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German Pages 288 [287] Year 2020
Konstantinopel 1453
Roger Crowley
Konstantinopel 1453 Die letzte Schlacht
Aus dem Englischen übersetzt von Helmut Dierlamm und Hans Freundl
In Liebe für Jan, die bei einem Erkundungsgang zur Belagerung an der Seemauer verwundet wurde.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Englische Originalausgabe: Constantinople. The Last Great Siege. 1453 Copyright © 2005 by Roger Crowley First published by Faber and Faber Limited All rights reserved Deutschsprachige Ausgabe: wbg Theiss ist ein Imprint der wbg. 5. Auflage 2020 © der deutschen Ausgabe 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt. Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Alle Rechte vorbehalten Übersetzung: Helmut Dierlamm und Hans Freund Redaktion: Ulrich Mihr, Tübingen Satz und Gestaltung: Satz & mehr, R. Günl, Besigheim Umschlaggestaltung: Martin Veicht, unter Verwendung zweier Abbildungen von Adobe Stock (Reiter und Kettenhemd) sowie einer Abbildung von Pexels/icon0.com (Flammen) Besuchen Sie uns im Internet: www.wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4241-6 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: ebook PDF: ISBN 978-3-8062-4242-3 ebook epub: ISBN 978-3-8062-4243-0
Inhalt
Prolog: Der Goldene Apfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
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Das brennende Meer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Der Traum von Istanbul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Sultan und Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Das »Messer an der Kehle« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Die dunkle Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Die Mauer und die Kanone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Zahlreich wie die Sterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Die schrecklichen Posaunen des Jüngsten Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Ein Wind von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Ströme von Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Furcht einflößende Maschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Omen und böse Vorzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 »Merkt euch den Tag«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Die verriegelten Tore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Eine Handvoll Staub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Der gegenwärtige Schrecken der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Epilog: Ruhestätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Über die Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Anadolu Hisari
Skutari
Konstantinopel
Goldenes Horn
0 2 4 6 8 10 km
S
N
Schwarzes Syrakus Meer
Bosporus
(Das »Messer an der Kehle«)
Rumeli Hisari
Neapel
Adria
Ancona
Sizilien
Palermo
Mittelmeer
Rom
Venedig
Florenz
Marmarameer
Genua
Po
Wien
Donau
KOSOVO
SERBIEN
Belgrad
Brindisi
Korfu
Ionisches Meer
Otranto
ALBANIEN
(Dubrovnik)
Ragusa
Budapest
UNGARN
BOSNIEN
Das östliche Mittelmeer im Jahre 1451
Mistra
Lepanto
(Thessaloniki)
Salonika
Novo Brdo
Ägäis
(Smyrna)
Mittelmeer
Kreta
Ankara
Sinop
Zypern
KARAMAN
Konya
ANATOLIEN
Iznik (Nikäa)
Alexandria
Rhodos
Manisa
LESBOS
Chios Izmir
Bursa
Kaffa
Tana
Mantzikert
Euphrat
MAMELUKEN
Damaskus
Antiochia
Trapezunt
GEORGIEN
S
N
Osmanisches Gebiet 1451 Byzantinisches Gebiet 1451
Jerusalem
Amasya
Schwarzes Meer
Konstantinopel Izmit (Nikomedia)
siehe Ausschnitt
Varna
Gallipoli Dardanellen
(Adrianopel)
Edirne
Monemvasia
Athen
Negroponte
Sofia
BULGARIEN
Donau
WALLACHEI
Ni l
N
S
ANATOLISCHES HEER
Mehmets Zelt
Goldenes Tor
Zweites Militärtor
Selymbria Tor
STUDION
Studioskloster
Theodosianische Landmauer
Drittes Militärtor
Rhegion-Tor
Viertes Militärtor
St. Romanos-Tor
JANITSCHAREN
St. Georg
Charisios-Tor
PETRION
s
Arkadius-Forum
Taurus-Forum
Lyko
(MitMese tels tr.)
ProsforionHafen EugeniusTor
Akropolis
EleutheriosHafen
TheodosiosForum
JustinianSäule
Propontis (Marmarameer)
Alter Königspalast
Hagia Sophia
KontoskalionHafen
Hippodrom
KonstantinForum
0
200
Bosporus
VENEZIANISCHES QUARTIER Hagia Eirene Valens-Aquädukt
Horaia-Tor
Goldenes Horn
GALATA
GalataTurm
Doppelsäulen
Sperrkette
TRUPPEN VON ZAGANOS PASCHA
Tal der Quellen
Christuskirche Plataia(Pantokrator) Tor
St. Theodosia
Apostelkirche
Chora
PHANAR
BlachernaePalast
Kerkaporta (Pforte)
Caligaria-Tor
Blachernae-Tor
Fünftes Militärtor
ko s
Ly
EUROPÄISCHES HEER
Konstantinopel im Jahr 1453
400
600
800 1000 m
Konstantinopel ist eine größere Stadt, als ihr Ruhm es verkündet. Möge Gott in seiner Gnade und Großmut geruhen, sie zur Hauptstadt des Islams zu machen. Hassan Ali al-Harawi, arabischer Autor aus dem 12. Jahrhundert1
Ich werde eine Geschichte enormer Gefahren erzählen ... die Geschichte von Konstantinopel, die ich mit eigenen Augen aus nächster Nähe verfolgt habe. Leonhard von Chios2
Prolog:
Der Goldene Apfel
Auf einen Goldenen Apfel wirft man Steine. Türkisches Sprichwort
Frühlingsanfang. Ein schwarzer Drachen schwebt im Wind Istanbuls. Er kreist träge um die Suleiman-Moschee, als wäre er an den Minaretten festgebunden. Von hier aus kann er eine Stadt mit fünfzehn Millionen Einwohnern überblicken und durch seine gleichmütigen Augen das Vergehen von Tagen und Jahrhunderten beobachten. Wäre ein Vorfahr dieses Vogels an einem kalten Märztag des Jahres 1453 über Konstantinopel geschwebt, hätte er wohl einen ähnlichen Grundriss gesehen, auch wenn die Stadt noch längst nicht so dicht bevölkert war. Es ist ein bemerkenswerter Ort, er bildet ungefähr ein Dreieck, das an seiner östlichen Spitze leicht nach oben gebogen ist wie das aggressive Horn eines Nashorns und an den beiden anderen Seiten vom Meer umfangen wird. Im Norden liegt die geschützte Bucht des Goldenen Horns; die Südseite wird vom Marmarameer gesäumt, an das sich im Westen jenseits des Flaschenhalses der Dardanellen das Mittelmeer anschließt. Aus der Luft kann man die lückenlose Linie von Befestigungen erkennen, die diese beiden der See zugewandten Seiten des Dreiecks schützen, und man sieht, wie die Wogen des Meeres mit sieben Knoten gegen die Spitze des Horns schlagen: Die Verteidigungsanlagen der Stadt sind sowohl natürlicher Art als auch von Menschenhand geschaffen. Am außergewöhnlichsten jedoch ist die Grundlinie des Dreiecks. Ein Wall aus drei hintereinander gestaffelten Mauern, die in kurzen Abständen mit Türmen versehen sind. Vor diesem Wall verläuft ein mächtiger Graben, die Befestigung erstreckt sich vom Horn bis zum Marmarameer und schützt die Stadt vor Angrif-
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P ROLOG
fen. Dies ist die tausend Jahre alte Theodosianische Landmauer, der eindrucksvollste Schutzwall des Mittelalters. Den Osmanen erschien sie im 14. und 15. Jahrhundert als ein »Knochen im Hals Allahs« – sie stellte für sie ein psychologisches Problem dar, das ihren Ehrgeiz bremste und ihre Eroberungsträume durchkreuzte. Für die abendländische Christenheit hingegen war sie das Bollwerk gegen den Islam, das sie vor der muslimischen Welt schützte und sie in Selbstgewissheit wiegte. Wenn man im Frühling 1453 auf diesen Ort blickte, konnte man auch die befestigte Genueser Siedlung Galata sehen, einen winzigen italienischen Stadtstaat im hinteren Teil des Horns, und genau erkennen, wo Europa endet. Der Bosporus teilt die Kontinente und durchschneidet wie ein Fluss die niedrigen bewaldeten Berge am Schwarzen Meer. Auf der anderen Seite liegt Kleinasien, Anatolien, was im Griechischen »Osten« bedeutet. Die schneebedeckten Gipfel des Olymp schimmern hundert Kilometer entfernt in mattem Licht. Auf der europäischen Seite erblickt das Auge sanft geschwungenes Hügelland, das sich bis zur osmanischen Stadt Edirne erstreckt, die 220 Kilometer weiter westlich liegt. Und in dieser Landschaft würde das alles sehende Auge etwas Besonderes entdecken. Auf der holprigen Straße, die beide Städte verbindet, marschieren lange Kolonnen von Männern; weiße Mützen und rote Turbane bewegen sich in dichten Massen voran; Bogen, Speere, Gewehre mit Luntenschlössern und Schilde glänzen in der tiefstehenden Sonne; vorüberpreschende Kavallerieschwadronen wirbeln Staub auf; Kettenhemden klirren und knarren. Dahinter folgen die langen Reihen aus Maultieren, Pferden und Kamelen, die all die Utensilien der Kriegführung befördern und das Personal, das dafür benötigt wird – Knappen, Köche, Büchsenmacher, Geistliche, Zimmerleute und Jäger. Und hinter ihnen kommt noch etwas. Große Ochsengespanne und Hunderte Männer ziehen unter größten Mühen Geschütze über den weichen Boden. Die gesamte osmanische Armee ist auf dem Marsch. Je weiter das Auge schweift, umso mehr Einzelheiten dieses Unternehmens werden sichtbar. Gleichsam wie im Hintergrund eines mittelalterlichen Gemäldes kämpft sich von den Dardanellen her eine Flotte von Ruderschiffen langsam gegen den Wind vorwärts. Frachtschiffe mit hohen Wänden laufen aus ins Schwarze Meer mit Holz, Getreide und Kanonenkugeln an Bord. Aus Anatolien strömen Schäfer, Marketender, heilige Männer und Vagabunden in Gruppen hinab zum Bosporus, sie folgen dem Ruf zu den Waffen, der von den Osmanen ergangen ist. Dieses vielschichtige Aufgebot von Männern und Material bildet die ineinander greifende Bewegung eines Heeres, das auf ein bestimmtes Ziel zustrebt: Konstantinopel, die Hauptstadt jenes kleinen Restes, der 1453 vom alten Byzantinischen Reich noch geblieben ist.
DER GOLDENE APFEL
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Die mittelalterlichen Völker, die diesen Kampf ausfochten, waren überaus abergläubisch. Sie glaubten an Prophezeiungen und hielten Ausschau nach Omen. Die alten Monumente und Statuen in Konstantinopel waren für sie Quellen der Magie. Die Menschen sahen die Zukunft der Welt in den Inschriften auf römischen Säulen, deren ursprüngliche Entstehungsgeschichte in Vergessenheit geraten war. Sie deuteten die Wetterzeichen, und der Frühling des Jahres 1453 beunruhigte sie. Es war ungewöhnlich kalt und feucht. Dichte Nebelbänke hingen noch im März über dem Bosporus. Es gab leichte Erdbeben und für die Jahreszeit ungewöhnliche Schneefälle. In einer Stadt, die in gespannter Erwartung lebte, war dies ein schlechtes Omen, vielleicht sogar ein Vorzeichen für den nicht mehr fernen Weltuntergang. Auch die Osmanen waren abergläubisch. Ihr Ziel war der Rote Apfel, auch Goldener Apfel genannt, ein Symbol für die Beherrschung der Welt. Ihn zu erobern, danach strebte der Islam seit achthundert Jahren, eigentlich bereits seit der Zeit des Propheten, und um diesen Apfel rankten sich Legenden, Prophezeiungen und apokryphe Verkündungen. Nach der Vorstellung des anrückenden Heeres befand sich der Apfel an einem bestimmten Platz in der Stadt. Unweit der Kirche der Heiligen Weisheit stand auf einer dreißig Meter hohen Säule ein gewaltiges bronzenes Reiterstandbild von Kaiser Justinian, ein Denkmal, das die Macht des frühen Byzantinischen Reiches verkörperte und seine Bedeutung als christliches Bollwerk gegen den Osten symbolisierte. Laut Prokop, einem Geschichtsschreiber des 6. Jahrhunderts, handelte es sich um ein höchst eindrucksvolles Monument: Das Pferd richtet den Kopf nach Osten und wirkt sehr edel. Auf dem Pferd ruht eine große Statue des Kaisers, der gewandet ist wie Achilles... seine Brustplatte ist in heroischer Art gehalten; der Helm, der seinen Kopf bedeckt, bewegt sich anscheinend auf und ab und glänzt grell. Er blickt in die aufgehende Sonne, und er reitet, so will es scheinen, den Persern entgegen. In seiner linken Hand trägt er eine Weltkugel, wodurch der Bildhauer zeigen möchte, dass die gesamte Erde und das gesamte Meer ihm untertan sind, obwohl er weder ein Schwert noch einen Speer oder eine andere Waffe bei sich trägt, abgesehen von dem Kreuz, das auf der Weltkugel angebracht ist und dem allein er sein Königreich und seine meisterliche Beherrschung des Kriegshandwerks verdankt.1
In dieser mit einem Kreuz besetzten Weltkugel Justinians vermuteten die Türken den Goldenen Apfel, und dies hatte sie hierher geführt: der Ruf des sagenumwobenen alten christlichen Reiches und die Möglichkeit, zum Herrn der Welt aufzusteigen, die er zu verheißen schien.
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P ROLOG
Die Angst vor einer Belagerung war tief verwurzelt im Denken der Byzantiner. Dies war das Schreckgespenst, das ihre Bibliotheken heimsuchte, ihre Marmorgemächer und ihre Mosaikkirchen, aber sie kannten es zu gut, um sich von ihm überraschen zu lassen. In den 1123 Jahren bis zum Frühling 1453 war die Stadt dreiundzwanzigmal belagert worden. Sie war nur einmal gefallen – nicht vor den Arabern oder den Bulgaren, sondern vor den christlichen Kreuzrittern des vierten Kreuzzugs in einer besonders grotesken Episode der Geschichte des Christentums. Die Landmauer war noch nie überwunden worden, im 5. Jahrhundert allerdings hatte sie ein Erdbeben zum Einsturz gebracht. Davon abgesehen hatte sie bisher stets standgehalten, daher durften sich die Verteidiger berechtigte Hoffnungen machen, auch diesmal den Angriff zu überstehen, als die Truppen von Sultan Mehmet am 6. April 1453 vor der Stadt aufzogen. Was zu diesem historischen Augenblick führte und was danach folgte, ist das Thema dieses Buches. Es ist eine Geschichte von menschlichem Mut und Grausamkeit, von technischem Erfindungsgeist, Glück, Feigheit, Vorurteilen und Geheimnissen. Es berührt aber auch viele andere Aspekte einer Welt, die an der Schwelle zu großen Veränderungen stand: die Entwicklung von Feuerwaffen, die Kunst der Belagerung, Taktiken der Seekriegsführung, die religiösen Überzeugungen, Mythen und den Aberglauben der Menschen des Mittelalters. Doch in erster Linie ist es die Geschichte eines Ortes – von Meeresströmungen, Bergen, Halbinseln und dem Wetter –, vom Land, das sich hebt und senkt, und von der Meerenge, die eine so schmale Trennlinie bildet zwischen den beiden Kontinenten, dass es den Anschein hat, als würden »sie sich beinahe küssen«, und von den besonderen geologischen Merkmalen, die diesen Ort verwundbar machten. Durch die Möglichkeiten, die dieser Ort bot – für den Handel, die Verteidigung und die Beschaffung von Nahrung –, wurde Konstantinopel zum Schlüssel für imperiale Bestrebungen und lockte viele Heere vor seine Tore. »Der Sitz des Römischen Reiches ist Konstantinopel«, schrieb Georg Trapezuntios, »und wer Kaiser der Römer ist, der ist auch Herrscher der ganzen Welt«.2
Moderne Nationalisten haben die Belagerung Konstantinopels als Kampf zwischen den Griechen und den Osmanen gedeutet, doch solche Vereinfachungen sind irreführend. Keine der beiden Seiten hätte diese Deutung akzeptiert oder auch nur verstanden, wenngleich sie die jeweilige Gegenseite Griechen und Osmanen nannten. Die Osmanen, genauer gesagt der Stamm von Osman, nannten sich selbst so oder einfach nur Muslime. »Türke« war eine herabsetzende Bezeichnung, die von
DER GOLDENE APFEL
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den westlichen Staaten verwendet wurde; der Name »Türkei« war den Osmanen unbekannt, bis er bei der Gründung der neuen Republik im Jahre 1923 aus Europa entlehnt wurde. Das Osmanische Reich war 1453 bereits ein multikulturelles Gebilde, das die Völker der von ihm unterworfenen Gebiete in sich aufsog, ohne großen Wert auf ethnische Identität zu legen. Seine Kerntruppen waren Slawen, sein führender General ein Grieche, sein Admiral ein Bulgare und sein Sultan wahrscheinlich ein halber Serbe oder Mazedonier. Aufgrund der komplizierten Regelungen des mittelalterlichen Feudalrechts begleiteten ihn Tausende christlicher Soldaten auf dem Marsch von Edirne aus. Sie wollten die Griechisch sprechenden Bewohner Konstantinopels unterwerfen, die wir heute Byzantiner nennen, eine Bezeichnung, die erstmals 1853 verwendet wurde, genau vierhundert Jahre nach der großen Belagerung. Sie galten als die Erben des Römischen Reiches und bezeichneten sich selbst daher als Römer. Ihr Befehlshaber war ein Kaiser, der zur Hälfte Serbe und zu einem Viertel Italiener war, und die Verteidiger waren zum größten Teil Menschen aus Westeuropa, welche die Byzantiner »Franken« nannten: Venezianer, Genuesen und Katalanen, die unterstützt wurden durch einige ethnische Türken, Kreter – und einen Schotten. Auch wenn es schwierig ist, den Teilnehmern der Belagerung feste Identitäten oder Loyalitäten zuzuschreiben, so gab es doch eine Dimension dieses Kampfes, die von den Chronisten nie vergessen wurde: die Frage des Glaubens. Die Muslime bezeichneten ihre Gegner als »verabscheuungswürdige Ungläubige«, »unglückselige Gottlose«, »Feinde des Glaubens«; im Gegenzug wurden sie »Heiden«, »heidnische Ungläubige« oder »die ungläubigen Türken« genannt. Konstantinopel lag in vorderster Front in einem über weite Entfernungen ausgetragenen Kampf zwischen Islam und Christentum um den wahren Glauben. Es war ein Ort, an dem unterschiedliche Versionen der Wahrheit seit achthundert Jahren aufeinandergetroffen waren, im Krieg oder im Frieden, und hier sollte im Frühjahr 1453 in einem verdichteten historischen Moment das Verhältnis zwischen den beiden großen monotheistischen Religionen um neue und dauerhafte Aspekte bereichert werden.
1 Das brennende Meer 6 2 9 – 717
O Christus, Herrscher und Meister der Welt, Dir weihe ich diese Stadt, die Dir untertan ist, dieses Szepter und die Macht Roms. Inschrift auf der Konstantinsäule in Konstantinopel1
Das Streben des Islams nach der Eroberung dieser Stadt ist fast so alt wie der Islam selbst. Der Glaubenskrieg um Konstantinopel begann schon mit dem Propheten und wurzelt in einem Ereignis, dessen Wahrheitsgehalt wie so vieles in der Geschichte der Stadt nicht verifiziert werden kann. Im Jahr 629 unternahm Herakleios, der »Selbstherrscher der Römer« und 28. Kaiser von Byzanz, zu Fuß eine Pilgerreise nach Jerusalem. Dies war der krönende Höhepunkt seines Lebens. Er hatte gegen die Perser mehrere eindrucksvolle Siege errungen und die bedeutendste Reliquie der Christenheit zurückgeholt, das sogenannte Heilige Kreuz, das er im Triumphzug wieder zur Grabeskirche überführte. Der islamischen Überlieferung zufolge wurde ihm ein Brief übergeben, als er in der Stadt ankam. Darin hieß es: »Im Namen Allahs, des Gütigsten und Barmherzigsten: Dieses Schreiben kommt von Mohammed, dem Sklaven Allahs, und seinem Apostel, und richtet sich an Herakleios, den Herrscher der Byzantiner. Friede sei mit jenen, die sich der göttlichen Führung beugen. Ich lade Dich ein, Dich Allah zu unterwerfen. Nimm den Islam an, und Allah wird Dir eine zweifache Belohnung zuteil werden lassen. Doch wenn Du diese Einladung zurückweist, wirst Du Dein Volk auf einen falschen Weg führen.«2 Herakleios kannte den Verfasser des Briefes nicht, doch er stellte Nachforschungen an, wie berichtet wurde, und tat das Schreiben anscheinend nicht in Bausch und Bogen ab. Ein ähnlicher Brief an den »König der Könige« in Persien war zerrissen worden. Mohammed quittierte diese Nachricht mit einer unverblümten Drohung: »Richtet ihm aus, dass sich meine
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Religion und meine Herrschaft weiter ausdehnen werden, als es das Königreich Chosraus jemals vermochte.«3 Für Chosrau war es mittlerweile zu spät – er war im Vorjahr mit Pfeilschüssen getötet worden –, aber das apokryphe Schreiben war eine Vorankündigung der Katastrophe, die über das christliche Byzanz und seine Hauptstadt Konstantinopel hereinbrechen und alles vernichten sollte, was der Kaiser geschaffen hatte. In den vorhergehenden zehn Jahren war es Mohammed gelungen, die sich bekämpfenden Stämme auf der arabischen Halbinsel mithilfe der schlichten Botschaft des Islam zu einen. Motiviert durch das Wort Gottes und diszipliniert durch das gemeinschaftliche Gebet, wurden Gruppen nomadisierender Räuber in eine disziplinierte Kampftruppe verwandelt, deren Tatendrang nun nach außen gerichtet wurde, über den Rand der Wüste hinaus in eine Welt, die durch die Religion in zwei voneinander getrennte Bereiche geteilt wurde. Auf der einen Seite stand das Dar-al-Islam, das Haus des Islam, auf der anderen befanden sich jene Gebiete, die erst noch erobert werden mussten, das Dar al-Harb, das Haus des Krieges. Ab 630 tauchten muslimische Heere an den Grenzen des Byzantinischen Reiches auf, wo das besiedelte Land in Wüste überging, und sie wirkten wie Geister aus einem Sandsturm. Die Araber waren wendig, gut ausgerüstet und wagemutig. Sie überraschten die schwerfälligen Söldnerarmeen in Syrien. Sie griffen an, zogen sich schnell wieder in die Wüste zurück und lockten ihre Gegner aus ihren Festungen heraus, umzingelten und massakrierten sie. Sie durchquerten die unwirtlichen menschenleeren Wüstengebiete, töteten auf ihrem Marsch ihre Kamele und tranken das Wasser aus deren Mägen – und erschienen dann unerwartet im Rücken ihrer Feinde. Sie belagerten Städte und lernten, wie man sie eroberte. Zuerst fiel Damaskus, dann auch Jerusalem; Ägypten ergab sich 641, Armenien 653; im Laufe von zwanzig Jahren brach das persische Reich zusammen, und seine Bewohner nahmen den Islam an. Die Geschwindigkeit der Eroberungen war atemberaubend, die Anpassungsfähigkeit der Araber außergewöhnlich. Beflügelt durch das Wort Gottes und ihren Eroberungsdrang, bauten die Wüstenvölker in den Häfen Ägyptens und Palästinas mithilfe von Christen Schlachtschiffe, um »den Heiligen Krieg auf dem Meer zu führen«,4 nahmen 648 Zypern ein und besiegten 655 eine byzantinische Flotte in der so genannten »Schlacht der Masten«. Im Jahr 669 schließlich, 40 Jahre nach dem Tode des Propheten, sandte der Kalif Muawijja eine große Seeund Landstreitmacht aus, um Konstantinopel einen vernichtenden Schlag zu versetzen. Im Vertrauen auf die Dynamik der muslimischen Siegesserie erwartete er, dass er auch hier erfolgreich sein würde. Für Muawijja war dies der Höhepunkt eines ehrgeizigen, seit langer Zeit verfolgten Plans, der sehr sorgfältig und gründlich ausgearbeitet und durchgeführt worden
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war. Im Jahr 669 besetzten arabische Armeen das asiatische Ufer gegenüber der Stadt. Im folgenden Jahr fuhr eine Flotte aus 400 Schiffen durch die Dardanellen und errichtete einen Stützpunkt auf der Halbinsel Kyzikos an der Südküste des Marmarameers. Dort wurden Vorräte angelegt, ein Trockendock gebaut und Versorgungseinrichtungen geschaffen, um einen Feldzug zu unterstützen, der so lange andauern sollte, bis die Stadt gefallen war. Nachdem die Muslime die Meerenge westlich der Stadt überquert hatten, setzten sie erstmals einen Fuß auf das europäische Ufer. Hier nahmen sie einen Hafen ein, von dem aus sie die Belagerung in die Wege leiten und im Hinterland der Stadt groß anlegte Raubzüge und Überfälle durchführen konnten. Die Verteidiger Konstantinopels verschanzten sich hinter ihren dicken Mauern, während ihre Flotte, die im Goldenen Horn vor Anker lag, Gegenschläge auf den Feind vorbereitete. In den fünf Jahren von 674 bis 678 wiederholten die Araber ihre Angriffe immer nach demselben Muster. Zwischen Frühjahr und Herbst belagerten sie die Stadtmauern und unternahmen Marineoperationen in der Meerenge, bei denen es immer zu Zusammenstößen mit der byzantinischen Flotte kam. Auf beiden Seiten kam dieselbe Art von Rudergaleeren zum Einsatz, und auch die Mannschaften waren ebenbürtig, denn die Muslime hatten sich das seefahrerische Wissen der Christen aus der eroberten Levante angeeignet. Im Winter sammelten sich die Araber in ihrem Stützpunkt in Kyzikos, reparierten ihre Schiffe und bereiteten sich darauf vor, im folgenden Jahr die Schraube noch weiter anzuziehen. Sie richteten sich auf eine sehr lange Belagerung ein und waren überzeugt, dass ihnen der Sieg unausweichlich zufallen würde. Doch 678 wagte die byzantinische Flotte einen entscheidenden Ausfall. Gegen Ende der jährlichen Kampfsaison griff sie die muslimischen Schiffe an, wahrscheinlich in deren Stützpunkt in Kyzikos – die Einzelheiten sind entweder unklar oder wurden absichtlich unterdrückt – und schickte dabei ein Geschwader schneller Dromones ins Gefecht, leichte, wendige Kriegsschiffe, die mit mehr als 200 Ruderern besetzt waren. Es gibt keine zeitgenössischen Berichte, doch der Ablauf des Gefechts lässt sich aus späteren Darstellungen rekonstruieren. Als die angreifenden Schiffe nahe an ihre Gegner herangekommen waren, schleuderten sie nach dem üblichen Pfeilhagel mithilfe von Katapulten, die am Bug montiert waren, einen Strom flüssigen Feuers gegen sie. Feuerfetzen legten sich auf das Wasser zwischen den dicht zusammengedrängten Schiffen, sprangen auf die feindlichen Schiffe über, stürzten auf sie herab und fuhren »wie ein Feuerstrahl mitten durch sie hindurch«.5 Die Explosionen des Feuers wurden vom donnerartigem Getöse begleitet; Rauch verdunkelte den Himmel, und Dampf und Gas erstickten die verängstigten Seeleute auf den arabischen Kriegsschiffen. Der Feuersturm schien die Gesetze der
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Natur auf den Kopf zu stellen: Er konnte vom Angreifer zur Seite oder nach unten und in jede beliebige Richtung gelenkt werden; wo er die Oberfläche des Meeres berührte, entzündete sich das Wasser. Er besaß anscheinend auch eine klebende Eigenschaft, er haftete an den hölzernen Schiffsrümpfen und Masten und ließ sich nicht mehr ablösen, sodass die Schiffe und ihre Besatzung schnell von einem auflodernden Feuerschwall verschlungen wurden, der wie der Ausbruch eines zornigen Gottes erschien. In diesem unerhörten Inferno »verbrannten die Schiffe der Araber und ihre Besatzungen bei lebendigem Leibe«.6 Die Flotte wurde vernichtet, die traumatisierten Überlebenden hoben die Belagerung auf und segelten nach Hause, »nachdem sie viele Kämpfer verloren und großen Schaden erlitten hatten«.7 In einem Wintersturm gingen die meisten der verbliebenen arabischen Schiffe unter, während die arabische Armee auf dem asiatischen Ufer in einen Hinterhalt geriet und aufgerieben wurde. Entmutigt erklärte sich Muawijja 679 zu einem dreißigjährigen Friedensvertrag zu sehr ungünstigen Bedingungen bereit und starb im folgenden Jahr als gebrochener Mann. Zum ersten Mal hatten die Muslime einen größeren Rückschlag erlitten. Die Chronisten betrachteten dieses Ereignis als Beweis dafür, dass sich das Rhomäer-Reich »Gottes Beistand«8 erfreue, doch in Wirklichkeit war es durch eine neuartige Technik gerettet worden: die Erfindung des so genannten griechischen Feuers. Die Geschichte dieser außergewöhnlichen Waffe ist bis heute umstritten – die Formel wurde von den Byzantinern als Staatsgeheimnis gehütet. Vermutlich kam ungefähr zur Zeit der Belagerung ein griechischer Flüchtling namens Kallinikos aus Syrien nach Konstantinopel und brachte eine Technik mit, die darin bestand, flüssiges Feuer mittels Druckspritzen abzuschießen. Dabei stützte er sich wahrscheinlich auf andere Methoden des Einsatzes von Feuer zu Kriegszwecken, die im Nahen Osten bereits weit verbreitet waren. Hauptbestandteil der Mischung war mit großer Wahrscheinlichkeit Erdöl aus natürlichen oberirdischen Quellen am Schwarzen Meer, das mit zerstoßenem Harz vermischt wurde, was ihm eine haftende Eigenschaft verlieh. In den geheimen Militärarsenalen der Stadt wurden während der Belagerung vermutlich die Katapulte für dieses Material verbessert. Die Byzantiner, die die technischen Errungenschaften des Römischen Reiches weiter gepflegt hatten, entwickelten eine Technik, die es ermöglichte, die Mixtur in verschlossenen Bronzebehältern zu erhitzen, sie mittels einer Handpumpe zu komprimieren und dann durch ein Rohr abzufeuern, in dem die Flüssigkeit durch einen Brandsatz entzündet wurde. Um auf einem hölzernen Schiff mit entflammbarem Material, Druck und Feuer sicher umzugehen, bedurfte es hoch qualifizierter Leute, und darin bestand das eigentliche Geheimnis des griechischen Feuers, das 678 die Kampfmoral der Araber brach.
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Vierzig Jahre lang ärgerte die Omajjaden-Dynastie in Damaskus der Rückschlag bei Konstantinopel. Für die islamischen Theologen blieb es unverständlich, dass sich die Menschheit nicht beizeiten dazu bereit gefunden hatte, den Islam anzunehmen oder sich der muslimischen Herrschaft zu unterwerfen. Im Jahr 717 wurde ein zweiter, noch entschlossener Versuch unternommen, das Bollwerk zu erstürmen, das einer Ausbreitung des Glaubens nach Europa im Wege stand. Der Angriff der Araber erfolgte zu einer Zeit, als das Byzantinische Reich in Bedrängnis war. Am 25. März 717 war mit Leo II. ein neuer Kaiser gekrönt worden; fünf Monate später sah dieser sich einer Streitmacht von 80 000 Mann gegenüber, die sich entlang der Landmauer eingegraben hatte, und einer Flotte von 1800 Schiffen, die die Meerenge unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Die Araber hatten aus der vorangegangenen Belagerung gelernt und ihre Strategie verbessert. Der muslimische General Maslama hatte schnell erkannt, dass man den Mauern der Stadt mit herkömmlichen Belagerungsmaschinen nicht beikommen konnte; folglich sollte diesmal eine totale Blockade verhängt werden, um die Stadt auszuhungern. Dass es ihm mit seiner Absicht ernst war, unterstrich die Tatsache, dass seine Armee Weizensamen mitbrachte. Im Herbst 717 pflügten die Araber den Boden vor den Stadtmauern um und legten Weizenfelder an, die sie im nächsten Sommer abernten wollten, um sich Nahrung zu verschaffen. Dann richteten sie sich häuslich ein und warteten. Ein Vorstoß griechischer Feuerschiffe hatte einen gewissen Erfolg, konnte den Belagerungsring aber nicht sprengen. Alles war überaus sorgfältig geplant worden, um die Ungläubigen in die Knie zu zwingen. Am Ende jedoch erwartete die Araber eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes, die unerbittlich über sie hereinbrach. Nach Darstellung ihrer eigenen Chronisten gelang es Leo, seine Feinde durch ein raffiniertes diplomatisches Doppelspiel zu täuschen, das selbst nach den Maßstäben der Byzantiner wahrhaft bewunderungswürdig war. Er ließ Maslama ausrichten, dass die Stadt zur Kapitulation bereit sei, wenn die Araber ihre Lager mit Nahrungsvorräten zerstörten und den Verteidigern Getreide zukommen ließen. Nachdem dies geschehen war, verschanzte sich Leo hinter den Mauern und verweigerte weitere Verhandlungen. Dann brach über die getäuschte arabische Armee ein strenger Winter herein, auf den sie nicht vorbereitet war. Der Boden war hundert Tage lang von Schnee bedeckt; viele Kamele und Pferde erfroren. Den Soldaten, die zunehmend von Verzweiflung erfasst wurden, blieb nichts anders übrig, als die Kadaver zu essen. Die griechischen Chronisten, die nicht gerade für ihre Objektivität bekannt waren, berichteten von noch schauderhafteren Dingen. »Einige berichten«, schrieb Theophanes der Bekenner hundert Jahre später, »dass sie auch Leichen, ja sogar ihre eigenen Exkremente in den Backofen warfen, einpökelten und verzehrten.«9 Dem
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Hunger folgten Krankheiten; Tausende Soldaten erfroren. Die Araber hatten keine Erfahrung mit den strengen Wintern am Bosporus: Der Boden war zu hart, um Tote zu beerdigen; Hunderte Leichen mussten ins Meer geworfen werden. Im folgenden Frühjahr erschien eine große arabische Flotte mit Nachschub und Material, um der bedrängten Armee zu Hilfe zu kommen, aber auch sie konnte das Blatt nicht wenden. Da sie vor dem gefährlichen griechischen Feuer gewarnt worden waren, entluden und versteckten die Araber ihre Schiffe an der asiatischen Küste. Doch dann liefen einige Besatzungsmitglieder, die ägyptische Christen waren, zum Kaiser über und verrieten den Byzantinern die Position der Schiffe. Eine Gruppe von Feuerschiffen fiel über die unvorbereiteten arabischen Schiffe her und vernichtete sie. Eine zur selben Zeit von Syrien aus in Marsch gesetzte Truppe geriet in einen Hinterhalt und wurde von der byzantinischen Infanterie aufgerieben. Unterdessen hatte sich der unbeugsame und listenreiche Leo mit den nichtchristlichen Bulgaren verständigt. Er brachte sie dazu, die Ungläubigen vor den Mauern anzugreifen; in der folgenden Schlacht wurden 22 000 Araber getötet. Am 15. August 718, fast ein Jahr nach ihrer Ankunft, hoben die Armeen des Kalifen die Belagerung auf und zogen sich über das Land und das Meer zurück. Während sich die abziehenden Soldaten im anatolischen Hochland wiederholter Angriffe erwehren mussten, hatten die Muslime noch weitere Rückschläge zu verkraften. Im Marmarameer gingen mehrere Schiffe bei Stürmen unter; die übrigen wurden durch einen unterseeischen Vulkanausbruch in der Ägäis vernichtet, der so heftig war, »dass das Meerwasser zu brodeln begann und das Pech, mit dem die Schiffe gedichtet waren, erweichte, sodass alle Schiffe samt Besatzungen in der Tiefe versanken«.10 Von der gewaltigen Flotte, die dereinst ausgelaufen war, kehrten nur fünf Schiffe nach Syrien zurück, »um die Macht Gottes zu verkünden«.11 Byzanz hatte unter dem Ansturm des Islam gewankt, war aber nicht gefallen. Konstantinopel hatte überlebt mittels einer Verbindung aus technischer Innovation, diplomatischem Geschick, individueller Meisterleistungen, massiver Befestigungsanlagen – und nicht zuletzt auch Glück. Die Byzantiner hatten dafür jedoch erwartungsgemäß eine eigene Erklärung und glaubten, »dass Gott und die allerheiligste Jungfrau, die Gottesmutter, diese Hauptstadt und das Kaiserreich der Christen beschützen, und dass er nicht völlig verlässt, die ihn in Wahrheit anrufen, mögen wir auch wegen unserer Sünden auf kurze Zeit gezüchtigt werden«.12 Dass es dem Islam 717 nicht gelang, die Stadt einzunehmen, hatte weitreichende Folgen. Der Zusammenbruch Konstantinopels hätte den Weg geebnet für einen muslimischen Vorstoß nach Europa, der die künftige Entwicklung des Abendlandes maßgeblich beeinflusst hätte; dies bleibt eine der großen »Was wäre gewesen, wenn«-Fragen der Geschichte. Somit wurde der erste entschlossene
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Angriff des islamischen Dschihad abgewehrt, der fünfzehn Jahre später auf der anderen Seite des Mittelmeers einen Höhepunkt erreichte: Eine muslimische Streitmacht stand 250 Kilometer südlich von Paris, doch sie wurde am Ufer der Loire geschlagen. Für den Islam hatte die Niederlage vor Konstantinopel mehr eine theologische als eine militärische Bedeutung. In den ersten Jahrzehnten nach seiner Entstehung besaß der Islam wenig Grund, daran zu zweifeln, dass der wahre Glauben am Ende den Sieg davontragen werde. Das Gesetz des Heiligen Krieges erzwang die fortgesetzte Expansion. Doch vor den Mauern Konstantinopels war der Islam von einem Spiegelbild seiner selbst zurückgeworfen worden; das Christentum war eine konkurrierende monotheistische Religion mit einem ähnlichen Sendungsbewusstsein und demselben Drang, Andersgläubige zu bekehren. Konstantinopel hatte die Frontlinie festgelegt in einem langwierigen Kampf zwischen zwei nahe verwandten Ausprägungen der Wahrheit, der noch mehrere Jahrhunderte fortgeführt werden sollte. Vorerst jedoch mussten die muslimischen Denker anerkennen, dass sich eine Veränderung im Verhältnis zwischen dem Haus des Islam und dem Haus des Krieges vollzogen hatte; die endgültige Unterwerfung der nichtislamischen Welt musste verschoben werden, vielleicht bis ans Ende der Zeiten. Einige Rechtsgelehrte konstruierten einen dritten Bereich, das Haus des Waffenstillstands, um eine Bezeichnung zu finden für die Verschiebung des Endsieges auf unbestimmt Zeit. Die Epoche der Glaubenskriege schien vorüber zu sein. Byzanz hatte sich als bislang hartnäckigster Gegner erwiesen, und Konstantinopel blieb für die Muslime eine schwärende Wunde wie auch weiterhin ein Ziel tiefer Sehnsucht. Viele Märtyrer waren vor seinen Mauern gestorben, darunter auch Ajjub, der Bannerträger des Propheten, der 669 im Gefecht fiel. Durch ihren Tod wurde die Stadt zu einem heiligen Ort für den Islam, und ihrer Eroberung wurde fürderhin eine geradezu messianische Bedeutung beigemessen. Durch die Belagerungen entstand ein reicher Schatz an Mythen und Legenden, der über Jahrhunderte weitergegeben wurde. Dazu gehörten auch die Hadithe, eine Sammlung von Überlieferungen über Mohammed, und die Prophezeiungen, die von Niederlagen und Tod kündeten, denen schließlich der Sieg der Glaubenskrieger folgen werde: »Im heiligen Krieg gegen Konstantinopel wird sich ein Drittel der Muslime ergeben, was Allah nicht verzeihen kann; ein Drittel wird in der Schlacht getötet werden, was sie zu wundersamen Märtyrern machen wird; und das letzte Drittel wird den Sieg erringen.«13 Es war ein Kampf, der in historischen Dimensionen ausgetragen werden sollte. Die Architektur des Konflikts zwischen dem Islam und Byzanz war so weitgespannt, dass in den folgenden 650 Jahren keine muslimischen Banner mehr vor den Stadtmauern aufgezogen werden sollten – eine längere Zeitspanne
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als jene, die uns heute von 1453 trennt –, doch die Prophezeiung hatte verheißen, dass sie eines Tages zurückkehren würden.
Konstantinopel, erbaut an jener Stelle, wo der sagenumwobene thrakische König Byzas bereits tausend Jahre vorher eine Siedlung gegründet hatte, war schon 400 Jahre eine christliche Stadt, als Maslamas Truppen den Rückzug antraten. Der Ort, den Kaiser Konstantin im Jahr 324 zu seiner neuen Hauptstadt bestimmte, verfügte über beträchtliche natürliche Vorteile. Nach dem Bau der Landmauer im 5. Jahrhundert war die Stadt praktisch unverwundbar, solange sich die Belagerungstechnik auf den Einsatz von Katapulten beschränkte. Innerhalb der Mauern, die eine Länge von neunzehn Kilometern hatten, entwickelte sich Konstantinopel auf mehreren steilen Hängen, die natürliche Aussichtspunkte über die umgebenden Gewässer darstellten, während an der Ostseite die Bucht des Goldenen Horns, die wie ein gebogenes Geweih aussieht, einen sicheren Hochseehafen bot. Den einzigen Nachteil bildete die Trockenheit des Vorgebirges, ein Problem, das die römischen Wasserbauingenieure mittels eines ausgeklügelten Systems von Aquädukten und Zisternen zu beheben suchten. Der Ort lag ideal am Schnittpunkt von Handelswegen und Militärstraßen; auch die Geschichte der früheren Siedlung hallte wider vom Klang marschierender Stiefel und ins Wasser eintauchender Ruder: Jason und die Argonauten fuhren hier vorüber auf ihrer Suche nach dem Goldenen Vlies; der persische König Darios marschierte im Krieg gegen die Skythen mit 700 000 Soldaten über eine Brücke aus Booten; der römische Dichter Ovid blickte auf seinem Weg in die Verbannung am Schwarzen Meer wehmütig auf »das mächtige Tor zwischen dem doppelten Meer«.14 An diesem Knotenpunkt schöpfte die christliche Stadt Reichtum aus einem ausgedehnten Hinterland. Im Osten konnten die Schätze Zentralasiens über den Bosporus zur Kaiserstadt geschafft werden: das Gold der Barbaren, Pelze und Sklaven aus Russland, Kaviar vom Schwarzen Meer, Wachs und Salz, Gewürze, Elfenbein, Bernstein und Perlen aus dem Fernen Osten. Im Süden führten Straßen zu den Städten des Mittleren Ostens – Damaskus, Aleppo und Bagdad –, und im Westen erschlossen die Schifffahrtsstraßen durch die Dardanellen das gesamte Mittelmeer: Ägypten und das Nildelta, die reichen Inseln Sizilien und Kreta, die italienische Halbinsel und alles, was jenseits der Straße von Gibraltar lag. Näher waren das Holz, der Kalkstein und der Marmor, die zum Bau einer herrschaftlichen Stadt verwendet werden konnten, und all die Mittel, die zu ihrer Erhaltung benötigt wurden. Die Meeresströmungen im Bosporus boten reiche Fischgründe, wäh-
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rend auf den Feldern des europäischen Thrakien und im fruchtbaren Tiefland der anatolischen Hochebene Olivenöl, Getreide und Wein im Überfluss erzeugt wurden. Die wohlhabende Stadt, die an diesem Ort entstand, war ein Ausdruck imperialer Größe, regiert von einem römischen Kaiser und bewohnt von griechischsprachigen Menschen. Konstantin ließ ein Netz von Straßen anlegen, die mit Kolonnaden versehen waren, flankiert von öffentlichen Gebäuden mit Säulenvorhallen, großen Plätzen, Gärten, Säulen und Triumphbögen sowohl heidnischer als auch christlicher Herkunft. Es gab Statuen und Denkmale, die von den klassischen Stätten geraubt worden waren (darunter die legendären Bronzepferde, die der griechische Bildhauer Lysippos wahrscheinlich für Alexander den Großen angefertigt hatte und die heute ein Wahrzeichen Venedigs sind), ein Hippodrom, das jenem in Rom nicht nachstand, kaiserliche Paläste und Kirchen »zahlreicher als die Tage eines Jahres«.15 Konstantinopel wurde eine Stadt des Marmors und des Porphyr, des geschlagenen Goldes und der prunkvollen Mosaiken, und es zählte in seiner Glanzzeit 500 000 Einwohner. Konstantinopel verblüffte die Besucher, die hierher kamen, um Handel zu treiben oder den oströmischen Kaisern ihre Referenz zu erweisen. Die Barbaren aus dem finsteren Europa bestaunten offenen Mundes »die Stadt, von der alle Welt träumt«.16 Der Bericht des Chronisten Fulcher von Chartres, der im 11. Jahrhundert nach Konstantinopel kam, drückt aus, was viele Besucher im Lauf der Jahrhunderte empfunden haben: »O was für eine herrliche Stadt, wie majestätisch, wie schön! Wie groß ist die Zahl ihrer Klöster, die sie birgt, wie viele Paläste sind an ihren Hauptstraßen und Gassen in lauter Arbeit errichtet worden, wie viele wunderbare Kunstwerke gibt es da zu schauen! Es wäre ermüdend, die Fülle all der guten Dinge aufzuzählen, die Werke aus Gold und Silber, der mannigfachen Gewänder und heiligen Reliquien. Unablässig laufen Schiffe im Hafen ein, und es gibt nichts, was Menschen begehren, das nicht dahin gebracht würde.«17 Byzanz war nicht nur die letzte Erbin des Römischen Reiches, sondern auch die erste christliche Nation. Von ihrer Gründung an wurde die Hauptstadt als eine Nachbildung des Himmels verstanden, als eine Manifestation des Triumphes Christi, und der Kaiser galt als Gottes Stellvertreter auf Erden. Der christliche Glaube war überall sichtbar und spürbar: in den erhabenen Kuppeln der Kirchen, dem Glockenläuten und dem Schlagen der hölzernen Gongs, in den Klöstern, der großen Zahl von Mönchen und Nonnen, der endlosen Aneinanderreihung von Heiligenbildern an den Straßen und Mauern, den unablässigen Andachten und christlichen Zeremonien, an denen die frommen Bürger und der Kaiser teilnahmen. Fastenzeiten, kirchliche Festtage und Nachtwachen bestimmten den Kalender, den Zeitablauf und den Rhythmus des Lebens. Die Stadt wurde zum Sammel-
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platz der Reliquien der Christenheit, die man aus dem Heiligen Land herbeischaffte, und sie wurde neidvoll beäugt von den Christen im Abendland. Hier befanden sich das Haupt von Johannes dem Täufer, die Dornenkrone, die Nägel vom Kreuz Christi und der Grabstein, die sterblichen Überreste der Apostel und tausend weitere, Wunder wirkende Artefakte, verwahrt in goldenen und juwelenbesetzten Reliquiaren. Der orthodoxe Glaube berührte die Menschen emotional sehr tief durch die intensiven Farben seiner Mosaiken und Heiligenbilder, die geheimnisvolle Schönheit seiner Liturgie, die in dunklen, von wenigen Lampen erhellten Kirchen zelebriert wurde, den Weihrauch und das aufwändige Zeremoniell, das die Kirche und den Kaiser gleichermaßen umfing in einem Labyrinth prunkvoller Rituale, die darauf zielten, die Sinne zu bezaubern mit ihren auf das Himmelreich anspielenden Metaphern. Ein russischer Besucher, der 1391 eine Kaiserkrönung miterlebte, war erstaunt darüber, wie langsam das festliche Ereignis vonstatten ging: Die Sänger stimmten einen unbeschreiblich schönen Gesang an. Der kaiserliche Festzug bewegte sich so langsam fort, dass er drei Stunden brauchte, um von der großen Pforte bis zum Thron zu gelangen. Zwölf Bewaffnete, von Kopf bis Fuß in Eisen gehüllt, umgaben den Kaiser. Vor ihm schritten zwei schwarzhaarige Bannerträger; die Stangen ihrer Fahnen, ihre Kleider und Hüte waren rot. Vor diesen Bannerträgern gingen Herolde mit silberbeschlagenen Stäben... Auf den Thron steigend, bekleidete sich der Kaiser mit dem kaiserlichen Purpur und bedeckte sich mit dem kaiserlichen Diadem und der Zinnenkrone... Darauf begann die heilige Liturgie... Wer vermag die Schönheit von alldem zu beschreiben!18
Fest verankert wie ein mächtiges Schiff lag im Zentrum der Stadt die Sophienkirche, die Justinian in nur sechs Jahren hatte erbauen lassen und die 537 eingeweiht worden war. Sie war das eindrucksvollste Bauwerk der Spätantike, ein Gebäude, dessen pompöse Dimensionen sich mit entsprechendem Glanz verbanden. Die große, frei tragende Kuppel erschien den Menschen der Zeit geradezu als Wunder. Man habe den Eindruck, schrieb Prokop, »dass sie nicht auf festen Grundmauern zu ruhen scheint, sondern als überdecke sie den Raum unter sich wie an der sagenhaften goldenen Kette am Himmel aufgehängt«.19 Sie war so imposant, dass es Betrachtern, die sie zum ersten Mal sahen, die Sprache verschlug. Die Decke, die über eine Fläche von 120 Quadratmetern mit goldenen Mosaiksteinchen überzogen war, wirkte überwältigend, wie Paulos Silentiarios berichtete: »Funkelnder Goldglanz flutet von ihnen herab, sodass die Menschenaugen es kaum ertragen können«, schwärmte er, während ihn die dekorativen Muster zu poetischen Schilderungen inspirierten: »Auch kannst du den grünen Glanz des lakonischen Mar-
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mors sehen und anderes Gestein in gewundenen Maserungen blitzend... Nicht zu vergessen das Gestein, welches das tiefvereiste Gebirge emporsandte, zwar schwärzlich schimmernd anzusehen, doch von vielen milchigen Adern durchzogen... Oder auch, was der leuchtende Onyx an Wertvollem in seinem lichtdurchfluteten Steinbruch ans Tageslicht gefördert hat..., hier ganz grün leuchtend und dem Smaragde nicht unähnlich, dort noch dunkler und ins Blau sich verlierend. Endlich findet sich dort schneeiges Weiß, mit dem Glanz des Schwarzen verbunden, sodass die Anmut des Steins vom Farbengemisch noch erhöht wird.«20 Die ergreifende Schönheit der Liturgie in der Sophienkirche trug maßgeblich dazu bei, dass Russland den orthodoxen Glauben annahm, nachdem im 10. Jahrhundert eine Abordnung aus Kiew die Messe miterlebt und nach Hause berichtet hatte: »Wir wussten nicht, ob wir im Himmel waren oder auf der Erde. Denn auf Erden gibt es keine derartige Pracht und Schönheit, und wir sind außerstande, sie zu beschreiben. Wir wissen nur, dass dort Gott unter den Menschen weilt.«21 Die detailverliebte Prachtentfaltung der orthodoxen Kirche war das Gegenbild der kargen Reinheit des asketischen Islams. Die eine Religion wartete mit der abstrakten Schlichtheit der Wüste auf, einer einfachen Form der Anbetung, die man überall praktizieren konnte, sofern man die Sonne sehen konnte, die andere schwelgte in Bildern, Farben und Musik, verzauberte mit Metaphern des göttlichen Geheimnisses, die dazu dienen sollten, die Seele in den Himmel zu geleiten. Doch beiden ging es letztlich darum, der Welt ihre Vorstellung von Gott näherzubringen. Im Leben der Byzantiner spielte das Spirituelle eine so bedeutende Rolle wie wohl zu keiner anderen Zeit in der Geschichte des Christentums. Zeitweise wurde die Stabilität des Reiches dadurch gefährdet, dass sich zu viele Offiziere in Klöster zurückzogen, und theologische Fragen wurden auf den Straßen so leidenschaftlich diskutiert, dass es bisweilen zu Tätlichkeiten kam. »Die Stadt ist voller Arbeiter und Sklaven, die allesamt Theologen sind«, berichtete ein Besucher befremdet. »Wenn man einen Mann bittet, Geld zu wechseln, erläutert er einem, wie sich Gottvater und Gottsohn unterscheiden. Wenn man nach dem Preis von einem Laib Brot fragt, erklärt er, dass der Sohn Gottes unter dem Vater steht. Wenn man wissen will, ob das Bad bereitet ist, wird einem gesagt, dass der Sohn aus dem Nichts erschaffen wurde.«22 War Christus eine einzige Person oder war er aus mehreren zusammengesetzt? War der Heilige Geist nur von Gottvater gekommen oder vom Vater und vom Sohn? Waren Heiligenbilder götzendienerisch oder nicht? Dies waren keine müßigen Fragen: Von den Antworten hingen die Erlösung oder die Verdammnis ab. Fragen der Orthodoxie und der Häresie bargen für das Imperium genauso viel Zündstoff wie Bürgerkriege, und sie untergruben seine Einheit mit durchaus vergleichbaren Kräften.
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Die Welt des byzantinischen Christentums war zudem seltsam schicksalsergeben. Alles wurde von Gott gegeben, und Unheil jeglicher Art, vom Verlust einer Geldbörse bis zu einer großen Belagerung, galten als eine Folge persönlicher oder kollektiver Sünden. Der Kaiser wurde von der Gnade Gottes bestimmt, aber wenn er durch eine Palastrevolte gestürzt wurde – von Verschwörern erschlagen oder im Bad erstochen oder erdrosselt oder von Pferden durch die Straßen geschleift oder geblendet oder in die Verbannung geschickt – (denn das Schicksal der Herrscher war stets ungewiss), dann entsprach auch dies dem Willen Gottes und wies auf irgendwelche verborgenen Sünden hin. Und da sich die Zukunft vorhersagen ließ, waren die Byzantiner auf abergläubische Weise besessen von Prophezeiungen. Unsichere Kaiser schlugen gern die Bibel an einer beliebigen Stelle auf in der Hoffnung, in einem Vers einen Hinweis auf ihr Schicksal zu finden; die Weissagung war eine ausgiebig gepflegte Beschäftigung, die von den Geistlichen häufig bekämpft wurde, aber zu tief in der griechischen Seele verwurzelt war, als dass man sie hätte ausrotten können. Bisweilen nahm sie auch bizarre Formen an: Ein arabischer Besucher erlebte im 9. Jahrhundert, wie ein Pferd auf eigenartige Weise dazu benutzt wurde, Auskunft zu erhalten über das Vorankommen einer weit entfernt kämpfenden Armee: »Sie werden in die Kirche geführt, wo Zügel aufgehängt worden sind. Wenn eines der Pferde einen Zügel ins Maul nimmt, sagen die Leute: ›Wir haben einen Sieg im Lande des Islams erfochten.‹ Manchmal naht ein Pferd, riecht an dem Zügel, kehrt um und geht nicht wieder zu dem Zügel hin...«23 In diesem Fall verließen die Menschen die Kirche bedrückt, weil sie eine Niederlage erwarteten. Viele Jahrhunderte lang übte Byzanz mit seiner Hauptstadt, die so leuchtend war wie die Sonne, eine enorme Anziehungskraft auf die Welt jenseits seiner Grenzen aus. Byzanz verkörperte die betörende Verheißung von Wohlstand und Sicherheit. Seine Goldmünzen, die Bézants, die Bildnisse seiner Kaiser trugen, waren der Goldstandard des Mittelalters. Das Ansehen des Römischen Reiches verband sich mit seinem Namen; in der muslimischen Welt nannte man es einfach nur Rum, Rom, und wie Rom zog es die Bewunderung und den Neid der nomadisierenden Halbbarbaren vor seinen Toren auf sich. Vom Balkan und den Ebenen Ungarns, von den russischen Wäldern und den Steppen Asiens, von überall her schlugen Wogen von wandernden Völkern gegen seine Grenzen: die Hunnen und die Griechen, die Slawen und die Gepiden, die tatarischen Awaren, die türkischen Bulgaren und die wilden Petschenegen, sie alle zogen durch die byzantinische Welt. In seiner Glanzzeit erstreckte sich das Reich weit über den Mittelmeerraum bis nach Italien und Tunesien, doch unter dem unablässigen Druck seiner Nachbarn schrumpfte es wieder wie eine riesige Landkarte, die sich an den Rändern wellt. Jahr für Jahr liefen kaiserliche Flotten aus den großen Häfen am Marmarameer
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aus, mit wehenden Fahnen und unter Fanfarenstößen, um eine Provinz zurückzugewinnen oder eine Grenze zu sichern. Byzanz war ein Reich, das sich ständig im Krieg befand, und Konstantinopel geriet aufgrund seiner Lage an der Schnittstelle zweier Kontinente immer wieder sowohl aus Europa als auch aus Asien unter Druck. Die Araber waren nur die entschlossensten von unzähligen Feinden, die in den ersten fünfhundert Jahren seiner Existenz vor der Landmauer von Byzanz aufzogen. Die Perser und die Awaren kamen im Jahr 626, die Bulgaren im 8., 9. und 10. Jahrhundert, Fürst Igor der Russe im Jahr 941. Die Belagerung war ein Daseinszustand für das griechische Volk und sein ältester Mythos: Die Menschen kannten Homers Erzählung von Troja. Dies hatte zur Folge, dass sie gleichermaßen pragmatisch wie abergläubisch wurden. Die Erhaltung der Stadtmauern war eine Bürgerpflicht; die Kornspeicher und Zisternen waren stets gefüllt, doch auch der geistigen Verteidigung wurde von den orthodoxen Gläubigen höchste Bedeutung beigemessen. Die Jungfrau Maria war die Schutzpatronin der Stadt; Bilder von ihr hingen in Krisenzeiten an den Wänden und sollen die Stadt während der Belagerung von 717 gerettet haben. Sie waren eine ähnliche Stütze und Zuflucht wie der Koran für die Muslime. Keine der Belagerungsarmeen, die vor der Landmauer aufmarschierten, konnte diese physischen und psychologischen Bollwerke überwinden. Keiner der Möchtegern-Eroberer verfügte über die Technik zur Erstürmung der Befestigungsanlagen oder über genug Kriegsschiffe, um das Meer abriegeln. Keiner brachte die Geduld auf, die Bewohner auszuhungern. Das Reich wankte zwar häufig, bewies aber eine beträchtliche Widerstandskraft. Die Infrastruktur der Stadt, die Stärke der Institutionen des Imperiums und der glückliche Zufall, dass es in schwierigen Zeiten über herausragende Führer verfügte, erzeugten sowohl bei den Einwohnern Konstantinopels als auch seinen Feinden den Eindruck, das Oströmische Reich werde die Zeiten überdauern. Doch die Erfahrung der Belagerung durch die Araber prägte die Stadt nachhaltig. Die Menschen erkannten den Islam als eine Gegenkraft, die sich nicht mehr gänzlich zurückdrängen lassen würde, als einen Gegner, der sich qualitativ von allen bisherigen Feinden unterschied; in ihren Prophezeiungen über die Sarazenen – wie die Araber von den Christen genannt wurden – kamen ihre Vorahnungen über das Schicksal der Welt zum Ausdruck. Ein Autor bezeichnete sie als das vierte Tier der Apokalypse, als »das vierte Reich auf Erden, das zerstörerischste aller Reiche, das die gesamte Welt in eine Wüste verwandeln wird«.24 Und gegen Ende des 11. Jahrhunderts wurde Byzanz vom Islam abermals ein Schlag versetzt. Er kam so unverhofft, dass damals kaum jemand seine Bedeutung erkannte.
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Gott, der Allmächtige, sagt: Ich habe ein Heer, welches ich Türken nannte und im Osten ansiedelte. Wenn ich nun einem Volke zürne, lasse ich die Türken über sie herrschen. Al-Kashgari1
Das Auftauchen der Türken erweckte den schlummernden Geist des Heiligen Krieges. Sie waren erstmals im 6. Jahrhundert an den Grenzen des Byzantinischen Reiches erschienen und hatten Gesandte nach Konstantinopel geschickt, um mit Byzanz ein Bündnis gegen das Perserreich zu bilden. Für die Byzantiner waren sie zunächst nur eines von zahlreichen Völkern, die an die große Stadt heranzukommen versuchten; ihr angestammtes Gebiet lag jenseits des Schwarzen Meeres und erstreckte sich bis nach China. Sie waren heidnische Steppenbewohner aus den grasbewachsenen Ebenen Zentralasiens, von deren Epizentrum immer wieder Schockwellen ausgingen durch nomadische Reiter, die über die sesshaften Völker im Westen herfielen. Sie haben uns das Wort ordu hinterlassen (»Horde«) zur Erinnerung an diese Ereignisse, wie ein schwacher Hufabdruck im Sand. Byzanz war schon mehrmals durch diese Nomaden verwüstet worden, bevor ihr Name im Reich zu einem Begriff wurde. Die ersten Turkvölker, die den sesshaften Griechen zu schaffen machten, waren vermutlich die Hunnen, die im 4. Jahrhundert über die christliche Welt hinwegfegten; ihnen folgten die Bulgaren, und jede dieser aufeinanderfolgenden Wogen erschien den Opfern so unerklärlich wie eine Heuschreckenplage, die über das Land hereinbrach. Die Byzantiner betrachteten diese Heimsuchungen als eine Strafe Gottes für ihre Sünden. Wie ihre Vettern, die Mongolen, lebten die Türken im Sattel der Pferde zwischen der großen Erde und dem weiten Himmel und verehrten beide mittels ihrer Schamanen. Sie waren rast-
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los, beweglich und stammesbewusst und lebten von der Viehzucht und Überfällen auf ihre Nachbarn. Beutezüge zu unternehmen, war ein Lebenszweck für sie, Städte galten ihnen als Feinde. Durch den Einsatz des Kompositbogens und ihrer Taktik der Kriegführung zu Pferd waren sie den sesshaften Völkern militärisch überlegen, was der arabische Historiker Ibn Khaldun als einen entscheidenden Faktor der geschichtlichen Entwicklung betrachtete. »Die sesshafte Bevölkerung [hat] sich dem ruhigen und bequemen Leben hingegeben«, schrieb er. »Die Menschen vertrauen auf die Mauern, die sie umgeben, und die Befestigungen, durch die sie abgeschirmt werden. Die nomadische Bevölkerung [verachtet] Mauern und Tore [und] verteidigt sich selbst. So tragen die Menschen stets Waffen, spähen nach allen Seiten des Weges, geben sich nur dann kurz dem Schlummer hin, wenn sie nicht allein sind oder oben auf dem Sattel des Kamels sitzen, lauschen aufmerksam auf die Geräusche und Rufe... So sind Tapferkeit bei ihnen zur Wesensart und Mut zum natürlichen Charakterzug geworden.«2 Dieser Aspekt sollte bald in der christlichen wie auch der islamischen Welt neue Bedeutung erlangen. Wiederholte Erschütterungen im Herzen Asiens trieben diese Turkvölker nach Westen; im 9. Jahrhundert kamen sie mit der muslimischen Bevölkerung des Iran und des Irak in Berührung. Der Kalif von Bagdad erkannte ihre kämpferischen Qualitäten und gliederte sie als Militärsklaven in seine Heere ein; Ende des 10. Jahrhunderts hatte der Islam nachhaltig Fuß gefasst unter den Türken im Grenzgebiet, doch diese hielten an ihrer Identität und ihrer Sprache fest und sollten bald ihren Herren die Macht entreißen. Mitte des 11. Jahrhunderts übernahm die türkische Dynastie der Seldschuken das Sultanat von Bagdad, und bereits gegen Ende dieses Jahrhunderts wurde die islamische Welt von Zentralasien bis Ägypten von den Türken beherrscht. Ihr rascher Aufstieg in der islamischen Welt wurde weithin als ein Werk der Vorsehung betrachtet, das Gott ausrichtete, um »den ersterbenden Atem des Islam wiederzubeleben und die Einheit der Muslime wiederherzustellen«.3 Zur selben Zeit regierte in Ägypten eine nichtorthodoxe Schia-Dynastie, sodass die türkischen Seldschuken, die sich der orthodoxen sunnitischen Lehre zugewandt hatten, als legitime gazi auftreten konnten, als Glaubenskämpfer, die den Dschihad gegen die Ungläubigen und den nichtorthodoxen Islam führten. Die Haltung des militanten Islam kam dem Kampfgeist der Türken sehr entgegen; ihre Lust am Plündern konnte als frommer Dienst an Allah gerechtfertigt werden. Unter dem türkischen Einfluss lebte im Islam der Eifer der frühen arabischen Eroberungszüge wieder auf, und der Krieg gegen die christlichen Feinde wurde in größerem Rahmen wieder aufgenommen. Sultan Saladin war zwar Kurde, doch die Armeen, die er und seine Nachfolger ins Feld führten, waren vom Ethos der Türken beseelt. »Gott sei gelobt«, schrieb Al-
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Rawandi im 13. Jahrhundert, »der Islam ist stark... Bei den Arabern, Persern, Romäern und Russen ist das Schwert in der Hand der Türken, und die Furcht vor ihrem Schwert ist tief in den Herzen der Menschen verankert.«4 Nachdem der Islam neuen Auftrieb erhalten hatte, dauerte es nicht lange, bis an der Südgrenze Anatoliens der Konflikt zwischen Christen und Muslimen, der einige Jahrhunderte weitgehend eingedämmt war, wieder voll entbrannte. Die Seldschuken in Bagdad waren beunruhigt über widerspenstige nomadische Stammeskrieger, die Turkmenen, deren Raubzüge einen Störfaktor im islamischen Herzland darstellten. Sie brachten diese Stammeskrieger dazu, ihre Energie nach Westen zu richten, gegen Byzanz – das Königreich Rum. Mitte des 11. Jahrhunderts fielen marodierende Gazi-Kämpfer im Namen des Heiligen Krieges so häufig in das christliche Anatolien ein, dass sich der Kaiser in Konstantinopel zu einer militärischen Reaktion gezwungen sah. Im März 1071 begab sich Kaiser Romanus IV. Diogenes persönlich in den Osten, um die Situation zu bereinigen. Im August traf er bei Mantzikert in Ostanatolien aber nicht auf die Turkmenen, sondern auf ein Heer der Seldschuken unter deren herausragendem Befehlshaber Sultan Alp Arslan, des »heldenhaften Löwen«. Es war ein eigenartiges Ereignis. Der Sultan wollte eigentlich gar nicht kämpfen. Ihm ging es nicht in erster Linie darum, gegen die Christen Krieg zu führen, er wollte vielmehr das verhasste Schiiten-Regime in Ägypten niederwerfen. Er schlug einen Waffenstillstand vor, den die Römer jedoch ablehnten. Das folgende Gefecht endete mit einem überwältigenden Sieg der Muslime, wozu maßgeblich ihre klassische Taktik des Hinterhalts beitrug. Erschwerend kam die Tatsache hinzu, dass viele byzantinische Söldner zum Gegner überliefen. Romanus kam mit dem Leben davon und küsste den Boden vor dem siegreichen Sultan, der ihm einen Fuß auf den Hals setzte als symbolisches Zeichen seines Triumphes und der Unterwerfung des Feindes. Dies sollte sich als ein Wendepunkt der Weltgeschichte erweisen – und als eine Katastrophe für Konstantinopel. Für die Byzantiner war die Schlacht von Mantzikert der »Tag des Schreckens«, eine Niederlage von verheerenden Ausmaßen, die ihre Zukunft lange überschatten sollte. Doch ihre volle Tragweite erkannte man in Konstantinopel erst später. Die Turkmenen stießen nun nach Anatolien vor, ohne auf Widerstand zu treffen; wo sie vorher Überfälle verübt und sich wieder zurückgezogen hatten, richteten sie sich jetzt dauerhaft ein und drangen immer weiter nach Westen vor in den Löwenkopf Anatoliens. Nach den heißen Wüsten das Iran und des Irak war das sanft gewellte Hügelland der Hochebene eine Landschaft, die den Nomaden aus Zentralasien mit ihren Jurten und Kamelen sehr behagte. Mit ihnen kamen der orthodoxe sunnitische Islam und auch extreme islamische Strömungen: Anhänger
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des Sufismus, Derwische und wandernde heilige Männer, die sowohl den Glaubenskrieg predigten als auch eine mystische Heiligenverehrung, die bei den christlichen Völkern Anklang fand. Zwanzig Jahre nach der Schlacht von Mantzikert hatten die Türken die Küsten des Mittelmeers erreicht. Eine ethnisch zersplitterte christliche Bevölkerung setzte ihnen kaum Widerstand entgegen; einige Christen traten zum Islam über, andere waren froh, der Besteuerung und Unterjochung durch Konstantinopel zu entrinnen. Der Islam betrachtete die Christen als »Menschen des Buches«; daher standen sie unter dem Schutz der Gesetze und durften ihre Religion frei ausüben. Abtrünnige christliche Sekten hießen die türkische Herrschaft sogar offen willkommen: »Aufgrund ihres Rechtswesens und ihrer guten Regierung lebten sie lieber unter deren Verwaltung«, schrieb Michael der Syrer. »Da die Türken nichts wussten von heiligen Mysterien..., waren sie es nicht gewöhnt, sich mit Glaubensbekenntnissen auseinanderzusetzen oder andere deswegen zu verfolgen, im Unterschied zu den Griechen«, fuhr er fort, die »ein verschlagenes und ketzerisches Volk«5 sind. Innere Auseinandersetzungen im byzantinischen Staat stärkten die Türken; bald wurden sie gebeten, in die Bürgerkriege einzugreifen, die Byzanz zerrissen. Die Eroberung von Kleinasien verlief so reibungslos und traf auf so geringen Widerstand, dass nach einer abermaligen Niederlage eines byzantinischen Heeres 1176 keine Möglichkeit mehr bestand, die Eindringlinge wieder zu vertreiben. Die Folgen von Mantzikert waren nun nicht mehr rückgängig zu machen. Bereits ab 1220 bezeichneten westliche Autoren Kleinasien als Turchia. Byzanz hatte sein Hinterland eingebüßt, das ihm Nahrung und Soldaten geliefert hatte. Und fast zur selben Zeit brach aus einer völlig unerwarteten Richtung eine weitere Katastrophe über Konstantinopel herein, und sie nahte aus dem christlichen Westen.
Die Kreuzzüge sollten dem militärischen Vormarsch des türkischen Islam Einhalt gebieten. Sie richteten sich gegen die Seldschuken, »ein verfluchtes Volk, ein Volk, das völlig fern ist von Gott«.6 Papst Urban II. rief 1095 in seinem berühmten Appell auf der Synode in Clermont dazu auf, »dieses heidnische Volk aus unseren Ländern zu vertreiben«, was den Auftakt bildete zu einer 350 Jahre währenden Epoche westlicher Eroberungszüge im Zeichen des Kreuzes. Obwohl ihnen ihre christlichen Brüder aus dem Westen eigentlich helfen wollten, sollte sich dieses Unternehmen zu einer dauerhaften Belastung für die Byzantiner entwickeln. Ab 1090 wurden sie immer wieder heimgesucht von marodierenden Rittern, die Unterstützung, Verpflegung und Dank erwarteten von ihren orthodoxen Brüdern, während sie
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plündernd in Richtung Jerusalem nach Süden zogen. Durch dieses Zusammentreffen wuchsen das wechselseitige Unverständnis und das Misstrauen. Beide Seiten konnten die Unterschiede in den Bräuchen und den Formen des Gottesdienstes studieren. Die Griechen betrachteten ihre in schweren Kettenhemden daherkommenden westlichen Glaubensbrüder als ungeschliffene barbarische Abenteurer; ein Kreuzzug war für sie nur der heuchlerische Versuch, Eroberungsgelüste mit dem Mantel der Frömmigkeit zu tarnen: »Sie tragen ihren Kopf hoch im Nacken, und ihr Sinn ist unbeugsam, ihr Blutdurst groß... sie hegen auch unablässig Übelwollen gegen die Rhomäer«,7 klagte Niketas Chroniates. Tatsächlich kamen die Byzantiner mit ihren sesshaften muslimischen Nachbarn besser aus, da sich durch den Umgang mit ihnen im Lauf der Jahrhunderte nach dem ersten Ausbruch des Heiligen Krieges eine gewisse Vertrautheit und Respekt entwickelt hatten: »Wir müssen als Brüder zusammenleben, auch wenn wir uns in unseren Bräuchen, Sitten und der Religion unterscheiden«,8 schrieb einmal ein Patriarch von Konstantinopel an den Kalifen von Bagdad. Den Kreuzfahrern dagegen erschienen die Byzantiner als verdorbene Ketzer, die obendrein bedrohlich orientalisch wirkten. Seldschukische und türkische Soldaten kämpften häufig für die Byzantiner; zudem entdeckten die Kreuzritter empört, dass es in der Stadt, die der Jungfrau Maria geweiht war, eine Moschee gab. »Konstantinopel ist anmaßend in seinem Wohlstand und verkommen in seinem Glauben«,9 verkündete der Kreuzfahrer Odo de Deuil. Darüber hinaus sorgten der Reichtum Konstantinopels und seine berühmten juwelenbesetzten Reliquien unter den Kreuzfahrer für großes Erstaunen und Verwunderung. In den Berichten, die in die kleinen Städte in der Normandie und am Rhein geschickt wurden, klangen unterschwellig Neid und Eifersucht an: »Seit Anbeginn der Welt«, schrieb der Marschall der Champagne, »hat man noch niemals so viele Reichtümer gesehen, die in einer einzigen Stadt angehäuft sind.«10 Das war eine unwiderstehliche Versuchung. Schon seit Langem hatte der Westen das Byzantinische Reich militärisch, politisch und wirtschaftlich unter Druck gesetzt, doch Ende des 12. Jahrhunderts wurde dies vor allem in Konstantinopel sichtbar. In der Stadt war eine große Gemeinde italienischer Kaufleute entstanden, und da den Venezianern und den Genuesen besondere Vorrechte eingeräumt worden waren, ging es ihnen sehr gut. Die nach Gewinn strebenden, materialistischen Italiener waren nicht sonderlich beliebt: Die Genuesen hatten eine eigene Kolonie in Galata, einer mit Mauern geschützten Stadt jenseits des Goldenen Horns; die Kolonie der Venezianer galt »als so unverschämt reich und wohlhabend..., dass sie sogar auf die kaiserliche Macht verächtlich herabsehen könnten«.11 Immer wieder erfassten Wellen der Fremdenfeindlichkeit die Stadt; 1171 wurde Galata von den Griechen angegriffen
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und zerstört. Im Jahr 1183 wurde die gesamte italienische Gemeinde massakriert unter den Augen des byzantinischen Generals Andronikos »des Schrecklichen«. Im Jahr 1204 führten dieser lange aufgestaute Argwohn und die Gewaltbereitschaft zu einer Katastrophe, welche die Griechen dem katholischen Westen nie verziehen haben. In einer der groteskesten Episoden in der Geschichte des Christentums wurde der Vierte Kreuzzug, der auf venezianischen Schiffen aufgebrochen war und eigentlich nach Ägypten fahren sollte, umgelenkt und griff Konstantinopel an. Drahtzieher dieses Unternehmens war Enrico Dandolo, der wahrscheinlich blinde 80-jährige Doge von Venedig, ein arglistiger und fintenreicher Politiker, der das Unternehmen persönlich leitete. Mit einem Anwärter auf den kaiserlichen Thron an Bord erreichte die gewaltige Flotte im Juni 1203 das Marmarameer; die Kreuzfahrer waren vielleicht selbst verblüfft, als sie anstatt der Küsten Ägyptens Konstantinopel vor dem Bug auftauchen sahen, eine Stadt, die für das Christentum von großer Bedeutung war. Nachdem die venezianischen Schiffe die Kette überwunden hatten, die das Goldene Horn schützte, nahmen sie Kurs auf den Strand und versuchten die Seewälle zu durchbrechen; als der Angriff scheiterte, sprang der alte Doge mit der Fahne des Heiligen Markus ans Ufer und forderte die Venezianer auf, ihren Kampfesmut unter Beweis zu stellen. Die Mauern wurden gestürmt, und Alexios, der Prätendent, wurde inthronisiert. Im darauffolgenden April, nach einem Winter interner Auseinandersetzungen und Intrigen, in dem die Ungeduld der Kreuzfahrer wuchs, wurde Konstantinopel erobert und geplündert. Es kam zu einem grauenhaften Massaker, und große Teile der Stadt wurden durch einen Brand vernichtet: »Es wurden mehr Häuser zerstört, als es in den drei größten Städten des Königreiches Frankreich gibt«, verkündete der französische Ritter Gottfried von Villehardouin. Die großen Kunstwerke der Stadt wurden zerstört und die Sophienkirche entweiht und geplündert: »Als sie... die allerheiligsten Geräte und Gefäße von unübertrefflicher Kunst und Schönheit und aus seltenen Stoffen, das gediegene, mit Gold bezogene Silber...und noch vieles andere fortschaffen wollten, führten sie Maulesel und Packtiere bis zum Allerheiligsten vor und beluden sie schwer«, berichtete der Chronist Niketas. »Als einige der Tiere auf dem blinkenden Steinboden ausglitten, zogen sie die Schwerter und erstachen sie, sodass die heilige Stätte nicht nur mit dem Kot der Tiere, sondern auch mit dem vergossenen Blut befleckt wurde.«12 Die Venezianer raubten eine große Zahl von Statuen, Reliquien und wertvollen Gegenständen, um damit ihre Markuskirche auszustatten, unter anderem die vier Bronzepferde, die seit der Zeit Konstantins des Großen im Hippodrom gestanden waren. Konstantinopel glich einem rauchenden Trümmerhaufen. »O du Stadt, du Stadt aller Städte«, klagte der Chronist Niketas, »du hast den Kelch des Zorns des Herrn bis auf den Grund
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geleert.«13 Dies war eine typische Reaktion der Byzantiner; doch unabhängig davon, ob die Katastrophe menschlichen oder göttlichen Ursprungs war, die Konsequenzen waren dieselben: Konstantinopel schrumpfte zu einem Schatten seiner einstigen Größe. Fast sechzig Jahre lang war die Stadt nun das »Lateinische Kaiserreich von Konstantinopel«, das vom Herzog von Flandern und dessen Nachfolgern regiert wurde. Das Byzantinische Reich wurde aufgeteilt in eine Reihe von fränkischen Staaten und italienischen Kolonien, während ein großer Teil seiner Bevölkerung nach Griechenland floh. Die Byzantiner errichteten in Nikäa in Anatolien ein Exilkönigreich und konnten sich weiterer türkischer Vorstöße ziemlich erfolgreich erwehren. Als sie 1261 Konstantinopel zurückeroberten, war die Infrastruktur der Stadt nahezu vollständig zerstört, und ihr Herrschaftsgebiet war auf einige zersplitterte Gebiete geschrumpft. Als die Byzantiner ihre Stellung wieder zu festigen suchten und sich neuen Bedrohungen aus dem Westen ausgesetzt sahen, kehrten sie abermals dem islamischen Anatolien den Rücken zu, hatten dafür aber einen stetig steigenden Preis zu bezahlen.
Anatolien wurde weiterhin durch massive Bevölkerungswanderungen im Osten erschüttert. Zwei Jahre nach der Plünderung Konstantinopels gelang es dem Stammesführer Temuchin, die sich bekriegenden Nomadenstämme der inneren Mongolei zu vereinigen, worauf er den Titel Dschingis Khan annahm – Herrscher der Welt. Die langhaarigen, den Himmel anbetenden Mongolen brachen mit erschreckender Heftigkeit über die islamische Welt herein. Als Persien im Chaos versank, schwappte eine weitere Welle von Vertriebenen westwärts nach Anatolien. Der Kontinent wurde zum Schmelztiegel unterschiedlichster Völker, von Griechen, Türken, Iranern, Armeniern, Afghanen und Georgiern. Nachdem die Mongolen 1243 das stabilste Staatsgebilde in der Region, jenes der Rum-Seldschuken, unterworfen hatten, zerfiel Anatolien in ein Mosaik kleiner Königreiche. Die umherwandernden Turkvölker konnten nun nicht mehr weiter nach Westen ziehen; es gab keine ungläubigen Nachbarn mehr, deren Unterwerfung der Islam unter Berufung auf den Koran anstreben konnte. Als sie das Meer erreichten, verschafften sich manche von ihnen Schiffe und plünderten byzantinische Küstenregionen. Andere bekämpften sich gegenseitig. Anatolien war ein von Chaos geprägtes, zersplittertes und gefährliches Gebiet – ein wilder Westen, in dem sich Räuber, Plünderer und religiöse Visionäre tummelten, die von einer explosiven Verbindung aus mystischem Sufismus und orthodoxem sunnitischen Glauben beflügelt wurden. Die Turkmenen legten weiterhin lange Entfernungen zurück in ihren üppig bestickten Sätteln
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auf ihren Raubzügen in der Gazi-Tradition, aber jetzt gab es nur noch ein kleines unbedeutendes Reich, das des Stammes Osman, das noch an das gottlose Byzanz im Nordwesten Anatoliens angrenzte. Die genaue Herkunft dieses Volkes, das wir heute Osmanen nennen, ist nicht bekannt. Sie gingen etwa um 1280 aus den umherziehenden Turkmenen hervor, eine Sippe ungebildeter Krieger, die zwischen Zelten und Holzfeuern lebten, aus dem Sattel herrschten und mit einem Daumenabdruck unterschrieben und deren Geschichte nachträglich von imperialen Mythenbildnern rekonstruiert wurde. Der Legende zufolge soll Osman schon von Anfang an für Großes auserwählt worden sein. Eines Nachts hatte er einen Traum, in dem er Konstantinopel sah, »das an der Verbindung zwischen zwei Meeren und zwei Kontinenten lag und aussah wie ein Diamant zwischen zwei Saphiren und zwei Smaragden und daher den Edelstein im Ring eines riesigen Reiches zu bilden schien, das die gesamte Welt umfasste«.14 Osman zog sich den Mantel der Gazis an, denen sein Stamm nacheifern sollte. Durch Glück und Reaktionsschnelligkeit gleichermaßen entwickelte sich das Herrschaftsgebiet Osmans aus einem winzigen Fürstentum zu jener Weltmacht, von der er geträumt hatte. Das Reich Osmans im Nordwesten Anatoliens grenzte unmittelbar an den byzantinischen Verteidigungsring, der Konstantinopel schützte. Da es hier Land von Ungläubigen gab, das noch nicht erobert war, fühlten sich Gazis, Abenteurer und landhungrige Flüchtlinge angezogen, die unter Osmans Befehl ihr Glück versuchen wollten. Osman herrschte als Stammesführer in enger Verbindung mit seinem Volk. Zugleich bot sich den Osmanen hier die einzigartige Gelegenheit, den benachbarten byzantinischen Staat zu studieren und dessen Strukturen nachzubilden. Der Stamm lernte buchstäblich »in Windeseile« und übernahm außergewöhnlich schnell Technologien, Zeremonielle und Taktiken. Im Jahr 1302 errang Osman einen ersten Sieg über die Byzantiner, der sein Ansehen mehrte und den Zulauf von Kämpfern verstärkte. Bei weiteren Attacken gegen die zerfallenden Verteidigungseinrichtungen des Reiches gelang es ihm, die Stadt Brusa abzuschneiden; da er jedoch nicht über wirksame Belagerungstechnik verfügte, dauerte es sieben Jahre, bis sein Sohn Orhan die Stadt schließlich 1326 einnehmen und zur Hauptstadt seines kleinen Reiches erklären konnte. Im Jahr 1329 besiegte Orhan Kaiser Andronikos III. bei Pelekanos, und danach konnten die Byzantiner ihre verbliebenen Städte in Anatolien nicht mehr sichern. Diese fielen nun schnell nacheinander: 1331 Nikäa, 1337 Nikomedia und im folgenden Jahr Skutari. Die muslimischen Krieger konnten mit ihren Pferden jetzt über eigenes Land zum Meer reiten und über den Bosporus nach Europa blicken. Auf der anderen Seite konnten sie Konstantinopel erkennen: die Linie seiner Seewälle, die imposante Sophienkirche, die kaiserlichen Fahnen, die auf Türmen und Palästen wehten.
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Auf ihrem Vormarsch passten die Eroberer die griechischen Namen der eingenommenen Städte den vokalen Harmonien des Türkischen an. Aus Smyrna wurde Izmir; Nikäa, der Verkündungsort des Nizänischen Glaubensbekenntnisses, wurde zu Iznik; Brusa wurde durch eine Umstellung der Konsonanten zu Bursa; Konstantinopel bezeichneten sie offiziell zwar weiterhin mit dem arabischen Namen Konstantinijje, doch in der türkischen Alltagssprache entwickelte es sich zu Istanbul durch eine Mutation, die nach wie vor unklar ist. Vielleicht war dieser Name schlicht eine Verballhornung von Konstantinopel, er könnte aber auch einen anderen Ursprung haben. Griechische Autoren nannten Konstantinopel einfach nur polis, die Stadt. Ein Mann, der dorthin wollte, sagte, er fahre »eis tin polin« (»in die Stadt«), was in türkischen Ohren wie Istanbul geklungen haben könnte. Das rasche Vordringen der Osmanen erschien als ebenso gottgewollt wie jenes der Araber sieben Jahrhunderte zuvor. Als der berühmte arabische Reisende Ibn Battutah 1331 Orhans Reich besuchte, beeindruckte ihn die rastlose Energie, die dort herrschte: »Es heißt, er habe sich nie länger als einen Monat in einer Stadt aufgehalten. Er kämpft ständig gegen die Ungläubigen und hält sie unter Belagerung.«15 Die frühen Osmanen stellten sich als Gazis dar; sie umhüllten sich mit dem Titel von Glaubenskriegern wie mit der grünen Fahne des Islam. Bald wurden sie auch Sultane. Im Jahr 1337 ließ Orhan in Bursa eine Inschrift anbringen, in der er sich als »Sultan, Sohn des Sultans der Gazis, Gazi, Sohn des Gazi, Herrscher der Horizonte, Held der Welt«16 rühmen ließ. In der Tat war nun ein neues Zeitalter heroischer muslimischer Eroberungszüge angebrochen, und der militante Islam entwickelte neue Dynamik. »Der Gazi ist das Schwert Gottes«, schrieb der Chronist Ahmeti um 1400, »er ist der Beschützer und die Zuflucht der Gläubigen. Wenn er für Gott zum Märtyrer wird, glaubt nicht, dass er gestorben ist – er lebt in der Glückseligkeit mit Allah, er besitzt das ewige Leben.«17 Die Eroberungen weckten hohe Erwartungen bei den nomadisierenden Räubern, die auf eigene Faust operierten, und den der Mystik ergebenen Derwischen, die in zerlumpten Kleidern mit ihnen über die staubigen Straßen Anatoliens zogen. Prophezeiungen und Heldenlieder waren allenthalben im Schwange. Sie erinnerten an die Hadith über die Eroberung Konstantinopels und die Legenden vom Goldenen Apfel. Als Kaiser Johannes Cantacuzenos Orhans Kämpfer nach 1350 einlud, über die Dardanellen zu kommen und in die endlosen Bürgerkriege im byzantinischen Staat einzugreifen, setzten die Muslime erstmals seit 717 wieder ihre Füße auf europäischen Boden. Als 1354 durch ein Erdbeben die Mauern von Gallipoli zerstört wurden, erklärten die Osmanen dies kurzerhand zu einem Fingerzeig Gottes für die Muslime und nahmen die Stadt ein. Ein unablässiger Strom von Kriegern und Geistlichen folgte ihnen nach Europa. Im Jahr 1359 tauchte erstmals seit 650 Jahren wieder eine
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islamische Streitmacht vor den Mauern der Stadt auf. Ein Anflug von EndzeitErwartung war spürbar. »Warum sind die Gazi erst so spät erschienen?«, fragte Ahmeti. »Weil das Beste immer erst am Schluss kommt. Genau wie der eigentliche Prophet Mohammed nach den anderen kam, genau wie der Koran nach der Thora, den Psalmen und den Evangelien vom Himmel herabkam, so erschienen auch die Gazi als letzte in der Welt.«18 Die Eroberung Konstantinopels erschien offenbar als Traum, der durchaus wahr werden konnte. Dass die Osmanen so rasch vorrückten, war jedoch kein Wunder und auch nicht gottgegeben. Aufgrund der geographischen Lage, ihrer Gewohnheiten und glücklicher Umstände besaßen sie beste Voraussetzungen, um Nutzen aus dem Zerfall des byzantinischen Staates zu ziehen. Die ersten Sultane, die noch in enger Verbindung mit ihrem Volk und auch mit der Natur lebten, nahmen das sich verändernde politische Umfeld aufmerksam wahr. Während die Byzantiner im Banne tausendjähriger Zeremonien und Traditionen standen, waren die Osmanen wach, flexibel und aufgeschlossen. Die Gesetze des Islam verlangten Gnade gegenüber unterworfenen Völkern, und die Osmanen regierten ihre Untertanen mit leichter Hand, was vielen angenehmer erschien als die Herrschaft europäischer Feudalherren. Sie versuchten nicht, die Christen, welche die Bevölkerungsmehrheit bildeten, zum Islam zu bekehren – das war auch nicht erstrebenswert für eine Dynastie, die ein großes Reich errichten wollte. Unter dem Gesetz der Scharia war es nicht möglich, Muslime ebenso hart zu besteuern wie Ungläubige, wenngleich ihre Belastung nicht sonderlich hoch war. Die Bauern auf dem Balkan begrüßten die Befreiung vom schwereren Joch der feudalen Knechtschaft. Zudem besaßen die Osmanen eine vorteilhaftere Erbfolgepraxis. Im Unterschied zu anderen türkischen Fürstentümern hatten die frühen Sultane das Reich nie zwischen Nachfolgern aufgeteilt und auch nie selbst einen Nachfolger bestimmt. Alle Söhne wurden zu Herrschern herangezogen, aber nur einer konnte den Thron besteigen – eine Methode, die auf brutale Weise sicherzustellen schien, dass der am besten geeignete überlebte. Zur großen Verwunderung westlicher Beobachter legten sie auch keinen Wert darauf, die Nachfolge über eine Heirat zu sichern. Während die byzantinischen Kaiser, wie auch alle anderen europäischen Herrscherhäuser, sorgfältig darauf achteten, dass ihre Kinder nur innerhalb des eigenen Geschlechts oder Abkömmlinge einer anerkannten Adelsfamilie heirateten, interessierte dies die Osmanen kaum. Der Vater eines Sultans war natürlicherweise sein Vorgänger, aber seine Mutter konnte eine Konkubine sein oder eine Sklavin, womöglich war sie auch keine Muslima von Geburt oder entstammte einem der zahlreichen unterworfenen Völker. Diese genetische Beliebigkeit erschloss den Osmanen außergewöhnliche Ressourcen.
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Von allen Neuerungen der Osmanen war die Schaffung einer regulären Armee wahrscheinlich die bedeutendste. Die ungebärdigen Gruppen von Gazi-Kriegern waren zu undiszipliniert, um den wachsenden Ambitionen der Sultane gerecht zu werden; gut gesicherte Städte zu belagern, erforderte Geduld, methodisches Vorgehen und auch gewisse handwerkliche Fertigkeiten. Ende des 14. Jahrhunderts schuf Sultan Murat I. eine neue Streitmacht, die aus gefangenen Sklaven aus den Balkanstaaten bestand. Regelmäßig wurden christliche Jungen zwangsrekrutiert, mussten den Islam annehmen und Türkisch lernen. Fern von ihren Familien waren diese neuen Rekruten allein dem Sultan ergeben. Sie waren seine Leibgarde: die »Sklaven der Pforte«. Sie wurden in Infanterieeinheiten organisiert, den Yeni Cheri oder Janitscharen, und in Kavallerieverbänden, die zusammen die erste bezahlte Armee in Europa seit der römischen Zeit bildeten. Diesen Verbänden sollte entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des osmanischen Staates zukommen. Das Vorbild hatten die Osmanen aus ihrer eigenen Geschichte übernommen: Auch die Türken waren als Militärsklaven an den Grenzen der islamischen Welt rekrutiert worden. Das hatte ihren späteren Aufstieg ermöglicht. Doch für Christen, die diese Entwicklung aus der Ferne beobachteten, war es eine erschreckende Vorstellung: Dass gefangen genommene christliche junge Männer gegen andere Christen kämpfen sollten, erschien ihnen niederträchtig und unmenschlich. Die Zwangsrekrutierung von Christenkindern trug maßgeblich zur Entstehung des Mythos von den »barbarischen Türken« bei. Der Begriff »Türke« verbreitete sich rasch im Westen. Er war größtenteils ein europäisches Konstrukt, ein Ausdruck, der dem Selbstverständnis des Westens entsprach und von den Osmanen nur selten verwendet wurde. Diese betrachteten ihn vielmehr als herabsetzend. Sie bevorzugten Bezeichnungen, die weder einen ethnischen noch einen territorialen Anklang hatten und sowohl ihre nomadische Herkunft zum Ausdruck brachten, die Tatsache also, dass sie nicht an bestimmte Gebiete gebunden waren, als auch ihre multiethnische Zusammensetzung. Ihre Identität bezogen sie in erster Linie aus der Religion: Die osmanischen Sultane bezeichneten sich selbst in zunehmend blumiger werdender Sprache als »Herren des Islam« und ihr Reich als »Zuflucht der Gläubigen« oder als die »Verteidigten Länder« und ihr Volk entweder als Muslime oder als Osmanen. Das osmanische Selbstverständnis bestand aus einer einzigartigen Verbindung unterschiedlicher Elemente und Völkerschaften: aus türkischem Stammesdenken, dem sunnitischen Islam, persischem Hofzeremoniell, byzantinischen Verwaltungs- und Besteuerungsmethoden und einer zeremoniellen, hochtrabenden Hofsprache, die türkische Grammatik mit arabischem und persischem Vokabular verband. Aus diesem Konglomerat entwickelte sich eine eigenständige Identität.
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Der Aufstieg der Osmanen ging einher mit dem unaufhaltsamen Niedergang von Byzanz. Die Faktoren, die dazu führten, dass die Zeit nach 1300 in Europa als »Unglücksjahrhundert« bezeichnet wurde, waren auch im Ostreich wirksam. Zersplitterung, Bürgerkriege, Bevölkerungsschwund und Verarmung suchten Konstantinopel heim. Es gab einige bezeichnende symbolische Momente. Im Jahr 1284 traf Kaiser Andronikos die selbstmörderische Entscheidung, die kaiserliche Flotte abzuschaffen. Die arbeitslos gewordenen Seeleute liefen zu den Osmanen über und halfen diesen, eine eigene Flotte aufzubauen. Um das Jahr 1325 übernahmen die Kaiser aus dem Hause Palaiologos den Doppeladler in ihr Wappen; er symbolisierte jedoch nicht, wie häufig behauptet wurde, ein mächtiges Reich, das den Blick sowohl nach Osten als auch Westen richtete, sondern eher die Aufteilung der Autorität zwischen zwei streitsüchtigen Herrschern aus derselben Familie. Der Adler bekam eine prophetische Bedeutung. Die Jahre von 1341 bis 1371 waren geprägt von einer verheerenden Abfolge von Bürgerkriegen, Vorstößen sowohl der Osmanen als auch der mächtigen Serben, religiösen Auseinandersetzungen und einer Pestepidemie. Konstantinopel war die erste europäische Stadt, in der der Schwarze Tod wütete: Ratten, die im Schwarzmeerhafen Kaffa an Bord von Schiffen gelangt waren, wurden 1347 in die Stadt eingeschleppt. Die Bevölkerung schrumpfte auf wenig mehr als 100 000. Zudem verwüstete eine Reihe von Erdbeben Konstantinopel – die Kuppel der Hagia Sophia stürzte 1346 ein –, die Stadt »aus reinem Gold« verkam immer weiter, und ihre Bewohner verfielen in eine fatalistische Untergangsstimmung. Reisende berichteten vom erbärmlichen Erscheinungsbild der Stadt. Ibn Battutah sah keine Stadt mehr, sondern nur noch eine Ansammlung von dreizehn Dörfern, die durch Felder getrennt waren. Der Spanier Pero Tafur schrieb nach einem Besuch in Konstantinopel, dass selbst der Kaiserpalast in einem Zustand sei, »dass man daran und an der Stadt selbst ablesen [könne], welche Leiden den Menschen auferlegt wurden und noch auferlegt werden... Es gibt nur wenige Einwohner... Sie sind nicht gut gekleidet, sondern elend und arm, gezeichnet von der Härte des Schicksals«, bevor er voll christlichen Mitgefühls hinzufügte, »das jedoch nicht so schlimm ist, wie sie es verdienen, denn sie sind ein lasterhaftes Volk, das der Sünde erlegen ist«.19 Die Stadt schrumpfte in ihren Mauern wie ein alter Mann in den Kleidern seiner Jugendzeit, und auch die Kaiser mussten auf manche Annehmlichkeiten verzichten. Bei der Krönung von Kaiser Johannes VI. Cantacuzenos im Jahr 1347 bemerkten Beobachter, dass die Kronjuwelen aus Glas bestanden und die Tablette beim Bankett aus Ton und Zinn. Das goldene Geschirr
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war verkauft worden, um Geld für den Bürgerkrieg aufzutreiben; die Juwelen hatte man an Venedig verpfändet – sie befanden sich nun in der Schatzkammer von Sankt Markus. Während dieser Wirren drangen die Osmanen weiter ungehindert nach Europa vor. Im Jahr 1362 schlossen sie Konstantinopel weitgehend ein, als sie die 220 Kilometer westlich gelegene Stadt Adrianopel eroberten – im Türkischen Edirne genannt –, und verlegten die Hauptstadt ihres Reiches nach Europa. Nachdem sie 1371 die Serben besiegt hatten, war Kaiser Johannes von jeglicher christlicher Unterstützung abgeschnitten, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als ein Vasall der Sultane zu werden, der auf Geheiß Soldaten zur Verfügung stellen und bei Ernennungen um Erlaubnis nachsuchen musste. Der Vormarsch der Osmanen schien unaufhaltsam: Ende des 14. Jahrhunderts erstreckte sich ihr Gebiet bereits von der Donau bis zum Euphrat. »Die Ausdehnung der Türken oder Heiden ist wie das Meer«, schrieb der Serbe Michael »der Janitschar«, »es steht nie still, sondern ist ständig in Bewegung... Wenn man der Schlange nicht den Kopf abschlägt, wird es immer schlimmer.«20 Der Papst rief 1366 in einer Bulle zum Kreuzzug gegen die Osmanen auf und drohte den Führern der Handel treibenden Staaten in Italien und an der Adria vergeblich den Kirchenbann an, weil sie die Türken mit Waffen belieferten. In den folgenden fünfzig Jahren wurden drei Kreuzzüge gegen die Ungläubigen unternommen, allesamt unter der Führung von Ungarn, des bedrohtesten Staates in Osteuropa. Sie sollten zum Schwanengesang einer geeinten Christenheit werden. Jeder endete mit einer demütigenden Niederlage, deren Ursachen leicht ausfindig zu machen waren. Europa war gespalten, von Armut geplagt, wurde durch innere Konflikte erschüttert und vom Schwarzen Tod geschwächt. Die Heere waren schwerfällig, uneinig, undiszipliniert und taktisch unfähig im Vergleich zu den mobilen und gut organisierten Osmanen, die für eine gemeinsame Sache kämpften. Die wenigen Europäer, die sie aus der Nähe beobachten konnten, kamen nicht umhin, der »osmanische Ordnung« Bewunderung zu zollen. Der französische Reisende Bertrandon de la Brocquière berichtete um 1430: Sie sind fleißig und stehen gern früh auf. Sie brauchen wenig zum Leben... Es ist ihnen gleichgültig, wo sie schlafen, meistens liegen sie auf dem Boden... Ihre Pferde sind gut, sie werden, was das Futter anbelangt, kurz gehalten, und sie laufen sehr schnell und weit... Ihren Führern bringen sie bedingungslosen Gehorsam entgegen... Wenn das Zeichen ertönt, marschieren jene, welche die Vorhut bilden sollen, geordnet ab, gefolgt von den übrigen, die sich ebenso ruhig und geordnet verhalten... Zehntausend Türken machen weniger Lärm als hundert Soldaten aus christlichen Heeren... Ich muss gestehen, dass ich die Türken bei meinen mehrfachen Begegnungen stets freimütig und loyal erlebt habe, und wenn es erforderlich war, Mut zu beweisen, haben sie dies stets getan.21
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Entsprechend düster sah es zu Beginn des 15. Jahrhunderts aus für Konstantinopel. Belagerungen durch die Osmanen waren zu einer regelmäßig wiederkehrenden Begleiterscheinung des Lebens geworden. Als Kaiser Manuel 1394 seinen Vasalleneid brach, unternahm Sultan Bajezit mehrere Angriffe auf die Stadt, die erst eingestellt wurden, als Bajezit 1402 selbst in einer Schlacht vom türkischen Mongolen Timur besiegt wurde. Danach bemühten sich die byzantinischen Kaiser verzweifelt um Hilfe aus dem Westen – Manuel reiste 1400 sogar nach England –, während sie gegenüber den osmanischen Thronprätendenten eine Politik diplomatischer Intrigen und selektiver Unterstützung verfolgten. Sultan Murat II. belagerte Konstantinopel 1422, um Thronaspiranten zu ermutigen, doch die Stadt hielt abermals stand. Die Osmanen verfügten weder über eine Kriegsflotte, um die Stadt abzuriegeln, noch über die Technologie, ihre massiven Landmauern schnell zu stürmen, und Manuel, der mittlerweile zwar ein alter Mann war, aber nach wie vor ein gerissener Diplomat, gelang es, mittels eines weiteren osmanischen Möchtegern-Führers im Osmanischen Reich die Gefahr eines Bürgerkriegs zu schüren. Die Belagerung wurde aufgehoben, doch Konstantinopel war nun stark angeschlagen. Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Osmanen abermals auf die Stadt vorrücken und eine weitere Belagerung wagen würden. Allein die Angst vor einem vereinten europäischen Kreuzzug hielt sie noch davon ab.
