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German Pages 448 [450] Year 2021
Peter Heather Die letzte Blüte Roms
Peter Heather
Die letzte Blüte Roms Das Zeitalter Justinians Aus dem Englischen von Cornelius Hartz
Inhalt Justinian und der Niedergang des römischen Ostens 1 »In diesem Zeichen wirst du siegen« Ideologie und Imperium Die Politik des Siege(r)s
2 Geld und Männer für den Krieg Die Soldaten des Imperiums Der Kostenfaktor
3 Regimewechsel in Konstantinopel Anastasios, der glücklose Kaiser »Der purpurne Tod«
4 Der letzte verzweifelte Schachzug Von Gottes Gnaden Krieg im Osten Misserfolg auch an heimischer Front Der Nika-Aufstand Auf nach Westen
5 Fünftausend Pferde Vandalen und Alanen Der Niedergang der Vandalen
6 Rom und Ravenna Petros Patrikios »Eine Nachbildung des einzigen Reiches« Via Flaminia
6 16 17 29 43 44 57 73 73 89 103 105 109 115 117 122 131 131 145 160 160 168 180
7 Die Kultur des Siegers
197 198 206 219
Der Kampf um das Gesetz »Salomo, ich habe dich übertroffen« Der Friede Gottes
8 »Unser Bruder in Gott«
229 233 245 254
Der Adler ist gelandet Das Alexandertor Frieden in unserer Zeit
9 Totilas Aufstand
257 258 273
Imperator für zehn Jahre Der Gote Totila
10 Justinians Westreich
296 299 307 315 328
Drei Kapitel Geopolitik und der Balkan Das Exarchat Das Ende im Westen
1 1 Der Niedergang des Oströmischen Reiches Islamischer Satellitenstaat Verlust der Kerngebiete Justinians Strategie zur Verteidigung des Reiches
333 333 343 355
Anhang Die Quellensituation 368 Texte und Übersetzungen 378 Zeitleiste 380 Glossar 384
Anmerkungen 395 Bibliografie 422 Bildnachweis 435 Register 436
Justinian und der Niedergang des römischen Ostens
M
itte des 6. Jahrhunderts ließ das Herrscherhaus von Konstantinopel im zentralen Balkan auf einem niedrigen Plateau zwischen zwei kleinen Flüssen, der Svinjarica im Westen und der Caricina im Osten, eine neue Stadt errichten. Am nordwestlichen Ende des Plateaus thronte die Akropolis dieser Stadt, von massiven Wallanlagen umgeben. Diese Wallanlagen waren aufgrund der Beschaffenheit des Geländes ganz unregelmäßig. Fünf riesige Türme zierten sie, und es gab nur ein einziges Tor (Abb. 1). Im Inneren befand sich ein riesiger Kirchenkomplex (aus Basilika, Baptisterium und bischöflichem Audienzsaal), gegenüber ein nicht weniger aufwendig gestalteter Palast für die weltliche Macht und dazwischen ein von Säulengängen umgebener Platz. Weiter unten umgaben große Mauern die fünf Hektar große Oberstadt. Hier gab es mehrere Kirchen, von Arkaden gesäumte Straßen und eine große Kornkammer, einige Wohnhäuser für reiche Leute und auch diverse Einrichtungen der Wasserwirtschaft, wie sie im Altertum in den trockeneren Regionen rund ums Mittelmeer üblich waren, unter anderem eine Zisterne und einen Wasserturm. Außerhalb der Mauern erstreckte sich die Unterstadt, auf drei Hektar. Dort haben Ausgrabungen die Standorte weiterer Kirchen zutage gefördert sowie eine weitere riesige Zisterne und zwei große öffentliche Bäder. Der gewaltige architektonische Aufwand, der beim Bau dieser Stadt betrieben wurde,1 war durch keinerlei wirtschaftliche, administrative, religiöse oder strategische Zwänge gerechtfertigt: Justiniana Prima (das heutige Caričin Grad in Serbien) entstand einzig und allein zu Ehren von Justinian I., der im 6. Jahrhundert römischer Kaiser war und Anfang der 480er-Jahre in eben dieser Gegend des Balkans als Petrus Sabbatius zur Welt gekommen war. Heute ist Justinian einer der bekannteren römischen Kaiser. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er uns eine Reihe markanter Baudenkmäler hinterlassen hat. Dabei muss man sich gar nicht für irgendwelche Ruinen auf dem Balkan interessieren (was ich durchaus tue, wie ich geste-
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Abb. 1 Justiniana Prima. Kaiser Justinian verwandelte seinen Geburtsort, einst ein kleines Dorf, in eine Metropole.
hen muss), um sich für sein architektonisches Erbe zu begeistern: Es genügt ein Blick auf die atemberaubende Hagia Sophia im heutigen Istanbul. Oder auf die wunderschönen Mosaiken in San Vitale in Ravenna – das auf der einen Seite zeigt Justinian und seine Höflinge, das auf der anderen seine Frau, die Kaiserin Theodora, und deren Hofstaat (abgebildet auf S. 217). Sie locken jährlich Tausende Besucher in die Kirche. Was das Aussehen des Kaisers betrifft, so existieren in zeitgenössischen Quellen zwei ganz hervorragende Porträt (s. Abb. 8 und 12 a), und sie sind sich in allen wichtigen Punkten einig. Wie der Chronist Malalas es ausdrückt: Er war klein mit breiter Brust, guter Nase, heller Haut, lockigem Haar, rundem Gesicht, gutaussehend, mit zurückweichendem Haaransatz, gerötetem Teint; Haar und Bart wurden bereits grau.2
Ich bin allerdings der Ansicht, er wäre heute noch viel bekannter, wenn er schon im 1. Jahrhundert n. Chr. gelebt hätte. Seine Herrschaft war so außergewöhnlich und seine Leistungen so vielfältig, dass ihm ein Platz
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Seite an Seite mit den »Stars« aus Ich, Claudius – Kaiser und Gott gebührt hätte. Justinian bestieg den Thron im Jahr 527. Er war von Gott auserkoren als Herrscher eines Römischen Reiches, das sich immer noch nicht ganz daran gewöhnt hatte, dass es im Jahrhundert zuvor die gesamte westliche Hälfte seines Territoriums eingebüßt hatte. Das Römische Reich war das größte, das es im Westen Eurasiens je gegeben hatte, und noch dazu existierte es länger als alle anderen. Nach einem halben Jahrtausend – gegenüber einer solchen Zeitspanne sieht man die europäischen Empires des 19. und 20. Jahrhunderts mit ganz anderen Augen – hatte es nun, im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts, erlebt, wie alle seine westlichen Provinzen unter die Kontrolle diverser fremder Militärmächte gerieten: Angeln und Sachsen übernahmen in Britannien das Ruder, Franken und Burgunden in Gallien, Westgoten und Sueben auf der Iberischen Halbinsel und Vandalen und Alanen im Westen Nordafrikas (dem heutigen Libyen, Tunesien und Algerien). Italien, das frühere Herz des Imperiums, und damit natürlich auch die Stadt Rom wurden von einem Exilfürsten der Skiren regiert, der nach Italien geflohen war, nachdem im Jahr 460 das Königreich seines Vaters zerstört worden war: Odoaker. Er hatte in Italien einen Staatsstreich angezettelt, bei dem im Sommer 476 Romulus Augustulus als letzter weströmischer Kaiser gestürzt worden war – Odoaker hatte dann die Insignien des Westkaisers nach Konstantinopel schicken lassen. Im Laufe des halben Jahrhunderts, bevor Justinian Kaiser wurde, durchlief Europa weitere Veränderungen: Vor allem konsolidierten die merowingischen Franken ihre Macht und expandierten von ihrer ursprünglichen Machtbasis im heutigen Belgien aus nach Süden und Westen, und zwischen 489 und 493 eroberte der Ostgote Theoderich Odoakers Königreich in Italien (Karte 1). Nicht erst seit der Zeit des großen britischen Historikers Edward Gibbon diskutiert die Fachwelt über die Ursachen dieses erstaunlichen Niedergangs der Hälfte eines Kaiserreichs. In den letzten Jahren wurden die Stimmen der Revisionisten immer lauter: Sie versuchen, bei den Ereignissen des 5. Jahrhunderts sowohl die Rolle fremder Völker als auch das Ausmaß der stattgefundenen Gewalt kleinzureden. Ihrer Ansicht nach waren es verschiedene römische Interessengruppen, die beschlossen hatten, sich nicht mehr an den organisatorischen Strukturen des Impe-
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Das Oströmische Reich und die westlichen Nachfolgestaaten um 525
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OSTRÖMISCHES REICH
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Karte 1 Ostrom und die westlichen Nachfolgestaaten 525 n. Chr.
riums zu beteiligen, und für ihre Ziele teilweise romanisierte Außenstehende einsetzten (wie die Franken und Ostgoten), denen sie somit den Weg zu einer lokalen Autonomie ebneten. Ein Buch über Justinian und seine Zeit bietet leider keinen Platz für eine ausführliche Diskussion dieses umstrittenen Themas. Dennoch werden wir uns in den folgenden Kapiteln ein wenig eingehender insbesondere mit den Vandalen, den Alanen und den Ostgoten beschäftigen, weil sie ins Visier von Justinians Armeen gerieten. Auch wenn der revisionistische Diskurs in bestimmten wissenschaftlichen Kreisen eine beträchtliche Anziehungskraft hat: In einigen wichtigen Punkten lässt er sich nicht in befriedigender Weise in eine Gesamtdarstellung der Zersplitterung des westlichen Imperiums einfügen. Weströmische Provinzeliten führten intensive Verhandlungen mit aufstrebenden Mächten (wie den Westgoten und den Vandalen und Ala-
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nen), die bereits im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts auf römischem Boden Fuß gefasst hatten. Aber das war nur die letzte Stufe eines Prozesses, der mehrere Generationen gedauert hatte und dessen frühe Phasen – als sich diese Gruppen auf römischem Boden etablierten – extrem von Gewalt geprägt gewesen waren. Westgoten und Vandalen/Alanen waren neue Koalitionen, entstanden auf weströmischem Territorium, und sie speisten sich aus zwei beispiellosen Migrationswellen über die Reichsgrenzen hinweg (zwischen 376 und 380 und zwischen 405 und 408). Ursprünglich waren sie Außenseiter des Imperiums; sie zwangen den römischen Staat durch eine ganze Reihe militärischer Siege, ihre dauerhafte Existenz auf römischem Territorium zu akzeptieren – man denke nur an den Sieg der westgotischen Koalition im August 378 in Adrianopel, bei dem an einem einzigen schrecklichen Tag Kaiser Valens den Tod fand und zwei Drittel seiner Armee vernichtet wurden. Dabei war der Tod vieler römischer Soldaten nur das unmittelbarste Problem, das diese Koalitionen von ihrem Entstehen bis zu ihrer Akzeptanz bescherten: Dadurch, dass Westrom ihnen einen Teil seiner Territorien überließ (die Westgoten durften sich in Südwestgallien niederlassen und die Vandalen und Alanen später in Nordafrika), büßte es auch einen Teil seiner regelmäßigen Einnahmen ein, und so wurde es immer schwieriger, in ausreichendem Maße militärische Streitkräfte zu unterhalten, die eine weitere gewaltsame Expansion seitens der neuen aufstrebenden Mächte im römischen Westen vielleicht hätten verhindern können. Und es waren nun nicht mehr nur Westgoten, Vandalen und Alanen, sondern auch Burgunden, Franken und andere, kleinere Gruppen, die sich im Zuge verschiedener politischer Krisen, die mit dem Aufstieg und Fall des Hunnenreichs Mitte des 5. Jahrhunderts zu tun hatten, auf dem Grund und Boden der Römer niederließen. Die zentralisierte Kontrolle der westlichen Provinzen ging im Zuge dieser Entwicklungen verloren, und die Steuereinnahmen des Weströmischen Reiches wurden geschmälert. Und nicht nur das: Bei dieser neuen politischen Großwetterlage hatten die römischen Provinzeliten keine andere Wahl, als mit den neuen Königen um sie herum Geschäfte zu machen. Der Reichtum dieser Eliten rührte von ihrem Grundbesitz her, und genau das machte sie verwundbar – sie konnten ihre wichtigste Einnahmequelle schlichtweg nirgendwohin mitnehmen. Wenn plötzlich ein fränkischer oder gotischer König der wichtigste Herrscher in der
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Umgebung war, dann musste man sich wohl oder übel mit ihm arrangieren, oder aber man riskierte, alles zu verlieren. Solche Arrangements brachten so gut wie immer finanzielle Einbußen mit sich, aber solange die Gefahr bestand, dass man alles verlor (wie die römischen Eliten in Britannien und im Nordwesten Galliens, die den Zusammenbruch des 5. Jahrhunderts nicht überlebten), verabschiedete man sich lieber nur von einem Teil seines Reichtums. Wer diesen Prozess insgesamt als weitgehend friedlichen und freiwilligen Niedergang eines Imperiums charakterisiert, der klammert sich meines Erachtens zu sehr an das letzte Puzzleteil der Geschichte und sieht nicht das große Ganze, das sich aus all den relevanten Fakten ergibt.3 Während der Westen im 5. Jahrhundert nicht zuletzt aufgrund groß angelegter Attacken von außen im Chaos versank (insbesondere in den 440er-Jahren, der großen Zeit Attilas und seines Hunnenreichs), blieb die östliche Hälfte des Römischen Reiches stabil. Aus Gründen, die ich in Kapitel 1 näher untersuche, war es Ende des 3. Jahrhunderts und im 4. Jahrhundert zur Regel geworden, dass die riesige römische Welt von zwei Kaisern regiert wurde: Der eine herrschte von Konstantinopel aus über den Osten, der andere von Trier an der Mosel bzw. nicht allzu weit vom Rhein oder Mailand bzw. Ravenna in Norditalien aus über den Westen. Der Ost- und der West-Kaiser gerieten oft aneinander und führten zeitweise sogar Krieg gegeneinander, aber das Römische Reich blieb dennoch ein geschlossenes Imperium, wie sich daran zeigt, dass die übergreifenden rechtlichen und kulturellen Strukturen durch den Aufstieg und Fall diverser kaiserlicher Regimes nie ernsthaft bedroht waren.4 Und während die zentrale kaiserliche Macht im Westen schließlich am Ausbleiben von Steuereinnahmen aus den Provinzen zugrunde ging (insbesondere nachdem die Vandalen und Alanen in den 440er-Jahren die reichen nordafrikanischen Provinzen übernommen hatten), blieben Konstantinopel seine Territorien mit den höchsten Steuereinnahmen größtenteils erhalten: Ägypten, Syrien, Palästina und der Westen Kleinasiens (der heutigen Türkei) waren der wirtschaftliche Motor Ostroms. Und so brutal und erfolgreich Attilas Armeen auf dem Schlachtfeld auch waren, es gelang ihnen nie, den Balkan hinter sich zu lassen und Gebiete jenseits von Konstantinopel zu erobern. Der Staat, den Justinian im Jahr 527 erbte, wies somit in kultureller und institutioneller Hinsicht die charakteristischen spätrömischen Struk-
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turen auf (auch wenn es sich um den östlichen Mittelmeerraum handelte, der weitgehend von griechischsprachigen Eliten gelenkt wurde). Die Herrschaftsinstrumente und Mechanismen wirtschaftlicher Organisation in der überlebenden östlichen Hälfte der römischen Welt waren im Großen und Ganzen dieselben wie jene, die schon vor den katastrophalen Ereignissen des 5. Jahrhunderts im gesamten Römischen Reich am Werk gewesen waren. Ganz eindeutig verfügte der Kaiser auch über weitaus mehr Macht und größere Ressourcen als die neuen Königreiche im Westen. Dies sollte sich erst im 7. Jahrhundert ändern, als das Oströmische Reich ein ähnliches Schicksal erlitt wie zuvor Westrom: Zwischen zwei Drittel und drei Viertel seiner Territorien fielen in die Hände der unbezwingbaren Armeen des aufstrebenden Islams, der dem Sand der arabischen Wüste entstieg und sich explosionsartig verbreitete. Was vom Oströmischen Reich übrig blieb, war gezwungen, sich kulturell, wirtschaftlich und institutionell anzupassen, und zwar auf so grundlegende Weise, dass man das Gebilde von diesem Punkt an, genau wie die frühmittelalterlichen Reiche im Westen, eher als einen Nachfolgestaat betrachten muss denn als Fortsetzung des alten Römischen Reiches. Aus diesem Grund bevorzugen viele Historiker (so auch ich) für diesen post-islamischen östlichen Nachfolgestaat den Begriff Byzantinisches Reich, um ihn von der östlichen Hälfte des Römischen Reiches zu unterscheiden, die ihm vorausging.5 Doch auch wenn Mitte des 1. Jahrtausends n. Chr. alle Signale auf eine Auflösung des Römischen Imperiums deuteten – das Weströmische Reich ging im 5. Jahrhundert unter, im 7. Jahrhundert folgte das Oströmische Reich seinem Schicksal, wie schon gezeigt –, so bekam Petrus Sabbatius davon offenbar nichts mit. Als er im Jahr 565 mit weit über achtzig Jahren starb, hatten die Armeen Konstantinopels nicht nur verhindert, dass sich die territorialen Verluste, die Westrom im 5. Jahrhundert erlebt hatte, im Osten wiederholten, im Gegenteil: Seinem berühmten Feldherrn Belisar war es gelungen, diesen Prozess regelrecht umzukehren. Anders als im Fall des Kaisers selbst hat kein antikes Bildnis Belisars überlebt, doch es heißt, er sei groß und gut aussehend gewesen und von eindrucksvoller Statur – ganz anders als der schmächtige Justinian, dem bereits das Haar ausging (siehe Abb. 2).6 Doch auch wenn die beiden in physischer Hinsicht ein recht skurriles Paar abgaben: Gemeinsam brachten der Kaiser und sein Feldherr die von den
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Abb. 2 Auf dem berühmten Barberini-Diptychon aus Elfenbein unterwirft der siegreiche Justinian »Barbaren«.
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Vandalen und Alanen eroberten nordafrikanischen Provinzen, Sizilien und Italien, den Nordwestbalkan und sogar Teile Südhispaniens zurück unter römische Kontrolle, auch wenn es nun das Oströmische Reich war, das diese Gebiete kontrollierte, von Konstantinopel aus. Im Zuge dessen wurden zwei der frühen »barbarischen« Nachfolger-Königreiche im Westen, die Vandalen und die Ostgoten, vollständig ausgelöscht. Diese außergewöhnlichen Ereignisse werfen zwei grundlegende Fragen über Justinians Herrschaft auf. Mitte der 530er-Jahre, im zehnten Jahr seiner Regentschaft, wusste Justinians Propaganda zu verbreiten, es sei von Anfang an der sehnlichste Wunsch des Kaiser gewesen, die im 5. Jahrhundert eingebüßten westlichen Gebiete wieder unter römische Kontrolle zu bringen – eine Behauptung, der die meisten Forscher bis in die 1980er-Jahre hinein Glauben schenkten; die neuere Literatur zeugt von etwas mehr Skepsis.7 Es gibt inzwischen nicht mehr den geringsten Zweifel daran, dass Justinians Eroberungen für die menschlichen und finanziellen Ressourcen der Kernprovinzen des Ostreichs eine enorme Belastung darstellten und in den Gebieten, die sie betrafen, für unermessliches Leid sorgten – sie brachten Tod und Vertreibung. Justinian ließ nicht einmal von seinen Plänen im Westen ab, als der gesamte Mittelmeerraum in den 540er-Jahren von einer Pestepidemie heimgesucht wurde. Für viele Wissenschaftler, selbst für jene, die Justinian positiv beurteilen, ihn als eine Art romantischen Visionär sehen, wirft die Bilanz seiner Regierungszeit einige schwierige Fragen auf, allen voran: Waren die Eroberungen so viel Tod und Zerstörung wert? Und rechtfertigten sie in irgendeiner Weise den gewaltigen Aufwand? Immerhin nahm die Eroberung Italiens fast 25 Jahre in Anspruch, und kaum zehn Jahre nach Justinians Tod fiel ein Großteil Norditaliens in die Hände der Langobarden. Vor allem aber kam es Anfang des 7. Jahrhunderts zu einer nie dagewesenen Abfolge katastrophaler Ereignisse, die nun nicht mehr den Westen, sondern das Ostreich betrafen. Syrien, Palästina und Ägypten, die Kerngebiete des Oströmischen Reiches, die Konstantinopel das meiste Geld einbrachten, fielen zunächst den Persern in die Hände und wurden dann dauerhaft von den islamischen Armeen erobert; Konstantinopel wurde von der Hauptstadt eines Weltreiches zu einer Regionalmacht an der nordöstlichen Ecke des Mittelmeers degradiert. Dieser Umstand legt die Vermutung nahe, dass Justinians ohne Rücksicht auf Verluste geführte Feldzüge die Ressourcen seines Imperiums
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dermaßen überstrapaziert hatten, dass es äußeren Feinden am Ende ein Leichtes war, sich seine Territorien einzuverleiben. Das Bild von Justinian als romantischem Visionär weicht daher heute zunehmend der Vermutung, dass die Rückeroberung des römischen Westens die inneren Strukturen seines Imperiums irreparabel beschädigte. Ziel und Zweck dieses Buches ist es, anhand einer Vielzahl von erhaltenen Quellen (siehe dazu eingehend S. 368 ff.) zu untersuchen, wie viel Wahrheit in diesen beiden Hypothesen über das außergewöhnliche historische Phänomen Justinian und seine Regierungszeit steckt. Bevor man aber überhaupt damit beginnen kann, Justinians Regime, die Rolle, die es innerhalb der nach Westen gerichteten Expansionspolitik spielte, und die Auswirkungen dieser Politik zu untersuchen, muss man den politischen und institutionellen Hintergrund unter die Lupe nehmen, vor dem sich all dies entfaltete: Wie sah dieses Oströmische Reich aus, das Justinian im August 527 von seinem Onkel erbte? Wie funktionierte es in der Praxis, und welche politische Kultur hielt es im Inneren zusammen? Diese Fragen sind in der letzten Forschergeneration ein wenig zu sehr in den Hintergrund gerückt, woran nicht zuletzt der cultural turn schuld ist, der die Geschichtswissenschaft tendenziell von einer detaillierten Analyse politischer Prozesse und ihrer weitreichenden Konsequenzen weggeführt hat. Wie dieses Buch zeigt, bietet ein Abgleich der ambivalenten Berichte des Prokop, eines Historikers und Zeitgenossen Justinians – unsere wichtigste Quelle zu Justinians Zeit – mit den Anforderungen und den realen Grenzen der ideologischen wie auch praktischen Strukturen des Römischen Reiches der Spätantike eine ganz eigene Möglichkeit, dessen interpretative Darstellungen zu überprüfen. Zugleich hilft uns dies, sowohl die Ursachen als auch die Auswirkungen von Justinians außergewöhnlicher Karriere als Eroberer des Westens begreiflich zu machen.
1 »In diesem Zeichen wirst du siegen«
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ie Geschichte des christlichen Römischen Reichs begann mit einem Traum. Im Herbst des Jahres 312 zog Konstantin mit seiner Armee nach Süden über die Alpen und weiter in Richtung Rom, um seinen direkten Rivalen Maxentius anzugreifen. Am Vorabend der großen Schlacht erhielt Konstantin im Traum den Rat, die Schilde seiner Soldaten mit dem himmlischen Zeichen Gottes zu versehen, bevor sie in den Kampf zogen. Er tat, wie ihm geheißen: Mit einem schrägen Buchstaben Chi, dessen Spitze oben umgebogen war, markierte er Christus auf ihre Schilde. Mit diesem Zeichen gerüstet, griff die Armee zu den Waffen.1
Am 28. Oktober trug Konstantin einen überwältigenden Sieg davon, und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Der siegreiche Kaiser bedankte sich bei seinem göttlichen Beschützer, indem er eine Christianisierung einläutete, die die politische und religiöse Kultur des spätrömischen Kaiserreichs veränderte, bis sie nicht mehr wiederzuerkennen war. Konstantins Vermächtnis war der Grundstein des Imperiums, das Justinian am 1. August 527 erbte. In seinem Werk Bauten beschreibt Prokop ein monumentales Reiterstandbild im Herzen Konstantinopels, das Justinian von sich selbst aufstellen ließ: In der linken Hand hält er einen Globus, durch den der Bildhauer andeutet, dass dem Kaiser alles Land und alle Meere unterworfen sind, aber er trägt weder Schwert noch Speer noch irgendeine andere Waffe: Ein Kreuz steht auf dem Globus, den er trägt; allein durch das Kreuz erhielt er sein Reich und war siegreich im Krieg.2
Nach Konstantins Traum wurde nika – »siege!« oder »erobere!« – zur Parole des römischen Heeres, das durch die Symbole des christlichen Gottes geschützt war. Dieses Nebeneinander von »christlich« und »Krieg« ist uns so vertraut, dass wir beinahe übersehen, welch fundamentales
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Paradox dahintersteckt. Als Christus gefragt wird, wie man reagieren soll, wenn jemand einem etwas Böses tut, antwortet er, so berichten die Evangelien: »Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin!«3 Wenn wir uns genauer anschauen, wie es kam, dass römische Armeen in der Spätantike ihre Siege im Zeichen des Kreuzes errangen, können wir besser nachvollziehen, warum die Kriegsführung für die Ideologie und für das Funktionieren von Justinians Reich eine solche Schlüsselrolle spielte.
Ideologie und Imperium Das römische Kaiserreich galt unter seinen Bürgern als beste Form der politischen Organisation – nicht nur verglichen mit den Herrschaftssystemen aller anderen Staaten, die damals existierten (wobei die Ausdehnung der in der Spätantike bekannten Welt die Bandbreite möglicher Vergleiche von vornherein einschränkte), sondern auch gegenüber jedem denkbaren politischen System. Grundlage dieser Behauptung war ein Mix aus Ideen und Konzepten, die größtenteils der Philosophie und dem politischen Denken des klassischen Griechenland entlehnt waren und die unter dem Dach des römischen Kaiserreichs eine neue Ideologie bildeten. Ausgangspunkt war ein spezifisches Verständnis des Menschen und seiner Rolle im Universum: Der Mensch steht an der Grenze zwischen der Welt des Spirituellen, die von überlegenen, vollkommen rationalen Wesen bevölkert ist, und der irrationalen, rein physischen Welt darunter, der alle anderen Lebewesen angehören. Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das zugleich eine rationale Seele und einen irrationalen physischen Körper hat, was bedeutet, dass er die inhärente Fähigkeit besitzt, entweder völlig rational zu werden, sodass die rationale Seele den irrationalen Körper kontrolliert (wie es die göttlichen Mächte vorgesehen haben), oder völlig irrational wie ein ausschließlich von seinen körperlichen Trieben gesteuertes Tier. Die überlegenen, komplett spirituellen Wesen sind zwangsweise rational und die minderwertigen, komplett physischen Wesen irrational. Allein der Mensch hat die Wahl, sich für eine der beiden Richtungen zu entscheiden. Dadurch erhielt auch der klassische, griechisch-römische Kulturbegriff eine ganz spezifische Bedeutung. Zivilisation – im Lateinischen
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civilitas – meinte eine bestimmte Art der sozialen Organisation, die es den Menschen ermöglichte, vollkommen rationale Wesen zu werden, so wie ihr göttlicher Schöpfer es sich wünschte. Konkreter ausgedrückt: Nach der klassischen Theorie gab es eine Reihe spezifischer kultureller Elemente, die der griechisch-römischen Gesellschaft ihre einzigartige zivilisatorische Kraft verliehen, auch wenn diese von verschiedenen Theoretikern unterschiedlich gewichtet wurden. Die charakteristische klassische Bildung der gesellschaftlichen Elite, die Grammatik, Rhetorik und Literatur (auf Griechisch oder Latein) umfasste, galt als wesentlicher erster Schritt. Die Grammatik lehrte Logik und brachte Ordnung ins Denken, die Rhetorik vermittelte die Fähigkeit, beides auszudrücken, und die Literatur lieferte eine Art moralische Datenbank, aus der sich wichtige Erkenntnisse über menschliche Verhaltensweisen und ihre wahrscheinlichen Folgen ziehen ließen. Von Alexander dem Großen etwa konnte man lernen, dass es wenig ratsam war, beim abendlichen Gelage so viel zu trinken, dass man seinen besten Freund mit einem Speer attackierte. Andere Erkenntnisse waren durchaus gehaltvoller. Die Barbaren waren in den Augen der Römer geradezu lächerlich emotional – beim geringsten Erfolg glaubten sie, sie hätten die Welt erobert, beim kleinsten Rückschlag fielen sie in sich zusammen und degenerierten zu einem jämmerlichen Häufchen Elend. Wer sich mithilfe der Literatur mit dem Leben und dem Charakter der Menschen auseinandersetzte, konnten beide Extreme vermeiden. Auch die Wichtigkeit ganz nüchterner verschriftlichter Gesetze wurde hervorgehoben, auch wenn sie je nach Kontext Ursache oder Wirkung sein konnten. Einige Theoretiker waren der Ansicht, dass die Gesetze das Individuum daran hinderten, seine eigenen Interessen über die aller anderen Menschen zu stellen. Anders formuliert: Die Bildung sorgte dafür, dass das Individuum vernünftig genug war, um seine persönlichen Interessen dem Wohl der Gemeinschaft unterzuordnen, indem es sich den geltenden Gesetzen unterwarf. Ein weiterer wichtiger Faktor waren selbstverwaltete Städte (civitates, Sg. civitas): Sich mit Gleichgesinnten zu treffen, um vernünftige Debatten zu führen und am Ende gemeinsam wichtige Entscheidungen zu treffen, half bei der Weiterentwicklung der eigenen Vernunft weit mehr, als zu Hause zu sitzen und nur mit Sklaven und Frauen zu interagieren. Wer Letzteres tat, war für Griechen und Römer ganz wortwörtlich ein »Idiot« (Lat. idiota, Griech.
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idiotes – jemand, der sich ins Privatleben zurückzieht, anstatt sich am öffentlichen Leben zu beteiligen, was zu Vernunft und civilitas führen würde).4 Dieses Modell war ganz unverhohlen elitär. Nur Angehörige der vermögenden Elite konnten sich eine private klassische Bildung leisten, und dem Stadtrat einer griechischen oder römischen Gemeinde konnte nur angehören, wer über eine bestimmte Menge Grundeigentum verfügte. Außerdem war das Modell eindeutig patriarchalisch ausgerichtet. Zwar sah das Konzept rein theoretisch die Existenz vollkommen vernünftiger Frauen vor, aber in der Realität galten sie als absolute Ausnahme. Die allgemeine Überlegenheit der gesellschaftlichen Institutionen der Griechen und Römer indes war grenzenlos. Unter Bezugnahme auf die Philosophen Pythagoras und Ptolemaios hatten die Griechen und Römer ein Organisationsprinzip entdeckt, das den gesamten Kosmos durchzog und dafür sorgte, dass allen Dingen eine gewisse Ordnung zugrunde lag. Diese Ordnung spiegelte sich im Abstand der Planeten zur Erde genauso wider wie in der Harmonie in der Musik und in den Proportionen in der Architektur.5 Deshalb war die Vernunft so wichtig: Sie half den Menschen dabei, in die Tat umzusetzen, was der Schöpfer sich ausgedacht hatte. Das erklärt auch, wie die Römer – eine letzte, aber für unsere Zwecke entscheidende ideologische Wendung – zur Überzeugung gelangen konnten, das Göttliche habe ein einzigartiges Interesse an ihrem Staat und seinem Schicksal. Auch hier laufen wieder einige Gedankengänge zusammen: Erstens machte die kosmologische Ordnung auch vor der menschlichen Politik nicht halt; kein irdischer Herrscher konnte Macht ausüben, wenn die göttlichen Mächte dagegen waren. Zweitens war die kulturelle und gesellschaftliche Ordnung, die die römische Politik perfektioniert hatte, auf einzigartige Weise im Einklang mit den allgemeinen Zielen des Göttlichen für die Menschheit – nach dieser Logik war das Römische Reich Gottes Werkzeug zur Schaffung vollkommen vernünftiger Menschen; das Wohlergehen des römischen Staates und seine guten Absichten waren damit ein einzigartiges Zeugnis dafür, dass dieser Staat göttliche Unterstützung genoss.6 Alle diese Gedankengebäude waren längst etabliert, als Konstantin seinen Traum hatte. Sie waren Teil der Ausbildung, die die römische Elite – von adligen Grundbesitzern aufwärts – genoss und die zu diesem Zeitpunkt im gesamten Römischen Reich einigermaßen einheitlich war.
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Von Schottland bis zum Irak wurden jungen Leuten diese Ideen und Konzepte vermittelt, und alle genossen sie eine sprachlich-literarische Bildung in Latein und/oder Griechisch. Ihre Lehrer waren Grammatiker, Privatgelehrte, wie es sie in jeder größeren Marktstadt des Reiches gab und deren Bildungsprodukt die Conditio sine qua non für eine Aufnahme in die kaiserliche Elite war, sprich: für eine Chance auf eine profitable Karriere innerhalb der politischen und administrativen Strukturen des Kaiserreichs. Es gab gute und nicht so gute Grammatiker, guten und nicht so guten Unterricht, aber alle Grammatiker vermittelten die gleichen Grundwerte und -konzepte; sie waren ein fester Bestandteil des römischen Ausbildungssystems und sorgten über viele Tausend Kilometer hinweg für ein überraschend hohes Maß an kultureller Einheit.7 Auf den meisten Ebenen passte Konstantins neue Religion in diese Gedankengebäude auffallend gut hinein. Der erste wirklich christliche Theoretiker des Römischen Reiches, Bischof Eusebius von Caesarea, erklärte noch zu Lebzeiten Konstantins, es sei kein Zufall, dass Christus während der Herrschaft des ersten römischen Kaisers, Augustus, zur Welt kam. Das Christentum und das Reich seien im Geiste des Göttlichen miteinander verbunden, und mit der Ankunft der christlichen Kaiser sei es Roms Schicksal, die gesamte Menschheit zum Christentum zu bekehren. In der christianisierten Version der althergebrachten römischen Ideologie war der Kaiser nicht weniger als der Stellvertreter Jesu Christi, der bis zu dessen Wiederkunft an seiner Stelle auf Erden regierte, und der römische Staat war der irdische Ausläufer des Himmelreichs. Jedes staatliche Ereignis galt als direkte verbale und zeremonielle Ausdrucksform dieser zentralen christlichen Ideologie, und eine sakrale Aura umgab die Person des Kaisers und seine Untergebenen. Alles war »heilig«, vom kaiserlichen Schlafzimmer bis hin zum kaiserlichen Finanzamt.8 Die Gottheit, der so viel am Wohlergehen des Römischen Reiches lag, zum Gott des Alten und Neuen Testaments umzudeuten, war nicht allzu schwierig, doch es gab durchaus auch einige weiter reichende Veränderungen. Im vorchristlichen Reich beispielsweise hatte keiner so recht gewusst, ob der göttliche Plan auch die armen Landbewohner der römischen Welt (85 bis 90 Prozent der Bevölkerung) betraf, die keinerlei Zugang zu jenen Strukturen hatte, die einen Menschen zum vernünftigen Wesen machten, wie Bildung, Stadträte usw. Die Lehre des Christentums hingegen stellte ganz kompromisslos klar, dass jeder Mensch eine
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Seele habe und dass vor Gott das Heil jeder einzelnen Seele gleich wichtig sei. Aus diesem Grund galten in den entsprechenden Debatten der postkonstantinischen Zeit, soweit sie uns überliefert sind, immer häufiger nicht mehr die Bildung und die Teilhabe an der städtischen Selbstverwaltung als entscheidendes kulturelles Merkmal, das die vernünftige, von Gott geweihte römische Gesellschaft von ihren minderwertigen – »barbarischen« – Nachbarn unterschied, sondern die schriftlich festgelegten Gesetze. In einer berühmt gewordenen Stelle bei einem römischen Autor verkündet der westgotische König Athaulf, er habe den Plan, das Römische Reich durch ein gotisches zu ersetzen, aufgegeben, weil seine Anhänger nicht in der Lage seien, sich an schriftlich fixierte Gesetze zu halten. Seine beste Option, fand er, bestand darin, das gotische Militär dazu einzusetzen, Rom zu unterstützen. Und bei einem anderen Autor bricht ein ehemaliger römischer Kaufmann, der inzwischen ein wohlhabender Hunne ist, in Tränen aus, als er sich daran erinnert, wie angenehm das Leben damals war, als sich die Menschen noch an das kodifizierte römische Recht hielten. Überhaupt kam das Erlassen von Gesetzescodices im poströmischen Westen einer Deklaration gleich, dass das eigene Gemeinwesen nun dem Club zivilisierter christlicher Nationen angehörte, selbst wenn diese Gesetze in der Praxis gar nicht zur Anwendung kamen.9 Gesetze eigneten sich dafür deshalb so gut, weil sie jeden Bürger, den Adligen wie den Bauern, innerhalb einer festgelegten Sozialstruktur verorteten. Das geschriebene Recht war eine Gabe Gottes, die dazu diente, allen Menschen den Platz zuzuweisen, der ihnen gebührte. Das Christentum hatte auch einen Einfluss auf die religiöse Komponente des Berufsbilds des Kaisers. Die römischen Kaiser hatten schon immer auch eine religiöse Funktion gehabt; seit Augustus gebührte allein dem Kaiser der Titel Pontifex Maximus, und als solcher trug er letztendlich die Verantwortung dafür, dass die Götter dem Imperium gewogen waren. Dazu hielt er beispielsweise bestimmte Sühne-Rituale ab, wenn Omina (Vorzeichen) oder Ereignisse darauf hindeuteten, dass die Unterstützung der Götter ausblieb. Da es im Christentum bereits die »Fachleute« gab, die für alle Rituale verantwortlich waren, wurde schnell klar, dass der Kaiser nicht länger als bloßer Priester gelten konnte. Als Gottes Stellvertreter hatte er nach wie vor eine einzigartige Beziehung zum Göttlichen und behielt eine allumfassende religiöse Autorität. Ge-
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nau das aber machte seine Beziehung zur christlichen Priesterschaft so kompliziert – Kaiser und Bischöfe brauchten eine gewisse Zeit, allein um auszuhandeln, ob und wie der Kaiser an einer öffentlichen Messe teilnehmen konnte, ohne dass seine religiöse Autorität von den Priestern kompromittiert wurde, die ganz offensichtlich Dinge tun konnten, die dem Kaiser nicht möglich waren.10 Es gab auch immer wieder christliche Führungspersönlichkeiten, die die religiöse Autorität des Kaisers in bestimmten Situationen hinterfragten. So sind mehrere Darstellungen von Heiligen und Bischöfen überliefert, die den Inhaber des kaiserlichen Throns zurechtwiesen. Ende des 5. Jahrhunderts verwendete Papst Gelasius in einem Brief an Kaiser Anastasios I. in Konstantinopel eine Metapher von zwei Schwertern, die suggerierte, dass sich die kaiserliche Autorität nicht auf das Heilige erstrecke.11 Zu diesem Zeitpunkt musste sich Gelasius zumindest vor Ort in Rom schon nicht mehr mit einem Kaiser auseinandersetzen, denn die westliche Hälfte des Römischen Reiches war eine Generation zuvor bereits Geschichte. Spätrömische Kirchenmänner, so prominent sie auch sein mochten, hätten aber ohnehin nicht gewagt, dem Kaiser offen ablehnend zu begegnen. In privaten Briefwechseln mit ihren Anhängern ließen sie sich manchmal zu unverschämten Bemerkungen über einzelne Kaiser hinreißen, mit denen sie unterschiedlicher Meinung waren, aber insgesamt übten die Kaiser von Konstantin bis Justinian de facto und de jure Macht über die Kirche aus. Tatsächlich setzte die Bekehrung Konstantins, was das Wesen und Wirken der christlichen Religion betrifft, eine Revolution in Gang, die mindestens ebenso umfassend war wie die Veränderungen, die die Strukturen und Ideologien des Imperiums durch das Zutun der Religion erfuhren. Man definierte wichtige Dogmen wie die Dreifaltigkeit, richtete neue Herrschaftsstrukturen ein, die die Rechte und Pflichten von Bischöfen, Erzbischöfen und Priestern definierten, und legte neue Regeln für religiöses und moralisches Verhalten fest. Die Kaiser spielten dabei eine zentrale Rolle. Sie beriefen große Konzilien ein, an denen theoretisch die Gesamtheit aller christlichen Kirchen teilnahm (daher der Begriff »ökumenisches Konzil«), führten dort den Vorsitz und legten sogar die Tagesordnung fest. Bei diesen Konzilien wurden viele der erwähnten Punkte beschlossen – die erste solche Zusammenkunft fand 325 in Nicäa statt.
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Die ranghöchsten Kirchenmänner der spätrömischen Zeit waren die fünf Patriarchen: die Bischöfe von Rom, Alexandria, Antiochia, Jerusalem und Konstantinopel. Vier dieser fünf Bischofssitze waren jeweils von einem der Apostel Christi gegründet worden (Konstantinopel war Bischofssitz, weil es als »neues Rom« dem alten Rom in nichts nachstehen sollte). Rom sah sich selbst als prestigeträchtigste dieser fünf Städte, aber die anderen vier teilten diese Ansicht nicht, und eine päpstliche Autorität, wie sie im Hochmittelalter entstand, existierte noch nicht. Dass nur der Kaiser ein ökumenisches Konzil einberufen konnte und die Patriarchen lediglich für regionale Konzile zuständig waren, zeigt noch einmal deutlich, welche religiöse Autorität der Kaiser besaß. In der Praxis erzwangen Kaiser auf den Konzilien Entscheidungen, ernannten hochrangige Kirchenmänner, und die Gesetze, die sie erließen, enthielten viele wichtige formelle Anordnungen für die Kirche. Der ambitionierteste formale Anspruch auf Autorität über die westliche Kirche aus spätrömischer Zeit unterstreicht diesen Punkt; es handelt sich um einen im Jahr 445 verfassten Text, der erklärt: »Nichts darf gegen oder ohne die Autorität der römischen Kirche getan werden.« Dass dies in der Praxis aber völlig ignoriert wurde, ist ein ganz wesentlicher Punkt – es sollte noch einmal siebenhundert Jahre dauern, bis diese Anordnung Wirkung zeigte; ein anderer ist, dass sie aus der Gesetzgebung des weströmischen Kaisers Valentinian III. stammt. In der Realität fungierte der spätrömische Kaiser als Oberhaupt der sich rasch entwickelnden christlichen Kirche (wie es die Auffassung des Kaisers vom göttlichen Ursprung seiner Autorität ja bereits nahelegt), und die Kirche selbst war im Großen und Ganzen eine Unterabteilung des römischen Staates. Mit anderen Worten: Die meisten Reichsbewohner, nicht nur kirchliche Amtsträger, akzeptierten nach wie vor, dass der Kaiser das Recht hatte, eine allumfassende religiöse Autorität auszuüben.12 Gegenüber dieser Neudefinition seiner religiösen Autorität blieben die meisten anderen Elemente des kaiserlichen Amtes im Wesentlichen unverändert. Was die Zivilgesellschaft betraf, so galt es als Pflicht des Kaisers, die wichtigsten Institutionen der civilitas zu schützen, indem er Vorgaben machte, wie der Verwaltungsapparat und die Beamten, aus denen dieser Apparat bestand, das Reich zu regieren hatten. Laut Themistios, einem politischen Berater des Kaisers im 4. Jahrhundert, war die wichtigste kaiserliche Tugend in diesem Zusammenhang die Philanthro-
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pie: die Liebe zu den Menschen (und zwar zu allen Menschen, nicht zu ein paar Auserwählten oder Gruppen). In den ideologischen Konstrukten der Griechen und Römer war dies die göttliche Tugend schlechthin; sie ermöglichte es dem Kaiser, für alle seine Untertanen zu sorgen, indem er die wichtigsten gesellschaftlichen und kulturellen Institutionen förderte, die die civilitas stützten. In der Praxis bedeutete es, dass der Kaiser in einer ganzen Reihe wichtiger Bereiche angemessen handeln musste (oder zumindest so tun musste, als handelte er so). Was das Rechtssystem betraf, so musste er die juristischen Strukturen aufrechterhalten, die die Römer immer häufiger als zentrales Merkmal wahrnahmen, durch das sich ihre zivilisierte Gesellschaft von all den barbarischen Nachbarvölkern unterschied. Ab dem ausgehenden 3. Jahrhundert waren in der römischen Welt größtenteils die Kaiser für die Gesetzgebung zuständig; sie galten für gewöhnlich als »lebendiges Recht« – auf Griechisch nomos empsychos.13 Sie konnten Gesetze erlassen (und manchmal auch brechen), wie es ihnen beliebte, doch da das Recht in ideologischer Hinsicht eine so wichtige Rolle spielte, mussten sie stets in der Lage sein zu demonstrieren, dass das, was sie taten, die Ideale der vernünftigen civilitas unterstützte, auch wenn es sich in Wirklichkeit – wie nicht selten der Fall – ganz anders verhielt. Eine zweite wichtige zivile Funktion des Kaisers bestand darin, alle hohen Beamten zu ernennen, die in ihrer Gesamtheit den Herrschaftsapparat bildeten. Der Kaiser war der oberste Autokrat, aber wie jeder Autokrat, der über riesige Gebiete mit eingeschränktem Bürokratieapparat herrscht, erledigten de facto seine Beamten die Regierungsgeschäfte; diese besaßen ein hohes Maß an Autonomie. Die ersten Phasen seiner Regierungszeit war ein Kaiser folglich mit der Ernennung neuer Beamter beschäftigt und damit, Beziehungen zu einer ganzen Reihe lokaler Lobbyisten herzustellen, um sich so ein funktionierendes Regime aufzubauen. Wiederum wurde viel von dem, was da geschah, von der Realpolitik diktiert, doch wie Themistios es ausdrückte, formte ein Kaiser den Charakter seines Regimes durch die persönlichen Qualitäten seiner »Freunde«, mit denen er die Machtpositionen besetzte. Der Prozess, wenn der Kaiser seinen Herrschaftsapparat einrichtete, musste zumindest nach außen hin so wirken, als stärke er die civilitas, und dazu brauchte er Repräsentanten, die über passende persönliche Eigenschaften verfügten.14
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Aus ähnlichen Gründen suchten die Kaiser immer wieder nach Situationen, in denen sie demonstrieren konnten, wie sie lokale Bildungsund Regierungseinrichtungen unterstützten, die als Grundbedingung der civilitas galten (auch wenn ihr Handeln dann in Wirklichkeit wenig mehr als Fassade war). Lehrstühle zu vergeben, war immer ein guter Schachzug, genau wie alles, das als Unterstützung der lokalen Selbstverwaltung der städtischen Eliten durchging. Auch wenn die ständige Einmischung durch die zentrale Reichsregierung die lokale Autonomie der Bürger in der Realität immer weiter ausgehöhlt hatte, übten diese kulturellen ideologischen Imperative auch im christlichen Reich des 6. Jahrhunderts noch eine gewisse Kraft aus. Und obwohl Prokop in den Bauten die größte Emphase auf das Christentum und die Verteidigung legt, kam der Stadt als einzig möglichem Kontext für ein wirklich zivilisiertes Leben immer noch eine gewisse Bedeutung zu. So beschreibt Prokop in den 550er-Jahren, wie sich Caput Vada (im heutigen Tunesien) verändert hat, seit dort zwanzig Jahre zuvor Belisars Invasionsstreitmacht landete: Die Bauern haben den Pflug beiseitegelegt und sind nun eine Gemeinschaft, die sich nicht mehr landwirtschaftlichen Aufgaben widmet, sondern ein städtisches Leben führt. Tagsüber sind sie auf dem Forum und halten Versammlungen ab, um die Fragen zu erörtern, die sie beschäftigen; und sie treiben Tauschhandel miteinander und widmen sich all jenen Dingen, die die Würde des Städters ausmachen.15
Die alte zivilisatorische Kraft, die der lokalen Selbstverwaltung innewohnte, war – zumindest theoretisch – immer noch quicklebendig. Der vom christlichen Gott persönlich für seine Aufgabe ausgewählte Kaiser hatte auch wichtige militärische Pflichten. Bis weit ins 4. Jahrhundert hinein nahmen die Kaiser als Militärkommandanten aktiv an Feldzügen teil, und manche wurden vor allem deshalb in dynastische Interregna berufen, weil sie bereits bekannte Feldherren waren, so zum Beispiel Valentinian I. und Theodosius I. Doch das Amt des Kaisers behielt seine allgemeine militärische Funktion – oder besser: Verantwortung – auch dann noch bei, als die Kaiser Ende des 4. Jahrhunderts damit aufhörten, persönlich mit in den Krieg zu ziehen. Im Jahr 402 wertete der Dichter Claudian den Sieg der weströmischen Armeen über
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die gotischen Streitkräfte Alarichs als persönliche Leistung von Kaiser Honorius.16 Dabei hatte Honorius in Wirklichkeit keinen Fuß auf das Schlachtfeld gesetzt, denn er war damals erst zwölf Jahre alt. Und die Schlacht endete auch gar nicht mit einem Sieg der Römer, sondern ging unentschieden aus. Der springende Punkt hier ist jedoch nicht, dass Claudian es mit der historischen Wahrheit nicht so genau nimmt: Entscheidend sind seine Gründe dafür, Honorius’ Beitrag zu dem fiktiven Triumph zu verklären. In der gesamten Geschichte der römischen Kaiserzeit galt eine Tugend als wichtigstes Charaktermerkmal eines Herrschers: die Fähigkeit, auf dem Schlachtfeld den Sieg davonzutragen. Dass sich daran auch mit dem Aufkommen des Christentums nichts änderte, hatte einen ganz einfachen Grund: Ein militärischer Sieg zeitigte eine weitaus größere ideologische und politische Wirkung als jeder religiöse oder zivile Akt. Letztere beiden Dimensionen des kaiserlichen Amtes – darunter die Beilegung theologischer Streitfragen, Gesetze, die die civilitas sicherstellten usw. – konnte als mögliches Zeichen göttlicher Begünstigung gesehen werden (und wurde es auch regelmäßig), aber die Taten eines Kaisers an diesen »Fronten« waren anfechtbar und wurden immer wieder infrage gestellt. Wurde eine theologische Streitfrage entschieden, gab es dabei immer auch Verlierer in den eigenen Reihen – und sie leugneten oft jahrzehntelang die Legitimität der Entscheidung. Der Streit um die Person Christi innerhalb der Dreifaltigkeit, der eigentlich im Jahr 325 in Nicäa »beigelegt« wurde, ging de facto noch drei Politikergenerationen lang weiter. Wie die folgenden Kapitel zeigen, beschäftigte Justinian Mitte des 6. Jahrhunderts ein weiterer kirchlicher Disput, der theoretisch bereits 451 auf dem Konzil von Chalkedon entschieden worden war. Bei der Gesetzgebung war es ähnlich: Es gab kein Gesetz, das allen Menschen auf die gleiche Weise von Nutzen gewesen wäre (auch wenn die kaiserliche Propaganda dies gerne behauptete).17 Kurz: Ein militärischer Sieg besaß eine größere legitimierende Macht als jede andere kaiserliche Aktivität. Der allmächtige Gott konnte kein deutlicheres Zeichen seiner Gunst senden als einen kolossalen militärischen Sieg über die den Römern innerhalb der göttlichen Schöpfungsordnung per definitionem untergeordneten Barbaren. Während der gesamten römischen Kaiserzeit waren die Kaiser bei allem, was sie taten, darauf bedacht klarzustellen, dass sie im Einklang mit dem göttlichen
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Plan für die Menschheit handelten. Und in ideologischer Hinsicht gab es dabei nichts, das einem militärischen Sieg gleichgekommen wäre. Selbst wenn ein Kaiser wie der junge Honorius die Truppen nicht persönlich ins Feld führte, konnte eine siegreiche Schlacht seine gottgegebene Legitimität beweisen: Die Feldherren hatten ja in seinem Namen gekämpft. Damit schloss sich der ideologische Kreis. Ein legitimer Kaiser hatte göttliche Kräfte hinter sich, die sich in einem Sieg auf dem Schlachtfeld manifestierten. Und andersherum brachte ein militärischer Erfolg eben mehr politische Legitimität mit sich, als es jede andere Tat eines Kaisers vermocht hätte.18 Dementsprechend nahmen militärische Siege als ultimatives Zeichen göttlicher Unterstützung in der Propaganda aller römischen Herrscher einen zentralen Platz ein. Seit Konstantins unmittelbaren Vorgängern, den Tetrarchen, gaben sich die Kaiser Siegertitel aus den Adjektiven der Namen der besiegten Feinde und fügten sie der Liste ihrer bisherigen Titel hinzu. Zu »Caesar«, »Augustus« oder »Pontifex Maximus« gesellten sich so »Parthicus«, »Alamannicus«, »Gothicus« und viele andere Titel mehr. Diokletian und die anderen Tetrarchen fügten jedem dieser Titel sogar noch eine Zahl hinzu, die anzeigte, wie oft sie (oder einer ihrer Kollegen) einen bestimmten Gegner besiegt hatten: »VII Carpicus« hieß also »siebenmal Sieger über die Karpen«. Nach Konstantin waren die Kaiser nicht mehr so sehr auf Zahlen fixiert, auf Siege aber schon. Jedes Mal, wenn der offizielle Name eines Kaisers erwähnt wurde, wurden seine Untertanen nolens volens mit einer Liste von Siegen konfrontiert, die unterstrich, dass Gott sein Regime unterstützte.19 Anlässe dafür gab es reichlich. Die kaiserliche Titulatur tauchte in allen offiziellen kaiserlichen Verlautbarungen auf, von kurzen Briefen bis zu formellen Gesetzestexten. Und sie fand sich auch auf vielen Inschriften wieder, die meistens mithilfe der Namen der Konsuln datiert wurden – das Konsulamt übten die Kaiser in spätrömischer Zeit regelmäßig selbst aus. Die meisten öffentlichen Anlässe im Römischen Reich, sei es auf zentraler, regionaler oder lokaler Ebene, beinhalteten eine formelle Akklamation, bei der auch sämtliche Titel des amtierenden Kaisers ausgerufen werden mussten. So begann jede Sitzung eines der vielen Hundert Stadträte des Römischen Reichs der Spätantike mit einer solchen Akklamation (auch wenn nur von einer einzigen derartigen Sitzung das Protokoll überliefert ist), genau wie jede formelle Zeremo-
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nie im Reich, nicht zuletzt die sorgfältig orchestrierte Ankunft – adventus – des Kaisers in einer seiner Städte. Bei solchen Anlässen wurden die militärischen Leistungen des Kaisers nicht nur in Form der Titulatur erwähnt, sondern in der Regel auch noch ausführlich besprochen. Bei den meisten kaiserlichen Zeremonien brachte jemand einen Panegyricus zu Gehör, eine formelle Lobrede zu Ehren des Kaisers, und wer das Glück hatte, eine solche Lobrede halten zu dürfen, konnte damit seine eigene Karriere vorantreiben. Ein Panegyricus konnte individuell gestaltet werden, doch eine der am häufigsten verwendeten Formen beinhaltete einen Abschnitt, der die Heldentaten des Kaisers im Krieg aufzählte. Und auch wenn sich der Redner für eine andere Form entschied: Er verzichtete niemals darauf, die kaiserlichen Erfolge auf dem Schlachtfeld zu erwähnen.20 Was bei einer Aufzählung dieser Taten indes nie fehlen durfte, war der Hinweis auf den göttlichen Beistand, mithilfe dessen der Kaiser seine Siege errungen hatte. Die Darstellung des Barbaren, der sich den Römern unterwift, spielte in der spätrömischen Ikonografie eine wichtige Rolle. Auf diversen Münzen war – oft begleitet von einer passenden Inschrift wie debellator gentium (»Eroberer von Völkern«) – auf dem Revers ein am Boden liegender Barbar abgebildet, der daran erinnern sollte, dass es für den Kaiser quasi zum Tagesgeschäft gehörte, solche Feinde zu besiegen. Besiegte Barbaren in verschiedenen Posen wurden auch regelmäßig auf den Reliefs abgebildet, mit denen die Kaiser die größeren Städte ihres Reiches zu schmücken pflegten, nicht zuletzt an den gewaltigen Triumphbögen.21 Der kapitulierende Barbar war der ideale Begleiter des siegreichen römischen Kaisers, der göttliche Kräfte hinter sich wusste. In ideologischer Hinsicht dienten Darstellungen wie diese dazu, die Botschaft zu verbreiten, dass das derzeitige Regime alles richtig machte. Die Ideologien des Römischen Reiches, die sich mit dem aufkommenden Christentum kaum veränderten, legten fest, was der Kaiser zu tun hatte – weniger im Sinne bestimmter Tätigkeiten, sondern indem sie (was nicht weniger wichtig war) eine Reihe von Zielvorgaben definierten, die der Kaiser irgendwie erreichen musste. Ein legitimer römischer Kaiser war kein weltlicher Herrscher im modernen Sinne des Wortes, sondern einer, der direkt vom allerhöchsten Schöpfergott des gesamten Kosmos dazu ausgewählt worden war, dafür zu sorgen, dass die zentra-
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len Säulen intakt blieben, auf denen die vernünftige römische Zivilisation ruhte – Bildung, urbanes Leben, niedergeschriebenes Recht und das Wohlergehen der christlichen Kirche; denn diese Säulen sorgten dafür, dass der Mensch dem göttlichen Plan ein Stück weit näherkam, und im Gegenzug sorgte Gott dafür, dass der Herrscher alle, die ihm im Weg standen, auch tatsächlich aus dem Weg räumen konnte. Dieses Konstrukt war bereits mehrere Jahrhunderte alt, als Justinian 527 den Thron bestieg, doch es war wirkmächtig wie eh und je. Was auch immer ein Regime sonst noch anstellen mochte: Gemessen wurde es daran, ob es in allen Bereichen dem entsprach, wie man sich eine legitime römische Regierung vorstellte, und der weitaus wichtigste Faktor dabei war einer, der sich (scheinbar) ganz leicht messen ließ: der militärische Erfolg. Man sollte stets bedenken, dass hiermit nicht etwa abstrakte Strategien zur Selbstdarstellung des Regimes gemeint sind. Der überwältigende ideologische Imperativ, der der göttlichen Legitimitierung von Macht und dadurch vor allem dem militärischen Sieg anhaftete, hatte für die politischen Prozesse der römischen Spätantike einen regelrechten Dominoeffekt.
Die Politik des Siege(r)s Dass ein Kaiser behauptete, von Gott persönlich berufen worden zu sein, bedeutete nicht, dass alle politischen Fraktionen jeweils sofort in Jubel ausbrachen und diese Behauptung akzeptierten – im Gegenteil. Die naiv-optimistische Ideologie des Römischen Reiches, es sei der bestmögliche Staat und seine handverlesenen Herrscher seien von göttlichen Mächten eingesetzt, machte es natürlich schwierig, in der Öffentlichkeit eine abweichende Meinung zu äußern. Das kaiserliche Zeremoniell war darauf ausgelegt, dass die einflussreicheren Bürger in der Reihenfolge ihrer gesellschaftlichen Bedeutung ihre uneingeschränkte Zustimmung zu der Grundidee zur Schau stellten, dass sie Teil einer perfekten, gottgewollten politischen Struktur waren. Und wer wollte einer perfekten Struktur widersprechen? Der bizarre orchestrierte Lobgesang, mit dem die Senatoren an Weihnachten 438 die Vorlage eines neuen Gesetzestextes des Kaisers – des Codex Theodosianus – begrüßten, ist nur ein Beispiel für die formelle Einstimmigkeit, die diese politische Kultur einforderte.22 Einer der-
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art perfektionierten Gesellschaftsordnung konnte wohl nur ein Barbar die Unterstützung versagen. Wer es wagte, in aller Öffentlichkeit Zweifel am Regime zu äußern, lebte gefährlich. Wie John Matthews gezeigt hat, konnte Symmachus, ein Senator des ausgehenden 4. Jahrhunderts, nur mit sehr indirekten Worten signalisieren, wenn er jemanden nicht mochte, insbesondere wenn dieser Jemand ein »Freund« des Kaisers war, dem jener ein einflussreiches Amt zugeschustert hatte.23 Doch auch der Umstand, dass das öffentliche Leben im Römischen Reich ein gewaltiges Maß an formeller öffentlicher Zustimmung erforderte, konnte nicht verhindern, dass Intrigen und Verschwörungen eine Grundkonstante des politischen Lebens darstellten. Forscher, die sich mit der römischen Spätantike befassen, beschäftigen sich noch immer zu wenig mit dem Phänomen der Thronfolge, obwohl sogar die Abläufe in der modernen Politik bestätigen, wie wichtig das Thema Nachfolge ist. Innerhalb einer höfischen Struktur wirkte sich die Thronfolge auf alle einflussreichen Akteure ganz unmittelbar aus. Für jeden kaiserlichen Günstling war die Vorstellung, dass der aktuelle Herrscher abgelöst wurde, äußerst bedrohlich. Würde ihm das nächste Regime die gleiche Gunst erweisen? Umgekehrt konnten all jene, die beim Kaiser in Ungnade gefallen waren, darauf hoffen, dass sich die Dinge unter seinem Nachfolger zum Besseren wenden würden, und alle, die irgendwo dazwischen »unterwegs« waren, durften auf einen Aufstieg hoffen. Mit anderen Worten: Sobald sich abzeichnete, dass das Reich einen neuen Kaiser bekommen würde, wurden alle bestehenden politischen Bündnisse und Beziehungen neu verhandelt, und allerorten traten lange Zeit unterdrückte Hoffnungen zutage. Und wie man unlängst in Großbritannien beobachten konnte, als Michael Gove, der Boris Johnson eben noch hofiert hatte, auf einmal umschwenkte und versuchte, ihn politisch kaltzustellen, können scheinbar solide Bündnisse von einem Tag auf den anderen zu Bruch gehen, wenn bei gewissen Politikern der Ehrgeiz erwacht. In der römischen Spätantike gab es ein gewaltiges Spektrum an Gruppen und Fraktionen, für die alles rund um die Thronfolge von höchstem Interesse war. Zuerst war da natürlich die aktuelle Kaiserfamilie, der die naheliegendsten Anwärter auf den Thron angehörten, doch schon dieses Netzwerk dehnte sich mitunter recht weit aus, bis hin zu den Seitenlinien früherer Dynastien. Nach dem Tod von Leo I. gab es in
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Abb. 3 Justinians Onkel und Vorgänger, Kaiser Justin.
den 470er- und 480er-Jahren in Konstantinopel ein ganzes Jahrzehnt lang Machtkämpfe bei Hofe, in die diverse Cousins, Schwager und sogar Ehefrauen ehemaliger Kaiser verwickelt waren.24 Aber nicht nur mehr oder weniger bedeutende Mitglieder der Herrscherfamilien machten sich Gedanken über die kaiserliche Nachfolge. Mitunter traten auch Außenseiter als Thronanwärter auf den Plan, vor allem wenn es keinen »offensichtlichen« männlichen Erben gab. Traditionell kommt man an diesem Punkt auf die Armee als politischen Faktor zu sprechen, doch damit ist in der Regel nur der Offizierskader eines ganz bestimmten Segments des römischen Militärs gemeint: derjenige der elitären Feldarmeen nämlich. Hochrangige Offiziere dieser Streitkräfte hatten unter den richtigen Umständen immer gute Chancen auf den Thron. Valentinian I. war ein prominenter Militär, bevor er Kaiser wurde, genau wie Theodosius I. und auch die späteren Kaiser Markian und Justin, Justinians Onkel.25 Ganz gelegentlich kamen auch Bürokra-
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ten und Beamte des kaiserlichen Hofs für die Thronfolge infrage. Nach Julians Tod wurde dessen wichtigstem Finanz- und Justizbeamten, dem Prätorianerpräfekten Salutius Secundus, die Kaiserwürde angeboten, die weströmischen Usurpatoren Eugenius (392–394) und Johannes (423– 425) waren beide leitende Bürokraten, und Anastasios I., der zweite Kaiser vor Justinian, war zuvor ein ranghoher Würdenträger bei Hofe gewesen.26 Selbst wenn die Umstände eine dynastische Erbfolge diktierten, waren eben jene militärischen und zivilen Würdenträger dennoch stets eng involviert, und viele überlegten sich bereits, während sie noch unter dem aktuellen Herrscher ihre Position zu sichern oder zu verbessern suchten, welches Mitglied der Dynastie sie später einmal unterstützen würden (falls überhaupt mehrere zur Wahl standen). Aber auch weiter unten in der Hackordnung hatten manche Akteure einen großen Anteil am Prozess der Thronfolge. Viele mittlere Bürokraten gehörten zum Bekanntenkreis einflussreicher Mäzene, deren Erfolg oder Misserfolg ernsthafte Auswirkungen auf ihre eigene Karriere hatte. Mitte der 350er-Jahre versorgten mittlere Finanzbeamte Caesar Julian mit wichtigen Informationen, die es jenem ermöglichten, sich der Kontrolle des Finanzministers und Prätorianerpräfekten Florentius zu entziehen, der ihm von Constantius II. vor die Nase gesetzt worden war, und sich politisch zu emanzipieren. Bereits vorher hatten Funktionäre in der östlichen Reichshälfte Julians Halbbruder, Caesar Gallus, zu einem ähnlichen Manöver ermutigt, aber dort war der Versuch fehlgeschlagen – und am Ende war Gallus tot. In beiden Fällen hatten die Beamten geglaubt, ihr jeweiliger Caesar sei der kommende Mann, und sie hatten sich Vorteile für die Zeit erhofft, wenn er später einmal Kaiser wäre. Diese Dynamik gab es durchaus auch noch im 6. Jahrhundert. Johannes Lydos’ Wohlstand war eng mit dem Erfolg seines viel einflussreicheren Gönners Zoticus verbunden, des Prätorianerpräfekten des Ostens. Ende der 540er-Jahre versuchte eine Gruppe mäßig gut vernetzter Militärs, Justins Neffen Germanus, der zwar nicht offizieller Erbe, aber ein durchaus plausibler Kandidat für die Thronfolge war, dazu zu bringen, sich an einer Verschwörung zu beteiligen, die den Tod des Kaisers herbeiführen und den Neffen als seinen Nachfolger installieren sollte.27 Noch weiter vom Zentrum der Macht entfernt, auf lokaler Ebene, hatte der Kaiser loyale Erfüllungsgehilfen, die dafür sorgten, dass Steuern ins Staatssäckel flossen. Im Gegenzug nutzten solche Männer – ein
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klassisches Beispiel ist Synesios von Kyrene zu Beginn des 5. Jahrhunderts – ihre Verbindungen in die Hauptstadt dazu, die politische Agenda ihrer Heimat zu bestimmen; über diesen Umweg hatten auch jene Männer einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der kaiserlichen Politik in ihren Feinheiten.28 Auch wenn stets der Kaiserhof im Zentrum der politischen Prozesse der römischen Spätantike stand, hatte dennoch auch ein beträchtlicher Querschnitt seiner landbesitzenden Elite Anteil an diesen Prozessen. Bedenkt man, für wie viele unterschiedliche Interessengruppen der römischen Spätantike die Thronfolge ein heißes Eisen war, ist es wenig verwunderlich, dass die Machtübergabe von einem zum anderen Kaiser nur selten ruhig und gesittet vor sich ging. Zum einen wusste man nie, wann der derzeitige Kaiser ableben würde. Selbst wenn man verlässliche Daten über die durchschnittliche Lebenserwartung gehabt hätte, so gab es doch immer wieder jemanden, der in dieser Hinsicht alle Erwartungen übertraf. Konstantin wurde 65 Jahre alt und Anastasios sogar erstaunliche 87, doch die meisten Männer segneten zwischen Mitte vierzig und Mitte fünfzig das Zeitliche, wie Constantius II., der einzige von Konstantins Söhnen, der eines natürlichen Todes starb, oder Theodosius II., der 49 Jahre alt war, als er im Jahr 450 starb. Und manchmal kam der Tod ganz unerwartet. Valentinian I. erfreute sich bester Gesundheit – und dann raffte ihn binnen weniger Stunden ein Schlaganfall dahin; immerhin war er schon Mitte fünfzig und wurde somit von seiner unmittelbaren Umgebung ohnehin bereits mit Argusaugen beobachtet. 45 bis 55 ist nur ein Durchschnittswert, viele Amtsinhaber lebten weit früher ab: Arcadius und Honorius, die Söhne von Theodosius I., starben beide in ihren Dreißigern.29 Die Tatsache, dass es vor ca. 400 nicht üblich war, Minderjährige auf den Thron zu setzen, brachte weitere Komplikationen mit sich, da es immer wieder Nachkommen gab, die für das Kaiseramt qua jugendlichem Alter noch gar nicht infrage kamen. Der Sohn von Kaiser Jovian zum Beispiel verschwand unmittelbar nach dem plötzlichen Tod seines Vaters im Frühjahr 364 komplett aus dem öffentlichen Leben (und vielleicht auch aus dem privaten …). Plötzliche Todesfälle waren indes nur ein Teil des Problems. Selbst wenn der Kaiser einen erwachsenen männlichen Erben hatte, der bereits die Zügel der Macht in Händen hielt, kam es vor, dass er seine Meinung
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änderte. Konstantin verstieß etwa nach der Hälfte seiner Regierungszeit Crispus, seinen erwachsenen Sohn aus einer früheren Liaison, zugunsten seiner Söhne mit seiner jüngeren Frau und ließ ihn sogar hinrichten.30 Dieser Schachzug wird das politische Kalkül vieler Beteiligter gehörig durcheinandergebracht haben. Selbst wenn es einen plausiblen dynastischen Erben gab, brachten es die Struktur und die Dynamiken des politischen Lebens der Spätantike also mit sich, dass ein Regimewechsel selten reibungslos über die Bühne ging. Jedes der spätrömischen Regime war für sich genommen ein Balanceakt, mit diversen Hintermännern unmittelbar unterhalb des Kaisers, die ihre eigene Einflusssphäre kontrollierten und für gewöhnlich miteinander wetteiferten, wer innerhalb des Regimes den größeren Einfluss ausübte. Sosehr man auch den öffentlichen und zeremoniellen Konsens betonen mag: Es wird damals kaum weniger Rivalitäten und Spannungen gegeben haben, als sie für die höfischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit dokumentiert sind, zum Beispiel für den Hofstaat Heinrichs VIII. von England. Vor diesem Hintergrund geriet selbst die reguläre dynastische Thronfolge meistens zum Hahnenkampf. Valentinian I. hinterließ zwei Söhne: den sechzehnjährigen Gratian und den vierjährigen Valentinian II. Als er ganz unerwartet einem Schlaganfall erlag, rief eine Gruppe von Funktionären in Trier, wo Valentinians Hof residierte, umgehend Gratian zum Kaiser aus. Zugleich jedoch machte eine andere Fraktion in Aquincum an der Mittleren Donau dasselbe mit dem kleinen Valentinian II., der seinen Vater auf dessen Feldzug begleitet hatte. Diese Aktion war nichts weniger als ein Staatsstreich. Es folgte ein langwieriger Prozess mit vielen Verhandlungen und mehreren Hinrichtungen: Diverse Hintermänner von Valentinian I. fielen der eigenen Machtgier zum Opfer, darunter der Vater des späteren Kaisers Theodosius I., bevor aus dem Wirrwarr eine neue Koalition hervorging.31 Dass Valentinian II. das Gemetzel überlebte und zurückgezogen ins Privatleben weiterleben konnte, darf über zwei ganz grundlegende Wahrheiten nicht hinwegtäuschen: Erstens war ein Regimewechsel in der römischen Spätantike selbst innerhalb der herrschenden Dynastie in aller Regel schon deshalb eine äußerst unerfreuliche Angelegenheit, da viele Menschen in der unmittelbaren Umgebung des Herrschers alte Rechnungen zu begleichen hatten und sich selbst einen Teil der Macht
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sichern wollten. Dazu mussten sie mögliche Rivalen isolieren und eliminieren. Und da man zweitens nie wusste, wann der Kaiser sterben würde, mussten alle, die ein substanzielles Interesse am politischen System hatten, stets einen Plan B parat haben, um ihre eigene Position zu konsolidieren, damit sie beim Ableben des Kaisers also nicht mit leeren Händen dastünden und sich, im Gegenteil, ihre Position unter dem künftigen Regime möglichst weiter verbessern würde. Dieses dynamische Wechselspiel zwischen Tod des Kaisers, Thronfolge und politischem Ehrgeiz brachte es mit sich, dass die politischen Akteure der römischen Spätantike ständig hinter den Kulissen ihre eigenen Pläne schmieden mussten, um für alle möglichen Zukunftsszenarien gerüstet zu sein. Und von der legitimen Sorge um die Zukunft war es da oft nur ein kleiner Schritt hin zu Verrat und Verschwörung. Anfang der 370er-Jahre gerieten mehrere ranghohe Beamte in Antiochia in ernsthafte Schwierigkeiten, als sie einen Dreifuß für eine Séance missbrauchten, bei der sie den Namen des nächsten Kaisers herausfinden wollten. Der damalige Kaiser Valens war außer sich, zumal die Inschrift auf dem Dreifuß den Namen eines der Teilnehmer der Séance nannte und dieser sich deswegen veranlasst sah, politisch aktiv zu werden. In der Inschrift stand gerade einmal »THEOD« – einer der Anwesenden war ein leitender Bürokrat namens Theodoros. Doch er hatte das Nachsehen: Der nächste Kaiser hieß Theodosius32 – was einmal mehr die Bedeutung der praktischen Implikationen der vorherrschenden Ideologien im Römischen Reich unterstreicht. Denn auch wenn die Ideologien, die die Basis des öffentlichen Lebens bildeten, einen kompromisslosen politischen Konsens zugunsten des gegenwärtigen, von Gott zum Herrscher über die beste aller möglichen Welten eingesetzten Kaisers forderten, so implizierten sie dennoch, dass ein Kaiser auch ohne Unterstützung Gottes an die Macht kommen konnte – oder doch zumindest, dass Gott seine Unterstützung erst dem einen und dann auf einmal einem anderen Thronanwärter zukommen ließ. Ein schönes Beispiel dafür sind zwei Reden, die der Redner Themistios im Jahr 364 für zwei verschiedene kaiserliche Regime hielt: am 1. Januar für Jovian und im Herbst desselben Jahres für Valentinian und Valens. In der ersten Rede, in der er Jovians Konsulat preist, nennt Themistios, wie es sich gehört, jene Details des Aufstiegs des Kaisers zur Macht, die zeigten, dass er von Gott auserwählt worden war. Leider starb Jovian
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wenige Monate später unter mysteriösen Umständen – offenbar war er doch nicht Gottes erste Wahl gewesen, denn sonst hätte dieser ja nicht zugelassen, dass er so früh verstarb. Genau diesen Umstand greift Themistios dann in seiner zweiten Rede zumindest implizit auf, wenn er betont, was bei der Machtübernahme durch das neue Regime anders gemacht wurde, um sicherzustellen, dass die fehlbaren Menschen dieses Mal bei der Wahl der neuen Kaiser den Willen Gottes richtig verstanden hatten.33 In diesem Fall räumte Themistios im Nachhinein die Illegitimität von Jovians Machtübernahme ein, sodass seine Rede niemandem mehr Anlass geben konnte, irgendwelche Intrigen zu spinnen. Aber dieser Umstand unterstreicht noch einmal, dass es selbst bei einem Posten, der in einem solchen Maße dem öffentlichen Konsens unterlag wie der des Kaisers, niemandem verwehrt war, sich nach anderen Optionen umzuschauen. War der derzeitige Herrscher wirklich Gottes Favorit? Die Unwägbarkeiten der Thronfolge verlangten ohnehin ein hohes Maß an politischem Kalkül, und die schiere Zahl erfolgreicher Usurpationen oder Quasi-Usurpationen – sogar die Inthronisierung Konstantins durch die Anhänger seines Vaters in York gegen den erklärten Willen der meisten Tetrarchen und später diejenige Valentinians II. erfolgten widerrechtlich – beweist, dass Intrigen und Verschwörungen im spätrömischen politischen Leben eine Konstante darstellten, übrigens auch abseits der Thronfolge. Kein Kaiser konnte es sich leisten, diese Vorgänge zu ignorieren, am allerwenigsten jemand wie Justinian, der, wie wir noch genauer erfahren werden, nicht aus einer alteingesessenen Dynastie stammte. Es gab jedoch Momente, in denen ein Regime besonders anfällig war, weil die Intensität der Verschwörungen wuchs und dementsprechend die Wahrscheinlichkeit, dass eine Usurpation von Erfolg gekrönt war, zunahm. Gerade in den ersten Jahren eines Regimes gab es stets eine Vielzahl solcher Momente. Eine neuere Studie über Karl den Großen und seine Nachfolger hat überzeugend dargelegt, dass ein karolingischer Herrscher zwischen fünf und zehn Jahren brauchte, bis er die Zügel der Macht fest in Händen hatte; so lange dauerte es, solide Beziehungen zu einer Reihe von zuverlässigen Untergebenen aufzubauen, die de facto – im Auftrag des Herrschers – die einzelnen Regionen des Königreichs regierten. Die Verwaltungsbürokratie des Römischen Reiches funktionierte zwar besser als die
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des Reiches Karls des Großen, aber nicht viel besser, und es war viel größer als das Karolingerreich. In der Praxis war der Erfolg der römischen Regime ebenfalls von zahlreichen lokalen Machthabern abhängig: Sie leiteten die lokalen Gemeinden auf eine Art und Weise, die dem zentralen Regime zum Vorteil gereichte; dies betraf insbesondere das Erheben von Steuern und die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung. Folglich wurden die frühen Stadien der Herrschaft von jedem römischen Kaiser dazu genutzt, diese Beziehungen aufzubauen: Man identifizierte potenziell loyale Akteure und förderte sie durch Bezeigungen kaiserlicher Gunst. Aber das brauchte seine Zeit.34 Meiner Ansicht nach sind die Parallelen zwischen den Karolingern und den kaiserlichen Regimen des Römischen Reiches recht aufschlussreich. Der zeitliche Rahmen, innerhalb dessen ein neues Herrscherhaus für Störungen anfällig war, wird noch größer gewesen sein, wenn ein substanzieller Bruch mit dem vorherigen Regime vorlag, zum Beispiel bei einem erzwungenen Dynastiewechsel oder einer direkten Usurpation. Valentinians Bruder Valens, der auf das kurze und wenig erfolgreiche Intermezzo von Julian und Jovian folgte, scheint es während seiner vierzehnjährigen Regierungszeit nie ganz gelungen zu sein, sich die Loyalität der wichtigeren politischen Akteure des Ostreichs zu sichern. Ein weiterer aufschlussreicher Aspekt des politischen Lebens in der römischen Spätantike war, dass eine Usurpation oft eine weitere nach sich zog – von der Auflösung der Tetrarchie Anfang der 300erJahre über den Niedergang von Konstantins Sohn Constans im Westen Ende der 340er-Jahre bis in die 470er-Jahre, als in Konstantinopel der isaurische Außenseiter Zenon herrschte.35 Auch externe Ereignisse konnten ein Regime destabilisieren. Anfang der 380er-Jahre verlegte Kaiser Gratian seinen Hof von Trier nahe der Rheingrenze nach Norditalien und gliederte eine große Anzahl von Alanen in seine Feldarmee ein. Diese Alanen waren im Zuge des Chaos, das die Hunnen zu dieser Zeit in Ost- und Mitteleuropa erzeugten (und das auch Gratian veranlasst hatte, seine Operationsbasis nach Mailand zu verlegen, das näher am neuen Epizentrum der Bedrohung lag), aus ihrem alten Stammesgebiet am Schwarzen Meer vertrieben worden. Doch so sinnvoll und nachvollziehbar ihre Eingliederung für sich genommen auch war, sie brachte die bestehenden Machtverhältnisse innerhalb der westlichen Feldarmeen – insbesondere derer, die in Gallien stationiert
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waren – so sehr durcheinander, dass der Feldherr Maximus den allgemeinen Unmut dazu nutzte, sich als Usurpator (vorübergehend) zum Kaiser aufzuschwingen. Nicht nur, wenn ein ranghoher Augustus von der Bildfläche verschwand, konnte das die höfische Politik ins Chaos stürzen. Ende der 410er-Jahre heiratete Constantius III. nach einer äußerst erfolgreichen Karriere beim Militär Galla Placidia, die Schwester des kinderlosen Kaisers Honorius, und zeugte mit ihr den voraussichtlichen Thronfolger Valentinian III.; Constantius wurde neben Honorius ganz ordnungsgemäß zum Augustus gekrönt. Doch als er im Jahr 421 plötzlich starb, kam das Gleichgewicht der weströmischen Politik sofort ins Wanken, und das obwohl Honorius immer noch auf dem Thron saß. Wir kennen nicht alle Details, aber offenbar gelang es den widerstreitenden Parteien nun, da Constantius fort war, Bruder und Schwester, die zuvor für einen liebevollen Umgang miteinander bekannt gewesen waren, gegeneinander aufzuwiegeln. Am Ende verkrachten sie sich so sehr, dass Galla mit ihrem Sohn nach Konstantinopel fliehen musste; ihre Flucht und Honorius’ plötzlicher Tod machten den Weg dann frei für den Usurpator Johannes.36 Doch von all den Unwägbarkeiten stellte eine militärische Niederlage noch immer die größte Gefahr für die politische Stabilität dar – aus naheliegenden Gründen. Valens’ gesamtes Regime löste sich mit einem Schlag auf, als der Augustus am 9. August 378 zusammen mit vielen seiner führenden Beamten bei der Schlacht von Adrianopel ums Leben kam. Doch auch einfache Rückschläge, die nicht gleich tödlich waren, konnten schlimme Folgen haben: Als die Vandalenexpedition Kaiser Majorians im Jahr 461 scheiterte, wandten sich so viele Unterstützer von ihm ab, dass sich der patrizische Feldherr Ricimer berufen fühlte, ihn abzusetzen und hinzurichten. Als es Stilicho nicht gelang, den Rheinübergang von 406 und die Usurpation Konstantins III. zu verhindern (die auf Stilichos offenkundige Unfähigkeit zurückzuführen war, den römischen Nordwesten vor Übergriffen zu schützen), verlor er drastisch an Einfluss auf Kaiser Honorius, den er mehr als ein Jahrzehnt lang aufgebaut hatte, seit er im Jahr 395 an die Macht gekommen war. Im August 408 wurde Stilicho gestürzt und hingerichtet. Doch als seine unmittelbaren Nachfolger nicht in der Lage waren, die politische Stabilität wiederherzustellen, wandten sich nach und nach die Unterstützer
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von ihnen ab. Es folgte eine ganze Reihe kurzlebiger Regime, von deren Protagonisten einige grausam ermordet wurden.37 Jede militärische Niederlage und sogar der bloße Anschein militärischen Unvermögens waren ein politisches Todesurteil, nicht nur ganz real, wenn ein Kaiser auf dem Schlachtfeld den Tod fand, sondern auch weil dies die Verschwörer und Intriganten auf den Plan rief. Schließlich gab es keinen größeren Beweis göttlicher Gunst – und damit kaiserlicher Legitimität – als militärischen Erfolg, und da dieser Erfolg scheinbar so leicht nachzuvollziehen war, galt auch das Gegenteil. Nichts zeigte deutlicher, dass dem aktuellen Regime der göttliche Beistand und damit die Existenzberechtigung fehlte, als ein militärisches Versagen, das die politische Stabilität beeinträchtigte. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass es viele Kaiser, wenn es um den Ausgang einer Schlacht ging, mit der Wahrheit nicht allzu genau nahmen. Ein Remis in einen Sieg oder einen kleinen in einen großen Sieg umzudeuten – das waren die offensichtlicheren Strategien, wie Themistios sie in den Reden, die er Mitte des 4. Jahrhunderts für diverse Regime verfasste, bis zum Gehtnichtmehr wiederholte. Gleich in seiner ersten Rede behauptete er, der Vormarsch von Constantius II. auf Singara im Jahr 344 habe den persischen Großkönig Schapur zu Tode erschreckt, und verschleierte die Tatsache, dass es überhaupt keine Schlacht gegeben hatte. Das Gipfeltreffen von Valens und Athanarich im Jahr 369 wurde mit den Mitteln der Rhetorik als gewaltiger Triumph dargestellt (inklusive einem Flussufer voll demütig murmelnder Goten), obwohl (beziehungsweise gerade weil) das neue diplomatische Abkommen für eine viel größere Gleichberechtigung zwischen den Parteien sorgte als der Vorgänger, und das nach drei für das römische Militär äußerst frustrierenden Jahren. Auch den Umstand, dass es Theodosius im Anschluss an Adrianopel nicht direkt gelang, einen Sieg über die Goten zu erringen, beschönigte man mit einer ganzen Reihe von Behauptungen; so hieß es, der neu ausgehandelte Vertrag sei eben nur eine andere Art von Sieg und im Grunde genommen ein viel größerer Triumph.38 Diese Inszenierungsstrategien waren dermaßen verbreitet, dass es genauso üblich wurde, seine Rivalen der Übertreibung zu bezichtigen. Das Regime von Constantius II. setzte alles daran, die möglichen politischen Konsequenzen von Julians überwältigendem Sieg über die Alamannen in Straßburg im Jahr 357 zu begrenzen, indem es behauptete,
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jeder Trottel hätte einen Haufen »nackter Wilder« besiegen können. Wer ein Stratege sei, zeige sich allein im Kampf gegen die Perser im Osten.39 Der politische Imperativ, militärische Siege zu erringen (oder zumindest so zu tun), war so gewichtig, dass sich die beschönigende Präsentation politischer Strategien irgendwann auch auf deren Entwicklung selbst auswirkte: Wenn sie sonst nichts tun konnten, ließen die Kaiser an ungewöhnlichen Standorten entlang der Grenzen Festungen errichten. Ob man zur Zeit von Valentinian und Valens wirklich noch mehr solcher Anlagen brauchte, dürfen wir getrost bezweifeln, doch sie waren ein gutes Propagandamittel. Mitunter zeitigte diese Praxis allerdings ganz unerwartete Ergebnisse. Einmal ließ Valentinian in einem Gebiet, in dem die Römer, so war vorher vereinbart worden, nichts bauen durften, Befestigungsanlagen errichten; das veranlasste die empörten ortsansässigen Alamannen dazu, einen blutigen Aufstand vom Zaun zu brechen. Schon zu Beginn seiner Regentschaft hatte sich Valentinian seinen Steuerzahlern als Barbarenschreck präsentieren wollen. Nun senkte er einseitig den Wert der alljährlichen Geschenke für die Könige der Alamannen. Diese nutzten die Geschenke jedoch ihrerseits dazu, daheim ihr Prestige zu steigern und die Netzwerke ihrer Unterstützer zu unterhalten. Das Resultat waren weitere wütende Alamannenproteste und noch mehr Schwierigkeiten an der Rheingrenze. Manche meinen, das Römische Reich habe jeden einzelnen aufgezeichneten Konflikt mit den Alamannen in der späten Kaiserzeit selbst initiiert – die Kaiser hätten nun einmal ständig unter dem Druck gestanden, militärische Siege vorzuweisen. Meiner Ansicht nach geht diese Argumentation zu weit, denn sie spricht den Menschen jenseits der Grenze letztlich das Handlungsbewusstsein ab. Dennoch: Der innenpolitische Zwang, klare Siege zu erringen, wird sich doch hier und da auf die kaiserliche Außenpolitik ausgewirkt haben.40 Und eben jener Zwang veranlasste manche Kaiser sogar dazu, ihre Niederlagen zu vertuschen. Im Spätsommer 363 wurde Kaiser Julian beim Versuch, seine Armee aus dem Territorium der Perser herauszuholen, in einem Scharmützel getötet. Wie der Bericht des Ammianus Marcellinus deutlich macht, war Julians Streitmacht, obgleich in taktischer Hinsicht ungeschlagen, in eine strategische Falle gelockt worden. Sein Nachfolger Jovian sah sich gezwungen, einen geradezu demütigenden Friedensvertrag zu schließen: Die Perser erhielten die römische Regionalhauptstadt Nisibis sowie
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eine Reihe von Gebieten östlich des Tigris. Die naheliegende Option in puncto Propaganda wäre gewesen, diese Niederlage Julians unvorsichtigem Verhalten anzulasten – so wie es auch heute noch die meisten Regierungen tun, wenn sie für jedes aktuelle Problem ihre Vorgänger verantwortlich machen. Einer der Gründe, warum ich das britische Finanz- und Wirtschaftsministerium verließ und mich der Wissenschaft zuwandte, war die alberne offizielle Vorgabe, auf Fragen der Presse mit dem Satz zu antworten: »Ja, aber unter der letzten Regierung war die Situation noch viel schlimmer.« Doch sowohl die Münzen, die Jovian prägen ließ, als auch eine Rede, die er bei Themistios in Auftrag gab, machen deutlich, dass sich das neue Regime für eine viel unbequemere Option entschieden hatte: Man behauptete, die erniedrigenden Klauseln des Friedensvertrags seien für die Römer in Wirklichkeit ein Sieg. Niemand glaubte das, insbesondere als das Römische Reich den Persern dann wirklich Nisibis und viele weitere Territorien im Osten überlassen musste, doch das war auch gar nicht der Punkt: Der ideologische und politische Imperativ, siegreich zu sein, war so gewaltig, dass kein römischer Kaiser eine militärische Niederlage eingestehen durfte – nicht einmal dann, wenn er noch ganz am Anfang seiner Herrschaft stand und sie noch ganz plausibel seinem Vorgänger hätte anlasten können. Vor allem aber durfte man keine so gewaltige Niederlage gegen den Erzfeind der Römer eingestehen.41 Ein ganzes Netz sowohl aus ideologischen als auch aus praktischen politischen Notwendigkeiten machte die erfolgreiche Kriegsführung für alle römischen Herrscherhäuser zur allerobersten Priorität. Ein Kaiser, der im Bereich der militärischen Auseinandersetzungen versagte oder sich auch nur den Anschein gab, zu versagen, musste damit rechnen, dass umgehend seine Legitimität in Zweifel gezogen wurde, und er riskierte, das stets wackelige und improvisierte politische Gleichgewicht, das die Basis eines jeden funktionierenden kaiserlichen Regimes bildete, zu destabilisieren. Ein Herrscher mochte mit noch so imposanten zeremoniellen Mitteln zur Schau stellen, dass er von Gott eingesetzt war, und sich nach Kräften darum bemühen, jegliche Zweifel daran auszuräumen: In der Praxis beruhten alle kaiserlichen Regime auf einem fein gesponnenen Netz von Bündnissen, sowohl im Zentrum der Macht, also am Hof und in seiner unmittelbaren Umgebung, als auch zwischen dem Zentrum und den verschiedenen Regionen des Römischen Reiches. Militäri-
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sche Siege spielten eine ganz entscheidende Rolle, wenn es darum ging, einflussreiche politische Akteure daran zu hindern, sich nach einer unmittelbaren Alternative umzusehen. Alle spätrömischen Vorgänger Justinians mussten diesen extrem anspruchsvollen Spagat bewältigen, in dessen Zentrum eben der (wahrgenommene) militärische Erfolg stand, und dieser Spagat sollte auch das Schicksal von Justinians Regime bestimmen. Angesichts der allumfassenden ideologischen und politischen Bedeutung des Sieges innerhalb dieses Systems ist es wenig verwunderlich, dass in der römischen Spätantike ein Großteil der Regierungsarbeit auf die praktischen Mechanismen effektiver Kriegsführung ausgerichtet war. Auch dieser Umstand hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die politischen Prozesse im Reich Justinians.
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eutzutage ist man in weiten Teilen der Welt davon überzeugt, die Aufgabe einer Regierung bestünde darin, für ihre Bürger Dienstleistungen zu erbringen und im Gegenzug von ihnen Steuern zu kassieren. Gesundheitswesen, Renten, Bildung, Sozialhilfe, Infrastrukturprojekte: All das wird in den Industrienationen, in denen das Nationalstaatenmodell entwickelt wurde, seit Langem aus der Steuerkasse finanziert – ein Modell, dem auch die Entwicklungsländer im Großen und Ganzen nacheifern. Dass auch die Sozialausgaben, insbesondere die ständig steigenden Kosten der medizinischen Versorgung und der Renten einer immer älter werdenden Bevölkerung auf diese Weise finanziert werden, stellt den Staatshaushalt vielerorts vor große Probleme. Vor allem seit der Wirtschaftskrise von 2008 verfolgen einige westliche Regierungen daher eine strikte Sparpolitik. Historisch gesehen ist dieses ganze Phänomen extrem neu; es ist das Produkt des außerordentlichen Wohlstands der Industrienationen infolge der Industrialisierung und der wirtschaftlichen Entwicklungen im postindustriellen Zeitalter. Fast die gesamte Menschheitsgeschichte über waren die Staaten dieser Erde relativ unproduktiv und überwiegend agrarökonomisch geprägt; Regierungen, die einen Überschuss erwirtschafteten, der groß genug war, um all die genannten Aktivitäten durchzuführen, gab es im Grunde erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts. In der vormodernen Zeit und speziell im Fall des Römischen Reiches bestand die wichtigste, oft sogar die einzige Funktion der Regierung darin, Krieg zu führen. Folglich diktierte die jeweils aktuelle Art der Kriegsführung in den verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte zumeist auch die jeweilige Form der staatlichen Verwaltung und die politischen Beziehungen zwischen Herrschern und Beherrschten, die ihr zugrunde lagen. Es gab zwei grundlegende Muster, nach denen vormoderne Staaten mit ihren vergleichsweise geringen Einnahmen und einer begrenzten
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bürokratischen Kapazität eine effektive Kriegführung organisieren konnten. Die erste, in mancher Hinsicht simplere Option bestand darin, einen ausgewählten Teil der Bevölkerung zum Militärdienst einzuziehen, üblicherweise für einen begrenzten Zeitraum pro Jahr. Als Gegenleistung wurden jenen, die diesen Militärdienst leisteten, Ländereien zur Verfügung gestellt, von deren Erträgen sie leben konnten. Ergänzt wurden diese Streitkräfte normalerweise durch eine relativ kleine Anzahl professioneller Soldaten, die dem Staat permanent zur Verfügung standen und die durch Steuereinnahmen finanziert wurden (im einfachsten Fall erhielten sie auch nur Sachleistungen wie Lebensmittel). Die zweite Option, und diese hatte sich in der römischen Welt durchgesetzt, war in administrativer Hinsicht viel komplizierter: Der Staat erhob so viele direkte Steuern, dass er eine komplette Berufsarmee finanzieren konnte.
Die Soldaten des Imperiums Justinians Heer im 6. Jahrhundert bestand aus Berufssoldaten, doch es entsprach in vielerlei Hinsicht nicht mehr dem römischen Heer etwa unter Caesar oder Augustus, als eine in Legionen aufgeteilten Infanterie, die aus römischen Bürgern bestand, von nicht-römischen Hilfstruppen unterstützt wurde. Die klassische Legion der frühen Kaiserzeit war ungefähr 5000 Soldaten stark, und sie war aufgeteilt in zehn Kohorten, die jeweils von einem Zenturio befehligt wurden. Ihr stand mehr oder weniger die gleiche Anzahl an Hilfssoldaten gegenüber, die keine römischen Bürger waren; diese waren in Infanterie-Kohorten und Kavallerie-alae (Flügel) aufgeteilt. Von der Zeit des Augustus an stieg die Zahl der Legionen immer weiter, bis während der Dynastie der Severer zu Beginn des 3. Jahrhunderts mit 33 Stück der Höchststand erreicht war. Somit standen rund 350 000 Römer unter Waffen, dazu eine ähnliche Anzahl an Hilfssoldaten. Der allergrößte Teil der römischen Soldaten war an den Grenzen des Reiches stationiert: im Norden Britanniens, entlang Rhein und Donau, in Mesopotamien, Armenien und an der persischen Grenze; kleinere Kontingente patrouillierten in der Wüste Ägyptens und im übrigen Nordafrika bis ins heutige Marokko. Für die großen Feldzüge wurden Kontingente aus allen Legionen, die sich in Reichweite befanden, zusammengezogen; gesamte Legionen –
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jede für sich eine kleine Expeditionsstreitmacht – wurden im Imperium nur selten von A nach B bewegt.1 Zu Justinians Zeit hatte sich das römische Heer unter dem Druck zweier aufeinanderfolgender Phasen militärischer Krisen so stark verändert, dass es mit dem Heer des 3. Jahrhunderts kaum noch etwas gemein hatte. Wenn wir wissen wollen, wie Justinians Heer aussah, können wir die berühmte Notitia dignitatum zurate ziehen, die eine nahezu vollständige Auflistung der Schlachtordnung des römischen Heers in der Osthälfte des Reiches beinhaltet. Zwar stammt dieses Handbuch bereits aus den 390er-Jahren, doch juristische Dokumente aus dem 5. Jahrhundert, die sich mit militärischen Fragen befassen, und das eher episodische Bild des oströmischen Heers in Aktion, das uns narrative Quellen des frühen 6. Jahrhunderts vermitteln, machen deutlich, dass sich das Grundmuster militärischer Organisation in den dazwischenliegenden 130 Jahren nicht grundlegend verändert hatte. In Phasen mit schweren Gefechten konnte es passieren, dass einzelne Einheiten aufgerieben wurden, und neue Bedrohungen erforderten spezielle Bemühungen in Sachen Rekrutierung. Sechzehn oströmische Regimenter schwerer Infanterie, die in der Schlacht von Adrianopel im August 378 den Tod fanden, wurden nicht ersetzt, und die Hunnenkriege der 440er-Jahre bescherten große Verluste und beförderten umfassende Rekrutierungsbemühungen in Isaurien (im Süden Zentralanatoliens).2 Doch auch wenn einzelne Einheiten kamen und gingen – die allgemeine Form der militärischen Organisation blieb in Ostrom weitgehend die gleiche. Im ausgehenden 4. Jahrhundert war das alte Muster großer Legionärseinheiten, die in bestimmten Abständen entlang der wichtigen Außengrenzen des Reichs stationiert waren, einem viel komplexeren System militärischer Einheiten und Stellungen gewichen, das bis Mitte des 6. Jahrhunderts bestehen blieb. Es gab nun drei große oströmische Heeresgruppen: Den höchsten Status genossen die zentral stationierten Praesentalis-Armeen, die in zwei getrennten Korps organisiert waren, mit je einem kommandierenden Feldherrn (magister militum praesentalis); dann kamen drei regionale Feldarmeen (eine in Thrakien, eine in Illyrien, die dritte an der persischen Front, jeweils wieder mit einem eigenen magister militum) und schließlich eine ganze Reihe Grenzschutztruppen (limitanei), die in befestigten Posten an oder nahe der Reichsgrenzen stationiert waren. Letztere hatten den niedrigsten Status
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und waren in regionalen Gruppen organisiert, denen jeweils ein dux (»Anführer«) vorstand. Die Anzahl und der Typus der militärischen Einheiten innerhalb jeder Heeresgruppe hatten sich ebenfalls verändert, auch wenn das Wort »Legion« im Titel vieler Einheiten überlebt hatte. Insbesondere bei den limitanei gab es einige Einheiten, die direkte Nachfahren uralter Formationen waren: Die Legio V Macedonica zum Beispiel war 43 v. Chr. von Julius Caesar eingerichtet worden und existierte im Ägypten des 7. Jahrhunderts n. Chr. immer noch. Doch von der Organisation her unterschied sie sich, wie alle spätrömischen Heeresverbände, stark von den früheren Legionen. Der Standardbegriff für eine solche Einheit war jetzt numerus (auf Latein) bzw. arithmos (auf Griechisch). Es gab keine Heereseinheiten mehr, die wie die alten Legionen 5000 Mann stark waren (in etwa wie eine heutige Brigade). Wir wissen es nicht genau, doch man darf davon ausgehen, dass selbst größere Infanterie-Formationen nicht mehr als 1000 bis 1500 Soldaten zählten (in etwa wie ein heutiges Regiment). Außerdem gab es sowohl bei den limitanei an den Grenzen als auch bei den regionalen Feldarmeen und den Praesentalis-Armeen viel mehr Kavallerieeinheiten als früher, doch diese waren noch kleiner und bestanden aus kaum 500 Mann. Auch die alte Kluft zwischen Legionären mit römischem Bürgerrecht einerseits und Hilfstruppen, die keine Bürger waren, andererseits existierte in dieser Form nicht mehr. Stattdessen gab es nun drei verschiedene Hauptkategorien von Soldaten, die sich in Höhe des Soldes und Ausrüstung unterschieden. Die Praesentalis-Armeen und die regionalen Feldarmeen bestanden aus palatini (den ranghöchsten Soldaten) und comitatenses (mit dem zweithöchsten Status), die Grenztruppen aus limitanei und/oder ripenses.3 Die Statusunterschiede waren eng mit der militärischen Kapazität verbunden. Als eine Kavallerieeinheit, die in der Kyrenaika gegen Wüstenräuber vorging, den Status der Feldarmee (als comitatenses) verlor und zu limitanei herabgestuft wurde, verlor sie – sehr zum Verdruss von Synesios von Kyrene – das Anrecht auf zusätzliche Pferde und Vorräte, mit denen sie möglicherweise effektiver gegen die lästigen Wüstenräuber hätte vorgehen können. Auch von der Kürzung ihres Solds werden die Soldaten kaum begeistert gewesen sein. Dennoch sollte man nicht annehmen, dass die limitanei nichts ausrichten konnten. Früher sahen Historiker sie zumeist als Bauern, die sich
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nebenbei als Soldaten verdingten und zu kaum mehr in der Lage waren, als ein wenig an der Grenze zu patrouillieren und hier und da eine Zollkontrolle durchzuführen. Aber auch wenn sich ihre Einsatzbereitschaft und der Grad ihrer militärischen Ausbildung wahrscheinlich von Grenze zu Grenze erheblich unterschieden, waren zumindest die limitanei der Ost- und der Donaufront durchaus kampferprobt. Die Kriegsführung im Osten setzte hauptsächlich auf lange Belagerungen, und die Streitkräfte diverser großer römischer Festungen bestanden aus limitanei. Bei vielen Feldzügen waren sie in der Anfangsphase an den meisten Kämpfen beteiligt. Dasselbe galt für die Donaufront, wo es das gesamte 5. Jahrhundert über immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen kam. Und auch bei den ganz großen Feldzügen kamen neben den Feldarmeen manchmal auch Einheiten der limitanei zum Einsatz.4 Ein Großteil dieser Neuorganisation des Heeres lässt sich auf eine Zeit extremer militärischer und politischer Instabilität zurückführen, die man gemeinhin als »Reichskrise des 3. Jahrhunderts« bezeichnet. Der größte destabilisierende Faktor damals war der Aufstieg Persiens zur Supermacht unter einer neuen Dynastie: In den 220er-Jahren lösten die Sassaniden ihre Rivalen, die Arsakiden, ab und fanden neue Mittel und Wege, die gewaltigen Ressourcen des heutigen Iran und Irak unter ihre Kontrolle zu bringen, um die römischen Gebiete im Osten angreifen zu können. Dieser Vorgang wirkte sich extrem negativ auf die allgemeine strategische Stellung des Römischen Reiches aus. In einer großen Felsinschrift, den Res gestae divi Saporis, zählte der persische Großkönig Schapur I. (240/242–270/272) auf, was er alles vollbracht hatte: Ich bin der Mazda verehrende göttliche Schapur, König der Könige, (…) aus dem Geschlecht der Götter, Sohn des Mazda verehrenden göttlichen Ardaschir, des Königs der Könige (…). Als ich zum Herrscher über die Länder eingesetzt wurde, versammelte der Caesar Gordian eine Armee aus Soldaten aus dem ganzen Römischen Reich (…) und marschierte (…) gegen uns. Ein großer Kampf zwischen beiden Parteien fand an den Grenzen von Assyrien bei Meschike statt. Der Caesar Gordian wurde getötet und die römische Armee vernichtet. Die Römer riefen Philipp zum Caesar aus. Und der Caesar Philipp kam und bat um Frieden, und er zahlte für ihr Leben 500 000 Denare und wurde uns tributpflichtig. Aber wieder log der Caesar, und er tat Armenien Unrecht. Wir marschierten gegen das Römische Reich und vernichteten eine römische Armee von 60 000 Mann in Barbalissos. Zuerst griffen wir das
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Land Syrien an und die Länder und Ebenen, die oberhalb davon lagen, und wir verwüsteten sie. Und [wir eroberten] auf dem Feldzug (…) 37 Städte mit den umliegenden Gebieten. Bei der dritten Auseinandersetzung (…) überfiel uns der Caesar Valerian. Er hatte eine Streitmacht von 70 000 Mann bei sich (…). Jenseits von Carrhae und Edessa fand eine große Schlacht zwischen uns und dem Caesar Valerian statt, und wir nahmen ihn wie auch alle anderen Befehlshaber der Armee mit eigenen Händen gefangen (…). Auf diesem Feldzug eroberten wir zudem (…) 36 Städte mit den umliegenden Gebieten.5
Das Römische Reich benötigte drei Politikergenerationen, um sich von dieser Abfolge katastrophaler, erniedrigender Niederlagen zu erholen und das Gleichgewicht an der Ostfront wiederherzustellen – und damit auch in seinen Strukturen wieder zu funktionieren. Die unmittelbare Reaktion war, wie kaum anders zu erwarten, eine komplette Neuausrichtung des gesamten Militärapparats des Imperiums. Dies beinhaltete auch die Einrichtung neuer militärischer Einheiten. Die persischen Elitetruppen des 3. Jahrhunderts waren die sogenannten Kataphrakte: Diese schwer bewaffneten Lanzenreiter waren maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Armeen von Gordian, Philipp und Valerian so große Verluste erlitten. Als Reaktion darauf erhöhte Rom ganz beträchtlich die Zahl der Kavallerieeinheiten, die den Kommandanten zur Verfügung standen, und es entstand eine ganz neue Art von Kavalleristen: die clibanarii oder »Panzerreiter«, bei denen Pferd und Reiter von oben bis unten gepanzert waren. Clibanarii waren auch Ende des 4. Jahrhunderts noch Teil der Feldheere im Osten des Reiches.6 Vor allem aber wurde die traditionelle Infanterie des römischen Militärs enorm ausgebaut. Da wir nicht genau wissen, wie groß die neuen Heereseinheiten waren, können wir unmöglich berechnen, wie viele neue Soldaten rekrutiert wurden. Doch es gibt eine ganze Reihe konkreter Hinweise auf einen Ausbau der Infanterie, von der Größe der Kasernen bis hin zu vereinzelten konkreten Informationen, auf deren Grundlage niemand, der sich ernsthaft mit der spätrömischen Armee beschäftigt, annehmen kann, dass die Zahl der Soldaten im Römischen Reich im Jahrhundert nach 230 nicht mindestens um 50 Prozent gewachsen ist; vieles spricht dafür, dass sie sich sogar verdoppelte. Es kann kein beredteres Zeugnis dafür geben, vor welches strategische Problem es Rom stellte, dass auf einmal Persien als rivalisierende Supermacht auf den Plan trat – oder besser: wieder auf den Plan trat
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(Schapur ließ seine riesige Inschrift ganz in der Nähe der Gräber der legendären achaimenidischen Könige Dareios und Xerxes platzieren). Mit dem größeren Heer konnte Rom die persische Bedrohung bis zur Wende des 4. Jahrhunderts weitgehend eindämmen. Im letzten Jahrzehnt des 3. Jahrhunderts errangen die Römer die ersten bedeutenden Siege über die Perser. In der Folgezeit war zwar mal die eine, mal die andere Seite kurzfristig im Vorteil, aber die Römer konnten dennoch verhindern, dass sich die überwältigenden Siege Schapurs I. im 3. Jahrhundert wiederholten.7 Die Auswirkungen des persischen Machtzuwachses und der konsequenten Expansion des römischen Militärs waren nicht nur auf dem Schlachtfeld zu spüren. Der Wiederaufstieg Persiens zur Supermacht gab den Ostgrenzen des Reichs eine ganz neue Bedeutung, und auf lange Sicht destabilisierten sich die bestehenden politischen Machtverhältnisse innerhalb des gesamten Imperiums. Als die Römer zu der Überzeugung gelangt waren, dass die Perser eine ständige Bedrohung darstellten, ließ es sich nicht mehr vermeiden, dass der Kaiser immer öfter vor Ort war und die Verteidigung der Ostgrenze überwachte, denn er kam nicht umhin, so enorme Ressourcen, wie sie ein Krieg an der Ostfront erforderte, persönlich zu kommandieren. Laut der Notitia dignitatum waren etwa 40 Prozent des gesamten römischen Heeres so positioniert, dass sie im Ernstfall persische Übergriffe abwehren konnten – und die Kontrolle über so viele Soldaten konnte der Kaiser unmöglich einem Untergebenen übertragen; zu groß war die Gefahr, dass dieser die Gelegenheit nutzte, um nach dem Thron zu greifen. Angesichts der enormen Größe des Imperiums, das sich von Schottland bis zum Irak erstreckte, und dem Schneckentempo, mit dem sich das Heer bewegte – im Durchschnitt konnte eine römische Armee 20 Kilometer pro Tag zurücklegen und musste alle drei bis vier Tage einen Ruhetag einlegen8 –, bedeutete dies aber in der Praxis, dass das Imperium für die Grenzen innerhalb Europas eine neue Lösung finden musste. Schließlich waren die Übergriffe der neuen, weitgehend von germanischen Stämmen dominierten Konföderationen an Rhein und Donau ein weiteres charakteristisches Merkmal der späten Kaiserzeit.9 Nach einer langen Phase des Experimentierens im 3. Jahrhundert, während der es immer wieder zu Usurpationen kam, wenn an einer allzu langen Leine geführte Feldherren nach dem Thron griffen, gab es eine Tendenz, die die gesamte römische Spätantike prägen sollte – zumindest
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solange das Westreich existierte: nämlich die, die politische Macht zwischen zwei oder mehr Kaisern aufzuteilen. Die politischen Auswirkungen der Umstrukturierung des Militärs können auch die relativ komplexe Struktur der Praesentalis-Armeen und der regionalen Feldarmeen erklären. Aufgrund der Tücken der Logistik mussten regionale Kommandanten stets über ausreichende Streitkräfte verfügen, um auf die »üblichen« Bedrohungsszenarien reagieren zu können. Wenn ein großer Feldzug geplant war, dauerte es in der Regel mindestens ein Jahr, bis genügend Nahrungsmittel und Tierfutter beschafft und die erforderlichen Truppen zusammengezogen waren. Wenn es an der Grenze akute Probleme gab, konnte natürlich niemand so lange warten.10 Doch da die Heerführer immer wieder nach der Macht griffen, mussten die Kaiser sicherstellen, dass jeder einzelne von ihnen nicht über so viele Truppen verfügte, dass er ihm gefährlich werden konnte. Die Organisation der Feldarmeen des 4. bis 6. Jahrhunderts ist so etwas wie ein Kompromiss. Bestimmte elitäre Abteilungen des Heers wurden so verteilt, dass sie in der Lage waren, auf die neuen strategischen Herausforderungen der römischen Spätantike besonders schnell und effektiv zu reagieren, und um negative politische Konsequenzen zu verhindern, wurden die verschiedenen Heeresteile, sogar die Praesentalis-Armeen, sorgsam in kleinere Einheiten aufgeteilt; diese wurden von verschiedenen Kommandanten befehligt, bei denen man davon ausgehen konnte, dass sich ihr politischer Einfluss im Zweifelsfall gegenseitig aufheben würde. Dieselbe Art Gleichgewicht zeigt sich auch bei einer anderen militärischen Neuerung, von der wir allerdings nicht genau wissen, wann sie eingeführt wurde: Die Rede ist von den magistri militum, den Oberbefehlshabern der Feldarmeen, die zur Zeit Justinians bereits ein charakteristisches Merkmal der oströmischen Armeen waren und im 6. Jahrhundert offenbar beträchtliche Streitkräfte befehligten. Die magistri militum rekrutierten persönlich ihre Offiziere und Soldaten (»Gardisten und Speerkämpfer«, wie Prokop sie nennt), die ihre Feldherren bis in die entlegensten Gegenden des Mittelmeerraums begleiteten. Belisars »Gardisten« dienten ihm im Osten, in Afrika und in Italien, und sogar als er zur Vorbereitung eines Italienfeldzugs auf den Balkan entsandt wurde, kamen seine Offiziere mit. Die übliche Bezeichnung für diese Offiziere ist bucellarii, und die Institution entstand eindeutig aus der spätrömi-
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schen Tendenz einflussreicher Militärs und Zivilisten, eine private bewaffnete Entourage zu unterhalten. Doch die bucellarii des römischen Militärs des 6. Jahrhunderts waren keine privaten Söldner. Sie wurden zumindest teilweise aus der Staatskasse bezahlt (reiche Feldherren wie Belisar finanzierten die Rekrutierung und Ausrüstung ihrer Gefolgsleute zum Teil aus eigener Tasche, genau wie etwa die wohlhabenden Kapitäne in Nelsons Marine), und sie schworen sowohl dem Kaiser als auch ihrem eigenen Feldherrn einen Treueeid. Dank staatlicher Finanzierung erhöhte sich nach und nach ihre Zahl – zu einem Zeitpunkt hatte Belisar 7000 bucellarii unter sich, obgleich 500 bis 1500 Mann üblicher gewesen sein dürften. Man sollte die bucellarii weniger als erweitertes persönliches Gefolge verstehen denn als Elite-Angriffsformationen, deren permanente Bindung an einen erfolgreichen Feldherrn (erfolgreich zumindest in dem Sinne, dass er es bis zum magister militum gebracht hatte) bedeutete, dass sie eine bessere Ausbildung genossen und besser ausgestattet waren als andere Einheiten. Wir wissen zudem, dass die bucellarii im 6. Jahrhundert sowohl aus Bürgern des Imperiums als auch aus »Barbaren« rekrutiert wurden. Auch hier lässt sich beobachten, dass man versuchte, eine Balance zu finden zwischen einer erhöhten militärischen Effektivität und der Notwendigkeit, einzelne Feldherren daran zu hindern, politisch gefährlich zu werden.11 Auch wenn die Größe, die geografische Verteilung und die Kommandostruktur von Justinians Heer auf die militärischen Verwicklungen des 3. Jahrhunderts zurückzuführen sind, so haben die verschiedenen Formen der Heereseinheiten und die vorherrschenden taktischen Doktrinen ihren Ursprung doch in einer ganz anderen Krise: Ab Ende des 4. Jahrhunderts entstand dem Römischen Reich durch den starken Machtzuwachs der Hunnen in Ost- und Mitteleuropa eine beispiellose Bedrohung an den Grenzen an Rhein und Donau. Wie wir gesehen haben, fiel dieser zweiten strategischen Revolution am Ende offenbar das gesamte Weströmische Reich zum Opfer.12 Der Osten hingegen blieb relativ intakt, da es den Hunnen weder direkt noch indirekt gelang, dem Imperium die Kontrolle über jene Gebiete zu entreißen, aus denen es am meisten Einnahmen generierte: Ägypten, Naher Osten, Kleinasien. Nichtsdestoweniger war der Schock, den die Hunnen auch im Ostreich erzeugten, enorm. Insbesondere mit Attila sah sich das Impe-
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rium in den 440er-Jahren an der europäischen Front einem Gegner gegenüber, der ohne Weiteres in der Lage war, große befestigte Stützpunkte wie Singidunum und Sirmium effizient zu belagern und römische Feldarmeen im offenen Kampf zu besiegen. Im Jahr 447 schlug Attila zwei kaiserliche Armeen – erst die von Thrakien und dann auch noch die Praesentalis-Streitkräfte – und zerstörte eine ganze Reihe von Festungen auf dem Balkan.13 Insgesamt reagierte das Römische Reich auf die Bedrohung durch die Hunnen in militärischer Hinsicht genauso schwerfällig wie auf den Machtzuwachs Persiens im 3. Jahrhundert. Eine der ersten Maßnahmen bestand darin, selbst Gruppen hunnischer Söldner anzuheuern; an vielen römischen Feldzügen des ausgehenden 4. und des frühen 5. Jahrhunderts nahmen dann tatsächlich Hunnen teil.14 Daneben tat man ganz neue Quellen auf, um Soldaten zu rekrutieren, teilweise auch innerhalb des Reiches. So wurde die oströmische Armee in den 440er-Jahren durch zahlreiche Soldaten verstärkt, die in einer Gegend im Südwesten Kleinasiens ausgehoben wurden, die bis dahin eher als Heimat von Räubern und Banditen bekannt gewesen war: Isaurien im unwirtlichen Kilikien. Die rekrutierten Isaurer gelangten in Konstantinopel zunehmend auf prominente Posten – ein Umstand, der für die kaiserliche Politik von Ende der 460er- bis Mitte der 490er-Jahre wichtige Konsequenzen haben sollte (siehe Kapitel 3).15 Die Rekrutierung von Soldaten wurde auch unter Vertriebenen von der europäischen Peripherie des Imperiums energisch vorangetrieben, die um jeden Preis der hunnischen Fremdherrschaft entkommen wollten. Zum Beispiel siedelten die Römer zahlreiche Goten, die sich in den 420er-Jahren der Kontrolle der Hunnen hatten entziehen können, in Thrakien an. Deren eigene Streitmacht wiederum war bis in die 480er-Jahre hinein ein wichtiger Teil des militärischen Establishments des Ostreichs. Solche Gruppen nannte man foederati – »Verbündete« –, und dass sie im Römischen Reich Land besitzen durften, hatten sie innovativen gesetzlichen Bestimmungen aus der Zeit der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert zu verdanken. Unter anderem verpflichtete sich die betreffende Gruppe, dem kaiserlichen Heer langfristig militärische Einheiten bereitzustellen – und diese Verpflichtung wurde weitervererbt, ein wenig wie bei römischen Veteranen, von deren Söhnen man ebenfalls erwartete, dass sie sich beim Heer verpflichteten. Allerdings durften die foederati ihre bestehenden
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kommunalen und politischen Strukturen beibehalten und hatten im Militär ihre eigenen Anführer.16 Daneben setzte das oströmische Heer des 6. Jahrhunderts auch weiterhin auf den Einsatz von Söldnerkontingenten von außerhalb der Reichsgrenzen, die nur für bestimmte Feldzüge angeheuert wurden. Prokop nennt eine ganze Reihe solcher Kontingente, von germanischsprachigen Langobarden von der Mittleren Donau bis hin zu den turkischsprachigen Bulgaren vom Nordufer des Schwarzen Meers (die bei ihm Massageten heißen).17 Zusätzlich beschäftigte das Imperium selbst dann noch die auf römischem Gebiet siedelnden und größtenteils autonomen foederati, nachdem die thrakischen Goten 488 nach Italien gegangen waren. Insbesondere die Heruler spielten bei Justinians Feldzügen eine wichtige Rolle. Die langfristig gesehen wichtigste militärische Reaktion auf die Vormachtstellung der Hunnen war jedoch taktischer Natur. Die Römer hatten die Hunnen als Reitervolk kennengelernt, das eine leistungsstärkere Version des Reflexbogens verwendete, wie er seit Langem eine charakteristische Waffe eurasischer Steppennomaden war. Diese Waffe verlieh den verschiedenen hunnischen Gruppen einen so großen militärischen Vorteil, dass sie in der Lage waren, eine Vielzahl von größtenteils germanischsprachigen Klienten Roms zu unterjochen, die zwar von Rom aus gesehen jenseits der verteidigten Reichsgrenze lebten, aber quasi unterworfen waren (unter anderem wiederum die Goten). Unter Attila entwickelte sich die Bedrohung durch die Hunnen zu einem äußerst komplexen militärischen Problem, da der legendäre hunnische Kriegsherr zusätzlich zu den Streitkräften seines hunnischen Kernreichs zahlreiche Kämpfer aus den unterworfenen Völkern rekrutierte. Und dazu gehörten weitere Steppennomaden wie die Alanen, aber auch Völker, die größtenteils Infanterietruppen stellten, wie die germanischen Goten, Gepiden, Sueben oder Skiren. Entsprechend groß war die Palette der Waffengattungen, die Attila zur Verfügung stand – sein Arsenal reichte von berittenen Bogenschützen über Infanterietrupps bis hin zu gepanzerten, mit Lanzen ausgerüsteten Stoßtrupps. Wir können nicht mehr in allen Einzelheiten rekonstruieren, mit welchen teils experimentellen Maßnahmen die Römer auf die neuen Muster in der Kriegsführung reagierten, die in der Ära der Hunnen aufkamen, doch welchen Effekt diese Maßnahmen auf das römische Heer des
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6. Jahrhunderts hatten, beweisen die Schlachtenberichte bei Prokop sowie diverse Militärhandbücher aus jener Zeit, allen voran das Strategikon des Maurikios. Wie man diesen Texten entnehmen kann, setzte das oströmische Heer im 6. Jahrhundert verstärkt auf die Kavallerie. Die Reitersoldaten wurden nun oft als vorderste Schlachtreihe eingesetzt und nicht mehr, wie es noch im 4. Jahrhundert üblich gewesen war, nur zum Schutz der Flanken. Zudem bestand die Reiterei aus zwei verschiedenen Elementen. Das war zum einen die leichte Kavallerie (kursures in der Terminologie des Strategikon), die mit Reflexbögen nach Art der Hunnen bewaffnet war; anhand archäologischer Überreste lassen sich die Endversteifungen aus Knochen für das römische Militär ab Anfang des 5. Jahrhunderts nachweisen (siehe Abb. 4); die kursures waren die Ersten, die den Feind angriffen, wobei sie zunächst ihre Projektilwaffen benutzten, um dem Feind erste Verluste zuzufügen und bestenfalls seine taktische Formation in Unordnung zu bringen. Falls dieser erste Angriff erfolgreich war, kam die schwerere Schockkavallerie, die defensores, ins Spiel, die wie ein Rammbock in die feindlichen Linien fuhr; diese defensores waren nicht nur mit Bögen, sondern auch mit Kavallerielanzen bewaffnet. Wenn die kursures in Schwierigkeiten gerieten, sicherte die schwere Kavallerie ihnen den Rückzug.18 Prokops Schlachtenberichte deuten darauf hin, dass die neuen Elitekavalleristen im 6. Jahrhundert eher bei den bucellarii der magistri militum zu finden waren, aber auch die reguläre Kavallerie der Feldarmee-Einheiten und sogar einige der foederati wurden intensiv in den neuen Kampfpraktiken ausgebildet. Ich vermute zudem, dass die bucellarii der Oberbefehlshaber der Feldarmeen innerhalb des Militärs auch das wichtigste Element institutioneller Kontinuität darstellten, das es möglich machte, neue Waffen und die Taktiken, um diese Waffen mit bestmöglichem Effekt zu nutzen, zuerst zu entwickeln und die Erfahrungen dann über mehrere Generationen hinweg weiterzugeben. Dies ist zumindest zum Teil ein argumentum ex silentio. Im Römischen Reich der Spätantike gab es keine Offiziersschulen oder Militärakademien, an denen sich neue Doktrinen hätten entwickeln können, wie es für das heutige Militär der Fall ist. Die bucellarii, die neuen Elitetruppen des 6. Jahrhunderts, erhielten von allen römischen Soldaten den höchsten Sold, und sie bekamen die beste Ausrüstung, die die staatlichen »Fabriken« zu bieten hatten (ganz zu schweigen von den vielen Zusatzleistungen, die sie von ihren oft sehr wohlha-
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Abb. 4 Hunnenbogen. Die Hunnen sorgten indirekt für eine veritable Revolution der Taktik und Ausrüstung des oströmischen Militärs – sie ebnete Justinians Eroberungen letztlich den Weg.
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benden Kommandanten erhielten). Allein wegen dieser Faktoren waren bei den bucellarii die besten Rekruten zu finden. Ihre Offizierskader brachten zudem wiederum viele neue Feldherren für die Feldarmeen hervor. Mindestens zwei Soldaten, die Justinian selbst in den Rang eines magister militum erhob und die Ende der 520er-Jahre das Kommando über wichtige Feldarmee-Formationen innehatten – neben Belisar, der in diesem Buch noch eine bedeutende Rolle spielen wird, auch ein Mann namens Sittas – hatten bei den bucellarii gedient, als der spätere Kaiser Anfang der 520er-Jahre noch den Rang eines magister militum praesentalis bekleidete; im Laufe von Justinians Regentschaft wurden dann wiederum mehrere Personen aus Belisars direktem Umfeld und einige seiner Unteroffiziere, die auf seinem ersten Afrikafeldzug dabei waren, zu magistri militum befördert.19 Die bucellarii waren nicht nur für sich genommen ein Schlüsselelement des neu organisierten oströmischen Heeres des 6. Jahrhunderts, sie besaßen auch militärisches Fachwissen, das sie über mehrere Generationen hinweg an ihre Nachfolger weitergaben. Zwar waren das auffallendste Merkmal dieser Umwälzungen beim Militär die neue Rolle und bessere Ausstattung der römischen Kavallerie, aber auch die Operationen der Infanterie blieben nicht unberührt. Die leichten und schweren Kavallerieeinheiten wurden dazu ausgebildet, auf dem Schlachtfeld mit der Infanterie zu interagieren, die größenmäßig nach wie vor das Schwergewicht in den römischen Feldarmeen bildete und deren Taktiken und Ausrüstung ebenfalls entsprechend angepasst worden waren. Die jüngste Interpretation legt nahe, dass die Defensivrüstung der Infanterie allein deshalb leichter gemacht wurde (ein Umstand, den der Kriegstheoretiker Vegetius Ende des 4. Jahrhunderts sehr beklagte), weil die Fußsoldaten in die Lage versetzt werden sollten, auf dem Schlachtfeld schnell und beweglich mit der weiterentwickelten Kavallerie zu kooperieren. Die Ausrüstung der Infanterie wurde zudem um Bögen und andere Projektilwaffen erweitert. So konnten die Fußtruppen vielfältigere Rollen übernehmen: Sie waren in der Lage, andere Truppenteile zu verstärken, konnten taktisch nachfassen, wenn die Kavallerie einen erfolgreichen Angriff gelandet hatte, und boten den Reitern Deckung, wenn sie zum Rückzug gezwungen waren. Die Erfahrungen aus den Schlachten zur Zeit der Hunnen hatten die römischen Kommandanten gelehrt, dass es keinen Sinn ergab, die Infan-
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terie in mehr oder weniger statischen Formationen marschieren zu lassen: Ein Angriff der hunnischen Bogenschützen konnte die dicht stehenden Infanteriereihen schnell ins Chaos stürzen, bevor sie überhaupt nah genug an den Feind herankam, um überhaupt etwas ausrichten zu können. Die Infanterie musste mobiler werden, um weniger anfällig für Projektilbeschuss und Kavallerieangriffe zu sein, und bis zur Zeit Justinians wurde sie entsprechend umorganisiert. Um sich vor feindlichen Bogenschützen zu schützen, operierte die Infanterie zu diesem Zeitpunkt sogar mit tragbaren Anti-Kavallerie-Barrikaden – munitiones, wie ein Autor des frühen 6. Jahrhunderts sie nennt.20 Zwei strategische Krisen hatten also die Streitkräfte geprägt, die Kaiser Justinian bei seiner Thronbesteigung im Jahr 527 zur Verfügung standen. Die herkömmlichen, schwerfälligen Infanterie-Legionen, die einst ein ganzes Weltreich erobert hatten, gehörten der Vergangenheit an. Zunächst waren sie aufgestockt worden, um der Bedrohung durch die neue persische Supermacht im 3. Jahrhundert zu begegnen, und dann waren sie taktisch ganz neu ausgerichtet worden, um auf die Übergriffe großer Kontingente von Steppennomaden zu reagieren, die Ende des 4. Jahrhunderts und im 5. Jahrhundert Ost- und Mitteleuropa heimgesucht hatten. Die Kriegsführung war in praktischer wie auch in ideologischer Hinsicht von so großer Bedeutung für das allgemeine Funktionieren des Römischen Reiches, dass sich dermaßen tief greifende Veränderungen des Militärapparats ganz unweigerlich ebenso tief greifend auf die inneren Strukturen des Imperiums auswirkten.
Der Kostenfaktor Der Grund dafür ist ein ganz einfacher. Das Militär war mit Abstand der teuerste Posten des kaiserlichen Staatshaushalts. Man kann im Grunde nur Vermutungen anstellen und Analogien bemühen, aber die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass die Militärausgaben zwischen der Hälfte und drei Vierteln der jährlichen Einnahmen des Staates verschlangen; ich selbst tendiere zum oberen Ende. Daran kann man sofort ermessen, vor welche finanziellen Probleme es das Reich stellte, als auf das Wiedererstarken der Perser hin das Heer weiter aufgestockt werden musste. Für heutige Regierungen ist es mitunter extrem schwierig, für Posten wie das Gesundheitswesen, die nur etwas mehr als zehn Prozent
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ihrer gesamten Ausgaben ausmachen, auch nur ein oder zwei Prozent zusätzlich aufzuwenden. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl der Soldaten im 3. Jahrhundert »nur« um 50 Prozent stieg und dass das Militär »nur« 50 Prozent des Staatshaushalts verschlang. Doch selbst das würde bedeuten, dass die kaiserliche Regierung ihre Einnahmen um ein Viertel steigern musste, um den Militärapparat hinreichend ausbauen zu können, um des aggressiven Gebaren der Perser Herr zu werden. Selbst wenn die Regierung nur einen um 25 Prozent höheren Kostenaufwand abfedern wollte, sah sie sich wohl mit immensen fiskalischen und administrativen Problemen konfrontiert, und wahrscheinlich war der tatsächliche Kostenaufwand noch wesentlich größer.21 Viele unverkennbare Anzeichen sprechen dafür, dass dieser Vorgang für das Reich eine kolossale Belastung darstellte. Was die Steuerpolitik betraf, so war das 3. Jahrhundert von einer ganzen Reihe von Notmaßnahmen geprägt, die deutlich zeigen, wie dringend die Regierung Geld brauchte. In den 250er-Jahren beschlagnahmte der Staat das letzte unabhängig kontrollierte Kapital römischer Städte. Von diesem Zeitpunkt an waren die lokalen Verwaltungsbediensteten zwar immer noch dafür zuständig, vor Ort die Steuern einzutreiben, aber alle Erlöse gingen nun an den Kaiser.22 Es gibt auch diverse Hinweise, dass eilig Sondersteuern eingeführt wurden, die zusätzliche Einnahmen generieren sollten, und allein die Anzahl legitimer Kaiser, die einander im 3. Jahrhundert die Klinke in die Hand gaben (zwanzig binnen fünfzig Jahren, und da sind die Usurpatoren und Mitkaiser gar nicht mitgezählt), ist beredtes Zeugnis für die Probleme rund um die Bezahlung der Soldaten, denn dies war ein Thema, das Thronanwärter immer wieder instrumentalisierten, um das Militär auf ihre Seite zu ziehen. Die zunehmende Verzweiflung der kaiserlichen Verwaltungsbeamten und ihrer Vorgesetzten offenbart sich aber vor allem in der fortschreitenden Abwertung des Denars, der Silberwährung, in der die Soldaten üblicherweise bezahlt wurden. Anders als heutige Regierungen verfügte das Kaiserhaus über keinen Münzbestand zur allgemeinen Nutzung durch die Bevölkerung; Bargeld galt als Werkzeug der Regierung, das im Wesentlichen dafür da war, das Militär zu finanzieren. Das Problem mit der verfügbaren Geldmenge war recht simpel: Als das Heer immer weiter wuchs, gab es irgendwann nicht mehr genug Silber, um die zusätzlichen Soldaten in Münzen zu bezahlen, die komplett aus Silber bestanden. Um
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die erforderliche Menge an Bargeld zu erzeugen, fügte man dem Edelmetall daher einen immer größeren Anteil an Basismetallen hinzu. Vergleichsbeispiele deuten darauf hin, dass es etwa einen Monat dauerte, bis der Öffentlichkeit klar wurde, dass die neuen Münzen de facto weniger wert waren. Bis dahin hatten viele Soldaten ihren Sold bereits ausgegeben, und die Regierung hatte ihr unmittelbares Ziel erreicht: das Heer am Zahltag bei Laune zu halten. Mittelfristig führte dieser Vorgang jedoch zu einer Abwertung der Währung, die bis ins frühe 4. Jahrhundert hinein anhielt. Die resultierende Inflation erreichte ein solches Ausmaß, dass ein Pfund Weizen – in Silberdenaren gerechnet – im Jahr 300 zweihundertmal so viel kostete wie ein paar Jahrzehnte zuvor. Die Inflation zog weitere Notstandsmaßnahmen nach sich, nicht zuletzt das berüchtigte Höchstpreisedikt von 301, das verfügte, dass Soldaten für ein enormes Spektrum von Waren und Dienstleistungen nicht mehr bezahlen durften als in der beigefügten Tariftabelle festgehalten. Es war kaum mehr als der verzweifelte Versuch, Einzelhändler dazu zu zwingen, die weitgehend wertlosen Münzen anzunehmen, in denen der Sold ausgezahlt wurde.23 Längerfristig begegnete man diesem Problem mit einer vollständigen Revision der Steuersysteme des Reiches und der Mechanismen, wie die Soldaten bezahlt wurden. Auf der einen Seite wurde das Imperium auf direktere Weise besteuert als je zuvor. Diokletian und die anderen Tetrarchen verschafften sich einen umfassenden Überblick über den wirtschaftlichen und demografischen Zustand des Römischen Reiches, das überwiegend landwirtschaftlich geprägt war – man geht davon aus, dass die Landwirtschaft mindestens 80 Prozent des Bruttoinlandprodukts generierte. Aufgrund der großen Menge an Informationen, die bei dieser Aktion gesammelt wurden (und die mancherorts in Form von Inschriften in Stein überlebt haben), wurde dem Territorium jeder Stadt eine bestimmte Anzahl von Steuereinheiten – iugera – zugeteilt, die übers Jahr die jeweils gleiche Menge an Steuereinnahmen generieren sollten. Je nachdem, welche Form die lokale Wirtschaft hatte, gab es in einem iugum mitunter mehrere (manchmal auch sehr viele) weniger wohlhabende Steuerzahler, mitunter umfasste der Grundbesitz eines besonders reichen Römers auch mehrere iugera, und weil ein iugum keine Größen-, sondern eine Werteinheit war, war ein iugum ertragreichen Bodens kleiner als ein iugum einer Ackerfläche, die nicht so viel abwarf.
