resp). 133 ibid q 4 ρ 357 : De aevo. La source première est Boèce. 134 Augustin, De Gen. ad litt. VIII c 20 n° 39 s : per tempus movet conditum spiritum. Noté par Albert ibid tr II q 4 a 1 ad 2. ρ 361 ; a 3 ρ 363; tr IV q 59 a 3 diff. n° 1 ρ 627 et sol. ρ 628. 131

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ment local dont il est l'attribut essentiel135. Le temps est par essence un des co-principes, «coaequaevum», de toute créature. Il possède donc le sens général de mesure pour tout changement ou devenir, simple ou composé. En ce sens l'ange est mû dans le temps : il connaît dans le temps du fait du passage de l'intellect angélique jusqu'aux réalités intelligibles au cours de la connaissance vespérale, tandis qu'avec la connaissance matutinale (dans le Verbe), il touche à l'éternité 136 . Sur ce fond doctrinal se détache la question : Le mouvement propre à l'esprit angélique se trouve-t-il dans le temps? 137 . La réponse d'Albert, après rappel des deux types de temps, montre qu'il y a chez l'ange pluralité d'instants, mais non pas de moments séparés par du temps intermédiaire. Elle éclaire la disparité des trois sens qu'on peut lire dans la formule de P. Lombard: l'ange est tombé sitôt le début, «statim ab initio»138. Il y a ici trois sens du terme «début»: début du temps, début de l'état de grâce ou de gloire, début de la création. L'expression scripturaire «dès le début il (le Mauvais) ne s'est pas maintenu dans la vérité» peut s'entendre du début non pas du temps ni de la création, mais de l'état de grâce. Pour l'esprit angélique, cet état se situe avant la confirmation en grâce et son achèvement, «complementum»: toute réalité est inachevée, «imperfecta», en son début puis parachevée, «perfecta», dans l'état de plénitude139. Le Commentaire sur II Sentences pose à son tour la question : Est-il possible que l'ange se soit perverti dans l'instant même de sa création, étant exclu que Dieu soit cause de ce mal? 140 . Le contexte parisien s'identifie en plusieurs termes de la Question. Les arguments n° 2 et n° 3 sont à noter: l'ange perverti était actif dès le commencement de sa création. Un être supérieur en effet ne peut être resté oisif, «otiosa». Actif, il l'était soit de façon ordonnée, soit désordonnée. Au premier cas, l'exercice d'une opération ordonnée équivaut à se convertir (au bien) : hypothèse fausse. Reste le second cas, qui vérifie la thèse (d'une perversion au premier instant). Agir de façon désordonnée, c'est pécher. Donc l'ange a péché dès le commencement de sa création. Si l'esprit séparé n'a pas failli au début de sa création, il est demeuré un laps de temps dans l'état de pure nature, «in puris naturalibus». Voyons la thèse contraire: comme la flamme rencontrant un obstacle se tient en haut et tend vers le haut par une même et unique 135 136 137 138 139 110

Albert, ibid tr II q 5 a 2 sol ρ 369—70. ibid a 6 sol ρ 379. ibid tr IV q 59 a 3 (ρ 627) ibid q 66 Resp ρ 680. ibid suite. Albert, In II Sent, d 3 a 14 (B>.255 Il n'est pas vérifié au même degré par tous les intellects créés. A mesure que la nature de chacun d'eux se trouve plus éloignée de la simplicité absolue du cas divin, la forme intelligible se fait plus compliquée, plus complexe, ou, expres219 On renvoie aux ouvrages déjà nommés: L'homme en discussion . . . ch 7 pp 221 s et Dialogue et dissensions . . . ch 6 (2° partie) pp 385 s. 250 QD de verit q 8 a 6 Resp. 251 Cf L'homme en discussion . . . p.242 s. 252 QD de malo q 16 a 4 Resp. On lit «uno » et non le texte courant «una », suivant une suggestion du P. Gils qui prépare l'éd. critique. Cf a 2 ad 6; Ia P. q 14 aa 4—6; I ScGent, 45—46 et 49—55. 253 QD de malo q 16 a 8 Resp; 7» P. q 14 aa 1 et 2. 254 J» P. q 54 a 2 ad 2. 255 In II Sent d 3 q 3 a 1 Resp. qui allègue Averroès, Comment, sur la Métaphys. XII c. 51 (éd. Venise 1562 f° 336). Ibid a 2 sol.: ordo differentiae inter intelligens et intellectum.

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sion équivalente, les formes intelligibles se multiplient. Cette conception typiquement hénologique, Thomas la tient de Denys et la confirme à l'aide d'Averroès et du De causis256. La pensée intellective, dans l'ordre créé, se distribue donc selon un ordre de dignité décroissante, c'est-à-dire de simplicité qui se dégrade, comme il se doit en néoplatonisme. En tête, la pensée divine toujours absolument simple. En deçà apparaît une multiplicité péjorative dans l'univers des esprits angéliques répartis en hiérarchie. Au bas de l'échelle, le cas humain, où la vie intellective se meut au ras de l'univers sensible et à travers les délais temporels257. L'art. 4, appliquant cette noétique à la pensée de l'ange, écrit: Dans la mesure où l'intellect angélique connaît des réalités multiples au moyen de formes intelligibles moins multipliées, dans cette même mesure il est de rang plus élevé258. La loi de l'intellect créé, si haut soit-il dans le hiérarchie des substances intellectives, est de développer sa pensée à travers une multiplicité. Tous les objets d'intellection que peut embrasser une même et unique forme intelligible, l'ange les connaît en une unique intellection. Mais les choses qui requièrent plus d'une forme intelligible, il ne peut les connaître de façon simultanée mais seulement successive259. Reprenant une idée déjà notée chez Albert et lui faisant corriger la conception qu'il proposait en J a Pars, Thomas stipule que cette succession, sans relever du temps cosmique, vérifie le temps qui est propre à l'intellect séparé, comme le déclare Augustin260. Il faut discerner ceci: Les opérations intellectives et volitives, chez l'esprit angélique, donnent lieu à une certaine succession temporelle. Augustin dit en effet au livre VIII e De la Genèse au sens littéral que Dieu meut la créature spirituelle au moyen du temps. L'esprit angélique ne connaît pas en acte toutes choses en une opération unique, «non (. . .) simul actu», il ne connaît pas toutes choses par une forme intelligible unique mais par plusieurs281. Cette nouvelle façon de voir rend caduque celle de la /» Pars q 63 quant aux deux moments non temporels. Elle a été notée en /» P. q 57 art. 3 ad 2 sans toutefois prendre la peine de retoucher la q 63 sur ce point précis. Elle se lit également dans le livre II de la Summa c. Gentiles au ch. 101. 256 /a P . q 55 a 3 allègue CH c 12 § 2; cf In II Sent d 3 q 3 a 2; II ScG c 98 n° 1836 s; Expos, in L. de causis prop. X ; etc. 257 258 259 260 261

I* P. q 76 a 5; cf ci-dessus n. 193. QD de malo q 16 a 4 Resp. ibid. ibid. ibid (infra).

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Ce caractère réellement temporel de la succession interne de la pensée intellective créée est rapproché d'une autre multiplicité: celle de la fin naturelle et de la fin surnaturelle auxquelles est ordonnée toute créature libre. Etablie ailleurs, cette disparité des deux fins est critère pour discerner deux types d'agir. La fin naturelle se définit par la nature du sujet créé. La fin surnaturelle est partage de la béatitude propre à Dieu dans la vision bienheureuse. Ceci n'est possible qu'en raison de l'union de l'intellect créé avec l'essence divine qui devient forme intelligible pour la pensée exercée par l'intellect du sujet élu262. Notre qu. X V I De malo poursuit : Les réalités qui relèvent de l'ordre surnaturel et appartiennent au domaine de la grâce, celles-là qui ont été l'objet par rapport auquel l'ange a péché, sont, au regard des réalités objet de connaissance naturelle, bien plus distantes, «magis distant », que ne le sont entre elles les choses connues d'intellection naturelle. Si donc l'intellect angélique ne peut appréhender à la fois et dans une seule forme intelligible l'univers des réalités objet d'intellection naturelle à cause de la distance qui sépare leur nature — observer la reprise du terme lu chez Averroès —, encore moins ce même sujet angélique peut-il être porté, «moveri», en une opération unique de connaissance vers l'ensemble constitué par les réalités naturellement connues et celles qui le sont de manière surnaturelle. L'opération que l'ange exerce en son premier moment, c'est clair, s'est orientée vers ce qui lui est connaturel, «in id quod est sibi connaturale », car c'est en passant par là qu'il a eu accès à l'ordre surnaturel, «quia per id pertingit in id quod est supra naturam». L'esprit angélique, au premier instant de sa création, s'est nécessairement orienté vers la connaissance naturelle de soi. Au cours de cette étape il n'a pu défaillir. Lors de l'étape ultérieure, «postmodum», une double possibilité s'est offerte à lui : se convertir vers ce qui est au-dessus de son intellection naturelle ou s'en détourner. Par conséquent, l'esprit angélique, au premier instant de sa création, ne fut ni bienheureux de la béatitude réservée à la parfaite conversion à Dieu, ni pécheur du fait d'un détournement volontaire par rapport à Dieu. C'est la raison qui porte Augustin à dire, dans son Commentaire sur la Genèse, qu'après le soir du premier jour il y eut le matin de la lumière de l'Esprit. L'intellect angélique, après avoir pris connaissance de sa propre nature, cette nature par laquelle il n'est pas ce que Dieu est, se réfère, pour la louer, à la lumière qu'est Dieu et qui vient l'informer de sa splendeur dès qu'il la contemple263.

262 Pour le contexte historique de cette doctrine thomiste, cf Dialogue et dissensions . . . pp 211 s. 263 QD de malo q 16 a 4 Resp (fin).

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La notion clef est ici celle de point de passage obligé : la connaissance des réalités connaturelles. Des indications éparses éclairent cet itinéraire vers l'univers surnaturel, vers la fin de béatitude véritable. Elles rendent compte de l'intrication nouvellement discernée entre le bien et le caractère progressif du destin de tout sujet créé.

Β) Dynamisme

du bien et statut historique du destin créé

Le sens à la fois métaphysique et moral de la notion de bien ici engagée apparaît dans la mise en évidence d'une double orientation dynamique du vouloir créé: vers la nature du sujet créé et vers la nature divine. Il s'agit, non pas d'une spéculation inopérante, mais d'une référence opérative, dynamique, à la fois intellectuelle et volitive, comme l'attestent les notions de fin naturelle et de fin surnaturelle. Un dynamisme unique, issu de l'attrait du bien à la fois propre à la nature du sujet et à la nature divine, assure l'unité, l'union opérative de ces deux fins. L'une et l'autre doivent être examinées de manière séparée. a) Démarche vers sa propre nature La fin naturelle de l'intellect créé est dite telle en vertu d'une conception précise: c'est un mouvement intellectif et volitif vers la nature du sujet. Ceci n'est pas à entendre comme réclusion sur soi. La fin ultime de tout agir est le bonheur, que Thomas, à la suite d'Aristote, définit comme opération exercée par le pouvoir suprême orienté sur l'objet le plus noble264. Le moi véritable est celui qui résulte de cette activité suprême et épanouissante. Il n'est pas un donné tout fait antérieur à une démarche libre: il est au terme d'une avancée en sa direction. Le vrai moi développé par le bonheur est fin qualifiée de naturelle parce que le bonheur est naturel, est ce qui convient à notre nature créée. Avec Augustin évoquant la connaissance naturelle à l'intellect créé de l'ange sous les termes de vision dans la lumière du soir, Thomas assigne à l'opération initiale de l'ange d'être orientée vers sa propre nature, étant entendu que celle-ci est dotée de principes opératifs connaturels relatifs à tout l'univers de l'être à connaître et à apprécier selon la mesure impartie au sujet en sa nature. Ces principes connaturels sont les formes intelligibles infuses à l'intellect angélique par le Créateur 285 et l'amour naturel du bien évoqué plus haut. Ils permettent

2βι cf /a_//»e q 3 aa 2—4 et 8. 265 /a p . q 56 a 2; cf q 55 a 2; QD de malo q 16 a 7 ad 8.

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un accès intellectif et volitif à l'ensemble des êtres reconnus comme effets de la Cause première appréciée comme Bien suprême266. Mais pour n'être nullement réclusion sur soi, la vie intellective et volitive de mesure naturelle demeure, en vertu du statut connaturel des principes opératifs qui en sont le fondement, définie par le moi du sujet créé en sa nature propre. La raison principale que Thomas avance pour expliquer sa conception de l'amour naturel du bien se centre sur la priorité de la nature comme don primordial du Créateur au sujet libre. Elle se retrouve dans le thème d'orientation nécessaire non seulement pour le premier agir, mais pour l'accès au domaine surnaturel. Cette priorité de la nature du sujet se lit encore dans la doctrine thomiste de l'amour de charité que chacun doit porter à soi-même. Ceci confirme que la définition de la nature comme fin naturelle ne signifie pas fin provisoire à abandonner pour l'accès au plan supérieur de la fin ultime. L'impossibilité de défaillir pour l'activité menée d'après les principes naturels s'explique par l'absence, chez l'esprit angélique, de puissance— NB : au sens aristotélicien — à l'égard de la fin naturelle267. Mais en notre qu. de malo cette impeccabilité ne semble plus comprise comme hier, en Ja Pars, en soustrayant du domaine de l'amour électif cette orientation de l'esprit créé vers sa propre nature268. Le débat dont la q. 6 De malo se fait l'écho a suscité une conception plus affinée, celle qui se formule avec les deux niveaux appelés liberté d'exercice et liberté de spécification269. L'amour naturel du bien n'est plus concurrent de l'amour électif ni de la liberté: sa relation avec la nature du sujet lui vaut certes priorité qui le soustrait à la liberté de spécification, mais, dans la mesure où la nature et l'amour du bien selon la nature sont compris maintenant comme objets d'opération libre, l'une et l'autre relèvent de la liberté d'exercice au titre d'objet et donc de cause d'opération. D'où la richesse nouvelle de sens et la cohérence accrue que possède la nouvelle description du premier moment chez l'ange : c'est un agir libre et moralement excellent parce qu'orienté vers la nature du sujet, «in suam naturam»270. b) Statut historique du destin créé. La fin naturelle n'est pas la béatitude parfaite. Elle n'est pas le bien absolu du sujet créé. Y accéder dessine seulement la première étape de l'agir pour l'esprit angélique et délimite l'aire dont les principes QD de malo q 16 a 3 Resp; a 4 ad 14, ad 15. ibid a 3 Resp ; a 4 ad 3. 2ββ /» p . q 60 a 2 cf n. 219. 269 QD de malo q 6 Resp. 270 ibid q 16 a 4 ad 14.

2,8

267

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201

opératifs connaturels sont la mesure. Cette mesure est nécessaire, mais apparaît en fin de compte insuffisante. Le second moment, Thomas le décrit comme conversion à la fin surnaturelle. Le péché de l'ange n'a concerné rien de ce qui relève de l'ordre naturel, mais seulement du domaine surnaturel 271 . Le mal ne survient pas par mode de discordance envers l'appréhension (intellective naturellement) motrice de l'appétit, mais par discordance relativement à une certaine règle supérieure (...). Au sein de la substance séparée, la connaissance est exclusivement intellective et doit se diriger selon la règle de la Sagesse divine. Dans le vouloir, «voluntas», de l'ange, le mal ne peut surgir que par suite de l'abandon de cet arrangement, « ordo », que dessine la règle supérieure, c'est-à-dire la Sagesse de Dieu272. Toute la doctrine thomiste de la béatitude parfaite est ici engagée, qui la montre résidant dans l'accès à l'essence divine rendu possible par le don de la grâce273. Il s'agit d'une information directe et immédiate de l'intellect créé par l'essence même de Dieu274 pour l'exercice d'une opération développée selon une mesure et une règle incréées, «in ordine ad mensuram et regulam increatam >>275. Pareille activité est impossible en vertu de principes opératifs connaturels à une nature créée276. En cette règle suprême de l'agir surnaturel, on doit identifier, en plus de la présence à Dieu en lui-même, celle de Dieu «présent tout en tous », selon le mot de l'Ecriture. Un texte de la haute maturité précise cette dimension sociale de la béatitude ultime. L'homme est par grâce admis à la participation du bonheur du ciel, lequel consiste dans la vision et la jouissance de Dieu. Il devient, pour ainsi dire, citoyen et compagnon de cette société bienheureuse qui s'appelle la Jérusalem céleste (...). Ainsi enrôlé, cet homme doit posséder les principes opératifs requis pour agir selon la grâce, les vertus infuses. Leur mise en exercice exige au préalable l'amour de ce bien où communie toute cette communauté, «amor boni communi toti societati». Ce bien est le bien d'ordre divin, en tant qu'objet de la béatitude 277 . En discernant que son être est de nature limitée278, que ses principes opératifs le sont également parce que connaturels à sa nature 279 , l'intellect angélique sait qu'il est affecté par ce qu'avec Denys Thomas 271

ibid a 3 Resp. ibid a 2 Resp. 273 / a — / / a e q 3 a 8 Resp. 272

271 QD de verit. q 8 a 3 Resp (début) ; cf a 1 Resp ; III ScG c 51 ; Dialogue et dissensions . . . ρ 211 s. 275 /a—.//ae q 64 a 4 ad 2. 276 /» P . q 12 a 4 Resp. ; q 56 a 3 Resp. 277 QD de caritate a 2 Resp. 278 QD de malo q 16 a 3 Resp; cf /a P . q 60 a 5. 278 QD de malo q 16 a 2 ad 10; /» P. q 84 a 3 ad 1.

P . q 12 a 2; voir

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nomme «nescientia» ou «dissimilitudinis confusio >>280. L'amour naturel du bien qui l'anime en son agir selon la nature lui fait ressentir ce que Thomas appelle désir naturel de voir Dieu, de partager la pensée divine281. Au plan volitif, l'ange estime que son bien propre n'est qu'un bien relatif et subordonné, contenu et donc valorisé par le bien supérieur que définit la vie volitive propre à Dieu282. Ces quelques notations attestent le sens de la formule «superior regula ». La règle supérieure qui seule mesure l'agir selon le bien demeure intérieure au sujet créé: elle intègre, pour la subordonner en la confirmant, la fin naturelle et y ajoute les dons surnaturels qui sont eux aussi intériorisés283. Loin donc de dire décret issu d'une transcendance étrangère, règle supérieure de l'agir signifie cette disposition concrète, «ordo regiminis », que ménage la Cause première pour que l'esprit créé adopte la mesure d'appréciation respectueuse de la nature de cet univers ultime, complexe mais uni dans l'amour du vrai bien, qu'est la Jérusalem céleste284. Elle ne concerne pas exactement Dieu isolément mais le bien défini par cet univers surnaturel. Le De malo écrit: Le diable, en recherchant l'égalité avec Dieu, s'est tourné vers les réalités divines quant à l'objet désiré, qui de soi est le bien, mais il s'est détourné de Dieu en ce qui concerne le mode, la mesure de les rechercher: il s'est écarté de l'ordonnancement de la règle divine285. La perversion de l'ange est échec à atteindre à la fois Dieu en lui-même et tout ce que Dieu opère par mode surnaturel dans l'ordre créé286. La conception à la fois dynamique et métaphysique du bien au sens le plus rigoureux qui est mise ici en oeuvre s'accompagne du débrouillement de la confusion qui embarrassait jusqu'en I* Pars la notion de « virtus » en son sens dionysien. Désormais Thomas restitue celle-ci à sa signification génuine en la détachant du sens de faculté de l'âme pour la référer à l'objet d'opération irradiant une force attractive. La sentence recueillie d'Aristote «qui peut porter mille peut porter cent», utilisée hier pour justifier une distinction entre âme et «intellectus»287, sert maintenant, avec tellement plus de raison, à rendre compte du caractère extrinsèque et surajouté du bien au sens propre par rapport 280

cf In II Sent d 9 q 1 a 2 ad 2; QD de malo q 16 a 6 Resp. ; a 3 ad 8. 291 / a _ / / a e q 3 a g. n l ScG c 50; Comp. Theol. c 104. 282 III ScGenliles c 109 éd. Marietti n° 2845—46. 283 Se reporter à la doctrine thomiste des missions divines (présence par grâce des Personnes divines dans l'esprit créé) : I a q 43 a 3. 284 QD de malo q 16 a 2 ad 7 : voluntas ejus (daemonis) non fuit regulata regula divini regiminis (cf ad 8 où « regimen » concerne l'ordre concret dans l'ordre cosmique). Il est très probable que c'est une allusion à l'Incarnation: cf QD de malo q 16 a 6 ad 2; 7 a P . q 57 a 5 ad 1. 285 QD de malo q 16 a 3 ad 1 ; a 2 ad 5 et ad 10. 286 ibid a 6 ad 3 in contr. 287 QD de verit q 10 a 1 Resp.

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au pouvoir connaturel du sujet créé288. Du coup surgit à la pleine lumière le sens profond, mal exprimé d'abord, de cette distinction entre essence de l'âme et ses «puissances» que contre vents et marées Thomas soutenait. Ce mouvement de maturation est en parfaite cohérence avec le sens authentique des textes dionysiens invoqués et avec la problématique anselmienne des deux notions de «voluntas» comme faculté et comme vouloir primordial. La qu. XVI de malo expose: Jouir de la béatitude ultime en vertu de sa propre nature, «per virtutem suae naturae», et non par mode de grâce issue d'un principe supérieur, c'est le propre de Dieu»289. C'est donc privilège divin que la possession de la béatitude sans nécessiter d'opération préalable. Comme la béatitude transcende toute nature créée, aucun être qui est purement créature (le théologien réserve le cas du Christ-homme) n'y accède qu'au moyen d'une activité préalable de recherche. L'ange (. . .) l'acquiert grâce à une opération méritoire unique. L'homme, par des activités multiples . . .290 La Qu. sur les vertus développe ce sens à la fois dynamique et métaphysique de la notion de «bonitas». Elle écrit: Dieu est doté-d'épanouissement-achevé-par-mode-de-vouloir-excellent, «perfectus », en raison exclusive de lui-même. Il n'a besoin de rien d'extrinsèque pour acquérir sa «bonitas», son achèvement-épanouissant-par-mode-de vouloir-excellent. Les êtres supérieurs qui en sont les plus proches n'ont besoin que d'activités peu nombreuses pour recevoir de Dieu leur achèvement-épanouissant-par-mode-de-vouloir-excellent, « ad consequendam perfectionem bonitatis ». L'homme, qui est le plus éloigné de Dieu (dans l'ordre de la nature), nécessite de multiples opérations pour acquérir son achèvement-épanouissant-par-mode-de-vouloir-excellent2»1. Fruit d'une laborieuse et triple rédaction, le ch. 109 du la S. c. Gentiles III relie le dynamisme naturel du bien et de la fin ultime à la nature de Dieu comme principe de la nature du sujet créé, et non plus exclusivement à celle-ci comme en / • Pars. Il souligne que l'influx naturellement attractif du bien sur la volonté n'est infaillible que pour Dieu seul et que dans le cas créé il ne nécessite pas le libre arbitre 292 . 288 p o u r les justifications, voir Dialogue et dissensions tion dynamique des Remedia. 288

. . .: pp 354 s: §

Réinlerpréta-

QD de malo q 16 a 3 Resp. 290 / a — / / a e q 5 a 7 R e S p ; cf q 3 a 2 ad 4; QD de carit. a 7 Resp. 291 QD de virtulibus in comm. a 8 ad 9. Par la formule «achèvement-épanouissantpar-mode-de-vouloir-excellent », on tente de rendre ce que Thomas indique sous le terme «bonitas» devenu intraduisible. La misérable indigence qui affecte, dans notre culture actuelle, les notions de bien et d'agir selon le bien interdit d'utiliser ici le terme « bonté ». 2,2 III ScGenliles c 109 n° 2845 s. Ce texte met en oeuvre le discernement établi par QD de malo q 6.

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Rejoignant la doctrine notée chez Albert le Grand du bien relativement extrinsèque à la nature créée, Thomas fonde sa conception du bien en la rapprochant de sa fameuse doctrine de la composition, en tout sujet créé, d'essence et d'acte d'être. Le problème des «puissances » de l'âme est l'occassion du développement que voici: De même que l'acte d'être, «ipsum esse», est actuation, «actualitas», de l'essence, ainsi l'opération est actuation de la puissance opérative, «actualitas operativae potentiae seu virtutis ». De part et d'autre il s'agit d'être en acte: l'essence en vertu de l'«esse», la puissance opérative en vertu de l'opération. Chez la créature l'agir n'étant pas identique à l'être — pareille identité reste privilège du cas divin —, il s'ensuit que la puissance opérative ne peut y être identique à l'essence293. Sur le même thème, la Qu. sur l'âme explique : Le rapport de l'essence à l'acte d'être, c'est celui du dynamisme, «posse», à l'agir. En permutant, on montre que le rapport de l'acte d'être, «esse», et de l'agir est celui du dynamisme opératif, «potentia» (NB : sens dionysien), et de l'essence. En Dieu seul dynamisme opératif, «potentia», et essence sont identiques, parce qu'en lui être et agir sont identiques. Dans l'âme, l'essence et le dynamisme opératif, «potentiae», sont distincts294. Pour entendre ce rapport entre la composition d'essence et d'acte d'être et celle de nature créée et du dynamisme opératif, « virtus ou potentia », il faut, à notre gré, partir de la doctrine thomiste trop négligée de la complexité, en tout sujet créé, de la perfection première et de la perfection ultime ou seconde295. Le couple formé par ces deux dernières notions exprime le sens philosophique de l'agir chez l'homme comme chez tout sujet créé. Qualifiant avec Aristote et les arabes la nature ou essence du sujet actif du titre de perfection première, Thomas définit la perfection seconde comme ajout perfectif et actuateur pour l'essence. Il la montre de dignité ontologique supérieure à la nature de l'agent créé296. L'innovation des Questions sur le mal quant à l'explication du mal de faute chez l'ange déchu repose sur cette puissante assise philosophique où s'adossent deux thèmes importants: nécessaire démarche de l'intellect créé vers sa propre nature d'une part, et de l'autre dynamisme du bien compris comme moteur d'une nécessaire démarche libre

293

QD de spiritualibus creaturis a i l Resp. QD de anima a 12 Sed C. n° 1; cf QD de spirit, créât, a 11 Sed C. n° 1 (Denys) ; n° 5 (Anselme). 295 On renvoie, pour cette doctrine, à l'examen dûment justifié qu'on a mené dans: Dialogue et dissensions . . . pp 459 s: § Le couple «perfection première» — «perfection ultime» et le schéma «émanation-retour». 296 Cf QD de verit. q 8 a 7 Resp (191 s) : forma enim qua intellectus intelligit, cum sit intellectus perfectio, est nobilior intellectu. la—Ilae q 3 a 6 Resp. 294

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vers l'épanouissement de la béatitude. La rigoureuse coordination de ces deux thèmes a permis la mise en évidence du statut historique, c'està-dire progressivement et librement acquis, du destin propre à toute créature intelligente et libre. C'est là l'extension mûrement réfléchie au cas de l'intellect séparé de ce qui était déjà proposé pour l'homme: «homines autem per tempus ad ipsam (beatitudinem) perveniunt »297. q 5 a 1 ad 1

SÜNDE UND GOTTESLIEBE NACH THOMAS VON AQUIN von

WILLIAM J . H O Y E

(Mainz)

Nach der Lehre des hl. Thomas von Aquin hat die Sünde ihren letzten Grund in der allumfassenden Gottesliebe. Diese radikale Sicht kennzeichnet die Eigenheit der thomistischen Sündenlehre. Thomas stellt die Sünde nicht so sehr in Gegensatz zur Liebe als vielmehr in deren Kontext. Sünde erweist sich sogar letzten Endes als ein Vollzug der Gottesliebe. Eine solche positive Würdigung der Sünde ermöglicht nicht nur eine glaubhaftere Integration des Sündenbegriffes in die christliche Anthropologie, als es üblicherweise durch einen rein negativ bestimmten Sündenbegriff geschieht, sondern erlaubt darüberhinaus ein vertieftes Verständnis des menschlichen Lebens. Daß der Sünde immer weniger Bedeutsamkeit im religiösen Bereich zugemessen wird, daß z. B. Sünde im eigentlichen Sinne, als die sog. „Todsünde" oder „schwere Sünde", nur mehr als eine theoretische Möglichkeit denn eine lebensnahe Wirklichkeit angesehen wird, oder gar, daß der Sündenbegriff von der aktuellen theologischen Begriffswelt ausgeklammert wird1, ist vermutlich auf den rein negativ bestimmten Sündenbegriff zurückzuführen. Diesen positiven Grundzug der Sünde sollen die nachfolgenden Ausführungen darstellen. In einem ersten Schritt wird es erforderlich sein, einige einschlägige Aspekte der allgemeinen thomistischen Theologie der Liebe festzuhalten. Von daher läßt sich dann, zweitens, die wesentliche Struktur der Sünde, zunächst sozusagen in reiner Form, d. h. so, wie Thomas sie in seiner Dämonologie entwickelt, herausstellen. Schließlich soll die Sünde in ihrer komplexeren Form, d. h. die Sünde des Menschen, behandelt werden. Wegen der Ungewohnheit des vorliegenden positiven Interpretationsversuchs empfiehlt es sich, Texte des Thomas relativ ausführlich zu zitieren.

I. Die U n i v e r s a l i t ä t der G o t t e s l i e b e Eine besondere Stärke des thomistischen Denkens liegt sicherlich in dem Vermögen, in Mannigfaltigkeiten verschiedenster Art eine 1 Z. B. gibt es keinen Artikel zu dem Stichwort „Sünde" in dem repräsentativen Wörterbuch christlicher Ethik, hrsg. B. Stoeckle, Freiburg-Basel-Wien 1975.