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Mehmet Chelebi – Sultan – möge Gott die Zügel seiner Herrschaft an die Pflöcke der Ewigkeit binden und die Säulen seiner Macht stärken bis zum vorbestimmten Tag! Inschrift auf dem Grabmal der Mutter von Mehmet II.1
Konstantin Palaiologos, in Christi der wahre Kaiser und Alleinherrscher der Römer Offizieller Titel von Konstantin XI., dem 88. Kaiser von Byzanz
Der Mann, der die Schlinge der Muslime um die Stadt enger zusammenziehen sollte, wurde zehn Jahre nach der Belagerung durch Murat geboren. Der türkischen Überlieferung zufolge war 1432 ein Jahr der bösen Omen. Stuten brachten viele Zwillinge zur Welt; Bäume neigten sich unter der Last ihrer Früchte; ein Komet mit langem Schweif erschien am Mittagshimmel über Konstantinopel. Am Abend des 29. März wartete Sultan Murat im Königspalast in Edirne auf Nachrichten über die Geburt seines Kindes; da er nicht schlafen konnte, begann er im Koran zu lesen. Er war gerade zu den Suren über den Sieg der Muslime gelangt, jenen Versen, in denen der Triumph über die Ungläubigen versprochen wird, als ein Bote die Nachricht brachte, dass ihm ein Sohn geboren worden sei. Er erhielt den Namen Mehmet, den Namen von Murats Vater, die türkische Version von Mohammed. Wie viele Prophezeiungen haben auch diese deutliche Bezüge zur Vergangenheit. Mehmet war der dritte Sohn Murats; seine beiden Halbbrüder waren wesentlich älter, und der Junge erfreute sich nie einer besonderen Zuwendung seines Vaters. Er hatte nur geringe Chancen, später einmal Sultan zu werden. Für den Eintritt Mehmets in die Welt ist es vielleicht bezeichnend, dass über die Identität seiner Mutter wenig bekannt ist. Zwar versuchten einige türkische Geschichts-
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schreiber sie als ethnische Türkin und Muslima darzustellen, doch vieles spricht dafür, dass sie eine Sklavin aus dem Westen war, die bei einem Vorstoß über die Grenze gefangengenommen oder von Piraten entführt worden war, vielleicht eine Serbin oder Mazedonierin und höchstwahrscheinlich ursprünglich eine Christin – was ein eigenartiges Licht wirft auf einige Widersprüchlichkeiten in Mehmets Charakter. Unabhängig davon, welche Einflüsse sich in seiner Herkunft niederschlugen, entwickelte Mehmet ganz andere Wesenszüge als sein Vater Murat. Mitte des 15. Jahrhunderts waren die osmanischen Sultane keine ungebildeten Stammeshäuptlinge mehr, die im Sattel ihrer Pferde kriegerische Horden anführten. Die Verbindung des Glaubenskrieges mit dem Streben nach Beute hatte ein neues Selbstverständnis hervorgebracht. Der Sultan genoss in den Ländern des Islam nach wie vor hohes Ansehen als oberster Feldherr des Heiligen Krieges, doch dies wurde immer mehr zu einem Mittel dynastischer Politik. Die osmanischen Herrscher bezeichneten sich jetzt als »Sultan von Rum« – ein Titel, der Anspruch auf das Erbe des alten christlichen Reiches erhob – oder als »Padischah«, eine persische Bezeichnung für König oder Alleinherrscher. Von den Byzantinern übernahmen sie die Vorliebe für die zeremonielle Seite der Monarchie; ihre Prinzen wurden formell auf ihre späteren Aufgaben vorbereitet; die Paläste erhielten hohe Mauern; der Zugang zum Sultan wurde sorgfältig überwacht. Aus Angst vor Gift, Intrigen oder Mordkomplotten entfremdeten sich die Herrscher zunehmend von ihren Untertanen – eine Entwicklung, die nach der Ermordung von Murat I. durch einen serbischen Gesandten nach der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 eingesetzt hatte. Die Herrschaft von Murat II. stellte diesbezüglich einen Wendepunkt dar. Er bezeichnete sich weiter als »Bey« – der alte Titel für einen türkischen Adeligen – und nicht als »Sultan«, und er war bei seinem Volk sehr beliebt. Der ungarische Mönch Bruder Georg stellt überrascht fest, wie wenig zeremonieller Aufwand um ihn herum getrieben wurde. »Auf seiner Kleidung oder an seinem Pferd hatte der Sultan kein Zeichen, das ihn besonders hervorhob. Ich beobachtete ihn bei der Beerdigung seiner Mutter, und wenn man mich nicht auf ihn aufmerksam gemacht hätte, hätte ich ihn nicht erkannt.«2 Zugleich wurde eine gewisse Distanz geschaffen zwischen dem Sultan und seiner Umgebung. »Er nahm in der Öffentlichkeit niemals etwas zu sich«, beobachtete Bertrandon de la Brocqière, »und nur sehr wenige Menschen können sich rühmen, ihn sprechen oder trinken oder essen gesehen zu haben.«3 Diese Entwicklung führte dazu, dass sich die späteren Sultane weitgehend abriegelten in der hermetischen Welt des Topkapi-Palastes mit seinen kahlen Außenwänden und seinen prachtvollen Ritualen. Die kühle Atmosphäre des osmanischen Hofes prägte Mehmets Jugendjahre. Die Frage der Thronfolge warf einen langen Schatten auf die Erziehung der männ-
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lichen Kinder. Dass auf den Vater unmittelbar der Sohn folgte, war von entscheidender Bedeutung für das Überleben des Reiches – der Harem bot die Gewähr dafür, dass es stets genügend männliche Nachkommen gab –, doch darin lag zugleich seine größte Schwäche. Um den Thron stritten sich die männlichen Erben. Es gab kein Gesetz, das dem Ältesten den Vorzug einräumte; die überlebenden Prinzen kämpften nach dem Tode des Sultans um die Thronfolge. Das Ergebnis wurde als der Wille Gottes gedeutet. »Wenn Er beschlossen hat, dass du nach mir das Reich führen sollst«, schrieb ein Sultan an seinen Sohn, »wird kein lebender Mensch dies verhindern können.«4 In der Praxis wurde die Nachfolge häufig zu einem Wettrennen in das Zentrum – siegreich würde jener Nachkomme sein, der sich die Hauptstadt, die Schatzkammer und die Unterstützung des Militärs sicherte; diese Methode hatte zur Folge, dass sich der Fähigste und Gerissenste durchsetzte, oder sie führte zu einem Bürgerkrieg. Das Osmanische Reich stand Anfang des 15. Jahrhunderts kurz vor dem Zusammenbruch im Gefolge eines Machtkampfes, in den auch die Byzantiner tief verstrickt waren. In Konstantinopel war es fast zur Staatspolitik geworden, sich Schwächephasen der Osmanen zunutze zu machen, indem man rivalisierende Thronprätendenten unterstützte. Um sich gegen Präventivschläge zu schützen und ihre Söhne in der Staatskunst zu unterweisen, schickten die Sultane ihre männlichen Nachkommen schon in sehr jungen Jahren als Statthalter in die Provinzen, wo sie unter den wachsamen Augen sorgsam ausgewählter Hauslehrer heranwuchsen. Mehmet verbrachte seine ersten Jahre im Palastharem in Edirne, wurde aber schon mit zwei Jahren in die Regionalhauptstadt Amasya in Anatolien geschickt, wo er auf seine Ausbildung vorbereitet wurde. Sein älterer Halbbruder Ahmet, damals zwölf Jahre alt, wurde zur selben Zeit Gouverneur der Stadt. Dunkle Mächte schwebten über den Thronerben im folgenden Jahrzehnt. Im Jahr 1437 starb Ahmet unerwartet in Amasya. Sechs Jahre später, als Mehmets anderer Halbbruder Ali Gouverneur war, wurde im Palast der Stadt eine weitere grausame Tat begangen. Ein einflussreicher Adeliger namens Kara Hizir Pascha wurde von unbekannten Personen nach Amasya geschickt. Es gelang ihm, sich nachts in den Palast einzuschleichen und Ali im Bett zu erwürgen sowie auch dessen zwei kleine Söhne. In einer einzigen Nacht wurde ein ganzer Zweig der Familie ausgelöscht. Nun war Mehmet der einzige verbliebene Thronerbe. Wie ein schwarzer Schatten hinter diesen undurchschaubaren Ereignissen vollzog sich in dieser Zeit ein langjähriger Machtkampf in der osmanischen Führungsschicht um den Geist des Staates. Während seiner Herrschaft hatte Murat die Position der Janitscharen gestärkt und einige ehemalige Christen, die zum Islam übergetreten waren, zu Wesiren bestellt, um ein Gegengewicht zu schaffen zum alten türkischen Adel
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und zur Armee. Diese Auseinandersetzung sollte erst neun Jahre später vor den Mauern Konstantinopels ein Ende finden. Ali war Murats Lieblingssohn gewesen: Sein Tod erschütterte den Sultan sehr – obwohl es nicht ausgeschlossen ist, dass Murat selbst die Tötungen anordnete, nachdem er eine Verschwörung des Prinzen aufgedeckt hatte. Vielleicht wurde ihm klar, dass es nun keine andere Möglichkeit mehr gab und er den jungen Mehmet nach Edirne zurückholen und seine Erziehung selbst in die Hand nehmen musste. Zu diesem Zeitpunkt verkörperte der Elfjährige die Zukunft des Osmanischen Reiches. Murat war entsetzt, als er den Jungen wiedersah. Er war starrköpfig, eigenwillig und schwer erziehbar geworden. Mehmet hatte sich offen mit seinen früheren Tutoren angelegt, sich geweigert, Strafen anzunehmen oder den Koran auswendig zu lernen. Murat beauftragte den berühmten Mullah Ahmet Guran damit, den jungen Prinzen gefügig zu machen. Mit einem Rohrstock in der Hand begab sich der Geistliche zum Prinzen. »Dein Vater«, erklärte er, »hat mich geschickt, um dich zu unterweisen, aber auch, dich zu züchtigen, wenn du nicht gehorchst.«5 Mehmet lachte laut über diese Drohung. Da verabreichte ihm der Mullah eine gehörige Tracht Prügel, worauf sich der Junge schnell wieder seinen Studien zuwandte. Unter dem Furcht einflößenden Hauslehrer begann Mehmet, sich den Koran anzueignen, und befasste sich später auch mit anderen Wissensgebieten. Der Junge erwies sich als außerordentlich intelligent und zeigte einen eisernen Willen zum Erfolg. Er lernte mehrere Sprachen fließend zu sprechen – den Berichten zufolge beherrschte er Türkisch, Persisch und Arabisch, dazu die griechische Umgangssprache, einen slawischen Dialekt und ein wenig Latein – und entwickelte großes Interesse für Geschichte und Geographie, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Literatur. Eine herausragende Persönlichkeit begann sich zu formen. In den Jahren nach 1440 erlebten die Osmanen eine weitere Krisenphase. Das Reich wurde in Anatolien durch den Aufstand eines seiner türkischstämmigen Vasallen bedroht, des Beys von Karaman, während man im Westen einen neuen Kreuzzug unter Führung der Ungarn vorbereitete. Murat glaubte, er habe die christliche Bedrohung durch einen zehnjährigen Friedensvertrag entschärft, und plante, sich nach Anatolien zu begeben, um den aufsässigen Bey zu unterwerfen. Bevor er aufbrach, erklärte er überraschend seinen Thronverzicht. Er fürchtete den Ausbruch eines Bürgerkrieges und wollte Mehmet auf den Thron hieven, bevor er starb; auch ein gewisser Weltschmerz und Überdruss mag dabei eine Rolle gespielt haben. Ein osmanischer Sultan hatte zahlreiche Amtspflichten zu erfüllen, und möglicherweise war Murat auch bedrückt wegen der Ermordung seines Lieblingssohnes Ali. Mit zwölf Jahren wurde Mehmet in Edirne zum Sultan ernannt unter
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der Vormundschaft des vertrauenswürdigen Großwesirs Halil. Münzen wurden mit seinem Namen geprägt, und er wurde entsprechend den Vorschriften in die wöchentlichen Fürbitten aufgenommen. Das Experiment erwies sich als katastrophaler Fehlschlag. Ermutigt dadurch, dass er es nun mit einem unreifen Jüngling zu tun hatte, stellte der Papst unverzüglich den ungarischen König Ladislaus von seinem Friedensgelübde frei, und das Kreuzfahrerheer machte sich auf den Weg. Im September überquerten die Kreuzritter die Donau; zugleich wurde eine venezianische Flotte zu den Dardanellen entsandt, um Murats Heimkehr zu unterbinden. Die bedrohung heizte die Atmosphäre in Edirne auf. Im Jahr 1444 war ein glühender religiöser Fanatiker, der einer schiitischen Sekte angehörte, in der Stadt erschienen. Die Menschen liefen dem persischen Missionar zu, der eine Versöhnung zwischen dem Islam und dem Christentum versprach, und Mehmet, der sich von seinen Lehren angezogen fühlte, empfing ihn im Palast. Die Vertreter der Kirche waren entsetzt, auch Halil zeigte sich beunruhigt wegen des Häretikers. Man versuchte ihn zu verhaften. Als der Missionar im Palast Zuflucht suchte, musste Mehmet überredet werden, ihn auszuliefern. Schließlich wurde er zum öffentlichen Gebetsplatz gebracht und bei lebendigem Leibe verbrannt; seine Anhänger wurden getötet. Die Byzantiner versuchten, sich diesen Aufruhr zunutze zu machen. Ein osmanischer Thronprätendent, Prinz Orhan, den sie in der Stadt festhielten, wurde freigelassen, um eine Revolte zu schüren. In den europäischen Provinzen kam es zu Aufständen gegen die Osmanen. In Edirne brach Panik aus; die Stadt brannte zum großen Teil ab, und türkische Muslime flohen zurück nach Anatolien. Mehmets Herrschaft versank im Chaos. Murat hatte unterdessen mit dem Bey von Karaman einen Waffenstillstand geschlossen und eilte zurück nach Hause. Als er feststellte, dass die Dardanellen durch die venezianischen Schiffe blockiert waren, ließ er sich von deren Konkurrenten, den Genuesen, mit seinem Heer auf Fähren über den Bosporus bringen, wofür er den stattlichen Preis von einem Dukaten pro Kopf bezahlte. Dann rückte er weiter vor und traf am 10. November 1444 bei Varna am Schwarzen Meer auf das Kreuzfahrerheer. Die Schlacht endete mit einem überwältigenden Sieg der Osmanen. Der Kopf von Ladislaus wurde auf eine Lanze gespießt und zum Zeichen des Triumphes der Muslime in die alte osmanische Stadt Bursa geschickt. Dies war ein wichtiger Sieg der Muslime im Glaubenskrieg mit dem Christentum. Die Niederlage von Varna sorgte im Westen für ein Ende der 350 Jahre währenden Kreuzzugsbegeisterung: Die Christenheit sollte sich nie wieder zusammenschließen, um die Muslime aus Europa zu vertreiben. Dadurch festigte sich die Stellung der Osmanen auf dem Balkan, und Konstantinopel wurde zu einer isolierten christli-
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chen Enklave in der islamischen Welt, wodurch die Wahrscheinlichkeit schwand, dass der Westen der Stadt im Falle eines osmanischen Angriffs zu Hilfe kommen würde. Zudem machte Murat die Byzantiner verantwortlich für die Turbulenzen im Jahr 1444, eine Deutung, die alsbald die Strategie der Osmanen prägen sollte. Kurz nach der Schlacht von Varna und trotz des frühen Scheiterns von Mehmets Sultanat kehrte Murat nach Anatolien zurück. Halil Pascha blieb zunächst Wesir, aber Mehmet wurde stärker von zwei anderen Männern beeinflusst, die ihm als Statthalter dienten: dem Obereunuchen Schihabettin Pascha, dem Gouverneur der europäischen Provinzen, und Zaganos Pascha, einem zielstrebigen, ehemals christlichen Konvertiten. Beide Männer drängten darauf, einen Plan für einen Angriff auf Konstantinopel auszuarbeiten, da sie wussten, dass der Thronrivale Orhan nach wie vor in der Stadt lebte; die Eroberung sollte Mehmets Herrschaft stabilisieren, hofften sie, und das Ansehen des jungen Sultans stärken. Es ist offenkundig, dass Mehmet schon in jungen Jahren fasziniert war von der Möglichkeit, die christliche Stadt einzunehmen und sich zum Erben des Römischen Reiches aufzuschwingen. In einem Gedicht schrieb er: »Mein höchstes Trachten geht dahin, die Ungläubigen niederzuwerfen.«6 Doch Mehmets Eroberungsdrang war gleichermaßen imperial wie religiös motiviert und hatte teilweise auch einen nichtislamischen Ursprung. Er interessierte sich sehr für die Leistungen Alexanders des Großen und Julius Cäsars. Alexander war durch persische und türkische Epen im Mittelalter zu einem islamischen Helden aufgebaut worden. Mehmet war vermutlich schon von klein auf mit Alexanders Taten vertraut; er hatte sich im Palast täglich aus der Biographie des Welteroberers des römischen Autors Arrian vorlesen lassen. Unter diesen Einflüssen formte sich bei ihm eine Doppelidentität: Er sah sich als der muslimische Alexander, den seine Eroberungszüge bis ans Ende der Welt führen sollten, und als Gazi-Krieger, der den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen vorantreiben wollte. Mehmet wollte die Stoßrichtung der Weltgeschichte umkehren: Alexander war nach Osten gezogen; Mehmet wollte dem Orient und dem Islam Ruhm verschaffen, indem er den Westen eroberte. Es war eine ehrgeizige Vision, gefördert durch seine Berater, die sich durch eine Politik der Expansion persönliche Vorteile versprachen. Der frühreife Mehmet begann bereits 1445 mit Unterstützung seiner Tutoren einen neuen Plan für einen Angriff auf Konstantinopel auszuarbeiten. Er war damals 13 Jahre alt. Halil Pascha war zutiefst beunruhigt. Er missbilligte das Vorhaben des jungen Sultans; nach dem Debakel von 1444 fürchtete er, dass ein weiterer Versuch abermals in einer Katastrophe enden würde. Trotz seiner beträchtlichen Ressourcen wäre das Osmanische Reich in der jüngeren Vergangenheit beinahe in Bürgerkriegen zerfallen, und wie viele andere fürchtete auch Halil, dass
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ein erneuter Angriff auf Konstantinopel zu einem entschlossenen Gegenschlag aus dem Westen führen würde. Aber auch er hatte persönliche Motive: Er fürchtete eine Schwächung seiner eigenen Macht und des traditionellen muslimisch-türkischen Adels zugunsten der kriegerischen christlichen Konvertiten. Er begann auf den Sturz Mehmets hinzuarbeiten, indem er einen Aufstand der Janitscharen anzettelte; zugleich bat er Murat, nach Edirne zurückzukehren und wieder selbst die Staatsgeschäfte zu übernehmen. Murat wurde begeistert willkommen geheißen; der hochmütige, unnahbare junge Sultan war weder beim Volk noch bei den Janitscharen beliebt. Mehmet zog sich mit seinen Beratern nach Manisa zurück. Diese Demütigung sollte er nie vergessen oder verzeihen; eines Tages würde Halil dafür mit seinem Leben bezahlen müssen. Mehmet hielt sich bis zu Murats Tod im Hintergrund, obwohl er sich weiter als Sultan betrachtete. Er begleitete seinen Vater 1448 in die zweite Schlacht auf dem Amselfeld, wo die Ungarn einen letzten Versuch unternahmen, die Macht der Osmanen zu brechen. Das war Mehmets Feuertaufe. Trotz schwerer Verluste der Osmanen endete auch diese Schlacht mit einem Triumph wie bei Varna und festigte die Legende von der Unbesiegbarkeit der Osmanen. Im Westen begann sich Pessimismus auszubreiten. »Durch ihre Organisation sind die Türken weit voraus«, schrieb Michael der Janitschar. »Wenn du sie verfolgst, fliehen sie; aber wenn sie dich verfolgen, wirst du nicht entkommen... Die Tataren haben die Türken mehrmals besiegt, die Christen dagegen noch nie, insbesondere nicht in offener Feldschlacht, vor allem weil sie zulassen, dass die Türken sie umzingeln und von der Flanke her angreifen.«7 Murat verbrachte seine letzten Lebensjahre in Edirne. Der Sultan hatte anscheinend die Lust an weiteren militärischen Abenteuern verloren und gab der Stabilität des Friedens den Vorzug vor den Ungewissheiten des Krieges. So lange er lebte, erfreute sich Konstantinopel eines unsicheren Friedens; als er im Februar 1451 starb, trauerten Freunde und Feinde gleichermaßen um ihn. »Die Verträge, die er unter heiligem Eid mit den Christen schloss«, schrieb der griechische Chronist Doukas, »hielt er stets ein. Sein Zorn war kurzlebig. Er war dem Kriegführen abgeneigt und vom Frieden angetan, und aus diesem Grunde gewährte ihm der Vater des Friedens einen friedlichen Tod, und er starb nicht unter dem Schwert.«8 Der griechische Chronist hätte sich wohl weniger freundlich geäußert, hätte er gewusst, welchen Rat Murat seinem Nachfolger hinterlassen hatte. Aufgrund der Einmischung von Byzanz in die Auseinandersetzungen der Osmanen in der Zeit nach 1440 war er überzeugt, dass der osmanische Staat nicht sicher sein konnte, so lange Konstantinopel eine christliche Enklave blieb. »Er gab es seinem ruhmreichen Nachfolger als Vermächtnis auf«, schrieb der osmanische Chronist Sa’d-ud-
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din, »die Voraussetzungen für den Heiligen Krieg zu schaffen und diese Stadt einzunehmen, durch deren Eingliederung... er das Wohlergehen des muslimischen Volkes sichern und den verruchten Ungläubigen das Rückgrat brechen konnte.«9 Der Tod eines Sultans war stets ein gefährlicher Augenblick für den osmanischen Staat. Gemäß der Tradition und um eine Revolte des Militärs zu verhindern, wurde die Nachricht zunächst geheimgehalten. Murat hatte noch einen weiteren Sohn, einen kleinen Knaben namens Ahmet, der keine Gefahr für Mehmets Thronfolge darstellte, doch der Prätendent Orhan lebte nach wie vor in Konstantinopel, und Mehmet war nicht sonderlich beliebt beim Volk. Die Meldung vom Tod seines Vaters wurde ihm in einem versiegelten Brief von einem Kurier überbracht. Darin empfahl Halil Mehmet, nicht zu zaudern; sein rasches Erscheinen in Edirne sei unabdingbar, jedes Zögern könnte einen Aufstand provozieren. Der Überlieferung zufolge ließ Mehmet unverzüglich sein Pferd satteln und rief seinem Hofstaat zu: »Wer mich liebt, der folge mir.« In Begleitung der Soldaten seines Haushalts legte er die Strecke nach Gallipoli in zwei Tagen zurück. Als er Edirne erreichte, wurde er von einer großen Gruppe von Beamten, Wesiren, Mullahs, Statthaltern und gewöhnlichen Leuten mit einem Ritual empfangen, das aus jener Zeit stammte, als die Osmanen noch in den asiatischen Steppen lebten. Als sie noch eineinhalb Kilometer von der Stadt entfernt waren, stiegen die Abgesandten, die sie willkommen heißen sollten, von ihren Pferden ab und gingen schweigend auf ihre neuen Herren zu. Nach der Hälfte der Strecke blieben sie stehen und brachen in lautes Wehklagen für den verstorbenen Sultan aus. Auch Mehmet und sein Gefolge stiegen ab und stimmten in die Klage ein. Die winterliche Landschaft hallte wider von Klagegesängen. Die hohen Beamten verneigten sich vor dem neuen Sultan, dann stiegen alle wieder auf ihre Pferde und kehrten zum Palast zurück. Am nächsten Tag fand die offizielle Vorstellung der Minister statt. Es war eine schwierige Situation, denn die Wesire des alten Sultans erfuhren nun, was mit ihnen geschehen sollte. Mehmet saß auf dem Thron, umgeben von seinen Beratern, denen er vertraute. Halil Pascha saß weiter hinten und beobachtete, was Mehmet tat. Der junge Sultan sagte: »Warum stehen die Wesire meines Vater so weit hinten? Holt sie nach vorne und sagt Halil, er möge seinen üblichen Platz einnehmen.« Halil wurde als Oberster Wesir bestätigt. Diese Entscheidung war typisch für Mehmet: Vorläufig den Status quo aufrechtzuerhalten, während er seine eigenen Pläne schmiedete und auf einen günstigen Zeitpunkt wartete. Der neue Sultan war 17 Jahre alt, eine Mischung aus Zuversicht und Zaudern, Ehrgeiz und Reserviertheit prägte seinen Charakter. Die vergangenen Jahre hatten deutliche Spuren bei Mehmet hinterlassen. Er war vermutlich schon als kleiner Junge von seiner Mutter getrennt worden und hatte in der Schattenwelt des
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osmanischen Hofes größtenteils durch Glück überlebt. Schon als junger Mann galt er als sehr verschlossen und argwöhnisch gegenüber anderen: ein selbstbewusster, hochmütiger Mann, der keine menschlichen Regungen zeigte und von brennendem Ehrgeiz beseelt war – eine widersprüchliche und komplizierte Persönlichkeit. Der Mann, der später in der Renaissance als grausames und abartiges Ungeheuer dargestellt werden sollte, war eine Ansammlung von Widersprüchen. Er war schlau, tapfer und impulsiv – er war zu großer Verschlagenheit und tyrannischer Grausamkeit fähig, konnte aber auch unvermittelt sehr freundlich sein. Er war launisch und unberechenbar, ein bisexuell veranlagter Mann, der vor engeren Bindungen zurückschreckte, er verzieh niemals eine Beleidigung, wurde aber wegen seiner tiefen Frömmigkeit respektiert. Seine Hauptcharakterzüge waren bereits ausgebildet: Der spätere Tyrann, der auch ein Gelehrter war; der besessene Militärstratege, der persische Lyrik und Gartenbaukunst liebte; der Fachmann für Logistik und praktische Planungen, der so abergläubisch war, dass er sich bei militärischen Entscheidungen auf seinen Hofastrologen verließ; der islamische Krieger, der großzügig sein konnte gegenüber nichtmuslimischen Untertanen und die Gesellschaft von Ausländern und nichtorthodoxen Denkern des Islam suchte. Die Handvoll Porträts, die im Laufe seines Lebens entstanden, lieferten wahrscheinlich zum ersten Mal ein authentisches Bild eines osmanischen Sultans. Dabei zeigt sich ein sehr ebenmäßiges Gesicht – ein scharf geschnittenes Profil, eine Adlernase, die übervollen Lippen nach vorne ragt wie »ein Papageienschnabel, der auf Kirschen einpickt«,11 wie es ein osmanischer Poet bildhaft ausdrückte, umrahmt durch einen rötlichen Bart auf einem vorspringenden Kinn. In einer stilisierten Miniatur hält er mit juwelenbesetzten Fingern zart eine Rose an seine Nase. Dies entsprach der herkömmlichen Darstellung eines Sultans als Ästheten, Gartenliebhabers und Verfassers persischer Vierzeiler, doch sie ist verbunden mit einem starren Blick, als schaue er zu einem weit entfernten Punkt, wo die Welt verschwindet. Auf anderen, reiferen Porträts hat Mehmet einen Stiernacken und ist wohlbeleibt, und auf dem berühmten späten Porträt von Bellini, das heute in der Nationalgalerie in London hängt, wirkt er ernst und krank. Alle diese Bilder vermitteln einen Anflug von gelassener Autorität, die natürliche Aura der Macht von »Gottes Schatten auf Erden«, die auf der Gewissheit beruht, dass die Welt in seinen Händen liegt. Doch seine Haltung wirkt zu natürlich, um herablassend zu erscheinen, und sie bringt zugleich eine kühle Melancholie zum Ausdruck, die an die kalten und gefährlichen Jahre seiner Kindheit erinnert. Diese Porträts decken sich mit einer eindrucksvollen Beschreibung des jungen Mehmet durch den Italiener Giacomo de Languschi:
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Der Herrscher, der Große Türke Mehmet Bei, ist ein junger Mann ... gut gewachsen, von eher großer als mittlerer Statur, gewandt im Umgang mit Waffen, eher Furcht einflößend denn ehrwürdig, selten lachend, sehr umsichtig, ausgestattet mit Großzügigkeit, beharrlich im Verfolgen seiner Pläne, kühn in all seinen Unternehmungen und ähnlich erpicht auf Ruhm wie Alexander der Mazedonier. Jeden Tag lässt er sich römische und andere Werke vorlesen. Er spricht drei Sprachen, Türkisch, Griechisch und Slawisch. Er ist bemüht, sich die Geographie Italiens anzueignen... wo der Sitz des Papstes liegt und jener des Kaisers, und zu erfahren, wie viele Königreiche es in Europa gibt. Er besitzt eine Landkarte Europas mit allen Ländern und Provinzen. Er lernt nichts mit größerem Interesse und Begeisterung als die Geographie der Welt und militärische Angelegenheiten; er ist erfüllt von dem Verlangen zu herrschen; er prüft sehr geschickt alle Umstände. Mit einem solchen Mann haben wir Christen es zu tun... Heute, so sagt er, haben sich die Zeiten geändert, und er verkündet, dass er vom Osten in das Abendland vorstoßen werde, wie in früheren Zeiten die Menschen des Westens in den Orient gezogen sind. Es dürfe, so verkündet er, nur ein Reich geben, einen Glauben und einen Herrscher der Welt.12
Hier wurde Mehmets Ehrgeiz treffend beschrieben, den Lauf der Geschichte umzukehren und das Banner des Islam nach Europa zu tragen, doch bei seiner Thronbesteigung waren seine hochgesteckten Ziele und seine Intelligenz dem Westen noch weitgehend unbekannt. Im Abendland sah man nur einen unreifen und unerfahrenen Jüngling, dessen erste Berührung mit der Macht mit einer Demütigung geendet hatte.
Zwei Jahre vor Mehmets Thronbesteigung hatte auch Konstantinopel einen neuen Kaiser willkommen geheißen, allerdings unter völlig anderen Umständen. Der Mann, der sich Mehmets Tatendrang entgegenstemmen sollte, trug den Namen des Stadtgründers, eine Tatsache, deren Symbolkraft die abergläubischen Byzantiner schnell zu deuten wussten. Konstantin XI. war seit 1261 das achte Mitglied der Palaiologos-Dynastie auf dem Thron. Die Familie hatte einst die Macht an sich gerissen, aber während ihrer Herrschaft war das Reich immer mehr in Anarchie und Streit versunken. In der Herkunft des neuen Kaisers mischten sich wie üblich verschiedene Einflüsse. Er sprach Griechisch, war aber eigentlich kein Grieche: Seine Mutter war Serbin, und Konstantin nahm deren Familiennamen Dragases an, sein Vater war Halbitaliener. Wie alle Byzantiner verstand er sich als Römer und schmückte sich mit dem stolzen und altehrwürdigen Titel seiner Vorgänger: »Konstantin Palaiologos, durch Christus wahrer Kaiser und Selbstherrscher der Römer.«
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Es war ein hohles Protokoll, aber typisch für die Rituale und Zeremonien, an die sich die Byzantiner im Laufe des unerbittlichen Niedergangs ihres Reiches klammerten. Das Reich besaß einen Hochadmiral, aber keine Flotte, einen Oberbefehlshaber, aber nur wenige Soldaten. In der engen Welt des Hofes rangelten und stritten die Adeligen um absurd aufgeblasene Titel wie Großer Haushofmeister, Großkanzler oder Aufseher über die Kaiserliche Garderobe. Konstantin war im Grunde ein Kaiser ohne Macht. Sein Herrschaftsgebiet war zusammengeschrumpft auf die Stadt und deren Vororte, ein paar Inseln und einige verbundene Gebiete auf der Peloponnes, welche die Griechen etwas abschätzig Morea nannten, Maulbeerblatt: Die Halbinsel war berühmt für ihre Seidenproduktion, und ihre Form erinnerte sie an die Nahrung der Seidenraupe. Konstantin war um seine Krone nicht zu beneiden. Er übernahm ein bankrottes Reich und eine Stadt, die gespalten war durch religiöse Zwistigkeiten. Die große Unterschicht begehrte häufig auf, und Konstantin gehörte einer Familie an, die sich gern in Bürgerkriege verstrickte. Das Reich war eine Schlangengrube familiärer Intrigen und Fehden – 1442 zog Konstantins Bruder Demetrios mit osmanischen Truppen gegen die Stadt. Konstantinopel war nur eingeschränkt selbstständig und ein Vasall des osmanischen Herrschers, der die Stadt jederzeit unter Belagerung stellen konnte. Auch Konstantins persönliche Macht war keineswegs gefestigt: Es herrschten gewisse Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Thronbesteigung. Er wurde 1449 in Mistra auf der Peloponnes inthronisiert, was sehr unüblich war für einen Kaiser, und er wurde nie in der Sophien-Kirche gekrönt. Die Byzantiner mussten die Inthronisierung durch Murat absegnen lassen, hatten dann aber nicht das Geld, um den neuen Kaiser nach Hause zu bringen. Er musste um die Überfahrt auf einem katalanischen Schiff nachsuchen. Von der Stadt, in die er im März 1449 zurückkehrte, gibt es keine zeitgenössischen Darstellungen. Eine etwas ältere italienische Karte zeigt Konstantinopel mit zahlreichen leeren Flächen, während die Genueser Handelskolonie Galata, auch Pera genannt, jenseits des Goldenen Horns florierte: »Eine große Stadt, die von Griechen, Juden und Genuesen bewohnt wird«,13 berichtete der Reisende Bertrandon de la Brocqière, der sie als den schönsten Hafen bezeichnete, den er je gesehen habe. Auch Konstantinopel erschien dem französischen Ritter faszinierend, aber heruntergekommen. Die Kirchen seien sehr eindrucksvoll, insbesondere die Hagia Sophia; dort sah er »den Rost, auf dem der Heilige Laurentius verbrannt wurde, und einen großen Stein in Form einer Waschbank, auf dem Abraham den Engeln Nahrung gegeben haben soll, als sie sich anschickten, Sodom und Gomorrha zu vernichten«.14 Die große Reiterstatue von Justinian, den er mit Konstantin dem Großen verwechselte, stand noch am alten Ort: »Er hält ein Szepter in der Linken
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und streckt die Rechte zur Türkei in Asien aus und zur Straße nach Jerusalem, als wolle er darauf hinweisen, dass all dieses Land unter seiner Herrschaft steht.« Doch die Wahrheit sah offensichtlich anders aus – der Kaiser war kaum Herr im eigenen Haus. Kaufleute aus allen Nationen halten sich in der Stadt auf, aber die mächtigsten sind die Venezianer, die einen eigenen Bailo besitzen, der ihre Angelegenheiten unabhängig vom Kaiser und dessen Ministern regelt. Auch die Türken haben einen Beamten, der ihre Geschäfte überwacht und ähnlich wie jener der Venezianer unabhängig vom Kaiser ist. Sie besitzen sogar das Vorrecht, dass der Kaiser auf ihre Aufforderung hin einen entlaufenen Sklaven freigeben muss, wenn dieser in der Stadt Zuflucht gesucht hat. Dieser Fürst muss dem Türken sehr weitgehend untertan sein, denn er leistet ihm, wie man mir sagte, eine jährliche Tributzahlung von zehntausend Dukaten.15
De la Brocquière sah überall Grabinschriften, die von der vergangenen Größe des Reiches kündeten – besonders aussagekräftig waren drei anscheinend leere marmorne Grabplatten im Hippodrom: »Hier standen einst drei vergoldete Pferde, die sich jetzt in Venedig befinden«. Es erschien nur als eine Frage der Zeit, bis die Osmanen die Stadt abermals angreifen würden und die Bevölkerung ihnen die Tore öffnen würde. Sie hatte 1430 eine deutliche Warnung erhalten, als sich Thessaloniki geweigert hatte, sich Murat zu ergeben. Die Osmanen hatten nur drei Stunden gebraucht, um die Mauern zu stürmen, darauf folgten drei Tage mit Vergewaltigungen und Plünderungen; 7000 Frauen und Kinder wurden in die Sklaverei gezwungen. Wir wissen kaum etwas über die äußere Erscheinung Konstantins. Anscheinend erbte er die ausgeprägten, regelmäßigen Gesichtszüge und die Körperhaltung seines Vaters Manuel II., doch das Reich war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als Porträts des neuen Herrschers in Auftrag zu geben, und das Goldsiegel des Staates, auf dem ein schmales, falkenartiges Antlitz zu sehen ist, ist viel zu schematisiert, um aussagekräftig zu sein. Doch es herrscht Einigkeit, was seine Persönlichkeit betrifft. Von allen Söhnen Manuels war Konstantin der fähigste und vertrauenswürdigste: »Ein Menschenfreund und ein Mann ohne Hinterlist«, der durch Entschlossenheit, Mut und eine tiefe Liebe zu seinem Heimatland geprägt war. Anders als seine streitsüchtigen und undisziplinierten Brüder war Konstantin aufrichtig und geradlinig; die Menschen in seiner Umgebung empfanden anscheinend eine tiefe Verehrung für ihn. Allen Berichten zufolge war er mehr ein Mann der Tat, als ein begabter Verwalter oder tiefschürfender Denker, geschickt im Umgang mit Pferden und versiert in der Kriegskunst, mutig und unternehmungslustig. Vor allem ließ er sich durch Rückschläge nicht entmutigen. Ein starkes Verantwor-
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tungsgefühl für das Erbe von Byzanz war kennzeichnend für seinen Charakter; sein ganzes Leben lang bemühte er sich, dieses Erbe zu erhalten. Konstantin war 27 Jahre älter als Mehmet; er war 1405 in Konstantinopel geboren worden und machte sich wohl seit seiner frühen Jugend kaum Illusionen über die missliche Lage der Stadt. Mit 17 Jahren erlebte er die Belagerung durch Murat; im folgenden Jahr wurde er zum Regenten ernannt, während sein Bruder Johannes VIII. eine seiner nutzlosen Rundreisen durch die christlichen Staaten unternahm, um Unterstützung für Byzanz zu erheischen. Bei seiner Thronbesteigung 1449 war er 44 Jahre alt und hatte bereits zwei Jahrzehnte voller Kämpfe hinter sich. Meist war es darum gegangen, die Peloponnes für Byzanz zu halten oder zurückzuerobern, freilich mit wechselndem Erfolg. Bis 1430 hatte er die meisten kleinen ausländischen Königreiche von der Halbinsel vertrieben, und in den 1440er-Jahren dehnte er als Herrscher von Morea die Grenzen seines Reiches bis Nordgriechenland aus. Für Murat war er ein ständiges Ärgernis; ein aufmüpfiger Vasall, der in die Schranken gewiesen werden musste. Die Vergeltung erfolgte 1446 nach dem gescheiterten Kreuzzug von Varna. Ein osmanisches Heer stieß nach Morea vor, verwüstete das Land und versklavte 60 000 Griechen. Konstantin musste einen demütigenden Friedensvertrag unterzeichnen, dem Sultan den Vasalleneid leisten und einen hohen Tribut zahlen. Dadurch wurde der Versuch vereitelt, den Einfluss der Byzantiner in Griechenland wieder zu stärken, doch durch seinen Kampfgeist, sein militärisches Können und seine Zielstrebigkeit unterschied sich Konstantin deutlich von seinen drei Brüdern – Demetrios, Thomas und Theodor –, die selbstsüchtig, hinterhältig, streitlustig und unentschlossen waren und ihn daran zu hindern suchten, die Reste des Reiches zusammenzuhalten. Ihre Mutter Helena musste Konstantins Anspruch auf den Thron durchsetzen: Ihm allein konnte das Erbe anvertraut werden. Laut der späteren byzantinischen Überlieferung verfolgte Konstantin das Pech wie ein Fluch. Sein gut gemeintes Unternehmen in Morea war mutig, stand aber unter einem ungünstigen Stern. Er hatte nach der Katastrophe von Varna alleine weitergekämpft, nachdem die venezianische Flotte nach Hause gesegelt war und die Genuesen die versprochene Hilfe nicht geschickt hatten, doch diese Beharrlichkeit hatte dem griechischen Volk großes Leid beschert. Auch privat hatte Konstantin wenig Glück. Seine erste Frau starb 1429 kinderlos, seine zweite 1442. Ende der 1440er-Jahre unternahm er mehrere Versuche, eine dynastische Heirat zustande zu bringen, um seine Krone zu sichern und vielleicht doch noch einen natürlichen Nachfolger zu bekommen. Doch alle Hoffnungen blieben unerfüllt in der angespannten politischen Atmosphäre am Vorabend von Mehmets Thronbesteigung.
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Im Februar 1451 bezog Mehmet den Königspalast in Edirne. Seine erste Handlung war überraschend und von entscheidender Bedeutung. Murat hatte einen kleinen Sohn hinterlassen, der von einer anderen Ehefrau stammte: Ahmed. Einige Tage nach Murats Tod, als sich die Mutter in den Thronsaal begeben hatte, um Mehmet ihr Beileid zu bekunden, schickte dieser einen Höfling namens Ali Bey in die Gemächer der Frau und ließ Ahmed im Bad ertränken. Am folgenden Tag ließ er Ali Bey wegen dieser Tat hinrichten, dann verheiratete er die gebrochene Mutter mit einem seiner adeligen Gefolgsleute. Es war eine ebenso skrupellose wie intelligente Tat, durch die der Machtkampf am osmanischen Hof zu seinem logischen Ende geführt wurde: Nur einer konnte herrschen, und um die Gefahr eines Bürgerkriegs zu bannen, durfte nur einer überleben – den Osmanen erschien dies vernünftiger als die endlosen Rivalitäten, unter denen Byzanz ausblutete. Mit einem Handstreich hatte Mehmet ein Modell für die osmanische Thronfolge geschaffen, das er später als Gesetz des Brudermords verankerte: »Welcher meiner Söhne auch immer den Sultansthron erbt, es geziemt sich für ihn, seinen Bruder zu töten im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung der Welt. Die meisten Rechtsgelehrten haben dieses Verfahren gebilligt. Handeln wir also ebenso.«15 Fortan sollte daher jeder Thronbesteigung mit schrecklicher Gewissheit eine Hinrichtung folgen. Dieser Brauch führte 1595 unter dem Sultanat von Mehmet III. zu einem wahren Exzess, als 19 Särge mit den Leichen seiner Brüder aus dem Palast getragen wurden. Doch auch das Brudermord-Gesetz konnte den Ausbruch von Bürgerkriegen nicht verhindern: Es begünstigte vielmehr vorbeugende Rebellionen von Söhnen, die um ihr Leben fürchteten, eine Folge, die auch Mehmet selbst zu spüren bekommen sollte. In Konstantinopel hätte man aus den Umständen des Todes des kleinen Ahmet Rückschlüsse ziehen können auf Mehmets Charakter. Aber offenbar wurde dies versäumt.
4 Das »Messer an der Kehle« Fe b r u a r 14 51 – N o v e m b e r 14 5 2
Siehe, der Bosporus schließt mit einem goldenen Schlüssel und öffnet / Schließt und öffnet zugleich Meere und Weltteile zween. Pierre Gilles, französischer Gelehrter aus dem 16. Jahrhundert1
Überall im Abendland wurde der Tod Murats mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. In Venedig, Rom, Genua und Paris machte man sich nur allzu gern eine Ansicht zu eigen, die der Italiener Francesco Filelfo einen Monat später in einem Brief an den französischen König Karl zum Ausdruck brachte, wonach der junge Mehmet ein unerfahrener und einfältiger Mann sei. Weniger aufnahmebereit war man gegenüber seiner Schlussfolgerung, dass es nun an der Zeit sei, durch einen großangelegten Feldzug die Osmanen, »eine Horde käuflicher, verkommener Sklaven«,2 ein für allemal aus Europa zu vertreiben. Die Lust auf einen weiteren Kreuzzug war durch das blutige Debakel bei Varna 1444 nachhaltig gedämpft worden, und die europäischen Potentaten freuten sich darüber, dass nun der unerfahrene und bislang eher glücklose Mehmet den osmanischen Thron bestieg. Doch jene, die den Großen Türken näher kannten, wussten es besser. Georgios Sphrantzes, der höchst angesehene Botschafter Konstantins, befand sich auf seiner Reise vom König von Georgien zum Kaiser von Trapezunt gerade auf dem Schwarzen Meer, als Murat starb. Sphrantzes war in vielfältige diplomatische Aktivitäten eingebunden, die darauf zielten, für den verwitweten Konstantin eine standesgemäße Braut zu finden, um seine missliche Lage zu verbessern, ihm die Gelegenheit zu verschaffen, einen Thronerben zu zeugen und seine Schatzkammer mit einer stattlichen Mitgift zu füllen. In Trapezunt empfing ihn Kaiser Johannes Komnenos sehr herzlich mit den Worten: »Herr Gesandter, ich habe Euch eine freudige Nach-
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richt mitzuteilen, nur müsst Ihr mir dafür ein schönes Botengeschenk machen.« Sphrantzes reagierte bestürzt, als ihm der Kaiser den Tod des Sultans mitteilte: »Als ich dies hörte, verstummte ich und empfand einen solchen Schmerz, wie wenn ich den Tod eines meiner liebsten Angehörigen erfahren hätte. Dann sagte ich, niedergeschlagen: ›Majestät, das ist keine angenehme Nachricht, sondern eine höchst schmerzliche.‹« Sphrantzes berichtete dem Kaiser, was er über Mehmet wusste – dass er »von Kindheit an ein Feind der Christen« gewesen sei und darauf brenne, Konstantinopel zu erobern. Und Konstantin habe so wenig Finanzmittel, dass er dringend eine Zeit des Friedens und der Stabilität brauche, um die Kassen der Stadt wieder zu füllen.3 Aus Konstantinopel wurden eilends Abgesandte nach Edirne geschickt, um dem jungen Sultan die Ehre zu erweisen und sich rückzuversichern. Sie waren angenehm überrascht über den Empfang, der ihnen bereitet wurde. Mehmet zeigte sich vernünftig und zugänglich. Es heißt, er habe beim Propheten, dem Koran und den Engeln und Erzengeln geschworen, dass er »sich dem Frieden mit der Stadt und dem christlichen Kaiser verpflichtet fühle, solange er lebe«.4 Er versprach den Byzantinern sogar eine jährliche Zahlung aus den Steuereinnahmen einiger griechischer Städte im Struma-Tal, die eigentlich für Prinz Orhan bestimmt waren, den osmanischen Thronanwärter. Das Geld sollte für den Unterhalt Orhans verwendet werden, solange er in der Stadt festgehalten wurde. Den zahlreichen weiteren Gesandten wurden ähnliche Zusicherungen gegeben. Im September erneuerten die Venezianer, die Handelsinteressen in Edirne hatten, ihren Friedensvertrag mit Mehmet, während der serbische Despot Georg Brankovi durch die Rückkehr seiner Tochter besänftigt wurde, die mit Murat vermählt gewesen war, sowie durch die Rückgabe einiger Städte. Dafür verlangte Mehmet von Georg, ihn bei Verhandlungen mit den Ungarn zu unterstützen, die unter ihrem brillanten Führer, dem Regenten Johann Hunyadi, für die Osmanen die größte Gefahr aus dem christlichen Europa darstellten. Da Hunyadi zu Hause ebenfalls Aufsässige niederschlagen musste, willigte er in einen dreijährigen Friedensvertrag ein. Auch Gesandte von den Genuesen in Galata, von den Fürsten von Chios, Lesbos und Rhodos, aus Trapezunt, der Wallachei und Dubrovnik erreichten ähnliche Friedensgarantien zu annehmbaren Bedingungen. Im Herbst 1451 war man im Westen allgemein der Auffassung, dass Mehmet fest unter der Kuratel des friedliebenden Großwesirs Halil Pascha stehe und für niemanden eine Bedrohung darstelle – und anscheinend ließen sich auch in Konstantinopel viele Leute, die weniger wachsam oder erfahren waren als Sphrantzes, in Sicherheit wiegen. Die Könige und Potentaten der christlichen Welt wollten nur zu gern glauben, dass keine Gefahr drohe. Mehmet jedoch durchdachte sorgfältig, was er tat.
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Die Christen waren nicht die Einzigen, die Mehmets Willensstärke unterschätzten. Im Herbst 1451 versuchte der aufmüpfige Bey von Karaman abermals, den Osmanen einige Gebiete in Westanatolien zu entreißen. Er eroberte Festungen, setzte ehemalige Stammesführer wieder ein und stieß auf osmanisches Territorium vor. Mehmet schickte seine Generäle, um den Aufstand niederzuschlagen, und erschien auch selbst am Ort des Geschehens, nachdem er in Edirne die Friedensverträge unter Dach und Fach gebracht hatte. Die Revolte wurde rasch niedergeschlagen, und Mehmet kehrte wieder nach Hause zurück. In Bursa wartete eine weitere Kraftprobe auf ihn – diesmal ging sie von seiner eigenen Elitetruppe aus, den Janitscharen. »Sie standen bewaffnet zu beiden Seiten der Straße und riefen ihm zu: ›Dies war erste Feldzug unseres Sultans, und dafür sollte er uns die üblichen Zulagen bezahlen.‹«.5 Mehmet sah sich gezwungen, die Forderung zu erfüllen; zehn Säcke mit Münzen wurden unter den Meuterern verteilt, doch für Mehmet war dies eine entscheidende Herausforderung seiner Autorität, die er nicht hinnehmen wollte. Einige Tage später rief er den General der Janitscharen zu sich, tadelte ihn und enthob ihn seines Postens; mehrere Offiziere wurden auf ähnliche Weise bestraft. Dies war die zweite Revolte, die Mehmet erlebte, und er erkannte, dass er sich rückhaltlos auf die Janitscharen verlassen können musste, wenn die Eroberung von Konstantinopel gelingen sollte. Das Regiment wurde entsprechend umstrukturiert; er stockte es um 7000 Männer aus seiner eigenen Leibgarde auf und ernannte einen neuen General. Zur selben Zeit leiteten Konstantin und seine Berater eine Initiative in die Wege, die zeigte, wie wenig sie Mehmet verstanden hatten. Prinz Orhan, der einzige verbliebene osmanische Kronprätendent, saß noch immer in Konstantinopel; sein Unterhalt wurde aus den Steuermitteln bestritten, die der Sultan im Sommer der Stadt bewilligt hatte. Die Byzantiner schickten Abgesandte zu Halil in Bursa mit einer dringenden Bitte: Der Kaiser von Rom kann sich nicht einverstanden erklären mit der jährlichen Zuwendung von dreihunderttausend Aspern. Denn Orhan, der Eurem Herrscher gleichgestellt ist, ist nunmehr volljährig geworden. Jeden Tag scharen sich viele Menschen um ihn. Sie nennen ihn ihren Herrn und ihren Führer. Er selbst verfügt nicht über die Mittel, um sich großzügig zu erweisen gegenüber seinen Gefolgsleuten, daher wendet er sich an den Kaiser, doch dieser kann solchen Bitten nicht entsprechen, da es ihm an Geld mangelt. Daher ersuchen wir Euch: Entweder Ihr verdoppelt die Zuwendung, oder wir müssen Orhan freilassen.6
Das war eine unverhohlene Drohung: Wenn der Sultan nicht mehr bezahlte, würde ein neuer Thronrivale auftauchen und das Reich in einen Bürgerkrieg stürzen.
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Es war ein klassisches Manöver. Die Ausnutzung von Rivalitäten in den Herrscherhäusern angrenzender Staaten war seit jeher ein Grundzug der byzantinischen Diplomatie gewesen. Dadurch hatte Byzanz Phasen militärischer Schwäche überspielt und sich den Ruf erworben, ein unübertrefflicher Meister der Ranküne zu sein. Die Osmanen hatte diese Taktik bereits unter Konstantins Vater Manuel II. kennengelernt, als die Dynastie beinahe zusammengebrochen wäre durch einen Bürgerkrieg, den der Kaiser geschickt geschürt hatte, eine Schlappe, an die sich Mehmet noch sehr gut erinnerte. Für Konstantin war Orhan offensichtlich ein Ass im Ärmel, vielleicht die einzige Karte, die er noch hatte, und er entschloss sich, sie auszuspielen. Unter den gegebenen Umständen war dies ein schwerer Fehler – und geradezu unerklärlich in Anbetracht der Tatsache, dass erfahrene Diplomaten wie Sphrantzes mit der Politik am osmanischen Hof wohl vertraut waren. Wahrscheinlich wurde dieser Schritt eher wegen der desolaten Staatsfinanzen unternommen, denn die Hoffnung, einen Aufstand anzetteln zu können, war wenig realistisch. Die Kriegspartei am osmanischen Hof sah darin jedoch eine Bestätigung ihrer Argumente, warum Konstantinopel erobert werden müsse. Fast schien es, als ziele der Vorstoß darauf, Halils Friedensbemühungen zu untergraben und die Position des Wesirs zu schwächen. Der alte Wesir erwiderte erzürnt: Ihr törichten Griechen, ich habe genug von euren finsteren Machenschaften. Der verstorbene Sultan hat euch wie ein nachsichtiger und pflichtbewusster Freund behandelt. Der jetzige Sultan ist anders gesinnt. Wenn sich Konstantin seinem kühnen und machtvollen Griff entwinden kann, dann nur deswegen, weil Gott über eure hinterhältigen und verschlagenen Ränke hinwegzusehen bereit ist. Ihr seid Narren, wenn ihr glaubt, ihr könntet uns erschrecken mit euren Hirngespinsten, und dies zu einem Zeitpunkt, da die Tinte unter unseren jüngsten Verträgen kaum trocken ist. Wir sind keine Kinder, die keine Kraft und keinen Verstand haben. Wenn ihr glaubt, ihr könntet Zwietracht säen, dann tut es. Wenn ihr Orhan in Thrakien zum Sultan ausrufen wollt, dann tut es. Wenn ihr die Ungarn über die Donau holen wollt, dann lasst sie kommen. Wenn ihr die Gebiete zurückerobern wollt, die ihr vor langer Zeit verloren habt, dann versucht es. Aber eines sollt ihr wissen: Ihr werdet mit keinem dieser Vorhaben weit kommen. Ihr werdet nichts erreichen, außer dass ihr das wenige auch noch verliert, das ihr noch besitzt.7
Mehmet nahm die Nachricht ungerührt entgegen. Er verabschiedete die Gesandten »mit kühlen Worten« und versprach ihnen, dass er sich um die Angelegenheit kümmern werde, wenn er wieder in Edirne sei. Konstantin hatte ihm einen unschätzbaren Vorwand geliefert, sein gegebenes Wort zu brechen, wenn ihm die Zeit dafür günstig erschien. Auf dem Rückweg nach Edirne stellte Mehmet fest, dass er nicht wie gewünscht nach Gallipoli übersetzen konnte. Die Dardanellen waren durch italienische Schiffe
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blockiert. Daher zog er am Bosporus entlang zur osmanischen Festung Anadolu Hisari (»die anatolische Burg«), die sein Großvater Bajezit 1395 während seiner Belagerung der Stadt hatte erbauen lassen. An dieser Stelle verengt sich die Meerenge, die Asien von Europa trennt, auf 650 Meter. Hier ist der beste Ort, um das schnell fließende und tückische Gewässer zu überqueren, was schon der persische König Darios wusste, der hier vor 2000 Jahren mit einem Heer von 700 000 Mann auf einer Pontonbrücke aus Booten übersetzte. Während Mehmets kleine Flotte hin und her pendelte, um die Männer ans andere Ufer zu bringen, dachte der Sultan über den Bosporus nach und kam anscheinend zu einer Reihe von Schlussfolgerungen. Die Meerenge bildete eine Schwachstelle für die Osmanen: Man konnte nicht zum unangefochtenen Herrscher zweier Kontinente aufsteigen, wenn nicht gewährleistet war, dass man jederzeit von einer Seite zur anderen übersetzen konnte. Wenn er andererseits eine Möglichkeit finden konnte, den Bosporus unter seine Kontrolle zu bringen, würde er in der Lage sein, die Getreide- und Hilfslieferungen an Konstantinopel aus den griechischen Kolonien am Schwarzen Meer zu unterbinden und der Stadt die Zolleinnahmen zu entziehen, die sie aus dem Schiffsverkehr erhielt. So kam Mehmet auf die Idee, auf der europäischen Seite eine zweite Festung zu bauen, auf byzantinischem Gebiet, um die Meerenge beherrschen und »den Schiffen der Ungläubigen den Weg versperren«8 zu können. Zugleich wurde ihm wahrscheinlich auch klar, dass er eine größere Flotte brauchte, um den Christen auch zur See die Stirn bieten zu können. Nach seiner Rückkehr nach Edirne reagierte Mehmet unverzüglich auf das byzantinische Ultimatum, beschlagnahmte sämtliche Steuereinnahmen aus den Städten der Struma, die für Orhans Unterhalt verwendet werden sollten, und verfügte die Ausweisung der griechischen Bewohner. Vielleicht spürte Konstantin bereits, dass der Druck auf die Stadt wuchs; er hatte im Sommer 1451 einen Abgesandten nach Italien geschickt, der sich zuerst nach Venedig begab, um dort die Erlaubnis zu erwirken, Bogenschützen aus der venezianischen Kolonie auf Kreta für Konstantinopel zu rekrutieren, und anschließend nach Rom reiste mit einer Botschaft für den Papst. Konstantin hoffte anscheinend noch immer, dass man gegen den neuen Sultan erfolgreich vorgehen könne: In den Botschaften an die italienischen Stadtstaaten deutet nichts darauf hin, dass er sich in einer Notlage wähnte. Zu Beginn des Winters 1451 hielt sich Mehmet in Edirne auf und arbeitete rastlos an seinen Plänen. Hier umgab er sich mit einer Gruppe westlicher Berater, vorwiegend Italiener, mit denen er über die großen Helden der Antike sprach, über Alexander und Cäsar, seinen Vorbildern für seine künftige Rolle. Nach den Unruhen unter den Janitscharen in Bursa im Herbst führte er weitere Reformen im
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Militär und in der Verwaltung durch. In einigen Provinzen wurden neue Statthalter ernannt, die Bezahlung der Palastregimenter wurde verbessert, außerdem begann er Waffen- und Vorratslager anzulegen. Wahrscheinlich befasste er sich auch mit einem Flottenbauprogramm. Zugleich nahm die Idee einer neuen Festung Gestalt an. In allen Provinzen ließ er den Befehl ergehen, Tausend Steinmetze und ebenso viele ungelernte Bauarbeiter anzuwerben, die sich im kommenden Frühjahr bereithalten sollten. Zudem wurden Vorkehrungen getroffen, um Baumaterial zu beschaffen und zu transportieren: »Steine, Holz, Eisen und was sonst noch... gebraucht wurde«9...»zum Bau einer Festung am Heiligen Mund oberhalb der Stadt«10 nahe der verfallenen Kirche des Heiligen Michael. Die Nachricht über dieses Dekret gelangte schnell nach Konstantinopel und zu den griechischen Kolonien am Schwarzen Meer und auf die Inseln der Ägäis. Bei den Menschen machte sich Niedergeschlagenheit breit; viele erinnerten sich an alte Prophezeiungen, in denen das Ende der Welt angekündigt wurde: »Nun könnt ihr die Vorzeichen der bevorstehenden Vernichtung unseres Landes erkennen. Die Zeit des Antichristen ist gekommen. Was wird mit uns geschehen? Was sollen wir tun?«11 In den Kirchen der Stadt wurden Stoßgebete um Errettung gen Himmel geschickt. Ende 1451 entsandte Konstantin einen weiteren Boten nach Venedig mit überaus beunruhigenden Nachrichten: Der Sultan bereite einen großen Angriff auf die Stadt vor, und wenn keine Hilfe komme, werde sie gewiss fallen. Der Senat von Venedig beriet über das Ersuchen und antwortete am 14. Februar 1452. Die Reaktion fiel wie üblich sehr vorsichtig aus; die Venezianer mussten Rücksicht nehmen auf ihre Handelsinteressen im Osmanischen Reich. Sie empfahlen den Byzantinern, sich um die Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu bemühen, anstatt sich allein auf Venedig zu stützen, doch sie erklärten sich bereit, Konstantins Bitte um die Lieferung von Schießpulver und Brustplatten zu entsprechen. Konstantin blieb unterdessen nichts anderes übrig, als mit Mehmet in direkte Verhandlungen einzutreten. Seine Abgesandten reisten abermals über die thrakischen Berge und baten um eine Audienz. Sie wiesen Mehmet darauf hin, dass er eine Vertragsverletzung begehe, wenn er seine neue Festung ohne Rücksprache mit Byzanz erbauen lasse, denn als sein Urgroßvater die Festung bei Anadolu Hisari errichten ließ, habe er sein Anliegen dem Kaiser vorgetragen, »so wie ein Sohn den Vater bittet«.12 Mehmet erwiderte kurz angebunden: »Was die Stadt beherbergt, kann sie ihr eigen nennen; jenseits ihres Grabens hat sie nichts zu bestimmen, und es gehört ihr nichts. Wenn ich am Heiligen Mund eine Festung bauen will, kann sie mir dies nicht verbieten.«13 Er erinnerte die Griechen daran, dass die Christen schon mehrmals versucht hätten, den Osmanen das Übersetzen an der Meerenge zu verwehren, und schloss barsch: »Geht nach Hause und richtet Eurem Kaiser aus: ›Der
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Sultan, der nun regiert, ist anders als seine Vorgänger. Was diesen nicht gelang, vermag er mühelos und unverzüglich zu bewerkstelligen; was sie nicht tun wollten, wird er gewiss tun. Den nächsten Gesandten, die mit einer ähnlichen Botschaft hier erscheinen, wird bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen werden.‹«14 Deutlicher hätte die Antwort nicht ausfallen können. Mitte März verließ Mehmet Edirne und begann mit den Bauarbeiten. Zunächst begab er sich nach Gallipoli; von dort schickte er sechs Galeeren und einige kleinere Kriegsschiffe aus, »[gut ausgerüstet] für eine Seeschlacht, falls dies nötig sein sollte«,15 sowie sechzehn Lastbarkassen mit Ausrüstung und Material. Dann zog er mit dem Heer auf dem Landweg zu dem ausgewählten Platz. Das gesamte Unternehmen war typisch für Mehmets Vorgehensweise. Durch sein organisatorisches Talent wurde sichergestellt, dass Männer und Material rechtzeitig und in großer Zahl bewegt wurden, damit das Werk so schnell wie möglich vollendet werden konnte. Die Statthalter in den europäischen und asiatischen Provinzen zogen die zwangsrekrutierten Männer zusammen und brachen auf zum Bauplatz. Das riesige Heer von Arbeitern – »Steinmetze, Zimmerer, Schmiede und Kalkbrenner, und viele andere Arbeiter, die für das Vorhaben benötigt wurden, ohne jeden Mangel, mit Äxten, Schaufeln, Hacken, Pickeln und anderen Eisenwerkzeugen«16 – begann mit den Bauarbeiten. Baumaterial wurde in schwerfälligen Transportbarkassen über die Meerenge geschafft: Kalk und Brennöfen und Steine aus Anatolien, Holz aus den Wäldern am Schwarzen Meer und aus Izmit, während die Kriegsgaleeren vor der Meerenge patroullierten. Mehmet ritt über den Bauplatz und legte in Abstimmung mit seinen Architekten, die beide christliche Konvertiten waren, die Einzelheiten fest: »Als er die ... Grundrisse und Abstände der Türme und Zwischenwälle, dazu noch die Vortürme, die Brustwehren, die Tore und alles Übrige genau und nach seinem Willen skizziert hatte, teilte er das Werk unter den führenden Männern auf...«16 Wahrscheinlich hatte er bereits während des Winters in Edirne Baupläne für die Festung entworfen. Er steckte den Platz ab und setzte den Grundstein. Widder wurden getötet, und ihr Blut vermischte man mit dem Kalk und dem Mörtel der ersten Steinschicht, weil dies Glück bringen sollte. Mehmet war zutiefst abergläubisch und deutete die Zukunft mithilfe der Astrologie; einige Beobachter behaupteten, die eigenartige Form der Festung sei kabbalistischen Einflüssen geschuldet; sie verkörpere die ineinander verschlungenen arabischen Initialen des Propheten – und Mehmets. Wahrscheinlich aber wurde der Grundriss eher von der schwierigen Bodenbeschaffenheit an der Küste des Bosporus bestimmt, die aus »gewundenen Biegungen und...Klippen [bestand], die häufig ins Fahrwasser vorspringen und dann wieder Biegungen und Krümmungen ins Land hinein machen«.18 Das Gelände steigt von der Küste bis zum höchsten Punkt der Anlage immerhin sechzig Meter an.
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Die Arbeiten begannen am 15. April und wurden nach einem Akkordsystem organisiert, das auf einer für Mehmet charakteristischen Mischung aus Drohungen und Anreizen beruhte und für alle Beschäftigten galt, für den höchsten Wesir ebenso wie für den einfachsten Lastträger. Die Anlage bestand aus vier Seiten, an drei Seiten wurden hohe Türme errichtet, die durch massive Mauern verbunden waren, und in der südwestlichen Ecke wurde ein kleinerer Turm gebaut. Die Verantwortung für den Bau der Außentürme – und deren Finanzierung – wurde vier Wesiren Mehmets übertragen, Halil, Zaganos, Schihabettin und Saruja. Sie wurden angehalten, in einen Wettstreit um die schnellste Fertigstellung ihrer Abschnitte einzutreten, was angesichts der erbitterten Machtkämpfe am Hof und der strengen Aufsicht durch den ungeduldigen Sultan, der nun »jeden Gedanken an Entspannung beiseite schob«,19 das Arbeitstempo nachhaltig beschleunigte. Mehmet selbst kümmerte sich um den Bau der Verbindungsmauern und der kleineren Türme. Die Belegschaft aus 6000 Arbeitern, darunter 2000 Steinmetze und 4000 Steinmetzgehilfen sowie viele andere Handwerker, wurde nach militärischen Prinzipien gegliedert. Jedem Steinmetz wurden zwei Helfer zugeteilt, die links und rechts von ihm arbeiteten, und er hatte die Aufgabe, pro Tag einen bestimmten Abschnitt der Mauer fertig zu stellen. Für die Aufrechterhaltung der Disziplin sorgten kadis (Richter), die aus allen Teilen des Reiches zusammengezogen worden waren und auch die Befugnis besaßen, die Todesstrafe zu verhängen; den militärischen Schutz gewährleistete eine große Abteilung der Armee. Zugleich setzte Mehmet »großartige Belohnungen aus für diejenigen, welche dies am besten und schnellsten vollbrächten«.20 In diesem Klima des Wettbewerbs und der Angst hielten es laut Doukas sogar die Adeligen bisweilen für angebracht, die Arbeiter anzuspornen, indem sie selbst Steine und Kalk zu den schwitzenden Steinmetzen schleppten. Die Szenerie wirkte wie eine Mischung aus einer kleinen provisorisch errichteten Stadt und einem großen Bauplatz. Tausende Zelte wurden aufgeschlagen in der Nähe der verfallenen griechischen Stadt Asomaton; Schiffe suchten sich ihren Weg durch die starken Strömungen der Meerenge; Rauch stieg aus den brodelnden Kalkgruben auf; Hämmer klirrten in der warmen Luft; es herrschte lautes Stimmengewirr. Gearbeitet wurde vom Morgengrauen bis spät in die Nacht; Fackeln erhellten die Dunkelheit. Die Mauern, die von einem hölzernen Gerüst umschlossen waren, wuchsen mit erstaunlicher Geschwindigkeit in die Höhe. Am Bosporus zog der Frühling ein; auf den dicht bewaldeten Hängen trieben Glyzinen und Judasbäume ihre Blüten aus; Kastanienkerzen blühten auf wie weiße Sterne; in den stillen Nächten, wenn das Mondlicht auf dem Wasser schimmerte, sangen Nachtigallen in den Kiefern.
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In der Stadt verfolgte man die Arbeiten mit wachsender Beunruhigung. Die Griechen hatten verblüfft das Auftauchen einer bislang unbekannten osmanischen Flotte in der Meerenge registriert. Vom Dach der Hagia Sophia und der Spitze der Sphendone, dem heute noch erhaltenen Halbrund am Südende des Hippodroms, konnten sie das Treiben acht Kilometer flussaufwärts beobachten. Konstantin und seine Minister waren unschlüssig, was sie tun sollten, aber Mehmet legte es darauf an, sie zu provozieren. Schon zu Beginn der Arbeiten holten sich die osmanischen Handwerker Baumaterial aus Klöstern und Kirchen in der Nähe der Festung. Die Menschen in den nahegelegenen griechischen Dörfern und in Konstantinopel betrachteten diese Gebäude nach wie vor als geheiligte Stätten. Zugleich begannen osmanische Soldaten und Bauarbeiter ihre Felder zu plündern. Als der Sommer voranschritt und die Ernte reifte, heizte sich die Stimmung immer mehr auf. Als Arbeiter in der Kirche des Erzengels Michael Säulen abbauten, versuchten einige Dorfbewohner sie daran zu hindern; sie wurden gefangengesetzt und hingerichtet. Doch wenn Mehmet gehofft hatte, Konstantin dadurch zu einem Angriff zu provozieren, hatte er sich getäuscht. Der Kaiser erwog zwar einen Ausfall, aber seine Berater brachten ihn davon ab. Stattdessen entschloss er sich, die Situation zu entschärfen, und bot den Osmanen an, den Bauarbeitern Nahrungsmittel zu schicken, um sie von weiteren Raubzügen auf die Felder abzuhalten. Mehmet erlaubte seinen Leuten daraufhin, ihre Tiere auf den Feldern unbeschränkt weiden zu lassen, und befahl den griechischen Bauern, sie nicht daran zu hindern. Schließlich jagten die verzweifelten Bauern, die nicht mehr mitansehen konnten, wie ihr Getreide zertrampelt wurde, die Tiere davon, worauf es zu einem Scharmützel kam, bei dem auf beiden Seiten Tote zu beklagen waren. Mehmet wies seinen Kommandeur Kara Bey an, die Einwohner des betreffenden Dorfes zu bestrafen. Am folgenden Tag fiel eine Kavallerieeinheit über die nichtsahnenden Bauern her, als sie auf den Feldern ihre Ernte einbrachten, und metzelte sie nieder. Als Konstantin von dem Massaker erfuhr, schloss er die Tore der Stadt und ließ alle Osmanen, die sich in der Stadt aufhielten, internieren. Darunter befanden sich auch einige junge Eunuchen Mehmets, die in der Stadt zu Besuch waren. Am dritten Tag ihrer Gefangenschaft baten sie Konstantin um ihre Freilassung und erklärten, ihr Herr würde zornig auf sie werden, wenn sie nicht zurückkehrten. Sie verlangten, man solle sie entweder sofort freilassen oder hinrichten, weil eine spätere Freilassung dazu führen würde, dass sie von der Hand des Sultans sterben würden. Konstantin gab nach und ließ die Männer gehen. Er schickte abermals einen Emis-
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sär zum Sultan mit einer Botschaft, aus der gleichermaßen Resignation und Trotz sprachen: Es ist klar, dass du den Krieg dem Frieden vorziehst; da ich dich weder durch Beteuerungen meiner Aufrichtigkeit noch durch meine Bereitschaft, dir Untertanentreue zu schwören, zufriedenstellen kann, so sei es, wie du es wünschst. Ich wende mich nun mehr nur zu Gott und blicke zu ihm auf. Sollte es sein Wille sein, dass die Stadt dir gehöre, wer könnte sich seinem Willen widersetzen? Wenn er dir den Wunsch nach Frieden eingeben sollte, werde ich nur glücklich sein. Ich spreche dich von all deinen Eiden und mit mir geschlossenen Verträgen frei. Ich schließe die Tore meiner Hauptstadt und werde mein Volk bis zum letzten Tropfen meines Blutes verteidigen. Herrsche glücklich, bis uns beide der Allgerechte, der Höchste Richter, vor seinen Richterstuhl ruft.21
Konstantin wollte damit seine Entschlossenheit und Unbeugsamkeit unterstreichen. Mehmet ließ die Gesandten hinrichten und schickte eine knappe Antwort: »Entweder du übergibst die Stadt oder du stellst dich zum Kampf.« Ein Trupp osmanischer Soldaten wurde ausgeschickt, um das Gebiet vor den Stadtmauern zu verwüsten, Schafe zu stehlen und Menschen zu entführen, aber Konstantin hatte die Bevölkerung der nahe gelegenen Dörfer mitsamt der Ernte schon größtenteils in die Stadt geholt. Die osmanischen Chronisten berichten, er habe Halil zu bestechen versucht, um seinem Wunsch nach Frieden Nachdruck zu verleihen, doch dies war wohl eher Propaganda der Feinde des Wesirs. Ab der Sommersonnenwende blieben die Tore der Stadt geschlossen, und die Kontrahenten befanden sich faktisch im Krieg. Am Donnerstag, dem 31. August 1451, war Mehmets neues Bollwerk fertig, knapp viereinhalb Monate nach der Grundsteinlegung. Es war ein gewaltiges Fort, »das in jeder Hinsicht stärkste und sicherste, das berühmteste von allen, die jemals erbaut worden sind«, wie Kritobulos schrieb.22 Die Anlage beherrschte die Meerenge. Die Osmanen nannten sie Bogaz Kesen, den Durchschneider der Meeresstraße oder das »Messer an der Kehle«, doch bald wurde sie als Europäische Festung bekannt, als Rumeli Hisari. Die dreieckige Anlage mit ihren vier großen und dreizehn kleinen Türmen, ihren 6,70 Meter dicken und 15 Meter hohen Umfassungsmauern und ihren mit Blei gedeckten Türmen war für die damalige Zeit eine erstaunliche bauliche Leistung. Dass Mehmet imstande war, außergewöhnliche Projekte zu konzipieren und mit atemberaubender Geschwindigkeit zu verwirklichen, sollte seine Gegner in den kommenden Monaten stets aufs Neue verblüffen. Am 28. August zog Mehmet mit seinem Heer um die Spitze des Goldenen Horns und schlug vor den Mauern der Stadt, die nun gut gesichert waren, sein Lager auf. Drei Tage lang überprüfte er mit größter Sorgfalt die Befestigungsanlagen und das
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Terrain, machte sich Notizen und Zeichnungen und analysierte mögliche Schwachstellen der Bollwerke. Am 1. September, allmählich zog der Herbst ins Land, kehrte er nach Edirne zurück, hochzufrieden mit seiner Sommerarbeit, und die Flotte kehrte zu ihrem Stützpunkt in Gallipoli zurück. Im »Messer an der Kehle« wurden 400 Mann stationiert unter ihrem Befehlshaber Firuz Bey, der den Auftrag erhielt, sämtliche Schiffe, die durch die Meerenge fuhren, so lange festzuhalten, bis sie einen Wegezoll entrichtet hatten. Um dieser Drohung Nachdruck zu verleihen, waren mehrere Geschütze gegossen und in die Festung gebracht worden. Auf den Zinnen wurde leichte Artillerie postiert, doch am Ufer unterhalb der Festungsmauern wurden schwere Geschütze aufgestellt »wie Drachen mit furchterregenden Schlünden«.23 Diese Geschütze, die in verschiedene Richtungen zielten und ein weites Schussfeld bestreichen konnten, verschossen knapp 250 Kilogramm schwere Steinkugeln. Die Geschosse flogen knapp über der Wasseroberfläche wie Steine, die über einen Teich hüpfen, und trafen so die Rümpfe vorüberfahrender Schiffe. Auf der anderen Seite der Festung standen ähnliche Geschütze, sodass »nicht einmal ein Vogel vom Mittelmeer ins Schwarze Meer fliegen konnte«.24 Somit konnte tags wie nachts kein Schiff mehr ins Schwarze Meer oder von dort heraus gelangen, ohne entdeckt und überprüft zu werden. »Auf diese Weise«, berichtete der osmanische Chronist Sa’d-ud-din, »blockierte der Padischah, die Zuflucht der Welt, diese Meeresstraße, versperrte den Schiffen der Feinde den Weg und tötete die Leber des hartherzigen Kaisers ab.«25 In der Stadt rüstete sich Konstantin für die Belagerung, die nun unmittelbar bevorstand, und schickte Gesandte mit immer dringlicheren Hilfsersuchen in den Westen. Er unterrichtete seine Brüder in Morea, Thomas und Demetrios, und bat sie, sofort in die Stadt zu kommen. Jedem, der zur Hilfe bereit war, bot er großzügig Land an: Dem ungarischen Herrscher Hunyadi wollte er wahlweise Selymbria oder Mesembria am Schwarzen Meer überlassen, Alfonso von Aragon und Neapel bot er die Insel Lemnos an. Er wandte sich an die Genuesen auf Chios, an Dubrovnik, Venedig und abermals an den Papst. Die Hilfe blieb zwar weitgehend aus, aber den Mächten des christlichen Europas wurde allmählich klar, dass Konstantinopel in sehr bedrohter Lage war. Es kam zu einem regen Austausch diplomatischer Noten. Auf Drängen von Papst Nikolaus stellte Friedrich III., der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, im März dem Sultan ein ernstes, aber leeres Ultimatum. Alfonso von Neapel schickte eine kleine Flotte mit zehn Schiffen in die Ägäis, zog sie aber bald wieder zurück. Die Genuesen waren besorgt wegen der Gefährdung ihrer Kolonien in Galata und am Schwarzen Meer, doch auch sie waren nicht bereit, praktische Hilfe zu leisten; stattdessen wiesen sie den Podestà (den Bürgermeister) von Galata an, sich mit Mehmet in irgendeiner Form zu verständigen, falls
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die Stadt fallen sollte. Der Senat von Venedig sandte ähnlich mehrdeutige Befehle an seine Kommandeure im östlichen Mittelmeer: Sie sollten die Christen schützen, aber auch die Türken nicht reizen. Sie wussten, dass Mehmet ihren Handel im Schwarzen Meer bereits vor der Fertigstellung des Messers an der Kehle bedroht hatte; alsbald schickten ihre Spione detaillierte Zeichnungen der formidablen Festung und ihrer Geschütze nach Hause. Die Gefahr rückte näher: Im August wurde ein Antrag im Senat, der sich dafür aussprach, Konstantinopel seinem Schicksal zu überlassen, mit deutlicher Mehrheit abgelehnt, aber eine entschlossene Hilfsaktion blieb aus. Mehmet hatte entweder erwartet oder davon erfahren, dass Konstantin seine Brüder in Morea um Hilfe gebeten hatte, und ergriff rasch Maßnahmen, um dies zu vereiteln. Am 1. Oktober 1452 befahl er seinem altgedienten General Turahan Bey, in die Peloponnes einzumarschieren und Demetrios und Thomas anzugreifen. Turahan verwüstete das Land, stieß weit nach Süden vor und verhinderte dadurch, dass Hilfstruppen nach Konstantinopel geschickt werden konnten. Unterdessen kamen die Weizenlieferungen aus dem Schwarzmeergebiet zum Erliegen. Im Herbst wurde ein weiterer Emissär nach Venedig entsandt. Die Antwort des Senats vom 16. November war ebenso vage wie die vorherige, doch die Venezianer sollten sich bald stärker mit Ereignissen beschäftigen, die sich weiter im Osten abspielten. Ab November standen die Führer der italienischen Schiffe, die zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer verkehrten, vor der Entscheidung, ob sie Mehmets Wegezoll beim »Messer an der Kehle« entrichten oder diese Forderung ignorieren und mögliche Konsequenzen riskieren sollten. Aufgrund der starken Strömung hatten Schiffe, die stromabwärts unterwegs waren, eine gewisse Chance, die Kontrollstelle zu passieren, bevor sie unter Beschuss genommen werden konnten. Am 26. November lief ein italienischer Kapitän namens Antonio Rizzo mit einer Ladung von Nahrungsmitteln für Konstantinopel aus dem Schwarzen Meer in den Bosporus ein. Als sich das Schiff der Festung näherte, entschloss er sich, das Risiko einzugehen. Er ignorierte Warnrufe vom Ufer, die Segel einzuholen, und fuhr weiter. Darauf wurde eine Salve über das Wasser abgefeuert, und ein großer Stein durchschlug die leichte Hülle seiner Galeere. Der Kapitän und dreißig Überlebende konnten sich in einem kleinen Boot ans Ufer retten, wo sie gefangengenommen, in Ketten gelegt und in die Stadt Didimotkon in der Nähe von Edirne gebracht wurden, wo sie dem Sultan vorgeführt werden sollten. Während sie im Gefängnis saßen, reiste der venezianische Botschafter in Konstantinopel an den Hof des Herrschers und bat um das Leben der Seeleute. Er kam zu spät. Mehmet hatte beschlossen, an diesen Venezianern ein Exempel zu statuieren. Die meisten
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Männer wurden enthauptet; Rizzo wurde gepfählt »durch einen Pfahl, der ihm in den Anus getrieben wurde«.26 Die Leichen ließ man vor den Mauern der Stadt verwesen als Ermahnung, welche Folgen Unbotmäßigkeit haben konnte. »Ich sah sie einige Tage später, als ich dorthin reiste«, berichtete der griechische Chronist Doukas. Einige Seeleute wurden nach Konstantinopel zurückgeschickt, um sicherzustellen, dass man in der Stadt von dem Ereignis erfuhr. Es gab noch einen weiteren Überlebenden: Mehmet begnadigte den Sohn von Rizzos Schreiber und steckte den Jungen in den Harem. Diese grausame Machtdemonstration erzielte die gewünschte Wirkung. Die Einwohner Konstantinopels wurden von Angst ergriffen. Unterdessen gab es trotz der dringlichen Botschaften Konstantins noch immer kein Zeichen, dass der Westen der bedrängten Stadt zu Hilfe kommen würde. Nur der Papst stand über den konkurrierenden Handelsinteressen, den Fehden zwischen den Herrscherhäusern und den Kriegen und konnte im Namen der Christenheit zur Hilfe aufrufen, doch das Papsttum befand sich in einem langwierigen und unlösbaren Konflikt mit der orthodoxen Kirche, der alle diesbezüglichen Anstrengungen überschattete. Dies sollte alle Chancen Konstantins zunichte machen, wirksame Hilfe zu bekommen.
5 Die dunkle Kirche N o v e m b e r 14 5 2 – Fe b r u a r 14 5 3
Es ist wesentlich besser, ein Land bleibt unter der Herrschaft des Islam, als dass es von Christen regiert wird, die nicht bereit sind, die Autorität der Katholischen Kirche anzuerkennen. Papst Gregor VII., 10731
Flüchte vor den Papisten wie vor einer Schlange oder den Flammen eines Feuers. Der Heilige Markus Eugenius, griechisch-orthodoxer Theologe des 15. Jahrhunderts2
Dass es Konstantin so schwerfiel, Hilfe aus dem Westen zu bekommen und eine wirksame Verteidigung der Stadt aufzubauen, lässt sich zurückführen auf ein dramatisches Ereignis, das fast vierhundert Jahre zurücklag, dessen Ursachen aber noch weiter zurückreichten. Am 16. Juli 1054, als die Priester in der Sophienkirche mit der Nachmittagsmesse begannen, betraten drei Geistliche in Messgewändern die Kirche durch eine der großen Westtüren und schritten unter den Augen der versammelten Gläubigen würdevoll zum Altar. Diese Männer waren Kardinäle der katholischen Kirche, die der Papst aus Rom entsandt hatte, um theologische Streitigkeiten mit den Brüdern im Osten beizulegen. Ihr Anführer war Humbert von Mourmoutiers. Sie hielten sich bereits seit einiger Zeit in der Stadt auf, aber an diesem Nachmittag, nach langen und ermüdenden Debatten, hatten sie die Geduld verloren und sich entschlossen, einen entscheidenden Schritt zu wagen. Humbert trug ein Dokument in den Händen, das sich als Sprengstoff erweisen sollte für die Einheit der Christenheit. Am Allerheiligsten angelangt, legte er eine Bulle, in der die Exkommunikation
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verkündet wurde, auf den großen Altar, drehte sich um und verließ die Kirche. Als der halsstarrige Kardinal wieder ins helle Sonnenlicht trat, schüttelte er den Staub von seinen Schuhen und rief aus: »Möge Gott sehen und richten.«3 Einer der Diakone der Kirche lief Humbert nach, wedelte mit der Bulle und beschwor ihn, sie zurückzunehmen. Humbert weigerte sich und ging weg, und das Dokument blieb auf dem Boden liegen. Zwei Tage später bestiegen die Kardinäle ein Schiff nach Rom; in den Straßen Konstantinopels kam es zu Unruhen, die erst abflauten, als der Kirchenbann über die päpstliche Delegation verhängt wurde; das anstößige Dokument wurde öffentlich verbrannt. Damit begann eine Entwicklung, die als Großes Schisma in die Geschichte einging und der Christenheit tiefe Wunden zufügte – der Kirchenbann wurde erst 1965 aufgehoben, aber die Narben bleiben. Und Kaiser Konstantin sollte dieser Konflikt im Winter 1452 vor ein unlösbares Problem stellen. Die Ereignisse dieses Tages waren nur der Höhepunkt eines langwierigen Prozesses der Trennung der beiden Formen der christlichen Liturgie, der sich im Laufe mehrerer Jahrhunderte vollzogen hatte. Er beruhte auf kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Unterschieden. Im Osten wurde die Messe auf Griechisch abgehalten, im Westen auf Lateinisch; es gab unterschiedliche Formen des Gottesdienstes, unterschiedliche Arten der Kirchenorganisation und unterschiedliche Auffassungen zur Rolle des Papstes. Die Byzantiner betrachteten ihre westlichen Nachbarn als unkultivierte Barbaren; sie hatten fast mehr gemein mit den Muslimen an ihren Grenzen als mit den Franken jenseits des Meeres. Im Kern drehte sich der Streit um zwei Schlüsselfragen. Die Orthodoxen waren bereit anzuerkennen, dass der Papst einen besonderen Stellenwert unter den Patriarchen besaß, doch sie sträubten sich gegen die Auffassung, die Papst Nikolaus I. 865 vertreten hatte, nämlich dass sein Amt mit der Autorität »über die gesamte Erde, und das heißt, über jede Kirche«4 ausgestattet sei. Dies erschien ihnen als selbstherrliche Anmaßung. Der zweite Streitpunkt war dogmatischer Art. In der Exkommunikationsbulle war der Ostkirche vorgeworfen worden, sie habe ein bestimmtes Wort aus dem Glaubensbekenntnis gestrichen – eine Frage von höchster Wichtigkeit für die theologisch sehr interessierten Bürger von Byzanz. Das scheinbar harmlose lateinische Wort filioque (»und vom Sohn«) erlangte eine enorme Bedeutung. Während es im Nizänischen Glaubensbekenntnis ursprünglich hieß: »Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird...«, fügte die westliche Kirche die Formel filioque hinzu, sodass es nun hieß: »...der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht.« Bald bezichtigte die römische Kirche die Orthodoxen, eine Irrlehre zu vertreten, weil sie den Zusatz filioque wegließen. Die Vertreter der Ostkirche dage-
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gen erklärten, dieser Zusatz sei theologisch falsch; der Heilige Geist gehe allein aus dem Vater hervor, und den Namen des Sohnes hinzuzufügen, sei eine Häresie. Wegen solcher Fragen schlugen sich in Konstantinopel die Menschen mitunter die Köpfe ein. Im Laufe der Zeit vertiefte sich die Spaltung, obgleich man sie mehrmals zu überbrücken suchte. Die Plünderung Konstantinopels durch »christliche« Kreuzfahrer, die Papst Innozenz III. als »ein Beispiel der Verdammnis und ein Werk der Dunkelheit«5 geißelte, verstärkte die Ablehnung all dessen, was aus dem Westen kam; dazu trug auch die wirtschaftliche Macht der italienischen Stadtstaaten bei, die ihren Einfluss nach der Plünderung auf Kosten von Byzanz stärkten. Im Jahr 1340 schrieb Barlaam von Kalabrien an Papst Benedikt XII., es sei weniger »ein Unterschied in der Lehre, was die Herzen der Griechen gegen Euch aufbringt, sondern der Hass auf die Lateiner, der sich ihrer bemächtigt hat aufgrund der zahlreichen Übel, welche die Griechen von den Lateinern in der Vergangenheit zu erdulden hatten und noch immer Tag für Tag erdulden müssen«.6 Das stimmte bis zu einem gewissen Grad. Doch dogmatische Fragen waren ebenfalls von zentraler Bedeutung dafür, wie die Menschen in Konstantinopel ihren Glauben praktizierten, und ihr Festhalten an dessen Grundsätzen entgegen allen Versuchen ihrer Herrscher, ihnen Auffassungen nahezubringen, die ihrer Ansicht nach dazu in Widerspruch standen, war ein allgegenwärtiges Muster im Mosaik der byzantinischen Geschichte. Im 15. Jahrhundert zwang der unerbittliche Druck des Osmanischen Reiches mehrere oströmische Kaiser, Hilfeersuchen an den Westen zu richten. Als Kaiser Johannes VIII. in den 1420er-Jahren nach Italien und Ungarn reiste, erklärte ihm der katholische König von Ungarn, dass Hilfe eher gewährt werden würde, wenn sich die orthodoxe Kirche wieder mit der römischen vereinigen und dem Papst Treue geloben würde. Die Wiederherstellung der Kircheneinheit war für die herrschenden Familien zu einem Druckmittel der Politik, aber auch zu einer Glaubensfrage geworden: Die Drohung mit einem vereinten christlichen Kreuzzug wurde häufig eingesetzt, um die Angriffsgelüste der Osmanen zu dämpfen. (Johannes’ Vater Manuel hatte seinen Kindern auf dem Sterbebett einen typischen byzantinischen Rat gegeben: »Wenn die Türken euch zu bedrängen beginnen, schickt sofort Gesandte in den Westen, bietet an, einer Vereinigung zuzustimmen, und zögert die Verhandlungen so lange wie möglich hinaus; die Türken fürchten eine solche Einheit sehr und werden deshalb wieder vernünftig werden; aber die Einheit wird nicht zustande kommen wegen der Feindseligkeit der lateinischen Völker!«7) Dieser Ratschlag hatte sich in der Vergangenheit als hilfreich erwiesen, aber als die Osmanen erstarkten, neigten sie zu einem genau entgegengesetzten Verhalten:
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Schritte zu einer Vereinigung der Christenheit bestärkten sie in ihrer Entschlossenheit zu militärischem Vorgehen. Für Johannes VIII. zählten die Angst vor dem Missfallen der Osmanen und das Misstrauen seines Volkes weniger als die Tatsache, dass der Feind immer häufiger an die Tore der Stadt hämmerte, und als Papst Eugenius IV. die Einberufung eines Konzils vorschlug, auf dem die Vereinigung der Kirchen beschlossen werden sollte, brach Johannes VIII. im November 1437 nach Italien auf und übertrug seinem Bruder Konstantin die Regierungsgeschäfte. Das nachfolgende Konzil von Florenz war eine langwierige Veranstaltung, die erst im Juni 1439 abgeschlossen wurde. Als schließlich verkündet wurde, dass die Vereinigung der beiden Kirchen besiegelt sei, läuteten überall in Europa die Kirchenglocken. Nur einer der orthodoxen Delegierten hatte sich geweigert, das Dokument zu unterzeichnen, in dem einige Kernfragen nur ausweichend behandelt wurden: Der Anspruch des Papstes auf Oberhoheit wurde ebenso anerkannt wie die Formel filioque, obwohl die Ostkirche nicht formell verpflichtet wurde, diesen Zusatz in ihr Glaubensbekenntnis aufzunehmen. Doch bei den Griechen regte sich Widerstand, kaum dass die Tinte trocken war. Bei ihrer Rückkehr nach Konstantinopel wurde die Delegation von den Gläubigen feindselig empfangen, und schon bald zogen viele Unterzeichner ihre Unterschrift zurück. Die Patriarchen der Ostkirche weigerten sich, die Entscheidung ihrer Delegation zu akzeptieren; Gregor Mammas, der neue Patriarch von Konstantinopel, der die Kircheneinheit unterstützte, war sehr unbeliebt, und es war nicht möglich, die Vereinigung in der Hagia Sophia zu feiern. Die Stadt war gespalten in dieser Frage: Konstantin und die meisten seiner engeren Berater aus dem Adel, dem Militär und der Beamtenschaft sprachen sich für die Einheit aus, im Klerus und der Einwohnerschaft aber war nur ein kleiner Teil dafür – viele glaubten, die Vereinigung sei ihnen von den hinterhältigen Franken aufgezwungen worden und ihre unsterblichen Seelen seien aus niedrigen und materiellen Beweggründen in Gefahr gebracht worden. Die Bevölkerung war grundsätzlich gegen das Papsttum eingestellt: Der Papst wurde mit dem Antichristen gleichgesetzt, »dem Wolf, dem Zerstörer«;8 »Rum Papa«, der römische Papst, war in Konstantinopel ein gebräuchlicher Name für Hunde. Es gab in der Stadt eine große, nur schwer berechenbare Unterschicht: verarmte, abergläubische Menschen, die sehr zu Ausschreitungen und Krawallen neigten. Die religiösen Wirren, mit denen Konstantin nach der Übernahme des Kaisertitels konfrontiert war, waren durchaus üblich in der langen Geschichte von Byzanz: Konstantin der Große hatte sich elfhundert Jahre früher mit ähnlichen dogmatischen Streitigkeiten auseinandersetzen müssen. Konstantin XI. war mehr Soldat als Theologe und hatte eine sehr pragmatische Einstellung zur Kircheneinheit. Ihn interessierte nur eines: die Stadt zu retten, deren Schicksal ihm anvertraut worden
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war. Wenn die Kircheneinheit die einzige Möglichkeit darstellte, dies zu erreichen, dann sollte sie vollzogen werden, aber dadurch machte er sich unbeliebt bei seinen Untertanen. Seine rechtliche Stellung war ohnehin fraglich: Er war formell in Mistra gekrönt worden. Die Zeremonie hätte eigentlich in der Sophienkirche stattfinden müssen, doch man fürchtete, dass die Krönung eines Kaisers, der die Kirchenunion befürwortete, durch einen Patriarchen, der dieselbe Auffassung vertrat, auf den Straßen zu Ausschreitungen führen könnte. Daher wurde sie in aller Stille vollzogen. Viele Bewohner weigerten sich, den neuen Kaiser in ihre Gebete aufzunehmen, und einer der Hauptkritiker der Konzilsbeschlüsse, Georg Scholarios, zog sich in ein Kloster zurück, nahm den Namen Gennadios an und begann den Widerstand zu organisieren, indem er eine Synode der Unionsgegner im Klerus vorbereitete. Im Jahr 1451 reiste Patriarch Gregor, zermürbt durch diese hartnäckigen Umtriebe, nach Rom und unterrichtete Papst Nikolaus ausführlich über die Aktivitäten der Vereinigungsgegner. Es ließ sich jedoch kein geeigneter Kandidat finden, der ihn hätte ersetzen können. Konstantinopel hatte nunmehr weder einen voll legimitierten Kaiser noch einen Patriarchen. Als die Gefahr eines Krieges mit Mehmet wuchs, schickte Konstantin immer verzweifeltere Hilferufe an den Papst und erwähnte dabei ungeschickterweise auch, dass die Vereinigungsgegner eine Synode einberufen wollten. Gregors Berichte darüber, wie die Union in Konstantinopel aufgenommen worden war, hatten Nikolaus erbost, und er war nicht gewillt, weitere Ausflüchte der abtrünnigen Griechen hinzunehmen. Die Antwort fiel sehr kühl aus: »Wenn du mitsamt deinen Edlen und dem Volk von Konstantinopel das Unionsdekret annimmst, wirst du Uns und Unsere ehrwürdigen Brüder, die Kardinäle der heiligen römischen Kirche, allzeit willens finden, deine Ehre und dein Reich zu stützen. Doch wenn du mitsamt deinem Volk dich weigerst, das Dekret anzunehmen, wirst du Uns zwingen, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die für dein Seelenheil und Unsere Ehre erforderlich sind.«9 Diese Drohung bestärkte die Unionsgegner, die sich weiterhin bemühten, Konstantins Stellung in der Stadt zu untergraben. Im September 1452 schrieb eines ihrer Mitglieder: »Konstantin Palaiologos ... bleibt ungekrönt, weil die Kirche keinen Führer hat und in Unordnung geraten ist im Gefolge des Aufruhrs und der Verwirrung, die durch die fälschlich so bezeichnete Union hervorgerufen wurden... Diese Union war schlecht und hat Gott missfallen und vielmehr die Kirche gespalten und ihre Kinder vertrieben und uns vollends vernichtet. In Wirklichkeit ist sie die Ursache all unserer sonstigen Misslichkeiten.«10 In Rom erwog Papst Nikolaus Schritte, um die Beschlüsse von Florenz durchzusetzen. Er entschloss sich, einen päpstlichen Legaten nach Konstantinopel zu entsenden, um sicherzustellen, dass die Union in der Hagia Sophia gefeiert wurde.