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Da das neue System aus dem bereits existierenden entstand, gab es diverse regionale Unterschiede – in einigen Provinzen mussten die Bewohner eine Kopfsteuer entrichten und zusätzlich einen bestimmten Teil ihrer jährlichen landwirtschaftlichen Erträge abgeben, in anderen nicht. Vom Hadrianswall bis zum Euphrat entsprechende Informationen zu sammeln und zu analysieren, war ein gewaltiger administrativer Aufwand. Im Endeffekt wurde das Imperium so in eine bekannte Anzahl gleichwertiger besteuerbarer Einheiten unterteilt, was erstmals so etwas wie eine tatsächliche Etatplanung möglich machte – in dem Sinne, dass sich die Gesamtsumme an Geld, die die Regierung in einem bestimmten Jahr benötigte, durch die Gesamtzahl der Steuereinheiten teilen ließ: eine Basis, auf der sich die Höhe der nötigen Besteuerung jedes einzelnen iugum festlegen ließ. Diese neuartige Besteuerung auf der Mikroebene oblag den örtlichen Stadtverwaltern, die auch dafür zuständig waren, die fälligen Beträge einzuziehen.24 Der zweite große Teil der Reform diktierte, wie genau diese »fälligen Beträge« abzuführen waren. Da im Römischen Reich nicht genügend Silber zur Verfügung stand, um die nunmehr viel größere Armee mit echten Silbermünzen zu bezahlen, wurde der Militärsold umgestellt, auf eine Kombination aus Sachleistungen und gelegentlichen Sonderleistungen in Gold, den sogenannten donativa; diese Sonderleistungen erhielten die Soldaten bei ihrer Rekrutierung, beim Ausscheiden aus dem Dienst sowie anlässlich großer Kaiserjubiläen. Das neue Steuersystem war direkt darauf ausgerichtet, den notwendigen Mix aus Sacheinnahmen und Gold zu erzeugen. Wie immer versuchten die Verwaltungsbeamten des Kaisers, es sich dabei so einfach wie möglich zu machen, doch das große Problem bei den Sacheinnahmen bestand darin, dass es erstens schwierig und zweitens teuer war, große Mengen landwirtschaftlicher Erzeugnisse von entlegeneren Gegenden des Imperiums, wo sie produziert wurden, dorthin zu transportieren, wo große Abteilungen des Heers stationiert waren. Ein hervorragendes Beispiel dafür, wie dieses System funktionierte, ist eine Steuer, die im Jahr 377 erhoben wurde und dazu dienen sollte, die Soldaten mit wollenen Militärmänteln zu versorgen. In Regionen, in denen Soldaten in großer Zahl stationiert waren, wie auf dem Balkan oder in Mesopotamien, sowie in Gebieten mit intensiver Viehzucht, wie Isaurien, mussten die Bürger ihre Steuern tatsächlich in Form solcher
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Mäntel bezahlen. Anderswo wurde stattdessen der Gegenwert in Gold berechnet.25 Es gab auch eine zusätzliche Steuer in Gold für Senatoren und eine (angeblich) freiwillige Kronsteuer in Gold, die die Städte des Imperiums theoretisch alle fünf Jahre entrichteten, um den Jahrestag der Thronbesteigung des Kaisers zu würdigen, und beide Abgaben spielten eine entscheidende Rolle dabei, das Edelmetall zu beschaffen, das für die periodischen militärischen donativa nötig war. Das heißt allerdings nicht, dass das Steuersystem reibungslos funktionierte. Im 4. und 5. Jahrhundert mussten das eine oder andere Mal Sondersteuern erhoben werden, und die Soldaten hatten immer wieder darunter zu leiden, dass sie ihren Sold zu spät oder gar nicht bekamen, vor allem die, die in abgelegenen Regionen stationiert waren.26 Dennoch: Die deutlichsten Indizien für ein chronisch unterfinanziertes Militär – die systematischen Usurpationen des 3. Jahrhunderts und die verhängnisvolle Dynamik von Geldentwertung und Inflation – wiederholten sich diesmal nicht. So war der römische Staat schließlich in der Lage, sich die notwendigen Ressourcen zu sichern, um die enorme Aufstockung seines Militärs zu finanzieren, doch der Preis dafür waren ein enormer Verwaltungsaufwand, die Beschlagnahmung lokaler Einnahmen und eine erhebliche Steuererhöhung. Es ist ein klarer Beleg für das Ausmaß der notwendigen Anstrengungen, dass es ab dem Wiedererstarken der Perser in den 230er-Jahren beinahe drei politische Generationen dauerte, bis aus einer Reihe spontaner Experimente eine praktikable langfristige Lösung hervorging. Es dauerte ebenfalls eine ganze Zeit, bis die moderne Forschung verstand, wie sich die Gesamtkosten des Truppenausbaus tatsächlich auf das Imperium als Ganzes auswirkten. Den größten Teil des 20. Jahrhunderts über nahm man an, der Effekt sei regelrecht erdrückend gewesen. Durch Papyri wusste man, dass in den 280er-Jahren die Hyperinflation einsetzte, und ab 250 ging die Anzahl der in Auftrag gegebenen Steininschriften erstaunlich zurück (im Jahresdurchschnitt fiel sie um 80 Prozent); außerdem gab es aus dem 4. Jahrhundert Hinweise auf Landwirte, die an ihr Land gebunden waren, und auf »verlassene Äcker« (agri deserti). Im 4. Jahrhundert, so nahm man an, dürfte das Imperium nach der Krise des 3. Jahrhunderts eine gewisse Stabilität zurückerlangt haben, aber nur dank drakonischer juristischer Maßnahmen, die Landwirte auf ihren Höfen halten sollten, und indem die Steuern so sehr erhöht
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wurden, dass manche Ackerflächen nicht mehr bewirtschaftet wurden. Gleichzeitig hatten die wohlhabenden Bürger durch die Hyperinflation ihr Vermögen eingebüßt (ähnlich wie in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg), was sich nur allzu deutlich daran ablesen ließ, dass sich immer weniger Bürger in den örtlichen Stadträten engagierten; die Inschriften, die ein solches Engagement vor Mitte des 3. Jahrhunderts zu feiern pflegten, waren inzwischen nahezu verschwundenen.27 All das ergab in der Summe einen wirtschaftlichen Kollaps, der alle Annahmen der Forscher zu bestätigen schien28 – das macht die neuen, seit den 1970er-Jahren aufgetauchten archäologischen Funde umso spannender. Anhand von Oberflächenfunden sehr gut datierbarer römischer Keramik entwickelten Archäologen neue Survey-Techniken; die Analyse ermöglichte es erstmalig, mehr oder weniger direkt zu messen, wie es der Landwirtschaft im Reich ging; zumindest konnte man erstmals nachvollziehen, wie viele funktionierende Agrarsiedlungen zu verschiedenen Zeiten der römischen Kaiserzeit existierten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind revolutionär. Nimmt man einige wenige Gebiete (wie das nördliche Britannien und die Region unmittelbar hinter der Grenze am Niederrhein) aus, dann war das 4. Jahrhundert in der überwältigenden Mehrheit der Provinzen des Kaiserreichs wider Erwarten keine Zeit der Landflucht – im Gegenteil. Dies widerspricht direkt den früheren Hypothesen (auch wenn schon damals einige kluge Köpfe die besonders pessimistischen Annahmen bezweifelt haben) und zwingt uns, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen der Neuausrichtung des Steuersystems, mit der das Kaiserhaus den Truppenausbau finanzierte, zu überdenken. Die Steuersätze waren offensichtlich doch nicht so hoch, dass auf einmal ganze Landstriche brach lagen. Im Gegenteil, in der späten Kaiserzeit wurden in vielen Teilen des Reiches sogar viele relativ marginale Flächen kultiviert; die Steuersätze können also nicht so hoch gewesen sein, dass sie die Bevölkerung in dem Maße belasteten, wie man es früher angenommen hatte. Im Zuge dessen beleuchtete die Forschung auch den Begriff agri deserti neu. Man geht inzwischen davon aus, dass dies so viel wie »Land, für das keine Steuern gezahlt werden« bedeutete, denn es existieren keine Belege für eine Besteuerung dieser Flächen. Natürlich bedeutet die neue Beweislage nicht automatisch, dass es den Landwirten überall im Reich wirtschaftlich gut ging, denn je mehr Menschen in ei-
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ner ländlichen Gegend leben, desto mehr steigt der Druck auf die Löhne und desto schwieriger werden die allgemeinen Bedingungen für die Landwirtschaft. Aber die Annahme, dass das militärische Aufrüsten des 3. Jahrhunderts das Imperium in den Bankrott trieb, ist sicherlich so nicht mehr haltbar. Die notwendigen volkswirtschaftlichen Kosten und der administrative Aufwand waren enorm und langwierig, aber schließlich gelang es doch, genügend Mittel zu mobilisieren, um den organisierten Militärapparat dauerhaft aufrechtzuerhalten, ohne dass dies das produktive Gefüge des Römischen Reiches grundlegend beschädigte. Man kommt kaum umhin, sich dem Fazit anzuschließen, dass das BIP des Imperiums, auch wenn die Steuerpolitik der Bevölkerung einiges abverlangte, im 4. Jahrhundert einen besonders hohen Stand erreichte.29 Das wiederum heißt aber nicht, dass die strukturelle Neuausrichtung des Steuersystems ein einfacher Prozess oder dass die allgemeine Steuerlast gering gewesen wäre. Unter normalen Bedingungen ließ sich das alles, wie die neuen archäologischen Befunde zeigen, durchaus bewältigen, aber viel Spielraum wird es nicht gegeben haben. Mehrere Quellen aus dem 4. Jahrhundert berichten beispielsweise übereinstimmend, dass ein Feldzug, für den ein großer Teil des Heeres abkommandiert wurde und der sich über mehrere Saisons hinzog, große zusätzliche Belastungen mit sich brachte, die die Steuerzahler nur mit Mühe bewältigen konnten. Bei den ganz großen Feldzügen waren die Truppenlisten voll, man benötigte viel zusätzliche Ausrüstung, musste gewaltige Gepäckzüge (mit vielen zusätzlichen Zugtieren) einrichten und vor allem dafür sorgen, dass in dem relevanten Bereich an der Grenze ungeheure Mengen an Proviant und Tierfutter zur Verfügung standen. All dies brachte Steuerbehörden und Logistik an die Grenzen ihrer Kapazität (in Sachen Logistik griff man oft auf Fronarbeiter zurück, eine weitere Form der Besteuerung). Unsere Quellen weisen für einen Fall ausdrücklich darauf hin, dass es gelang, die notwendigen Ressourcen für einen großen Feldzug zu beschaffen, ohne die Steuerzahler zusätzlich zu belasten – ein höchst aufschlussreicher negativer Beweis.30 Ganz explizit erwähnen die Darstellungen von Julians Feldzügen an der Rheingrenze Mitte der 350er-Jahre, wie schwierig es war, genügend Nahrungsmittel aufzutreiben und zu lagern, damit seine Armee mehrere Jahre nacheinander im Feld bleiben konnte. Beim Feldzug von 357 verbrauchte die Armee die letzten nennenswerten Reserven in Gallien – und selbst in
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jenem Jahr war die Ankunft mehrerer Wagen mit Getreide aus Aquitanien eine höchst willkommene Überraschung; 358 sah sich der Caesar sogar gezwungen, sich an den in Britannien gelagerten Nahrungsmittelvorräten zu bedienen. Die Vorbereitungen großer Feldzüge brachten normalerweise eine beträchtliche zusätzliche Besteuerung und stellten daher auf lokaler Ebene eine erhebliche politische Belastung dar. Julians Vorbereitungen für seinen Perserfeldzug 362/363 verursachten in und um Antiochia, wo die Feldzugarmee stationiert war, schwere wirtschaftliche Probleme; in eben dieser Stadt kam es später, 387, zu Aufständen, bei denen Kaiserstatuen umgestürzt wurden, als nämlich Kaiser Theodosius I. im Zuge der Vorbereitungen seines Feldzugs gegen den westlichen Usurpator Maximus zusätzliche Steuern in Form von Geld und Sachwerten erhob.31 Zwar war zu Beginn des 4. Jahrhunderts eine Art Gleichgewicht erreicht, aber es brauchte nicht viel, um dieses Gleichgewicht zu stören. In der umkämpften Westhälfte des Reiches schnellten Mitte des 5. Jahrhunderts die Steuersätze in die Höhe, nachdem die Regierung die Kontrolle über große Teile ihrer Steuerbasis verloren hatte, sich aber immer noch militärischen Übergriffen von Hunnen und anderen Völkern ausgesetzt sah, die es abzuwehren galt. Die gewaltigen Auswirkungen der Neuausrichtung des Steuersystems zeigen sich auch darin, wie sehr sich das Leben der römischen Eliten veränderte. Im Römischen Reich waren die Eliten traditionell Grundbesitzer, und selbst wenn sie auf andere Weise reich geworden waren, investierten sie das Geld meist umgehend in Grundbesitz, vergleichbar vielen vorindustriellen Eliten, denn es gab nun einmal keine sicherere Quelle für regelmäßige Einkünfte als ein Stück Land. Natürlich existierten unendlich viele individuelle Varianten, aber alles in allem lassen sich innerhalb der landbesitzenden Elite ganz grob drei verschiedene Wohlstandsniveaus ausmachen: Manche, darunter viele Senatoren der Stadt Rom, waren erstaunlich reich und verfügten über ein großes Portfolio aus weit gestreuten Liegenschaften und anderen Vermögenswerten, teils einmal quer durchs Imperium; alteingesessene römische Senatorenfamilien besaßen tendenziell Ländereien in Mittel- und Süditalien, Hispanien, Nordafrika und Italien, die ihre Vorfahren in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit erworben hatten; hinzu kamen Besitztümer, die sie selbst im Laufe ihrer Karriere erworben oder durch Heirat hinzu-
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gewonnen hatten; so reich waren jedoch nur sehr wenige Angehörige der Aristokratie. Viel üblicher war der Wohlstand, den weniger bedeutende Adelsfamilien genossen: Sie verfügten zwar über einen beträchtlichen, aber eben nur lokalen Grundbesitz – er konzentrierte sich normalerweise auf das Territorium einer einzigen Stadt. Daneben gab es die etwas reicheren Regionalaristokraten, die in mehreren Städten Land besaßen, für gewöhnlich aber nur innerhalb einer Region. Mit den gewaltigen, weit gestreuten Vermögen der reichen Senatoren konnten auch sie es indes nicht aufnehmen. Bis ins 3. Jahrhundert spielte sich das politische Leben vor Ort für die meisten Adligen in den Stadträten ab, die – nach dem Vorbild der griechischen Polis – die einzelnen städtischen Gemeinden des Reiches leiteten. Um für die Mitgliedschaft in einem Stadtrat infrage zu kommen, musste man Land besitzen (wie viel Land, variierte nach Größe und Reichtum des jeweiligen Territoriums), und ein wesentliches Element des Mythos, mit dem diese lokalen Eliten ihre politische Rolle rechtfertigten, bestand darin, dass sie ihre Zeit und ihr Vermögen ganz selbstlos für das Wohl ihrer Mitbürger einsetzten. In Wirklichkeit wollten sie durch die aufgewendete Zeit und das investierte Geld in ihrer Stadt bekannter werden, wodurch sie sich diverse persönliche Vorteile erhofften. In der frühen Kaiserzeit, als es noch kaum römische Bürger außerhalb Italiens gab, wurde Inhabern eines leitenden Postens in der Verwaltung einer Stadt gemäß der einheitlichen Stadtverfassung, die im 1. und 2. Jahrhundert im gesamten Reich galt, das begehrte römische Bürgerrecht gewährt, das damals in einer Welt, die immer schneller romanisiert wurde, eine unerlässliche Voraussetzung für materiellen Wohlstand war. Eben jene Stadtverfassung gestattete es den Städten, lokale Steuern und Zölle zu erheben, und wer in einer Stadt politisch den Ton angab, konnte entscheiden, wofür diese Einnahmen verwendet wurden – ganz zu schweigen von den jährlichen Einnahmen aus den Stiftungen und Schenkungen, die eine Stadt erhielt (nicht zuletzt von konkurrierenden Landbesitzern, die sich mit solchen Geschenken beliebt machen wollten, um sich später wiederum selbst in eines der Ämter wählen zu lassen).32 Dieses lokalpolitische Schema entwickelte sich nach und nach in den ersten zwei Jahrhunderten der Kaiserzeit, während immer mehr Menschen das römische Bürgerrecht erhielten, das Imperium immer mehr die
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Kontrolle über das Geld übernahm, das die Gemeinden vor Ort einnahmen und ausgaben, und der römischen Elite neben den Senatoren und Rittern aus der Stadt Rom auch immer mehr reiche Landbesitzer aus der Provinz angehörten. Aber der Truppenausbau des 3. Jahrhunderts und die Umstrukturierung des Steuersystems, die ihn finanzieren sollte, veränderten die Situation vollkommen, indem sie die Mechanismen, die in der von der Elite kontrollierten Lokalpolitik vorherrschten, geradezu auf den Kopf stellten. Die jährlichen Geldströme aus Steuern, Zöllen und Stiftungen, die bislang der größte Anreiz für lokale Grundbesitzer gewesen waren, sich in der Lokalpolitik zu engagieren, wurden nun von der kaiserlichen Regierung konfisziert. Das Geld war noch da und musste weiterhin eingetrieben werden, aber sämtliche Einnahmen gingen plötzlich an den Kaiser. Den lokalen Eliten blieb die Arbeit, ohne dass sie selbst etwas davon hatten. Im Zuge dessen erhöhte die zentrale Bürokratie des Reiches allmählich die Zahl der Beamten, die sich um die komplexeren administrativen Aufgaben kümmerten, die das neue Finanzregime mit sich brachte. Im Jahr 249 gab es im gesamten Kaiserreich gerade einmal 250 hochrangige Verwaltungsbeamte; da das neue Steuersystem sowohl das Eintreiben höherer Steuern als auch eine genauere Überwachung dieses Prozesses erforderte, kam man mit so wenigen Beamten nicht mehr aus. Dabei ist es nicht allzu überraschend, dass mit zunehmender Bedeutung und Anzahl der Beamten auch der Lohn und die Privilegien derer wuchsen, die in Diensten des Kaisers standen. Wie man in den relevanten Kapiteln der Erstausgaben der Cambridge Ancient History und der Cambridge Medieval History nachlesen kann, herrschte früher die Meinung vor, die aufstrebende kaiserliche Bürokratie sei ein ganz neues Phänomen der Spätantike gewesen, das die bestehenden Strukturen der römischen Elite zerstörte. Es ist kein Zufall, dass die betreffenden Kapitel größtenteils in den 1920er- und 1930er-Jahren verfasst wurden, als in weiten Teilen Mittel- und Osteuropas totalitäre Regime an die Macht kamen und die alte politische Ordnung ablösten. Bei näherer Betrachtung der umfangreichen Quellen des 4. Jahrhunderts zeigt sich allerdings ein anderes Bild: Die große Mehrheit der neuen Bürokraten wurde aus den Reihen der Adligen rekrutiert, die früher bereits die Stadträte gestellt hatten. Unter den Briefen des Libanios aus dem 4. Jahrhundert – die eine so unglaubliche Masse darstellen, dass
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ihre Empfänger ungefähr ein Drittel (!) aller Menschen ausmachen, die wir überhaupt aus dem 4. Jahrhundert kennen – finden sich diverse Empfehlungsschreiben für Posten in der wachsenden Bürokratie und im neuen Senat von Konstantinopel, und überwiegend geht es dabei um Angehörige der alten römischen Aristokratie. Dasselbe Phänomen zeigen ägyptische Papyri, die noch spezifischer sind: Hier erfahren wir, dass Angehörige der ägyptischen Familie Apion, die Liegenschaften im Gau Oxyrhynchos (und vielleicht auch anderswo) besaß, zu Beginn des 6. Jahrhunderts hohe Ämter bei Hofe bekleideten.33 Der Ausbau der Bürokratie erfolgte zunehmend auch aufgrund des steigenden Drucks seitens der Beamten selbst. Von den 330er-Jahren an versuchten die Kaiser immer wieder einmal, den Prozess zu kontrollieren, doch sie scheiterten regelmäßig und sahen sich infolgedessen gezwungen, die Anzahl der Bürokraten zu erhöhen und ihnen weitere Privilegien zu gewähren; im Zuge dessen wurden ganz neue Arten der Entlohnung eingeführt – auch dadurch stieg die Zahl der Personen mit einem direkten Anteil am kaiserlichen System weiter. Amtsanwärter wurden schon im Kindesalter auf Wartelisten gesetzt, als Ehrenbekundung verlieh man bestimmte Ämter pro forma, später wurde sogar der Status des ehemaligen Amtsinhabers verliehen (ein solcher galt als ebenso wichtig wie jemand, der das betreffende Amt tatsächlich versah, so erstaunlich das auch erscheint), und im Gegenzug wurden die Dienstzeiten deutlich verkürzt und längere Abwesenheiten immer öfter toleriert.34 All das bedeutete letztlich, dass das Ausmaß der Teilhabe der lokalen Eliten am kaiserlichen Verwaltungssystem insgesamt massiv stieg. Aus den 250 leitenden Verwaltungsbeamten, die es Mitte des 3. Jahrhunderts gegeben hatte, waren um das Jahr 400 herum 6000 geworden – je 3000 in West- und in Ostrom. Diese 3000 Beamten dienten lediglich für zehn Jahre, sodass innerhalb einer politischen Generation jede Stelle von mehr als einer Person besetzt wurde. Und diese Zahl beinhaltet nicht einmal all die ehrenhalber verliehenen Ämter. Die Leute, die in irgendeiner Form in die kaiserliche Bürokratie involviert waren, waren die, die in den Gemeinden vor Ort Einfluss hatten, und für die Ehrgeizigeren unter ihnen war dies der neue Weg zu Reichtum und Einfluss. Zu den besonders interessanten Arbeitsplätzen, die ehemalige Bürokraten und sogar Beamte ehrenhalber Ende des 4. Jahrhunderts zugewiesen bekamen, zählten die Stelle des Beisitzers des örtlichen Provinzstatthalters
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(der Beisitzer half dem Statthalter, bei Gerichtsverfahren das korrekte Urteil zu fällen) und die Aufgabe, auf städtischer Ebene eine periodische Neubeurteilung der reichsweiten Besteuerung durchzuführen, was theoretisch alle fünfzehn Jahre erfolgte. Zudem hatte man bei einigen Jahren Dienst im Beamtenapparat zahlreiche Gelegenheiten, neue Bekanntschaften zu machen und Menschen gezielt zu beeinflussen, mit allen daraus resultierenden Gefälligkeiten. Rechnet man noch die Tatsache hinzu, dass die meisten Städte keine unabhängigen Einnahmen mehr zu kontrollieren hatten, kann man leicht nachvollziehen, warum die Stellen als kaiserlicher Beamter im 4. Jahrhundert so begehrt waren. Insofern scheint die Steuerreform dem alten Adel und den regionalen Aristokraten nicht, wie man früher dachte, den Einfluss genommen zu haben, sondern sie veränderte lediglich die Anreize, die die vorherrschenden Lebensmuster der Elite bestimmten. Die neuen fiskalischen Strukturen des Imperiums, die ursprünglich zur Finanzierung der Expansion des Militärapparats dienten, wurden schnell zum neuen Organisationsprinzip der Karriereentscheidungen der lokalen und regionalen politischen Eliten des Römischen Reiches.35 Eben diese Strukturen machten sehr viele römische Politiker der Spätantike sehr reich, was sich schnell auch auf die privaten Angelegenheiten der lokalen, regionalen und sogar kaiserlichen Eliten des Imperiums auswirkte. Selbst wenn sie kein Amt (mehr) bekleideten, wurde es für Angehörige der landbesitzenden Elite zu einer der obersten Prioritäten, sich eine möglichst gute Position innerhalb des größten Stroms von Reichtum zu sichern, den jemals eine Gesellschaft des antiken Mittelmeerraums erzeugt hat. Die naheliegendste Reaktion für jeden, der eine öffentliche Position bekleidete, bestand darin, sich durch Betrügereien verschiedenster Art einen Teil dieses enormen Reichtums zu sichern. Das geschah im kleinen Stil, wenn beispielsweise Militärkommandanten auf ihre offiziellen Dienstlisten Soldaten setzten, die es gar nicht gab, und deren Sold selbst einstrichen (was einer der Gründe dafür war, dass es im Vorfeld großer Feldzüge stets zu so verzweifelten Rekrutierungsmaßnahmen kam). Das Ausmaß der potenziellen Veruntreuung stieg in direkter Relation zum Dienstgrad der betroffenen Beamten. In einem Fall aus dem 4. Jahrhundert teilte sich ein vertrauter Handlanger das Geld, das ihm anvertraut worden war, um den römischen Soldaten in Afrika den ausstehenden Sold auszuzahlen, mit dem regionalen Befehlshaber;
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solche Gelder konnten auf jeder Ebene der Hierarchie »verloren gehen«.36 Auf der Mikroebene besitzen wir nicht so viele Informationen, aber wenn man ein wenig darüber nachdenkt, fallen einem diverse Möglichkeiten ein, wie sich der Staat betrügen ließ. Ein beliebter Trick im ländlichen Bereich, den man auch weit zurückverfolgen kann, bestand darin, den Steuerbeamten gegenüber den vollen Umfang der Agrarproduktion zu verschweigen, und die Tatsache, dass die Bemessensgrundlage nur alle fünfzehn Jahre neu errechnet wurde, wird es für jene, die mit einer gewissen »Flexibilität« an die Sache herangingen, nahezu unwiderstehlich gemacht haben, bestimmte Posten gar nicht erst zu erfassen und so an der Steuer vorbei auf die sichere Seite zu bringen. Die Quellen zeigen auch, wie sich viele römische Adelige und aristokratische Großgrundbesitzer politisch positionierten, um die internen Abläufe des Systems so für sich zu nutzen, dass sie steuerlich besonders gut dastanden. Alle wichtigen Informationen wurden auf lokaler Ebene verzeichnet. Die Stadträte verfügten über Register, die den gesamten Grundbesitz innerhalb des Territoriums der Stadt enthielten. Beigefügt war jeweils eine Erklärung des Eigentümers über den angenommenen Jahreswert der Überschüsse, die das jeweilige Grundstück erzeugen konnte, mitsamt der Steuerschuld, die sich daraus ergab. Folglich war die örtliche Neubewertung, die alle fünfzehn Jahre stattfand, von immenser Bedeutung. Und wer ein besonders gutes Verhältnis zu den Beamten hatte, die mit diesem Prozess betraut waren – das waren, wie wir gesehen haben, in der Regel pensionierte Bürokraten, die oftmals auch aus der Gegend stammten –, dessen Grundstück wurde nicht selten steuerlich besonders niedrig bewertet. Aus eben diesem Grund genossen diese Beamten in ihren lokalen Gemeinden einen enormen Einfluss, und man darf durchaus annehmen, dass sie diesen Einfluss in vollem Umfang zu nutzen wussten. Was es genau bedeutete, einen entsprechenden Beamtenposten zu bekleiden, wird aus einigen konkreten Fallstudien deutlich. Der Aufstieg der ägyptischen Familie Apion vom lokalen zum kaiserlichen Adel im 5. Jahrhundert beruhte beispielsweise ganz eindeutig auf der neuen Rolle, die die Dynastiegründer Strategios I. und Apion I. in der kaiserlichen Steuerverwaltung spielten. Ebenso beruhte die fortgesetzte Bedeutung der Familie im 6. Jahrhundert zumindest im Gau Oxyrhynchos darauf, dass sie gegenüber den zentralen Behörden Rechenschaft abzulegen
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hatte über die Besteuerung eines großen Teils der vom gesamten Gau geschuldeten Summe – eine zweifellos recht lukrative Aufgabe.37 Das System, nach dem die Steuern tatsächlich bezahlt wurden, bot ebenfalls interessante Betrugsmöglichkeiten. Die Steuern wurden im Laufe eines Jahres in drei getrennten Raten bezahlt, und wer besonders gut vernetzt war, der setzte seinen ganzen Einfluss dafür ein, diese Zahlungen hinauszuzögern, indem er zum Beispiel auf ungünstige Wetterbedingungen verwies. Es gab einen guten Grund dafür, so wenig wie möglich direkt zu bezahlen und die Auszahlung der ausstehenden Steuerschuld mit allen Mitteln so weit wie möglich hinauszuschieben: Die Kaiser gerierten sich gerne als Wohltäter, und um sich bei den politisch einflussreicheren Landbesitzern im Reich besonders beliebt zu machen, erließen sie regelmäßig Steueramnestien, bei denen alle derzeit in den Büchern verzeichneten Steuerschulden erlassen wurden. Sowohl auf städtischer Ebene, wo tatsächlich Bargeld floss, als auch auf den höheren Hierarchieebenen, wo die ausstehenden Steuerrückstände kontrolliert wurden, so gut vernetzt zu sein, dass sich die jährlichen Zahlungen so weit wie möglich minimieren ließen, war ganz offensichtlich strategisch von hoher Priorität.38 Mit anderen Worten: Die Neuausrichtung des römischen Steuersystems, die den Ausbau des Militärapparats finanzieren sollte, führte unter den Eliten zu einer komplett neuen Organisation ihrer politischen Prioritäten: Die Beteiligung im Stadtrat verlor an Attraktivität, stattdessen drängten die Eliten in den kaiserlichen Dienst. So entstand innerhalb des Imperiums eine ganz neue Personalstruktur, die um einen kolossalen Fluss fiskalisch erzeugten Reichtums herum organisiert war. Detaillierte Aufzeichnungen darüber existieren keine, aber es erscheint immerhin plausibel, dass der Kaiser am oberen Ende und die lokalen Machthaber weiter unten in der Hierarchie die Möglichkeiten der maximalen politischen Einflussnahme manipulierten – ganz so wie König Johann Ohneland und später sein Sohn Heinrich III. im England des 13. Jahrhunderts. Dort wurde über alle Summen, die die Groß- und Kleingrundbesitzer aus diversen Gründen der Krone schuldeten, Buch geführt, aber eine Analyse im Jahresvergleich zeigt, dass die Summe, die ein Individuum dann tatsächlich zu zahlen hatte, zu einem erheblichen Teil von politischem Kalkül abhing. Personen, die beim König oder seinen hohen Beamten wohlgelitten waren, mussten selbst dann, wenn sie eigentlich gewaltige
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Schulden hatten, nur geringe Summen zahlen. Wer es sich aber mit der Obrigkeit verscherzte, von dem verlangte der Staat, dass er seine Schulden sofort komplett beglich.39 Das Römische Reich – und sogar nur die östliche Hälfte ab 476 – war viel größer als das mittelalterliche Königreich England, wo es nach 1066 nur rund 2000 bedeutende Grundbesitzer-Familien gab. Die römischen Kaiser hatten somit an einem viel kleineren Anteil der Elite ihres Reiches ein direktes Interesse als Johann Ohneland; stattdessen hing das Schicksal vieler eher von den zwischengeschalteten kaiserlichen Beamten ab. Aber die Grundprinzipien waren hier und da durchaus vergleichbar. Die Besteuerung der besonders wohlhabenden und gut vernetzten Bürger ist stets eine Angelegenheit von großer politischer Relevanz, und das neue Steuersystem des späten Kaiserreichs sorgte dafür, dass sich der Fokus der lokalen politischen Eliten darauf verlagerte, sich so zu vernetzen, dass man auf möglichst effiziente Weise durch das neue System navigieren konnte. So sah, grob umrissen, das politische System des oströmischen Kaiserreichs aus, das Justinian 527 erbte. Das Berufsbild des Kaisers hatte noch weitere wichtige Komponenten, insbesondere war er für die Aufrechterhaltung der religiösen Orthodoxie und der für die civilitas notwendigen Strukturen zuständig, doch tendenziell zeigte sich vor allem auf dem Schlachtfeld, ob ein kaiserliches Regime Bestand haben würde oder dem Untergang geweiht war. In ideologischer Hinsicht war der militärische Sieg der ultimative Härtetest der Legitimität des Monarchen. Die Armeen des Kaisers konnten nicht verlieren, wenn der göttliche Schöpfer des Kosmos seine Hand über ihren Dienstherrn hielt, doch das tat er nur, falls der jeweilige Kaiser wirklich für seine Aufgabe geeignet war. Jede militärische Niederlage rief daher sofort Gegner des Kaisers auf den Plan, die seine Legitimität anzweifelten, und heizte unter den Mächtigen die immerwährende politische Diskussion an, was immer wieder in handfeste Verschwörungen mündete. Zudem konnte das Regime sich durch militärische Erfolge vor äußeren und inneren Feinden schützen. Doch die immensen Kosten für den ausgebauten und umgestalteten Militärapparat der römischen Spätantike sorgten zugleich dafür, dass die fiskalischen und administrativen Strukturen des Staates komplett neu organisiert wurden, und das veränderte von Grund auf die Art und Weise, wie sich die Elite des Imperiums politisch engagierte.
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Der Erfolg oder Misserfolg jedes einzelnen Kaisers hing davon ab, inwieweit er in der Lage war, diese Systeme und die darin vorherrschenden Bedingungen zu nutzen, um effektiv auf die Bedrohungen und die Chancen zu reagieren, die sich während seiner Herrschaft ergaben. Die Expansionspolitik von Kaiser Justinian testete die Strukturen des Reiches bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit aus – und wie viele fanden, sogar darüber hinaus. Bevor wir uns jedoch mit diesem Thema befassen können, müssen wir zunächst einmal die politischen Prozesse untersuchen, die Justinian auf den Thron brachten, und die Auswirkungen dieser Prozesse auf die Entwicklung der politischen Strategien seiner Regierung.
3 Regimewechsel in Konstantinopel
A
m 1. August 527 folgte Justinian seinem Onkel und Adoptivvater Justin I. auf den Thron und wurde Kaiser der römischen Welt. Eine Überraschung war das nicht, schließlich hatte Justin ihn bereits am 1. April zum Mit-Augustus erklärt und Justinian damit formell einen Teil der Herrschaft übertragen. Drei Tage später war Justinians Frau Theodora zur Augusta gekrönt worden. Es war das erste Mal, dass ein direkter Nachkomme des Kaisers den Thron von Konstantinopel übernahm, seit der junge Theodosius II. im Jahr 408 seinem Vater nachgefolgt war, vor nunmehr fast 120 Jahren. Um die schwierige politische Vorgeschichte zu verstehen, die Justinian zu einem direkten, aber dennoch höchst ungewöhnlichen Thronerben machte, und nachzuvollziehen, wie sehr diese Vorgeschichte die ersten politischen Entscheidungen seines Regimes diktierte, werfen wir zunächst einen Blick auf die Regierungszeit des unmittelbaren Vorgängers seines Onkels: Anastasios I.
Anastasios, der glücklose Kaiser Ein ausführlicher Bericht über die Wahl von Anastasios zum Kaiser ist in einem Text aus dem 10. Jahrhundert, dem sogenannten Zeremonienbuch, überliefert. Nachdem im April 491 der isaurische Kaiser Zenon gestorben war, begab sich dessen Witwe Ariadne, die Tochter von Zenons Vorgänger Leo I., zum Hippodrom, das 100 000 Zuschauer fasste. Es war wahrscheinlich voll besetzt, wie bei einem Anlass wie diesem üblich, wenn die Kaiserin vor die versammelte Bevölkerung der Reichshauptstadt trat, um sie zu fragen, was sie von ihrem neuen Kaiser erwartete. Die Untertanen kommunizierten mit ihrer Kaiserin in Form von Zurufen. Es begann ganz konventionell:
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Ariadne Augusta, mögest du siegen! Heiliger Vater, gib ihr ein langes Leben! Herr, erbarme dich! Viele Jahre für die Augusta!
Bis hierhin erinnerte das Ganze stark an die Akklamationen, mit denen die versammelten Senatoren Roms am Weihnachtstag 438 die Veröffentlichung eines neuen kaiserlichen Gesetzesbuches, des Codex Theodosianus, bejubelt hatten.1 Doch genau wie bei der Codex-Zeremonie wurden die Akklamationen bald spezifischer. Die Bevölkerung der Hauptstadt erwartete von ihrem neuen Kaiser zweierlei: Er sollte ein orthodoxer Christ sein, und er sollte ein Römer sein. Diese Wünsche nahm Ariadne mit in den nahe gelegenen Kaiserpalast; ein geschlossener Gang führte von der Königsloge des Hippodroms direkt in den Palastkomplex. Es folgte eine Diskussion mit den versammelten Senatoren, und am Ende wurde vereinbart, dass die Kaiserin die endgültige Entscheidung selbst treffen würde. Ihr Votum fiel schließlich auf den sechzigjährigen Anastasios, einen langjährigen Palastmitarbeiter, der als silentarius für die Überwachung des Personals im Palast zuständig war. Kurze Zeit später heiratete sie ihn, um dem neuen kaiserlichen Regime den Anschein der Kontinuität zu verleihen und es damit zu legitimieren. Wie bei den meisten öffentlichen Zeremonien der späten Kaiserzeit haben wir Grund zu der Annahme, dass der Austausch zwischen Ariadne und der konstantinopolitanischen Gruppe, der ihr Fokus galt, sorgfältig choreografiert war. Um bei einer solchen Versammlung die Antworten zu bekommen, die man hören wollte, musste man sich vorab an die Zirkusparteien wenden, die das Geschehen im Hippodrom kontrollierten. Diese (die Blauen, Grünen, Roten und Weißen) waren die Fanklubs der großen Wagenrennteams, zugleich aber Mafia-ähnliche Organisationen, die in »ihrem« Teil der Stadt eine ganze Reihe von Geschäften entweder selbst betrieben oder zumindest am Gewinn beteiligt waren. Im Gegenzug sorgten sie in der Stadt für Recht und Ordnung. Wenn man wollte, dass die Menschen im Hippodrom etwas Bestimmtes brüllten, musste man den Chefs der Zirkusparteien ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen konnten. Meistens ging es um Geld, aber in diesem Fall deuten die Akklamationen auf etwas Spezifischeres hin.
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Die wichtigste Schnittstelle zwischen den Zirkusparteien und der kaiserlichen Regierung war der Stadtpräfekt, so etwas wie Konstantinopels (ernannter, nicht gewählter) Bürgermeister. Die Art und Weise, wie der Präfekt die Stadt regierte, berührte stets die grundlegenden Interessen der Zirkusparteien. Bevor sie das Volk fragte, was es vom neuen Kaiser erwarte, hatte Ariadne es gefragt, was es von ihr erwarte. Die Leute riefen, sie wollten einen neuen Präfekten, und Ariadne – so war es mit Sicherheit vorher abgesprochen – stimmte zu.2 Die Forderung, der neue Amtsinhaber solle »Römer« sein, hatte in diesem Kontext eine ganz besondere Bedeutung. Sie bedeutete nämlich im Umkehrschluss, der Kaiser solle nicht wie Ariadnes verstorbener Mann Zenon ein Außenseiter aus Isaurien sein. Vor allem einen ganz prominenten Thronanwärter sollte diese Formulierung ausschließen: Longinus, Zenons Bruder. Longinus war mit Zenon durch dick und dünn gegangen – er hatte praktisch dessen gesamte Regierungszeit lang verzweifelt dafür gekämpft, seinem Bruder die Macht zu sichern; er verbrachte sogar zehn Jahre als Geisel in den Händen von Zenons Widersacher, dem isaurischen Kriegsherrn Illus. Als Longinus 485 endlich seine Freiheit wiedererlangte, wurde er von Zenon großzügig belohnt: Er wurde zum kommandierenden Feldherrn der höherrangigen der beiden Praesentalis-Armeen ernannt, bekleidete also nun den höchsten militärischen Rang im Reich, und zum Konsul für das Jahr 486. Zwischen 485 und 491 war er eine prominente Figur im öffentlichen Leben und eines der führenden Mitglieder des kaiserlichen inner circle aus Isaurern. Zu diesem gehörte noch ein weiterer Isaurer namens Longinus; dieser kontrollierte in der zweiten Hälfte von Zenons Regierungszeit (484–491) als oberster Verwaltungsbeamter (magister officiorum) einen Großteil der kaiserlichen Bürokratie. Die übliche Amtszeit für eine solche Stelle betrug tendenziell eher ein, zwei Jahre, nicht sechs oder sieben. Wenn man also im Hippodrom 100 000 Menschen brüllen ließ, sie wollten einen »echten« Römer als nächsten Kaiser, dann bedeutete das nichts anderes, als dass Longinus aus dem Rennen war.3 Mit anderen Worten: Die Versammlung im Hippodrom war Teil eines sorgfältig inszenierten Staatsstreichs, den Ariadne und ihre Verbündeten in einem ganz entscheidenden Moment des Thronfolgeprozesses initiierten. Trotzdem war die Strategie der Kaiserin keine sichere Bank: Denn es war immer möglich, dass jemand anderes den Zirkusparteien ein noch
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besseres Angebot machte; daher konnte man vorher nie genau wissen, was geschehen würde (wie Hypatius im Jahr 532 feststellen musste). Angesichts dieser brisanten Vorgänge ist es fast ein wenig ungerecht, Anastasios als »erfolglosen Kaiser« zu bezeichnen. Im Grunde war es allein schon eine große Leistung, dass er im hohen Alter von 87 Jahren friedlich in seinem eigenen Bett starb. Dass in der Politik in Konstantinopel so viele Isaurer mitmischten, verdankte sich militärischer Notwendigkeit. Angesichts der massiven Übergriffe der Hunnen im 5. Jahrhundert brauchte Konstantinopel neue Truppen, und zwar schnell. Die Isaurer halfen, dieses unmittelbare militärische Problem zu lösen, aber ihre Rekrutierung in die Feldarmeen und die Beförderung ihrer Offiziere hatten enorme politische Konsequenzen. Ab dem Zeitpunkt, als mehrere Isaurer zu Feldarmeekommandanten (magistri militum) aufgestiegen waren, übten sie beträchtlichen Einfluss auf das Kaiserhaus aus. In den 460er-Jahren gab es unter Leo I., Ariadnes Vater, bereits sehr viele Isaurer bei Hofe, und sie waren so tief in die konstantinopolitanische Politik verstrickt, dass der Kaiser sogar seine Tochter mit einem Isaurer verheiratete – um ein Gegengewicht zu einem übermächtigen Feldherrn namens Aspar zu schaffen, der eine besondere Bindung zu der großen Gruppe der thrakisch-gotischen foederati hatte. Am Ende ließ Leo Aspar ermorden (daher Leos Beiname »der Schlächter«). Die thrakischen Goten wandten sich daraufhin von Rom ab, und die meisten von ihnen schlossen sich in den 480er-Jahren der neuen Koalition an, die der Ostgote Theoderich in den 470er- und 480er-Jahren auf dem römischen Balkan ins Leben rief und mit der er 488/489 kurz vor Zenons Tod in Italien einmarschierte. Um 491 waren die Isaurer nicht nur ein stabiles Element in der Politik von Konstantinopel, sie hatten auch jede Menge extreme Kampferfahrung, und sie nutzten ihre langjährigen Beziehungen zu einzelnen Gruppen isaurischer Soldaten dazu, ihre Macht zu sichern.4 Zenons Aufstieg zur Macht hatte in den 460er-Jahren begonnen, als er sich gegen rivalisierende Feldherren aus den Reihen der thrakischen Goten durchsetzte, um schließlich ins Kaiserhaus einzuheiraten. 474 wurde er alleiniger Kaiser, nachdem sowohl sein Schwiegervater als auch sein Sohn mit Ariadne, Leo II., gestorben waren; aber das war erst der Anfang der Misere. Bis aufs Messer musste er seinen Thron gegen seine Widersacher innerhalb des konstantinopolitanischen Establishments
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verteidigen – allen voran seine Schwiegermutter, Leos Witwe Verina –, aber auch gegen mehrere Goten und sogar rivalisierende isaurische Kriegsherren wie Illus, der Longinus zehn Jahre lang als Geisel hielt. Zenon selbst verbrachte während der Usurpation von Basiliscus, Verinas Bruder, Mitte der 470er-Jahre achtzehn Monate im Exil in Isaurien; dort hob er eine Armee aus, mit der er am Ende Konstantinopel wieder einnahm. Gegen einen anderen Usurpator, den Feldherrn Leontius, der sowohl von Verina als auch von Illus unterstützt wurde, führte er vier Jahre lang Krieg. Zenons Herrschaft war geprägt von Exil wie auch von Krieg, Intrigen und Attentaten – alle diese mal mehr, mal weniger erfolgreich. Der springende Punkt ist, was die jetzt anstehende Thronfolge anbelangt: Die Isaurer würden niemals einfach so klein beigeben, nur weil Ariadne und ihre Spießgesellen am Morgen nach Zenons Tod die Menschenmenge im Hippodrom dazu brachten, nach ihrer Pfeife zu tanzen.5 Binnen eines Jahres trennte das neue Regime Zenons Bruder Longinus von seiner Familie und schickte ihn in die Verbannung in ein ägyptisches Kloster; die übrigen Angehörigen wurden gezwungen, nach Bithynien am Schwarzen Meer überzusiedeln. Aber der andere Longinus, Zenons ehemaliger magister officiorum, war nach wie vor auf freiem Fuß, und Zenons Schergen ließen sich nicht ohne Weiteres aus den inner circles der Macht entfernen. 492 erhob sich ein Großteil der Isaurer innerhalb des Militärapparats gegen den neuen Kaiser. Rädelsführer waren ein gewisser Konon, der früher der Bischof von Apameia gewesen war, und der damalige Statthalter von Isaurien, Lilingis. Es war eine gefährliche Situation, aber das Regime hatte in den östlichen und den Praesentalis-Feldarmeen ausreichend loyale Truppen zur Verfügung, um die Rebellen in der Schlacht bei Kotiaion (dem heutigen Kütahya) besiegen zu können. Lilingis fiel in dieser Schlacht. Der Versuch, mit Gewalt einen neuen Kaiser zu installieren, war nun passé, und die überlebenden Rebellen flohen zurück in die Berge, wo sie im verbliebenen Jahrzehnt immer wieder für Unruhe sorgten. Nach und nach wurden die Anführer der Rebellen aber zur Strecke gebracht. Konon wurde 493 getötet, vier Jahre später wurde Longinus gefasst; seinen Kopf steckten die Häscher auf eine Stange und schickten ihn nach Konstantinopel, wo er mit großem Jubel empfangen wurde. Zwei weitere Rebellenführer, die noch auf freiem Fuß waren (da-
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runter schon wieder ein Longinus), gingen den Truppen des Kaisers schließlich im Jahr 498 ins Netz. Sie brachte man nun lebendig nach Konstantinopel und führte sie durch die Straßen, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben; den dritten Longinus schickte man dann nach Nicäa, folterte ihn und richtete ihn hin. Erst jetzt war der Isaureraufstand endgültig niedergeschlagen.6 Dass Anastasios’ Regime gleich zu Beginn eine solche Krise meisterte, war keine geringe Leistung. Eine ganze politische Generation einflussreicher Isaurer, die dafür gesorgt hatten, dass im Herzen des Imperiums das Mächtegleichgewicht aus den Fugen geriet, war ausgerottet. Man darf durchaus behaupten, dass Anastasios’ weitere Herrschaft durch sorgfältige und – zumindest für spätantike Verhältnisse – relativ effiziente administrative Kompetenz gekennzeichnet war. Unter anderem gab es eine Steuerreform, im Rahmen derer ein Großteil der bisherigen Sach- in Barzahlungen umgewandelt wurden, was es erheblich erleichterte, Steuern zu erheben und zu verteilen (wenn auch nicht unbedingt zu bezahlen). Die Quellen urteilen durchweg positiv darüber, wie Anastasios das Imperium regierte.7 In einem ganz zentralen Punkt hatte er allerdings überhaupt kein glückliches Händchen: bei der Thronfolge. Anastasios war sechzig Jahre alt, als er den Thron bestieg, und die Kaiserin, Zenons Witwe, ungefähr vierzig, also hätten sie vielleicht gerade noch einen Thronfolger hervorbringen können, doch das taten sie nicht (ob gezielt oder ob es einfach nicht gelang, wissen wir nicht, aber ich vermute Ersteres). Dass Anastasios keinen eigenen Erben hatte, hinderte ihn jedoch nicht daran, enge Familienangehörige auf prominente Positionen zu setzen. Er hatte drei Neffen, Kinder seiner zwei Schwestern: Pompeius, Probus und Hypatius, der sein Favorit war. Pompeius erhielt das Konsulat für das Jahr 501 und später, gegen Ende von Anastasios’ Herrschaft, ein wichtiges Militärkommando (wahrscheinlich als Oberbefehlshaber der thrakischen Feldarmee). Probus war 502 Konsul, doch das blieb bis zur Herrschaft Justins sein einziger hoher Posten. Hypatius hingegen war bereits während des Isaureraufstands ein bedeutender Militärkommandant, und er war der erste Neffe des Kaisers, der ein Konsulat erhielt (500); in den ersten zwei Jahrzehnten des 6. Jahrhunderts erhielt er diverse hochrangige Feldherrnposten: 503 und noch einmal zehn Jahre später war er magister militum praesentalis, dazwischen Oberbefehlshaber der thrakischen und der östlichen Feldarmee.
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Zweifellos war er bei seinem Onkel besonders wohlgelitten, und zweifellos sah sich Hypatius selbst als rechtmäßigen Thronfolger – dieser Ehrgeiz sollte noch ganz deutlich zutage treten, später, Anfang der 530er-Jahre. Doch Anastasios unternahm keinerlei Schritte, seinem Lieblingsneffen die Thronfolge zu sichern. Der Kontrast zu Justin, der in den 520er-Jahren Justinian allmählich zu seinem Nachfolger aufbaute (525 war Justinian Caesar, 527 Augustus), ist deutlich. Anastasios’ Verhalten wird normalerweise – und korrekterweise, wie ich finde – so interpretiert, dass ihm das nötige politische Kapital fehlte, um einen solchen Schritt zu wagen, ohne dass er auf erbitterten Widerstand seitens der anderen Interessenten an seinem Hof gestoßen wäre.8 Sein Verhalten spiegelte teilweise die Art und Weise wider, wie er selbst auf den Thron gekommen war, wie auch die vielen unschönen Vorfälle während seiner Regierungszeit. Als Kandidat für den Thron war Anastasios von vornherein ein Kompromiss gewesen. Ein sechzigjähriger Beamter bei Hofe ohne Kinder und mit wenig Zeit, noch welche zu zeugen: Der Grund, weshalb sich alle auf so einen Kandidaten einigten, lag wohl in erster Linie darin, dass man Longinus auf dem Thron verhindern wollte. Wie bereits erwähnt, starb Anastasios erst mit 87 Jahren und übertraf damit bei Weitem die damalige Lebenserwartung. Genau wie heute, wenn ein hochbetagter Kardinal zum Papst gewählt wird, gingen Anastasios’ Hintermänner im Jahr 491 wahrscheinlich davon aus, dass er es ohnehin nicht mehr allzu lange machen würde – eine kurzfristige Lösung für das Isaurer-Problem, weniger riskant, als wenn man eine Dynastie auf den Thron setzte, die den kaiserlichen Purpur auf lange Sicht nicht mehr aus den Händen geben würde (wie geschehen im Falle der Theodosianischen Dynastie, die Ende des 4. bis Mitte des 5. Jahrhunderts regiert hatte). Dass Anastasios so lange an der Macht blieb, viel länger, als irgendjemand hätte erwarten können, brachte es mit sich, dass er die Zügel der Macht im Laufe der vielen Jahre immer fester in Händen hielt. Doch es waren unruhige Zeiten – auch nach der Niederschlagung des Isaureraufstands kämpfte Anastasios den größten Teil seiner Herrschaft buchstäblich ums Überleben. Das Reich stand unter Druck, und zwar gleich aus zwei verschiedenen Richtungen. Sein erstes Problem nach einer kurzen Ruhepause nach dem Aufstand in Isaurien war der erneute Krieg mit Persien im zweiten Jahr-
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zehnt seiner Regierung. Der Aufstieg Persiens zur Supermacht Mitte des 3. Jahrhunderts hatte den Kontext, in dem das Römische Reich strategisch operierte, grundlegend verändert und dafür gesorgt, dass sich die politisch-administrativen Strukturen des Imperiums grundlegend veränderten (siehe Kapitel 2). Dank des Truppenausbaus (und der dazu nötigen Steuerreform) hatten sich die Katastrophen des 3. Jahrhunderts ab den 290er-Jahren nicht mehr in nennenswerter Weise wiederholt, obwohl es bis in die 370er-Jahre hinein immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Imperien kam. An diesem Punkt allerdings änderte sich das Muster: Hatten die zwei Großmächte bislang keine Gelegenheit ausgelassen, ihrem Erzrivalen Ärger zu bereiten, versuchten nun beide, die Auswirkungen ihrer Konflikte möglichst gering zu halten, auch wenn es solche Konflikte natürlich immer noch gab. Zum Beispiel im Jahr 456, als sich der römische Klientelkönig von Lasika am östlichen Ende des Schwarzen Meers immer mehr von Konstantinopel bevormundet fühlte und die Perser um Hilfe bat, um sich größere Unabhängigkeit zu verschaffen. Doch die Perser nutzten diese Chance, den Römern zu schaden, nicht, und so musste der König von Lasika seine Krone an seinen Sohn übergeben und selbst nach Konstantinopel gehen, um sich zu erklären. Ein so kooperatives Agieren zwischen den beiden Imperien bei einer möglichen Streitfrage war im 5. Jahrhundert absolut die Regel.9 Man sollte an dieser Stelle allerdings darauf hinweisen, dass diese lange kooperative Phase mitnichten ganz freiwilliger Natur war, sondern den notorisch verfeindeten Großmächten durch äußere Umstände aufgezwungen wurde. Aus römischer Sicht waren zwei bedeutende strategische Rückschläge in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts für diesen augenscheinlichen Frieden ursächlich. Der erste war Julians fehlgeschlagener Persienfeldzug im Jahr 363, der dazu führte, dass Rom den Persern Nisibis und eine Reihe römischer Territorien jenseits des Tigris überlassen musste. Der zweite Rückschlag war die Teilung Armeniens unter Kaiser Theodosius I. in den 380er-Jahren, bei der etwa drei Viertel des Staates in ein persisches Protektorat (Persarmenien) umgewandelt und damit der römischen Einflusssphäre entzogen wurden (siehe Karte 1).10 Dass diverse römische Regime des 5. Jahrhunderts diese beiden Rückschläge hinnahmen, ohne zu Vergeltungsmaßnahmen auszuholen, lag allerdings nicht etwa daran, dass unter den Kaisern plötzlich die Großzü-
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gigkeit ausgebrochen wäre. Vielmehr stellte der steile Aufstieg der Hunnen in Mittel- und Osteuropa eine völlig neue Gefahr für die Grenzen Ostroms dar, und folglich waren für irgendwelche »unnötigen« Streitigkeiten mit Persien einfach keine militärischen Kapazitäten mehr übrig. Die Perser wiederum hatten im Grunde alles erreicht, was sie sich vernünftigerweise hatten erhoffen können, und auch sie sahen sich einer neuen Bedrohung ausgesetzt, in Form der Steppenvölker im Norden und Osten. Vor allem die sogenannten Hephthaliten oder »weißen Hunnen«, die zu Beginn des 5. Jahrhunderts von ihrer ursprünglichen Machtbasis (wahrscheinlich) im Nordwesten Afghanistans aus Sogdien und Chorasan eroberten, entwickelten sich zu einem äußerst aggressiven Nachbarn. Ob und auf welche Weise sie tatsächlich mit den Hunnen verwandt waren, die in beiden Teilen der römischen Welt für so viel Unruhe sorgten, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Der entscheidende Punkt ist, dass die Hephthaliten, als sie Ende des 5. Jahrhunderts ihre Machtbasis erweiterten, die Perser mehrfach besiegten. Die schlimmste Niederlage erlitten die Perser bei der Schlacht von Herat im Jahr 484, die für sie ähnlich katastrophal verlief wie für die Römer damals die Schlacht von Adrianopel; der persische Großkönig Peroz (459–484) fand bei Herat den Tod.11 Beide Reiche hatten mithin gute Gründe, im 5. Jahrhundert keinen neuen Krieg miteinander vom Zaun zu brechen, und das änderte sich auch nicht über Nacht. Zur Zeit Zenons baten die Perser Konstantinopel sogar um Unterstützung gegen die Hephthaliten, und er scheint ihnen tatsächlich bisweilen unter die Arme gegriffen zu haben. In den 490er-Jahren forderten die Perser aber immer mehr. Doch selbst als der neue persische Herrscher Kavadh die Hephthaliten dafür bezahlte, ihm zurück auf den Thron zu verhelfen – eine unerhörte Provokation –, blieb Anastasios’ Regime dem Geist der friedlichen Zusammenarbeit treu, die das Nebeneinander der Großmächte im 5. Jahrhundert geprägt hatte. Er weigerte sich sogar, eine Revolte der christlichen Persarmenier in den 490er-Jahren zum Anlass zu nehmen, die nun immer dreisteren Nachbarn zur Rechenschaft zu ziehen. Doch zu Beginn des 6. Jahrhunderts war Kavadh schließlich so weit, dass er Rom nicht mehr nur drohte, sondern tatsächlich den Krieg erklärte.12 Dass dieser Krieg ausbrach, konnte man Anastasios’ Regime zwar nicht ankreiden, wohl aber, dass es sich nicht gut genug auf einen mög-
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lichen Krieg an der persischen Front vorbereitet hatte. Als Kavadh im Jahr 502 in den römischen Osten einmarschierte, traf seine Armee auf so gut wie keine Gegenwehr. Als Erstes fiel er in Armenien ein und ließ seine Truppen im Handumdrehen Theodosiopolis, die Hauptbasis der Römer, zerstören. Anschließend wandte er sich nach Süden und kam nach Martyropolis, das er verschonte, als der dortige Statthalter den Eindringlingen das Doppelte seiner jährlichen Steuereinnahmen aushändigte. Als Nächstes überfiel das Perserheer Amida. Es gab zwar keine römischen limitanei in der Stadt, aber die Einwohner verteidigten ihre Häuser bis aufs Blut – erst nach drei Monaten gelang es den Persern, die Stadt zu stürmen. Jeder zehnte der überlebenden männlichen Einwohner von Amida wurde hingerichtet, die übrigen wurden als Sklaven verkauft; sämtliche Reichtümer der Stadt wurden nach Persien gebracht. Zur gleichen Zeit plünderten Kavadhs arabische Verbündete den römischen Osten, von Edessa bis Constantia. Anastasios war so aufgebracht, dass er zur Feldzugsaison 503 eine gewaltige Armee nach Mesopotamien schickte. Mit 40 000 Mann war sie weitaus größer als irgendein Truppenverband, der jemals unter Justinian ins Feld geführt werden sollte, und sie operierte in drei Divisionen, von denen eine von Hypatius, einem Neffen des Kaisers, befehligt wurde. Zwei begaben sich nach Amida, das inzwischen von einer 3000 Soldaten starken persischen Garnison besetzt war, die dritte zur persischen Regionalhauptstadt Nisibis. Alle drei Divisionen erlitten im Laufe des Jahres entscheidende Niederlagen. Bei diesem persischen Gegenschlag gelang es Kavadh aber nicht, weitere römische Gebiete zu erobern – Constantia und Edessa waren zu gut befestigt. Der Krieg in Mesopotamien steuerte schnell auf eine Pattsituation zu. Für die dramatischste Aktion des Jahres sorgten die Lachmiden, Persiens arabische Verbündete unter Al-Mundhir, als sie in die römischen Provinzen Arabien und Palästina einfielen. Laut Kyrillos von Skythopolis legten sie »alles in Schutt und Asche, versklavten Tausende Römer und begingen viele gesetzlose Taten«. Das war alles, im Großen und Ganzen. Nach diesen leichten Gewinnen hatte Kavadh kein Interesse mehr daran, den Krieg fortzusetzen. Die Römer versuchten noch einmal, Amida zurückzuerobern, aber es gelang ihnen nicht. 504 wurde ein Waffenstillstand vereinbart, und man verhandelte über einen dauerhaften Frieden; nennenswerte Kampfhandlun-
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gen gab es keine mehr. Das Friedensabkommen war für Anastasios keine allzu große Demütigung, denn jährliche Zahlungen, wie sie die Perser vor dem Krieg gefordert hatten, wurden nicht vereinbart, und die Römer erhielten die Kontrolle über Amida zurück. Der Kaiser ließ nun die römischen Verteidigungsanlagen in Mesopotamien ausbauen, nicht nur in Amida, sondern auch in Edessa und Batnae, und richtete an der Grenze bei Dara einen ganz neuen römischen Stützpunkt für die Region ein. Im Gegenzug verzichtete man auf Vergeltungsmaßnahmen für die militärischen Niederlagen von 502/503. Es war Anastasios gelungen, Amida allein durch Verhandlungen zurückzugewinnen – und indem er seinem persischen Rivalen einen bestimmten Festbetrag zahlte. Nichts von alldem war besonders verhängnisvoll, doch weder der Kaiser noch sein Lieblingsneffe (dessen Feldzug zur Rückeroberung Amidas ein Fehlschlag gewesen war) konnten aus den Vorgängen ein derartiges politisches Kapital schlagen, dass es ihnen ermöglicht hätte, die Balance zwischen den verschiedenen Fraktionen bei Hofe in Konstantinopel entscheidend zu ihren Gunsten zu beeinflussen.13 Das Gleiche gilt für das zweite große Thema von Anastasios’ Herrschaft: die Spaltung innerhalb der oströmischen Kirche. Wie wichtig dieser Komplex war, klang bereits zu Beginn, bei der Szene im Hippodrom, kurz an, als die Menge – wahrscheinlich nach vorheriger Absprache – verlangte, der neue Kaiser müsse »orthodox« sein. Die gegenwärtige Spaltung war eine Reaktion auf die Definition des christlichen Glaubens beim Konzil von Chalkedon im Jahr 451, dem vierten großen ökumenischen Konzil der römischen Spätantike. Das grundlegende Thema war die anhaltende Debatte darüber, in welcher Form das göttliche und das menschliche Element in der Person Christi vereint seien – was wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Frage hatte, auf welche Weise Christus die Menschheit gerettet hat. War Christus als Gott am Kreuz gestorben? War dies das Wunder, mit dem er den Tod besiegt hatte? Aber konnte ein unsterblicher Gott überhaupt sterben? In der Generation vor Chalkedon war Nestorius, der Patriarch von Konstantinopel (428–431), von Leuten abgesetzt worden, die anderer Meinung gewesen waren als er und die von seinem Erzfeind Kyrillos, dem Patriarchen von Alexandria, aufgestachelt worden waren: Nestorius hatte den Standpunkt vertreten, der unsterbliche Gott habe nicht leiden können – und daher sei lediglich der menschliche Teil Christi am
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Kreuz gestorben. Als Reaktion darauf hatte Kyrillos behauptet, das sei Unfug und es könne nur ein unteilbares »fleischgewordenes Wesen von Gott dem Wort« geben; das göttliche und das menschliche Wesen Christi seien nicht voneinander zu trennen. Die meisten Christen waren der Ansicht, dass Nestorius nicht recht haben konnte, aber für manche ließ Kyrillos’ Gerede von dem einen Wesen Christi, insbesondere die Art und Weise, wie es von einigen seiner radikaleren Anhänger interpretiert wurde, zu wenig Platz für die Menschlichkeit Christi. In Chalkedon sollte dieser Streit beigelegt werden. Auf dem Konzil wurde zum einen bekräftigt, dass Christus nach seiner Menschwerdung mit »zwei Wesen« fortbestand, zum anderen wurde Nestorius’ Lehrmeinung noch einmal offiziell verdammt. Die gewählte Formulierung ließ sich mit den Ansichten des Kyrillos in Einklang bringen, denn in einem Dokument, einer sogenannten Kompromissformel (433), hatte der Patriarch auf Druck seitens des Kaisers gegenüber Johannes, dem Patriarchen von Antiochia, erklärt, es sei nicht unbedingt illegitim, von den »zwei Wesen Christi« zu sprechen, man dürfe nur nicht behaupten, sein menschliches Element habe am Kreuz gelitten und sei dort gestorben. Der aktuelle Papst steuerte ebenfalls eine Abhandlung zur Diskussion in Chalkedon bei, den Tomus ad Flavianum; er hielt darin fest, wie die westliche Kirche die Angelegenheit sah: Bei Christus bestehe eine »Einheit der Person in jedem der beiden Wesen«.14 Wie zu erwarten, stimmten alle versammelten Bischöfe am Bosporus unter den wachsamen Augen von Kaiser Markian, der das Konzil einberufen hatte, und seinen Beamten, die es leiteten, den Beschlüssen von Chalkedon zu. Doch kaum hatten sie dem Kaiser den Rücken zugewandt, ging der Streit von Neuem los. Für viele östliche Bischöfe klangen die »zwei Wesen« einfach zu sehr nach Nestorius, und sie widersetzten sich dem, was sie als Prüfstein der kyrillischen Orthodoxie verstanden – Kompromissformel hin oder her. Während die Debatte auch in der folgenden Generation weiterging, bestand die offizielle Strategie der römischen Kaiser einfach nur darin, das in Chalkedon Beschlossene durchzusetzen. Doch hinter den Kulissen wurde die Tragfähigkeit des Dogmas infrage gestellt, angesichts der innerkirchlichen Spaltung, die es provoziert hatte und auf die der Usurpator Basiliskos (474–476) wiederum reagierte, indem er die Beschlüsse des Konzils komplett ablehnte.
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Der Graben, der durch die oströmische Kirche ging, wurde so tief, dass Zenon schließlich nicht mehr tatenlos zusehen konnte. 482 erließ der Kaiser, möglicherweise im Anschluss an eine in Palästina erprobte Friedensinitiative, ein Edikt mit dem Titel Henotikon (»Einigung«), das besagte, der christliche Glaube sei bereits im 4. Jahrhundert auf den ökumenischen Konzilen von Nicäa (325) und Konstantinopel (381) befriedigend definiert worden, und zwar ein für alle Mal. Das Dogma von Chalkedon wurde in dem Edikt nicht direkt verurteilt, sondern einfach ignoriert. Zenon gelang es, die Ostkirche offiziell zu befrieden, denn alle vier östlichen Patriarchen (in Alexandria, Antiochia, Konstantinopel und Jerusalem) segneten das Henotikon inhaltlich ab. Doch seine Strategie hatte zwei wesentliche Nachteile. Erstens hatte das Weströmische Reich 482 aufgehört zu existieren, und Italien wurde von Odoaker kontrolliert, der mit Zenon tief verfeindet war, sodass der Kaiser auf den fünften Patriarchen der Kirche, den Bischof von Rom, keinerlei Einfluss hatte; und weil Papst Leos Tomus ad Flavianum formell in das Prozedere von Chalkedon einbezogen worden war, hatte Rom ein starkes Interesse daran, Chalkedons Legitimität als ökumenisches Konzil aufrechtzuerhalten. Alle Verhandlungen führten zu nichts, und zwei Jahre später hielt Papst Felix III. eine Synode ab, auf der das Henotikon verurteilt und Akakios, der derzeitige Patriarch von Konstantinopel, formell abgesetzt und exkommuniziert wurde. Damit befanden sich Rom und Konstantinopel offiziell im Schisma. Und zweitens bedeutete die Tatsache, dass die Kirchenobersten im Osten einander nicht mehr bekriegten, nicht etwa, dass der Streit innerhalb der Ostkirche beigelegt gewesen wäre. Die kaiserliche Hauptstadt beheimatete verschiedene Klöster, die die Beschlüsse von Chalkedon unterstützten, allen voran das Kloster der Akoimetoi (der »schlaflosen« Mönche). In Syrien und Palästina waren demgegenüber viele gegen Chalkedon.15 Insofern ist es schwer zu beurteilen, was genau die Menge im Hippodrom meinte, als sie Ariadne zurief, der neue Kaiser solle »orthodox« sein. Falls es sich um eine orchestrierte Veranstaltung handelte, war vermutlich gemeint, dass das neue Regime den Status quo aufrechterhalten sollte, wie er im Henotikon verankert war. Falls nicht, dann verlangte die Bevölkerung der Hauptstadt, die zum großen Teil in Richtung einer Chalkedon wohlgesinnten Einstellung tendierte, die Aufhebung
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des Henotikon. Wie dem auch sei: Das neue Regime hatte ein kaum lösbares Problem geerbt, für dessen Existenz es nichts konnte. Es gibt durchaus Grund zu der Annahme, dass Anastasios mit den Antichalkedoniern sympathisierte. Vielleicht gelangten er und seine Berater in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit aber auch einfach zu der Überzeugung, dass sich der allgemeine Frieden in der Ostkirche am besten wiederherstellen ließ, indem man die Chalkedon-Sympathisierenden, die in der kaiserlichen Hauptstadt immer noch in der Überzahl waren, mit einer antichalkedonischen Position untergrub. Im Jahr 508 durfte der Vordenker der Antichalkedonier, Severus, mit 200 auf seine Linie eingeschworenen Mönchen aus Palästina nach Konstantinopel, kommen, und später wurde er sogar von einem Neffen des Anastasios, Probus, der anscheinend Teil von Severus’ Netzwerk war, dem Kaiser vorgestellt. Dies bereitete den Boden für explizitere Aktionen. Am 20. Juli 511 musste die Gemeinde in der großen Kirche Hagia Sophia feststellen, dass in eines der Standardgebete der Liturgie, das Trisagion, mit einem Mal ein antichalkedonischer Teil eingefügt worden war. Dieses Gebet wurde stets vor dem täglichen Psalm gesungen und lautete ursprünglich: »Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser.« Der neue Zusatz – »der für uns gekreuzigt wurde« – war in einigen Gemeinden im Rahmen der Reaktion gegen die Beschlüsse von Chalkedon bereits Ende der 460er-Jahre in das Gebet eingefügt worden. Kein Chalkedon-Sympathisant konnte sich dem anschließen. Das Henotikon war im Jahr 511 offiziell immer noch in Kraft, aber die Politik des Regimes hatte eine klar antichalkedonische Richtung eingeschlagen, wie die Aussagen der Patriarchen von Konstantinopel und Antiochia, Makedonios und Florian, in jenem Sommer deutlich machten. Beide hatten sich dem Henotikon angeschlossen, hatten aber so viele Sympathien für die Chalkedon-Beschlüsse, dass sie radikalere Schritte zur formellen Verurteilung des Konzils ablehnten. Dass dies tatsächlich die Richtung war, in die sich das Regime bewegte, wurde spätestens dann klar, als Florian abgesetzt und durch Severus ersetzt wurde. Somit stand nun einem Bischofssitz, dessen intellektuelle Traditionen beim Konzil von Chalkedon besonders stark vertreten gewesen waren, ein offen antichalkedonischer Patriarch vor.16 So weit, so gut. Anastasios’ Regime hatte sich für eine Lösung entschieden und versuchte, sie durchzusetzen. Doch schon bald zeigte
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sich, wie schwach das Regime im Grunde genommen war. Nachdem es zunächst darauf gesetzt hatte, die religiöse Spaltung auf seine Weise zu beseitigen, ruderte es auf Druck der Bevölkerung wieder zurück. Im Jahr 512 erlebte das Hippodrom der kaiserlichen Hauptstadt heftige Ausschreitungen seitens der Chalkedon-Befürworter, die den Kaiser fast den Thron kosteten. Anastasios sah sich gezwungen, ohne sein kaiserliches Diadem persönlich im Hippodrom zu erscheinen und die Menge für seine unüberlegten religionspolitischen Entscheidungen um Vergebung zu bitten.17 Die Akoimetoi spielten bei der Orchestrierung der gewaltsamen Aktionen eine führende Rolle, aber höchstwahrscheinlich waren auch einflussreiche Personen bei Hofe daran beteiligt, denen die betont antichalkedonischen Politik des Regimes ein Dorn im Auge war – oder die einfach nur verhindern wollten, dass Anastasios seine Macht weiter ausbaute. Schon bald entstanden dem Kaiser neue Probleme: Ein Großteil des Militärs auf dem Balkan unter der Führung von Vitalian probte den Aufstand. Vitalians offizieller Posten war damals wahrscheinlich Befehlshaber der zahlreichen foederati, die in den verschiedenen Teilen des Balkans Land besaßen. Die foederati hatten einen bedeutenden Anteil am Ausbruch der Revolte, die wie so viele Militärrevolten als Streit um ausbleibenden Sold und eine schlechte Versorgungslage begann. Sie erfasste rasch viele der limitanei- und Feldarmee-Einheiten der Region, deren Offiziere Vitalian entweder für seine Pläne gewann oder aber ermorden ließ. Anfang 513 drang er mit einer Streitmacht von rund 50 000 Mann bis nach Hebdomon vor, sieben Meilen vor Konstantinopel, wo oft die Inthronisierung neuer Kaiser stattfand. In Gesprächen mit Vertretern des Regimes unterbreitete Vitalian seine Forderungen: Er verlangte, dass seine Truppen endlich ihren Sold erhielten und dass die chalkedonische Orthodoxie wiederhergestellt wurde und der alte Patriarch Makedonios seinen Posten zurückbekam. Dass er selbst Kaiser werden wollte, behielt Vitalian noch für sich. Anastasios ließ seine Vertreter verkünden, er lenke in allen Punkten ein, doch er hielt sich nicht an seine Versprechen; also rückte Vitalian 514 ein zweites Mal auf Konstantinopel vor. Mit 5000 Pfund Gold im Gepäck zog er wieder ab, nachdem Anastasios ihm konkret zugesichert hatte, er werde die beiden entlassenen Patriarchen (Makedonios und Florian) wieder einsetzen und im Jahr 515 ein Konzil einberufen, um die
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religiöse Einheit mit Rom wiederherzustellen. Der Tod von Papst Symmachus im Juli 514 schien neue Chancen zu eröffnen, denn wie immer, wenn ein Papst starb, bestand die Hoffnung, dass sein Nachfolger umgänglicher war als der Vorgänger, und so schrieb Anastasios in der zweiten Jahreshälfte dem neuen Papst Hormisdas einen Brief, in dem es um eine mögliche Aussöhnung der beiden Kirchen ging. Doch der Kaiser war nach wie vor ein Anhänger des Henotikon, und Hormisdas wollte keine Kompromisse eingehen. Das Akakianische Schisma, wie man die Situation im Westen nannte (nach dem von Papst Felix exkommunizierten Patriarchen Akakios), ließ sich also nicht beilegen, und 515 rückte Vitalian ein drittes Mal auf die Hauptstadt vor. Nur brachte er diesmal eine Flotte mit, die es ihm endlich ermöglichen sollte, die Stadt einzunehmen. Zur Landseite hin war Konstantinopel durch die dreifachen Theodosianischen Befestigungsanlagen geschützt, die kein Feind jemals überwinden konnte (bis die Kanone erfunden wurde).18 Es war ein wenig wie beim Perserkrieg: Das Endergebnis war nicht so katastrophal wie zunächst befürchtet. Unter der Führung eines der vertrauenswürdigsten Beamten von Anastasios, des Prätorianerpräfekten Marinus, nutzten die Streitkräfte des Regimes das berühmte Griechische Feuer – eine Waffe, die brennenden Schwefel verschoss, der auch auf Wasser weiterbrannte –, um Vitalians Flotte auf dem Bosporus in Brand zu stecken. Da dessen Armee auf anderem Wege nicht in die Stadt gelangen konnte, kam es zu neuen Verhandlungen, und am Ende erklärte Vitalian sich bereit, ins Exil zu gehen, wenn seine Soldaten ausbezahlt würden. Dennoch hatte sich Anastasios nur ganz knapp die Macht sichern können, und im Folgenden wagte er keine weiteren Schritte mehr in Richtung Chalkedon. Zusammenfassend können wir festhalten: In religiösen Angelegenheiten zeichnete sich Anastasios’ Regime durch Wankelmütigkeit und ein völliges Fehlen konkreter Erfolge aus, seine Regierungszeit durch zunehmende Konflikte. Der Kaiser selbst war nun bereits Mitte achtzig, sein Regime war in politischer Hinsicht zum Stillstand gekommen, und bis ein neues Regime an die Macht kam, würde nichts Wesentliches mehr passieren. In diesem Zusammenhang leuchtet es durchaus ein, dass Anastasios keinen entscheidenden Einfluss auf die Thronfolge ausüben konnte. Bezeichnenderweise hielt man in den letzten Jahren des Kaisers, als man jeden Augenblick mit seinem Able-
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ben rechnete, seine beiden prominentesten Neffen aktiv von der Hauptstadt fern. Pompeius saß als Kommandant in Thrakien, wo er ein Auge auf den exilierten Vitalian haben sollte, und Hypatius war als Oberbefehlshaber der östlichen Feldarmeen in Antiochia stationiert. Keiner von beiden hatte genug Anteil am Geschehen im Palast, um bei dem politischen Pferdehandel eine Rolle zu spielen, der dem Tod eines Kaisers, der keine direkten Erben hatte, zwangsläufig folgte.
»Der purpurne Tod« In der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 518 entschlief der 87-jährige Anastasios. In den Jahren zuvor wird man beim Heer, bei Hofe und im Senat über eine schier endlose Zahl verschiedener Thronfolger diskutiert haben, gerade weil Anastasios vor seinem Tod die nötige Autorität fehlte, um seine Nachfolge selbst zu regeln. Eine Maxime des Altertums, die später vom Papsttum aufgegriffen wurde, besagte, dass nur jemand des höchsten Amtes würdig war, der dieses Amt gar nicht anstrebte. Da der Kaiser von Gott auserwählt wurde, hatte menschlicher Ehrgeiz in dieser Gleichung keinen Platz. Zudem stellte die enorme Verantwortung, die das Amt mit sich brachte, zumindest theoretisch eine solche Last dar, dass es gar nicht als sonderlich erstrebenswert galt – in diesem Sinne soll Kaiser Julian, als er bei seiner Ernennung zum Caesar neben seinem Cousin, dem Augustus Constantius II., auf dem kaiserlichen Wagen fuhr, den (leicht abgewandelten) homerischen Vers gemurmelt haben: »Der purpurne Tod und das übermächtige Schicksal haben Besitz von mir ergriffen.«19 Insofern legte Justinians Onkel am Morgen des 9. Juli, wie man sich erzählte, eine geradezu absurde Haltung an den Tag. Der Chef der Palasteunuchen, der praepositus sacri cubiculi Amantius, übergab ihm eine große Summe Bargeld, um die Palastwachen zu bestechen, damit sie Amantius’ Kandidaten unterstützten, doch stattdessen verwendete Justin das Geld für seine eigene Kandidatur. Wahrscheinlich ist diese Anekdote nicht mehr als skurriler Klatsch,20 aber auch die höher zu bewertenden Quellen lassen Justin kaum in einem besseren Licht dastehen: 518 war er komplett auf den Thron fixiert. Als bekannt wurde, dass Anastasios gestorben war, versammelte sich das Volk wieder im Hippodrom, und diesmal rief es, dass es einen Feldherrn als Kaiser wollte. Und rein zufällig war Justin Feldherr. Er stamm-
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te vom nördlichen Balkan, aus Bederiana in der Nähe von Naissus (dem heutigen Niš), und hatte sich beim Heer verpflichtet, um der Armut zu entfliehen. Justin ging zu den excubitores, einer der beiden Einheiten der Palastwächter (die andere waren die scholarii). Über seine spätere Karriere ist wenig bekannt, da unsere Quellen durchweg auf seinen weitaus bekannteren Neffen fixiert sind. Dennoch: Justin nahm während der Regierungszeit des Anastasios an allen wichtigen Feldzügen teil. Zur Zeit des Isaureraufstands in den 490er-Jahren war er ein ranghoher Feldarmeeoffizier (comes rei militaris, ein Rang unterhalb des magister militum). Er kämpfte im Perserkrieg von 503/504 mit und befand sich auf einem Schiff im Bosporus, als Vitalians Flotte ihre entscheidende Niederlage erlitt. Direkt danach wurde er zum comes excubitorum ernannt, zum Kommandanten der Palastwache, der er schon so lange angehörte. Im Rang war dieser Posten nicht so hoch angesiedelt wie Oberbefehlshaber einer Feldarmee, aber dennoch relativ weit oben und mit dem entscheidenden Vorteil, dass der comes excubitorum im Palast stationiert war – ganz nahe am Zentrum der Macht.21 Somit war Justin während Anastasios’ letzter Lebensjahre genau am richtigen Ort, um bei den einflussreichsten Personen bei Hofe seine Machtansprüche anzumelden. Aber genau dieser Umstand lässt einen nun die Rufe der Menschenmenge im Hippodrom hinterfragen. Nachprüfen lässt sich das heute nicht mehr, aber wahrscheinlich wussten Justins Hintermänner ganz genau, wem sie etwas Bargeld in die Hand drücken mussten, damit die Menge diese doch erstaunlich passende Forderung skandierte. Und Justin war es auch, der den in den Palast gerufenen Senatoren und Würdenträgern offiziell verkündete, dass Anastasios verstorben war. Auch die Tatsache, dass diese herausragende Aufgabe ausgerechnet ihm zufiel, deutet darauf hin, dass er bei Hofe in allerhöchstem Ansehen stand. Doch selbst bis ins Detail ausgetüftelte Nachfolgepläne konnten immer noch eine überraschende Wendung nehmen.22 Justin hatte beileibe nicht nur Freunde. Die andere Palastwächterabteilung, die scholarii, hätte viel lieber den einzigen anderen Feldherrn im direkten Umfeld des Palasts auf dem Thorn gesehen: Patricius, den Oberbefehlshaber der Praesentalis-Armee. An diesem Punkt hätte das Ganze leicht schiefgehen können, auch wenn der »loyale, aber geistig nicht allzu rege« Patricius den Job im Grunde gar nicht wollte, vor al-
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lem als die excubitores ihm mit dem Tod drohten, vermutlich weil sie ihren eigenen Kommandanten als Kaiser sehen wollten. Da schaltete sich Justinian ein und rettete Patricius das Leben, indem er ihn überredete, aus dem Wettlauf um den Thron auszusteigen; dieser Vorgang scheint den künftigen Kaiser allerdings düpiert zu haben. Inzwischen zog sich die ganze Angelegenheit bereits so lange hin, dass die Menschen unruhig wurden. In Sorge, dass das Volk am Ende noch einen eigenen Kandidaten ins Spiel brachte, stellten sich die Senatoren und Würdenträger schließlich einmütig hinter Justin, und nachdem die Palasteunuchen die kaiserlichen Insignien freigegeben hatten, betrat der Kaiser binnen weniger Minuten ordnungsgemäß gekleidet seine Loge und präsentierte sich seinem Volk. Es begrüßte ihn stürmisch. Allen Palastwächtern versprach er eine erhebliche Gehaltserhöhung.23 Insgesamt gab es so viele bezeichnende Zufälle, dass Justins Inthronisierung nichts anderes als das Ergebnis sorgfältiger Planung gewesen sein kann. Zweifellos hatten andere Leute alternative Pläne (einige Hinweise zu Details traten nach seiner Wahl zutage), aber Justin hatte seine Position als Palastwächter eben von vornherein dazu benutzt, sich für den Thron in Stellung zu bringen, und in ausreichender Zahl Unterstützer hinter sich geschart, um an diesem entscheidenden Morgen im Palast alle anderen potenziellen Herausforderer ausstechen zu können – vielleicht hat er zusätzlich auch einen großen Teil der Menge bestochen, um sicherzustellen, dass auch tatsächlich genügend Leute nach einem Feldherrn schrien. Viele seiner Unterstützer werden in ihm, wie vor ihm in Anastasios, einen guten Kompromisskandidaten gesehen haben, der die Zügel der Macht nicht allzu fest in Händen halten würde. Er war keiner der Neffen von Anastasios, er hatte zuvor kein hohes Amt in der Verwaltung innegehabt, und auch er war über sechzig und kinderlos (allerdings hatte er zu diesem Zeitpunkt seinen Lieblingsneffen Justinian wohl bereits adoptiert). Doch wer in ihm lediglich einen harmlosen alten Mann sah, der sollte schon bald merken, dass er sich getäuscht hatte. Das neue Regime wusste Anastasios’ politische Fehlgriffe zu nutzen, um nach der Macht zu greifen – ohne Rücksicht auf Verluste. Oberste Priorität hatte zunächst einmal die Beseitigung jedes potenziellen Widerstands innerhalb des Palastes. Noch in derselben Woche verglichen wütende Kirchgänger in der Hagia Sophia den damaligen Chefeunuchen Amantius lautstark mit Chrysaphios, dem berüchtigten
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Chefeunuchen von Theodosius II., der im Vorfeld des Konzils von Chalkedon die religiöse Opposition unterstützt hatte. Diese Zwischenrufer waren wahrscheinlich vom neuen Kaiser beauftragt, von dessen Feindschaft mit Amantius auch die Tatsache zeugt, dass jener angeblich Geld aufwandte, um einen anderen Thronanwärter zu unterstützen. Palasteunuchen konnten extremen Einfluss ausüben, allerdings oft nur bis zum nächsten Regimewechsel. Weil sie kein breiter aufgestelltes Netzwerk an politischen Unterstützern besaßen, konnten sie im Grunde jederzeit hingerichtet werden, ohne dass dies irgendjemanden, der von Bedeutung war, gestört hätte. Amantius wurde binnen zehn Tagen nach Justins Thronbesteigung zusammen mit einem weiteren Eunuchen namens Andreas hingerichtet – ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass er einen alternativen Kandidaten unterstützt hatte. Einige von Anastasios’ bedeutenderen Unterstützern mussten den Palast ebenfalls verlassen, doch sie waren so gut vernetzt, dass sie immerhin mit dem Leben davonkamen. Anastasios’ Verwaltungschef, der seit 503 im Amt befindliche magister officiorum Celer, wurde praktisch sofort gefeuert, andere folgten ihm wenig später. Hypatius war 519 als Oberbefehlshaber an der Ostfront entlassen worden, genau wie Marinus, Anastasios’ Prätorianerpräfekt für die östlichen Provinzen. Die Quellen berichten, dass Marinus in Konstantinopel ein öffentliches Bad mit einer Darstellung von der Ankunft des verarmten Justin in der Hauptstadt dekorieren ließ. Mag sein, dass er sich damit für seine Entlassung rächen wollte. Nur: zu welchem Zeitpunkt? Wenn Justin zu diesem Zeitpunkt bereits Kaiser gewesen wäre, so wäre es wahrscheinlich kein allzu cleverer Schachzug gewesen. Ich vermute daher eher, dass die Maßnahme noch in die letzten Jahre unter Anastasios zu datieren ist, und vielleicht hatte Marinus zum Ziel, Justin als potenziellen Kandidaten für die Kaiserwürde zu diskreditieren.24 Diese Entlassungen weisen jedoch noch ein weiteres Muster auf, das zeigt, dass das neue kaiserliche Regime viel mehr im Sinn hatte, als sich lediglich die Kontrolle über den Palast zu sichern. Wenn jemand entlassen wird, wird ja auch immer jemand Neues eingestellt, und eine solche Ernennung war von höchster Bedeutung: Justin rehabilitierte Vitalian, den aufrührerischen comes foederatorum aus Anastasios’ letzten Jahren, und ernannte ihn sofort zum Oberbefehlshaber einer der Praesentalis-Armeen (der andere, Patricius, behielt seinen Posten, vielleicht als
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Belohnung dafür, dass er sich damals im Eifer des Gefechts aus allem herausgehalten hatte). In ideologischer Hinsicht hatte Vitalian seinen Aufstand damit gerechtfertigt, dass er das Schisma mit Rom aus der Welt schaffen wollte, und viele von Justins Aktionen wiesen ebenfalls in diese Richtung. Zur Erinnerung: Der Eunuch Amantius wurde wegen seines Widerstands gegen die chalkedonische Theologie mit Chrysaphios verglichen, und sowohl er als auch sein Kollege Andreas sollten am Ende als antichalkedonische Märtyrer gefeiert werden. Auch Celer hatte im Sommer 511 großen Anteil an der Enthebung des Makedonios, des Patriarchen von Konstantinopel, aus seinem Amt. Und wo man schon einmal dabei war, entfernte man auch gleich noch Severus aus seinem Posten als Patriarch von Antiochia. Sowohl Justin als auch seine Frau Euphemia waren ausgesprochene Unterstützer der Beschlüsse von Chalkedon, und die Weichen wurden für eine rasche Kehrtwende gestellt. Um ihn von seiner Thronbesteigung zu informieren, schrieb der Kaiser am 1. August zum ersten Mal einen Brief an den Papst. Am 7. September machte sich ein kaiserlicher Legat mit zwei weiteren Briefen an den Papst auf den Weg. Das eine Schreiben enthielt die Bitte, Gesandte nach Konstantinopel zu schicken, um das Schisma zu beenden, und der zweite eine persönliche Einladung Justinians an den Papst, Konstantinopel zu besuchen. Die Briefe erreichten Rom am 20. Dezember, und bereits im Januar befand sich eine päpstliche Delegation auf dem Weg in den Osten. Ihre Ankunft war sorgfältig geplant: Sie würde am Montag, dem 25. März, dem Beginn der Karwoche eintreffen. Die Legaten wurden am zehnten Meilenstein vor Konstantinopel von einem hochkarätigen Empfangskomitee begrüßt, das (wie zu erwarten) aus Justinian und Vitalian sowie (erstaunlicherweise) Pompeius bestand, einem von Anastasios’ drei Neffen. Drei Tage später unterzeichnete der Patriarch Johannes von Konstantinopel die Briefe aus Rom, und Akakios’ Name wurde für immer aus den Diptychen, der offiziellen Liste der wahren Patriarchen, gelöscht. Das Schisma war vorüber.25 Justins Regime konnte auf ein paar ganz außergewöhnlich erfolgreiche Monate zurückblicken (was mehr ist, als zum Beispiel Donald Trump je von sich wird behaupten können). Nach der einigermaßen reibungslosen Thronfolge hatte es eine rücksichtslose Säuberung unter den Palastmitarbeitern und anderen einflussreichen Personen im Reich gege-
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ben, was mit einem entscheidenden Wandel in der Religionspolitik zusammenhing. Binnen eines Jahres war dieser Vorgang abgeschlossen gewesen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass es dem neuen Kaiser nicht ernst damit war, an den Beschlüssen von Chalkedon festzuhalten. Die Absetzung von Severus war erst der Anfang. 519 erhielt Bischof Paulus von Edessa seine Entlassungspapiere, als er sich weigerte, Chalkedon anzuerkennen. Andere folgten ihm schon bald. In den Jahren bis 527, als Justin starb, wurden rund 30 antichalkedonische Bischöfe aus ihren Städten verbannt. Der Gegensatz zur zögerlich-schwankenden Haltung des Vorgängerregimes hätte nicht deutlicher sein können. Wenn man einen Schritt zurücktritt, um das größere Ganze zu überblicken, so sieht man ein kaiserliches Regime, für das die Einhaltung seiner Richtlinien kein Selbstzweck war, sondern ein Mechanismus, der es ihm ermöglichte, die Zügel der Macht so fest wie möglich in Händen zu halten. Seine entscheidenden Aktionen in den folgenden zwei Jahren erweiterten das Muster und machten deutlich, dass die Konsolidierung der Macht ein ganz (selbst) bewusster Vorgang war. Eine der außergewöhnlichsten Aktionen dieser ersten Monate war die Rehabilitation von Vitalian. Der Partisan von Chalkedon hatte die kaiserliche Hauptstadt angegriffen, und wäre seine Flotte im Jahr 515 nicht in Rauch aufgegangen, hätte sie eine veritable Katastrophe angerichtet. Nun holte Justin Vitalian nicht nur aus dem Exil zurück, sondern belohnte ihn auch noch mit einem wichtigen Militärposten und gewährte ihm für das Jahr 520 sogar das Konsulat, das höchste zivile Amt der römischen Welt. Vitalian genoss zu diesem Zeitpunkt solchen Einfluss, dass er, wie einer neuen Studie zu entnehmen ist, in Briefen von Papst Hormisdas, in denen es um das Ende des Schismas geht, quasi wie ein Mitkaiser behandelt wird. Im Juni 520 wurde Vitalian aber, nachdem er ein zu Ehren seines Konsulats abgehaltenes Wagenrennen besucht hatte, im Delphax, einem der großen Höfe des Kaiserpalasts, gemeinsam mit zwei hochrangigen Assistenten ermordet. Prokop schreibt, Justinian persönlich habe ihn getötet; diese Behauptung darf man durchaus bezweifeln, doch zumindest war Justinian der größte Nutznießer von Vitalians Tod. Bislang war Justinian nämlich – trotz seiner geschickten Winkelzüge im Hintergrund in Sachen Patricius und scholarii – nach der Thronbesteigung seines Onkels keine offizielle Beförderung zuteilge-
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worden, auch wenn seine Rolle bei der Beendigung des Akakianischen Schismas zeigt, dass er hinter den Kulissen großen Einfluss ausübte. Unmittelbar nach Vitalians Ermordung setzte der Kaiser den inzwischen 33-jährigen Justinian nun aber als neuen magister militum praesentalis ein und präsentierte ihn als designierten Konsul für 521. Zum ersten Mal wurde Justinians öffentliches Profil dem informellen Einfluss gerecht, den er innerhalb des Regimes ganz offensichtlich längst ausübte.26 Faszinierend an diesen Vorgängen ist vor allem, dass es Justin gelang, Vitalian zu eliminieren, ohne dass dies irgendwelche offensichtlichen Konsequenzen für ihn hatte. Das Militär auf dem Balkan zeigte keinerlei Anzeichen einer Revolte, was stark darauf hindeutet, dass ganz gezielt Bargeld und Vorräte eingesetzt wurden, um die Truppen auf Linie zu bringen, und auch bei Hofe hatte man den Weg für Vitalians Nachfolger geebnet. Ein weiterer bemerkenswerter Vorgang des Sommers 520 war, dass Anastasios’ Lieblingsneffe, Hypatius, plötzlich als Oberbefehlshaber an die Ostgrenze zurückkehrte; als er am 7. August einen Brief vom Kaiser erhielt, hatte er wieder das Kommando übernommen. Diese Chronologie der Ereignisse kann kein Zufall sein.27 Justin hatte auf Kosten von Anastasios’ Neffen Karriere gemacht, aber da diese innerhalb Konstantinopels nach wie vor extrem gut vernetzt waren, war es keine schlechte Idee, sich soweit als möglich mit ihnen auszusöhnen. Pompeius hatte sich schon früh mit Justin arrangiert und hatte, wie wir gesehen haben, bei der Beendigung des Akakianischen Schismas eine bedeutende Rolle gespielt. Hypatius’ plötzliche Rehabilitation im Sommer 520, kurz nach Vitalians Ermordung, deutet darauf hin, dass Justin gegen potenziell gefährliche Zerwürfnisse bei Hofe vorsorgen wollte, indem er das Attentat nicht nur dazu nutzte, Justinians Karriere voranzubringen, sondern auch dafür, die Beziehungen zu den einflussreichen Parteien zu verbessern, die mit Hypatius verbunden waren. Infolgedessen stieß es auch niemandem sauer auf, als offiziell verkündet wurde, Vitalian habe mit seinem Tod direkt im Anschluss an die Feierlichkeiten zu Ehren seines Konsulats den Preis für seine früheren umstürzlerischen Aktivitäten gezahlt. Dass Justin Vitalian, dessen Prominenz ein potenzieller Stolperstein für die Zukunft seines Neffen gewesen war, eliminieren ließ, während er zugleich dafür sorgte, dass Justinian endlich das öffentliche Profil erhielt, das ihm gebührte, selbst wenn er sich dazu mit Hypatius & Co. arrangieren musste, lässt kaum einen anderen Schluss
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zu, als dass Justin Justinian bereits zu diesem Zeitpunkt als seinen unangefochtenen Nachfolger aufbauen wollte.28 Ein weiterer Hinweis darauf, dass dies der Fall war, stammt aus derselben Zeit und hat eine ganz besondere Note. Der Lieblingsneffe des Kaisers hatte eine Affäre mit einer extravaganten blonden Ex-Schauspielerin namens Theodora. Es ist geradezu erstaunlich, welche furchterregenden Details Prokop in seiner Geheimgeschichte über Theodoras Vorleben zu berichten weiß, doch auf jeden Fall war sie Schauspielerin gewesen, und das allein stellte ein Problem dar. Schließlich war es Personen mit einem dermaßen geringen gesellschaftlichen Status wie dem einer Schauspielerin seit Langem per Gesetz untersagt, mit Personen von höherem Rang (wie dem illustren Justinian) eine legitime Ehe einzugehen. 521/522 änderte Justin aus heiterem Himmel das entsprechende Gesetz. Einige Details der neuen Rechtsprechung haben im Codex Iustinianus überlebt, mitsamt – was recht ungewöhnlich ist – ihrer rhetorischen Rechtfertigung. Natürlich diente dieses neue Gesetz in erster Linie dazu, eine ganz bestimmte Ehe zu ermöglichen. Auf eine Einleitung, in der alle moralischen Mängel des Theaterberufs aufgezählt werden, folgt die erste wichtige neue Klausel, in der es heißt, es sei trotz allem nicht richtig, all jenen Frauen, die inzwischen ihrem früheren lockeren Lebensstils entsagten, eine legitime Ehe zu verwehren; daher dürften sie den Kaiser darum bitten, ihnen denselben Status zu gewähren wie einer Frau, die noch nie gesündigt hat. Eine zweite ganz signifikante Klausel besagt, dass Kinder, die aus solchen Ehen geboren werden, vollkommen legitim sind und ihre Väter beerben können. Es folgen sechs weitere detaillierte Klauseln, aber der springende Punkt des neuen Gesetzes dürfte bereits klar geworden sein: Justinian konnte seine Schauspielerin heiraten, und ihre gemeinsamen Kinder würden seine legitimen Erben sein.29 Es lohnt sich, an dieser Stelle einen Moment innezuhalten und sich genau klarzumachen, was Justin hier gerade für seinen Neffen getan hat. Justins Gattin, Euphemia, hasste Theodora wegen deren zweifelhafter Vergangenheit und antichalkedonischer Einstellung. Das Gesetz, das solche Ehen untersagte, war seit über zweihundert Jahren in Kraft, und die Haltung, die darin zum Ausdruck kam, war noch viel älter. Die landbesitzenden Eliten des Altertums hatten extreme Vorbehalte gegenüber jeder Art von Ehe, die gegen etablierte gesellschaftliche Verhältnisse
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verstieß. Dass der Kaiser so weit ging, Justinian eine vollkommen legitime Ehe mit Theodora zu ermöglichen, anstatt darauf zu bestehen, dass er sie sich bloß als Geliebte hielt (was niemanden gekümmert hätte), erzeugte in der rigiden, statusbesessenen Welt des konstantinopolitanischen Hofes enormen Widerstand, und zwar nicht nur seitens Justins Ehefrau: Prokop walzt diese Geschichte so genüsslich aus, dass man einen guten Eindruck davon bekommt, welch ein Skandal dieser Vorgang gewesen sein muss. Angesichts dieses Widerstands das neue Gesetz durchzusetzen, nur damit Justinian seine Schauspielerin heiraten konnte, bedeutete für das Regime den Einsatz eines gewaltigen politischen Kapitals. Dieser Umstand wie auch die Tatsache, dass Justinian nach der Eliminierung Vitalians seine neuen Posten als Oberbefehlshaber und Konsul erhielt, sandten ein deutliches Signal aus: Selbst wenn die Thronfolge zu diesem Zeitpunkt noch keine beschlossene Sache war, so war Justinian doch eindeutig Justins designierter Erbe. Darauf, dass das Ehethema die Geduld des Kaisers strapazierte (oder man zumindest annahm, dass sie das tat), weist eine recht seltsame Geschichte hin, die in diversen Versionen auftaucht. Im Zentrum dieser Geschichte stand ein besonders blutiger Gewaltausbruch seitens der Zirkuspartei der Blauen im Jahr 523, vor allem in Konstantinopel, aber auch in einigen anderen großen Städten des Imperiums. Laut einigen Versionen, wenn auch nicht den frühesten, gab es hinterher eine offizielle Untersuchung, die zu dem Schluss kam, dass das Ganze von Justinian orchestriert worden war. Beinahe wäre sein Name öffentlich genannt worden, doch der wütende Justin intervenierte und beendete den Vorgang. Es ist schwer zu sagen, was man von dieser Geschichte halten soll, nicht nur wegen ihrer inneren Widersprüche, sondern auch, weil aufseiten Justinians ein glaubwürdiges Motiv fehlt. Aber es gab bei Hofe durchaus Leute, die Justinian nur allzu gern in Misskredit gebracht und Justin somit gezwungen hätten, noch einmal über die Thronfolge nachzudenken, und diese Geschichte könnte genau in dieses Szenario passen.30 Falls es diese Strategie gab, so ist sie nicht aufgegangen; 523 ist nämlich auch das Jahr, in dem Justinian den Ehrentitel des Patriziers erhielt – und damit Zutritt zur exklusivsten Statusgruppe des Imperiums. Die Beziehung zwischen Onkel und Neffe war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich wieder gekittet, und als Mitte der 520er-Jahre die Beziehungen zu Persien – das zweite große Thema der Herrschaft des Anas-
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tasios – wieder auf die kaiserliche Tagesordnung zurückkehrten, waren sich die beiden erneut einig. Einen ersten Hinweis auf die generelle Haltung des Regimes gegenüber Persien hatte es schon etwas früher gegeben, im Zuge eines Vorfalls im Jahr 521 oder 522. König Tzath von Lasika, einem persischen Klientelkönigreich, nahm plötzlich Kontakt mit Konstantinopel auf. Um seine regionale Dominanz auszubauen, wollte der persische Großkönig Kavadh Lasika zwingen, die zoroastrische Religion anzunehmen; Tzath hingegen wollte sich taufen lassen, also Christ werden, und bat Ostrom um Unterstützung, um eine weitere Ausbreitung der persischen Hegemonie zu verhindern. Es verhielt sich also genau andersherum als noch im Jahr 456, als Lasika ein römischer Klientelstaat gewesen war. Damals hatten sich die Perser geweigert, sich bei den Römern einzumischen. Justins Regime indes ließ keine Gelegenheit aus, sein Prestige zu mehren, und so empfing der Kaiser Tzath in Konstantinopel. Der König von Lasika wurde mit allen denkbaren Ehrenbezeugungen getauft, gekleidet in ein aufwendiges Seidengewand, das mit dem Konterfei von Kaiser Justin bestickt war. Schließlich bekam er noch eine hochwohlgeborene Römerin zur Frau und kehrte dann nach Hause zurück, begleitet von einer römischen Militäreskorte. Als der persische Botschafter sich beschwerte, wurde er mit dem Hinweis entlassen, Lasika sei schon immer römisch gewesen. Das stimmte natürlich gar nicht – Lasika hatte immer wieder seine Allianzen gewechselt, je nachdem, unter wessen Schirmherrschaft es am eigenständigsten agieren konnte. Aber da die Tendenz des 5. Jahrhunderts hin zu einer Kooperation zwischen den Supermächten zumindest teilweise immer noch aktuell war, entschied Kavadh, Rom nicht den Krieg zu erklären.31 Der eigentliche Grund dafür sickerte durch, als wahrscheinlich im Jahr 525 eine neue persische Gesandtschaft in Konstantinopel eintraf. Auch wenn es sich vielleicht nur um eine Anekdote handelte, führten beide Reiche zu Beginn des 6. Jahrhunderts die lange Phase ihrer kooperativen Beziehungen darauf zurück, dass es Anfang des 5. Jahrhunderts eine Vereinbarung zwischen Kaiser Arcadius und dem persischen Großkönig Yazdegerd gegeben hatte, laut der Letzterer den kleinen Sohn von Arcadius, Theodosius II., adoptieren würde, falls Arcadius vorzeitig ablebte. Dieser Schritt sollte Theodosius dann die Thronfolge erleichtern – und genauso kam es. Als Arcadius 408 starb, war Theodosius gerade
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einmal sechs Jahre alt.32 Nun bat Kavadh Justin unter Berufung auf diesen Präzedenzfall, seinen Sohn Chosrau zu adoptieren. Chosrau war der dritte Sohn des Großkönigs, doch zu seinem ältesten Sohn hatte er den Kontakt abgebrochen, und der zweite war von der Thronfolge ausgeschlossen, weil er ein Auge verloren hatte. Jetzt war Chosrau Kavadhs bevorzugte Wahl, und der König befürchtete, dass dieser es nicht allzu leicht haben würde, seinem Vater auf den Thron zu folgen, wenn er selbst erst tot war. Will man Prokop glauben, so waren Justin und Justinian vom Vorschlag der Perser mehr als angetan und ließen sofort die entsprechenden Dokumente anfertigen. Doch dann schaltete sich der oberste Jurist des Regimes ein, der Quästor Proculus: Diese Gesandtschaft deutete ganz unverhohlen und direkt und mit den ersten Worten an, dass dieser Chosrau, wer auch immer er sei, zum Adoptiverben des römischen Kaisers gemacht werden soll. Und ich hätte gerne, dass Ihr in dieser Sache Folgendes bedenkt: Dem Gesetz der Natur zufolge geht der Besitz der Väter auf ihre Söhne über. Und obwohl alle Völker immer wieder wegen ihrer Gesetze miteinander in Streit geraten, da sich diese Gesetze voneinander unterscheiden, sind sich in dieser Angelegenheit doch die Römer und alle Barbaren einig: nämlich dass sie die Söhne zu den Empfängern des Erbteils ihrer Väter erklären. Nehmt diese erste Resolution an, falls Ihr wollt. Doch wenn Ihr das tut, seid Euch der Konsequenzen bewusst!33
Es ist eine ganz wunderbar dramatische Geschichte, aber für bare Münze kann man sie nicht nehmen. Proculus’ Argument ist blanker Unsinn: Um Kaiser zu werden, musste ein Kandidat über ausreichende Unterstützung verfügen, musste also die wichtigsten Männer im Reich – senatorische Großgrundbesitzer, leitende Verwaltungsbeamte, Hofbedienstete und hochrangige Offiziere – hinter sich scharen. Der adoptierte Chosrau hätte bei keiner dieser Gruppen einen Stein im Brett gehabt und hätte sich insofern genauso wenig Hoffnung auf den Thron von Konstantinopel machen können, wie Theodosius II. nach der Adoption durch Yazdegerd (falls sie wirklich stattgefunden hat) einen Anspruch auf den persischen Thron gehabt hätte. Doch auf der Grundlage dieses fadenscheinigen juristischen Vorwands bot Justin, statt dem Wunsch der Perser in vollem Umfang nachzukommen, den Persern an, Chosrau als Schwiegersohn anzunehmen –
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diese Praxis wurde inzwischen oft von den Herrschern der westlichen Nachfolgestaaten Roms und anderen sogenannten Barbaren angewendet. Dieses Gegenangebot wurde den Persern im Rahmen eines formellen Gipfeltreffens am Tigris direkt an der Grenze übermittelt. Anastasios’ Neffe Hypatius, damals noch magister militum für den Osten, führte die römische Delegation an, und sogar der persische Königssohn Chosrau war persönlich anwesend. Prokop beschreibt die Reaktion auf den neuen Vorschlag: Chosrau ging und begab sich zu seinem Vater. Er hatte nichts erreicht, und was geschehen war, hatte ihn tief verletzt. Und er betete, dass er für diese Beleidigung Rache nehmen könnte.34
Meines Erachtens kann man aus dieser Episode nur eine sinnvolle Schlussfolgerung ziehen: Justins Regime wollte die Perser bewusst provozieren. Kavadhs Annäherung auf der Grundlage einer solchen juristischen Absurdität abzulehnen und dann bei einem offiziellen Gipfeltreffen, an dem der Sohn des Königs persönlich teilnahm, eine dermaßen erniedrigende Alternative zu verkünden, war ein regelrechter Affront. Die Perser reichten Rom die Hand, doch statt sie zu ergreifen, entschied sich Justin dafür, das Perserreich zu destabilisieren, indem er Chosrau seinen formellen Segen verweigerte. Damit setzte Justins Regime die neue, aggressivere Haltung gegenüber Persien fort, die es bereits im Fall von Lasika an den Tag gelegt hatte, nur eben in einem viel größeren Ausmaß.35 Dass die Ereignisse auf diesen Weise korrekt interpretiert sind, bestätigt ein dritter Vorfall. Ungefähr zur selben Zeit, als Kavadh seine Bitte um Adoption seines Sohnes übermittelte, traf eine Nachricht von Gurgenes, dem König von Iberien in Transkaukasien, in Konstantinopel ein. Während Lasika immer mal dem einen, mal dem anderen Reich die Treue schwor, gehörte Iberiens Loyalität seit dem ausgehenden 4. Jahrhundert ununterbrochen Persien. In den 520er-Jahren drängte Kavadh die christlichen Iberer jedoch, zum Zoroastrismus überzutreten. Doch seine kulturimperialistischen Bestrebungen schlugen fehl. Ermutigt durch die enthusiastische Reaktion, die der Nachbarstaat Lasika aus Konstantinopel erfahren hatte, bat Gurgenes Justin nun seinerseits um Unterstützung. In der Praxis war Iberien zu weit vom Schwarzen Meer entfernt,
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als dass der Kaiser dort direkten militärischen Beistand leisten konnte, doch er ermutigte die Iberer dennoch, sich gegen die Perser zu erheben, und gewährte ihnen immerhin indirekte Unterstützung, in Form einer Intervention durch Nomaden aus der Region nördlich des Kaukasus. Leider zeigte deren Angriff gegen die Perser nur wenig Wirkung, und Gurgenes wurde aus seinem Königreich vertrieben. Letztlich war Justins Weigerung, Chosrau zu adoptieren, nur eines von vielen Details, die von einer kompletten Kehrtwende in der römischen Außenpolitik zeugen. Die Maxime Konstantinopels im Umgang mit seinem mächtigen Nachbarn lautete nun nicht mehr Kooperation, sondern Konfrontation.36 Diese zweite Hundertachtziggradwende unter Justin hatte möglicherweise auch eine innenpolitische Dimension. Prokop neigt dazu, die einzelnen Themen getrennt abzuhandeln, doch eigentlich hatte das Gipfeltreffen am Tigris dazu dienen sollen, mit Persien ein umfassendes Friedensabkommen zu schließen, das den Transkaukasus – Lasika und Iberien – umfasste und eine mögliche Adoption beinhaltete. Insgesamt deuten die verfügbaren Quellen (wie Prokops Erzählung von Proculus’ dramatischer Intervention) darauf hin, dass das Kaiserhaus Kavadhs Bitte anfänglich durchaus positiv begegnete, bevor es sich für einen härtere Gangart entschied. Die Frage ist: Wann genau vollzog das Regime diese Kehrtwende? Die Tatsache, dass Chosrau persönlich am Gipfeltreffen am Tigris teilnahm, ist ein starker Indikator dafür, dass er von einer positiven Reaktion der Römer ausging. Dies deuten auch diverse Kommentare in unseren Quellen an: Man habe Hypatius, dem ranghöchsten römischen Vertreter beim Gipfeltreffen, später vorgeworfen, sich mit Chosrau gegen Justin verschworen zu haben. Die Beweislage lässt keine absolut sichere Schlussfolgerung zu, aber es sieht ganz so aus, als habe Hypatius, Justins Oberbefehlshaber im Osten, einen umfassenden Friedensvertrag ausgehandelt, der unter anderem Chosraus Adoption beinhaltete, sei dann aber in letzter Minute von den Hardlinern in der Hauptstadt ausgebremst worden. Falls das stimmt, haben wir hier ein weiteres Beispiel dafür, wie Justins Regime politische Initiativen als Mittel zum Zweck einsetzte, um seine politischen Rivalen in Konstantinopel zu isolieren und auszutricksen.37 Zu dieser Zeit, Mitte der 520er-Jahre, erreichte Justins Dominanz in den politischen Ränkespielen bei Hofe ihren Höhepunkt. Im Jahr 525
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erhob Justin, während noch darüber diskutiert wurde, wie man auf Kavadhs Adoptionsbitte reagieren sollte, Justinian formell in den Rang eines Caesars. Dies signalisierte nicht nur, dass sich der Kaiser Justinian als Thronfolger wünschte – was hinter den Kulissen, wie ich vermute, längst klar war –, sondern dass sich Justin in politischer Hinsicht sicher genug fühlte, um dieses Arrangement offiziell zu machen, allen alternativen Präferenzen der anderen Parteien zum Trotz. Wenn wir Prokop Glauben schenken wollen, so zog Justinian während Justins Regentschaft ohnehin die ganze Zeit über die Strippen, und sein Onkel war kaum mehr als ein Strohmann.38 In Justins letzten Jahren im Amt mag das durchaus der Fall gewesen sein, aber letztlich war Justinians Prominenz das Ergebnis eines langen und komplizierten politischen Prozesses, den sein Onkel ganz aktiv gestaltet hatte, um zunächst selbst an die Macht zu kommen und später dann seinem Neffen die Thronfolge zu sichern. Es hatte unterwegs viele Stolpersteine gegeben, für Justin selbst, noch unter Anastasios, und für andere unter ihm, die nicht wollten, dass Justinian das Zepter des Kaisers in die Hände fiel. Anastasios’ Unterstützer mussten ausgerottet, Vitalian eliminiert und Hypatius ausgetrickst werden. Wir sollten auch nicht die Möglichkeit außer Acht lassen, dass sich Onkel und Neffe über die Sache mit Theodora und die marodierende Zirkuspartei beinahe zerstritten hätten, so wie es damals bei Konstantin unruhig geworden war, als jener beschloss, Crispus aus der Thronfolge zu eliminieren. Nun, selbst wenn wir nicht alle Details rekonstruieren können, sticht doch ein Punkt ganz deutlich hervor: Weder Justin noch Justinian sträubten sich gegen Julians »purpurnen Tod«. Beide hatten aktiv nach Macht gestrebt und bestimmte politische Entscheidungen zumindest teilweise zu dem Zweck getroffen, sich diese Macht zu sichern. Infolgedessen erbte Justinian im August 527 von seinem Onkel nicht nur den Kaiserthron, sondern zugleich eine Reihe bereits gefällter Entscheidungen, die die Anfangsjahre seiner Regierung entscheidend prägen sollten.
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erglichen mit den Ereignissen rund um Anastasios und Justin verlief Justinians endgültiger Aufstieg zum alleinigen Herrscher der römischen Welt am 1. August 527 bemerkenswert ruhig. Die ganze Drecksarbeit war bereits erledigt. Dennoch konnte sich kein Kaiser sicher wähnen, bevor er nicht allen bewiesen hatte, dass er von Gott dazu bestimmt war, sein auserwähltes Volk zu regieren. Und da stand Justinian vor einem echten Problem. Schließlich war er gemeinsam mit seinem Onkel für zwei kühne politische Entscheidungen verantwortlich gewesen: die erneute Anerkennung der vollen Autorität des Konzils von Chalkedon und die Abwendung vom mächtigsten Nachbarn des Reiches, den Persern, nach über hundert Jahren kooperativer Beziehungen. Kurzfristig hatten beide Entscheidungen enorme politische Auswirkungen und hatten es Justins Regime erlaubt, die komplette Kontrolle über den Hof in Konstantinopel zu übernehmen, doch ihre längerfristigen Konsequenzen waren extrem problematisch. Zunächst einmal drohte ein Krieg mit Persien. Justins Reaktion auf Kavadhs Adoptionsgesuch war nicht weniger als eine Beleidigung gewesen, und dieser Umstand sowie die neue Bereitschaft, unter den transkaukasischen Klienten Persiens Unmut zu schüren, machten einen Krieg geradezu unvermeidlich. Die Taufe von König Tzath war ein ausgezeichnetes Stück Propaganda gewesen, und vielleicht hatte sich durch die Sabotage der Friedensverhandlungen auch das Ansehen von Hypatius geschickt untergraben lassen. Aber wie wirksam die neue politische Richtung wirklich war, sollte sich erst auf dem Schlachtfeld zeigen. Was die religiöse Front betrifft, so hatte die Überwindung der Spaltung Roms in der kaiserlichen Hauptstadt, wo es einflussreiche prochalkedonische Interessengruppen gab, eine enorme Wirkung. Insgesamt war sie in der Ostkirche, wo viele die »zwei Wesen« von Chalkedon noch immer für eine unmögliche Formel hielten, allerdings weniger gut angekommen. Nachdem Justin die neue Maxime durchgesetzt hatte, lebten nun
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55 antichalkedonische Bischöfe im Exil – und wurden nicht müde, den festgefahrenen Religionsstreit immer wieder von Neuem anzuheizen.1 Wir haben guten Grund zu der Annahme, dass Justinian sich deutlich weniger für eine umfassende Durchsetzung der Beschlüsse von Chalkedon einsetzte als für einen Krieg mit Persien. Dieser zweite politische Kurswechsel ereignete sich so spät in Justins Regierungszeit, dass man durchaus davon ausgehen darf, dass Justinian bei der Entscheidung, Kavadh zu provozieren, seine Hand im Spiel hatte. Er war auch – per Brief – an den Verhandlungen beteiligt gewesen, die das Schisma beendet hatten, und hatte 519 am zehnten Meilenstein vor Konstantinopel die päpstliche Delegation begrüßt. Aber im Jahr 520 hatte er Papst Hormisdas zwecks einer möglichen Initiative konsultiert, die es den Antichalkedoniern im Osten möglich gemacht hätte, eine leicht entschärfte Version der Beschlüsse des Konzils zu akzeptieren. Der Papst wollte nichts davon wissen, und so ließ Justinian diesen Plan wieder fallen; doch seine Frau Theodora hatte bekanntermaßen Verbindungen zu einigen führenden Köpfen des antichalkedonischen Netzwerks, und ihr Ehemann hatte die Absicht, diese Verbindungen zu nutzen.2 In Justinians ersten Regierungsjahren finden wir keine Spuren einer weiteren offiziellen Annäherung an die Antichalkedonier, doch im Jahr 532 fanden in Konstantinopel formelle Gespräche statt, und zu diesen muss es eine informelle Vorgeschichte geben. Selbst wenn es keinen unmittelbaren politischen Paradigmenwechsel gab, kam es irgendwann zwischen 527 und 532 doch zu ersten Unterredungen hinter verschlossenen Türen, die dazu beitragen sollten, die Gräben zuzuschütten, die die siebzigjährige religiöse Spaltung gerissen hatte – bzw. es waren doch zumindest Gespräche darüber, dass man miteinander sprechen müsse. In der Zwischenzeit feierte Justinian seinen Einstand als Kaiser mit einer Reihe von Verfolgungen verschiedener religiöser Randgruppen, die beide Parteien gleichermaßen verachteten (Heiden, Manichäer, Samariter).3 Eine betont entschlossene Haltung gegenüber den religiösen Themen und der Perserfrage hatte zur Zeit Justins ganz unmittelbare politische Vorteile gebracht, aber das Kapital, das aus beidem zu schlagen war, war inzwischen so ziemlich aufgebraucht, und langsam machten sich die möglicherweise viel weniger attraktiven langfristigen Konsequenzen mancher Entscheidungen bemerkbar, sei es in Sachen Krieg mit Persien
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oder hinsichtlich der langwierigen und schwierigen Verhandlungen, die nötig waren, um die Kirche wieder zu einen. Gleichzeitig musste Justinian, wie alle neuen Kaiser, seinem Regime so große Autorität verschaffen, dass er alle etwaigen Zweifel ausräumen konnte, was seine Auserwählung zum Herrscher durch Gott betraf. Und als ob das Perserproblem und die tief gespaltene christliche Kirche nicht genug gewesen wären, entschied sich der Kaiser wieder für den unpopulären, steinigen Weg. Binnen weniger Monate nach seiner Thronbesteigung hatte sich Justinian ein völlig neues Betätigungsfeld erschlossen, das es ihm erlaubte, allen zu zeigen, dass er tatsächlich der Auserwählte war.
Von Gottes Gnaden Am 13. Februar 528 verkündete der Kaiser, er habe eine neue Kodifizierung des römischen Rechts in Auftrag gegeben. Als innenpolitisches Prestigeprojekt für sein neues Regime war dies eine brillante Wahl. In spätrömischer Zeit erklärte die staatliche Ideologie, wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, die Strukturen ihrer verschriftlichten Gesetze als den entscheidenden Faktor, der die von Gott beschützte römische Welt als menschliche Gesellschaft einer höheren Ordnung auswies und von allen anderen unterschied, die jemals existiert hatten oder je existieren würden. In der Konstitution Deo auctore (»durch die Autorität Gottes«), mit der er am 15. Dezember 530 ein zweites Element seiner Rechtsreform auf den Weg brachte, schrieb Justinian: Es gibt keinen Gegenstand, der so sehr ein genaues Studium lohnt, wie das Recht und die Gesetze, die alle göttlichen und menschlichen Angelegenheiten ordnen und jede Ungerechtigkeit ausmerzen.4
Zumindest was die interne Kontrolle des römischen Staates anging, gab es schlichtweg keine bessere Möglichkeit, die eigene gottgewollte Legitimität unter Beweis zu stellen, als eine so umfassende Rechtsreform zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Dieses erste juristische Projekt von Justinians Regime bestand aus zwei Phasen. Als Erstes sollte eine Kommission, die aus acht leitenden Verwaltungsbeamten bzw. hochrangigen Politikern aus den Reihen des Regimes und zwei praktizierenden Rechtsanwälten bestand, alle neuen
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vom Kaiser seit der letzten Sammlung, dem Codex Theodosianus von 438, erlassenen Gesetze sammeln. (Beim Codex Theodosianus war man ganz ähnlich vorgegangen und hatte die Gesetzestexte seit etwa dem Jahr 300 gesichtet.) Zweitens musste die Kommission eine Auswahl aus den letzten neunzig Jahren römischer Gesetzgebung treffen und diese mit drei früheren Kodizes kombinieren: dem von Theodosius und zwei früheren Kodizes, dem Codex Hermogenianus und dem Codex Gregorianus aus den 290er-Jahren. Insgesamt boten diese Kodizes eine Auswahl römischer Rechtsprechung bis zurück in die 130er-Jahre. Im Ergebnis versammelte die einbändige Publikation die wichtigsten juristischen Entscheidungen im Römischen Reich, die alle früheren Sammlungen, namentlich jene von Hermogenianus, Gregorius und Theodosius, vollständig ersetzte. Die Aufgabe war nicht gerade einfach, aber wenigstens hatte die Kommission klare Vorgaben für den Umgang mit den neuen, zeitlich nach dem Codex Theodosianus erlassenen Gesetzen: Sie sollte sich den Codex zum Vorbild nehmen sowie die nachfolgenden kleineren Sammlungen neuer Gesetze (Novellae, »Novellen«), wie jene, die Theodosius II. 448 an seinen westlichen Kollegen Valentinian III. geschickt hatte. Zunächst verwarf die Kommission jene Gesetze, die nur für einen Einzelfall gegolten hatten; alle ausgewählten Gesetze mussten von allgemeiner Bedeutung sein (das operative Konzept hier war die generalitas). Anschließend wurden die ausgewählten Gesetze sorgfältig redigiert; in vielen Fällen glättete die Kommission dabei die allzu selbstherrliche Rhetorik, in die Kaiser für gewöhnlich ihre juristischen Äußerungen kleideten; hin und wieder finden sich allerdings noch Beispiele dafür, so bei Justins Ehegesetz. Dann musste die Kommission solche Gesetze, die sich auf mehrere Themen bezogen, in einzelne Abschnitte aufteilen; die Kaiser erließen oft Gesetze, die mehrere Problemfelder zugleich abhandelten. Als Letztes wurden die redigierten Auszüge thematisch sortiert und in nummerierten Büchern unter entsprechenden Kapitelüberschriften zusammengefasst, wobei man innerhalb der einzelnen Kapitel die chronologische Reihenfolge beibehielt. Was diesmal anders war, das war die fünfte und letzte Phase, in der die Kommission das neu zusammengestellte Material in eine Auswahl aus den drei früheren Kodizes integrieren musste. Die ersten vier Phasen boten keine größeren Probleme, schließlich verfügten alle großen staat-
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lichen Dienststellen über Archive, in denen sie wichtige juristische Materialien aufbewahrten, und die grundlegenden Verfahren zur Redaktion der ursprünglichen Gesetze ließen sich – genau wie die meisten Buchund Kapiteltitel – komplett von den drei älteren Kodizes übernehmen, die die Anordnung der Themen ihrerseits größtenteils von noch älteren römischen Rechtstexten übernommen hatten. Die viel schwierigere Aufgabe bestand darin, zu entscheiden, was man von den drei älteren Werken behalten sollte und auf welche Weise dieses Material in jene Texte integriert werden sollte, die aus der neueren Gesetzgebung ausgewählt worden waren. Doch die Kommission zeigte sich ihrer Aufgabe gewachsen, und am 7. April 529 wurde der vollendete Codex Iustinianus offiziell veröffentlicht. Es war eine außerordentliche Leistung. Zum Vergleich: Die für den Codex Theodosianus zuständigen Kommissare hatten neun Jahre gebraucht, allein um die ersten vier Punkte auf der Liste zu erledigen, und hatten gar nicht erst versucht, einen Band zu produzieren, der die neuen mit alten Gesetzen kombinierte. Die Experten waren damals so schleppend vorangekommen, dass sechs Jahre nach Beginn des Projekts eine zweite Kommission mit vielen neuen Mitgliedern ins Leben gerufen wurde, um die Aufgabe zu beenden. Die schlechten Erfahrungen aus der Ära von Theodosius zeigen einmal mehr, wie kühn Justinians Unterfangen war. Ein neuer Kaiser, der sich bereits zu Beginn seiner Herrschaft diversen Problemen gegenübersah, konnte es sich nicht leisten, ein ebenso hochkarätiges wie risikoreiches Projekt anzukündigen, um es dann wie sein Vorgänger beinahe in den Sand zu setzen. Verbesserungen innerhalb der Bürokratie, vor allem in puncto Archivführung, und die Tatsache, dass sie sich an einem Vorbild orientieren konnte, machten Justinians Kommission gewiss in mancherlei Hinsicht das Leben leichter. Dass die Experten innerhalb von nur dreizehn Monaten die neuen Gesetzestexte redigierten, die Gesetze aus den drei vorangegangenen Kodizes integrierten und das Ganze schließlich in einem einzigen Band zusammenzufassten, beweist, mit welcher außerordentlichen administrativen Energie sie zur Tat schritten.5 Damit hatte Justinians Regime seinen gewünschten Propaganda-Coup. Es hatte erfolgreich eine Aufgabe absolviert, wie sie nur ein ganz und gar legitimer, von Gott eingesetzter römischer Herrscher erfüllen konnte: Justinian hatte einen Teil der verschriftlichten Gesetze neu
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geordnet, die die einzigartige, von Gott begünstigte Welt der Römer, zumindest nach deren eigenem Verständnis, von allen anderen Gesellschaften auf Erden unterschied. Entgegen allen Erwartungen war die Arbeit bereits nach etwas mehr als einem Jahr abgeschlossen, und ich gehe davon aus, dass dieses Tempo Justinian ermutigte, im Dezember 530 eine weitere Kommission einzusetzen, um ein zweites, noch ehrgeizigeres Rechtsreformprojekt in Angriff zu nehmen. Im 6. Jahrhundert wurden vor Gericht, wie schon seit mehreren Jahrhunderten, üblicherweise zwei verschiedene Rechtsinstanzen zitiert: kaiserliche Erlasse (wie sie für den Codex Iustinianus kompiliert wurden) und die Schriften bestimmter Rechtsanwälte, der iuris consulti, denen frühere Kaiser gestattet hatten, verbindliche Rechtsansichten zu äußern. Das Material dieser Anwälte hatte sich vom 1. bis zum 3. Jahrhundert angesammelt und war aufgrund seines schieren Volumens extrem unübersichtlich. Spätrömische Juristen hatten das Problem längst erkannt, doch eine Lösung stand noch aus. Schon Theodosius II. hatte angekündigt, dass sich seine Rechtskommission im Anschluss an die Kompilierung der kaiserlichen Gesetze auch um das Material der iuris consulti kümmern würde. Doch nachdem schon das erste Projekt fast ein Jahrzehnt in Anspruch genommen hatte, ließ man das zweite stillschweigend links liegen. Als Justinian sah, wie schnell es seiner Kommission gelungen war, die neue Gesetzessammlung zusammenzustellen, ermutigte ihn das, auch das zweite, noch ehrgeizigere Vorhaben in Angriff zu nehmen. Am 15. Dezember 530 kündigte eine neue kaiserliche Konstitution mit dem Namen Deo auctore an, dass eine zweite Kommission eingesetzt würde, und legte deren Arbeitsprinzipien fest: Wir weisen euch an, jene Bücher zu lesen und zu bearbeiten, die sich mit dem römischen Recht befassen und die von gelehrten Männern geschrieben wurden, denen die verehrtesten Kaiser Vollmacht gaben, Gesetze zu verfassen und zu interpretieren [gemeint sind eben die iuris consulti]. Ihr sollt die ganze Substanz aus ihnen extrahieren, alle Wiederholungen und Diskrepanzen so weit wie möglich entfernen und aus ihnen ein einzelnes Werk zusammenstellen, das an all jener statt (…) genügen wird, sodass aus dem fertigen Werk nichts ausgelassen werden kann (…), sondern dass mit diesen 50 Büchern das ganze alte Gesetz – das sich fast vierzehnhundert Jahre lang in einem Zustand der Verwirrung befand, der von uns korrigiert wurde – gleichsam mit-
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tels einer Mauer verteidigt wird und nichts außerhalb seiner selbst gelten lässt. Alle juristischen Autoren haben darin das gleiche Gewicht, und keinem Autor wird eine übergeordnete Autorität zuteil, da nicht jeder von ihnen in jeder Hinsicht als besser oder schlechter anzusehen ist als die anderen, sondern immer nur in bestimmten Punkten.6
Vorsitzender der neuen Kommission war Tribonianus, einer der beiden Rechtsanwälte, die am Codex Iustinianus mitgearbeitet hatten. Er hatte sich dabei offensichtlich besonders hervorgetan, und allem Anschein nach leistete er zwischen der Veröffentlichung des Codex im April 529 und der Ankündigung der neuen Reform im Dezember 530 bereits einige Vorarbeit. Immerhin geht aus Deo auctore hervor, dass Justinian bereits ahnte, dass seine neue Gesetzessammlung 50 Bücher umfassen würde. Die Konstitution legte auch die Arbeitsgrundsätze der Kommission fest: Sie sollte jedes einzelne Rechtsgutachten der iuris consulti wertneutral, unvoreingenommen und abseits jeder traditionellen Meinung neu prüfen und beurteilen.7 Doch leider sollte Justinians zweites juristisches Projekt nicht so reibungslos über die Bühne gehen wie das erste.
Krieg im Osten In der Zwischenzeit hatte der Krieg mit Persien begonnen, und auch hier schien die Lage zunächst äußerst vielversprechend. Die persische Front ließ sich in der Praxis in drei einzelne Konfliktzonen unterteilen. Früher hatten die meisten großen Schlachten an der offenen Grenze in Zentralmesopotamien, entlang von Euphrat und Tigris, stattgefunden. Hier hatte Schapur I. im 3. Jahrhundert drei römische Armeen aufgerieben, und hier war Kaiser Julians großer Marsch auf Ktesiphon im Jahr 363 gescheitert. In der Zeit bis zum 6. Jahrhundert hatten beide Seiten ihre Städte in dieser Region mit massiven Befestigungsanlagen versehen. Infolgedessen tendierte die aktuelle Kriegführung weniger zu offenen Schlachten als vielmehr zu langwierigen Belagerungen. Weiter nördlich, in Armenien und Transkaukasien, bestand die Landschaft aus zahlreichen relativ isolierten Tälern, die durch ein Netzwerk von Bergpässen miteinander verbunden waren. Feldlager und Garnisonen spielten auch hier eine gewisse Rolle, aber hier war, wie im Falle
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von Lasika und Iberien, genauso gegen die Einstellungen der Adligen vorzugehen, die ihre Gemeinden praktisch als unabhängige Lehnsgüter führten, insbesondere wenn sie im Winter durch starke Schneefälle von der Außenwelt abgeschnitten waren. Der äußerste Süden hingegen war heiß und trocken. Hier waren die arabischen Beduinen zu Hause. Um die Randgebiete der hiesigen Wüste zu kontrollieren, hatte Kaiser Diokletian um das Jahr 300 eine befestigte Straße anlegen lassen, aber da konventionelle Armeen hier ohnehin nicht operieren konnten, war diese Maßnahme alles andere als effizient. Bis zum 6. Jahrhundert konzentrierten sich sowohl Rom als auch Persien immer mehr darauf, unter den arabischen Gruppierungen, die die Ränder der Wüste bevölkerten, verlässliche Verbündete zu finden. Persien setzte voll und ganz auf die mächtige Konföderation der Lachmiden, Konstantinopel hielt sich an eine ganze Reihe einzelner kleiner Bündnispartner.8 Zwei eher mäßige, aber greifbare Erfolge im Norden, die die transkaukasischen Dynasten Tzath und Gurgenes (siehe Kapitel 3) veranlasst hatten, die Seiten zu wechseln, hatten dazu beigetragen, dass Justin und Justinian die Konfrontation mit Persien suchten. Hier im Norden stellte Justinian klar, dass Rom unter seiner Herrschaft vorerst nicht zur früheren Kooperation mit Persien zurückkehren würde, indem er die erste große Neuaufstellung der oströmischen Feldarmeen seit dem 4. Jahrhundert veranlasste. Armenien erhielt ein völlig neues Oberkommando für seine Feldarmeen, und diese wurden durch Truppen aus anderen Teilen des Reiches verstärkt. Die neue Streitmacht schritt umgehend zur Tat. In den Jahren 527 und 528 überfiel ihr neuer Kommandant Sittas Persarmenien und kehrte mit jeder Menge Gefangener zurück. An der Südfront bereitete Justinian sich ebenfalls auf den Krieg vor und richtete in der Stadt Palmyra ein neues, wenn auch weniger bedeutendes militärisches Kommando ein. Auch in Mesopotamien wurden ein paar Operationen durchgeführt: Die Römer drangen in persisches Territorium ein, und 528/529 versuchten sie, in der Nähe der Grenze eine Anzahl kleiner Festungen zu errichten. Dies veranlasste die Perser zu einem Gegenschlag, der die römischen Defensivtruppen aus der Gegend vertrieb, was wiederum Justinian dazu brachte, den östlichen Feldarmeen einen neuen Oberbefehlshaber zu verpassen: Belisar, der im weiteren Verlauf der Geschichte dieses Regimes noch eine wichtige Rolle spielen wird.9 Wie Sittas war Belisar Anfang der 520er-Jahre, als der Kaiser
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noch magister militum praesentalis war, Offizier bei Justinians bucellarii gewesen. Tatsächlich trat in Justinians ersten Jahren als Kaiser eine ganz neue Generation ranghoher Offiziere auf den Plan, und ihnen sollte während seiner gesamten Regierungszeit noch große Bedeutung zukommen.10 Bisher hatten Justinians Truppen die Initiative ergriffen, aber Ende 529 hatte Kavadh endlich seine Truppen mobilisiert und war bereit für die kommende Feldzugsaison. Im Januar 530 rückte eine riesige persische Armee, Berichten zufolge 40 000 Mann, auf die Stadt Dara vor, Roms vordersten Stützpunkt an der mesopotamischen Front. Was nun geschah, wissen wir größtenteils von Prokop, der inzwischen Belisars Rechtsberater war und als Augenzeuge vom Schlachtengeschehen berichtete. Es lohnt sich schon deshalb, die Kampfhandlungen genauer zu betrachten, weil sie zeigen, dass die Umstellung der Taktiken im oströmischen Heer (siehe Kapitel 2) bereits im Jahr 530 in vollem Gange war. Belisar hatte nur 25 000 Mann unter sich, aber er wusste im Voraus, dass die Perser im Anmarsch waren, und bereitete sich sorgfältig vor. Zum Schutz der Infanterie wurden zunächst mehrere Reihen tiefer Gräben angelegt, die man nur an einzelnen Punkten überqueren konnte. Hätte Belisar weniger Zeit zur Verfügung gehabt, hätte er vermutlich stattdessen die in den militärischen Taktikhandbüchern des 6. Jahrhunderts beschriebenen tragbaren munitiones verwendet. An beiden Flanken wurden Gräben angelegt und die römische Kavallerie aufgestellt; an der linken Flanke verbarg eine Anhöhe einen Teil der Reiterei. Zwar verwendet Prokop die Begriffe kursures und defensores nicht, aber wir können dennoch davon ausgehen, dass die flankierende Kavallerie in schwer und leicht bewaffnete Einheiten aufgeteilt war. Anders, als das Schema im Strategikon des Maurikios es angibt, sah Belisars Plan vor, dass die leichteren Einheiten (die aus irregulären nichtrömischen Verbündeten bestanden) in die Flanken eindringen und von hinten angreifen sollten, falls die schwere Kavallerie durch die Perser zurückgedrängt würde. Am ersten Tag, als die Perser noch dabei waren, abzuschätzen, mit wie viel Gegenwehr sie rechnen mussten, gab es nur ein paar kleinere Scharmützel, die die Römer für sich entscheiden konnten. Das war gut für die Moral, doch alle Beteiligten wussten, dass die eigentliche Schlacht noch ausstand.
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Ein Grund für die Zögerlichkeit des persischen Feldherrn wurde am nächsten Morgen deutlich, als von der zentralen persischen Militärbasis in Nisibis weitere 10 000 Soldaten eintrafen. Doch wirklich gekämpft wurde immer noch nicht; vorerst tauschten Belisar und sein Gegenüber noch Botschaften und gegenseitige Schmähungen aus. Erst am dritten Tag wurde es ernst, und die Armeen kamen zum Einsatz. Um die Moral der Römer zu schwächen, griffen die Perser absichtlich gegen Mittag an – sie wollten verhindern, dass die römische Armee ihre Mahlzeit einnehmen konnte (die Perser aßen üblicherweise erst später). Zu Beginn der Schlacht gingen auf beiden Seiten die Geschütze in Stellung, aber die Römer hatten den Wind im Rücken und waren so trotz Unterzahl sofort im Vorteil. Es folgte eine Nahkampfphase, bei der der rechte Flügel der Perser vorrückte. Die römische Kavallerie schien zurückzuweichen, aber für Belisar lief alles nach Plan. Nachdem die Perser vorgerückt waren, preschte die leichte Kavallerie der Römer hinter der Anhöhe hervor und griff die persischen Fußtruppen von der äußeren Flanke aus an – mit durchschlagendem Erfolg. Prokop spricht von 3000 Toten; die überlebenden, demoralisierten persischen Angreifer flohen zurück zu ihrer Armee. Währenddessen hatte der persische Befehlshaber auf der gegenüberliegenden Flanke seinen Hauptangriff lanciert, an dem auch sein Elitekorps beteiligt war: die sogenannten »Unsterblichen«. Der persische Vorstoß drängte die römische Verteidigungslinie zunächst zurück, aber Belisar schickte seine Reiter in großer Zahl über die Übergänge des Verteidigungsgrabens und konnte die vorrückenden Perser diesmal von der inneren Flanke aus treffen. Der Effekt war fast der gleiche wie zuvor. Während sich der rechte Flügel der Römer zurückzog und sammelte, startete Belisar bereits seinen Gegenangriff, und die Perser befanden sich im »Kreuzfeuer«. Die Angreifer zogen sich wieder zurück und ließen 5000 Tote auf dem Schlachtfeld liegen. Angesichts dieser schweren Verluste schmiss die persische Armee die Waffen hin und floh. Belisar untersagte seinen Soldaten, ihnen nachzustellen, damit es nicht doch noch zu einer Katastrophe kam. Prokop schreibt: »An diesem Tag waren die Perser, was schon lange nicht mehr vorgekommen war, von den Römern im Kampf besiegt worden.«11 Fast unmittelbar danach kam es zu Kampfhandlungen in Armenien, wo Kavadh im Sommer 530 mit einer zweiten Streitmacht einfiel. Unter
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Umgehung der römischen Basis Theodosiopolis rückten die Perser bis nach Satala vor, wo die in Armenien stationierte römische Armee unter ihrem neuen Kommandanten Dorotheus bereits auf die Perser wartete, verstärkt durch einige Praesentalis-Truppen unter dessen Vorgänger, dem erst jüngst zum magister militum praesentalis beförderten Sittas. Laut Prokop standen 15 000 römische Soldaten doppelt so vielen Persern gegenüber. Doch Sittas bediente sich einer ähnlichen List wie zuvor Belisar, indem er seine besten Reiter hinter einer Anhöhe verbarg, während die Perser auf die Stadt vorrückten, die Dorotheus und der Rest der römischen Truppen für alle sichtbar verteidigten. Im entscheidenden Moment griff Sittas aus dem Hinterhalt an. Der plötzliche Flankenangriff brachte den Persern nicht nur verheerende Verluste bei, sondern sorgte bei ihnen für ein folgenschweres allgemeines Durcheinander (leider ist Prokops Bericht hier weniger informativ, schließlich war er diesmal nicht selbst dabei). Dorotheus rückte von der Stadt aus mit dem Rest der römischen Armee vor und zwang die Perser nach heftigen Gefechten zum vollständigen Rückzug. In der Folge eroberten die Römer zwei wichtige Festungen, Bolum und das besonders wertvolle Pharangion, wo die Perser große Goldminen besaßen.12 Gott hatte gezeigt, dass er seine schützende Hand über den neuen Kaiser hielt. Nicht nur war es Justinian gelungen, den Gesetzen, die in dreihundert Jahren erlassen worden waren, eine neue Struktur und Ordnung zu verleihen, römische Truppen hatten den zahlenmäßig viel größeren Streitkräften des Erzfeindes des Römischen Reiches zwei schwere Niederlagen beigebracht. Das war mehr als genug göttliche Bestätigung für einen Krieg, und Justinian wollte aus dem Konflikt wieder aussteigen, solange Rom die Nase vorn hatte. Seine Armeen rückten nicht weiter vor, und seine Diplomaten unterbreiteten Kavadh diverse Friedensangebote. Der Kaiser war sogar bereit, dem Großkönig einen entsprechenden Deal mit einer großzügigen Einmalzahlung zu versüßen. Aber Kavadh hatte seine eigenen politischen Maximen. Nach zwei demütigenden Niederlagen Frieden zu schließen, hätte ihm nicht gerade geholfen, Chosrau die Thronfolge zu sichern. Und so kam es im Frühling des Jahres 531 zu einer weiteren Invasion der Perser auf römischem Territorium, diesmal aber auf eher unkonventionellem Wege. Mithilfe der Expertise der Lachmiden unter deren langjährigem Anführer Al-Mundhir marschierte eine gemischte, persisch-arabische Streit-
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macht aus 15 000 Reitersoldaten durch die Provinzen Euphratesia und Syria I und tötete jeden, der ihr begegnete. Belisar ließ die meisten seiner Truppen zurück, um die Städte an der zentralmesopotamischen Front zu schützen, für den Fall, dass das Ganze nur ein Ablenkungsmanöver war, und zog mit einer 3000 Mann starken Kavallerie nach Süden nach Barbalissos, um den Persern den Weg abzuschneiden. Dort traf er auf 5000 seiner eigenen arabischen Verbündeten unter dem Ghassaniden Harith, der unlängst zum Phylarchen (»Stammesführer«) der arabischen Verbündeten Roms befördert worden war, und auf weitere römische Truppen, die der magister officiorum Hermogenes mobilisiert hatte. Insgesamt unterstanden ihm somit 20 000 Mann. Als sie des römischen Vormarschs gewahr wurden, zogen sich die Perser am Euphrat wieder zurück. Belisar folgte ihnen mit etwa einem Tagesmarsch Abstand. Was als Nächstes geschah, ist schwer zu rekonstruieren. Es kam zur einer großen Schlacht nahe Kallinikos, bei der die Römer den Kürzeren zogen, doch wie und warum, ist unklar, denn Prokop tut, was er kann, um Belisar von jeder Schuld freizusprechen. Bevor in seiner Darstellung die Schlacht beginnt, deutet er an, der jüngst beförderte Harith sei ein eher zweifelhafter Charakter, und er betont, dass Belisar gar nicht kämpfen wollte, weil (a) die Perser sich zurückzogen, ohne etwas erreicht zu haben, und (b) gerade die Karwoche war, genauer gesagt Karsamstag, was bedeutete, dass die römische Armee fastete und daher körperlich nicht allzu leistungsfähig war. Trotzdem wollten die Römer unbedingt kämpfen, und bevor es zur Meuterei kam, gab Belisar dem Drängen seiner Truppen schließlich nach.13 Ob bzw. in welchem Ausmaß das alles wirklich stimmt, kann niemand wissen, aber eines ist klar: Die Schlacht endete in einer Katastrophe. Belisar hatte die Araber zu seiner Rechten, seine eigene schwerere Kavallerie in der Mitte und links die Infanterie. Nach gegenseitigem Beschuss schlugen die Perser Hariths Soldaten in die Flucht und griffen Belisars Kavallerie von hinten an. Die Kavallerie kämpfte hart, erlitt aber schwere Verluste – 800 der 3000 Mann, die Belisar mitgebracht hatte, und der Großteil eines weiteren Truppenverbands aus 2000 Isaurern ließen ihr Leben. Am Ende musste sich die Kavallerie der Infanterie anschließen, die bereits den Rückzug eingeleitet hatte und mit dem Rücken zum Fluss stand. Dort kämpften die Römer bis zum Einbruch der Nacht, als endlich Boote vom anderen Ufer des Flusses eintrafen, die sie in
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Sicherheit brachten. Prokop vermeidet es, die Gesamtzahl der Opfer aufseiten der Römer anzugeben; er merkt lediglich an, dass »die Perser nicht weniger Tote zu beklagen hatten als ihr Feind«, und versucht einmal mehr, das Ausmaß der Niederlage herunterzuspielen.14 Dennoch: Der Ausgang der Schlacht war für Justinians Regime eine einzige Katastrophe. Der Kaiser musste Belisar im Frühsommer entlassen und eine Untersuchungskommission einsetzen, die sich mit der Niederlage befasste. Allein dieser Umstand deutet darauf hin, dass der Kaiser unzufriedene Stimmen bei Hofe zum Schweigen bringen musste; zu den Zweiflern könnte auch Hypatius gehört haben, der schon unter Anastasios und unter Justin Oberbefehlshaber der östlichen Feldarmeen gewesen war. Kavadh hingegen fühlte sich nun erst recht zu Höherem berufen. Seine Überfälle auf Armenien schlugen fehl, aber eine gewaltige persische Armee rückte auf Martyropolis vor und belagerte die Stadt fast den ganzen Sommer über, und gegen Ende des Jahres bezahlten die Perser die sabirischen Hunnen dafür, über den Kaukasus nach Süden zu ziehen und Teile Mesopotamiens zu überfallen – erfolgreich.15
Misserfolg auch an heimischer Front Doch der Krieg war nicht der einzige Schauplatz, an dem es Probleme gab: Der zweite Teil von Justinians Prestigeprojekt, der Rechtsreform, kam nicht gut voran. Das lag nicht zuletzt an der schieren Menge an Material, das die iuris consulti angehäuft hatten. Nach eigenen Angaben musste Justinians Kommission juristische Texte im Umfang von insgesamt 2000 Büchern bzw. drei Millionen Zeilen lesen, die sie am Ende auf 50 Bücher mit 150 000 Zeilen eindampfen sollten. Doch ein viel größeres Problem als der Umfang war, dass die Texte einander dauernd widersprachen. Man muss sich an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass wir es hier mit Texten von Juristen zu tun haben, die schon im alten Rom ihren Lebensunterhalt damit verdienten, als Anwälte vor Gericht Klienten zu vertreten – und diese Klienten wiederum bezahlten ihre Anwälte dafür, dass sie für sie ihre Fälle gewannen. Vor Gericht zu gehen, war schon damals, vor allem im Zivilrecht – und die iuris consulti verfassten ihre Rechtsansichten ausschließlich über zivilrechtliche Streitfragen –, eine kostspielige Angelegenheit. Der Zweck bestand normalerweise darin, dass der Klient am Ende irgendeine Art finanziellen Nutzen davontrug.