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Einheit zu erblicken. Auch in Bezug auf die Liebe ist es seiner Abstraktionskraft gelungen, eine umfassende Gemeinsamkeit in der Verschiedenheit zu finden. Sein Liebesbegriff bleibt allerdings nicht bloß ein allgemeiner Begriff, der einer Menge von Fällen und Arten einen gemeinsamen Namen gibt, sondern er eröffnet dem Denken eine sonst unerkannte Dimension der Wirklichkeit, jene Dimension, die all denjenigen Phänomenen, welche Liebe genannt werden können, innewohnt, das Göttliche. Der thomistische Liebesbegriff ist also sehr weitgefaßt. Was die Definition anbelangt, so hat der Aquinate offensichtlich kein Bedenken, sich der gängigen aristotelischen Tradition anzuschließen: „amare est velie alicui bonum" 2 . Schon die Syntax dieser Definition ermöglicht es, zwei verschiedene Grundarten der Liebe zusammenzubringen und zugleich zu unterscheiden: „cum amare sit velie bonum alicui, dupliciter dicitur aliquid amari: aut sicut id cui volumus bonum, aut sicut bonum quod volumus alicui"3. Die zwei Objekte des Verbes entsprechen der rudimentären Unterscheidung von amor amicitiae und amor concupiscentiae4. Die Einheit der beiden beruht jedoch nicht auf einer Gleichheit, sondern auf einer Unterordnung des „amor concupiscentiae" unter den „amor amicitiae"; nur der „amor amicitiae" ist Liebe im strengen Sinne, nur er kann Vollkommenheit erreichen5. Aus ihm leitet sich die begehrende Liebe ab, analog dem Verhältnis von Akzidentien zu ihrer Substanz. „Haec autem divisio est secundum prius et posterius. Nam id quod amatur amore amicitiae, simpliciter et per se amatur: quod autem amatur amore concupiscentiae, non simpliciter et secundum se amatur, sed amatur alteri. Sicut enim ens simpliciter est quod habet esse, ens autem secundum quid quod est in alio; ita bonum, quod convertitur cum ente, simpliciter quidem est quod ipsum habet bonitatem; quod autem est bonum alterius, est bonum secundum quid. Et per consequens amor quo amatur aliquid

2

Z. B. Sum. th., I—II, q. 26, a. 4c. De car., a. 7 c. 4 „Amare est velie alicui bonum. Sic ergo motus amoris in duo tendit: scilicet in bonum quod quis vult alicui, vel sibi vel alii; et in illud cui vult bonum. Ad illud ergo bonum quod quis vult alteri, habetur amor concupiscentiae: ad illud autem cui aliquis vult bonum, habetur amor amicitiae". Sum. th., I—II, q. 26, a. 4c. J. Pieper, Über die Liebe, München 1972, pp. 191—92, Anm. 8, suggeriert allerdings, daß Thomas sich mit dieser Terminologie nicht voll identifizieren konnte. 5 „Est autem duplex amor: unus quidem imperfectus, alius autem perfectus. Imperfectus quidem amor alicuius rei est, quando aliquis rem aliquam amat non ut ei bonum in seipsa velit, sed ut bonum illius sibi velit; et hic nominatur a quibusdam concupiscentia. . . . Alius autem est amor perfectus, quo bonum alicuius in seipso diligitur . . . ; et hic dicitur esse amor amicitiae, quo aliquis secundum seipsum diligitur ; unde ista est perfecta amicitia". De spe, a. 3 c. 3

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ut ei sit bonum, est amor simpliciter : amor autem quo amatur aliquid ut sit bonum alterius, est amor secundum quid" 6 . Das Wort „velie" in der Definition wird von Thomas sehr weit aufgefaßt, sodaß darunter jedwede Neigung gemeint ist. Amor liegt jedem Streben zugrunde: „Amor autem respicit bonum in communi. . . . Unde amor naturaliter est primus actus voluntatis et appetitus" 7 . Wo immer sich etwas ereignet, ist Liebe vorausgesetzt: „orane agens, quodcumque sit, agit quamcumque actionem ex aliquo amore" 8 . Das geht so weit, daß Thomas sogar die Schwerkraft als „amor" bezeichnet9. Gleichfalls läßt sich jede „passio" auf „amor" zurückführen 10 . Und das Gleiche gilt auch für jeden „affectus" 11 . Ein jedes Streben entsteht aus der primordialen Vereinigung („unio affectiva") des Subjektes der Liebe zu dem Objekt 12 . Diese Vereinigung kommt durch eine erste Beeinflussung („informatio quaedam") des Objektes auf das Subjekt zustande 13 . Das, was geliebt wird, setzt also zunächst überhaupt die Kreisbewegung der Liebe in Gang. Dieser umfassenden Konzeption entsprechend beschränkt Thomas seinen Liebesbegriff nicht ausschließlich auf die personale Liebe ; er unterscheidet vielmehr zwischen drei Grundarten der Liebe: „intellectivus" (bzw. „rationalis"), „sensitivus" und „naturalis" 14 . Alle beziehen sich zwar auf Gutes, aber jede auf eine andere Weise. Während „amor naturalis" nur aus einer „habitudo naturalis" entsteht, gehen der „amor sensitivus" und „intellectivus" von einer Erkenntnis aus. Bei dem „amor sensitivus" 6

Sum. th., I — I I , q. 26, a. 4c. Ebd., I, q. 20, a. l c . 8 Ebd., I — I I , q. 28, a. 6c. 9 Vgl. ebd., q. 26, a. l c ; 2c. 10 ,,Εχ amore. . x a u s a n t u r . . .omnes aliae passiones. Unde omnis actio quae procedit ex quacumque passione, procedit etiam ex amore, sicut ex p r i m a causa". Ebd., q. 28, a. 6, ad 2. 11 „Amor est principium et radix omnium a f f e c t u u m " . De viri, in com., a. 12, ad 9. „Omnis affectio animae provenit ex amore." De spe, a. 3c. Vgl. De malo, q. 11, a. 1, ad 1. 12 „ U n i o a m a t i ad a m a n t e m . . . est unio affectiva, quae est secundum a p t i t u d i n e m vel proportionem : prout scilicet ex hoc quod aliquid h a b e t aptitudinem ad alterum e t inclinationem, iam participât aliquid eius. E t sic amor unionem importât. Quae quidem unio praecedit m o t u m desiderii." Sum. th., I — I I , q. 25, a. 2, ad 2. 13 „ I p s u m appetibile d a t appetitui, primo quidem, q u a n d a m coaptationem ad ipsum, quae est complacentia appetibilis; ex q u a sequitur motus ad appetibile. . . . Appetibile enim movet appetitum, faciens se quodammodo in eius intentione; e t appetitus t e n d i t in appetibile realiter consequendum, u t sit ibi finis motus, ubi f u i t principium. P r i m a ergo i m m u t a t i o appetitus ab appetibili vocatur amor, qui nihil est aliud q u a m complacentia appetibilis ; et ex hac complacentia sequitur m o t u s in appetibile, qui est desiderium; et ultimo quies, quae est gaudium." Ebd., q. 26. a. 2c. „ P r i m o quidem est informatio quaedam ipsius appetitus per bonum ; et hoc est amor, qui u n i t a m a t u m a m a n t i . " De spe, a. 3c. 14 Vgl. ζ. Β. Sum. th., I — I I , q. 26, a. l c . 7

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handelt es sich um „aliquod bonum particulare", und bei dem „amor intellectivus" um ein „bonum", das qua „bonum" erkannt wird: „Quaedam vero inclinantur ad bonum cum cognitione qua cognoscunt ipsam boni rationem; quod est proprium intellectus. Et haec perfectissime inclinantur in bonum ; non quidem quasi ab alio solummodo directa in bonum, sicut ea quae cognitione carent; neque in bonum particulariter tantum, sicut ea in quibus est sola sensitiva cognitio; sed quasi inclinata in ipsum universale bonum. Et haec inclinatio dicitur voluntas" 15 . Betrachtet man die Liebe nun aber vom Gegenstand her, so weist sie mit Hilfe des Begriffs des Guten eine nicht geringere Universalität auf. Das Gute ist das, worauf eine jede Neigung zielt16. Natürlich ist dann „bonum" kein univoker Begriff, und insofern zeigt es den gleichen Grad von Transzendentalität auf wie der Begriff des „ens". „Bonum autem non praedicatur univoce de omnibus bonis, sicut nec ens de omnibus entibus, cum utrumque circumeat omnia genera" 17 . „Bonum" deckt sich also mit „ens", „bonum et ens convertuntur", was für Thomas heißt, daß „bonum" nichts anderes sein kann als der Ausdruck einer Modalität des „ens" 18 . Jede Wirklichkeit ist eo ipso gut: „Omne ens, inquantum est ens, est bonum" 19 . Diese Konvertibilität impliziert eine innerliche Wechselseitigkeit zwischen Subjekt und Objekt, sodaß man, vom Subjekt ausgehend, nochmals zu dem gleichen Ergebnis gelangen kann: „omnis autem appetitus non est nisi boni; cuius ratio est quia appetitus nihil aliud est quam quaedam inclinatio appetentis ad aliquid, nihil autem inclinatur nisi in aliquid simile et conveniens. Cum igitur omnis res, in quantum est ens et substantia, sit quoddam bonum, necesse est ut omnis inclinatio sit in bonum" 20 . So weitreichend ist diese Einheit, daß sie in Gott selber, der das Gute schlechthin und die Liebe selber ist, gründet. „A primo igitur per suam essentiam ente et bono, unumquodque potest dici bonum et ens, inquantum participai ipsum per modum cuiusdam assimilationis . . . . Sic ergo unumquodque dicitur bonum bonitate divina, sicut primo principio exemplari, effectivo et finali totius bonitatis. Nihilominus tarnen unumquodque dicitur bonum similitudine divinae " Ebd., I, q. 59, a. l c . 1β „Quod autem habet rationem appetibilis, habet rationem boni." De malo, q. 1, a. l c . „Cum dicitur 'bonum est quod omnia appetunt', non sic intelligitur quasi unumquodque bonum ab omnibus appetatur: sed quia quidquid appetitur, rationem boni habet." Sum. ih., I, q. 6, a. 2, ad 2. 17 De malo, q. 1, a. 2, ad 4. 18 Vgl. De ver., q. 1, a. l c . 19 Sum. th., I, q. 5, a. 3c. Das erklärt Thomas näherhin, indem er auf die Begriffe des actus und der forma zurückgreift; vgl. ebd., q. 48, a. 3c. 20 Ebd., I—II, q. 8, a. l c . 14

Med. XI

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bonitatis sibi inhaerente, quae est formaliter sua bonitas denominans ipsum. Et sic est bonitas una omnium; et etiam multae bonitates"21. In dieser theologischen Seinsperspektive lösen sich also alle Gegensätzlichkeiten endgültig auf; jede Wirklichkeit, die in der kategorialen Perspektive als böse gilt, erweist sich letztlich als grundsätzlich gut. ,,Omnia autem contraria et diversa, quae sunt in mundo, inveniuntur communicare in aliquo imo, . . . saltem in ratione essendi : unde oportet quod omnium istorum sit unum principium, quod est omnibus causa essendi. Esse autem, in quantum huiusmodi, bonum est"22. Ein „malum" erscheint als definitives und grundsätzliches „malum" nur dem, der die transzendentale Einheit der Wirklichkeit nicht erkennt, d. h. der die Wirklichkeit lediglich als Summe von Einzelheiten zu begreifen vermag23. Selbst wenn man annähme, daß ein bestimmtes „malum" von keinem Geschöpf geliebt würde, so bliebe diesem „malum" auf jeden Fall die Liebe Gottes gesichert. Denn Gott, der alle Dinge bis zu ihrem Grund durchschaut, liebt schlechthin alles, und sei es denn unter dem Aspekt des Seins. „Deus omnia existentia amat. Nam omnia existentia, in quantum sunt, bona sunt : ipsum enim esse cuiuslibet rei quoddam bonum est"24. Außerhalb des Einflußbereiches der göttlichen Liebe geschieht schlechterdings nichts25. Bei dem Verhältnis zwischen Welt und Gott handelt es sich nicht so sehr um zwei verschiedene Wirklichkeiten als vielmehr um zwei verschiedene Wirklichkeitsordnungen. Die einzelnen Wirklichkeiten, die uns in der Welt begegnen, stellen die Fülle der einen und einfachen göttlichen Gut21 Ebd., I, q. 6, a. 4c. In jeder Hinsicht ist Gott die gründende transzendentale Einheit des Ganzen: „cum Deus sit causa efficiens, exemplaris et finalis omnium rerum, et materia prima sit ab ipso, sequitur quod primum principium omnium rerum sit unum t a n t u m secundum rem." Ebd., q. 44, a. 4, ad 4. 22 De pot., q. 3, a. 6c. „Contraria conveniunt . . . in ratione essendi. E t ideo, licet habeant causas particulares contrarias, tarnen oportet devenire ad unam primam causam communem." Sum. th., I, q. 49, a. 3, ad 1. 23 „Qui autem posuerunt duo prima principia, unum bonum et alterum malum, . . . in hunc errorem inciderunt, . . . quia . . . non consideraverunt causam universalem totius entis, sed particulares t a n t u m causas particularium effectuum. Propter hoc enim, si aliquid invenerunt esse nocivum alicui rei per virtutem suae naturae, aestimaverunt naturam illius rei esse malam. . . . Iudicium autem de bonitate alicuius rei non est accipiendum secundum ordinem ad aliquid particulare; sed secundum seipsum, et secundum ordinem ad totum universum, in quo quaelibet res suum locum ordinatissime tenet. . . . Sed cum omnia contraria conveniant in uno communi, necesse est in eis, supra causas contrarias proprias, inveniri unam causam communem. . . . Supra omnia quae quocumque modo sunt, invenitur unum primum principium essendi." Ebd., c. 24 Ebd., q. 20, a. 2c. 25 „Potest enim aliquid fieri extra ordinem alicuius causae particularis agentis: non autem extra ordinem alicuius causae universalis, sub qua omnes causae particulares comprehenduntur. Quia, si aliqua causa particularis deficiat a suo effectu, hoc est propter aliquam aliam causam particularem impedientem: unde effectus ordinem causae universalis nullo modo potest exire." Ebd., q. 19, a. 6c.

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heit in vielfältiger Weise dar28. Die erfahrene Welt setzt sich aus „bona particularia" zusammen, während Gott das „bonum universale" ist27. Gott ist also nicht nur der höchste Gegenstand der Liebe, sondern ihr ganzer, allesumfassender (transzendentaler) Gegenstand. Er ist nämlich „ipsa essentia bonitatis", und das bedeutet, daß überhaupt alles, was geliebt wird, ein „bonum per participationem" verkörpert; mit anderen Worten, kein absolut eigenständiges „bonum", sondern eine bestimmte Seinsmodalität der göttlichen „bonitas" 28 . Um die relative „Eigenständigkeit" eines weltlichen „bonum" zu verdeutlichen, verwendet Thomas einen Vergleich mit einem geometrischen Punkt, der einer Linie hinzugefügt wird29. Um die Transzendentalität der Liebe aus thomistischer Sicht im Bezug auf das Sein zu charakterisieren, nennt A. Ilien die Liebe „die Ur-Energie allen Seins"30. Diese universale Einheit der Liebe widerspiegelt sich in der Person des menschlichen Subjekts. Es gilt nun, wie W. Kluxen es formuliert, „zu sehen, daß die Ursprungseinheit sich in die Mannigfaltigkeit ausfaltet, ihr Auseinander trägt und wieder zur Einheit zurückführt" 31 . Die menschliche Liebe zielt in einem zugleich auf das göttliche „bonum universale" und auf die weltlichen „bona particularia". Der liebende Geist, d. h. die „voluntas", umfaßt also alle Arten von Streben im Menschen, weil die „voluntas" das allesumfassende Ganze zum Objekt hat. „Voluntas habet pro obiecto universale bonum, sub quo continentur omnia particularia bona, propter quae operantur potentiae et habitus quaecumque. Semper autem potentia quae tendit ad finem 26 Repraesentante universo per multíplices et varios modos creaturarum quod in divina bonitate simpliciter et indistincte praeexistit. . . ." De pot., q. 3, a. 16c. 27 „Quodlibet autem bonum creatum est quoddam particulare bonum: solus autem Deus est bonum universale." Sum. th., I, q. 105, a. 4c. ,,Quod autem provenit a primo et universali bono, non potest esse nisi bonum particulare tantum ; sicut quod provenit a primo et universali causa essendi, est aliquod particulare ens. Omne ergo quod est aliquid in rebus, oportet quod sit aliquod particulare bonum." De malo, q. 1, a. l e . 28 „Bonum creatum additum bono increato non facit maius bonum, nec magis beatum. Cuius ratio est, quia si duo participantia coniungantur, augeri potest in eis id quod participatur ; sed si participans addatur ei quod est per essentiam tale, non facit aliquid maius . . . Cum ergo Deus sit ipsa essentia bonitatis, . . . omnia autem alia sint bona per participationem, ex nullius boni additione fit Deus magis bonus; quia cuiuslibet rei alterius bonitas continetur in ipso." Ebd., q. 5, a. 1, ad 4. 29 „Sicut punctum non auget lineam, ita bonum creatum non auget beatitudinem." Ebd., ad 6. 30 Wesen und Funktion der Liebe im Denken des Thomas von A quin, Freiburg-BaselWien 1975, p. 172. Er fährt fort: „Gottes Liebe . . . schenkt den Dingen ihr Sein, indem sie sie liebend ins Sein ruft. Gottes schöpferische Liebe ist somit der Grund allen Seins." Ilien (p. 226) stellt vier transzendentale Bestimmungen alles Seienden unter dem Aspekt der Liebe fest: Geliebt-Sein, Liebenswert-Sein, Liebesbedürftig-Sein und LiebesfähigSein. 31 Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Mainz 1964, p. 155. Hinsichtlich der Einheit des menschlichen Handelns vgl. bes. pp. 121—24.

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principalem, movet per suum imperium potentiam quae tendit ad finem secundarium"32. Insofern schließt der Geist die sinnliche Existenz in sich ein33. Der Vollzug der „voluntas" fungiert wie eine „forma" der empirischen Daseinsvollzüge34. Aber auch die innerlichen, intellektuellen Lebensvollzüge sind unter die Tragweite der dynamischen „voluntas" subsumiert. Die „voluntas" ist nichts anderes als eine „inclinatio intelligibilis"35, also was Ilien den „Dynamismus der Gesamtperson" und somit „die Energie des Intellekts" nennt36. „Voluntas" und „intellectus" sind zwei sich gegenseitig bedingende Momente an der einen geistigen Wirklichkeit. Während der Intellekt der „voluntas" ihr Objekt präsentiert37, ist es die „voluntas", die den Intellekt überhaupt in Gang setzt38. Anders ausgedrückt, der Gegenstand des Intellekts, das „verum", sowie der Intellekt selber, wird von der „voluntas" als ein „bonum particulare" erfaßt, und, umgekehrt, der Gegenstand der „voluntas", das „bonum", sowie die „voluntas" selber, wird vom Intellekt als ein „verum" erfaßt 39 . Daß Intellekt und „voluntas" sich gegenseitig umfassen, impliziert, daß ihre Gegenstände nicht unterschiedliche Wirklichkeiten sind, sondern zwei verschiedene Aspekte an ein und derselben Wirklichkeit40. •2 De malo, q. 1, a. 5c. „Obiectum appetitus intellectivi, qui voluntas dicitur, est bonum secundum communem boni rationem: nec potest esse aliquis appetitus nisi boni. Unde in parte intellectiva appetitus non dividitur secundum distinctionem aliquorum particularium bonorum; sicut dividitur appetitus sensitivus, qui non respicit bonum secundum communem rationem, sed quoddam particulare bonum." Sum. th., I, q. 59, a. 4c. „Fines et perfectiones omnium aliarum potentiarum comprehenduntur sub obiecto voluntatis, sicut quaedam particularia bona." Ebd., I—II, q. 9, a. le. 33 „Rationalis autem pars, si ve intellectiva, comprehendit et cognitivam et appetitivam. Pertinet autem ad rationalem partem non solum appetitus, qui est in ipsa parte rationali, consequens apprehensionem intellectus, qui dicitur voluntas: sed etiam appetitus qui est in parte sensitiva hominis. . . . Nam etiam hic appetitus in homine sequitur apprehensionem rationis, in quantum imperio rationis obedit ; unde et participare dicitur aliqualiter rationem. Bonum igitur hominis est et bonum cognitivae et bonum appetitivae partis." De virt. in com., a. 12c. 34 Vgl. De malo, q. 2, a. 2, ad 5. Thomas spricht bildhaft von der vita activa als „Tor" zur vita contemplativa; vgl. De virt. in com., a. 12, ad 24. 85 Sum. th., I, q. 87, a. 4c. „Voluntas est appetitus quidam rationalis." Ebd., I—II, q. 8, a. l e . 88 A. a. O., p. 192. 37 Vgl. Sum. th., I—II, q. 9, a. l e . 38 „In operando et movendo prior est voluntas. Non enim intellectus intelligit et movet nisi volúntate accedente; unde etiam ipsum intellectum movet voluntas, in quantum est operativus: utimur enim intellectu quando volumus." De car., a. 3, ad 12. In De malo, q. 6, a. le, führt dasselbe Argument zu einem allgemeineren Ergebnis: „voluntas movet se ipsam et omnes alias potentias. Intelligo enim quia volo; et similiter utor omnibus potentiis et habitibus quia volo." 89 Vgl. ζ. Β. ebd.; Sum. th., I, q. 16, a. 4, ad 1; De virt. in com., a. 6, ad 5. 40 „Id quod apprehenditur et appetitur, est idem subiecto, sed differì ratione: apprehenditur enim ut est ens sensibile vel intelligibile; appetitur vero ut est conveniens aut bonum." Sum. th., I, q. 80, a. 1, ad 2.

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Die transzendentale Einheit der Liebe in der menschlichen Person ist aber nicht nur die Widerspiegelung der Liebeseinheit in der Gesamtwirklichkeit, sondern ist selbst wiederum ein innerliches Moment an ihr. Das heißt, daß die ganze Liebe eines Menschen letzten Endes nur in innerer Verbindung mit der Gottesliebe begriffen werden kann. Auch hier gilt, daß Gott „alles in allem" ist, m. a. W., daß der Mensch Geschöpf Gottes ist. Insbesondere bedeutet dies nun, daß Gott sowohl der Initiator als auch die Erfüllung der menschlichen Liebe ist. „Ipse solus implet voluntatem, et sufficienter eam movet ut obiectum. Similiter autem et virtus volendi a solo Deo causatur. Velie enim nihil aliud est quam inclinatio quaedam in obiectum voluntatis, quod est bonum universale. Inclinare autem in bonum universale est primi moventis, cui proportionatur ultimus finis . . . . Unde utroque modo proprium est Dei movere voluntatem" 41 . Gott allein ist der menschlichen „voluntas" adäquat. „Nihil aliud potest esse voluntatis causa, nisi ipse Deus, qui est universale bonum. Omne autem aliud bonum per participationem dicitur, et est quoddam particulare bonum: particularis autem causa non dat inclinationem universalem" 42 . Wegen des Partizipationsverhältnisses wird alles partikular Geliebte in Gott und Gott in allem partikular Geliebten geliebt. Nicht nur ist Gott als die „essentialiter existens ipsa bonitas" an sich liebenswert, sondern durch ihn allein wird alles andere geliebt43. In allen kategorialen Liebesvollzügen wird Gott transzendental geliebt44. In der Gottesliebe liegt der Grund aller Handlung und Zuneigung: „Finis autem omnium actionum humanarum et affectionum est Dei dilectio" 45 . Gott wird, mit anderen Worten, implizit in allem geliebt: „secundaria finis non appetitur nisi per virtutem finis principalis in eo existentem; prout scilicet est ordinatum in illud, vel habet similitudinem eius. Et ideo . . . Deus . . . appetitur in omni fine. Sed hoc est appetere ipsum Deum implicite" 48 . Gott bleibt immer der primäre 41

Ebd., q. 105, a. 4c. Zwar bleibt die ursprüngliche Eigenständigkeit der Liebe in der menschlichen Person bestehen: „actus voluntatis nihil est aliud quam inclinatio quaedam ab interiori procedens." De malo, q. 3, a. 4c. Aber dessen unbeschadet ist es Gott, der diese Spontaneität bewirkt „interius eam inclinando" (Sunt, th., I, q. 105, a. 4c). „Der Mensch, der im Sinne des Thomas von der biblischen Botschaft fasziniert wurde, vermag in dieser ureigenen inneren Spontaneität seines Seins den Schöpfer selbst dieses Seins der Liebe zu ent-decken." A. Ilien, a. a. O., p. 226. 42 Sum. th., I—II, q. 9, a. 6c. 43 „Deus est propter seipsum . . . diligibilis, utpote essentialiter existens ipsa . . . bonitas, per quam alia . . . amantur. . . . Dilectio . . . etiam in statu viae tendit in Deum primo, et ex ipso derivatur ad alia." Ebd., II—II, q. 27, a. 4c. 44 „In amore cuiuslibet boni amatur summa bonitas." De car., a. 12, ad 16. 45 Sum. th., II—II, q. 27, a. 6c. „Principium vitae activae praecipue est amor Dei in seipso." De car., a. 4, ad 8. 16 De ver., q. 22, a. 2c.

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Gegenstand jeder Liebe; alles Geliebte wird nur erst dann überhaupt geliebt, wenn Gott geliebt wird47. Die aristotelische allgemeine Definition, „bonum est quod omnia appetunt", beruht nicht bloß auf einer begrifflichen Abstraktion, sondern schließlich auf einem objektiven Grundzug der Wirklichkeit. Das Gute ist also nicht, wie Spinoza meint, lediglich ein Name für alles, was erstrebt wird, sondern was alle erstreben, ist wirklich gut 48 . Ein Scheitern in der Liebe heißt nicht, wie sonst, daß man unterwegs versagt und infolgedessen das Ziel verfehlt; ihr Ziel erreicht die Liebe auf jeden Fall, auch wenn man unterwegs scheitern mag. „Sicut motus naturalis interdum sistit in medio, et non pertingit ad terminum; ita quandoque operatur aliquis id quod est ad finem, et tarnen non consequitur finem. Sed in volendo est e converso : nam voluntas per finem devenit ad volendum ea quae sunt ad finem" 49 . Die theologische Sicht weiß also, daß die menschliche Liebe nie grundsätzlich versagt. Ihr letzter Sinn realisiert sich unweigerlich ; nur das, was zum Ziel führt, bleibt unsicher. „Manifestum est quod voluntas potest ferri in finem, sine hoc quod feratur in ea quae sunt ad finem ; sed in ea quae sunt ad finem, inquantum huiusmodi, non potest ferri, nisi feratur in ipsum finem" 50 . Insofern fällt der Vollzug der Gottesliebe einfachhin zusammen mit dem Vollzug jeder anderen Art von Liebe: ,,unus et idem motus voluntatis est quo fertur in finem, secundum quod est ratio volendi ea quae sunt ad finem, et in ipsa quae sunt ad finem 51 . . . Omnia bona sunt in Deo . . . et sie . . . unum est diligere Deum et quaecumque bona" 52 . Ihren radikalsten Ausdruck findet diese Einsicht vielleicht im Bezug auf die Selbstliebe, denn auch bei der Selbstliebe hält Thomas an ihr fest. „Cum indueimur 47

„Necesse est quod omnia quae homo appétit, appetat propter ultimum finem. . . . Causae secundae moventes non movent nisi secundum quod moventur a primo movente. Unde secunda appetibilia non movent appetitum nisi in ordine ad primum appetibile, quod est ultimus finis." Sum. th., I—II, q. 1, a. 6c. 48 So legt Thomas die Definition in seinem Kommentar In Ethic., I, 1, n. 11, aus: ,,ηοη describitur hic aliquod bonum, sed bonum communiter sumptum. Quia autem nihil est bonum, nisi inquantum est quaedam similitudo et participatio summi boni, ipsum summum bonum quodammodo appetitur in quolibet bono. Et sic potest dici, quod verum bonum est, quod omnia appetunt." 49 Sum. th., I—II, q. 8, a. 3, ad 3. 50 Ebd., c. Hierin liegt übrigens ein grundlegender Unterschied zwischen Liebe und Erfahrung, bzw. Erkenntnis; Thomas beschreibt das Verhältnis zwischen diesen beiden Grundarten der menschlichen Begegnung mit der Wirklichkeit als eine Kreisbewegung : „cognitio, a creaturis ineipiens, tendit in Deum; et dilectio, a Deo ineipiens sicut ab ultimo fine, ad creaturas derivatur." Ebd., II—II, q. 27, a. 4, ad 2. 61 Ebd., I—II, q. 8, a. 3 c. 82 De car., a. 7, ad 3. „Omnia appetunt Deum ut finem, appetendo quodeumque bonum, sive appetitu intelligibili, sive sensibili, sive naturali, qui est sine cognitione: quia nihil habet rationem boni et appetibilis, nisi secundum quod participât Dei similitudinem." Sum. th., I, q. 44, a. 4, ad 3.