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Dazu wurde Kardinal Isidor auserwählt, der ehemalige Metropolit von Kiew. Isidor war selbst Byzantiner und wusste, wie kompliziert diese Mission war. Er hatte in Florenz für die Vereinigung gestimmt. Nach seiner Rückkehr nach Kiew hatten ihn seine Glaubensbrüder verurteilt und eingesperrt. Er brach im Mai 1452 mit einer Truppe von zweihundert Bogenschützen nach Konstantinopel auf, die der Papst bezahlte als Geste der militärischen Unterstützung für diese Mission, die theologisch von grundsätzlicher Bedeutung war. Unterwegs schloss sich ihm Leonhard von Chios an, der Erzbischof von Lesbos, ein Genuese, der ein engagierter und parteilicher Kommentator der späteren Ereignisse werden sollte. Die Unionsgegner waren informiert worden über die anreisende Delegation und schürten abermals Unruhe in der Stadt. Gennadios hielt eine flammende Rede gegen die Union, die von mittags bis abends dauerte. Er flehte die Bevölkerung an, an ihrem Glauben festzuhalten, anstatt auf materielle Hilfe zu hoffen, die nur von geringem Wert sein würde. Doch als Kardinal Isidor am 26. Oktober 1452 in Konstantinopel von Bord ging, machte der Anblick seiner kleinen Streitmacht aus Bogenschützen einen guten Eindruck auf die Bevölkerung. Die kleine Truppe war womöglich nur die Vorhut eines größeren Heeres: Dadurch veränderte sich die Stimmung spürbar zugunsten der Kirchenvereinigung. Eine Zeit lang schwankte die öffentliche Meinung in der launischen Stadt hin und her. Die Unionsgegner galten nun als unpatriotisch, aber als keine weiteren Schiffe kamen, schenkten die Menschen wieder Gennadios Glauben, und es kam zu Ausschreitungen von Unionsgegnern. Leonhard verlangte von Konstantin barsch, er solle die Führer der Opposition verhaften lassen. Er klagte bitter darüber, dass »mit Ausnahme von ein paar Mönchen und Laien der Stolz nahezu alle Griechen gepackt hat, sodass es niemanden mehr gab, der sich aus Hingabe an den wahren Glauben oder um seines eigenen Seelenheils willen als erster dieser starrsinnigen Haltung entgegenstellte«.11 Konstantin weigerte sich, der Aufforderung Folge zu leisten, denn er fürchtete, dass dadurch die Stadt ins Chaos gestürzt würde. Stattdessen lud er die Wortführer der Unionsgegner in den Palast ein, wo sie ihre Einwände erläutern sollten. Zehn Tage lang konnte man in der Stadt Kanonendonner aus der Richtung des Messers an der Kehle hören. Als Rizzos grausame Hinrichtung bekannt wurde, erfasste eine neue Welle der Panik die Stadt. Die Anhänger der Union erhielten wieder Unterstützung. Gennadios hielt eine weitere Ansprache an die Wankelmütigen und erklärte, dass Hilfe aus dem Westen zum Verlust des Glaubens führen würde, dass deren Wirkung zweifelhaft sei und dass zumindest er nichts damit zu tun haben wolle. Gennadios hatte größere Sorgen als die Kapitulation der Stadt: Er war ernsthaft der Überzeugung, dass das Ende der Welt nahe sei. Ihm ging es darum, dass die orthodoxen Gläubigen mit makelloser Seele die Apokalypse erwar-
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teten. Auf den Straßen brachen abermals Unruhen aus. Mönche, Nonnen und Laien zogen umher und riefen: »Wir wollen keine lateinische Hilfe und keine lateinische Union; zwingt uns nicht, das Ungesäuerte anzubeten!«12 Doch trotz der Bemühungen von Gennadios fand sich die verschreckte Bevölkerung widerstrebend bereit, die Beschlüsse des Konzils von Florenz zu akzeptieren, zumindest fürs Erste. (Die Byzantiner verfügten seit alters her über einen Vorbehalt, mit dem sie solches Tun rechtfertigten: Die so genannte Ökonomie-Lehre erlaubte es ihnen, zeitweilig auch abweichende oder falsche theologische Lehren zu dulden, wenn dadurch ihr Überleben gesichert wurde – ein Umgang mit spirituellen Fragen, der von der katholischen Kirche wiederholt heftig kritisiert worden war.) Kardinal Isidor gelangte trotz allem zu dem Schluss, dass es nun an der Zeit sei, die Vereinigung formell zu verkünden – und dadurch die gefährdeten Seelen der Griechen zu retten. In dieser aufgeheizten Atmosphäre der Angst und der religiösen Hysterie wurde am 12. Dezember 1452, in der kältesten Zeit des Winters, eine feierliche Messe zum Vollzug der Union zelebriert. Sie fand in der Sophienkirche statt »unter größter Feierlichkeit der Geistlichkeit, und auch der ehrwürdige Kardinal aus Russland war zugegen, der vom Papst entsandt worden war, und auch der erlauchteste Kaiser mit all seinen Höflingen und die gesamte Bevölkerung von Konstantinopel«.13 Die Vereinigungsdekrete wurden verlesen, und es wurden Fürbitten für den Papst und den abwesenden Patriarchen Gregor gesprochen, doch die Gestaltung der Messe befremdete viele anwesende Griechen: Die Sprache und der Ritus waren eher katholisch als orthodox, die geweihte Hostie bestand aus ungesäuertem Brot, eine Ketzerei für die Orthodoxen, und der Messwein wurde mit kaltem Wasser vermischt. Isidor berichtete freilich dem Papst, dass seine Mission erfolgreich verlaufen sei: Die gesamte Stadt Konstantinopel war vereint mit der katholischen Kirche; Eurer Heiligkeit wurde in der Liturgie gedacht, und für den ehrwürdigsten Patriarchen Gregor, der während seines Aufenthalts in Konstantinopel in keiner Kirche ins Gebet eingeschlossen wurde, nicht einmal in seinem eigenen Kloster, wurden nach der Vereinigung in der ganzen Stadt Fürbitten gesprochen. Vom Geringsten bis zum Mächtigsten, einschließlich des Kaisers, wurden alle dank Gottes vereint mit der katholischen Kirche.14
Nur Gennadios und acht weitere Mönche hatten sich laut Isidor geweigert, an der Messe teilzunehmen. Doch dies spiegelt vermutlich Isidors Wunschdenken. Ein italienischer Augenzeuge berichtete von großen Unmutsäußerungen in der Stadt an diesem Tag. Während der Messe kam es jedoch nicht zu Ausschreitungen. Anscheinend nahmen die orthodoxen Gläubigen zähneknirschend an dem Got-
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tesdienst teil, dann zogen sie zum Kloster Pantokrator, um Gennadios nach seiner Meinung zu befragen, der gewissermaßen zum geistigen Vater der orthodoxen Kirche und zum Patriarchen im Wartestand geworden war. Doch Gennadios hatte sich in seine Zelle zurückgezogen, hüllte sich in Schweigen und wollte nicht herauskommen. Künftig war die Hagia Sophia bei den Orthodoxen verschrien »als nichts Besseres denn eine jüdische Synagoge oder ein heidnischer Tempel«;15 sie verrichteten ihre Andacht nur noch in jenen Kirchen der Stadt, die als nicht entweiht galten. Ohne einen Patriarchen und eine Gemeinde wurde es dunkel und still in der großen Kathedrale. Die Gebete erstarben, und die Tausende von Öllampen, die die Kuppel erhellten, als öffne sich »der ganze von Sternen glitzernde Himmel«,16 flackerten und erloschen. Die wenigen Besucher, die sich zu den Messen der Unionisten einfanden, drängten sich vor dem Altar zusammen. Vögel flatterten traurig durch das Kirchenschiff. Nach dem Eindruck der orthodoxen Gläubigen hatten sich Gennadios’ Tiraden als prophetisch erwiesen: Keine mächtige Kriegsflotte kam über das Marmarameer, um der Christenheit zu Hilfe zu eilen. Die Kluft zwischen den Unionisten und den Orthodoxen, zwischen den Griechen und den Lateinern, war nun tiefer denn je, was sich auch in den späteren christlichen Berichten über die Belagerung niederschlagen sollte. Die Glaubensspaltung warf einen langen Schatten auf Konstantins Bestreben, die Stadt zu verteidigen. Am 1. November 1452, kurz bevor er sich in die selbstauferlegte Isolation zurückzog, schlug Gennadios ein Manifest an das Tor des Klosters Pantokrator. Es las sich wie eine düstere Prophezeiung, voller apokalyptischer Visionen und Selbstrechtfertigungen: O ihr elenden Rhomäer! Warum wollt ihr die Wahrheit verlassen? Warum wollt ihr euer Vertrauen anstatt auf Gott auf die Italiener setzen? Indem ihr euren Glauben verliert, verliert ihr eure Stadt. Erbarme dich meiner, o Herr. In deiner Gegenwart protestiere ich: Ich bin unschuldig an diesen Verbrechen. O ihr elenden Rhomäer! Überlegt, haltet ein, bereut. In dem Augenblick, in dem ihr der Religion eurer Väter abschwört und die Gottlosigkeit annehmt, unterwerft ihr euch fremder Knechtschaft.17
Knapp 250 Kilometer entfernt in Edirne verfolgte Mehmet diese Entwicklungen mit großer Aufmerksamkeit. Die Angst vor einer Vereinigung der Christenheit war stets ein Leitgedanke der osmanischen Außenpolitik gewesen; Halil Pascha sah darin eine Rechtfertigung für die Fortsetzung seiner Friedenspolitik: Jeder Angriff auf die Stadt könnte zum Zusammenschluss der Christen führen, und Konstantinopel könnte zum Anlass eines neuen Kreuzzugs werden. Mehmet indessen fühlte sich ermutigt durch die Berichte von Spionen aus der eingeschlossenen Stadt.
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An den kurzen Wintertagen und in den langen Nächten brütete der Sultan über seinen Eroberungsplänen. Er war einerseits entschlossen, wurde aber andrerseits von Zweifeln geplagt. Er schmückte seinen neuen Palast in Edirne mit Insignien seiner Macht aus, reorganisierte seine Leibwache und verminderte den Silbergehalt der Münzen, um dies alles bezahlen zu können. Mehmet umgab sich mit italienischen Beratern, von denen er Informationen über die Entwicklungen im Westen und militärtechnische Neuerungen erhielt. Er studierte illustrierte Abhandlungen über Festungen und Belagerungstechnik. Er war ruhelos, fieberhaft und unschlüssig. Er ließ sich von Astrologen beraten, grübelte über eine neue Methode nach, die Bollwerke der Stadt zu zerstören, und stritt mit dem alten Wesir, der die Meinung vertrat, dass dies unmöglich sei. Zugleich vertiefte er sich in die osmanische Geschichte und die Berichte über frühere Belagerungen der Stadt und analysierte akribisch die Gründe für deren Scheitern. Da er nicht schlafen konnte, fertigte er nachts Zeichnungen der Festungen an, die er im Sommer besichtigt hatte, und entwarf Strategien, sie zu erstürmen. Der Chronist Doukas verfasste eine lebendige Darstellung dieser rastlosen Tage. Das Bild, das er von dem verschlossenen, misstrauischen Sultan zeichnet, der von seinem Ehrgeiz zerfressen wird, mag durchaus einen wahren Kern besitzen, obwohl er vermutlich für sein christliches Publikum ein wenig übertrieben hat. Laut Doukas stapfte Mehmet nachts durch die Straßen, verkleidet als gewöhnlicher Soldat, und belauschte, was die Menschen auf den Märkten und in den Karawansereien über ihn redeten. Wenn jemand ihn erkannte und dem Sultan die übliche Ehrerbietung erwies, soll der Betreffende auf der Stelle umgebracht worden sein. Diese Darstellung, die in unzähligen Varianten abgewandelt wurde, entsprach ganz der westlichen Vorstellung vom blutrünstigen Tyrannen. Eines Abends, nach Mitternacht, ließ Mehmet von seinen Palastwachen Halil holen, den er wahrscheinlich als Haupthindernis für seine Pläne betrachtete. Der alte Wesir zitterte, als ihm der Befehl überbracht wurde; zu solcher Stunde vor »Gottes Schatten auf Erden« zitiert zu werden, verhieß nichts Gutes. Er umarmte seine Frau und seine Kinder, als sehe er sie zum letzten Mal, und folgte den Soldaten mit einer goldenen Schale voller Münzen. Doukas deutet an, dass Halils Angst berechtigt war: Er sei von den Griechen bestochen worden, um Mehmet von seinen Kriegsplänen abzubringen, doch dies bleibt unklar – Halil war ein wohlhabender Mann und hatte sogar dem alten Sultan, Mehmets Vater, Geld geliehen. Als Halil das königliche Schlafgemach betrat, traf er den Sultan in voller Kleidung an. Der alte Mann warf sich zu Boden und bot dem Herrscher die Schale mit den Münzen dar. »Was ist das?«, fragte Mehmet. »Herr«, antwortete Halil, »es ziemt sich für Würdenträger des Staates, wenn sie zu einer ungewöhnlichen Stunde zum Herrscher gerufen
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werden, nicht mit leeren Händen zu erscheinen.« »Ich brauche keine Geschenke«, erwiderte Mehmet. »Was ich will, ist Konstantinopel.« Eingeschüchtert durch die besondere Situation und die Erregung des Sultans, gelobte Halil, dass er sich mit ganzer Kraft für das Vorhaben einsetzen werde. Mehmet schloss: »Wenn wir auf Gott vertrauen und zum Propheten beten, werden wir die Stadt nehmen«, und entließ den gedemütigten Wesir in die Nacht. Ob diese Episode den Tatsachen entspricht, ist ungewiss, doch im Januar 1453 versammelte Mehmet seine Minister und erklärte in einer Rede, die der griechische Chronist Kritobulos überlieferte, dass er zum Krieg entschlossen sei. Er verband die Eroberung von Konstantinopel mit dem Aufstieg und dem Schicksal des Osmanischen Reiches. Mehmet war bewusst, welch große Gefahr die Stadt während des verheerenden Bürgerkriegs vor fünfzig Jahren für das taumelnde Reich dargestellt hatte; er wies darauf hin, »welch große Schwierigkeiten sie uns ... gemacht hat, indem sie uns von Anfang an ständig bekriegte, und auch jetzt noch macht, indem sie unsere Verhältnisse lauernd beobachtet und immer, wenn wir in ungünstiger Lage sind, dies ausnutzt und uns schweren Schaden zufügt«.18 Er fürchtete, durch Konstantinopel würde es immer wieder zu Kriegen mit den christlichen Mächten kommen. Wenn die Stadt erobert sei, könnte sie zum neuen Mittelpunkt des Reiches werden: »Denn mit ihr ... ist uns das, was wir besitzen, sicher, und das, was wir nicht besitzen, können wir erwerben; ohne sie jedoch, oder wenn sie bleibt, wie sie ist, ist nichts von dem, was uns gehört, verbürgt und nichts von dem Übrigen als Besitz zu erhoffen.« Die Zuhörer dürften sich sehr gut an Konstantins Versuch erinnert haben, Orhan für seine Zwecke einzusetzen. Mehmet versuchte auch, gegen eine in der islamischen Welt tief verwurzelte Überzeugung anzukämpfen, die auf die Zeit der arabischen Belagerungen zurückging: dass die Stadt schlicht uneinnehmbar sei. Er war gut unterrichtet über die jüngsten Entwicklungen in der Stadt; er wusste, dass »innerhalb der Stadt Aufruhr und Verwirrung [herrschen]«,19 und dass die Christen anders als in der Vergangenheit nun nicht mehr die Seewege kontrollierten. Darüber hinaus erinnerte er an die Gazi-Tradition: Wie für ihre Vorväter sei es auch heute für die Muslime eine religiöse Pflicht, den Heiligen Krieg zu führen. Mehmet betonte, dass man schnell handeln müsse; alle verfügbaren Mittel müssten zusammengefasst werden, um einen vernichtenden Schlag zu führen; man dürfe es »an nichts von dem fehlen lassen, was für den Krieg erforderlich ist, weder an Soldaten noch an Geldmitteln noch an Waffen noch an irgendetwas von dieser Art, und auch nicht irgendetwas anderes höher einschätzen, bis wir diese Stadt entweder zerstört und aus dem Weg geräumt oder in unsere Hand gebracht haben«.20 Dieser flammende Appell verfehlte anscheinend seine Wirkung nicht. Die Kriegsvorbereitungen wurden beschleunigt.
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Die Winter am Bosporus können überraschend streng ausfallen, wie die Araber während der Belagerung von 717 hatten erleben müssen. Da die Stadt in die Meerenge hinausragt, ist sie heftigen Nordstürmen ausgesetzt, die vom Schwarzen Meer her übers Land brausen. Eine feuchte, eisige Kälte kriecht den Menschen in die Knochen, wochenlanger Regen kann die Straßen in Schlammpisten verwandeln und an den steilen Hängen zu Sturzfluten führen; wie aus dem Nichts brechen unverhofft Schneestürme los, in denen die einen dreiviertel Kilometer entfernte asiatische Küste verschwindet, und flauen dann genauso schnell wieder ab, wie sie begonnen haben; tagelanger dichter Nebel erzeugt eine unheimliche Stille, die die Stadt in eisernem Griff hält, das Läuten der Kirchenglocken und das Getrappel der Pferdehufe auf den öffentlichen Plätzen erstickt, als trügen die Pferde Fellstiefel. Der Winter 1452/53 machte den Bewohnern anscheinend besonders zu schaffen durch sehr trostloses, wechselhaftes Wetter. Die Menschen berichteten über »ungewöhnliche und befremdliche Beben und Erschütterungen der Erde..., plötzlich hereinbrechende Gewitter, Schauder erregende Blitze..., verheerende Stürme und Überflutungen durch wolkenbruchartig herabstürzende Regenfälle«.21 Dies verstärkte die gedrückte Stimmung. Keine christliche Kriegsflotte tauchte auf, um die Hilfszusagen nach der Kirchenvereinigung einzulösen. Die Stadttore blieben fest geschlossen, und unter dem Würgegriff des Sultans riss der Nachschub von Nahrungsmitteln aus dem Schwarzmeergebiet ab. Die einfachen Menschen lauschten den Predigten ihrer orthodoxen Priester, tranken in den Schänken gewässerten Wein und baten in ihren Gebeten die Jungfrau Maria, sie möge die Stadt beschützen, wie sie es zur Zeit der arabischen Belagerungen getan hatte. Eine tiefe Sorge um die Reinheit ihrer Seelen befiel die Menschen, zweifellos beeinflusst durch Gennadios’ flammende Predigten. Es galt als sündhaft, einer Messe beizuwohnen, die von einem Priester zelebriert wurde, der bei der Verkündung der Union anwesend gewesen war, auch wenn er nur als Zuschauer teilgenommen hatte. Konstantin wurde verhöhnt, wenn er durch die Straßen ritt. Trotz dieser feindseligen Stimmung bemühte sich der Kaiser nach Kräften, Pläne zur Verteidigung der Stadt auszuarbeiten. Er schickte Abgesandte zu den Inseln in der Ägäis und andere Gebiete, die Lebensmittel beschaffen sollten: »Weizen, Wein, Olivenöl, getrocknete Feigen, Erbsen, Gerste und andere Hülsenfrüchte.«22 Schadhafte Teile der Bollwerke wurden ausgebessert, sowohl an der Land- als auch an der Seemauer. Es gab nicht mehr genug geeignete Steine, und man konnte auch keinen Nachschub mehr aus den Steinbrüchen außerhalb der
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Stadt beschaffen. Um Baumaterial aufzutreiben, wurden verfallene Gebäude und leerstehende Kirchen abgerissen; sogar alte Grabsteine fanden eine neue Verwendung. Der Graben vor der Landmauer wurde gesäubert, und Konstantin gelang es anscheinend, die zunächst skeptischen Einwohner dazu zu bewegen, sich an diesen Arbeiten zu beteiligen. Einzelpersonen, Kirchen und Klöster spendeten bei öffentlichen Sammelaktionen Geld, das zum Kauf von Lebensmitteln und Waffen verwendet wurde. Alle verfügbaren Waffen in der Stadt – viel zu wenige – wurden eingezogen und neu verteilt. Die wenigen befestigten Stützpunkte, die den Byzantinern außerhalb ihrer Stadtmauern noch verblieben waren, wurden mit Soldaten besetzt: Selymbria und Epibatos an der Nordküste des Marmarameers, Therapia am Bosporus gegenüber der Festung Rumeli Hisari sowie die größte der Prinzeninseln. In einer letzten trotzigen, aber hilflosen Geste ließ Konstantin durch Galeeren osmanische Dörfer an der Küste des Marmarameers verwüsten. Dabei wurden Gefangene gemacht, die anschließend in der Stadt als Sklaven verkauft wurden. »Und dadurch wurden die Türken sehr aufgebracht gegen die Griechen und schworen, dass sie dafür büßen sollten.«23 Der einzige kleine Lichtblick für Konstantin in dieser Zeit war die Ankunft eines kleinen Verbands italienischer Schiffe, die er dafür gewinnen oder dazu zwingen konnte, sich an der Verteidigung der Stadt zu beteiligen. Am 2. Dezember schaffte es eine große venezianische Frachtgaleere, die unter dem Befehl von Giacomo Coco stand und aus Kaffa am Schwarzen Meer kam, sich an den Geschützen des Messers an der Kehle vorbeizuschmuggeln, indem die Mannschaft den Eindruck erweckte, dass sie den Wegezoll bereits weiter stromaufwärts entrichtet habe. Als sich das Schiff der Festung näherte, begrüßten die Seeleute die osmanischen Soldaten »wie Freunde, ließen Trompeten ertönen und jubelten. Und beim dritten Salut waren sie von der Festung schon weit genug entfernt und das Wasser trug sie nach Konstantinopel.«24 Unterdessen hatten die Venezianer und Genuesen durch ihre Repräsentanten in der Stadt erfahren, wie es wirklich um Konstantinopel stand, und die Stadtstaaten begannen nun zögerlich zu reagieren. Nach der Versenkung von Rizzos Schiff beorderte der Senat von Venedig seinen Vizekapitän am Golf, Gabriel Trevisano, nach Konstantinopel, von wo er die Handelskonvois zurück zum Schwarzen Meer begleiten sollte. Unter den Venezianern, die nun in die Stadt kamen, befand sich der Schiffsarzt Nicolo Barbaro, der das aufschlussreichste Tagebuch über die Ereignisse der kommenden Monate verfassen sollte. In der venezianischen Kolonie in der Stadt wuchs die Sorge. Der venezianische Bailo Minotto, ein energischer, tatkräftiger Mann, wollte unbedingt die drei Handelstrieren und Trevisanos zwei Leichtgaleeren zur Verteidigung der Stadt heranziehen. Bei einer Zusammenkunft am 14. Dezember bat der Kaiser Trevisano und
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zwei weitere Kapitäne, »in erster Linie aus Liebe zu Gott, dann um der Christenheit willen und unserer Signoria von Venedig zuliebe hier zu bleiben«.25 Nach längeren Verhandlungen erklärten sich die Kapitäne bereit, in der Stadt zu bleiben, stritten jedoch darüber, ob sie ihre Ladung an Bord lassen oder als Zeichen ihres guten Willens in die Stadt schaffen sollten. Konstantin fürchtete, dass die Schiffe ablegen würden, sobald die Fracht entladen sei; erst nachdem sie vor dem Kaiser einen persönlichen Eid abgelegt hatten, durften sie ihre Seidenballen, Kupfer, Wachs und andere Güter entladen. Konstantins Befürchtungen waren nicht unbegründet: In der Nacht zum 26. Februar hatten eines der venezianischen und sechs Schiffe aus der kretischen Stadt Candia die Anker gelichtet und mit einem kräftigen Nordwestwind in den Segeln das Weite gesucht. »Auf diesen Schiffen flohen viele bedeutende Personen, insgesamt rund 700, und die Schiffe gelangten sicher nach Tenedos, ohne von der türkischen Armada gefangengesetzt zu werden.«26 Diese entmutigende Feigheit wurde durch ein anderes erfreuliches Ereignis ausgeglichen. Die Bitten des Genueser Podestà in Galata hatten zu einem konkreten Hilfsangebot geführt. Wohl am 26. Januar erschienen zwei große Galeonen, beladen »mit viel vorzüglichem Kriegsgerät und vortrefflichen Soldaten, die gleichermaßen tapfer wie zuversichtlich waren«.27 Das Schauspiel, das sich bot, als diese Schiffe in den Hafen einliefen »mit vierhundert Männern in voller Rüstung« an Deck, beeindruckte sowohl die Bevölkerung wie auch den Kaiser. Ihr Anführer war ein Berufssoldat, der einer der bedeutendsten Familien der Republik entstammte, Giovanni Giustiniani Longo, ein erfahrener Befehlshaber, der diese Expedition auf eigene Initiative organisiert und aus eigener Tasche finanziert hatte. Er brachte 700 gut bewaffnete Soldaten mit, von denen 400 aus Genua stammten und die übrigen 300 aus Rhodos und der zu Genua gehörenden Insel Chios, der Machtbasis der Familie Giustiniani. Konstantin erkannte schnell, wie wichtig dieser Mann war, und bot ihm die Insel Lemnos an, wenn es gelingen sollte, den osmanischen Angriff abzuwehren. Giustiniani sollte in den folgenden Wochen bei der Verteidigung der Stadt eine verhängnisvolle Rolle spielen. Zu diesem Kontingent kamen weitere Soldaten hinzu. Drei Brüder aus Genua, Antonio, Paolo und Troilo Bocchiardo, brachten einen kleinen Trupp Bewaffneter mit. Die Katalanen schickten ein Kontingent, und auch ein kastilischer Adeliger namens Don Francisco von Toledo folgte dem Hilferuf. Darüber hinaus jedoch hatte das Hilfsersuchen an die Christenheit nur zu Enttäuschungen und Verstimmungen geführt. In der Stadt verbreitete sich der Eindruck, man sei im Stich gelassen worden. In Rom habe man »so wenig daran gedacht, uns zu helfen, wie der Sultan von Kairo oder Ägypten«,28 erinnerte sich Georgios Sphrantzes verbittert.
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Das Flammen und Blitzen gewisser feuriger Mixturen und der Schrecken, den ihr Geräusch verbreitet, haben merkwürdige Folgen, vor denen sich niemand schützen und die niemand ertragen kann ... wenn eine Menge dieses Pulvers, nicht größer als der Finger eines Mannes, in ein Stück Pergament gewickelt und entzündet wird, explodiert sie mit einem blendenden Blitz und einem ohrenbetäubenden Knall. Wenn eine größere Menge benutzt würde, oder der Behälter aus festerem Material bestünde, wäre die Explosion sehr viel gewaltiger, und der Blitz und der Knall wären absolut unerträglich. Roger Bacon, ein englischer Mönch im 13. Jahrhundert über die Wirkung von Schwarzpulver1
Nach der Ankunft des genuesischen Kontingents wurden die Vorbereitungen auf die Belagerung stärker vorangetrieben. Giustiniani, »was Belagerungskämpfe angeht, hinreichend erfahren«,2 studierte die Befestigungen der Stadt mit kühlem Blick und ergriff die erforderlichen Maßnahmen. Unter seiner Anleitung bereiteten sich die Soldaten im Februar und März auf die Belagerung vor, »indem sie die Gräben reinigten, die schadhaften Stellen der Mauer ausbesserten, die Brustwehren der Türme und Zwischenwälle bewaffneten und die gesamte Mauer zum Land und zum Meer hin instand setzten«.3 Trotz ihres heruntergekommenen Zustands besaß die Stadt immer noch furchterregende Festungsanlagen. Von allen Erklärungen für die Zählebigkeit des Byzantinischen Reichs ist die Unüberwindlichkeit der Verteidigungsanlagen seiner Hauptstadt bis heute eine der wichtigsten. Keine Stadt auf der Welt verdankte ihrer Lage so viel wie Konstantinopel. Von den 19 Kilometern ihrer äußeren Umfassungs-
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linie stießen fast 13 Kilometer ans Meer. Im Süden grenzte die Stadt an das Marmarameer. Starke Strömungen und unvorhersehbare Stürme machten dort jedes Landungsunternehmen äußerst riskant. Im Lauf von 1000 Jahren war auf dieser Seite kein einziger massierter Angriff gewagt worden. Die Küste war durch eine einzige durchgehende Mauer geschützt. Sie erhob sich mindestens 15 Meter über der Küstenlinie und war mit einer Kette von 188 Türmen und mehreren kleinen befestigten Häfen gesichert. Bedroht war diese Mauer nicht durch Schiffe, sondern durch den unaufhörlichen Ansturm der Wellen, die ihre Fundamente unterspülten. Manchmal griff die Natur sogar heftiger an als der Feind: In dem harten Winter von 764 wurde die Mauer von Eisschollen beschädigt, die sich über die Brustwehr schoben. Die Marmaramauer war auf ihrer gesamten Länge mit Inschriften aus Marmor versehen, die an Reparaturen durch die aufeinanderfolgenden Kaiser erinnerten. Die See an dieser Küste war rau bis zur Spitze der Akropolis, wo sich im Norden der Stadt die ruhigeren Gewässer des Goldenen Horns erstreckten. Diese Bucht bot einen hervorragend geschützten Ankerplatz für die kaiserliche Flotte; 110 Türme beherrschten die Mauer an dieser Küste, die über zahlreiche Wassertore und zwei recht große Häfen verfügte. Trotzdem galt die Anlage am Goldenen Horn von jeher als verwundbar. Hier hatten die Venezianer während des Vierten Kreuzzugs die Stadt gestürmt, indem sie ihre Schiffe auf den Strand setzten, sodass die Takelagen die Mauer überragten. Um die Zufahrt des Horns in Kriegszeiten zu blockieren, pflegten die Verteidiger seit der arabischen Belagerung von 717 einen Ausleger über die Zufahrt zu ziehen. Er bestand aus einer 300 Meter langen Kette aus massiven gusseisernen Gliedern von jeweils über 20 Zentimetern Länge, die von stabilen hölzernen Flößen getragen wurde. Wenn die Genuesen einwilligten, konnte die Kette auf der anderen Seite an einem Turm der Seemauer von Galata festgemacht werden. Auch in den Wintermonaten wurden sowohl die Flöße als auch die Kette für den Fall eines Angriffs von der Seeseite einsatzbereit gehalten. Die auf der Westseite gelegene Basis des Dreiecks, in dem die Stadt lag, war durch eine 6,5 Kilometer lange Landmauer, die sogenannte Theodosianische Mauer, geschützt. Sie erstreckte sich über Land vom Marmarameer zum Goldenen Horn und schützte die Stadt vor einem konventionellen Angriff. Viele der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Stadt hatten sich an diesem außergewöhnlichen Bauwerk abgespielt. Es bestand fast lange wie die Stadt selbst und vermittelte der mediterranen Welt ein Gefühl legendärer Unveränderlichkeit. Viele, die sich Konstantinopel in seiner Blütezeit aus der weiten thrakischen Ebene näherten, sei es als Händler oder Pilger, als Botschafter eines balkanischen Hofes oder als plündernde Truppen, die die Stadt erobern wollten, sahen von der Stadt als Erstes die unheilverkündende Landmauer, die sich mit ihrer gezackten Folge von Mauern und
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Türmen von einem Horizont zum anderen über die sanften Hügel der Landschaft erstreckte. In der Sonne ist die Kalkmauer von einem leuchtenden Weiß. Sie ist von horizontalen Bändern aus rubinroten römischen Ziegeln gesäumt und mit ähnlich geformten Schießscharten versehen. Die Türme, viereckig, sechseckig, achteckig und manchmal auch rund, stehen so nahe beieinander, dass »ein siebenjähriger Knabe einen Apfel von einem Turm zum anderen werfen könnte«.4 Sie steigen in mehreren Stufen bis zur inneren Mauer an, auf der Adlerfahnen des Kaisers stolz im Wind flattern. In unregelmäßigen Abständen sind die dunklen Öffnungen schwer bewachter Tore auszumachen, in denen in Friedenszeiten Männer und Tiere verschwanden, und am südlichen Ende der Mauer, nahe dem Marmarameer, glänzt ein mit flachen Goldplatten verkleideter und mit Marmor- und Bronzestatuen geschmückter Torbogen in der Sonne. Dies ist das Goldene Tor, der gewaltige zeremonielle Bogengang, flankiert von zwei großen Türmen aus poliertem Marmor, durch den in der Blütezeit von Byzanz die Kaiser im Triumph mit den sichtbaren Zeichen ihrer Siege zogen: mit besiegten Königen in Ketten, mit Elefanten, fremd gekleideten barbarischen Sklaven, hoch mit Beute beladenen Karren und der ganzen Macht der kaiserlichen Armee. Im Jahr 1453 waren die Goldplatten und ein Großteil der Dekorationen verschwunden, doch das Bauwerk war noch immer ein imposantes Monument römischer Herrlichkeit. Der Erbauer dieses Bollwerks, das die Grenzen der ausgedehnten Stadt markieren sollte, ist nicht der Kindkaiser Theodosios, dessen Namen sie trägt, sondern Anthemios, ein führender Staatsmann des frühen 5. Jahrhunderts, »einer der weisesten Männer des Zeitalters«,5 dem die Stadt für seine Weitsicht von da an unendlichen Dank schuldete. Die erste, 413 gebaute Linie der Mauer schreckte Attila den Hunnen, »die Geißel Gottes«,6 447 von einem Angriff auf die Stadt ab. Als sie im selben Jahr durch ein Erdbeben einstürzte, während Attila das nahe Thrakien verwüstete, reagierte die gesamte Bevölkerung auf die Krise. 16 000 Bürger bauten sie in erstaunlichen zwei Monaten wieder auf und stellten dabei nicht nur Anthemios' ursprüngliches Bauwerk wieder her, sondern fügten auch noch eine Außenmauer mit einer weiteren Kette von Türmen, eine schützende Brustwehr und einen mit Ziegeln ausgemauerten Wallgraben hinzu. Sie schufen damit eine furchterregende Verteidigungsanlage von erstaunlicher Komplexität. Die Stadt war nun auf dieser Seite durch eine Kette von 192 Türmen in einem Verteidigungssystem geschützt, das aus fünf Zonen bestand. Es war 60 Meter breit und hatte vom Boden des Grabens bis zu den Turmspitzen eine Höhe von 30 Metern. Die erbrachte Leistung wurde in einer angemessen prahlerischen Inschrift gefeiert: »In weniger als zwei Monaten errichtete Konstantin das triumphale Werk dieser starken Mauern. Kaum hätte Pallas so schnell ein so starkes Bollwerk bauen können.«7
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Im ausgereiften Stadium repräsentierte die Theodosianische Mauer das gesamte akkumulierte Wissen der gräkoromanischen Militärtechnik zur Verteidigung einer Stadt, allerdings vor der Erfindung des Schwarzpulvers. Das Herz des Systems blieb die von Anthemios erbaute innere Mauer: ein Kern aus vulkanischem Beton, der auf beiden Seiten mit Kalksteinblöcken aus nahegelegenen Steinbrüchen verkleidet war. In die Kalksteine waren Schichten aus Ziegeln eingearbeitet, die das Bauwerk fester verbanden. Die Wehrgänge waren durch eine Brustwehr geschützt und über Treppenfluchten zugänglich. Gemäß der römischen Bautechnik war die Mauer nicht mit den Türmen verbunden, damit sich beide Bauwerke unabhängig voneinander setzen konnten, ohne auseinanderzubrechen. Die Türme selbst erhoben sich 18 Meter hoch und bestanden aus zwei Kammern und einem flachen Dach, vom dem man mit Wurfmaschinen Felsbrocken und Behälter mit griechischem Feuer schleudern konnte. Von hier aus suchten Wächter unaufhörlich den Horizont ab und hielten einander in der Nacht durch Zurufe entlang der Linie wach. Die innere Mauer war 12 Meter hoch, die äußere war mit 8 Metern niedriger und hatte entsprechend niedrigere Türme, die zu den inneren versetzt gebaut waren. Zwischen den beiden Mauern lag eine 18 Meter breite Terrasse, wo sich die Truppen zur Verteidigung der Außenmauer sammelten und für den Nahkampf bereithielten. Unter der Außenmauer lag eine weitere 18 Meter breite Terrasse, von der man auf alle Angreifer, die den Graben überwanden, freies Schussfeld hatte. Der mit Ziegeln verkleidete Graben selbst war ein weiteres 18 Meter breites Hindernis und wurde auf der Innenseite von einer Mauer überragt. Bis heute weiß man nicht, ob er 1453 teilweise geflutet war oder trocken lag. Die Tiefe und Komplexität des Systems, die Dicke der Mauern und die Höhe, aus der das Vorfeld unter Beschuss genommen werden konnte, machten die Theodosianische Mauer praktisch uneinnehmbar für ein Heer, das nur über die Mittel des mittelalterlichen Belagerungskriegs verfügte. Die Landmauer war auf ihrer ganzen Länge mit einer Reihe von Toren versehen. Einige boten durch Brücken, die den Graben überspannten, Zugang zu der Landschaft außerhalb der Stadt, Brücken, die zerstört wurden, wenn eine Belagerung bevorstand; die Heerestore dienten im Gegensatz dazu als Verbindungen zwischen den verschiedenen Bereichen der Mauer und wurden benutzt, um innerhalb des Systems Truppen zu verschieben. Die Mauer enthielt auch eine Anzahl von kleinen Hilfstoren, aber die Byzantiner waren sich immer bewusst, welche Gefahr diese Ausfallpforten für die Stadt darstellten, und sie bewachten sie überaus sorgfältig. Im Allgemeinen alternierten beide Arten von Toren entlang der Mauer, wobei die Heerestore mit Nummern bezeichnet wurden und die öffentlichen Tore Namen hatten. Es gab das Quellentor, das nach einer heiligen Quelle vor der Stadt benannt
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war, das Tor des Hölzernen Amphitheaters, das Tor der Militärstiefelmacher, das Tor des Silbernen Sees. Einige brachten mehrere Namen hervor, weil alte Zusammenhänge vergessen und neue hergestellt wurden. Das dritte Heerestor wurde auch als das Tor der Roten bezeichnet, nach der Kleidung einer Partei in der Frühzeit der Stadt, während das Tor des Charisios, eines Führers der Blauen Partei, auch Friedhofstor hieß. In das Bauwerk waren einige bemerkenswerte Monumente integriert, an denen die Widersprüche von Byzanz sichtbar wurden. Nahe am Goldenen Horn war der kaiserliche Blachernae-Palast eingebettet, ein Gebäude, von dem es einst hieß, es sei von solcher Schönheit, dass fremden Besuchern die Worte fehlten, es zu beschreiben. Unmittelbar daneben lag das feuchte und finstere Gefängnis des Anemas, ein Kerker mit schrecklichem Ruf, in dem sich einige der grausigsten Ereignisse der byzantinischen Geschichte abspielten. An diesem Ort ließ Johannes V. seinen Sohn und seinen fünfjährigen Enkelsohn blenden, und aus diesem Gefängnis wurde der bereits furchtbar verstümmelte Andronikos der Schreckliche auf einem räudigen Kamel durch die johlende Menge zum Hippodrom geführt, wo er mit dem Kopf nach unten zwischen zwei Säulen aufgehängt und auf besonders schimpfliche Weise abgeschlachtet wurde. Die Landmauer bestand schon so lange, dass ihre verschiedenen Abschnitte mit einem reichen Schatz an Geschichten, Mythen und halb vergessenen Assoziationen verknüpft waren. Es gab kaum einen Ort, der in der Geschichte der Stadt nicht einen dramatischen Moment erlebt hatte, Szenen schrecklichen Verrats, wunderbare Errettungen und Todesfälle. Durch das Goldene Tor hatte Herakleios 628 das Heilige Kreuz in die Stadt gebracht; am Quellentor war der unpopuläre Kaiser Nikephoros Phokas 967 von einem wütenden Mob gesteinigt worden, und dasselbe Tor war 1261 bei der Wiederherstellung des griechisch-orthodoxen Kaisertums nach dem lateinischen Kaiserreich von Sympathisanten der Griechen geöffnet worden. Der sterbende Kaiser Theodosios II. war 450 durch das 5. Heerestor in die Stadt getragen worden – er war in einem unweit gelegenen Tal vom Pferd gestürzt. Und das Tor des Hölzernen Amphitheaters war im 12. Jahrhundert aufgrund der Prophezeiung blockiert worden, dass der Kaiser Friedrich Barbarossa es zur Eroberung der Stadt nutzen würde. Kein Bauwerk mit Ausnahme der Hagia Sophia repräsentierte die Psyche der Stadtbewohner besser als die Mauern. Während die Kirche ihre Vorstellung vom Himmelreich symbolisierte, waren die Mauern ihr Schutzschild gegen anbrandende Feinde, und sie standen unter dem persönlichen Schutz der Heiligen Jungfrau. Bei einer Belagerung hielten die Gläubigen die unaufhörlichen Gebete und die Prozessionen, die sie mit ihren Heiligen Reliquien auf den Mauern veranstalteten, in der Regel für wirksamer als rein militärische Maßnahmen. Diese Handlun-
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gen waren von einem mächtigen spirituellen Kraftfeld umgeben. Dem Kleid der Heiligen Jungfrau, das sich in einer Kirche in Blachernae befand, wurde bei der Abwehr der Awaren im Jahr 626 und der Russen im Jahr 860 eine größere Bedeutung beigemessen als der Militärtechnik. Die Menschen hatten Visionen, in denen Schutzengel auf den Mauern standen, und die Kaiser ließen Kreuze aus Marmor und Inschriften mit Gebeten in die Außenseite der Mauern einfügen. Ungefähr in der Mitte der Landmauer befindet sich ein einfaches Schutzgebet, das die größte Angst Konstantinopels ausdrückt. Es lautet: »Oh Gott Christus, erhalte deine Stadt ungestört und frei von Krieg. Bezwinge die Wut der Feinde.« Gleichzeitig war die Instandhaltung der Mauern die eine wichtige öffentliche Aufgabe, an der alle Bürger ohne Ausnahme mitwirken mussten, sei es durch Geld oder Arbeit. So schlecht die wirtschaftliche Lage auch sein mochte, es war immer Geld da, um die Mauern zu reparieren. Diese Aufgabe war so wichtig, dass sie von speziellen Beamten überwacht und geleitet wurde, die einem Mann mit dem eindrucksvollen Titel »Mauergraf« unterstanden. Die im Lauf der Zeit durch Verwitterung und Erdbeben zerstörten Türme und Mauern wurden fortlaufend repariert, und an die Reparaturarbeiten wurde durch zahlreiche in die Mauer eingefügte marmorne Inschriften erinnert. Diese stammen aus vielen Jahrhunderten, angefangen von der ersten Restauration im Jahr 447 bis zu einer Generalüberholung der äußeren Mauer im Jahr 1433. Eine der letzten datierten Reparaturen vor der Belagerung bringt die Zusammenarbeit göttlicher und menschlicher Instanzen bei der Erhaltung dieses Schutzschilds der Stadt zum Ausdruck. Sie lautet: »Dieses gottgeschützte Tor der lebensspendenden Quelle wurde mithilfe und auf Kosten des Manuel Bryennios Leontari in der Regierungszeit der allerfrömmsten Herrscher Johannes und Maria Palaiologos im Mai 1438 restauriert.«8 Kaum ein anderes Bollwerk sagt mehr über den antiken und mittelalterlichen Belagerungskrieg aus als die Mauern von Konstantinopel. Die Stadt lebte fast während ihrer gesamten Existenz im Belagerungszustand; ihre Befestigungsanlagen entsprachen dem Wesenskern und der Geschichte des Ortes; sie standen für eine Mischung aus Zuversicht und Fatalismus, göttlicher Inspiration und praktischem Geschick, Langlebigkeit und Konservatismus. Wie die Stadt selbst waren auch die Mauern schon immer da, und alle Bewohner des östlichen Mittelmeerraums nahmen an, dass sie immer da sein würden. Die Bollwerke waren schon im 5. Jahrhundert ausgereift und änderten sich danach nur noch wenig. Die Bautechnik war konservativ und reichte auf die Praxis der Griechen und Römer zurück. Es gab keinen besonderen Grund, warum sie sich hätte entwickeln sollen, weil auch der Belagerungskrieg unverändert blieb. Die grundlegenden Techniken und Geräte, Blockade, Unterminierung und Sturmangriff unter Verwendung von Rammbö-
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cken, Katapulten, Türmen, Tunneln und Leitern, waren seit Menschengedenken unverändert geblieben. Der Vorteil lag immer bei den Verteidigern, und bei Konstantinopel wurde er durch die Lage an der Küste noch vergrößert. Keinem der Heere, die vor seiner Landmauer gelegen hatten, war es je gelungen, die gestaffelte Verteidigungsanlage zu durchbrechen, und die Stadt hatte immer die Weitsicht besessen, durch staatliche Verordnungen für randvolle Zisternen und Getreidespeicher zu sorgen. Die Awaren waren mit Ehrfurcht gebietenden Katapulten vor der Stadt erschienen, doch deren steinerne Geschosse waren aufgrund ihrer stark gekrümmten Flugbahnen von den Mauern abgeprallt. Die Araber waren in der Kälte erfroren. Der Bulgare Khan Krum hatte es mit Magie versucht; er hatte Menschenopfer gebracht und seine Soldaten mit Meerwasser besprengt – ohne Erfolg. Selbst die Feinde Konstantinopels glaubten allmählich, dass die Stadt unter göttlichem Schutz stünde. Nur den Byzantinern selbst gelang es immer wieder, ihre Stadt vom Land her einzunehmen, und zwar stets durch Verrat: In den letzten chaotischen Jahren des Bürgerkriegs war es mehrmals vorgekommen, dass die Tore in der Nacht und meist von Verrätern in der Stadt geöffnet worden waren. Die Landmauer hatte nur zwei potenzielle Schwachstellen. In ihrem mittleren Abschnitt ging es in das langgestreckte Tal des Lykos hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf. Wo die Mauer dem Abhang folgte, beherrschten ihre Türme nicht mehr die Höhen, sondern lagen unterhalb eines Belagerungsheers, das die Ränder des Tales besetzte. Außerdem war es wegen Baches, der durch eine Rohrleitung in die Stadt floss, an diesem Punkt nicht möglich gewesen, einen tiefen Graben zu bauen. Fast alle Belagerungsheere hatten erkannt, dass hier die Schwachstelle der Festung war, und sie hatte ihnen ein Fünkchen Hoffnung gewährt, auch wenn sie letztlich alle gescheitert waren. Eine zweite Anomalie der Verteidigungsanlagen befand sich am nördlichen Ende der Mauer. Der normale Verlauf der dreifachen Mauer wurde jäh unterbrochen, als sie sich dem Goldenen Horn näherte. Sie schwenkte rechtwinklig von der Stadt weg, um ein zusätzliches Stück Land zu umschließen. Auf einer Länge von etwa 400 Metern, bevor die Mauer das Meer erreichte, verwandelte sie sich in ein zusammengewürfeltes Bauwerk aus unterschiedlich geformten Bollwerken und Abschnitten, die zwar stabil auf felsigen Untergrund gebaut, aber in der Regel nur einfach statt dreifach waren und den größten Teil der Strecke nicht durch einen Graben geschützt wurden. Die Ausbuchtung war der Mauer später hinzugefügt worden, um das Heiligtum der Jungfrau Maria in Blachernae zu schützen. Ursprünglich hatte die Kirche außerhalb der Mauer gelegen. Denn mit typisch byzantinischer Logik war man ursprünglich davon ausgegangen, dass der Schutz der Jungfrau für die Kirche ausreiche. Nachdem sie jedoch die Awaren 626 beinahe niedergebrannt hätten (wenn sie
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nicht durch die Jungfrau gerettet worden wäre), wurde der Verlauf der Mauer geändert, damit sie die Kirche mit umschloss, und in derselben Ausbuchtung wurde auch der Palast von Blachernae errichtet. Beide Schwachstellen hatte Mehmet bei seiner Aufklärungsaktion im Sommer 1452 bereits genau inspiziert. Der Stelle, an der die Mauer rechtwinklig abbog und an der die Mauerteile zusammenstießen, sollte er später besondere Aufmerksamkeit widmen. Es war durchaus verständlich, dass die Bewohner der Stadt, die unter Giustinianis Aufsicht die Bollwerke reparierten und mit ihren Ikonen eine Prozession auf den Mauern veranstalteten, großes Vertrauen in ihre Befestigungsanlagen hatten. Unveränderlich, abschreckend und unzerstörbar wirkten sie, und, wie sich immer wieder gezeigt hatte, konnte sogar eine kleine Besatzung mit ihrer Hilfe einem riesigen Heer standhalten, bis dessen Willenskraft durch die logistischen Belastungen der Belagerung, durch eine Epidemie oder durch die Unzufriedenheit der Soldaten erlahmt war. Die Mauern waren zwar an manchen Stellen etwas baufällig, aber überwiegend immer noch solide. Wie Brocquière feststellte, als er 1430 in die Stadt kam, war selbst der verwundbare Mauerknick in Blachernae durch »eine gute und hohe Mauer«9 geschützt. Die Verteidiger waren sich jedoch nicht bewusst, dass sie sich am Vorabend einer technischen Entwicklung auf den Kampf vorbereiteten, die die Regeln des Belagerungskriegs von Grund auf verändern sollte.
Niemand weiß, wann die Osmanen Kanonen erwarben. Erste Feuerwaffen gelangten wahrscheinlich um 1400 über den Balkan in ihr Reich. Für die Verhältnisse des Mittelalters verbreitete sich die neue Technologie mit Lichtgeschwindigkeit: Die erste schriftliche Erwähnung einer Feuerwaffe fand 1313 statt, und die erste Abbildung stammt aus dem Jahr 1326, doch schon Ende des 14. Jahrhunderts wurden vielerorts in Europa Kanonen gegossen. Kleine Werkstätten zur Herstellung von Kanonen aus Eisen und Bronze schossen in Frankreich, Deutschland und Italien wie Pilze aus dem Boden, und um sie herum entwickelten sich Sekundärindustrien. Salpeter-»Fabriken« entstanden; Händler importierten Kupfer und Zinn; handwerklich geschulte Söldner verkauften ihre Fertigkeit im Gießen von Metall an den Meistbietenden. Der militärische Nutzen der ersten Feuerwaffen blieb jedoch fürs Erste zweifelhaft; die Feldartillerie in der Schlacht von Agincourt richtete im Gegensatz zum Langbogen kaum materiellen Schaden an. Die Waffen waren klobig und schwer, der Ladevorgang dauerte lange, sie schossen sehr ungenau, und sie waren für die Artilleristen genauso gefährlich wie für den Feind, weil sie häufig explodierten. Doch der Kanonenbeschuss hatte zweifellos einen psycho-
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logischen Effekt. König Edward III. versetzte bei Crécy »mit fünf oder sechs Kanonen das französische Heer in Panik, es war das erste Mal, dass die Franzosen solche donnernden Maschinen sahen«,10 und die gewaltige holländische Kanone Philip van Arteveldes machte 1382 »solch einen Krach, wenn sie losging, als wären alle Teufel der Hölle versammelt«.11 Vergleiche mit der Hölle sind in diesen frühen Berichten häufig. Und das »teuflische Instrument des Krieges«12 mit dem sprichwörtlichen Kanonendonner hatte tatsächlich etwas Infernalisches: Es störte die natürliche Ordnung der Dinge und raubte dem Ritterstand seine dominante Rolle in der Schlacht. Die Kirche hatte schon 1137 die Verwendung feuriger Mixturen bei der Kriegführung gebannt und auch die Armbrust verboten (weil mithilfe einer Maschine getötet wurde und folglich kein Gottesurteil im Zweikampf möglich war), aber dies änderte wenig an der Entwicklung. Der Geist war aus der Flasche. Außer bei Belagerungen spielte die Verwendung von Artillerie um 1420, als die Osmanen erstmals ernsthaftes Interesse an Feuerwaffen zeigten, in der Kriegführung noch eine minimale Rolle. Bei ihrem Vordringen auf dem Balkan waren den Osmanen die erforderlichen Ressourcen und kundige Handwerker in die Hände gefallen, um selbst Kanonen herzustellen. Benötigt wurden Gießereien und ausgebildete Gießer, Kupferminen, Steinmetze zur Herstellung der steinernen Kanonenkugeln, Hersteller von Salpeter und Pulvermühlen zur Herstellung von Schwarzpulver. Die Osmanen lernten schnell. Sie eigneten sich neue Techniken ungeheuer rasch an und waren sehr geschickt darin, christliche Techniker in ihre Heere zu integrieren und auch ihre eigenen Soldaten auszubilden. Mehmets Vater Murat baute die notwendige Infrastruktur für eine Artillerie auf, indem er in seiner Palastarmee eine Einheit von Kanonieren und eine Einheit von Kutschern schuf, die Geschütze mit fahrbaren Lafetten bewegen konnten. Zur selben Zeit lieferten venezianische und genuesische Händler Geschütze in den östlichen Mittelmeerraum, obwohl der Verkauf von Kanonen an die Ungläubigen durch ein päpstliches Edikt verboten war, und handwerklich geschulte Söldner, die ihre Kunst dem aufsteigenden Sultanat gern verkauften, zogen an den osmanischen Hof. Konstantinopel bekam einen ersten Vorgeschmack der neuen osmanischen Fähigkeiten, als Murat im Sommer 1422 die Stadt belagerte. Die Griechen berichten, dass er unter Anleitung von Deutschen riesige »Bombarden« an die Stadt heranführte, diese jedoch praktisch wirkungslos blieben: 70 Kanonenkugeln trafen einen Turm, ohne größeren Schaden anzurichten. In den 1440er-Jahren jedoch versuchte Konstantin die Peloponnes, eine der wenigen noch verbliebenen Provinzen seines Reiches, vor osmanischen Einfällen zu schützen, indem er über die Landenge von Korinth das Hexamilion, eine 9,6 Kilometer lange Mauer baute. Die Mauer war ein Ehrfurcht gebietendes Werk militärischer Baukunst, und man
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dachte, sie werde auch einer langwierigen Belagerung standhalten. Anfang Dezember 1446 jedoch griff Murat das Bauwerk mit langen Kanonen an und brach in nur fünf Tagen durch. Konstantin kam gerade noch mit dem Leben davon. Zwischen der Belagerung der Stadt im Jahr 1422 und dem Beschuss des Hexamilions hatten die Osmanen ihr Wissen über Artillerie erweitert, und sie hatten dies zu einem wichtigen Zeitpunkt in der Entwicklung des Kanonenbaus und der Sprengstoffe getan. Irgendwann in den 1420er-Jahren wurde bei der Produktion von Schwarzpulver in Europa eine Entdeckung gemacht, durch die sich Wirkung und Berechenbarkeit des Sprengstoffs beträchtlich erhöhten. Zuvor hatte man die notwendigen Ingredienzien für Schwarzpulver (Schwefel, Salpeter und Holzkohle) in Fässern mitgeführt und sie auf dem Schlachtfeld gemischt. Dieses Mehlpulver war langsam abgebrannt und leicht feucht geworden, und es hatte die Tendenz gehabt, sich durch Erschütterung zu entmischen. Anfang des 15. Jahrhunderts zeigte sich bei Experimenten, dass man bessere Ergebnisse erzielte, wenn man aus dem Pulver mit Wasser eine Paste herstellte, sie in vorgeformten Klumpen trocknete und diese je nach Bedarf zu einem Granulat zerbröselte. Dieses sogenannte »gekörnte« Schwarzpulver brannte schneller ab, seine Sprengkraft war um 30 Prozent höher, und es war weniger empfindlich gegen hohe Luftfeuchtigkeit. Erheblich schwerere Kanonenkugeln konnten nun mit eindrucksvoller Wucht auf eine Stadtmauer abgeschossen werden. Inzwischen waren auch riesige Belagerungskanonen aufgetaucht, die bis zu 5 Metern lang waren und bis zu 350 Kilogramm schwere Kugeln verschießen konnten. Die Dulle Griete, die große Bombarde von Gent, machte beim Abfeuern ein Geräusch »wie die Furien der Hölle« und zerstörte 1412 die Mauern von Bourges. Das neue und stärkere Pulver brachte die Kanoniere in Gefahr und hatte Einfluss auf den Kanonenguss: Die Läufe wurden dicker und länger, und es entstand die Tendenz, ganze Kanonen aus zäher Bronze zu gießen, anstatt sie wie zuvor aus Eisenteilen zusammenzuschmieden. Die Preisunterschiede waren gewaltig. Eine Bronzekanone kostete dreimal so viel wie eine geschmiedete aus Eisen, aber angesichts der großen Vorteile der Bronzekanonen war der Unterschied offenbar gerechtfertigt. Zum ersten Mal, seit die Mauern von Jericho durch Posaunenschall zum Einsturz gebracht worden waren, hatten die Belagerer beim Angriff auf eine gut befestigte Festung wieder einen gewissen Vorteil. Das Europa des 15. Jahrhunderts erbebte unter dem Donnern großer Belagerungskanonen, unter dem Aufprall von Steinkugeln auf Steinmauern und unter dem unerwarteten Fall angeblich uneinnehmbarer Festungen. Die Osmanen verfügten über optimale Voraussetzungen, um sich diese Entwicklung zunutze zu machen. Das expandierende Reich konnte sich selbst mit Kupfer und natürlich vorkommendem Salpeter versorgen; es erwarb das notwen-
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dige Fachwissen durch Eroberung oder Kauf und baute die notwendigen Strukturen auf, um es bei seinen eigenen Soldaten zu verbreiten. Das Reich wurde schnell sehr tüchtig in Herstellung, Transport und Bedienung seiner Artillerie; kein anderer Staat bewältigte die komplizierte Logistik der Kriegführung mit Feuerwaffen besser. Im richtigen Moment eine effektive Batterie Kanonen ins Feld zu schicken, stellte gewaltige Anforderungen an die Versorgungsketten im Mittelalter: Die angemessene Menge an Steinkugeln passenden Kalibers und das richtige Schwarzpulver mussten zur gleichen Zeit wie die nur langsam beweglichen Kanonen an den richtigen Ort gebracht werden. Die Osmanen bezogen Männer und Materialien aus dem ganzen Reich: Kanonenkugeln von der Schwarzmeerküste, Salpeter aus Belgrad, Schwefel aus Van, Kupfer aus Kastamonu, Zinn aus dem Überseehandel, Bronzeschrott aus Kirchenglocken vom Balkan, und sie verteilten das alles durch ein Transportnetz von Karren und Kamelen, dessen Effizienz unübertroffen war. Weite Vorausplanung war ein Markenzeichen des osmanischen Militärapparats, dem gelang, diese Fertigkeit reibungslos auch auf die speziellen Anforderungen des Zeitalters der Geschütze zu übertragen. Die Osmanen absorbierten die Technologie der Kanonen so schnell, dass sie, wie zahlreiche Augenzeugen berichteten, in den 1440er-Jahren eine wohl einzigartige Fähigkeit erlangt hatten: Sie konnten in improvisierten Gießereien auf dem Schlachtfeld mittelgroße Kanonenrohre gießen. Murat transportierte das Metall für seine Kanonen zum Hexamilion und goss viele seiner langen Kanonen an Ort und Stelle. Dies bedeutete eine außerordentliche Flexibilität im Belagerungskrieg: Statt die fertige Waffe zum Kriegsschauplatz zu schaffen, konnte sie zerlegt und schneller transportiert und nach ihrem Einsatz wenn nötig wieder in ihre Einzelteile zerlegt werden. Das Metall von Kanonen, die beim Schuss zerbarsten, was recht oft passierte, konnte zum Guss neuer Geschütze verwendet werden, und in einem Zeitalter, in dem das Kaliber der Kanonen und der verfügbaren Kanonenkugeln oft nicht zusammenpassten, konnten für die verfügbaren Kugeln Läufe mit passendem Kaliber gegossen werden. (Diese Fähigkeit erreichte bei der epischen Belagerung der venezianischen Stadt Candia auf Kreta ihren Höhepunkt. Nach 21-jährigen Kämpfen hatten die Osmanen 30 000 Kanonenkugeln der venezianischen Verteidiger gesammelt, die sie mit ihren Kanonen nicht verschießen konnten. Also gossen sie drei neue Kanonenrohre, die das feindliche Kaliber hatten, und beschossen die Verteidiger mit ihren eigenen Kugeln.) Die Belagerungskanone entsprach wohl einem wichtigen Charakterzug der Osmanen, nämlich ihrer tief verwurzelten Abneigung gegen befestigte Siedlungen. Die Nachfahren der Steppennomaden hatten immer wieder ihre Überlegenheit in der offenen Feldschlacht bewiesen und waren nur an den Bollwerken sesshafter Völker
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militärisch gescheitert. Nun jedoch entstand durch die Artillerie die Möglichkeit, die Gefahren einer langwierige Belagerung zu vermeiden. Diese Möglichkeit hatte in Anbetracht der als unüberwindlich geltenden Mauern Konstantinopels sofort Mehmets wissenschaftliches Interesse geweckt, und er hatte gleich nach seiner Thronbesteigung mit dem Gießen langer Kanonen zu experimentieren begonnen. Auch die Byzantiner waren sich des Potenzials von Feuerwaffen bewusst. Die Verteidiger der Stadt besaßen mehrere mittelgroße Kanonen und zahlreiche Handfeuerwaffen, und Konstantin machte große Anstrengungen, die notwendigen Ressourcen für ihren Einsatz einzulagern. Es gelang ihm, Pulver von den Venezianern zu kaufen, doch das Reich war zu arm, um viel in teure neue Waffen investieren zu können. Vermutlich einige Zeit vor 1452 kam der ungarische Kanonengießer Urban in die Stadt und wollte für den kaiserlichen Hof arbeiten. Er gehörte zu der wachsenden Zahl technischer Söldner, die ihr Handwerk überall auf dem Balkan ausübten, und er bot den Byzantinern an, große, einläufige Kanonen aus Bronze zu gießen. Der von Finanznot geplagte Kaiser war interessiert an dem Mann, hatte aber eigentlich nicht die Mittel, um sich seiner Fertigkeiten zu bedienen; er bewilligte ihm ein kleines Gehalt, um ihn in der Stadt zu halten, aber selbst dieses wurde nicht regelmäßig ausbezahlt. Der unglückliche Handwerker verarmte zusehends, also verließ er im Jahr 1452 die Stadt und reiste nach Edirne, wo er um eine Audienz bei Mehmet nachsuchte. Der Sultan hieß den Ungarn willkommen, versorgte ihn mit Kleidung und Essen und befragte ihn intensiv. Das Gespräch wurde von dem griechischen Chronisten Doukas lebhaft nachempfunden: Mehmet fragte, ob Urban eine Kanone gießen könne, um einen Stein abzuschießen, der groß genug sei, um die Mauern von Konstantinopel zu zerstören, und verdeutlichte durch eine Geste, wie groß dieser Stein sein sollte. Urban bejahte die Frage: »Wenn Ihr wollt, kann ich eine Kanone aus Bronze gießen, mit der sich ein solcher Stein verschießen lässt. Ich habe die Mauern der Stadt sehr genau studiert. Ich kann nicht nur die Mauern dieser Stadt, sondern sogar die Mauern Babylons mit den Steinen aus meiner Kanone zerschmettern. Die notwendige Arbeit zur Herstellung der Kanone kann ich allein durchführen.« Dann jedoch schränkte er seine Garantie ein und sagte: »Ich weiß nicht, wie ich sie abfeuern soll, und ich kann nicht versprechen, dass ich es tun werde.«13 Mehmet befahl ihm, die Kanone zu gießen, und erklärte, er werde sich schon darum kümmern, dass sie abgefeuert werde. Wie auch immer das Gespräch tatsächlich verlief, Urban scheint jedenfalls im Sommer 1452, während das »Messer der Kehle« errichtet wurde, mit dem Bau der Kanone begonnen zu haben. Etwa zum selben Zeitpunkt muss Mehmet damit begonnen haben, einen beträchtlichen Vorrat des für Kanonen benötigten Materials anzulegen: Kupfer und Zinn, Salpeter, Schwefel und Holzkohle. Auch beauf-
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tragte er offenbar Steinmetze damit, in den Steinbrüchen am Schwarzen Meer Kanonenkugeln aus Granit herzustellen. Drei Monate später hatte Urban seine erste große Kanone gegossen. Sie wurde zum »Messer der Kehle« gezogen, um den Bosporus zu bewachen. Es war diese Geschütz, das im November 1452 Rizzos Galeere versenkte, wodurch erste Nachrichten über die mächtige Artillerie der Osmanen nach Konstantinopel drangen. Mehmet war mit dem Einsatz der ersten Kanone zufrieden und befahl Urban nun, eine wahrhaft monströse, doppelt so große Kanone, das archetypische Supergeschütz, zu gießen. Die Osmanen gossen damals wohl bereits selbst Kanonen in Edirne. Was Urban beisteuerte, war die Fertigkeit, viel größere Gussformen zu bauen und die kritischen Variablen besser zu kontrollieren. Im Winter 1452 machte er sich daran, die vermutlich größte bis dahin gebaute Kanone zu gießen. Diese sehr sorgfältige und außergewöhnliche Arbeit wird von dem griechischen Chronisten Kritobulos detailliert beschrieben. Zunächst einmal wurde aus einer Mischung aus Ton, feinzerschnittenem Hanf und Leinen eine etwa 8 Meter lange Gussform für das Kanonenrohr hergestellt. Die Form hatte zwei verschiedene Breiten: die vordere Kammer für die Steinkugel hatte einen Durchmesser von 75 Zentimetern, die hintere Kammer für das Pulver war weniger breit. Eine gewaltige Gießgrube musste ausgehoben werden, und der Kern aus gebranntem Ton wurde mit der Mündung nach unten darin versenkt. Eine äußere zylindrische Tonhülle wurde »gleichsam als Behälter«14 darübergeschoben und in Position gehalten, sodass der Zwischenraum zwischen den beiden Gussformen mit dem flüssigen Metall gefüllt werden konnte. Das Ganze wurde »völlig umgürtet und eingeschlossen von Eisen und Holz und mit Erde und Steinen von außen ganz zugebaut und gestützt«,15 um das gewaltige Gewicht der Bronze zu tragen. Unmittelbar vor dem Guss ließ man um die Gussform herum nassen Sand in das Loch rieseln und deckte das Ganze bis auf das Loch für das flüssige Metall vollständig zu. Unterdessen hatte Urban aus Ziegelsteinen zwei Schmelzöfen gebaut. Sie waren außen und innen mit gebranntem Ton verkleidet und durch große Steine verstärkt, sodass sie einer Temperatur von 1000 Grad Celsius standhielten. Und sie wurden mit einem Berg von Holzkohle zugeschüttet, »gleichsam als seien sie zugemauert, abgesehen natürlich von den Öffnungen«.16 Der Betrieb einer mittelalterlichen Gießerei war sehr gefährlich: Ein Bericht des osmanischen Reisenden Evliya Chelebi aus etwas späterer Zeit über einen Besuch in einer Kanonengießerei vermittelt das Gefühl der Gefahr und des Risikos, das mit dem Guss verbunden war: An dem Tag, an dem die Kanonen gegossen werden sollen, versammeln sich die Meister, Vorarbeiter und Gießer zusammen mit dem Großmeister der Artillerie, dem Oberaufse-
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her, dem Imam, dem Muezzin und dem Zeitmesser. Dann wird »Allah! Allah!« gerufen und das Holz in die Schmelzöfen geworfen. Wenn diese 24 Stunden geheizt worden sind, ziehen sich die Gießer und Heizer nackt aus. Sie tragen nur noch ihre Pantoffeln und eine seltsame Kappe, die nur die Augen freilässt, sowie dicke Ärmel zum Schutz ihrer Arme, denn nachdem die Schmelzöfen 24 Stunden geheizt worden sind, kann sich ihnen der Hitze wegen kein Mensch nähern, es sei denn, er ist wie beschrieben gekleidet. Wer ein gutes Bild von den Feuern der Hölle sehen will, sollte Zeuge dieses Anblicks werden.17
Wenn die Schmelzöfen die richtige Temperatur erreicht hatten, warfen die Gießereiarbeiter Kupfer und Bronzeschrott in den Schmelztiegel, wobei die Bronze – welch bittere Ironie für die Christen – in der Regel von Kirchenglocken stammte. Diese Arbeit war extrem gefährlich, weil die Metallbrocken in den blubbernden Tiegel geworfen und mit metallenen Schöpfkellen die Schlacke von der Oberfläche der Schmelz entfernt werden mussten. Aus der Schmelze stiegen giftige Dämpfe auf, die von der Zinnlegierung freigesetzt wurden, und außerdem bestand die Gefahr, dass der Schrott feucht war. Dann verdampfte das Wasser explosionsartig und sprengte den Schmelzofen, was alle Umstehenden das Leben kosten konnte. Wegen all dieser Gefahren war der ganze Vorgang mit vielen abergläubischen Ängsten besetzt. Wenn es an der Zeit war, das Zinn in den Schmelztiegel zu werfen, wurden laut Evvliya die Wesire, der Mufti und die Scheichs gerufen; nur 40 Personen außer dem Personal der Gießerei werden insgesamt zugelassen. Alle anderen Diener werden ausgeschlossen, denn das geschmolzene Metall verträgt es nicht, wenn es mit bösen Augen betrachtet wird. Die Meister bitten dann die Wesire und Scheichs, in großer Entfernung auf Sofas Platz zu nehmen und unaufhörlich die Worte: »Es gibt keine Kraft und Stärke außer in Allah!« zu wiederholen. Daraufhin werfen die Vorarbeiter mit hölzernen Schaufeln mehrere Zentner Zinn in das Meer von geschmolzenem Messing, und der Chefgießer sagt zum Großwesir, zu den Wesiren und den Scheichs: »Werft im Namen des wahren Glaubens ein paar Gold- und Silbermünzen als Almosen in das Messingmeer.« Stangen, die so lang wie die Schiffswerft sind, werden benutzt, um das Gold und Silber mit dem Metall zu mischen, und sie werden genauso schnell ersetzt wie sie verbrennen.18
Drei Tage und Nächte wurde die brennende Holzkohle durch Blasebalge hocherhitzt, die ständig durch Mannschaften von Gießereiarbeitern bedient wurden, bis das scharfe Auge des Meistergießers befand, dass das Metall den richtigen Farbton roter Schmelze habe. Jetzt kam erneut ein kritischer Moment, der Kulminationspunkt wochenlanger Arbeit, an dem eine Entscheidung getroffen werden musste: »Als die festgesetzte Zeit abgelaufen war ... öffneten der Meister der Gießerei und
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die Vorarbeiter in ihren unförmigen Filzgewändern mit eisernen Haken das Abstichloch des Schmelzofens, wobei sie ›Allah! Allah!‹ riefen. Das Metall wirft, wenn es zu fließen beginnt, noch in 100 Schritt Entfernung seinen Schein auf die Gesichter von Männern.«19 Das geschmolzene Metall floss wie ein langsamer Fluss von rotglühender Lava durch eine Rinne aus Ton in die Öffnung der Kanonengussform. Schwitzende Arbeiter stießen mit enorm langen Stangen in die zähflüssige Masse, um Luftblasen zu entfernen, die dazu führen konnten, dass der Lauf der Kanone beim Schießen zerbarst. »Dann ließ man das Metall sich aus den geöffneten Ofenschleusen durch die Rinnen in den von den Modellen gebildeten Hohlkörper ergießen, bis der ganze aufnehmende Hohlraum völlig ausgefüllt war und das flüssige Metall auch das innere Modell ganz bedeckte und um eine Elle über dieses hinaus nach oben überquoll.«20 Der nasse Sand, der um die Form gepackt war, sollte verhindern, dass das Metall zu schnell abkühlte und die Bronze dabei Risse bekam. Wenn das Kanonenrohr abgekühlt war, wurde es wie eine gewaltige Larve in einem Kokon aus Ton mühsam aus der Erde gegraben und mit Ochsengespannen herausgezogen. Es war mächtige Alchemie. Was in Urbans Gießerei am Ende zum Vorschein kam, als die Formen zerschlagen und das Metall abgeschabt und poliert waren, war ein »schreckliches und Furcht einflößendes Ungeheuer«.21 Die primitive Röhre glänzte matt im winterlichen Licht. Sie war 8 Meter lang. Der Lauf selbst mit 20 Zentimeter dicken Wänden aus massiver Bronze, die dem Druck der Explosion standhalten mussten, hatte einen Durchmesser von 76 Zentimetern, groß genug, dass ein Mann auf allen Vieren in das Rohr hineinkriechen konnte, und dafür bestimmt, eine monströse Steinkugel mit einem Umfang von 2,5 Metern und einem Gewicht von etwa einer halben Tonne aufzunehmen. Im Januar 1453 befahl Mehmet, vor seinem neuen Palast in Edirne einen Probeschuss abzufeuern. Die gewaltige Bombarde wurde in der Nähe des Tors in Stellung gebracht, und die Bewohner der Stadt wurden gewarnt, dass am folgenden Tag »die Explosion und das Krachen wie Donner sein würden, damit keiner durch den unerwarteten Schrecken taub werde und keine schwangere Frau eine Fehlgeburt erleide«.22 Am Morgen wurde die Kanone mit Pulver geladen. Eine Mannschaft von Arbeitern hob die riesige Steinkugel in die Mündung der Kanone, und ließ sie in den Lauf gleiten, bis sie genau vor der Pulverkammer saß. Eine brennende Lunte wurde an das Zündloch gehalten. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen und einer Rauchwolke, die den Himmel verdunkelte, wurde die mächtige Kugel 1,6 Kilometer weit über die offene Landschaft geschleudert, bevor sie sich 2 Meter tief in die Erde grub. Der Schuss konnte noch in 16 Kilometern Entfernung gehört werden, »so mächtig ist dieses Schwarzpulver«,23 berichtete Doukas, der wahrscheinlich selbst Zeuge des Testschusses war. Mehmet sorgte dafür, dass
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unheilverkündende Gerüchte über die Kanone nach Konstantinopel drangen: Sie sollte nicht nur als materielle, sondern auch als psychologische Waffe dienen. In Edirne stellte Urbans Gießerei weitere Kanonen verschiedener Größen her; keine war ganz so groß wie die erste Superkanone, aber einige waren über vier Meter lang. Ab Anfang Februar kümmerte man sich um die großen praktischen Probleme, die der Transport von Urbans Kanone über die 225 Kilometer lange Strecke von Edirne nach Konstantinopel aufwarf. Eine große Zahl von Männern und Tieren wurde mit der Aufgabe betraut. Mühsam wurde das gewaltige Kanonenrohr auf eine Anzahl zusammengeketteter Wagen geladen, die von einem Gespann von 60 Ochsen gezogen wurden. 200 Mann mussten das Kanonenrohr stabilisieren, wenn es ächzend und schlingernd durch die hügelige thrakische Landschaft geschleppt wurde. Dabei bildete eine weitere Mannschaft von Zimmerleuten und Arbeitern die Vorhut, ebnete den Weg und baute Holzbrücken über Flüsse und Bäche. Die große Kanone näherte sich mit einer Geschwindigkeit von 4 Kilometern pro Tag den Mauern Konstantinopels.
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Wenn es marschierte, erschien die Luft wie ein Wald wegen seiner Lanzen, und wenn es lagerte, war die Erde nicht zu sehen vor Zelten.1 Mehmets Chronist Tursun Bey über das osmanische Heer
Mehmet brauchte sowohl Artillerie als auch numerische Überlegenheit, um seine Pläne zu verwirklichen. Er wollte Konstantinopel mit einer überwältigenden Streitmacht angreifen, um der Stadt den Todesstoß zu versetzen, bevor die Christenheit reagieren konnte. Die Osmanen hatten schon immer gewusst, dass Schnelligkeit bei der Eroberung von Festungen ausschlaggebend war. Das Prinzip wurde auch von ausländischen Beobachtern wie »Michael dem Janitscharen«, einem Kriegsgefangenen, der damals für die Osmanen kämpfte, klar erkannt: »Der türkische Kaiser stürmt und erobert Städte mit großem Aufwand, um nicht lange mit seinem Heer dort bleiben zu müssen.«2 Der Erfolg hing von der Fähigkeit ab, Männer und Ausrüstung schnell und in Massen zu mobilisieren. Folgerichtig rief Mehmet zu Beginn des Jahres auf traditionelle Weise zu den Waffen. Nach einem alten Stammesritual stellte der Sultan im Hof des Palasts seine Rossschweifstandarte auf, um den Beginn des Feldzugs zu verkünden. Dies löste »die Entsendung von Herolden in alle Provinzen aus, die allen befahlen, sich dem Feldzug gegen die Stadt anzuschließen«.3 Durch die Befehlsstruktur der beiden osmanischen Heere – des europäischen und des anatolischen – war eine schnelle Reaktion garantiert. Dank eines raffinierten Geflechts von vertraglichen Verpflichtungen und Truppenaushebungen wurden Männer aus dem ganzen Reich mobilisiert. Die Reiterei aus den Provinzen, die Sipahi, die die Masse der Truppen stellten, waren durch ihre Lehen dem Sultan zum Kriegsdienst verpflichtet und mussten
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Helm, Kettenpanzer und Pferderüstung sowie eine bestimmte Zahl von Gefolgsleuten, die sich nach der Größe ihres Lehens richtete, ausrüsten und mitbringen. Zusätzlich zu den Sipahi wurden »unter Handwerkern und Bauern«4 für jeden Feldzug Azapi ausgehoben und von den Bürgern anteilmäßig bezahlt. Diese Truppen waren das Kanonenfutter des Feldzugs: »Wenn es zum Gefecht kommt«, kommentierte ein zynischer Italiener diesen Sachverhalt, »werden sie wie Schweine vorangetrieben, völlig gnadenlos, und sie sterben in großer Zahl.«5 Mehmet warb auch christliche Hilfstruppen auf dem Balkan, vor allem Slawen und Walachen, die ihm als Vasallen dienstverpflichtet waren, und er machte die aus Berufssoldaten bestehenden Eliteregimenter aus seinem Haushalt gefechtsbereit: die Infanterie – die berühmten Janitscharen – die Kavallerieregimenter und viele zusätzliche Einheiten von Kanonieren, Waffenschmieden, Leibwächtern und Militärpolizisten. Diese Elitetruppen, die regelmäßig alle drei Monate ihren Sold erhielten und auf Kosten des Sultans bewaffnet wurden, bestanden gänzlich aus ehemaligen Christen, größtenteils vom Balkan, die man als Kinder geraubt und zum Islam bekehrt hatte. Ihre ganze Loyalität galt dem Sultan. Obwohl sie zahlenmäßig nur schwach waren (das Fußvolk hatte wahrscheinlich nicht mehr als 5000 Mann), bildeten sie den harten Kern der osmanischen Armee. Die Mobilisierung für den Feldzug der Saison war außerordentlich effizient. In den muslimischen Kernlanden wurden die Untertanen nicht zum Dienst gepresst. Die Männer reagierten mit einer Bereitschaft auf den Ruf zu den Waffen, die europäische Augenzeugen wie Georg von Ungarn, einen Gefangenen des Osmanischen Reichs, verblüffte: Wenn die Rekrutierung für das Heer beginnt, versammeln sie sich mit solcher Bereitschaft und Schnelligkeit, dass man meinen könnte, sie würden zu einer Hochzeit eingeladen und nicht zu einem Krieg. Sie sammeln sich binnen eines Monats in der Ordnung, in der sie aufgerufen werden, die Fußsoldaten getrennt von den Reitern, alle mit ihren ernannten Vorgesetzten, in derselben Ordnung, die sie auch im Feldlager und bei der Vorbereitung zur Schlacht einhalten ... mit solcher Begeisterung, dass Männer sich statt ihres Nachbarn selbst melden und die Zurückgelassenen das Gefühl haben, ihnen sei Unrecht widerfahren. Sie behaupten, sie seien glücklicher, wenn sie auf dem Schlachtfeld durch die Speere und Pfeile des Feindes stürben, als daheim... Wer im Krieg auf diese Art stirbt, wird nicht betrauert, sondern als Heiliger und Sieger verehrt, er wird als beispielhaft gewürdigt und genießt hohe Achtung.6
»Alle, die hörten, dass der Angriff gegen die Stadt geführt werden sollte, kamen herbeigeeilt«, schreibt Doukas, »sowohl Knaben, die noch zu jung zum Marschieren, als auch alte Männer, die krumm vom Alter waren.«7 Sie alle waren beflügelt
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von der Aussicht auf Beute, persönlichen Aufstieg und vom heiligen Krieg, Themen, die im Koran eng miteinander verwoben waren. Nach dem islamischen Gesetz durfte eine mit Gewalt eroberte Stadt drei Tage lang geplündert werden. Die Begeisterung wurde durch das Ziel des Feldzugs noch mehr gesteigert: der Goldene Apfel Konstantinopel besaß der landläufigen, wenn auch vielleicht irrigen Ansicht zufolge, fabelhafte Schätze an Gold und Edelsteinen. Viele meldeten sich ungerufen: Freiwillige und freie Söldner, Mitläufer sowie Derwische und heilige Männer, die von alten Prophezeiungen inspiriert waren und das einfache Volk mit Worten des Propheten und dem Lobpreis des Martyriums aufstachelten. Ganz Anatolien war außer sich vor Aufregung und erinnerte sich daran, dass »dass der Prophet verheißen hatte, dass die riesige Stadt zum Wohnort der Gläubigen werden würde«.8 Männer aus allen Ecken Anatoliens, »aus Tokat, Sivas, Kemach, Erzurum, Ganga, Bayburt und Trapezunt«,9 eilten zu den Sammelstellen bei Bursa, während sich die Soldaten aus Europa in Edirne sammelten. Eine riesige Streitmacht wurde aufgestellt: »Reiterei und Fußvolk ... Schwerbewaffnete, Bogenschützen, Schleuderer und Lanzenwerfer«.10 Zur selben Zeit wurde der logistische Apparat der Osmanen in Gang gesetzt: Rüstungen, Belagerungsmaschinen, Kanonen, Zelte, Schiffe, Werkzeuge, Waffen und Nahrungsmittel wurden gesammelt, repariert und neu hergestellt. Kamelkarawanen zogen kreuz und quer über die Hochebene. In Gallipoli wurden Schiffe repariert. Beim »Messer an der Kehle« wurden Truppen über den Bosporus gesetzt. Von venezianischen Spionen wurden Nachrichten beschafft. Keine Armee auf der Welt konnte mit der osmanischen bei der Organisation eines Feldzugs konkurrieren. Im Februar begannen Soldaten des europäischen Heeres unter Karaja Bey das Hinterland der Stadt zu säubern. Konstantinopel besaß immer noch ein paar befestigte Vorposten am Schwarzen Meer, an der Nordküste des Marmarameers und am Bosporus. Die Griechen aus der Umgebung zogen sich in diese Festungen zurück. Alle wurden systematisch eingekreist. Wer sich ergab, durfte unbehelligt abziehen; andere, wie die Besatzung eines Turms bei Epibatos am Marmarameer, leisteten Widerstand. Der Turm wurde gestürmt und die Besatzung niedergemacht. Einige Festungen konnten nicht so schnell eingenommen werden; sie wurden umgangen, aber unter Bewachung gestellt. Berichte über diese Ereignisse erreichten Konstantinopel und verstärkten die Furcht der Bevölkerung, die damals durch religiösen Zwist gespalten war. Die Stadt selbst wurde von drei Regimentern aus Anatolien bereits sorgfältig beobachtet, für den Fall dass Konstantin einen Ausfall machen und die Belagerungsvorbereitungen stören sollte. Unterdessen verstärkten osmanische Pioniere die Brücken und ebneten die Wege für die Transporte mit Kanonen und schwerer Ausrüstung, die ab Februar durch die thrakische Landschaft rollten.