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Insofern ist es wenig überraschend, dass das Hauptproblem von Tribonianus’ Kommission mit dem juristischen Material darin bestand, dass die führenden Juristen früherer Zeiten so oft unterschiedlicher Meinung gewesen waren. Viele dieser Unstimmigkeiten waren vermutlich darauf zurückzuführen, dass sich die Anwälte möglichst geniale Argumente ausdachten, um die Interessen bestimmter Klienten zu schützen. Die Schriften der iuris consulti zusammenzufassen, war somit nicht nur eine redaktionelle Aufgabe: Die Kommission musste ständig entscheiden, für welche Meinung zu einem bestimmten Thema sie sich entscheiden sollte, und ihre Wahl begründen. Um ihre Aufgabe zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, mussten Tribonianus und die anderen Anwälte Justinians sozusagen den Gordischen Knoten der römischen Rechtsinstanzen durchschlagen; das versuchten sie mit den sogenannten Fünfzig Entscheidungen: Sie nahmen nacheinander eine Reihe juristischer Knackpunkte in Angriff und legten jeweils die bevorzugte Lösung in Form einer neuen kaiserlichen Rechtsvorschrift vor. In der Praxis waren es mehr als 50 solcher Entscheidungen, die die Kommission zwischen dem 1. August 530 und dem 30. April 531 beschäftigten (auch diese Menge spricht dafür, dass das Projekt schon lange vor seiner offiziellen Ankündigung im Dezember 530 vorbereitet worden war). Doch einige dieser Streitfälle existierten schon seit mehreren Jahrhunderten, und eine rasche Lösung war weniger eine Frage logischer Argumentation; vielmehr galt es, die neuen Argumente vor dem Hintergrund bestimmter Interessen abzuwägen, die seit vielen Generationen existierten und die ursprünglich dazu geführt hatten, dass dieses Argument überhaupt erst vorgebracht worden war.16 Genau zu dem Zeitpunkt, als die Lage im Perserkrieg so spektakulär kippte, hatten Justinian und Tribonianus jede Menge Überzeugungsarbeit zu leisten und zerbrachen sich die Köpfe darüber, wie sie die Rechtsreform beschleunigen konnten, die nicht nur an sich bereits ein schwieriger Prozess war, sondern als Vorhaben zugleich auf erheblichen Widerstand stieß. Gegen Ende des Jahres 531 braute sich über Justinian ein veritables Unwetter zusammen. Von Dara abgesehen, war der Krieg gegen Persien ein einziger Fehlschlag. Nach Kallinikos konnte Justinian nicht mehr behaupten, seine militärischen Erfolge würden ihn als gottgewollten Herrscher ausweisen. Die politischen Aasgeier kreisten bereits über seinem Kopf und warteten nur auf die richtige Gelegenheit, sich
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auf ihn zu stürzen. Doch als sich diese Gelegenheit schließlich bot, kam sie aus einer ganz unerwarteten Richtung.
Der Nika-Aufstand Das römische Äquivalent zu dem, was für uns heute der Fußball ist, waren die Wagenrennen. Die Wagenlenker waren Superstars und kassierten astronomische Gehälter, und wenn sie vom einen zum anderen Team wechselten (die beliebtesten waren die Grünen und Blauen, dahinter rangierten die Roten und Weißen), so reagierten ihre Fans bisweilen fanatisch. Wie ihre Rolle beim Regimewechsel deutlich gemacht haben dürfte (Kapitel 3), waren die Zirkusparteien, die hinter diesen Teams standen, zumindest in den größeren Städten des Imperiums weit mehr als bloße Fanklubs. Normalerweise arbeiteten sie Hand in Hand mit den städtischen Beamten, wobei durchaus die eine oder andere Summe den Besitzer wechselte – in einer Welt mit extremer Armut und kaum funktionierenden Kontrollinstanzen verschwammen die Grenzen zwischen Bestechung und Erpressung leicht. Vor allem in der kaiserlichen Hauptstadt wurden entsprechende Einschüchterungen aber nur bis zu einem gewissen Grad geduldet. Und so sollten am Sonntag, dem 11. Januar 532, sieben Mitglieder der zwei größten Zirkusparteien, der Grünen und der Blauen, gehängt werden – doch zwei der Seile rissen, und von jeder Fraktion gelang es einem Überlebenden, sich in eine nahe gelegene Kirche zu flüchten. Am Dienstag darauf wurden erneut Wagenrennen veranstaltet. Bei solchen Großveranstaltungen war es Sitte, dass das Volk die Obrigkeit durch organisiertes Skandieren von Forderungen um Gefälligkeiten bat (die sogenannte Akklamation), und diesmal forderten die Sprechchöre im Hippodrom vom Kaiser, der in seiner Loge saß, die Gefangenen zu begnadigen. Justinian stellte klar, dass er gar nicht daran denke, und sofort begannen die Grünen und Blauen zu randalieren. Mit dem Codewort Nika (»Siege!«), dem traditionellen Schlachtruf der römischen Armee, stürmten sie das Gefängnis der Hauptstadt und befreiten alle Insassen. Für den Mittwoch waren weitere Wagenrennen angesetzt, und der Kaiser ließ sie nicht absagen, denn er wollte nicht riskieren, dass die Situation noch weiter eskalierte. Die versammelte Menge hatte neue
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Forderungen mitgebracht, und diesmal waren sie ganz unverhohlen politisch geprägt. Sie forderte den Rücktritt von drei führenden Ministern Justinians, darunter (wie zu erwarten) der äußerst unbeliebte Finanzminister und oberste Steuereintreiber des Kaisers, Johannes der Kappadokier, sowie Tribonianus, der gerade die Fünfzig Entscheidungen durchgepeitscht hatte und derzeit damit beschäftigt war, die erfolgende Endauswahl des Materials der iuris consulti aufzuschreiben. Der entnervte Justinian gab nach und enthob alle drei Männer ihrer Posten, aber dennoch eskalierte am Donnerstag die Lage. Ein gewaltiger Mob zog zum Haus von Anastasios’ Neffen Probus, um ihn als neuen Kaiser auszurufen, doch der war umsichtig genug, gar nicht in der Stadt zu sein. Es folgten drei Tage dauernde Ausschreitungen mit zahlreichen Brandanschlägen, die das zeremonielle Zentrum von Konstantins Hauptstadt zerstörten. Inmitten des Chaos beschloss Justinian am Samstag, einige der führenden Senatoren, die in seinem Palast Zuflucht gesucht hatten, hinauszuwerfen, darunter zwei andere Neffen des Anastasios, Hypatius und Pompeius. Am Sonntag versammelte sich das Volk erneut im Hippodrom, dessen Kaiserloge durch einen geschlossenen Gang mit dem Palast verbunden war. Die Menschen strömten nicht zuletzt deshalb herbei, weil Justinian vorher offiziell hatte verkünden lassen, dass er – wie damals Anastasios während der religiösen Unruhen von 512 – öffentlich Abbitte leisten und allen Aufrührern eine bedingungslose Amnestie anbieten werde. Doch dazu kam er gar nicht erst: Die Anwesenden – oder doch zumindest ein Teil von ihnen – riefen, Hypatius solle Kaiser werden, und jener fand sich am Ende umgeben von jubelnden Menschen in der Kaiserloge wieder. Wie viele der 100 000 Sitzplätze des Hippodroms zu diesem Zeitpunkt besetzt waren, ist unklar. Für Justinian war es die ultimative Zerreißprobe. Er stand vor einer Entscheidung, die jeder Diktator treffen muss, wenn sich das Volk gegen ihn erhebt: Fliehe ich, oder lasse ich meine Truppen auf die Leute los? Wie Prokop berichtet, war Justinians erster Instinkt die Flucht, aber Theodora flößte ihm neue Entschlossenheit ein, als sie mit einem (fast korrekten) klassischen Zitat erklärte: »Ein Purpurmantel ist ein schönes Totenhemd.«17 Sie wollte lieber sterben als den Thron aufgeben. Der Eunuch Narses (siehe Abb. 5) begab sich ganz allein unter die Menschen im Hippodrom, suchte die Anführer der Blauen auf und versprach ihnen Gold; ein wenig hatte er sogar dabei. Außerdem erinnerte
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Abb. 5 Der Eunuch und Feldherr Narses befehligte die endgültige Eroberung und Unterwerfung Italiens.
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er die Blauen daran, dass Hypatius stets die Grünen unterstützt hatte. Inmitten von Hypatius’ Krönung standen die Blauen einfach auf und gingen. Die Grünen staunten, doch ihr Staunen verwandelte sich schnell in Panik, als auf einmal lauter regimetreue Soldaten den Platz der Blauen einnahmen: Belisars bucellarii, die gerade erst von der persischen Front eingetroffen waren, und von Mundus angeführte herulische foederati vom Balkan, die keinerlei Verbindungen zur konstantinopolitanischen Bevölkerung hatten. Belisar hatte ursprünglich geplant, von der kaiserlichen Loge aus das Stadion zu stürmen, aber die Palastwachen hatten sich geweigert, ihm das Tor am Ende des Gangs aufzuschließen, der Loge und Palast verband. Belisar und seine Männer mussten sich an einem anderen Eingang durchkämpfen, und als Mundus den Tumult hörte, drang er durch das gegenüberliegende Schwarze Tor ein. Die Schläger der Grünen hatten den kaiserlichen Truppen nichts entgegenzusetzen, und als das Gemetzel seinen Lauf nahm, versuchte niemand mehr, Hypatius und Pompeius zu verteidigen. Justinian ließ sie festnehmen. Hypatius behauptete, er sei gegen seinen Willen gezwungen worden, die Kaiserwürde zu akzeptieren, doch Justinian glaubte ihm kein Wort. Beide wurden am nächsten Morgen hingerichtet, ihre sterblichen Überreste ins Meer geworfen. Ihr gesamtes Vermögen wanderte in die Staatskasse. Das Regime hatte sich durchgesetzt, aber zu einem unerhörten Preis. Bei den blutigen Auseinandersetzungen auf den Straßen und im Hippodrom hatten rund 30 000 Menschen ihr Leben gelassen. Von der Größenordnung her ist dieses Massaker mit dem Gemetzel vergleichbar, das Anfang der 1980er-Jahre der syrische Präsident Assad anzettelte, um an der Macht zu bleiben. Und dabei ist noch nicht einmal das relative Größenverhältnis berücksichtigt: Um das Jahr 500 herum lebten in Konstantinopel etwa eine halbe Million Menschen, also starb beim NikaAufstand jeder zwanzigste Einwohner; das ist gerade so, als würden im heutigen Berlin 220 000 Menschen getötet! Den Brandanschlägen fielen unter anderem die große Palastkirche Hagia Sophia, ihre kleinere Nachbarkirche Hagia Irene, das Senatsgebäude, diverse Außengebäude des Palastes und mehrere der für Zeremonien genutzten Arkaden im Herzen der Stadt zum Opfer. Alles in allem ist das Ausmaß der Unruhen und der Zerstörung kaum vorstellbar.18 Die Quellen liefern uns überraschend viele Details, aber dennoch bleiben einige wichtige Fragen offen: Wer steckte hinter der Politisie-
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rung des Aufstands am Mittwoch? Wieso hatte das Volk erst gefordert, dass Justinian nur ein paar Schläger begnadigte, dann aber auf einmal, binnen 48 Stunden, dass er sein Regime entmannte, indem er seine prominentesten Beamten entließ, und schließlich sogar, dass er einem neuen Kaiser Platz machte? Was ging Justinian durch den Kopf, als er Anastasios’ Neffen aus dem Palast warf? Versuchte er, einen Showdown herbeizuführen, indem er die heimliche Opposition dazu brachte, sich zu offenbaren? Und können wir Prokop wirklich glauben, wenn er schreibt, dass es Theodora war, die Justinian neuen Kampfgeist einimpfte? Ihr berühmter Ausspruch ist ein falsch wiedergegebenes Zitat. Eigentlich lautet es: »Die Tyrannei ist ein schönes Totenhemd.« Es sieht ganz also so aus, als ob Prokop, der ja auch die Geheimgeschichte verfasst hat, die Gelegenheit genutzt und über den Mangel an klassischer Bildung in den höheren Rängen des Regimes einen kleinen Witz auf Kosten des Kaiserpaars in seinen Text eingebaut hat.19 Doch die Geschichte von der mutigen Kaiserin erschien in seiner offiziellen Kriegsgeschichte, beinhaltet also vermutlich eine Interpretation der Ereignisse rund um den Aufstand, die der Haltung des Regimes um 550 herum entsprach. Einige dieser Fragen lassen sich gar nicht beantworten, aber allein die Anwesenheit von Belisar und Mundus in der Hauptstadt deutet darauf hin, dass der Kaiser schon ahnte, bald auf einige verlässliche, schlagkräftige Soldaten angewiesen zu sein.20 Und das wiederum könnte darauf hinweisen, dass Justinian den beiden Neffen von Anastasios, als er sie aus dem Palast warf, eine Falle stellte; vielleicht wollte er aber auch nur verhindern, dass die Palastwache im Inneren des Palasts einen nächtlichen Staatsstreich anzettelte – dass sie sich weigerte, das Tor zur Kaiserloge zu öffnen und Belisar und seine Wachen über die Loge ins Hippodrom zu lassen, ist zumindest ein Hinweis darauf, dass sie mit der Opposition unter einer Decke steckte. Justinian ließ indes keinen Zweifel daran, wer in seinen Augen für die Politisierung der Gewalt verantwortlich war. Tatsächlich wurden die Sprechchöre im Hippodrom ja oft von irgendwem dafür bezahlt, bestimmte Forderungen zu verbreiten. Der Kaiser ließ nicht nur Anastasios’ glücklose Neffen hinrichten, sondern verbannte zudem 18 Senatoren aus der Stadt und beschlagnahmte ihr Vermögen.21 Wahrscheinlich beglichen die Beamten des Kaisers bei dieser Aktion einige alte Rechnungen, denn allzu genau nahmen sie es mit den Anschuldigungen
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nicht. Dennoch hatte der Kaiser sicherlich recht, dass es im Laufe dieser verheerenden Woche Verschwörern auf höchster politischer Ebene gelungen war, die Aufständischen für ihre Zwecke einzuspannen, um ein kaiserliches Regime zu stürzen, das – wie schon so viele vor ihm – nach einer militärischen Niederlage ausgesprochen verwundbar war (siehe Kapitel 1). In diesem Fall überlebte das Regime, und im Jahr 550 nutzte es den Nika-Aufstand, um den Mut von Justinians kaiserlicher Gemahlin zu feiern. Doch direkt nach dem Aufstand gelang es dem Kaiser nicht, die desaströse Stimmung, die über der Stadt lag, aufzuhellen. Die politische Opposition hatte das Versagen des neuen Regimes dazu nutzen wollen, es zu ersetzen. Der bewusst herbeigeführte Konflikt mit Persien hatte in einer herben Niederlage geendet. Der Chefarchitekt der Rechtsreform des Kaisers sowie zwei weitere führende Loyalisten waren entlassen worden. Fünf Prozent der Bevölkerung der Hauptstadt lagen tot in den Straßen, und von den prachtvollen Bauten im Stadtzentrum waren nur noch rauchende Trümmer übrig. Wer konnte da noch allen Ernstes behaupten, Justinian regiere mit Gottes Hilfe? Für den Moment war die Opposition mundtot gemacht und handlungsunfähig, aber in der Welt der spätrömischen Politik führte eine Usurpation oftmals direkt zur nächsten, und am Ende dieser furchtbaren Woche im Januar 532 hatte das Regime zunächst einmal jegliche augenfällige Zustimmung zu seiner Herrschaft verwirkt. Es hatte sich im entscheidenden Moment mit harter Hand durchgesetzt, doch seine Macht stand nun erst recht auf Messers Schneide, und Justinian hatte nicht genug politisches Kapital, um nach all dem Chaos seine Günstlinge, die zu entlassen er gezwungen gewesen war, zurück in den Palast zu holen.22
Auf nach Westen Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen begann die Rückeroberung des Westens, die in der älteren Forschung meist als Leitmotiv Justinians und seiner Herrschaft galt: Viele Historiker sahen in ihr das seit jeher eigentliche Ziel Justinians. Er galt nun einmal als Latein sprechender Traditionalist aus Illyrien, der verzweifelt versuchte, Roms verlorenen Ruhm zurückzugewinnen. Wie seine Propaganda es formulierte:
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Uns beflügelt die Hoffnung, dass Gott uns die Herrschaft über den Rest dessen gewähren wird, das einst die alten Römer regierten, bis an die Grenzen beider Meere, und was sie später durch eigene Nachlässigkeit verloren.
Diese Formulierung ist aber tatsächlich Justinians erste Aussage über sein angebliches großes Ziel, und sie stammt aus dem Jahr 536, seinem zehnten Regierungsjahr. Es folgte auf die (fast) unblutige Übernahme Siziliens im Jahr 535 und die erfolgreiche Eroberung Afrikas zuvor, 533/534, die ursprünglich rein religiös gerechtfertigt worden war: Das, was der allmächtige Gott jetzt (…) für würdig hält, durch uns aufzuzeigen, übertrifft alle wunderbaren Taten, die im Laufe aller Zeiten geschehen sind: Nämlich dass Afrika binnen so kurzer Zeit durch uns die Freiheit erhalten sollte, die ihm die Vandalen, die Feinde von Körper und Geist, vor 105 Jahren genommen haben (…). Durch diese Sprache oder durch diese Werke, die Gottes würdig sind, hat er es daher für angemessen gehalten, dass die Verletzungen, die die Kirche erlitten hat, durch mich, den Geringsten seiner Diener, gerächt werden sollen.23
Erst nach diesen beiden anfänglichen Erfolgen, als Justinian weitere Landgewinne in Italien ins Auge fasste, gab es also erste Hinweise, dass er den gesamten verlorenen römischen Westen zurückerobern wollte. Infolgedessen zeigen sich viele neuere Studien entweder skeptisch, was die Existenz eines großen Plans betrifft, der dem ganzen Unterfangen zugrunde lag, oder sie bestreiten sie rundheraus.24 Doch wenn es keinen solchen Plan gab – warum wurde die Expansion nach Westen dann so prägend für Justinians Regierungszeit? Die Chronologie von Justinians Propagandaaussagen ist noch nie in Zweifel gezogen worden, und dennoch glaubte man stets, er habe eine Rückeroberung von Roms verlorenen Territorien im Westen bereits ins Auge gefasst, als er den Thron bestiegen hat, und habe dieses Vorhaben sofort in Angriff nehmen wollen, sobald er Frieden mit Persien geschlossen habe. Doch alles deutet darauf hin, dass dies nicht der Fall war. Der entscheidende Punkt ist, dass das Regime von Justin und Justinian Mitte der 520er-Jahre, als es eindeutig Gelegenheit hatte, auf längst etablierte Muster friedlicher Zusammenarbeit zu setzen, ja diese sogar noch auszubauen, ganz bewusst einen Krieg mit Persien vom Zaun brach. Zu
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diesem Zeitpunkt saß Justin schon eine ganze Weile auf dem Thron, und Justinian besaß innerhalb des Regimes bereits großen Einfluss, der noch weiter wuchs. Falls Hypatius wirklich für eine versöhnlichere Politik gegenüber Persien eintrat, dann war eine aggressive Haltung gegenüber dem Osten für Justinian ein probates Mittel, um seine eigene Macht zu konsolidieren. Wenn es Justinian aber in erster Linie darum gegangen wäre, den verlorenen Westen wieder ins Imperium einzugliedern, dann hätte er den ganzen Unsinn rund um Chosraus Adoption einfach sein lassen und damit aufhören können, künstlich den Konflikt in Transkaukasien zu schüren.25 In Wirklichkeit zeichnete sich das Vorhaben einer Expansion nach Westen erst nach und nach ab, und zwar unter äußerst ungewissen – um nicht zu sagen unvorhersehbaren – Umständen. Die (Rück-)Eroberung der von den Vandalen kontrollierten nordafrikanischen Provinzen Proconsularis, Byzacium und Numidien wurde durch eine unvorhersehbare Folge von innenpolitischen Ereignissen aufseiten der Vandalen ausgelöst, auf die Konstantinopel keinerlei Einfluss hatte. Propagandatechnisch konzentrierte sich Justinian bei seinem militärischen Erfolg in Nordafrika zunächst auf die Religion, denn im Gegensatz zu den meisten anderen westlichen Nachfolgestaaten, in denen christliche, aber nicht katholische Monarchen gute Beziehungen zu ihren katholischen Untertanen pflegten, hatten die Vandalenkönige die Katholiken immer wieder verfolgt.26 Dieses Muster wurde schließlich von König Hilderich aufgebrochen, der im Mai 523 den Thron der Vandalen bestieg und eine neue Ära religiösen Friedens einläutete. Er stellte alle Verfolgungen ein und sorgte dafür, dass die katholische Kirche in Nordafrika fortan ungehindert schalten und walten konnte; 525 ließ er sie sogar in Karthago ihr erstes regionales Konzil seit zwei Generationen abhalten. Sein Umschwenken in der Religionspolitik war Teil einer umfassenden Neuausrichtung des Vandalenreichs, weg von der Vorherrschaft des ostgotischen Königreichs in Italien (siehe Kapitel 6) und hin zu einer Allianz mit Konstantinopel – ein Neubeginn, den zahlreiche freundschaftliche Briefe und diplomatische Geschenke begleiteten.27 Doch diese positive neue Entwicklung innerhalb des Vandalenreichs geriet schnell wieder in Vergessenheit, als aus einer anderen Richtung Probleme drohten. An den Rändern des Vandalenreichs hatten an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert indigene Gruppen nomadischer Berber nicht nur immer mehr an Größe gewonnen, sie waren auch immer
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Abb. 6 Münze der Vandalen mit einem Porträt ihres Königs Gelimer. Justinian zog mehrmals gegen ihn zu Felde und zerstörte sein Reich binnen nur vier Monaten.
besser organisiert und agierten militärisch zunehmend effizienter. Eine solche Nomaden-Koalition brachte Hilderichs Armeen eine ganze Reihe von Niederlagen in der Provinz Byzacium bei, die letzte 529/530. Und nach dieser Schlacht brach Hilderichs Cousin Gelimer einen Staatsstreich vom Zaun. Am 19. Mai 530 bestieg er den Thron und übernahm die volle Kontrolle über das Königreich. Im Zuge dessen ließ Gelimer nicht nur Hilderichs vandalische Anhänger ermorden, sondern nahm auch einen Teil der pro-katholischen Maßnahmen zurück.28 Hilderich war ein loyaler Verbündeter Justinians gewesen, doch als dieser Ende 530 vom Sturz des Vandalenkönigs erfuhr, hoffte er noch immer darauf, den Krieg mit den Persern für sich zu entscheiden. Die Schlacht von Kallinikos stand noch aus. Der Kaiser begnügte sich daher mit ein paar steifen diplomatischen Botschaften – eine ging an Gelimers Hof und deutete seine Missbilligung der Vorgänge zumindest an, die andere ging an den ostgotischen König Athalarich in Italien und enthielt die Bitte, den neuen Vandalenkönig nicht anzuerkennen. Die folgenden zwei Jahre über zeigte Justinian nicht das geringste Interesse daran, mehr zu tun, als ein paar Briefe zu schreiben. Das änderte sich erst im Sommer des Jahres 532 (es ist wichtig, hier die Chronologie der Ereignisse zu beachten). In der Zwischenzeit hatte es zwei Vorfälle gegeben, die den gesamten politischen Kontext auf den Kopf
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stellten. Der erste war der Nika-Aufstand, der das Prestige von Justinians Regime mitten im Herzen seiner Hauptstadt in rauchende Trümmer verwandelt hatte. Und der zweite war der sogenannte Ewige Frieden, mit dem im Frühjahr 532, kurz nach dem Aufstand, Justinians erster Perserkrieg zu Ende gegangen war und dessen Bedingungen die im Reich allenthalben vorherrschende katastrophale Stimmung noch weiter verschlechtert hatten. Kavadh war Ende 531 gestorben. Der neue König, Chosrau, wollte Frieden, um sich auf seine Herrschaft konzentrieren zu können, denn er musste sich mit einer beträchtlichen Opposition herumschlagen; infolgedessen stoppte er alle offensiven Operationen seitens der Perser. Dass die Römer trotz dieser extrem günstigen Ausgangslage bereit waren, alle vertraglichen Vorgaben der Perser zu akzeptieren, ist ein deutliches Zeichen dafür, wie geschwächt Justinians Regime war. Der Kaiser gab die eroberten Festungen zurück und erklärte sich bereit, den Persern eine jährliche Entschädigung zu zahlen, vordergründig als Gegenleistung dafür, dass sie den Kaukasus verteidigten, der für beide Reiche als Pufferzone für Invasionen der gefährlichen Steppennomaden aus dem Norden diente. Seit den 480er-Jahren hatten sich diverse Kaiser solchen Forderungen widersetzt – nicht so jetzt Justinian. Nicht einmal eine innenpolitische Krise um die Thronfolge bei den Persern nutzte er, um sich von den Niederlagen von 531 zu erholen. Er akzeptierte kurzerhand alle Bedingungen, die ihm vorgelegt wurden.29 Im Frühjahr 532 war Justinians Regime unter dem Eindruck des Nika-Aufstands und des offenkundigen Scheiterns des Perserkriegs verzweifelt auf der Suche nach einem politischen Erfolg, und diesen sollte ihm eine militärische Intervention in Nordafrika bescheren. Die Schiffe segelten zwar erst im Frühsommer 533 los, aber bedenkt man, wie lange es im Altertum dauerte, für einen solchen Feldzug genug Nahrung, Tierfutter und Soldaten zusammenzubekommen, müssen die Vorbereitungen, insbesondere wenn so viele Schiffe daran beteiligt waren, bereits im Jahr 532 in vollem Gange gewesen sein. Sowohl Belisars bucellarii als auch einige der herulischen foederati (wenn auch nicht Mundus persönlich) – eben jene Truppenverbände, die im Februar 532 das Hippodrom gestürmt hatten – waren bei der Expedition dabei; dass sie sich Ende 532 in der Nähe der Hauptstadt aufhielten, kann nur ein frühes Anzeichen der Vorbereitungen für den Feldzug sein. Das ostgotische Regime in Italien beteiligte sich mit logistischer Unterstützung, sobald
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die Flotte Sizilien erreicht hatte; auch das erforderte im Vorfeld sorgfältige Verhandlungen. Doch selbst wenn die Vorbereitungen bereits 532 in die Wege geleitet wurden, darf man durchaus davon ausgehen, dass die endgültige Entscheidung, in Nordafrika einzuschreiten, noch nicht gefallen war. Zum einen berichten unsere Quellen, dass sich der Kaiser diese Entscheidung überhaupt nicht leicht machte. Das hatte gute Gründe: Mit einer großen Streitmacht an einer feindlichen Küste zu landen, ist eine der gefährlichsten militärischen Operationen überhaupt; seit die Vandalen im Jahr 439 Karthago erobert hatten, hatte es seitens der Römer drei ernsthafte Versuche gegeben, die verlorenen nordafrikanischen Provinzen zurückzuerobern, und jeder dieser drei Versuche hatte in einer Katastrophe geendet. Vor allem wird Justinian immer wieder das Schicksal der großen Flotte in den Sinn gekommen sein, die Leo I. 468 unter Basiliskos’ Kommando entsandt hatte. Sie war von vandalischen Feuerschiffen zerstört worden. Zahllose Soldaten waren getötet worden, und obendrein war Ostrom hinterher jahrelang bankrott gewesen.30 Man darf aber auch nicht vergessen, dass eine Afrika-Expedition nicht das einzige Mittel zum Zweck war, mit dem das Regime in den ersten Monaten des Jahres 532 versuchte, etwas von seinem verlorenen Prestige zurückzugewinnen. Kurz nach dem verheerenden Nika-Aufstand führten Justinians Vertreter eine Reihe von formellen »Gesprächen«, bei denen es darum ging, wie sich die gegenwärtigen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Ostkirche beseitigen ließen. Diese öffentliche Konferenz kann man nur als Ergebnis der privaten, inoffiziellen Kontakte deuten, die die Kaiserin seit 527 zu einflussreichen antichalkedonischen Kreisen unterhielt. Fünf Vertreter von jeder Seite diskutierten, und sie erzielten tatsächlich wichtige Fortschritte darüber, wie sich die theologischen Differenzen beilegen ließen. Justinian machte keinen Hehl daraus, dass er so schnell wie möglich irgendeine Art von Einigung erzielen wollte, und erwies sich als überraschend flexibel, was den Status und die Autorität der Beschlüsse von Chalkedon betraf. Wie unter den gegebenen Umständen kaum anders zu erwarten, war er verzweifelt auf der Suche nach irgendetwas, das er als Erfolg für sich verbuchen konnte. Am Ende kam die Konferenz dennoch zu keinem positiven Abschluss. Der größte Stolperstein waren gar nicht einmal irgendwelche theologischen Streitfragen gewesen, sondern die 55 antichalkedonischen Bischöfe, die
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seit der Herrschaft von Justinians Onkel im Exil lebten: Da Justinian sich standhaft weigerte, sie ohne Weiteres wieder in Amt und Würden zu bringen, wurde die Konferenz ergebnislos abgebrochen.31 Nachdem die Religion ihm nicht den dringend benötigten Erfolg beschert hatte, musste der Kaiser nun also erneut abwägen, ob er den risikoreichen Afrikafeldzug unternehmen sollte oder nicht. Laut Prokop überließ Justinian die Entscheidung am Ende Gott. Der sei ihm im Traum erschienen und habe ihn angewiesen, nun doch gegen die Vandalen zu ziehen. Zusätzlich zu diesem Traum wurde der Kaiser durch mehrere zufällige Ereignisse in seiner Entscheidung bestärkt. Im Herbst und Winter 532/533 erreichten Konstantinopel zwei wichtige Nachrichten: Erstens war am östlichen Ende des Vandalenreichs, in Tripolitanien (dem heutigen Libyen), eine Revolte gegen König Gelimer ausgebrochen, angeführt von einem Mann namens Pudentius. Da sich so weit im Osten des Vandalenterritoriums gar keine Vandalen niedergelassen hatten, waren kaum nennenswerte Kampfhandlungen nötig, bis die Provinz ihre Unabhängigkeit erklären konnte. Pudentius bat umgehend darum, Tripolitanien wieder ins Römische Reich einzugliedern. Als dann auch noch in Sardinien, der nördlichsten von den Vandalen kontrollierten Provinz, eine Revolte ausbrach, stand eine mögliche Afrika-Expedition plötzlich ganz oben auf der kaiserlichen Agenda. Godas, der Statthalter von Sardinien, verkündete seine Unabhängigkeit, und auch er schrieb sofort an Konstantinopel und bat um Unterstützung. Als diese zweite Nachricht eintraf, war Justinian schließlich so weit, dass er seine Truppen mobilisieren konnte. Jetzt, wo zwei Aufstände Gelimers Königreich erschütterten, war die Chance auf Erfolg 32 um einiges größer. Bis zum Frühsommer 533 waren die Vorbereitungen abgeschlossen. In den ruhigen Gewässern des Bosporus am Goldenen Horn versammelte sich eine Flotte aus fast 600 Schiffen, und Mitte Juni verließ sie unter dem Kommando von Belisar Konstantinopel. Ihr erstes Ziel war die Ostküste Italiens, dann fuhr sie weiter nach Sizilien, wo sie im Schatten des Ätna ankerte. Zwei hunnische Söldner mussten hingerichtet werden, weil sie in betrunkenem Zustand einen ihrer Kameraden getötet hatten und 500 (!) Mann starben, weil sie verdorbenes Brot gegessen hatten – beide Ereignisse müssen für die damaligen Seeleute miserable Omina gewesen sein.
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Im Hafen von Syrakus ging Prokop von Bord und kam mit wichtigen Informationen zurück: Gelimer war überhaupt nicht auf eine Invasion vorbereitet. Die gesamte Flotte der Vandalen befand sich mitsamt 7000 ihrer besten Soldaten gerade auf dem Weg nach Sardinien, um Godas’ Aufstand niederzuschlagen.33 Erst hier und jetzt – sie lagen gerade vor Taormina mit seinem wundervollen griechischen Theater – wurde Justinians Plan geboren, den gesamten römischen Westen zurückzuerobern. Wie Prokop berichtet, traf Belisar die schicksalhafte Entscheidung, direkt im Zentrum von Gelimers Königreich anzugreifen, erst, als er hörte, dass die Flotte der Vandalen gerade ganz woanders unterwegs war. Das bedeutet letztlich, dass Belisars Auftrag, als er Konstantinopel verlassen hatte, noch ein anderer gewesen war. Justinian und seine wichtigsten Berater wussten, dass es im Königreich der Vandalen heftige Unruhen gab, aber in der Antike, selbst im Mittelmeerraum, ging die Übermittlung von Nachrichten so langsam vonstatten, dass Informationen, die die kaiserliche Hauptstadt Mitte Juni 533 aus dem Westen erreichten, bereits mehrere Wochen, wenn nicht Monate alt waren. Die langsame Kommunikation machte es Belisar natürlich auch unmöglich, bei Justinian neue Befehle einzuholen, als er herausgefunden hatte, wie die Lage tatsächlich war. Wie Prokop es ausdrückt, hatte der Feldherr absolute Vollmacht über die Expedition, und das war auch notwendig.34 Kurz: Erst als sie Sizilien anliefen, war Belisar in der Lage, die aktuelle militärische und politische Situation genauer einzuschätzen, und zu diesem Zeitpunkt musste er ganz allein entscheiden, wie der Feldzug aussehen sollte. Natürlich wird Justinian ihm mehrere unterschiedlich ambitionierte Optionen mit auf den Weg gegeben haben, je nachdem, welche Verhältnisse Belisar in Nordafrika vorfinden würde. Mit rund 16 000 Soldaten war die Expeditionsstreitmacht gewaltig. Eine Option bestand also sicherlich darin, irgendwo in Nordafrika zu landen und auf herkömmliche Weise Krieg zu führen; vielleicht würde Belisar dabei sogar das gesamte Königreich erobern. Aber: Der abgesetzte Hilderich war noch am Leben. Als Belisar in Nordafrika landete, verkündete er somit sofort, seine Truppen seien einzig und allein vor Ort, um den rechtmäßigen Herrscher der Vandalen wieder auf den Thron zu bringen.35 Selbst wenn es ihm gelänge, mit seiner Armee in Nordafrika zu landen, war eine direkte Eroberung des Vandalenreichs nicht seine einzige
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Option. Falls die militärische Lage weniger vielversprechend aussah als erhofft, falls die vandalische Flotte wie damals, im Jahr 468, unter Waffen auf sie wartete, konnte Belisar mit seinen Schiffen immer noch nach Tripolitanien weitersegeln. Indem sie zumindest diese Provinz sicherten, könnte Justinians Propaganda schon einmal einen »Sieg« für sich verbuchen. Wenn er dann in Tripolitanien gelandet wäre, hätte er in ausreichender Zahl Soldaten unter sich, um zu weiteren Schritten in der Lage zu sein. Doch so angeschlagen, wie Justinians Regime derzeit war, hatte der Kommandant sicherlich die Order, keine erneute Katastrophe zu riskieren, wie Basiliskos sie 468 erlebt hatte. Als Prokop aber nun aus Syrakus mit der Nachricht zurückkehrte, dass die vandalische Flotte vor der Westküste Italiens lag, war sofort klar, dass eine reelle Chance bestand, die ambitionierteste der Optionen zu verfolgen, die vor der Abreise der Flotte in Konstantinopel ausführlich besprochen worden waren. Vor dem Hintergrund der vielen Probleme, mit denen sich Justinian zu Beginn seiner Regierungszeit herumschlagen musste, wird deutlich, dass der Plan, den Westen zu erobern, mitnichten der lang gehegte Wunsch eines romantischen Visionärs war, sondern eine ganz andere Art von Phänomen, das Historikern wohlbekannt ist: ein Feldzug fernab jenseits des Meeres als letzter verzweifelter Schachzug eines Herrschers, der mit dem Rücken zur Wand stand. Der Nika-Aufstand und die Niederlage gegen die Perser hatten Justinians noch im Aufbau befindliches Regime in arge Bedrängnis gebracht. Angesichts der neuen Lage in Nordafrika entschieden der Kaiser und seine Berater schließlich, dass die Rache für ihren ehemaligen vandalischen Verbündeten Hilderich drei Jahre nach dessen Absetzung die größten Chancen bot, das Ansehen des Regimes wiederherzustellen. Belisars Aufgabe bestand nun darin, dieses Vorhaben auf dem Schlachtfeld in die Tat umzusetzen.
5 Fünftausend Pferde
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elisar stand eine gewaltige Streitmacht zur Verfügung. Zu ihrem Transport diente eine Armada von 500 Handelsschiffen, die von 92 Kriegsschiffen mit mindestens 30 000 Seeleuten an Bord begleitet wurden. Belisars Armee bestand aus 10 000 Infanteristen und 5000 Kavalleristen. Außerdem war eine kleinere Abteilung von 400 Soldaten dabei, die nach Sardinien abkommandiert wurde, um Godas’ Revolte militärisch zu unterstützen. Alle anderen sollten, wie Belisar nun beschloss, in Nordafrika kämpfen. Von ganz entscheidender Bedeutung war, dass die Römer vorher mit den Ostgoten vereinbart hatten, dass sie während ihres Aufenthalts vor der Küste Siziliens nicht nur Nahrung, sondern auch eine große Anzahl von Pferden für die Expedition würden kaufen können.1 Hätten sie Pferde ganz aus Konstantinopel mitgenommen, so wären diese nach fast drei Monaten ohne Bewegung an Bord der Schiffe nicht mehr reitbar gewesen. Die Infanterie bestand aus gewöhnlichen Legionären, die Kavallerie war eine Mischung aus oströmischen Berufssoldaten, Belisars Elitetruppe, den bucellarii, und etwa 1000 weiteren Reitern: 400 herulischen foederati unter ihrem eigenen Anführer und 600 hunnischen Massageten (also Bulgaren), Steppennomaden aus Gebieten jenseits der Grenze, die speziell für die Expedition angeheuert worden waren.2 Doch worin genau bestand die Aufgabe dieser gewaltigen konstantinopolitanischen Armee?
Vandalen und Alanen Prokop, der aus der Perspektive des Siegers schreibt, verhöhnt Belisars Gegner als dekadent und durch den Reichtum seines nordafrikanischen Königreichs verdorben:
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Seit (…) sie Libyen in Besitz genommen hatten, gönnten sich alle [Vandalen] jeden Tag ein Bad und genossen bei Tisch die süßesten und besten Dinge, die die Erde und das Meer hervorbringen. Ganz allgemein trugen sie Gold und kleideten sich in persische Gewänder aus einem Material, das sie als »Seide« bezeichnen, und so gekleidet verbrachten sie ihre Zeit in Theatern und Hippodromen und bei anderen angenehmen Beschäftigungen und vor allem auf der Jagd (…). Sie hielten ständig Bankette ab und gaben sich allen möglichen Spielarten der Sexualität hin.3
Bevor die Vandalen im Jahr 439 Karthago erobert hatten, hatte das Getreide aus Proconsularis und Numidien und Olivenöl und Wein aus Byzacium und Mauretanien lange Zeit die Einwohner der Stadt Rom ernährt, und diese Güter waren bis in die hintersten Ecken des Mittelmeerraumes exportiert worden, wie auch Unmengen an Keramik. Die Zunft der Händler, die diese Produkte vertrieben, genoss eine Reihe finanzieller Privilegien. Der Handel florierte so wunderbar, dass Karthago in der Spätantike einen weiteren Hafen bekam, um den Schiffsverkehr bewältigen zu können; dabei gab es noch mehrere weitere große Hafenstädte in Nordafrika.4 Prokop wollte, wie es den altehrwürdigen Normen der griechischrömischen Geschichtsschreibung entsprach, die Niederlage der Vandalen mit moralischen Gründen erklären. Dieser klassischen Auffassung gemäß wurden historische Ergebnisse stets von den Tugenden und Lastern der wichtigsten beteiligten Akteure gesteuert. Wenn tugendhafte Individuen am Ruder waren, wurde am Ende immer alles gut, politische Katastrophen waren stets das Produkt moralischer Schwäche. Auch wenn man Prokops Erklärung für die Niederlage der Vandalen mit Vorsicht genießen muss, findet seine Beschreibung des Lebensstils der Elite doch jede Menge Bestätigung in anderen Quellen, und zwar im Königreich selbst. Archäologen haben die Villen und Stadthäuser reicher Leute ausgegraben, die in genau diese hundert Jahre datieren, als die einstigen nordafrikanischen Römerprovinzen von den Vandalen besetzt waren. Auch in dieser Zeit wurde weiterhin exportiert – zwar in leicht verringertem Umfang und mit ein paar neuen Handelspartnern, aber die Nordafrikaner generierten immer noch reichlich Umsatz im Handel über das Meer. In der Bildsprache, im rituellen Bereich und sogar im Klei-
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dungsstil ahmte der vandalische Königshof opulente spätrömische Vorbilder nach. Noch bezeichnender ist ein Text, der in Gestalt eines einzigen Manuskripts aus dem 9. Jahrhundert auf uns gelangt ist: eine Sammlung von Gedichten in klassischem Latein, die heute sogenannte Anthologia Latina. Neben mehreren damals bereits als klassisch geltenden Autoren ist in dieser Anthologie das Werk von nicht weniger als fünfzehn lateinischsprachigen Dichtern enthalten, die während der Herrschaft verschiedener Vandalenkönige in und um Karthago lebten. Unabhängig davon sind auch Gedichte des besten Dichters der Vandalenzeit, Dracontius, erhalten. Alles in allem zeigen diese Quellen deutlich, dass sich die Vandalen in Nordafrika schnell einem betont römischen Lebensstil zuwandten. In den noch existierenden Schulen im ganzen Königreich wurde auf hohem Niveau klassisches Latein unterrichtet, und die Herrscher ließen sich mit Vorliebe in klassischen Versen verherrlichen, gemäß dem überlieferten Kanon klassischer Tugenden. Die erhaltenen dichterischen Zeugnisse bestätigen Prokops Beschreibung, dass die Vandalen ganz versessen auf Bäder, Theateraufführungen und Pferderennen waren, ganz zu schweigen von der Jagd, deren große Bedeutung indes weniger überraschend ist. Das vandalische Afrika behielt auch einen Großteil der römischen Verwaltung bei: Dienstherr der Provinzstatthalter war ein Prokonsul mit Sitz in Karthago. Als Belisars Flotte im Schatten des Ätna ihren Ankerplatz verließ, nahm sie folglich Kurs auf ein unverkennbar »römisches« Königreich jenseits des Libyschen Meeres.5 Der wohlhabende und betont römisch geprägte vandalische Königshof der Zeit um 500 war das Ergebnis mehrerer Generationen interner Entwicklungen; man darf weder ausblenden, mit welch gewaltsamen Mitteln das Königreich entstanden ist, noch den nicht-römischen Ursprung seiner obersten Elite vergessen. Die meisten ähnlichen Reiche, so zum Beispiel die Nachfolgestaaten des Weströmischen Reiches, waren nach und nach größer geworden und nur langsam in eine politische Autonomie hineingewachsen; als die zentrale Macht des Kaiserreiches schwand und im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts die Steuereinnahmen zurückgingen, mussten sie sich Stück für Stück auf die neue Situation einstellen. Nicht so das Vandalenreich in Nordafrika: Es war eine ganze Generation früher entstanden, gewaltsam, und aus den letzten Resten des alten weströmischen Staatswesens zusammengezimmert worden.
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Die Geburtsstunde des Vandalenreichs war der letzte Tag des Jahres 406, als im Zuge der zweiten Phase extremer Unruhen an den europäischen Grenzen des Römischen Reiches eine lose Koalition von Außenseitern unerlaubterweise den Rhein überquerte. Wahrscheinlich benutzten sie dazu die Mainzer Militärbrücke und gingen nicht, wie mitunter angenommen wird, über den zugefrorenen Fluss. Diese Koalition bestand aus zwei vandalischen Stämmen, den Hasdingen und den Silingen, den zahlenmäßig weitaus stärkeren Alanen, die von mindestens zwei verschiedenen Königen angeführt wurden, sowie einigen Sueben und diversen Angehörigen mehrerer kleinerer Stämme. Sie alle hatten zuvor keinerlei Gebiete in der Nähe der römischen Grenze bewohnt (mit Ausnahme der Sueben, die im 4. Jahrhundert in einer anderen Region Nachbarn der Römer gewesen waren). Der Großteil der Koalition hatte daher schon vor Erreichen der Rheingrenze erhebliche Entfernungen zurückgelegt. Im 4. Jahrhundert waren beide vandalischen Gruppen wahrscheinlich in der Region der Oberen Theiß in der heutigen Slowakei heimisch gewesen, in knapp 1000 Kilometern Entfernung von der Mainzer Brücke. Die Alanen kamen von noch weiter her: Im Jahr 376 hatten sie hauptsächlich nördlich des Schwarzen Meeres und östlich des Don gehaust, mehr als 2000 Kilometer vom Rhein entfernt. Schon einige Jahre, bevor diese Koalition in römisches Gebiet einfiel, hatte es an der mitteleuropäischen Außengrenze Roms gewaltigen Ärger gegeben, und zwar vom Ober- und Mittelrhein bis an die westlichen Ausläufer der Karpaten. In den Jahren 402 und 403 suchten die Vandalen weit weg von ihrer slowakischen Heimat die Grenzprovinz Rätien heim – im 4. Jahrhundert waren sie in den dortigen Quellen noch nicht einmal aufgetaucht. Dem Rheinübergang von 406 ging eine kaum weniger gewaltige gotische Invasion in eben jener Grenzregion im Jahr 405 voraus. Sie wurde von einem König namens Radagaisus angeführt und wandte sich nach Süden über die Alpen und nach Italien statt in Richtung Westen über den Rhein, aber sie hatte ihren Ursprung in etwa derselben Region. Kleinere Migrationsströme hatte es an den römischen Grenzen schon immer gegeben, doch eine solche Bevölkerungsexplosion war äußerst ungewöhnlich; es muss in Mitteleuropa im ersten Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts einige ganz bedeutende Entwicklungen gegeben haben, dass in schneller Folge zwei so substanzielle Invasionen erfolgten. Welcher Art diese Entwicklungen waren, berichten unsere
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fragmentarischen römischen Quellen nicht, sie konzentrieren sich allein auf die dramatischen Folgen beider Zuwanderungsströme für den römischen Westen. Ich jedenfalls glaube, es kann kein Zufall sein, dass die Hunnen ihren Einflussbereich bis spätestens 410 auf eben diese mitteleuropäische Grenzzone ausweiteten, nachdem das Epizentrum ihrer Macht vor 400 noch ganz klar östlich der Karpaten gelegen hatte. Die Zuwanderungsströme von 405/406 finden ihre deutlichste Entsprechung in den Goten, die im Jahr 376, eine Generation früher, über die osteuropäische Grenze Roms nördlich des Schwarzen Meeres ins Römische Reich einfielen. Dieses Ereignis lässt sich direkt durch das Erstarken der Hunnen nördlich des Schwarzen Meeres erklären. Die mit Abstand wahrscheinlichste Ursache sowohl für Radagaisus’ Bewegungen (405) als auch für den Rheinübergang (406) ist, dass die Hunnen das Epizentrum ihrer Macht nach Westen verlagerten – so kamen sie den Römern und damit der ultimativen Quelle von Wohlstand und Reichtum ein ganzes Stück näher. Ende des ersten Jahrzehnts des 5. Jahrhunderts war diese Entwicklung vorerst abgeschlossen. Der andere große Streitpunkt rund um den Rheinübergang von 406 sind die tatsächlichen Dimensionen. Die Historiker früherer Epochen tendierten – vielfach unter dem Einfluss nationalistischer, nicht selten auch ganz offen rassistischer Identitätskonzepte – dazu, Gruppen wie die Vandalen als »Völker« zu definieren, womit sie große Bevölkerungsgruppen mit Angehörigen unterschiedlichen Alters und Geschlechts meinten, die sich durch eine ganz eigene materielle und nichtmaterielle Kultur von allen anderen Bevölkerungsgruppen um sie herum isolierten. In jenem Sinne waren die Vandalen, die Nordafrika eroberten, jedoch nachweislich kein »Volk«, sondern eine »Koalition«, die sich auf römischem Boden neu konstituierte. Jüngere sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Gruppenidentität besagen, dass Individuen in der Lage sind, ihre Identität immer wieder zu ändern, und das auch fleißig tun. Manche revisionistischen Forscher haben daher den Gedanken einer »Völkerwanderung« inzwischen durch die Hypothese ersetzt, dass hier vor allem marodierende Kriegerbanden unterwegs waren. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich diese Kriegerbanden allerdings als ziemlich ungenau definiert; offenbar sind damit hauptsächlich Gruppen von Hunderten (und nicht etwa Tau-
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senden) Kriegern gemeint, also überwiegend Männern, die nur eine begrenzte Anzahl von Familienangehörigen bei sich hatten und eben nicht mit einem kompletten Tross mit Frauen und Kindern reisten. Folgt man dieser Hypothese, ergibt sich eine viel geringere Zahl an Migranten, die die Grenze überquerten, als bisher angenommen. Wenn sich eine dieser Banden ein ganzes Königreich aufbaute, wie es bei den Vandalen der Fall war, so gelang ihnen dies nur durch groß angelegte Rekrutierungsprozesse auf römischem Boden, bei denen kulturelle Aspekte keine Rolle spielten.6 Ein Buch, in dem es um die Kriege Justinians geht, ist nicht der richtige Ort, um diese Fragen ausführlich zu erörtern. Aber auch wenn die Vandalen, die Nordafrika eroberten, sicherlich durch ihre Erfahrungen auf römischem Boden geprägt waren, kann man die Zahl der ursprünglichen Migranten keinesfalls so stark reduzieren, wie die Kriegerbanden-Hypothese es erfordern würde. Zum einen geben das unsere Quellen einfach nicht her: Sie beschreiben bereits für das Jahr 406 ein großes demografisches Phänomen, und dementsprechend sind selbst die meisten revisionistischeren Studien zum Rheinübergang der Ansicht, es müsse sich um mindestens ein paar Zehntausend Menschen gehandelt haben. Die Analogie zu den Goten und die besten erhaltenen Zeugnisse stützen diese Annahme. Die Zahl der Goten von 376 war schon zwei Jahre später derart gestiegen, dass sie mit nur wenig Verstärkung an einem einzigen Tag in der Schlacht von Adrianopel mehr als 10 000 römische Elitesoldaten töten konnten. Was den Ausgang der Schlacht betrifft, war für die Goten eindeutig eine Menge Glück im Spiel, aber einer Streitmacht, die aus maximal vier Kriegerbanden von nicht einmal 1000 Mann bestand, wäre der Sieg nie und nimmer gelungen. Auch Radagaisus’ Invasionsstreitmacht war so gewaltig, dass eine römische Armee von 30 Regimentern (was wiederum weit mehr als 10 000 Mann entsprach) sowie zahlreiche hunnische und alanische Hilfstruppen nötig waren, um sie aufzuhalten, und im Zuge ihrer Demontage wurden 12 000 Elitekämpfer in die römische Armee eingezogen; ihre Angehörigen wurden in verschiedenen italischen Städten als Geiseln gehalten.7 Die hasdingischen Vandalen sahen sich beim Rheinübergang mit einem heftigen Widerstand seitens der Franken konfrontiert; 20 000 Hasdingen sollen dabei umgekommen sein – durch eine Intervention bewahrten die Alanen sie vor einer noch größeren Katastrophe.
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In den folgenden zwei Jahren hinterließen die Invasoren fast überall in den gallischen Provinzen Roms ihre Spuren und schufen, wie ein Dichter es ausdrückte, einen gewaltigen »Scheiterhaufen«. Ob man die Eindringlinge nun als einzelne »Völker« definiert oder als eine lose Migrantenkoalition, die ursprünglich viele Zehntausend Menschen umfasste, insgesamt möglicherweise sogar über 100 000: Eine noch wichtigere Rolle für die Entstehung des Vandalenreichs, wie Belisar und seine Invasionsstreitmacht es bei ihrer Ankunft in Nordafrika vorfanden, spielte, was »nach« Gallien geschah, als die Koalition über die Pyrenäen nach Hispanien weiterzog.8 Im Frühherbst des Jahres 409 – »sicherlich an einem Dienstag«, wie uns der Chronist Hydatius mitteilt – hatten die Eindringlinge vom Rhein endgültig die Pyrenäen überquert. Innerhalb von zwei Jahren teilten sie den größten Teil des römischen Hispanien untereinander auf: Die hasdingischen Vandalen und die Sueben übernahmen Gallaecia im Nordwesten, die silingischen Vandalen Baetica im Süden und die Alanen die ausgedehnten Landstriche von Lusitania und Hispania Carthaginensis, die dazwischenlagen. Diese Verteilung spiegelt wahrscheinlich die relative Macht der verschiedenen Gruppen im Jahr 411 wider; die Alanen dürften innerhalb der Koalition zu diesem Zeitpunkt der dominantere Partner gewesen sein (wie ja schon die Tatsache beweist, dass sie die hasdingischen Vandalen vor den Franken retteten).9 Nichts deutet darauf hin, dass die Übernahme der Provinzen eine autorisierte Besiedlung darstellte – sie war eine veritable Aneignung, und sobald sich der weströmische Staat sortiert hatte, führte er ab 416 mit Unterstützung der Westgoten mehrere Feldzüge gegen die Koalition. Die Ergebnisse waren, wie Hydatius berichtet, katastrophal: Alle silingischen Vandalen in Baetica wurden ausgelöscht (…). Die Alanen (…) erlitten so schwere Verluste (…), dass ihre wenigen Überlebenden nach dem Tod ihres Königs Addax sich, ohne an ihr eigenes Königreich zu denken, dem Schutz von Gunderich, dem König der Vandalen, unterstellten.
Dass die Westgoten als wirtschaftliche Gegenleistung für ihre militärische Unterstützung in Aquitanien siedeln durften, brachte die Kampfhandlungen 418 zunächst zum Stillstand, aber da hatte die ursprüngliche Koalition von 406 bereits einige wichtige Veränderungen erfahren.
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Die Verluste hatten nicht nur die internen Machtstrukturen verändert und die Alanen ihrer dominanten Stellung beraubt: Ihre Erlebnisse hatten die Überlebenden zusammengeschweißt und das ursprünglich eher lockere Bündnis in eine viel enger gestrickte politische Konföderation verwandelt. Was das bedeutete, zeigte sich spätestens, als die römisch-gotischen Truppen neue Angriffe starteten. Nach einigen erfolgreichen Operationen in Gallaecia im Jahr 420 unter Asterius, deren Ziel offenbar darin bestand, die von den Hasdingen angeführte Koalition daran zu hindern, ihre Herrschaft auf die noch immer unabhängigen Sueben auszudehnen, erlitten die Truppen des Imperiums im folgenden Jahr in Baetica eine entscheidende Niederlage. Die neue vandalisch-alanische Koalition brachte die Goten offenbar dazu, sich von ihren römischen Bündnispartnern abzuwenden (unsere wichtigste Quelle beklagt den »Verrat« der Westgoten), und errang so einen überwältigenden Sieg, der die Römer 20 000 Soldaten kostete. Hier sehen wir zum ersten Mal eine Gruppierung, die als direkter Vorläufer des Heeres gelten kann, dem Belisar mit seiner Armee ein Jahrhundert später in Nordafrika gegenüberstehen sollte.10 Zwar hatte die von den Hasdingen angeführte Koalition einen Sieg davongetragen, aber sie hatte allen Grund zu der Annahme, dass das Imperium bald zurückschlagen würde. Es stand für die Römer einfach zu viel auf dem Spiel – sie waren auf die Steuereinnahmen aus Hispanien dringend angewiesen, um ihren Militärapparat und ihre politischen Strukturen zu finanzieren; seit die Invasoren vom Rhein mehr als zehn Jahre zuvor in Hispanien eingedrungen waren, wird kaum noch Geld von der Iberischen Halbinsel ins Zentrum der Macht geflossen sein. Aber nach dem Tod der weströmischen Kaiser Flavius Constantius (September 421) und Honorius (August 423) folgte erst einmal eine lange Phase aus Usurpation und Bürgerkrieg, die damit endete, dass oströmische Truppen den jungen Valentinian III., Honorius’ Neffen, auf den weströmischen Thron brachten, der sich dann wiederum in langwierigen Machtkämpfen behaupten musste. Die politische Stabilität hielt erst im Jahr 432 wieder Einzug in Westrom, als Aëtius seinen letzten Rivalen besiegt hatte und somit niemand mehr da war, der seine Autorität infrage stellen konnte.11 Zurück in Hispanien nutzte die Koalition zunächst die Ruhepause, um ihre Herrschaft über die Städte im Süden zu konsolidieren, doch die
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Inthronisierung von König Geiserich im Jahr 428 läutete einen Strategiewechsel ein. Das Bündnis mit den Westgoten blieb bestehen (Geiserichs Sohn Hunerich war mit einer westgotischen Prinzessin verheiratet), und nach ein paar Überfällen auf verschiedene Gebiete am Mittelmeer zog Geiserich im Jahr 429 seine gesamte Streitmacht im Hafen von Tarifa nahe dem heutigen Gibraltar zusammen und verschiffte sie über die Meerenge nach Marokko. Hundert Jahre später schrieb Prokop, der abtrünnige römische Feldherr Bonifatius habe die Koalition damals nach Nordafrika »eingeladen«, aber dies scheint eine ganz haltlose Beschuldigung zu sein. In den zeitgenössischen Quellen taucht sie gar nicht auf, nicht einmal in denen, die Bonifatius betont feindlich gesinnt sind. Auf jeden Fall war es ein extrem cleverer Schachzug, denn Geiserich konnte so in strategischer Hinsicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Afrika verfügte über sagenhafte Reichtümer, und ab sofort hatte die Koalition zwischen sich und dem Großteil der verbleibenden weströmischen Streitkräfte das Meer – was angesichts der Erfahrungen aus den Jahren 416–421 nicht weniger wichtig war.12 Geiserichs Truppen landeten in der Nähe des heutigen Tanger und zogen schnell weiter ostwärts, in Richtung der reichen nordafrikanischen Provinzen Numidien, Proconsularis und Byzacium. Die unmittelbaren Auswirkungen dieses Vorgangs lassen sich den Schriften entnehmen, die Augustinus von Hippo, einer der bedeutendsten lateinischen Kirchenväter, gegen Ende seines Lebens verfasste. Im Winter 429/430 wurde die Stadt des Bischofs sowohl von Land als auch von See aus belagert, und Augustinus musste seine Mitbischöfe, die regelrecht in Panik gerieten, als zwei ihrer Kollegen gefoltert wurden, zur Geschlossenheit aufrufen, damit sie ihre Gemeinden in dieser schweren Stunde nicht im Stich ließen: Niemand darf sein Schiff für so wertlos halten, dass die Matrosen, geschweige denn der Kapitän, es im Moment größter Gefahr verlassen!
Als Augustinus im Sommer 430, am 28. August, im Alter von 75 Jahren starb, wurde die Stadt noch immer belagert; den Ausgang des Konflikts erlebte er also nicht mehr mit. Aber der angerichtete Schaden war bereits groß genug. Wie Augustinus’ Biograf es ausdrückt, war eine »gewaltige Räuberbande«, die die »römische Welt vernichten will«, in das
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reiche nordafrikanische Kernland des weströmischen Reiches eingedrungen: Der Mann Gottes wurde Zeuge, wie ganze Städte geplündert wurden; wie Landhäuser zerstört und ihre Besitzer getötet oder als Flüchtlinge vertrieben wurden; wie die Kirchen ihrer Bischöfe und Kleriker beraubt; wie die heiligen Jungfrauen und Asketen in alle Winde zerstreut wurden.13
Das weströmische Machtzentrum musste sich zu jener Zeit mit einer Reihe von Problemen in der Nähe seines italischen Kerngebiets herumschlagen, aber aus Konstantinopel kam militärische Unterstützung und hielt Geiserich so weit in Schach, dass er 435 das eher periphere und weniger reiche Hinterland von Hippo Regius als Siedlungszone akzeptierte. Sein eigentliches Ziel verlor er dennoch nicht aus den Augen. Als es der Westen vier Jahre später mit einem massiven westgotischen Aufstand in Gallien zu tun bekam, nutzte Geiserich die Gunst der Stunde, um Karthago samt Hinterland zu erobern, den reichsten Landstrich aller römischen Gebiete in Nordafrika (heute Tunesien und der Westen Algeriens). Dies konnte weder West- noch Ostrom hinnehmen. In Sizilien wurde eine gewaltige gemeinsame Expeditionsarmee zusammengezogen, und 1100 Handelsschiffe wurden zu deren Verschiffung organsiert.14 Nur leider hatte man die oströmischen Truppen von der Donaugrenze abziehen müssen, und ihre Abwesenheit nutzte Attila der Hunne dazu, den ersten seiner großen Übergriffe auf römisches Gebiet zu starten. Konstantinopel konnte nicht anders, als seine Truppen wieder an die Donau zurückzubeordern, und die Nordafrika-Expedition wurde abgeblasen. Dem Weströmischen Reich blieb nichts anderes übrig, als im Jahr 443 mit Geiserich ein völlig neuartiges Friedensabkommen zu schließen: Es erkannte den Vandalenkönig als souveränen Herrscher über Numidien, Byzacium und Proconsularis an – es war die offizielle Geburtsstunde des Vandalenreichs, auch wenn es eigentlich bereits seit der Eroberung Karthagos im Jahr 439 existierte (so jedenfalls sahen es die vandalischen Monarchen). Dieses Königreich war das Produkt einer signifikanten, zwei Generationen dauernden Reorganisation und des rücksichtslosen Durchsetzungsvermögens einiger wichtiger Elemente eines einstmals lockeren Bündnisses diverser Stämme, die beim Rheinübergang 406 ins Imperium eingefallen waren.15
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Durch Geiserichs nächsten Schachzug entstand die Konstellation, deren Erben es im Großen und Ganzen sein würden, gegen die Belisar in den 530er-Jahren kämpfen sollte: Nachdem er die reichsten Provinzen des römischen Westens erobert hatte, sorgte der König zuallererst dafür, seine Anhänger so zu belohnen, wie sie es zu Recht erwarteten. Sie waren Tausende Kilometer marschiert, hatten zahllose große und kleine Kämpfe ausgetragen und enorme Verluste erlitten. Hätte er sie nicht entsprechend belohnt, so hätten sie ihn einfach durch jemanden ersetzt, der es getan hätte. Er hatte drei Provinzen unter sich – Numidien, Byzacium und Proconsularis –, und diese Vermögenswerte setzte er mit großer Sorgfalt ein. Sich selbst und mehreren anderen Fürsten des Königshauses schanzte er große Landgüter in den ersten beiden Provinzen zu, aber der größte Teil seiner Anhänger erhielt Land in Proconsularis. Dafür gab es zwei Gründe: Erstens lag Proconsularis am nächsten bei Karthago, sodass Geiserich seine Streitkräfte faktisch effektiv um seinen Regierungssitz herum konzentrierte; wenn die Römer in Zukunft einmal angreifen würden, dann mit Sicherheit dort. Und zweitens gab es in Proconsularis jede Menge Land, das sich ohne großen innenpolitischen Widerstand beschlagnahmen ließ. Dies war eine Folge der Dynamik des römischen Imperialismus: Nach der Eroberung Karthagos durch Rom im 2. Jahrhundert v. Chr. hatten sich die Römer hier große Ländereien einverleibt; diese befanden sich also seither im Besitz römischer Senatsaristokraten – die dort jedoch gar nicht wohnten. Wir kennen zwar nicht alle Details, aber in Proconsularis wurde eine spezielle juristische Kategorie von vandalischem Siedlungsland eingeführt: Die sortes Vandalorum, die an Geiserichs Anhänger verteilt wurden, waren vererbbar und von allen Steuern befreit, solange sich die Besitzer zum Militärdienst verpflichteten. Zweifellos wurden die Ländereien weiterhin von denselben römisch-nordafrikanischen Pächtern bewirtschaftet, nur dass sich Proconsularis nun nicht mehr in den Händen von meist abwesenden römischen Senatoren befand, sondern einer neuen vandalisch-alanischen Militärelite gehörte, die auch vor Ort ansässig war. Vor allem in Byzacium und Numidien blieben die römisch-afrikanischen Landbesitzer die gleichen wie zuvor und zahlten auch weiterhin ganz normal Steuern, nur eben an die Vandalen, die das etablierte römische Steuersystem einfach übernommen hatten.16
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Ein guter Anhaltspunkt, wenn wir nachvollziehen wollen, wie groß diese neue Elite, die sich in den 440er-Jahren in Proconsularis etablierte, genau war, ist eine Zahl, die von Victor von Vita stammt, einem nordafrikanischen Bischof, der im Jahr 484 schrieb. Er berichtet, dass Geiserich alle Männer, Frauen und Kinder der Koalition, als sie aus Hispanien übergesetzt waren, in 70 Gruppen von, wie er behauptete, jeweils 1000 Personen aufteilte; dies sei indes nur eine List gewesen, mit der er die Tatsache habe verschleiern wollen, dass sie in Wirklichkeit viel weniger waren als die so implizierten 70 000. Victor war ein ernsthafter Kirchenhistoriker, der hauptsächlich für nordafrikanische Katholiken schrieb, und er berichtete über Vorkommnisse, die noch nicht allzu lange her waren. Sein Text musste also für ein Publikum plausibel sein, das bereits eine Generation lang unter den Vandalen gelebt hatte; es ist mithin, kurz gesagt, recht wahrscheinlich, dass wir seinen Angaben hier trauen können, sprich: Geiserich brachte mehrere Zehntausend Menschen mit, aber weniger als 70 000. Früher ging man bei solchen Schätzungen oft von einem (hypothetischen) Verhältnis von einem Krieger zu fünf Zivilisten aus, aber wie bei allen Migrantenströmen litten vor allem die alten und die ganz jungen Menschen unter der langen Reise – und diese hier dauerte dreißig Jahre. Eine Gesamtbevölkerung von über 50 000 könnte implizieren, dass etwa 15 000 Krieger darunter waren. Angesichts der katastrophalen Verluste, die die Invasoren in Hispanien in den 410er-Jahren erlitten hatten, der Kämpfe, die sie seitdem geführt hatten, und der Tatsache, dass die Sueben in Hispanien geblieben waren, scheint dies eine durchaus vernünftige Zahl zu sein. Was den Siedlungsprozess in den 440er-Jahren betrifft, dürfen wir also davon ausgehen, dass die neue Elite, die die Ländereien der römischen Senatoren in Proconsularis übernahm, rund 15 000 Haushalte zählte. Dies erklärt unter anderem, warum sich die wichtigsten nordafrikanischen Exportzonen nach der Besiedlung südwärts nach Byzacium verlagert haben sollen: Ein Großteil dessen, was früher in Proconsularis als Überschuss produziert worden war, wurde nun von einer ortsansässigen Elite konsumiert.17 Es gibt guten Grund zu der Annahme, dass Belisar es in den 530er-Jahren mit den Nachkommen eben dieser landbesitzenden Militärelite zu tun bekam. Die Größenordnung scheint zu passen, wenn man einberechnet, dass die Vandalen und Alanen in den Zeiten des Friedens und des Überflusses, insbesondere in den 470er-Jahren, einen bedeutenden
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Bevölkerungsanstieg erlebt hatten. Prokop nennt keine genaue Zahl, aber seine Schilderungen lassen erkennen, dass Belisar einem Feind gegenüberstand, der rund 20 000 bis 25 000 Krieger zählte.18 Außerdem findet sich bei Prokop kein Hinweis darauf, dass Gelimer zusätzlich zum vandalisch-alanischen Kern seines Heeres auf die erst vor Kurzem militarisierte Gruppe römisch-afrikanischer Landbesitzer zurückgegriffen hätte. Im Gegenteil: Belisar tat, was er konnte, um die einheimischen römischen Grundbesitzer daran zu hindern, sich an den Kriegsanstrengungen der Vandalen zu beteiligen. Die Nachkommen der Koalition konnte man aufgrund ihrer privilegierten juristischen Stellung als Inhaber von sortes Vandalorum seither eindeutig von den römischen Grundbesitzern unterscheiden. Geiserich gelang damit ein weiterer Schritt, um die Gruppenidentität seiner Anhänger zu zementieren. Unsere Erkenntnisse haben wir hier erneut Victor von Vita zu verdanken, der mit seiner Schrift die Solidarität unter seinen Glaubensbrüdern im Königreich stärken wollte, vor allem angesichts einer 484 von Geiserichs Sohn Hunerich eingeleiteten massiven Verfolgung der Katholiken. Hunerich wollte, dass sich alle Bewohner seines Reichs dem Arianismus anschlossen, einer Glaubensrichtung, die die Definition des christlichen Glaubens, wie sie 325 auf dem Konzil von Nicäa verabschiedet worden war, strikt ablehnte. Die vandalische Elite scheint den Arianismus während ihrer Zeit in Hispanien von den Westgoten übernommen zu haben. Laut Victor von Vita führte Hunerich die Verfolgung der Befürworter der Beschlüsse von Nicäa im selben Ausmaß und mit den gleichen Mitteln fort wie sein Vorgänger und Vater, Geiserich. Die Wirklichkeit ist um einiges komplexer: Geiserich ging nicht gegen die Katholiken in Byzacium und Numidien vor, wo es keine vandalischen Siedler gab. Stattdessen konfiszierte er Kirchengebäude mitsamt den dazugehörigen Grundstücken in Proconsularis und überließ sie den Antinicäanern; außerdem verhinderte er, dass bei Ausscheiden eines Bischofs in Proconsularis dessen Amt neu besetzt wurde, und schließlich erklärte er es für illegal, in Regionen, in denen sich Teile der Koalition niedergelassen hatten, katholische Gottesdienste abzuhalten. Bedenkt man, dass seine Anhänger in Hispanien in den 410er- und 420er-Jahren nur dem westgotischen Christentum ausgesetzt gewesen sein können und dass eine so groß angelegte Konvertierung in allen bekannten Fällen ein äußerst langwieriger Prozess ist, sieht Geiserichs Politik ganz
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anders aus als die seines Sohnes. Anstatt zu versuchen, alle Bewohner Nordafrikas für den antinicäanischen Glauben zu gewinnen, sorgte Geiserich mit seinen Maßnahmen dafür, dass sich zunächst einmal seine jüngst in Nordafrika angesiedelten Anhänger zum Arianismus bekannten. Sie verteilten sich auf ein viel größeres Gebiet als damals auf ihrem langen Marsch durch Europa, und während nach dem Vertrag von 443 die Wahrscheinlichkeit eines römischen Konterangriffs immer weiter sank, wuchs die Gefahr, dass der Zusammenhalt unter den einstigen Invasoren verloren ging; und eben jener Zusammenhalt war es gewesen, der die Koalition in Südspanien so wehrhaft gemacht hatte. In dieser Hinsicht ergab es durchaus Sinn, der kollektiven Identität dieser Menschen eine zusätzliche kulturelle Dimension zu verleihen.19 Den Vandalen stand nach den 440er-Jahren aber noch weiterer Ärger ins Haus. Als das Hunnenreich nach Attilas Tod im Jahr 453 zusammenbrach, fanden mehrere römische Kaiser zur alten Angriffslust zurück, so der weströmische Kaiser Majorian im Jahr 461 und der oströmische Kaiser Leo im Jahr 468. Doch da aufgrund der außerordentlichen Kapazitäten der von Geiserich kontrollierten nordafrikanischen Häfen inzwischen die Vandalen das Mittelmeer beherrschten, waren sie in der Lage, diese Gegenangriffe abzuwehren, bis Rom alle Hoffnung aufgab, sich dereinst die verlorenen Einnahmen aus Afrika zurückzuholen, um dem Weströmischen Reich wieder auf die Beine zu helfen: Konstantinopel war bereit, ein endgültiges Friedensabkommen zu unterzeichnen, und ab 473 war das Königreich endlich komplett sicher. Geiserich hatte indessen den endgültigen Zusammenbruch Westroms ausgenutzt, um seinem Herrschaftsbereich Tripolitanien, Sardinien und das westliche Vorgebirge Siziliens hinzuzufügen. Ein Jahrzehnt später löste Hunerichs Katholikenverfolgung eine schwere religiöse Krise aus, die das ganze Königreich erfasste, aber das war letztlich eine interne Angelegenheit, und so schlimm sie auch war, dauerte sie doch nur vom Februar 484 bis zum Tod des Königs im November. Keines dieser späteren Ereignisse scheint an der Aufgabe, vor der Belisar und seine Armee standen und die größtenteils auf das Abkommen von 443 bezogen war, irgendetwas geändert zu haben. Der Schlüssel zum Sieg in den 530er-Jahren lag darin, die militarisierte vandalischalanische Kolonialelite zu eliminieren, die die wertvollsten Landstriche von Proconsularis in Besitz genommen hatte. Die Tatsache, dass sich
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diese Elite in der Zwischenzeit viele Elemente der Lebensweise der römischen Elite angeeignet hatte und dass das gesamte Königreich auf der Grundlage römischer Verwaltungsstrukturen funktionierte, änderte nichts an den elementaren militärischen Verhältnissen.20
Der Niedergang der Vandalen Die militärische Bedeutung der Tatsache, dass die vandalische Flotte gerade vor Sardinien lag, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. In den dreißig Jahren, nachdem Geiserich im Jahr 439 Karthago erobert hatte, unternahmen römische Regime aus Ost und West drei ernsthafte Versuche, das Königreich der Vandalen zurückzuerobern. Alle drei Versuche schlugen fehl, und zwei endeten in einem veritablen Desaster; das Problem war jedes Mal das gleiche: Wie sollte man mit einer ausreichend großen Streitmacht sicher auf nordafrikanischem Boden landen? Die Expeditionsarmee von 441/442 wurde auf Sizilien versammelt, als die Nachricht von Attilas erster Invasion auf dem Balkan eintraf – der Feldzug wurde abgebrochen, noch bevor er richtig begonnen hatte, da die oströmischen Soldaten zu Hause benötigt wurden. 461 stand Kaiser Majorian mit seiner Streitmacht in Hispanien, um über die Straße von Gibraltar zu setzen, doch Geiserich bekam von der Operation Wind und zerstörte die römische Flotte, während sie noch im Hafen vor Anker lag – eine Katastrophe, die unmittelbar Majorians Absetzung und Hinrichtung nach sich zog. Im Jahr 468 stach eine riesige oströmische Armada von Konstantinopel aus in See, wurde aber vor der nordafrikanischen Küste aufgerieben: Von ungünstigen Winden an einen felsigen Küstenstreifen gedrückt, wo sie nicht landen konnte, wurde sie von vandalischen Feuerschiffen versenkt. Unzählige Menschen starben. Das Scheitern dieser Expedition, die 100 000 Pfund Gold gekostet hatte, erschütterte das oströmische Regime Leos I. nachhaltig. Danach gab es keinen ernsthaften Versuch mehr, das Weströmische Reich am Leben zu halten. In seinem Bericht über die Expedition von 533 weist Prokop immer wieder auf Belisars cleveres Signalsystem hin, mit dem es ihm gelang, seine Flotte von 600 Schiffen zusammenzuhalten, sogar wenn sie nachts segelte, und er erwähnt, wie es Antonina, der Frau des Feldherrn, gelang, auf der langen Seereise das Trinkwasser frisch zu halten. Er hält
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aber auch fest, dass die Truppen Angst vor dem Meer hatten, was angesichts des Schicksals der Expedition 468 auch nicht weiter überrascht. Am Ende waren es aber weder irgendwelche Signale noch das frische Trinkwasser, was es Belisar ermöglichte, mit seiner Armee ohne jegliche Gegenwehr zu landen, sondern schlicht die Abwesenheit der vandalischen Flotte.21 Nachdem er von Prokop erfahren hatte, dass die vandalische Flotte nach Sardinien gefahren war, konnte Belisars Armada siegesgewiss von Sizilien lossegeln. Nach kurzen Zwischenstopps auf den dazwischenliegenden Inseln Gozo und Malta traf die Flotte etwa drei Monate, nachdem sie Konstantinopel verlassen hatte, vor der Landspitze von Caput Vada (dem heutigen Ras Kabudia) in der Provinz Byzacium ein. Nie zuvor war es einer römischen Armee – ganz gleich, ob weströmisch, oströmisch oder beides zusammen – tatsächlich gelungen, ohne Gegenwehr an der Küste des Vandalenreichs zu landen. Belisar bot sich eine einzigartige Chance, nun musste er das Beste daraus zu machen. Ein in aller Eile einberufener Kriegsrat diskutierte verschiedene Pläne. Archelaos, der ranghöchste Verwaltungsbeamte der Expedition, forderte, sofort nach Karthago weiterzusegeln, da dort der einzige befestigte Hafen im Königreich der Vandalen war, der sowohl der Flotte als auch der Armee als sichere Basis dienen könnte. Aber Belisar wollte sich nicht noch weiter den unberechenbaren Winden des Mittelmeers aussetzen und befahl die sofortige Ausschiffung – sehr zur Erleichterung seiner Soldaten.22 Schnell wurde ein befestigtes Lager errichtet und aus der Umgebung Nahrung eingekauft. Dennoch galt es, keine Zeit zu verlieren, und der Feldherr handelte entsprechend schnell. Einerseits begann Belisar einen Feldzug, auf dem er die Einwohner für sich gewinnen wollte. Schnell gelang es ihm, eine nahe gelegene Ortschaft auf seine Seite zu ziehen. Um den einheimischen römisch-afrikanischen Bauern zu zeigen, dass er es gut meinte, ließ er publikumswirksam ein paar Soldaten hinrichten, die bei ihnen Vorräte entwendet hatten. Außerdem ließ er keine Gelegenheit aus, zu betonen, seine Armee sei einzig und allein dazu da, Hilderich, den rechtmäßigen Herrscher des Vandalenreichs, wieder auf den Thron zu helfen.23 Andererseits bereitete sich die Armee bereits auf die ersten Kampfhandlungen vor. Nach nur drei Tagen – wohl gerade so lange, wie die Soldaten brauchten, ihre Seekrankheit auszukurieren und die Pferde
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ITALIEN
SARDINIEN Ty r r h e n i s c h e s M e e r
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Mittelmeer Leptis Minor
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Syrakus
Karthago
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Karte 2 Die Eroberung Afrikas
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wieder fit zu machen, brach die Armee zu ihrem Marsch auf Karthago, der Hauptstadt des Vandalenreichs, auf. Etwa fünf Kilometer vor dem Hauptteil der Armee ritt eine Vorhut von 300 Kavalleristen, und an der linken Flanke wurden, ungefähr in der gleichen Entfernung, die 600 Massageten eingesetzt. Die Infanterie marschierte in der Mitte, und Belisar bildete mit dem Rest der Kavallerie die Nachhut. Sein Plan war, nach Norden zu ziehen, entlang der großen Küstenstraße, die von Caput Vada nach Karthago führte, vorbei an Leptis Minor, Hadrumentum und Grasse. Vor der Küste begleitete sie die Flotte und versuchte, auf einer Höhe mit den Soldaten zu bleiben.24 Am vierten Tag des Marschs, dem 13. September, erreichte die Armee die Stadt Ad Decimum. Hier, am zehnten Meilenstein vor Karthago, kam es zur Schlacht. Die plötzliche Ankunft der feindlichen Flotte hatte Gelimer vollkommen überrumpelt. 7000 Mann lagen vor Sardinien, und seine restlichen Streitkräfte waren überall verstreut. Er selbst befand sich gerade auf seinem Anwesen im Süden, in Byzacium – Belisar war also rein zufällig zwischen dem König und seiner Hauptstadt gelandet. Gelimers Strategie sah nun vor, die Römer von drei Seiten aus in die Zange zu nehmen. Er befahl seinem Bruder Ammatas, sich mit allen Soldaten, die er auftreiben konnte, südlich von Karthago aufzustellen. Ebenfalls auf Befehl seines Bruders ließ Ammatas den abgesetzten König Hilderich hinrichten – im Grunde war dies die einzige zu erwartende Reaktion, nachdem Belisar überall lautstark verkündet hatte, er sei gekommen, um dem rechtmäßigen König der Vandalen wieder auf den Thron zu helfen. Und es kann gut sein, dass Justinian und sein Feldherr auch genau das bezweckt hatten. Gelimer selbst wollte die Römer mit seinen Truppen von hinten angreifen, während ein dritter Heeresteil mit 2000 Mann unter Gibimund, dem Neffen des Königs, über die Westflanke attackieren sollte.25 Auf dem Papier war dies ein vollkommen plausibler Plan, aber wie in einer Welt ohne Funkverkehr üblich, erwies sich die Koordinierung weit verstreuter Streitkräfte als äußerst schwierig, und so war die erste große Schlacht des Afrikafeldzugs am Ende gar keine richtige Schlacht, sondern lediglich eine Reihe isolierter Scharmützel. Erst gegen Mittag entdeckten Belisars 300 Kavalleristen Ammatas und eine vandalische Vorhut, die von Karthago aus nach Süden unterwegs war: Der Großteil seiner Soldaten lief in Grüppchen von 20 oder 30 Mann auf der Straße hinter Ammatas her und war überhaupt nicht auf einen Kampf vorberei-
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tet. Der römische Kommandant Johannes schritt sofort zur Tat, und es gelang ihm quasi direkt, Gelimers Bruder zu töten, woraufhin der Rest der vandalischen Vorhut die Flucht ergriff. Immerhin war es Ammatas zuvor gelungen, eigenhändig ein Dutzend von Belisars Elitesoldaten zu töten. Doch da Ammatas’ Vorhut und seine übrigen Truppen keine Ahnung hatten, was wirklich vor sich ging, und sicherlich auch fürchteten, sie könnten nach und nach allesamt Belisars restlicher Armee in die Arme laufen, leiteten sie einen übereilten Rückzug nach Karthago ein. Johannes’ berittene Bogenschützen verfolgten die Flüchtenden und jagten sie bis Karthago vor sich her.26 Die nächste Begegnung ereignete sich von Ad Decimum aus etwa sieben Kilometer landeinwärts. Hier trafen Gibimunds 2000 Mann auf Belisars Flanke, die 600 Massageten. Leider finden sich bei Prokop hierüber keine Details, außer dass die feindliche Armee von den Massageten »auf schmachvolle Weise vernichtet wurde«. Ob wirklich alle Soldaten starben, ist unklar, aber mit Sicherheit wurden sie so weit dezimiert, dass sie nicht mehr effektiv kämpfen konnten.27 Belisar, der gar nichts davon mitbekam, setzte seinen Marsch auf Karthago fort, und als er etwa sechs Kilometer südlich von Ad Decimum einen geeigneten Lagerplatz fand, ließ er ein Lager für seine Infanterie errichten, während er sich mit dem Rest seiner Kavallerie aufmachte, um die Kampfkraft der Vandalen zu testen. Alliierte Reitersoldaten, vermutlich die 400 Heruler, ritten voran, gefolgt von 800 von Belisars eigenen Soldaten unter Uliaris, während der Feldherr selbst mit dem Rest seiner Armee, nahezu 3000 Mann, die Nachhut bildete. Als sie von Johannes’ Begegnung mit Ammatas erfuhren, warfen sich die Heruler ohne Rücksicht auf Verluste Gelimers Armee entgegen, die parallel zu Belisars Route auf der großen Küstenstraße nach Ad Decimum vorgerückt war. Die Heruler wurden schnell wieder in die Flucht geschlagen und suchten Deckung bei Uliaris’ Truppen, die daraufhin ebenfalls den Rückzug antraten, bis sie Belisar und den Rest der Kavallerie erreichten. Wütend befahl Belisar ihnen allen, wieder umzukehren; er selbst wandte sich mit 4000 Reitern nach Norden, um Gelimer aufzuspüren. Prokops Ansicht nach hätte der Vandalenkönig das Blatt zu diesem Zeitpunkt noch wenden können, wenn er sich zu einem vollen Frontalangriff entschlossen hätte, denn zahlenmäßig war er den Römern weit
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überlegen. Doch es kam gar nicht zu einer Schlacht. In der Zwischenzeit hatte Gelimer nämlich erfahren, dass sein Bruder tot war, und die Kunde vom Schicksal seines Neffen war möglicherweise ebenfalls bereits zu ihm durchgedrungen. Der König hatte kein Interesse an einem weiteren Konflikt und wollte stattdessen seine Verluste betrauern. Daher ordnete er den allgemeinen Rückzug an – aber nicht zurück nach Karthago, wo er wenigstens noch Johannes’ Vorhut hätte in die Falle locken können, sondern nach Osten in die Ebene von Bulla. Als Belisars Kavallerie endlich die Vandalenarmee entdeckte, befand sich jene bereits auf dem Rückzug. In der Dämmerung kehrten die Massageten und Johannes’ Vorhut zurück. Belisar wusste, dass der Weg nach Karthago nun frei war. So hatte die römische Armee ihren ersten großen Sieg errungen, ohne dass irgendwer damit gerechnet hätte. Die Infanterie hatte gar nicht erst das Lager verlassen müssen.28 Am 14. September rückten sämtliche römischen Truppen bis in die Außenbezirke von Karthago vor, aber da Belisar fürchtete, dort könne ein Hinterhalt auf sie warten, betraten sie die Stadt noch nicht – zumal der Feldherr vermeiden wollte, dass seine Soldaten den Einbruch der Nacht dazu nutzten, die dortigen Häuser und Geschäfte zu plündern; dass ein paar Schiffe bereits in den Hafen einfuhren, um einen eigenen kleinen Raubzug durchzuführen, konnte er nicht verhindern. Aber es gab keinen Hinterhalt und keine Falle, und am nächsten Tag zog die siegreiche römische Armee in die Stadt ein. Belisar richtete sich im Königspalast ein, in dem früher viele Generationen römischer Statthalter gewohnt hatten, und nahm dort als Erstes ein eigentlich für Gelimer zubereitetes Mittagessen ein.29 Binnen nur einer Woche nach ihrer Landung hatten sich Belisars Soldaten in der größten Stadt Nordafrikas verschanzt. Der Gegensatz zu den gescheiterten Expeditionen der Jahre 441, 461 und 468 hätte nicht größer sein können. Was folgte, war eine Art Sitzkrieg. Belisar war vorsichtig wie immer, und da ihm klar war, dass die Eroberung Karthagos bereits viel mehr war, als Justinian, zumindest für den Anfang, von ihm erwartet hatte, setzte er zunächst einmal die Stadtmauer instand, um die sich die Vandalen schon lange nicht mehr gekümmert hatten. Er schickte ein paar betont optimistische Botschaften und einige ausgewählte Beutestücke nach Konstantinopel, und konzentrierte sich ansonsten darauf, die römisch-afrikanische Provinzbevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Seine
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Soldaten wurden, wie es Usus war, in Privatwohnungen in der Stadt einquartiert, und alle Vorräte für die Armee wurden gewissenhaft auf den Märkten eingekauft. Die Plünderer der Flotte wurden bestraft. Gleichzeitig nahm Belisar alle Vandalen gefangen, derer er habhaft werden konnte. Einige waren nach Ad Decimum geflohen und hatten in den dortigen Kirchen Zuflucht gesucht. Sie wurden zusammen mit allen bisherigen Gefangenen in Karthago untergebracht. Wie und wo, beschreibt Prokop nicht im Detail, er schildert lediglich, wie Gelimers Soldaten, als sie sich zu einem eventuellen Gegenangriff versammelten, darüber klagten, wie viele ihrer Frauen und Kinder sich in den Fängen der Römer befänden. Offenbar waren Belisars Soldaten vor allem damit beschäftigt, in den vielen verstreuten Siedlungen von Proconsularis westlich der Stadt, die nach der Eroberung Karthagos nun ebenfalls fest in römischer Hand waren, Vandalen zu identifizieren und festzusetzen, was Gelimer nicht verhindern konnte, da er ja östlich von Karthago in der Ebene von Bulla sein Lager aufgeschlagen hatte.30 Gelimer leckte also seine Wunden und zog seine restlichen Truppen zusammen. Er schickte Boten nach Sardinien, um seine Flotte und die 7000 vandalischen Elitesoldaten zurückzubeordern. Außerdem versuchte er, Hilfe von außen zu organisieren. Schon im September hatte er eine Gesandtschaft zu den Westgoten in Hispanien geschickt, aber eine solche Reise dauerte damals so lange, dass die Gesandten erst am gotischen Hof eintrafen, als bereits ein Bote Ostroms gemeldet hatte, dass Belisar Karthago erobert hatte. Niemanden wird überraschen, dass die Goten bei dieser Ausgangslage davon absahen, den Vandalen zu Hilfe zu kommen.31 Als Nächstes versuchte der König, Berber zu rekrutieren, die in den Wüstengebieten an den Außengrenzen seines Königreichs lebten, traf dabei aber auf wenig positive Reaktionen – immerhin war es ein Aufstand der Berber gewesen, der Hilderichs Thron damals zum Wanken gebracht hatte. Trotz allem fühlte sich Gelimer im Spätherbst stark genug, den Kampf wieder aufzunehmen. Als er sich Karthago näherte, unterbrach er eines der Aquädukte, die zur Stadt führten, und er zahlte allen römisch-afrikanischen Landbewohnern ein Kopfgeld, wenn es ihnen gelang, Belisars Truppen, die außerhalb der Stadt unterwegs waren, um Nahrung zu besorgen, zu überfallen und ihm die Köpfe der römischen Soldaten zu bringen. Außerdem nutzte Gelimer seine Kontakte in der Stadt, um innerhalb von Belisars Armee Zwietracht zu säen. Die Massageten sollten
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große Summen Geld erhalten, wenn sie die Seiten wechselten. Mindestens ein einflussreicher römischer Bürger Karthagos wurde auf frischer Tat ertappt, wie er mit den Vandalen gemeinsame Sache machte. Der Feldherr ließ ihn öffentlich pfählen, um jedem klarzumachen, dass er zwar seiner Armee nicht gestattete, die indigene Bevölkerung Nordafrikas zu misshandeln oder zu berauben, doch jeden Verräter aus den eigenen Reihen mit dem Tode bestrafen würde. Gelimer rückte indes mit seinen Vandalen weiter vor, doch er wollte auf keinen Fall einen Belagerungskrieg führen – die Befestigungsanlagen waren ja gerade erst erneuert worden. Die taktische Initiative überließ er also Belisar; der Römer würde bestimmen, wann und wo es zum Showdown käme.32 Drei Monate nach der Schlacht bei Ad Decimum öffnete Belisar die Tore Karthagos und marschierte mit seiner Armee in zwei Abteilungen gegen die Vandalen. Die Vorhut bildete der Hauptteil der Kavallerie, die in der letzten Begegnung so triumphal gesiegt hatte, unter dem Kommando eben jenes Johannes, dessen Soldaten Ammatas getötet hatten. Nicht weit dahinter kam der von Belisar angeführte Hauptteil der Armee: die gesamte Infanterie und eine kleinere Streitmacht von 500 Kavalleristen. Am Abend erspähte die Vorhut Gelimer und seine Armee bei Tricamarum, etwa 30 Kilometer von Karthago entfernt. Die Vandalen hatten ihr Lager mit einer befestigten Palisade umgeben, um ihre Frauen und Kinder zu schützen. Der Tag der Schlacht begann ganz ruhig; gegen Mittag verließen die Vandalen in Schlachtordnung ihr Lager, doch sie machten hinter einem kleinen Fluss halt. Johannes tat dasselbe mit seinen Streitkräften am anderen Ufer, doch bevor die Schlacht beginnen konnte, rückte Belisar mit dem Rest der Kavallerie an; die Infanterie versuchte, so gut es ging, Schritt zu halten. Auf Belisars Befehl hin begann der Kampf mit einer Reihe von Scharmützeln, die durchweg von den Römern initiiert wurden. Johannes und eine ausgewählte Gruppe von Kavalleristen ritten zwei Einsätze gegen das Zentrum des vandalischen Heeres und zogen sich jedes Mal zurück, wenn sie Gegenwehr erfuhren, um sich in den Schutz der römischen Hauptstreitmacht zu begeben – ein Musterbeispiel für den Einsatz leichter und schwerer Kavallerie, wie die Militärhandbücher des 6. Jahrhunderts ihn beschreiben. Die Vandalen weigerten sich jedoch, diesen Köder zu schlucken. Belisars nächster Schritt bestand da-
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rin, einen Generalangriff einzuleiten und mit seiner gesamten Kavallerie den Fluss zu überqueren. Die Römer waren an allen Fronten im Vorteil und trieben ihren Gegner zu seinen Palisaden zurück; sie verloren weniger als 50 Mann, die Vandalen 800. Inzwischen war die römische Infanterie eingetroffen, und Belisar machte sich daran, einen groß angelegten Angriff vorzubereiten, der am Nachmittag erfolgen sollte. Aber das war nicht mehr nötig. Als er gewahr wurde, wie viele römische Infanteristen im Anmarsch waren, geriet Gelimer in Panik und floh; sobald seine anderen Einheiten davon Wind bekamen, ergriffen sie ebenfalls die Flucht. Jeglicher organisierte Widerstand brach zusammen, und die Vandalen, von denen viele ihre Frauen und Kindern dabeihatten, wurden auf der Flucht niedergemetzelt. Aber da sie in ihrem Lager eine große Menge wertvoller beweglicher Güter zurückgelassen hatten, gab auch Belisars Armee schnell jeden Zusammenhalt auf und verlegte sich vom Kämpfen direkt aufs Plündern.33 So endete die Schlacht bei Tricamarum beinahe im Chaos. Doch das änderte nichts an ihrem Ausgang. Gelimer zog weiter westwärts entlang der Küstenstädte seines früheren Königreichs. Belisar legte eine Pause ein, um seine Soldaten wieder zur Ordnung zu rufen und alle versprengten Vandalen, die noch irgendwo in der Nähe des Schlachtfeldes zurückgeblieben waren, festzusetzen. Als Nächstes machten sich die Römer auf die Suche nach Gelimer. Bei Hippo Regius gerieten ihnen eine demoralisierte Gruppe führender Vandalen und der vandalische Königsschatz in die Hände. Gelimer selbst gelang es, sich bei einem Berberstamm auf dem nur schwer zugänglichen Berg Papua an der Grenze zu Numidien in Sicherheit zu bringen; dort konnte ihm niemand etwas anhaben, aber er konnte auch nicht verhindern, dass Belisar die letzten verbliebenen Vandalen gefangen nahm. Im März 534 hatte Gelimer genug vom Versteckspielen und handelte Bedingungen für eine Kapitulation aus. Wie es heißt, verlangte er lediglich etwas Brot, einen Schwamm, um sein entzündetes Auge zu behandeln, und eine Lyra, um Klagelieder über den Fall seines Königreichs zu singen.34 Zu diesem Zeitpunkt war die Eroberung des Vandalenreichs so weit abgeschlossen, dass nur noch vereinzelte Aufräumarbeiten nötig waren. Kleinere Expeditionseinheiten nahmen die Territorien der Vandalen jenseits des Meeres in Besitz: Sardinien, den äußersten Westen Siziliens
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sowie eine Reihe von Küstenstädten gen Westen, bis zur Straße von Gibraltar. Im Sommer 534 konnte Belisar bereits nach Konstantinopel zurückkehren, mit Gelimer und einer Schar vandalischer Gefangener im Schlepptau. Er musste sich gegen üble Vorwürfe wehren – eifersüchtige Kontrahenten hatten das Gerücht aufgebracht, er plane einen Staatsstreich. Justinian überhäufte ihn mit allen denkbaren Ehren, und das hatte er sich auch mehr als verdient. Belisar wurde der erste Nichtkaiser seit einem halben Jahrtausend, dem ein formeller Triumph gewährt wurde. Dabei fuhr ein siegreicher Feldherr im Rahmen einer unbewaffneten Prozession in einem vierspännigen Wagen durch die Straßen der Hauptstadt, begleitet von Teilen seiner Armee, von Kriegsgefangenen und der Kriegsbeute. Im republikanischen Rom hatte man diese Zeremonie dazu genutzt, den Göttern zu danken und den Feldherrn zu feiern, der den Sieg errungen hatte. Dass seit Augustus keinem Nichtkaiser eine solche Ehre mehr zuteil geworden war, stand ganz im Einklang mit der ideologisch gefärbten Behauptung, letztlich sei es die Legitimität des Kaisers, die einen Sieg garantiere, ganz gleich, ob dieser selbst auf dem Schlachtfeld präsent war oder nicht. Der Bruch mit dieser Tradition unterstreicht, wie außergewöhnlich und wie unerwartet Belisars Triumph über die Vandalen war – und wie wichtig dieser Triumph für Justinians Regime war, das politisch eben noch mit dem Rücken zur Wand gestanden hatte. Die Bürger Konstantinopels wurden also Zeugen einer großen Siegesparade, bei der Belisar ihnen seine Soldaten, viele vandalische Kriegsgefangene (vor allem die Königsfamilie) und tonnenweise erbeutete Schätze präsentierte, auch wenn der althergebrachte Ablauf des Triumphs sorgfältig umgestaltet worden war, um klarzustellen, dass das Ganze eigentlich Justinians Verdienst war. Auf dem Höhepunkt der Inszenierung, als der Zug das Hippodrom erreicht hatte, nahm Belisar seinen Siegerkranz ab und fiel auf die Knie, um dem Kaiser in dessen Loge die Füße zu küssen. Doch der Triumph war längst nicht alles: Der Herrscher belohnte seinen Feldherrn für seinen Erfolg und seine Loyalität zusätzlich mit dem Konsulat für das folgende Jahr, der größten zivilen Ehre überhaupt. Anlässlich dessen gab es schon wieder eine Parade: Am 1. Januar 535 wurde Belisar von Vandalen in einer Sänfte durch die Stadt getragen – eine weitere Erinnerung an den außerordentlichen Dienst, den er seinem Kaiser erwiesen hatte.35
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Das Eintreffen Belisars mit seinen Gefangenen in Konstantinopel markierte den Punkt, an dem das politische Vermächtnis der Koalition, die damals den Rhein überschritten hatte, als unabhängige Kraft völlig vernichtet war. In all den Jahren, bis die oströmische Armee in Caput Vada landete, hatte sich der Charakter bzw. die Zusammensetzung jenes Teils der Bevölkerung, der in der Politik des vandalischen Königreichs den Ton angab, nicht grundlegend verändert: eine zahlenmäßig beschränkte Militäraristokratie, die großzügig mit Landbesitz belohnt worden war, nachdem Geiserich im Jahr 439 Karthago erobert hatte. Damals hatte diese Gruppe aus etwa 10 000 bis 15 000 Kriegern samt Anhang bestanden – es waren die direkten Nachfahren dieser Krieger, die Belisar besiegt hatte. Mit diesem Sieg vernichtete er sie zugleich als gesellschaftspolitische Einheit. Einerseits geschah dies natürlich auf dem Schlachtfeld. Selbst wenn man annimmt, dass sich die militärische Elite der Vandalen im Frieden und Wohlstand, der seit den 470er-Jahren herrschte, weiter vermehrt hatte, kann sie nicht mehr als 20 000 bis 25 000 Mann gezählt haben, sodass die 2000, die unter Gibimund bei Ad Decimum, und die 800, die bei Tricamarum fielen, alles andere als unbedeutende Verluste waren. Dies sind die einzigen konkreten Zahlen, die Prokop angibt, doch es ist davon auszugehen, dass auf dem ungeordneten Rückzug, der jeder der beiden Auseinandersetzungen folgte, viele weitere Elitekrieger gestorben sind. Außerdem nahmen Belisars Truppen abseits des Schlachtfelds alle Angehörigen der vandalischen Elite, derer sie habhaft werden konnten, gefangen (nach Ad Decimum, in Karthago, nach Tricamarum und noch weiter bis ins Frühjahr 534). Alle jüngeren wehrfähigen Männer wurden in Richtung Osten abtransportiert. Gelimer und einige Mitglieder seiner Königsfamilie erhielten zur Wiedergutmachung Landgüter in Kleinasien, aber die meisten überlebenden vandalischen Soldaten – insgesamt etwas mehr als 2000 Mann – mussten die Bäder, die Villen und den Jagdsport gegen das harte Leben bei den römischen Auxiliartruppen eintauschen. Sie bildeten fünf neue Kavallerie-Einheiten, über die gesamte persische Front verstreut. Natürlich gab es auch Vandalen, die Belisars Häschern entkamen. Manche schlossen sich diversen Berbergruppen im afrikanischen Binnenland an, und etwa 600 von ihnen traten bei späteren Konflikten noch einmal in Erscheinung. Dennoch: Die oströmische Armee hatte dem Vandalenreich auf dem Schlachtfeld und durch die anschließende
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Deportation regelrecht das Herz herausgerissen. Einen effektiveren politischen Genozid hat es kaum jemals wieder gegeben.36 Innerhalb von gerade einmal zehn Monaten nach Belisars Landung in Caput Vada war alles schon wieder vorbei, und die meisten römischen Soldaten hatten gar nicht kämpfen müssen. Wie Prokop feststellt: Ob solch ein Ereignis jemals zuvor stattgefunden hat, vermag ich nicht zu sagen, doch der vierte Nachkomme Geiserichs und sein Reich, das sich gerade auf dem Höhepunkt seines Reichtums und seiner militärischen Stärke befand, wurden in so kurzer Zeit durch 5000 Soldaten vernichtet, die als Invasoren kamen und nicht einmal einen Ankerplatz hatten. Denn dies war die Anzahl der Reiter, die Belisar folgten und die die ganze Last des Krieges gegen die Vandalen schulterten.37
Zwei Gefechte in drei Monaten, bei denen Belisars Infanterie nicht ein einziges Mal hatte ausrücken müssen, reichten aus, um ein Königreich zu stürzen, das einen Großteil des 5. Jahrhunderts lang den Mittelmeerraum terrorisiert hatte. Aus heutiger Sicht fällt es leicht, diesen erstaunlichen Sieg als selbstverständlich hinzunehmen, aber man sollte die Art und Weise, wie er zustande kam, sorgfältig untersuchen – nicht zuletzt, weil er bei der weiteren Entwicklung der Politik innerhalb von Justinians Regime eine entscheidende Rolle spielte. Belisars überwältigender Erfolg war zum Teil auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Römer mit ihrer Armee diesmal an einem nordafrikanischen Ufer landen konnten, was ihren Vorgängern Mitte des 5. Jahrhunderts drei Mal in Folge nicht gelungen war. Aber Belisar hatte seinen Sieg mitnichten nur der Tatsache zu verdanken, dass die vandalische Flotte gerade nicht vor Ort war, um die Landung der Römer zu verhindern. Im 5. Jahrhundert waren die Vandalen durchaus in der Lage gewesen, selbst gegen römische Elitetruppen effektiv vorzugehen. Die ersten Auseinandersetzungen von 416–418 hatten für die RheinKoalition in einer Katastrophe geendet, aber dank eines immer größeren politischen Zusammenhalts, der Erkenntnisse aus früheren Niederlagen und von ein wenig Hilfe seitens der Westgoten war eine Streitmacht entstanden, die in der Lage war, einer kompletten römischen Feldarmee eine schwere Niederlage beizubringen. In Nordafrika hatten Geiserichs Streitkräfte in den 430er-Jahren dann so effektiv gegen eine kombinierte ost-
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und weströmische Armee gekämpft, dass sie zuerst Land in Numidien zugeteilt bekamen und schließlich sogar Karthago in Besitz nahmen. Im Anschluss daran versetzten die Schiffe vandalischer Plünderer dreißig Jahre lang weite Teile des Mittelmeers in Angst und Schrecken. Der Kontrast zwischen den großen militärischen Leistungen der Vandalen im 5. Jahrhundert und ihrer völligen militärischen Unfähigkeit gegenüber Belisars Armee – bei kleineren Kämpfen (zum Beispiel bei Ad Decimum, wo die Massageten Gibimund besiegten) genauso wie bei großen Schlachten (zum Beispiel bei Tricamarum) – ist erstaunlich. Prokop hat für das Nachlassen der kriegerischen Stärke der Vandalen eine einfache Erklärung: Schuld war ihre Dekadenz. Damals, als sie von der Slowakei nach Karthago gezogen waren, hatten sie schreckliche Verluste erlitten und zahllose Kämpfe führen müssen. Folglich mussten die überlebenden Mitglieder der Koalition, die es bis nach Nordafrika schafften, außerordentlich kampferprobt gewesen sein. Doch den nachfolgenden Generationen der Vandalen, die – insbesondere seit dem Friedensschluss mit den Römern, den Geiserich 473 ausgehandelt hatte – in Frieden und Überfluss hineingeboren wurden, fehlte diese Erfahrung. Auch mit Gelimers Führungsqualitäten war es, wie aus Prokops Schilderungen hervorgeht, nicht allzu weit her. Seine prätentiösen Forderungen in den Kapitulationsverhandlungen kann man ihm vielleicht noch nachsehen – wer würde nach einer solchen Reihe von Katastrophen nicht etwas sonderlich werden? Dennoch: Bei Ad Decimum scheint er sich sehr schnell zurückgezogen zu haben, nachdem er erfahren hatte, dass sein Bruder tot war; ein etwas entschlossenerer Heerführer hätte Johannes’ Soldaten und vielleicht auch den Massageten durchaus etwas entgegensetzen können – und das wiederum hätte Belisar sicherlich zumindest verunsichert. Auch dass er in der entscheidenden Schlacht des Krieges, bei Tricamarum, so schnell die Flucht ergriff, ist kaum das Kennzeichen einer effektiven inneren Führung. Andererseits war Gelimer, wie wir wissen, durchaus ein geschickter und abgehärteter Stratege: Er war effektiv gegen die Berber vorgegangen, die ihrerseits später den Römern einige Probleme bereiten sollten. Dieser Umstand wie auch die Details von Prokops Erzählung deuten für mich darauf hin, dass die vandalische Führungskrise nicht die Ursache, sondern vielmehr die Folge der offensichtlichen Überlegenheit von Belisars Armee auf dem Schlachtfeld war. Ganz deutlich zeigt sich dies
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bei der Zerstörung von Gibimunds Truppe und beim einseitigen Blutbad bei Tricamarum. Dennoch lassen Prokops Erzählungen über den Nordafrikafeldzug einiges zu wünschen übrig. Im Falle von Tricamarum legt Prokop Gelimer und seinem anderen Bruder, Tatzon, dem Anführer der zurückgekehrten Sardinienexpedition, Seite um Seite erfundene Dialoge in den Mund; das eigentliche Kampfgeschehen handelt er in wenigen kurzen Absätzen ab.38 Nirgends teilt er uns mit, warum die Vandalen 800 Mann verloren und die Römer nur 50. Da der Angriff ausschließlich von der Kavallerie ausging, sorgten mit großer Wahrscheinlichkeit berittene Bogenschützen für die großen Verluste beim Feind. Mit anderen Worten: Der grundlegende Schlüssel zu Belisars Erfolg (abgesehen von seinem Glück, was die Landung betrifft) war die Umstrukturierung des oströmischen Heeres im 6. Jahrhundert. Generell glaube ich nicht, dass die Entwicklung militärischer Technologie zu einer umfassenderen Erklärung historischer Abläufe taugt; die Gegenpartei bekommt diese Technologie normalerweise ebenfalls schnell in die Finger oder findet Mittel und Wege, sich zu wehren. Doch gelegentlich kann neue Militärtechnik einen entscheidenden Vorteil bieten, wenn auch nur für kurze Zeit. Ein klassisches Beispiel der jüngeren Zeitgeschichte sind die beiden Golfkriege. Saddam Hussein hatte lange und erbittert gegen den Iran gekämpft, aber mit Waffen und Taktiken, die im Wesentlichen noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammten und nur ein wenig weiterentwickelt waren. Der topmodernen Ausrüstung der von den Vereinigten Staaten angeführten Koalition hatte er damit auf dem Schlachtfeld nichts entgegenzusetzen, weder 1991 noch 2003. Prokops Bericht über den Zusammenbruch des Vandalenreichs wird erst verständlich, wenn man die Einführung berittener Bogenschützen im Stil der Hunnen und die neuen taktischen Strategien der Römer betrachtet. Beides ermöglichte eine auf dem Schlachtfeld wesentlich effektivere Kombination von leichter und schwerer Kavallerie (siehe Kapitel 2). Die Vandalen wussten nur, wie man gegen römische Armeen des 5. Jahrhunderts kämpfte, die wie ihre früheren Pendants vor allem auf die Schockwirkung einer disziplinierten, gut geführten schweren Infanterie gesetzt hatten, während die Kavallerie nur die Flanken geschützt und zur Aufklärung gedient hatte. Gelimers Heer verfügte ebenfalls über zahlreiche Reiter, wie allein die Tatsache beweist, dass die überlebenden Vandalen später an der Ostfront in römischen Kavallerieeinheiten zum Einsatz ka-
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men. Aber berittene Bogenschützen hatten die Vandalen nicht, und sie hatten bislang auch keinerlei Erfahrung damit gesammelt, was die sorgfältig eingeübten Interaktionen leichter und schwerer Kavallerieeinheiten anrichten konnten, wie sie für die Kriegsführung in Ostrom inzwischen von zentraler Bedeutung waren. Die Niederlage der Vandalen ist also weitgehend darauf zurückzuführen, dass sie mit einem überholten Militärapparat einen neuartigen Krieg führen mussten. Der hauptsächliche Anlass der Umstrukturierung, die das oströmische Militär vom 5. zum 6. Jahrhundert erfuhr, waren sicherlich seine traditionellen Gegner auf dem Balkan und in Mesopotamien, aber die Kavallerie-Revolution verlieh ihm einen überwältigenden Vorteil gegenüber den inzwischen geradezu antiquierten Streitkräften des Vandalenreichs. Die Folgen dieser Entwicklung bekamen bald der ganze Mittelmeerraum und der Nahe Osten zu spüren.
6 Rom und Ravenna
I
n Konstantinopel hatte Belisars Sieg Justinian seine ideologische und politische Glaubwürdigkeit zurückgegeben. Die Schrecken des NikaAufstands waren vergessen und der Freude über einen Sieg gewichen, wie er noch nie da gewesen war. Gott hatte eindrucksvoll seine Macht demonstriert, denn auch wenn die Truppen im Feld nicht vom Kaiser, sondern von Belisar befehligt worden waren, so hatte sich in dem außergewöhnlichen Triumph, der den Römern so leicht gefallen war, wie es sich niemand hätte ausmalen können, vor allem eines manifestiert: dass Gott Justinian als Herrscher eingesetzt hatte. Das politische Prestige des Kaisers erfuhr einen enormen Aufschwung. Allein schon die Zahl der Gefangenen und der Wert der Kriegsbeute waren überwältigend, wobei ein Großteil der Beute aus Gütern bestand, die die Vandalen selbst im 5. Jahrhundert in Rom und anderswo rund ums Mittelmeer erbeutet hatten; auch Schätze aus dem Tempel von Jerusalem waren dabei (die Titus vierhundert Jahre zuvor dort gestohlen hatte). Viel wichtiger jedoch waren die politischen Vorteile. Gott hatte gesprochen, und er hatte auf dem Schlachtfeld nun einmal das letzte Wort. Das Regime war ab sofort unantastbar, und Justinian konnte es sich leisten, großmütig zu sein: Die achtzehn nach dem Nika-Aufstand verbannten Senatoren wurden begnadigt, und die Familien von Hypatius und Pompeius erhielten ihr Vermögen zurück.1 Der Kaiser hatte hoch gepokert, und es hatte sich ausgezahlt. Die erstaunliche Geschwindigkeit, mit der Belisar seinen Sieg errungen hatte, setzte in den oberen Sphären von Justinians Regime ganz neue Gedankenketten in Gang.
Petros Patrikios Die erste öffentliche Stellungnahme des Regimes zu seinem Sieg in Nordafrika findet sich in einem Gesetz von Anfang 534; darin erklärte es den Triumph als einen Sieg des Glaubens: Gott hatte die Vandalen
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dafür bestraft, dass sie sich gegen die katholische Kirche versündigt hatten.2 In diesem Gesetz fehlt jeglicher Hinweis, dass Nordafrika früher einmal dem Römischen Reich angehört hatte, und genauso wenig gab es die Andeutung, weder eine implizite noch eine explizite, einer aggressiven Eroberungspolitik, die auf andere ehemals römische Gebiete ausgedehnt werden könnte. Hinter verschlossenen Türen plante das Regime jedoch bereits weitere Militäraktionen.3 Das nächste Ziel nach Nordafrika, so es denn eines geben sollte, war im Grunde ganz offensichtlich: das italische Königreich der Ostgoten. Ganz abgesehen davon, welche ideologische Anziehungskraft von der Stadt Rom ausging – zumal für einen Kaiser, der sich selbst als »Römer« stilisierte: Die Goten kontrollierten in Italien zahlreiche sehr ertragreiche Agrarflächen, die sich gut besteuern ließen. Außerdem hatte die italische Halbinsel eine große strategische Bedeutung; wie Belisars Reiseroute nach Caput Vada zeigt, die über Sizilien, Gozo und Malta führte, war die Verbindung zwischen dem italischen Festland und den zentralen nordafrikanischen Provinzen rund um Karthago aufgrund der vorherrschenden Winde und Strömungen auf natürliche Weise eng. Es war ungleich schwieriger, nach Nordafrika zu gelangen, indem man von Ägypten aus nach Westen segelte.4 Wer Italien und Nordafrika kontrollierte, dem gehörte das ganze zentrale Mittelmeer. Ein weiterer Pluspunkt: Man konnte mit großen Armeen über Land nach Süditalien gelangen und war nicht auf den Transport per Schiff angewiesen (vor dem Belisars Soldaten solche Angst gehabt hatten), auch wenn dies einen ziemlich anstrengenden Marsch durch einige der raueren Gegenden des Balkans bedeutete. Andererseits war das ostgotische Italien Ostrom zumindest offiziell freundlich gesinnt; die Ostgoten hatten durch ihre materielle Unterstützung die Eroberung Nordafrikas überhaupt erst möglich gemacht, vor allem indem sie die Römer, als deren Flotte vor Sizilien lag, mit Pferden versorgt hatten. Justinian sollte also besser jeden Schritt gut abwägen, wenn sein Regime langsam mit dem Gedanken spielte, dass die Intervention in Afrika vielleicht nur das erste Kapitel eines viel umfassenderen Eroberungsfeldzugs sein könnte. Was es brauchte, waren politische Umstände, die zu gegebener Zeit eine militärische Intervention ermöglichen würden. Und tatsächlich ergaben sich solche Umstände auch recht bald, und zwar im besten aller Jagdreviere für politische Opportunisten: der Thronfolge. Ihre immense
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Abb. 7 Das Mausoleum Theoderichs des Großen. Unter seiner Kontrolle wuchs das ostgotische Königreich zu einem gewaltigen Imperium an.
Bedeutung haben wir für den Fall Konstantinopel bereits kennengelernt, doch in Italien war die Thronfolge ein genauso wichtiger Faktor – und überall sonst natürlich auch. Nichts konnte aktuelle politische Beziehungen so sehr destabilisieren wie der Gedanke daran, was unter einem neuen Herrscher alles würde geschehen können. Das ostgotische Königreich war unter seinem Gründer Theoderich dem Großen (493–526, siehe Abb. 7) regelrecht aufgeblüht, doch dessen Nachfolgepläne gingen nicht auf. Er selbst hatte keinen Sohn, folglich sollte seine Tochter Amalasuentha die Dynastie weiterführen. Er verheiratete sie mit einem geeignet scheinenden jungen Mann namens Eutharich, doch leider starb jener noch vor seinem Schwiegervater. Immerhin hatten die beiden bereits einen Sohn, Athalarich, doch der war noch ein Knabe, als sein Großvater starb. Konnte ein Minderjähriger das gotische Königtum erben? In den oberen Sphären des Königreichs gingen die Meinungen auseinander, und ein erbitterter Machtkampf brach aus, obwohl Theoderich mit Sicherheit vorgesehen hatte, dass Athalarich den Thron erben sollte. Unsere Quellen dazu stammen alle aus dem ostgotischen Königreich, und sie gewähren uns einen ungewöhnlich detaillier-
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ten Einblick in das politische Chaos, das ausbrach, als die verschiedenen Fraktionen bei Hofe in ihrem Ehrgeiz alle möglichen Thronanwärter ins Spiel brachten und sich herauskristallisierte, wer wen unterstützte. Neben Athalarich gab es mindestens zwei weitere ernsthafte Kandidaten: Theoderichs Neffen Theodahad und einen angesehenen Feldherrn namens Tuluin, der in die königliche Amaler-Dynastie eingeheiratet hatte. Der Machtkampf nahm solche Formen an, dass es zu militärischen Unruhen kam. Am Ende erhielten Theodahad und Tuluin Geld dafür, dass sie ihre Kandidatur zurückzogen. Aber da ein Neunjähriger nicht regieren konnte, ging der Machtkampf weiter, nur eben mit einem neuen Ziel: Jetzt ging es nicht mehr darum, wer König werden würde, sondern wer im Regentenrat, der dem jungen König während seiner Regentschaft zur Seite stehen würde, den Ton angab.5 Wie Prokop berichtet, wollte Amalasuentha, dass ihr Sohn eine römische Erziehung genoss, während sich drei ihrer älteren gotischen Rivalen im Regentenrat dafür aussprachen, dass er wie ein »richtiger« Gote erzogen würde. Sie verwiesen auf ein vermeintliches Sprichwort des alten Königs: Fürchtet ein Junge erst einmal den Stock (das traditionelle »Lehrmittel« lateinischer magistri), so wird er niemals lernen, Schwert und Speer zu verachten. Diese Geschichte ist kaum mehr als eine Anekdote, zumal Theoderich seinen eigenen Kindern eindeutig eine klassische Erziehung hatte angedeihen lassen. Jedenfalls: Wer die Erziehung des Königs kontrollierte, der konnte sicherlich ganz unmittelbar die politischen Geschicke im Königreich beeinflussen; Prokop erwähnt ausdrücklich, dass Amalasuenthas Rivalen das Thema dazu nutzen wollten, die Königin in den politischen Ruhestand zu drängen. Der Konflikt nahm solche Formen an, dass Amalasuentha offenbar sogar um ihr Leben fürchtete. Auf jeden Fall ließ sie ein Schiff mit Geld und Gold beladen und schickte es nach Epidamnos, einer Hafenstadt an der Ostküste der Adria (im heutigen Albanien), wo es auf sie warten würde, falls sie einmal gezwungen sein sollte, sich nach Konstantinopel abzusetzen. Am Ende gelang es ihr aber doch, ihre drei Rivalen auszuschalten, indem sie sie auf ranghohe Posten in verschiedenen Provinzen beförderte – wo sie sie dann ermorden ließ. Prokop nennt ihre Namen nicht, doch einer der drei war wahrscheinlich Tuluin. Um ihre Position weiter zu stärken, demütigte die Königin in aller Öffentlichkeit den anderen Thronanwärter, ihren Cousin Theodahad, in-
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dem sie ihn wegen Landraubs in der Toskana vor Gericht stellte und ihn zwang, alles zurückzugeben, was er angeblich »gestohlen« hatte. Es war eine brutale Auseinandersetzung gewesen, doch am Ende hatte sich die Königin durchgesetzt und ihre Regentschaft geschützt – ohne Rücksicht auf Verluste.6 Langfristig war es für Amalasuentha allerdings ein Pyrrhussieg. Die Ermordeten hatten, wie Prokop es ausdrückt, »zahlreiche und bedeutende« Angehörige, sodass die Königin letztlich dafür gesorgt hatte, dass sich eine ebenso klar identifizierbare wie mächtige politische Opposition etablierte. Den eigentlichen Preis für ihr Überleben zahlte sie aber erst, als klar wurde, dass ihr Sohn im Sterben lag. Prokop bezeichnet die Krankheit, die Athalarich am 2. Oktober 534 dahinraffen sollte, als »zehrendes Leiden«. Wann genau klar wurde, dass er krank war, wissen wir nicht, vermutlich war es im Frühling oder Frühsommer jenes Jahres. Dass diese Nachricht am ostgotischen Hof für gewaltigen Wirbel sorgen würde, war zu erwarten gewesen. Wieder entbrannte der Kampf um die Thronfolge, und die politische Stabilität war dahin, als Erwägungen möglicher künftiger Vorteile einmal mehr alle bestehenden Allianzen zunichtemachten. In etwa zu dieser Zeit, nach Belisars Sieg in Nordafrika und vor Athalarichs Tod, traf die erste oströmische Gesandtschaft in Ravenna ein. Offiziell ging es um zwei kleinere Auseinandersetzungen Justinians mit dem gotischen Königreich: Amalasuentha sollte einen kleinen Teil Siziliens, der zuvor von den Vandalen kontrolliert worden war, an Konstantinopel abtreten und obendrein zehn Massageten ausliefern, die nach Italien gesegelt und zu den Ostgoten übergelaufen waren. Vielleicht dienten diese Angelegenheiten dem Kaiser bereits als Vorwand, um in unruhigen Gewässern zu fischen, doch Amalasuenthas Reaktion setzte eine mögliche Intervention in Italien gleich nach ganz oben auf die Tagesordnung des Regimes in Konstantinopel: Die Königin wies Justinians Forderungen in der Öffentlichkeit zurück, bot ihm hinter verschlossenen Türen jedoch an, ihm die Kontrolle über ihr Königreich zu überlassen, wenn er ihr im Gegenzug einen sicheren Ruhestand garantieren könne, bei dem es ihr an nichts fehle. So vergiftet war die Stimmung am gotischen Hof zu diesem Zeitpunkt!7 Justinian reagierte, indem er einen neuen bevollmächtigten Botschafter an den gotischen Hof schickte, Petros Patrikios (den »Patrizier«). Er stammte aus Dara in Mesopotamien, dem Schauplatz von Belisars
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erstem Sieg, und war ein angesehener Anwalt und Gelehrter. Prokop zeichnet ihn in seiner Kriegsgeschichte als klug, freundlich und überzeugend, in der Geheimgeschichte aber als den größten Dieb der Welt. Zweifellos war Patros schlau und listig und genoss das uneingeschränkte Vertrauen seines Kaisers.8 Wie ein britischer Vizekönig von Indien Ende des 19. Jahrhunderts anmerkte, hat die Erfindung des Telegrafen der Kunst der Diplomatie den Todesstoß versetzt. Seither können Botschafter bei Problemen oder Schwierigkeiten sofort in der Heimat neue Anweisungen einholen. In der Antike waren sie ganz auf sich gestellt. Natürlich waren sie im Vorfeld auf alle Eventualitäten vorbereitet worden, aber im Zweifelsfall mussten die Botschafter selbst die Initiative ergreifen – es war schlichtweg nicht möglich, den Dienstherrn um Rat zu fragen oder weitere Instruktionen abzuwarten. Nicht selten mussten die Diplomaten ad hoc Entscheidungen fällen, bei denen es buchstäblich um Leben und Tod ging. Offiziell war Petros vor Ort, um die diplomatischen Gespräche über Sizilien und die Massageten fortzusetzen. Seine eigentliche Aufgabe bestand jedoch darin, die Stimmung unter den einflussreichsten Personen am ostgotischen Königshof dahingehend zu beeinflussen, dass sie einer Übergabe der Macht an Konstantinopel zustimmen würden. Neben Amalasuentha hatte er dabei vor allem deren Cousin Theodahad im Visier, den letzten, der nach dem dreifachen Mord als offensichtlicher Thronanwärter übrig war. Tatsächlich hatte sich Theodahad zu der Zeit, als er öffentlich gedemütigt wurde, bereits selbst erkundigt, auf welche Weise er sich nach Konstantinopel würde zurückziehen können. Petros war angewiesen, das Selbstvertrauen der beiden zu erschüttern – und vielleicht nicht nur das: In der Geheimgeschichte behauptet Prokop, Petros habe die geheime Order erhalten, Amalasuenthas Ermordung zu organisieren, falls es gar nicht anders ginge. Auf jeden Fall gab es noch eine Verzögerung, bevor er seinen Job antreten konnte: Auf dem Weg nach Italien begegnete er einer gotischen Gesandtschaft, die in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war. Athalarich war gerade gestorben, und Amalasuentha hatte Theodahad zu ihrem Mitregenten erklärt, um sich vor einer politischen Opposition zu schützen, die auf Rache aus war. Doch zu dem Zeitpunkt, als Petros eine neue Order von Justinian erreichte – er solle bei jeder Gelegenheit beto-
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nen, dass der Kaiser voll und ganz hinter der Königin stehe – und er endlich nach Ravenna kam, hatte sich die Situation schon wieder verändert. Im Winter 534/535 war Amalasuentha vom Hof entfernt und auf die Insel Marta im Bolsenasee verbannt worden, wo einige jener »zahlreichen und bedeutenden« Angehörigen der drei Ermordeten letztlich dafür sorgten, dass sie im Bad umgebracht wurde. Im April 535 war sie möglicherweise bereits seit ein, zwei Monaten tot, und als Petros Patrikios schließlich in Ravenna eintraf, musste sich der Bevollmächtigte Konstantinopels mit einer völlig neuen Situation auseinandersetzen.9 Petros ließ sich jedoch nicht einschüchtern und machte sich daran, bei Hofe so viel Angst wie möglich zu verbreiten. Indem er darauf hinwies, dass der Kaiser ein erklärter Unterstützer der abgesetzten und ermordeten Königin war, und betonte, wie sehr diese Ausgangslage jener bei den Vandalen ähnelte, die Justinian als Vorwand gedient hatte, um Belisar nach Nordafrika zu schicken, machte Petros Theodahads Entschlossenheit zunichte – zweifellos wird er immer wieder darauf hingewiesen haben, wie katastrophal die Angelegenheit für die Vandalen ausgegangen war. Im Sommer 535 reiste Petros nach Konstantinopel, offenbar mit der Botschaft Theodahads im Gepäck, dass Amalasuenthas Ermordung nicht seine Idee gewesen sei, und kehrte mit Justinians Antwort nach Italien zurück. Petros säte so viel Zwietracht, wie er nur konnte, indem er einerseits die militärische Überlegenheit Ostroms betonte und andererseits insgeheim mit Theodahad Details eines Deals ausarbeitete, wie man ihn bereits seiner ermordeten Cousine angeboten hatte: Er sollte Justinian das Königreich übergeben und würde im Gegenzug in Konstantinopel seinen Ruhestand genießen.10 Ein paar kleine gleichzeitige Militäraktionen am Rande des gotischen Königreichs erhöhten den Druck. Zur gleichen Zeit, als Petros Theodahad sein »Gift« einflößte, rückte Mundus, der oströmische Oberbefehlshaber auf dem westlichen Balkan, in Richtung Norden vor und nahm die von den Goten besetzte Stadt Salona an der dalmatinischen Küste ein. Außerdem stach Belisar mit einer Flotte von 4000 regulären Soldaten in See, 3000 Isaurern und einigen Hundert anderen, darunter die bucellarii des Feldherrn. Sein eigentliches Ziel war zwar Karthago, aber er hatte zugleich die Order, auszutesten, wie präsent die Goten auf Sizilien waren, und ihnen die Insel, falls dies ohne größere Probleme möglich sein sollte, zu ent-
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reißen. Dass Justinian zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht beschlossen hatte, Italien geradewegs zu erobern, beweist allein schon die Tatsache, dass Sizilien für Belisar gemäß kaiserlichem Auftrag nur ein Nebenschauplatz war. Außerdem fehlte seiner Expeditionsstreitmacht die umfassende Kavallerieabteilung, ohne die er auch das Vandalenreich nicht hätte erobern können. Das Ziel war nach wie vor, Theodahad, wenn möglich, zur Abdankung zu zwingen und so einen Krieg zu vermeiden. Belisar landete in der Nähe von Catania, das sofort kapitulierte; die anderen Städte der Insel folgten auf dem Fuße und fast ohne Widerstand, abgesehen von Panormus (dem heutigen Palermo). Die dortige gotische Garnison hielt so lange aus, bis der Feldherr den Einfall hatte, die Verteidiger auf der Stadtmauer von den auf den Masten seiner Schiffe postierten Bogenschützen herunterschießen zu lassen. Das reichte aus, und Panormus streckte die Waffen. Syrakus war die letzte Stadt, die Belisar ihre Tore öffnete. Am 31. Dezember 535, seinem letzten Tag als Konsul, betrat er sie als Sieger.11 Zurück in Ravenna schaltete Petros Patrikios noch einen Gang höher und malte Theodahad in allen Details aus, auf welche militärische Katastrophe er gerade zusteuerte. Schließlich geriet der König in Panik und willigte ein, sein Königreich aufzugeben. Der Botschafter war überzeugt, dass er Theodahad nun da hatte, wo er ihn haben wollte. Doch um Ostern 536 traf in Ravenna die Nachricht ein, ein Gegenangriff der Goten habe die Römer wieder aus Salona vertrieben. Theodahad vollführte eine Hundertachtziggradwende und ließ seinen diplomatischen Peiniger ins Gefängnis werfen, wo er für die nächsten vier Jahre schmachten sollte. Aber es war inzwischen zu spät, diese Art von Entschlossenheit zu demonstrieren; ein Jahr früher hätte sie einen vorsichtigen Kaiser vielleicht noch davon abgehalten, in den Krieg zu ziehen. Petros hatte den entscheidenden Brief an Belisar auf Sizilien nämlich bereits abgeschickt – und er beorderte den Feldherrn mit seiner Armee nach Italien. Justinian hatte Belisar diesen Brief schon angekündigt, mitsamt der Anweisung, umgehend zu reagieren, wenn er ihn erst erhalten habe.12 Ein Krieg im Westen hing für den Kaiser nicht mehr von irgendwelchen günstigen Umständen ab, wie damals, als Belisar nach Nordafrika abgereist war. 536 hatten die Goten bereits gegen Konstantinopel mobil gemacht, und die erste Runde war an sie gegangen. Aber Justinian war
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zuversichtlich, dass seine Armeen das Königreich der Goten genauso schnell stürzen würden wie das der Vandalen. Der König hatte nicht, wie gehofft, abgedankt, und die Goten waren kampfbereit, aber Justinian zog trotzdem in den Krieg. Nun war die Eroberung des Westens endlich doch noch zu einer eigenständigen politischen Strategie geworden. Die Intervention in Afrika war eine verzweifelte Reaktion auf komplett unvorhersehbare Umstände gewesen, die außerhalb von Justinians Kontrolle gelegen hatten. Im Fall Italien hatte der Kaiser versucht, über seinen diplomatischen Agent Provocateur dafür zu sorgen, die passenden Umstände zu fabrizieren. Jetzt musste er einsehen, dass ihm dies nicht gelungen war, und doch war er immer noch bereit, alles auf eine Karte zu setzen. – Würde das italische Königreich der Goten genauso leicht fallen wie das der Vandalen, oder hatte Justinians Regime sich verrechnet?
»Eine Nachbildung des einzigen Reiches« Mitte der 530er-Jahre hatte das Königreich seine besten Tage längst hinter sich. Rund dreißig Jahre zuvor hatte sein Begründer, Theoderich der Große, an Kaiser Anastasios einen berühmten Brief geschrieben: Du [Anastasios] bist die schönste Zierde aller Reiche, du bist der heilsame Verteidiger der ganzen Welt, zu dem alle anderen Herrscher mit Recht in Ehrfurcht aufblicken. Wir [Theoderich] haben mit Gottes Hilfe in deiner Republik die Kunst gelernt, die Römer gerecht zu regieren (…). Unser Königtum ist eine Nachahmung des deinigen, nach deinen guten Vorsätzen gestaltet, eine Nachbildung des einen und einzigen Reiches.13
Der Brief wurde oft zitiert, um zu zeigen, wie sich die Barbaren den römischen Idealen unterordneten und vor dem oströmischen Kaiser in Konstantinopel buckelten. Oberflächlich betrachtet trägt Theoderich auch recht dick auf und preist Anastasios als gottgewollten Herrscher, wobei er absichtlich und explizit Begriffe aus der römischen Staatsideologie verwendet (vgl. Kapitel 1). Doch wer den ganzen Brief in den Blick nimmt, sieht ein etwas anderes Bild. Dreh- und Angelpunkt ist der Ausdruck »mit Gottes Hilfe« (divino auxilio). Theoderich behauptete mit dieser Formulierung, dass er Italien als vollwertiger römischer Herrscher regiert, und zwar nicht primär, weil irgendwelche persönlichen Kompetenzen ihn dazu befähigen, die er sich
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in den zehn Jahren, die er als minderjährige Geisel in Konstantinopel verbracht hat, bei den Römern abgeguckt hätte (obwohl dies natürlich seinen Teil dazu beitrug), sondern dank der direkten Intervention durch Gott. Im Kontext der römischen Staatsideologie bedeutete dies nichts weniger, als dass Theoderich und das von ihm regierte Königreich genauso legitim römisch – soll heißen: gottgewollt – war wie das Oströmische Reich. Zu dieser Deutung passt auch die Art und Weise, wie der Brief inhaltlich in geradezu aggressive Forderungen mündet. Als Theoderich dieses Schreiben verfasste, befand sich der poströmische Westen in großen politischen Schwierigkeiten. Die Franken unter Chlodwig I. bedrohten viele ihrer Nachbarn östlich und westlich des Rheins, darunter nicht zuletzt das westgotische Königreich, mit dem die Ostgoten verbündet waren. Anastasios jedoch unterstützte die Franken und organisierte im Jahr 507 sogar Überfälle an der norditalischen Adriaküste, um zu verhindern, dass Theoderichs Truppen den Westgoten zu Hilfe eilten. In diesem Zusammenhang wurde Theoderichs Anspruch darauf, ein unabhängiger, in vollem Umfang legitimierter römischer Herrscher zu sein, zur Grundlage eines deutlichen Vorwurfs: Wir sind der Meinung, dass keinerlei Zwietracht zwischen zwei Republiken [Ost- und Westrom] herrschen sollte, die erklärt haben, dass sie unter ihren alten Fürsten eine gemeinsame Körperschaft bildeten, und einander nicht nur durch bloße Zuneigung zugetan sein, sondern einander mit all ihrer Kraft aktiv helfen sollten. Im Römischen Königreich sollte immer nur ein Wille, ein Ziel herrschen. Daher grüßen wir dich voller Respekt, bitten aber zugleich demütig darum, uns die hohe Ehre deiner Milde nicht zu versagen, auf die wir hoffen dürfen, selbst wenn sie niemals jemand anderem gewährt würde.