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ad diligendum Deum, inducimur ad desiderandum Deum, per quod maxime nos ipsos amamus, volentes nobis summum bonum" 53 . Und aus der ursprünglichen Selbstliebe, gleichsam als deren Verlängerung, entsteht die Liebe zum Nächsten 54 . Damit schließt sich noch einmal der Kreis, denn in der Nächstenliebe entdeckt Thomas wiederum die Gottesliebe: „in dilectione proximi includi tur dilectio Dei sicut finis in eo quod est ad finem, et e converso"55. Thomas verfolgt diesen Weg derart konsequent, daß er sogar den Haß letztlich auf Liebe reduziert : „necesse est quod amor sit prior odio; et quod nihil odio habeatur, nisi per hoc quod contrariatur convenienti quod amatur. Et secundum hoc, omne odium ex amore causatur" 56 . Seine Analyse des Hasses erreicht ihren Gipfel in der realistischen Behandlung der Feindesliebe, besonders in der Schrift De caritate, a. 8. Dort (ad 13) räumt Thomas nüchtern ein, daß den Feind lieben zwar schwierig oder gar unmöglich sei, wenn man den Feind nur für sich betrachtet; aber es gehe geradezu leicht (,,facile"), wenn man ihn „propter aliquid magis amatum" zu lieben versucht. Thomas bildet sich nicht ein, daß wir das Verächtliche als solches lieben sollten oder könnten. Das Verächtliche bleibt zwar verächtlich, und wir können es nur insofern lieben, als wir in ihm die Gottesbezogenheit zu erkennen vermögen: „inimicus, ut inimicus, non est obiectum dilectionis, sed in quantum pertinet ad Deum" (ad 6). Wenn aus keinem anderen Grund, so kommt selbst dem hassenswürdigsten Menschen mindestens dadurch eine Gottesbezogenheit zu, daß er überhaupt ein Mensch ist (ad 7). Bei der Feindesliebe kommen zwei Arten der Liebe zur Geltung: die transzendentale Liebe zu Gott und die kategoriale Liebe zu dem, was der Gehaßte negiert. Bei der christlichen Feindesliebe überwiegt von beiden die Gottesliebe, während es sich bei dem Feindeshaß zwar letztlich auch um Liebe handelt, aber hier die kategoriale Liebe zu einem partikularen „bonum" vorherrscht 57 . Und auch diese Liebe ist letztlich, wie wir gesehen haben, eine Art Liebe zu Gott. 53

De car., a. 7, ad 10. Vgl. De spe, a. 3, ad 4: „amorem sui ipsius, quo quis optat bonum divinum." 54 Die moderne Vorstellung von der Gegensätzlichkeit der Nächsten- und Selbstliebe und von der Möglichkeit einer „Selbstlosigkeit" teilt Thomas nicht. Für eine treffende Auseinandersetzung zwischen den beiden Ansichten vgl. J. Pieper, a. a. O., pp. 92—138. Das theologische Verhältnis zwischen Nächsten- und Eigenliebe nach Thomas erläutert Λ. Ilien, a. a. O., insb. pp. 171—72; 177—78. 55 Sum. th., II—II, q. 44, a. 2, ad 4; vgl. c und ad 2; q. 44, a. 2c; q. 27, a. 8c; q. 25, a. l c . 56 Ebd., q. 29, a. 2c. 57 Es ist angebracht, die thomistische Argumentation ausführlich zu zitieren: „Sic ergo, in eo qui contra nos inimicitiam exercet, est duo invenire: unum quod est ratio dilectionis, scilicet quod ad Deum pertinet; et aliud quod est ratio odii, scilicet quod nobis adversatur. In quocumque autem invenitur ratio dilectionis et ratio odii si

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Das bisher Dargelegte sollte dazu dienen, die Universalität der vielgestaltigen und vielschichtigen Gottesliebe ein wenig zu konkretisieren. Diese Position unterstreicht Thomas insbesondere durch zwei weitere Lehren : Unsere Gottesliebe ist, erstens, notwendig, und, zweitens, stärker als jede Selbstliebe. Aber auch die Selbstliebe bezeichnet er wohlbemerkt als notwendig: „necesse est quod aliquis amet seipsum; et impossibile est quod aliquis odiat seipsum"58. Dennoch ist der Mensch radikaler von der Gottesliebe erfaßt als von der Selbstliebe. Wegen der Universalität der Gottesliebe liegt es gar nicht in der Freiheit des Menschen, sich für oder gegen Gott zu entscheiden59; eine solche Freiheit ist eigentlich nicht einmal denkbar60. Im Gegenteil: Entscheidungsfreiheit ist überhaupt erst denkbar unter der Voraussetzung einer notwendig vollzogenen Gottesliebe. Thomas macht eine fundamentale Unterscheidung zwischen zweierlei Gegenständen der menschlichen Liebe: dem ursprünglichen und den partikularen61. Dementsprechend kann man alle Liebesarten auf zwei reduzieren: notwendige, naturhafte Liebe und freie Liebe. Thomas nennt die spontane Gottesliebe sogar einen naturgegebenen „Instinkt"®2. Und alle praetermissa dilectione in odium convertamur, manifestum est quod id quod est ratio odii praeponderat in corde nostro ei quod est ratio dilectionis. Sic ergo, si aliquis inimicum suum odio habeat, inimicitia illius praeponderat in corde suo amori divino. Magis ergo odit amicitiam illius quam diligat Deum. Tantum autem odimus aliquid, quantum diligimus bonum quod nobis per inimicum subtrahitur. Relinquitur ergo quod quicumque inimicum odit, aliquod bonum creatum diligit plus quam Deum." De car., a. 8c. 68 Sum. th., I—II, q. 29, a. 4 c. 58 „Finis, inquantum est huiusmodi, non cadit sub electione. . . . Sed ultimus finis nullo modo sub electione cadit." Ebd., q. 13, a. 3c. Vgl. De malo, q. 3, a. 3c: „naturaliter et ex necessitate." „Deus, secundum quod est universale bonum, a quo dependet omne bonum naturale, diligitur naturali dilectione ab unoquoque." Sum. th., I, q. 60, a. 5, ad 4. Allen anderen gegenüber bleiben wir prinzipiell frei: „Dilectio igitur boni quod homo naturaliter vult sicut finem, est dilectio naturalis; dilectio autem . . . , quae est boni quod diligitur propter finem, est dilectio electiva." Ebd., a. 2c. 60 Genauer: Vorausgesetzt, daß die „voluntas" überhaupt nach etwas strebt, ist es undenkbar, daß sie Gott nicht liebt: „Si proponatur aliquod obiectum voluntati quod sit universalster bonum et secundum omnem considerationem, ex necessitate voluntas in illud tendet, si aliquid velit : non enim poterit velie oppositum. . . . Illud solum bonum quod est perfectum et cui nihil deficit, est tale bonum quod voluntas non potest non velie." Ebd., I—II, q. 10, a. 2c. 61 „Sicut ergo duplex est finis, unus ultimus et alius proximus, ita etiam est duplex bonum: unum quidem ultimum, et aliud proximum et particulare. Ultimum quidem et principale bonum hominis est Dei fruitio." Ebd., II—II, q. 23, a. 7c. „Non est ex imperfectione appetentis, quod aliquid appetat naturaliter ut finem, et aliquid per electionem, ut ordinatur in finem." Ebd., I, q. 60, a. 2c. 62 Vgl. De malo, q. 6, a. l e ; Sum. th., I—II, q. 9, a. 4c. Diese Behauptung läßt sich nur von dem thomistischen Seinsbegriff her verstehen : , ,quia voluntas in aliqua natura fundatur, necesse est quod motus proprius naturae, quantum ad aliquid, partieipetur in volúntate: sicut quod est prioris causae, partieipatur a posteriori. Est enim prius in unaquaque re ipsum esse, quod est per naturam, quam velie, quod est per voluntatem. E t inde est quod voluntas naturaliter aliquid vult." Ebd., q. 10, a. 1, ad 1.

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freie Liebe wird durch diese Instinktliebe verursacht: „Et ex hac naturali volúntate causantur omnes aliae voluntates: cum quidquid homo vult, velit propter finem" 83 . Jede andere Liebesart ist von der Gottesliebe abgeleitet und auf sie zurückzuführen 64 . So ist es denn nur eine logische Folgerung, wenn Thomas die Behauptung aufstellt, daß der Mensch Gott zwangsläufig immer mehr liebt als alles andere: „Diligere autem Deum super omnia est quiddam connaturale homini" 65 . Das gilt gleichermaßen hinsichtlich der Selbstliebe : „Quia igitur bonum universale est ipse Deus, et sub hoc bono continetur etiam angelus et homo et omnis creatura, . . . sequitur quod naturali dilectione etiam angelus et homo plus et principalius diligat Deum quam seipsum" 66 . Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie es überhaupt dann noch möglich sei, Gott zurückzuweisen, ihn zu verachten, wo noch ein Platz bleibe für eine Abkehr von Gott, ob es überhaupt noch möglich sei zu sündigen. Im folgenden soll die Frage nach dem Wesen der Sünde erörtert werden. II. Die S ü n d e des T e u f e l s Das Problem, das sich durch den christlichen Sündenbegriff stellt, zeigt sich am deutlichsten bei den reinen Geistern. Die bösen Engel sind ja die vollendeten Sünder par excellence. So eindeutig ist ihre Sündhaftigkeit, daß bei ihnen ein „peccatum veniale" gar nicht in Frage kommt; es kann sich nur um ein vollgültiges „peccatum mortale" handeln. Und so radikal ist ihre Bosheit, daß sie überhaupt nichts anderes als Sünde vollziehen67. Bieten sie dann eine Ausnahme oder einen Widerspruch zu der eben festgestellten Universalität der Gottesliebe ? Muß Thomas hier etwa auf die in der modernen Theologie häufig in Anspruch genommene Geheimnishaftigkeit der Sünde rekurrieren, um sich vor dem Vorwurf der Inkonsequenz zu schützen ? Im Gegenteil: er läßt beide Momente voll zur Geltung kommen, mit dem Ergebnis, daß sein Versuch, die Sünde zu verstehen, zu einer neuen Einsicht in die Wirklichkeit vorstößt. An der Überzeugung, daß auch die Dämonen Gott mehr lieben als 63

Ebd., I, q. 60, a. 2c. „Nec necessitas naturalis répugnât voluntati. . . . Oportet enim quod illud quod naturaliter alicui convenit et immobiliter, sit fundamentum et principium omnium aliorum." Ebd., q. 82, a. l c . 84 Vgl. ebd., q. 60, a. 2 c : „dilectio derivata"; De car., a. l c : ,,omnes actus voluntatis reducuntur, sicut in primam radicem, in id quod homo naturaliter vult, quod est ultimus finis." 85 ββ Sum. th., I—II, q. 109, a. 3c. Ebd., I, q. 60, a. 5c. 67 „Angeli vero mali in nihil moventur nisi in ordine ad finem peccati. . . . Et ideo in omnibus peccant mortaliter, quaecumque propria volúntate agunt." Ebd., q. 64, a. 2, ad 5.

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sich selbst und alles andere®8, hält Thomas fest. Ihre Sünde verhindert nicht, daß selbst die Teufel an sich gut bleiben69. Im Unterschied zu Menschen, einschließlich sittlich guter Menschen, besitzen sie sogar nicht einmal eine Neigung zum Bösen: „daemones . . . nullo modo possunt habere inclinationem naturalem in aliquod quodcumque malum. Et ideo non possunt esse naturaliter mali" 70 . Spricht man bei den reinen Geistern von „concupiscentia" oder von sinnlichen „passiones", so ist das immer nur metaphorisch zu verstehen 71 . Die Dämonen vermögen von sich aus nur das Gute zu suchen und zu wählen. Im Bezug auf das, was sie von sich aus vermögen und was sie in irgend welcher Weise von sich aus ersehnen, sind sie von Anfang an schlechthin vollendet ; alle ihre Möglichkeiten erfreuen sich einer permanenten und vollständigen Verwirklichung. „Hoc autem ad naturam angelicam pertinet, ut actu habeant notitiam omnium quae naturaliter scire possunt . . . Intellectus eorum immobiliter se habet circa omnia quae naturaliter cognoscit. Et quia voluntas proportionatur intellectui, consequens est quod etiam voluntas eorum naturaliter sit immutabilis circa ea quae ad ordinem naturae pertinent" 72 . Und insofern bleibt ihnen allerdings Sünde völlig unmöglich. Um die Sünde der Dämonen dennoch verständlich zu machen, zieht Thomas die Ungeschuldetheit der übernatürlichen Gnade als Erklärungsansatz heran. Die Gnade stellt gerade erst die Bedingung der Möglichkeit der Sünde dar. Sünde ist somit nicht der Gegensatz zur Gnade, sondern der Mangel an Gnade. Ohne das übernatürliche Gnadenangebot wäre ein Engel nicht der Sünde fähig. ,,Angeli autem omnes sic conditi sunt, ut quidquid pertinet ad naturalem perfectionem eorum, statim a principio suae creationis habuerint : tarnen erant in potentia ad supernaturalia bona, quae per Dei gratiam consequi poterant. Unde relinquitur quod peccatum diaboli non fuerit in aliquo quod pertinet ad ordinem naturalem, sed secundum aliquid supernaturale" 73 . Gott absolut und total lieben ist nicht die letzte Möglich68 Vgl. I Quodl., q. 4, a. 3c; Sum. th., I—II, q. 109, a. 3c. ,,Nec ista dilectio naturalis removeri potest etiam ab angelis malis." Ebd., I, q. 60, a. 4, ad 3. 63 „Malum enim dicitur unumquodque ex eo quod aliqua perfectione sibi debita privatur. In tantum autem unumquodque perfectum est, in quantum attingit ad id quod competit suae naturae. Hoc modo . . . daemones non sunt naturaliter mali." De malo, q. 16, a. 2c. 70 Sum. th., I, q. 63, a. 4c. Vgl. auch De malo, q. 16, a. 2c. 71 Vgl. ebd., a. 1, ad 3; Sum. th., I, q. 63, a. 2, ad 2. 72 De malo, q. 16, a. 5 c. Wie der Mensch sich zu den ersten geistigen Prinzipien verhält, so verhält sich nach Thomas der Engel zu all seinen geistigen Möglichkeiten. 73 Ebd., a. 3 c. „Bona naturalia in angelis sunt integra quantum pertinet ad naturae ordinem; sunt tarnen corrupta vel depravata, seu diminuta, per comparationem ad capacitatem gratiae vel gloriae." Ebd., a. 5, ad 1. „Ea autem quae sunt supra naturam, ad gratiam pertinentia, circa quae fuit peccatum angeli. . . ." Ebd., 4c.

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keit überhaupt für Thomas. E s gibt darüberhinaus noch eine übernatürliche Möglichkeit, die darin besteht, mit Gott in der „visio beata" ontologisch vereinigt zu sein74. Dies bedeutet noch mehr, als Gott zu lieben; darauf gründet Thomas nun seine subtile Sündenlehre. Man muß achtgeben. Da es sich um reine Geister handelt, die ihre Fähigkeiten voll verwirklichen, haben wir hier mit einer „potentia" zu tun, die keine bloße "potentia naturalis" darstellen kann 75 . Thomas nennt eine solche „potentia" sonst eine „potentia oboedientialis". Aber, entgegen der Ansicht der meisten Thomasinterpreten, schließt diese „potentia oboedientialis" eine „potentia naturalis" nicht aus 78 . Damit ist impliziert, daß die „visio beata" nicht schlechthin übernatürlich ist. Das würde im Prinzip auch kein traditioneller katholischer Theologe bestreiten. Aber die Frage ist, in welcher Hinsicht denn die „visio" über die „naturalia" eines Geistwesens hinaus reicht. Thomas argumentiert, daß die Sünde der Teufel nicht darin bestehen kann, daß sie mehr werden wollten, als ihnen naturgemäß zusteht, d. h. daß sie an die Stelle Gottes treten wollten. Abgesehen davon, daß ein solcher Wunsch eigentlich ja notwendigerweise gerade aus der Natur entstehen und somit von vorneherein im Rahmen des Natürlichen bleiben müßte, meint Thomas, daß diese Möglichkeit gar nicht in Frage kommt. Denn Gott werden („per aequiparantiam") würde die eigene Vernichtung implizieren, und das kann sich niemand wünschen 77 . Aus

74 „Naturale est angelo quod convertatur motu dilectionis in Deum, secundum quod est principium naturalis esse. Sed quod convertatur in ipsum secundum quod est obiectum beatitudinis supernaturalis, hoc est ex amore gratuito, a quo averti potuit peccando." Sum th.., I, q. 63, a. 1, ad 3. 75 „Nihil autem potest deficere quantum ad id ad quod semper est in actu secundum suam naturam; sed in eo aliquid deficere potest respectu cuius est in potentia: nam id quod est in potentia, potest subiici et perfectioni et privationi. Actus autem opponitur privationi, ad quam pertinet omnis defectus. . . . Quamvis autem mens eius sit in actu respectu eorum quae naturaliter cognoscere potest ; est tamen in potentia respectu eorum quae suam naturalem cognitionem excedunt." De malo, q. 16, a. 6c. „Sunt in potentia respectu motus in supernaturalia." Ebd., a. 5c. 76 Vgl. E t . Gilson, Sur la problématique thomiste de la vision beatifique, „Archives d'histoire doctrinale et littéraire du moyen âge" 31 (1965), pp. 67—88; Wm. J . Hoye, Actualitas omnium actuum. Man's Beatific Vision of God as Apprehended by Thomas Aquinas, Meisenheim 1975, bes. pp. 298—99; ders., Anthropologische Vorbestimmung des ,.ewigen Lebens", „Trierer theologische Zeitschrift" 82 (1973), pp. 280—83. 77 „Angelus . . . non potuit appetere esse ut Deus: quia scivit hoc esse impossibile. . . . E t tamen, dato quod esset possibile, hoc esset contra naturale desiderium. Inest enim unicuique naturale desiderium ad conservandum suum esse: quod non conservaretur, si transmutaretur in alteram naturam. Unde nulla res quae est in inferiori gradu naturae, potest appetere superioris naturae gradum, sicut asinus non appétit esse equus: quia, si transferretur in gradum superioris naturae, iam ipsum non esset." Sum. th., I, q. 63, a. 3c. Vgl. ferner De malo, q. 16, a. 3 c ; ad 5; Sum. th., I — I I , q. 29, a. 4, ad 2, hinsichtlich des Problems des freiwilligen Selbstmordes.

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demselben Grund kann des Teufels Sünde ebenso wenig daraus bestehen, daß er sich weigert, sich Gott zu beugen78. Vielmehr liegt nach Thomas seine Sünde gerade in dem Streben nach der eigenen angemessenen Erfüllung. Mit anderen Worten geschieht die Sünde in dem Wunsch nach der glückseligen Vereinigung mit Gott, und insofern erstreben die guten und die bösen Engel eigentlich dasselbe: „diabolus non pecca vit appetendo aliquod malum, sed appetendo aliquod bonum, scilicet finalem beatitudinem" 79 . Die Sünde des Teufels besteht also durchaus nicht in einer Diskrepanz gegenüber Gott. Die hervorragende Intelligenz der Engel verbietet ja einen widersinnigen Konflikt solcher Art 80 . Grundsätzlich also bleibt die Sünde mit der Natur der Dämonen durchaus konform: „malitia culpae non répugnât bonitati naturae, sed in ea fundatur sicut in subiecto" 81 . Wenn die Sünde nicht in dem zu finden ist, was die Teufel erstreben, so bleibt dann nur der Modus, wie das Erstrebte erlangt werden sollte. Nach Thomas besteht die Sünde somit in der Überzeugung, durch eigene Kraft und nicht durch ungeschuldete göttliche Hilfe, den übernatürlichen Gegenstand der transzendentalen, totalen Liebe erreichen zu können. ,,Fuit ergo primum peccatum diaboli in hoc quod ad consequendum supernaturalem beatitudinem, quae in piena Dei visione consistit, non se erexit in Deum, tamquam finalem perfectionem ex eius gratia desiderans cum angelis sanctis, sed eam consequi voluit per virtutem suae naturae" 8 2 ; „diabolus . . . conversus quidem est ad divina quan-

7 8 ,,Et simili ratione non potuit appetere quod absolute non esset Deo subiectus: tum quia hoc est impossibile, nec potuit in eius apprehensione cadere quasi possibile, ut per supradicta patet; tum etiam quia ipse esse desinerei, si totaliter Deo subiectus non esset." De malo, q. 16, a. 3c. Vgl. Sum. th., I, q. 63, a. 3c. 79 De malo, q. 16, a. 3c. „Voluit quod est bonum simpliciter et conveniens sibi." Ebd., a. 2, ad 1. Allerdings führt Thomas diese Position in der früher verfaßten Sum. th., I, q. 63, a. 3 c, nur als eine von zwei möglichen Erklärungen an. 8 0 „Voluntas non potest non adhaerere bono inquantum est bonum, quia in bonum naturaliter ordinatur sicut in suum obiectum. Voluntas igitur angeli se habet ad opposita, quantum ad multa facienda vel non facienda. Sed quantum ad ipsum Deum, quem vident esse ipsam essentiam bonitatis, non se habent ad opposita; sed secundum ipsum ad omnia diriguntur, quodcumque oppositorum eligant. Quod sine peccato est." Ebd., q. 62, a. 8, ad 2. 81 De malo, q. 16, a. 4c. Auch hier darf man Selbstliebe und Gottesliebe nicht einfach gegeneinander ausspielen. „Cognitio autem et dilectio naturalis ordinantur ad Cognitionen! et dilectionem gloriae. Unde nihil prohibet in angelo simul esse et cognitionem et dilectionem naturalem, et cognitionem et dilectionem gloriae." Sum. th., I, q. 62, a. 7, ad 3. „Manifestum est autem quod motus angeli primo est in id quod est sibi connaturale, quia per id pertingit in id quod est supra naturam. E t ideo oportuit quod angelus in primo instanti suae creationis converteretur ad naturalem sui cognitionem, secundum quam non potuit peccare . . .; postmodum vero potuit converti in id quod est supra naturam, vel ab eo averti." De malo, q. 16, a. 4c. 8 2 Ebd., a. 3c.

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tum ad id quod appetiit, quod erat in se bonum; sed est aversus a Deo quantum ad modum quo appetiit" 83 . Aber selbst in diesem Fall handelt es sich nicht um eine absolute Distanzierung von Gott; die grundsätzliche Notwendigkeit der göttlichen Hilfe wird vom Teufel ja durchaus gewürdigt. Seine Sünde bezieht sich lediglich auf denjenigen Aspekt der Wirkungskraft Gottes, der übernatürlich ist : „non tarnen sine Deo in naturam operante, sed sine Deo gratiam conferente" 84 . Sein Scheitern findet außerhalb des Horizontes seiner Kräfte statt 85 . Das ist es, was Thomas ,,ηοη secundum ordinem debitum" nennt 86 . Die „aversio a Deo" ist also eigentlich nicht als eine Auflehnung gegen Gott zu verstehen, sondern als die schlichte Abwesenheit einer Anerkennung der übernatürlichen Gnade. „Angelus autem ex hoc peccare potest quia bonum sibi conveniens amat non referendo ad Deum, quod est a Deo averti, et mortaliter peccare. Unde non potest inordinate amare aliquid nisi per aversionem a Deo" 87 . Dies hat zur Folge, daß der Teufel nicht in der Lage ist, seine Sündhaftigkeit selber zu erkennen; denn das Entscheidende bei seiner Sünde ist streng übernatürlich. Das bringt einen wichtigen und interessanten Grundzug der Sünde ans Licht. Wir müssen Thomas hier möglichst genau lesen und keine Kompromisse mit dem gewohnten Sündenverständnis mit hineintragen. Er selbst zieht seine Prinzipien hier streng durch. So bleibt für ihn unverrückt bestehen, daß von Hause aus ein reiner Intellekt sich nicht irren kann: „Sicut ergo nobis non potest inesse falsa opinio circa prima principia naturaliter nobis nota, ita nec angelo potest inesse falsa opinio circa quaecumque quae naturali eius cognitioni subsunt. Et quia peccando diabolus proprietatem naturae suae non amisit, sed data naturalia in eis manent integra et splendidissima, . . . consequens est quod nec diabolus falsam opinionem habere possit in his quae pertinent ad eius naturalem cognitionem" 88 . Was ein Engel weiß, weiß er fehlerlos. Dennoch weiß kein 83

Ebd., ad 1. Ebd., c. 85 „Difficultas bene operandi non est in angelis ex aliqua contrarietate, vel impedimento naturalis virtutis; sed ex hoc quod opus aliquod bonum est supra virtutem naturae." Sum. th., I, q. 62, a. 4, ad 1. 84 ,,Id est non ut consequendam secundum gratiam Dei." De malo, q. 16, a. 3c. „Appetiit . . . quoddam bonum sibi conveniens; inordinate tarnen et immoderate illud appetiit, quia scilicet non appetiit illud ut assequendum per divinam gratiam, sed per propriam virtutem. . . . 'Aversio' ergo 'daemonibus est malum', in quantum scilicet eorum appetitus avertit se a directione superioris regulae: 'et convenientium ipsis excessus', in quantum scilicet appetendo bona convenientia modum suum excesserunt." Ebd., a. 2, ad 4. 87 Ebd., q. 7, a. 9, ad 2. 88 Ebd., q. 16, a. 6c. Vgl. ad 5: ,,ex hoc quod daemon non utitur phantasia nec discursu rationis, et per alia huiusmodi, potest haberi, quod in his quae ad naturalem Cognitionen! pertinent, non errat, ut existimet aliquid falsum esse verum." 84

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Engel alles, auch die guten Engel nicht. Im Bereich des Nicht-Wissens liegt die Sünde. Es versteht sich ferner von selbst, daß solches NichtWissen nur im Bereich des Ungeschuldeten, des streng Übernatürlichen vorkommen kann89. Worin besteht denn, so fragt sich, das Böse, das gewählt wird? Selbstverständlich nicht in den Wirklichkeiten selber, denn etwas Übernatürliches kann nicht an sich ein malum sein. Thomas antwortet: Der „Irrtum" der Sünde besteht in einem NichtWissen bezüglich einer richtigen Zuordnung der Wirklichkeiten untereinander, d. h. einer „Regel": „Semper autem in peccato defectus intellectus (vel rationis) et voluntatis proportionabiliter se concomitantur. Unde non oportet ponere in primo peccato daemonis talem defectum intellectus, ut aliquid falsum existimaverit, puta aliquod malum esse bonum; sed in hoc quod defecit ab apprehensione suae regulae, et ordinis eius" 90 . Dem Teufel selber entgeht also jedes Problembewußtsein; ihm ist kein Konflikt, kein Widerstand bewußt91. Es handelt sich bei dem sündhaften „defectus" um eine „absentiam solum considerationis"92. Und es ist ferner festzustellen, daß selbstverständlich keine „passiones" oder „concupiscentia" auf die „voluntas" der Dämonen wirken, da Teufel per definitionem reine Geister sein sollten 93 . Ihre Sünde kommt also ausschließlich in der „voluntas" vor 94 . Und so etwas nennt Thomas „cognitio affectiva vel practica", d. h. den Zustand, in dem „aliquis aspiciens ad bonum eligit malum" 95 . 8 9 „Nescientia autem est in angelis, non respectu naturalium cognoscibilium, sed supernaturalium." Sum. th., I, q. 58, a. 5, ad obiectiones. „Daemones vero, per voluntatem perversam subducentes intellectum a divina sapientia, absolute interdum de rebus iudicant secundum naturalem conditionem. E t in his quae naturaliter ad rem pertinent, non decipiuntur. Sed decipi possunt quantum ad ea quae supernaturalia sunt: sicut si considerans hominem mortuum, iudicet eum non resurrecturum ; et si videns hominem Christum, iudicet eum non esse Deum." Ebd., c. 80 De malo, q. 16, a. 2, ad 4. „Cum Deum propter infirmitatem eius apprehendere non possit, nihil prohibet quod intellectus eius defecerit in apprehendendo sufficienter ordinem divini regiminis; et ex hoc consecutum est peccatum in eius volúntate." Ebd., ad 5. 9 1 „Peccatum daemonis non provenit ex defectu rationis qui haberet rationem contrarietatis, non enim approbavit malum pro bono, nec verum pro falso, sed solum ex defectu qui habuit rationem negationis, in quantum scilicet voluntas eius non fuit regulata regula divini regiminis. Qui quidem defectus potest habere locum in natura intellectual! contrarietate carente." Ebd., ad 7. Vgl. Sum. th., I, q. 62, a. 4, ad 1. 9 2 „ E t huiusmodi peccatum non praeexigit ignorantiam, sed absentiam solum considerationis eorum quae consideran debent." Ebd., q. 63, a. 1, ad 4. 9 3 „Hoc autem modo in angelo peccatum esse non potuit: quia nec in angelis sunt passiones, quibus ratio aut intellectus ligetur." Sum. th., I, q. 63, a. 1, ad 4. Vgl. a. 2, ad 2; q. 64, a. 3c. 9 4 „In substantiis autem a corpore separatis est una cognitio, scilicet intellectualis, dirigenda secundum regulam sapientiae divinae ; et ideo in volúntate earum potest esse malum ex hoc quod non sequitur ordinem superioris regulae, scilicet sapientiae devinae; et per hune modum daemones facti sunt volúntate mali." De malo, q. 16, a. 2c. 9 5 Ebd., a. 6, ad 13.

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Damit erklärt er, wie die Teufel sich für das Böse entscheiden können, obwohl sie immer nur das Gute wählen und diesbezüglich keinem Irrtum unterliegen können 96 . Infolgedessen hat der Teufel nicht einmal eine Ahnung von seiner Sünde: „diabolus non sentit se esse male, quia culpam suam non apprehendit ut malum ; sed adhuc obstinata mente perseverai in malo; unde pertinet ad falsitatem practicae seu affectivae cognitionis" 97 . Die Dämonen kennen kein Schuldgefühl. In ihrer Sünde sehen sie nur Gutes, d. h. ihre eigene vorbehaltlose Liebe zu Gott. Die Entscheidung, die objektiv gesehen, d. h. aus der übernatürlichen Sicht, sündhaft ist, bleibt in ihren Augen ein reiner Vollzug der Gottesliebe. In diesem ausgezeichneten Fall sehen wir also, daß die geläufige Unterscheidung von „peccatum obiectivum" und „peccatum subjectivum" eine interessante Umkehrung erlebt: Hier zeigt sich nicht die subjektive Sünde als die eigentliche Sünde, wie die Moraltheologen sonst gemeinhin unterstellen, sondern die objektive Sünde. I I I . D i e S ü n d e des M e n s c h e n Die vorangegangenen Betrachtungen sollten gezeigt haben, daß die Sünde in ihrer reinen Erscheinungsform keinen Gegensatz zur Gottesliebe bedeutet. Im Folgenden muß noch dargelegt werden, inwiefern dies auch für unsere konkrete menschliche Sünde zutrifft. Der Mensch hat eine komplexere Natur als der Engel. Auch seine Möglichkeit zu sündigen ist mehrschichtiger als bei den reinen Geistern. Die geläufige Unterscheidung der menschlichen Sünde in „peccatum mortale" und „peccatum veniale" hat ihren Grund in dieser seiner komplexeren Natur. Das Besondere an der menschlichen Sünde läßt sich überhaupt nur vor dem Hintergrund der Dualeinheit der Menschennatur würdigen. Der Schlüssel zur thomistischen Lehre über die menschliche Sünde liegt in dieser Doppelnatur („duplex natura"). Sie begründet eine Doppelneigung („duplex appetitus") zum Guten, und das heißt, daß das Gute, also letztlich Gott, sich dem Menschen zweifach präsentiert. Und das bedeutet schließlich, daß die moralische „Regel" ebenfalls eine zweifache ist („regula duplex"). Gehen wir dieser Dualeinheit nach. Der Mensch vereinigt in sich materielles und immaterielles Sein. Diese coincidentia oppositorum läßt sich nur dann wirklich denken, wenn man auf der Reflexionsebene des spezifisch thomistischen SeinsVgl. Sum. th., I, q. 63, a. 1, obi, 1 und ad 1. De malo, q. 16, a. 6, ad 8. „Diabolus non potest in se, proprie loquendo, culpara sentire, ita scilicet quod apprehendat et réfugiât quasi malum culpae suum peccatum." Ebd., a. 5, ad 5. 86 97

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begriffs steht 98 : „natura hominis habet duplex esse: unum quidem materiale . . . aliud autem immateriale" 99 . Diese zwei Existenzweisen sind nicht zwei nebeneinanderstehende Naturen, sondern die „anima continet corpus" 100 . Das Körperliche ist eine Entfaltung der Seele, analog dem Kunstwerk, das aus der Kunst entsteht, sodaß „quidquid in partibus corporis apparet, totum originaliter et quodammodo implicite in anima continetur" 101 . Die Spannung innerhalb dieser Einheit stellt die Bedingung der Möglichkeit der Sünde dar. Der Begriff des Bösen erhält in dieser Dualitätssituation eine neue Bedeutung; er erfährt eine Relativierung: „In agibílibus autem, circa quae sunt virtus et vitium, est duplex appetitus movens, scilicet rationalis et sensualis; et id quod est bonum secundum unum appetitum, est malum secundum alterum, sicut prosequi delectabilia est bonum secundum appetitum sensibilem, qui sensualitas dicitur, quamvis sit malum secundum appetitum rationis" 102 . In jedem Falle entscheidet sich der Mensch also für das Gute. Dennoch ist es nicht einerlei, welches „bonum" er wählt, denn der Verstand intendiert das objektive „bonum", während die Sinnlichkeit bloße „bona particularia" erreicht 103 . In diesem Sinne darf man von einer Neigung zum Bösen sprechen: „naturalis inclinatio non sit nisi in aliquod bonum. In quantum tarnen contingit illud bonum esse particulare et repugnans bono simpliciter, vel etiam bono particulari alterius rei, in tantum inclinatio naturalis est ad malum simpliciter, vel ad malum alicuius alterius" 104 . Die Fähigkeit, das objektive „malum" zu wählen, setzt voraus, daß man es gleichzeitig auch als etwas subjektiv Gutes zu betrachten vermag. 98 Vgl. meine Ausführungen in einer Besprechung zu Th. Schneider, Die Einheit des Menschen, Münster 1973, in der ,,Theologischen Revue" 70 (1974), Sp. 299—301. 99 In II De anima, 1. 12, η. 378. 100 Sum. th., I, q. 8, a. 1, ad 2. Vgl. q. 52, a. l e : ,,Anima enim est in corpore ut continens, et non ut contenta." 101 IV Sent., d. 44, q. 1, a. 2, sol. 1. 102 De pot., q. 3, a. 6, ad 5. ,,Ipsius etiam hominis secundum diversas sui considerationes accipitur diversimode bonum." De virt. in com., a. 9c. 103 ,,Sed cum vis appetitiva moveatur quodammodo a vi apprehensiva in quantum bonum apprehensum movet appetitum, necesse est quod secundum diversam rationem apprehensionis distinguatur vis appetitiva ; eo quod passiva sunt proportionata activis et motivis, et potentiae distinguuntur secundum obiecta. Est autem quaedam vis apprehensiva universalium, scilicet intellectus vel ratio; quaedam autem vis apprehensiva singularium, scilicet sensus vel phantasia; unde consequenter est duplex appetitiva: una quae est in parte rationali, quae vocatur voluntas; alia quae est in sensitiva, quae vocatur sensualitas, sive appetitus sensitivus. Appetitus ergo rationalis . . . habet pro propria ratione obiecti bonum universale. . . . Sed appetitus sensitivus non attingit ad universalem rationem boni, sed ad quasdam particulares rationes boni sensibilis vel imaginabilis." De malo, q. 8, a. 3c. 104 Ebd., q. 16, a. 2c. Reine Intellekte, wie die Teufel, haben demzufolge keine Zuneigung zum Bösen; vgl. ebd.