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Im März fuhr eine Abteilung Schiffe aus Gallipoli an Konstantinopel vorbei und begann, die Masse der anatolischen Kräfte nach Europa überzusetzen. Eine große Streitmacht marschierte aus allen Richtungen auf die Stadt zu. Schließlich, am 23. März, brach Mehmet selbst mit großem Pomp in Edirne auf »mit dem gesamten Heer, Reiterei und Fußtruppen ... und zog durch das Landesinnere, indem er alles in Aufruhr und Verwirrung versetzte und überall Angst und Schrecken und furchtbares Entsetzen verbreitete, wohin er auch kam«.11 Es war ein Freitag, der heiligste Tag der muslimischen Woche, sorgfältig gewählt, um den heiligen Charakter des Feldzugs zu betonen. Mehmet wurde von zahlreichen religiösen Würdenträgern begleitet: »Den Ulema, den Scheichs und den Nachkommen des Propheten ... sie sprachen Gebete und zogen mit der Armee und ritten an der Seite des Sultans.«12 Mit im Zug ritt vermutlich auch der Staatsbeamte Tursun Bey, der einen der wenigen Augenzeugenberichte über die Belagerung aus osmanischer Sicht schreiben sollte. Anfang April näherte sich die furchterregende Streitmacht der Stadt. Der erste April war der Ostersonntag, der heiligste Tag im griechischorthodoxen Kalender, und er wurde in der ganzen Stadt mit einer Mischung aus Frömmigkeit und schlimmen Vorahnungen gefeiert. Um Mitternacht wurde in den Kirchen bei Kerzenlicht und Räucherwerk das Mysterium des auferstandenen Christus verkündet. Die betörenden und einfachen Worte der Osterlitanei hoben und senkten sich in geheimnisvollen Vierteltönen über der dunklen Stadt. Glocken wurden geläutet. Nur in der Hagia Sophia blieb es still; sie wurde von der orthodoxen Bevölkerung nicht besucht. In den Wochen zuvor hatten die Menschen »Gott angefleht, dass er in der Heiligen Woche, keinen Angriff auf die Stadt zulassen möge«,13 und sie hatten spirituellen Trost bei ihren Ikonen gesucht. Die am meisten verehrte, die Hodegetria, das Wunder wirkende Bild der Muttergottes, wurde in der Osterwoche, wie es Tradition war, in den Palast von Blachernae getragen. Am folgenden Tag wurden berittene Späher vor den Mauern gesichtet. Konstantin ordnete einen Ausfall gegen sie an, und im darauf folgenden Scharmützel wurden einige von ihnen getötet. Im Lauf des Tages jedoch erschienen immer mehr osmanische Truppen am Horizont, und der Kaiser zog seine Truppen in die Stadt zurück. Alle Brücken über die Gräben wurden zerstört und die Tore geschlossen. Die Stadt war eingeschlossen und auf alles vorbereitet. Das Heer des Sultans ging mit einer Reihe gut geübter Manöver in Stellung, wobei es Vorsicht mit genauer Planung verband. Am 2. April hielt die Hauptstreitmacht acht Kilometer vor der Stadt. Sie wurde in die vorgesehenen Einheiten gegliedert, und jedem Regiment wurde seine Position zugewiesen. In den folgenden Tagen rückte das Heer in einer Serie genau geplanter Bewegungen vor, die Beobachter mit dem unbarmherzigen Vorrücken »eines Flusses« verglichen, »der sich in ein riesiges Meer verwandelt«14
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– ein Bild, das von den Chronisten immer wieder gebraucht wird und von der unglaublichen Masse und der unaufhörlichen Bewegung des Heeres zeugt. Die Vorbereitungen wurden mit großer Schnelligkeit ausgeführt. Sappeure fällten die Obstbäume und Weinsträucher vor der Stadt, um für die Kanonen freies Schussfeld zu schaffen. Als Schutz für die Kanonen wurde in 200 Metern Entfernung von der Landmauer und auf deren ganzer Länge ein Graben mit Erdwall ausgehoben. Auf dem Wall wurden als weiterer Schutz Schirme aus hölzernem Gitterwerk aufgestellt. Hinter diesem Schutzwall brachte Mehmet etwa 400 Meter von der Landmauer entfernt seine Hauptstreitmacht in ihre endgültige Stellung: »Wie es der Brauch war, ließ er das Heer an dem Tag, als bei Istanbul das Lager aufgeschlagen werden sollte, nach Regimentern geordnet aufmarschieren. Er stellte im Zentrum des Heeres um seine Person herum die Bogenschützen der Janitscharen mit ihren weißen Kopfbedeckungen, die türkischen und europäischen Armbrustschützen und die Arkebusiere und Kanoniere auf. Die Azapi mit ihren roten Turbanen wurden zu seiner Rechten und seiner Linken platziert und hinter ihnen die Reiterei. So aufgestellt, marschierte das Heer in Formation auf Istanbul.«15 Jedes Regiment hatte seinen zugewiesenen Platz: die anatolischen Truppen nahmen unter dem türkischen Kommandeur Ishak Pascha und dessen Vize Mahmut Pascha, einem christlichen Renegaten auf der rechten Seite den Ehrenplatz ein; die christlichen Truppen vom Balkan standen unter Karaja Pascha auf der linken Seite. Eine weitere große Abteilung unter dem griechischen Konvertiten Zaganos Pascha wurde entsandt, um eine Straße auf dem sumpfigen Boden an der Spitze des Goldenen Horns zu bauen, die Hügel oberhalb des Bosporus zu besetzen und die Aktivitäten der genuesischen Siedlung Galata zu beobachten. Am Abend des 6. April, einem weiteren Freitag, traf Mehmet selbst ein und bezog auf dem weithin sichtbaren Hügel Maltepe seine sorgfältig geplante Position im Zentrum seiner Truppen und gegenüber dem Teil der Mauer, den er für den verwundbarsten hielt. Von derselben Stelle aus hatte sein Vater Murat die Belagerung von 1422 geleitet. Vor den entsetzten Augen der Verteidiger auf der Mauer schoss in der Ebene eine Zeltstadt aus dem Boden. »Und das Heer breitete sich wie der Sand am Meer ... auf dem Festland von einem Ufer zum anderen aus«,16 berichtet ein Chronist. Bei einem osmanischen Feldzug wurden alle Maßnahmen mit einem Ordnungssinn und einer stillen Zielstrebigkeit durchgeführt, die wegen ihrer Geräuschlosigkeit noch bedrohlicher wirkten. »Es gibt keinen Herrscher«, räumte der byzantinische Chronist Chalkokondylas ein, »der seine Heere und Lager in besserer Ordnung hat, sowohl was den Überfluss an Nahrungsmitteln betrifft als auch in Bezug auf die schöne Ordnung, in der sie ohne jede Verwirrung oder Schwierigkeit lagern.«17 Die
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konischen Zelte wurden in geordneten Gruppen aufgestellt; bei jeder Einheit stand das Zelt ihres Offiziers im Zentrum, an dessen höchster Zeltstange das Banner der Einheit flatterte. Im Herzen des Lagers hatte man mit dem vorgeschriebenen Ritual den reich bestickten roten und goldenen Pavillon des Sultans errichtet. Sein Zelt war das sichtbare Symbol seiner Hoheit – das Bild seiner Macht und ein Echo der nomadischen Ursprünge der Sultane als Führer von Khanaten. Jeder Sultan besaß ein solches Zeremonialzelt, das bei seiner Thronbesteigung angefertigt wurde, und seine spezifische Herrschaft symbolisierte. Mehmets Zelt lag außerhalb der maximalen Reichweite der feindlichen Armbruste. Es war, wie es der Sitte entsprach, durch Palisaden, einen Graben und Schilde geschützt. Und in sorgfältig gebildeten konzentrischen Kreisen »wie der Mond von seinem Hof«18 umgaben ihn seine treuesten Truppen: »Die Janitscharen, die Bogenschützen und die Leichtbewaffneten sowie die übrige Garde, welches natürlich die Eliteabteilung des Heeres war.«19 Ihr Befehl, auf dem die Sicherheit des Reiches beruhte, lautete, den Sultan zu hüten wie ihren Augapfel. Das Lager war hervorragend organisiert. Flaggen und Wimpel flatterten über dem Meer der Zelte: Die Ak Sancak, die weiße und goldene Fahne des Sultans, das rote Banner der Reiterei seines Hauses, die Banner des Fußvolks der Janitscharen (grün und rot, rot und golden), waren die strukturellen Embleme der Macht und Ordnung in einem mittelalterlichen Heer. An anderer Stelle konnten die Menschen auf der Mauer die leuchtend gefärbten Zelte der Wesire und führenden Kommandeure sehen, und sie konnten die kennzeichnenden Kopfbedeckungen und Kleider der verschiedenen Korps ausmachen: die typische weiße Kopfbedeckung des Bektaschi-Ordens der Janitscharen, die roten Turbane der Azapi, die spitzen Turbanhelme und Kettenpanzer der Reiter und die balkanische Tracht der Slawen. Die europäischen Beobachter kommentierten das Aufgebot an Männern und Ausrüstung: »Ein Viertel von ihnen«, erklärte der florentinische Kaufmann Giacomo Tetaldi, »waren mit Kettenpanzern oder Lederkollern ausgerüstet, von den anderen waren viele auf französische Art gerüstet, andere auf ungarische, und wieder andere hatten eiserne Helme, türkische Bogen und Armbruste. Der Rest der Soldaten hatte keine andere Ausrüstung außer Schild und Krummsäbel, einer Art türkischem Schwert.«20 Besonders erstaunt waren die Christen auf den Mauern Konstantinopels über die große Zahl von Tieren im osmanischen Lager. »Ich gebe zu, dass es in Militärlagern mehr Tiere als Menschen gibt, um Nachschub und Nahrungsmittel zu tragen«, schrieb Chalkokondylas, »aber diese Leute ... nehmen nicht nur genug Kamele und Maultiere mit, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, sondern nutzen sie auch als Quelle des Vergnügens, jeder von ihnen will die schönsten Maultiere, Pferde oder Kamele vorweisen können.«21
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Die Verteidiger müssen angesichts dieses Ozeans zielgerichteter Aktivitäten erzittert sein. Kurz vor Sonnenuntergang bildete der Gebetsruf ein verwickeltes Klanggewebe über den Zelten, als die Muezzine an Dutzenden von Punkten die Männer zum Gebet riefen. Lagerfeuer wurden angezündet, um die eine Mahlzeit zu bereiten, die es täglich gab (ein osmanisches Heerlager war frugal), und Rauch trieb im Wind. Auf den nur 250 Meter entfernten Mauern konnte man die zweckbestimmten Geräusche des Lagers hören: leises Stimmengemurmel, das Schärfen von Schwertern, das Schnauben und Brüllen von Pferden, Maultieren und Kamelen.« Schlimmer noch: Vermutlich waren auch die leisen Geräusche der christlichen Gottesdienste auf dem europäischen Flügel des Heeres zu hören. Für ein Reich, das einen Heiligen Krieg führte, regierten die Osmanen ihre Vasallen mit bemerkenswerter Toleranz: »Obwohl sie Untertanen des Sultans waren, hatte er sie nicht gezwungen, ihren christlichen Glauben abzulegen«,22 schrieb Tetaldi. Dass die Osmanen durch christliche Untertanen, Söldner, Konvertiten und technische Experten Hilfe bekamen, wurde von den europäischen Chronisten immer wieder beklagt. »Ich kann bezeugen«, greinte Erzbischof Leonhard, »dass Griechen, Lateiner, Deutsche, Ungarn, Böhmen und Männer aus allen christlichen Ländern auf Seiten der Türken waren... Oh, die Schlechtigkeit, Christus so zu verleugnen!«23 Der Tadel war nicht ganz gerechtfertigt. Viele christliche Soldaten gerieten als Vasallen des Sultans unter Druck. »Wir mussten nach Stanbul reiten und den Türken helfen«,24 erinnerte sich Michael der Janitschar und berichtet, dass die Weigerung den Tod bedeutet hätte. Zu denen, die nur unfreiwillig an der Belagerung teilnahmen, gehörte auch der junge orthodoxe Russe Nestor-Iskander. Er war im südrussischen Grenzbereich bei Moldawien von einer osmanischen Patrouille gefangengenommen worden, zum Islam konvertiert und beschnitten worden. Als seine Einheit zum Schauplatz der Belagerung kam, floh er in die Stadt und schrieb eine lebendige Schilderung der folgenden Ereignisse. Niemand weiß genau, wie viele Männer Mehmet bei der Belagerung einsetzte. Die osmanische Begabung, in großem Unfang sowohl reguläre Truppen als auch Freiwillige zu mobilisieren, schockierte die Christen und trieb sie zu den wildesten Spekulationen. Für die lobenden osmanischen Chronisten war die Belagerungsstreitmacht einfach »ein Fluss von Stahl«,25 »so zahlreich wie die Sterne«.26 Die europäischen Augenzeugen äußerten sich mathematisch genauer, hatten aber einen Hang zu sehr großen runden Zahlen. Ihre Schätzungen reichten von 160 000 bis 400 000 Mann. Nur Michael der Janitschar, der osmanische Heere schon aus der Nähe gesehen hatte, legte einen gewissen Realismus an den Tag: »Wisst deshalb, dass der türkische Herrscher kein so großes Heer für die offene Feldschlacht mobilisieren kann, wie die Leute ob seiner großen Macht sagen. Einige sagen näm-
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lich, sie seien unzählbar, aber es ist unmöglich, dass ein Heer nicht aus einer bestimmten Anzahl besteht, denn jeder Herrscher will wissen, wie groß sein Heer ist, und will es organisiert haben.«27 Die realistischste numerische Schätzung stammt vermutlich von Tetaldi. Er kalkulierte nüchtern, dass »bei der Belagerung insgesamt 200 000 Mann dabei waren, darunter vielleicht 60 000 Fußsoldaten und 30 000 bis 40 000 Reiter.«28 Für das 15. Jahrhundert, in dem die Franzosen und die Engländer mit insgesamt 35 000 Mann die Schlacht bei Agincourt ausfochten, war die osmanische Streitmacht riesig. Wenn Tetaldis Schätzung einigermaßen stimmt, war selbst die Zahl der Pferde im Belagerungsheer eindrucksvoll. Der Rest des osmanischen Heers bestand aus Hilfstruppen und Mitläufern: Versorgungstruppen, Zimmerleuten, Kanonengießern, Schmieden, Kanonieren sowie »Schneidern, Pastetenbäckern, Kunsthandwerkern, kleinen Händlern und anderen Männern, die dem Heer in der Hoffnung auf Gewinn oder Plünderung folgten.«29 Für Konstantin war es nicht so schwer, die Größe seines Heers zu schätzen, er zählte es einfach. Ende März ließ er in der Stadt eine Volkszählung durchführen, um festzustellen, »wie viel in einem jeden Bezirk an kriegstauglichen Männern vorhanden seien, weltliche und Mönche zusammengerechnet, und was für Waffen ein jeder besäße, um damit die Feinde abzuwehren«.30 Nachdem er die Ergebnisse eingesammelt hatte, beauftragte er seinen treuen Kanzler und lebenslangen Freund Georgios Sphrantzes mit der Addition. Wie Sphrantzes sich erinnerte, sagte der Kaiser zu ihm: »Das ist der rechte Auftrag für Dich, denn er erfordert Verschwiegenheit und Geheimhaltung. Nimm die Verzeichnisse, setze Dich nieder in Deinem Hause und rechne zusammen, wie viele es sind und was sie an Waffen haben und an Schilden, Bogen und Armbrusten.« Sphrantzes tat wie geheißen: »Als ich den Auftrag ausgeführt hatte, legte ich dem Kaiser die Summe vor, mit Betrübnis und Niedergeschlagenheit.«31 Es war kein Wunder, dass er bedrückt war. »Zur Verteidigung der Stadt, so groß sie war, [standen nämlich nur] 4973 Mann bereit außer den Fremden, die kaum 2000 Mann ausmachten.«32 Zusätzlich gab es noch echte Außenseiter wie die »Genuesen und Venezianer und die, die heimlich von Galata herüberkamen, um bei der Verteidigung zu helfen«. Sie zählten »kaum 3000«,33 wodurch sich die Zahl der Verteidiger insgesamt auf weniger als 10 000 Mann summierte, die eine Mauer von 19 Kilometer verteidigen mussten. Selbst bei diesen war »der größere Teil der Griechen nicht ausgebildet in der Kriegführung und kämpfte mit Schildern, Schwertern, Lanzen und Bogen eher nach Gefühl als mit irgendeiner Fertigkeit«.34 Verzweifelter Mangel herrschte an Männern, »die mit Bogen oder Armbrust umgehen konnten.«35 Außerdem war nicht sicher, wie stark sich die orthodoxe Bevölkerung bei der Verteidigung engagieren würde. Konstantin war entsetzt bei dem Gedanken, dass sich die geringe Zahl auf die Moral der
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Verteidiger auswirken könnte, und unterdrückte die Information. »Die Zahl blieb zwischen uns beiden geheim«,36 erinnerte sich Sphrantzes. Es war klar, dass die Belagerung ein Kampf zwischen vielen und wenigen werden würde. Im Bewusstsein seiner geringen Stärke machte sich Konstantin daran, die letzten Vorbereitungen zu treffen. Am 2. April, dem Tag, als die Tore zum letzten Mal geschlossen wurden, befahl er, die Sperrkette per Schiff vom Eugenios-Tor in der Nähe der Spitze der Akropolis zu einem Turm in der Seemauer von Galata über das Goldene Horn zu ziehen. Die Aufgabe wurde von dem genuesischen Handwerker Bartolamio Soligo ausgeführt, der wahrscheinlich deshalb damit betraut wurde, weil er seine genuesischen Landsleute in Galata am ehesten überreden konnte, die Kette an ihrer Mauer zu befestigen. Dies war eine umstrittene Sache. Wenn die Bewohner der Festung Galata zuließen, dass die Sperrkette bei ihnen befestigt wurde, setzten sie sich dem Vorwurf aus, ihre strikte Neutralität aufzugeben, und würden damit unvermeidlich den Zorn Mehmets auf sich ziehen. Trotzdem stimmten sie zu. Konstantin konnte nun die 6,5 Kilometer lange Küstenlinie am Horn praktisch unbewacht lassen, solange er genügend Schiffe im Einsatz hatte, um die tragenden Flöße der Sperrkette zu schützen. Während Mehmet sein Heer um die Stadt verteilte, berief Konstantin einen Kriegsrat mit Giustiniani und seinen anderen Kommandeuren ein, um seine kleine Streitmacht auf die 19 Kilometer lange Front zu verteilen. Er wusste, dass das Horn sicher war, solange die Sperre gehalten wurde, und die anderen Seemauern waren nahezu unangreifbar. Die Strömungen im Bosporus waren so stark, dass ein Angriff mit Landungsfahrzeugen an der Spitze der Akropolis kaum Aussicht auf Erfolg hatte; und die Mauern am Marmarameer waren wegen der starken Strömungen und der Untiefen vor der Küste ebenso ungeeignet für einen massiven Angriff. Es war die Landmauer, die trotz ihrer scheinbaren Stärke am meisten bedroht war. Beide Seiten kannten ihre Schwachstellen genau. Die erste war der mittlere Abschnitt, den die Griechen als Mesoteichon bezeichneten, die »mittlere Mauer« zwischen den beiden strategisch wichtigen Toren des St. Romanos und des Charisios, die beide oben an einem Abhang lagen. Zwischen diesen Toren fiel das Gelände nämlich um etwa 30 Meter in das Tal des Lykos ab, wo der kleine Bach durch eine Rohrleitung unter der Mauer hindurch in die Stadt geführt wurde. Auf diesen Punkt hatte sich die osmanische Belagerung von 1422 konzentriert, und Mehmet verfolgte offenbar die gleiche Absicht, weil er sein Hauptquartier auf dem Maltepe gegenüber diesem Mauerabschnitt aufschlug. Die zweite verwundbare Stelle war der kurze Abschnitt in der Nähe des Goldenen Horns, der nur durch eine einfache Mauer und nicht durch einen Graben gesichert war, wobei der Punkt, wo die beiden Mauern rechtwinklig aufeinander stießen, eine besondere Schwach-
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stelle war. Ende März hatte Konstantin die Mannschaften der venezianischen Galeeren dazu gebracht, an einem Teil dieses Mauerabschnitts schnell einen Graben auszuheben, aber gut gesichert war er dadurch keineswegs. Konstantin verteilte seine Kräfte nach dem Gebot der Not. Er gliederte die 14 Bezirke der Stadt in 12 militärische Abschnitte und teilte jedem eine bestimmte Anzahl von Leuten zu. Sein Hauptquartier ließ er im Lykos-Tal errichten, sodass sich Kaiser und Sultan auf beiden Seiten der Mauer fast genau gegenüberstanden. An dieser Stelle stationierte Konstantin die Mehrheit seiner besten Truppen, insgesamt etwa 2000 Mann. Giustiniani wurde ursprünglich am Charisios-Tor oben am Hang stationiert, schloss sich aber später mit seinen genuesischen Soldaten dem Kaiser an und übernahm praktisch das operative Kommando über den gefährdeten Abschnitt. Die anderen Mauerabschnitte wurden unter das Kommando »der führenden Personen Konstantinopels gestellt.«37 Das Charisios-Tor rechts des Kaisers wurde wahrscheinlich durch Theodoros von Karystos kommandiert, »einen alten, aber kräftigen Griechen, der sehr gut mit dem Bogen umgehen konnte.«38 Der folgende Mauerabschnitt im Norden, der bis zu dem rechtwinkligen Mauerschwenk reichte, wurde den genuesischen Bocchiardi-Brüdern anvertaut, die »auf ihre eigenen Kosten gekommen waren und ihre eigene Ausrüstung mitgebracht hatten«,39 darunter Handfeuerwaffen und mächtige, auf Gestellen montierte Armbruste. Auch der verwundbare Abschnitt der einfachen Mauer, die um den Blachernae-Palast herumführte, wurde größtenteils Italienern anvertraut. Der Vorsteher der venezianischen Stadtgemeinde Minotto machte den Palast zu seiner Residenz, sodass die Flagge des heiligen Markus nun neben der des Kaisers über dem Palast wehte. Das Kaligaria-Tor in diesem Abschnitt befehligte »Johannes, ein Deutscher«. Der Söldner war »in den Kriegskünsten sehr erfahren«40 und in Wirklichkeit ein Schotte. Er war außerdem für das griechische Feuer der Stadt zuständig. Konstantins Streitmacht war wirklich multinational, aber sie war auch an den Bruchlinien von Religion, Nationalität und geschäftlicher Rivalität gespalten. Um die möglichen Spannungen zwischen Genuesen und Venezianern, Orthodoxen und Katholiken, Griechen und Italienern zu minimieren, mischte Konstantin die verschiedenen Einheiten offenbar absichtlich, um ihre gegenseitige Abhängigkeit zu verstärken. Der Mauerabschnitt unmittelbar links von ihm wurde von seinem Verwandten, »dem Griechen Theophilos, einem Adligen aus dem Hause Palaiologos kommandiert, der in griechischer Literatur hoch gebildet und ein hervorragender Geometer war.«41 Er wusste wahrscheinlich mehr über die Ilias als über die Verteidigung wirklicher Mauern. Die anderen Abschnitte auf der Mauerstrecke bis zum Goldenen Tor wurden von einer Folge von griechischen, venezianischen und genu-
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esischen Soldaten befehligt, und Demetrios, ein Mitglied der großen alten byzantinischen Familie Kantakuzenos, hatte den Befehl über den Eckpunkt, wo die Landmauer auf die Seemauer am Marmarameer traf. Die Verteidigung an der Küste des Marmarameers war sogar noch stärker gemischt. Jacopo Contarini, ein weiterer Venezianer, war bei dem Dorf Studios stationiert, während die orthodoxen Mönche einen angrenzenden Mauerabschnitt bewachten, an dem kaum Angriffe erwartet wurden. Das Kontingent türkischer Renegaten, das von dem Thronprätendenten Prinz Orhan befehligt wurde, platzierte Konstantin an dem Hafen Eleutherios, in sicherer Entfernung von der Landmauer, obwohl an der Loyalität der Türken eigentlich kein Zweifel bestehen konnte, angesichts des Schicksals, das ihnen beim Fall der Stadt gewiss war. Der Abschnitt vor der Akropolis auf dem Scheitelpunkt der dreieckigen Stadt war mit einem katalanischen Kontingent bemannt, und die Akropolis selbst war Kardinal Isidoros und einer Gruppe von 200 Mann anvertraut. Es sagt viel über die Kampfkraft der Männer in diesen Abschnitten aus, dass Konstantin trotz des natürlichen Schutzes durch das Meer auf jedem Turm zusätzlich zwei Schützen stationierte: je einen Bogenschützen plus einen Armbrustschützen oder einen Mann mit einer Handfeuerwaffe. Das Goldene Horn selbst wurde von venezianischen und genuesischen Seeleuten unter dem Kommando des venezianischen Kapitäns Trevisano bewacht, während die Mannschaften zweier im Hafen liegender kretischer Schiffe die Horaia, ein Tor in der Nähe der Sperrkette, bemannten. Mit dem Schutz der Sperrkette selbst und der Schiffe im Hafen war Alviso Diedo beauftragt. Als Unterstützung für sein viel zu ausgedünntes »Heer« hielt Konstantin eine schnelle Eingreiftruppe bereit. Zwei Gruppen wurden in einigem Abstand von den Mauern in Bereitschaft gehalten. Die eine, unter dem Großherzog Lukas Notaras, einem guten Soldaten, »dem wichtigsten Mann in Konstantinopel mit Ausnahme des Kaisers«,42 war mit 100 Pferden und ein paar beweglichen Geschützen in dem Stadtviertel Pera stationiert; eine weitere unter Nikephoros Palaiologos hielt die zentrale Erhebung in der Nähe der zerstörten Kirche der Heiligen Apostel. Diese Reserven bestanden aus etwa 1000 Mann. Konstantin besaß lebenslange Erfahrung in Kriegführung und Truppenorganisation, als er diese Anordnungen traf, trotzdem hatte er vermutlich keine Vorstellung, wie gut die Demokratie konkurrierender Kontingente in den folgenden Tagen funktionieren sollte. Er hatte die wichtigsten Stellungen an Ausländer vergeben, weil er nicht sicher war, wie die orthodoxen Gläubigen in der Stadt wegen seiner Haltung zur Vereinigung der Kirchen zu ihm standen. Er gab führenden Venezianern die Schlüssel zu den vier wichtigsten Toren der Stadt und sorgte dafür, dass die griechischen Kommandeure auf den Mauern positiv zur Vereinigung der Kir-
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chen standen. Lukas Notaras, der wahrscheinlich gegen eine Einigung war, wurde bezeichnenderweise so eingeteilt, dass er bei der Verteidigung der Mauern nicht mit Katholiken zusammenarbeiten musste. Während Konstantin versuchte, seine knappen Ressourcen optimal auf die 6,5 Kilometer lange Landmauer zu verteilen, musste er noch eine weitere wichtige Entscheidung treffen. Die Dreifachmauer war dafür ausgelegt, von einer viel größeren Streitmacht verteidigt zu werden, die sowohl die hohe innere als auch die niedrigere äußere Mauer verteidigen konnte. Konstantin hatte nicht genug Männer, um beide Mauern ordentlich zu besetzen, und musste sich für eine von beiden entscheiden. Die Mauer war bei der Belagerung von 1422 beschossen worden, und während die äußere Mauer fast vollständig repariert worden war, hatte man dies bei der inneren unterlassen. Auch bei der letzten Belagerung hatten die Verteidiger zwischen den beiden Mauern wählen müssen und sich, mit Erfolg, für die Verteidigung der äußeren Mauer entschieden. Konstantin und sein Belagerungsexperte Giustiniani trafen dieselbe Entscheidung. Bei manchen Beteiligten war der Beschluss umstritten. »Dies geschah wie immer gegen meinen Rat«, schrieb der stets kritische Erzbischof Leonhard, »Ich drängte darauf, den Schutz unserer hohen inneren Mauer nicht zu verlassen.«43 Ein guter, aber wohl nicht realisierbarer Ratschlag. Der Kaiser tat, was er konnte, um die Moral seiner Soldaten zu heben. Er wusste, dass Mehmet fürchtete, katholische Hilfe könnte für die orthodoxe Stadt eintreffen. Deshalb beschloss er, seine eigene kleine Machtdemonstration zu veranstalten. Auf seine Bitte verließen am 6. April die Besatzungen der venezianischen Galeeren ihre Schiffe und paradierten in ihren erkennbar europäischen Rüstungen die gesamte Landmauer entlang, und zwar »mit den Flaggen voran..., um den Menschen in der Stadt großen Trost zu spenden.«44 Ein unübersehbarer Hinweis, dass Franken auf Seiten der Belagerten kämpften. Am selben Tag wurden auch die Galeeren gefechtsklar gemacht. Mehmet wiederum schickte eine kleine Abordnung von Reitern vor die Tore der Stadt mit Flaggen, die signalisierten, dass es sich um Parlamentäre handelte. Sie überbrachten die traditionelle Aufforderung zur Kapitulation, wie sie der Koran vorschreibt: »Und Wir bestrafen nie, ohne zuvor einen Gesandten geschickt zu haben. Und wenn Wir eine Stadt zu zerstören beabsichtigen, lassen Wir Unseren Befehl an ihre Wohlhabenden ergehen; wenn sie in ihr freveln, so wird der Richtspruch gegen sie fällig, und Wir zerstören sie bis auf den Grund.«45 Gemäß dieser Formel konnten sich die christlichen Verteidiger zum Islam bekehren, sich ergeben und die Kopfsteuer bezahlen oder aushalten und sich auf drei Tage Plünderung gefasst machen, falls ihre Stadt erstürmt würde. Die Byzantiner hatten diese For-
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mel 674 zum ersten Mal und danach noch mehrmals gehört. Ihre Antwort ist stets die gleiche gewesen: »Wir akzeptieren weder die Steuer noch den Islam noch die Kapitulation unserer befestigten Stadt.«46 Nachdem diese Weigerung auch diesmal erfolgt war, stand die Belagerung für die Osmanen in Übereinstimmung mit ihrem heiligen Gesetz, und die Herolde riefen im Lager offiziell ihren Beginn aus. Mehmet ließ seine Kanonen heranrollen. Konstantin entschied sich für eine Politik der maximalen Sichtbarkeit. Sein Hauptquartier war ein großes Zelt hinter dem St. Romanos-Tor. Von dort ritt er jeden Tag in Begleitung von Georgios Sphrantzes und dem Spanier Don Francisco von Toledo auf seiner kleinen arabischen Stute aus, »sprach den Soldaten Mut zu, inspizierte die Wachen und suchte nach denen, die nicht auf dem Posten waren.«47 Er besuchte die Messe in derjenigen Kirche, die jeweils gerade am nächsten lag, und sorgte dafür, dass jede Kampfeinheit eine Gruppe von Mönchen und Priestern zugeteilt bekam, die in der Schlacht die Beichte abnehmen und die letzte Ölung spenden konnten. Außerdem wurde der Befehl erlassen, Tag und Nacht Messen für die Errettung der Stadt zu lesen, und nach der morgendlichen Liturgie wurden die Ikonen durch die Straßen und die Mauern entlang getragen, um die Soldaten zu ermutigen. Die zuschauenden Muslime konnten die langen Bärte der Christen ausmachen und den Klang der Hymnen in der Frühlingsluft hören. Schlecht auf die Moral der Verteidiger wirkte sich das Wetter aus. Es gab eine Reihe von Wolkenbrüchen und mehrere Erdbeben. In der angespannten Atmosphäre wurden böse Vorzeichen gesehen, und man erinnerte sich an alte Prophezeiungen. »Denn aus Ikonen in den Heiligtümern, aus Säulen und Standbildern der Heiligen trat Schweiß aus«, erinnerte sich der Chronist Kritobulos, »ungewöhnliche Fälle von Besessenheit und Gottbegeisterung von Männern und Frauen traten auf, die nichts Günstiges verhießen, und die Seher weissagten viel Unheilvolles.«48 Konstantin selbst war vermutlich mehr wegen der Ankunft der feindlichen Kanonen besorgt. Er muss nach seiner Erfahrung mit dem osmanischen Artilleriefeuer am Hexamilion im Jahr 1446 gewusst haben, was ihn erwartete. Damals war die sorgfältig errichtete Mauer innerhalb von fünf Tagen eingestürzt, worauf ein Massaker folgte.
Nachdem Mehmet seine logistischen Fähigkeiten bei der Koordination von Ausrüstung, Kriegsmaterial und einer riesigen Anzahl Soldaten voll ausgereizt hatte, war er bereit zu handeln. Seine Vorräte an Kanonenkugeln und Salpeter, Ausrüstung zum Unterminieren von Mauern, Belagerungsmaschinen und Nahrung waren
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zusammengetragen, gezählt und geordnet; die Waffen waren gereinigt, die Kanonen in Stellung gebracht und die Männer – Reiter und Fußsoldaten, Bogenschützen und Lanzenwerfer, Waffenschmiede, Kanoniere, Plänkler und Mineure – waren zusammengezogen, und ihre Kampfeslust war auf einen Höhepunkt gesteigert. Den osmanischen Sultanen war das Leben als Stammeskrieger immer noch so vertraut, dass sie sich gut darauf verstanden, ihre Männer zu motivieren und für eine gemeinsame Sache zu begeistern. Mehmet wusste genau, wie man das Feuer des Heiligen Krieges schürte. Die Ulema gingen unter den Soldaten umher und rezitierten die alten Prophezeiungen aus den Hadithen über den Fall der Stadt und ihre Bedeutung für den Islam. Mehmet betete täglich auf einem Teppich vor seinem roten und goldenen Zelt, das nach Osten, gen Mekka, und auch auf die Hagia Sophia ausgerichtet war. Gleichzeitig wurde den Soldaten eine märchenhafte Beute versprochen, falls die Stadt eingenommen würde. Auch der Schatz des Goldenen Apfels wurde den Gläubigen immer wieder bildhaft vor die erwartungsfrohen Augen geführt. Mehmet bereitete seinen Schlag mit einer doppelten, für Stammeskrieger ausgesprochen attraktiven Verheißung vor: Sie durften plündern und zugleich den Willen Gottes erfüllen. Er wusste, und sein alter Wesir Halil Pascha wusste es sogar noch besser, dass Schnelligkeit jetzt lebenswichtig war. Bei der Eroberung von Städten müssen Menschen geopfert werden. Die Begeisterung und freudige Erwartung, die für den Angriff erzeugt worden waren (und die Bereitschaft, Gräben mit Leichen zu füllen und sie dann auf den Leichen zu überschreiten), waren nur begrenzte Zeit aufrechtzuerhalten. Durch unerwartete Rückschläge konnte sich die Moral schnell verschlechtern. In einer so geballten Menschenmasse konnten Gerüchte, Kritik und Unzufriedenheit wie der Sturmwind über das Grasland hinwegfegen, und selbst in den gut organisierten Lagern der Osmanen brach leicht Typhus aus, wenn sich eine Belagerung zu lange in den Sommer hinein hinzog. Das Unternehmen barg durchaus Gefahren für Mehmet. Er wusste durch seine venezianischen Spione, dass auf dem Land- oder Seeweg letztlich Hilfe aus dem Westen kommen würde, selbst wenn die christlichen Mächte noch so zerstritten und gespalten waren. Als er von seinem Hügel aus auf die Landmauer blickte, die sich mit ihren dicht gedrängten Türmen, ihrem dreistufigen Verteidigungssystem und ihrer Geschichte hartnäckigen Widerstands über die wellige Landschaft erstreckte, bekannte er sich vielleicht lauthals zum Vertrauen zu seinen Soldaten, dürfte aber insgeheim eher auf seine Kanonen vertraut haben. Auch für Konstantin war die Zeit ein extrem wichtiger Faktor. Die Rechnung der Verteidiger war bedrückend einfach. Es gab keine Möglichkeit, die Belagerung durch einen Gegenangriff zu beenden. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, lange
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genug durchzuhalten, bis ein Entsatzheer aus dem Westen die Blockade brach. Sie hatten den Arabern im Jahr 678 widerstanden. Sie mussten auch jetzt durchhalten. Wenn Konstantin einen Trumpf in der Hand hatte, dann bestand er in Giovanni Giustiniani. Dem Genuesen war schon vor seiner Ankunft in der Stadt der Ruf vorausgeeilt, dass er »in Kriegsdingen erfahren«49 sei. Er verstand sich darauf, offensichtliche Schwächen in den Befestigungsanlagen der Stadt zu erkennen und zu beheben, wusste, wie man Katapulte und Handfeuerwaffen optimal zur Verteidigung einsetzte und verstand sich darauf, die wenigen verfügbaren Männer optimal zu stationieren. Er bildete die Verteidiger in wirksamen Kampftechniken des Belagerungskriegs aus und zog die Möglichkeit von Gegenangriffen durch die Ausfallpforten der Stadt in Erwägung. Die schlimmen Kriege zwischen den italienischen Stadtstaaten hatten Generationen solcher begabter Spezialisten hervorgebracht, technischer Söldner, die die Verteidigung einer Stadt als Handwerk und als Kunst studiert hatten. Giustiniani hatte jedoch noch nie massiven Artilleriebeschuss erlebt. Und die folgenden Ereignisse sollten seine Fähigkeiten auf eine harte Probe stellen.
8 Die schrecklichen Posaunen des jüngsten Gerichts 6 . – 19 . A p r i l 14 5 3
Welche Zunge kann dieses Unglück und diese Ängste verkünden?1 Nestor-Iskander
Es dauerte lange, bis die großen Kanonen angekommen waren, die auf sumpfigen Pfaden von Edirne nach Konstantinopel schlingerten, auf Karren mit Vollrädern, die durch den Frühlingsregen gezogen wurden. Man konnte sie schon von Ferne kommen hören: das Stampfen und Brüllen der Ochsen, die Schreie der Männer und das Quietschen der Achsen, eine unaufhörliche Ein-Ton-Musik wie ein unheimlicher Klang aus kosmischen Sphären. Als die Kanonen endlich die Front erreichten, dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis sie alle mit Flaschenzügen abgeladen, platziert und ausgerichtet waren. Bis zum 6. April waren erst ein paar von den leichten Kanonen in Stellung. Sie feuerten die ersten Kugeln auf die Mauern, offenbar mit geringer Wirkung. Kurz nach dem Beginn der Belagerung unternahmen irreguläre Truppen einen heftigen, aber ungeordneten Angriff auf den schwachen Mauerabschnitt im Lykos-Tal. Giustinianis Männer machten einen Ausfall und schlugen die Angreifer in die Flucht. Sie töteten »einige von ihnen« und »einige wenige verwundeten sie auch.«2 Die Ordnung im osmanischen Lager wurde erst durch einen massiven Gegenangriff wieder hergestellt, durch den die Verteidiger zum Rückzug hinter die Mauern gezwungen wurden. Das Scheitern des ersten Angriffs überzeugte den Sultan vermutlich, dass es besser war, zuerst die Artillerie in Stellung zu bringen, anstatt einen weitere demoralisierende Niederlage zu riskieren. In der Zwischenzeit ließ er die anderen typischen Vorbereitungen einer osmanischen Belagerung treffen. In versteckten Bunkern hinter den Erdwällen began-
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nen Mineure im zentralen Frontabschnitt zu graben. Sie sollten einen 250 Meter langen Stollen bis unter die Mauer vorantreiben und diese von unten zum Einsturz bringen. Außerdem ließ der Sultan für den Tag, an dem ein koordinierter Sturmangriff auf die Mauern unternommen würde, den Graben an geeigneten Punkten zuschütten, »indem er Steine heranschleppen und alles mögliche sonstige Material sammeln ließ.«3 Die Arbeit war gefährlich und oft sogar tödlich für die Soldaten. Der Graben war nur 40 Meter von der verteidigten äußeren Mauer entfernt und konnte unter Beschuss genommen werden, wenn die Verteidiger nicht durch schweren Gegenbeschuss davon abgehalten wurden. Jeder Versuch, einen Brückenkopf oder eine vorgeschobene Front zu bilden, stieß auf erbitterten Widerstand. Giustiniani hatte das Terrain gut studiert und versuchte, die Anstrengungen der Angreifer zu vereiteln. Ausfälle wurden gemacht und Hinterhalte gelegt, bei denen die Verteidiger in der Nacht »plötzlich aus den Stadttoren hervorbrachen und die Truppen vor den Mauern angriffen. Wenn sie aus dem Graben sprangen, wurden sie manchmal zurückgeschlagen; manchmal jedoch machten sie auch türkische Gefangene«,4 die zur Informationsbeschaffung gefoltert werden konnten. Diese wilden Scharmützel am Graben waren sehr wirksam, aber den Verteidigern wurde schnell klar, dass sie dabei zu hohe Verluste erlitten. Der Tod jedes einzelnen ausgebildeten Kämpfers war ein schwerer Verlust, gleichgültig wie viele Türken dabei getötet wurden, also wurde schon früh die Entscheidung getroffen, vor allem von der Mauer aus zu kämpfen, wobei »einige Armbrustbolzen verschossen und andere normale Pfeile.«5 Die Kämpfe um den Graben sollten zu den schwersten während der ganzen Belagerung gehören. In den Tagen nach dem 7. April, als die sehnlichst erwarteten schweren Kanonen noch nicht eingetroffen waren, wandte der Sultan seine Aufmerksamkeit anderen Aufgaben zu. Während die osmanische Armee durch Thrakien gestürmt war, hatte sie die auf ihrem Weg liegenden griechischen Dörfer eingenommen, aber einige isolierte Festungen hielten sich noch. Mehmet hatte sie passiert und lediglich ein paar Einheiten zu ihrer Bewachung zurückgelassen. Nun brach er vermutlich am 8. April mit einer beträchtlichen Streitmacht und einigen Kanonen auf, um die Festung Therapeion zu vernichten, die jenseits des »Messers an der Kehle« auf einem Hügel am Bosporus stand. Sie leistete zwei Tage lang Widerstand, bis durch den Kanonenbeschuss ihre Mauern zerstört und die meisten Verteidiger getötet waren. »Die Überlebenden der Besatzung aber ergaben sich, da sie nicht mehr in der Lage waren, Widerstand zu leisten, durch bedingungslose Kapitulation. Der Sultan aber ließ diese, 40 an der Zahl, pfählen.«6 Eine ähnliche Festung bei dem Dorf Studios am Marmarameer wurde ebenfalls schnell durch Artilleriebeschuss zerstört. Diesmal wurden 36 unglückliche Überlebende vor den Mauern Konstantinopels gepfählt.
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DIE SCHRECKLICHEN POSAUNEN DES JÜNGSTEN GERICHTS
Einige Tage darauf fuhr Mehmets Admiral Baltaoglu mit einem Teil der Flotte zu den Prinzeninseln im Marmarameer, wo die kaiserliche Familie in schwierigen Zeiten traditionell Zuflucht suchte. Auf der größten Insel, Prinkipos, befand sich eine solide Festung, »die von 30 gepanzerten Soldaten bewacht wurde, die Bewohner nicht mitgerechnet.«7 Auch sie wollte sich nicht ergeben. Als auch Kanonenbeschuss nichts fruchtete, häuften Baltaoglus Männer gewaltige Mengen von Reisig vor den Mauern an und entzündeten es. Angefacht durch Pech und Schwefel und einen starken Wind erfassten die Flammen die Türme, und bald brannte die ganze Festung. Wer nicht lebendig verbrannte, unterwarf sich bedingungslos. Die Soldaten wurden sofort niedergemacht und die Bewohner in die Sklaverei verkauft. Bis zum 11. April war Mehmet wieder zurück in seinem roten und goldenen Zelt, und alle Kanonen waren vor Ort. Mehmet gruppierte sie in 14 oder 15 Batterien entlang der Mauer an Punkten, die er für besonders verwundbar hielt. Eine von Urbans großen Bombarden, »eine schreckliche Kanone«,8 wurde in der Nähe des Horns vor der einfachen Mauer von Blachernae aufgestellt, »die weder durch einen Graben noch durch eine äußere Mauer geschützt war.«9 Eine andere Kanone platzierte Mehmet an dem rechtwinkligen Knick der Mauer bei Blachernae und eine dritte am Frühlingstor weiter im Süden. Wieder andere wurden auf kritische Punkte an dem verwundbaren Mauerstück im Lykos-Tal gerichtet. Urbans Superkanone, die von den Griechen Basilika, »die königliche Kanone«, genannt wurde, wurde vor dem Zelt des Sultans aufgestellt, wo er ihre Leistung kritisch begutachten konnte. Sie war auf das St. Romanos-Tor gerichtet, »das schwächste Tor der ganzen Stadt.«10 Je eine große Kanone war mit ein paar kleineren in einer Batterie gruppiert, die die Osmanen liebevoll als »die Bärin und ihre Jungen« bezeichneten. Die abgefeuerten Steinkugeln waren zwischen 90 und (bei Urbans Superkanone) gewaltige 800 Kilogramm schwer. Der Schätzung eines Beobachter zufolge verschossen die beiden größten Kanonen »eine Kugel, die bis zum Knie reichte und eine die bis zum Gürtel reichte«.11 Ein anderer erklärte, die größte Kugel messe, »elfmal meine Handfläche im Umfang.«12 Auch wenn Beobachter von »unzähligen Kriegsmaschinen« sprachen, verfügte Mehmet wahrscheinlich insgesamt nur über 69 Kanonen, immerhin eine riesige Artillerie für damalige Verhältnisse. Sie wurde an anderer Stelle durch ältere Vorrichtungen zum Schleudern von Steinen ergänzt, etwa dem Trébuchet, einem Katapult mit Gegengewicht. Das Trébuchet hatte bei der Eroberung der Kreuzfahrerburgen durch die Muslime drei Jahrhunderte zuvor eine gewaltige Rolle gespielt. Inzwischen wirkte es jedoch wie eine Kriegsmaschine aus einem anderen Zeitalter. Das Aufstellen und Schussbereitmachen von Kanonen war ein langwieriger Prozess. Sie waren freistehend und nicht mit einer Lafette verbunden. Zum Trans-
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port wurden sie einfach auf stabile Karren gebunden. Bei ihrer Ankunft musste ein gewaltiges Flaschenzugsystem errichtet werden, um die Kanone auf eine schräge Holzplattform zu hieven, die hinter dem Wall aufgebaut war, der das osmanische Lager schützte. Die Kanone war durch hölzerne Palisaden und durch eine Klappe, die unmittelbar vor dem Schuss geöffnet wurde, vor feindlichem Feuer geschützt. Der logistische Aufwand für den Artilleriebeschuss war enorm. Gewaltige Mengen schwarzer Steinkugeln mussten an der Nordküste des Schwarzen Meers gebrochen, behauen und mit Handelsschiffen herbeigeschafft werden. Am 12. April kam eine solche Lieferung am Hafen der Doppelsäulen an. Sie enthielt »Steinkugeln für Kanonen, Faschinen und Bauholz sowie andere Munition«13 für das osmanische Lager. Auch große Mengen Salpeter mussten beschlagnahmt werden, damit die Kanonen einen längeren Zeitraum feuern konnten. Die Straße, die Mehmet seinen General Zaganos Pascha um die Spitze des Goldenen Horns herum zu dem Hafen bauen ließ, sollte wahrscheinlich den Transport dieses Nachschubs erleichtern. Für die Kanonen wurden große stabile Karren und zahlreiche Männer und Ochsengespanne gebraucht. Die Gießer, die mit Urban in Edirne arbeiteten, fungierten auch als Bedienungsmannschaften der Geschütze. Sie bewegten, positionierten, luden und feuerten ihre handgemachten Produkte und reparierten sie an Ort und Stelle. Zwar waren Urbans Superkanonen in 240 Kilometern Entfernung hergestellt worden, aber die Osmanen brachten genügen Material mit, um beschädigte Kanonen im Lager zu reparieren und sogar um neue zu schmieden und zu gießen, wodurch eine regelrechte Sekundärproduktion entstand. Große Mengen von Eisen, Kupfer und Zinn mussten zum Belagerungsort gebracht werden, überwölbte Holzkohlengruben mussten ausgehoben und darin gemauerte Schmelzöfen gebaut werden. Eine spezielle Zone des Lagers muss in eine Ad-hoc-Werkstatt verwandelt werden, wo Rauchwolken aufstiegen und das Geräusch von Schmiedehämmern die Frühlingsluft erfüllte. Das Laden der großen Kanone war ein zeitraubender Vorgang, bei dem viele Einzelheiten beachtet werden mussten. Das Schwarzpulver wurde durch die Mündung der Kanone eingefüllt und mit einem Pfropfen aus Holz oder Schafsfell in den Lauf geschoben. Dieser Pfropfen wurde mit Eisenstangen so festgeklopft, »dass er, was auch immer geschehen wäre, auf keine andere Weise hätte herausbefördert werden können als durch die Explosionskraft des angezündeten Krautes.«14 Danach wurde die Steinkugel zur Mündung der Kanone geschleppt und vorsichtig in den Lauf geschoben. Sie sollte idealerweise exakt passen, hatte aber nicht immer genau das richtige Kaliber. Gezielt wurde mit »gewissen Techniken und Berechnungen bezüglich des Ziels«, das heißt in der Praxis nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum; der Abschusswinkel der Kanone wurde eingestellt, indem man ihre Plattform mit Holzkeilen verstellte. Das Geschütz war außerdem mit starken Holzbal-
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ken festgekeilt, die mit Steinen beschwert waren und den Rückstoß auffingen, »damit es nicht durch die gewaltige Wucht und den starken Rückstoß aus seiner ursprünglichen Stellung gebracht werde und das Ziel verfehlte.«15 Schließlich wurde Zündpulver in das Zündloch geschüttet, und alles war bereit. Am 12. April wurden in einem 6,5 Kilometer langen Frontabschnitt die Lunten an die Zündlöcher der Kanonen des Sultans gelegt und der erste konzertierte Artilleriebeschuss der Geschichte begann. Wenn es einen historischen Moment gab, in dem ein authentisches Gefühl der Ehrfurcht vor der ungeheuren Macht des Schwarzpulvers zu spüren war, dann in jenem Frühjahr 1453. Das Gefühl kam in den Berichten über das Abfeuern der großen Kanonen deutlich zum Ausdruck. Die Lunte wurde an das Pulver gelegt: Und nachdem dieses sich in Gedankenschnelle entzündet hatte, entstand zunächst ein fürchterliches Brüllen und ein Beben der Erde unter ihm, sogar noch in großer Entfernung, und ein Getöse wie noch nie. Dann wurde mit einem ungeheuerlichen Donner und entsetzlichem Dröhnen und einer Flamme, die ringsum alles versengte und schwärzte, der hölzerne Pfropfen durch den Druck der trockenen, glühenden Luft von innen herausgetrieben und gab dem herausschießenden Stein einen gewaltigen Schub. Dieser aber flog mit ungeheurer Gewalt und Wucht gegen die Mauer, zertrümmerte sie und riss sie augenblicklich nieder, und er zerbrach und zersprengte sie in viele Stücke. Diese zerstreute er in alle Richtungen und tötete diejenigen, die gerade in der Nähe waren.16
Wenn die riesigen Steinkugeln die Mauern an einer günstigen Stelle trafen, war die Wirkung verheerend: »Und bald riss er ein ganzes Mauerstück nieder, bald nur einen größeren oder kleineren Teil eines Turms oder Zwischenwalls oder auch einer Brustwehr. Und nichts war so stark oder widerstandsfähig oder von einer so soliden Mauerstärke, dass es dieser gewaltigen Wucht und Durchschlagskraft des Steins hätte begegnen oder überhaupt ihr standhalten können.«17 Zuerst hatten die Verteidiger den Eindruck, dass die ganze Geschichte des Belagerungskriegs sich vor ihren Augen auflöste; die Theodosianische Landmauer, das Produkt einer 2000-jährigen Entwicklung der Verteidigungstechnik, ein Wunderwerk der militärischen Baukunst, vom menschlichen Geist erdacht und durch göttlichen Segen geschützt, begann zusammenzubrechen, wo immer sie von einer Salve wohlgezielter Kugeln getroffen wurde. Erzbischof Leonhard beschrieb die Auswirkungen auf ein einziges Mauerstück in der Nähe des Palasts: »Sie pulverisierten die Mauer damit, und obwohl sie extrem dick und stark war, brach sie unter dem Beschuss durch dieses schreckliche Gerät zusammen.«18 Kugeln aus den Superkanonen, die über die Stadtmauer hinwegflogen, konnten bis zu eineinhalb Kilometer in das Zentrum Konstantinopels hineinfliegen, wo sie
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mit verheerender Gewalt Häuser und Kirchen trafen, Zivilisten niedermähten oder, was meistens geschah, sich in die Weinberge und Felder der schreckerfüllten Stadt bohrten. Ein Augenzeuge war ganz erstaunt, als er sah, wie eine Kugel die Mauer einer Kirche traf und diese zu Staub zerfiel. Anderen Augenzeugen zufolge bebte die Erde im Umkreis von drei Kilometern, und selbst auf den Galeeren, die sicher in den Häfen im Goldenen Horn vertäut lagen, war die Erschütterung der Explosionen in den Rümpfen zu spüren. Die Kanonenschüsse waren auch in Asien, acht Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Bosporus zu hören. Gleichzeitig schleuderten die Trébuchets mit ihren steileren Flugbahnen Felsbrocken auf die Dächer der Häuser hinter den Mauern und auf Teile des Kaiserpalasts. Die psychologischen Auswirkungen des Artilleriebeschusses auf die Verteidiger waren anfänglich sogar noch schlimmer als die tatsächlichen Schäden. Der Lärm und die Erschütterungen, die die vielen Kanonen verursachten, die Rauchwolken und der ohrenbetäubende Aufprall von Stein auf Stein entsetzten selbst erfahrene Verteidiger. Die Zivilbevölkerung betrachtete den Beschuss als Vorgeschmack auf die Apokalypse und als Vergeltung für ihre Sünden. Und für einen osmanischen Chronisten klang er wie »die schrecklichen Posaunen des jüngsten Gerichts.«19 Menschen rannten aus ihren Häusern, schlugen sich auf die Brust, bekreuzigten sich und riefen »Kyrie Eleison! Was geschieht jetzt?« Frauen wurden auf den Straßen ohnmächtig. Die Leute strömten massenweise in die Kirchen. Sie »flehten um Gnade und beteten, sie heulten und schrien: ›Herr, Herr! Wir sind weit abgefallen von dir. Alles, was über uns und Deine heilige Stadt gekommen ist, gründet sich auf einem gerechten und wahren Urteil über unsere Sünden.‹ Im flackernden Widerschein ihrer heiligsten Ikonen formten ihre Lippen immer dasselbe unaufhörliche Gebet: ›Verrate uns am Ende nicht an unsere Feinde; zerstöre nicht Dein würdiges Volk; wende Dein liebendes Wohlgefallen nicht von uns ab und mache uns nicht schwach in diesen Zeiten.‹«20 Konstantin versuchte unermüdlich, die Moral der Stadt sowohl im praktischen wie auch im religiösen Bereich aufrechtzuerhalten. Er besuchte stündlich die Mauern und machte Kommandeuren wie Soldaten Mut. Unaufhörlich wurden die Kirchenglocken geläutet, und der Kaiser »ermahnte alle, weder die Hoffnung aufzugeben, noch in ihrem Widerstand gegen den Feind nachzulassen, sondern auf Gott den Allmächtigen zu vertrauen«.21 Die Verteidiger erprobten verschiedene Strategien, um sich gegen den Beschuss mit Steinkugeln zu schützen. Ein Mörtel aus Kalk und Ziegelstaub wurde als verstärkender Mantel die Außenseite der Mauern hinuntergeschüttet. Andernorts wurden Ballen aus Wolle, die an Holzbalken befestigt waren, Lederdecken und kostbare Wandbehänge vor die Mauern gehängt, um die Geschosse abzubremsen
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und die Entstehung tödlicher Splitter zu verringern. Doch wegen der gewaltigen Beschleunigung der Kugeln durch das Schwarzpulver bewirkten diese Maßnahmen wenig. Die Verteidiger taten ihr Bestes, um die großen Kanonen mit ihren wenigen eigenen Kanonen auszuschalten, aber sie hatten nur wenig Salpeter, und die osmanischen Kanonen wurden durch Palisaden geschützt. Schlimmer noch, man stellte fest, dass die Mauern und Türme der Stadt für die Verwendung von Kanonen ungeeignet waren. Sie waren nicht stark genug, um den Rückstoß großer Explosivladungen aufzufangen, und die Vibrationen, »erschütterten die Mauern und beschädigten sie stärker als der Feind.«22 Die größte Kanone der Stadt explodierte schon nach kurzer Zeit, was die zermürbten Verteidiger so erzürnte, dass sie den Geschützgießer hinrichten wollten, weil er angeblich vom Sultan bestochen worden war. »Da es jedoch keinen klaren Beweis dafür gab, dass er dieses Schicksal verdiente, ließen sie ihn frei.«23 Nach alledem war schnell klar, dass die Theodosianische Mauer im Zeitalter der neuen Kriegführung nicht standhalten würde. Die griechischen Chronisten gaben sich alle Mühe zu vermitteln, was sie sahen, ja selbst die richtigen Worte für eine Beschreibung der Kanonen zu finden. »Es findet sich auch kein alter Name für dieses Geschütz«, erklärte der klassisch gebildete Kritobulos, »es sei denn, man bezeichnete es als ›Städteeroberer‹ oder ›Schleudermaschine‹. Die allgemeine Bezeichnung, die man heute dafür generell verwendet, lautet ›Gerät‹.«24 Auch andere Namen waren weit verbreitet: Bombarden, Feldschlangen, Basiliske, Steinbüchsen, Mörser. Unter dem Druck des historischen Augenblicks wurde die Sprache von einer schrecklichen neuen Realität geformt: der fürchterlichen Erfahrung von Artilleriebeschuss.
Mehmet setzte auf Abnutzung. Und er war ungeduldig. Er ließ die Mauern Tag und Nacht mit seiner Artillerie beschießen, um alsbald eine große Bresche für den finalen Sturmangriff zu schlagen, und er ließ zahlreiche kleine Überraschungsangriffe durchführen, um die Verteidiger zu erschöpfen. »Tag und Nacht hörten Kampf und Ansturm, Handgemenge und Beschießung nicht auf«, berichtete Sphrantzes (alias Melissenos), »denn der Sultan hoffte, die Stadt leicht einzunehmen, da wir wenige an Zahl waren und durch die ständige Bedrängnis schnell ermüdet wurden. So gönnte er uns keinen Augenblick der Erholung.«25 Der Beschuss und der Kampf um den Graben dauerten vom 12. bis zum 18. April unvermindert an. Die großen Kanonen erzielten anfänglich starke psychologische Wirkung, doch ihre Bedienung war ungemein schwierig. Das Laden und Ausrichten der Basilika war so aufwendig, dass sie nur siebenmal pro Tag abgefeuert werden konnte, wobei
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ein erster Schuss vor dem Morgengrauen als Warnung vor dem Beschuss des Tages abgefeuert wurde. Die Kanonen waren unberechenbar und oft tödlich für ihre Bedienungsmannschaft. Im Frühlingsregen waren sie nur schwer in Position zu halten. Ihr Rückstoß hatte die Kraft eines angreifenden Nashorns, sodass sie oft aus ihrer Verankerung gerissen wurden und im Schlamm landeten. Die Gefahr, zu Tode gequetscht zu werden, wurde nur von der Gefahr übertroffen, von den Splittern eines explodierenden Kanonenrohrs zerfetzt zu werden. Die Basilika machte Urban schon bald Sorgen: Hitze und Druck der Explosionen verursachten Haarrisse in dem unreinen Metall – offenbar stellte das Gießen von Geschützen solcher Größe extreme Anforderungen. Der griechische Chronist Doukas, der sich lebhaft für die technische Seite des Problems interessierte, berichtete, dass der Lauf der Kanone nach dem Schuss mit warmem Öl getränkt wurde, damit die Risse beim Abkühlen nicht größer wurden. Trotzdem war Urban beunruhigt, weil die Gefahr bestand, dass der Lauf wie Glas zerspringen könnte, und der Legende zufolge wurde die Kanone für den christlichen Söldner tatsächlich zur Nemesis. Eine genaue Untersuchung ergab, dass die Risse in der Tat bedrohlich waren, und Urban wollte die Kanone aus dem Kampf nehmen und neu gießen. Mehmet jedoch, der den Einsatz seiner Kanonen laufend beobachtete und ungeduldig auf den Erfolg wartete, befahl Urban, weiter mit der Kanone zu schießen. Urban wog das Risiko der beschädigten Kanone gegen das Risiko ab, das Missfallen des Sultans zu erregen, lud das Geschütz und bat den Sultan, Abstand zu halten. Als die Pulverladung gezündet wurde, »zersprang die große Kanone, als eben der Kanonier die Lunte an sie legte, in viele Stücke, sodass zahlreiche von den Umstehenden getötet oder verletzt wurden«,26 darunter angeblich auch Urban. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass sich sein Ableben (das von den christlichen Chronisten sehnlichst herbeigesehnt wurde), nicht auf diese Weise vollzog, obwohl die große Kanone offenbar bald nach dem Beginn der Belagerung zerbarst. Sie wurde schnell mit Eisenreifen verstärkt und wieder in Dienst genommen, zerbarst jedoch bald wieder – zur großen Wut Mehmets. Eine so große Kanone überforderte offensichtlich das metallurgische Wissen der Zeit. Ihr wichtigster Effekt war psychologisch gewesen; es blieb den anderen, etwas kleineren, aber immer noch furchterregenden Bombarden überlassen, die materielle Wirkung zu erzielen. Mehmets Erkenntnis, dass er die Stadt schnell einnehmen musste, wurde schon bald durch die Ankunft einer Gesandtschaft des ungarischen Reichsverwesers Johannes Hunyadi bestätigt. Der Sultan hatte seine Politik darauf angelegt, seine Feinde zu spalten, und mit Hunyadi einen auf drei Jahre befristeten Friedensvertrag geschlossen, damit während der Belagerung Konstantinopels kein Angriff
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eines Landheers aus dem Westen erfolgte. Nun verkündete die Gesandtschaft, Hunyadi sei zugunsten seines Mündels König Ladislaus von seinem Amt als Reichsverweser zurückgetreten, und der Friedensvertrag sei deshalb nicht mehr gültig. Er gebe deshalb den Vertrag zurück und wolle sein eigenes Exemplar ebenfalls zurückhaben. Der schlaue Ungar unternahm die Aktion vermutlich auf Betreiben von Agenten des Vatikans, um die Osmanen unter Druck zu setzen. Nun drohte die Gefahr, dass eine ungarische Armee die Donau überquerte, um das belagerte Konstantinopel zu entsetzen, was beträchtliche Unruhe im osmanischen Lager verursachte, während es zugleich den Kampfgeist der Verteidiger stärkte. Allerdings entstanden bei dem Besuch der Gesandtschaft auch unbestätigte Gerüchte, dass die ungarischen Besucher den Osmanen große Hilfe geleistet hätten. Einer der Gesandten beobachtete mit Interesse den Einsatz der großen Kanonen im Lager. Als er sah, dass die Kugel an einem bestimmten Punkt die Mauer traf und die Angreifer einen zweiten Schuss auf den gleichen Punkt setzen wollten, lachte er mit der Eitelkeit des Experten über die Inkompetenz der Schützen und riet ihnen, den zweiten Schuss »etwa neun bis elf Meter vom ersten Schuss entfernt, aber auf gleicher Höhe«, und einen dritten Schuss dazwischen zu setzen, »sodass die Einschläge ein Dreieck bilden. Dann werdet ihr erleben, wie dieser Teil der Mauer einstürzt.«27 Dieser Hinweis eines erfahrenen Artilleristen führte dazu, dass Teile der Mauer noch schneller zum Einsturz gebracht werden konnten. Bald koordinierten »die Bärinnen und ihre Jungen« den Beschuss. Mit den kleineren Kanonen wurden die zwei äußeren Treffer gesetzt, und dann setzte eine der großen Kanonen Urbans den dritten Punkt des Dreiecks in der bereits geschwächten Mitte, wobei »das Geschoss mit einer so teuflischen Kraft und einer so ungeheuren Wucht auftraf, dass es irreparable Schäden verursachte.«28 Die Chronisten fanden einen verrückten Grund für den hilfreichen christlichen Rat: Ein serbischer Prophet habe erklärt, das Unglück der Christen werde erst enden, wenn Konstantinopel an die Türken gefallen sei. In der Geschichte über den Besuch der Ungarn sind gleich drei Obsessionen der damaligen Christenheit enthalten: der Glaube, dass die Osmanen nur mithilfe des überlegenen technischen Wissens der Europäer Erfolg haben könnten; die Ansicht, dass der Niedergang der Christentums für den Fall der Stadt verantwortlich sei, und die große Bedeutung, die Prophezeiungen beigemessen wurde. Trotz der Schwierigkeiten beim Zielen und der geringen Feuergeschwindigkeit wurde der Beschuss nach dem 12. April sechs Tage lang ununterbrochen fortgesetzt. Täglich konnten etwa 120 Kanonenschüsse auf die Stadt abgegeben werden. Das stärkste Feuer war auf die Mauer im Lykos-Tal und das St. Romanos-Tor konzentriert. Unvermeidlich begann dieser Mauerabschnitt zusammenzubrechen.
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Schon nach einer Woche war ein Teil der äußeren Mauer gefallen und zwei große Türme und ein kleiner Turm der inneren Mauer waren zerstört. Doch die Verteidiger hatten nach dem ursprünglichen Entsetzen über den Beschuss wieder Mut gefasst: »Die Unseren aber gewöhnten sich immer mehr an die Kriegskünste des Feindes und lernten sie kennen, und so legten sie ihre Zagheit und ihre Furcht immer mehr ab.«29 Giustiniani arbeitete unermüdlich an der Behebung der Schäden und entwickelte schnell eine effektive Ad-hoc-Lösung für die zusammengebrochene Außenmauer. Aus Pfählen wurde ein behelfsmäßiger Ersatz für die Mauer gebaut, und dahinter schütteten die Verteidiger alles verfügbare Material auf. Steine, Bauholz, Reisig, Büsche und große Mengen Erde wurden zu der Bresche gebracht. Zum Schutz gegen Brandpfeile wurden Häute und Felle über die Pfähle gespannt, und als der neue Verteidigungswall eine ausreichende Höhe erreicht hatte, wurden in regelmäßigen Abständen mit Erde gefüllte Fässer auf seinen Kamm gestellt, um die Verteidiger gegen den Beschuss mit Pfeilen und Kugeln zu schützen, mit denen die Osmanen die Verteidiger von den Mauern zu vertreiben suchten. Eine Unmenge menschliche Arbeit wurde in den Bau der Behelfsmauer investiert; nach Einbruch der Dunkelheit arbeiteten Männer und Frauen aus der Stadt die ganze Nacht. Sie schleppten Bauholz, Steine und Erde an und reparierten die Verteidigungsanlagen, die den Tag über zerstört worden waren. Die unablässige nächtliche Arbeit kostete die zunehmend erschöpfte Bevölkerung der Stadt viel Energie, doch die dadurch entstandenen Erdwälle erwiesen sich als erstaunlich wirksamer Schutz gegen die gewaltige Wucht der Steinkugeln. Sie sollten die Kugeln abbremsen, wie Steine, die in den Schlamm geworfen werden, sodass »der mit gewaltiger Kraft heransausende Stein auf die weiche und nachgiebige Erde treffe und von ihr aufgefangen werde und nicht auf Widerstand leistendes und hartes Material stoße und dieses zerbreche.«30 Zur selben Zeit wurde der erbitterte Kampf um die Kontrolle des Grabens fortgesetzt. Tagsüber versuchten die osmanischen Truppen ihn mit allem verfügbaren Material zuzuschütten: Sie schleppten unter dem Schutz eines massiven Geschosshagels Erde, Holz, Schutt und (einem Bericht zufolge) sogar ihre eigenen Zelte ins Niemandsland und warfen das ganze Material in den Graben. In der Nacht jedoch machten die Verteidiger durch ihre Ausfallpforten Gegenangriffe, säuberten den Graben und stellten seine ursprüngliche Tiefe wieder her. Die Scharmützel vor dem Graben waren erbittert und fanden sehr nahe an der Mauer statt. Manchmal verwandten die Angreifer Netze, um kostbare Kanonenkugeln zu bergen, die nach dem Aufprall in den Graben gerollt waren. Andere osmanische Soldaten rückten gegen beschädigte Mauerteile vor und testeten deren Widerstandskraft. Damit sorgten sie dafür, dass sich die viel zu weit auseinandergezogenen Verteidiger nie
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ausruhen konnten. Auch benutzten sie mit Haken versehene Stangen, um die mit Erde gefüllten Fässer vom Behelfswall zu ziehen. Im Nahkampf waren die besser gepanzerten und geschützten Verteidiger im Vorteil, und selbst die griechischen und italienischen Augenzeugen waren beeindruckt vom Mut des Feindes. »Die Türken waren sehr tapfer im Nahkampf«, schrieb Leonhard, »also starben sie alle«.31 Der schwere Beschuss mit Langbogen, Armbrusten und Arkebusen, dem die Angreifer von der Mauer herab ausgesetzt waren, richtete unter ihnen ein schreckliches Blutbad an. Nachdem die Verteidiger erkannt hatten, dass sie ihre Kanonen wegen des Rückstoßes nicht zum Abfeuern schwerer Kugeln nutzen konnten, setzten sie sie als riesige Schrotflinten ein, das heißt sie luden eine Kanone mit fünf oder sechs Bleikugeln von Wahlnussgröße. Auf kurze Entfernung war die Wirkung dieser Geschosse entsetzlich: Sie hatten eine »immense Durchschlagskraft. Wenn sie einen gepanzerten Soldaten trafen, durchschlugen sie glatt seinen Schild und Körper und dann auch noch nächsten Mann, der in der Schusslinie stand, und noch einen, bis die Kraft des Pulvers erschöpft war. Mit einer Kugel konnten zwei oder drei Männer auf einmal getötet werden.«32 Die Osmanen erlitten durch den verheerenden Beschuss entsetzliche Verluste, und weil sie unter keinen Umständen darauf verzichteten, ihre Toten zu bergen, boten sie den Verteidigern dabei erneut leichte Ziele. Der venezianische Arzt Nicolo Barbaro war verblüfft über ihr Verhalten: Und wenn einer oder zwei von ihnen getötet wurden, kamen sofort andere Türken und trugen die Toten weg. Sie warfen sie sich über die Schultern, wie man es mit einem Schwein tut, und kümmerten sich nicht darum, wie nahe sie an die Stadtmauer kamen. Aber unsere Männer, die auf der Mauer waren, schossen mit Gewehren und Armbrusten auf sie, und zielten auf den Türken, der seinen toten Kameraden wegtrug, und beide fielen tot zu Boden, und dann kamen weitere Türken und trugen sie davon, ohne die geringste Furcht vor dem Tod. Lieber war es ihnen, wenn zehn von ihnen getötet wurden, als dass sie sich der Schande ausgesetzt hätten, auch nur einen einzigen türkischen Leichnam vor der Stadtmauer liegen zu lassen.33
Trotz aller Anstrengungen der Verteidiger gelang es den Osmanen unter starkem Feuerschutz, ein Stück des Grabens im Lykos-Tal aufzufüllen. Am 18. April kam Mehmet zu der Überzeugung, dass die Schäden an der Mauer und die Abnutzung durch die Scharmützel groß genug waren, um einen Sturmangriff zu wagen. Es war ein schöner Frühlingstag gewesen. Als der Abend hereinbrach, erscholl mit beruhigender Routine der Gebetsruf im osmanischen Lager, und hinter den Mauern der Stadt zogen sich die Orthodoxen in die Kirchen zurück, hielten Gottesdienste, zündeten Kerzen an und beteten zur Muttergottes. Doch zwei Stunden
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nach Sonnenuntergang ließ Mehmet einen beträchtlichen Teil seiner Elitetruppen vorrücken. Zum rhythmischen Wummern von Kamelhaut-Trommeln, zum Schrillen von Pfeifen und Schmettern von Becken – der ganzen psychologischen Kriegführung der osmanischen Militärmusik, verstärkt durch Feuersignale, Rufe und Kriegsgeschrei – setzte sich Mehmets Streitmacht in Bewegung. »Und er nahm die Schwerbewaffneten, Bogenschützen und Lanzenwerfer und die gesamte um ihn versammelte Elitetruppe der Janitscharen und bestürmte die Mauer heftig.«34 Der Angriff begann an der Schwachstelle im Lykos-Tal, wo ein Teil der Mauer zusammengebrochen war. Die Bürger der Stadt wurden von Panik ergriffen, als sie zum erstenmal den haarsträubenden Lärm eines osmanischen Angriffs hörten. »Ich kann gar nicht beschreiben, wie sie schrien, als sie auf die Mauern zukamen«,35 erinnerte sich Barbaro später mit Schaudern. Konstantin war zutiefst beunruhigt. Er fürchtete einen Sturmangriff auf der ganzen Front und wusste, dass seine Männer nicht gefechtsbereit waren. Er befahl, die Kirchenglocken zu läuten; schreckerfüllt rannten die Leute auf die Straßen, und die Soldaten eilten auf ihre Posten. Unter starkem Feuerschutz durch Kanonen, Handfeuerwaffen und Bogen überquerten die Osmanen den Graben. Der Geschosshagel war so stark, dass die Verteidiger den improvisierten Erdwall nicht bemannen konnten und die Janitscharen ihn mit Sturmleitern und Rammböcken erreichten. Sie versuchten die schützenden Erdfässer von dem Wall zu reißen, damit die Verteidiger dem massierten Beschuss noch stärker ausgesetzt waren. Zugleich versuchten sie, die hölzerne Verstärkung des Walls zu verbrennen, doch dies gelang nicht, und ihr Angriff wurde durch die Schmalheit der Mauerbresche und das abschüssige Terrain behindert. In der Dunkelheit brach die Hölle los, ein verwirrendes Chaos mit einem gewaltigen Getöse, wie es Nestor-Iskander schildert: Durch das Krachen der Kanonen und Arkebusen, das Dröhnen der Glocken, das Klirren der Waffen, wobei die gekreuzten Waffen in der Dunkelheit blitzten, sowie das Weinen und Schluchzen der Menschen (der Frauen und Kinder der Stadt) glaubte man, dass der Himmel sich mit der Erde verbunden habe und beide zitterten. Man konnte kein Wort mehr verstehen. Das Weinen und Schreien, die Schreie und Schluchzer der Menschen, das Brüllen der Kanonen und das Läuten der Glocken verbanden sich zu einem Geräusch, das dem Donner glich. Wieder stieg durch zahlreiche Feuer und die Schüsse der Kanonen und Arkebusen auf beiden Seiten dicker Rauch auf und bedeckte die Stadt. Die Heere konnten einander nicht mehr sehen und wussten nicht, gegen wen sie kämpften.36
Bei dem Hauen und Stechen in der Bresche, das auf engstem Raum im hellen Mondlicht stattfand, waren die stark gepanzerten und von Giustiniani tapfer geführten Verteidiger im Vorteil. Langsam verlor der osmanische Angriff an
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Schwung: »Sie erschöpften sich vor den Mauern und wurden in Stücke gehauen.« Nach vier Stunden Kampf wurde es jählings still auf den Mauern, nur das Stöhnen der sterbenden Männer im Graben war noch zu hören. Die Osmanen zogen sich in ihr Lager zurück »und dachten dabei nicht einmal an ihre Toten«, und die Verteidiger, die sechs Tage lang ununterbrochen gekämpft hatten, »brachen nach dem Kampf wie tot zusammen«. Im kühlen Licht des Morgens inspizierte Konstantin mit seinem Gefolge das Schlachtfeld. Der Graben und die Wälle waren mit »völlig zerfetzten Leichen übersät«.37 Rammböcke lagen verlassen vor den Mauern, und Feuer schwelten in der Morgenluft. Konstantin konnte weder das Heer noch die erschöpften Bürger dazu bringen, die christlichen Toten zu begraben, und musste diese Aufgabe den Mönchen übertragen. Wie immer differieren die Angaben über die Verluste sehr stark: Nestor-Iskander gibt die Zahl der toten Osmanen mit 18 000, Barbaro mit realistischeren 200 an. Konstantin befahl, den Feind ungehindert seine Toten bergen zu lassen, doch die Rammböcke ließ er verbrennen. Dann begab er sich mit den Geistlichen und Adligen zur Hagia Sophia und dankte »dem allmächtigen Gott und der reinsten Muttergottes in der Hoffnung, dass sich die Ungläubigen nun zurückzögen, nachdem sie so viele der Ihren hatten fallen sehen.«38 Es war ein Moment der Erholung für die Stadt. Doch Mehmet reagierte, indem er den Beschuss noch verstärkte.
9 Ein Wind von Gott 1. – 2 0 . A p r i l 14 5 3
Schlachten auf dem Meer sind gefährlicher und heftiger als auf dem Land, denn auf dem Meer gibt es weder Rückzug noch Flucht, es gibt nur den Weg zu kämpfen und auf das Schicksal zu vertrauen, und jeder Mann muss seinen Mut beweisen.1 Jean Froissart, französischer Chronist aus dem 14. Jahrhundert
Anfang April, während Mehmet mit seinen großen Kanonen die Landmauer bereits heftig beschoss, setzte er zum ersten Mal seine andere neue Waffe ein: die Flotte. Er hatte schnell begriffen, was seit den Arabern für alle potenziellen Belagerer Konstantinopels offensichtlich war: Jeder Versuch, die Stadt zu nehmen, musste mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern, wenn die Belagerer nicht das Meer beherrschten. Mehmets Vater Murat hatte die Belagerung 1422 gewagt, ohne die byzantinischen Seewege blockieren zu können, weil die osmanische Flotte sechs Jahre zuvor bei Gallipoli von den Venezianern gestellt und vernichtet worden war. Ohne eine Blockade des Bosporus und der Dardanellen jedoch konnte die Stadt von den griechischen Städten am Schwarzen Meer oder von hilfswilligen Christen aus dem Mittelmeerraum leicht mit Nachschub versorgt werden. Eingedenk dieser Tatsachen hatte Mehmet im Sommer 1452 das »Messer an der Kehle« gebaut und mit schweren Kanonen bestückt. Danach konnte kein Schiff mehr unkontrolliert durch den Bosporus ins Schwarze Meer oder ins Marmarameer fahren. Zur selben Zeit hatte er damit begonnen, seine Flotte instand zu setzen und zu vergrößern. Im Winter 1452 wurde in dem osmanischen Seestützpunkt Gallipoli und vermutlich auch in Sinop am Schwarzen Meer und in weiteren Werften an der Küste des Ägäischen Meeres ein ehrgeiziges Schiffbauprogramm durchgeführt. Laut
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Kritobulos glaubte Mehmet »für die Belagerung und den Krieg mehr mit der Flotte auf See ausrichten zu können als mit dem Heer auf dem Lande«,2 also widmete er diesen Arbeiten große persönliche Aufmerksamkeit. Das Osmanische Reich hatte zahlreiche erfahrene Schiffszimmerleute, Seeleute und Steuermänner griechischer und italienischer Herkunft angeworben, als es die Küsten des Schwarzen Meers und des Mittelmeers eroberte, und Mehmet konnte sich beim Ausbau der Flotte auf diese qualifizierten Arbeitskräfte stützen. Außerdem hatte er Zugang zu den Rohstoffen, die für den Schiffbau erforderlich sind: Bauholz und Hanf, Tuch für die Segel, Gusseisen für Anker und Nägel, Pech und Talg zum Kalfatern und Fetten der Rümpfe. Die Materialien wurden aus dem ganzen Reich und darüber hinaus bezogen. Mehmet besaß das logistische Talent, alle Ressourcen für den Krieg zusammenzuführen. Genauso schnell wie die Kanonen übernahmen die Osmanen auch die Schiffe ihrer christlichen Feinde. Im Mittelalter war das wichtigste Kriegsschiff des Mittelmeers die geruderte Galeere, die direkte Nachfolgerin der römischen und griechischen Trieren der Antike. Die Galeere dominierte das Mittelmeer seit Beginn der Bronzezeit und wurde bis ins 17. Jahrhundert hinein weiterentwickelt. Ihre Grundform findet sich bereits auf minoischen Siegeln, ägyptischen Papyri und der Töpferware des klassischen Griechenland, und sie war genauso wichtig für die Geschichte des Mittelmeerraums wie der Wein und der Olivenbaum. Gegen Ende des Mittelalters war die typische Kriegsgaleere lang, schnell und sehr schlank – in der Regel rund 30 Meter lang, weniger als 3,50 Meter breit und mit einem erhöhten Bug oder Sporn, der als Kampfplattform und Enterbrücke diente. Die Taktik des Seekriegs unterschied sich wenig von der Kriegführung an Land. Die Galeeren waren dicht besetzt mit Kämpfern, die das feindliche Schiff zunächst beschossen und dann versuchten, es in wildem Nahkampf zu stürmen. Eine Galeere lag verblüffend niedrig im Wasser. Um den mechanischen Nutzen der Ruder zu optimieren, lag das Oberdeck einer vollbeladenen Galeere mitunter nur 60 Zentimeter über dem Wasserspiegel. Sie konnte auch Segel setzen, aber es waren die Ruder, der sie in der Schlacht ihre Schnelligkeit und Beweglichkeit verdankte. Die Ruderer saßen alle oben an Deck, weshalb sie in der Schlacht hohe Verluste durch feindlichen Beschuss hatten. In der Regel saßen auf jeder Seite zwei oder drei Ruderer nebeneinander auf einer Bank, und jeder bediente sein eigenes Ruder, dessen Länge von seinem Platz auf der Bank abhängig war. Platz war sehr knapp; das Ruder einer Galeere wurde auf demselben Raum bedient, den ein Sitz in einem modernen Passagierflugzeug bietet. Das heißt bei der normalen Ruderbewegung war seitlich extrem wenig Platz, und der Mann musste sein Ruder mit eingezogenen Ellenbogen nach vorne schieben, wobei er sich von seiner Bank erhob und wieder setzte. Es ist keine Überraschung, dass zum Rudern einer Galeere eine gut
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ausgebildete Mannschaft nötig war, die einen perfektem Rhythmus einhielt – und dass es beträchtlicher Muskelkraft bedurfte, um ein bis zu 10 Meter langes Ruder zu bedienen, das knapp 50 Kilogramm wog. Die Kriegsgaleere war ganz auf Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit in der Schlacht ausgelegt; eine Galeere mit gut eingefettetem Rumpf konnte mit ihrem menschlichen Antrieb 20 Minuten lang eine Spurtgeschwindigkeit von 7,5 Knoten durchhalten. Wenn eine Mannschaft jedoch länger als eine Stunde mit aller Kraft rudern musste, ermüdete sie rasch. Das hohe Tempo, das die Galeeren bei ruhiger See erreichten, war allerdings mit gravierenden Nachteilen erkauft: Weil ihr Deck so dicht über dem Wasserspiegel lag, waren sie selbst bei dem kurzen kabbeligen Seegang im Mittelmeer nicht gerade seetüchtig. Deshalb wurden sie in der Regel nur im Sommer eingesetzt, fuhren an der Küste entlang und mieden tunlichst das offene Meer. Immer wieder wurden ganze Galeerenflotten durch jäh hereinbrechende Sommerstürme versenkt. Ihre Segel waren nur dann von Nutzen, wenn der Wind genau von achtern kam, und gegen starken Wind kamen die Ruderer nicht an. Außerdem war die Auslegung für hohe Geschwindigkeit mit einem zerbrechlichen Rumpf bezahlt worden, der so tief im Wasser lag, dass Galeeren beim Angriff auf Schiffe mit hoher Bordwand, etwa auf Handelssegler oder die höheren venezianischen Großgaleeren, deutlich im Nachteil waren. Die Stärken und Schwächen der Galeeren sollten sich im Kampf um Konstantinopel deutlich zeigen. Mehmet verfügte über eine ziemlich große Flotte. Er hatte ältere Fahrzeuge überholen und neu kalfatern lassen und eine Reihe von neuen Trieren gebaut (Galeeren, bei denen die Ruder in Dreiergruppen gegliedert waren) und kleinere Angriffsgaleeren, »schnelle Schiffe, Dreißig- und Fünfzigruderer«,3 Langschiffe, die die Europäer als Fustae bezeichneten. Vermutlich überwachte er einen Großteil dieser Arbeiten persönlich und hob »aus dem gesamten asiatischen und europäischen Küstengebiet, das ihm gehörte, Schiffsmannschaften aus, indem er Ruderer und speziell solche für die oberste und unterste Ruderbank und Kämpfer für das Deck auswählte, dazu Steuerleute und Männer, die den Ruderern den Takt angeben, Trierenkommandanten, Schiffskapitäne und Admiräle, und auch die übrige Bemannung der Schiffe nahm er sehr sorgfältig vor«.4 Ein Teil seiner Flotte war schon im März im Bosporus und transportierte Truppen über die Meerenge, aber die Hauptmacht konnte erst im April unter dem von Mehmet ernannten Admiral Baltaoglu, »einem tapferen und im Seewesen erfahrenen und strategisch begabten Mann«,5 versammelt werden. Bei der siebten Belagerung waren die Osmanen zum ersten Mal mit einer Flotte vor der Stadt erschienen – eine wichtige Entwicklung. Gallipoli, »die Heimat der Verteidiger des Glaubens«,6 galt bei den Osmanen als ein glückverheißender Ort und vielversprechender Ausgangspunkt eines Unter-
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nehmens. In dieser Stadt hatten die Osmanen 1354 nach einem für sie glücklichen Erdbeben erstmals auf europäischem Boden Fuß gefasst. Die Flotte lief voller Begeisterung für den Heiligen Krieg und die bevorstehende Eroberung in den Dardanellen aus und fuhr »unter lautem Rufen, Lärm und Kriegsgeschrei« Richtung Marmarameer. »Sie ... feuerten einander an, lärmten mit den Waffen und wetteiferten miteinander.«7 In Wirklichkeit waren wohl nicht alle an Bord der Schiffe begeistert: Viele Ruderer waren vermutlich Christen, die ihre Arbeit unter Zwang verrichteten. Einem späteren Chronisten zufolge wurden die Schiffe »vom Wind der göttlichen Hilfe vorangetrieben«,8 aber das kann kaum stimmen. Der vorherrschende Wind kam aus dem Norden, also musste die Fahrt ins Marmarameer gegen Wind und Strömung gemacht werden. Die 190 Kilometer nach Konstantinopel waren eine mühselige Arbeit für die Männer auf den Galeeren. Die Nachricht von ihrem Kommen eilte ihnen entlang der Wasserstraße voraus und wurde mit einer Mischung aus Erstaunen und Panik aufgenommen. Wie bei seinem Heer hatte Mehmet auch bei seiner Flotte auf die psychologische Wirkung der großen Zahl gebaut. Es war der Anblick eines von Rudern und Masten bedeckten Meeres, der die Griechen in den Dörfern an der Küste in Angst und Schrecken versetzte. Die verlässlichsten Schätzungen über die Größe der osmanischen Flotte stammen vermutlich von erfahrenen christlichen Seefahrern wie Giacomo Tetaldi und Nicolo Barbaro und nicht von leicht zu beeindruckenden Landratten. Jene kamen auf eine Flotte von 12 bis 18 vollwertigen Kriegsgaleeren (Trieren und Biremen), 70 bis 80 kleineren Fustae, etwa 25 Parandaria (schweren Transportschiffen) und einer Anzahl leichter Brigantinen und anderer kleiner Kurierschiffe, sodass die Flotte insgesamt aus etwa 140 Schiffen bestand. Sie bot bestimmt einen Furcht einflößenden Anblick, als sie am westlichen Horizont auftauchte. Die Nachrichten von Mehmets intensiven Vorbereitungen auf den Seekrieg erreichten die Stadt lange vor seinen Schiffen, sodass die Verteidiger in Ruhe ihre eigenen Pläne machen konnten. Am 2. April schlossen sie das Goldene Horn mit der großen Kette, um einen sicheren Ankerplatz für ihre eigenen Schiffe zu schaffen und die schwache Seemauer vor einem Angriff zu schützen. Diese Praxis wurde von der Stadt schon sehr lange gepflegt. Schon 717 war eine Kette über den Meeresarm gelegt worden, um muslimische Belagerungsflotten abzuwehren. Wie Barbaro berichtet, wurden am 6. April »drei Galeeren aus Tana und die zwei schmalen Galeeren gefechtsbereit gemacht«,9 und ihre Mannschaften marschierten als Demonstration militärischer Stärke die gesamte Landmauer entlang. Am 9. April wurden alle militärischen Mittel, die den Verteidigern für den Seekrieg zur Verfügung standen, im Hafen gesammelt und einsatzbereit gemacht. Es war ein buntes Gemisch von Schiffen, die aus einer ganzen Reihe von Motiven zusammengekom-
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men waren. Schiffe italienischer Stadtstaaten und ihrer Kolonien, aus Venedig, Genua, Ancona und Kreta, aber auch katalanische Schiffe, ein Schiff aus der Provence und zehn byzantinische Schiffe lagen im Hafen. Es gab Galeeren verschiedener Größen, darunter drei »Großgaleeren«, die Lastenträger des italienischen Seehandels – langsamer als normale Kriegsgaleeren, aber robust gebaut, mit höheren Bordwänden – und zwei »schmale Galeeren« mit schlankem Rumpf, deren Decks dicht über dem Wasser lagen. Anfang April 1453 lagen im Goldenen Horn überwiegend »Rundschiffe« vor Anker: Handelsschiffe mit Segeln und hoher Bordwand, Karacken mit hohem Heck und Achterkastell, mit stabilem Rumpf und dicken Masten. Sie waren eigentlich keine Kriegsschiffe, aber in den gefährlichen, piratenverseuchten Gewässern des Mittelmeers bestanden wenig Unterschiede zwischen Kriegs- und Handelsschiffen. Die Höhe ihrer Masten und die günstige Lage ihrer Decks verschafften ihnen einen natürlichen Vorteil gegenüber den niedrigen Kriegsgaleeren, vorausgesetzt sie hatten genug Waffen und gut ausgebildete Soldaten an Bord. Beim damaligen Stand der Seekriegführung konnte sich ein Handelsschiff selbst gegen einen energischen Galeerenangriff oft behaupten. Die Kanonen auf den Galeeren steckten noch in den Kinderschuhen; sie waren zu klein und hatten nicht die nötige Richthöhe, um einer Karacke gefährlich zu werden. Es sollte noch 50 Jahre dauern, bis die Venezianer eine Kanone zum Einsatz auf Galeeren entwickelten, mit der man Schiffe versenken konnte. Außerdem hatten insbesondere die Seeleute aus Venedig und Genua, deren Wohlergehen und Überleben völlig von ihrer Tapferkeit auf See abhing, gegenüber allen seemännischen Herausforderungen extremes Selbstvertrauen. Entsprechend wurden die Pläne gemacht. Am 9. April wurden die zehn größten Handelsschiffe »in dichter Reihe und mit dem Bug nach vorn«10 vor der Sperrkette aufgereiht. Barbaro übermittelte in seinem Bericht gewissenhaft die Namen ihrer Kapitäne und ihre Größe. Sie reichten von dem Schiff von Zorzi Doria aus Genua mit »2500 botte« (Botte heißt Fass; A.d.Ü.) bis zu einem Schiff mit »500 botte«. Drei Schiffe nannte er beim Namen: die Filomati und die Guro aus Candia und die Galatoxa aus Genua. Neben den Handelsschiffen gingen die stärksten Galeeren in Stellung. Die Reihe der Schiffe, die »gut bewaffnet und in hervorragendem Zustand waren, als ob sie in die Schlacht ziehen wollten«,11 zog sich die ganze Sperrkette entlang, von der Stadt Galata bis zur anderen Seite. Im Hafen hinter der Sperrkette wurden weitere 17 voll getakelte Handelsschiffe und weitere Galeeren in Reserve gehalten, darunter fünf Galeeren des Kaisers, die vermutlich unbewaffnet waren, weil man die militärische Ausrüstung auf die Schiffe an der Sperrkette konzentriert hatte. Einige überzählige Schiffe wurden versenkt, um das Risiko zu vermindern, dass nach Kanonenbeschuss ein Feuer ausbrach – der Alptraum jedes Seemanns in einer dicht beieinanderliegenden Flotte hölzerner Segel-
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schiffe. Mit großem Vertrauen zu ihrem nautischen Können und ihrer Verteidigungsstellung und mit ein paar Kanonen auf dem Küstenvorland als Zusatzversicherung warteten die Kapitäne auf die Ankunft der türkischen Flotte. Sie hatten insgesamt ungefähr 37 Schiffe gegen eine Armada von 140, auf dem Papier ein riesiger Unterschied, aber die italienischen Seefahrer wussten genau, worauf es in einem Seegefecht ankommt. Der Umgang mit Schiffen war ein kompliziertes Handwerk, das von der Ausbildung der Offiziere und Mannschaften abhängig war, und der Ausgang eines Seegefechts wurde weniger von der Zahl der Schiffe als von Erfahrung und Entschlossenheit sowie den Zufallsfaktoren Wind und Strömung bestimmt. »Als wir sahen, dass wir über eine so eindrucksvolle Flotte verfügten, fühlten wir uns recht sicher, was die Flotte der ungläubigen Türken betraf«,12 schrieb Barbaro selbstgefällig und machte sich damit eines chronischen Fehlers der Venezianer schuldig: Er unterschätzte die seemännischen Fähigkeiten der Osmanen. Die osmanische Flotte kam schließlich am 12. April gegen 13.00 Uhr in Sicht, wie sie sich gegen den Nordwind herankämpfte. Zweifellos war die Seemauer Konstantinopels mit Bewohnern der Stadt überfüllt, als sich der Horizont langsam mit Masten füllte. Die Flotte ruderte »mit Entschlossenheit«13 heran. Aber als sie die christlichen Schiffe vor der Sperrkette in Schlachtordnung aufgereiht sah, fuhr sie zur anderen Seite des Bosporus und reihte sich vor dem gegenüberliegenden Ufer auf. Die vielen Schiffe machten einen starken Eindruck auf die Zuschauer, und es verstärkte ihre trübe Stimmung, als sie »die wilden Schreie und den Klang von Kastagnetten und Tamburins hörten, mit denen sie unsere Flotte und die Menschen in der Stadt in Angst und Schrecken versetzten«.14 Später am Nachmittag fuhr die ganze Flotte drei Kilometer den Bosporus hinauf zu einem kleinen Hafen auf der europäischen Seite, den die Griechen Hafen der Doppelsäulen nannten. Heute liegt dort der Dolmabahçe-Palast. Die Größe und Stärke der osmanischen Kriegsflotte hatte ohne Zweifel sogar das ausgeprägte Selbstvertrauen der Italiener ein wenig angeknackst, denn die Schiffe an der Sperre wurden den ganzen Tag und bis in die Nacht hinein in Kampfbereitschaft gehalten, »Stunde um Stunde, für den Fall, dass sie kämen und unsere Flotte angriffen«,15 aber nichts passierte. Es war der Beginn eines Katz-und-Maus-Spiels, das Teil von Mehmets Abnutzungsstrategie war. Um das Risiko eines Überraschungsangriffs so gering wie möglich zu halten, wurden zwei Männer auf der Mauer des neutralen Galata stationiert, wo sie die Flotte bei den Doppelsäulen weiter oben im Bosporus genau beobachten konnten. Bei jedem Anzeichen einer Bewegung auf dem Wasserweg, auch wenn es sich nur um ein einziges Schiff handelte, rannte ein Mann durch die Straßen von Galata zum Horn hinunter und alarmierte Alviso Diedo, den Hafenkommandanten. Dann ertönte ein Trompetensignal, und die Besatzungen der Schiffe machten sich sofort gefechtsbe-
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reit. In diesem Zustand der nervösen Erwartung verharrten sie Tag und Nacht, während sie, sanft gewiegt von der ruhigen See im Horn, vor Anker lagen. Mehmet hatte seiner neuen Flotte drei klare Ziele gesetzt: Sie sollte die Stadt blockieren; sie sollte zumindest den Versuch machen, sich den Weg ins Goldene Horn zu erkämpfen und sie sollte jede feindliche Flotte vernichten, die womöglich durch das Marmarameer kommen würde, um die Stadt zu entsetzen. Anfänglich tat Baltaoglu nichts weiter, als Patrouillen in die Gewässer um die Stadt zu schicken, die vor allem verhindern sollten, dass christliche Schiffe in die beiden kleinen Häfen der Stadt am Marmarameer einliefen oder von dort ausliefen. Etwa zu diesem Zeitpunkt kam eine weitere Gruppe von Schiffen mit Kanonenkugeln und anderer Munition für das osmanische Heer aus dem Schwarzen Meer. Die Ankunft dieses Nachschubs löste im osmanischen Lager einen neuen Schub von Aktivitäten aus. Mehmet wollte die Belagerung unbedingt verschärfen und ordnete an, einen Angriff auf die Sperre zu wagen. Wenn es den Osmanen gelang, ins Goldene Horn vorzudringen, musste Konstantin dringend benötigte Verteidiger von der Landmauer abziehen, um die Küste des Horns zu schützen. Beide Seiten hatten sich auf diesen Angriff sorgfältig vorbereitet. Zweifellos auf Befehl Mehmets, dessen Begeisterung für artilleristische Neuerungen grenzenlos war, hatten die Osmanen ihre Galeeren mit kleinen Kanonen bestückt. Nun bemannten sie die Kampfplattformen vorne auf den Galeeren mit schwer gepanzerten Fußsoldaten und rüsteten die Schiffe mit Waffen und Munition aus: mit steinernen Kanonenkugeln, Pfeilen, Wurfspießen und brennbarem Material. Die Ausgucke auf der Mauer von Galata beobachteten diese Vorbereitungen genau, und Lukas Notaras, der Kommandant der byzantinischen Schiffe, hatte eine Menge Zeit, um die großen Handelskaracken und Galeeren ebenfalls zu bemannen und auszurüsten. Vermutlich am 18. April, etwa zur gleichen Zeit, wie beim St. Romanos-Tor der erste Großangriff auf die Landmauer stattfand, startete Baltaoglu den ersten Angriff der neuen osmanischen Flotte. Seine Schiffe liefen in großer Zahl bei den Doppelsäulen aus, umrundeten die Landspitze und näherten sich mit hoher Geschwindigkeit der Sperrkette. Die Galeeren ruderten schnell auf die Linie der hohen Schiffe zu, die vor der Kette ankerten, und ihre Mannschaften ermutigten einander durch Rufe und Kriegsgeschrei. Als sie auf Pfeilschussweite heran waren, verlangsamten sie das Tempo und deckten die feindlichen Schiffe mit einem Hagel von Geschossen ein: Steinkugeln, Armbrustbolzen und Brandpfeile pfiffen über das Wasser und bestrichen die feindlichen Decks. Nach den ersten Salven ruderten die Osmanen an die feindlichen Schiffe heran, bis sie mit ihnen zusammenstießen, und versuchten, sie im Nahkampf zu entern. Sie warfen Enterhaken, legten Leitern an und begannen an den Bordwänden der größeren Schiffe hinaufzuklettern.
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Außerdem versuchten sie, die Ankerketten der Schiffe zu kappen. Ein Hagel von Wurfspießen und Speeren wurde auf die Verteidiger geschleudert. Der osmanische Angriff war zweifellos heftig, doch die höheren und fester gebauten Karacken waren gegenüber den Galeeren im Vorteil. Die Steinkugeln aus den Schiffskanonen der Osmanen waren zu klein, um die dicken Holzrümpfe der Karacken zu durchschlagen, und die Soldaten auf den Galeeren mussten von unten angreifen, wie Truppen, die versuchen, eine Landmauer vom Boden eines Grabens aus zu stürmen. Die Seeleute und Seesoldaten an Bord der christlichen Schiffe konnten auf den Bug- und Heckplattformen ihrer Schiffe und aus den Takelagen Geschosse auf die Angreifer hinabschleudern, und sie deckten die ungeschützten Angreifer, die an den Seiten der Schiffe hinaufkletterten, mit einem Hagel von Wurfspießen, Pfeilen und Steinen ein, »verwundeten ... sehr viele und töteten nicht wenige«.16 Die Handelsschiffe waren für den Nahkampf auf See gut gerüstet, und ihre Besatzungen hatten Erfahrung. Wasserkrüge standen bereit, mit denen die Christen die Brandsätze des Feindes löschten. Außerdem konnten sie mit einfachen Seilwinden, die sie an den Masten befestigt hatten, schwere Steine über das eigene Deck hinausschwingen und auf die zerbrechlichen Rümpfe der Langschiffe hinabfallen lassen und »richteten damit schwersten Schaden an«.17 Der Kampf um die Sperrkette war erbittert, aber am Ende gewannen die Verteidiger die Oberhand und schafften es, der Galeerenflotte in die Flanke zu fallen. Baltaoglu fürchtete eine demütigende Niederlage, zog seine Schiffe ab und fuhr zurück zu den Doppelsäulen. Die erste Runde des Seekriegs war an die Verteidiger gegangen. Sie kannten sich mit ihren Schiffen gut aus und waren sich einer grundlegenden Tatsache des damaligen Seekriegs bewusst: Ein gut vorbereitetes Handelsschiff konnte sich gegen einen Schwarm flacher Galeeren behaupten, wenn seine Mannschaft diszipliniert und gut gerüstet war. Auch hatten sich die Hoffnungen, die Mehmet auf die Artillerie setzte, zu Wasser nicht erfüllt. Die Kanonen, die auf den leicht gebauten Galeeren aufgestellt werden konnten, waren zu klein, um die dicken Bordwände von Handelsschiffen zu beschädigen, und ihr Einsatz wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass das Pulver durch die hohe Luftfeuchtigkeit auf dem Meer rasch feucht wurde. Außerdem mussten die Kanonen auf einem schwankenden Deck gerichtet werden. Am Morgen des 19. April waren Mehmets Truppen zu Lande wie zu Wasser zurückgeschlagen, und die Verteidiger waren ungebrochen. Je länger die Belagerung dauerte, umso größer wurde Mehmets Ungeduld – und die Wahrscheinlichkeit, dass Hilfe aus dem Westen eintraf.
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Konstantin wusste, dass eine erfolgreiche Verteidigung der Stadt nur möglich war, wenn er Hilfe aus dem Westen erhielt. Die zahlreichen diplomatischen Gesandtschaften, die er vor der Belagerung entsandt hatte, hatten allesamt den Auftrag gehabt, Männer und Mittel für die Sache der Christenheit aufzutreiben. Die Bewohner der Stadt hielten jeden Tag Ausschau in Richtung der untergehenden Sonne, wo sie sehnsüchtig eine weitere Flotte erwarteten: ein Geschwader venezianischer oder genuesischer Kriegsgaleeren, die mit geschnäbeltem Bug zum Schlag der Trommeln und zum Schmettern der Kriegstrompeten das Marmarameer durchpflügten, wobei der venezianische Markuslöwe oder das Banner Genuas im salzigen Wind flatterten. Doch das Meer blieb schrecklich leer. Tatsächlich hing das Schicksal der Stadt von der komplizierten Interessenlage zwischen den italienischen Stadtstaaten ab. Schon Ende 1451 hatte Konstantin Botschafter nach Venedig geschickt, die berichteten, dass Konstantinopel ohne Hilfe fallen werde. Der Senat von Venedig hatte ausführlich über das Problem debattiert; Genua suchte Ausflüchte; der Papst in Rom war besorgt, wollte jedoch Beweise, dass die Einheit der Kirchen wirklich voll umgesetzt war. Er verfügte indessen ohnehin nicht über die Mittel, um ohne venezianische Hilfe zu intervenieren. Genua und Venedig aber standen sich als kühl kalkulierende Handelsrivalen gegenüber und unternahmen nichts. Konstantins Appell an den Westen stützte sich auf Vorstellungen, die christlich und mittelalterlich waren, war jedoch an Staaten gerichtet, die wirtschaftliche Motive hatten – und verblüffend modern waren. Den Venezianern war es ziemlich gleichgültig, ob die Byzantiner für oder gegen die Einheitskirche waren, und sie hatten wenig Lust, als Verteidiger des Glaubens in den Kampf zu ziehen. Sie waren hartgesottene Kaufleute, die sich vor allem mit Handelsverträgen, der Sicherheit der Seewege und dem Berechnen von Zinsen beschäftigten. Sie sorgten sich eher um Piraten als um theologische Fragen, eher um Waren als um Glaubensbekenntnisse. Ihre Kaufleute studierten die Preise der Waren, die gekauft und verkauft werden konnten: Weizen, Pelze, Sklaven, Wein und Gold. Sie kümmerten sich um die Anwerbung von Besatzungen für ihre Galeerenflotten und um die Windverhältnisse im Mittelmeer. Sie lebten vom Handel und von der See, von Diskont, Profitmargen und barer Münze. Der Doge hatte hervorragende Beziehungen zum Sultan, und der Handel mit Edirne brachte großen Gewinn. Außerdem hatte Konstantin in den 20 Jahren zuvor den venezianischen Interessen auf der Peloponnes erheblich geschadet. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass im August 1452 eine Minderheit von Senatoren sogar dafür stimmte, Konstantinopel seinem Schicksal zu überlassen. Ihre Sorglosigkeit erhielt allerdings einen Dämpfer, als im folgenden Früh-
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jahr Berichte über die Sperrung der Handelsstraßen ins Schwarze Meer und über die Versenkung venezianischer Schiffe eintrafen. Am 19. Februar beschloss der Senat, eine Flotte von zwei bewaffneten Transportschiffen und fünfzehn Galeeren auszurüsten, die am 8. April auslaufen sollte. Mit der Organisation der Expedition wurde Alviso Longo betraut. Seine Instruktionen waren von Vorsicht geprägt und enthielten das überaus hilfreiche Gebot, in den Meerengen eine Konfrontation mit den Osmanen zu vermeiden. Er stach schließlich am 19. April, einen Tag nach dem ersten Großangriff auf die Landmauer Konstantinopels, in See. Andere machten ähnlich unkoordinierte Anstrengungen. Am 13. April forderte die Regierung der Republik Genua ihre Bürger, Kaufleute und Beamten »im Osten, am Schwarzen Meer und in Syrien«18 dazu auf, dem Kaiser von Konstantinopel und Demetrios, dem Despoten von Morea, mit allen Mitteln zu helfen. Fünf Tage zuvor hatte sie Kredite bewilligt, um Schiffe gegen die Venezier zu bewaffnen. Etwa zur selben Zeit hatte der Papst an den Senat von Venedig geschrieben und diesen über seinen Wunsch informiert, fünf Galeeren zur Rettung Konstantinopels zu entsenden; für die Kosten wollte er einen Kredit bei Venedig aufnehmen. Die Venezianer stimmten dem Ansinnen prinzipiell zu, erinnerten als knauserige Kaufleute den Papst jedoch daran, dass er die Kosten der Galeeren für den gescheiterten Kreuzzug von Varna im Jahr 1444 noch nicht bezahlt hatte. Papst Nikolaus hatte allerdings auf eigene Kosten bereits eine andere Initiative ergriffen. Aus Angst um das Schicksal Konstantinopels hatte er im März drei genuesische Handelsschiffe gemietet, sie mit Nahrungsmitteln, Männern und Waffen beladen und sie zu der bedrohten Stadt entsandt. Sie erreichten Anfang April die genuesische Insel Chios vor der anatolischen Küste, kamen aber zunächst nicht weiter, sondern wurden durch den Nordwind, der auch die osmanische Flotte behindert hatte, 14 Tage auf Chios festgehalten. Am 14. April drehte der Wind nach Süden und die Schiffe setzten Segel. Am 19. erreichten sie die Dardanellen, wo sie sich mit einem schweren kaiserlichen Transportschiff zusammentaten. Es hatte Getreide geladen, das der byzantinische Kaiser auf Sizilien gekauft hatte, und wurde von dem Italiener Francesco Lecannella kommandiert. Sie fuhren rasch die Dardanellen hinauf und passierten unbehelligt den osmanischen Seestützpunkt Gallipoli; die gesamte dort stationierte Flotte war zu den Doppelsäulen aufgebrochen. Die genuesischen Schiffe waren vermutlich ganz ähnlich gebaut wie die Handelsschiffe, die ein paar Tage zuvor den osmanischen Angriff auf die Sperrkette abgewehrt hatten: Segelschiffe mit hohen Bordwänden, wahrscheinlich Karacken. Dank des steifen Südwinds kamen sie schnell durch das Marmarameer, sodass ihre Mannschaften schon am 20. April die große Kuppel der Hagia Sophia am östlichen Horizont ausmachen konnten.