Mit anderen Worten: Weil Theoderich den einzigen anderen authentischen, von Gott höchstpersönlich legitimierten römischen Staat auf der Welt regiert, muss Konstantinopel logischerweise seine Nähe suchen und nicht die des barbarischen Frankenkönigs, dessen Reich in Gottes großem Plan keinen Platz haben kann.14 Theoderichs Anspruch, ein legitimer römischer Herrscher zu sein, war keine bloße Fassade, und seine Untertanen erkannten diesen Anspruch durchaus an – einer nannte ihn in einer Inschrift einen semper Augustus (»immer[währender] Augustus«). Chlodwig mochte die Krise initiiert ha-
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ben, doch Theoderich beendete sie, und zwar mit Nachdruck. Auch wenn Theoderich seinen Schwiegersohn, den westgotischen König Alarich II., der im Jahr 507 bei Vouille im Kampf gegen Chlodwig gefallen war, nicht mehr hatte retten können – was ihm möglicherweise gar nicht so arg war –, erzwang er schließlich nördlich der Alpen die Entscheidung. Und kaum hatte er Chlodwigs Armeen aus dem Mittelmeerraum vertrieben, da vereinigte er im Jahr 511 das west- und das ostgotische Königreich. Ab jetzt herrschte er direkt über einen einzigen gewaltigen Machtblock im westlichen Mittelmeer – von der Adriaküste Dalmatiens bis zur Atlantikküste der Iberischen Halbinsel. Zudem machte er seinen Anspruch auf Hegemonie über das Burgunden- und das Vandalenreich geltend; durch Eheallianzen wurden beide Teil des gotischen Machtblocks. Als der Vandalenkönig versuchte, in Hispanien Ärger zu machen, ertappte ihn Theoderich auf frischer Tat und demütigte ihn öffentlich, indem er seine Entschuldigungsgeschenke ablehnte und zu ihm zurückbringen ließ.15 Zu diesem Zeitpunkt hatte Theoderich also einen großen Teil des alten Weströmischen Reiches wieder vereint. Kaiser Justins Wunsch, das Akakianische Schisma (siehe Kapitel 3) zu beenden, nutzte Theoderich dann 517/518 dazu, das Quasi-Kaiserreich, das er so fleißig geschaffen hatte, von Ostrom anerkennen zu lassen. Dass Justins Delegation in der zweiten Jahreshälfte 518 so lange brauchte, um nach Rom zu gelangen, lag daran, dass alle wichtigen Verhandlungen am Hof von Theoderich in Ravenna geführt wurden. Das Resultat war ein Ende des Schismas bei gleichzeitiger voller Anerkennung des vom König ausgewählten Thronfolgers durch Ostrom. Dabei handelte es sich um Theoderichs Schwiegersohn Eutharich, ursprünglich ein westgotischer Adliger, der eindeutig dazu bestimmt war, gemeinsam mit Theoderichs Tochter Amalasuentha sowohl Italien als auch Hispanien zu erben. Justin adoptierte Eutharich als »Waffensohn«, eine Einrichtung, die in Konstantinopel regelmäßig dazu benutzt wurde, bestimmte Thronfolger anerkennen zu lassen, und gewährte ihm eine außerordentliche Ehre: das Konsulat für das Jahr 519, Seite an Seite mit ihm selbst.16 Bis dahin hatte sich alles, was der König berührt hatte, in Gold verwandelt, doch das heikle Thema der Thronfolge brachte seinen Masterplan schließlich ins Wanken. Eutharichs früher Tod sorgte nicht nur für eine dauerhafte Spaltung am Hof von Ravenna, die Justinian noch ein
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Jahrzehnt später auszunutzen wusste, sondern führte auch dazu, dass das westgotische und das ostgotische Königreich nach Theoderichs Tod gegen dessen Willen getrennte Wege gingen. Damit löste sich der gotische Machtblock des Königs in Wohlgefallen auf, und es wird niemanden überraschen, dass Konstantinopel seine Finger mit im Spiel hatte. Justin weigerte sich, den jungen Athalarich – Eutharichs und Amalasuenthas Sohn und für Theoderich die Nummer zwei als Thronfolger – nach dem Tod seines Vaters als König anzuerkennen. Dies konnte nur ein kalkuliertes Manöver sein, um die Situation am gotischen Hof zu destabilisieren, während man im burgundischen und vandalischen Königreich Aufstände gegen die ostgotische Hegemonie unterstützte. Die Chronologie der Vorgänge macht deutlich, dass Ostrom beide Mittel dazu dienen sollten, die lähmenden Auswirkungen des frühen Todes von Theoderichs Thronfolger auf die politische Situation in Ravenna und den heftigen Kampf um die Thronfolge, die sein Tod entfesselte, zum eigenen Vorteil zu nutzen.17 Der Erfolg war gemischt. Der neue Vandalenkönig Hilderich warf Theoderichs Schwester ins Gefängnis, wo sie starb, und eliminierte ihren gotischen Leibwächter – ein Prozess, der die guten Beziehungen zu Konstantinopel einleitete, die Justinian später als Vorwand nutzte, um Belisar auf Gelimer loszulassen. Aber die Vandalen schützte das Meer, und so zahlten die Burgunden einen höheren Preis für ihren Ungehorsam, als der Feldherr Tuluin, einer jener möglichen Thronfolger, vor dem Tod des Königs einen Rachefeldzug gegen sie anführte; durch diesen fügte er dem ostgotischen Königreich einen beträchtlichen Teil des burgundischen Territoriums nördlich der Durance, der alten Grenze, hinzu.18 Trotz dieses Teilerfolgs in Gallien: Nach der Thronfolgekrise und der Neuaufteilung der gotischen Gebiete war die kaiserliche Aura, die das ostgotische Königreich in den 510er-Jahren umgeben hatte, passé, und zwar so restlos, dass Konstantinopel Ende der 520er-Jahre nichts dabei fand, die guten Beziehungen zu Italien wiederherzustellen. Basis dessen war vermutlich, dass Justinian Athalarich am Ende doch noch als König anerkannte. 533 waren die Beziehungen sogar wieder so gut, dass die Ostgoten wichtige logistische Unterstützung für Belisars Afrika-Expedition leisteten. Auch wenn die Macht der Ostgoten ihren Zenit überschritten hatte, war es mitnichten so, dass sich das Königreich problemlos hätte erobern
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lassen. Es war ein ostgotisches Königreich, aber nicht in dem Sinne, dass seine Bevölkerung zum größten oder auch nur zu einem großen Teil aus Ostgoten bestand – die überwältigende Mehrheit seiner Einwohner waren die alten italisch-römischen Provinzbewohner. Doch das Königreich war entstanden, als Theoderich Italien zwischen 489 und 493 erobert hatte, und das ostgotische Heer sicherte seine Grenzen. Um nachvollziehen zu können, was für eine gewaltige Aufgabe Belisar bei seinem zweiten Eroberungsfeldzug erwartete, müssen wir uns zunächst Theoderichs Militärapparat näher ansehen und uns damit beschäftigen, wie sich das ostgotische Heer in den zwei politischen Generationen seit der Eroberung Italiens in den 490er-Jahren verändert hatte. Wie die Vandalen in Nordafrika waren die Ostgoten unter Theoderich eine neue Koalition, die in den 470er- und 480er-Jahren auf römischem Boden entstanden war – wenn auch diesmal auf oströmischem. Diese Koalition bestand aus drei großen Fraktionen, auch wenn wir nicht ausschließen können, dass es innerhalb dieser Gruppierungen oder zusätzlich zu ihnen noch zahlreiche andere, kleinere Gruppen gab, die in Mittel- und Osteuropa heimisch gewesen waren und sich nach dem Zusammenbruch von Attilas Hunnenreich im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts den Ostgoten angeschlossen hatten. Das erste der größeren Kontingente wurde ursprünglich von Theoderichs Onkel Valamir befehligt, der Mitte der 450er-Jahre eine Reihe separater gotischer Kriegerbanden unter sich vereint hatte. Sie alle hatten zuvor unter Attilas Herrschaft gelebt, und dadurch, dass sie nun gemeinsam kämpften, konnten sie ihre politische Unabhängigkeit behaupten, die es ihnen ermöglichte, Ende der 450er-Jahre im heutigen Ungarn ihr eigenes Reich zu etablieren. Nach Valamirs Tod ging die Königswürde auf seinen jüngeren Bruder Thiudimer und dessen Sohn Theoderich über. 472/473, nach mehr als zehn Jahren in Ungarn, verlagerte das extrem ehrgeizige Vater-Sohn-Gespann sein operatives Zentrum auf Konstantinopels Balkanprovinzen, um den Kaiser in einer dynamischen Mischung aus Bündnisangeboten und Schutzgelderpressung weitere finanzielle Unterstützung abzuringen. Dies führte dazu, dass es für ein Jahrzehnt eine direkte Konkurrenz mit dem zweiten dokumentierten Beteiligten gab: einer Gruppe langjähriger gotischer Verbündeter (foederati) des Oströmischen Reiches, die Ende der 420er-Jahre in Thrakien angesiedelt worden waren, nun aber
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unter ihrer eigenen, rivalisierenden Gotendynastie den Aufstand probten. Als sein Vater gestorben war, setzte Theoderich sich durch und vereinigte Anfang der 480er-Jahre die Mehrheit der Angehörigen beider Gruppen unter sich. Ihre langjährige Konkurrenz spricht dafür, dass sie einander in Bezug auf militärische Stärke recht ähnlich waren (andernfalls hätte die eine Gruppe die andere viel schneller dominiert). Die Zahlen, die wir in römischen Quellen finden, legen nahe, dass beide Parteien rund 10 000 Krieger einsetzen konnten. Als Theoderich die Ostgoten erst geeint hatte, waren sie zu mächtig, als dass Konstantinopel ihre autonome Existenz auf römischem Boden weiter hätte hinnehmen können. Nach einigen gescheiterten Vereinbarungen und mehreren Attentatsversuchen waren der gotische König und der oströmische Kaiser schließlich bereit, ihre Differenzen beizulegen – auf Kosten anderer. Die vereinte gotische Streitmacht zog 488/489 gegen Italien – und integrierte unterwegs eine dritte große Komponente: ein bedeutendes Kontingent rugischer Flüchtlinge, deren unabhängiges Königreich an der Mittleren Donau 487 von Odoaker zerstört worden war. Insgesamt unterstanden Theoderich also zu diesem Zeitpunkt zwischen 25 000 und 30 000 Soldaten. Innerhalb der Ränge gab es neben den Rugiern wahrscheinlich noch viele weitere kleine Gruppen, die sich in ethnischer Hinsicht nicht als Goten definiert hätten, Theoderich aber dennoch militärisch und politisch treu ergeben waren.19 Da Theoderichs Ostgoten offensichtlich kein uraltes Volk waren, hat ein Zweig der jüngeren Forschung die alte Argumentation quasi auf den Kopf gestellt und behauptet, Theoderichs Gefolgschaft habe gar keine eigene Gruppenidentität besessen, sie sei lediglich ein Sammelsurium von Soldaten verschiedener Ethnien gewesen, darunter viele oströmischen Ursprungs, und sie hätten fast oder überhaupt kein Gefolge dabei gehabt; infolgedessen sei ihr Zusammenhalt nach der Eroberung Italiens komplett zusammengebrochen: Sie seien, als Theoderich sie ausbezahlt habe, auf Nimmerwiedersehen in der italischen Landschaft verschwunden, um ein neues Leben anzufangen. Grundsätzlich könnte es tatsächlich so gewesen sein – man muss sich nur die späte Phase des Eroberungskriegs der Römer im Osten Ende der 540er-Jahre ansehen, als es Totila gelang, Justinian eine große Anzahl von Truppen abspenstig zu machen, die ohne Bezahlung und abgeschnitten von der Zivilisation in isolierten Garnisonen hausten, und zwar nur dadurch, dass er ihnen
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versprach, dass er sie genauso gut behandeln werde wie seine eigenen Gefolgsleute.20 Die Realität war indes um einiges komplizierter, als es sowohl die alte Hypothese vom »gotischen Volk« als auch diese neue Hypothese skizzieren. Dass die Ostgoten, als sie nach Italien zogen, viele Frauen und Kinder (und auch Sklaven) dabei hatten, wird zwar nur am Rande, aber doch eindeutig in diversen Quellen erwähnt, und einige dieser Quellen stammen direkt von Theoderichs Hof in Ravenna. Wirklich anzweifeln kann man es also nicht. Wir haben außerdem eine detaillierte Beschreibung der Ereignisse auf dem Balkan in den 470er-Jahren, und sie zeigt, dass die beiden größten Komponenten der neuen Koalition bereits vor ihrer Vereinigung als »Goten« bezeichnet wurden und – noch wichtiger – dass sie von den regulären römischen Heeresformationen, die dort im Einsatz waren, getrennt waren. Das bedeutet natürlich nicht, dass keine römischen Truppen als Nachzügler integriert wurden, aber es deutet darauf hin, dass diese hinsichtlich Rekruten nicht die primäre Quelle war. Insgesamt könnte innerhalb von Theoderichs Gefolgschaft mithin eine größere kulturelle Einheit geherrscht haben als bei der durch und durch multiethnischen Vandalen-Alanen-Koalition. Mindestens genauso wichtig wie irgendwelche Überbleibsel alter Kultur war jedoch, was danach kam: die Erfahrung, Tausende Kilometer gemeinsam marschiert zu sein, Seite an Seite zahllose Schlachten geschlagen zu haben und dann durch einen speziellen Belohnungsprozess als privilegierte Elite herausgefiltert worden zu sein. Als Ergebnis muss am Ende – genau wie bei der von den Hasdingen angeführten Koalition – eine wie auch immer geartete funktionierende politische Identität gestanden haben, die die einzelnen Bestandteile der Gruppe miteinander verband, woher auch immer sie ursprünglich einmal stammten, also auch ohne, dass sie dieselben Volkstänze, Trachten und Heiratspraktiken pflegten, die noch fester Bestandteil der alten Theorie waren.21 Mit Sicherheit verschwanden Theoderichs Gefolgsleute nach dem erfolgreichen Eroberungsfeldzug im Jahr 493 aber nicht einfach so in der italischen Landschaft. Nachdem er seine Macht konsolidiert hatte, belohnte der König seine Armee mit Landzuteilungen. Die Ländereien, die sie erhielten, lagen an strategisch besonders wichtigen Standorten: am nordöstlichen und nordwestlichen Übergang zur Appenin-Halbinsel (in Venetien, Ligurien, den Cottischen und Julischen Alpen) und rund um
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Ravenna an der nordöstlichen Adria, wo sich sein Hof befand. Ravenna war leicht zu verteidigen, weil es von Sümpfen umgeben war, und konnte ganz einfach vom Meer aus versorgt werden. Rom lag viel zu weit südlich, als dass es, während die letzte Krise des Weströmischen Reiches ihren Lauf nahm, noch als militärische und administrative Hauptstadt getaugt hätte. Infolgedessen hatte Ravenna im 5. Jahrhundert immens an Größe und Bedeutung gewonnen. Doch da Rom immer noch ein wichtiges kulturelles Zentrum war, Sitz des Senats und Sprachrohr führender italischer Grundbesitzer, war es ganz natürlich, dass Theoderich zusätzlich – zur Verteidigung der Landwege nach Italien – einige Heereseinheiten in den Hochtälern von Picenum und Samnium platzierte, durch die der direkte Weg von Ravenna nach Rom führte.22 Als Gegenleistung für die Landzuteilungen mussten diese Männer und ihre männlichen Erben, sobald sie ein entsprechendes Alter erreichten, Militärdienst leisten, wofür sie wiederum im Gegenzug donativa in Form von Bargeld erhielten. Zwischen 493 und 511 setzte Theoderich diese Armee mit großem Erfolg ein, um sein »Ersatz-Westrom« aufzubauen. Wie bei der vandalisch-alanischen Koalition gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass auf den anfänglichen Besiedlungsprozess der 490er-Jahre irgendwelche weiteren groß angelegten Rekrutierungsmaßnahmen folgten. Die Rekrutierung von Soldaten wurde zwar nie vollständig eingestellt, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass in den Feldarmeen Theoderichs und seiner Nachfolger jemals einheimische Italo-Römer zum Einsatz kamen; diesen wurde lediglich die Aufgabe übertragen, als Wachposten auf den Mauern ihre eigenen Städte zu schützen. Auf Basis all dieser Hinweise können wir festhalten, dass Belisar ein gotisches Heer gegenüberstand, das in den 530er-Jahren rund 30 000 Soldaten zählte, von denen die meisten Angehörige der Koalition waren, mit der Theoderich in den 490er-Jahren die Halbinsel erobert hatte.23 Wir haben auch einige Informationen über die Zusammensetzung und die internen Abläufe dieses Heeres. Beim Besiedlungsprozess scheint man auf die Identitäten der kleineren Untergruppen Rücksicht genommen zu haben, nicht zuletzt auf die Rugier, die anscheinend alle zusammen angesiedelt wurden. Jeder lokale Siedlungscluster besaß eine eigene politische Führung; diese Anführer wurden vor Ort ausgewählt (wie genau, wissen wir nicht), aber mussten vom König anerkannt wer-
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den. Auf der allgemeineren Ebene benennt Prokop konsequent zwei Stufen von Kriegern innerhalb der gotischen Armee; eine davon war eine Elite, die vielleicht 20 bis 25 Prozent des gesamten Militärapparats ausmachte. Diese Informationen decken sich mit den zahlreichen Hinweisen darauf, dass es in vielen Gesellschaften des nachrömischen Westens zwei Kriegerklassen gab. Es kann also gut sein, dass die verschiedenen Untergruppen nicht nur durch ihre ethnischen Verbindungen (wie im Fall der Rugier) miteinander verbunden waren – gewissermaßen horizontal –, sondern dass auch »vertikale Bande« von Protektion und Kontrolle existierten, zum Beispiel zwischen Personen, die verschiedenen Kriegerklassen angehören.24 Auch wenn Theoderichs Ostgoten also kein »Volk« waren und die meisten von ihnen zwischen etwa 430 und 470 sicherlich in der einen oder anderen Weise mit den Römern paktiert hatten, besaßen sie eine klare innere Struktur und ihre eigenen Regeln. Die Bedingungen ihrer Ansiedlung in Italien wie auch ihre gemeinsamen Erfahrungen in bewaffneten Konflikten, aus denen sie als Sieger hervorgegangen waren, halfen ihnen dabei, im Italien des 6. Jahrhunderts ihre Existenz als privilegierte Kolonialelite zu bewahren. Wie die Nachkommen der zweiten und dritten Generation dieser ursprünglich improvisierten Ansammlung mehrerer Zehntausend Krieger und ihrer Familien auf den Angriff Ostroms reagieren würden, war der entscheidende Faktor, von dem der Erfolg von Justinians neuem Krieg abhing. Bevor wir uns diesem Krieg zuwenden, müssen wir uns noch ein letztes Mal einem anderen Thema widmen. Nicht zuletzt auf der Basis einer richtungsweisenden Studie, die der große Arnaldo Momigliano vor über fünfzig Jahren veröffentlicht hat, nehmen viele Historiker an, dass sich die Angehörigen der nicht-militärischen, sprich: gesellschaftlichen, administrativ-politischen italo-römischen Elite im Italien des 6. Jahrhunderts uneins waren, wie sie mit der Herrschaft der Goten umgehen sollten. Momigliano war der Ansicht, es habe eine Klasse von Bürokraten gegeben, die ohne Bedenken mit den Goten kollaborierte. Diese Bürokraten waren in der neuen administrativen Hauptstadt Ravenna tätig, und einer von ihnen war Cassiodor (der auch den zu Anfang des Kapitels zitierten Brief Theoderichs verfasst hat). Ganz anders die wirklich blaublütigen Senatoren, die immer noch in der Stadt Rom saßen: Sie konnten sich mit Theoderich und seiner Dynastie nicht anfreunden und
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sehnten sich danach, wieder von Konstantinopel regiert zu werden. Zwei der wichtigsten Anhänger dieser Richtung waren Symmachus und sein Schwiegersohn, der Philosoph Boëthius, die gegen Ende von Theoderichs Herrschaft in eine Intrige gegen den König verwickelt waren und noch kurz vor dessen Tod hingerichtet wurden. In einer von Prokops Anekdoten erkennt der König in einem Fisch, der ihm zum Abendessen serviert wird, das Antlitz des gerade hingerichteten Symmachus – ein Omen seines eigenen bevorstehenden Endes. Ob diese Story für Theoderichs schlechtes Gewissen stehen soll oder für Symmachus’ attraktives Äußeres, wissen wir natürlich nicht. Aber gemäß Momiglianos Hypothese war die italisch-römische Elite in politischer Hinsicht tief gespalten, und mit Sicherheit hätten Justinian und Belisar eine solche Spaltung zu ihrem Vorteil nutzen wollen.25 Doch ungeachtet der Tatsache, dass der Tod von Boëthius und Symmachus tatsächlich schnell von der Propagandakampagne vereinnahmt wurde, mit der Justinians Regime versuchte, den potenziellen Widerstand in Italien gegen den geplanten Einmarsch zu entschärfen: Eine so große Kluft zwischen zwei Fraktionen der italo-römischen Elite, wie Momigliano sie suggerierte, hat es nie gegeben. Die Bindung an den Hof war in der römischen Spätantike für den Status von Senatoren so wichtig geworden, dass auch jetzt unter gotischer Herrschaft kein römischer Senator ohne ein komplexes Netzwerk formeller und informeller Verbindungen zum Hof in Ravenna auskam. Schon Ende des 4. Jahrhunderts hatte es nicht mehr gereicht, einfach nur in eine Senatorenfamilie hineingeboren worden zu sein, um einen Platz im römischen Senat zu ergattern. Damit war man erst clarissimus. Um im Senat zu sitzen und dort zu sprechen, musste man den höheren Rang eines illustris erlangen, und dazu musste man entweder ein entsprechendes Amt ausüben, oder man wurde ehrenhalber ernannt. Beides setzte voraus, dass man auf die eine oder andere Weise bei Hofe aktiv wurde. Die in der römischen Welt herrschenden Steueranreize dafür, politische Beziehungen auf hoher Ebene zu unterhalten, gab es auch im gotischen Italien (siehe Kapitel 2). Vor diesem Hintergrund ergeben manche Details, die wir über die Karrieren von Boëthius und Symmachus vor ihrem Untergang in den 520er-Jahren in den Quellen erfahren, endlich Sinn. Beide unterhielten zu Theoderich für den Großteil von dessen Regierungszeit ganz offen-
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sichtlich gute Beziehungen, bis die Dinge aus dem Ruder liefen. Beide tauchen in der Korrespondenz des Königs aus den Jahren 507–511 auf. Sie wurden ehrenvoll behandelt und versahen bedeutende Aufgaben im öffentlichen Leben des Königreichs. Sie waren beide daran beteiligt, das Akakianische Schisma zu beenden, auch wenn dieser Vorgang von Theoderich persönlich orchestriert wurde (Momigliano ist hier anderer Meinung); er wurde von Konstantinopel dafür belohnt. Boëthius hatte 522/523 unmittelbar vor seinem Sturz bei Hofe ein hohes Amt inne (eine Tatsache, die Momigliano nie ganz befriedigend zu erklären vermochte), und seinen beiden jungen Söhnen wurde die einzigartige Ehre eines gemeinsamen Konsulats zuteil. Wir haben es also mitnichten mit einer seit Langem bestehenden Kluft zwischen zwei Fraktionen zu tun, sondern mit einer Variante eines in der Geschichte recht häufigen Phänomens: Der König verkracht sich mit zweien seiner einflussreichsten Untertanen. Es gibt zudem Anhaltspunkte, die Boëthius mit Theodahad verlinken, einem der nach Eutharichs Tod wichtigsten alternativen Anwärter auf den Thron; man kann somit davon ausgehen, dass sich Boëthius und Symmachus irgendwie in den Machtkampf am Königshof verstrickt haben, den der frühe Tod von Theoderichs designiertem Thronfolger ausgelöst hat.26 Es ist zwar nicht so, dass die Elite des gotischen Königreichs gerade in Themen wie der stets schwierigen Frage der Thronfolge immer einer Meinung gewesen wäre, aber für die Existenz einer »fünften Kolonne« von Senatoren, die unbedingt von Konstantinopel aus regiert werden wollte, gibt es keinerlei Belege. Und die Hinrichtung von Boëthius und Symmachus löste auch mitnichten im ostgotischen Königreich eine Krise aus, ja nicht einmal die italo-römischen Grundbesitzer scheinen sich besonders dafür interessiert zu haben. Die beiden wurden vom römischen Senat zum Tod verurteilt, und viele Senatsmitglieder dienten nach ihrer Hinrichtung auch weiterhin unter Theoderich und später dann unter Athalarich und Amalasuentha. Auf einem der (leider verlorenen) Mosaiken seines Palastes ließ Theoderich Rom und Ravenna als Zwillingshauptstädte seines Königreichs darstellen.27 Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die gotische Herrschaft eine grundlegende Spaltung der führenden Schichten dieser beiden großen Städte bewirkt hätte.
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Mailand
Golf von Venedig Genua
Ligurisches Meer Adria
Korsika
ROM ITALIEN
Vesuv
Sardinien
Erobert nach Neapel Belagerung im Herbst 536
Ty r r h e n i s c h e s M e e r
Ionisches Meer
Mittelmeer
Sizilien
Erobert im Sommer/Herbst 536 0 km
100
Karte 3 Die Eroberung Italiens
Syrakus (kapitulierte am 31.12.535)
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Via Flaminia Niemanden wird überraschen, dass sich Justinians Eroberungskrieg auf die beiden Hauptstädte und deren Hauptverbindungsstraße konzentrierte, die Via Flaminia, gebaut bereits Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. im Auftrag des Zensors Gaius Flaminius. Sie begann in Rom, überquerte den Tiber über die legendäre Milvische Brücke, auf der Konstantin seinen ersten großen Sieg nach seiner berühmten Vision errang (siehe Kapitel 1), verlief dann durch das Flusstal nach Norden und erreichte im Nordosten beim heutigen Castello delle Formiche den Apennin (ich nenne auch im Folgenden die heutigen Ortsnamen). Nach einigen Auf- und Abstiegen sowie diversen Bergpässen erreichte die Straße Rimini an der Adriaküste – die Gesamtstrecke betrug etwas mehr als 300 Kilometer. Von Rimini aus waren es nur noch etwa 60 Kilometer bis Ravenna, die Küstenstraße hinauf, die den Rubikon überquerte (heute nurmehr ein enttäuschendes Bächlein). Der Großteil der antiken Via Flaminia liegt heute unter der Fernstraße Strada Statale 3. Man sollte die Strecke unbedingt einmal abfahren, nicht nur wegen der ganz ausgezeichneten Raststätten, sondern vor allem wegen der vielen Zeugnisse antiker römischer Technik, die den Bau dieser Straße einst möglich gemacht hat. Zu den Höhepunkten gehören: ein Bogen der größten jemals errichteten römischen Brücke, die in Narni die Nera überquert (Kaiser Augustus hatte damit die ursprüngliche Route verbessert); ein auf Geheiß Vespasians gebauter Ersatztunnel – auch die heutige Straße führt noch durch die Gola del Furlo; eine sehr schön erhaltene Brücke bei Cagli; und ein Grenzstein unter dem Triumphbogen von Kaiser Augustus in Rimini.28 Theoderich siedelte sein Gefolge in Samnium und Picenum entlang der Via Flaminia an, in strategisch gut positionierten befestigten Bergstädten, die heute noch die Route beherrschen. Narni ist der wohl spektakulärste dieser Orte – von der hoch aufragenden Festungsmauer aus hat man einen wundervollen Blick auf das Tal der Nera. Perugia, Spoleto, Urbino und Osimo wurden ebenfalls von den Römern gegründet, und keine feindliche Armee konnte unbehelligt die entsprechenden Straßenabschnitte passieren, solange diese Städte von Garnisonen kontrolliert wurden.
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Die Schwierigkeiten und die Chancen, die die Via Flaminia bot, spielten zunächst jedoch noch keine Rolle, denn der eigentliche Kampf um Italien begann im Sommer 536 in Reggio Calabria, im äußersten Süden Italiens: Mit einer gerade einmal 7000 Mann starken und in ihren taktischen Möglichkeiten entsprechend eingeschränkten Armee setzte Belisar von Sizilien aus auf das Festland über und zog von Reggio Calabria aus die Küste hinauf. In Neapel, wo eine Garnison von 800 gotischen Soldaten stationiert war, wurde zum ersten Mal gekämpft. Die Goten leisteten heftigen Widerstand, und erstmals kam nun auch die Haltung der nichtgotischen Bevölkerung Italiens ins Spiel: Die meisten Bürger Neapels wussten nicht so recht, auf wessen Seite sie sich schlagen sollten. Belisar bot ihnen an, mitsamt ihrer Steuerkonten zu Konstantinopel überzulaufen, doch zwei angesehene Neapolitaner, Asklepiodotos und Pastor, wiesen auf all die Vorteile hin, die die Goten der Stadt gebracht hätten, und drängten ihre Mitbürger, die gotische Garnison zu unterstützen, indem sie bestimmte Teile der Mauer bemannten. Die oströmische Armee bekam es somit mit einer extrem gut verteidigten Stadt zu tun; Belisars Vormarsch wurde gestoppt. Dem Feldherrn gelang es erst, Neapel einzunehmen, als seine Soldaten über das Aquädukt in die Stadt geklettert waren und eines der Tore geöffnet hatten. Das Klirren ihrer Waffen, als sie die Mauer überwanden, hatte Belisar durch eine sorgfältig inszenierte Unterhandlung übertönt: Einer von Belisars Offizieren und die Goten, die den entsprechenden Mauerabschnitt sicherten, brüllten sich gegenseitig an. Die Verzögerung, die nun folgte, muss Belisars vor dem Tor wartenden Soldaten endlos vorgekommen sein. Denn die Aquädukt-Einsatztruppe hatte es zwar in die Stadt geschafft, aber erst mitten im Zentrum Neapels konnte sie wieder aus der Wasserleitung herausklettern, da die Struktur erst dort kein Dach mehr hatte. Es war ein mühsames Unterfangen, und danach fanden sich die Soldaten in einem halb verfallenen Gebäude wieder – sehr zur Verwunderung des einzigen Bewohners. Als sie erst im Handumdrehen die Besatzung zweier Wachtürme beseitigt und ein Tor geöffnet hatten, dauerte es nicht mehr lange, bis die Stadt fiel. Die meisten bewaffneten Bürger ergriffen voller Panik die Flucht, und die Goten kapitulierten. Ernsthaften Widerstand leistete einzig und allein die jüdische Gemeinde, an der Mauer, die dem Meer am nächsten lag. Die oströmische Armee ging sofort dazu über, zu töten und zu plün-
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dern, doch Belisar machte dem Treiben schnell ein Ende. Er gestattete seinen Soldaten, alles, was sie geraubt hatten, zu behalten, befreite jedoch sämtliche Gefangenen – Männer, Frauen und Kinder. Dieser wohlkalkulierte Akt der Barmherzigkeit sollte den Bewohnern der anderen italischen Städte zugleich aufzeigen, welches Schicksal sie erwartete, wenn sie den Goten halfen, Belisars Vormarsch zu behindern. Was die beiden Lokalprominenten betrifft, die zum Widerstand aufgerufen hatten: Pastor starb an einem Schlaganfall, Asklepiodotos wurde von seinen Mitbürgern in Stücke gerissen, so die Quellen.29 Wir wissen nicht genau, wann Neapel fiel, aber spätestens im November 536 befand es sich unter Belisars Kontrolle, und als die Stadt durch eine Garnison von 300 Infanteristen gesichert war, genau wie das nah gelegene Cumae, der andere Hauptstützpunkt in Kampanien, bereitete sich der Rest der Armee bereits auf sein nächstes Etappenziel vor: Rom. Während der gesamten Belagerung von Neapel unternahm Theodahad, der bereits Truppen mobilisiert hatte und von Ravenna nach Rom gezogen war – nichts. Vermutlich hoffte er, den bevorstehenden Konflikt noch am Verhandlungstisch beilegen zu können. Aber der Verlust von Neapel war zu viel für den Rest der gotischen Elite: Sie setzte ihren glücklosen, unentschlossenen Monarchen noch vor Jahresende ab und ließ ihn hinrichten. So starb der letzte männliche Angehörige der Amaler-Dynastie, der die Überreste des Königreichs des großen Theoderich hatte regieren dürfen. An seiner statt setzten die führenden Goten Witichis auf den Thron, der sich als fähiger Militär und guter Stratege bereits einen Namen gemacht hatte. Damit hatten die Goten auf einmal ein Regime, das den Krieg genauso ernst nahm wie das von Justinian. Der neue König stationierte in Rom 4000 Soldaten und verließ die Stadt Anfang Dezember gen Ravenna, um den Rest der gotischen Armee zu mobilisieren und auszurüsten. Er verhandelte mit den Franken und bot ihnen an, ihnen die gallischen Territorien abzutreten, die Theoderich 508 erobert und Tuluin in den 520er-Jahren erweitert hatte. Damit wollte er seine Nordflanke sichern und für den Krieg in Italien weitere Streitkräfte freisetzen: nämlich die, die bis dahin in Gallien in den Garnisonen saßen.30 In der Zwischenzeit marschierte Belisars Armee, die nun nicht mehr als 6000 Mann zählte, die Via Appia hinauf. Angesichts der drohenden Gefahr ergriff die gotische Garnison in Rom die Flucht. Sie war nicht
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nur zahlenmäßig unterlegen, Rom war auch nicht gerade leicht zu verteidigen. In Prokops Worten: Es kann nicht mit Proviant versorgt werden, da es weitab vom Meer liegt und von einer Mauer von großem Umfang umgeben ist, und vor allem ist es, da es sich in einer flachen Ebene befindet, natürlich außerordentlich leicht angreifbar.31
Während die Goten durch die Porta Flaminia aus der Stadt hinaus und weiter nach Norden marschierten, betrat Belisars Armee Rom im Süden durch die Porta Asinaria. Die Bewohner der Stadt waren davon ausgegangen, dass der Feldherr bald wieder verschwinden würde, um den Goten nachzustellen. Umso entsetzter waren sie, dass sich Belisar trotz der Nachteile, die das mit sich brachte, auf eine Belagerung vorbereitete. Mehrere kleine Garnisonen wurden vorgeschickt, um Narni, Perugia und Spoleto, die Stützpunkte der Goten entlang der südlichen Abschnitte der Via Flaminia, einzunehmen. Diese Maßnahme war dazu gedacht, den zu erwartenden Vorstoß der Goten aufzuhalten, und nicht, Belisars eigenen Vorstoß in die Wege zu leiten; aber vor dem Hintergrund dessen, was damals in Nordafrika passiert war, reichte diese Maßnahme aus, um einige der lokalen gotischen Siedlungscluster einzuschüchtern: Ein gewisser Pitzas und die Hälfte der Goten von Samnium kapitulierten sofort und lieferten sich Belisar aus, statt für Witichis zu kämpfen.32 In der Zwischenzeit hatten Schiffe aus Sizilien die Getreidespeicher Roms wieder aufgefüllt, und die örtlichen Landwirte wurden gezwungen, alle im Umland verfügbaren Nahrungsmittel in die Stadt zu bringen. Belisar hatte nicht in ausreichender Zahl Soldaten, um gegen ein vollständig mobilisiertes gotisches Heer ins Feld zu ziehen, und seiner infanterielastigen Streitmacht mangelte es an der offensiven Feuerkraft, mit der die oströmische Reiterei das Königreich der Vandalen gestürzt hatte. Justinian hatte ihm bereits Verstärkung versprochen, aber bis diese eintraf, konnte Belisar nicht mehr tun, als die Stadt Rom einzunehmen und zu halten – sehr zum Missfallen ihrer Bewohner, die überhaupt keine Lust hatten, im Mittelpunkt des Konflikts zu stehen, der sich gerade abzeichnete. Ihr Verdruss wäre noch größer gewesen, hätten sie geahnt, dass dieser Zustand mehr als ein Jahr dauern sollte – eine solche Mobilmachung dauerte im Altertum nun einmal eine gewisse Zeit.
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Bis zum Februar 537 hatte Witichis genügend Truppen mobilisiert, um mit so vielen Soldaten auf der Via Flaminia vorzurücken, dass Belisars Vorposten ihn nicht aufhalten konnten. Belisar versuchte, den Vormarsch der gotischen Armee zu verzögern, indem er sie an der Milvischen Brücke in eine Schlacht verwickelte. Er hatte geglaubt, die Goten so mehrere Wochen lang aufhalten zu können, während derer er sich zusätzliche Truppen und Proviant würde verschaffen können, aber die Aktion endete beinahe im Desaster. Einen Turm an der Brücke besetzte Belisar mit Soldaten, die es den Goten erschweren sollten, den Fluss zu überschreiten, während er selbst mit seiner ganzen verfügbaren Kavallerie, die allerdings nur etwa 1000 Mann zählte, auf der anderen Seite des Flusses wartete, um alle Goten, die es über die Brücke schafften, unter Beschuss zu nehmen. Doch als die Besatzung des Turms sah, wie groß Witichis’ Armee war, verließ sie bei Nacht und Nebel ihren Einsatzort – einige ergaben sich den Goten, die Übrigen flohen weiter bis nach Kampanien. Am nächsten Morgen konnten die Goten ungehindert die Brücke überqueren, sodass Belisars zahlenmäßig weit unterlegene Kavallerie es nun mit der gesamten gotischen Armee zu tun bekam. Zwar gelang es ihr, den gut ausgebildeten feindlichen Soldaten einige empfindliche Verluste beizubringen, aber Belisar musste sich mit seinen Truppen schon bald wieder hinter der römischen Stadtmauer verschanzen. Auf dem Rückzug wurde Belisar von der Armee getrennt; glücklicherweise gelang es seinen Gardisten, ihn mit ihren Schilden abzuschirmen und in Sicherheit zu bringen. Die Verteidiger der Stadtmauer packte beim Anblick der gotischen Armee die gleiche Panik wie zuvor die Wachen an der Milvischen Brücke, und sie weigerten sich, die Porta Salaria zu öffnen, um die eigene Kavallerie hereinzulassen. Als auch noch das Gerücht aufkam, dass von allen Seiten Goten in die Stadt einfielen, blieb Belisar und seinen Soldaten, die nun zwischen der Mauer und dem Burggraben eingekeilt waren, nichts anderes übrig, als wieder umzukehren. Als der Feldherr sah, dass die vorrückenden Goten durch eine Blockade an der Brücke und ein paar schwere Scharmützel am Vorrücken gehindert wurden, ging er zum Gegenangriff über, um sich und seinen Männern ein wenig mehr Zeit zu verschaffen. Das ging nur so lange gut, bis neue, in geordneten Reihen marschierende gotische Infanteristen eintrafen, doch immerhin gelang der oströmischen Kavallerie
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diesmal ein geordneter Rückzug, und das reichte aus, um die Verteidiger auf der Mauer dazu zu bewegen, ihrer Kavallerie das Tor zu öffnen. Den ersten Ansturm der Goten hatte die Stadt überstanden, und Belisar konnte nun in Ruhe seine Verteidigungsmaßnahmen koordinieren. In der ersten Nacht der Belagerung ließ er mehrere Freudenfeuer anzünden, die seinen Truppen neuen Mut geben sollten.33 Nach den heftigen Scharmützeln dieses ersten Tages blieb es zunächst verdächtig still: Die Goten bereiteten ihren Angriff vor. Sie unterbrachen die Aquädukte zur Stadt; Belisar musste den Bewohnern zeigen, wie sie die Strömung des Tibers nutzen konnten, um ihr Getreide zu mahlen. Die Goten versuchten, die Bewohner Roms gegen die oströmischen Truppen aufzuwiegeln, während sie hinter ihren fünf großen Heerlagern am nördlichen Bogen der Stadtmauer Belagerungstürme und Rammböcke errichteten. Es hat schon fast etwas von einem MontyPython-Film, wenn man sich vorstellt, wie die Römer herumsaßen und aus der Ferne das Hämmern und Sägen hörten. Nach 18 Tagen waren die Goten endlich bereit für den lang erwarteten ersten Schlag. Als die gewaltige Armee der Goten und die Belagerungsmaschinen in Sicht kamen, erfasste die Verteidiger zunächst Panik. Doch dann brach Belisar in Gelächter aus: Die Belagerungstürme und Rammböcke wurden (um noch einen Moment bei Monty Python zu bleiben) allesamt von Ochsen gezogen, und es war ein Leichtes, die Zugtiere abzuschießen, sodass die Goten an ihren neuen »Spielzeugen« nur kurz ihre Freude hatten. Mit neuem Mut machten sich die Verteidiger an die Arbeit, und gezielte Schüsse von Pfeilen und Ballista-Bolzen (ein solcher Bolzen soll einen gotischen Soldaten sogar regelrecht an einen Baum genagelt haben) sowie mehrere gut getimte Kavallerieeinsätze reichten aus, um die Angreifer unter hohen Verlusten zurückzuschlagen. Prokop gibt an, die Goten hätten 30 000 Tote zu beklagen gehabt, bei einer mutmaßlichen Gesamtzahl von 200 000 Soldaten. Beide Zahlen dürften stark übertrieben sein.34 Ich vermute jeweils nur etwa ein Zehntel – wissen kann das niemand. Entscheidender als die genauen Zahlen war etwas anderes: Beiden Seiten war klar geworden, dass Rom sich nicht einfach so erstürmen ließ. Die Lage beruhigte sich, und alle Beteiligten richteten sich wohl oder übel auf eine langwierige Belagerung ein. Belisar schrieb sofort an Justinian und bat in aller Dringlichkeit um die versprochene Verstärkung. Eine erste Abteilung von 1600 zusätzli-
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chen regulären und alliierten Kavalleristen unter Martinus und Valerian war bereits vor Weihnachten aufgebrochen, aber widrige Winde hatten dafür gesorgt, dass sie in Griechenland festsaßen, wo Soldaten und Pferde nun überwintern mussten. Belisar evakuierte alle Zivilisten aus der Stadt und schickte sie nach Süden nach Neapel – ausgenommen die Männer im wehrfähigen Alter; sie sollten für einen (in Aussicht gestellten) Sold die Mauern bewachen. Möglicherweise als Reaktion auf diese Aktivitäten besetzten die Goten drei Tage nach ihrem gescheiterten Angriff Roms wichtigsten Hafen, den Portus Romae, um die Versorgung der Stadt über den Tiber abzuschneiden. Dies war also die Ausgangslage für den nun folgenden zermürbenden Belagerungskrieg; er sollte den ganzen heißen Sommer lang dauern – während der Stadt langsam das Getreide ausging. Als die Römer auf eine Hungersnot zusteuerten, verarbeiteten sie ihre Maultiere zu Würsten, wie Prokop sich widerwillig erinnert.35 Natürlich kam es trotzdem zu Kampfhandlungen. Zwanzig Tage, nachdem die Goten den Portus Romae eingenommen hatten, trafen endlich Martinus und Valerian mit ihrer Kavallerie ein. Von da an unternahm Belisar regelmäßig Ausfälle, um die Belagerer zu verunsichern. Dabei setzte er seine Kavallerie in kompakten Gruppen von einigen Hundert Reitern ein, die den Feind mit maximaler Feuerkraft unter Beschuss nahmen, um sich dann unter minimalen Verlusten wieder zurückzuziehen. Wie damals die Vandalen in Nordafrika verfügte auch die ostgotische Armee über eine umfangreiche Kavallerie, die aber mit Speeren ausgestattet war und nicht mit Pfeil und Bogen, sodass die Römer aus der Distanz eindeutig im Vorteil waren. Der erste Ausfall fand am Tag nach Eintreffen der Verstärkung statt; angeführt wurde er von Belisars Leibwächter Traianus, der 200 Gardisten unter sich hatte. Sie besetzten einen Hügel, beschossen die Belagerer und zogen sich dann unter schwerem Schutzfeuer von den Mauern aus wieder zurück. Laut Prokop (der wie immer übertreibt) starben dabei weitere 1000 Mann. In den folgenden Monaten initiierte Belisar insgesamt 69 Gefechte, die meisten in eben dieser Größenordnung.36 Der Erfolg dieser Übergriffe ermutigte ihn zu einem waghalsigeren Manöver: Er initiierte einen Ausfall mit seiner gesamten Kavallerie sowie einigen Infanteristen, die sich im Laufe des Feldzugs ebenfalls Pferde besorgt hatten. Unterstützt wurden sie von einer Infanteriephalanx
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– wie es die Militärhandbücher empfahlen; sie bestand größtenteils aus römischen Bürgern, die sonst die Mauern bemannten. Falls dies ein Versuch war, sich aus der Umklammerung zu lösen, so schlug er fehl. Die oströmische Kavallerie hatte dem gotischen Gegenangriff nichts entgegenzusetzen, und anstatt den Rückzug zu sichern, sodass sich die Reiter neu gruppieren konnten, zog die improvisierte Infanterie-Phalanx den Schwanz ein und floh. Die Goten waren zwar nicht stark genug, die Stadt zu stürmen, Belisar war aber zu schwach, um die Belagerer seinerseits zu besiegen. Das Ergebnis war ein monatelanges Patt, und die Lebensmittelvorräte in der Stadt wurden immer knapper.37 Die Wende kam erst im Herbst 537. Belisar hatte seine Frau Antonina, begleitet von Prokop, nach Kampanien geschickt, um neue Getreidevorräte zu sichern und aus den Garnisonen in Neapel und Cumae zusätzliche Truppen mit nach Rom zu bringen. Sie hatten gerade die notwendigen Vorräte und 500 weitere Infanteristen für die belagerte Stadt organisiert, als endlich neue Verstärkung aus dem Osten eintraf: 3000 Isaurer landeten in Neapel, und ein separates Kontingent von 800 Kavalleristen der thrakischen Feldarmee unter dem Kommando von Johannes, einem Neffen von Vitalian – dem Usurpator, der sich gegen Anastasios aufgelehnt hatte und später unter Justin ermordet worden war (siehe Kapitel 3) –, landete in Dryus, zusammen mit weiteren 1500 Reitern, die hauptsächlich aus den Praesentalis-Armeen stammten und durch diverse Söldner der Alliierten ergänzt wurden. Als Belisar die guten Nachrichten erreichten, verstärkte er seine Tätigkeiten im Norden der Stadt, damit die ersten 500 Infanteristen und die Wagen mit Getreide von Süden aus in die Stadt gelangen konnten.38 Das genügte, um den inzwischen völlig frustrierten Goten das letzte bisschen Selbstvertrauen zu nehmen. Sie kamen zu Belisar, um einen Waffenstillstand auszuhandeln, damit sie mit Justinian in Konstantinopel in Friedensverhandlungen eintreten könnten. Witichis stellte eine Teilung Italiens in Aussicht und wollte dem Kaiser als Gegenleistung für einen Frieden Sizilien und Süditalien bis Neapel anbieten. Man vereinbarte einen dreimonatigen Waffenstillstand, doch während die gotischen Botschafter noch nach Konstantinopel unterwegs waren, verschob sich das Kräftegleichgewicht rund um Rom weiter zugunsten Ostroms. Im Rahmen des Waffenstillstands gaben die Goten den Portus Romae wieder frei, und um die Wintersonnenwende trafen per Schiff 3000
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Isaurer und große Getreideladungen in Ostia ein. Damit war die Belagerung von Rom effektiv beendet, und Belisar konnte sich auf weitere Operationen vorbereiten. Ein wichtiger Schritt bestand darin, dass er eine Elitetruppe von 2000 Kavalleristen unter der Führung von Johannes, dem Neffen von Vitalian, in der Nähe der Stadt Alba ins Winterquartier schickte. Es handelte sich um eine extrem starke mobile Einsatztruppe, und Belisar gab ihr den Befehl, für Chaos und Blutvergießen zu sorgen, sollte der Waffenstillstand gebrochen werden. Die italo-römischen Provinzbewohner sollten sie in Frieden lassen – aber auf alle gotischen Siedlungscluster entlang der Via Flaminia war nun sozusagen die Jagdsaison eröffnet.39 Prokops Bericht zufolge waren es die Goten, die im Frühjahr 538 den Waffenstillstand brachen. Aus Konstantinopel war keine Nachricht mehr gekommen, und Witichis, der möglicherweise von den Hardlinern in seinem Gefolge unter Druck gesetzt wurde, erwog, die Aquädukte zu benutzen, um in die Stadt zu gelangen, und ordnete einen weiteren Überraschungsangriff auf die römische Stadtmauer an, diesmal mit Sturmleitern. Beide Versuche schlugen fehl – und Belisar hatte einen wunderbaren Vorwand, seine Kavallerie auf die Goten loszulassen.40 Das Resultat war verheerend. Johannes’ Reiter terrorisierten die gotischen Siedler entlang der Via Flaminia, nahmen deren Frauen und Kinder als Sklaven und zerstörten alles, was sie für »gotisch« hielten. Witichis’ Onkel Ulitheus versuchte, mit einer eilends zusammengewürfelten Truppe zu intervenieren, aber Johannes hatte die Crème de la Crème von Belisars Armee unter sich, und so kam es zu einer weiteren Katastrophe: Ulitheus und »fast die gesamte Armee des Feindes« fanden den Tod; Prokop, der nicht dabei war, verliert über das Ausmaß der Kämpfe allerdings kein Wort. Statt die gotischen Festungen in Urbino und Osimo anzugreifen (wozu die Zusammensetzung von Johannes’ Streitmacht nicht taugte, geschweige denn, dass er den Befehl dazu gehabt hätte), zog er weiter die Straße hinauf nach Norden und nahm Rimini ein, das etwa zwei Tage von der gotischen Hauptstadt Ravenna entfernt lag. Seine Überlegung ging dahin, dass Witichis, wenn er erführe, dass so nahe bei Ravenna eine römische Armee weilte, gezwungen wäre, die Belagerung Roms aufzugeben, die angesichts der zusätzlichen Nahrungsmittel und der frischen Truppen, die während des Waffenstillstands in die Stadt gelangt waren, ohnehin inzwischen eine ziemlich aussichtslose Angelegenheit war.41
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In etwa zur Tagundnachtgleiche im März 538, ein Jahr und neun Tage nach Beginn der Belagerung, zogen die Goten von Rom ab und gingen zurück nach Norden, über die Via Flaminia in Richtung Ravenna. Belisar hatte den Großteil seiner Kavallerie Johannes überlassen, wagte aber trotzdem einen letzten Ausfall, um die abziehenden feindlichen Truppen zu dezimieren. Das Gleichgewicht dieses Krieges hatte sich komplett verschoben. Belisars anfänglich nicht allzu großer Expeditionsarmee war es – ganz knapp – gelungen, Rom einzunehmen und so lange zu halten, bis die Kavallerie eingetroffen war. Angesichts der Komplikationen der Militärlogistik im Altertum war zu erwarten gewesen, dass der Prozess der Verstärkung rund ein Jahr brauchte, bis er in Fahrt kam. Jetzt waren die Goten auf dem Rückzug, und die strategische Initiative lag bei Belisar. Witichis’ Pläne waren nicht allzu kompliziert. Um die Gefahr von Ravenna abzuwenden, musste er Johannes’ Stoßtrupp vernichten, der noch bei Rimini sein Unwesen trieb, und da er wusste, dass er dafür Zeit brauchte, postierte er an wichtigen Stützpunkten entlang der Via Flaminia mächtige Garnisonen, die Belisars Vormarsch verzögern sollten. In Clusium und Urvivento wurden Garnisonen von je 1000 Mann eingerichtet und zwei weitere mit je 400 Soldaten in Tudera und Petra. Im Norden wurden zwei noch größere Garnisonen postiert, 4000 Mann in Osimo und weitere 2000 in Urbino, die von zwei weiteren Garnisonen mit je 500 Mann in Caesena und Monteferetra unterstützt wurden.42 Diese gotischen Stützpunkte entlang der Straße lagen zwischen den oströmischen Außenposten, die Belisar zuvor in Narni, Spoleto und Perugia eingerichtet hatte. Damit war die gesamte Strecke von Rom bis Ravenna von Garnisonstreitkräften beider Seiten bewacht, und somit hatten es auch beide schwer, sich unbehelligt auf der Straße fortzubewegen. Belisar wusste, dass ein wichtiger Bestandteil seiner Armee bedroht war, und nutzte die Tatsache, dass Witichis sich ebenfalls nicht frei bewegen konnte, um eine weitere Truppe von 1000 Elitekavalleristen unter Ildiger und Martinus, darunter viele seiner eigenen Gardisten, auf einer anderen Route nach Rimini zu schicken. Sie überquerten den Apennin via Petra, das sie zur Kapitulation zwangen, und erreichten Ancona, wo die kaiserliche Marine eine Infanterieabteilung abgesetzt hatten – was eindeutig im Vorfeld arrangiert worden war. Ein Teil dieser Infanterie sollte nach Rimini vorrücken und anstelle von Johannes’ Kavallerie
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die Stadt besetzen. Infanteristen benötigten im Falle einer Belagerung viel weniger Nahrung als Reiter und ihre Pferde, und obendrein konnte die Kavallerie dann wieder für mobile Einsätze verwendet werden. Ein schnelles Ende des Feldzugs schien sich anzukündigen, zumal noch mehr Verstärkungen unterwegs waren und auch die örtlichen italo-römischen Gemeinden das Gefühl hatten, dass der Wind sich drehte. Während er sich darauf vorbereitete, Witichis zu verfolgen, schickte Belisar eine kleinere Abteilung per Schiff nach Genua. Er hatte Botschaften aus dem Nordwesten Italiens erhalten, in denen er gebeten wurde, Truppen zu schicken, um Mailand und einige andere Städte Liguriens, die kapitulieren wollten, in Besitz nehmen. Nun war er endlich in der Lage, auf diese Bitte zu reagieren.43 Nach Abschluss seiner Planung verließ Belisar in etwa zur Sommersonnenwende Ende Juni 538 Rom mit dem Hauptteil seiner Armee. Zu Beginn lief alles glatt. Tudera und Clusium ergaben sich sofort, die dortigen gotischen Garnisonen – insgesamt 800 Mann – wurden nach Neapel und Sizilien verschifft. Aber die Ruhe täuschte. Am anderen Ende der Via Flaminia weigerte sich Johannes, mit seiner Kavallerie aus Rimini abzuziehen, obwohl Ildiger und Martinus mit ihrer Infanterie rechtzeitig aus Ancona eingetroffen waren. Die Gründe dafür teilt uns Prokop nicht mit, er deutet lediglich an, dass sich Johannes stur seinen Befehlen widersetzte. Vielleicht waren seine Soldaten und deren Pferde einfach noch zu erschöpft. Was auch immer der Grund war: Johannes bestand nicht nur darauf, in Rimini zu bleiben, sondern übernahm auch kurzerhand das Kommando über die gerade aus Ancona eingetroffenen Infanteristen, obwohl er hätte wissen müssen, dass er Schwierigkeiten haben würde, all diese Soldaten zu versorgen. So war Witichis, obwohl er nur so langsam vorankam, in der Lage, Johannes’ Kavallerie in Rimini einzukesseln, als er mit der gotischen Hauptarmee schließlich dort eintraf. Im Laufe des Sommers wehrten Johannes’ Truppen die Angriffe der Goten ein ums andere Mal ab, obwohl ihre Belagerungstürme diesmal nicht von Ochsen gezogen wurden. Doch die Vorräte in der Stadt gingen schnell zur Neige, und Belisar kam so langsam voran, dass er sich irgendwann gezwungen sah, mit seiner Armee abseits der Via Flaminia zu marschieren: Witichis hatte die Garnison in Osimo so weit verstärkt, dass sie mittlerweile rund 10 000 Mann stark war – eine zu große Übermacht, um die Stadt binnen
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kurzer Zeit passieren zu können, und so nahm Belisar eine alternative Route Richtung Osten und gelangte viel weiter südlich, bei Fermo, an die Adria.44 Langsam wurde die Situation in Rimini kritisch. Es gelang den Römern, einen Boten durch die Blockade der Goten zu schleusen, und dieser überbrachte Belisar die Nachricht, dass die Stadt binnen einer Woche würde kapitulieren müssen. Das Kräfteverhältnis zwischen den Goten und Ostrom schien auf einmal wieder ausgeglichen, schließlich war fast die Hälfte von Belisars Elitekavalleristen in Rimini eingeschlossen. Aber es gab noch Hoffnung: Belisar hatte auch deshalb die Via Flaminia verlassen und den Umweg nach Fermo eingeschlagen, weil dort auf dem Seeweg weitere Verstärkung gelandet war: 5000 Legionäre und 2000 herulische foederati. Auch dieser Vorgang muss im Vorfeld geplant worden sein. Beim nun folgenden gemeinsamen Kriegsrat mit den Kommandanten der neuen Truppen widerstand Belisar der Versuchung, sich über Johannes’ Dummheit zu echauffieren, und unterbreitete den anderen stattdessen seinen Entwurf für einen wirksamen Rettungsplan: Mit drei Abteilungen wollte man die gotischen Belagerer in die Zange nehmen. Ein Teil der Armee sollte auf die Schiffe zurückkehren, um direkt nach Rimini zu fahren, aber erst landen, wenn der Belagerungsring bereits durchbrochen war. Eine zweite Abteilung sollte die Küstenstraße entlangmarschieren, während Belisar selbst mit einer dritten Abteilung nach Norden ziehen würde, um Witichis von Ravenna abzuschneiden. Etwa 50 Kilometer von Osimo entfernt sollten noch einmal 1000 Mann stationiert werden, damit die dortige Garnison nicht in der Lage wäre, einzugreifen. Das Manöver war ein voller Erfolg: Im Spätsommer 538 gab Witichis’ Armee die Belagerung von Rimini auf und zog sich nach Ravenna zurück.45 Nicht nur Rimini war gerettet, sondern der ganze Krieg schien so gut wie beendet. Die ostgotische Armee hatte schwere Verluste erlitten, und ein großer Teil ihrer verbliebenen Streitkräfte war an verschiedenen Stützpunkten eingeschlossen: in Ravenna, in Osimo und Urbino am oberen Ende der Via Flaminia und an einigen anderen Stützpunkten in Mittel- und Norditalien, zum Beispiel Fiesole in der Toskana und Ticinum (dem heutigen Pavia) in Ligurien. Den Goten fehlte es zudem an Vorräten; die enormen Anforderungen bei der Belagerung Roms und die Nachwirkungen von Johannes’ Überfällen hatten dazu geführt, dass es
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nun im Hinterland der nördlichen Adriaküste zu einer dramatischen Nahrungsmittelknappheit kam. Auch über den Seeweg war keine Versorgung möglich, da die oströmische Marine das Meer kontrollierte. Alles deutete auf ein koordiniertes Finale mit einer raschen Kapitulation der Goten hin. Aber Kriege verlaufen selten nach Plan, und dieser war da keine Ausnahme. Zunächst musste sich Belisar mit Narses auseinandersetzen, einem der führenden Feldherrn Justinians. Narses hatte die letzte Tranche von 7000 Soldaten nach Italien gebracht und war nun der Ansicht, ihm gebühre das Oberkommando über den gesamten Feldzug. Johannes schlug sich auf Narses’ Seite und behauptete, die Hälfte der etwas über 20 000 oströmischen Soldaten, die sich inzwischen in Italien aufhielten, sei bereit, ihm zu folgen. Belisar wollte sich darauf konzentrieren, die beiden gotischen Stützpunkte Urbino und Osimo anzugreifen, die Ravenna beschützten, da die dortigen Garnisonen eine Belagerung der Hauptstadt der Goten behindern könnten. Narses hingegen wollte einen Großteil der Armee nach Nordwesten verlegen, in Richtung Mailand. Zweitens – und dies lag vermutlich Narses’ Strategie zugrunde, auch wenn Prokop hier keine eindeutige Verbindung zieht – hatte das Bündnis der Goten mit den Franken Früchte getragen, in Form einer Armee von 10 000 überwiegend burgundischen Kriegern (deren Königreich gerade von den Franken erobert worden war). Die Ankunft der Burgunden ermöglichte es Witichis’ Neffen Urais, in Ligurien zum Gegenschlag auszuholen und die kleine oströmische Armee zu belagern, die nach Mailand abkommandiert worden war. Belisar hatte nicht genug Truppen, um gleichzeitig in Ligurien zu kämpfen und seinen Angriff auf Ravenna fortzusetzen, und so hatte Mailand das Nachsehen. Die kleine oströmische Garnison handelte ihren eigenen Abzug aus und gab die Stadt auf – sie wurde umgehend von den Goten besetzt.46 Belisar hatte das Oberkommando über die oströmischen Streitkräfte de facto verloren. Am Ende des Jahres 538 bestand sein einziger wirklicher Erfolg darin, Urbino zu erobern, einen der beiden Stützpunkte der Goten, die eine Belagerung von Ravenna formell verhindert hatten, und selbst da war mehr Glück als Können im Spiel: Die dortige Garnison besetzte kurzerhand einen anderen befestigten Hügel, der sich kaum angreifen ließ, doch ganz plötzlich versiegte die Quelle, auf die die Soldaten angewiesen waren, und Belisar nahm dankbar ihre Kapitulation
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entgegen. Abgesehen davon verlor der Feldzug aufgrund der Unentschlossenheit der militärischen Führung und der Streitereien zwischen den oströmischen Feldherren deutlich an Schwung. Ein Ende des internen Konflikts zeichnete sich erst gegen Ende des Jahres ab, als Justinian nach einem langwierigen Hin und Her ein Machtwort sprach und verfügte, dass Belisar das Oberkommando gebührte. Dennoch: Dieser Vorgang hatte den Krieg unverhältnismäßig stark verzögert, und die Moral der meisten Beteiligten hatte deutlich gelitten. So beschlossen die verbündeten Heruler, dass sie genug hatten; sie machten sich auf den Heimweg zum Balkan und verkauften unterwegs ihre sämtlichen Gefangenen und ihre Kriegsbeute den Goten. Witichis hatte eingesehen, dass er allein nicht in der Lage war, den Krieg zu gewinnen, und machte sich auf die Suche nach weiteren Verbündeten, zusätzlich zu den bereits eingetroffenen Franko-Burgundern. Der König erwog, die Langobarden um Unterstützung zu bitten, doch sie waren enge Verbündete von Konstantinopel. Erstaunlicherweise fand Witichis eine Möglichkeit, am persischen Hof vorzusprechen. Er sandte zwei ihm ergebene katholische Geistliche über Land in den Nahen Osten; sie reisten über Thrakien auf dem Balkan, wo sie Dolmetscher rekrutierten, und zogen dann weiter über Kleinasien und Syrien bis nach Persien. Inzwischen machte sich auch Justinian Sorgen, dass die Perser den Ewigen Frieden brechen könnten, und wollte den Krieg in Italien daher möglichst schnell zu Ende bringen. Gegen Ende des Jahres 539 beschloss der Kaiser also, mit Witichis’ Botschaftern zu verhandeln.47 Die Gespräche wurden umso dringender, weil der Krieg in Italien in der vorangegangenen Feldzugsaison kaum Fortschritte gezeitigt hatte. Nachdem Belisar wieder das Oberkommando übernommen hatte, näherte er sich als Erstes mit einer 11 000 Mann starken Armee der Stadt Osimo, in der die Überreste der vormals 10 000 Goten eingeschlossen waren, die Witichis dort stationiert hatte. Eine zweite große römische Streitmacht wurde entsandt, um die gotische Garnison in der strategisch wichtigen Bergstadt Fiesole in der Toskana zu belagern, und ein drittes Kontingent stellte sicher, dass Witichis’ Neffe Urais nicht von Ligurien aus den Po überqueren konnte, um in den Kampf um Ravenna einzugreifen. Im Großen und Ganzen funktionierte Belisars großer Plan, auch wenn es schließlich doch noch denkbar knapp wurde. Die Franken marschierten erneut in Ligurien ein, und diesmal hatte sie niemand um Hilfe ge-
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beten. Sie besiegten sowohl Urais als auch die verbliebenen römischen Truppen, die die Südgrenzen der Provinz besetzten. Diese völlig unerwartete Intervention drohte das Kräftegleichgewicht, das nun leicht in Belisars Richtung ausschlug, wieder umzukehren. Doch auch im vom Krieg gebeutelten Ligurien war nach einem Jahr Krieg die Nahrung knapp, und so verlor der Feldzug der Franken schnell an Tempo. Anstatt von dort aus weiter nach Italien zu ziehen und Belisars Pläne komplett zu durchkreuzen, sahen sie sich gezwungen, sich wieder nach Norden zurückzuziehen.48 Während die Franken kamen und gingen, rief der Feldherr sich und die Seinen zur Ruhe und fuhr mit den beiden Belagerungen fort. Fiesole ließ sich unmöglich erstürmen. Zu Beginn war die Garnison noch so selbstbewusst gewesen, dass sie eine Reihe von Ausfällen gegen ihre römischen Gegner gewagt hatte, doch nachdem man Witichis eine letzte Bitte um Unterstützung geschickt hatte, blieben die Soldaten innerhalb der Stadtmauern und warteten ab. Die Situation in Osimo war ganz ähnlich: Das Städtchen lag auf einem Hügel mit nur einer einzigen steilen Zufahrtsstraße, sodass Belisar einen ernsthaften Angriff gar nicht erst in Erwägung zog. Die Belagerung zog sich fast über das ganze Jahr 539 hin. Anders als in Fiesole war Prokop hier offenbar vor Ort. Sein Bericht enthält entsprechend viele Details, zum Beispiel über die Scharmützel, in denen die Römer versuchten, die Goten daran zu hindern, an den Hängen vor der Stadt Essbares zu sammeln, und über den Kampf um eine Zisterne, in der das Wasser eines Bachs gesammelt wurde, der auf dem Hügel entsprang. Diesen Bach gibt es heute noch, und wenn man sich die Gegebenheiten vor Ort anschaut, kann man gut nachvollziehen, welchen Höhenvorteil die Goten hatten und wieso es den Römern weder gelang, die Mauern der Zisterne zu zerstören, noch das Wasser darin zu vergiften. Immerhin gelang es Belisar schließlich, jeden weiteren Kontakt der Garnison mit Ravenna zu unterbinden. Den ganzen Sommer über hatte Witichis seiner eingeschlossenen Garnison immer wieder versprochen, dass bald Hilfe käme. Nun fanden die Römer heraus, dass es einer ihrer eigenen Wachposten war, der die entsprechenden Botschaften überbracht hatte: Burcentius war von den Goten bestochen worden. Nun wurde er direkt vor den Stadtmauern bei lebendigem Leib verbrannt.49
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Verglichen mit den dramatischen Kavallerieschlachten, mit denen Ostrom den Widerstand der Vandalen gebrochen hatte, war eine Belagerung ein extrem langsamer und frustrierender Vorgang. Doch als schließlich in den beiden Festungen die Nahrung ausging, konnte Witichis nichts mehr tun. Ihm fehlten die notwendigen Vorräte, um von Ravenna aus Hilfsaktionen zu organisieren, und die Einmischung der Franken hatte verhindert, dass Urais aus dem Westen zu Hilfe kam. Zuerst kapitulierte Fiesole. Die gotischen Kommandanten von Fiesole wurden vor die Stadtmauer von Osimo gebracht, doch trotz dieser Aktion und der lähmenden Nahrungsmittelknappheit weigerte sich die dortige Garnison immer noch, zu kapitulieren. Am Ende musste Belisar ihnen den Deal ein wenig versüßen. Während die Soldaten von Fiesole gerade einmal mit dem Leben davongekommen waren, durften die von Osimo die Hälfte ihres Besitzes behalten und wurden obendrein vollwertige Bürger des Reichs. So kapitulierte im Oktober/November 539 schließlich auch Osimo.50 Erst gegen Ende des Jahres 539 stand Belisar mit seiner Armee endlich vor den Mauern von Ravenna. Dahinter hatte Witichis noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, und nachdem die Franken aus Ligurien abgezogen waren, war Urais wieder aktiv geworden. Auf dem Po brachte er eine Flotte von Frachtschiffen in Stellung, die mit Getreide für Ravenna beladen waren, das an einem Nebenarm des Po liegt. Außerdem stellte Urais aus den vielen gotischen Garnisonen Liguriens und der Cottischen Alpen eine mobile Hilfstruppe zusammen. Belisar ließ sich weder vom einen noch vom anderen beeindrucken und zog die Schlinge um Ravenna immer fester zu. Die Frachtschiffe wurden abgefangen, und mehr oder weniger gleichzeitig brachen in einigen der verbliebenen Getreidespeicher in Ravenna Feuer aus – es sieht ganz so aus, als hätte der Feldherr ein paar Agenten in die Stadt geschleust. Und am Ende verschwanden auch Urais’ Soldaten wieder von der Bildfläche; ein oströmischer Agent Provocateur hatte ihnen weisgemacht, man werde ihren Familien etwas antun, wenn sie in den Konflikt eingriffen.51 Witichis war jetzt in seiner eigenen Hauptstadt eingeschlossen, ohne jede Aussicht auf Hilfe. Doch die Stadt selbst war von Land und See aus so gut wie uneinnehmbar – genau das war ja einer der Gründe gewesen, warum man sie im Rahmen der Pax Romana im 5. Jahrhundert überhaupt zum Regierungssitz auserkoren hatte. Prokop beschreibt es kurz und bündig:
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Schiffe können dort unmöglich landen (…), weil das Meer sie davon abhält, indem es bis 30 Stadien [fast fünf Kilometer] vor dem Ufer Untiefen bildet (…). Und eine Landarmee kann sich der Stadt ebenfalls nicht nähern, denn sie ist auf allen Seiten vom Po (…) und anderen schiffbaren Flüssen sowie einigen Sümpfen umgeben.52
Die Stadt ließ sich nicht erstürmen, und so bereitete sich Justinian, weitab vom Kriegsgeschehen, langsam auf Friedensverhandlungen vor. Er war willens, eine modifizierte Version des Teilungsplans zu akzeptieren, den Witichis schon Ende 537 vorgelegt hatte. Demnach würde sich das dezimierte gotische Königreich auf die Gebiete nördlich des Po beschränken, also auf Ligurien und Venetien, wo Theoderich in den 490er-Jahren den Großteil seiner Goten angesiedelt hatte. Vor Ort in Italien war Belisar jedoch nach wie vor der Ansicht, dass das schiere Ausmaß seines militärischen Vorteils es rechtfertigte, ganz Italien dem Kaiserreich einzuverleiben. Und genau das teilte er seinen Kommandanten auch mit; wenn sie jetzt die Gelegenheit verstreichen ließen, würde sie vielleicht nie wiederkehren. Schließlich war es der immer verzweifeltere Witichis, der den ersten Schritt tat. Mit geheimen Botschaften versuchte der König, einen Keil zwischen Belisar und Justinian zu treiben, indem er dem Feldherrn »die Herrschaft über den Westen« anbot: eine Renaissance des Weströmischen Reiches auf Grundlage einer Kombination aus Belisars Armee und des gotischen Militärs. Zum Schein ließ sich Belisar darauf ein. In der irrigen Annahme, sein Plan gehe auf, öffnete Witichis im Mai 540 die Tore von Ravenna, Belisar ließ wieder Getreide in die Stadt, und andernorts kapitulierten die letzten gotischen Garnisonen. Aber es war eine Falle. Die Goten ergaben sich, weil sie davon ausgingen, dass Belisar sich nun zum Kaiser erklären würde, doch als die Römer in der Stadt waren, geschah nichts dergleichen, und Witichis waren die Hände gebunden.53 Damit hatte Justinians Regime einen zweiten kolossalen Sieg errungen.
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ie größte Hauptstraße in Konstantinopel, die Mese, endete in einem von Säulen gesäumten Platz, dem Augustaion, der ursprünglich unter Kaiser Konstantin angelegt worden war. Drei Seiten des Augustaion waren von Gebäuden flankiert: Die Kirche der Heiligen Weisheit (Hagia Sophia) stand auf der einen, das Senatsgebäude und die monumentalen Zeuxipposthermen auf den anderen. An der Westseite ließ Justinian Anfang der 540er-Jahre auf einem sieben Meter hohen Marmorsockel eine 70 Meter hohe Säule errichten. Sie bestand aus Ziegeln, war aber mit Messingplatten verkleidet, und auf ihrer Spitze thronte bis kurz nach der Eroberung durch die Osmanen ein kolossales Reiterstandbild des Kaisers; die Säule selbst wurde erst 1515 demontiert. Noch eine ganze Zeit lang konnte man um den Palast von Mehmet dem Eroberer herum Fragmente der Statue entdecken. Einige Zeichnungen des Reiterstandbilds sind erhalten, und natürlich hat auch Prokop es beschrieben: [Der Kaiser] trägt wie ein Heros einen Brustpanzer, ein Helm bedeckt seinen Kopf (…), von dem ein blendendes Licht hervorblitzt (…). Er schaut in Richtung der aufgehenden Sonne und lenkt ihre Bahn, so glaube ich, gegen die Perser. Und in seiner linken Hand hält er einen Globus, durch den der Bildhauer andeutet, dass ihm die ganze Erde und das Meer untertan sind. Er besitzt weder ein Schwert noch einen Speer noch irgendeine andere Waffe, doch auf dem Globus, den er trägt, steht ein Kreuz – das Symbol, durch das allein er sein Reich erhalten und im Krieg den Sieg davongetragen hat. Er streckt seine rechte Hand der aufgehenden Sonne entgegen, und mit gespreizten Fingern bedeutet er den Barbaren in diesem Viertel, zu Hause zu bleiben und nicht weiterzugehen.1
Mit der ihm eigenen Demut ließ Justinian ein Denkmal von sich errichten, das die Skyline der Stadt neunhundert Jahre lang dominieren sollte. Die Statue stellte den Kaiser als Achilleus dar und verwies darauf, dass
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Justinian ein großer Eroberer war und seine militärischen Siege, genau wie seine Herrschaft, direkter Ausdruck von Gottes Wille waren. Alle kaiserlichen Regime mussten einen großen Sieg erringen, um zu demonstrieren, dass Gott auf ihrer Seite war (siehe Kapitel 1). Aber nach der Eroberung Karthagos und dem Fall Ravennas konnte Justinian in dieser Hinsicht mit seinen Pfunden wuchern, und er ließ auch keine Gelegenheit dafür aus. Fast genauso prominent wie seine gewaltige Ehrensäule war ein weiteres Monument in der kaiserlichen Hauptstadt: das neue Eingangstor zum Kaiserpalast, das berühmte bronzene Chalke-Tor, ebenfalls direkt am Augustaion.2 Es war ein dreiteiliger, überdachter Bau, dessen Decken Bilder von Justinian und Theodora in vollem Ornat zeigten, aber auch Darstellungen von Belisar und der Eroberung von Afrika und Italien. Von jedem Punkt der Stadt aus konnte man also das riesige Reiterstandbild sehen, das Justinian als triumphierenden Eroberer präsentierte, und wenn man seinen Palast betrat, wurde diese Facette seiner Herrschaft noch einmal zusätzlich hervorgehoben. Das Regime wurde nicht müde, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf seine Siege hinzuweisen – in seinen schriftlichen Proklamationen, auf seinen Münzen (zum Beispiel einer wunderbaren goldenen Gedenkmünze aus der Zeit kurz nach der Eroberung Nordafrikas – sie ist also älter als das Reiterstandbild; man kann sie heute im Louvre bestaunen; Abb. 8) und in zahlreichen kleinen bildlichen Darstellungen, wie sie viele Alltagsgegenstände zierten (zum Beispiel die elfenbeinernen Deckel von Ernennungsurkunden).3 Zwei große militärische Siege gaben Justinian jede Menge politisches Kapital an die Hand – und er investierte es großzügig.
Der Kampf um das Gesetz Abgesehen davon, dass der Familienbesitz von Anastasios’ zwei Neffen, die im Anschluss an den Nika-Aufstand hingerichtet worden waren, nun zurückgegeben und die Senatoren, die damals ins Exil geschickt worden waren, rehabilitiert wurden, gab der Sieg in Afrika dem Regime genug Oberwasser, dass es sein zweites großes juristisches Reformprojekt vollenden konnte: die Zusammenführung der widersprüchlichen Rechtsgutachten der iuris consulti mehrerer Hundert Jahre. Bedenkt man, dass die Menschenmenge im Hippodrom neben der Entlassung von Justinians
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Abb. 8 Justinian, dargestellt als der rechtmäßige, von Gott eingesetzte Herrscher der römischen Welt.
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Finanzminister zugleich die Entlassung von Tribonianus gefordert hatte, scheint das Durchboxen der Fünfzig Entscheidungen in den gut vernetzten juristischen Kreisen Konstantinopels zu beträchtlichem Unmut geführt zu haben. Entscheidender als die Details der Fünfzig Entscheidungen war wahrscheinlich der allgemeinere Punkt, dass das geschriebene Gesetz ein wichtiges Symbol für die alles überstrahlende Behauptung war, Rom sei eine einzigartige, von Gott geleitete Zivilisation (siehe Kapitel 1). Eine erfolgreiche Lösung des Problems der Schriften der iuris consulti hätte Justinians Regime ein so unerhörtes ideologisches Prestige eingebracht, dass der Chef der für die Lösung dieses Problems zuständigen Kommission, Tribonianus, offensichtlich Angriffsziel für all jene war, die den Nika-Aufstand dazu nutzen wollten, die Macht des Regimes zu untergraben oder zumindest einzudämmen. Der Kaiser sah sich letztlich gezwungen, ihn an jenem schrecklichen Donnerstag im Februar 532 seines Amtes zu entheben. Bemerkenswerterweise sah er sich erst anderthalb Jahre später, im November 533, in der Lage, ihm ein neues öffentliches Amt zu verleihen (er wurde magister officiorum, also de facto Chef der kaiserlichen Bürokratie). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Nachricht vom Sieg bei Ad Decimum und von der Eroberung Karthagos durch Belisar die kaiserliche Hauptstadt bereits erreicht. Es gibt allerdings durchaus Grund zu der Annahme, dass Tribonianus in der Zwischenzeit seine Arbeit auf eigene Faust fortgesetzt hatte, denn gerade einmal einen Monat später waren die Digesten (oder Pandekten) mit den zusammengefassten Rechtsgutachten der iuris consulti fertig und zur Veröffentlichung bereit. Am 16. Dezember 533 bestätigte Justinian die Rechtsgültigkeit der Digesten und stellte eine Verbindung zwischen dem erfolgreichen Abschluss dieser Arbeit und dem Sieg in Afrika her: Gott hat uns nach unserem Frieden mit den Persern gewährt, über die Vandalen zu triumphieren, ganz Libyen zu erobern, das berühmte Karthago wiederzugewinnen und die Aufgabe zu erfüllen, die alten Gesetze wiederherzustellen – etwas, auf das keiner der Kaiser, die vor uns regierten, überhaupt in Angriff zu nehmen hoffen durfte, geschweige denn, dass es überhaupt irgendjemand für möglich gehalten hätte.4
Weil die Existenz des römischen Rechtssystems genauso ein Zeichen der einzigartigen Fürsorge Gottes für die römische Zivilisation war wie ein
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militärischer Sieg, war es in ideologischer Hinsicht ein vollkommen natürlicher Schritt, diese beiden Erfolge als Beweis dafür ins Feld zu führen, dass Gott Justinians Regime besonders wohlgesinnt war. Wer die Sache genauer unter die Lupe nimmt, stellt fest, dass die Lösung des Problems, das die Schriften der iuris consulti darstellten, ein kaum weniger hart errungener Sieg war als die Eroberung Karthagos. Das übergeordnete Problem waren gar nicht so sehr die Materialmengen als vielmehr die vielen inneren Widersprüche. In den dreihundert Jahren, während derer Rechtsanwälte versuchten, die Fälle ihrer wohlhabenden Klienten zu gewinnen, hatten sich nicht nur mehrere Millionen juristischer Kommentare zu bedeutsamen Fragen des Eigentumsrechts angesammelt, sondern auch widersprüchliche Meinungen, die eine Vielzahl rechtlicher Prinzipien nutzten, um hochkomplexe Argumente zu formulieren. Dass dieses Problem bestand und einer Lösung bedurfte, war längst bekannt. Im Jahr 429 hatte Kaiser Theodosius II. zwei aufeinanderfolgende juristische Projekte angekündigt: Zuerst wollte seine Kommission die neue Gesetzgebung kodifizieren, die zwischen der Regierungszeit Konstantins und seiner eigenen entstanden war, doch dann schlug sie vor, das neue Gesetzbuch mit den zwei Reskripten aus der Zeit der Tetrarchie und mit dem gesamten Reskriptmaterial zu kombinieren; auf diese Weise wollten sie ein universelles Gesetzbuch zum römischen Recht schaffen, das keinerlei Widersprüche in sich tragen und alle juristischen Streitfragen ein für allemal lösen würde. Doch Ende der 430er-Jahre hatte die Produktion allein des ersten Projekts bereits den größten Teil des Jahrzehnts gedauert, und so legte man das zweite Projekt (ohne dies irgendwo ausdrücklich zu erwähnen) auf Eis.5 Das Beste, was Theodosius’ Kommission für die Schriften der iuris consulti anzubieten hatte, war das sogenannte Zitiergesetz (lex citationum). Dies führte – vermittels Aufnahme in den Codex Theodosianus – zu einem neuen allgemeinen Grundsatz bei der Lösung von Rechtsstreitigkeiten, der ursprünglich einmal für einen ganz bestimmten, besonders hartnäckigen Fall formuliert worden war: Wenn einander widersprechende Meinungen [der iuris consulti] zitiert werden, soll jene Meinung gelten, der eine größere Zahl von Autoren anhängt, und wenn deren Zahlen gleich sind, soll jene Gruppe Vorrang haben, der der
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Mann mit dem größten Genius, Papinian [ein gefeierter römischer Jurist, 142–212], angehört, doch auch wenn er einen einzelnen Gegner besiegt, so muss er zweien weichen.
Unter neuzeitlichen Rechtshistorikern galt das Zitiergesetz lange Zeit als Tiefpunkt des römischen Rechts, da es die Mathematik einer prinzipiellen juristischen Argumentation vorzuziehen schien. Meiner Ansicht nach berücksichtigt ein solches Urteil aber zu wenig die Tatsache, dass mehrere Hundert Jahre widerstreitender Rechtsauffassungen zahlloser iuris consulti ein gewaltiges Durcheinander geschaffen hatten, ein regelrechtes Paradies für bezahlte Anwälte. Alles deutet darauf hin, dass die offensichtliche rechtliche Klarheit in den Digesten eher die Bemühungen von Tribonianus und seinen Mitarbeitern widerspiegelt als die der früheren iuris consulti, bei deren Schriften sie sich bedienten.6 Vor diesem Hintergrund ist es nicht allzu überraschend, dass vieles darauf hindeutet, wie hart Justinian und Tribonianus auf einer ganzen Reihe von Ebenen arbeiten mussten, um dieses Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Zum einen entschieden sie sich für eine weniger ehrgeizige Form des Projekts als Theodosius II. Dessen Kommission wollte, wie schon skizziert, die seitens der Kaiser erlassenen Gesetze und die Rechtsgutachten der iuris consulti zu einem Gesetzbuch zusammenfassen. Bei Justinians Reform blieb beides voneinander getrennt: Der Codex Iustinianus und die Digesten waren zwei eigenständige Gesetzbücher. Auch wenn Tribonianus auf der Basis seiner detaillierten Kenntnisse des geltenden römischen Rechts, die er bei der Arbeit am Codex Iustinianus sicherlich noch intensiviert hatte, eine Auswahl aus den Beiträgen der iuris consulti traf, wird es das Projekt zweifellos beschleunigt haben, dass er nicht beides zu einem einzigen Werk zusammenfassen musste. Zum anderen geben die Erlasse, mit denen Justinian die fertigen Digesten ratifizierte, eine sorgfältige Lobbyarbeit im juristischen Establishment Ostroms zu erkennen. Vertreter der zwei angesehensten juristischen Hochschulen, der in Konstantinopel und der in Beirut, waren in den Reformprozess einbezogen, teilten sich die Arbeit und akzeptierten das Ergebnis. Im Gegenzug schloss Justinian im Zuge der Publikation der Digesten offiziell die konkurrierenden juristischen Fakultäten in Caesarea und Alexandria. Es war ein klassischer Fall von »teile und
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herrsche«. Das Regime sicherte sich also die Zustimmung der beiden wichtigsten juristischen Einrichtungen des Reiches zum Reformpaket zumindest teilweise, indem es ihnen ein Duopol in der Juraausbildung verschaffte – und damit über die Studiengebühren zugleich höhere Einnahmen.7 Auch im Text der Digesten weist einiges auf die vielen Hürden des Projekts und die Geschwindigkeit hin, mit der es durchgesetzt wurde. In der Konstitution Deo auctore hatte Justinian das Projekt am 15. Dezember 530 angekündigt und die Grundprinzipien vorgestellt, mit denen sich Tribonianus und seine Mitstreiter dem juristischen Dschungel nähern sollten: Alle Autoren der Rechtstexte haben das gleiche Gewicht, und keinem von ihnen gebührt eine größere Autorität, da keiner als in jeder Hinsicht besser oder schlechter gelten kann, sondern nur einige in gewisser Hinsicht.
Im Gegensatz zum Zitiergesetz mit seinem mathematischen Ansatz, das Papinian einen so herausragenden Status eingeräumt hatte, sollte Tribonianus’ Kommission jedes einzelne Rechtsgutachten der iuris consulti auf seine intellektuellen Vorteile abklopfen und durch die konsequente Anwendung juristischer Prinzipien Überflüssiges, Wiederholungen und vor allem Widersprüche beseitigen.8 Laut der die endgültigen Digesten einleitenden Konstitution sei ihnen dies in vollem Umfang gelungen; sie behaupteten selbstbewusst, nun sei »alles reformiert und arrangiert worden«. Um die Arbeit innerhalb des gewünschten Zeitrahmens beenden zu können, hatte die Kommission in der Praxis allerdings in Kauf genommen, dass es noch ein paar lose Enden gab. Zur Frage der Wiederholungen hatte die Constitutio tanta, eine weitere einleitende Konstitution, Folgendes zu sagen: Sollten in einer so großen Sammlung von Gesetzen, die einer so immensen Anzahl von Büchern entstammt, hier und da Wiederholungen auftreten, so darf hierüber niemand allzu streng urteilen; man sollte es eher der menschlichen Schwäche zuschreiben, die Teil unserer Natur ist (…). Man sollte auch berücksichtigen, dass es einige sehr kurze Bestimmungen gibt, bei denen man eine Wiederholung durchaus zulassen kann.
204 | Die Kultur des Siegers
Die Konstitution weist den Leser also an, nicht allzu kritisch zu sein, wenn er über Wiederholungen stolpert, weil es (a) nicht viele gebe und sie (b) wahrscheinlich absichtlich dort stünden. Noch seltsamer ist der Kommentar der Constitutio tanta zu möglichen Widersprüchen: Was widersprüchliche Darstellungen in diesem Buch angeht, so kann niemand behaupten, es gäbe welche, und man wird auch keine finden, zieht man vollständig die Natur der Vielfalt in Betracht: Irgendwann wird nämlich ein Detail entdeckt werden, wie obskur es auch sein mag, das diese angebliche Inkonsistenz wieder aufhebt, die Sache in ein anders Licht rückt und vor dem Anschein von Diskrepanzen bewahrt.9
Es gebe also keine Widersprüche in dem Buch, und wenn ein Leser glaubt, er habe einen gefunden, so müsse er sich nur eingehender mit der Materie beschäftigen oder sie aus einem anderen Blickwinkel betrachten, und der scheinbare Widerspruch werde ganz von selbst wieder verschwinden. Die Reform wurde demzufolge nicht nur mithilfe eines politischen Deals mit einem Teil des juristischen Establishments durchgesetzt, sogar die Kommission selbst wusste, dass es ihr in der großen Eile nicht gelungen war, alle Probleme vollständig zu lösen. Sowohl der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Digesten als auch der nicht perfekte Inhalt zeigen, welch entscheidende Rolle der Sieg in Afrika dafür spielte, dass das Regime seine größte Rechtsreform erfolgreich durchsetzen konnte. Erst dieser Sieg ermöglichte es Justinian, Tribonianus offiziell wieder ein öffentliches Amt zu verleihen und ohne kritische Gegenstimmen eine alles andere als perfekte Zusammenfassung der Schriften der iuris consulti zu veröffentlichen. Die Eroberung Nordafrikas hatte das Regime politisch unantastbar gemacht, und Justinian, der nun keine Kritiker mehr zu fürchten hatte, konnte mit Rückendeckung der prestigeträchtigen juristischen Institutionen in Beirut und Konstantinopel die Digesten veröffentlichen, vielleicht sogar bevor Tribonianus zu dem Schritt bereit war. Es kann natürlich sein, dass Tribonianus bereits so viel getan hatte, wie er hatte tun wollen, und seinerseits ebenfalls bereit war, mit dem Ergebnis an die Öffentlichkeit zu gehen, doch die sorgfältig formulierten Rechtfertigungen in der Constitutio tanta deuten doch stark darauf hin, dass dem nicht so war. In jedem Fall war der Zeitpunkt so günstig, dass Justinian ihn um keinen Preis verpassen wollte – zu außergewöhnlich waren die Neuigkeiten aus Karthago.
Der Kampf um das Gesetz | 205
Was Tribonianus’ Kommission nicht zustande gebracht hatte, war ein einziges, einheitliches römisches Gesetzbuch, das frei von inneren Widersprüchen und über jeden Zweifel erhaben war. Justinian sollte die Veröffentlichung eines solches Gesetzbuchs nicht mehr erleben, auch nicht mit der zweiten, revidierten Fassung des Codex Iustinianus, die 534 erschien und immerhin einen Teil der Fünfzig Entscheidungen enthielt, die für die Digesten von zentraler Bedeutung waren. Doch der Kaiser hatte inzwischen weiterhin munter neue Gesetze erlassen, wofür er im Vorwort zu Novella 60 aus dem Jahr 537 sogar quasi um Entschuldigung bat: Denn es ist ganz natürlich, dass einige Menschen in der Masse der Gesetze, die jeden Tag verkündet werden, Fehler finden. Solche Leute denken nicht daran, dass wir der Notwendigkeit unterliegen, Gesetze zu erlassen, die den Bedürfnissen der Regierung entsprechen, da sich regelmäßig unerwartete Probleme auftun, die die bestehenden Gesetze noch nicht lösen können.10
Wie Justinian hier selbst zugibt, ist ein unveränderliches, vollkommen konstantes Gesetzeskorpus grundsätzlich eine Chimäre. Es treten immer wieder neue Situationen auf, und wenn man ein Gesetzbuch dazu verwenden will, wichtige Streitfälle zu klären, so muss es sich fortwährend weiterentwickeln. Zudem gab es immer noch Widersprüche zuhauf, wenn man ältere Gesetzestexte im Codex Iustinianus, neuere Entscheidungen in den Novellae und die Digesten mit dem Material der iuris consulti miteinander verglich. Im 12. und 13. Jahrhundert nahmen italienische Rechtswissenschaftler die Behauptungen in der Constitutio tanta für bare Münze und befassten sich mit dem Material unter der Annahme, dass es darin keine Widersprüche gab, wenn man nur lange und gut genug argumentierte – und sie brauchten über hundert Jahre und zwei Millionen Zeilen juristischer Kommentare, um das Problem auf »nur« 122 nicht allzu substanzielle Widersprüche zu reduzieren.11 Beim Justinianischen Corpus iuris civilis die Widersprüche herauszuarbeiten, ist jedoch von vorneherein der falsche Ansatz. Unabhängig von den Digesten haben fast keine Texte der iuris consulti überlebt; alles, was nicht enthalten ist, scheint vernichtet worden zu sein, genau wie Justinians Reform es erforderte. Dasselbe gilt für die älteren Kaisergesetze des Codex Hermogenianus, des Codex Gregorianus und sogar (im Osten) des Codex Theodosianus.
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Von all diesen Problemen abgesehen: Justinian schuf ein neues Arbeitskorpus aus juristischem Material, das alle bisherigen Bemühungen in diesem Bereich in den Schatten stellte. Er sicherte sich damit seinen Ruf als Gesetzgeber – von seiner Bedeutung im Mittelalter zeugt nicht zuletzt seine herausragende Position im dritten Teil von Dantes Göttlicher Komödie, wo er als Schutzherr von Recht und Gerechtigkeit auftritt. Das abgeschlossene Projekt komplettierte sozusagen den Triumph in Nordafrika, da es zeigte, dass Justinian seine zivilen Aufgaben als Kaiser genauso hervorragend erledigte wie die militärischen, und eine der wichtigsten zivilen Aufgaben war eben der Schutz der gottgegebenen römischen Zivilisation, für den die verschriftlichten Gesetze sorgten. Anders als Theodosius II., dessen Rechtsreform nicht über die erste Phase hinausgekommen war, hatte Justinian es geschafft, ein umfassendes juristisches Reformpaket fertigzustellen (wie es auch dringend benötigt wurde) oder zumindest doch eine einigermaßen adäquate Version eines solchen Reformpakets. Angehende Jurastudenten nannte man plötzlich »neue Justiniane«, und die Institutiones, das letzte Element des Pakets, waren ein neues juristisches Lehrbuch, das den überarbeiteten Lehrplan enthielt, nach dem die Studenten ab sofort unterrichtet wurden.12 Das Ganze war wirkmächtig und kohärent genug, um zum Eckpfeiler des gemeinen Rechts (ius commune) zu werden, eines Rechtssystems, das ab dem späten Mittelalter in einem Großteil von Europa verwendet wurde, von Schottland bis Italien.13 Ende 533 hatte das Regime also an allen Fronten gesiegt: Es hatte Territorien erobert und die Gesetze reformiert. Und nun zögerte es nicht lange, seine überwältigende göttliche Legitimität in weiteren Bereichen zu manifestieren.
»Salomo, ich habe dich übertroffen« Es ist kein Zufall, dass Prokop beschloss, Justinians Bauprojekten ein ganzes Buch zu widmen. Der Kaiser war ein passionierter Bauherr und wollte auch als solcher anerkannt werden. Ein Teil dieser Projekte wurde ihm aufgezwungen: In Konstantinopel ließen die im zeremoniellen Zentrum der Stadt durch den Nika-Aufstand verursachten Zerstörungen Justinian keine andere Wahl, als große Summen für den Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen, und der Bau einiger Befestigungsanlagen au-
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KOSMIDION
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Gefängnis des Anemas
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BlachernaePalast BLACHERNAE KYNEGION
PorphyrogenitusPalast (Tekfur Saray 1)
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Sechster Hügel
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Zisterne des Aëtius
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XII. Zisterne des Mocius
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Marmarameer (Propontis)
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Julian-Hafen/ Sophia-Hafen KontoskalionHafen
AURELIANAE
CHALKOPRATEIA
ARTOPOLEIA
KonstantinForum
CAENOPOLIS
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V. KEROPOLEIA
Zweiter Hügel
Tetrapylon
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Botaneiates-Palast
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Theodosius-Hafen/ Eleutherios-Hafen
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Zisterne des Aspar
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St. Sergios und Bakchos
Konstantinopel im Zeitalter Justinians
PSAMATHIA
Nicht alle eingezeichneten Gebäude und Strukturen waren zur gleichen Zeit vorhanden Narlıkapı Yedi Kule
OMON HEBD natia Via Eg Marmorturm
Kirchen/Klöster (heutige türkische Namen kursiv) Unter/oberirdische Zisternen Straßen und Foren (Verlauf und Größe oft nur ungefähr)
IX. AURELIANAE
Ungefähre Grenzen und Ziffern der Regionen (Notitia urbis Constantinopolitanae, um 425 n.Chr.) Stadtviertel Mauern (überlieferter/ungefährer Verlauf) Heutige Küstenlinie
Karte 4 Konstantinopel zur Zeit Justinians
ßerhalb der Hauptstadt war einer dringenden militärischen Notwendigkeit geschuldet. Aber auch ohne den Nika-Aufstand wäre Justinian als ehrgeiziger Bauherr in die Geschichte eingegangen. Dieser Umstand war teilweise der klassischen Tradition geschuldet, laut der öffentliche Bauvorhaben als großzügige Wohltat für die jeweilige Gemeinde galten – ein Kaiser, der sich besonders großzügig zeigen wollte, der ließ bauen.14 Die lange Liste von Bauten belegt jedoch, dass Justinian weit über diese Tradition hinausging, und er wurde in diesem Bereich bereits in den 520er-Jahren tätig, noch bevor er Kaiser wurde. Hinter einigen der Bauten steckte ein unmittelbarer politischer Zweck, doch der Motor vieler seiner Projekte war ein viel tiefer gehender ideo-
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logischer Imperativ, der seinerseits eine tief greifende Veränderung widerspiegelte, die die oströmische Zivilisation durchmachte. Im Herzen der kaiserlichen Hauptstadt hatten die Aufständischen zwei große Kirchen, die Hagia Sophia und die nahe gelegene Hagia Irene, niedergebrannt und den Eingang zum Palast, das Senatsgebäude und einige der Kolonnaden rund um das Augustaion in Schutt und Asche gelegt. (Das ist in etwa so, als würde im heutigen Berlin der ganze Bereich zwischen Reichstagsgebäude und Potsdamer Platz zerstört, inklusive des Brandenburger Tors.) Selbstverständlich war es die Aufgabe eines von Gott ernannten Kaisers, das Chaos zu beseitigen. Wir kennen nicht alle Details der Chronologie, aber bis Anfang der 550er-Jahre waren alle beschädigten Gebäude ersetzt oder restauriert worden, und Justinian nutzte die Gelegenheit, um die Legitimität seines Regimes zu feiern: Seit Anfang der 540er-Jahre ragte sein kolossales Reiterstandbild über der Skyline auf und erstrahlte in der Sonne wie eine Fackel. Die neuen Mosaike am Chalke-Tor präsentierten Besuchern die Eroberung Karthagos und Roms. Jeder, der im Februar 532 vor den Trümmern der Innenstadt Konstantinopels gestanden und an der göttlichen Legitimation Justinians gezweifelt hatte, war vom kaiserlichen Regime eines Besseren belehrt worden, das sich wie ein Phönix aus der Asche erhoben und an allen Fronten triumphiert hatte. Wer sonst konnte hinter solch einer erstaunlichen Transformation stecken als Gott höchstpersönlich? Vor allem baute Justinian Kirchen. Wiederum waren einige dieser Bauten der schieren Notwendigkeit geschuldet. Ein angeblich von Gott berufener Kaiser kam schlecht umhin, die zerstörte Kirche der Heiligen Weisheit (Hagia Sophia) in Konstantinopel wiederaufzubauen (siehe Abb. 9). Doch Justinian hatte bereits Kirchen gebaut, bevor er Kaiser wurde. In Blachernae ließ er während der Regierungszeit seines Onkels eine der Heiligen Jungfrau geweihte Kirche umbauen. Insgesamt errichtete er allein in Konstantinopel 33 Kirchen.15 Das ist allein zahlenmäßig bereits eine erstaunliche Bilanz, doch das war längst nicht alles: Seine Bauprojekte markierten eine wichtige neue Phase in der Entwicklung der christlichen Architektur. Als Konstantin zum Christentum konvertierte, gab es noch keine christliche Architektur. Christliche Gemeinden trafen sich in umfunktionierten Privathäusern; insbesondere die immer wiederkehrenden Phasen der Christenverfolgung hatten verhindert, dass die Christen eigene
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Abb. 9 Justinians atemberaubende Kathedrale Hagia Sophia in Konstantinopel – mit späteren Zusätzen wie den Minaretten.
architektonische Formen entwickelten. Im 4. Jahrhundert, der Zeit der großflächigen Missionierung, entstanden unter der Schirmherrschaft des Kaisers erstmals in großer Zahl spezielle Kirchen für die Christen; die Baumeister übernahmen dafür kurzerhand einen bereits etablierten Gebäudetypus der griechisch-römischen Welt: die Basilika. Dabei handelte es sich um ein langrechteckiges Gebäude mit flachem Gewölbedach, das normalerweise aus zwei Seitenschiffen und einem Mittelschiff mit einer Apsis an einem Ende bestand. Rund ums Mittelmeer hatten Basiliken lange Zeit als Ratsgebäude und Audienzsäle gedient, wobei die Apsis stets der prominentesten Person der Versammlung vorbehalten war (im Falle eines Audienzsaals im Palast dem Kaiser). Die Christen nutzten die Apsis für den Altar. Als Gebäudeform, die in erster Linie für Versammlungen bestimmt war, ließ sich die Basilika gut für Gottes16 dienste nutzen. Die perfekte Lösung war sie dennoch nicht – größere Ansammlungen von Menschen ließen sich darin nur schwer koordinieren, und aufgrund der niedrigen Dachstühle wirkte das Innere recht
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gedrängt und oft auch sehr dunkel. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts experimentierten die Christen schließlich mit anderen architektonischen Formen, die besser den neuen liturgischen Anforderungen entsprachen; Justinians Bauprojekte zeugten von dieser fortschreitenden Transformation und brachten sie entscheidend voran. Verantwortlich dafür war möglicherweise seine unmittelbare politische Konkurrenz. Als er im August 527 den Thron bestieg, war die größte Kirche in ganz Konstantinopel kein Bauwerk eines Kaisers, sondern die Polyeuktoskirche, die unlängst die Senatsaristokratin Anicia Juliana hatte errichten lassen. Als Enkelin des weströmischen Kaisers Valentinian III. und Urenkelin des oströmischen Kaisers Theodosius II. hatte sie ihr Leben lang in Konstantinopel gewohnt und war ihrem Vater auch dann nicht nach Rom gefolgt, als jener zwischen April und November 472 kurzzeitig Kaiser Westroms war. Von diesem Bauwerk sind recht umfangreiche Überreste erhalten, und außerdem ist in einer Anthologie griechischer Dichtung eine lange Widmungsinschrift überliefert: Sie verweist nicht nur auf Anicia Julianas kaiserliche Abstammung, sondern macht auch deutlich, dass sie sich für ihre Kirche den Tempel des Salomo zum Vorbild nahm, wie er in der Bibel beschrieben ist; wie archäologische Untersuchungen bestätigten, verwendete sie als Grundlage für die Abmessungen sogar die altägyptische Königselle, genau wie einst Salomo. Die Polyeuktoskirche war nicht nur nach zeitgenössischen Maßstäben gewaltig – ihr Grundriss basierte auf einem 52 Meter großen Quadrat –, sondern könnte auch in anderer Hinsicht revolutionär gewesen sein: Es scheint, als sei sie die erste Kirche in Konstantinopel gewesen, die eine Kuppel besaß, ein Detail, auf dessen Bedeutung wir noch zurückkommen werden. Es gibt keine expliziten Belege dafür, aber die Bauweise einiger gemauerter Pfeiler in ihrem Inneren deutet stark darauf hin, dass sie einst eine solche Kuppel trugen. So oder so hatte Anicia Juliana zwischen 524 und 527, als sie die größte Kirche des damaligen Konstantinopel bauen ließ, die Messlatte ziemlich hoch gelegt. Angesichts ihrer kaiserlichen Abstammung und der Tatsache, dass sie einen erwachsenen männlichen Sohn hatte (Olybrius, einer der Senatoren, die im Anschluss an den Nika-Aufstand verbannt wurden), kam man Mitte der 520er-Jahre kaum umhin, ihre Kirche als eindeutiges Statement dafür zu sehen, dass es zumindest noch einen weiteren plausiblen Kandidaten für das Amt des von Gott ernann-
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Abb. 10 Die vier massiven gemauerten Pfeiler im Herzen der Hagia Sophia tragen die Kuppel, wodurch der Innenraum groß und hell wirkt.
212 | Die Kultur des Siegers
ten römischen Kaisers gab als den Neffen eines in die Jahre gekommenen Feldherrn aus einem obskuren Teil des Balkans.17 Doch Justinian bewies schnell, das er durchaus in der Lage war, der Aristokratin Paroli zu bieten: zunächst mit der Sergios-und-BakchosKirche, dem ersten Kirchenneubau aus seiner Regierungszeit, und dann mit dem Wiederaufbau der Hagia Sophia. Der Bau der Sergios-undBakchos-Kirche begann, kaum hatte Justinian im Jahr 527 den Thron bestiegen, und war 532 abgeschlossen. Diese heute als Kleine Hagia Sophia bezeichnete Kirche verabschiedete sich komplett von der architektonischen Form der Basilika: Sie war ein zweistöckiger, quadratischer Ziegelbau, in den eine dreistöckige oktogonale Säulenstruktur eingebaut war, auf der eine sechzehnseitige Kuppel thronte – das bestimmende Merkmal des gesamten Gebäudes. Für die Hagia Sophia, die Justinian nach dem Nika-Aufstand wieder aufbaute, verwendete er die gleiche Grundform, aber in weitaus größerem Maßstab. Der Bau beeindruckt heute noch die Besucher; das Schiff ist ungefähr 80 Meter lang, die Kuppel vom Fußboden bis zum Scheitelpunkt 55 Meter hoch. Damit besaß die Hagia Sophia bis ins Mittelalter den größten offenen überwölbten Innenraum der Welt. Der eigentliche Trick bestand darin, dass die Kuppel auf relativ schlanken Innenbögen thronte, die von massiven Pfeilern getragen wurden (siehe Abb. 10). Dieser extrem innovative architektonische Ansatz ließ es zu, Außenwände, Bögen und sogar die Kuppel so schlank zu konstruieren, dass zahlreiche Fenster hineingebaut werden konnten. So entstand ein riesiger lichtdurchfluteter Innenraum, der bis in den Himmel zu reichen schien. In Prokops Worten: Ihr Inneres wird nicht so sehr von außen durch die Sonne beleuchtet, als vielmehr durch (…) ein Strahlen, das in ihr entsteht, in solch eine Fülle von Licht ist dieser Schrein getaucht, (…) und [die Kuppel] scheint ohne feste Basis in der Luft zu schweben (…). Die ganze Decke ist mit purem Gold verkleidet, was der Schönheit noch mehr Glanz verleiht, doch die Steinwände strahlen nicht weniger hell als das Gold.18
Als er seine neue Kirche zum ersten Mal betrat, soll Justinian laut einer – zugegebenermaßen aber nicht zeitgenössischen – Quelle verkündet haben: »Salomo, ich habe dich übertroffen!«19 Dass er ausdrücklich den Tempel Salomos, das explizite Vorbild Anicia Julianas für ihre Polyeuk-
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toskirche, erwähnt haben soll, könnte einen durchaus zur Annahme verleiten, dass Justinian ihre Kirche als Herausforderung sah, die es zu meistern galt. An der großen politischen und ideologischen Bedeutung von Justinians umfassendem Kirchenbauprogramm besteht indes kein Zweifel. Die Hagia Sophia entstand in geradezu halsbrecherischem Tempo (insbesondere wenn man die Bauzeit mit der einiger der großen Kathedralen der Renaissance vergleicht). Nach gerade einmal fünf Jahren war die neue Kirche fertig; sie wurde am 27. Dezember 537 geweiht. Nichts illustriert besser die ideologische Notwendigkeit für das Regime, sich sein religiöses Prestige zurückzuholen, das gemeinsam mit der großen Kathedrale der Hauptstadt im Februar 532 in Flammen aufgegangen war. Damals müssen viele Menschen daran gezweifelt haben, dass der Kaiser noch unter dem Schutz Gottes operierte. Das Wiederherstellen einer so eminenten physischen Erinnerung an die Verbindung zwischen Kaiser und Gott hatte eine solche Priorität, dass alle verfügbaren Ressourcen hineinflossen. Ich gehe davon aus, dass dem Regime auch hier das neugewonnene Prestige zugutekam, das ihm der erstaunlich schnelle und umfassende Sieg über die Vandalen ein Jahr nach dem Nika-Aufstand eingebracht hatte, vor allem wenn es darum ging, potenziellen Widerstand zu brechen, als plötzlich das gesamte Imperium für ein ambitioniertes Bauvorhaben in der Hauptstadt bezahlen sollte – zumal Justinian und Theodora das Innere ihrer neuen Kirche angeblich mit Gold, Silber, kostbaren Edelsteinen und wertvollen Textilien dekorieren ließen.20 Immerhin wird ein Teil davon direkt aus dem Schatz der Vandalenkönige von Karthago gekommen sein. Es steckte allerdings weit mehr hinter Justinians neuartiger Kirchenarchitektur als nur der Wunsch, die Glaubwürdigkeit des Regimes wiederherzustellen. Dass Kirchenbauer sich von der einfachen Basilika verabschiedeten, war im 6. Jahrhundert insbesondere im östlichen Mittelmeerraum ein weit verbreitetes Phänomen. Alle größeren Kirchenbauten, die Justinian im Laufe seiner Herrschaft errichtete, folgten diesem Trend. Wie vor ihm Konstantin ließ er in allen großen christlichen Zentren seines Reiches Kirchen wiederaufbauen: in Jerusalem und Bethlehem im Heiligen Land, das Katharinenkloster auf dem Berg Sinai (siehe Abb. 11), wo Kunsthandwerker aus Konstantinopel ein herausragendes Mosaik der Verklärung Christi (des Patroziniums des Klosters) anfertigten, und die
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Abb. 11 Das Katharinenkloster auf dem Sinai.
große Johanneskirche in Ephesos. Keine dieser Kirchen konnte es mit der Hagia Sophia aufnehmen, aber alle experimentierten auf unterschiedliche Weise mit Kuppeln, um hohe, lichte Räume zu schaffen. Dies war zum Teil eine Reaktion auf eine neue Ästhetik des Heiligen. Prokop beschreibt dies anhand der Wirkung der Hagia Sophia auf die Gläubigen: Wann immer jemand diese Kirche betritt, um zu beten, merkt er sofort, dass sie nicht das Werk menschlicher Kraft oder Fähigkeit ist, sondern dass es allein der Einfluss Gottes war, der diesen Bau entstehen ließ. Und so wird sein Geist zu Gott emporgehoben, und er spürt, dass Gott nicht weit weg sein kann, sondern er muss es einfach lieben, an diesem Ort zu weilen, den der Herr dazu erwählt hat.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus dieser neuen christlichen Ästhetik heraus ein weithin akzeptiertes Schema der Kirchendekoration, bei dem in der Kuppel Christus als Pantokrator (»Herrscher über alles«) darge-
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stellt war und die gesamte Hierarchie des Himmels – Erzengel, Engel, Evangelisten, Propheten, Märtyrer und Heilige – weiter unten, je nach dem Platz, der ihnen in dieser Hierarchie zukam.21 Dadurch, dass im Inneren der Kirchen größere, offene Bodenflächen zur Verfügung standen, setzten sich allmählich neue Formen religiöser Praxis durch. Die Menschen nahmen aktiver an der Liturgie teil, sodass bei Prozessionen nun nicht mehr nur die Priester in die Kirche einzogen, sondern immer öfter die gesamte Gemeinde, und die Gläubigen wurden ermuntert, die heiligen Mysterien nicht nur zu bestaunen, sondern daran teilzuhaben. Einiges davon hätte man in einer traditionellen Basilika kaum durchführen können. Doch von den räumlichen Gegebenheiten abgesehen, wurde auch die Fantasie der Gläubigen auf ganz neuartige Weise angeregt, zum Beispiel durch Kirchenlieder wie die von Romanos Melodos, einem berühmten Hymnografen zur Zeit Justinians. Seine Hymnen, die manchmal sowohl von der Gemeinde als auch von den Priestern gesungen wurden, sollten die Spiritualität der Gläubigen anregen, und zwar durch ein individuelles Miterleben religiöser Ereignisse, die Romanus im Präsens und unter häufiger Verwendung der ersten Person Plural beschreibt. Oft geschah dieses Miterleben im Rahmen der Nachtwachen, eines weiteren prominenten neuen Merkmals christlicher Frömmigkeit im 6. Jahrhunderts. Hier als Beispiel sein Hymnus für Heiligabend: Heute bringt die Jungfrau jenen zur Welt, der über allem thront, Und die Erde bietet ihm eine Höhle, der sich niemand nähern kann. Engel und Hirten lobpreisen ihn, Und die Weisen reisen einem Stern hinterher (…). Bethlehem hat Eden geöffnet, komm, lass uns sehen! Wir haben im Geheimen Wonne gefunden, komm, lass uns empfangen!22
Justinians religiöse Bauten waren mehr als Kirchen – sie waren Theater, in denen ein immer breiteres Spektrum an Gottesdiensten zur Aufführung gelangte, die wiederum zur Akzeptanz des neuen Gebäudetyps beitrugen und sich immer weiter entwickelten, um den Raum auszunutzen, den nicht nur die große Hagia Sophia den Gläubigen eröffnete, sondern auch bescheidenere Gebäude wie die Sergios-und-Bakchos-Kirche. Auch der Kaiser nahm, wie ein Großteil der Bürger Konstantinopels, an diesen neuen religiösen Spektakeln teil. Die berühmten Mosaiktafeln
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von San Vitale in Ravenna (siehe Abb. 12 a und b) zeigen, wie Justinian und Theodora an Opferprozessionen teilnehmen, wie sie heute zum Standardrepertoire der Messe gehören. Der Kaiser war ein begeisterter Anhänger des aufstrebenden Heiligenkults mit all seinen komplexen jährlichen Gedenkzyklen. Er baute unter anderen die Cosmas-und-Damian-Kirche in Konstantinopel wieder auf, nur weil er geträumt hatte, er sei todkrank und die beiden Heiligen würden ihn heilen. Wiederum betont Prokops kurze Beschreibung der Renovierungsarbeiten, der Kaiser habe dafür gesorgt, dass das Gebäude von Licht durchflutet wurde.23 Die größten religiösen Inszenierungen fanden jedoch nicht in den Kirchen statt, sondern auf den Straßen von Konstantinopel, sodass theoretisch die gesamte Bevölkerung der Stadt daran teilnehmen konnte. Die Konsekration der wiederaufgebauten Hagia Sophia im Jahr 537 begann mit einer gewaltigen Prozession. Der Kaiser ging zu Fuß, um sich bei Gott für den Abschluss des Projekts zu bedanken (der Patriarch fuhr hinter ihm in einer Kutsche), ihm folgten Höflinge und Gardisten, in einer Reihenfolge, die erstaunlich komplizierten Statusregeln entsprach, und die gesamte Route entlang standen Bürger am Straßenrand, als integraler Bestandteil der Prozession: Sie skandierten Akklamationen, was, wie üblich, von eigens instruierten Mitgliedern der Zirkusparteien initiiert wurde. Am 28. Juni 550 gab es eine ganz ähnliche Prozession, bei der diesmal der Patriarch in drei Särgen die jüngst entdeckten sterblichen Überreste der Apostel Andreas, Lukas und Timotheus mit sich führte, die nun vom Palast aus entlang der Mese zur gerade von Justinian wiederaufgebauten Apostelkirche gebracht wurden. In dieser Kirche wollte der Kaiser später einmal bestattet werden (seine einige Zeit zuvor verstorbene Frau lag dort bereits). Im Laufe des 6. Jahrhunderts wurden immer mehr Routen, Haltepunkte und Akklamationen für Prozessionen festgelegt. Anlässe gab es im Kirchenjahr genug: Gedenktage der Heiligen, Feiertage, der Jahrestag der Konsekration einer Kirche. Aber auch große militärische Siege des Kaisers beging man nach wie vor mit einer Prozession, wie im Jahr 534, als Justinian Gelimer besiegte. In einem Reich, dessen Herrscher von Gott persönlich auserkoren war, konnte es keine Trennung zwischen religiösen und staatlichen Belangen geben. Im Jahr 528 unternahm Kaiserin Theodora mit 4000 Begleiterinnen ihrerseits eine religiös geprägte Pro-
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Abb. 12 a und b Justinian, Theodora und ihre Höfe auf den Mosaiken von San Vitale in Ravenna. Sie bringen Opfergaben zum Altar Gottes, dem der Kaiser, wie er glaubte, seine Eroberungen verdankte.
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zession durch die Stadt, um einen Kurort zu besuchen. Religion war die Angelegenheit des Staates, und ganz Konstantinopel diente dem Staat gewissermaßen als eine Art überdimensionierte Hagia Sophia: als Theater, in dem das Reich Gottes regelmäßig seine wichtigsten Zeremonien zur Aufführung brachte. Solche sorgfältig orchestrierten Zeremonien, die dem Publikum klarmachen sollten, dass höhere Mächte den Kaiser dazu bestimmt hatten, über sie zu herrschen, gab es schon so lange wie das römische Kaiserreich, aber ihre Größe, Häufigkeit und Verdichtung (die dem Umstand zu schulden waren, dass nun seit über hundert Jahren der Kaiser permanent in der Stadt residierte) machten aus Konstantinopel im 6. Jahrhundert ein ganz außerordentliches Vorzeigeprojekt des christlichen Römischen Reiches.24 Die Christianisierung der römischen Kultur war beileibe kein neues Phänomen; sie hatte bereits in der Zeit Konstantins begonnen. Doch unter Justinian erreichte sie ein neues Niveau. Die neuen Ausdrucksformen christlicher Frömmigkeit, die sich in den neuartigen Kirchengebäuden abspielten, wirkten sich auf alle Bevölkerungsgruppen und alle sozialen Schichten aus. Bischöfe, Priester und Mönche bauten eine intensivere wechselseitige Beziehung zu ihren Gemeinden auf: Sie verlangten von ihren Schäfchen eine aktivere Teilnahme an religiösen Praktiken und mussten im Gegenzug die Nachfrage nach persönlicher Betreuung und religiöser Fürsorge befriedigen, die ihre eigenen Forderungen erzeugten. In etwas elitäreren Kreisen wurde weiterhin darüber diskutiert, inwieweit sich die traditionelle griechisch-römische Kultur mit der christlichen Lehre vereinbaren ließ. Im 4. Jahrhundert hatte sich die Sorge der oberen Zehntausend des Imperiums in erster Linie um die Kenntnis klassischer Literatur gedreht; nun, im 6. Jahrhundert, ging es auch um Fragen der Philosophie und Wissenschaft: War der biblische Schöpfungsbericht mit den Lehren des Aristoteles vereinbar? Welchen Stellenwert würde das Studium der traditionellen platonischen Philosophie in einer christlichen Welt haben? Justinian ließ zwar, wie weithin bekannt sein dürfte, die attischen Philosophenschulen schließen, aber ihre Pendants in Alexandria blieben das ganze 6. Jahrhundert über aktiv, und rein von der Anzahl der produzierten Texte her blühte die traditionelle griechische Philosophie sogar regelrecht auf. Es gab auf solche Fragen schlichtweg keine einfachen Antworten. Aber die immer größere Verbreitung
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des Christentums führte unweigerlich dazu, dass solche Fragen gestellt wurden, und Justinian hatte überhaupt nichts dagegen, sein Regime bei diesen Entwicklungen an vorderster Front zu wissen.25 Der von Gott auserwählte Kaiser wollte dem von Gott auserwählten Volk nicht nur beim Kirchenbau und bei den angemessenen Ausdrucksformen von Frömmigkeit mit gutem Beispiel vorangehen und sich in der Herrlichkeit sonnen, die vom Herrn auf ihn abstrahlte, er wollte auch bestimmen, welche kulturellen Formen sich dafür eigneten. Solange der Kaiser erfolgreich war, ließ sich dagegen auch gar nichts einwenden. Doch nach der Logik dieser Ideologie mussten alle Rückschläge und Niederlagen des Kaisers ernsthafte, hochbrisante Fragen aufwerfen. Dürren, Hungersnöte, Erdbeben (wie das von 557, bei dem ein Teil der prächtigen neuen Kuppel der Hagia Sophia einstürzte), militärische Niederlagen: Auch auf solche Vorkommnisse musste das zeremonielle Leben in der kaiserlichen Hauptstadt reagieren – und das tat es auch, mit noch mehr Prozessionen und noch feierlicheren Gottesdiensten, bei denen die Überlebenden in der Hoffnung, dass sie auch weitere Prüfungen und Schwierigkeiten überstehen würden, Gott dafür dankten, dass er sie verschont hatte.26 Die gesamte Verantwortung für das irdische Reich Gottes auf seinen Schultern zu wissen, war letztendlich ein unglaublich stressiger Job. Denn wenn die römischen Kaiser, wie sie zu verkünden nicht müde wurden, ihre Erfolge dem Allmächtigen zu verdanken hatten, musste das ja logischerweise auch für alle Niederlagen und Katastrophen gelten. Zufälle gab es in dieser Welt nicht. Es hatte immer einen Grund, wenn Gott sein auserwähltes Volk mit Tod, Leid und Hunger quälte. Dass Justinian neben all seinen Aufgaben als Gesetzgeber, Stratege und Bauherr auch noch enorme Anstrengungen unternahm, um sicherzustellen, dass alle religiösen Angelegenheiten im Römischen Reich im Einklang mit dem Willen Gottes standen, kann insofern kaum überraschen.
Der Friede Gottes Das grundlegende religiöse Problem, mit dem sich Justinian während seiner Regentschaft konfrontiert sah, war das gleiche, mit dem sich seine unmittelbaren Vorgänger Justin und Anastasios hatten herumschlagen müssen: Wie sollte sein Regime auf die tiefe Spaltung in den Reihen der
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oströmischen Kirchenmänner reagieren, für die das Konzil von Chalkedon und das Problem der »zwei Wesen« des fleischgewordenen Christus gesorgt hatten? Nach der Thronbesteigung seines Onkels unterstützte Justinian voller Enthusiasmus die politische Wende: Er stellte sich hinter die Beschlüsse von Chalkedon und ebnete so den Weg für eine kirchliche Wiedervereinigung mit Rom. Schon bald zeigte sich jedoch, dass er eher ein Praktiker war denn ein Dogmatiker – als er versuchte, Papst Hormisdas von einer abgeschwächten Version von Chalkedon zu überzeugen, da man so eine Vielzahl unzufriedener oströmischer Kirchenmänner zurück ins Boot holen und eine Wiedervereinigung mit Rom auf eine breitere Basis stellen könne. (Das war noch, bevor er Theodora mit ihren engen Verbindungen zu antichalkedonischen kirchlichen Netzwerken heiratete.) Doch der Papst wollte davon nichts wissen, und so ließ Justinian den Plan am Ende wieder fallen.27 Eben dieser Pragmatismus kam in den ersten Jahren seiner Herrschaft voll zum Tragen. Offiziell unterstützte der Kaiser weiterhin die Beschlüsse von Chalkedon, doch hinter den Kulissen knüpfte er über Theodora Kontakte zu antichalkedonischen Kreisen, die sich in den Gesprächen von 532 offen manifestierten. Für Justinian scheinen diese Gespräche zumindest teilweise eine alternative Strategie dafür gewesen zu sein, nach dem Nika-Aufstand sein Prestige wieder aufzupolieren; als die Gespräche keinen schnellen Erfolg zeitigten, erklärte der Kaiser sie wieder für beendet und wandte sich stattdessen der Eroberung Nordafrikas zu, um endlich den dringend benötigten Triumph einzufahren.28 Aber das Problem der Kirchenspaltung blieb, genau wie Justinians unterschwelliger Wunsch, dieses Problem zu lösen. Als Repräsentant Gottes auf Erden trug er die Verantwortung für die gesamte Kirche, und ehrgeizig, wie Justinian war, sah er die gegenwärtige Spaltung auch als Chance, einen weiteren großen Coup zu landen. Während seiner gesamten Regierungszeit war Justinian klar, dass die Ergebnisse des Konzils von Chalkedon niemals die Grundlage für eine Einheit der oströmischen Kirche bilden konnten. Die dortige Glaubensdefinition rund um die »zwei Wesen« Christi und insbesondere die Behauptung der grundsätzlichen Orthodoxie bestimmter Lehrer standen in einem zu starken Gegensatz zu dem, was die Antichalkedonier als kanonisch für die kyrillische Orthodoxie ansahen. Irgendwie mussten die Beschlüsse von Chalkedon angepasst werden, aber das stand im Wider-
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spruch zu einer Strömung innerhalb der Kirche, laut der niemand Lehren infrage stellen durfte, die auf einem komplett ökumenischen Konzil beschlossenen worden waren. Für Justinian war es ein heikler Balanceakt: Er musste so viel wie möglich von Chalkedon bewahren, aber dennoch genug aufgeben, um so viele abtrünnige oströmische Kirchenmänner zurück an Bord zu holen, dass er guten Gewissens verkünden konnte, er habe die Einheit der Kirche wiederhergestellt. Ich gehe nicht davon aus, dass Justinian auch nur einen Moment lang glaubte, er könne alle Kirchenmänner dazu bringen, sich einer einzigen Position anzuschließen. Aber wie schon frühere große Dispute innerhalb der christlichen Kirche gezeigt hatten, war das auch gar nicht nötig, um ein Ergebnis zu erzielen, das sich als Erfolg verkaufen ließ. Der arianische Streit und der Donatistenstreit im 4. Jahrhundert waren langfristig ganz ähnlich verlaufen: Während der Kaiser unentschlossen war, glaubten beide Seiten, sie könnten gewinnen, und die Auseinandersetzungen gingen mit voller Wucht weiter, in regelmäßigen Abständen kochten die Gemüter hoch. Dabei waren die scheinbar so genau umrissenen kirchlichen Parteien bei genauerer Betrachtung nichts als Koalitionen von Individuen, die tatsächlich ein viel breiteres Spektrum an Meinungen vertraten. Und genau darin lag eine Chance: Falls man einen angemessenen Kompromiss fand (wie es beim arianischen und beim Donatistenstreit gelang), konnte man damit eine Mehrheit von Kirchenmännern aus dem Mittelfeld zusammenbringen und die Extremisten auf beiden Seiten isolieren, zumindest wenn mehrere (oft kurzlebige) kaiserliche Regime nacheinander diesen Kompromiss mittrugen, ohne zu wanken. Die solchermaßen marginalisierten Standpunkte verschwanden nicht über Nacht, und mitunter bildeten sie sogar die Grundlage für neue kirchliche Netzwerke. Aber angesichts der gesamten Palette ideologischer und rechtlicher Autorität, mit der das kaiserliche Regime die Kirchen dieser neuen Netzwerke konfiszierte und ihren wohlhabenderen Anhängern mit dem vollständigen Verlust ihres Eigentums drohte, verloren die extremeren Positionen schnell an Popularität, bis sie nur noch den Status von Sekten hatten. Und solche Sekten konnte das Regime getrost agieren lassen, denn für die Einheit der Kirche spielten sie keine Rolle mehr.29 Diese Methode – sie kam historisch betrachtet bei vielen erfolgreichen Friedensprozessen zur Anwendung, vom Arianismus bis Nordirland – sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn wir uns mit Justinians religionspo-
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litischen Initiativen beschäftigen. Auf den ersten Blick kann es einem nämlich so vorkommen, als habe der Kaiser ständig seine Meinung geändert und sei zwischendurch immer wieder eine Zeit lang komplett untätig gewesen. In Wirklichkeit suchte er die ganze Zeit nach einem Kompromiss, dem sich genügend oströmische Kirchenmänner anschließen würden. Was Justinian in die Hände spielte, war die Tatsache, dass führende Kirchenmänner auf beiden Seiten ebenfalls der Ansicht waren, dass die Kirche vereint werden müsse – und sie akzeptierten in ideologischer Hinsicht, dass es Aufgabe des Kaisers war, einen entsprechenden Kompromiss zu vermitteln. Mit diesem Pfund konnte Justinian wuchern, und genau das tat er auch. Auch wenn die Gespräche von 532 zu keinem erfolgreichen Abschluss führten, zeigten sie doch immerhin einen möglichen Kompromiss auf. Weil Kyrill von Alexandria einst selbst von den »zwei Wesen« Christi gesprochen hatte, ließ sich die chalkedonische Definition den Antichalkedoniern gegenüber als sinnvolle Formulierung verteidigen, solange den Antichalkedoniern die Verwendung der alternativen Formulierung des »einen Wesens« Christi in anderen Zusammenhängen nicht ausdrücklich verboten wurde. Sobald dieser Kompromiss ausgehandelt war, erwies sich als letzter großer Knackpunkt, dass Chalkedon ausdrücklich die Orthodoxie aller oder doch zumindest einiger Werke von drei Kirchenvätern des 5. Jahrhunderts verteidigt hatte – Theodor von Mopsuestia, Theodoret von Kyrrhos und Ibas von Edessa. Diese drei waren in den Augen der Antichalkedonier mit den ketzerischen Gedanken von Kyrills Erzfeind Nestorius infiziert. Hier einen Kompromiss zu finden, wurde zu Justinians zentraler Strategie zur Wiederherstellung der Einheit in der Ostkirche. Bereits 533 gab es Initiativen, die in diese Richtung zielten. Justinian erließ zwei religiöse Edikte, von denen eines es unmöglich machte, die chalkedonische Formulierung von den »zwei Wesen« in einem nestorianischen Sinne zu lesen, indem das Edikt die »hypostatische« Einheit des Wesens Christi bekräftigte (d. h., dass das Menschliche und Göttliche nach der Menschwerdung Gottes weiterhin voneinander trennbar waren). Das zweite Edikt erklärte, dass »ein Element der Dreieinigkeit gelitten hat«; auch nach dieser Formulierung war es unmöglich, das Wesen Christi im nestorianischen Sinne zu verstehen (Nestorius war der Ansicht gewesen, eine allmächtige, unsterbliche Gottheit hätte nicht leiden
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und sterben können). Es brachte einen Kompromiss aufs Tapet, den Justinian im Jahr 520 mit Papst Hormisdas auszuhandeln versucht hatte. Dieses Mal gelang es dem Kaiser, Papst Johannes II. zu überzeugen – was allerdings auch kein Wunder war, bedenkt man, dass die kaiserlichen Armeen bereits auf Sizilien stationiert waren und eine Invasion Italiens in der Luft lag. Einen ähnlichen Kompromiss handelte er auf lokaler Ebene in Palästina mit Bischof Leontios von Jerusalem aus, der versuchte, die gemäßigten Antichalkedonier seiner Gemeinde davon zu überzeugen, dass es unmöglich sei, die Beschlüsse des Konzils von Chalkedon im Sinne von Nestorius zu verstehen; am Ende erklärten sie sich kompromissbereit und erkannten, wenn auch zähneknirschend, die Gültigkeit des Konzils an.30 Aber auch im Folgenden ging nicht alles ganz reibungslos über die Bühne. Im Jahr 535 wurde Severus von Antiochia aus dem Exil in Ägypten in die Hauptstadt zurückgeholt. Für Justinian war dies vermutlich Teil eines Versuchs, die Unterstützung so vieler führender antichalkedonischer Kleriker wie möglich für den sich abzeichnenden Kompromiss zu gewinnen. Ob Severus willens gewesen wäre, hier mitzuspielen, wissen wir nicht, denn der Versuch ging nach hinten los und löste unter den prochalkedonischen Mönchen einen Sturm der Entrüstung aus, und dieser wiederum rief den neuen Papst Agapitus auf den Plan, der dem Kaiser mehrere Protestschreiben sandte. Wahrscheinlich war es eben dieser Gegenwind, der Justinian klarmachte, dass sich Severus aufgrund seiner langjährigen Opposition gegenüber Chalkedon nicht in die bevorstehende Kompromisslösung einbinden lassen würde; auf jeden Fall schickte er nicht nur ihn nach Ägypten zurück, sondern feuerte auch den derzeitigen Patriarchen von Konstantinopel, Anthimos, mit dem Severus verhandelt hatte. Das reichte, um den Protest wieder verstummen zu lassen, und für den Rest des Jahrzehnts blieb es entsprechend ruhig. Mag sein, dass zunächst die Ereignisse in Afrika und Italien und später dann in die Auseinandersetzungen mit den Persern Justinian komplett in Anspruch nahmen, aber ich vermute (und es gibt manches Stichhaltige, was diese Sichtweise stützt), dass die Arbeit an der religiösen Front hinter den Kulissen die ganze Zeit weiterging, in Form von Verhandlungen mit einzelnen wichtigen Antichalkedoniern. Abgesehen von Severus, den er 535 aus Ägypten zurückholte, lud Justinian irgendwann zwischen 537 und 548 auch den einflussreichen
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Abt des antichalkedonischen Klosters Pbow in Oberägypten nach Konstantinopel ein – ein weiterer Versuch, im Kampf um die Einheit der Kirche so viele einflussreiche Gegner der Beschlüsse von Chalkedon ins Boot zu holen wie nur möglich.31 Mitte der 540er-Jahre war der Kaiser endlich bereit für seinen neuen Schachzug. 543/544 erließ er ein (leider nur fragmentarisch erhaltenes) Edikt, in dem er jene drei Kapitel der Akten des Konzils von Chalkedon aufhob, die die Werke der Erzfeinde der Antichalkedonier, Theodor von Mopsuestia, Theodoret von Kyrrhos und Ibas von Edessa, für orthodox erklärten. Nach ein wenig nunmehr deutlich beherzterer Lobbyarbeit folgte im Jahr 551 ein zweites Edikt mit dem Titel »Über den wahren Glauben«, mit dem der Kaiser die verschiedenen theologischen Initiativen zusammenbrachte, auf die der Hof gesetzt hatte, um eine Einigung zu erreichen: vor allem dass Christus als Gott »im Fleische gelitten« habe und dass er nach der Menschwerdung aus zwei Wesen bestand. Die inhaltlichen Punkte wurden alle von Texten von Kyrill von Alexandria unterstützt, und das Dokument schloss mit dreizehn Anathemata: zehn, die seine positiven Punkte bekräftigten, und drei, die den umstrittenen drei Kapiteln eine unwiederbringliche Absage erteilten.32 So wichtig das Edikt für sich genommen bereits war, ihm wurde eine noch größere Bedeutung zuteil – als Gründungsdokument eines neuen ökumenischen Konzils, an dem (zumindest theoretisch) Vertreter der gesamten christlichen Kirche teilnahmen und das im Jahr 553 in Konstantinopel stattfinden sollte. Nur der Kaiser konnte ein ökumenisches Konzil einberufen, und die Aufgabe eines solchen Konzils bestand stets darin, sich mit Fragen zu befassen, die für die gesamte christliche Welt von übergreifender Bedeutung waren. Für Justinian war dies indes eine höchst riskante Strategie; mit Sicherheit orientierte er sich dabei am ersten Konzil von Konstantinopel, das Theodosius I. im Jahr 381 einberufen hatte und das fast fünfzig Jahre nach der Spaltung der Ostkirche den arianischen Streit beendet hatte. Sein eigenes Konzil begann am 5. Mai 553 unter dem Vorsitz des Patriarchen Eutychios von Konstantinopel. Von den 152 anwesenden Bischöfen kamen gerade einmal 16 aus dem Westen. Am 2. Juni 553 wurde das Treffen beendet. Ein vollständiger griechischer Text der Sitzungsberichte ist nicht überliefert, aber es gibt eine umfangreiche lateinische Zusammenfassung, die wahrscheinlich für Papst Vigilius ange-
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fertigt wurde, der sich zunächst geweigert hatte, dem Konzil beizuwohnen, sich aber später mit den Beschlüssen vollkommen einverstanden erklärte.33 Diese Beschlüsse enthielten alle wichtigen Punkte des Edikts »Über den wahren Glauben«. Justinian hatte seinen Kompromiss gefunden, weiterentwickelt, fast zwanzig Jahre lang dafür geworben und ihn nun, wie es die spätrömische Tradition vorsah, von einem ökumenischen Konzil absegnen lassen. Allen Vorschriften war genüge getan, und alles war bereit für eine triumphale Wiederherstellung der Einheit der christlichen Kirche. Soweit zumindest die Theorie. Die Wirklichkeit sah leider ganz anders aus. Zum einen lehnte der Klerus des lateinischen Westens nach wie vor jedwede Manipulation der Beschlüsse von Chalkedon kategorisch ab, auch wenn der Protest in den Gebieten, die Justinian direkt unterstanden, wie wir in Kapitel 10 sehen werden, bald nachließ. Dies legt nahe, dass die Ideologie, gemäß welcher der Kaiser über eine allumfassende religiöse Autorität verfügte, weiterhin das Verhalten vieler einzelner Kirchenführer beeinflusste und dass dem Kaiser damit nach wie vor ein wichtiges Mittel zur Verfügung stand, um bestimmte Personen in seinem Sinne zu beeinflussen. Seit dem ersten Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 hatten sich jedoch zwei langfristige und miteinander verbundene strukturelle religiöse Entwicklungsprozesse entfaltet, die eine Überwindung der von Chalkedon erzeugten Spaltung zu einem viel größeren Problem machten, als es die Beilegung des arianischen Streits knapp zweihundert Jahre zuvor gewesen war. Erstens hatte Justinians Disput weitaus länger gedauert: Mehr als hundert Jahre trennten das Konzil von Chalkedon vom zweiten Konzil von Konstantinopel; demgegenüber hatten zwischen dem Konzil von Nicäa und dem ersten Konzil von Konstantinopel nur 56 Jahre gelegen. Eine wichtige Folge davon, dass so viel Zeit vergangen war, bestand darin, dass die Positionen beider Seiten inzwischen extrem verhärtet waren, was nicht nur in den Schmähungen zum Ausdruck kam, die die Parteien einander entgegenschmetterten, sondern auch in institutioneller Hinsicht. So feindselig er den Beschlüssen von Chalkedon auch gegenüberstand, war Severus von Antiochia im Exil doch äußerst vorsichtig, wenn es darum ging, antichalkedonische Kleriker zu Bischöfen und Priestern zu weihen. Er war sich bewusst, dass dies eine potenzielle Wiederherstellung der Einheit der Kirche erschweren würde, und sein letzt-
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endliches Ziel war stets ein einheitliches christliches Establishment im römischen Osten. Als Kaiser Justin Anfang der 520er-Jahre 55 antichalkedonische Bischöfe aus den Provinzen Syrien und Palästina ins Exil geschickt hatte, hatte dies jedoch mitnichten dazu geführt, dass 55 rivalisierende Bischofspaare jeweils um denselben Bischofssitz konkurriert hatten, auch wenn einer von Severus’ Kollegen, Johannes von Tella, eine beträchtliche Anzahl von Priestern geweiht hatte. Nach Severus’ Tod im Jahr 538 zeigten sich einige seiner Nachfolger indes viel weniger zurückhaltend. 542 erwies sich Justinian einmal mehr als Brückenbauer, als er den arabischen Verbündeten in der Grenzregion die Ordination zweier antichalkedonischer Bischöfe, Jakob Baradai und Theodor, gestattete. Zunächst weihten jene lediglich Priester, aber nach dem zweiten Konzil von Konstantinopel weiteten sie ihre Tätigkeit auf die höheren Ebenen der kirchlichen Hierarchie aus, und zwischen 553 und 566 ordinierten sie nicht weniger als 27 antichalkedonische Bischöfe. Von nun an musste jeder, der die Kirche zur Einheit zurückführen wollte, sich gut überlegen, was er mit all den rivalisierenden Bischöfen tun wollte.34 Vor allem aber muss der Umstand, dass sich die antichalkedonischen Führer trotz ihrer anfänglichen mangelnden Kompromissbereitschaft schließlich doch noch in diese spezielle institutionelle Ecke einklinkten, unsere Aufmerksamkeit auf eine weitaus substanziellere Veränderung lenken, die den anhaltenden Streit um Chalkedon mit einigen anderen wichtigen Entwicklungen im römischen Christentum des 6. Jahrhunderts verbindet, die wir bereits beobachtet haben. Der Druck, der zu all diesen Priester- und schließlich Bischofsweihen führte, kam nämlich von unten. Als Severus im Jahr 508 als Bischof nach Antiochia kam, begrüßte ihn das Volk, indem es skandierte: »Wir wollen unsere Kinder taufen lassen!« In den 380er-Jahren, als sich der arianische Streit endlich einer Lösung näherte, waren die Anhänger der neuen Religion auch in der dritten Generation des christlichen Kaiserreichs noch in der Minderheit. In Städten wie Antiochia lebten mehr oder weniger gleich viele Christen und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften, und in den meisten ländlichen Gebieten hatte sich das Christentum überhaupt noch nicht durchgesetzt. Jetzt, im 6. Jahrhundert, war der heidnische Glaube in den meisten Ländern schon seit Jahrhunderten unterdrückt worden, viele, viele Kirchen waren gebaut worden, und Bischöfe, Priester und
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Mönche hatten nicht nur im großen Stil die Bevölkerung der römischen Welt missioniert, sondern ihren Schäfchen auch immer intensivere partizipative Formen des Gottesdienstes nahegebracht.35 In religiöser Hinsicht hatten Chalkedonier und Antichalkedonier dieselbe grundlegende Kultur, und beide pflegten in ihrer jeweiligen Einflusssphäre ähnliche Formen der Frömmigkeit. Was die Beilegung des Streits aber ganz massiv erschwerte, das waren die Bedürfnisse und Forderungen ihrer Gemeinden, denn jene sorgten dafür, dass separate Hierarchien entstanden; diese stellten schon deshalb ein Problem dar, weil sie es den Kirchenführern erschwerten, öffentlich auf die andere Seite zuzugehen. Zu Beginn seiner Regierungszeit sollte es dem nächsten Kaiser, Justin II., gelingen, einige wichtige antichalkedonische Führer zu überreden, sich wieder dem offiziellen kirchlichen Establishment anzunähern, aber die Initiative war schnell vorbei, als jene nicht in der Lage waren, den neuen Kompromiss ihrem Fußvolk zu verkaufen, insbesondere den Mönchen, auf deren Unterstützung sie angewiesen waren.36 Das größte Hindernis für eine erfolgreiche Wiedervereinigung der Kirche war daher in vielerlei Hinsicht die zunehmende »Intensität« des Christentums, die es den Kirchenführern, die diese Einheit suchten, immer schwerer machte, ihren Gemeinden plausibel zu erklären, warum sie sich auf einmal Leuten annähern sollten, die sie selbst eben noch als Ketzer gebrandmarkt hatten. Eine Überwindung der Spaltung innerhalb der Kirche war meines Erachtens in den 550er-Jahren nicht völlig unmöglich (auch wenn einige das meinen),37 aber sicherlich war die Ausgangslage für Justinian viel komplizierter als im Fall von Theodosius I. 170 Jahre zuvor. Sein theologischer Kompromiss hatte das Zeug dazu, einige führende Antichalkedonier zu überzeugen, wie der Fortgang des Disputs unter Justinians Nachfolger Justin II. zeigen sollte, doch tiefreligiösen Gemeinden und Klöstern nahezubringen, dass sie auf einmal gemeinsam mit ihren erklärten Feinden die Eucharistie feiern sollten, erwies sich als extrem schwierig und würde weder schnell oder reibungslos über die Bühne gehen können. Trotz all seiner Bemühungen gelang dies Justinian letztendlich nicht. Insofern war die größere Verbreitung des Christentums und der immer glühendere religiöse Eifer seiner Anhänger für einen christlichen Kaiser nicht unbedingt eine positive Entwicklung, und es gibt Anzeichen dafür, dass Justinian in den späteren Jahren seiner Re-
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gierungszeit zunehmend frustriert war. Während der Kampf um einen Kompromiss weiterging, entdeckte er irgendwann die Schriften des Julian von Halikarnassos für sich, der lehrte, dass der Leib Christi göttlich und daher unzerstörbar war. Zugleich munkelte man bei Hofe zum ersten Mal, der Kaiser könnte selbst ein Ketzer sein.38 All das zeigt vor allem, dass die vorherrschenden religiösen Ideologien dem christlichen römischen Kaiser zwar mannigfaltige Unterstützung boten, die Justinian auch bestens auszunutzen wusste, sei es beim Wiederaufbau Konstantinopels oder beim Feiern seiner persönlichen Triumphe, dass diese Ideologien gleichzeitig aber auch ernsthafte Herausforderungen mit sich brachten. Nicht nur wurde es immer schwieriger, die gespaltene Christenheit wieder zu vereinen (obwohl oder vielleicht gerade weil es in der Theorie ja gar keine solche Spaltung geben konnte): Die ständigen Hinweise auf göttliche Unterstützung würden schwierige Fragen aufwerfen, sollten dem Regime die Erfolge einmal ausbleiben.39 Nach der Atempause im Anschluss an die erstaunlichen Siege in Afrika und Italien in den 530er-Jahren sah sich Justinians Regime mit solchen Fragen einmal mehr konfrontiert, als es eine Reihe militärischer Niederlagen einstecken musste – im Westen, aber vor allem an der Ostfront, gegen den Erzfeind der Römer: die Perser.