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„Unde relinquitur quod cuicumque inest naturalis inclinatio ad malum simpliciter, hoc est compositum ex duabus naturis, quarum inferior habet inclinationem ad bonum aliquod particulare conveniens inferiori naturae, et repugnans naturae superiori, secundum quam attenditur bonum simpliciter ; sicut in homine est inclinatio naturalis ad id quod conveniens carnali sensui contra bonum rationis" 105 . Bei dem moralischen Menschen wirkt die Neigung des Verstandes stärker auf die Person als die Neigung der Sinnlichkeit106. Diese Dualität eröffnet eine Situation, die beim Teufel gar nicht vorkommen kann. Während der „Irrtum" der Teufel ihnen selber durchwegs unbewußt bleibt, können Menschen ihren „Irrtum" manchmal einsehen107. Wie läuft nun aber der innere psychologische Vorgang ab, der dazu führt, daß der menschliche Sünder das Böse wählt, gerade indem er etwas Gutes wählt ? Im Grunde muß hier gleichermaßen dasselbe gelten, was wir beim Teufel konstatiert haben: der Sünder verfehlt eine einschlägige „Regel", die die Zuordnung der Dinge angibt. Das setzt voraus, daß mindestens zwei Zugänge zur Bewertung der Wirklichkeit vorliegen108. Beim Teufel sind es der eigene und der göttliche Verstand ;

105 Ebd. Daraus darf man natürlich nicht schließen, daß die Sinnlichkeit schlecht sei: „si aliquid horum deficiat alicui homini, deficit ei aliquid de plenitudine sui esse." Sum. th., I—II, q. 18, a. l e . Ohne Körper wäre der Mensch nach Thomas nicht einmal mehr eine Person; vgl. De pot., q. 9, a. 2, ad 14. 10β ,,Ιη continente vincit iudicium rationis, in incontinente vero motus concupiscentiae." De malo, q. 3, a. 9, ad 7. 107 Manchmal aber natürlich auch nicht; dann liegt entweder gar keine wirkliche Sünde vor oder der „Irrtum" liegt, wie bei den Engeln, völlig im Übernatürlichen. W. Kluxen, a. a. O., pp. 178—79, unterscheidet zutreffend zwischen der Heilsordnung, die sowohl der Sünde des Engels als auch des Menschen zugrundeliegen kann, und der Heilsgeschichte, die nur dem Menschen eine weitere Möglichkeit zur Sünde bietet: „Dasselbe Verhältnis wie bei den Engeln und Dämonen findet sich beim Menschen, mit den gleichen Folgen, wieder, wenn man ihn in Hinsicht auf die Heilsordnung betrachtet ; hinzukommt aber, daß der Mensch im konkreten Zustand des gegenwärtigen Lebens . . . nicht in der Lichtheit des Selbstbesitzes existiert, sondern in einem sich entwickelnden Verstehen und Wollen, das sich in der Zeit und in Einzelakten ausbreitet, in einer Folge von Zuständen, deren einer immer den anderen überholen kann, die einander entgegengesetzt, einander aufhebend oder einander stützend, einander vollendend sein können: er lebt nicht nur in einer Heilsordnung, sondern in der Folge einer Heilsgeschichte; die Heilsordnung hat die Struktur, die dem menschlichen Dasein gemäß und entsprechend ist." 108 ,, Appetitus sensitivus, vel rationalis, si ve intellectivus sequiter formam apprehensam: non enim est nisi boni apprehensi per sensum vel intellectum. Non ergo potest malum in appetitu accidere ex hoc quod discordet ab apprehensione quam sequitur; sed ex eo quod discordât ab aliqua superiori regula. Et ideo considerandum est utrum illa apprehensio quam sequitur inclinatio huius appetitus, sit dirigibilis aliqua superiori regula. Si non habeat superiorem regulam qua dirigi debeat, tunc impossibile est quod sit malum in tali appetitu; et hoc quidem contingit in duobus. Apprehensio enim bruti

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beim Menschen kommt noch dazu die Sinnlichkeit, sodaß bei ihm eine zweifache „Regel" Geltung hat : die Sinnlichkeit soll sich vom menschlichen Verstand leiten lassen und diese beiden wiederum vom göttlichen Verstand 109 . Selbstverständlich handelt es sich dabei nicht um zwei getrennte Regeln, sondern um eine Unterordnung110. Unser Verstand konkretisiert nämlich für uns die göttliche Regel. Das Moralgesetz in uns wird aus dem göttlichen Gesetz „abgeleitet" 111 . Es vergegenwärtigt also eine zeitbedingte Teilnahme an dem ewigen Gesetz des göttlichen Verstandes112. Ohne die ursprüngliche Einheit aufzulösen, erfaßt der Mensch das Gute in zweifacher Weise („duplex apprehensio") und unterliegt damit auch in zweifacher Weise der Möglichkeit zur Sünde113. Woher stammt aber die innere Verbindlichkeit der „Regel" des eigenen Verstandes ? Ist das damit verbundene „Sollen" etwa eine nicht hinterfragbare Urgegebenheit der Moral? Für Thomas, im Gegensatz zu den meisten modernen Moralisten, ist Moral nicht selbstbegründend, sondern läßt sich auf die allgemeine Anthropologie reduzieren. Der Verstand fungiert nicht deshalb als eine Regel gegenüber der Sinnlichkeit, weil er unfehlbar oder kategorisch ist, auch nicht, weil er so etwas wie eine Pflicht verkörpert 114 , sondern allein deshalb, weil er besser imstande ist, ein „bonum particulare" in das Ganze einzuordnen, d. h. es objektiv zu bewerten. Die Sinnlichkeit strebt zwar immer nach etwas Gutem, aber sie erfaßt es immer

animalis non habet superiorem regulam qua dirigi debeat; et ideo in eius appetitu non potest esse malum. . . . Similiter etiam intellectus divinus non habet superiorem regulam qua dirigi possit; ideo in appetitu eius seu volúntate non potest esse malum." De malo, q. 16, a. 2c. 109 „Regula autem voluntatis humanae est duplex: una propinqua et homogenea, scilicet ipsa humana ratio; alia vero est prima regula, scilicet lex aeterna, quae est quasi ratio Dei." Sum. th., I—II, q. 71, a. 6c. 110 ,,Unius rei non sunt plures mensurae proximae: possunt tamen esse plures mensurae, quarum una sub alia ordinetur." Ebd., q. 19, a. 4, ad 1. 111 „Licet lex aeterna sit nobis ignota secundum quod est in mente divina; innotescit tamen nobis aliqualiter vel per rationem naturalem, quae ab ea derivatur ut propria eius imago; vel per aliqualem revelationem superadditam." Ebd., ad 3. Vgl. q. 93, a. 3c; ad 2. 112 Das Verhältnis ist analog dem Partizipationsverhältnis zwischen Gott und Welt überhaupt; vgl. W. Kluxen, a. a. O., pp. 199; 233—37. 113 „In homine autem est duplex apprehensio a superiori regula dirigenda: nam cognitio sensitiva debet dirigi per rationem, et cognitio rationis per sapientiam seu legem divinam. Dupliciter ergo potest esse malum in appetitu hominis. Uno modo quia apprehensio sensitiva non regulatur secundum rationem. . . . Alio modo quia ratio humana est dirigenda secundum sapientiam et legem divinam." De malo, q. 16, a. 2c. 114 „Pflicht" und „Gewissen" sind für den Thomismus eigentlich entbehrliche Begriffe, wie W. Kluxen, a. a. O., pp. 34, Anm. 36; 227, dargelegt hat. Über die Fehlbarkeit des Verstandes als moralischer Regel vgl. Sum. th., I—II, q. 19, a. 6, ad 2.

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nur in Bezug auf sich selber, d. h. herausgelöst aus dem Zusammenhang der Gesamtwirklichkeit. Der Verstand erfaßt das „bonum" hingegen allgemein: „sensus est particularium, ratio vero universalium" 115 . Diese Spannung im Wesen des Menschen ist an sich grundsätzlich gut; ein Mensch, der die Anziehung der Konkupiszenz nicht kennte, würde sogar etwas von seiner personalen Integrität einbûssen: ,,licet quandoque in homine principium sit quod est rationis; tarnen ad integritatem humanae naturae requiritur non solum ratio, sed inferiores animae vires, et ipsum corpus. Et ideo ex conditione humanae naturae sibi relictae provenit ut in inferioribus animae viribus aliquid sit rationi rebellans, dum inferiores vires animae proprios motus habent" n e . Sittlich gut oder böse wird die Konkupiszenz lediglich in dem Bezug zum Verstand: „concupiscentia est quidem boni, secundum quod sequitur ordinem rationis; est autem mali, secundum quod est praeter ordinem rationis" 117 . An sich betrachtet, bleibt jeder menschliche Lebensvollzug gut ; in dem Vollzug der Sünde fehlt aber darüberhinaus die angemessene Geordnetheit 118 . Thomas unterscheidet demgemäß zwischen dem „actus" selbst und dessen Ungeordnetheit, d. h. der „deformitas actus": „oportet in peccato considerare non solum ipsam deformitatem, sed etiam actum deformitati substratum; quia peccatum non est deformitas, sed actus deformis. Deformitas autem actus est per hoc quod discordât a debita regula rationis vel legis Dei" 119 . Sünde ist demnach nicht eine „pura privatio", wie jede andere Art von „malum", sondern ein „actus debito ordine privatus" 120 . Was fehlt bei einer Sünde, ist genaugenommen nichts mehr als die Anwendung der zutreffenden Regel121. 115

Ebd., I, q. 59, a. 2, ad 1. „Voluntas potest tendere in bonum universale, quod ratio apprehendit; appetitus autem sensitivus non tendit nisi in bonum particulare, quod apprehendit vis sensitiva." Ebd., I—II, q. 19, a. 3c. „Obiectum rationis est nobilius quam obiectum appetitus: ratio enim apprehendit aliquid in universali; sed appetitus tendit in res, quae habent esse particulare." Ebd., q. 66, a. 3c. 116 De virt. in com., a. 4, ad 8. 117 De malo, q. 4, a. 2, ad 3. ,,Ιη quibuscumque contingit a regula rationis discedere, in his contingit esse peccatum. Nihil enim est aliud peccatum quam actus inordinatus." Ebd., q. 14, a. l c . 118 „Potest dici, quod actus humanus in quantum est actus, nondum habet rationem boni vel mali moralis, nisi aliquid addatur ad speciem contrahens; licet etiam ex hoc ipso quod est actus humanus, et ulterius ex hoc quod est ens, habeat aliquam rationem boni, sed non huius boni moralis quod est secundum rationem esse, de quo nunc agimus." Ebd., q. 2, a. 4c. 119 Ebd., a. 2c. „Ad rationem peccati duo concurrunt: scilicet actus voluntarius; et inordinatio eius." Sum. th., I—II, q. 72, a. l c . 120 Ebd., ad 2. 121 „Defectus qui praeintelligitur in volúntate ante peccatum non est culpa neque poena, sed negatio pura; sed accipit rationem culpae ex hoc ipso quod cum tali negatione se applicai ad opus. E x ipsa enim applicatione ad opus fit debitum illud bonum 15»

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Die Wirklichkeit der Sünde muß also unter zwei Aspekten betrachtet werden: insofern sie eben eine Wirklichkeit darstellt, ist sie gut; insofern man sie in Bezug auf ein weiteres „bonum" sieht, welches hätte verwirklicht werden können, kann sie als „böse" bezeichnet werden. Das sittlich Böse ist also, genau gesehen, „quoddam bonum adiunctum privationi alterius boni" 122 . Das Fehlen allein ist aber wohlbemerkt an sich kein „malum": „causa mali, quod est peccatum, est voluntas deficiens; sed ille defectus non habet rationem nec culpae nec poenae, secundum quod praeintelligitur peccato" 123 . Die Komponenten der Sünde bleiben für sich gesehen durchwegs gut ; das sittliche „malum" entsteht erst bei einer bestimmten Zusammensetzung der Komponenten. Wenn der Mensch mit zwei Handlungsmöglichkeiten in Freiheit konfrontiert wird, wobei die eine durch den Verstand und die andere durch die Sinnlichkeit vermittelt wird, wenn also der Mensch gezwungen ist, eine von diesen Möglichkeiten unter Verzicht auf die andere zu realisieren, dann liegt Sünde vor, wenn er sich für das subjektive, scheinbare „bonum" der Sinnlichkeit, und also gegen das objektive, wahrhafte „bonum" des Verstandes frei entscheidet. Im Gegensatz zu den sonstigen Arten von „malum", ist der Verlust beim sittlichen „malum" nur relativ, er ist der Verlust einer Möglichkeit, nicht einer Wirklichkeit: „non invenitur ratio mali ex fine intento, nisi inquantum cum hoc fine dilectationis carnalis non potest stare bonum rationis" 124 . Insofern sie eine Wirklichkeit darstellt, ist Sünde, wie gesagt, gut; das Böse daran ist keine Wirklichkeit: „omne agens agit secundum quod actu est, et per consequens secundum quod est aliquo modo perfectum. Secundum autem quod malum est, non est actu, cum unumquodque dicatur malum ex hoc quod potentia est quo caret, scilicet attendere actu ad regulam rationis et legis divinae." De malo, q. 1, a. 3, ad 13. „Hoc ipsum quod est non attendere actu ad talem regulam in se consideratam, non est malum nec culpa nec poena; quia anima non tenetur nec potest attendere ad huiusmodi regulam semper in actu; sed ex hoc accipit primo rationem culpae, quod sine actuali consideratione regulae procedit ad huiusmodi electionem." Ebd., c. 122 Sum. th., I, q. 48, a. 1, ad 2. 123 De malo, q. 1, a. 3, ad 6. ,,Hoc autem quod est non adhibere regulam rationis vel legis divinae, secundum se non habet rationem mali, nec poenae nec culpae, antequam applicetur ad actum." Sum. th., I—II, q. 75, a. 1, ad 3. 124 De pot., q. 3, a. 6, ad 12. So kommt es, daß in der Moral „malum" und „bonum" gewisse Gegensätze darstellen, die als „differentiae specificae" zur Unterscheidung des moralisch guten vom moralisch schlechten Akt dienen können, während in allen anderen Fällen „malum" dem „bonum" untergeordnet ist, d. h. daß „malum" nicht als Gegensatz, sondern als „privatio boni" zu sehen ist. „Bonum et malum non sunt differentiae constitutivae nisi in moralibus, quae recipiunt speciem ex fine, qui est obiectum voluntatis, a qua moralia dependent. Et quia bonum habet rationem finis, ideo bonum et malum sunt differentiae specificae in moralibus ; bonum per se, sed malum inquantum est remotio debiti finis. Nec tamen remotio debiti finis constituit speciem in moralibus, nisi secundum quod adiungitur fini indebito." Sum. th., I, q. 48, a. 1, ad 2.

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privata proprio et debito actu. Secundum vero quod actu est unumquodque, bonum est: quia secundum hoc habet perfectionem et entitatem, in qua ratio boni consistit. Nihil ergo agit in quantum malum est, sed unumquodque agens agit in quantum bonum est. Impossibile est ergo ponere aliud activum rerum principium nisi bonum. Et cum omne agens agat sibi simile, nihil etiam fit nisi secundum quod actu est; ac per hoc, secundum quod bonum est" 125 . Sünde beruht also nach Thomas nicht auf einem „malum", sondern auf einem „bonum aliquod cum absentia alicuius alterius boni" 126 . Der Sünder erfährt keine wirkliche Verminderung seines Daseins. Sünde bedeutet ihm nicht einen wirklichen Rückschritt, eine Abbröckelung, eine Verletzung, irgend eine Vernichtung des bewußten Selbsts. Was durch Sünde wirklich verloren gehen kann, ist, genau wie beim Teufel, die übernatürliche Gnade. Wenn Thomas einräumen will, daß die Sünde das „bonum naturae" des Menschen gewissermaßen doch vermindert, so interpretiert er das, wie in der Dämonologie, immer allein von der übernatürlichen Gnade her: „bonum naturae integrum manet quantum ad substantiam boni naturalis; sed per peccatum diminuitur aptitudo ad gratiam" 127 . Wonach der Sünder strebt, ist somit immer etwas Gutes, will sagen, eine Konkretisierung der Gutheit Gottes; dabei handelt es sich aber in der Tat — und das macht die Entscheidung eben sündhaft — nicht um das objektiv Bessere in der jeweiligen Situation. Fest bleibt: „causa peccati est aliquod bonum apparens motivum", und dazu kommt, daß dies „cum absentia debiti motivi" geschieht128. An sich betrach125 De pot., q. 3, a. 6c. Dementsprechend ist Gott selber die Ursache der Sünde, insofern Sünde eine Wirklichkeit und einen Lebensvollzug repräsentiert :, .operatio peccati, quantum ad id quod habet de entitate et actualitate, refertur in Deum sicut in causam." De pot., q. 1, a. 6, ad 5. „Quidquid est entitatis et actionis in actione mala, reducitur in Deum sicut in causam." Sum. th., I, q. 49, a. 2, ad 2. Vgl. ferner De malo, q. 3, a. 2c ; Sum. th., I—II, q. 79, a. 2c; De pot., q. 3, a. 6, ad 20. Mit dieser Ansicht steht Thomas natürlich im Widerspruch zu vielen Theologen ; vgl. z. B. R. A. M. Meier, Das Peccatum mortale ex toto genere suo, Regensburg 1966, der Sünde als , .ohnmächtiger Versuch, sich seines eigenen Grundes zu entledigen" (p. 398) und als „Abfall von der eigenen Personalität" (p. 394) verstehen will. 126 Sum. th., I—II, q. 75, a. 1, ad 3. „Peccare nihil aliud est quam deficere a bono quod convenit alicui secundum suam naturam." Ebd., q. 109, a. 2, ad 2. 127 De malo, q. 2, a. 11, ad 1. „Macula in anima non ponit naturam aliquam, sed solam gratiae privationem." De pot., q. 3, a. 6, ad 23. „Culpa vulnerai hominem in naturalibus quantum ad capacitatem gratuitorum, non autem ita quod adimat aliquid de essentia naturae." De malo, q. 16, a. 6, ad 12. „Nihil autem removet de rei essentia. Remo vet tarnen aliquid de inclinatione sive habilitate ad gratiam; et in quantum quodlibet peccatum de contraria dispositione inducit, dicitur aliquid de bono naturae adimere, quod est habilitas ad gratiam." De anima, a. 14, ad 17. Vgl. ferner De malo, q. 2, a. 11c, und Sum. th., I—II, q. 85, a. 1. 128 Ebd., q. 75, a. 2c.

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tet, ist der Vollzug der Sünde mithin ein Vollzug der Liebe zu Gott: „omne peccatum fundatur in aliquo appetitu naturali; et . . . homo quolibet naturali appetitu appétit divinam similitudinem, in quantum omne bonum naturaliter desideratum est quaedam similitudo bonitatis divinae" 129 . Thomas spricht hier kategorisch: „Deus . . . appetitur in omni fine" 130 . Einerlei ob man sich moralisch oder unmoralisch entscheidet, auf jeden Fall entscheidet man sich für das Gute: „quidquid homo appétit, appétit sub ratione boni" 131 . Der Unterschied liegt nicht einfachhin in einem „Nein" oder „ J a " zu Gott, denn jeder liebt Gott. Er erklärt sich ebenso wenig mit Hilfe der Unterscheidung zwischen einem natürlichen, philosophischen Gottes- bzw. Glücksbegriff („felicitas") und einem übernatürlichen, theologischen Gottes- bzw. Glücksbegriff („beatitudo") ; denn „amare bonum quod a beatis participatur ut habeatur vel possideatur, non facit hominem bene se habentem ad beatitudinem, quia etiam mali illud bonum concupiscunt" 132 . Thomas stellt grundsätzlich fest, daß der Sünder nicht dadurch charakterisiert werden kann, daß er sich schlechthin gegen den Willen Gottes auflehnt: „quicumque vult aliquid sub quacumque ratione boni, habet voluntatem conformem voluntati divinae" 133 . Um von Sünde zu sprechen, muß man noch weiter differenzieren. Eine solche allgemeine Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen betrifft eigentlich die „formalitas" des Gewollten; was den jeweiligen konkreten Inhalt („materialitas") angeht, so stellt es sich von Fall zu Fall heraus, ob man sich dem göttlichen Willen konform entscheidet oder nicht 134 . Der Sünder wählt 129 De malo, q. 8, a. 2c. Die sinnlichen Leidenschaften bleiben an sich moralisch indifferent: „passiones animae dupliciter possunt considerari: uno modo, secundum se; alio modo, secundum quod subiacent imperio rationis et voluntatis. Si igitur secundum se considerentur, prout scilicet sunt motus quidam irrationalis appetitus, sic non est in eis bonum vel malum morale, quod dependet a ratione. . . . Si autem considerentur secundum quod subiacent imperio rationis et voluntatis, sic est in eis bonum et malum morale." Sum. th., I—II, q. 24, a. l c . 130 De ver., q. 22, a. 2c. Für das thomistische Verständnis des Menschen entbehrt die folgende, sehr typische Ansicht jeden Bezug zur Wirklichkeit, sei es denn, man wolle die menschliche Liebe rein spirituell verstehen: „Die Sünde ist das Gegenteil der Liebe. . . . Die Sünde schließt jede Liebe aus. . . . Sie schließt somit die übernatürliche Liebe aus. . . . zugleich die menschliche, natürliche Liebe auschließt." P. Schoonenberg, Theologie der Sünde. Ein theologischer Versuch, übers. H. Zulauf, Einsiedeln 1966, p. 85 (= Mysterium Salutis, II, pp. 873—74). 131 Sum. th., I—II, q. 1, a. 6c. 132 De car., a. 2c. „Voluntas secundum suam naturam est bona, unde et actus eius naturalis semper est bonus; et dico actum naturalem voluntatis, prout homo vult felicitatem naturaliter, esse, vivere, et beatitudinem." De malo, q. 2, a. 3, ad 2. Zu dem Unterschied zwischen „felicitas" und „beatitudo" vgl. W. Kluxen, a. a. O., bes. p. 134. 133 Sum. th., I—II, q. 19, a. 10, ad 1. 134 „Voluntas igitur humana tenetur conformari divinae voluntati in volito formaliter, tenetur enim velie bonum divinum et commune: sed non materialiter." Ebd., c.

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zwar diejenige konkrete Wirklichkeit, die tatsächlich in der gegebenen Situation nicht die objektiv bessere ist, aber auf jeden Fall wählt er sie dennoch um Gottes willen. Und im übrigen wertet Thomas diese formale, transzendentale Hinsicht, welche den Vollzug der Gottesliebe beinhaltet, höher als die materielle objektive Übereinstimmung: „magis vult quod Deus vult, qui conformat voluntatem suam voluntati divinae quantum ad rationem voliti, quam qui conformat quantum ad ipsam rem volitam: quia voluntas principalius fertur in finem, quam in id quod est ad finem"135. Wenn man also die Situation aus der subjektiven Sicht des Sünders betrachtet (was in der Moral entscheidend ist), dann dreht es sich im Grunde darum, daß er „minus bonum magis amat"136. Begreift man so die Sünde völlig innerhalb des Horizontes der Gottesliebe, so bleibt immer noch die Frage offen, wie es vor sich geht, daß der Sünder trotz bzw. mit seiner grundsätzlich positiv zu bewertenden Absicht („intentio") dennoch das objektive „malum" wählt137. Mit anderen Worten: Wenn der Mensch immer das Gute formaliter bejaht, wie kommt es dann zustande, daß er es manchmal materialiter verneint 138 ? Oder noch anders formuliert: Auf welche Weise wird

Im vollendeten Zustand des ewigen Lebens werden beide Möglichkeiten verwirklicht: ,,Ιη statu tarnen gloriae, omnes . . . non solum formaliter, sed materialiter in omnibus suam voluntatem Deo conformabunt." Ebd., ad 1. 135 Ebd. „Species et forma actus magis attenditur secundum rationem obiecti, quam secundum id quod est materiale in obiecto." Ebd., ad 2. Selbst die materielle „aversio Dei" repräsentiert nicht eine absolute Abkehr von Gott, denn auch hier, wie wir schon gesehen haben, bleibt der Mensch Gott konform wenigstens insofern, als Gott die transzendentale „causa efficiens" ist; vgl. ebd., c. Auch die übernatürliche Dimension verändert diese Ansicht nicht wesentlich, denn die „formalitas" der spezifisch übernatürlichen Liebe zu Gott läßt sich auf diese naturgegebene Gottesliebe reduzieren: „ E s t et alius modus conformitatis secundum rationem causae formalis, ut scilicet homo velit aliquid ex caritate, sicut Deus vult. E t ista etiam conformitas reducitur ad conformitatem formalem quae attenditur ex ordine ad ultimum finem, quod est proprium obiectum caritatis." Ebd. 1M „ E s t autem voluntas inordinata, quando minus bonum magis amat. Consequens autem est ut aliquis eligat pati detrimentum in bono minus amato, ad hoc quod potiatur bono magis amato." Ebd., q. 78, a. l c . 1,7 „Illi qui peccant, avertuntur ab eo in quo vere invenitur ratio ultimi finis: non autem ab ipsa ultimi finis intentione, quam quaerunt falso in aliis rebus." Ebd., q. 1, a. 7, ad 1. 138 Da das „sub ratione boni" transzendental zu verstehen ist, ist es ein grobes Mißverständnis, die Verneinung von der Bejahung zeitlich unterscheiden zu wollen, wie die Thomas-Interpretation von B. Welte, Das Gute als Einheit des Unterschiedenen. Eine thomistische Betrachtung, „Sein und Ethos. Untersuchungen zur Grundlegung der Ethik", hrsg. P. E. Engelhardt, Mainz 1963, p. 135, es t u t : „Alles was wir in irgendeiner Weise nicht wollen, haben wir darum zuerst gewollt. Dann erst konnte sich unser Wille davon zurückziehen. Und also h a t es uns zuerst ein Gutes geschienen, und nur deswegen konnte es uns nachher enttäuschen." Noch viel weiter entfernt von den

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das, was durch den Verstand als „malum" beurteilt wird, zu einem „bonum apparens" ? Denn für das „malum" seiner Entscheidung trägt der Sünder gewiß eine Verantwortung; irgendwie muß er ja das „malum" auch bejahen. Wie kommt es also, daß „quaerendo quod volumus, incurrimus in id quod nollemus"139 ? Zwar geht Thomas ausführlich auf diese Frage ein, aber wir brauchen hier nicht seine psychologischen Beobachtungen im Einzelnen zu behandeln140. Für unsere Zwecke genügt es darzutun, daß es Thomas auch hier gelingt, seine allgemeinen Prinzipien hinsichtlich der allumfassenden Gottesliebe durchzuhalten. Seine Lösung dieses Problems läuft im Grunde darauf hinaus, daß indirekt („per accidens") das „malum" der Sünde bejaht wird. „Peccatum est quidam actus inordinatus. E x parte igitur actus, potest habere per se causam : sicut et quilibet alius actus. — E x parte autem inordinationis, habet causam eo modo quo negatio vel privatio potest habere causam. . . . Sed cum inordinatio peccati . . . non sit simplex negatio, sed privatio eius quod quid natum est et debet habere ; necesse est quod talis inordinatio habeat causam agentem per accidens : quod enim natum est inesse et debet, nunquam abesset nisi propter causam aliquam impedientem"141. Aus dem einen Akt der Bejahung erfolgt also beiläufig die Zustimmung zum Bösen, ohne daß der Sünder dies direkt beabsichtigt142. Der Akt selbst bleibt positiv, aber aus ihm ergibt sich das Böse: „in moralibus ad positionem alicuius modi vel speciei vel ordinis sequitur privatio debiti modi aut speciei vel ordinis. Et ita ex eo quod positive in actu invenitur, recipit actus speciem; sed ex privatione conséquente dicitur malus; et sicut per se Texten des Thomas selbst ist aber die Thomas-Interpretation von M. Müller, Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart, Heidelberg 1964 3 , p. 22; er behauptet, Thomas könne die Möglichkeit der Wahl gegen die Regel des Verstandes lediglich auf ein unerklärbares „Geheimnis der Sünde" zurückführen, „das seine Erklärung nur finden kann . . . im Satan. Nur er kann die Freiheit verleiten." 139 De malo, q. 1, a. 4, ad 1. „Homo qui peccat, licet per se non velit deformitatem peccati, tarnen deformitas peccati, aliquo modo cadit sub volúntate peccantis, dum, scilicet, magis eligit deformitatem peccati incurrere quam ab actu cessare." Ebd., q. 3, a. 2, ad 1. 140 Es sei lediglich auf folgende Stellen verwiesen: De malo, q. 2, a. 4, ad 9; q. 3, a. 9; q. 6, a. 1; Sum. th., I—II, q. 9, a. 2; q. 10, a. 3; q. 75, a. 2; a. 3; q. 77, a. 1; a. 2; q. 78, a. 1. 141 Ebd., q. 75, a. le. 142 „Omnis autem causa per accidens reducitur ad causam per se. Cum igitur peccatum ex parte inordinationis habeat causam agentem per accidens, ex parte autem actus habeat causam agentem per se; sequitur quod inordinatio peccati consequatur ex ipsa causa actus. Sic igitur voluntas carens directione regulae rationis et legis divinae, intendens aliquod bonum commutabile, causat actum quidem peccati per se, sed inordinationem actus per accidens et praeter intentionem: provenit enim defectus ordinis in actu, ex defectu directionis in volúntate." Ebd. „Per accidens" und „praeter intentionem" sind identisch; vgl. ebd., q. 71, a. 5c.