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Nach einer Entsatzflotte Ausschau zu halten, war in Konstantinopel zur ständigen Obsession geworden. Die Schiffe mit der genuesischen Flagge, einem roten Kreuz auf weißem Grund, wurden gegen 10.00 Uhr morgens gesichtet, und die Nachricht versetzte die ganze Stadt in freudige Erregung. Fast gleichzeitig wurden die Genuesen auch von osmanischen Seepatrouillen erspäht und sofort Mehmet auf dem Maltepe gemeldet. Er galoppierte hinunter zu den Doppelsäulen und erteilte Baltaoglu harte und klare Befehle. Mehmet war ohne Zweifel wütend, weil seine Flotte an der Sperrkette zurückgeschlagen worden war und auch der Großangriff auf die Landmauer gescheitert war. Deshalb fiel sein Befehl an den Flottenkommandanten sehr deutlich aus, nämlich »entweder die Lastschiffe zu erobern und vor ihn zu bringen oder auch selbst nicht unversehrt zurückzukehren«.19 Die Galeerenflotte wurde in aller Eile mit den erforderlichen Ruderern besetzt und mit Elitetruppen vollgestopft: Schwerbewaffnete, Bogenschützen und Janitscharen aus Mehmets persönlicher Leibwache. Wieder wurden leichte Kanonen und Brandstoffe und viele andere Waffen an Bord genommen: »Kurz- und Langschilde, Helme und Brustpanzer, dazu Geschosse, Lanzen, Langspeere, Krummsäbel und was sonst noch für diese Art Krieg brauchbar ist.«20 Die Flotte fuhr den Bosporus hinunter, um die Eindringlinge zu stellen. Ein Erfolg war unbedingt notwendig für die Moral der Osmanen, doch diese zweite Seeschlacht sollte weiter draußen auf der Meerenge stattfinden, wo die Windverhältnisse und extremen Strömungen des Bosporus weniger vorhersehbar waren und die Schiffe mitunter vor extreme Herausforderungen gestellt wurden. Die genuesischen Handelsschiffe liefen, den Wind im Rücken, mit voller Fahrt die Straße hinauf, während die osmanische Flotte nicht gegen den Wind segeln konnte. Deshalb zogen ihre Galeeren die Segel ein, als sie mit der Strömung aber gegen den Wind durch die kabbelige See ruderten. Am frühen Nachmittag waren die vier Schiffe im Südosten der Stadt angekommen. Sie hielten in einiger Entfernung von der Küste unbeirrt Kurs auf den Turm von Demetrios dem Großen, einer weithin sichtbaren Landmarke auf der Akropolis der Stadt, und bereiteten das Wendemanöver vor, um in die Zufahrt des Goldenen Horns einzulaufen. Dank ihrer gewaltigen zahlenmäßigen Überlegenheit waren Baltaoglus Männer von »Ehrgeiz und der Hoffnung auf Sieg«21 erfüllt. Sie kamen rasch heran »mit lautem Kastagnettenklang, riefen laut zu den vier Schiffen hinüber und ruderten schnell wie Männer, die siegen wollen«.22 Die Trommelschläge und das Schrillen der Zornas (Schalmeien; A.d.Ü.) waren weit über das Wasser zu hören, als die Galeerenflotte heranrückte. Bald hatten die Masten und Ruder von 100 Schiffen die vier Handelsschiffe eingeschlossen, und der Ausgang des Kampfes schien absehbar. Die Bevölkerung der Stadt drängte sich auf den Mauern, auf den Dächern der Häuser und auf der Sphendone des Hippodroms, an allen Orten, wo
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man einen guten Blick auf das Marmarameer und die Zufahrt des Bosporus hatte. Am gegenüberliegenden Ufer des Horns, jenseits von Galata, beobachtete Mehmet mit seinem Gefolge das Geschehen von einem Hügel aus. Beide Seiten sahen mit einer Mischung aus Hoffnung und Furcht zu, wie Baltaoglus Triere sich dem führenden Handelsschiff näherte, und der Admiral den Genuesen vom Heck seiner Galeere aus scharf befahl, die Segel zu streichen. Doch die vier Schiffe blieben auf Kurs, und Baltaoglu befahl seinen Galeeren, beizudrehen und sie unter Feuer zu nehmen. Steinkugeln pfiffen durch die Luft, Bolzen, Wurfspieße und Brandpfeile hagelten aus allen Richtungen auf die Schiffe, doch die Genuesen hielten unbeirrt ihren Kurs. Wieder waren die Männer auf den großen Handelsschiffen im Vorteil, »da sie den Kampf von der Höhe aus führen konnten und vor allem von den Rahen und den hölzernen Türmen herunter mit Pfeilen, kurzen Speeren und Steinen heftig und meistens erfolgreich schossen«.23 Der Seegang erschwerte es den Galeeren, genau zu zielen und exakt um die Handelsschiffe herumzumanövrieren, die nach wie vor mit vom Südwind geblähten Segeln gute Fahrt machten. Der Kampf entwickelte sich zu einer Art Wettrennen, bei dem die Galeeren in der kabbeligen See versuchten, nahe genug heranzukommen, um den Feind zu entern oder seine Segel in Brand zu stecken, während die Genuesen sie von ihren Heckkastellen aus mit Geschossen eindeckten. Der kleine Konvoi großer Schiffe erreichte unversehrt die Spitze der Akropolis und wollte sich gerade im Goldenen Horn in Sicherheit bringen, als die Katastrophe passierte: Der Wind flaute ab. Die Segel erschlafften an den Masten, und die Schiffe, die gerade noch der Stadtmauer zum Berühren nahe gewesen waren, verloren alle Fahrt und trieben in einer verderblichen Gegenströmung hilflos in die Zufahrt des Goldenen Horns hinaus – und auf Mehmet zu, der das Gefecht inzwischen mit seinem Heer an der Küste vor Galata verfolgte. Durch die Flaute verlagerte sich das Kräftegleichgewicht sofort zugunsten der geruderten Galeeren. Baltaoglu versammelte seine größeren Galeeren in relativ geringem Abstand um die Handelsschiffe und nahm sie wieder heftig unter Beschuss, aber mit ebenso wenig Wirkung wie zuvor. Seine Kanonen waren zu leicht und lagen zu tief, um die Takelagen der Handelsschiffe zu beschädigen. Den christlichen Mannschaften gelang es, alle Feuer mit Wasserfässern zu löschen. Als der Admiral sah, dass es seinen Männern nicht gelang, Feuer zu legen, befahl er der Flotte »mit lautem Rufen«,24 heranzufahren und zu entern. Der Schwarm der Galeeren und Langschiffe schoss von allen Seiten auf die plumpen, in der Flaute manövrierunfähigen Karacken zu. Das Meer verfestigte sich zu einer kämpfenden Masse von Masten und Schiffsrümpfen, die laut dem Chronisten Doukas aussahen »wie trockenes Land«.25 Baltaoglu rammte den Sporn seiner
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Triere in das Heck des kaiserlichen Schiffes, des größten und am schwächsten bewaffneten der vier christlichen Schiffe. Osmanische Fußsoldaten rannten die Enterbrücken hinauf, versuchten mit Enterhaken und Leitern an Bord der Schiffe zu kommen, mit Äxten ihren Rumpf zu zerschmettern oder sie mit brennenden Fackeln in Brand zu setzen. Einige kletterten an Ankerketten und Seilen hinauf, andere warfen Speere und Wurfspieße zu der hölzernen Brustwehr empor. Es kam zu erbitterten Zweikämpfen. Von oben schlugen die gut gepanzerten Verteidiger den emporkletternden Angreifern mit Knüppeln die Schädel ein oder schlugen ihnen mit Entermessern die an der Reling Halt suchenden Hände ab, und sie warfen Spieße, Speere, Piken und Steine auf das Gewusel in den Galeeren hinab. Von den Masten und Rahen herab »schleuderten sie Geschosse aus ihren schrecklichen Katapulten und ließen einen Hagel von Steinen auf die dichtgedrängte türkische Flotte niedergehen«.26 Armbrustschützen töteten mit wohl gezielten Bolzen Offiziere und Kapitäne, und Seeleute hoben mit Kränen schwere Steine und Wasserfässer und ließen sie über Bord fallen, um die dünnen Bordwände der Galeeren zu durchschlagen, wodurch viele versenkt wurden. Die Luft war von irrem Getöse erfüllt: Den Rufen und Schreien, dem Kanonendonner, dem Platschen, wenn gerüstete Männer rückwärts ins Wasser fielen, dem Brechen von Rudern, dem Krachen von Stein auf Holz, dem Klirren von Stahl auf Stahl, dem Hagel von Pfeilen, der so dicht war, »dass die Ruder nicht ins Wasser gesenkt werden konnten«,27 dem Geräusch von Klingen, die in menschliches Fleisch dringen, dem Knistern von Feuer und den Schmerzensschreien von Menschen. »Und es erhob sich ein lautes Geschrei und Rufen von allen«, schrieb Kritobulos, »die einander anfeuerten, die schossen und beschossen wurden, die töteten und getötet wurden, die stießen und gestoßen wurden, die fluchten, verhöhnten, drohten und stöhnten und alles Schreckliche taten.«28 Zwei Stunden lang schlug sich die osmanische Flotte in erbitterter Schlacht mit ihrem schwierigen Gegner herum. Ihre Soldaten und Seeleute kämpften tapfer und außerordentlich leidenschaftlich, »wie Dämonen«,29 gestand ihnen Erzbischof Leonhard widerwillig zu. Und allmählich begann sich trotz ihrer schweren Verluste ihre zahlenmäßige Überlegenheit durchzusetzen. Ein Schiff war von 5 Trieren umzingelt, ein anderes von 30 Langschiffen, ein drittes von 40 mit Soldaten besetzten Parandaria (Barken.; A.d.Ü.). Es sah aus, wie wenn Schwärme von Ameisen versuchen, ein paar große Käfer zur Strecke zu bringen. Immer wenn eine Galeere zurückfiel oder versenkt wurde, wobei seine gepanzerten Soldaten von der Strömung weggerissen wurden oder sich an Spieren festklammerten, ruderten neue Boote herbei und verbissen sich in die Beute. Baltaoglus Triere hing hartnäckig an dem schwereren und weniger gut bewaffneten kaiserlichen Frachtschiff, das sich »hervorragend verteidigte, wobei sein Kapitän stets herbeieilte, um [Bedrängten]
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zu helfen«.30 Mit der Zeit wurde den Kapitänen der genuesischen Schiffe jedoch klar, dass der Transport aufgebracht werden würde, wenn keine schnelle Hilfe kam. Irgendwie schafften sie es, ihre Schiffe durch ein vielgeübtes Manöver nebeneinanderzubringen und miteinander zu vertäuen, sodass sie sich einem Beobachter zufolge wie vier Türme im siedenden Schwarm der kämpfenden osmanischen Flotte bewegten, deren Decks eine so dichte hölzerne Fläche bildeten, »dass das Wasser kaum zu sehen«31 war. Die Zuschauer, die dichtgedrängt auf der Stadtmauer und auf den Schiffen hinter der Sperrkette standen, sahen hilflos zu, wie das von den vier Schiffen gebildete Floß langsam an der Spitze der Akropolis vorbei- und auf die Küste von Galata zutrieb. Mehmet war, als die Schlacht immer näher rückte, ins Küstenvorland hinunter galoppiert. Dort schrie er nun aufgeregt Anweisungen, Drohungen und Ermutigungen zu seinen tapfer kämpfenden Männern hinüber, und in dem Bedürfnis, das Gefecht zu kommandieren, trieb er sein Pferd so weit ins Meer, bis es Wasser schluckte. Baltaoglu war inzwischen so nahe am Ufer, dass er die Anweisungen des Sultans hören – und ignorieren – konnte. Die Sonne ging unter. Die Schlacht tobte nun schon drei Stunden. Es schien sicher, dass die Osmanen gewinnen würden, »weil sie abwechselnd, indem ein Mann den anderen ablöste, kämpften und die Plätze und Stellungen der Verwundeten andere auffüllten«.32 Früher oder später mussten den Christen die Geschosse und die Kraft ausgehen. Doch dann passierte etwas, wodurch sich das Kräftegleichgewicht so schnell wieder verschob, dass die christlichen Beobachter darin nur die Hand Gottes erblicken konnten. Der Südwind kam wieder auf. Langsam kam Bewegung in die großen viereckigen Segel der vier turmhohen Karacken, das Tuch blähte sich, und getrieben von der Kraft des Windes nahm das Floß der vier Schiffe wieder Fahrt auf. Es durchbrach die zerbrechliche Mauer der Galeeren und rauschte auf die Zufahrt des Horns zu. Mehmet schrie Flüche zu seinem Flottenkommandanten und den Schiffen hinüber, »und zerriss seine Kleider vor Wut«.33 Doch inzwischen brach die Nacht herein, und es war zu spät, um die Schiffe noch weiter zu verfolgen. Außer sich vor Wut über das demütigende Schauspiel, befahl Mehmet der Flotte, sich zu den Doppelsäulen zurückzuziehen. In der mondlosen Dunkelheit, wurden zwei venezianische Galeeren von ihrem Ankerplatz hinter der Sperrkette entsandt; auf jeder Galeere wurden zwei oder drei Trompeten geblasen, und die Männer schrien wild, um die Feinde zu überzeugen, dass eine Streitmacht von »mindestens zwanzig Galeeren«34 ausgelaufen sei, und sie vor jeder weiteren Verfolgung abzuhalten. Die Galeeren schleppten die Segelschiffe beim Klang von Kirchenglocken und unter dem Jubel der Stadtbewohner in den Hafen. Mehmet aber »gab seinem Pferd die Sporen und kehrte schweigend um«.35
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Kriegführung ist Täuschung1 Dem Propheten zugeschriebenes Sprichwort
Die unmittelbaren Folgen des Seegefechts im Bosporus waren beträchtlich. In wenigen Stunden hatte sich das psychische Kräftegleichgewicht bei der Belagerung stark und unerwartet wieder zugunsten der Verteidiger verschoben. Das frühlingshafte Meer war zu einer riesigen Bühne für die Demütigung der osmanischen Flotte geworden, mit der griechischen Bevölkerung auf den Mauern und dem rechten Flügel von Mehmets Heer auf der anderen Seite des Goldenen Horns als Zuschauer. Für beide Seiten war offensichtlich geworden, dass die gewaltige neue Flotte, die die Christen so entsetzt hatte, als sie erstmals in der Meerenge erschienen war, es mit christlichen Seeleuten nicht aufnehmen konnte. Sie war durch das überlegene Können und die überlegene Ausrüstung der Christen, aufgrund der technisch bedingten Nachteile von Kriegsgaleeren und mit einigem Glück geschlagen worden. Ohne eine sichere Beherrschung der See jedoch würde der Kampf um die Stadt sehr hart werden, was immer der Sultan mit seinen Kanonen an der Landmauer auch erreichen mochte. In der Stadt war die Stimmung wieder gut: »Die Pläne des Sultans waren infrage gestellt und seine angebliche Macht vermindert, weil er mit so vielen Trieren nicht einmal ein einziges Schiff aufbringen konnte.«2 Die Schiffe hatten nicht nur das dringend benötigte Getreide sowie Waffen und Soldaten mitgebracht, sondern bei den Verteidigern auch unschätzbare Hoffnungen wieder geweckt. Vielleicht waren sie ja nur die Vorhut einer großen Entsatzflotte. Und wenn vier Schiffe in der Lage waren, der osmanischen Flotte zu trotzen, dann konnte ein Dutzend gut
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bewaffneter Galeeren aus den italienischen Republiken gewiss viel tun, um den Belagerten zu helfen. Den Bewohnern von Konstantinopel »brachte dieses unverhoffte Ereignis damals eine gewisse Atempause und nicht geringe Ermunterung und erfüllte sie mit größerer Zuversicht nicht nur wegen der gegenwärtigen Ereignisse, sondern auch aufgrund der günstigen Nachrichten«.3 In der religiös aufgeheizten Atmosphäre des Konflikts war ein Geschehen wie das Seegefecht nicht einfach nur ein Kampf zwischen Menschen und Material oder ein Spiel der Winde, sondern ein klarer Beweis, dass Gott die Hand im Spiel hatte. »Sie beteten vergeblich zu ihrem Propheten Mohammed«, schrieb der Chirurg Nicolo Barbaro, »während unser ewiger Gott die Gebete von uns Christen erhörte, sodass wir in dieser Schlacht siegreich waren.«4 Etwa um diese Zeit hielt es Konstantin, ermutigt durch den Sieg in dem Seegefecht oder das Scheitern des osmanischen Angriffs auf die Landmauer, wohl für ratsam, Mehmet ein Friedensangebot zu machen. Er schlug wahrscheinlich vor, eine Zahlung zu leisten, die es Mehmet erlauben würde, das Gesicht zu wahren und einen ehrenhaften Rückzug anzutreten. Das Angebot wurde wahrscheinlich Halil Pascha unterbreitet. Im Belagerungskrieg gibt es eine komplexe Symbiose zwischen Belagerern und Belagerten, und Konstantin war sich angesichts der Hochstimmung in der Stadt deutlich bewusst, dass sich das osmanische Lager vor seinen Toren in einer korrespondierenden Krise befinden musste. Zum ersten Mal seit Beginn der Belagerung wurden bei den Osmanen ernsthafte Bedenken geäußert. Konstantinopel leistete weiterhin hartnäckigen Widerstand, war ein »Knochen im Hals Allahs« wie einst die Kreuzfahrerburgen. Die Stadt war für die Glaubenskrieger nicht nur ein militärisches, sondern auch ein psychologisches Problem. Das für einen Sieg über die Ungläubigen und die Änderung eines historischen Musters notwendige technische und kulturelle Selbstvertrauen war wieder jählings erschüttert geworden. Und plötzlich wurde die Erinnerung wieder lebendig, dass Aijub, der Standartenträger des Propheten, acht Jahrhunderte zuvor vor den Mauern der Stadt den Tod gefunden hatte. »Dieses Ereignis«, schrieb der osmanische Chronist Tursun Bey, »verursachte Verzweiflung und Unordnung in den Reihen der Muslime ... die Armee war in Gruppen gespalten.«5 Es war ein entscheidender Moment für den Glauben der Muslime an den Erfolg ihres Unternehmens. Die Gefahren einer langwierigen Belagerung mit all ihren Problemen für Logistik und Moral, mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit von Krankheiten (der Geißel mittelalterlicher Belagerungsheere) und mit dem Risiko, dass viele Soldaten desertieren würden, standen ihnen am Abend des 20. April sehr klar vor Augen. Die Entwicklung war eine schwere Bedrohung für Mehmets persönliche Autorität. Eine offene Revolte der Janitscharen war nicht mehr ganz auszuschließen. Mehmet
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hatte sich bei seinen stehenden Einheiten nie der Beliebtheit seines Vaters Murat erfreut. Sie hatten schon zweimal gegen den eigenwilligen jungen Sultan revoltiert, was insbesondere dem Großwesir Halil Pascha lebhaft in Erinnerung war. Die bedrohliche Lage wurde in einem Brief thematisiert, den Mehmet am Abend von Scheich Akschemsettin, seinem spirituellen Berater und dem führenden Geistlichen im osmanischen Lager, erhielt. Der Brief schilderte die Stimmung im Lager und enthielt eine Warnung: Dieses Ereignis ... hat uns großen Schmerz bereitet und der Moral sehr geschadet. Dass diese Gelegenheit nicht genutzt wurde, bedeutet, dass bestimmte negative Entwicklungen stattgefunden haben: Eine ist..., dass sich die Ungläubigen freuten und eine heftige Demonstration abhielten; eine zweite ist die Behauptung, dass Eure edle Majestät kein gutes Urteilsvermögen und keine Befähigung darin gezeigt haben, Eure Befehle durchführen zu lassen... Schwere Strafen werden erforderlich sein..., [und] wenn diese Bestrafung jetzt nicht durchgeführt wird..., werden die Truppen nicht mit ganzer Kraft vorgehen, wenn die Gräben aufgefüllt werden müssen und der letzte Angriff erfolgt.6
Der Scheich wies außerdem darauf hin, dass die Niederlage drohe, den religiösen Glauben der Männer zu untergraben. »Ich wurde beschuldigt«, fuhr der Scheich fort, »dass meine Gebete gescheitert seien und meine Prophezeiungen sich als unbegründet erwiesen hätten... Ihr müsst euch darum kümmern, damit wir uns am Ende nicht beschämt und enttäuscht zurückziehen müssen.«7 Angespornt durch den Brief ritt Mehmet früh am Morgen des 21. Aprils »mit 10 000 Reitern«8 von seinem Lager auf dem Maltepe zu dem Hafen bei den Doppelsäulen, wo die Flotte vor Anker lag. Baltaoglu wurde an die Küste beordert, um sich für die Katastrophe zu verantworten. Der unglückliche Admiral war von einem Stein, den einer seiner eigenen Leute im Eifer des Gefechts geworfen hatte, schwer an einem Auge verwundet worden. Es muss ein grausiges Schauspiel gewesen sein, wie er sich vor seinem Sultan zu Boden warf. Im lebhaften Bericht eines christlichen Chronisten seufzte Mehmet »aus tiefstem Herzen, Dampf stieg aus seinem Munde auf«.9 Wütend wollte er wissen, warum Baltaoglu die Schiffe nicht aufgebracht habe, solange die See völlig ruhig gewesen sei. »Wenn du sie nicht nehmen konntest, wie kannst du dann hoffen, die Flotte zu besiegen, die in Konstantinopel im Hafen liegt?«10 Der Admiral antwortete, er habe alles in seiner Macht stehende getan, um die christlichen Schiffe aufzubringen: »Wie Ihr wisst, war es für alle sichtbar, dass ich mit dem Sporn meiner Galeere stets am Heck des kaiserlichen Schiffes hing. Ich habe die ganze Zeit erbittert gekämpft, wie man deutlich sehen konnte. Meine Männer sind tot, und es hat auch auf den anderen Galeeren viele Tote gegeben.«11 Mehmet war so verstimmt und wütend, dass er befahl, den Admiral zu pfäh-
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len. Entsetzt warfen sich die Mitglieder des Rates und die Höflinge vor dem Sultan zu Boden und baten um Baltaoglus Leben, weil er so tapfer gekämpft habe und der Verlust seines Auges ein sichtbarer Beweis für seine Tapferkeit sei. Mehmet gab nach. Das Todesurteil wurde umgewandelt: Baltaoglu erhielt im Angesicht seiner Flotte und der Reiterei des Sultans 100 Peitschenhiebe. Er wurde degradiert und enteignet, und sein Besitz wurde an die Janitscharen verteilt. Mehmet war sich über die negative und die positive Wirkung der Aktion im Klaren. Baltaoglu verschwand im Dunkel der Geschichte, und der vergiftete Kelch des Flottenkommandos ging zurück an Hamza Bey, der schon unter Mehmets Vater Admiral gewesen war. Sowohl die Soldaten und Seeleute als auch der innere Zirkel der Wesire und Berater zogen zweifellos ihre Lehren aus dem grausamen Schauspiel. Ihnen wurde drastisch vor Augen geführt, was dem widerfuhr, der das Missfallen des Sultans erregte. Eine andere Version der Ereisnisse wird von dem griechischen Chronisten Doukas erzählt, dessen Bericht über die Belagerung sehr dramatisch, aber oft wenig plausibel ist. In seiner Version musste Baltaoglu sich auf dem Boden ausstrecken und Mehmet selbst verabreichte ihm die 100 Schläge »mit einer goldenen Rute, die fünf Pfund wog, und die der Tyrann eigens hatte anfertigen lassen, damit er Menschen auspeitschen konnte«.12 Danach habe einer der Janitscharen, um sich beim Sultan beliebt zu machen, Baltaoglu mit einem Stein auf den Kopf gehauen und ihm ein Auge ausgestochen. Die Geschichte ist höchstwahrscheinlich nicht wahr, doch sie entspricht dem damals im Westen populären Bild von Mehmet als östlichem Tyrannen, der sich barbarischem Prunk und sadistischen Vergnügungen hingab und dem ohne Zweifel ein Heer von Sklaven diente. Unmittelbar nachdem Mehmet an seinem Admiral ein Exempel statuiert hatte, berief er den inneren Kreis seiner Berater zu sich und besprach mit ihnen das Friedensangebot, das Konstantinopel am Tag zuvor gemacht hatte. Die Entwicklung war so schnell, dass sich die Ereignisse überschlugen. Angesichts des beträchtlichen Rückschlags und erster Anzeichen von Opposition in den eigenen Reihen stellte sich die einfache Frage, ob man die Belagerung fortsetzen oder günstige Bedingungen für ihren Abbruch aushandeln sollte. Es gab zwei Gruppen im osmanischen Oberkommando, die unter der launischen Herrschaft des Sultans seit Langem in einen Kampf ums Überleben und um die Macht verstrickt waren. Auf der einen Seite stand der Großwesir Halil Pascha, ein ethnischer Türke aus der alten osmanischen herrschenden Klasse, der schon Mehmets Vater Murat als Großwesir gedient und den jungen Sultan durch die turbulenten frühen Jahre geleitet hatte. Er hatte die Krise in den 1440er-Jahren und den Aufstand der Janitscharen gegen Mehmet in Edirne miterlebt und fürchtete, dass Mehmet eine Demütigung vor den griechischen Mauern nicht überleben
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würde. Während der gesamten Belagerung wurde Halils Position durch den Hohn seiner Gegner geschwächt, die ihm Beinamen wie »Freund der Ungläubigen« und »Liebhaber griechischen Goldes« verpassten. Zu der anderen Gruppe gehörten die neuen mächtigen Männer des Reiches: ehrgeizige Militärführer, die größtenteils Außenseiter waren – zum Islam konvertierte Renegaten aus dem immer größer werdenden Reich des Sultans. Sie hatten schon immer jede Friedenspolitik bekämpft und Mehmets Welteroberungsträume unterstützt. Und sie hatten ihr Schicksal mit der Eroberung Konstantinopels verknüpft. Der wichtigste unter ihnen war der Zweite Wesir Zaganos Pascha, ein griechischer Konvertit. Er war »derjenige, der am meisten gefürchtet wurde und die größte Autorität hatte«,13 und er war der höchste Militärkommandeur. Seine Gruppe bekam starken Rückhalt von den religiösen Führern, Befürwortern des Heiligen Krieges wie dem islamischen Gelehrten Ulema Ahmet Gurani, Mehmets Ehrfurcht gebietendem Lehrmeister, und Scheich Akschemsettin, die für das alte islamische Ziel eintraten, die christliche Stadt zu erobern. Halil plädierte dafür, die Gelegenheit für einen ehrenhaften Rückzug unter günstigen Bedingungen zu nutzen. Er sagte, die Niederlage in dem Seegefecht habe gezeigt, wie schwierig es sei, die Stadt zu erobern, und er wies darauf hin, dass die Ankunft eines ungarischen Entsatzheers oder einer italienischen Flotte umso wahrscheinlicher werde, je länger sich die Belagerung hinziehe. Er sei überzeugt davon, dass der Apfel dem Sultan eines Tages in den Schoß fallen werde, »wie die reife Frucht vom Baum fällt«,14 dass jedoch die goldene Frucht noch nicht reif sei. Wenn man die Stadt für den Frieden extrem viel zahlen lasse, können man den Reifungsprozess beschleunigen. Halil schlug vor, den Kaiser für die Aufhebung der Belagerung mit einem jährlichen Tribut von 70 000 Dukaten zu belegen. Die Kriegspartei sprach sich strikt gegen diesen Vorschlag aus. Zaganos Pascha sagte, der Feldzug müsse noch energischer fortgeführt werden, und durch die Ankunft der genuesischen Schiffe verstärke sich nur die Notwendigkeit, einen entscheidenden Schlag zu führen. Die osmanische Führung hatte erkannt, dass sie vor einer schicksalhaften Entscheidung stand, aber die Intensität der Debatte rührte auch daher, dass sich die führenden Wesire bewusst waren, dass es dabei um ihren Einfluss auf den Sultan und letztlich um ihr Überleben ging. Mehmet saß auf seinem erhöhten Podium, während die Rivalen um ihren Rang kämpften, aber er neigte aufgrund seines Charakters stets der Kriegspartei zu. Der Rat entschied sich mit klarer Mehrheit für die Fortsetzung des Feldzugs. Konstantin erhielt die Antwort, dass ein Friede nur durch eine sofortige Kapitulation der Stadt zu erlangen sei. In diesem Fall werde der Sultan Konstantin die Peloponnes überlassen und dessen Brüder, die dort gegenwärtig regierten, entschädigen. Das Angebot war so
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beschaffen, dass es abgelehnt werden sollte. Und es wurde abgelehnt. Konstantin hatte sein eigenes Verständnis von seiner historischen Aufgabe und wollte in die Fußstapfen seines Vaters treten. Als die Osmanen 1397 vor den Toren der Stadt gestanden hatten, soll Manuel II. vor sich hin gemurmelt haben: »Herr Jesu Christ, lass es nicht geschehen, dass die große Mehrheit der Christenmenschen sagen hört, es sei in den Tagen des Kaisers Manuel gewesen, dass die Stadt mit all ihren heiligen und verehrungswürdigen Denkmälern des Glaubens den Ungläubigen ausgeliefert worden ist.«15 In diesem Geist wollte auch Konstantin bis zum Letzten kämpfen. Die Belagerung dauerte an, und die Kriegspartei bei den Osmanen beschloss unter dem wachsendem Druck der Ereignisse, den Kampf zu verschärfen.
Fünf Kilometer vom Ort der Ratssitzung entfernt ging der Kampf gegen die Stadt trotz der Debatte bei den Doppelsäulen nach einem integrierten Angriffsplan weiter, der nur Mehmet und seinen Generälen bekannt war: ein gewaltiger Beschuss der Landmauer, der am Tag zuvor begonnen hatte und ohne Unterbrechung die ganze Nacht und in den folgenden Tag hinein andauerte, während der Militärrat über die Fortsetzung der Belagerung beriet. Das osmanische Feuer konzentrierte sich auf einen Mauerabschnitt in der Nähe des St. Romanos-Tors im Lykos-Tal, wo die Verteidigungsanlage, wie beide Seiten wussten, am schwächsten war. Durch den unaufhörlichem Kanonenbeschuss wurde ein wichtiger Turm, der Baktatin, zum Einsturz gebracht, und mit ihm brachen mehrere Meter der Außenmauer zusammen. Eine ziemlich große Bresche entstand, und die Verteidiger waren verwundbarer als jemals zuvor. »Damit begann die Furcht bei denen in der Stadt und auf der Flotte«, berichtete Nicolo Barbaro. »Wir hatten keinen Zweifel, dass sie [die Osmanen] sofort einen Großangriff starten wollten; und alle glaubten, dass sie bald türkische Turbane in der Stadt sehen würden«.16 Wieder waren die Verteidiger durch das Tempo demoralisiert, mit dem die osmanischen Kanonen vermeintlich uneinnehmbare Verteidigungsanlagen zerstörten, wenn genügend Feuerkraft auf eine Stelle konzentriert wurde. »Denn durch den Beschuss war ein so großer Abschnitt der Mauer zerstört worden, dass alle sich schon verloren gaben, angesichts der wenigen Tage, in denen ein so großer Teil der Mauer zerstört worden war.«17 Den Verteidigern, die durch das klaffende Loch hinausschauten, schien es offensichtlich, dass ein konzentrierter Angriff an diesem Punkt »mit nur 10 000 Männern«18 den sicheren Fall der Stadt bedeutet hätte. Sie warteten auf den unvermeidlichen Angriff, aber Mehmet debattierte gerade mit seiner gesamten militärischen Führung über die Fortsetzung des Feldzugs, und so wurde der Angriffsbefehl nicht erteilt. Im Gegensatz zu der stark
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fragmentierten christlichen Verteidigung, die vor allem auf Eigeninitiative in den einzelnen Abschnitten der Bollwerke beruhte, reagierten die osmanischen Truppen offenbar nur auf zentrale Befehle. Nichts geschah, um den durch die Kanonen errungenen Vorteil zu nutzen, und die Verteidiger hatten Zeit, sich zu reorganisieren. Im Schutz der Dunkelheit machte sich Giustiniani mit seinen Männern daran, die beschädigte Mauer zu reparieren. »Diese Reparaturen wurden durch Fässer vorgenommen, die mit Steinen und Erdreich gefüllt waren, und hinter ihnen wurde ein sehr breiter Graben ausgehoben mit einem Damm dahinter. Der Damm wurde mit Weinranken und Schichten anderer Zweige bedeckt, die mit Wasser begossen wurden, um sie zu festigen, sodass er genauso stark wurde, wie die Mauer gewesen war.«19 Auch diese Barrikade aus Holz, Erde und Steinen war ein wirksamer Schutz, weil sie die Kraft der heranrasenden Steinkugeln effektiv absorbierte. Irgendwie wurden die Ad-hoc-Reparaturen trotz des fortgesetzten Feuers »ihrer riesigen Kanone und ihrer anderen Geschütze und von ungezählten Bogen und vielen Arkebusen«20 ausgeführt. Barbaros schließt seinen Bericht über diesen Tag mit einem letzten quälenden Bild von den schwärmenden, fremdartigen Feinden, das der Schiffsarzt als schrecklich empfand: Der Boden vor der Mauer »war nicht zu sehen, weil er mit Türken bedeckt war, insbesondere mit Janitscharen, den tapfersten Soldaten, die der Großtürke besitzt, und außerdem mit vielen Sklaven des Sultans, die an ihren weißen Turbanen zu erkennen waren, während die gewöhnlichen Türken rote Turbane trugen«.21 Immer noch erfolgte kein Angriff. Es war offensichtlich, dass die Stadt durch Glück und »unseren gnädigen Herrn Jesus Christus, der voll des Mitleids ist«,22 an diesem Tag verschont geblieben war.
Am 21. April schienen sich die Ereignisse plötzlich zu beschleunigen und zu überschlagen, als ob beide Seiten die historische Bedeutung des Moments erkennen und mit besonderer Entschlossenheit handeln würden. Dabei konnten die Verteidiger nur reagieren. Da sie nicht über die Soldaten verfügten, um Ausfälle zu machen, konnten sie nur in ihrem Dreieck uralter Mauern die Geschehnisse beobachten, auf die Festigkeit ihrer Verteidigungsanlagen vertrauen und warten. Dabei eilten sie jeweils dorthin, wo die Lage gerade kritisch wurde, stopften Lücken – und stritten miteinander. Hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung durch Gerüchte über Angriffe und Entsatzheere, arbeiteten sie unermüdlich, um die Front zu halten und hielten im Westen nach Segeln Ausschau. Mehmet wurde durch die Ereignisse jener Tage offenbar zu einer Vielzahl hektischer Aktivitäten angespornt. Das Scheitern seiner Flotte, die Angst vor einem Entsatz
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der Stadt, die pessimistische Stimmung seiner Soldaten, all diese Probleme beschäftigten ihn an jenem 21. April. Er bewegte sich rastlos um die Stadt herum, von seinem rot-goldenen Zelt zu den Doppelsäulen zu seinen Truppen oberhalb von Galata, analysierte die Probleme in drei Dimensionen, betrachtete die »goldene Frucht« aus verschiedenen Winkeln und drehte sie in seinem Kopf hin und her. Schon als Kind hatte er die Stadt besitzen wollen. Von dem Tag an, als er Konstantinopel als Junge erstmals aus der Ferne gesehen hatte, bis zu seinen nächtlichen Streifzügen durch Adrianopel im Winter 1452, war er von der Stadt besessen gewesen. Deshalb hatte er sich so intensiv mit den westlichen Abhandlungen über den Belagerungskrieg beschäftigt, deshalb hatte er das Terrain schon im Voraus studiert und deshalb hatte er die detaillierten Skizzen von der Mauer angefertigt. Mehmet war unermüdlich in der Verfolgung seiner Pläne: Er stellte Fragen, sammelte Ressourcen und technische Fertigkeiten, er befragte Spione und speicherte Informationen. Seine Besessenheit war mit einem Hang zur Geheimhaltung verknüpft, den er schon als junger Mann in der gefährlichen Welt des osmanischen Hofs entwickelt hatte. Er behielt seine Pläne stets für sich, bis sie ausgereift waren. Als er einmal nach einem späteren Feldzug gefragt wurde, welche Bedeutung er der Geheimhaltung beimesse, soll er geantwortet haben: »Wenn ich wüsste, dass eines meiner Barthaare von meinem Geheimnis erfahren hat, würde ich es ganz gewiss ausreißen und den Flammen überantworten.«23 Sein nächster Schachzug bei der Belagerung war von ähnlicher Vorsicht geprägt. Er wollte die Sperre, die die Zufahrt ins Goldene Horn versperrte, zerstören. Sie hielt seine Flotte davon ab, die Stadt von einer weiteren Seite aus anzugreifen, weshalb die Verteidiger ihre Anstrengungen ganz auf die Landmauer konzentrieren konnten und Mehmets riesige zahlenmäßige Überlegenheit weniger stark zur Geltung kam. Osmanische Kanonen hatten Konstantins Schutzmauer über den Isthmus von Korinth binnen einer Woche zerstört, nun jedoch waren die Fortschritte langsamer, als erhofft, auch wenn die große Kanone durchaus Löcher in die uralte Theodosianische Mauer schoss. Die Verteidigungsanlagen waren einfach zu komplex und vielstufig und der Graben zu tief für schnelle Erfolge. Außerdem hatte sich Giustiniani als genialer Stratege erwiesen. Er wusste seine begrenzten Arbeitskräfte und Materialien ungemein effektiv zu nutzen: Erde hatte sich bewährt, wo Stein versagt hatte, und die Front hatte gehalten – mit knapper Not. Das Goldene Horn hinter der Sperrkette war ein sicherer Ankerplatz für jede Entsatzflotte und eine Basis für einen Gegenangriff zur See. Außerdem verlängerte es die Verbindungslinien zwischen den verschiedenen Teilen von Mehmets Heer und seiner Flotte, weil seine Soldaten einen langen Umweg um die Spitze des Goldenen Horns herum machen mussten, um von der Landmauer zu den Doppelsäulen zu gelangen. Die Sperrkette musste durchbrochen werden.
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Niemand weiß, woher Mehmet die Idee hatte oder wie lange er sie schon in seinem Kopf erwog, aber am 21. April hatte er eine schnelle und außergewöhnlich originelle Lösung für das Problem parat. Wenn die Sperre nicht durchbrochen werden konnte, so seine Überlegung, musste sie eben umgangen werden, und dies konnte nur geschehen, wenn er seine Flotte über Land transportierte und sie im Goldenen Horn hinter der Sperre wieder zu Wasser ließ. Zeitgenössische christliche Chronisten hatten ihre eigenen Vorstellungen über den Ursprung dieser Strategie. Für Erzbischof Leonhard war alles klar: Wieder einmal musste es das Wissen und der Rat perfider Europäer gewesen sein; Mehmets Einfall beruhte auf den »Erinnerungen eines treulosen Christen. Ich glaube, der Mann, der den Türken diesen Trick verriet, hatte ihn von der venezianischen Strategie am Gardasee gelernt!«24 Tatsächlich hatten die Venezianer erst 1439 Galeeren von der Etsch in den Gardasee getragen, aber in den Feldzügen des Mittelalters gab es noch viele andere Präzedenzfälle, und Mehmet war ein eifriger Student der Militärgeschichte. Saladin hatte im 12. Jahrhundert Galeeren aus dem Nil ins Rote Meer transportieren lassen, und 1424 hatten die Mameluken Galeeren von Kairo nach Suez gebracht. Egal wo der Plan letztlich herstammte, er wurde jedenfalls schon einige Zeit vor dem 21. geschmiedet; durch die Ereignisse verstärkte sich allerdings die Notwendigkeit der Durchführung. Mehmet hatte noch einen weiteren Grund, ein solches Manöver zu wagen. Er wollte die genuesische Kolonie auf der anderen Seite des Horns in Galata unter Druck setzen, über deren ambivalente Neutralität in dem Konflikt sich beide Seiten beschwerten. Galata trieb sowohl mit der Stadt als auch mit den Belagerern gewinnbringenden Handel. Dabei fungierte es wie eine Membrane, durch die Materialien und Nachrichten hin und her wanderten. Es gab Gerüchte, dass sich die Bürger von Galata tagsüber offen im Lager der Osmanen bewegten, dass sie das Öl lieferten, um die großen Kanonen zu kühlen, aber auch alle anderen Arten von verkäuflichen Waren, und dass sie bei Nacht heimlich über das Goldene Horn setzten und ihren Platz hinter den Mauern wieder einnahmen. Die Sperrkette war innerhalb der Mauern Galatas befestigt und konnte nicht direkt angegriffen werden, weil Mehmet einen offenen Krieg mit den Genuesen unbedingt vermeiden wollte. Er war sich bewusst, dass eindeutige Feindseligkeiten die Entsendung einer mächtigen Flotte der Mutterstadt nach sich ziehen konnten. Zugleich erkannte er, dass die natürliche Sympathie der Bürger von Galata ihren christlichen Glaubensgenossen galt; auch Giustiniani war Genuese. Die Ankunft der genuesischen Entsatzschiffe hatte vermutlich ebenfalls die Sympathie für die christliche Stadt verstärkt, wie Leonhard von Chios erkannte: »Die Menschen von Galata hatten sehr vorsichtig gehandelt..., nun jedoch waren sie eifrig bemüht, sowohl Waffen als auch Männer zu liefern, aber nur heimlich, damit der Feind, der nur zum Schein
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den Frieden mit ihnen wahrte, nichts bemerkte.«25 Das Doppelleben der genuesischen Gemeinde bedeutete jedoch, dass Informationen in beide Richtungen fließen konnten, und dies sollte schon bald tragische Folgen haben. Alles Land hinter Galata, das ursprünglich von Weinbergen und dichtem Gebüsch bedeckt gewesen war, befand sich nun in der Hand der Osmanen und stand unter dem Kommando von Zaganos Pascha. Vermutlich wurde schon in den ersten Tagen der Belagerung der Beschluss gefasst, eine Straße zu bauen, die von einem Punkt am Bosporus in der Nähe der Doppelsäulen ein steiles Tal zu einem Bergkamm hinter Galata hinaufführte und dann durch ein anderes Tal hinunter zum Goldenen Horn. Dort befand sich außerhalb der Mauern Galatas ein Ort namens Tal der Quellen mit einem genuesischen Friedhof. Mehmet wählte diese Verbindungsstraße für sein Unternehmen. Sie lag an ihrem höchsten Punkt etwa 60 Meter über dem Meer und stellte damit für jeden, der Schiffe über Land schleppen wollte, eine große Herausforderung dar. Die einzige Ressource, an der es Mehmet niemals mangelte, waren jedoch menschliche Arbeitskräfte. Mit der typischen Heimlichkeit und Voraussicht hatte er das Material für seinen Plan bereits zusammengetragen: das Holz zum Bau einer primitiven Rollbahn, Rollen und Tragwiegen, Fässer mit Fett, Ochsengespanne und die nötigen Männer. Auch der Boden war bereits vom Buschwerk gesäubert und so stark wie möglich eingeebnet. Am 21. April wurde die Arbeit an dem Projekt beschleunigt. Gruppen von Arbeitern legten die hölzerne Bahn vom Bosporus das Tal hinauf, Rollen wurden vorbereitet und mit Tierfett eingerieben, Tragwiegen gebaut, um die Schiffe aus dem Wasser zu heben. Um von diesen Vorbereitungen abzulenken, ließ Mehmet Kanonen auf einen Hügel nördlich von Galata bringen und befahl Zaganos die Schiffe zu beschießen, die das Horn verteidigten. Es ist heute noch rätselhaft, warum die Christen von dieser eindrucksvollen technischen Leistung weder durch die Nachrichtenschleuse Galata noch durch die christlichen Soldaten im osmanischen Lager etwas erfahren haben. In den ersten Tagen interpretierten die Genuesen die Vorbereitungen vermutlich als den Beginn eines normalen Straßenbauprojekts. Später wurden sie durch den Artilleriebeschuss in ihrem Rücken entweder so abgelenkt, dass sie nicht mehr genau genug hinsahen, oder sie duldeten das Projekt stillschweigend, wie die Venezianer vermuteten. Vielleicht hatte Mehmet auch dafür gesorgt, dass keiner von seinen christlichen Soldaten bei dem Projekt eingesetzt wurde. Was auch immer der Grund war, jedenfalls drang keinerlei Hinweis auf die kommenden Ereignisse in die Stadt. Am frühen Sonntagmorgen, dem 22. April, während der Kanonenbeschuss fortgesetzt wurde und die Christen, die Zeit dazu hatten, in die Kirche gingen, wurde die erste Tragwiege in das Wasser des Bosporus hinabgelassen. Eine kleine Fusta wurde auf die Wiege geschoben und dann mit Flaschenzügen auf die einge-
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fetteten Holzrollen auf der Rollbahn gezogen. Der allgegenwärtige Sultan überwachte das Ereignis persönlich und spornte die Beteiligten an. Und nachdem er die Schiffe »mit Seilen sorgfältig hatte umgürten lassen, brachte er lange Schiffstaue an, welche er an den Eckpunkten festmachen ließ, und übergab sie dem Heere zum Ziehen, den einen mit ihren eigenen Händen, den anderen auch mithilfe von bestimmten Geräten und Seilwinden«.26 Das Schiff wurde von Männern mit Ochsengespannen den Berg hinaufgezogen und auf beiden Seiten von weiteren Arbeitern und Soldaten abgestützt. Während es sich auf der Rollbahn den Berg hinauf bewegte, wurden weitere Rollen in seinen Weg gelegt, und dank der gewaltigen Menge von Zugtieren und Arbeitskräften bewegte es sich langsam aber sicher den steilen Abhang zu dem 60 Meter hohen Kamm hinauf. Vom Bosporus her wehte eine günstige Morgenbrise, und in einem inspirierten Moment befahl Mehmet einer Rumpfmannschaft, ihre Plätze in den Schiffen einzunehmen. Einige »spannten johlend die Segel aus, als wollten sie in See stechen, diese fingen Wind und blähten sich auf, die anderen saßen an den Rudern und hielten in ihren Händen die an den Dollen befestigten Ruderstangen, als ob sie ruderten, und die Männer, die den Takt angaben, liefen an der Mastgabel hin und her und trieben die Männer an den Rudern mit Pfeifen, Schreien und Peitschenhieben zum Rudern an«.27 Die Schiffe waren mit bunten Wimpeln geschmückt, Trommeln wurden geschlagen und vorne im Bug bliesen kleine Musikgruppen Trompeten. Es war wie ein surrealer, improvisierter Karneval: Fahnen knatterten, Musik spielte, die Ruder wurden bewegt, die Segel blähten sich im Morgenwind, die Ochsen stemmten sich in die Seile und brüllten: ein genialer psychologischer Schachzug, der zu einem wichtigen Bestandteil des Eroberermythos des türkischen Volkes werden sollte. »Und es war ein befremdlicher Anblick und nicht zu glauben, wenn man davon nur hörte, es sei denn, man hätte es selbst gesehen«, berichtete Kritobulos, »Schiffe, die über das Festland dahinglitten, als segelten sie auf dem Meere, mitsamt der Besatzung an Bord, den Segeln und der sonstigen Ausrüstung.«28 Auf einem Hochplateau in der Nähe beschoss Zaganos Pascha weiterhin den Hafen unter ihm und 3 Kilometer weiter entfernt, feuerten die großen Kanonen immer noch auf die Landmauer beim St. Romanos-Tor. Inzwischen hatte das erste Schiff den Kamm erreicht und begann seinen schwerfälligen Abstieg in das Tal der Quellen. Mehmet, der auf jedes Detail achtete, hatte eine zweite Batterie mit Kanonen hinunter an die Küste verlegt, um jeden Angriff auf seine Schiffe zu verhindern, wenn diese wieder zu Wasser gelassen wurden. Lange vor dem Nachmittag klatschte das erste Schiff mit kampfbereiter Besatzung in die stillen Fluten des Goldenen Horns. Weitere kamen in rascher Folge. Im Lauf des Tages wurden etwa 70 Schiffe im Tal der Quellen zu Wasser gelassen. Es han-
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delte sich um Fustae – kleine, schnelle Biremen und Trieren, die »zwischen 15 und 20 oder sogar 22 Ruderbänke hatten«29 und etwa 20 Meter lang waren. Die größeren osmanischen Galeeren blieben im äußeren Hafen bei den Doppelsäulen. Alle Einzelheiten der Operation, das Timing, die Route und die eingesetzte Technik sind bis heute rätselhaft. Allerdings ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Arbeiten binnen 24 Stunden abgeschlossen werden konnten. Immerhin 70 Schiffe mussten mindestens 2 Kilometer einen Hang mit einem Gefälle von 8 Grad hinaufgezogen und danach wieder sicher zu Tal gebracht werden, was viel mehr Zeit in Anspruch genommen haben dürfte, auch wenn sie mit einer großen Zahl von Männern und Zugtieren und unter Verwendung von Winden bewegt wurden. Es ist möglich, dass die größeren Schiffe schon einige Tage vor dem 22. April zerlegt und an der Küste des Goldenen Horns wieder zusammengebaut wurden und dass auch der Transport der anderen Schiffe schon einige Zeit in Gang war. Es ist typisch für Mehmets Hang zur Geheimhaltung und seine weitsichtige Planung, dass die Wahrheit nie ans Licht kommen wird, aber alle Chronisten sind sich darin einig, dass plötzlich, am Morgen des 22. April, die Schiffe eines nach dem anderen in die Bucht bei Galata einliefen. Die ganze Operation war eine strategische und psychologische Meisterleistung, hervorragend geplant und ausgeführt. Selbst spätere griechische Chronisten zollten ihr widerwillig Anerkennung. Sie »war eine bewunderungswürdige Sache und ein glänzendes Stück Seekriegskunst«,30 berichtete Sphrantzes. Und sie sollte verheerende Konsequenzen für die Verteidiger haben.
Die Seemauer am Goldenen Horn war wegen ihrer geschützten Lage hinter der Sperrkette und wegen des gewaltigen Drucks, der auf der Landmauer lastete, so gut wie gar nicht bewacht. Es waren kaum Soldaten da, die hätten sehen können, wie das erste Schiff über den Kamm der gegenüberliegenden Anhöhe kam und langsam zum Goldenen Horn hinabgelassen wurde. Als sie es sahen, breitete sich schnell eine Panik aus. Die Leute rannten die steilen Straßen hinunter und sahen von der Mauer aus entsetzt zu, wie die osmanische Flotte Schiff für Schiff ins Goldene Horn glitt. Mehmet hatte eine strategisch und psychologisch hervorragende Antwort auf den Triumph der Christen in der Schlacht auf dem Bosporus gegeben. Konstantin erkannte sofort die Folgen für seine schwer belasteten Truppen: »Nachdem nun aber auch dieses Teilstück der Mauer für den Krieg geöffnet war und sie auch dieses verteidigen mussten, waren sie gezwungen, die anderen Brustwehren zu entblößen und die Männer hierher zu verlegen. Das jedoch bedeutete offensichtlich Gefahr, da so die restliche Mauer diese Verteidiger entbehren musste
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und die wenigen, die übrigblieben, nicht ausreichten, um sie zu schützen.«31 Auch die Kapitäne der Venezianer waren zutiefst beunruhigt. Die osmanische Flotte lag nun weniger als eineinhalb Kilometer entfernt in einer geschlossenen Meerenge, die nur ein paar 100 Meter breit war; das Horn, das zuvor sichere Zuflucht vor einem Angriff geboten hatte, hatte sich in eine enge Falle verwandelt, in der es keinen Raum mehr zum Atmen gab. Als die Männer unserer Flotte die Fustae sahen, bekamen sie zweifellos große Angst, weil sie sicher waren, dass diese eines Nachts zusammen mit der Flotte, die bei den Doppelsäulen lag, unsere Flotte angreifen würden. Unsere Flotte befand sich innerhalb der Sperrkette, die türkische Flotte befand sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Sperrkette und aus dieser Beschreibung lässt sich leicht ablesen, wie groß die Gefahr war. Und wir waren auch sehr besorgt wegen Feuer. Sie würden vielleicht kommen und die bei der Kette liegenden Schiffe in Brand setzen, und wir waren gezwungen, Tag und Nacht bewaffnet auf See in Bereitschaft zu liegen, mit großer Angst vor den Türken.32
Den Verteidigern war klar, dass sie unbedingt versuchen mussten, die Flotte innerhalb des Horns zu vernichten. Am folgenden Tag hielten sie in der venezianischen Marienkirche einen Kriegsrat, den der Vorsteher der venezianischen Stadtgemeinde und der Kaiser mit dem ausdrücklichen Ziel einberufen hatten, die »feindliche Flotte zu verbrennen«. Nur zwölf Männer waren bei der geheimen Sitzung zugegen, wohl vorwiegend venezianische Kommandeure und Kapitäne der Flotte. Nur einer der Teilnehmer war für die Venezianer ein Außenseiter in der Sache, die sie als ihre ureigene Angelegenheit betrachteten: Giovanni Giustiniani, der Genuese, »ein in jeder Hinsicht verlässlicher Mann«,33 dessen Ansichten allgemein respektiert wurden. Es folgte eine lange hitzige Debatte, in der gegensätzliche Ideen leidenschaftlich vertreten wurden. Einige wollten am hellen Tag mit der ganzen Flotte einen Großangriff unternehmen, an dem auch die genuesischen Schiffe teilnehmen sollten. Diese Idee wurde verworfen, weil die Verhandlungen mit Galata schwierig gewesen wären und schnelles Handeln entscheidend war. Andere wollten mit einer Landstreitmacht die Kanonen ausschalten, die die feindliche Flotte schützten, und danach die Schiffe verbrennen; doch das wurde als zu riskant verworfen, weil so wenig Soldaten verfügbar waren. Zuletzt setzte sich Giacomo Coco, der Kapitän einer Galeere, die aus Trapezunt gekommen war, »ein Mann, der flinker im Handeln als im Reden war«,34 stark für eine dritte Möglichkeit ein: eine nächtliche Expedition mit einem kleinen Geschwader, das die türkische Flotte überrumpeln und in Brand stecken sollte. Die Aktion sollte unter größter Geheimhaltung vorbereitet und sofort durchgeführt werden, ohne dass man die Genuesen informierte – Schnelligkeit war alles. Coco bot an, das Unternehmen zu leiten. Es wurde abgestimmt, und sein Vorschlag setzte sich durch.
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Am 24. April setzte Coco seinen Plan in die Tat um. Er wählte zwei stabile Handelsschiffe mit hoher Bordwand und hängte Säcke mit Wolle und Baumwolle über die Reling, um sie vor den Steinkugeln der osmanischen Kanonen zu schützen. Zwei große Galeeren sollten die Handelsschiffe begleiten und eventuelle Gegenangriffe vereiteln, während der eigentliche Schaden von zwei leichten, schnellen Fustae angerichtet werden sollte, die mit je 72 Ruderern bemannt waren. Diese Schiffe wurden mit griechischem Feuer und anderem brennbaren Material beladen und sollten die feindliche Flotte in Brand setzen. Jede Fusta sollte von einem weiteren kleineren Boot mit zusätzlichem Material begleitet werden. Der Plan war einfach: Die »gepanzerten« Segelschiffe sollten den schnelleren Booten Schutz vor Geschützfeuer bieten, bis sie nahe genug am Feind waren, dann würden sie aus ihrer Deckung hervorschießen und versuchen, die dicht beieinander liegenden osmanischen Schiffe zu verbrennen. Die Schiffe der Christen sollten sich eine Stunde nach Sonnenuntergang versammeln, und der Angriff sollte um Mitternacht beginnen. Alles war vorbereitet, und die Kommandeure versammelten sich gerade auf der Galeere von Alviso Diedo, dem Hafenkapitän, zu einer letzten Besprechung. Da wurde das Unternehmen überraschend gestoppt. Die Genuesen in der Stadt hatten Wind davon bekommen und wollten mitwirken. Sie plädierten für eine Verschiebung, damit sie ihre Schiffe vorbereiten konnten. Widerstrebend gaben die Venezianer nach. Der Angriff wurde verschoben. Die Genuesen brauchten vier Tage, um ihre Vorbereitungen zu treffen. Der Beschuss der Landmauer dauerte unvermindert an, und die Venezianer saßen tatenlos herum. »Vom 24. bis zum 28. dieses Monats warteten wir«, berichtete Barbaro. »Am 28. April wurde im Namen unseres Herrn Jesu Christi beschlossen, die Flotte der tückischen Türken zu verbrennen.«35 Das Geschwader war leicht modifiziert worden, um die hochmütigen Genuesen zufriedenzustellen: Venezianer und Genuesen stellten je ein gepanzertes Handelsschiff; es gab zwei venezianische Galeeren unter dem Kommando von Gabriel Trevisano und Zacaria Grioni, drei der schnelleren Fustae unter dem Kommando von Coco und eine Anzahl kleinere Boote mit zusätzlichen Vorräten an Pech, Reisig und Schwarzpulver. Zwei Stunden vor dem Morgengrauen des 28. April lichtete das kleine Geschwader auf der Leeseite der Seemauer von Galata im Nordosten des Horns leise Anker und folgte der nächtlichen Küste bis zum Tal der Quellen, das weniger als eineinhalb Kilometer entfernt lag. Das venezianische und das genuesische Handelsschiff mit Giustiniani an Bord fuhren voraus. Die Schiffe für den eigentlichen Angriff folgten ihnen. Nichts bewegte sich auf der ruhigen See. Nur auf einem der Türme im genuesischen Galata leuchtete kurz ein Licht auf. Geräuschlos glitt der kleine Verband auf die osmanische Flotte zu.
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Wenn die größeren Segelschiffe gerudert wurden, kamen sie viel langsamer voran als die schnellen Fustae mit ihren vielen Ruderern, denen sie als Deckung dienten. Und ob es nun die Stille und die enorme Anspannung während der langsamen Annäherung war oder die angestaute Frustration über die Verschiebung des Angriffs oder die Sehnsucht, »Ruhm in der Welt zu gewinnen«,36 jedenfalls wich Giacomo Coco plötzlich von dem sorgfältig ausgearbeiteten Plan ab, setzte sich mit seiner Galeere an die Spitze des Geleitzugs und ruderte mit aller Kraft auf die Flotte des Feindes zu, um sie in Brand zu stecken. Einen Augenblick blieb alles still. Dann wurde aus der Dunkelheit eine Salve von Kanonenkugeln auf die deckungslose Galeere abgegeben. Die erste Kugel ging knapp daneben, doch die zweite traf die Fusta in der Mitte und durchschlug den Rumpf. »Und diese Fusta lag bestimmt nicht mehr länger auf dem Wasser, als bis man zehn Vaterunser gebetet hat«,37 berichtete Barbaro. In kürzester Zeit versank das Schiff mit den gepanzerten Soldaten und den Ruderern in der nächtlichen See. Die folgenden Schiffe konnten in der Dunkelheit nicht sehen, was passiert war, und setzten ihre Fahrt fort. Weitere Schusswaffen eröffneten aus kurzer Entfernung das Feuer. »Der Rauch der Kanonen und Handfeuerwaffen war so dicht, dass man überhaupt nichts sehen konnte, und auf beiden Seiten erhob sich ein wildes Geschrei.«38 Als die Schiffe herankamen, geriet Trevisanos größere Galeere in die Schusslinie und wurde sofort von zwei Kanonenkugeln getroffen, die ihren Rumpf ebenfalls glatt durchschlugen. Wasser strömte herein, aber zwei Verwundete, die unter Deck gelegen hatten, handelten mit großer Geistesgegenwart und verhinderten, dass das Schiff sank. Sie verstopften die Lecks mit Mänteln und konnten den Wassereinbruch tatsächlich stoppen. Die angeschlagene Galeere lag halb unter Wasser, konnte aber trotzdem unter großen Schwierigkeiten zurückgerudert werden. Die anderen Schiffe versuchten den Angriff zunächst noch fortzusetzen, zogen sich jedoch angesichts der sinkenden Galeere und wegen des intensiven Sperrfeuers aus Felsbrocken, Kanonenkugeln und anderen Geschossen zurück. Die Morgendämmerung brach schon herein, doch die beiden großen Handelsschiffe blieben weiter in ihrer planmäßigen Verteidigungsstellung vor Anker, weil sie nicht merkten, das sich der Rest des Geschwaders zurückzog. Als die osmanische Flotte die Schiffe überraschenderweise alleine vorfand, verließ sie ihren Ankerplatz und versuchte, sie aufzubringen. »Es entstand eine schreckliche, erbitterte Schlacht ... es war wirklich wie die Hölle selbst; zahllose Kugeln und Pfeile flogen durch die Luft, es gab heftiges Gewehrfeuer und häufige Kanonenschüsse.«39 Die muslimischen Seeleute schrien den Namen Allahs, als ihre 70 kleineren Schiffe ausschwärmten und den Feind angriffen, doch die beiden gepanzerten Transportschiffe mit ihren hohen Bordwänden und erfahrenen Mannschaften konnten sie in
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Schach halten. Der erbitterte Nahkampf dauerte eineinhalb Stunden, ohne dass eine Seite die Oberhand gewonnen hätte, und am Schluss lösten sich die Schiffe voneinander und kehrten zu ihren Ankerplätzen zurück. Auch die Osmanen hatten eine Fusta verloren, aber es war klar, wer die Schlacht gewonnen hatte. »Im ganzen türkischen Lager fanden große Feiern statt, weil die Fusta von Kapitän Giacomo Coco auf den Grund geschickt worden war«, erinnerte sich Barbaro. »Und wir weinten aus Angst, dass die Türken durch ihre Flotte den Sieg über uns erringen könnten.« 40 Die Italiener zählten ihre Verluste: Eine Fusta war mit ihrer Mannschaft und zusätzlichen Männern gesunken, ein Verlust von rund 90 gut ausgebildeten Soldaten und Seeleuten; eine Galeere war schwer beschädigt und die Überzeugung von der italienischen Überlegenheit zur See war schwer erschüttert worden. Die Liste der Toten war lang, und ihre Namen waren ihren Kameraden wohlbekannt: »Giacomo Coco, Kapitän; Antonio de Corfu, Partner; Andrea Seco, Maat, Zuan Marangon, Armbrustschütze; Troilo de Grezi, Armbrustschütze... Sie alle gingen mit der Fusta unter und ertranken, möge Gott ihnen gnädig sein.«41 Im Verlauf des folgenden Morgens, am 29. April, wurden noch viel grausigere Folgen der Niederlage sichtbar. Wie sich herausstellte, waren nicht alle vermissten Männer ertrunken. Etwa 40 hatten sich aus dem sinkenden Schiff retten können und waren in der Dunkelheit und der Verwirrung der Schlacht ans feindliche Ufer geschwommen. Man hatte sie gefangengenommen, und Mehmet ließ sie nun in Sichtweite der Stadt zur Strafe und als Warnung pfählen. Was die Bürger von Konstantinopel dabei sahen, wurde von Jacopo de Campi, einem genuesischen Kaufmann, der in jener Zeit 25 Jahre als Händler im Osmanischen Reich tätig war, drastisch geschildert: Der Großtürke [zwingt] den Mann, den er bestrafen will, sich auf die Erde zu legen; ein spitzer Pfahl wird ihm in den Mastdarm geschoben; der Henker hält einen großen Holzhammer in beiden Händen und schlägt mit aller Kraft auf den Pfahl, den man als palo bezeichnet, sodass dieser in den menschlichen Körper fährt, und der Unglückliche je nach dem Weg, den der Pfahl nimmt, noch weiterlebt oder sofort den Tod findet; danach wird der Pfahl aufgerichtet und in die Erde gesteckt; und so lässt man den Unglücklichen vollends sterben; er lebt nicht mehr lang.42
Und so »wurden die Pfähle aufgepflanzt, und man ließ sie im Angesicht der Wachen auf der Stadtmauer sterben«.43 Die europäischen Autoren jener Zeit machten großes Aufheben von dieser Hinrichtungsmethode und stellten sie als türkische Spezialität dar. Das Pfählen, insbesondere zur Demoralisierung belagerter Städte, war damals jedoch eine weit verbreitete Form des Terrors, die die Osmanen auf dem christlichen Balkan gelernt
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hatten. Sie selbst sollten wenig später Opfer einer der schlimmsten Grausamkeiten der Menschheitsgeschichte werden: Vlad Dracul soll 1461 in der Donauebene 25 000 Türken gepfählt haben. Selbst Mehmet war entsetzt und nachhaltig verstört, als ihn die Augenzeugenberichte erreichten über »zahllose auf dem Boden aufgepflanzte Pfähle, die nicht mit Früchten, sondern mit menschlichen Körpern beladen sind«,44 und in ihrer Mitte stak auf einem höheren Pfahl, um seinen Rang zu markieren, Mehmets ehemaliger Admiral Hamza Bey, immer noch angetan mit seinen roten und purpurnen Amtsgewändern. Am Nachmittag des 28. April hatte die Pfählung der italienischen Seeleute im Angesicht der Stadt die gewünschte Wirkung: »In der ganzen Stadt erhob sich um sie eine laute Totenklage«,45 berichtete Sphrantzes, doch die Trauer verwandelte sich schnell in Wut, und um ihren Schmerz und ihre Frustration über den gescheiterten Angriff zu lindern, begingen die Verteidiger ihrerseits eine Grausamkeit. Seit Beginn der Belagerung wurden in der Stadt etwa 260 Osmanen gefangengehalten. Am folgenden Tag vergalten die Christen vermutlich auf Befehl Konstantins Gleiches mit Gleichem. »Unsere Männer waren wutentbrannt und schlachteten unbarmherzig die gefangenen Türken in Sichtweite ihrer Kameraden auf der Mauer ab.«46 Einer nach dem anderen wurden die Gefangenen auf die Mauer geführt und vor den Augen des osmanischen Heer gehängt. »Auf diese Weise«, klagte Erzbischof Leonhard, »wurde der Krieg durch eine Kombination von Gottlosigkeit und Grausamkeit noch brutaler.«47 Durch die baumelnden Gefangenen und die gepfählten Seeleute verhöhnten sich beide Parteien über die Front hinweg, aber als der Zirkel der Gewalt beendet war, wurde schnell klar, dass das Belagerungsheer die Initiative zurückgewonnen hatte. Die osmanische Flotte vor der Seemauer der Stadt schwamm noch, und die Verteidiger der Stadt mussten erkennen, dass sie die extrem wichtige Herrschaft über das Goldene Horn verloren hatten. Durch den verpatzten Nachtangriff hatte sich das Kräftegleichgewicht stark zu ungunsten der Stadt verschoben. Als die Belagerten über die Ereignisse nachdachten, wurde nach Gründen für den Fehlschlag gesucht, und insbesondere die Italiener übten sich in Schuldzuweisungen. Die Verschiebung von Cocos Angriff sei angeblich ein fataler Fehler gewesen. Irgendwie hatte der Feind von dem Angriffsplan erfahren und sich auf die Lauer gelegt: Mehmet hatte weitere Kanonen zu dem inneren Hafen transportieren lassen, wo sie das Gechwader erwartet hatten. Das Licht auf dem Turm in Galata sei ein Signal gewesen, das jemand in der genuesischen Kolonie den Osmanen gegeben hatte. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen den verschiedenen italienischen Gruppen entwickelten eine eigene Dynamik.
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Für eine Belagerung sind diverse Gerätschaften erforderlich: verschiedene Arten von Wurfmaschinen ... tragbare Holztürme ... verschiedene Arten von Leitern ... verschiedene Arten von Grabwerkzeugen, um Mauern unterschiedlicher Art zu untergraben ... Geräte zum Erklettern von Mauern ohne Leitern. Ein Handbuch für Belagerungen aus dem 10. Jahrhundert1
»Gütiger Herr, welch ein fürchterliches Unglück, dass sie durch Neptuns Zorn allesamt ertranken!«2 Die gegenseitigen Schuldzuweisungen für das Scheitern des nächtlichen Angriffs ließen nicht lange auf sich warten. Die Venezianer hatten bei der Katastrophe achtzig oder neunzig ihrer besten Seeleute verloren und wussten, wen sie dafür verantwortlich machen konnten: »Dieser Verrat wurde begangen von den verkommenen Genuesen von Pera, die vom christlichen Glauben abgefallen sind«, verkündete Nicolo Barbaro, »um sich dem türkischen Sultan gefällig zu erweisen.«3 Die Venezianer behaupteten, ein Einwohner Galatas habe das Heerlager des Sultans über den Plan in Kenntnis gesetzt. Es wurden auch Namen genannt: Der Podestà selbst sei es gewesen, der Männer zum Sultan schickte, vielleicht war es ein Mann namens Faiuzo. Die Genuesen erwiderten, die Venezianer seien selbst schuld an dem Debakel; Coco sei »so gierig nach Ehre und Ruhm«4 gewesen, dass er Befehle missachtet und das gesamte Unternehmen zum Scheitern gebracht habe. Zudem beschuldigten sie die venezianischen Seeleute, sie hätten ihre Schiffe heimlich beladen und ihre Flucht aus der Stadt vorbereitet. Es entbrannte ein heftiger Streit, in dem »jede Seite die andere beschuldigte, sie wolle sich in Sicherheit bringen«.5 Die wechselseitige Abneigung zwischen den
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Italienern führte nun zu offenen Zwistigkeiten. Die Venezianer erklärten, sie hätten ihre Schiffe auf Befehl des Kaisers entladen, und verlangten von den Genuesen, sie sollten »ebenfalls die Riemen und die Segel von ihren Schiffen entfernen und an einem sicheren Ort in Konstantinopel lagern«. Die Genuesen erwiderten, sie hätten nicht die Absicht, die Stadt zu verlassen; im Unterschied zu den Venezianern hätten sie Ehefrauen, Familien und Eigentum in Galata, »das wir bis zum letzten Blutstropfen verteidigen werden«, und weigerten sich, »unsere vornehme Stadt, ein Schmuckstück für Genua, in eure Hände zu legen«.6 Aufgrund ihrer zwiespältigen Haltung wurden die Genuesen in Galata von allen Seiten der Täuschung und des Verrats verdächtigt. Sie trieben mit beiden Parteien Handel, doch ihre natürliche Sympathie galt ihren christlichen Mitbrüdern, und sie hatten ihrer erklärten Neutralität zuwidergehandelt, indem sie gestatteten, dass die Sperrkette an ihren Mauern angebracht wurde. Konstantin musste selbst in die Auseinandersetzungen zwischen den hadernden Italienern eingreifen, doch die Spannungen im Goldenen Horn blieben ungelöst. Da die christliche Flotte nächtliche Angriffe oder eine Zangenbewegung der beiden Flügel der osmanischen Flotte befürchteten musste, von denen der eine hinter dem Tal der Quellen und der andere außen bei den Doppelsäulen ankerte, befand sie sich dauerhaft im Alarmzustand. Tag und Nacht war sie kampfbereit und lauschte auf das Geräusch herannahender Feuerschiffe. Bei den Quellen waren die osmanischen Geschütze auf einen zweiten Angriff eingestellt, aber ihre Schiffe bewegten sich nicht. Die Venezianer stellten sich neu auf nach Cocos Tod. Für seine Galeere wurde ein neuer Kommandeur namens Dolfin ernannt, und man erwog neue taktische Vorgehensweisen, um die osmanischen Schiffe im Horn zu vernichten. Nach dem Fehlschlag vom 28. April erschien ein weiterer mit Schiffen vorgetragener Angriff als zu riskant, daher wurde entschieden, den Feind mit weitreichenden Geschützen unter Beschuss zu nehmen. Am 3. Mai wurden zwei schwere Geschütze an einem der Wassertore unmittelbar gegenüber den osmanischen Schiffen in Stellung gebracht, rund 700 Meter von ihnen entfernt, und der Beschuss begann. Die ersten Ergebnisse waren ermutigend. Einige Fustae wurden versenkt und »viele ihrer Männer wurden durch unseren Beschuss getötet«, wie Barbaro berichtete, doch die Osmanen ergriffen rasch Gegenmaßnahmen. Sie zogen ihre Schiffe zurück, bis sie außer Reichweite der feindlichen Kanonen waren, und erwiderten das Feuer mit dreien ihrer eigenen Geschütze, wodurch sie »großen Schaden anrichteten«. Die beiden Geschützstellungen beschossen sich unablässig zehn Tage lang über die Meerenge hinweg, aber keine Seite konnte die andere ausschalten, »denn unsere Kanonen standen hinter den Mauern, und die ihrigen wurden durch massive Wälle geschützt, zudem
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erfolgte der Beschuss über eine Entfernung von einer halben Meile hinweg«.7 Es kam zu einer Pattsituation, doch der Druck im Goldenen Horn wurde aufrechterhalten, und am 5. Mai antwortete Mehmet mit einer Artillerieoffensive. Sein rastloser Geist hatte sich wahrscheinlich schon geraume Zeit damit beschäftigt, wie man die an der Hafensperre ankernden Schiffe beschießen konnte, obwohl die Mauern von Galata in der Schusslinie lagen. Mehmet dachte an eine Kanone mit einer steilen Flugbahn, die ihre Geschosse von einer Position hinter der Genueser Stadt abfeuern konnte. Er verlangte von seinen Kanonengießern, einen neuartigen Mörser zu bauen, der »imstande [sei], den Stein in die Höhe zu schießen, [sodass dieser] wenn er herabstürze, mitten auf die Schiffe fallen und sie versenken [würde]«.8 Die neuartige Kanone war entsprechend den Vorstellungen des Sultans konstruiert worden und war nun fertig. Von einem Hügel hinter Galata eröffnete sie das Feuer auf die Schiffe in der Hafeneinfahrt. Da die Stadtmauern in der Schusslinie lagen, musste die Flugbahn kompliziert berechnet werden, doch dies war für Mehmet vielleicht sogar ein Vorteil: Dadurch konnte er auf die argwöhnischen Genuesen psychologischen Druck ausüben. Als die ersten Geschosse aus dem Mörser über ihre Dächer hinwegflogen, dürfte den Stadtbewohnern klar geworden sein, dass sich die Schlinge der Osmanen um ihre Enklave nun weiter zusammenzog. Die dritte Kanonenkugel an diesem Tag »wurde mit großem Getöse von der Spitze eines Hügels abgefeuert«,9 traf aber nicht ein feindliches Schiff, sondern krachte auf das Deck eines neutralen Genueser Handelsschiffes, »mit dreihundert Tonnen, das beladen war mit Seide, Wachs und anderen Handelsgütern im Werte von zwölftausend Dukaten, und es versank unverzüglich, sodass weder der Mastkorb noch der Rumpf des Schiffes mehr zu sehen waren, und mehrere Männer der Besatzung ertranken«.10 Sofort zogen sich alle Wachschiffe der Hafensperre in den Schutz der Stadtmauern Galatas zurück. Der Beschuss ging weiter, die Schussweite wurde leicht verkürzt, und die Geschosse trafen nun auch Mauern und Häuser in der Stadt. Noch mehr Männer auf den Galeeren und den Schiffen wurden durch Steinkugeln getötet, wobei »manche Kugeln vier Männer töteten«,11 doch die Mauern boten genügend Schutz, sodass keine weiteren Schiffe versenkt wurden. Zum ersten Mal waren die Genuesen unmittelbar unter Beschuss genommen worden, und obwohl nur eine Person getötet wurde, »eine sehr angesehene Frau, die inmitten einer Gruppe von dreißig Menschen stand«,12 war klar, welche Absicht Mehmet damit verfolgte. Eine Abordnung aus der Stadt beschwerte sich im Lager des Sultans über den Angriff. Der Wesir behauptete mit ernstem Gesicht, man habe geglaubt, es handele sich um ein feindliches Schiff, und versprach »allen zu ersetzen, was sie verloren hatten«,13 wenn die Stadt eingenommen sei. »Mit diesem feindseligen Akt vergalten
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die Türken die Freundschaft, die ihnen die Bevölkerung von Galata entgegengebracht hatte«,14 kommentierte Doukas sarkastisch, womit er auf die Informationen anspielte, durch die Cocos Angriff vereitelt worden war. Bis zum 14. Mai feuerten die Osmanen laut Barbaro »zweihundertzwölf Steinkugeln ab, von denen jede mindestens 200 Pfund wog«.15 Die christliche Flotte lag fest und konnte nichts tun. Bereits vor diesem Angriff war klar geworden, dass den Christen die Kontrolle über das Goldene Horn entglitten war. Außerdem wurden mehr Männer und Material an der Landmauer benötigt, was den Unmut der Seeleute verstärkte. Als der Beschuss abflaute, befahl Mehmet, oberhalb der Stadtmauern eine Pontonbrücke über das Horn zu bauen, um seine Kommunikationswege zu verkürzen und Soldaten und Geschütze nach Belieben verschieben zu können.
Auch an der Landmauer verstärkte Mehmet den Druck. Er setzte nun auf eine Zermürbungstaktik und zunehmend auf psychologische Kriegsführung. Da die Verteidiger nun noch stärker aufgeteilt werden mussten, entschloss er sich, sie durch Dauerbeschuss zu zermürben. Ende April verlegte er einige große Geschütze an den zentralen Mauerabschnitt am St. Romanos-Tor, »weil an dieser Stelle die Mauer niedriger und schwächer war«,16 aber auch die Blachernae-Mauer im Bereich des Palastes wurde beschossen. Tag und Nacht feuerten die Kanonen; durch gelegentliche Scharmützel überprüfte er die Kampfmoral der Verteidiger, dann unternahm er tagelang nichts, um die Verteidiger in trügerische Sicherheit zu wiegen. Ende April wurde durch heftigen Beschuss im oberen Teil der Mauer ein ungefähr neun Meter langer Abschnitt weggerissen. Nach Einbruch der Dunkelheit besserten Giustinianis Männer auch diese Bresche durch einen Erdwall aus, aber am nächsten Morgen wurde der Kanonenbeschuss fortgesetzt. Gegen Mittag zerbarst die Kammer eines der schweren Geschütze, vermutlich wegen eines Fehlers im Lauf, doch der Russe Nestor-Iskander behauptete, das Geschütz sei von einer Kugel aus einer Kanone der Verteidiger getroffen worden. Wütend über diesen Rückschlag befahl Mehmet einen außerplanmäßigen Angriff. Die Osmanen unternahmen einen Vorstoß zur Mauer, der die Verteidiger überraschte. Alsbald entbrannte ein heftiges Feuergefecht. In der Stadt wurden die Kirchenglocken geläutet, und die Menschen eilten zu den Mauern. Angesichts der »klirrenden und funkelnden Waffen schien es, als sei die gesamte Stadt aus ihrer Verankerung gerissen worden«.17 Die erste Reihe der osmanischen Angreifer wurde niedergemäht, doch die nachfolgenden stürmten einfach über sie hinweg. Für den Russen NestorIskander war es ein grauenhafter Anblick: »Wie in der Steppe stapften die Türken
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über die zerschundenen Leiber, die hoch aufgetürmt waren, und ihre Toten dienten ihnen gewissermaßen als Brücke oder als Treppe zur Stadt.« Mühsam konnte der Angriff schließlich zurückgeschlagen werden, doch es dauerte bis zum Einbruch der Nacht. Die Leichen blieben in den Gräben liegen; »von der Bresche bis zu den Tälern waren sie voll mit Blut«.18 Erschöpft legten sich die Soldaten und die Stadtbewohner zum Schlafen nieder und ließen die stöhnenden Verwundeten vor den Mauern zurück. Am nächsten Tag begannen die Mönche abermals mit ihrer traurigen Arbeit, sie begruben die gefallenen Christen und zählten die Toten des Feindes. Konstantin, dem die Zermürbungstaktik sichtlich zusetzte, zeigte sich erschüttert über die Verluste. Erschöpfung, Hunger und Verzweiflung forderten ihren Tribut von den Verteidigern. Anfang Mai wurden die Lebensmittel knapp; auch wurde es immer gefährlicher, mit den Genuesen in Galata Handel zu treiben und zum Fischen in das Goldene Horn hinauszurudern. In Kampfpausen verließen Soldaten ihre Posten und machten sich auf die Suche nach Nahrungsmitteln für ihre Familien. Als die Osmanen dies bemerkten, unternahmen sie Überraschungsangriffe, um die mit Erde gefüllten Bottichen auf den Mauern mit Haken herabzureißen; es gelang ihnen, fast ohne Deckung an die Mauern heranzukommen und Kanonenkugeln mit Netzen zu bergen. Die Verteidiger begannen wieder untereinander zu streiten. Der Genueser Erzbischof Leonhard beschuldigte die Griechen, die ihre Stellungen verlassen hatten, sie hätten Angst. Diese erwiderten: »Wie können wir uns um die Verteidigung kümmern, wenn unsere Familien in Not sind?«19 Andere, so erklärte Leonhard, seien »voll des Hasses auf die Lateiner«.20 Es gab Klagen über Hamsterkäufe, Feigheit, Geschäftemacherei und Behinderung der Anstrengungen zur Verteidigung. Die Gegensätze zwischen den unterschiedlichen Nationalitäten, Sprachen und Glaubensbekenntnissen vertieften sich. Giustiniani und Notares stritten um Material und Nachschub. Leonhard wetterte dagegen, »was bestimmte Leute tun – jene, die Menschenblut trinken; sie horten Lebensmittel oder treiben die Preise in die Höhe«.21 Unter dem Druck der Belagerung begann das christliche Bündnis zu zerfallen. Leonhard warf Konstantin vor, er habe die Lage nicht mehr unter Kontrolle: »Dem Kaiser mangelte es an Strenge, und jene, die den Gehorsam verweigerten, wurden weder mit Worten noch mit dem Schwert bestraft.«22 Diese Konflikte und Zwistigkeiten blieben wahrscheinlich auch Mehmet vor den Mauern nicht verborgen. »Bei den Verteidigern der Stadt wuchs die Uneinigkeit«, berichtete der osmanische Chronist Tursun Bey.23 Um sicherzustellen, dass die Bewachung der Mauern durch die Suche nach Nahrungsmitteln nicht vernachlässigt wurde, befahl Konstantin, dass die Vorräte gerecht verteilt werden sollten unter den Angehörigen der Soldaten. Die Lage
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wurde so ernst, dass er auf Empfehlung seiner Minister Kirchensilber zu requirieren begann und zu Münzen einschmelzen ließ, um damit die Soldaten zu bezahlen, damit diese sich Lebensmittel kaufen konnten. Dies war eine umstrittene Entscheidung, die nicht dazu angetan war, die Zustimmung der orthodoxen Gläubigen zu finden, die das Leiden der Stadt als eine Folge ihrer Sünden und Glaubensirrtümer betrachteten.
Immer häufiger fanden nun Besprechungen der Befehlshaber statt. Die Anwesenheit der feindlichen Flotte im Horn hatte bei den Verteidigern zu großer Verwirrung geführt, und sie sahen sich gezwungen, ihre Truppen entsprechend umzugruppieren. Unablässig wurde von den Mauern Ausschau aufs Meer hinaus gehalten, doch nichts regte sich am westlichen Horizont. Wahrscheinlich am 3. Mai wurde ein Kriegsrat einberufen, an dem die Kommandeure sowie städtische Würdenträger und Geistliche teilnahmen. Die Mauern lagen nach wie vor unter Kanonenbeschuss, die Kampfmoral sank, und es wuchs die Befürchtung, dass ein Sturmangriff der Türken kurz bevorstehen könnte. In dieser Unheil verkündenden Atmosphäre versuchte man, Konstantin dazu zu bewegen, die Stadt zu verlassen und auf die Peloponnes auszuweichen, wo er die Truppen neu formieren, frische Kräfte organisieren und einen Gegenangriff einleiten sollte. Die Chronisten berichteten bewegt von Konstantins Antwort: »Er schwieg lange, dann sagte er: ›Ich weiß, dass mein Fortgehen für mich einigen Vorteil hätte, wenn nämlich all das, was ihr vorausseht, auch wirklich eintrifft. Doch es ist mir unmöglich, fortzugehen. Wie könnte ich die Kirche unseres Herrn verlassen, seine Diener, den Klerus, den Thron und das Volk in einer solchen Notlage? Was würde die Welt von mir sagen? ... Nie, nie will ich euch verlassen. Ich bin entschlossen, hier mit euch zu sterben.‹ Dann verbeugte er sich und weinte. Auch der Patriarch und die anderen schluchzten leise.«24 Nachdem er sich wieder gefasst hatte, schlug Konstantin vor, dass die Venezianer unverzüglich ein Schiff in die östliche Ägäis entsenden sollten, das dort Ausschau halten solle nach der Entsatzflotte. Zwölf Männer meldeten sich freiwillig für diesen gefährlichen Einsatz, bei dem die osmanische Blockade überwunden werden musste, und eine Brigantine wurde klar zum Auslaufen gemacht. Am 3. Mai gegen Mitternacht bestiegen die Männer, verkleidet als Türken, das kleine Schiff, das zur Hafeneinfahrt hinausgerudert wurde. Sie hatten die osmanische Flagge aufgezogen, setzten das Segel, passierten den feindlichen Kontrollpunkt unbemerkt und fuhren im Schutz der Dunkelheit hinaus ins Marmarameer.
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Mehmet beschoss weiterhin die Stadtmauern, obwohl bei den großen Geschützen technische Probleme auftraten. Am 6. Mai kam er zu dem Entschluss, dass nun der Zeitpunkt für einen vernichtenden Schlag gekommen sei: »Er befahl dem gesamten Heer, abermals gegen die Stadt zu marschieren und sie den ganzen Tag anzugreifen.«25 Aufgrund von Informationen aus der Stadt war er offenbar überzeugt, dass der Kampfgeist der Verteidiger immer mehr schwand; durch andere Berichte wurde er vielleicht gewarnt, dass die Entsendung italienischer Entsatztruppen immer wahrscheinlicher würde. Er spürte, dass der zentrale Mauerabschnitt nun entscheidend geschwächt war, und entschloss sich zu einem neuen Großangriff. Die schweren Geschütze nahmen am 6. Mai den Beschuss wieder auf, nach dem mittlerweile üblichen Muster, begleitet von »Schreien und dem Schlagen von Kastagnetten, um die Einwohner der Stadt einzuschüchtern«.26 Bald stürzte ein weiteres Stück der Mauer ein. Die Verteidiger warten bis zum Anbruch der Dunkelheit, um die Stelle auszubessern, doch diesmal feuerten die Geschütze auch in der Nacht. Es war nicht möglich, die Bresche zu schließen. Am nächsten Morgen brachte der Beschuss ein weiteres großes Mauerstück zum Einsturz. Die Osmanen feuerten den ganzen Tag. Um 19.00 Uhr begann unter dem üblichen Geschrei ein massiver Ansturm gegen die Bresche. Die christlichen Soldaten auf den Schiffen im Hafen hörten den Lärm und machten sich kampfbereit, weil sie mit einem begleitenden Angriff der osmanischen Flotte rechneten. Tausende Männer überquerten den Graben und stürmten auf die Bresche zu, doch zahlenmäßige Überlegenheit war an dieser engen Stelle nicht von Vorteil, und die Soldaten rannten sich gegenseitig über den Haufen bei dem Versuch, durch die Bresche in die Stadt vorzustoßen. Giustiniani eilte herbei, um die Eindringlinge zurückzuschlagen, und es kam zu einem erbitterten Kampf Mann gegen Mann. In der ersten Welle führte ein Janitschar namens Murat den Angriff an und hieb auf Giustiniani ein, der nur deshalb mit dem Leben davonkam, weil ein Grieche von der Mauer herabsprang und dem Angreifer mit einer Axt die Beine wegschlug. Eine zweite Welle wurde von Omar Bey angeführt, dem Bannerträger des europäischen Heeres; ihr stemmte sich ein großes Kontingent von Griechen entgegen, die von ihrem Offizier Rhangabes befehligt wurden. In dem wilden Getümmel gingen die beiden Anführer aufeinander los und kämpften vor den Augen ihrer Männer. Omar »zog sein Schwert, griff ihn an, und sie hieben erbittert aufeinander ein. Rhangabes sprang auf einen Felsen, packte sein Schwert mit beiden Händen, versetzte ihm einen Hieb gegen die Schulter und schlug ihn dank seiner kräftigen Arme mitten
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entzwei.«27 Wütend über den Tod ihres Kommandanten, umzingelten die osmanischen Soldaten Rhangabes und streckten ihn nieder. Wie in einer Szene aus der Ilias drängten beide Seiten nach vorn, um sich des Leichnams zu bemächtigen. Die Griechen wollten unbedingt den Toten bergen und strömten aus den Toren, »aber es gelang ihnen nicht, und sie erlitten große Verluste«.28 Die Osmanen zerhackten den verstümmelten Leichnam in mehrere Teile und trieben die griechischen Soldaten zurück in die Stadt. Die Schlacht dauerte noch drei Stunden, doch die Verteidiger konnten ihre Stellung halten. Als der Kampf abflaute, begann das Geschütz wieder zu feuern, um zu verhindern, dass die Bresche geschlossen werden konnte, und die Osmanen starteten einen zweiten Ablenkungsangriff und versuchten das Tor neben dem Palast in Brand zu stecken. Doch auch dieser Vorstoß wurde abgewehrt. In der Dunkelheit besserten Giustiniani und die erschöpften Verteidiger die Breschen notdürftig aus. Wegen des Beschusses der Mauer mussten sie ihren provisorischen Schutzwall aus Erde und Holz ein Stück hinter der ursprünglichen Linie bauen. Die Mauer hielt stand, wenn auch nur knapp. Und in der Stadt »herrschte unter den Griechen große Trauer um Rhangabes, denn er war ein großer Krieger gewesen, ein mutiger Mann, und er war vom Kaiser geliebt worden«.29
Die Verteidiger stumpften allmählich ab durch die monotone Abfolge von Beschuss, Angriff und Ausbesserung. Ähnlich wie viele Tagebücher über den Grabenkampf im 1. Weltkrieg wurden die Berichte der Chronisten einsilbig und farblos. »Am elften Mai«, berichtet Barbaro, »ereignete sich weder an Land noch auf dem Meer irgend etwas Besonderes, abgesehen von einem starken Beschuss der Mauern von der Landseite her, aber sonst geschah nichts, was der Erwähnung wert wäre ... Am dreizehnten Mai kamen einige Türken an die Mauer, es gab ein kleines Scharmützel, darüber hinaus aber ereignete sich an diesem Tag und in der Nacht nichts Besonderes, bis auf das fortgesetzte Bombardement der bedauernswerten Mauern.«30 Nestor-Iskander verliert allmählich den Sinn für die Zeit, er berichtet unchronologisch über Ereignisse und wiederholt diese mehrmals. Sowohl die Soldaten als auch die Zivilisten wurden allmählich kriegsmüde, die Gefechte, das Ausbessern der Breschen, das Begraben der Toten und das Zählen der gefallenen feindlichen Soldaten erschöpfte sie zusehends. Die Osmanen, die in ihrem Lager sorgfältig auf Sauberkeit achteten, brachten ihre Toten jeden Tag weg und verbrannten sie, doch die Gräben waren noch immer voll mit verwesenden Leichen. Durch das Gemetzel drohte das Wasser vergiftet zu werden: »Das Blut trieb in den Flüssen, verunreinigte das Wasser und rief starken Gestank hervor.«31 In der Stadt
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wandten sich die Menschen immer mehr den Wunder wirkenden Heiligenbildern zu und beschäftigten sich mit der Sünde und theologischen Erklärungen für die Ereignisse. »In der ganzen Stadt konnte man Menschen sehen und Frauen, die mit Tränen in den Augen zu den Kirchen zogen, Gott priesen und dankten und zur reinen Jungfrau Maria beteten.«32 Im türkischen Lager wurde der Tag gegliedert durch den Gebetsruf; Derwische mischten sich unter die Soldaten und bestärkten die Gläubigen darin, standhaft zu bleiben und erinnerten sie an die Prophezeiungen der Hadithen: »Im heiligen Krieg gegen Konstantinopel wird sich ein Drittel der Muslime ergeben, was Allah nicht verzeihen kann; ein Drittel wird in der Schlacht getötet werden, was sie zu wundersamen Märtyrern machen wird; und das letzte Drittel wird den Sieg erringen.«33 Als die Verluste weiter stiegen, bemühten sich Konstantin und seine Kommandeure fieberhaft darum, die Lücken zu füllen, doch da die Verteidiger immer noch gespalten waren, wurden diese Versuche vereitelt. Großherzog Lucas Notaras lag sich mit Giustiniani in den Haaren, während die Venezianer weitgehend auf eigene Faust handelten. Nur auf den Galeeren gab es noch frische Kämpfer und intakte Waffen, daher wurde ein entsprechender Appell an die venezianische Gemeinde gerichtet. Am 8. Mai trat der venezianische Rat der Zwölf zusammen und beschloss, das Kriegsmaterial, das sich auf den drei großen venezianischen Galeeren befand, zu entladen, die Männer zu den Mauern zu schicken und anschließend die Schiffe zu versenken. Durch diese verzweifelte Maßnahme wollte man bewirken, dass auch die Seeleute mit ganzer Kraft für die Stadt kämpften, doch sie führte nur zu einer weiteren erbitterten Revolte. Als das Entladen beginnen sollte, versperrten Matrosen mit gezogenen Schwertern die Aufgänge und riefen: »Wir wollen sehen, wer die Ladung der Galeeren übernimmt! ... Wenn wir die Fracht entladen und die Schiffe im Arsenal versenkt haben, dann werden uns die Griechen in der Stadt festhalten wie ihre Sklaven, während wir jetzt noch frei sind und entscheiden können, ob wir bleiben oder gehen sollen.«34 Um die Zerstörung ihres einzigen, noch verbliebenen Schutzes zu verhindern, verbarrikadierten die Kapitäne und Mannschaften ihre Schiffe und weigerten sich, der Aufforderung Folge zu leisten. Den ganzen Tag ging der Beschuss der Landmauern mit unverminderter Heftigkeit weiter. Aufgrund der Dringlichkeit der Situation trat der Rat am nächsten Tag abermals zusammen und änderte seinen Plan. Diesmal erklärte sich der Kapitän der beiden Langgaleeren, Gabriel Trevisano, bereit, seine Schiffe zu entwaffnen und mit seinen 400 Männern die Verteidiger des St. Romanos-Tores zu verstärken. Es dauerte vier Tage, bis die Seeleute dazu gebracht werden konnten, sich zu fügen und das Kriegsmaterial herauszugeben. Als sie am 13. Mai am Tor ankamen, war es fast zu spät.
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Mehmet hatte sein Feuer zwar auf das Gebiet um das St. Romanos-Tor konzentriert, doch einige Kanonen nahmen auch eine Stelle in der Nähe des Palastes unter Feuer, wo die Theodosianische Landmauer mit der Blachernae-Mauer zusammentraf. Bis zum 12. Mai hatten die Geschütze einen Teil der äußeren Mauer zerstört, und Mehmet entschloss sich zu einem nächtlichen Großangriff. Gegen Mitternacht stürmte eine starke Streitmacht gegen diese Bresche an. Für die Verteidiger kam dieser Angriff überraschend, und sie wurden von der Mauer zurückgedrängt durch einen Trupp unter Führung von Mustapha, dem Bannerträger des anatolischen Heeres. Von anderen Mauerabschnitten eilten Verstärkungen herbei, doch die Osmanen drängten sie weiter zurück und begannen mit Sturmleitern die Mauer zu erklettern. In den engen Straßen in der Nähe des Palastes brach Panik aus. Die Bewohner flohen von der Mauer, und viele »glaubten, dass die Stadt in dieser Nacht fallen würde«.35 Zu diesem Zeitpunkt fand laut Nestor-Iskander fünf Kilometer entfernt in der Vorhalle der Sophienkirche ein großer Kriegsrat statt. Es war nun unvermeidlich, sich auf die Katastrophe vorzubereiten. Die Verteidiger wurden Tag für Tag erbarmungslos dezimiert: »Wenn es so weitergeht, werden wir alle sterben, und sie werden die Stadt einnehmen.«36 Angesichts dieser Fakten legte Konstantin seinen Kommandeuren unverblümt die verbliebenen Möglichkeiten dar: Sie konnten einen nächtlichen Ausfall aus der Stadt versuchen, um die Osmanen durch einen Überraschungsangriff zu schlagen, oder sie konnten untätig bleiben und auf die unabwendbare Niederlage warten. Dann blieb ihnen nur noch die Hoffnung, dass die Ungarn oder die Italiener ihnen zu Hilfe kommen würden. Lucas Notaras schlug vor, man solle versuchen, weiter auszuharren, während andere Konstantin abermals drängten, er solle aus der Stadt fliehen, als die Meldung kam, dass »die Türken bereits die Mauer emporstiegen und die Einwohner überwältigten«.37 Konstantin ritt eilends zum Palast. In der Dunkelheit kamen ihm Bewohner und Soldaten entgegen, die von der zerstörten Mauer flohen. Vergeblich versuchte er sie zurückzuhalten, doch die Lage verschlechterte sich rasant. Osmanische Kavallerie war in die Stadt eingedrungen, und es wurde bereits innerhalb der Mauern gekämpft. Das Erscheinen Konstantins und seiner Leibgarde gab den griechischen Soldaten neuen Mut. »Der Kaiser kam, feuerte seine Männer an und machte sie stärker.«38 Mithilfe von Giustiniani drängte er die Eindringlinge zurück, scheuchte sie in das Gewirr der engen Straßen und teilte sie in zwei Hälften. In die Enge getrieben, gingen die Osmanen zu einem wütenden Gegenangriff über und versuchten den Kaiser zu stellen. Unversehrt und wild entschlossen trieb Konstantin einige von ihnen bis
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zur Bresche in der Mauer zurück – und wäre ihnen fast hinterher galoppiert, »doch die Edelleute im kaiserlichen Gefolge und seine deutschen Leibwachen hielten ihn auf und flehten ihn an, er solle zurückreiten«.39 Die osmanischen Soldaten, die nicht entkommen konnten, wurden in den dunklen Gassen getötet. Am nächsten Morgen zerrten die Stadtbewohner die Toten auf die Mauern und warfen sie hinab in die Gräben, wo ihre Kameraden sie einsammeln konnten. Die Stadt hatte sich noch einmal behauptet, aber mit jedem Angriff wurde ihr Fall wahrscheinlicher.