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u den kuriosesten Schriften, die aus dem mittelalterlichen Byzanz überliefert sind, gehören die Werke von Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos (905–959). Er hatte sich zum Ziel gesetzt, der Nachwelt die wichtigsten Elemente dessen zu überliefern, was seine Gesellschaft so vernunftgeleitet und überlegen machte und dafür sorgte, dass sie im Einklang mit Gottes Plan für das Universum stand. Für sein umfangreichstes Projekt sammelte er Auszüge aus gelehrten heidnischen und christlichen Werken des Altertums und publizierte sie thematisch geordnet in zahlreichen Bänden: Ich hielt es angesichts der unermesslichen Zahl dieser Schriften, die schon in der Theorie ermüdend und überwältigend und schwer zugänglich sind, für eine gute Idee, sie aufzubrechen und neu zu organisieren, um alles, was sie enthalten, nützlicher zu machen.
Geplant waren 53 Bände, aber wir kennen nur die Titel zu 23 von ihnen, und die Zeiten überdauert haben lediglich Teile von gerade einmal vier Bänden.1 Mit De ceremoniis stellte er zudem einen Band über formelle Zeremonien am Kaiserhof zusammen. Darin enthalten ist unter anderem ein Text aus der Regierungszeit Justinians, der die Etikette beschreibt, nach der man Botschafter des persischen Großkönigs zu empfangen hatte. In welcher staubigen Ecke Konstantinopels dieser Text vierhundert Jahre lang geschlummert hatte und warum – schließlich existierte das Perserreich seit dreihundert Jahren nicht mehr –, das kann heute niemand wissen. Die Anleitung stammt wahrscheinlich aus der Feder von Petros Patrikios und ist erstaunlich detailliert; sie beschreibt das Prozedere Schritt für Schritt, beginnend damit, wer an die Grenze geschickt werden soll, um die Gesandtschaft abzuholen. Dann folgen die Details des Transports nach Konstantinopel. Fünf Postpferde und 30 Maultiere sind Standard, aber wenn der Kaiser gute Laune hat (oder auf besonders viele diploma-
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tische Geschenke hofft), können es auch mehr sein. Währenddessen müssen die Gemächer, in denen der Botschafter in Konstantinopel untergebracht wird, entsprechend dem Rang des Mannes und der Eskorte, die ihn begleitet, vorbereitet werden. Dort müssen Betten, Bettwäsche, Öfen, Kamine und Tische bereitstehen sowie Eimer, um ihm Wasser zu bringen, und ihm soll Hilfe bei anderen Dienstleistungen in Sachen Hygiene geleistet werden.
Viele unterschiedliche Beamte waren an den Vorbereitungen beteiligt. Der comes rei privatae besorgte die Matratzen, der Stadtpräfekt die Betten, Tische, Töpfe und Pfannen, die Waffenkammer kümmerte sich um die Kohlenbecken. All das ist an sich schon extrem faszinierend, ist aber nichts gegen den Bericht über den formellen diplomatischen Empfang des persischen Botschafters bei Hofe: Eine gute halbe Seite lang sind die Anweisungen, wer alles anwesend sein soll, wie sie gekleidet sein sollen und wo sie stehen sollen. Je nachdem, ob die Perser Pferde als Geschenk mitgebracht haben oder nicht, soll eine bestimmte Anzahl von Türen zum Audienzsaal offen bleiben (und vermutlich sollen in diesem Fall auch entsprechende Putzkräfte bereit stehen). Wenn dann alle versammelt sind und hinter seidenen Vorhängen stehen, die die Erhabenheit des Allmächtigen widerspiegeln, der sich vor uns im Himmel verbirgt, kommt man endlich zur Sache: Als der Vorhang aufgeht, wirft sich der Botschafter draußen, wo violetter Marmor ist, zu Boden, huldigt dem Kaiser und erhebt sich. Dann tritt er durch das Tor, wirft sich erneut zu Boden, huldigt dem Kaiser und erhebt sich. In der Mitte des consistorium (Audienzsaal) huldigt er ihm ein weiteres Mal, und dann kommt er und betet die Füße [des Kaisers] an und steht in der Mitte; er übergibt den Brief und verkündet die Grußworte seines Königs. Sodann soll der Kaiser fragen: »Wie geht es unserem Bruder in Gott? Wir freuen uns über seine Gesundheit.«
Dann überreicht der Botschafter die Geschenke, und anschließend wird er aufgefordert, sich in sein Quartier zu begeben, um sich dort einige Tage auszuruhen. Wenn dann alles in Ordnung ist, können die Geschäfte bzw. Verhandlungen beginnen.2 Angesichts dieser Formalitäten und der wechselseitigen Schmeichelei, die hier ideologisch wie auch praktisch ihren Ausdruck fand, könnte
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Abb. 13 Chosrau, Justinians »Bruder in Gott«, nutzte die Verpflichtungen des Kaisers im Westen dazu, die reichen östlichen Provinzen von dessen Reich zu verwüsten.
man annehmen, die beiden Großmächte des Nahen Ostens seien es gewohnt gewesen, ihre politischen Angelegenheiten mit gegenseitigem Respekt und mit einem großen Bewusstsein hinsichtlich ihrer Verantwortung für die Millionen Untertanen, die Gott ihnen anvertraut hatte, zu führen. Die Realität sah vollkommen anders aus. Weil die beiden füreinander der jeweils mächtigste Nachbar waren, rangierte jeder Erfolg gegenüber dem anderen auf der Liste der Errungenschaften ganz weit oben, und jede Seite argwöhnte stets, dass die andere etwas Böses im Schilde führte; und dass sie unterschiedliche Gottheiten hinter sich glaubten, die einen den christlichen Gott, die anderen den zoroastrischen, trug nicht gerade zur Entspannung bei. Als sich beide Seiten im 5. Jahrhundert gemeinsam gegen die Bedrohung durch mächtige Nomadenreiche zur Wehr setzen mussten, etablierten sich zwar ein paar neue Gewohnheiten, und man ergriff nicht mehr jede sich bietende Möglichkeit, der anderen Seite eins auszuwischen. Doch als die Bedrohung von außen beseitigt war, verfiel man schnell wieder in die alten Verhaltensmuster. In den 520er-Jahren wussten Justin und Justinian Kavadhs Probleme, einen Thronfolger zu finden, für sich zu nutzen; dass es Justinian schließlich gelang, den sogenannten Ewigen Frieden auszuhandeln, lag einzig und allein daran, dass mit Chosrau ein neuer Großkönig auf dem Thron saß, der sich mit potenziellen Rivalen auseinandersetzen musste. Ansonsten hätten die Perser nach ihrem großen Sieg bei Kallinikos sicherlich ihren Vorteil
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gegenüber einem römischen Kaiser auszuspielen gewusst, dessen Hauptstadt gerade beim Nika-Aufstand zur Hälfte in Flammen aufgegangen war (siehe Abb. 13).3 Aber auch wenn beide Parteien zu Beginn der 530er-Jahre ihre Gründe gehabt hatten, möglichst schnell ein Friedensabkommen zu schließen, so war es mit dieser Eintracht gegen Ende des Jahrzehnts nicht mehr weit her. Chosrau saß inzwischen fest im Sattel, und nicht nur das: Er wusste, welche Triumphe Justinian im Westen gefeiert hatte und dass diese langfristig das Zeug dazu hatten, das Mächtegleichgewicht zwischen den beiden Reichen nachhaltig zu verschieben, da die eroberten Territorien mit ihren vielen Bewohnern Konstantinopel gewaltige neue Ressourcen an die Hand gaben. Bereits nach dem Sieg über die Vandalen sandte Chosrau Justinian eine Botschaft, in der er einen Teil der Kriegsbeute einforderte – schließlich habe seine, Chosraus, Bereitschaft, den Römern den Ewigen Frieden zu gewähren, Belisars Expedition überhaupt erst möglich gemacht. Ende der 530er-Jahre hatte sich das Oströmische Reich nicht nur fast ohne Gegenwehr die geradezu legendär reiche Insel Sizilien einverleibt, auch das ostgotische Königreich auf dem Festland stand kurz vor dem Zusammenbruch. Als Belisar im Frühjahr 538 die Belagerung Roms beendete, konnte Persien die Zeichen der Zeit kaum noch ignorieren, und spätestens die überraschende Ankunft gotischer Botschafter in Persien wird Chosrau und seine Berater davon überzeugt haben, dass Justinian mittelfristig nur noch mächtiger werden würde. Kurzfristig allerdings boten Justinians Abenteuer im Westen den Persern die Chance, ihrerseits tätig zu werden. Gemessen an dem intensiven Ausbau der militärischen Anlagen, den Justinian in den 540er-Jahren einleiten musste, gab er in den 530er-Jahren verschwindend wenig Geld für die Ostfront aus – angesichts der Ressourcen, die er für Belisars Expeditionen einerseits und den Wiederaufbau seiner niedergebrannten Hauptstadt andererseits aufwenden musste, ist das auch kaum verwunderlich. Schlimmer noch: Justinians Garnisonsstreitkräften an der Ostfront, den limitanei, wurde der Sold vorenthalten. Prokop erwähnt diesen Umstand ohne weitere Details in seiner Geheimgeschichte, und man könnte es als Anekdote abtun, hätte es nicht in der wichtigen Garnison Dara 539 einen Aufstand gegeben und wären nicht in den 540er-Jahren römische Truppen zu den Persern übergelaufen (wenn auch zugegebenermaßen nicht allzu viele).4
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Chosrau hatte also diverse gute Gründe, den Ewigen Frieden vorzeitig zu beenden, und obendrein scheint sich seine Einstellung gegenüber Konstantinopel, wie Prokop berichtet, grundlegend geändert zu haben: Anstatt gegen die immerwährenden destabilisierenden Faktoren in den Grenzregionen – wie die endlosen Streitereien zwischen den arabischen Verbündeten beider Seiten oder die Versuche lokaler Potentaten im Kaukasus, das eine oder das andere Reich auf ihre Seite zu ziehen – anzuarbeiten, suchte Chosrau spätestens ab 539 gezielt Streit. Der entscheidende Moment war gekommen, als im Jahr 539 eine persische Gesandtschaft in Konstantinopel eintraf: Als Justinian sich nach der Gesundheit seines Bruders in Gott erkundigte, erhielt er eine ganz unerwartete Antwort: Chosrau beschwere sich darüber, dass Konstantinopel versuche, den wichtigsten arabischen Verbündeten der Perser, den Lachmiden Al-Mundhir, zu bestechen und Steppennomaden dafür zu rekrutieren, vom Kaukasus aus in persisches Territorium einzufallen. Im besten Fall war dies die Präambel einer Forderung nach hohem Schadenersatz, es konnte aber ebenso gut bedeuten, dass es zu einer ernsthaften militärischen Auseinandersetzung kommen würde. Diese Botschaft war es, die Justinian Ende 539 veranlasste, Witichis’ Angebot zur Teilung Italiens in Erwägung zu ziehen, um den Krieg gegen die Goten zu beenden; immerhin hätte er dann einen Großteil der über 20 000 oströmischen Soldaten, die am Feldzug im Westen beteiligt waren, zurück in den Osten schicken können.5 Doch Chosrau schlug zu, noch bevor Justinian seine Truppen zurückbeordern konnte.
Der Adler ist gelandet Als Alexander der Große starb, fiel die Herrschaft über Syrien einem seiner Feldherren zu: Seleukos I. Nikator. Am 22. Mai 330 v. Chr. bereitete dieser ein Stück Fleisch zu und legte es nach einem alten Ritus aus – ein Adler sollte es ergreifen und in seinen Klauen forttragen. Der Adler landete auf dem Berg Silpios an einer Biegung des Orontes, und dort gründete Seleukos nun seine Hauptstadt; er benannte sie nach seinem Sohn Antiochos (Seleukos war ein Gewohnheitstier und gründete mindestens sechzehn verschiedene Antiochias). Alles in allem hatte sich der Adler für eine ganz ausgezeichnete Stelle entschieden: Im Gegensatz zu vielen anderen Flüssen des Nahen Ostens verwandelte sich der 40 Meter
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breite Orontes nicht mehrmals im Jahr in ein brausendes Hochwasser und dann wieder in ein klägliches Rinnsal, sondern er floss das ganze Jahr über gleichmäßig dahin. Trinkwasser war somit ausreichend vorhanden, und es ließ sich auch bequem über den Orontes Handel treiben, nicht zuletzt dank des Hafens von Seleukeia wenige Kilometer flussabwärts. Zwischen Fluss und Berg gab es eine äußerst fruchtbare, zwischen zwei und drei Kilometer breite Tiefebene, wo sich wunderbar eine Stadt errichten ließ, ganz zu schweigen von der schönen Insel mitten im Fluss, die sich perfekt für Paläste und Verwaltungszentren eignete. 870 Jahre später war Seleukos’ Stadt die Hauptstadt des römischen Nahen Ostens. Sie erstreckte sich inzwischen weithin über die Ebene, insbesondere nach Westen, wo in etwa sieben Kilometern Entfernung die traumhaften Wälder und Haine ihres berühmten Vororts Daphne lagen. Antiochia – genauer gesagt: Antiochia am Orontes, um sie von den vielen anderen Antiochias zu unterscheiden – war die zweitgrößte Stadt des Reiches und zählte mehrere Hunderttausend Einwohner, etwas weniger als noch im 1. Jahrhundert n. Chr., als dort eine halbe Million Menschen lebten. Sie war auch nicht mehr, wie noch im 4. Jahrhundert, regelmäßig die Residenz römischer Kaiser. Als der Apparat der Regierungseinrichtungen allmählich bürokratischer und unbeweglicher wurde, verließen die Kaiser die Reichshauptstadt Konstantinopel nur noch selten, und bis nach Antiochia reisten sie überhaupt nicht mehr. Dennoch: Die Stadt am Orontes war die politische, administrative und kulturelle Hauptstadt des römischen Nahen Ostens und neben Alexandria in Ägypten die bedeutendste Regionalhauptstadt des Oströmischen Reiches. In Antiochia hatte der Vikar des Orients seinen Sitz, und die Stadt war verantwortlich für die Besteuerung der vielen reichen Agrarstädte in Syrien und Palästina. Sie war zudem die Heimat einer der ältesten christlichen Gemeinden überhaupt, die entweder, so die Legende, im Anschluss an eine Predigt des heiligen Petrus, lange bevor dieser nach Rom ging, gegründet wurde oder im Rahmen der missionarischen Tätigkeit von Paulus und Barnabas, wie die Apostelgeschichte berichtet. Hier wurde seitens der großen jüdischen Gemeinde der Stadt das Wort »Christen« geprägt, als abwertender Terminus, und im 4. Jahrhundert kam es zu heftigen Rivalitäten zwischen christlichen, jüdischen und heidnischen Anführern; sie buhlten um die Loyalität einer Bevölkerung, die dafür bekannt war, die religiösen Feste der jeweils anderen Glaubensge-
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P h a si s
Petra
Derbent
Alexandertor
IBERER
PERSARMENIEN
Pharangium Satala Theodosiopolis
lys Ha
Darialschlucht
LASIKA
Schwarzes Meer
Kaspisches Meer
Ku ra
Bolum
Martyropolis Amida Edessa
Dara
Tarsos
Oro ntes
Berytus (Beirut) Mittelmeer
SYRIEN
ARABIEN
G HA S S A NI D E N
Grenzverlauf unter Justinian
Singara
Eu p L A C HM I D EN hra t
Damaskus
PALÄSTINA
Nisibis
An Kaiser Maurikios abgetretene Gebiete
is Tigr
Antiochia EUPHRATESIEN Kallinikos Seleukeia Beroea Sura Sergiopolis Apameia
Route von Chosraus Feldzug 540
Bagdad Ktesiphon 0 km
Karte 5 Die Ostgrenze unter Justinian und später
meinschaften ohne Vorbehalte mitzufeiern. Im 6. Jahrhundert war der Bischof von Antiochia einer der fünf Patriarchen des spätrömischen Christentums, und außer den Juden waren inzwischen alle Bewohner der Stadt Christen, doch der Hang zum Feiern von Festen und zu weltlichen Vergnügungen blieb tief in ihrer Kultur verwurzelt. Antiochia war eine riesige, geschäftige Metropole, und sie litt unter vielen Problemen, von denen man einige durchaus erwarten würde, andere eher weniger. Der christliche Teil der Bevölkerung war tief gespalten. Die Schere zwischen Reich und Arm klaffte bei den Christen extrem auseinander, und im Anschluss an Wagenrennen im Hippodrom, das erstaunliche 80 000 Zuschauer fasste, kam es immer wieder zu Straßenschlachten. Da in der Nähe der Stadt die tektonischen Platten von Afrika, Arabien und Eurasien aufeinandertreffen, gab es auch recht häufig Erdbeben – das jüngste, im Jahr 528, hatte die prächtige
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achteckige Kathedrale der Stadt verwüstet, deren Bau schon unter Kaiser Konstantin begonnen worden war; im Jahr 341 war sie in Anwesenheit von zwei Kaisern, Konstantins Söhnen Constans und Constantius II., geweiht worden. All diese Erdbeben waren jedoch nichts im Vergleich zu den Zerstörungen, die Justinians »Bruder in Gott« in der Stadt anrichten sollte.6 Chosrau hatte irgendwann im Laufe des Jahres 539 beschlossen, den Nahen Osten einmal mehr in den Krieg zu stürzen, seine konkreten Pläne für 540 waren aber doch recht unkonventionell. Um das eigentliche Mesopotamien zu umgehen, wo es große Festungen wie Dara auf der römischen Seite und Nisibis auf der persischen gab, rückte die persische Armee mit dem König an der Spitze westlich des Euphrat vor und umging so die römische Festung Kallinikos auf der anderen Seite des Flusses. Wie der Rest des Feldzugs verlaufen sollte, wurde deutlich, als Chosrau nach Sura kam, zum ersten befestigten Stützpunkt der Römer auf seinem Weg. Als die Perser eintrafen, setzte sich die Garnison tapfer zur Wehr, aber ihr Kommandant, ein Armenier namens Arsakes, wurde getötet. Die Stadt beschloss, zu kapitulieren, und am nächsten Morgen schickte man den Bischof los; er sollte sich vor Chosrau in den Staub werfen und ihn anflehen, die Stadt gegen eine enorme Lösegeldsumme zu verschonen. Chosrau empfing den Bischof und tat so, als gehe er auf den Vorschlag ein, aber als er ihn zurück in die Stadt eskortieren ließ, damit er dort die guten Nachrichten verkündete, gelang es einer persischen Einsatztruppe, das Stadttor aufzubrechen, und trotz der Parlamentärflaggen, die dort wehten, stürmte die persische Armee die Stadt. Sura wurde dem Erdboden gleichgemacht, und alle 12 000 Überlebenden wurden versklavt.7 Der Großkönig hatte unmissverständlich klargestellt, wie das Motto seines Feldzugs lautete: Wer sich ihm in den Weg stellte, würde untergehen. Das Resultat: Den gesamten römischen Nahen Osten ergriff die Panik. Der Kommandant der nächsten Stadt auf Chosraus Weg, Hierapolis, ließ lediglich eine kleine Garnison zurück und verließ mit dem Großteil seiner Soldaten die Stadt – mit der Begründung, sie könnten Hierapolis effektiver verteidigen, wenn sie die Angreifer außerhalb der Stadt attackierten. Sie verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Hierapolis bot Chosrau gleich bei dessen Ankunft ein Lösegeld in Höhe von 2000 Pfund Silber an. Es folgte Beroia, dessen Bischof sich gerade in Antiochia auf-
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hielt. Nach Rücksprache mit Justinians Cousin Germanus, der in aller Eile aus Konstantinopel angereist war, wurde vereinbart, den Bischof mit einer Parlamentärflagge zu den Persern zu schicken und Chosrau die kolossale Summe von 10 000 Pfund Gold anzubieten (2018 entspräche das etwa 108 Millionen Euro), wenn er davon absähe, weiteren Schaden anzurichten. Chosrau war einverstanden, aber Justinian hatte in der Zwischenzeit weitere Repräsentanten geschickt, und von diesen weigerten sich einige, den Deal zu unterstützen, sodass letztlich nichts daraus wurde. Das bekam Beroia auch umgehend zu spüren. Die Bewohner flüchteten in die kaum einnehmbare Zitadelle im Zentrum der Stadt, während die Perser drum herum alles plünderten und niederbrannten. Es schien sich ein Patt abzuzeichnen, aber die Verteidiger hatten einen schweren Anfängerfehler begangen: Sie hatten ihr gesamtes Vieh in die Zitadelle mitgenommen, sodass ihr Wasservorrat viel zu schnell zur Neige ging. Der Bischof von Beroia kam gerade noch rechtzeitig, um einen Waffenstillstand auszuhandeln, bei dem seine Schäfchen mit dem Leben davonkamen, dafür aber den Persern all ihre Wertsachen aushändigen mussten. Einige der limitanei liefen, als ihr Sold ausblieb, zu den Persern über.8 Zwei Tagesreisen westlich von Beroia lag Antiochia. Als Chosrau sich im Mai 540 der Metropole näherte, hatte sie bereits Verstärkung von 6000 limitanei aus Palästina erhalten. Die Einwohner waren guter Stimmung und spotteten über den persischen König und seine Armee, als sie in Sicht kamen. Die Stadt war so gelegen, dass der offensichtlichste Weg, sie anzugreifen, über die beiden Gipfel des Silpios führte: Vom östlichen Gipfel führte ein nicht allzu steiler Weg durch Weingärten hindurch zur Stadt hinab. Die Stadtmauer (sie ist fast das Einzige, das von der römischen Stadt heute noch sichtbar ist, dank der im Laufe der Jahrhunderte abgelagerten Sedimente des Orontes) erstreckte sich ebenfalls über den Berg, aber sie hatte eine Schwachstelle. Justinians Neffe Germanus hatte das schon ein wenig früher erkannt: Gegenüber dem höheren der beiden Gipfel war der felsige Boden außerhalb der Mauer relativ eben, und es gab einen weiteren hoch gelegenen Punkt, praktisch auf einer Höhe mit der Oberkante der Stadtmauer – es war der ideale Ort, von dem aus man die Verteidiger auf der Mauer beschießen und somit beiseiteräumen konnte. Um dieses Problem noch vor dem Eintreffen der Perser zu beheben, war keine Zeit, und hätten sie noch irgendwelche
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Ausbaumaßnahmen begonnen und nicht vor dem Eintreffen der Perser zu Ende gebracht, hätten sie nur deren Aufmerksamkeit auf die Schwachstelle gelenkt. Die Verteidiger konnten kaum mehr tun, als eine improvisierte hölzerne Kampfplattform zu installieren, um hinter der Mauer zusätzliche Verteidiger aufstellen zu können, mit denen sie einen Angriff abzuwehren hofften. Chosrau war nicht dumm. Empört über die Beleidigungen, die man in seine Richtung schleuderte, marschierte er mit seiner Armee die Hänge des Silpios hinauf und startete einen massiven Angriff – genau dort, wo die Römer es befürchtet hatten. Das Ergebnis war eine einzige Katastrophe. Die hölzerne Plattform brach unter dem Gewicht der Verteidiger zusammen, und so gab es nicht genug Gegenwehr, um die Perser von der Mauer fernzuhalten. Als den römischen Kommandanten klar wurde, dass die Stadt verloren war, zogen sie ihre frisch eingetroffenen Truppen gleich wieder ab. Während die Perser oben am Hang die Mauer durchbrachen, marschierten die 6000 palästinensischen limitanei aus dem westlichen Stadttor hinaus in Richtung Daphne. Angehörige der örtlichen Zirkusparteien verwickelten die persischen Soldaten noch eine Weile in brutale Straßenkämpfe, doch das Ende war bereits absehbar. Ein Teil der Einwohner floh, viele weitere wurden gefangen genommen, und als schließlich eine neue römische Gesandtschaft eintraf, war es bereits zu spät: Die Perser hatten die Stadt nicht nur geplündert, sondern an zahlreichen Orten Feuer gelegt, die alle Gebäude zerstört hatten – mit Ausnahme der 528 beim Erdbeben eingestürzten Kathedrale, die gerade wiederaufgebaut worden war. Die Botschafter mussten feststellen, dass der Preis für Frieden gestiegen war: Chosrau forderte nun 50 000 Pfund Gold sowie weitere jährliche Zahlungen in Höhe von je 5000 Pfund. Mit dieser Botschaft im Gepäck schickte der persische Großkönig die Gesandten zurück zu Justinian. Die Stadt Daphne bewunderte Chosrau so sehr, dass er sie intakt ließ, bis auf den Schrein des Erzengels Michael. Einer von Chosraus ranghohen Militärs war nämlich auf dem Weg nach Seleukeia in der Nähe eines anderen Tempels des Erzengels Michael mit einem Stein beworfen worden und verstorben.9 Nachdem diese Formalitäten abgeschlossen waren, zog die persische Armee den Orontes entlang nach Süden Richtung Apameia. Niemand konnte sie aufhalten. In Apameia veranstaltete Chosrau ein getürktes
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Wagenrennen, bei dem die Grünen Justinians Lieblingsteam, die Blauen, besiegten. Außerdem nahm er 1000 Pfund Silber aus der Stadt mit, wurde aber angeblich durch ein Wunder davon abgehalten, Apameias wertvollsten Besitz zu stehlen: ein Stück des Wahren Kreuzes Christi, das durch das dunkle Holz der Kiste, in der es aufbewahrt wurde, hindurchschimmerte. Danach machte sich der Großkönig auf den Heimweg; vermutlich hatte er bis dahin genug Ruhm und Reichtum angehäuft, und bevor sich größere Versorgungsprobleme für seine Truppen auftun würden, zog er sich lieber wieder zurück. Doch auch noch auf dem Rückmarsch behandelte er die römischen Gemeinden in Syrien, überspitzt gesagt, wie Geldautomaten. Als Nächstes war Chalkis an der Reihe; von dort nahm er 2000 Pfund Gold mit. Auch Carrhae und Constantia zahlten ihn aus – die genauen Summen wissen wir nicht. Der letzte Akt des Feldzugs war die Belagerung der römischen Militärbasis in Dara. Die Belagerung an sich war erfolglos, aber immerhin brachte sie ihm noch einmal 1000 Pfund Silber als »Abschiedsgeschenk« ein. Chosrau wollte noch mehr Geld aus den Römern herauspressen, indem er für alle Einwohner Antiochias, die er gefangen genommen hatte, Lösegeld verlangte, genau wie er später dem Bischof von Sergiopolis gestattete, die 12 000 Bewohner Suras auszulösen. Doch Justinians Beamte wussten den Deal zu verhindern, sodass diese unglückseligen Menschen weitere 700 Kilometer mitgeschleift wurden, bis in die Königshauptstadt Ktesiphon. Von dort wurden sie in die neue Stadt WehAntioch-Chusro – »das bessere Antiochia des Chosrau« – gebracht, die der Großkönig unmittelbar südlich von Ktesiphon hatte bauen lassen. Wie der arabische Chronist Tabari im 9. Jahrhundert schrieb, ordnete [Chosrau] an, dass ein Plan dieses Antiochia angefertigt würde, unter Berücksichtigung der korrekten Abmessungen; er sollte alle dortigen Behausungen und Straßen enthalten und alles andere, was sich dort befand (…). Als die Bewohner von Antiochia das Tor ihrer Stadt durchschritten, ging ein jeder zu einem Haus, das seinem in Antiochia so ähnlich war, als hätte er es nie verlassen.
Das ist natürlich reine Fantasie. In der Realität gab es einen Gewaltmarsch, auf dem mit Sicherheit viele vor allem ganz junge und ganz alte Gefangene ihr Leben ließen, und dann eine Zwangsansiedlung der überlebenden Gefangenen in einer Stadt, die eigens für sie aus dem
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Boden gestampft wurde, zweifellos zumindest teilweise durch Zwangsarbeiter.10 Dieses Bild birgt vieles von dem, was Chosraus bemerkenswerten Feldzug von 540 aus römischer Sicht sowohl für die Bevölkerung als auch für das kaiserliche Regime ausmachte. Justinians »Bruder in Gott« nahm 7000 Pfund Silber und 2000 Pfund Gold mit, verschleppte eine gewaltige Zahl Kriegsgefangener und brannte drei Städte nieder, darunter die Hauptstadt des römischen Syrien. Es war ein einziges Desaster, das unweigerlich, wenn auch indirekt, mit Justinians Eroberungen im Westen zusammenhing. Nicht nur hatten Justinians dortige militärische Erfolge Chosraus (nicht ganz unbegründete) Paranoia neu entflammt, sondern der Transfer von über 20 000 römischen Soldaten, ohne die Belisar die Eroberung Italiens niemals hätte vollenden können, und die gleichzeitige drastische Senkung der Verteidigungsausgaben für den Osten hatten dem Perserkönig eine einmalige Gelegenheit geboten, und er hatte sie genutzt. Das Ergebnis war ein Feldzug, der so viel Leid über den römischen Osten brachte, wie die Menschheit es seit den dunklen Tagen des 3. Jahrhunderts nicht mehr erlebt hatte. Diese Nachrichten trafen in Konstantinopel fast zeitgleich mit Belisar und seinem ersten gotischen Kriegsgefangenen aus dem eroberten Ravenna ein – es wird niemanden verwundern, dass diesmal kein extravaganter Triumphzug veranstaltet wurde. Stattdessen richtete Justinian ein Privatmuseum mit ostgotischen Schätzen ein, das er Gästen seines Palasts präsentierte.11 Währenddessen überlegte er, wie er auf die Katastrophe im römischen Syrien reagieren sollte. Der Kaiser brauchte schnell irgendeinen Erfolg, und so schickte er zu Beginn der Feldzugsaison 541 Belisar mit allen zusätzlichen Truppen, die das Regime zusammenkratzen konnte, in den Osten. Es war zu aufwendig, Soldaten aus Italien zurückzuholen, doch immerhin hatte Belisar seine bucellarii zur Verfügung, zu denen nun vielleicht auch gotische Kavalleristen gehörten – sie fanden sich, wie einige der besiegten Vandalen, mit einem Mal an der Ostfront wieder. Außerdem hatte Belisar Arethas und seine arabischen Verbündeten und ein Kontingent von 6000 limitanei aus Palästina, die ihm für zwei Monate zur Verfügung standen (die Araber feierten in dieser Zeit ihre heiligen Monate, und Al-Mundhirs Lachmiden würden währenddessen keine Überfälle starten). Es war eine bunt zusammengewürfelte Streitmacht, und Prokop betont, dass Belisar einen Großteil der
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ihm zur Verfügung stehenden Zeit damit zubrachte, eine Armee auszurüsten und zu trainieren, die meilenweit entfernt war von den Elitetruppen, die er in Nordafrika zum Sieg geführt hatte. Der einzige Trost für ihn war, dass sich Chosrau Berichten zufolge derzeit weit von Mesopotamien entfernt befand – auf der anderen Seite des Kaspischen Meeres –, und dass er sich dort gegen eine neue Invasion seines anderen Erzfeindes zur Wehr setzen musste: gegen die nomadischen Hephthaliten, die man auch die »weißen Hunnen« nannte. Als der Frühling das Gras wieder grünen ließ, lieferte Belisars Armee den persischen Soldaten vor den Toren ihres Vorpostens Nisibis eine so beeindruckende Demonstration ihrer militärischen Stärke, dass sich die Garnison hinter die Mauern der Stadt zurückzog. Da die Römer wussten, dass sie eine so mächtige Festung niemals würden einnehmen können, marschierten sie kurzerhand weiter nach Sisauranon. Vor Ort erreichten Belisar Geheimdienstberichte: In Sisauranon säßen 800 persische Elitekavalleristen ohne Verpflegung fest – möglicherweise eine Spätfolge von Chosraus langem und aufwendigem Feldzug im Jahr zuvor. Tatsächlich ließen sich die Kavalleristen dazu überreden, zu kapitulieren. Sie wurden sofort nach Konstantinopel abkommandiert, und die Mauern der Festung wurden dem Erdboden gleichgemacht. An diesem Punkt entschied Belisar, sich zurückzuziehen und seine arabischen Hilfstruppen und die limitanei auf einen ausgedehnten Beutezug durch die angrenzenden persischen Provinzen zu schicken. In der Geheimgeschichte behauptet Prokop, der Feldherr habe unbedingt zu seiner Frau Antonina nach Kallinikos reisen wollen, sodass er seine Pflichten vernachlässigt und den Feldzug vorzeitig beendet habe. In Wirklichkeit wird Belisar der Ansicht gewesen sein, dass seine improvisierte Armee bereits genug erreicht hatte, um sein und ihr Gesicht zu wahren, und nicht stark genug war, um viel mehr als einen kleinen Überfall zustande zu bringen, zumal die limitanei ja bald wieder abreisen mussten.12 Doch der Perserkönig blieb nicht ewig fort. Im Jahr 542 kehrte Chosrau mit seiner Feldarmee nach Mesopotamien zurück, und er hatte schon eine weitere große Operation im Sinn. Da er Syrien ja bereits größtenteils leer geräumt hatte, wollte er sich diesmal an den wohlhabenden Städten des römischen Palästina bereichern, allen voran Jerusalem mit seinen extrem reich dekorierten christlichen Heiligtümern. Ähnlich wie beim Feldzug von 540 rückten seine Truppen zunächst westlich des Eu-
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phrat vor. Die offensichtliche Route für eine konventionelle persische Armee war, sich bei den Ruinen des 540 zerstörten Sura links zu halten und dann der Strata Diocletiana in Richtung Südwesten zu folgen. Als Erstes war Sergiopolis an der Reihe, mit dessen Bischof der Großkönig noch eine Rechnung offen hatte: 540 hatte dieser interveniert und den Persern für die 12 000 Gefangenen aus dem benachbarten Sura ein Lösegeld versprochen; die Gefangenen waren freigelassen worden, doch das Geld wurde nie bezahlt. Nun schickte Chosrau 6000 Soldaten vor, um die Stadt anzugreifen, aber die dortige Garnison wehrte sich tapfer, obwohl sie gerade einmal 200 Mann stark war; zweifellos wurden die Soldaten von allen Bürgern im wehrfähigen Alter unterstützt. Ab diesem Punkt ist Prokops Bericht nicht mehr allzu überzeugend. Angeblich wurde Belisar wieder der Ostfront zugeteilt und sammelte seine Truppen in Europaion, ein Stück weiter den Euphrat hinauf. Bemerkenswerterweise versuchte er nie wirklich, die persische Armee anzugreifen (anders als bei Dara und Kallinikos in den Jahren 530/31; siehe Kapitel 4). Stattdessen legt Prokop nahe, dass die implizite Bedrohung von Chosraus Kommunikationswegen durch Belisar ausreichte, um die Perser zum Rückzug zu zwingen. Vor allem arrangierte der clevere Feldherr ein Gespräch mit einem persischen Gesandten, bei dem er 6000 der kräftigsten und verwegensten Männer um sich versammelte, derer er habhaft werden konnte: eine Mischung aus Thrakern, Illyrern, Goten, Herulern, Vandalen und Mauren – und sie waren alle instruiert, vollkommen entspannt dreinzublicken. Laut Prokop war der Gesandte so beeindruckt, dass er seinem König riet, sich sofort wieder zurückziehen.13 Wir haben keinen alternativen Bericht, aber man sollte erwähnen, dass es zumindest potenziell noch einen weiteren wichtigen Faktor gab: 542 war das Jahr, in dem die Justinianische Pest mit voller Wucht den Nahen Osten traf. Auch wenn Prokop sie erst an einem Punkt erwähnt, als sich Chosrau bereits zum Rückzug entschlossen hatte: Ein Ausbruch der Epidemie wäre insbesondere für Soldaten auf einem Feldzug, also Männer, die rund um die Uhr eng beieinander waren, eine so große Gefahr gewesen, dass Chosrau gar nicht anders gekonnt hätte, als zum Rückzug zu blasen. Wie dem auch sei: Der Feldzug war schnell wieder vorbei, und die Perser begnügten sich damit, bei Kallinikos, das die Römer gerade neu befestigten und deshalb nicht verteidigen wollten, zahlreiche Gefangene zu nehmen. Wieder ist auffällig, dass Belisar nicht direkt intervenierte.14
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Auch im nächsten Jahr, als Chosrau eine weitere große Expedition startete, griffen die Römer nicht direkt ein. Dieser Beutezug war viel kürzer, vielleicht weil der Großkönig den Römern nicht die Chance bieten wollte, ausgedehnte Versorgungslinien anzugreifen. Sein vorrangiges Ziel war die reiche Stadt Edessa. Eine geringe Summe scheint Chosrau dort bereits im Jahr 540 herausgeholt zu haben, doch offenbar wusste er, dass es noch viel mehr zu holen gab. Die Verteidiger waren informiert und bereit zu kämpfen. Das Ergebnis war eine zweimonatige Belagerung, die Prokop besonders lebendig beschreibt. Es begann mit einem Scharmützel um die Höhen oberhalb der Stadt, wo die Einwohner all ihre Schafe zurückgelassen hatten. Nach einer längeren Auseinandersetzung unterlagen die Perser, die Schafe liefen alleine nach Hause zurück. Am achten Tag wurde es ernst: Die Perser fingen an, neben der Stadtmauer einen künstlichen Hügel zu errichten, der ihnen zu gegebener Zeit als Kampfplattform dienen sollte – sie würden von hier aus mit geballter Feuerkraft die Verteidiger vom gegenüberliegenden Mauerabschnitt vertreiben können und anschließend die Mauer stürmen. Die folgenden Wochen über geschah wenig anderes – für ihren Hügel schafften die Perser Baumstämme, Felsbrocken und viele Tonnen Erde herbei. Die Verteidiger wagten mehrere Ausfälle, um die Arbeiten zu unterbrechen, und als die Perser weitere Ausfälle verhinderten, versuchten die Römer als Nächstes, den Hügel zu untergraben, bis die Perser sie graben hörten und begannen, sich ihrerseits zu ihnen durchzugraben. Als den Römern klar wurde, dass die Perser über einen solchen Tunnel in die Stadt gelangen konnten, gaben sie den Plan schließlich wieder auf. Doch immerhin war es ihnen gelungen, sich bis unter die Ecke des Hügels zu graben, die der Stadtmauer am nächsten war, und das so entstandene Loch füllten sie mit brennbarem Material. Als die Perser schließlich zum Angriff übergingen, zündeten die Verteidiger ihr Feuer an und legten fortwährend Brennstoff nach, während die Schlacht weiterging; die Perser versuchten, das Feuer zu löschen, merkten aber schnell, dass es ihnen nicht gelingen würde. Am Ende waren sie gezwungen, ihr Vorhaben aufzugeben – laut Prokop war die Rauchwolke des Feuers noch in Carrhae zu sehen, fast 50 Kilometer südostwärts. Sechs Tage später befahl Chosrau noch einmal einen Angriff, doch als der ebenfalls fehlschlug, sah er ein, dass er die Stadt nicht würde erobern können. Man trat in Verhandlungen, und die Perser zogen mit 500 Pfund Gold im Gepäck ab.15
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Zu diesem Zeitpunkt war es mit Chosraus neuerlichem Krieg in Mesopotamien quasi schon wieder vorbei. Die Römer hatten immer noch nicht genügend Truppen in der Region, um sich ihm im offenen Kampf zu stellen. Selbst als Edessa zwei Monate lang belagert wurde, sandte Konstantinopel keinerlei direkte Hilfe. Doch in Wirklichkeit mussten die Römer dieses Risiko auch gar nicht eingehen. Das groß angelegte Programm zur Neubefestigung der Städte, das Kallinikos 542 so verwundbar gemacht hatte, schritt rasch voran. Die Verteidigungsanlagen von Dara, Singara, Sergiopolis und einer Reihe anderer befestigter Zentren wurden massiv ausgebaut. Auch in den (zugegeben weniger militärisch geprägten) Wiederaufbau von Antiochia steckte Justinian 5000 Pfund Gold.16 Zudem waren inzwischen wieder so viele römische Streitkräfte vor Ort, dass es für Chosrau unmöglich war, einen ähnlichen Beutezug wie 540 zu riskieren. Sollte Chosrau doch sein Geld für langwierige Belagerungen der gut verteidigten Städte Mesopotamiens ausgeben, wenn er wollte, und dabei seine Soldaten verschleißen. Der Großkönig war sich seiner Lage durchaus bewusst, und spätestens die Ereignisse bei Edessa brachten ihn zur Überzeugung, dass es an der Zeit war, den Feldzug abzubrechen. Im Jahr 540 hatte er erstaunliche Siege errungen, die Zerstörung der zweitwichtigsten Stadt des Römischen Reiches hatte gehörig an Justinians Prestige gekratzt, und Chosraus Schatzkammer war dank der kolossalen Kriegsbeute und der Lösegeldzahlungen prall gefüllt. Im Jahr 545 waren beide Seiten endlich bereit, einen Waffenstillstand auszuhandeln und die schwelenden Konflikte in Mesopotamien zu beenden; die nächsten siebzehn Jahre blieb es mehr oder weniger ruhig, bis die Römer und die Perser ein umfassendes Friedensabkommen unterzeichneten. Allerdings gab es in der Zwischenzeit auch ein paar Ereignisse, die Anlass zur Sorge gaben. In den 540er- und 550er-Jahren setzten die arabischen Verbündeten beider Seiten ihre Auseinandersetzungen fort, bis Harith im Jahr 554 einen substanziellen Sieg über seinen lachmidischen Rivalen erringen konnte. Der Konflikt war nur ein Vorgeschmack auf die Macht der Wüstennomaden, die sich im 7. Jahrhundert voll entfalten sollte (siehe Kapitel 11). Dazu kam es in der römischen Stadt Amida im Winter 559/560 zu einer Massenpanik, als Gerüchte über eine erneute persische Invasion die Runde machten. Alles in allem war der Krieg in Mesopotamien jedoch Mitte der 540er-Jahre vorbei. Die
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Gründe dafür, warum es so lange dauerte, ein echtes Friedensabkommen auszuhandeln, lagen ganz woanders.17
Das Alexandertor Im mittelalterlichen Alexanderroman, einer Erzählung, deren Wurzeln sich bis in die Zeit Justinians zurückverfolgen lassen, jagt Alexander der Große seine Feinde durch den Kaukasus bis zu einem Pass zwischen zwei Bergkuppen, die der Volksmund als »Brüste der Welt« bezeichnet. Um die Zivilisation zu schützen, beschließt er, die »unreinen Völker« des Nordens, darunter Gog und Magog, die man aus der Offenbarung des Johannes kennt, hinter einer Mauer aus Adamantin einzusperren, die er zwischen den zwei Bergen erbauen lässt.18 Gog und Magog tauchten in den römisch-persischen Beziehungen in der Spätantike nicht besonders häufig auf, wohl aber Befestigungsanlagen im Kaukasus, zumindest nach 395, als ein gewaltiger Überfall der Hunnen beiden Großreichen aufzeigte, wie wichtig es war, die potenziellen Zugangswege, die von den Steppen im Norden durch die Gebirgsregion zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer führten, zu sichern. Es gab zwei große Wege, daneben aber noch ein Dutzend weitere, die sich ebenfalls recht einfach bewältigen ließen. Inmitten einer drei Kilometer breiten Tiefebene nahe der Südwestküste des Kaspischen Meers lag die Stadt Derbent. Dort errichteten die Perser im 5. Jahrhundert Wehranlagen aus Lehmziegeln, und Kavadh, der Vater von Chosrau, ließ sie zu Beginn des 6. Jahrhunderts durch eine 20 Meter hohe Mauer ersetzen, gespickt mit 30 nach Norden ausgerichteten Türmen. Weiter westlich, im Herzen der Berge, lag die Darialschlucht, wo der Fluss Terek auf etwa 13 Kilometern Länge den östlichen Ausläufer des Berges Kasbek durchschneidet. Hier konnten große Truppenverbände durch das Gebirge nach Süden gelangen, ins antike Armenien (heute Georgien und der Osten der Türkei). Diese Routen waren Ende des 5. Jahrhunderts zu einem regelrechten Störfaktor für die römischpersischen Beziehungen geworden, als Kavadh seinen »Bruder in Gott« Anastasios dazu zwingen wollte, sich an den Kosten für die Wehranlagen und Garnisonen zu beteiligen, die schließlich beide Reiche beschützten.19 Von Fragen der strategischen Verteidigung abgesehen, war ganz Armenien im Zuge des Aufstiegs der sassanidischen Dynastie zu Beginn des 3. Jahrhunderts zu einem veritablen Zankapfel zwischen den beiden
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Imperien geworden. Das lag nicht zuletzt an der Geografie: Erstens verliefen die Gebirgsketten von Armenien in Ost-West-Richtung, sodass die Täler zwischen den Bergen der persischen Armee eine ganze Reihe möglicher Invasionsrouten boten, um nach Kleinasien und in das römische Kernland Kappadokiens einzudringen. Zweitens war die gesamte Region gebirgig, und die bevölkerungsreichen, fruchtbaren Täler waren im Winter oft durch Schnee von außen abgeschnitten. Dadurch war eine ganz besondere politische Landschaft entstanden. Auf der einen Seite konnten die Klientelkönige in der Region konsequent ein Imperium gegen das andere ausspielen, um ihre eigene Unabhängigkeit zu maximieren; wenn in der Spätantike eine der beiden Großmächte versuchte, die Kontrolle über ein alliiertes Territorium zu verstärken, reagierten die lokalen Anführer immer wieder damit, dass sie die andere Großmacht zu Hilfe riefen. Andererseits spiegelte sich die starke geografische Fragmentierung der Region auch darin wider, dass selbst die Klientelkönigreiche, wenn man sie genauer betrachtete, eher lockere konfessionelle Bündnisse waren denn zentralisierte Gemeinwesen; es war durchaus möglich, dass innerhalb eines Staates, der offiziell als Klientelstaat galt, plötzlich bestimmte Gruppen auf den Plan traten, die eine eigene politische Agenda verfolgten. Tendenziell verkomplizierte das die unmittelbaren politischen Beziehungen. Die Spannungen, die Armenien als Puffer zwischen den Großmächten im 3. und 4. Jahrhundert geprägt hatten, wurden im Jahr 387 durch ein Abkommen entschärft: Theodosius I. akzeptierte, von Goten, Hunnen und westlichen Rivalen bedrängt, eine Teilung Armeniens in zwei verschiedene Einflusssphären. Obwohl das Abkommen Persien stark begünstigte (Persarmenien umfasste etwa drei Viertel des Landes), bildete dieses Abkommen, wie in Mesopotamien und seinen Wüstenrandgebieten, die Grundlage dafür, dass zwischen den beiden Erzrivalen über hundert Jahre lang weitgehend Frieden herrschte. Doch sobald sich beide Seiten weniger von den Völkern des Nordens unter Druck gesetzt fühlten, brach die Rivalität zwischen ihnen wieder aus, und sie machte auch vor dieser Region nicht halt. Während der Regierungszeit Justins und im Zuge der ersten kriegerischen Auseinandersetzungen mit Persien unter Justinian hatten die Römer in Armenien einen leichten Vorteil errungen – trotz der verheerenden Niederlage bei Kallinikos, die der Anlass für den Ewigen Frieden war. Nach dem Vorbild von Anastasios’
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Regime erteilte die armenische Führung allen Forderungen der Perser nach jährlichen Zahlungen für den Unterhalt der Garnison und Festung in Derbent eine entschiedene Absage. Und als Kavadh versuchte, die herrschenden Eliten von Lasika und Iberien am östlichen Ende des Schwarzen Meeres dazu zu zwingen, die zoroastrische Religion zu übernehmen, liefen König Tzath (521/522) und König Gurgenes (524) zu Konstantinopel über. Wer wissen wollte, wie sich in Grenzgebieten eine Großmacht gegen die andere ausspielen ließ, der fand hier Beispiele wie aus dem Lehrbuch. Iberien brachten die Perser schnell wieder auf Linie, aber Lasika war und blieb römisch – ein Umstand, den Justinian durch die Einrichtung eines unabhängigen regionalen Militärkommandos für das römische Armenien gebührend konsolidiert hatte.20 Die unterschiedlichen Schicksale der beiden Regionen spiegeln die geografischen Voraussetzungen wider: Während Iberien vom persischen Kernland aus recht leicht zu erreichen war, erstreckte sich Lasika im Norden auf der anderen Seite des LichiGebirges, eines südlichen Ausläufers des Großen Kaukasus. Es gab nur zwei Durchgänge, und über sie wachten im Altertum die Festungen Schorapani und Skande; ein Treck mit Fuhrwerken brauchte vier Tage, um sie zu überqueren.21 Da Chosrau im Norden ohnehin bestimmte persönliche Interessen verfolgte, bewirkten Truppenbewegungen in Richtung Westen und die Senkung der römischen Militärausgaben im Osten Ende der 530er-Jahre, dass der Großkönig wieder einen Krieg in Betracht zog. Doch dann kam ein weiteres attraktives Angebot aus dem Kaukasus. Die Hauptursache war das arrogante Verhalten einiger römischer Militärs, die nach Lasika geschickt worden waren, um der Region angesichts einer möglichen persischen Intervention zu helfen, ihre Unabhängigkeit zu wahren. Justinian hatte in Petra an der Südwestküste von Lasika eine bemannte Festung eingerichtet. In den 530er-Jahren hatte dort ein römischer Feldherr namens Petros das Kommando. Er nutzte seine Position aus, um sich ein Monopol über die Getreide- und Salzimporte aufzubauen, von denen Lasika abhängig war, und dann stark überhöhte Preise zu kassieren. Ende der 530er-Jahre hatten die Einwohner Lasikas schließlich genug, und ihr König, Gubazes, sandte mehrere Botschaften an Chosrau, in denen er dem Perserkönig seine Unterstützung zusicherte, sollte er beschließen einzugreifen. Als der römische
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Geheimdienst nach den Katastrophen von 540 berichtete, der Großkönig sei aus Mesopotamien verschwunden, um einen Angriff der Hephthaliten abzuwehren, war dieser in Wirklichkeit mit einem großen Truppenverband nach Persarmenien gezogen. Und als Belisar im Jahr 541 vor Nisibis die Kampfkraft seiner Soldaten demonstrierte, überquerte Chosrau das Lichi-Gebirge in Lasika, wo Gubazes ihm einen würdigen Empfang bereitete. Sein Ziel war die römische Festung in Petra, und sie bekam schon bald die geballte Kraft des persischen Militärs zu spüren. Die dortige Garnison wehrte sich hartnäckig und wagte einen energischen Ausfall; dabei wurde ein Sturmbock zerstört, woraufhin der zuständige persische Kommandant gepfählt wurde, als ein Exempel. Die römischen Verteidiger wehrten die Perser auch ab, als diese versuchten, ihre Mauer zu stürmen, und fügten den Angreifern dabei beträchtliche Verluste zu, doch leider fiel beim Nahkampf ihr eigener Kommandant. Ab da griffen die Perser zu weniger direkten Mitteln und benutzten den gleichen Trick, den die Edessaner zwei Jahre später gegen den Hügel der Perser anwenden sollten: Sie gruben einen Tunnel bis unter einen der beiden wichtigsten Wehrtürme, füllten den Hohlraum mit brennbaren Materialien und sorgten für eine regelrechte Feuersbrunst, bei der der Turm einstürzte. Die römische Garnison ergab sich und bat um Gnade. Sie wurde ihnen gewährt, und ab sofort hatte Chosrau eine persische Garnison direkt am Schwarzen Meer. Die Kommandanten Justinians reagierten 542 mit einem Feldzug, der die Hauptstadt von Persarmenien, Dwin, zum Ziel hatte, aber eine viel kleinere persische Streitmacht nutzte die landschaftlichen Gegebenheiten dazu, die Römer aus dem Hinterhalt anzugreifen und in die Flucht zu schlagen.22 Für die nächsten fünf Jahre scheint es im Kaukasus ruhig geblieben zu sein. Das lag einerseits daran, dass Chosrau sich wieder auf Mesopotamien konzentrierte, wo er einen Waffenstillstand aushandeln wollte, und andererseits mit Sicherheit an der Pestepidemie. Doch nachdem 545 an anderen Schauplätzen des römisch-persischen Konflikts der Waffenstillstand in Kraft getreten war und die erste große Pestwelle eventuell wieder nachließ, ging Chosrau im Norden schon 547 wieder in die Offensive. Seine neuen strategischen Pläne offenbarten ein beispielloses Maß an strategischem Ehrgeiz und lösten eine Reihe komplexer Vorgänge aus, die dafür sorgten, dass Lasika fortan ein ganzes Jahrzehnt lang im Zentrum der Machtkämpfe zwischen den zwei Großmächten stand.
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Justinians »Bruder in Gott« hatte die dazwischenliegenden fünf Jahre offenbar damit zugebracht, sich Gedanken über die strategischen Möglichkeiten zu machen, die ihm seine neue Festung in Petra eröffnete. Seine Überlegungen gingen in zwei Richtungen: Erstens lag von Petra aus am anderen Ende des Schwarzen Meers Konstantinopel, und der Bau einer persischen Flotte für Einsätze im Schwarzen Meer versprach attraktive Möglichkeiten, Kaiser Justinian zu provozieren. Und zweitens war Lasika, wie andere Klientelstaaten im Kaukasus auch, nicht gerade zuverlässig. Sobald man die Einwohner Lasikas mit zu harter Hand anpackte, rannten sie sofort zur Gegenseite, und im Jahr 547 waren sie in Sorge, welche wirtschaftlichen Auswirkungen es mit sich bringen würde, wenn sie von ihren üblichen Handelsverbindungen rund ums Schwarze Meer abgeschnitten wären. Das Resultat von Chosraus Überlegungen waren Pläne für einen gewaltigen Feldzug, auf dem Gubazes ermordet werden sollte und genügend Einwohner Lasikas deportiert werden sollten, um sicherzustellen, dass die Loyalität der Region künftig den Persern galt; Ziel war auch die Einrichtung einer noch viel größeren persischen Garnison in Petra, die über das nötige Bauholz verfügte, um eine ganze Flotte zu zimmern.23 Doch aus Chosraus allzu ehrgeizigen Plänen für das Jahr 547 wurde nichts. Laut Prokop traf der Blitz das herbeigeschaffte Bauholz und setzte es in Brand, doch das klingt so weit hergeholt, dass man wohl eher von Sabotage ausgehen sollte. Der Plan für das Attentat ging ebenfalls nicht auf: Die Perser wollten einen von Gubazes’ Feinden in den eigenen Reihen rekrutieren, einen Adligen namens Pharsanes; er sollte den König nach Petra locken, wo eine ausgesuchte Truppe von 300 Mann ihn und sein ganzes Gefolge eliminieren sollte; doch am Ende fand Pharsanes eine andere Option vielversprechender – er erzählte dem König von den Attentatsplänen, um sich mit ihm auszusöhnen. Das Resultat wird niemanden überraschen: Gubazes wechselte erneut die Seiten und rief die Römer um Hilfe.24 548 marschierte dann eine römische Armee von 7000 Mann unter Dagistheus, dem Oberbefehlshaber der Römer in Armenien, in Lasika ein, die Petra einnehmen sollte, während aus der anderen Richtung eine 30 000 Mann starke persische Entsatzarmee im Anmarsch war. Dagistheus gelang es nicht, die Festung zu erobern, und angesichts der Überlegenheit des Feindes zog er sich wieder zurück. Doch ab sofort stand Petra im Mittelpunkt der Kampfhandlungen, und
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es wurde schnell klar, dass sich der Erfolg oder Misserfolg des ganzen Feldzugs am Thema Versorgung entzünden würde. Da Lasika traditionell ohnehin schon von Nahrungsmittelimporten abhängig war, konnten sich große Armeen nicht einfach von dem ernähren, was sie dort vorfanden. Bei einem Krieg in Lasika waren vor allem die persischen Streitkräfte auf extrem lange Versorgungsketten angewiesen. Innerhalb der Mauern von Petra saß eine auf 3000 Mann erweiterte persische Garnison, die indes nur über so viele Vorräte verfügte, wie die Soldaten hatten tragen können. Ansonsten konnte der Kommandant der Expedition angesichts der verfügbaren Vorräte gerade einmal eine minimale Deckungsstreitkraft von 5000 Mann zurücklassen, die in Lasika überwinterte, um die Festung und ihre Garnison zu unterstützen. Der Großteil der Armee marschierte vor Wintereinbruch über das Lichi-Gebirge zurück nach Süden, während beide Seiten Vorbereitungen für die im folgenden Jahr anstehenden Kämpfe trafen.25 Im Frühjahr 549 trat eine mit einer viel kürzeren Versorgungslinie operierende römisch-lasische Armee von 14 000 Soldaten in Aktion. Da der Schnee noch längst nicht geschmolzen war, war der Hauptteil der persischen Streitmacht noch nicht in der Lage, über das persarmenische Lichi-Gebirge abzuziehen; die persische Deckungsarmee erlitt eine entscheidende Niederlage. Anschließend belagerten die Römer wieder Petra, aber der Standort und die Verteidigungsanlagen der Festung, die größtenteils auf solidem Grundgestein gebaut war, machten eine Eroberung extrem schwierig. Den Angreifern gelang es, die Wasserleitung zu kappen, sodass die Eingeschlossenen glaubten, die Stadt sei fortan ohne Wasser; sie hatten keine Ahnung, dass die Perser ganze drei Wasserleitungen übereinander angelegt hatten. Chosrau war keineswegs bereit, seine Strategie aufzugeben, und als sich die Belagerung bis in den Sommer hinzog, verlegte er eine weitere große persische Armee von Persarmenien aus nach Norden. Ein Teil dieser Armee wurde von den römischlasischen Streitkräften aus dem Hinterhalt angegriffen und besiegt, aber ein zweiter Truppenverband gelangte bis nach Petra, brach die Belagerung auf und versorgte die Garnison mit Nahrung. So gut das funktioniert hatte – Petra im gegenwärtigen politischen und strategischen Klima zu halten, erwies sich als unglaublich teuer und aufwendig: Jedes Jahr mussten die Perser zwei Expeditionen hinschicken – und eine davon konnten sie direkt abschreiben.26
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Petra konnte mittel- und langfristig nur dann eine gangbare Lösung bieten, wenn es gelang, die Versorgung zu erleichtern; dies versuchten die Perser, indem sie Gubazes’ Autorität unterminierten. In den Jahren 549/550 konzentrierten sie ihre diplomatischen Bemühungen darauf, lange bestehende Spannungen dazu zu nutzen, die Loyalität zweier weniger bedeutender alliierter Völker von Lasika zu untergraben: die der Absager und die der Apsilen. Doch auch hier operierten die Perser, was die Versorgung betraf, an der Grenze ihrer Möglichkeiten, und selbst das reichte nicht aus, um die Tendenz, dass sich der Feldzug zu Chosraus Ungunsten entwickelte, zumindest zu verlangsamen – und das trotz aller Ressourcen, die der Großkönig bereit war, in den Krieg hineinzupumpen. Im Laufe des Jahres 550 gelang es den neuen römischen Truppen und Kommandanten, die Absager und Apsilen durch eine Mischung aus roher Gewalt und diplomatischer Schmeichelei wieder auf ihre Seite zu ziehen. In der kommenden Feldzugsaison sollten sie Petra endgültig den Garaus machen.27 Das Kommando über die wichtige Operation erhielt Bessas, ein alter Haudegen des oströmischen Militärs, der von Prokop für sein übertrieben behutsames Vorgehen bei der Verteidigung Roms Ende der 540erJahre heftig kritisiert worden war und der momentan Kommandant der armenischen Feldarmee war. Im Jahr 551 war er über siebzig, hatte seine besten Jahre hinter sich und war, wie Prokop uns mitteilt, nicht gerade der Schlankste. Einmal verlor er bei einem Angriff den Halt, fiel von der Sturmleiter und konnte in seiner schweren Rüstung nicht mehr aufstehen. Seine Wachen mussten ihn mit ihren Schilden schützen, während sie ihn buchstäblich vom Schlachtfeld schleiften. Wieder auf die Beine gekommen, begab sich Bessas jedoch sofort wieder an die vorderste Front und erklomm eine weitere Leiter. An Kampfgeist mangelte es ihm also nicht.28 Seine aktuelle Aufgabe war alles andere als einfach. Den 6000 Römern standen 2300 persische Verteidiger gegenüber, und anders als die Römer glaubten, hatten die Verteidiger jede Menge Wasser, Nahrungsmittel und Waffen. Als die Festung schließlich fiel, staunten die Römer nicht schlecht, als sie dort genug Waffen vorfanden, um sich komplett neu auszurüsten, und genug Nahrung, um sich mehrere Jahre zu versorgen – so wichtig war Petra für Chosrau.
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Die Perser auszuhungern war schlichtweg keine Option, doch Petra zu stürmen, brachte seine eigenen Probleme mit sich. Die Garnison war eine persische Eliteeinheit, bei der schon einiges geschehen musste, bevor sie kapitulieren würde. Die meisten Festungsmauern ruhten auf festem Grundgestein, sodass das Graben von Tunneln nicht möglich war, und da das Gelände vor den Mauern stark anstieg, war es kaum möglich, dort konventionelle Rammböcke einzusetzen. Am Ende bauten die Römer einen neuartigen, leichteren Rammbock, der nicht auf Rädern lief (wodurch die Steigung nicht mehr so ins Gewicht fiel), sondern von Soldaten getragen wurde, die sich unter einer schützenden Schicht aus Tierhäuten versteckten; der Rammbock selbst war an Ketten befestigt und konnte so mit maximaler Geschwindigkeit gegen die Mauern geschlagen werden. Soldaten in schwerer Rüstung begleiteten jeden der Rammböcke, um dann mit langen Stangen mit Widerhaken das geschwächte Mauerwerk einzureißen. Als es schließlich so aussah, als würden die Römer wider Erwarten doch noch die Stadt erobern, reagierten die Perser, indem sie auf der Mauer einen hölzernen Turm errichteten, und von ihm aus warfen sie Brandbomben auf die Rammböcke. Die Stangen mit den Widerhaken erwiesen sich den Römern auch hier als nützlich: Mit ihnen konnten sie die Brandbomben herunterziehen, bevor sie größeren Schaden anrichten konnten. Gleichzeitig griff Bessas andere Mauerabschnitte mit Sturmleitern an, und einige seiner Soldaten erklommen einen steilen Felsvorsprung, der die Zinnen überragte. Doch am Ende war es eine Laune der Natur, die dazu führte, dass sich das Blatt wendete: Starke Windböen sorgten dafür, dass einige der Brandbomben den hölzernen Wehrturm selbst in Brand setzten, und im Zuge der aufkommenden Hektik kämpften sich die Römer den Weg in die Stadt frei. Zu diesem Zeitpunkt war fast die Hälfte der Perser bereits tot. 730 Überlebende wurden gefangen genommen, weitere 500 flohen in die kleine Akropolis der Festung und ließen dort ihr Leben, als die Römer die Akropolis niederbrannten (keiner kam hier davon). Petra war gefallen, und Chosraus Pläne, den Römern die Kontrolle über das Schwarze Meer zu entreißen, waren mit der Stadt untergegangen.29 Doch der Großkönig war mitnichten bereit, sich geschlagen zu geben. Wenn er schon die Schwarzmeerküste nicht haben konnte, wollte er sich doch wenigstens den Löwenanteil Lasikas einverleiben. Daher konzen-
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trierte er sich nun auf den östlichen Teil des Königreichs und zwei andere Satellitenstaaten: Swanetien und Skymnien. Diese waren 551 alle unter persische Kontrolle geraten, als dem Kommandanten einer für Petra vorgesehenen Hilfsexpedition klar wurde, dass er nicht rechtzeitig eintreffen würde, und er kurzerhand eine andere Richtung einschlug. Dies gab den Grundtenor für die nächsten fünf Jahre vor, die von einer Reihe von Belagerungen wichtiger Stützpunkte und von diplomatischen Manövern geprägt waren, mit denen sich die Perser und die Römer die Loyalität der einzelnen Mikroregionen von Lasika sichern wollten. Hin und wieder kam es zu heftigen kriegerischen Auseinandersetzungen, die Spannungen waren extrem hoch. Gegen Mitte des Jahrzehnts hatte Gubazes die Nase so voll von den – wie er es sah – inkompetenten und zögerlichen römischen Befehlshabern, dass er von Justinian forderte, die meisten von ihnen aus dem Amt zu entfernen. Dies erzürnte zwei römische Feldherren dermaßen, dass sie im September oder Oktober 555 die Ermordung des Königs arrangierten. In einem anderen Kontext hätte dies Lasika dazu veranlasst, sofort zu Chosrau überzulaufen, aber die Seiten waren inzwischen viel zu verhärtet, und man begnügte sich damit, vorübergehend die Kooperation mit den Römern ruhen zu lassen und sich derweil in Konstantinopel zu beschweren. Von dort aus wurde dann auch umgehend Ersatz geschickt, in Form von Gubazes’ jüngerem Bruder, Tzath.30 Unterdessen bereiteten sich die Perser auf eine letzte große Militäraktion vor. Für das Jahr 556 stellte Chosrau seinem Oberkommandanten insgesamt 60 000 Soldaten zur Verfügung (laut Agathias, dessen leider nicht allzu präzisem Bericht die folgenden Geschehnisse entnommen sind). Die römisch-lasische Armee, die von einem Kontingent nomadischer Hilfstruppen vom Volk der Sabiren unterstützt wurde, kommandierte der Feldherr Martinus, der mit Belisar in Italien gedient hatte. Die persische Armee rückte entlang des Phasis vor, um ihre Gegner in den Hinterhalt zu locken und weitere Mikroregionen (insbesondere Misimien und Apsilien) aus ihren bestehenden Allianzen herauszureißen. Zur entscheidenden Schlacht kam es bei Phasis (am gleichnamigen Fluss), der Festung und dem politischen Zentrum des Königreichs. Die Perser erfuhren, dass sich die Festung leicht einnehmen lassen würde, aber die Römer trafen zuerst dort ein. Bei der Ankunft der Perser war in Phasis nicht nur bereits alles für eine Belagerung vorbereitet,
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Martinus gelang sogar ein Überraschungsangriff mit einer 5000 Mann starken Kavallerie, und der zwang die Perser zum Rückzug. Wiederum hatten die Perser nicht genügend Vorräte, um mit ihrer gesamten Armee über den Winter zu kommen. So ließen sie nur eine kleine Abteilung zurück, was die Römer in die Lage versetzte, sich die Kontrolle zurückzuholen, die Mikroregionen wieder auf ihre Seite zu ziehen und einige der wichtigsten Festungen zurückzuerobern, die die Hauptroute nach Persarmenien säumten.31 Im Jahr 557 folgten Verhandlungen über einen neuen Waffenstillstand, der sich nun neben Mesopotamien auch auf die Nordfront erstrecken sollte. Im Grunde genommen hatte die Geografie Chosrau einen Strich durch die Rechnung gemacht. Falls die Perser Lasika nicht dazu bringen konnten, sich ihnen freiwillig anzuschließen, hatte Chosrau keine Chance, die Region dazu zu zwingen – aufgrund der schlechten Versorgungslage konnte er seine Armeen dort nicht lange genug positionieren, um kleinere römisch-lasische Truppenverbände daran zu hindern, ihm die geringen Territorialgewinne, die er ihnen im Laufe des Sommer abtrotzte, später wieder zu entringen. Der Großkönig hatte enorme Ressourcen in die Eroberung Lasikas gesteckt, doch gegen die Tücken der Logistik kam er nicht an, und da er sich erst so spät dem Unvermeidlichen fügte, war nun der Weg frei für ein umfassendes Friedensabkommen.
Frieden in unserer Zeit Zu diesem Zeitpunkt hielt der Waffenstillstand in Mesopotamien bereits über zehn Jahre. 545 war er zunächst für fünf Jahre ausgehandelt worden, 551 wurde er erneuert. 557 hatte Chosrau endlich erkannt, dass seine Aktionen auf dem Kaukasus mehr kosteten, als sie ihm einbrachten. Beide Seiten waren bereit, eine Einigung zu erzielen, aber es dauerte lange, bis sich die vielen komplexen Probleme, die der fünfzehn Jahre dauernde Konflikt heraufbeschworen hatte, in vollem Umfang lösen ließen, nicht zuletzt weil eine Lösung so viele Dritte involvierte – von den Arabern im Süden bis hin zu den Mikroregionen in Großarmenien im Norden. Zudem bestand noch ein politisches Problem: den Deal den eigenen Untertanen schmackhaft zu machen, die es gewohnt waren, im Feind weniger einen »Bruder in Gott« zu sehen als vielmehr den Teufel
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in Menschengestalt. Im Jahr 551 war die Bevölkerung Konstantinopels (zumindest in Teilen) geradezu empört, als die persischen Gesandten, die anlässlich der Erneuerung des Waffenstillstands in die Stadt kamen, mit den bereits beschriebenen diplomatischen Ehren empfangen wurden. Möglicherweise war es das erste Mal, dass man sich dieser Praktiken bediente. Selbst ein Waffenstillstand hatte seinen Preis: 2000 Pfund Gold. Die Perser waren bereit, die Summe in fünf Raten zu kassieren, über die fünf Jahre des Waffenstillstands verteilt, aber am Ende entschied sich Justinian doch für eine Einmalzahlung, damit es nicht so sehr wie ein Tribut aussah.32 Erst im Jahr 562 wurde ein vollständiges, endgültiges und umfassendes Friedensabkommen ratifiziert, das offiziell für die nächsten fünfzig Jahre galt. In den Fragmenten der Werke des Menander Protektor ist eine vollständige Zusammenfassung der Klauseln dieses Abkommens überliefert. Offenbar waren sie nicht allzu kompliziert. Klausel 1 lautete: Die Perser dürfen den Hunnen oder Alanen oder anderen Barbaren keinen Zugang zum Römischen Reich durch den Pass am Ort Tson [der Darialschlucht] oder durch das Kaspische Tor gewähren, und die Römer werden weder in diesem Gebiet noch in irgendeinem anderen persischen Grenzgebiet eine Armee gegen die Perser entsenden.
Alexanders Tor aus Adamantin hatte man dicht gemacht, und im Gegenzug zahlten die Römer etwas mehr als 400 Pfund Gold pro Jahr. Da kaum jemand annahm, dass der Frieden wirklich fünfzig Jahre dauern würde, wollten die Perser so viel Geld wie möglich im Voraus kassieren. Die Römer sollten daher den Betrag für die ersten sieben Jahre auf einmal bezahlen, später dann die Summe für die nächsten drei Jahre und erst danach Jahr für Jahr eine Zahlung leisten. Was Grenzen und Einflusssphären betrifft, so einigten sich beide Seiten darauf, zum Status quo vor dem Krieg zurückzukehren; die einzige strittige Zone war die Mikroregion Suanien, bei der nicht geklärt werden konnte, ob sie der Befehlsgewalt des Königreichs Lasika unterliegen sollte oder nicht. Im Abkommen wurde ausdrücklich festgelegt, dass beide Seiten ihre arabischen Verbündeten in Schach halten sollten, damit in der Wüstenzone wieder Ruhe einkehrte. Die Perser versprachen, sich fortan nicht mehr über die Festung Dara zu beschweren (wie sie es seit der Zeit des Anas-
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tasios taten), und die Römer sicherten ihnen im Gegenzug zu, Dara nicht zum Hauptstützpunkt ihres kommandierenden Feldherrn in Mesopotamien zu machen. Nachdem alles geregelt war, ratifizierten beide Herrscher den Vertrag, und entsprechende Schreiben wurden ausgetauscht.33 Langfristig gesehen hatte Justinians Regime nach den Katastrophen von 540/541 alle drei Hauptsektoren der persischen Grenze erfolgreich wieder stabilisiert. Die Kosten waren jedoch gewaltig. Die Zerstörung von Antiochia und die gewaltigen Schutzgelder, die die Städte des römischen Syriens hatten zahlen müssen, waren nur zwei Punkte einer langen Liste an Ausgaben, die auch die Kosten der späteren Feldzüge umfasste, insbesondere in Lasika, wo der Krieg anderthalb Jahrzehnte dauerte, und den Ausbau der Verteidigungsanlagen in Mesopotamien, ganz zu schweigen von den neuen – zugegebenermaßen vergleichsweise geringen – jährlichen Zahlungen für die persischen Verteidigungsanlagen im Kaukasus. Das meiste davon muss man zu den Ausgaben für die eigentlichen Kriege hinzuzählen, will man ermitteln, wie teuer Justinians Eroberungen im Westen waren. Der Ewige Frieden wäre sicherlich so oder so irgendwann zu Ende gegangen, aber Justinians Abenteuerpolitik im westlichen Mittelmeer speiste eine längerfristige Paranoia seitens der Perser; sie sorgten sich darüber, wie viele zusätzliche Steuereinnahmen die neuen Territorien Konstantinopel einbringen würden; und auch, dass auf einen Schlag die Zahl der römischen Truppen, die den Osten des Römischen Reiches verteidigt hatten, und die dortigen Militärausgaben der Römer dezimiert wurden, bedeutete für sie eine Chance. Um es noch einmal festzuhalten: Der Zeitpunkt des Krieges mit Persien und die Umstände, die den Persern derart schnell substanzielle Gewinne einbrachten, müssen als weiterer Kostenfaktor der Kriege im Westen betrachtet werden, und diese Kosten trugen im Wesentlichen die Gemeinden in Syrien und Armenien; sie fanden sich mit einem Mal im Auge des Sturms wieder und mussten die nachfolgende finanzielle Last des Wiederaufbaus schultern. Dies waren jedoch nicht die einzigen Gegenden des Imperiums, deren Geschichte wir sorgfältiger untersuchen müssen, wenn wir ermitteln wollen, wie teuer Justinian seine militärischen Abenteuer im Westen zu stehen kamen.
9 Totilas Aufstand Belisars Kavallerie setzte der Herrschaft der Vandalen binnen weniger Monate ein Ende, aber als der Feldherr mit Gelimer im Schlepptau Karthago verließ, blieb noch eine ganze Menge zu tun. Justinians neue nordafrikanische Provinzen in Tunesien und Algerien waren noch nie von Konstantinopel aus regiert worden. Das Regierungssystem hatte darauf beruht, dass ein regierender vandalischer Monarch vor Ort residierte; Karriere machte, wer direkte Verbindungen zum Königshof unterhielt. Justinian schickte zusammen mit der Expedition einen äußerst erfahrenen Verwaltungsbeamten nach Afrika: den Patrizier Archelaos, der als Präfekt der Region Illyrien und als Stadtpräfekt von Konstantinopel bereits Erfahrungen auf höchster Verwaltungsebene gesammelt hatte. Sein Wissen über Steuerwesen, Recht und Bürokratie war immens, doch in erster Linie bestand seine Aufgabe darin, die Finanzlage der Expedition im Auge zu behalten.1 In ganz Nordafrika neue Regierungsstrukturen einzuführen, sollte sich als viel schwierigere Aufgabe erweisen. Als die Flotte Konstantinopel verließ, konnte weder der Kaiser noch Archelaos ahnen, was genau Belisar da erobern würde – wenn überhaupt etwas. Binnen weniger Monate blieb kein Stein auf dem anderen. Nachdem Gelimer kapituliert hatte und klar wurde, was für riesige Territorien Justinian erobert hatte, war die Einrichtung einer Verwaltung für die neuen Provinzen Konstantinopels oberste Priorität. Noch vor Belisars Rückkehr legte Justinian an den Iden des April 534 detaillierte Regeln fest, anhand derer eine Reihe neuer ziviler und militärischer Einrichtungen aufgebaut wurde. Das oströmische Nordafrika wurde zu einer eigenständigen Verwaltungseinheit mit einem eigenen Prätorianerpräfekten, der direkt dem zentralen kaiserlichen Regime unterstand. Der praefectus urbi sollte mit 396 Mitarbeitern ausgestattet werden, vom Rechtsanwalt bis zum Botenjungen. Ihm unterstanden sieben Provinzstatthalter, die ebenfalls vom zentralen Regime eingesetzt wurden, und sie hatten jeweils 50 Angestellte unter sich. Für die Verteidigung der
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Provinz waren sechs Provinzkommandanten (duces) zuständig, die jeweils über ihre eigenen limitanei verfügten.2 Doch wie auch in jüngster Vergangenheit die westlichen Mächte in Afghanistan und im Irak feststellen mussten, ist es offenbar viel einfacher, mithilfe fortschrittlicher Militärtechnologie ein Regime zu zerstören, als hinterher eine funktionierende Alternative aufzubauen. Eine effektive Regierung braucht mehr als ein praktikables Verwaltungskonzept. Sie kann nur dann funktionieren, wenn sie auf politischen Beziehungen zu allen oder zumindest den wichtigsten politischen Akteuren im Land aufbaut.
Imperator für zehn Jahre In der Praxis setzte die neue Verwaltungsstruktur vor allem auf gute Beziehungen zu einer wichtigen nordafrikanischen Interessengruppe: den römischen Grundbesitzern insbesondere in Byzacium und Numidien, die von der Ansiedlung der Vandalen in Proconsularis kaum betroffen gewesen waren – sie hatten ihre Ländereien auch unter den neuen vandalischen Machthabern unter den Auspizien des römischen Rechts weiterbewirtschaften dürfen. Belisar hatte Plünderer innerhalb seiner eigenen Armee hinrichten lassen, um sich bei den örtlichen römischen Grundbesitzern beliebt zu machen, und in allen Berichten über die Eroberung gibt es überhaupt nur zwei Beispiele für nordafrikanische Römer, die bereit waren, bis aufs Blut für die Vandalen zu kämpfen: Gelimers Schatzmeister Bonifatius tat sein Bestes, um die Westgoten als Alliierte für seinen König zu gewinnen, und Belisar musste einen gewissen Laurus pfählen lassen, der versucht hatte, Belisars bulgarische Söldner zu bestechen. Ansonsten verhielten sich die römisch-afrikanischen Grundbesitzer im Allgemeinen neutral, und sicherlich bestand für Konstantinopel die Chance, sie als Verbündete zu gewinnen.3 Für diese Männer warf die Eroberung Nordafrikas durch Ostrom drei ganz konkrete Fragen auf: Wer sorgte künftig für ihre Sicherheit, und wie würden sie besteuert – kurz: wie würden die Klientelbeziehungen aussehen? Hier kommen Justinians Verwaltungsstrukturen ins Spiel. Die spätrömische Bürokratie war in erster Linie eine Steuer- und Justizverwaltung, aber sie war auch ein Klientelnetzwerk, das einem breiten Spektrum lokaler Grundbesitzer diverse Vorteile und auf verschiedenen Ebenen einen Zugang zu Macht verschaffte (siehe Kapitel 2). Die ranghöchsten
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Vertreter der neuen afrikanischen Regierung würden auf absehbare Zeit aus Konstantinopel kommen, die meisten Posten auf unterer und mittlerer Ebene hingegen wurden mit Einheimischen besetzt. Wenn man sich genau überlegte, wen man auf welchen Posten setzt, würden sich diese Männer und die örtlichen Netzwerke, denen sie angehörten, auf effektive Weise in das neue Regierungssystem im oströmischen Nordafrika einbinden lassen.4 Ein viel größeres Problem, zumindest auf den ersten Blick, stellten die Beziehungen zu einem zweiten einflussreichen römisch-afrikanischen Akteur dar: der nicäanischen katholischen Kirche. Hier war die dringlichste Frage, wie man mit ihrem großen Rivalen, der nichtnicäanischen, »arianischen« Kirche, umgehen sollte, die unter der Herrschaft der Vandalen floriert hatte. Geiserich und seine Nachfolger hatten sie gefördert, um ihrem vielfältigen Gefolge, das aus Vandalen, Alanen und Angehörigen anderer Stämme bestand, einen gewissen zusätzlichen inneren Zusammenhalt zu geben, insbesondere als sie sich in den 440er-Jahren über ganz Proconsularis verstreuten. Die Kirche erhielt einige der größten katholischen Kirchenbauten in Karthago sowie die Kirchen und das dazugehörige Grundvermögen aller Ortschaften in Proconsularis, in denen Vandalen siedelten. So wurde die arianische Kirche Nordafrikas schnell zu einer wohlhabenden grundbesitzenden Körperschaft, und ihre Gemeinden bestanden bei Weitem nicht nur aus den Nachfahren von Geiserichs Anhängerschaft. Auch wenn Hunerichs ehrgeiziges religiöses Projekt der 480er-Jahre, alle seine Untertanen – Vandalen, Alanen und Römer – zu einem einheitlichen nichtnicäanischen Glaubensbekenntnis zu bewegen, nicht gelang: Es gab immer wieder Überläufer, darunter sogar Bischöfe, sodass die arianische Kirche zur Zeit der Eroberung Afrikas im Vandalenreich bereits ein extrem wichtiger Machtfaktor war. Justinian reagierte zunächst verhalten. Mit seinem ersten Edikt, das in den Codices allerdings nicht überliefert ist (das ist auch kein Wunder, schließlich wurde es durch die weiteren Entwicklungen überflüssig), untersagte er eine sofortige Konfiszierung arianischer Kirchen und ihres Vermögens; stattdessen setzte er fest, dass arianische Priester, wenn sie sich zu katholischen Geistlichen umtaufen ließen, in Amt und Würden bleiben durften. Doch die nordafrikanische katholische Kirche ließ sich darauf nicht ein. In der ersten Hälfte des Jahres 535 hielt sie unter dem Vorsitz von Reparatus, dem neuen Primas von Proconsularis, in der Ba-
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silica Fausti in Karthago ein Konzil ab – ausgerechnet dort, wo Hunerich damals mit der Verfolgung der Katholiken begonnen hatte. Auf diesem Konzil verlangten sie die sofortige Rückgabe aller konfiszierten Gebäude der nicäanischen Kirche, sie weigerten sich, den umgetauften arianischen Klerus so mir nichts, dir nichts in die eigenen Hierarchien zu integrieren, und forderten ein generelles Verbot arianischer Gottesdienste. Als schließlich auch noch der Papst auf Bitten der Konzilteilnehmer seine Unterstützung signalisierte, gab Justinian am Ende nach. Und da die arianische Kirche ohne die militärisch-politische Unterstützung der Vandalen ohnehin kein mächtiger Akteur mehr war, ließ er sie letztlich fallen. Im Sommer 535 verkündete er, dass alle konfiszierten Kirchengüter sofort an die Katholiken zurückzugeben seien, dass keiner der umgetauften arianischen Geistlichen fortan mehr ein geistliches Amt bekleiden dürfe und dass grundsätzlich keine arianischen Gottesdienste mehr gefeiert werden dürften.5 Dummerweise ließ diese Entscheidung jedoch schnell einen anderen Streit aufkeimen, der für Justinian weitaus schlimmere Folgen haben sollte. Der religiöse Enthusiasmus des katholischen Klerus war zu viel für etwa 1000 arianische Angehörige der oströmischen Armee rund um Karthago, zumal sie an Ostern 536 feststellen mussten, dass sie nirgendwo ihren Gottesdienst feiern durften. Ostern war das wichtigste Fest des Kirchenjahres, nicht zuletzt wurden alle Taufen bei diesem Anlass vollzogen: Kein Wunder also, dass das Verbot arianischer Gottesdienste durch das katholische Establishment Nordafrikas bei Soldaten, die ohnehin sauer waren, weil sie schon länger auf ihren Sold warteten, erheblichen Unmut erzeugte.6 Prokop stellt hier nicht ausdrücklich eine Verbindung her, aber im Frühjahr 535 bereitete der Kaiser bereits seine Sizilienexpedition (und eine mögliche Invasion Italiens) vor, und Mundus mobilisierte seine Soldaten, um die Entschlossenheit der Ostgoten in Dalmatien auf die Probe zu stellen (siehe Kapitel 6). Diese Maßnahmen waren mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden, und die Bezahlung der neuen Garnison im bereits eroberten Afrika hatte in den Augen der Entscheider demgegenüber keine allzu hohe Priorität. Dabei hatte zumindest ein Teil des nordafrikanischen Heeres mit dem kaiserlichen Regime in Sachen Moneten noch ein weiteres Hühnchen zu rupfen: Die meisten überlebenden Vandalen im wehrfähigen Alter waren bereits an die Ostfront ver-
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schifft worden, und viele von ihnen hatten ihre Ehefrau zurücklassen müssen – die meisten dieser Frauen wurden gefangen genommen und fielen, sozusagen als Kriegsbeute, diversen Angehörigen der siegreichen römischen Armee in die Hände; der Besitz dieser Männer – das ursprünglich von Geiserich beschlagnahmte Land und alles, was die Vandalen sich später einverleibt hatten – wurde nun von Solomon als Eigentum des Kaisers angesehen (Solomon war der erste Präfekt des oströmischen Nordafrika; er hatte als Kommandant und einer von Belisars direkten Untergebenen der ursprünglichen Expedition angehört); all dies vergrößerte die finanziellen Probleme der männlichen Vandalen. Gemeinsam mit dem ersten militärischen Nachschub waren zwei Steuerexperten nach Nordafrika gekommen, Tryphon und Eustratios. Ihre Aufgabe bestand darin, das Steuersystem der neuen Präfektur auf Vordermann zu bringen; eine der wichtigsten Fragen, die einer Antwort harrten, lautete, wie man mit all den sortes Vandalorum in Proconsularis verfahren sollte, die seit den 440er-Jahren nicht mehr besteuert worden waren und zu denen es nun rein rechtlich keinen Eigentümer mehr gab. Einige der zurückgelassenen Ehefrauen der an die Ostfront verschleppten Vandalen hatten sich irgendwann vom ersten Schock der Niederlage erholt – und sie drängten nun ihre neuen Männer dazu, Anspruch auf ihren angestammten Grundbesitz anzumelden (ob sie sich dabei nur auf die bereits unter Geiserich verteilten Ländereien oder auch auf die später hinzugewonnenen Liegenschaften bezogen, geht aus Prokops Bericht nicht eindeutig hervor). Doch Solomon und seine Beamten wollten von solchen Forderungen nichts wissen.7 Im Frühjahr 536 kam eins zum anderen: Die finanziellen Missstände und das Verbot der arianischen Gottesdienste hatten immense Ressentiments innerhalb einer Armee geschürt, die auch nach dem schnellen Sieg über die Vandalen, als Belisar bereits als glorreicher Sieger nach Konstantinopel zurückgekehrt war, noch in schwere kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt war. Dass es im römischen Nordafrika immer wieder zu Auseinandersetzungen kam, lag nicht zuletzt an der besonderen Geografie. Durch das Atlasgebirge sind die Niederschläge ungleich verteilt (Steigungsregen): Die bevölkerungsreichen und landwirtschaftlich besonders ertragreichen Kerngebiete von Ostnumidien, Proconsularis und Byzacium grenzten somit an genau ihr Gegenteil, eine unwirtliche Welt aus Wüsten-
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randgebieten, grasbewachsenem Steppenland und kargen Hochebenen. Dort lebten Berbernomaden, in spätantiken Texten »Mauren« genannt, und betrieben viel stärker Viehzucht als Ackerbau – schon deshalb benötigten sie eine relativ große Fläche, um sich ernähren zu können. Wer sich die soziopolitische Struktur dieser Gegenden genauer angesehen hätte, hätte eher zahlreiche kleine Gruppierungen vorgefunden, die man (in Ermangelung eines besseren Wortes) zumeist als »Stämme« bezeichnet. Als der römische Feldherr Johannes Troglita im Jahr 548 auf den sogenannten Feldern des Cato gegen eine große Gruppe von Berbern in die Schlacht zog, wurden jene von nicht weniger als 17 verschiedenen Häuptlingen angeführt. Angesichts der Tatsache, dass der Reichtum auf so engem Raum zwischen Sesshaften und Nomaden dermaßen ungleich verteilt war, wird es niemanden verwundern, dass die Berber schon während der ganzen Kaiserzeit immer wieder Raubzüge unternahmen. Dennoch war es meist gelungen, die Beziehungen zwischen Nomaden und Bauern zu »managen« – zu konstanten oder größeren Konflikten kam es nicht. Die Kampfeinheiten der Berber waren zu klein, um eine echte Bedrohung darzustellen, und alles in allem herrschte zwischen den Bevölkerungsgruppen ohnehin eine symbiotische wirtschaftliche Beziehung: Die Nomaden waren darauf angewiesen, die Produkte ihrer Herden gegen die Erzeugnisse der Ackerbauern einzutauschen. Die Hauptaufgabe der kleinen Truppenverbände, die Ostrom in Nordafrika unterhielt, bestand somit darin, die Zahl der Raubzüge gering zu halten und den notwendigen Austausch zwischen den zwei Welten so zu organisieren, dass es möglichst wenig Ärger gab – die Angehörigen dieser zwei Welten begegneten einander immer wieder, beispielsweise wenn die Nomaden ihre Herden auf das Weideland trieben.8 Aber noch einmal zurück: Als die vandalisch-alanische Koalition 439 Karthago eroberte, übernahm sie ein bestehendes Netzwerk etablierter Beziehungen zu Sesshaften und Nomaden, und es gelang ihr, es auf neuartige Weise auszunutzen. An Geiserichs berühmter Plünderung Roms im Jahr 455 waren Kontingente der Berber beteiligt, genau wie an den zahlreichen Piratenüberfällen der Vandalen auf Küstenstriche rund ums Mittelmeer (erst Anfang der 470er-Jahre bereitete ihnen eine umfassende Friedensvereinbarung zwischen Konstantinopel und Karthago ein Ende). Nach Geiserichs Tod am 25. Januar 477 hatten es seine Nachfolger jedoch zunehmend schwer, zumindest einige der nomadischen
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Nachbarn weiterhin im selben Maße in Schach zu halten, wie es Geiserich gelungen war. Bereits 483/84 verlor Hunerich die Kontrolle über die Berber im Aurès-Gebirge in Südnumidien, wovon eine faszinierende Inschrift zeugt: Ich, Masties, dux für 67 Jahre und Imperator für zehn Jahre, habe nie einen Meineid geleistet, noch gegenüber Römern oder Mauren die Treue gebrochen, und ich war sowohl im Krieg als auch im Frieden stets vorbereitet, und meine Taten waren so, dass Gott mir beistand.
In durch und durch römischen Phrasen drückt die Inschrift aus, dass Masties nach einer langen Phase als untergeordneter dux zehn Jahre lang imperator war, also über unabhängige politische Macht verfügte, die auf dem Willen des christlichen Gottes beruhte. Erst kürzlich wurde darauf hingewiesen, dass Masties’ Beförderung – auch wenn die Inschrift nicht genau datiert ist – möglicherweise mit dem Zeitpunkt zusammenfiel, als Hunerich die Kontrolle über die Region Aurès verlor (vielleicht aufgrund der Verfolgung der Antinicäaner, die der König gerade in die Wege geleitet hatte; immerhin war Masties offensichtlich Christ). Und Masties war nicht der Einzige. Im ausgehenden 5. Jahrhundert legten die Anführer der Berbernomaden quer durch Nordafrika mehr Ehrgeiz an den Tag und verschafften sich größere Machtbasen als je zuvor. Eine weitere berühmte Inschrift aus derselben Zeit, aus Altava ganz im Westen des Königreichs der Vandalen, erinnert an einen »König der Mauren und Römer«, und in Klein-Kabylien an der Ostgrenze des vandalischen Numidien wurde eine dritte Inschrift gefunden, in dezidiert selbstbewusstem Ton verfasst. König Thrasamund (496–523) musste in den 510er-Jahren in Tripolitanien im Osten gegen die Mauren kämpfen, und Hilderichs Regime geriet in ernste politische Schwierigkeiten, als es ihm nicht gelang, Berbergruppen im Süden von Byzacium zu bekämpfen (siehe Kapitel 4). Das vandalische Königshaus hatte auch in den 530er-Jahren noch nicht völlig die Kontrolle über seine nomadischen Nachbarn verloren. Als Belisar in Karthago einmarschierte, wurde er sofort von einer Abordnung maurischer Häuptlinge begrüßt, die sich die Geschenke und Ehrungen, die Gelimer ihnen zuvor zugesagt hatte, bestätigen lassen wollten; zumindest einige Berber taten so, als würden sie sich aufseiten der Vandalen
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in den Krieg einschalten, doch in der Praxis sahen sie tatenlos zu und warteten ab, wer gewinnen würde. Bei alldem zeichnet sich ein deutliches Gesamtmuster ab: Ab den 480er-Jahren entwickelte sich der Umgang mit den nomadischen Nachbarn für die Vandalen zu einer immer undankbareren Aufgabe.9 Warum das so war, verrät uns keine unserer Quellen (so sie es denn überhaupt wussten). Dennoch ist klar, dass ein Vandalenkönig in Karthago, der nur wenige Provinzen besaß, den benachbarten Nomaden als Person viel weniger eindrucksvoll erschien als der ferne Herrscher eines riesigen Kaiserreichs. Die Vandalenkönige mussten sich gegen ihre Nachbarn am Mittelmeer ganz anders als noch die römischen Provinzstatthalter vor ihnen schützen und ihre militärischen Aktivposten viel weiter streuen. Ich vermute indes, dass noch ein weiterer Faktor im Spiel war: In vielen analogen Kontexten wirken neue Cashflows in einer politisch zersplitterten Welt mit Gruppierungen, die auf kleinem Raum operieren, ganz klar destabilisierend; in der Regel wird die eine oder andere Gruppe – wenn sie sich entsprechend positioniert – überproportional von dem neuen Geld profitieren und es im Folgenden nutzen, um ihre Dominanz weiter zu festigen. Dieses Modell der politischen Umstrukturierung finden wir in den frühen Schriftquellen alarmierend häufig bezeugt (und in späteren Epochen auch noch gelegentlich). Ich vermute daher stark, dass neben dem mangelnden Glamour der Vandalenkönige und ihrer offensichtlichen Unerfahrenheit, was den Umgang mit Nomaden betrifft, vor allem das viele Geld, das sich die Berber im Zuge der militärischen Abenteuer der Vandalen verschafften, ein Übriges tat. Die Auswirkungen waren revolutionär: Jene, die von diesem Geld profitierten, setzten es später zu Hause ein, um ihre formellen und informellen politischen Netzwerke auszubauen. Als in den 470er-Jahren kein frisches Geld mehr floss, mussten sie es dann durch Mittel aus einheimischen Quellen ersetzen.10 Neben den unmittelbaren Problemen, die die Eroberung des Vandalenreichs durch Belisar unweigerlich mit sich brachte – Rachepläne religiöser Eiferer und eine Armee, die der Ansicht war, dass sie keinen angemessenen Anteil an der Kriegsbeute erhielt –, standen die neuen oströmischen Herrscher in Karthago also schnell vor einem eher strukturellen Problem: Die Welt der Nomaden war inzwischen ähnlich von politischem Ehrgeiz geprägt wie die der sesshaften Völker. Gemeinsam entwickelten sich all diese ursprünglich einmal separaten Probleme für
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Justinians neue Territorien zu einem fatalen Störfaktor. Kurz nachdem Belisar im späten Frühjahr oder im Frühsommer 534 Karthago in Richtung Konstantinopel verlassen hatte, brachen in den Gegenden am Rande von Byzacium, wo hauptsächlich Nomaden lebten, schwere Unruhen aus. Vier Berberhäuptlinge schlossen sich zusammen, und im folgenden Winter gingen sie auf gemeinsame Raubzüge. Solomon, der neue Prätorianerpräfekt, schickte Botschaften an alle vier und erinnerte sie daran, dass er ihre Kinder als Geiseln hielt. Angeblich antworteten sie, das mache ihnen nichts aus, sie hätten viele Frauen und Dutzende Kinder (vielleicht wollte Prokop mit diesem Detail aber auch nur unterstreichen, wie wenig zivilisiert die Nomaden lebten). Solomon reagierte erst im folgenden Frühjahr, und bis dahin hatten seine Truppen schwere Verluste erlitten: Zwei eigenständige, insgesamt rund 500 Mann starke Kavallerieeinheiten, die von Belisars bewährten bucellarii Aigan und Rufinus angeführt worden waren, hatten Stoßtrupps der Berber aus dem Hinterhalt überfallen sollen, um Gefangene freizupressen und zurückzuholen, was die Nomaden erbeutet hatten. Doch die Römer waren von viel größeren Kontingenten der Berber angegriffen und allesamt getötet worden. Rufinus (er stammte aus Thrakien, dem heutigen Bulgarien) war zunächst nur gefangen genommen worden, aber sein Entführer war von seinem ungewöhnlich großen Kopf mit dem üppigen Vollbart und wilden Haar so fasziniert, dass er ihn abschnitt, um ihn seiner Frau zu zeigen.11 Kein Wunder, dass Solomons Soldaten ein ungutes Gefühl hatten, als sie von Karthago aus nach Süden marschierten. Und als die erste Schlacht bevorstand, wurde ihre Angst nicht gerade weniger. Zehntausende Berber (laut Prokop war die Konföderation in der Lage, 50 000 Mann ins Feld zu schicken) bildeten mit ihren Kamelen einen Kreis, zwölf Reihen hintereinander. Darin befanden sich ihre Frauen und Kinder – sie nahmen sie (so wieder Prokop) auf all ihre Militärexpeditionen mit, wo sie sich um das Essen und die Waffen kümmerten. Die Berber trugen keine Rüstung, waren aber mit zwei Wurfspeeren, einem Schwert sowie einem kleinen Schild bewaffnet. Die Soldaten Solomons, das Schicksal von Aigan und Rufinus noch vor Augen, zögerten, und obendrein scheuten ihre Pferde vor dem Geruch der Kamele. Die Reihen der römischen Kavallerie gerieten in Unordnung, manche der Pferde stürzten und mussten sich erst wieder auf-
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richten, aber am Ende bekam Solomon die Situation in den Griff: Er ließ die Reiter absitzen und den Großteil seiner Armee mit aufgestellten Schilden in Stellung gehen; so könnten die Speere des Feindes ihnen nur wenig anhaben. Dann führte er persönlich 500 schwer bewaffnete und -gepanzerte Soldaten um den Kreis herum, um die Berber von hinten anzugreifen. 200 tote Kamele später – Tierfreunde sollten schnell weiterlesen – hatten sie sich bis in die Mitte des Kreises vorgekämpft. Nun rückte der Hauptteil der römischen Armee ebenfalls vor. Die leicht bewaffneten Berber fanden sich zwischen den schwer bewaffneten Römern eingekeilt. Die Folgen waren katastrophal: Laut Prokop fanden 10 000 Berbersoldaten den Tod; der Rest ergriff die Flucht. Die Frauen, Kinder und Kamele nahmen die Römer mit nach Karthago. Doch der Feldzug war noch nicht zu Ende. Seine überlebenden Gegner trieb Solomon schließlich auf halbem Weg zum Berg Bourgaon in die Enge. Es sah ganz nach einem Patt aus, da die Römer sich nicht weiter bergauf vorankämpfen wollten, doch über Nacht drang Solomon mit 1000 Mann heimlich bis an die Spitze des östlichen Gipfels des Berges vor. Im Morgengrauen fanden sich die Berber dann erneut zwischen zwei Kontingenten schwer bewaffneter Römer eingekeilt. Sie versuchten zu fliehen, doch der einzige Fluchtweg führte durch die tiefe Schlucht zwischen den beiden Gipfeln des Bourgaon auf den westlichen davon. In ihrer Panik stürzten zahlreiche Berber in den Abgrund, und die vorsichtigeren kamen nur so langsam voran, dass sie den Pfeilen und Speeren ihrer römischen Gegner kaum entkommen konnten. Es war ein weiteres Blutbad. Anschließend unterwarf sich einer der vier Häuptlinge, Esdilasas, Solomon. Die drei anderen flohen mit ihren überlebenden Anhängern in die Region Aurès im Süden von Numidien. Fürs Erste herrschte in Byzacium wieder Frieden, zumal die andere wichtige Berberkonföderation am Rande der Provinz, die von einem gewissen Antalas angeführt wurde, den Römern die ganze Zeit über loyal blieb.12 Ohne zu zögern, verlegte Solomon seine schon ziemlich mitgenommene Armee nach Osten, aber dieses Mal waren sie nicht ganz so erfolgreich. Ihr Ziel war die Region rund um das Aurès-Gebirge im heutigen Algerien, den östlichen Ausläufer des Hohen Atlas in Marokko: Ein unwirtliches Territorium mit mehreren über 2000 Meter hohen Gipfeln, tiefen Tälern, terrassenförmigen Hängen und einigermaßen gut nutzbaren Hochweiden. Die Region eignete sich für Nomaden, für andere aber
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war sie kaum zugänglich, und so hatten sich die hier lebenden Berber als erste von den Vandalen losgesagt (auch der Unabhängigkeitskrieg der Algerier gegen die Franzosen in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts begann dort). Mitte der 530er-Jahre war der einflussreichste Stammesführer dort ein gewisser Jaudas, und er hatte Berichten zufolge 30 000 Mann unter sich. Er hatte bereits das ausgezeichnete Agrarland im Norden besetzt, als die überlebenden Rebellen aus Byzacium bei ihm Zuflucht suchten. Solomon wurde von weiteren Berbern unterstützt, traute ihnen jedoch nicht wirklich, und ihm war klar, dass er mit seinen Truppen schnell vorrücken musste, um seine Gegner in der Hochlandregion, in der sich jene gut auskannten, noch zu erwischen. Mit allzu schwerer Ausrüstung ging das nicht, daher nahm er für die Soldaten und ihre Pferde nur Feldrationen mit. Zehn Tage später war diese Nahrung so gut wie verbraucht, und sie waren noch keinem einzigen feindlichen Berber begegnet. Alle Anstrengungen waren vergebens: Ende 535 kehrte die römische Armee erschöpft und entmutigt zum Winterquartier in Karthago zurück.13 Die Truppe war also überanstrengt und unterbezahlt, als rund 1000 Mann der Gottesdienst verweigert wurde, und viele Soldaten bekamen obendrein noch Probleme mit ihrem Grundbesitz. Kurz: Ein Großteil der Armee, die in der Stadt überwinterte, stand vor einer Meuterei. Es kam zu einer Verschwörung, an der sich sogar Solomons Elitegardisten beteiligten. Am Ostersonntag, dem 23. März 536, sollte der Prätorianerpräfekt in der Kathedrale getötet werden. Doch als es so weit war, konnte sich (wie Prokop sehr schön beschreibt) niemand dazu durchringen, ihm den ersten Schlag zu versetzen, nicht an Ostersonntag und auch nicht an Ostermontag. Fünf Tage später versammelten sich die meuternden Soldaten im Hippodrom, und diesmal waren sie so viele, dass sich schnell eine extrem gewaltgeladene Stimmung ausbreitete. Sie töteten die Offiziere, die zum Hippodrom geschickt worden waren, um sie zu beschwichtigen, und liefen in den Straßen von Karthago regelrecht Amok. Solomon ergriff mit Prokop und fünf anderen Vertrauten die Flucht. Im Hafen lag ein Schiff für sie vor Anker, aber die Gezeiten verhinderten ein sofortiges Auslaufen, also machten sie – auch wenn Solomon protestierte – halt, um etwas zu essen. Später in jener Nacht war das Grüppchen dann schließlich doch auf dem Weg nach Syrakus auf Sizilien, wo bereits das Hauptquartier für Belisars Expeditionsstreit-
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macht errichtet war und auf Nachricht von Petros Patrikios wartete. Belisar schnappte sich ein wenig Bargeld und 100 seiner zuverlässigsten Soldaten und begab sich eilends nach Karthago. Dort empfing ihn komplettes Chaos. Rund 8000 Meuterer hatten sich außerhalb der Stadt zusammengerottet, verstärkt von 1000 übrig gebliebenen Vandalenkriegern, darunter eine besonders rührige Abteilung von 400 Mann, die auf dem Weg zur Ostfront auf Lesbos ihre Schiffe entführt hatten und nach Hause zurückgekehrt waren. Außerdem hatten sich zahlreiche Sklaven dem Aufstand angeschlossen, und es gab jetzt auch einen Anführer: Stotzas, der früher der Leibgarde von Belisars Feldherr Martinus angehört hatte. Die Aufständischen gingen schon davon aus, dass Karthago am nächsten Tag kapitulieren würde, doch Belisar landete noch in der Abenddämmerung, gerade rechtzeitig, um das Schlimmste zu verhindern. Gegen reichlichen Lohn – das Geld, das er verteilte, waren vermutlich ursprünglich für die bevorstehende Eroberung Italiens bestimmt gewesen – stellte er aus den noch in der Stadt befindlichen Soldaten eine 2000 Mann starke Truppe zusammen. In Membresa, etwa 50 Kilometer von Karthago entfernt, trafen seine Soldaten und die Aufständischen aufeinander; nach einigen nicht allzu schweren Scharmützeln, bei denen lediglich ein paar Vandalen den Tod fanden, ergriffen die Rebellen die Flucht. Sie machten sich so schnell wie möglich auf den Weg nach Numidien – und ließen viele der Vandalinnen zurück, die ja ursprünglich einen beträchtlichen Beitrag zum Entstehen der Probleme geleistet hatten.14 Doch das war noch nicht das Ende der Geschichte. Da Belisar in Italien gebraucht wurde und Gerüchte über eine mögliche Meuterei in seiner eigenen Truppe aufkamen, konnte er nicht in Afrika bleiben, um den Job zu Ende zu bringen. Karthago selbst war zwar gesichert, doch angesichts der Tatsache, dass die Logistik für solche Projekte damals extrem viel Zeit in Anspruch nahm, sollte es noch ein weiteres Jahr dauern, bis das Regime genug römische Soldaten vor Ort hatte, um den Aufstand ein für allemal niederzuschlagen. Sie wurden von Germanus angeführt, einem Cousin des Kaisers. Germanus traf also 537 mit nur einem kleinen Truppenkontingent, aber reichlich Bargeld in Nordafrika ein. In der Zwischenzeit hatte sich Stotzas die Unterstützung des Berberhäuptlings Jaudas gesichert und einen großen Teil der Garnison von Numidien unterworfen, aber Ger-
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manus hatte einen gut durchdachten Plan. Als er eintraf, befanden sich ungefähr zwei Drittel der römischen Armee Nordafrikas in offener Revolte. Germanus verkündete, allen Soldaten, die sich von den Aufständischen abwandten und in die Truppe zurückkehrten, würden nicht nur keine Fragen gestellt, sie würden obendrein sämtlichen ausstehenden Sold erhalten. So viele leisteten diesem Aufruf Folge, dass Stotzas es mit der Angst bekam und beschloss, möglichst rasch einen Showdown herbeizuführen, bevor sich seine Armee gänzlich auflöste. Bei Scala Veteres, etwa sechs Kilometer von Karthago entfernt, kam es zur Schlacht. Jaudas’ Berber waren ebenfalls vor Ort, sahen aber lediglich zu und warteten ab, wer gewinnen würde. Was folgte, war zutiefst verwirrend. Keine Seite wusste, wer ihre Kameraden und wer ihre Gegner waren, denn alle sprachen dieselbe Sprache und hatten die gleichen Waffen, und sie unterschieden sich weder in ihrer Zahl noch in ihrer Kleidung noch in irgendetwas anderem.
Dennoch kam es zu einer klaren Entscheidung. Prokop war nicht dabei und nennt somit keine Opferzahlen und nur wenige Details; am Ende jedenfalls floh Stotzas mit ungefähr 100 Anhängern, überwiegend Vandalen, nach Westen, bis ganz nach Mauretanien. Alle Meuterer wurden entweder getötet oder wieder in die Armee aufgenommen, ihre Beute nahm man ihnen ab.15 Germanus war es also gelungen, die meuternden römischen Soldaten wieder zur Ordnung zu rufen, und Solomon setzte sein Werk fort, als er 539 wieder als Präfekt nach Karthago zurückkehrte. Nun hatten die oströmischen Machthaber endlich Zeit, sich um einige vernachlässigte Details zu kümmern. Die letzten Vandalinnen wurden festgenommen und wie ihre Männer aus Nordafrika verschleppt. Derweil kümmerte sich Solomon darum, die Nachwirkungen der Meuterei zu sichten und potenziell illoyale Soldaten entweder zu Belisar in Italien oder nach Konstantinopel zu versetzen und durch neue zu ersetzen. Prokop spricht es zwar nicht explizit aus, er deutet aber an, dass hierfür zumindest teilweise auf lokale Rekruten zurückgegriffen wurde. Außerdem leitete Solomon Maßnahmen in die Wege, um die über das ertragreiche Küstenhinterland verstreut liegenden Agrarstädte mit neuen Verteidigungsanlagen zu versehen. Inschriften und archäologische Funde bestätigen Prokops Bericht. Das Vorhaben erhielt zusätzlichen Schwung, als der Präfekt im
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Jahr 540 erfolgreich den Aurès befriedete – eine immense Aufgabe, an der er fünf Jahre zuvor noch gescheitert war. Prokop berichtet nicht, ob Jaudas in der Zwischenzeit das angrenzende Tiefland geplündert hatte, aber wir wissen, dass der Berberhäuptling einige der ertragreicheren Gegenden in den Ausläufern des Gebirges kontrollierte, wo auch Timgad liegt, eine alte römische Legionärskolonie. Solomon war entschlossen, dort wieder die Kontrolle zu übernehmen. Als die Römer im Anmarsch waren, zog Jaudas die meisten seiner Anhänger aus der Gegend ab – er wollte keinen offenen Kampf riskieren und versuchte stattdessen, den Vormarsch der Römer zu verzögern, in der Hoffnung, dass sie an den gleichen Schwierigkeiten scheitern würden wie schon bei ihrem Feldzug 535. Doch diesmal war Solomon besser vorbereitet und wahrscheinlich auch umfassender informiert. Er besiegte (zumindest laut Prokop) Jaudas’ verbliebene 20 000 Krieger. Jaudas’ Oberschenkel wurde von einem Speer getroffen, und er zog sich wie Stotzas nach Mauretanien zurück; Solomon errichtete auf dem Aurès eine Kette von befestigten Wachposten, um zu verhindern, dass der Feind das Gebiet wieder einnahm. Und dann entdeckten seine Männer auch noch einen Wehrturm, der das gesamte Privatvermögen von Jaudas (und einigen seiner Frauen) enthielt – das Geld nutzten die Römer zum Wiederaufbau städtischer Verteidigungsanlagen.16 Nachdem der Einsatz in der Region Aurès erfolgreich abgeschlossen war, schien sich die Lage in Afrika endlich wieder zu beruhigen. Das Chaos, das der Regimewechsel ausgelöst hatte, machte regulierten Regierungsstrukturen Platz, die Soldzahlungen hatten die Armee wieder auf Linie gebracht, und sowohl die Bürokratie als auch das Militär hatten endlich damit begonnen, ihre Mitarbeiter vor Ort zu rekrutieren. Zudem war man nun in der Lage, die gefährlichsten Berberkonföderationen in Schach zu halten. Nicht nur war die Region Aurès wieder unter römischer Kontrolle, sondern eine ganze Reihe lokaler Dynastien habe sich, so merkt Prokop an, den Römern unterworfen, sodass die Provinz Mauretania I fortan wieder Teil des Imperiums war. Doch wie bei so vielen Aufständen geschah es genau in dem Moment, als sich alles beruhigt zu haben schien, dass der Konflikt an anderer Stelle wieder neu aufflackerte. Dieses Mal begannen die Probleme in Tripolitanien und der Kyrenaika, den Provinzen ganz im Osten der Präfektur, die von Solomons Neffen Sergius regiert wurden. Wieder waren es die Berber, die für Ärger
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sorgten. Die tripolitanischen Nomaden waren 543/544 außerhalb der Stadt Leptis Magna aufgetaucht, um, wie sie sagten, ihre üblichen diplomatischen Geschenke zu kassieren. Sergius leistete einen Eid für ihre Sicherheit und lud 80 ihrer Anführer in die Stadt zu einem Bankett ein. Dort ließ er sie sofort ermorden. Barbarenführer, die eine potenzielle Bedrohung darstellten, beim gemeinsamen Abendessen entweder durch Mord oder durch Entführung zu beseitigen, war eine alte römische Sitte; folglich wird Sergius nicht wirklich geglaubt haben, dass die Gäste friedliche Absichten hegten – genau lässt sich das nicht mehr ermitteln. Das Ergebnis wird niemanden überraschen: Die Berber probten einen massiven Aufstand, und er erhielt zusätzlichen Impetus, als Antalas, einer der führenden Berberhäuptlinge von Byzacium, öffentlich behauptete, dass nicht nur sein Bruder grundlos ermordet worden sei, sondern dass auch die alljährlichen diplomatischen Geschenke urplötzlich ausgeblieben seien. Falls Prokop diese Vorgänge korrekt wiedergibt, lassen sie nur den Schluss zu, dass die guten Beziehungen, die seit 534 zwischen Antalas und der römischen Verwaltung in Karthago geherrscht hatten, bereits wieder merklich abgekühlt waren, möglicherweise weil die Römer Antalas’ Macht nun als Bedrohung wahrnahmen. Solomon scharte seine Truppen um sich, doch nach einigen anfänglichen Erfolgen wurde er in der Schlacht bei Cillium besiegt und getötet; die römischen Truppen büßten die meisten ihrer Standarten ein. Prokop war nicht dabei, und sein Bericht über die Schlacht bietet kaum Details. Gorippus lastet die Niederlage in erster Linie der Feigheit eines gewissen Guntarith an, der desertiert sei und damit die gesamte Armee zur Flucht veranlasst habe. Solomon sei getötet worden, als sein Pferd in einer Schlucht den Halt verloren habe und er daraufhin umzingelt worden sei. Da Guntarith kurz darauf auch noch als Usurpator auftrat, eignete er sich wunderbar als Sündenbock. Trotzdem dürfte deutlich geworden sein, wie katastrophal die römische Niederlage war. Fast anderthalb Jahre, während derer man Konstantinopel Bericht erstattete, waren die Römer zu keiner kohärenten Reaktion in der Lage. Vor Ort wurden in dieser Zeit lediglich ein paar improvisierte Einzelmaßnahmen durchgeführt. Anfangs ging das Oberkommando in Nordafrika an Solomons Neffen Sergius, der mit seinem tödlichen Bankett die Revolte überhaupt erst ausgelöst hatte. Es heißt, der junge Sergius sei vergnügungssüchtig und ein Prahlhans gewesen – sicherlich wird es ihm kaum gelungen sein,
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sich die volle Kooperation des angeschlagenen Militärs zu sichern. Das entstandene Machtvakuum veranlasste alle, die irgendwie mit dem Regime unzufrieden waren, sich dem Aufstand anzuschließen – nicht zuletzt Jaudas und Stotzas aus dem fernen Mauretanien; Letzerer hatte die letzten paar Dutzend Vandalen hinter sich, die in Nordafrika überlebt hatten. Stotzas brachte den Römern eine weitere Niederlage bei, auch wenn er selbst dabei den Tod fand. Schließlich schickte Justinian den hochrangigen Ariobindos nach Karthago, der mit der Tochter seiner Schwester verheiratet war. Aber auch er konnte nicht allzu viel ausrichten, und Guntarith, einer der wenigen noch übrigen hochrangigen römischen Kommandanten, reagierte auf das Chaos, indem er selbst nach der Macht griff. Sein ursprünglicher Plan sah vor, Ariobindos solche Angst einzujagen, dass er freiwillig wieder aus Karthago verschwand. Als das nicht klappte, ließ Guntarith ihn ermorden und bot Antalas einen Deal an: Antalas sollte die Kontrolle über Byzacium mitsamt der dortigen 1500 Mann starken römischen Garnison erhalten, die übrigen Provinzen sollten Guntarith unterstehen. Doch Antalas traute dem Handel nicht, und nach 36 chaotischen Tagen wurde Guntarith seinerseits ermordet.17 Erst als in der zweiten Hälfte des Jahres 546 Johannes Troglita eintraf, erhielten die Römer wieder eine effektive Führung. Johannes war ein Veteran von Belisars Nordafrika-Expedition und hatte bis 540/541 als dux entweder von Byzacium oder von Tripolitanien gedient. Dann war er an die Ostfront versetzt worden, wo er am Ende dux von Mesopotamien gewesen war.18 Im Jahr 546 beorderte Justinian ihn zurück nach Afrika und beförderte ihn zum kommandierenden Feldherrn (magister militum). Noch vor Jahresende besiegte und tötete Johannes in Byzacium den Berberführer Jerna, wobei er von anderen Berbern unterstützt wurde, insbesondere von Kutzinas, dessen Machtzentrum weiter westlich in Numidien lag und der sicherlich nicht besonders erfreut war, als Jaudas in sein altes Revier zurückkehrte. Im folgenden Frühjahr rotteten sich die Berber von Tripolitanien wieder zusammen, diesmal unter der Führung des hoch angesehenen Häuptlings Carcasan. Gleich in der ersten Schlacht wurde Johannes besiegt. Gorippus bemüht die gleiche Ausrede dafür, dass sein Held unterlag, wie Prokop für Belisar in Kallinikos: Der Feldherr habe eigentlich gar nicht kämpfen wollen, der allzu große Enthusiasmus der Truppen habe ihn
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dazu gezwungen.19 Ob das eine und/oder das andere der Wahrheit entspricht, lässt sich nicht ermitteln. Klar ist aber, dass Carcasan und Antalas in der Zwischenzeit die Kontrolle über das ländliche Byzacium erlangt hatten. 548 setzte Johannes dann doch wieder auf Konfrontation und stellte sich auf den »Feldern des Cato« der gesamten Streitmacht von Carcasans Koalition. Johannes Troglita errang einen entscheidenden Sieg, Carcasan und 16 weitere Berberhäuptlinge starben in der Schlacht, und ihr Gefolge wurde stark dezimiert. Johannes’ Triumph beendete den Teufelskreis von Meutereien, Vandalenrevolten und Berberaufständen, der Nordafrika seit der Eroberung geprägt hatte.20 Es hatte kaum mehr als sechs Monate gedauert, das Königreich der Vandalen zu stürzen, doch beinahe fünfzehn Jahre, in der neuen nordafrikanischen Präfektur ein funktionierendes oströmisches Herrschaftssystem einzurichten.
Der Gote Totila Als Witichis im Mai 540 die Tore Ravennas öffnete, um Belisar einzulassen, ähnelte die Situation in Italien nur oberflächlich derjenigen in Nordafrika zur Zeit von Gelimers Kapitulation. In Nordafrika hatte eine Reihe blutiger Niederlagen den Vandalen die militärische Schlagkraft genommen, und die Berber hatten keinerlei Bereitschaft an den Tag gelegt, ihnen zu Hilfe zu kommen. Belisar war den Vandalen in militärischer Hinsicht haushoch überlegen, und die Folge war ein regelrechter Völkermord, in dessen letztem Kapitel fast alle Überlebenden deportiert wurden. Nur rund 1000 Vandalen (einschließlich der 400 Rückkehrer) waren in Nordafrika übrig, um sich den Aufständen anzuschließen, die auf Belisars Abreise folgten. Die Kapitulation von Witichis und den Goten Italiens hingegen war das Resultat eines veritablen Täuschungsmanövers. Belisar war klar, dass es ein langwieriges und kompliziertes Unterfangen sein würde, Ravenna einzunehmen, und dass sein Kaiser angesichts des erneuten Krieges mit Persien eine schnelle Lösung für den Italienfeldzug brauchte. Doch er selbst wollte mehr als die Teilung Italiens, die Justinian zu akzeptieren bereit war, und so ging er auf das Angebot ein, weströmischer Kaiser zu werden – allerdings, wie wir schon gesehen haben, nur zum Schein und als Mittel zum Zweck, um nämlich in Ravenna einzudringen.
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Damit hatte Belisar sein unmittelbares Problem zunächst einmal gelöst, doch er schuf zugleich ein viel größeres, wie Prokop an der Stelle anmerkt, wo er detailreich beschreibt, wie die gotischen Frauen ihre Männer anspucken, weil jene tatenlos zusehen, wie die oströmische Armee in die Stadt einmarschiert: Denn obwohl die Goten ihren Gegnern an Zahl und Macht weit überlegen waren und keine entscheidende Schlacht geschlagen hatten, seit sie in Ravenna eingedrungen waren, oder durch irgendeine andere Katastrophe gedemütigt worden waren, ließen sie sich von der schwächeren Armee unterwerfen und empfanden die Bezeichnung »Sklaven« nicht als Beleidigung.21
In strategischer Hinsicht hatte Belisar im Augenblick der Kapitulation des Königs nichts erreicht, was sich als Triumph über die militärischen Fähigkeiten der Goten deuten ließe. Einige Goten waren bereits nach Osten deportiert worden, wo sie gegen die Perser kämpfen sollten, aber nur eine geringe Anzahl von Garnisonstreitkräften hatte kapituliert. Ansonsten war nicht nur der Großteil von Witichis’ Armee, der in Ravenna saß, intakt (und eben zahlenmäßig weitaus größer als die römischen Truppen, die Belisar mit in die Stadt brachte), es waren auch noch weitere substanzielle gotische Streitkräfte unterwegs: Der Neffe des Königs, Urais, hatte Truppen in Ligurien zusammengezogen, die Garnisonen in den Cottischen Alpen stellten eine weitere bedeutende Streitmacht dar, und in Venetien, nordöstlich von Ravenna, befanden sich ebenfalls noch gotische Soldaten.22 Die Situation der Römer war extrem schwierig. Die Goten hatten einzig und allein kapituliert, weil sie glaubten, Belisar habe sich bereiterklärt, König von Italien und damit mutmaßlich auch weströmischer Kaiser zu werden. Es bestand die ganz reale Gefahr, dass Belisars Gegner, sobald sie erkannten, dass sie ausgetrickst worden waren, einen groß angelegten Konflikt vom Zaun brächen – also genau das Gegenteil dessen, was Justinian wollte. In der zweiten Jahreshälfte 540 tat der Feldherr, was in seiner Macht stand, um einen neuen Krieg zu verhindern. Als Erstes richtete er in diversen Städten und Festungen südlich des Po römische Garnisonen ein. Dadurch blieb nicht nur die Kontrolle über die ländlichen Gebiete bei den Römern, sondern Belisar war in der Lage, jene Teile von Witichis’ Armee in Ravenna, die aus eben jenen Regionen
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stammten, zu zerstreuen. Das entschärfte die Situation in Ravenna, wo die Zahl der Goten bald nicht mehr die seiner eigenen Soldaten übertraf. Zudem erreichten ihn laufend formelle Kapitulationen gotischer Gemeinden, vermutlich seitens solcher lokaler Anführer, wie Cassiodor sie in seinen Variae beschreibt.23 Um die Situation vollständig zu stabilisieren, musste Belisar aber auch noch ein Netz römischer Garnisonen nördlich des Po aufbauen, sowohl in Ligurien als auch in Venetien, doch dafür hatte er nicht in ausreichender Zahl Soldaten. Fürs Erste konnte er nur eine gewissermaßen symbolische Truppe nach Treviso schicken. Und da inzwischen der Perserkrieg wieder begonnen hatte (zur gleichen Zeit, als Belisars Männer durch die Tore von Ravenna marschierten, eroberte Chosrau Antiochia), waren aus Konstantinopel nicht nur keine neuen Truppen zu erwarten, sondern im Laufe der Monate wurden die Forderungen seitens des kaiserlichen Regimes immer lauter, dass der Feldherr mit einem Teil seiner Soldaten nach Hause zurückkehren solle. Im Dezember 540 hatte Belisar sein Möglichstes getan und konnte Justinians Anweisungen nicht länger ignorieren. Er belud seine Schiffe mit Witichis, einem Großteil des gotischen Königshofs und seinen eigenen bucellarii und verließ Ravenna mit Ziel Konstantinopel. Als die verbliebenen Goten aber erfuhren, dass er abgereist war, wurde ihnen klar, dass man sie betrogen hatte, und ihre schwelende Unzufriedenheit brach sich Bahn. In den venetischen Provinzen nordöstlich des Po, bei Treviso, besiegte Ildebad mit einer Streitmacht von 1000 Goten im Handumdrehen eine oströmische Armee unter Vitalis, die aus Herulern bestand; Einzelheiten liefert Prokop hier keine.24 Doch die strategische Position des römischen Militärs innerhalb Italiens hatte sich bereits in einem viel größeren Maße verschlechtert, als es diese eine Niederlage suggeriert. Zunächst einmal hatte Belisar seine bucellarii, vermutlich im Zuge von Justinians verzweifelter Bitte nach weiteren Truppen, mit nach Konstantinopel genommen. Laut Prokop zählten die bucellarii an die 7000 Mann, aber er sagt uns nicht, zu welchem Zeitpunkt sie diese Stärke hatten.25 Andererseits: Selbst wenn ihn auf dem Italienfeldzug nicht so viele begleiteten (und die Berichte weisen ziemlich eindeutig in diese Richtung) – sie stellten mit Sicherheit die Elite von Belisars Expeditionsstreitmacht dar. Sowohl in Afrika als auch in Italien war es eine relativ kleine Zahl an Elitekavalleristen, die auf dem Schlachtfeld die Entscheidung herbeiführte. Der Abzug von Belisars
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Gardisten veränderte das militärische Gleichgewicht daher sofort zugunsten der weitgehend unbesiegten Goten, die sich nun in großer Zahl in der mittel- und norditalischen Landschaft verstreut aufhielten. Zweitens sank die Moral der Römer nach Belisars Fortgang rapide. Wie damals im Falle von Nordafrika hatte Justinian auch nach der Eroberung Italiens sofort Verwaltungsbeamte entsandt, diesmal unter anderem einen Mann namens Alexander, der wegen seiner geradezu legendären Sparsamkeit den Beinamen Psalidion (»die Schere«) trug – eine Anspielung darauf, dass habgierige Leute wohl gerne das Edelmetall vom Münzenrand abschnitten. Sparsam war er vor allem, was das Militärbudget betraf, und sein zentrales Anliegen bestand darin, mit den Steuereinnahmen aus Italien Justinians Staatskasse wieder aufzufüllen. Schließlich hatte das Regime nicht nur die immensen Kosten für die Eroberung Italiens zu schultern, sondern es musste auch die erheblichen finanziellen Verluste ausgleichen, die das katastrophale erste Jahr des neuen Perserkriegs mit sich gebracht hatte, und der Notwendigkeit Rechnung tragen, im Osten den Militärapparat weiter auszubauen.26 Der Sold für die Überreste der Armee, mit der Belisar Italien erobert hatte und deren Angehörige inzwischen in kleinen Garnisonen über ganz Italien verstreut waren, hatte in seinen Augen offenbar keine allzu hohe Priorität. Die Wirkung auf Moral und Loyalität war ähnlich desaströs wie in Nordafrika. Das durch Witichis’ Verschleppung entstandene Machtvakuum musste schnellstens gefüllt werden, bevor ein Aufstand der Goten (dessen Entstehung sich bereits abzeichnete) die aktuelle Situation drehen würde. Es gab zwei naheliegende Thronanwärter: Urais, den Neffen des Ex-Königs, der vor Witichis’ Kapitulation Kommandant im Nordosten gewesen war, und Ildebad, der sich im Nordosten zum Rädelsführer des Widerstands aufgeschwungen hatte, nachdem er sich im Sommer 540 standhaft geweigert hatte, sich Belisar formell zu ergeben. Diese Weigerung war der Grund dafür, dass der Feldherr die Truppe von Herulern nach Treviso im Norden geschickt hatte. Anfangs teilten sich Urais und Ildebad die Macht, doch das erwies sich als keine gute Idee: Sie zerstritten sich, und Ildebad arrangierte Urais’ Ermordung – sehr zum Missfallen einer Gruppe einflussreicher Goten, die im Gegenzug Ildebad ermorden ließen. Wie Prokop berichtet, heuerten sie dazu einen Gepiden namens Velas an; dessen gotische Geliebte hatte Ildebad je-
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mand anderem zur Frau gegeben, als sich Velas gerade in einem römischen Gefangenenlager befand. Er schlug Ildebad beim Abendessen so schnell den Kopf ab, dass jener immer noch das Essen in der Hand gehalten haben soll, als sein Kopf auf dem Boden aufschlug. Die folgenden fünf Monate war Erarich, der Anführer der Rugier, König (die Rugier hatten sich früher in letzter Minute Theoderichs Italienexpedition angeschlossen). Erarichs offizielle politische Strategie war, die Verhandlungen mit Justinian wieder aufzunehmen und den Deal für eine Teilung Italiens aus der Zeit vor der Kapitulation von Witichis wieder aufs Tapet zu bringen. Laut Prokop war er insgeheim jedoch – wie zuvor Theodahad – bereit, sein ganzes Königreich aufzugeben, wenn er dafür einen luxuriösen Ruhestand in Konstantinopel genießen dürfte. Als unter den überlebenden Anführern der Goten der Verdacht aufkam, Erarich plane, sie zu verraten, wandten sie sich an Ildebads Neffen Totila. Dieser erklärte sich prinzipiell bereit, die Macht zu übernehmen, aber nur, wenn jemand anderes Erarich beseitigte. Erarich wurde ermordet, Totila wahrscheinlich Ende 541 zum König der Goten erklärt.27 Totila, der Neffe von Ildebad, entstammte einer jener führenden gotischen Adelsfamilien aus dem Umfeld von Theoderichs Amaler-Dynastie, die dieser hin und wieder auch einmal Kontra gegeben hatten. Er war verwandt mit Theudis, den Theoderich einst als Agenten nach Hispanien geschickt hatte; dort hatte Theudis in den alten hispanisch-römischen Geldadel eingeheiratet und war so reich genug geworden, um seinem König zu trotzen und im Jahr 526 über eine Abtrennung des westgotischen Königreichs von Theoderichs vereinigtem Gotenreich zu verhandeln. Nach Amalrichs Tod im Jahr 531 wurde er König der Westgoten. Aufgrund dieser Verbindung durften die Ostgoten hoffen, dass ein König Totila im Zweifelsfall Unterstützung seitens der Westgoten erhalten würde. Abgesehen davon war Totila eine beeindruckende Persönlichkeit, und er war durch und durch ein Krieger. Vor der Schlacht bei Busta Gallorum ritt er in seiner vergoldeten Rüstung zwischen den Fronten auf und ab, und die römischen Beobachter schauten gebannt zu: Er drehte sich auf seinem Pferd im Kreis und wandte sich dann wieder zur anderen Seite und ließ das Tier hier- und dorthin traben. Und während er ritt, schleuderte er seinen Speer in die Luft und fing ihn über dem Kopf wieder auf, dann ließ er ihn schnell von Hand zu Hand wandern, mit vollendeter
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Geschicklichkeit. Er stellte sein ganzes Können zur Schau, lehnte sich zurück bis auf die Schultern, spreizte die Beine und lehnte sich von einer Seite zur anderen, wie jemand, der von Kindheit an gelernt hat, mit höchster Präzision die Kunst des Tanzens auszuüben.28
Er wäre sicherlich ein hervorragender Polospieler gewesen. Vor allem aber war er energisch und hochintelligent, und er besaß den entscheidenden Vorteil, dass er bei einem breiten Querschnitt führender Goten extrem hoch angesehen war. Als im Frühjahr 542 die neue Feldzugsaison begann, sah alles danach aus, als sollte sein Ruhm nur noch mehr wachsen. Das oströmische Oberkommando in Italien hatte diese internen politischen Entwicklungen bei den Goten genau im Auge behalten. Die Römer wussten genau, dass Erarichs Ermordung bedeutete, dass nun wieder jene an der Macht waren, die lieber kämpfen wollten, statt zu verhandeln. Um diese Entwicklung im Keim zu ersticken, mobilisierte die römische Militärführung eine Expeditionstruppe von 12 000 Mann, die von Ravenna nach Verona vorrückte, wo ein örtlicher Sympathisant eine Vorhut in die Stadt einließ, die das südliche Stadttor sicherte und öffnete. Die kleine gotische Garnison floh zunächst aus der Stadt, stellte dann aber fest, dass der Hauptteil der römischen Armee Verona gar nicht betreten, sondern in einiger Entfernung halt gemacht hatte. Laut Prokop waren die elf römischen Kommandanten damit beschäftigt, sich darüber zu streiten, wie sie die Beute, die ihnen winkte, aufteilen sollten (möglicherweise spiegelt das die Situation, dass wieder einmal der Sold ausblieb). Die Goten kehrten zurück und verriegelten das Stadttor wieder. Am Ende mussten die römischen Soldaten der Vorhut von der Mauer springen. Die Römer gaben Verona auf und zogen sich nach Faenza zurück, wo sie südlich des Senio ihr Lager aufschlugen. Totila stellte ihnen mit allen Soldaten, die er auf die Schnelle auftreiben konnte, nach. Es waren 5000 Mann. Er überquerte den Fluss und stellte sich zum Kampf, hatte aber ein veritables Ass im Ärmel: Totila hatte 300 Kavalleristen angefordert, die einen längeren Weg hatten zurücklegen müssen, nun aber den Römern in den Rücken fielen. Die Römer erlitten eine schwere Niederlage mit vielen Toten und Gefangenen, und sie verloren fast aller ihre Standarten.