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convenit aquae non esse ignem, ita per se convenit tali actui et secundum suam speciem esse malum" 143 . Selbst eine solche akzidentelle Bejahung des Bösen läßt sich letzten Endes jedoch wiederum auf das Gute in verschiedenen Formen zurückführen: „Malum autem quod coniungitur alicui bono, est privatio alterius boni. Numquam igitur appeteretur malum, nec per accidens, nisi bonum cui coniungitur malum, magis appeteretur quam bonum quod privatur per malum" 144 . Obwohl das Böse nur in akzidenteller Weise in der Sünde vorkommt, ist es nichtsdestoweniger das, was das Spezifische der Sünde ausmacht. Danach ist nun auch die Relevanz der Sünde als solcher zu messen145. Thomas will den Ernst des sittlichen Bösen nicht verharmlosen ; aber er verabsolutiert es auch nicht. Die Frage der christlichen Moral ist nach Thomas somit nicht, ob man Gott liebt — denn auch der Sünder liebt Gott —, sondern inwiefern man Gott liebt. Will man von einem „Nein" zu Gott, vom Gotteshaß trotzdem sprechen, so ist das nicht im eigentlichen Sinne zu verstehen. Gott selber wirklich zu hassen, vermag der Mensch nicht 146 . Der sog. „contemptus Dei", mit dem die Sünde charakterisiert wird, ist nicht ein „contemptus actualis", sondern nur ein „contemptus interpretatus" 147 . Der Sünder weist nicht Gott selber zurück, sondern einzelne seiner Wirkungen: „illi qui non vident essentiam eius, cognoscunt eum per aliquos particulares effectus, qui interdum eorum voluntati contrariantur. E t sic hoc modo dicuntur odio habere Deum: cum tarnen, inquantum est bonum commune omnium, unumquodque naturaliter diligat plus Deum quam seipsum" 148 . Sünde impliziert in der Tat zwar eine objektive „aversio a Deo", aber diese „aversio" liegt nicht in der Absicht des Sünders 149 . Will man aber gerade die gewaltige Differenz zwischen verwirklichter Gottesliebe und

143 De malo, q. 2, a. 4, ad 8. „Ipse actus non est volitus in quantum est inordinatus, sed secundum aliquid aliud ; quod, dum voluntas quaerit, in praedictam inordinationem ineurrit, quam non vellet; et sic, ex eo quod est volitum, habet rationem culpae." Ebd., q. 1, a. 4, ad 2. 144 Sum. th., I, q. 19, a. 9c. 145 „Gravitas autem peccati magis attenditur ex parte aversionis; quae quidem ex conversione sequitur per accidens." Ebd., I—II, q. 77, a. 6, ad 1. 148 Vgl. ebd., II—II, q. 34, a. Ic. 147 De malo, q. 2, a. 1, ad 10. „Interpretamur aliquem contemnere qui non facit quod iubetur, vel facit quod prohibetur." Ebd. 148 Sum. th., I, q. 60, a. 5, ad 5. Vgl. ferner ebd., II—II, q. 34, a. l c . 149 „In quolibet peccatore aversio a Deo est praeter intentionem: quia malum non potest esse intentum, sed semper bonum, in quo est ad Deum assimilatio." II Sent., d. 5, q. 1, a. 2, ad 5. „Quilibet peccator quantum ad hoc quod appétit aliquod commutabile bonum, convertitur in Deum, cuius participatione omnia sunt bona; in quantum vero inordinate appétit illud, avertitur a Deo, id est ab ordine iustitiae eius." De malo, q. 16, a. 3, ad 1.

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William J. Hoye

versäumter Möglichkeit in angemessener Weise zum Ausdruck bringen, so läßt sich, unter der Voraussetzung, daß hier in metaphorischer Rede gesprochen wird, das traditionelle, betont negative Sündenvokabular doch auch wiederum rechtfertigen150. 150 Etwa im folgenden Sinne: „Cum in homine sit duplex natura, scilicet intellectiva, quae principalior est, et sensitiva, quae minor est, ille vere seipsum diligit qui se amat ad bonum rationis: qui autem se amat ad bonum sensualitatis contra bonum rationis, magis se odit quam amat, proprie loquendo. . . . E t secundum hoc amor verus sui ipsius amittitur per peccatum contrarium, sicut et amor Dei." De car., a. 12, ad 6.

DIE KRITIK DES THOMAS VON AQUIN AN DER ORIGENISTISCHEN SEELENLEHRE von

INGRID CRAEMER-RUEGENBERG

(Köln)

In seinen beiden großen Summen setzt Thomas sich mehrfach und ausführlich mit Thesen aus der Schrift De Principiis des Orígenes auseinander. In dieser Auseinandersetzung geht es um drei Fragen. Erstens: Ist die hierarchische Ordnung der Schöpfung ursprünglich gottgewollt, oder ist sie das Ergebnis des Abfalls der zunächst gleichen Geistwesen von Gott? Zweitens: Haben die abgefallenen Geister, gleichgültig, wie weit sie sich von Gott entfernt haben, noch stets die Freiheit, sich Gott wieder zuzuwenden? Drittens: Sind die in den menschlichen Körpern behausten menschlichen Seelen als Körperoder Leibseelen geschaffen worden, oder sind sie wesentlich reine Geister, die zufolge ihres freigewählten Abfalls von Gott in die Körperwelt verbannt worden sind ? Im folgenden geht es um die Stellungnahme des Thomas zu der dritten Frage. Wie in einigen Details noch zu zeigen sein wird, schreibt Thomas dem Orígenes, dessen Schrift De Principiis (Peri Archon) er auch anführt, die These zu, daß alle Seelen in ihrem Ursprung gleichartige Geistwesen gewesen seien und daß die menschlichen Seelen aufgrund ihrer Entfernung von Gott durch einen freiwilligen Abfall in ihren Verleiblichungszustand geraten seien. In der Prima Pars der Summa Theologiae (Q. 75, a. 7 c.) pointiert Thomas diese These folgendermaßen: „Es ist zu sagen, daß Orígenes angenommen hat, daß alle menschlichen Seelen und Engel von einer Art seien. Und dies deswegen, weil er annahm, daß die Verschiedenheit der Stufung, wie sie in dergleichen Substanzen vorfindlich ist, akzidentiell sei, sofern aus einer freien Entscheidung herkommend . . ,"1. Hier und auch an anderen Stellen, die noch behandelt werden, bringt Thomas eine Fülle von scharfsinnigen Argumenten, um diese These zu widerlegen : Die Menschen sind wesenhaft leibseelisch konstituiert, und dies ist gut und gottgewollt ; sie sind wesenhaft Nicht-Engel2. 1 S. TA. q. 75, a. 7c.: „Dicendum quod Orígenes posuit omnes animas humanas et angelos esse unius speciei. Et hoc ideo, quia posuit diversitatem gradus in huiusmodi substantiis inventam, accidentalem, utpote ex libero arbitrio provenientem. ." 2 Angesichts dieser eindeutigen Stellungnahme ist schwer zu verstehen, daß im Schlußwort einer 1969 erschienenen Arbeit Ober Thomas steht: „Wenn also die letzte Vollendung des Menschen, wie Thomas sie lehrt, und in der er sein Denken über den

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Ingrid

Craemer-Ruegenberg

Diesem Thema widmet Thomas zwei Artikel im ersten Teil der Summa Theologiae und zwei breit angelegte Kapitel im zweiten Buch der Summa Contra Gentiles (S. Th. I, q. 75, 7; q. 47, 2; CG II, cap. 44 u. 83), von sporadischen Erwägungen in Einzelantworten abgesehen. Das läßt darauf schließen, daß für Thomas die Auseinandersetzung mit origenistischen Thesen wichtig war. Die Gründe können wir nur mutmaßen. Ganz sicher gehört die Lehre von der menschlichen Seele zu den Lieblingsthemen des Thomas. Das bezeugen die langen Abschnitte der Seelenlehre in den beiden Summen, des Thomas ausführliche Auseinandersetzung mit der averroistischen Seelenlehre ebendort und in seiner Schrift „Über die Einheit des Intellekts". Ebenso deutlich ist, daß es Thomas ganz besonders daran lag, die funktionale Einheit von Leib und Seele des Menschen zu betonen. Gerade deswegen konnte es dem scharfsinnigen Theologen unterlaufen, daß er dogmatisch irreführende Sätze über die Einheit der Seele als Form des menschlichen Körpers formulierte, wie sie dann in den Verurteilungslisten des Robert Kilwardby (18. März 1277) und des Johannes Peckham (7. Dez. 1284 und 1. Januar 1285) zitiert wurden 3 . Mit einer solchen wie der von dem Aquinaten vertretenen Theorie über die funktionale Einheit von Seele und Körper des Menschen sind die als origenistisch gekennzeichneten Thesen über die Abkünftigkeit der menschlichen Seelen aus einer Urwelt reiner Geister a fortiori unverträglich. Das wäre Grund genug für eine sachliche Auseinandersetzung mit diesen Thesen. Doch glaube ich, daß man darüber hinaus annehmen kann, daß Thomas mit seiner wiederholten, vielteiligen Argumentation gegen Gedanken aus De Principiis noch spezifisch apologetische Absichten verfolgte. Ein großer Teil nämlich der volkstümlichen wie auch der esoterischen Häresien aus der Zeit des Thomas enthält origenistisches Gedankengut 4 . Häufig findet sich die Rede vom Abfallsszustand der menschlichen Seelen in ihrer Verleiblichung, und zahlreiche Sektierer berufen sich — wie vormals Orígenes (nach Rufin) — auf ein Pauluswort, um zwischen „Pneuma" und „Psyche" des Menschen zu untereigentlichen Menschen, d. h. den Menschen, wie er eigentlich sein soll, offenbart, so ergibt sich daraus als Fazit seiner gesamten Lehre v o m Menschen: Der eigentliche Mensch ist ein Engel. Es ergibt sich daraus als eine weitere Konsequenz, weil das Sein des Engels auf dieser Erde nicht zu erreichen ist und nur im Stand der Vollkommenheit in einer vergleichbaren Spiegelung existiert: Der eigentliche Mensch ist der Mönch." Klaus Bernath, Anima forma corporis, Bonn 1969, p. 224. 3 H. Denifle, Chartularium Universitatis Parisiensis, Paris 1899, Nachdruck: Brüsel 1964, Bd. I, pp. 559, 625, 626, 634. 4 W. L. Wakefield u. Austin P. Evans, Heresies of the High Middle Ages. Selected Sources, Translated and Annotated, N e w Y o r k — L o n d o n 1969, p p . 4 7 , 48, 165, 239, 309—310, 338. Man vgl. auch in diesem Band die Beiträge von N. Häring und Α. Cazenave.

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scheiden. Der Trend im 12. und 13. Jahrhundert, ,das eigentliche Sein des Menschen' als einen völlig leibfremden, engelartigen Zustand zu deuten, ist unübersehbar. Allerdings wird, soweit ich ermitteln konnte. Orígenes weder in den Verurteilungs- und Streitschriften noch in den uns erhaltenen katharischen Dokumenten namentlich aufgeführt 5 . Die sachliche Verwandtschaft einiger ketzerischer Ideen der damaligen Zeit mit etlichen durch die Rufin-Übersetzung überlieferten Gedankengängen des Orígenes ist indes nicht zu bestreiten. Die historische Sachlage ist leider ungeklärt, wie auch die Herausgeber der neuesten Ausgabe des Orígenes-Werkes betonen 6 . Für die Vermutung, daß Thomas vermittels seiner expliziten Auseinandersetzung mit der origenistischen Schöpfungs- und Seelenlehre gegen Häresien (katharischen Typs) seiner Zeit argumentiert, sprechen drei Indizien. Erstens ein Zeugnis des Thomas selbst (C. G. II, Cap. 83) : „Einige haben . . . einen mittleren Weg eingehalten. Weil es nämlich gemäß dem katholischen Glauben nichts Ewiges außer Gott gibt, haben sie zwar nicht angenommen, daß die menschlichen Seelen ewig sind, wohl aber, daß sie mit dem Kosmos, oder eher noch vor dem sichtbaren Kosmos geschaffen worden sind und daß sie dennoch von neuem mit Körpern verbunden werden. Es findet sich, daß unter den Verkündern des christlichen Glaubens Orígenes als erster diese These aufgestellt hat und nach ihm mehrere, die ihm folgen. Diese Meinung gibt es bis heute noch bei den Häretikern, wobei die Manichäer noch zusätzlich mit Piaton versichern, daß sie (d. h. die menschlichen Seelen) ewig sind und daß sie von einem Körper zum anderen übergehen" 7 ). Zweitens fällt auf, daß Thomas in den Summen die Irrlehre des Orígenes bezüglich des Urzustandes der menschlichen Seelen ebenso 5

Vgl. ebda; eine Bestätigung erfolgte auch durch mündliche Mitteilung von A. Cazenave. 6 Orígenes, Vier Bücher von den Prinzipien. Hrs., übersetzt, mit krit. u. eri. Anm. versehen von Herwig Görgemanns und Heinrich Karpp, Darmstadt 1976, pp. 27—28: „Die in der Kirche untragbaren Spekulationen aus ,Peri archon' traute man Ketzern wie den Katharem zu; doch sind wirkliche Zusammenhänge zwischen diesen und Orígenes schwer nachzuweisen. Seine Lehre kennt das ganze Mittelalter fast nur aus allgemeiner Schulüberlieferung und den Lehren anderer." Die sehr umfangreiche Kritik des Thomas an Orígenes wird (wie sozusagen überall) übersehen. Zu Thomas heißt es bloß: „Thomas von Aquin, der auf die Schrift ,Peri archon' verwies, nannte ihren Verfasser den Ahnherrn der Arianer." 7 Summa Contra Gentiles II, 83, Nr. 1656: „Quidam . . . viam mediam tenuerunt. Quia enim secundum fidem catholicam nihil est aeternum praeter Deum, humanas quidem animas aeternas non posuerunt, sed eas cum mundo, sive potius ante mundum visibilem, creatas fuisse, et tarnen eas de novo corporibus alligari. Quam quidem positionem inter christianae fidei professores Orígenes posuisse invenitur, et post eum plures ipsum sequentes. Que quidem opinio usque hodie apud Haereticos manet; quorum Manichaei eas etiam aeternas asserunt, cum Piatone, et de corpore ad corpus transiré."

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ausführlich und sorgfältig abhandelt wie die averroistische Irrlehre von der Einheit des Intellekts. Auch das läßt darauf schließen, daß er gegen eine zugkräftige Lehrmeinung, die bei Zeitgenossen kursiert, zu Felde zieht. Drittens hat Thomas eine sozusagen klassische Gelegenheit für eine bloß schul- und pflichtmäßige Abhandlung über die Lehre des Orígenes nicht wahrgenommen: Den von Petrus Lombardus in dessen „Sentenzen" zurückgewiesenen „error" des Orígenes „de preaexistentia animarum" 8 läßt Thomas in seinem Sentenzenkommentar unbeachtet. Dem läßt sich entnehmen, daß dieser origenistische „Irrtum" noch während der Abfassungszeit des Sentenzenkommentars für Thomas nicht von sonderlicher Bedeutung war und daß dieser „Irrtum" nicht zu den Themen gehörte, die ein tüchtiger Magister dieser Zeit pflichtschuldigst, wenn auch vielleicht uninteressiert, abhandeln mußte. (Das bestätigt auch ein Vergleich mit anderen zeitgenössischen Sentenzenkommentaren) . Die Mutmaßung, daß Thomas bei seiner Auseinandersetzung mit Thesen der origenistischen Seelenlehre in apologetischer Absicht gegen modische Häresien seiner Zeit argumentieren wollte, ist also nicht von der Hand zu weisen. Die historische Lage insgesamt ist jedoch nur sehr unzureichend geklärt. Man kennt weder die unmittelbaren Quellen der katharischen und verwandten Häresien, noch weiß man, wieso in deren Lehren Elemente aus einer Tradition auftauchen, die zurückreicht bis zu Orígenes, bis zur Gnosis, bis Philo von Alexandrien und noch weiter. Auch gibt es überhaupt keine Angaben darüber, welche häretischen Lehren vielleicht origenistischer Prägung Thomas selbst gekannt hat, noch weiß man, ob Thomas sich unmittelbar auf die Rufin-Übersetzung gestützt hat, auf die Zitate bei Eriugenna oder auf die Berichte des Augustinus®. Wie Thomas — aus welchen Quellen auch immer — die Seelenlehre aus De Principiis rezipiert hat, erfahren wir aus seinen Referat e n : Summa Theologiae I, q. 47, 2; q. 64, 2; q. 65, 2; q. 75, 7; beson-

ders ausführlich: Summa Gentiles II, 44 und 83. Thomas wiederholt sich in diesen Referaten. Deswegen genügt eine zusammenfassende Darstellung : 8

Petrus Lombardus, Sentenzen, Lib. I, dist. XLI, cap. I I . Vgl. dazu: Augustinus, De Civitate Dei, X I , 23, XII, 13 u. X I I , 25; Augustinus, Ad Orosium contra Priscillanistas et Origenistas Liber Unus (Migne, P L 42), pp. 670—678; Β. Altaner, Augustinus und Orígenes. Eine quellenkritische Untersuchung, „Hist. J a h r b u c h " 1951, pp. 15—41 ; Joh. Dräseke, Johannes Scotus Erigena und dessen Gewährsmänner in seinem Werke De divisione naturae libri V, Leipzig 7902, pp. 28—32. 9

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Nach Thomas von Aquin hat Orígenes die (manichäische) Lehre von zwei konträren Prinzipien — dem Prinzip des Guten und dem Prinzip des Bösen — außer Kraft setzen wollen. Da diese Lehre erklären sollte, wieso in der Schöpfung soviel Unterschiede anzutreffen sind, zum Beispiel der Unterschied zwischen lichten und dunklen Körpern, zwischen Menschen, die teils als Barbaren, teils als Christen aufwachsen, sah Orígenes sich genötigt, die Zwei-Prinzipientheorie durch eine andere zu ersetzen. Nach dieser ist alle in der Schöpfung vorfindliche Unterschiedlichkeit auf eine Verschiedenheit der Verdienste zurückzuführen. Ursprünglich nämlich habe Gott aus seiner Gutheit heraus alle Geschöpfe gleich geschaffen, und zwar als freie Geistwesen. Diese wiederum haben sich durch eigene freie Entscheidung mehr oder weniger von Gott entfernt. „Und dementsprechend sind dann aus göttlicher Gerechtigkeit die verschiedenen Stufen bei den geistigen Substanzen entstanden, so daß einige in verschiedenen Ordnungen Engel wurden, andere menschliche Seelen von unterschiedlichem Rang, andere dann wieder Dämonen mit unterschiedlichem Rang. Und er behauptete, daß Gott die Verschiedenheit der körperlichen Kreatur um der geistbegabten Geschöpfe willen eingerichtet habe, daß edleren Körpern edlere geistige Substanzen verbunden werden, damit auf je unterschiedliche Weise die körperliche Schöpfung der Verschiedenheit der geistigen Substanzen dienlich ist" 10 . Die Referate des Thomas, die hier zusammengefaßt wurden, sind sehr vereinfachend, aber sie sind nicht falsch11. Die apologetische Intention des Orígenes wird, wahrscheinlich aufgrund der entsprechenden Berichte bei Augustinus 12 , etwas schief dargestellt. Wenn Orígenes im Zusammenhang mit seiner Lehre vom Abstieg sagt : „Nur so halten wir uns frei von der absurden und gottlosen Erfindungen derer, die davon fabulieren, die geistigen Naturen seien verschieden und stammten darum von verschiedenen Schöpfern, sowohl im Himmel wie auch unter den Menschenseelen", will er, wie die Herausgeber der neuen Ausgabe vermuten, Leute wie die Valentianer und nicht die Manichäer 10

Contra Gent. II, 44, Nr. 1203: ,,. . . et secundum hoc diversi gradus in substantiis spiritualibus ex divina iustitia sunt subsecuti, ut quidam essent angeli secundum diversos ordines, quidam animae humanae etiam secundum diversos status, quidam etiam daemones in statibus diversis; et propter diversitatem rationalium creaturarum dicebat diversitatem corporalium creaturarum Deum instituisse, ut nobilioribus corporibus nobiliores spirituales substantiae adiungerentur, ut diversimode corporalis creatura spiritualium substantiarum diversitati quibuslibet modis aliis deserviret." 11 Außer dem Rufin-Text (vgl. Anm. 6) könnten hier noch herangezogen werden: J. Dupuis S. J., „L'Esprit de l'Homme." Etude sur l'anthropologie religieuse d'Origine, Mecheln 1967, pp. 38f. 64f. und Hal Koch, Pronoia und Paideusis. Studien über Orígenes und sein Verhältnis zum Piatonismus, Berlin—Leipzig 1932, pp. 25—37, um nur diese Untersuchungen zu nennen. 12 Vgl. die Angaben in Anm. 9.

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widerlegen13. Bei Orígenes geht es an derselben Stelle weiter: „Sie sagen nämlich, es sei unlogisch, daß ein und derselbe Schöpfer, ohne Verdienste als Grund, den einen Herrschaftsgewalt überträgt, andere der Herrschaft unterordnet . . . All das, meine ich, wird widerlegt und abgetan durch unsere oben dargestellte Theorie, aus der sich ergibt, daß die Ursache der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit unter den einzelnen Geschöpfen von ihren eigenen Bewegungen herrührt". Diesen Kerngedanken der Ersatztheorie hat Thomas wieder genau angeführt. Im Kapitel „Von der Seele" (De Princ. II, 8) arbeitet Orígenes mit zwei verschiedenen Definitionen von „Seele". Die Seele als „Substanz mit Vorstellungs- und Strebevermögen" wird allen Tieren zugeschrieben, ebenso natürlich den Menschen14. Was die Engel und Christus betrifft, gilt: „Wenn nun die Definition richtig scheint, daß ,Seele' eine Substanz mit vernunftgemäßen Vorstellungs- und Strebevermögen genannt wird, so scheint sie auch auf die Engel zuzutreffen. Denn was haben sie sonst als vernunftmäßige Vorstellungen und Strebungen ? Dinge aber, die dieselbe Definition haben, haben notwendig auch dieselbe Substanz" 15 . Seine These vom uneigentlichen, vom Abstiegszustand von Seelen überhaupt stellt Orígenes sehr vorsichtig mit Hilfe von Schriftstellen und einer alten Etymologie des Wortes „Psyche" zur Debatte. Die zitierten Stellen aus dem NT legen es nahe, eine Trennung von „Psyche" und „Pneuma" anzunehmen. Dabei scheint die Psyche von niederer Ordnung zu sein, vielleicht bloßes Lebensprinzip, wenn auch mit einer gewissen Entscheidungsfähigkeit (zur Rückkehr) begabt 16 , während Pneuma der wahre Geist ist, welcher das Göttliche erfassen kann 17 . Soweit der griechische Text rekonstruiert ist, hat Orígenes hier anscheinend die NT-Unterscheidung „Pneuma-Psyche" mit der (platonistischen) Unterscheidung „Nus-Psyche" in Verbindung gebracht 18 . Die Etymologie des Wortes „Psyche" zieht Orígenes als zusätzlich bedenkenswert heran und belegt sie mit weiteren Schriftstellen. Schließlich heißt es: „Wenn nun also das Heilige als feurig, hell und heiß bezeichnet wird, das Gegenteil aber als kalt, und wenn es heißt, daß bei den Sündern ,die Liebe erkalte' (vgl. Matth. 24, 12), so ist zu fragen, ob vielleicht auch die Bezeichnung .Seele' (psyche) davon hergenommen ist, daß sie von einem göttlicheren und höheren Zustand .erkaltet ist' (psychesthai); das heißt davon, daß sie von ihrer natürlichen und göttlichen Wärme er13 14 15 16 17 19

De De De De De De

Principiis (a. a. Ο.), p. 225 und ebda Anm. 4. Princ., pp. 382—383. Princ., p. 385. Princ., pp. 393—394. Princ., pp. 385—389. Princ., p. 387, Anm. 12.

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kältet ist und so zu ihrem jetzigen Zustand und ihrer jetzigen Bezeichnung gekommen ist" 19 . Wenn man dies und weitere Belege durchdenkt, ergibt sich, meint Orígenes, daß die Annahme einer stufenweisen Umwandlung des ursprünglichen Geistes, der „Intelligenz", in Seele höchst plausibel ist. Er fügt hinzu: „Wenn wir aber gesagt haben, daß Intelligenz in Seele umgewandelt wird oder anderes in diesem Sinne, so soll der Leser dieser Dinge bei sich eingehend überdenken und prüfen; man nehme dies nicht als Lehren, die von uns vorgetragen würden, sondern als Darlegung in der Art einer Erörterung und Untersuchung (offener Probleme)" 20 . Dieser Überblick sollte genügen, um deutlich zu machen, daß Thomas zwar, wie gesagt, vereinfachend vorgegangen ist, indem er zum Beispiel Hypothesen als Behauptungen verstand und die exegetischen Erwägungen überging, daß seine Rezeption aber nicht irrig ist. Die Vereinfachung könnte freilich auch zu Lasten der Häretiker (oder zu Lasten der Tradition, aus welcher Thomas schöpft) gehen. Insofern hätte Thomas in der Tat eine vom Denken des Orígenes geprägte Meinung über den abkünftigen Zustand der menschlichen Seelen bekämpft, eine Meinung, die das Gemüt vieler Christen seiner Zeit bewegte. Thomas kann die origenistische Lehre vom Ursprung und eigentlichen Wesenszustand der (menschlichen) Seelen natürlich nur im Rahmen seiner Rezeption dieser Lehre widerlegen. Sein eigenes Referat der einschlägigen Thesen verpflichtet den Aquinaten auf zweierlei Beweisführung. Erstens muß er zeigen, daß die Ersatztheorie des Orígenes gegen Irrlehren, welche mehr als eine Ursache, nämlich Gott, für die Schöpfung annehmen, fehlerhaft oder überflüssig ist. Zweitens muß er beweisen, daß die origenistische Seelenlehre „anthropologisch" falsch ist. Der erstgenannten Beweispflicht kommt Thomas an vielen Stellen nach, so: Summa Theologiae I q. 10, 6; q. 47, 4; q. 65, 2 und Summa Contra Gentiles II, cap. 44. Er übernimmt dabei häufig patristische Argumentationsmuster: Mehrfach verweist er auf Gen. I, 4, 10, 12, 18, 21, 25, 31 („Und Gott sah, daß . . . es gut war") ; auch benutzt Thomas den Artifex-Vergleich. „Denn der (eigentliche) Grund für den Unterschied zwischen Dach und Fundament ist nicht, daß sie verschiedenen Stoff haben, vielmehr sucht der kunstfertige Baumeister den jeweils verschiedenen Stoff, damit aus verschiedenen Teilen das Haus vollkommen sei . . ."21, und Entsprechendes gilt auch für die Schöpfung, „denn das Universum wäre nicht vollkommen, wenn in den Dingen

19 20 21

16

De Princ., pp. 392—393. De Princ., p. 397. Summa Theologiae ( = S. Th.) I, q. 47, 2 ad 3.

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bloß ein Grad von Gutheit angetroffen würde" 22 . Von Augustins übernimmt Thomas den Gedanken, daß nach der Lehre des Orígenes „die bestehende Anordnung der körperlichen Welt aus Zufall sei. Wenn nämlich der Körper der Sonne so geschaffen worden ist, damit er für die Bestrafung der Sünde einer spirituellen Kreatur angemessen ist, würde, wenn mehrere spirituelle Kreaturen auf ähnliche Weise gesündigt hätten . . ., folgen, daß es mehrere Sonnen in (unserem) Kosmos gäbe" 23 . Der eigenständig thomasische Grundgedanke für die Argumentation über die Einzigkeit eines guten und gerechten Schöpfers einer Welt von Ungleichen ist offenbar folgender: „. . . wie die Weisheit Gottes die Ursache für die Unterscheidung der Dinge ist, so auch für ihre Ungleichheit. Das erhellt folgendermaßen: In den Dingen wird nämlich eine doppelte Unterscheidung vorgefunden, eine formale bei solchen, sie sich der Art nach unterscheiden, eine materiale bei solchen, die sich nur numerisch unterscheiden. Da aber die Materie um der Form willen ist, ist die materielle Unterscheidung um der formalen willen. Deswegen sehen wir, daß es bei den unvergänglichen Dingen immer nur ein Individuum einer Art gibt, weil die Art in einem einzigen hinreichend erhalten wird. Bei denen aber, die dem Werden und Vergehen unterworfen sind, gibt es zur Erhaltung der Art viele Individuen einer Art. Daraus wird klar, daß der Formalunterschied wichtiger ist als der Materialunterschied. Der Formalunterschied aber erfordert immer Ungleichheit, denn, wie es im 8. Buch der Metaphysik heißt (1021 a 12) : die Formen der Dinge sind wie die Zahlen, bei denen durch Hinzufügen oder Wegnehmen einer Einheit die Arten wechseln. Deshalb scheinen bei den Naturdingen die Arten stufenweise geordnet zu sein. Zum Beispiel sind die gemischten Körper vollkommener als die Elemente, die Pflanzen vollkommener als die Gesteine, die Sinnenwesen vollkommener als die Pflanzen und die Menschen vollkommener als die anderen Sinnenwesen"24. Thomas zufolge muß also da Ungleichheit sein, wo überhaupt Verschiedenheit ist, weil die primäre Verschiedenheit, die Verschiedenheit in der Form eine Ungleichheit, d. h. ein Mehr oder Weniger in der Formbestimmtheit einschließt. Auf diesen Gedanken bauen jetzt zwei Argumente gegen die Theorie des Orígenes auf : 22 S. Th. I, q. 47, 2 c.. Contra Gent. II, 44, Nr. 1218. Vgl. dazu u. a. Augustinus, De Civitate Dei X I , 23: ,,. . . quoniam sicut pictura cum colore nigro loco suo posito, ita universitas rerum, si quis possit intueri, etiam cum peccatoribus pulchra est, quamvis per se ipsos consideratos sua deformitas turpet." 23 S. TA. I, q. 65, 2c.; q. 67, 2c.; Contra Gent, II, 44 Nr. 1214; Augustinus, De Civ. Dei, X I , 23. 24 S. Th. I, q. 47, 2 c. und Contra Gent. II, 44, Nr. 1211.