Dies sollte Mehmets letzter Großangriff auf den am Palast gelegenen Mauerabschnitt sein. Obwohl er abgewehrt worden war, hatte der Sultan wohl das Gefühl, dass der Erfolg zum Greifen nahe war. Er entschloss sich nun, seine gesamte Feuerkraft auf den schwächsten Abschnitt zu richten – auf das St. Romanos-Tor. Am 14. Mai, nachdem er erfahren hatte, dass die Christen von einigen ihrer Galeeren das Kriegsmaterial entladen und den Großteil ihrer Flotte in einen kleinen Hafen abseits der Sperre verlegt hatten, kam er zu dem Schluss, dass seine Schiffe im Goldenen Horn nun weitgehend sicher waren vor Angriffen. Daraufhin verlegte er seine Geschütze vom Galata-Hügel zur Landmauer. Zunächst nahm er die Mauern in der Nähe des Palastes unter Feuer; als sich dies als wenig wirkungsvoll erwies, verlegte er die Batterien abermals und ließ sie zum St. Romanos-Tor schaffen. Die Kanonen wurden jetzt immer stärker an einer Stelle zusammengezogen und nicht mehr entlang einer breiten Front verteilt. Der Beschuss wurde noch heftiger: »Tag und Nacht hörten diese Kanonen nicht mehr auf, unsere armen Mauern zu beschießen; sie rissen große Trümmer aus ihnen heraus, und in der Stadt arbeiteten wir Tag und Nacht, um die Mauern so gut wie möglich auszubessern, wo sie beschädigt waren, mit Fässern und Gestrüpp und Erde und was sonst noch dazu taugte, um dies zu bewerkstelligen.«40 An dieser Stelle waren die frischen Kämpfer von Trevisanos Langgaleeren postiert mit »guten Geschützen und guten Gewehren und einer großen Zahl von Armbrusten und anderem Kriegsgerät.«41 Zugleich sorgte Mehmet dafür, dass die Wachschiffe an der Hafensperre ständig unter Druck blieben. Am 16. Mai lösten sich gegen 22.00 Uhr einige Brigantinen von der osmanischen Flotte in der Meerenge und fuhren mit hoher Geschwindigkeit auf die Sperre zu. Die Seeleute, die Wache hielten, nahmen an, es handele sich um zwangsrekrutierte christliche Matrosen, die zu entkommen versuchten, »und wir Christen beobachteten sie von der Sperre aus mit großer Freude«.42 Doch als sie näher kamen, feuerten sie Schüsse auf die Verteidiger ab. Sofort schickten die Italiener ihre eigenen Brigantinen los, um sie abzuwehren, und die Eindring-
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linge versuchten zu entkommen. Die christlichen Schiffe holten sie beinahe ein, aber »sie ruderten eilig weg und kehrten zu ihrer Flotte zurück«.43 Am nächsten Tag prüften die Osmanen die Hafensperre abermals mit fünf schnellen Fustae. Sie wurden durch eine »Salve von mehr als siebzig Schüssen«44 abgewehrt. Ein dritter und letzter Angriff auf die Hafensperre wurde am 21. Mai kurz vor Tagesanbruch vorgetragen, diesmal von der gesamten Flotte. Die Schiffe ruderten schnell auf die Kette zu »mit lautem Trommelwirbel und Kastagnettenklappern, um uns zu erschrecken«,45 dann hielten sie an und musterten ihre Gegner, um deren Stärke einzuschätzen. Die Schiffe an der Sperre waren bewaffnet und kampfbereit, und es schien ein größeres Seegefecht zu entbrennen, als plötzlich in der Stadt Alarm geläutet und ein Sturmangriff angekündigt wurde. Sofort bezogen alle Schiffe im Horn ihre Posten, und die osmanische Flotte schien unsicher zu werden. Sie drehte ab und fuhr zu den Doppelsäulen zurück, sodass »zwei Stunden nach Sonnenaufgang auf beiden Seiten völlige Ruhe herrschte, als ob kein Angriff zur See stattgefunden hätte«.46 Das war der letzte Versuch, die Hafensperre zu überwinden. Anscheinend war der Kampfgeist der osmanischen Flotte, die zum großen Teil aus christlichen Ruderern bestand, weitgehend erlahmt, und sie fühlte sich nicht mehr stark genug, um die christlichen Schiffe ernsthaft zu attackieren, aber diese Manöver sorgten dafür, dass die Verteidiger niemals zur Ruhe kamen. Auch andernorts waren die Muslime emsig an der Arbeit. Am 19. Mai vollendeten osmanische Ingenieure den Bau einer Pontonbrücke über das Goldene Horn, unmittelbar im Bereich der Mauer. Das war eine weitere außergewöhnliche Demonstration ihrer Improvisationsfähigkeit. Die Brücke bestand aus Tausenden großen Fässern, die zweifellos von den Wein trinkenden Christen in Galata stammten; sie waren paarweise der Länge nach zusammengebunden und oben mit Brettern versehen, sodass ein Holzboden entstand, der so breit war, dass fünf Soldaten nebeneinander gehen konnten. Er war sogar stabil genug, um einen Karren zu tragen. Die schwimmende Brücke sollte dazu dienen, die Verbindungswege zwischen den zwei Flügeln des Heeres abzukürzen. Barbaro vermutet, dass Mehmet die Brücke als Vorbereitung für einen Generalangriff bauen ließ, damit er seine Männer schneller verlegen konnte, und dass sie erst am Ende der Belagerung in ihre endgültige Position gebracht werden sollte, denn »wenn die Brücke schon vor dem entscheidenden Angriff über das Horn gelegt worden wäre, hätte sie durch einen einzigen Kanonenschuss zerstört werden können«.47 Alle diese Vorbereitungen konnte man von der Stadtmauer aus verfolgen. Sie zeigten den Verteidigern, welch beträchtliche Ressourcen an Menschen und Material Mehmet bei der Belagerung einsetzen konnte, aber darüber hinaus war eine weitere Unternehmung im Gange, die sie nicht sehen konnten und die sie noch stärker in Angst und Schrecken versetzen sollte.
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Bis Mitte Mai hatte Mehmet die Befestigungsanlagen der Stadt massiv beschossen, aber sie waren noch immer nicht zusammengebrochen. Er hatte alle Möglichkeiten seines Heeres und seiner Flotte ausgeschöpft im Hinblick auf Angriff, Bombardement und Blockade, die drei Haupttechniken der mittelalterlichen Kriegsführung. Doch es gab noch ein weiteres klassisches Kampfmittel, das er bis jetzt noch nicht eingesetzt hatte – das Unterminieren der Mauern. Im osmanischen Vasallenstaat Serbien lag Novo Brdo, die bedeutendste Stadt auf dem Balkan, die in ganz Europa für ihren Silberbergbau bekannt war. Zu den slawischen Soldaten, die für den Feldzug zwangsrekrutiert wurden, gehörte auch eine Gruppe erfahrener Bergleute aus dieser Stadt, vielleicht sächsische Einwanderer, »Fachleute in der Kunst des Bergbaus, unter deren Werkzeugen Marmor zu Wachs wurde und die schwarzen Berge zu Haufen von Staub«.48 Diese Bergleute hatten bereits zu Anfang der Belagerung die Mauern im zentralen Abschnitt zu unterminieren versucht, aber das Vorhaben war aufgegeben worden, weil der Untergrund dafür wenig geeignet erschien. Mitte Mai, nachdem die anderen Methoden versagt hatten und die Belagerung bereits in den zweiten Monat ging, wurde ein neuer Versuch unternommen, diesmal in der Nähe der BlachernaeMauer am Palast. Das Unterminieren war eine zwar sehr aufwändige, aber auch die erfolgreichste Methode, um Mauern zum Einsturz zu bringen. Sie wurde von den muslimischen Heeren schon seit Jahrhunderten angewandt. Bereits Ende des 12. Jahrhunderts wussten Saladins Nachfolger, wie man die großen Festungen der Kreuzfahrer im Laufe von sechs Wochen durch eine Kombination aus Beschuss mit Belagerunsgmaschinen und Unterminieren einnehmen konnte. Mitte Mai begannen die sächsischen Bergleute, geschützt durch Palisaden und Unterstände, die rund 250 Meter lange Strecke von den osmanischen Gräben bis zur Mauer zu unterminieren. Es war eine anspruchsvolle, mühselige und äußerst schwierige Arbeit. Im Licht qualmender Fackeln trieben die Bergmänner schmale unterirdische Stollen voran, die sie mit Holzpfosten abstützten. Versuche, die Mauern Konstantinopels bei früheren osmanischen Belagerungen zu unterminieren, waren erfolglos geblieben, und in der Stadt hielt man es für eine gesicherte Tatsache, dass Unterminierungsversuche zwangsläufig scheitern würden, weil der Boden unter der Mauer größtenteils aus hartem Fels bestand. Doch in der Nacht zum 16. Mai entdeckten die Verteidiger bestürzt, dass sie sich geirrt hatten. Zufällig hörten Soldaten auf der Mauer das Geräusch von Pickeln und gedämpfte Stimmen, die von unten herauf drangen. Der Stollen war bereits unter der Mauer hindurch getrieben
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worden und sollte einen verborgenen Eingang zur Stadt schaffen. Unverzüglich wurden Notaras und Konstantin unterrichtet. Hastig wurde eine Besprechung einberufen, und man suchte in der ganzen Stadt nach Männern mit bergbaulicher Erfahrung, um dieser neuen Bedrohung zu begegnen. Der Mann, der schließlich mit der Leitung der Abwehrmaßnahmen gegen den unterirdischen Angriff beauftragt wurde, war eine schillernde Persönlichkeit: »Johannes Grant, ein Deutscher, ein guter Soldat, bestens ausgebildet im Militärhandwerk«,48 war im Gefolge von Giustiniani in die Stadt gekommen. Er war eigentlich ein Schotte, der längere Zeit in Deutschland gearbeitet hatte. Es ist unklar, welche Ereignisse ihn schließlich nach Konstantinopel führten. Grant war offensichtlich ein sehr erfahrener Berufssoldat, ein Spezialist für Belagerungen und ein Ingenieur, und für kurze Zeit spielte er die Hauptrolle auf einem der merkwürdigsten Nebenschauplätze dieses Kampfes. Grant beherrschte offensichtlich sein Handwerk. Die Lage des feindlichen Stollens wurde anhand der Arbeitsgeräusche ermittelt. Dann wurde unbemerkt von den Osmanen zügig ein Gegenstollen gegraben. Die Verteidiger hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Sie drangen in den feindlichen Stollen ein und legten Feuer an die Stützpfosten. Der Stollen stürzte ein und begrub viele Bergleute unter sich. Die Gefahr, die von diesem Unterminierungsversuch ausgegangen war, vertrieb jeden Anflug von Selbstzufriedenheit in der Stadt. Sofort wurden Vorkehrungen getroffen, um weitere Versuche zu vereiteln. Dabei bediente man sich anscheinend der damaligen Standardtechniken. In regelmäßigen Abständen wurden Schalen oder Eimer mit Wasser auf dem Boden neben der Mauer aufgestellt, und man beobachtete, ob sich die Oberfläche des Wassers kräuselte, was auf unterirdische Schwingungen hinwies. Schwieriger war es, den Verlauf des Stollens festzustellen und ihn schnell und geräuschlos abzuschneiden. In den folgenden Tagen entspann sich ein erbitterter Kampf unter der Erde, in dem andere Fertigkeiten und Kenntnisse gefordert waren als bei den Kämpfen an der Mauer und an der Hafensperre. Nach dem 16. Mai konnten die christlichen Sappeure einige Tage lang keine Anzeichen feindlicher unterirdischer Aktivitäten mehr feststellen. Doch am 21. Mai wurde ein neuer Stollen entdeckt. Auch dieser war schon unter dem Fundament hindurchgetrieben worden und sollte dazu dienen, Soldaten in die Stadt zu schleusen. Grants Männer machten einen Gegenangriff, aber es gelang ihnen nicht, die Osmanen zu überraschen, die sich zurückzogen und die Stützpfähle hinter sich in Brand setzten, sodass der Stollen einstürzte. Dann begann ein Katz- und Maus-Spiel, das im Dunkeln unter grauenhaften Bedingungen ausgefochten wurde. Am nächsten Tag, »zur Stunde des Komplet«, entdeckten die Verteidiger in der Nähe des Charisios-Tors einen Tunnel in die Stadt. Sie verbrannten die Bergleute bei lebendigem Leib durch griechisches Feuer. Ein
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paar Stunden später deuteten Vibrationen auf einen weiteren Stollen in der Nähe hin, aber dieser ließ sich schwieriger zerstören. Doch dann brachen die Stützpfähle von selbst zusammen, und alle feindlichen Bergleute starben. Die sächsischen Bergleute ließen sich nicht entmutigen. Kein Tag verging ohne Scharmützel unter Tage. Jedes Mal, so erinnerte sich Giacomo Tetaldi, »gruben die Christen Gegenstollen, lauschten und stellten ihre Lage fest... Dann erstickten sie die Türken in ihren Stollen durch Rauch, manchmal auch durch übel riechenden Gestank. An einigen Stellen setzten sie die Stollen unter Wasser und wurden häufig in Kämpfe Mann gegen Mann verwickelt.«50 Während dieser Kämpfe unter Tage setzten Mehmets Techniker über der Erde ein neues, völlig unerwartetes Kampfmittel ein. Am Morgen des 19. Mai wurden die Verteidiger auf der Mauer in der Nähe des Charisios-Tors von Entsetzen gepackt. Als sie über das Meer feindlicher Zelte blickten, stand zehn Schritte vor ihnen auf dem Rand des Grabens ein riesiger Turm, der »die Mauern der Barbaren überragte«.51 Die Verteidiger waren überrascht und verblüfft darüber, wie schnell die Osmanen dieses Bauwerk errichtet hatten, das in der Dunkelheit auf Rädern von den feindlichen Linien herbeigezogen worden war und jetzt die Zinnen überragte. Es war ein hölzerner Rahmenbau, der mit Kamelhäuten und einer doppelten Schicht von Schutzschilden überzogen war, um die Männer darin zu schützen. Der untere Teil war mit Erde gefüllt und auch außen mit Erde verkleidet, sodass »Kugeln aus Kanonen oder Handfeuerwaffen ihm nichts anhaben konnten«.52 Die Stockwerke innen waren durch Leitern verbunden, mit denen man auch den Abstand zwischen dem Turm und der Stadtmauer überbrücken konnte. Über Nacht hatte ein großes Arbeiterheer zudem einen geschützten Damm gebaut, der zu den osmanischen Linien zurückführte, »eine halbe Meile lang..., und oben befanden sich zwei Schichten Schutzschilde und ganz oben Kamelhäute, sodass sie geschützt vom Turm zum Heerlager gehen konnten, ohne von Kugeln oder Bolzen oder Steinen aus leichten Geschützen getroffen werden zu können«.53 Soldaten eilten zur Mauer, um sich das Wunderwerk anzuschauen. Der Belagerungsturm war eigentlich ein Rückgriff auf die Zeit der klassischen Kriegsführung, doch Erzbischof Leonhard erschien er als eine »Vorrichtung, welche die Rhomäer nur schwerlich hätten bauen können«.54 Er sollte in erster Linie dazu dienen, das Zuschütten des Grabens vor der Mauer zu ermöglichen. Im unteren Teil des Turms hoben Männer Erde aus und warfen sie durch kleine Öffnungen im Schutzschild in den vor ihnen liegenden Graben. Zugleich feuerten Bogenschützen vom oberen Stockwerk Pfeile in die Stadt, »wie es schien, aus reinem Übermut«.55 Das Projekt war charakteristisch für Mehmet: im Stillen und in großem Rahmen konzipiert und wie der Transport der Schiffe außergewöhnlich schnell umge-
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setzt. Die psychologische Wirkung war durchschlagend. Der Einfallsreichtum und die schier unerschöpflichen Möglichkeiten der Belagerungsarmee dürften den Verteidigern wie ein wiederkehrender Alptraum erschienen sein. Konstantin und seine Kommandeure eilten zu den Wehrgängen, und »als sie sahen, was vor sich ging, wurden alle von tiefer Angst ergriffen, und sie fürchteten, dass dieser Turm dazu führen würde, dass die Stadt verloren ging, denn er überragte die Wachtürme«.56 Die Bedrohung durch den Turm war mit Händen zu greifen. Er schloss den Graben vor den Augen der Belagerten, und aufgrund des Pfeilhagels der Bogenschützen, die den Arbeitern Deckung gaben, konnten die Verteidiger den Fortgang der Arbeiten nicht verhindern. Bis zum Einbruch der Dunkelheit waren die Osmanen schon ein beträchtliches Stück vorangekommen. Sie hatten den Graben mit Baumstämmen, Reisig und Erde gefüllt. Der Belagerungsturm, der von ihnen noch vorn geschoben wurde, rückte immer näher an die Mauer heran. Den entsetzten Verteidigern war klar, dass sie sofort handeln mussten – ein weiterer Tag im Schatten des drohend aufragenden Turms konnte verhängnisvoll werden. In der Nacht wurden hinter der Mauer Pulverfässchen gefüllt und mit glimmenden Lunten zum Turm gerollt. Es gab eine große Explosion: »Plötzlich erbebte die Erde wie unter heftigem Donner und schleuderte den Belagerungsturm und die darin befindlichen Männer wie ein machtvoller Sturm empor zu den Wolken.« Der Turm ging in Flammen auf und stürzte ein: »Menschen und Holzplanken fielen herab von oben.«57 Die Verteidiger kippten Fässer mit heißem Pech auf die am Boden liegenden und stöhnenden Verwundeten. Dann kamen sie hinter der Mauer hervor, töteten alle Überlebenden und verbrannten die Toten zusammen mit dem restlichen Belagerungsgerät, das in der Nähe gelagert war: »lange Rammböcke, fahrbare Leitern und Karren mit schützenden Aufbauten«.58 Mehmet beobachtete das Desaster aus der Ferne. Wütend zog er seine Männer zurück. Auch ähnliche Türme, die an anderen Stellen der Mauer in Position gebracht worden waren, wurden zurückgeholt oder von den Verteidigern in Brand gesteckt. Die Belagerungstürme waren offensichtlich verwundbar durch Feuer, weshalb das Experiment nicht wiederholt wurde. Nun verschärfte sich der unterirdische Stollenkrieg. Am 23. Mai entdeckten die Verteidiger einen neuen Tunnel und drangen in ihn ein. Als sie im Licht flackernder Fackeln weiter vorstießen, trafen sie plötzlich auf die Feinde. Sie schleuderten ihnen griechisches Feuer entgegen, wodurch die Decke einstürzte und die Bergleute unter sich begrub, doch die Verteidiger konnten zwei Offiziere lebend gefangen nehmen. Die Griechen folterten sie, bis sie die Lage aller übrigen Stollen preisgaben: »Nachdem sie gestanden hatten, wurden ihnen die Köpfe abgeschlagen und ihre Leichen wurden an jener Seite der Stadt, wo sich das Lager der Türken befand,
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von der Mauer hinabgeworfen; und als die Türken dies sahen, packte sie der Zorn und sie empfanden große Erbitterung gegen die Griechen und uns Italiener.«59 Am nächsten Tag änderten Mehmets Bergleute ihre Taktik. Anstatt unter den Mauern Gänge in die Stadt zu graben, änderten sie die Richtung des Stollens um 90 Grad, wenn sie die Mauer erreicht hatten, und ließen ihn zehn Schritte weit direkt unter der Mauer verlaufen. Sie stützten den Stollen mit Pfählen ab und trafen Vorbereitungen, ihn in Brand zu stecken, um den darüber befindlichen Mauerabschnitt zum Einsturz zu bringen. Aber auch dieser Stollen wurde rechtzeitig entdeckt; die Eindringlinge wurden zurückgedrängt, und der Untergrund unter der Mauer wurde wieder mit Steinen aufgefüllt. Doch der Vorfall erzeugte große Unruhe in der Stadt. Am 25. Mai unternahmen die Türken einen letzten Unterminierungsversuch. Abermals gelang es ihnen, einen langen Mauerabschnitt zu unterminieren und entsprechend zu präparieren, doch auch diesmal wurden sie entdeckt und vertrieben. In den Augen der Verteidiger war dies der gefährlichste aller bisherigen Stollen, und nach seiner Entdeckung war der Krieg unter Tage zu Ende. Die sächsischen Bergleute in Mehmets Diensten hatten zehn Tage ohne Unterbrechung gearbeitet; sie hatten 14 Stollen gebaut, aber Grant hatte sie alle zerstört. Mehmet musste erkennen, dass sowohl der Turm als auch die Stollen nichts bewirkt hatten, also ließ er die Kanonen weiter donnern.
Westlich von Konstantinopel, weit weg vom Schlachtenlärm und den nächtlichen Angriffen, spielte sich ein kleines, aber gleichwohl bedeutendes Drama ab. Im Hafen einer Insel in der östlichen Ägäis ging ein Segelschiff vor Anker. Es war jene venezianische Brigantine, die aus der Stadt ausgelaufen war. Mitte Mai kreuzte sie zwischen den Inseln hin und her und hielt vergeblich Ausschau nach der Entsatzflotte. Auch von vorüberfahrenden Schiffen vernahmen sie keine Gerüchte, dass Hilfe nahte. Nun wussten sie, dass die Hoffnung auf Entsatz eitel war. Die venezianische Flotte kreuzte vor der Küste Griechenlands und versuchte herauszubekommen, was die Osmanen mit ihrer Flotte vorhatten, und die venezianischen Galeeren, die der Papst ausschicken wollte, waren noch im Bau. Die Mannschaft des Zweimasters war sich ihrer Lage wohl bewusst. Es entbrannte eine hitzige Debatte darüber, was man nun tun solle. Ein Seemann verlangte, dass sie nicht mehr zurückkehren, sondern sich in ein christliches Land begeben sollten, »denn ich weiß sehr genau, dass die Türken Konstantinopel bis dahin eingenommen haben werden«.60 Seine Kameraden erwiderten, dass sie der Kaiser mit dieser Aufgabe betraut habe und dass sie verpflichtet seien, sie zu Ende zu bringen: »Und daher
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wollen wir nach Konstantinopel zurückkehren, ob es in der Hand der Türken ist oder nicht, ob es für uns den Tod oder das Leben bedeutet, lasst uns unseren Weg gehen.«61 Die Mehrheit der Besatzung stimmte für die Rückkehr nach Konstantinopel, ungeachtet der möglichen Konsequenzen. Die Brigantine segelte unter südlichem Wind die Dardanellen hinauf, nahm wieder ihre türkische Tarnung an und näherte sich am 23. Mai kurz vor Tagesanbruch der Stadt. Doch dieses Mal ließen sich die osmanischen Seeleute nicht täuschen. Sie hatten aufmerksam das Meer beobachtet, denn sie fürchteten, dass die Venezianer erscheinen würden, und sie hielten nun das kleine Segelschiff für deren Vorhut. Die Osmanen ruderten ihm entgegen, um es abzufangen, doch die Brigantine entkam ihnen, und die Hafensperre öffnete sich, um sie einzulassen. Die Mannschaft berichtete dem Kaiser, sie habe keine Anzeichen für eine Entsatzflotte entdecken können. Konstantin dankte den Matrosen, dass sie in die Stadt zurückgekehrt waren, »und begann aus Kummer bitter zu weinen«. Die Gewissheit, dass die Christenheit keine Schiffe zur Rettung der Stadt schicken würde, zerstörte jegliche Hoffnung, »und nachdem er dies erkannt hatte, legte er sein Schicksal in die Hände unseres gütigen Herrn Jesus Christus und seiner Mutter, der Heiligen Jungfrau Maria, und des Heiligen Konstantins, des Schutzherrn seiner Stadt, und flehte sie an, sie zu schützen«.62 Es war der 48. Tag der Belagerung.
12 O m e n u n d b ö s e Vo r z e i c h e n 2 4 . – 2 6 . M a i 14 5 3
Wir sehen Vorzeichen in den Antworten und Grüßen unserer Mitmenschen. Wir achten auf das Schnattern unseres Federviehs, auf den Flug und die Rufe der Krähen und deuten sie als Omen ... Wir beachten unsere Träume und glauben, dass sie uns die Zukunft verkünden ... Solche Sünden aber und ähnliche sind es, die uns der Strafen würdig machen, mit denen Gott uns heimsucht ... Joseph Bryennios, byzantinischer Autor aus dem 14. Jahrhundert1
Prophezeiungen, Apokalypse, Sünde: Als die Belagerung in den letzten Maiwochen in die Endphase eintrat, packte die Bewohner der Stadt die Angst vor dem Untergang. Der Glaube an Omen hatte in Byzanz seit jeher eine bedeutende Rolle gespielt. Konstantinopel war schließlich im Gefolge eines mythenbeladenen Zeichens gegründet worden: der Vision eines Kreuzes, die Konstantin dem Großen vor der entscheidenden Schlacht an der Milvischen Brücke im Jahr 312 n. Chr. erschienen war – allenthalben entdeckte man daher Vorzeichen und versuchte sie zu deuten. Im Zuge des unaufhaltsamen Niedergangs des Reiches verbanden sich diese Vorzeichen immer stärker mit einer pessimistischen Grundhaltung. Weit verbreitet war die Überzeugung, dass Byzanz das letzte große Reich auf Erden sein würde, dessen letztes Jahrhundert um 1394 angebrochen sei. Die Menschen erinnerten sich an die alten prophetischen Werke aus der Zeit der ersten arabischen Belagerungen; ihre Wahrheit beanspruchenden, orakelhaften Verse wurden häufig zitiert: »Unglück wird über dich kommen, Stadt der sieben Hügel, wenn der zwanzigste Brief auf deinen Zinnen verkündet wird. Dann wird dein Sturz nahe sein und die Vernichtung deiner Herrscher.«2 Die Türken wurden als ein Volk betrachtet,
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welches das Herannahen des Jüngsten Gerichts ankündigte, eine Geißel, die Gott gesandt hatte zur Bestrafung der Christen für ihre Sünden. In dieser Atmosphäre achteten die Menschen besonders auf Zeichen, die das bevorstehende Ende des Reiches ankündigten oder gar der ganzen Welt: Epidemien, Naturphänomene, Engelserscheinungen. Die uralte Stadt wurde umhüllt von einem Nebel aus Legenden, Prophezeiungen und Deutungen übernatürlicher Erscheinungen. Ihre tausend Jahre alten Monumente, deren ursprüngliche Bedeutung in Vergessenheit geraten war, galten als magische Kryptogramme, in denen man die Zukunft lesen konnte: Das von einem Bildhauer geschaffene Fries auf dem Sockel der Statue auf dem Forum Tauri enthielt eine verschlüsselte Prophezeiung über das Ende der Stadt, und das große Reiterstandbild Justinians, das nach Osten ausgerichtet war, symbolisierte nicht länger die Herrschaft über die Perser. Es wies vielmehr die Richtung, aus der die Zerstörer der Stadt kommen sollten. In diesem geistigen Klima verstärkte sich die Erwartung des Jüngsten Gerichts, als dessen Ankündigung die Belagerung gedeutet wurde. Das ungewöhnliche Wetter und der unablässige Artilleriebeschuss nährten bei den orthodoxen Gläubigen die Überzeugung, dass der Untergang nahte. Der Antichrist in Gestalt von Mehmet stand vor den Toren. Man erzählte sich von prophetischen Träumen und bösen Omen: Dass ein Kind gesehen habe, wie der Engel, der die Stadtmauern schützte, seinen Posten verlassen habe; dass blutende Austern gefangen worden seien; dass sich eine große Schlange nähere; dass die Erdbeben und Hagelstürme, die über die Stadt hereinbrachen, »die große Vernichtung«3 ankündigten. Alles schien darauf hinzudeuten, dass die Zeit bald ihr Ende finden würde. Im Georgskloster gab es ein orakelhaftes Dokument, das unterteilt war in Quadrate, in denen jeweils der Name eines Kaisers stand: »Bald würden alle Quadrate gefüllt sein, und es hieß, dass nur noch ein letztes Quadrat übrig bleiben würde«4 – jenes Quadrat, in das der Name Konstantin XI. eingetragen werden würde. Die Auffassung der Byzantiner, dass die Zeit zyklisch und symmetrisch ablaufe, wurde durch eine weitere, auf den Herrscher bezogene Prophezeiung gestützt: Angeblich sollten sowohl die Gründung als auch der Untergang der Stadt unter der Regierung eines Kaisers namens Konstantin erfolgen, dessen Mutter Helene hieß. Die Mütter von Konstantin I. wie auch von Konstantin XI. trugen diesen Namen. Angesichts dieser schier ausweglosen Lage verließ die Bewohner immer mehr der Mut. Überall in der Stadt wurden Bittgottesdienste abgehalten. Tag und Nacht wurde in den Kirchen gebetet, außer in der Sophienkirche, die leer blieb. NestorIskander beobachtete, dass »die Menschen in den heiligen Kirchen Gottes zusammenströmten, weinten, schluchzten, die Arme gen Himmel hoben und die Gnade Gottes erflehten«.5 Für die orthodoxen Gläubigen waren die Gebete für das Überle-
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ben der Stadt genauso wichtig wie die nächtlichen Arbeitseinsätze zur Ausbesserung der Schäden an der Mauer. Sie stützten das Kraftfeld des göttlichen Schutzes, das die Stadt umgab. Jene, die noch nicht völlig in Hoffnungslosigkeit versunken waren, erinnerten an anderslautende Prophezeiungen: dass die Stadt unter dem persönlichen Schutz der Jungfrau Maria stehe und niemals erobert werden könne, weil sie die Überreste des Wahren Kreuzes beherberge; und dass der Feind, auch wenn es ihm gelingen sollte, in die Stadt einzudringen, nur bis zur Konstantinsäule würde vorstoßen können, weil dann ein Engel mit einem Schwert vom Himmel herabkommen und ihn in die Flucht schlagen würde. Doch die Untergangsstimmung wurde geschürt durch die niederschmetternde Nachricht von der venezianischen Brigantine am 23. Mai, und sie steigerte sich noch in jener Nacht, die von einem Vollmond erhellt wurde. Das war vermutlich am nächsten Tag, dem 24. Mai, obwohl dieses Datum nicht gesichert ist. Der Mond war von großer Bedeutung für die seelische Verfassung der Stadt und ihrer Bewohner. Er ging über der Kupferkuppel der Sophienkirche auf, glänzte über den stillen Wassern des Goldenen Horns und über dem Bosporus und war seit alters her ein Symbol für Byzanz. Wie eine Goldmünze, die Nacht für Nacht in den asiatischen Bergen ausgegraben wurde, verkörperte sein Abnehmen und Zunehmen das Alter der Stadt und die endlosen Kreisläufe der Zeit, die sie durchlebt hatte: fließend, zeitlos und schicksalsträchtig. Das letzte Jahrtausend der Erdgeschichte würde, so glaubte man, vom Mond beherrscht werden, wenn das »Leben kurz sein wird und das Schicksal ungewiss«.6 Ende Mai erinnerte man sich wieder an die alte Weissagung, dass die Stadt nicht fallen werde, solange ein zunehmender Mond am Himmel stehe; nach dem 24. Mai nahm der Mond wieder ab, und die Zukunft würde wieder unsicher werden. Diese Aussicht erfüllte die Bewohner mit großer Angst. Das Schicksal der Stadt schien sich an diesem Datum zu erfüllen. Gespannt erwarteten die Einwohner am 24. Mai den Einbruch der Dunkelheit. Nach heftigem Beschuss während des ganzen Tages kehrte am Abend plötzlich Ruhe ein. Allen Berichten zufolge war es ein milder Frühlingstag, eine Zeit, in der sich der Zauber Konstantinopels am intensivsten entfaltete, die Abendsonne leuchtete noch im Westen, von Ferne hörte man, wie die Meereswellen sanft gegen die Seemauer schlugen. »Der Himmel war klar und wolkenlos«, erinnerte sich Barbaro, »rein wie Kristall.«7 Doch als eine Stunde nach Sonnenuntergang der Mond aufging, bot sich den Menschen ein außergewöhnlicher Anblick. Anstatt einer vollen, runden goldenen Scheibe sahen sie einen Mond, »der nur drei Tage alt war und von dem nicht viel zu sehen war«.8 Vier Stunden lang blieb der Mond schwach und kümmerlich, dann »wurde er langsam voller, und in der sechsten Stunde der Nacht bildete er einen vollendeten runden Kreis«.9 Diese partielle Mondfinsternis
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erschien den Verteidigern als ein weiteres böses Omen. War nicht der Halbmond das Symbol der Osmanen, das die Banner über Mehmets Heerlager zierte? Laut Barbaro »erfüllte dieses Zeichen den Kaiser und alle seine Edlen mit großer Furcht..., doch die Türken feierten wegen dieses Zeichens ein großes Fest in ihrem Lager, denn nun schien es, als sei ihnen der Sieg gewiss«.10 Für Konstantin, der darum rang, den Durchhaltewillen der Bevölkerung zu stärken, war dies ein schwerer Schlag. Am nächsten Tag wurde beschlossen, vermutlich auf Drängen Konstantins, einen unmittelbaren Hilferuf an die Jungfrau Maria zu richten. Die Muttergottes galt den Byzantinern seit jeher als besonders wirkungsmächtige Schutzpatronin. Ihre geheiligteste Ikone, die Hodegetria, »jene, die den Weg weist«, war ein Talisman, dem sie wundersame Kräfte zuschrieben. Das Bild war angeblich vom Evangelisten Lukas gemalt worden und hatte eine wichtige Rolle gespielt bei der erfolgreichen Abwehr der früheren Belagerungen der Stadt. Bei der Belagerung durch die Awaren 626 war es über die Wehrgänge getragen worden. Auch 718 schrieb man die Rettung Konstantinopels vor den Arabern diesem Marienbildnis zu. Daher versammelte sich am Morgen des 25. Mai eine große Menschenmenge vor dem Schrein der Ikone, der Erlöserkirche in Chora in der Nähe der Stadtmauern. Das geheiligte Bildnis wurde, befestigt auf einer hölzernen Trage, auf die Schultern einiger Männer der Bruderschaft Mariens gehoben und in einer Prozession durch die steilen, engen Straßen getragen: An der Spitze ging der Träger des Kreuzes; dahinter folgten die Priester in schwarzen Gewändern, die Weihrauchfässer schwenkten; dann kamen die Laien, Männer, Frauen und Kinder, die vermutlich barfuß liefen. Kantoren stimmten Kirchenlieder an. Die eindringlichen Vierteltöne der Lieder, die Klagegesänge der Gläubigen, die Weihrauchwolken und die Fürbitten an die Jungfrau Maria – all dies stieg empor in die kühle Morgenluft. Unablässig wiederholten die Bewohner die Bitte um Hilfe: »Rette du die Stadt, da du sie kennst und führst. Wir schicken dich nach vorne, als unsere Waffe, unsere Wehr, unseren Schild, unseren Anführer. Kämpfe du für das Volk.«11 Der Weg, den die Prozession nahm, so sagte man, wurde von einer Kraft bestimmt, die unmittelbar dem Heiligenbild entströmte und es lenkte wie die Ausschläge einer Wünschelrute. Doch dann kam es zu einem erschütternden Zwischenfall. Plötzlich und unerklärlicherweise rutschte die Ikone den Trägern aus den Händen, »obwohl keinerlei äußere Gewalt oder Krafteinwirkung vorausgegangen war«.12 Entsetzt und schreiend eilten die Menschen herbei, um die Muttergottes wieder aufzurichten, doch sie war schwer wie Blei, als sei sie am Boden festgeheftet. Es war nicht möglich, sie hochzuheben. Eine Weile bemühten sich die Priester und die Träger vergeblich, das Heiligenbild aus dem Kot aufzunehmen. Mit größter Anstrengung und unter viel
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Geschrei gelang es schließlich, doch dieses Ereignis flößte allen größtes Entsetzen ein. Als sich die Prozession wieder gesammelt hatte und ein Stück weitergezogen war, brach ein starkes Gewitter über sie herein. Grelle Blitze zuckten über den Mittagshimmel; es goss in Strömen und hagelte heftig, sodass die Menschen »es nicht aushalten und ihren Weg nicht weiter fortsetzen konnten«.13 Das Heiligenbild kam zum Stehen. Sturzbäche schossen über die Straßen und drohten Kinder mitzureißen: »Viele der mitziehenden Kinder [wären] in Gefahr geraten, mitgerissen zu werden und zu ertrinken, fortgeschwemmt von dem starken und reißenden Wasserfall, wenn nicht Männer sie sogleich ergriffen und mit Mühe der Gewalt des Wassers entrissen hätten.«14 Die Prozession musste abgebrochen werden. Die Menschen gingen nach Hause; sie wussten nun, wie sie ihre Lage zu deuten hatten. Die Jungfrau Maria hatte sich geweigert, ihre Gebete zu erhören; der Hagelsturm zeigte »fraglos ... den unmittelbar bevorstehenden, totalen Untergang an, und dass alles wie ein Gießbach und wie reißendes Wasser dahinschwinden und fortgerissen werden würde«.15 Am nächsten Morgen war die Stadt in dichten Nebel gehüllt. Es war windstill, und der Nebel hing den ganzen Tag über der Stadt. Alles war gedämpft, still, unsichtbar. Diese unheimliche Atmosphäre verstärkte die trostlose Stimmung. Es gab nur eine mögliche Erklärung für den in dieser Jahreszeit ungewöhnlichen Nebel: Er zeigte den »Aus- und Rückzug der Gottheit aus der Stadt an und dass sie diese endgültig verließ und sich von ihr abwandte. Denn in eine Wolke gehüllt, naht die Gottheit und entschwindet wieder.«16 Gegen Abend schien der Nebel noch dichter zu werden, und »eine große Dunkelheit legte sich über die Stadt«.17 Doch in dieser Nacht bemerkte man auch etwas Seltsames. Die Wachen auf den Mauern sahen, dass Konstantinopel von gleißenden Lichtern erhellt wurde, und sie meinten zuerst, der Feind sei bereits im Begriff, die Stadt in Brand zu stecken. Beunruhigt eilten die Menschen herbei und stießen entsetzte Rufe aus, als sie zur Kuppel der Sophienkirche emporblickten. Ein eigenartiges Licht strich um das Dach. Der leicht zu beeindruckende Nestor-Iskander schilderte, was er beobachtete: »Aus dem oberen Teil des Fensters stach eine große Flamme heraus; sie umzüngelte lange Zeit die gesamte Spitze der Kirche. Dann verschmolzen die Flammen zu einer, ihre Farbe veränderte sich, und es erstrahlte ein unbeschreibliches Licht. Plötzlich stieg es empor in den Himmel. Alle, die dies gesehen hatten, waren bestürzt, sie begannen zu weinen und riefen auf Griechisch: Herr, erbarme dich! Das Licht ist in den Himmel aufgefahren!‹«18 Für die Gläubigen war klar, dass Gott Konstantinopel verlassen hatte. Im Lager der Osmanen hatte diese angespannte Atmosphäre und das überirdische Licht eine ähnliche Wirkung auf die Soldaten. Mehmet hatte nicht schlafen können. Als er den Lichtschein über der Stadt sah, war
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er zunächst beunruhigt und rief seine Mullahs zu sich. Diese hatten eine erfreuliche Auslegung parat: »Das ist ein sehr gutes Zeichen! Es bedeutet: Die Stadt ist verloren!«19 Am folgenden Tag, es war vermutlich der 26. Mai, erschien eine Abordnung von Geistlichen und Ministern bei Konstantin, um ihn von ihren Vorahnungen in Kenntnis zu setzen. Das geheimnisvolle Licht wurde genau beschrieben, dann drängten sie den Kaiser abermals, sich an einen sichereren Ort zu begeben, wo er doch noch Unterstützung gegen Mehmet erhalten könne. »Kaiser, wäge alles gut ab, was berichtet worden ist über diese Stadt. Gott hat das Licht gesandt in der Zeit von Kaiser Justinian, um die große geheiligte Kirche und diese Stadt zu erhalten. Doch in dieser Nacht ist es in den Himmel entschwunden. Das bedeutet, dass Gottes Gnade und Großmut von uns genommen worden sind: Gott wünscht, dass wir die Stadt dem Feinde ausliefern... Wir flehen dich an: Verlasse die Stadt, damit wir nicht untergehen!«20 Konstantin war ergriffen, aber sehr müde und erschöpft, und er fiel zu Boden und wurde für eine Weile ohnmächtig. Als er wieder zu sich kam, war seine Antwort noch immer dieselbe: Wenn er die Stadt verlasse, werde er ewige Schande auf seinen Namen laden. Er werde in der Stadt bleiben und notfalls mit seinem Volk sterben: »Lasst nicht zu, dass es sich der Verzweiflung ergibt und in den Mut im Kampf sinken lässt.«21 Andere Teilnehmer der Versammlung äußerten sich gegenteilig. Am Abend des 26. Mai überwand ein venezianischer Schiffsführer namens Nicholas Giustiniani – der nicht verwandt war mit Giovanni Giustiniani, dem Helden der Belagerung – mit seinem Schiff die Sperrkette und setzte sich im Schutz der Nacht ab. Einige kleinere Schiffe liefen aus den kleinen Häfen am Seewall am Marmarameer aus, umgingen die Seeblockade und nahmen Kurs auf die griechischen Inseln in der Ägäis. Einige wohlhabende Einwohner Konstantinopels suchten Zuflucht auf einem der italienischen Schiffe im Goldenen Horn, weil sie hofften, dass sie dadurch am ehesten entkommen konnten, wenn die Katastrophe hereinbrach. Andere suchten nach sicheren Schlupflöchern in der Stadt. Doch kaum jemand machte sich Illusionen darüber, was nach der Niederlage folgen würde.
In der mystikgläubigen Welt des Mittelalters waren die astrologischen Zeichen und das ungewöhnliche Wetter, das den Durchhaltewillen der Stadtbevölkerung schwächte, eindeutige Hinweise auf den Willen Gottes. Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Furcht erregenden Phänomene lag weit weg im Pazifischen Ozean und übertraf vielleicht sogar die grauenhaftesten Visionen von Armaged-
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don. Anfang des Jahres 1453 flog die Vulkaninsel Kuwae, rund 1900 Kilometer östlich von Australien gelegen, buchstäblich in die Luft. Über 30 Kubikkilometer geschmolzenen Felsgesteins wurden mit einer Sprengkraft, die zwei Millionen Mal größer war als jene der Atombombe von Hiroshima, in die Stratosphäre geschleudert. Das war das Krakatau des Mittelalters, ein Ereignis, das weltweit Auswirkungen auf das Wetter hatte. Vulkanstaub wurde durch die Winde über die ganze Erde verteilt, was zu einem Absinken der Temperatur führte und von China bis Schweden die Ernten stark beeinträchtigte. Südlich des Jangtse-Flusses, in einem Gebiet mit einem ähnlich milden Klima wie in Florida, schneite es vierzig Tage lang ununterbrochen. In England zeigen die aus dieser Zeit stammenden Jahresringe der Bäume, dass ihr Wachstum verkümmert war. Die schwefelreichen Partikel aus Kuwae waren vielleicht auch die Ursache des ungewöhnlich kalten Wetters und der wechselhaften Mischung aus Regen, Hagel, Nebel und Schnee, die Konstantinopel den ganzen Frühling zu schaffen machten. In der Atmosphäre bewirkten sie vielleicht auch gespenstische Sonnenuntergänge und seltsame optische Effekte. Möglicherweise waren es auch diese Partikel, allein oder in Verbindung mit der Wirkung des Elmsfeuers – ein durch die Entladung atmosphärischer Elektrizität verursachtes Glühen –, welche die Kupferkuppel der Kathedrale am 26. Mai mit den Unheil verkündenden Feuerschleifen umhüllten und bei den Verteidigern die Angst vor dem Untergang schürten. (Gespenstische Lichterscheinungen nach dem Ausbruch des Vulkans Krakatau im Jahr 1883 versetzten auch die Bewohner New Yorks in Aufruhr, aber da sie in einem aufgeklärteren Zeitalter lebten, glaubten sie, dass irgendwo ein riesiger Brand ausgebrochen sei, und riefen die Feuerwehr.)
Die fiebrige Atmosphäre und das Gefühl, dass Unheil drohte, waren nicht auf die Stadt beschränkt. In der letzten Maiwoche kam es auch im Lager der Osmanen zu einer schweren Krise. Unter dem Banner des Islam machte sich eine gewisse Unzufriedenheit breit. Es war der fünfte Monat des arabischen Mondjahres; seit sieben Wochen griffen die Türken die Stadt nun zu Lande und zur See an. Sie hatten das schlechte Wetter ertragen und an den Mauern schreckliche Verluste erlitten. Unzählige Opfer, die niedergetrampelt worden waren, hatten sie aus den mit Leichen überfüllten Gräben weggetragen; Tag für Tag stieg der Rauch der Scheiterhaufen, auf denen die Toten verbrannt wurden, über der Ebene auf. Und wenn sie hochblickten aus dem Meer der wohl geordneten Zelte, sahen sie die Mauern, die noch immer standen; und wo sie durch die schweren Geschütze eingerissen worden waren, wirkten die langen Erdwälle, über denen Bottiche emporragten, wie der
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Hohn eines hartnäckigen Feindes. Der Doppelkopfadler des Kaisers flatterte noch immer über den Zinnen, während der Löwe von Sankt Markus über dem Kaiserpalast an die Hilfe aus dem Westen erinnerte. Die Befürchtung, dass Entsatztruppen auf dem Weg sein könnten, war verbreitet im Lager der Türken, doch keine Streitmacht hielt eine lange Belagerung so gut durch wie die Osmanen. Sie beherrschten die Regeln des Lagerlebens besser als alle westlichen Heere – das schnelle Verbrennen der Toten, der Schutz der Wasserquellen und die Entsorgung der Fäkalien waren Kerndisziplinen in der osmanischen Kriegstechnik –, doch allmählich wandte sich die Mathematik der Belagerung gegen sie. Nach Schätzungen musste im Mittelalter eine Belagerungsarmee von 25 000 Mann, die nur ein Drittel so groß war wie jene vor Konstantinopel, für einen einzigen Tag 340 Hektoliter Wasser und 30 Tonnen Lebensmittel mit sich führen. Bei einer sechzigtägigen Belagerung musste ein solches Heer 3800 Kubikmeter menschlicher und tierischer Fäkalien und 4000 Tonnen biologischer Abfälle entsorgen. Und bald schon würden die materiellen Belastungen und die Gefahr des Ausbruchs von Krankheiten durch die sommerliche Hitze noch verschärft werden. Die Zeit arbeitete gegen die Osmanen. Nach sieben Wochen Belagerung machte sich auf beiden Seiten Kriegsmüdigkeit breit. Man war allgemein der Auffassung, dass sich eine Entscheidung nicht mehr länger aufschieben ließ. Die Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. In diesem Klima wurde der Kampf um Konstantinopel zu einem persönlichen Wettstreit zwischen Mehmet und Konstantin um die Kampfmoral ihrer Soldaten. Während Konstantin verfolgte, wie die Hoffnung in seiner Stadt immer mehr schwand, verbreitete sich seltsamerweise in der osmanischen Armee eine ähnliche Stimmung. Der genaue Ablauf und die Zeitpunkte der folgenden Ereignisse bleiben unklar. Die venezianische Brigantine, die am 23. Mai mit der Botschaft erschien, dass keine Entsatzflotte in Sicht sei, wurde von den Osmanen vielleicht als die Vorhut einer solchen Flotte betrachtet. Am nächsten Tag verbreitete sich zwischen den Zelten die Nachricht, dass eine mächtige Flotte Kurs auf die Dardanellen genommen habe, während ein ungarisches Kreuzfahrerheer unter Johannes Hunyadi, dem »gefürchteten weißen Ritter«, die Donau bereits überschritten habe und auf Edirne marschiere. Wahrscheinlich hatte Konstantin diese Meldung lanciert in einem letzten Versuch, den Kampfgeist der Osmanen zu schwächen. Die Wirkung ließ nicht auf sich warten. Enttäuschung und Besorgnis erfassten die Soldaten. Sie erinnerten sich, wie die Chronisten berichteten, dass »viele Könige und Sultane es schon versucht ... und große Heere ausgerüstet hatten, aber keiner war zum Fuße der Festung vorgedrungen. Sie hatten sich unter Schmerzen zurückgezogen, verwundet und ihrer Hoffnung beraubt.«22 Niedergeschlagenheit herrschte im Lager, und wenn man Leonhard von Chios Glauben schenken darf, »begannen die Türken
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gegen ihren Sultan aufzubegehren«.23 Abermals verbreiteten sich Zweifel unter den osmanischen Befehlshabern, und der alte Streit darüber, welche Taktik man bei der Belagerung verfolgen solle, entbrannte erneut. Mehmet befand sich in einer schwierigen Lage. Wenn es ihm nicht gelang, die Stadt einzunehmen, würde sein Ansehen leiden, doch die Zeit arbeitete gegen sein Heer und die Soldaten verloren die Geduld. Er musste seinen Männern Zuversicht einflößen und unverzüglich etwas unternehmen. Die Nacht der Mondfinsternis bot eine gute Gelegenheit, den Kampfgeist seiner Truppe wieder anzustacheln. Er konnte davon ausgehen, dass die eifernden Mullahs und Derwische, die sich dem Belagerungsheer angeschlossen hatten, eine für ihn günstige Auslegung der Mondfinsternis im Lager verbreiten würden, doch die Entscheidung, die Belagerung fortzusetzen, blieb mit Risiken behaftet. In der für ihn charakteristischen Mischung aus Klugheit und List entschloss sich Mehmet, Konstantin ein letztes Mal aufzufordern, die Stadt zu übergeben. Wahrscheinlich am 25. Mai schickte er einen Unterhändler in die Stadt, einen Edelmann namens Ismail, Sohn eines griechischen Renegaten, der den Byzantinern ihr unabwendbares Schicksal vor Augen führen sollte. Er malte ihnen die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation aus: »Männer Griechenlands, euer Schicksal steht in der Tat auf des Messers Schneide. Warum entsendet ihr keinen Unterhändler, um mit dem Sultan über den Frieden zu verhandeln? Wenn ihr mir diese Aufgabe anvertraut, werde ich dafür sorgen, dass er euch seine Bedingungen unterbreitet. Anderenfalls wird eure Stadt versklavt und ihr selbst werdet vollständig vernichtet werden.«24 Zögerlich erklärten sich die Byzantiner bereit, diesen Vorschlag zu prüfen, entschieden aber auch, sich abzusichern und keinen Mann »von hohem Stande« zu entsenden, um keine der führenden Persönlichkeiten der Stadt in Gefahr zu bringen. Dieser Unglückliche wurde zum rotgelben Zelt des Sultans geführt und warf sich vor ihm zu Boden. Mehmet erläuterte ihm sein Angebot: Die Stadt könne entweder einen jährlichen Tribut von einhunderttausend Goldbyzantinern zahlen, oder aber die Bürger könnten die Stadt verlassen und »ihre gesamte Habe mitnehmen und hingehen, wohin sie wollen«.25 Das Angebot wurde dem Kaiser und seinem Ministerrat übermittelt. Die geforderte Tributzahlung überstieg die Möglichkeiten der verarmten Stadt bei Weitem, und die Forderung, wegzugehen und Konstantinopel aufzugeben, blieb für Konstantin unannehmbar. In seiner Antwort bot er dem Sultan an, alles auszuliefern, mit Ausnahme der Stadt. Mehmet erwiderte, dass den Griechen nur noch die Wahl bleibe zwischen Übergabe der Stadt, Tod durch das Schwert oder Bekehrung zum Islam. Nun verbreitete sich in der Stadt die Auffassung, dass Mehmets Angebot nicht ernst gemeint sei, dass er Ismail nur geschickt habe, »um zu prüfen, in welcher geistigen Verfassung sich die
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Griechen befanden..., wie die Griechen ihre Lage einschätzten und wie gefestigt ihre Stellung noch war«.26 Doch Mehmet wünschte nach wie vor die Kapitulation Konstantinopels. Dadurch würde die Stadt weitgehend unzerstört bleiben, und er könnte sie zu seiner neuen Hauptstadt machen; nach dem Gesetz des Islam aber würde er seinen Soldaten erlauben müssen, die Stadt drei Tage lang zu plündern, wenn sie mit Gewalt erobert wurde. Niemand weiß, wie wahrscheinlich eine freiwillige Kapitulation der Stadt war. Es wurde behauptet, die Genuesen, deren Kolonie Galata ebenfalls bedroht war, hätten den Kaiser gedrängt, das Friedensangebot zurückzuweisen, doch es ist unwahrscheinlich, dass Konstantin, der sich bislang sehr standhaft gezeigt hatte, jemals ernsthaft erwog, Konstantinopel zu übergeben. Für beide Seiten war es wahrscheinlich schon zu spät für eine friedliche Übergabe. Die Erbitterung war zu groß. Fünfzig Tage lang hatten sie sich über die Mauern hinweg bekämpft und niedergemetzelt und Gefangene unter den Augen ihrer Kameraden hingerichtet. Jetzt ging es nur noch darum, entweder die Belagerung aufzuheben oder die Stadt gewaltsam zu erobern. Doukas erfasste den Tenor von Konstantins Antwort wohl am treffendsten: »Erlege uns eine möglichst große jährliche Tributzahlung auf, schließe einen Friedensvertrag mit uns und ziehe dich dann zurück, denn du weißt nicht, ob du den Sieg erringen oder getäuscht werden wirst. Es liegt nicht in meiner Macht, noch in der meiner Bürger, dir die Stadt zu übergeben. Wir sind fest entschlossen, eher zu sterben, als darum zu bitten, unser Leben zu verschonen.«27 Wenn Konstantin tatsächlich im türkischen Lager das Gerücht hatte verbreiten lassen, dass Entsatztruppen aus dem Westen im Anmarsch seien, bediente er sich einer zweischneidigen Waffe. Vor den Mauern war man unschlüssig, was man jetzt unternehmen solle, doch die Gefahr, dass Hilfe für Konstantinopel nahen könnte, erzwang schnelles Handeln. Die kategorische Ablehnung Konstantins führte im osmanischen Heerlager zu erneuten Diskussionen. Wahrscheinlich am nächsten Tag, dem 26. Mai, berief Mehmet einen Kriegsrat ein, um eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Belagerung abgebrochen oder ein Großangriff gewagt werden sollte. Es kam zu einer ähnlichen Debatte wie in der Krisensitzung nach der Niederlage im Seegefecht vom 21. April. Abermals ergriff der alte Großwesir Halil Pascha das Wort. Er mahnte zur Vorsicht, weil er fürchtete, dass die Kühnheit des jungen Sultans gefährliche Folgen nach sich ziehen und die Christenheit zu einem vereinten Gegenschlag provozieren könnte. Er hatte unter Mehmets Vater erlebt, wie unbeständig das Kriegsglück war, und wusste, wie gefährlich ein unzufriedenes Heer sein konnte. Er setzte sich leidenschaftlich für den Frieden ein: »Du kannst deine Macht, die ohnehin schon sehr groß ist, mehr durch den Frieden als durch den Krieg vergrößern. Denn das Ergebnis des Krieges ist ungewiss – viel zu
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häufig folgt ihm eher Not denn Wohlstand.«28 Halil Pascha äußerte die Befürchtung, dass bereits ein ungarisches Heer in Marsch gesetzt worden und eine italienische Flotte ausgelaufen sein könnten, und empfahl Mehmet, den Griechen hohe Tributzahlungen aufzuerlegen und die Belagerung zu beenden. Dagegen verlangte Zaganos Pascha, der griechische Konvertit, abermals die Fortsetzung des Krieges und wies auf die große zahlenmäßige Überlegenheit der Osmanen hin sowie darauf, dass die Kräfte des Gegners von Tag zu Tag schwänden und er bald völlig erschöpft sein würde. Er erklärte, er glaube nicht, dass Hilfe aus dem Westen kommen werde, und zeigte, dass er gut Bescheid wusste über die Realitäten der italienischen Politik: »Die Genuesen sind zerstritten, und die Venezianer liegen im Krieg mit dem Herzog von Mailand – keiner von ihnen wird Hilfe leisten.«29 Er erinnerte Mehmet an sein Streben nach Ruhm und verlangte die Chance, »einen entschlossenen Großangriff vorzutragen, und wenn dieser fehlschlagen sollte, werden wir tun, was du für das Beste hältst«.30 Zaganos wurde auch diesmal wieder von anderen Generälen unterstützt, etwa von Turahan Bey, dem Befehlshaber des europäischen Heeres, und von der starken Gruppe der Geistlichen unter Führung von Scheich Akschemsettin und Ulema Ahmet Gurani. Die Debatte wurde zunehmend hitziger. Es war der entscheidende Augenblick in einem Machtkampf zwischen zwei Fraktionen am osmanischen Hof, der seit zehn Jahren andauerte. Sein Ergebnis sollte die weitere Entwicklung des osmanischen Staates nachhaltig beeinflussen, aber beide Seiten wussten auch, dass es für sie um Leben oder Tod ging – wenn ihre Politik letztlich scheiterte, würden sie unausweichlich am Galgen enden oder vom Henker erdrosselt werden. Mehmet ließ sich schließlich von der Aussicht auf militärischen Ruhm dazu bewegen, die Möglichkeit eines Fehlschlags oder einer Revolte der Soldaten für eher gering einzustufen; vielleicht beauftragte er Zaganos auch, sich im Lager umzuhören und ihm über die Stimmung der Soldaten zu berichten, bevor die endgültige Entscheidung getroffen wurde. Wenn dies der Fall war, fiel die Antwort eindeutig aus – Zaganos meldete pflichtschuldig, dass die Soldaten einen sofortigen Angriff forderten. Mehmet kam zu dem Schluss, dass nun die Zeit des Zauderns vorbei sei: »Lege den Tag des Angriffs fest, Zaganos. Mache das Heer bereit zum Kampf, schließe Galata ein, damit es dem Feind nicht zu Hilfe eilen kann, und führe alle diese Vorbereitungen zügig durch.«31 Im Lager verbreitete sich das Gerücht, dass im Laufe der nächsten Tage der Sturmangriff stattfinden solle. Mehmet wusste, dass er die Gelegenheit nutzen musste, um den nachlassenden Kampfgeist seiner Truppen zu stärken – und den Gegner zu überraschen. Am Abend des 26. Mai gingen Ausrufer von Zelt zu Zelt und gaben die Befehle des Sultans bekannt. Vor jedem Zelt sollten Fackeln und
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Feuer entzündet werden. »Und an allen Zelten im Lager wurden zwei Feuer entzündet, und diese Feuer waren so groß, dass man wegen ihres starken Lichtes glauben konnte, es wäre heller Tag.«32 Von den Wehrgängen aus beobachteten die Verteidiger verwundert und verwirrt, wie sich der Ring der Leuchtfeuer allmählich zu einem immer größer werdenden Kreis erweiterte und schließlich den gesamten Horizont umschloss – vom Heerlager vor den Hügeln um Galata über das Wasser bis zur asiatischen Küste. Es war so hell, dass man die Zelte zählen konnte. »Dieses eigenartige Schauspiel war unbeschreiblich«, berichtete Doukas. »Die Oberfläche des Meeres war grell erleuchtet wie von Blitzen.«33 »Es hatte den Anschein, als stünden das Meer und das Land in Flammen«,34 erinnerte sich Tetaldi. Begleitet wurden die Leuchtfeuer von einem langsam anschwellenden Crescendo von Trommeln und Pfeifen und den unablässigen Rufen der Gläubigen: »Illala, Illala, Mahomet Russolalla« (»Gott ist und wird immer sein, und Mohammed ist sein Diener«);35 das Geschrei und der Jubel waren so laut, dass die Belagerten meinten, »der Himmel würde sich öffnen«.36 Im osmanischen Lager herrschten ausgelassene Freude und Begeisterung über die Entscheidung zum Sturmangriff. Als die Belagerten die hellen Leuchtfeuer sahen, glaubten sie einen hoffnungsvollen Augenblick lang, das osmanische Heerlager sei in Brand geraten. Sie stiegen auf die Mauern, um die Feuersbrunst zu beobachten – erst dann begriffen sie, was das Leuchten am Horizont und die aufgeregten Rufe bedeuteten. Der Feuerring hatte die gewünschte Wirkung in der Stadt erzielt und die Verteidiger so sehr in Angst und Schrecken versetzt, »dass sie wie halbtot erschienen und weder ein- noch ausatmen konnten«.37 Die Verwunderung über diese Demonstration religiösen Eifers wich bald dem Entsetzen. Stoßgebete wurden an die Jungfrau Maria gesandt, und Gott wurde um Hilfe angefleht: »Kyrie eleison! Kyrie eleison! Wende, o Herr, Deine gerechten Drohungen von uns ab und erlöse uns aus den Händen unseres Feindes!«38 Schon bald wurden alle Unklarheiten endgültig beseitigt: Im Schutz der Dunkelheit schossen Christen vom türkischen Lager aus Pfeile über die Stadtmauern, die mit Briefen umwickelt waren, in denen der bevorstehende Angriff angekündigt wurde. Im Licht der Leuchtfeuer und der Fackeln waren eindeutige Vorbereitungen im Gange. Arbeiter schafften Zweige und anderes Füllmaterial herbei, um den Graben zuzuschütten. Die Kanonen hatten den ganzen Tag Giustinianis Barrikade im Lykos-Tal beschossen. Wahrscheinlich war dies jener Tag, an dem der starke Nebel über der Stadt lag und die Belagerten ohnehin durch die Unheil verkündenden Vorzeichen in Angst versetzt worden waren. Der Beschuss mit Steinkugeln dauerte unablässig an. In den Mauern entstanden große Breschen. »Ich kann nicht beschreiben, wie die Kanonen an diesem Tag die Mauer verwüstet haben«, berich-
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tete Barbaro, »unsere Leiden und unsere Angst waren groß.«39 Als es dunkel wurde, begannen die erschöpften Verteidiger unter Anleitung von Giustiniani abermals die Schäden notdürftig zu reparieren, aber durch die zahllosen Feuer war die Mauer hell erleuchtet, und der Beschuss wurde auch in der Nacht fortgesetzt. Doch um Mitternacht erloschen die Feuer, das Geschrei verstummte, der Beschuss hörte auf und eine unheimliche, zermürbende Stille senkte sich über die Mainacht, die die Verteidiger auf der Mauer genauso bedrückte wie zuvor das ausgelassene Feiern. Giustiniani und seine Helfer bemühten sich in der kurzen Zeit der Dunkelheit, die ihnen verblieb, nach Kräften die Mauer wieder auszubessern. Um diese Zeit zwang die teilweise Zerstörung der Befestigungsanlagen die Belagerten, eine Änderung an ihrem Verteidigungsplan vorzunehmen. Sie hatten immer wieder kleine, überraschende Ausfälle durch die Tore der äußeren Mauer unternommen, um die Aktivitäten des Feindes zu stören. Nachdem die Mauer zerstört und durch die Barrikade ersetzt worden war, wurde es schwieriger, unbemerkt Ausfälle zu unternehmen. Einige alte Männer wussten, dass es ein abgesperrtes Ausfalltor unterhalb des Königspalastes gab, an jener Stelle, wo die Theodosianische Mauer an die Komnenos-Mauer stieß. Diese alte Pforte war als Kerkoporta oder Hölzernes Tor bekannt und hatte diese Namen erhalten, weil sie früher zu einem hölzernen Rondell außerhalb der Stadt führte. Der kleine Durchgang war durch Wände verdeckt, aber durch ihn konnten Soldaten hinaus zum Feind gelangen. Konstantin befahl, das Tor freizulegen, damit erneut Ausfälle durchgeführt werden konnten. Anscheinend erinnerte sich niemand an eine andere alte Prophezeiung. Während der ersten Belagerung durch die Araber, um 669, war ein seltsames Buch aufgetaucht, die so genannte Apokalypse des PseudoMethodius. Zu dessen zahlreichen Prophzeiungen gehörte auch diese: »Unglück wird kommen über dich, Byzanz, weil Ismail [Arabien] dich einnehmen wird. Und alle Pferde Ismails werden erscheinen, und er wird sein Zelt vor dir aufschlagen, Byzanz, und er wird mit dem Kampfe beginnen und das Tor des Hölzernen Rondells durchbrechen und vorstoßen bis zum Stier.«40
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Diese Leiden dienen dem Ruhme Gottes. Das Schwert des Islam liegt in eurer Hand. Wenn wir uns nicht entschieden hätten, diese Leiden zu erdulden, wären wir es nicht wert, Gazis genannt zu werden. Wir müssten uns schämen, wenn wir Gott gegenübertreten am Tag des Jüngsten Gerichts. Mehmet II.1
Es gibt eine Darstellung von Mehmets Eroberungstaktik aus der Feder des serbischen Chronisten Michael des Janitscharen. Demzufolge rief der Sultan eines Tages seine Würdenträger zusammen und befahl, dass »ein großer Teppich gebracht und vor ihm ausgebreitet werde, und in dessen Mitte legte er einen Apfel, und dann gab er ihnen folgendes Rätsel auf: ›Kann einer von euch diesen Apfel aufheben, ohne auf den Teppich zu treten?‹ Und sie beratschlagten untereinander, grübelten über die Aufgabe nach, aber keiner löste das Rätsel, bis Mehmet selbst zu dem Teppich ging, ihn in beide Hände nahm, vor sich herrollte und ihm folgte; und so bekam er den Apfel zu fassen, und dann legte er den Teppich wieder so auf den Boden, wie er vorher gelegen hatte.«2 Mehmet hielt die Zeit für reif, um nach dem Apfel zu greifen. Beide Seiten wussten, dass der Endkampf unmittelbar bevorstand. Der Sultan hoffte, dass ein letzter Großangriff den verbliebenen Widerstand mit einem Schlag brechen würde, so wie die Abschnitte der Mauer unter dem heftigen Kanonenbombardement zusammenbrachen. Konstantin wusste durch Spione, dass die Belagerung würde aufgehoben werden müssen und sie die Kirchenglocken würden läuten lassen können, wenn sie diesen letzten Angriff überstanden. Beide Oberbefehlshaber unternahmen daher eine letzte große Anstrengung.
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Mehmet steigerte sich in einen hektischen Aktionismus. In diesen Tagen war er wohl ständig in Bewegung, ritt durch das Heerlager, hielt Audienzen ab in seinem rotgoldenen Zelt, appellierte an den Kampfgeist seiner Männer, erteilte Befehle, versprach Belohnungen, drohte Strafen an und überwachte persönlich die letzten Vorbereitungen – Hauptsache, er wurde gesehen. Die physische Anwesenheit des Padischah galt als wichtiger Beitrag zur Stärkung der Kampfmoral der Soldaten, die sich darauf vorbereiteten, in die Schlacht zu ziehen und womöglich zu sterben. Mehmet wusste, dass dies für ihn ein schicksalsträchtiger Augenblick sein würde. Der Traum vom Ruhm war zum Greifen nahe; die Alternative war ein schmähliches Scheitern. Er war entschlossen, persönlich dafür zu sorgen, dass nichts dem Zufall überlassen blieb. Am Sonntagmorgen, dem 27. Mai, befahl er die Fortsetzung des Kanonenbombardements. Nun folgte der heftigste Beschuss der gesamten Belagerung. Den ganzen Tag lang bearbeitete die große Kanone gezielt den zentralen Mauerabschnitt, um große Breschen zu reißen, durch die der Sturmangriff vorgetragen werden konnte. Zugleich sollten Ausbesserungsarbeiten unterbunden werden. Nach drei Volltreffern mit schweren Granitkugeln stürzte ein beträchtlicher Teil der Mauer ein. Bei Tageslicht und unter diesem massiven Beschuss war es unmöglich, Reparaturen durchzuführen, aber der Sturmangriff ließ noch auf sich warten. Den ganzen Tag, so berichtete Barbaro, »taten sie nichts anderes, als die Mauern zu beschießen, bis ein großer Teil davon einstürzte und die Hälfte stark beschädigt war«.3 Die Breschen wurden größer, und Mehmet sorgte dafür, dass sie nicht schnell wieder geschlossen werden konnten. Er wollte sicherstellen, dass die Verteidiger in den Tagen vor dem finalen Sturmangriff nicht mehr zur Ruhe kamen. Im Lauf des Tages berief Mehmet vor seinem Zelt ein Treffen seiner Offiziere ein. Die gesamte Führung versammelte sich, um der Ansprache des Sultans zu lauschen: »alle führenden Männer und seine Gefolgschaft, Satrapen ... und Generäle, Geschwader-, Bataillons- und Scharführer, dazu Befehlshaber der Tausendschaften, Hundertschaften und Fünfzigschaften und die Kerntruppen des Heeres, seine gesamte Elitetruppe und außerdem Schiffskapitäne, Trierenkommandanten und der Befehlshaber der gesamten Flotte...«4 Mehmet schilderte seinen Zuhörern die sagenhaften Reichtümer und die üppige Beute, die sie bald machen würden: die Goldschätze in den Palästen und Privathäusern, die Weihegaben und Kleinodien in den Kirchen, »aus Gold und Silber gefertigt, und mit Edelsteinen und kostbaren Perlen [geschmückt]... «,5 die Edelmänner, die schönen Frauen und die Knaben, die zum Verkauf oder zur Heirat freistehen würden oder die man als Diener nutzen könnte, die prachtvollen Gebäude und Gärten, die der Freude und dem Genuss dienen könnten. Dann erklärte er, dass es nicht nur unsterblichen Ruhm einbringen werde, diese bedeutendste Stadt
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der Welt zu erobern, sondern dass es auch unverzichtbar sei. Konstantinopel werde stets eine Bedrohung des Osmanischen Reiches darstellen, solange es in der Hand der Christen sei. Aber wenn die Stadt eingenommen worden sei, könne sie zu einem Sprungbrett für weitere Eroberungen werden. Er betonte, dass die bevorstehende Aufgabe nun nicht mehr schwierig zu bewerkstelligen sein würde. Die Landmauer sei schon stark beschädigt, der Graben sei aufgefüllt, und die Feinde seien gering an Zahl und entmutigt. Besonders hob er hervor, dass die Italiener, deren Anwesenheit seinen Zuhörern gewisse Bedenken bereitete, nicht sonderlich kampflustig sein würden. Obwohl der Grieche Kritobulos davon nichts erwähnte, brachte Mehmet höchstwahrscheinlich auch den Heiligen Krieg zur Sprache – das tief verwurzelte Streben des Islam nach der Eroberung Konstantinopels, die Worte des Propheten und die Belohnungen, welche die Märtyrer erwarteten. Dann legte er seinen Schlachtplan dar. Er war überzeugt, dass die Verteidiger durch den Dauerbeschuss und die Kämpfe zermürbt wären. Nun sei es an der Zeit, die eigene zahlenmäßige Überlegenheit auszuspielen. Die Truppen sollten in Wellen angreifen. Wenn eine Division müde war, sollte die nächste ins Gefecht geworfen werden. Eine Welle nach der anderen sollte gegen die Mauern anstürmen, bis die Verteidiger vor Erschöpfung zusammenbrechen würden. Es dürfe kein Nachlassen geben: »Wenn wir einmal angefangen haben zu kämpfen, wird der Kampf unaufhörlich andauern bei Nacht und am Tage ohne irgendeine Pause oder Stillstand, bis er zu Ende ist.«6 Man werde die Stadt an verschiedenen Stellen gleichzeitig angreifen, sodass es den Verteidigern nicht mehr möglich sein werde, ihre Kräfte zu verlegen oder sie an besonders umkämpften Punkten zu verstärken. Doch ein länger dauernder Angriff war in der Praxis nicht durchführbar: Der für den Sturmangriff zur Verfügung stehende Zeitrahmen werde auf einige Stunden beschränkt sein. Hartnäckiger Widerstand werde bei den anstürmenden Truppen zu hohen Verlusten führen; wenn es ihnen nicht gelinge, die Verteidiger schnell zu überwältigen, werde ein Rückzug unausweichlich sein. Jeder Befehlshaber erhielt genaue Anweisungen. Die Flotte bei den Doppelsäulen sollte die Stadt einschließen und die Verteidiger an der Seemauer festnageln. Die Schiffe innerhalb des Goldenen Horns sollten dabei helfen, die Pontonbrücke über das Horn zu legen. Zaganos Pascha sollte seine Einheiten vom Tal der Quellen heranführen und am Ende der Landmauer angreifen. Die Leute von Karaja Pascha sollten sich auf die Mauer am Königspalast konzentrieren, und im Zentrum sollte sich Mehmet mit Halil und den Janitscharen postieren, denn hier würden nach allgemeiner Einschätzung die entscheidenden Kämpfe erfolgen – an der zerschossenen Mauer und der Barrikade im Lykos-Tal. Zu seiner Rechten sollten Ishak Pascha und Mahmut Pascha den Abschnitt bis zum Marmarameer angreifen.
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Immer wieder betonte der Sultan, dass Pflichtgefühl und Gehorsam unabdingbar seien für den Erfolg, »dass [ein Soldat], wenn es erforderlich ist, schweigend anzugreifen, schweigt, und so oft es richtig ist, ordentlich zu schreien und mit fürchterlichem Gebrüll das Kriegsgeschrei zu erheben, dieses tut«.7 Er wiederholte mehrmals, wie sehr die Zukunft des osmanischen Volkes von einem Erfolg des Angriffs abhänge. Damit entließ er seine Offiziere zu ihren Mannschaften. Später ritt er durch das Heerlager, begleitet von seiner Janitscharen-Leibwache mit ihren charakteristischen Kopfbedeckungen und seinen Ausrufern, welche die Soldaten über den bevorstehenden Angriff unterrichteten. Diese Nachricht sollte den Kampfgeist der Männer anstacheln. Es wurden ihnen die üblichen Belohnungen für die Erstürmung einer Stadt in Aussicht gestellt: »Ihr wisst, wie viele Verwaltungsstellen ich in Asien und Europa zu besetzen habe. Die besten davon werden ich jenem anvertrauen, der als Erster die Barrikade überwindet. Und ich werde ihm all die Ehren erweisen, die ihm gebühren und ihn mit Reichtümern bedenken und zu einem glücklichen Mann machen.«8 Vor allen großen Schlachten der Osmanen waren den Soldaten hohe Ehren versprochen worden, um sie anzufeuern. Aber auch entsprechende Strafen wurden angedroht: »Doch wer sich in den Zelten verkriecht und nicht an den Mauern kämpft, wird dem Tode nicht entrinnen, wenn ich ihn entdecke.«9 Auf den Eroberungszügen der Osmanen wurden die Soldaten stets dadurch motiviert, dass man sie in ein Belohnungssystem einbezog, in dem Ruhm und Gewinn mit der Anerkennung außergewöhnlicher Leistungen verbunden wurden. Dieses System wurde umgesetzt durch die Boten des Sultans auf dem Schlachtfeld, die so genannten Tschawuschen, Militärpolizisten, die unmittelbar dem Herrscher unterstellt waren. Wenn sie ihm von einer besonderen Tapferkeit berichteten, wurde der Betreffende häufig sofort befördert. Die Männer wussten, dass herausragende Taten belohnt wurden. Mehmet ging noch weiter. Entsprechend dem islamischen Brauch erlaubte er den Soldaten, die Stadt, da sie sich nicht ergeben hatte, drei Tage lang zu plündern. Er schwor bei Gott, »bei den viertausend Propheten, bei Mohammed, bei der Seele seines Vaters und seiner Kinder und bei dem Schwert, das er trug, dass er alles in der Stadt, alle Bewohner, Männer und Frauen, und alles, was sich in der Stadt finden werde, die Schätze und das Eigentum, unter ihnen verteilen werde, und dass er sein Versprechen nicht brechen werde«.10 Die Aussicht auf den Goldenen Apfel, der reiche Beute verhieß und voller Wunder war, beflügelte die Seele des nomadischen Räubers – ein Archetypus der Sehnsucht eines Reitervolkes nach den Reichtümern der Stadt. Nachdem sie sieben Wochen lang Entbehrungen auf sich genommen und im Frühlingsregen ausgeharrt hatten, war dies ein mächtiger Ansporn für die Männer. Doch die Stadt, von der sie träumten, gab es zum großen Teil gar nicht mehr. Jenes Konstantinopel, von dem
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Mehmet sprach, war von den christlichen Kreuzfahrern schon vor zweieinhalb Jahrhunderten geplündert und verwüstet worden. Seine sagenumwobenen Schätze, der Goldschmuck, die juwelenbesetzten Reliquien, all dies war größtenteils in der Katastrophe von 1204 verschwunden – eingeschmolzen von normannischen Rittern oder zusammen mit den Bronzepferden nach Venedig geschafft worden. Im Jahr 1453 war die Stadt nur noch ein kümmerlicher Schatten ihrer selbst, und ihr größter Reichtum waren nun ihre Bewohner. »Stadt der Weisheit einst, wie jetzt der Ruinen«, hatte Gennadios über das sterbende Byzanz gesagt.11 Einige reiche Bürger hatten möglicherweise Goldschätze in ihren Häusern versteckt, und in den Kirchen gab es noch Kostbarkeiten, aber die Stadt besaß längst nicht mehr die legendären Schatztruhen Aladins, von denen die osmanischen Soldaten träumten, als sie hinaufblickten zu den Mauern. Doch die Proklamation versetzte das Heer in einen Freudentaumel. Den Jubel der Soldaten vernahmen auch die erschöpften Verteidiger auf den Mauern: »O, wenn ihr gehört hättet, wie ihre Stimmen emporstiegen zum Himmel«, berichtete Leonhard, »wäret wohl auch ihr erstarrt.«12 Vielleicht hatte Mehmet die Stadt nicht zur Plünderung freigeben wollen, doch dies war erforderlich, um die murrenden Soldaten bei Laune zu halten und anzufeuern für die letzte Schlacht. Durch eine Übergabe nach Verhandlungen hätten all die Zerstörungen verhindert werden können, die er vermeiden wollte. Der Goldene Apfel war für Mehmet nicht nur eine Kriegsbeute, derer man sich bemächtigen konnte; die Stadt sollte vielmehr zum neuen Mittelpunkt seines Reiches werden und daher möglichst unversehrt bleiben. Daher traf er eine wichtige Einschränkung: Die Mauern und die Gebäude sollten allein dem Sultan vorbehalten bleiben; sie sollten unter keinen Umständen verwüstet oder zerstört werden, wenn die Stadt eingenommen war. Die Eroberung Istanbuls sollte nicht zu einer zweiten Plünderung Bagdads werden, der berühmtesten Stadt des Mittelalters, die 1258 von den Mongolen gebrandschatzt worden war. Die Erstürmung wurde auf den übernächsten Tag angesetzt, auf Dienstag, den 29. Mai. Um die Soldaten geistig einzustimmen und Zweifel oder Unsicherheiten im Keim zu ersticken, wurde verkündet, dass der nächste Tag, Montag, der 28. Mai, der Buße gewidmet werden solle. Die Männer sollten am Tage fasten, ihre rituellen Waschungen vornehmen, fünfmal beten und Gottes Hilfe bei der Eroberung der Stadt erflehen. Die Leuchtfeuer sollten auch in den beiden folgenden Nächten angezündet werden. Die unheimliche Atmosphäre, die durch diese Illumination, verbunden mit Gebeten und Musik, hervorgerufen wurde, beeindruckte die türkischen Soldaten und ihre Gegner gleichermaßen, sie war ein machtvolles psychologisches Mittel, das seine Wirkung besonders vor den Mauern Konstantinopels entfaltete.
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Unterdessen wurden die Arbeiten im osmanischen Lager mit neuer Begeisterung fortgesetzt. Große Mengen Erde und Zweige wurden herbeigeschafft, um den Graben vollständig zu füllen, Sturmleitern wurden gezimmert, Pfeile wurden stapelweise zurechtgelegt und fahrbare Schutzschilde wurden gebaut. Als es dunkel wurde, umschloss abermals ein heller Feuerring die Stadt; die rhythmischen Anrufungen Gottes, vermischt mit dem stetigen Schlagen der Trommeln, dem Rasseln der Zimbeln und dem Schrillen der Schalmeien stiegen herauf vom Heerlager. Barbaro zufolge konnte man den Lärm bis auf die andere Seite des Bosporus an der Küste Anatoliens hören, »und wir Christen wurden alle von großem Schrecken erfasst«.13 In der Stadt wurde der Feiertag Allerheiligen begangen, doch in den Kirchen gab es keinen Trost, nur Buße und unablässige Fürbitten. Am Abend machten sich Giustiniani und seine Männer wieder auf, um die Schäden an der äußeren Mauer zu reparieren, doch in der hell erleuchteten Nacht ging der Artilleriebeschuss unvermindert weiter. Die Verteidiger gingen sehr vorsichtig zu Werke, aber in diesem Augenblick wurde Giustiniani laut Nestor-Iskander vom Glück verlassen. Während der Arbeiten wurde der Genueser Kommandeur von einem Steinsplitter, vermutlich nach dem Einschlag einer Steinkugel, getroffen, der seine stählerne Brustplatte durchschlug und in seine Brust eindrang. Er stürzte zu Boden und musste weggebracht werden. Die Bedeutung Giustinianis für den Kampf der Byzantiner lässt sich nicht hoch genug einschätzen. Von jenem Augenblick, in dem er im Januar 1453 in glänzender Rüstung und mit 700 erfahrenen Kämpfern hinter sich theatralisch auf den Kai getreten war, war Giustiniani ein Symbol des Widerstands der Stadt geworden. Er war aus freien Stücken gekommen und auf eigene Kosten, um »dem Wohle des christlichen Glaubens und der Ehre der Welt«14 zu dienen. Technisch versiert, tapfer und unermüdlich bei der Verteidigung der Landmauern, war er der einzige, der sich auf die Unterstützung der Griechen und der Venezianer gleichermaßen verlassen konnte – und diese dazu hatte bewegen können, ihre Abneigung gegen die Genuesen zurückzustellen. Die Errichtung der Barrikade war ein Meisterstück der Improvisationskunst, ihre Robustheit versetzte dem Kampfgeist der osmanischen Soldaten einen schweren Dämpfer. Giustinianis Landsmann Leonhard von Chios deutet in seinem wenig glaubwürdigen Bericht an, dass Mehmet seinem Gegner höchste Bewunderung zollte und ihn mit einer großen Summe Geldes zu bestechen versuchte. Aber Giustiniani war nicht käuflich. Nachdem nun ihr großer, sie stets anspornender Führer ausgefallen war, erfasste die Verteidiger anscheinend Niedergeschlagenheit. Die Reparaturarbeiten an den Mauern wurden eingestellt. Als Konstantin die Nachricht überbracht wurde, »schwand sogleich seine Entschlossenheit, und er versank in Grübeleien«.15
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Um Mitternacht hörte das Geschrei jäh auf, und die Feuer erloschen. Stille und Dunkelheit senkten sich über die Zelte und Fahnen, die Geschütze, Pferde und Schiffe, die ruhigen Wasser des Goldenen Horns und die zerschossenen Mauern. Die Ärzte, die den verwundeten Giustiniani versorgten, »behandelten ihn die ganze Nacht und mühten sich sehr, ihn am Leben zu halten«.16 Die Stadtbewohner fanden nur wenig Schlaf.
Am Montag, dem 28. Mai, traf Mehmet letzte Angriffsvorbereitungen. Er stand früh auf und befahl seinen Kanonieren, ihre Geschütze auf die stark beschädigten Teile der Mauer zu richten, damit sie die verwundbaren Verteidiger unverzüglich unter Beschuss nehmen konnten, wenn im Lauf des Tages der Befehl zum Angriff erteilt wurde. Die Führer der Kavallerie- und Infanterieeinheiten wurden einbestellt, um ihre Befehle entgegenzunehmen, dann wurden die Einheiten in Divisionen aufgeteilt. Im Heerlager wurden die Offiziere beschworen, Disziplin zu wahren und auf ihren Posten auszuharren, auch wenn es den Tod bedeuten konnte. Das Donnern, das einsetzte, als die Kanonen den Beschuss wieder aufnahmen, erschien manchen, als sei es »nicht von dieser Welt«, wie Barbaro berichtete: »Sie taten es, weil an diesem Tage das Beschießen sein Ende finden sollte.«17 Doch der Sturmangriff ließ vorerst auf sich warten. Die Verteidiger sahen nur, dass Tausende langer Leitern an die Mauern herangeschafft wurden sowie eine große Zahl hölzerner Schilde, die den anstürmenden Männern Schutz bieten sollten, wenn sie die Barrikade zu ersteigen versuchten. Die Kavalleriepferde wurden von den Weiden hereingeholt. Es war ein später Frühlingstag, und die Sonne schien. Im osmanischen Heerlager gingen die Männer weiter ihren Vorbereitungen nach: Sie fasteten und beteten, schärften ihre Schwerter, überprüften ihre Schilde und ihre Rüstung und ruhten sich aus. Eine eigenartige Ruhe kehrte ein, als sich die Soldaten für den entscheidenden Angriff rüsteten. Die Stille und die Diszipliniertheit des osmanischen Heeres zerrte an den Nerven der Verteidiger, die auf der Mauer Wache hielten. Einige hofften, dass die Ruhe den bevorstehenden Rückzug der Türken ankündigte; andere waren realistischer. Mehmet hatte viel getan, um den Kampfgeist seiner Männer anzustacheln, und sie mehrere Tage lang abwechselnd angetrieben und zur Besinnung angehalten, um ihre Moral zu stärken und Zweifel zu zerstreuen. Auch die Mullahs und Derwische trugen maßgeblich dazu bei, den Männern die richtige Geisteshaltung zu vermitteln. Tausende umherziehender heiliger Männer, beseelt von religiösem Eifer, waren aus den Städten und Dörfern Anatoliens zum Kriegsschauplatz geeilt.
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In ihren staubigen Gewändern und mit funkelnden Augen gingen sie im Lager umher. Sie rezitierten passende Verse aus dem Koran und den Hadithen und erzählten den Soldaten vom Märtyrertod und von Prophezeiungen. Sie erinnerten die Männer daran, dass sie in die Fußstapfen der Gefährten des Propheten traten, die bei der ersten Belagerung Konstantinopels durch die Araber getötet worden waren. Deren Namen machten die Runde: Hazret Hafiz, Ebu Seybet ul-Ensari, Hamd ul-Ensari und in erster Linie Ayyub, den die Türken Eyüb nannten. Die Wanderprediger mahnten ihre Zuhörer, dass ihnen die Ehre zuteil werden würde, das Wort des Propheten zu erfüllen: Der Prophet sprach zu seinen Jüngern: »Habt ihr gehört von einer Stadt, deren eine Seite Land und die beiden anderen See?« Sie sprachen: »Ja, o Gesandter Gottes.« Er sprach: »Die letzte Stunde (des Gerichts) wird nicht anbrechen, ohne dass sie eingenommen wird von 70 000 Söhnen Isaaks. Wenn sie zu ihr gelangen, so werden sie nicht mit Waffen und Wurfmaschinen kämpfen, sondern mit den Worten ›Es gibt keinen Gott außer Allah und Allah ist groß.‹ Da wird die eine Seite der Seemauern zusammenstürzen, und auf das andere Mal stürzt die zweite und auf das dritte Mal die Landseite zusammen. Und fröhlich werden sie in sie einziehen.18
Auch wenn diese Sätze vielleicht fälschlicherweise dem Propheten zugeschrieben wurden, brachten sie doch eine verbreitete Haltung zum Ausdruck. Dem osmanischen Heer fiel die Aufgabe zu, einen Zyklus der Geschichte zu vollenden, einen ewigen Traum der islamischen Völker zu verwirklichen, der schon seit der Geburt des Islam bestand, und dadurch unsterblichen Ruhm zu erwerben. Und jene, die im Kampf getötet werden würden, durften sich auf das Märtyrertum und das Paradies freuen: »Deren Lohn ist Vergebung von ihrem Herrn und Gärten, unter denen Bäche fließen; darin werden sie ewig weilen ... Und sie werden darin Gefährten und Gefährtinnen haben von vollkommener Reinheit.«19 Das war eine berauschende Botschaft, aber es gab im osmanischen Heerlager auch Leute, darunter Scheich Akschemsettin, denen durchaus bewusst war, wodurch manche der Soldaten in Wirklichkeit motiviert wurden. »Du weißt sehr wohl«, hatte er in der Anfangsphase der Belagerung an den Sultan geschrieben, »dass die meisten Soldaten zwangsweise zum Islam bekehrt wurden. Die Zahl jener, die bereit sind, ihr Leben für Gott zu opfern, ist sehr gering. Aber wenn sie eine Möglichkeit sehen, Beute zu machen, werden sie in den sicheren Tod rennen.«20 Auch für sie fanden sich im Koran ermutigende Sätze: »Gott hat euch versprochen, dass ihr viel Beute machen würdet. So hat er euch erst diese eilig zufallen lassen und die Hände der Menschen von euch zurückgehalten. Dies, damit es ein Zeichen für die Gläubigen sei und Er euch einen geraden Weg führe.«21
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Mehmet unternahm eine letzte Inspektionstour. Mit einem großen Kavallerietrupp ritt er zu den Doppelsäulen, um Hemza Weisungen für den Angriff zu erteilen. Die Flotte sollte um die Stadt herumsegeln und sich in Schussweite postieren, um die Verteidiger festzunageln und in Kämpfe zu verwickeln. Wenn möglich sollten einige Schiffe auf Grund gesetzt werden, und es sollte versucht werden, die Seemauern mit Leitern zu erklimmen, obwohl diesem Unternehmen in der schnellen Strömung des Marmarameeres keine großen Erfolgsaussichten beigemessen wurden. Die Flotte im Goldenen Horn erhielt ähnliche Befehle. Auf dem Rückweg machte Mehmet am Haupttor von Galata Halt und ließ die wichtigsten Würdenträger der Stadt herausrufen. Er warnte sie eindringlich davor, Konstantinopel beim Angriff in irgendeiner Weise zu helfen. Am Nachmittag schwang er sich abermals in den Sattel und inspizierte seine Landtruppen. Er legte die etwas über sechs Kilometer zwischen den Meeren zurück, feuerte seine Männer an, sprach jeden seiner Offiziere mit Namen an und rief sie auf, Mut zu beweisen. Abermals wendete er die Taktik von »Zuckerbrot und Peitsche« an: Er stellte hohe Belohnungen in Aussicht, drohte andererseits aber auch jenen fürchterliche Strafen an, die nicht gehorchten. Den Soldaten wurde befohlen, die Weisungen ihrer Vorgesetzten wortwörtlich zu befolgen. Die eindringlichsten Worte richtete Mehmet vermutlich an die wankelmütigen christlichen Soldaten, die unter dem Befehl von Zaganos Paschas standen. Nachdem er seine Wünsche kundgetan hatte, zog er sich in sein Zelt zurück, um sich auszuruhen.
In der Stadt wurden ebenfalls Vorkehrungen getroffen. Entgegen den Befürchtungen Konstantins und der Ärzte hatte Giustiniani die Nacht überstanden. Bestürzt über den Zustand der äußeren Mauer, verlangte er, dass man ihn auf den Wehrgang trage, damit er die Ausbesserungsarbeiten beaufsichtigen konnte. Die Verteidiger begannen abermals, die Breschen zu schließen, und kamen dabei auch gut voran, bis sie von den osmanischen Kanonieren entdeckt wurden. Sogleich setzte heftiger Beschuss ein, der sie zum Abbruch der Arbeiten zwang. Bald hatte sich Giustiniani wohl so weit erholt, dass er die Absicherung des entscheidenden Mittelabschnitts wieder selbst leiten konnte. Überall wurden die Vorbereitungen zur Abwehr des Sturmangriffs durch Reibereien zwischen den verschiedenen nationalen und religiösen Gruppen behindert. Das tief verwurzelte Konkurrenzdenken und die widerstreitenden Prioritäten der verschiedenen Interessengruppen, der Mangel an Lebensmitteln, die Erschöpfung und die Zermürbung durch den Beschuss: Nach 53 Tagen Belagerung waren die
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Nerven bis zum Zerreißen gespannt, und Meinungsverschiedenheiten führten zu offenen Konflikten. So gerieten Giustiniani und Notaras in Streit darüber, wo ihre wenigen wertvollen Geschütze aufgestellt werden sollten. Giustiniani verlangte, dass ihm Notaras die Kanonen, die ihm unterstanden, zur Verteidigung der Landmauer überlassen solle. Notaras lehnte ab, weil er überzeugt war, dass auch die Mauern an der Hafenseite angegriffen werden würden. Es kam zu einem heftigen Wortwechsel. Giustiniani drohte Notaras, ihm sein Schwert in den Leib zu stoßen. Ein weiterer Streit entbrannte um die Frage, wie die Landmauern abgesichert werden sollten. Die ramponierten Brustwehren mussten massiv verstärkt werden, um Schutz zu bieten gegen feindliche Geschosse. Die Venezianer begannen in den Werkstätten ihres Viertels, in Plateia am Goldenen Horn, hölzerne Schilde und Schutzumhänge anzufertigen. Auf dem Platz wurden sieben Wagenladungen davon aufgehäuft. Der venezianische Bailo verlangte von griechischen Arbeitern, sie zu den drei Kilometer entfernten Mauern zu bringen. Die Griechen weigerten sich und wollten zuvor dafür bezahlt werden. Darauf warfen ihnen die Venezianer Habgier vor, doch die Griechen, deren Familienangehörige hungerten und die sich über die Hochmütigkeit der Italiener ärgerten, brauchten Geld, um Nahrungsmittel zu kaufen. Der Streit zog sich eine Weile hin, sodass die Schutzschilde erst nach Einbruch der Dunkelheit zu den Mauern gebracht werden konnten, als es schon zu spät war, um sie noch zu nutzen. Diese Auseinandersetzungen hatten eine lange Geschichte. Die Kirchenspaltung, die Plünderung Konstantinopels während des vierten Kreuzzugs, die Handelskonkurrenz zwischen Genua und Venedig – all dies trug dazu bei, dass man sich in diesen letzten Tagen Konstantinopels gegenseitig der Habgier, des Verrats und des Hochmuts beschuldigte. Doch ungeachtet dieser Zerwürfnisse gibt es Belege dafür, dass alle Beteiligten am 28. Mai ihr Bestes taten, um die Verteidigung zu organisieren. Konstantin bemühte sich unablässig, die Bewohner anzufeuern und zum Durchhalten zu bewegen, und er rief die Verteidiger – Griechen, Venezianer, Genuesen, Türken und Spanier – dazu auf, um der gemeinsamen Sache willen zusammenzustehen. Frauen und Kinder schleppten den ganzen Tag Steine zu den Mauern, die auf die Angreifer hinabgeworfen werden sollten. Der venezianische Bailo äußerte die flehentliche Bitte, »dass alle, die sich Venezianer nennen, sich zu den Landmauern begeben mögen, zuvörderst aus Liebe zu Gott, dann zum Wohle der Stadt und zur Ehre der gesamten Christenheit, und dass sie auf ihren Posten ausharren und die Bereitschaft aufbringen sollen, mit reinem Herzen zu sterben«.22 Im Hafen wurde die Sperrkette überprüft, und alle Schiffe wurden kampfbereit gemacht. Auf der anderen Seite des Wassers verfolgten die Bewohner von Galata die Vorbereitungen auf die entscheidende Schlacht mit wachsender Besorgnis. Es
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spricht einiges dafür, dass der Podestà in einem letzten Aufruf die Männer der Stadt aufrief, heimlich das Goldene Horn zu überqueren und sich den Verteidigern anzuschließen. Ihm war bewusst, dass das Schicksal der Genueser Enklave eng mit dem Überleben Konstantinopels verknüpft war. Im Gegensatz zu der Stille, die im osmanischen Lager herrschte, war Konstantinopel von Lärm erfüllt. Den ganzen Tag läuten die Kirchenglocken. Nach den Unheil verkündenden Omen der letzten Tage wurden noch mehr Andachten, Gottesdienste und Fürbitten abgehalten. Am Morgen des 28. Mai erreichten diese ihren Höhepunkt. Die religiöse Inbrunst war in der Stadt ebenso ausgeprägt wie in der Ebene, die sich vor ihr erstreckte. Am frühen Morgen formierte sich vor der Hagia Sophia eine große Prozession aus Priestern, Männern, Frauen und Kindern. Die heiligsten Ikonen der Stadt wurden aus ihren Schreinen und Kapellen herausgebracht. Neben der Hodegetria, deren letzter Umzug so unglücklich geendet hatte, wurden die Gebeine der Heiligen, die goldenen und juwelenbesetzten Kreuze, die Teile des Wahren Kreuzes enthielten, und eine Vielzahl weiterer Ikonen zusammengetragen. Die Bischöfe und Priester in ihren Brokatgewändern führten die Prozession an. Die Gläubigen gingen hinter ihnen, in demütiger Haltung und barfuß, sie weinten und schlugen sich gegen die Brust, baten um Vergebung ihrer Sünden und sangen die Psalmen. Die Prozession zog durch die Stadt und an der gesamten Länge der Landmauern entlang. An jeder wichtigen Stelle trugen die Priester die alten Gebete vor, wonach Gott die Mauern beschützen und seinem gläubigen Volk den Sieg schenken möge. Die Bischöfe hoben ihre Kreuze, segneten die Verteidiger und bespritzten sie mit Büscheln getrockneten Basilikums mit Weihwasser. Für viele Teilnehmer war dies auch ein Fasttag, der erst bei Sonnenuntergang endete. Das war das letzte Mittel, um den Durchhaltewillen der Verteidiger zu stärken. Auch der Kaiser schloss sich vermutlich der Prozession an, und als sie vorüber war, rief er seine Würdenträger und Befehlshaber zusammen, um sie ein letztes Mal zur Einigkeit aufzurufen und an ihren Kampfesmut zu appellieren. Seine Rede war in mannigfacher Hinsicht das Spiegelbild der Ansprache von Mehmet. Anwesend war auch Erzbischof Leonhard, der sie auf seine Art wiedergab. Konstantin sprach die Versammelten nacheinander an und appellierte an ihre Interessen und ihre Glaubensüberzeugungen. Als Erstes wandte er sich an sein eigenes Volk, die griechischen Einwohner der Stadt. Er dankte ihnen, dass sie in den vergangenen 53 Tagen ihre Heimat unerschütterlich verteidigt hatten, und bat sie, sich nicht einschüchtern zu lassen vom wilden Geschrei der »niederträchtigen Türken«; ihre Stärke beruhe auf dem »Schutze Gottes«, aber auch auf ihren überlegenen Waffen. Er erinnerte sie daran, dass Mehmet den Krieg heraufbeschworen habe, indem er
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den Vertrag gebrochen, eine Festung am Bosporus gebaut und »Frieden vorgetäuscht« habe. Er sprach von seinem Vaterland, dem Glauben und der Zukunft Griechenlands und erklärte, dass Mehmet »die Stadt Konstantins des Großen einzunehmen« gedenke, »euer Vaterland, die Zuflucht der christlichen Flüchtlinge und Schutzmacht aller Griechen, und die geheiligten Tempel Gottes zu entweihen und in Ställe für seine Pferde zu verwandeln«23 beabsichtige. Dann wandte er sich an die Genuesen, anschließend an die Venezianer und dankte ihnen für ihren Mut und ihren Einsatz für die Stadt: »Ihr habt diese Stadt mit großen und edlen Männern geschmückt, als wäre es eure eigene Vaterstadt. Nun erhebt eure Herzen und steht fest in diesem Kampfe.« Schließlich wandte er sich an alle Anwesenden insgesamt, bat sie, ihren Anführern Gehorsam zu erweisen, und stellte ihnen irdischen und himmlischen Ruhm in Aussicht in einem Appell, der ganz ähnlich klang wie jener Mehmets: »Denket daran, dass heute der Tag eures Ruhmes gekommen ist. Wenn ihr auch nur einen Blutstropfen vergießt, so ist euch eine Märtyrerkrone im Himmel gewiss, und ewiger Ruhm, wie er euch gebührt, wird euch auf Erden zuteil werden.«24 Die Ansprache erzielte die gewünschte Wirkung bei den Zuhörern. Die Anwesenden wurden durch Konstantins Worte ermutigt und gelobten, tapfer und standhaft zu bleiben in dem bevorstehenden Kampf, den wir »mit Gottes Hilfe siegreich zu bestehen hoffen«. Anscheinend waren alle bereit, um der gemeinsamen Sache willen ihre Zwistigkeiten zurückzustellen. Dann gingen sie auf ihre Posten. Doch Konstantin und Giustiniani wussten genau, wie schwach ihre Truppen mittlerweile waren. Nach sieben Wochen Zermürbungskrieg war die ursprünglich 8000 Mann zählende Streitmacht der Byzantiner auf ungefähr 4000 Mann geschrumpft, die auf eine Mauerlänge von rund zwanzig Kilometern verteilt waren. Mehmet hatte wahrscheinlich recht, als er seinen Kommandeuren erklärte, dass »kaum zwei oder drei Männer zur Verteidigung auf je einem Turm und ebenso viele jeweils auf der Kurtine«25 zur Verfügung standen. Das rund fünf Kilometer lange Goldene Horn, das die osmanischen Schiffe vom Tal der Quellen her angreifen und auf das Soldaten über die Schwimmbrücke vorstoßen konnten, wurde von 500 bewährten Bogen- und Armbrustschützen bewacht. Jenseits der Hafensperre, an den Seemauern, einer Strecke von ungefähr acht Kilometern, war nur jeweils ein erfahrener Armbrust- oder Bogenschütze oder Kanonier auf den Türmen postiert, unterstützt nur von militärisch unerfahrenen Bürgern und Mönchen. Die einzelnen Abschnitte der Seemauer wurden unterschiedlichen Gruppen anvertraut – kretische Seeleute waren einem Teil der Türme zugeteilt, katalanische Matrosen einem anderen. Der osmanische Kronprätendent Orhan, der Onkel des Sultans, war für einen Abschnitt am Marmarameer zuständig. Seine Leute waren entschlossen, bis zum
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Tode zu kämpfen. Eine Kapitulation kam für sie nicht infrage. Man ging auch davon aus, dass die Seemauer durch die starke Strömung im Marmarameer gut geschützt sei und dass alle Männer, die hier entbehrlich waren, am zentralen Abschnitt der Landmauer eingesetzt werden sollten. Alle erwarteten, dass der Hauptstoß des Angriffs vom Lykos-Tal aus erfolgen und sich gegen den Abschnitt zwischen dem St. Romanos- und dem Charisios-Tor richten würde, wo die Geschütze große Teile der äußeren Mauer zerstört hatten. Am letzten Tag wurden noch notdürftige Ausbesserungen an der Barrikade durchgeführt und Soldaten zu ihrer Verteidigung abgeordnet. Giustiniani befehligte den Zentralabschnitt, wo 400 Italiener und der Großteil der byzantinischen Truppen zusammengezogen waren, insgesamt rund 2000 Männer. Auch Konstantin richtete in diesem Bereich seinen Befehlsstand ein.