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Abb. 14 Totila, der Rädelsführer des Aufstands der Goten, der die Eroberung Italiens um anderthalb Jahrzehnte hinauszögerte.
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Was die [elf] Kommandanten anbelangte, so floh jeder von ihnen, so gut er es mit nur wenigen Soldaten vermochte, und brachte sich in der Stadt, die er erreichen konnte, in Sicherheit.29
Kurze Zeit später erlitten die Römer außerhalb von Florenz eine ähnliche Niederlage. Totilas Armee hatte Florenz belagert, und um die Stadt zu befreien, war eine weitere große römische Armee angerückt. In der folgenden Schlacht kam das Gerücht auf, der römische Befehlshaber (Belisars alter Erzfeind Johannes, der Neffe von Vitalian) sei getötet worden, und dieses Gerücht reichte aus, um die römische Armee dermaßen in Panik zu versetzen, dass sie geschlossen die Flucht ergriff. Anschließend zerfiel sie erneut in viele kleinere Einheiten und verschwand mit ihren jeweiligen Befehlshabern in einer Reihe befestigter Lager.30 Damit hatte Totila gleich zu Beginn zwei Feldarmeen von der Art, wie sie die Römer inzwischen gerade noch zu versammeln in der Lage waren, eine erhebliche Niederlage beigebracht und damit ein Muster etabliert, das den Konflikt für den Rest des Jahrzehnts prägen sollte. Totilas frühe Siege änderten komplett die strategische Lage, die in Italien geherrscht hatte, seit es Belisar mit seiner Kavallerie gelungen war, die gotische Belagerung Roms aufzubrechen. Zu diesem Zeitpunkt kontrollierte Witichis noch viele Tausende mobilisierter gotischer Krieger, musste aber angesichts der mobilen Schlagkraft der römischen Elitetruppen so viele von ihnen auf die einzelnen Garnisonen verteilen, dass er die militärische Initiative weitgehend einbüßte und fast nur noch auf die militärischen Entscheidungen reagieren konnte, die Belisar traf. Nach der Niederlage und Zerstreuung der letzten kampfbereiten römischen Feldeinheiten, die 542 auf der Halbinsel verfügbar waren, konnte Totila nun aber so viele offensive Operationen durchführen, wie er wollte. Und er bekam viele neue Rekruten: Die zwei Siege gegen die Römer – die ersten Siege gotischer Armeen seit Beginn des Krieges im Jahr 536 – hatten der Moral der Goten einen Höhenflug beschert. Um diese neue Handlungsfreiheit voll ausnutzen zu können, entwickelte Totila eine neue Strategie, die mehrere miteinander verbundene Handlungsfelder einbezog. Zunächst wurde schrittweise immer mehr Druck auf die isolierten römischen Garnisonen ausgeübt, die über die italische Landschaft südlich des Po verstreut waren. Die an der Küste konnten mitunter vom Meer aus versorgt werden, aber Garnisonen im
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Inland mussten sich vom umliegenden Ackerland ernähren und würden im Falle einer Belagerung echte Probleme bekommen.31 In solchen Fällen bot Totila den Römern stets großzügige Kapitulationsbedingungen an: Einigen Garnisonen gestattete er, ein Datum festzulegen, an dem sie kapitulieren würden, falls sie in der Zwischenzeit nicht weiter versorgt würden. Da Totila noch mehr Soldaten brauchte, bot er den kapitulierenden Garnisonen und den Kriegsgefangenen aus den ersten zwei errungenen Siegen an, ab sofort für die Goten zu kämpfen, zu den gleichen Bedingungen wie seine gotischen Soldaten. Viele Römer nahmen dieses Angebot an, und denen, die dies nicht taten, gewährte Totila die sichere Heimreise; manche versorgte er sogar mit der nötigen Marschverpflegung.32 Gleichzeitig – seine zwei strategischen Schwerpunkte überschnitten sich – wollte Totila noch größere Teile Italiens unter seine administrative Kontrolle bringen, um mit den Steuereinnahmen seine Kriegsmaschinerie zu finanzieren. Das bedeutete natürlich, dass er die großen römischen Stützpunkte und Garnisonstreitkräfte eliminieren musste, die ihm dabei im Weg waren. Im Anschluss an seine ersten beiden Siege im Jahr 542 eroberte Totila rasch die Festungen von Caesena, Urbinus, Mons Feretris und Petra Pertusa, und anschließend überquerte er den Tiber und wandte sich nach Kampanien und Samnium, wo er Benevent eroberte und Neapel belagerte. Zur gleichen Zeit erstürmten andere gotische Einheiten Cumae und die verbliebenen römischen Festungen in Kampanien und ganz Süditalien (Lucania, Bruttium, Apulien und Kalabrien). In Neapel verfolgte Totila zwei Ziele: ganz allgemein Süditalien zu sichern und die Kontrolle über einen wichtigen Marinestützpunkt zu übernehmen, von dem aus er die maritime Versorgungsroute von Sizilien nach Rom unterbrechen konnte. Die Garnison der Stadt bestand aus 1000 Thrakern und Isaurern, und deren Vorräte gingen schnell zur Neige. Die Römer organisierten zwei Hilfsflotten, doch die erste, die vor allem mit Getreide aus Sizilien beladen war, lief in einem Sturm auf Grund, und ein Großteil der Ladung fiel den Goten in die Hände. Die zweite, die mit Versorgungsgütern und zusätzlichen Truppen aus dem Osten kam, erreichte nach beträchtlichen Verzögerungen die italische Küste, fuhr aber nur bis Rom. Dort blieb sie, bis Demetrios, der Statthalter von Neapel, auf eigene Faust nach Rom reiste und den Kommandanten der Flotte überredete, doch noch nach Neapel weiterzufahren. Leider
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wurde die Flotte dort aber von den gotischen Belagerern überfallen, die die Stadt streng bewachten. Für den wagemutigen Demetrios war dies besonders bedauerlich. Er hatte Totila von den Mauern Neapels aus recht freimütig beschimpft, und nun revanchierte sich der König dafür, indem er ihm die Hände und die Zunge abschneiden ließ – ehe er ihn vor die Tür setzte. Hinter den Mauern wurde schnell die Nahrung knapp, und da keine Verbesserung der Lage in Sicht war, ergab sich die Garnison im Frühjahr 543. Alle Soldaten, die nach Rom gehen wollten, ließ Totila ziehen und gab ihnen Proviant aus seinen eigenen Lagern mit. Anschließend ließ er die Stadtmauern von Neapel niederreißen, damit man die Stadt nie wieder gegen ihn verwenden konnte. Den Rest des Jahres 543 brachten die Goten damit zu, für ihren König den Süden Italiens zu sichern. Sie belagerten die wenigen verbliebenen römischen Garnisonen wie die von Hydruntum (das heutige Otranto), sodass schließlich auch Rom selbst immer mehr unter Druck geriet. Während eine große gotische Streitmacht auf dem Marsch in Richtung Rom das nahe gelegene Tibur (das heutige Tivoli) belagerte, schickte Totila dem Senat mehrere Botschaften und bat ihn um Unterstützung für eine friedliche Wiederherstellung der gotischen Herrschaft. Der Senat wies dieses Ansinnen zurück und warf als Reaktion alle arianischen Kleriker aus der Stadt, aus Angst, sie könnten im Untergrund die Vorbereitungen für eine Eroberung durch die Goten treffen.33 Als die Kunde von diesen vielen Niederlagen Konstantinopel erreichte, beschloss Justinian, Belisar Ende 543 nach Italien zurückzuschicken. Doch obwohl die zunächst so heftigen Übergriffe der Perser ein wenig nachgelassen hatten, erlaubte er Belisar nicht, seine bucellarii mitzunehmen. Gemeinsam stellten Kaiser und Feldherr immerhin ein 4000 Mann starkes Heer auf die Beine, das Belisar zum Teil sogar aus eigener Tasche bezahlte. Doch es war ein Tropfen auf den heißen Stein – die Soldaten waren weder zahlreich genug noch hinreichend gut ausgebildet, um Totila die Kontrolle über Italien noch entreißen zu können. Belisar konnte wenig mehr tun, als im folgenden Jahr nach und nach bedrohte Stellungen der Römer mit seinen Soldaten zu verstärken. 1000 Mann schickte er zunächst nach Auximum am Ende der Via Flaminia, zog sie aber schnell wieder ab, da sie dort wenig mehr tun konnten, als die ohnehin schon begrenzten Vorräte der Garnison aufzubrauchen. Er sandte weitere 500 Mann nach Portus, kam mit ihnen aber nicht nach
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Rom hinein, da der dortige Kommandant Bessas nicht bereit war, einen Ausfall zu riskieren, um die Goten abzulenken. Immerhin gelang es Belisar, Truppen in Hydruntum einzuschleusen, das sehr gut über den Seeweg zugänglich war, aber der anschließende Versuch, Bologna zurückzuerobern, erwies sich als erfolglos, als ein unterbezahltes Kontingent illyrischer Soldaten kurzerhand die Sachen packte und verschwand, als sie von heftigen Übergriffen auf ihre Heimatländer auf dem Balkan erfuhren (siehe Kapitel 10). Für Belisar war das alles zutiefst frustrierend. 544 und im Jahr darauf bat er Justinian immer wieder, ihm seine Gardisten zu schicken, die nach wie vor an der Ostfront im Einsatz waren.34 Doch der Kaiser wollte auf keinen Fall riskieren, dass sich dort die Katastrophe von 540 wiederholte, und so blieben die bucellarii, wo sie waren. Infolgedessen hatten die Römer Totila auch weiterhin nichts entgegenzusetzen, und die gotischen Streitkräfte bauten ihre Kontrolle über die Via Flaminia weiter aus. Ende 545 waren Firmum, Asculum, Assisi, Clusium, Spoleto und Auximum in gotischer Hand. Bis auf Auximum waren all diese Städte ausgehungert worden, und viele der dortigen Garnisonen liefen zu Totila über. Nur Perugia hielt noch durch. Auch Tibur war zu diesem Zeitpunkt bereits gefallen, und die Patrouillenschiffe, die Totila in Neapel und auf den Äolischen Inseln stationiert hatte, hatten mindestens eine große Flotte abgefangen, die Getreide von Sizilien nach Rom bringen sollte.35 Ende des Jahres 545 war Totila somit bereit für eine neue Belagerung der Stadt Rom. Prokop schrieb sein Geschichtswerk inzwischen in Konstantinopel weiter und konnte folglich nicht über die Zinnen der Stadtmauer auf Horden gotischer Belagerer hinabschauen. Dennoch ist sein Bericht über die zweite Belagerung Roms nicht nur stringent geschrieben, sondern er enthält auch ein paar sehr lebendige Szenen. Die Ausgangssituation war simpel: In Rom saß eine recht große Garnison von über 3000 Mann, aber die Goten hatten Tibur nun schon seit über einem Jahr in ihrem Besitz, und im Verbund mit den Patrouillen auf See, die von Neapel aus starteten, hatten sie die meisten Versuche, die Stadt zu versorgen, vereiteln können, sodass in Rom die Vorräte knapp wurden. Das Militär hatte zu Beginn der Belagerung zwar noch jede Menge Nahrung in seinen Lagerhäusern, und eine Zeit lang machten die Soldaten mit ihren Vorräten gute Geschäfte auf dem Schwarzmarkt (allen voran Kommandant
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Bessas, so Prokop), doch nach und nach leerten sich auch die Lagerhäuser des Militärs. Die Soldaten warfen die meisten Zivilisten aus der Stadt, aber am Ende mussten auch sie hungern.36 Doch außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, und Belisar hatte einen Plan. Eine Getreideflotte aus Sizilien hatte es bis nach Portus geschafft, wo der Feldherr stationiert war. Das Problem war: Wie konnte man das Getreide die letzten 25 Kilometer den Tiber hinauf bis nach Rom transportieren? Belisar ließ 200 Lastkähne beladen und mit Schießscharten für seine Bogenschützen ausstatten. Entlang des Flusses warteten nicht nur diverse gotische Wachposten auf sie, sondern auch eine große Eisenkette, die über den Fluss gelegt worden war, und vor allem eine befestigte Brücke mit Türmen, von denen aus gotische Bogenschützen jedes Boot unter Beschuss nehmen würden, das sich der Brücke näherte. Um dieses Hindernis zu überwinden, ließ Belisar zwei Boote zusammenschmieden und auf Deck einen Turm errichten, der höher war als die Türme an der Brücke. Außerdem ließ er ein weiteres kleines Boot mit leicht entflammbarem Material beladen. Seine größte Sorge war, dass die Goten die Abreise dieser Armada nutzen würden, um Portus zu überfallen und den Römern so nicht nur das letzte Bollwerk zu entreißen, das sie in der Region noch besaßen (abgesehen von Rom natürlich), sondern auch ihre letzte so lebenswichtige Verbindung zum Meer. Das wäre die größte denkbare Katastrophe. Als die Operation begann, lief zunächst alles nach Plan. Die Flotte und die Soldaten, die die Schiffe an beiden Ufern begleiteten, kämpften sich stromaufwärts voran, vertrieben die gotischen Wachposten, und es gelang ihnen, die schwere Kette aus dem Fluss zu ziehen. Mithilfe des kleinen Bootes mit dem brennbaren Material setzten sie sogar die befestigte Brücke in Brand – in der Feuersbrunst kamen 200 Goten ums Leben. Doch dann schien die befürchtete Katastrophe einzutreten: Belisar erreichten Berichte, sein Leutnant Isaak, den er als Kommandant von Portus zurückgelassen hatte, sei besiegt worden. Da er annehmen musste, dass die Goten ihn, wie befürchtet, von seiner Basis abschneiden würden, ließ Belisar seine gesamte Armada umdrehen und fuhr flussabwärts zurück nach Portus. Dabei war alles halb so schlimm: Isaak war zwar besiegt worden, aber nur bei einem kleinen, nicht autorisierten Ausfall. Portus an sich war intakt und nach wie vor in römischer Hand.
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Doch nun war das gesamte gotische Heer mobilisiert – und die Hilfsaktion ließ sich nicht noch einmal durchführen.37 Die Chance war vertan, keine weiteren Vorräte gelangten nach Rom, und die Moral der dortigen Garnison sank rapide. Totila indes machte sich daran, eine kleine Gruppe von Isaurern, die die Porta Asinaria bewachten, auf seine Seite zu ziehen. Am 17. Dezember 546 war es so weit: Die Isaurer öffneten das Tor und ließen die Goten in die Stadt. Der größte Teil der Garnison verließ Rom durch das gegenüberliegende Tor, und es gab kaum Kämpfe. 26 Soldaten und 60 Zivilisten verloren ihr Leben, doch von Letzteren befanden sich ohnehin nur noch 500 in der Stadt.38 Nachdem Totila Rom eingenommen hatte, traf er eine folgenschwere Entscheidung: Er beschloss, die Stadt nicht zu besetzen, sondern ließ lediglich rund ein Drittel der Stadtmauer einreißen und zerstörte die Tore, damit sich dort in Zukunft niemand mehr würde verschanzen können. Er konnte schlichtweg nicht so viele Soldaten erübrigen, wie nötig gewesen wären, um Rom zu halten. So erfolgreich Totila war, er wusste genau, dass sich das Blatt auch wieder wenden konnte. Bereits während der Belagerung Roms hatte er seine venetischen Provinzen dem Frankenkönig Theudebert überlassen, um die dortigen gotischen Soldaten nach Süden verlegen zu können. Nachdem Rom gefallen war, schickte er eine Gesandtschaft nach Konstantinopel, um Friedensverhandlungen aufzunehmen.39 Totila schätzte seine Position ganz realistisch ein: Wie lange seine erstaunliche Erfolgsserie noch weiterging, hing weitgehend davon ab, was im Osten geschah. In Italien hielten sich noch immer viele Tausend oströmische Truppen auf, und falls Justinian ihnen irgendwann doch noch eine schlagkräftige Feldarmee zur Verstärkung schickte, so konnte das empfindliche militärische Gleichgewicht genauso schnell wieder kippen wie damals im Frühjahr 538. Für Totila war der Fall Roms weniger die Ouvertüre zu einem totalen Sieg über Italien als vielmehr ein Mittel zum Zweck: um Justinian an den Verhandlungstisch zu zwingen. Belisars Reaktion bescherte den Römern die besten Momente ihres zweiten Einsatzes in Italien: Im April 547 besetzten seine Truppen Rom, und in den folgenden 25 Tagen reparierten sie die Stadtmauer. Als Totila davon erfuhr, eilte er sofort mit seinen Truppen nach Süden. Die Mauern Roms waren bereits bemannt, nur die Stadttore standen noch
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nicht wieder. Es folgte eine Reihe schwerer Kämpfe mit Belisars Soldaten bzw. gegen die in den Militärhandbüchern empfohlenen munitiones, mit denen die Römer die gotische Kavallerie von den Toröffnungen fernzuhalten versuchten. Als dann Verstärkung eingetroffen war, war Rom endlich wieder (ost)römisch. Abgesehen von einigen Soldaten, die beim Versuch, sich in die Stadt hineinzukämpfen, den Tod gefunden hatten, hatte Totila vor allem an Prestige eingebüßt – rein strategisch gesehen war Rom nicht besonders bedeutend. Dennoch wurde ihm sein Unvermögen, Rom zu halten, vorgehalten, auch viel später noch: als er versuchte, mittels Heirat eine Allianz mit den Franken zu schmieden. Nachdem er eingesehen hatte, dass er Rom endgültig verloren hatte, widmete sich Totila für den Rest des Jahres relativ kleinen Militäroperationen. Er ließ Tibur wieder befestigen, um sich gegen mögliche Offensiven seitens der neuen Garnison in Rom wehren zu können, und er ließ zahlreiche Senatoren festnehmen und nach Kampanien eskortieren. Belisar indes bat Justinian immer wieder aufs Neue um weitere Truppen.40 Im Dezember erhielt Belisar endlich die Nachricht, dass Truppen aus Ostrom auf dem Weg zu ihm waren – es war die erste nennenswerte Verstärkung in vier Jahren, bestehend aus über 2000 Mann, darunter 1000 bucellarii von Valerian, dem Oberbefehlshaber von Armenien. Gemeinsam mit 900 seiner besten Soldaten wollte Belisar nach Tarent segeln, um die neuen Truppen in Empfang zu nehmen, doch widrige Winde verschlugen ihn nach Crotone – dort erwarteten ihn 3000 gotische Kavalleristen und vernichteten einen Teil seiner Einheit. Doch auch wenn es in Lasika zu diesem Zeitpunkt noch heftige Gefechte gab, war Justinian zunehmend davon überzeugt, dass der derzeitige Waffenstillstand in Mesopotamien Bestand haben würde, sodass er weitere Truppen als Verstärkung für Italien freisetzen konnte. Zu Beginn des Jahres 548 trafen zusätzlich zu Valerians Armee 2000 Infanteristen in Sizilien ein. Dennoch waren immer noch nicht in ausreichender Zahl oströmische Soldaten für eine Feldarmee vorhanden, die den Krieg würde gewinnen können, sodass Belisar weiterhin beim Kaiser Druck machte; im Sommer schickte er sogar seine Frau Antonina nach Konstantinopel, die ihre alte Freundin, Kaiserin Theodora, entsprechend beeinflussen sollte. So ermutigend es auch war, dass nun wieder Verstärkung aus Konstantinopel kam: Die neuen Truppen reichten im Grunde nur aus, um kleinere »Feuer« zu löschen, die Totila hier und da anfachte.
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Abb. 15 Die Porta San Paolo, eines der südlichen Stadttore der Aurelianischen Mauer in Rom. Isaurische Soldaten, bei denen der Sold ausblieb, öffneten sie im Jahr 549, um Totila einzulassen.
Im Jahr 548 mussten vor allem die Garnison in Rom verstärkt und die bedrängte Garnison der Hafenstadt Rusciane entlastet werden. Doch auch dort schlugen Belisars Bemühungen fehl. Seine Flotte geriet zuerst in einen Sturm und wurde anschließend von den Goten an der Landung gehindert. Am Ende des Jahres war die Verstärkung immer noch nicht eingetroffen, und so musste die Garnison kapitulieren. Belisar wurde, anscheinend auf eigenen Wunsch, nach Konstantinopel zurückbeordert. Als er im Winter 548/549 Italien verließ, kapitulierte Perugia, die letzte römische Bastion an der Via Flaminia.41 Doch es sollte noch schlimmer kommen. Im Sommer 549 kehrte Totila nach Rom zurück. Die Franken hatten inzwischen die venetischen Provinzen in Besitz genommen, und die zuvor dort stationierten Garnisonen verstärkten das gotische Heer. Dieses Mal nahmen die Goten umgehend Portus ein, sodass Rom nicht mehr vom Meer aus versorgt werden konnte. In Rom lebten aber inzwischen so wenige Menschen, dass sich die Garnison von dem Getreide ernähren konnte, das innerhalb der Mauern angebaut wurde. Am Ende waren es wieder die isauri-
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schen Soldaten der Garnison, die sich als unzuverlässig erwiesen: Sie ließen Totila am 16. Januar 550 in die Stadt, diesmal durch die Porta San Paolo (siehe Abb. 15). Einige der besiegten oströmischen Soldaten, bei denen wieder einmal der Sold ausgeblieben war, wechselten die Seiten. Das Gleiche geschah offenbar in Tarent und Rimini, wo die Garnisonen kurz nach dem Niedergang Roms (und vielleicht auch deswegen) ebenfalls kapitulierten. Daneben baute der gotische König mithilfe gekaperter oströmischer Schiffe seine Kriegsflotte aus. Während sich die Belagerung Roms über den Sommer und Herbst 549 hinzog, war bereits eine große gotische Kampfflotte unterwegs, die unter dem Oberbefehl des oströmischen Deserteurs Indulf die Küste des römischen Dalmatien plünderte. Nach dem neuerlichen Fall Roms erhielt die Flotte neue Anweisungen: Sie brachte massenhaft gotische Truppen nach Sizilien, und diese sorgten dort für eine dramatische Eskalation des Krieges, indem sie den Großteil des Jahres 550 über ungehindert die dortigen Gemeinden überfielen und reiche Beute machten.42 Totila war auf dem Höhepunkt seines Erfolges, doch auch wenn er viel erfolgreicher war als Witichis, so war ihm doch stets bewusst, dass ein umfassender Sieg mit rein militärischen Mitteln nicht zu erreichen war. Unmittelbar nach seiner zweiten Eroberung von Rom schickte Totila deshalb zum dritten Mal eine Gesandtschaft zu Justinian und bot ihm an, Dalmatien und Sizilien in Ruhe zu lassen, dem Kaiser einen jährlichen Tribut zu zahlen und Konstantinopel militärisch zu unterstützen.43 Totila wusste genau, dass er Justinian niemals würde überreden können, den Krieg zu beenden, wenn dieser dabei nicht so viel gewinnen würde, dass er sein Gesicht wahren konnte; und ein Ende des Krieges war für die Goten von allergrößtem Interesse. Zwar war der erneute Strom zusätzlicher oströmischer Truppen auf die Halbinsel ab 548 nicht allzu umfangreich, aber offenbar sah sich Totila einmal mehr an die grundlegenden strategischen Realitäten erinnert, zumal er sich bereits einer weiteren, weitaus unheilvolleren Entwicklung bewusst war. Als sich im Frühjahr 550 in Konstantinopel die Kunde verbreitete, dass der Krieg Sizilien erreicht hatte, reagierte Justinian mit zwei Sofortmaßnahmen. Einerseits ließ er eine Flotte zusammenstellen, die mit einem Entsatzheer an Bord nach Sizilien fahren sollte; allerdings war sie angesichts der üblichen Geschwindigkeit der Informationswege und der
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Logistik im Altertum erst Ende des Jahres abfahrbereit. Andererseits – und das war viel wichtiger – beauftragte Justinian seinen Cousin Germanus, einen weiteren Neffen von Kaiser Justin, damit, eine noch weitaus größere Expeditionstruppe zu mobilisieren. Diese Personalie war für die folgenden Ereignisse von entscheidender Bedeutung, schließlich war es Germanus gewesen, dem es 537 in Nordafrika gelungen war, Stotzas’ Meuterei zu beenden. Justinian konnte momentan immer noch nicht allzu viele Truppen erübrigen, aber er gab Germanus eine Menge Geld mit, und dieser wusste, wie damals in Afrika, es effektiv einzusetzen. Germanus schlug sein Lager in der dalmatinischen Küstenstadt Salona auf und hob dort eine Armee aus. Zunächst rekrutierte er nur einige Legionäre und 1000 langobardische Söldner, bald aber strömten ihm die Rekruten nur so zu. Prokop behauptet, Justinian habe sich vor der Ernennung von Germanus – sprich: die gesamten 540er-Jahre hindurch – im Grunde gar nicht dafür interessiert, was in Italien vor sich ging. Diese Einschätzung ist aber nicht ganz fair. Es war mitnichten mangelndes Interesse, das den Kaiser daran hinderte, auf Totilas Drängen zu reagieren – sondern der Krieg mit den Persern. Erst als sich die Situation im Osten langsam entspannte, konnte er zusätzliche Mittel für Italien bereitstellen. Im Jahr 550 verhandelte man bereits über eine Verlängerung des Waffenstillstands in Mesopotamien, und den Persern war klar geworden, wie teuer sie eine Fortsetzung des Krieges in Lasika zu stehen kam. Chosrau konnte sich nicht so lange im Lichi-Gebirge aufhalten, wie er wollte. Eine Wiederaufnahme groß angelegter Feldzüge in Syrien war damit vom Tisch, und so konnte sich der Kaiser endlich mehr um Italien kümmern. Wie Prokop berichtet, machte die Ernennung von Germanus unter jenen römischen Einheiten in Italien, die zu den Goten übergelaufen waren und aus Mangel an Sold und Vorräten ihre Stützpunkte aufgegeben hatten, schnell die Runde. Wie damals bei den Meuterern in Afrika ließ Germanus die Soldaten wissen, dass alle, die erneut die Seiten wechselten, ihren vollen Sold erhalten würden und keine Repressalien zu erwarten hätten. Diverse Einheiten reagierten darauf positiv, und wenn die oströmischen Soldaten in Italien von diesem Angebot wussten, dürfen wir davon ausgehen, dass auch Totila darüber im Bilde war, was sich in Salona abspielte. Dieser Umstand erklärt, warum der König selbst auf dem Höhepunkt seines militärischen Erfolgs alles daran setzte, eine friedliche Einigung zu erreichen.44
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Doch Justinian wies auch dann noch alle diplomatischen Annäherungsversuche der Goten zurück, als sich die Ereignisse nicht wie geplant entwickelten. Germanus starb noch vor Jahresende in Salona. Nach einigem Hin und Her übertrug Justinian im April 551 dem Eunuchen Narses, der lange Zeit ein enger Vertrauter des Kaisers und seiner (inzwischen verstorbenen) Frau gewesen war, den Oberbefehl über die Expedition. Eben jener Narses war es gewesen, der auf dem Höhepunkt des Nika-Aufstands in das Hippodrom gegangen war, um die Blauen zu bestechen. In puncto Tapferkeit war er also über jeden Zweifel erhaben. Und während Germanus nur Geld erhalten hatte, bekam Narses Geld und Soldaten an die Hand. Nachdem Bessas im Jahr 551 endlich die persische Festung Petra in Lasika erobert hatte, konnten die Perser im Kaukasus nur noch geringe taktische Gewinne erzielen. Diese Entwicklung ermutigte Justinian, endlich wieder große Truppenverbände nach Italien zu entsenden. Narses erhielt oströmische Legionäre aus der thrakischen und der illyrischen Feldarmee und der Praesentalis-Armee sowie eine enorme Streitmacht von 5500 langobardischen Söldnern und weiteren 3000 herulischen foederati. Angesichts dieser Entwicklung beschloss Totila, den Einsatz zu erhöhen. Im Jahr 551 überfiel seine Flotte, die inzwischen aus 300 Schiffen bestand, zunächst Korfu und die Sybota-Inseln und anschließend die Küstenstädte Nikopolis und Anchialos auf dem Balkan. In Italien konzentrierte er sich in jenem Jahr darauf, den oströmischen Stützpunkt in Ancona zu belagern, allerdings ohne Erfolg. Und als die Goten versuchten, mit 47 Schiffen eine Flotte römischer Kriegsschiffe abzufangen, wurden 36 von ihnen mitsamt Besatzung zerstört. Laut Prokop hatte Totila seine Schiffe mit einer großen Anzahl seiner Elitekrieger bestückt – der Vorfalls wirkte sich verheerend auf die Moral der Goten aus.45 Doch damit nicht genug: Auf der Adria herrschte stets reger Schiffsverkehr, und genauso schnell, wie die Goten in Italien von der Ernennung des Germanus unterrichtet worden waren, werden sie von dem gewaltigen Militärapparat erfahren haben, den Narses versammelte. Da Justinian überhaupt nicht willens war, zu verhandeln, blieb Totila nichts anderes übrig, als zu kämpfen so gut er konnte. Narses’ Marsch auf Italien begann wahrscheinlich im April 552. Unterwegs musste er feststellen, dass die fränkischen Verbündeten der Goten, die inzwischen Venetien besetzt hatten, ihm nicht gestatteten, mit
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seiner Armee zu passieren. Und Totilas zuverlässiger Kommandant Teja hatte die Hauptstraßen nach Italien blockieren lassen und stand bereit, um die römische Armee aus dem Hinterhalt zu überfallen. Da die Römer aber seit der Niederlage der Goten vor Ancona wieder die Seeherrschaft innehatten, waren sie in der Lage, beide Hindernisse zu umgehen: Begleitet von der Flotte konnte die Armee die Adriaküste entlang bis nach Ravenna marschieren – an jeder der zahlreichen Flussmündungen bildeten die Schiffe Pontonbrücken. Es dauerte zwar eine Weile, aber am 6. Juni traf Narses schließlich in Ravenna ein, und nach einer neuntägigen Pause setzte er seinen Vormarsch fort. Zum ersten Aufeinandertreffen der Kontrahenten bei diesem Feldzug kam es auf der Brücke von Rimini, die die Goten zuvor teilweise eingerissen hatten, damit nicht so viele feindliche Soldaten gleichzeitig sie überqueren konnten. Das funktionierte auch eine Zeit lang, aber als sie den Kommandanten der Garnison getötet hatten, kämpften sich Narses Soldaten schließlich doch den Weg in die Stadt frei.46 Totila hatte derweil seine Truppen mobilisiert und rückte nach Tadinum an der Via Flaminia vor. Weil die Goten jetzt Petra am nördlichen Ende der Straße besetzt hielten, nahm Narses die Küstenstraße weiter südlich und bog dann nach Westen in die Berge ab. Im Apennin in der Nähe von Busta Gallorum schlug er sein Lager auf, etwa 20 Kilometer von den Goten entfernt. Am folgenden Tag standen sich beide Armeen gegenüber, und die Schlacht konnte beginnen – allerdings nicht sofort. Zuerst demonstrierte Totila seine eindrucksvollen Reitkünste. Er spielte auf Zeit, denn eine letzte Abteilung von 2000 Goten war noch auf dem Weg. Dann verabschiedeten sich die Goten in die Mittagspause (Narses’ Männer aßen derweil in Formation), aber schließlich war alles bereit. Bei den Römern bildeten die Heruler, die von ihren Pferden abgestiegen waren, und die Langobarden das Zentrum, und die Kavalleristen nahmen auf beiden Flanken im Halbkreis Aufstellung, mit je 4000 Bogenschützen davor. Der entscheidende Moment der Schlacht war ein Frontalangriff der gotischen Kavallerie, der Elite von Totilas Armee. Der gesamten gotischen Armee war befohlen worden, in dieser Schlacht weder Bogen noch andere Waffen zu benutzen, sondern ausschließlich ihre Speere.
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Paris
KÖNIGREICH DER FRANKEN
ATLANTIK
LONGOBAR
Ravenna DALMATIEN
KÖNIGREICH DER SUEBEN
Marseille KORSIKA
KÖNIGREICH DER WESTGOTEN Cordoba
Genf
Toledo
SARDINIEN
Valencia
EN BALEAR
Karthago
PRÄFEKTUR VON AFRIKA MAURETANIER
MAUREN
Rom
PRÄFEKTUR VON ITALIEN Messina SIZILIEN
Syrakus
M i t t e l m
Tripolis
O
Justinians Reich zu Beginn seiner Herrschaft (527 n. Chr.) Justinians Eroberungen
Karte 6 Die Eroberungen Justinians.
0 km
400
Der Gote Totila | 293
AWAREN
HERULER RDEN GEPIDEN
ANTEN
AWAREN
BULGAREN
ALANEN AWAREN
SLAWEN THRAKIEN MAKEDONIEN Thessaloniki
PRÄFEKTUR VON ILLYRIEN
Schwarzes M eer
Sinope
Athen KRETA
m e e r
Kyrene
Trapezunt
Konstantinopel
ISAUREN
PE NEU RS E RE ISC S IC HE H S
ZYPERN
PRÄFEKTUR DES OSTENS Tyros Alexandria
LASIKA IBERIEN ARMENIEN
Ktesiphon Babylon
Jerusalem
GHASSANIDEN
ÄGYPTEN
LACHMIDEN
Ro te
ARABER
s
M ee
r
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Der Gedanke dahinter war vermutlich, dass die Goten sich so schneller der römischen Schlachtreihe würden nähern können, um sie auf einen Schlag zu durchbrechen. Doch das Ergebnis war katastrophal: Als sie gegen das Zentrum des Feindes vorrückten, fand sich die [gotische Kavallerie] zwischen 8000 [römischen] Infanteristen wieder und wurde von beiden Seiten von deren Bogenschützen unter Beschuss genommen.
Der Angriff der gotischen Kavallerie war beendet, noch bevor sie der römischen Linie ernsthaften Schaden zufügen konnte, und ihr Rückzug führte eine komplette Niederlage der Goten herbei, da sie, wie Prokop schadenfroh festhält, es nicht gewohnt waren, Kavallerie und Infanterie auf dem Schlachtfeld miteinander zu verschmelzen; als die Infanteristen die Reiter zurückkehren sahen, ergriffen sie kurzerhand die Flucht. Prokop berichtet, dass 6000 tote Goten auf dem Schlachtfeld zurückblieben. Die Zahl der Todesopfer stieg noch weiter, denn die Römer richteten anschließend alle Gefangenen hin. Auch Totila ließ in der Schlacht sein Leben; entweder fiel er direkt auf dem Schlachtfeld, oder er wurde getötet, als er davonrannte. Die letztere Version bevorzugt Prokop; er berichtet weiter, wie Totilas Leibwächter ihren Herrn in aller Ruhe begruben, wobei sie aber von einer alten Frau beobachtet wurden, die anschließend den Römern verriet, wo der Gote verscharrt war. Die Römer gruben die Leiche daraufhin wieder aus, um sicherzugehen, dass der Feldherr auch tatsächlich tot war.47 Nach seinem vernichtenden Sieg besetzte Narses sofort Rom und unterwarf alle verbliebenen gotischen Garnisonen entlang der Via Flaminia und in der Toskana. Viele der dortigen Soldaten waren ehemalige Angehörige des römischen Heeres, derzeit also ohne Sold, und froh, endlich zur Truppe zurückkehren zu können. Doch ausgestanden war die Sache noch nicht. Teja, den die überlebenden gotischen Anführer inzwischen zum König ausgerufen hatten, scharte in Pavia so viele der verbliebenen gotischen Soldaten um sich, wie er nur konnte. Dem neuen König war klar, dass seine Sache ohne fremde Hilfe aussichtslos war – die Goten hatten zu viele Soldaten verloren, um Justinians Armeen aus eigener Kraft noch die Stirn bieten zu können. Die naheliegendsten Kandidaten für ein Bündnis waren die Franken, aber sie kämpften nur gegen bare Münze, und Totila hatte den Großteil seines Staatsschatzes in der
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Festung von Cumae an der Küste Kampaniens zurückgelassen, wo Teja die meisten Senatoren und andere römischen Geiseln hatte töten lassen. So verlagerte sich der Kriegsschauplatz nun nach Süden. Teja führte seine verfügbaren Truppen südlich um Rom herum, um Narses’ Armee aus dem Weg zu gehen, und brachte sich bei Cumae in Stellung, um jeden potenziellen Versuch zu vereiteln, die Stadt zu belagern. Er musste nur so lange durchhalten, bis die Franken einträfen, um ihre Bezahlung zu kassieren. Dann ließ sich das gotische Königreich vielleicht noch in irgendeiner Form retten. Als Narses die Goten schließlich einholte, entwickelte sich aus der Konfrontation ein Patt, bei dem die Parteien einander an den Ufern des Dracon am Fuße des Vesuvs gegenüberstanden. Zwei Monate lang erhielten die Goten noch Nachschub auf dem Seeweg, doch als die Römer diese Versorgungslinie unterbrachen und die Franken immer noch nicht eingetroffen waren, dämmerte es den Goten, dass sie nun kämpfen mussten. Diesmal war es eine reine Infanterieschlacht, bei der Teja an vorderster Front mitmarschierte. Die Römer erkannten ihn und versuchten, ihn zu töten, aber er war von seinen Leibwächtern umgeben, sodass man nicht leicht an ihn herankam. Doch als bereits zwölf Speere in seinem Schild steckten, konnte er sich nicht mehr frei bewegen und ließ sich einen neuen Schild reichen. Genau in dem Moment traf ihn ein dreizehnter Speer mitten in die Brust. Er war sofort tot. Die Römer spießten seinen Kopf auf eine Stange und stolzierten damit vor den feindlichen Reihen auf und ab. Trotzdem kämpften die Goten noch bis zur Abenddämmerung des folgenden Tages weiter. Erst dann waren sie bereit zu verhandeln, und Narses bot ihnen einen Waffenstillstand an.48 Damit war der organisierte gotische Widerstand gebrochen. Die Ostgoten waren, wie vor ihnen die Vandalen, als kohärente militärische und politische Kraft vernichtet. Es war das letzte Mal in der Geschichte, dass auf einem italischen Schlachtfeld eine oströmische und eine gotische Armee einander gegenüberstanden. Die Aufgabe, die schon unter Belisar abgeschlossen schien, war auf die harte Tour beendet worden: Fast zwanzig Jahre nach der unblutigen Eroberung Siziliens hatte der römische Kaiser das ostgotische Königreich endgültig erobert.
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K
aiser Justinian überlebte die letzten zwei Könige des ostgotischen Italien um mehr als zehn Jahre. Er starb in der Nacht vom 14. auf den 15. November 565 im erstaunlichen Alter von 83 Jahren. Belisar, sein großer Feldherr, war im vorangegangenen März gestorben, und Petros Patrikios, der oströmische James Bond, der die Bedingungen für die schicksalhafte Italieninvasion optimiert hatte, verstarb noch im selben Winter. Innerhalb weniger Monate traten somit die drei wichtigsten Architekten der westlichen Expansion – Kaiser, Feldherr und Diplomat – von der Bühne Konstantinopels ab. Neuer Kaiser wurde Justinians Neffe Justin II., der Sohn von Justinians Schwester Vigilantia, der bereits Mitte vierzig war; er war mit Aelia Sophia, der Nichte von Justinians Frau Theodora, verheiratet. Das neue Regime organisierte eine angemessene Trauerfeier für den verstorbenen Kaiser. Justinians Leichnam wurde mit kostbaren Gewürzen eingerieben, damit er, wie der Dichter Gorippus (oder Corippus) uns mitteilt, »ewig überdauern« würde, und in ein schönes Gewand gehüllt, das mit Szenen bestickt war, die all seine großen Leistungen zeigten – das einzige Bild, das Gorippus explizit erwähnt, zeigte Justinian, wie er den am Boden liegenden Vandalenkönig Gelimer mit Füßen tritt. Der Verstorbene war zunächst eine Zeit lang im Palast aufgebahrt, dann wurde der Sargdeckel geschlossen, doch zuvor küsste Justin seinen Onkel noch und sprach (wie wiederum Gorippus berichtet): Mein ehrwürdiger Vater, du bist nun weit weg in den Reihen der Engel; du hast deinen Körper verlassen und siehst Gott.
In einer feierlichen Prozession folgte der gesamte Hof – Kaiserfamilie, Würdenträger, Bürokraten, Soldaten und Senatoren, in einer peinlich genau eingehaltenen Rangordnung – der Bahre aus dem Palast hinaus bis zu Justinians großer Kathedrale, der Hagia Sophia. Frauen rissen
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sich die Haare aus, Chöre sangen, und schließlich wurde der Kaiser in der goldenen Gruft beigesetzt, die er noch selbst als seine letzte Ruhestätte präpariert hatte. Beim darauffolgenden Leichenschmaus waren Gold- und Silbergeschirr einmal mehr mit den Triumphen des Kaisers dekoriert, und das kaiserliche Gewand, das sein Nachfolger trug, wurde mit einer Brosche befestigt, die mit Edelsteinen aus den Schätzen der Könige der Vandalen und Ostgoten besetzt war.1 Konstantinopel hatte dem selbsternannten »Eroberer von Völkern« eine angemessene Bestattung gewährt, ganz im Einklang mit dem Bild, das aufrechtzuerhalten sich der Kaiser während seiner langen und ereignisreichen Regierungszeit stets so sehr bemüht hatte. Die dramatischen Wendungen seiner gewaltigen Feldzüge und die Pracht seiner Hauptstadt, die der Kaiser nach dem Nika-Aufstand komplett neu aufbaute, einmal außer Acht gelassen: Kann man abschätzen, wie sich Justinians außergewöhnliche Herrschaft ganz generell auf den Verlauf der Geschichte der römischen Kaiserzeit ausgewirkt hat? Und wenn ja, inwiefern? Hatten Justinians Eroberungen im Westen die Ressourcen Konstantinopels tatsächlich so sehr belastet, dass der Weg zum Zusammenbruch des Imperiums zu Beginn des 7. Jahrhundert bereits vorgezeichnet war?2 Prokops Gesamturteil über die Expansionskriege des Kaisers könnten kaum eindeutiger sein. Der letzte Satz seiner Schilderungen der Vandalenkriege lautet: So begab es sich, dass diejenigen Libyer, die überlebten, so wenige und so arm sie waren, endlich und nach großen Mühen ihren Frieden fanden.
Diese Worte erschienen im Rahmen der Kriegsgeschichte, die für die Allgemeinheit veröffentlicht wurden. Insofern überrascht es wenig, dass er in der Geheimgeschichte zu einem anderen (oder vielleicht auch nur ausführlicheren) Urteil kommt. Dort beginnt er mit einem Überblick: Die genaue Zahl derer, die starben, wird niemals jemand wissen können, nicht einmal Gott. Ich glaube, man könnte schneller alle Sandkörner zählen als die enorme Zahl an Menschen, die dieser Kaiser umbrachte.
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Und er fährt fort mit einem kurzen Überblick über verschiedene Regionen des Imperiums, beginnend mit Justinians beiden wichtigsten »Neuzugängen«. Nordafrika wurde so gründlich entvölkert, dass es für einen Reisenden, der dort eine lange Reise unternimmt, nicht ganz einfach ist, auf ein menschliches Wesen zu treffen.
Und was Italien betrifft, so ist das ganze Land noch leerer als Nordafrika.3
Mit seiner Expansionspolitik mag Justinian dem Reich neue Gebiete hinzugefügt haben, aber die anhaltende Gewalt, mithilfe derer sie römisch geworden waren, hatte diese Gebiete auch so nachhaltig zerstört, dass sie gar keine sinnvolle Ergänzung des Portfolios der von Konstantinopel regierten Gebieten mehr darstellten. In Bezug auf das Menschliche gesehen, kann man Prokop kaum widersprechen. Immer wieder haben Historiker Justinian als einen der großen Romantiker der Geschichte charakterisiert, der dem Römischen Reich um jeden Preis seinen alten Glanz zurückgeben wollte. Die Realität ist ein wenig prosaischer. Die Expansion im Westen begann als verzweifelte Aktion Justinians, seine kaiserliche Haut zu retten, und entwickelte sich erst mit der Zeit zu einer echten politischen Angelegenheit: als klar wurde, wie sehr die Römer im 6. Jahrhundert mit ihrer neuartigen Feldarmee auf dem Schlachtfeld im Vorteil waren. Die vielen Tausend Menschen, die im Rahmen dieser Prozesse ihr Leben ließen, starben im Grunde nur, weil kurzfristige politische Ziele eines autokratischen Herrschers befriedigt werden mussten, den das Schicksal irgendwelcher Menschen außerhalb seines engsten Umfelds nicht kümmerte. Natürlich gibt es dieses Phänomen auch heute noch, und man verliert, sobald man andere Analyseebenen einführt, den tragischen Verlust von Menschenleben immer ein Stück weit aus dem Blick – wo er doch eigentlich im Zentrum einer jeden solchen Betrachtung stehen müsste. Hatte Prokop mit seinen Vorwürfen recht? Litt der Staat als Ganzes am Ende genauso sehr wie die Menschen in den eroberten Gebieten? Hinterließ Justinian seinen Nachfolgern ein Danaergeschenk – ein ge-
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wachsenes, aber strukturell schwächeres Reich, das von vornherein dem Untergang geweiht war?
Drei Kapitel In Nordafrika erwies sich der vordergründig so schnelle Sieg von 533/534 als Illusion. Die anfänglichen kleineren Probleme – mit der katholischen Kirche, den übrig gebliebenen Vandalen und römischen Soldaten, bei denen der Sold ausblieb – wurden schon bald von einem viel größeren Problem in den Schatten gestellt: der Konfrontation mit den Berbern, bei denen das Ende der Vorherrschaft der Vandalen den Ehrgeiz geweckt hatte, sich an den Agrargütern im Herzen der neuen Präfektur Justinians zu bereichern. All diese Konflikte beizulegen, dauerte fast anderthalb Jahrzehnte und forderte eine große Zahl von Opfern, bis Johannes Troglita auf den Plan trat und nach seinen Siegen die Situation stabilisierte. Die vandalisch-alanische Elite von rund 15 000 bis 20 000 Haushalten hatte aufgehört zu existieren – die Männer hatten auf dem Schlachtfeld ihr Leben gelassen oder waren deportiert worden, genau wie später auch die Frauen; bei Letzteren führte der Weg in der Regel in die Sklaverei. Die meisten Kinder dieser Familien wurden vermutlich ebenfalls versklavt, auch wenn Prokop nicht viel über sie berichtet. Ausführlicher erzählt er von den Berbern, und wenn man seinen Zahlen Glauben schenken kann, wurden zwischen 534 und 548 mehrere Zehntausend männliche Berber getötet und wiederum viele Frauen und Kinder versklavt. Und dann war da noch die sesshafte römisch-afrikanische Landbevölkerung: Die bejammernswerten Landwirte weinten, als sie flohen. Sie mussten zuschauen, wie der Feind ihr Vieh losband und vertrieb, alle ihre Häuser wurden mit allem, was darin war, zerstört. Die armen Leute waren nicht die einzigen Opfer dieser Katastrophe, denn die Reichen neben ihnen gingen genauso zugrunde (…). Auf allen Seiten setzten die Banditen in rasender Wut Städte und Felder in Brand.4
Gorippus operiert hier ganz offensichtlich mit betont poetischen Bildern, aber die Realität der Übergriffe muss man dennoch ernst nehmen. Auch wenn sich der Aufstand in Nordafrika kaum mit der Intensität des langwierigen Kriegs gegen die Goten vergleichen lässt: 548 waren viele
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Menschen tot – und sie hätten noch gelebt, hätte Justinian nicht beschlossen, politisch seine Haut zu retten, indem er Belisar nach Nordafrika schickte. Doch wie sah es längerfristig aus? Wurde aus der nordafrikanischen Präfektur in der Bilanz des Imperiums doch noch ein nützlicher und produktiver Posten? Zu den Negativa dieser Bilanz zählt in jedem Fall das Berberproblem, das einfach nicht verschwinden wollte. Während uns die detaillierten narrativen Quellen mit ausführlichen Informationen über die Siege von Johannes Troglita versorgen, taucht in kürzeren Chroniken ein interessanter Punkt auf, der uns zu denken geben sollte: Im Januar 563 reiste Troglitas wichtiger Verbündeter, der Berber Kutzinas, den Gorippus für seine große Loyalität den Römern gegenüber preist, nach Karthago, um beim aktuellen Präfekten Johannes Rogathinus seine üblichen jährlichen Geschenke abzuholen. Der Präfekt hatte jedoch keine Geschenke für ihn, sondern tötete ihn stattdessen, woraufhin Kutzinas’ Kinder einen Aufstand anzettelten.5 Die Quelle verrät nicht, wie es weiterging, aber das Berberproblem war nur die jüngste Variante des Umgangs mit Klienten an den römischen Grenzen, der eine lange Geschichte hatte; dies führt uns zu einigen wichtigen Überlegungen: Der aus römischer Sicht perfekte Anrainer war ein loyaler Nachbar, der den Frieden wahrte. Aber die finanzielle Belohnung für eine solche Loyalität – jährliche Zahlungen, wie sie Kutzinas seit den 540er-Jahren erhalten hatte – wurden von den Klienten durchweg für ihre eigenen Zwecke verwendet, was im Allgemeinen bedeutete, dass sie damit bei sich zu Hause ihre politische Position stärkten. Doch dies barg stets das Potenzial, mit einem zweiten wichtigen Anliegen der Römer in Konflikt zu geraten: Die Römer wollten gefährliche Konföderationen verhindern, die allzu große Ambitionen aufkommen ließen, die dann erst recht den Frieden an den Grenzen störten. Der Umgang mit Klienten war mehr eine Kunst denn eine exakte Wissenschaft, und man musste stets aufs Neue entscheiden, wann ein langjähriger Klient eben jenes kleine bisschen zu mächtig wurde, dass es galt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen – ihn zu entführen, zu ermorden oder einen seiner Rivalen statt seiner zu unterstützen.6 Vor diesem Hintergrund war ein ununterbrochener, langfristiger Frieden mit den Anführern der nomadischen Berber schlichtweg nicht möglich, aber das war im Grunde auch nichts Neues. Es war geradezu
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vorprogrammiert, dass sich Zwischenfälle wie Kutzinas’ plötzliche Kehrtwende (wie auch immer da die genauen Umstände aussahen) und ein wenig früher, in den 540er-Jahren, Antalas’ plötzlicher Wandel vom Verbündeten zum Feind an den Grenzen von Justinians neuer Präfektur regelmäßig wiederholen würden. Die entscheidende Frage hier ist nicht, ob solche Ereignisse auftraten, sondern ob und in welchem Maße Störungen durch Nomaden nach den Feldzügen von Johannes Troglita die landwirtschaftliche Produktivität beeinträchtigten. In gewisser Hinsicht ist es durchaus bezeichnend, dass sich die Quellen über die Ereignisse in Nordafrika für den Rest des 6. Jahrhunderts ausschweigen. Vor dem Hintergrund, dass es so ausführliche narrative historische Berichte über das Oströmische Reich des 6. Jahrhunderts gibt, dürfen wir doch annehmen, dass es zumindest irgendwo erwähnt worden wäre, wenn es innerhalb der neuen Präfektur größere Konflikte mit den Berbern gegeben hätte. Natürlich ist dies eine Negativdefinition, aber eine Reihe archäologischer Befunde stützt diese Sichtweise, auch wenn sie eigentlich eher dazu taugen, die Geschichte bestimmter Orte zu beleuchten, als breitere Entwicklungen oder Konflikte in einer ganzen Region zu analysieren. Aber es besteht zumindest kein Zweifel daran, dass allgemeine Maßnahmen ergriffen wurden, um sesshafte Landbewohner besser gegen Übergriffe zu schützen. Prokop erwähnt in der Kriegsgeschichte Solomons Programm zur Befestigung nordafrikanischer Städte, und man hat 23 Inschriften mit dem Namen des Präfekten gefunden. 14 erinnern eindeutig an dieses Bauprogramm, und die anderen neun wahrscheinlich auch (sie sind aber nur fragmentarisch erhalten). Wir wissen, dass im oströmischen Nordafrika viele verschiedene Arten von Befestigungsanlagen entstanden. In der Zeit der Vandalen hatte Geiserich angeordnet, alle Stadtmauern einzureißen, um die Chance römischer Gegenwehr zu minimieren. Zumindest einiges davon wurde jetzt wieder aufgebaut, und zudem entstanden ganz neue Anlagen. Die Initiative dazu kam wahrscheinlich von zentraler wie auch von lokaler Ebene, und ebenso wurden die Baumaßnahmen aus zentralen und lokalen Mitteln finanziert. In Karthago wurde die Stadtmauer überall verstärkt, und die Verteidigungsanlagen wurden auf den neuesten Stand gebracht, indem man einen Wassergraben anlegte. Innerhalb der Stadtmauern erhielt die Burg auf dem Byrsahügel, in der nun der Präfekt residierte, eigene Befestigungsanlagen und wurde zur
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geschlossenen Feldschanze ausgebaut. Die Städte Sabrata und Leptis Magna bekamen brandneue Ringmauern verpasst, während in vielen anderen Städten monumentale Bauten, die nicht mehr genutzt wurden – Foren, Thermenkomplexe, Amphitheater, alte heidnische Tempel –, zu befestigten Stützpunkten im Herzen ganzer urbaner Komplexe umgebaut wurden. Auch auf dem Land hatte die Verteidigung hohe Priorität. Das Hinterland von Numidien und Byzacium (vor allem Letzteres) war mit befestigten Wachposten geradezu übersät. Ein ganz typisches Beispiel ist Ain Tounga (siehe Abb. 16). Kaserne, Getreidespeicher und Zisterne: Hier gab es alles, was eine Einheit von limitanei benötigte. Was wir über all das wissen, deutet stark darauf hin, dass Prokop die Realität komplett falsch einschätzte, wenn er wie in den Bauten behauptet, dass die antiken Muster des griechisch-römischen Stadtlebens in der Provinz wiederhergestellt wurden. Zu viele der alten kommunalen Gebäude, die einst das öffentliche Leben geprägt hatten – von Gerichtshöfen über Bäder bis hin zu Theatern –, wurden auf die eine oder andere Weise zu Festungsanlagen umgebaut. Wir haben es hier ganz klar mit einer Bevölkerung zu tun, die mit Mechanismen ausgestattet war, um sich gegen Nomadenüberfälle zu wehren.7 Es gibt zahlreiche archäologische Zeugnisse, die zeigen, dass innerhalb dieser gut geschützten Präfektur ein angemessener Grad an Wohlstand aufrechterhalten wurde. Die Zeugnisse aus städtischen Kontexten sind zwar immer spezifisch, aber dennoch recht vielsagend. In Karthago wurde nach der Eroberung der Handelshafen saniert, mit einem Bogengang für zeremonielle Zwecke versehen und mit zwei Zisternen ausgestattet. Auch die großen Antoninischen Thermen in der Stadt wurden wieder in Betrieb genommen; der Keramikfabrikant, der zur Vandalenzeit im Caldarium der Thermen seinen Betrieb eingerichtet hatte, wurde kurzerhand vor die Tür gesetzt. Die einzige Stadt der Region neben Karthago, die Archäologen umfassend untersucht haben, ist die Hafenstadt Leptis Minor. Ausgrabungen und Surveys haben auch hier jede Menge Belege für kommerzielle Aktivitäten ans Licht gebracht. Dieses Material passt zu den Zeugnissen aus Surveys in ländlichen Gegenden, die ebenfalls darauf hinweisen, dass die betreffenden Regionen in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts zwar nicht mehr so bevölkerungsreich und produktiv waren wie noch im 3. und 4. Jahrhundert, aber auch nicht annähernd so stark entvölkert, wie Prokop es andeutet. Insgesamt deutet
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Abb. 16 Einer der befestigten Posten, von denen aus die wiedereingesetzten limitanei der nordafrikanischen Präfektur Justinians der Bewegungen der Nomaden Herr zu werden und mögliche Plünderungen einzudämmen suchten.
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alles darauf hin, dass sich die nordafrikanische Präfektur schnell zu einem gut integrierten Teil des Imperiums entwickelte. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts war sie so einflussreich, dass sich Herakleios mit seinen Söhnen von dort aus erfolgreich um die Kaiserwürde in Konstantinopel bewarb.8 Den beeindruckendsten Fundus an archäologischen Zeugnissen aus der Zeit nach der Eroberung Afrikas liefert jedoch die Sakralarchitektur. In gewisser Hinsicht ist das auch gar nicht überraschend. Ursprünglich war Belisars Feldzug religiös begründet, und ab 439 wurde eine ganze Reihe ehemaliger katholischer Kirchen fast hundert Jahre lang von der arianischen Kirche der Vandalen benutzt; es war also durchaus zu erwarten, dass die Eroberung Nordafrikas sich auch im religiösen Bereich auswirken würde. In Karthago wurden nicht weniger als acht Kirchen, zwei Klöster und ein Märtyrer-Gebäudekomplex entweder komplett umgebaut oder von Grund auf neu errichtet, und dieses Muster lässt sich überall in der Präfektur feststellen. In Leptis Magna verwandelte man das alte Gerichtsgebäude in eine riesige Kirche, verzierte sie aufwendig und weihte sie der Maria Theotokos (der »Gottesgebärerin«). Man kann die Liste beliebig fortführen.9 Diese archäologischen Befunde sind nicht nur auffällig, sondern durchaus überraschend, bedenkt man, dass die Kirche der eine politische Akteur in Nordafrika war, der sich erwiesenermaßen gegen die gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der erzwungenen Integration in Justinians Reich auflehnte: Unmittelbar nach der Eroberung kam es zwischen dem Kaiser und nordafrikanischen Klerikern zum Streit darüber, wie genau die arianische Kirche der Vandalenmonarchie abgewickelt werden sollte. Doch dieser Streit wurde ziemlich schnell beigelegt, ohne größere Konflikte. Das war beim sogenannten Dreikapitelstreit ganz anders. Ausgangspunkt waren Versuche in den 530er- und 540er-Jahren, Spaltungen innerhalb der Ostkirche durch eine eindeutig antinestorianische Interpretation des Konzils von Chalkedon zu überwinden. Als Justinian sein Edikt von 543/544 veröffentlichte, das Theodor von Mopsuestia, Theodoret von Kyrrhos und Ibas von Edessa offiziell zu Ketzern erklärte (siehe Kapitel 7), kam es zum offenen Disput. In Justinians neuem Westreich stieß das Edikt allenthalben auf Ablehnung. Mit seinem eindeutig prochalkedonischen Tenor hatte es das Akakianische Schisma
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beendet (siehe Kapitel 3) und – so schien es zumindest – allen früheren Versuchen in Ostrom, die Entscheidungen von Chalkedon zu revidieren, auf triumphale Weise eine Ablehnung erteilt. Die Erkenntnis, dass alles, was sie erreicht hatten, mit einem Mal gefährdet war, zwang die Kleriker natürlich in die Defensive. Auch Papst Vigilius protestierte, aber die heftigste Opposition gegen diese kirchliche Initiative des Kaisers gab es in Nordafrika. Der dortige Klerus weigerte sich einmütig, den Brief, den man mit Justinians Edikt erhalten hatte, zu unterzeichnen (womit man seine Zustimmung kundgetan hätte). Ein Diakon in Karthago namens Facundus verfasste ein extrem deutlich formuliertes Antwortschreiben, und als Vigilius zu schwanken schien, berief der Patriarch Reparatus in Karthago ein Konzil der gesamten nordafrikanischen Kirche ein, auf dem der Papst dann exkommuniziert wurde. Die katholischen Kirchenmänner Nordafrikas hatten sich gerade erst erfolgreich des arianischen Glaubens entledigt, den die Vandalen ihnen aufgezwungen hatten. Daher waren sie mehr als die meisten anderen bereit, sich gegen eine Einmischung des Staates in die Religion zu wehren, und ließen sich viel weniger davon beeindrucken, welche religiöse Autorität der Kaiser für sich beanspruchte.10 Was anschließend geschah, ist äußerst aufschlussreich. Justinian erhöhte den Druck auf alle Andersgläubigen, indem er ein neues ökumenisches Konzil einberief, das im Jahr 553 in Konstantinopel tagen sollte. Vigilius verweigerte die Teilnahme, wurde aber später »überredet«, sich der Verurteilung der drei Kapitel durch den Kaiser anzuschließen, die vom Konzil bestätigt worden war. Seine Zustimmung wurde zum allgemeinen Ausgangspunkt für die Durchsetzung der Beschlüsse des Konzils im Westen, bei der man zu mehr oder weniger gleichen Teilen auf Schmeichelei und Repressionen setzte. Bischof Reparatus von Karthago wurde nach Konstantinopel gerufen und dort seines Amtes enthoben, und ein Agent des Kaisers namens Mocianus (laut der prochalkedonischen Opposition ein ehemaliger Arianer) wurde losgeschickt, um den nordafrikanischen Kirchenmännern den Deal zu vermitteln. Neue Konzile in Numidien und Proconsularis bestätigten im Eilverfahren die Beschlüsse des Konzils von Konstantinopel, verurteilten ebenfalls die drei Kapitel, und damit war diese Episode beendet. In späteren Epochen – vor allem im Mittelalter – galt der Dreikapitelstreit als eindrucksvolles Beispiel für den Widerstand der Kirche gegen
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die Geltungsansprüche eines weltlichen Herrschers im religiösen Bereich. Die Realität sah aber ganz anders aus: Die Kirche in Nordafrika hatte anfangs zwar heftigen Widerstand geleistet (was natürlich auch daran lag, dass sie rund hundert Jahre lang vom Römischen Reich abgekoppelt gewesen war), aber dann war sie doch recht schnell mit der Lösung einverstanden, die der Kaiser für das umfassendere Problem der Einheit der Kirche vorgeschlagen hatte.11 Es ist durchaus auffällig, dass sich aus den archäologischen Zeugnissen der nordafrikanischen Kirchenarchitektur die gleiche Schlussfolgerung ergibt. Sowohl die wiederaufgebauten als auch die neu errichteten Kirchen folgten derselben unverwechselbaren Formensprache. Wurde eine Kirche umgestaltet, dann richtete man sie in Ost-West-Richtung aus, und jene, die bereits so ausgerichtet waren, erhielten im Osten eine Apsis. Diese war ein neues Element in der nordafrikanischen Kirchenarchitektur – man folgte also den etablierten oströmischen Normen. In der Zeit nach der Eroberung entstanden in Nordafrika auch die ersten Wallfahrtskirchen, die Basiliken Damous El Karita und Bir Ftouha; sie wurden speziell so konzipiert, dass viele Menschen in ihnen ihren Glauben in Form großer Prozessionen zum Ausdruck bringen konnten. Dies war wieder einmal typisch für den Vorbildcharakter des oströmischen Christentums. Ende des 6. Jahrhunderts übernahmen die Christen in Nordafrika dann auch einige wichtige oströmische Heilige: Tryphon, Theodor, Pantaleon und Menas hatte man bis dato nicht gekannt, nun wurden sie aber umso beliebter.12 All das zeigt, dass die neue Präfektur in Nordafrika nach dem anfänglichen Chaos und den vielen Todesopfern, die der gewaltsame Regimewechsel mit sich brachte, in ideologischer, religiöser und politischer Hinsicht rasch voll und ganz in die oströmische Oikumene integriert wurde. Bezieht man dann noch die Hinweise auf den landwirtschaftlichen Wohlstand der Region mit ein, kann die Schlussfolgerung nur lauten, dass das viele Geld, das die Expansion gekostet hatte, zumindest aus der Sicht von Konstantinopel gut angelegt war. Bevor wir beurteilen können, ob dies auch für die Gebiete in Italien galt, die Ostrom den Goten abnahm, müssen wir zunächst die Auswirkungen von Justinians Herrschaft auf den oströmischen Balkan unter die Lupe nehmen.
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Geopolitik und der Balkan Für Justinian war der Balkan nie ein wirklich wichtiger Kriegsschauplatz, auch wenn die Eroberung Italiens mit der Einnahme von Salona und dem gotischen Dalmatien begann. Nichtsdestotrotz spielt die Geschichte des Balkans auf zwei Ebenen eine wichtige Rolle, will man die Auswirkungen der kaiserlichen Expansionspolitik nachvollziehen. Nicht zuletzt müssen wir die Kollateralschäden berücksichtigen, die die Gemeinden der römischen Provinzen auf dem Balkan erlitten, während sich an anderen Fronten größere Konflikte entwickelten. Wie Prokop in der Geheimgeschichte schreibt, wurde der römische Balkan fast jedes Jahr, seit Justinian Kaiser war, von den Hunnen [d. h. Bulgaren], Sklavinen und Anten überrannt, die unter den Bewohnern dieser Region schreckliche Verwüstungen anrichteten. Denn bei jeder Invasion wurden dort, wie ich glaube, mehr als 20 000 Römer getötet oder versklavt.
Abgesehen von ihren limitanei wurde die Region von zwei Feldarmeen geschützt, einer im Osten des Balkans, in Thrakien, und einer weiter westlich in Illyrien. Insbesondere bei der Eroberung Italiens griff der Kaiser regelmäßig auf diese Balkantruppen zurück. So war es auch der magister militum per Illyricum Mundus, der als Erster Salona angriff, und später wurden regelmäßig Truppen vom Balkan nach Italien verlegt. 538/539 bestand eine der wichtigsten Entsatzarmeen Belisars aus Truppen aus Thrakien und Illyrien; in den schweren Zeiten Mitte der 540er-Jahre folgten weitere. Beim Ausbau ihres Militärapparats bedienten sich Germanus und Narses ebenfalls bei den militärischen Ressourcen des Balkans, sowohl offiziell, in Form kompletter Heereseinheiten, die dem Feldzug zugeteilt wurden, als auch inoffiziell, in Form von Freiwilligen, die sich von den plötzlich verfügbaren Geldern anlocken ließen; Prokop deutet an, dass viele dieser Freiwilligen ihre bestehenden Regimenter verließen.13 Man kommt kaum umhin, die merkliche Zunahme von Ausmaß und Häufigkeit der Überfälle von Slawen und Bulgaren auf dem Balkan in jener Zeit mit solchen Truppentransfers in Verbindung zu bringen. Die Grenzen des Römischen Reiches hatten schon immer als Filter für Informationen gedient – nicht nur Kaufleute überquerten sie ständig in
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beide Richtungen, die benachbarten Völker hatten längst gelernt, römische Truppenbewegungen und potenziell bedrohliche Truppenkonzentrationen zu beobachten, nicht nur um sich im Falle von Übergriffen der Römer besser zur Wehr setzen zu können, sondern auch um abschätzen zu können, wann sich Raubzüge auf römischem Territorium lohnten. Insofern kann es kein Zufall sein, dass der erste große Angriff der Kutriguren auf den Balkan während Justinians Regierungszeit stattfand, kurz nachdem der Kaiser im Jahr 539 Truppen von beiden dortigen Feldarmeen abkommandiert und zu Belisar nach Italien verlegt hatte. Die Kutriguren waren Steppennomaden mit einem Großkhan als zentraler Autorität, und sie operierten stets in großen zusammenhängenden Blöcken. Im Jahr 539 durchbrachen sie an zahlreichen Stellen die Grenzanlagen an der Unteren Donau, und anschließend drangen sie bis in die Vororte von Konstantinopel und im Westen bis zur Halbinsel Chersones vor, und im Südwesten fielen sie in Griechenland ein und überwanden sogar die Thermopylen. Alles in allem nahmen die Kutriguren auf ihrem Raubzug 32 befestigte Zentren ein, setzten von der Chersones aus kurzzeitig nach Kleinasien über und nahmen am Ende angeblich 120 000 Gefangene mit nach Hause.14 Besonders auffällig an Prokops Bericht ist, dass keine der römischen Feldarmeen auf dem Balkan, die solche Übergriffe vielleicht hätte verhindern können, eingriff. Die Slawen der Karpaten und ihres unmittelbaren Hinterlands hingegen waren in zahlreichen kleineren Häuptlingstümern organisiert und überfielen seit den 510er-Jahren in kleinen Gruppen den Balkan. Da sie in der Regel nicht in der Lage waren, befestigte Städte einzunehmen, mieden sie die großen Straßen und überfielen eher ländliche Gemeinden. Daher wurden die Römer der Slawen genauso wenig Herr wie der Kutriguren, nur eben aus ganz anderen Gründen: Die Slawen bewegten sich querfeldein durch den Balkan und meisterten mühelos das schwierigste Gelände – eine konventionelle römische Armee kam da schlichtweg nicht hinterher. So verhielt es sich auch 548, als eine eigens mobilisierte illyrische Feldarmee von 15 000 Mann nicht in der Lage war, eine kleine Gruppe slawischer Räuber zur Strecke zu bringen. Ende der 540er-Jahre nahmen die Übergriffe der Slawen an Dimension deutlich zu. Die Überfallkommandos, die wahrscheinlich jeweils von mehreren Häuptlingen an der nördlichen Donau ad hoc zusammenge-
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stellt wurden, zählten nun jeweils nicht mehr nur einige Hundert, sondern mehrere Tausend Kämpfer, und sie nahmen nun auch größere römische Ziele ins Visier. Auf dem Weg nach Salona wurde Germanus 549 von einer – zu diesem Zeitpunkt noch ungewöhnlich großen – Truppe von 3000 slawischen Plünderern aufgehalten. Sie spaltete sich schließlich in zwei separate Gruppen von 1200 und 1800 auf, doch diese waren kaum weniger gefährlich. Der größeren der beiden Gruppen gelang es, die Garnison von Topiros in Thrakien hinter ihren schützenden Mauern hervorzulocken und zu besiegen; anschließend plünderten sie die Stadt und kreuzigten alle Gefangenen. Im folgenden Jahr wurde Narses zu einem längeren Aufenthalt in Philippopolis (dem heutigen Plowdiw) genötigt, als eine noch größere Gruppe von Slawen Thessaloniki, die größte römische Stadt des Balkans, angriff. Es war sicherlich kein allzu realistisches Ziel, und die Truppe zerfiel wieder, diesmal in drei Gruppen, doch zum ersten Mal überwinterten die Slawen jetzt in Thrakien – und richteten dabei noch einmal beträchtlichen Schaden an.15 Wieder kann es kaum ein Zufall sein, dass all dies gegen Ende eines Zeitraums geschah, in dem Justinian das römische Militär auf dem Balkan immer weiter ausgedünnt hatte. Das soll aber nicht heißen, dass Justinian seine Balkanprovinzen vollkommen egal waren. Der Zusammenbruch von Attilas Reich hatte fast zwei politische Generationen lang für Chaos in Form mehrerer Kriege und großräumiger Migrationsbewegungen auf dem und rund um den Balkan gesorgt (in diesem Kontext hatten sich unter anderem Theoderichs Ostgoten auf dem Balkan niedergelassen); die Lage war also politisch gesehen unübersichtlich, doch zu Beginn von Justinians Regierungszeit hatte sie sich wieder stabilisiert. Die Region rund um die Mittlere Donau westlich der Karpaten (in etwa das heute Ungarn und der Westen Rumäniens) war in zwei von germanischsprachigen Eliten beherrschte Königreiche aufgeteilt: die Langobarden im Westen und die Gepiden weiter östlich. Die Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres waren ebenfalls aufgeteilt, zwischen zwei nomadischen, turksprachigen Bulgarengruppen: den Utiguren und den Kutriguren. Dazwischen lagen zahlreiche kleinere slawische Häuptlingstümer.16 Justinian war es gewohnt, vom Kaiserpalast in Konstantinopel aus im diffizilen Spiel der Diplomatie zu taktieren, und die Gesamtstrategie war klar: Man musste an einem Ende der nördlichen Reichsgrenze die Lan-
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gobarden gegen die Gepiden ausspielen und am anderen Ende die Utiguren gegen die Kutriguren und zugleich versuchen, die Schäden zu minimieren, die die Slawen zwischen diesen beiden Regionen anrichteten. Insgesamt war Justinian bei alldem auch relativ erfolgreich: Er sorgte dafür, dass Langobarden und Gepiden einander immer wieder bekriegten, indem er in sorgfältig ausgewählten Intervallen mal die einen, mal die anderen unterstützte. Außerdem holte er nach den Katastrophen von 539 die Utiguren zu Hilfe, um die Kutriguren daran zu hindern, dass sie ihre gesamte militärische Kapazität für Überfälle auf dem römischen Balkan einsetzten. Aber die Slawen ließen sich nicht mit diplomatischen Mitteln im Zaum halten, und die Intrige, für die der Kaiser die Utiguren einspannte, kam zu spät, um die schweren Verluste von 539 noch zu verhindern. Justinians zweite Strategie, um den Balkan trotz des Mangels an ausreichenden Feldarmeen zu sichern, bestand darin, die physischen Verteidigungsanlagen auszubauen, die die römische Provinzbevölkerung schützen sollten. In seinen Bauten widmet Prokop den entsprechenden Initiativen des Kaisers ein komplettes Buch. Der Plan, den er darin beschreibt, war simpel: größtmögliche Verteidigung der Grenze an der Donau durch den Bau von Fluchtburgen für die römischen Gemeinden – für den Fall, dass es den Angreifern gelang, die Grenze zu überschreiten. Prokop zählt buchstäblich mehrere Hundert Standorte auf, an denen Justinian Festungsanlagen bauen ließ; viele davon lassen sich heute nicht mehr identifizieren. Es sind so viele, dass Prokop sie in einigen Fällen gar nicht mehr beschreibt, sondern nur noch die Namen nennt, die Orte, an denen Justinian Festungen »gebaut« oder »repariert« hat; er befürchte, so schreibt er, dass sein Bericht sonst doch »recht ermüdend« wirke. Prokop spart in diesem Werk nicht mit Lob und schreckt auch vor groben Übertreibungen nicht zurück, aber dennoch: Die in den 1980er-Jahren aufgekommene Tendenz, Justinian jeglichen substanziellen Ausbau der Verteidigung des Balkans abzusprechen, ist inzwischen einer doch ein wenig ausgewogeneren Skepsis gewichen. Wie schon im Fall der Verteidigungsanlagen im römischen Mesopotamien werden einige der durchgeführten Verbesserungen in den Berichten über die nachfolgenden Ereignisse erwähnt. Der Einfall der Kutriguren im Jahr 539 war für den Römer ein fürchterlicher Schock; sie reagierten mit einigen Baumaßnahmen, um die Wahrscheinlichkeit ei-
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nes erneuten Vorfalls dieser Art nach Kräften zu minimieren: insbesondere an bedeutenden Engpässen wie der berühmten Theodosianischen Mauer, die die reichen thrakischen Vororte von Konstantinopel schützte, an der Mauer, die die Chersones-Halbinsel sicherte, und an den Thermopylen. Als die Kutriguren im Jahr 559 mit weitgehend der gleichen Strategie wiederkamen, gelang ihnen an den Thermopylen nicht der Durchbruch, und auch die Langen Mauern der Chersones konnten sie nicht überwinden. Im Jahr 539 waren sie durch das seichte Wasser am Rand der damaligen Befestigungen entlanggewatet, doch 559 (so Agathias, nicht Prokop) ging das nicht mehr. Die Theodosianische Mauer von Konstantinopel allerdings war ihrem Angriff nicht gewachsen, trotz der nach 539 vorgenommenen Verbesserungen (wie sie detailreich bei Prokop beschrieben sind). Bei Agathias finden wir eine vollständige Darstellung von Belisars letztem Gefecht. Obwohl der Feldherr zehn Jahre lang nicht mehr auf dem Schlachtfeld gestanden hatte, gelang es ihm, mit nur 300 Legionären und einer kleinen Schar freiwilliger Zivilisten einen phänomenalen Sieg über die Kutriguren zu erringen und sie aus den Vororten der Hauptstadt zu vertreiben. Die Schlacht kostete die Kutriguren ein Fünftel ihrer 2000 Soldaten – und die Römer keinen einzigen. Doch sosehr dieser Sieg die Moral der Römer stärkte: Für das Prestige des Kaisers war der Überfall der Kutriguren auf Konstantinopel ein heftiger Rückschlag. Justinian verließ hinterher seine Hauptstadt auf eine »Pilgerreise«, um seine Solidarität mit den Opfern auszudrücken, aber auch um herauszufinden, was schiefgelaufen war. Sicherlich hatte der Kaiser nach dem Ausbau der Mauer rund um Konstantinopel persönlich für deren Uneinnehmbarkeit gebürgt.17 Dort, wo Prokop spezifische Angaben macht, dürfen wir annehmen, dass die Arbeiten, von denen er erzählt, tatsächlich durchgeführt wurden. Allerdings konnte Justinian bei seinen Baumaßnahmen ganz eindeutig auf den großen Anstrengungen seiner Vorgänger aufbauen. Schon Anastasios hatte nach den katastrophalen Überfällen der Hunnen in deren Blütezeit in den 440er-Jahren einen gewaltigen Aufwand betrieben, um die Donau neu abzusichern. Bei genauerem Hinsehen zeigen Prokops Listen, dass Justinian in den allermeisten Fällen keine ganz neuen Anlagen hat bauen lassen, sondern dass er nur die bestehenden reparieren ließ (was kaum mehr bedeuten muss, als dass Mauern neu ausgefugt
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wurden). Nur im äußersten Süden, im alten und im neuen Epirus, gab es mehr Neubauten als Reparaturen. All das deutet darauf hin, dass Justinians Bauprogramm alles in allem nur eine Erweiterung bewährter Strategien zur Verteidigung des Balkans darstellte.18 Justinian waren seine Untertanen auf dem Balkan also nicht egal, doch ihr Schutz hatte für den Kaiser eine weitaus geringere Priorität als seine Expansionskriege, für die er Feldtruppen vom Balkan abzog – eben das machte die Region anfälliger für Übergriffe von außen. Diplomatische Manöver und verstärkte Verteidigungsanlagen konnten dieses Defizit zwar teilweise ausgleichen, aber eben nur teilweise; die römische Bevölkerung des Balkans wäre mit Sicherheit weniger geschädigt worden, wenn der Kaiser nicht in Italien Krieg geführt hätte. Schon aus diesem Grund müssen wir die Balkanländer in unsere Betrachtung einbeziehen, obwohl sie in Justinians Regierungszeit sozusagen nur ein Nebenkriegsschauplatz waren. Auf einer anderen Ebene spielten die Vorgänge auf dem Balkan, was eine Gesamtbewertung von Justinians Expansionskriegen betrifft, eine durchaus wichtige Rolle. Im Jahr 558, als im Osten umfassende Friedensverhandlungen aufgenommen wurden und es in Nordafrika bereits seit zehn Jahren mehr oder weniger friedlich zuging, trat ein neues Nomadenvolk auf den Plan, das aus den Steppen im Nordosten kam: Jemand mit Namen Kandich (…) wurde zum ersten Gesandten der Awaren auserkoren, und als er in den Palast kam, berichtete er dem Kaiser von der Ankunft des größten und mächtigsten aller Stämme. Die Awaren seien unbesiegbar und könnten leicht jeden vernichten, der sich ihnen in den Weg stelle. Falls sich der Kaiser mit ihnen verbünde, werde er ihren Schutz genießen, aber sie würden dem römischen Staat nur gewogen sein, wenn sie im Gegenzug äußerst wertvolle Geschenke, jährliche Zahlungen und äußerst fruchtbare Länder erhielten.
Diese Art der diplomatischen Wichtigtuerei scheint eine Spezialität der Nomaden des 1. Jahrtausends gewesen zu sein. Wie bei Uldin, dem Stammesführer der Hunnen, der den oströmischen Botschaftern weismachen wollte, er beherrsche alle Länder von dort, wo die Sonne aufgehe, bis dort, wo sie untergehe, obwohl er in Wirklichkeit lediglich eine einzige römische Festung erobert hatte, war auch im Fall der Awaren die Realität um einiges prosaischer. Sie waren Migranten, die vor den Göktürken
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flohen. Im Jahr 558 beherrschten sie nur einen ganz kleinen Teil der westlichen Steppe, als sich die Göktürken rasch zur ersten nomadischen Supermacht der Geschichte aufschwangen. Binnen eines Jahrzehnts sollte sich ihre Macht über halb Eurasien erstrecken, von China bis zu den östlichen Ausläufern Europas.19 Von Justinians Warte, der sich wohl nicht allzu sehr von der Rhetorik ihres Botschafters beeindrucken ließ, waren die Awaren immerhin eine nützliche Ergänzung seines Netzwerks diplomatischer Kontrollinstanzen, die einander gegenseitig in Schach hielten. Dieses Netzwerk spielte bei der Strategie des Kaisers in puncto Verteidigung des Balkans eine extrem wichtige Rolle. Menander Protektor berichtet von der Reaktion des Kaisers: Er schickte einen Botschafter namens Valentinus, einen der kaiserlichen Leibwächter, und er drängte den Stamm, sich mit den Römern zu verbünden und die Waffen gegen ihre Feinde zu erheben. Dies (…) war ein weiser Winkelzug, denn ob die Awaren sich durchsetzten oder ob sie besiegt wurden: Beides war für die Römer von Vorteil.20
Das Netzwerk auf dem Balkan hatte insbesondere nach dem verheerenden Raubzug der Kutriguren 559 eine wichtige Rolle gespielt, als Justinian die Utiguren dafür bezahlte, ihre Landsleute anzugreifen; sie errangen einen vernichtenden Sieg über ihre Nachbarn, während sich der Hauptteil von deren Heer noch auf römischem Boden befand.21 Damit hatten sich die Römer gebührend gerächt. Doch der Sieg der Utiguren war so überwältigend, dass sie den Kutriguren de facto ihre Unabhängigkeit genommen hatten und fortan selbst als unangefochtene Großmacht nördlich des Schwarzen Meeres regierten. Genau dort kamen nun die Awaren ins Spiel, die ihrerseits die Utiguren im Zaum halten sollten. 562 kontrollierten die Awaren bereits die gesamte Nordküste des Schwarzen Meeres. In einer Reihe undokumentierter Feldzüge hatten sie sowohl die Utiguren als auch alle noch übrigen Kutriguren unterworfen. So besorgniserregend die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Siegeszugs der Awaren aus Sicht Konstantinopels gewesen sein müssen: Mangels Alternative hielt Justinian bis zu seinem Tod im November 565 an der Allianz fest und bedachte den Großkhan der immer mächtiger werdenden Awaren mit großzügigen jährlichen Zahlungen.
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Das neue kaiserliche Regime allerdings vollführte eine komplette politische Kehrtwende. Als die awarische Gesandtschaft in Konstantinopel eintraf, um den jährlichen Tribut zu kassieren, verkündete der neue Kaiser, Justinians Neffe Justin II.: Nie wieder sollt ihr auf Kosten dieses Reiches beladen eurer Wege gehen, ohne uns einen Gefallen dafür zu tun; von mir werdet ihr nichts erhalten.
Laut Menander waren die Gesandten »wie vom Donner gerührt«: Sie wollten alles, nur nicht mit leeren Händen nach Hause fahren. Doch am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig.22 Das Ausbleiben der oströmischen Subventionen gefährdete die Stabilität der awarischen Konföderation. Genau wie den Hunnen vor ihnen fehlte den Awaren die Fähigkeit – ja vielleicht sogar der Wunsch –, direkte politische Kontrolle über die weniger hochrangigen Mitglieder ihrer Konföderation (wie die erst kürzlich unterworfenen Kutriguren und Utiguren) auszuüben; dafür waren die Häuptlinge und Fürsten vor Ort zuständig, die den Awaren treu ergeben waren. So ließen sich der Konföderation problemlos immer wieder neue Komponenten hinzufügen, aber die politischen Strukturen, die sich daraus ergaben, waren extrem fragil, da bestehende Loyalitäten zwischen unterworfenen Völkern leicht dazu führen konnten, dass einzelne Konföderationsmitglieder wieder nach Unabhängigkeit strebten. In diesem Kontext war die charakteristische diplomatische Wichtigtuerei der Nomaden des 1. Jahrtausends durchaus kein Selbstzweck: Was die Konföderation zusammenhielt, war das Prestige ihres Anführers, das auf dessen (tatsächlicher oder vermeintlicher) militärischer Dominanz basierte, und die effektivste Möglichkeit, dieser seiner Dominanz Ausdruck zu verleihen, bestand darin, großzügig Geschenke zu verteilen.23 Im Jahr 582, als die Awaren die wichtige Donaufestung Sirmium belagerten und feststellen mussten, dass sie nicht in der Lage waren, sie einzunehmen, ließen sie dem dortigen römischen Kommandanten eine ganz außergewöhnliche Nachricht zukommen: Sie seien bereit, sich zurückzuziehen, falls die Römer ihnen ein so großes Geschenk überreichten, dass der Großkhan seine Niederlage damit überspielen könnte. Und als im Jahr 626 klar wurde, dass sich der Versuch der Awaren, Konstantinopel zu erobern, zu einem spektakulären Fehlschlag auswuchs, desertierten die Kontingente der unterworfenen Völker sofort in so großer
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Zahl, dass der awarische Kern der Armee nicht umhinkam, sie zu töten.24 Jeder noch so kleine Prestigeverlust konnte die Vorherrschaft der Awaren gefährden; der Großkhan hatte daher gar keine andere Wahl, als auf Justins II. Abfuhr mit deutlichen Maßnahmen zu reagieren. Es ist durchaus kein Zufall, dass die Awaren noch im selben Jahr, 566, dem östlichen Frankenkönig Sigibert eine schwere Niederlage zufügten und jener den Awaren hinterher »sofort Mehl, Gemüse, Schafe und Rinder sandte«.25 Eben jenes gesteigerte Interesse der Awaren, ihre Macht Ende der 560er-Jahre nach Westen auszudehnen, sollte schließlich die Verknüpfung herstellen zwischen der Geopolitik auf dem Balkan und dem Schicksal der Eroberungen Justinians in Italien. Zur gleichen Zeit, als Justin II. die Botschafter der Awaren vor die Tür setzte, brach ein neuer Konflikt zwischen den Gepiden und den Langobarden aus. 566 errangen die Gepiden mit militärischer Unterstützung der Römer einen Sieg, weigerten sich hinterher jedoch, wie zuvor ausgemacht, diesen die Kontrolle über die Stadt Sirmium zu überlassen. Daher sahen sich die Römer nicht veranlasst, schützend einzugreifen, als die Langobarden im Jahr darauf (mit wirtschaftlicher Unterstützung durch die Awaren) die Gepiden unterwarfen und ihnen ein für allemal ihre Unabhängigkeit nahmen. Der König der Langobarden freute sich angeblich so sehr über diesen Sieg, dass er sich aus dem Schädel des Gepidenkönigs Kunimund einen Trinkbecher schnitzen ließ.26 Doch dieser Sieg hatte auch einige ernsthafte Nachteile. Die Niederlagen von Sigibert 566 und den Gepiden 567 ließen keinen Zweifel daran, dass sich die Awaren rapide zu einem ernst zu nehmenden politischen Akteur entwickelten – und dass sie sich zunehmend nach Westen orientierten. Zwischen den Gebieten der Langobarden und ihren gefährlichen nomadischen Nachbarn gab es jetzt überhaupt keinen Puffer mehr. Anfang 568, wie es heißt am 2. April, verließ ein Zug aus mehreren Zehntausend Langobarden – vom Adligen bis zum Sklaven – für immer die Mittlere Donau. Ihr Ziel: Norditalien.
Das Exarchat Am 13. August 554, fast zwei Jahre nach dem Tod Tejas, erließ Justinian in Form einer Pragmatischen Sanktion (pragmatica sanctio) eine Reihe gesetzlicher Vorschriften für seine neuen Provinzen in Italien. Wie
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Nordafrika sollte Italien ein sogenanntes Exarchat bilden, also eine eigene Präfektur mit mehreren untergeordneten Statthaltern. Mit diesen Gesetzen wollte der Kaiser das Chaos beseitigen, das Totilas Aufstand hinterlassen hatte. Dabei ging es auch und gerade um materielle Dinge. Alle Zahlungen und Geschenke an die gotischen Könige bis einschließlich Theodahad (also nicht die von Witichis und Totila) blieben voll rechtsgültig, und die Pragmatische Sanktion erkannte an, dass in den Wirren des Krieges wahrscheinlich zahlreiche juristische Dokumente auf Nimmerwiedersehen in Rauch aufgegangen waren, sodass es alternativer Mechanismen zum Nachweis von Besitzverhältnissen bedurfte. Die neuen Vorschriften sicherten zurückkehrenden Flüchtlingen das Recht zu, ihr früheres Eigentum wieder in Besitz zu nehmen; wer in der Zeit von Totila, insbesondere während der Belagerung von Rom, gezwungen worden war, ein für sich nachteiliges wirtschaftliches Arrangement einzugehen, sollte beantragen können, dass dieses Arrangement rückgängig gemacht wurde. Diese Regelung galt sowohl für Liegenschaften als auch für bewegliches Eigentum und wird Anlass zu unzähligen Gerichtsprozessen gegeben haben, wie sie die überlieferten Quellen erwähnen.27 Außerdem wollte der Kaiser dafür sorgen, dass das Steuersystem wieder in Gang kam, gestattete aber, dass die Steuern durch die italischen Gemeinden vor Ort eingezogen wurden und nicht von Außenstehenden aus Konstantinopel. Dies war ein ganz bedeutendes Zugeständnis, denn es zeigte, wie streng man beim Eintreiben der Steuern vorging. Andere Vorschriften betrafen eher allgemeine Fragen, zum Beispiel welche Gesetze und welche Münzen fortan gelten sollten; wiederum andere waren spezifischer, wie jene, in denen es um die Nonnen ging, die man aus ihren Klöstern entführt und zur Ehe gezwungen hatte (meist wohl weniger aus Liebe und Zuneigung, sondern eher, um dann eine Mitgift zu fordern). Daneben fanden auch die Belange der bedeutenderen Mitbürger ausdrückliche Erwähnung, die aber auch schon in den Gesetzen zu den gültigen Eigentumsverhältnissen und zur Wiederherstellung von verlorenem und/oder entwendetem Eigentum impliziert waren. Die Senatoren sollten nach Belieben in Konstantinopel ein und aus gehen dürfen. Das Schicksal einer besonders großen Zuwendung, die Theodahad einst aus dem Vermögen von Markian entnommen hatte, wurde gesondert erwähnt: Der Gotenkönig hatte alles dem Senator Maximus gegeben, nun aber sollte Liberius die Hälfte davon erhalten.
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Allerdings war der Kaiser hier ein wenig voreilig. Anders als noch in der Pragmatischen Sanktion räumte er im folgenden Jahr in einem weiteren Gesetz ein, dass noch nicht überall Frieden herrschte, und legte daher Schutzmaßnahmen für sizilianische Schuldner fest, die aufgrund der vorherrschenden Bedingungen ihre Kredite nicht zurückzahlen konnten. Im Sommer 554, als die Sanktion entworfen wurde, hatte Narses immer noch alle Hände voll damit zu tun, eine fränkische Armee zu bekämpfen, die 553 auf der italischen Halbinsel eingefallen war. Angeführt wurden die Franken von zwei Brüdern, Butilinus und Leuthari. Das Heer bestand größtenteils aus Alamannen und zählte, so Agathias, 50 000 Mann. Im Sommer 553 überquerte es den Po, besetzte Parma und besiegte eine Truppe herulischer foederati, die sich ihm entgegengestellt hatten. Nachdem sie in Parma überwintert hatten, zogen die beiden Brüder in der ersten Jahreshälfte 554 weiter bis nach Samnium und teilten dort ihre Streitmacht auf. Leuthari fiel in Apulien und Kalabrien ein, bescherte den Bewohnern jede Menge Leid und Zerstörung und machte zahlreiche Gefangene. Mittlerweile war Sommer, und Leuthari wollte mit seiner Beute nach Hause zurückkehren, nicht aber Butilinus: Ihm war der Königsthron der Goten angeboten worden, und er wollte bei seinem (größeren) Teil der Armee bleiben. Er war bereits durch Kampanien, Lukanien und Brutium gezogen und hatte die Westküste Italiens bis zur Straße von Messina heimgesucht. Dann war er nach Kampanien zurückgekehrt und hatte sich am Ufer des Casilinus in der Nähe von Capua niedergelassen – ausdrücklich in der Absicht, gegen Narses zu kämpfen.28 Laut Agathias hatte Narses 18 000 Mann unter sich und Butilinus 30 000, aber die fränkisch-alamannische Armee bestand hauptsächlich aus leichter Infanterie, die über keinerlei nennenswerte Rüstungen verfügte. Am Morgen der Schlacht gab es einigen Tumult unter Narses’ Herulern: Narses sah sich gezwungen, einen ihrer Offiziere wegen Mordes hinzurichten, woraufhin der Rest drohte, nicht zu kämpfen. Sie änderten schließlich doch noch ihre Meinung, trafen aber später als geplant auf dem Schlachtfeld ein. Narses musste in seiner Schlachtreihe für sie eine Lücke lassen. Wie üblich hatte Narses seine Kavallerie auf den beiden Flanken platziert – auf der linken Seite zum Teil im dichten Wald verborgen – und die Infanterie in der Mitte. Bevor die Heruler in Stellung gehen konnten, landeten Butilinus’ Truppen einen massiven
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Angriff in Keilform, direkt in die römische Infanterie hinein. Sie kämpften sich mühelos durch Narses’ leichte Vorhut, ein Teil schob sich direkt durch die Lücke in der Schlachtreihe, wo die Heruler hätten kämpfen sollen. Eben jene Soldaten wähnten sich sofort als Sieger, als sie das römische Lager vor sich sahen, und dachten ab da nur noch an ihre Beute. Dabei war der größte Teil der leichter ausgerüsteten Alamannen inzwischen von Narses’ schwerer Infanterie aufgehalten worden. Im Handumdrehen verlor Butilinus die Kontrolle über seine Streitkräfte, die nun ungeordnet durcheinanderliefen. So war es für Narses ein Leichtes, zum finalen Schlag auszuholen. Von den Flanken aus rückte seine Kavallerie an und schoss ihre Pfeile dem Feind in den Rücken und in die Flanke, während die Heruler, die schließlich doch noch eingetroffen waren, gemeinsam mit den römischen Infanterie-Bogenschützen, die als Reserve hinter der Hauptschlachtreihe zurückgeblieben waren, jene von Butilinus’ Soldaten töteten, die sich bereits nach hinten durchgeschlagen hatten. Am Ende war Butilinus’ Streitmacht vollkommen aufgerieben. Laut Agathias überlebten von der fränkisch-alamannischen Armee nur fünf Soldaten, wohingegen die Römer gerade einmal 80 Mann verloren hätten. Man muss diesen Opferzahlen keinen Glauben schenken; wichtig ist vor allem, dass hier wieder einmal eine oströmische Feldarmee aufgrund ihrer taktischen Überlegenheit über einen zahlenmäßig viel größeren Feind triumphierte.29 Leutharis Armee erging es kaum besser. Sie zog sich entlang der Ostküste nach Norden zurück und schaffte es unbeschadet bis zum Hafen von Fanum, doch in Pisaurum wurde ihre Vorhut aus dem Hinterhalt überfallen. Im nachfolgenden Chaos gelang den meisten von Leutharis Gefangenen die Flucht, und obendrein nahmen sie einen Großteil seiner Beute mit. Leuthari setzte seinen Rückzug aber fort und marschierte direkt nach Norden zum Po, wo er endlich wieder in von den Franken kontrolliertes Gebiet kam und in Ceneta (dem heutigen Vittorio Veneto) überwinterte. Doch im Winterlager brach eine ansteckende Krankheit aus; Agathias beschreibt genüsslich, wie Leuthari Anfälle bekam und jämmerlich zugrunde ging und wie fast alle seine Soldaten ebenfalls starben. Auch wenn Agathias hier wie so oft zur Übertreibung neigt: Die Niederlage der fränkischen Armee markierte das Ende des Kampfes um Justinians neues Exarchat.30
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Zugleich erstarb bei den Goten der letzte Funke konzertierten Widerstands. Butilinus und Leuthari waren in Reaktion auf Tejas Hilferuf in der zweiten Jahreshälfte 552 nach Italien gekommen. Nur weil Teja wusste, dass sie bereits auf dem Weg waren, hatte er sich so sehr bemüht, Totilas Schatzkammer in Cumae zu verteidigen. Und auch wenn die Franken zu spät kamen, um Teja noch zu helfen, gelang es ihnen immerhin, den gotischen Widerstand hier und da wiederaufleben zu lassen. Möglich war dies nur, weil Justinian gegenüber den Goten eine ganz andere Strategie fuhr als zuvor bei den Vandalen. In Nordafrika wurden die Vandalen komplett ausgerottet. Alle Männer, die nicht auf dem Schlachtfeld ihr Leben ließen, wurden deportiert, genau wie schließlich auch – nach der Meuterei – ihre Frauen; jeglicher Grundbesitz, den die Vandalen von Geiserich erhalten oder später erworben hatten, wurde vom römischen Staat konfisziert. Auch in Italien starben viele Goten auf dem Schlachtfeld, und einige wurden in den Osten deportiert, so die Garnisonen, die Belisar zu Beginn des Konflikts besiegte, und einige der Truppen, die 540 mit Witichis in Ravenna in die Falle gingen. Die wirkmächtige Kombination aus Tötungen und Deportation war mit Sicherheit dafür verantwortlich, dass nach den Niederlagen von Totila und Teja im Jahr 552 keine gotische Armee mehr ins Feld geschickt werden konnte, die etwas auszurichten imstande gewesen wäre. Allerdings wurden die meisten der Goten, die sich ergaben (abgesehen von den Kriegsgefangenen, die Berichten zufolge nach der Schlacht von Busta Gallorum hingerichtet wurden), einfach wieder nach Hause geschickt. So verfuhr Belisar im Jahr 540 mit der gesamten Armee von Witichis, deren Soldaten südlich des Po lebten, und ebenso Narses mit den restlichen Goten, die nach Tejas Tod beim Mons Lactarius einen Waffenstillstand mit ihm aushandelten. Indem die Pragmatische Sanktion alle Zahlungen und Geschenke bis einschließlich derer Theodahads als rechtsgültig anerkannte, unterstützte sie ebenfalls zumindest implizit eben jene Strategie.31 So kam es, dass den Franken damals, als sie im Frühjahr 553 in Italien einfielen, militante Goten zu Hilfe eilten, die bereits in ihre Häuser am Mons Lactarius zurückgekehrt waren, aber sofort bereit waren, den Kampf wiederaufzunehmen und von drei Standorten aus Widerstand zu leisten, die Narses gerade auszulöschen versuchte. Hinter den Mauern von Cumae, mit Totilas Schatzkammer im Rücken, kämpfte Tejas Bruder
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Aligern entschlossen weiter. Agathias referiert den Militäreinsatz überzeugend: Die Römer hätten jede erdenkliche Strategie angewandt, die bei Belagerungen im 6. Jahrhundert üblich waren, vom klassischen Frontalangriff bis hin zum Versuch, die Festungsmauern zu untergraben. Indulf, einer von Belisars Gardisten nicht-römischer Herkunft, der zu den Goten übergelaufen war, als sein Feldherr 548/549 nach Konstantinopel zurückbeordert worden war, hatte sich mit 1000 Mann weiter nördlich nach Pavia zurückgezogen. Nach wie vor im Süden, in Acheruntia (dem heutigen Acerenza in der Basilikata), hielt sich eine dritte Gruppe auf, die von Moras und einem Bittigur-Hunnen namens Ragnaris angeführt wurde.32 Viele dieser Gruppen schlossen sich Butilinus an, um ein letztes Mal gegen die Römer aufzubegehren; sie waren sogar bereit, ihm den gotischen Königsthron anzubieten, wenn er nur Narses besiegte. Sie alle gaben nach der Schlacht am Casilinus jegliche Hoffnung auf ein unabhängiges gotisches Königreich in Italien auf. Einige waren schon früher der Ansicht, dass alles verloren war. Als er erfuhr, dass Butilinus König der Goten werden sollte, verhandelte Aligern über eine Kapitulation von Cumae. Wie Agathias es in dem ihm eigenen knappen Stil ausdrückt, führte ihn eine sorgfältige Einschätzung der Situation (…) zur Erkenntnis, dass die Franken als Reaktion auf einen Hilferuf eingetroffen waren, sich aber einer leeren Bündnisformel bedienten, um zu verschleiern, dass sie in Wirklichkeit ganz andere Absichten hegten. Falls sie die Römer besiegten, hätten sie sicherlich nicht die Absicht, den Goten Italien zu überlassen, sondern würden die Leute, die sie eigentlich verteidigen sollten, versklaven.33
Nach der Kapitulation war Aligern sogar bereit, mit seinen Soldaten Seite an Seite mit den Römern gegen Butilinus zu kämpfen. Hier offenbarte sich eine Tatsache, die auch die Ankunft der Franken nicht länger verschleiern konnte: Die oströmischen Militäraktionen hatten die Zahl der effektiv einsetzbaren gotischen Truppen so weit dezimiert, dass die Goten die unter Theoderich etablierte unabhängige Herrschaft über die italische Halbinsel nicht länger aufrechterhalten konnten. Totila hatte versucht, die Öffentlichkeit darüber hinwegzutäuschen, indem er unterbezahlte und unzufriedene römische Soldaten rekrutiert hatte, aber die meisten von ihnen hatten erneut die Seiten gewechselt, als endlich wieder eine römische Feldarmee die Arena betrat. Teja bat stattdessen die
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Franken um Hilfe, aber als sie endlich eintrafen, hatten die Goten eine erneute Niederlage erlitten, und anschließend waren nur noch so wenige übrig, dass ihre letzten überlebenden Anführer uneins waren, ob es für die Goten überhaupt noch eine Zukunft gab. Nach Butilinus’ Niederlage gab es keine weitere groß angelegte gotische Rebellion, doch auch so hatten die Römer noch allerhand zu tun. Nach der Schlacht am Casilinus verschanzte sich Ragnaris mit einer Armee von 7000 Mann – offenbar hatten die Schlacht doch mehr Soldaten überlebt als jene fünf, die Agathias erwähnt – in der Festung von Conza della Campania. Narses belagerte sie im Winter 554/555, aber die Festung verfügte über große Mengen Vorräte, und im Frühjahr 555 trafen sich die beiden Heerführer von Angesicht zu Angesicht, um die Bedingungen einer möglichen Kapitulation zu besprechen. Die Diskussion führte zu nichts, und nachdem man das Treffen für beendet erklärt hatte, schoss Ragnaris aus einiger Entfernung einen Pfeil auf Narses ab. Er verfehlte ihn – und Ragnaris wurde umgehend von Narses’ Leibwächter getötet. Zwei Tage nach seinem Tod ergab sich die Garnison, und alle 7000 Mann wurden aus Italien deportiert.34 Damit war der Widerstand im Süden gebrochen, und Narses erweiterte seinen Einflussbereich langsam nach Norden. Im Jahr 560 hatte Ostrom Ligurien, Istrien und den größten Teil Venetiens fest im Griff. Nur der Osten Venetiens war noch nicht unterworfen, und eben dort flackerte zum letzten Mal so etwas wie eine Revolte auf: Ein gotischer Adliger namens Widin probte 561 in Brescia den Aufstand und rief einmal mehr die Franken um Hilfe an. Das Manöver scheiterte.35 Widins Niederlage markierte das endgültige Schwinden des Widerstands der Goten gegen die Eroberung Italiens durch Justinian. Als Narses Konstantinopel im November 562 Rapport erstattete, konnte er die Einnahme von Verona und Brescia vermelden. Die Tatsache, dass Widin trotz all der Niederlagen, die die Goten in der Zwischenzeit erlitten hatten, noch zu revoltieren wagte, deutet stark darauf hin, dass Ostrom im Norden noch keine besonders gut funktionierenden Kontrollmechanismen implementiert hatte. Davon zeugt auch der Aufstand, den Sindual, der Anführer der herulischen foederati, vom Zaun brach, als Justinian 565 starb. Sindual war in den 550er-Jahren mit Narses nach Italien gekommen und im Winter 553/554 von Narses persönlich zum Befehlshaber der Heruler ernannt worden. Seither war er
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Feldarmeekommandant (magister militum) mit dem Status eines illustris. Doch nach Justinians Tod erklärten seine Anhänger in den Bergen nordöstlich von Trient ihn plötzlich zum König – eine veritable politische Unabhängigkeitserklärung. Narses setzte Sindual ab und tötete ihn, aber allein die Tatsache, dass der Heruler nach über zehn Jahren als loyaler römischer Militär plötzlich einen derart gesteigerten politischen Ehrgeiz an den Tag legte, beweist, wie chaotisch die Situation im Norden bis Mitte der 560er-Jahre gewesen sein muss.36 Und bevor sich die Lage einigermaßen stabilisieren konnte, traten im Frühjahr 568 die Langobarden auf den Plan und stürzten Nord- und Mittelitalien erneut ins Chaos. Ein Jahr später kam ihr König Alboin, nachdem er sich bereits viele Städte weiter östlich einverleibt hatte, mit seiner Armee nach Mailand im Nordwesten – am 3. September 569 fiel die Stadt. Nach langer Belagerung eroberte er 572 auch Pavia; zu diesem Zeitpunkt kontrollierten die Langobarden bereits den größten Teil Norditaliens. Leider werden unsere Quellen an dieser Stelle ein wenig lückenhaft, doch binnen weniger Jahre, wahrscheinlich Mitte der 570er, entstanden in den höher gelegenen Regionen Mittel- und Süditaliens zwei weitere langobardische Herzogtümer: eines in Spoleto, nahe der so wichtigen Via Flaminia, das andere bei Benevent. Von den Gebieten, die Ostrom den Ostgoten abgenommen hatte, blieben damit nur Sizilien, der äußerste Süden Italiens, das Umland von Rom im Westen und Ravenna im Nordosten (wo der Exarch seinen Sitz hatte) übrig.37 Was folgte, ist schnell erzählt. Die Gebiete, die Ostrom in den 560erund 570er-Jahren verloren gingen, ließen sich nicht mehr zurückerobern. Die Ankunft der Langobarden machte alle Chancen zunichte, eine italische Präfektur zu errichten, die das gesamte ehemalige ostgotische Königreich umfasste. In dieser Hinsicht war Justinians Expansionspolitik in Italien ein glatter Fehlschlag, doch ob allein er daran schuld war, ist fraglich. Da es in erster Linie die Ankunft der Langobarden war, die es den neuen Exarchen von Ravenna unmöglich machte, dem Römischen Reich die Kontrolle über die gesamte Halbinsel zu sichern, war letztlich der Aufstieg der Awaren dafür verantwortlich. Eine über zweihundert Jahre später verfasste Quelle berichtet gar, die Langobarden seien von Narses nach Italien »eingeladen« worden; Grund dafür sei ein anhaltender Streit des Feldherrn mit Kaiserin Sophia, der Ehefrau von Justinians Nachfolger Justin II., gewesen. Angesichts seiner bisherigen
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Karriere und der Tatsache, dass Narses sich bald zurückzog, um ruhig und abgeschieden in Rom zu leben, das fest in der Hand Konstantinopels war, ist diese Behauptung völlig unglaubwürdig. Tatsächlich waren die Langobarden auf eigene Initiative nach Italien gekommen, und dabei hatte es ganz offensichtlich sowohl (positive) »Pull«- als auch (negative) »Push«-Faktoren gegeben. Einerseits war Italien eine attraktivere, fruchtbarere Landschaft als die Territorien der Langobarden an der Mittleren Donau, und wie die Vorkommnisse mit Widin und Sindual zeigen, war der Norden nicht allzu fest in römischer Hand. Letztendlich war Justinian also insofern schuld an den Entwicklungen, als er den Krieg ohne Rücksicht auf Verluste weiterführte und das so entstandene Chaos in Norditalien den Langobarden Tür und Tor öffnete. Und andererseits darf man getrost bezweifeln, dass die Langobarden die Donauregion überhaupt verlassen hätten, wenn nicht nach der Vernichtung der Gepiden im Jahr 567 die mächtigen Awaren bei ihnen aufgetaucht wären. Die Reiche der Steppennomaden waren von Natur aus auf Expansion ausgerichtet, und die Awaren hatten gerade erst ihre Macht potenziert, indem sie die Gepiden unterworfen hatten (wie bereits die Kutriguren, die Utiguren und eine Reihe kleinerer slawischer Stammesgruppen). In militärischer Hinsicht waren die Langobarden alles in allem nicht mächtiger als die Gepiden – immerhin waren sie im halben Jahrhundert zuvor mehrmals aneinandergeraten, ohne dass es einen eindeutigen Sieger gegeben hatte. Wären sie in der Donauregion geblieben, dann wäre es um ihre Chancen bei einem Angriff der Awaren nicht allzu gut bestellt gewesen. Kontingente der Langobarden hatten bereits im Gotenkrieg mitgemischt und die Feuerkraft römischer Feldarmeen aus erster Hand erlebt, und sie hatten sicherlich auch mitbekommen, dass die Römer Butilinus und Leuthari vernichtet hatten – sie werden also nicht davon ausgegangen sein, dass es leicht werden würde, ein Stück oströmischen Territoriums zu erobern. Doch wie diverse andere germanische Gruppen schon früher, an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert, als die Hunnen ihre Gebiete bedrohten, beschlossen die Anführer der Langobarden, dass die beste Strategie zum Umgang mit den unberechenbaren Nomaden die Flucht nach vorn war – selbst wenn das bedeutete, dass sie gegen die Römer würden kämpfen müssen (und es gelang ihnen auch, eine kritische Masse ihrer Anhänger davon zu überzeugen).
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In anderen Worten: Es besteht ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen dem Aufstieg der Awaren und der Ankunft der Langobarden in Italien.38 Kurzfristig war es mithin weniger die Tatsache, dass die kaiserlichen Ressourcen allzu sehr strapaziert wurden, dass ein großer Teil von Justinians neuer italischer Präfektur verloren ging, als vielmehr die plötzliche Hegemonie der Awaren in Mittel- und Osteuropa, und für Letztere kann man meiner Ansicht nach kaum dem römischen Kaiser die Schuld geben. Schließlich war es schon hundert Jahre her, dass Attilas Reich zusammengebrochen war, und es gab keinen Grund anzunehmen, dass ein neues Steppenreich auf dem Vormarsch war. Nach der Invasion der Langobarden war die italische Halbinsel zweigeteilt; einen Teil regierte Konstantinopel, den anderen eine germanisch geprägte Macht. Längerfristig ähnelte das Ergebnis von Justinians Eroberung deutlich dem Teilungsvertrag, den Witichis Ende 538 vorgelegt hatte und den der Kaiser im Dezember 539 beinahe doch noch akzeptiert hätte. Dass er dies dann doch nicht tat, war auf Belisars Überzeugung zurückzuführen, dass ihm die militärische Situation Ende 539 die – möglicherweise einzigartige – Chance bot, die gesamte Halbinsel unter seine Kontrolle zu bringen; die militärischen und diplomatischen Initiativen, die er zu diesem Zweck in Angriff nahm, machten alle Verhandlungen über eine Teilung null und nichtig. Andernfalls wäre in territorialer Hinsicht so ziemlich das gleiche Ergebnis erzielt worden, nur zu einem wesentlich geringeren Preis für alle Beteiligten – nicht nur die Goten und die Römer, sondern vor allem die einheimische Bevölkerung Italiens hatte unter Totilas Aufstand, der Intervention der Franken und der Invasion der Langobarden zu leiden. Zudem hätten sich die oströmischen Gebiete auf der Halbinsel viel besser vor dem neuen Chaos schützen können, das die Awaren in Mitteleuropa anrichteten, wenn sie durch einen stärkeren, widerstandsfähigeren gotischen Pufferstaat abgeschirmt gewesen wären. Es spricht also einiges dafür, dass Belisars Fehleinschätzung vor Ort und nicht Justinians Politik in Konstantinopel die Hauptursache dafür war, dass das Imperium seine Ressourcen überstrapazierte – was es letztlich den Langobarden erleichterte, in Italien einzufallen.39 Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Ostrom ohne die Langobarden seine Herrschaft in Italien nicht wie schon in Nordafrika hätte konsolidieren können. Die Verwaltungsstruktur der neuen Präfektur
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baute auf einem längst etablierten römisch-gotischen Erbe auf und hätte mit Sicherheit ganz effektiv funktioniert. Zweifellos wären zunächst, wie damals in Nordafrika, diverse hochrangige Beamte aus Konstantinopel nach Italien versetzt worden (wie es Anfang der 540er-Jahre ja bereits geschah), und mit der Pragmatischen Sanktion versuchte man, lokale Eliten in die politisch sensible Aufgabe der Steuererhebung einzubeziehen; zahlreiche Exilanten aus Italien kehrten zurück, die bereits in die gesellschaftlichen und staatlichen Netzwerke Ostroms eingebunden waren. Zu gegebener Zeit wurden dann auch die oströmischen Streitkräfte in Italien durch lokale Rekruten aufgestockt.40 In ideologischer Hinsicht – darauf deuten alle Quellen hin – scheint der Integrationsprozess grundsätzlich kaum Probleme bedeutet zu haben. Langfristig wurde aus dem Papsttum ein Zentrum mit eigener politisch-religiöser Autorität, das vom Römischen Reich unabhängig war. Da Papst Vigilius die Initiativen Justinians zur Überwindung der Spaltung der Ostkirche vehement abgelehnt hatte, waren viele der Ansicht, die Phase unter den Goten, in der das Papsttum unabhängig war, habe eine vollständige Wiedereingliederung in das oströmische System verhindert, dessen Herrscher nicht den geringsten Zweifel daran hatte, dass er selbst über eine übergreifende religiöse Autorität verfügte (siehe Kapitel 1). Nach dem Dreikapitelstreit zu urteilen sollte man dieses Problem jedoch nicht überbewerten. Papst Vigilius legte gegen Justinians Initiative zunächst formellen Widerspruch ein (das erste Constitutum des Papstes) und weigerte sich, 553 am fünften ökumenischen Konzil des Kaisers teilzunehmen. Aber nachdem er wiederholt von hochrangigen Delegationen unter Druck gesetzt worden war (manchen von ihnen gehörte auch Belisar an), akzeptierte Vigilius’ zweites Constitutum vom 26. Februar 554 in vollem Umfang die Gültigkeit des Konzils, das die Anerkennung der umstrittenen drei Kapitel abgelehnt hatte. Das war der Preis, den Vigilius zahlen musste, um nach Italien zurückkehren zu dürfen. Leider starb er unterwegs. Doch auch seine Nachfolger unterstützten die Position des Kaisers. Papst Pelagius I. (556–561) behauptete allerdings rundheraus, das Urteil des Konzils ändere an der Haltung des Papstes überhaupt nichts – eine glatte Lüge. Gregor der Große (590–604) gab zu, dass das Papsttum umgeschwenkt war, begründete dies jedoch damit, dass neue Informationen ans Licht gekommen seien, die Papst Leo noch nicht zur Verfügung ge-
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standen hatten, als jener für das Konzil von Chalkedon seinen berühmten Tomus ad Flavianum verfasst hatte. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts lehnten sich nur noch zwei Kirchenprovinzen in Italien, Mailand und Aquileia gegen die Beschlüsse des Zweiten Konzils von Konstantinopel auf, und beide unterlagen nun nicht mehr der Kontrolle des Imperiums. Dieses Muster legt nahe, dass die religiöse Autorität des Kaisers auch im ausgehenden 6. Jahrhundert noch stark genug war, um lokale zentrifugale Tendenzen unter den italischen Geistlichen einzudämmen, genau wie zuvor in Nordafrika. Und wie schon Nordafrika passten sich nun sowohl Sizilien als auch Rom rasch den Normen des oströmischen Christentums im 6. Jahrhundert an, im Kirchenbau, aber auch bis hin zu einzelnen religiösen Bräuchen. Im 7. Jahrhundert wurde sogar das Papsttum von einer Reihe griechischsprachiger Kleriker dominiert.41 Was die Wirtschaft betrifft, so ergibt sich aus einem Vergleich der narrativen Quellen mit neueren archäologischen Funden ein extrem spannendes Bild. Die Quellen implizieren, dass die Römer auf der italischen Halbinsel unter der Provinzbevölkerung viel größeres Leid verursachten als in Nordafrika, selbst angesichts der dortigen Meuterei und des anschließenden Berberaufstands. Ein Krieg, der eine ganze politische Generation lang dauerte und bei dem es immer wieder zu heftigen Gefechten kam, muss unter den Einwohnern Italiens zu großen Verlusten geführt haben. Einzelne Ereignisse wie die Eroberungen von Neapel und Mailand zu Beginn und die von Tibur im weiteren Verlauf des Krieges hat Prokop sehr anschaulich beschrieben. Weil große Armeen versorgt werden mussten und Soldaten plünderten, kam es auf regionaler Ebene zu schweren Hungersnöten. Zwar konzentrierte sich die Kriegsführung auf die Städte, aber die Konflikte unterbrachen dennoch immer wieder die landwirtschaftliche Produktion, und sie erwiesen sich auch in sozialer Hinsicht als disruptiv, zum Beispiel als der zunehmend verzweifelte Totila gegen Ende des Krieges dazu überging, römische Sklaven zu bewaffnen. Wie viele Menschen insgesamt in Italien in diesem Krieg ihr Leben ließen, lässt sich unmöglich ermitteln, aber die archäologische Fundlage in Italien ist ab jetzt eine ganz andere. Insbesondere das von den Langobarden eingenommene Norditalien konnte sich nie mehr vollständig von den verheerenden Auswirkungen des Krieges erholen – zumindest gibt es dort für die Zeit um 700 kaum Anhaltspunkte, die auf das Vorhandensein komplexer Austauschsyste-
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me schließen ließen. Die – zugegebenermaßen unvollständigen – Siedlungsnachweise deuten stark auf einen erheblichen Bevölkerungsrückgang hin. Dieser lässt sich nicht konkret beziffern, aber wir wissen, dass hier eine Region, die einer der wichtigsten Knotenpunkte der römischen Spätantike gewesen war, im Zuge des demografischen Rückgangs auch einen so erheblichen wirtschaftlichen Niedergang erlebte, dass man wieder zu einer lokalen Tauschwirtschaft überging. Das war in den Gebieten, die weiterhin von Konstantinopel kontrolliert wurden, ganz anders. In Süditalien blieb die Keramikindustrie intakt und behielt ihre relativ großen Absatzmärkte, was darauf hindeutet, dass auch ganz allgemein die Formen des Austauschs ihre größere Komplexität behielten. Auch Rom erholte sich nach diversen Belagerungen immer wieder und wurde erneut zu einer sehr reichen Stadt; noch im 7. Jahrhundert importierte man dort beträchtliche Mengen von Waren. Allerdings war dies in keiner Weise vergleichbar mit früher: Man nimmt an, dass die Bevölkerungszahl Roms auf ein Zehntel sank, von einigen Hunderttausend zu Beginn des 5. Jahrhunderts auf einige Zehntausend Einwohner zweihundert Jahre später. Süditalien hingegen war – trotz allem – im 7. und frühen 8. Jahrhundert wahrscheinlich reicher als jede andere Region des alten römischen Westens. Ob oder in welchem Maße der wirtschaftliche Niedergang hätte vermieden werden können, wenn Justinian nicht seine Armeen auf Italien losgelassen hätte, ist schwer abzuschätzen. Cassiodors Variae erwecken den Eindruck, als habe es im ostgotischen Königreich vor 536 überhaupt keine Probleme gegeben, aber dies ist nur Fassade – eben jene Art der Simplifizierung wirtschaftlicher Strukturen, die wir im langobardischen Italien beobachtet haben, betraf auch jede andere Region des poströmischen Westens, sobald es mit der pax Romana ein Ende hatte. Ich bezweifle nicht, dass Justinians Kriege viel zerstört und auf der italischen Halbinsel viele Menschen das Leben gekostet haben, aber die dortige Wirtschaft dürfte sich auch unter der Herrschaft der Ostgoten eher in Richtung der einfacheren Muster entwickelt haben, wie sie im frühmittelalterlichen Norden existierten.42
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Das Ende im Westen Auf den ersten Blick haftet Justinians Westreich etwas sehr Vergängliches an; das liegt vor allem daran, dass der Kaiser binnen eines Jahrzehnts nach dem endgültigen Sieg über die Goten einen Großteil der italischen Halbinsel an die Langobarden verlor, aber auch an dem, was seinem Regime in Hispanien widerfuhr – darüber berichtet Prokop gar nicht: Im Jahr 551 rebellierte der westgotische Adlige Athanagild gegen den regierenden König Agila und bat Konstantinopel um Unterstützung. Die kam auch, in Form einer Flotte und einiger Soldaten, die von dem Patrizier Liberius angeführt wurden. Details der nun folgenden Ereignisse kennen wir nicht, aber wir wissen, dass Athanagild König wurde und die Römer in Hispanien blieben. Wie groß diese letzte Ergänzung von Justinians Westreichs tatsächlich war, ist sehr umstritten. Eine recht konservative Schätzung, die aber einigermaßen überzeugend wirkt, geht davon aus, dass die römische Flotte eine begrenzte Anzahl von Küstenstädten im Süden besetzt hat, und zwar (soweit wir das beurteilen können) ganz ohne Blutvergießen. Cartagena, Malaga, Sagunt und Assidonia, jeweils samt ländlichem Umland, gehörten nun zu Konstantinopel, bis knapp fünfzig Jahre später die westgotische Monarchie umstrukturiert wurde und sich diese Gebiete zurückholte. König Sisebut (612–621) nahm alles außer der Algarve wieder in Besitz, und im Jahr 624 vollendete Suinthila diesen Job.43 Die hispanische Episode scheint wie eine Metapher für Justinians gesamtes Abenteuer im Westen: Es war ein Kampf gegen Windmühlen, und er sorgte für viel menschliches Leid und kostete Unmengen; der Kaiser hat dabei streng genommen nichts erreicht, was irgendwie von bleibendem Wert war. Bevor man allerdings ein dermaßen vernichtendes Urteil fällt, sollte man sich die Mühe machen, Justinians Aktivitäten in Hispanien geografisch und chronologisch möglichst präzise zu analysieren. Das hispanische Intermezzo war extrem kurz, und so gering Kosten und Aufwand offenbar waren, so wenig brachte das Ganze Konstantinopel letztendlich ein. Immerhin konnte das Imperium der Liste von Hafenstädten im westlichen Mittelmeer, das es seit der Eroberung des Vandalenreichs kontrollierte, ein paar weitere hinzufügen. Vermutlich dienten die Neuzugänge vor allem oströmischen Kaufleuten dazu, auf den hispanischen Märkten ihre Waren abzusetzen – von großem militä-
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rischem oder fiskalischem Wert können sie allerdings kaum gewesen sein. Wenn wir die Menschenleben, die dieses Unterfangen kostete, einmal beiseitelassen (auch wenn man das eigentlich nicht tun sollte): In dieser Hinsicht verhält es sich für Justinians Eroberungen in Sizilien und Nordafrika ganz anders. Da für das damalige Steueraufkommen keine genauen Zahlen überliefert sind, müssen wir uns hier statt eines quantitativen eines qualitativen Ansatzes bedienen: Aus der zentristischen Perspektive Konstantinopels war die Eroberung Siziliens zweifellos die Mühe und die hohen Kosten wert. In Altertum und Mittelalter war Sizilien eine extrem wertvolle Region. Die hohe Produktivität der dortigen Landwirtschaft hatte schon zu Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. griechische Siedler angezogen, und die Insel war eines der allerersten Ziele der römischen Expansion gewesen. Noch anderthalb Jahrtausende danach wollte König Heinrich III. von England seinen Anspruch auf die sizilische Krone durchsetzen, obwohl das kaum nachvollziehbar war und er dabei praktisch bankrott ging und sein Reich in eine politische Krise stürzte. Justinian hingegen war es gelungen, Sizilien seinem Reich ohne große Aufwendungen einzuverleiben: Die Einwohner bekamen davon sogar kaum etwas mit, und die lokale Wirtschaft wurde nicht beeinträchtigt (abgesehen von der Episode im Jahr 550, als Totila die Insel plünderte, um seine Truppen versorgen zu können). Später regierte Konstantinopel Sizilien ohne großen Aufwand bis in die 650er-Jahre hinein, als es die ersten islamisch-arabischen Überfälle gab, und anschließend – mit etwas größerem Aufwand – bis ins 9. Jahrhundert. Bis dahin wird die Insel die Kosten für ihre Eroberung und für die Garnisonen um ein Vielfaches eingespielt haben; auch Quellen aus dem 7. Jahrhundert, von römischen Bischöfen verfasst, bestätigen die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung Siziliens. Das Gleiche gilt für die nordafrikanische Präfektur. Die Kosten für die Eroberung und Befriedung waren hier viel höher als im Fall von Sizilien, und der Umgang mit den Berbern blieb ein Dauerthema. Konstantinopels afrikanische Präfektur fiel auch viel schneller den Arabern in die Hände – der Verlust Karthagos in den 690er-Jahren markierte bereits das effektive Ende der oströmischen Herrschaft in Nordafrika. Doch immerhin hatte sich der größte Teil des dort eroberten Territoriums zu diesem Zeitpunkt fast 150 Jahre lang im Besitz Ostroms befunden. Wenn wir auf die Vergangenheit zurückschauen, neigen wir dazu, Zeiträume
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zu komprimieren. Das alles ist so lange her, dass es sich so anfühlt, als sei zwischen der Mitte des 6. Jahrhunderts und dem ausgehenden 7. Jahrhundert kaum Zeit vergangen. Aber 150 Jahre sind viele Menschenleben, insbesondere zu einer Zeit, als die Menschen noch nicht so alt wurden wie heute. Archäologische Zeugnisse belegen die große landwirtschaftliche Produktivität Nordafrikas und seine politische Bedeutung ab der Zeit von Herakleios, und zwar in einer solchen Dichte, dass man zu dem Schluss kommen kann, dass die hohen Investitionskosten für die Eroberung zu dem Zeitpunkt, als die Region islamisch wurde, längst wieder eingespielt waren. Eine solche Bilanz für Italien zu erstellen, ist komplizierter, als man zunächst vielleicht meint. Überraschenderweise blieben große Teile Italiens lange Zeit unter der Kontrolle Konstantinopels, und wie wir gesehen haben, weisen diese Regionen für die damalige Zeit mehr Anzeichen wirtschaftlichen Wohlstands auf als jene, die Ostrom wieder verlor. Dank der Feldzüge von Belisar und Narses gehörten die Gebiete entlang der Via Flaminia, der diagonalen Achse zwischen Rom und Ravenna, mehr als 150 Jahre lang wieder zum Römischen Reich: Eine bedeutende Enklave rund um Ravenna sowie Rom und ein Großteil Süditaliens wurden bis in die 730/740er-Jahre direkt von Konstantinopel aus regiert. Dann eroberten die Langobarden Ravenna, und Rom rief seine Unabhängigkeit aus, als Kirchenstaat des Papstes bzw. Patrimonium Petri. Der Süden der italischen Halbinsel blieb noch rund zweihundert Jahre lang oströmisch, einzelne isolierte Gemeinden noch länger – Süditalien war also fast ein halbes Jahrtausend unter der Kontrolle Konstantinopels. Zumindest im Süden werden sich Eroberung und Befriedung, so aufwendig und teuer sie gewesen waren, bis zum 9. Jahrhundert längst bezahlt gemacht haben; allein Rom und Ravenna waren wahrscheinlich für Justinians ursprüngliche Investition Rendite genug.44 Für Norditalien gilt das natürlich nicht, und ich will noch einmal betonen, dass die Analyse hier nur die wirtschaftlichen Kosten berücksichtigt und das menschliche Leid außer Acht lässt. Setzt man Letzteres als Maßstab an, war keine der Eroberungen Justinians die hohen Kosten wert. Doch rein wirtschaftlich gesehen, um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Nordafrika, Sizilien und ein hinreichend großer Teil Italiens blieben lange genug in den Händen Konstantinopels, dass sich Justinians Investition letztlich bezahlt machte. Ein weiterer wichtiger
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Punkt, den man beachten sollte, wenn man sich mit den nachfolgenden Gebietsverlusten im Westen befasst, ist die Tatsache, dass der größte Teil dieser Verluste direkt oder indirekt den Ereignissen in den Territorien des Römischen Reiches im Nahen und Mittleren Osten geschuldet war – in Ägypten, Palästina, Syrien und Kleinasien. Der Verlust der hispanischen Küstenenklaven in den 610er- und zu Beginn der 620er-Jahre und die Tatsache, dass die Reaktion auf die Invasion der Langobarden in Norditalien (siehe Kapitel 11) weitestgehend ohne Wirkung blieb, war letztlich darauf zurückzuführen, dass Konstantinopel anderweitig beschäftigt war: Zwischen den 570ern und dem Ende der 620er-Jahre flammte mehrfach der Krieg mit Persien wieder auf und bedrohte die wichtigsten Kerngebiete des römischen Ostens. Das führte dazu, dass der Kaiser keine militärischen Ressourcen, insbesondere keine Feldarmee, zur Verfügung stellen konnte, um den Siegeszug der Langobarden aufzuhalten, wie es zuvor Narses mit den fränkischen Armeen von Butilinus und Leuthari gelungen war.45 Dass Nordafrika in den 690er-Jahren den Arabern in die Hände fiel und Ravenna in den 730er-Jahren den Langobarden und dass sich Rom zur unabhängigen Republik aufschwang – all das hing direkt oder indirekt mit der zweiten islamischen Expansionswelle zusammen, die um 690 nach einer längeren Pause auf die ersten arabischen Eroberungen (ca. 630–660) folgte. Nordafrika war ein direktes Opfer dieser Expansion; ein indirektes war Rom: Die Stadt revoltierte gegen die Steuererhöhungen, die das Regime in Konstantinopel dem Westen zu Beginn des 8. Jahrhunderts auferlegte, um die hohen Kosten für seinen verzweifelten Überlebenskampf gegen das Umayyaden-Kalifat zu decken (die Hauptstadt wurde 717/718 ein ganzes Jahr lang belagert). Und auch als die Langobarden beschlossen, sich Ravenna einzuverleiben und damit ihrem blühenden Königreich das letzte fehlende Puzzleteil hinzuzufügen, hatte der Kaiser keine Ressourcen mehr übrig.46 Selbst der endgültige Verlust eines Großteils des Balkans war letztendlich auf Ereignisse im Osten zurückzuführen. Auf den ersten Blick waren die Awaren dafür verantwortlich. Sie eroberten nicht nur Teile des nordwestlichen Balkans, sondern sorgten zugleich indirekt dafür, dass diverse slawische Stammesgruppen in die gesamte Region einfielen. Groß angelegte Feldzüge der Awaren in den 580er- und vor allem den 610er-Jahren rissen klaffende Löcher in Justinians Verteidigungs-
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ring auf dem Balkan und zogen eine groß angelegte Slawisierung der Region nach sich. Bei genauerem Blick auf die trilateralen Beziehungen zwischen Römern, Slawen und Awaren fällt auf, dass die Römer nach dem ersten Einfall der Awaren und Slawen in den 590er-Jahren die Situation auf dem Balkan durch konsequente Gegenangriffe weitgehend wieder unter Kontrolle gebracht hatten.47 Doch damals war es an der Ostfront gerade relativ ruhig gewesen – im 7. Jahrhundert war die Lage im Osten so kritisch, dass Konstantinopel schlichtweg nicht in der Lage war, für den Balkan die notwendigen militärischen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Diese letzte Beobachtung hilft uns dabei, eine abschließende Frage zu formulieren: Wenn das Schicksal von Justinians neuen Territorien im Westen letztlich von den Ereignissen im Osten abhing und alle hiesigen Verluste das Resultat dortiger Rückschläge waren – war Justinians Expansion im Westen dann ihrerseits für die katastrophale Entwicklung im 7. Jahrhundert im Osten verantwortlich, die wiederum die Stabilität des neuen Römischen Reiches unterminierten, das durch diese Expansion entstanden war?
11 Der Niedergang des Oströmischen Reiches Bedenkt man, wie sehr Prokop die Zerstörungen anprangert, für die Justinians Eroberungen im Westen sorgten, ist es wenig überraschend, dass die Expansion seiner Ansicht nach im östlichen Kernland des Imperiums ebenso verheerende Auswirkungen hatte: Die Perser drangen unter Chosrau viermal in das römische Gebiet ein und zerstörten die dortigen Städte, und was die Menschen betrifft, die sie in den eroberten Städten und in den ländlichen Bezirken vorfanden, so töteten sie einen Teil von ihnen und verschleppten die anderen, sodass das Land, wo immer sie einfielen, danach ohne Bewohner war.
Alles in allem schätzt Prokop, dass »10 000 mal 10 000 mal 10 000« – also 100 Milliarden (!) Menschen – während Justinians teuflischer Herrschaft ihr Leben ließen.1 Das ist natürlich eine literarische Übertreibung, aber da die meisten Kerngebiete des Oströmischen Reiches, die hohe Steuereinnahmen erzeugten – Syrien, Palästina und Ägypten –, in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts zuerst den Persern und dann den Arabern in die Hände fielen, war es nur allzu leicht, zwischen beidem einen Kausalzusammenhang herzustellen: Justinians Expansionspolitik Mitte des 6. Jahrhunderts überforderte das Oströmische Reich und erschöpfte seine Ressourcen, sodass es fremden Mächten zu Beginn des 7. Jahrhunderts ein Leichtes war, seine Kerngebiete zu erobern. Das klingt durchaus plausibel, aber stimmt es auch?
Islamischer Satellitenstaat Justinians Feldzüge im Westen bedingten schwerwiegende Verluste im Osten, daran besteht kein Zweifel. Wie wir gesehen haben, reagierte der persische Großkönig unmittelbar auf das Geschehen im anderen Reichsteil und griff die reichen Städte des römischen Syrien an – angeblich bereitete ihm das Ausmaß des Erfolges des Kaisers in Afrika und Italien
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Sorgen; wie wenig geschützt der römische Osten war, nach zehn Jahren Truppentransfers und allgemeiner Vernachlässigung, ist ihm wohl nicht entgangen. Seiner Offensive stellte sich keine römische Feldarmee in den Weg, die Befestigungsanlagen vieler Städte waren marode, und auch mit der Moral der unterbezahlten Garnisonsstreitkräfte war es nicht allzu weit her. Für die Römer war das alles katastrophal. Chosrau presste nicht nur gewaltige Mengen Geld aus Hierapolis, Beroea, Apameia, Chalkis und Dara heraus, er zerstörte auch noch Antiochia, die Hauptstadt von Justinians östlicher Präfektur, und verschleppte einen Großteil seiner Einwohner in persische Gefangenschaft. Die Jahre 542/543 brachten weitere Verluste. All dies muss man als unmittelbare Auswirkungen von Justinians Eskapaden im Westen ansehen.2 Sicher ist, dass Justinian von 527 bis mindestens Mitte der 550erJahre – von seinem ersten Angriffskrieg gegen Persien bis zu den letzten Militäraktionen in Italien und Lasika – wesentlich mehr Geld für das Militär ausgab als vor ihm Anastasios und Justin. Auf einem Feldzug kam eine Armee viel teurer zu stehen als daheim. Viele zusätzliche Soldaten wurden rekrutiert, und der Sold, die Ausrüstung und Vorräte, der Transport und die Packtiere kosteten ein kleines Vermögen, ganz zu schweigen von der Wartung der Kriegsschiffe und den »Charterkosten« für die Handelsschiffe, mit denen die Truppen transportiert wurden: Neben den erwähnten 500 Schiffen, die Belisars Armee nach Caput Vada brachten, landeten während der 540er-Jahre in den Häfen Italiens noch viele weitere Schiffe, die oströmische Kontingente an die Front brachten. Die Kosten für seine diversen Kriege müssen exorbitant hoch gewesen sein, und Justinian hatte eindeutig Schwierigkeiten, sie zu decken.3 Als der Kaiser die Expeditionsstreitkräfte für den Westen zusammenstellte, musste er den Militärhaushalt an anderer Stelle kürzen. Dass der Sold nicht wie erwartet ausgezahlt wurde, spielte Mitte der 530er-Jahre, als gerade die zweite Armee für Italien zusammengestellt wurde, bei der Meuterei in Afrika eine wichtige Rolle. Aber auch als die italischen Garnisonen zu Totila überliefen, waren Zahlungsrückstände ein wichtiger Faktor – zu diesem Zeitpunkt wurde schon wieder alles Geld in den Krieg gegen die Perser gepumpt. Justinian war schlichtweg nicht in der Lage, mehrere Großoffensiven zur selben Zeit zu finanzieren. In den 540er-Jahren, als der Perserkrieg seinen Höhepunkt erreicht hatte, ließen sich kaum noch Truppen freisetzen und zur Verstärkung
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nach Italien schicken, und auch Lasika wartete vergebens auf Nachschub. Erst als es an der persischen Grenze wieder weitgehend ruhig war, war Justinian in der Lage, Narses die notwendigen Ressourcen zu schicken, damit er in Italien Anfang der 550er-Jahre die Wende herbeiführen konnte.4 Kaufleute, die in die Versorgung und den Transport des Militärs involviert waren, müssen enorme Gewinne erzielt haben, aber die meisten Bewohner des Oströmischen Reiches hatten mit der hohen Steuerlast zu kämpfen; die Steuern stiegen erheblich, wie die Quellen belegen. Eines der Motive, die die gesamte Geheimgeschichte durchziehen, ist Justinians Gier nach dem Geld anderer Leute; immer wieder reichert Prokop seine allgemeine Beschreibung des als verbrecherisch charakterisierten Kaisers mit konkreten Beispielen an, die zeigen, wie wohlhabende Zeitgenossen seiner Habgier zum Opfer fielen. Kaiser hatten zu allen Zeiten ein starkes Interesse daran, was ihre besonders reichen Untertanen trieben, und sie waren im Allgemeinen mächtig genug, jeden, der ihnen nicht passte, in den Ruin zu treiben; das wiederum bedeutete, dass die Aristokraten gar nicht anders konnten, als bei Hofe politisch mitzumischen.5 Allgemeiner ausgedrückt: Den besonders reichen und gut vernetzten Bewohnern der römischen Welt bot das System vielfältige Möglichkeiten, ihre eigene Steuerlast zu verringern, und Justinians Regime wusste genau, wie es mit dieser Gruppe mit Blick auf strukturelle Aspekte umzugehen hatte. Im Jahr, nachdem der gedemütigte Gelimer im Triumphzug durch Konstantinopel geführt worden war, gab es in einzelnen Regionen des Oströmischen Reiches mindestens neun verschiedene Maßnahmen, die Steuereinnahmen zu steigern, indem man gezielt die Reichen zur Kasse bat. Und das war lange, bevor sich in den 540er-Jahren die immensen Kosten des Zweifrontenkriegs gegen Goten und Perser bemerkbar machten. Sein Triumph in Nordafrika machte Justinian nicht nur politisch unantastbar, er ermutigte ihn auch, seine reicheren Steuerzahler mehr in die Pflicht zu nehmen. Wie sehr das manche erboste, kann man aus den Schriften Prokops herauslesen, der selbst aus einer adligen Familie stammte.6 Doch beweisen Prokops zornige Zeilen, dass das gesamte Oströmische Reich unter der Steuerlast ächzte? Es gibt zwei Formen der Überbesteuerung: eine politische und eine wirtschaftliche. Die politische Überbesteuerung führt dazu, dass die Steuerzahler protestieren und versuchen, Steuern zu hinterziehen oder
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Steuerschlupflöcher zu finden, entweder weil sie das derzeitige Niveau der Abgaben schlicht für zu hoch halten oder weil sie nicht damit einverstanden sind, wofür das Geld ausgegeben wird. Bei der wirtschaftlichen Überbesteuerung geht es schlicht und einfach um Zahlen. Wenn in einer industriellen Wirtschaft hohe Steuern die Kosten der Produktion so weit in die Höhe treiben, dass die Nachfrage sinkt, dann sinkt auch die Produktivität, was große wirtschaftliche Einbußen nach sich zieht. In einer Agrarwirtschaft wie der des Oströmischen Reiches zeigt sich eine Überbesteuerung nicht nur darin, dass Landwirte verheimlichen, wie viel sie tatsächlich produziert haben, und unkoordiniert gegen ihre Grundherren oder den Staat protestieren, sondern schlimmstenfalls dazu, dass viele Bauernfamilien buchstäblich nicht mehr genug zum Leben haben. Die Folge ist eine chronische und oft tödliche Fehl- bzw. Unterernährung, und eine Bevölkerung, die nicht ausreichend ernährt wird, ist anfälliger für Krankheiten. Dann fordert schon eine ganz normale Missernte, wie sie unweigerlich immer wieder vorkommt, viele Todesopfer, wodurch längerfristig nicht nur die Bevölkerung kleiner wird, sondern auch die Anbauflächen zurückgehen.7 Können wir vor diesem theoretischen Hintergrund (Zahlen haben ja leider nicht überlebt) belastbar entscheiden, ob Justinian seine Kerngebiete im Osten nun politisch oder wirtschaftlich überbesteuert hat, um seine Expansion im Westen zu bezahlen? Nun, die Landbesitzer im Reich hat er ganz offensichtlich politisch überbesteuert. Prokops Schmähschrift deutet dies bereits an, aber es gibt einen noch handfesteren Beweis: Nach Justinians Tod reformierte sein Neffe Justin II. sofort die Steuerpolitik, mit dem Ziel, die Reichen steuerlich zu entlasten.8 Eine der simpelsten Möglichkeiten für ein neues Regime, sich möglichst schnell politisch zu profilieren, besteht darin, die am wenigsten populären politischen Maßnahmen des Vorgängerregimes wieder aufzuheben. Allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass die oströmischen Grundbesitzer so unzufrieden gewesen wären, dass es zu größeren politischen Verwerfungen kam: Sie zeigten keinerlei Interesse, sich mit den Persern oder einer anderen Macht zu verbünden. Alles in allem blieben die politischen Strukturen innerhalb des Oströmischen Reiches intakt. Für Justinians Regierungszeit finden wir weder für die Eliten noch für die Bauernschaft Anzeichen einer wirtschaftlichen Überbesteuerung.