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„Wenn die Verschiedenheit der körperlichen Kreatur der Verschiedenheit der vernunftbegabten Kreatur entspricht, dann würde der Wesensgleichheit und Einförmigkeit der vernunftbegabten Kreaturen eine Einförmigkeit der körperlichen Natur entsprechen. Die körperliche Natur wäre nämlich auch dann geschaffen worden, wenn die verschiedenen Verdienste der vernunftbegabten Kreatur nicht vorangegangen wären, allerdings wäre sie einförmig geschaffen worden. Folglich wäre die erste Materie geschaffen worden, welche allen Körpern gemeinsam ist, aber nur unter einer Form. In dieser aber sind mehrere Formen in der Möglichkeit. Sie wäre also unvollkommen geblieben, wenn nur eine einzige Form von ihr in die Wirklichkeit überführt worden wäre. Das ist der göttlichen Gutheit nicht angemessen"25. Das bedeutet : die Welt ist ursprünglich mit ihrer Formvielfalt, folglich auch Ungleichheit erschaffen worden. Wenn man das Gegenteil annimmt, wie Orígenes, muß man zu dem Schluß kommen, daß die Welt unvollständig ist, und das widerspricht auch der Anfangsthese des Orígenes, daß Gott schlechthin gut und gerecht sei. Der Irrtum des Orígenes kann aber noch früher angesetzt werden. Orígenes behauptet ja eine Vielheit von gleichen Geistwesen, die es am Anfang der Schöpfung gegeben haben soll. Dazu schreibt Thomas : „Da es keine Vielheit ohne Verschiedenheit geben kann, müßte für die Geistwesen, wenn sie von Anfang an in einer gewissen Vielheit geschaffen worden sind, eine gewisse Verschiedenheit gewesen sein. Demnach hat die eine von ihnen (den vernunftbegabten Kreaturen) etwas gehabt, was eine andere nicht hatte. Und so müßte dies nicht aus der Verschiedenheit der Verdienste hervorgehen, und aus demselben Grund wäre es auch nicht notwendig gewesen, daß die Verschiedenheit in der Stufung aus der Verschiedenheit der Verdienste hervorginge"2®. Nach Thomas ist demnach sowohl aus teleologischer wie auch aus metaphysischer Sicht die Vielfalt und Ungleichheit in der Schöpfung notwendig. Durch den Nachweis dieser Notwendigkeit wird die Lehre des Orígenes mitsamt ihrer Problemstellung „Wie kommt Ungleichheit in die Schöpfung eines guten und gerechten Gottes ?" als überflüssig und unzureichend gekennzeichnet. Die Kritik wiederum an der origenistischen These von der Präexistenz und dem Abfallszustand insbesondere der menschlichen Seelen betreibt Thomas, wie schon gesagt, außerordentlich gründlich und ausführlich. Nach der Meinung des Thomas verfehlt diese These die Wahrheit über den Naturzustand, den natürlichen und gottgewollten Zustand, des Menschen und der menschlichen Seele ; sie ist anthropologisch falsch. Ein vollständiges Zitieren und Analysieren der zahlreichen 25

Contra Gent. II, 44 Nr. 1213. « Contra Gent. II, 44, Nr. 1210.

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einschlägigen Argumente des Thomas würde den Rahmen dieser kleinen Abhandlung sprengen. So werde ich also im folgenden versuchen, die Argumente nach Problemgruppen zu ordnen und die wichtigsten Beweisführungen zu erläutern. Die Argumentationen des Thomas lassen sich recht sinnvoll vier Hauptfragen zuordnen, die folgendermaßen zu formulieren wären: 1. Wenn es sich mit den menschlichen Seelen so verhält, wie Orígenes behauptet, wie ist dann die faktische Einheit von Seele und menschlichem Leib zu denken ? — 2. In welchem Sinne könnte von einer Priorität der Seele vor ihrem Zustand als Leibseele gesprochen werden ? — 3. Wie könnte sich, falls die Seelen ursprünglich körperlos geschaffen sein sollten, die Vereinigung mit den Körpern vollziehen? — 4. Gibt es Gründe, die menschlichen Seelen den Engeln gleichzustellen ? Zur erstgenannten Frage, wie — origenistisch — die Einheit von Seele und menschlichem Körper zu denken sei, äußert Thomas sich hauptsächlich in Kap. 44 der Contra Gent. II. Einige parallele Gedankengänge enthält das Kap. 83 desselben Buches. Drei Argumente sind hervorzuheben. Erstens: Wenn die Seele erst aufgrund einer freien Entscheidung und entsprechend ihrem Verdienst mit einem bestimmten Körper verbunden wird, bedeutet dies, sagt Thomas, daß die Verbindung einer bestimmten Seele mit einem bestimmten Körper nicht naturhaft ist (sondern eben Folge, zufällige Folge eines freien sich Wegbewegens von Gott). Demzufolge wäre dann auch das aus Seele und Körper Zusammengesetzte, z. B. der Mensch, nichts Naturhaftes. Da dasselbe nach Orígenes auch noch von der Sonne und von anderen Gestirnen gelten müßte, ergäbe sich die absurde Konsequenz, daß gerade die „nobilissima" unter den körperlichen Substanzen unnatürlich wären27. Zweitens : Wenn die Einheit von Körper oder Leib und Seele auf die beschriebene Weise zustandekommt, kommt es einer Seele nur per accidens zu, mit einem bestimmten Körper verbunden zu werden. Das aber, was nur akzidentell geeint ist, kann keine „species" ausmachen. Die entsprechenden Composita unter verschiedene Artbegriffe zusammenzufassen, wäre also ebenso sinnlos wie Artbegriffe zu bilden wie „homo albus" und homo vestitus". Folglich wäre „Mensch" kein Art begriff, d. h. kein Begriff, der von mehreren Individuen hinsichtlich ihrer gemeinsamen Wesenseigentümlichkeiten ausgesagt werden könnte. Auch das ist wohl absurd 28 . Drittens : Eine menschliche Seele, welche aufgrund ihrer (geringen) Verdienste mit einem Leib verbunden wäre, müßte — nach Auffassung des Orígenes — jederzeit ihre Verdienste vergrößern oder verringern 27 28

Contra Gent. II, 44, Nr. 1207. Contra Gent. II, 44, Nr. 1208 und II, 83, Nr. 1666.

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können. Das bedeutet, daß sie wiederum mit einem anderen menschlichen Leib oder gar mit einem Himmelskörper verbunden werden könnte, einem Körper jedenfalls, der ihrem neuen Verdienstzustand angemessen wäre. Das, sagt Thomas, widerspricht sowohl der philosophischen Einsicht, daß die Seele als Form und Bewegendes auf einen bestimmten Leib als auf ihre Materie und ihr Bewegtes hin festgelegt ist, als auch dem Glaubenssatz von der Auferstehung des Fleisches 29 . Zur zweiten der oben formulierten Fragen finden sich ebenfalls drei kritische Beweisgänge in Kap. 83 von Contra Gent. II. Wie steht es mit dem Frühersein der körperlosen Seele ? Erstens : Es gilt als bewiesen, daß die Seele Form und Verwirklichung („actus") des Körpers ist. Und tatsächlich hat die Verwirklichung, d. h. hier: die Seele als „actus corporis", Priorität vor der Möglichkeit „naturaliter". In einem einheitlichen Zeitzusammenhang jedoch, ist die Verwirklichung immer das Spätere, denn etwas wird aus der Möglichkeit in die Verwirklichung gebracht. Das trifft auch auf das Werden des Menschen als ganzen zu. Der Same als die Möglichkeit des Lebendigen ist immer früher da als die Seele, welche Verwirklichung des Lebens im Lebendigen bedeutet 30 . Die Anwendung dieser Folgerung auf die origenistische Seelenlehre spart Thomas hier aus. Sie müßte wohl lauten : In einer zeitlichen Ordnung des Werdens kann die Seele nicht vor ihrem Verleiblichungszustand existieren. Zweitens: Wenn es einer Form nicht zukommt, mit der ihr eigentümlichen, auf sie hinbestimmten Materie naturhaft geeint zu sein, wäre das Ergebnis einer solchen Einung etwas „außer der Natur", und der Form käme diese Verbindung eben nicht naturgemäß, sondern per accidens zu. Was „secundum naturam", bzw. „per se" zukommt, hat nun Priorität vor dem, was „praeter naturam" zukommt. Die Seele aber ist wesentlich Form des Körpers. „Also kommt es der Seele früher zu, mit dem Körper geeint als vom Körper getrennt zu sein. Folglich ist sie nicht vor dem Körper, mit dem sie geeint wird, geschaffen worden" 31 . Drittens: Jeder von seinem Ganzen abgetrennte Teil ist unvollständig. Die Seele, aber, erwiesenermaßen Form, ist Teil der menschlichen Wesensbestimmung. Die vollständige Wesensbestimmtheit impliziert Körperlichkeit. Insofern ist auch die körperlose Seele unvollständig. „In der Ordnung der Naturdinge aber ist das Vollständige (,perfectum') früher als das Unvollständige. Folglich paßt es nicht in die Naturordnung, daß die vom Körper entblößte Seele früher als

29 30 31

Contra Gent. II, 44, Nr. 1209. Contra Gent. II, 83, Nr. 1658. Contra Gent. II. 83, Nr. 1659.

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die mit dem Körper geeinte Seele geschaffen worden ist" 32 . In diesen drei Argumenten wird mit unterschiedlichen Begriffen von „früher" und „später" gearbeitet. Diese haben indes ein Gemeinsames. Sie betreffen alle die faktisch-natürliche Ordnung: die Ordnung in der faktischen Zeitfolge des Werdens, die Ordnung der Stabilität von Eigenschaften (bzw. Relationen) und die Ordnung des Verhältnisses zwischen Teilen einer funktionalen Ganzheit und dieser Ganzheit selbst. Diesen Ordnungen entsprechend, ist der aus Leib und Seele zusammengesetzte ganzheitliche Mensch das Primäre, nicht die leiblose Seele. Die dritte Frage war : Wie könnte sich, falls die Seelen ursprünglich körperlos geschaffen sein sollten, die Vereinigung der Seelen mit den Körpern vollziehen ? Über sie handelt Thomas seitenlang in Kap. 83 des zweiten Buches der Contra Gentiles. Dabei werden jeweils alternative Möglichkeiten des Modus einer solchen Vereinigung überprüft. Die Untersuchung gliedert sich folgendermaßen auf: Erstens: Die Vereinigung der präexistenten Seele mit einem Körper findet entweder auf gewaltsame, unnatürliche Weise statt oder „per naturam" 33 . Für die Unmöglichkeit beider Alternativen liefert Thomas je zwei Beweisgänge. Zweitens: Nach Ausschaltung der zwangsweisen Vereinigung der Seele mit dem Körper bliebe noch offen, daß die Seele entweder von Natur aus sowohl getrennt als auch verleiblicht existieren kann oder daß beides weder mit Zwang noch mit naturhafter Konstitution zu tun hat, sondern mit dem spontanen Wollen der Seele34. Thomas weist wiederum beide Möglichkeiten als inkonsistent zurück, um dann, drittens, zu erwägen, ob nicht — nach Ausschaltung alles bisher Angeführten — die Vereinigung der Seele mit dem Körper auf göttliche Anordnung zurückzuführen sei, entweder im Sinne der gütigen Anordnung der Schöpfung im ganzen oder als Strafanordnung für abgefallene Geistwesen35. In diese letztgenannte Alternative ordnet Thomas dann die Position des Orígenes ein: „Dies aber hat Orígenes erwogen, als er behauptete, daß, da er annahm, die Seelen seien von Anfang an geschaffen gewesen, die Seelen auf göttliche Anordnung hin mit den Körpern vereint worden, allerdings zu ihrer Bestrafung. Denn er war der Meinung, daß sie (die Seelen) vor den Körpern (d, h. vor der Existenz der Körper) gesündigt hätten und nach Maßgabe der Größe ihrer Sünde in ranghöheren oder weniger ranghohen Körpern wie in Gefängnissen eingesperrt worden wären" 38 . 82

Contra Gent. II, 83, Nr. 1660. Contra Gent. II, 83, Nr. 1661—1662. 81 Contra Gent. II, 83, Nr. 1663—1666. 86 Contra Gent. II, 83, Nr. 1667—1669. 86 Contra Gent. II, 83, Nr. 1669: „Hoc autem Orígenes considerans, cum poneret animas humanas a principio fuisse creatas, dixit, quod ordinatione divina animae 38

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Thomas behauptet kategorisch: „Haec positio stare non potest", und er begründet diese Behauptung sehr ausführlich 37 . Über diese Begründung ist jetzt noch einiges zu sagen. Die Begründung des Thomas für seine Ablehnung der Lehre des Orígenes verläuft in drei Hauptabschnitten. Im ersten Abschnitt wird erläutert, daß die Strafe, ein Schlechtes, Mangelhaftes also, keinesfalls konstitutiv sein kann für die Gegebenheit einer Ordnung, welche naturhaft und somit gut und gottgewollt ist38. Dem schließt sich eine sehr elliptische exegetische Erörterung an39. Der zweite Hauptabschnitt betrifft die möglichen Vorteile, in deren Genuß eine leiblose, erkenntnisfähige Seele kommen könnte. Im Grunde wird damit verhandelt, ob die Kennzeichnung „Strafe" für den Verleiblichungszustand der (menschlichen) Seele überhaupt angemessen ist. In diesen Überlegungen werden die platonischen, bzw. platonistischen Prämissen der Seelenlehre des Orígenes zurückgewiesen40. Der letzte Abschnitt dieses Kapitels ist der Erörterung einer unsinnigen Konsequenz der origenistischen Seelenlehre gewidmet. Diese Konsequenz ist die These, daß ein und dieselbe Seele prinzipiell mit mehreren Körpern nacheinander müßte verbunden werden können. Gegen eine solche These wendet Thomas ein, sie belaufe sich zum einen auf einen Aspekt der (unbeweisbaren) Behauptung der Ewigkeit der geschaffenen Welt, sie widerstreite zum anderen, — auch wenn keine Ewigkeit der Abläufe behauptet wird — den philosophischen Einsichten in das Wesen des Materie-Form-Verhältnisses bei naturhaften „composita" und in die Ordnung des Werdens im Naturbereich 41 . Den Abschluß des Kapitels bilden Hinweise auf den häretischen Charakter dieser Konsequenz der origenistischen Seelenlehre42. Der zweite, „antiplatonistische" Hauptabschnitt dieser Ausführungen soll nun etwas genauer betrachtet werden. Das Problem, um das es hier geht, ist von großem Gewicht. Mit den Piatonikern hat Thomas nämlich die Überzeugung gemeinsam, daß das letzte Ziel der spezifisch menschlichen Tätigkeiten die „contemplatio veritatis" sei. Die eigentliche Streitfrage ist die, ob der Körper den Menschen, bzw. den menschlichen Seelen bei der Erreichung dieses Zieles eher hinderlich oder eher förderlich sei. Falls der Körper nur eine Belastung und corporibus sunt unitae, sed in earum poenam. Nam ante corpora eas pecasse existimavit. et pro quantitate peccati corporibus nobilioribus vel minus nobilibus eas esse, quasi quibusdam carceribus, inclusas." 3 ' Contra Gent. II, 83, Nr. 1670; die Beweisführung geht bis Nr. 1684 einschließlich. 38 Contra Gent. II, 83, Nr. 1670—1671. 39 Contra Gent. II, 83, Nr. 1672. 40 Contra Gent. II, 83, Nr. 1674—1679. 41 Contra Gent. II, 83, Nr. 1680—1683. 42 Contra Gent. II, 83, Nr. 1684.

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peinliche Einschränkung der Wahrheitserkenntnis und der wahrheitsdurstigen Seele sein sollte, hätte Orígenes mit seiner Abwertung des Verleiblichungszustandes als Strafe irgendwie recht. Um die Entscheidung dieses gewichtigen Problems voranzutreiben, setzt Thomas sofort mit einer scharfen Alternative ein: „Es ist notwendig zu sagen, daß die menschliche Seele der Sinne entweder bedarf oder nicht bedarf" 43 . Man müßte paraphrasieren : Die Seele ist bezüglich ihres Erkenntnis Vollzuges auf die Sinneswahrnehmungen, die Sinnesorgane und somit auf den Körper entweder angewiesen oder nicht angewiesen. Nur eines von beiden kann zutreffen: es handelt sich um eine logische Notwendigkeit. Nun spricht alles dafür, sagt Thomas, daß die menschliche Seele, um zu erkennen, auf die Sinneswahrnehmungen und die Sinnesorgane angewiesen ist. Das lehrt uns die Erfahrung: Der Blindgeborene hat zum Beispiel keinerlei Erkenntnis von „obiectum proprium" des Sehvermögens, den Farben. Auch wissen wir, daß erst, modern gesprochen, die Wahrnehmungsinformationen im Gedächtnis gespeichert werden müssen, bevor wir zu abstrakteren und allgemeineren Einsichtsleistungen kommen können44. Außerdem ist der Gedanke der unerläßlichen Beteiligung der Sinne am menschlichen Erkenntnisvollzug naturphilosophisch befriedigend45. Die Gegenmeinung wird von den „Platonici" vertreten. Nach deren Ansicht hat die ungehinderte, körperlose Seele Einsicht in die Ideen, welche Einsicht die eigentliche Ursache des Wissens („scientiae") sei. Die Einkörperung der Seele bringt dann ein Vergessen des früheren Wissens mit sich, und nur allmählich, — durch mühevolles Lernen — kann die Wiedererinnerung an das ursprünglich Gewußte geweckt werden. Thomas referiert sorgfältig, aber er übt sogleich Kritik: „So also wird aufgrund dieser Position mit Notwendigkeit geschlossen, daß die Vereinigung des Körpers mit der Seele ein Hindernis für die Einsicht sei. Die Natur aber fügt keiner Sache etwas hinzu, damit deren Tätigkeit gehindert werde, vielmehr fügt sie eher solches hinzu, wodurch sie besser angepaßt ist. Folglich kann die Einheit von Körper und Seele nichts Naturhaftes sein. Und so wird dann auch der Mensch kein Naturwesen sein, noch wird sein Werden naturhaft sein. Das ist offensichtlich falsch"4®. Im darauffolgenden Textteil nimmt der Aquinate die Sache noch einmal in Angriff. Zuerst bringt er eine Art metaphysischer Klar13

Contra Gent, II, 83, Nr. 1674. ebd. : „ N a m ex sensibus fiunt in nobis memoriae, ex quibus experimenta de rebus accipimus, per quae ad comprehendendum universalia scientiarum et artium principia pervenimus." 45 ebd. « ebd. (Nr. 1674 e). 44

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Stellung und konzentriert sich dann auf die Frage, wieviel und welche Elemente unseres Wissens rein verstandesbedingt, wenn nicht gar vorkörperlich sind, welche nicht. Zuerst sagt Thomas noch etwas zum allgemeinen Problem. Wie er das sieht, sind die spezifisch menschlichen Tätigkeiten strukturell allesamt auf das Ziel der Betrachtung der Wahrheit hin ausgerichtet. Diese Struktur läßt sich in den wesentlichen Tätigkeiten wie auch in den habituellen Tüchtigkeiten generell aufdecken. Da dies nun den Menschen als ganzen betrifft und nicht allein die Seele, sollte die dergestalt entdeckbare Zielgerichtetheit auch dem ganzen Menschen zugeschrieben werden. „Deswegen also ist die Seele mit dem Körper vereint, damit das Menschsein zustandekommt. Folglich verliert sie nicht ein Wissen, das sie zuvor besessen hat, dadurch, daß sie mit dem Körper vereint wird, vielmehr wird sie mit ihm vereint, damit sie Wissen erwirbt" 47 . In den darauffolgenden vier Einzelabschnitten befaßt Thomas sich, wie gesagt, mit der Frage, welche Elemente unseres Wissens rein verstandesbedingt sind, welche Elemente andererseits das leibliche Funktionieren zur Bedingung haben (Nr. 1676—1679). — Auf jeden Fall verfügt nach Thomas die Verstandesseele (des Menschen) über ein vorgängiges Wissen von den ersten Prinzipien aller Beweise. Dieses Wissen kann im allgemeinen jederzeit aktualisiert werden, und es erbringt, auf beliebige neue Fragen angewandt, neue Erkenntnisse. Deshalb kann es sich dabei nicht um die Wiedererinnerung an ein vorkörperlich Gewußtes handeln 48 . — Die Schlußfolgerungen nun, deren erste Prinzipien dem Verstand vorweg bekannt sind, sind nicht bei allen Menschen dieselben. Sie sind nicht in der menschlichen Natur vorgegeben. Vielmehr müssen die Menschen das Wissen, das zu den wahren Konklusionen über beliebige Gegenstände gehört, erst erwerben. Das tun sie, indem sie zusätzliche Fähigkeiten, die ihnen zwar auch von Natur aus zukommen, die aber nicht rein intellektuell sind, aktualisieren, konkret: durch Sinneswahrnehmung, Erfahrung und Abstraktion 49 . — Weiterhin ist der reinen Verstandesfähigkeit des Menschen ein eigentümlicher Gegenstand zuzuordnen: das Seiende und das, was dem Seienden als solchen zukommt. Auf diesem Wissen 47

Contra Gent. II, 83, Nr. 1675: „Ultimus finis rei cuiuslibet est illud ad quod res pervenire nititur per suas operationes. Sed per omnes proprias operationes ordinatas et rectas homo pervenire nititur in veritatis contemplationem ; nam operationes virtutum activarum sunt quaedam praeparationes et dispositiones ad virtutes contemplativas. Finis igitur hominis est pervenire ad contemplationen veritatis. Propter hoc igitur anima est unita corpori: quod est esse hominem. Non igitur per hoc quod unitur corpori, scientiam habitam perdit, sed magis ei unitur, ut scientiam acquirat." 48 Contra Gent. II, 83, Nr. 1676. 49 Contra Gent. II, 83, Nr. 1677.

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von „seiend" baut die Kenntnis der ersten Beweisprinzipien auf, die Einsicht ζ. B. in das Widerspruchsprinzip50. — Zum Schluß verschärft Thomas seine These noch: „Was durch die Sinneswahrnehmung in uns erworben wird, ist (sowieso) nicht vor dem Körper in der Seele gewesen. Aber (sogar) die Erkenntnis der Prinzipien selbst wird in uns vom Wahrnehmbaren her verursacht. Wenn wir nämlich nicht (schon) mit der Wahrnehmung irgendein Ganzes erfaßt hätten, dann könnten wir (das Prinzip), daß das Ganze größer ist als ein Teil von ihm, nicht begreifen. . . . Folglich ist auch die Erkenntnis der Prinzipien selbst nicht vor dem Körper bei der Seele gewesen. Umso weniger also die Erkenntnis von anderem. Das Argument des Plato, daß die Seele (schon) gewesen sei, bevor sie mit dem Körper vereint wurde, ist also nicht stichhaltig" 51 . Zum Schluß soll noch einmal (die eingangs bereits vorgestellte) Frage nach der Gleichartigkeit der Engel und der menschlichen Seelen aufgenommen werden. Orígenes, wie Thomas ihn versteht, hält ja den Gradunterschied zwischen Engeln und menschlichen Seelen für unwesentlich, da er die Folge der freien Entscheidung ursprünglich gleicher Geistwesen sei52. Speziell diese Ansicht kritisiert Thomas in der schon erwähnten q. 75, 7 des ersten Teils der Summa Theologiae, außerdem in Buch II der Summa Contra Gentiles, cap. 44 (Nr. 1206). In q. 75, 7 argumentiert Thomas recht abstrakt: Bei den unkörperlichen Substanzen geht alle numerische Verschiedenheit auf Verschiedenheit gemäß der „species" zurück. Jede von Stofflichkeit und Bewegung getrennte Form ist somit immer nur einziges Individuum einer einzigen Art. Diese spezifische Verschiedenheit, die rein formale Verschiedenheit, bringt, wie andernorts schon erläutert wurde, auch Gradunterschiede, nämlich ein jeweiliges Mehr oder Weniger an formalen Bestimmtheiten, mit sich. Die Unterschiede und Ungleichheiten zwischen den „species" sind konstitutiv für diese. Wenn also ein Gradunterschied vorliegt zwischen verschiedenen Typen von intellektuellen Substanzen — wie den Engeln und den Menschen —, dann zeigt dieser Gradunterschied an, daß wir es mit verschiedenen „species" zu tun haben. Dergleichen gradweise verschiedene Substanzen können also prinzipiell nicht zu einer Art gehören. Contra Gent. II, 83, Nr. 1678. Contra Gent. II, 83, Nr. 1 6 7 9 : „ I d quod per sensum in nobis acquiritur, non infuit animae ante corpus. Sed ipsorum principiorum cognitio in nobis ex sensibilibus causatur ; nisi enim aliquod totura sensu percepissemus, non possemus intelligere quod totum esset maius parte . . . E r g o nec ipsorum principiorum cognitio affuit animae ante corpus. Multo igitur minus aliorum. Non igitur firma est Piatonis ratio, quod anima fuit antequam corpori uniretur." 5 2 S. Th. I, q. 75, 7 c. 50

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Der dritte Einwand in diesem Artikel lautet: „Die Seele scheint sich vom Engel nur dadurch zu unterscheiden, daß sie mit dem Körper vereint ist. Der Körper aber, da er außerhalb des Wesens der Seele ist, gehört offenbar nicht zu deren Art. Also sind Seele und Engel von derselben Art"63. Thomas antwortet darauf: „Der Körper gehört nicht zur Wesenheit der Seele, aber der Seele kommt es aufgrund der Natur ihrer Wesenheit zu, mit dem Körper einbar zu sein. Deshalb gehört auch eigentlich nicht die Seele zu einer (eigenen) Art, sondern das (aus Körper und Seele) Zusammengesetzte. Und die Tatsache, daß die Seele für ihr Tätigsein bisweilen des Körpers bedarf, zeigt, daß die Seele einen niederen Grad von Intellektualität innehat als der Engel, der nicht mit einem Körper verbunden wird"54. Dieser Gedanke der spezifischen und nicht-engelhaften Eigentätigkeit der menschlichen Seele wird auch in Contra Gent. II, 44 vorgebracht. Aus der These des Orígenes würde folgen, daß alle geschaffenen vernunftbegabten Substanzen von einer Art wären, „nämlich Engel, Dämonen und menschliche Seelen und auch die Seelen der Himmelskörper (welche Orígenes für beseelt hielt). Daß dies falsch ist, macht die Verschiedenheit der naturhaften Tätigkeiten deutlich. Es ist nämlich nicht dieselbe Art und Weise, in welcher der menschliche Verstand, welcher der Sinneswahrnehmung und der Vorstellungskraft bedarf, seiner Natur entsprechend erkennt, (wie die, in welcher) der engelhafte Verstand und die Seele der Sonne erkennen", es sei denn, man wollte den Engeln und Himmelskörpern Leiber und Sinnesorgane andichten, was absurd ist55. Die einzelnen Argumente sind aus den vorher besprochenen Zusammenhängen bekannt. Sie betreffen die notwendige Hierarchisierung der Schöpfung, die Konstitution der menschlichen Seele als Leibseele und dies sowohl bezüglich der einheitlichen Artbestimmtheit der Menschen als auch bezüglich der wesentlichen Tätigkeiten der menschlichen Seele. Über jeden Zweifel hinaus dürfte klar ersichtlich sein, daß nach Thomas „der eigentliche Mensch" keinesfalls „der Engel" ist56. Zur Kritik des Thomas an der origenistischen Seelenlehre ist zusammenfassend zu sagen: Thomas kritisiert ein vereinfachtes Modell der Seelenlehre des Orígenes, wie es anscheinend auch in den Häresien seiner Zeit vertreten wurde. Immanent, d. h. nach Maßgabe der Origenes-Rezeption des Thomas, ist diese Kritik systematisch vollständig. Sie betrifft, erstens, die Prämissen des Gesamtkonzeptes. Hier weist Thomas die Behauptung zurück, eine hierarchisch geordnete Schöp53 54 55 58

S. Th. I, q. 75, 7 dritter Einwand. ebd. „Ad tertium". Contra Gent. II, 83, Nr. 1206. Vgl. w. o. Anm. 2.

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fung könne, da sie der Urabsicht eines guten und gerechten Gottes nicht entspricht, entweder nur durch die Annahme mehrerer Schöpfer erklärt werden oder durch die Annahme, daß ursprünglich gleichgeschaffene Geistwesen zufolge ihres (unterschiedlichen) Abfalls von Gott in eine sekundäre Ordnung der Ungleichheit und Stufenfolge versetzt worden sind. Ebenso erörtert und kritisiert Thomas die Voraussetzungen der origenistischen Seelenlehre im engeren Sinne. Dies sind die Voraussetzungen, daß einmal die Verbindung der menschlichen Seele mit einem Leib etwas Zufälliges an sich habe, daß zum anderen der Verleiblichungszustand der menschlichen Seele für diese Einschränkung, ja Strafe bedeute, da sie ihr natürliches Ziel der Betrachtung der Wahrheit ohne die körperliche Eingebundenheit viel besser erreichen könnte. Darüber hinaus untersucht Thomas noch eingehend die Konsequenzen der origenistischen Thesen über die menschliche Seele : wie die Vereinigung der Seele mit einem Leib wäre auch das zusammengesetzte Ganze etwas Zufälliges und nicht Naturhaftes (ein Zufallsprodukt und nicht ,,ut in pluribus"), und insofern könnte man weder den Begriff des Menschen sinnvoll definieren noch die menschliche Zeugung und Generationenfolge als naturhaft geregelt bestimmen. Auch würde jede Vorstellung von der Seele als der Form und als dem Bewegungsprinzip des menschlichen Leibes inkonsistent. Zuguterletzt müßte man noch eine Seelenwanderung annehmen. Alle diese Konsequenzen hält Thomas aus guten Gründen für absurd oder falsch. Es ist ein bemerkenswertes Phänomen, daß einer der wichtigsten Philosophen des Mittelalters soviel Mühe und nüchternen Scharfsinn darauf verwendet hat, diese dramatischen origenistischen Spekulationen über das großangelegte Heilsschicksal der menschlichen Seele zu widerlegen, bzw. auf das Maß des naturkundlich, anthropologisch und logisch Einsehbaren zu reduzieren.

THOMAS UND DIE UTOPISTEN PLANUNGSOPTIMISMUS UND UNIVERSALE HARMONIE von

FERDINAND S E I B T

(Bochum)

I Thomas von Aquin war kein Utopist. Ich glaube nicht, daß diese Feststellung Anlaß wird zu überraschten Reflexionen. Thomas erscheint in unserer Vorstellungswelt eher als ein klarer Realist mit der gewaltigen Spannweite seines Werkes, das in fruchtbarer Auseinandersetzung mit antiken Grundlagen kongenial dem Realisten Aristoteles folgte, weit mehr jedenfalls, als dem Idealisten Piaton 1 . Thomas von Aquin repräsentiert zudem in unserem Geschichtsbild eine besondere Verbundenheit des christlichen Denkens mit dem politischen Aufgabenfeld, die Alois Dempf gerade erst 1968 als den „Beginn der politischen Renaissance" bezeichnet hat 2 . Den Beginn der politischen Renaissance verbinden andere Urteile herkömmlicherweise aber auch mit der „Utopia" des Thomas Morus3. Schlägt denn etwa, so läßt sich fragen, ein solches Generalurteil eine Brücke zwischen dem heiligen Thomas Morus, dessen gedankenreiches Planspiel von der Insel Utopia als schmales Büchlein über Jahrhunderte hin ein Bestseller war, und zwischen dem heiligen Thomas von Aquin, dessen tiefsinniges Gedankensystem in mehrfacher Renaissance ebenso bis zum heutigen Tag eine umfangreiche Exegese aufgebaut hat ? Vermutlich muß sich eine solche Fragestellung zunächst überhaupt einmal selber verteidigen. Dabei scheint es unumgänglich, sich mit einem merkwürdigen Desinteresse der Geschichtswissenschaft nicht nur am klassischen, sondern am weiteren Begriff des utopischen Denkens überhaupt auseinanderzusetzen. Mit Schwärmerei, Prophetie und Idealstaaten hat sie sich nämlich bislang noch erst wenig beschäftigt, wenn auch die Historiker Friedrich Baethgen vor dreißig und Alfred Doren gar schon vor fünfzig Jahren an einzelnen Beispielen demonstrierten, was der Soziologe Karl Mannheim seinerzeit mit den Worten 1 Dazu etwa: J . Santeler SJ, Der Piatonismus in der Erkenntnislehre des heiligen Thomas von Aquin, Innnsbruck u. Leipzig 1939, bes. p. 54ff. u. p. 271 f. 2 A. Dempf, Thomas von Aquin, „Respublica Christiana", hg. v. P. Sivers, München 1968, p. 73—102, hier p. 88. s So Th. Nipperdey, zuletzt: Reformation, Revolution, Utopie, Göttingen 1975, p. 113 ff.

