Die lyrischen Dichtungen Jakob Baldes [Reprint 2018 ed.] 9783111347011, 9783110993615


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German Pages 233 [244] Year 1915

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Vorwort
Inhalt
Einleitung
I. Baldes lyrische Gedichte nach ihrem Inhalt betrachtet
II. Innere und äußere Form der Gedichte
III. Chronologie der lyrischen Dichtungen
Verzeichnis der Stellen
Register
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Die lyrischen Dichtungen Jakob Baldes [Reprint 2018 ed.]
 9783111347011, 9783110993615

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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR

SPRACH- uro CULTUMESCHICHTE DER

GERMANISCHEN

VÖLKER.

HERAUSGEGEBEN VON

ALOIS BRANDL, ANDREAS HEÜSLER, FRANZ SCHULTZ.

CXXII. DIE LYRISCHEN DICHTUNGEN JAKOB BALDES.

STRASSBURG K A R L

J.

T R Ü B N E R

1915.

DIE

LYRISCHEN DICHTUNGEN JAKOB BALDES VON

ANTON HENRICH.

STR ASSBURG. KARL

J.

TRÜBNER. 1915.

Druck von M. Du Mont Schauberg, Straßburg.

Dem Andenken Erich Schmidts.

Vorwort. Die vorliegende Arbeit, zu der Erich Schmidt die Anregung gegeben hat, wurde im Frühjahr 1912 von der hiesigen philosophischen Fakultät als Habilitationsschrift angenommen. Auf unsicherem Boden Halt suchend erkannte ich seitdem die Notwendigkeit, die Arbeit zum großen Teil umzugestalten und zu erweitern: eine Aufgabe, deren Erledigung die neuen Pflichten der Lehrtätigkeit und persönliche Umstände hintanhielten. So wird sie nicht mehr den Augen dessen vorliegen, der ihr Weg und Ziel wies, und dessen Zustimmung dem Verfasser der beste Lohn für nicht immer ganz leichte Arbeit gewesen wäre. — Mannigfache Unterstützung und Rat danke ich in erster Linie Herrn Gymnasialdirektor Joseph Bach (Straßburg), sowie Franz Schultz und Martin Spahn, die mich durch Mitlesen der Korrektur noch besonders verpflichtet haben. Für freundliche Auskünfte sei auch Johannes Bolte und Nikolaus Scheid S. J. gedankt. Eine Aufzählung der zahlreichen Bibliotheken, die mich im Lauf der Jahre ihren Besitz nutzen ließen, mag unterbleiben. Der beste Dank scheint mir das in der wissenschaftlichen Welt zum sicheren Bewußtsein gewordene Vertrauen auf die Liberalität der deutschen Bibliotheken zu sein. Straßburg, am 30. Juli 1914.

Anton Henrich.

Inhalt. Seite

Einleitung I. Baldes lyrische Gedichte nach ihrem Inhalt betrachtet . . . 1. Moralisierende Gedichte 2. Gelegenheitsgedichte 3. Zeitgedichte a) politische b) kulturgeschichtliche 4. Religiöse Gedichte 5. Persönlicher Gehalt der Dichtungen a) Der Dichter selbst b) Seine Ansichten über Dichtkunst c) Baldes Naturgefühl II. Innere und äußere Form der Gedichte Dichtungen der Reflexion — Wett- und Streitgedichte — Allegorien — Erzählende und beschreibende Gedichte . . Mangel an äußerem Stoff — Legende — Dichtungen des Gefühls Dichtungen der Begeisterung — Vision, Phantasie, Prophetie. — Stilistisches Humor — Komposition der Gedichte Baldes Abhängigkeit von Horaz Metrik III. Chronologie der lyrischen Dichtungen Verzeichnis der Stellen, an denen die lyrischen Gedichte besprochen oder erwähnt werden Register

1 18 18 26 60 77 94 108 133 152 171 171 180 184 198 206 216 219 225 229

Das geistige Milieu, aus dem die Gedichte des Jesuiten Jakob Balde1) hervorgingen, ist das durch die Gegenreformation in Süddeutschland geschaffene. Die historischen Zustände, die sich in seinen Werken spiegeln, sind die des dreißigjährigen Krieges, insbesondere des letzten Drittels. Bedürfen die politischen und sittengeschichtlichen Yoraus*) Jakob Balde, geb. am 4. Januar 1604 (oder wenige Tage früher) zu Ensisheim, im Ober-Elsaß, besuchte seit 1615 das neugegründete Jesuitengymnasium zu Ensisheim und seit 1620 die Jesuitenuniversität zu Molsheim. Mit den Jesuiten verließ er beim Einfall Mansfelds ins Elsaß im Spätherbst 1621 das Land und ging nach Bayern, wo er fast sein ganzes ferneres Leben zubrachte, ohne seine Heimat wieder zu sehen. Seit April 1622 besuchte er die Jesuitenuniversität zu Ingolstadt. Hier gab er das juristische Studium auf und trat 1624 in den Orden der Jesuiten ein. Er verbrachte die Jahre 1624—1626 in Landsberg a. Lech, 1626 —1628 in München, 1628—1630 in Innsbruck, seit 1630 wieder in Ingolstadt. 1637 als Professor der Rhetorik an das Münchener Gymnasium berufen, wurde er im Februar 1638 vom Kurfürsten Maximilian zum Hofprediger ernannt als Nachfolger des berühmten Kanzelredners Jer. Drexelius. In dieser Stellung und als Erzieher der Söhne des Herzogs Albert VI., eines Bruders des Kurfürsten, trat er in nahe Beziehungen zu dem herzoglichen Hofe, vor allem zu Maximilian. Am 31. Juli 1640 legte er die feierlichen Ordensgelübde ab. Vom Amte des Hofpredigers wurde Balde seiner schwächlichen Gesundheit wegen 1640 wieder entbunden und gleichzeitig zum bayrischen Hofhistoriographen ernannt. 1650 ließ er sich von München nach Landshut versetzen, 1653 nach Amberg. Von 1654 bis zu seinem Tode lebte er in Neuburg a. D. Hier ist er am 9. August 1668 gestorben. — Über sein Leben und seine Werke vgl. die biographischen Darstellungen von Westermayer (1868) und J. Bach (Straßburger Theol. Studien Bd. VI, 3 - 4 , 1904). Westermayer gibt eine Bibliographie der zahlreichen Werke Baldes, Bach ergänzt Westermayers Angaben der Übersetzungen und kleineren Schriften über Balde. Die lyrischen Dichtungen Baldes erschienen in zwei Sammlungen zuerst 1643 in München: „ Lyricorum libri IV Epodon liber unus", H e n r i c h , Jakob Balde.

1



2



Setzungen als hinreichend bekannt

keiner

besonderen Dar-

legung, so sind die durch Baldes Zugehörigkeit zum Jesuitenorden

und

dessen

Tätigkeit

für

die

Gegenreformation

gegebenen Bedingungen seines dichterischen Schaffens etwas näher zu betrachten. D i e Gegenreformation 9

ist im wesentlichen das W e r k

der Gesellschaft Jesu, der es gelang, nicht nur den Katholizismus in Deutschland v o r weiteren Verlusten zu bewahren, sondern auch

in w e n i g e n Jahrzehnten

den Protestantismus

aus den Ländern

am Rhein und aus B a y e r n

verdrängen

seinem

und

Vordringen

einen

fast ganz festen

zu

Damm

entgegenzusetzen. im gleichen Jahr die sieben ersten Bücher „Silvae", 1646 folgten zwei weitere Bücher. Die erste Sammlung (als solche im folgenden kurz „Oden", in Zitaten: lyr. genannt zum Unterschied von den „Wäldern", in Zitaten: silv.) erschien bis zum Jahre 1720 in fünf Einzelausgaben, die zweite Sammlung erschien in einem Abdruck der ersten Ausgabe noch einmal 1645 zu München; der zweiten, 9 Bücher umfassenden Ausgabe von 1646 folgten dann bis 1720 noch drei weitere. Außerdem erschienen die sämtlichen lyrischen Gedichte in den beiden Gesamtausgaben der Werke: Köln 1660 und München 1729. — Die verschiedenen Neudrucke Baldescher Gedichte im 19. Jahrhundert (verzeichnet bei Westermayer Seite 257) brachten vor allem die „Oden", die zweimal ganz (Benno Müller 1844, Franc. Hippler 1856, beide mit kurzen Anmerkungen) und viermal in Auswahl mit einigen Gedichten der Wälder gedruckt wurden. Ein vollständiger Neudruck der „Wälder" liegt nicht vor. Auch die seit Herders Bemühungen um den vergessenen Dichter erschienenen Übersetzungen kamen vor allem den „Oden" zugute. Nur Herder selbst übertrug neben 113 Gedichten der Oden auch 48 der Wälder (in der R e i h e n f o l g e der T e r p s i c h o r e mit Nachweisung der Originale verzeichnet bei Suphan Herders sämtliche Werke Bd. XXVII, Einleitung S. X f f ; in der R e i h e n f o l g e der B a l d e s c h e n D i c h t u n g e n nur in der ersten Ausgabe der Terpsichore 1795/96 Band III S. 267 ff.) Übertragungen sämtlicher „Oden" (bis auf wenige) von J. B. Neubig 1828—1843 und J. Aigner 1831. Neubig gibt seinen schwerfälligen Übersetzungen Anmerkungen bei (vom 2. Buch an). Sonstige Übersetzungen einzelner Gedichte verzeichnet Westermayer S. 257 f. und Bach S. 136. s ) Vgl. zum folgenden besonders: Ranke, Die römischen Päpste, 10. Aufl. Berlin 1900. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts, 2. Aufl. Leipzig 1896. Riezler, Geschichte Bayerns, Gotha 1878—1903.



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Ihre überraschenden Erfolge verdankte die Gesellschaft nicht an letzter Stelle ihrem pädagogischen Geschick. Obwohl nämlich ihre Aufgabe: die Stärkung des Katholizismus den Kampf gegen Andersgläubige naturgemäß in sich schloß, traten die Ordensbrüder zunächst nicht als Kämpfer im Glaubensstreit auf, sondern als friedliche Wettbewerber auf dem Gebiete der Wissenschaften und des Jugendunterrichts. Ihre Stärke auf diesem Felde gewann ihnen eine feste Stellung nach der andern, und Städte wie Ingolstadt und Prag, in denen der Protestantismus schon festen Fuß gefaßt zu haben schien, waren bald Bollwerke der Gesellschaft und des Katholizismus. Im Jahre 1549 kamen, von Herzog Wilhelm IV". (1508 bis 1550) herbeigerufen, die ersten Jesuiten nach Bayern, unter ihnen der Niederländer Petrus Canisius, der eigentliche Begründer des jesuitischen Unterrichtswesens auf deutschem Boden, der Verfasser des berühmten katholischen Katechismus „Summa doctrinae christianae" (1554). Zu Wien wurde 1551 das erste deutsche Jesuitenkolleg gegründet, dessen Leitung im folgenden Jahre Canisius übernahm und dem er bald zu bedeutendem Ansehn verhalf. Im Jahre 1556 trat in Ingolstadt das erste bayrische Jesuitenkolleg ins Leben, im gleichen Jahre das Kolleg zu Cöln. Am 21. November 1559 begannen die Jesuiten in München ihre pädagogische Wirksamkeit auf Wunsch des Herzogs Albrecht Y. (1550—1569), der im Gegensatz zu seinem Yater anfangs mit Milde gegen die Protestanten vorging, auf dem Konzil von Trient weitgehende Zugeständnisse an die Beformierten in Yorschlag brachte, andererseits auf energische Säuberung im eigenen Lager drang.1) 1562 wurde das Jesuitenkolleg zu Innsbruck gegründet, es folgten die Kollegien zu Trier, Würzburg, Olmütz, Mainz, Molsheim, und in wenigen Jahren zählten alle diese Anstalten ihre Zöglinge nach Hunderten.8) 1558 wurde den Jesuiten die artistische Fakultät der Universität Ingolstadt, 1563 die Universität Dillingen übergeben. ') Reinhardstöttner, Jahrbuch (1890) 82. 53. 2 ) Paulsen a. a. 0 . I. 389 f.

für Münchener

Geschichte IV.

1*



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Überall, vorzüglich in den Universitätsstädten, setzten die ansässigen Professoren dem Eindringen der Patres hartnäckigen Widerstand entgegen, doch meist ohne Erfolg. Die alten Poetenschulen verloren mehr und mehr Zöglinge und gingen bald ein. Schon 1561 beklagt sich der Leiter der Münchener Poetenschule Gabriel Castner, der eifrige und erfolgreiche Förderer humanistischen Schauspielwesens und selbst Dramendichter, beim Rat der Stadt über die „jesuiter, das durch sy ime großer abpruch geschehe der discipl halber."1) 1597 wurde diese Schule, an der so bedeutende Schulmänner und Humanisten wie Christopherus Bruno, Hieronymus Ziegler, Martinus Balticus und später Tobias Eisenmann und Zacharias Castner gewirkt hatten,2) aufgehoben. Im ganzen Land waren die weltlichen Poetenschulen verschwunden.3) Die gründliche Gelehrsamkeit, die gleichmäßige Energie und geschickte Organisation ihres Unterrichts, die strenge Zucht sicherten den Jüngern Loyolas den Sieg. Ihr Unterrichtsbetrieb war sowohl dem Inhalt wie der Form nach nicht wesentlich verschieden von dem der protestantischen Gelehrtenschulen. Das Ziel des Unterrichts läßt sich in dieselbe Formel fassen, die Johannes Sturm in seiner Inaugurationsschrift der neuen Studienanstalt in Straßburg: „De litterarum ludis recte aperiendis" 1538 als Eichtungspunkt des ganzen Unterrichts entwickelte, die „sapiens atque eloquens pietas": Sachkenntnis und Gewandtheit im Ausdruck, hier natürlich im Dienste des katholischen Glaubens. Dreifach ist der Schritt zu diesem Ziel: praeeepta, exempla, imitatio. Die große abschließende Studienordnung „Ratio atque institutio studiorum Societatis Jesu", von dem vierten Jesuitengeneral Claudius Aquaviva im Jahre 1599 erlassen, enthält bis ins kleinste gehende Bestimmungen über die Gestaltung des Unterrichtsbetriebes von der „grammatica infima" bis zur Theologie. Dem grammatisch-humanistischen Studium ist der ganze, in fünf Stufen sich gliedernde und meist in sechs bis sieben Jahren zu durchlaufende ') Trautmann: Jahrb. f. Münch. Gesch. I. (1887) 267. •) Reinhardstöttner : Jb. f. M. G. IV. 64 ff. 3 ) Riezler a. a. 0. VI. 288.



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Gymnasialkurs gewidmet. Den drei unteren Stufen der Grammatik folgen die Humanitas oder Poesis und Rhetorica. Lektüre, Phrasensammlungen, Diktate, Übersetzungen, Retroversionen, Nachbildungen klassischer Werke in Prosa und Yersen dienen der Erlernung und sicheren Beherrschung der lateinischen Sprache, neben der die griechische eine untergeordnete Stelle einnimmt. Mit der energischen, durch die Organisation des Ordens garantierten Durchführung dieses Studienplanes arbeiteten die Jesuiten einem Grundübel der damaligen Schulen entgegen, dem Mangel an Stetigkeit des Unterrichts und an sittlicher Erziehung der Jugend. Immer allgemeiner werden in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts die Klagen über die Yernachlässigung der Studien und die Verwilderung der Jugend: Wittenberg, Erfurt, Leipzig, Wien, Basel, Heidelberg und andere einst blühende Stätten der Wissenschaft sehen Gleichgültigkeit gegen die Studien und jugendliche Roheit immer üppiger emporwuchern. Eobanus Hessus prophezeit 1523 als Gefolge der neuen Theologie den Hereinbruch einer Barbarei ärger als die frühere,1) Erasmus, der noch 1516 von der Ankunft eines goldenen Zeitalters der schönen Wissenschaften geträumt hatte, jammert 1528 über eine Zeit, die über jede Vorstellung verderbt sei.2) Melanchthon klagt seit 1522 immer wieder über den Verfall der Studien: die Pseudotheologen hätten mit ihrem barbarischen Gezänk die Musen vertrieben, Wissenschaft und Poesie werde von der Jagend verachtet, das Geschlecht, das heranwachse, werde ungebildeter sein als das des Scotus.3) Und ähnliche Klagen erheben Camerarius, Micyllus, Joh. Sturm, Luthers Freund Spalatin, der Straßburger Professor Gerbel, Georg Wizel und viele andere. Es bedarf nicht der einseitigen Häufung ungünstiger Zeugnisse über den schlimmen Stand der Studien in den ersten Jahrzehnten der Reformation, die Janssen im 7. Bande seiner Geschichte des deutschen Volkes gegeben hat, um die vielfachen Schäden erkennen zu lassen. *) Paulsen a. a. 0.1. 190. *) ebd. 195. ») ebd. 187.



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Daß an diesen Zuständen die leidenschaftliche religiöse Erregung, derbe "Worte Luthers über die klassischen Studien, das Teufelswerk der heidnischen Philosophen, die Sündhaftigkeit der spekulativen Wissenschaften überhaupt und das Eifern der reformierten Prediger gegen die Sophisten und ihren Meister Aristoteles, gegen die Studien und die gelehrten Grade einen großen Teil der Schuld tragen, darüber herrscht bei den Gelehrten der Zeit e i n e Stimme. Mit dem geistigen Verfall ging der sittliche Hand in Hand. Die Jugend sei so unerzogen und wild, daß sie schier nicht mehr zu zähmen sei, klagt der Prediger Heinrich Doltz zu Jena 1577. x ) Johann Bussleb zu Eglen schreibt im Jahre 1568: „In dieser letzten vergifteten und pestilenzialischen Zeit klagt jedermann über das rohe, gottlose, wüste, unverschämte und alte adamische Leben der lieben Jugend, und wird auch täglich befunden bei denen, so mit der blühenden Jugend umgehen."2) Es war nur natürlich, daß die Eltern, die solchen Zuständen hilflos gegenüberstanden, sich den Männern zuwandten, die eine strenge Zucht in ihren Schulen handhabten, die ihre Schüler zu Gehorsam, Bescheidenheit, Mäßigkeit zu erziehen und ihnen Eifer für die Wissenschaften einzupflanzen wußten, und in denen sich endlich der energische Wille zu der so lange vergeblich beschlossenen und herbeigesehnten Reform der Kirche an Haupt und Gliedern kundgab. Daß die durchschnittliche Höhe des von den Jesuiten vermittelten Wissens über dem alten ungeregelten Unterrichtsbetriebe stand, ist keine Frage. Daß ihre Lehrmethode aber einer freien geistigen Entwicklung, selbständigem Forschen und — worauf es uns vor allem ankommt — originellem dichterischen Schaffen durchaus ungünstig war, ist ebenso gewiß. Das Studium des Altertums war den Jesuiten nur Mittel zum Zweck.3) Es sollte keiner ästhetischen Erziehung • ^Janssen, Geschichte des deutschen Volkes. 13. u. 14. Aufl. Bd. VII. Freiburg 1904. S. 37. s )Zeitschrift des Harzvereins1.352 (hiernach Janssen a.a.O.VII. 38). 8 ) Über diese Methode des jesuitischen Unterrichts vgl. auch Norden, Antike Kunstprosa. 1898, II, 778.



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dienen, kein theoretisches Interesse an der Dichtkunst und an schönen Formen wecken. Das Studium der antiken Dichter hatte einzig die Aufgabe, die Kenntnis der Sprache zu vermitteln, die das Medium jedes gelehrten und insbesondere des religiösen Studiums und Verkehrs darstellte. Außerdem lieferten sie das Anschauungsmaterial für die Moralphilosophie. Diesen beiden Tendenzen diente auch hauptsächlich die durch den Orden selbst geförderte Poesie der Jesuiten, vorzüglich das Drama. — Die Kunst stand durchaus im Dienste der Religion. So war es nicht nur bei den Jesuiten, und es wäre kurzsichtig, ihnen hieraus einen Vorwurf zu machen. Die Reformatoren, Luther voran, denken in diesem Punkt nicht anders. Eine ganz weltliche, an Leben und Lebensbeziehungen sich genügende Kunst hat keinen Wert vor. dem auf eine andere "Welt und ein besseres Leben gerichteten Auge. Das beste, was ihm das Leben gibt, ist eine Vordeutung auf ein Jenseits, eine Ahnung, ein Gleichnis. Allegorie und Symbol sind die Ausdrucksmittel jeder religiösen Dichtung. So ist auch die Dichtung, die der Gesellschaft Jesu entsprang, Tendenzpoesie. Nicht viel besser steht es mit dem Verdienst der jesuitischen Erziehuug um Vermittelung der sachlichen und sprachlichen Kenntnis des Altertums. Für eine fertige Beherrschung des erlernten Stoffes haben die Väter der Gesellschaft Jesu fraglos viel getan. Disputationen, Deklamationen, nicht zuletzt die Schauspiele dienten diesem Zweck. Freilich war das Niveau der Gelehrsamkeit relativ niedrig. Das konnte in Anbetracht des Unterrichtssystems nicht anders sein. Der humanistische Unterricht wurde durchweg von jungen Männern erteilt, die selbst erst gerade diesen Kursus absolviert hatten und den Studiengang, den sie soeben als Lernende durchgemacht hatten, sogleich als Lehrende repetierten.1) Der Lehrer stieg mit dem Coetus auf. So blieb ihm nicht viel anderes übrig, als seine Kolleghefte den Schülern wieder vorzutragen. Die Ausbildung des ») Paulsen a. a. 0. I. 384.



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Lehrers wurde damit wohl gefördert, wie es die Studienordnung beabsichtigte, die der Schüler mußte unter diesem System empfindlich leiden. So hören wir auch schon bald Klagen über diesen Mißstand, der im philosophischen Unterricht natürlich noch viel empfindlicher sich bemerkbar machte. Die Scholastiker betrachteten ihre Lehrtätigkeit nicht als Beruf, sondern nur als eine Vorbereitungszeit; die Lehrer wechselten beständig. So wurde die Methode des Unterrichts zur Schablone. Nicht nur der Inhalt der Wissenschaften war fest umschrieben, auch in der Form des Vortrags bildete sich allmählich eine gewisse Gleichförmigkeit heraus. Diese Gleichförmigkeit beobachten wir auch in den Dichtungen der Jesuiten. Unablässig werden dieselben Vorbilder bearbeitet. Bestimmte antike Vergleiche und Bilder kehren immer wieder. Einige Themata ziehen sich durch die ganze dramatische Dichtung der Jesuiten hindurch. Der grundsätzlichen Auffassung des Jesuitenordens von Bedeutung und Zweck der literarischen Bildung und der Poesie konnte Balde sich nicht entziehen. In welchem Verhältnis er vor seinem Eintritt in den Orden zum Humanismus gestanden hat, darüber fehlt es uns an Zeugnissen. Wir können nur vermuten, daß die allgemeinen kulturellen und literarischen Verhältnisse seiner Heimat seine geistige Entwicklung beeinflußt haben, wenn er auch schon als Knabe jesuitischen Unterricht genoß. Baldes Talent ist auf dem fruchtbaren Boden des elsässischen Humanismus erwachsen. Die reiche Entfaltung der neuen Wissenschaft in der südwestdeutschen Ecke ist bekannt. Es genügt ein Hinweis auf Männer wie Wimpfeling, J. Micyllus, Joh. Witz (Sapidus), Dasypodius, Mich. Hospein, Casp. Brülow, Johannes Sturm.1) In die Jugend Baldes fällt die Blütezeit des Straßburger lateinischen Theaters.2) Von den *) Vgl. Charles Schmidt, Histoire littéraire de l'Alsace. Paris 1879. Scherer, Geschichte des Elsasses. 3. Aufl. Berlin 1886, S. 165 ff. ») Goedeke, Grundriß z. Gesch. d. d. Dichtung, 2. Aufl. II. 389 ff. H. Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Literatur



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beiden einander entgegengesetzten Strömungen, die am Ende des 16. Jahrhunderts die deutsche Literatur bewegten, und die beide im Elsaß zu hervorragender Entwicklung gelangten, der antik-klassischen und der deutsch-volkstümlichen, jene durch Johannes Sturm, diese durch Fischart vertreten, hat die erste Balde ganz in ihren Bereich gezogen. Die volkstümliche deutsche Dichtung hat kaum Spuren in seiner Lyrik zurückgelassen. Balde ist der typische Vertreter jener Richtung, die Humanismus und starkgläubiges katholisches Christentum zu vereinigen suchte, die nicht danach strebte, den eigentlichen Geist des klassischen Altertums zu erfassen und zu neuem Leben zu erwecken, sondern die Formen der Antike ihren ganz anders gerichteten Zwecken dienstbar zu machen suchte; die alle Kunstwerke der Antike in kleine Stücke zerschlug und aus diesen Stücken ein neues christliches Kunstwerk aufzubauen sich abmühte. Das Verhältnis von Humanismus und Reformation in Deutschland ist oft untersucht worden. Stiefmütterlich hat die wissenschaftliche Forschung auf literarischem Gebiet das katholische Deutschland behandelt. Der Riß, den die Glaubensspaltung in das religiöse Leben Deutschlands getan hat, geht durch die ganze Kultur- und Geistesgeschichte hindurch. Der reformierte Norden hat die Führung in der geistigen Entwicklung an sich gerissen, der katholische Süden ward abseits gedrängt. Er suchte Anlehnung an die katholischen Länder Südeuropas. Die engen Beziehungen zu Österreich vermitteln den Einfluß Spaniens, am stärksten wirkt im 17. Jahrhundert Italien. Ein besonderer Zweig italienischer Literatur entwickelt sich in Bayern,1) findet sein Publikum im deutschen Land. Italienische Schriften werden massenhaft in München bei Johann Jäcklin, Lucas Straub, Joh. Jac. Vötter gedruckt. Dieser italienische Einfluß beginnt schon im 16. Jahrhundert und erreicht seinen Höhepunkt unter Ferdinand Maria (1651—1697) und seiner Gattin Adeldes 16. Jhs. (1886), S. 59. A. Jundt, Die dramatischen Aufführungen im Gymnasium zu Straßburg, 1881. P. Stachel, Seneca u. d. deutsche Renaissancedrama (Palaestra XLVI) Berlin 1907. S. 52 ff. *) Reinhardstöttner, Über die Beziehungen der italienischen Literatur zum bayrischen Hof. Jahrb. f. Münch. Gesch. I. 93—172.



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heid von Savoyen (gest. 1676). Es wäre an der Zeit, diesen Einfluß auf die bayrische Literatur im einzelnen zu untersuchen, das literarische Leben Bayerns seit dem Humanismus, die lateinische Dichtung, die Beziehungen zwischen Humanismus und Gegenreformation, die Einwirkung dieser großen Bewegung auf Dichtung und Schriftwesen zu erforschen. Einzeluntersuchungen müssen den Boden bereiten. Als Grundlagen können, da Goedeke hier versagt, die Zusammenstellungen von ßeinhardstöttner und Trautmann im „Jahrbuch für Münchener Geschichte"1) und in den „Forschungen zur Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns"8) und immer noch Wellers Annalen der poetischen Nationalliteratur der Deutschen im 16. und 17. Jahrhundert dienen. Die lateinische Literatur ist sehr wenig bekannt. Auch bezüglich der neulateinischen Literatur Norddeutschlands ist die literarhistorische Forschung bisher nur dem Drama und der poetischen Theorie zugute gekommen. Die Leistungen der Jesuiten auf diesen Gebieten sind aber noch wenig erforscht. Für das Jesuitendrama kommen neben den bibliographischen Zusammenstellungen von Weller 3 ) (für Süddeutschland) und Bahlmann4) (für Norddeutschland) als ») I. (1887) S. 193—312: Reinhardstöttner, Italienische Schauspieler am bayrischen Hofe. II. (1888) S. 13—86: Reinhardstöttner, Äg. Albertinus, der Vater des deutschen Schelmenromans. II. S. 185—334: Trautmann, Französische Schauspieler am bayrischen Hofe. II. S. 494 —499: Reinhardstöttner, Die erste deutsche Übersetzung von B. Castigliones Cortegiano. III. (1889) S. 53—176: Reinhardstöttner, Zur Geschichte des Jesuitendramas in München. III. S. 259—430: Trautmann, Deutsche Schauspieler am bayrischen Hofe. IV. (1890) S. 45—174: Reinhardstöttner, Zur Geschichte d. Humanismus u. der Gelehrsamkeit in München unter Albrecht V. s ) II. (1894) S. 46—139: Reinhardstöttner, Volksschriftsteller der Gegenreformation in Altbayern. III. (1895) S. 12—32: Friedr. Schmidt, Ein Festspiel der Jesuitenschule im 16. Jahrhundert. (Hester comoedia sacra 1577.) III. (1896) S. 33—47: Ivo Striedinger, Sandrart in Altbayern. III. S. 240—41: Reinhardstöttner, Zur Geschichte des Humanismus in Bayern. 3 ) Weller, Die Leistungen der Jesuiten auf dem Gebiete der dramatischen Kunst. Naumanns Serapeum Bd. 25 u. 26 (1864/65). *) Bahlmann, Jesuitendramen der niederrheinischen Ordensprovinz. Beihefte zum Centralblatt für Bibliothekswesen. XV. 1896.



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zusammenfassende Darstellungen nur ein kurzer Aufsatz von Bahlmann,1) sowie die Arbeiten von J. Zeidler2) und Dürrwächter 3 ) in Betracht.4) Über die "Würdigung einzelner Dichter und Inhaltsangabe ihrer "Werke erheben sich nicht die wenigen Monographien über Jacob Bidermann,5) Nie. Avancinus,6) Jac. Masenius.7) Über die Abhängigkeit des Jesuitendramas von der römischen Tragödie ergibt sich manches aus der trefflichen Arbeit von Stachel.8) Den Einfluß des Jesuitendramas auf die deutsche Dichtung und zwar auf Andreas Gryphius behandelt Harring.9) Der poetischen Theorie der Jesuiten widmet nur wenig Aufmerksamkeit Borinski in seiner Poetik der Kenaissance. Die neulateinische Lyrik Deutschlands ist von der Forschung auf dem ganzen Gebiet vernachlässigt worden. Scherers Mahnung, es sei zu wünschen, daß man von dieser Dichtung nähere Kenntnis nehme,10) ist ziemlich unbeachtet geblieben. Eine Preisaufgabe der Gesellschaft der "Wissenschaften zu Göttingen (1901) über den Einfluß der neulateinischen Lyrik auf die deutsche wurde nicht gelöst. Die „Beiträge zur Geschichte der neulateinischen Poesie Deutsch') Bahlmann, Das Drama der Jesuiten. Eine theatergeschichtliche Skizze. Euphorion. II. 271—294. (1895). *) J. Zeidler, Studien und Beiträge zur Geschichte der Jesuitenkomödie und des Klosterdramas. 1891. Ders., Die Schauspieltätigkeit der Schüler und Studenten Wiens. 1888. 3) Hist. pol. Bl. 133. S. 377 ff. 456 ff. 4 ) Vgl. L. Pfandl, Einführung in die Literatur des Jesuitendramas in Deutschland. Germ.-rom. Monatsschrift II. (1910), 445-456; ferner Janssen, Gesch. d. deutsch. Volkes. VII. 13/14. Aufl. Freiburg 1904. S. 137 f. 5 ) M. Sadil, J. Bidermann, ein Dramatiker des 17. Jahrhdts. Jahresbericht d. k. k. Ob.-Gymn. zu den Schotten in Wien. 1898/1900. 6 ) Nie. Scheid, P. Nie. Avancinus S. J. ein österreichischer Dichter des 17. Jhs. VIII. Jb. d. Gymn. zu Feldkirch. 1899. ') N. Scheid, Der Jesuit Jakob Masen, ein Schulmann u. Schriftsteller des 17. Jhs. 1. Vereinsschrift der Görres-Gesellschaft. 1898. 8 ) P. Stachel, Seneca und das deutsche Renaissancedrama. Paläestra 46. 1907. 8 ) W. Harring, Andreas Gryphius und das Drama der Jesuiten. Hermaea V. 1907. ,0 ) Scherer, Gesch. d. dtsch. Lit. 9. Aufl. S. 752.



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lands und Hollands" von Adalbert Schroeter, dem 1904 der halbe Preis jenes Ausschreiben zuerkannt wurde, geben mit ihren vorzüglichen Charakteristiken doch nur abgerissene Fäden einer geplanten Geschichte dieser Literatur. Die Vorrede Ellingers zu seiner Sammlung „Deutsche Lyriker des 16. Jahrhunderts", 1 ) die einen Überblick über die wichtigsten Gattungen der neulateinischen Dichtung auf wenigen Seiten darbietet, kann uns seine seit langem versprochene Geschichte dieser Literatur nicht ersetzen. Es ist die immer wiederholte Klage der Jahresberichte für neuere Literaturgeschichte 2 ) (Herrmann, Szamatölski, Ellinger), daß die Arbeiten über neulateinische Lyriker sich nur mit den äußeren Tatsachen, Biographie, Bibliographie, literarischen Beziehungen befassen, ohne eine Charakterisierung und Würdigung ihrer Dichtungen zu versuchen. Die dürftigen Artikel der Allg. Deutschen Biographie über neulateinische Dichter sind — die für die Lyrik kaum in Betracht kommenden Aufsätze von Bolte, Dan. Jacoby und Roethe ausgenommen — meist Überarbeitungen der Artikel bei Jöcher. 8 ) Für die neulateinische Dichtung Süddeutschlands ist fast noch alles zu tun. Als Nachschlagewerk leistet immer noch gute Dienste De Backer, 4 ) weniger Hurter. 5 ) Die Arbeiten von Budik 6 ) und Chr. Schlüter') bieten gleichfalls fast nur biographische und bibliographische — nicht immer zuverlässige — Angaben. Die literarischen Zustände in Bayern versucht Riezler im 6. Bande seiner Geschichte Bayerns in großen Zügen zu *) Lat. Lit. Denkm. d. XV. u. XVI. Jh., hersg. v. Herrmann u. Szamatölski. Heft 7, 1893. ») Jahresber. 1895 II. 7, 23 ; 1897 II. 7, 32. 3 ) Herrmann-Szamatölski : Jb. 1890, S. 130. 4 ) De Backer, Bibliothèque des écrivains de la Compagnie de Jésus. Liège 1853 ss. 5 ) H. Hurter, Nomenciator literarius recentioris Theologiae catholicae. Editio tertia. Oeniponte 1903—1913. 5 Bde. 6 ) Budik, Leben und Wirken der vorzüglichsten lateinischen Dichter des XV.—XVHI Jahrhs. Wien 1827/8 (nur wenige deutsche). ') Chr. Schlüter, Lateinische Poeten der Gesellschaft Jesu. Cantu, Allgemeine Geschichte der neueren Zeit, bearbeitet von Brühl. Schaffhausen 1861. Bd. II, S. 351—371 (1861).



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zeichnen, vielfach an die oben zitierten Aufsätze von Reinhardstöttner und Trautmann sich anlehnend. Was in der Erforschung der neulateinischen Lyrik bisher vermißt wird, versucht die vorliegende Arbeit für einen einzelnen Dichter zu leisten. Wenn sie dabei auf biographische Forschung gänzlich verzichtet, so geschieht das nicht nur in der Überzeugung, daß nach den Lebensbeschreibungen von Westermayer und Bach eine eindringende Untersuchung der dichterichen Werke Baldes vor allem not tut, sondern auch in der Erkenntnis, daß von biographischer Forschung wenig Förderung für das Verständnis und die Würdigung dieser Werke zu erhoffen ist. Über die äußeren Lebensumstände des Dichters sind wir im klaren. Die Forschungen Westermayers haben aus den Akten alles erreichbare Material zusammengetragen und uns ein deutliches Bild von Baldes Lebensgang und von seinem Yerhältnis zur Außenwelt gegeben. Auch Baldes Werke geben vielfache Aufschlüsse über sein Leben und seine persönlichen Beziehungen, die Westermayer zu seiner Darstellung herangezogen hat. Der biographischen Methode, die mit Recht alle diese Angaben aus den Dichtungen herauspflückt und sie als Material verwendet, muß die künstlerische entgegengesetzt sein, die das Leben als das Material des dichterischen Schaffens erkennt und die Bedeutung der äußeren Tatsachen für das dichterische Schaffen zu verstehen sich bemüht, die nicht einzelne Teile aus dem Zusammenhang löst, sondern die Dichtung als Ganzes, als Einheit erfaßt, und das innere Werden und Wachsen, die geistigen Zusammenhänge darzustellen versucht. — Ob aus historischen Quellen Aufschlüsse über Baldes Dichtungen zu erwarten sind, scheint mir zweifelhaft. Eine systematische Durchforschung namentlich der verstreuten Jesuitenakten habe ich nicht versucht. Nach den erfolglosen Bemühungen Bachs schien mir die gewaltige Mühe in keinem Yerhältnis zu dem mutmaßlichen Ergebnis zu stehen. Allerdings fehlt uns vieles zum vollem Verständnis Baldescher Gedichte. Aber das ist nicht, was in historischen Zeugnissen aufgezeichnet zu werden pflegt. Es fehlt uns



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die Kennntis der Persönlichkeiten, die hinter den zahlreichen Phantasienamen und Oden Widmungen versteckt sind, und die Kenntnis der Beziehungen des Dichters zu diesen Persönlichkeiten. In vielen Fällen mögen das schlichte Ordensgenossen gewesen sein; Baldes Verhältnis zum bayrischen Kurfürsten und die uns bekannten nahen Beziehungen zu zahlreichen bedeutenden politischen Persönlichkeiten legen aber die Möglichkeit nahe, daß noch öfter, als uns das schon bekannt ist, das Pseudonym 1 ) einen einflußreichen Staatsmann deckt. Und schließlich gibt ja die Persönlickeit des Angeredeten den an ihn gerichteten Worten erst ihren rechten Gehalt, und eine Mahnung zum Maßhalten etwa — ein bei Balde öfters wiederkehrendes Thema —, die an einen geringen Freund gerichtet nichts als eine alltägliche moralisierende Betrachtung ist, erhält dadurch, daß sie an eine wichtige politische Persönlichkeit gerichtet wird, ein ganz anderes Gesicht: damit verändert sich nicht nur die Bedeutung des Gedichtes, auch der geistige Grund, aus dem es hervorwuchs, die dichterische Disposition ist eine ganz andere. Die zahlreichen in Baldes Gedichten angeredeten Persönlichkeiten zu eruieren und die Beziehungen auch zu den nicht irgendwie hervortretenden Genossen, die diesen Gedichten zugrunde liegen, nachzuweisen, ist heute nicht mehr möglich. Schon den Zeitgenossen des Dichters war, wovon unten noch ausführlicher gesprochen wird, manche Beziehung und Anspielung unverständlich. Daraus ergibt sich, daß der einzige, von dem wir eine Erklärung dieser Anspielungen erwarten könnten, der Dichter selbst ist, während zeitgenössische Zeugnisse uns nicht weiter führen können. Tatsächlich hat Balde, mehrfachem Verlangen nachgebend, *) Philippus Brevanus z. B., dem Balde die Ode lyr. III 31 gewidmet hat, ist der Hofmarschall der Kurfürstin Graf Philipp Kurtz von Senfftenau (Westermayer S. 83); Bartholus Licherius, dem Balde das 4. Buch der Wälder widmet, ist der Vizekanzler Bartholomäus Richel (West. S. 84); Quirinus Garepinsius, an den Balde das 7. Buch der Wälder gerichtet hat, ist Graf von Hohen-Preysing-Aschau, der Sohn des Hofratspräsidenten Maximilians (Reinhardstöttner, Forsch, z. Kultur- und Literaturgeschichte Baierns V. 39 Anm.).



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Erläuterungen zu seinen Gedichten geschrieben.1) Aber diese Erläuterungen sind bis auf geringe Reste verloren gegangen.2) Ich habe bei den Bibliotheken zu München (Hof- und Staatsbibliothek; Universitätsbibliothek), Neuburg, Landshut, Innsbruck (Universitätsbibliothek), Berlin (Kgl. Bibliothek), Göttingen (Universitätsbibliothek), Wolfenbüttel (herzogliche Bibliothek) und Wien (k. k. Hofbibliothek) vergebens wegen Handschriften Baldes3) angefragt. Neues Material bringt meine Arbeit also nicht. Sie sucht den Dichter und seine Kunst aus seinen "Werken zu erkennen. Sie beschränkt sich auf seine l y r i s c h e n D i c h t u n g e n . Balde hat in etwa 40 Jahren dichterischer Tätigkeit eine große Anzahl epischer, lyrischer, dramatischer, satirischer und elegischer Dichtungen 4 ) geschrieben, die in der Münchener Gesamtausgabe von 1729 acht Kleinoktav-Bände von durchschnittlich 450 Seiten füllen. In dieser reichen Produktion nehmen die lyrischen Dichtungen zwar nicht ihrem Umfang, wohl aber ihrer dichterischen Bedeutung nach den ersten Platz ein; dementsprechend stellen die Gesamtausgaben sie ') Zu den sechs ersten Büchern der silvae, nicht wie bei Bach S. 76 steht „zum 6. Buch der silvae". ») Vgl. Bach ebd. s ) Nur die Münchener Hofbibliothek besitzt Handschriften Baldes, die aber sicher nicht alle Autographe des Dichters sind: Cod. lat. 27271, Cod. germ. 1001 und 1038. Die erstere wurde schon von Bach benutzt und großenteils abgedruckt (sie enthält auch die von Bach herausgegebene „Interpretatio somnii de cursu historiae Bavaricae" vgl. unten. Beschreibung der Handschrift in der Einleitung zu Bachs Neudruck). Die Handschrift Cod. germ. 1001 enthält eine nicht von Balde gefertigte Abschrift des „Agathyrsus" fol. 178—221. Die dritte Handschrift enthält lateinische Reimsprüche zu jedem Tag des Jahres meist in der Form leoninischer Hexameter. Es sind jedoch keine Originalgedichte, sondern gesammelte Sprichwörter aus dem reichen Schatz der mittelalterlichen Sprichwörterliteratur. Ebenso steht es um eine in der Handschrift folgende Sammlung deutscher Kalendersprüche. — Sonstige Autographe Baldescher Gedichte sind nicht bekannt, leider hat sich auch noch keiner seiner Briefe auffinden lassen, obwohl Balde, wie wir wissen, mit einer ziemlichen Anzahl bedeutender Zeitgenossen in brieflichem Verkehr gestanden hat. *) Kurze Inhaltsangaben der einzelnen Werke bei Bach S. 81—112.



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auch an die Spitze; in der Münchener nehmen sie die beiden ersten Bände ein. Die knappe Form des lyrischen Gedichts fordert höchste künstlerische Konzentration und strenge Durcharbeitung, auf die Balde selbst den größten Wert legte. 1 ) Sie rechtfertigt und verlangt deshalb auch in erster Linie eindringende Untersuchung. Daß auch die andern Werke Baldes, vorab die dramatischen eine eingehendere Würdigung verdienen, als ihnen bisher zuteil geworden, soll damit nicht geleugnet werden. Daß ich mich zunächst auf die lyrischen Dichtungen beschränkt habe, wird der verstehen, der diese Dichtungen und die Schwierigkeiten kennt, die sie dem Verständnis bieten. Zudem galt es, eine Methode der Behandlung zu finden, die den eigenartigen Bedingungen der Dichtung eines echten Dichters in einer fremden toten Sprache gerecht würde, die, ohne die Abhängigkeit von antiken Vorbildern gänzlich außer Betracht zu lassen, sich doch durch diese den Blick für die Individualität auch des Nachahmers nicht trüben ließe und ihre Aufgabe nicht im Nachweis der Entlehnungen suchte, sondern im Herausheben der charakteristischen Züge des Dichters. Die vorliegende Arbeit erstrebt also in erster Linie eine Charakteristik der lyrischen Dichtungen Baldes an der Hand einer inhaltlichen und formalen Analyse. Daß diese Analyse sich gelegentlich der Interpretation nähert, war durch die Dunkelheiten der Baldeschen Diktion geboten. Der erste Teil ist nach stofflichen Grundsätzen geordnet, vermeidet jedoch nicht grundsätzlich die Betrachtung der inneren Dichtungsform. Der zweite Teil faßt die charakteristischen Besonderheiten der inneren und äußeren Form zusammen. Die Darlegung des Verhältnisses zu Horaz, dessen Vorbild auf Balde am entscheidendsten gewirkt hat, mag gleichfalls der näheren Charakteristik unseres Dichters dienen. Der Nachweis literarhistorischer Beziehungen mußte hinter der Hauptaufgabe zurückstehen. Die Zusammenhänge ') Vgl. unten Seite 143 ff.



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zwischen dem L y r i k e r Balde und der deutschsprachigen Eenaissancedichtung sind sehr locker. Ihn in die Geschichte der n e u l a t e i n i s c h e n Lyrik Deutschlands einzureihen, muß der noch zu schreibenden Geschichte dieser Lyrik vorbehalten bleiben. Es kam mir vor allem darauf an, einen festen Punkt zu schaffen, von dem weitere Arbeit ausgehen könnte. Immerhin habe ich Fäden anzuknüpfen, Zusammenhänge klar zu legen mich bemüht, besonders wo es sich um das Verhältnis von deutscher und lateinischer Dichtung handelte.

H e n r i c h , Jakob Balde.

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I.

Baldes lyrische Gedichte nach ihrem Inhalt betrachtet. 1. Moralisierende Gedichte. Durch ihren Inhalt heben sich aus den Baldeschen lyricis') vier Hauptgruppen heraus: moralisierende Gedichte, Gelegenheitsgedichte, Zeitgedichte und religiöse Gedichte. Den größten Raum nehmen die moralisierenden Gedichte ein, den größten poetischen Wert haben die Gedichte an Maria, das größte allgemeine Interesse und den edelsten persönlichen Gehalt bieten die patriotischen Gedichte. Balde war seit seinem 20. Lebensjahre Geistlicher und Jesuit: die dem Geistlichen vorgeschriebenen sittlichen Betrachtungen finden in den Produktionen des geistlichen Dichters vielfachen Ausdruck. Seit 1638 war Balde Münchener Hofprediger; die Sittenpredigt gewinnt durch das poetische lehrhafte Sendschreiben einen über den mündlichen Vortrag hinausgreifenden oder ihm zu dauernder Wirkung verhelfenden Hörerkreis. Es ist verständlich, daß Balde diese moralisierenden Gedichte für seine wertvollsten hielt und daß er ihnen bei der Einteilung seiner Gedichte eine bevorzugte Stellung einräumte. Die beiden Sammlungen lyrischer Gedichte, die Oden und die Wälder (die sieben ersten Bücher) sind gleichzeitig erschienen. Der Sinn dieser Einteilung ist ') Die Oden und Epoden werden zitiert nach der Ausgabe von B.Müller, München 1844 (und 1884: Titelauflage), die „Wälder" nach der Münchener Gesamtausgabe von 1729, deren Odenzählung nicht immer mit den früheren Ausgaben übereinstimmt. Auch sonstige Zitate aus den Opera omnia beziehen sich auf diese Ausgabe.



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der, daß die Oden die ihrem Gehalt und ihrer Form nach bedeutendsten und strengsten Gedichte, gewissermaßen die Gedichte erster Ordnung enthalten, während die "Wälder die bequemeren, gelegentlichen Erzeugnisse einer freieren Stoffwahl und ungezwungenerer Formgebung, die Gedichte zweiter Ordnung umfassen. Der vornehmste Odendichter Roms gibt dem seinem Muster folgenden Humanisten hohe Gesetze. Die Bedeutung der Bezeichnung „silvae" fordert zur freien Mischung unterschiedlicher Gedichte auf nach dem Gleichnis eines Waldes, „in dem vieler art und Sorten Bäume zue finden sindt".1) Mit Quintilian2) verstand man unter dem Buchtitel „silvae" rasch hingeworfene Arbeiten, Gelegenheitsgedichte und Improvisationen. Die silvae des Papinius Statius, auf die sich auch Opitz a. a. 0 . beruft, waren, seitdem Poggio sie der Vergessenheit entrissen hatte, das allgemeine Vorbild. Baldes Oden enthalten die Hauptmasse seiner moralisierenden Gedichte; dazu fast alle Mariengedichte. Die Wälder wie auch die Epoden bieten von beiden Gattungen nur wenige Exemplare. Den vier Büchern Oden geben diese moralisierenden Gedichte das charakteristische Gepräge. Von den 190 Oden haben 65, also mehr als ein Drittel moralisierenden Inhalt. Diese Gedichte geben Betrachtungen und Belehrungen über Genügsamkeit (lyr. I. 1; 6 ; II. 1 0 ; III. 3 7 ; IV. 3 3 ; süv. VII, 10), Selbsterkenntnis (lyr. 1 . 9 ; IV. 42), Selbstbeherrschung (lyr. I. 1 7 ; II. 6; 3 4 ; süv. VI 3a.), Schuldlosigkeit (lyr. I. 26), den Wert der Tugend (lyr. I. 2 8 ; H. 4 7 ; IV. 26), die Vergänglichkeit alles Irdischen (lyr. III. 2 5 ; II. 2 ; silv. VII 5), Gleichmut in Glück und Unglück (lyr. I. 1 3 ; III. 4 4 ; IV. 3), Beherrschung der Leidenschaften (lyr. II. 21; 43), Maßhalten (lyr. II. 4 0 ; silv. III. 6), Verachtung des Geredes der Menge (lyr. III. 3 ; IV. 31). Das sind alles Themata des Horaz, die aber von Balde stoisch-düsterer gefärbt und mit größerem Pathos vorgetragen werden. Alle diese Tugenden gehören eher dem Altertum und seiner Philosophie der *) Opitz, Buch von der deutschen Poeterey. von Braune S. 25. ! ) Institutio oratoria 10, 3, 17.

Neudruck, hrsg.

2*



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Lebensklugheit an, als dem Christentum und seinem Evangelium der Liebe. Die christlichen Tugenden der Nächstenliebe, Feindesliebe, Demut, Frömmigkeit werden fast gar nicht erwähnt. Spezifisch christliche Moral findet sich nur in den Gedichten: lyr. III. 24 über die Behutsamkeit der Augen; lyr. III. 36 Mahnung zur Versöhnlichkeit; silv. YI. 3a. Mahnung zur Demut; lyr. IV. 19 über die Pein eines bösen Gewissens. Diese heidnische Orientierung der Morallehre beruht auf dem Einfluß der Stoa und ihrer Ablehnung der religiösen Tugenden der Demut, der Eeue, des Mitleids.1) Die stoische Moral, die Balde in seinen Oden vertritt, war mit der Renaissance zur literarischen Herrschaft gelangt. Fast alle Humanisten haben sich in ihren Schriften zur stoischen Lehre bekannt,2) die für die Ehetorik einen so günstigen Boden bildete. Schon bei Petrarca finden wir die Hinneigung zu dieser Philosophie der römischen Kaiserzeit und zu ihrem Hauptvertreter Seneca. Mit Petrarca begann eine immer mehr anwachsende Literatur moralphilosophischer Traktate im Sinn der Stoa,3) erst in Italien, dann auch mit der sich ausbreitenden Bewegung in andern Ländern. Besondere Bedeutung erlangte diese Strömung um die Wende des 16. Jahrhunderts im niederländischen Humanismus mit Justus Lipsius, Gerardus Vossius, Scioppius und Daniel Heinsius.4) Andererseits griff auch die Jesuitendramatik diese Philosophie auf und gab ihr in den Deklamationen der Märtyrer in den Märtyrerdramen eine zwar durchaus unantike, aber deshalb nicht weniger eindrucksvolle Wendung. Der Einfluß der Stoa auf Balde, der in den angeführten Thesen seiner Oden deutlich genug zutage tritt und überdies durch mehrfache Erwähnung der Stoa bestätigt wird, äußert sich nicht nur auf moralphilosophischem Gebiet, ') Vergi. Dilthey, Archiv f. Gesch. d. Phil. VII (1894), S. 81. ") Voigt, Wiederbelebung des klass. Altertums. 3. Aufl. (1893), II, 367. 9 ) Dilthey, Auffassung und Analyse des Menschen im 15. u. 16. Jahrhundert. Archiv f. Gesch. d. Philosophie IV (1893), S. 631. 4 ) Dilthey, Sitz.-Ber. d. Beri. Akad. d. Wiss. 1904, S. 2/33.



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sondern auch in gewissen Ideen. Die stoische Auflassung der Welt als eines Kraftsystems scheint die Darstellung der Sternen weit in lyr. I. 5 bestimmt zu haben, die stoische Auffassung der Affekte als einer Art von Wahnsinn mag auf Baldes Deutung der dichterischen Begeisterung eingewirkt haben.1) Ein im Gedankenkreise der Stoa sich bewegendes Thema sei hier noch kurz erwähnt, das Thema vom Hofleben, die Warnung vor den Gefahren des Hoflebens. Unter dem Druck der römischen Cäsarenherrschaft war die stoische Lehre in Rom groß geworden als Trost und Stärke der Opposition. Daß die durch die Ungunst des Gewalthabers vom Hofe entfernten Stoiker Trost in der Betrachtung der Gefahren des Umgangs mit den Großen suchten, lag nahe genug. Und dies Thema wurde in der Renaissance besonders beliebt und mit besonderem Nachdruck behandelt, wo sich mit der Abneigung gegen das höfische Wesen die Entrüstung über das politische, macchiavellistisch infizierte Getriebe verband. Schon im Jahre 1515 war das Lehrgedicht des Johann von Morsheim „Spiegel des Regiments inn der Fürsten höfe" erschienen, von dem Goedeke bis zum Jahre 1617 acht Drucke nachgewiesen hat. Im 16. Jahrhundert wurde die Darstellung der hinterlistigen Ränke der Schmeichler und Puchsschwänzer an den Fürstenhöfen ein Lieblingsgegenstand der Satire, die sich auch gern der dramatischen Form bediente und ihren populärsten Ausdruck im „Hofteufel" des Johannes Chryseus (1544) fand; 2 ) gab hier die Geschichte Daniels den Anlaß zur Darstellung der höfischen Intrigen, so wurde ein anderer biblischer Stoff zum gleichen Zweck im Drama mehrfach benutzt, die Geschichte der Esther, vor allem in dem „Hamanus" des Naogeorg (1543), der sich für seine Auffassung des Hoflebens auf die Beschreibung der Miseria aulicorum durch den Hofmann Enea Silvio Piccolomini berufen durfte.3) Um die gleiche Zeit schildert der ') Vgl. Dilthey, Archiv VII, 79 u. unten S. 167 f., 146 f. ) Creizenach, Geschichte des neueren Dramas III (1903), 389. 3 ) Creizenach a. a. 0. II (1901), 119.

s



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Straßbarger Jacobus Micyllus in seiner fabula scenica Apelles Aegyptius die Intrigen im Hofgetriebe, und dasselbe Thema bearbeitet ein halbes Jahrhundert später wieder Jakob Ayrer in seinem Fastnachtspiel.1) Auch von geistlicher Seite wurde vor dem Hofleben gewarnt, und bezeichnenderweise hören wir gerade aus den Reihen des den Pürsten so gerne nahetretenden Jesuitenordens mahnende Stimmen. Im Jahre 1598 veröffentlichte der Jesuitenzögling Aegidius Albertinus seinen Traktat „Contemptus vitae aulicae", die Bearbeitung einer Schrift des spanischen Franziskaners Antonius de Guevara, des Hofpredigers Karls Y. und 1630 gab der Jesuit Adam Contzen, Hofbeichtvater zu München (von 1624—1635), seinen „Hofleutspiegel"8) heraus. "Wie das biblische Drama der Reformationszeit behandelt auch das Jesuitendrama mehrfach dieses Thema. Balde beschäftigt sich in zwei Gedichten mit dem Hofleben: lyr. III. 44 und ep. 4. Er behandelt das Thema von der moralischen Seite. Er spricht zwar auch von der Intrige, die durch alle Fürstenhöfe rast (ep. 4, 67), vor allem aber warnt er den Neuling vor den moralischen Schädigungen, die ihm drohen, und auch vor den Unannehmlichkeiten, die ihn erwarten. Er mahnt den in den Hofdienst eintretenden, auch in hoher Stellnng den schlichten Sinn zu bewahren: lyr. III. 44, 1 Quando sors montem tua scandit altum, Ne tarnen valles animus relinquat.

sich nicht vom Ehrgeiz anstecken zu lassen und die Möglichkeit plötzlichen Sturzes von der Höhe fürstlicher Gunst stets im Auge zu behalten. Auch darüber mit Seelenstärke und festem Humor sich hinwegzusetzen, rät der Dichter in der erwähnten Epode mit den für seine kräftige, gern ans Burleske streifenden Bildersprache charakteristischen Versen: ') Werke, Bibliothek d. lit. Vereins Stuttgart, Bd. 79, S. 2589. *) „Aulae speculum sive de statu, vita, virtute aulicorum atque magnatum". Coloniae 1630. Inhaltsangabe bei Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, II, 2 (1913), S. 255/6.

— ep. 4, 87

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Sed, sive scandis summa more capreae Haerentis in fastigio; Seu qualis u r s u s n i n g u i d o e x c u s s u s iugo P r a e c e p s ad ima v o l v e r i s , Te vince, Fatis cede, F o r t u n a e mala Forti c a c h i n n o decoque.

"Von diesen rein didaktischen Gedichten abgesehen dringt die sittliche Reflexion auch in andere Dichtungen ein: nicht nur in die Zeitgedichte, wie bei dem herrschenden politischen und sittlichen Elend leicht erklärlich ist, sondern auch in die Gelegenheit- und die Mariengedichte. Die moralische Reflexion durchdringt wie ein Sauerteig die ganze poetische Produktion Baldes, alles Geschehen wird auf seine moralischen Qualitäten geprüft, alles menschliche Tun wird moralisch gewertet und der sittlichen Nutzanwendung dienstbar gemacht. Ganz frei von didaktischen Betrachtungen oder Bemerkungen sind nur sehr wenige Gedichte. Überall findet der prüfende Geist Veranlassung zu Lob oder Tadel, zur Ermahnung und zur Warnung, zur Verheißung und zur Drohung. Die Zeitereignisse, das politische Elend Deutschlands erscheinen als Folge der sittlichen Entartung, die sich überall breit macht und den Bußprediger herausfordert. Die Gelegenheitsgedichte legen moralische Erörterungen gleichfalls nahe: das Lobgedicht rühmt die Tugenden des Gefeierten, das Trauergedicht empfiehlt die Tröstungen der Moral und der Weisheit. Die Mariengedichte mit ihrem transzendentalen Charakter entspringen dem weitabgewandten, auf irdische Liebe verzichtenden, in einem höheren "Wesen das Ideal der Schönheit erblickenden Sinn und sind in ihrer Grundstimmung moralisch, halten sich aber von direkten Moralisationen im allgemeinen frei. In den Gedichten, in denen Balde von seiner eigenen Person spricht, legt er seine sittlichen Grundsätze dar und bekennt, wie Genügsamkeit, Selbstüberwindung, Weltverachtung ihm über körperliche und seelische Leiden hinweghelfen. So gibt der Geistliche allen Dingen eine moralische Bedeutung. Und doch kann man Balde nicht als eine ursprünglich moralisch gerichtete Natur bezeichnen. Die moralisierende



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Betrachtungsweise ist ihm nicht angeboren, sie ist nur äußerlich angenommen, sie macht sich wohl überall geltend, aber sie ist in vielen Gedichten nur eine Zugabe, ein die objektive künstlerische Einheit wohl störendes, aber nicht ein an sich wesentliches, konstruktives Element. Die humanistische Freude an Anschauung und Bild bricht immer wieder durch, über die strenge Gleichgültigkeit des Entsagenden siegt immer wieder die in Ideen, Vorstellungen, Gestalten, Beziehungen, Erinnerungen schwelgende lebendige Phantasie des Dichters. Der Prediger von der Vergänglichkeit aller Dinge berauscht sich selbst in der Betrachtung all des Schönen, Bedeutenden und Großen, das dem Untergang verfallen ist. Und im ideellen Genuß des Reichtums und der Fülle der Welt tut sich sein weltoffener Sinn genug. Das ist durchaus die geistige Disposition des Dichters Balde. Damit ist nicht gesagt, daß in seiner Dichtung etwas Unwahres, Unehrliches ist. Balde war Geistlicher und Jesuit mit Überzeugung. Aber es ist eben der Verstand, der ihm die ethische Richtung gibt. Aus dem Pflichtgefühl des Jesuiten und des Predigers heraus weist er auf die sittlichen Werte hin; die ihm angeborene Freude an der Fülle des Daseins darf sich nur legitimiert durch die moralische Deutung aussprechen. Und selten nur, wie wir noch sehen werden, erkennt die moralische Strenge die selbständige Bedeutung des bestimmt umgrenzten Stoffes, der in sich geschlossenen Handlung an und duldet eine objektive Behandlung. Daß es aber dennoch die lebendige Anschauung ist, der das natürliche Interesse des Dichters gehört, dafür sei hier nur ein Beispiel vorweggenommen. Die Ode lyr. III. 13 ist betitelt «LudusPalamedis siveLatrunculorum, vulgo scacchus... Invitat . . . auctor ad contemptum terrenarum rerum sub Fortunae ludibriis, brevitate ac vicissitudine vanescentium». Diese moralische Deutung des Schachspiels ist aber nicht die Hauptsache. Außer dieser Überschrift weisen nur die beiden Einleitungs- und die vier Schlußstrophen sowie eine eingeschobene moralisierende Betrachtung (v. 69—76) in diese Richtung. Der Hauptteil der Ode enthält eine Beschreibung des Schachspiels, eine virtuose phantasievolle Schilderung des



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Kampfes, der in traditioneller Weise als das blutige Eingen. lebender Heerhaufen gefaßt wird, der allmählichen Entwicklung dieses Kampfes und seiner wechselvollen Phasen und Episoden. Glücklich wird die Bedeutung und Fähigkeit der verschiedenen Figuren charakterisiert, des Bauers v. 9 ff., 23 ff., der Türme v. 11 ff.; vor allem das plötzliche, unberechenbare Hervorbrechen des Springers v. 41 ff., die gefährlichen weiten Züge des Läufers v. 49 ff., das mächtige, unaufhaltsame Vordringen der Königin, die sich in jeder Richtung bewegen darf v. 57 ff. (foeminis Eheu cuncta licent!) und endlich das langsame bedächtige Yorschreiten des Königs v. 77 ff. Diese anschauliche Schilderung ist das Erzeugnis dichterischen Behagens an der Ausmalung, aber sie bleibt nicht Selbstzweck, sondern wird unter einen ethischen Gesichtspunkt gestellt, der ihr die eigentliche Berechtigung gibt. Denn n u r das ethisch Bedeutsame hat für den Dichter Balde Wert. Die Bevorzugung der moralisierenden Gedichte durch Balde selbst, die sich in der Anordnung der Gedichte kundgibt, wurde auch von jenen geteilt, die sich in neuerer Zeit dieses verschollenen Dichters annahmen. Sowohl Herder, der den Vergessenen entdeckte und ihn in trefflichen Bearbeitungen seiner Zeit wiederschenkte, wie die Übersetzer Neubig und Knapp haben die Oden vor den Wäldern bevorzugt. Alle drei waren Geistliche und sahen in dem alten Dichter vor allem den gedankenreichen und überzeugten Sittenprediger. Herder schätzte besonders den „festen Ton, in welchem der Dichter Würde, Tugend, Pflicht . . . singt",, er empfand wohltuend „in einer Zeit, wo alles zu schwanken scheint, wo man mit einer groben Probabilität fast an jedem Grundsatz der Moral künstelt oder zweifelt", die Gewißheit der Eegel, einen der Vorteile, die der Orden seinem Dichter neben so manchem Nachteil gewährte. 2 ) ') Vgl. E. Eiserhardt, Die mittelalterliche Schachterminologie des Deutschen. Diss. Freiburg (1908) u. im allg. E. Schröders Einleitung zu seiner Ausgabe des Goldenen Spiels v. Meister Ingold. Eis. Lit. Denkm. III (1882). ») Herders Sämtl. Werke, hersg. v. Suphan, Bd. XXVII (1881), S. 214.



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2. Gelegenheitsgedichte. In der deutschen wie in der lateinischen Renaissancedichtung des 17. Jahrhunderts herrscht die äußerliche Gelegenheitsdichtung. Es entsprach dem gelehrten und verstandesmäßigen Charakter der Humanistendichtung, ihrer Vorliebe für Rhetorik und ihrem durch diese bestimmten Verhältnis zum Altertum, daß die Gelegenheitspoesie: Lobund Trauergedichte, Hochzeits- und Leichencarmina, Reisegedichte u. dgl. eine besonders eifrige Pflege fanden. Die so lange vernachlässigte und verachtete Poesie war zu dem zweifelhaften Ruhm gekommen, ein Modeartikel der gelehrten Welt geworden zu sein. Und diese Mode hatte die im 17. Jahrhundert neu beginnende deutsche Poesie von ihrer lateinischen Stiefmutter übernommen. Hochtönende Redensarten von der göttlichen Würde der Dichtkunst und diensteifrige Gelegenheitsreimereien gingen aus demselben Munde. Auch bei Opitz, der so hart über diesen Mißbrauch der Poesie urteilt, spielt die Gelegenheitsdichtung eine große Rolle und ebenso bei Weckherlin, Fleming, Dach, um nur die bedeutenderen unter seinen dichtenden Zeitgenossen zu nennen. Während Opitzens Verdikt sich im Grunde nur gegen die bezahlte Gelegenheitsdichtung richtet, sieht der Richter des „Anke von Tharau" sich sein ganzes Leben gezwungen, mit der Poesie sein kärgliches Einkommen sich zu erwerben, und Sigmund von Birken scheut sich nicht zu gestehen, er sehe nicht ein, weshalb der Poet nicht eben so gut Bezahlung nehmen solle, wie der Arzt und der Sachwalter. Die Gelegenheitspoesie knüpft nicht nur an bestimmte Gelegenheiten an, sie ist auch aus bestimmten Bedürfnissen hervorgegangen: materiellen und ideellen; der Gelegenheitsdichter erstrebt für sich immer Bereicherung: Bereicherung seines Geldbeutels oder aber den Erwerb von Pürsten- und Herrengunst, der Freundschaft einflußreicher Männer, Gelehrter und Dichter, von denen er für seinen eigenen Ruhm oder sein ferneres Leben Vorteile erhofft Der Ordensmann Balde, der es mit der Vorschrift der



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Entsagung ernst nahm, kannte keine eigennützigen Motive. Die Gelegenheitsdichtung nimmt dementsprechend bei ihm nur wenig Raum ein. Daß sie nicht ganz fehlt, erklärt die herrschende Mode und der Umstand, daß der Dichter nicht sein eigener Herr war und sich zum Dolmetscher seines Ordens machen mußte. Diese Gelegenheitsdichtungen, die Balde im Auftrage anderer verfaßt hat, stehen nicht in den beiden Sammlungen seiner lyrischen Gedichte, sondern sind in der noch von ihm selbst besorgten Gesamtausgabe von 1660 im zweiten Band vereinigt unter den „Heroica". x) Sie sind nicht in lyrischen Versmaßen geschrieben, sondern im epischen, sie wollen nicht der persönliche Ausdruck des Dichters sein, sondern Ausdruck einer Gesamtheit, das epische Gewand wird das Symbol der Objektivität, die feierliche Eintönigkeit des heroischen Yerses deutet an, daß der Dichter im Namen einer Menge spricht. Diese Gelegenheitsdichtungen wecken somit nicht die peinliche Empfindung gesinnungslosen Eigennutzes, der sich mit der Würde der Dichtkunst prahlerisch zu umkleiden sucht. Das zwar nicht moralische, aber doch ästhetische Unbehagen, das uns derartige Zweckdichtungen einflößen, hat Balde selbst empfunden. Er vermerkt im Titel oder in der Yorrede, daß er nicht aus freien Stücken „non injussus", wie es in der Yorrede zum Panegyricus equestris heißt,2) oder im Auftrag anderer gedichtet hat (vgl. das geniale ac praesagum Carmen auf den Neffen Tillis von 1630 accinit collegium Ingolstadiense S. J. 0. o. III. 197; ähnlich 0. o. III. 203; 208; 234). Die wenigen Gelegenheitsgedichte, die Balde in seine Oden und "Wälder aufgenommen hat, sind fast ausnahmslos persönlichen Beziehungen oder idealen Interessen entsprungen. Er knüpft nicht an alltägliche nichtige Ereignisse oder heitere Dinge an, nicht an Hochzeiten, Geburtstage, Kindtaufen; es ist mir auch kein Vorsatzgedicht für anderer Dichter Sammlungen von ihm bekannt, er liefert keine Aufschriften, keine witzigen Epigramme: nur bedeutsame, ') In der Münchener Gesamtausgabe von 1729 im III. Band. *) Op. omnia III. 154.



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vorzüglich ernste Ereignisse setzen seinen poetischen Geist in Bewegung. W i r haben von Balde vier Trauergedichte auf den Tod ihm persönlich befreundeter Männer, zunächst das E p i c e d i o n auf Jeremias Drexelius,1) Baldes Vorgänger im Münchener Hofpredigeramt: lyr I. 16. Der Dichter schildert kurz das Leben und die Tätigkeit des Verstorbenen von seiner Geburt an: seinen frühzeitigen Eifer im Studium, in der Frömmigkeit, seine Liebe zur Poesie, aus der seine Schriften ihre Süßigkeit geschöpft haben. E r spricht von der großen Verbreitung seiner Werke und schildert die starke Wirkung seiner Predigten, mit denen er die Menge aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln, ihren menschlichen Sorgen zu entreißen und auf ihr himmlisches Ziel hinzuweisen wußte. E s ist bezeichnend, daß sich in diesem Rückblick fast gar keine positiven Angaben über das Leben des Verstorbenen finden. Nur seine Geburtsstadt Augsburg ') Drexel 1581 zu Augsburg als Sohn lutherischer Eltern geboren, trat 1598 in den Jesuitenorden ein, war von 1615 bis zu seinem Tode am 19. April 1638 Hofprediger in München. Einer der bedeutendsten Kanzelredner und der angesehensten asketischen Schriftsteller seiner Zeit. Die bis 1633 gehaltenen Predigten sind zu finden in den zahlreichen Opuscula Drexels. Die Predigten der letzten Jahre sind nicht erhalten. Seine deutschen Predigten sind bemerkenswert durch die drastische Eindringlichkeit der Sprache und durch die Vorliebe für Wortspiele, die an Abraham a St. Clara erinnert (einige Proben bei Duhr a. a. 0. II. 2 S. 448). Seine lateinischen moralisierenden Schriften sind überladen mit Zitaten, gelehrten Notizen und Sentenzen, mit Symbolen und allegorischen Deutungen. Sie wurden zu ihrer Zeit viel gelesen, auch von Protestanten, und in fremde Sprachen übersetzt. Von ihrer außerordentlichen Verbreitung zeugen die Angaben, die der Münchener Buchdrucker Cornelius Leysser in dem Vorwort za der von ihm besorgten Ausgabe eines nachgelassenen Werkes Drexels des „Noe Architectus arcae in diluvio" macht. Danach hat Leysser selbst von Drexels Schriften bis zum Jahre 1642 107 000 Exemplare verkauft, die drei Münchener Verleger zusammen 170 700 und das in der Zeit des 30jährigen Krieges. — Seine Schriften verzeichnet De Backer, Bibliothèque des écrivains de la compagnie de Jésus 1853 I. 209-276. Vgl. Werner Allg. D. Biogr. V. 386. S. Riezler, Gesch. Bayerns VI. (1903), S. 375 f. Duhr, Gesch. d. Jes. II. 2 (1913) S. 444—449.