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Allerdings erschwert die Pandemie im Reich solche Untersuchungen ein wenig. In der (dokumentierten) Geschichte gab es drei große Pestwellen: die Justinianische Pest, den »Schwarzen Tod« im Mittelalter und die Pest-Pandemie Ende des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 541 grassierte die Krankheit zunächst in Ägypten an der Küste des Roten Meeres; dann erreichte sie Alexandria und griff von dort aus auf das übrige Oströmische Reich und viele angrenzende Regionen über. Im Frühjahr 542 wurde der Pesterreger in Konstantinopel eingeschleppt, und bis Ende des Jahres erreichte er die Städte Syriens, Palästinas und Nordafrikas. 543 waren auch Armenien, Italien und Gallien infiziert, etwas später sogar die britischen Inseln. Dennoch ist sich die Fachwelt immer noch nicht einig, welche Auswirkungen die Pandemie im Größeren hatte. Dass sie in Konstantinopel furchtbar viele Todesopfer forderte, steht außer Zweifel. Die zeitgenössischen Texte von Prokop und Johannes von Ephesos berichten überstimmend, dass in der Stadt mehrere Zehntausend Menschen starben. Während die Pest ihre Schneisen in die Bevölkerung schlug, griffen die Behörden, um die vielen Leichen loszuwerden, zu denselben verzweifelten Maßnahmen, wie wir sie später beim Schwarzen Tod hören: In den Außenbezirken der Stadt wurden Massengräber angelegt, und die unteren, ungenutzten Stockwerke der Türme wurden mit Toten gefüllt. Mit Blick auf die Wirtschaft ist jedoch wichtiger, was auf dem Land geschah. Die Wirtschaft des Oströmischen Reiches war überwiegend agrarisch geprägt – wie gut es diesem Sektor ging, bestimmte maßgeblich, wie viel Steuern nach Konstantinopel flossen. Unsere Quellen berichten, dass die Justinianische Pest auch unter der Landbevölkerung grassierte, und es gibt Anzeichen dafür, dass der Landwirtschaft bald die Arbeitskräfte fehlten. Verträge aus Ägypten von Ende des 6. Jahrhunderts zeigen, dass Landarbeiter jetzt offenbar höhere Löhne verlangen konnten, und in einigen von Justinians Gesetzen aus den 540er-Jahren wird genau dies angeprangert. Dennoch: Es gibt für Mitte bis Ende des 6. Jahrhunderts kaum überzeugende archäologische Belege für irgendwelche größeren Störungen in der oströmischen Agrarwirtschaft, weder aufgrund der Pest noch aufgrund einer eventuellen Überbesteuerung durch Justinian. Keiner der Versuche, die archäologischen Zeugnisse, die einen allgemeinen Niedergang der oströmischen Wirtschaft im 6. und 7. Jahrhundert belegen, bereits auf die Zeit um 550 zu datieren, konnte
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überzeugen; die meisten stammen mit Sicherheit aus späterer Zeit. Funde aus Städten wie Apameia im römischen Syrien oder Gerasa in Palästina deuten ebenfalls darauf hin, dass der allgemeine Wohlstand dort das gesamte 6. Jahrhundert über anhielt, und archäologische Surveys in ländlichen Gegenden haben ergeben, dass die Netzwerke, über die Keramik, Olivenöl und Wein im- und exportiert wurden, im Großen und Ganzen weiterhin funktionierten. Justinians Regime verfügte zudem über genügend Mittel, um sowohl das zeremonielle Zentrum Konstantinopels als auch Antiochia im großen Stil wiederaufzubauen. Dass in Antiochia immer wieder der Orontes über die Ufer trat, macht es für uns heute schwierig nachzuvollziehen, was genau geschah, und einige hängen einer eher minimalistischen Sichtweise an. Aber in den Bauten widmet Prokop einen längeren Abschnitt der Restaurierung der Stadt nach ihrer Eroberung im Jahr 540, und die archäologischen Zeugnisse bestätigen seine Darstellung. Kurz: Im ganzen Oströmischen Reich finden wir sowohl in den Städten als auch auf dem Land bis Ende des 6. Jahrhunderts deutliche Anzeichen anhaltenden Wohlstands und keinerlei Hinweise auf eine Wirtschaftskrise.9 Alle haltbaren Beweise für groß angelegte fiskalische und wirtschaftliche Störungen im Oströmischen Reich datieren auf das 7. Jahrhundert und sind geografisch so spezifisch, dass man sie eher als Wirkung denn als Ursache der persischen und islamischen Eroberungen ansehen muss. Bis 640 fielen Ägypten, Syrien und Palästina nach kürzeren Perioden unter persischer Herrschaft endgültig den Arabern in die Hände. Nicht weniger bedeutsam ist, dass der Westen Kleinasiens, ebenfalls eine Region mit hoher landwirtschaftlicher Produktivität, zu einem einzigen großen Schlachtfeld wurde. Archäologen haben untersucht, was das für zwei der wichtigsten dortigen Metropolen, Sardes und Ephesos, bedeutete: Bis Ende des 6. Jahrhunderts stand Sardes in voller Blüte, und die Bewohner kümmerten sich um ihre großartigen Baudenkmäler. Auch das kommerzielle Leben florierte; vor den großen Thermen ist eine Kolonnade mit Ladengeschäften belegt – ein deutlicher Hinweis auf eine prosperierende Wirtschaft. In den Häusern der Wohlhabenden ließen die Standards von Wartung und Renovierungen möglicherweise ein wenig nach, aber das war’s auch schon. Im Jahr 610 überfielen dann die Perser die Stadt und plünderten sie. Auch wenn in den Straßen von Sardes wohl nicht allzu viele Einwohner getötet wurden: Die meisten flüchteten
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und nahmen die Waren aus ihren Geschäften mit, und die Stadt erholte sich nie wieder von dieser Katastrophe. Für das 7. Jahrhundert sind lediglich ein paar Ansammlungen ärmlicher Behausungen belegt, die meisten Aktivitäten hatten sich auf einen nahe gelegenen Hügel verlagert. Doch dort entstand kein neues urbanes Zentrum mit florierender Wirtschaft, sondern eine Festung, errichtet aus den Steinen der alten Stadt. Die Stadt selbst gab es nicht mehr, das bis dato so wichtige urbane Zentrum Sardes war zur militärischen Festung degradiert worden. Im nahe gelegenen Ephesos war die Situation ähnlich schlimm. Auch hier gaben die Einwohner ihr altes urbanes Zentrum auf und zogen in zwei neue Wallanlagen: eine von etwa einem Quadratkilometer Größe innerhalb der alten Stadt und eine noch kleinere rund um die Johanneskirche außerhalb des Stadtgebiets. In diesen beiden Wallanlagen lebten im 7. Jahrhundert mehr Menschen als in Sardes, und das wirtschaftliche Leben war ein wenig vielfältiger; in regelmäßigen Abständen fand dort zum Beispiel eine Art Jahrmarkt statt. Dennoch war Ephesos nach 600, was Größe, Reichtum und Erhabenheit betrifft, nur noch ein Schatten seiner selbst. Bei den anderen römischen Städten im Westen Kleinasiens zeigt sich ein ganz ähnliches Bild.10 Auch in Ägypten war es nicht viel anders, wie wir durch dort gefundene Papyri wissen. Die Familie Apion, die Liegenschaften im Gau Oxyrhynchos besaß, haben wir ja bereits kennengelernt (siehe Kapitel 2). Die Aufzeichnungen über das Vermögen der Familie bergen zwar ein paar methodologische Probleme, aber für die Zeit von etwa 520 bis 620 sind sie doch äußerst umfangreich und detailliert. So lässt sich feststellen, dass es bei den wirtschaftlichen Transaktionen der Familie zu keinem Zeitpunkt im 6. Jahrhundert zu größeren Störungen kam, auch wenn sich Justinians überdurchschnittlich hohe Steuern und die Folgen der Pest natürlich bemerkbar machten. Die Aufzeichnungen reichen bis in die ersten Jahre der Besatzung durch die Perser und brechen beim Jahr 626 ab, und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass diese angesehene aristokratische Familie in den 630er-Jahren, als Ägypten (kurzzeitig) noch einmal von Konstantinopel kontrolliert wurde, ihren Grundbesitz oder ihr Barvermögen zurückerhielt.11 Auch die Stadt Konstantinopel blieb von diesen Entwicklungen nicht verschont. Die Einwohnerzahl ging hier im 7. Jahrhundert drastisch zurück, wahrscheinlich sogar auf zehn Prozent – bei einst einer halben
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Million Menschen. Für die Verhältnisse des frühmittelalterlichen Westeuropa war Konstantinopel damit zwar immer noch eine Großstadt, aber vor dem Hintergrund der grandiosen Überbleibsel der spätrömischen Vergangenheit dieser Stadt waren es Ende des 7. Jahrhunderts und im 8. Jahrhundert vergleichbar recht wenige Menschen. Im Zuge der islamischen Expansion wurde der Schiffsverkehr unterbrochen, und die Versorgung der Bevölkerung der Stadt mit ägyptischem Getreide fand damit ihr Ende; die ab Mitte des 7. Jahrhunderts verfügbaren Ressourcen reichten schlichtweg nicht aus, um so viele Menschen zu ernähren. Wenn wir Zahlen aus dem Osmanischen Reich des 16. Jahrhunderts zugrunde legen, das in etwa die gleiche Form hatte wie der römische Osten unter Justinian, so werden der Verlust Ägyptens und des Nahen Ostens und der offensichtliche wirtschaftliche Kollaps in Westkleinasien die Kaiser im Konstantinopel des 7. Jahrhunderts zwischen 65 und 75 Prozent der jährlichen Steuereinnahmen gekostet haben, die ihre Vorgänger noch im 6. Jahrhundert kassiert hatten.12 Der wirtschaftliche Schaden, den auf der Mikroebene die Bürger von Ephesos und Sardes davontrugen, fand auf der Makroebene seinen Niederschlag im Steuersäckel der Kaiser, und die Auswirkungen waren katastrophal. Als seine Steuerbasis schrumpfte, musste das Imperium seine gesamte Verwaltungsstruktur umgestalten. Die Hauptaufgabe des kaiserlichen Regimes bestand nach wie vor darin, Krieg zu führen, aber alle Parameter hatten sich verändert. Die römischen Kaiser mussten auch im 7. Jahrhunderts riesige Armeen unterhalten – allzu real war die Bedrohung ihrer verbliebenen Territorien durch die Araber –, hatten dafür aber nur einen Bruchteil der früheren Finanzmittel zur Verfügung. Wie schon anlässlich der von den Persern ausgelösten Krise des 3. Jahrhunderts entwarf das Oströmische Reich angesichts dieser katastrophalen Entwicklungen im 7. Jahrhundert eine komplett neue fiskalisch-militärische Struktur, mit dem Ziel, auch in einer solchen Epoche geringer Steuereinnahmen über die Runden zu kommen. Mit dem Steuersystem, das sich unter den Tetrarchen herauskristallisiert hatte (siehe Kapitel 2), ließ sich angesichts der viel kleineren Steuerbasis kein Militärapparat mehr finanzieren, der groß genug gewesen wäre, um die Araber in Schach zu halten. Zwar gab es weiterhin auch monetäre Steuern, und die Soldaten erhielten nach wie vor einen gewissen Sold in bar, aber die
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Beträge waren geringer (und nunmehr in Silber statt in Gold) und flossen seltener als zuvor; in erster Linie wurden die Soldaten in Form von Landzuwendungen bezahlt. Im Rahmen des sogenannten Themata-Systems erhielten sie Land, wenn sie sich im Gegenzug für den Militärdienst verpflichteten – und diese Verpflichtung wurde an ein Mitglied des Haushalts vererbt, wenn man nicht mehr in der Lage war, zu dienen. Dieses System war viel einfacher als der Umgang mit riesigen Bargeldbeträgen, wie er früher üblich gewesen war. Und genau wie im 3. Jahrhundert passte sich die gesamte Verwaltungsstruktur des Imperiums dem neuen fiskalisch-militärischen Grundgerüst an. Das alte System hatte eine große Anzahl von Bürokraten erfordert, die viele unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen hatten. Das neue System hatte keinen Bedarf mehr für einen so großen Staatsapparat – das Wenige, was von Justinians Reich übrig geblieben war, bekam eine kleinstaatliche Struktur verpasst, wie sie dem Ausmaß der fiskalischen Verluste angemessen war.13 Diese Verluste waren so groß, dass sogar das kosmologische Selbstverständnis des Imperiums einen neuen ideologischen Anstrich erhielt. Nachdem das Reich zwei Drittel seines Territoriums an die Vertreter der islamischen Religion verloren hatte, ließ sich der Anspruch, ein einzigartiger, von Gott gelenkter Staat zu sein, vom Allmächtigen dazu bestimmt, in aller Welt die christliche Zivilisation zu verbreiten, schlichtweg nicht mehr aufrechterhalten. Glücklicherweise bot das jüdisch-christliche Glaubenssystem aber noch ein weiteres, nun weitaus passenderes Modell: Die Kaiser verwiesen zunehmend auf das Alte Testament und stilisierten sich als Anführer eines (zahlenmäßig geringeren) auserwählten Volkes, das mit Konstantinopel als christlichem Bollwerk seinem endgültigen Triumph am Ende der Zeiten entgegensah.14 Allgemein ausgedrückt, machte der angriffslustige Islam aus dem ehemaligen oströmischen Weltreich, dessen Macht und Einfluss unter Justinian von Hispanien bis Zentralasien gereicht hatte, zum Ende des 7. Jahrhunderts eine Regionalmacht, deren Einflussbereich sich weitestgehend auf den östlichen Mittelmeerraum beschränkte. Auch wenn seine Machthaber hartnäckig das Gegenteil behaupteten, war Ostrom genau wie seine Gegenstücke im frühmittelalterlichen Westen kaum mehr als ein Nachfolgestaat des Römischen Reiches. In der Praxis war das, was vom Oströmischen Reich zu diesem Zeitpunkt noch übrig war, nolens volens ein strategischer Satellitenstaat der islamischen Welt. Alle
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folgenden Episoden oströmischer Expansion, selbst jene unter den berühmten makedonischen Kaisern des 10. und 11. Jahrhunderts, ereigneten sich zu Zeiten, als die islamische Welt zersplittert war. Entsprechend schrumpfte das Gebiet, das Konstantinopel beherrschte, jedes Mal wieder zusammen, wenn der Großteil der islamischen Welt erneut einen geeinten Block bildete. Die Makedonen wurden schnell wieder auf die Plätze verwiesen, als es den Seldschuken Ende des 11. Jahrhunderts gelang, die zersplitterte post-abbasidische, islamische Welt teilweise wieder zu einen. Ein ähnliches Muster lässt sich auch für frühere Epochen beobachten: So war der Verlust der meisten neuen Territorien Justinians in Afrika und Italien um 700 direkt oder indirekt darauf zurückzuführen, dass die Umayyaden die islamischen Staaten unter ihrer Führung vereinten (siehe Kapitel 10).15 Wenn wir bei unserer Betrachtung diese einander überschneidenden politischen, wirtschaftlichen und administrativen Entwicklungen in den Mittelpunkt rücken, können wir die zentrale Frage, die sich uns stellt, präzisieren. Justinians Expansionspolitik richtete enormen wirtschaftlichen Schaden an und führte in den oströmischen Kerngebieten zu großen administrativen bzw. politischen Belastungen. Aber das allein reichte nicht aus, um die Strukturen des Oströmischen Reiches im 6. Jahrhundert ernsthaft zu gefährden oder auch nur grundlegend zu verändern. Die wirklichen Faktoren, die die Weltmacht Konstantinopel letztlich zur Regionalmacht degradierten, datieren allesamt ins 7. Jahrhundert, und sie folgten auf die dramatischen Eroberungen durch die Perser und die Araber. Zumindest nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand lässt sich der Zusammenbruch des Oströmischen Reiches nicht überzeugend auf Justinians Expansionspolitik zurückführen. Der zeitliche Abstand ist einfach zu groß, und es gibt zu viele Belege dafür, dass die oströmische Landwirtschaft in der Zwischenzeit weiter florierte. Um zu ermitteln, ob zwischen den Eroberungen Justinians und dem späteren Kollaps des Oströmischen Reiches dennoch ein – vielleicht etwas komplexerer – Zusammenhang bestand, müssen wir uns die Prozesse näher ansehen, die dazu führten, dass die Perser, vor allem aber die Araber in die oströmischen Kerngebiete einfielen.
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Verlust der Kerngebiete Zwei eigentlich separate Prozesse trafen aufeinander, und gemeinsam untergruben sie die Kontrolle Konstantinopels über seine traditionell wichtigsten Wirtschaftsstandorte. Der erste war ein langfristiger Wandel der arabisch dominierten Wüstenrandgebiete des Oströmischen Reiches und des Sassanidenreichs, der darin kulminierte, dass eine neue Streitmacht entstand – und diese Streitmacht war im 7. Jahrhundert in der Lage, in einem erstaunlich kurzen Zeitraum beide Großmächte der Antike zu besiegen. Den Aufstieg des Islam, der in den letzten Phasen dieser Transformation eine so grundlegende Rolle spielte, intellektuell zu begreifen ist dadurch erschwert, dass aus der frühislamischen Zeit kein historisches Material die Zeiten überdauert hat. Die frühesten Erzählungen über das Leben des Propheten Mohammed, die wir kennen, stammen aus dem 9. Jahrhundert, und zu diesem Zeitpunkt hatte der Islam bereits zwei große Umwälzungen hinter sich: eine Krise im 7. Jahrhundert, die zur Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten geführt hat, und die Abbasidische Revolution Mitte des 8. Jahrhunderts. Angesichts der überwältigenden Bedeutung Mohammeds für die Religion sollten diese Erzählungen über das Leben des Propheten natürlich den Status quo des Islam Ende des 9. Jahrhunderts legitimieren, doch inwieweit sich die Gegebenheiten zu diesem Zeitpunkt noch mit der Realität des frühen 7. Jahrhunderts deckten, wissen wir nicht.16 Dennoch: Der Hintergrund des Aufstiegs des Islam liegt ganz eindeutig in den Lücken, die der Konflikt zwischen Rom und Persien gerissen hat. Die Araber waren die wichtigsten Protagonisten in den Wüstenrandgebieten im Süden, die die beiden verfeindeten Großmächte voneinander trennten. Große, konventionelle Armeen konnten dort nicht operieren, aber an der Wüstenfront ließen sich profitable Raubzüge unternehmen, und man konnte den Gegner von den hart umkämpften Fronten in Armenien und Syrien nach Norden ablenken, wie es Kavadh 531 tat und Belisar ein Jahrzehnt später. Zu diesem Zweck rekrutierten beide Großmächte arabische Verbündete und bezahlten und bewaffneten sie, damit sie ihnen halfen, ihre Provinzen vor Wüstenräubern zu schützen und der anderen Seite so viel Ärger zu bereiten wie nur möglich. Wenn man die Puzzleteile der in römischen Quellen des 4. bis 6. Jahrhunderts enthaltenen Informationen zusammensetzt, so kristalli-
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siert sich eine ganz bedeutende Tatsache heraus: Während dieser dreihundert Jahre gewannen die politisch-militärischen Netzwerke der arabischen Verbündeten der Römer und der Perser zumindest zum Teil wegen des vielen Geldes und der Waffen, mit denen beide Seiten sie ausstatteten, deutlich an Größe und Macht. Im 4. und 5. Jahrhundert unterhielt Ostrom am Rand der palästinischen und syrischen Wüste eine Reihe separater arabischer Häuptlingstümer. Im 6. Jahrhundert unterstützten Rom und Persien einzelne alliierte Netzwerke, die Ghassaniden und die Lachmiden. Wie sehr die Macht dieser Gruppen wuchs, lässt sich schon daran ablesen, dass sie – zumindest manchmal – in Friedensgespräche eingebunden wurden und unabhängig von den Großmächten, die sie finanzierten, immer wieder eigene Ziele verfolgten. Eingekeilt zwischen zwei Supermächten, durchlief die Welt dieser arabischen Klienten eine ähnliche Transformation, wie sie für die größtenteils germanischsprachigen Klienten Roms an den europäischen Grenzen dokumentiert ist. Das ist durchaus kein Zufall: Die Bandbreite der Beziehungen, die die Großmächte zu ihren Nachbarn pflegten – positiver wie negativer Art –, ließ langfristig am Rand ihrer Territorien größere geschlossene politische Einheiten entstehen. Im Fall der arabischen Welt wurde dieser Vorgang dadurch beschleunigt, dass nicht nur eine, sondern gleich zwei Großmächte auf sie einwirkten.17 Betrachten wir Mohammeds »Karriere«, die den letzten Höhepunkt eines langwierigen Prozesses politischer Einigung an der Peripherie des Römischen Reiches markierte, von der politischen Seite, dann fallen einige frappierende Ähnlichkeiten mit der Attilas des Hunnen auf. Attila gelang es, eine ganze Reihe ehemaliger römischer Klienten an den europäischen Reichsgrenzen sowie einige von deren Nachbarn aus dem Landesinneren geschlossen hinter sich zu scharen. All diese Gruppen neigten zuvor ebenso sehr dazu, gegeneinander zu kämpfen wie gegen Rom. Wie bei den Arabern hatte auch hier die langfristige Einmischung des oströmischen Regimes dazu geführt, dass die Klienten des 4. Jahrhunderts größere und robustere Entitäten waren als ihre jeweiligen Äquivalente im 1. Jahrhundert. Die Stammesgruppen, die sich im 5. Jahrhundert mehr oder weniger freiwillig Attila anschlossen, bildeten einen Machtblock, der groß genug war, um das Imperium direkt herauszufordern und hier und da auch zu besiegen. Folgende Parallele lässt sich feststellen: Mohammed einte diverse arabische Gruppierungen aus der
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Grenzregion und aus dem Landesinneren, die sich in den vergangenen Jahrhunderten daran gewöhnt hatten, innerhalb größerer militärischer und politischer Netzwerke zu operieren, sich dabei aber niemals zusammengeschlossen hatten, um die Römer oder die Perser herauszufordern. Doch Mohammed ging einen entscheidenden Schritt weiter als Attila: Er fügte seiner politischen Autorität ein religiöses Element hinzu, das sich als so mächtig erwies, dass die neue Konföderation den Tod ihres charismatischen Anführers überdauerte. Nach Attilas Tod strebten so viele seiner Anhänger wieder nach Unabhängigkeit – man denke nur an die Goten, die Theoderich nach Italien führte (siehe Kapitel 6) –, dass das Hunnenreich binnen einer Generation komplett von der Bildfläche verschwand. Zwar kam es nach Mohammeds Tod zu den sogenannten Ridda-Kriegen (»Abtrünnigen-Kriegen«), doch der Prophet hatte genügend Anhänger, dass die Einheit der Gläubigen aufrechterhalten werden konnte und jene, denen diese Einheit weniger wichtig war, sie nicht zerstören konnten. Kurz: Anders als Attilas Reich, das genauso schnell untergegangen war, wie es entstanden war, hatte das Gebilde, das Mohammed geschaffen hatte, indem er die arabischen Klienten zweier Großreiche und weitere Gruppen aus dem Inneren Arabiens miteinander vereinte, Bestand. Und nicht nur das: Seine Anhänger eroberten praktisch den ganzen römischen Orient und das gesamte Sassanidenreich.18 Neben der religiösen Komponente weisen die Einigungsprozesse bei den Arabern im 7. Jahrhundert und bei den europäischen Klienten Roms aber noch einen weiteren grundlegenden Unterschied auf: Viele kontingente Faktoren, nicht zuletzt die Hunnen selbst, trafen im 5. Jahrhundert aufeinander und führten zum Sturz der westlichen Hälfte des Römischen Reiches. Aber dieser Vorgang war nur eine Dimension viel breiter angelegter Prozesse strategischer Entwicklung, an deren Ende das Imperium in seiner ursprünglichen Form so oder so nicht mehr hätte bestehen können. Ursprünglich war Rom ein im Mittelmeerraum ansässiges Imperium gewesen, das in den beiden Jahrhunderten um die Zeitenwende herum seine regionalen Ressourcen dazu nutzte, große Teile des nicht-mediterranen Europa zu erobern und/oder zu beherrschen. Zu diesem Zeitpunkt waren im nicht-mediterranen Europa, das vor allem in puncto landwirtschaftlicher Produktion unterentwickelt war, nur relativ kleine Bevölkerungsgruppen beheimatet. Doch um das Jahr 500 herum kamen auch dort neue Agrartechniken zur Anwendung, und man er-
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schloss nach und nach das enorme Potenzial der Landschaft. Entsprechend wuchs die Bevölkerung, und Nordeuropa überflügelte im Westen Eurasiens langsam, aber sicher das Mittelmeer als Zentrum imperialer Macht. Als Karl der Große am Weihnachtstag des Jahres 800 zum Kaiser gekrönt wurde, gab in Europa nicht mehr das Mittelmeer, sondern der Norden den Ton an. In Nord- und Osteuropa entstanden große Staaten, und das Gleichgewicht strategischer Macht verlagerte sich entscheidend nach Norden. Man könnte sich durchaus eine andere Sequenz von Ereignissen ausmalen: So hätte ein umstrukturiertes Römisches Reich auf diese Verschiebungen reagieren können, wenn es seinen eigenen Schwerpunkt weiter nach Nordosten verlagert hätte. Eine leichte Tendenz in diese Richtung war bereits im 4. Jahrhundert auszumachen, als Trier an der Rheingrenze die Hauptstadt des Weströmischen Reiches war. Aber im Großen und Ganzen waren der Fall des Weströmischen Reiches und die Tatsache, dass die Hunnen viele europäische Klienten Roms hinter sich sammelten, Ausdruck einer bedeutenden Verschiebung der Machtverhältnisse in Westeurasien.19 Als die Araber im 7. Jahrhundert das sassanidische Persien und einen Großteil des Oströmischen Reiches eroberten, kam es im Nahen Osten nicht zu annähernd so großen Umwälzungen. Zwar führte der Aufstieg des Islam dazu, dass die Kontrolle über die wichtigsten Regionen dort – Ägypten, Syrien, Palästina, Irak und Iran – in andere Hände fiel, aber es entstanden keine neuen urbanen Zentren, und auch an den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen änderte sich nur wenig. Vor Mohammed gehörten diese Zentren einem von zwei Reichen an, nun alle demselben; Reichtum und politische Macht konzentrierten sich dennoch nach wie vor in diesen Zentren und nicht in Arabien. Das Umayyaden-Kalifat des 7. und frühen 8. Jahrhunderts hatte seinen Sitz in Syrien, sein abbasidischer Nachfolger war im Irak zu Hause; nur für einen ganz kurzen Zeitraum wurde die neue islamische Welt tatsächlich von Arabien aus gelenkt. Vergleicht man beide Entwicklungen miteinander, wird deutlich, dass sich im Zuge der arabischen Expansion im Nahen Osten des 7. Jahrhunderts zwar vieles außerordentlich verändert hat, dass sich aber keinesfalls die Machtbalance regional so fundamental verlagert hat, wie wir es für das Europa des ersten Jahrtausends beobachten können. Um noch
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einmal darauf zurückzukommen: Reichtum und Macht blieben nach der Eroberung durch die Araber alles in allem weiterhin an denselben Standorten wie zuvor, und der Zeitraum, in dem diese Standorte direkt von Arabien aus regiert wurden, war kaum mehr als eine kurze Episode innerhalb der längerfristigen geschichtlichen Struktur.20 Und damit kommen wir zum zweiten wesentlichen Aspekt der islamischen Expansion: dem völligen Zusammenbruch der Beziehungen zwischen Konstantinopel und Persien. Justinians unmittelbares Vermächtnis war Frieden in allen drei Sektoren der persischen Front. Als er am 14. November 565 starb, war es in Mesopotamien seit zwanzig Jahren ruhig, und auch im Kaukasus war es in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten nicht mehr zu größeren Zwischenfällen gekommen. In den Wüstenrandgebieten im Süden scheinen Raubzüge weiterhin an der Tagesordnung gewesen zu sein, aber nicht in einem Maßstab, der dem Imperium Sorge bereitet hätte. Der Frieden von 562 sollte fünfzig Jahre dauern, aber das Ende dieser Frist wurde nicht erreicht: Keine zehn Jahre nach Justinians Tod brach der Konflikt zwischen den Großreichen wieder aus, und er gipfelte in einem totalen Krieg, der von 602 bis 627 dauerte. Beide Reiche gingen aus ihm deutlich geschwächt hervor. Zwei Faktoren setzten diesen Teufelskreis der Destabilisierung in Gang – einer war ein immerwährendes Merkmal der römisch-persischen Beziehungen, der andere hingegen war völlig neu. Beim Ersteren ging es um die Thronfolge: Wie immer, wenn ein neuer Kaiser den Thron von Konstantinopel bestieg, musste dieser zunächst einmal seine Macht festigen und dem ganzen Reich zeigen, dass er mit Recht in seiner Position war. Abgesehen davon, dass Justin II. den awarischen Botschaftern eine kalkulierte Abfuhr erteilte, war er – genau wie sein Onkel Justinian, bevor er sich daranmachte, den Westen zu erobern – wild entschlossen, sich auf Kosten der Perser zu profilieren, des alten Erzfeinds der Römer. Das Problem war wie immer, dass die Perser zwar wunderbar dafür herhalten konnten, wenn es darum ging, aus einem Sieg gegen eine fremde Macht politisches Kapital zu schlagen, dass sie aber eben auch ein extrem gefährlicher Widersacher waren, gegen den schon viele römische Herrscher Federn gelassen hatten. Was Justin dennoch veranlasste, gegen sie zu ziehen, war ein weiterer Faktor, und der war eben ganz neu: Die Göktürken hatten die Awaren Ende der 550er-Jahre in
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Richtung Westen verdrängt und waren immer mächtiger geworden. Ende der 560er-Jahre umfasste der Herrschaftsbereich der Göktürken die nördlichen Ränder des Aralsees, des Kaspischen Meeres und sogar des Schwarzen Meeres; theoretisch waren sie damit in der Lage, mit ihren Armeen kurzerhand über den Kaukasus zu marschieren und sich in die römisch-persischen Beziehungen einzumischen. Die Strategie, auf die Justin II. setzte, bestand darin, die Göktürken gegen die Perser zu mobilisieren, und so machten sich von Konstantinopel aus schon bald mehrere Gesandtschaften mit Geschenken im Gepäck auf den Weg in Richtung Steppe. Schließlich kam man mit den Awaren überein, im Jahr 573 einen gemeinsamen Feldzug aus oströmischen und göktürkischen Armeen zu starten. Die Römer sollten Nisibis angreifen, das sie 210 Jahre zuvor an die Perser verloren hatten, und die Türken sollten die Perser davon abhalten, auf den Angriff der Römer zu reagieren, indem sie sie von Osten her attackierten. Justins Armeen gingen, wie abgesprochen, vor Nisibis in Stellung – aber die Göktürken tauchten nicht auf. Im Zuge der nun folgenden Katastrophe gelang es der Garnison, die Stadt zu halten, während die persischen Feldarmeen einen gut kalkulierten Gegenangriff ausführten. Eine Abteilung schlug in Syrien zu, aber Chosrau (erstaunlicherweise immer noch derselbe Chosrau, den Justin I. nicht hatte adoptieren wollen) führte seine Hauptstreitmacht gegen Dara, den Eckpfeiler der Verteidigung des römischen Mesopotamien. Nach sechsmonatiger Belagerung stürmten die Perser die Stadt, verschleppten alle Einwohner und versklavten sie. Als er davon erfuhr, erlitt Justin II. einen so schlimmen Nervenzusammenbruch, dass die Regierung einem Regentenrat übertragen werden musste. Warum die Göktürken nicht aufgetaucht waren, wissen wir nicht. Justin hatte nichts weiter erreicht, als die Beziehungen zu Persien zu destabilisieren, und dabei auch noch eine katastrophale Niederlage erlitten.21 Das folgende Jahrzehnt über verschärfte sich die Lage immer weiter, und trotz einiger Erfolge – im Jahr 576 nahmen die Römer die Frau des Großkönigs gefangen und löschten die heilige Flamme, die dieser auf den Feldzug mitgenommen hatte – wurde der ständige und vor allem extrem teure Krieg in Mesopotamien für Konstantinopel zu einem immer größeren Problem. Ende der 580er-Jahre ging dem neuen Kaiser Maurikios das Geld aus. 588 überließ die Garnison von Martyropolis,
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bei der schon lange der Sold ausgeblieben war, ihre strategisch wichtige Festung an der Grenze kurzerhand den Persern, und viele der nahe Edessa stationierten römischen Soldaten probten den Aufstand, als verkündet wurde, ihr Sold sei um ein Viertel gekürzt worden. Doch dann, als die Römer kaum noch handlungsfähig schienen, kam ihnen eine inhärente Schwachstelle des persischen Systems zupass. 579 war Chosrau gestorben, und einer der führenden persischen Feldherren, Bahram, stieß im Jahr 590 Chosraus Nachfolger Hormizd IV. vom Thron und tötete ihn. Hormizds Sohn und designierter Erbe, Chosrau II., floh nach Konstantinopel und bot Maurikios an, ihm große Territorien auf dem Kaukasus zurückzugeben, wenn er ihn gegen Bahram unterstützte. 591 saß Chosrau II. auf dem persischen Thron, und im Gegenzug erhielt Maurikios den überwiegenden Teil von Armenien. Damit kontrollierten die Römer das obere Ende der Pässe, die durch das Zagros-Gebirge direkt ins wirtschaftliche Kernland des Perserreichs zwischen Euphrat und Tigris führten; die Perser hatten sich sozusagen selbst das Messer an den Hals gesetzt. Nach achtzehn Jahren Krieg herrschte nun zwar wieder Frieden, aber Ostroms Triumph war so groß, dass er geradezu selbst wieder zum destabilisierenden Faktor wurde – erst kürzlich hat eine Studie die damalige Lage als »Versailles-Moment« des Oströmischen Reiches bezeichnet: Der Friedensvertrag gewährte den Römern einen derart großen strategischen Vorteil, dass der persische Großkönig gar nicht umhinkam, Konstantinopel wieder den Krieg zu erklären, sobald sich ihm die Gelegenheit bot, nur um das alte Gleichgewicht wiederherzustellen.22 Diese Gelegenheit ließ nicht allzu lange auf sich warten. Maurikios schickte die Armeen, die er im Zuge des Friedens von 591 von der persischen Front abziehen konnte, auf den Balkan, um die Gebiete zurückzuerobern, die die Awaren in den 580er-Jahren eingenommen hatten. Nach ersten beträchtlichen Gebietsgewinnen kamen seine Feldherren zu dem Schluss, dass ein echter Sieg einen groß angelegten Feldzug erforderte, und zwar gleich zu Beginn des folgenden Jahres, bevor für die Pferde der Awaren neues Gras wachse. Ende 602 erhielt die Feldarmee daher die Order, nicht wie üblich ins Winterquartier nach Süden zu ziehen, sondern im Feld zu bleiben; das veranlasste die Soldaten, die seit den Soldkürzungen der 580er-Jahre ohnehin Ressentiments gegen das Kaiserhaus hegten, zur Rebellion.
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Ende November marschierte die Armee unter der Führung von Phokas in Konstantinopel ein. Am 24. November 602 wurde Phokas zum Kaiser gekrönt, Maurikios wurde drei Tage später mit vieren seiner fünf Söhne hingerichtet. Sein fünfter Sohn, Theodosius, wurde ein wenig später gemeinsam mit mehreren Ministern des ehemaligen Kaisers getötet. Oder vielleicht doch nicht? Anders als beim Rest der glücklosen Familie Maurikios’ wurde Theodosius’ Haupt nie in Konstantinopel zur Schau gestellt, und kurze Zeit darauf kämpfte jemand, der behauptete, Theodosius zu sein, auf der Seite persischer Armeen, die angeblich den Tod des abgesetzten Maurikios rächen wollten. Wir wissen nicht, ob Theodosius wirklich entkam; wenn ja, dann hat Chosrau II. ihn wenig später eliminiert. Am Ende war das Resultat ein weiterer katastrophaler Krieg zwischen den beiden Imperien.23 Während die Politik der Kaiser zu Staatsstreichen und Rebellionen geradezu einlud, gelang es Chosrau II., praktisch den gesamten römischen Osten aufzurollen. Auch die Ankunft des neuen Kaisers Herakleios aus Nordafrika im Oktober 619 änderte daran zunächst nichts. Gegen Ende des Jahres hatten die persischen Truppen systematisch alle römischen Festungen, die die mesopotamische Front bewachten, eingenommen und damit noch ehrgeizigeren Zielen Tür und Tor geöffnet. Bis 607 verlor Maurikios auch noch die Gebiete in Armenien, die er durch den Friedensvertrag von 591 hinzugewonnen hatte. 611 drang Chosraus Kommandant Schawaras tief ins römische Syrien vor und nahm Apameia, Antiochia und Emesa ein. Im Gegensatz zu 540 war dies jedoch kein kurzer Raubzug. Die Perser fielen auch in die anatolische Hochebene im Norden ein und eroberten Caesarea. Im Süden fiel kurz darauf Damaskus, was letztlich dazu führte, dass die Römer ganz Palästina verloren; im Jahr 614 nahmen die Perser Jerusalem ein und stahlen das Wahre Kreuz Christi. Weiter nördlich verfolgten sie eine Politik der verbrannten Erde, stürmten Ephesos und machten das Stadtzentrum dem Erdboden gleich. Chosrau II. lehnte alle Friedensangebote ab, die das zunehmend verzweifelte politische Establishment in Konstantinopel ihm unterbreitete. Eine Gesandtschaft im Jahr 616 war besonders erbärmlich: Angeblich vom Senat entsandt (der Großkönig weigerte sich, Herakleios als Kaiser anzuerkennen), bot sie Chosrau an, ihn als »obersten Kaiser« anzuerkennen, dem die Römer wie »Sklaven« dienen würden. 621 eroberten die Perser Ägypten und überfielen zugleich über den Seeweg Zypern und die Ägäischen Inseln.
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Doch auch das war für Konstantinopel noch nicht der Tiefpunkt: Der kam Ende Juli 626, als sich die Hauptstadt eingekeilt fand zwischen einer persischen Armee, die auf der anderen Seite des Bosporus stand, und einer awarischen, die vor der Theodosianischen Mauer lagerte. Am Ende allerdings scheiterte der große Angriff auf Konstantinopel – die Awaren konnten die Theodosianische Mauer nicht überwinden, und der kaiserlichen Marine gelang es, den Bosporus zu sichern. Der entscheidende Moment kam, als eine ganze Flotte slawischer Kanus versuchte, vom Wasser her in die Stadt einzudringen – nur um dort komplett niedergemetzelt zu werden. Dieser Rückschlag sorgte dafür, dass die zusammengestückelte awarische Armee auseinanderfiel. Bemerkenswerterweise befand sich Kaiser Herakleios während der Belagerung gar nicht in der Stadt, so groß war sein Vertrauen in die Uneinnehmbarkeit Konstantinopels. Er trainierte und organisierte währenddessen seine Feldarmeen weiter östlich. Außerdem gelang ihm ein anderer wichtiger Schachzug: Er handelte mit den Göktürken ein funktionierendes Bündnis aus. Anders als unter Justin II. ging der Plan dieses Mal auf: Im Jahr 627 fiel eine gewaltige göktürkische Armee in das von den Persern kontrollierte Königreich Iberien im Kaukasus ein. Sie tötete den persischen Klientelkönig und überließ Herakleios anschließend 40 000 Soldaten für weitere Operationen. Die kombinierte römisch-göktürkische Armee marschierte über das Zagros-Gebirge und drang entlang des Tigris bis in das iranische Kernland des Sassanidenreichs vor. Im Dezember besiegte sie vor Ninive eine persische Armee. Doch anstatt sich als Nächstes Ktesiphon vorzunehmen, setzte Herakleios auf eine Taktik der verbrannten Erde, um den wirtschaftlichen Motor des Perserreichs zu zerstören. Dann lehnte er sich zurück und sah in aller Ruhe zu, wie die persische Gesellschaft implodierte. Anfang 628 wurde Chosrau II. per Staatsstreich abgesetzt; es folgten diverse kurzlebige Regime, und am Ende bekam Herakleios den Deal, den er die ganze Zeit hatte haben wollte: Die Perser zogen sich aus den eroberten römischen Provinzen wieder zurück (deren Verwaltung sie größtenteils gar nicht erst angerührt hatten). Herakleios kehrte als Sieger nach Konstantinopel zurück, und auch das Wahre Kreuz Christi war wieder in römischen Händen. So verständlich es ist, dass der Kaiser dieses Resultat als Sieg für sich verbuchen wollte: Es war alles andere als ein Sieg. Persien hatte eine
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Niederlage erlitten, und die früheren Reichsgrenzen waren wiederhergestellt, aber ein Sieg sah anders aus, zumal der neue Friedensvertrag nicht die Grenzen des erweiterten römischen Territoriums von 591 berücksichtigte, sondern lediglich jene aus der Zeit Justinians. Somit endete der Konflikt im Grunde genommen in einem Remis. Im Prinzip hatte Herakleios weniger einen Sieg errungen als vielmehr eine drohende Niederlage gerade noch abgewendet; die Gesamtsituation blieb extrem fragil. Teile der reicheren Gegenden im Westen Kleinasiens – man denke nur an Sardes und Ephesos – waren verwüstet, und nach anderthalb Jahrzehnten persischer Herrschaft wussten viele Bewohner von Syrien, Palästina und Ägypten gar nicht mehr so richtig, wem sie sich eigentlich zugehörig fühlen sollten. Auch auf dem Balkan war die Situation außer Kontrolle geraten. Da alle verfügbaren Truppen südlich des Bosporus benötigt wurden, waren die Awaren und Slawen völlig außer Rand und Band und gründeten viele neue Siedlungen. Vor allem aber herrschte Ebbe in der kaiserlichen Staatskasse; als sich die Krise auf dem Höhepunkt befand, griff Herakleios daher zu außergewöhnlichen Maßnahmen – der Sold beim Militär wurde halbiert, in der Hauptstadt wurde kein kostenloses Brot mehr verteilt, und der Staat konfiszierte das Edelmetall aus den Schatzkammern der Kirchen. Die vorhandenen Mittel reichten gerade einmal, um die Göktürken auszuzahlen und den Feldzug in den Iran zu finanzieren.24 Wäre es sich selbst überlassen geblieben, hätte sich das Oströmische Reich mit Sicherheit zu gegebener Zeit wieder erholt. So schlimm die vergangenen 25 Jahre auch gewesen waren: Größere Verluste als während der Krise des 3. Jahrhunderts, als das Imperium schon einmal große Teile seiner Gebiete im Osten verlor, hatte es nicht gegeben. Damals hatte sich nach der Niederlage und Gefangennahme von Kaiser Valerian die Stadt Palmyra zum Zentrum eines Nachfolgestaates aufgeschwungen und anderthalb Jahrzehnte lang die Region dominiert und Perser und Römer besiegt; ihr Territorium reichte bis nach Ägypten und nach Kleinasien. Doch das Imperium schlug zurück: Mitte der 270er-Jahre übernahm Rom unter Aurelian dort wieder die Kontrolle, und die hohen Steuereinnahmen Palmyras füllten nun die römische Staatskasse wieder auf. Drei politische Generationen später, Mitte des 4. Jahrhunderts, war die Region dem Römischen Reich wieder treu ergeben. Dreihundert Jahre lang war der Nahe Osten das Kernland Konstantinopels.25 Theoretisch
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hätte Herakleios und seinen Nachfolgern ein ähnlicher Wiederaufbau gelingen können. Doch es kam alles ganz anders. Was genau in dem Vierteljahrhundert, als zwischen den beiden alten Supermächten des Nahen Ostens der totale Krieg wütete, in der Wüste vor sich ging, wissen wir nicht. Es kann jedoch kein Zufall sein, dass es Mohammed während dieser Zeit gelang, seine neue Koalition aufzubauen. Rom und Persien behielten normalerweise ihre arabischen Klienten ganz gut im Auge und griffen ein, wenn sie der Ansicht waren, dass die politischen Entwicklungen ihnen gefährlich werden konnten. So geschah es in den 580er-Jahren, als die Ghassaniden allzu unabhängig zu werden drohten und Kaiser Maurikios ihr Phylarchat demontierte. Da beide Großmächte zwischen 603 und 628 jedoch komplett auf ihren Krieg fixiert waren, hatte Mohammed weitgehend freie Hand. Wenn die Römer oder die Perser sich sofort eingeschaltet hätten, hätte das seinen Erfolg viel schwieriger, vielleicht sogar unmöglich gemacht. Auch dass Mohammed seine Koalition zunächst im Hedschas aufbaute, weit weg von den Außengrenzen der beiden Reiche, schützte ihn zusätzlich vor einer wirksamen, weil frühzeitigen Intervention.26 25 Jahre totaler Krieg hatten beide Großreiche enorm belastet und in den Bankrott getrieben. Am Ende des Krieges stand ein Patt aus Erschöpfung. Das Machtvakuum, das sich abzeichnete, nutzte Mohammeds Koalition für ihre Zwecke – ein wenig wie vor einigen Jahren das selbsternannte Kalifat des IS, wenn auch mit weitaus größerer Wirkung. Vorübergehend bildete Arabiens Humankapital, oder zumindest jener Teil, den Mohammed hinter sich scharte, eine so starke Machtbasis, dass die Araber einen Großteil des jeweiligen Territoriums beider Imperien erobern konnten, die durch das halbe Jahrhundert, in dem sie mehr oder weniger ständig Krieg gegeneinander geführt hatten, am Ende ihrer Kräfte waren. Die langfristigen Entwicklungen weisen darauf hin, dass eben jener Umstand – die beispiellose Erschöpfung der zwei Großreiche – für den Fortgang der Geschichte entscheidend war. Anders als das nicht-römische Nordeuropa entwickelte sich Arabien nämlich nicht zu einem dauerhaften politischen Zentrum eines neuen – hier islamischen – Imperiums, das auf dem unaufhaltsamen Aufstieg ganz neuer ökonomisch-demografischer Kräfte beruhte, die der Geschichte der Menschheit eine neue Wendung gaben. Stattdessen schuf
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Mohammed mit seiner Religion ein neues, verbindendes System, und dieses ordnete die bisherigen politischen Zentren einem neuen politischen Gefüge unter; nach einem relativ kurzen Zeitraum (ca. 630–660) wurde es für die absehbare Zukunft wieder von eben jenen alten Zentren aus regiert, wohingegen Arabien selbst, abgesehen von seiner Bedeutung als Mittelpunkt religiöser Rituale, wieder in den Hintergrund trat. Das alles deutet stark darauf hin, dass die Einigung der Araber für den Fortgang der Geschichte zwar eine zentrale Rolle spielte, allein aber niemals ausgereicht hätte, um das Oströmische und das Sassanidische Reich zu erobern; wären beide Reiche nicht durch die großen Kriege, die sie in 43 der 55 Jahre zwischen 573 und 628 gegeneinander geführt hatten, komplett erschöpft gewesen, wäre den Arabern wohl kein Erfolg beschieden gewesen. Die arabischen Eroberungen im Nahen Osten zeigen, welche Chancen die selbstverschuldeten Zerstörungen in den alten Kernländern der zwei Großreiche den Invasoren eröffnet hatten. Dies und die Tatsache, dass es nicht zu einer dauerhaften Umlagerung strategischer Macht in neue regionale Zentren kam, zeigt, dass man den Verlust des östlichen Kernlandes Konstantinopels keinesfalls komplett Justinian anlasten kann. Allenfalls kann man dem Kaiser eine marginale Rolle beim Aufstieg der Araber zuschreiben. Mehr als irgendein Herrscher vor ihm förderte er die Einheit unter den arabischen Verbündeten Ostroms, und um 529 erkannte er den damaligen Ghassanidenführer Arethas als ersten Obersten Phylarchen an. Aber es handelte sich hierbei um eine rein reaktive, ja im Grunde widerwillige Maßnahme. Die Perser hatten ihre arabischen Verbündeten bereits unter den Lachmiden vereinigt; nur deshalb waren sie in der Lage, im Jahr 529 in den Wüstenrandgebieten der Römer einen katastrophalen Raubzug zu starten. Sie waren zu mächtig, als dass die damals noch nicht vereinigten arabischen Verbündeten Konstantinopels ihnen etwas hätten entgegensetzen können. Als Reaktion darauf schuf Justinian ein größeres Netzwerk verbündeter Araber, aber dieses Netzwerk wurde in den 580er-Jahren von Kaiser Maurikios wieder demontiert, und es war kein direkter Vorläufer der Koalition, die Mohammed in den 620er-Jahren auf den Weg brachte.27 Zwischen Justinians Politik und der völligen finanziellen Erschöpfung, die den Nahen Osten in den 630er-Jahren reif machte für eine
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Übernahme durch Mohammeds Araber, besteht kein unmittelbarer Zusammenhang im Sinne von Ursache und Wirkung. Natürlich brachten Justinians Kriege in seinem Reich akute finanzielle Spannungen und erhebliche direkte Verluste, aber das alles war nichts im Vergleich zu den Folgen der Kriege Ende des 6. und Anfang des 7. Jahrhunderts. Mit anderen Worten: Es waren einerseits die politischen Entscheidungen von Justin II. und Maurikios – der eine brach einen katastrophalen Krieg vom Zaun, der andere setzte einen nicht weniger folgenreichen Friedensschluss durch – und andererseits das Auftauchen der Göktürken, die die Bedingungen schufen, unter denen die islamischen Streitkräfte den römischen Orient erobern konnten, und nicht etwa die sporadischen und im Großen und Ganzen eher begrenzten Konflikte mit Persien, die Justinians Herrschaft kennzeichneten.
Justinians Strategie zur Verteidigung des Reiches Noch heute wird darüber gestritten, ob das Oströmische Reich eine nachvollziehbare Strategie zur Verteidigung seiner Grenzen verfolgte, und wenn ja, welche Form oder Formen diese in den verschiedenen Epochen hatte.28 Was Justinians Politik betrifft, so lassen sich durchaus einige Elemente strategischer militärischer und diplomatischer Berechnung ausmachen. Weil der Mangel an Soldaten eine effektive Verteidigung des Balkans erschwerte, setzte man zum Ausgleich auf eine Teile-und-herrsche-Diplomatie (Unterstützung der Langobarden gegen die Gepiden und der Utiguren gegen die Kutriguren) und einen intensiven Ausbau der Befestigungsanlagen. Ein ausgeprägtes Verständnis der Landschaft zeigt sich auch in der Aufmerksamkeit, die man bestimmten Knotenpunkten widmete, an denen eine stabile Verteidigungslinie ein geografisch isolierbares Gebiet im Inneren schützte – wie die Theodosianische Mauer vor Konstantinopel, die Mauer auf der Chersones-Halbinsel und die Thermopylen. Ganz eindeutig verfolgte das Regime auch einen strategischen Ansatz zur Priorisierung seiner verschiedenen Kriegsgebiete, auch wenn es sich dabei hier und da verrechnete. Die Ostfront, vor allem Mesopotamien, das die wichtigsten und ertragsreichsten Kerngebiete des Imperiums schützte, hatte in puncto Truppen und Material stets höchste Priorität; erst als die Ostfront sicher war, wurde genügend Verstärkung nach Italien geschickt, um die Unterwerfung der Goten
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abzuschließen. Ein rational-analytischer Ansatz zeigt sich auch bei der Durchführung einzelner Feldzüge, nicht zuletzt in Lasika. Dort standen die persischen Streitkräfte vor dem logistischen Problem, dass sich große Armeen nicht von dem ernähren konnten, was sie vorfanden, sondern von außerhalb versorgt werden mussten, und dazu mussten die Perser riesige Mengen an Vorräten über das Lichi-Gebirge transportieren; daher überwinterten in Lasika nur wenige Soldaten, und das gab kleineren römischen Armeen die Möglichkeit, diese reduzierten persischen Truppenverbände zu isolieren und nach und nach zu besiegen, bevor wieder Verstärkung bei ihnen eintraf. Trotz aller administrativer Einschränkungen und des strukturellen Problems der Korruption funktionierte das fiskalisch-militärische Skelett des Imperiums immer noch so gut, dass Justinian und seine wichtigsten Berater Einnahmen und Ausgaben ausbalancieren konnten, um Soldaten für eine ganze Reihe von Kriegsschauplätzen zu finanzieren und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Einsätzen zu sorgen, was die Prioritäten des Regimes ziemlich genau widerspiegelte. Justinians Versäumnis, im Jahr 539 die Feindseligkeiten in Italien zu beenden, gab seinen persischen Rivalen einen wichtigen (und kostspieligen) militärischen Vorteil an die Hand, allerdings nur für einen begrenzten Zeitraum. An den weniger bedeutenden Fronten konnte das Regime gerade einmal so die Stellung halten, in den wichtigeren Regionen ging es etwas aktiver vor.29 Dieses Gleichgewicht aufrechtzuhalten, bescherte vielen Truppen, die sich temporär an solchen stiefmütterlich behandelten Kriegsschauplätzen aufhielten (zum Beispiel in Italien in den 540er-Jahren), hohe Kosten und Verluste. Dennoch gelang es dem Regime seiner eigenen Sichtweise zufolge, die strategische Kontrolle zu wahren – abgesehen von der katastrophalen Phase zwischen 540 und 543, als Chosrau im Osten die Initiative ergriff. Trotz allem ist es meiner Ansicht nach unmöglich, zu dem Schluss zu kommen, Justinians Herrschaft sei von irgendeiner Art rational umrissener Gesamtstrategie geprägt gewesen. Seiner Expansionspolitik lag keine sorgfältige Berechnung zugrunde, bei der etwa der Kaiser im Vorfeld den potenziellen langfristigen strategischen Nutzen, der sich durch eine Eroberung Nordafrikas, Italiens und Südspaniens erzielen ließ, mit den direkten und indirekten Kosten eines solchen Unternehmens gegengerechnet hätte. Doch das Resultat irgendwelcher romantischer Vor-
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stellungen über eine Wiederherstellung des Römischen Reiches in den Grenzen von anno dazumal war Justinians Politik auch nicht. Im Gegenteil: Der Motor dieser Expansionspolitik war eine wirkungsmächtige Mischung aus Vorgaben interner politischer Agenden und einem unverblümten Opportunismus. Nach dem Scheitern seines aggressiven Perserkrieges und der Zerstörung des Stadtzentrums von Konstantinopel beim Nika-Aufstand stand Justinian vor einem politischen Scherbenhaufen. Sein Regime hatte jegliche ideologische Legitimität eingebüßt. Doch der Aufruhr im Vandalenreich bot ihm die Möglichkeit, sein verlorenes politisches Kapital ein Stück weit wiedergutzumachen. Die katastrophalen Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit veranlassten ihn, die Expedition sorgfältig vorzubereiten und zu starten, aber das bedeutet keinesfalls, dass der Expedition eine sorgfältige Kalkulation potenzieller strategischer Gewinne und inhärenter Kosten vorausging. Justinian war nur daran interessiert, was er persönlich dabei zu gewinnen hatte; wie sich das Ganze längerfristig auf die strategische Gesamtposition des Imperiums auswirkte, interessierte ihn nicht. Als Belisar in Richtung Westen aufbrach, hatte er die Erlaubnis, vor Ort selbst zu entscheiden, wie er in militärischer Hinsicht vorgehen wollte.30 Erst als klar war, in welchem Ausmaß die Elitefeldarmeen des umstrukturierten oströmischen Heers auf dem Schlachtfeld im Vorteil waren, wurde die opportunistische Improvisation von einer Expansionspolitik mit eigener Logik und Dynamik abgelöst, während Ostrom mit fragwürdigen diplomatischen Manövern versuchte, im ostgotischen Italien Fuß zu fassen. Doch auch zu diesem Zeitpunkt hingen die großen Entscheidungen noch immer von aktuellen Umständen und innenpolitischen Entwicklungen ab. Die Erkenntnis, dass oströmische Streitkräfte auf dem Schlachtfeld einen entscheidenden Vorteil genossen, ließ einen ganz speziellen, ehrgeizigen Opportunismus keimen, und als 539/540 plötzlich die Perser wieder für Ärger sorgten, war Justinian sofort bereit, sich mit einem Teilsieg in Italien zufriedenzugeben – bis Belisar die Sache in die Hand nahm und Witichis mit einem Täuschungsmanöver dazu brachte, ihm Ravenna zu überlassen. Erst ab da wurde das Ganze für den Kaiser zur Prestigefrage: Mit einem Kompromiss, der auf einer Teilung Italiens beruhte, konnte er sich nicht mehr zufriedengeben, selbst noch als Totilas Aufstand und der gleichzeitige Krieg mit Persien die Ressourcen des Reiches enorm belasteten.31
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Die Konstante bei alldem war, dass es keine rationalen strategischen Überlegungen gab, die das Wohl des gesamten Imperiums im Blick gehabt hätten. Wie insbesondere der Nika-Aufstand, aber auch viele andere Vorfälle in Justinians langer Regierungszeit zeigen (wie seine Weigerung im Jahr 540, mit Chosrau über einen Rückzug zu verhandeln, als kein größeres römisches Heer vor Ort war, um die Städte Mesopotamiens zu schützen), kümmerte sich Justinian keinen Deut um das Wohl seiner Untertanen (oder sonst irgendeines anderen). Ihm war einzig und allein daran gelegen, dass sein Regime die politische Kontrolle über das Imperium behielt. Auch wenn seine Propaganda das Gegenteil behauptete: Solange Kaiser Justinian sicher auf seinem Thron saß, war es ihm völlig gleichgültig, wenn Zehntausende seiner Untertanen und Feinde starben. In diesem Sinne war die Expansionspolitik nicht viel strategischer geprägt als die überstürzte Rechtsreform des Kaisers in den 520ern und zu Beginn der 530er-Jahre oder seine entschlossenen, wenn auch letztlich erfolglosen Versuche, die Spaltung innerhalb der Ostkirche zu beenden. Nicht nur wiesen all diese Aktionen die gleichen Merkmale eines improvisierten Opportunismus auf, der vollkommen den momentanen politischen Imperativen des Regimes untergeordnet war, sondern Außen-, Rechts- und Religionspolitik waren für Justinian austauschbare (und mitunter ineinandergreifende) Möglichkeiten, politisches Kapital zu gewinnen – nicht mehr und nicht weniger. Das Scheitern der Gespräche mit antichalkedonischen Kirchenführern im Jahr 532 trug zur Entscheidung bei, Nordafrika anzugreifen; den Erfolg dieser Expedition nutzte der Kaiser dazu, seine Gesetzesreformen durchzusetzen; Anfang der 540er-Jahre, als die militärischen Erfolge in Italien und im Osten ausblieben, kehrte Justinian zu einer ambitionierteren Religionspolitik zurück.32 Ganz grundsätzlich hatten Justinians Expansionsbestrebungen mit moderner, strategischer Außenpolitik rein gar nichts zu tun. Das muss natürlich nicht heißen, dass ihnen keinerlei rationale Berechnungen zugrunde lagen, doch auf jeden Fall waren sie eher von innenpolitischen Erwägungen bestimmt als von irgendeiner Art übergreifender strategischer Außenpolitik. Die Innenpolitik schlägt sich immer in der Außenpolitik nieder, bis hin zur Entscheidung, ob man in den Krieg zieht oder nicht. Auch heute noch kann man oft kaum sagen, wo
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das eine aufhört und das andere anfängt – zumindest ist es viel schwieriger, als die Regierungen uns weismachen wollen. Aber immerhin müssen westliche Staaten heute angesichts der direkten Kontrolle durch unabhängige Nachrichtenagenturen ihre außenpolitischen Entscheidungen einer breiten Wählerschaft plausibel machen. Ein Regime wie das von Kaiser Justinian lässt sich damit kaum vergleichen – es gab weder Wähler, denen gegenüber es Rechenschaft ablegen musste, noch unabhängige Kontrollinstanzen. Wie Prokop uns in der Geheimgeschichte mitteilt und zahlreiche Zwischenfälle bestätigen, die in diversen spätrömischen Geschichtswerken festgehalten sind, galt Kritik an einem von Gott ernannten Herrscher in der Regel als Hochverrat und wurde mit dem Tod bestraft. Das spätrömische Kaiserreich war von der öffentlich-politischen Kultur her ein Einparteienstaat, und das brachte einem etablierten Regime erhebliche Vorteile.33 Doch auch wenn die Zahl der aktiven politischen Akteure innerhalb des Systems recht begrenzt war, bedeutete das nicht, das für die Verantwortlichen weniger auf dem Spiel stand – wenn überhaupt, dann war das Gegenteil der Fall. Kaiser Maurikios errang 591 den glorreichsten Sieg über die Perser, an den sich irgendein Römer erinnern konnte, und trotzdem wurden er und seine Söhne elf Jahre später hingerichtet. Kaiser Zenon hielt anderthalb Jahrzehnte lang recht erfolgreich an der Macht fest, verbrachte aber fast zwei Jahre davon im Exil und musste sich, während er in Konstantinopel versuchte, die Kontrolle zu behalten, gegen ein halbes Dutzend Verschwörungen zur Wehr setzen. Der Preis, den ein Kaiser zahlte, der scheiterte, war der gleiche wie der für einen erfolglosen Herausforderer: Beide erwartete ein höchst unerfreulicher Tod. An die Macht zu kommen und an der Macht zu bleiben – beides war in der römischen Spätantike äußerst schwierig, und wem eines davon nicht gelang, der wurde umgebracht. Insofern war es durchaus nachvollziehbar, wenn ein Kaiser alle seine politischen Maßnahmen diesem einen Ziel unterordnete. Wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, lassen sich die wichtigsten Akteure im tendenziell gewalttätigen und äußerst turbulenten politischen Prozess im Herzen des Oströmischen Reiches leicht identifizieren. Unter den Angehörigen des Herrscherhauses gab es stets zahlreiche potenzielle Thronanwärter, genau wie in den höheren Rängen des Militärs, des Hofstaats und des Beamtenapparats. Die beiden letzteren Kategorien überschnitten sich tendenziell und bildeten dann eine weitere Kategorie:
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die der besonders reichen Grundbesitzer. Um ein beträchtliches Grundvermögen zu unterhalten, kam man nicht umhin, Teil eines Senats- oder Hofnetzwerks zu sein, selbst wenn man kein formelles Amt innehatte. In jüngerer Zeit hat es Versuche gegeben, die hinteren Reihen der kaiserlichen Bürokratie insbesondere für Justinians Regierungszeit als weiteren Machtblock zu identifizieren, nicht zuletzt, um behaupten zu können, Prokop habe mit seiner Geheimgeschichte die Meinung dieses Machtblocks beeinflussen wollen.34 Doch auch wenn es zahlreiche gut ausgebildete Bürokraten gab, die in der Lage waren, sich eine eigene Meinung zu bilden, und die weitgehend der gesellschaftlichen Elite entstammten, gibt es keinerlei handfeste Hinweise darauf, dass die Bürokratie als kohärenter politischer Block funktionierte. Was Justinians Zeit betrifft, so bezeugen die Schriften des Johannes Lydos, dass die Bürokratie viel zu sehr mit internen Rivalitäten zwischen den einzelnen Ressorts beschäftigt war, um als geschlossener Block in die Gestaltung der kaiserlichen Politik einzugreifen, auch wenn einzelne Mitglieder (wie Johannes Lydos selbst) sicherlich in enger Verbindung zu einflussreicheren Männern standen, sodass sie direkt beobachten konnten, was in den höheren Sphären der Politik vor sich ging, und ihre Meinung dazu hatten. In zweihundert Jahren detaillierter zeitgeschichtlicher Aufzeichnungen ab dem 4. Jahrhundert ist kein einziger Anlass aufgezeichnet worden, an dem die Bürokratie als wirksamer Machtblock für den Aufstieg oder Fall eines kaiserlichen Regimes verantwortlich gewesen wäre; wir wissen nicht einmal von einem kollektiven Veto. Wahrscheinlich kann man die Bürokratie am besten mit dem kirchlichen Establishment vergleichen, das durchaus eine eigene Meinung hatte, aber nie in der Lage war, so einheitlich aufzutreten, dass es konkret in religiöse Angelegenheiten hätte eingreifen können. Wie sich an der Herrschaft Justinians ebenfalls deutlich ablesen lässt (und das gilt für die gesamte Spätantike), lag jede echte Initiative auf der Makroebene auch in religiösen Angelegenheiten beim Kaiser, selbst wenn er nicht immer in der Lage war, all seine Untergebenen dazu zu bringen, genau das zu tun, was er wollte.35 Vor die größten Probleme stellten Justinian natürlich die traditionell einflussreichen politischen Akteure, deren Einfluss sich genauso bei anderen Kaisern zeigt. Zwei Neffen von Anastasios I. stellten zu Beginn von Justinians Herrschaft die unmittelbarste Bedrohung seitens der er-
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weiterten Familie des Kaisers dar. In gewissem Sinne ging es bei der risikoreichen Strategie des Kaisers, zugleich die Perser zu provozieren und das schwierige, komplexe Projekt der Rechtsreform in Angriff zu nehmen, vor allem darum, dass Justinian sich angesichts potenzieller alternativer Thronanwärter profilieren musste, zumal man Hypatius mit einer eher versöhnlichen Haltung gegenüber Kavadh assoziiert zu haben scheint. Aber Anicius Olybrius, der einem älteren Herrscherhaus angehörte, lauerte auch noch im Hintergrund; seine Mutter hatte die große Polyeuktoskirche gestiftet, die die religiöse Landschaft der Hauptstadt dominierte, als Justinian den Thron bestieg. Offenbar schickte Justinian ihn nach dem Nika-Aufstand ins Exil und ließ ihn erst zurückkehren, als er durch den Sieg in Nordafrika seine Position gefestigt hatte.36 Aber auch das gelang ihm nur vorübergehend. Sobald Belisar bei Ad Decimum Gelimer die entscheidende Niederlage beigebracht hatte, kamen Gerüchte auf, der Feldherr wolle selbst nach dem Thron greifen. Und die Gerüchte waren plausibel genug, dass Belisar, sobald es ging, nach Konstantinopel zurückkehrte, um sie persönlich zu zerstreuen. Ein beliebter und erfolgreicher Feldherr mit eigenen treuen bucellarii um sich war eine ganz offensichtliche Bedrohung für einen regierenden Kaiser; im Jahr 540, als der Feldherr Ravenna einnahm und die ostgotische Führung größtenteils absetzte, kamen die Gerüchte erneut auf. Auch wenn Belisar seinem Kaiser treu ergeben blieb und dafür nicht nur mit einem Triumph geehrt (bei dem der Feldherr sich allerdings in einem entscheidenden Moment vor der Majestät Justinians erniedrigte), sondern auch auf den Mosaiken am Chalke-Tor verewigt wurde, stellten die oberen Riegen des Militärs auch weiterhin eine potenzielle Bedrohung dar.37 Die letzten beiden Intrigen gegen Justinian, von denen uns die Quellen berichten, waren absolut typisch für die spätrömische Machtpolitik. Obwohl der Sieg in Nordafrika und die ersten Erfolge in Italien den Kaiser eine Zeit lang unangreifbar machten, wurden nach der Zerstörung von Antiochia, nach Totilas Aufstand und den Rückschlägen in Lasika schnell wieder die üblichen Stimmen laut, die Justinians göttliche Legitimität infrage stellten (wie es bei militärischen Niederlagen im Grunde immer der Fall war). Nach dem Tod Theodoras kamen 548/549 zwei armenische Fürstensöhne auf einen hochrangigen oströmischen Offizier namens Artabanes zu, der ebenfalls armenischen Ursprungs war und der der Ansicht war, die Zeit sei reif für einen Regimewechsel. Er wiederum
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weihte den Sohn von Justinians Cousin Germanus in die Pläne ein, der nicht nur ein prominenter Politiker war, sondern auch ein verdienter Militär. Am Ende entschied sich Germanus dann aber doch gegen einen Staatsstreich – vielleicht weil er ohnehin ein plausibler Thronfolger war, und wer wusste schon, ob der Kaiser nicht ohnehin bald sterben würde.38 Der letzte Umsturzversuch ereignete sich im November 562, als eine Clique wohlhabender Bankiers und einigermaßen einflussreicher Politiker in flagranti bei der Vorbereitung eines Attentats auf den Kaiser erwischt wurde. Einer der Verschwörer nahm sich das Leben, um der Festnahme zu entgehen. Das Netz der Verdächtigen erstreckte sich in diesem Fall bis zu Belisar (einige der Verschwörer gehörten seinem Haushalt an), zum Quästor Konstantin und zu einem hochrangigen Bürokraten namens Julian. Zu diesem Zeitpunkt war der kinderlose Justinian bereits achtzig Jahre alt, sodass man sich längst allerorten fragte, wer ihm auf den Thron folgen würde. Zudem hatte das Prestige des Regimes einen schweren Schlag erlitten, als es den Bulgaren gelungen war, die Theodosianische Mauer von Konstantinopel zu durchbrechen – Belisars erfolgreicher Gegenangriff war die letzte große Schlacht in dessen Karriere. Ob die Verschwörer direkt einen dieser hochrangigen Funktionäre auf den Thron bringen wollten, ist unklar – vielleicht wollten sie Belisar dazu bringen, das Prestige, das ihm der Sieg über die Bulgaren eingebracht hatte, in die Waagschale zu werfen, vielleicht ging es auch nur darum, unter den tatsächlichen Erben einen bestimmten Favoriten in Stellung zu bringen. Genauso wenig wissen wir, wie viel Schuld die Protagonisten dieses Vorgangs wirklich auf sich luden. Immerhin reichte es bei Belisar dafür, dass er beim Kaiser in Ungnade fiel – und der Zustand hielt ein halbes Jahr an, von November 562 bis zum folgenden Juni. Dass Justinian seinen großen Feldherrn blendete und auf der Straße betteln ließ, ist jedoch eine mittelalterliche Legende.39 Beide Vorfälle sind typisch für die Art und Weise, wie schwere Niederlagen oder Rückschläge dazu führten, dass sich in den Kreisen, die zu Intrigen neigten – hochrangige Offiziere, einflussreiche Beamte, entfernte Angehörige des Kaisers –, die Verschwörer zusammenrotteten. In einem so hart umkämpften Umfeld stand jegliche Macht auf tönernen Füßen; so etwas wie eine Abdankung mit anschließendem friedlichem Ruhestand gab es schlichtweg nicht. Der Weg hinunter vom Kaiserthron führte direkt in den Sarg oder aufs Schafott, wie Maurikios und seine
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Familie später herausfinden sollten. Obgleich wir aus heutiger Sicht die Taktiken, die damals erforderlich waren, um an der Macht zu bleiben, sicherlich kaum gutheißen können, lässt sich doch zumindest nachvollziehen, warum es für alle am Wettlauf um die Macht Beteiligten durchaus ratsam war, ihr politisches Vorgehen und die Interessen aller anderen Menschen diesem einen Zweck unterzuordnen. Wenn es etwas gab, das Justinian konnte, dann an der Macht bleiben. Fast vierzig Jahre auf dem Thron zu bleiben und dann friedlich im Bett zu sterben, und zwar nicht als Strohmann oder bloßes Aushängeschild, sondern als aktiver Kaiser – das war eine echte Leistung, zumal es für einen Kaiser immer schwieriger wurde, an der Macht festzuhalten, je länger er regierte. Im Gegensatz zu seinem Onkel Justin I. designierte der Kaiser keinen Erben, den er dann gezielt förderte; unsere Quellen deuten darauf hin, dass in seinen letzten Lebensjahren zwei potenzielle Thronanwärter in seiner Gunst standen, und sie hießen beide Justin: Der eine war ein hochrangiger Palastbeamter und der Sohn seiner Schwester Vigilantia, der andere der Sohn von Justinians Cousin Germanus, der sich in Afrika hervorgetan hatte und 548/549 den Angeboten der Verschwörer widerstand. Am Ende kam sein Neffe auf den Thron, und der ließ seinen Rivalen hinrichten, obwohl sie zuvor vereinbart hatten, dass sie sich die Macht de facto teilen würden. Allerdings lässt sich sogar die Weigerung, einen Thronfolger zu ernennen, als gezielte Maßnahme Justinians deuten, sich die Macht zu sichern. Wenn ein über achtzigjähriger Amtsinhaber einen eindeutigen Erben bestimmte, würde der sich früher oder später unweigerlich in die Regierungsgeschäfte einmischen und nach und nach die Kontrolle im Staat übernehmen – wie Justinians es in den letzten Jahren Justins I. ja selbst getan hatte.40 Doch auch wenn sich Justinians westliche Expansion unmöglich als Produkt vernünftigen strategischen Kalküls deuten lässt, gibt es andererseits auch keine deutlichen Belege dafür, dass sie die Sicherheit des Imperiums unterminierte. Natürlich erfuhr die Wirtschaft sowohl in Nordafrika und vor allem in Italien im Rahmen der Befriedung erhebliche Störungen, und zwar gar nicht so sehr im Zuge der Eroberung der neuen Provinzen als vielmehr bei der Unterdrückung nachfolgender Aufstände. Dennoch gelang es Ostrom, beide Regionen lange genug zu halten, um die Kosten der Eroberung und der anschließenden Verteidigung dieser Gebiete zu decken. Auch der Verlust Norditaliens an die
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Langobarden und der Umstand, dass sich das dortige Territorium auch später nicht zurückerobern ließ, war in erster Linie auf Invasionen von außen zurückzuführen, durch die Awaren und vor allem die Araber, und deren Aufstieg lässt sich nicht wirklich dem Kaiser anlasten. Selbstverständlich entstanden Ostrom durch die Eroberungen im Westen immense direkte und indirekte Kosten – von der Zerstörung Antiochias im Jahr 540 bis zu den Steuererhöhungen während Justinians gesamter Regierungszeit. Aber selbst wenn man die Auswirkungen der Pandemie mit einberechnet, gibt es keine eindeutigen Belege dafür, dass dies in den wichtigsten Wirtschaftsregionen Konstantinopels – Westkleinasien, Syrien, Palästina und Ägypten – die ökonomische Landschaft wesentlich gestört hätte. Im Gegenteil: Alle archäologischen Zeugnisse deuten stark darauf hin, dass das dortige Wohlstandsniveau das gesamte 6. Jahrhundert über stabil blieb, trotz der Steuererhöhungen. So beklagenswert die humanitären Folgen von Justinians Politik auch waren (und das waren sie zweifellos), sie unterminierte nicht die allgemeine strategische Sicherheit des gesamten Imperiums. Den Verlust der oströmischen Kerngebiete (vom Niedergang des sassanidischen Persien ganz zu schweigen) muss man vielmehr spezifischen politischen Entscheidungen anlasten, die in den folgenden zwei Generationen getroffen wurden. Die extrem aggressiven Entscheidungen und übertrieben ehrgeizigen Reaktionen von Justin II., Maurikios und Chosrau II. stürzten die beiden Supermächte des Altertums in einen fast fünfzig Jahre währenden totalen Krieg, und dieser Konflikt ermöglichte den Aufstieg der Araber, die im Folgenden die politischen und kulturellen Grenzen im gesamten Nahen Osten neu ziehen sollten. Die Schlussfolgerung, dass es die politischen Entscheidungen der folgenden zwei römischen und persischen Herrschergenerationen waren, die die strategische Position beider Imperien auf so fatale Weise aus dem Gleichgewicht brachte, legt eine letzte Überlegung nahe, auf welche Weise man Justinian zumindest teilweise für das verantwortlich machen kann, was nach seinem Tod geschah. In der Summe stellte alles, was Justinian während seiner langen Herrschaft getan hatte, für seine Nachfolger ein komplexes politisches Erbe dar. Laut seiner eigenen Propaganda war er ein »Eroberer von Völkern«. Als er starb, war Konstantinopel voll mit Baudenkmälern und Kunstwerken, die diese Tatsache betonten. Sein Reiterstandbild thronte über der Stadt, atemberaubende Mosaike
erinnerten jeden, der den Palast betrat, an die Eroberung Afrikas und Italiens, und die 33 Kirchen, die Justinian hatte bauen lassen, kündeten von seiner besonderen Beziehung zum Allmächtigen, die dies alles möglich gemacht hatte. Angesichts der großen ideologischen Bedeutung, die einem militärischen Sieg als ultimativem Garanten der göttlichen Legitimität eines römischen Kaisers zukam, kann man leicht nachvollziehen, warum das Regime solche Siege jedesmal, wenn es sich selbst feiern konnte, in den Vordergrund rückte. Doch eben diese Siege stellten für Justinians unmittelbare Nachfolger ein geradezu toxisches politisches Vermächtnis dar. Falls das Kennzeichen eines von Gott auserkorenen Kaisers (und damit der Schlüssel zu politischer Sicherheit) nunmehr militärische Siege von jener Kategorie waren, wie Justinian sie errungen hatte, konnte man kaum noch zu der vorsichtigen Politik eines Anastasios oder Justin zurückkehren, wenn man länger im Amt bleiben wollte. Binnen sechs Tagen nach Justinians Tod teilte Justin II., wie erwähnt, den Botschaftern der Awaren mit, dass sie in Zukunft keine diplomatischen Geschenke mehr erhalten würden. Gorippus beschreibt diesen Vorfall detailliert in seinem Bericht darüber, wie die Macht von Justinian auf Justin überging. Aus seiner Darstellung geht ganz deutlich hervor, dass dies eine bewusste Entscheidung des neuen Regimes war; man wollte demonstrieren, dass man mit Barbaren noch härter ins Gericht gehen würde als das Vorgängerregime, um die von Gott geweihte römische Zivilisation zu verteidigen.41 Als Justin im Rahmen seines verzweifelten Versuchs, einen größeren Sieg über die Perser zu erringen, die schicksalhafte Entscheidung traf, ein Bündnis mit den Göktürken einzugehen, wird sein Bedürfnis, Justinian zu übertreffen oder auch nur irgendwie mit ihm gleichzuziehen, eine wichtige Rolle gespielt haben. Und wenn dem so ist, dann war es letztlich das toxische Vermächtnis von Justinians militärischen Triumphen, das den fünfzigjährigen Teufelskreis des Krieges in Gang setzte, der am Ende dazu führte, dass Konstantinopel auf den Status einer Regionalmacht degradiert wurde.
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Die Quellensituation Für ein Gesamturteil über Justinian steht einem eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Quellen zur Verfügung, wie sie uns in diesem Buch schon begegneten. Wir wollen somit mit einem Überblick über diese Quellen schließen: Was die physischen Zeugnisse betrifft, gibt es neben den unter Justinian errichteten Gebäuden, die heute noch stehen, wie der Hagia Sophia im heutigen Istanbul (und mehreren anderen Kirchen), eine ganze Menge neuer archäologischer Befunde, die uns nicht nur Erkenntnisse über einzelne Orte wie Justiniana Prima vermitteln, sondern auch einiges über das ganz allgemeine Funktionieren der Gesellschaft und Wirtschaft unter Justinian verraten, sowie viele kleinere Objekte, von exquisiten Silbertafeln über Münzen bis hin zu illuminierten Handschriften und Mosaiken. Die Kultur war zwar im Begriff sich grundlegend zu verändern, aber dennoch wurden die meisten klassischen Kunstgattungen fortgeführt. So sind mehrere wichtige dichterische, philosophische und sogar grammatische Werke erhalten, die ab Mitte des 6. Jahrhunderts entstanden sind. Einige von ihnen, wie die lateinische Epik des Gorippus (oder Corippus), spielen eine ganz zentrale Rolle, wenn es darum geht, die geschichtlichen Abläufe der damaligen Zeit zu rekonstruieren und den allgemeinen kulturellen Kontext von Justinians Herrschaft nachzuvollziehen.1 Der Kaiser war nicht zuletzt ein fleißiger Gesetzgeber: Aus seiner Regierungszeit ist ein gewaltiges, ungeheuer wertvolles Korpus von Rechtsurteilen überliefert, das nicht nur Justinians Antworten auf rechtliche Fragen aus der Praxis enthält, sondern auch zeigt – und das ist nicht weniger wichtig –, wie er sie jeweils rhetorisch begründete (mitunter hatte das aber wohl wenig mit den wahren Gründen zu tun). Mitte des 6. Jahrhunderts war außerdem eine ganz wichtige Phase für die Entwicklung der christlichen Religion, die damals gewissermaßen immer noch in den Kinderschuhen steckte. Justinian spielte auch in Sachen Kirche eine wichtige Rolle; so berief er im Jahr 553 in Konstantinopel Vertreter aller christlichen Kirchen zum fünften ökumenischen Konzil ein. Demgemäß haben uns auch christliche Autoren – nicht nur die, die auf Latein und Griechisch schrieben, sondern auch jene der orientalisch-christlichen Sprachtraditionen, die also etwa auf Syrisch oder
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Koptisch schrieben – über seine Herrschaft eine ganze Menge zu berichten. Besonders im noch nicht ganz ausgereiften Genre der Kirchengeschichte und den immer einflussreicheren Chroniken, deren Verfasser die gesamte Weltgeschichte von der Schöpfung bis zur Gegenwart darstellen wollten, blickten die Autoren viel weiter über den Tellerrand ihrer Religion hinaus, als wir es aus heutiger Sicht erwarten würden, und gewähren uns wertvolle Einblicke in politische und militärische Ereignisse.2 Die Religionspolitik in Justinians christlichem Reich ließ sich denn auch nie ganz von den anderen Dimensionen kaiserlicher Aktivität trennen: Manche Angelegenheiten scheinen auf den ersten Blick rein in religiösem Kontext von Bedeutung zu sein, doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass sie ganz eng mit den Eroberungskriegen des Kaisers verknüpft sind. Im Grunde habe ich hier ein Buch über die Kriege Justinians geschrieben; es ist ein Versuch, ihre Ursachen, ihren Verlauf und ihre Konsequenzen zu beschreiben und zu analysieren. Daher musste ich vor allem auf eine ganz bestimmte Art von Quellenmaterial zurückgreifen: das antike Genre der klassizistischen Geschichtsschreibung mit seinem nüchternen Fokus auf Krieg, Politik und Diplomatie. Eine ganze Reihe Autoren vom Ende des 3. bis zum Anfang des 6. Jahrhunderts – die meisten von ihnen schrieben auf Griechisch, aber auch der Lateiner Ammianus Marcellinus zählt dazu – schilderten detailliert die Strukturen und die konkrete Funktionsweise des römischen Imperialismus.3 Insgesamt vermitteln sie uns ein grundlegendes Verständnis dessen, was das Imperium tatsächlich war und wie es in der Praxis funktionierte; ohne ein solches Verständnis lassen sich Justinians Regime und seine Taten schlichtweg nicht analysieren. Mehrere Vertreter dieses literarischen Genres liefern uns viele spezifische Informationen über Justinians Regierungszeit und seine Eroberungen. Agathias, den wir auch als Dichter kennen, ist zwar auf fast ärgerliche Weise geschwätzig und übertreibt immer wieder, wenn er Zahlen wiedergibt, doch im Großen und Ganzen weiß er viel zu berichten und verrät uns eine Menge über Justinians Kriege, insbesondere die letzten Feldzüge Mitte der 550er-Jahre in Italien und im Osten. Und dann ist da noch ein Offizier namens Menander, der einen erstaunlich detaillierten und präzisen Text über die letzten Jahre des Kaisers verfasst hat: Dieser enthält diplomatische Informationen von höchster Qualität, ist aber leider nur in Auszügen überliefert.4
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Doch es gibt einen klassizistischen Historiker, der im Mittelpunkt jeder Beschäftigung mit Justinian und seiner Herrschaft stehen muss und an dessen Werk sowohl Agathias als auch Menander anknüpften: Prokop von Caesarea. Prokop gibt nicht allzu viel über seinen eigenen Hintergrund preis, doch er gehörte eindeutig dem oströmischen Landadel an. Seine Werke zeigen deutlich, dass er eine umfassende private Ausbildung in klassischer griechischer Sprache und Literatur genossen hat, wie sie den Angehörigen seiner gesellschaftlichen Schicht und darüber vorbehalten war. Da er sich in seinen eigenen Schriften als assessor (Rechtsberater) von Belisar, Justinians berühmtestem Feldherrn, bezeichnet, muss er Jura studiert haben – eine kostspielige Angelegenheit; auch das verweist auf einen privilegierten Hintergrund. Prokop gehörte dem Gefolge Belisars an, als dieser den Vandalen Afrika entriss (533) und ebenso während der ersten Phasen des Krieges in Italien. Unser Historiker war somit direkter Augenzeuge und nahm mitunter sogar aktiv an einigen Ereignissen teil, die im Mittelpunkt dieses Buches stehen.5 Prokop berichtet in drei verschiedenen Werken über Justinians Herrschaft. Im längsten dieser Texte, der Kriegsgeschichte, stellt er ausführlich Justinians Kriege der Jahre 527 bis 552/553 dar. Die Bücher 1 bis 7 schildern die Ereignisse bis etwa 550 und wurden gemeinsam im Jahr 551 veröffentlicht; Buch 8 deckt die anschließenden Auseinandersetzungen in Italien und im Osten ab, publiziert 553. Prokop hielt sich an die literarischen Konventionen dieser Art der klassizistischen Geschichtsschreibung in spätrömischer Zeit, und dieser Umstand verlieh seinen Schriften einige recht merkwürdige Züge. Demnach durfte ein Historiker ausschließlich Vokabular verwenden, das durch die griechischen Grammatiker der klassischen Zeit sanktioniert war. Das bedeutete unter anderem, dass er Äquivalente für christliche Begriffe wie »Bischof«, »Kirche« oder »Mönch« suchen musste, da es so etwas Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. in Athen natürlich noch nicht gegeben hatte; weit ausholende Einleitungen, die den Leser unterhalten sollten und in denen der Autor seine Gelehrsamkeit zur Schau stellte, anstatt irgendetwas zu erklären, galten als unerlässlich, und das Thema musste sich innerhalb streng vorgegebener Grenzen bewegen. Charakteristisch für das Genre war ein strikter Fokus auf die Militär- und Diplomatiegeschichte, und es war üblich (wenn auch nicht zwingend notwendig), dass der Autor zumindest
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an einigen der von ihm beschriebenen Ereignisse persönlich teilgenommen hatte. Das weckte nicht nur das Interesse des Lesers, sondern sollte garantieren, dass die Darstellung einigermaßen die Wahrheit traf.6 Prokop war sich der Einschränkungen bewusst, die einige dieser Konventionen mit sich brachten. So beklagt er sich einmal, dass es ihm nicht gestattet ist, Justinians religiöse Initiativen im selben Atemzug zu diskutieren wie seine Eroberungskriege. Aber das Genre wirft noch weitere Probleme auf, die unserem Autor aber weniger bewusst waren. In den ersten sieben Büchern beschreibt Prokop Justinians Kriege Schauplatz für Schauplatz; er bricht mit diesem Ansatz teilweise in Buch 8, indem er sowohl über Italien als auch über Lasika berichtet, aber immerhin in getrennten Passagen. Der Kaiser war angesichts der vielen gleichzeitigen Anforderungen an die verfügbaren Ressourcen von Persien bis Nordafrika allerdings stets gezwungen, die Prioritäten abzuwägen, daher ist eine strikt nach Schauplätzen getrennte Darstellung der Ereignisse im Grunde kontraproduktiv, wenn man die Entwicklung der kaiserlichen Politik durchdringen will. Obendrein folgt Prokop einer wichtigen Grundhaltung der antiken Geschichtsschreibung: der Ansicht, dass das Wohl und Wehe der Menschen in erster Linie von den Tugenden und Lastern ihrer Anführer abhängt. Natürlich ist individuelle Kompetenz nicht ganz unwichtig, wenn es darum geht, eine Abfolge historischer Ereignisse nachzuzeichnen, doch die antike Geschichtsschreibung beschäftigt sich generell kaum mit den logistischen, finanziellen und administrativen Zwängen, die aber immer einen ganz wichtigen Kontext liefern, wenn man verstehen will, warum bestimmte Entscheidungen getroffen wurden. Trotz allem enthält Prokops Kriegsgeschichte viele detaillierte Informationen, an denen zu zweifeln es keinen ernsthaften Grund gibt, auch wenn die Qualität der Darstellungen insgesamt recht uneinheitlich ist. Letzteres ist zumindest teilweise darauf zurückzuführen, dass Prokop bei dem einen Ereignis selbst vor Ort war, bei dem anderen nicht. Die Lebendigkeit und die allgemeine Informationsdichte seiner Berichte über Belisars Afrika- und Italienfeldzüge bis 540 sind ganz direkt dem Umstand geschuldet, dass er vor Ort war und hin und wieder sogar aktiv am Geschehen teilnahm. Mitunter kamen dem Autor hier aber andere Faktoren in die Quere. Obwohl Prokop mit Sicherheit bei Belisars Niederlage gegen die Perser bei Kallinikos im Jahr 531 dabei war, wirkt sein Bericht
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über diese Schlacht recht vage und ausweichend. Der Vergleich mit seinem hervorragenden Bericht über Belisars Sieg über denselben Feind im Jahr zuvor in der Schlacht bei Dara macht deutlich, dass Prokop wohl von dem Wunsch geleitet war, das Ansehen des Feldherrn zu wahren. Andersherum liefert Prokops auch für viele Ereignisse, bei denen er nicht als Augenzeuge dabei war, hervorragende Beschreibungen; vermutlich nutzte er seine Zeit bei Belisar dazu, sich innerhalb des oströmischen Militärapparats ein Netzwerk von Informanten aufzubauen, das ihm half, seine narrative Intensität aufrechtzuerhalten. Wir haben keinen Hinweis darauf, dass sich Prokop jemals in der Nähe von Lasika aufhielt, aber sein Bericht über Bessas Belagerung von Petra ist nichtsdestoweniger äußerst lebhaft und detailliert. Wenn Prokop aber Zahlen von Soldaten und Todesopfern nennt, sind seine Aufzeichnungen wiederum lückenhaft – aus heutiger Sicht das klassische Problem antiker Geschichtsschreibung. Manchmal nennt er Zahlen, manchmal nicht. Und dort, wo er sie nennt, sind seine Angaben nicht immer überzeugend. So ist beispielweise schon vor längerer Zeit aufgefallen, dass eine gewaltige Diskrepanz herrscht zwischen der Zahl, die Prokop für die Gesamtgröße der Armee des ostgotischen Italiens angibt, und den Zahlen gotischer Soldaten, die seinem Bericht zufolge tatsächlich an Kampfhandlungen teilgenommen haben. Wahrscheinlich spiegelt diese Diskrepanz die Tendenz wider, den römischen Siegen einen größeren Glanz zu verleihen, indem man die feindliche Armee größer macht, als sie in Wirklichkeit war. Doch im Allgemeinen sind Prokops Zahlen weitaus überzeugender als jene, die sich bei Agathias finden, der die Kriegsgeschichte weiterschrieb und durchweg zur Übertreibung neigte. Zumindest was die römische Seite betrifft, sind Prokops Angaben höchst plausibel und erstaunlich spezifisch – zum Beispiel wo er die ersten römischen Expeditionsstreitkräfte beschreibt, die Belisar nach Afrika und Italien führte, und die anschließenden Verstärkungen, die bis 540 nach Italien kamen. Abgesehen von all den genrespezifischen Besonderheiten und Einschränkungen ist die schiere Menge der in den acht Büchern der Kriegsgeschichte beschriebenen Ereignisse so groß, dass sich eine weitere Herausforderung auftut: Das größte Problem für jeden Historiker, der sich mit Justinian beschäftigt, besteht darin, Prokop mit eigenen Worten wiederzugeben, ohne dabei die eigene Sichtweise einfließen zu lassen.
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Und als ob das alles nicht bereits problematisch genug wäre, bietet das Gesamtwerk unseres Autors eine weitere, noch größere Herausforderung. In seinem zweiten Werk – den Bauten – widmet sich Prokop in vier langen Büchern den Bauwerken Justinians. Auch hier finden sich viele nützliche Informationen, doch das Werk birgt auch einige erhebliche Schwierigkeiten. In diesem Text wird der Kaiser so präsentiert, wie er sich selbst gerne sah: als gottgewollter, frommer Herrscher, dessen zahlreiche Bauwerke das Reich schützen, wie es der allgemeine und mitunter auch ganz spezifische Wille des allmächtigen christlichen Gottes vorsieht. Der Ton ist dermaßen propagandistisch, dass viele Historiker seit Langem besorgt sind, ob nicht zwischen der Realität von Justinians Bauprogrammen und Prokops ganz unverhohlen idealisierter Darstellung eine beträchtliche Kluft liegt – zu gegebener Zeit sollte dieses Problem genauer untersucht werden.7 Ein noch grundsätzlicheres Problem ergibt sich, wenn man die Bauten mit dem dritten und kürzesten von Prokops überlieferten Werken vergleicht: der Geheimgeschichte. In deren Vorwort erfahren wir, warum Prokop sie geschrieben hat, nachdem er erst kurz zuvor die ersten sieben Bücher seiner Kriegsgeschichte veröffentlicht hatte: Bei vielen in jener früheren Erzählung beschriebenen Ereignissen war ich gezwungen, die Ursachen zu verschleiern, die zu diesen Ereignissen führten. Daher muss ich in diesem Buch nicht nur das offenbaren, was ich bislang verschwiegen habe, sondern auch die Ursachen der bereits von mir beschriebenen Vorgänge nennen.8
Aus Angst vor »einem äußerst grausamen Tod« und der Enttarnung durch »die vielen Spione« Justinians sah sich Prokop bis zu diesem Punkt gezwungen, eine glattgebügelte Darstellung der Eroberungskriege des Kaisers zu verfassen. Nun verspricht er, endlich die ungeschminkte Wahrheit zu erzählen, indem er nicht nur bestimmte Fakten nennt, die er zuvor bewusst weggelassen hat, sondern auch, indem er die wahren Ursachen für die Ereignisse darlegt, die er in seinen früheren Werken beschrieben hat. Diese »Wahrheit« erweist sich als veritabler Skandalbericht. Der vermeintlich von Gott als Kaiser eingesetzte und entsprechend fromme Justinian entpuppt sich als Spross des Teufels: Seine Mutter gesteht, ein Dämon habe ihr zum Zeitpunkt der Empfängnis einen nächtlichen Be-
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such abgestattet. Manchmal, wenn man sich spät nachts mit dem Kaiser unterhalte, verschwinde sein Gesicht. Ein besonders frommer Besucher weigert sich, den kaiserlichen Audienzsaal zu betreten, weil er dort den »Fürsten der Dämonen« auf dem Thron sitzen sieht. Justinians Frau, Kaiserin Theodora, sei nicht nur eine Schauspielerin, sondern eine begeisterte Prostituierte, die vollkommen der fleischlichen Lust verfallen sei und sich bis ganz nach oben geschlafen habe. Nicht von Gott, sondern von übernatürlichen bösen Mächten eingesetzt, seien Kaiser und Kaiserin in ihrer Liebe zur Habgier vereint; die kolossale Zerstörung, die Justinians Kriege in aller Welt anrichteten, kümmerten sie nicht.9 Auch sein früherer Dienstherr und Justinians rechte Hand, der Feldherr Belisar, entging Prokops zorniger Feder nicht: Belisars größter Makel sei seine erbärmliche Unterwürfigkeit gegenüber seiner Frau Antonina, einer alten Freundin von Theodora aus der Zeit, als die beiden noch beim Theater waren. Antonina habe in ihrer Ehe das Sagen (das antike Ideal war natürlich die Überlegenheit des Mannes) und sei genauso lasterhaft wie die Kaiserin. Obwohl sie nebenbei zahllose Liebhaber habe, wickele sie Belisar immer wieder um den Finger und stifte ihn nicht nur zu heimtückischen Morden an, um ihre Affären zu vertuschen, sondern auch zu ernsten Verletzungen seiner öffentlichen Pflichten. So erfahren wir, dass in erster Linie Belisars Wunsch, bei seiner Frau zu sein und ihren Affären ein für allemal Einhalt zu gebieten, dazu geführt habe, dass die Perser die römische Armee in der Schlacht von Kallinikos besiegen.10 Das Problem, das sich ergibt, wenn man Prokops Werke verwenden will, um über die Herrschaft Justinians zu schreiben, sollte klar geworden sein: Wenn derselbe Autor einem in den Bauten vermittelt, der Kaiser sei der von Gott eingesetzte Retter der Menschheit, in der Geheimgeschichte aber schreibt, dass genau das Gegenteil der Fall ist, dann leidet darunter selbstverständlich seine Glaubwürdigkeit, und es wirft Fragen auf, die auch die detaillierten Erzählungen der Kriegsgeschichte betreffen, von denen aber so viel von dem, was wir über Justinians Herrschaft wissen, abhängt. Was hielt Prokop von Justinian? Und wie viel Glaubwürdigkeit kann man einem Autor überhaupt attestieren, der so unterschiedliche Haltungen zum Ausdruck bringt? Viele haben im Laufe der Jahre verschiedentlich über dieses Problem geschrieben, aber mittlerweile haben so viele kluge Köpfe die Texte sorgfältig gelesen und sich
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Gedanken darüber gemacht, dass es heute doch so etwas wie einen Konsens gibt. Auch wenn Prokop die ersten sieben Bücher der Kriegsgeschichte auf einmal veröffentlicht hat, lässt sich innerhalb des Textes eine deutliche Veränderung ablesen: Prokops Darstellungsweise wird im Laufe der Bücher immer düsterer; der Autor macht kein Geheimnis daraus, dass er, was den Fortgang und die Auswirkungen der Eroberungskriege Justinians betrifft, zunehmend desillusioniert ist. Am deutlichsten wird dies aber im achten und letzten Buch, dessen Held in vielerlei Hinsicht gar nicht der römische Kaiser, sondern der Gotenkönig Totila ist. Die Geheimgeschichte entstand irgendwann zwischen den beiden »Abteilungen« der Kriegsgeschichte, und ihr negativer Tonfall findet sich gewissermaßen beim desillusionierten Prokop der späteren Bücher der Kriegsgeschichte wieder.11 So gesehen sind im Grunde die Bauten mit ihrer enthusiastisch-positiven Darstellung des frommen Justinian der Ausreißer. Sie entstanden mit Sicherheit später als die Geheimgeschichte und das letzte Buch der Kriegsgeschichte (auch wenn wir nicht genau wissen, wie viel später). Hat Prokop, dessen Kriegsgeschichte so positiv beginnt, bevor sich die Stimmung verdunkelt, sein Urteil über den Kaiser also noch einmal geändert? Wurde der Dämon für ihn wieder zum göttlichen Heilsbringer? Vielleicht ja, aber sowohl das Vorwort als auch der Inhalt dieses außergewöhnlichen Werks – vierbändig, über hundert Seiten lang, ein Loblied auf das Bauprogramm des Kaisers – legen nahe, dass das einzig plausible Publikum Justinian selbst war. Schon deshalb muss man sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie aufrichtig das Lob gemeint war. Das Römische Reich der Spätantike war von seiner politischen Kultur her eine Art Einparteienstaat (siehe Kapitel 1), und in einem Werk, dessen Adressat der kaiserliche Hof war, hätte ein Autor, der klar bei Verstand war, dem Herrscher kaum etwas anderes vorgelegt als eine kluge, elaborierte, selbsterklärende Version eben jener Botschaft, die er bereits aus der Regime-Propaganda kannte und von der er genau wusste, dass der Kaiser sie hören wollte. Insofern ist es höchst unwahrscheinlich, dass Prokop, als er die Bauten schrieb, in seiner Gesamtbewertung des Kaisers eine Kehrtwende vollzog und ihn wieder positiv sah.12 Wenn wir aber die extremen Schwankungen von Prokops Haltung gegenüber dem Kaiser aus der Liste möglicher Anklagepunkte gegen seine Glaubwürdigkeit streichen können, wie bringen wir dann seine
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eigene Behauptung, die Geheimgeschichte bilde die komplette, ungeschminkte Wahrheit über Justinians Regime ab, mit der Darstellung einer mannstollen Theodora und eines diabolischen Justinian in Einklang? Von dieser Frage hängt vieles ab: Kann man einem Zeugen, der in der Lage ist, eine dermaßen übertriebene Flut von Schmähungen vom Stapel zu lassen, überhaupt trauen? Es hat viele unterschiedliche Antworten auf diese Frage gegeben, doch der Text der Geheimgeschichte enthält jede Menge Hinweise darauf, dass Prokop mit seinen Lesern spielt – nicht etwa dahingehend, dass er das Regime nicht tatsächlich von tiefstem Herzen verachtete, sondern in dem Sinne, dass er vom Leser gar nicht erwartet, den Inhalt als »wahr« zu akzeptieren, zumindest nicht im direkten, wörtlichen Sinn. Über die Jahre hinweg war die Reaktion fast aller meiner Studentinnen und Studenten auf die pornografische Darstellung von Theodora die gleiche: Sie mussten lachen. Natürlich ist es schwierig, die kulturellen Werte zu beurteilen, die zu einer ganz anderen Zeit an einem anderen Ort herrschten, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das genau die Reaktion war, die Prokop bezweckte. Und wenn man nach Quellen sucht, wird schnell klar, dass Prokop ein Porträt der Kaiserin zusammengeschustert hat, das nicht nur das genaue Gegenteil dessen darstellte, wie sie wirklich war, sondern dass er sich dazu bei früheren Anekdoten über berühmte Prostituierte der klassischen Vergangenheit bediente.13 Die Darstellung Justinians ist nicht weniger witzig (auch wenn heutige Historiker darüber nicht so häufig lachen), besonders Prokops Lügenmärchen über die frappierende Ähnlichkeit zwischen Justinian und dem schlimmsten Tyrannen unter den römischen Kaisern, Domitian: Alle Porträts des Tyrannen seien nach seinem Tod zerstört worden, wie Prokop berichtet, mit einer einzigen Ausnahme, die er zufällig in Rom gesehen habe und die Vespasians Frau nach dem Tod ihres Mannes habe anfertigen lassen, nachdem sie das Gesicht des zuvor von der wütenden Menge Getöteten und Zerstückelten wieder zusammengenäht habe. Justinians verschwindendes Gesicht und der Beischlaf der Kaiserin mit einem Dämon sind nicht nur »Räuberpistolen«, wie man sie heute in der BILD-Zeitung finden würde, sie sind auch durchweg mit Phrasen wie »so wird berichtet« oder »sagt man« gekennzeichnet, die dem Leser von vornherein klarmachen, dass sie das, was sie da erfahren, nicht unbedingt für bare Münze nehmen dürfen. Mit anderen Worten: Ich bin überzeugt davon, dass der Prokop
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der Geheimgeschichte ein schlauer, witziger Satiriker war, der mitnichten glaubte, Justinian sei buchstäblich ein Dämon oder seine Frau die größte Hure überhaupt. Dämonisierung und sexuelle Demütigung waren im literarischen Kanon der Antike (wie im Grunde heute noch) bekannte Strategien, um Gegner der Lächerlichkeit preiszugeben. In der Geheimgeschichte setzte Prokop diese Strategien auf ganz brillante Weise ein, um darauf hinzuweisen, dass Justinians Regime in Wirklichkeit das genaue Gegenteil von dem sei, was seine Propaganda behauptet.14 Dieser Umstand ist in gewisser Hinsicht durchaus beruhigend. Prokop war weder ein solcher Wendehals, wie es sein offenkundiger Meinungsumschwung in den Bauten nahelegt, noch so leichtgläubig, wie es eine oberflächliche Lektüre der Anekdoten in der Geheimgeschichte vermuten lässt, und beides zusammengenommen sollte uns zu der Überzeugung bringen, dass man die vielen detaillierten Erzählungen, die die Kriegsgeschichte enthält, ernst nehmen kann und sollte. Dennoch bleibt ein faszinierendes und in mancher Hinsicht nicht ganz einfach zu lösendes Problem: Irgendwie müssen wir berücksichtigen, dass Prokop nicht nur ein äußerst gut informierter Autor war, sondern auch ein kunstvoller, spielerischer Literat. Das mag paradox klingen, ist es aber nicht. Je cleverer ein Autor ist – insbesondere ein so gut informierter wie Prokop –, desto schwieriger wird es, sich nicht in seinem kunstvoll konstruierten Netz an Interpretationen zu verstricken. Und genau das war im Wesentlichen die Aufgabe dieses Buchs. Vielleicht haben sich meine Leser dem Gesamturteil des desillusionierten Prokop der Geheimgeschichte und der späteren Bücher der Kriegsgeschichte angeschlossen, dass Justinians Eroberungen nichts als eine sinnlose Verschwendung menschlichen Lebens waren. Doch angesichts der großen allgemeinen Überzeugungskraft von Prokops Rhetorik sollte man dies keinesfalls tun, ohne vorher andere Möglichkeiten auszuloten, auch wenn Prokop oft die wichtigste oder sogar einzige Quelle ist. Und zudem sollte sich der Leser eine wichtige Frage stellen, die Prokop sich selbst noch nicht stellen konnte, da er ja nicht in die Zukunft schauen konnte: Haben Justinians Eroberungen – von kurzfristigen Verlusten abgesehen – die Integrität des Oströmischen Reiches so weit untergraben, dass sie den Weg für die verheerenden territorialen Verluste des 7. Jahrhunderts geebnet haben? Natürlich bieten uns andere Quellen, was Prokops Weltsicht betrifft, eine gewisse Kontrolle, aber es war mei-
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nes Erachtens noch wichtiger, den Bericht über Justinians Herrschaft in einen einleitenden, erklärenden Exkurs einzubinden, wie Prokop ihn selbst nicht hat schreiben können, da er an die Konventionen der klassischen Geschichtsschreibung gebunden war.
Texte und Übersetzungen Von den meisten der in diesem Buch genannten griechischen und lateinischen Quellen gibt es zumindest englische Übersetzungen (in den Reihen Loeb Classical Library und Penguin Classics). Deutsche Übersetzungen gibt es nur in ein paar wenigen Fällen (s. u.). Die Texte der christlichen Autoren sind, wenn auch mitunter in einer textkritisch inzwischen als veraltet geltenden Form, in den Ausgaben der Patrologia Latina bzw. der Patrologia Graeca erschienen. Jüngere textkritische Ausgaben (die Lesarten unterscheiden sich teils) findet man in den Reihen GCS (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte), CSEL (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum), CC (Corpus Christianorum) und SC (Sources Chrétiennes). Englische Übersetzungen einiger dieser Texte gibt es in den Sammlungen NPNF (Nicene and Post-Nicene Fathers) und Library of the Fathers. Daneben habe ich die folgenden Ausgaben und Übersetzungen spätrömischer Quellen verwendet [in eckigen Klammern werden die deutschen Übersetzungen genannt, die der Übersetzer für diese deutsche Ausgabe zusätzlich herangezogen hat]:
Agathias, Historien: Keydell (1967); Frendo (1975). [Veh, O. (1966): Historiae, Griechisch/Deutsch, in: Prokop, Werke, Bd. 2, München] Ammianus Marcellinus: Rolfe (1935–39). [Veh, O. u. a. (1974): Das römische Weltreich vor dem Untergang, Zürich/München] Anthologia Graeca: Paton (1916–18). Cassiodor, Variae: Mommsen (1894a); Hodgkin (1896); Barnish (1992). Chronicon Paschale: Dindorf (1832); Whitby und Whitby (1989). Claudian, Werke: Platnauer (1922). Codex Theodosianus: Mommsen und Meyer (1905); Pharr (1952).
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Euagrios Scholastikos: Whitby (2000). Gorippus, In laudem Iustini Augusti Minoris: Antès (1981). Gorippus, Iohannis: Teurfs u. a. (2007); Shea (1998). Hydatius von Aquae Flaviae, Chronica: Mommsen (1894b); Burgess (1993). Johannes von Antiochia: Müller (1851–70); Gordon (1966). Johannes von Ephesos: Teil 2: Harrak (1999); Teil 3: Brooks (1952); Smith (1860). Jordanes, Getica: Mommsen (1882); Mierow (1915). Justinian, Corpus Iuris Civilis: Codex Iustinianus: Krüger (1929). Institutiones, Digesta: Krüger und Mommsen (1928). Novellae: Schöll und Kroll (1928). Konstantin VII. Porphyrogennetos, De Ceremoniis: Reiske (1829). Lex Bajuvariorum: Rivers (1977). Laktanz, De mortibus persecutorum: Creed (1984). [Städele, A. (2003): Laktanz, De mortibus persecutorum, Turnhout] Malalas: Dindorf (1831); Jeffreys u. a. (1986). Malchus von Philadelphia: Blockley (1982). Menander Rhetor: Russell und Wilson (1981). Olympiodoros von Theben: Blockley (1982). Orosius, Historiae adversum Paganos: Fear (2010). Paulus Diaconus, Historia Langobardorum: Bethmann und Waitz (1878). P. Ital.: Tjäder (1955). Priskos: Blockley (1982). Prokop, Werke: Dewing (1914–40). [Veh, O. (1966–77): Prokop, Werke, München] Symmachus, Werke: Seeck (1883); Relationes: Barrow (1973). Synesios von Kyrene: Garzya (1989). Theophanes, Chronographia: Niebuhr (1839–41); Mango und Scott (1997). Victor von Vita, Historia persecutionis Africanae provinciae: Kalm (1879); Moorhead (1992b). Vita Danielis Stylites: Dawes und Baynes (1948). Zacharias von Mytilene: Hamilton und Brooks (1893). Zosimos, Historia nova: Paschoud (1971–89). [Veh, O. (1990): Zosimus, Neue Geschichte, Stuttgart]
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Vandalen, Alanen und andere überqueren den Rhein. Die westgotische Koalition lässt sich in Aquitanien nieder; in gemeinsamen Feldzügen mit römischen Armeen vernichten sie die silingischen Vandalen und nehmen den Alanen in Spanien die Unabhängigkeit, was zur Gründung der Koalition von Vandalen und Alanen führt. Vandalen und Alanen setzen über nach Marokko. Nach neun Jahren Arbeit wird der Codex Theodosianus veröffentlicht. Geiserich erobert Karthago. Das Konzil von Chalkedon legt fest, dass der fleischgewordene Christus »zwei Wesen« hat. Basiliskos’ Expedition schlägt fehl; letzter Versuch, Nordafrika von den Vandalen zurückzuerobern. Der Westgote Eurich erobert ein Gebiet von der Loire bis zur Straße von Gibraltar. Justin beginnt seine Militärkarriere bei der kaiserlichen Garde. Die von den Amalern angeführten Goten dringen in den oströmischen Balkan ein. Zenon wird Kaiser. Absetzung von Romulus Augustulus; die Insignien des Westkaisers werden nach Konstantinopel geschickt. Zenon veröffentlicht das Henotikon; Beginn des Akakianischen Schismas. * Justinian Hunerich verfolgt katholische Nordafrikaner. Der Amaler Theoderich vereinigt an seiner ererbten amalischen Machtbasis die thrakischen foederati, rekrutiert die Rugier und erobert Italien. Anastasios I. wird Kaiser. * Prokop * Theodora Anastasios’ Krieg gegen die Perser
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Severus wird Patriarch von Antiochia; Anastasios’ Demutsgeste im Hippodrom. Aufstand des Vitalian Justin wird Kaiser. Ende des Akakianischen Schismas; Theoderichs Erbe Eutharich wird Mitkonsul Justins I. Mord an Vitalian; Rehabilitation von Hypatius; Justinian wird magister militum praesentalis und designierter Konsul. König Tzath von Lasika wird in Konstantinopel getauft; Änderungen der Ehegesetze erlauben es Justinian, Theodora zu heiraten. Hilderich besteigt in Nordafrika den Thron; Ende der dortigen religiösen Verfolgungen. Justinian wird Caesar; Kavadhs Gesandte bitten Justin, Chosrau zu adoptieren, Justin lehnt die Bitte ab. † Theoderich 1. April: Justinian wird Mit-Augustus, Theodora wird zur Kaiserin gekrönt. August: † Justin I.; Baubeginn der Sergios-und-Bakchos-Kirche 7. April: Erste Ausgabe des Codex Iustinianus Januar: Belisar besiegt die Perser bei Dara. Mai: Gelimer stürzt Hilderich und wird Herrscher von Karthago. Belisar wird in Kallinikos besiegt. 11.– 18. Januar: Nika-Aufstand; † Hypatius, 18 Senatoren werden ins Exil geschickt; »Ewiger Frieden« mit Chosrau; »Gespräche« mit den Orthodoxen. Juni: Flotte segelt nach Nordafrika. September: Belisar erobert Karthago. Dezember: Bei der Schlacht bei Tricamarum wird das vandalische Heer aufgerieben; Digesten und Institutiones veröffentlicht.
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März: Gelimer kapituliert. Belisar kehrt als Sieger nach Konstantinopel zurück; zweite Ausgabe des Codex Iustinianus veröffentlicht. Oktober: † Athalarich Solomons Feldzug gegen die Berber; Theodahad stürzt Amalasuentha; Petrus der Patrizier wird nach Ravenna geschickt. Belisar erobert Sizilien; Aufstand des Godas in Nordafrika. Ostern: Stotzas meutert in Karthago. Herbst: Belisar erobert Neapel und Rom. 27. Dezember: Die wiederaufgebaute Hagia Sophia wird geweiht. März bis März: Die Goten belagern Belisar in Rom. Germanus und die erste Befriedung der Berber † Severus von Antiochia Belisar nimmt mobile Militäroperationen wieder auf und lockt Witichis in Ravenna in die Falle. Kutriguren überfallen den Balkan und kehren mit 200 000 Gefangenen zurück. Mai: Witichis wird durch einen Trick zur Kapitulation gebracht; Chosrau plündert Antiochia und das römische Syrien. Dezember: Belisar kehrt mit seinen bucellarii nach Konstantinopel zurück. Belisar erobert Sisauranon; Chosrau erobert Petra in Lasika; Totila wird König der Goten. Totilas erste Siege in Verona und Faenza Chosrau kehrt an die mesopotamische Front zurück; größte Ausbreitung der Pest. Zweiter Berberaufstand in Nordafrika und letztendlicher Sieg des Johannes Troglita Belisars zweite »italische Phase« Waffenstillstand mit Chosrau an der mesopotamischen Front Feldzüge der Perser in Lasika
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Anschlag gegen Justinian zugunsten von Germanus Totila stellt Flotte zusammen und überfällt Sizilien. Edikt Über den wahren Glauben; Bessas erobert Petra zurück; Zerstörung der gotischen Flotte. Narses besiegt und tötet erst Totila, dann Teja; Expedition des Liberius erobert südliche Küstenstädte des westgotischen Königreichs. Mai bis Juni: Zweites Konzil von Konstantinopel (ökumenisches Konzil) Narses besiegt Butilinus und Leuthari. † Ragnaris; Aufgabe des gotischen Staatsschatzes Ein neuer Waffenstillstand mit Chosrau schließt sowohl Mesopotamien als auch Lasika mit ein. Erste Gesandtschaft der Awaren Kutriguren überfallen den Balkan und überwinden die Lange Mauer von Konstantinopel. Awaren erobern Gebiete der Kutriguren und Utiguren; Verschwörung gegen Justinian. † Belisar; † Justinian Die Awaren vernichten die Gepiden. Die Langobarden verlassen die Mittlere Donau und ziehen auf den Balkan. Justin II. erklärt den Persern den Krieg. Staatsstreich des Bahram Der Friedensschluss mit Persien gibt Maurikios die Kontrolle über den größten Teil von Armenien an die Hand. November: Maurikios wird gestürzt. Die Perser erobern Palästina und Jerusalem. Suinthila erobert die letzten Außenposten Konstantinopels in Spanien zurück. Awaren und Perser belagern Konstantinopel. Chosrau II. wird abgesetzt. Schlacht am Jarmuk Die Araber erobern Ägypten. † Yazdegerd III. (letzter persischer König)
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Glossar adventus: Die durchorchestrierte formelle Zeremonie der Ankunft des Kaisers in einer Großstadt; dabei mussten sich der Hofstaat und die Bevölkerung in der Reihenfolge ihres Status aufstellen. Agathias: Dichter und Historiker, der Prokops Bericht über Justinians Kriege »vervollständigte«; er beschrieb die letzten Feldzüge Mitte der 550er-Jahre in Italien und Lasika.
agri deserti (»verlassene Felder«): Spätantiker Terminus, der früher als »aufgegebenes Ackerland« gedeutet wurde. Neueste archäologische Funde widersprechen der früheren Annahme einer Landflucht und deuten darauf hin, dass eine bessere Übersetzung lauten könnte: »Land, für das keine Steuern gezahlt werden«, denn es gibt keine Hinweise darauf, dass solches Ackerland besteuert wurde. Akakianisches Schisma (484–519): Die formelle Spaltung zwischen den Anhängern des Bischofs von Rom und denen des Patriarchen von Konstantinopel. Ursache war die Exkommunikation des Patriarchen Akakios, der Zenons Glaubensformel Henotikon (siehe dort) akzeptiert hatte, durch Papst Felix. Amaler / amalische Goten: Eine Gruppe von Goten, die nach Attilas Tod (453) von Valamir, dem Onkel von Theoderich, dem ostgotischen König von Italien (489–526), in Pannonien (dem heutigen Ungarn) vereint wurden. Um 473 ließen sie sich auf oströmischem Territorium nieder.
Anthologia Latina: Eine karolingische Handschrift aus dem 9. Jahrhundert mit lateinischer Dichtung. Unter anderem findet sich darin einiges an Material, das am Hof der Vandalenkönige von Nordafrika verfasst wurde. Augustaion: Ein von Kolonnaden gerahmter Platz im Herzen Konstantinopels, flankiert von der Kathedrale der Heiligen Weisheit (Hagia Sophia), dem Senatshaus, den monumentalen Bädern des Zeuxippos und dem Chalke-Tor zum Kaiserpalast.
Glossar | 385
Augustus: Titel des ranghöheren regierenden römischen Kaisers.
bucellarii: Elitetruppen des 6. Jahrhunderts, die persönlich den Oberbefehlshabern der Feldarmeen (magistri militum) unterstanden, weitgehend aus öffentlichen Mitteln bezahlt wurden und dem Kaiser und dem General einen Treueeid leisteten. Byzantinisches Reich: Nachfolger des Oströmischen Reiches nach dem 7. Jahrhundert, insbesondere der Rumpfstaat, der nach dem Verlust von zwei Dritteln der Kernlandgebiete des alten Oströmischen Reiches in Ägypten, Nordafrika und dem Nahen Osten übrig blieb. Caesar: Titel des rangniederen Herrschers in einem Kaiserkollegium. Justinian beispielsweise war Caesar während der Herrschaft seines Onkels Justin. Chalkedon: Schauplatz eines wichtigen ökumenischen Konzils (451), das einberufen wurde, um eine Spaltung der Ostkirche aufgrund verschiedener Haltungen gegenüber den Lehren des Patriarchen Nestorius von Konstantinopel zu verhindern. Chalke-Tor: Dreibogiges, überdachtes Bronzetor, das den Eingang zum Kaiserpalast in Konstantinopel bildete. Justinian ließ es nach dem NikaAufstand wiederaufbauen, um in den Darstellungen sich und Theodora den Untertanen zu zeigen und Belisar und die Eroberung von Afrika und Italien zu feiern.
Chronicon Paschale: Bedeutende Weltchronik, entstanden in Konstantinopel. Die zeitgenössischen Berichte über die Ereignisse der Jahre 600– 627 sind besonders ausführlich. civilitas: In der Ideologie des Reiches die höchste Form der menschlichen Zivilisation, die Gott dem Römischen Reich verliehen hat und die insbesondere in der Anwendung des Rechtssystems zum Ausdruck kommt. civitas (Pl. civitates): Lokale Verwaltungseinheit im Römischen Reich. Sie bestand aus einem städtischen Zentrum und einem großen ländlichen Gebiet, das vom Zentrum abhängig war und verwaltet wurde. Im frühen Kaiserreich wurden die civitates von Kurialen regiert, einem Rat von Grundbesitzern aus dem abhängigen ländlichen Gebiet.
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clarissimus: Der rangniedrigste von drei Senatorenstatus im späten Kaiserreich. Codex Iustinianus: Die erste Gesetzesreform von Justinian, die am 7. April 529 verkündet wurde; diese Sammlung neuer kaiserlicher Gesetze von 439 bis zur Zeit Justinians beinhaltet Material aus drei früheren Sammlungen kaiserlicher Erlasse: den Codices von Hermogenian, Gregorius und Theodosius II. Codex Theodosianus: Eine wichtige Sammlung kaiserlicher Gesetze, die zwischen 300 und 438 erlassen wurden. comes rei militaris: Ranghoher Kommandant einer Feldarmee, der nur den magistri militum unterstand. comes rei privatae: Ranghoher Finanzbeamter, der für die Verwaltung des Vermögens zuständig war, das sich in direktem Besitz des Kaisers befand. comitatenses: Feldarmeetruppen von höherem Status im späteren Römischen Reich, die entweder als regionale oder präsentale Heeresgruppen aufgestellt waren (siehe auch palatini). defensores: Mit Bögen, Lanzen und Säbeln gerüstete und gepanzerte Kavallerieeinheit der neuen oströmischen Feldarmeen des 6. Jahrhunderts. denarii: Standard-Silberwährung des frühen Reiches, in der üblicherweise der Heeressold ausbezahlt wurde. Aufgrund der militärischen Expansion im 3. Jahrhundert war bald nicht mehr genügend Silber verfügbar, um die vielen neuen Soldaten zu bezahlen. Dies führte erst zu einer Inflation im Zuge der Abwertung der Währung und schließlich im 4. Jahrhundert zur Einführung eines neuen Zahlungssystems im Militärbereich (siehe donativa). Digesten (Corpus iuris civilis): Zweite Tranche von Justinians Gesetzesreform, nach Belisars Eroberung Karthagos in aller Eile am 16. Dezember 533 veröffentlicht. Es war eine stark gekürzte Auswahl aus den Schriften alter Rechtsgelehrter, und sie sollte dazu dienen, Wiederholungen und Widersprüche zu beseitigen.
Glossar | 387
donativa: Diese Geldgeschenke in Gold an die Soldaten anlässlich der Rekrutierung, des Ausscheidens aus dem Dienst und der dazwischenliegenden kaiserlichen Jubiläen ergänzten die Rationen, die ab dem 4. Jahrhundert die Grundlage des Solds darstellten und die manchmal in Form von Sachleistungen, manchmal als deren Gegenwert in bar gezahlt wurden. Dreikapitelstreit: Innerkirchliche Auseinandersetzung um drei Kapitel der Akten des Konzils von Chalkedon, die explizit einige oder alle Werke der Theologen Theodor von Mopsuestia, Theodoret von Kyrrhos und Ibas von Edessa für orthodox erklärten. Justinians Kompromissversuch bestand darin, diese drei Kapitel zu streichen, um so die Antichalkedonier im Osten zu beschwichtigen. Dies wurde beim zweiten Konzil von Konstantinopel (553) durchgesetzt, erzeugte aber im lateinischen Westen, wo Chalkedon als unantastbarer Eckpfeiler der Orthodoxie galt, großen Unmut.
duces: Kommandanten von Garnisonstruppen mit niedrigerem Status in den Provinzen (siehe limitanei). Euagrios Scholastikos: Autor einer sechsbändigen Kirchengeschichte über die Zeit vom ersten Konzil von Ephesos (431) bis in die 490erJahre. Ewiger Frieden: Das Abkommen, das im Frühjahr 532 Justinians ersten Perserkrieg beendete.
excubitores: Eine von zwei Einheiten von Palastwächtern (siehe scholarii), deren ranghöhere Offiziere oft eine wichtige Rolle bei der Thronfolge spielten. foederati: Unter Justinian Bezeichnung für geschlossene Gruppen von Nichtrömern, die (mitunter zu privilegierten Bedingungen) auf römischem Gebiet angesiedelt waren. Sie mussten Militärdienst leisten und wurden auf Feldzügen von ihren eigenen Anführern kommandiert. Fünfzig Entscheidungen: Um den Weg für die Veröffentlichung der Digesten zu ebnen, erzwangen Tribonianus und Justinian zwischen dem 1. August 530 und dem 30. April 531 fünfzig Entscheidungen über die wichtigsten juristischen Streitfragen.
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Gespräche von 532: Justinians erster Versuch, eine Wiedervereinigung der Ostkirche auszuhandeln, die nach dem Konzil von Chalkedon (451) unversöhnlich gespalten schien. Ghassaniden: Arabische Dynastie, die an der Spitze des Allianzsystems von Konstantinopel stand. Sie schützte das südliche Ende der persischen Grenze. Gorippus, Flavius Cresconius: Lateinischer Epiker aus Nordafrika; er beschrieb insbesondere die Feldzüge, mit denen Johannes Troglita Ende der 540er-Jahre den Berberaufstand unterdrückte. Er verfasste außerdem eine Rechtfertigung der Thronbesteigung Justins II. nach Justinians Tod und beschreibt darin auch dessen Begräbnisarrangement.
Henotikon: Versuch des Kaisers Zenon (im Jahr 482), durch Ignorieren der Beschlüsse des umstrittenen Konzils von Chalkedon (451) die christliche Einheit im Osten wiederherzustellen. Darin wurde festgehalten, dass der christliche Glaube bereits in Nicäa (325) und Konstantinopel (382) ein für alle Mal definiert worden war. Im Osten wurde seine Akzeptanz erzwungen, doch Rom ließ sich nicht darauf ein, was im Akakianischen Schisma endete. Hephthaliten (»weiße Hunnen«): Hunnischer Stammesverband, der sich im Nordwesten Afghanistans ausbreitete und Anfang des 5. Jahrhunderts Sogdien und Chorasan eroberte. Die Hephthaliten entwickelten sich zu einem gefährlichen, aggressiven Nachbarn an der Ostgrenze Persiens. Iberien (Kaukasien): Dieses transkaukasische Königreich unterstand nach einer Vereinbarung der 380er-Jahre den Persern, was römische Ansprüche auf den Großteil von Großarmenien zunichtemachte. Es war die Basis für die Lasika-Feldzüge Chosraus in der Zeit Justinians.
illustris: Hoher Senatorenrang im späten Reich; konnte nur durch tatsächliche oder virtuelle Dienste für den Kaiser errungen werden. Institutiones: Drittes Element des Gesetzgebungswerks Justinians, zeitgleich mit den Digesten im Dezember 533 verkündet. Es war ein Anfängerlehrbuch des römischen Rechts mit einem überarbeiteten Lehrplan für Studenten an einer der beiden verbliebenen offiziellen juristischen Fakultäten in Konstantinopel und Beirut.
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iugera (Sg. iugum): Steuerliche Einheiten, anhand derer der landwirtschaftliche Reichtum der civitates bewertet wurde, wobei jeder Stadt eine Nummer zugewiesen war. Ein iugum war keine Größen-, sondern eine Werteinheit; iugera von wertvollem Land waren also kleiner als iugera weniger wertvoller/ertragreicher Anbauflächen. iuris consulti: Bis zum 3. Jahrhundert offiziell anerkannte Rechtsexperten; sie waren für maßgebliche Gutachten zuständig, mit denen das bestehende Recht in der Praxis auf neue Bereiche ausgeweitet wurde. Johannes von Ephesos: Kirchenhistoriker, der in seinem Werk die Zeit von Julius Caesar bis 588 beschrieb; leider haben nur die Teile über das 6. Jahrhundert überlebt. Kompromissformel: Ein früher Versuch (433), den Lehrstreit zwischen Kyrill von Alexandria und seinen Gegnern beizulegen. Kyrill war der Einzige, der für die »zwei Wesen« Christi eintrat (siehe Streit um das Wesen Christi). Die Kompromissformel war ein wichtiger Präzedenzfall für Justinians spätere Versuche, die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Konsulat: Das begehrteste politische Amt in der römischen Welt. Jedes Jahr gab es zwei neue Konsuln, und die Kalenderjahre wurden in offiziellen kaiserlichen und juristischen Dokumenten, wie schon zur Zeit der Römischen Republik, durch die Namen der herrschenden Konsuln definiert. Kuriale: Mitglieder der Stadträte, die sich durch Landbesitz qualifizierten und die civitates regierten.
kursures: Mit Bögen und anderen Waffen gerüstete leichtere Kavallerieeinheit der neuen oströmischen Feldarmeen des 6. Jahrhunderts. Kutriguren: Nomadisches Reitervolk, das im 6. Jahrhundert in der bulgarischen Steppe nordöstlich der Donaugrenze lebte. Sie zeichneten unter Justinian für zwei große Überfälle (539 und 559) auf den Balkan verantwortlich. Kyrill, Patriarch von Alexandria (412–444): Bekannter Feind des Nestorius und Hauptbefürworter des einen, unteilbaren, göttlichen und menschlichen Wesens des fleischgewordenen Christus (siehe auch Kompromissformel und Streit um das Wesen Christi).
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Lachmiden: Die wichtigsten arabischen Verbündeten des Perserreichs, verantwortlich für militärische Allianzsysteme, die das südliche Ende der persischen Grenze schützten. Lasika: Transkaukasisches Königreich an der südöstlichen Ecke des Schwarzen Meeres. Im 5. Jahrhundert hielt es mal Ostrom, mal Persien die Treue. Es handelte sich um eine Konföderation mit einer Reihe autonomer Subregionen wie Abasgien, Apsilien und Misimien.
limitanei: Truppen der Grenzgarnisonen von niederem Status, auf Provinzebene unter dem Kommando von duces. Diese Truppen wurden gelegentlich für Operationen der Feldarmee mobilisiert, zum Beispiel von Belisar für dessen Palästinafeldzug von 541. magister militum: Ranghoher Feldarmeekommandant, entweder einer der regionalen Feldarmeen (Thrakien, Illyricum, des Ostens oder – unter Justinian – Armenien) oder – noch ranghöher – einer der beiden Praesentalis-Armeen (magister militum praesentalis). magister officiorum: Ranghoher bürokratischer Funktionär der spätrömischen Welt. Malalas, Johannes: Chronist, dessen 18 Bücher recht detailliert die Ereignisse des 6. Jahrhunderts bis 563 schildern (das Ende ist verloren). Zunächst konzentriert sich seine Darstellung auf Antiochia, später auf Konstantinopel. Mauretania: Westlichste Region des römischen Nordafrika (das heutige Marokko and Algerien). Mauretania war nicht Teil des Vandalenreichs und wurde nicht durch Belisar für Rom zurückerobert. Menander Protektor: Geschichtsschreiber, der das Werk des Prokop fortsetzte; seine Schriften sind in zahlreichen Fragmenten erhalten, deren Darstellung die Jahre 558 bis 582 umfasst.
munitiones: Tragbare Anti-Kavallerie-Barrikaden, die die Infanterie der neuen oströmischen Feldarmeen des 6. Jahrhunderts einsetzte. Nestorius, Patriarch von Konstantinopel (428–431): Seine Lehre, sowohl das menschliche als auch das göttliche Wesen Christi seien nach dessen Menschwerdung »geteilt und unvermischbar« gewesen und das
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unsterbliche göttliche Element habe nicht am Kreuz leiden und sterben können, führte zu einer Spaltung der Ostkirche. Das Konzil von Chalkedon (451) wurde einberufen, um den Streit beizulegen. Nichtnicäanisches Christentum (Arianismus): Ältere theologische Strömung, die die drei Elemente der Dreieinigkeit in eine hierarchische Beziehung zueinander stellte, mit Gott an der Spitze, im Gegensatz zu der strikten Gleichrangigkeit, die in Nicäa festgelegt wurde (325). Der Arianismus, der ursprünglich eine Variante des römischen Christentums war, verbreitete sich im 5. Jahrhundert unter den herrschenden Dynastien der Nachfolgestaaten Westroms (Vandalen, Westgoten, Burgunden und Ostgoten). Nika-Aufstand: Eine Reihe heftiger Unruhen (11.–18. Januar 532), die beinahe Justinians Regime gestürzt hätten und in deren Rahmen ein großer Teil des zeremoniellen Zentrums von Konstantinopel zerstört wurde.
Notitia dignitatum: Ein zeremonielles, aber dennoch umfassendes Staatshandbuch, das die militärische und administrative Organisation der zwei Hälften des Römischen Reiches um 395 verzeichnet, mit einigen Addenda aus dem Westen aus den 420er-Jahren. numerus (griech. arithmos): Diese spätrömische Armeeeinheit löste die republikanische und frühkaiserzeitliche Legion ab. ökumenisches Konzil: Zusammenkunft von Bischöfen, die (theoretisch) die Gemeinschaft aller Christen (griechisch: oikumene) repräsentierten. Ein ökumenisches Konzil war das wichtigste Entscheidungsorgan der christlichen Kirche in der Spätantike. Das erste postapostolische Konzil fand im Jahr 325 in Nicäa statt. Ostgotenreich: Von Theoderich dem Amaler 489 errichtetes Königreich; dazu gehörten Italien, Dalmatien, Teile der Gebiete an der Mittleren Donau, Sizilien sowie nach 511 Südgallien und Spanien. Oströmisches Reich, Ostrom: Das von ca. 400 bis zu den islamischen Eroberungen des 7. Jahrhunderts von Konstantinopel aus regierte Gebiet: der mittlere und östliche Balkan, Kleinasien, Syrien, Palästina, Ägypten und Libyen sowie (ab Justinian) der westliche Balkan, Italien und die nordafrikanischen Provinzen im heutigen Tunesien und Algerien.