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umschrieb: „Man kann die innerste Struktur eines Bewußtseins nirgends so klar erfassen, als wenn man sein Zeitbild von seinen Hoffnungen, Sehnsüchten und Endzielen her versteht" 4 . Hoffnungen, Sehnsüchte und Endziele blieben vielfach nicht amorphe Schwärmerei. Sie suchten sich vielmehr als extreme Spekulationen aus universalen Systemen herzuleiten. Es gibt einen alten Streit, ob das utopische Denken sozusagen als anthropologische Konstante zu allen Zeiten wirksam gewesen sei, oder ob es sich als ein besonderes Kriterium des neuzeitlichen europäischen Rationalismus definieren läßt 5 . Ein solcher Streit entschärft sich bei der Beobachtung, daß offensichtlich zu verschiedenen Zeiten die allgemein menschlichen Sehnsüchte und Erwartungen sich unterschiedlicher Grundlagen bedienten, um sich, mit einem gewissen Anspruch auf Probabilität, wenn nicht gar Programmatik, als eigenwillige Spielarten universaler Weltdeutung zu legitimieren. In diesem Sinn erhält gelegentlich der Rückblick auf ein Goldenes Zeitalter auch einmal Zukunftsfunktion, sozusagen als konservative Utopie 6 ; oder es wird die symbolistische Bibeldeutung des hohen Mittelalters weitergeführt nicht nur zur aktuellen Prophetie, nicht nur zur universalen Vision eines neuen Zeitalters, sondern sogar zu konkreter, dem Projekt von der Insel Utopia gelegentlich verblüffend angenäherter Planung von neuen Lebensgemeinschaften 7 . Kein Wunder, daß auch der szientistische Optimismus der sogenannten „Renaissance des 12. Jahrhunderts" bereits ein Beispiel anthropologischer Utopie erkennen läßt. 8 Von da ist der Weg nicht mehr weit bis zur spekulativen Rationalität der Scholastik und also auch in die Nachbarschaft jener Geisteswelt, aus welcher die klassische europäische Utopie sich nährte, der Thomas Morus mit seinem Buch von der „glücklichen Insel" Pate stand. Gelten doch für jene theoretischliterarischen Entwürfe von einer idealen Welt in neueren Untersuchungen Aussagen wie: „der Utopismus ist eine Nebenerscheinung des Szientismus" oder „die Utopie" bekunde „sozusagen den Übermut der Vernunft", entlehnt aus dem „Reich der Methodologen"9. Ein 4 A. Doren, Campanella als Chiliast und Utopist, „Kultur- und Universalgeschichte. FS für Walter Götz.", Leipzig 1927, p. 242—259. — F. Baethgen, Der Engelpapst. Idee und Erscheinung, Leipzig 1943. — K. Mannheim, Ideologie und Utopie, 1. Aufl. 1927, hier 4. Auflage Bonn p. 183. 5 Darüber mit Literatur: F. Seibt, Utopica, Düsseldorf 1972, p. 24ff. 6 Das beleuchteten zuletzt mit Einzelheiten: W. Kirsch, Das Reich des Dindimus, „Wiss. Zeitschrift der Universität Halle" 24 (1975) p. 71—75 Heft 3; F. Graus, Social Utopias in the Middle Ages, „Past and Present" 38 (1967) p. 3—19; zum theoretischen Problem der „konservativen Utopie" vgl. im übrigen mein Buch Utopica, 1972, p. 267 f. ' Seibt, Utopica 1972, S. 24—47. 8 Seibt, Utopie im Mittelalter, „Historische Zeitschrift" 208 (1969) p. 555—594. 9 J. Freund, Das Utopische in den gegenwärtigen politischen Ideologien, „Saekularisation und Utopie. FS für E. Forsthoff", Stuttgart 1967, p. 95—118. hier p. 109; S. Buve,

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solches Reich der Methodologen hebt zweifellos an mit den großen Suramen der Hochscholastik. Damit hält die Geschichte bereits womöglich jene Intentionen in ihrem Schoß, die einem intelligiblen System der menschlichen Verhältnisse den Vorzug, den höheren Wahrheits- und damit auch den größeren Wirklichkeitscharakter zusprechen ; und von da ist der Schritt nicht mehr weit zum Entwurfscharakter des Utopischen, zu einer neuen Welt nicht aus Willkür, sondern aus Einblick in die ewigen Ordnungen bei Korrektur der menschlichen Unzulänglichkeiten. Dem aber entspricht das Anliegen der klassischen europäischen Utopie in ihrem unbegrenzten optimistischen Szientismus, der die neueren Jahrhunderte nährte. II Gibt es also eine Gemeinsamkeit zwischen Thomas und den Utopisten, so wie der Übermut der Vernunft noch etwas gemeinsam hat mit dem „Meister des Maßes"? Die Überlegung läßt sich weiterspinnen bei einem Blick auf die erkenntnistheoretischen Grundlagen des utopischen Denkens. Die rationale utopische Spekulation des Humanismus, des barocken Szientismus und noch des Vernunftglaubens im aufgeklärten Europa fühlte sich, auch bei phantastischer literarischer Einkleidung, innerhalb ihrer Aussagen als rationale Deduktion. Sie glaubte an eine konnaturale Erkenntnis, an eine intelligible Welt und an das zumindest im Prinzip und in seinen begabteren Exemplaren auch erkenntnisfähige Individuum. Auf diesen Grundlinien beruht die mehrfach beobachtete Gemeinsamkeit der europäischen Utopie von Plato bis Orwell10 aus ihrem „Grundgedanken" einer „rationalen Konstruktion optimaler . . . Institutionen 11 . Konnaturale Erkenntnis, aus der Erkenntnisfähigkeit des Menschen und der Erkennbarkeit der Welt, lag bekanntlich auch der Erkenntnistheorie der Hochscholastik zugrunde, namentlich den berühmten Definitionen der Erkenntnislehre des Thomas von Aquin. „Cognoscere sequitur esse": diese vielzitierte Formulierung zielt ebenfalls in dieselbe Richtung einer grundsätzlich seinskongruenten Geistorganisation des Menschen, so daß die Geborgenheit seines Erkenntnisvermögens in einer natürlichen Ordnung dem erkennenden Verstand Zutritt zum gesamten Schöpfungskreis verspricht. Utopie als Kritik, „ F S F o r s t h o f f " p. 11—35, hier p. 11. — Zur Definition der Utopie als „literarischem E n t w u r f " Th. Nipperdey, Die Funktion der Utopie im politischen Denken der Neuzeit, „Archiv f ü r Kulturgeschichte" 44 (1962) p. 357—378. 10 R. Dahrendorf, Out of Utopia: Toward a Re-Orientation of Sociological Analysis, „American J o u r n a l of Sociology" 64 (1958) p. 115—127. 11 W. Kamiah, Utopie, Eschatologie, Geschichtsteleologie. Kritische Untersuchungen zum Ursprung und zum futuristischen Denken der Neuzeit, Mannheim 1969, p. 17.

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Eine solche universale Zuordnung zwischen der erkennbaren Welt und dem erkennenden Individuum birgt aber auch in sich schon die Feststellung vom inneren Zusammenhang aller Lebensbezüge, letztlich auch von den Abhängigkeiten des gesellschaftlichen Lebens aus der rechten Welt- und Gotteserkenntnis: . . sicut homo habet naturalem inclinationem ad hoc, quod veritatem cognoscat de Deo, et ad hoc, quod in societate vivat 1 2 ". Freilich ist dieser erkenntnistheoretische Optimismus, namentlich in seiner Projektion auf die rechte soziale Ordnung, auch mit Einschränkungen verbunden, besonders mit dem Hinweis auf die Erkenntnisfähigkeit einiger Weiser : „Im Regierenden besteht wie im Künstler der Sinn der Ordnung voraus, ratio ordinis, nach der das Planen oder Handeln zu geschehen hat" 1 3 . Eine vergleichbare Einstellung in der europäischen Utopie ist längst beobachtet. Auch sie richtet ihren Planungsoptimismus vornehmlich auf die Schöpfer ihrer Ordnungen, so wie ein König Utopos im Gedankenspiel des Thomas Morus die Verfassung der Glücklichen Insel erschuf, oder wie noch Comenius eineinhalb Jahrhunderte später im utopischen Ansatz nach einer Philosophia vera suchte, „in qua rerum omnium rationes pervidere liceret". Thomas stützt sich auf Cicero, während er gelegentlich die Gesellschaft als ein „Corpus mysticum" bezeichnet, „das auch die weltlichen Berufe in sich begreift" 14 . Man muß vor Augen haben, wie sehr die europäische Utopie dieses Organismusdenken weitergesponnen hatte, so daß nicht etwa nur ein corpus mysticum zum rechten Wort dafür geworden ist, sondern ein faktischer Kollektivismus, der dem Individuum fast allen Spielraum zu seiner Entfaltung nahm, weil er ihm einerlei Glück, einerlei Lebensform und einerlei Selbstbestätigung vorschrieb und es überdies dazu noch der meisten seiner Entscheidungen beraubte. Das Menschenbild der Utopie ist in seinem Egalitätsstreben bis zum Antiindividualismus gesteigert 15 . Die postulierte Universalordnung bei natürlicher Neigung des Menschen zum Guten, von Thomas ausdrücklich definiert und in der europäischen Utopie generell, meist ohne philosophische Erwägungen, intendiert, erlaubt auch eine besondere Konfliktstrategie innerhalb der Gesellschaft. Nicht durch Gewalt und Macht, sondern aus der befriedenden, aus der rational ableitbaren und deswegen allgemein verpflichtenden Systematik der Rechtsordnung wird sie bestimmt. Die Thomas v. Aquin, Summa Theologien II/l, 94, 2. Dempf 1968. p. 80. 1 4 O. Schilling, Die Staats- und Soziallehre des heiligen Thomas von Aquin, München 1930, p. 53; dazu Thomas v. Aquin, De regimine prineipum 1, 3. 1 5 Freund 1967, p. 116. 12

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Entwicklung einer solchen Ordnung war nicht zum mindesten das Anliegen des großen Aquinaten. Deswegen betonte er die natürlichen, unter allen Menschen gleichen Voraussetzungen nicht nur für eine religio naturalis, sondern auch für eine practica ratio, für eine grundsätzlich wesensgleiche Organisation des menschlichen Geistes; nicht nur im ontologischen, sondern auch im historischen Sinn, weil damit über alle Entwicklungsunterschiede hinweg die Hoffnung auf die Allgemeingültigkeit der rechten Weltordnung begründbar wurde. Thomas erhob deshalb auch die Forderung nach der allgemeinen Verbindlichkeit einer Weltfriedensordnung, nicht nur für christliche, sondern auch für heidnische Staaten. Deswegen ist Thomas von Aquin gelegentlich auch schon zu den Protagonisten der Weltstaatsidee gezählt worden16. Vielleicht muß man den Irrtum aufklären, ein solches Weltstaatsdenken hätte die Utopie in ihrer klassischen Isolation auf glücklichen Eilanden nie bewegt. Ist doch bereits die grundsätzliche Orientierung utopischer Systeme auf eine allgemein verbindliche Eigenart der menschlichen Natur, und der Entwurf einer jeden besonderen gesellschaftlichen Ordnung auf den Modellcharakter konkreter Utopien gerichtet. Ein solcher Modellcharakter begrenzter Idealstaaten ist dann mitunter auch ausdrücklich angesprochen, manchmal spielerisch in Zweifel gestellt, wie gerade schon bei Thomas Morus17, wenn nicht gar, wie bei dem deutschen Zeitgenossen des Thomas Morus, bei Johannes Hergot 1527, überhaupt von vornherein ein Weltstaat programmiert wird18. III. Das Ideal eines friedlichen Weltstaates zielt auf die universale Harmonie. Eine solche harmonía mundi bleibt nicht etwa nur ein denkerisches Postulat, sondern sie läßt sich auch am Begriffsgebrauch verfolgen. Freilich müssen wir dabei daran denken, daß zu älteren Zeiten die lateinische Vokabel concordia der Träger dieses Begriffs gewesen ist. Natürlich haben utopische Ambitionen nicht etwa ein Monopol auf diesen Begriff. Aber es gilt doch abzuschätzen, mit welchem Zungenschlag er in der Utopie gebraucht worden ist und vor allem, welche Wirkkraft man ihm zumutete. Concordia universalis — immer wieder wird eine solche herzliche Eintracht der Menschen be18

M. Hutchins, ST. Thomas and the World State, Milwaukee 1949. Zur langwährenden Diskussion über die politischen Intentionen dieses klassischen Staatsprogramms findet man eine gute Zusammenfassung bei H. Süssmuth, Studien zur Utopia des Thomas Morus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des 16. Jahrhunderts, Münster 1967. 18 Seibt, Utopica 1972, p. 90—103. 17

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schworen, eine Zauberformel, deren Bedeutung vorhin die Überlegung über die universale Philosophie des utopischen Denkens enthüllen sollte. Wir begegnen ihr schon um 1200 als einem Zentralbegriff im allegorischen Lehrgedicht desAlanus von Lille, „concordia — in cuius facie deitatis imago" 19 . Die Hoffnung auf eine Concordia novi ac veteris Testamenti ist eine der Grundlagen in den Bibelspekulationen des Joachim von Fiore20. Eine Concordantia catholica bildete gut zweihundert Jahre später den Auftakt zur Reformdiskussion aus dem Mund des Nikolaus von Kues, zwar keine Utopie, doch mit deutlichen utopistischen Denkansätzen. Mit den Begriffen „pluralité et harmonie" ist sein gesamtes Anliegen deswegen auch gelegentlich von einem französischen Interpreten bedacht worden21. Und schließlich greift Thomas Morus 1516 in seinem Büchlein „Vom besten Staate" nach jenem Begriff, den schon manche Spekulation gewendet hatte, um ihn in seiner pragmatischen Darstellung immer wieder als den Grundzug des utopischen Gemeinwesens zu demonstrieren. Noch der letzte Satz des fiktiven Berichtes von der Glücklichen Insel hebt die utopische Eintracht hervor22. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts schreibt der deutsche Kaspar Stüblin in einem etwas schulmeisterlichen Bericht von der glücklichen Insel Makarien: „omnes amabili concordia et harmonía quadam cohaerent" 23 — und seitdem ist die Vokabel von der utopischen Harmonie zumindest in Mitteleuropa heimisch bis zu Weitling, Marx und Masaryk24. „Concordia" und „harmonía" erschienen symptomatisch für den utopischen Optimismus ; aber doch auch nicht mehr als das und überdies ohne jede Ausschließlichkeit. Wenn man sich unter diesen Voraussetzungen nach dem Begriffsgebrauch umsieht ist es wohl auch erlaubt, Symptome zu vergleichen. Das führt zurück zur Staatslehre des heiligen Thomas von Aquin. Auch da begegnet uns die concordia als ein zentraler Begriff, in erster Linie als bonum divinum angesprochen, in zweiter Linie als bonum proximi. Schärfer als wohl die meisten, die den Begriff gebrauchten, unterscheidet Thomas dabei Eintracht von Egalität: Eintracht nämlich, „concordia, quae est charitatis effectus", 19

20 Migne P L 210, Sp. 337 Seibt, Utopica 1972, p. 271—286. M. de Gandillac, Les ,Semi-Utopies' scientifiques, politiques et religieuses du Cardinal Nicolaus de Cues, ,,Les utopies à la renaissance.", Brüssel-Paris 1963, p. 31— 47, hier p. 36. 22 Morus, Utopia II, 32. 23 Die lexikalischen Angaben über die sprachliche Entwicklung von „Harmonía" in deutschen Nachschlagewerken sind übrigens ganz unzutreffend. Zeedlers Universallexikon verzeichnet lediglich eine Harmonía mundi als astronomischen Begriff im Sinne Keplers, und nach Grimms Wörterbuch von 1877 wurde das Wort erst im 18. Jh. ins Deutsche übernommen. Es findet sich aber schon bei Grimmelshausen. 24 Seibt, Utopica 1972, p. 281 f; Seibt, Deutschland und die Tschechen, München 1974, p. 238. 21

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besteht in der Einheit der Absichten, „est unio voluntatum". Die Einheit der Meinungen, die unio opinionum, ist dafür nicht erforderlich. Bereits Thomas beobachtet die Übertragungsmöglichkeit des griechischen Begriffes von der Harmonie. Er räumt ein, daß es sich ursprünglich um einen Ausdruck für musikalische Proportionen handelt, aber er gibt ihm doch auch selber den Vorzug, weil er, offenbar deutlicher als die lateinische „Herzenseintracht", alle Erscheinungsformen anspricht, gleichsam in bildlicher Übertragung des musikalischen Wohlklangs aus festen Zahlenverhältnissen auf das gesamte Universum: „. . . constat, quod harmonía proprie dicta est consonantia in sonis. Sed isti transsumpserunt istud nomen ad omnem debitam proportionem" 25 . Damit hat eigentlich also schon Thomas einen Begriffswandel vollzogen, der sich in der utopischen Literatur augenscheinlich erst in tastenden Formulierungen des Kaspar Stüblin dreihundert Jahre später nachweisen läßt. Thomas weiß eine solche Harmonie gelegentlich ausdrücklich als die rechte politische Ordnung zu deuten : „Est enim quaedam inordinata dispositio proveniens ex dissolutione illius harmoniae in qua consistebat ratio originalis iustitiae" 26 : Die Gerechtigkeit in der Welt ist nach ihrem ursprünglichen Sinn auf Harmonie angelegt! Wie weit ist nun der Weg, wie groß die Spanne zwischen einem solchen Verständnis universaler Harmonie und dem Versuch ihrer Restitution ? Schon der thomistische Begriffsgebrauch macht einiges deutlich. Aber diffiziler als die Autoren einzelner utopischer Projekte wußte Thomas zwischen einer concordia voluntatum und einer concordia opinionum zu unterscheiden, wollte er die Willens-, nicht aber die Meinungsbildung zur Einheit lenken. Anderes zum Verständnis der rechten Unterscheidung rührt aus umfangreicheren Aussagekomplexen und ihrem Vergleich. In kurzen Worten: die utopischen Rezepte suggerieren eine Restitution der universalen Harmonie sozusagen als greifbar nahe. Der thomistischen Gesellschaftslehre dient sie lediglich zum Grundraster, in ihren Aussagen über das Ursprüngliche und das Eigentliche. Dazwischen breitet sich, was der große Aquinate in vielgestaltiger Definitions- und Erkenntnisarbeit aus der realen Korrespondenz seiner theoretischen Systematik zusammenträgt. Es bleibt also ein gehöriger Abstand zwischen dem thomistischen Realismus und der illusionären Utopie. Es bleibt aber auch die gedankengeschichtliche Verbindung zwischen beidem, die sich das eine Mal als die fernste, das andere Mal als die nächste Hoffnung offenbart, in jedem Fall aber eine optimistische Gemeinsamkeit erkennen läßt. 25 Thomas v. Aquin, Summa theologica I I / 2 37 l c ; das Wort gebraucht dann auch Bartholomäus von Lucca in seiner Fortsetzung von De regimine principum IV, 3. 26 Summa theologica 1/1 82 l c .

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IV. Skizzenhaft ist bislang wohl der Umriß eines ideengeschichtlichen Vergleichs deutlich geworden. Nun ist aber gerade der Gedankenbereich des Utopischen nicht nur ideengeschichtlich definabel. Ob er in der bekannten literarischen Einkleidung, ob er in unmittelbar zweckbestimmter politischer Programmatik auftaucht, er läßt sich gleichermaßen auch sozialgeschichtlich fassen und mit einer bestimmten Gesellschaftsgruppe in Verbindung bringen, die nicht nur seine Autoren stellte, sondern auch seine Leser, seine Diskutanten. Zwischen Utopie und Wirklichkeit scheint ihnen derselbe Schritt wie zwischen Utopie und Wirksamkeit. Um diese beiden Pole zu umgreifen, reicht die Sozialgeschichte wohl nicht aus. Es geht also bei der Feststellung einer gewissen definablen Homogenität des utopischen Denkens unter sozialgeschichtlichem Aspekt keinesfalls um die Behauptung einer sozialgeschichtlichen Determination; es ist vielmehr die Tatsache angesprochen, daß die utopische Gedankenwelt als Diskussionsstoff vom Autor bis zum Leser, daß sie als Gedankenprodukt, keinesfalls in ihren Rückbindungen auf den gesamten Umkreis des historischen Lebens, einer sozialen Determination fähig erscheint. Diese Feststellung ist nicht neu. Der amerikanische Soziologe Crane Brinton sprach, zumindest auf die Autorschaft bezogen, vor einigen Jahren davon, daß klassische Utopien „beinahe stets das Werk von Intellektuellen" seien27. Karl Mannheim sah vor einem halben Jahrhundert in seinem großen Entwurf über Ideologie und Utopie in der utopischen Gedankenwelt eine Reflexion von „Bürgertum und Intelligenz"28. Das Bürgertum soll hier aus dem Spiel bleiben: dieser Bestandteil an Mannheims Aussage scheint nämlich ein Irrtum über Ursprung und Eigenart der europäischen Intellektuellen, wie sie sich seit dem 12. Jahrhundert zwar in städtischer Umgebung, aber eben nicht eigentlich im bürgerlichen Lebenskreis entwickelten29. An diesem Entwicklungsraum der europäischen Intellektualität hat aber auch der Lebenskreis des Universitätsprofessors Thomas von Aquin seinen Anteil. Gerade die Universitäten haben ja doch vom 12. Jahrhundert an für diese Intellektuellen nicht nur eine besondere Organisationsform, eine eigene Hierarchie und einen gedanklichen wie ökonomischen Nährboden ausgebildet, sondern sie schufen ihnen auch Denkmethode und Bildungsideal, bei allen Wandlungen im Inhalt bedeutungsvoll für jenen Personenkreis bis zum heutigen Tag 30 . 27 C. Brinton, Utopia and Democracy, „Utopias and Utopian Thought", ed. F. E. Manuel, Boston 1966, p. 50—68, hier p. 53. 2 8 Mannheim 1965, p. 199. 2 9 Seibt 1972, p. 236ff. 3 0 J . Le Goff, Les intellectuels au moyen âge, Paris 1957.

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Eine andere sozialgeschichtliche Wurzel für das utopische Denken im besonderen wie für die intellektuelle Lebens- und Geisteshaltung im allgemeinen hatte schon vor der Entstehung der Universitäten in eigenartiger Weise das abendländische Mönchtum vorgeprägt. Auch hier geht es nicht um unmittelbare Abhängigkeiten, sondern um einen Grundriß potentieller Beziehungen. Immerhin ist es bei näherem Zusehen doch von einer interessanten Konsistenz. Betrachtet man einmal die agrarische autarke Klosterökonomie, erwägt man die Grundlinien, bei aller realen Weltwirksamkeit, doch der Weltferne in den Intentionen der klösterlichen, förmlich insularen Abgeschlossenheit und läßt man überdies noch die klösterlichen Lebensformen mit ihrer detaillierten Individualplanung nicht aus dem Auge, so zeigen sich, zumindest nach dem äußeren Anschein, die utopischen Konstruktionen von Idealgemeinschaften auf der Grundlage agrarischen Konsumtions- und Produktionskommunismus mit ihren allein dem Gemeinwohl verpflichteten Lebensformen und ihrem totalen Anspruch gegenüber Einzelnen leicht wie die zugehörigen Hintergrundsprojektionen. Wechselbezüge ließen sich noch eingehender erläutern 31 . Für unsere Überlegung mögen sie ersetzt werden durch die Beobachtung, daß schon der erste Entwurf zu einer konkreten utopischen Anthropologie im Lehrgedicht von einem neuen Menschen gegen Ende des 12. Jahrhunderts von dem Zisterzienser Alanus von Lille herrührt, während zur selben Zeit sein Ordensgenosse Joachim von Fiore das erste utopische Gemeinwesen aus konkreter Raumplanung entwickelt, wenn auch nicht allein nach den Erwägungen der Nützlichkeit, sondern zumindest in Grundlinien, auch in der Raumgestalt, in Korrespondenz zur biblischen Symbolik32. Thomas Morus hatte bekanntlich vier Jahre bei den Londoner Kartäusern gelebt, und manche Einzelheit im Leben der weltfrohen Bürger von Utopia kann uns daran erinnern. Thomas Campanella, rund hundert Jahre später, gehörte zum Orden des heiligen Thomas von Aquin. Noch in der wahrhaft utopischen Verkehrung von Rabelais' Idealkloster liegt der klassischen Utopie das mönchische Vorbild zugrunde. Der Vergleich läßt sich fortführen bis zu den Konstruktionen von Idealgemeinschaften, die Charles Fourier und Howard Owen vor hundert Jahren nach utopischen Programmen auch mit nordamerikanischen Siedlungsexperimenten verwirklichen wollten33. Der mitunter gar nicht quellengerecht betonte Hedonismus auf der glücklichen Insel 31

Seibt HZ 1969. I m einzelnen habe ich das zuletzt auf einem Symposion zu Ehren von M. Reeves in Oxford 1975 zu zeigen versucht. 33 Darüber zuletzt J. Servier, Histoire de l'Utopie, Paris 1967; dt. Übersetzung München 1971. 32

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Utopia kann bei genauerem Zusehen nicht standhalten ; er ist nämlich nicht sosehr weit entfernt von der heiteren Geistigkeit des heiligen Benedikt: „laeti bibamus sobriam ebrietatem spiritus". Morus verweist ausdrücklich auf eine transzendente Ethik, um seine Utopier an den „schweren und harten Pfad der Tugend" zu binden. Schon mehrfach hat man in der Literatur aber auch die innerweltliche Askese seines Idealstaates angesprochen34, und sein Patriarchalismus, sein Egalitätsstreben, das doch der Frau tatsächlich die Gleichberechtigung vorenthält, die Ausrichtung des gesamten Systems, letztlich auch die Pflege des cultus animi gleichsam als humanistischer Frömmigkeitsersatz, erinnern deutlich genug an Lebensbewältigung aus den großen Ideen des abendländischen Mönchtums und lassen noch lange in späteren utopischen Projekten ihre Spur zurück 35 . Auch daher also gibt es Berührungspunkte zu den Intentionen des Bettelmönches Thomas von Aquin. Die Zusammenfassung einer der jüngsten Untersuchungen über die thomistische Anthropologie hat sie in die knappe Formel geprägt: „der eigentliche Mensch ist der Mönch'*36. V Zwar hat ihn kein „Übermut der Vernunft" geleitet; noch suchte Thomas immerhin die Welt aus seinem geistigen Prinzip nicht nur zu deuten, sondern auch zu leiten, in der langen Tradition politischer Ethik, wonach „die Geisteskultur die volle rationale Legalität zu schaffen habe" 3 7 . Aber: die Interdependenz aller menschlichen Beziehungen im Hinblick auf eine mögliche und nötige universale Ordnung; das Vertrauen in die grundsätzliche menschliche Neigung zu sozialer Harmonie ; seine Disposition dafür aus seiner religio naturalis ; die intellektuelle Führungsrolle in der Gesellschaft an Stelle der herkömmlichen des Geblütsadels; die Verbundenheit aller menschlichen Dinge mit dem Kosmos, eingebunden in das Schöpfungsganze, das sind zweifellos Positionen, die Thomas mit den Utopisten teilt. Gelegentlich scheinen sie sich in Einzelpunkten gar zu decken, wie in jener merkwürdigen, in den Kommentaren nicht recht ausgeschöpften These: „homo enim generat hominem et sol" 38 . Man glaubt doch, wenn auch in einer gewissen Karikatur, dieser These in Campanellas „Son34 J . H. Hexter, in : The Yale Edition of the Complete Works of Thomas More, Tome 4, ed. E. Surtz SJ and J . H. Hexter, New Haven and London 1965, p. X V — C L X X X I I , hier p. CIII. 35 Zu Einzelheiten Seibt 1972, p. 24 ff. 36 Κ. Bernath, Anima forma corporis, Bonn 1969, p. 224. 37 Dempf 1968, p. 91. 38 Thomas von Aquin, III De anima expositio, lectio 4n 619; dazu zuletzt Bernath 1969, p. 5.

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nenstaat" dreihundert Jahre später wieder zu begegnen39. Hat sich doch Campanella bekanntlich mehr als ausführlich gerade mit einer astrologisch fundierten Zeugungslehre beschäftigt, deren Grundzüge bereits Thomas von Aquin nach Aristoteles skizzierte. Schließlich aber trennt doch eine Kluft den Aquinaten von den Utopisten. Das ist, in dürren Worten, die Lehre vom Sündenfall und der daraus hergeleiteten unüberwindlichen menschlichen Unvollkommenheit. Eine bittere Weisheit, die jede Utopie zerrinnen läßt". „Gratia perfecit naturam". Es gibt keinen Utopisten, selbst nicht aus dem profiliert christlichen Milieu der humanistischen und der Barockutopie von Morus bis zu Comenius, der sich nicht über jene bittere Weisheit hinweggesetzt hätte. Weder Thomas Morus, später zur Ehre der Altäre erhoben, noch Thomas Campanella, im Kerker der Inquisition, noch der Lutheraner Andreae, der Anglikaner Bacon oder der Brüderbischof Comenius wollten jene prinzipielle Un Vollkommenheit gelten lassen, welche die Theologie aus der Erbsünde deduziert und die gerade eine jede menschliche Selbstvervollkommnung in Idealgemeinschaften a priori zur Illusion macht. ,,. . . Utopia was a way of rejecting that notion of .original sin', which regarded natural human virtue and reason as feeble and fatally impaired faculties" 40 . VI Damit wäre eigentlich der Bogen einer flüchtigen Beobachtung geschlagen. Die Gedankenwelten der scholastischen Summen, der gedanklichen Riesenwerke zur Systematik von Welt und Überwelt, und die kleinen oder großen literarischen Konzeptionen der europäischen Utopie lassen einen gemeinsamen Boden des Vernunftoptimismus durchschimmern. In der Hoffnung auf die große Harmonie nähern sie sich einer gemeinsamen Projektion. Aber, um im Bilde zu bleiben, zwischen ihnen liegt das Paradies, und trennt sie voneinander. Ein irdisches Paradies : das ist für die klassische europäische Utopie ein ausgesprochener oder doch wenigstens angesprochener Raum der Verheißung. Für die scholastische Theologie ist es ein biblischer Begriff, manchmal fest umrissen, auch lokalisiert, und dennoch außerirdisch, Urbild und Hoffnung der Heilsgeschichte. 3 9 Bernath, der gelegentlich treffende Parallelen zur späteren utopischen Literatur beobachtet, hatte dasoffenbarnichterwogen. Aberauch in der ausführlichen CampanellaInterpretation von B. M. Bonensea, Tommaso Campanella. Λ Renaissance Pioneer of Modern Thought, Washington DC 1969, habe ich einen entsprechenden Hinweis nicht finden können. 4 0 J . Shklar, The Political Theory of Utopia: From Melancholy to Nostalgia, F. E. Manuel 1966, p. 101—115, hier p. 104; ähnliche Definitionen formulieren im selben Band Northorp p. 35 und Brinton p. 56.