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wird genannt und eins seiner Werke, der „Zodiacus christianus" (1622), eine Prosaschrift in 12 Kapiteln, die von den Tugenden handelt, die in den Himmel führen. 1 ) Es folgt eine kurze Schilderung seines Charakters, seiner Sanftmut, seines nachdenklichen Wesens, seines ehrfurchtgebietenden Äußeren, und der Dichter schließt mit der Klage um seinen Tod. Doch sogleich verweist er der Muse von Tod zu sprechen: Quo Musa, stulte flebilis ? er schläft nur, sie möge ihn nicht mit törichten Klagen aufwecken: lyr. I. 16, 65 Monenda iam nunc, ut tacito pede Juxta sepulcrum molliter ambules. Senis fatigati quietum Parce sono violare somnum.

Ende Oktober 1637 war Balde nach München gekommen, am 19. April 1638 ist Drexelius gestorben. Balde ist in diesem halben Jahr dem gleichfalls dem Jesuitenorden angehörigen Hofprediger, den er auch schon bei seinem ersten Münchener Aufenthalt kennen gelernt haben wird, vermutlich näher getreten. Das Epicedion läßt das allerdings nur durch seine Existenz vermuten, nicht durch eine besondere Wärme der Sprache oder die Erwähnung persönlicher Beziehungen. Beides finden wir in dem zweiten Epicedion, der „Laus posthuma" des Jesuitenpaters J a k o b K e l l e r 2 ) (lyr. II. 50), Baldes Lehrer am Kollegium zu München und einer seiner Vorgänger in dem schwierigen Amt des Hofhistoriographen. Balde bezeugt in diesem Lobgedicht, daß Keller entscheidend 4

) Die einzelnen Kapitel knüpfen in bekannter Predigermanier an konkrete Dinge an, die als Symbole gewisser Tugenden gedeutet werden. Das 7. Kapitel handelt von dem Frutex Tabaci, preist seine heilkräftige Wirkung bei Geschwüren und Wunden und vergleicht die Tabaksfrucht mit dem Heilmittel seelischer Wunden: dem Almosen. Vgl. über Baldes Tabakdichtung unten S. 117 ff. a ) Keller geb. 1568 zu Säckingen gest. 1631; seit 1588 Jesuit, Rektor der Kollegien zu Regensburg und München, fruchtbarer polemischer Schriftsteller und Dichter in lateinischer und deutscher Sprache: u. a. Tyrannicidium 1611; Papatum catholicum 1616; Panegyricus ad Ser. Maximilianum El. Bav. a bello bohemico reducem 1620. Er schrieb auch unter verschiedenen Pseudonymen. Vgl. de Backer a. a. 0. III. 290; VII, 283. Riezler, Gesch. Baierns VI. 381. Duhr, Gesch. d. Jesuiten II 2. bes. S. 403 ff.



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auf die Entwickelung seines dichterischen Talents eingewirkt hat. E r reizte seinen Eifer, indem er ihm Anerkennung und poetischen Erfolg versprach: v. 29. Tu faciles solitus numeros dictare meumque Auspiciis stimulare calorem, Audebas titulos et plenum laudibus aevum Et magnos promittere menses.

Keller hat also Baldes poetisches Talent frühzeitig erkannt. Es ist zu beachten, daß Keller schon im Jahre 1631 gestorben ist. Balde war während seines ersten Münchener Aufenthaltes, in den Jahren 1626 bis 1628 sein Schüler. Aus diesen Jahren stammen auch die ersten Dichtungen Baldes. Keller hat mithin in seinem Schüler die poetische Begabung geweckt, die er bei den pflichtmäßigen Yersübungen des damaligen Unterrichts zu erkennen Gelegenheit hatte. Er veranlaßte ihn, sich über den Schulbetrieb hinaus der Dichtkunst zu widmen, und richtete seinen Blick auf höhere Ziele. E r duldete kein niedriges Kriechen, kein langsames Schreiten, er trieb zum stürmischen Plug: ib. v. 33 Te duce nequidquam dignati repere montis Aonii conscendimus arcum Non lento passu (neque enim tardare sinebas) Sed volucri quasi fulminis ala.

Die Allegorie von der Besteigung des Parnaß wird dann noch weiter geführt. Eine vorsichtige Deutung der folgenden Yerse, in denen gesagt wird, daß der Lehrer wartend am Fuße des Berges zurückblieb, während der oben durch die Wolken aufwärts strebende ihm Efeu und Lorbeerzweige und endlich eine Feder des Flügelrosses zuwarf, darf darin wohl den Reflex des schönen Verhältnisses zwischen Lehrer und Schüler sehen, ein Zeugnis für die neidlose Uneigennützigkeit des auch als Dichter tätigen Lehrers. E r verzichtet darauf, mit dem Schüler den Gipfel des Parnaß zu erklimmen, und der Schüler weiß, daß er den Älteren nicht beleidigt, wenn er von seinem Zurückbleiben spricht. Die lebhafte Anteilnahme Kellers und seine Freude an den ersten dichterischen Erfolgen Baldes bezeugen die Verse: ib. 47 Quo tunc amboram salierunt pectora motu Laetitiae spirantia flammas!



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Nicht nur im erhabenen Stil wies Keller den Schüler an, sondern auch in freundlichen Weisen hieß er ihn singen, wie die Verse 49 — 54, die Allegorie weiterführend, besagen, er lehrte ihn den Gebrauch der „Tuba cantatrix Heroum", wie der „Fistula pacis" und der „ruri testudo" (v. 55—56). Außer dieser dankbaren Anerkennung des Einflusses Kellers macht dies Gedicht auch bemerkenswert Baldes Klage um die trostlosen literarischen Zustände Deutschlands.1) Diese Klage knüpft an die Trauer um den Tod Kellers an, mit dem die größte Hoffnung der Dichtkunst dahingegangen sei (v. 62). Das ganze Reich der Poesie trauert um ihn, doch wenn nur sein Name genannt wird, blühen die Blumen auf und die Bäche freuen sich: v. 87 Ad nomem tarnen . . . tuum . . . Jpsi etiam Bnbitis vestiti floribus amnes Jncepiunt ridere per hortum.

Balde gibt seiner Schätzung der Kellerschen Dichtungen nur diesen umschreibenden Ausdruck. Auch in dem ersten Teil des Gedichtes, der die eigentliche „Laus" enthält, ist nur von seinen intellektuellen und moralischen Eigenschaften die Rede sowie von seiner oratorischen Begabung. Balde nennt auch keine der Dichtungen Kellers. Er scheint ihn mehr als poetischen Lehrer, denn als Dichter geschätzt zu haben. Als „Epicedia" auch im Titel bezeichnet sind die beiden anderen Gedichte dieser Art: silv. Y. 12 und silv. IX. 22. Das letztere ist dem Kanzler des Kurfürsten Maximilian, J o h a n n C h r i s t o p h A b e g g , gewidmet, der im Jahre 1645 gestorben ist. Über die zweifellos vorhandenen Beziehungen zwischen dem Kanzler des Kurfürsten und seinem Hofprediger und seit 1640 Hofhistoriographen ist uns anderweitig nichts bezeugt und auch aus diesem Gedicht nichts Näheres zu entnehmen. Es verbürgt uns aber Baldes nähere Bekanntschaft mit dem Kanzler durch das Charakterbild des Verstorbenen, das es v. 32 ff. gibt, und in dem Balde nicht in der Art feiler Lobredner den angesungenen wahllos mit ') vgl. unten S. 92 ff.



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Superlativen überschüttet sondern seine "Worte sorgfältig wählt und das sympathische Bild eines aller Schönrednerei abholden, offenen und zuverlässigen Mannes, eines jeder Situation gewachsenen festen und energischen Staatsmannes von deutscher Gradheit zu zeichnen weiß. Das Epicedion auf F r i d e r i c u s R o s a n i u s (silv.Y. 12). einen — wie die Überschrift besagt — am 11. Mai 1642 verstorbenen Poeta, verrät uns weder von diesem noch von seinem Yerhältnis zu Balde irgend etwas und erschöpft sich in Betrachtungen über die Unvermeidlichkeit des Todes und seine alle gleichmachende Gewalt: alle heißen wir nach dem Tode umbrae, wie wir uns auch im Leben genannt haben mögen: v. 15. Rustici, nautae, proceres, Poetae Dicimur, aut nati cives debere tributum.

Das Gedicht ist in freien Rhythmen abgefaßt. Die Torrn soll den Inhalt symbolisieren. Die aufgelöste metrische Ordnung soll den haltlosen Schmerz ausdrücken: v.

1. Nunc incompositis Musas decet ire capillis. Sparge Thalia comas. Extincti funus deploratura Rosani Cur modum serves numerosque certos.

Da Lachesis sich über die naturgemäße Ordnung der Dinge hinwegsetzt und den Jüngling dahinrafft, mag auch Thalia mit gerechterem Grunde die Gesetze verachten. — Ähnlich wie hier hat Balde eine Beziehung hergestellt zwischen dem Inhalt und der metrischen Form der Dichtung in drei andern Gedichten in freien Metren: silv. II parth. 6; silv. Y. 2 ; Y. 16 Persönlichen Beziehungen entsprungen wie diese vier Epizedien ist von den sonstigen Gelegenheitsgedichten eigentlich nur noch das Gedicht an den Pfalzneuburger Landschaftskanzler W o l f g a n g M i c h a e l Silbermann: silv. IX. 8. Balde scheint mit ihm enge und seit früher Zeit befreundet gewesen zu sein; er redet ihn an „mihi cognite primum" v. 3, demnach werden die beiden sich in der Ingolstädter Studienzeit, vor Baldes Eintritt in den Orden kennen gelernt haben. Dafür spricht auch die Art und Weise, wie Balde in einem andern Gedicht silv. IX. 18



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in behaglicher Erinnerung dem Freund gemeinsame Jugendabenteuer ins Gedächtnis zurückruft und dadurch in die übermütige Studentenstimmung zurückversetzt in scherzendem Tone fortfährt (a. a. 0 . v. 9—29). Das vertrauliche Verhältnis, das aus diesen Versen spricht, wird durch das Lobgedicht silv. IX. 8 bestätigt und gibt ihm Leben und Wärme. Die besondere Intimität veranlaßt den Dichter, den poetischen Schleier1) fallen zu lassen und dem Freund menschlich näher zu treten, inden er ihn einmal statt mit irgend einem poetischen Phantasienamen mit seinem Familiennamen anredet (allerdings nur in silv. IX. 8; in silv. IX. 18 ist der „Silbermann" wieder zu einem „Clarisius" geworden) und dann tatsächliche Ereignisse ohne verschleiernde Verhüllung erwähnt. Es sind die einzigen Stellen der lyrischen Dichtungen, an denen Balde ein konkretes, ihm mit einem andern gemeinsames Erlebnis erwähnt: und zwar in silv. IX. 18 ein profanes und unbedeutendes, ein unfreiwilliges Studentenabenteuer, in silv. IX. 8 allerdings ein geistliches (v. 55: Silbermann hat ihm einmal beim Meßopfer am Altar gedient). Im Eingang dieses Gedichts spielt Balde auf gemeinsame Fahrten durch den Wald an. Und daran anknüpfend bittet er ihn wortspielend, auch seine poetischen Wälder mit seiner Gegenwart zu beehren. Ein Baum soll ihm geweiht werden. Die Frage, was für ein Baum das sein soll, eine Eiche, ein Ölbaum, eine Zeder, ein Lorbeerbaum usw. gibt Veranlassung, die Eigenschaften des Kanzlers lobend aufzuzählen, denen diese Bäume entsprechen würden. Am besten ziemt ihm der Lorbeer, da er ja selbst Dichter ist (v. 14, vgl. v. 36). So schneidet denn der Dichter das Lobgedicht auf Silbermann in die Zweige des Lorbeerbaums ein: silv. IX. 8, 15.

Ergo in Apollineis incidam carmina ramis, Quae crescent crescentibus ipsis.

Das Einschneiden von Gedichten in die Baumrinde ist ein beliebtes Motiv der Schäferpoesie. Die Inschriftenwut ') Über des Dichters Gepflogenheit alle Tatsachen zu verschleiern vgl. unten S. 139 ff. H e n r i c h , Jakob Balde.

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der Zeit begnügte sich nicht • mit sinnvollen Zugaben1 zu künstlichen Darstellungen, sondern bemächtigte sich auch der Natur und wollte sie zwingen, dem Verstand die Belustigung zu geben, die sie dem Gefühl nicht geben konnte. In der Poesie der Pegnitzschäfer begegnen wir vielfach diesem Motiv. Gleich das erste Zeugnis der, neugegründeten Gemeinschaft, das „Pegnesische Schäfergedicht in den Berinorgischen Gefilden", das Muster der zahlreichen Gattung bringt ein solches Gedicht: Der Schäfer Clajus findet, als er in traurigem Sinnen durch den "Wald streift, einen Baum, in dessen Rinde einige^Verse eingegraben sind mit der Unterschrift „der Unwürdig Spielende". Dies erste Schäfergedicht erschien 1644, in demselben Jahre, in dem der Blumenorden an der Pegnitz durch Harsdörffer gegründet wurde. Daß Balde dieses Schäfergedicht noch im Jahre 1644 kennen gelernt hat, ist wahrscheinlich. Die erst im Jahre 1645 erschienenen Gedichte der; beiden letzten Bücher der Silvae verwenden namlioh auch noch sonst Motive der Schäferdichtungen, die sich in älteren Dichtungen Baldes nicht finden. Das pegnesische Srihäfergedicht enthält ein Echogedicht; ein solches bringt Balde im 9. Buch (Ode 28). Besonders K M liebte diese aus Italien importierte Spielerei, die er ja selbst in der Prosa anwandte. Auf die Beziehungen Baldes zu den Nürnbergern wird noch öfters hinzuweisen sein. Den Namen eines dieser Dichter und zwar Harsdörffers finde ich freilich erst in der dem Jahre 1654 angehörigen Vorrede zur Jephtias (Opera^Omnia VI 4) und hier im Zusammenhang mit einer Anspielung auf Harsdörffers „Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichte" (1652). Die Echodichtung haben die Nürnberger nicht in Deutschland eingeführt, sie wurde schon im 16. Jahrhundert geübt z. B. von Frischlin und Schede-Melissus. : In Ovids Heroiden wird schon erzählt, wie die von Paris verlassene Oenone mit dem Messer in die Baumrinde schreibt, allerdings nicht ganze Verse, sondern /nur Namen, und diese Stelle hat Balde bei dem- Gedicht ^silv. IX. 8 offenbar vorgeschwebt.1) Wenn also Balde mit diesen Motiven schon ') Vgl. silv. IX. 8,16 mit Ovid Heroid. V. 21 ff.

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vorher bekannt gewesen sein mag, zu ihrer Verwendung veranlaßte ihn doch erst das Beispiel Harsdörffers und Klais. Übrigens ist das angeblich in die Baumrinde geschriebene Lobgedicht, das der Dichter natürlich auch in seiner Ode wiedergibt, nicht durch besondere metrische Form von dem Yorhergehenden und Folgenden unterschieden. Auch ist der Anfang dieses Lobgedichts nicht deutlich markiert (v. 22), wohl der Schluß, der dadurch bezeichnet wird, daß der Dichter erklärt, der Baum sei nun ganz beschrieben: v. 61 Perventum ad calcem est, nec plura inscribere possim. Der Baum soll den kommenden Zeiten von den edlen Eigenschaften des Pfalzneuburger Kanzlers künden. Mit scherzhaftem Pathos erklärt Balde den Baum für geweiht und verwünscht jeden, der ihn verletze: v. 65. Sie qua Napaearum folium hinc decerpserit, annum Abstineat captiva choreis. Si pedis incursu Satyrus, si laeserit ungui, Sit sacer, et pes ille putretur . . .

und mit der Anapher „sit sacer" (v. 70—72) bedroht er jeden, der den heiligen Baum beschädigt. Bis zum Schluß führt Balde die Fiktion durch: v. 77. Hic citharam suspendo meam positusque sub urabra Paullisper Wolfgange quiesco.

Das Pathos hat ihn ermüdet und so bedarf er, wie er scherzend sagt, der Ruhe. Damit sind die Gelegenheitsgedichte, die rein persönlichen Beziehungen entsprangen, erledigt. Die andern Gedichte dieser Art zeigen uns Balde als den Beauftragten seines Ordens oder seines Herzogs. Den Interessen des Jesuitenordens dienen die Gedichte an den neuernannten Kardinal C a r a f f a : 1 ) silv. I X . 30, 31, 32, 33, der seit An' ) Peter Ludwig Caraffa, geb. 18. 7. 1581 zu Neapel, 1623 Bischof von Tricario, lebte als päpstlicher Nuntius 11 Jahre in Cöln und genoß auch bei den Protestanten z. B. bei Gustav Adolf großes Ansehen. Durch Innozenz X. zum Kardinal ernannt, gest. 15. 2.1655. (Neu vermehrtes historisch-geographisches allgemeines Lexikon 3. Aufl. II. Teil [1742] S. 444). — Die Überschrift der Ode 30 nennt den Kardinal nicht Peter Ludwig C., sondern Peter Aloysius. Einen Kardinal

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fang der dreißiger Jahre päpstlicher Nuntius in den Niederlanden und in Deutschland war und am 6. März 1645 mit dem Purpur bekleidet wurde. Balde hat den Kardinal persönlich nicht gekannt, das hebt er gleich zu Anfang des ersten Gedichtes hervor: silv. IX. 30, 1 In tua non visi praeconia

suscitat

remotum

Caraffa, Rumor Candidus Poetam.

Und zugleich deutet er an, daß kein persönliches Verhältnis ihm seine Gedichte eingegeben habe, sondern der Rumor Candidus. Das Fehlen dieser Beziehungen sowie sonstiger Anknüpfungen an tatsächliche Verhältnisse lassen diese Lobgedichte farblos erscheinen. Das wortreiche Lob des Kardinals gibt uns keine Anschauung und vermag so unser Interesse nicht zu gewinnen. Was von seinem alle Länder überfliegenden Ruhm, von der erlesenen Farbe seines Purpurs, seinen bewundernswerten Charaktereigenschaften gesagt wird, das vermögen wir nicht auf eine Persönlichkeit zu beziehen, da diese selbst uns ganz fremd bleibt und uns in keiner Äußerung ihres "Wesens gezeigt wird. Über die Veranlassung zu diesen Gedichten gibt der Inhalt keine Auskunft. Jede Anspielung auf politische Ereignisse fehlt. Daß Balde bestimmte politische Zwecke mit seinen Gedichten an den päpstlichen Nuntius verfolgte wie mit der noch zu besprechenden Ode an den Legaten Fabio Chigi, ist also nicht anzunehmen. Es bleibt nur die Vermutung, daß er im Namen und wahrscheinlich im Auftrage seines Ordens diesem die Gunst des Kardinals zu gewinnen suchte. Als Ganzes genommen sind diese Oden an Caraffa wohl die trockensten Gelegenheitsdichtungen, die Balde geschrieben hat. Es sind nur ein paar Einzelheiten, einige schöne Bilder und Vergleiche, in denen des Dichters Phantasie von seinem nüchternen Thema abschweift. Zunächst der Vergleich der Virtus des Kardinals, deren Ruf über alle Caraffa mit diesen Vornamen

hat

es zu Baldes Zeit nicht gegeben.

Der zitierte Artikel im hist.-geogr. Lexikon und Keuschheit des Peter Ludwig C.

rühmt

die

Sittenstrenge

Balde hat ihm dieser Tugenden

wegen w o h l den ehrenden Beinamen Aloysius gegeben.



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Lande fliegt, mit der Sonne, die das Gewölk durchbricht, freilich kein originelles Bild, aber gut gefaßt: silv. IX. 30, 3 Aetherio qualis distantia quaeque tangit arcu, Cum sol sagittas eminus coruscat; Rumpuntur nitidis cava nubila fasciaeque telis: Et sauciatus incalescit Aer.

Origineller ist die Wendung silv. IX. 31, 9, wo von der Morgenröte, die die hellsten Sterne erbleichen macht, gesagt wird, sie verlache die frühesten Sterne: laetissima sidera ridens Aurora. Ich weiß nicht, ob diese Metapher in der römischen oder spät-lateinischen Dichtung irgendwo vorkommt. Es wäre ja auch ein unausführbares Beginnen, dieser ihrem "Wesen nach eklektischen Poesie die unzähligen Quellen nachzuweisen, aus denen sie jedesmal ihre Motive, Bilder und Wendungen geschöpft hat. Ist nicht vielleicht der Grund, weshalb die Erforschung der neulateinischen Literatur so langsame Fortschritte macht, darin zu suchen, daß ihr gegenüber die bisher geübte Methode versagt, die Methode der Quellenforschung und Motivnachweisung? Es ist ja wenig getan mit dem Nachweis, daß diese Wendung aus Vergil, jene aus Ovid stammt. Damit ist ja noch lange nicht gesagt, daß der Dichter sie tatsächlich aus jenen genommen hat, ob er überhaupt wußte, daß sie von jenen geprägt sind. Der humanistische Studienbetrieb mit seinem Kollektaneenwesen, seiner Yersmacherei, erstrebte eine vollständige Verarbeitung der antiken Dichter und der von ihnen angehäuften Schätze zum Besten des täglichen Bedarfes. Die Auflösung der Dichterindividualität war die notwendige Folge dieses Betriebs. In den großen Musterdichtern sah man gewissermaßen nicht mehr die Schöpfer der großen Werke, sondern die Feinschmiede glänzender Phrasen. Daß der Verlust einer Gesamtanschauung von den Dichtern ihre Hochschätzung als klassische Autoren nicht im geringsten beeinträchtigte, ist bezeichnend für den Geist der Zeit. Wenn die philologische Methode mit ihren Quellennachweisen das Verhältnis eines Dichters zu einem andern darlegt und aus dem Umstand, daß er von dieser oder jener Persönlichkeit angezogen wurde, Schlüsse auf sein eigenes



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Wesen ziehen darf, die Methode also Mittel der Charakteristik wird, so kann sie das für die Renaissancedichter im allgemeinen nicht werden. Es kommt nicht so sehr darauf an, woher der Dichter seinen Stoff, seinen Bilderschmuck entlehnt hat, sondern w e s h a l b er ihn entlehnt hat, was ihm an ihm besonders gefiel, was er also für einen Geschmack hatte. Mag er dieses oder jenes Bild einem andern weggenommen haben, das "Wichtige ist doch, daß er gerade dieses wählte und nicht eines der tausend anderen, die sich ihm boten. Es ist die große Belesenheit der damaligen Gelehrten-Dichter zu bedenken. Ist es nicht die schöpferische Originalität, so ist es die Selbständigkeit und Eigenart in der A u s w a h l und O r d n u n g des b e r e i t l i e g e n den p o e t i s c h e n M a t e r i a l s , aus der ihre Charakteristik abzuleiten ist. Da es aber andererseits nie möglich sein wird, entlehntes Gut von eigenem vollständig zu scheiden, so scheint es mir richtiger, diese undurchführbare Sonderung aufzugeben und das ganze dichterische Material als entlehntes Gut anzusehen, durch die eifrigste und komplizierteste Sammeltätigkeit von Generationen zu einem herrenlosen Schatz zusammengetragen, mit anderen Worten: den Standpunkt so zu ändern, daß nicht die einem fremden Dichter entlehnten Motive in dem eigenen dichterischen Komplex, sondern die eigenen Züge in dem an sich fremden Komplex Gegenstand der Aufmerksamkeit sind. Eine der selbstverständlichsten Bedingungen literarischer Würdigung eines Dichters ist dieses Herausarbeiten der ihm eigentümlichen Behandlung des poetischen Materials. Und doch muß diese Methode den neulateinischen Dichtern gegenüber besonders nachdrücklich gefordert und mit einer gewissen Einseitigkeit betrieben werden. Mit Recht ist im allgemeinen der Nachweis stofflicher und formaler Anleihen die Voraussetzung für die gerechte Wertung der dichterischen Originalität. Diese Voraussetzung ist der Damm geworden, der die Erforschung der neulateinischen Lyrik bisher aufgehalten hat und der in der Tat unübersteigbar ist. Aber diese Voraussetzung besteht nicht für die Wertung der Erzeugnisse



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eines dichterischen Verfahrens* das unter so ganz anderen Bedingungen gestanden hat. Die in dieser Weise vielleicht nirgendwo sonst nachweisbaren einzigartigen Umstände, unter denen die lateinische Humanistendichtung namentlich der späteren Zeit sich entwickelt hat, Verlangen auch eine differenzierte Methode, der Behandlung. Das unmittelbare praktische Ergebnis dieser Einsicht muß der Verzicht auf das Herausstechen einzelner Entlehnungen sein. Der Leser neulateinischer Gedichte wird sich bemühen, durch einzelne ihm zufällig geläufige horazische oder vergilische Wendungen seinen Blick nicht fixieren zu lassen, und bedenken, daß uns Heutigen nur noch ein verschwindender Bruchteil dessen gegenwärtig ist, was den Gelehrten der Humanistenzeit von römischen Dichtungen vertraut war. Die Stelle in dem Baldeschen Gedicht an Caraffa, die diese methodologischen Ausführungen veranlaßt hat, ist für Baldes, dichterischen Charakter bezeichnend genug, auch wenn sie einem andern Dichter nachgebildet ist. Sie bezeugt seine eigenartige, aufs Großartige gerichtete, aber diesem Großartigen, gerne mutwillige Züge einmischende Naturauffassung,1) seine Vorliebe für .Himmelserscheinungen, die auch aus dem schon angeführten Vergleich im 30. Gedicht spricht, wie aus einem solchen in dem letzten dieser Gruppe, einer Stelle, deren Schönheit für .die Nüchternheit des Übrigen in etwa entschädigt. Der Dichter schildert den heiteren menschenfreundlichen Sinn des Kardinals und vergleicht ihn mit der Heiterkeit des Sternenhimmels, seine Gegenwart mit dem alle erfreuenden Erscheinen der, Sonne: silv. IX. 38, 21 Miramur amantes Formosae spectacula noctis. Omnia summa meant facili placidissima motu . . . Ipse tarnen Phoebus, quoties in nube tenetur Aut fratri soror obstat opaca, Terrigenas implet luctu. Genus omne ferarum Ac volucrum caligine marcet. At simul emicuit, totus silmil exsilit Orbis Ceu mediis redivivus ab umbris. ') Vgl. unten S. 170.



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Und weiter wird seine glückverbreitende Heiterkeit mit dem freundlichen Anblick des ruhenden Meeres verglichen. Persönliche Beziehungen, religiöse und politische Interessen vereinigen sich in der Ode an den jugendlichen E r z h e r z o g F e r d i n a n d Karl (lyr. IV. 25), den Sohn des 1632 gestorbenen Erzherzogs • Leopold V. und der Claudia von Medici.1) Auf der Pilgerfahrt nach Altötting, die Balde im Jahre 1640 in Begleitung des Kurfürsten unternahm und auf der er auch Innsbruck besuchte, hat er den damals zwölfjährigen Erzherzog, der im Jesuitenkolleg zu Innsbruck erzogen wurde, kennen gelernt. Das war die Veranlassung zu dem Gedicht, das wohl damals entstand, da der Text den Erzherzog als Knaben schildert (v. 1 tenui lyra; v. 13 tantillus; v. 24 in roseo ore). Doch diese flüchtige Begegnung konnte einem Dichter wie Balde, der sich nie als Fürstenschmeichler zeigt, nicht Ursache zu einem Gedicht geben. Sie ließ ältere Beziehungen zu der fürstlichen Familie wieder aufleben. Sie weckte die Erinnerung an den Yater des Knaben, den Erzherzog Leopold, dem Balde aus verschiedenen Gründen ein gutes Andenken bewahrte. Den strengkirchlich gesinnten und dem Jesuitenorden sehr ergebenen Erzherzog Leopold hatte Balde wohl schon im Jahre 1629 in Innsbruck kennen gelernt, als Leopold am Titularfeste der dortigen marianischen Kongregation erschien und die Formula (das Treugelöbnis) erneuerte.2) Als Bischof von Straßburg und seit 1620 im Auftrag seines Bruders, des Kaisers Ferdinand III., als Regent der vorderösterreichischen Lande3) hat der Erzherzog den Jesuiten im Elsaß manchen Dienst erwiesen, so der hohen Schule zu Molsheim, den Kollegien zu Ensisheim, Hagenau und Schlettstadt.4) Balde fühlte sich dem Verstorbenen als Elsässer und Jesuit verpflichtet. Ein weiterer Grund des Dankes war für ihn des frommen Fürsten Sorge für die ') Nicht etwa, wie Benno Müller in den Anmerkungen seines Neudrucks angibt, ein Sohn des — erst 1640 geborenen — Kaisers Leopold. Vgl. Krones,. Allgem. D. Biogr. 18, 398—402. s ) Duhr, Geschichte der Jesuiten., ,11. 2 (1913), S. 117. 8 ) Duhr a. a. O. S. 187. 4 ) Egger, Gesch. Tirols II (1876), S. 361.



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Waldrast, den von Balde geliebten und mehrfach besungenen "Wallfahrtsort unweit Innsbruck im Stubaital. Kirche und Kloster verdankten die Serviten zu Waldrast dem Erzherzog Leopold.1) Indem der Dichter den Knaben als den „patriae pietatis heres ex asse" grüßt, hofft er, daß des Yaters kirchliche und jesuitenfreundliche Gesinnung auf ihn übergehen möge. Übrigens stand Leopold auch in nahen politischen Beziehungen zu den bayrischen Kurfürsten, aus dessen Haus seine Mutter, die Schwester Wilhelms IV., stammte. Er hielt zu Maximilian gegen den Kaiser und teilte die Feindschaft des Anführers der Liga gegen Wallenstein. 2 ) Die politischen Hoffnungen Baldes auf den rechtmäßigen Erben der vorderösterreichischen Lande, die in den ersten Versen ganz allgemein angedeutet werden und die man damals namentlich in Tirol auf den schönen und gewandten Prinzen setzte,3) haben sich nicht erfüllt. Dem früh Verstorbenen hat der Jesuit Bidermann die Grabrede gehalten. 4 ) Wir kommen damit zu B a l d e s T e i l n a h m e an d e n p o l i t i s c h e n E r e i g n i s s e n der letzten Kriegsjahre und zu den Gedichten, mit denen er den Gang der Ereignisse zu beeinflussen sucht. An zwei einflußreiche Diplomaten wendet sich Balde in mehreren Gedichten des 9. Buches der Wälder : an den französischen Diplomaten Avaux und an den päpstlichen Legaten Fabio Chigi. Baldes Gedichte auf den französischen Diplomaten und Gesandten beim westphälischen Friedenskongreß Claude de Mesmes, comte d'Avaux stehen im Zusammenhang mit der bayrischen Politik der letzten Kriegsjahre. 5 ) Kurfürst Maximilian sah sich durch die furchtbare Not seines Volkes gezwungen, mit dem Landesfeind zu paktieren; sein Hof') Egger, ebd. ») Krones, Allgem. dtsch. Biogr. XVIII, S. 398—402. 3 ) Egger, a. a. 0., S. 418. 4 ) Egger, a. a. 0., S. 420. 6 ) Vgl. zum folgenden: Riezler, Gesch. Bayerns, Bd. V, bes. S. 267 ff., 283, 254, 379 f., 590 ff., 597, 610. Doeberl, Entwicklungsgesch. Bayerns I (1906), S. 546. Über Avaux vgl. Barthold, Gesch. d. großen dtsch. Krieges (1842) I, 211, 312, 317 f., II, 70, 480.



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historiograph sollte diese Politik unterstützen. Trotz der Gemeinsamkeit wichtiger Interessen mit der katholischen auf Habsburg eifersüchtigen Macht hatte sich Maximilian von französischer Diplomatenkunst doch nicht dazu verleiten lassen, seine Pflichten gegen das Reich den eigenen Interessen zu opfern. Zwar hatte 1622 und seitdem öfters eine bayrische Gesandtschaft in Paris um Frankreichs Freundschaft geworben, doch wollte es den französischen Diplomaten in München nicht gelingen, das hartnäckig verfolgte Ziel der französischen Politik: die Trennung Bayerns und der Liga vom Kaiser zu erreichen. So blieb auch das bayrisch-französische Schutzbündnis von 1631 wirkungslos und vier Jahre später lagen die Bundesgenossen mit einander im Kampf. Bayern hatte freilich nicht so sehr unter dem neuen Feind zu leiden, als vielmehr unter der Fortführung der immer mehr in ein wildes Morden ausartenden Kämpfe, die sich großenteils auf bayrischem Boden abspielten. So bemühte sich denn seit 1640 Kurfürst Maximilian wieder um den Frieden, der ihm in Anbetracht der Rücksichtnahme der Politik Ferdinands III. auf Spanien nur durch Annäherung an Frankreich möglich schien. Das endlose Hin und Her der bayrisch-französischen Yerhandlungen, das ängstliche Schwanken des Kurfürsten im Kampf der Pflichten gegen das Reich und gegen das angestammte Land, sein endliches Eintreten für die Preisgabe des Elsaß, sein Sonderabkommen mit Frankreich von 1647 hat Riezler in seiner Geschichte Bayerns ausführlich geschildert, nicht ohne sein Bemühen, den Kurfürsten von dem Vorwurf des Reichsverrats reinzuwaschen, hervortreten zu lassen. Wie Maximilian in wichtigen politischen Fragen das Urteil seiner geistlichen Berater einzuholen pflegte, so bediente er sich gerne der literarischen Begabungen zur Unterstützung seiner Politik. 1 ) Hatte früher der Rektor des Münchener Gymnasiums Jakob Keller seine scharfe Feder wiederholt in den ') Vgl. im allg. die über Balde nichts Neues bietende Studie von Ludw. Steinberger, Die Jesuiten u. d. Friedensfrage i. d. Zeit v. Prager Frieden bis zum Nürnberger Friedensexekutionshauptrezeß 1635—1650. Studien u. Darstellungen aus dem Gebiete d. Gesch. hersg. v. H. Grauert. V. Bd., 2. u. 3. Heft. Freiburg 1906.



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Dienst des Kurfürsten gestellt,1) so mußte jetzt dessen ehemaliger Schüler mit seiner Kunst seinem Fürsten zu Willen sein. Balde wurde durch das Verlangen Maximilians in einen Gewissenskampf getrieben. Als geborener Ensisheimer gehörte er politisch zu Österreich, von dem Bayern sich zu trennen anschickte, geographisch zum Elsaß, das Maximilian dem Landesfeind als Friedenspreis zusagte. Daß sein Interesse und seine Liebe dem Heimatlande gehörte, dafür zeugen seine Gedichte.2) Daß Balde einen schweren Kampf mit sich auszukämpfen hatte, verrät der „Cantus durus", das vorletzte Gedicht des 8. Buches der "Wälder, mit dem er zu dem Avaux gewidmeten 9. Buch überleitet. Baldes Gewohnheit, die Wirklichkeit in Allegorien rätselvoll zu verschleiern, läßt auch hier manches dunkel. Balde klagt in diesem Cantus durus, daß die Poesie seinem Willen nicht gehorche, daß seine Leier statt deutscher Siege französische Triumphe feiere. Es wird nicht gesagt, daß der Dichter in fremdem Auftrag einen französischen Herrn umwerben soll. Und doch glaube ich nicht fehl zu gehen, wenn ich das aus dem Cantus durus herauslese. Daß Balde nicht die Yeranlassung zu seinen „Memmiana" offen darlegen konnte, ist selbstverständlich. Wir wissen aber schon, daß er es sich selbst schuldig zu sein glaubte, anzugeben, wenn er in fremdem Auftrag dichtete. Diesem Drang durfte er nur genügen, indem er den Sinn seiner Worte unter poetischen Hüllen verbarg, silv. VIII. 26, 30 heißt es: Ecce! Germanos quoties volebam, Gallicos verso meliore voto Dico triumphos.

Das könnte man auch auf die Siege der Franzosen deuten, auf das Eindringen von Conde und Turenne in Bayern im Frühjahr 1645 und die Niederlage der Bayern bei Alersheim am 3. Aug. 1645. Sangeswürdige Taten geschahen nicht mehr auf bayerischer, sondern auf französischer Seite. Aber aus der Stelle, die Balde diesem Gedicht gegeben hat unmittelbar vor den Gedichten an Avaux, scheint mir die Beziehung auf diese Dichtungen ebenso hervorzugehen, wie aus dem in dem Cantus durus sich leidenschaftlich aus>) Riezler a. a. 0. V. 268; VI. 381 f. ) Vgl. unten S. 121 f.

s

Doeberl a. a. 0. S. 526.



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sprechenden Gefühl des Unwillens. Und dieser Unwille wird erregt durch die ihm gewordene Zumutung. Seiner Kunst soll Gewalt geschehen, sie soll nicht mehr reden, wie er möchte: v. 1 Vana res, vana est etiam Poesis . . . Quo mihi munus Latiale Phoebi Ore jactatum lyra pulcra, si non Detur accepti, quoties cupido est, Muneris usus ?

Er möchte Deutschlands Siege singen. Aber wie es einst Barlaam1) erging, so geschieht ihm jetzt: sein Mund redet anders, als sein Herz will. v. 53 Teutonum captus ter amore, Francos Tristibus diris paro devovere.

Doch es gelingt ihm nicht: haud mei juris (v. 43) muß er fremdem Willen gehorchen, vergebens ist sein Sträuben: v. 57 Ut laboravi fremuique contra! Der Unwille steigert sich endlich so, daß der Dichter seine Leier, ehe er sie zu verhaßtem Zweck mißbraucht, zerschlägt: v. 93 Ergo moerenti stimulatus ira Barbitum mensae, fidibus solutis, Bis ter illisi: jacuere centum Fragmina terris.

Dem "Verlangen des Kurfürsten und dem Interesse Deutschlands, wie dieser es verstand, hat Balde sich schließlich gefügt. Auch half ihm ein anderer Umstand, einen Notausgang aus dem Gewissenskampf zu finden: die literarischen Beziehungen, die Avaux kurz vorher — seinerseits wohl nicht ohne kluge politische Absicht — mit dem bayerischen Hofhistoriographen angeknüpft hatte, indem er ihm brieflich ein schmeichelhaftes Lob seiner Gedichte2) schickte. *) Die seit den Kreuzzügen im ganzen Abendlande verbreitete und oft dichterisch bearbeitete Geschichte von Barlaam und Josaphat, die auch Aegidius Albertinus in „Der Teutschen recreation oder Lusthaus" (1612) ausführlich erzählt, wurde mehrfach im Jesuitendrama behandelt. Aufführungen: 1614 zu Innsbruck (Serapeum 25, 205), 1647 zu Münster (eine Comicotragoedia von J. Masen, vgl. Bahlmann S. 5; 100), 1691 zu Jülich (Bahlmann S. 54). *) Das Urteil von Avaux über Balde, Voitures minder hohe Mei-

— 45 — An diesen Brief knüpft nun Balde im Vorwort zum 9. Buch der Wälder an „ratus aequissimum esse, ut qui litteras amant, ab iisdem celebrentur". Zugleich spricht er mit beredten Worten den gepriesenen Gerechtigkeitssinn des französischen Bevollmächtigten an, eindringlich ihm die Sache des Friedens ans Herz legend. „Pacem suadeo, pacem invito, bella detestor." Für Deutschland fleht er, sein unglückliches Vaterland, dessen Elend auch dem fränkischen Edelmanne ans Herz gehen werde. Er bittet Avaux, seinen Einfluß zugunsten einer Beendigung der Feindseligkeiten geltend zu machen. Die poetischen Bitten des deutschen Jesuiten scheinen auch nicht ohne Einfluß auf Avaux geblieben zu sein und ihn zu nachgiebigerer Haltung bewogen zu haben.1) Sieben Gedichte des 9. Buches der Wälder sind an Avaux gerichtet (1 ; 2 ; 3 ; 5 ; 6 ; 14 ; 25 ; fünf mit besonderer Widmung: 1; 2; 5; 14; 25), in drei weiteren wird Avaux erwähnt (10; 28; 29). Das erste Gedicht des Buches knüpft an den Verlust der Leier an. Von dieser Fiktion sind die drei ersten Gedichte beherrscht. Es ist interessant, wie Balde dies Motiv benutzt hat. Er kann nicht singen wie sonst ; Thalia hat ihm die Leier genommen und weigert sich seinen Bitten um Rückgabe, die endlich erst um des französischen Gesandten willen erfolgt (silv. IX 3). Balde läßt also das Spiel mit diesem poetischen Motiv in eine Huldigung für Avaux ausklingen. Unter diesem harmlosen Spiel erkennen wir aber den eigentlichen Sinn. Wenn er sagt, er könne den Avaux nicht würdig preisen, da seine Leier ihm fehlt, so verstehen wir, daß sein Herz ihm den nung siehe in „Lettres du Comte d'Avaux à Voiture publiées par Amedée Roux". Paris 1858, p. 13; 22; 28 und „Lettres de Mr. Voiture". Amsterdam 1651 p. 372 ; 376 ; Avaux rühmt besonders die Oden silv. V. 16; VIII. 26; IX. 3 u. 5. ') Vgl. die Vorrede zu dem Avaux gewidmeten „Drama georgicum" (1647), in der Balde einen an ihn gerichteten Brief des Avaux, Satz für Satz kommentierend, wiedergibt, 0. o. VI. 345, und das Zeugnis des mit Balde wie mit verschiedenen Friedensgesandten brieflich verkehrenden niederländischen Dichters Caspar Barlaeus: Barlaei epistola II, 493.



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vollen Klang verweigert. Der Unwille über das aufgezwungene Amt hatte sich ihm in der Vorstelluug von dem Zerschlagen der Leier fixiert. Diese Vorstellung wirkt fort, und der Dichter kann sich von ihr nicht losmachen. E r muß ihren Folgerungen gerecht werden. Er hat keine Leier mehr und muß, da er nun einmal dichten soll, sich ein neues Werkzeug seiner Kunst beschaffen. Eine nachträgliche Bestätigung erfährt die obige Interpretation des Cantus durus jetzt durch die Art, wie Balde von dem Verlust der Leier spricht. In dem ersten und zweiten Gedicht ist nämlich nur davon die Rede, daß ihm die Leier nicht zur Verfügung steht, und zwar wird gesagt, daß Thalia sie ihm entführt habe (silv. IX. 1, 2—4). Es scheint, daß Balde eine Anknüpfung an den Cantus durus absichtlich unterlassen hat in der Befürchtung, Avaux möchte den Sinn dieses Gedichtes verstehen und sich dadurch verletzt fühlen. So klagt der Dichter denn auch noch im dritten Gedicht, daß Thalia ihm die Leier, das optabile munus, vorenthalte. Die Antwort der Thalia weist dann allerdings auf das Zerschlagen der Leier hin (v. 35 u. 69). Übrigens handelt noch ein anderes Gedicht von dem Verlust der Leier, das drittletzte des 9. Buches, also der lyrischen Dichtungen überhaupt. Die Absicht des Dichters, die lyrische Dichtung aufzugeben, tritt im 9. Buch wiederholt hervor. Sie wird poetisch motiviert und symbolisiert in dem Verlust der Leier, die der Dichter das erste Mal zerschlägt und die ihm, nachdem er sie wieder erhalten hat, ins Wasser fällt und so entführt wird, was in silv. IX. 29 erzählt wird. Daß die Idee des abermaligen Verlustes als poetisches Motiv schon frühzeitig feststand, zeigt die prophetische Warnung, die Thalia dem Dichter zuteil werden läßt, ehe sie ihm die Leier wiedergibt: silv. IX. 3, 89 „Manantia vita flumina!" Baldes Absicht, die lyrische Poesie aufzugeben, spricht sich ferner aus in der mehrmaligen Erklärung, er wolle sich jetzt ganz der Geschichtsschreibung widmen.') Zum erstenmal ist davon die Rede in dem Gedicht silv. IX. 3, ») Vgl. unten S. 131 f.

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wo Thalia den undankbaren Dichter auffordert, „disce profana loqui" (v. 74). An Stoffen und Motiven arm, sucht Baldes Dichtung aus ihren Motiven doch nach Möglichkeit Kapital zu schlagen. Galt es doch als das Kennzeichen des Dichters, daß er gerade unbedeutende Stoffe poetisch zu behandeln wisse. *) Die Idee, daß die gewohnte Leier ihm fehlt, gibt dem Dichter Veranlassung zu einer besonderen sinnreichen Form eines Lobgedichtes. Da ihm nur noch die Hirtenflöte zu Gebote steht, so singt er ein Carmen georgicum, in dem er den Geist des Avaux mit einem fruchtbaren von Gott gesegneten Acker vergleicht. Und von dieser zum Lob des Diplomaten durch sechs Strophen durchgeführten Allegorie findet der Dichter dann leicht den Übergang zu der Bitte, Avaux möge den Deutschen geben, wonach sie schon solange hungern, er möge ihnen sein, was Josef den Ägyptern war: silv. IX 2, 41 Funde et petenti pabula Teutoni Fruges, aperto pectoris horreo. Pacis vides egere, Semper Pace Ceres comitata vadit.

Und wieder wird das Motiv durchgeführt und dekorativ aufgeputzt. Die Vorstellung von dem Acker weckt die Erinnerung an den Acker und die Drachensaat des Kadmus: v. 45 „Ferrata Cadmi messis in ultimas Discedat oras"; und sogleich wird Avaux als der Genius des segenspendenden Nils begrüßt: v. 50 „Salve, Alemannicae Osiris Europae!" Zu einer Huldigung für Avaux wird dann, wie schon angedeutet, die Wiederverleihung der Leier. Die Muse, die um des auch von ihr verehrten französischen Gesandten willen den Bitten des Dichters Gehör gibt, sendet ihm eine Leier, die das Bild der Sonne, des Mondes und unbekannter herrlicher Sterne, Lilien und Rosen schmücken, und auf deren Rand der Name Claudius Memmius geschrieben ist. Vier Schwäne vom Himmel hernieder schwebend, bringen dem Dichter die Leier, deren Saiten von selbst zu ertönen beginnen. '' • l

) Vgl. unten S. 137.



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Es ist nun interessant, daß das poetische Lob des Memmius, das diese ersten drei Gedichte einzuleiten scheinen, ausbleibt. Die scheinbare Einleitung selbst hat der Dichter dazu benutzt, das Lob des Avaux anzubringen. Die geschickte, sinnreiche Einkleidung ist der Renaissancepoesie ja viel wichtiger als der eingekleidete Stoff. So wird also der eigentliche Zweck, zu dem die neue Leier dem Dichter dienen soll, nicht weiter beachtet, die Idee bleibt nur Yorwand, nur Spiel. Was weiterhin zum Preis des Avaux gesagt wird, das entspricht nicht jener umständlichen Einleitung und wird nur gelegentlich eingefügt, nicht zum Hauptthema eines Gedichtes gemacht: silv. I X , 5, 17 ff; 10, 69 ff. Y o r allem aber ist bezeichnend der Inhalt der Ode, die diesen drei Einleitungsgedichten folgt. Denn daß Balde die Anordnung der Gedichte in diesem Avaux in einer ganz bestimmten Absicht gewidmeten Buche eine planmäßige ist, bedarf keiner Erläuterung. Die 4. Ode des 9. Buches ist an die zu Münster versammelten Gesandten gerichtet und mahnt: Templum Jani claudendum esse. Und das ist das Thema fast aller Gedichte des 9. Buches. "Was den Dichter bestimmt hat, den französichen Gesandten zu umwerben, die Hoffnung, die Sache des Friedens zu fördern, das wird zum eigentlichen Inhalt sämtlicher Gedichte dieses letzten Buches. Dabei spricht Balde nur das menschliche Gefühl des einflußreichen französischen Gesandten an, in der Hoffnung, daß er sich des allgemeinen Jammers erbarme. Yon besonderen politischen Absichten, etwa von einem Übereinkommen zwischen Bayern und Frankreich ist nirgends die Rede, auch nicht in Andeutungen. Einstellung der Feindseligkeiten, Abschluß des Friedens ist die ganz allgemein gehaltene Forderung dieser Oden. Die an Avaux gerichteten Gedichte sind übrigens ziemlich inhaltsleer. Die Oden, in denen der nationale Schmerz den wärmsten Ausdruck findet, sind an die Friedensgesandten im allgemeinen oder an die deutschen Fürsten gerichtet, wie die Oden 4 ; 2 1 ; 2 6 ; 1 1 ; 15. Balde wollte, so scheint es, in der direkten Anrede an Avaux den Vorwurf gegen die Franzosen



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vermeiden, den eine Schilderung des auch durch sie verursachten Unglücks, wie sie in diesen anderen Gedichten gegeben wird, in sich geschlossen hätte. Die an Avaux gerichteten Gedichte bleiben in der Tat ganz frei von Klagen über den Zustand Deutschlands und ergehen sich teils in Betrachtungen allgemeiner Art über die Winzigkeit der Punkte auf der "Weltkarte, an denen so gewaltige Kämpfe ausgetragen wurden, wie bei Philippi, Salamis, in den Niederlanden, bei Lützen (silv. IX 14), teils in Hoffnungen und Befürchtungen über das Schicksal deutscher Länder und Städte in der Form einer prophetischen Yision silv. IX 25. Eine Bitte an Avaux wird in keinem dieser beiden Gedichte direkt ausgesprochen. Balde trägt in seinen Gedichten überhaupt nur ein einziges Mal dem französischen Gesandten seinen Wunsch vor und zwar in dem Carmen Georgicum, aber auch hier nicht mit der Eindringlichkeit und unbildlichen Deutlichkeit, die seine prosaische Vorrede zum 9. Buch auszeichnet. Auch die Ode, deren Anfang eine Aussprache aller persönlichen Wünsche des Dichters zu versprechen scheint, die Entsendung des Götterboten Merkur an Avaux (silv. IX. 5) nutzt die günstige Gelegenheit dazu nicht aus. Das Motiv wird aus seinem epischen Zusammenhang gelöst und spielerisch behandelt. Der Götterbote wird nicht entsandt, um bestimmte Aufträge auszurichten, sondern die Entsendung gibt Veranlassung zu allerhand poetischem Nebenwerk, und der eigentliche Zweck der Entsendung wird vergessen. Erst wird geschildert, wie der Götterbote in prächtiger Rüstung durch die Luft dahinfliegt, wie der Dichter ihn anruft und fragt, wohin er eile; und da er sieht, daß er nach Münster beordert ist, bittet er ihn, zu dem französischen Gesandten zu gehen. Nun folgt aber nicht etwa der Auftrag, den der Dichter ihm geben will, sondern zunächst das Lob des Avaux anknüpfend an einen Vergleich des Göttergesandten mit dem fränkischen Gesandten, der sehr zu Ungunsten des Angeredeten ausfällt. Diesem langatmigen Lob des Avaux (v. 17—78), das mit allerhand mythologischen Abschweifungen durchsetzt ist, folgt dann die Aufforderung zur Eile mit H e n r i c h , Jakob Balde.

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der mehrfachen Anapher „I"! Ein Auftrag ist also gar nicht erteilt. — Aber die Ode hat ein Nachspiel: Epicitarisma (silv. I X . 6.) „Et sua. sunt ipsis oblivia Vatibus, ohe !" Aber auch hier erhält Merkur keinen eigentlichen Auftrag, sondern es wird ihm nur gesagt, was er auf eine etwaige Frage Avaux' nach dem Befinden des Dichters antworten solle. Er solle ihm sagen, daß er mit der Geschichtsschreibung beschäftigt sei, und mit welcher Methode er seiner Aufgabe gerecht zu werden gedenke. Das geistreiche Spielen mit einem Motiv tritt also an die Stelle der sinngemäßen Durchführung. Die an Avaux gerichteten Gedichte erheben sich durch die edle Gesinnung, die in ihnen zum Ausdruck kommt, über das Niveau der Gelegenheitsdichtung. Die Sorge um das Vaterland hat endlich auch ein Gelegenheitsgedicht veranlaßt, in dem die Persönlichkeit des Besungenen allerdings stärker hervortritt, und das mehr den Charakter eines Lobgedichtes hat: die 17. Ode des 9. Buches, an F a b i o C h i g i , 1 ) den päpstlichen Gesandten beim westfälischen Friedenskongreß, gerichtet. Den Inhalt dieses Gedichtes bildet das Lob des Kardinals, der Tugenden des Priesters (v. 51—62), des Staatsmannes (v. 63—102), des Gelehrten und Dichters (v. 103—148). Eingekleidet ist dieses Lob in die Fabel vom Ring des Gyges, den Apoll dem Dichter geschenkt hat, und den er benutzt, um sich von der Wahrheit •des Gerüchts über Fabio Chigi zu überzeugen. Immer hört er von seinen hervorragenden Eigenschaften reden, er möchte nun auch einmal etwas davon sehen; er dreht den Ring und bittet die Musen, ihn nach Münster zu bringen. Und ungesehen folgt er dem Kardinal. Balde hatte übrigens persönliche Beziehungen zu Fabio Chigi, die in dem Gedicht freilich nicht berührt werden. Als neuernannter päpstlicher Nuntins für Niederdeutschland hatte Chigi auf seiner Reise von Ferrara nach Cöln im Jahre 1639 München besucht und Pater Balde hatte ihn bei dieser Gelegenheit im Auftrag des Jesuitenkollegs in feierlicher *) Über Fabio Chigi, den späteren Papst Alexander VII., dem Balde seine Urania victrix widmete, vgl. Hergenröther in Wetzer und Weltes Kirchenlexikon I. 491. Riezler, Gesch. Bayerns V. 131 f. 375, 380.



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Ansprache begrüßt. "Wenn Balde an diese Begegnung auch nicht ausdrücklich anknüpft, gab sie ihm doch die Berechtigung, sich an den Kardinal zu wenden. Veranlaßt wurde er dazu wiederum durch die bayrische Politik. Maximilian mußte viel daran gelegen sein, das Einverständnis und die Unterstützung der Kurie für seine mit Frankreich Fühlung suchende Sonderpolitik zu gewinnen. Nach dem Tode Urbans VIII. (1644), der aus seiner antihabsburgischen Gesinnung kein Hehl gemacht und sich um die bayrischfranzösische Annäherung bemüht hatte, hoffte Maximilian auch seinen Nachfolger Innozenz X . für die gleiche Politik zu gewinnen, da die Sonderabsichten Maximilians ihn in Gegensatz zu seinem kaiserlichen Schwager brachten und man sogar schon mit einem Bündnis des Kaisers mit den Schweden gegen Bayern gedroht hatte. Es ist wahrscheinlich, daß der Kurfürst sich auch diesmal seines Hofhistoriographen zur Unterstützung seiner Pläne bediente. Balde sollte ihm helfen, den päpstlichen Gesandten seiner Sache geneigt zu machen. Von Politik ist allerdings in dieser Ode noch weniger die Rede als in den an Avaux gerichteten. Auch die Zeitereignisse werden kaum berührt, und es wird nur ganz im allgemeinen von der Tätigkeit des Gesandten für den Frieden geredet (v. 61—62 ; 95—96). Der Dichter versucht nicht eine Beeinflussung in einem bestimmten Sinne, sondern beabsichtigt nur eine captatio benevolentiae des einflußreichen Diplomaten für seinen Kurfürsten. Man könnte die ganze Gelegenheitsdichtung einteilen in eine Personen- und eine Sachendichtung. Jene wendet sich an bestimmte Personen und behandelt irgendwelche Ereignisse, an denen diese beteiligt sind; letztere beschreibt irgendwelche Gegenstände. Die Gelegenheitsdichtung der spätrömischen Zeit unterscheidet sich von der Gelegenheitsdichtung der deutschen Renaissance dadurch, daß diese Sachendichtung, die Beschreibung von Gegenständen meist der Kunst, von Gebäuden, Denkmälern u. dgl. einen viel breiteren Raum in ihr einnimmt. Der pompösen Beschreibung des Equus Domitianus durch Statius etwa, der Villa Tibur*) Westermayer S. 185.



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tina, der Villa Surrentina, des Balneum Claudii Etrusci hat die deutsche Renaissancedichtung nichts an die Seite zu setzen. Allerdings sind diese beschreibenden Gedichte eigentlich nur zum Lobe der Männer geschrieben, die diese Kunstdenkmäler geschaffen haben oder in ihnen dargestellt werden. Aber die Einkleidung dieser Huldigung ist doch von den gewöhnlichen Lobgedichten, die die Yorzüge einer Person aufzählen, charakteristisch verschieden. Der Unterschied der Kulturhöhe zwischen dem Rom der Kaiserzeit und dem Deutschland des siebzehnten Jahrhunderts genügt doch wohl nicht, um die Tatsache zu erklären, daß kaum eines jener zahllosen Lobgedichte auf Fürstlickeiten die Kunstdenkmäler preist, die auf ihren Befehl oder zu ihrer Ehre entstanden sind. Daß es an solchen Denkmälern gefehlt habe, wird man nicht sagen können in einer Zeit, die den Heidelberger Ott-Heinrichs- und Friedrichsbau, die Münchener Residenz, die Schlösser zu Dresden und zu Aschaffenburg, die Münchener Michaelskirche, den Herkulesbrunnen zu Augsburg und die Reliefs am Grabe Maximilians zu Innsbruck hervorgebracht hat. Auch wenn die Zeit keine größere Anzahl überragender Kunstwerke geschaffen hat, des Neuartigen und Imponierenden hat sie doch genug hervorgebracht; jede Zeit hat ihren eigenen Maßstab, und was in unserer Schätzung keinen großen "Wert repräsentiert, hat in seiner Zeit vielleicht höchste Bewunderung erregt. So hätte es der Gelegenheitsdichtung des 17. Jahrhunderts nicht am geeigtenen Stoff gefehlt. Was ihr mangelte, war der ästhetische Sinn, das künstlerische Verständnis der Dichter für diese "Werke der bildenden Kunst. Der praktische nüchterne Sinn der Deutschen verrät sich darin, daß die Dichter Geburten, Kindtaufen, Hochzeiten, Todesfälle für bedeutsamer und sangeswürdiger hielten als ein schönes Gemälde oder ein imposantes Gebäude. Balde unterscheidet sich darin von den meisten seiner dichterischen Zeitgenossen, daß er Interesse für die bildenden Künste zeigt. Auch auf ihn ist etwas übergegangen von dem warmen Kunstsinn seines Kurfürsten, der in schwerer Zeit die Pflege der Künste sich besonders angelegen sein ließ, der, ein glühender Bewunderer Dürers, eine vorzügliche



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Gemäldesammlung1) zusammenbrachte, der Bildhauern und Architekten bedeutsame Aufgaben zu stellen wußte und zahlreiche Denkmäler in München ins Leben rief, der — ein Ahnherr Ludwigs I. — die prunkvolle Residenz bauen ließ, die als das achte "Weltwunder gepriesen wurde und den Neid Gustav Adolfs erregte. Der persönliche Verkehr mit diesem hochsinnigen Fürsten war für unseren Dichter ein unschätzbarer Gewinn. Das Verhältnis des Hofpredigers zu seinem Fürsten, das durch die geistliche Stellung des Dichters seinen Charakter erhielt, hatte für Balde natürlich eine andere Bedeutung als etwa Opitzens Dienstverhältnis zu dem Grafen Hannibal v. Dohna und zum König Wladislaw IV. von Polen. Als Berater und Vertrauter eines Maximilian lernte Balde die Welt mit dem weitausschauenden Blick auffassen, der dem ersten Kurfürsten eigen war. Das Humanistische in der Lebensanschauung Maximilians, der ästhetische Sinn, die Neigung für Prunk kam auch in Balde zur Entfaltung. In Baldes Poesie spielt die bildende Kunst eine verhältnismäßig bedeutende Rolle. Wenn er von dem künstlichen Knaben am Eingang der Albertinischen Gärten erzählt (lyr. II 22), oder von Marienstatuen und Bildern spricht (lyr. H 26; IV 43; ep. 6; 15; silv. VII 2), oder wenn Dürersche Gemälde oder antike Statuen ihn zu Dichtungen anregen (lyr. IV 28; silv. V 5), so verrät er damit, daß er ein näheres Verhältnis zur bildenden Kunst hatte als die meisten seiner Zeitgenossen, bei denen wir vergebens nach den Zeugnissen künstlerischer Eindrücke suchen. Diese Gedichte Baldes erlauben freilich keinen Schluß auf besonderes Kunstverständnis. Es ist nur in ganz allgemeinen Wendungen von der Schönheit des Bildes die Rede. Das Verhältnis des Dichters zu dem Gegenstand ist ganz das des naiven Betrachters, der in dem Bild nur das Original sieht und dem das Medium des schaffenden Künstlers nicht zum Bewußtsein kommt. In dem Bild schätzt er nur die Qualitäten des Originals, nicht den Wert der künstlerischen Arbeit. Aber immerhin besaß Balde Empfänglichkeit für die Ein') v. Reber, Kurfürst Maximilian I. von Bayern als Gemäldesammler. München 1892.



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drücke bildender Kunst und er besaß überdies Originalität genug, um diese Eindrücke dichterisch zu verwerten. Dafür hatte er in der zeitgenössischen Literatur Deutschlands kein Vorbild, auch bei Sarbiewski findet sich nichts dergleichen. Gewöhnlich gibt Balde nicht mehr als eine einfache Beschreibung, so in dem Dialog über das Marienbild des Malers Schwarz (lyr. IV 13), in dem der Dichter und der Maler abwechselnd die Lieblichkeit der Mutter und des Kindes auf dem Gemälde preisen. So wird in der Ode silv. VII 2 das Marienbild von Joachim Sandrart, in der Ode an Rat und Volk der Stadt München (lyr. II 26) die Marienstatue auf dem Markt beschrieben (v. 48 — 64). Die 6. Epode enthält eine Schilderung des Marienbildes in Otting (v. 31 — 48). Diese Gedichte sind eigentlich nur Lobpreisungen Mariens, angeregt durch bildliche Darstellungen. Nicht eigentlich das Bild wird beschrieben, sondern die Gottesmutter, so wie' die lebhafte Phantasie des Dichters sie sich ausmalt. An die Stelle der Beschreibung eines sinnlich geschauten Gemäldes tritt das visionäre Schauen. Ganz deutlich ist dieser Übergang in der 15. Epode, die Dinge beschreibt, die unmöglich auf einem Gemälde dargestellt sein können. Hier wird nicht nur ein Nebeneinander von Situationen, sondern auch ein Nacheinander von Vorgängen gegeben. Der durch das angeschaute Bild lebhaft erregte Geist sieht nicht nur den einen Zustand, sondern auch was ihm voraufging und was unmittelbar darauf geschieht: er schildert, wie der unheimliche Drache seine sieben Köpfe dräuend gegen die himmlische Jungfrau erhebt, wie Maria die Schlange zertritt und das Untier sich am Boden windet Die Epode ist betitelt: Descriptio Virginis, qualem in mentis excessu viderat. Nur in den „Odae partheniae"x) ist dem Titel die Bemerkung beigefügt: Describitur summum altare visendum Frisingae in Ecclesia Cathedrali. Opus Petri Pauli Rubens. In Baldes Phantasie wird das Bild zum Drama; das Dargestellte nimmt Leben an und tritt in Tätigkeit. ') Eine von Balde im Jahre 1648 veranstaltete Sonderausgabe seiner gesammelten Mariengedichte.



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So wird ihm eine Münzsammlung zu einem Triumphzug römischer Imperatoren: lyr. III 31, 21 Quadriiugos agit En Nerva currus victor et aetheri Sublimis immitit triumphum . . . Se tota spectandam vetustas Exhibet historiisque ludit.

Die römischen Statuen im Antiquarium des Kurfürsten werden zu einer lebendigen Geschichte der römischen Kaiserzeit (silv. V 5). Reiche Gelehrsamkeit wird nicht in trockenem Gelehrtenton ausgebreitet, sondern gibt die Farben für die mit energischer Parteinahme gezeichneten Bilder. Das gelehrte Wissen, über das Balde verfügt, bleibt nie tote Materie sondern wird immer geistig verarbeitet. Balde dichtet nicht als Gelehrter, sondern als Künstler. Und am glücklichsten ist er, wenn er seine Gelehrsamkeit vergißt und der Phantasie freies Spiel läßt. Daß in der Tat der Anblick von Kunstwerken diese rein dichterische Stimmung in ihm anzuregen vermochte, zeigen uns die Oden lyr. II 22 und II 26. Er versenkt sich ganz in den Anblick des lieblichen Knaben am Eingang der Albertinischen Gärten. Indem er ihn betrachtet und beschreibt, wird er mit ihm vertraut und versteht seine Gedanken, die von den nächtlichen Reihen der, Wiesenjungfrauen erzählen. lyr. II 22, 21 Nam scis et audis, qualibis area Dilecta noctu ferveat incolis, Vides Napaearum choreas Institui saliente Luna.

Wie hier der künstliche Knabe in heimliche Beziehung tritt zu dem Leben der Nacht, so erscheint die Muttergottesstatue auf dem Münchener Markt in vertraulichem Verhältnis mit der nächtlichen Natur. Die Sterne fliegen herbei und küssen die Himmlische und ruhen auf ihrem Nacken aus. Der Wiederschein des Sternenüchts auf dem blinkenden Erz findet die schöne poetische Deutung: lyr. II 26, 61. Huc advolantum exercitus ignium Formosa noctu deferet oscula, Sedem fatigatis quietam Sideribus dabit una cervix.



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Zu einer nüchternen Beschreibung eines Gegenstandes fehlt dem leicht erregbaren Geist die Ruhe. Der eigene innere Reichtum strömt in die Wiedergabe des Objekts hinein. Äußerlich angesehen stellt sich das Verhältnis des Dichters zu dem Objekt so dar, daß er der Beschreibung eine lebendigere Einkleidung zu geben sucht. Er beschreibt die neuerbaute Residenz des Kurfürsten und die Befestigungswerke der Stadt (lyr. I Y 2), indem er sie in Begleitung des Kriegsgottes besichtigt (v. 49—80) und diesem dabei von der Pracht der Residenz, an der sie auf ihrem Gang vorbeikommen, erzählt (v. 9—40). Die Beschreibung wird also in Handlung und Erzählung aufgelöst. Die mündliche Beschreibung wird dann weiter dadurch belebt, daß der Sprecher erzählt, was ehemals an der Stelle gestanden hat, wo man jetzt die verschiedenen Befestigungswerke errichtet hat, endlich dadurch, daß die Beschreibung nicht als Zustands-, sondern als Tätigkeitsschilderung gegeben wird. Der sich erhebende Wall hat die Obstbäume weichen geheißen und die Gärten beiseite geschoben (v. 62ff.), die Mörser d r o h e n Blitze von den Türmen herab und blicken aus den Schießscharten die Yorübergehenden grimmig an. So hilft auch noch die Stimmung des erschreckten Beschauers zur Belebung. Diese Faktoren fehlen ganz in der auch sonst weniger gelungenen Beschreibung der hangenden Gärten des Herzogs Albert (lyr. II 20), in der nur die Yerlebendigung der Bäume, Blumen usw. bemerkenswert ist. Wie Balde durch Ereignisse zu moralischen Betrachtungen angeregt wird, so auch durch den Anblick von Kunstwerken. Yon der bildlichen Darstellung ist dann gar nicht die Rede, wie in der Ode lyr. II 25, wo nur der Titel uns sagt, daß die Betrachtungen über die Undankbarkeit des Augustus dem Dichter eingegeben wurden durch den Anblick einer Cicero-Büste in Schleißheim. Ebenso veranlaßt ein Dürersches Gemälde Betrachtungen über die auf ihm dargestellten Personen Pompejus, Cäsar, Cato (lyr. I Y 28), der Wilhelmsaltar in Schleißheim veranlaßt den Dichter, die Macht der Gottesmutter zu preisen, vor der auch der hl. Wilhelm sich beugte (lyr. I Y 46). Die Kolossalstatue

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der „Patrona Boiariae" vor der Münchener Residenz gibt dem Dichter Bitten für den Stifter dieser Statue ein, den bayrischen Kurfürsten (lyr. IY 43). Gelegenheitsgedichte im äußerlichen Sinne kann man diese an Kunstwerke anknüpfenden Oden nur noch mit Vorbehalt nennen. Denn wenn sie auch zumeist als Huldigungen für den Kurfürsten, den Schöpfer, gedacht sind, so zeugen sie doch von einem inneren Erlebnis, einem ästhetischen oder auch einem moralischen. So sind auch die Gedichte, die durch Lektüre angeregt sind, meist Äußerungen persönlichen Empfindens, z. B. die Ode lyr. II 28, in der der Dichter "Wehe ruft über die sittliche Entartung Frankreichs, wie sie in den „Histoires tragiques" des Franciscus ßossetus 1 ) dargestellt wurde, und die Ode silv. YH 3 „Delectari se lectione vitae Beati Jacoponi".8) Der moderne Sprachgebrauch verwendet das Wort „Erlebnis" mit Yorliebe für innere ästhetische Eindrücke, während die ältere und die volkstümliche Sprache mit dem Wort Erlebnis äußere Geschehnisse in ihrer Yerknüpfung mit dem einzelnen Menschen bezeichnet Die Ästhetenkunst verwirft alles äußere Geschehen, alles roh Stoffliche und flüchtet sich in das innere Erleben. Sie ist höchst subjektiv, aber ihre Subjektivität ist eine, rein geistige. Die realen Verhältnisse des Individuums, seine Lebensstellung, seine praktische Tätigkeit, seine persönlichen Beziehungen zu der ') François Rosset (1570 bis nach 1630), Dichter, Romanschriftsteller, Übersetzer. Die „Histoires mémorables et tragiques", erschienen zuerst Paris 1619, in vollständigerer Ausgabe Lyon 1621. (Michaud, Biographie universelle. 36, 513; nach Brunet, Manuel du libraire. IV. 1402/3, gehört diese vermehrte Ausgabe jedoch ins Jahr 1721: „édition augmentée Lyon 1621 ou plutôt 1721"). Rosset, dessen hist. trag, in Deutschland in dieser anekdotenfreudigen Zeit ziemlich bekannt waren und zuerst von Martin Zeiller in seinem vielgelesenen und mehrfach nachgedruckten Theatrum tragicum (1628), dann von Matthias Abele in seinem „Seltzame Gerichtshändel" (1651) benutzt wurden (Gervinus, Gesch. d. d. Dicht. 4. A. III 72; Waldberg, Allg. D. Biogr. 44, 784) wird von Balde auch in der Vorrede zur Jephtias erwähnt 0. o. VI. 4. *) Auch die Bekehrung des Jacopone wurde im Jesuitendrama behandelt z. B. 1650 zu Eichstätt vgl. Serapeum 26 S. 47.