Am späten Nachmittag sahen die Verteidiger, wie die Türken jenseits der Mauer zusammenströmten. Es war ein schöner Tag. Die Sonne versank langsam im Westen. Draußen auf der Ebene formierte sich die osmanische Streitmacht nach Regimentern, die Soldaten waren in Bewegung, zogen die Kriegsbanner auf und füllten den gesamten Horizont von einer Küste zur anderen. Die Vorhut bemühte sich, den Graben vollends zuzuschütten, die Geschütze wurden so nahe wie möglich an die Mauern herangeschoben, und unablässig wurden Sturmleitern und anderes Gerät herangeschafft. Im Goldenen Horn bereiteten sich die achtzig Schiffe der osmanischen Flotte, die über Land herbeigezogen worden waren, darauf vor, die Enterbrücken weiter an die Landmauern heranzuschieben; auf der anderen Seite der Sperrkette umzingelte der größere Teil der Flotte unter Hamza Pascha die Stadt, segelte an der Akropolis-Spitze vorbei und ins Marmarameer. Jedes Schiff war besetzt mit Soldaten und beladen mit Wurfmaschinen und Leitern, deren Länge der Höhe der Mauern entsprach. Die Männer auf den Brustwehren warteten und beobachteten das Geschehen. Gegen Abend versammelten sich zum ersten Mal seit fünf Monaten wieder Stadtbewohner in der Sophienkirche. Die dunkle Kirche, welche die Orthodoxen so beharrlich gemieden hatten, war nun voller ängstlicher, bußfertiger und aufgewühlter Menschen, und zum ersten Mal seit 1064, in diesem Augenblick höchster Bedrängnis, beteten Katholiken und Orthodoxe wieder gemeinsam, und die vierhundertjährige Kirchenspaltung und die Erbitterung, die durch die Kreuzzüge hervorgerufen worden war, spielten nun keine Rolle mehr in diesem letzten großen Bittgottesdienst. Die gewaltige, tausend Jahre alte Kirche Justinians wurde erhellt von geheimnisvollem Kerzenlicht und hallte wider von liturgischen Gesängen.
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Auch Konstantin nahm an der Messe teil. Er saß auf dem kaiserlichen Stuhl rechts vom Altar, empfing das Abendmahl, »stürzte zu Boden und bat Gott um Gnade und um Vergebung ihrer Sünden«. Dann verbeugte er sich in alle Richtungen und verließ die Kirche. »Sogleich kam Unruhe auf unter den Priestern und Gläubigen«, berichtete Nestor-Iskander ergriffen, »die Frauen und Kinder weinten; ihre Stimmen stiegen empor zum Himmel, wie es mir erschien.«26 Die Kommandeure kehrten auf ihre Posten zurück. Einige Zivilisten blieben in der Kirche, um an einer Nachtwache teilzunehmen. Andere suchten nach einem Versteck. Sie stiegen in die großen Zisternen hinab, wo sie sich in Kähnen in dem hallenden Dunkel zwischen den Säulenreihen verbargen. Oben saß Justinian noch immer auf seinem bronzenen Pferd und wies herausfordernd nach Osten.
Als es Abend wurde, beendeten die Osmanen ihr Fasten, speisten gemeinsam und bereiteten sich vor auf die Nacht. Das letzte Mahl vor der Schlacht war eine weitere Gelegenheit, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und die Opferbereitschaft der Soldaten anzustacheln, die sich um die Küchenkessel versammelt hatten. Feuer und Fackeln wurden entzündet, noch mehr als in den beiden vorhergegangenen Nächten. Abermals vernahm man in der Stadt das Rufen, das begleitet wurde von Pfeifen und Trompetenklängen und die doppelte Botschaft vom angenehmen Leben und freudigen Sterben verkündete: »Ihr Kinder Mohammeds, seid frohen Mutes, denn morgen werden wir so viele Christen in unseren Händen haben, die wir verkaufen können, zwei Sklaven für einen Dukaten, und wir werden so viele Reichtümer erlangen, dass wir ganz aus Gold sein werden, und aus den Bärten der Griechen werden wir Leinen für unsere Hunde flechten, und ihre Familien werden wir zu unseren Sklaven machen. Darum seid guten Mutes und seid bereit, frohen Herzens zu sterben aus Liebe zu unserem Mohammed.«27 Freudige Zuversicht verbreitete sich im Feldlager, als die inbrünstigen Gebete der Soldaten langsam zu einem Crescendo anschwollen wie eine mächtige Woge. Die Lichter und die rhythmischen Sprechchöre ließen das Blut der Christen gefrieren. Dann setzte in der Dunkelheit ein massiver Beschuss ein, so heftig, dass »er uns wie ein Inferno anmutete«.28 Um Mitternacht kehrte wieder Stille ein im osmanischen Lager. Die Männer bezogen geordnet ihre Stellungen »mit all ihren Waffen und einem großen Berg von Pfeilen«.29 Aufgeputscht durch die Erwartung des bevorstehenden Kampfes und erfüllt von Gedanken an den Märtyrertod und an reiche Beute warteten sie vollkommen ruhig, bis das Signal zum Angriff ertönte.
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Nun war alles gesagt und getan. Beide Seiten wussten, dass der nächste Tag die Entscheidung bringen würde. Beide hatten ihre geistigen Vorbereitungen getroffen. Barbaro, der natürlich dem Gott der Christen die letzte Entscheidung überließ, berichtete: »Und nachdem jede Seite zu ihrem Gott gebetet und ihn angefleht hatte, ihr den Sieg zu schenken, sie zu dem ihren und wir zu dem unsrigen, entschied unser Vater im Himmel zusammen mit seiner Mutter, wer siegreich hervorgehen solle aus diesem Kampf, der so heftig sein würde und am nächsten Tag sein Ende finden würde.«30 Laut Sa’d-ud-din warteten die türkischen Soldaten »von der Abend- bis zur Morgendämmerung auf die Schlacht ... vereint im verdienstvollsten aller Werke ... und verbrachten die Nacht im Gebet«.31
Zu diesem Tag bedarf es noch einer Nachbemerkung. In einer Fassung der Chronik des Sphrantzes ritt Konstantin auf seinem arabischen Pferd durch die dunklen Straßen und kehrte erst spät in den Blachernae-Palast zurück. Er rief seine Bediensteten und die Mitglieder seines Haushalts zusammen und bat sie um Verzeihung. Dann, so berichtet Sphrantzes, »stiegen wir auf Pferde und ritten vom Palast weg an den Mauern rundum, die Wachen zu sorgsamer Hut zu ermuntern und vom Schlafe abzuhalten«.32 Nachdem sie sich überzeugt hatten, dass alles in Ordnung war und die Tore fest verrammelt waren, bestiegen die beiden beim ersten Hahnenschrei den Turm am Caligaria-Tor, von dem aus man einen weiten Blick über die Ebene und das Goldene Horn hatte, um die Vorbereitungen der Feinde in der Nacht zu verfolgen. Sie hörten, wie die mit Rädern versehenen Kriegsmaschinen weiter an die Mauern herangeschoben wurden, wie lange Leitern über den festgestampften Boden geschleift wurden und wie die Soldaten im Graben unterhalb der zerschossenen Mauern arbeiteten. Im Süden, auf dem schimmernden Bosporus und im Marmarameer, waren die Umrisse der großen Galeeren als entfernte, geisterhafte Schatten auszumachen, die sich in ihre Stellungen jenseits der hoch aufragenden Kuppel der Sophienkirche bewegten, während im Goldenen Horn die kleineren Fustae damit beschäftigt waren, die Schwimmbrücke durch die Meerenge zu bugsieren und näher an die Mauern heranzubringen. Es ist ein bewegender Moment und eine eindringliche Darstellung des glücklosen Konstantin: Der vornehme Kaiser und sein treuer Freund stehen auf dem äußeren Turm und lauschen auf die Geräusche, die den Sturmangriff ankündigen; um sie herum ist alles dunkel und still kurz vor jenem Augenblick, in dem sich ihr Schicksal erfüllen wird. Dreiundfünfzig Tage lang hatte ihre kleine Truppe der mächtigen osmanischen Armee getrotzt; sie hatten das schwerste Bombardement des gesamten Mittelalters über
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sich ergehen lassen müssen, aus den größten Kanonen, die bis dahin gebaut worden waren – nach Schätzungen wurden rund 5000 Schuss abgefeuert und 55 000 Pfund Pulver verbraucht; sie hatten drei Großangriffe abgewehrt und Dutzende Scharmützel bestanden, hatten Tausende osmanischer Soldaten getötet, unterirdische Stollen und Belagerungstürme zerstört, sie hatten Seegefechte und Ausfälle gewagt und Friedensverhandlungen geführt, und sie hatten sich unermüdlich bemüht, den Kampfgeist des Feindes zu schwächen – nun waren sie dem Sieg wahrscheinlich näher, als sie es ahnten. Diese Szene ist zutreffend, was die geographischen Einzelheiten und die Fakten betrifft; die Wachen auf den höchsten Zinnen konnten hören, wie die türkischen Soldaten in der Dunkelheit unten an den Mauern ihre Vorbereitungen trafen, und sie hatten einen weiten Blick über Land und Meer, aber wir wissen nicht, ob Konstantin und Sphrantzes wirklich hier standen. Der Bericht ist möglicherweise eine Erfindung, hundert Jahre später zusammengestellt von einem Priester, der dafür bekannt war, dass er es mit der Wahrheit nicht allzu genau nahm. Wir wissen nur, dass im Laufe des 28. Mai Konstantin und sein Minister voneinander Abschied nahmen und dass Sphrantzes schon vor längerer Zeit eine Vorahnung zu diesem Tag gehabt hatte. Die beiden Männer waren lebenslang Freunde gewesen. Sphrantzes hatte seinem Herrn mit unerschütterlicher Treue gedient, die jenen fehlte, die den Kaiser in den turbulenten letzten Jahren des byzantinischen Reiches umgaben. Vor 23 Jahren hatte er Konstantin bei der Belagerung von Patras das Leben gerettet. Er war verwundet und gefangen genommen worden und hatte einen Monat lang in Fußketten in einem von Ungeziefer wimmelnden Verließ schmachten müssen, bevor er wieder freigelassen wurde. Im Laufe von 33 Jahren hatte er zahllose diplomatische Missionen im Auftrag seines Herrn übernommen, darunter auch eine dreijährige fruchtlose Suche am Schwarzen Meer nach einer passenden Braut für den Kaiser. Zum Dank ernannte Konstantin Sphrantzes zum Botschafter in Paris, er war Trauzeuge bei seiner Heirat und Taufpate seiner Kinder. Für Sphrantzes stand bei der Belagerung mehr auf dem Spiel als für viele andere: Seine Familie lebte bei ihm in der Stadt. Wann immer sich die beiden Männer am 28. Mai trennten, Sphrantzes wusste, dass dies ein besonderer Tag werden würde. Zwei Jahre vorher hatte er eine Eingebung, als er sich weit weg von Konstantinopel aufhielt: »In der Nacht des 28. Mai hatte ich folgenden Traum: Es war mir, als ob ich selbst nach Konstantinopel gereist wäre, und ich eilte herzu, um vor dem Kaiser niederzufallen und ihm die Füße zu küssen, er aber ließ es nicht zu, sondern hob mich auf, umarmte mich und küsste mich auf die Augen. Ich wachte auf, erzählte denen, die um mich schliefen, den Traum und bat sie, sich den Tag genau zu merken.«33
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Man kann sich des Sieges im Krieg nicht gewiss sein, selbst wenn die Ausrüstung und die zahlenmäßige Überlegenheit gegeben sind, derer es für einen Sieg bedarf. Sieg und Überlegenheit im Krieg beruhen allein auf Glück und Zufall. Ibn Khaldun, arabischer Historiker des 14. Jahrhunderts1
Am Abend des 28. Mai dauerte der Beschuss der Landmauern durch die großen Geschütze bereits seit 47 Tagen an. Im Laufe der Zeit hatte Mehmet seine Batterien auf drei Stellen konzentriert: im Norden auf den Abschnitt zwischen dem Blachernae-Palast und der Charisios-Mauer, in der Mitte auf die Gegend am Fluss Lykos und im Süden in Richtung des Marmarameers auf das dritte Militärtor. An allen diesen drei Stellen waren an den Verteidigungsanlagen schwere Schäden angerichtet worden, sodass Mehmet, als er seinen Kommandeuren den Sturmbefehl gab, ohne zu übertreiben darauf hinweisen konnte, dass »der gesamte Graben zugeschüttet [und] die Landmauer an drei Stellen so weit niedergeworfen [ist], dass nicht nur schwer- und leichtbewaffnete Männer, solche wie Ihr seid, sondern sogar auch Pferde und schwer bewaffnete Reiter sie bequem überqueren können«.2 Beiden Seiten war seit geraumer Zeit klar, dass sich der entscheidende Angriff gegen den mittleren Abschnitt richten würde im Mesoteichion, dem flachen Tal zwischen dem St. Romanos- und dem Charisios-Tor. Das war die Achillesferse des Befestigungssystems, und hier hatte Mehmet seine größte Feuerkraft konzentriert. Am Vorabend des Sturmangriffs gab es neun große Breschen in der Außenmauer, einige davon ungefähr 30 Meter breit und überwiegend im Tal, die Stück für Stück durch Giustinianis Barrikade abgedeckt worden waren. Das war eine
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behelfsmäßige Konstruktion, die jene Mauerabschnitte ersetzte, die eingestürzt waren. Zusammengenagelte Holzbalken bildeten das Grundgerüst, zusammen mit dem harten Gestein der Mauerreste, das verstärkt wurde durch andere Materialien wie Äste und Zweige, Schilf und lose Steine, dazwischen wurde Erde eingefüllt, was den Vorteil bot, dass dadurch die Erschütterungen durch den Aufprall der Kanonenkugeln wirksamer gedämpft werden konnten als durch eine reine Steinkonstruktion. Bald war die Barrikade fast genauso hoch wie die ursprüngliche Mauer und auch breit genug, dass Soldaten darauf kämpfen konnten. Die Verteidiger wurden vor feindlichem Feuer geschützt durch Bottiche und Körbe, die mit Erde gefüllt waren und als Brustwehren dienten und deren Beseitigung stets das erste Ziel der osmanischen Angriffe war. Nach dem 21. April wurde die Erhaltung der Barrikade zur Hauptaufgabe der Stadt. Soldaten und Zivilisten arbeiteten unermüdlich daran, sie zu reparieren und zu vergrößern. Männer, Frauen und Kinder, Mönche und Nonnen, alle halfen mit, schleppten Steine, Balken und Äste und zogen Karren mit Erde zur Frontlinie in einem erschöpfenden und nie endenden Kreislauf von Zerstörung und Ausbesserung. Sie hatten unter Kanonenbeschuss und bei Angriffen gearbeitet, bei Tag und in der Nacht, bei Regen und Sonne, um die Breschen zu schließen, sobald sie aufgerissen wurden. Die Barrikade verkörperte die gemeinschaftliche Kraftanstrengung der Einwohner, und unter Giustinianis Anleitung hatte sie alle Mühen vergolten und alle Versuche abgewehrt, die Stadt einzunehmen, und den Feind zusätzlich demoralisiert. Hinter dieser Barrikade nahmen am späten Nachmittag des 28. Mai die verbliebenen Verteidiger Aufstellung. Doukas zufolge standen hier »dreitausend Lateiner und Römer« – der Rest der 700 italienischen Soldaten, die Giustiniani mitgebracht hatte, sowie der Großteil der byzantinischen Truppen. Wahrscheinlich aber waren es wohl nur etwas mehr als 2000 Mann. Sie waren gut bewaffnet, mit Kettenhemden und Brustpanzern ausgestattet und verfügten über unterschiedliche Waffen: Arkebusen, Armbruste, Feldschlangen, Langbogen, Schwerter und Keulen – eine Ausrüstung, mit der sie die Angreifer aus der Distanz niederstrecken und auf der Barrikade den Nahkampf führen konnten. Dazu hatten Zivilisten eine große Zahl von Steinen sowie brennbares Material zur Frontlinie geschafft – Fässer mit griechischem Feuer und Bottiche, die mit Pech gefüllt waren. Die Soldaten waren durch die Tore der Innenmauer in die äußere Umfriedung vorgerückt und verteilten sich entlang des Mesoteichions auf einer Länge von tausend Metern. Die Umfriedung war nur rund 20 Meter breit und wurde begrenzt durch die höhere Innenmauer im Rücken sowie vorne durch einen Graben, wo man Erde ausgehoben hatte, um die Barrikade zu befestigen. Hinter den Männern, die an der Barrikade standen, war noch Platz für Reiter, die an der Kampflinie entlang galoppieren
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konnten. Insgesamt gab es zu diesem Abschnitt nur vier Zugänge durch die Innenmauer: je ein Durchgang am St. Romanos- und am Charisios-Tor links und rechts von der Hügelkuppe, das fünfte Militärtor führte in der Mitte des Nordhangs in die Umfriedung, und schließlich gab es noch einen Durchlass an einer unbekannten Stelle, den Giustiniani errichtet hatte, um den Zugang zur Stadt zu erleichtern. Jeder wusste, dass der Kampf an der Barrikade entschieden werden würde; diesen Abschnitt durfte man nicht preisgeben. Daher wurde die Entscheidung getroffen, die Eingänge zur Stadt hinter den Verteidigern zu verriegeln, nachdem sie ihre Stellungen in der Umfriedung eingenommen hatten. Sie würden mit dem Rücken zur Innenmauer kämpfen und hier zusammen mit ihren Anführern entweder siegen oder sterben. Als es dunkel wurde, machten sie sich auf den Angriff gefasst. Ein heftiger Regenschauer prasselte nieder, doch die osmanischen Soldaten schafften draußen weiteres Sturmgerät heran. Später kam auch Giustiniani in die Umfriedung, dann folgten Konstantin und seine engsten Gefolgsleute: der Spanier Don Francisco von Toledo, sein Vetter Theophilos Palaiologos sowie sein treuer Mitkämpfer Johannes Dalmata. Sie warteten auf der Barrikade und der Mauer auf erste Anzeichen, dass der Angriff begann. Obwohl wahrscheinlich nur wenige den Optimismus des Podestà von Galata teilten, der verkündet hatte, dass ihnen »der Sieg gewiss«4 sei, waren sie doch zuversichtlich, dass ihre Leute imstande sein würden, den Sturmangriff abzuwehren.
Die osmanischen Soldaten wurden kurz nach Mitternacht auf den Angriff eingestimmt. In der Dunkelheit seines Zeltes zelebrierte Mehmet das übliche Ritual mit Waschung und Gebet und bat Gott, er möge den Fall der Stadt bewirken. Höchstwahrscheinlich legte er im Zuge seiner Vorbreitungen auch ein besonderes Hemd an, das reich bestickt war mit Versen aus dem Koran und den Namen Gottes und das Schutz bieten sollte vor Unglück. Angetan mit Turban und Kaftan, mit einem Schwert gegürtet und in Begleitung seiner wichtigsten Kommandeure bestieg er sein Pferd, um den Angriff zu leiten. Die Vorbereitungen für gleichzeitige Angriffe auf dem Land und vom Meer her waren sorgfältig ausgeführt worden. Die Schiffe im Goldenen Horn und im Marmarameer waren in Position gebracht worden; an den entscheidenden Stellen der Landmauer waren Truppen konzentriert worden, wobei der Schwerpunkt auf dem Lykos-Tal lag. Mehmet beschloss, den Großteil der Soldaten an der Barrikade zusammenzuziehen und seine Regimenter entsprechend ihren Fähigkeiten in den Kampf zu schicken. Die erste Angriffswelle sollte von den irregulären Truppen vor-
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getragen werden – den Leichtbewaffneten und ausländischen Hilfstruppen –, relativ unerfahrenen Soldaten, die für Beutezüge angeworben worden oder von den Vasallen gestellt worden waren. Eine große Zahl davon waren offenbar »Christen, die gewaltsam in sein Heerlager gezwungen worden waren«,5 wie Barbaro berichtete, »Griechen, Lateiner, Deutsche, Ungarn – Leute aus allen christlichen Ländern«,6 laut Leonhard, eine bunte Mischung von Kämpfern aus verschiedenen Völkerschaften und Religionen, die mit einem Sammelsurium von Waffen ausgerüstet waren; einige hatten Bogen, Schleudern oder Arkebusen, die meisten aber waren nur mit Krummsäbeln und Schilden bewaffnet. Das war keine disziplinierte Kampftruppe, aber Mehmet wollte den Feind zunächst zermürben durch die ungläubigen Soldaten, die er bedenkenlos opferte, bevor er seine wertvolleren Truppen in den Kampf warf. Diese Männer wurden vom nördlichen Ende der Mauer herangeführt, mit Sturmleitern ausgestattet und sollten den Angriff am Mesoteichion entlang der ganzen Linie und insbesondere im Bereich der Barrikade vortragen. Tausende dieser Soldaten warteten in der Dunkelheit auf den Sturmbefehl. Eine halbe Stunde nach Mitternacht kam mit Hörnern, Trommeln und Zimbeln das Signal zum Angriff. Die Kanonen nahmen den Beschuss wieder auf, und aus allen Richtungen, auf dem Land und dem Meer, stießen die osmanischen Soldaten vor. Die Irregulären hatten den ausdrücklichen Befehl, streng geordnet, in gleichmäßigem Tempo und ruhig vorzurücken. Als sie auf Schussweite herangekommen waren, griffen sie an »mit Pfeilen der Bogenschützen, Steinen der Schleuderer und Bleikugeln, die von Armbrusten abgeschossen und aus Arkebusen abgefeuert wurden«. Auf einen weiteren Befehl hin stürmten sie über den zugeschütteten Graben und rannten schreiend gegen die Mauern an, »mit Wurfspießen, Speeren und Lanzen«. Die Verteidiger waren gut vorbereitet. Als die Irregulären die Mauern zu erklimmen versuchten, stießen die Christen ihre Leitern weg und schleuderten Feuer und heißes Öl auf die Angreifer am Fuß der Barrikade hinab. Die Dunkelheit wurde nur durch die Fackeln erhellt und durchschnitten »von lautem Geschrei, Schmähungen und Verhöhnungen«.7 Giustiniani befehligte seine Männer, und die Anwesenheit des Kaisers ermutigte die Soldaten. Die Verteidiger waren im Vorteil, »sie warfen große Steine von den Zinnen auf sie hinab« und beschossen die in dichter Formation anstürmenden Angreifer mit Pfeilen und Kugeln, »sodass nur wenige lebend entkamen«. Viele Kämpfer in der zweiten Reihe zauderten. Doch Mehmet war entschlossen, aus seinen irregulären Truppen das Optimum herauszuholen. Hinter ihnen hatte er Militärpolizisten (Tschawuschen) aufgestellt, die mit Knüppeln und Peitschen ausgestattet waren und den Befehl hatten, sie anzutreiben; hinter den Militärpolizisten standen Janitscharen mit Krummsäbeln, die jeden niedermachen sollten, der diesen Polizeikordon durchbrach. Die verängstigten
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Männer, die gefangen waren zwischen dem Geschosshagel vor ihnen und dem Druck der Abtreiber hinter ihnen, stießen grauenhafte Schreie aus, denn sie wussten, »dass ihnen nur die Wahl blieb, auf der einen oder der anderen Seite zu sterben«.8 Sie stürmten abermals gegen die Barrikade an, bemühten sich gegen den unablässigen Beschuss von oben verzweifelt, ihre Leitern anzulegen – und viele von ihnen ließen ihr Leben. Doch trotz ihrer schweren Verluste hatten diese zweitrangigen Soldaten ihren Zweck erfüllt. Zwei Stunden lang hatten sie dem Feind an der Barrikade zugesetzt und ihn ermüdet, bis der Sultan schließlich den Überlebenden erlaubte, sich zurückzuziehen. Nun trat eine kurze Pause ein. Um 3.30 Uhr war es noch dunkel, und die Ebene war nur durch Leuchtfeuer erhellt. Die Verteidiger auf der Barrikade schöpften Atem; sie hatten ein wenig Zeit, um sich neu aufzustellen und Ausbesserungen durchzuführen. An den anderen Abschnitten der Frontlinie war der Angriff der Irregulären weniger heftig vorgetragen worden; die Stärke der noch intakten Mauer erschwerte ihr Vorankommen. Es war auch eher ein taktisches Manöver gewesen, um die Verteidiger entlang der gesamten Linie zu beschäftigen und zu verhindern, dass die Kräfte, die am Mesoteichion unter Druck standen, ausgetauscht werden konnten. Die Verteidiger mussten eine so lange Frontlinie abdecken, dass man die Reserveeinheiten, die am zentralen Mauerabschnitt in der Nähe der Apostelkirche, ungefähr eineinhalb Kilometer entfernt, zusammengezogen waren, auf 300 Mann reduziert hatte. Die Männer auf der Mauer starrten hinaus auf die Ebene und hofften vergeblich, dass der Feind nun für den Rest der Nacht Ruhe geben würde. Doch jetzt war der Augenblick gekommen, um den Kampf energisch voranzutreiben. Mehmet ritt zu den anatolischen Truppen auf der rechten Flanke, die direkt vor dem St. Romanos-Tor standen. Dabei handelte es sich um schwer bewaffnete Infanterie, erfahrene, disziplinierte und gepanzerte Soldaten, die glühende Muslime waren. Er appellierte in der umgangssprachlichen, väterlichen Art an sie, die sich ein einundzwanzigjähriger Sultan gegenüber seinem Volk erlauben konnte: »Wohlan, meine Freunde und Söhne, jetzt ist der Augenblick gekommen, euch als tapfere Männer zu erweisen!« Sie rückten zum Rand des Tales vor, wandten sich zur Barrikade und rannten »mit Rufen und schauerlichem Kriegsgeschrei«9 in dichten Reihen gegen sie an. Sie stürmten, so berichtete Barbaro, »wie Löwen, die losgelassen wurden«10 gegen die Mauer. Dieser massive Vorstoß versetzte die Verteidiger in Alarm. Überall in der Stadt wurden die Kirchenglocken geläutet und riefen die Männer zurück auf ihre Posten. Auch viele Zivilisten eilten zu den Mauern, um zu helfen. Andere beteten inbrünstig in den Kirchen. Knapp fünf Kilometer entfernt, vor der Sophienkirche, versuchten auch die Geistlichen, ihren Teil zur
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Verteidigung beizutragen. »Als sie die Glocken hörten, holten sie die Ikonen, gingen damit vor die Kirche, sprachen Gebete und segneten mit Kreuzen die ganze Stadt; mit Tränen in den Augen beteten sie: ›Schenke uns wieder das Leben, o Herr, und stehe uns bei, damit wir nicht untergehen.‹«11 Die Anatolier stürmten über den Graben in einer dichten Masse aus zusammengepresstem Stahl. Sie wurden von den Bogenschützen und den Kanonen unter Beschuss genommen, wodurch »eine unglaubliche Zahl von Türken getötet wurde«.12 Doch sie ließen nicht ab, schützten sich mit Schilden gegen den Steinhagel und die Geschosse und versuchten die Barrikade zu ersteigen. »Wir warfen todbringende Steine auf sie hinab«, berichtete Erzbischof Leonhard, »und schossen Pfeile in ihre Reihen.«13 Dank ihrer großen Zahl gelang es den Anatoliern, Sturmleitern an die Barrikade zu legen. Doch diese wurden wieder weggestoßen, und die Angreifer wurden von großen Steinen zermalmt und von heißem Pech verbrannt. Einen Augenblick zogen sich die Osmanen zurück, stießen dann aber schnell wieder vor. Die Verteidiger hinter der Barrikade waren verblüfft und erschreckt über den Kampfgeist des Gegners, der durch eine übernatürliche Kraft vorangetrieben zu werden schien. Es bedurfte offensichtlich keiner zusätzlichen Motivation; diese Soldaten waren »überaus tapfere Männer«,14 berichtete Barbaro; »sie erhoben ihre Schreie zum Himmel und entrollten wild entschlossen ihre Banner. Oh, man musste sie bestaunen, diese Bestien! Ihr Heer wurde vernichtet, aber sie versuchten mit unerschütterlicher Tapferkeit zum Graben vorzustoßen!«15 Ihre große Zahl und ihre Toten behinderten die Anatolier, als die nächste Welle der Angreifer vorwärts stürmte. Die Männer trampelten sich gegenseitig nieder und schoben sich übereinander, als sie auf die Barrikade klettern wollten. Einige schafften es und hieben dort wütend auf ihre Gegner ein. Auf der Erdplattform entbrannte ein erbittertes Handgemenge. Da dort aber die Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt war, entschied mehr die körperliche Kraft als der Gebrauch der Waffen darüber, ob die Anatolier ihren Feind zurückdrängen konnten oder hinabgestoßen werden würden auf den zuckenden, schreienden und fluchenden Haufen von Verwundeten und Sterbenden, weggeworfenen Waffen, Helmen, Turbanen und Schilden. Die Situation veränderte sich von einem Augenblick zum nächsten. »Und bald versuchten die Schwerbewaffneten, die Mauer und die Barrikade zu ersteigen, indem sie hart und bedenkenlos herandrängten, bald wieder wurden sie heftig zurückgeschlagen und vertrieben.«16 Mehmet ritt nach vorne, feuerte seine Männer lautstark an und warf frische Kräfte gegen die Bresche, als die erste Reihe zu wanken begann und viele Soldaten fielen. Dann befahl er, die große Kanone einzusetzen. Steinkugeln krachten gegen die Mauern, töteten mehrere Verteidiger und trafen auch die Anatolier von hinten. Es war noch dunkel, und es herrschte Chaos
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in dieser frühen Morgenstunde. Der Gefechtslärm war ohrenbetäubend, es schien, »als würde die Luft zerrissen werden«17 durch das Dröhnen der Kesselpauken, den schrillen Klang der Pfeifen, das Rasseln der Zimbeln, das Läuten der Kirchenglocken, das Zischen der Pfeile, die durch die Nachtluft flogen, das dumpfe Donnern der türkischen Kanone, das den Boden erzittern ließ und das helle Krachen der Handfeuerwaffen. Schwerter klirrten laut, wenn sie auf Schilde trafen, und erzeugten ein dumpfes Geräusch, wenn sie Luftröhren durchtrennten, Pfeile bohrten sich in Brustkörbe, Bleikugeln zerfetzten Rippen, Steine zerschmetterten Schädel – und in dieses Getöse mischte sich das grauenhafte Durcheinander menschlicher Stimmen: Gebete und Schlachtrufe, Flüche, Anfeuerungsrufe, Weinen und das leise Stöhnen der Verwundeten, die im Sterben lagen. Rauch und Staub zogen über die Kampfstätte. Islamische Banner wurden hoffnungsvoll hochgehalten in der Dunkelheit. Bärtige Gesichter, Helme und Rüstungen leuchteten auf im Licht rauchender Fackeln; für einen kurzen Augenblick wirkte die Besatzung eines Geschützes wie ein erstarrtes Tableau, das vom grellen Blitz der Kanone beleuchtet wurde; die kleinen Mündungsfeuer der Handfeuerwaffen blitzten auf im Dunkeln; griechisches Feuer wurde aus Fässern über die Mauern geschüttet wie goldener Regen. Eine Stunde vor Sonnenaufgang erzielte eine Kugel aus der großen Kanone einen Volltreffer an der Barrikade und brachte ein breites Stück zum Einsturz. Staubwolken und der Rauch des Schießpulvers verdunkelten den Schauplatz, aber sogleich stürmten die Anatolier nach vorn. Bevor die Verteidiger reagieren konnten, waren 300 Türken durch die Bresche eingedrungen. Zum ersten Mal waren die Osmanen in den Bereich hinter der Barrikade gelangt. Die Verteidiger wehrten sich verzweifelt gegen die Eindringlinge in dem engen Raum zwischen den zwei Mauern. Die Bresche war nicht breit genug, um eine größere Zahl von Männern durchzulassen, und bald wurden die Angreifer umzingelt und in die Enge getrieben. Die Griechen und die Italiener machten sie alle nieder. Ermutigt durch diesen kleinen Sieg, trieben die Verteidiger die Anatolier zurück zum Graben. Durch diesen Rückschlag gerieten die osmanischen Truppen erstmals ins Wanken und wurden zurückgezogen. Es war 5.30 Uhr. Die Verteidiger hatten mittlerweile vier Stunden lang unablässig gekämpft.
Bis jetzt waren die osmanischen Truppen noch nicht weit vorangekommen. Im Goldenen Horn war es Zaganos Pascha gelungen, über Nacht die Pontonbrücke an die vorgesehene Stelle zu bugsieren und eine größere Zahl von Soldaten an der Küste zu postieren, unweit der Stelle, wo die Landmauer endete. Zugleich hatte er
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die leichten Galeeren näher ans Ufer herangeführt, sodass die Bogenschützen und Arkebusiere die Mauern unter Beschuss nehmen konnten. Er ließ Leitern und Holztürme zu den Mauern schaffen und versuchte, sie mit seinen Fußtruppen zu erstürmen. Dies misslang. Auch Halils Versuch, an der Küste des Marmarameers zu landen, schlug fehl. Aufgrund der starken Strömung konnte er die Schiffe nicht nahe genug ans Ufer heranführen, und da die Seemauer unmittelbar hinter der Wasserlinie aufragte, gab es kein Vorland, auf dem man einen Brückenkopf hätte bilden können. Obwohl die Brustwehren nur sehr schwach besetzt und oft nur Mönche zur Verteidigung aufgeboten waren, wurden die Angreifer schnell zurückgeworfen oder gefangen genommen. Südlich vom Mesoteichion setzte Ishak Pascha die Verteidiger unter Druck, aber seine besten Einheiten waren für den Angriff auf die Barrikade abgezogen worden. Einen gefährlichen Vorstoß unternahmen die Männer von Karaja Pascha in der Gegend um den Blachernae-Palast – einer jener Stellen, an denen Mehmet die größten Chancen ausgemacht hatte, in die Stadt einzudringen. Dort waren die »Verteidigungswerke der Stadt ins Wanken geraten«,18 weil die Mauer schon stark zerschossen war, doch hier organisierten die drei Bocchiardi-Brüder aus Genua die Verteidigung, allesamt bewährte Berufssoldaten. Laut Erzbischof Leonhard »ließen sie sich durch nichts erschrecken – weder durch einstürzende Mauern, die durch Feuer zusammenbrachen, noch durch das Donnern der Kanonen ... Tag und Nacht hielten sie aufmerksam Wache mit ihren Bogen und furchtbaren Geschützen.«19 Gelegentlich unternahmen sie Ausfälle aus der Kerkoporta, um den Feind bei seinen Vorbereitungen zu stören. Karajas Männer kamen nicht weiter. Das Banner des Löwen von St. Markus wehte noch immer über dem dunklen Palast.
Das Scheitern der Irregulären und der anatolischen Divisionen nach vierstündigen erbitterten Kämpfen erzürnte Mehmet. Mehr noch: Es machte ihm Angst. Er verfügte nur über geringe Reserven an frischen Kräften – seine eigenen Palastregimenter, die 5000 Elitesoldaten seiner Leibwache: »Männer, die vorzüglich gerüstet und zugleich von großer Kühnheit und sehr beherzt waren und alle übrigen Soldaten an Erfahrung und Kampfkraft bei Weitem übertrafen. Sie waren die Elitetruppe des Heeres, Schwerbewaffnete, Bogenschützen, Speerwerfer und seine Leibgarde, die neben anderen vor allem aus den so genannten Janitscharen bestand.«20 Er entschloss sich, sie unverzüglich in die Schlacht zu werfen, bevor die Verteidiger Zeit fanden, sich neu aufzustellen. Alles hing vom Erfolg ihres Angriffs ab; wenn es ihnen nicht gelang, im Laufe der nächsten Stunden die Verteidigungslinien zu
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durchbrechen, würde der Angriff seinen Schwung einbüßen, die erschöpften Soldaten würden zurückgezogen und die Belagerung würde aufgehoben werden müssen. Die Verteidiger fanden keine Zeit, sich auszuruhen. Ihre Verluste waren bei dieser zweiten Angriffswelle weiter gestiegen, und die Männer wurden zusehends müde. Doch ihr Widerstandsgeist war ungebrochen; laut Kritobulos »[vermochte] überhaupt nichts ... sie abzulenken, was auch geschah, nicht quälender Hunger, nicht Mangel an Schlaf, nicht der anhaltende und ununterbrochene Kampf, nicht Wunden, Gemetzel und Tod ihrer Angehörigen, den sie mit eigenen Augen sahen, und auch sonst nichts Schreckliches, sodass sie irgendwie nachgegeben und in ihrem ursprünglichen Kampfeseifer und ihrer Entschlossenheit nachgelassen hätten, sondern sie blieben tapfer bei ihrem von Anfang an gezeigten Widerstand«.21 Es blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig, als standzuhalten und zu kämpfen; es gab niemanden, der sie hätte ersetzen können, keine anderen Truppen, doch die Italiener kämpften unter dem Kommando von Giustiniani und die Griechen unter den Augen ihres Kaisers, zwei Persönlichkeiten, die sie ebenso anspornten wie der Sultan das osmanische Heer. Mehmet wusste, er musste den Durchbruch erzielen, bevor der Angriff zusammenbrach. Jetzt war der Augenblick gekommen, in dem seine Söldner beweisen konnten, dass sie ihr Geld wert waren. Er ritt voraus, feuerte sie an und rief ihnen zu, sie sollten sich nun als wahre Helden erweisen. Mehmet erteilte seine Befehle und führte die Männer selbst an den Graben. Es war noch eine Stunde bis Sonnenaufgang, aber die Sterne verblassten bereits, und »die Schwärze der Nacht wich der Dämmerung«.22 Sie hielten am Graben an. Dann »stellte er die Bogenschützen, Schleuderer und Gewehrschützen in einiger Entfernung von der Mauer auf und befahl ihnen, aus erhöhter Position auf die Verteidiger auf der Barrikade und dem eingestürzten Mauerstück einen ... Geschosshagel niedergehen zu lassen«.23 Sogleich brach ein heftiger Feuersturm über die Mauer herein. »Es wurden so viele Feldschlangen und Pfeile abgefeuert, dass man den Himmel nicht mehr sah.«24 Die Verteidiger mussten hinter der Barrikade Deckung suchen »vor der Masse der gegen sie geschleuderten Wurf- und sonstigen Geschosse, die wie Schneeflocken auf sie niederfallen sollten«. Nach einem weiteren Signal stießen die Schwer- und Leichtbewaffneten vor und »erhoben ein lautes und Schauder erregendes Kriegsgeschrei«,25 »das nicht wie das Schreien von Türken, sondern wie das Brüllen von Löwen«26 klang. Sie stürmten auf die Barrikade zu, getragen von ohrenbetäubendem Lärm, dem wichtigsten psychologischen Kampfmittel der osmanischen Heere, der so laut war, dass man ihn noch auf der anderen Seite des Bosporus vernehmen konnte, acht Kilometer vom Heerlager entfernt. Der Lärm von Trommeln und Pfei-
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fen, die Anfeuerungsrufe der Offiziere, der Donner der Kanonen und das durchdringende Geschrei der Männer, das dazu diente, sich selbst aufzuputschen und den Gegner in Schrecken zu versetzen – all dies erzielte die gewünschte Wirkung. »Durch ihr lautes Schreien nahmen sie uns den Mut und verbreiteten Furcht in der Stadt«,27 berichtete Barbaro. Der Angriff wurde an der gesamten sechs Kilometer langen Front der Landmauer vorgetragen, wie der Anprall einer brechenden Woge. Abermals läuteten die Kirchenglocken, und ein großes Gebetsmurmeln erhob sich in der Stadt. Die Schwerbewaffneten und die Janitscharen waren »erfüllt von Ehrgeiz und entschlossen zum Kampf«.28 Sie kämpften unter den Augen ihres Sultans um ihre Ehre und um den Preis, der jenem versprochen worden war, der als erster eine Bresche durchbrach. Sie rückten festgeschlossen und im Laufschritt zur Barrikade vor »wie Männer, die in eine Stadt eindringen wollen«29 und die ihr Handwerk beherrschten. Mit hakenbesetzten Stangen rissen sie die Bottiche mit Erdreich und die hölzernen Türmchen herunter, zerhackten die Stützbalken der Barrikade und legten Sturmleitern an sie an. Sie hielten sich ihre Schilde über die Köpfe und versuchten, trotz des Bombardements mit Steinen und Pfeilen, in die Stadt vorzustoßen. Die Offiziere standen hinter ihnen, brüllten ihnen Kommandos zu, und der Sultan ritt auf seinem Pferd hin und her und feuerte sie an. Auf der anderen Seite nahmen auch die müden Griechen und Italiener den Kampf wieder auf. Giustiniani und seine Männer und Konstantin, begleitet von »allen seinen Edlen, seinen wichtigsten Kommandeuren und seinen tapfersten Männern«30 fochten an der Barrikade »mit Wurfspießen, Speeren, Lanzen, Langspeeren und sonstigen Nahkampfwaffen«.31 Die erste Welle der Palasttruppen »fiel, niedergestreckt durch Steine, sodass viele umkamen«,32 doch andere nahmen ihre Plätze ein. Es gab keine Atempause. Bald entbrannte ein heftiges Handgemenge, das von beiden Seiten mit größter Erbitterung geführt wurde – den einen ging es um ihre Ehre, um Gott und die großen Belohungen, den anderen ebenfalls um Gott und das nackte Überleben. Es entstand großes Geschrei und Stimmengewirr »von Leuten, die höhnten, drohten, stießen und gestoßen wurden, schossen und beschossen wurden, töteten und getötet wurden und die alles Schreckliche taten mit Erbitterung und Zorn«.33 Im Hintergrund feuerte die große Kanone, Rauch zog über das Schlachtfeld und verhüllte und entblößte abwechselnd die Kämpfer. »Es erschien wie etwas aus einer anderen Welt«,34 schrieb Barbaro. Der Kampf währte eine Stunde, aber die Palastregimenter kamen nicht voran. Die Verteidiger wankten nicht. »Wir wehrten sie entschlossen ab«, berichtete Leonhard, »aber viele unserer Männer waren mittlerweile verwundet und mussten aus dem Kampf genommen werden. Doch unser Kommandeur Giustiniani stand nach
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wie vor unerschütterlich, und auch die übrigen Hauptleute behaupteten ihre Stellungen.«35 Dann begann der Druck der Osmanen plötzlich leicht nachzulassen, zunächst unmerklich, aber dann spürten es auch die Verteidiger auf der Barrikade. Das war der entscheidende Moment, der Augenblick, in dem sich das Kriegsglück zuweilen wendet. Auch Konstantin bemerkte es und feuerte seine Leute an. Leonhard zufolge rief er ihnen zu: »Tapfere Soldaten, das Heer des Feindes wird schwächer, die Siegeskrone ist unser. Gott ist auf unserer Seite – lasst nicht nach!«36 Die Osmanen schwankten, was den erschöpften Verteidigern neue Kräfte verlieh. Aber dann wurde ihnen durch zwei eigenartige Wendungen des Schicksals dieser Vorteil wieder entrissen. Einen Dreiviertelkilometer weiter oben an der Frontlinie, in der Nähe des Blachernae-Palastes, hatten die Brüder Bocchiardi die Truppen von Karaja Pascha zurückgeschlagen und unternahmen mehrere Ausfälle durch die Kerkoporta, jenes kleine Ausfalltor, das in einer Ecke der Mauer verdeckt war. Nun sollte sich die Prophezeiung erfüllen, die sich auf diese kleine Pforte bezog. Nach der Rückkehr von einem Ausfall vergaß ein italienischer Soldat, die Pforte hinter sich zu verrammeln. Im Licht des heraufziehenden Morgens entdeckten einige von Karajas Soldaten das offene Tor und stürmten hindurch. Fünfzig Türken begannen eine Treppe hinaufzulaufen, die zur Höhe der Mauer führte, und überraschten die oben befindlichen Soldaten. Einige wurden niedergemacht, andere sprangen in den Tod. Was dann genau geschah, ist unklar; anscheinend wurden die Eindringlinge umringt, bevor sie weiteren Schaden anrichten konnten, doch es war ihnen gelungen, die Fahne von St. Markus und das kaiserliche Banner von einigen Türmen herabzureißen und durch osmanische Standarten zu ersetzen. Konstantin und Giustiniani, die sich an der Barrikade befanden, bemerkten zunächst nichts von diesem Vorfall. Sie hielten zuversichtlich ihre Stellung, als ihnen das Schicksal einen schweren Schlag versetzte. Giustiniani wurde abermals verwundet. Für manche spätere Berichterstatter war es der Gott der Christen oder jener der Muslime, der dieses Ereignis bewirkte, weil er Gebete erhört beziehungsweise nicht erhört hatte. Gelehrte Griechen fühlten sich an Homer erinnert: eine plötzliche Wendung des Kampfes, laut Kritobulos herbeigeführt von einem »übelwollenden und grausamen Schicksal«,37 jener Augenblick, in dem eine erhabene und unbarmherzige Gottheit, die den Kampf aus olympischer Entfernung beobachtet, die Entscheidung trifft, das Ergebnis umzukehren – und den Helden in den Staub stößt und sein Herz zerbricht. Es herrscht Uneinigkeit darüber, was dann geschah, aber allen war klar, was Giustinianis Verwundung bedeutete: Die Genuesen wurden in tiefe Verwirrung gestürzt. Im Hinblick auf die anschließenden Ereignisse sind die Berichte unvollständig oder weichen deutlich voneinander ab. Giustiniani, »angetan mit der Rüs-
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tung des Achill«, fällt auf viele unterschiedliche Arten zu Boden. Er wird am rechten Bein von einem Pfeil getroffen; der Bolzen aus einer Armbrust bohrt sich in seine Brust; er erhält von unten einen Messerstich in den Bauch, während er auf der Mauer kämpft; eine Bleikugel durchschlägt seinen Unterarm und durchdringt seine Brustplatte; die Kugel aus einer Feldschlange bohrt sich in seine Schulter; er wird durch einen Schuss eines seiner eigenen Männer versehentlich von hinten getroffen – oder absichtlich. Am wahrscheinlichsten ist, dass eine Bleikugel seine Brustpanzerung durchschlug, ein kleines Loch, doch die Kugel richtete im Körper großen Schaden an. Giustiniani hatte seit Beginn der Belagerung unablässig gekämpft und war zweifellos sehr erschöpft. Er hatte bereits am Vortag eine Verwundung erlitten, und diese zweite Verwundung brach anscheinend seinen Kampfesmut. Er konnte nicht mehr stehen und war offenbar schwerer verletzt, als es die Anwesenden erkennen konnten. Nun befahl er seinen Leuten, ihn auf sein Schiff zu bringen, wo er sich ärztlich behandeln lassen wollte. Die Männer begaben sich zum Kaiser und baten ihn um den Schlüssel zu einer der Pforten. Konstantin fürchtete, dass sich durch den Rückzug seines wichtigsten Befehlshabers die Lage noch weiter verschlechtern würde, und flehte Giustininani und seine Offiziere an, noch eine Weile auszuharren, doch diese lehnten ab. Giustiniani übertrug das Kommando über die Genueser Soldaten zwei Offizieren und versprach, er werde zurückkehren, wenn seine Wunde versorgt sei. Widerwillig händigte ihm Konstantin den Schlüssel aus. Die Pforte wurde geöffnet, und seine Leibwache trug Giustiniani zum Hafen, wo sie ihn auf seine Galeere brachte. Das war eine verhängnisvolle Entscheidung. Dem Anblick des offenen Tores konnten die übrigen Genuesen nicht widerstehen; als sie sahen, wie ihr Kommandeur weggebracht wurde, eilten sie ihm nach. Verzweifelt versuchten Konstantin und seine Gefolgsleute, sich der Flut entgegenzustemmen. Sie verboten den Griechen, den Italienern zu folgen, und befahlen ihnen, die Reihen zu schließen und die leeren Plätze an der Frontlinie aufzufüllen. Mehmet bemerkte anscheinend, dass die Verteidiger geschwächt waren, und trieb seine Leute zu einem erneuten Angriff nach vorn. »Wir haben die Stadt, meine Freunde, wir haben sie schon!«, rief er. »Nur noch ein wenig Anstrengung, und die Stadt ist erobert.«38 Eine Kompanie von Janitscharen unter dem Befehl von Cafer Bey stürmte los mit dem Ruf »Allahu Akbar – Gott ist groß!« Mit den Anfeuerungsrufen des Sultans in den Ohren – »Voran, meine Falken, weiter, meine Löwen!« – und berauscht vom Gedanken an die großen Belohnungen für jene, die die Fahne auf der Mauer hissen würden, rannten sie auf die Barrikade zu. Voran stürmte ein Hüne namens Hassan von Ulubat, der die osmanische Standarte trug, ihm folgten rund 30 Gefährten. Mit
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seinem Schild über dem Kopf hackte sich Hassan seinen Weg auf der eingestürzten Barrikade frei, drängte die Verteidiger zurück und stürmte auf die Zinnen. Dort konnte er sich für einen kurzen Augenblick halten, mit der Fahne in der Hand, und spornte dadurch die übrigen Janitscharen an. Es war eine spektakuläre Zurschaustellung der Tapferkeit der Türken, die nachhaltigen Eindruck machte – der Hüne mit der Fahne des Islam auf den Mauern der christlichen Stadt – ein Bild, das einging in den Mythos der osmanischen Staatsbildung. Doch schnell sammelten sich die Verteidiger wieder und schlugen zurück mit einem Hagel aus Steinen, Pfeilen und Speeren. Sie warfen die anstürmenden Janitscharen teilweise zurück und umringten Hassan; er wurde durch einen Hieb mit einem Stein auf die Knie gezwungen und erschlagen. Doch inzwischen drängten immer mehr Janitscharen durch die Öffnung herein. Wie eine riesige Woge, die Schutzdämme an der Küste überflutet, strömten Tausende Männer in die Umfriedung und drängten die Verteidiger durch ihre Überzahl zurück. Bald mussten diese sich an die Innenmauer zurückziehen, vor der ein weiterer Graben verlief, der an einigen Stellen tiefer ausgeschachtet worden war, um Erdreich zur Ausbesserung der Barrikade zu gewinnen. Einige wurden in diese Löcher gedrängt und saßen damit in der Falle. Sie konnten nicht mehr entkommen und wurden erschlagen. An der sich verbreiternden Kampflinie strömten nun immer mehr Janitscharen in die Festung; viele wurden von den Verteidigern getötet, die sie von der Barrikade herab bombardierten, doch die Flut ließ sich nicht mehr aufhalten; laut Barbaro drangen innerhalb einer Viertelstunde 30 000 Türken ein unter »schauderlichem Geschrei, das wie aus der Hölle zu kommen schien«.39 Gleichzeitig entdeckten einige der Janitscharen die türkischen Banner, die von den Eindringlingen auf Türmen in der Nähe der Kerkaporta aufgepflanzt worden waren, und es erscholl der Ruf: »Die Stadt ist unser!« Blinde Panik erfasste nun die Verteidiger. Sie versuchten, aus der abgeriegelten Umfriedung zurück in die Stadt zu gelangen. Zur selben Zeit begannen Mehmets Männer schon die Innenmauer zu ersteigen und nahmen die fliehenden Verteidiger von oben unter Beschuss. Wahrscheinlich gab es nur eine einzige Stelle, durch sie entkommen konnten: die kleine Ausfallpforte, durch die Giustiniani weggebracht worden war. Alle anderen Tore waren verriegelt. Die Männer drängten in einem dichten Pulk zu diesem Tor und behinderten sich gegenseitig beim Versuch, sich hindurchzuzwängen, »sodass an dem Tor ein großer Berg von Menschen entstand, der es jedem verwehrte, hindurchzukommen«.40 Einige wurden zu Tode getrampelt; andere wurden von den türkischen Schwerbewaffneten niedergemacht, die nun in geordneter Formation durch die Bresche einrückten. Der Strom von Leibern wuchs an und vereitelte alle weiteren Fluchtversuche. Alle noch lebenden Verteidiger der Barri-
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kade wurden niedergemetzelt. Auch an den übrigen Toren – dem Charisios-Tor und dem fünften Militärtor – lagen Leichenberge, die Männer, die dort versucht hatten, aus der abgeriegelten Umfriedung zu entkommen. Und in diesem Durcheinander und Gedränge wurde Konstantin zum letzten Mal gesehen, in Begleitung seiner treuesten Gefolgsleute – Theophilos Palaiologos, Johannes Dalmata und Don Francisco von Toledo. Seine letzten Augenblicke wurden von unglaubwürdigen Chronisten geschildert, die mit großer Wahrscheinlichkeit keine Augenzeugen waren; er kämpfte weiter, wehrte sich trotzig, stürzte und wurde zertrampelt und verschwand schließlich aus der Geschichte, um in Legenden weiterzuleben. Janitscharen stiegen über die Toten hinweg und bahnten sich ihren Weg durch das fünfte Militärtor. Als sie an der Innenmauer entlang zogen, wandten sie sich nach links zum Charisios-Tor und öffneten es von innen; andere machten das St. Romanos-Tor auf. Auf allen Türmen flatterten nun die Banner der Osmanen im Wind. »Das ganze übrige Heer ... folgte mit Drängen und Gewalt ... Der Sultan aber stand vor der großen Mauer, wo auch die große Fahne war und die Standarte und blickte auf das Geschehen.« Die Sonne ging auf. Osmanische Soldaten liefen zwischen den Gefallenen umher und schlugen den Toten und Sterbenden die Köpfe ab. Große Raubvögel kreisten über dem Schauplatz. Die Verteidigung war in kaum fünf Stunden vollständig zusammengebrochen.
15 Eine Handvoll Staub 6 . 0 0 U h r, 2 9 . M a i 14 5 3
Sage mir bitte, wie und wann wird das Ende der Welt sein? ... Wie wird der Mensch es wissen, dass unser Ende vor der Türe steht? Welche Zeichen werden es verkünden? Und wohin wird diese Stadt, das Neue Jerusalem, fahren? Was wird mit den heiligen Tempeln geschehen, die hier stehen, was mit den verehrten Ikonen, den Reliquien der Heiligen und den Büchern? Bitte belehre mich. Epiphanius, orthodoxer Mönch aus dem 10. Jahrhundert, in einer Frage an seinen Meister, den heiligen Andreas den Einfältigen1
Als die osmanischen Soldaten in die Stadt strömten und ihre Banner auf den Türmen erschienen, verbreitete sich große Angst unter der Zivilbevölkerung. Der Ruf »Die Stadt ist verloren!« ging wie ein Lauffeuer durch die Straßen. Die Menschen begannen zu rennen. Die Brüder Bocchiardi an der Mauer in der Nähe der Kerkoporta sahen, wie immer mehr Soldaten die Flucht ergriffen. Sie bestiegen ihre Pferde, griffen zusammen mit ihren Leuten die Eindringlinge an und konnten sie vorübergehend etwas zurückdrängen. Doch rasch erkannten auch sie, dass die Lage hoffnungslos war. Osmanische Soldaten auf den Mauern nahmen sie von oben unter Beschuss, und Paolo wurde am Kopf verwundet. Ihnen wurde klar, dass sie bald umzingelt sein würden. Paolo wurde gestellt und getötet, aber seine Brüder kämpften sich mit ihren Männern zum Goldenen Horn durch. Am Hafen erfuhr der verwundete Giustiniani, dass die Verteidigung zusammengebrochen war, und »befahl seinem Trompeter, das Signal zum Rückzug seiner Männer zu blasen«.2 Für die anderen war es zu spät. Der venezianische Bailo Minotti und die Seeleute, die
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von den Galeeren herbeigeströmt waren, um in den Kampf einzugreifen, wurden am Blachernae-Palast umringt und gefangen genommen, während die Verteidiger entlang dem Landmauer-Abschnitt in Richtung des Marmarameers, die hier bislang alle Vorstöße abgewehrt hatten, nun von hinten angegriffen wurden. Viele kamen um; andere, auch die Kommandeure Philippo Contarini und Demetrios Kantakuzenos, ergaben sich und wurden gefangen genommen. In der Stadt breitete sich heillose Verwirrung aus. Der Zusammenbruch der Front war so dramatisch und kam so unerwartet, dass viele Leute es kaum glauben konnten. Während einige Soldaten, die an den Landmauern entkommen waren, zum Goldenen Horn flüchteten und hofften, an Bord eines Schiffes zu gelangen, rannten andere Menschen in Richtung der Front. Aufgeschreckt durch den Kampflärm eilten einige Zivilisten zu den Mauern, um den Soldaten zu helfen, als ihnen die ersten Gruppen marodierender osmanischer Kämpfer entgegenkamen, die »mit Erbitterung und großem Zorn«3 auf sie losgingen und sie niedermachten. Es war eine Mischung aus Angst und Hass, die das anfängliche Gemetzel in der Stadt auslöste. Als sie sich plötzlich in dem Gewirr enger Straßen wiederfanden, waren die osmanischen Soldaten verwirrt und aufgeregt. Sie hatten erwartet, auf eine große und kampfentschlossene Armee zu treffen, und konnten nicht glauben, dass die 2000 Männer, die an der Barrikade geschlagen worden waren, die gesamte Streitmacht der Stadt darstellten. Zudem waren sie wütend wegen der wochenlangen Entbehrungen und der Beschimpfungen und Schmähungen, mit denen sie die Griechen von den Mauern herab überschüttet hatten. Jetzt sollte die Stadt dafür büßen, dass sie sich nicht nach Verhandlungen kampflos ergeben hatte. Anfangs metzelten sie Zivilisten nieder, um »alles in Angst und Schrecken zu versetzen«;4 eine Weile »machten sie jeden, der ihnen über den Weg lief, mit dem Krummsäbel nieder, Frauen und Männer, Alte und Junge gleichermaßen«.5 Diese Rücksichtslosigkeit wurde wahrscheinlich gefördert durch vereinzelte Widerstandshandlungen von Bürgern, die »von oben Steine herabwarfen und Feuer auf sie herabschütteten«.6 Das Blut floss in Strömen auf den Straßen. Die Fahnen des Sultans wehten nun auf den hohen Türmen der Landmauern und verbreiteten die Nachricht vom Durchbruch rasch unter den osmanischen Verbänden. Im Goldenen Horn verschärfte die osmanische Flotte ihre Angriffe, und als die Verteidiger zurückwichen, stießen die Seeleute ein Seetor nach dem anderen auf. Bald wurde auch das Plataia-Tor in der Nähe des venezianischen Viertels aufgebrochen, und mehrere Abteilungen der Türken drangen in das Herz der Stadt vor. Auch die Männer auf Hamza Beys Schiffen im Marmarameer sahen die Signale. Da auch sie an den Plünderungen teilnehmen wollten, schickten sie Landetrupps mit Sturmleitern zu den Mauern.
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Eine Weile dauerte das wüste Gemetzel an: »Die ganze Stadt war voll mit Menschen, die töteten oder getötet wurden, die flohen oder verfolgt wurden«,7 wie Chalkokondylas berichtete. In der allgemeinen Panik war sich jeder selbst der Nächste. Während sich die Italiener zum Goldenen Horn abzusetzen versuchten, eilten die Griechen zu ihren Häusern, um ihre Frauen und Kinder zu schützen. Einige wurden unterwegs gefangen genommen; andere stellten fest, dass »ihre Frauen und Kinder entführt und ihr Hab und Gut geplündert worden waren«. Andere wiederum wurden, als sie heimkamen, »zusammen mit ihren Freunden und Ehefrauen in Fesseln gelegt«.8 Viele, die noch vor den Eroberern ihre Häuser erreichten und wussten, dass die Schlacht verloren war, entschlossen sich, ihre Familien unter Aufopferung des eigenen Lebens zu verteidigen. Einige versteckten sich in Kellern und Zisternen oder irrten benommen durch die Stadt und warteten darauf, gefangen genommen oder getötet zu werden. An der Theodosiakirche in der Nähe des Goldenen Horns spielte sich eine erschütternde Szene ab. Es war der Namenstag dieser Heiligen, der seit Jahrhunderten von den Gläubigen mit einem sorgsam gepflegten Ritual begangen worden war. Die Fassade der Kirche war mit Frühsommerrosen geschmückt worden. Drinnen hatte die übliche Nachtwache vor dem Schrein der Heiligen stattgefunden, und die brennenden Kerzen leuchteten in der kurzen Frühlingsnacht. Am frühen Morgen setzte sich eine Prozession von Männern und Frauen zu dieser Kirche in Bewegung, die unerschütterlich an die wundersame Kraft des Gebetes glaubten. Sie trugen die traditionellen Opfergaben bei sich, »wunderschön verzierte Kerzen und Weihrauch«,9 wurden aber von Soldaten aufgehalten und weggeführt; die gesamte Gruppe wurde gefangen gesetzt, und die Kirche, in der bereits viele Opfergaben abgelegt worden waren, wurde geplündert. Theodosias Gebeine wurden Hunden vorgeworfen. Überall wurden Frauen aus dem Schlaf gerissen durch türkische Soldaten, die in die Häuser eindrangen. Als die Osmanen im Laufe des frühen Vormittags begriffen, dass es keinen organisierten Widerstand mehr gab, wurden sie des Mordens müde. Sie handelten nun, wie Sa’d-ud-din berichtete, nach dem Grundsatz: »Die Alten umbringen und die Jungen gefangen nehmen«.10 Ab jetzt ging es mehr darum, Gefangene zu machen. Es begann die Jagd nach wertvollen Sklaven – jungen Frauen und schönen Kindern –, bei der sich vor allem die irregulären Einheiten hervortaten, Männer »verschiedener Nationalitäten und mit unterschiedlichen Bräuchen und Sprachen«,11 darunter auch Christen; sie »plünderten, raubten, machten Beute, mordeten, misshandelten und verschleppten als Kriegsgefangene Männer, Frauen, Kinder, Alte und Junge, Mönche, einfach jedes Alter und jeden Stand«.12 Die Berichte über die Gräueltaten stammten überwiegend von Christen, osmanische Chronisten äußerten sich zurückhaltender, aber es besteht kein Zweifel, dass sich an diesem Vormittag grauenhafte Szenen in der Stadt abspielten. Es war ein »furchtbares und erbarmungswürdiges
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Schauspiel, ergreifender als jede Tragödie«,13 wie Kritobulos schrieb, der den Osmanen im Allgemeinen eher gewogene griechische Chronist. Frauen wurden »mit Gewalt aus ihren Gemächern gezerrt«.13 Kinder wurden ihren Eltern entrissen; ältere Männer und Frauen, die nicht aus ihren Häusern flüchten konnten, wurden »erbarmungslos niedergemetzelt«, ebenso die »Geisteskranken, die Alten, die Aussätzigen und die Kranken«.14 »Die Neugeborenen wurden hinausgeschleudert auf die Plätze.«15 Frauen und Jungen wurden vergewaltigt; dann wurden bunt zusammengewürfelte Haufen von Gefangenen von den Soldaten verschleppt, die sie »roh fortrissen, fortzogen, zerrten, misshandelten, schändlich fortschleppten, auf offener Straße schändeten und welche Untat nicht vollbrachten«.16 Die Überlebenden, insbesondere »junge, sittsame Frauen, wohlgeboren und aus edlem Geschlecht, meist das Haus hütend und niemals auch nur vor die Haustür gekommen«,17 wurden für immer traumatisiert. Um diesem Schicksal zu entgehen, stürzten sich einige Mädchen und verheiratete Frauen in Brunnenschächte. Unter den Plünderern kam es zu Streitereien um die schönsten Mädchen, die mitunter tödlich endeten. Kirchen und Klöster wurden bevorzugt verwüstet. Jene in der Nähe der Landmauern – die Militärkirche von St. Georg am Charisios-Tor, die Kirche von Johannes dem Täufer in Petra und die Klosterkirche des Heiligen Erlösers in Chora – wurden unverzüglich geplündert. Die Ikone der Muttergottes, die Hodegetria, wurde in vier Teile zerschlagen und wegen ihres wertvollen Rahmens unter den Soldaten verteilt. Kreuze wurden von den Kirchendächern gerissen; die Ruhestätten der Heiligen wurden geöffnet und nach Kostbarkeiten durchsucht; ihre Gebeine wurden zerhackt und auf die Straßen geworfen. Die Kirchenschätze – Kelche und »Heilige Geräte und ehrwürdige, kostbare und mit viel Gold durchwirkte Gewänder, von denen einige auch von durchsichtigen Steinen und Perlen leuchteten«18 – wurden auf Karren weggebracht. Die Altäre wurden aus ihren Fundamenten gerissen und »die Wände der unbetretbaren und unantastbaren Orte abgesucht und die heiligen Stätten der Reliquienschreine wurden um und um gegraben auf der Suche nach Gold«.19 »Die geheiligten Bilder der Heiligen«20 wurden zerstört, wie Leonhard zufolge ein Augenzeuge berichtete. In den Klöstern wurden Nonnen »auf den Boden geworfen und geschändet«;21 die Mönche wurden in ihren Zellen getötet oder »aus den Kirchen fortgezerrt, in die sie sich geflüchtet hatten, und verschleppt, misshandelt und entehrt«. Die Gräber der Kaiser wurden mit Eisenstangen aufgerissen und nach Gold durchsucht. »Und sie verübten noch unzählige andere furchtbare Untaten«,22 berichtete Kritobulos betrübt. In wenigen Stunden wurde ein Jahrtausend des christlichen Konstantinopel ausgelöscht. Vor dieser Flutwelle brachte sich in Sicherheit, wer dazu noch imstande war. Viele liefen instinktiv oder aufgrund einer Eingebung zur Sophienkirche. Sie erinner-
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ten sich an eine alte Prophezeiung, wonach eindringende Feinde nur bis zur Konstantinsäule gelangen würden, in der Nähe der großen Kirche, wo ein Erzengel mit einem Schwert in der Hand herabsteigen und den Verteidigern die Kraft geben würde, sie aus der Stadt zu vertreiben »und aus dem Abendland und aus Anatolien zu einem Ort, der Goldener Apfelbaum genannt wird an der Grenze zu Persien«.23 In der Kirche versammelte sich eine große Menge aus Geistlichen und Laien, aus Männern, Frauen und Kindern zur Frühmesse und betete um ein Wunder Gottes. Die schweren Bronzetüren der Kirche wurden geschlossen und verbarrikadiert. Es war 8.00 Uhr. Einige vorgelagerte Bezirke der Stadt hatten noch die Chance, über eine Kapitulation zu verhandeln. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts war die Bevölkerung Konstantinopels so weit zurückgegangen, dass sich einige Teile der Stadt zu getrennten Dörfern entwickelt hatten, die sich mit eigenen Mauern und Wällen schützten. Einige von ihnen – Studion am Marmarameer und das Fischerdorf Petrion in der Nähe des Goldenen Horns – öffneten ihre Tore freiwillig unter der Bedingung, dass ihre Häuser vor Plünderungen verschont bleiben würden. Jeder dieser Ortsvorsteher musste vor den Sultan treten und förmlich die Übergabe seiner Siedlung erklären, worauf Mehmet wahrscheinlich eine Abteilung seiner Militärpolizei entsandte, welche die Häuser schützen sollte. Durch eine solche freiwillige Übergabe handelte man sich nach dem islamischen Kriegsrecht Straffreiheit ein, und so blieben mehrere Kirchen und Klöster unversehrt. An anderen Orten gab es noch vereinzelten heldenhaften oder verzweifelten Widerstand. Am Goldenen Horn hatten sich kretische Seeleute auf drei Türmen verschanzt. Den ganzen Vormittag trotzten sie allen Versuchen der Osmanen, sie auszuheben. Auch an jenen Abschnitten des Seewalls, die am weitesten von den Landmauern entfernt waren, wehrten sich viele Soldaten noch, häufig in Unkenntnis der tatsächlichen Lage, bis sie plötzlich den Feind in ihrem Rücken auftauchen sahen. Einige stürzten sich von der Mauer, andere baten um Gnade. Prinz Orhan, dem osmanischen Kronprätendenten, und seiner kleinen Truppe türkischer Kämpfer blieb nicht einmal diese Hoffnung. Sie harrten aus, wie auch die Katalanen, die ebenfalls an der Seemauer in der Nähe des Bukoleon-Palastes postiert waren. Zur selben Zeit trafen die osmanischen Seeleute eine verhängnisvolle Entscheidung. Als sie sahen, dass das Heer in die Stadt eingedrungen war, fürchteten sie, bei den Plünderungen zu kurz zu kommen, setzten die Schiffe ans Ufer und verließen sie, »um nach Gold, Juwelen und anderen Schätzen zu suchen«.24 Die Matrosen waren so erpicht darauf, an Land zu kommen, dass sie die Italiener nicht beachteten, die über die Mauer flohen. Die Jagd nach Beute beherrschte die folgenden Stunden. Das jüdische Viertel in der Nähe des Goldenen Horns, ein Zentrum des Schmuckhandels, war eines der
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ersten Ziele, auch die italienischen Kaufleute wurden umgehend heimgesucht. Im Laufe des Tages wurde die Plünderung besser organisiert. Der erste Trupp, der in ein Haus eindrang, stellte davor eine Fahne auf, um den Kameraden anzuzeigen, dass es bereits geplündert worden war; die anderen zogen dann weiter und schauten sich anderwärts um: »Und so pflanzten sie überall Fahnen auf, selbst auf Klöstern und Kirchen.«25 Die Männer gingen in Gruppen vor, schafften die Gefangenen und das Beutegut ins Lager oder auf die Schiffe und kehrten dann zurück, um weiterzusuchen. Kein Winkel blieb verschont: »Sie brachen Kirchen, Heiligtümer, alte Ruhestätten und Grüfte auf, durchsuchten unterirdische Hallen, Verstecke, Schlupfwinkel, Höhlen und Löcher und alles Übrige, was verborgen war, und falls dort Menschen oder Gegenstände versteckt waren, so holten sie diese ans Licht.«26 Einige stahlen sogar das unbewachte Beutegut im Lager. Unterdessen ging der Kampf ums Überleben weiter. Im Laufe des Vormittags entschieden sich Hunderte von persönlichen Schicksalen. Kardinal Isidor, der Erzbischof von Kiew, konnte mithilfe seiner Bediensteten sein prachtvolles Ornat mit der Kleidung eines sterbenden Soldaten vertauschen. Kurz darauf fanden türkische Soldaten den Toten im Bischofsgewand, schnitten ihm den Kopf ab und trugen ihn triumphierend durch die Straßen. Der betagte Isidor wurde bald gefangen genommen, blieb jedoch unerkannt und erschien den Siegern als zu hinfällig, um als Sklave brauchbar zu sein. Gegen eine geringe Summe konnte er sich freikaufen und schaffte es, auf ein italienisches Schiff im Hafen zu gelangen. Prinz Orhan hatte weniger Glück. In Soldatenkleidung versuchte der Thronaspirant, der fließend Griechisch sprach, von der Seemauer zu entkommen, wurde aber erkannt und verfolgt. Als er die Aussichtslosigkeit seiner Lage erkannte, stürzte er sich von der Mauer. Sein Kopf wurde Mehmet gebracht, dem sehr daran gelegen war, Klarheit über Orhans Schicksal zu erhalten. Andere Würdenträger wurden lebend gefangen genommen – Lukas Notaras und seine Familie wurden wahrscheinlich in ihrem Palast festgesetzt, Georgios Sphrantzes und seine Familie ebenfalls. Der Mönch Gennadios, der den Widerstand gegen die Kirchenvereinigung angeführt hatte, wurde in seiner Zelle festgenommen. Die Katalanen kämpften weiter, bis sie getötet oder gefangen genommen wurden, doch den Kretern auf ihren Türmen am Goldenen Horn war nicht beizukommen. Schließlich wurde Mehmet über ihren hartnäckigen Widerstand unterrichtet. In einer typisch ritterlichen Geste bot er ihnen einen Waffenstillstand an und die Möglichkeit, mit ihren Schiffen wegzusegeln. Nach kurzem Zögern nahmen sie das Angebot an. Vielen glaubten, dass man am besten über das Goldene Horn entkommen könne. Am frühen Vormittag strömten Hunderte von Soldaten und Zivilisten durch die engen Straßen in der Hoffnung, einen Platz auf einem der italienischen Schiffe
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im Hafen zu ergattern. An den Toren der Seemauer herrschten Chaos und Panik. In kopfloser Flucht drängten viele Menschen auf die überladenen Ruderboote, die daraufhin kenterten und sanken und ihre Insassen in den Tod rissen. Die Tragödie wurde gesteigert durch die Entscheidung einiger Torwächter. Als sie sahen, dass ihre griechischen Landsleute zum Meer flohen, erinnerten sie sich an die Prophezeiung, dass der Feind an der Konstantinsäule würde zurückgeworfen werden und wollten die Verteidiger zur Umkehr bewegen, indem sie ihnen den Fluchtweg versperrten. Sie warfen die Schlüssel der Tore weg, sodass niemand mehr hinauskam. Als die italienischen Schiffe vor der Küste nicht mehr erreichbar waren, spielten sich am Ufer dramatische Szenen ab – »Männer, Frauen, Mönche und Nonnen schluchzten herzzerreißend, schlugen sich gegen die Brust und flehten die Schiffsführer an, näher heranzukommen und sie aufzunehmen«,27 aber auch die Lage an Bord der Galeeren war verzweifelt, und die Kapitäne standen vor einer schwierigen Wahl. Als der Florentiner Kaufmann Giacomo Tetaldi am Hafen ankam, zwei Stunden nach dem Zusammenbruch der Front, gab es nur noch die Alternative, entweder ins Meer hinauszuschwimmen oder »die Wut der Türken« abzuwarten. Ihm war klar, dass er ertrinken konnte, dennoch zog er seine Kleider aus, schwamm zu den Schiffen hinaus und wurde an Bord gezogen. Gerade noch rechtzeitig. Als er zurückblickte, sah er, wie ungefähr vierzig Soldaten, die ihre Rüstungen abgelegt hatten und es ihm gleichzutun versuchten, von den Türken ergriffen wurden. »Möge Gott ihnen beistehen«,28 notierte er. Einige verzweifelte Flüchtlinge am Ufer wurden von der anderen Seite des Horns vom Podestà von Galata gerettet, der sie dazu bewog, in der verhältnismäßig sicheren Genueser Siedlung Zuflucht zu suchen: »Unter nicht geringen Gefahren holte ich die Menschen an der Barrikade in die Stadt zurück; noch nie habe ich etwas derart Schreckliches erlebt.«29 Auf den italienischen Schiffen herrschte eine lähmende Unentschlossenheit. Die Italiener hatten gehört, wie am Morgen die Kirchenglocken verstummten und die osmanischen Seeleute unter lautem Geschrei ihre Schiffe auf den Strand setzten und die Mauern am Goldenen Horn stürmten. Auch den Venezianern war das Mitleid erregende Schauspiel nicht entgangen, sie hatten verfolgt, wie die flüchtenden Bewohner die Kapitäne anflehten oder beim Versuch, zu den Schiffen hinauszuschwimmen, ertranken, aber es war zu gefährlich, am Ufer vor Anker zu gehen; es bestand nicht nur die Gefahr, dass sie vom Gegner festgesetzt wurden, auch durch einen plötzlichen Ansturm der verzweifelten Menschen am Strand konnte ein Schiff in Gefahr geraten. Darüber hinaus war ein großer Teil der Besatzungen der italienischen Galeeren zu den Mauern geschickt worden, sodass die Schiffe nun stark unterbesetzt waren. Doch dass die osmanischen Seeleute ihre Schiffe verlassen hatten, um an den Plünderungen teilzunehmen, war ein großes
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Glück und eröffnete eine Chance zur Flucht, aber gewiss nur für kurze Zeit. Die Galeeren mussten schnell handeln, bevor in der osmanischen Flotte die Disziplin wiederhergestellt war. Ähnliche Ungewissheit herrschte in Galata. Als offenkundig geworden war, dass die Stadt gefallen war, wurden die Menschen von Panik ergriffen. »Mir war immer bewusst, wenn Konstantinopel gefallen ist, dann ist auch diese Stadt verloren«,30 schrieb der Podestà Angelo Lomellino später. Es stellte sich die Frage, wie man reagieren sollte. Wie Mehmet zu den Genuesen stand, die er der Zusammenarbeit mit den Verteidigern der Stadt verdächtigte, war ungewiss. Die meisten ihrer kampffähigen Männer waren auf der anderen Seite des Horns im Einsatz, darunter auch der Neffe des Podestà. In der Siedlung selbst waren nur noch 600 Soldaten verblieben. Viele wollten Galata sofort verlassen. In großer Zahl drängten Menschen auf ein Genueser Schiff, sie waren bereit, ihre sämtlichen Besitztümer zurückzulassen; ein anderes Schiff, auf dem sich überwiegend Frauen befanden, wurde von der türkischen Flotte aufgebracht, aber Lomellino entschloss sich, mit gutem Beispiel voranzugehen und zu bleiben. Wenn auch er der Stadt den Rücken kehrte, so glaubte er, würde es unweigerlich zur Plünderung kommen. Während er diesen Entschluss fasste, kam Alviso Diedo, der Kapitän der venezianischen Flotte zusammen mit seinem Waffenmeister und dem Arzt Nicolo Barbaro an Land, um mit dem Podestà das weitere Vorgehen zu besprechen: Sollten sich die genuesischen und venezianischen Schiffe vereint der osmanischen Flotte entgegenstellen und die italienischen Republiken in einen offenen Krieg mit dem Sultan hineinziehen oder sollten sie ihr Heil in der Flucht suchen? Lomellino empfahl, eine Abordnung zu Mehmet zu schicken, und bat die Besucher, so lange zu bleiben, aber die Venezianer drängten zur Eile. Sie hatten so lange wie möglich gewartet, um Überlebende aufzulesen, die sich schwimmend in Sicherheit bringen wollten, doch jetzt blieb keine Zeit mehr, und sie mussten die Schiffe auch noch seetüchtig machen. Diedo und seine Begleiter verfolgten in Galata, wie sich die Galeeren in der Bucht zum Auslaufen bereit machten, und eilten durch die Straßen, um noch rechtzeitig zurückzukommen. Doch dann stellten sie entsetzt fest, dass Lomellino die Tore verriegelt hatte, um eine Massenflucht zu unterbinden. »Wir befanden uns in einer schrecklichen Lage«, erinnerte sich Barbaro, »wir waren in der Stadt eingeschlossen, die Galeeren setzten plötzlich die Segel, zogen die Ruder ein und schienen bereit, ohne ihren Kapitän auszulaufen.«31 Sie sahen, wie sich ihre Schiffe zum Ablegen anschickten, und sie wussten, dass Mehmet nicht sonderlich freundlich umgehen würde mit dem Kapitän der feindlichen Flotte. Verzweifelt bedrängten die Venezianer den Podestà, sie gehen zu lassen. Schließlich ließ er die Tore öffnen. Gerade noch rechtzeitig erreichten sie den Strand und
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wurden an Bord geholt. Langsam fuhren die Galeeren auf die Sperrkette zu, die nach wie vor den Zugang zur Bucht abriegelte. Zwei Matrosen sprangen mit Äxten auf eines der hölzernen Flöße und hieben auf die Kette ein, bis sie brach. Eines nach dem anderen glitten die Schiffe hinaus in den Bosporus, während osmanische Kommandeure sie vom Ufer aus in ohnmächtiger Wut beobachteten. Die Flotte umsegelte die Spitze von Galata und formierte sich in dem jetzt verlassenen osmanischen Hafen bei den Doppelsäulen. Dort warteten die Schiffe, um noch vermisste Besatzungsmitglieder oder weitere Flüchtlinge an Bord zu nehmen, aber gegen Mittag war klar, dass alle getötet oder gefangen genommen worden waren. Nun blieb keine Zeit mehr. Ein weiteres Mal begünstigte das Schicksal die christliche Flotte. Der Südwind, der die genuesischen Schiffe im April die Meerenge hinaufgetragen hatte, war umgeschlagen und wehte jetzt mit kräftigen zwölf Knoten aus Norden. Ohne diese Gunst des Schicksals, so räumte Barbaro ein, »wären wir wohl alle in Gefangenschaft geraten«.32 Und so »setzte um Mittag Meister Alviso Diedo, der Kapitän der Flotte von Tana, mit der Hilfe unseres gnädigen Herrn auf seiner Galeere die Segel«,33 und Gleiches tat die kleine Flotte von Schiffen und Galeeren aus Venedig und Kreta. Eine der großen Galeeren aus Trapezunt, die 164 Männer verloren hatte, konnte nur mit Mühe ihre Segel hissen, aber nun gab es niemanden mehr, der sie bedrohte, und sie segelten hinaus ins Marmarameer, vorbei an den Leichen von Christen und Muslimen, die im Wasser trieben »wie Melonen in einem Kanal«,34 und nahmen Kurs auf die Dardanellen mit einer Mischung aus Erleichterung über ihr Glück und Trauer über ihre verlorenen Gefährten, »von denen einige ertrunken und einige beim Beschuss oder im Kampf oder auf andere Wese getötet worden waren«,35 darunter auch Trevisano. Die Schiffe hatten 400 Überlebende an Bord, die in den chaotischen Stunden nach dem Fall der Stadt gerettet worden waren, aber auch eine überraschend große Zahl byzantinischer Adeliger, die bereits vor der Katastrophe an Bord gegangen waren. Auch sieben genuesische Schiffe konnten entkommen, darunter die Galeere, auf der sich der verwundete Giustiniani befand. Unterdessen hatte Hamza Bey die osmanische Flotte neu aufgestellt, lief mit ihr in das Goldene Horn ein und setzte 15 Schiffe fest, die dem Kaiser, Ancona und den Genuesen gehörten, die dort noch vor Anker lagen. Einige waren so mit Flüchtlingen überfüllt, dass sie nicht hatten in See stechen können. Gruppen von verzweifelten Menschen standen am Strand, weinten und winkten flehentlich den auslaufenden Galeeren zu. Die osmanischen Seeleute trieben sie zusammen und scheuchten sie auf ihre eigenen Schiffe.
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Die Entfernung von den Landmauern bis zur Stadtmitte betrug rund fünf Kilometer. Bereits im Morgengrauen stießen Trupps von Janitscharen durch das St. RomanosTor auf die zentrale Durchgangsstraße vor. Ihr Ziel war die Sophienkirche. Im Zusammenhang mit dem Mythos vom Goldenen Apfel war eine Legende entstanden, die im türkischen Feldlager weit verbreitet war. Demzufolge sollte in der Krypta der Hagia Sophia, die während der wochenlangen ergebnislosen Belagerung immer deutlich am Horizont zu sehen gewesen war, ein riesiger Schatz aus Gold, Silber und Edelsteinen verborgen sein. Die Janitscharen zogen über die verwüsteten Plätze und verlassenen Straßen – vorbei am Taurus-Forum und am TheodosiusForum und die Mittelstraße hinunter, die ins Herz der Stadt führte. Andere kamen durch das weiter nördlich gelegene Charisios-Tor und zogen an der Apostelkirche vorbei, die nicht geplündert wurde; anscheinend hatte Mehmet diese Kirche unter seinen Schutz gestellt, damit nicht alle Denkmäler der Stadt zerstört wurden. Sie stießen kaum auf Widerstand. Als sie zum Konstantin-Forum gelangten, wo der Gründervater der Stadt von seiner Säule herabblickte, erschien kein Engel, der sie mit seinem flammenden Schwert zurückgeworfen hätte. Zur selben Zeit stürmten Seeleute von den Schiffen im Goldenen Horn und im Marmarameer durch die Basare und Kirchen an der Spitze der Halbinsel. Gegen 7.00 Uhr erreichten beide Gruppen das Stadtzentrum und strömten auf das Augusteum. Hier standen die größten noch verbliebenen Zeugnisse des imperialen Glanzes von Byzanz – Justinian, der noch immer der aufgehenden Sonne entgegenritt; das Milion, der zentrale Meilenstein, von dem aus alle Entfernungen im Reich gemessen wurden; daneben lagen auf der einen Seite das Hippodrom und einige der ursprünglichen Beutestücke von Konstantin dem Großen, welche die Stadt mit der antiken Vergangenheit verbanden: die Bronzesäule mit den drei einander umschlingenden Schlangen aus dem Apollotempel von Delphi, eine Weihegabe der Griechen, die an ihren Sieg gegen die Perser in der Schlacht von Plataia 479 v. Chr. erinnerte, und die noch ältere ägyptische Säule von Pharao Tutmoses III. Die vollständig erhaltenen Hieroglyphen auf ihrer polierten Granitoberfläche waren dreitausend Jahre alt, als die osmanischen Soldaten sie zum ersten Mal sahen. Auf der anderen Seite stand die Sophienkirche, die »fürwahr in den Himmel auf[ragte]«.36 Drinnen hatte gerade die Frühmesse begonnen, und die neun schweren, mit Bronze verkleideten Holztüren mit ihren schützenden Kreuzen waren verschlossen. Die große Gemeinde von Gläubigen betete um ein Wunder, das sie vor den Feinden in der Stadt retten sollte. Die Frauen hatten ihre üblichen Plätze auf der Galerie eingenommen, die Männer saßen unten. Die Priester zelebrierten am Altar die Messe. Einige Personen versteckten sich in entlegenen Nischen des riesigen Gebäudes, andere stiegen hinauf auf die Empore oder auf das Dach. Als die Janitscharen in den
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Innenhof eindrangen und die Türen verschlossen vorfanden, begannen sie gegen den Haupteingang zu schlagen, das Kaisertor, das dem Herrscher und seinem Gefolge vorbehalten war. Nach mehrfachen Axthieben gab die zehn Zentimeter dicke Tür nach und zersplitterte, und die türkischen Soldaten strömten in das Gebäude. Von oben herab betrachtete sie gleichmütig die blaugoldene Mosaikfigur von Jesus Christus, der seine Rechte zum Segen erhoben hatte und in seiner Linken ein Buch hielt, auf dem die Worte standen: »Friede sei mit euch, ich bin das Licht der Welt.« Versucht man einen genauen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem Byzanz unterging, dann war es wohl der letzte Axthieb, der an diesem Tag hier erfolgte. Die Sophienkirche hatte viele Kämpfe der imperialen Stadt miterlebt. An dieser Stelle stand bereits seit 1100 Jahren ein Gotteshaus; die große Kirche Justinians war 900 Jahre alt. Das mächtige Bauwerk hatte das wechselhafte geistige und weltliche Leben der Stadt widergespiegelt und mitbestimmt. Jeder Kaiser, mit der bezeichnenden Ausnahme des letzten, war hier gekrönt worden, viele der prägenden Dramen des Reiches hatten sich unter dieser Kuppel abgespielt, die »wie an einer goldenen Kette am Himmel aufgehängt« zu sein schien. Blut war auf ihrem Marmorboden vergossen worden; Unruhen hatten vor ihren Toren stattgefunden; Patriarchen und Kaiser hatten hier Zuflucht gesucht vor dem Pöbel und vor Plünderern oder waren gewaltsam aus der Kirche gezerrt worden. Dreimal war die Kuppel durch Erdbeben eingestürzt. Durch ihre imposanten Tore waren die päpstlichen Legaten mit der Bulle über den Kirchenbann eingezogen. Wikinger hatten Sprüche in die Wände geritzt; barbarische fränkische Kreuzritter hatten sie geplündert. Hier war Russland für das Christentum gewonnen worden aufgrund der überirdischen Schönheit der orthodoxen Liturgie, hier waren auch die großen theologischen Auseinandersetzungen ausgetragen worden, und viele Generationen von Gläubigen hatten den Boden mit ihren Füßen abgewetzt. Die Geschichte der Kirche der Heiligen Weisheit repräsentierte die Geschichte von Byzanz, des geheiligten und profanen, des mystischen und sinnlichen, des schönen und grausamen, des irrationalen, des göttlichen und des menschlichen, und nach 1123 Jahren und 27 Tagen versank es nun im Chaos des Krieges. Die Gläubigen schrieen entsetzt auf, als die Soldaten hereinstürmten. Sie flehten Gott an, aber es half ihnen nichts; sie waren »eingeschlossen wie in einem Netz«.37 Das Blutvergießen hielt sich in Grenzen. Einige, die sich wehrten, und einige Alte und Gebrechliche wurden umgebracht, doch die meisten ergaben sich »wie Schafe«. Die Türken waren gekommen, um zu plündern und Beute zu machen. Sie achteten nicht auf die schreienden Männer, Frauen und Kinder bei ihrer Suche nach Schätzen. Junge Frauen wurden fast in Stücke gerissen, als sich die Soldaten die wertvollsten Sklavinnen zu sichern suchten. Nonnen und Adelsfrauen, Junge
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und Alte, Herren und Diener wurden zusammengebunden und aus der Kirche gezerrt. Die Frauen wurden mit ihren eigenen Schleiern, die Männer mit Stricken gefesselt. Die Soldaten arbeiteten in Gruppen, jeder führte seine Gefangenen »an einen bestimmten Platz, und nachdem er sie in sichere Obhut gegeben hatte, kehrte er zurück, um sich ein zweites und drittes Beutestück zu holen«. Innerhalb einer Stunde waren alle anwesenden Gläubigen aneinandergekettet. »Die unendlichen Reihen von Gefangenen«, berichtete Doukas, »die wie Herden von Kühen oder von Schafen aus dem Gotteshaus und dem Altarraum geführt wurden, boten einen höchst eigenartigen Anblick!«38 Lautes Wehklagen erfüllte die Morgenluft. Dann wandten sich die Soldaten dem Inventar der Kirche zu. Sie zerschlugen Ikonen, rissen wertvolle Metallrahmen herab und »ergriffen augenblicklich die kostbaren und heiligen Reliquien, die im Altarraum aufbewahrt wurden, die goldenen und silbernen Gefäße und andere wertvolle Dinge«.39 Dann kam das übrige Inventar an die Reihe, Gegenstände, welche die Muslime als gotteslästerlich, aber auch als rechtmäßige Soldatenbeute betrachteten – die Kränze, Kerzenleuchter und Lampen, die Ikonostase, der Altar und seine Tücher, das Kirchengestühl, der Sitz des Kaisers – in kurzer Zeit wurde alles entweder weggebracht oder an Ort und Stelle zerstört, und die große Kirche blieb laut Doukas »geplündert und verwüstet«40 zurück. Das riesige Gotteshaus wurde zu einer leeren Hülle. Dieser prägende Augenblick des Verlustes ließ unter den Griechen eine Legende entstehen, die bezeichnend war für ihren Glauben an die Kraft von Wundern und ihre Sehnsucht nach der heiligen Stadt. Als sich die Soldaten dem Altar näherten, so erzählte man sich, ergriffen einige der Priester rasch die heiligsten Gefäße, gingen damit zu einer Wand des Altarraums, die sich öffnete und hinter ihnen wieder schloss; dort werden sie bleiben, bis ein orthodoxer Kaiser die Hagia Sophia wieder in eine Kirche verwandelt. Diese Legende beruht vielleicht darauf, dass es einigen Priestern gelang, durch einen der alten Gänge zu entkommen, durch den die Kirche mit der dahinter liegenden Residenz des Patriarchen verbunden war. Und es gab noch einen weiteren schwachen Trost. Die Osmanen rissen das Grab von Enrico Dandolo auf, des verhassten Dogen von Venedig, der vor 250 Jahren in der Stadt ähnlich grausam gewütet hatte. Sie fanden keine Schätze darin, da warfen sie seine Gebeine auf die Straßen, wo sich die Hunde über sie hermachten.
Mehmet hielt sich den ganzen Vormittag in seinem Lager vor den Mauern auf und ließ sich über die Kapitulation der Stadt und die Plünderung berichten. Er empfing angsterfüllte Abordnungen der Bewohner. Gesandte erschienen mit Geschenken
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vom Podestà von Galata und versuchten von Mehmet die Zusicherung zu erhalten, dass der Neutralitätspakt weiter gelten werde, doch der Sultan äußerte sich nicht eindeutig. Soldaten brachten ihm den Kopf von Orhan, doch Mehmet wollte vor allem das Antlitz des toten Konstantin sehen. Über das Schicksal des Kaisers und die Umstände seines Todes herrschte weiter Verwirrung. Lange Zeit gab es keinen glaubwürdigen Bericht über seinen Tod, und anscheinend ließ Mehmet auf dem Schlachtfeld nach seinem Leichnam suchen. Am Nachmittag brachten einige Janitscharen, möglicherweise Serben, dem Sultan einen abgeschlagenen Kopf; laut Doukas war Großherzog Lukas Notaras Zeuge dieser Szene und bestätigte Mehmet, dass es sich um seinen Herrn handelte. Dieser Kopf wurde dann an der Justiniansäule gegenüber der Sophienkirche angebracht, damit die Griechen sehen konnten, dass ihr Kaiser tot war. Später wurde dem Kopf die Haut abgezogen, er wurde mit Stroh ausgestopft und in prunkvollem Rahmen an den wichtigsten Herrscherhöfen der muslimischen Welt ausgestellt als Zeichen der Macht des Islam und seiner Eroberungen. Doch wie Konstantin starb – und ob er überhaupt ums Leben kam, was manche bestreiten –, bleibt ungewiss. Es gab keinen zuverlässigen Augenzeugen des Ereignisses, die Wahrheit bleibt verborgen hinter parteilichen und zweifelhaften Berichten. Die osmanischen Chronisten lieferten eine weitgehend einheitliche und ziemlich klare Darstellung, die ein abschätziges Bild des Kaisers zeichnet; viele Versionen davon wurden erst lange Zeit nach der Eroberung verfasst und bauen wahrscheinlich aufeinander auf. Der »verblendete Kaiser« habe zu fliehen versucht, als ihm klar wurde, dass die Schlacht verloren war. Er ritt mit seinen Gefolgsleuten die abschüssigen Straßen zum Horn oder zum Marmarameer hinunter, als ihnen ein Trupp von leicht bewaffneten Türken und Janitscharen entgegenkam, die auf Beutezug waren. »Es entbrannte ein erbitterter Kampf. Das Pferd des Kaisers stürzte, als er einen verwundeten Türken anzugreifen versuchte, worauf sich dieser aufrappelte und dem Kaiser den Kopf abschlug. Als die übrigen Feinde dies sahen, verließ sie der Mut, und die Türken konnten die meisten von ihnen töten oder gefangen nehmen. Auch eine große Menge Geldes und Edelsteine wurde den Gefolgsleuten des Kaisers abgenommen.«41 In den griechischen Berichten stürzt sich der Kaiser zusammen mit seinen adeligen Freunden in das Kampfgetümmel an der Mauer, als die Front zusammenbricht. In der Version von Chalkokondylas »wandte sich der Kaiser an Kantakuzenos und zu den wenigen, die bei ihnen waren, und rief: ›Vorwärts, Männer, lasst uns kämpfen gegen diese Barbaren.‹ Kantakuzenos wurde getötet, Kaiser Konstantin wurde zurückgeworfen und verfolgt, erhielt dann einen Hieb in die Schulter und wurde getötet.«42 Es gibt zahlreiche Versionen dieser Geschichte, die an einem Leichenberg am St. Romanos-Tor endet oder in der Nähe eines der verriegelten
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Ausfalltore; sie alle lieferten den Griechen Stoff für langlebige Legenden über den letzten Kaiser. »Der Kaiser von Konstantinopel wurde getötet«, berichtete Giacomo Tetaldi nüchtern. »Einige erklärten, ihm sei der Kopf abgeschlagen worden, andere versicherten, er sei in der Menschenmenge umgekommen, die sich gegen das Tor drückte. Beide Darstellungen könnten der Wahrheit entsprechen.«43 »Er wurde getötet, und sein Kopf wurde dem Herrscher der Türken aufgespießt auf einer Lanze überbracht«, schrieb Benvenuto, der Konsul von Ancona in Konstantinopel. Dass der Leichnam nicht eindeutig identifiziert werden konnte, lässt vermuten, dass Konstantin seine kaiserlichen Insignien von sich warf und im letzten Gefecht wie ein gewöhnlicher Soldat den Tod fand. Viele Gefallene wurden enthauptet, so dass man sie später kaum noch auseinanderhalten konnte. Es kursierten aber auch abenteuerliche Spekulationen, etwa dass es Konstantin gelungen sei, auf einem Schiff zu entkommen, dies aber kann man ausschließen; es hieß auch, Mehmet habe den Griechen den Leichnam des Kaisers übergeben, die ihn auf einem der Friedhöfe der Stadt beerdigten, aber dafür fanden sich keine Beweise. Die Ungewissheit darüber, wie Konstantin starb, ließ unter den Griechen eine wachsende Zahl von Legenden entstehen, in denen die Sehnsucht nach der vergangenen Größe zum Ausdruck kam und die sich in Liedern und Wehklagen niederschlug: Weint, ihr Christen im Osten und im Westen, weint und trauert über diese große Zerstörung. Am Dienstag, dem 29. Mai des Jahres 1453, nahm der Sohn des Hagar die Stadt Konstantinopel ... Und als Konstantin Dragasas ... davon erfuhr..., ergriff er seine Lanze, gürtete sich mit seinem Schwert, bestieg sein Pferd, sein Pferd mit den weißen Fesseln, und zog gegen die Türken, diese gottlosen Hunde. Er tötete zehn Paschas und sechzig Janitscharen, aber dann zerbrach sein Schwert, und auch seine Lanze zerbrach, und er war allein auf sich gestellt, allein und ohne Hilfe ... und ein Türke verwundete ihn am Kopf, worauf der bedauernswerte Konstantin vom Pferd stürzte; er lag hingestreckt auf dem Boden im Staub und im Blute. Sie schnitten ihm den Kopf ab und steckten ihn auf eine Lanze, und dann begruben sie seinen Leichnam unter einem Lorbeerbaum.44
Der »unglückselige Kaiser« war 49 Jahre alt, als er starb. Ungeachtet der genauen Umstände seines Todes scheint klar, dass er bis zuletzt das Feuer von Byzanz am Brennen zu halten versuchte. »Der Herrscher von Istanbul war mutig und bat nicht um Schonung«,45 schrieb der Chronist Oruç in einem der seltenen Zeugnisse, in denen Konstantin von osmanischer Seite widerstrebend Respekt gezollt wurde. Er hatte sich als tapferer Gegner erwiesen.