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palatini: Die ranghöchsten (d. h. am besten ausgerüsteten und am höchsten bezahlten) Einheiten der spätrömischen Feldarmee (comitatenses); diese Einheiten gab es ausschließlich in den beiden zentralen Heeresgruppen (Praesentalis-Armeen). Patriarchen: Die fünf Bischöfe von Rom, Alexandria, Antiochia, Jerusalem und Konstantinopel – die führenden Kirchenführer der spätrömischen Welt. Außer Konstantinopel konnten all diese Bischofssitze behaupten, von einem der Apostel Christi gegründet worden zu sein. Konstantinopel wurde die gleiche Ehre zuteil, weil es in formeller und rechtlicher Hinsicht als das Neue Rom galt. Patrizier: Seit republikanischer Zeit verwendete Bezeichnung für Angehörige der römischen Oberschicht. Justin I. verlieh Justinian im Jahr 523 im Rahmen von dessen Aufstieg zur Macht den Patriziertitel. Persarmenien: Der größere Teil von Armenien, den Theodosius I. 387 als Teil Persiens akzeptierte. Phylarch: Titel arabischer Fürsten an der Spitze der Allianzsysteme, die die südliche Wüstengrenze zwischen Persien und Rom beherrschten.
praepositus sacri cubiculi: Vorgesetzter der Palasteunuchen, oft ein vertrauter Berater des Kaisers, der einen großen unmittelbaren Einfluss ausübte; gerade dadurch war er aber extrem von den Unwägbarkeiten und Gefahren von Regimewechseln betroffen. Praesentalis-Armeen: siehe magister militum. Prätorianerpräfekt: Leitender Verwaltungsbeamter, der auf regionaler Ebene für die fiskalischen und rechtlichen Aktivitäten des Reiches verantwortlich war. In Justinians Reich gab es zunächst einen Präfekten von Illyricum und einen des Ostens; durch seine Eroberungen kamen zwei neue Präfekturen hinzu, in Nordafrika und Italien. Pragmatische Sanktion: In dieser kaiserlichen Anordnung vom 13. August 554 regelte Justinian die Angelegenheiten im neu eroberten Afrika geregelt. Prokop: Historiker zur Zeit Justinians; er veröffentlichte eine Kriegsgeschichte in acht Bänden, von denen die ersten sieben gleichzeitig er-
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schienen (550), der achte vermutlich 554. Außerdem verfasste er die Anekdota oder Geheimgeschichte (ebenfalls 550) und später die Bauten. Quästor: Leitender Justizbeamter der spätrömischen Bürokratie.
scholarii: siehe excubitores. silentarius: Leitender Funktionär im Palast; diese Position hatte Anastasios inne, bevor er durch Hochzeit mit Ariadne zum Kaiser wurde. sortes Vandalorum: Landgüter in Proconsularis, die Geiserich nach der Eroberung Karthagos seinen vandalisch-alanischen Unterstützern überließ (439). Stadtpräfekt: Leitender Bürokrat, der für die Angelegenheiten innerhalb der kaiserlichen Hauptstadt Konstantinopel verantwortlich war. Die Position war ihrem Gegenstück in Rom nachempfunden. Streit um das Wesen Christi: Der Streit darüber, ob der fleischgewordene Christus zwei Wesen habe, ein göttliches und ein menschliches, oder nur eines. Nestorius’ radikaler Ansatz, der die Existenz zweier vollkommener und unvermischter Wesen in Christus voraussetzte, führte dazu, dass unter dem Einfluss von Kyrill von Alexandria große Teile der östlichen Kirche ab Mitte des 5. Jahrhunderts keinen anderen Ansatz akzeptierten als jenen, der Christus nur ein einziges Wesen zubilligte. Tetrarchie: Das von Kaiser Diokletian (284–305) gegründete Kaiserkollegium, das unter anderem für eine wichtige fiskalisch-juristische Umstrukturierung des Reiches verantwortlich war. thrakisch-gotische foederati: Großes Organ gotischer Soldaten, das Mitte des 5. Jahrhunderts auf dem Balkan eingerichtet wurde; diese foederati dienten unter ihren eigenen Führern in oströmischen Armeen. Die meisten von ihnen taten sich später mit den von den Amalern angeführten Goten zusammen und bildeten die ostgotische Koalition, mithilfe derer Theoderich sein italisches Königreich eroberte.
Tomus ad Flavianum: Brief von Papst Leo I., der in die veröffentlichten Akten des Konzils von Chalkedon aufgenommen wurde. Er führte in Rom zur Ablehnung der Strategie, den Status des Konzils abzuschwächen, um die christlichen Strömungen im Osten wieder miteinander zu versöhnen.
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Utiguren: Reitervolk in der bulgarischen Steppe nördlich des Schwarzen Meeres und östlich der Kutriguren. Sie stellten Kontingente von foederati für Justinians Kriege zur Verfügung. vandalisch-alanische Koalition: Die Streitmacht, die Geiserich 429 über die Meerenge von Gibraltar führte; sie war aus einem viel lockereren, allerdings auch viel größeren Bündnis zahlreicher Volksgruppen entstanden, das am 31. Dezember 406 den Rhein überschritten hatte und drei Jahre später nach Spanien weitergezogen war. vandalisches Afrika: Das von Geiserich nach dessen Eroberung Karthagos (439) errichtete Königreich, das die alten römischen Provinzen Proconsularis, Byzacena und Numidien (das heutige Tunesien und Algerien) umfasste; als später Westrom zerfiel, kam noch Tripolitania im Westen Libyens hinzu. Via Flaminia: Die wichtigste römische Straße zwischen der Ewigen Stadt und Ravenna entwickelte sich im 5. Jahrhundert zu einem wichtigen militärischen und politischen Faktor. Die meisten entscheidenden Schlachten des Gotenkriegs wurden entlang der Via Flaminia ausgetragen. Ihrer Route entspricht die heutige Strada Statale 3. Victor von Vita: Verfasser eines wichtigen zeitgenössischen Berichts über die Verfolgung der Christen von Nicäa in Nordafrika durch Hunerich (484). In der Einleitung wird die Herrschaft Geiserichs (439–477) beschrieben. Vikar des Orients: Untergebener des Prätorianerpräfekten im Osten, der für die finanziellen und rechtlichen Angelegenheiten der römischen Provinzen Syrien und Palästina zuständig war. Zacharias von Mytilene: Kirchenhistoriker, dessen Werk den Zeitraum 451–491 umfasst und nur in syrischer Sprache überliefert ist.
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Anmerkungen Einführung 1 Bavant (2007) gibt einen einigermaßen aktuellen Überblick über die Funde. 2 Malalas 18.1, ganz ähnlich Chronicon Paschale ad a. 566. 3 Diese revisiontische Sicht setzte ein mit zwei Werken Walter Goffarts: (1980), (1981). Er konstatiert darin, dass die neuen Abkommen zwischen den römischen Provinzeliten und den barbarischen Königen keine finanziellen Verluste mit sich brachten, und präsentiert den Untergang Westroms als friedlichen, freiwilligen Vorgang. In drei Publikationen (Heather [1996], [2005] und [2009) biete ich eine alternative Sichtweise; vgl. aber auch die wichtige Sammlung in Porena u. a. (2012), die unterstreicht, dass selbst die besten neuen Abkommen für die Provinzeliten zu erheblichen finanziellen Einbußen führten. 4 Ein weiteres wichtiges Element der Goffart-These – vgl. insbes. Goffart (1981) – ist die Behauptung, dass das Ost- und das Weströmische Reich im Wesentlichen ab ca. 400 als separate Staaten funktioniert hätten, doch das ignoriert die Tatsache, dass sie noch im 5. Jahrhundert ein einheitliches Rechtssystem besaßen und dass das Ostreich das in Bedrängnis geratene Westreich zur selben Zeit nach Kräften unterstützte (vgl. Heather 2016). 5 Dieser Prozess wird in Kapitel 11 genauer untersucht. 6 Prokop, Kriegsgeschichte 7.1.6. 7 Weitere Verweise in Anm. 24 und 25 zu Kapitel 4.
Kapitel 1 1 Laktanz, De mortibus persecutorum 44.5–6. 2 Prokop, Bauten 1.2.11. 3 Matthäus 5.39, Lukas 6.29. 4 Für eine ausführlichere Einführung zum Thema »Zivilisation« als klassisches Ideal (unter vielen weiteren Möglichkeiten) siehe Dvornik (1966); zum Gegenbild des Barbaren siehe Dauge (1981). Kaster (1988) analysiert hervorragend die Bedeutung von Grammatik und Bildung im Allgemeinen. 5 Vgl. z. B. Sorabji (1983), insbes. Kap. 13, 20. 6 Vgl. Dvornik (1966), Kap. 8 zur Rolle, die dies dem römischen Staat zuwies. Ausgezeichnete Beispiele dieser Konzepte, die angewandt wurden, um den allgemeinen Charakter und die spezifische Politik einer Abfolge spätrömischer Regime zu verherrlichen, sind überlieferte Reden, die für feierliche Anlässe angefertigt wurden, wie die Reden von Themistios (englische Übersetzung und Kommentar in Heather und Moncur [2001] und Swain [2013]) und die lateinische Prosa-Panegyrik (in englischer Übersetzung in Nixon und Rogers [1994]). 7 Ob sie im Westen auf Latein oder im Osten auf Griechisch unterrichteten: Kaster (1988), insbes. Kap. 1–2. 8 Zu Eusebius: Dvornik (1966), Kap. 8. Eine herausragende Einführung in das kaiserliche Zeremoniell ist MacCormack (1981).
396 | Anhang 9 Athaulf: Orosius, Historiae adversum paganos 7.43. Römischer Händler, der Hunne wurde: Priskos fr. 11.2 (englische Übersetzung: Blockley 1983, 269 ff.). Das Vorwort der Lex Baiuvariorum (englische Übersetzung: Rivers [1977]) erfasst die ideologische Bedeutung niedergeschriebener Gesetze im frühen Mittelalter besonders gut, doch Hinweise darauf finden sich vielerorts, siehe z. B. Heather (1994a). 10 McLynn (2004). 11 Athanasios von Alexandria hatte eine höchst kritische Haltung gegenüber Kaiser Constantius II. (vgl. Barnes [1993]), allerdings nur hinter dessen Rücken. Daniel Stylites geißelte den Usurpator Basiliskos wegen dessen Ablehnung der Beschlüsse von Chalkedon (Leben Daniels 71–85). Eine englische Übersetzung von Gelasius’ Brief gibt es online: sourcebooks.fordham.edu/source/gelasius1.asp. 12 Päpstlicher Autoritätsanspruch: Novella Valentiniani III 17; eine Diskussion des breiteren Kontextes findet sich in Heather (2013), Kap. 7–8. Fünf Patriarchate: Herrin (1987), Kap. 3; vgl. Brown (2013), Kap. 2. Manchmal liest man, Justinian habe behauptet, im 6. Jahrhundert eine neue Art religiöser Autorität auszuüben – z. B. zuletzt in Leppin (2011), vgl. Pazdernik (2005) –, aber ich persönlich kann in Justinians ideologischen Äußerungen nichts finden, das sich nicht bereits im 4. Jahrhundert angekündigt hätte. Was sich indes veränderte (wie wir in Kapitel 7 sehen werden), ist der Kontext, in dem der Kaiser diese Behauptung aufrechtzuerhalten versuchte. 13 Die Philanthropie und ihre verschiedenen Dimensionen untersucht Themistios gründlich in seinen Reden, vgl. Heather und Moncur (2001), Kap. 1. Zur tatsächlichen kaiserlichen Dominanz in der Gesetzgebung ab dem 3. Jahrhundert siehe Honore (1994), (1998). Der Anspruch, nomos empsychos zu sein, wird manchmal als eine Innovation Justinians bezeichnet – vgl. z. B. Pazdernik (2005), 202 –, war aber bereits in der offiziellen Propaganda des 4. Jahrhunderts ein voll entwickeltes Motiv, wie die Reden des Themistios zeigen; siehe dazu Heather und Moncur (2001), Kap. 1. 14 Zur Realität des Regimeaufbaus siehe Heather (1994b). Die Bedeutung der »Freunde« eines Kaisers ist ein Thema von mehreren Reden des Themistios (für verschiedene Regime), vgl. Heather und Moncur (2001). 15 Prokop, Bauten 6.4.15–16. Die Steuerreformen im 3. und 4. Jahrhundert hatte die lokale Selbstverwaltung auf der Ebene der Polis allerdings in der Praxis in vielerlei Hinsicht gelähmt. 16 Panegyricus dictus Honorio Augusto sextum consuli. 17 Zu den nach 325 fortgesetzten Streitigkeiten siehe Hanson (1988). 18 McCormick (1986). 19 Barnes (1981) diskutiert auf vielen Seiten die Siegertitel in Theorie und Praxis. 20 Stadtratprotokolle: Wilcken (1912), 45 sowie Jones (1964), 722 f. Adventus: MacCormack (1981), Kap. 3. Zum basilikos logos des Menander Rhetor siehe Russell und Wilson (1981). Etwa die Hälfte der lateinischen Prosa-Panegyrik folgt dieser Form, vgl. Nixon und Rogers (1991). Themistios vermied es absichtlich, arbeitete aber dennoch stets einen Verweis auf den Erfolg des Kaisers in der Kriegsführung ein, vgl. Heather und Moncur (2001), Kap. 1. 21 Calo Levi (1952). 22 Gesta Senatus Urbis Romae 5; vgl. Matthews (2000), Kap. 3.
Anmerkungen | 397 23 Matthews (1974), (1986). 24 Nach wie vor eine ausgezeichnete Einführung ist Brooks (1893). 25 Ganz zu schweigen von Männern aus eben jenen höheren militärischen Kreisen, die Mitte des 4. Jahrhunderts scheiterten, wie Magnentius oder Silvanus. 26 Ammianus Marcellinus 25.5 berichtet lebendig von dem Versuch, Salutius Secundus zu rekrutieren. 27 Gallus: Ammianus Marcellinus 14.1, 7, 9, 11; vgl. den herausragenden Kommentar von Matthews (1989), Kap. 3. Lydos: Kelly (2004), Kap. 1–2. 28 Heather (1994b). Eine Einführung zu Synesios in Kyrene findet sich in Bregman (1982), Kap. 7–8 (der Fokus liegt mehr auf den Schriften als auf der politischen Fixierung). 29 Der plötzliche Tod Valentinians ist besonders gut dargestellt in Ammianus Marcellinus 30.5–6. Die Lebenserwartung für Männer betrug in der Karolingerzeit ebenfalls ca. fünfzig Jahre. 30 Die Quellen über den Niedergang des Crispus sind in PLRE 1, 233 gesammelt. 31 Matthews (1975), Kap. 3. 32 Ammianus Marcellinus 29.1 bietet die umfassendste Darstellung, aber es gibt noch weitere, vgl. PLRE 1, 898. 33 Themistios, Oratio 5 und 6; vgl. Heather und Moncur (2001), Kap. 3. 34 Karolingisches Regime: Goldberg (2006), insbes. Einleitung (1–11) und Epilog (335–346). 35 Valens: Lenski (2002). Usurpationsmuster im Allgemeinen: Matthews (1976). 36 Gratian: Quellen wie PLRE 1, 401. Flavius Constantius: Matthews (1976), Kap. 12– 14. 37 Majorian: PLRE 2, 702–703. Stilicho: Matthews (1976), Kap. 10–11. 38 Constantius: Themistios, Oratio 1 (englische Übersetzung: Heather und Moncur [2001], Kap. 1). Valens: Themistios, Oratio 10 (englische Übersetzung: Heather und Matthews [1991], Kap. 2). Theodosius I.: Oratio 16 und 34 (englische Übersetzung: Heather und Moncur [2001], Kap. 4). 39 Ammianus Marcellinus 16.12.67–70; vgl. Matthews (1989), 378 f. (und 87–93 zum Hintergrund). 40 Drinkwater (2007), 289–293 (zum Festungsbau, den Valentinian I. inszenierte, um die Angehörigen einer senatorischen Aufklärungsmission zu beruhigen); 267–270 (zu der unilateralen Senkung des Wertes der jährlichen Geschenke). Drinkwaters breiter angelegte Argumentation, die Alamannen seien niemals aggressiv gewesen, ist weniger überzeugend. 41 Themistios, Oratio 5 und 6 (englische Übersetzung und Kommentar in Heather und Moncur [2001], Kap. 3).
Kapitel 2 1 Eine herausragende Einführung ist Campbell (1984). 2 Todesopfer in Adrianopel: Hoffmann (1969), 450–458 sowie Heather (1991), 146 f. (zur Gesamtzahl der Opfer); Rekrutierung von Isaurern: Thompson (1946), Bäche (1893). 3 Grenzgarnisonstruppen konnten auch zur mittleren Kategorie der pseudocomitatenses befördert werden, vgl. Jones (1964), 609 f.
398 | Anhang 4 Jones (1964), App. II bleibt unentbehrlich, was die verschiedenen chronologischen »Schichten« der Notitia betrifft, genau wie sein Kap. 17 über die spätrömische Armee. Ausgezeichnete ergänzende Diskussionen über verschiedene Aspekte der spätrömischen Armee finden sich in Elton (1996), Whitby (2002) und Lee (2007). Degradierte Unnigarden: Synesios, Katastasis II. 5 Eine englische Übersetzung der gesamten Inschrift bieten Dodgeon und Lieu (1991), 343 ff. 6 Whitby (2002). 7 Zu den Zahlen beim Militär siehe Campbell (2005). Römisch-persische Beziehungen im 4. Jahrhundert: Dodgeon und Lieu (1991). 8 Elton (1996), 245. 9 Germanische Konföderationen der spätrömischen Zeit: Heather (2009), Kap. 2. 10 Bei Julians Feldzügen am Rhein in den 350er-Jahren gab es ganz eindeutig Versorgungsprobleme: vgl. Elton (1996), 237 ff. 11 Allgemeine Einführung: Jones (1964), 665–667. Belisars 7000: Prokop, Kriegsgeschichte 7.1.18–20 (laut Prokop die größte jemals bekannte bucellarii-Streitmacht). Belisar hatte jedoch nicht so viele in Afrika und in Italien offenbar auch nicht (vgl. Kapitel 5 und 6). Als der armenische magister militum Valerian nach Italien versetzt wurde, brachte er 1000 Gardisten mit: Kriegsgeschichte 7.27.3. 12 Heather (1995), (2005). 13 Mänchen-Helfen (1973), 94 ff., ist und bleibt die beste narrative Rekonstruktion von Attilas Feldzügen. 14 Heather (1995), (2005), Kap. 6. 15 Siehe die in Anm. 2 genannte Literatur. 16 Thrakische Goten: Heather (1991), 251–263 sowie 108–113 (über die Entwicklung des Begriffs foederati in spätrömischer Zeit). Im 6. Jahrhundert dienten Heruler unter ähnlichen Bedingungen in vielen von Justinians Feldzügen. Agathias, Historien 1.11.3 (Fulcaris folgt auf Philemuth), 1.20.8 (Sindual folgt auf Fulcaris). 17 Massageten (Bulgaren): zum Afrikafeldzug siehe Kapitel 5. Zu den Langobarden und Narses’ endgültiger Befriedung Italiens siehe Kapitel 9. 18 Zum Hunnenbogen siehe Heather (2005), 154–158, mit vollständigen Quellenangaben. Mein Verständnis der neuen Schlachtfeldtaktiken, die von der erneuerten oströmischen Armee des 6. Jahrhunderts angewandt wurden, basiert im Wesentlichen auf Janniard (2015). 19 Solomon, Johannes Troglita, Martinus und Valerianus dienten bei der Eroberung von Afrika beispielsweise alle unter Belisar und stiegen danach in den Rang eines Befehlshabers einer Feldarmee auf. Für Aigan und Rufinus war eine ähnliche Karriere vorgesehen – aber dann griffen die Berber ein. 20 Janniard (2015) mit vollständigen Quellenangaben. 21 Zur Finanzierung des Militärs: Jones (1964), Kap. 17; Elton (1996), Kap. 4 (aber siehe auch Kap. 6 zu Befestigungen). 22 Heather (1994a), mit Verweisen. 23 Ausgezeichnete Berichte über die Haushaltskrise des 3. Jahrhunderts und verschiedene Dimensionen der staatlichen Reaktion finden sich bei Whittaker (1976) und in den entsprechenden Kapiteln von Cambridge Ancient History 12, insbes. Carrie (2005) und Corbier (2005a), (2005b).
Anmerkungen | 399 24 Jones (1964), Kap. 13, 20 ist und bleibt der grundlegende Bericht; vgl. aber auch die in Anm. 23 genannten Werke. 25 Codex Theodosianus 7.6.3. Im 6. Jahrhundert produzierte das Gut der Familie Apion in Oxyrhynchos üblicherweise große Mengen Wein, mit dem sie offenbar einen Teil ihrer Steuerschuld beglich; Hickey (2012), Kap. 4, insbes. 111–129. 26 Goldkrone und Sondersteuern: Jones (1964), 462–469. Liebeschuetz (1972), 104–111, 161–166 untersucht den Fall einer heftigen lokalen Reaktion auf die Einführung einer Sondersteuer. 27 Man beachte die Darstellung verschiedener Positionen in den relevanten Kapiteln der ersten Ausgaben der Cambridge Medieval History (Gwatkin und Whitney 1911, insbes. Reid und Vinogradoff) und der Cambridge Ancient Histories (Cook u. a. 1939, insbes. Ennsslin und Oertel), vgl. Rostovtzeff (1926). 28 Was übrigens den politischen Zusammenbruch Westroms im 5. Jahrhundert nur allzu verständlich machte. 29 Überblicke mit vollständigen Verweisen zu den detaillierteren Studien, auf denen sie basieren: z. B. Lewit (1991); Ward-Perkins (2000a), (2000b); Wickham (2005), Teil 3. 31 Themistios, Orationes. Auxonius’ Organisation von Valens’ erstem Gotenkrieg (367–369): Zosimos 4.10.4. 32 Aufstand in Antiochia: siehe Anm. 26. 33 Den nahezu vollständigen Text einer Standard-Gemeindeverfassung bietet Gonzalez (1986); vgl. Liebeschuetz (2001), Teil 1 und Woolf (1998) zu den üblichen Abläufen des örtlichen politischen Lebens, zu denen diese Verfassung schnell führte. 34 Ich habe als Stichprobe die Personen mit den Anfangsbuchstaben P und T in PLRE 1 gezählt, das 4. Jahrhundert n. Chr. abdeckend: Etwa ein Drittel der bekannten Personen tauchen in Libanios’ Korrespondenz auf. Zur Familie Apion siehe zuletzt Hickey (2012), insbes. 8–18. 35 Alte Orthodoxie: Quellenangaben vgl. Anm. 26. Eine allgemeine Darstellung des Ausbaus der Bürokratie bietet Jones (1964), Kap. 12, 15 und 16, inzwischen ergänzt durch eine Reihe von Einzelstudien über spezifische Ämter: Delmaire (1989), (1995); Teitler (1985); Vogler (1979). 36 Heather (1994a) erklärt dieses Modell ein wenig detaillierter. 37 Gefälschte Listen: Jones (1964), 623–626; Afrika: Ammianus Marcellinus 28.5; vgl. Symmachus, Relatio 23 über Obstruktion der Bürokratie und verschwindendes Bargeld. MacMullen (1988) katalogisiert detailliert alle unterschiedlichen Arten von Korruption, die mit diesem Reichtum zu tun hatten. 38 Heather (1994a) untersucht dies etwas ausführlicher, aber keineswegs erschöpfend. Zur Familie Apion siehe Hickey (2012), 8 ff. (Besteuerung im 5. Jahrhundert). Wie die Situation im 6. Jahrhundert aussah, ist umstritten. Sarris (2006) ist der Ansicht, dass die relevanten Dokumente die Größe der eigenen Betriebe der Familie Apion definieren; eine gegenteilige Meinung vertritt überzeugend Hickey (2012), insbes. Kap. 1–2. 39 Jones (1964), Kap. 13 versammelt die Zeugnisse für den praktischen Ablauf der Besteuerung. Daher stimme ich weitgehend mit Gascou (1972) überein, dass das Steuersystem Landbesitzern auf allen Ebenen einen grundlegenden Anreiz gab, sich mit dem politischen System des Kaiserreichs als Ganzem zu befassen, und
400 | Anhang dass ihre Position am besten als konstruktives Engagement verstanden wird, da sie dessen Grundzüge übernahmen – wobei sie natürlich stets versuchten, die Steuern zu minimieren, die sie selbst zahlen mussten. 40 Zum »fine rolls«-Projekt siehe www.finerollshenry3.org.uk. Bei den fine rolls handelte es sich um Aufzeichnungen, wer im England des 13. Jahrhunderts der Krone wie viel schuldete; sie waren ein wichtiges politisches Werkzeug, genau wie vom 4. bis 6. Jahrhundert n. Chr. die kaiserlichen Steuerakten. Ich danke meinem Kollegen Prof. David Carpenter und all seinen Masterstudentinnen und -studenten für diese Erkenntnis, die ich aus der umfassenden Lektüre ihrer Studien erhielt.
Kapitel 3 1 De Ceremoniis I.92; vgl. MacCormack (1981) zum kaiserlichen Zeremoniell im Allgemeinen. 2 Allgemein zu den Parteien: Cameron (1976); über Konstantinopel im Besonderen: Dagron (2011). 3 Stellen zu Longinus’ Karriere sind in PLRE 2, 689–690 zusammengestellt; vgl. Haarer (2006), Kap. 2 und Meier (2009), 63–75; dort wird Anastasios’ Inthronisierung detailliert analysiert. 4 Brooks (1893) ist nach wie vor eine großartige Einführung zur Beteiligung der Isaurer an der Politik in Konstantinopel; zu den thrakischen Goten: Heather (1991), Teil 3. 5 Zenons Herrschaft wurde in der Forschung noch nicht in größerem Umfang beschrieben; immerhin sind in PLRE 2, 1200–02 Verweise gesammelt. 6 Weitere detaillierte Darstellungen: Haarer (2006), 21–28; Meier (2009), 75–84. 7 Haarer (2006), Kap. 6; Meier (2009), 118–137. 8 Zur Karriere der Neffen: PLRE 2, 577–581 (Hypatius), 898–899 (Pompeius), 912–913 (Probus). Eine gute Analyse bietet Greatrex (1996); vgl. Potter (2015), 68 ff. 9 Lasika: Priskos fr. 31.1–2; vgl. Braund (1994), 271 f. Zum allgemeinen Muster der Kooperation siehe z. B. Rubin (1986), Greatrex und Lieu (2002), Kap. 3–4. 10 Quellen und Kommentar: Greatrex und Lieu (2002), Kap. 1–2. 11 Hunnen: Heather (2009), Kap. 4–5; Hephthaliten: z. B. Greatrex und Lieu (2002), 58–61 (mit Quellen); ausführlicherer Kommentar: Christensen (1944), 293 ff.; Kim (2013), 35–39, 183–188. 12 Wichtige Quellen und Kommentare: Greatrex und Lieu (2002), 62 f. Weitere detaillierte Darstellungen: Haarer (2006), 47–53; Meier (2009), 174–194. 13 Quellen und Kommentar: Greatrex and Lieu (2002), 63–77; detailliertere Darstellungen in Haarer (2006), 53–93; Meier (2009), 194–221. 14 Eine ausgezeichnete Einführung zum Hintergrund ist Gray (2005), 215–221. 15 Für das Glaubensbekenntnis von Chalkedon vgl. die englische Übersetzung von Price und Gaddis (2005). Zu den Folgen siehe Frend (2008); Grey (1979), (2005). 16 Detailliertere Darstellungen in Gray (2005); Haarer (2006), Kap. 5; Meier (2009), 84–92 und Kap. 7; Potter (2015), 628. 17 Beste Darstellung: Meier (2008).
Anmerkungen | 401 18 Wir wissen eine Menge über Vitalians Aufstand dank Johannes von Antiochia, fr. 214e 1–15; vgl. PLRE 2, 1171–76. Anastasios und Hormisdas: Haarer (2006), 128–135, 180–182; Meier (2009), 289–319. 19 Ammianus Marcellinus 15.8.17. 20 Malalas 410–411 ist die wichtigste Quelle; PLRE 2, 650 listet die anderen auf. 21 PLRE 2, 648–651 bietet einen vollständigen Bericht. 22 Auch in der britischen Politik gibt es das Klischee, dass der ursprüngliche Favorit nie die Wahl gewinnt. 23 PLRE 2, 650 führt durch die verfügbaren Quellen. Patricius: De Ceremoniis 1.93; zu seiner gesamten Karriere vgl. PLRE 2, 840–842. Ich folge hier der üblichen Sichtweise; vgl. Croke (2007); Potter (2015), 70–72. 24 Amantius und Andreas: PLRE 2, 67. Celer: PLRE 2, 275–277. Marinus: PLRE 2, 727 (Bad: Zacharias von Mytilene, Kirchengeschichte 8.1). Hypatius: PLRE 2, 579–580. 25 Weitere detaillierte Darstellungen mit vollständigen Verweisen siehe Moorhead (1992a), 194–200; vgl. Noble (1993), Sotinel (2005). 26 Alle Quellen, die Vitalians Moment im Rampenlicht behandeln: PLRE 2, 1175– 76. Ermordung: Zacharias von Mytilene, Kirchengeschichte 8.2 (der wichtigste Bericht; die anderen sind in PLRE 2, 1176 aufgeführt). Prokop macht Justinian für den Tod verantwortlich (Geheimgeschchte 6.27–28), und er schreibt auch, Justinian sei in Amantius’ Fall verwickelt gewesen, aber damit unterschätzt er Justins Einfluss: Croke (2007); Potter (2015), 83 f. 27 Hypatius war am 7. August wieder im Amt: PLRE 2, 580. 28 Justinian als magister militum praesentalis: PLRE 2, 646–647. 29 Codex Iustinianus 5.4.23; vgl. die juristische Analyse von Daube (1966/67); zur Politik: Croke (2007); Potter (2015), 91–93. 30 Eine vollständige Erörterung findet sich bei Potter (2015), 96 f. Möglicherweise gibt uns das einen Einblick in die von politischer Gewalt geprägten Methoden, mit denen sich Justinian in das politische Leben der Hauptstadt einfügte; vgl. Croke (2007). 31 Greatrex and Lieu (2002), 79 f. (Quellen und Kommentar); Braund (1994), 275– 278. 32 Zum weiteren Hintergrund siehe Dodgeon und Lieu (1991); Heather (2005), Kap. 1 und 3; Dignas und Winter (2007), 9–32. 33 Prokop, Kriegsgeschichte 1.11.17–18. In der Sekundärliteratur schöpft nur Jones (1964), 269 Verdacht, geht diesem aber nicht weiter nach. 34 Prokop, Kriegsgeschichte 1.11.23–30. 35 Alternative Analysen, die die Geschichte mehr für bare Münze nehmen, aber mit einem gründlicheren Kommentar und einer detaillierteren Diskussion des Hintergrunds finden sich z. B. bei Greatrex (1998), Kap. 7; Greatrex and Lieu (2002), 79 ff.; Dignas und Winter (2007), 34–44; Leppin (2011), 87 f. 36 Quellen und Kommentar: Greatrex und Lieu (2002), 82. Analyse: Braund (1994), 281–283. 37 Prokop, Kriegsgeschichte 1.11.31, 38–39 zur Anschuldigung. Ich deute das ähnlich wie Potter (2015), 106 f. 38 Prokop, Kriegsgeschichte 1.9.5. Mein Gesamtverständnis ist vor allem von Croke (2007) beeinflusst; vgl. Leppin (2011), 43–91.
402 | Anhang
Kapitel 4 1 Detailliertere Darstellungen finden sich bei Gray (2005) und Frend (2008). 2 Meier (2003), 215–223 sowie zuletzt Potter (2015), 89 f.; Potter (2015), 78–82 untersucht auch den Ursprung von Theodoras Verbindungen zu antichalkedonischen Kreisen; vgl. auch 93–95, 97 ff. zur möglichen frühen Nutzung dieser Verbindungen. 3 Verfolgungen: Codex Iustinianus 1.5.12; vgl. Meier (2003), 198–209; Leppin (2011), 92–105, Potter (2015), 129 f., mit vollständigen Quellenangaben. 4 Deo auctore 1. 5 Ein ausgezeichneter Überblick über das Projekt Codex Iustinianus ist Honore (1978), insbes. Kap. 7. Zu den früheren Kodizes, dem Codex Hermogenianus und dem Codex Gregorianus siehe Honore (1994). Matthews (2000) und Sirks (2007) bieten moderne und in mancher Hinsicht widersprüchliche Darstellungen von Theodosius’ Projekt, aber die Widersprüche konzentrieren sich eher auf die Gründe für den langsamen Fortschritt und weder auf die Tatsache, dass dieser langsamer war als bei seinem justinianischen Nachfolgeprojekt, noch auf die unterschiedlichen Editionsverfahren. 6 Deo auctore 4–5. 7 Honore (1978), Kap. 5. Theodosius’ Vorgängerprojekt wurde 429 (Codex Theodosianus 1.1.5) angekündigt, aber nie wirklich in Angriff genommen. 8 Überblick: Howard Johnston (1995). Eine ausgezeichnete Einführung zur Nordfront ist Braund (1994), Kap. 2 und 8. Zur arabischen Welt: Sartre (1982). 9 Neues Kommando: Codex Iustinianus 1.29.5 sowie Greatrex und Lieu (2002), 83–86. 10 PLRE 3, 181–224 bietet eine ausgezeichnete, sehr detaillierte Darstellung von Belisars Karriere. 11 Prokop, Kriegsgeschichte 1.13–14; das Zitat stammt aus 1.14.54. 12 Prokop, Kriegsgeschichte 1.15. 13 Prokop, Kriegsgeschichte 1.16–17 zu den Geschehnissen direkt vor der eigentlichen Schlacht; vgl. auch Greaterrex und Lieu (2002), 92 f., mit anderen Quellen und Kommentaren. 14 Prokop, Kriegsgeschichte 1.18 sowie ein alternativer Bericht in Malalas 18.60 (darin ist von Zweifeln an der Loyalität der Araber zu lesen; die Schuld für die Niederlage wird nicht so eindeutig Harith zugeschoben, der hier weiterkämpft, nachdem einige andere arabische Hilfstruppen und römische Legionäre geflohen sind). 15 Die gesamte Bandbreite an Quellen und Kommentaren: Greatrex und Lieu (2002), 93–96. 16 Für weitere Einzelheiten zu den Fünfzig Entscheidungen vgl. Honore (1978), 142–146. 17 Prokop, Kriegsgeschichte 1.24.37. 18 Cameron (1973), (1976) bietet die beste Einführung zu den Zirkusparteien. Unsere wichtigsten Quellen für den Nika-Aufstand sind Prokop, Kriegsgeschichte 1.24 und das Chronicon Paschale (in der englischen Übersetzung in Whitby und Whitby (1989) auf den Seiten 115 ff.). Detailliertere Kommentare: z. B. Cameron (1976); Greaterrex (1997); Meier (2004), Kap. 5; Leppin (2011), 142–148; Sarris (2011), 148–153.
Anmerkungen | 403 19 Wie von Evans (1984) festgestellt. Kaldellis (2004), 24 ff. bezeichnet dies als ein hervorragendes Beispiel für das sehr pfiffige und extrem subversive Vorgehen Prokops. 20 Vielleicht hielten sie sich auch aus ganz anderen Gründen in der Nähe der Hauptstadt auf; so erwog Justinian möglicherweise schon einen Feldzug gegen die Vandalen. 21 Prokop, Kriegsgeschichte 1.24.57–58. 22 Johannes der Kappadokier war erst im Oktober 532 wieder in Amt und Würden (vgl. PLRE 3, 627–635, insgesamt zu seiner Karriere), Tribonianus musste sogar bis November 533 warten (PLRE 3, 1335–39). 23 Die Zitate stammen aus Justinian, Novellae 30.11.2 (536) bzw. Codex Iustinianus 1.27.1.1–2 (534). Andere Versionen der traditionellen Vision Justinians finden sich in wissenschaftlicheren Werken wie Jones (1964), 269 ff.; Browning (1987), 55–57; Honore (1978), 18 f., wie auch in populärwissenschaftlichen Studien: Norwich (1988), Kap. 10. Die einzige Ausnahme ist Brown (1971). 24 Skeptisch: Evans (2001), xxv; nicht existent: Moorhead (1994), 63 ff.; Meier (2004), 62 ff.; Leppin 149–158. 25 Browning ([1987], 57–60) ist ein typischer Vertreter der Ansicht, dass zuerst die Angelegenheiten im Osten hatten geregelt werden müssen; deshalb ist die Feststellung, dass Justin und Justinian in Wirklichkeit eine ganz aggressive Politik gegenüber Persien betrieben, ungeheuer wichtig. 26 Eine ausführlichere Analyse auf S. 143. 27 Zu Hilderich und Karthago siehe z. B. Courtois (1955), 304–309; Steinacher (2016), 286–292. 28 Gelimers Staatsstreich: Courtois (1955), 269 ff.; Merrills und Miles (2010), 74 ff.; Steinacher (2016), 292–298. 29 Prokop, Kriegsgeschichte 1.22–23. Andere Quellen und Kommentar: Greatrex und Lieu (2002), 96 f. 30 Ihr Untergang markierte auch das Ende der Bemühungen des Ostens, das westliche Imperium über Wasser zu halten: Heather (2005), 407–430. 31 Eine englische Übersetzung der wichtigsten syrischen antichalkedonischen Quelle für die »Gespräche« von 532 findet sich in Brock (1981). Die Quelle betont, dass Justinian verzweifelt nach einer schnellen Einigung suchte. Siehe Gray (2005) und Frend (2008), 260–271, zum größeren Kontext. 32 Prokop, Kriegsgeschichte 3.10–11. 33 Prokop, Kriegsgeschichte 3.11.31–14.13 (zur Reise); vgl. Kriegsgeschichte 3.14.1–5 (zu Prokops Aufklärungsmission). 34 Belisars Autorität: Prokop, Kriegsgeschichte 3.11.20–21; vgl. Kriegsgeschichte 3.14.14–17 zum Moment der Entscheidung. 35 Prokop, Kriegsgeschichte 3.16.12–15; vgl. Meier (2004), 62 ff.; Leppin (2011), 149–152.
Kapitel 5 1 Prokop verschweigt dieses faszinierende Hintergrunddetail in seinem Bericht über den Aufenthalt im Rahmen der Nordafrika-Expedition auf Sizilien in Kriegsgeschichte 3.14 und erwähnt sie erst in seiner Beschreibung der späteren
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Verhandlungen zwischen Justinian und dem ostgotischen Königshof: Kriegsgeschichte 5.3.33. Prokop, Kriegsgeschichte 3.11.1–19 (Zusammensetzung der Armee). Prokop, Kriegsgeschichte 4.6.6–9. Leicht zugängliche einführende Darstellungen zum römischen Nordafrika sind Raven (1993) und Manton (1988). Ennabli (1992) bietet einen Überblick über die Ergebnisse der UNESCO-Ausgrabungen in Karthago, Mattingly und Hitchner (1995) zu den Survey-Funden. Dracontius’ Gedichte sind zu finden mit französischer Übersetzung in Moussey und Camus (1985–88); Bouquet und Wolff (1995–96) sowie Moussey (1988). Relevantes Material aus der Anthologia Latina ist in Kay (2006) und Rosenblum (1961) teilweise ins Englische übersetzt. Für eine detailliertere Analyse vgl. z. B. Merrills und Miles (2010), 97–108 und Kap. 8; Conant (2012), Kap. 3; Steinacher (2016), Kap. 5. Merrills und Miles (2010), Kap. 2 sehen die Rheinüberquerer als eine Reihe von Kriegerbanden. Eine Einführung in die Frage der »barbarischen« Identität bieten Gillett (2002) und Heather (2008). Goten 376: Heather (1991), Kap. 4. Radagaisus: Zosimos 5.26.4 und Olympiodor fr. 9, mit einer ausführlicheren Diskussion in Heather (2009), 174–176. Meine Argumente für die hier ausführlich dargelegten Ansichten über Motivation und Ausmaß finden sich in Heather (2009), 173–188; vgl. Steinacher (2016), Kap. 2. Goffart (2006), Kap. 5, und Halsall (2007), 195–212, haben ähnliche Ansichten, was das Ausmaß betrifft, bestreiten jedoch die Rolle der Hunnen. Hydatius, Chronik 59 [67]; vgl. Goffart (2006), Kap. 5; Steinacher (2016), 71–74; Merrills und Miles (2010), 41–47. Hydatius, Chronik 69 [77]; vgl. Merrills und Miles (2010), 44–47 (anders als sie glaube ich nicht, dass sich der größte Teil von Castinus’ besiegter Armee der Hasdinger-Dynastie anschloss); Steinacher (2016), 74–83. Detailliertere Berichte bei Matthews (1975), Kap. 15; Heather (2005), 251–262. Jüngere detailliertere Berichte sind Merrills und Miles (2010), 50–55; Steinacher (2016), 92–102. Courtois (1955), 155–184 bleibt von unschätzbarem Wert. Augustinus und die Bischöfe: Epistularum corpus 228.11; zum Foltern von Bischöfen vgl. Victor von Vita 1.10. Die Zitate aus der Vita stammen (der Reihe nach) aus 28.4, 30.1, 28.5–6. Theophanes, Annus mundi 5942. Merrills und Miles (2010), 112 lehnen die berichteten Zahlen ab; aber Belisars Flotte bestand aus fast 600 Schiffen, und die Expedition Anfang der 440er-Jahre war eine gemeinsame Unternehmung von Ost und West, daher finde ich sie überhaupt nicht unglaubwürdig. Mehr über den strategischen Kontext und die Einzelheiten des Abkommens: Heather (2005), Kap. 6; Merrills und Miles (2010), 111–116, Steinacher (2016), 120–146. Moderan (2002) ist hier viel überzeugender als Schwarcz (2004); vgl. die sehr ausführliche Diskussion in Steinacher (2016), 151–166 (Steinacher macht sich, meines Erachtens ganz richtig, Gedanken über die vandalisch-alanische Gesellschaftsstruktur und darüber, wie sie die Landverteilung beeinflusst hätte; leider gibt es hierfür nur wenige spezifische Belege) sowie Merrills und Miles (2010), 66–70.
Anmerkungen | 405 17 Victor von Vita 1.2; detaillierte Diskussion und Verweise: Heather (2009), 174–177. 18 Ein paar Kontingente von je ein paar Tausend Mann passen zu diesen Zahlen, z. B. die 2000 Soldaten, die Gibimund unterstanden, oder die 7000 unter Tatzon. Nach dem Krieg wurden ca. 2500 bis 3000 überlebende Vandalen an der Ostfront als oströmische Auxiliarkräfte zwangsverpflichtet. Ich stimme hier Steinacher (2016), 164–166 zu, dass der Militärdienst im Vandalenreich das Privileg einer speziell dafür ausgestatteten Elite von Grundbesitzern blieb. 19 Victor von Vita I–II nennt die wichtigsten Maßnahmen; eine ausführlichere Analyse findet sich bei Heather (2007a). 20 Gute erzählerische Darstellungen der Entwicklung des Königreichs zwischen Geiserich und der Landung von Belisars Heer finden sich bei Courtois (1955), 215–271; Merrills und Miles (2010), Kap. 3; Steinacher (2016), Kap. 5. 21 Zu diesen früheren Angriffen siehe zudem Heather (2005), 385–407. Signalarrangements: Prokop, Kriegsgeschichte 3.13.1–11. Frisches Wasser: Kriegsgeschichte 3.13.23–4. 22 Kriegsrat: Prokop, Kriegsgeschichte 3.15. 23 Prokop, Kriegsgeschichte 3.16.13–15. 24 Prokop, Kriegsgeschichte 3.17.1–5. 25 Gelimers Plan: Prokop, Kriegsgeschichte 3.18.1. 26 Prokop, Kriegsgeschichte 3.18.5–11. 27 Prokop, Kriegsgeschichte 3.18.12–19. 28 Prokop, Kriegsgeschichte 3.19. 29 Prokop, Kriegsgeschichte 3.20–21. 30 Prokop, Kriegsgeschichte 3.24–25. 31 Prokop, Kriegsgeschichte 3.24.7–18. 32 Prokop, Kriegsgeschichte 3.23.1–4 (Kopfjäger), 4.1 (Aquädukt und Pfählen). 33 Prokop, Kriegsgeschichte 4.2–3. 34 Prokop, Kriegsgeschichte 4.4.9–41 (Verfolgung Gelimers), 6.6.14–7.17 (Kapitulation des Königs). 35 Prokop, Kriegsgeschichte 4.4–9; vgl. PLRE 3, 192–193, mit vielen weiteren Quellen zu den Triumph- und Konsulatsfeiern. Beard (2007) bietet eine gute Einführung zur Zeremonie in der römischen Republik, die weniger streng choreografiert war, als oft angenommen; vgl. Meier (2003), 150–165 speziell zum Vandalen-Triumph. 36 Hilfstruppen: Prokop, Kriegsgeschichte 4.14.16–19; Vandalen nach 534: siehe Kapitel 9. 37 Prokop, Kriegsgeschichte 4.7.20. 38 Prokop, Kriegsgeschichte 4.2.8–32.
Kapitel 6 1 Prokop, Kriegsgeschichte 1.24.57–58. 2 Codex Iustinianus 1.27.1.1–2 (534): zitiert in Kapitel 4. 3 Von der jüngeren Literatur sehen Moorhead (1994), 63 f.; Meier (2004), 65 ff. und Leppin (2011), 161–165 in dem erstaunlich leichten Sieg über die Vandalen das letzte Teil des Puzzles, ehe Justinians Regime der westlichen Expansion so viel Gewicht beizumessen begann.
406 | Anhang 4 Natürliche Wasserstraßen im Mittelmeer: Braudel (1973), 103–137; Horden und Purcell (2000), Kap. 5. 5 Theodahad: PLRE 2, 1067–68, Tuluin: PLRE 2, 1131–33. Detailliertere Diskussion: Heather (1995). 6 Prokop, Kriegsgeschichte 5.2 (sowie 5.4.1–3 zu Theodahad vor Gericht). Zur Erziehung von Theoderichs Kindern und seiner allgemeinen Einstellung zur klassischen Bildung vgl. Heather (1993). Tuluin besaß große Güter in der Gotischen Provinz (die als Provinzkommando zählen würden; Cassiodor, Variae 8.9–10). Einer der anderen könnte Oswine gewesen sein, der ungefähr zur entsprechenden Zeit ein wichtiges Provinzkommando in Dalmatien erhielt; Variae 9.8–9. Beide verschwanden dann ohne jede Spur. Siehe zudem Wolfram (1988), Teil 5, Kap. 9. 7 Prokop, Kriegsgeschichte 5.3.10–29. 8 Die Quellen zu Petros Patrikios sind gesammelt und erörtert in PLRE 3, 994– 998. Gute Neuigkeiten: Prokop, Kriegsgeschichte 5.3.30. Schlechte Neuigkeiten: Geheimgeschichte 24.22–23. 9 Prokop, Kriegsgeschichte 5.4.4–16; zu den Mordaufträgen vgl. Geheimgeschichte 16.4. 10 Prokop, Kriegsgeschichte 5.4.17–31. 11 Prokop, Kriegsgeschichte 5.5 (beide Expeditionen), vgl. 5.6 (zu Petros). 12 Prokop, Kriegsgeschichte 5.7. 13 Cassiodor, Variae 1.1. 14 Zur überragenden Bedeutung, göttliche Unterstützung für sich zu beanspruchen, siehe S. 19–21. 15 Eine ausführlichere Untersuchung des Kontexts von Variae 1.1 und des Nutzens, den Theoderich aus der Krise von 507 zog, bietet Heather (2013), 68–79; zur Inschrift: Inscriptiones Latinae Selectae 827. 16 Ausführlicherer Bericht: Heather (2013), 79–87. 17 Detaillierter bei Heather (2013), 88–97. 18 Hilderich: Quellen wie PLRE 2, 564. Tuluins Strafaktion (unter Ausnutzung einer fränkischen Intervention): Cassiodor, Variae 8.10, 8; vgl. PLRE 2, 1009 (über den burgundischen König Sigismund). 19 Eine ausführlichere Analyse zu Malchus, fr. 2, 18.4 und 20, wo wichtige Zahlen genannt werden, findet sich bei Heather (1991), Teil 3, insbes. 248 f., 253 f. 20 So argumentiert Amory (1997), wie häufig zitiert wird. Sicherlich ist es im Prinzip möglich, dass auch Theoderich auf dem Balkan in den 470er- und 480erJahren in ähnlicher Weise unzufriedene römische Einheiten rekrutierte, wie sie in den 540er-Jahren den Aufstand Totilas in Italien unterstützten (vgl. Kapitel 9); Amory sieht diese Verbindung allerdings nicht. Andererseits beschreiben die detaillierten zeitgenössischen Quellen für die 470er- und 480er-Jahre einen solchen Vorgang überhaupt nicht (Heather 1991, Punkt 3); zudem sollte erwähnt werden, dass die meisten der unzufriedenen römischen Einheiten dann wiederum zu Narses überliefen. 21 Amory behauptet, nur Prokop erwähne Frauen und Kinder, und man folgte ihm in dieser Hinsicht weithin. Heather (2007b) zeigt hingegen ein ganz anderes Bild. Ich möchte zudem unterstreichen, dass die thrakischen Goten bis zu dem Zeitpunkt, als sie sich Theoderich anschlossen, als foederati bezeichnet wurden
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(Malchus, fr. 2), wie die für Justinians Armee gut bezeugten Heruler, und nicht als römische Legionäre, die stets unter ihren eigenen Anführern dienten und dazu neigten, sich wieder unabhängig zu machen. Die geografische Verteilung der Anhänger Theoderichs in einzelnen Clustern ergibt sich aus den Kriegsberichten der Goten; ausführlicher hierzu Heather (1995); vgl. auch Bierbrauer (1975), der versucht, diese Aussagen mit archäologischen Befunden zu verknüpfen. Prokop behauptet, Witichis sei mit einer Armee von 150 000 Mann gegen Rom vorgerückt (Kriegsgeschichte 5.16.11), aber seine eigenen ausführlicheren Beschreibungen zeugen eher von einer gotische Feldarmee von rund 25 000– 30 000 Soldaten, vgl. Hannestad (1960). Cassiodor, Variae 8.26 gibt ein Beispiel für die Ernennung eines lokalen Anführers in Rieti. Prokop, Kriegsgeschichte 5.1.34–9 (Symmachus und der Fisch). Momigliano (1955) bleibt einflussreich; das grundlegende Argument griff erst kürzlich Bjornlie (2013) auf. Allgemeine Entwicklung der senatorischen Elite: Barnish (1988); vgl. Heather (2016), mit einer Erweiterung der Auswirkungen auf die Karrieren von Symmachus und Boëthius. Theodahad und Boëthius: Barnish (1990). Deliyannis (2010), Kap. 4 (zum Palast); Kap. 5 (über den ostgotischen Kirchenbau und die Dekoration mit Mosaiken). Gute archäologische Einführungen hierzu: Agostini u. a. (1989) und Messineo u. a. (1993). Prokop, Kriegsgeschichte 5.8–10. Prokop, Kriegsgeschichte 5.11.1–9 (Sturz Theodahads). Witichis’ erste Schachzüge: Kriegsgeschichte 5.11.10–29, 13.14–29. Prokop, Kriegsgeschichte 5.14.16. Prokop, Kriegsgeschichte 5.14.12–16.4 (Kapitulation von Pitzas und seinem Gefolge: Kriegsgeschichte 5.15.1–2). Prokop, Kriegsgeschichte 5.17–18. Prokop, Kriegsgeschichte 5.21–23 (5.23.26 zu den 30 000 Toten, siehe aber Anm. 22). Prokop, Kriegsgeschichte 5.24.1–21 (die anfänglichen Verstärkungen), 5.25–26 (Beginn des Belagerungskriegs), 6.3.11 (Maultierwürste). Prokop, Kriegsgeschichte 5.27.1–23 (erster Ausfall, samt ein paar weiteren Scharmützeln aus der Anfangszeit); vgl. 5.27.24–29 (zu Unterschieden in der Ausrüstung). Prokop, Kriegsgeschichte 5.28–29. Prokop, Kriegsgeschichte 6.4–5. Prokop, Kriegsgeschichte 6.6–7, mit 6.22.22–25, 29.1–2 (zu Witichis). Prokop, Kriegsgeschichte 6.9 ist ein wenig inkohärent: Prokop beschuldigt Witichis nicht direkt, mit bösen Absichten zu verhandeln, obwohl dieser mit seinen letzten Angriffen auf die Stadt offenbar mitten im Waffenstillstand begonnen hat. Ich bin nicht ganz sicher, was ich von dem Bericht halten soll. Prokop, Kriegsgeschichte 6.10.1–8 (Johannes’ Angriffe), 9–20 (Ende der Belagerung von Rom). Prokop, Kriegsgeschichte 6.11.1–3.
408 | Anhang 43 Ildiger, Martinus und Rimini: Kriegsgeschichte 6.11.4–9, Genua: Kriegsgeschichte 6.12.26–41. 44 Prokop, Kriegsgeschichte 6.11.10–13.15 (vgl. 6.11.22 zu Johannes’ Weigerung, Belisars Anweisungen zu folgen). 45 Prokop, Kriegsgeschichte 6.13.16–18, 6.16, 6.17.12–24. 46 Prokop, Kriegsgeschichte 6.18 (Kampf um das Oberkommando), 6.21 (Desaster in Mailand). 47 Prokop, Kriegsgeschichte 2.2 (gotische Gesandtschaft), 6.22.22–25 (Justinians Sorgen in Bezug auf Persien). 48 Prokop, Kriegsgeschichte 6.22.1–8, 6.23 (Belisars Strategie), 6.25 (Intervention der Franken). 49 Fiesole: Prokop, Kriegsgeschichte 6.24.18 und 6.27.25–7. Osimo: Kriegsgeschichte 6.24.1–17, 6.26 (Burcentius), 6.27.1–24 (Wasserschlachten). 50 Prokop, Kriegsgeschichte 6.27.28–34. 51 Prokop, Kriegsgeschichte 6.28. 52 Prokop, Kriegsgeschichte 5.1.16–17. 53 Prokop, Kriegsgeschichte 6.29.1–31.
Kapitel 7 1 Prokop, Bauten 1.2.9–12. Eine Zeichnung der Statue wurde in den 1430er-Jahren für Cyriacus von Ancona angefertigt, und Pierre Gilles sah in den 1540erJahren Fragmente von Bein und Nase. Meier (2003), 599–608 analysiert wunderbar den apotropäischen Charakter der Statue. 2 Prokop, Bauten 1.10.11–20. 3 Alchermes (2005) bietet eine ausgezeichnete Einführung zu den Bauprojekten; zum schamlosen Triumphalismus des Regimes zwischen 533 und 540 vgl. Meier (2003), 101–182. 4 Vorwort Constitutio tanta; vgl. Honoré (1978), 170 ff. mit einer Rekonstruktion des Zeitplans von Tribonian. 5 Theodosius’ Vorgängerprojekt wurde 429 (Codex Theodosianus 1.1.5) angekündigt, aber nie wirklich in Angriff genommen. Matthews (2000) und Sirks (2007) bieten unterschiedliche Ansichten über die Entwicklung von Theodosius’ Projekt, aber es besteht kein Zweifel, dass die zweite, größere Aufgabe nie in Angriff genommen wurde. 6 Das Zitiergesetz findet sich in Codex Theodosianus 1.4.3. Es sollte ursprünglich auf einen besonders hartnäckigen Fall angewendet werden: Matthews (2000), 221. Zum verworrenen juristischen Hintergrund, den diese Reform angehen sollte, siehe Jones (1964), Kap. 14 (wohl ein wenig pessimistisch); Harries (1999), Kap. 1; Humfress (2007), Teil 1. Honoré (1982) ist eine ausgezeichnete Einführung zur Arbeit des iuris consultus Ulpian und zum gesamten iuris-consultiSystem. 7 Unterdrückung: Constitutio omnem 7; über die mit Tribonian zusammenarbeitende Kommission, der je zwei Vertreter der Hochschulen von Konstantinopel und Beirut angehörten vgl. Honoré (1978), 147 f., 163–170. 8 Deo auctore 5; vgl. Honoré (1978), Kap. 150–164. 9 Constitutio tanta 13, 15.
Anmerkungen | 409 10 Zitiert in Humfress (2005), 175. 11 Eine gute Einführung in die mittelalterliche Kommentar-Glossen-Tradition Bolognas, die schließlich Justinians Behauptungen gerecht wurde, bietet Stein (1999), 43–48. 12 Für eine englische Übersetzung der Institutiones Iustiniani vgl. Birks und MacLeod (1987); zum überarbeiteten Curriculum vgl. Honoré (1978), Kap. 6. 13 Nur England und die nordischen Länder waren eine Ausnahme. 14 Notwendigkeit und Befestigungen im Osten und auf dem Balkan: S. 245 und 310. 15 Allgemeine Einführung: Alchermes (2005), Leppin (2011), 191–202. 16 Siehe unter anderem Krautheimer (1986). 17 Die Quellen zu Anicia Juliana sind gesammelt und erörtert in PLRE 2, 635–636. Anthologia Graeca 1.10: die Inschrift an ihrer großen Kirche. Harrison (1989) beschreibt die Überreste. 18 Prokop, Bauten 1.1.30–54 (Auszüge). Darauf wies auch, wenn auch in etwas elaborierterer Sprache, Paulus Silentiarius hin, als die Kirche in der Weihnachtszeit 562/563 umgewidmet wurde; Bell (2009), 195 ff. 19 Alchermes (2005), 361–366. Justinians angebliche Reaktion ist aufgezeichnet in Narratio de aedificatione Templi S. Sophiae 27 (= Preger [1901], 105). 20 Prokop, Bauten 1.1.54–65. 21 Prokop, Bauten 1.1.61; zur Entwicklung von Mosaiken vgl. Demus (1976); zur Bedeutung von Licht und Farbe Mathew (1963). 22 Zitiert von Krueger (2005), 298. 23 Prokop, Bauten 1.6.5–8. 24 Meier (2003), insbes. 489–528, und Croke (2005) analysieren Justinians »Verwendung« von Konstantinopel; zur allgemeineren Tradition der römischen Prozessionszeremonien vgl. MacCormack (1981). 25 Literatur und 4. Jahrhundert: z. B. Wilson (1975) über Basilius von Caesarea; aber Augustinus befasste sich natürlich mit den gleichen Problemen – vgl. Brown (1967) – wie, aus entgegengesetzter Sicht, Kaiser Julian, vgl. Athanassiadi Fowden (1992). Wissenschaft: Sorabji (1988), (2006). Klassische Philosophie: Wildberg (2005); vgl. Watts (2006) zu den doch sehr unterschiedlichen Schicksalen und Traditionen der athenischen und der alexandrinischen Akademie. 26 Croke (2005). 27 Hintergrund des Streits: S. 83 f. Ende des Akakianischen Schismas und Annäherung an den Papst: S. 93. 28 Siehe S. 127 f. 29 Gute Einführungen zum Fortschritt und zu eventuellen Beschlüssen im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Arianisten und Donatisten sind (neben vielen anderen) Hanson (1988) – vgl. Berndt und Steinacher (2014) – und kürzlich Miles (2016). 30 Grey (2005), 232 f. und Van Rompay (2005), 246 beschreiben die weiteren Anpassungen, die Justinian nach den Gesprächen von 532 vornahm. Gute weitere Analysen von Justinians Religionspolitik finden sich in Meier (2004), 10 und Leppin (2011), 181–190, 293–307. 31 Meier (2003), 273–291; Van Rompay (2005), 246 f.
410 | Anhang 32 Codex Iustinianus 1.1.6–8; Kommentar dazu: Gray (2005), 232 f. 33 Eine englische Übersetzung der lateinischen Zusammenfassung ist (neben verwandten Texten) zu finden in Price (2009). 34 Van Rompay (2005); Frend (2008), 283–295. 35 Antiochia im 4. Jahrhundert: z. B. Sandwell (2007); zu den nachfolgenden Umwandlungsprozessen: z. B. Trombley (2014). Zur Entwicklung intensiverer Formen der Frömmigkeit: Krueger (2005). 36 Johannes von Ephesos kann nicht verschweigen, dass er sich zur Zeit Justins II. auf die Seite des Patriarchen von Konstantinopel schlug (auch wenn er dafür verzweifelt um Entschuldigung bittet). 37 Z. B. Gray (2005), Van Rompay (2005). 38 Van Esbroeck (1997) untersucht, was Justinian im Sinn hatte. 39 Vgl. die viel ausführlichere Diskussion bei Meier (2003), Kap. 4–5, der zu Recht die Bedeutung von Naturkatastrophen wie Erdbeben betont.
Kapitel 8 1 Das Zitat stammt aus dem Vorwort zu Über die Tugenden und die Laster; eine Einführung in Konstantins Projekt findet sich bei Lemerle (1971), 280–288. 2 Konstantin VII. Porphyrogennetos, De Ceremoniis I 89–90 (eine englische Übersetzung dieser gesamten Passage bieten Greatrex und Lieu [2002], 124–128). 3 Siehe Kapitel 4. 4 Anteil an der Beute aus Afrika: Prokop, Kriegsgeschichte 1.26.1–4. Limitanei: Geheimgeschichte 24.12–14 sowie Kriegsgeschichte 1.26.5–12 (Dara) und 2.7.19–37 (unbezahlte Deserteure in Beroea). 5 Prokop, Kriegsgeschichte 2.1. 6 Zu den archäologischen Überresten der Stadt: Downey (1961). Zu ihrer Rolle im späteren Imperium: Liebeschuetz (1972). Zu den Gemeinden: Sandwell (2007). 7 Prokop, Kriegsgeschichte 2.5. 8 Diplomatie: Prokop, Kriegsgeschichte 2.6.17–25, 7.14–18. Belagerung und Fall von Hierapolis: Kriegsgeschichte 2.6.1–8, 7.1–13, 19–37. 9 Prokop, Kriegsgeschichte 2.8–11.13; die frühere Identifizierung des entscheidenden Schwachpunkts: Kriegsgeschichte 2.6.9–16. 10 Prokop, Kriegsgeschichte 2.12–14.7 sowie Tabari I.898/157–158 (englische Übersetzung bei Greatrex und Lieu [2002], 107 f.). Die Existenz von Chosraus Neu-Antiochia ist archäologisch nicht belegt. 11 Prokop, Kriegsgeschichte 7.1.2–3 (Prokop stellt diese Verbindung nicht her). 12 Prokop, Kriegsgeschichte 2.14.8–13, 18–19.46. Geheimgeschichte 2.18–22. Die anderen fragmentarischen Quellen für diesen Feldzug sind in englischer Übersetzung bei Greatrex und Lieu (2002), 108 f. zu finden. 13 Prokop, Kriegsgeschichte 2.20–21.29. 14 Zur Pest siehe Kapitel 11. Fazit des Feldzugs von 542: Prokop, Kriegsgeschichte 2.21.30–4. 15 Prokop, Kriegsgeschichte 2.26–7, sowie Segal (1970) über den allgemeinen Reichtum und die Bedeutung des Ausdrucks »gesegnete Stadt«. 16 Prokop bietet zahlreiche Details zur Umgestaltung der Ostfront in Bauten, Buch 2 (mesopotamische Grenze) und Buch 3 (armenischer Sektor). Laut Croke und
Anmerkungen | 411
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Crow (1983) hielt man vieles davon früher für erfunden, aber Whitby (1986b) belegt schlüssig die Glaubwürdigkeit von Prokops Informationen über Dara, und in Whitby (1985), (1986a), (1986b), (1987) ist die Argumentation überzeugend auf das umfassende Programm zum Ausbau der Verteidigungsanlagen ausgeweitet. Für Antiochia haben wir nicht viele archäologische Zeugnisse, aber was vorhanden ist, stützt Prokops Bericht über den Wiederaufbau in Bauten 2.10.2–25; vgl. Foss (2000). Und Antiochia war spätestens Ende des 6. Jahrhunderts wieder ein bedeutendes Siedlungszentrum. Waffenstillstand in Mesopotamien und Nachwirkungen: Prokop, Kriegsgeschichte 2.28.1–11 sowie Greatrex und Lieu (2002), 113 f., und Kapitel 9. Eine ausgezeichnete Einführung zur Tradition und ihrer Entwicklung ist Jouanno (2002). Braund (1994), 269–275 sowie Greatrex und Lieu (2002), Kap. 4–5. Teilung von 387: Greatrex und Lieu (2002), Kap. 2. Braund (1994), Kap. 2, insbes. 41–44. Gubazes’ Diplomatie und die Hintergrundgeschichte: Prokop, Kriegsgeschichte 2.15, Petra: Kriegsgeschichte 2.17, römischer Gegenschlag: Kriegsgeschichte 2.24–25. Prokop, Kriegsgeschichte 2.28.15–30. Braund (1994), 276–287 bietet eine ausgezeichnete Darstellung dessen, wie sich die Lasi zwischen den zwei Imperien einrichteten. Prokop, Kriegsgeschichte 2.29.1–9. Prokop, Kriegsgeschichte 2.29.10–30. Prokop, Kriegsgeschichte 8.8 zum Feldzug von 549; zur dreifachen Wasserleitung, die die Römer erst nach der Erstürmung der Stadt im Jahr 551 entdeckten, vgl. Kriegsgeschichte 8.12.21–27. Prokop, Kriegsgeschichte 8.9 mit dem herausragenden Kommentar von Braund (1994), 300–302. Komplette Karriere: PLRE 2, 226–229; Bessas fällt um: Prokop, Kriegsgeschichte 8.11.11–62. Prokop, Kriegsgeschichte 8.11–12. Prokop, Kriegsgeschichte 8.16; Menander fr. 6.1; Agathias, Historien 2.19–22, 3.2–4, 8–15; Braund (1994), 308 f. Agathias, Historien 3.15–28 (Angriff der Perser), 4.13–23 (römischer Gegenschlag). Proteste in Konstantinopel: Prokop, Kriegsgeschichte 8.15.13–18, sowie Greatrex und Lieu (2002), Kap. 9. Menander fr. 6.1: Der volle Betrag waren 30 000 solidi pro Jahr (72 solidi waren ein Pfund).
Kapitel 9 1 Prokop, Kriegsgeschichte 3.15.2–17; vgl. PLRE 2, 133–134 zu seiner gesamten Karriere. Archelaos fungierte nach der Eroberung als Präetorianerpräfekt in Nordafrika, bis Justinian einen neuen Präfekten sandte. 2 Codex Iustinianus 1.27. Guntharis bot später dem Berberchef Antalas den Oberbefehl über 1500 römische limitanei in Byzacena an, woran man die tendenzielle Truppenstärke jeder dieser Provinzeinheiten erkennen kann.
412 | Anhang 3 Bonifatius und Laurus: Kap. 5. Prokop, Kriegsgeschichte 4.1.7–8 bezieht sich auf andere die Vandalen unterstützende Grundbesitzer, und einige Landbewohner wollten die Suche nach Nahrung behindern. Gegner der »drei Kapitel« (vgl. Kapitel 7) sehen auch in dem neu-römischen Funktionär Mocianus einen ehemaligen Arianer und damit möglicherweise einen ehemaligen römischen Funktionär der Vandalenkönige. 4 Gemeint sind römische Grundbesitzer, wie sie in den Tablettes Albertini auftauchen (Courtois u. a. [1952]); für weitere Diskussionen aus jüngerer Zeit vgl. Merrills und Miles (2010), 159–162. 5 Novellae 37 sowie Merrills und Miles (2010), 249–251. 6 Prokop, Kriegsgeschichte 4.14.11–15. 7 Prokop, Kriegsgeschichte 4.14.8–10. 8 17 Häuptlinge: Gorippus, Iohannis 8.627–636 (alle getötet; Jordanes, Romana 385). Allgemeiner Hintergrund: Courtois (1955), Teil 3, Kap. 2, ist der Klassiker; Moderan (2003) und Shaw (1995) haben ihn auf den neuesten Stand gebracht. Rushworth (2004) und Merrills und Miles (2010), insbes. 124–129, bieten nützliche Ergänzungen. 9 Vgl. Moderan (2003), 396–415 zur Lesart, sowie Merrills und Miles (2010), 124– 129 (dort eine nützliche Einführung in englischer Sprache). 10 Ich bin sicher, dass ein solches Modell bei der Staatenbildung in weniger entwickelten Gesellschaften am Rande größerer Staaten im 1. Jahrtausend eine wichtige Rolle spielte; siehe zudem Heather (2009). 11 Prokop, Kriegsgeschichte 4.10.1–12. 12 Prokop, Kriegsgeschichte 4.11–12. 13 Prokop, Kriegsgeschichte 4.13.1–38. 14 Prokop, Kriegsgeschichte 4.14.20–15. Die Quellen für Stotzas sind in PLRE 3, 1199–1200 gesammelt und analysiert; vgl. Merrills und Miles (2010), 248 ff. 15 Prokop, Kriegsgeschichte 4.16–17. 16 Prokop, Kriegsgeschichte 4.19–20. Weitere Details zu Solomons Befestigungsprogramm: siehe Kapitel 10. 17 Prokop, Kriegsgeschichte 4.21–28.34. 18 Unsere Hauptquelle neben Prokop ist der Iohannis des lateinischen Dichters Gorippus. Cameron (2000) bietet gute Kommentare zum Text. Zu Troglitas Karriere insgesamt siehe PLRE 3, 644–649. 19 Gorippus, Iohannis 6.478–481, 496–505. 20 Gorippus, Iohannis 7 liefert die Information. Prokop, Kriegsgeschichte 4.28.48– 50 bietet bemerkenswert wenige Informationen über den Sieg – dieser Umstand spiegelt vermutlich sein späteres Urteil über die Auswirkungen von Justinians Kriegen in Afrika und anderswo wider. 21 Prokop, Kriegsgeschichte 6.29.33. 22 Wir wissen nicht, was mit Pitzas und den Goten von Samnium geschah. 538/539 wurden die Garnisonen von Petra, Clusium und Tudra aus dem Kriegsgebiet nach Neapel und Sizilien verlegt (Prokop, Kriegsgeschichte 6.11.19 ff., 13.2 ff., 27.31 ff.). Zumindest einige von ihnen kämpften in den 540er-Jahren im Osten gegen die Perser. 23 Prokop, Kriegsgeschichte 6.29. 24 Prokop, Kriegsgeschichte 7.1.34–36.
Anmerkungen | 413 25 Siehe außerdem Cantagalli, 50. 26 Prokop, Kriegsgeschichte 7.1.24–33; vgl. PLRE 3, 43–44 zu seiner Karriere, samt allen Verweisen. 27 Urais und Ildebadus: Prokop, Kriegsgeschichte 6.28.35, 29.39–41; Erarich: Kriegsgeschichte 7,1.25–2.13. 28 Prokop, Kriegsgeschichte 8.32.20 sowie PLRE 2, 1112–13 über die Karriere von Theudis. 29 Das Zitat findet sich in Prokop, Kriegsgeschichte 7.4.32; es war der Abschluss einer Reihe von Ereignissen, über die Kriegsgeschichte 7.3–4 berichtet. 30 Prokop, Kriegsgeschichte 7.5 sowie 7.5.18 zum Verlust der Mobilität in festen Stützpunkten der Römer. Der Punkt wird in 7.9.1–6 wiederholt. 31 Vgl. Prokop, Kriegsgeschichte 7.9.1–6. 32 Heather (1996), 327 f. enthält eine Liste jener Elemente der römischen Armee, die Totila zu verschiedenen Zeitpunkten rekrutierte. Die meisten schlossen sich dem Aufstand nur vorübergehend an, in der Regel weil sie ihren Sold nicht erhalten hatten (wie die Meuterer in Nordafrika), und zeigten sich dem Kaiser gegenüber wieder loyal, sobald der Sold gezahlt wurde. Prokop, Kriegsgeschichte 7.5.19 berichtet über die (zahlenmäßig nicht genau bezifferten) Überläufer unter Totilas ursprünglichen römischen Gefangenen. 33 Prokop, Kriegsgeschichte 7.6–7. 34 Prokop, Kriegsgeschichte 7.10–11 sowie 7.15.1–8 zum Versuch, innerhalb Roms mehr Truppen zu bekommen. 35 Prokop, Kriegsgeschichte 7.10.19–23 (Tibur eingenommen), 12.11–20 (Assisi und Spoleto), 15.9 ff. (Kapern der Transportschiffe). 36 Prokop, Kriegsgeschichte 7.17. 37 Prokop, Kriegsgeschichte 7.19. 38 Prokop, Kriegsgeschichte 7.20. 39 Prokop, Kriegsgeschichte 7.21.18–25 (Botschafter Konstantinopels), 7.22 (Verteidigung von Rom), 7.33.7 (Franken und Venetien). 40 Prokop, Kriegsgeschichte 7.24; vgl. 7.37.1–2 zur gescheiterten fränkischen Heiratsallianz. 41 Verstärkungen und ihr Schicksal: Prokop, Kriegsgeschichte 7.27–9. Antonina: Kriegsgeschichte 7.30.3. Rusciane: Kriegsgeschichte 7.30.9–14. Belisarius’ Rückkehr nach Osten: Kriegsgeschichte 7.30.25; vgl. Geheimgeschichte 5.16–17 und Kriegsgeschichte 7.35.2 (Fall Perugias). 42 Prokop, Kriegsgeschichte 7.35.23–39.5. 43 Prokop, Kriegsgeschichte 7.37.6–7; vgl. 8.24.4. 44 Prokop, Kriegsgeschichte 7.39.6–24. 45 Prokop, Kriegsgeschichte 7.40.9 (Tod des Germanus), 8.21 und 26 (Ernennung und Macht von Narses), 8.22–23 (Totilas Flotte). 46 Prokop, Kriegsgeschichte 8.26.17–25 (Salona bis Ravenna), 28.1–12 (Ravenna bis Rimini). 47 Prokop, Kriegsgeschichte 8.29–32 (die verschiedenen Versionen von Totilas Tod finden sich in 8.32.29–36). 48 Prokop, Kriegsgeschichte 8.33–35.
414 | Anhang
Kapitel 10 1 Gorippus, In laudem Iustini Augusti Minoris 3.1–84 beschreibt Justinians Beerdigung. Theophilos, Anni mundi 6057 berichtet vom Tod Belisars, und PLRE 3, 997–998 versammelt die Zeugnisse zu Petros Patrikios. 2 Von den Älteren bemühten sich Stein (1950), 756 f., 1 und Jones (1964), 298– 302 eine solche Bilanz zu erstellen, aber beide schrieben, bevor die meisten archäologischen Zeugnisse ans Licht kamen, die Aussagen über den allgemeinen ökonomischen Zustand des Reiches erlauben. 3 Afrika: Prokop, Kriegsgeschichte 4.28.52; vgl. seine allgemeinere Schmährede in Geheimgeschichte 18.3 ff. 4 Gorippus, Iohannis 3.443–450; vgl. Prokops und Gorrippus’ Berichte über Tausende Berber, die in Schlachten gegen die Armeen von Solomon und Johannes Troglita starben. 5 Malalas 495; vgl. PLRE 3, 366–368. 6 Detaillierte Untersuchung römischer Methoden: Heather (2001); bei Heather (2009), insbes. Kap. 2, finden sich weitere Überlegungen zu längerfristigen Konsequenzen. 7 Die Inschriften: PLRE 3, 1167–77; vgl. Pringle (1981), 84–120 und Kap. 4, wo allgemeinere Zeugnisse hinsichtlich der Befestigung versammelt sind. Merrills und Miles (2010), Kap. 9, ist ebenfalls hilfreich. Eine ausgezeichnete Einführung in die allgemeine Entwicklung nordafrikanischer Städte abseits der alten Baumuster klassischer Städte ist Leone (2007), Kap. 3–4. 8 Insbesondere zur Produktion innerhalb der Städte siehe ganz allgemein Leone (2007), 217–236; zu Leptis Minor siehe Mattingly (1992), (2001), (2011). Wickham (2005), 637–644 und 720–728 analysiert die Zeugnisse für den anhaltenden urbanen Wohlstand und die ökonomische Komplexität in Nordafrika nach der Eroberung. 9 Leone (2007), 208–213; vgl. Merrills und Miles (2010), 241 ff. zum Wiederaufbau im kirchlichen Bereich. 10 Markus und Sotinel (2007) sowie Sotinel (2007) über Vigilius und Moderan (2007) zu den Protesten in Nordafrika. 11 Moderan (2007). 12 Merrills und Miles (2010), Kap. 9 bieten einen Überblick über die Zeugnisse, mit sämtlichen Verweisen. 13 Das Zitat stammt aus Prokop, Geheimgeschichte 18.20–1. 538/9: Kriegsgeschichte 6.11 und 13. Mitte 540er-Jahre: Kriegsgeschichte 7.6, 10, 30. 14 Überfälle der Kutriguren: Prokop, Kriegsgeschichte 2.4; Agathias, Historien 5.11 ff. Überfälle der Slawen: Prokop, Bauten 4.7.13 und 17 f.; Kriegsgeschichte 7.39–40. Zu den Lentiensern vgl. Ammianus Marcellinus. 15 Überfälle von 548–550: Prokop, Kriegsgeschichte 7.38–40; für einen Kommentar vgl. Curta (2001), Kap. 5–6. 16 Zur Entwicklung dieser Situation, bevor Attilas Reich im Chaos versank, siehe Heather (2009), 238–256, 371–377, 392–406. 17 Prokop, Bauten 4, insbes. 4.2 (Thermopylen), 4.9 (Lange Mauer von Konstantinopel), 4.10 (Chersones). Die Listen finden sich in Bauten 4.4, 11. Einen guten Kommentar gibt es in Curta (2001), Kap. 4, mit vollständigen Verweisen (untermauert durch archäologische Befunde). Curta argumentiert überzeugend
Anmerkungen | 415
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gegen die frühere Tendenz, Prokops Berichte über eine groß angelegte Verteidigung des Balkans seitens Justinians allzu schnell abtzutun. Agathias, Historien 5.11–12, 19–20, 23.5–9 beschreibt den Überfall der Awaren von 559, der mithilfe der neuen Befestigungen bei den Thermopylen und der Chersones gestoppt werden konnte. In 5.16–20 beschreibt Agathias Belisars heroische Verteidigung Konstantinopels. Man vergleiche die Listen in Bauten 4.4 (Nord- und Süd-Illyricum) und 4.11 (östlicher Balkan). Menander fr. 5.1 (eine englische Übersetzung bietet Blockley [1985], 49). Einführend zur Geschichte der Awaren: Whitby (1988) und Pohl (1988), (2003). Zu archäologischen Untersuchungen über die Awaren: Daim (2003). Uldin: Sozomen, Historia Ecclesiastica 9.5.1–5. Menander fr. 5.1–2. Agathias, Historien 5.24–25. Justins Erklärung: Johannes von Ephesos, Kirchengeschichte 6.24; vgl. Menander fr. 8 (in englischer Übersetzung bei Blockley [1985], 97). Eine detailliertere Analyse der Identität und politischen Struktur von Nomadenreichen bietet Heather (2009), Kap. 5. Sirmium: Menander fr. 12.5 (englische Übersetzung in Blockley [1985], 135 ff.). Belagerung von Konstantinopel: Chronicon Paschale (in Whitby und Whitby [1989] in englischer Übersetzung auf den Seiten 178 ff.). Ausführlichere Analysen der Parallelen zu den Hunnen gibt es bei Heather (2005), Kap. 8, (2009), Kap. 5. Menander fr. 11. Der Preis der Allianz wird in Menander fr. 24–25 erwähnt; vgl. die vollständigen Verweise in PLRE 3, 38–40. Die Pragmatische Sanktion ist als Anlage 7 zu den Novellae Justinians überliefert. Der Papyrus P. Ital. 49 (vgl. Amory 1997, App. I) verzeichnet den Teil einer der folgenden Rechtsstreitigkeiten. Agathias, Historien, 1,6–2.4. Agathias, Historien 2.4–9. Agathias datiert die Schlacht am Casilinus nicht; sicherlich fand sie nach Ende Juni statt, und es ist immerhin nicht unmöglich, dass die Pragmatische Sanktion erlassen wurde, als die Nachricht vom Sieg Konstantinopel erreichte; allerdings ist die Aufeinanderfolge von Ereignissen hier recht eng, und man würde eigentlich erwarten, dass der Sieg explizit erwähnt würde. Agathias, Historien 2.2–3; vgl. 11.1. Narses: Agathias, Historien 1.1.1 berichtigt Prokops äußerst merkwürdige Bemerkung in Kriegsgeschichte 8.35.33–36, die überlebenden Goten hätten nach der Schlacht am Mons Lactarius Italien freiwillig komplett verlassen. Aligern: Agathias, Historien 1.8–9; Indulf: Prokop, Kriegsgeschichte 8.35.37; Ragnaris: Agathias, Historien 2.13–14. Agathias bezeichnet Ragnaris als Bittiguren. Diese Gruppe taucht in den Berichten über den Zusammenbruch von Attilas Reich in den 450er- und 460er-Jahren immer wieder auf. Daher könnten seine Vorfahren sich zu diesem Zeitpunkt den pannonischen Goten angeschlossen haben; möglicherweise war er aber auch ein viel späterer Abtrünniger des römischen Heeres. Explizit wird er zum ersten Mal im Zusammenhang mit Ereignissen von 552 erwähnt; Prokop, Kriegsgeschichte 8.26.4.
416 | Anhang 33 Agathias, Historien 1.20.2. 34 Agathias, Historien 2.13–14; die 7000 waren vermutlich – nach all den Kämpfen, Verlusten und Rekrutierungen – eine aus ehemaligen Anhängern von Totila und Teja zusammengeschusterte Gruppe. 35 Widin: Paulus Diaconus, Historia Langobardorum HYPERLINK »https:// de.wikipedia.org/wiki/Historia_gentis_Langobardorum« \o »Historia gentis Langobardorum« 2.2, mit Kommentar in PLRE 3, 924. 36 Sindal: PLRE 3, 1155. 37 Für eine Einführung zu den Besitztümern Konstantinopels in Italien und den Auswirkungen der Invasion der Lombarden siehe z. B. Wickham (1981), 28 ff.; La Rocca u. a. (2002), 21–27 und Kap. 3. 38 Die Geschichte von Narses’ Einladung erzählt Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 2.5. Eine weitergehende Erörterung der Umstände der Umsiedlung der Langobarden nach Italien findet sich z. B. bei Jarnut (1982), Kap. 1 und Christie (1995), Kap. 2. Frühere Analogie zur Ära der Hunnen: Heather (2009), Kap. 4. 39 Es war natürlich Justinians eigene Entscheidung, nicht positiv zu reagieren, als Totila später den gleichen Deal erneut auf den Tisch brachte (siehe Kapitel 6). Spätestens seit Belisars Umschwenken im Jahr 540 hing das Prestige des Kaisers entscheidend von einer vollständigen Eroberung der italischen Halbinsel ab, und der Prestigeverlust (und das potenzielle Umsturzpotenzial) einer auch nur teilweisen Niederlage war kaum hinnehmbar. 40 Zur sich weiterentwickelnden Armee Italiens: Brown (1984); zum politischen Funktionieren militarisierter Eliten innerhalb des römischen Herzogtums vgl. Noble (1984). 41 Sotinel (2007); zu den Argumenten von Gregor I. vgl. Straw (2007). 42 Wickham (2005), 728–739; vgl. Wickham (2009), 140–147; Christie (2006), insbes. Kap. 5, zu mehr Details. Wickham geht allgemein – siehe z. B. (2005), 708–717 – davon aus, dass die wirtschaftliche Komplexität der spätrömischen Zeit um die Strukturen und Operationen des spätrömischen Staates herum aufgebaut war. Falls dem wirklich so war, musste das Verschwinden dieses Staates über kurz oder lang zu einer wesentlichen Vereinfachung führen, selbst wenn der Gotenkrieg die Dinge vorantrieb. Eine weniger staatszentrierte Sichtweise vertritt Ward-Perkins (2005), der die Komplexität eher in Bezug auf die vom Imperium generierten Rahmenbedingungen erklärt als auf die Funktionsweise der eigenen politischen Ökonomie des Imperiums. Bei diesem Modell hat die mit dem Ende des Imperiums und seinen Folgen verbundene Gewalt einen wichtigeren ursächlichen Effekt. Ich selbst tendiere zu einer Kombination der Modelle und empfinde eine solche nicht im Entferntesten als widersprüchlich. 43 Die mageren Quellen zu dieser Expedition findet man in PLRE 3, 140; vgl. Thompson (1969), 320 ff. (eine englischsprachige Einführung zu den größeren Zusammenhängen und zur späteren Rückeroberung der annektierten Städte durch die Westgoten). 44 Jones (1964), 299–300 kommt zum gegenteiligen Schluss, kannte jedoch noch nicht die neueren archäologischen Zeugnisse, die einen relativen Wohlstand Nordafrikas und Süditaliens belegen; er beschränkte sich, was den Zeitrahmen seiner Analyse betrifft, auf die Herrschaft von Justinian, was meiner Meinung nach viel zu kurz greift. Stein (1959), 377 betrachtet die Bedeutung der oströ-
Anmerkungen | 417 mischen Besitzungen auf der italischen Halbinsel über einen längeren Zeitraum. O’Donnell (2009), 289 geht bei seinen Überlegungen davon aus, dass Justinian ein Kapital von 28 Millionen Solidi erbte, dass die Eroberungen ungefähr 36 Millionen kosteten und dass Italien und Nordafrika vielleicht eine halbe Million pro Jahr einbrachten; für Sizilien macht er keine Angaben. Diese Zahlen berücksichtigen noch nicht einmal die geplünderten königlichen Schatzkammern, aber auch so kann man davon ausgehen, dass sich die Eroberungen mittel- bis langfristig bezahlt gemacht haben. 45 Siehe S. 317–321. 6 Auswirkungen der zweiten arabischen Expansion auf Italien: Noble (1984), 4 Kap. 2; vgl. La Rocca u. a. (2002), Kap. 2–3 zur Eroberung Ravennas durch die Langobarden. Zum verzweifelten Überlebenskampf Konstantinopels zu Beginn des 8. Jahrhunderts siehe Mango (1977). 7 Whitby (1988), 156 ff., untersucht den effektiven oströmischen Gegenangriff der 4 590er-Jahre. Eine detailliertere Darstellung der Slawisierung des Balkans bietet Heather (2009), Kap. 8, insbes. 399–406.
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Zitat: Prokop, Geheimgeschichte 18.23. Gesamturteil: Geheimgeschichte 18.4. Jones (1964), 299 scheint mir diese Verluste erstaunlich gering einzuschätzen. Vgl. Kapitel 6 und 9. Die Umschichtung von Geldern nach Nordafrika unter Germanus im Jahr 537 könnte auch erklären, warum es so lange dauerte, bis Belisars erste italische Expeditionsstreitmacht verstärkt wurde. Neben allgemeinen Bemerkungen – z. B. Prokop, Geheimgeschichte 8.31–33 – findet man in dem Text namentlich genannt sechs Aristokraten, die Justinian und Theodora ruiniert haben sollen: Geheimgeschichte 12.1–11. Die ersten vier scheinen in Konstantinopel beheimatet gewesen zu sein, die anderen beiden waren Dionysios von Libanon und Johannes von Edessa; sie betonten, dass reichere Provinzaristokraten (wie die Apionen) bei Hofe gut gelitten bleiben mussten. Es ist unmöglich, nachzuprüfen, ob sechs aristokratische Konkurse viel schlimmer sind als ein gleichwertiger für eine vierzigjährige Herrschaft wie die Justinians, auch wenn Prokop uns das natürlich glauben machen will. Eine gute neue Analyse von Justinians Steuerreformen ist Sarris (2011), 151– 153; vgl. Prokop, Geheimgeschichte 12, wo einige reiche Männer erwähnt werden, die bankrottgingen. In einer solchen Lage scheint sich z. B. ein Großteil der Bauernschaft im England des frühen 14. Jahrhunderts, kurz vor Ausbruch der Pest, befunden zu haben; siehe Postan (1993). Justinian, Novellae 148, erörtert von Sarris (2011), 227 f. Es gibt ausgezeichnete neuere englischsprachige Werke zu allen Aspekten der Pest: Horden (2005); Stathakopoulos (2000); Sarris (2002). Zu den Berichten von Prokop und Johannes von Ephesos sowie für weitergehende Reflexionen darüber, wie eine Archäologie der Pest aussehen könnte, vgl. McCormick (2015). In Detailfragen folge ich im Allgemeinen Horden (2005), vgl. aber auch Meier (2003), 359–387. Zum nach 550 anhaltenden Wohlstand im östlichen Mittel-
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meerraum siehe Ward-Perkins (2000); Holum (2005); Wickham (2005), 443 ff. (zur Agrarproduktion) und 626 ff. (zu den Städten) sowie 548 f. (dort seine spezielle Analyse der Auswirkungen der Pest, die er als »marginal« bezeichnet). In den Anmerkungen in diesen Studien findet man die vollständigen Verweise auf die detaillierteren Surveys und Ausgrabungsberichte, auf denen dieser Überblick basiert und die meines Erachtens das frühere Argument widerlegen, dass die islamische Machtübernahme im 7. Jahrhunderts die Folge eines substanziellen sozialen und wirtschaftlichen Niedergangs der oströmischen Welt im 6. Jahrhundert war; vgl. z. B. Kennedy (1985a), (1985b). Zum Wiederaufbau von Antiochia vgl. Lassus (1972), Foss (2000). Es gibt zwei mögliche Gründe, warum die wirtschaftlichen Auswirkungen anscheinend begrenzt waren. Die Hälfte aller Menschen in der Antike starb, bevor sie 15 Jahre alt waren, viele an den Folgen einer leichten chronischen Unterernährung. Wenn viele Menschen auf einmal starben, hatten die Überlebenden plötzlich mehr Nahrungsmittel zur Verfügung (zumindest kurzzeitig), wodurch der soeben genannte Faktor nicht mehr zum Tragen kam; die Bevölkerung konnte sich somit erholen. Vielleicht hat die Justinianische Pest auch nicht im selben Ausmaß die Landbevölkerung dezimiert wie die Pest im 14. Jahrhundert. Das Gesamtbild, das die ersten Ausgrabungen ergaben, hat Foss (1977) auf eindrucksvolle Weise beschrieben; vgl. Foss (1996) für weitere Details. Eine aktuelle Zusammenfassung des nachfolgenden Materials bietet Wickham (2005), 626 ff. Ward-Perkins (2000) und Wickham (2005), 609 ff., betonen beide den Kontrast zwischen dem anhaltenden Wohlstand alter römischer Städte in Ägypten und dem Fruchtbaren Halbmond, der unter die Herrschaft der islamischen Umayyaden fiel. Hickey (2012), insbes. 1–2; aber auch der Rest dieser faszinierenden Arbeit über die Geschichte und den Betrieb der Liegenschaften während eines Großteils des 6. Jahrhunderts ist interessant – unabhängig von dem größeren Streit zwischen Hickey (2012) und Sarris (2006) darüber, wie der wirtschaftliche Betrieb des Grundbesitzes konzipiert war. Osmanische Quellen: Hendy (1985), 613–669; vgl. etwas allgemeiner Haldon (1997) zu den dramatischen administrativen, militärischen und politischen Anpassungen, die erforderlich waren. Haldon (1997), insbes. Kap. 5 (Steuern) und 6 (militärische Organisation). Haldon (1997), insbes. Kap. 8–9. Eine gute Einführung zum Ende des Wohlstands in Makedonien ist Angold (1997). Eine Einführung zu den Quellenproblemen bieten insbes. Crone und Cook (1972); Crone (1987). Dies ergibt sich sehr deutlich aus Sartre (1982); allgemeiner zu Arabien in der Spätantike: z. B. Donner (2005); Dignas und Winter (2007), Kap. 5. Zu Parallelen zur germanischen Welt vgl. Heather (2009), insbes. Kap. 2 und 11. Ein ausgezeichneter jüngerer Bericht in englischer Sprache (neben vielen anderen) ist Kennedy (2007), insbes. Kap. 1 (zu den Ridda-Kriegen). Zur prähunnischen Transformation Roms im 4. Jahrhundert siehe Heather (2005), Kap. 1 und 3, mit vollständigen Verweisen. Heather (2009) entwickelt einen Überblick über die wirtschaftlichen, demografischen und politischen Veränderungen des 1. Jahrtausends, die zum Aufstieg des Nordens führten.
Anmerkungen | 419 20 Syrien, Palästina und Ägypten sind die einzigen Gebiete der ehemaligen römischen Welt, die in der nachrömischen Zeit genauso wohlhabend gewesen zu sein scheinen wie unter der Herrschaft der Römer, siehe Anm. 9. Eine ausgezeichnete Einführung zur politischen (natürlich nicht religiösen) Dunkelzeit in Arabien unter den Kalifaten der Umayyaden und Abbasiden ist Kennedy (1986), Kap. 3–4. 21 Ein Teil der diplomatischen Verhandlungen mit den Göktürken wird in den erhaltenen Fragmenten des Menander Protektor behandelt, insbes. fr. 10 und 13. Weitere Einzelheiten und alternative Ansichten insbesondere zur türkischen Motivation: Dignas und Winter (2007), insbes. 109–115; Sarris (2011), 226 ff. 22 Der beste Bericht über Maurikios’ Feldzüge ist Whitby (1988), Kap. 9–11. Vgl. auch Sarris (2011), 232 ff. (zum »Versailles-Moment«). 23 Detailliertere narrative Berichte: z. B. bei Whitby (1988), Kap. 6; Sarris (2011), 236–242. 24 Den Bericht im Chronicon Paschale über die Belagerung von Konstantinopel findet man in der englischen Übersetzung von Whitby und Whitby (1989) auf den Seiten 168 ff. Eine brillante Analyse der Quellen zu den Perserkriegen von Phokas und Herakleios bietet Howard Johnston (2010). Detailliertere narrative Rekonstruktionen: z. B. Dignas and Winter (2007), 44 ff., 115 ff., und 148 ff., Sarris (2011), 242–257. 25 Zur Krise des 3. Jahrhunderts und der Gesundung Roms: z. B. Dodgeon und Lieu (1991), Teil 1; Potter (2004), Kap. 6–7; Heather (2005), Kap. 2–3. 26 Im 10. Jahrhundert gab es in Europa eine Parallele: Die slawische Dynastie, die in der Lage war, sich eine größere, unabhängigere Machtbasis aufzubauen, war in Polen gegründet worden – und damit weiter von unmittelbaren Gegenmaßnahmen der Ottonen entfernt war als ihre Pendants in Böhmen: Heather (2009), Kap. 10. 27 Für weitere Einzelheiten über Justinians Arabienpolitik, die von Maurikios rückgängig gemacht wurde, vgl. die in Anm. 17 zitierten Werke. Die mehrdeutigen Zeugnisse für das genaue Datum der Beförderung von Arethas sind in PLRE 3, 111–112 gesammelt und analysiert, aber der reaktive, kausale Zusammenhang ist klar. 28 Luttwak (1975) stieß diese Debatte an; Isaac (1992) ist eine nachdrückliche Reaktion, konzentriert sich aber auf die frühe Kaiserzeit. Heather (2000) setzt die Analyse für die spätrömische Zeit fort. 29 Balkan: S. 307 ff. Lasika: S. 247 ff. Balance zwischen Italien und dem Osten: S. 282 ff. 30 Kapitel 4. 31 Beginn des Italienkriegs: S. 161–167. Ereignisse von 539/540: S. 195 f. 32 Gespräche und Afrika: S. 127–130. Eroberung von Karthago und Digesten: S. 198–200. 33 Prokop, Geheimgeschichte 1.1–3. 34 Kaldellis (2004); vgl. Bjornlie (2013) zum schlussendlich nicht überzeugenden Argument dafür, dass sich Cassiodors Variae an das gleiche politisch einflussreiche Publikum in Konstantinopel richtete. 35 Eine ausgezeichnete Einführung in die bürokratische Welt von Johannes Lydos bietet Kelly (2004). Dass solche Leute ernsthafte politische Meinungen vertraten,
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ist eindeutig belegt, vgl. Bell (2009). Aber es existieren schlichtweg keine Belege dafür, dass sie als effektiver Machtblock funktioniert hätten. Hypatius: S. 99–101. Anicius Olybrius: S. 212 f. Siehe S. 153 und 195 f. Prokop, Kriegsgeschichte 7.32; obwohl darin impliziert, entging Artabanes der Todesstrafe nur um Haaresbreite. Die wichtigste Quelle ist Malalas 494/fr. 49; vgl. PLRE 3, 219, für sämtliche Verweise. Gorippus (In laudem Iustini Augusti Minoris 1) gibt sich große Mühe, den Neffen Justin als Justinians favorisierten Erben darzustellen und die Legitimität des neuen Kaisers zu begründen: Er betont, dass die Übertragung der Macht ohne Zwischenfälle vor sich gegangen und absolut unvermeidlich gewesen sei und dass Justinian mit seinen letzten Worten vor dem Ableben den Namen des Neffen genannt habe (In laudem Iustini Augusti Minoris 4.357–63). Aber die angeblichen letzten Worte hörte lediglich ein Palastfunktionär, der Eunuch Kallinikos, und weniger parteiische Quellen geben den kompletten Hintergrund zu den beiden Justins und die eventuelle Isolierung und physische Eliminierung des Sohnes des Germanus wieder: Euagrios, Historia Ecclesiae 5.1–3; vgl. PLRE 3, 750–754 (Sohn des Germanus) und 754–756 (Kaiser Justin II.). Gorippus, In laudem Iustini Augusti Minoris 3.151–401.
Die Quellensituation 1 Gorippus’ Iohannis bietet wichtige Informationen über die späteren Phasen der afrikanischen Kriege. In laudem Iustini Augusti Minoris (Lobgedicht auf Kaiser Justin II.) gewährt faszinierende Einblicke in die Selbstdarstellung des unmittelbaren Nachfolgers Justinians. 2 Ein guter Ausgangspunkt für die sich noch entwickelnde Chroniktradition des 6. Jahrhunderts ist Scott (2012), mit Hinweisen auf die umfangreiche wissenschaftliche Literatur dazu. Drei Kirchengeschichten haben für die Herrschaft Justinians besondere Bedeutung: die des Zacharias von Mytilene, die des Euagrios Scholastikos und die des Johannes von Ephesos, die nur fragmentarisch überliefert ist. 3 Zu griechischen Werken der Spätantike siehe allgemein Blockley (1981), (1985); Matthews (1989) betrachtet den wichtigsten überlieferten lateinischen Vertreter. 4 Cameron (A. M., 1970) ist eine ausgezeichnete Einführung zu Agathias. Blockley (1985) bietet Text und englische Übersetzung der erhaltenen Fragmente von Menander Protektor sowie eine Einleitung dazu. 5 Die Bibliografie zu Prokop ist sehr umfangreich; gute Einführungen auf Englisch (die allerdings teils gegensätzliche Standpunkte vertreten) sind Cameron (1985) und Kaldellis (2004). 6 »Autopsie« (wörtlich: etwas mit eigenen Augen gesehen haben) galt als bester Garant für Wahrhaftigkeit; die antike Welt mochte Historiker, die an den von ihnen beschriebenen Ereignissen selbst teilgenommen hatten. Für die, die auf Griechisch schrieben, und für die, die ihre Werke auf Latein verfassten, galten die gleichen Konventionen, auch wenn sie nicht verhindern konnten, dass unterschiedliche Stimmen durchschienen.
Anmerkungen | 421 7 Von den Bauten gibt es eine gute englische Übersetzung von Dewing (1940) (für eine deutsche Übersetzung vgl. die Übersicht am Ende des Kapitels »Die Quellensituation«). Die Authentizität stellten v. a. Croke und Crow (1983) infrage; dagegen aber siehe z. B. Whitby (1986a), (1986b), (1988), Kap. 3; Curta (2001), Kap. 4. 8 Prokop, Geheimgeschichte 1.3. 9 Prokop, Geheimgeschichte 8.22–33 (Justinians allgemeiner Charakter); 9.10–30 (Theodora); der dämonische Charakter und das Bündnis der beiden werden in Geheimgeschichte 12.14–32 dargelegt. 10 Prokop, Geheimgeschichte 1.10–15.33. 11 Bury ([1889], Bd. 1, 355 ff.) war erst der Meinung, die Geheimgeschichte könne nicht aus Prokops Feder stammen, revidierte diese aber später (heute sind alle Zweifel ausgeräumt): Bury (1923), Bd. 2, 417. Cameron (1985), Kap. 4 weist auf die Korrelation zwischen der Geheimgeschichte und der immer düsterer werdenden Kriegsgeschichte hin. 12 Die Datierung der Bauten wird heftig diskutiert; manche datieren sie auf die Mitte der 550er-Jahre (z. B. Cameron [1985], Kap. 6; Greatrex [1994]), andere auf ca. 560 (Whitby [1985]). Meiner Ansicht nach ist die Frage noch nicht geklärt. Cameron (1985), insbes. Kap. 1, 6 und 14 vertritt die Meinung, dass die Bauten zum Teil enthalten, was Prokop wirklich von Justinian hielt. Eine andere Meinung als ich vertritt Kaldellis (2004), 51 ff. 13 Cameron (1985), Kap. 5, hat einen ausgezeichneten Blick auf Prokops sorgfältig gezeichnete Umkehrung dessen, was Theodora hätte sein sollen. Potter (2015), Kap. 2 entwickelt den Fall weiter und nennt die relevanten klassischen Quellen. 14 Zur angeblichen Ähnlichkeit von Justinian und Domitian siehe Prokop, Geheimgeschichte 8.12–22. Der für den großen weströmischen Generalissimus Stilicho tätige Dichter und Satiriker Claudian (Anfang 5. Jahrhundert) benutzte Sexualität, um einen der oströmischen Feinde seines Arbeitgebers (Eutropius) zu verspotten und einen anderen (Rufinus) zu dämonisieren: Cameron (A. D. E., 1970), Kap. 4 und 6. Wenn ich die Dämonisierung Justinians als einen konstruierten rhetorischen Kunstgriff lese, so wie die Verspottung Theodoras, und nicht als etwas, das Prokop tatsächlich glaubte, so geht meine Darstellung eher in Richtung von Kaldellis (2004), insbes. 150–159, als in die von Cameron (1985), 56–59. Kaldellis sieht hinter der Strategie jedoch eine direkte politische Absicht, und zwar die, einen Staatsstreich auszulösen; davon bin ich weniger überzeugt.
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Bildnachweis | 435
Bildnachweis Alle Karten hat Peter Palm, Berlin auf Basis der Karten der englischen Ausgabe für die deutsche Ausgabe angepasst. 2 5 7 8 9 11 12 a 12 b 14 15 16
De Agostini Picture Library / G. Dagli Orti / Bridgeman Images Art Resource, NY akg-images / MPortfolio / Electa RMN-Grand Palais / Art Resource, NY akg-images / Gerard Degeorge akg-images / Jean-Louis Nou akg-images / De Agostini Picture Lib. / A. Dagli Orti Heritage Images / Canali – Index / akg-images Heritage Images / Fine Art Images / akg-images akg-images / Rainer Hackenberg Vanni Archive / Art Resource, NY
Alle anderen Abbildungen: Archiv des Autors
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Register Zu einzelnen Begriffen vgl. auch das alphabetisch sortierte Glossar.
Abbasiden, Kalifat 343, 346, 419 Abdankung 167 Absager, Klientelvolk von Lasika 251 Achaimeniden, persische Dynastie 49 Acheruntia 320 Achilleus 197 Ad Decimum 148–149, 151–152, 155, 157, 200, 361 Adrianopel 10, 38–39, 45, 81, 136, 397 adventus 28, 384 Aelia Sophia 296 Aëtius 138 Afghanistan 81, 258, 388 Afrika 8, 10–11, 14, 44, 50, 56, 64, 68, 123–124, 126–133, 135–148, 150–152, 155–158, 160–161, 164, 166–168, 171–172, 183, 186, 198, 200, 204, 206, 220, 223, 228, 235, 241, 257–263, 268–273, 275–276, 289, 298–301, 303–306, 312, 316, 319, 324–326, 329–331, 333–335, 337, 342, 350, 356, 358, 361, 363, 365, 370–372, 380–382, 384–385, 388, 390–392, 394, 398, 403–404, 410–414, 416–417, 420 Agapitus, Papst 223 Agathias 253, 311, 317–318, 320–321, 369–370, 372, 378, 384, 415, 420 agri deserti 61–62, 384 Ägypten 11, 14, 44, 46, 51, 161, 223– 224, 234, 331, 333, 337–340, 346, 350, 352, 364, 383, 385, 391, 418–419 Aigan, bucellarius von Belisar 265, 398 Ain Tounga 302 Akakianisches Schisma 88, 95, 170, 178, 304, 380–381, 384, 388 Akklamation 27, 74, 117, 216 Akoimetoi (die Schlaflosen), Mönche 85, 87
Alamannen 39–40, 317–318, 397 Alanen 8–11, 14, 37, 53, 131, 134, 136–138, 142, 174, 255, 259, 380 Alarich II., westgotischer König 170 Alboin, lombardischer König 322 Alexander der Große 18, 233, 245 Alexander Psalidion 276 Alexanderroman 245 Alexandertor 245, 255 Alexandria 23, 83, 85, 202, 218, 222, 224, 234, 337, 392 Algarve 328 Aligern, Bruder des Teja 320 Al-Mundhir, Anführer der Lachmiden 82, 113, 233, 240 Altava 263 Amalasuentha, ostgotische Königin 162–166, 170–171, 178, 382 Amaler 163, 182, 277, 380, 384, 391, 393 Amantius, Chefeunuch 89, 91–93, 401 Amida 82–83, 244 Ammatas, Bruder des Gelimer 148– 149, 152 Ammianus Marcellinus 40, 369 Anastasios I., Kaiser Anchialos 22, 32–33, 73–74, 76, 78–79, 81–83, 86–93, 95, 100, 102–103, 115, 118, 121, 168–169, 187, 198, 219, 245–246, 311, 334, 360, 365, 380– 381, 393, 400 Ancona 189–190, 290–291 Andreas, Apostel 216 Andreas, Eunuch 92–93 Angelsachsen 8 Anicia Juliana 210, 212 Antalas, Berberhäuptling 266, 271–273, 301, 411 Anthimos, Bischof von Konstantinopel 223
Register | 437 Anthologia Latina 133, 384 Antiochia 23, 35, 64, 85–86, 89, 93, 223, 225–226, 233–237, 239, 244, 256, 275, 334, 338, 350, 361, 364, 381–382, 390, 392, 411 Antonina, Ehefrau des Belisar 145, 187, 241, 286, 374 Apameia 77, 238–239, 334, 338, 350 Apion (Familie) 67, 69, 339, 399, 417 Apostelkirche 216 Apsilen, Klientelvolk von Lasika 251 Apulien 281, 317 Aquileia 326 Aquitanien 64, 137, 380 Araber 82, 110, 113–114, 226, 233, 240–241, 244, 254–255, 329, 331, 333, 338, 340, 342–347, 353–355, 364, 383, 388, 390, 392, 402 Arabien 82, 235, 345–347, 353–354 Arcadius I., Kaiser 33, 98 Archelaos, Finanzbeamter 146, 257, 411 Arethas siehe Harith Ariadne, Kaiserin 73–77, 85, 393 arianischer Streit 221, 224–226 Arianismus 143–144, 221, 259–261, 282, 304–305, 391; siehe auch nichtnicäanisches Christentum Ariobindos 272 Aristoteles 218 Armenien 44, 47,80, 82, 109–110, 112–113, 115, 245–247, 249, 254, 256, 286, 337, 343, 349–350, 383, 388, 390, 392 Artabanes, Militärstratege 361, 420 Asculum 283 Asklepiodotos 181–182 Aspar 76 Assad, Präsident 120 Assidonia 328 Assisi 283 Asterius, weströmischer Feldherr 138 Athalarich, ostgotischer König 125, 162–165, 171, 178, 382 Athanarich, gotischer König 39 Athaulf, westgotischer König 21 Athen 370 Atlasgebirge 261
Attila der Hunne 11, 51–53, 140, 144–145, 172, 309, 324, 344–345, 384, 415 Augustaion 197–198, 208, 384 Augustinus von Hippo 139, 409 Augustus, Kaiser 20–21, 44, 154, 180 Aurelian, Kaiser 352 Aurès-Gebirge 263, 266, 270 Auximum siehe Osimo Awaren 312–315, 322–324, 331–332, 347–349, 351–352, 364–365, 383, 415 Baetica 137–138 Bahram, persischer Usurpator 349, 383 Balkan 6, 11, 14, 50, 52, 60, 76, 87, 90, 95, 120, 145, 159, 161, 166, 172, 174, 193, 212, 283, 290, 306–313, 315, 331–332, 349, 352, 355, 380, 382–383, 389, 391, 393, 406, 415 Barbaren, römisches Konzept 13–14, 18, 21, 24, 26, 28, 30, 40, 51, 99–100, 168–169, 197, 255, 271, 365, 395 Basilica Fausti (Karthago) 260 Basilika, Gebäudeform 6, 209, 212–213, 215 Basiliskos, Usurpator 84, 127, 130, 380, 396 Batnae 83 Beirut 202, 204, 388, 408 Belisar, Feldherr 232, 240–242, 248, 253, 257–258, 261, 263–265, 267–269, 272–276, 280, 282–287, 295–296, 300, 304, 307–308, 311, 319–320, 324–325, 330, 334, 343, 357, 361–362, 370–372, 374, 381–383, 385–386, 390, 398, 404, 416–417 Benevent 281, 322 Berber 124, 151, 153, 155, 157, 262–273, 299–301, 326, 329, 382, 388, 398 Beroia 236–237 Bessas, Feldherr 251–252, 283–284, 290, 372, 383 Besteuerung siehe Steuersystem
438 | Anhang Bethlehem 213, 215 Bibel 210 Bir Ftouha 306 Blachernae 208 Blaue siehe Zirkusparteien Boëthius 177–178 Bologna 283 Bolum 113 Bonifatius, Gelimers Schatzmeister 258 Bonifatius, Statthalter im römischen Afrika 139 Bourgaon, Berg 266 Britannien 8, 11, 44, 62, 64 Brutium 317 bucellarii 50–51, 54, 56, 111, 120, 126, 131, 166, 240, 265, 275, 282–283, 286, 361, 382, 385 Bulgaren siehe Kutriguren; Utiguren Bulla, Ebene von 150–151 Burcentius 194 Burgunden 8, 10, 170–171, 192, 391 Bürokratie 24, 36, 66–67, 75, 107, 200, 257–258, 270, 360, 393 Busta Gallorum 277, 291, 319 Butilinus 317–321, 323, 331, 383 Byzacena, Provinz 394, 411 Byzantinisches Reich 12, 229, 385 Caesar, Titel 27, 32, 47–48, 64, 79, 89, 102, 381, 385 Caesarea, Kappadokien 202, 350, 370 Caesena 189, 281 Cagli 180 Caput Vada 25, 146, 148, 155–156, 161, 334 Carcasan, Berberhäuptling in Tripolitanien 272–273 Carrhae 48, 239, 243 Cartagena 328 Casilinus, Schlacht am 317, 320–321, 415 Cassiodor 176, 275, 327 Catania 167 Cato, Felder des 262, 273 Celer, magister officiorum 92, 93 Ceneta 318 Chalkedon, ökumenisches Konzil von 26, 83–88, 92–94, 103–104, 127,
220–227, 304–305, 326, 380, 385, 387–388, 391, 393 Chalke-Tor 198, 208, 361, 384–385 Chalkis 239, 334 Chersones 308, 311, 355, 415 China 313 Chlodwig, König der Franken 169–170 Chosrau I., persischer Großkönig 99– 101, 113, 124, 126, 231–233, 236– 245, 247–254, 275, 289, 333–334, 348–349, 356, 358, 381–383, 388 Chosrau II., persischer Großkönig 349–351, 364, 383 Chrysaphios, Eunuch 91, 93 Cillium 271 civilitas siehe Zivilisation civitas 18, 385 clarissimus 177, 386 Claudian, Dichter 25–26, 421 clibanarii 48 Clusium 189–190, 283, 412 Codex Gregorianus 106, 205 Codex Hermogenianus 106, 205 Codex Iustinianus 96, 107–109, 202, 205, 381–382, 386 Codex Theodosianus 29, 74, 106–107, 201, 205, 380, 386 comes rei militaris 90, 386 comes rei privatae 230, 386 comitatenses 46, 386, 392 Constans, Kaiser 37, 236 Constantia 82, 239 Constantius II., Kaiser 32–33, 39, 89, 236, 396 Constantius III., Kaiser 38 Constitutio tanta 203–205 Conza della Campania 321 Cosmas-und-Damian-Kirche 216 Cottische Alpen 174, 195, 274 Crispus 34, 102 Crotone 286 cultural turn, und politische Geschichte 15 Cumae 182, 187, 281, 295, 319–320 Dagistheus, Feldherr 249 Damaskus 350 Damous El Karita 306
Register | 439 Dante 206 Daphne 234, 238 Dara 83, 111, 116, 164, 232, 236, 239, 242, 244, 255–256, 334, 348, 372, 381 Darialschlucht 245, 255 De ceremoniis 229 defensores 54, 111, 386 Demetrios, Statthalter von Neapel 281–282 Deo auctore 105, 108–109, 203 Derbent 245, 247 Digesten 200, 202–205, 381, 386–388 Diokletian, Kaiser 27, 59, 110, 393 Donatistenstreit 221 donativa, militärische 60–61, 175, 387 Dorotheus, Feldherr 113 Dracontius, Dichter 133 Dreikapitelstreit 304–305, 325, 387 duces 258, 387, 390 Dwin 248 Edessa 48, 82–83, 94, 243–244, 248, 349 Emesa 350 Ephesos 214, 338–340, 350, 352 Epidamnos 163 Epirus, Provinzen 312 Erarich 277–278 Esdilasas, Berberhäuptling 266 Euagrios Scholastikos 387, 420 Eugenius, Usurpator 32 Euphemia, Kaiserin 93, 96 Europaion 242 Eusebius, Bischof von Caesarea 20 Eustratios 261 Eutharich 162, 170–171, 180, 381 Ewiger Frieden 126, 193, 231–233, 246, 256, 381, 387 excubitores 90–91, 387 Faenza 278, 382 Fanum 318 Felix III., Papst 85, 88, 384 Fermo 191 Fiesole 191, 193–195 Firmum 283 Flavius Longinus, Bruder des Zenon 75, 77–79
Florentius, Prätorianerpräfekt 32 Florenz 280 Florian, Bischof von Antiochia 86–87 foederati 52–54, 76, 87, 120, 126, 131, 172, 191, 290, 317, 321, 380, 387, 393–394, 406 Franken 8–10, 136–137, 169, 182, 192–195, 285–287, 294–295, 315, 317–321, 324 Fünfzig Entscheidungen 116, 118, 200, 205, 387 Galla Placidia 38 Gallaecia 137–138 Gallien 8, 10–11, 37, 63, 137, 140, 171, 182, 337, 391 Gallus, Caesar 32 Geiserich, König der Vandalen 139–145, 155–157, 259, 261–263, 301, 319, 380, 393–394 Gelasius I., Papst 22 Gelimer, König der Vandalen 125, 128–129, 143, 148–155, 157–158, 171, 216, 257–258, 263, 273, 296, 335, 361, 381–382 Genua 190 Gepiden 53, 276, 309–310, 315, 323, 355, 383 Gerasa 338 Germanus, Neffe von Justin I., Cousin von Justinian 362–363, 382–383, 417, 420 Gespräche von 532 104, 220, 222, 388 Ghassaniden 114, 344, 353–354, 388 Gibimund, Neffe des Gelimer 148–149, 155, 157–158, 405 Godas 128–129, 131, 382 Göktürken 312–313, 347–348, 351–352, 355, 365 Gog 245 Gorippus, Dichter 271–272, 296, 299–300, 365, 368, 388 gotischer Staatsschatz 294, 383 Grammatiker 20, 370 Grasse 148 Gratian, Kaiser 34, 37 Gregor I., Papst 325 Griechisches Feuer 88
440 | Anhang Grüne siehe Zirkusparteien Gubazes, König von Lasika 247–249, 251, 253 Guntarith, Rebell 271–272 Gurgenes, König von Iberien 100–101, 110, 247 Hadrumentum 148 Hagia Irene 120, 208 Hagia Sophia 7, 86, 91, 120, 197, 208–209, 211–216, 218–219, 296, 368, 382, 384 Harith, Anführer der Ghassaniden 114, 244, 402 Hasdingen 134, 136, 138, 174 Hedschas 353 Heinrich III., König von England 70, 329 Heinrich VIII., König von England 34 Henotikon 85–86, 88, 380, 384, 388 Hephthaliten (»weiße Hunnen«) 81, 241, 248, 388 Herakleios, Kaiser 304, 330, 350–353 Herat 81 Heruler 53, 149, 193, 242, 275–276, 291, 317–318, 321–322, 398, 406 Hierapolis 236, 334 Hilderich, König der Vandalen 124–125, 129–130, 146, 148, 151, 171, 263, 381 Hippo Regius 140, 153 Hippodrom 73–75, 77, 83, 85, 87, 89–90, 117–118, 120–121, 126, 132, 154, 198, 235, 267, 290, 381 Hispanien 14, 64, 137–138, 142–145, 151, 170, 277, 328, 341, 356, 380, 383, 391, 394 Höchstpreisedikt 59 Honorius, Kaiser 26–27, 33, 38, 138 Hormisdas, Papst 88, 94, 104, 220, 223 Hormizd IV., persischer Großkönig 349 Hunerich, König der Vandalen 139, 143–144, 259–260, 263, 380, 394 Hunnen 10–11, 21, 37, 45, 51–56, 64, 76, 81, 115, 135, 140, 144, 158, 172, 245–246, 255, 307, 311–312, 314, 320, 323, 344–346
Hunnenbogen 55 Hydatius, Chronist 137 Hypatius, Neffe des Anastasios 76, 78–79, 82, 89, 92, 95, 100–103, 115, 118, 120, 124, 160, 361, 381 Ibas, Bischof von Edessa 222, 224, 304, 387 Iberien 100–101, 110, 247, 351, 388 Ideologie 17, 20, 22, 28–29, 35, 105, 168–169, 219, 225, 228, 385 Ildebad 275–277 Ildiger 189–190 Illus 75, 77 illustris 177, 322, 388 Illyricum siehe Balkan Indulf 288, 320 Inflation 59, 61–62, 386 Inschriften 27–28, 35, 47, 49, 59, 61–62, 169, 210, 263, 269, 301 Institutiones 206, 381, 388 Invasionen 25, 113, 126, 129, 134, 136–137, 145, 223, 241, 244, 246, 260, 296, 307, 324, 331, 364 Irak 20, 47, 49, 258, 346 Isaak, römischer Kommandant 284 Isaurer 52, 75–79, 90, 114, 166, 187–188, 281, 285 islamische Expansion 331, 340, 346–347 Istrien 321 Italien, justinianische Präfektur 8, 11, 14, 37, 50, 53, 64–65, 76, 85, 119, 123–126, 128, 130, 134, 161–162, 164–168, 170–177, 179, 181–182, 187, 190–194, 196, 198, 206, 223, 228, 233, 240, 253, 260, 268–269, 273–282, 285–287, 289–291, 296, 298, 306–308, 312, 315–317, 319–327, 330–331, 333– 335, 337, 342, 345, 355–358, 361, 363, 365, 369–372, 380, 384–385, 391–392, 398, 406, 415–417 iugum, steuerrechtliche Einheit 59–60, 389 iuris consulti 108–109, 115–116, 118, 198, 200–205, 389 ius commune 206 Jakob Baradai 226
Register | 441 Jaudas, Berberhäuptling (Region Aures) 267–270, 272 Jerna, Berberhäuptling 272 Jerusalem 23, 85, 160, 213, 241, 350, 383, 392 Johannes, Bischof von Ephesos 337, 389, 410, 420 Johannes, Bischof von Tella 226 Johannes, Kavalleriekommandant in Afrika 149–150, 152, 157 Johannes, Neffe von Vitalian 187–192, 280 Johannes, Usurpator 32, 38 Johannes II., Papst 223 Johannes der Kappadokier 118, 403 Johannes Lydos 32, 360 Johannes Troglita 262, 272–273, 299–301, 382, 388, 398, 414 Johann Ohneland, König von England 70–71 Jovian, Kaiser 33, 35–37, 40–41 Julian, Bankier und Verschwörer 362 Julian, Kaiser 32, 37, 39–41, 63–64, 80, 89, 102, 109, 398 Julian von Halikarnassos 228 Julische Alpen 174 juristische Fakultät (Alexandria, Beirut, Caesarea) 202, 388 Justin I., Kaiser 31–32, 73, 78–79, 89–90, 92–104, 106, 110, 115, 123–124, 170–171, 187, 219, 226, 231, 246, 289, 334, 348, 363, 365, 380–381, 385, 392 Justin II., Kaiser 227, 296, 314–315, 322, 336, 347–348, 351, 355, 364–365, 383, 388 Justiniana Prima 6–7, 368 Kaiserfamilie 30, 296 kaiserliches Zeremoniell 29 Kaiserpalast 74, 94, 198, 309, 384–385 Kalabrien 281, 317 Kallinikos 114, 116, 125, 231, 236, 241–242, 244, 246, 272, 371, 374, 381 Kampanien 182, 184, 187, 281, 286, 295, 317 Kappadokien 246
Karl der Große 36–37, 346 Karolingerreich 37 Karthago 124, 127, 132–133, 140–141, 145–152, 155, 157, 161, 166, 198, 200–201, 204, 208, 213, 257, 259–260, 262–269, 271–272, 300–302, 304–305, 329, 380–382, 386, 393–394 Katharinenkloster, Sinai 213–214 Kaukasus 101, 115, 126, 233, 245, 247–249, 254, 256, 290, 347–349, 351 Kavadh, persischer Großkönig 81–82, 98–104, 111–113, 115, 126, 231, 245, 247, 343, 361, 381 Kavallerie 44, 46, 48, 54, 56–57, 111–112, 114, 131, 148–150, 152– 153, 155, 158–159, 167, 184–190, 195, 254, 257, 265, 280, 286, 291, 294, 317–318, 386, 389–390 Keramik 62, 132, 302, 327, 338 Kirchenarchitektur 213, 306 Kirchengeschichte, Genre 369 Klein-Kabylien 263 Klientelstaat 98, 246, 249 Kompromissformel 84, 389 Konon, Isaurer 77 Konstantin, Quästor 362 Konstantin I., Kaiser 16, 19, 22, 27, 33–34, 102, 180, 197, 208, 213, 236 Konstantin VII. Porphyrogennetos, Kaiser 229 Konsulat 35, 78, 94–95, 154, 170, 178, 389 Konzil von Chalkedon siehe Chalkedon, ökumenisches Konzil von Konzil von Konstantinopel 85, 224–226, 383, 387 Konzil von Nicäa 22, 85, 143, 225, 388, 391 Korfu 290 Ktesiphon 109, 239, 351 Kunimund, König der Gepiden 315 Kuriale 385, 389 kursures 54, 111, 389 Kutriguren 308–311, 313–314, 323, 355, 382–383, 389, 394
442 | Anhang Kutzinas, numidischer Berberhäuptling 272, 300–301 Kyrenaika 46, 270 Kyrill(os), Patriarch von Alexandria 83–84, 222, 224, 389, 393 Lachmiden 82, 110, 113, 233, 240, 344, 354, 390 Landbesitzer 65–66, 70, 141, 143, 336, 400 Landwirtschaft 25, 59–60, 62–63, 261, 301, 306, 326, 329–330, 337–338, 342, 345, 389 Lange Mauer 311, 383 Langobarden 14, 53, 193, 291, 309–310, 315, 322–324, 326, 328, 330–331, 355, 364, 383 Lasika 80, 98, 100–101, 110, 247–256, 286, 289–290, 334–335, 356, 361, 371–372, 381–384, 388, 390 Laurus 258 Lebenserwartung 33, 79, 397 Leo I., Kaiser 30, 73, 76–77, 127, 144–145 Leo I., Papst 85, 325, 393 Leo II., Kaiser 76 Leontios, Bischof von Jerusalem 223 Leptis Magna 271, 302, 304 Leptis Minor (Leptiminus) 148, 302 Leuthari 317–319, 323, 331, 383 Libanios 66, 399 Liberius, Patrizier 316, 328, 383 Lichi-Gebirge 247–248, 250, 289, 356 Ligurien 174, 190–196, 274–275, 321 Lilingis, Isaurer 77 limitanei 45–47, 82, 87, 232, 237–238, 240–241, 258, 302–303, 307, 390, 411 Longinus, isaurischer Feldherr 75, 77–79 Lukanien 317 Lukas, Apostel 216 magister militum (praesentalis) 45, 51, 56, 78, 90, 95, 100, 111, 113, 272, 307, 322, 381, 390, 398 magister officiorum 75, 77, 92, 114, 200, 390
Magog 245 Mailand 11, 37, 190, 192, 322, 326 Mainz 134 Majorian, Kaiser 38, 144–145 Makedonios, Patriarch von Konstantinopel 86–87, 93 makedonische Kaiser 342 Malaga 328 Malalas 7, 390 Marinus, Prätorianerpräfekt 88, 92 Markian, Kaiser 31, 84, 316 Martinus, römischer Feldherr 186, 189–190, 253–254, 268, 398 Martyropolis 82, 115, 348 Massageten 53, 131, 148–151, 157, 164–165 Masties, dux und imperator 263 Matthews, John 30 Mauretania I, Provinz 270, 390 Mauretanien 132, 269–270, 272 Maurikios, Kaiser 54, 111, 348–350, 353–355, 359, 362, 364, 383 Maximus, Senator 316 Maximus, Usurpator 38, 64 Membresa 268 Menander (Protektor), Historiker 255, 313–314, 369–370, 390 Merowinger, fränkische Dynastie 8 Mese 197, 216 Mesopotamien 44, 60, 82–83, 109–110, 115, 159, 164, 236, 241, 244, 246, 248, 254, 256, 272, 286, 289, 310, 347–348, 355, 358, 383 Milvische Brücke 180, 184 Mohammed 343–346, 353–355 Momigliano, Arnaldo 176–178 Mons Feretris 281 Monteferetra 189 Mundus, Feldherr 120–121, 126, 166, 260, 307 munitiones 57, 111, 286, 390 Münzen 28, 41, 59–60, 125, 198, 276, 316, 368 Narni 180, 183, 189 Narses 118–119, 192, 290–291, 294–295, 307, 309, 317–323, 330–331, 335, 383, 406
Register | 443 Neapel 181–182, 186–187, 190, 281–283, 326, 382, 412 Nestorius 83–84, 222–223, 385, 389–390, 393 neue Justiniane 206 Nicäa, ökumenisches Konzil siehe Konzil von Nicäa nichtnicäanisches Christentum 259, 391 Nika-Aufstand 117, 120, 122, 126–127, 130, 160, 198, 200, 206–207, 210, 212–213, 220, 232, 290, 297, 357–358, 361, 381, 385, 391 Nikopolis 290 Ninive 351 Nisibis 40–41, 80, 82, 112, 236, 241, 248, 348 Notitia dignitatum 45, 49, 391 Novellae des Justinian 205 Novellae Theodosius’ II. 106 numerus 46, 391 Numidien 124, 132, 139–141, 143, 153, 157, 258, 261, 263, 266, 268, 272, 302, 305, 394 Odoaker 8, 85, 173 ökumenische Konzile, siehe Konzil von Calchedon; Konzil von Konstantinopel; Konzil von Nicäa Olybrius 210, 361 Osmanisches Reich 340 Osimo (Auximum) 180, 188–195 ostgotische Koalition 393 ostgotisches Königreich 124, 126, 161–162, 170–172, 178, 232, 295–296, 322, 327, 357, 372 Ostia 188 oströmisches Heer siehe römisches Heer Otranto (Hydruntum) 282 palatini 46, 392 Palästina 11, 14, 82, 85–86, 223, 226, 234, 237, 240–241, 331, 333, 337–338, 346, 350, 352, 364, 383, 390–391, 394, 419 Palmyra 110, 352 Pandekten siehe Digesten Panegyricus 28
Panormus 167 Pantokrator, Form der Darstellung Christi 214 Papinian 202–203 päpstliche Autorität 23 Papua, Berg in Numidien 153 Parma 317 Pastor 181–182 Patricius, Feldherr 90–92, 94 Patrizier 97, 164, 257, 328, 382, 392 Paulus, Bischof von Edessa 94 Pavia 191, 294, 320, 322 Pbow, ägyptisches Kloster 224 Pelagius I., Papst 325 Peroz, persischer Großkönig 81 Persarmenien 80, 110, 246, 248, 250, 254, 392 Perugia 180, 183, 189, 283, 287 Pest, Justinianische 14, 242, 248, 337, 339, 382, 418 Petra (Lasika) 189, 247–253, 290–291, 372, 382–383, 412 Petra Pertusa (Via Flaminia) 281 Petros Patrikios 160, 164, 166–167, 229, 268, 296 Pharangion 113 Pharsanes 249 Phasis 253 Philanthropie 23–24 Philippopolis 309 Phokas, Kaiser 350 Phylarch 114, 353–354, 392 Picenum 175, 180 Pitzas 183 Platon 218 Polyeuktoskirche 210, 361 Pompeius, Neffe des Anastasios 78, 89, 93, 95, 118, 120, 160 Porta Asinaria 183, 285 praepositus sacri cubiculi 89, 392 Praesentalis-Armeen 45–46, 50, 52, 75, 77, 90, 92, 113, 187, 290, 390, 392 Prätorianerpräfekt 32, 88, 92, 257, 265, 267, 392, 394 Pragmatische Sanktion 315–317, 319, 325, 392, 415
444 | Anhang Probus, Neffe des Anastasios 78, 86, 118 Proconsularis, Provinz 124, 132, 139–144, 151, 258–259, 261, 305, 393–394 Proculus 99, 101 Prokop von Caesarea 15–16, 25, 50, 53–54, 94, 96–97, 99–102, 111–115, 118, 121, 128–133, 139, 143, 145– 146, 149, 151, 155–158, 163–165, 176–177, 183, 185–188, 190, 192, 194–195, 197, 206, 212, 214, 216, 232–233, 240–243, 249, 251, 260– 261, 265–267, 269–272, 274–278, 283–284, 289–290, 294, 297–299, 301–302, 307–308, 310–311, 326, 328, 333, 335–338, 359–360, 370– 380, 384, 390, 392 Ptolemaios 19 Pudentius 128 Pythagoras 19 Quästor 99, 362, 393 Radagaisus 134–136 Ragnaris 320–321, 383 Rätien 137 Ravenna 7, 11, 160, 164, 166–167, 170–171, 174–178, 180, 182, 188–189, 191–196, 198, 216–217, 240, 273–275, 278, 291, 319, 322, 330–331, 357, 361, 382, 394 Rechtsreform 105, 108, 115–116, 122, 204, 206, 358, 361 Reliquien des Wahren Kreuzes 239, 350–351 Reparatus, Bischof von Karthago 259, 305 Res gestae divi Saporis 47 Rhein 11, 37–38, 40, 44, 49, 51, 62–63, 134–138, 140, 155–156, 169, 346, 380, 394, 398 Ricimer 38 Ridda-Kriege 345 Rimini 180, 188–191, 288, 291 Romanos Melodos, Hymnograf 215 römisches Heer 16, 44–54, 56–60, 63, 111, 138, 158, 174, 282, 288, 294, 357–358, 386, 392; siehe auch
bucellarii; foederati; Kavallerie; palatini römisches Recht 21, 105, 107–108, 116, 200–202, 258, 388 Romulus Augustulus 8, 380 Rote siehe Zirkusparteien Rufinus 265, 398, 421 Rugier 173, 175–176, 277, 380 Rusciane 287 Sabiren 253 Sabrata 302 Säule Justinians in Konstantinopel 197–198 Sagunt 328 Salona 166–167, 289–290, 307, 309 Salutius Secundus 32 Samnium 175, 180, 183, 281, 317 San Vitale 7, 216–217 Sardes 338–340, 352 Sardinien 128–129, 131, 144–148, 151, 153, 158 Sassaniden, persische Dynastie 47, 343, 345, 351 Scala Veteres 269 Schapur I., persischer Großkönig 47, 49, 109 Schawaras 350 Schiiten 343 scholarii 90, 94, 393 Schorapani 247 Seldschuken 342 Seleukos I. Nikator 233–234 Sergiopolis 239, 242, 244 Sergius 270–271 Severus, Bischof von Antiochia 86, 93–94, 223, 225–226, 381–382 Siegertitel, kaiserliche 27 Sigibert, König der Franken 315 silentarius 74, 393 Silingen 134 Silpios, Berg 233, 237–238 Sindual, König der Heruler 321–323 Singara 39, 244 Sirmium 52, 314–315 Sisauranon 241, 382 Sisebut, westgotischer König 328 Sittas, Feldherr 56, 110, 113
Register | 445 Sizilien 14, 123, 127–129, 131, 140, 144–146, 153, 161, 164–167, 181, 183, 187, 190, 223, 232, 260, 267, 281, 283–284, 286, 288, 295, 322, 326, 329–330, 382–383, 391, 403, 412, 417 Skande 247 Skiren 8, 53 Skymnien, Klientelvolk von Lasika 253 Slawen 307–310, 332, 352 Slowakei 134, 157 Solomon, Feldherr 261, 265–267, 269–271, 301, 382, 398 sortes Vandalorum 141, 143, 261, 393 Spanien siehe Hispanien Spoleto 180, 183, 189, 293, 322 Stadtpräfekt von Konstantinopel 75, 230, 257, 393 Stadträte 20, 27, 62, 65–66, 69, 389 Steuersystem 59–64, 66, 70–71, 141, 261, 316, 340, 400 Stilicho 38, 421 Stotzas 268–270, 272, 289, 382 Straßburg, Schlacht von 39 Strata Diocletiana 242 Strategikon des Maurikios 54, 111 Streit um das Wesen Christi siehe Wesen Christi Sueben 8, 53, 134, 137–138, 142 Suinthila, westgotischer König 328, 383 Sunniten 343 Sura 236, 239, 242 Swanetien, Klientelvolk von Lasika 253 Symmachus, 4. Jahrhundert 30 Symmachus, 6. Jahrhundert 88, 177–178 Synesios, Bischof von Kyrene 33, 46 Syrakus 129–130, 167, 267 Syrien 11, 14, 48, 85, 193, 226, 233–234, 239–241, 256, 289, 331, 333, 337–338, 343, 346, 348, 350, 352, 364, 382, 391, 394, 419 Tadinum 291 Tanger 139 Tarent 286, 288 Tatzon, Bruder des Gelimer 158 Teja 291, 294–295, 315, 319–320, 383
Tempel von Jerusalem 160 Tetrarchie 37, 201, 393 Themistios 23–24, 35–36, 39, 41 Theodahad, ostgotischer König 163, 165–167, 178, 182, 277, 316, 319, 382 Theoderich, ostgotischer König 8, 76, 162–163, 168–178, 180, 182, 196, 277, 309, 320, 345, 380–381, 384, 391, 406 Theodor, antichalkedonischer Bischof 226 Theodora, Kaiserin 7, 73, 96–97, 102, 104, 118, 121, 198, 213, 216–217, 220, 286, 296, 361, 374, 376, 380–381, 385 Theodoret von Kyrrhos 222, 224, 304, 387 Theodoros, Verschwörer 35 Theodor von Mopsuestia 222, 224, 304, 387 Theodosiopolis 82, 113 Theodosius, Sohn des Maurikios 350 Theodosius I., Kaiser 25, 31, 33–35, 39, 64, 80, 224, 227, 246, 392 Theodosius II., Kaiser 33, 73, 92, 98–99, 106–108, 201–202, 206, 210, 386 Thermopylen 308, 311, 355 Thessaloniki 309 Theudebert, König der Franken 285 Thiudimer, Bruder des Valamir 172 Thrakien 45, 52, 89, 172, 193, 265, 307, 309, 390 thrakische Goten 53, 76, 393, 406 Thronfolge(r) 30, 32–36, 38, 75, 77–79, 88–89, 93, 97–99, 102, 113, 126, 161–162, 164, 170–171, 178, 231, 347, 362–363, 387 Tibur 282–283, 286, 326 Ticinum (Pavia) 191 Timotheus, Apostel 216 Tomus ad Flavianum 84–85, 326, 393 Topiros 309 Totila, ostgotischer König 173, 257, 273, 277–283, 285–294, 316, 319–320, 324, 326, 329, 334, 357, 361, 375, 382–383, 406
446 | Anhang Transkaukasien 100, 109, 124 Treviso 275–276 Tribonianus 109, 116, 118, 200, 202–205, 387, 403 Tricamarum 152–153, 155, 157–158, 381 Trier 11, 34, 37, 346 Tripolitanien 128, 130, 144, 263, 270, 272 Tryphon 261, 306 Tudera 189–190 Tuluin 163, 171, 182, 406 Tzath, Bruder des Gubazes 253 Tzath, König von Lasika 98, 103, 110, 247, 381 Uldin 312 Uliaris 149 Ulitheus, Onkel des Witichis 199 Umayyaden 331, 342, 346, 418 Urais, Neffe des Witichis 192–195, 274, 276 Urbino 180, 188–189, 191–192 Urvivento 189 Usurpation 36–38, 49, 61, 77, 122, 138 Utiguren 309–310, 313–314, 323, 355, 383, 394 Valamir 172, 384 Valens, Kaiser 10, 35, 37–40 Valentinian I., Kaiser 25, 31, 33–35, 40 Valentinian II., Kaiser 34, 36 Valentinian III., Kaiser 23, 38, 106, 138, 210 Valerian, Kaiser 352 Valerian, römischer Feldherr 48, 186, 286 Vandalen 8–11, 14, 38, 123–125, 127–129, 131–137, 140–160, 164, 166–168, 170–172, 174, 183, 186, 195, 200, 213, 232, 240, 242, 257– 264, 267–269, 272–273, 295–297, 299, 301–302, 304–305, 319, 328, 357, 370, 380, 384, 390–391, 403, 405, 412
vandalisch-alanische Koalition 138, 175, 262, 394 Vegetius 56 Velas 276–277 Venetien 174, 196, 274–275, 290, 321 Verina, Kaiserin 77 Vernunft, politische 18–21 Verona 278, 321, 382 Vespasian, Kaiser 180, 376 Vesuv 295 Via Flaminia 180–181, 183–184, 188–191, 282–283, 287, 291, 294, 322, 330, 394 Victor von Vita 142–143, 394 Vigilantia, Schwester des Justinian 296, 363 Vigilius, Papst 224, 305, 325 Vikar des Orients 234, 394 Vitalian, Feldherr und Rebell 87–90, 92–95, 97, 102, 187–188, 280, 381 Vitalis 275 Weiße siehe Zirkusparteien Wesen Christi 84, 222, 389–390, 393 westgotisches Bündnis 139 Westrom 10, 12, 138, 144, 169, 210, 391, 394, 399 Widin 321, 323 Witichis, ostgotischer König 182–184, 187–196, 233, 273–277, 280, 288, 316, 319, 324, 357, 382, 407 Yazdegerd, persischer Großkönig 98–99 Zacharias von Mytilene 394 Zorastrismus 98, 100, 231, 247 Zenon, Kaiser 37, 73, 75–78, 81, 85, 359, 380, 384, 388 Zeuxippos, Bäder des 197, 384 Zirkusparteien (Konstantinopel) 74–75, 97, 102, 117, 216, 238 Zitiergesetz 201–203 Zivilisation, römisches Konzept 17, 29, 173, 200, 206, 208, 245, 341, 365, 385 Zoticus, Prätorianerpräfekt 132.
Die englische Originalausgabe ist 2018 bei Oxford University Press, London, unter dem Titel Rome Resurgent. War and Empire in the Age of Justinian erschienen. © 2018 by Oxford University Press Rome Resurgent was originally published in English in 1918. This translation is published by arrangement with Oxford University Press. Wbg is solely responsible for this translation from the original work and Oxford University Press shall have no liability for any errors, omissions or inaccuracies or ambiguities in such translation or for any losses caused by reliance thereon.
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