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Außenwelt und zu den Mitmenschen sind aus dem poetischen Bezirk ausgeschlossen. — Das gleiche gilt für Baldes Dichtung. Es ist erstaunlich, wie aus verschiedenen Bedingungen gleiche Resultate hervorgehen können. Auch bei Balde fehlt das Erlebnis im äußerlichen Sinne fast ganz. "Wir erfahren nichts von seiuem Beruf und seiner Tätigkeit, nichts von seinem Yerhältnis zu seinen Mitmenschen, äußerst wenig von Ereignissen, die ihn persönlich angehen. "Wir werden sehen, daß die allgemeinen Zeitereignisse zwar eine sehr wichtige Bolle in seiner Lyrik spielen; aber alles, was mit seiner äußeren Person zusammenhängt, ist so gut wie ausgeschlossen. Und was wir darüber erfahren, wird uns nur nebenbei vermittelt durch die Überschriften von Gedichten, die zwar durch äußere Erlebnisse veranlaßt sind, aber über diese Veranlassung selbst nichts sagen. Daher kommt es, daß wir uns so schwer ein Bild von der Persönlichkeit des Dichters machen können. — Es wird darüber später noch mehr zu sagen sein. Hier seien nur die Gedichte kurz besprochen, die an bestimmte Erlebnisse des Dichters anknüpfen. Diese Gedichte verdanken fast alle jener Reise ihre Enstehung, die der Dichter im Jahre 1640 in Begleitung des Kurfürsten nach Innsbruck unternahm. Bei dieser Gelegenheit machte er eine "Wallfahrt nach Altötting, bei der die Epoden 5—8 entstanden, besuchte die Kapelle "Waldrast (lyr. II 11) sowie die Bergwerke in Schwaz (silv. VII 4). Die Rückreise führte ihn über Ettal, ohne daß er zu einem Besuch der dortigen Marienkapelle Zeit finden konnte (lyr. III 2). Aber auch diese Gedichte geben keine Andeutungen über die Umstände, in denen sich der Dichter befand. Eine Erzählung von irgendwelchen Ereignissen findet sich in diesen Oden nirgends. Es sind teils hymnische Ergüsse teils Beschreibungen und Reflexionen ohne epische Elemente. Einzig der „Enthusiasmus" silv. YII 4 macht eine Ausnahme. Er schildert die Schrecken der Unterwelt, die der Dichter bei dem Besuch der Schwazer Silberbergwerke1) ') Vgl. des Celtis Erzählung von seiner Grubenfahrt in die Salzwerke von Wieliczka. Eleg. 6 „Ad Janum Terinum de salifodinis Sarmatiae, quas per funem immissus lustraverat."



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geschaut hat. Ist diese Schilderung auch mit Betrachtungen und rhetorischen Exklamationen gesättigt, so bekommen wir doch die Erzählung einer Grubenfahrt, wir hören vom Eintritt in den Schacht bei Fackelschein (v. 32), von unterirdischen Wassermassen (v. 44), von der mühseligen Arbeit halbnackter schmutzbedeckter Hauer (v. 57 ff.), von dem Gewirr dunkler Gänge, durch die die "Wagen hin- und herrollen (v. 73), wir hören von einem gewaltigen Schaufelrad, das die Wassermassen aus der Grube hinausbefördert (v. 85), von der unerträglichen Hitze in der Tiefe und endlich von der freudigen Begrüßung des wiedergewonnenen Tageslichts (v. 192). Der Dichter wendet einigemale das bei ihm sonst so seltene erzählende Praeteritum an: v. 33 ibamus atralampade praevia; v. 44 venimus ad Stygias paludes; v. 101 huc quoque repsimus. Jedem Schritt folgt freilich ein pathetischer Ausbruch des Entsetzens und alles wird in die Vorstellungen der antiken Unterwelt umgedeutet. Immerhin ist das Pathos dem Stoff nicht unangemessen und der starke Eindruck eines ersten Besuchs finsterer Bergwerksgänge ist gut wiedergegeben. Dieser „Enthusiasmus" ist das einzige Gedicht, in dem der Dichter ein tatsächliches Erlebnis erzählend vorführt. Aber das Gedicht will keine Erzählung sein, sondern eine Allegorie. Die Überschrift erklärt: „Per continuam Allegoriam explicantur pravae Societatis pericula; hominis in profundum vitiorum demersi infelix status, eiusdemque ope poenitentiae extracti, et luci gratiae restituti felicissima conditio". Das reale Geschehen soll also nur als Versinnbildlichung moralischer Zustände und Entwicklungen gelten. Der Stoff dient dem Autor nur als Mittel zu moralischen Wirkungen. Übrigens enthält das Gedicht selbst keine Hinweise auf die ihm im Titel zugewiesene tiefere Bedeutung und das „continua Allegoria" scheint fast ein nachträglicher, das Fehlen solcher Hinweise erklärender und die Behandlung eines so weltlichen Stoffes entschuldigender Zusatz zu sein. Was wir sonst über Baldes Erlebnisse erfahren, ist gering. Wir hören, daß er mehrmals in Ebersberg, der Sommerwohnung der Münchener Jesuiten, Erholung suchte



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(lyr. III 11; silv. VIII 21), daß er häufig von Krankheit heimgesucht wurde (lyr. II 35 ; 41; silv. VIII 1; I X 27) und unter Schlaflosigkeit zu leiden hatte (lyr. II 36), daß er einmal die Handschrift seiner Gedichte verloren hatte und sie unter einem Baume wiederfand (lyr. III 27), daß er einmal in Heidhausen bei München das merkwürdige Treiben eines Bienenschwarms beobachtete (silv. II Apiarium). Doch diese Dinge helfen uns nicht die Beziehungen zu erkennen, in denen der Dichter zu seiner Umgebung, seinen Zeitgenossen stand: es sind Erlebnisse eines Einsiedlers. Der schmerzlich vermißte Konnex mit der realen Welt wird durch sie nicht hergestellt. Einen unzulänglichen Ersatz liefert uns der Dichter, der sich über seine tatsächlichen Erlebnisse ausschweigt, dadurch, daß er mehrfach fingierte Erlebnisse zur Grundlage seiner Dichtungen macht. Er gibt vor, eine der Pyramiden bestiegen (lyr. III 47) und Konstantinopel besucht zu haben (lyr. IV 37 bis 3 9 ; 44). Ältere Biographen haben diese Fiktionen für bare Münze genommen. Geben die Gedichte selbst auch keine unbedingte Gewißheit über die Irrealität ihrer Grundlage (doch vgl. lyr. III 47, 1—9, 108—116; IV 39. 47—56), so läßt die Vorrede zum 5. Buch der "Wälder keinen Zweifel. — Häufiger erdichtet Balde sich unmögliche Erlebnisse, phantastische Luftreisen (lyr. I 5 ; silv. I X 17; 18) und sonstige wunderbare Erscheinungen oder visionäre Gesichte, wie die Verwandlung der Leier (silv. I X 29), die Schenkung der Leier (silv. I X 3), das prophetische Echo (silv. I X 28; vgl. auch lyr. III 48; silv. V 1—3; VII 16).

3. Zeitgedichte. a) P o l i t i s c h e . Den Gedichten zeitgeschichtlichen Inhalts gebührt der erste Platz in Baldes Lyrik. Ihr Inhalt sichert ihnen unser Interesse, ihre Tendenz gewinnt ihnen unsere lebhafte Genugtuung. Eifrige Teilnahme für die politischen Ereignisse der Zeit, warme Vaterlandsliebe und ideale Begeisterung



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hätten Balde zum volkstümlichen historischen Dichter befähigt, hätte er die Volksprache und die volkstümliche Ausdrucksweise gewählt statt der Gelehrtensprache; vielmehr: hätte er ein Dichter des Yolkes werden wollen. Aber wenn schon die ganze Welt der Gelehrten sich scharf von dem niedrigen Volk absonderte, so wurde Balde durch seine humanistische Gesinnung wie durch seine Zugehörigkeit zu dem internationalen Jesuitenorden, der im Gegensatz zu den Bettelorden seinen Platz bei den Mächtigen der Erde suchte, zum Gebrauch der gelehrten Sprache und ihrer reichen Bilder- und Anschauungswelt bestimmt. Balde dachte nicht daran, auf die Massen zu wirken, er wollte die Fürsten beeinflussen. Eine ganze Anzahl von Gedichten ist an einzelne Fürstlichkeiten und Diplomaten oder auch an die Fürsten Deutschlands im allgemeinen gerichtet. Und er spricht zu ihnen nicht als ein Mann des Volkes, sondern als der Gelehrte. Er beklagt wohl das Elend Deutschlands, doch nicht die Not des Einzelnen, den Jammer der Familie, sondern die Verwüstung ganzer Länder, die Zerstörung mächtiger Städte, die Schmach des Reiches. Seiner Sprache fehlt der eindringliche Schmerzenslaut des Mannes, der das Kriegselend mit all seinen Schrecken am eigenen Leib gespürt hat. Er spricht als einer, der von oben herab die jammervollen Zustände überschaut und lebhaft durch sie bewegt wird. Dabei bleibt sein Blick immer auf das Ganze gerichtet. Das Empfinden, das in ihm geweckt wird, ist weniger das Mitleid mit den mißhandelten Menschen, als der patriotische Schmerz über das ohnmächtige zertretene Vaterland. Die deutsche Gelehrten-Poesie der Zeit des 30jährigen Krieges hat sich um die politischen Ereignisse bekanntlich nur sehr wenig gekümmert. Während draußen im bruderraörderischen Ringen um Glaubensfreiheit gekämpft wurde, saßen die Poeten in ihren Gelehrtenstuben und beschauten selbstgefällig ihr unfruchtbares Wissen in dem künstlichen Spiegel ihrer Verse, schickten sich gegenseitig schwülstige Lobeshymnen und tändelten pedantisch in einer Schäferwelt herum, als ob man im tiefsten Frieden lebte.



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Es ist eine oft beklagte Tatsache, daß Deutschland1) in großer politischer Zeit nie den großen Dichter fand, der seinem Empfinden den würdigen Ausdruck gab und von heroischen Taten der Nachwelt in poetischer Form erzählte. Walter von der Yogelweide ist die einzige würdige Ausnahme. Aus der Zeit des großen Fritz klingen in der Poesie nur noch die Kriegslieder eines preußischen Grenadiers nach, die Freiheitskriege haben auch nur Sänger zweiten Ranges gefunden, während die deutschen Einheitskriege kein Lied von höherem Werte gezeitigt haben. An Gedichten überhaupt ist in diesen Zeiten freilich kein Mangel, es fehlt dem Willen nur die Kraft. Für die Gelehrtenpoesie des 17. Jahrhunderts ist aber gerade das charakteristisch, daß sie kaum einen Versuch machte, die Ereignisse der Zeit dichterisch zu bewältigen. In einer Epoche, die an machtvollen Persönlichkeiten, gewaltigen Ereignissen, an Freude und Schmerz, Hoffnung und Verzweiflung so reich war, die so viel Stoff bot, wuchert eine Poesie, die so handlungsarm, so uninteressant ist wie nur möglich. Ist es die Übersättigung mit Geschehnissen im Leben, die alle Handlung von der Dichtkunst ausschließt, ist es die verwirrende Masse sich kreuzender Nachrichten, die parteiische Entstellung aller Dinge, die eine klare Vorstellung von den tatsächlichen Ereignissen und ihren Zusammenhängen unmöglich machen, ist es das endlose Hin und Her des Kriegsglücks, die Verzweiflung, aus dem Labyrinth widerstreitender Interessen je den Ausweg zu finden? Oder ist der Grund für das Fehlen jeder erzählenden Behandlung von Kriegsereignissen nicht in dem Krieg selbst zu suchen, sondern in der Literatur, in der herrschenden Auffassung von der Poesie, dem mangelnden Sinn für epische Darstellung? Das Wesen der epischen oder, wie man zu sagen liebte, der heroischen Poesie sah man nur darin, daß sie auf geschichtliche Personen und Ereignisse sich beziehe, nicht in der erzählenden Darstellung. So waren die heroischen Gedichte denn bald ') Im Gegensatz zu andern Ländern vgl. Gervinus, Geschichte der deutschen Dichtung, 4. Aufl., III. 200.



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lyrisch-rhetorisch, bald didaktisch, nur nicht episch. Opitz hatte in seiner Poeterei mit Recht erklärt, ein vollkommenes heroisches Gedicht sei in Deutschland so bald nicht zu erhoffen. 1 ) Wo die Dichter sich mit den Zeitereignissen beschäftigen, tun sie das nur in Lobgedichten auf einzelne Fürstlichkeiten und Feldherren, also meist in persönlichem Interesse, nicht aus patriotischem Empfinden heraus. Der Kultus der Persönlichkeit, den die Renaissance aufgebracht hatte und den der niedrige Byzantinismus der Spätrenaissance zur Komödie herabwürdigte, sah nur noch das Bild des Einzelnen, steigerte seine Züge ins Übermenschliche, hob dadurch den Einzelnen aus seiner Umgebung heraus und löste seine Zusammenhänge mit seiner Zeit. So werden z. B. in Weckherlins Preisgedicht auf Gustav Adolf 2 ) alle Tatsachen nur angedeutet, der wortreiche Hymnus findet keine Zeit, den Strom seiner Begeisterung mit der Darstellung der Ursachen dieser Begeisteruug zu unterbrechen. Ähnlich steht es mit Weckherlins Sonetten an Bernhard von Weimar, 3 ) an Oxenstierna,4) wie mit den Werken anderer Dichter, etwa Johann Sebastian Wielands „Held von Mitternacht" (Gustav Adolf) 1633, Johannes Freinsheims „Teutscher Tugendspiegel" (auf Bernhard von Weimar) 1639 und Adam Olearius „Siegs- und Triumpfzeichen Gustavi Adolphi Magni" 1633. Es besagt schon genug, daß diese Gedichte durchweg an einzelne Personen gerichtet sind. Erst im Jahre 1657 ist ein Werk erschienen, das nicht Helden loben, sondern Ereignisse darstellen wollte, Georg Greilingers „Dreißigjähriger Krieg", der freilich eher zur Historie als zur Poesie gehört, wenn er auch in gereimten Alexandrinern geschrieben ist. Die einzigen Werke von Bedeutung, die der dreißigjährige Krieg der deutschen Literatur hinterlassen hat, der Simplizissimus und Mosch eroschs Gesichte, erzählen von dem kulturellen Zustand Deutschlands, nicht von den historischen ») ») 8 ) 4 )

Poeterei, V. Kap., Neudruck hersg. v. Braune, S. 22. G. R. Weckherlins Gedichte, hersg. v. H. Fischer, II. 287. ebd. I, 427—430. ebd. I, 432.



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Ereignissen. Yon der sittlichen Entartung, dem wirtschaftlichen Elend handeln auch die Klagelieder, die wohl bei keinem Dichter der Zeit fehlen, die aber alle in allgemeinen Wendungen und immer gleichen Lamentationen sich erschöpfen. Es genügt, auf Zincgrefs „Vermanung zur Dapfferkeit", Opitzens „Trostgedichte in Widerwärtigkeiten des Krieges", Rists „Kriegs- und Friedensspiegel" hinzuweisen. In den 2000 Yersen der „Trostgedichte" wird kein einziges bestimmtes politisches Ereignis erwähnt, kein Name, sei es eines Feldherrn, einer Stadt, eines Gebietes überhaupt genannt. Das einzige bestimmte historische Ereignis, dem Opitz ein Gedicht gewidmet hat, ist kein Ereignis der deutschen Geschichte, sondern der französischen, die Eroberung von La Rochelle durch Richelieu 1628, und dies Gedicht ist überdies kein Original, sondern die Bearbeitung eines Gedichts des Hugo Grotius.1) Auch Zincgrefs Yermahnung gibt den allgemeinen Zustandsschilderungen nicht durch konkrete Einzelheiten individuellen Gehalt. „Trostgedichte in Widerwärtigkeiten des Krieges" — der Titel ist charakteristisch für die Stimmung der Zeit und paßt für einen großen Teil der Gedichte, die sich auf die historischen Ereignisse beziehen. Man klagt über das Elend und sucht nach philosophischen Trostgründen, statt mannhaft zuzupacken, um sich das Übel vom Halse zu schaffen. Man reflektiert und weiß keinen Rat. Alle Energie, alle Entschlußkraft, aller Mut scheint diesen Männern verloren gegangen zu sein, sie wissen nichts Besseres, als sich mit den traurigen Yerhältnissen zufrieden zu geben und geduldig das Schicksal zu tragen. Man glaubt nicht mehr an die Möglichkeit, mit dem Schwert Deutschland den Frieden zu erkämpfen, man wagt — nach so vielen Kriegsjahren — nicht mehr, zum Kampf aufzurufen. Man wagt nicht mehr, den Haß noch weiter zu schüren, man wagt deshalb keinen Angriff, keine leidenschaftliche l ) „Über die Eroberung Roschelle. Auß dem Lateinischen eines andern. (Ich die ich weitberümbt durch Unglück worden bin)." M. Opitii Opera. Bresslau (1690) II, 50.



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Parteinahme mehr. Das allgemeine Bedürfnis der Ruhe sucht eher die Gegensätze auszugleichen als sie zu verschärfen. Auch in der Flugschriftenliteratur erlahmte die Kampfstimmung. Die konfessionelle Polemik, die in den Jahrzehnten vor dem großen Kriege ihren Höhepunkt erreicht hatte, verstummte mehr und mehr, bis der Beginn der Friedensverhandlungen und die bevorstehende endgültige Regelung der religiösen Yerhältnisse sie neu aufflammen ließ, wozu der Neudruck verschiedener Schriften des Jesuiten Wagnereck seit dem Ende des Jahres 1646 den Anstoß gab. Auch die während des ersten Jahrzehnts des Krieges lebhaft geführte politische Polemik verlernte in dem Kriegselend ihre scharfe, unversöhnliche Sprache: Kaspar Scioppius z. B., der im Jahre 1619 in seinem Classicum belli sacri die katholischen Fürsten zum gemeinsamen Kampf gegen die Protestanten angefeuert hatte, plädierte 1630 in seinen Fundamenta pacis für den Flieden und ein Nationalkonzil.1) Ein gewisser quietistischer Zug macht sich in der Literatur bemerkbar mit der ihm eigenen idealisierenden Tendenz. Diese Tendenz berührt sich mit der Vorliebe der Zeit für Lobgedichte auf fürstliche Personen. Es ist bezeichnend, daß das politische Interesse der Dichter nur in Schmeicheleien und Huldigungen Ausdruck sucht, nicht in Anklagen gegen die Schuldigen. Jakob Balde ist der einzige deutsche Dichter, der den Klagen über die Not des Krieges individuelle Züge zu geben weiß, der den politischen Ereignissen seiner Zeit die gebührende Bedeutung in seiner Lyrik zukommen läßt 2 ) und der den Ereignissen und Personen gegenüber eifrig Partei zu ergreifen wagt. Er ist kein kräftiger Gestalter vielfacher Geschehnisse, aber er übertrifft die meisten Dichter seiner Zeit in dem Sinn für das Reale. Er begnügt sich nicht mit allgemeinen Zustandsschilderungen (an denen es freilich nicht >) Riezler, Geschichte Bayerns VI (1903), S. 386. ) Auf Baldes Teilnahme für die politischen Zeitereignisse ist vielleicht nicht ohne Einfluß geblieben die Mahnung des Jesuitengenerals Vitelleschi an die Provinzialen, der Darstellung der Kriegsereignisse besondere Sorgfalt zu widmen. Vgl. Duhr, Geschichte der Jesuiten II 2, 360. s

H e n r i c h , Jakob Balde.

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fehlt: lyr. III 6; 21; IY 16; silv. IY 1—4; V 21; YII 11; Y i n 12; IX 14), sondern gibt Einzelheiten, er spricht von der Zerstörung einst blühender Städte: Magdeburg, Paderborn, Ingolstadt, Breisach, Glogau, Bamberg u. a. (silv. IY 2). Die wichtigsten Ereignisse und Persönlichkeiten des Krieges werden doch wenigstens erwähnt und erscheinen in der kräftigen Beleuchtung von Baldes persönlicher Auffassung. Wir hören von der Schlacht am weißen Berge (lyr. II 3) und von der bei Lützen (lyr. I 19), von Gustav Adolfs Zug nach Deutschland (lyr. I 8; IV 41), von seinem Triumphen Heidelberg (silv. IY 4), von Pappenheims Tod (lyr. 119) und von Wallensteins Ermordung (lyr. II 13), von der Eroberung Breisachs (lyr. I 36) und von der tapferen Yerteidigung von Brünn (silv. IX 19). Neben Kurfürst Maximilian, dem Sieger bei Wimpfen und bei Prag (lyr. IY 1), erscheint wiederholt der tapfere Tilli als ein Muster des Soldaten und Feldherrn, dessen Yerlust dem kaiserlichen Heere unersetzlich ist (lyr. II 3; IV 11; silv. IX 18, 257ff.); auch der Winterkönig, den Balde des Versuchs beschuldigt, bei der Einnahme Münchens durch Gustav Adolf die Königsburg und die Stadt in Brand zu stecken (lyr. II 26, 31), Bethlen Gabor, Boucquoi, der Fürst Christian von Anhalt, Herzog Bernhard von Weimar, Mansfeld, Torstenson werden eingeführt (lyr. II 3; III 21; IV 1; 45; silv. IX 19), sowie die Verräter Wallensteins: Gallas, Butler, Gordon, Lesley, Deveroux und die Getreuen des Friedländers: Trzka, Kinsky, Neumann, Ilow (lyr. II 13). Wir hören von der Schlacht bei Wimpfen und von der am Barenberge (lyr. IV 1), von der Besetzung Münchens durch die Schweden (lyr. III 21), von der Verheerung des Elsasses durch Bernhard von Weimar (lyr. II 27) und von seinem Zuge nach Hochburgund (lyr. III 21), von dem Fall der Festung Philippsburg (silv. IX 25), vonBaners kühnem Vorstoß gegen Wien (lyr. HI 21). So werden uns die wichtigsten Momente des langen Kampfes vergegenwärtigt, allerdings nicht in erzählender Darstellung, sondern in resümierender Betrachtung. Der Behandlung des Historischen fehlt auch bei Balde das epische Element. Das Ereignis, von dem er spricht, drängt sich dem Dichter nie so stark auf, daß es für sich selbst Bedeutung erlangte



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und die nachschaffende Phantasie des Erzählers zur Gestaltung veranlaßte. Das Ereignis an und für sich ist ihm weder so bedeutsam noch so interessant, daß er bei ihm länger verweilte, weder das freudige noch das schmerzliche. An Stelle der sachlichen Erzählung tritt die tendenziöse Reflexion, die jedes Geschehen in einen ideellen Zusammenhang rückt.1) Das Interesse konzentriert sich nicht auf ein einzelnes Geschehen, die Betrachtung ordnet die verschiedensten Ereignisse nebeneinander, sie wertet sie nur als Symptome eines Zustandes, die Ereignisse dienen als Beispiele, als Fälle zur Erläuterung der sittlichen oder geistigen Verfassung der Zeit. Diese allgemeinen bei Balde im Gegensatz zu den zeitgenössischen Dichtern durch historisches Detail belebten Zustandsschilderungen nehmen dementsprechend den größten Raum in seiner Zeitdichtung ein. Immer und immer wieder klagt er über Deutschlands Elend, über die Verwüstung fruchtbarer Landstriche, ertragreicher Weinberge, die Zerstörung so vieler Städte. Wie eine gemähte Saat liegen die einst blühenden Städte da: Magdeburg, silv. IV 2, 25 Urbs nulla pinnas altius extulit Urbs nulla fastu foedius occidit,

Mainz: foeminarum flos Alemannidum (ib. v. 29), Paderborn, Breisach, Wismar, Bamberg. Ein ganzes Buch der Wälder ist dem elenden Zustand Deutschlands gewidmet, das 4. Buch betitelt: „Threni, sive lamentationes videntis vastationem Germaniae"; da klagt der Dichter um Deutschland, die unüberwindliche Königin der Erde: silv. IV 1, 10

Insuperabilis Regina terrarum, subacta In viduo sedet orba luctu.

Bald dreißig Jahre schon wütet der Krieg. Lieber möchte der Dichter ins rauhe Gebirge fliehen und dort mit den Tieren in Höhlen leben, als solche Greuel mitansehen. Glücklich, wer blind ist und das Elend nicht zu sehen braucht (silv. V15). Am schmerzlichsten ist ihm das Unglück seines Heimatlandes. Die Liebe zu dem schönen Elsaß und der Schmerz ') Vgl. unten S. 171 f.

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über die Verwüstung des reichen Landes findet ergreifenden Ausdruck: silv. IV 2, 69 Istine vultus Alsatiae meae! Hi sunt ocelli! non decor in genis, Non gemma collo, non in ore Gratia purpurei coloris. Tu Diva felix . . . vix mihi nosceris . . . Iam nota vox est praetereuntium: Haec illa S e d e s N o b i l i s , annuli Smaragdus Orbis; funeratae Vah species miseranda terrae!

Zwar weiß er für seine vertriebenen Landsleute auch keinen besseren Rat als sich in das Unabänderliche zu fügen. Der Einzelne vermag ja nichts. Aber deshalb läßt er doch nicht die Hände mutlos sinken. "Wenn die deutschen Fürsten sich zusammenschlössen zum gemeinsamen Kampf gegen die Landesfeinde, dann wäre dem Land bald geholfen. Deshalb mahnt er immer wieder zur Einigkeit (lyr. 1Y 44; ep. 1; silv. IX 15). Ein enges Bündnis, so wünscht er, sollen die deutschen Fürsten schließen, fester als der gordische Knoten, das kein Alexander, kein Gustav zerhauen soll (silv. IX 15). Auch von einer anderen Seite erhofft Balde noch Rettung, von dem Kaiser. Freilich muß er seine Untätigkeit, seine ängstliche Zurückhaltung beklagen. Er ruft ihm zu: lyr. III 13, 77 Rex Adraste, pedem tu quoque promove, Incauto nocuit credere militi Maiestatis onus; qui residet domi Absens plurima nesciet.

Er mahnt ihn an Caesar und an Karl den Kühnen, die selbst ihre Truppen zum Siege geführt haben. Koch einmal lebt die Hoffnung in ihm auf, die alte Kaiserherrlichkeit wiedererstehen zu sehen, und er ruft dem Adler des Reiches zu: lyr. I 38, 1 Surge Romani Iovis et trisulci Fulminis custos aviumque Caesar . . . Pelle Finlandos, age, pelle corvos . . . Victor optantem redeas Viennam.

Es verdient besondere Beachtung, daß in des Jesuiten Balde Stellungnahme zu den Zeitereignissen nicht religiöse, sondern politische Momente im Vordergrund stehen. Deshalb



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ist natürlich seine politische Auffassung nicht weniger durch seine religiöse bedingt, aber wenn er gegen Gustav Adolf und die Schweden eifert, so verdammt er sie nicht als Ketzer, sondern er bekämpft sie als die Landesfeinde. Nur ein einzigesmal sagt er ein bitteres Wort über die Glaubenskämpfe und den Urheber alles herrschenden Unheils (silv. III 1, 85—92). Nie jedoch greift er einen protestantischen Fürsten seines Glaubens wegen an, oder fordert die katholischen zum Kampf gegen die Glaubensfeinde auf. Im Gegenteil : alle Fürsten sollen sich zusammenschließen — ob katholisch oder protestantisch, davon ist gar nicht die Rede. Bin solches Vorherrschen der vaterländischen Interessen über die religiösinternationalen ist bei einem Jesuiten beachtenswert, und doch, glaube ich, lag es damals dem Katholiken näher als dem Protestanten. Ein Katholik konnte eher zum Zusammenschluß gegen die Landesfeinde, die eben auch die Feinde des deutschen Katholizismus waren, auffordern. Nur ein Katholik konnte auf die endgültige Lösung der Streitigkeiten, die zum Kriege geführt hatten, verzichten, indem der Katholizismus von einer Neuordnung der Dinge namentlich im letzten Drittel des Krieges nur noch Schädigung zu erwarten hatte. Nur für den Katholiken deckten sich die religiösen und die vaterländischen Interessen. Auf dieses Moment hat die Literarhistorie m. W. noch nirgends hingewiesen, und doch hilft es das Fehlen einer patriotischen Lyrik zu erklären bei denen, die sich der deutschen Poesie damals fast alleine annahmen: den Protestanten. Die Vertretung der religiösen Interessen mußte für die Protestanten, die eine Änderung der alten Zustände anstrebten, im Vordergrund stehen und zwang sie, die Interessen der Reichseinheit zurückzustellen, die Katholiken konnten die vaterländischen Interessen in den Vordergrund stellen, die Erhaltung oder Wiederherstellung der alten Einheit fordern, weil damit ihre religiösen Interessen eingeschlossen waren. Die Vertretung der religiösen Interessen der Protestanten mußte in feindlichen Gegensatz gegen die widerstrebende katholische Reichsgewalt treten. Sie war also der Auffassung, die in der Einheit des Reiches das politische Ideal sah, zuwider, und in diesem Sinne antinational.



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Es handelt sich hier nicht darum, über die Berechtigung oder die historische Notwendigkeit dieser Stellung des Protestantismus zum Reich zu diskutieren, sondern darum, uns die psychischen Zustände zu vergegenwärtigen, die aus diesem Verhältnis sich ergaben und in der Literatur der Zeit ihren positiven oder negativen Ausdruck fanden. Durch den Widerstreit der religiösen und der politischen Interessen erlitt das patriotische Empfinden der Protestanten einen Bruch. Dazu kam, daß die protestantischen Fürsten gezwungen waren, bei fremden Mächten Hilfe zu suchen und sich mit dem Feinde des Reiches zu verbünden. Die Überzeugung von der Gerechtigkeit ihrer Sache konnte bei den Protestanten aber doch nicht den stillen Selbstvorwurf beschwichtigen, daß ihr Verhalten den Interessen des Reiches zuwiderlaufe. Daß aus dieser geistigen Verfassung die protestantischen Dichter den idealen Schwung der patriotischen Lyrik nicht finden konnten, ist verständlich. Dabei darf man nicht übersehen, daß es dieser Zeit durchaus nicht gänzlich an Patriotismus fehlte. Der Eifer für die Reinigung der deutschen Sprache, die vielberedte Begeisterung für die alte Teutsche Haupt- und Heldensprache, der Kampf gegen die Ausländerei in Sprache, Tracht und Sitte, der immer wiederholte Hinweis auf das vorbildliche germanische Altertum, wie es Tacitus beschrieben, das eifrige Bemühen, den Nachbarnationen es in der Dichtkunst gleichzutun, all dieseBestrebungen entsprangen einem vaterländischen Empfinden, das sich um so lebhafter auf geistigem und kulturellem Gebiet zu betätigen suchte, als es ihm auf praktisch politischem und politisch-religiösem Gebiet nicht möglich war. Das starke Hervortreten politischer Auffassungen vor den religiösen in Baldes Dichtung erklärt sich aber nicht nur aus diesen allgemeinen Verhältnissen der Zeit, sondern auch aus der besonderen Disposition des Verfassers. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der Jesuit Balde weniger religiöse Gedichte geschrieben hat, als mancher weltliche Dichter des 16. und 17. Jahrhunderts. Balde spricht viel von moralischen, aber wenig von religiösen und kirchlichen Dingen. Die Fragen der Zeit behandelt er vom allgemein-



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menschlichen, nicht vom religiösen Standpunkt aus, er ist mehr Weltmann als Ordensmann in seiner Dichtung, mehr Humanist als Priester. Das tritt auch hervor in seiner Behandlung eines Themas, das seiner Natur nach religiöse Behandlung erwarten ließe: des Themas von dem Kampf gegen die Türken. In seinen Anfängen wie in seinem Fortgang durch die Jahrhunderte war der Kampf zwischen den Türken und dem Abendland als ein Kampf zwischen Islam und Christentum aufgefaßt und geführt worden, und die eigentlichen Organisatoren des Kampfes waren auf christlicher Seite die Päpste. Balde hat eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Gedichten geschrieben, die gegen die Türken gerichtet sind und zum Kampfe auffordern, aber die religiöse Seite dieses Themas wird kaum einmal gestreift. Rudolf Wolkan, dem wir die bisher einzige zusammenfassende Arbeit über die Türkenlieder 1 ) verdanken, hat nachgewiesen, daß die Lieder des 15. und 16. Jahrhunderts den Kampf gegen die Türken in erster Linie als einen Glaubenskampf auffassen, während später dies Bewußtsein mehr und mehr schwindet. "Wenn also Balde in diesem Kampf die Stellung seiner Zeitgenossen einnimmt, so ist es doch auffallend, daß er als Geistlicher und Jesuit seinen Landsleuten nicht die religiösen Grundmotive dieses Kampfes ins Gedächtnis zurückzurufen versuchte. Überhaupt bewegen sich Baldes Türkengedichte durchaus in den Gedanken, die in den historischen Volksliedern einerseits, in der Gelehrtendichtung, insbesondere der neulateinischen andererseits zur Tradition geworden waren. Der Kampfruf gegen die Türken war seit den Kreuzzügen ein viel behandeltes Thema der abendländischen Dichtung. 2 ) An der immer neuen Belebung dieser Agitation ') Zu den Türkenliedern des 16. Jahrhunderts. Festschrift zum VIII. allgemeinen deutschen Philologentage in Wien 1898, S. 65—77. s ) Vgl. auch Gerstenberg, Zur Geschichte des deutschen Türkenschauspiels. I. Die Anfänge des Türkenschauspiels im 15. u. 16. Jahrh. (Wiss. Beil. z. Programm d. kgl. Gymn. zu Meppen) 1902.



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hatten die Päpste einen bedeutenden Anteil.1) Seitdem der Untergang der christlichen Herrschaft in Palästina durch den Fall von Akkon (1291) besiegelt war, wurden die Päpste nicht müde, die abendländischen Fürsten immer wieder zum Kampf gegen die Türken aufzurufen. Vergebens bemühten sich Clemens VI., Innozenz VI. und Urban V. um die Mitte des 14. Jahrhunderts, die erloschene Kreuzzugsbegeisterung von neuem zu entflammen. Erst als die Türken Konstantinopel erobert hatten und das christliche Abendland und nicht zuletzt Italien und Eom bedrohten, setzte unter Calixtus III. (1455—1458) wieder eine lebhaftere Tätigkeit gegen den Erzfeind ein. Durch ein Ausschreiben, durch Nuntien und Kreuzzugsprediger (Capistrano) ließ dieser Papst die christlichen Fürsten auffordern, die Fehden unter einander beizulegen und gemeinsam gegen die Türken zu ziehen. Nur klein waren die Scharen, die dem Euf folgten und unter Skanderbeg, Hunyadi u. a. tapfer, aber ohne nachhaltigen Erfolg dem Vordringen der Türken Einhalt zu gebieten versuchten. Auch Karl V. bemühte sich vergebens, die Reichsfürsten zur Hilfe gegen den Feind zusammenzuschließen. "Wozu die Fürsten aus politischen Gründen sich nicht aufschwingen konnten, das erkannte doch jeder als die ideale Pflicht der Christenheit, und so erhoben die geistigen Führer des Volkes, Schriftsteller und Dichter immer wieder ihre mahnende Stimme. "War der Aufruf zum Türkenkampf von den Päpsten ausgegangen, so sang auch Luther: „Erhalt uns Herr bei deinem Wort und steur des Papsts und Türken Mord". Drei Schriften hat Luther gegen die Türken geschrieben. Seb. Brant klagte im Narrenschiff (99) über das Vordringen der Türken. Hutten schrieb seine Mahnung: „Ad Principes Germaniae ut bellum Turcis invehant" 1518. Auch Erasmus, Fischart, Murner, ferner Männer wie Aventin, Martin Beheim, Steph. Praetorius, Barth. Ringwald2) erhoben in gleichem Sinne ihre Stimme. Der Zusammenschluß aller ') L. Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters (1886 ff.). 2 ) Vgl. Cosack, Zur Literatur der Türkengebete im 16. u. 17. Jh. (1871).



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christlichen Fürsten gegen den gemeinsamen Feind ist die immer wiederholte Mahnung all dieser Aufrufe und Dichtungen. Die Stimmung des Volkes fand ihren Ausdruck in dem machtvollen Lied: „Frischauff in Gottes namen du werde teutsche Nation!" 1 ) Ein anderes Lied, das das Elend der Christen in Konstantinopel schildert, schließt jede Strophe mit der Warnung: „es ist kein scherz God erman alle christenherz". 2 ) Auch die neulateinischen Dichter haben dieses Thema immer wieder variiert 3 ) z. B. Jac. Locher, Casp. Bruschius, Joach. Mynsinger, Andr. Münzer, G. Agricola, G. Sabinus und viele andere. Ferner entnahmen zahlreiche Jesuitendramen 4 ) diesen Kämpfen ihren Stoff. Die Volkslieder gegen die Türken hat Wolkan in dem eben angezogenen Aufsatz behandelt, die Türkendichtung der Gelehrten verdiente noch eine nähere Würdigung, eine Aufgabe, die durch die vergleichende Betrachtung der Behandlung ein und desselben Themas hüben und drüben interessante Beobachtungen über Volks- und Kunstdichtung dieser Zeit ergeben dürfte. Balde, der im allgemeinen in der Wahl seiner Motive wenig Berührung mit der neulateinischen Dichtung zeigt, hat dies von höchster geistlicher Stelle sanktionierte Thema mit Wärme aufgegriffen. Die Anregung zu seinen Türkengedichten scheint er in einer Zeit, da die Türken Deutschland nicht direkt bedrohten, durch die Oden seines polnischen Ordensgenossen Sarbiewski 5 ) erhalten zu haben, dessen Ein') Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen. Nr. 469. >) Liliencron Nr. 409, vgl. ebd. 306, 410, 4.15, 440, 592. 411, 416, alle aus der Mitte des 16. Jhs. 3 ) Die Ermahnung zum Türkenkriege ist eines der beständig wiederkehrenden Hauptmotive der neulat. Dichtung, die auch in die deutsche Dichtung übergehen. Vgl. Gg. Ellinger, Einige Bemerkungen zu J. P. Titz' deutschen Gedichten. Zs. f. d. Ph. 21 (1889), 309—328. 4 ) A. Dürrwächter, Das Jesuitentheater in Eichstätt. Sammelblatt d. hist. Vereins Eichstätt X (1895). S. 42—102. 6 ) Matthias Casimir Sarbiewski 1596—1640, seit 1612 Jesuit, Lehrer am Jesuitenkollegium in Wilna, 1623 in Rom von Papst Urban VIII. zum Dichter gekrönt, später Hofprediger in Warschau bei König Wladislaw IV. Schrieb lyrische Gedichte (4 Bücher Oden, 1 Buch Epoden, zuerst 1625) u. Epigramme. Zahlreiche Ausgaben. Als Dichter auch in Deutschland sehr angesehen und besonders den



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fluß mehrfach in Baldes Dichtung zutage tritt. 1 ) Unter dem Eindruck der für Polen viel näheren Gefahr und der Kämpfe gegen die Türken, bei deren Einfall in polnisches Gebiet im Jahre 1 6 2 1 hat Sarbiewski eine beträchtliche Anzahl von Türkenoden geschrieben, in denen er bald die Kämpfe gegen die Mohammedaner besingt und über ihren Rückzug frohlockt, 2 ) bald die polnischen Ritter, 3 ) die deutschen 4 ) und italienischen 5 ) Fürsten und den Kaiser 6 ) zur Rückerschlesischen Dichtern bekannt, der polnische Horaz genannt, von H. Grotius gerühmt, von Morhof als der bedeutendste Epigrammendichter der Jesuiten bezeichnet. Fleming hat einiges von ihm übersetzt (Lappenberg II, 898), in neuerer Zeit hat zuerst J. N. Götz, dann Herder Übersetzungen aus Sarbiewski veröffentlicht. Vgl. die Vorbemerkungen zu der Ausgabe M. G. Sarbievii Carmina. Argentorati. Ex typographia Societatis Bipontinae. Anno XI (1803). Budik, Leben u. Wirken d. vorzüglichsten latein. Dichter des XV.-XVIII. Jahrhunderts. Wien 1827. I. S. 154—176. Sarbiewski schließt sich in seinen Oden und Epoden sehr eng an sein Vorbild Horaz an: in der sprachlichen u. metrischen Form, dem Umfang und der Anordnung der Gedichte, vielfach auch im Inhalt u. Charakter folgt er ihm viel treuer als Balde. Moralisierende Gedichte überwiegen bei Sarbiewski nicht so stark wie in den entsprechenden Büchern des deutschen Horaz. Sarbiewskis Mariengedichte, auch an Zahl geringer, stehen denen Baldes an Wärme des Empfindens und Stärke des Ausdrucks nach. Seine Gönner, den kunstfreundlichen Papst Urban VIII. u. dessen Neffen, den Kardinal Franz Barberini, König Wladislaw IV. u. Sigismund II., auch Kaiser Ferdinand II. feiert der polnische Jesuit wie Balde den bayrischen Kurfürsten, die Kardinäle Caraffa u. Chigi u. den Grafen d'Avaux. Auch Sarbiewski rühmt die niederländischen Dichter u. gibt uns in seiner Ode „Ad amicos Belgos" lyr. III 29 ein Verzeichnis der von ihm verehrten niederländischen Dichter. Über seine Türkengedichte vgl. unten. ') Wörtliche Anklänge an Sarbiewski verzeichnet für Baldes Oden Benno Müller in den Anmerkungen zu seiner Ausgabe. Außerdem findet sich in folgenden Oden Berührung der (nicht horazischen!) Motive: Balde lyr. II 1: Sarb. lyr. II 14; B. lyr. IV 17: S. lyr. II 21; III 8; B. silv. II Apiarium: S. lyr. III 15. s ) M. C. Sarbievii Carmina. Argentorati 1803, I I , 15; II 11; III 20; 27; IV 4; 5; 6; Ep. 16. s ) Ib. IV 29. 4 ) Ib. I 6; 12; III 19. 6 ) Ib. I 20. «) Ib. II 1.



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oberung der europäischen Türkei auffordert. Feiert Sarbiewski den erfolgreichen Widerstand der Polen im Lager bei Chocim gegen die türkische Übermacht im Jahre 1621,1) so greift Balde auf ältere Kämpfe zurück, die Schlachten bei Kroja, bei Lepanto und Belgrad, und stellt die Helden dieser Schlachten: Skanderbeg, Don Juan d'Austria, Hunyad seinen Zeitgenossen als Muster hin (lyr. I 39—41). Fordert Sarbiewski die christlichen Fürsten zur Wiedereroberung Griechenlands auf, so wünscht Balde, daß auch Ägypten den Händen der Türken entrissen und die geheiligten Stätten uralter Kultur vor weiterer Verwüstung bewahrt werden möchten (lyr. IV 10). Balde haßt in den Türken nicht die Glaubensfeinde, sondern die Feinde der Kultur und Humanität. Er gibt krasse Schilderungen von den Grausamkeiten, die sie den Christen antun, und stellt die Türken als ein entmenschtes, niederträchtiges und ganz unkultiviertes Volk dar (lyr. IV 38; silv. V 14). An Schmähungen läßt er es nicht fehlen (Getici verpes lyr. I 37, 12; Getici canes lyr. I 39, 13; Pantherae bipedes lyr. IV 38, 23; effoetae Veneris pecudes ep. 1, 133). Die Aufforderung zum Kampf gegen die Türken wird wiederholt durch die Erwägung gestützt, daß ein geringer Teil der Kräfte, die im Bruderzwist unnütz vertan werden, genügte, um den Türken ihre Eroberungen zu entreißen (lyr. IV 44; ep. I). Ignatius von Loyola sei dem Heere Schutzpatron im Kampfe gegen Türken und Schweden (lyr. HI 42). Diese beiden, Schweden und Türken werden immer nebeneinander genannt, wo von den Landesfeinden die Rede ist.2) Die Franzosen werden nie erwähnt. Nach dem Obengesagten ist es nicht wahrscheinlich, daß Balde die Franzosen als Katholiken schont. Wir haben in dieser Zurückhaltung vielmehr den Einfluß der bayrischen Politik zu sehen, die der Münchener Hofprediger durch Angriffe nicht durchkreuzen durfte. Aus all den Gedichten, in denen Balde zum Kampf gegen die Landesfeinde, zur Einigkeit im Inneren auffordert, klingt leise Hoffnungslosigkeit heraus. Es ist wie das letzte l s

) Ib. IV 4. ) Z. B. lyr. I 37; 3 8 ; silv. IX 15, 25—32.



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krampfhafte Zusammenraffen schon entnervter Kräfte. Er glaubt selbst nicht mehr an ein nahes Ende all des Unheils, zu oft hat der Glaube getäuscht. Mutlos blickt er in die Zukunft. Schreckenvolle Naturereignisse kündigen den bevorstehenden Untergang der Welt an (ep. 20). Neues Blutvergießen, neue Kriege stehen bevor (silv. IX 28). Mit eitlen Lügen hat den Dichter die prophetische Echo getäuscht: silv. IX, 28,83

Ut pacem speres! en sibilat atque cachinno Te scelerata ferit . . . . Ad nova se succincta paret Germania bella, Bella minantur equi, Bella sonant litui . . . Frustra consiliis agitur, si judice ferro Lis resecanda manet.

So muß Balde auch daran verzweifeln, daß die Verhandlungen der Abgesandten zu Münster zu einer Lösung führen werden. Mit diesen Verhandlungen beschäftigt sich mehrfach das 9. Buch der Wälder. Wie der Dichter den französischen Diplomaten Avaux und den päpstlichen Nuntius Chigi für die Sache des Friedens zu gewinnen sucht, so wendet er sich an die zu Münster versammelten Diplomaten im allgemeinen und bittet sie, Deutschland endlich die Ruhe wiederzugeben. In immer neuen Einkleidungen trägt er seine Bitte vor. Den Janustempel mögen sie endlich schließen und drinnen das Ungeheuer, den Krieg, mit hundert Ketten und tausend Stricken gefesselt einsperren. Und vor die Tür werde ein gewaltiger Felsblock gewälzt. Ölbaum und Palmen sollen davor wachsen und die Tür des Unheils gänzlich verdecken, daß nie wieder einer sie zu öffnen wage (silv. IX 4). — Er malt den Frieden und die Ruhe, das Glück, das allgemeine Wohl, das er bringen wird, in den rosigsten Farben, zeigt den Krieg als den furchtbaren Menschenmörder und Länderverwüster und fordert die Gesandten auf, zu wählen (silv. IX 11). — Er beschreibt ein scheußliches Ungeheuer, eine Ausgeburt des Ehrgeizes und des Stolzes, die gewissenlose macchiavellistische Habgier der Fürsten, die an allen Kämpfen schuld ist. Dies Ungeheuer soll man auf dem Altar des Friedens feierlich opfern und in die Asche säen,



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was Paestum, Hymettus und Hybla an wohlduftenden Blumen bieten (silv. IX 20; 21). — Er bittet die Friedensgesandten, nicht an eitlem Feuerwerk sich zu ergötzen, das schnell verpufft und keine Spur zurückläßt, sondern ein Feuerwerk herzurichten, das ihren Namen der Nachwelt unvergeßlich machen soll. Einen Scheiterhaufen sollen sie aufrichten und darauf alle Helme, Schilde, Schwerter, Speere und was es nur immer und überall von Kriegswerkzeugen gibt, zusammentragen und so den ganzen Krieg verbrennen: silv. IX 26,89

ardeat, ardeat Infame, detestabile, barbarum Lugubre funestumque bellum!

Den Himmel beschwört der Dichter, bei dem heilsamen Zerstörungswerk zu helfen. Der Sonnengott, der sein Antlitz von dem verwüsteten Deutschland abgekehrt hat, möge sein feuriges Strahlenhaupt schütteln und einen Strahl auf den Scheiterhaufen senden, ihn zu entflammen. Mächtige Regengüsse mögen die Erde rein waschen und alles Kriegswerk hinwegfegen. Wehe dem, der an den Scheiterhaufen zu rühren und ihm auch nur das Geringste zu entnehmen wagt! (silv. I X 26). Diese Oden des 9. Buches, in denen reiche Phantasie und dem Inhalt angemessenes rhetorisches Pathos sich glücklich vereinigen, sind zu den wertvollsten Erzeugnissen der Baldeschen Lyrik zu rechnen. b) K u l t u r g e s c h i c h t l i c h e Gedichte. Während Balde sich mit seinen politischen Gedichten beträchtlich über seine Zeitgenossen heraushebt, bleibt er mit den Gedichten kulturgeschichtlichen Inhalts ganz in dem Anschauungs- und Gedankenkreise stehen, in dem sich die deutschtümelnde Literatur des 17. Jahrhunderts bewegte. Beruht sein Yerdienst in seinen politischen Gedichten darauf, daß er als einziger ein ganz vernachlässigtes Gebiet betrat, so zeugt es abermals von seinem vaterländischen Sinn und überdies von seinem gesunden Empfinden, daß er, der Jesuit, auf dem viel begangenen Weg zum Ziel einer reindeutschen



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Kultur mitging. In den Kampf gegen die Ausländerei in Sitte, Tracht und Sprache, für die alte deutsche Art hat Balde keine neuen Gedanken hineingetragen, dafür stand er dem volkstümlichen Empfinden, dem eigentlichen Nährboden dieses Kampfes zu fern. Die lautesten Rufer im Streit gegen das ä la mode-Wesen, die Moscherosch, Lauremberg, Logau, Schupp gehören ihrer Gesinnung, ihrer Ausdrucksweise nach dem Yolke an. Sie sprechen die Sprache des Volkes: Prosa, Dialekt oder sprichwörtliche Eede, wie das Yolk sie liebt. Sie haben die humanistische Bildung wohl in sich aufgenommen, Lauremberg und Schupp haben auch lateinische Gedichte geschrieben. Aber ihr Anschauungskreis war nicht der humanistische, sie hatten sich nicht so völlig mit den Vorstellungen und Bildern der Antike ersättigt, daß ihnen die ganze Umwelt in antiker Beleuchtung erschien. Das war aber bei Balde der Fall. "Wie er sich von der Sprache seines Volkes geschieden hatte, so entfremdete er sich seiner Denkweise. Das verhinderte nicht, daß er deutscher Art und Sitte entschieden das Wort redete. Nationaler Sinn war ja eines der ältesten Elemente des Humanismus, hervorgegangen aus dem Wunsch, den verletzenden Hochmut der italienischen Humanisten gegen die kulturlosen Barbaren durch den Nachweis der eigenen rühmlichen Vergangenheit Lügen zu strafen. So weckte der Humanismus, der das deutsche Geistesleben für lange Zeit fremden Mächten dienstbar machte, gleichzeitig den Sinn für die deutsche Vergangenheit und leitete das Studium des deutschen Altertums ein. Dem Wunsch, den stolzen Nachfahren der römischen Kaiserzeit ein Paroli zu bieten, konnte kein besseres Geschenk zuteil werden als die Germania des Tacitus, die im Mittelalter wie die anderen Werke dieses Psychologen unter den römischen Historikern in Vergessenheit geraten war und die, nachdem Poggio die einzige Handschrift vergebens den deutschen Barbaren abzulisten gesucht hatte, aus Fulda oder aus Hersfeld endlich doch nach Italien entführt und 1470 zu Venedig zum ersten Male gedruckt wurde. Drei Jahre später folgte ein Druck in Deutschland.



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A n der Germania des Tacitus erstarkte der deutsche Patriotismus, ihr entnahm für Jahrhunderte der Kampf g e g e n die Ausländerei seine stärksten Argumente. Gab sie den Deutschen auch nicht den Kuhm einer alten Kultur, auf den Italien sich berief, so gab sie ihnen die Genugtuung, das alte Germanien durch einen Sohn jener glänzenden, vielberufenen römischen Kaiserzeit gepriesen und seine Sittlichkeit den römischen Landsleuten als Muster hingestellt zu sehen. Dadurch erhielt der deutsche Patriotismus in seinen Anfängen einen moralischen Einschlag. Man wies immer wieder auf die Sittenreinheit der Vorfahren hin, wie Tacitus sie geschildert hatte. Das geschieht in der humanistischen wie in der Chroniken-Literatur, die sich im 16. Jahrhundert entwickelt. Hier seien Celtis und Aventin, Wimpfeling und Seb. Franck, dann Althamers Kommentar zur Germania, endlich Jakob Schopper genannt. Es lohnte der Mühe, das Nachleben des Tacitus in Deutschland einmal im Zusammenhang darzustellen seit seinem "Wiederaufleben im 15. Jahrhundert. 1 ) ') Dafür ist bisher wenig geschehen. Nur die Gestalt des Arminius, die Tacitus der deutschen Dichtung gegeben, Hutten in seinem Dialogus zum ersten Male behandelt hat, wurde durch die Literatur verfolgt. Nur mit einigen Prosawerken beschäftigt sich die Arbeit F. Gotthelfs mit dem zu weiten Titel „Das deutsche Altertum in den Anschauungen des 16. und 17. Jahrhunderts". Forsch, z. n. Lit.Gesch. hersg. v. Muncker XIII (1900). Die Bedeutung der Germania des Tacitus für die patriotische Tendenz im deutschen Humanismus, auf die besonders Karl Lemcke in seiner unvollendeten Geschichte der deutschen Dichtung (Leipzig 1871, S. 123 f.) hingewiesen hat, ist anerkannt. Den Anfang zu der wünschenswerten Geschichte des Tacitus in Deutschland machte Paul Joachimson in seinem Aufsatz „Tacitus im deutschen Humanismus" (N. Jahrb. f. d. kl. Alt. 14. Jg. 1911. S. 697—717), in dem er die Wendung zur kulturgeschichtlichen Betrachtung und die historische Unterbauung des deutschen Patriotismus als die Hauptwirkungen des Tacitus auf den deutschen Humanismus bezeichnet. Ausführlicher behandelt dasselbe Thema die Dissertation von Hans Tiedemann. „Tacitus und das Nationalbewußtsein der deutschen Humanisten Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts." Berlin 1918. (147 S.) Tiedemann erörtert in dieser Arbeit die Aufnahme und Beurteilung des Tacitus bei den deutschen und einigen für den deutschen Humanismus bedeutsamen italienischen Humanisten von Enea Silvio und Campano an bis zum Tacituskommentar des Jodocus Willichus von 1551, prüft die einschlägigen Schriften zahl-



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Unsere zu derartigen Untersuchungen geneigte Zeit beschert uns vielleicht auch diese für die Geschichte der deutschen Literatur wie für die Geschichte des deutschen Geistes wünschenswerte Arbeit. Daß ein römischer Historiker Patron des erwachenden deutschen Patriotismus wurde, war auch deshalb bedeutungsvoll, weil dieser Umstand den deutschen Humanisten den Anschluß an die vaterländische Bewegung erleichterte. So stehen Baldes kulturgeschichtliche Gedichte ganz unter dem Einfluß der Germania und des durch sie nahe gelegten Yergleichs zwischen dem neuen und dem alten Germanien. Das Buch, das ganz dem Kulturzustand Deutschlands gewidmet ist, das 3. Buch der Wälder ist betitelt „De moribus veteris novae Germaniae". Die erste Ode dieses Buches „Felix status veteris Germaniae" rühmt die einfachen Sitten, die einfache Lebensweise der alten Deutschen, ihre Stärke, ihre Treue, die Reinheit ihrer Frauen, und in der letzten Ode desselben Buches fordert der Dichter seine Zeitgenossen zur Rückkehr zu der alten Einfachheit und Zucht auf. reicher deutscher Humanisten dieser Zeit wie Sigismund Meisterlin, Hartmann Schedel, Joh. Trithemius, Jac. Wimpfeling, Seb. Brant, Celtis, Bebel, Peutinger, Hutten, Irenicus, Eberlin von Günzburg, Aventinus, Eobanus Hessus, Althamer, Pirckheimer, Seb. Münster, Egidius Tschudi, Melanchthon, Seb. Franck u. a. und stellt ihre Äußerungen über Stamm, Herkunft und Charakter der Deutschen, über den Umfang und das Aussehen Deutschlands, über deutsche Wissenschaft und Sprache, über die Varusschlacht, die uralte Freiheit der Deutschen und das deutsche Imperium zusammen mit steter Berücksichtigung der Bedeutung, die die Germania für diese Ideen gehabt hat. Tiedemann hat mit dieser gründlichen und lehrreichen Synthese eine solide Grundlage geschaffen für die Erforschung des taciteischen Einflusses auf die spätere Zeit und namentlich auf die nationale Bewegung des 17. Jahrhunderts. Eine historische Darstellung dieses Einflusses, die Tiedemann nicht bezweckt, müßte die tieferen Zusammenhänge zwischen dem besonderen Charakter der Germania des Tacitus und der Tendenz und der Entwicklung des deutschen Nationalgefühls darlegen : die Germania gab den Anlaß, daß man den Kampf gegen die Fremdländerei ganz aufs moralische Gebiet hinüberspielte und immer wieder die unerfüllbare Forderung nach Rückkehr zur alten Einfachheit stellte, womit dieser Kampf sich selbst um seine Wirkung brachte.



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Auch die Methode, die Balde in seiner kulturgeschichtlichen Betrachtung befolgt, ist die des Tacitus, die pragmatische. Wie Tacitus will er nicht nur die Zustände beschreiben, sondern auch ihren Ursachen nachgehen: „causas inquirimus" sagt er in der Vorrede. Und als Ursache der herrschenden Sittenlosigkeit bezeichnet er in der zweiten Ode die schlechte und oberflächliche Jugenderziehung und das böse Beispiel, das die Älteren den Kindern geben. Früh lernen die Kinder das Würfelspiel, indem sie den Erwachsenen zusehen. Die Mädchen sehen den Müttern ab, wie sie sich schminken, die Haare kräuseln, sich mit Schmuck behängen und ihre Schönheit im Spiegel bewundern. Früh nippen sie an dem Becher der Yenus, üben sich in den Künsten der Koketterie und verkaufen ihre Liebe. silv. III. 2.57 Parva de dulci Veneris lagena Audit et gustat, timide jocosa . . . Jamque scintillas animare risu Novit aequali sociata sponso.

Den Webstuhl lassen sie stehen und gehen lieber zum Tanz. Selbst dem Trunk ergeben sie sich, und die erst den Wein gescheut haben, sitzen später so fest am Weinfaß wie der Schwamm. Die F r a u e n f e i n d s c h a f t 1 ) des Geistlichen tritt hier sehr charakteristisch hervor, indem er den Weibern ein Laster vorwirft, das er bei den Männern mit Stillschweigen übergeht. Hatte der Römer an den Frauen Germaniens besonders ihre Reinheit und die hohe Achtung, in der sie standen, bemerkenswert gefunden, so sieht Balde sich veranlaßt, über die Zuchtlosigkeit der Weiber zu klagen und über die Leichtfertigkeit, mit der sie sich selbst wegwerfen (silv. III 4.). Früher hätte ihr Stolz den Frauen verboten, Schande auf sich zu laden, jetzt folgen sie in Scharen als Dirnen dem Lager (silv. IX 18, 152 ff.). Früher waren die Mädchen ein starkes Geschlecht, der Diana gleich an Wuchs, an harte Arbeit, an Hitze und Kälte, Hunger und Durst gewöhnt, vom frühen Morgen bis zum Abend auf dem Felde tätig. Jetzt sind sie verzärtelt. Mit ihrer Tugend ist ihre Tüchtigkeit und Stärke dahin. ') Vgl. unten S. 126 ff. H e n r i c h , Jakob Balde.

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silv. III 4, 33 Teutonum fontes properate retro, Nam retro virtus Veterumque fama Cessit et morum tenues in auras Gloria fugit.

Doch nicht den Deutschen allein gibt der Dichter die ganze Schuld an diesem bösen Wandel. Die Fremden, die das Land verwüstet haben, haben auch die Rasse verdorben, und die leichtfertigen Jungfrauen tragen das Erbe ihres Vaters: ib. 39 Uberis sexus quota se fatetur Teutone n a t a m !

Die Mädchen, die an dem einen Brunnen zusammenkommen, haben alle verschiedene Herkunft und Art. ib. 41 In foro fontem veniunt Dissono cultu Thymele Thusca Barine, Lalage Franka

ad unum Latina, Britanna Neaefra.

Schamlos stellen sie ihre Reize zur Schau und wecken gierige Lüsternheit (v. 45 ff.) Auch die alte Zuverlässigkeit und Treue ist dahin. Verstellung, Heuchelei, Launenhaftigkeit und Neugier sind jetzt weibliche Tugenden. Nicht besser stehts um die Männer. An die Stelle der alten Zucht und Genügsamkeit ist Ausgelassenheit und Gier getreten. Tapferkeit zeigen die Soldaten nur noch den Bauern und den Weibern gegenüber. silv. III. 5, 29 Fortis in solas Capaneus puellas Corpus expugnat.

Keinem gefällt mehr der Kriegsgott ohne seine Gattin Yenus, klagt die Ode „Disciplina castrensis" (lyr. IV 11. vgl. silv. III 5, 1). Das ausschweifende Leben entnervt und verweichlicht die Körper: lyr. IV 11, 9 Atqui rigorem militiae Venus Damnosa foedis mollit amoribus. Enerrat arcus et retundit Blanda mares animos voluptas.

Die meisten Lager sind erfüllt von Kindergeschrei und schleppen sich mit Wöchnerinnen (ib. 5). Im Winterquartier führen die Soldaten ein üppiges Wohlleben. Nicht nur um



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ihren Hunger zu stillen, sondern aus gemeiner Gefräßigkeit nehmen sie dem Bauern alles ab, was der Sommer ihm geschenkt hat, und zwingen ihn mit Prügeln und Gewalt, sein Letztes herzugeben. silv. III 5,14 Pellis urgetur tenuis coloni . . . Calcar impactum reserare cogit Vina secretae potiora testae. Ultimi numquam Laris abnuentem . Tegula servet.

Diese Unmäßigkeit im Essen ist dem Dichter besonders verhaßt. In einer andern Ode spricht er sich noch deutlicher über dieses Laster aus: silv. V I I I 2, hier nicht mit Bezug auf räubernde Soldaten, sondern allgemein „De Germanorum Conviviis". Balde gibt hier eine kulturgeschichtlich interessante Beschreibung eines Schlemmermahles. E r zählt all die Gerichte auf, mit denen die Tafel beladen wird; nicht die Feinheit der Zubereitung, sondern die Masse der Trachten findet er zu tadeln. Nur Fleischgerichte werden aufgetragen, und alles schwimmt in Fett; die Tafel gleicht einer Fleischbank: silv. VIII 2, 27 Quod videt et palatum Gustat, hoc pulpa est. Caro Carnes epulumque totum Est laniena Carnis.

Neben den schweren Gerichten fehlen die leichteren : Gemüse und Obst gibt es nicht. Entrüstet ruft der Dichter: „Horreo ferculorum monstra"! 1 ) Die Schlemmerei und Trunksucht des 15., 16., 17. Jahrhunderts ist bekannt genug. Soweit die Bemühungen, diese Ausschweifungen zu bekämpfen, in der Literatur nachweisbar sind, richten sie sich vor allem gegen das alte Erbübel der Germanen, die Trunksucht. Es ist nun interessant, daß Balde, der sich so entrüstet über die Gefräßigkeit der Deutschen ausläßt, kein tadelndes Wort über ihre sonst in ') Jer. Drexel eifert in seinen Predigten über Tobias in ganz ähnlicher Weise gegen die Üppigkeit der Gelage, nicht nur bei den Adligen, sondern auch bei Prälaten und Bischöfen und selbst bei Bürgerlichen und klagt über die große Zahl der aufgesetzten „Trachten". Op. Germ. IV (1645) 2 6 0 - 2 6 4 vgl. Duhr a. a. 0 . II 2, 460 f.

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der Jesuitenliteratur eifrig b e k ä m p f t e N e i g u n g zum Trunk sagt. Die Lebensgeschichte des Dichters berichtet uns, daß er den Wein selbst sehr geschätzt habe, und eine Anekdote erzählt, wie er durch einen nächtlichen Scherz sich ein reichlicheres Weindeputat zu verschaffen gewußt habe.4) Es wirft ein schönes Licht auf seine menschliche Aufrichtigkeit, daß er den Fehler nicht an den andern tadeln mochte, dessen er sich selbst — wenn auch in bescheidenem Maße — bewußt war. So ist auch seine strenge Verurteilung der Schlemmer stark subjektiv, veranlaßt durch seine eigene Genügsamkeit und Bedürfnislosigkeit. Er war, wie er selbst uns wiederholt bekennt, sehr mager und bedurfte nur geringer Nahrung. So kann er auch hier mit Hinweis auf die Fleischmassen, die die Deutschen zu vertilgen gewöhnt sind, sagen: „nona pars mi sit satis". Unersättlichkeit, Maßlosigkeit ist überhaupt das Charakteristikum der Zeit: Unersättlichkeit im Essen und Trinken, im Besitzerwerb, im Schmuck des Leibes, in der Tracht, Unersättlichkeit auch in der Zerstörungswut des Krieges. Balde schildert mit einer bei ihm sonst nicht häufigen Anschaulichkeit, wie die Söldnerscharen mit Beginn des Frühjahres aus den Winterlagern ausschwärmen und sich verheerend über das Land ergießen: silv. III. 5, 33

Vernos ubi pellit aestas Altior soles, numerosa tandem Turba crabronum movet et strepenti Personat aere. Ultimum dulces casulae stetistis. Villa vanescit, rapiuntur una Vasa cum tectis, inhumatus infra Villicus ardet.

Tapfer sind sie zwar nicht mit dem Schwert, um so mehr mit dem Wort: „Hercules verbis, Paridesque factis" ') Z. B. von Contzen in seinem Hofleutspiegel (1639), von Drexel in seinem Nicetas (1624) und dem Tobias, von Masen in seiner „Bacchi schola eversa" (1660), in einem Schauspiel gegen die Trunkenheit, das 1630 in Fulda von der Bürgerkongregation gespielt wurde; die Kongregationshandbücher bekämpfen scharf das „Vollsaufen und Zutrinken". Vgl. Duhr a. a. 0. II 1, 690, II 2, 111—115, 4 6 1 - 4 6 4 . *) Westermayer, S. 242.



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(v. 66). Hier ist es dem Dichter einmal gelungen, mit wenigen prägnanten Sätzen uns ein Bild lebendig vor die Augen zu stellen: das Bild einer großsprecherischen Tischgesellschaft : silv. III. 5, 21 Hic sub umbella referunt triumphos Cantarum juxta, digiti falerno Castra depingunt, acies et urbes Sustinet asser.

Balde zeigt nicht die komischen Seiten der bramarbasierenden Soldaten, sondern er beklagt so viel verkehrt angewandte Kraft und mißleitetes Ehrgefühl. Yor allem möchte er die Kraft, die im Duell vertan wird, für den richtigen Feind aufgespart sehen. Jeder geringfügige Anlaß, ein unbedachtes Wort führt zum Streit, ein allzu empfindliches Ehrgefühl glaubt jede Kränkung mit Blut sühnen zu müssen (silv. IX 18, 213 ff.). Widersinnig wie diese ernsten Kämpfe um nichtige Dinge sind die Gebräuche, die bei Zweikämpfen beobachtet werden und die dem Dichter Anlaß zur Verwunderung geben (ib. 225 ff.). So schädigen sie sich in unnützen Zweikämpfen, verstümmeln sich, statt sich vereint gegen den Feind zu wenden (ib. 241 ff.). Ein noch schlimmerer Feind im eigenen Lager als die Streitsucht ist die Begleiterin der Unzucht, die verheerende Krankheit, die der Dichter zwar nicht mit Namen nennen mag, deren entsetzliche Wirkung er aber drastisch schildert, v. 167. Gustata mellis gutta feile Obruitur velut hausta summo Carina ponto. Semineces eunt, Vide, Clarisi, corpora luridi, Vultusque fissi, pars honestae Lucis egent oculos abacti.

Der Gegensatz zwischen den Kriegern der Zeit und den alten germanischen Helden offenbart sich in dem Gegenstand, auf dessen Kostbarkeit sie besonderen Wert legen. Ehemals waren die Waffen ihr Stolz und ihre Prunkstücke, einfach waren ihre Trinkgefäße; jetzt ist's umgekehrt: statt des hölzernen Bechers prunkt jetzt ein kostbares Metallgefäß auf ihrer Tafel, an das Schwert mag keiner viel wenden (silv. IH 5, 57 ff.; lyr. IY 9, 137).



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Der Gegensatz zwischen dem Zustand des alten Germaniens und dem des jetzigen Deutschlands ist der Gegensatz zwischen Natur und Unnatur. Die große 9. Ode des 4. Buches der Lyrica „Omniparentis Naturae iusta querela" bringt diesen Widerspruch aller Verhältnisse gegen das Natürliche zum Ausdruck, und ähnlich beklagt die 21. Ode des 5. Buches der Wälder die allgemeine Verkehrtheit. Dort wird das eitle Verlangen der Menschen getadelt nach dem, was die Natur ihnen weise versagt hat. Keiner ist mit dem, was die Natur ihm gegeben hat, zufrieden. So graben die Menschen nach dem verderblichen Gold, das die Natur weise im dunklen Schoß der Erde verborgen hat, andere erfinden sich ein stolzes Ahnengeschlecht, andere fälschen mit allerhand Mitteln ihre Hautfarbe, ihre Haare. Nur das Unnatürliche gefällt: die Rose im Dezember, Eis im Sommer, die knabenhafte Stimme des Entmannten (vgl. lyr. I 29). Eine besondere Erscheinungsform dieser von Balde vielfach getadelten allgemeinen Verkehrtheit ist die Fremdl ä n d e r e i , das ä la mode-Wesen. Balde spricht von diesen Torheiten in der 3. und 4. Ode des 3. Buches der "Wälder und in der 14. des 7. Buches, sonst nirgends. Seine energische Abwehr aller Ausländerei ist erfreulich, aber wir können nicht sagen, daß ihm dieser Kampf gegen fremde Einflüsse eine Herzenssache gewesen sei. Mit den drei Gedichten gegen das ä la mode-Wesen gab er seine Stimme für die Bekämpfung dieser Zeitkrankheit ab, ohne daß er sich nun selbst zum Vorkämpfer der Abwehrbewegung machte. Irgend ein äußerer Anlaß, vielleicht jesuitische Schriften ähnlichen Inhalts 1 ) oder Moscheroschs Gesichte, mag die Gedichte angeregt haben. *) Der Kampf gegen das ä la mode-Wesen wird nämlich auch in der Jesuitenliteratur geführt und zwar schon lange vor Moscherosch. Schon Adam Contzen eifert in seinem „Daniel, aulae speculum" (1630) gegen die alamodische Kleiderpracht, ähnlich Jer. Drexel in seinem Tobias, das ganze 3. Buch seines geistlichen Trismegistus hat er diesem Kampf gegen die fremde Tracht gewidmet. Masen verspottet in seinem „Rusticus imperans" die ausländischen Moden. Auch die Jesuitenschulen bekämpften die Einführung fremdländischer Trachten. Vgl. Duhr, Gesch. d. Jesuiten. II 2. 475; I 690 f., 513 f.



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Gegen die Ausländerei in Sprache, Tracht und Sitte wendet sich die erste jener beiden Oden des 3. Buches „Contra insulsum hominum genus, al' modo dictum". Der übertriebenen Reiselust gibt Balde die Schuld an dem Eindringen der fremden Art: „Itur in mundum quater ense sectum" (v. 5). Keiner hält es ein ganzes Jahr lang auf der heimatlichen Scholle aus, und was jeder in der Fremde gesehen hat, das ahmt er zu Hause nach. Daher stammt der üppige Kleiderluxus, der manchen dazu bringt, ein ganzes Vermögen auf dem Leibe zu tragen. Daher die goldgewirkten Gewänder, die weiten flügelartigen Ärmel, die kühnen Frisuren, die zahllosen Hutformen: silv. III 3, 29

Fulgurat thorax scutulatus auro.

Ceu volaturum manicae capaces Aeres plangunt, retinent trilici Gausapa nodo. Fluminis ritu vada negligentis Sparsa restagnat coma, mille formis Pilei ludunt, operosa cingit Spira galerum.

Die fremde Modetracht ahmen natürlich auch die Frauen nach, „Alemannides nostri saeculi, quae AI' Modissae nominantur", wie es in der Überschrift zur 4. Ode heißt. Die Last von Kleidern, die sie auf ihren Leib hängen, würde ein Maulesel nicht tragen; jedoch: silv. III. 4, 71

Pone turritam Gybelen videbis, Ante Dionen.