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Es wäre eingehender Betrachtung wert, wie sehr der Paradiesesbegriff, wie ihn der große Augustinus einst gezeichnet hat, in der klassischen europäischen Utopie nachwirkte, wie stark er noch radikale Konzepte in den europäischen Revolutionen bestimmte. Das Thema klingt auf in der ersten bedeutenden Revolution des abendländischen Europa, am radikalen Flügel des böhmischen Hussitismus: „Surgens Jesus imperabit ventis et mari et erit tranquillitas magna. Dies namque sanctorum innovabuntur . . . ipsi erunt in lucem gencium . . . nec erit in regno sic reparato tributum et exactor, quia filii dei calcabunt colla regum . . . Item in hoc regno reparato nullum erit peccatum . . . parient mulleres infantulos suos sine dolore et sine peccato originali (Isaias 66). Item parvuli in hoc regno nati nunquam morientur, quia mors ultra non erit (Apokalypse 21). Item . . . non docebit unusquisque proximun suum, sed omnes erunt docibiles dei . . . statum innocencie ispius Ade in paradiso reducentur . . ," 41 Dieses Paradiesbild ist noch stark biblisch bestimmt, in seinen Einzelheiten ebenso wie in seinem absoluten Anspruch. Die „vernünftigen Spekulationen" der klassischen Utopie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert gründen sich nicht auf die biblischen Aussagen, und doch schimmern sie durch ihre Vorstellungen, so wie ihn die bildende Kunst jener Zeit, nicht mehr in der starren Form himmlischer Idealstädte des Mittelalters, in ihren Ideallandschaften hundertfach beschworen hat. Die paradiesische Welt ohne Schmerz, ohne Sünde und zumindest ohne Schrecken vor dem Tod, die Paneudämonie ihrer Intentionen läßt sie immer wieder zu ähnlichen Bildern finden. Die Entdeckungen einer angeblich paradiesischen Unschuld der „guten Wilden" in Amerika und Oceanien verbinden sich mit solchen Träumen, und die Rückkehr zu einer präurbanen Welt, gemessen nämlich am bürgerlichen Städtebegriff der Zeit, ihr Ersatz durch kommunistische Stadtorganisationen in agrarischer Autarkie, wo die Lust der Arbeit verheißen ist, nicht ihre irdische Mühsal, wo die Gegensätze von reich und arm verschwunden sind, in der gemeinsamen Bedürfniswirtschaft, kleiden doch nur das alte Bild in genauere Formen des Vorstellbaren. Die Autoren aus nördlichen Breiten beschwören sämtlich eine subtropische Idealwelt, wo die Inseln Utopia, Makaria und Eudämonia zu suchen sind, wohin noch um 1750 die „schwimmenden Inseln" treiben 42 . Aber nicht nur von Morus bis Morelli, sondern bis zu Marx und Masaryk greift die Erinnerung an das biblische Paradies. Spricht doch Marx in einer der wenigen Zeilen, in denen er Zukunftsvisionen zu Papier bringt, von einer künftigen „Freiheit des Individuums", um „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, 41 48

Fontes rerum Bohemicarum V, p. 422 f. Dazu vgl. Servier 1967.

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nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, auch das Essen zu kritisieren, ohne je Jäger, Fischer oder Hirt oder Kritiker zu sein, wie ich gerade Lust habe" 43 . Die Lust und nicht die Notwendigkeit läßt solche Beschäftigungen gleichsam aus der Muße erwachsen, und es ist nicht die industrielle Welt, die sie erfordert, auch nicht die stadtbürgerliche, sondern ein paradiesischer Urzustand des Hütens und Sammeins, der nun wiederkehrt, — die Fiktion von der heilen Welt vor dem Sündenfall. Selbst der greise tschechische Staatspräsident Masaryk sinnierte einmal: „die Demokratie erfordert neue Menschen, einen neuen Adam" 44 . Natürlich ließen sich solche Beobachtungen noch schärfer fassen, um deutlich zu machen, daß das biblische Bild nicht nur in einzelnen Anspielungen, sondern immer wieder auch in anschaulicheren Erwartungen selbst in unserer Zeit seine Spuren erkennen läßt. Ein „säkularisiertes Paradies": weil es nämlich die menschliche Gattung zumindest insgesamt, wenn auch nicht in jedem Individuum, zur urständlichen Unschuld zurückführen möchte ; weil es einen solchen Zustand hier auf Erden erhofft ; und schließlich, weil die Utopie aus der Geschichte ausscheidet, weil sie, so wie eigentlich doch auch das Paradies, keine Entwicklung mehr erleiden will, keine Veränderung, irdisch und dennoch auch zeitlos. Der Theologie, soweit sie sich nach einem alten Streit nicht etwa an die Auffassungen des Pelagius hält, sind die Spekulationen um ein solches Paradies natürlich verschlossen. Es gab also auch keinen Weg über die großen Ordnungssysteme der Scholastik in diesen Erwartungsbereich. Und doch hat sie auf das Spiel mit der Ausgestaltung einer solchen vollkommenen Welt nicht ganz verzichtet. Sieht man genauer zu, so betreibt selbst die Scholastik am paradiesischen Modell Spuren utopischer Spekulation, einer Spekulation freilich im radikalen Konjunktiv. Denn wie wäre die Welt eigentlich ohne den Sündenfall geworden ? In der Reihenfolge scholastischer Bibelkommentare hat sich spätestens das Sentenzenbuch des Petrus Lombardus mit diesem Thema beschäftigt. Petrus überlegt einen Augenblick, wie sich die Gesellschaft denn ohne die Vertreibung aus dem Paradies entwickelt hätte, wie sich die Menschheit vermehrt hätte ohne Tod, ohne Schmerz und ohne Sünde. Dem „Meister der Sentenzen" erscheint, bei aller Knappheit seiner Aussage, eine solche Überlegung doch nicht unnütz, „wenn sie auch mitunter nur der Kuriosität wegen angestellt werden mag" 45 . K . Marx, Die Frühschriften, hg. v. S. Landshut Stuttgart 1971, p. 361. T . G. Masaryk, Die Weltrevolution, dt. Berlin 1927, p. 349. 45 Petrus Lombardus, Migne P L 192, col. 689ff; ,,. . . quae non inutiliter sciuntur, licet aliquando curiositate quaerantur." 13

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Diese Bemerkung zeigt doch immerhin, daß sie dem scholastischen Disputationsbetrieb nicht unbekannt war. Aber eine auffällige Aufmerksamkeit widmete solchen Spekulationen niemand anderer als Thomas von Aquin46. Die Sentenzenbücher des Petrus Lombardus waren bekanntlich Grundstock der mittelalterlichen Schultheologie, ihre Kommentierung zählte zur Pflichtübung im akademischen Bildungsgang, und im literarischen Niederschlag davon behauptet der Sentenzenkommentar als ein Frühwerk des heiligen Thomas einen anerkannten Rang. Thomas zählt dabei zu jenen Interpreten, die dem Paradies einen räumlichen Ort zuweisen, geographisch definiert, eine Ideallandschaft unter dem Äquator. Und dann wird mit merklichem Eifer ausgeschmückt, was die Sentenzentradition schon vorgebildet hatte. Der paradiesische Mensch in seiner Unsterblichkeit hätte ganz natürliche Eigenschaften besessen, so wie er sich auch durch natürliche Zeugung vermehrt und dennoch seine geistige Virginitas behalten hätte. Nichts Ekelhaftes wäre an diesem Menschen gewesen, kein Defekt durch Jugend, Alter, Krankheit oder Tod, der Zufall selbst bei der Zeugung ausgeschlossen. Schon Klaus Bernath sah richtig, daß hier anthropologische Aussagen der Renaissanceutopie vorweggenommen wurden: „Ist nämlich das theologische und philosophische Denken des Thomas über den Menschen in dieser Welt an die empirischen Fakten gebunden, so ist die theologische Utopie des Zustands vor der Erbsünde nicht davon eingeengt und auch durch den biblischen Bericht inhaltlich nicht sehr weit fixiert" 47 . Es ist doch eigentlich das Glück des Thomas Morus, das Thomas von Aquin dabei anspricht, denn das Paradies hätte es ermöglicht, daß der Mensch, durch keine Wirrungen behindert, sich in Ruhe der geistigen Muße erfreute 48 . Wer denkt nicht an den cultus animi als Lebensideal auf der Insel Utopia und in Eudämonien ?49 Auch das Problem der irdischen Arbeitslast ist ins Paradiesische transponiert, wo Thomas keine „agricultura laboriosa" erwartet hätte, „sicut est in statu peccati, sed delectabilis"50. So hatten auch die Utopisten bekanntlich die irdische Last der Arbeit aufgehoben, ohne daß sie doch die körperliche Mühe leugnen konnten. Aber sie beschränkten durch Planung ihr Ausmaß auf sechs oder gar nur 46 Thomas von Aquin, Scriptum super Libros Sententiarum, ed. R. P. Mandonnet, Paris 1929, II, dist. XVII, X I X und X L I V . Weder bei S. Vanni Rovighi, Uanthropologic/, filosofica di San Tommaso d'Aquino, 2. Aufl. Mailand 1965, noch bei P. O. Kristeller, Le Thomisme et la pensée italienne de la Renaissance, Montreal 1967, habe ich Hinweise auf die thomistischen Paradiestheorien finden können. 47 Bernath 1969, p. 83. 48 Thomas von Aquin, Sententiae II dist. X V I I art. 2, Mandonnet p. 438. 49 Hexter 1965 p. L X X I X f . 50 Thomas von Aquin, Sententiae II dist. X V I I art. 2, Mandonnet S. 439.

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vier Stunden täglich und suchten überdies die Arbeitslust durch das Wettbewerbsprinzip in manchen Variationen zu fördern. Wie weit war Thomas von Aquin mit solchen Überlegungen, deren Ansätze sich bekanntlich schon beim Kirchenvater Augustinus finden, nun tatsächlich originell ? Eine zuverlässige Antwort setzt gewiß nicht nur gründlichere Kenntnis, sondern auch noch genauere Erforschung der Sentenzenliteratur überhaupt voraus. Immerhin ist doch aufschlußreich, was sein großer Zeitgenosse, Kollege im Pariser Lehramt und philosophischer Widerpart, der heilige Bonaventura aus dem Franziskanerorden, zum selben Topos der Sentenzen zu sagen wußte 51 . Auch er sinniert über die möglichen Entwicklungen im Paradies, aber mit weit geringerer Beredsamkeit, und seine Gedanken sind dabei vornehmlich auf die Fragen der Zeugung gerichtet, während er andere anthropologische Probleme so wenig erwogen hat wie eine räumliche Definition des Paradieses selbst. Dergleichen überlegte dagegen schon Hugo von St. Victor mehr als hundert Jahre zuvor, der das Paradies als einen unzugänglichen irdischen Ort betrachtete, mit dem Baum des Lebens und dem Baum der Erkenntnis, noch mythisch befangen, beeinflußt auch von der augustinischen Tradition, während er bedenkt: „ E t si non pecassent, ut Augustinus dicit, esset in paradiso torus immaculatus, conceptus sine libidine, partus sine dolore . . ," 5 2 Bernath beobachtete zwar den anthropologischen Aspekt in den thomistischen Paradiesesaussagen im allgemeinen; die soziale Komponente war für seine Fragestellung nicht wichtig. Aber unser Vergleich zwischen Thomas und den Utopisten muß danach suchen. Thomas kommt darauf an einer besonders interessanten Stelle seines Sentenzenkommentars zu sprechen, außerhalb des klassischen Topos vom Paradies, nämlich bei der Auseinandersetzung um das Widerstandsrecht. Ein solcher Rückgriff auf einen Vergleich mit dem Paradies spricht bereits für sich; bedeutet er doch einen Vergleich der Widerstandsmöglichkeiten im politischen Raum mit einem Idealbild von menschlicher Obrigkeit überhaupt 53 . Hätte es denn, fragt Thomas, im Zustand der Unschuld überhaupt auch eine menschliche Hierarchie gegeben ? Die Antwort ist bemerkenswert. Sie weicht ab von den Darlegungen des heiligen Augustinus, daß alle Herrschaft eben nur aus der menschlichen Unzulänglichkeit, alle Strafgewalt aus der politischen Unordnung, und eben alle Unterordnung letztlich aus dem Sündenfall 51 Den Hinweis auf den Nutzen eines solchen Vergleichs verdanke ich Herrn Kollegen Oenig-Hahnhoff. Bonaventura, Super 4libros sententiarum II dist. X X , in: Opera omnia II, Quaracchi 1885. 52 Hugo v. St. Victor, Summa Sententiarum, Migne P L 176 col. 94ff. 53 Thomas von Aquin, Sententiae II dist. X L I V , De potentia peccandi.

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herrühre. Noch in politischen Manifesten des Stauferkaisers Friedrichs II. und hundert Jahre später nach diesem Vorbild beim Luxemburger Karl IV. läßt sich eine solche Selbstrechtfertigung politischer Herrschaft wiederfinden. Und ebenso reflektierten die radikalen Hussiten und alle ihre Gesinnungsgenossen zuvor und danach in ihrer biblisch bestimmten Endzeiterwartung auf dieselbe Grundvorstellung : es gäbe in jenem zu erwartenden regnum reparatum keine Steuern, keinen Zwang „weil die Söhne Gottes ihren Fuß auf den Nacken der Könige stellen werden", wie schon zitiert worden war. Thomas sieht diese Zusammenhänge aber ganz anders. Das ist freilich nur die Konsequenz seiner Vorstellungen von einer „natürlichen" Zuordnung von Mensch und Welt, nicht etwa zerstört durch den Sündenfall, sondern seither nur vervollkommnungsbedürftig durch die Gnade. Nicht eine paradiesische Egalität, sondern eine ideale Grundordnung wird dabei anvisiert, und ein solcher Entwurf, ungeachtet seiner Irrealität, ist, als Aussage über den inkorrumpierten Zustand, zugleich als Wesensdefinition von Mensch und Gesellschaft zu betrachten. Zur Anschaulichkeit sei noch einmal angemerkt, daß Bonaventura an derselben Stelle auf paradiesische Gleichheit rekuriert: „hominem autem homini subiici. . . Non sic autem esset, si homo permansisset in statu innocentiae" 54 . Gerade eine solche Gleichheit lehnt Thomas ab. Sie besteht wohl grundsätzlich in der Menschennatur, aber nicht im konkreten Individuum. Denn Alter, Geschlecht, Lebensweise, Nahrung, Klima und Gestirne, vornehmlich aber die geistige Entfaltung von Gerechtigkeitssinn und Wissensdrang hätten zu jeder Zeit, und eben auch im Stande der Unschuld, die menschliche Individualität geprägt. Deswegen muß sich natürlicherwesie, und nicht erst aus der nachparadiesischen Un Vollkommenheit, eine jede menschliche Gemeinschaft aus Differenziation aufbauen, aus Hierarchie, aus der Leitung der Weiseren über die Minderbegabten55. Alle politische Überlegenheit beruht also auf überlegener politischer Bildung, die sich auch dem paradiesischen Menschen nicht naturnotwendig und vor allen Dingen nicht gleichermaßen, sondern aus seiner eigenen Willensfreiheit erschlossen hätte. Herrschaft wächst aus intellektueller Überordnung — oder sollte mindestens, nach dem paradiesischen Urbild, daraus wachsen: „secundum quod unus alio majori muñere sapientiae et majori lumine intellectus perditus fuisset" 56 . Thomas' Gedanken über das Paradies sind offenbar bisher viel weniger beachtet worden als seine irdische Soziallehre. Daran erinnert 54 55 56

Bonaventura, Senlentiae, Opera II col. 1009. Thomas von Aquin, Summa theologica 1/1 102; ebenso 1/1 96, 3 f. Thomas von Aquin, Sententiae II dist. 1XLIV q 1 art. 3, Mandonnet p. 1122.

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nicht etwa ein Philosophiehistoriker, sondern ein Vorgeschichtsforscher 1966, weil er diese Auffassung des Aquinaten von der menschlichen Urzeit als „eine neuartige Interpretation des Paradiesberichtes" erkennt. „Diese thomistische Konzeption der Urmenschheit wurde im vorigen Jahrhundert ganz in den Hintergrund gedrängt" 57 . Immerhin hatte Ernst Troeltsch in seiner großen Darstellung über die christlichen Soziallehren den Fragenkreis bei Thomas in aller Kürze bereits angesprochen: „Im Urzustände herrschte dieses Naturgesetz in vollkommener Klarheit, und wenn auch bei seiner Fortdauer die natürliche Ungleichheit der Menschen sich geltend gemacht und allerhand Über- und Unterordnungsverhältnisse mit sich gebracht hätte . . ," 58 Damit ist auch deutlich, daß ein guter Teil der Aussagen des heiligen Thomas zum Thema nicht als historische Interpretation zu betrachten ist, sondern als eine Projektion im Konjunktiv. Auch die Sprachform weist das aus: zur Wesensdeutung des Menschen bedient sich die thomistische Spekulation einer utopischen Hypothese. Damit ist vielleicht noch einmal ein Rückblick zur klassischen Utopie erlaubt. Auch dort nämlich, von Plato bis zu Orwell, werden Hypothesen projiziert, um die Grundanlage des Menschen zu treffen, freilich realistische Hypothesen zur Restauration einer korrumpierten Gesellschaft unter konkreten Bedingungen. Alle Utopie verheißt Selbstbefreiung des Menschen von falschen Zwängen; alle impliziert die Rückkehr zu seiner eigenen Bestimmung, die Entfaltung der menschlichen Ordnung an sich. In jedem Fall ließe sich das mit dem paradiesischen Ideal umschreiben. Und alle Utopie, von Plato bis zu Orwell, läßt die Weisen, die Philosophen, die Humanisten oder die Wissenschaftler auch das politische Regiment führen, in vollkommener Selbstlosigkeit, aber doch in absoluter Hierarchie. Alle Utopie verheißt also die Herrschaft des Intellekts. Und darin begegnen sich der irreale und der reale Konjunktiv — Thomas und die Utopisten. VI Die europäische Utopie, angefangen vom „Neuen Jerusalem" des Floriazenserabtes Joachim bis zur „Neuen Harmonie" des Schneidergesellen Wilhelm Weitling, birgt eine Kette bei allen literarischen Varianten doch ähnlich konzipierter Perspektiven über die Lösung aller Probleme der Welt und des Menschen. Mit weitausholendem Wurf führt sie uns ihre großartigen Irrtümer vor Augen, Fehlleistungen 57 H. Müller-Karpe, Handbuch der Vorgeschichte, München 1966, p. 19; den Hinweis verdanke ich Herrn H a t t o Küffner. 58 E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1922, p. 256.

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eines totalen Szientismus in einer Gesellschaft, welche der Bildungskanon einer jeden Hochkultur in entbundenem Rationalismus zur wissenschaftlichen Dynamik weitertrieb. Insofern zählt die europäische Utopie sicherlich zu den Kriterien unserer Kultur, wie der spirituelle Individualismus oder das Zusammenspiel von Herrschaft und Genossenschaft ; wie die gemeindliche Selbstverwaltung oder der christliche Humanismus; wie die Emanzipation der Universität oder der revolutionäre Trend zur Fundamentaldemokratie; wie das vitale Zusammenspiel von Technik und Wirtschaft oder die unbegrenzte politische Expansion. Unter dem Vorzeichen ungehemmter rationaler Spekulation mit dem Vorurteil absoluter Vernunfterkenntnis ist die europäische Utopie offensichtlich Teil des bekannten rationalen Trends in unserer Geschichte. Aber eben nur Teil, nur eine Seite dieses Trends, und vielleicht die Schattenseite. Manchmal verwechselt man offensichtlich das utopische Widerspiel des Trends mit dessen Kräften selber und wird verführt, „die Polarität von .utopisch' und .antiutopisch' nahezu identisch" zu heißen „mit der von .progressiv' und .konservativ'" 59 . Die europäische Utopie war ein Irrtum. Dagegen spricht nicht ihre vielfache antizipatorische Bedeutung in Einzelheiten, denn solche Antizipationen wurden nicht von der utopischen Hyperbel, sondern vom mächtigen Wellenschlag des europäischen Rationalismus getragen. Ihn hatte die Scholastik, ihn hatte nicht zuletzt ihr „Doctor communis" mächtig angeregt. 60 59 A. Neusüss (ed.), Begriff und Phänomen des Utopischen. Einleitung des Herausgebers, Neuwied 1968, p. 34. eo Grundzüge dieser Studie habe ich bei der Wissenschaftlichen Jahrestagung der Görres-Gesellschaft 1974 vorgetragen.

DIE SCHILDERUNG DES GUTEN UND BÖSEN IN DER CHRONICA DES VINCENTIUS KADLUBEK von

MIECZYSLAW M A R K O W S K I

(Krakow)

Die Chronica des Vincentius Kadlubek ist erstens dadurch, daß sie viele Jahrhunderte lang das Antlitz der geistigen Kultur und das geschichtliche Selbstbewußtsein der Polen formte, von großer nationaler Bedeutung 1 . Da diese Chronica aber ein unschätzbares und fundamentales Denkmal der europäischen Renaissance von der Wende des 12. zum 13. Jahrhundert und ein Glanzstück der literarischen Prosa ihrer Zeit ist, hat sie auch internationale Bedeutung. Ihr Verfasser hatte die höheren Studien im Ausland beendet und war zum Fürsprecher der Ideen der Renaissance des 12. Jahrhunderts geworden, so daß seine Chronica ein ausdrucksvolles Zeugnis für die Rezeption der europäischen Renaissance im Krakauer Kultur kreis bietet. Vincentius wollte vor allen Dingen die Tradition des Römischen und kanonischen Rechts und die neuentdeckten, permanenten Werte der antiken Literatur der Römer in Krakau bekannt machen 2 . Um die Schilderung des Guten und Bösen in der genannten Chronica besser zu verstehen, geht es wohl nicht über den Rahmen dieser Betrachtung hinaus, an einige Ereignisse aus dem Leben ihres Verfassers zu erinnern, wie auch eine kurze Charakterisierung des Werkes und seiner geistesgeschichtlichen Hintergründe zu geben. Der um 1150 in Kargow (oder Karwow), in der Nähe von Sandomierz, geborene Vincentius erreichte vor dem Jahr 1187 im Ausland, wahrscheinlich in Paris, den akademischen Grad eines Magisters der freien Wissenschaften. Und hier liegt wahrscheinlich die Ursache, daß er Meister Vincentius genannt wurde. Nach dem berühmten Historiker Johannes Dlugosz nennt man Vincentius, seit der Mitte des 15. Jahr1 Außer der handschriftlichen Überlieferungen wurde die Chronica des Vincentius Kadlubek in den Jahren 1612 (Dobroraija), 1712 (Leipzig), 1824 (A. Mulkowski, Warszawa), 1862 (A. Przezdziecki mit polnischer Übersetzung), 1872 (A. Bielowski, Lwów) und 1961 (Überdruck, Warszawa) herausgegeben. (Vergi, ζ. Β. A. Bielowski, „ M o n u m e n t a Poloniae histórica", Bd. II, Lwów 1872, neu heausgegeben Warszawa 1961, pp. 198—217). Eine neue polnische Übersetzung dieser Chronica haben K. Abgarowicz und B. Kürbis im J a h r e 1974 vorbereitet. (Mistrza Wincentego Kronika polska, ins polnische übergesetzt von K. Abgarowicz und B. Kürbis, Einleitung und K o m m e n t a r von B. Kürbis, Warszawa 1974). 2 Vergi. M. Plezia, Kronika Kadlubka na tie renesansu XII mieku, Kraków 1962, p. 19; Β. Kürbis, Einleitung zur Mistrza Wincentego Kronika polska, pp. 5—7.

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Mieczyslaw Markowski

hunderts, auch Kadlubek (Vincentius filius Kadlubkonis oder Vincentius Kadlubko)3. Die im Ausland erworbene Ausbildung erleichterte ihm den Eintritt in den Kreis der geistlichen Würdenträger an der Krakauer Kathedralkirche und die Erlangung einer Stelle als Kaplan beim Fürst Kasimirus dem Gerechten (1177—1194). Bis zum Jahre 1208 konnte er wohl auch einige Zeit als Lehrer an der Kathedralschule in Krakau tätig sein. In diesem Jahre wurde er als erster Bischof in Polen in freier kanonischer Elektion erwählt. Nach zehnjähriger, mühsamer Regierung auf dem bischöflichen Stuhl in Krakau legte er im Jahre 1218 sein Amt zurück und trat in den Zisterzienser-Orden in Jçdrzejôw ein, wo er im Jahre 1223 starb und auch dort begraben wurde. Im Jahre 1764 wurde er selig gesprochen4. Meister Vincentius genannt Kadlubek, der vermutlich in den Jahren von 1190 bis 1208 seine Chronica schrieb, zeigte sich nicht nur als Chronist, sondern er wurde auch als Schriftsteller, Jurist und vor allem als Sittenlehrer berühmt. Er war der erste und ist vielleicht auch der letzte Chronist, der historische Taten und Ereignisse in Dialogform darstellte, und zwar in den ersten drei von insgesamt vier Büchern seines Werkes. Dieses Zwiegespräch findet zwischen den bekanntesten Persönlichkeiten der vierziger, fünfziger und sechziger Jahre des 12. Jahrhunderts statt, und zwar zwischen dem Erzbischof von Gnesen, Johannes (1149—1167), der die Geschichte Polens erzählt, und dem Bischof von Krakau, Mattheus (1143—1166), der die res gestae mehr vom moral-gesetzlichen als vom geschichtlichen Standpunkte kommentiert. Nur das vierte, letzte Buch, das die geschichtlichen Ereignisse enthält, die erst nach dem Tode der Interlokutoren geschahen, ist in der für die Geschichtsschreibung üblichen Form des zusammenbringenden Vortrags geschrieben. Die von Plato geschaffene Form des Dialogs wurde im Altertum für Geschichtswerke nicht verwendet. Aber schon am Anfang des Mittelalters versuchte man die Dialogform auf hagiographische Werke zu übertragen (unter anderen tat es Sulpicius Severus und Gregorius der Große)5. Größere Bedeutung als die Form haben die inhaltlichen Elemente unserer Chronica. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, muß es erwähnt werden, daß Kadlubek an die von Gallus Anonymus um das Jahr 1113 verfaßte Chronica angeknüpft hat. Selbstverständlich verwendete er auch die Erzählungen, die in der Krakauer Tradition lebendig waren. 3 M. Plezia, Kadlubek (dzieje imienia), ,,Od Arystotelesa do ziotej legendy", Warszawa 1958, pp. 314—346. 4 Vergi. Β. Kürbis, op. cit. pp. 11—37; J . Stabinska, Mistrz Wincenty, Kraków 1973, pp. 10—73; S. Kieltyka, Blogoslawiony Wincenty Kadlubek (ok. 1150—1223), Kraków 1962, s. 3—51. 5 M. Plezia, Dialog w ,,Kronice" Kadlubka, „Pamiçtnik Literacki" 4 (I960), pp. 275—276; idem, Kronika Kadlubka na tie renesansu XII wieku, p. 13.

Die Chronica des Vincentius Kadlubek

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Die historischen Quellen wurden nur manchmal von ihm zitiert. In der historischen Überlieferung finden sich Analogien zu der schon um das Jahr 1180 gelesenen Historia regum Britanniae des Galfredus von Monmouth, des Verfassers der Geschichte des Königs Artur®. Vincentius zitierte nicht zu oft die Bibel und die Werke der Patristik. In seinem Eruditionsschatz spielte das Recht eine sehr große Rolle und zwar das Römische Recht mehr als das kanonische. Außer den Novellen waren ihm alle Teile der Justinianischen Kodification, nämlich Institutiones, Digesta und Codex, ebenso wie die Epitome Juliani und der Codex Theodosianus bekannt 7 . Seine Kenntnis des kanonischen Rechts beschränkte sich dagegen wohl ausschließlich auf das Decretum Gratiani8. Die Kenntnis der antiken Klassiker war bei unserem Chronisten imponierend. Sie betrifft mehr die berühmten Autoren wie z. B. Cicero, Ovid, Lukan, Terenz, Persius als die Philosophen wie z. B. Theophrast, Kallisthenes, Eudemos, Seneca, Macrobius und Boethius. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß ihm einige von den oben erwähnten klassischen Autoren nur durch die Vermittlung mittelalterlicher Werke wie z. B. durch den Polier oticus des Johannes von Salisbury bekannt waren. Diese Art von Bildung ist für die berühmten Meister der Schule von Chatres charakteristisch, wie z. B. Wilhelmus von Chonches, Bernardus Sylvestris, Theodoricus von Chatres, Alanus von Lille, Johannes von Salisbury, Alexander Neckam, Stephanus von Tournai, Giraldus von Barri, Peter Cantor, Peter Celle und Peter von Blois9. Manche Werke dieser Gelehrten hatte Vincentius Kadlubek gelesen. Davon kann man sich überzeugen, wenn man seine Chronica liest. Kadlubeks großes Verdienst ist es also, daß er Ideen der westeuropäischen Renaissance des 12. Jahrhunderts

β Β. Kürbis, op. cit., pp. 54—58; vergi. J . Hammer, Remarcks on the Sources and Textual History of Geoffrey of Monmouth's , .Historia regum Britanniae" with an Excursus on the „Chronica Polonorum" of Wincenty Kadlubek (Magister Wincentius), „Bulletin of the Polish Institute of Arts and Sciences in America" 2 (1944), pp. 538—· 564 ; M. Schlauch, Geoffrey of Monmouth and Early Polish Historiography : a Supplement, „Speculum" 44 (1969), pp. 258—263. 7 B. Kürbis, op. cit., pp. 59, 7—8; vergi. J. N. Janowski, Investigentur omnes sententiae et loci iuris Romani, quotquot in Cadlubkone occurrant, et iudicentur fontes eorum, Varsoviae 1827; H. Zeissberg, Vincentius Kadlubek Bischof von Krakau (1208—1218; f 1223) und seine Chronik Polens. Zur Literaturgeschichte des 13. Jahrhunderts, „Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen" 42 (1870), pp. 1—211; idem. Polnische Geschichtsschreibung des Mittelalters, Wien 1873; O. Balzer, Studyum o Kadlubku, „Pisma posmiertne", Bd. I, II, Lwów 1934—1935; Z. Wojciechowski, Dzielo o zwiqzkach Polski ζ Francj