Denn: Non quo nuda tegant, sed quo nudentur amictu, Nebulosa velant pectora (silv. VII, 14, 67).

Ein mächtiger Rundrock, weitbauchige Gewänder geben ihnen das Aussehen einer Henne, die ihre Küchlein unter ihren Flügeln zu decken sucht (ib. 69 ff.). Dann wieder vergleicht der Dichter sie mit Seeungeheuern, so schwimmen sie in dem Luxus der Gewänder (ib. 65). Ungeheure Frisuren türmen sie auf ihren Köpfen auf, die den Blitz anziehen könnten; unter dem monströsen Hut quillt ein Haarwulst hervor, den man für einen Pferdeschweif halten sollte: ,,Quäle portentum mulier jubata!" (silv. III. 4, 81).



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Geschmacklos suchen die Deutschen allerhand verschiedene Moden gleichzeitig nachzuahmen: silv. VII 14, 63

Aspice Germanum: quot in uno corpore regna Et nationes exhibet!

Der Weitgereiste brüstet sich mit seiner Kenntnis ausländischer Sprachen, aber er spricht sie barbarisch (silv. III 3, 41). Als ob die fremden Sprachen höheren Rang einnähmen als die deutsche! Und nun folgt ein Gedanke, den man in der Zeit der Sprachgesellschaften wohlgefällig immer wieder vorbrachte, ein Hauptargument im Kampf gegen die fremden Sprachen: die romanischen Sprachen seien die entarteten Abkömmlinge der lateinischen, nur die deutsche sei frei und edel geboren; auch das Bild von dem Raben, der nackt zurückbleibt, wenn Roma die gestohlenen Federn zurückfordert, ist Gemeingut: silv. III 3, 45 Lingua Celtarum vel Ibera tanti! An suas Roma repetente plumas Nuda non Cornix iterum moveret Ludicra risum? Teutonum sermo sibi debet ortum Liber et princeps thalamumque honestae Matris ostendit: reliqui feruntur Pellice nati.

Deshalb soll der Deutsche stolz sein auf seine Sprache. So stimmt auch Balde, der nichts für die deutsche Sprache getan hat, in das wortreiche Gerede von der alten Teutschen Haupt- und Heldensprache ein. Auch nach Opitz konnte der Gebildete sich noch des fremden Idioms für die Dichtkunst bedienen und doch mit gutem Gewissen gegen die fremden Sprachen eifern. Die geheiligte lateinische Sprache war als die internationale Sprache der Gelehrsamkeit über jeden Zweifel an ihrer Berechtigung erhaben. Der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, wie er sich hier bei Balde auftut, erklärt sich auf einfache Weise. Balde konnte mit gutem Gewissen für die deutsche Sprache eintreten und gleichzeitig fast ausschließlich lateinische Gedichte schreiben. Er verteidigte die deutsche Sprache den modernen fremden Sprachen gegenüber, nicht im Gegensatz zur



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lateinischen. Und seine Verteidigung der heimischen Sprache bezieht sich nur auf die Umgangssprache, nicht auf die Sprache der Gelehrten und der Dichter. Für sie gelten andere Gesetze als für das Volk. Sie wenden sich ja nicht an das Yolk, an die Masse, sondern an die internationale Kaste der Gebildeten. Jener scheinbare Widerspruch zwischen Baldes Theorie und Praxis erklärt sich letzten Endes aus der herrschenden Auffassung der Poesie. Die Kunstdichtung der Renaissance wandte sich nicht an das Yolk, sie gab nicht den Gedanken und Empfindungen von jedermann Ausdruck, sie bewegte sich nicht im Gebiet des Reinmenschlichen, und so war es nur konsequent, wenn sie sich auch nicht der Sprache der Allgemeinheit bediente und den Abstand, der sie inhaltlich von der Vorstellungswelt des Volkes trennte, auch in der sprachlichen Form zum Ausdruck brachte. Diese Dichtung von gelehrten Sachen in gelehrter Sprache hatte Einheitlichkeit und Stil. Die Dichtung, die Opitz einleitete, war ein stilloses Gemisch, ein Unding. Sie sprach anscheinend die Sprache des Volkes, aber sie sprach nicht zum Volk, sondern nach wie vor zu den Gelehrten. Sie lebte in gelehrten Vorstellungen und war nur den Gelehrten, nur durch das Medium humanistischer Kenntnisse verständlich. Sie war aus der abstrakten Idee geboren, nicht aus dem lebendigen Gefühl für das Wesen der Dichtkunst: wahrhafter Ausdruck des geistigen Lebens eines Volkes zu sein. Das „odi profanum vulgus" wurde von Opitz zum Grundsatz auch der deutschen Renaissancedichtung gemacht. Die innere Unwahrheit dieser Dichtung in deutscher Sprachform mit lateinischem Inhalt mag manchen abgestoßen und bewogen haben, an der stilgerechten lateinischen Dichtung festzuhalten. Die historische Bedeutung wird niemand der Renaissancedichtung als einem Mittel des Ubergangs absprechen wollen, die innere Berechtigung fehlt ihr, die eignet nur der lateinischen Humanistendiclitung. Balde spricht sich also nicht selbst das Urteil, wenn er für den Gebrauch der deutschen Sprache eintritt. Mit gutem Gewissen kann er seinen Landsleuten den Rat geben:



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silv. III 6, 30 Heu redux Matrem cave ne salutes Ore Gallorum, Sequanam sub ipsas Evome portas. Vappa linguarum putnumque vocum Unico ructu stomachi levanda Solus Arpinas toleretur et Vernacula Gentis.

Aber was sie auch anstellen, so weit sie auch gereist sind, wie viel sie gesehen haben, sie bleiben doch dieselben törichten Tröpfe. silv. III 3, 73

Trans maris fines tarnen hic cucurrit Axe mutato: bipedemque asellum Rettulit, qualis fuit ante, mentis Semper iniquae.

Damit ist für Balde das Thema der Ausländerei erschöpft, wenigstens was das willkürliche Nachahmen fremder Äußerlichkeiten angeht. Schlimmer scheint dem Landsmann des Verfassers der „Welschgattung"1) (1513) ein gewisser innerer Zug zu sein, eine Gesinnung, die von Italien her Eingang in Deutschland gefunden hatte: der Geist der politischen Habgier und des unersättlichen Ehrgeizes, der Gewissenlosigkeit in der Wahl der Mittel zur Erreichung des Zieles: der Geist des Macchiavellismus. Gegen das Strebertum im allgemeinen, besonders das politische eifert er in den oben2) besprochenen Gedichten über das Hofleben.3) Aber besonders verwerflich erscheint ihm in der von Macchiavelli vertretenen Lehre und der durch diesen verbreiteten Praxis der irreligiöse Grund, auf dem sich die Lehre Macchiavellis aufbaute.4) Balde stellt sich mit seinem Angriff gegen den Macchiavellismus an die Seite älterer Kämpfer in der gleichen Sache, die gleichfalls dem Jesuitenorden angehörten. E r ') Hersg. v. Friedr. Waga. Germanist. Abhandlungen, hersg. v. Fr. Vogt, 34. Breslau 1910. Satirisches Zeitgedicht. Warnung vor allem Italienischen, dem Hauptquell der Unmoral d. Zeit in Justiz, Finanz, Politik. s ) S. 21 ff. 3 ) Auch sonst gelegentlich, z. B. silv. VII 14, 107 ff. 4 ) Vgl. darüber die trefflichen Ausführungen von Dilthey, Archiv f. Gesch. d. Phil. IV (1891), S. 636 ff.



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scheint dabei von dem schon einmal erwähnten Adam Contzen beeinflußt zu sein. Contzen hat in seinem umfangreichen Werke „Politicorum Iibri X " ( 1 6 2 1 ) g e e i f e r t gegen das „verabscheuenswerte Geschlecht der Pseudopolitiker, denen die Fackel, welche so viele Reiche in Flammen setzte, Nikolaus Macchiavelli vorantrug". Gegen diese Pseudopolitiker, so genannt, weil sie unter politischer Maske den Atheismus predigten, hat auch der vielgereiste Jesuit Ribadeneira in einer 1603 zu Mainz erschienenen Schrift wider Macchiavelli sich gewandt.2) In gleichem Sinne ergreift Balde zweimal das Wort, nämlich in der Ode an einen Elsässer, den er Arbogastus Harphius nennt, lvr. IV 45, betitelt „Atheos huius saeculi sub larva nominis politici latentes detestatur" und in der Allegorie silv. I X 13 „In Pharetram Pseudo-Politicorum". Dort entrüstet er sich über den Unglauben dieser neumodischen Politiker, die an ein Leben nach dem Tode nicht glauben und die damit das Elend der Zeit heraufbeschworen haben; hier verwünscht er die Verfertiger jener Pharetra, denen die Pseudopolitiker ihre verderblichen Gedanken entnehmen, den Sinon Florentinus (Macchiavelli) und den latro Sarmata (?). Der weltlichen, heidnischen Gesinnung, die ihm bei diesen verhaßt ist, gibt er auch Schuld an der herrschenden Sitte übertriebenen Aufwandes zur Ausschmückung der Grabdenkmäler (silv. V I I 18), die die Renaissance aufgebracht hatte. Ein prächtiger Marmorbau mit gemeißelter Inschrift, die Geschlecht und Heldentaten des Verstorbenen nennt, mit Helm, Schwert und Schild und allerhand prunkvollen Insignien soll der Nachwelt den Ruhm irgend eines kleinen Adligen im Gedächtnis halten. Über den Stand der Dichtkunst in Deutschland äußert sich Balde verschiedene Male, aber in nicht widerspruchsloser Weise. Dem mehrfachen ungünstigen Urteil steht das Lob in silv. V 19 gegenüber, wo er von der Blüte der Wissenschaften und Künste in Deutschland spricht. Allerdings be») Vgl. Duhr a. a. 0 . II. 2, S. 414/416. ) J. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes. Bd. VII, ergänzt und hersg. v. L. Pastor, 13./14. Aufl. 1904, S. 627. 2



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trachtet er hier den Zustand des gegenwärtigen Deutschlands im Vergleich zu dem unkultivierten, ungelehrten, kunstlosen der Zeiten des Tacitus; aber es wird ausdrücklich betont, daß Deutschland nicht nur der eigenen Vergangenheit gegenüber einen gewaltigen Schritt vorwärts in der Kultur gemacht hat, sondern sich auch mit dem Ausland messen dürfte (v. 19120), wenn nicht der Krieg die Entwicklung hemmte. So ist das hier ausgesprochene Lob der geistigen Kultur nur ein bedingtes, es gilt auch nicht eigentlich Deutschland allein, sondern den nördlichen Ländern im allgemeinen und mündet in den Preis des Hugo Grotius und des Casimir Sarbievius aus. Die Blüte der Wissenschaften und Künste in den Ländern des Nordens wird mit der überlieferten Allegorie der wandernden Musen erklärt, die Balde jedoch umbildet und durch ein fingiertes Abenteuer scherzend belebt: „Musae Cingarae".J) Ein ganz anderer schwermütiger Ton klingt aus der Trauerode auf J. Keller, in der der Zustand der Poesie sehr pessimistisch beurteilt wird, und nicht nur — wie es nach Vers 62 scheinen könnte —, um den Verlust, den Kellers Tod der deutschen Poesie bereitet hat, ins rechte Licht zu setzen. Der Krieg, die Schweden werden hier wieder als die argen Feinde der Poesie bezeichnet (v. 63/67), aber verhängnisvoller als der Landesfeind ist der zunehmende Widerwille gegen die schönen Künste, der Mangel an Gelehrsamkeit, die allgemeine Inscitia . . . Vastatrix vocalis amoeni. lyr. II 50, 69 Nomina cultorum Thebanis comparo portis: Plura tepens habet ostia Nilus. Sunt, qui Pierides malint a Stirpe recisas In Graium migrare sepulcrum.

Wenn Balde in einer Zeit so lebhafter literarischer Bewegung, wie dem mit Opitzens Buch von der deutschen Poeterei anhebenden zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts, einer Zeit, in der ganz Deutschland für und gegen Opitz Partei nahm, da man sich in Gesellschaften zur Pflege der deutschen Sprache und Poesie zusammentat, wenn Balde •) Vgl. unten S. 181.



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da über Gleichgültigkeit oder gar Feindseligkeit gegen die Poesie klagt, so kann ihn dazu nur seine Unzufriedenheit mit dieser literarischen Bewegung veranlaßt haben. Nicht die Gleichgültigkeit gegen die Poesie überhaupt, sondern die mehr und mehr schwindende Vorliebe für die lateinische Poesie, die Bevorzugung der deutschen Poesie ist der Grund seiner Unzufriedenheit. Ob es auf Rechnung seiner humanistischen Gesinnung oder mangelnder Kenntnis zu setzen ist, daß er bei dem Lob der alten deutschen Sprache nicht auch auf die alte deutsche Poesie hinweist, die seit Goldasts Veröffentlichungen und Opitzens Aristarchus wieder Beachtung fand, ob ihm auch der Hinweis des zu Straßburg verstorbenen Cyriacus Spangenberg unbekannt geblieben war, vermag ich nicht zu entscheiden. Wie er der Opitzischen Reform keine Beachtung schenkte und sich in seinen schülerhaften deutschen Dichtungen an die alte Manier hielt, so kümmerte er sich auch nicht um die von Opitz gerühmte altdeutsche Dichtung, die ja auch bei den Nürnbergern kaum Beachtung fand. Wenn Balde altdeutsche Dichtungen gekannt hat, hat er sie als konsequenter Humanist verachtet. Daß sich sein Ärger tatsächlich gegen die Pflege der deutschen Poesie richtet, ergibt sich aus dem dem letzten Zitat folgenden Vers 73 „Eloquio Latii praefertur barbara Memphis". Damit bestätigt sich der oben aufgezeigte Unterschied in seinem Verhältnis zur deutschen Sprache als Umgangssprache und als Dichtersprache. Ohne auf den Kampf zwischen deutscher und lateinischer Poesie einzugehen, klagt die 8. Ode des 8. Buches der Wälder ganz im allgemeinen über die sorglose Art der deutschen Schriftsteller, ihre Werke auf den Markt zu bringen, über die Massenproduktion mangelhaft durchgearbeiteter Werke; die Dichter haben nur den Ehrgeiz, möglichst schnell möglichst viel zusammenzuschreiben ; sie geben sich keine Mühe, ihre Werke sauber zu feilen. Sie wollen nur schnellen Ruhm und bedenken nicht, wie kurzlebig der sein muß. Nichtige Sachen werden in Masse gedruckt, zum Verdruß des Setzers:



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v. 31 Adspice, quot chartis prelum desudet ineptis, Quam typus ipse gemat.

So werden die Deutschen den Fremden zum Gespött. Aber das ist nun einmal ihre unselige Art. Balde kommt hier, von der Schwäche auf literarischem Gebiet weitergehend, auf einen der Hauptcharakterzüge der Deutschen zu sprechen, der ihm als schlimmer Fehler erscheint, während wir ihn als einen ihrer besonderen Vorzüge zu betrachten gewöhnt sind: ihr Streben nach Universalität: v. 15 Hoc Alemannus habet: multum magnumque cerebro Vastus inaedificat.

Ihr weitausschauender Geist bewegt viele und gewaltige Dinge. Alles möchte der Deutsche zugleich sein und so versteht er nichts vollkommen. v. 17 Plurima molitur, largoque exirudit hiatu Plurimaque esse cupit: Astrologus. fullo, pictor, vespillo, choraules, Cerdo, poeta, faber: Et super haec augur Jovis, interpresque Deorum: Cuncta nihilque sumus.

4. Religiöse Gedichte. Unter den lyrischen Gedichten Baldes sind verhältnismäßig wenig religiöse. Wenn wir bedenken, daß ein sehr bedeutender Teil der neulateinischen Lyrik Deutschlands religiöse Stoffe behandelte, daß fast alle Humanisten, darunter auch sehr freigesinnte wie Celtis oder Caspar v. Barth geistliche Gedichte geschrieben haben, daß uns von vielen Dichtern nur solche bekannt sind, so ist es allerdings auffallend, daß die religiöse Dichtung in der Lyrik des Geistlichen Balde so wenig Raum einnimmt. Wir finden bei ihm weder die so beliebten Psalmenparaphasen noch metrische Bearbeitungen der Sonn- und Feiertagsepisteln und -evangelien, weder Gedichte auf kirchliche Feste noch auf die Sakramente. Es fehlt nicht nur eine Bearbeitung der Passion, die doch so manchen anderen reichen Stoff gegeben hatte, es fehlt, von den beiden Eclogae im zweiten Buch der



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Wälder abgesehen, jeder Hinweis auf das Leiden und Sterben Christi. Die heilige Schrift hat nur geringe Bedeutung für Baldes Lyrik, das Neue Testament sowohl wie das Alte. Nur das Motiv des Jesusknaben in der Krippe zu Bethlehem wird mehrfach behandelt: lyr. III 29; ep. 3; silv. II ecl. In der 4. Ekloge des 2. Buches der Wälder wird dann in 43 Versen die Leidensgeschichte erzählt, in der 5. der Verräter Judas verflucht. Dem gestalten- und bilderreichen Alten Testament, der bevorzugten Quelle der kirchlichen und der moralisierenden Dichtung, speziell auch des Jesuitendramas, entnimmt Balde nur wenige Motive. Die Psalmenstelle 85, 11 „Misericordia et Veritas obviaverunt sibi Justitia et Pax osculata sunt" gibt Idee und Form zu einer zeitgemäßen Allegorie silv. IX 24; der Inhalt des ersten Buches der Genesis gibt Anlaß zu Betrachtungen in der lebhaften poetischen Form eines „Enthusiasmus" (silv. VII 6); dem Hohenlied, das im 17. Jahrhundert sehr in Gunst stand,1) entnimmt der Dichter einen Satz als Gegenstand einer Paraphrase (lyr. II 12). Daß die heilige Schrift so geringe Bedeutung für Baldes Lyrik hat im Vergleich zu den Dichtungen seiner Zeitgenossen, erklärt sich daraus, daß Balde Katholik war. Die Reformation, die den Laien die Bibel kennen und lieben lehrte, gab den direkten Anstoß zu jenen zahllosen Paraphrasen biblischer Texte bei protestantischen Dichtern. Die Katholiken beteiligten sich im allgemeinen nicht an dieser Art Poesie. Sie führten den seit Jahrhunderten in der Hymnendichtung ') Das Hohelied mit seinem orientalischen Bilderreichtum, seiner starken Sinnlichkeit, seinem Hirtenkostüm mußte jene literarische Richtung besonders ansprechen, deren Vertreter man gemeiniglich als die Anhänger der 2. schlesischen Schule bezeichnet. Der Einfluß dieses alten Liebesgedichts ist vielfach zu spüren (einiges davon in der dürftigen Dissertation von K. Hofmann, H. Mühlpfort und der Einfluß des Hohenliedes auf die 2. schlesische Schule. Heidelberg 1893). Nicht nur für die Stilgeschichte, sondern auch für die Geistesgeschichte wäre eine genauere Erforschung der Einwirkung dieser viel umstrittenen Dichtung auf die poetische Literatur sehr zu wünschen. — Nichts lehrt uns den Menschen so gut kennen, wie seine Behandlung eines heiklen Stoffes.



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üppig entwickelten Heiligenkult weiter, den der Protestantismus zur Seite geschoben hatte. Auf diesem Gebiet bewegt sich auch Baldes religiöse Lyrik. Die meisten religiösen Gedichte Baldes sind an Heilige gerichtet. Es entspricht ganz dem durch die katholische Kirche gepflegten Gebrauch, die vielgestaltige populäre Heiligenverehrung in den Vordergrund religiöser Andachtsübung zu schieben auf Kosten der Gottesverehrung, daß neben den etwa 50 Gedichten an Heilige sich nur ein einziges findet, das die poetischer Bearbeitung doch reichlichen Stoff bietende Macht des Weltschöpfers preist: lyr. IV 1. Und auch hier gilt nur ein Teil des Gedichtes der Verherrlichung des Weltenlenkers als Einleitung zu einem Panegyricus auf den Kurfürsten Maximilian. Ein beliebtes Thema katholischer Predigten, das Thema von den Freuden und Schrecken des Jenseits, wird behandelt in dem Hymnus silv. VII 19, der die Herrlichkeiten des Himmelreiches und die Wonnen des ewigen Lebens preist, und in dem großen Gedicht silv. V I I I 10, das Betrachtungen über Himmel und Hölle enthält. Diese Schilderungen des Jenseits sind ganz in der sinnlich handgreiflichen Redeweise gehalten, deren die katholischen Prediger damals wie heute zur Ausmalung des Jenseits sich vielfach bedienen, und die vor keinem noch so gewagten Bild zurückschreckt, der kein Ausdruck zu stark, zu unwürdig ist, um die Freuden des Himmels, die Qualen der Hölle der Menge recht faßlich zu machen. Der Hymnus silv. V I I 19 bedient sich mit dem Versmaß der Sequenzenstrophe auch des der Hymnendichtung geläufigen Bilderschatzes, die andere Dichtung silv. V I I I 10, im Versmaß des jambischen Distichons, hält sich mehr an die antike Ausdrucksweise. Sehen wir hier Balde ganz in der Auffassung seiner Zeit und seines Ordens befangen, so können wir konstatieren, daß er auf einem anderen Gebiete sich freier zeigt, auf dem Gebiete der Heiligenverehrung. Wohltuend berührt das gänzliche Fehlen all des mittelalterlichen Wunderglaubens, der aus dem stillen Bezirk altchristlicher Legendendichtung einen wilden Krautgarten seltsamer Wundergewächse hatte aufwuchern lassen. Nichts von all der Wundersucht und



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den peinlichen Äußerlichkeiten der Heiligenerzählungen, wie sie etwa in dem Dialogus miraculorum des Caesarius von Heisterbach ihren klassischen Vertreter gefunden haben. Es versteht sich, daß Balde nicht etwa die Möglichkeit des Wunders angezweifelt hat. Das bezeugt schon die Ode, die das wundertätige Öl des heiligen Ignatius preist lyr. II 31. Er vermeidet nur die Herabwürdigung des Wunders zu einem Gegenstand der Neugier und der alltäglichen Unterhaltung. Von den Motiven der Legendendichtung macht er keinen Gebrauch mit der einzigen Ausnahme des „Apiarium" im 2. Buch der Wälder. Dieser Zyklus von Gedichten, veranlaßt durch eine merkwürdige Beobachtung, die der Dichter einst unweit Heidhausen machte, wo er sah, wie ein Bienenschwarm in dem ausgehöhlten Leib eines Kruzifixes sich eingenistet hatte, beschäftigt sich mit einem Stoff, der seit den ältesten Zeiten, seit Aristoteles, Plinius und Vergil zu mancherlei Fabeln, Deutungen und ethischen Anwendungen Veranlassung gegeben hat, dem Leben der Bienen und ihrem wohlgeordneten Gemeinwesen. Den Germanen wie den Römern waren die Bienen heilig. Die christliche Dichtung hatte besondere Veranlassung, sich mit diesen emsigen, jungfräulichen 1 ) Tieren, die das Wachs zum Gottesdienst liefern, zu beschäftigen, und zahlreiche Legenden erzählen von der Frömmigkeit der Bienen und von der Sorgfalt, mit der sie vernachlässigte oder weggeworfene Hostien aufgehoben und im Bienenstock bewahrt und verehrt haben. 2 ) Diese Erzählung gibt auch «) Silv. II. Apiarium 2, 1; 3, 11—12; 6, 3. ) Z. B. Herberts Libri tres de miraculis. Patrol. Lat. 185 B, 1374. Petrus Venerabiiis Cluniacensis. De miraculis. Patrol. Lat. 189, 851. Caesarius v. Heisterbach, Dialogus miraculorum. Dist. IX, cap. 8 (ed. Strange II 172). Vgl. Thomas v. Chantimpre, Bonum universale de Apibus. Dazu A. Kaufmann, Th. v. Chantimpre. Köln 1899, S. 1 5 - 3 0 , dort weitere Angaben über literarische Behandlung der Bienen in alter u. neuer Zeit. A. E. Schönbach, Studien zur Erzählungslit. des Mittelalters. (Sitz.-Ber. d. phil.-hist. Kl. d. k. Akd. d. Wiss. Wien 156. Bd. 1908), bes. S. 58 ff. Dramatische Behandlung der Legende in einem niederländischen Hostienmirakelspiel um 1500 von Smeken verfaßt, hrsg. v. Moltzer. Middelnederlandsche dramatische Poezie. Groningen 1875, S. 419—495. 2

H e n r i c h , Jakob Balde.

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Balde wieder. Unter dem Einfluß der Vorstellung von dem staatlichen Gemeinwesen der Bienen nimmt die Legende ganz antikes Gepräge an. Das Einholen einer im Felde verlorenen Hostie durch die Bienen wird zum Triumphzug eines römischen Konsuls, der mit dem offiziellen Gepränge, einem Aufgebot zahlloser Liktoren, des ganzen Senats, geleitet von allen Quiriten sich feierlich zum tarpejischen Felsen bewegt: silv. II. Apiarium 3. Diese echt humanistische Schilderung bildet den dichterischen Höhepunkt eines Zyklus, der die beobachtete Tätigkeit der Bienen zu der Legende in Beziehung bringt: die Bienen haben durch ihre fromme Sorge um die Eucharistie verdient, daß ihnen an so heiliger Stelle Schutz vergönnt wird. Allerhand Betrachtungen über die Seite Christi als besten Zufluchtsort, die symbolische Bedeutung des Honigs in dem Kruzifix, den süßen Heiland runden den Zyklus ab, dessen spielerische Behandlung des Heiligsten unserm Empfinden wenig zusagt. In diesen Gedichten werden dann auch noch einige andere Legenden gestreift: die von der Freundschaft des hl. Anseimus mit einem Hasen, des hl. Aegidius mit einer Hirschkuh, des hl. Franciscus mit Lamm und Grille (Apiar. 4). Yon den an Heilige gerichteten Gedichten wenden sich weitaus die meisten an Maria, die Königin des Himmels, einige wenige an andere, an die hl. Genoveva lyr. I I I 4, an die ägyptische Maria lyr. I I 16, an den hl. Sebastian silv. V I I I 22. 2 ) Doch diese verschwinden an Zahl und Bedeutung neben den M a r i e n g e d i c h t e n . In der Verehrung Mariae konzentriert sich das religiöse Bedürfnis des Dichters, in *) Es sei übrigens angemerkt, daß Balde in der 6. Ode dieses Zyklus die Wunderblume Granadilla besingt. Vermutlich führt auch von hier ein Faden zu dem Pegnesischen Blumenorden, der sich die Granadille als Ordensblume erwählte. *) „Ex epist. VI lib. II. S. Cypriani E. et. M. ad Martyres et Confessores". Dieser Brief, den Balde paraphrasiert, beschreibt die Qualen und die Standhaftigkeit ungenannter Märtyrer, nicht des einige Jahrzehnte nach Cyprians Tode gemarterten hl. Sebastian. Im übrigen schließt Balde sich vielfach an den Wortlaut des Briefes an. (Der Bief zu finden in S. Thascii Caecilii Cypriani Opera omnia rec. Guil. Härtel tom. II. 1871 p. 490.)



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den Gedichten an die Gottesmutter spricht sich nicht nur sein religiöses, sondern auch sein rein menschliches, persönliches Empfinden am freiesten aus. Diese Gedichte sind deshalb die echtesten und wertvollsten Erzeugnisse seiner Lyrik. Es sind ihrer 48. Sie stehen fast alle in der Sammlung der Oden, nur 10 in den Silvae. Mit dem Schluß des ersten Buches der Oden beginnen die Mariengedichte, die dann über die folgenden Bücher gleichmäßig verteilt sind; wohl nicht ohne Absicht folgen sie sich in fast immer gleichen Abständen wie die Perlen eines Rosenkranzes: lyr. II 1; 4; 7; 11; 14; 18; 24; 26; 32; 38; 41; 44; III 2; 7; 11; usw. Das erste und das letzte dieser Gedichte, jenes als Einleitung (lyr. I 42), dieses als Abschluß der Mariendichtung (silv. IX 35) deutlich bezeichnet und den ganzen Zyklus einrahmend, lassen den Dichter als den von Maria selbst erkorenen und ihr verpflichteten Sänger erscheinen. Dort (lyr. I 42) sagt der Dichter, die himmlische Jungfrau habe ihn selbst aufgefordert, sie zu besingen: „me suum Yirgo iubet esse vatem" (v. 2). Er soll nicht mehr von wilden Schlachten singen, sondern sanftere Töne anstimmen. Diese Mahnung, die Maria ihrem Dichter erteilt, wird episch gefaßt in die Erzählung von ihrer Erscheinung. Die Himmlische wird energisch vergegenwärtigt in handgreiflichem Tun, sie schlägt dem Dichter die Werkzeuge des Krieges aus der Hand: v. 29 Utque ferratam manibus tenentem Repperit pennam gladiique acumen, Et, tubae cornu galeamque et hastam excussit in auras.

Daran schließt sich unmittelbar das folgende Gedicht lyr. I 43, das die Wirkung des vorigen schildert. Wem die Himmlische einmal sich genaht, der sucht sich keinen anderen Gegenstand seiner Kunst mehr. Wenn Balde hier sagt, daß er nicht irdische Frauen besingen wolle, daß Maria der würdigere Gegenstand seiner Kunst sein solle (v. 7 —13), so dürfen wir das nicht so auffassen, als übertrüge der Dichter sein Liebesbedürfnis auf die himmlische Jungfrau und suche irdische Gefühle durch den erhabenen 7#



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Gegenstand zu heiligen. Yon dieser mystischen Sehnsucht ist nichts in Baldes Mariendichtungen zu spüren. Die Äußerungen seiner Liebe versteigen sich nie zu dem vertraulichen Ton, dessen die Sprache der Mystiker dem Heiligsten gegenüber sich zu bedienen pflegt, den auch z. B. Baldes Ordensgenosse Andreas Brunner anschlug, der als Praeses der marianischen Kongregation zu München in einer Predigt 1631 von der geistlichen Vermählung mit der Himmelskönigin sprach und die Eormula der Sodalen dem Verlöbnis und Brautring verglich. Der Ausdruck der Liebe bleibt bei Balde immer verehrungsvoll, er liebt Maria als seine Mutter, vor allem verehrt er sie als seine Herrin. E r sieht in Maria nicht nur die gütige Mutter, sondern vor allem die Königin. Er sieht in ihr gern die mächtige Herrscherin, die das ihr ergebene Volk im Kriege schützt, seine Feinde zu Boden wirft, die Himmelskönigin, der Mond und Sterne die Füße küssen (lyr. I I I 5), die auf der Milchstraße einherschreitet (lyr. I I I 7), die das Weltall zusammenhält (lyr. II 32, 13), die den rächenden Blitzen ihres Sohnes Einhalt gebietet (ib. v. 19). Er stellt sie sich gerne vor unter der großartigen Vision der Apokalypse (ep. 15; lyr. I 43, 14 ff.). E r schildert ihre Himmelfahrt als einen glänzenden Triumphzug, dem der Olymp seinen Rücken bietet, den der Himmel mit Gesang in Bewunderung begleitet (lyr. I I I 7). E r preist sie mit Pathos, er bittet stürmisch, das schlichte, innige Gebet gelingt ihm nicht. — Wie anders geartet sind doch die Dichtungen von Baldes Ordensgenossen Friedrich v. Spee, in dessen deutschen Gedichten freilich Maria kaum genannt wird. Spee lebt ganz in den Vorstellungen der Mystik. Seine Seele verlangt nach dem himmlischen Bräutigam, sucht in liebevoller Hingebung eins mit ihm zu werden, ergeht sich in Sehnen und Seufzen. Nichts von alledem bei Balde. Ist Spees Grundstimmung idyllisch, so ist die Baldes pathetisch. Jene neigt zur Weichlichkeit und tändelnden Anmut, diese liebt den kraftvollen Ausdruck und ergeht sich gelegentlich ') Duhr, Geschichte der Jesuiten II 2, S. 117.



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in gräulichen Vorstellungen. Spee meidet in seinen Gedichten die strengen Vorschriften der Moral, Balde kommt hartnäckig immer wieder auf dies unfreundliche Thema. Spee hat nur religiöse Gedichte geschrieben, Balde verhältnismäßig wenige. Spee ist eine weibliche Natur, Balde eine männliche. Balde beschreibt die Herrlichkeit der Himmelskönigin, indem er sie den seltensten Kostbarkeiten der Erde vergleicht : als das Schiff mit allen Schätzen beladen (lyr. II 1); indem er die ganze Natur ihr Lob verkünden, nach ihrer Gegenwart verlangen läßt (lyr. IV 27). Die Marienkapelle in Waldrast auf beherrschender Bergeshöhe als Wohnung Mariens war recht gemäß der heroischen Auffassung des Dichters. E r spricht deshalb auch mit Vorliebe von dieser Kapelle, von der aus die Königin das ihr ergebene Land überschaut, wo die Berge sie gegen Himmel tragen, die Wälder ehrfürchtig sich ihr beugen (lyr. II 11; IV 27; vgl. lyr. III 2, 1 — 4). Herrin der Natur ist Maria von Anbeginn. Die „Panegyris lyrica" (lyr. II 38) preist sie anschließend an die Sprüche Salomos (8, 24) als die beratende und schaffende Weisheit, als Werkmeisterin der Schöpfung. Wie die Natur ihr huldigt (silv. II parth. 5. Ode), so huldigen ihr die Völker. Balde spricht Maria immer wieder als die mächtige Beschützerin der Völker, speziell des Bayernvolkes, seines Heeres und seines Herrscherhauses an. Seine Marienverehrung ist geradezu politisch orientiert. Maria hat Bayern von seinen Feinden befreit, hat die Schweden, Gustav Adolf und den „exsul Palatinus" aus dem Lande gejagt (lyr. II 26), hat die Stadt München vor dem Untergang durch Feuer, das der Winterkönig — nach des Dichters Anklage — hatte anlegen lassen, gerettet (ib. v. 30 ff. vgl. ep. 5, 37). An sie wendet sich der Dichter mit der Bitte, das Bayernvolk zu schützen. lyr. III 15, 49. Occurre votis et Bavaros Duces Affla benigni Numinis halitu . . . Tu spes senatus, tu populi salus, Ducisque natorumque et urbis Gloria laetitiaeque causa.

Zu ihr fleht er um Abwendung der Pest, die im Frühjahr



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1641 die bayrische Hauptstadt bedrohte (lyr. I I I 22). Wie ihr Standbild auf dem Markt zu München möge ihre Hilfe dem Volk stets gegenwärtig sein (lyr. I I I 28). Sie möge auch den Bayernherzog und sein Haus unter ihre Hut nehmen (ep. 5, 43 ff.) und dem erstgeborenen Sohn des Kurfürsten, dem künftigen Herrscher, ihre besondere Fürsorge angedeihen lassen (lyr. I I 44) und den andern Sohn des Kurfürsten aus Krankheit erretten (silv. I I parth. 3). Die jungfräuliche Gottesmutter nimmt also hier eine ganz ähnliche Stelle ein wie bei den Griechen Athene, und zwar Athene Promachos, die schützende und abwehrende Göttin, Athene Nike, die Siegverleiherin, und Athene Hygieia, die Yerleiherin der Gesundheit, mithin die Gestalten, in denen der griechische Kultus die jungfräuliche Tochter des Zeus vorzüglich verehrte. Ich weiß nicht, ob diese Auffassung der Gottesmutter schon in altchristlicher Zeit hervordritt, und ob der für die Ausgestaltung des christlichen Dogmas und Kultus so wichtige griechische Kultus auch der Yerehrung der Gottesmutter bestimmte Züge verliehen hat. Eine derartige Übertragung wäre nach bekannten Analogien wohl zu vermuten, scheint aber in der Literatur nicht bezeugt zu sein. In der umfänglichen Sammlung marianischer Beiworte und Sinnbilder, die Anselm Salzer 1 ) mit erstaunlichem Fleiß veranstaltet hat, freilich ohne das angehäufte Material zu verarbeiten, finde ich keinen Beleg für eine Auffassung der Maria in jenem Sinn; allerdings bezweckt die Sammlung ja auch Yollstäudigkeit nur in bezug auf die deutsche Literatur und die mittelalterliche Hymnendichtung, nicht in bezug auf die altchristliche und die patristische Literatur, und daß in der deutschen Literatur Maria nicht in der Rolle der Pallas Athene erscheint, erklärt sich nicht nur aus dem Stand der klassischen Bildung des Mittelalters, sondern vor allem aus der typisch deutschen Auffassung der Maria, die das Milde, Gütige der Mutter, „Unserer lieben Frau" mit Vorliebe betonte. ') Anselm Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Lit. u. d. lat. Hymnenpoesie des Mittelalters. Programm d. k. k. Ober-Gymn. Seitenstätten (1886 bis 1894).

— 103 — Wenn ich eine Übertragung von Zügen der Athene auf Maria in altchristlicher Zeit als möglich und naheliegend bezeichne, so soll damit nicht gesagt sein, daß Balde an diese Auffassung etwa anknüpfte. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß er sich über die Ähnlichkeit seiner Mariengestalt mit der griechischen Athene klar gewesen ist. Denn sonst würde er kaum Bedenken getragen haben, der Heiligen auch den heidnischen Namen zu geben, wie er sie anderwärts „Diana" und mehrfach „Nympha" nennt. 1 ) Derselbe dichterische Vorgang vielmehr, der die Griechen sich ihre Athene als Vorkämpferin, Siegverleiherin, Spenderin der Gesundheit bilden ließ, ließ unseren Dichter die Himmelskönigin in den gleichen Tätigkeiten fassen. Die deutsche Dichtung wie die abendländische überhaupt pries Maria als den Inbegriff aller Güte, als die Mutter der Barmherzigkeit, die Zuflucht der Sünder. Neben dem orientalischen Bild der mit allen Reichtümern der Erde beladenen Frau zeichnete sie das lichtere Bild der treusorgenden Mutter. Natürlich verehrt auch Balde Maria als den Hort der Gnade, und diese Auffassung herrscht auch bei mir vor. Aber wichtiger sind für uns neben dieser Auffassung die Äußerungen einer anderen, mehr heroischen Auffassung, die unserm Dichter eigentümlich ist, und die in Maria vorzüglich die Königin und zwar die Heerkönigin sieht. Schon Alkuin nannte Maria in einer für die Kirche des hl. Petrus zu Salzburg gedichteten Inschrift „regina polorum", und der Titel „Königin" wurde ihr seit dem 12. Jahrhundert häufig gegeben; doch erschien sie meist als Königin des Himmels und seiner Bewohner, wie in mehreren Anrufungen der lauretanischen Litanei, aber auch als Königin des Erdkreises wie in den eben erwähnten Hexametern Alkuins. Als solche wird sie seit dem 12. Jahrhundert vielfach auch „Kaiserin" genannt, z. B. von Boppe, Rudolf von Rotenburg, Konrad von Würzburg u. a.,2) aber in diesen Bezeichnungen liegt nur der Begriff der über allen thronenden Herrscherin, l

) Vgl. unten S. 108. ) Salzer, S. 456f.

s

— 104 — nicht der der Heerführerin. Die Phantasie dieser Dichter stellt sich Maria in Ruhe, nicht in Tätigkeit vor. Balde dagegen läßt sie unmittelbar eingreifen in die Geschehnisse. Maria bleibt nicht die stille Mutter, die geduldig alle Bitten anhört, sie nimmt persönlichen Anteil und greift selbst ein. Sie führt selbst die Scharen des ihr ergebenen Volkes und wirft seine Feinde zu Boden. Die mittelalterliche Dichtung gibt der Gottesmutter wohl auch gelegentlich die Attribute des Kampfes, aber nur die des geistlichen Kampfes, gegen die Sünde und den bösen Feind,1) und die Besiegerin der höllischen Heerscharen ist ja der Malerei eine geläufige Vorstellung. Balde hat Maria nun auch in den irdischen Kampf zu führen gewagt. Diese kriegerische Auffassung entstammt wohl dem Geist des Jesuitenordens, dessen militärische Organisation und Disziplin Ignatius aus der besten Truppe damaliger Zeit übernahm.2) Die Gesellschaft Jesu hat die Marienverehrung mit besonderem Eifer gefördert, sie hat die Veranlassung gegeben, daß Maria zur Schutzpatronin nicht nur der Kirchen und Städte, sondern auch der Heere erwählt wurde. Es ist schließlich des Jesuiten Balde lebhaftes politisches Interesse im Verein mit seinem frommen Vertrauen auf die mächtige himmlische Mittlerin, aus dem heraus ihm die Gottesmutter zur Athene Proinachos wird. Sie vermag alles, sie kann jeden Wunsch erfüllen (lyr. III 5,7; IV 15,9) und so trägt der Dichter ihr seine heißesten Wünsche vor: eben die politischen. Und ganz natürlich läßt das lebhafte Verlangen nach ihrer Hilfe die allmächtige Jungfrau aus der Rolle der Mittlerin in die der selbsttätig eingreifenden Helferin übergehen. So wird aus der „mater amabilis" die Kriegsgöttin, die wie Athene die Feinde zu Boden schmettert. Sie wird selbst zur Inhaberin göttlicher Macht, sie heißt nicht nur „Diva" (lyr. I 43,34; IV 40,18 u. ö.), sondern auch wiederholt „Dea" (ep. 15, 31, 70; ep. 5,4). ') Sie ist der „schilt", der gegen den bösen Feind, die Hölle, schützen soll. Salzer S. 545 ff. s ) Vgl. Eberhard Gothein, Ignatius v. Loyola and die Gegenreformation. Halle 1895.

— 105 — Wie Balde der Gottesmutter seine lebhaftesten auf die Außenwelt, sein Yolk und seinen König gerichteten Wünsche vorträgt, so gibt er auch alles, was seine eigene Person betrifft, in ihre Hut. Hier erscheint Maria als die gütige Mutter, wie die Notleidenden, die Kranken und Schwachen sie sich vorzustellen lieben. Auch Balde hatte ja so mancherlei Nöte. Und vorzüglich die Mariengedichte berichten uns von seinem körperlichen Befinden und haben deshalb biographisches Interesse. Die Bitten, die der Dichter der Gottesmutter vorträgt, betreffen fast immer nur sein leibliches Wohlergehen, nicht — und das ist zu beachten — seinen sittlichen Zustand oder sein geistliches Leben. Der Dichter fleht in seinen poetischen Gebeten nie um Stärkung in der Yersuchung oder um Reinigung und Heiligung seiner Seele. Sein Verhältnis zu Maria ist das des naiven Menschen, der von der himmlichen Ärztin Hilfe in den unmittelbarsten körperlichen Bedürfnissen erbittet. Bald fleht er um Heilung von einem Fieber (lyr. I I 41), bald um Befreiung von körperlichem Unbehagen und nervöser Unruhe (silv. I I parth. 1 a), dann wieder bittet er in naivem Vertrauen um gutes Wetter auf einer Erholungsreise nach Ebersberg und um Windstille, wenn er auf dem See Kahn fahren will (lyr. I I I 11). Nur einmal bittet er auch für seine Seele, um einen sanften seligen Tod und um reuigen Sinn (lyr. IV 49). Maria ist ihm die Verleiherin des Friedens, der Ruhe. Zu ihr flüchten sich seine Gedanken aus der Unruhe der Welt, und sehnsüchtige Grüße sendet er von der Reise dem Heiligtum der Jungfrau in Ettal, das zu besuchen dringende Geschäfte ihm wehren (lyr. I I I 2). Sie ist ihm die Spenderin alles Schönen: des Frühlings, der Dichtkunst; den Frühling bringt sie ihm zurück und gibt dem Dichter neue Lieder ein; sie ist seine Muse: lyr. IV, 40,11 Nil gratum sine te meae Respondent citharae: sed simul halitum Persensere tuum fides, Vernant Aoniis continuo rosis . . . Sic o saepe veni, Diva, . . . Et longas reseca Pieridum moras.



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Die himmlische Gönneriii redet er horazisch mit den Worten an: Yitae praesidium et dulce decus meae" (ebd. v. 2), mit ihr möchte er leben und würde den Tod nicht fürchten. Nie will er müde werden, sie zu besingen (ep. 17). Der Unwandelbarkeit seiner Liebe zur Gottesmutter gibt der Dichter Ausdruck mit der bei den Rhetorikern beliebten Figur e£ öbuvdTOu. einmal in gehäufter Anwendung: eher mögen Hund und Hase, Wolf und Lamm sich vertragen, Fische in den Lüften fliegen und Walfische auf den Bergen Reihen tanzen, als er von seiner Herrin läßt (lyr. II 7); ein andermal mit großartiger Kühnheit der Anschauung: niemand soll ihn von der Gottesmutter trennen, eher wird der Berg sich beugen und mit den Schultern seine Füße berühren: lyr. II 11,29.

Hinc ut avellar? prius ima valli Incidet rupes pedibusque dorsum Et caput iunget.

Die unendliche Güte der Maria, die jeder lieben muß, wird umschrieben mit der Hyperbel, daß der schwarz wie Gift und voll des tödlichen Schlangengeifers sein müsse, der sie nicht liebt: „illum et horrebit venientem ad umbras Janitor orci" (lyr. II 4,11); daß es ihm besser wäre, in den Strudeln des Meeres versenkt zu werden oder unter wilden Tieren zu wohnen (lyr. II 32). Ein Motiv der petrarkisierenden Liebesdichtung benutzt Balde zum Ausdruck seiner Liebe, das Motiv des Pfeiles, mit dem der Amor Marianus ihn getroffen hat. Doch bedient er sich des vielgebrauchten Bildes nicht wie eines bequemen, fertigen Ausdrucksmittels, er gibt dem verbrauchten Motiv neues Leben, indem er uns lebhaft die Situation dessen vergegenwärtigt, der einen plötzlichen Schmerz fühlt und gleichzeitig ein ungewisses Geräusch in den Lüften hört und im ersten Augenblick nicht recht weiß, was geschehen ist (lyr. IY 12). Außer dem Zyklus der „Parthenia" enthalten die Wälder nur zwei Gedichte an Maria; das eine bildet den Anfang des letzten Buches der ersten Ausgabe der Wälder von 1643, das andere den Schluß des letzten Buches der definitiven Ausgabe von 1646. An moralisierenden wie an religiösen



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Gedichten findet sich gleich wenig in den Wäldern. Balde gesteht das selbst ein, indem er von dem „liberalis vultus" seiner Poesie spricht. Aber trotzdem ist seine Poesie ein Geschenk der Gottesmutter, und um dies zu bekräftigen, setzt er an den Schluß seiner lyrischen Dichtungen ein Gedicht an Maria, das noch einmal in klangvollen Yersen seine Gefühle ausströmen läßt in einer Paraphrase des größten Preisgesanges, den mittelalterliche Frömmigkeit und mystischschwärmerische Innigkeit geschaffen hat: der lauretanischen Litanei. Die Fabel von dem Verlust seiner Leier im Bach und ihrer Verwandlung in einen Schwan (silv. IX 29) l) weiterspinnend, beschwört er, voll schmerzlicher Scham, Maria so lange nicht mehr gefeiert zu haben, den gefiederten Sänger, noch einmal zurückzukehren, ehe er ihm für immer entschwinde. Die Maße des Horaz sind ihm versagt, seit er die Leier verlor. So wählt er eine andere Form, die Form des Dithyrambus, den „traumhaft süßen Gesang", wie Balde den rhythmischen Reiz dieses Versmaßes treffend charakterisiert. silv. IX 35, 19 Restat unus ille mollis, Yanus ille Dithyrambus, Quäle Carmen solus Hymen Pangit et turgente crines Liber impeditus uva. Personant clamore montes, antra, silvae, ilumina. Frontis expers, nuptiali Virginem cantabo versu!

Noch einmal möge der Schwan ihm zurückkehren und ihm ein Lied leihen (ib. 49). Immer dringender bittet er den apollinischen Sänger, bis er endlich zum Entzücken des Dichters hervorschwebt. ib. 97. Gygne tandem, Cygne prodi! — Prodit ecce! Iam videtur. Remigans ut explicatas Circinat decenter alas! Ut superbo colla gestu Tendit, eque fönte Carmen profluens expectoral! Innocens in amne Siren ') Vgl. oben S. 45 f., 60.



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Milte, quem natura cantum Dictat, auscultaque nostrum, Ut reciprocare possis. Sancta, die, Maria! Sancta Cuius est divina proles, Sancta Virgo Virginum.

Und nun beginnt ein aus den üppigen Schatzkammern marianischer Hymnen 1 ) mit vollen Händen schöpfender Dithyrambus. ib. 109. Mater illibata Christi, Gratiae fecunda Mater, Pura mente, casta sensu, Mater integri pudoris, Mater excitans amores, Conditoris et Salutis, Mater Admirabilis.

Und in atemlosem Jubel stürmt der Gesang glanzvoll sich steigernd zum prächtigen Abschluß: ib. 169. Hinc sacri, Regina, vates, Hinc tubae, Regina, clamant, Martyrum te palma vestit. Virginum corona cingit., Omnium Regina Divum Omnium, Beata, festo diceris praeconio.

5. Persönlicher Gehalt der Dichtungen. a) Der D i c h t e r selbst. Ein Vergleich zwischen der neulateinischen Dichtung und der gleichzeitigen deutschen läßt leicht erkennen, daß der persönliche Gehalt der lateinischen Dichtung geringer ist. Der Grund dieser Erscheinung ist nicht nur darin zu suchen, daß die Dichtung in der fremden Sprache dem Dichter einen Zwang auferlegt, den freien Ausdruck seines Fühlens und Denkens hemmt, sowie darin, daß der Gebrauch der fremden Sprache und Ausdrücke den Dichter in Gefahr bringt, das ') Die meisten dieser Epitheta der Gottesmutter sind Gemeingut der mittelalterlichen Mariendichtung. Vgl. etwa den 2. Bd. von Mone, Lat. Hymnen d. M. A. und Dreves, Analecta hymnica, bes. die Bände 4,11,12,19, 22/23, 43, ferner den umfänglichen „Nomenciator Marianus e Titulis B. Viriginis contextus, Glossarice" von Theophilus Raynaud S. J. = Marialia tom. VII. Lugduni 1665; bes. Salzer a. a. 0.

— 109 — eigene Empfinden mit entlehnten Reden zuzudecken, statt Eigenem Nachahmung zu geben. Die geringe Stärke des persönlichen Gehaltes, des eigentlich Lyrischen in der Lyrik erklärt sich nicht zuletzt aus einem anderen bisher wenig beachteten Grund: aus der Beschaffenheit des Objekts der unvermeidlichen Nachahmung, aus der p o e t i s c h e n E i g e n a r t d e r n a c h g e a h m t e n r ö m i s c h e n D i c h t e r . Das größte Ansehen, die größte Yerbreitung und mithin auch den größten Einfluß auf die nachahmende Produktion hatten epische, dramatische, didaktische, satirische Dichter: Yergil, Ovid, Terenz, Lukan, Statius, Claudian, Martial; daneben als lyrischer Dichter der, der unter den Großen Roms am wenigsten Anspruch auf den Namen eines echten Lyrikers hat: Horaz. Die andern, Catull, Tibull, Properz, galten als unsittlich und erlangten nur geringen Einfluß auf die ernste Lyrik. Die kühle, besonnene, verstandesmäßig nüchterne Poesie des Horaz galt als das Urbild der Lyrik. Wie sehr dies Vorbild die Gestaltung der neulateinischen und indirekt auch der deutschen Dichtung bestimmt hat, wäre einer näheren Untersuchung wert, die das von Stemplinger 1 ) gesammelte reiche, aber nicht ausgemünzte Material nutzen könnte. Waren mithin die allgemeinen Bedingungen, unter denen die neulateinische Dichtung stand, der Entwicklung der reinen Lyrik nicht günstig, so kam für Balde noch ein wichtiges hemmendes Moment hinzu, das war seine Z u g e h ö r i g k e i t zum J e s u i t e n o r d e n . Die völlige Leidenschaftslosigkeit, der völlige Verzicht auf den eigenen Willen, der unbedingte Gehorsam, wie ihn der Jesuitenorden forderte, schloß in sich den Verzicht auf jede freie Äußerung persönlichen Empfindens und Denkens. Die Freuden und Schmerzen des Menschen, Hoffnung und Furcht, Sehnsucht und Wehmut, Stolz und Verzweiflung, alles sollte der Jesuit nicht kennen oder doch nach Möglichkeit in sich ertöten. Damit war der Lyrik der lebendige Atem genommen. Des Jesuiten seelisches Leben gehörte ganz dem Orden, ihm sollte sein Wille, sein Denken und auch sein Fühlen unterworfen sein. Der Einzelne war ') Ed. Stemplinger, Das Fortleben der horazischen Lyrik seit der Renaissance. Leipzig 1906.



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nur ein Glied in einem kuustvollen Mechanismus, der keine Unregelmäßigkeiten, keine Eigenart dulden wollte. Prüfen wir Baldes Dichtungen daraufhin, wie sein persönliches Sein und Leben in ihnen zum Ausdruck kommt, so ergibt sich zunächst, daß er zwar nicht selten von sich spricht, aber nicht von seinem Empfinden, seinem "Wollen, sondern von dem Teil seines Seins, der seinem Willen und damit dem Dienst des Ordens entzogen ist: seinem k ö r p e r l i c h e n B e f i n d e n . Nur hier lernen wir den Dichter als Menschen kennen, sonst erfahren wir so gut wie nichts über ihn aus seinen Dichtungen. Wir sehen wohl, daß er in Beziehungen zu zahlreichen und darunter manchen bedeutenden Männern seiner Zeit gestanden hat; aber welcher Art diese Beziehungen waren, was er für diese Männer empfand, wie er mit ihnen verkehrte, was er mit ihnen erlebte, darüber bleiben wir im unklaren. In dem Bild seiner Persönlichkeit sind nur wenige Züge deutlich erkennbar: seine Vaterlands- und Heimatliebe, seine Marienverehrung — ideale Empfindungen; es fehlen die irdischen Züge. Es fehlen die Fäden der Empfindung, die den Menschen mit seinen Mitmenschen, ihrem Tun und Treiben, ihren Leidenschaften und Wünschen, mit seiner Zeit und ihren Bedürfnissen verbinden. Es fehlt das stärkste irdische Band, die Liebe zum Weibe mit all ihren tausend Äußerungen und Nebenwirkungen, es fehlt die Familie mit ihren Interessen und Sorgen — in keinem Gedicht hören wir von irgend einem der Angehörigen des Dichters —, es fehlt die Freundschaft mit ihrer Hilfsbereitschaft und ihrer Treue. Wir kennen nicht die Neigungen, die Leidenschaften des Dichters, nicht seine kleinen Schwächen und Liebhabereien, vielleicht mit Ausnahme seiner Neigung zum Tabakrauchen, von der wir aber auch nicht bestimmt sagen können, ob sie nicht poetische Fiktion im Geschmack der Zeit ist. Daß er kein Verächter des Weins war, wissen wir durch fremdes Zeugnis, seine Gedichte enthalten kaum Andeutungen über diese Liebhaberei des Elsässers. Das Bild, das uns die lyrischen Gedichte von dem Menschen Balde geben, wäre sehr unklar, wenn uns nicht seine äußere Erscheinung ziemlich deutlich vor Augen träte.

— 111 — Was Balde ans von seinem leiblichen Befinden sagt, gibt unserer Phantasie den Halt, an den alle Vorstellungen von seiner Individualität anknüpfen können. Wir sehen eine hohe schlanke Gestalt, deren Magerkeit, deren schwache Brust und blasse Wangen einen lungenschwachen, kränklichen Mann verraten. Balde spricht wiederholt bald humorvoll, bald bitter klagend von seinem schwachen Körper, seiner Magerkeit, seiner Kränklichkeit. Sein Körper gleicht einem Schattenriß, der dürftigen Skizze eines angefangenen Gemäldes: lyr. I 15, 17. Nativa longi linea corporis Et umbra nobis, qualis imaginum Prima colorandam iigura Proiicitur rudis in tabellam.

Doch er ist damit zufrieden in dem Gedanken, daß der schwere, fette Körper auch den darin wohnenden Geist in seiner Bewegungsfreiheit hemmen würde (ebd. v. 21—32). Und so will er denn selbst, was die Natur ihm bestimmt hat. Er lädt die Magerkeit, die vierte der Grazien, ein, zu ihm zu kommen (lyr. I 34), nichts wird sie bei ihm finden, was ihr mißfiele. Er ist fast nichts mehr als ein Knochengerippe und schon beinahe durchsichtig: lyr. 1 34, 22 „ipse ego corneus Et paene tralucens". Mit dem Behagen des rigorosen Asketen gefällt Balde sich in der Ausmalung des Zerrbildes eines menschlichen Körpers. Sein grotesker Humor spielt besonders gern mit der Vorstellung der nackten klappernden Knochen. Das Schreckliche steigert er zum Grausigen durch die gewaltsame Verbindung mit dem Schönen. Seine Knochen erklingen wie die Saiten einer Leier und begleiten seinen Gesang (ib. v. 27—28). Die hartnäckige Verfolgung des Gedankens scheut auch vor dem Widerwärtigen als illustrativer Konsequenz nicht zurück: ib. 29. Neu terrearis turbine cimicum In me ruentum lege ferociae: Mordere si possunt, acutos Et poterunt hebetare dentes.

Die Verachtung des menschlichen Körpers geht so weit, ihn dem Schlachtvieh gleich zu bewerten und von seinem Preis auf dem Fleischmarkt zu sprechen (lyr. III 9, 9—12). Der



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Dichter freut sich, daß er den Viehmarkt und seine grausamen Gesellen nicht zu fürchten braucht, da sein magerer Körper keinen Wert habe. — Auch für ihn hat der Körper ja keinen Wert, nur der Geist, und da er den höchsten Grad der Magerkeit erreicht hat, kann er sich rühmen, ganz Geist zu sein: „totus spiritus emico" (lyr. I I I 9, 8), und so sieht er sich als reinen Geist aufwärts schweben und wie der Maja Sohn unter den Himmlischen und zwischen den Schatten wandeln (ib. v. 13—20). Sucht so der Dichter die Not seiner Magerkeit als Befördererin seines geistigen Strebens aufzufassen und sich ihrer zu freuen, so gelingt es ihm nicht, in ähnlicher Weise seinen k ö r p e r l i c h e n L e i d e n eine gute Seite abzugewinnen. Balde klagt wiederholt und bitter über seine Hinfälligkeit, seine körperlichen Beschwerden. Es ist bemerkenswert und wiederum charakteristisch für die religiöse Gesinnung des Dichters, daß in diesen Klagen nie der dem Katholiken doch so naheliegende Gedanke an die Aufopferung der irdischen Leiden für das ewige Heil der Seele hervortritt, daß der Dichter das geduldige Ertragen der Leiden nicht als gutes Werk betrachtet und auf den Himmlischen Lohn hofft. Oder ist auch hier der humanistische Einfluß maßgebend? Es ist merkwürdig, in wie weitgehendem Maße die klassische Sprache und Dichtform auch den Inhalt der neulateinischen Dichtung bestimmte. Der Humanismus vermittelte der Renaissancedichtung nicht nur eine Menge antiker Vorstellungen, er wirkte auch hindernd auf die natürliche Gedankenentwickelung dieser späten Dichter, vertrieb viele der ihnen zunächst liegenden Vorstellungen aus dem poetischen Bereich. Die Mischung von Heidnischem und Christlichem war unvermeidlich für jeden, der nicht wirklich wieder zum Heiden geworden war und als solcher zu gelten sich auch nicht scheute. Nur das V e r h ä l t n i s von heidnischen und christlichen Vorstellungen ist in den Dichtwerken verschieden. Zwei Strömungen treten deutlich hervor: die einen suchen eine innige Verbindung heidnisch-mythologischer und christlicher Vorstellungen, sie wollen den ganzen Anschauungsreichtum der antiken Götterwelt für die christliche,

— 113 — religiöse Dichtung nutzbar machen; einer der Hauptvertreter dieser Richtung ist Sannazaro. Die heidnischen Göttergestalten wurden ihnen zu schönen Bildern, sie bekamen metaphorische Bedeutung. Die andern suchten sich ganz in die Antike zurückzuversetzen, nur in ihren Vorstellungen sich zu bewegen und dem Leben der neueren christlichen Zeit nur soweit Raum zu geben, als es dem Sinn der Antike nicht widersprach. Die größere oder geringere Konsequenz in der Verfolgung dieses Ideals zeitigte Epigonendichtungen von verschiedenstem Mischungsgehalt. Was in diesen Poesien des Dichters ursprünglich Eigenes ist, ob Nachahmung und Entlehnung oder eigene Empfindung der Grund eines Vorhandenen, ob negierendes Dichterprinzip oder tatsächliches Fehlen der Grund eines Nichtvorhandenen ist, das zu entscheiden ist eine der schwierigsten Aufgaben kritischer Analyse. — In unserm speziellen Falle handelt es sich um die Frage: wie kommt es, daß der katholische Geistliche, der Jesuit Jakob Balde, ein Fanatiker der moralisierenden Betrachtung, seine oft beklagte Krankheit nie als ein Mittel seiner geistlichen Heiligung betrachtet, d. h. sie in seiner Dichtung nicht in dieser Weise betrachtet. Daß ihm dieser Gedanke überhaupt ferne gelegen habe, wird keiner, der die Vorstellungswelt des frommen Katholiken kennt, behaupten wollen. Balde hat als Mensch ganz sicher seine Krankheit als Buße für seine Sünden geduldig zu tragen sich bemüht. Warum spricht er in den betreffenden Gedichten davon nicht? Bescheidenheit, die Scheu, mit seinem Opfermut, seiner christlichen Geduld sich zu brüsten, wird ihn wohl kaum abgehalten haben. Er spricht ja sonst ohne Scheu von seinen Tugenden: seiner Genügsamkeit, seiner Sanftmut u. dgl. — Nein, hier mußte ein Gedanke wegbleiben, der — weil spezifisch christlich •— in das antikisierende Gedicht nicht hineinpaßte. Der besprochene Einzelfall ist an sich nicht von übergroßer Bedeutung, aber er ist typisch dafür, wie das Bild der Persönlichkeit des Dichters durch das Medium der Antike verdeckt und verdunkelt wird. Ist der Gedanke an die seelische Heiligung durch die Krankheit nicht so lebhaft, H e n r i c h , Jakob Balde.

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— 114 — ist — ganz allgemein gesagt — Baldes religiöses Empfinden nicht ursprünglich genug, um sich in der Dichtung kräftigen Ausdruck zu verschaffen, oder hält er mit Absicht christlichreligiöse Vorstellungen und Gedanken aus seiner klassizistischen Dichtung fern ? — die Präge bleibt unentschieden. — Die Oden, die von des Dichters Krankheit handeln, gehören zu seinen freiesten und persönlichsten. In ihnen tritt uns der Mensch einmal unmittelbar nahe, spricht mit unverstellter Stimme von sich und seiner Not und ermöglicht es uns, in Mitleid sein eigenstes Gefühl zu teilen. Auch dichterisch bedeutend sind diese Oden, insbesondere die an den Schlaf, in der der Dichter des Todes sanften Bruder bittet, zu ihm zu kommen und seine von langer Schlaflosigkeit ermatteten Glieder zu erquicken: lyr. I I 36. Hat Balde in diesem durch Statius (silv. V 4) vielleicht angeregten, aber im sprachlichen Ausdruck unbeeinflußten Gedichte die tiefe Ruhe der nächtlichen Welt trefflich geschildert, so findet er an anderer Stelle die rechten Worte, um seine eigene innere Unruhe, seine krankhafte Nervosität wiederzugeben. Mit überraschender Realistik vergegenwärtigt er uns das zweck- und ziellose Hin und Her eines Nervösen: silv. II parth. 2, 28. Saepe injussa manus clauditque aperitque fenestras, Sessurus attollit pedes, Egrediturque foras. Primaque permensus viridis spectacula campi Majore rursum taedio Damnat et odit agros . . . Cantat et abrumpit medias ululatibus Odas.

Von akuten Erkrankungen ist in den lyrischen Dichtungen dreimal die Rede. Lyr. I I 41 spricht der Dichter von einem heftigen Fieber, ohne die Krankheit näher zu schildern. An den beiden anderen Stellen beschreibt er deutlich genug die Art seines Leidens: heftige Katarrhe, zu denen er mit seiner schwachen Lunge besonders disponiert war und für deren häufige Wiederkehr er ein andermal das rauhe Münchener Klima verantwortlich macht (silv. I X 18, 42). Die asketische Verachtung des Körperlichen, die sich im Abtun jeder Scheu vor dem Häßlichen

— 115 — äußert, gefällt sich hier im ausführlichen Beschreiben leiblicher Beschwerden: silv. V I I I 1, 15—24 und besonders: silv. IX 27, 2.

Tempestas caput egit aquosa, Perque cavas fauces se praecipitavit et alto Obstruxit praecordia limo. Unde putrem lanam et squalentia vellera tabe, Ejectat circumsona tussis.

Der widerwärtige Naturalismus dieser Stelle entspricht der eben erwähnten groben Schilderung seiner Magerkeit. Daß diese Vorliebe für das Häßliche, Krasse durch antike Vorbilder, durch Seneca und die römischen Satiriker genährt wurde, kann hier nur angedeutet werden. Wie die Antike ihrem Schüler entstellende Masken aufzwang, bald ihn sagen ließ, was er nicht dachte, und bald ihn verschweigen hieß, was ihn bewegte, so gab sie ihm gelegentlich auch die Freiheit, auszusprechen, was der Geistliche sonst wohl nicht gewagt hätte. So hilft die Antike auch einmal, den Menschen im Dichter freizumachen, und erfüllt so die Aufgabe, die ihr eigentlich von Anfang an bestimmt war. Diese "Wirkung erkennen wir in einigen Oden Baldes, aus denen die echtmenschliche F r e u d e am L e b e n spricht. Der Geistliche, der dem Volk die Vorbereitung auf das jenseitige Leben nach dem Tode predigt, bleibt darum doch ein am Diesseits sich freuender Mensch. Ungeachtet der vielen moralisierenden Betrachtungen über die Vergänglichkeit alles Irdischen ist nichts von mystischer Todessehnsucht in dem Dichter. Als frommer Christ kennt er aber auch keine Todesfurcht und so kann er heiter mit den Gedanken an Leben und Tod spielen. E r sieht, wie der Gärtner die Bäume fällt. Der Anblick weckt in ihm wohl den Gedanken an den Tod, aber ohne ihn schwermütig zu stimmen. Der Gärtner schlägt nur die alten morschen Bäume, jedoch der Tod rafft wahllos Alte und Junge dahin. Und das will dem Dichter nicht gefallen. E r klagt darüber einem alten Ordensgenossen und scherzt, der mit seinen 72 Jahren scheine ewig leben zu wollen. Das mißgönne er ihm ja nicht, aber er habe auch keine Lust, vor ihm in das finstere Eeich hinabzusteigen ; und so mahnt er den Alten mit unbefangenem Humor:

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silv. VIII 14, 57. Semper honorari petitis. Praecedite! pompae Dignior ordo prior. Nos procul a tergo Senium capulare sequemur, Servus ut instat hero. Quod precor, hoc unum est, Lauri miserere virentis. Populus alba, praei!

Entspringt hier der Scherz der heiteren Ergebenheit, die in den Schlußzeilen der Ode aber wieder zum Ernst gedämpft wird, so äußert sich in der Ode silv. IX 27 der Wille zum Leben energischer, fast heroisch. Der Dichter ist entschlossen, sich gegen den Tod zu wehren. Er fordert ihn in Person zum Kampf heraus und will, solange er es vermag, gegen ihn fechten, ähnlich wie der wackere Has von Überlingen: silv. IX 27, 27. Ipsa, precor, veniat Mors justum initura duellum . . . Non conto jaculisque adversi, aut duplice funda, Non aliis dignabimur armis. Stabo lyram retinens, scuti vice . . . Nos tantum Cithara circum cava tempora ducta Frustrari conabimur ictus.

Die Spärlichkeit der Zeugnisse über Baldes äußeres und inneres Sein heischt auch für die Äußerungen minder wichtiger Art Beachtung. Auf seine Liebhaberei für den Wein und f ü r den Tabak wurde schon kurz hingedeutet. Daß der Elsässer den W e i n nicht verachtet habe, darf man wohl annehmen. Seine Dichtung verrät uns davon nicht viel. Die Bemerkung, daß er seit 20 Jahren den elsässischen Wein nicht mehr gekostet habe (lyr. II 27, 17) und das Lobgedicht auf den Wein des Flavius Leo') (lyr. I 11) in der Form einer Paraphrase der horazischen Ode lyr. III 21 sind die einzigen poetischen Zeugnisse für diese Liebhaberei. Scherzhaft zu nehmen ist wohl des Dichters Geringschätzung des bayrischen Bieres, der er in der Ode lyr. I 12 absichtlich übertreibenden Ausdruck gibt, damit zugleich das volkstümliche Getränk seiner alten Heimat gegenüber dem seiner neuen Heimat *) „Commendat Flavii Leonis vinum" ist diese Ode überschrieben. Balde liebt es, Namen und Bezeichnungen der realen Welt irgendwie zu umkleiden und zu verstecken. Sollte dieser Freund Flavius Leo, der so guten Wein im Keller hat, eine Schenke zum goldenen Löwen sein?

— 117 — gebührend würdigend. Diese Ode, an die Amphora Cerevisiarum gerichtet, ist eine Parodie 1 ) der eben erwähnten horazischen an den Weinkrug ' 0 nata mecum consule Manlio'. Sie schildert mit pathetischer Entrüstung die Schrecken dieses Giftgetränkes und die fürchterlichen Qualen, die es Körper und Geist bereitet. Mit Schmähungen wird der Bierkrug überhäuft und also apostrophiert: v. 1 0 nata Capri sidere frigido, Seu tu querelam sive geris minas Seu ventris insanum tumultum et Difficilem, mala testa, somnum; Quocumque servas nomine toxicum, Numquam moveri digna bono die, . . .

Die Liebhaberei für den T a b a k , die mehrfach poetischen Stoff liefert, brauchen wir wohl nicht für ein leeres, andern Dichtern entlehntes Motiv zu halten, sondern dürfen darin eine zweite kleine menschlische Schwäche des Dichters erkennen. Ein gewisses Mißtrauen ist ja auch hier geboten in Anbetracht der Tabakdichtung, die damals gerade Mode wurde. Die scherzhafte Gegenüberstellung der beiden Pfeifen, des Musik- und Rauchinstruments, die Balde wiederholt gebraucht, findet sich schon in einem englischen Gedicht des Robert Aytoun von 1638, das Kopp 2 ) als das Original der späteren Tabakgedichte von Saint-Amant, Logau, Chr. Gryphius, König nachgewiesen hat. Aber drei Jahre vor diesem englischen Originalgedicht3) hat schon Adam Olearius, ') Vgl. unten S. 200. ) A. Kopp, Internationale Tabakspoesie. Ztschr. f. vgl. Lit.-Gesch. 13 (1899) S. 5 1 — 7 4 3 ) In der Vorrede zum 8. Buch der Silvae, in der Balde die einzelnen Gedichte dieses Buches der Reihe nach kurz bespricht und die Veranlassung ihrer Entstehung angibt, erwähnt er ein „Poema animosum" über den Tabak, von dem englischen Dichter und Arzt Raphael Thorius verfaßt, bemerkt jedoch ausdrücklich, daß seine Ode entstanden sei, ehe er das Gedicht des Engländers kennen gelernt habe (Op. Omnia II 224). Dies Gedicht des englischen Arztes Raphael Thorius (f 1625), betitelt „Hymnus Tabaci" ist ein umfängliches Lob des Tabaks in lateinischen Hexametern. Es erschien zuerst 1625 zu Leyden, dann 1627 zu London. 1644 folgte noch eine Taschenausgabe zu Utrecht. (Dictionary of National Biography. 56 [1898] 284/5.) 2



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der durch die Beschreibung seiner orientalischen Reise berühmte Gefährte Flemings, seine „Lustige Historie, woher das Toback-Trincken kommen" geschrieben und diese Historie folgt nach der Titelangabe einer niederländischen Yorlage. Die Historie des Olearius scheint die erste poetische Behandlung der neuen Sitte in Deutschland zu sein, die hier im Laufe des dreißigjährigen Krieges aufkommt, seitdem englische und holländische Truppen im Jahre 1622 das Tabakrauchen in den Rhein- und Maingegenden eingeführt hatten1). Balde ist vielleicht von demselben niederländischen Gedicht beeinflußt, dem Olearius folgt, das seinerseits wieder von dem zu Leyden erschienenen Hymnus Tabaci des Thorius abhängig sein dürfte. Auch er hat ein Gedicht über den Ursprung des Tabaks geschrieben (silv. V I I I 6), in dem er die Entdeckung dieses heilkräftigen Krautes in antik-mythologische Zeiten zurückverlegt. Balde erzählt von dem großen Göttermahle zur Feier von Bacchus' Triumphzug nach Indien, das durch die Nachricht von der Revolution der Giganten gestört wird. Da die ganze männliche Gesellschaft bis auf Merkur in seliger Trunkenheit unter den Tisch gesunken ist, sendet die „sobria Pallas" den Götterboten mit Diana eilends zu dem abwesenden Kriegsgott, ihn zum Kampf gegen die Titanen aufzufordern. Im Flug über nordische Schneefelder und durch kalten Nebel holt sich Merkur, der in der Eile seinen Hut vergessen hat, einen gehörigen Schnupfen. Darob großer Schreck! wie soll er mit seiner heiseren Stimme Jupiters heiligen Befehl ausrichten! Diana hilft ihm aus der Not mit einem Kraut, das sie ihm zu kauen gibt, dessen heilkräftige Wirkung sie von einem Hirsch ihres Wagens lernte, als er damit eine Wunde im Fuß heilte. ') Vgl. Tiedemann, Geschichte des Tabaks. 1854. — Literarisch verwertet wird der Tabak allerdings schon früher in dem „Speculum aestheticum" des Joh. Rhenanus von 1613, einer Komödie, die den Streit der fünf Sinne behandelt. Hier wird der Tabak eingeführt als „der mechtige Kaiser Tobacco, könig von Trinidato, welcher als er vberwunden worden, gantz Europam eingenommen h a t t . . . Außtreiber der Kotharren, verjager aller febern . . . vor die frischen wunden auff ein non plus . . .". Vgl. Höpfner, Reformbestrebungen auf d. Gebiete d. dtsch. Dichtg. d. 16. u. 17. J. Berlin 1866, S. 41.

— 119 — Den Namen Tabacum erklärt sie durch ein Anagramm aus Abactum (das Kraut, von dem sie den Hirsch wegtrieb, als er es pflücken wollte). Um es vor dem anmaßenden Bacchus zu schützen, entführt Merkur es über das Meer; die Insel Virginien soll die Gabe der jungfräulichen Göttin pflegen. Diese anmutige Fabel hat mit der Historie des Olearius und deren Vorbild das gemein, das sie auch die Herkunft des Tabaks zu erklären sucht, und daß diese in mythologische Zeiten verlegt wird. Auch bei Olearius wird von einem Göttermahl erzählt, aber hier produziert Vulkan seine Künste mit einer Tabakspfeife, die er direkt aus der Hölle durch „ein jung Teufflichen" erhalten hat, und der Protest der Götter gegen den Tabaksqualm veranlaßt Merkur, Pfeife und Tabak aus dem Himmel hinauszuwerfen. Sie fallen bei den „Morianen" nieder und werden dadurch auf der Erde bekannt. — Hier ist also der Tabak als Rauchmittel der Gegenstand der Darstellung, bei Balde ist es die heilkräftige Wirkung des gegessenen Tabaks, woneben aber auch die Annehmlichkeiten des Rauchens gerühmt werden. Baldes scherzhafte Erzählung enthält in doppeltem Sinne eine Rechtfertigung seiner Tabakliebhaberei: einmal werden die heilkräftigen Wirkungen dieses Krautes, mag es gekaut oder geraucht werden, hervorgehoben (v. 113—122), und diese Wirkung wird durch die vorgetragene Erzählung bestätigt. Sodann erhält der Tabakgenuß, der im Gegensatz zum klassischen Weingenuß der Sanktion durch die Antike entbehrte, die Weihe durch die Fabel von seinem klassischen Ursprung, seiner Entdeckung durch Diana und Merkur. Nichtsdestoweniger muß der Dichter sich mehrmals den Vorwurf der Muse gefallen lassen, daß er ein anderes Rohr leider mehr liebe als die Hirtenflöte und daß er sich damit in die schmutzige Gesellschaft von Soldaten, Schiffsleuten und Troßknechten begebe: silv. IX 3, 37 Altera contemptis cordi quoque fistula nostris Dicitur esse tibi. Qua Brasili bibitur fructicis vindemia fumans Pulvereumque chaos. Qua viles uti lixae, qua miles iniquus Nautaque Belga solet.



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Betont der Dichter hier zu seiner Entschuldigung geflissentlich die Heilkraft des Tabaks, von dessen wohltuender Wirkung er auch in der Vorrede zum 8. Buch spricht (germinis vim expertus in morbo), so gesteht er uns in dem kleinen Schlußgedicht des 8. Buchs der Wälder, daß er die Tabakspfeife auch als Genußmittel zu schätzen wußte und bei ihr von den Mühen des Tages und den Anstrengungen des Dichtens Erholung suchte. Die Oden, in denen vom Tabak die Rede ist, gehören übrigens alle den erst in der Ausgabe von 1 6 4 6 den lyrischen Gedichten angefügten beiden letzten Büchern der Wälder an. Das läßt vermuten, daß der Dichter zum mindesten zur poetischen Behandlung dieses Themas durch fremde Gedichte veranlaßt wurde, die er kurz vorher kennen gelernt hatte. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, wie sehr der Dichter Balde durch seinen geistlichen Stand und die Verpflichtungen, die dieser ihm auferlegte, in der freien Äußerung seiner Empfindungen behindert wurde. Der heimliche Widerspruch gegen diesen Zwang findet einen eigentümlichen Ausweg, indem er sich ein anderes Objekt sucht, dessen Tendenz der des geistlichen Standes in diesem Punkte ähnlich i s t : die S t o a . Indem Balde sich heftig gegen die Lehren dieser heidnischen Sekte wendet, spricht er sich all den Unmut vom Herzen, den der äußere Zwang des Amtes in dem Dichter erregt hat und den er gegen die richtige Stelle nicht äußern darf. Diese Unmutsäußerungen gegen jene, die ihm jedes menschliche Gefühl verbieten, ihm völligen Gleichmut vorschreiben wollen, verdichten sich zu der Fiktion, als habe der Dichter selbst der stoischen Sekte, einem in München gebildeten Verein mit entsprechenden Prinzipien angehört, habe seine Vorschriften befolgt, an das strenge Leben der Genossen geglaubt, und habe endlich die Falschheit und Scheinheiligkeit erkannt, gegen die er nun mit Entrüstung eifert. Diese poetische Fiktion hat den Biographen Baldes, Westermayer, auch verleitet, das tatsächliche Bestehen einer solchen stoischen Gemeinschaft in München zu Baldes Zeiten anzunehmen. Daß ein solcher Bund, nach Westermayers Annahme (Seite 95) eine engere Gemeinschaft von



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Mitgliedern des von Balde gestiftefen Mäßigkeitsvereins, in der Tat bestanden habe, ist nirgends bezeugt und aus Baldes Dichtungen auch nicht zu entnehmen. Eine Fiktion der oben gekennzeichneten Art erklärt die betreffenden Gedichte (lyr. III 12; 16; 23; 39; IV 29; 30; 31; 33; silv. V 8; V I I 5 ; 14; 15; 17) zur Genüge und entspricht auch durchaus den psychologischen Voraussetzungen der Baldeschen Lichtung. In Gedanken schüttelt er die seine Freiheit hemmenden Fesseln ab, indem er sich von den Stoikern lossagt. Er will seinen Gefühlen keinen Zwang antun: mit den Fröhlichen sich freuen, mii den Traurigen weinen (lyr. III 12, 32—36). ib. 37. Denique verus homo, non truncus inutilis agri Nec lapis esse volo. Die Eigentümlichkeiten des Menschen Balde aus seinen Dichtungen zu erkennen, ist nicht leicht. Wer luftige Kombinationen mißachtet, kann nur wenige Züge sicher stellen. Unter diesen ist am deutlichsten seine H e i m a t l i e b e . Am deutlichsten: vielleicht, weil der Dichter von ihr am wenigsten spricht. Beim echten ßenaissancedichter ist schier jedes Motiv daraufhin zu prüfen, ob es echt oder nur nachempfunden ist. Motiv im eigentlichen Sinne ist nun die Heimatliebe für Balde nie. Er hat keine Gedichte auf seine Heimat, das Elsaß, geschrieben, hat nicht seine Schönheit ausführlich geschildert, nicht sein trauriges Schicksal wortreich beklagt. Es sind immer nur gelegentliche Bemerkungen, kurze Hindeutungen auf den Zustand des Landes, am häufigsten die Selbstbezeichung „Alsata", in denen sich des Dichters Interesse für seine Heimat bekundet. Aber diese Bemerkungen sind so häufig, daß wir daraus auf die Wärme der Empfindung des Dichters schließen dürfen. Und gerade, daß er seine Liebe zur fernen Heimat nicht zum Gegenstand elegischer und rhetorischer Deklamationen gemacht hat, scheint mir die Innigkeit seiner Empfindung zu bezeugen. — Eine parallele Erscheinung belehrt uns, daß Balde in seiner Dichtung ängstlich mied, was sein zartestes Empfinden berührte. Im Jahre 1613 war Frau Ursula Wittenbach, die Großmutter des Dichters, zu Ensisheim als Hexe verbrannt worden. — Wir finden in Baldes Werken kein Wort über



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seine Angehörigen, seine Familie, die eine so grauenvolle Erinnerung bewahrte. Auch das Hexenwesen, gegen das Baldes Ordens- und Zeitgenosse Spee so mannhaft ankämpfte, wird nie auch nur erwähnt. Oft und an hervortretender Stelle nennt Balde sich Alsata 1 ) (lyr. I 5, 7 6 ; I V 29, 2 0 ; 35, 4 8 ; silv. I 16, 7 8 ; I I parth. 6, 1 7 ; V, 2, 2 ; 9, 2 4 ; V I I 18, 3 7 ; I X 3, 3 4 ; 25, 298), nur ein einziges Mal spricht er davon, daß er schon solange die Heimat nicht gesehen, den heimatlichen Wein nicht gekostet habe, in einer der vier Trostoden an elsässische Freunde, die der Kriegslärm gleich Balde aus der Heimat vertrieben hatte (lyr. I I 2 7 ; I I I 6 ; 2 0 ; 34); in der ersten dieser Oden heißt es lyr. II 27,17. Uvam bis decimam recens Mutavit Bromius sertaque spiceo Divulsit capiti Ceres, E x quo distineor finibus Alsatae Nec mustum patriae bibo.

Die Tendenz des Gedichtes, den Freund über den Verlust der Heimat zu trösten und ihn mit seinem jetzigen Aufenthalt auszusöhnen, schließt hier freilich eine Klage um das Verlorene aus und veranlaßt den Dichter zu einem Bekenntnis kosmopolitischer Gesinnung, die der Orden von seinen Mitgliedern verlangte, die aber mit Baldes persönlicher Anschauung sich nicht deckt. 2 ) Das Verlangen nach der Heimat zu äußern, verbot dem Jesuiten aber auch seine Zugehörigkeit zum Orden und die Pflicht willigen Gehorsams. Unter diesem Gesichtswinkel ist es auch zu verstehen, daß er nur einmal — in fremdem Namen — um das Schicksal seines unglücklichen Landes klagt, hier allerdings mit Worten, die von lebendiger Liebe und schmerzlichem Stolz eingegeben sind. In der zweiten ') Joh. Bapt. Neubig, der verdiente Baldeforscher und schwerfällige Übersetzer, der Baldes Gedichte unter dem Titel „Bavarias Musen" in vier Bänden herausgab, übersetzt dies „Alsata" regelmäßig stillschweigend mit „Bayer". s ) Mit seiner Behauptung, wohin ihn auch das Schicksal verschlage, sei er glücklich vgl. seine ärgerlichen Äußerungen über München und Bayern silv. IX 18, 37—68.

— 123 — Threnodie, in der Germania die zahllosen zerstörten Städte und verheerten Länder des Reiches jammernd überschaut, klagt sie also über das Land der Edelsassen: silv. IV, 2, 69 Jstine vultus Alsatiae meae ! Hi sunt ocelli! non decor in genis, Non gemma collo, non in ore Gratia purpurei coloris. Tu Diva felix ac Berecynthiae Aequata Matri! vix mihi nosceris. 0 qualis, in qualem, Cybelle, Heu facies tua fluxit umbram! Jam nota vox est praetereuntium: Haec illa SEDES NOBILIS; annuli Smaragdus Orbis! funeratae Vah species miseranda Terrae!

In Baldes Vaterstadt war im Jahre 1574 zur Feier der Vertreibung der Juden aus den vorderösterreichischen Landen eine Komödie aufgeführt worden, verfaßt von Joh. Rasser, Pfarrer zu Ensisheim, die die Verstockheit des jüdischen Volkes und das an ihnen vollzogene Strafgericht zur Darstellung brachte. 1 ) Der Haß g e g e n die J u d e n , der — überall lebendig — auch in der Literatur vielfachen Ausdruck fand,2) scheint im Elsaß, wo die Könige Armleder einst ihr Wesen getrieben 3 ) und wo im Jahre 1349 der Judenbrand stattgefunden hatte, besonders heftig gewesen zu sein, da Rasser mit seiner polemischen Komödie sein Publikum drei Tage lang fesseln zu können hoffen durfte. Denn soviel erforderte die Aufführung dieses Stückes. Balde teilt die Gesinnung seiner Landsleute den Juden gegenüber und er gibt ihr in seinen Dichtungen deutlichen Ausdruck. Judenfeindliche Dichtungen finden wir seit dem Ende *) „Comoedia. Vom König der seinem Sohn Hochzeit machte . . . darinn der Juden und dieser Welt große Undanckbarkeit gegen die vielfaltigen angebottenen Gottesgnad fürgebildet wird." Goedeke Grundriß II 391. s ) Vgl. Gg. Liebe, Das Judentum in der deutschen Vergangenheit. = Monographien zur deutschen Kulturgeschichte. Bd. XI. 1903. (S. 58—66. Der Jude in der Literatur). 3 ) Vgl. A. Kohut, Geschichte der deutschen Juden, Berlin (o. J. 1898.) S. 2 4 3 - 2 4 6 .

— 124 — des 15. Jahrhunderts immer häufiger, während in der Zeit der Judenverfolgungen der in offener Gewalt sich entladende Haß in die Dichtung seltener Eingang gefunden zu haben scheint. Abgesehen von gelegentlichen feindlichen Bemerkungen weiß ich aus früherer Zeit nur die elf Gedichte Regenbogens in seiner langen Weise anzuführen, in denen die mit einigen Schimpfwörtern gegen die Juden gewürzten Streitgespräche sich aber nur um theologische Fragen drehen,1) und den kleinen Luzidarius, in dem der anonyme Verfasser versichert, wenn er Fürst wäre, würde er alle Juden brennen lassen.2) Im geistlichen Schauspiel waren die Juden herkömmlicherweise Gegenstand des Spottes. Aber die parodististische Behandlung ihrer Sprache und ihres Gebarens zeugt weniger von Haß als von harmlosem Humor. Auch in Sebastian Brants großem Strafgericht kommen die Juden noch recht glimpflich weg. Gleichzeitig beginnt aber nicht lange nach dem mehrfach im Volkslied behandelten angeblichen Martyrium des Knaben Simon von Trient (1475) der Judenhaß sich auch in der poetischen Literatur breit zu machen.3) Die ersten nur gegen die Juden gerichteten deutschen Gedichte sind m. W. Gengenbachs Meistergesang „von fünff schnöden J u d e n " 4 ) und das Reimbüchlein „der Juden Badstub", das Philipp von Allendorf im Jahre 1535 als „Anzeigung ihrer manigfaltigen schedlichen Hendel zur Warnung allen Christen" verfaßt hat. 5 ) Weitere Dichtungen mit gleicher Tendenz sind die Reimsprüche „der Jüdenspieß" 1541, „der Jüden Erbarkeit" 1571, 6 ) Fischarts „Wunderzeitung von einer schwangeren Jüdin zu Binzwangen" 1575 und das noch zu erwähnende Endinger Judenspiel; von ') V. d. Hagen. Minnesinger III 351—353. ') Seemüllers Ausgabe S. 101/3 v. 1084 ff., 1159 ff. •'') Vgl. L. Geiger. Die Juden und die deutsche Literatur des 16. Jahrhunderts. Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland II (1888) S. 3 0 8 - 3 7 4 . — Janssen, Geschichte des deutschen Volkes. 15. Aufl. Freiburg. 1 (1890) S. 416—421. 4 ) Nach Goedeke vor 1517 entstanden. 6 ) Geiger a. a. 0 . S 333 ff. 6 ) Goedeke. Grundriß II 281.

— 125 — judenfeindlichen Prosa-Schriften, die seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts ziemlich häufig sind, seien nur die des getauften Juden Johann Pfefferkorn, Luthers grimmige Schrift „Yon den Juden und ihren Lügen" (1543) und die wüste Hetzschrift von Joh. Eck „Ains Judenbüechlins Verlegung" (1541)') genannt. Den Haß gegen die Mörder Christi glaubte jeder kräftig aussprechen zu dürfen. Auch der Geistliche Balde bedient sich, wo er von den Juden spricht, desselben beschimpfenden Beiworts, mit dem schon Bruder Berthold von Regensburg sie zu. belegen pflegte (z. B. olens Apellarum tribus ep. 14, 18). Nur e i n Gedicht dient übrigens der Judenhetze, die 14. Epode „Dirae". Hier erzählt der Dichter von der grausamen Ermordung eines Christenknaben durch die Juden. Die sorgfältige Ausmalung aller grausigen Einzelheiten des Ritualmordes, der gräßlichen Qualen des unschuldigen Knaben, der teuflischen Freude der Juden dient der aufpeitschenden Tendenz der Ode besser noch als der am Schluß ausgesprochene Wunsch, die ausgesuchtesten Strafen möge der Himmel über die Entmenschten herabsenden. Der Vorwurf des Ritualmordes wurde den Juden schon zur Zeit der Judenverfolgung in Frankreich unter Philipp II. um 1200 gemacht. Einige angebliche Fälle von Ritualmord haben eine gewisse Berühmtheit erlangt, dadurch daß die kindlichen Opfer heilig gesprochen wurden, wie der hl. Simon von Trient (1475) und der am Rhein vielfach verehrte hl. Werner; andere haben sich durch die Literatur im Andenken der Nachwelt erhalten wie der Christenmord zu Endingen 1462, der im Endinger Judenspiel 2 ) (1616 zuerst aufgeführt) behandelt wurde. Die Geschichte des Knaben Simon von Trient hat Balde in seiner Ode vielleicht vorgeschwebt, wenigstens stimmt die Ortsangabe der Ode: v. 11 „qua se Tirolis ultimo pandit iugo", womit die Lage Trients im äußersten Süden der Tiroler Berge deutlich bezeichnet ist. Vielleicht hat aber auch ein anderes Ereignis, ') Riezler, Geschichte Bayerns VI, 363. *) Hrsg. von Carl von Amira. Neudrucke deutscher Literaturwerke des 16. u. 17. Jahrhunderts Nr. 41. Halle 1883.



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dessen Schauplatz gleichfalls Tirol war, auf Balde eingewirkt, ein Ereignis, das zu Baldes Zeit dichterisch behandelt worden war in einem Jesuitendrama, dessen Titel in Naumanns Serapeum Bd. 25 S. 221 verzeichnet ist: „Von dem dreijährigen Kindlein Andrea, welches zu Rinn nit weit von Hall im Ynthal gelegen, von den Juden gantz listig entführt, vnd Anno Christi 1462 im Monat Julio grausam gemartert worden. Gehalten von dem Gymn. Soc. Jesu zu Hall Anno 1621". Balde, der von 1628 bis 1630 in Innsbruck weilte, hat vielleicht von dieser Aufführung in dem nahegelegenen Hall gehört, vielleicht auch die Perioche gelesen. Nicht so allgemein, aber auch weit verbreitet war die f r a u e n f e i n d l i c h e G e s i n n u n g , die wir bei Balde beobachten können. Der Grobianismus des 16. Jahrhunderts war in der volkstümlichen Literatur der Nährboden dieser Verachtung gegen das. zartere Geschlecht, in der Kunstdichtung ließ der Widerspruch gegen die Verhimmelung der Frauen durch die petrarkistischen Dichter ironische Lobgedichte auf die Frauen entstehen1) oder auch direkte Spottund Schmähgedichte, in denen ihre Fehler aufgezählt und vor ihrem gefährlichen Treiben gewarnt wurde.2) Die Launenhaftigkeit der Frau war das beliebteste Thema derartiger Gedichte, und diese Launenhaftigkeit wird auch getadelt in einem sehr bekannten, von Opitz und anderen umgedichteten lateinischen Epigramm dieser Zeit.3) Denselben Gedanken, den dies Epigramm enthält — man könne eher dem Wind auf dem Meere vertrauen, als der Laune des Mädchens — behandelt auch die erste hierher gehörige Baldesche Ode, die den heiratslustigen Jüngling vor der Ehe warnt: lyr. I 10. Das groteske Zerrbild des ') Vgl. Georg Wenderoth in Herrigs Archiv, Bd. 124 (1910), S. 121. ") Nur ein Gedicht der Zeit sei hier besonders angeführt, das rohe Schmähgedicht von Georg Kiemsee „Kurze Erklärung, wie ein Pferd und eine Frauensperson in vielen Stücken miteinander verglichen werden". 1624 (Lemcke, Gesch. d. deutsch. Dichtung S. 138). vgl. Hoeck, Schönes Blumenfeld. Kochs Neudruck S. 98. s ) Vgl. Waldberg, Die deutsche Renaissance-Lyrik 1888. S. 109.

— 127 — falschen, betrügerischen, herrschsüchtigen, schwatzhaften, treulosen, verschlagenen "Weibes, das Balde in dieser Ode zeichnet, nicht eines bestimmten Individuums, sondern des Typus des Geschlechts, entstammt dem Mangel eigener Erfahrung des Geistlichen, der durch maßlose Übertreibung der weiblichen Mängel sich selbst vor den weiblichen Reizen zu schützen sich genötigt sieht. Das Weib ist einfach das Verhängnis des Mannes, der sich vor ihm nicht zu schützen weiß, es zehrt seine Kraft, seine Tugend, seinen Willen, sein Leben auf. lyr. I. 10, 61 Feminae certum sinus est pheretrum; Funis amplexus, tumulus cubile; Verba sunt lessus, glaciale letum Insana voluptas.

Yereinzelte Anklänge wie auch die Erwähnung der herrschsüchtigen Tanaquil in einer der frauenfeindlichen Oden Baldes (silv. Y 18, 34) lassen den Einfluß der berüchtigten 6. Satire des Juvenal vermuten, die auch die feindselige Härte des Urteils bestimmt haben mag. Die Feindschaft gegen das Weib überträgt sich bei Balde charakteristischerweise auf das F a m i l i e n l e b e n . In der Ode lyr. I. 18 beglückwünscht er einen Mann, der sich zum ehelosen Leben entschlossen hat: nun brauche er sich all den Sorgen, Beschwerden und Unanehmlichkeiten nicht zu unterziehen, die das Eheleben mit sich bringe. Auch in dem Familienleben, das dem Geistlichen verschlossen ist, sieht er nur das Mangelhafte, es besteht ihm aus ehelichem Gezänk, Kindergeschrei und Nahrungssorgen. Der Soldat im Felde habe es besser als der Ehemann, der Kriegsdienst sei erträglicher: Moesti conjugio viri lyr. I 18, 33 Optantisque fugam et brachia Daedali.

Man ist bei Balde oft im Zweifel, ob seine Yerse ernsthaft oder scherzhaft gemeint sind; so auch hier: ob sich hinter dem schwülstigen Pathos seiner Philippika gegen die Weiber nicht der Schalk verbirgt. Denn wie wir noch sehen werden, bedient sich Balde des rhetorischen Pathos häufig zu komischer Wirkung. 1 ) Aber die beiden angezogenen •) Vgl. unten S. 198 ff.



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Oden des ersten Buches gehören vermutlich der frühesten Zeit an, und da wäre ein so polternder Ton gegen das weibliche Geschlecht auf Rechnung jugendlicher Unerfahrenheit wohl noch für ernst zu nehmen. Später kommen dergleichen Ausfälle nicht mehr vor. In den späteren lyrischen Dichtungen begegnet uns außer einer kurzen Bemerkung silv. I X 22, 61 f. ein Zeugnis für Baldes Frauenfeindschaft in der Ode silv. Y 18, die einen Verlobten vor dem gefährlichen Schritt zur Ehe warnen will. Aber hier erscheint die Frau nicht mehr schlechtweg als Ungeheuer, der Dichter malt nicht mehr schwarz in schwarz, er gibt dem Verlobten mancherlei zu bedenken, macht ihn auf die Schattenseiten gewisser von ihm gerühmter Vorzüge seiner Braut aufmerksam und beweist eine reichere Erfahrung und statt blindem Abscheu eine verständigere Einsicht in die tatsächlichen Schwierigkeiten ehelichen Einvernehmens. Balde zeigt die Ursachen von Mißverhältnis zwischen den Ehegatten, wie es für den Mann gleicherweise gefährlich ist, wenn seine Frau reicher oder ärmer ist als er selbst, wie die vornehme Geburt, ihre Schönheit, ihre Klugheit und Gelehrsamkeit dem Mann keinen Anlaß sein sollten, sich ihrer zu rühmen, wie verhängnisvoll diese Eigenschaften für ihn werden können. Aber all diese Bedenken werden hier nicht mehr in apodiktischer Form vorgetragen, und der Dichter läßt schließlich auch die Möglichkeit zu, daß der Bräutigam eine von Grund aus gute Frau gefunden habe, mit der er glücklich werden könne, was er freilich als seltene Ausnahme bezeichnen muß. Daß die frauenfeindliche Gesinnung in bewußtem "Widerspruch gegen die petrarkistische Liebesdichtung in die Kunstdichtung Eingang fand, dafür gibt uns Balde einen deutlichen Beleg. 1 ) Die erwähnte Ode fingiert ein Zwiegespräch: der Jüngling nennt die Vorzüge seiner Braut, die ein anderer darauf kritisiert. Und als dieser Kritiker wird Petrarka ') Oder war es Balde bekannt, daß der Verfasser der Sonette a n L a u r a später über die F r a u e n nicht nur stoisch, sondern geradezu zynisch geurteilt hat, ähnlich wie Boccaccio, der in seinem Werk: De casibus virorum illust ium von dem „blandum et exitiale malum mulier" s p r a c h ? Vgl. Dilthey, Archiv f. Gesch. d. Phil. IV(1891) 6 3 1 A .



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«ingeführt. Die Überschrift der Ode lautet: „Franciscus Petrarca Paranymphus. Ad Carolum Astium sponsum". Das 4. Buch der Lyrica enthält zwei Oden, die eine jenen weiberfeindlichen Gedichten ähnliche Tendenz verfolgen, indem sie das Unheil, das Venus unter den Menschen anrichtet, beklagen und die Vergänglichkeit und Eitelkeit •des Liebesgenusses betonen: lyr. IV 22; 23. Anknüpfend an die antike Vorstellung von Venus, der Schaumgeborenen, sucht die erste Ode diese Vorstellung zu erklären, indem sie alle die schändlichen Liebschaften des Altertums aufzählt, zu deren Schauplatz Venus das Meer gemacht habe. Die zweite Ode kommt zu dem Schluß, daß man von diesem Gesichtspunkt aus richtiger vermute, Venus entstamme der Erde, d. h. dem Schmutz und Schlamm. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß bei der Annahme autobiographischer Elemente in Baldes Oden Vorsicht geboten ist, daß das, was er von sich aussagt oder voraussetzen läßt, nicht immer als Tatsache hinzunehmen ist. Das gilt vor allem von seinem Verhältnis zu seinen Dichtgenossen, von der F e i n d s c h a f t z a h l r e i c h e r N e i d e r , die ihm seinen Erfolg nicht gönnen und ihm alles Böse wünschen. Ich glaube nicht mit Bach und Westermayer an diese Neider. Das war auch eine der wunderlichen literarischen Moden der Renaissancepoeten, sich eine ganze Schar von Neidern anzudichten und über die von ihnen erlittenen Kränkungen und Schädigungen des eigenen Dichterruhms zu klagen, wie das z. B. auch gewohnheitsmäßig in den Widmungsschreiben und Vorreden der Schuldramen (besonders bei Heinrich Knaust) geschah.1) Das Beispiel des Horaz und des Martial machte man gerne nach in der Absicht, damit die eigene Bedeutung, die so viele Nebenbuhler in Aufregung brachte, ins rechte Licht zu rücken. Bei Balde werden wir •diese selbstsüchtige Absicht nicht annehmen, er machte die Mode einfach mit, ohne ihres Ursprungs, ihres eigentlichen Sinnes sich bewußt zu sein. Baldes Bescheidenheit, die wir ') Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. III 379. Vgl. Borinski, Poetik d. Renaissance 252 f. H. Michel, H. Knaust S. 171 ff. H e n r i c h , Jakob Balde.

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— 130 — aus dem Zurücktreten seiner Person in seiner Dichtung erkennen, rechtfertigt die Annahme, daß er nicht gegen den Wettbewerb der Dichtgenossen oder eine kritische Bemerkung so scharf aufgetreten wäre, und daß wir es hier also nicht mit realen Verhältnissen, sondern einer poetischen Fiktion zu tun haben. 1 ) Die Oden, in denen Balde die Harmlosigkeit seiner Witzworte beteuert und allzu leicht Gekränkte zu besänftigen sucht (lyr. I 2 1 ; I I I 3 2 ; silv. V 9), mögen eine reale Unterlage haben, wenn auch hier das Vorbild Martials das erregende Moment abgegeben haben könnte. Ein paar Anekdoten, die von Balde überliefert sind, 2 ) bezeugen, daß Schlagfertigkeit und Witz ihm eigen waren, was der Dichter uns selbst bestätigt mit dem Vorwurf eines Freundes: silv. V. 9, 1. Valgi, saepe quidem mones, Ut Vates tumulo jam propior meae Figam nequitiae modum et Verbis injiciam frena dicacibus.

Vielleicht sind auch einige Oden hier heranzuziehen, in denen der Dichter allerdings ziemlich derbe über andere scherzt (lyr. 1 4 ; 1 5 ; 20); wenn diese Spottgedichte nämlich auf bestimmte Personen gemünzt sind. Andere Feinde, von deren schlimmen Absichten der Dichter mehrfach und scherzhaft übertreibend spricht, sind die Wohlbeleibten, die durch Baldes „Agathyrsus", das Lobgedicht auf die Mageren, beleidigt sind und dem Dichter seitdem auf jede Weise nach dem Leben trachten: silv. VIII 1, 45 ff; I X 27, 11 ff. Ein einziges wichtiges Ereignis in Baldes Leben, ein Ereignis, das seine Tätigkeit, sein Wesen in nachhaltiger Weise beeinflußte, hat in seiner Lyrik ein deutliches Echo !) Ob Bachs Angabe (S. 48), die zweite Epode sei an den Ordenszensor P. G. Hofer gerichtet, nur eine Vermutung ist oder sich auf irgend ein Zeugnis stützt, ist mir unbekannt. Die Vermutung mag das Richtige getroffen haben. Das ändert aber nichts an meiner Annahme. Hier ist von einem einzelnen Kritiker die Rede, in den andern Oden wird von vielen Neidern gesprochen, unter denen nicht wohl Ordenszensoren oder -obere verstanden werden können. s )Vgl. Westermayer, S. 240 ff.

— 131 — gefunden: seine Verpflichtung als offiziellerHofhistoriographx) der bayrischen Krone, die ihn von 1640 bis 1648 fesselte. Der innere "Widerstreit, in den er sich durch diese Aufgabe gebracht sah, kommt in seiner Dichtung deshalb zum Ausdruck, weil dieser Widerstreit seine Dichtung, seine dichterische Tätigkeit selbst aufs Nächste berührte. Die auf unbedingte Wahrheit begründete Geschichtsschreibung und die frei erfindende und gestaltende Poesie schienen ihm unvereinbar, es widerstrebte seinem freizügigen Geist, sich an den Bericht von Tatsachen zu fesseln. Er fühlte in sich keine Neigung zu peinlich sorgfältigem Quellenstudium (vgl. Op. OmniaYIH40). Dennoch entschloß er sich, dem Wunsche seines Fürsten zu folgen. Wir können in seinen Gedichten beobachten, wie er sich den Entschluß förmlich abringt, wie er sich immer wieder vorsagt, nun wolle er sich ganz der Geschichtsschreibung widmen, wie er sich seine Methode zurechtlegt: Offenheit, Freiheit, Gerechtigkeit. Als ihm der Auftrag geworden ist, errichtet er der Wahrheit einen Altar (lyr. I Y 47). Ohne Rücksicht auf die Meinung von Hoch und Niedrig, will er einzig dieser Göttin dienen, ohne zu verschweigen oder zu beschönigen, lyr. IV 47, 25. Dicenda pictis res phaleris sine Et absque palpo. Discite strenuum Audire verum: me sciente Fabula non peragetur ulla.

Sollte ein widriges Geschick ihm unannehmbare Bedingungen stellen und ihn zwingen wollen, seine Darstellung zu nichtigem Lobgeschwätz herabzuwürdigen, so will er unverzüglich sein Amt niederlegen. So hatte er schon 1642 erklärt. Wer eine so freie Sprache zu führen wagte, von dem durfte man ohne weiteres annehmen, daß er das schwierige Kapitel der Geschichte Ludwigs IY., an dem schon mehrere gescheitert waren, schwerlich zur Zufriedenheit der beiden Interessenten, der Wittelsbacher und der Kurie, ausführen werde. In richtiger *) Über die verschiedenen Vorgänger Baldes auf diesem schwierigen Posten vgl. die Einleitung Bachs zu seinem dankenswerten Neudruck der Baldeschen „Interpretatio Sommii de cursu Historiae Bavaricae". Regensburg 1904.

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Erkenntnis dieser Gefahr hatte Balde es vorläufig aufgegeben, die Darstellung da fortzusetzen, wo seine Vorgänger sie verlassen hatten. Er wandte sich der jüngstvergangenen Epoche zu und begann die Geschichte des dreißigjährigen Krieges, dessen Augenzeuge er selbst war. Seinem Gönner Avaux schickt er seinen Boten, ihn zu entschuldigen wegen seines langen Schweigens: silv. IX 6, 13. Narra: nos belli sontes evolvere causas Quo ferus arma Leo Movit trucis Bohemiae.

Da heiße es, sich freizuhalten von der schwärmenden Begeisterung etwa eines Statius in seiner Thebais. Und wieder das Gelübde unverrückter Objektivität: ib. 19. Scribimus historiam nullo terrore ligatam. Prodit aperta sinum Soluta nodo Veritas.

Immer zieht es ihn wieder zur Poesie zurück, mehr als der Ruhm des Geschichtsschreibers lockt ihn die „nobilior canendi gloria" (0. o. VIII 40). Doch er rafft sich auf und erinnert sich seiner Pflicht, die verlorene Zeit beklagend: silv. IX 34, 3. Musa, scribendis mihi fixa bellis Tempora carpit. . . lepidisque captum Semper inventis animum lacessit.

Und er schwört einen heiligen Eid bei dem Haupt Juppiters und dem der Minerva,1) ehe er die Geschichte des böhmischen Krieges beendet habe, wolle er kein Lied mehr singen. ib. 25. Sit ratum: Donec Bavarum Leonem Vexerim. victo fugiente, Pragam: Debitor nullis fuero Camenis. Tangimus aras. Redde vulgarem calamum, Thalia.

So nimmt er Abschied von seiner Leier, die in einen Schwan verwandelt ihm entschwebt. Schweren Herzens ') Spielerisch wird das durch die Geburt der Minerva gewissermaßen gespaltene Haupt Juppiters angedeutet durch die auch sonst gelegentlich bei Balde vorkommende Tmesis: Iuro divisum Cere-per Jovis-brum Jntegrum castae Gerebrum Minervae — gegensätzlich das unversehrte Haupt der Minerva.

— 133 — unterzieht er sich dem unlieben Zwang und voll banger Sorge. So hebt er denn wie in jeder Not seine Augen zur Himmelskönigin auf und bittet in dem letzten Gedicht seiner Wälder, am Schluß der wundervoll rhythmisierten Phantasie „Cygnus lauretanus" die geliebte Mutter, ihm beizustehen: silv. IX 35, 199. Diva nostris blanda coeptis Simplices adverte nutus. Perqué lúbricos eunti,. Bella detestata, calles, Et per hostem, perque foedis Arva stragibus repleta forte robur suffice. Duc manu mauum sequentem. Hac in urbes, in cruentas Itur a scriptore caedas. Dum tenorem Mens eundem Servet inconcussa Semper? Duc per alba, duc per atra: laeta sive tristia.

b) B a l d e s A n s i c h t e n ü b e r

Dichtkunst.

Im Jahre 1657 veröffentlichte Balde als Vorwort zu seiner Satire „Vultuosae torvitatis encomium" eine Schrift über Poesie, betitelt „Dissertatio de studio poético". Diese Schrift, die in lebendiger, resoluter Prosarede sich an einen Crescentius Marcona wendet, enthält Baldes Poetik. An Zitate aus Horazens Ars poética und aus seinen Satiren und Briefen anknüpfend, gibt Balde Erläuterungen zu den als Gesetze betrachteten aphoristischen Bemerkungen des römischen Plauderers. Die positiven Anschauungen, die Balde vorträgt, stimmen überein mit der herrschenden Auffassung der Zeit. E r erklärt selbst, er wolle keine neuen Lehren geben, da so viele vor ihm schon darin des Guten genug getan hätten. Und unter diesen seien auch Mitglieder des Jesuitenordens. E r nennt Jacobus Pontanus, 2 ) Alexander ') Nach Bachs Vermutung Baldes Schüler, Fidelis Ludescher aus Innsbruck. Bach S. 99. 2 ) Pontanus 1542—1626. Poeticorum institutionum libri III. Ingoist. 1594.

— 134 — Donatus, ') Jacobus Masenius, 2 ) Famianus Strada, 3 ) Vincentius Guinisius 4 ) (Op. Omnia I I I 319). Nur die dringenden Bitten des Freundes haben ihn vermocht, nach diesen noch etwas über Poesie zu sagen. Der innere Grund, der ihn dazu veranlaßt, scheint der Wunsch zu sein, auf die Schädlichkeit all zu vieler Regeln hinzuweisen und vor einem zu fleißigen Studium poetischer Theorien zu warnen. Deshalb betont er gleich zu Anfang seiner Schrift mit Hinweis auf die genannten Poetiken „Nocet tarnen et horum nimius Jjaustus" und erklärt, daß sich die Poesie nicht so in Regeln fassen und lehren lasse wie die Grammatik. Die Folge der übertriebenen theoretischen Beschäftigung mit der Dichtkunst ist das Erlahmen der dichterischen Kraft und Schaffensfreude. „Perit ille floridae hilaritatis succus ac quaedam genialis ubertas" (p. 320). Dementsprechend gibt Balde auch nicht bestimmte Yorschriften, sondern bekämpft hauptsächlich allerhand Auswüchse und Yerirrungen: die Gelegenheitsreimerei (p. 322, 340), das unselbständige Nachahmen und Plündern der Alten (p. 325), die spielerische Handhabung der Poesie, den Unfug der Bilderreime nach Nürnberger Muster 5 ) (p. 331), den seichten Geschmack des Publikums, das im Schauspiel nur an den äußeren Effekten gefallen hat (p. 336), die Unsitte der gegenseitigen Lobhudelei (p. 341). Die Dissertatio ist also kein theoretisches Lehrgebäude der Poesie; Balde will auch nicht einmal alles zusammenfassen, was er über das Thema zu sagen hat, und verweist gelegentlich auf das, was er an anderer Stelle vorgebracht hat (p. 349).

') Donatus 1584—1640. Ars poética. Gol. 1633. 2) Masenius 1606—1681. Palaestra eloquentiae ligatae. Col. 1654. s ) Strada 1572—1649. Prolusiones et paradigmata eloquentiae 1617.

) Guinisius 1588—1653. Oratio in Parasceve. ®) Die interessante Stelle lautet: „Inscriptionibus, Chronostichis, Anagrammatismis, Epicyclis, Rhombis, cunéis, in quorum figuram et ordinem nonnulli principia finemque metrorum, velut arbores in quincuncem directas, disponunt, Poetae decus nequidquam obtineri. Mechanicum et Circulatorium inventum dixeris". 4

— 135 — Eine vollständige Darstellung von Baldes theoretischen Einsichten müßte seine in andern Schriften und Dichtungen verstreuten Ausführungen heranziehen, z. B. die Expeditio polemico-poetica (1663 0. o. VI 433—475), die Urania victrix (1663 0. o. Y 1—240), die Satira Crisis (0. o. IV 513—547), das Encomium torvitatis u. a. Das lebhafte theoretische Interesse der Renaisancezeit für die Fragen der Poesie hat bei Balde vielfache Spuren hinterlassen. Von seiner Beschäftigung mit diesen Dingen geben schon seine lyrischen Dichtungen Zeugnis. Wir begegnen hier einer Anzahl jener allgemeinen Fragen der Poesie, die in den Poetiken der Zeit seit Opitz erörtert wurden. Balde steht mit seiner Auffassung im ganzen den Nürnbergern näher als dem Verfasser der deutschen Poeterei. Seine Auffassung von der Poesie ist wie die Harsdörffers im Vergleich zu Opitz mehr ästhetisch, sie betont weniger das Didaktische und Moralische, den gelehrten Inhalt und die Tendenz als Opitz. Das lebendige Gefühl als der Quell der Poesie und als das Ziel ihrer Wirkung bestimmt die Auffassung Baldes in stärkerem Maße als die Opitzens, aber auch als die Harsdörffers. Die sinnlichen Tendenzen der Nürnberger, ihre auf akustische und optische Wirkungen abzielenden Versuche finden bei Balde ihr Echo, aber von ihren absurden Spielereien hält er sich fern. Den Gemeinplatz der Poetikenliteratur, daß es nicht auf den Gegenstand, sondern auf die Art der B e h a n d l u n g ankomme, wiederholt er in einer seiner frühesten Oden, dem Begleitgedicht zur ersten Ausgabe seiner Batrachomyomachia von 1637. lyr. I 23, 11. Non quae quisque canat, Masi, Sed quo bella modo ducat ad exitum Refert.

Diese Auffassung beherrscht die ganze deutsche Dichtung der Zeit. Die Geringschätzung des Gegenstandes, des Inhaltes der Dichtung, die sich bis zu einer absichtlichen und eigensinnigen Vorliebe für unbedeutende Gegenstände steigert, diese Geringschätzung des Stoffes, deren Symbol das Fehlen jeder eigentlichen epischen Dichtung ist, ist die Folge der

— 136 — Übersättigung mit Stoffen aller Art im vorhergehenden Zeitraum. War in der Kampfliteratur der Reformationszeit einerseits, der volkstümlichen Erzählungsliteratur derselben Epoche andererseits der behandelte Gegenstand: die Glaubenslehre, der Schwank die Hauptsache, die Art der Behandlung ziemlich gleichgültig, so kehrte sich das Verhältnis jetzt um. Die vielfache Bearbeitung desselben Stoffes ließ das neugierige stoffliche Interesse zurücktreten, führte die Erkenntnisvon der Wichtigkeit der formalen Gestaltung herauf und gab die Möglichkeit, durch Yergleichung verschiedener Bearbeitungen desselben Gegenstandes die formalen Unterschiede zu erkennen. Dies Interesse für formale Dinge, die Lust an der vergleichenden Betrachtung verschiedener Gestaltungen des gleichen Stoffes veranlaßte Sammlungen wie etwa das „Amphitheatrum sapieutiae" des Dornavius von 1 6 1 9 , i n dem eine ganze Anzahl von Dichtungen z. B. an den Schlaf, über das Landleben, über das Podagra, das Fieber, die Blindheit, die Bienen usw. zusammengestellt wurden. Sodann veranlaßte die stete Wiederkehr derselben Gegenstände in der Dichtung die immer lauter erhobene Forderung nach dem Neuen, Unbekannten, noch nicht Behandelten (auch bei Balde). Das stoffliche Interresse richtete sich nicht mehr auf den Stoff als solchen, sondern auf ein Attribut; nicht die Bedeutung, der Inhalt eines Gegenstandes,, eines Ereignisses war bestimmend für die poetische Stoffwahl, sondern sein Yerhältnis zur Literatur oder vielmehr das noch fehlende, nun zum erstenmal herzustellende Verhältnis des Gegenstandes zur Literatur. Und die Forderung des Neuen hatte nicht nur die Abkehr von den bisher üblichen literarischen Stoffen zur Folge, sie richtete sich nicht nur gegen die traditionellen literarischen Gegenstände, die Forderung des Neuen schloß auch die allen bekannten Zeitereignisse von der dichterischen Behandlung aus, zum mindesten ihren stofflichen Gehalt, ihr Tatsächliches. Und endlich veranlaßte diese Forderung des Neuen, noch nicht Bearbeiteten im Verein mit der Geringschätzung des Inhaltes, des bedeutenden ') Vgl. unten Seite 173.

— 137 — Inhaltes, die Bearbeitung geringfügiger, unbedeutender Stoffe, in deren Behandlung der Dichter am besten seine Kunst zeigen könnte.1) Die Ablehnung der alten, vielbehandelten Stoffe richtet sich bei dem Neulateiner Balde naturgemäß nicht gegen die volkstümliche deutsche Erzählungsliteratur, die Opitz verächtlich beiseite schob, sondern gegen die antiken Götterund Heldengeschichten. In der Ode silv. Y 13 gibt er seiner Meinung über den Gebrauch dieses alten Materials deutlichen Ausdruck, indem er sich aber zugleich gegen den etwaigen Verdacht, daß Unkenntnis der Grund seiner ablehnenden Haltung sei, schützt durch den Nachweis seiner genauen Kenntnis der Mythologie, Dämlich ein langes Register antiker Göttergestalten und -geschichten und zwar meist wenig bekannter: „quam bene Patria, Tarn nota nobis Pieridum domus" (v. 5). Aber all diese Geschichten sind abgenutzt und abgeschmackt „jam trita nec motura gustum... ignota Semper dulcia" (v. 71), nur das Neue ergötzt. Und energischer wird derselbe Gedanke ausgedrückt in dem großen Frühlingsgedicht des 7. Buches der Wälder v. 159 „non recoquam Veterum crambem", allerdings unter Entgegensetzung der alten h e i d n i s c h e n Geschichten und der c h r i s t l i c h e n . Das Verlangen nach neuem, unbekanntem Stoff entband den Dichter der Renaissancezeit von der alten Forderung, daß er nur wahre Geschichten vorbringe, und gab ihm die Erlaubnis zu freier Erfindung. Dem Vorwurf, der diese freie Erfindung als Lüge bezeichnete, begegnete die poetische Theorie, indem sie die Lüge als das gute Recht der Dichter erklärte, sie geradezu zum Wesen der Dichtung machte.') Balde faßt diese Rechtfertigung mit graziösem ') Im Vorwort zur ßatrachomyomachia (0. o. III 3) äußert Balde sich folgendermaßen über die herrschende Auffassung: „Aetati . . . numerosam eloquentiam amanti illum praeclaram et favorabilem operam navaturum, qui m a t e r i a m s t e r i l i t a t e i p s i u s rei et n a t u r a e d a m n a t a m , velut solum colono desperatam, proscinderet, irrigaret, jactumque semen fecundae Poeseos calore animaret in messem". Über die gleiche Auffassung bei Harsdörffer vgl. Tittmann, Nürnberger Dichterschule S. 50. ») Vgl. Borinski S. 67 ff.

— 138 — Scherz in ein Gleichnis: die Lust zur Lüge ist dem Menschen angeboren wie auch die sinnliche Begierde. Wie man aber von dem Ehegatten nicht verlangt, daß er auf sinnliche Lust verzichte, wenn nur sein Weib ihm rechtmäßig angetraut ist, so wird auch der Dichter Billigung für seine Fabeln finden, wenn er die Kinder seiner Phantasie legitimiert durch ehelichen Bund mit einer der Musen, wozu ihm Balde also rät: silv. V 11, 45. Dilecte Vates: Tu quoque provide Unam Deabus duxeris e novem: Seu docta Clio seu decora Calliope placet eligenti.

Die Geringschätzung des Stoffes spricht in Baldes ganzer Lyrik aus dem Mangel an erzählender und darstellender Dichtung. Wie man dem Kunstjünger empfahl, sich zur Übung einen geringen Stoff zu wählen und an ihm sich in der Beschreibung zu üben, so auch Balde: silv. V 1, 45 Quod tarnen in specimen cupies depingere primum, Projecta sit vilius alga.

Einem geringen Gegenstand durch kunstvolle Behandlung Wert und Bedeutung zu geben, galt für ehrenvoller, eines Dichters würdiger als durch stoffliche Reize den Beifall billig zu erkaufen. Den spröden Stoff angenehm zu machen, war eine Aufgabe, die die beste Gelegenheit bot, Gelehrsamkeit, Belesenheit in antiken Autoren und sprachliche und metrische Gewandtheit zu zeigen, und da man darin vor allem die Absicht der Poesie sah, glaubte man solche spröde Stoffe empfehlen zu sollen. Auch für Balde ist die Poesie ein V o r r e c h t der G e l e h r t e n , nur gelehrte Kenntnisse befähigen zu dichterischer Produktion und an die Gelehrten wendet er sich mit seiner Dichtung. Balde hat den Standpunkt der exklusiven lateinischen Dichtkunst konsequent vertreten. Die Dichtkunst ist nicht fürs Volk, sie ist nur für Eingeweihte. Demgemäß ziemt ihr das G e h e i m n i s v o l l e , Unnahbare. Sie spricht deshalb gern in Geheimnissen, in Rätseln, sie hüllt sich gern in ein Dunkel, das neugierigen Blicken undurchdringlich ist, den Gelehrten aber reizt.

— 139 — silv. VII 1, 167. Plurima sub gripho latitans m e a Musa loquetur, Doctas ut aures excitet.

Vgl. silv. T i l l 18, 11 ff. Balde spricht wiederholt von diesem Vorrecht der Dichter, den Sinn ihrer Rede zu verstecken. Besonders im 8. Buch der Wälder kommt er mehrmals auf dies Thema zurück, 1 ) die 4. und 11. Ode dieses Buches enthalten ablehnende Antworten auf die Bitten, die Geheimnisse der Gedichte zu erklären. Daraus ergibt sich, daß auch den Zeitgenossen und Freunden des Dichters mancherlei in seinen Gedichten unverständlich war, und daß er nach Veröffentlichung der Oden und der sieben ersten Bücher der "Wälder mehrfach um einen Schlüssel zu seinen Gedichten angegangen wurde und sich in den späteren Gedichten des 1646 veröffentlichten 8. Buches der Wälder veranlaßt sah, dies Verlangen abzuwehren. In der 15. und 18. Ode desselben Buches begründet er seine Berechtigung, in Rätseln zu sprechen. Er glaubt, sich auf Homer berufen zu können, der auch seine Götter in Nebel gehüllt habe (silv. V I I I 18, 27). Der Trugschluß von der konkreten Darstellung des anschaulichsten, realsten Epikers auf die Berechtigung der allegorischen Darstellung, die geflissentliche Verwechslung der eigentlichen und bildlichen Bedeutung des verschleiernden Nebels gehörte zur theoretichen Anschauung der Zeit. Mit einem ähnlichen Vergleich, wie Balde in silv. V 11 die poetische Fiktion rechtfertigte, faßt er in silv. V I I I 4 die Muse als lebendiges weibliches Wesen, dem der jungfräuliche Schleier gezieme. Vergebens fordert der Freund, daß seine Muße sich enthüllt zeige: v. 7. nam prohibet pudor. Musam vela decent, qualia Virgines, Casti nominis Italas.

Und mit einem vulgären Vergleich weist er darauf hin, daß man doch auch die Speisen auf dem Tisch durch Netze zu schützen pflegt. Wie diese Netze die alles beschmutzenden Fliegen abhalten, so sollen seine „griphi" seine Dichtungen vor ') Auch in der Vorrede, wo es heißt „Non diffiteor in Lyricis a c Silvis meis a r c a n a quaedam esse, caeterum innoxia.

— 140 — den zudringlichen Blicken des „improbus Momus" schützen, der seinen Schnabel in alle Kuchen stecken möchte (silv. Y I I I 1 5 ) . Also auch hier der Scheinkampf gegen die Neiderund Kritiker. Würde und geheimnisvollen Reiz sollen die griphi den Dichtungen leihen und Schutz vor fremdem Tadel: vor dem Tadel der Kritiker und dem Tadel jener, gegen die der Dichter selbst in seinen Gedichten seinen heimlichen Spott richtet, der eben deshalb, weil er dem Verspotteten unverständlich bleibt, harmlos sei (silv. Y I I I 4, 14). Deshalb hat der Dichter vor allem die Namen unkenntlich gemacht und sie unter Anagrammen oder irgendwelchen Phantasienamen versteckt. Am weitesten geht diese dem heutigen Leser ärgerliche Geheimniskrämerei in der sogenannten „Scytale Laconica", silv. Y I I 17, einer verstümmelten Ode, von der uns der Autor den Anfang sämtlicher Yerse, mit Ausnahme der 12 ersten vorenthält. Als ob das Manuskript des Gedichtes mitten durchgeschnitten und die eine Hälfte verloren gewesen wäre, ist die Ode so gedruckt, daß die Yersstümpfe vielfach mitten in einem zerschnittenen Wort beginnen. 1 ) Diese Spielerei, auf die Balde durch die Erklärung der Scytale in den Noctes Atticae des Aulus Gellius 17, 9, 6 kam, mag man vergleichen mit den Verskünsten der Nürnberger, den sogen. Bilderreimen, nur daß der Zweck dieser Spielereien hier und dort ein verschiedener ist.2) In der Ode silv. V I I I 11 hat Balde erklärt, weshalb er die Ode ') Ignaz Weitenauer hat in seinen Miscella literarum humanarum II (1754) p. 314-f. das Fehlende selbständig ergänzt (s. Anhang). — Etwas Ähnliches findet sich in Baldes Drama georgicum, einer auf Wunsch des Kurfürsten zur Rechtfertigung des Ulmer Vertrages von 1647 verfaßten Dichtung. Hier (0. o. VI 412) gibt der Dichter uns die angebliche Inschrift eines Steins, deren verstümmelter Text allerhand Prophezeiungen über das zukünftige Schicksal des Elsaß und Deutschlands raten läßt. s ) Übrigens wurde dieses Rätselspielmotiv von den Nürnbergern aufgegriffen und ausgenutzt in Birkens „Fortsetzung der Pegnitzschäferei" (1645), wo Steephen ein von ihm verfaßtes Gedicht über die Einsamkeit mitten entzweireißt, Montano und Klajus jeder eine Hälfte findet und jeder die andere Hälfte selbständig ergänzt, wodurch zwei neueGedichte „Die Ein|falt u u. f i'ei?in|samkeitu entstehen, die dann auch wiedergegeben werden (Fortsetzung d. Pegitzschäferei S. 70—76).

— 141 — verstümmelt wiedergegeben habe. Sie sei voll Gift und Schärfe, sie sei eine beißende Satire. — In Anbetracht des Prosavorworts zu der Ode Scytale Laconica, das ihren Inhalt andeutet, und des Tones, in dem die zweite Ode gehalten ist, dürfen wir die Erklärung, der Inhalt sei zu verletzend, für eine scherzende Ausrede des Dichters halten, der dem Rätsel durch Bekanntgabe der Lösung den Reiz nicht nehmen wollte. Balde erzählt nämlich mit scherzhaftem Pathos von dem furchtbaren Gift, das hervorgequollen sei, als er den Kopf vom Rumpfe schnitt, und das jedem zum Verderben werden müßte. — Der vorliegende Text der Scytale laconica enthält nichts von satirischer Schärfe, er entspricht der Inhaltsangabe des Vorworts und enthält moralische Betrachtungen an den Orden der Mageren gerichtet, dessen Vorsitz Balde niederlegt. Der Inhalt bestätigt also die Vermutung, daß die Erklärung, die Ode sei zu verletzend, nur ein Vorwand ist. Der Dichter hatte also keinen ernstlichen Grund, die eine Hälfte des harmlosen Gedichts für sich zu behalten, er wollte nur die Neugier, die Ratelust seiner Leser reizen. Dies Verfahren ist für den Dichter Balde typisch, wenn es auch in den lyrischen Dichtungen nur einmal in der hier besprochenen Form angewandt wird. Der Dichter will umworben sein, der Leser soll sich bemühen um das Verständnis der Dichtung, er soll nachdenken, raten, grübeln, der Dichter will seinen Verstand, seinen Scharfsinn in Tätigkeit setzen, deshalb spricht er in Andeutungen und Rätseln, in mythologischen Bildern und Allegorien, die zu verstehen ein dem Rätselraten ähnliches geistiges Suchen und Vergleichen flüchtiger Beziehungen und Ähnlichkeiten voraussetzt. "Weitläufige Kenntnisse in antiker Mythologie, Geschichte und Sprache und geistige Behendigkeit sind die Eigenschaften, an die sich diese Dichtungsweise wendet. Der Genuß, den sie gewährt, resultiert mehr aus der Befriedigung des Lesers über seine eigene Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit als aus dem Gehalt der Dichtung selbst, er ist also kein rein ästhetischer Genuß, sondern ein Lustgefühl, das aus der erfolgreichen Tätigkeit entspringt.

— 142 — Diese Sucht des Rätselaufgebens war die Resultante aus zwei sich kreuzenden geistigen Linien: sie entsprang einerseits dem entarteten Gefühl für das unfaßbare Geheimnis der Dichterkraft, andererseits der überspannten Wertschätzung gelehrter Detailkenntnisse. Die unbestimmte Vorstellung von einem Geheimnis in der Dichterseele verlegte das Geheimnis in die Dichtung selbst und verschleierte absichtlich ihren Sinn; das Dichten in der fremden, mühsam zu erlernenden Sprache machte die Gelehrsamkeit zum Grundelement des dichterischen Prozesses und die Gelehrsamkeit bot die Mittel dar, jene Absicht zu erreichen, die Dichtung mit gelehrten Anspielungen und Metaphern in ein schwer durchdringliches, geheimnisvolles Dunkel zu hüllen. Diese Auffassung von der Dichtkunst, die schon in spätrömischer Zeit sich nachweisen läßt, die dann in der christlichen Poesie seit Prudentius vielfach hervortritt, war durch den Vater des Humanismus, durch Petrarka der neueren Zeit vermittelt worden und hatte in seinen lateinischen Gedichten ihren klassischen, maßgebenden Ausdruck gefunden. Daß Baldes Auffassung der des Petrarka nahe steht, liegt auf der Hand. Daß er von ihm beeinflußt ist, möchte ich vermuten und zwar nicht nur eine Einwirkung durch Zwischenglieder, sondern direkte Bekanntschaft mit dem Dichter der Africa, dessen Name von Balde wiederholt genannt wird.1) Was Voigt von Petrarkas Vorliebe für allegorische Verhüllung sagt,2) er „spricht von Erlebnissen oder Lebensumgebung unter dunklen Bildern und von andern Personen fast stets ohne Nennung des Namens", das gilt Wort für Wort auch für Balde.3) ') silv. V 18; 0. o. IV 112; V 89, VI 445; 473 ; 483 u. ö. ) Die Wiederbelebung des klassischen Altertums. 3. Aufl. I. 30. 3 ) Balde hat sich in späterer Zeit von dieser Neigung, in Rätseln und Andeutungen zu sprechen, mehr und mehr frei gemacht. Schon die zwei letzten Bücher der Wälder zeigen eine freiere, leichter verständliche Sprache, noch mehr einzelne seiner späteren Werke, vornehmlich die Urania victrix, deren erster Teil 1663 erschien. Diese Entwicklung wird bestätigt durch die veränderte theoretische Ansicht des Dichters, wie sie in der Dissertatio sich ausspricht. Hier wendet er sich scharf gegen die dunkle Redeweise, bezeichnet sie als einen 2

— 143 — Die poetische Theorie der Renaissance ist eklektisch, sie kann ihrem Verhältnis zum Altertum, ihrem Autoritätsglauben entsprechend nicht anders sein. Sie blieb eklektisch, bis sie sich auf eine philosophische Grundlage stellte und ein System zu bauen versuchte. Opitz gibt in systematischer Ordnung eine Anzahl zusammengelesener der i n n e r n Verbindung ermangelnder Vorschriften, Harsdörffer gibt in lockerer Form aus einer Grundvorstellung hervorwachsende Anregungen, die in sich besser zusammenhängen trotz der unsystematischen Behandlung, aber er wagt nicht, die herkömmlichen Ansichten über die moralische Absicht der Poesie, ihren gelehrten Charakter, die zu seinem ästhetischen Prinzip nicht passen, auszustoßen. Gottsched baut als erster seine Theorie auf einem Grundsatz auf, der Nachahmung der Natur, und führt diesen Grundsatz mit Härte und ohne Ansehen der Autorität durch. Auch Baldes theoretische Auffassung ist eklektisch, vereinigt unvereinbare oder doch einander innerlich fremde Ansichten. Der Kompromiß zwischen dem natürlichen Gefühl von der Dichtkunst und der Hochachtung vor der gelehrten Sprache und Dichtung, der dem Humanismus geläufig ist, bestimmt auch seine Auffassung. Das unerschöpfliche Thema von Natur und Kunst, poetischer Anlage und künstlicher Schulung wird auch bei ihm erörtert, und wie alle Theoretiker das eifrige Studium, das unablässige Bemühen vom Dichter verlangen, aber auch von der Unentbehrlichkeit des poetischen Talents sprechen, so verlangt auch Balde die Vereinigung von Natur und Kunst. Er betont dabei mit besonderem Nachdruck die N o t w e n d i g keit d i c h t e r i s c h e r A r b e i t , aber — wie sogleich zu zeigen ist — nicht in dem geläufigen Sinne des gelehrten Studiums als vielmehr im Sinne fleißiger t e c h n i s c h e r Arbeit, sorgfältiger Ausarbeitung der Dichtung. Seine theoretischen Anweisungen heben diesen Punkt mehrfach hervor, Beweis mangelhafter Bildung und spricht sich geradezu das Urteil, indem er sagt: „Auctorem deprehendo obnubilum. Vacuitas cerebri scriptionem tenebris replevit. Et vero Poema sine claritate mundus sine sole, sol sine luce est. . . Pauci ex Commentario volunt sapere". 0. o. III 334.

— 144 — v e r m e i d e n d a g e g e n das T h e m a von der n a t ü r l i c h e n B e g a b u n g . Jedoch

aus

sonstigen

nicht

getragenen Äußerungen der Dichtkunst

in

didaktischer

Absicht

vor-

ergibt sich B a l d e s Auffassung

als einer g o t t g e g e b e n e n , nicht

von

erwerbbaren,

a b e r a u c h n i c h t willkürlich zu b e h e r r s c h e n d e n Kraft. diese A u f f a s s u n g b e h e r r s c h t a u c h seine dichterische die im Gegensatz

zu

der

der

meisten anderen

Und Praxis,

Theoretiker

d e r Zeit besser ist als seine Theorie. Die K e n n t n i s der antiken A u t o r e n setzt e r Vermittler Nicht

der

dem

freilich voraus, Sprache

schaffenden,

und

aber

des

sondern

dem

D i c h t e r sind sie ein u n e n t b e h r l i c h e s auch

in

der

Dissertatio

antiker Vorbilder.')

nicht,

im G r u n d e

dichterischen

als

sprechenlernenden

Hilfsmittel.

rät

nur

Materials.

er

zur

H i e r ( 0 . o. I H . 3 2 3 )

Nirgends,

Nachahmung

spricht

er

wohl

v o n der K e n n t n i s der Ilias, Aeneis, Thebais, Metamorphosen, P h a r s a l i a , aber n u r u m zu sagen, Werke

noch

keinen z u m D i c h t e r

daß

das

gemacht

Studium habe.

dieser

U n d die

A r t , wie er sich ü b e r die B e n u t z u n g d e r antiken Dichtungen, ihres

Bilder-

und

Sentenzenschatzes

äußert

(ib. 3 2 6 )

und

')Nur Horaz macht eine Ausnahme. In der Dissertatio (p. 328) heißt es: „Hunc sequi, huic cedere, hunc adorare debebis". Balde weist auf die allgemeine Bewunderung für den römischen Lyriker hin, auf sein ungemessenes Ansehen Sein Name ist geheiligt, seine Autorität unantastbar. „Non est amplius liberi arbitrii seligere vel aspernari." Aber aus Baldes Worten klingt deutlich der Widerspruch gegen diesen Autoritätszwang heraus. Die Frage, ob man Horaz nachahmen soll, beantwortet er damit, daß man selbstverständlich seine „cimelia" nutzen werde, doch seien diese nicht allzu zahlreich: „exhauries illius supellectilem brevi tempore, etiam parce vivendo." Er gibt eine Sammlung von 55 horazischen Phrasen, mit der eiserne bewunderten Schönheiten nahezu erschöpft zu haben glaubt: „Certe in similibus elegantiis infinitus non est" (p. 329). — Dann weist er nachdrücklich auf die minderwertigen Dichtungen des Horaz hin, die sein Ansehen freilich nicht zu schädigen vermöchten: „certe nonnunquam tepidissimos versus more pandiculantis sub a r b o r e . . . . fudit" (p. 327). Manches sei so matt, daß man es einem neueren Dichter nicht durchgehen lassen würde: „ Q u a e d a m . . . . reiicienda fortassis, si Neotericus scripsisset" (p. 328) — Balde wünscht also die traditionelle Bewunderung des Horaz wenigstens einzuschränken, und wenn er auch die Nachahmung seiner Oden noch für selbstverständlich hält, empfiehlt er doch Kritik und Wahrung der Selbständigkeit.

— 145 — gegen die äußerliche mechanische Nachbildung und das Plündern fremder Schätze eifert, verrät, daß er sich den Dichter wohl als einen mit dem ganzen poetischen Reichtum des Altertums genährten und gesättigten Geist vorstellt, aber von seiner Produktion das freie Schöpfen aus der inneren Fülle, das unabhängige Gestalten fordert. So findet sich auch keine Bemerkung, die dem Dichter nahelegte, seine Gelehrsamkeit in seinen Poesien zur Schau zu stellen, und Balde hat sich in seinen lyrischen Dichtungen nie darauf eingelassen, gelehrte Kenntnisse ostentativ und in didaktischer Absicht zu häufen. "Wohl verlangt er von dem Dichter angestrengte Arbeit, aber nicht ein Zusammentragen fremden Stoffes sondern die sorgfältige A u s a r b e i t u n g u n d G l ä t t u n g des eigenen Produktes. Zu strenger Selbstkontrolle mahnt er wiederholt und warnt vor der schnellfertigen Lässigkeit der Gelegenheitsdichter, am eindringlichsten in der Ode „De splendida miseria Scriptorum Germaniae" (silv. VIII 8), in der er das literarische Elend Deutschlands mit der mangelnden Sorgfalt in der formalen Behandlung der Dichtkunst bei übermäßiger Produktivität erklärt. Mit gleichem Nachdruck und in ähnlicher Form wie die öffentliche literarische Meinung die Nachahmung der Alten dem Dichter empfahl, schärft er ihm unablässiges Feilen seiner Verse ein. Das horazische „Vos exemplaria Graeca nocturna versate manu versate diurna" überträgt er: silv. VIII 8, 40 ne pudeat Suppositas primis decies mutasse tabellas, Defricuisse novas. Haereat. in vultu nigrae fuligo lucernae. Pollice labra preme. Rode ungues, donec cruor exeat: ulcere in illo Docta Minerva sedet.

Und für die von ihm gewünschte Methode des immer wiederholten Versuchens gibt er selbst ein Musterbeispiel in der „Symphonia" silv. V 16, dem "Wechselgespräch zwischen dem belehrenden Dichter und einem Dichterjüngling, der nach mehrfachen mißglückten Versuchen endlich die richtige Form für den würdigen Inhalt findet. H e n r i c h , Jakob Balde.

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— 146 — Neben dieser nachdrücklichen Betonung der Arbeit, des bewußten, mühsamen Formens wird aber auch das Spontane, U n w i l l k ü r l i c h e , die p o e t i s c h e S t i m m u n g und B e g e i s t e r u n g als unentbehrlich bezeichnet. Wenn Balde einem Freund auf dessen Bitte als Neujahrsgeschenk seine Leier schickt, ihm aber bedeutet, daß es nicht genüge, die Leier zu besitzen, sondern daß man auch verstehen müsse, sie zu schlagen (silv. Y 7), so will er mit dieser Allegorie sagen, daß die Kenntnis der poetischen Regeln, der Besitz des poetischen Materials nichts nütze, sondern daß man die innere dichterische Kraft haben müsse, die sich nicht erwerben läßt, und die der Dichter seinem Freund nicht schenken kann. Deutlicher als in den theoretisierenden Gedichten kommt Baldes Auffassung von der Dichtkunst als dem Ausfluß einer höheren Gewalt zum Ausdruck in jenen Oden, denen er selbst die Bezeichnung „ E n t h u s i a s m e n " gegeben hat, um damit zu sagen, daß sie in einem Zustand des poetischen Rausches, visionärer Verzückung entstanden sind. 1 ) In der Vorrede zum 5. Buch der Wälder macht er sich den Ausspruch eines andern Dichters, des Nicodemus Malcius, über seine Enthusiasmen zu eigen „patienti magis quam agenti effluere". Ein Gott ergreift den Dichter und entrückt ihn und erschüttert ihn im Innersten, silv. V 5, 1. Vobis, Sodales, eripior. Deo Intrante pectus surrigit altius A fronte languorem comarum et Ima sacer quatit horror ossa.

Ähnlich beginnt der Enthusiasmus silv. V I I 6 : „Mentis citatus quo rapit impetus?" und auch schon der aus dem Jahre 1638 lyr. I 25, der mit deutlichen Anklängen an Horazens Gedicht an den ihn begeisternden Bacchus (III 25.) den Zustand genialer Entrücktheit schildert, den Balde aber nicht Bacchus danken will: „Latonae soboles me mihi surpuit" (v. 1 0 ; vgl. auch lyr. I I I 4 7 ; silv. V I I 1 1 ; I X 1 8 ; 25). Die Lehre von dem f u r o r p o e t i c u s , die schon im Altertum als uralte Volks- und Priestersage bekannt war >)vgl. unten S. 184 ff.

— 147 — und schon Demokrit zur Gleichsetzung von poetischem Genie und "Wahnsinn veranlaßte, die dann bei Cicero ausführlich behandelt wurde, spielte in der ßenaissancepoetik eine große Rolle1) und die nüchternsten und verstandesmäßigsten Dichter und Theoretiker wie Scaliger, Opitz vergessen nicht, von der göttlichen Begeisterung des Dichters zu reden. Besonders in der Poetik August Buchners, die sich überhaupt mit Baldes Auffassung mehrfach berührt, wird von dem „göttlichen Trieb und Einfluß" ausführlich gehandelt. In seiner Dissertatio spricht Balde von dem furor poeticus so wenig wie in den theoretisierenden Gedichten und vermutlich mit Absicht. Der göttliche "Wahnsinn konnte zu leicht dem Yersmacher als Entschuldigung für die Mangelhaftigkeit seiner Verse dienen, und diese Leichtfertigkeit haßte Balde vor allem. Zur Arbeit den Dichterjüngling anspornen, konnte dem Theoretiker wohl gelingen, ihm das göttliche Feuer einzuhauchen, war doch unmöglich und davon zu sprechen mochte der Pädagog für gefährlich halten. "Wie hoch Balde die geniale Begeisterung einschätzt, geht aus den erwähnten Enthusiasmen hervor. Sie bilden das positive Gegenstück zu der scharfen Ablehnung aller Gelegenheitspoesie in der Dissertatio (0. o. III 340). Freilich hat Opitz im dritten Kapitel seiner Poeterei sich ganz ähnlich über das Dichten auf Bestellung geäußert und ist doch sein Lebenlang Gelegenheitsdichter, wenn auch nicht gegen Bezahlung geblieben. Balde hat seine dichterische Praxis besser mit seiner Theorie in Einklang gebracht und die "Würde der Poesie besser gewahrt. So weist er z. B. in der Ode silv. V 20 die Bitte eines Freundes um ein Hochzeitsgedicht ab mit verächtlichem Hinweis auf die feilen Lohndichter: v. 5. Sunt alii, quibus Mercede pactis, gratius incidet Cantare fesceninna. Nobis Non lubet hanc scabiem fricare.

Er sei allen Bitten in dieser Beziehung unzugänglich, leichter ') Borinski S. 6. 138. 229.

10*



148



möchte man dem Herkules seine Keule abringen, als von ihm eine Ode erschmeicheln. Im Anschluß an seine beredte Apostrophe gegen die Gelegenheitsdichter spricht Opitz davon, daß der Poet nicht schreiben kann, „wenn er will, sondern wenn er kann". A u c h dieser Satz von der Unentbehrlichkeit der poetischen Stimmung wird in der Poetikenliteratur mit selbstgefälligem Behagen breitgetreten, ohne die stete Bereitschaft der Männer der Praxis zu stören. A u c h davon spricht Balde nicht als Theoretiker, er gibt u n s als Dichter eine lebendige Anschauung, indem er sich selbst im Zustand der Prosa und im Zustand des Gotterfülltseins schildert: silv. IX. 25, 1. Fatebor autem: Spiritus Enthei Non est apud me Semper Apollinis, Absente quo, nil disto vulgi Moribus aut homini profano. Nec Dithyrambis certo sonantibus, Diviniores nec numeros loquor. Sed cassa tantum, plebis instar, Praecipitor, licet usque rumpar Oracla: vendunt qualia Cingari. U n d nachdem er weiter das Schwere, Müde, Dumpfe dieses Zustandes geschildert hat, zeigt er das plötzlich veränderte Bild, des gottbegeisterten Dichters und Sehers: 1 ) v. 22.

si Maciem tarnen Intravit effoetosque noto Igne Deus, Deus ille noster,

') Bodmer schildert in seiner Schrift über die Einbildungskraft (1727) den Zustand eines von poetischer Begeisterung entflammten Jünglings ganz ähnlich. Servaes glaubt in seiner Studie über die Poetik Gottscheds und der Schweizer (1887) hier das Erwachen einer dichterischen Persönlichkeit zu sehen (S. 64). Das folgt aus dieser Schilderung Bodmers noch lange nicht. Derartige Beschreibungen der poetischen Verzückung waren schon im 17. Jahrhundert nichts Seltenes. Und überdies: wenn wir in dem Begriff der dichterischen Persönlichkeit das Original-Schöpferische voranstellen, käme Baldes Ode diesem Begriff näher, als die Stelle Bodmers, wo der Jüngling bei der Lektüre eines poetischen Kunstwerkes, des verlorenen Paradieses, also rezeptiv in Begeisterung gerät. Das Unterscheidende, das Neue bei Bodmer ist die außerordentliche Empfänglichkeit des Gefühls für poetische Schönheiten.

— 149 — Pervasit artus; erigor in pedes, Totöque crinis vertice subsilit, Confusa tempestate flagrant Lumina non rubor unus errat Unusve pallor, se variant genis Misti colores, vox rabie turnet: Ignarus eluctor Sibyllas. Subque oculos cadit, inque vultu Omne est futurum . . .

Ähnlich silv. Y. 4, 33 ff. Endlich finden wir bei Balde auch jenen allgemein anerkannten, verhängnisvollen Satz, daß die Poesie ein M a l e n i n W o r t e n sei, der zwar nicht in Opitzens Poeterei, wohl aber in seinen Gedichten steht, 1 ) den Buchner seiner Poetik als Leitsatz vorangestellt hat, und dem Harsdörffer besonders weitgehende Folgerungen gibt. In der Dissertatio spricht Balde ziemlich eingehend von der Ähnlichkeit zwischen Malerei und Dichtkunst: beide suchen geistige Vorstellungen auszudrücken mit verschiedenen Mitteln: tönenden und farbigen. Die Dichtkunst wendet sich an das Gehör, die Malerei an das Gesicht. Die Lust zur Malerei, zur zeichnerischen Nachahmung ist dem Menschen ebenso eingeboren wie der Sinn für Poesie („semina poeseos"). Äber ebenso selten wie aus dem, der schon als Knabe Hund und Esel und Hasen zeichnete, ein Titian, Dürer oder Rubens wird, gelingt es dem geschickten Extemporator witziger Verse, ein echtes Gedicht zu schaffen (0. o. I I I 334 f.) Bedeutsamer als diese den landläufigen Ansichten entsprechenden Bemerkungen über die Ähnlichkeit zwischen Malerei und Poesie scheint mir ein kurzer Hinweis auf die Verschiedenheit der beiden Künste zu sein am Anfang dieses Abschnitts der Dissertatio, wo Balde die dissimilia der beiden Künste erwähnt. Zwar geht er darauf nicht weiter ein, aber daß er überhaupt auf eine Verschiedenheit hinweist, scheint zu verraten, daß er die herrschende Ansicht von der Gleichheit der Poesie und Malerei nicht teilte. Diese Vermutung wird bestätigt durch mehrere Gedichte, die uns die ') „Über des berühmten Mahlers Herrn Bartholomei Strobels Kunstbuch." Poetische Wälder I (Weltliche Poemata II, Breslau 1637), S. 37.



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Selbständigkeit seiner Meinung und seine bessere Einsicht in das Wesen der Poesie im Gegensatz zu dem der Malerei deutlicher zeigen als jene Prosastelle der Dissertatio. In diesen Gedichten, den drei ersten des 5. Buches der Wälder, setzt Balde die Lehre von der Gleichheit der malenden und redenden Kunst in eine phantastische Erzählung um, deren feiner Spott durch die Virtuosität des Sichhineinversetzens des Dichters in ein fingiertes Verhältnis fast verdeckt wird. Balde schildert die malerische Kraft der Poesie, indem er die Vorstellungen, die die Poesie erweckt, als sinnlich faßbare Anschauung, als sichtbares Bild erscheinen läßt, d. h. indem er erzählt, wie Apollo ihm die Kraft verliehen habe, seine Worte den Zuhörern als sichtbares Bild an die Wand zu zaubern. In der Ode „Mirando Apollinis beneficio ex Poeta se Pictorem factum esse" silv. V 1 erzählt er, wie er mit Bewunderung eines belgischen Malers Kunst naturgetreuer, täuschender Nachbildung der Wirklichkeit gesehen habe. Voll Beschämung über das Unvermögen seiner eigenen Kunst habe er sich an Apollo mit flehentlichen Bitten gewandt, und Apollo sei ihm erschienen und habe ihm Erfüllung seines Wunsches versprochen: „pinges, non finges amplius, inquit. Carmen enim mox fiet imago" (v. 37). Zugleich sei eine Hand mit einem Griffel an der Wand erschienen, die zu zeichnen begann, sobald er die Saiten rührte. In der folgenden Ode setzt der Dichter sein Märchen fort. Das Gerücht von der ihm verliehenen Kunst verbreitet sich schnell in der Stadt und lockt eine Menge Neugieriger in sein Haus. Wie nun der Geist über den Dichter kommt, greift er in die Saiten und beschreibt — auf Geheiß Apolls zunächst einen niedrigen Stoff wählend — den Schmeichler; und erstaunt und entsetzt sehen die Zuhörer an der Wand das Bild erscheinen genau entsprechend den Worten des Sängers. So wandlungsfähig wie der Augendiener und charakterlose Schmeichler ist das Bild an der Wand, das alle Gestalten zeigt, in denen der Dichter den Schmeichler schildert. silv. V 2, 55. Interea toties variata pependit imago Me pariter Variante sonores. Et modo mista lupi potuit, modo vulpis et agni

— 151 — Figura credi. mox obesa porci, Mox avis circumvolitantis ossa.

Daß Balde mit dieser Erzählung von seinen Schattenspielkünsten die Beteuerungen der Malerpoeten, ihre Poesie schildere so lebhaft wie die Malerei und das sei überhaupt die Aufgabe der Poesie, bespöttelt, geht auch aus der Zwischenbemerkung hervor, mit der der Dichter seine Anrede an die versammelten Zuhörer — gewissermaßen ä part — beschließt: v. 36 „sed risum teneatis amici". In dem folgenden Gedicht spricht er seine Ansicht über das Verhältnis von Malerei und Poesie deutlicher aus. Hier zeigt er, daß die Poesie nicht auf die Darstellung der sichtbaren Welt beschränkt ist, wie die Malerei, sondern daß sie das innere Sein der Dinge, insbesondere der Menschen darzustellen vermag und daß dies ihre vorzüglichste Aufgabe sei. silv. V 3, 1. Quam nec Protogenes habuit, nec major Apelles, Est solis concessa Poetis Gloria. Non solum rugas faciemque figurant, Aut oculos simulamine fallunt. Itur et in fibras hominum et penetralia vitae Inque ipsos, praecordia, mores, Vultus ibi longe se verior explicat.

Statt der äußerlichen Abmalung der Natur, die durch das „Ut pictura poesis" in Mode kam, statt der reinsinnlichen Auffassung der Poesie ahnt Balde in dem inneren geistigen Reich das eigentliche Feld der Dichtkunst und bereitet eine tiefere Auffassung der Dichtkunst vor. Es bleibt noch auf ein negatives Moment der Baldeschen Poetik hinzuweisen, nämlich auf das F e h l e n der Nützl i c h k e i t s t h e o r i e . Nirgends ist von der Vereinigung des prodesse und delectare in der Poesie die Rede; in der Dissertatio wird allerdings der so gerne zitierte Satz des Horaz „omne tulit punctum qui miscuit utile dulci" auch angeführt (0. o. III. 337), aber Balde knüpft nicht an diesen Satz, sondern an den mitzitierten folgenden Vers der ars poetica an und spricht von dem Genuß, den der Dichter dem Leser gewähren soll. Balde bezeichnet es nie als Aufgabe der Dichtkunst, zu belehren, er spricht weder von der

— 152 didaktischen noch der moralischen Absicht der Poesie. Und doch hat er so viele moralisierende Gedichte geschrieben. Daß die moralisierende Tendenz in seiner Theorie nicht ausdrücklich betont wird, bedeutet nicht eine reinere theoretische Ansicht über das "Wesen der Poesie, sondern ist zu erklären als das natürliche Korrelat seiner dichterischen Praxis. Wir rühren damit an eine Erscheinung, die in der Geschichte der Dichtung und Theorie vielfach zu beobachten ist, daß nämlich der theoretisierende Dichter gewisse Erfordernisse betont, die seiner Dichtung fehlen, und umgekehrt. Überall wo die Dichtkunst sich nicht zum Bewußtsein ihrer Autonomie durchgerungen hat, wo sie sich in Abhängigkeit von bestimmten Vorschriften und Pflichten fühlt, begegnen wir diesem Widerspruch zwischen poetischer Theorie und Praxis. Die Dichter, deren Poesie ernst und lehrhaft ist, verzichten darauf, von der selbstverständlichen didaktischen Absicht der Poesie ausführlich zu sprechen und heben lieber im instinktiven Gefühl des eigenen Mangels die Wichtigkeit einer gefälligen Form hervor, wie z. B. der nüchterne, lehrhafte Dichter Opitz, der nur nebenher von dem Nutzen der Poesie, um so weitläufiger aber von ihrer Zierlichkeit spricht; die Dichter, deren Sinn mehr aufs Heitere, Zwecklos-Ästhetische gerichtet ist, betonen nachdrücklich den moralischen Nutzen der Poesie, wie z. B. Harsdörffer, und suchen damit sich vor den Zeitgenossen zu rechtfertigen. c) Baldes N a t u r g e f ü h l . In den Werken der Dichter geistlichen Standes pflegt die Liebe zur Natur besonders hervorzutreten. Allen andern menschlichen Freuden und Leidenschaften muß der Geistliche entsagen, so flüchtet sich sein zurückgedrängtes Empfinden in die von Gott zu seinem eigenen Preis geschaffene Natur. Ich weise nur hin auf die zahlreichen Legenden, die von der Freundschaft Heiliger mit den Tieren erzählen, auf die Liebe des hl. Franziscus zur Natur und unter den dichterischen Zeitgenossen Baldes auf Friedrich v. Spee und seine Trutznachtigall, auf die ,,deliciae veris et aestatis" des Jesuiten Joh. Bissel, die Tierfabeln des Jesuiten Angelinus

— 153 — Gazaeus, auf die Gedichte des Münchener Kaplans Joh. Kuen 1 ) und des Kapuziners und Predigers Procopius von Templin.') Balde ist nicht wie diese ein Sänger der Natur; er versenkt sich nicht in weitabgewandtem Sinnen in die Betrachtung der Natur. "Wohl hat er der weltlichen Lust entsagt, aber nicht den Interessen seiner Zeit, mit denen sich seine Poesie vornehmlich beschäftigt. Aber immerhin bleibt ihm die Natur der Quell reinen irdischen Genusses, er hat ein nahes Verhältnis zur Natur und Empfänglichkeit für ihre Reize. E r weiß ihre Eindrücke auf individuelle Weise wiederzugeben. Sein Verhältnis zur Natur unterscheidet sich wesentlich von dem der deutschen Renaissancedichtung im allgemeinen. Die Naturbetrachtung der Renaissance war eine bewußte, verstandesmäßige. Sie ging mit Absicht an die Natur heran, mit der Absicht, sie zu beschreiben, sich mit ihr zu schmücken, sie zu erklären. Dieser Absicht entsprangen langatmige Naturgedichte. Die Natur wurde dem Gelehrsamkeitsfanatismus und der Nützlichkeitssucht dienstbar gemacht. Sie gab dem lukrez- uud vergilkundigen Dichter Gelegenheit, in Beschreibungen seine mannigfachen Kenntnisse auszubreiten, sie gab Gelegenheit, die Nützlichkeit der Natur und ihrer Erzeugnisse für den Menschen auseinander zu setzen. Die Beherrschung der Natur durch den sie kennenden und benutzenden Menschen verkündigte diese sogenannte Naturpoesie. Die Natur war des Menschen Dienerin geworden, 2 ) sie war ihm ein Ding, ein Mittel. Aus dem philiströsen Gefühl der Überlegenheit entsprang diese Naturpoesie der Renaissance, nicht aus der interesselosen Hingabe an die Erscheinung. Von dieser nüchternen Naturbetrachtung, die den Wald nur liebt, weil seine Bäume gutes Holz liefern, die sich an dem Flusse erfreut, weil er die Mühlen treibt, der die Erscheinung nur die Kenntnisse des eigenen Ichs ins Ge') Über beide vgl. jetzt: Bode, Die Bearbeitung der Vorlagen in des Knaben Wunderhorn (Palaestra 76, 1909), S. 78, 34 ff. Waldberg nennt dies Verhältnis treffend die „Entthronung der Natur". Deutsche Renaissancelyrik. S. 127.

— 154 — dächtnis ruft, ist bei Balde keine Spur. Ihm ist die Natur nur Gegenstand der Anschauung, ihre Erscheinungen sind ihrer selbst wegen da und durch ihre eigene Schönheit Quell der Freude. Baldes Verhältnis zur Natur ist ursprünglicher, naiver, spontaner als das seiner meisten Zeitgenossen. Auch bei den besseren wie bei Fleming ist immer etwas Bewußtes, Überlegtes in ihrem Naturempfinden. In langen Gedichten beschreibt uns Fleming z. B. die erwachende Natur in seinem Frühlings-Hochzeitsgedichte (Poet. Wälder I I I 2), oder den Einzug des Herbstes (Poet. Wälder IV 36). Derartige ausführliche Naturschilderungen sind bei Balde selten und finden sich nur in den drei letzten Büchern der silvae, vielleicht durch die Naturschwärmerei der Pegnitzschäfer veranlaßt. In diesen Gedichten steckt wenig echtes Naturgefühl, dafür sind sie schon zu umfangreich. Das echte Naturgedicht ist immer kurz. Die unmittelbare Wirkung der Natur ist Beruhigung, Sammlung, stilles Anschauen. Sie regt den unverbildeten Geist nicht zu lebhaften Gedanken an, sie zieht ihn in ein inniges Gefühl und hält ihn darin fest. Echte Naturempfindung macht nicht viel Worte, gibt nicht viel Einzelzüge. — Am reinsten spricht sich Baldes Naturgefühl aus nicht in den Gedichten, in denen er die Natur besingen w i l l , sondern da, wo sein Blick im Vorbeigehen auf die Natur fällt und er ohne Prätention aus seiner ungetrübten Anschauung heraus irgend ein Bild zeichnet oder einer von der Natur erregten Empfindung Ausdruck gibt. In derartigen gelegentlichen Versen ist sein Ausdruck auch am originellsten. Solche Stellen finden sich z. B. in der großen Anfangsode des dritten Buches der lyrica, wo Balde jenem eigentümlichen Gefühl Ausdruck gibt, das die sehnende Menschenbrust im Frühling anfwärts treibt, ihr Flügel zu leihen scheint. lyr. III i, 6. Jam rara vernis nubila solibus Divisa cedunt et patenti Aura levis monet ire coelo.

oder in dem 13. der Jagdgedichte, wo Balde das Erquickende des Atmens in freier Luft, das Belebende des Anblicks von Feld und Wald in Worte faßt (silv. I 13, 7—9, 19—21). Derartige einfache, reine Empfindungen berühren wohl-

— 155 — tuend neben der tändelnden, nach Einzelheiten spähenden Naturbeschreibung der Schäferdichtung. Von echter Empfindung zeugt auch die Ode lyr. I 14, die in der Natur die treue Freundin erkennt. Die Blumen sind Bilder der Unschuld, der klare Bach, der sich bis auf den Grund sehen läßt, ist ein Bild der Offenheit und des Vertrauens. In dem Murmeln des Baches hört der Dichter die Stimme des sein ganzes Inneres ihm anvertrauendem Freundes: lyr. I 14, 17 Ecce fons mersos penitus lapillos Pervio veri retegit liquore, Quidquid in fundo latet amnis imo, Prodere garrit.

Auch intimere Reize der Natur, der Reiz der Landschaft, des vielgestaltigen Geländes, der, soweit ich sehe, auf die deutschen Renaissancedichter keinen Eindruck machte, werden von Balde beachtet. silv. I 13, 10. Hic iellus aequata jacet, turnet altior illic, Magnisque despectantia Montibus astra ferit. In modicos alibi colles suspensa levatur, Devexa ludit vallibus, Quae variata juvant.

Ähnlich silv. V I I I 3, 27—28. Sonst bewegt sich Baldes Naturdichtung freilich im allgemeinen in den durch die römische Dichtung gegebenen Anschauungen. Bäume, Bach und Vögel geben gewöhnlich den Stoff und kehren meist nebeneinander immer wieder. Die Bäume neigen sich, beugen sich gegeneinander, suchen sich in Liebe zu umfassen, halten heimliche Zwiesprache: silv. VII 9, 58. . . . quando silvae certo sibi foedere nutant, Secum vicissim colloquuntur arbores. silv. IX 28, 19. Frondea subnexi miscent connubia rami. Quercus et alnus amant.

Ähnlich lyr. I I 20, 3 0 ; I I I 45, 3 7 ; silv. I 17, 105; V I I 19, 4 0 ; VIII 21, 123. Gewöhnlich spricht der Dichter auch von dem kühlen Schatten, den der Baum spendet, von seinem hohen himmelanstrebenden Wuchs und einmal auch von dem dichten Netz seiner Zweige (silv. V I I I 21, 123). Der flinke, murmelnde, geschwätzige Bach gehört ebenso in

— 156 — Baldes Naturbild wie die singenden Vögel. Charakteristisch für seine Naturauffassung ist, daß er überall in der Natur Stimme und Sprache hört. Er hört mehr in der Natur, als er s i e h t , seine akustische Phantasie ist reger als seine optische. Bach, Yögel und Bäume sprechen, und der Dichter belauscht sie und versteht ihre Sprache. Durch die graziöse und originelle Behandlung dieses Gedankens hat Balde dem abgenutzten Naturmotiv neues Leben gegeben. Von der Quelle, die ihm alle Geheimnisse ausplaudert (lyr. I 14, 17), war schon die Rede. Hübsch ist auch die Stelle, wo der Bach sich mit den Nymphen herumzankt, und wo der Dichter aus dem Strudeln des Baches hört, wie er ärgerlich die enteilenden Wasser zurückruft. silv. II Apiarium 1, 13. Fons ibi cum liquidis rixatur in aere Nymphis: Et revocat querulus Redire nolentes aquas.

Dann wieder hört der Dichter in dem Murmeln des Baches sein erzürntes Schelten auf den Stein, an dem er sich den Fuß gestoßen hat: silv. VIII 21, 189—193. Diese zierliche Deutung der Naturlaute zeigt uns den phantasiereichen und geschmackvollen Dichter, der mit feinen Sinnen die Welt belauscht. Anders steht es mit dem Motiv von dem Zwiegespräch zweier Flüsse, oder von dem Flusse, der sein Haupt aus den Fluten erhebt und redet. Dieses sehr beliebte Motiv, das wir z. B. bei Weckherlin, x ) Dach, 2 ) Harsdörffer 3 ) und vielen andern finden, ist nicht die Deutung eines Naturlautes, sondern nichts als ein verbrauchtes mythologisches Bild, dessen sich Balde auch einige Male bedient. — E r freut sich auch an dem A n b l i c k der munteren klaren Quelle und schildert anmutig das kecke Sprudeln und Hüpfen der eilenden Wasser. lyr. 3, 35, 29. Fontium vidi genus insolentum Vitreis audax pedibus salire E t super laetum vitulante lympha P a s c u a ferri. ') Oden und Gesänge, I 1, Palm I, S. 99. ' ) Bibliothek des lit. Vereins, Bd. 130, S. 651. 3) Wechselgesang zwischen Donau und Rhein, Seite 124.

vgl. Tittmann,

— 157 — Vgl. lyr. I V 30, 13; silv. I X 28, 9. Sehr anschaulich und mit virtuoser Sprachkunst schildert er das Zittern und Flimmern des Spiegelbildes in windbewegtem "Wasser, des Bildes seines Freundes Michael Kabl, das Apollo ihn sehen ließ, um ihm die baldige Rückkehr des zur Mission ausgesandten Freundes zu weissagen. lyr. IV 18, 39. Amnis ubi moto resplendent fragmina vitro, Frons, gena, nasus hiant Atque iterum coeunt, iterum divisa resultant, Ut levis aura movet: Sed neque constantem licuit pernoscere vultum Impediente deo. Cumque oculus propius vellem defigere, risit Opposuitque manum.

Besonders gern spricht Balde von den Vögeln und ihrem Gesang, in dem ihn nicht der Ton reizt, sondern der Sinn, der Inhalt ihrer Rede, den er zu hören glaubt. Bald hört er sie den abziehenden "Winter verspotten und frohlocken über den nahenden Frühling (lyr. I V 4, 9), bald hört er sie schelten auf die törichten und grausamen Menschen, die sie in Käfige zwingen. silv. VIII 3, 47. . . . immeritae deplorat fata catastae Suumque justis devovet diris Herum. Carmina, quae dicit, mera sunt convicia, fixum Te potius optet, claustra quo rostro ferit.

Dann wieder hört er die Vögel von den Träumen erzählen, die sie in dem langen "Winterschlaf geträumt. Der Frühling weckt sie aus ihrem Schlaf; auch ihm leiht der Dichter die Sprache in jener Frühlingsode des 7. Buches der "Wälder, in der er das Erwachen der Natur mit einer Frische schildert, die an den hellen Klang der „Wittenbergisch Nachtigall" erinnert. silv. VII 1, 51 Jamque etiam nemorum levis et plebs garrula prodit, Facunda ruris natio. Tota avibus dormitur hiems. Ver „surgite!" clamat, „Narrate vestra somnia!" Evigilant noctisque suae simulacra loquuntur Cantuque rumpunt nubila.

Reizvoll ist auch die scherzhafte Verbindung von huma-



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nistischer Gelehrsamkeit und Naturgefühl in der Vorstellung von den klassisch gebildeten Yögeln, die in Versen sprechen und in den antiken Autoren bewandert sind. Ihr vielstimmiges Konzert ist ein Sängerwettstreit, in dem die Vögel einander in verschiedenen Dichtungsarten zu überbieten suchen. silv. VIII 21, 175. Grex avium supra variis et rostra levesque Exercet auras versibus. Istae Bucolicos recitant, jucundius illae Laudantur a Georgicis. Haec jacit in cuculum Satyras, haec laudat amores Suaeque nidum conjugis.

Und eine andere Stelle der gleichen Ode sei hier noch zitiert, die für die klassische Bildung der Vögel die scherzhafte Erklärung gibt mit einem humorvollen Selbstlob des Dichters. ib. 37. Quin et aves, plus quam Septem, Calydonius Orpheus ') Vocum docet discrimina. Praelegit admissis praestantes arte Poetas Et inter hos Horatium Me quoque. Concipiunt sonitus et carmina sturni Mirasque narrant fabulas.

Einmal bezeichnet Balde das Zwiegespräch der Vögel als Komödie im Waldtheater, ohne jedoch diese Vorstellungweiter auszuspinnen (silv. VIII 3, 36). Auch sonst läßt er die Natur an der Humanisierung der Menschheit gelegentlich teilnehmen und läßt z. B. die Bäume sich beklagen über den Dichter Ovid, der ihre Geheimnisse verraten hat. Auch hier s p r e c h e n die Bäume (silv. I 17, 105—120). Die Vögel sind die besonderen Lieblinge des Dichters; er verweilt immer mit merklichem Behagen bei der Beschreibung ihres Gesanges und widmet ihnen speziell mehrere Gedichte. Nicht ungeschickt ahmt Balde den größten römischen Lyriker Catull nach in dem Gedicht an seinen Zeisig, der keck um ihn herumflattert, den Mandelkern ihm zwischen den Lippen herauspickt, ihm, wenn er die Saiten schlagen will, in die Finger beißt und ihn seinen Gesang zu vollenden hindert ') Der kurz vorher erwähnte Pförtner und Küster zu Ebersberg.

— 159 — (lyr. III 43, vgl. Catulli Carmina II „Passer, deliciae meae puellae . . .''). Die Ode lyr. III 27 preist dankbar den Zeisig, der ihm den Baum finden half, unter dem er die Handschrift seiner Gedichte verloren hatte. In Baldes Naturbetrachtung spielt der Gegensatz von Stadt und Land natürlich eine große Rolle, das Lob des Landlebens wird nach horazischem, in der Renaissance unzählige Male kopiertem Muster verkündet und von Balde an die Spitze seiner sämtlichen Lyrica gestellt und außer mehrfachen gelegentlichen Hinweisen noch einmal im 8. Buch der "Wälder (Ode 3) ausführlich begründet. Balde vergißt hier aber auch nicht das Gegenbild, das elende unfrohe Leben in der Stadt zu schildern, und gibt uns so im Gegensatz zu den üblichen einseitigen Deklamationen über die ländlichen Freuden ein vollständigeres und überzeugenderes Bild (silv. VIII 3; über das Stadtleben: v. 77—104). In der mehrfach angezogenen Frühlingsode des 7. Buches der Wälder erwähnt Balde den volkstümlichen Brauch der Darstellung des Kampfes zwischen Winter und Sommer. Zwar spricht Balde nur als Dichter, der den Beginn des Sommers unter dem Bild eines siegreichen Kampfes faßt, er beschreibt nicht etwa als Zuschauer die volksüblichen Bräuche. Aber aus dem Zusammenhang — unmittelbar vorher erwähnt er die Frühlingsbräuche anderer Völker — geht doch hervor, daß er an die Sitte des Frühlingsaustreibens dachte. silv. VII 1, 97. Post et captivi caedes referetur Aprilis, Ver iste Mensis inquinat: Grandineque et nivibus cambo bellatur aperto, Namque inde sumpsit nomina.') Sternitur a Maio tandem florentibus armis Et victus herbam porrigit.

Solche Erwähnungen volkstümlicher Bräuche sind in Baldes klassizistischer Dichtung äußerst selten. Ein Brauch, der mit dem eben erwähnten in naher Beziehung steht, wird ') Die Etymologie „Aprilis von aperio", an sich richtig, erhält hier jedoch einen schiefen Sinn durch die Bedeutung von „campo aperto".



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einmal angeführt im 1. Buch der Wälder: das Schembartlaufen. In der 12. Ode dieses Buches wird die Puchsjagd und das zu Baldes Zeiten noch übliche rohe Vergnügen des „Fuchsprellens" beschrieben. Balde vergleicht die ängstlichen Sprünge des mißhandelten Tieres mit den Bewegungen des „Schoenobates". silv. I 12, 15. Illud ridiculum: lepido cum cogimus ictu Subire fustuarium. Credas Schoenobaten saltare per a e r a : tracto Sic fune quassa subsilit, Inque trabes recidens, miserandum et funebre gannit, Astuta mortis victima.

Auch Balde hat kein Gefühl für die Roheit dieses „Fuchsprellens", das er im Eingang der Stelle als komisch und am Schluß noch einmal als ein besonders großes Vergnügen bezeichnet. Allerdings spricht hier Balde nicht in eigenem Namen, sondern in dem des Jagdliebhabers. Aber die „Antithesis", die dieser Ode wie allen dieses Buches folgt, und in der der Gegner der Jagd seine Einwände vorbringt, sagt nichts Tadelndes über diese Sitte, ein Beweis dafür, daß Balde nichts Böses darin fand. Das Buch „De venatione" ist mit Absicht an den Eingang der „ W ä l d e r " gesetzt. Es enthält nur Jagdgedichte, den Söhnen des Herzogs Albert VI., Franz Karl und Max Heinrich, Baldes Schülern am Münchener Gymnasium, ihrer Liebe zur Jagd wegen gewidmet. Für diese Art von Dichtungen fehlte Balde das klassische Vorbild. Wie der Jagdsport dem republikanischen Rom noch fremd war und erst in der augusteischen Zeit zu einer Modesache wurde, so fehlt die Jagd auch fast gänzlich in dem Stoffkreis der Poesie. Bei Horaz z. B. ist nur zweimal beiläufig von der Jagd die Rede (Ep. I 6, 58 ff.; 18, 44 ff.). Erst bei Martial finden wir häufiger ein Jagdbild. 1 ) In Baldes Zeit war dagegen die Jagd der beliebteste Sport des Adels und der Fürsten, und dementsprechend spielt sie in der den Neigungen, der Mächtigen so gerne schmeichelnden Renaissance') Vgl. Biese, Die Entwicklung des Naturgefühls bei den Römern (1884) S. 95, 160.



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dichtung eine nicht unbedeutende Eolle. 1 ) Baldes Zeitund Ordensgenosse, der polnische Dichter Sarbiewski, hat nicht lange vor Balde gleichfalls einige Jagdgedichte „Silviludia" 2 ) geschrieben. Balde schildert in sechzehn Oden die Freuden des Jagdsports, der Hirschjagd zu Lande (2) und zu Wasser (3), der Sau- und Keilerjagd (6; 7), der Jagd auf Gemsen (10), Hasen (11) und Füchse (12), preist zwischendurch den heilsamen Einfluß der Jägerei auf die Gesundheit (15), bezeichnet die Jagd als die beste Übung für den Krieg (8), schildert den heitern Geist der Jäger (13) und spricht mit Humor von ihren streng beobachteten Gebräuchen und von der geheiligten Jägersprache (4; 5). Jeder Ode folgt die „Antithesis". Die Gleichartigkeit der in diesem Buch zusammengefaßten Gedichte gab die Möglichkeit, ihnen eine entsprechende Zahl unter sich wiederum gleichartiger Gegenstücke an die Seite zu setzen. Einen anderen Grund, weshalb Balde diese durch die Streit- und Disputationsliteratur gepflegte Form gerade hier angewandt hat, wüßte ich nicht anzugeben. Daß er nicht etwa seine eigenen Bedenken gegen das Jagdvergnügen in den Antitheses ausdrücken will, ergibt sich aus dem Vorwort, namentlich dem letzten Satz, der sich auf den Schlußhymnus auf die Jagd bezieht: „Antitheses morosorum hominun fastidiis metiendae sunt: sub finem Dithyrambus, meo sensu". Die 16. Ode „Dianae et Palladis Dialogus ac Reconciliatio" ') Auch in Harsdörffers Frauenzimmergesprächspielen findet dies mondäne Vergnügen entsprechende Berücksichtigung: III, CXVIII, IX. XX 105—119. Die von Balde scherzend erwähnte Jägersprache wird auch hier behandelt. Vgl. HodeTmann, Bilder aus dem deutschen Leben des 17. Jahrhunderts, I (1890) S. 55. — Festschrift zur 250jährigen Jubelfeier des Pegnesischen Blumenordens. Nürnberg. 1894. S. 174. s ) Silviludia poetica, elf in mannigfachen Versmaßen sich bewegende, höfische Lobgedichte zu Ehren des königlichen Jägers Wladislaw IV. von Polen, dessen Hofkaplan Sarbiewski gewesen ist. Die Silviludia wurden erst lange nach Sarbiewskis Tod (f 1640) veröffentlicht als Poesis posthuma im Jahre 1759, Balde hat also die Silviludia seines Ordensgenossen, der übrigens in diesen anakreontisch tändelnden Gedichten viel weniger Interesse und Verständnis für die Jägerei an den Tag legt, obwohl er häufig Jagdbegleiter des Königs gewesen sein soll, wohl kaum gekannt. Henrich, Jakob Balde.

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läßt nachträglich das Vorhergehende als Rede und Gegenrede der Göttin der Jagd und der Göttin der Gelehrsamkeit erscheinen, eine ursprünglich nicht vorgesehene, der Fassung der Oden nicht entsprechende 1 ) Vorstellung, die als Abschluß der Sammlung den in der Widmung schon ausgesprochenen Gedanken aufnimmt, daß die Söhne des Herzogs die sich sonst feindlichen Interessen der Jagd und der Wissenschaft zu vereinigen gewußt haben. Die Jagdgedichte zeichnen sich aus durch lebendige, anschauliche Schilderungen, sie haben kulturgeschichtliches Interesse und verraten intime weidmännische Kenntnisse, die Balde sich in fürstlichem Umgang erworben haben wird. Hervorzuheben ist die packende Schilderung der Hirschjagd, des durch die Büsche brechenden gehetzten Hirsches (2, 21—28), die Beschreibung des Kampfes zwischen dem von der Meute gestellten mächtigen Keiler und den kläffenden Hunden (7, 22—39), dann die Schilderung der behaglichen Ruhe des Jägers am lieblichen Waldplatz und seiner Träume von Jagdabenteuern (13, 28—51). Was das scharfe Auge des Jägers aus der Spur des Wildes alles herauszulesen vermag, wird Ode 14, 23—38 gesagt. Kulturgeschichtlich interessant ist die Erwähnung der Jägersitten. In der Ode „Ceremoniae Venatorum" (4) scherzt Balde über den strenge eingehaltenen Gebrauch, daß keiner der Jäger den Hut abnehmen darf. Wenn sie von der Jagd heimkehren, schmücken sie ihren Hut mit Eichenlaub. Von größter Wichtigkeit ist die Jägersprache, über die Balde in der Ode „Idioma Venatorium" (5) seinen harmlosen Spott ausläßt. Wer gegen die heilige Jägersprache sich versündigt, fällt der Verachtung anheim, das ist ein unsühnbares Verbreeben. — Endlich werden auch die wunderbaren Jagdgeschichten, die schon damals beliebt und in Kirchhoffs „Wendunmut" auch schon literarisch verwertet worden waren, eingeführt. Balde läßt in dem Schlußgedicht vier Jäger nach einnander ihre wunderbaren Erlebnisse berichten (v. 67—90). Die verschiedenen Namen für Diana und die Nymphen in ihrem ') Vgl. z. B. den Anfang der ersten Ode.



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Gefolge wie Britomartis,Dictynna, 1 ) Salmacis nahm Balde aus Yergil und Ovid, die noch öfter verwandten Namen der Hunde entnahm er vor allem der langen Aufzählung von Hundenamen bei Ovid in der Erzählung von Aktäon (Met. I I 206—224). Was in Balde durch den Anblick der schönen Natur geweckt wird, ist eigentlich kein Gefühl, sondern belebte, bereicherte, die Natur selbst bereichernde Anschauung. Diese Anschauung geht ja wohl aus einem von der Natur erregten Gefühl hervor, aber das Gefühl spricht in ihr sich nicht unmittelbar aus, sondern kommt gewissermaßen nur in einem äußeren Symbol zur Darstellung. Die Natur weckt nicht Empfindungen in seiner Brust, sie veranlaßt ihn nicht, seinem Empfinden Ausdruck zu geben, er schaut nur an und stellt dar. E r trägt sein Empfinden auch nicht in die Natur hinein, läßt sie nicht an seinem Fühlen teilnehmen, dichtet ihr nicht Empfindungen an in der Modeweise der Schäferdichtung, die auch darin die Unterordnung der Natur unter den Menschen zum Ausdruck brachte. 2 ) Derartige sympathetische Motive 3 ) sind dem zurückhaltenden Charakter Baldes zuwider. Auch der Natur gegenüber verschließt der Dichter sein innerstes Fühlen in seiner Brust. Damit ist nicht gesagt, daß er nicht imstande ist, seinen Gefühlen dichterischen Ausdruck zu geben, oder daß sein Gefühl nicht stark genug ist und nicht nach dichterischem Ausdruck verlangt. Wir müssen bei Balde die Hemmungen in Betracht ziehen, die ihm verboten, sich frei und offen auszusprechen, sich in seinen Gedichten ganz hinzugeben, die die Urkräfte der Lyrik unterbanden. Was bisher von Baldes Naturdichtung gesagt wurde, betraf einfach-schöne, liebliche Erscheinungen der Natur. Balde faßt diese Erscheinungen gerne in mutwillig-heiterer Weise auf. Von sentimentaler Naturbetrachtung, von schwärmerischer Versenkung in das geheime Weben der ') Nur in der pseudovergilischen Ciris. ) Vgl. Waldberg, Renaissancelyrik S. 131. 3 ) Über solche Motive bei Fleming vgl. Unger, Paul Flemings Lyrik. 1907, Seite 23. s

Studien über

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— 164 — der Natur ist bei ihm nichts zu merken. Die Quellen hüpfen durch das Gras voll Übermut, die Vögel zanken sich und schelten den Menschen und parodieren seine Gelehrsamkeit. Die mutwillige Behandlung des Kleinlebens in der Natur ist für Balde charakteristisch. Aber nicht nur das Idyllische, auch das Pathetische sucht er zu fassen, auch für das Großartige, Gewaltige in der Natur: das tobende Meer, das Hochgebirge, die Sternenwelt ist er empfänglich. Der deutschen Renaissance fehlt dieser Sinn für das Großartige in der Natur. Was in der Natur für den Menschen nicht nützlich und angenehm ist; das ist ihm entweder ärgerlich und schrecklich oder es bleibt unbeachtet. Das über den Menschen und seine Alltagswelt Erhabene hat in der Dichtung keine Stelle. So ist es wenigstens in der d e u t s c h e n Renaissancedichtung. Wenn im Gegensatz zu ihr Balde auch das Großartige dichterisch zu gestalten sucht, so nimmt er damit nicht eine ganz einzigartige Stellung in der deutschen Literatur ein, sondern er untersteht der antiken Tradition. Das ist eben das Merkwürdige, daß in der lateinischen Dichtung eine ganz andere Auffassung der Natur zu leben scheint, daß wir hier gar nichts von der beschränkten, nüchternen, schulmeisterlichen Natur er k l ä r u n g finden, die der deutschen Dichtung geläufig ist. Dies merkwürdige Verhältnis zwischen lateinischer und deutscher Dichtung, das doch nicht einfach mit dem Hinweis auf die Nachahmung der antiken Dichtung abgetan werden darf, verdiente eine eingehendere Untersuchung, die für die Dichterpsychologie wie für das Verhältnis von Sprache und Dichtung, das Bedingtsein der Vorstellung durch das Wort interessante Beobachtungen liefern würde. Eine solche Untersuchung müßte statt der summarischen Behandlung sich der Einzelforschung zuwenden und die genaue Erkenntnis einzelner Dichter, die gründliche Erschließung einzelner Stoffgebiete und Vorstellungskreise anstreben. Daß Balde in seiner Erfassung pathetischer Züge der Natur von der römischen Dichtung abhängig ist, ergibt sich aus entlehnten Vorstellungen und Bildern gerade dieser Art. Auch schildert er Naturvorgänge, die er nicht aus eigener



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Anschauung, sondern nur aus literarischen Quellen kannte: das Meer und sein Toben im Sturm. Aber auch das überlieferte Gut weiß er selbständig zu verwerten, mit der Kraft der Phantasie die fehlende eigene Anschauung zu ersetzen und ein Bild von großer Wahrheit und Kraft zu zeichnen. lyr. IV 46, 10. Mota Tyrrheni salis unda. . . Cum decem montes struit et propinquis Nubibus infert.

oder wenn er das Brausen des tobenden Meeres mit polternden Marmorblöcken vergleicht: silv. IX 17, 71. Moto ceu marmore pontus Si quando despumat in astra.

Auch in der Erfassung des Hochgebirges ist er von antiken Vorstellungen beeinflußt, und die bei späteren römischen Dichtern häufige Vorstellung, daß die Gipfel der hohen Berge den Himmel fegen, findet sich mehrfach bei Balde. Aber seine Darstellung klebt nicht an dieser oder ähnlichen überlieferten Vorstellungen, aus seiner Dichtung gewinnen wir vielmehr den Eindruck, daß er die Majestät des Hochgebirges, das er aus eigener Anschauung kannte, lebhaft empfunden hat, und daß aus seiner Darstellung sein persönliches Verhältnis zur großen Natur des Gebirges spricht.1) Es ist besonders e i n e Ode, die von dieser modernen Auffassung des Hochgebirges zeugt, die Ode „Ad D. Virginem, in Silva Quietis vulgo Waldrast, altissimo Tyrolensium montium iugo propitiam", lyr. II 11. Die feierliche Einsamkeit der auf steiler Höhe über dunklen Wäldern thronenden Kapelle wird also angedeutet: v. 1. Diva, quam circum spatiosa late Hinc et hinc crescit nemoralis arbos Et supra nubes procul acta ramis Sidera verrit . . . .

Das Erhebende des Blickes von Bergeshöhe über das weite Land, das Erdenferne, Himmelnahe drückt er in den knappen Worten aus: ') Vgl. Erich Schmidt: Archiv f. Literaturgeschichte XI (1882), S. 323.



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v. 13. Verticem supra mediusque caelum Inter et terras humiles iacere, Arva despecto penitus remota Proximus astris.

Und auch der mit Schauder vermischte Reiz der Einsamkeit auf der schwindelerregenden Höhe scheint angedeutet zu werden mit den Worten: v. 22 „Locus ipse gratum terret ac mulcet". Dieselbe bedeutsame Ode enthält endlich noch ein durch die Kühnheit der Anschauung bemerkenswertes Bild: der Dichter bekräftigt seinen Entschluß, sich nie mehr von dieser Stätte zu trennen, in der beliebten rhetorischen Manier mit der Figur iE ctbuvctTou'): eher würde der Berg sich bücken und mit den Schultern seine Füße berühren. v. 29. Hinc ut avellar? prius ima valli Incidet rupes pedibusque dorsum Et caput iunget.

An anderer Stelle tritt die Auffassung von einem Dienstverhältnis zwischen den kleinen Hügeln und dem großen herrschenden Berg hervor, dessen Schatten die Diener ehrfürchtig küssen: lyr. II 38, 14 . . . . famulique clivi Pone lambebant dominis cadentes Montibus umbras.

Den stärksten Ausdruck findet Baldes pathetische Naturauffassung in der Betrachtung des Sternenhimmels. Seit den ältesten Zeiten haben die Wunder der Sternenwelt die mythenbildende Phantasie beschäftigt, der heidnischen Mythologie wie dem christlichen Himmelsglauben Stoff und Anregung zu poetischer Behandlung gegeben, und unzählige Dichter haben von der Schönheit des Sternenhimmels gesungen bis zu dem romantischen Hymnus von der mondbeglänzten Zaubernacht. Erst die neuere Dichtung, die ihre Augen mehr als jede frühere auf die genaue Erkenntnis der Dinge dieser Erde gerichtet hat und die tatsächlich wirksamen Kräfte des menschlichen Lebens in allen ihren noch so stillen Wirksamkeiten zu erfassen sich bemüht, hat ihre Augen von den zu fernen Sternen abgelenkt. — Durch die Renaissance wurde mit der antiken Dichtung, Mythologie ') Vgl. unten S. 194 f.

— 167 — und Wissenschaft auch der antike Aberglaube an die Macht der Gestirne wieder lebendig. Aus einem Gegenstand froher Anschauung und spielender Phantasie wurden die Gestirne das Objekt grübelnder Forschung und einer komplizierten Ideenkonstruktion, und so machte sich auch in der poetischen Auffassung des Sternenhimmels dogmatischer Ernst breit wie z. B. bei Celtis.1) War damit abergläubische Furcht vor unheimlicher Gewalt das bestimmende Gefühl dem Naturschauspiel gegenüber, so trat nach Überwindung dieses Aberglaubens®) an die Stelle der Furcht tändelnde Vertraulichkeit: die Renaissancedichter sehen in den Sternen die stillen, freundlichen Zuschauer ihrer Liebschaften, die Boten ihrer Grüße an die Geliebte, die Begleiter ihrer Liebesgänge. Für die Majestät der Sternenwelt hat man kein Empfinden. Bezeichnend sind die Lebensäußerungen, die man den Sternen andichtet, man sieht sie lachen, lächeln, und immer scheint der Dichter nur einen einzigen Stern zu sehen und für das strahlende Heer der andern blind zu sein. Mit ganz andern Augen sieht Balde den Sternenhimmel an, er sieht in ihm das Gewaltig-Erhabene, ein unendliches Reich gewaltiger Kräfte. Der Anblick dieser erhabenen Welt berauscht seine Phantasie und läßt sie sich diese Welt in kühnsten Vorstellungen vergegenwärtigen. Es sind freilich meist die antiken mythologischen Deutungen der Sternbilder, mit denen er arbeitet. Die Vorstellung der Sterne als lebender Wesen war ja auch in der spekulierend-phantastischen Philosophie der Renaissance gebräuchlich, z. B. bei Giordano Bruno (Spaccio della bestia trionfante) und Franc. Patrizzi (Pancosmia).3) Aber aus den Einzelgestalten dieser Bilder macht Balde ein lebendig bewegtes Schauspiel, er schildert den Himmel als ein gewaltiges feuriges Meer, in dem allerhand phantastische Tiere, Delphine, Krebs, Wal') Vgl. Bezold, Konrad Celtis,, der deutsche Erzhumanist". Historische Zeitschrift 49 (1883), S. 203. 2) Den Balde in der Ode lyr. II. 42 verspottet. s ) Vgl. M. Carriere, Zur Philosophie der Renaissance = Ztschr. f. Vgl. Lit.-Gesch. III (1888) 236/41. Windelband, Geschichte der neueren Philosophie I (1904), S. 66.



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fisch, Eridanus, sich tummeln (lyr. I 5. „Coelum liquidum"). Allerdings ist diese Ode scherzhaft gemeint und tritt mit humorvollem Pathos der Ansicht des Professors der Mathematik Hildebrand entgegen, der Himmel sei eine feste unbewegliche Masse. Aber dieser scherzhafte Untergrund beeinträchtigt den poetischen Wert dieser Dichtung nicht, die mit kraftvoller Phantasie die einmal gewählte Vorstellung festhält und durchführt und ein gewaltiges Gemälde entrollt: v. 45. Incensa splendent omnia; luteus Scintillat humor; se penetrabilem Crystallus indulget carinis Et manibus liquefacta cedit.

Ähnlich sieht die 9. Epode am Firmament ein Schauspiel lebendig sich bewegender Gestalten (v. 17—34). Den großartigsten Ausdruck findet Baldes Anschauung der Erhabenheit des Weltenraumes in der schwungvollen Ode lyr. III 1. Sie schildert einen phantastischen Flug auf dem Dichterroß über die Erde hin und zum Himmel hinauf. Nachdem der Dichter und sein Begleiter Deutschland und seine verwüsteten Städte und Länder beschaut 1 ) haben, lenken sie den Flug aufwärts in die Sternenwelt durch das Reich der Kometen, des Mondes, der Planeten. Die Beherrscher dieser Reiche erscheinen alle in charakteristischer Gestalt oder Situation. Plötzlich tönen gewaltige Klänge an das Ohr der Fliegenden, ') Das Motiv der „Weltbeschauer" hat auch Hutten in seinem Dialog „Inspicientes" behandelt (Opera, Böcking IV 269): der Sonnengott hält seinen Wagen in Mittagshöhe an, um mit seinem Sohn Phaeton Deutschland und seine religiösen Kämpfe, das Schleichen und Geizen der Mönche und Pfaffen und das Treiben des Legaten Cajetan zu betrachten. Hutten hat das Motiv aus den Göttergesprächen Lukians (Die Weltbeschauer) entlehnt (D. F. Strauß, Ulrich v. Hutten II 38, III 186). Daß B. den Huttenschen Dialog kannte, glaube ich nicht. Dem Gespräch des Spötters v.on Samosata (der aber seine Weltbeschauer, Merkur und Charon, von der Höhe aufgetürmter Berge hinabblicken läßt) könnte er das Motiv der Schau über die ganze Erde hin und auf die Eitelkeit des menschlichen Treibens entlehnt haben. Hans Sachs behandelt übrigens ein ähnliches Motiv in seinem „Landsknechtspiegel" (1589), und zu gleicher Zeit ungefähr erscheint es im ältesten Faustbuch (cap. 37). Auch Sarbiewski hat es sich zu eigen gemacht in den Oden I 10 und II 5.

— 169 — sie hören die Musik der Sphären. Den Traum des Pythagoras findet der Dichter bestätigt und gibt ihm eine Deutung im humanistischen Sinne: die Sterne sind die himmlischen Musen, und mit ihrem Gesang vereinigt sich der Klang der „Leier", der Gesang des „Schwans". Balde ist in der Bearbeitung dieses Motivs offenbar abhängig von Ciceros „Somnium Scipionis".') Die Übereinstimmung erstreckt sich auf Situation und Gang der Handlung. Bei Cicero wie bei Balde finden wir die Motive: ungeduldiges Drängen, die Erde zu verlassen (Cic. c. V I 11, Balde v. 3), Anblick der Sterne (Cic. c. VI 12, B. v. 69—108), der verschiedenen Planetensysteme (Cic. VI 13 B. 69—76), die Sphärenharmonie (Cic. V I 14, B. 77—84), die Erde als verschwindender Punkt (Cic. VI 15, B. 53—56), der ethisch gewendete Schluß: die Herrlichkeit des Himmels ist nur der Virtus zugänglich (Cic. VI 18, B. 111). Was bei Cicero in gelassener Prosa lehrhaft vorgetragen wird, schauen wir bei Balde mit den Augen des durch die Sternenkreise dahinschwebenden Dichters. Die doktrinären Auseinandersetzungen des älteren Africanus über den Bau des Sternensystems, die Ursache der Sphärenharmonie hat Balde in schwungvolle Poesie umzusetzen verstanden. Die Vorstellung der Sterne als lebender W esen wird bei Balde wieder durchgeführt. Mit dem Gesang verbindet sich der Tanz. Angeregt von den Klängen der Musik, beginnt Orion sich zu drehen und führt einen Waffentanz auf zum größten Vergnügen der kleinen Sterne, die ihm lachend folgen. Und auch der schwerfällige Bootes möchte sich im eilenden Takte der Musik bewegen und treibt vergebens mit seiner Geißel die Bärin an. In der humanistischen Literatur ist die spielende Behandlung der Sternbilder als lebender handelnder Wesen nach Maßgabe der Mythologie nichts Ungewöhnliches, die Vorstellungen von der Bärin etwa, die ängstlich die Berührung mit dem Ozean scheut, dem geißelschwingenden Bootes und ähn') Cicero, De re publica c. VI. — Balde nicht aus diesem Werke bekannt, das bis 1822 verloren war, sondern aus dem Kommentar des Macrobius, in dem das somnium erhalten war, vgl. Teuffel-Schwabe Geschichte der römischen Lit. 4. Aufl. (1882). § 186, 1, 4.

— 170 — liehe durch den Namen der Sternbilder gegebene und in stereotypen Wendungen immer wiederholte Bilder sind ebenso häufig wie die Bestimmung der Tages- und Jahreszeiten an der Hand solcher mythologischen Astronomie,1) wie sie besonders von Petrus Lotichius Secundus zum förmlichen System ausgebildet wurde. 2 ) Doch weiß Balde die traditionellen "Vorstellungen unter seine eigene dichterische Idee zu stellen und den abgenutzten Formeln neues Leben, den verblichenen Bildern neue Farben zu geben. Eigentümlich ist in Baldes Darstellung der großartigen Natur die Mischung pathetischer und idyllischer Züge, die Neigung zur Einführung komischer Episoden in das ernste Drama. In der Ode „Coelum liquidum" wie in dem eben besprochenen „Weltenritt" finden wir solche Episoden, die durch ihren leichten Scherz die Wucht des Ganzen kontrastierend hervorheben. Hier amüsieren sich die kleinen Sterne über den schwerfälligen Tanz des Orion und bestaunen scheu seine prächtige Rüstung (lyr. III 1, 97—100), dort fliehen die kleinen Sterne ängstlich vor dem in der Ferne drohenden Kometen und verstecken sich im Schilf (lyr. I 5, 57—60). Lag es für Baldes von humanistischen Vorstellungen getränkte Phantasie nahe, die Sternenwelt, für die die Antike die bis heute unverdrängte Poesie geschaffen hat, mit antiken Angen zu sehen, so weiß er doch auch dem natürlichen Eindruck Worte zu geben und die feierliche Stille des nächtlichen Himmels poetisch zu fassen: silv. IX 33, 21. Miramur amantes Formosae spectacula noctis. Omnia summa meant facili placidissima motu. 1)

Bei Balde z. B. lyr. II 20, 4 9 ; silv. VIII 1, 13. Vgl. Adalbert Schroeter, Beiträge zur Geschichte der neulateinischen Poesie. S. 125. 2)

II.

Innere und äußere Form der Gedichte. Die innere Form der Lyrik wird bestimmt durch die psychischen Tätigkeiten und Zustände, die in ihr zu Wort kommen. Die Art und Weise, wie die Psyche des Dichters auf Eindrücke reagiert, wie sie die Welt und ihre Äußerungen auffaßt, bestimmt die Form seiner Dichtung. Die drei Grundformen psychischer Tätigkeiten: Denken, Fühlen und Wollen sind die bestimmenden Faktoren für die Lyrik als für die Dichtungsart, in der das geistige Leben des Menschen sich am unmittelbarsten ausspricht. Das Mischungsverhältnis jener Faktoren bestimmt den lyrischen Charakter des Dichters, das Vorherrschen des Gefühls ist das Kennzeichen des echten Lyrikers. Die Form, in der Baldes Psyche auf das Leben reagiert, ist vor allem die der Reflexion. Der Verstand betrachtet das sich ihm irgendwie darbietende Objekt und wird von ihm zum Nachdenken angeregt. Die Form der Reflexion beherrscht das geistige Leben unseres Dichters. Das Gefühl hat weit geringere Bedeutung. Es äußert sich selten unmittelbar und in der natürlichen Weise. Das Gefühl hat nur in einer besondern, ungewöhnlich gesteigerten Form größere Bedeutung in Baldes Lyrik, indem es sich zur Begeisterung erregt. Auf dieser Stufe äußert es sich in visionärem Schauen in den Formen des „Enthusiasmus", der Prophetie. Die meisten Baldesehen Gedichte sind Gelegenheitsgedichte der Reflexion. Jedes Ereignis gibt Anlaß zur Betrachtung. Baldes Reflexion richtet sich nicht auf die Ergründung irgendwelcher Probleme. Sie wirft keine Fragen auf, sie sucht nicht nach Antworten. Sie behauptet. Sie



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irrt nicht zwischen den Kätseln des Lebens umher. Sie ruht auf dem festen Grunde der Moral. Baldes Reflexion ist fast ausschließlich auf moralische Dinge gerichtet, ausnahmsweise nur beschäftigt sie sich mit einem andern Gegenstand wie in lyr. I 22, wo Balde die wunderbare Tätigkeit des menschlichen Geistes, sein Wahrnehmungs- und Reproduktionsvermögen erörtert. Die Reflexion bedient sich nicht sehr häufig der Form direkter sittlicher Ermahnungen (Belehrungen über die Pflichten eines bestimmten Standes: des Richters lyr. I 24, II 15; des Hofmanns lyr. II 6; ep. 4), des Beamten silv. 1X7), meist sind es allgemeine Lebensregeln (lyr. 1 9 ; 31; II 23; III 3; 24; IV 30) oder Betrachtungen ohne ausdrückliche Ermahnung (lyr. I 26; 28; 32; II 2; 39; 45; 47; III25; 89; IY3; 19; 26; silv. VII4; 5; 8). Öfters setztBalde den Gedichten das Thema voran, das bewiesen werden soll: lyr. I 2 „Moderatoribus obtemperandum esse"; lyr. I 13: „Jacturam divitiarum sapienti non aestimandum esse; lyr. 132 „Aetatem factis, non annis extendi." lyr. IV 3 „Quid est monarchia nisi triplex suspirium obtinendi, retinendi, amittendi?" (ähnlich: lyr. I 4; III 25; IV 6; 23; vgl. lyr. IV 1). Überschriften wie „Urna Minois sive iustum iudicium" lyr. II 15, „Lyra Pythagorae sive animus temperatis affectibus concors" lyr. II 21 erinnern an die doppelten Titel der Jesuitenkomödien, von denen der eine den Stoff, der andere die aus ihm sich ergebende Lehre andeutet (z. B. „Zeno sive ambitio felix." „Theophilus das ist: die Lieb des Menschen gegen Gott"2). Eine besondere Form reiner Verstandesdichtungen sind sodann dieWett- und S t r e i t g e d i c h t e , die Balde im Anschluß an fremde Vorbilder geschrieben hat. Die Eclogae Vergils sind in der Form, Namengebung, Schauplatz und vielen Wendungen nachgebildet in den Eclogae des 2. Buches der Wälder. Die Hirten Mopsus, Lycon, Alexis, Corydon, Tityrus, Menalcas, Lycidas preisen im Wettgesang den Jesusknaben (ecl. 1), die Lieblichkeit der himmlischen Mutter und ihres ') Inschrift in der Münchener Residenz, die auch Kurfürst Maximilian in seinem 1640 geschriebenen Mónita paterna zitiert, vgl. W. Münch, Gedanken über Fürstenerziehung (1909), S. 100. *) Vgl. Naumann, Serapeum Bd. 25, S. 335.

— 173 — Kindes (ecl. 3), suchen sich in ihren Liebesbeteuerungen zu beiden zu überbieten (ecl. 2), beklagen den Tod des Hirten Daphnis 1 ) (ecl. 4) und verfluchen seinen Verräter Idmon — Judas (ecl. 5). Ein ähnlicher "Wechselgesang zwischen dem Dichter und Michael Anguilla „De forma Yirginis Matris et Pueri Jesu" (lyr. IV 13) ahmt ein Gedicht des Horaz (III 9) nach, wiederum nach dem für solche Gedichte typischen Gesetz der gegenseitigen Überbietung und des Aufgreifens der Wendungen des Gegners.2) Gehen diese Formen des Gesprächs unmittelbar auf die klassischen Dichter zurück, so knüpft Balde mit den Dialogen des 1. und 6. Buches der Wälder an die Entwicklung des mittelalterlichen Streitgedichts an,3) das freilich mit seinen Anfängen gleichfalls in der Antike wurzelt, sich aber selbständig weitergebildet hat und in der Form von Allegorien seit dem Ende des 13. Jahrhunderts sich großer Beliebtheit erfreute. Die Kämpfe um den Vorzug, zu denen das älteste erhaltene ma. Streitgedicht gehört, der dem Alcuin zugeschriebene „Conflictus veris et hiemis",4) standen besonders in Gunst. Sie gaben dem gelehrten Verfasser Ge') Auch Friedr. v. Spee besingt in mehreren Eklogen Christus unter dem Namen Daphnis (Trutznachtigall 39, 40, 41, 44, 45, 47, 48). 2 ) Vgl. Horaz hersg. v. Nauck Anm. zu III 9. 3 ) Vgl. Herrn. Jantzen, Geschichte des deutschen Streitgedichtes im Mittelalter ( = Germ. Abh. hrsg. v. F. Vogt. XIII.) 1896. 4 ) Vgl. zu diesem Gedicht Grimm, Deutsche Mythologie4 S. 563. B. hat diesen conflictus sicher gekannt, wenn nicht aus anderer Quelle so aus dem „ A m p h i t h e a t r u m s a p i e n t i a e Socraticae iocoseriae" des Casp. Dornavius (1619). Diese umfängliche Sammlung meist lateinischer Gedichte antiker und neuerer Autoren, nach Stoffen geordnet, ist ein wahres Pantheon all der Dichtungen, in denen gelehrte Neulateiner ihre Kunst, einem auch von B. befolgten Grundsatz nach, gerade an unbedeutenden Gegenständen zu zeigen sich bemühen. B. scheint diese Sammlung gekannt und ihr mehrere Motive entnommen zu haben, zu Amph. I 151 ss. Gedichte über die Bienen von Vergil, Stigelius, Chytraeus vgl. Baldes Apiarium silv. II; zu Amph. I 628 Gedichte auf das Bier, darunter eine Lobrede auf das Breslauer Bier in der Form einer Parodie von Horaz carm. IV 3 vgl. Baldes Verwünschung des Bierkrugs lyr. I 12 in der Form einer Parodie von Horaz III 21; zu Amph. I 718 mehrere Gedichte an den Schlaf von Pontanus, Politianus, J. C. Scaliger, Chytraeus vgl. B. lyr. II 36 Ad somnum; zu

— 174 — legenheit, seine dialektische Kunst, seine Schlagfertigkeit, seine Gelehrsamkeit zur Schau zu stellen. Im 6. Buch der Wälder läßt Balde einen Riesen und einen Zwerg um den Yorzug streiten. Drei lange Gedichte hindurch disputieren beide in Strophe um Strophe wechselnder Rede und werden schließlich durch den Tod in Person auf die Eitelkeit und Hinfälligkeit aller irdischen Größe und die alleinige Dauer der virtus hingewiesen. Nicht so reizlos wie diese Jugenddichtungen 1 ) sind die Gespräche des ersten Buches der Wälder, in denen der Dichter seine Schüler, die beiden ältesten Söhne des Herzogs Albert VI., für und gegen die Jagd streiten läßt. 2 ) Der Streit zwischen Leib und Seele, den Balde später in einer großartigen Vision ausgestaltet hat, 3 ) hat den Dichter schon früher einmal beschäftigt, wie aus der Überschrift zur 16. Epode hervorgeht. Hier sagt er von diesem Dialogus Yoluptatis et Continentiae: „Est autem haec ipsa lucta carnis et spiritus in D. Augustino, quam descripsit 1. 8. Confess. c. 11". Dieser Dialog besteht nicht aus mehreren Wechselreden, sondern aus je einer längeren Rede der beiden Disputanten ; erst versucht die Yoluptas ihren alten Freund an sich zu fesseln, dann spricht die Continentia dem Schwankenden ins Gewissen. Der Vergleich mit einem der ältesten Streitgedichte der Weltliteratur, der Allegorie von Herkules am Scheidewege 4 ) liegt nahe, drängt sich aber ebenso stark Amph. I 822 Th. Morus Utopia vgl. B. lyr. III 3 5 ; zu Amph. II 196 — 2 6 0 Lobreden und Gedichte auf das Podagra vgl. B. Solatium Podagricorum 0 . o. IV 6 2 — 1 2 5 ; zu Amph. II 262 Lob der Blindheit von Cicero, Vulteius vgl. B. silv. V 15. Den Anfang der Gedichte des Amph. bildet eine lat. Übersetzung der Batrachomyomachia, die auch von B. bearbeitet wurde. Hier finden wir auch einige Prosaschriften des von B. mehrfach (z. B. 0 . o. III 3) genannten Erycius Puteanus (1574—1646, vgl. Jöcher VI 1 0 6 6 - 7 1 ) Amph. I 420 Ovi encomium; I 772, Parvorum encomium; 1 777, Democritus; II 264 Sclopus. ') Vgl. unten S. 223 f. ) Vgl. oben S. 160 ff. 3 ) Eines der für den 3. Teil der „Urania victrix" bestimmten stücke 0 . o. V. 255—263, vgl. Bach S. 106. 4 ) Eine leider verlorene dramatische Bearbeitung dieses von Seb. Brant wurde 1512 in Straßburg aufgeführt, über dramatische Bearbeitungen im 16. Jahrhundert von Pinicianus, s

BruchStoffes andere einem

— 175 — schon bei dem Text des hl. Augustinus auf. Diese Art der Darstellung eines seelischen Konfliktes ist ja auch so naheliegend, daß die Dichter seit der Psychomachia des Prudentius, der „ersten rein allegorischen Dichtung in der Literatur des Abendlandes" 1 ), immer wieder zu dieser Form gegriffen haben. 2 ) Dem Dialog ist die Bemerkung vorangesetzt „Auetor theatrali scenae accomodavit". Diese Anpassung an die Bühnenpraxis besteht in der Anwendung des Verses der römischen Komödie, des jambischen Senars, der sich hier zum einzigen Mal in den lyrischen Dichtungen findet. — Noch eines ist zu bemerken: Balde scheut sich nicht, diesem moraralischen Dialogus die Bemerkung vorzusetzen „Exemplo Horatii in lib. Epod. X I I . inter eundem et Canidiam". Das ist eine Epode, auf die Goethes Wort von dem „furchtbaren Realismus" des Horaz wie auf wenige andere zutrifft. Eine den bisher besprochenen ähnliche Form bieten einige Gedichte dar, die zwar keine eigentlichen Gespräche mit Frage und Antwort, aber doch Wechselreden enthalten. Das sind zunächt die „Threnodien" des 4. Buches der Wälder. Nach der Angabe der Vorrede sprechen hier der Dichter und die klagende Germania. Die dichterische Konzeption dieser Wechselgespräche vollzog sich unter der Vorstellung und in den äußeren Formen der dramatischen Aufführung, dafür zeugt diese Vorrede, in der Balde den Schauplatz, sowie das Aussehen und Gebaren der Germania ausführlich beschreibt. Der ganz unregelmäßige Wechsel der Rede ist im Druck jedesmal durch ein Zeichen angedeutet; doch bleibt es vielfach ungewiß und auch gleichgültig, wer spricht. Die Fiktion der Wechselrede zwischen dem Dichter und einem Schüler in der Dichtkunst finden wir ferner in der Ode silv. V 16. Die von dem Schüler vorgetragenen dichteFreunde Lochers, 1510, von Chelidonius 1515, vgl. Creizenach, Gesch. d. n. Dramas II (1901) S. 42. ') A. Ebert, Allg. Gesch. d. Lit. d. Mittelalters im Abendlande bis zum Beginn d. XI. Jhs., 2. Aufl. I (1889), S. 280 f. 2 ) Vgl. K. Raab, Über vier allegorische Motive in d. lat. u. dtsch. Literatur d. Mittelalters (Jb. des Landes-Obergymnasiums zu Leoben) 1885. S. 25 ff.; dazu Nachträge bes. aus d. mhd. Poesie bei J. Seemüller, Seifrid Helbling, Halle 1886, S. 364 £f.

— 176 — rischen Versuche wechseln mit den Belehrungen des Meisters. In der Ode silv. V 18 weist der Dichter, der einen Freund vor dem ehelichen Leben warnen will, all seine Einwürfe zugunsten seiner Braut ab. Schließlich sei noch auf das Gedicht silv. I X 28 hingewiesen, das in die beliebte Gattung der Echodichtungen gehört. Dem Übergewicht der Reflexion in Baldes Dichtung entspricht seine Neigung zar A l l e g o r i e . Allegorische Gestalten, personifizierte Abstrakte verwendet er selten, aber er liebt durchgeführte Yergleiche, allegorische Darstellung eines abstrakten Gedankens oder Begriffs. Einige Gedichte Baldes lassen sich schon aus dem Titel als Allegorien erkennen, ohne daß sie als Allegorien ausdrücklich bezeichnet werden: „Pecunia s e r p e n s lyr. I I 19 (die verderbliche Wirkung des Geldes); „Humana vita laboriosa n a v i g a t i o " lyr. I I I 3 3 ; „Sacra t e m p e s t a s exundantis Oeni sive Flavii Pollonis salutaris ac vehemens concio de aeternitate" lyr. III. 8. Nur dreimal bezeichnet Balde die Gedichte selbst als Allegorien,1) so: „Celeusma Marianum sive laudes divae virginis ex ss. litteris. Allegoria" lyr. I I 1 (Preis der Gottesmutter unter dem biblischen Bild des Schiffes, das Reichtümer aus allen Ländern gesammelt hat. Vgl. Sprüche Salomos 31, 14. Könige I 9, 26—28); „Ode. Crucem et Christi latus ómnibus tutissimum asylum esse. Allegoria" silv. I I ap. 4 (wie die Bienen in der im „apiarium" behandelten Legende sicher in der Seitenhöhlung eines Christusbildes nisten, so sind die Menschen unter Christi Schutz gesichert); „De triplici intemperie secundi sensus humani corporis. Allegoria. Ebrietas in sicco navigans", silv. IX 23. Moralisierend wie die Mehrzahl dieser Allegorien ist auch der allegorische Yergleich des menschlichen Herzens mit einer Leier mit den Saiten: Hoffnung, Furcht, Begierde, Haß, Schmerz, Freude, Zorn, Liebe, die die „virtus" schlagen soll: „Lyra Pythagorae sive ') außer IV 3 7 ; silv. I II 3 8 ;

Die Bezeichnungen, die B. seinen Gedichten voransetzt, sind dem häufigen „Ode": ,.Enthusiasmus" lyr. I 2 5 ; II 3 9 ; III 4 7 ; 3 9 ; 4 5 ; silv. V 5 ; VII 4 ; 6 ; 8 ; 11; IX 1 8 ; 2 5 ; „Dithyrambus" 1 7 ; II Parth. 6 ; „ P a e a n " lyr. II 3 ; 17 „Panegyris lyrica" lyr. III 2 6 ; IV 2 7 ; „Vaticinium" lyr. IV 35.

— 177 — animus temperatis affectibus concors", lyr. I I 21; ferner die Beschreibung der Gefahren des Hoflebens unter dem Bilde des hohen Meeres: lyr. I I 6 (v. 5—10 est aula pontus); und schließlich das umfangreichste Gedicht der beiden Sammlungen: silv. V I I I 1 0 : die von dem Ordensstifter vorgeschriebenen geistlichen Übungen absolviert der Dichter in der Form einer Betrachtung von Gemälden des hl. Michael, des Paradieses, der Hölle. Dem Jesuitenorden ist auch die Allegorie von den glückseligen Inseln gewidmet, in deren Schutz zu fliehen Balde die Schüler des Münchener Gymnasiums auffordert, silv. Y I I 9. Unfreundlich ist zwar das Aussehen der glücklichen Insel in dem großen Ozean, ein starrer Felsengürtel schreckt die Schiffer, doch ewiger Frühling lacht über dem von all den bösen Geistern der Curae, Luxus, Error, Luctus, Furor, Metus befreiten Land, wo Yirtus, Pudor, Modestia, Temperies, Lex, Yeritas wohnen. Das von Balde öfters behandelte Thema von den Nachteilen und Gefahren des Ehelebens wird einmal scherzhaft gewendet in der Epode „Testudo nuptialis sive exemplar optimae coniugis", ep. 1 2 ; der Dichter läßt seinen Freund Carolus Brisonius seine Leier besingen, mit der er nun schon fünfzehn Jahre in glücklicher Ehe zusammenlebe. Die Form der Allegorie benutzt Balde auch mehrfach, um die immer wiederholten patriotischen Ermahnungen zu variieren. Er schildert die Einholung des trojanischen Pferdes 1 ) und den törichten Sinn der dem Untergang geweihten Dardaner: so haben die Deutschen den Gustav Adolph ins Land gerufen, so wollen sie sich selbst vernichten lyr. I 8. Das Schachspiel beschreibt Balde mit Hindeutung l ) Der Straßburger Michael Hospein hatte eine Tragödie Equus Trojanus im Jahre 1590 bei Bertram in Straßburg drucken und im gleichen J a h r e auf dem Akademietheater aufführen lassen. Dies Schuldrama schließt sich aufs engste der Erzählung des Vergil an und verzichtet auf zeitgeschichtliche- Beziehungen. (Goedeke, Grundriß III 142, 57. Jundt. Die dramat. Aufführungen im Gymn. zu Straßburg [1881], S. 41. S t a c h e l : Seneca S. 53f.) Vielleicht hat B. von diesem Drama, von dem spätere Aufführungen nicht bezeugt sind, gehört und ließ sich dadurch zu seiner allegorischen Verwendung des Stoffes veranlassen.

H e n r i c h , Jakob Balde.

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— 178 — auf die Kämpfe auf größerem Schauplatz und richtet die Mahnung an den Kaiser: Rex Adraste pedem tu quoque promove lyr. I I I 13, 77. Die deutschen Fürsten ermahnt er, sich zusammenzuschließen zu einem gordischen Knoten, den kein Gustav zerhauen solle silv. I X 15. Er schildert ein greuliches Ungeheuer, den Krieg, das er die Friedensversammlung zu Münster zu verbrennen bittet silv. I X 20 und 21. Den im Auftrag Maximilians umworbenen französischen Diplomaten Avaux feiert er in der Allegorie „De agro cui benedixit Dominus" silv. I X 2 : sein Geist ist ein gesegneter Acker, besät mit dem Samen des Ruhms, auf dem die Blumen der Weisheit, Tugend, Beredsamkeit, des klugen Rates blühen. Hierher gehört auch die große Allegorie auf die Geschichte der bayrischen Hofhistoriographie (silv. Y I I 16), die ohne eingehenden Kommentar unverständlich bleibt. Die p e r s o n i f i z i e r e n de A l l e g o r i e ist inBaldes lyrischen Dichtungen ziemlich selten. Die typische Anlage dieser im Mittelalter so beliebten Dichtungen mit dem obligaten Natureingang finden wir in der Ode „Omnisparentis Naturae iusta querela adversus ingratos mortales" lyr. IV 9: wie der Dichter einst am Ufer der Isar sitzt, am Rande des Waldes, erscheint ihm plötzlich ein Weib mit turmhohem Haupt, weißem, wirrem Haar, das Gesicht vom Pfluge des Alters gefurcht, die Brust entblößt: 1 ) Natura. Und sie klagt über die Entartung und Unnatur der Menschen. Die seit Bernhard von Clairvaux bis ins 18. Jahrhundert vielfach zu allegorischen Parabeln verwendete Psalmstelle 85 (84), 11 „Misericordia et Veritas obviaverunt sibi, Iustitia et Pax osculatae sunt" wird auch von Balde zu einer Allegorie benutzt: silv. I X 24. Hier ist es ein Traum, der den Dichter die beiden Frauen schauen läßt. Gerechtigkeit in kriegerischer Rüstung und Friede mit den ') Diese Beschreibung scheint einer ähnlichen Stelle in des Ap. Sidonius Panegyricus auf Kaiser Julius Valerius nachgebildet zu sein (Mon. Germ. hist. auct. ant. tom. VIII 188), dort heißt es v. 1 3 : Sederat exerto bellatrix pectore R o m a cristatum turrita caput, cui pone capaci casside prolapsus perfundit terga capillus.



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Symbolen des Glücks und der Ruhe 1 ) begegnen sich und nachdem sie sich dreimal von einander abgewendet, tauschen sie Umarmung und Kuß und wechseln Waffen und Kleid. Der schon besprochene Dialogus Yoluptatis et Continentiae ep. 16 ist die dritte personifizierende Allegorie der Baldeschen Lyrica. Der verstandesmäßige Charakter der Baldeschen Dichtung zeigt sich endlich in seiner Vorliebe für knappgefaßte Lehrsätze, für Sentenzen, die er auch nicht moralisierenden Dichtungen einzustreuen pflegt. Auch in den Gedichten, die sich e r z ä h l e n d o d e r b e s c h r e i b e n d mit irgend einem Gegenstand befassen, wird das Objekt fast immer Veranlassung zur Reflexion oder zur religiösen Erhebung (z. B. lyr. I I I 2 ; 1 1 ; 20). Das an den Schönheiten der Welt, an dem Reiz irgend welchen Geschehens sich erfreuende Auge kehrt immer -wieder zu dem moralischen Fundament aller Dinge und alles Lebens zurück. Es fehlt ganz das eigentliche Interesse an Stoff und Handlung. Balde hat nur ganz wenige konkrete Stoffe behandelt. Seine Motive sind abstrakte Gedanken, religiöse Bitten, patriotische Ermahnungen. Seiner Dichtung fehlt durchaus das eigene Erlebnis, der farbenreiche Untergrund eines vielbewegten, an menschlichen Freuden und Leiden, Interessen und Leidenschaften reichen Schicksals. Ein wechselvolles Wanderleben, wie es sich etwa in den Dichtungen der Celtis, Mich. Toxites, Frischlin spiegelt und ihnen immer ein stoffliches Interesse sichert, war dem frühzeitig im Schöße seines Ordens geborgenen- Geistlichen erspart. Von den politischen abgesehen, fehlen äußere Ereignisse ganz oder aber sie berühren nicht den Dichter selbst, sondern irgend eine der meist unbekannten Persönlichkeiten, denen Balde seine Gedichte zu widmen pflegte. Wir vermissen das ') Ähnlich wie im Scheirer Rhythmus von der Erlösung werden hier also im Gegensatz zur gewöhnlichen Behandlung dieses Motivs von den vier Töchtern Gottes Veritas und Iustitia einerseits und Misericordia und P a x andererseits — sicher im Sinne des Psalmisten — identifiziert. Vgl. Zs. f. d. Alt. 23, 186. Über das Motiv von den vier Töchtern Gottes vgl. ferner Heinzel Zs. f. d. A. 17, 4 3 — 5 1 . Raab, Vier allegorische Motive S. 9 ff.; dort weitere Literatur.

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Menschlich-Interessante. Wie wenig Sinn der Dichter für das reine Geschehen hat, zeigt z. B. ein Gedicht wie lyr. III 37. „Ad Paulum Curmionem cum milites abditam eius pecuniam, indicio virgulae magicae repertam, effodissent". Ohne auf die Erzählung des Ereignisses einzugehn, nimmt der Dichter Veranlassung, dem Mann, der so töricht an irdischen Schätzen hängt, eine Predigt zu erteilen über die Nichtigkeit alles Erdenguts und den Vorzug der Genügsamkeit. Der ergiebige Stoff für eine spannende Erzählung von dem Vergraben des Schatzes an einem verborgenen Orte, dem Suchen und Forschen nach dem Versteck, dem Gebrauch des Zaubermittels mit seinen Aufregungen bleibt unbenutzt. Wo Balde sich an das Stoffliche hält, spricht er nicht als Erzähler, der die Ereignisse in ihrem Aufeinanderfolgen miterlebt, sondern als der Schilderer, der das Nebeneinander der Erscheinungen uns vorführt. Diese Art zu sehen und darzustellen mag ihren Grund haben in Baldes religiöser Weltanschauung und Berufstätigkeit. Dem auf das Jenseits gerichteten Geist erscheinen die Dinge dieser Welt ihrer äußeren Form nach zufällig, unbedeutend, gleichgültig. Alles Geschehen, alle Erdendinge sind nichtig im Vergleich mit Gott und Ewigkeit, alle sind gleich vergänglich: so sind sie alle relativ gleich und gleichzeitig; der religiöse Geist kommt notwendigerweise zur Form der Betrachtung, seine Darstellung wird Schilderung, Aufzählung des Nebeneinander, des Gleichzeitigen. So entsteht auf moralischem Gebiet die Betrachtung, auf sinnlichem die Schilderung. Daß es Balde an Erzählertalent eigentlich nicht mangelte, beweisen ein paar vereinzelte Gedichte, von denen freilich nur eines sich durch Einheitlichkeit der Stimmung auszeichnet: die frei erfundene Fabel von der Entdeckung des Tabaks durch Diana, die einmal dem Götterboten mit diesem wundertätigen Kraut aus der Not hilft silv. VIII 6. Persönlichen Gehalt wie diese Rechtfertigung des Dichters hat auch die oben erläuterte Erzählung von der Metamorphose der Leier silv. I X 29. Die seltsame Geschichte von dem bayrischen Mädchen, daß sich in einem Sarge in einer Leichenhalle verbarg und dadurch dem spürenden Feinde



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entging, ist durch den Inhalt und die verhältnismäßig einfach vorgetragene Erzählung bemerkenswert (lyr. I I I 26).») Das öfter behandelte 2 ) Motiv von der Wanderung der durch die Türken aus Griechenland vertriebenen Musen bearbeitet Balde silv. Y 19 mit einer gewissen Anmut und nicht ohne Humor. Die Form der Legende werden wir bei einem klassizistischen Dichter nicht häufig zu finden erwarten. Diese von Baldes Ordens- und Zeitgenossen Angelinus Gazaeus mit Yorliebe gepflegte Dichtungsart begegnet uns nur an zwei Stellen seiner lyrischen Gedichte. Beide Male ergibt sich aus der Verbindung christlichen Wunderglaubens mit antiken Vorstellungsformen eine eigentümlicheMischform. Die Bienenlegende im humanistischen Gewände des Apiarium (silv. II) wurde oben (S. 97 f.) besprochen. Die andere legendenhafte Erzählung ist offenbar eine freie Erfindung Baldes. Es ist die Erzählung von dem Ursprung der Linde vor der Kapelle zu Otting (ep. 7). Eine Jungfrau zu Zabern soll, um ihre Keuschheit zu bewahren, ihren sie zur Heirat drängenden Eltern entflohen und nach langen Wanderungen zu der Kapelle gekommen sein. Hier verbrachte sie im Dienste der Gottesmutter ihr Leben und wurde nach ihrem Tode zum Lohn in eine Linde verwandelt. Diese Ovid nachempfundene Metamorphose charakterisiert sich durch ihre Mischung humanistischer und christlicher Motive als eine Erfindung Baldes. Die Sage von der hl. Odilie hat ihm dabei offenbar vorgeschwebt ') „Prope Ingolstadium. Anno huius saeculi XXXII" (Angabe der von Balde veranstalteten Sammlung seiner Mariengedichte unter dem Titel „Odae Partheniae" S. 93). Dieses Gedicht hat der elsässische Dichter Renaud (Vulpinus) in einer Ballade „Schön-Amerill" bearbeitet. (Auslese [1900] S. 88). *) z. B. von Georgius Calaminus, Erycius Puteanus (van der Born) Hans Sachs, Fleming, Klaj. Das Gedicht von Joh. Klaj „Die zigeunerische Kunstgöttinnen oder Der freyen Künste und Wissenschaften Reisefahrt aus einem Königreiche in das ander" ( = Frauenzimmergesprächspiele VI. [1646] Lobgedichte Nr. X) ist eine großenteils wörtliche Übersetzung dieser B.sehen Ode. Die Quelle wird verschwiegen (auch von A. Franz. J. Klaj. = Elsters Beitr. VI [1908] nicht genannt).



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und ihm das Motiv der Flucht und die elsässische Heimat geliehen. Dieser Zusammenhang wird bestätigt durch den Namen der Jungfrau: die stammelnden Eltern nennen sie statt filia: Tilia — eine Ahnung ihres späteren Schicksals (tilia=Linde). Und diese tilia steht vor der Kapelle zu Otting. Die spielerische Verwendung und Verbergung des Namens ist ganz im Stil Baldes. In einer Zeit formaler Kunstfertigkeit und innerer dichterischer Unselbständigkeit war die nachahmende Umarbeitung fremder Erzeugnisse, die P a r a p h r a s e eine viel beliebte Übung. In der religiösen Dichtung der Neulateiner finden wir zahlreiche Paraphrasen kirchlicher Texte, vor allem der Psalmen und des Hohen Liedes. 1 ) Auf katholischer Seite außerdem glossierende Umschreibungen von Gebeten, des Ave Maria u. dgl., die sich an die ältere Hymnen- und Sequenzendichtung anschließen. Dieser literarischen Mode zahlte auch B. seinen Tribut, aber nicht in der handwerksmäßigen Weise der Mehrzahl derartiger Paraphrasen. In der schönen Umschreibung der lauretanischen Litanei zeigt er sich als wahren Dichter silv. I X 35 (vgl. oben S. 106 ff). Den englischen Gruß paraphrasiert er in klassischen Metren nach Art eines Glossenliedes2) silv. I I Parth. 4. In anderen Dichtungen schließt er sich weniger eng an das Gegebene an. Der biblische Text wird erweitert und bereichert: lyr. I I 12 nach Hoheslied 8, 1 4 ; das biblische Motiv wird zum Inhalt eines Gelegenheitsgedichts: Schilderung eines Mariengemäldes von Rubens zu Freising nach Apoc. 12, 1 (dieses Motiv wird wiederholt verwendet), oder es gibt die Einkleidung für einen anderen Stoff: silv. I X 24 nach Psalm 85, 11. Eine ganz eigentümliche Art paraphrasierender Dichtung haben wir in den beiden Oden silv. Y I I 6 und 11. Beide geben biblische Erzählungen wieder. Aber das sind keine Paraphrasen, keine poetischen Umschreibungen des biblischen Textes unter Beibehaltung des erzählenden Stiles der Schrift. Der historische, objektive Bericht wird umgesetzt in affekt' ) Vgl. Ellinger, Deutsche Lyriker des 16. Jahrhunderts. S. IV. *) Vgl. über d i e s e : Mone, Lateinische Hymnen des M. A. II 91.

— 183 — volle, lebhaft bewegte Schilderang des Augenzeugen, an die Stelle der Erzählung eines Vergangenen tritt die Vision des gegenwärtigen Geschehens, die mit Ausrufen und Fragen der Überraschung, des Staunens, der Entrüstung reichlich durchsetzte Schilderung eines lebhaft ergriffenen Zuschauers. Diese rhetorischen Paraphrasen gleichen dem dramatischen Bericht des Zuschauers auf der Bühne über Vorgänge hinter der Szene. — Hier sei auch die Parodie auf ein profanes Liebeslied des 2. Jahrhunderts der römischen Kaiserzeit erwähnt, das auch von Bürger in seiner „Nachtfeier der Venus" und von Fleming bearbeitete „Pervigilium Veneris" 1 ) „Nunc amet, quae non amavit, quaeque amavit, nunc amet." Diese Umdichtung steht in Baldes „Philomela" (1645) X X V I I I . { = 0 . o. VI. 249.) Als die am unmittelbarsten dem Gefühl des Dichters Ausdruck gebenden lyrischen Gedichte wurden oben die Mariengedichte eingehend charakterisiert. Die Form, in der sich Baldes Empfinden äußert, ist die des Preises und der Bitte, auch die des Dankes, jedoch nicht des Dankes für selbstempfangene Wohltaten. Selten spricht der Dichter von seinem eigenen Gefühl, seiner Liebe, seinem Vertrauen zur Gottesmutter. Er gibt keine Bekenntnisse seines seelischen Zustandes, keine Gefühlsbeschreibungen. Das eigene Subjekt verschwindet vor dem gepriesenen Objekt, löst sich auf in dem Preis des Objekts. Die gesteigerte Form des hymnischen Preisgedichtes ist die gewöhnliche Form der Baldeschen Anreden an Maria. Die Mehrzahl seiner Mariengedichte sind Hymnen; allerdings nicht Hymnen im strengen Sinne. Die Hvmnologie unterscheidet in der mittelalterlichen Hymnendichtung allgemein gehaltene, für den Chorgesang gedachte und mehr persönlich gefärbte Hymnen (liturgische und außerliturgische Hymnen). 2 ) Mit den außerliturgischen Hymnen haben Baldes ') Vgl. ßernhardy, Grundriß der römischen Literatur 5. Bearbeitung. Braunschweig (1872) S. 313 — 316. — Das lateinische Original gedruckt in Rieses Anthologia latina I. 1 (1869), S. 144. ") Vgl. hierzu: Drews, Realenzyclopädie für protest. Theol. 3. Aufl. X. (1901), S. 409 ff. u. Dreves, Analecta hymnica Leipzig XI (1891), S. 6.

— 184 — Mariengedichte den persönlichen Gehalt gemein, jedoch ist dies Persönliche bei Balde in einer "Weise prononziert, daß sie dadurch dem Gebrauch einer wenn auch beschränkten Gemeinde entrückt sind, daß sie nicht mehr als Gebet, als Gesang einer Mehrzahl gelten können. Sie enthalten vielfache Beziehungen auf des Dichters Persönlickeit und Umgebung, seinen Fürsten, sein Land. Es fehlt ihnen durchaus das Charakteristikum der Allgemeingültigkeit. Auch die klassischquantitierenden Versmaße scheiden diese Gesänge von den Hymnen und ihren meist akzentuierenden Versmaßen, in denen nur drei Gedichte Baldes geschrieben sind. Dieselbe Tendenz, die an die Stelle des ruhigen Gefühls hymnische Begeisterung treten läßt, die Tendenz der Steigerung beherrscht die Baldesche Lyrik überhaupt und bestimmt ihre formale Gestaltung. Sie macht sich in der Sprache in der gedrängten pathetischen Rhetorik geltend, in der Sucht nach dem Kühnen, Ungewohnten, Imponierenden. Auch die Anschauung und Darstellung der realen Welt wird durch diese Tendenz beherrscht. Die anschauende Phantasie gerät in Begeisterung, in Verzückung, gibt den geschauten Wirklichkeiten kühn-phantastische Deutungen oder zaubert sich im Traum oder in der Vision ferne und unmögliche Bilder vor das geistige Auge. Wie im Hymnus das Gefühlsleben, so erscheint hier das Vorstellungsleben in gesteigerter Form. Den poetischen Traum, die nächstliegende und bescheidenste Form dieses der gemeinen Wirklichkeit entrückten geistigen Schauens, finden wir als beliebtes Motiv bei den Nürnbergern, nur vereinzelt bei Balde in der Erscheinung der beiden Gestalten Krieg und Frieden silv. I X 24 und in den Fieberphantasien des todkranken Dichters silv. VIII 1. Das geistige Schauen nimmt bei ihm in der Regel die großartigeren Formen der Vision oder der Prophetie an, in denen seine Phantasie aufs kühnste ausschreitet. Die von starkem Gefühl getragenen Oden bezeichnet Balde gerne als „Enthusiasmen". Hier ist zunächst zu nennen die Ode „Choreae mortuales" lyr. I I 33, ein Gesang der Geister, ein Totentanz. Mit virtuoser Sprachkunst versetzt uns der Dichter in die

— 185 — gespenstische Situation, das phantastische Durcheinander der verschiedensten Gestalten: Greise und Jungfrauen, Bischöfe und Bauern im ungewiß flirrenden Mondlicht (v. 1 —12) und läßt uns den lautlosen Tanz der Schatten sehen (v. 24—32). Wie ein Spuk, wie eine Vision auf dem nächtlichen Kirchhof zieht das Ganze an uns vorbei. Das Gedicht enthält ohne epischen Eingang oder Schluß nur den Gesang der Geister, die sich schließlich an den noch lebenden Zuschauer mit ernster Mahnung wenden. Abgesehen von diesem Schluß meldet sich die Reflexion in dieser Geisterphantasie nur in dem Gedanken von der Gleichheit aller im Tode (v. 15). — Dieser Gedanke tritt viel stärker hervor in den beiden Kirchhofsgedichten, die aber auch mit ihrer hellseherischen Phantasie visionären Charakter haben. „Enthusiasmus in coemeterio" sind die beiden von Andreas Gryphius in seinen Kirchhofsgedanken übersetzten 1 ) Oden (lyr. II 39; silv. VII 8) überschrieben. Die erste verweilt zunächst bei dem Anblik der Ruhe, zu der die Stürme des Lebens, Leidenschaften und wildes Begehren gedämpft sind, ergeht sich dann in Betrachtungen über die unaufhörlichen Veränderungen im Leben des einzelnen Menschen, die erst mit dem Tode ein Ende finden, und malt endlich die alles gleichmachende, alle Schönheit zerstörende Gewalt des Todes aus. Mit grausigem Behagen werden die Zerstörungen des Todes, die Ekel der Verwesung in realistischen Einzelheiten geschildert (besonders v. 74 — 80). Treibt hier der Anblick des Kirchhofes die Phantasie des Dichters in einen exaltierten Zustand, in dem sie die im Grab verborgenen Greuel der Verwesung zu sehen glaubt, so steigert sich die phantastische Erregung in der anderen Kirchhofsode so, daß der Dichter, der mit den Ereignissen des jüngsten Tages sich beschäftigte, plötzlich voll Grausen die Toten sich erheben zu sehen glaubt (silv. VII 8, 83 ff). Im übrigen ergeht sich diese Ode mit unaufhörlichen Antithesen in der Betrachtung der rücksichtslosen Gewalt des Todes, der Gute und Böse, die Jungfrau neben der ') Vgl. Manheimer, Die Lyrik des A. Gryphius. Berlin 1904. S. 145 ff.



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Buhlerin, die Unschuld neben dem Laster lagert, jene zu künftiger Seeligkeit, diese zu ewiger Qual. Von Visionen sind dann ferner zu nennen: das Neckbild des mit dem Lorbeer um des Dichters Stirne schwebenden Genius, der ihm den Lorbeer immer wieder entführt, wenn er danach greift lyr. III 4 8 ; die Erscheinung der klagenden Natur lyr. I V 9 ; die Erscheinung der Thalia und der vier Schwäne, die dem Dichter eine neue Leier bringen silv. I X 3 ; die visionäre Schilderung der Gottesmutter „qualem in mentis excessu viderat" ep. 15. Wie diese an die hl. Schrift sich anschließend, durch die Lektüre eingegeben: die phantastisch-prunkvolle Schilderung des Streitrosses, das der Dichter dem kaiserlichen Offizier Philipp Wackermann schenkt lyr. IV 2 4 ; der „Enthusiasmus quem passus est Auetor, cum Genesin üb I. Pentateuchi Mosaici pervolutaret" silv. VII 6; die visionäre Paraphrase der biblischen Erzählung von König Jehu (2. Könige Kap. 9. 10), silv. VII 1 1 ; und schließlich die große Vision des „Somnium" silv. V I I 16, die Allegorie auf die bayrische Geschichtschreibung. Mit dem, was man gewöhnlich unter mittelalterlichen Visionen versteht, haben diese Dichtungen wenig zu tun. Die Visionen, die durch Gregors Dialogi in diö mittelalterliche Literatur eingeführt wurden,1) hatten teils den Zweck, durch Schilderung der Qualen der Gottlosen und der Freuden der Gerechten nach dem Tode die Menschen im allgemeinen zu einem gottgefälligen Leben zu bewegen, teils dienten sie politischen Interessen 2 ). Baldes Sammlungen der Lyrica enthalten keine derartige Vision. Das einzige Beispiel einer solchen finden wir unter den „Elegiae variae" des V. Bandes der Münchener Gesamtausgabe, das „Infelix coniugium sive Dialogus animae cum corpore" (0. o. V. 255—263), das als eigenartige lyrisch-dramatische Behandlung eines weitverbreiteten Motivs hier zur Besprechung herangezogen sei. ') Vgl. Raab, Vier allegorische Motive. ) Fritzsche, Die lat. Visionen d M. A. bis zur Mitte d. 12. Jh. Rom. Forsch. II (1886) 247 ff., III (1887) 337 ff. s

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Der schon im 10. Jahrhundert in einer angelsächsischen Handschrift nachweisbare,1) seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts weitverbreitete und in allen Sprachen bearbeitete „Conflictus animae et corporis",2) dessen bekannteste Fassung in der „Visio St. Philiberti" 3 ) bald Bernhard v. Clairvaux, bald Walther Mapes oder dem Erzpoeten und anderen 4) zugeschrieben wird, ist auch im Drama der Jesuiten behandelt worden. 1559 führte das Jesuitenkolleg zu Prag diesen Streit auf.5) Das bibliographische Verzeichnis von Bahlmann bringt nur ein „Animae et corporis bivium", das diesen Streit zwischen Leib und Seele während des Lebens und nicht in der typischen Weise nach dem Tode behandelt.6) In Wellers Sammlungen konnte ich kein Drama ähnlichen Inhalts finden. Doch ist damit das Fehlen dieses Stoffes auf deutschen Bühnen nicht bewiesen, da bisher erst eine verhältnismäßig geringe Zahl von Jesuitendramen dem Inhalt nach bekannt ist. Es ist mir nämlich wahrscheinlich, daß Balde die Anregung zur Bearbeitung dieses Themas durch die Bühne erhalten hat. Trotz der epischen Einkleidung weist sein Gedicht mancherlei dramatische Züge auf, die anderen Bearbeitungen fremd sind : die Schilderung des murmelnden Geräuschs, das stärker und stärker anschwillt, wie das aufgeregte Meer (v. 7 ff.), die Beschreibung der ungeheuerlichen Gestalt der Seele (v. 19 ff.), das spukhafte Gebaren des toten Körpers, der durch den Anruf der Seele aufgeweckt sich erhebt „Postquam sarcophagum quassit utraque manu" (v. 54 vgl. v. 166/7). ') Karajan, Frühlingsgabe für Freunde älterer Lit. (1839) S. 154ff. ) Jantzen, Gesch. d. dtsch. Streitgedichts. S. 13 ; dort weitere Lit. 3 ) Abgedruckt von Karajan a. a. 0 . 85 und besser von Th. Wright, The lat. poems commonly attributed to Walther Mapes (1841) 95 und Du Méril, Poésies pop. lat. ant. au 12« siècle, p. 217. 4 ) Vgl. Ch.-V. Langlois, La littérature goliardique = Revue bleue 50 (1892) S. 807 ff. 51 (1893) S. 174 ff. 6 ) Feifalik, Die altböhmischen Gedichte vom Streit zw. Seele und Leib. Sitz.-Ber. d. Wiener. Akd. phil.-hist. Kl. XXXVI. Eine andere dramatische Bearbeitung durch Frate Bonaventura Veniera erwähnt Em Giudici, Storia del Teatro in Italia. I. (1860) 168. 6 ) Aachen 1651. Hildesheim 1702. Bahlmann druckt das „Argumentum fabulae" ab S. 138—140. s



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Ein Vergleich der Baldeschen Dichtung mit der auch vielfach ins Deutsche übersetzten Fassung der Visio Philiberti ergibt mancherlei Verschiedenheiten. Epische Einkleidung (Einleitung, Schluß, Verbindung der Gespräche) ist beibehalten. Doch ist die in den sonstigen Bearbeitungen typische Situation geändert: es ist kein Traum, der die Geschichte dem schlafenden Mönch (so meistens!) vorgaukelt, der Dichter sieht sie mit wachen Augen. Ausdrücklich wird geschildert, wie ein unheimliches Geräusch auf der Straße den Schläfer weckt, wie der Schlaf entflieht, wie der Dichter ans Fenster tritt und in die Nacht hinauslauscht und wie er dann auf dem benachbarten Friedhof die Szene beobachtet (v. 1—26). Der Inhalt der Dialoge — die Vorwürfe der Anima, die Rechtfertigung des Corpus — ist der durch den Stoff gegebene und durch die stereotype Behandlung solcher Themata vorgezeichnete und im ganzen bei beiden gleich. Bei Balde sind die Gespräche weniger langatmig, der Wechsel der Rede häufiger, die Sprache leidenschaftlicher, derber, die Antwort rascher zufahrend (z. B. v. 151 bellua!). Die Schmährede der Seele auf den ekelhaften Zustand des einst so herrlichen Körpers (Vis. Ph. v. 19—31) fehlt bei Balde und ist ersetzt durch die Klage der Seele über ihren eigenen Zustand. In klassischen Antithesen ergeht sie sich über ihr Geschick (v. 39—42). Den Vorwurf des Leibes gegen die Seele: sie sei neidisch auf ihn, weil er vor dem höllischen Feuer bis zum jüngsten Gericht geschützt sei und vorläufig in tiefem Schlaf ruhen könne (57/8), hat nur Balde. Die Visio Phil, läßt die Einwirkung scholastischer Disputationsformen erkennen: die Seele spricht selbst davon, sie wolle mit dem Körper disputieren. Wie die Höflichkeit dem Opponenten gebot, dem Gegner in einzelnen Punkten recht zu geben, so erklärt einmal die Seele, ein andermal der Leib in Einzelheiten sich für besiegt (V. Ph. 107, 152). 1 ) Balde hat diese Formeln beiseite gelassen. Die neugierige Frage des Leibes, wie es denn in der Hölle aussehe, ob die Großen der Erde dort gebührend respektiert würden und ob ') Über diesen ,,débat scolastique" vgl. Th. Batiouchkof, bat de l'âme et du corps. Romania X X (1891) 516.

Le dé-

— 189 — man sich mit Geld und Gebet befreien könne, fehlt bei Balde. Die Motive des Nachspiels der V. Ph. mit der drastischen Schilderung der höllischen Dämonen und ihren erfinderischen Quälereien werden von Balde in mildernder Vordeutung in die letzte Rede der Seele verlegt, die mit anaphorisch fünfmal wiederholtem „ardebunt" die Qualen des höllischen Feuers, die der sämtlichen fünf Sinne1) warten, ausmalt. An Stelle des Fratzenspiels der Dämonen beschließt bei Balde ein wilder Aufruhr der Elemente die unheimliche Szene, von der der Dichter sich zitternd zu seinem Gott flüchtet. Die besprochene Elegie gehört zu den Fragmenten, die von dem 2. und 3. Teil der Urania victrix erhalten sind. Außer der Aufzählung der fünf Sinne gegen Schluß erinnert nichts an den Zusammenhang mit jenem Werk, und die Dichtung hat ihren selbständigen Wert. Die bisher besprochenen "Visionen enthalten phantastische Bilder, die sich dem Dichter darstellen, ohne daß er an dem Geschehen selbst teilnimmt. Etwas anders geartet sind einige Yisionen, in denen das phantastische Moment in der wunderbaren Art und Weise liegt, wie der Dichter wirkliche Dinge betrachtet. Dort ist das Objekt phantastisch, hier das Subjekt. Diese Yisionen erzählen von wunderbaren Luftreisen, von Flügen des Dichters nach fernen Landen, oder über Deutschland hin. In diesen Oden entrollt Balde Weltenbilder von einer in der neulateinischen Dichtung Deutschlands einzig dastehenden Größe der Phantasie. Hierher gehört vor allem die oben2) analysierte Ode lyr. III 1. Steigt der Dichter in diesem Gedicht von der Betrachtung der ') Batiouchkof veröffentlicht im Anhang zu dem angezogenen Aufsatz eine dem Macarius von Alexandrien zugeschriebene lateinische Prosalegende aus einer Hs. des 11. bis 12. Jahrhunderts, die denselben Stoff behandelt, und in der in ähnlicher Weise für Augen, Ohren, Herz, Hände, Füße des Sünders Strafe verlangt wird. Die Situation, die Darstellung von Vorgängen vor und beim Tode, die Gegenüberstellung eines Bösen und eines Guten und ihres Geschicks unterscheidet aber diese Vision wesentlich von den der Vis. Phil, nachgebildeten. s ) S. 168 f.

— 190 — Erde in überirdische Regionen auf, so hält sich sein Flug in einer ähnlichen Ode (silv. I X 18) in den Grenzen Deutschlands, dessen Elend und Not Gegenstand der Klage wird. Eine Sternenfahrt schildert wieder mit breitem Pathos die Ode „Coelum liquidum" lyr. I 5. Auf den Flügeln der göttlichen Dichtkunst läßt sich der Dichter auch nach jener Stadt fabelhafter Schrecken für die abendländische Christenheit, dem Herrschersitz des Halbmonds, Konstantinopel tragen (lyr. IV 36—39), dann wird er nach Ägypten entrückt und überschaut vom Gipfel einer Pyramide das unermeßlich sich dehnende Grab einer einst blühenden Kultur (lyr. III 47). Eine andere Reise geht in das Land, zu dem die Phantasie des Mittelalters sich so gern flüchtete, von dem alle unter Leid und Druck seufzenden Völker immer singen und sagen, nach Utopia,1) zu den glückseligen Inseln (lyr. I I I 35). In all diesen Oden erscheint der Dichter gleichsam als ein höheres "Wesen, das an die Gesetze dieser Welt nicht gebunden ist. Etwas Göttliches ist in ihm, das ihn plötzlich mit heiligem Feuer erfüllt. Ihm ist auch die Gabe verliehen, die Zukunft zu schauen, er wird zum P r o p h e t . Seinem Freund Michael Rabl, der nach Mexiko zu den Missionen reisen soll, kündet er an, daß er Deutschland nicht verlassen werde lyr. IV 18. Der Münchener Vorstadt Au weissagt er starke Entwicklung und Ausdehnnng lyr. I V 35. Von nationalem Pathos sind die Prophezeiungen über Deutschlands Schicksal erfüllt: „Belli, credite Teutones, nullus finis adhuc: nam Catalaunia" lyr. I 25, 55 (ähnlich silv.IX 25). Der Wandel von heiterer Laune zu edlem Schmerz über das Unglück des heimischen Elsaß ist ergreifend dargestellt in der Erzählung von der phrophetischen Echo im Hesseloher Hain, die allen Fragen des Dichters über Deutschlands Geschick günstige *) Balde hat vermutlich die Utopia des von ihm (lyr. I 3) besungenen Thomas Morus gekannt. Doch steht seine Dichtung dem Märchen vom Schlaraffenland näher als dem idealen Staatsroman des philosophischen Kanzlers Heinrichs VIII. Vgl. Gustav Louis, Th. Morus und seine Utopia. 1895. Wiss. Beil. z. Jahresbericht d. 11. städtischen Realschule zu Berlin, und die Einleitung von Th. Ziegler u.V. Michels zu der Ausgabe der Utopia in Herrmanns Lat. Literaturdenkmälern XI. 1895.

— 191 — Antwort gibt, bei seiner Frage nach dem Elsaß aber ihn nicht mehr neckend zu täuschen vermag und wehklagend entflieht silv. I X 28. Baldes Lyrik zeigt alle Merkmale jener rhetorischen Poesie, die im ersten christlichen Jahrhundert an die Stelle der klassischen Einfachheit trat und in dem Philosophen und Tragiker Seneca, den Lyrikern und Epikern Statius und Lucanus ihre Hauptvertreter fand. Baldes Vorliebe für das Ungewöhnliche, Großartige, Prunkvolle, seine Vorliebe für Beschreibungen und Sentenzen, die gewollte Steigerung des Gefühls- und Vorstellungslebens haben wir schon kennen gelernt. Auch in seinem Sprachstil kommt diese rhetorische Manier zum Ausdruck. Seine Sprache liebt das Pathetische, Wuchtige, Eindrucksvolle. E r häuft F r a g e n (lyr. I I 6, 41 ff.; I I 41, 13ff.; II 42; III 20, 26ff.; I I I 41, 9ff.; I I I 42, 1 ; silv. V 5, 77ff.), A u s r u f e (pro! en! io! o! heu! vah! lyr. I I 20, 5; III 1 111; I I I 4, 37; I 41, 23ff.), k u r z e a b g e r i s s e n e S ä t z e (lyr. I 5, 5 / 4 5 f . ; I 33, 4 5 f . ; I I I 47, 5/11/81; silv. I X 19, 53/69/73/85/117). Mit solchen markanten Wendungen beginnt er auch gern seine Gedichte (vgl. unten). Charakteristisch sind ferner e m p h a t i s c h e A n r e d e n und B e t e u e r u n g e n : credite posteri! lyr. I I 17, 17 (nach Horaz c. I I 19, 2), credite Teutones lyr. I 25, 55, credite vatibus lyr. I 5, 2, audite vatem lyr. I I 10, 5, haec dico vates lyr. I I 23, 1; I V 1, 6 1 ; silv. I X 8, 63 (11, 103), sowie der öfters verwendete I m p e r a t i v surge, surgite lyr. I 37, 2 1 ; IV 10, 4 1 ; 44, 33; silv. V 14, 1 3 9 ; V I I 1, 5 3 ; 8, 73. Die gesuchte Knappheit des Ausdrucks führt vielfach zu H ä r t e n (z. B. puer se mactat infantem lyr. I I 39, 3 0 ; te (mortem) generum sibi Adamus electum momordit lyr. III 4, 1 8 ; (nos) catenä colla dati Jyr. I V 39, 4 4 ; qui se sibi vindicat lyr. II 10, 4 5 ; neque contumaces asperat vultus (Maria) lyr. I I I 38, 22 u. ö.); zu G e r m a n i s m e n (z. B. sanguis post pretium lyr. I V 38, 5 4 ; sensum malorum perdidimus lyr. IV 39, 2 6 ; hilaris bicornem Luna ridet in sinum silv. I X 4, 4 8 ; faex haec hominum pingatur in albo silv. V 2, 41 u. ö.); zu h a r t e n M e t a p h e r n (z. B. ille Germanae Catilina Romae ( = Wallenstein) lyr. II 13, 1 0 2 ; ähnlich Alle-

— 192 — manicae Osiris Europae ( = Avaux) silv. I X 2, 50 ; Atticus et Cato misceantur lyr. I I 15, 32 ; manus ipsa ferrum . . . nec ulla ligneus ictu (Milo) lyr. I I 2, 10; mentes hiulcas gloria transsilit lyr. I I 6, 18; ähnlich lyr. I 7, 21; I I 16, 17; 10, 54/5; 17, 76; 36, 17/8; 26, 5 8 ; I I I 22, 6; 4, 14 u. v. a,). Das Streben nach Kürze des Ausdrucks veranlaßt auch den häufigen Gebrauch der Konstruktion des A d j e k t i v s mit dem I n f i n i t i v z. B. sin ames pravum . . . saevus irasci, timidus dolere lyr. I I 21, 25 ; Non sola iactet Koma Lucretias castum cruorem fundere prodigas lyr. I I 17, 1; in derselben Ode außerdem noch v. 14, 32, 70, ähnlich lyr. I 16, 13/18/36; II 3, 58; 6, 7; 13, 57; I I I 1, 70; 45, 63/71; I Y 1, 39/78/130; 2, 78; 3, 9/28; 5, 5; 16, 4 7 ; 25, 12/25; 27, 24; IV 37, 12; 38, 62/72 u. v. a. Sehr häufig ist das O x y m o r o n , z. B. dulce pondus, carum odium lyr. I I 8, 42 ; pauperies animosa splendei lyr. I I 15, 16; tristis voluptas, flebile gaudium lyr. I I 16, 1 ; viva funera lyr. I I 31, 14, ähnlich lyr. I I I 4. 27 ; severa gaudia lyr. I I 34, 25 ; grata protervitas lyr. I I I 1, 58 ; candida cornix silv. V 18, 120; ferner lyr. II 39, 18; I Y 9, 112/3; 11, 44; 29, 38; 30, 13. Den Eindruck der Rede zu steigern, verwendet der Dichter gerne die A n a p h e r , meist im Versanfang (sowohl Formwörter und Pronomina: ergo lyr. I 35, 46/7, te lyr. IV 27, 21, non ep. 9, 5/7, ut ep. 15, 67, hic silv. V I I 8, 7/12 u. 2 1 — 2 7 ; I X 14, 1 6 — 2 6 ; 28, 31/3, ter lyr. I I 26, 33, 3 5 ; 33, 2 9 — 3 1 ; 13, 9 7 ; III 6, 8 0 — 8 4 ; silv. 1X 35, 184; 25, 47, si silv. I X 8, 65—71, jam silv. I X 23, 37—39, hinc silv. V 19, 93—113, wie Substantiva und Verba: bella silv. I X 28, 88, pars lyr. I V 1, 145, lege lyr. I I I 10, 15, inserit lyr. IV 48, 5—7, venit lyr. I I I 15, 12, scribe lyr. I V 9, 13, posceris lyr. I V 27, 17, vidi lyr. IV 44, 2—10, exite silv. VIII 11, 9, i ! silv. I X 5, 80—93, cedit silv. I X 24, 9, dicitur lyr. I I 38, 29, ite lyr. I I 38, 62/3 und Wendungen: te decent ep. 21, 29, sit sacer et . . . silv. I X 8, 68—72). Auch die aufgeregte oder eindringliche "Wortdoppelung nach horazischem Muster findet sich sehr häufig, z. B. illius, illius silv. V 4, 45 ; huc, huc lyr. I I I 26, 53 u. 69 ; iam, iam lyr. I I 17, 31 ;

— 193 — III 6, 13; 9, 17, silv. VII 8, 93; ipse silv. IV 3, 73; IX 18, 261; Carole silv. IV 3, 105; filia lyr. I 33, 41; Deus lyr. IV 1, 13; silv. IX 25, 24; pater silv. VII 6, 93; aetheris silv. VII 4, 10; somnia lyr. II 8, 46; patria lyr. III 1, 114; utamur lyr. I 22, 3; fugat lyr. I 25, 41; nascere silv. VII 6. 101; iacent lyr. IV 37, 22; da, da silv. IX 19, 1; deiice, deiice lyr. IV 39, 37 ; currite lyr. II 16, 6; vertere lyr. II 39, 45. Rhetorischem Zweck dient ferner die V e r d o p p e l u n g der N e g a t i o n : häufig non sine lyr. I 8, 1; III 26, 49; silv. VII 8, 62 u. ü.; andere lyr. I 8, 45; II 5,13; 9, 13; 20, 29; 45, 12; III 1, 124; 18, 6; 27, 19; 42, 41; silv. VIII 13, 9; 17, 96; 21, 209; IX 1, 1; 22, 61; 23, 50; manchmal gezwungen: idque negat meretrix negare lyr. III 6, 32; gehäuft: nil non inausum non male negligit silv. IX 19, 89. Zum rhetorischen Mittel wird auch der oft verwendete v e r s u s h y p e r m e t e r : lyr. I 14, 11; 16, 63; 19, 51; 20,79; 22, 35; 35, 31; 38, 11; II 2, 31; 3, 51; 13, 73; 19, 3; 24, 11/43; 38, 3119/47; III 5, 3; 7, 3/10; 10, 11/23; 11, 3; 35, 15/43/75; wirkungsvoll: lyr. I 29, 15; 42, 31; II 21, 39 sogar am Ende der Strophe: lyr. II 22, 28. Baldes Diktion bevorzugt starke, ü b e r t r e i b e n d e W ö r t e r . Er teilt diese Vorliebe mit der späteren Latinität, mit Statius, Claudianus, Sidonius. Von Horaz werden diese Kraftwörter sparsam verwendet oder ganz gemieden. Solche Wörter, die öfters wiederkehren, sind z. B. horror (—)1), moles (5), stagnum (1), torvus (3), penitus (4); besonders Verba: crepare (6), crispare (—), calcare (1), coruscare (—), hiscere (—), madere (1), micare (2), mugire (4), mordere (5), peturale (—), saevire (6), respuere (1), stipare (2), sudare (4, nie in den carm. lyr.), squalere (—), strepere (2), spumare (—), tumere (4), vomere (3), turgere (2). Der Ausdruck wird schwülstig; von Wallenstein heißt es: toto momordit pectore lanceam lyr. IV 1, 90; von Hannibal: Africam infudit Europae silv. V 5, 18. Statt dem an sich schon bildlichen Ausdruck „die Klippen der Schmähungen" heißt es „calumniarum Acroceraunia" ') Die eingeklammerten Zahlen besagen, wie oft sich das Wort bei Horaz findet (nach dem Wortindex der Ausgabe von Orelli-BaiterHirschfelder, 1886—92). H e n r i c h , Jakob Balde.

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— 194 — lyr. I I 6, 9 ; von den Wangen der Maria wird gesagt „Teutonicam genae Potavere pruinam, Ostrum quam bene diluit" lyr. I V 13, 2 6 ; weiteres: „Ex quo fatidica primus in arbore Suspendit genitor gulam" lyr. I I 5, 2 ; ähnlich „gula pendet a ramo" silv. VII 6, 2 2 ; auritum nemus assilit lyr. IV 40, 17; auriti pedes ad furta sonantia currunt silv. V I I 9, 9; regina... cui mille naves laudibus asperae honoris in portu quiescunt lyr. I I 1, 1 ; aestuant nutus heriles silv. VII 6, 121; fluet totus Nilus in horrea ib. 137; naufraga Commodi Natavit in vino iuventus silv. V 5, 7 8 ; hilari natat aula cachinno silv. V 14, 8 2 ; von dem jüngsten Tag wird gesagt: implumis in nido sororum stertit adhuc silv. VII 8, 91. Vielfach ist der Ausdruck h y p e r b o l i s c h , das Bild meist der antiken Mythologie entnommen. Von dem altersschwachen Milo heißt es: terret assuetum vacuare silvas Obvia vulpes lyr. I I 2, 2 3 ; von dem Blutbad der Schlacht bei Prag „caesa cadunt velut armenta" lyr. I I 3, 4 6 ; ein Dicker wird beschrieben: tarn crassus erat quam longus silv. V 10, 1 9 : ferneres: miscuit astra mari silv. V 14, 3 8 ; ut spumae . . . sidera lambant silv. V 21, 126. Ein Schreibseliger will ein Riesenbuch veröffentlichen, quäle tremiscat Atlas ferre humeris silv. V I I I 8, 4 ; ähnlich heißt es silv. V 2, 77 : aspicimus nasum, media quem parte levatus ferre recuset Atlas und silv. V 18, 99: nasum . . . ferre quem totum neget ipse, qui fert Maurus Olympum. Auch h y p e r b o l i s c h e U m s c h r e i b u n g e n : „solange ein natürlicher Vorgang sich erhält, wird es nicht geschehn, daß . . . eher wird ein Unmögliches geschehn, als daß. . . a i ) sind beliebt: dum ferient comis nubes Taygeti saxa virentibus silv. I 26, 57 ; ante mel efficient blattae vinumque labruscis . . . effluet, Quam me pigra tui capient oblivia Jesu silv. II, ap. 7, 4 3 ; ähnlich lyr. I I 11, 29. Mit ähnlicher Beziehung bildet Balde n a t u r w i d r i g e K o m b i n a t i o n e n 2 ) der Tierwelt oder er beschreibt Unmög') Vgl. hierzu u. zum folgenden: Stachel, Seneca u. d. deutsche Renaissancedrama, S. 77 ff. 2 ) Solche auch bei den Nürnbergern vgl. Tittmann, Die Nürnberger Dichterschule S. i 11 f.



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liches, um die früher nie für möglich gehaltene Entartung seiner Zeit, das Elend Deutschlands zu schildern: „Iungentur lepori canes Et pardi capreis et timidi latus Asternent ovibus lupi. Pisces aerios transilient Notos" . . diese und die durch weitere 7 Yerse gehäuften Unmöglichkeiten können geschehen, eher, als daß der Dichter von Maria läßt lyr. I I 7 (vgl. lyr. IV 9, 2 2 - 2 8 , 129; silv. II, ecl. 4, 7 4 ; VII 13, 49 u. ö.). Die biblische Wendung „wer die Sterne oder den Sand des Meeres zu zählen vermag . . " fehlt auch nicht: lyr. I V 27, 6 5 ; silv. IV 2, 53; I X 33, 59. Auch die hyperbolische Fiktion der zurücklaufenden Flüsse, die sich schon bei Ovid findet (Met. X I I I 324) und bei Seneca beliebt ist, wird mehrfach verwendet: lyr. I I 27, 5 ; I V 11, 61; 29, 7. Unmögliche Vorstellungen werden gehäuft in der Melancholia silv. V 21 und in einer anderen elegischen Dichtung „Ataxia nostri seculi" ep. 20. Hier werden Gedanken geboten, die der Geist nicht zu fassen vermag. Öfters werden auch Vorstellungen gegeben, die der Geist auszudenken sich sträubt: häßliche, grauenvolle Bilder z. B. lyr. IV 1, 79—82; 39, 1 7 — 2 0 ; ep. 14; silv. V 14, 1 0 6 — 1 3 5 ; VII 11, 9 — 2 8 ; V 8 u. ö. Balde gefällt sich in der Häufung solcher Gräuelbilder mit einer gewissen Lust am Gräßlichen. Die H ä u f u n g von W o r t e n und B e i s p i e l e n ist natürlich auch ein oft benutztes rhetorisches Mittel: z. B. lyr. I I I 16, 37 und 38; ep. 13, 3; 20, 117; lyr. I V 9, 8 3 ; I I I 45, 4 9 — 7 2 ; silv. V I I 5, 19—20; 6, 36/7; 1 X 1 9 , 1 6 6 / 7 ; 20, 24. Beispiele antiker Mythologie, Geschichte und Dichtung: lyr. I 2; I I 22; I I I 45, 8 5 — 9 2 : I V 9, 2 9 — 3 2 ; 22; 24, 2 — 6 ; 27, 9 — 2 4 ; 3 5 , 1 3 — 3 8 ; silv. V 13, 1 — 5 6 ; 22. Der Gebrauch antiker Vorstellungen ist Balde wie manchen anderen Dichtern so geläufig, daß diese Vorstellungen ihren eigentlichen mythologischen Gehalt fast ganz verloren haben. Sie haben nur noch die Bedeutung von Bildern. Die mythische Vorstellung ist ganz verblaßt. Hieraus ist das N e b e n e i n a n d e r h e i d n i s c h - m y t h o l o g i s c h e r und s p e z i f i s c h c h r i s t l i c h e r V o r s t e l l u n g e n zu erklären. Wenn in einem Mariengedicht von der Sonne als von Phoebus gesprochen wird, so ist der Gedanke an diese Gottheit eben entschwunden 13*

— 196 und Phoebus ist nichts als die Sonne selbst. Diese Entwicklung hat also zu einer scheinbaren Rückbildung des Prozesses der antiken Mythendichtung geführt. Die Naturvorgänge wurden als bestimmte Personen gedacht, denen man besondere Namen gab. Jetzt werden die Namen wieder die direkte Bezeichnung der Naturvorgänge. Uns Heutigen, die wir nicht mehr wie der Humanismus gewohnt sind, alles durch die Brille der Antike zu sehen, fällt dieses Nebeneinander christlicher und heidnischer Vorstellungen viel stärker auf. Andererseits denken wir, wenn Balde von Gott als dem„Tonans" spricht (silv. I X 17, 62), sogleich an den lockenschüttelnden Zeus, während Balde dieses bezeichnende Attribut mit gutem Recht auf den christlichen Gott überträgt. Die Einmischung solcher antiken Vorstellungen in die Mariengedichte ist ganz gewöhnlich. W e r Maria nicht liebt, ist so schwarz, daß selbst Cerberus vor ihm erschreckt lyr. I I 4, 1 1 ; Maria hört die Bitten der Menschen vom Olymp aus lyr. I V 27, 54. Bald ist in den Mariengedichten von den Sonnenpferden die Rede lyr. I I 1, 1 1 ; bald von Titan, Aethon, Phoebus lyr. I I 38, 9 — 1 2 ; I I I 7, 1 8 ; bald von Nereus, Thetis, Neptun lyr. I I 38, 1 7 — 2 0 ; I I I 38, 11 ff. Maria wird als Diana angeredet lyr. I I 1 4 ; I V 12, 9 ; öfters auch als Nympha lyr. I I 29, 2 2 ; 38, 1 — 2 ; I V 4, 1 8 ; 27, 31. Nach demselben Prinzip heißt der Papst „Supremus Daphnis" lyr. I I I 45, 99. Die pathetische, bilderreiche, geschraubte Redeweise Baldes ist eine Erscheinungsform jener durch alle Kulturländer wuchernden literarischen Krankheit, die in Deutschland in den Schwulstdichtern der sogenannten zweiten schlesischen Schule ihre bekanntesten Vertreter fand. Die lange diskutierte Frage, wo der Ausgangspunkt dieser Richtung zu suchen sei, ob in dem Marinismus Italiens oder in dem Gongorismus Spaniens, hat L. P. Thomas in seiner Untersuchung über das Verhältnis dieser beiden Bewegungen 1 ) dahin beantwortet, daß beide sich unabhängig von einander aus ähnlichen Vor') Lucien-Paul Thomas, Gongora et le Gongorisme considérés dans leurs rapports avec le marinisme. Paris. 1911. Vgl. Farinelli, Deutsche Lit.-Ztg. 33 (1912), Sp. 1413 ff.

— 197 — aussetzungen entwickelt haben. Dies Ergebnis scheint mir auch für die anderen Nationen Gültigkeit zu haben, insofern als die literarische Voraussetzung überall eine ähnliche war. Und diese in ihrer Bedeutung bisher noch nicht gebührend gewürdigte Voraussetzung ist die Entwicklung der lateinischen Dichtung, die durch die ewig wiederholte Benutzung der gleichen dichterischen Ausdrucksmittel zum Suchen nach neuen, kühnen, seltsamen Formen gedrängt wurde. Die charakteristischen Eigentümlichkeiten des Cultismus der nationalen Literaturen sind durchweg und schon früher in der lateinischen Dichtung zu finden. Nur ein Charakteristikum des deutschen Cultismus fehlt den deutschen Neulateinern, die Ungeschicklichkeit und Schwerfälligkeit in der Handhabung des poetischen Materials der noch unentwickelten deutschen Dichtung. Die krampfhafte Sucht nach Erneuerung und Steigerung eines noch gar nicht abgenutzten, nicht einmal geprägten Materials nahm dieser Bewegung die innere Berechtigung, die ähnlichen Bestrebungen unserer Tage eher zuzubilligen ist. Auch eine so charakteristische Äußerung des Suchens nach Erweiterung der Ausdrucksformen wie das Zurückgreifen auf altertümliche, veraltete Wörter, das in der neulateinischen Dichtung vielfach, besonders bei den Niederländern, 1 ) auch bei Balde 2 ) nachzuweisen ist, findet in der deutschen Dichtung eine Parallele in den archaisierenden Neigungen eines Rumpier von Löwenhalt. In den Dichtern der sogenannten silbernen Latinität, wie Statius, Lucanus, Claudianus fand die gekennzeichnete Bewegung im Humanismus ihre Vorbilder. Die neulateinische Dichtung wandte sich mit besonderem Eifer jenen antiken Preziösen wieder zu, die freilich auch das Mittelalter nicht 4 ) Besonders bei Lipsius und seinen Schülern. Vgl. Peerlkamp, De vita, doctrina et facultate Nederlandorum, qui carmina latina composuerunt. 2. ed. 1843 p. 279, 235 (Baudius).-Norden. Kunstprosa 776. — Koldewey, Jugendgedichte des Humanisten Joh. Caselius (1902), S. XXXV. t 2) Er verwendet veraltete Wörter aus Plautus, Ennius, Pacuvius, besonders in der Poesis Osca seu Drama georgicum (1647). Vgl. Bach S. 77 f.

— 198 — vergessen hatte. 1 ) Schon Johannes Secundus hatte in der 16. Elegie des 3. Buches neben Yergil das Dreigestirn Statius, Lucanus, Claudianus gepriesen. Bekannt ist auch die Vorliebe des Hugo Grotius 2 ) für diese Dichter und seine vielfache Anlehnung an Lucanus. Auch der niederländische Dichter Caspar Barlaeus, der „Claudianus Belgicus", der mit Balde in brieflichem Verkehr stand, bevorzugte diese oft zusammengenannten Dichter und ihre phrasenreiche Art. 3 ) Balde schrieb in jungen Jahren mehrere poetische Übungen „stilo Lucani" (Mors Tampierii Op. Omn. III 276—278), „stilo Claudiani" (Encomium Tillii 0 . o. I I I 281—284), „stilo Statii" (Mors Bucquoii 0 . o. I I I 278—281). In der Bezeichnung der zweiten Sammlung seiner lyrischen Dichtungen als „silvae" folgt er dem Statius, ebenso darin, daß er jedem Buch eine prosaische Vorrede beigibt. Die eifrige Beschäftigung mit diesen Dichtern gereichte seiner Poesie nicht zum Vorteil, doch hat er sich von ihrer Schmeichelei gegen Große freizuhalten gewußt. Auch ihre schwülstige Manier legte er später mehr und mehr ab; die beiden letzten Bücher der Wälder sind wesentlich einfacher in der Sprache. Daß er in diesem Stil nicht das Ideal der Form sieht, beweisen die Gedichte, in denen er diese pathetische Redeweise zu komischer Wirkung benutzt: so in der Beschreibung des wilden Bartes, den der Bartlose noch zu erwarten hat lyr. I 20; in den „Dirae in catarrhum" lyr. II 35; ähnlich lyr. IV 29, 53 ff.; silv. V 8; V I I 14. Wir kommen damit zur Besprechung des Baldeschen Humors. Erhabenheit und Laune liegen bei ihm nahe bei einander, Pathos verwandelt sich plötzlich in Anmut, Würde wendet sich in Scherz. Sein Ernst wird nicht pedantisch, er ist erhaben über sein eigenes Pathos und schließt eine pathetische Rede mit einem Lächeln. Diese Auflösung der ') Über das Fortleben des Claudianus in Deutschland vgl. die Vorrede von Birt in seiner Ausgabe des Cl.: Mon. Germ. hist. auct. ant. tom. X. praef. L X X V I — L X X X I I . 2 ) Vgl. die praefatio seiner poemata und L. Müller, Gesch. d. kl. Phil. i. d. Ndl. (1869) S. 196. ») Ad. Schroeter, Beitr. z. Gesch. d. nlt. Poesie. S. 238 ff. Peerlkamp a. a. 0 . S. 3 4 2 f.

— 199 — erhabenen Stimmung in eine scherzhafte wird symbolisiert in der Schlußwendung der Ode lyr. I I I 47, in dem plötzlichen Herabsteigen des Dichters aus der phantastischen Schau vom Gipfel der Pyramide in die Alltäglichkeit seiner Umgebung. Mitten in der höchsten Ekstase hört er plötzlich das Sprechen menschlicher Stimmen, während er in Ägypten zu sein wähnte, steht er vor den Toren Münchens. Und mit leiser Ironie staunt er über die Schnelligkeit seines Geistes: quam celeres habet illa pennas! Mit einem fast banalen Scherz schließt eine der schwungvollsten Oden: „Coelum liquidum" lyr. I 5, mit einem Lachen die schwülstige Allegorie auf die Redegewalt des Andreas Brunner lyr. III 8. Der Humor ist ein wichtiger Zug in dem Bild von Baldes dichterischer Persönlichkeit, er bildet ein wohltuendes Gegengewicht gegen sein vielfach eintöniges Pathos. Wie er im Leben sich über eine lästige Ordensregel mit Humor hinwegzuhelfen wußte, erzählt eine Anekdote, 1 ) daß er mit seinen Scherzen manchmal einen Empfindlichen in Harnisch brachte, ist aus der Besänftigung der Erzürnten zu ersehen: lyr. I I I 32; silv. V 9. Sonst sind es meist scherzhafte Einzelheiten wie am Schluß der Ode „Melancholia" silv. V 21, deren bittere Betrachtungen über seine körperliche Gebrechlichkeit der Dichter in das Verlangen nach einem hochschäumenden Bierkrug ausklingen läßt. Vielleicht die reizvollste Stelle der Baldeschen Gedichte ist der Schluß der 13. Ode desselben Buches, die virtuose Darstellung des Gebarens der nichtsnutzig verspielten Halbgötter und Faune in Juppiters Rats Versammlung. Hübsch ist auch die Einladung an W. M. Silbermann zum Flug durch die Lüfte, das gegenseitige weltlich-gesellschaftliche Bekomplimentieren, wer zuerst in den fabelhaften Dichterwagen steigen soll silv. I X 18, ferner die launige Charakteristik des seltsamen Skazon lyr. I I 49, die „illusio poetica" lyr. III 48 und besonders die Erzählung von dem Bild, das Apollo ihm scherzend im Wasser zeigt lyr. I V 18. Die Tabakspfeife, der Thalia ein Greuel, wird öfters scherzend eingeführt silv. VIII 27; I X 3 u. ö. Von herberer Grundstimmung sind die beiden Fluchoden gegen l

) Vgl. Westermayer S. 2 1 3 f. Bach, S. 50 f.



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den Bierkrug lyr. I 12 und gegen den Katarrh 1 ) lyr. I I 35, auch erstere durch körperliche Gebrechlichkeit veranlaßt. Seine häufigen Klagen scheinen wieder ironisiert in der Erzählung, wie ihn einst aus schwerer Krankheit eine Nichtigkeit rettete silv. V I I I 1. Näheres literarisches Interesse verdient die humoristische Ode „ C l a n g o r a n s e r i s " silv. V 22. Diese Jugenddichtung ist offenbar veranlaßt durch "VVolfhart Spangenbergs Ganskönig 2 ) (1607). Im 4. Kapitel dieses Reimgedichts erzählt Spangenberg, wie der hl. Martinus den ihm geweihten Vogel zur letzten Ehrung unter die Gestirne des Himmels versetzt. Nachdem er jeden der sieben Planeten, auch Sonne und Mond um ihre Zustimmung gebeten hat, erhält die Gans ihren Platz am Himmel an Stelle des Schwans, gegen den Willen der „Astronomisch Phantasey". In Baldes „carmen geniale" wendet sich der Dichter selbst an Sonne und Mond, weist darauf hin, daß viele andere Tiere, Vierfüßler, Fische und Vögel ihren Platz am Himmel haben, nur die Gans nicht, der es um ihrer Verdienste willen am ersten zukomme. Dann bittet er Sonne und Mond, die Gans an den Himmel zu versetzen. Das Lob der Gans, das Balde — ebenso wie Spangenberg im 5. Kapitel des Ganskönigs — verkündet, mit dem Hinweis auf die Rettung des Kapitols durch ihr Geschrei, der Preis ihrer Verdienste (Federn, Schreibkiel, Braten) ist ein beliebtes Motiv einer an kunstvoller Behandlung unbedeutender Gegenstände sich erfreuenden Poesie der Kleinigkeiten. Spangenberg und Balde haben in dieser Beziehung eine ganze Anzahl von Vorgängern gehabt, von denen keiner sich die Anspielung auf Vergils Aeneis V I I I 652 entgehen ließ. In dem Amphitheatrum Sapientiae des Dornavius (vgl. oben S. 173 f.) sind mehrere solcher lateinischen Lobreden auf die Gans in Prosa und Versen zusammengestellt (I 398 ff.) von Jul. *) Auch der bayrische Jurist und Dichter Johann Aurpach hat in einer Elegie (1554) dieses Übel verwünscht, vgl. Reinhardstöttner, Jahrb. f. Münch. Gesch. IV, 87—94. 2 ) Herausgegeben von E. Martin in den Elsässischen Literaturdenkmälern. Bd. IV. 1887.



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Caes. Scaliger, Ulysses Aldrovandus, Mich. Major, Petrus Vincentius, Janus Douza, Joh. Posthius, Mich. Fendius; auch das deutsche Gedicht des Joh. Ackermann (wieder abgedruckt von Goedeke im Weimarischen Jahrbuch VI 36—42). Von einer Versetzung der Gans unter die Gestirne ist in keinem dieser „encomia" die Rede, dieses Motiv ist eine Erfindung des Straßburger Meistersängers und Dramatikers, von dem Balde es übernommen hat. Ein weiterer Beweis dafür, daß Balde den Ganskönig kannte, ist die Widmung seiner Ode „Ad Martinum Pyraeum".') Dieses „Pyraeum" ist offenbar eine Anspielung auf das „Papyreum", den papierenen Himmel, in den die Gans aufgenommen wird und den Spangenberg im 3. Kapitel des Ganskönigs ausführlich schildert (vgl. das Wortspiel Empyreum-Papyreum. Ganskönig III 259). Die Anspielung auf das Martinsfest (bei B. v. 102 ff.) ist übrigens eine der sehr seltenen Stellen in Baldes lyrischen Dichtungen, an der eines volkstümlichen Brauches Erwähnung geschieht. Der „clangor anseris" ist in den von Balde besorgten Einzelausgaben der silvae nicht enthalten. Das Gedicht wurde von den Herausgebern der Münchener Gesamtausgabe dem 5. Buche der Wälder angefügt und findet sich nur in dieser Ausgabe. Baldes Humor ist ein Humor des Selbstgefühls; er richtet sich immer gegen den Dichter selbst und seine Schwächen oder aber auf indifferente Gegenstände, wie in dem eben besprochenen Scherzgedicht. Auf sittlichem, sozialem und politischem Gebiet kennt er keinen Scherz, da ist er ernster Mahner und Warner. Manchmal werden die Äußerungen seiner Laune gar zu deutlich und geradezu unästhetisch, z. B. wenn er seine Magerkeit beschreibt lyr. III 9 oder einen Dicken verspottet lyr. I 15. Seine Abneigung gegen Juden, Türken und Atheisten äußert sich in recht unästhetischen Bildern: lyr. 38, 24 f.; 45, 33/4; ep. 14, 5/6. Bei einer Betrachtung des unsicheren menschlichen Lebens, an das doch der sieche Greis sich noch anklammert, nicht bedenkend, wie bald er im Grabe verfaulen wird, heißt es: „Ergo, o quisquis . . ') Das Fyraeum des Textes ist zweifellos einer der sehr zahlreichen Druckfehler der Münchener Gesamtausgabe.



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praeteris Yiso fragmine funebri Urge flebiliter risibus hic situm, Et moto male caespite Obstructis tumulam despue naribus" lyr. III 33, 35; ähnliche Derbheiten: lyr. I 4, 10 ff.; II 13, 62 f., 116; III 26, 51; IV 9, 132; 22, 25; 23; ep. 17, 16 u. 27 f.; silv. V 9, 34; 14; 8, 81. Es entspricht dem bedächtigen Charakter des Horaz, daß in der Mehrzahl seiner Oden planmäßige A n o r d n u n g und Symmetrie der Teile h e r r s c h t . E s entspricht dem Ungestüm der Baldeschen Dichtung, daß sie sich nicht in diese Gesetze zwingen läßt. "Wenn wir die Gedichte beiseite lassen, die nach ihrem Inhalt nur Umprägungen fremder, meist Horazischer Gedanken sind, und diejenigen ins Auge fassen, in denen Balde uns Eigenes zu sagen hat, so ergibt sich folgendes: zweiteilige symmetrische Gedichte finden sich gar nicht. 2 ) Einige dreiteilige Gedichte stimmen in der Zahl der Eingangs- und Schlußstrophen überein: lyr.

I II III silv. III V V VIII

16: 2 + 13 + 2 Strophen 10: 1 + 19 + 1 20: 1 + 9 + 1 1: 1 1 + 5 + 11 12: 7 + 18 + 7 (Verse) 20: 2 + 5 + 2 Strophen 26: 2 + 20 + 2

Die Zahl der symmetrischen Gedichte ist gering. Daß in den meisten Oden keine Symmetrie herrscht, ist bei ihrem oft sehr bedeutenden Umfang 3 ) nicht zu verwundern. Die l ) Vgl. die Horaz-Ausgabe von Th. Kayser (1877), S. 327 ff. ") Das einzige Gedicht, das in Betracht käme, ist lyr. II 26. Es besteht aus 2 + 7 + 9 Strophen, doch sind die beiden ersten Strophen so deutlich von den folgenden geschieden, daß es nicht angängig ist, durch Zusammenfassung dieser Teile Symmetrie herzustellen. 3 ) Die Durchschnittslänge der carm. lyr. beträgt etwa 44 Verse (bei Horaz etwa 24). Die silvae sind noch bedeutend umfänglicher. Oden von 100, ja 200 und 300 Versen sind keine Seltenheit (Oden! keine Episteln oder Satiren!). 100 oder mehr Verse haben folgende Oden: lyr. II 1 3 = 1 3 6 ; II 39 = 100, ebenso III 23 und 45, IV 1, 3 u. 15; III 1 = 1 2 8 ; III 47 = 116; IV 9 = 1 6 4 ; ep. 1 = 162; 7 = 138; 18 = 156; 2 0 = 1 3 4 ; aus den Wäldern seien nur einige angeführt: VII 4 = 208. VII 1 6 = 2 3 2 . VIII 10 = 376. VIII 2 1 = 2 1 4 . IX 18 = 336. IX 2 5 = 3 0 0 v.

— 203 — große Ausdehnung der Glieder würde die Übereinstimmung der Maße doch nicht zur Wirkung kommen lassen. Hier kommt es weniger auf Gleichheit der Glieder an, als darauf, daß die einzelnen Teile sich deutlich gegen einander abheben und dem erlahmenden Interesse neuen Impuls geben. An energischer Gliederung fehlt es im allgemeinen nicht. Balde liebt r a s c h e n E i n g a n g der Oden und scharf m a r k i e r t e n A b s c h l u ß . Mit einem A u s r u f am Anfang des Gedichtes (surgamus! lyr. IV 2, 1; ähnlich lyr. I 25; II 33; 39; IV 2; 36; 46; ep. 8; silv. IY 4; VII 4; VIII 2; 20; IX 14; 35), einer hastigen F r a g e (laedor? lyr. IV 1; Fama, quid narras? lyr. I 20, ähnlich lyr. I 19; II 9; 38; III 16; silv. IV 4a; V 18; VII 6; 9; 18; VIII 9; 21; IX 24; 27), einer i m p e r a t i v i s c h e n A n r e d e (Hernice, die! lyr. II 42; ähnlich: lyr. I 38; II 6; III 15; IV 20; ep. 12; silv. V 6; VIII 11; 13; 18; IX 19), einer sonstigen knappen, meist persönlich gehaltenen Wendung (Sic est: lyr. I 8, Cedo lyr. II 29, Fatebor autem silv. IX 25; ähnlich lyr. I 39; II 23; III 26; 33; IV 44; silv. III 2), mit einer K o n j u n k t i o n , die irgend einen Gedankenzusammenhang schafft 1 ) (Ergo iam certum est? silv. V 18. At tu supino crassus in otio: lyr. I 15; ähnlich nempe, nam, tarnen, autem: lyr. I 24; II 44; III 8; 34; IV 37; 39; 44; ep. 2; 8; 9; 14; 19; silv. V 11; 13; VII 8; 17; VIII 15; 16; 25; IX 3; 4; 6; 8; 11; 13; 14; 24; 25) reißt er den Zuhörer energisch in die Situation hinein. Die Gedichte visionären Charakters sind bemerkenswert durch die Art, wie der Dichter auf den phantastischen Inhalt vorbereitet. Er schildert, wie göttliche Begeisternng den Sänger ergreift und nach erfüllter Aufgabe wieder verläßt. Er deutet damit die über das Alltagsgetriebe erhabene Würde der Dichtkunst an; er führt den Leser aus diesem Leben hinaus und führt ihn auch wieder zurück: die Gedichte bekommen dadurch trotz ihrem bedeutenden Umfang etwas ') Ähnliche Anfänge bei Fleming („Und gleichwohl kann ich anders nicht"). Vgl. Unger, Studien über P. Flemings Lyrik, Greifsvvald. 1907, S. 37.

— 204 — Festgeschlossenes. Hierher gehören die folgenden Oden, deren Schemata ich zur Kontrolle des oben Gesagten beisetze: lyr.

125: I 5: III 47: silv. V 5: IX 18: 1X 24: 1X 25:

6 + 21 + 1 Strophen (2) 1 + 16 + 2 3 + 24 + 2 „ 1+28+4 8 + 74 + 2 1 + 25 + 3 19 + 47 + 9

Deutlich gegliedert sind auch die folgenden Gedichte: lyr.

I 33: 142: III 15: IV 9: silv. V 1: IX 12:

6 + 16 + 1 1+ 5+ 2 3+ 8+ 6 3 + 37 + 1 5 + 12 + 7 3 + 19 + 4

Strophen „ (2)

ferner: lyr. III 41; IY 2; ep. 18; 20; silv. Y 14; YII 4; VIII 13; 14; IX 3; 4; 5; 17; 22; 24. Besondere Beachtung verdient silv. VII 4. Anfang und Schluß dieses Gedichtes, das mit rhetorischem Pathos die Schauer des Brdinnern schildert, läßt der Dichter im Licht des Tages spielen. Eine derartige Umrahmung ist für Baldes Gedichte charakteristisch. Balde schikt seinen Oden gern eine oder mehrere e i n l e i t e n d e S t r o p h e n voraus. Diese enthalten bald allgemeine Gedanken, die durch das folgende illustriert werden sollen (z. B. silv. V 14; VIII 1; IX 10), bald die Veranlassung zu dem Gedicht (lyr. I 42; silv. IX 2) oder die Ermahnung zur Aufmerksamkeit (lyr. II 10), eine Ankündigung des folgenden (lyr. II 17; ep. 6; 7; lyr. II 13; silv. III 1; VIII 13: IX 23; 35) oder auch einen Anruf zur Muse (silv. III 4; V 12; IX 19). Selten werden die Gedichte episch eingeleitet: glücklich: lyr. III 41, ferner lyr. III 47; silv. V 1. Die Natureingänge der allegorischen ') Baldes distichische Gedichte sind nicht alle in vierzeilige Strophen abzuteilen; lyr. I 30 hat 34 Verse, II 7 hat 14, ebenso II 18 u. ä. ö. Ich folge hier seiner Strophenauffassung und zähle in allen distichischen Gedichten nacli zweizeiligen Strophen, was die Zahl (2) andeutet.

— 205 —

Gedichte lyr. IV 9; ep. 15; silv. IX 24; 28 wurden oben besprochen. Auch der Idyllendichtung „ Apiarum" des 2. Buches der Wälder wird eine epische Prolusio vorausgeschikt. Ich weise noch hin auf den epischen Schluß von silv. VIII 13 mit seinem anmutigen Scherz und auf den epischen Eingang und Schluß von lyr. IV 9. Ein Ausklingen ohne markierten Schluß finden wir selten (so z. B. in den Gedichten lyr. II 17; silv. VIII 10; IX 2; 15). Andererseits gibt Balde gerne Oden, die ohne besonderen Eingang und deutliche Gliederung in ruhiger Betrachtung sich bewegten, am Ende eine plötzliche Wendung, in spotanem Gefühlsausbruch die Summe aus den angestellten Betrachtungen ziehend und sie gerne in einen energischen Imperativ zusammenfassend z. B. lyr. III 32; 35; 42; IV 10; 11; silv. VII 11; 12; VIII 17. In eine Nutzanwendung klingt auch die wirkungsvoll disponierte Ode „Choreae mortuales" (lyr. II 33) aus, die für eine der dramatischen Totentanz - Szenen gedichtet sein könnte, wie sie besonders in Bayern auf der Jesuitenbühne sehr beliebt waren. 1 ) Die W e n d u n g am S c h l u ß ist ein von Balde mit Geschick verwendetes Mittel der poetischen Technik. Oft ist es, als träte der Dichter plötzlich aus seiner rhetorischen Objektivität heraus, um uns als Mensch Auge in Auge zu sehen, als würde er sich des pathetischen Überschwangs plötzlich bewußt und kehrte still in die Wirklichkeit zurück: lyr. I 5; III 47. In der Ode lyr. II 39 bezeichnet diese Schlußwendung das plötzliche Verstummen im Schmerz und das Gleiche wird symbolisiert in dem Gedicht lyr. I 36: mit Pathos setzt der Dichter an, den Fall Breisachs zu beklagen (v. 13 —19), da plötzlich sind die Saiten verstimmt, er kann nicht weitersingen. Mehrmals deutet die Schlußwendung die Erfüllung der in dem Gedicht enthaltenen Bitten oder Ratschläge an, so z. B. lyr. II 29: der Dichter betet vor dem Altar der Gottesmutter; siehe! da neigt die Himmlische huldvoll ihr Haupt, Gewährung seiner Bitte dem ') A. Dürrwächter, Die Darstellung des Todes und Totentanzes auf den Jesuitenbühnen, vorzugsweise in Bayern. = Forchungen zur Kultur- und Literaturgesch. Bayerns. V (1897) 89 —115.



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Beter verheißend. — Von Schlaflosigkeit gequält fleht der Dichter zu dem sanften Bruder des Todes, ihn zu beglücken mit seinem holden Geschenk. Und plötzlich fühlt er sich von Müdigkeit überwältigt, die Leier entfällt seiner Hand lyr. II 36. — Um Heilung von einem Fieber bittet er die Helferin der Kranken. Da klingt ihm ein freundliches Omen lyr. II 41; vgl. auch die Gedichte: lyr. [ 20, 77; I 35, 73; II 7 ; III 4, 94 ; III 32, 89; silv. I X 8. Die Wendung beginnt vielfach mit einer rhetorischen Frage: lyr. II 39, 100: Musa siles, ubi me relinquis? (ähnlich lyr. I 16, 62). Diese Stelle erinnert an Horaz (III 3, 70 quo Musa tendis?) und läßt vermuten, daß Balde die besprochene Form dem römischen Dichter nachgebildet hat. Doch hat er sie in origineller Weise zu entwickeln verstanden. Schon von seinen Zeitgenossen wurde Balde als der „deutsche H o r a z " bezeichnet. 2 ) Er spricht in seinen Gedichten öfters von Horaz (lyr. II 5, 12; silv. II ap. 1, 30; V 4, 10—32; 16, 99; YII 13; 13, 5, 24; IX 2, 6; 35, 49) und gesteht selbst, daß er diesen Meister nachahme in der Überschrift zu silv. IV 4 „Paradoxum. Q. Horatium Flaccum imitari se nonnumquam non imitando." Diese Nachahmung zeigt sich zunächst in der äußeren Form und Einteilung der Gedichte. Er bedient sich nur horazischer Metren (vgl. unter Metrik). Er ordnet seine Gedichte ebenso wie Horaz in vier Bücher Lyrica und ein Buch Epoden, denen er freilich in den nach dem Vorbild des Statius als „silvae" bezeichneten 9 Büchern noch zahlreiche lyrische Gedichte folgen läßt. Balde hat seinem Meister sodann manche Gedanken, Motive und formale Einzelheiten entlehnt. Die zahlreichen moralisierenden Gedichte der vier Bücher Lyrica bewegen sich mit Vorliebe ') Zu einem bewußten und viel angewandten Stiel- und Kunstmittel wurde die Schlußwendung später in der deutschen Kunstlyrik. Doch wurde sie hier raffinierter verwandt als bei Balde, nämlich als Schlußpointe, auf die alles Vorhergehende berechnet ist und die dem ganzen Gedicht erst den eigentlichen Sinn gibt. Vgl Waldberg, Die galante Lyrik (1885), S. 106 ff. *) Zuerst von Sigmund von Birken in der Vorrede zu seiner Übersetzung von B.s Satire „De abusu Tabaci", „Die truckene Trunkenheit", Nürnberg 1658.

— 207



in horazischen Ermahnungen zu Gleichmut (lyr. I 13; II 10; IV 3, vgl. Horaz II 3), Mäßigung und Einhalten der Mittelstraße (lyr. II 40; III 44; silv. III 6, vgl. Horaz II 10), Genügsamkeit (lyr. I I ; 6; III 37; 39; IV 3; 33, vgl. Horaz 113; 16; 18; I U I ; 16), Selbsterkenntnis (lyr. 1 9 ; IV 42), Verachtung des Geredes der Menge (lyr. III 3; IV 31, vgl. Horaz III 1), in Betrachtungen über die Vergänglichkeit (lyr. III 25; silv. VII 5, vgl. Horaz II 14; III 29; IV 7), die eitlen Bestrebungen der Menschen (lyr. III 46, vgl. Horaz I 1), die frühere Einfachheit und Sittenstrenge im Vergleich zur jetzigen Üppigkeit und Entartung (silv. III, vgl. Horaz n 15; III 6; 24; IV 4), im Preis der Tagend (silv. I 28; 47 ; IV 26, vgl. Horaz III 2; 3). Die horazischen Gedanken werden ausgeführt und rhetorisch mit Belegen aus der antiken Mythologie und Geschichte überladen, seine heiter-kluge Lebensphilosophie wird in die strengen Forderungen des Sittengesetzes übertragen. Spezifisch christliche Gesetze finden keinen Eingang in die antiken Formen. Wiewohl diese Gedichte in ihrem Inhalt vielfach an Horaz erinnern, finden sich doch verhältnismäßig wenig wörtl i c h e E n t l e h n u n g e n . 1 ) So viele Anklänge in Inhalt und Form wie das erste Gedicht der Lyrica enthält keines der späteren. Baldes Ordensgenosse Sarbiewski, der „polnische Horaz", ist in dieser Beziehung viel unselbständiger. Eine Eigentümlichkeit Baldes mag bei flüchtiger Einsicht in seine Gedichte seine Abhängigkeit von Horaz stärker erscheinen lassen, als sie wirklich ist. Er liebt es, die E i n g a n g s w o r t e seiner Gedichte an den Anfang eines horazischen Gedichts anklingen zu lassen. Balde lyr. I 2 Ne tibi, Guelphi Läse, sit pudori I 16 llle et secundis I 20 Quid fles, Ragusi? I 43 Quem, regina, tuo semel II 12 Miserarum est nec amori dare finem

Horaz II 4 ne sit ancillae tibi amor pudori II 13 Ille et nefasto III 7 Quid flas, Asterie IV 3 Quem tu, Melpomene, semel III 12 Miserarum est nec amori dare ludum

') Diese sind für die Oden und Epoden von Müller in den Anmerkungen zu seiner Neuausgabe angeführt.



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II 38 Quam mihi sumo celebrare nympham II 41 Mater salutis tempus in ultimum III 2 Montium praeses nemorumque Virgo III 18 Ne tibi servi sit amor pudori III 29 0 nate in usum laetitiae Puer 0 Matre pulcra Parvule pulcrior III 40 Formosum, pueri, dicite filium IV 4 Intermissa diu redi IV 17 Ibis, quo jubet ep. 3 Chusi, nihil te sicut antea iuvet



I 12 Quem virum aut heroa . . . sumis celebrare II 7 0 saepe mecum tempus in ultimum III 22 Montium custos nemorumque Virgo II 4 Ne sit ancillae tibi amor pudori I 27 Natis in usum laetitiae scyphis I 16 0 matre pulcra filia pulcrior I 21 Dianam tenerae dicite virgines IV 1 Intermissa, Venus, diu ep. 1 Ibis Libumis ep. 11 Petti, nihil me sicut antea iuvet.

In den Wäldern, in denen sich Balde zu größerer Selbständigkeit emporgearbeitet hat, findet sich diese Eigentümlichkeit nur noch ganz vereinzelt: silv. V 10 Dii mea vota boni tandem audivere, Maroda VIII 22 At o, quibus te laudibus efferam IX 33 Laudabunt alii Sipylis effulta columnis

Hör. IV 13 Audivere, Lyce, di mea vota ep. 5 At o deorum quidquid in caelo regit I 7 Laudabunt alii claram Rhodon.

Einigemale beginnt Balde ein Gedicht mit einer h o r a z i s c h e n "Wendung z. B. lyr. I 8 Sic est: vgl. Hör. ep. 7,17 (beide Gedichte haben einen ähnlichen Inhalt); lyr. I 26 Nullo notari crimine, nil sibi conscire: vgl. Hör. epist. I 1, 61; durch die syntaktische Konstruktion der Eingangsverse und e i n Wort an wichtiger Stelle („vae") erinnert der Anfang von lyr. I 21 an Hör. I 13. Das kleine Gedicht silv. VIII 27 ist Hör. I 38 in Versmaß, Ausdehnung und logischem Schema nachgebildet und wie dieses an den Schluß eines Buches gesetzt. In beiden redet der Dichter seinen Knaben an, weist etwas zurück, verlangt ein anderes: Horaz statt des Prunkes eine schlichte Myrte, Balde statt der Hirtenflöte die Tabakspfeife. In einzelnen s t i l i s t i s c h e n B e s o n d e r h e i t e n folgt Balde — bewußt oder unbewußt — dem Horaz. So in den bei

— 209 — Horaz beliebten deklamatorischen Wiederholungen Illius, illius lyr. I 22, 12; silv. V 4, 45 (vgl. H. IV 13, 18), huc, huc lyr. III 26, 53, 69; ep. 16, 57 (vgl. H. III 26, 6); iam, iam silv. VII 6, 65; 8, 93 (H. e. 17, 1); arma, arma lyr. I 39, 48 (H. I 35,15). Die Anapher verwendet Balde in ähnlicherWeise wie Horaz, aber häufiger. Die von Horaz oft gebrauchte doppelte Negation „non sine" (H. III 6, 29; 7, 7; 13, 2; 29, 39; IV 1, 24; 13, 27) findet sich auch häufig bei B. (lyr. I 8, 1; III 26, 49; silv. VII 8, 62); eine Lieblingswendung Baldes „hinc et hinc" (lyr. II 11, 2; III 5, 2; 32, 91; IY 9, 10; 27, 26; ep. 14, 33; silv. I 17, 141) stammt gleichfalls aus Horaz e. 2, 31; 5, 97). Die mehrmals vorkommende Wendung „surge, surgite" (lyr. III 32, 89; silv. V 14, 139; YII 1, 53) ist vielleicht auf die eindrucksvolle Wiederholung dieses Imperativs Hör. III 11, 37/8 zurückzuführen. Balde verwendet gelegentlich h o r a z i s c h e M o t i v e in der Weise, daß er sie in anderer Form, oft mit ganz anderen Worten wiedergibt (z. B. der lachende Erbe lyr. II 8, 25; 19, 42, vgl. Hör. II 3, 20; 14, 25; 17, 13, das Bekenntnis des eigenen Ruhms silv. IX 3, 59 ff., vgl. Hör. II 20; IV 3, 22). Meist wird das Motiv auch inhaltlich variiert, ohne doch den Ursprung zweifelhaft zu machen. So hat Balde lyr. II 41, 13 das horazische Motiv I 9, 22 glücklich verwendet: bei beiden ein unerwartetes helles Klingen „ab angulo", das dem Gedicht einen freundlichen Abschluß gibt: bei Horaz das helle Lachen eines Mädchens, bei Balde das spontane Erklingen der Saiten. — Unzertrennlich ist der Dichter von dem geliebten Wesen, dieser von Maria lyr. II 11, 29, jener von Mäzen II 17, 13. Ewiges Bestehen weissagt Balde der Kaiserstadt Wien silv. IX 25,122, wie Horaz seinem RomIII3. — In dem Beginnen, Kämpfe und Schlachten zu besingen, sieht sich der Dichter plötzlich gehindert, Horaz durch Apoll (IV 15), Balde durch die Himmelskönigin, die ihn auffordert, ihr Sänger zu sein (lyr. I 42). — Bacchus entführt den Dichter in eine Höhle zu begeisterungsvollen Gesichten B. lyr. I 25 (H. III 25). Diese Baldesche Ode ist dadurch interessant, daß in den ersten 4 Versen die Anfänge dreier Oden des Horaz zusammengearbeitet sind. H e n r i c h , Jakob Bald.

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Balde lyr. I 25 Evan ! quam feror in specum ? Audivit mea vota Aonidum deus, Audivit: feror in specum Plenam fatidicis fluctibus, Evoe !



Hor. III 25,1 Quo me, Bacche, rapis tui Plenum? quae nemora aut quos agor in specus . . Hor. IV 13,1 Audivere, Lyce, di mea vola, di Audivere, Lyce Hor. II 19,1 Bacchum in remotis carmina rupibus Vidi docentem, credite posteri . . Euhoe, recenti mens trepidat metu, Plenoque Bacchi pectore turbidum Laetatur !

Wie Balde die entlehnten Motive meist erweitert, so macht er mehrmals einen von Horaz gegebenen Gedanken zum Gegenstand eines selbständigen Gedichts. So wird der einleitende allgemeine Gedanke der Ode „Integer vitae" I 22 von Balde in der Ode „Gaudium bonae mentis" lyr. I 26 behandelt. Aus Horazens Hinweis auf die Kühnheit der ersten Schiffer in dem Geleitgedicht für Vergil I 3 erwächst Balde die Ode „Argonautae" III 14. Der Satz „Prius Apulis iungentur capreae lupis" (Hor. I 33, 8) läßt unsern Dichter eine Reihe anderer unmöglicher Verbindungen erdenken, die alle eher verwirklicht werden, als daß der Verehrer Mariens von seiner Herrin läßt lyr. II 7. Horazens Prophezeiung, er werde in einen Schwan verwandelt, durch die Lüfte schweben (II 20), scheint der Keim mehrerer Gedichte gewesen zu sein, nämlich silv. IX 29 : Verwandlung der Leier in einen Schwan und lyr. 1 5 ; III 1; silv. IX 18: die verschiedenen Phantasien von einer Luftreise. Das Schlußgedicht des 3. Buches der Oden ist offenbar veranlaßt durch die beiden letzten Verse der horazischen Ode „Exegi monumentum", die gleichfalls das 3. Buch abschließt. Die bei Horaz angedeutete Krönung mit dem Lorbeer wird Balde zu einer Illusio poetica, die ihn einen Knaben mit einem Kranz um sein Haupt schweben sieht, auf den der Dichter jedoch verzichtet. Die spöttische Apostrophe an einen



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klagenden Bartlosen, Balde lyr. I 20 verdankt wohl dem kleinen erotischen Gedicht an Ligurinus IV 10 ihr Dasein. Aus der Weissagung des Horaz von dem zukünftigen Bart des Jünglings wird bei Balde die scherzhafte Vision des plötzlich hervorbrechenden Bartwaldes lyr. I 20, 77—84. Die Bemerkung des Horaz, daß er früher scharfe Jamben geschrieben habe I 16, 22, läßt seinen Jünger in einem längeren Gedicht (III 32) das gleiche für seine Jugend fingieren, soweit uns bekannt im Widerspruch mit den tatsächlichen Verhältnissen. Solche Widersprüche zwischen der Wirklichkeit und den aus Horaz übernommenen Situationen finden wir öfter bei Balde: nicht nur daß er häufig und mit lebhafter Vergegenwärtigung von seiner Leier spricht, die er im Walde an einen Baum hängt (silv. IX 8, 77), die ihm ins Wasser fällt (silv. IX. 29), die er im Zorn am Tische in tausend Stücke zerschlägt (silv. VIII 26); er gibt sich auch als Landmann aus, der als Jüngling wie als Greis keine andere Freude kennt, als sein Gütchen zu bestellen (lyr. I 1, 46; IV 33, 24); er redet wiederholt seinen Knaben an (lyr. I 36, 1; II 36, 56; silv. V 21, 124; VIII 27); er spielt immer wieder mit der Vorstellung von der stoischen Sekte, der er angehört, der er neue Mitglieder zuführen will (lyr. III 12; 16; 23; 39; IV 29; 30; 31; 33; silv. V 8; 20; VII 5; 14; 15; 17). Endlich übernimmt Balde öfters den G r u n d g e d a n k e n eines horazischen Gedichts, um ihn seinerseits in eigener Weise zu behandeln. Die gelassene Betrachtung der mannigfachen Bestrebungen der Menschen in dem Widmungsgedicht „Maecenas atavis" finden wir wieder bei Balde lyr. III 46 „Fastidire se, quae vulgus appetit". Wie die bekannte Epode „Beatus ille" preist Balde lyr. III 45 das Hirtenleben und lädt den neuerwählten Koadjutor des Bischofs von Freising mit dieser Allegorie ein, ein guter Hirt seiner Herde zu sein. Eine moralische Wendung gibt Balde auch der Horazens Vergleich des Menschen mit einem Schiffer aufnehmenden Betrachtung „Quomodo sperandum" lyr. II 40 (vgl. bes. v. 5—8 mit Horaz II 10, 1—5; vgl. auch U*



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Balde lyr. I Y 30, 30). Horaz empfieht im Unglück die ruhige Hoffnung, es müsse bald besser werden, Balde verlangt Ergebung und Selbstbeherrschung. Unter den eigentlichen „ S t o f f e n " , die bei Balde so selten sind, stammen noch einige aus Horaz; so die Allegorie von den glückseligen Inseln (silv. V I I 9). Wie Horaz seine Mitbürger auffordert, vor dem drohenden Unheil zu den seligen Inseln (den kanarischen) zu fliehen (e. 16), so lädt Balde die Jugend des Gymnasiums ein, mit ihm vor den Lockungen der bösen Welt zu fliehen zu den „Fortunatae insulae", nämlich in den Schoß des Jesuitenordens. Die Erzählung von dem Knabenmord (e. 5 Liebeszauber) wandelt Balde in den mit grausigen Einzelheiten überladenen Bericht von einem jüdischen Kitualmord an einem Christenknaben (ep. 14). Das Thema des derben horazischen Spottgedichts I Y 13, der alternden Dirne stehe kokettes und ausgelassenes Wesen schlecht an, ändert Balde in die These „Seni cantum non convenire" lyr. I 4. Horazens fröhliche Aufforderung „carpe diem" (I 11) wendet Balde in die sittliche Mahnung zur Benutzung der Gegenwart lyr. I V 7. Eine durchgeführte P a r o d i e eines horazischen Gedichts gibt Balde in dem wohlgelungenen Schmähgedicht auf den Bierkrug lyr. I 12. Alles Lob, das Horaz in seinem Gedicht an den Weinkrug I I I 21 diesem geliebten Altersgenossen spendet, wird in Verwünschung, der Preis der Wohltaten des Weins in drastische Klagen über die Schäden des gemeinen Bieres verkehrt, unter Beibehaltung aller indifferenten Wendungen des horazischen Gedichts. Auf einige Strophen beschränkt sich die Parodie in dem Klagegedicht auf den Tod des Prinzen Joh. Franz Karl lyr. I I I 41 (vgl. H. I 24). Der Anfang der 11. Epode des Horaz wird von Balde in einem Gedicht auf den Stall zu Bethlehem parodiert ep. 3; vgl. ferner Balde lyr. I I 9, 9 ff. mit Horaz I 5, 13; Balde lyr. I 3, 13 ff. mit Horaz I I I 5, 4 1 ; Balde lyr. I I I 40 mit Horaz I 21. Den Hauptgedanken von Horazens Klage, daß Rom sich selbst zugrunde richte (e. 7), faßt Balde in die Allegorie von dem trojanischen Pferd, das die Deutschen selbst in ihr Land gerufen haben lyr. I 8 (Gustav Adolph).

— 213 — Die Betrachtung der Greuel und schrecklichen Zeichen der letzten Zeit (Horaz I 2) schwillt bei Balde zu einem düsteren Klagegesang „Ataxia nostri saeculi sive mundi ad occasum vergentis signa" ep. 20, der mit dem Ausdruck der Verzweiflung schließt. Das Frühlingslied des trinkfrohen Bewohners von Tibur (1Y 12) ahmt Balde in einem Mariengedicht nach lyr. I T 4 (vgl. Balde v. 6—16 mit Horaz IV 12, 1—12); die Wirkung des Frühlings ist freilich verschieden: dort erregt er Durst, hier die Lust die Himmelskönigin zu besingen. Ähnlich wird ein anderes Gedicht des Horaz auf Maria umgedeutet: Aus der in Scaligers Poetik so eifrig gepriesenen Ode I V 3, der Bitte an Melpomene, wird die Bitte an Maria lyr. I 43. Horaz schildert den Einfluß der Muse und ihrer Gunst, Balde geht von dem entsprechenden Gedanken gleich zur Schilderung der Vorzüge Mariens über. Die Mariengedichte treten bei Balde an die Stelle der erotischen Lieder des Horaz, ohne daß hier besondere Beziehungen nachzuweisen sind. Fast alle Gedichte Baldes sind an bestimmte Personen gerichtet, von denen freilich nur wenige bekannt sind. Aber niemals schlägt Balde einen persönlichen herzlichen Ton an. Lieder an Freunde, wie etwa die horazischen an Mäzen I I 17, an Vergil auf den Tod des gemeinsamen Freundes Quintilius Varus I 24, sind ihm nicht gelungen. E r bleibt immer rhetorisch kühl, statt Mitempfindung gibt er Lehren. Nur theoretisch weiß er das Ideal der Freundschaft zu behandeln in der Allegorie „Pyladis hortus" lyr. I 14. Dem Angeredeten näher zu treten, gelingt ihm nur einmal in der scherzhaften Einleitung des Gedichtes, das er seinem Jugendfreund Michael Silbermann widmet silv. I X 18. Sparsam in Lob- und Ehrenliedern ist er wie Horaz. Wie dieser den Augustus, so feiert er seinen Kurfürsten lyr. IV. 1 und den Grafen Avaux möchte er seinen Mäzen nennen dürfen. War der Ausdruck heiterer Lebenslust dem Jesuiten versagt, so fehlte ihm damit auch der Stoff zu geselligen Liedern. . Doch einmal versucht er Horazens behagliche Freude an einem guten Trunk nachzuahmen in dem Gedicht

— 214 — „Commendat Flavii Leonis vinum" lyr. I 11. Horaz knüpft gern an persönliche Erlebnisse und individuelle Fälle allgemeine Gedanken,1) ebenso Balde, nur daß bei ihm das Geschehen gegenüber den Reflexionen ganz in den Hintergrund tritt (vgl. bes. lyr. I 19; 2 4 ; I I 6 ; 8 ; 37 u. a.). Die oben besprochene Wendung am Schluß der Gedichte ist Horaz nachgebildet.2) In der kunstvollen Komposition, dem Ebenmaß architektonischer Gliederung vermag es der leidenschaftlichere, oft ins Maßlose schweifende deutsche Dichter nicht mit dem gelasseneren Kunstverstand des Römers aufzunehmen. Auch im Ton unterscheiden sich beide wesentlich. Während Horaz in richtiger Erkenntnis seiner Begabung auf eine Nachahmung pindarischen Schwunges verzichtet (IY 2), ist dieser Ton Balde natürlich. Horaz fällt leicht aus der Rolle, wenn er sich einmal in pindarischer Begeisterung versucht,3) Balde affektiert mit wenig Glück den horazischen Gleichmut. Gefällt sich Horaz manchmal darin, „mit der Unersättlichkeit eines Rhetors Beispiel auf Beispiel zu häufen", 4 ) so wird diese Uberladung des Ausdrucks bei Balde zur Gewohnheit. Bei Horaz bezweckt der hochtrabende Ton öfters komische Wirkung 5 ) (z. B. I 16, 22 ; I I 13 ; I I I 8; e. 3 ; 17), was Balde unter Steigerung des komischen Pathos nachahmt lyr. I 20 I I 3 5 ; I V 29; silv. VII 1 4 ; 21. Horazens Yorzüge sind seine klare, reine Sprache, sein gewandter Ausdruck, nicht leidenschaftliche Empfindung und Gedankentiefe. Baldes stürmisch er Gedankenflug muß uns über viele Härten und Gewaltsamkeiten des Ausdrucks hinwegtragen. Balde bewegt sich gerne in pathetischen Gedanken, er liebt das Großartige, Schwungvolle; Horaz weiß immer den Gleichmut zu bewahren. Als Sittenprediger bleibt Horaz immer ruhig, lächelnd, er entrüstet sich nicht; Balde spricht voll Abscheu von der Entartung der Zeit, er ruft ach und wehe ') 2) s) *) 6)

Vgl. Otto Ribbeck, Gcsch. d. röm. Dichtung II (1889) 145. Vgl. oben S. 206 und zu Horaz: Ribbeck, a. a. 0. II 146. Teuffei, Über Horaz. (1868), S. 19. Teuffei ebd. Vgl. auch die Anmerkung zu Horaz I 16 von Nauck.

— 215 — über die Sittenlosigkeit. Horaz ging von Epikur zur Stoa über, ohne doch ein überstrenger Anhänger dieser Schule zu werden. Balde hat sich so viel mit Betrachtungen über stoische Lehren beschäftigt, daß Westermayer eine besondere von ihm gegründete stoische Gesellschaft annahm. Blieb dem aufgeklärten Römer von Religion kaum mehr als ein Spiel mit überlieferten poetischen Gestalten, so bildete sie des Jesuiten Lebensinhalt, die Himmelskönigin seinen mit inniger Liebe besungenen dichterischen Gegenstand. Für Horaz war Rom die Welt, sein Patriotismus hängt stark von seinem Bedürfnis nach eigener Ruhe und Behaglichkeit ab. Innige Vaterlandsliebe, wie sie der Zeit der Not und des Kampfes entspringt, lebte in dem Sohn des Elsaß. Freut sich Horaz in scheuem Zurückblicken auf die Greuel des Bürgerkrieges in ruhigem Behagen eines langen Friedens, so sieht Balde' nach langen schauervollen Kriegsjahren gar keine Hoffnung auf ein Ende der Schreckenszeit vor sich. Die idealen Interessen der Vaterlandsliebe, der Marienverehrung stehen bei Balde ebenso entschieden im Vordergrund, wie bei Horaz das Verhältnis zum praktischen Leben. Und während die Lyrik des Horaz reich an Aufschlüssen über seine persönlichen Verhältnisse ist, geben uns Baldes Dichtungen nur wenige und manchmal noch trügerische Anhaltspunkte. Werfen wir einen kurzen Blick auf das Leben beider Dichter und die Bedingungen ihrer Dichtung. Horazens Lehrer waren Rom, Athen, weite Reisen, das Schlachtfeld. In engen Verhältnissen ist Balde groß geworden. In gesicherter Lebensstellung erfreute sich Horaz der Freundschaft eines Maecenas, der Huld eines Augustus, des literarischen Verkehrs mit einem Vergil. Der Lebenssorgen zwar enthoben durch seinen Orden fand Balde nie wirksame Fördernng noch Anregung. Maximilian zeigte kein besonderes Interesse für Poesie, der Orden gab keinen fruchtbaren Nährboden für die Kunst. Horaz begann mit Satiren, die Frucht seiner reifsten Jahre sind die Oden. Balde begann mit epischen Lobgedichten und endete seine dichterische Laufbahn mit Satiren. Wie Horaz verfaßte er in den dreißiger Jahren seines Lebens seine vollendetsten Werke. Den drei Büchern seiner Lyrica ließ



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Horaz später ein viertes folgen. Der ersten Ausgabe der Werke Baldes, der cann. lyr. und silvae (1643) folgten drei Jahre später noch zwei Bücher silvae. Verfaßte Horaz seine Epoden früher als seine Oden, so sind diese Epoden bei Balde später oder gleichzeitig mit den Oden entstanden und in der bekannten irrtümlichen Interpretation des nicht von Horaz herrührenden Titels „Epoden" jenen nachgeordnet worden. Horaz ahmt die Griechen nach und ringt sich allmählich zu immer größerer Selbständigkeit durch, Balde beginnt seine Lyrica mit poetischen Übungen nach Horaz und Catull (lyr. III 43 De spinulo suo) und lernt sich immer freier in den üernommenen Formen bewegen.

Metrik. Die Metra Baldes sind in den lyrischen Dichtungen durchweg die horazischen mit der Einschränkung, daß sich bei Balde öfters dreizeilige Strophensysteme finden (ep. 5; 6; 10; 12, vgl. unten Nr. X und XI). Zu Baldes Zeiten war das Gesetz der Vierzeiligkeit der horazischen Strophen noch nicht bekannt. Baldes dreizeilige Schemata sind auf eine irrtümliche Abteilung horazischer Verse zurückzuführen. Ich gebe im folgenden eine Statistik der M e t r a d e r s i l v a e . Für die Oden und Epoden hat Benno Müller im Anhang zu seiner Ausgabe die Metren nachgewiesen. Die alcäische und sapphische Strophe ist dort noch stärker bevorzugt. Eine ausführliche Aufzählung und Besprechung der Metren gibt Weitenauer: Miscella lit. hum. (1753) II p. 354—399, 538—787.

Metra der Silvae.1) I. 1. asklepiadeisches System (Horaz I, 1 Maecenas atavis) II Ecl. 1; 2 ; 4 ; VI 3a. ') In der Ordnung der Metrai—XVII behalteich, um den Vergleich zu erleichtern, die Reihenfolge Benno Müllers bei, in der Benennung der Metra folge ich jedoch dem modernen Gebrauch und zwar den im Handbuch der klassischen Altertumswissenschaften (II 3 [1901] S. 245 ff. Gleditsch, Metrik der Römer) angewandten Bezeichnungen. Statt der Versschemata füge ich den einzelnen Maßen den Anfang einer entsprechenden horazischen Ode hinzu.

— 217



II. 1. asklepiadeisches Distichon (Horaz 1 3 Sic te diva potens Cypri) V 9 ; YII 3; VIII 4 ; 17. III. 1. asklepiadeische Strophe (Horaz I 15 Pastor cum traheret) I X 12. IV. 2. asklepiadeische Strophe (Horaz 1 14 0 navis referent) I 16; II ecl. 2; 3; 5; V 4; 6; 8; 15; VI 1; 2; 3; I X 7; 23. V. 2. asklepiadeisches System (Horaz 1,11 Tu ne quaesieris) VIII 12; 20; I X 9; 13; 16. VI. 1. sapphische Strophe (Horaz 1 2 lam satis terris) III 1; 2; 3; 4; 5; 6; IV 4 a ; V 18; VII 10; 15; VIII 26; I X 10; 24; 34. VII. größeres sapphisches Metrum (Horaz I 8 Lydia die per omnes) VIII 2; 7; 24. VIII. alcäische Strophe (Horaz I 9 Vides ut alta stet) IV 1; 2; 3; 4; V 5; 7; 11; 13; 20; 22; VII 4; 6; 8; 11; 18; VIII 22; 27; I X 1; 2; 18; 19; 25; 26. IX. 1. archilochisches System (Horaz IV 7, Diffugere nives) I 9a; VIII 8; 14; 23; I X 3; 28. 1 X. ) 2. archilochisches System (Horaz ep. 13. Horrida tempestas caelum contraxit, et imbres) I 13; H Parth. 2;*3; 4; 4 a ; 5; 5a; V 14. XI. 1 ) 3. archilochisches System (Horaz ep. 11 Petti nihil me sicut antea iuvet). — Bei Balde tritt jedoch für den jambischen Trimeter der ersten Zeile ein Hexameter ein. I 2a; 3a; 7; 9; 10; 10a; 11; II Apiar. 1; 3; 6; 7; Parth. 1; V 10; VIII 11; 15; I X 6; 14; 29. XII. 4. archilochisches System (Horaz 1 4 Solvitur acris hiems) I X 30; 32. ') Diese beiden Metra erscheinen bei Balde als dreizeilige Strophen dadurch, daß der jambelegische bezw. elegiambische Vers zerlegt wird in die beiden durch die Zäsur geschiedenen Teile, eine jambische Tetrapodie und einen katalektischen daktylischen Hexameter, die als selbständige Verse (in XI in umgekehrter Reihenfolge!) abgesetzt werden.



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XIII. alkmanisches System (Horaz I 7 Laudabunt alii claram) I ; l a ; 6a; 8; 11a; 12a; 14; 15; II Ap. 4; Y 1; 3; 21; YII 5; 12; VIII 6; 13; 18; I X 5; 8; 17; 22; 27; 33. XIV. iambisches Distichon (Horaz ep. 1 Ibis Liburnis). VII 2; VIII 10; 19 XV. jambischer Senar (Horaz ep. 17 Jam, iam efficaci do manus scienatie) • fehlt. XVI. 1. pythiambisches System (Horaz ep. 15 Nox erat et caelo) I 1; 2; 3; 4; 4a; 5; 5a; 6; 7a; 8a; 12; 13a; 14a; 15a; II Ap. 2; 5; V 17; 19; VII 1; 7; 13; 14; 16; VHI 5; 9; 16; 21; 25; I X 31. XVII. 2. pythiambisches System (Horaz ep. 16 Altera iam teritur bellis) VII 9; 17; VIII 1; 3; I X 4; 11; 15; 20; 21. XVIII. Sequenzenstrophe3) I 17; VII 19; I X 35. X I X . freie Rhythmen4) H Parth. 6; V 2; 12; 16. 3 ) Sequenzenstrophe mit 5 facher Wiederholung der beiden ersten Dipodien (vgl. Dreves, Die Kirche der Lateiner in ihren Liedern, 1908, S. 97). 4 ) Die hierher gehörigen Oden des V. Buches nennt Balde selbst in der Vorrede „heteroclitum et anomalum odarum genus".

III.

Chronologie der lyrischen Dichtungen. Die Anordnung der Gedichte ist im großen und ganzen chronologisch. Ton den Gedichten, die bestimmt vor 1639 enstanden sind, gehören 7 dem ersten Buch der carm. lyr., 3 dem zweiten an. Eines ist — wohl des Versmaßes wegen — an den Anfang des Buches Epoden gestellt. Auch innere Gründe sprechen für die chronologische Ordnung. Die moralisierenden Gedichte, die in den beiden ersten Büchern einen breiten Raum einnehmen, treten schon im 3. und 4. etwas zurück und finden sich in den Wäldern nur noch selten. Die Sprache, die in den ersten Büchern noch rauh und schwerfällig ist, wird später flüssiger und gewandter. Eine chronologische Bestimmung ist nur für den geringeren Teil der Gedichte zu ermitteln. Baldes Manier, die Tatsachen zu verhüllen, und der Mangel an äußeren Beziehungen (z. B. in den meisten moralisierenden und religiösen Gedichten) machen weitere Bestimmungen unmöglich. Durch direkte Jahresangaben des Dichters, die sich zum Teil nur in der Ausgabe der Odae Partheniae (1648) finden, sind folgende Gedichte zeitlich bestimmt. 1637 lyr. I 23; 33 1638 lyr. I 25; II 26; 29 1639 silv. IV 1; 2; 3; 4 1640 lyr. II 39; 43; 50; III 15; ep. 5; 6; 7; 8; 19; 21 1641 lyr. III 22 ; 35 ; IV 21 ; 40 ; ep. 10 ; silv. II Ap. ; V 1 ; 2 ; 3 ; 5 1642 lyr. II 41; IV 47; silv. I 1 ); II Parth.; V 7; 12; VII 7; 8; VIII 9 1644 silv. VIII 1; 5; IX 28 1645 silv. VIII 13; 14; 25; IX 19; 25; 27 Innere und äußere Gründe erlauben folgende Festsetzungen : 1632 (?) lyr. I 19 anscheinend unter dem unmittelbaren Eindruck der Nachricht von Pappenheims Tod (16. 11. 1632) entstanden. Vgl. v. 1 „Fama, quid narras?" ') Vgl. die Überschrift der letzten Ode dieses Buches.



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1634 (?) lyr. II 13 scheint durch die Nachricht von der Ermordung Wallensteins (25.2.34) hervorgerufen zu sein. 1638 lyr. I 16 auf den Tod des Jer. Drexelius (f 1638) lyr. I 34 wohl beim ersten Sommeraufenthalt in Ebersberg entstanden. Da Balde im Herbst 1637 nach München kam, ist dies Gedicht in Anbetracht der Kränklichkeit des Dichters also wohl in den folgenden Sommer zu setzen. lyr. I 36 „Auctoris Melancholia cum e campis redux audiret Brisacum a duce Winmario occupatum" (13. 12. 38). ep. 1 seit 20 Jahren fließt das Blut im Bruderkrieg, (v. 101). ep. 20 vgl. v. 57, Hinweis auf einen vor 20 Jahren erschienenen Komet (1618) 1639 lyr. III 45 an Herzog Albrecht Sigismund, der im April 1639 zum Koadjutor des Bischofs von Freising gewählt wurde (Westermayer S. 72) 1640 lyr. III 40 „Carmen saeculare", nämlich zur Jahrhundertfeier des Jesuitenordens lyr. III 41 auf den Tod des Prinzen Joh. Franz, des Sohnes Albrechts YI. (f 1640) lyr. IV 2 die neuen Befestigungswerke Münchens wurden 1640 vollendet (Riezler, Gesch. Bayerns Y, 601.) lyr. IY 48 nach Westermayers gerechtfertigter Vermutung (S. 79) unmittelbar nach Ablegung der ewigen Gelübde (31. 7. 1640) entstanden. Nach eigener Angabe (ep. 5) unternahm Balde im Jahre 1640 eine "Walfahrt nach Altötting. Auf dieser Reise wird er wohl auch Innsbruck, die Waldrast im Stubaital und das Bergwerk bei Schwaz besucht haben. In dieses Jahr gehören also die Gedichte: lyr. II 11; III 1; 8; silv. VII 4, auch lyr. IY 25 (vgl. oben S. 40). ferner lyr. III 2 „Cum ex tyroli in Bavariam Profectus . . . ." (bei derselben Gelegenheit) 1641 lyr. IV 1 nach v. 126 ist Kurfürst Maximilian 68 Jahre alt, er wurde 1573 geboren.



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1642

lyr. I I 27, v. 1 7 : schon 20 Jahre hat er die Heimat nicht gesehn (seit 1622). silv. IV. 4a, v. 3 : schon 24 Jahre tragen sie das Kriegselend. 1642/43 ep. 15. Die Vision, die der Dichter beschreibt, hatte er nach v. 1 im Jahre 1639, damals war, wie v. 7 besagt, Torstenson noch Privatmann, war es also nicht mehr zur Zeit der Abfassung des Gedichts; Torstenson erhielt nach Baners Tode (20. 5. 1641) den Oberbefehl. Nach v. 8 war Horn damals noch gefangen, er wurde erst 1642 ausgewechselt. 1643 sind die Epoden in Druck erschienen. Nach 1643 (bis 1646) silv. V I I I 4 ; 11; 15, diese Oden beziehen sich auf schon (1643) veröffentlichte Gedichte, silv. V I I I 16, 1643 legt Balde den Vorsitz in der Münchener Gesellschaft der Mageren nieder (Westermayer S. 93), silv. V I I I 26, dies Gedicht bildet den Übergang zu den an Avaux gerichteten Dichtungen (vgl. unten), gehört also wohl in die Jahre 1643/4. silv. I X 1, die Beziehungen zwischen Avaux und Balde wurden eröffnet durch des ersteren briefliches Lob der Baldeschen Lyrica von 1643. In die Jahre 1643—1646 sind demnach sämtliche an Avaux gerichteten oder ihn erwähnenden Gedichte zu setzen: silv. I X 2 ; 3; 10 (v. 120); 14; 29 (v. 25) In die Zeit nach Beginn der Friedensverhandlungen (10. 4. 1645) gehören die Oden: silv. I X 4, an die zu Münster versammlten Gesandten, silv. I X 5; 6, an Avaux in Münster, silv. I X 1 1 : 15, an die verhandelnden Fürsten, silv. I X 1 7 ; an den päpstlichen Legaten Fabio Chigi in Münster, silv. I X 2 0 ; 21, Schilderung eines scheußlichen Ungeheuers, des Krieges, das Balde die Friedensunterhändler zu verbrennen bittet, silv. I X 26, an den Friedenskongreß,



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Nach 1643 ferner: silv. V I I I 27, das auf das frühestens 1643 verfaßte Gedicht silv. I X 29 Bezug nimmt, 1645 silv. I X 22, auf den Tod des Kanzlers Abegg(f 1645) silv. I X 30; 31; 32; 33 auf den 1645 zum Kardinal ernannten Nuntius Pet. Lud. Caraffa. Wie aus dem Inhalt der Gedichte silv. I X 34 und 35 hervorgeht, sind diese die letzten, gehören also wohl in das Jahr 1646. Ein terminus a quo ermöglicht eine Zeitbestimmung in weiteren Grenzen für folgende Gedichte: silv. V I I I 10 weist der Inhalt in die Zeit nach der feierlichen Aufnahme in den Orden (31. 7. 1640) lyr. I V 34 und silv. VII 1 gehören in die Jahre 1640—1643, in beiden wird die Kapelle zu Otting erwähnt, die Balde 1640 besuchte (v. 13, 163) lyr. IV 45 (v. 46) spricht von dem toten Turn. Dieser ist 28. 1. 1640 gestorben, also 1640—1643. silv. V I I 16 nach der Übertragung des Amts des Hofhistoriographen auf Balde (1640), also 1640—1645. Durch den Fall Breisachs (13. 12. 1638) und die Verwüstung des Elsaß durch Bernhard von Weimar bestimmt, also frühestens dem Jahre 1639 angehörig sind die Oden: lyr. I I I 6; 20; 34 (v. 67); I V 11; ep. 11. Nach 1638 entstanden sind: lyr. I. 15, bei Übersendung des Agathyrsus (1638) lyr. I I 49, Begleitgedicht bei Übersendung der „Skazonten", nämlich der erweiterten Ausgabe des „Poema de vanitate mundi" (erschienen 1638). lyr. I I I 28, die in diesem Gedicht erwähnte Marienstatue auf dem Münchener Markt wurde 1638 erichtet. lyr. IV. 13 zu Mariae Himmelfahrt (15. August) in München. Durch Baldes Münchener Tätigkeit seit Oktober 1637 sind ferner bestimmt, 1 ) direkt durch den Titel: lyr. I 2 6 ; I I 20; 22; 25 ; 3 1 ; I I I 7 (Od. parth.); I I I 11; l ) Daß Balde bei seinem ersten Münchener Aufenthalt, 1626 bis 1628, schon lyrische Dichtungen geschrieben habe, ist nicht anzunehmen.

— 223



I Y 3 ; 4; 14; 15; 28; 34; 35; 43; 46; silv. VII 2; VIII 21; 22; durch den Inhalt: lyr. I 35, II 10, silv. V. 14 an Riverna gerichtet, der, wie aus der Vorrede zu silv. IV hervorgeht, ein Münchener Freund Baldes war. lyr. II 4 nach Angabe der Odae Parth. bei den Augustinern in München gedichtet, lyr. II 14, Bittgebet für den Sohn des Herzogs Albrecht, dessen Erziehung Balde in München anvertraut war (Bach S. 32); ebenso lyr. IV. 6. lyr. III 30 nach v. 74. lyr. III 31 an Brevanus, d. i. den kurfürstlichen Hofmarschall Philipp Eurtz v. Senfftenau (West. S. 83) f 1640. Da von ihm als einem Lebenden die Rede ist, gehört das Gedicht also in die Jahre 1637—1640. lyr. III 47 nach v. 115, , lyr. IV. 9 nach v. 4, silv. V 10, 17; VIII 2, 20 in diesen Gedichten wird von der Gesellschaft der Mageren gesprochen, der Balde zu München angehörte, silv. V 16 nach v. 9. 1636 oder später sind gedichtet: lyr. II 44 auf den erstgeborenen Sohn des Kurfürsten (geb. 31. 10. 1636), silv. VII 12, das im Titel erwähnte Poema de vanitate mundi erschien in erster Ausgabe 1636. Weitere termini sind noch zu finden für: lyr. I 5 erfolgreicher Widerstand von Ingolstadt 1635, lyr. I 30 Erscheinen des Werkes „De bello Belgico" von Farn. Strada 1633, lyr. I 42 Tod Tillys 1632, lyr. III 26, die in dieser Ode gefeierte Tat geschah nach Angabe der Odae Parth. im Jahre 1632. Den terminus 1630, Einfall der Schweden, haben wir noch für zahlreiche andere Gedichte (z. B. lyr. 1 8 ; 37; 38; III 42; IV 41 u. a.), doch erlaubt der dadurch bedingte große Spielraum (1630—1643) keine weitere Schlüsse.

— 224 — Das 6. Buch der Wälder, das die Gespräche eines Riesen und eines Zwergs enthält, gibt keinerlei chronologischen Anhalt. Balde sagt aber in der Vorrede: „Composueram olim tres Dialogos". Diese seien vielfach szenisch aufgeführt worden, man habe sie nach Belieben verändert, und keiner kümmere sich darum, wer der Verfasser sei. Da ihn nun auch ein Freund dränge, so wolle er sie ans Licht geben und damit sein Autorrecht wahren. — Ich möchte diese Dialogi in eine sehr frühe Zeit setzen; einmal spicht dafür das „olim" und der Umstand, daß sie schon in weite Kreise gedrungen sein sollen. Dann findet sich in dem Schlußgedicht eine Stelle (v. 61 ff.), die stark an eine der frühesten Dichtungen Baldes, die Batrachomyomachia erinnert. Ferner sind diese Dialogi offenbar nichts anderes als eine Stilübung, sie sind fast zentonenartig aus Wendungen antiker Dichter zusammengesetzt. Im Bewußtsein dieses Umstandes sagt Balde, er gebe nur ungern dem Wunsche des Freundes nach, die Gedichte drucken zu lassen. Daß dies keine Äußerung der Bescheidenheit ist, beweisen die anderen Vorreden, in denen sich niemals eine ähnliche Wendung findet. Ich möchte deshalb diese Dialogi nicht nur bis 1637 (Veröffentlichung der Batrachomyomachia), sondern bis in das Ende der zwanziger Jahre, in die unmittelbare Nachbarschaft der ersten Fassung dieser Dichtung rücken. Daß die Dialogi in eine frühe Zeit gehören, dafür scheint mir noch ein äußeres Moment zu sprechen: die Münchener Gesamtausgabe fügt dem 5. Buch den „Clangor anseris" an, der in den früheren Ausgaben nicht gedruckt war (vgl. oben S. 201). Ich vermute, daß die Herausgeber, die über die Biographie ihres Ordensbruders genauer orientiert waren, diese Jugenddichtung mit Absicht neben die zeitlich ihr nahestehenden Dialoge des 6. Buchs gerückt haben.

Verzeichnis der Stellen, an denen die lyrischen Gedichte besprochen oder erwähnt werden.') 1 2 3 4 5 6 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 22 23 24 25 26 28 29 31

19. 159. 172. 190 A. 130. 172. 21. 60. 122. 168.170. 190. 199. 19. 66. 178. 172. 126 ff. 116. 116 ff. 200. 19. 172. 154. 156. 111. 130. 28 f. 19. 127 f. 66. 130. 198. 172. 135. 172. 146. 190. 19. 172. 19. 172. 86. 172.

32 34 36 37 38 39 40 41 42 43 II. 1 2 3 4 6 7 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

172. 111. 66. 75. 67. 75 A. 75. 75. 75. 99. 99 f. 104. 99. 101. 176. 19. 172. 66. 99. 106. 19. 172. 177. 99. 106. 19. 58. 99. 101. 1 105 f. 95. 182. 66. 99. 172. 98. 181. 99. 176. 56. 155. 170 A.

*) Nicht aufgenommen wurden in dies Verzeichnis die Erwähnungen in den Abschnitten über Stil, Bau, Metrik und Chronologie der Gedichte auf Seite 191—196 und 201—223.



III.

21 22 23 24 25 26 27 28 31 32 33 34 35 36 38 39 40 41 42 43 44 45 47 49 50 1 2 3 4 5 6

7 8 9 11 12 13 15 16 20 21 22 23

226

19. 172. 177. 53. 55. 172. 99. 56. 53. 54.55.66.99.101. 66. 116. 122. 57. 97. 99 f. 106. 184 f. 205. 19. 60. 198. 200. 60. 114. 99. 101. 166. 172. 185. 19. 60. 99. 105. 114. 167 A. 19. 99. 102. 172. 19. 172. 199. 29 ff. 92 f. 154. 168 ff. 189. 58. 99. 101. 105. 179. 19. 172. 98. 99 f. 104. 66.

122.

99 f. 176. 199. 111 f. 60. 99. 105. 179. 121. 24 f. 67. 178. 100. 121. 122. 179. 66. 116. 102. 121.

24 25 26 27 28 29 31 32 33 34 35 36 37 39 42 43 44 45 47 48 IV 1 2 3 4 6 9 10 11 12 13 15 16 18 19 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

20. 172. 19. 172. 181. 60. 159. 102. 95. 55. 199. 176. 122. 156. 190. 20. 19. 180. 121. 172. 75. 159. 19. 22. 155. 60. 146. 190. 199. 60. 186. 199. 66. 96. 172. 56. 19. 172. 157. 172. 85 f. 178. 186. 75. 66. 82. 106. 54. 173. 104. 66. 157. 190. 199. 20. 172. 129. 129. 172. 186. 40 f. 19. 172. 101. 53. 121. 122. 198. 121. 157. 172. 19. 121.

— 33 35 36 37 38 39 40 41 43 44 45 46 47 49 Ep. 1 3 4 5 6 7 8 9 12 14 15 16 17 20 Silv. I. 2 3 4 5 6 7 8 10 11 12 13 14 15 16 17

227

19. 121. 122. 190. 190. 60. 190. 60. 75. 190. 60. 190. 104 t 66. 53. 57. 60. 67. 75. 66. 91. 56. 165. 131. 105. 67. 75. 95. 22 f. 172. 58. 102. 104. 53. 54. 58. 58. 181 f. 58. 168. 177. 125 f. 53. 54. 100. 104. 186. 174 f. 179. 106. 76. 174 161 f. 161. 161 f. 161 f. 161. 161 f. 161. 161. 161. 160 f. 154 f. 161 f. 162. 161. 122. 161 f. 155. 158. 162.



II. Eel. 1 2 3 4 5 Apiar. 1 2 3 4 5 6 7 Parth. 2 3 4 5 6 III. 1 2 3 4 5 6 IV. 1 2 3 4 V. 1 2 3 4 5 7 8 9 11 12 13 14 15 16 18

95. 172 f. 172 f 172 f. 94 f. 172 f. 94 f. 172 f. 60. 97 f. 156. 97 f. 97 f. 97 f. 176. 97 f. 97 f. 97 f. 105. 114. 102. 182. 101. 32. 122. 80 ff. 80 ff. 80 ff. 86 ff. 80 ff. 86 ff. 80 ff. 19. 80 ff. 90. 175. 66 ff. 66 ff. 123. 66 ff. 66 ff. 60. 138. 146. 150. 32. 60. 122. 150 f. 60. 150 f. 114. 149. 53. 55. 146. 121. 198. 122. 199. 138 f. 31 f. 137. 199. 75. 67. 32. 145. 175 f. 127 f 176.

— 19 20 21 22 VI. 1 2 3 3a 4 VII. 1 > 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 14 15 16 17 18 19 Vili. 1 2 3 4 6 8 10 11 12 14 15 18 21

228

91 f. 181. 147. 66. 86. 199. 200 f. 224. 174. 223 f. 174. 223 f. 174. 223 f. 19. 20. 174. 223 f. 174. 223 f. 106. 137. 139. 157. 159. 53. 54. 57. 58 f. 172. 19. 121. 172. 95. 146. 182 f. 186. 121. 172. 185. 155. 177. 19. 66. 146. 182 f. 186. 86 ff. 121. 198. 121. 60. 178. 186. 121. 140 f. 91. 122. 96. 155. 60. 115. 130. 170 A. 184. 200. 83. 154. 157 f. 159. 139 f. 118 f. 180. 93 f. 145. 96. 177. 139 ff. 66. 115 f. 139 f. 139. 60. 155 f. 158.

22 26 27 IX. 1 2 3 4 5 6 7 8 10 11 12 13 14 15 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

98. 43 f. 46. 120. 199. 45 f. 45 ff. 178. 45 ff. 60. 119. 122. 186. 199. 48. 76. 45. 48 ff. 45. 50. 132. 172. 32 ff. 45. 48. 48. 76. 198. 91. 45. 49. 66. 48. 67. 75 A. 178. 50. 60. 165. 32 f. 60. 66. 81. 85. 114. 146. 190. 199 66. 77. 178. 48. 77. 178. 31 f. 128. 176. 95. 178 f. 182. 184. 45. 49. 66. 122. 146. 148 f. 190. 48. 77. 60. 115 f. 130. 45. 60. 76. 155. 157. 176. 191. 45 f. 60. 107. 180. 35 ff. 35 ff. 35 f. 35. 39. 46. 170. 132. 99. 106 ff. 133. 182.

Register. Abegg, Joh. Christ. 31, 222. Abele, Matth. 57 A. Abraham a. St. Clara 28 A. Ackermann Joh. 201. Agricola, G. 73. Alamodewesen 86 ff. Albert VI., Herzog 1 A., 56, 160, 174, 220, 223. Albertinus, Aegid. 22, 44 A. Albrecht V., Herzog 3. Albrecht Sigismund, Herzog 220. Aldrovandus, Ul. 201. Alkuin 103, 173. Allegorie 95, 176 f. Allendorf, Philipp v. 124. Altdeutsche Dichtung 93. Altertum, deutsches 78 ff. Althamer 79, 80 A. Anguilla, Mich. 173. Aquaviva, Claudius 4. Aristoteles 97. Arminius 79 A. Athene 102 ff. Augustinus, hl. 175. Aurpach, Joh. 200 A. Ausländerei 78 ff. Avaux, Claude de Mesmes comte d' 41, 43 ff., 76, 132, 178, 214, 221. Aventin 72, 79, 80 A. Ayrer, Jak. 22. Aytoun, Rob. 117. Balticus, Martinus 4. Baner 66, 221. Barberini 74 A.

Barlaam 74. Barlaeus, Casp. 45 A., 198. Barth, Casp. v. 94. Bebel, Heinr. 80 A. Beheim, Mart. 72. Bernhard v. Clairvaux 178, 187. Bernhard v. Weimar 63, 66, 222. Berthold v. Regensburg 125. Bethlen Gabor 66. Bidermann, Jak. 41. Bienendichtung 97 f. Birken, Sigmund v. 26,140A., 206A. Bissel, Joh. 152. Boccaccio 128 A. Bodmer J. J. 148 A. Boppe 103. Boucquoi 66, 198. Brant, Seb. 72, 80 A., 124, 174 A. Brisonius, Car. 177. Brülow, Casp. 8. Brunner, Andr. 100. Bruno, Christopherus 4. Bruno, Giordano 167. Buchner, Aug. 147, 149. Bürger, G. A. 183. Bussleb, Joh. 6. Butler 66. Caesarius v. Heisterbach 97. Calaminus, Georg 181 A. Calixtus III. 72. Campano 79 A. Canisius, Petrus 3. Capistrano 72. Caraffa, Pet. Ludw. 35 ff., 222.



230

Castner, Gabriel 4. Castner, Zacharias 4. Catullus 109, 158, 216. Celtis, Conr. 58 A., 79, 80 A., 94, 167, 179. Chelidonius 175 A. Chigi, Fabio 36, 50 f., 76, 221. Christian v. Anhalt 66. Chryseus, Joh. 21. Chytraeus 173 A. Cicero 147, 169, 174 A. Claudianus 109, 193, 197 f. Clemens VI. 72. Conde 43. Contzen, Adam 22, 84 A., 86 A., 91. Cultismus 196 ff. Cyprian, hl. 98 A. Dach, Simon 26, 156. Dasypodius 8. Demokrit 147. Deveroux 66. Dohna, Han. v. 53. Doltz, Heinrich 6. Donatus, Alex. 134. Dornavius, Casp. 136, 173 A., 200. Douza, Janus 201. Drexel, Jeremias 1 A., 28 f., 83 A., 84 A., 86 A., 220. Dürer, 52f., 56. Eberlin v. Günzburg 80 A. Eck, Joh. 125. Eisenmann, Tobias 4. Ennius 197 A. Enthusiasmen 146 f., 171, 184 ff. Eobanus Hessus 5, 80 A. Erasmus, Des. 5, 72. Erlebnis 57 f. Erzählendes 179 ff. Erzpoet 187. Familie 122, 127. Faustbuch, ältestes 168 A.



Fendius, Mich. 201. Ferdinand II., Kaiser 74 A. Ferdinand III., Kaiser 41, 42, 51, 68.

Ferdinand Karl, Erzherzog 40 f. Ferdinand Maria, Kurfürst 9. Fischart 9, 72, 124. Fleming, P. 26, 74 A., 118, 154, 163 A., 181 A., 183, 203 A, Franck, Seb. 79, 80 A. Franziscus v. Assisi 152. Franzosen 43 ff., 75. Frauenfeindschaft 81 f., 126 ff. Freinsheim, Joh. 63. Friedenskongress 76 f. Friedrich V. v. d. Pfalz 66, 101. Friedrich d. Gr. 62. Frischlin, Nie. 34, 179. Furor poeticus 146 f. Gallas 66. Gazaeus, Angelinus 153, 181. Gegenreformation 2 ff. Geheimnis, poetisches 138 ff. Gelehrtendichtung 61 ff,, 88 ff., 138. Gellius, Aulus 140. Gengenbach, Pamph. 124. Gerbel 5. Goethe 175. Goldast 93. Gordon 66. Gottsched 143. Götz, J. N. 74 A. Greilinger, Gust. 63. Gregor d. Gr. 186. Grimmelshausen 63. Grotius, Hugo 64, 74 A., 92, 198. Gryphius, Andr., 11, 185. Gryphius, Chr. 117. Guevara, Ant. de 22. Guinisius, Vinc. 134. Gustav Adolf 35 A., 53, 63, 66, 68 f., 101, 177.



231

Harsdörffer 34 f., 135, 137 A., 140 A., 143, 149, 152, 156, 161 A. Heiligenverehrung 96 ff. Heilige Schrift 95, 101, 186. Heimatliebe 121 f. Heinsius, Daniel 20. Herbert, Cisterciensermönch 97 A. Herder 2 A., 25, 74 A. Hexenwesen 122. Hildebrand, Christ. 168. Hoeck, Stephan 126 A. Hofer S. J. 130 A. Hohen-Preysing-Aschau 14 A. Hoheslied 95. Homer 139, 144.



Karl der Kühne 68. Karl V. 72. Keller, Jakob 29 ff. 42. 92. Kinsky 66. Kirchhoff, H. W. 162. Klai, Joh. 34 f. 140 A. 181 A. Kiemsee, Georg 126 A. Knapp, Albert 25. Knaust, Heinrich 129. König, J. U. v. 117. Konrad v. Würzburg 103. Kuen, Joh. 153. Kunst 51 ff. Kurtz von Senfftenau 14 A. 223.

Landleben 159. Lauremberg, Joh. 78. Horaz 19, 74A., 107, 109, 117, Lebensfreude 115 f. 129, 133, 144 A., 159, 160, 173, Legende 97 f. 181. 175, 193, 202, 206ff. Leopold, Erzherzog 40 f. Horn 221. Lesley 66. Hospein, Mich. 8, 177 A. Hostienmirakelspiel 97 A. Lipsius, J. 20. 197 A. Hunyadi 72. Litanei, lauretanische 107. Humor 111. Locher, Jak. 72. 175 A. I Logau 78. 117. Hutten 72, 79 A., 80A., 168 A. Lotichius, Petr. L. See. 170. Hymnen 183 f. Loyola, Ignatius 75, 104. Ilow 66. Lucanus 109. 144. 191. 197 f. Innozenz VI. 72. Ludescher, Fidelis 133 A. Innozenz X. 35 A. 51. Ludwig IV. 131. Irenicus 80 A. Lukian 168 A. Luther 6. 7. 69. 72. 125. Jäcklin, Joh. 9. Luzidarius, der kleine 124. Jacopone 57. Jagddichtung 160 ff. Jesuiten 2 ff. 104. 109 f. 122. Macarius v. Alexandrien 189 A. Jesuitendichtung 6 ff. 10 ff. 20. 22. Macchiavellismus 76. 90 f. 44 A. 57 A. 73. 84. 86 A. 90 f. Macrobius 169 A. 95. 126. 172. 187. 205. Major, Mich. 201. Johann Franz, Prinz 220. Malerei: Poesie 149 ff. Johannes Secundus 198. Mansfeld 1 A. 66. Juan, Don, d'Austria 75. Mapes, Walther 187. Juden 123 £f. Marinismus 196 f. Martialis 109. 129. 160. Judenspiel, Endinger 124 f. Masen, Jak. 44 A. 84 A. 86 A. 134. Juvenal 127.



232

Maximilian, Kurfürst 1 A. 40 ff. 51, 52 ff. 58. 66. 96. 101 f. 131. 172 A. 178. 216. 220. 223. Meisterlin, Sig. 80 A. Melanchthon 5. 80 A. Methode 37 ff. 113. Micyllus, Jac. 5. 8. 22. Morhof 74 A. Morsheim, Joh. v. 21. Morus, Thomas 174 A. 190 A. Moscherosch 63. 78. 86. Münster, Seb. 80 A. Münzer, A. 73. Murner 72. Mynsinger, J. 73. Mystik 100. Mythologie, antike 195 f. Namen, Behandlung der 140. Naogeorg 21. Neider, Feindschaft der 129 f. Neubig, Joh. 25. Neumann 66. Nürnberger Dichter 34. 93. 98 A. 134 f. 140. 184. 194 A. Nützlichkeit der Natur 153 f. Nützlichkeitstheorie, poetische 151. Odilie, hl. 181. Olearius, Adam 63. 117 ff. Opitz, Martin 19. 26. 53. 63. 64. 88 f. 92 f. 126. 135. 137. 143. 147 ff. 152. Ovid 34.109.144.158.163.181.195. Oxenstierna 63. Pacuvius 197 A. Pappenheim 66. 219. Paraphrase 95. 107. 182 f. Parodie 117. 183. 212 f. Patriotismus 68 ff. 78 ff. 215. Patrizzi, Franc. 167. Petrarka 128 f. 142. Petrus Venerabiiis Cluniac. 97 A. Peutinger 80 A.



Pfefferkorn, Joh. 125. Philipp II. 125. Piccolomini, E. S. 21. 79 A. Pinicianus 175 A. Pirckheimer 80 A. Plautus 197 A. Plinius 97. Poggio 19. 78. Polemik 65. Politianus 173 A. Pontanus, Jac. 133. 173 A. Posthius, Joh. 201. Praetorius, St. 72. Procopius v. Templin 153. Propertius 109. Prudentius 142. 175. Pseudopolitiker 91. Puteanus, Erycius 174 A. 181 A. Pythagoras 169. Quintilian 19. Rabe, Mich. 157. 190. Rasser, Joh. 123. Rätseldichtung 139 ff. Regenbogen, Barthel 124. Renaud, Th. 181 A. Rhenanus, Joh. 118 A. Ribadeneira 92. Richel, Barth. 14 A. Richelieu 64. Ringwald, B. 72. Rist, Joh. 64. Riverna, Paulus 222. Rosanius, Frid. 32. Rosset, François 57. Rubens 54. Rudolf v. Rotenburg 103. Rumpier v. Löwenhalt 197. Sabinus G. 73. Sachs, Hans 157. 168 A. 181 A. Saint-Amant 117. Sandrart 54. Sannazaro 113.



233

Sarbiewski 54. 73 ff. 92.161. 168 A. 207. Scaliger, J. C. 147.173 A. 201. 213. Schede, Paul 34. Schedel 80 A. Schlesische Schule, zweite 95A. 196. Schopper, Jak. 79. Schupp 78. Schwarz 54. Schweden 75. 92. 101. Scioppius 20. 65. Scytale laconiea 140 f. Seneca 115. 191. 195. Sidonius, Ap. 178 A. 193. Sigismund II. v. Polen 74 A. Silbermann, Wolfg. Mich. 32 ff. 199. Simon v. Trient 124 f. Skanderbeg 72. Smeken, 97 A. Spalatin, Georg 5. Spangenberg, Cyr. 93. Spangenberg, Wolfh. 200 f. Spee, Friedr. v. 100 f. 122. 152. 173 A. Sprache, deutsche 88 f. Statius 19. 51 f. 109. 114. 132. 144. 191. 193. 197 f. 206. Stigelius 173 A. Stoa 20 ff. 120 f. 215. Stoff 135 ff. 179 f. 212. Strada, Farn. 134. 223. Straub, Lucas 9. Sturm, Joh. 4. 5. 8. 9. Tabak 116 ff. 180. Tacitus 70. 78 ff. 92. Terenz 109. Thomas v. Chantimpre 97 A. Thorius, Raphael 117 A. 118. Tibullus 109. Tilly 66. 198. 223.



Torstenson 66. 221. Toxites, Mich. 179. Trithemius 80. Trzka 66. Tschudi 80 A. Turenne 43. Türkendichtung 71 ff. Turn 222. Urban V. 72. Urban VIII. 51. 73 A. Veniera, Bonav. 187 A. Vergil 97.109.144.163.172.173 A. 177 A. 197. 200. Vincentius, Petrus 201. Visio Philiberti 187 ff. Vitelleschi 65 A. Voiture 44 A. Volkstümliches 159 f. 201. Vossius, G. 20. Vötter, Joh. Jac. 9. Vulteius 174 A. Wagnereck 65. Wallenstein 41. 66. 193. 220. Walter v. d. Vogelweide 62. Weckkerlin 26. 63. 156. Wein 116 f. Welschgattung 90. Wieland, Joh. Seb. 63. Wilhelm IV., Herzog 3. Willichus, Jod. 79 A. Wimpfeling 8. 79 f. Witz, Joh. 8. Wizel, Georg 5. Wladislaw IV. 53. 73 A. 74 A. 161A. Wunderglaube 96 f. Zeiller, Mart. 57 A. Ziegler, Hieronymus 4. Zincgref 64.