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Im weiteren Verlauf des Tages, als sich die Lage einigermaßen beruhigt hatte und ein gewisses Maß von Ordnung wiederhergestellt worden war, zog Mehmet im Triumph in Konstantinopel ein. Er kam durch das Charisios-Tor – das im Türkischen zum Edirne-Tor werden sollte –, gefolgt von seinen Ministern, Geistlichen und Kommandeuren und seiner Elitetruppe, der Janitscharen-Leibwache, sowie einer Schar von Fußsoldaten. Die Szene wurde später durch Legenden ausgeschmückt. Die grünen Banner des Islam und die roten des Sultans wurden entfaltet, als die Kolonne durch den Torbogen ritt. Neben Porträts von Kemal Atatürk ist dies vermutlich das berühmteste Bild der türkischen Geschichte, das in Gedichten und Gemälden immer wieder aufgegriffen wurde. In Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert sitzt der bärtige Mehmet aufrecht auf seinem stolz dahinschreitenden Pferd, er wendet das Gesicht nach einer Seite. Er wird flankiert von stämmigen Janitscharen mit Schnurrbärten, die Arkebusen, Speere und Schlachtäxte bei sich tragen, und Imamen, deren weiße Bärte die Weisheit des Islam repräsentieren, und hinter den wehenden Fahnen erstreckt sich ein Wald aus aneinandergereihten Lanzen weit in den Horizont. Zu seiner Linken steht aufrecht und stolz ein schwarzer Krieger, muskulös wie ein Athlet, er verkörpert die anderen Völker des Glaubens, welche die Gazi-Krieger jubelnd empfangen, die jenes Erbe angetreten haben, das der Prophet ihnen versprochen hat. Sein Krummschwert zeigt auf einen Haufen gefallener Christen zu Füßen des Sultans, auf deren Schilden Kreuze angebracht sind – eine Anspielung auf die Kreuzzüge und ein Symbol des Triumphes des Islam über das Christentum. Der Legende zufolge blieb Mehmet stehen und dankte Gott. Dann wandte er sich um, »beglückwünschte seine siebzig- oder achtzigtausend muslimischen Helden und rief: ›Haltet nicht inne, Eroberer! Gott sei gepriesen! Ihr seid die Eroberer von Konstantinopel!‹«.46 In diesem entscheidenden Augenblick nahm er jenen Namen an, unter dem er später im Türkischen bekannt werden sollte – Fatih: der Eroberer –, und das war auch jener Moment, in dem sich das Osmanische Reich endgültig als ernstzunehmender politischer Akteur etablierte. Mehmet war 21 Jahre alt. Dann zog Mehmet in das Herz der Stadt, um die Gebäude in Augenschein zu nehmen, die er bisher nur aus der Ferne gesehen hatte – er ritt an der Apostelkirche vorbei und am großen Valens-Aquädukt zur Sophienkirche. Vielleicht war er durch das, was er dort sah, eher ernüchtert denn beeindruckt. Die Kirche glich mehr einem menschlichen Pompeji als der Stadt Gottes. In ihrem Beuterausch hatten die osmanischen Soldaten vergessen, dass ihnen befohlen worden war, das Gebäude zu verschonen. Das Heer war über die Stadt hergefallen, klagte Kritobulos, »und verwüstete sie und vertilgte sie wie ein Feuer und zerstörte sie, sodass man gar nicht hätte glauben können, dass in ihr wirklich jemals Menschen gewohnt hatten
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oder dass es in ihr Reichtum oder Überfluss ... gegeben hatte ... Nur verlassene Häuser waren noch übrig geblieben, die denen, die sie sahen, große Angst einflößten durch ihre völlig Öde«.47 Obwohl der Sultan seinen Soldaten eine dreitägige Plünderung erlaubt hatte, hatten sie die Stadt bereits nach einem Tag fast völlig ausgeräumt. Um noch größere Zerstörungen zu verhindern, brach Mehmet sein Versprechen und befahl, dass die Plünderungen bereits am Abend des ersten Tages beendet werden sollten – und es erlaubt Rückschlüsse auf die Disziplin seines Heeres, dass die Tschawuschen diesen Befehl durchsetzen mussten. Mehmet zog weiter und besichtigte unterwegs mehrere bekannte Plätze. Als er zur Schlangensäule von Delphi kam, stieß er sie der Legende zufolge mit seinem Amtstab an und riss dabei den Unterkiefer von einem der Köpfe weg. Nachdem er die Justiniansäule passiert hatte, ritt er auf die Eingangstüren der Hagia Sophia zu und stieg ab. Er beugte sich auf den Boden und ließ eine Handvoll Staub über seinen Turban rieseln als Akt der Demut vor Gott. Dann betrat er die ramponierte Kirche. Der Anblick faszinierte und erschreckte ihn wohl gleichermaßen. Als er durch den riesigen Raum schritt und hinauf zur Kuppel schaute, sah er einen Soldaten, der auf den Marmorboden einhieb. Er fragte den Mann, weshalb er den Boden zerstören wolle. »Für den Glauben«, antwortete der Soldat. Wütend über diese unverhohlene Missachtung seines Befehls, die Gebäude nicht anzutasten, streckte Mehmet den Mann mit seinem Schwert nieder. Er wurde von Mehmets Begleitern halbtot aus der Kirche gezerrt. Einige Griechen, die sich noch in verborgenen Nischen der Kirche versteckt hielten, kamen heraus und warfen sich dem Sultan zu Füßen, und auch einige Priester erschienen – möglicherweise jene, die auf rätselhafte Weise von den Wänden »verschluckt« worden waren. In einer seiner Anwandlungen von Großmut ordnete Mehmet an, dass diese Männer unter dem Schutz von Soldaten nach Hause gebracht werden sollten. Dann rief er einen Imam herbei, der auf die Kanzel steigen und den Gebetsruf ausbringen musste. Anschließend trat Mehmet an den Altar, verbeugte sich und huldigte seinem siegreichen Gott. Wie der osmanische Historiker Tursun Bey berichtet, stieg Mehmet »wie [Jesus] der Geist Gottes, der in die vierte himmlische Sphäre auffährt«, durch die Empore der Kirche hinauf zur Kuppel. Von hier konnte er die gesamte Kirche und das Herz der alten christlichen Stadt überblicken. Der Verfall des einst stolzen Reiches war unverkennbar. Viele der Gebäude im Umkreis der Kirche waren eingestürzt, auch der größte Teil des erhöhten Halbrunds des Hippodroms und der alte Königspalast. Dieses Gebäude, früher das Zentrum der kaiserlichen Macht, war schon länger eine Ruine, denn es war 1204 von den Kreuzrittern zerstört worden. Als er die trostlose Szene betrachtete, »dachte er an die Vergänglichkeit und die mangelnde Festigkeit dieser Welt und ihre endliche Zerstörung«,48 und ihm fielen die Worte eines persi-
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schen Dichters ein, die an die Vernichtung des persischen Reiches durch die Araber im 7. Jahrhundert erinnerten: »Die Spinne webt die Vorhänge im Palast des Chosrau. Die Eule ruft von Afrasiabs Türmen die Stunden aus.« Es war ein Bild, das wehmütig stimmte. Mehmet hatte alles erreicht, was er sich erträumt hatte; am Ende dieses denkwürdigen Tages, an dem das Osmanische Reich zur beherrschenden Großmacht aufgestiegen war, stand ihm bereits ein Bild von dessen Niedergang vor Augen. Er ritt zurück durch die verwüstete Stadt. Gefangene wurden in langen Reihen in behelfsmäßige Zelte vor dem Graben getrieben. Fast die gesamte Einwohnerschaft von 50 000 Menschen war zu den Schiffen oder ins Heerlager geführt worden; etwa 4000 Personen waren vermutlich bei den Kämpfen an diesem Tag umgekommen. Kinder, die von ihren Familien getrennt worden waren, riefen nach ihren Müttern, Männer nach ihren Frauen, »alle waren zutiefst verstört durch diese Katastrophe«. Im osmanischen Feldlager wurde gefeiert, und es wurden Freudenfeuer entzündet; die Soldaten sangen, und tanzten zur Musik von Pfeifen und Trommeln. Pferde wurden mit Priestergewändern behängt, und das Kruzifix wurde zum Spott durch das osmanische Lager getragen, drapiert mit einer türkischen Mütze. Die Soldaten handelten Beutestücke und Edelsteine untereinander. Manche Männer sollen zu Reichtum gelangt sein, indem sie »Schmuck für ein paar Groschen kauften,«49 »Gold und Silber wurden zum Preis von Zinn gehandelt«.50 Dass es an diesem Tag zu schauerlichen Szenen und einem grauenhaftem Gemetzel gekommen war, hatte nichts mit dem Islam im Besonderen zu tun. Es war die zu erwartende Reaktion einer mittelalterlichen Armee, die eine Stadt durch einen Sturmangriff erobert hatte. In der Geschichte von Byzanz lassen sich viele ähnliche Ereignisse finden, die nur zufällig einen religiösen Hintergrund hatten. Das Gemetzel war nicht schlimmer als die Plünderung der SarazenenStadt Candia auf Kreta 961 durch die Byzantiner, als Nicephorus Phocas – ein Mann, der den Spitznamen »Weißer Tod der Sarazenen« trug – die Kontrolle über sein Heer verlor, das drei Tage lang erbarmungslos wütete; es war auch nicht schrecklicher als die Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzritter 1204 und verlief disziplinierter als jener Ausbruch von Fremdenhass, der 1183 erfolgt war, als die Byzantiner fast alle Lateiner in der Stadt niedermachten: »Frauen und Kinder, Alte und Gebrechliche, selbst die Kranken«.51 Doch als es an diesem 29. Mai 1453 Abend wurde über dem Bosporus und der Stadt und die Dunkelheit durch die Fenster in der Kuppel der Sophienkirche kroch und die Mosaikporträts der Kaiser und Engel zudeckte, die Porphyrsäulen, die Onyx- und Marmorböden, das zerschlagene Inventar und die Pfützen aus getrocknetem Blut, da löschte sie auch Byzanz aus, für immer und ewig.
16 D e r g e g e n w ä r t i g e S c h r e c k e n d e r We l t 14 5 3 – 16 8 3
Wohin ich auch blicke, überall sehe ich Ungemach. Angelo Lomellino, der Podestà von Galata, an seinen Bruder, 23. Juni 1453
Die Abrechnung folgte auf dem Fuß. Am nächsten Tag sollten die geplünderten Güter und die Sklaven verteilt werden: Wie es dem Brauch entsprach, stand Mehmet als dem Oberbefehlshaber ein Fünftel von allem zu. Seinen Anteil an den griechischen Sklaven brachte er in der Stadt im Bezirk Phanar unter, einer Gegend in der Nähe des Goldenen Horns, die bis heute ein griechisches Wohnviertel ist. Der Großteil der einfachen Bevölkerung – rund 30 000 Menschen – wurde zu den Sklavenmärkten in Edirne, Bursa und Ankara geführt. Wir wissen, wie es einigen von diesen Deportierten erging, weil sie später freigekauft wurden. Zu ihnen gehörte Matthäus Camariotes, dessen Vater und Bruder getötet wurden und dessen Familie auseinandergerissen wurde; später machte er sich auf die Suche nach seinen Angehörigen. »An dem einen Ort löste ich meine Schwester aus, an einem anderen meine Mutter; dann den Sohn meines Bruders, dank der großen Hilfe Gottes konnte ich ihre Freilassung erwirken.« Doch es war eine sehr bittere Erfahrung. Nicht nur, dass seine Liebsten umgekommen oder spurlos verschwunden waren, bedrückte Camariotes, besonders schmachvoll war es für ihn, als er erfuhr, dass »von den vier Söhnen meines Bruders in dieser Katastrophe drei wohl wegen ihrer Jugend und Ungefestigtheit leider ihrem christlichen Glauben abgeschworen hatten... Vielleicht wäre das nicht geschehen, wenn mein Vater und mein Bruder am Leben geblieben wären... Somit lebe ich, sofern man dies noch als Leben bezeichnen kann, in Kummer und Schmerz.«1 Dass Christen ihrem Glauben abschworen, kam häufig vor.
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Schließlich hatten all die Gebete und die Reliquien es nicht vermocht, die Eroberung der gottbehüteten Stadt durch den Islam abzuwenden, was für viele eine herbe Enttäuschung war. Ein großer Teil der Gefangenen ging im Laufe der Zeit in der ethnischen Vielfalt des Osmanischen Reiches auf – »wie Staub verstreut über die ganze Welt«,2 wie der armenische Dichter Abraham von Ankara klagte. Den überlebenden Würdenträgern der Stadt erging es schlechter. Mehmet ließ alle wichtigen Persönlichkeiten festnehmen, derer er habhaft werden konnte, darunter auch Großherzog Lukas Notaras und seine Familie. Die Venezianer, die Mehmet als seine Hauptgegner im Mittelmeerraum betrachtete, wurden besonders hart angefasst. Der venezianische Stadtvorsteher Minotto, der sich besonders hervorgetan hatte bei der Verteidigung der Stadt, wurde zusammen mit einem seiner Söhne und mehreren führenden Landsleuten hingerichtet; weitere 29 Venezianer konnten nach einer Lösegeldzahlung nach Italien zurückkehren. Auch der katalanische Konsul wurde zusammen mit einigen Landsleuten exekutiert, während Erzbischof Leonhard von Chios und Isidor von Kiew unerkannt entkamen. Auch die Suche in Galata nach den beiden überlebenden Bocchiardi-Brüdern verlief ergebnislos; sie hatten sich versteckt und entkamen. Angelo Lomellino, der Podestà von Galata, ergriff sofort Maßnahmen, um die Genueser Siedlung zu retten. Da Galata Konstantinopels Verteidigungsanstrengungen unterstützt hatte, musste es mit Vergeltung rechnen. Lomellino schrieb an seinen Bruder, der Sultan habe behauptet, »dass wir alles getan hätten, was in unserer Macht stand, um Konstantinopel zu helfen... und das entsprach zweifellos der Wahrheit. Wir befanden uns in höchster Gefahr, wir mussten tun, was er wollte, um seinem Zorn zu entgehen.«3 Mehmet verlangte, dass die Mauern der Kolonie unverzüglich geschleift und der Graben zugeschüttet werden sollten und die Kanonen und sämtliche Waffen zu übergeben seien. Der Neffe des Stadtvorstehers musste als Geisel in den Dienst des Palastes treten, ebenso die Söhne mehrerer anderer byzantinischer Adeliger – wodurch zum einen Wohlverhalten erzwungen wurde und zum anderen gebildete junge Nachwuchskräfte für die Verwaltung des Reiches gewonnen wurden. In diesem Zusammenhang entschied sich auch das Schicksal von Großherzog Lukas Notaras. Der ranghöchste byzantinische Adelige war während der Belagerung eine umstrittene Persönlichkeit gewesen und vor allem von den Italienern häufig angegriffen worden. Er lehnte die Kirchenvereinigung ab; seine mehrfach wiederholte Bemerkung, ihm sei »der Turban des Sultans lieber als die Mütze des Kardinals«, wurde von italienischen Chronisten als Beweis für die Verbohrtheit der orthodoxen Griechen angeführt. Anscheinend erwog Mehmet anfänglich, Notaras zum Präfekten der Stadt zu ernennen – ein Hinweis darauf, was der Sultans eigentlich
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mit Konstantinopel vorhatte –, doch wahrscheinlich brachten ihn seine Minister von diesem Plan ab. Laut Doukas, der immer recht anschaulich erzählte, verlangte Mehmet, »trunken und berauscht vom Wein«, von Notaras, ihm seinen Sohn als Lustknaben auszuliefern. Als sich Notaras weigerte, schickte Mehmet seinen Henker zum Haus der Familie. Nachdem er alle männlichen Familienmitglieder getötet hatte, »nahm der Henker ihre Köpfe an sich, kehrte zum Bankett zurück und legte sie dem blutrünstigen Tier zu Füßen«.4 Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Notaras seine Kinder nicht als Geiseln an Mehmets Hof schicken wollte und dass es Mehmet zu riskant erschien, die führenden byzantinischen Adeligen am Leben zu lassen. Mit der Umwandlung der Sophienkirche in eine Moschee wurde unverzüglich begonnen. Schnell wurde ein hölzernes Minarett errichtet für den Gebetsruf des Muezzins, und die figürlichen Mosaiken wurden übertüncht, mit Ausnahme der vier Schutzengel unter der Kuppel, die Mehmet aus Rücksicht auf die spirituelle Aura des Ortes erhalten wollte. (Auch andere eindrucksvolle Talismane der »Ungläubigen« blieben zunächst unangetastet: das Reiterstandbild Justinians, die Schlangensäule von Delphi und die ägyptische Säule; Mehmet war durchaus abergläubisch.) Am 2. Juni wurde in der Aya-Sofya-Moschee, wie die Hagia Sophia jetzt hieß, zum ersten Mal das Freitagsgebet abgehalten, »und die Anrufung Gottes erfolgte erstmals im Namen von Sultan Mehmet Khan Gazi«.5 Den osmanischen Chronisten zufolge »hörte man in der ganzen Stadt das fünffache Gebet des muslimischen Glaubens«,6 und in einem Augenblick religiöser Versenkung fiel Mehmet ein neuer Name für die Stadt ein: Islambol – ein Wortspiel mit ihrem türkischen Namen, das »erfüllt vom Islam« bedeutet –, ein Name, der bei den Türken allerdings nicht sonderlich gut ankam. Erstaunlicherweise »entdeckte« Scheich Akschemsettin ziemlich bald das Grab von Ajjub, des Bannerträgers des Propheten, der während der ersten Belagerung durch die Araber umgekommen war und dessen Märtyrertod den Heiligen Krieg um die Stadt maßgeblich befeuert hatte. Trotz dieser zur Schau getragenen Religiosität sorgte der Wiederaufbau der Stadt im traditionellen Islam für hitzige Debatten. Mehmet war erschüttert über die Zerstörungen in Konstantinopel: »Welch eine Stadt haben wir der Plünderung und Verwüstung ausgeliefert«,7 murmelte er angeblich, als er zum ersten Mal durch die Stadt ritt, und als er am 21. Juni nach Edirne heimkehrte, ließ er eine öde, nahezu menschenleere Ruinenstadt zurück. Die Errichtung einer neuen Metropole sollte zu einer Hauptaufgabe in seiner Regierungszeit werden, doch das Modell, dem er dabei folgte, entsprach weitgehend nicht den Vorstellungen des Islam.
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Die christlichen Schiffe, die am Morgen des 29. Mai entkommen waren, brachten die Nachricht vom Fall Konstantinopels nach Westeuropa. Im Morgengrauen des 3. Juni liefen die Schiffe mit jenen Seeleuten, die durch die heldenhafte Verteidigung ihrer Türme Mehmet dazu veranlasst hatten, ihnen freien Abzug zu gewähren, in Kreta ein. Die Nachricht rief auf der Insel Entsetzen hervor. »Noch nie ist etwas Schrecklicheres geschehen als dies, und es wird auch niemals etwas Schrecklicheres geschehen«,8 schrieb ein Mönch. Die venezianischen Galeeren hatten unterdessen die Insel Negroponte vor der griechischen Küste erreicht und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt – der dortige Statthalter konnte nur mit Mühe eine Massenflucht von der Insel verhindern. Er schrieb eilig an den Senat von Venedig. Als die Schiffe durch die Ägäis fuhren, verbreitete sich die Nachricht schnell zu den Inseln und Häfen im östlichen Mittelmeer, nach Zypern, Rhodos, Korfu, Chios, Monemvasia, Modon und Lepanto. Als wäre ein gigantischer Felsbrocken ins Meer gefallen, formierte sich eine Welle der Angst, die sich durch das gesamte Mittelmeer fortpflanzte bis nach Gibraltar und weit darüber hinaus. Sie erreichte das europäische Festland in Venedig am Morgen des 29. Juni 1453. Der Senat tagte. Als ein Kutter aus Lepanto an der hölzernen Mole von Bacino festmacht, lehnten sich die Bewohner aus ihren Fenstern und von den Balkonen herab, um die neuesten Nachrichten aus Konstantinopel zu erfahren und sich nach ihren Familien und ihren Handelsunternehmen zu erkunden. Als sie hörten, dass die Stadt gefallen war, »brach ein lautes Wehklagen aus, ein Weinen und Jammern... Alle schlugen sich mit den Fäusten gegen die Brust, vergruben die Gesichter in den Händen und weinten, weil sie ihren Vater, einen Sohn oder einen Bruder oder ihr Eigentum verloren hatten«.9 Die Mitglieder des Senats vernahmen die Nachricht mit schreckerfülltem Schweigen; eine vorgesehene Abstimmung wurde vertagt. Durch Kuriere wurden Briefe ausgesandt, um den anderen Städten Italiens die Nachricht »vom erschreckenden und betrüblichen Fall der Städte Konstantinopel und Pera [Galata]«10 zu übermitteln. Am 4. Juli gelangte die Nachricht nach Bologna, am 8. Juli nach Rom und kurz darauf auch nach Neapel. Viele wollten es anfangs nicht glauben, dass die unbezwingbare Stadt gefallen sein sollte; als es jedoch Gewissheit wurde, kam es zu offenen Trauerbekundungen auf den Straßen. Die Angst schürte die wildesten Gerüchte. Es hieß, die gesamte Bevölkerung Konstantinopels über sechs Jahren sei niedergemetzelt worden, 40 000 Menschen seien von den Türken geblendet worden, sämtliche Kirchen seien zerstört worden und der Sultan ziehe jetzt eine gewaltige Streitmacht zusammen, um in Italien einzufallen. Durch Mundpropaganda wurde die Grausamkeit der Türken ins Bizarre übersteigert, ebenso ihre fanatische Entschlossenheit, das Christentum zu bekämpfen – Vorstellungen, die sich in Europa noch Jahrhunderte lang halten sollten.
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Wenn im Mittelalter jemals ein Ereignis vergleichbare Empfindungen ausgelöst hatte, wie sie heute bei großen, einschneidenden Ereignissen zu beobachten sind, dann zeigt sich dies in den Berichten über die Reaktionen auf die Nachricht von der Eroberung Konstantinopels. Ähnlich wie bei Ermordung Kennedys oder den Anschlägen vom 11. September 2001 konnten sich wohl auch damals viele Menschen in Europa später genau erinnern, wo sie sich aufhielten oder was sie gerade taten, als sie die Nachricht erreichte. »An dem Tag, an dem die Türken Konstantinopel einnahmen, verdunkelte sich die Sonne«,11 verkündete ein georgischer Chronist. »Was für eine grauenhafte Nachricht haben wir über Konstantinopel erhalten?«, schrieb Aeneas Sylvius Piccolomini an den Papst. »Meine Hand zittert, als ich dies schreibe; mein Herz ist voller Kummer.«12 Der deutsche Kaiser Friedrich III. weinte, als er es erfuhr. Die Nachricht verbreitete sich außerhalb Europas so schnell, wie ein Schiff fahren, ein Pferd laufen oder ein Lied gesungen werden konnte. Sie gelangte von Italien nach Frankreich, Spanien, Portugal, die Niederlande, Serbien, Ungarn, Polen und andere Länder. In London notierte ein Chronist, dass »in diesem Jahr die edle Stadt Konstantinopel von den Christen verloren und von Muhammad, dem Fürsten der Türken, eingenommen wurde«;13 Christian I., König von Dänemark und Norwegen, beschrieb Mehmet als ein Tier der Apokalypse, das aus dem Meer emporgestiegen sei. In den diplomatischen Kanälen zwischen den europäischen Höfen wurden Nachrichten und Warnungen und Aufrufe zu neuen Kreuzzügen ausgetauscht. Überall in der christlichen Welt wurden Briefe geschrieben, Chroniken, Geschichtsdarstellungen, Prophezeiungen, Lieder und Klagegesänge verfasst und in sämtliche Sprachen des Glaubens übersetzt, vom Serbischen ins Französische, vom Armenischen ins Englische. Über Konstantinopel sprach man nicht nur in Palästen und Burgen, auch an Wegkreuzungen, auf Marktplätzen und in Schänken. Die Nachricht gelangte bis in die entferntesten Winkel Europas und erreichte auch die einfachsten Menschen: Sogar im fernen Island wurde Gott im lutherischen Gebetsbuch flehentlich ersucht, die Menschen vor »der List des Papstes und dem Schrecken des Türken«14 zu bewahren. Das war der Beginn einer neuen, starken Woge der Islamfeindlichkeit, die ganz Europa erfasste.
In der islamischen Welt wurde die Neuigkeit von den Gläubigen mit großer Freude aufgenommen. Am 27. Oktober traf ein Gesandter Mehmets in Kairo ein, der die Nachricht übermittelte und als Beweis zwei adelige griechische Gefangene mitbrachte. Laut dem muslimischen Chronisten »freuten sich der Sultan und alle seine Männer über diese gewaltige Eroberung; die gute Nachricht wurde jeden Morgen
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durch Musikkapellen gefeiert, und Kairo wurde zwei Tage lang festlich geschmückt... Die Menschen feierten das Ereignis, indem sie Geschäfte und Häuser aufwändig schmückten... Ich danke Gott aus tiefstem Herzen für diesen großartigen Sieg.«15 Dieser Eroberung war von enormer Bedeutung für die islamische Welt; dadurch erfüllten sich die alten Pseudo-Prophezeiungen bezüglich Mohammeds, und er schien den Weg zu ebnen für die Verbreitung des Islam über die ganze Welt. Der Sultan gewann beträchtlich an Ansehen. Mehmet schickte das übliche Siegesschreiben an die wichtigen Herrscher der muslimischen Welt, in dem er seinen Anspruch anmeldete, der wahre Führer des Heiligen Krieges zu sein, und den Titel »Vater der Eroberung« annahm, der ihn durch den »Atem des Windes des Kalifats« mit der glorreichen Frühzeit des Islam verband. Laut Doukas wurde der Kopf von Konstantin »ausgestopft mit Stroh« umhergeschickt zu den »Herrschern von Persien, Arabien und anderen türkischen Völkern«,16 und Mehmet ließ den Herrschern von Ägypten, Tunis und Granada jeweils 400 griechische Kinder überstellen. Das waren keine bloßen Gesten. Mehmet erhob den Anspruch, der Verteidiger des Glaubens und der Beschützer von dessen größten Heiligtümern zu sein: der heiligen Stätten von Mekka, Medina und Jerusalem. »Du bist dafür verantwortlich«, ermahnte er den Mameluken-Sultan in Kairo vorsorglich, »die Pilgerwege für die Muslime offen zu halten; wir sind verpflichtet, die Gazi zu stellen.«17 Zugleich erklärte er sich zum »Herrscher der beiden Meere und der beiden Länder«, zum Erben des Reiches der Cäsaren und erhob damit einen sowohl imperialen wie auch religiösen Anspruch auf die Herrschaft über die Welt: »Es darf nur ein Reich geben, einen Glauben und einen Herrscher in der Welt.«18
Im Abendland veränderte der Fall von Konstantinopel alles und nichts. Die Informierten wussten, dass die Stadt nicht zu halten gewesen war. Sie war eine isolierte Enklave gewesen und musste von den Türken früher oder später erobert werden; wenn Konstantin diesen Angriff der Osmanen hätte abwehren können, wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein erneuter Angriff erfolgreich gewesen wäre. Für jene, die sich eingehender mit der Angelegenheit beschäftigten, war der Fall von Konstantinopel oder die Eroberung von Istanbul – je nach religiöser Sichtweise – nur die symbolische Anerkennung einer bestehenden Tatsache: dass die Osmanen eine Weltmacht waren, die in Europa fest verankert war. Aber nur wenige hatten einen genaueren Einblick. Selbst die Venezianer mit ihren Spionen und dem reichlichen Informationsfluss aus ihren diplomatischen Kanälen befanden sich weitgehend im Unklaren über die militärischen Möglichkeiten, die Mehmet zu Verfügung
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standen. »Unsere Senatoren wollten nicht glauben, dass die Türken imstande waren, eine Flotte vor Konstantinopel zusammenzuziehen«,19 bemerkte Marco Barbaro mit Blick auf die spärlichen Hilfsleistungen der Venezianer. Auch wussten sie nichts über die Feuerkraft der Geschütze und die Entschlossenheit Mehmets. Durch die Eroberung der Stadt wurde augenfällig, wie sehr sich die Machtverhältnisse im Mittelmeerraum mittlerweile verschoben hatten – und sie zeigte, welcher Bedrohung die christlichen Staaten ausgesetzt waren, die sie aufgrund der Existenz Konstantinopels, das ihnen als Puffer gedient hatte, bislang ignoriert hatten. Die Einnahme Konstantinopels hatte in der christlichen Welt religiöse, militärische, wirtschaftliche und psychologische Folgen. Sofort beschäftigten sich die Griechen, die Venezianer, die Genuesen, der Papst in Rom, die Ungarn, die Bewohner der Walachei und des gesamten Balkans nun mit der Gefahr, die von Mehmet und seinen ehrgeizigen Plänen ausging. Die Schauder erregende Figur des GroßTürken und sein unstillbares Verlangen, zum neuen Alexander aufzusteigen, nahmen immer größeren Raum ein in der Vorstellungswelt der Europäer. Einer Quelle zufolge soll der Eroberer in Konstantinopel eingezogen sein mit den Worten: »Ich danke Mohammed, der uns diesen strahlenden Sieg geschenkt hat, aber ich bitte ihn auch, er möge mich lange genug leben lassen, sodass ich auch das alte Rom noch unterwerfen kann ebenso wie das neue.«20 Diese Befürchtungen waren keineswegs unbegründet. Im Denken Mehmets hatte sich der Ort des Goldenen Apfels nun nach Westen verschoben – von Konstantinopel nach Rom. Lange bevor osmanische Heere nach Italien vorstießen, zogen sie mit dem Schlachtruf »Roma! Roma!« in den Kampf. Unerbittlich schien die neue Verkörperung des Antichristen der christlichen Welt näher zu rücken. In den Jahren nach 1453 vernichtete Mehmet die genuesischen und griechischen Siedlungen am Schwarzen Meer: Sinop, Trapezunt und Kaffa fielen nacheinander. Im Jahr 1462 fiel er in der Wallachei ein, im folgenden Jahr in Bosnien. Morea geriet 1464 unter osmanische Herrschaft. Im Jahr 1474 drang er nach Albanien vor, 1476 nach Moldawien – der Vormarsch der Osmanen schien unaufhaltsam. Im Jahr 1480 scheiterten sie zwar nach einer Belagerung vor Rhodos, aber das war nur ein vorübergehender Rückschlag. Für die Venezianer stand mehr auf dem Spiel als für andere: Ihr Krieg gegen Mehmet begann 1463 und dauerte 15 Jahre, doch das sollte nur der Auftakt sein zu einer größeren Auseinandersetzung. In dieser Zeit verlor Venedig seinen wichtigen Handelsposten in Negroponte, aber es kam noch schlimmer: Osmanische Horden plünderten 1477 das Hinterland der Stadt; sie kamen so nahe heran, dass man den Rauch ihrer Feuer vom Campanile auf dem Markusplatz sehen konnte. Venedig spürte den heißen Atem des Islam im Genick. »Der Feind ist vor den Toren!«, rief Celso Maffei dem Dogen zu, »die Axt ist an die Wurzel gelegt; wenn uns nicht gött-
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liche Hilfe zuteil wird, ist es um den christlichen Namen geschehen!«21 Im Juli 1481 setzten die Osmanen schließlich in Süditalien ein Heer an Land, das auf Rom marschieren sollte. Bei der Einnahme von Otranto wurde der Erzbischof vor seinem Altar niedergemetzelt und 12 000 Stadtbewohner getötet. In Rom erwog der Papst die Flucht, und die Menschen gerieten in Panik, aber dann erhielt das osmanische Heer die Nachricht vom Tod Mehmets, und der Italien-Feldzug brach zusammen. Unter dem Eindruck des Falls von Byzanz versuchten Päpste und Kardinäle bis ins 16. Jahrhundert hinein die Kreuzzugsidee wiederzubeleben. Papst Pius II., nach dessen Ansicht die gesamte christliche Zivilisation auf dem Spiel stand, berief 1459 in Mantua einen Kongress ein, auf dem er die zerstrittenen christlichen Staaten zu einen versuchte. In einer aufrüttelnden zweistündigen Rede malte der Papst die Situation in den düstersten Farben: Nicht unsere Väter, nein wir haben Konstantinopel, die Hauptstadt des Ostens, von den Türken erobern lassen. Und während wir in träger Ruhe daheim sitzen, dringen die Waffen dieser Barbaren bis an die Donau und die Save. In der Königsstadt des Ostens haben sie Konstantins Nachfolger mit seinem Volk erschlagen, die Tempel des Herrn entweiht, Justinians erhabenen Bau durch Muhammeds scheußlichen Dienst befleckt; sie haben die Bilder der Mutter des Herrn und anderer Heiligen zerstört, die Altäre umgestürzt, die Reliquien der Märtyrer den Schweinen vorgeworfen, die Priester getötet, Frauen und Töchter, selbst die gottgeweihten Jungfrauen geschändet, die Edlen der Stadt beim Gelage des Sultans abgeschlachtet, das Bild unseres gekreuzigten Heilands mit Spott und Hohn unter dem Ausruf »Das ist der Gott der Christen!« in ihr Lager geschleppt und mit Kot und Speichel besudelt. Das alles ist vor unseren Augen geschehen, wir aber liegen in tiefem Schlafe. Doch nein, unter uns selbst vermögen wir zu kämpfen, nur die Türken lassen wir schalten und walten. Um kleiner Ursachen willen greifen die Christen zu den Waffen und schlagen blutige Schlachten; gegen die Türken, die unsern Gott lästern, unsere Kirchen zerstören, den christlichen Namen völlig auszurotten trachten, gegen sie will niemand die Hand erheben. Wahrlich, alle sind abgewichen, alle sind unnütz geworden; da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer! Man meint wohl, das seien geschehene, nicht mehr zu ändernde Dinge, von nun an werde man Ruhe haben. Als ob von einem Volke, das nach unserem Blute dürstet, das nach der Niederwerfung Griechenlands schon das Schwert in die Seite Ungarns gesetzt hat, Ruhe zu erhoffen, als ob von einem Gegner wie Sultan Mehmed Frieden zu erwarten wäre! Gebt diesen Glauben nur auf, denn Mehmet wird niemals anders denn als Sieger oder gänzlich Besiegter die Waffen niederlegen! Jeder Sieg wird ihm die Stufe zu einem zweiten sein, bis er nach Bezwingung aller Fürsten des Abendlandes das Evangelium Christi gestürzt und aller Welt das Gesetz seines falschen Propheten aufgenötigt haben wird.22
Trotz zahlreicher Versuche mündeten solche flammenden Aufrufe aber nicht in praktisches Handeln, genauso wie das Unternehmen zur Rettung Konstantinopels
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fehlgeschlagen war. Die europäischen Mächte waren zu eifersüchtig aufeinander, zu zerstritten – und in gewissem Sinn auch zu säkular –, um sich noch einmal im Namen der Christenheit zusammenzuschließen: Es ging sogar das Gerücht, dass die Venezianer den Osmanen bei ihrer Landung bei Otranto heimlich geholfen hätten. Doch die tief verwurzelte Angst Europas vor dem Islam wurde aufs Neue geschürt. Es sollten noch zweihundert Jahre verstreichen, bis der Vormarsch der Osmanen in Europa endgültig zum Stehen gebracht werden konnte, nämlich 1683 vor den Toren Wiens; in dieser Zeit führten das Christentum und der Islam einen langwierigen Krieg in wechselnder Intensität, der den Menschen noch lange in Erinnerung bleiben sollte und der ein bedeutendes Glied in der Kette der Ereignisse zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften wurde. Die Eroberung Konstantinopels hatte im Islam und in Europa die Erinnerung an die Kreuzzüge wachgerufen. Die osmanische Bedrohung erschien als die Fortsetzung des Angriffs des Islams auf die christliche Welt; das Wort Türke ersetzte die Bezeichnung Sarazene als Oberbegriff für die Muslime – und mit ihm verband sich die Vorstellung eines grausamen und unerbittlichen Gegners. Beide Seiten wähnten sich in einem Überlebenskampf gegen einen Feind, der die Welt vernichten wollte. Es war der Prototyp eines globalen ideologischen Konflikts. Die Osmanen hielten den Geist des Glaubenskrieges am Leben, der sich nun mit ihrer imperialen Mission verband. In den muslimischen Kernländern lebte der Glaube an die Überlegenheit des Islam wieder auf. Die Legende vom Goldenen Apfel wurde ungemein populär im Islam; nach Rom wurde sie auf Budapest bezogen, dann auf Wien. Über diese konkreten geographischen Ziele hinaus wurde sie zu einem Symbol für den messianischen Glauben daran, dass die Gläubigen am Ende den Sieg davontragen würden. In Europa entwickelte sich das Bild des Türken zu einem Synonym für alles, was als ungläubig und grausam betrachtet wurde. In England beispielsweise verstand man darunter »jemanden, der sich barbarisch oder roh verhält«, wie die Definition 1536 im Oxford English Dictionary lautete. Und diese Haltungen wurden verstärkt durch eine Neuerung, die dem aufklärerischen Geist der Renaissance entsprang: die Erfindung des Buchdrucks. Als Konstantinopel erobert wurde, stand die Welt an der Schwelle zu einer Revolution – es war jener Augenblick, in dem der sich verselbstständigende Zug der wissenschaftlichen Entdeckungen im Abendland auf Kosten der Religion immer mehr Fahrt aufnahm. Einige dieser Kräfte waren schon bei der Belagerung zum Tragen gekommen: die Wirkung des Schießpulvers, die Überlegenheit von Segelschiffen und das Ende der mittelalterlichen Belagerungstechniken; in den folgenden siebzig Jahren sollte Europa unter anderem Goldfüllungen für Zähne kennenlernen, die Taschenuhr und das Astrolabium, Navigationsinstrumente, die Syphilis,
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die Übersetzung des Neuen Testaments, Kopernikus und Leonardo da Vinci, Kolumbus und Luther – und bewegliche Lettern. Die Erfindung Gutenbergs revolutionierte die Massenkommunikation und ermöglichte es, neue Gedanken über den Glaubenskrieg mit dem Islam zu verbreiten. Eine Flut von Kreuzfahrer- und islamfeindlicher Literatur wurde in den folgenden 150 Jahren von den Druckerpressen ausgespuckt. Eines der frühesten erhaltenen Beispiele dafür ist der Ablass von Papst Nikolaus V. aus dem Jahr 1451, der Sündenvergebung in Aussicht stellt für jeden, der Geld spendet, um Zypern von den Türken zu befreien. Tausende Exemplare solcher Dokumente mit Aufrufen zum Kreuzzug tauchten überall in Europa auf und auch Flugschriften – die Vorläufer der heutigen Zeitungen –, durch die Nachrichten verbreitet wurden über den Krieg gegen »die verdammungswürdige Bedrohung durch den Groß-Türken und die Ungläubigen«. Dann folgte eine Welle von Büchern – allein in Frankreich wurden zwischen 1480 und 1609 achtzig Bücher über die Osmanen veröffentlicht, in Amerika vierzig. Als Richard Knolles 1603 seinen Bestseller The General History of the Turks veröffentlichte, gab es im Englischen bereits eine Vielzahl von Werken über jenes Volk, das er als »den gegenwärtigen Schrecken der Welt« bezeichnete. Diese Bücher trugen suggestive Titel wie: The Turks’ War, A Notable History of the Saracens, A Discourse on the Bloody and Cruel Battle lost by Sultan Selim, True News of a Notable Victory obtained against the Turk, The Estate of Christians living under the Subjection of the Turk – die Informationsflut war schier unüberschaubar. Othello führte den Weltkrieg der damaligen Zeit – »wider den allgemeinen Feind, den Türken« und den »gift’gen Türk in hohem Turban«,23 und erstmals konnten auch Christen, die weit entfernt von der muslimischen Welt lebten, Darstellungen ihres Feindes durch Holzschnitte in einflussreichen illustrierten Werken wie Miseries and Tribulations of the Christians held in Tribute and Slavery by the Turk von Bartholomew Georgevich betrachten. Darin wurden erbitterte Kämpfe zwischen gepanzerten Rittern und turbantragenden Muslimen gezeigt und die ganze Unmenschlichkeit der Ungläubigen: Die Türken enthaupteten Gefangene, führten Frauen und Kinder in langen Reihen in die Sklaverei und ritten mit Kleinkindern, die auf sie Lanzen aufgespießt hatten, auf ihren Pferden. Der Konflikt mit den Türken wurde allgemein als die Fortsetzung einer schon viel länger währenden Auseinandersetzung mit dem Islam aufgefasst – eines tausendjährigen Kampfes um die Wahrheit. Seine Merkmale und Ursachen wurden im Westen eingehend erforscht. Thomas Brightman verkündete 1644, die Sarazenen seien der »erste Heuschreckenschwarm« gewesen, der um das Jahr 630 erschien, ihnen folgten »die Türken, ein Natterngezücht, schlimmer als ihre Vorfahren, [welche] die Sarazenen vollständig vernichteten, ihre Mutter«.24 Die Auseinandersetzung mit dem Islam verän-
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derte sich ständig: Sie wurde ernster, bedrohlicher, entwickelte sich immer mehr zu einem Albtraum. Zweifellos hatte Europa in den zwei Jahrhunderten nach Konstantinopel viel zu befürchten von dem reicheren, mächtigeren und besser organisierten Osmanischen Reich, doch das Bild, das es sich von seinem Gegner machte und das überwiegend durch religiöse Aspekte bestimmt wurde in einer Zeit, in der sich die Idee des Christentums im Niedergang befand, war in hohem Maße verzerrt. Die osmanische Welt hatte zwei Gesichter, ein inneres und ein äußeres, und nirgendwo wurde dies deutlicher als in Konstantinopel. Sa’d-ud-din konnte zwar verkünden, dass nach der Einnahme von Istanbul »die Kirchen in der Stadt von ihren widerlichen Götzenbildern und ihren scheußlichen, gotteslästerlichen Unreinheiten gesäubert wurden«,25 aber die Wirklichkeit sah etwas anders aus. Die Stadt, die Mehmet nach der Eroberung wiederaufbauen ließ, entsprach ganz und gar nicht dem Bild, das sich das Christentum vom Islam machte. Der Sultan betrachtete sich nicht nur als muslimischer Herrscher, sondern auch als Erbe des Römischen Reiches und wollte eine kulturell vielfältige Metropole errichten, in der alle Einwohner gewisse Rechte besaßen. Er siedelte zwangsweise griechische Christen und türkische Muslime wieder in der Stadt an, garantierte der Genueser Enklave Galata ihre Sicherheit und untersagte allen Türken, sich dort niederzulassen. Der Mönch Gennadios, der sich so unnachgiebig gegen die Kirchenvereinigung gewehrt hatte und als Sklave nach Edirne verkauft worden war, wurde freigelassen und als neuer Patriarch der orthodoxen Glaubensgemeinschaft vom Sultan mit der Formel inthronisiert: »Sei Patriarch, walte mit Glück, sei unserer Freundschaft versichert und behalte alle Privilegien, deren die Patriarchen vor dir sich erfreuten«.26 Die Christen sollten in eigenen Stadtvierteln leben und einige ihrer Kirchen behalten, allerdings unter strengen Bedingungen: Sie mussten durch eine bestimmte Kleidung erkennbar sein und durften keine Waffen tragen – in jener Zeit war dies eine bemerkenswert tolerante Politik. Auf der anderen Seite des Mittelmeers dagegen führte die gewaltsame Rückeroberung Spaniens durch die katholischen Könige 1492 zu einer verschärften Unterdrückung und Vertreibung der Muslime und der Juden. Die spanischen Juden wurden ermuntert, ins Osmanische Reich umzusiedeln – die »Zuflucht der Welt« –, wo sie im Allgemeinen freundlich aufgenommen wurden. »Hier im Lande der Türken können wir uns nicht beklagen«, schrieb ein Rabbi an seine Glaubensbrüder in Europa. »Wir besitzen große Reichtümer, viel Gold und Silber befinden sich in unseren Händen. Uns werden keine hohen Steuern aufgebürdet, und wir können frei und unbehindert Handel treiben.«27 Mehmet setzte sich wegen dieser Politik beträchtlicher Kritik von muslimischer Seite aus. Sein Sohn, der frömmlerische Bajezit II., verkündete,
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dass sein Vater, indem er sich zum »Fürsprecher der Unruhestifter und Heuchler« gemacht habe, »gegen das Gesetz des Propheten verstoßen« habe. Auch wenn Istanbul im Laufe der Zeit zunehmend islamisch geprägt wurde, hatte Mehmet doch die Herausbildung einer erstaunlichen kulturellen Vielfalt ermöglicht und damit das Modell einer levantinischen Stadt geschaffen. Westliche Beobachter, die sich von den Klischeevorstellungen befreiten, erlebten manche Überraschung. Der deutsche Reisende Arnold von Harff stellte 1499 erstaunt fest, dass es in Galata zwei Franziskanerkloster gab, in denen noch immer katholische Messen gefeiert wurden. Jene, welche die Ungläubigen aus näherem Umgang kannten, äußerten sich recht eindeutig. »Die Türken zwingen niemanden, seinem Glauben abzuschwören, versuchen niemanden zu missionieren und halten nicht viel von Renegaten«,28 schrieb Georg von Ungarn im 15. Jahrhundert. Dies stand im deutlichen Kontrast zu den Religionskriegen, die Europa nach der Reformation zerrissen. Die Flüchtlingsströme nach der Einnahme Konstantinopels bewegten sich größtenteils in eine Richtung: von den christlichen Ländern ins Osmanische Reich. Mehmet ging es mehr darum, ein Weltreich zu errichten, als die Welt zum Islam zu bekehren. Der Fall Konstantinopels wurde zum Trauma des Abendlands; er versetzte nicht nur dem Selbstvertrauen der Christenheit einen schweren Schlag, sondern wurde auch als Untergang der klassischen Welt betrachtet, als der »zweite Tod Homers und Platos«.29 Die Stadt, die »von Wassern umrankt ist«, wie Prokop im 6. Jahrhundert schwärmte, gewann nun ihre alte Strahlkraft und Energie zurück als Kapitale eines wohlhabenden und ethnisch vielfältigen Reiches, das sich über zwei Erdteile erstreckte und von Dutzenden von Handelswegen durchzogen wurde; und das Volk, das im Westen als langschweifiges Ungeheuer der Apokalypse verschrien war – »halb Mensch und halb Pferd«30 – erschuf aufs Neue eine Stadt der Wunder und der Schönheit, die anders war als die christliche Stadt Gottes, aber nicht minder farbig und eindrucksvoll. Wieder wurden in Konstantinopel die Güter der Welt gehandelt in den verschlungenen Gängen des überdachten Basars und des ägyptischen Basars; wieder verbanden Kamelkarawanen und Schiffe die Stadt mit allen wichtigen Punkten der Levante, doch die Seeleute, die sich ihr auf dem Marmarameer näherten, mussten sich bald an ein neues Stadtbild gewöhnen. Neben der Aya Sofya überzogen sich die Hügel der Stadt mit den bleigrauen Kuppeln der Moscheen. Weiße Minarette so dünn wie Nadeln und so dick wie Schreibstifte, kanneliert durch versetzte, filigran gestaltete Balkone, durchzogen die Silhouette der Stadt. Hervorragende Baumeister schufen unter schwebenden Kuppeln abstrakte und zeitlose Räume: Innenräume mit gedämpftem Licht, gefliest mit kunstvollen geometrischen Mustern, mit
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Kalligraphien verziert und mit stilisierten Blumen, deren üppige Farben – leuchtendrot und türkis und seladon und klarstes Blau aus den Tiefen des Meeres – »eine Widerspiegelung des unendlichen Gartens der Lüste«31 darstellten, den der Koran verhieß. Das osmanische Istanbul war eine Stadt, die das Auge und das Ohr ansprach – ein Ort mit Holzhäusern und Zypressen, Straßenbrunnen und Gärten, eleganten Gräbern und unterirdischen Basaren, eine lärmende und geschäftige Stadt des Handwerks, in der jede Volksgruppe ihr Viertel hatte und alle Rassen der Levante in ihrer typischen Kleidung und Kopfbedeckung ihrer Arbeit und ihren Geschäften nachgingen, wo man hinter einer Straßenbiegung oder von der Terrasse einer Moschee plötzlich das Meer aufschimmern sah und wo der Gebetsruf, der von einem Dutzend Minaretten erscholl, in der Stadt widerhallte von einem Ende zum anderen und von morgens bis abends, wie auch die Rufe der Straßenhändler. Hinter den verbotenen Mauern des Topkapi-Palastes bauten sich die osmanischen Sultane ihre eigenen Kopien der Alhambra und von Isfahan in Gestalt fragiler, gepflasterter Pavillone, die eher soliden Zelten denn Bauwerken glichen, eingebettet in üppige Gärten, von denen sie auf den Bosporus und zu den asiatischen Hügeln hinausblicken konnten. Mit ihrer Kunst, ihrer Architektur und ihrem Zeremoniell schufen die Osmanen eine betörende visuelle Welt, die westliche Besucher ebenso in Erstaunen versetzte wie zuvor das christliche Konstantinopel. »Der Anblick dieser kleinen Welt, der großen Stadt Konstantinopel, blieb mir im Gedächtnis haften«, schrieb Edward Lithgow 1640, »dieser Welt, die dem verwunderten Besucher so viel äußerlichen Glanz zu bieten hatte…, doch heute macht diese Welt so sehr von sich reden, dass sich nichts Vergleichbares finden lässt auf der Erde.«32 Nirgends kommt die sinnliche Opulenz des osmanischen Istanbul lebendiger zum Ausdruck als in den unzähligen Miniaturen, mit denen die Sultane ihre Triumphe feiern ließen. Es ist eine fröhliche Welt aus Primärfarben, die flach und ohne Perspektive aufgetragen wurden, wie die Verzierungen auf Fliesen und Wandteppichen. Hier werden Herrscherhöfe und Bankette dargestellt, Schlachten und Belagerungen, Enthauptungen, Prozessionen und Feste, Zelte und Fahnen, Springbrunnen und Paläste, kunstvoll gewebte Kaftane und Rüstungen und edle Pferde. Es ist eine Welt, die Zeremonien, Lärm und Licht liebt. Man sieht Widderkämpfe, Gaukler, Kebab-Köche und Feuerwerke, große Janitscharen-Kapellen, die sich schlagend, blasend und stampfend geräuschlos ihren Weg über die Seite bahnen, Seiltänzer über dem Goldenen Horn, deren Seile an Schiffsmasten befestigt sind, Kavallerieeinheiten in weißen Turbanen, die an aufwändig verzierten Zelten vorüberpreschen, Karten der Stadt so glänzend wie Juwelen, und alle Farben im Übermaß: leuchtendes Rot, Orange, Königsblau, Lila, Zitronengelb, Haselnussbraun,
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Grau, Violett, Smaragdgrün und Gold. Die Welt der Miniaturen scheint die Freude und den Stolz der Osmanen auf ihre Leistungen ausdrücken zu wollen, auf ihren atemberaubenden Aufstieg im Laufe von zwei Jahrhunderten von einem kleinen Stamm zu einem Weltreich, und sie unterstreicht damit jene Worte, welche die seldschukischen Türken in der heiligen Stadt Konya über ihre Türen schrieben: »Was ich geschaffen habe, sucht seinesgleichen in der Welt.«33 Im Jahr 1599 schickte die englische Königin Elisabeth I. Sultan Mehmet III. eine Orgel als Freundschaftsgabe. Mit ihr kam ihr Erbauer Thomas Dallam, der dem Osmanenherrscher auf dem Instrument vorspielen sollte. Als der berühmte Musiker durch die zahlreichen Höfe des Palastes zum Sultan geführt wurde, war er so überwältigt von dem Gepränge, dass »ich mich beinahe in einer anderen Welt zu befinden glaubte«.34 So verwundert und fasziniert hatten sich die Besucher seit jeher gezeigt, nachdem Konstantin der Große im 4. Jahrhundert das zweite Rom und das zweite Jerusalem gegründet hatte. »Es will mir bedünken«, schrieb der französische Reisende Pierre Gilles im 16. Jahrhundert, »dass andere Städte wohl sterblich sein mögen, diese aber so lange Bestand haben möchte, als Menschen auf Erden wandeln.«35
Epilog:
Ruhestätten
Ein Glück war’s für die Christenheit und für Italien, dass der Tod den grimmigen und unbezähmbaren Barbaren bezwang. Giovanni Sagredo, venezianischer Adeliger aus dem 17. Jahrhundert1
Im Frühjahr 1481 wurde das Sultansbanner mit den Rossschweifen an der anatolischen Küste gegenüber der Stadt aufgesteckt, was bedeutete, dass der diesjährige Feldzug in Asien stattfinden würde. Es war typisch für Mehmets Geheimniskrämerei, dass er niemandem, nicht einmal seinen wichtigsten Ministern, seine wahren Ziele enthüllte. Höchstwahrscheinlich sollte ein Krieg gegen die konkurrierende Mameluken-Dynastie in Ägypten geführt werden. Seit dreißig Jahren beschäftigte sich der Sultan mit dem Aufbau seines Weltreiches und kümmerte sich auch persönlich um die Staatsgeschäfte: Er ernannte und entließ Minister, nahm Tributzahlungen entgegen, überwachte den Wiederaufbau Istanbuls, siedelte Bevölkerungsgruppen um, befasste sich mit der Reorganisation der Wirtschaft, schloss Handelsverträge, überzog widerspenstige Völker mit Tod und Verderben, verfügte Glaubens- und Religionsfreiheit und entsandte Jahr für Jahr Heere in den Osten oder den Westen, die er oft auch selbst führte. Er war jetzt 49 Jahre alt und in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Das Alter und die Maßlosigkeit forderten ihren Preis. Einem wenig schmeichelhaften zeitgenössischen Bericht zufolge war er fett und fleischig, »hatte ... einen kurzen, dicken Hals, gelbliche Gesichtsfarbe, etwas hohe Schultern und eine laute Stimme«.2 Mehmet, der Titel sammelte wie Tapferkeitsmedaillen – »Der Donner des Krieges«, »Der Herr der Macht und des Sieges zu Lande und zur See«, »Der Weltenstürmer« – konnte zeitweilig nicht mehr gehen. Er litt an Gicht in den Beinen und an einer deformierenden
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Leibesfülle und verbarg sich im Topkapi-Palast vor den Blicken der Menschen. Der Mann, den man im Abendland »Bluttrinker« nannte oder als »zweiten Nero« bezeichnete, bot ein schauerliches Bild. Der französische Diplomat Philippe de Commynes schrieb: »Leute, die ihn gesehen, haben mir’s berichtet, dass sich ihm eine unmenschliche Geschwulst auf die Beine schlug, und wenn es sommerte, geschah es ihm, dass sie dick wurde wie ein Mann am Leibe, ohne dass man sie hätte öffnen können, und dann verging das wieder.«3 Hinter den Mauern seines Palastes widmete sich Mehmet eher untypischen Betätigungen für einen Despoten: Er beschäftigte sich mit Gartenarbeit und Gemüsezucht und gab bei dem Maler Gentile Bellini, der vor Kurzem aus Italien an den türkischen Hof gekommen war, obszöne Fresken in Auftrag. Das berühmte letzte Porträt von Bellini, auf dem der Sultan von einem goldenen Rahmen überwölbt wird, über dem Kaiserkronen schweben, verweist auf einen ungebrochenen Wesenszug dieses Mannes: Der Weltenstürmer blieb bis zuletzt ein launischer, abergläubischer und getriebener Mensch. Mehmet überquerte am 25. April die Meerenge nach Asien, um den jährlichen Kriegszug anzuführen, doch kurz nach dem Aufbruch wurde er mit starken Magenkoliken aufs Lager geworfen. Nach einigen qualvollen Tagen starb er am 3. Mai 1481 in der Nähe von Gebse, wo sich ein anderer angehender Weltherrscher, nämlich Hannibal, durch Gift das Leben genommen hatte. Der Tod des Sultans warf einige Rätsel auf. Am wahrscheinlichsten ist, dass er durch seinen persischen Leibarzt vergiftet wurde. Zwar hatten auch die Venezianer im Laufe der Jahre mehrmals Mehmet umzubringen versucht, doch ein stärkerer Verdacht fällt auf seinen Sohn Bajezit. Mehmets Gesetz des Brudermords hatte den Prinzen vielleicht dazu veranlasst, sich gewissermaßen vorbeugend den Thron zu sichern. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war immer angespannt gewesen: Der frömmlerische Bajezit lehnte Mehmets freigeistige religiöse Auffassungen ab – ein Italiener, der lange am osmanischen Hof lebte, überlieferte die Äußerung Bajezits, »sein Vater sei herrisch gewesen und habe nicht an den Propheten Mohammed geglaubt«.4 Dreißig Jahre später wurde auch Bajezit durch seinen Sohn Selim, »den Grimmigen« vergiftet; »es gibt keine Blutsbande zwischen Prinzen«,5 lautet eine arabische Redewendung. In Italien wurde die Nachricht von Mehmets Tod mit großem Jubel aufgenommen. Durch Kanonenschüsse und Glockenläuten wurde die Freudenmeldung bekannt gegeben; in Rom fanden Feuerwerke und Dankgottesdienste statt. Der Bote, der die Nachricht nach Venedig brachte, verkündete: »Der große Adler ist tot.« Auch der Mameluken-Sultan in Kairo atmete erleichtert auf. Heute liegt der Fatih – der Eroberer – in einem Mausoleum in dem Moscheekomplex und dem Bezirk von Istanbul, die beide seinen Namen tragen. Die Wahl dieses Ortes war nicht zufällig. Die Moschee wurde an jener Stelle errichtet, wo
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einst die berühmteste byzantinische Kirche stand, die Apostelkirche, in der im Jahr 337 Konstantin der Große, der Stadtgründer, in einer prunkvollen Zeremonie bestattet worden war. Im Tod wie im Leben trat Mehmet das imperiale Erbe an. Das ursprüngliche Mausoleum wurde durch ein Erdbeben stark beschädigt, aber vollständig wieder aufgebaut; der Innenraum ist heute ausstaffiert wie ein französisches Ankleidezimmer des 19. Jahrhunderts, mit einer Großvater-Uhr, barocker Deckendekoration und einem herabhängenden Kristalllüster und mutet an wie die Ruhestätte eines muslimischen Napoleons. Das reich geschmückte Grab, das mit einem grünen Tuch bedeckt ist und an einem Ende von einem stilisierten Turban bekrönt wird, ist so lang wie eine kleine Kanone. Die Menschen beten an diesem Grab, lesen im Koran und machen Fotos. Im Laufe der Zeit ist der Fatih zu einem Heiligen aufgestiegen und besitzt nun eine doppelte Identität, eine weltliche und eine religiöse. Er ist zu einem nationalen Markenzeichen geworden, ähnlich wie Churchill in Großbritannien – so wurde etwa eine Brücke über den Bosporus oder ein Schulgebäude nach ihm benannt und man verewigte ihn als heldenhaften Reiter auf einer Gedenkbriefmarke – und zugleich zu einem Symbol der Glaubensstärke. Der Bezirk Fatih ist das Herzstück des traditionellen, selbstbewussten muslimischen Istanbul. Es ist ein friedlicher Ort: Im Innenhof der Moschee treffen sich Frauen mit Kopftuch nach dem Gottesdienst unter den Platanen zu einem Schwatz; Kinder tollen herum; fahrende Händler bieten Sesamröllchen, Spielzeugautos und gasgefüllte Luftballons in Tiergestalten feil. Am Eingang zu Mehmets Grabmal liegt eine steinerne Kanonenkugel, drapiert wie eine Votivgabe. Das Schicksal der übrigen osmanischen Hauptakteure während der Belagerung spiegelte die Unsicherheit wider, in die sich jeder begab, der in die Dienste des Sultans trat. Halil Pascha, der sich beharrlich gegen die Kriegspolitik gewendet hatte, fand ein schnelles Ende. Er wurde im August oder September 1453 in Edirne gehängt; sein Amt übernahm Zaganos Pascha, der griechische Renegat, der sich entschieden für den Krieg eingesetzt hatte. Der Tod des alten obersten Wesirs markierte einen wichtigen Wandel in der osmanischen Politik: Fast alle späteren Wesire waren ursprünglich konvertierte Sklaven und keine ethnischen Türken aus der alten Adelsschicht. Von Urban, dem Kanonenbauer und einem der Hauptarchitekten des Sieges, weiß man nur, dass er die Belagerung überlebte und vom Sultan eine Belohnung verlangte: Nach der Eroberung Istanbuls wurde ein Bezirk nach »Kanonier Verban« benannt, was darauf hindeutet, dass sich der ungarische Söldner in der Stadt niederließ, zur Zerstörung von deren Mauern er maßgeblich beigetragen hatte. Und Ajjub, der Gefährte des Propheten, dessen Tod bei der ersten Belagerung durch die Araber die Gazis beflügelt hatte, ruht nun in einer eigenen Moschee zwischen Platanenbäumen im idyllischen Stadtteil Eyüp am Ende des
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Goldenen Horns, die eine bedeutende Pilgerstätte ist und jahrhundertelang als Krönungsmoschee der Sultane diente. Die Verteidiger, die entkommen konnten, hatten unterschiedliche Schicksale. Die griechischen Flüchtlinge erduldeten das typische Los von Exilanten: Sie fristeten in fremden Ländern ein ärmliches Dasein und sehnten sich nach der verlorenen Stadt. Viele schlugen sich in Italien durch – allein in Venedig lebten 1 478 4000 Griechen – oder auf Kreta, einer Bastion der orthodoxen Kirche, viele wurden aber weit in die Welt hinaus verstreut bis nach London. Die Nachkommen der Familie Palaiologos gingen auf im niederen europäischen Adel. Einer oder zwei von ihnen kehrten aus Heimweh oder aus Armut nach Konstantinopel zurück und lieferten sich der Gnade des Sultans aus. Zumindest einer, Andreas, trat zum Islam über und wurde unter dem Namen Mehmet Pascha ein Hofbeamter. Das bittere Los der Griechen nach dem Fall der Stadt kommt wahrscheinlich in den Erlebnissen von Georgios Sphrantzes und seiner Frau am eindringlichsten zum Ausdruck. Die beiden beschlossen ihre Tage in einem Kloster auf Korfu, wo Sphrantzes eine kurze, traurige Chronik der Ereignisse seines Lebens verfasste. Sie beginnt mit den Worten: »Ich bin Georgios Sphrantzes, der unglückliche Erste Kaiserliche Kammerherr, gegenwärtig bekannt unter dem Mönchsnamen Gregor I. Ich habe den nachfolgenden Bericht über die Ereignisse verfasst, die während meines unglücklichen Lebens stattfanden. Es wäre besser gewesen für mich, ich wäre nicht geboren worden oder bereits als Kind gestorben. Doch da dies nicht geschehen ist, möchte ich bekannt geben, dass ich am Dienstag, dem 30. August 1401, das Licht der Welt erblickte.«6 In dürren Worten berichtet Sphrantzes von einer doppelten Tragödie – seiner persönlichen und der nationalen –, die durch das Vordringen der Osmanen ausgelöst wurde. Seine beiden Kinder wurden in den Serail gezwungen; sein Sohn wurde dort 1453 hingerichtet. Bezüglich des September 1455 schrieb er: »Meine liebreizende Tochter Thamar starb an einer Infektionskrankheit im Serail des Sultans. Welch ein Kummer für mich, den unglückseligen Vater! Sie war vierzehn Jahre und fünf Monate alt.«7 Sphrantzes lebte bis 1477 und konnte noch verfolgen, wie die Griechen unter der türkischen Besatzung ihre Freiheit vollständig verloren. Sein Testament endet mit einer Bekräftigung der orthodoxen Position zur Formel filioque – jener Streitfrage, die während der Belagerung für hitzige Debatten gesorgt hatte: »Ich bekenne aus tiefer Überzeugung, dass der Heilige Geist nicht aus dem Vater und dem Sohne hervorgeht, wie die Italiener behaupten, sondern allein aus der Manifestation des Vaters.«8 Auch den italienischen Überlebenden erging es unterschiedlich. Der verwundete Giustiniani gelangte nach Chios, wo er, seinem genuesischen Landsmann Erzbischof Leonhard zufolge, kurze Zeit später starb, »entweder aufgrund seiner
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Verwundung oder aus gebrochenem Herzen ob seiner Schmach«,9 weil er nahezu einmütig für die Niederlage verantwortlich gemacht wurde. Seine Grabinschrift, die nicht erhalten geblieben ist, lautete: »Hier ruht Giovanni Giustiniani, ein großer Mann und Edelmann von Genua und Chios, der am 8. August 1453 starb nach einer tödlichen Verwundung, die er während des Sturmes auf Konstantinopel erhielt, wobei auch der allergnädigste Konstantin sein Leben verlor, der letzte Kaiser und tapfere Führer der östlichen Christenheit, niedergestreckt durch die Hand des türkischen Herrschers Mehmet.«10 Leonhard starb 1459 in Genua; Kardinal Isidor von Kiew, der die Griechen für die Kirchenunion gewinnen wollte, wurde vom Papst in absentia zum Patriarchen von Konstantinopel ernannt, der jedoch über keinerlei rechtliche Autorität verfügte; er erkrankte an Altersdemenz und starb 1463 in Rom. Über Konstantins Ende gibt es keine gesicherten Angaben, auch seine Begräbnisstätte ist ungewiss. Der Tod des Kaisers symbolisierte die Auslöschung der byzantinischen Welt im Vorfeld des Heraufziehens der Turkocratia, der Jahrhunderte währenden türkischen Besetzung Griechenlands, die Byron überdauern sollte. Das ungewisse Schicksal Konstantins förderte die Sehnsucht der griechischen Seele nach der verlorenen Größe von Byzanz, und im Laufe der Zeit knüpfte sich eine Vielzahl von Prophezeiungen an seinen Namen. Er wurde gewissermaßen zu einer Artus-Figur im griechischen Volksglauben, der Einstige und Künftige König, der in seinem Grab neben dem Goldenen Tor schlief und eines Tages zurückkehren würde durch dieses Tor und die Türken in den Osten bis zum Baum des Goldenen Apfels zurückdrängen und die Stadt wieder in Besitz nehmen würde. Die Osmanen fürchteten die messianische Strahlkraft des Kaisers – Mehmet beobachtete Konstantins Brüder argwöhnisch und ließ das Goldene Tor aus guten Gründen durch eine Mauer sichern. Diese Legenden bescherten dem unglücklichen Kaiser ein tragisches Nachleben. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sollte sein Vermächtnis mit einer nationalen Vision für Griechenland verbunden bleiben, der Großen Idee – dem Traum, die griechische Bevölkerung von Byzanz wieder in den griechischen Staat einzugliedern. Dies führte zu der missglückten Intervention in Anatolien 1922, die von Kemal Atatürk zurückgeschlagen wurde, und zu dem Massaker an den griechischen Einwohnern von Smyrna und dem nachfolgenden Bevölkerungsaustausch. Erst ab diesem Zeitpunkt wurden alle Hoffnungen auf einen Wiederaufbau von Byzanz begraben. Wenn der Geist Konstantins heute noch irgendwo lebt, dann nicht in Istanbul, sondern eineinhalbtausend Kilometer entfernt auf der Peloponnes. Hier hatte Konstantin eine Zeitlang als Despot über Morea geherrscht von der kleinen Stadt Mistra aus, die zweihundert Jahre lang eine erstaunliche Spätblüte der byzantini-
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schen Tradition erlebte. Sie bleibt ein Refugium für die byzantinische Seele: Jeder Laternenpfahl im modernen Dorf unterhalb der Zitadelle trägt die Insignien des Doppelkopfadlers; auf dem Marktplatz, der Platia Palaiologou, steht eine Statue Konstantins, der den Glauben mit gezogenem Schwert verteidigt – das Bild eines Mannes, von dem es kein Bild gibt. Er steht vor einem Marmorsockel, auf dem ein Zitat von Doukas angebracht ist; über seinem Kopf hängt die byzantinische Fahne, ein lebhaftes Gelb, das von schwarzen Adlern besetzt ist, schlaff unter dem blauen griechischen Himmel. Dahinter erhebt sich das mittelalterliche Mistra, ein grüner Hügel, der bestanden ist mit verfallenden Häusern, Kirchen und Hallen, zwischen denen Zypressen aufragen. Es ist ein bewegender Ort. Hier erschuf sich Konstantinopel für einen flüchtigen Augenblick neu im Miniatur-Format als eine Art griechisches Florenz. Es entwarf eine brillante humanistische Version der Evangelien in leuchtenden Fresken, entdeckte die Lehren von Aristoteles und Plato wieder und träumte von einer goldenen Zukunft, bevor die Osmanen sein Florenz auslöschten. In der kleinen Kathedrale von St. Demetrios, die kaum größer ist als eine englische Landkirche, wurde Konstantin möglicherweise gekrönt; in der Sophienkirche liegt seine Frau Theodora begraben. Ganz oben erhebt sich der Palast der Despoten, dahinter ragt das kahle Taygetus-Gebirge auf, und in der Ferne erstreckt sich die Ebene von Sparta. Das Gebäude ist in einem ähnlichen Baustil wie der Kaiserpalast an den Mauern Konstantinopels gehalten, und man kann sich leicht vorstellen, wie der Kaiser aus den rahmenlosen Fenstern in diesen luftigen Sälen hinausblickte auf die grüne Ebene, in der einst die Hopliten aus Sparta auf die Schlacht bei den Thermopylen vorbereitet wurden und die Byzantiner Oliven und Weizen anbauten und Honig und Seide erzeugten. Und jedes Jahr am 29. Mai, wenn die Türken die Eroberung Istanbuls am Edirne-Tor nachspielen, gedenkt man in den kleinen, tonnengewölbten Dorfkirchen auf Kreta und in den großen Kathedralen der griechischen Städte Konstantins, der wegen seiner Unterstützung der Kirchenunion als Häretiker starb.
In Istanbul ist nicht mehr viel geblieben von der christlichen Stadt, obwohl man immer noch durch die großen Bronzetüren der Hagia Sophia gehen kann, die zuletzt am 29. Mai 1453 aufgesprengt wurden, und die Mosaikfigur von Jesus Christus betrachten kann, der seine Hände segnend ausstreckt in einen Raum, der noch heute so überwältigend ist wie im 6. Jahrhundert. Die Stadt selbst, eingebettet zwischen zwei Seiten des Dreiecks, das vom Goldenen Horn und vom Marmarameer gebildet wird, hat noch immer jene besondere Form, die bestimmend war
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für so viele wichtige Ereignisse. Frachtkähne laufen von Westen her in den Bosporus ein wie einst die vier christlichen Schiffe, passieren die Akropolis, wo das Seegefecht stattfand, bevor sie genau wie jene gegen den Wind drehen und Kurs nehmen auf die Einfahrt zum Goldenen Horn, die heute durch eine andere Sperre abgeriegelt wird – die Brücke nach Galata. Die nächste Anlaufstelle für Schiffe im Horn ist Kasimpascha, das Tal der Quellen, wo einst Mehmets kleine Kriegsschiffe nacheinander in die ruhigen Wasser hinausglitten, während am Ufer des Bosporus noch immer Rumeli Hisari, das »Messer an der Kehle«, auf seinem Hang sitzt, und eine rote türkische Fahne weht auf dem großen Turm am Ufer, der Halils Beitrag zur Eroberung war. Einige Seemauern in der Stadt, vor allem jene entlang des Horns, sind heute nur noch bruchstückhaft erhalten, doch die große Theodosianische Landmauer, die dritte Seite des Dreiecks, die dem modernen Besucher ins Auge fällt, der vom Flughafen in die Stadt fährt, ruht ähnlich Zuversicht stiftend in der Landschaft wie eh und je. Bei näherer Betrachtung zeigen sich die Spuren der 1500 Jahre, die sie überdauert hat: Viele Abschnitte sind ramponiert und bröcklig, teilweise baufällig oder nur unzulänglich ausgebessert; Türme neigen sich zur Seite, entweder beschädigt durch Erdbeben, durch den Kanonenbeschuss oder den Zahn der Zeit; der Graben, der den osmanischen Soldaten so große Schwierigkeiten bereitete, ist heute von Pflanzen bewachsen; die Befestigungsanlagen wurden an mehreren Stellen für Ausfallstraßen aufgebrochen und durch ein neues U-Bahnsystem unterminiert, wesentlich wirkungsvoller, als es Mehmets Bergleute vermocht hatten, aber trotz der Einflüsse der modernen Welt ist die Theodosianische Landmauer fast auf ihrer gesamten Länge erhalten geblieben. Man kann sie von einem Meer zum anderen abschreiten und der Landschaft folgen durch den mittleren Abschnitt des Lykos-Tals, wo die Mauern durch den mittelalterlichen Kanonenbeschuss verwüstet wurden, oder auf die Wehrgänge steigen und sich die Zelte der Osmanen in der Ebene im Tal vorstellen und ihre Banner, die im Winde wehen, »wie eine Einfassung aus Tulpen«,11 und die Galeeren, die lautlos über das glitzernde Wasser des Marmarameers und des Goldenen Horns gleiten. Fast alle Tore der Mauer sind noch erhalten; ihre dunklen, wuchtigen Bögen wirken noch immer sehr eindrucksvoll, doch das Goldene Tor, zu dem man über einen von Kugeln aus Urbans großer Kanone gesäumten Weg gelangt, ließ Mehmet vor langer Zeit verriegeln aus Angst vor der Prophezeiung von der Rückkehr Konstantins. Am bedeutendsten für die Türken ist das Edirne-Tor, in der byzantinischen Zeit Charisios-Tor genannt, wo durch eine Gedenktafel an Mehmets formellen Einzug in die Stadt erinnert wird, doch jene Pforte, die in der Geschichte der Belagerung die tragischste Rolle spielte, liegt vergessen ein Stück weiter oben in Richtung des Goldenen Horns.
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Hier biegt die Mauer plötzlich scharf nach rechts ab, und daneben hinter einem Streifen Ödland und unmittelbar angrenzend an den Palast Konstantins findet sich ein zugemauerter Bogen, typisch für die unzähligen Änderungen und Reparaturen, die im Laufe der Jahrhunderte erfolgten. Dies soll die legendäre Kerkoporta sein, die kleine Ausfallpforte, die offen gelassen wurde und es den osmanischen Soldaten ermöglichte, in die Stadt einzudringen und auf die Mauern zu gelangen. Sie könnte aber auch irgendwo anders liegen. Die Fakten über die große Belagerung verwandeln sich allzu leicht in Mythen. Es gibt noch einen weiteren wichtigen Akteur des Frühjahrs 1453, der in der modernen Stadt zu entdecken ist: die Kanonen. Sie sind verteilt über ganz Istanbul, stehen an Mauern aufgereiht und in Museen – primitive, mit Ringen versehene Rohre, denen die Witterungseinflüsse in den vergangenen fünf Jahrhunderten nicht allzu viel anhaben konnten –, und manchmal liegen daneben die perfekt gerundeten Granit- oder Marmorkugeln, die sie abfeuerten. Urbans Superkanone allerdings ist verschwunden – wahrscheinlich wurde sie in der osmanischen Kanonengießerei in Tophane eingeschmolzen, in der einige Zeit später auch das gewaltige Reiterstandbild Justinians zerstört wurde. Mehmet ließ das Standbild auf Anraten seiner Astrologen abbauen, aber es lag anscheinend lange Zeit im Hof, bevor es schließlich zur Gießerei geschafft wurde. Der französische Reisende Pierre Gilles sah dort im 16. Jahrhundert noch Teile davon. »Unter den Fragmenten befand sich ein Bein Justinians, dessen Länge meine Körpergröße übertraf, und seine Nase, die 32 Zentimeter lang war. Ich wagte es nicht, unter den Augen der Leute die Länge der Pferdebeine zu messen, die auf dem Boden lagen, doch als ich unbeobachtet war, maß ich einen der Hufe, der auf 32 Zentimeter kam.«12 Das war der letzte Blick auf den berühmten Kaiser – und auf die Größe von Byzanz –, bevor der Schmelzofen alles verschlang.
Über die Quellen Über die Quellen
In diesem Krieg gab es so viele Ereignisse, dass die Feder sie nicht beschreiben, die Zunge sie nicht aufzählen kann. Neshri, osmanischer Chronist aus dem 15. Jahrhundert1 Der Fall Konstantinopels – oder die Eroberung Istanbuls – war der Dreh- und Angelpunkt des Mittelalters. Die Nachricht verbreitete sich erstaunlich schnell in der muslimischen und der christlichen Welt, und das enorme Interesse an diesem Ereignis sorgte dafür, dass eine Vielzahl von Berichten erhalten blieb, sodass wir über eine wohl einzigartige Vielfalt von Darstellungen verfügen. Bei genauerer Betrachtung jedoch zeigt sich, dass die Summe der Einzelteile nicht viel mehr ist als das Ganze. Die Zahl der Augenzeugen ist relativ klein, zudem handelt es dabei überwiegend um Christen; die Namen einiger von ihnen dürften dem Leser dieses Buches mittlerweile vertraut sein: Erzbischof Leonhard von Chios, der ungestüme katholische Kleriker; Nicolo Barbaro, der Schiffsarzt, der die glaubwürdigsten Tagebuchaufzeichnungen über das Ereignis lieferte; Giacomo Tetaldi, ein Florentiner Kaufmann; der russisch-orthodoxe Beobachter Nestor-Iskander; Tursun Bey, ein osmanischer Beamter; und ein oder zwei weitere Zeugen, wie etwa Georgios Sphrantzes, dessen Chroniken modernen Historikern manches Kopfzerbrechen bereitet haben. Dicht hinter diesen Augenzeugen folgt eine Gruppe von Beobachtern, die ebenfalls zu dieser Zeit lebten und wahrscheinlich kurz nach dem Ereignis aus zweiter Hand davon erfuhren: Doukas, der unerschütterliche griechische Chronist, ein anschaulicher, aber etwas unglaubwürdiger Erzähler, der eine sehr lebendige Darstellung lieferte, und ein weiterer Grieche, Kritobulos, der als Richter auf der Insel Imbros tätig war und eine einzigartige, vom christlichen Standpunkt aus geschriebene, aber osmanenfreundliche Darstellung verfasste. (Ihm ging es unter anderem darum, ein Werk vorzulegen, das »von allen westlichen Völkern« gelesen werden sollte.) In den folgenden Jahrhunderten wurde eine Fülle weiterer Darstellungen von beiden Seiten veröffentlicht; teilweise handelte es sich dabei um reine Nacherzählungen, in anderen Versionen werden Berichte aus zweiter Hand, verloren gegangene mündliche Überlieferungen und Mythen
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sowie christliche oder osmanische Propaganda einbezogen, sodass eine brisante Mischung aus nicht verifizierbaren Informationen entstand. Auf der Grundlage dieser vielfältigen Quellen wurde das vorliegende Buch geschrieben. Viele der Probleme, die der Umgang mit Quellen aufwirft, treten natürlich zwangsläufig auf in der Geschichtsschreibung, insbesondere für die Zeit vor der Entstehung der exakten Wissenschaften. Augenzeugen der Belagerung neigen dazu, große, runde Zahlen anzugeben, wenn sie die Größe einer Armee oder Opferzahlen schätzen sollen, oft können sie sich nicht mehr genau an Daten und Tageszeiten erinnern, sie hantieren mit lokalen Maß- und Gewichtseinheiten und übertreiben gern, um ihrem Publikum zu imponieren. Eine chronologische Darstellung der Abfolge von Ereignissen ist eine Tugend, die erst erfunden werden müsste, und die Unterscheidung zwischen Tatsachen, Erzählungen und Mythen ist ein hehres Ziel. Religiöse Überzeugungen sind so eng mit den Ereignissen verwoben, dass der Fall der Stadt zu einer Darstellung dessen gerät, was die Menschen glaubten, und nicht nur dessen, was tatsächlich geschah. Und natürlich muss man sich vollständig verabschieden von der Vorstellung, einen objektiven Bericht zu erhalten. Jeder Autor hat einen eigenen Blickwinkel und ein bestimmtes Motiv für seine Version, sodass man die Behauptungen und die speziellen Interessen jedes Berichterstatters sorgfältig hinterfragen muss. Urteile und Einschätzungen werden generell auf der Grundlage der Glaubensrichtung, der nationalen Zugehörigkeit und der eigenen Überzeugungen getroffen. Venezianer werden automatisch die Kampfstärke ihrer Seeleute rühmen und die Verschlagenheit der Genuesen anprangern – und umgekehrt. Italiener werden die Griechen der Feigheit, der Faulheit und der Dummheit bezichtigen. Katholiken und Orthodoxe werden sich im Hinblick auf die Kirchenspaltung gegenseitig mit Vorwürfen überhäufen. Im christlichen Lager ist die Suche nach einer Erklärung, einer theologischen oder menschlichen, für den Verlust der Stadt ein Hauptmotiv, und allenthalben tauchen in den Berichten Schuldzuweisungen auf. Und selbstverständlich fallen alle christlichen Autoren über den blutrünstigen Mehmet her – mit Ausnahme von Kritobulos, der sich zurückhält, um sich beim Sultan einzuschmeicheln. Die Osmanen zahlten freilich mit gleicher Münze zurück. Die Darstellungen dieser Augenzeugen sind stets sehr lebendig – ihnen war bewusst, dass sie Zeugen eines außergewöhnlichen Ereignisses geworden waren –, doch die unterschiedlichen Versionen enthalten auch viele seltsame Lücken. In Anbetracht der enormen Bedeutung der Ereignisse von 1453 für die Geschichte des türkischen Volkes erstaunt es, dass es nur sehr wenige zeitgenössische osmanische Darstellungen über die Eroberung der Stadt gibt, keine Schilderungen von Augenzeugen und fast keine persönlichen Berichte über die Empfindungen und Motive der muslimischen Soldaten, abgesehen von Scheich Akschemsettins Brief an Mehmet. Die türkische Gesellschaft war noch überwiegend analphabetisch, Berichte über Ereignisse wurden meist mündlich weitergegeben, und es war noch nicht üblich, Einzelschicksale zu schildern. Es gibt nur einige knappe Chroniken, die später überarbeitet wurden, um sie zur Untermauerung der osmanischen Gründungslegende heranziehen zu können, sodass die osmanische Perspektive häufig erst konstruiert werden muss, indem man in den christlichen Berichten zwischen den Zeilen liest: Die Ereignisse von 1453 wurden, was einigermaßen untypisch ist in der Geschichtsschreibung, hauptsächlich von den Besiegten beschrieben.
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Überraschenderweise gibt es auch von den orthodoxen Griechen nur wenige Berichte. Vielleicht weil viele der byzantinischen Staatsführer bei der Erstürmung getötet wurden oder zu stark traumatisiert waren, wie beispielsweise Georgios Sphrantzes, um sich später mit den Einzelheiten zu befassen, wurde die christliche Sicht hauptsächlich von italienischen Autoren dargestellt oder von Griechen, die für die Kirchenunion eintraten, und die Verteidiger der Stadt, mit Ausnahme von Konstantin, in schlechtem Licht erscheinen lassen. Daher ist die Geschichte mit zahlreichen Rätseln behaftet, die wahrscheinlich nie mehr gelöst werden können. Wie die Osmanen ihre Schiffe transportierten, wird noch heute lebhaft diskutiert unter türkischen Historikern, während über den Tod Konstantins weiterhin quälende Unsicherheit herrscht – die konkurrierenden Versionen unterscheiden sich danach, welchem Lager ihre Autoren angehörten; auch Konstantin selbst bleibt eine schemenhafte Gestalt neben dem ungestümen und unbezähmbaren Mehmet, der allgegenwärtig zu sein scheint während der ganzen Belagerung. Meine Absicht bei der Nacherzählung der »Geschichte von Konstantinopel« bestand darin, unter Berücksichtigung dieser Konflikte und Schwierigkeiten eine Version der Ereignisse zu präsentieren, die der Wirklichkeit möglichst nahe kommt. Ich habe die Quellen durchforstet, was bisweilen etwas mühsam war, und versucht, die Berichte abzugleichen und die wahrscheinlichsten Erklärungen zu finden. Datumsangaben sind traditionell ungesichert, trotz des Tagebuchs von Barbaro, der Tag für Tag die Ereignisse während der Belagerung schildert. Jeder Bericht handhabt die Darstellung des Ablaufs und der zeitlichen Einordnung der Vorgänge etwas anders, und manche Forscher, die sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt haben, werden mir vielleicht in Einzelheiten widersprechen. Bei einer intensiven Auseinandersetzung mit diesem Buch wird sich ergeben, dass kleinere Unklarheiten bestehen bleiben hinsichtlich der zeitlichen Einordnung bestimmter Ereignisse. Ich nehme diese Unklarheiten in Kauf, weil sie zeigen, dass bestimmte Fakten nicht nachprüfbar oder nicht miteinander vereinbar sind. Ich habe mich entschieden, mich auf jene chronologische Darstellung zu stützen, die mir am wahrscheinlichsten erschien, und in meinem Buch so weit wie möglich die gefürchteten Wörter vielleicht, möglicherweise und könnte zu vermeiden. Die Alternative hätte darin bestanden, den Leser mit unterschiedlichen Versionen zu behelligen, die wenig beigetragen hätten zur Dynamik einer Geschichte, deren Konturen klar und deutlich umrissen sind. Zugleich habe ich auch Folgerungen getroffen, die mir aufgrund von Anhaltspunkten aus der Geographie, der Landschaft, des Wetters oder der Zeit gerechtfertigt erschienen. Darüber hinaus, und das ist eine weitere Absicht, die ich mit diesem Buch verfolgte, wollte ich die Vielfalt der menschlichen Stimmen einfangen – die Worte, Vorurteile, Hoffnungen und Ängste der Protagonisten wiedergeben – und etwas erzählen von der »Geschichte der Geschichte«, jene Versionen ansprechen, die von den Menschen für die Wahrheit gehalten wurden, und die verifizierbaren Tatsachen dagegenstellen. Bei den Quellen handelt es sich häufig um charakterstarke, unverwechselbare Persönlichkeiten, die fast so exotisch oder geheimnisvoll sind wie die Geschichte, die sie erzählen; einige, wie Barbaro, existieren nur durch ihre Geschichte und verstummen dann wieder. Andere, wie Leonhard von Chios und Isidor von Kiew, sind stark eingebunden in die Kirchengeschichte der damaligen Zeit. Einer
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der faszinierendsten und problematischsten Berichte ist jener des Russen Nestor-Iskander, der wohl als Rekrut des osmanischen Heeres nach Konstantinopel kam. Man kann den Schluss ziehen, dass er zu Beginn der Belagerung in die Stadt entwich und die Ereignisse als Augenzeuge miterlebte und auch selbst daran teilnahm – seine Schilderungen des Beschusses und der Vorgänge an der Mauer sind besonders lebendig – und dass er die Vergeltungsmaßnahmen der Osmanen nach der Erstürmung überlebte, vielleicht als Mönch verkleidet in einem Kloster. Seine rätselhafte und oft fantastische Mischung aus Legende, mündlichen Überlieferungen und eigenen Beobachtungen ist im Hinblick auf Daten und Abläufe so verwirrend, dass viele Autoren geneigt waren, seinen Bericht als unzuverlässig zu verwerfen, aber er enthält eine Fülle überzeugender Details – insbesondere im Hinblick auf die Kämpfe an der Mauer und den Umgang mit den Gefallenen, eine Aufgabe, mit der er vielleicht selbst befasst war. Fast als einziger Berichterstatter liefert uns Nestor-Iskander Einzelheiten über die Kampfweise der Griechen, zum Beispiel an der Bresche in der Mauer und über den Tod des Rhangabes. Die Venezianer und die Genuesen möchten uns glauben machen, es habe sich fast ausschließlich um eine italienische Angelegenheit gehandelt und die griechische Bevölkerung habe sich bestenfalls passiv verhalten oder habe sogar, aufgrund der religiösen Differenzen, den Kampf behindert und sich geldgierig und feige gezeigt. Zwei weitere Chroniken, die noch ein langes Eigenleben entfalten sollten, sind jene von Georgios Sphrantzes beziehungsweise von Doukas. Sphrantzes hat zwei Versionen der Ereignisse verfasst, die als »Chronicon Maius« (Große Chronik) und »Chronicon Minus« (Kleine Chronik) bekannt wurden. Lange Zeit glaubte man, das Chronicon Maius sei lediglich eine spätere Erweiterung des Chronicon Minus, in dem nur sehr wenig über die Belagerung berichtet wird, das bedeutendste und persönlich folgenreichste Ereignis im Leben von Sphrantzes. Das Chronicon Maius, das lebendig und detailreich ist und sehr plausibel erscheint, galt lange Zeit als eine der wichtigsten Quellen für die Ereignisse von 1453. Doch dann stellte sich heraus, dass es eine geniale literarische Nachahmung war, die mehr als hundert Jahre später von einem gewissen Makarios Melissenos verfasst wurde, der sich als Sphrantzes ausgab. Seine Referenzen wirken nicht sonderlich vertrauenerweckend: Melissenos war ein Priester, dem man nachgewiesen hatte, dass er einen kaiserlichen Erlass gefälscht hatte, um einen kirchlichen Disput in seinem Sinne zu beeinflussen. In der Folge wurde der gesamte Inhalt des Chronicon Maius infrage gestellt. Die Historiker behandeln dieses Werk nun mit großer Vorsicht – jeder, der über die Belagerung schreibt, muss sich entscheiden, wie er es damit halten will. Eine eingehende Textanalyse hat jedoch ergeben, dass es auf einer längeren Version von Sphrantzes beruht, die verloren gegangen ist, und aufgrund der teilweise sehr detaillierten Angaben darin hätte es schon eines herausragenden historischen Romanciers bedurft, wenn es zur Gänze eine Erfindung wäre. Melissenos überliefert jene Szene, in der Sphrantzes in der Dunkelheit mit Konstantin auf dem Turm steht, bevor der Sturmangriff beginnt; er ist auch die Quelle für eine Szene, der in der türkischen Geschichte ikonenhafte Bedeutung zuwuchs: jene Episode, in der Hassan von Ulubat, der hünenhafte Janitschar, als Erster die osmanische Fahne auf der Mauer hisst. Zumindest die zweite Szene wird zu detailreich geschildert, als dass sie erfunden sein könnte.
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Ähnlich exotisch ist die Chronik von Doukas – eine weitgespannte Geschichte des Falls von Byzanz. Doukas war Augenzeuge vieler Begebenheiten im Zusammenhang mit der Belagerung, wenn nicht der Belagerung selbst. Er beobachtete wahrscheinlich die Probeschüsse aus Urbans großer Kanone in Edirne und sah die verwesenden Leichen der Seeleute, die Mehmet hatte pfählen lassen, nachdem ihr Schiff am »Messer an der Kehle« versenkt worden war. Sein anschaulicher Bericht endet sehr seltsam: Er bricht plötzlich ab, ohne den Satz zu vollenden, während der Darstellung der osmanischen Belagerung von Lesbos 1462, wodurch das Schicksal seines Autors im Unklaren bleibt wie so vieles in dieser Geschichte. Die lebendige Darstellung der Vorgänge auf Lesbos erweckt den Eindruck, dass der Autor selbst dort war, und erlaubt die Vermutung, dass er mit dem Schreiben schlagartig aufhören musste, als die Verteidigung der Griechen zusammenbrach. Erlitt er dasselbe schreckliche Schicksal wie die Verteidiger – sie wurden in zwei Teile zersägt, um das Versprechen zu erfüllen, dass sie nicht enthauptet werden würden –, oder wurde er in die Sklaverei verkauft? Er verlässt den historischen Raum mitten im Satz. Die Darstellung der Geschichte Konstantinopels hat gleichfalls eine reiche Geschichte. Das vorliegende Buch ruht auf den Schultern einer langen Tradition in England; sie beginnt mit Edward Gibbon im 18. Jahrhundert und setzt sich fort über Edwin Pears 1903 und den großen Byzanz-Historiker Stephen Runciman 1965 bis zu einer Vielzahl von Versionen in anderen Sprachen. Die Schwierigkeiten, eine gute, den Tatsachen gerecht werdende Arbeit abzuliefern, waren schon vor fünfhundert Jahren Kritobulos von Imbros bewusst, einem Mann, der ein waches historisches Gespür besaß und deshalb eine elegante Haftungsausschlussklausel einfügte in seine Ergebenheitsadresse an Mehmet – ein kluger Schritt, wenn man sich an den Weltenstürmer wandte, ohne selbst vor ihm zu stehen. Jeder Autor, der in Zukunft seine Version der Ereignisse vorlegen will, sollte seine Worte beherzigen: »Deshalb, erhabener Selbstherrscher, habe ich nunmehr nach vielen Mühen (denn ich war ja bei den Ereignissen nicht persönlich zugegen, sodass ich auf diese Weise genaue Kenntnis der Dinge hätte erlangen können, sondern nachforschend und diejenigen, die davon Kenntnis hatten, befragend und das Gehörte einer möglichst genauen Prüfung unterziehend) dieses Buch abgefasst... Wenn aber unsere Darstellung weit hinter Deinen Werken zurückbleibt und an deren Größe nicht heranreicht..., dann werde auch ich selbst Dich von Ferne verehrend und mich mit Schweigen zufrieden gebend anderen, die sich besser darauf verstehen als ich, den Bericht Deiner Taten überlassen.«2
Anmerkungen Anmerkungen
Epigraph 1. Zitiert nach: Stacton, Der schwarze Dienstag, Wien und Hamburg 1967, S. 186.
2. Melville Jones, The Siege of Constantinople 1453: Seven Contemporary Accounts, Amsterdam 1972, S. 12.
Prolog. Der Goldene Apfel 1. Zitiert nach: Procopius, Buildings, London 1971, S. 35.
2. Mansell, Constantinople: City of the World’s Desire: 1453–1924, London 1995, S. 1.
1 Das brennende Meer 1. Zitiert nach: Sherrard, Konstantinopel: Bild einer heiligen Stadt, Freiburg 1963, S. 11. 2. Zitiert nach: Akbar, The Shade of the Swords: Jihad and the Conflict between Islam and Christianity, London 2002, S. 45. 3. Ebenda, S. 44. 4. Ibn Khaldun, The Muqqadimah, London 1958, S. 40.
5. Anna Komnene, Alexias, Köln 1996, S. 392. 6. Zitiert nach: Tsangadas, The Fortifications and Defense of Constantinople, New York 1980, S. 112. 7. Ebenda. 8. Theophanes der Bekenner, Bilderstreit und Arabersturm in Byzanz, Graz 1957, S. 27. 9. Ebenda, S. 29
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10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.
ANMERKUNGEN
Ebenda, S. 31. Ebenda, S. 32. Ebenda, S. 29 f. Zitiert nach: Wintle, The Rough Guide History of Islam, London 1995, S. 254. Publius Ovidus Naso, Lieder der Trauer, 1.10, Frankfurt/M. 1987. Zitiert nach: Sherrard, S. 12. Zitiert nach: Mansel, S. 3. Zitiert nach: Sherrard, S. 12. Ebenda, S. 51.
19. Ebenda, S. 236 f. 20. Zitiert nach: Norwich, Byzanz, Bd. 1, Düsseldorf 2000, S. 235 f. 21. Zitiert nach: Clark, Why Angels Fall, London 2000, S. 17. 22. Ebenda, S. 14. 23. Zitiert nach: Sherrard, S. 74. 24. Zitiert nach: Wheatcroft, Infidels: The Conflict between Christendom and Islam 638–2002, London 2003, S. 54.
2 D e r Tr a u m v o n I s t a n b u l 1. Zitiert nach: Lewis, Der Islam von den Anfängen bis zur Eroberung Konstantinopels, Bd. 2, München und Zürich 1982, S. 247. 2. Ibn Khaldun, Buch der Beispiele, Leipzig 1992, S. 71 f. 3. Ibn Khaldun, zitiert nach: Lewis, The Legacy of Islam, Oxford 1979, S. 197. 4. Zitiert nach: Lewis, Der Islam von den Anfängen bis zur Eroberung Konstantinopels, Bd. 2, S. 261. 5. Zitiert nach: Cahen, Pre-Ottoman Turkey, London 1968, S. 213. 6. Zitiert nach: Armstrong, Holy War, London 1992, S. 2. 7. Zitiert nach: Norwich, Byzanz, Bd. 3, S. 123. 8. Zitiert nach: The Oxford History of Byzantinum, Oxford 2002, S. 128. 9. Zitiert nach: Kelly, Istanbul: A Traveller’s Guide, London 1987, S. 35.
10. Zitiert nach: Morris, The Venetian Empire, London 1980, S. 39. 11. Zitiert nach: Norwich, Byzanz, Bd. 3, S. 154. 12. Zitiert nach: Ebenda, S. 213. 13. Zitiert nach: Morris, S. 41. 14. Zitiert nach: Kinross, The Ottoman Centuries, London 1977, S. 24. 15. Zitiert nach: Mackintosh-Smith, Travels with a Tangerine, London 2001, S. 290. 16. Zitiert nach: Wittek, The Rise of the Ottoman Empire, London 1963, S. 15. 17. Zitiert nach: Ebenda, S. 14. 18. Zitiert nach: Ebenda. 19. Tafur, Travels and Adventures, London 1926, S. 146. 20. Mihailovic, Memoirs of a Janissary, Ann Arbor 1975, S. 191 f. 21. Brocquière, Early Travels in Palastine, London 1948, S. 362 f.
3 Sultan und Kaiser 1. Zitiert nach: Babinger, Mehmed der Eroberer, München 1987, S. 62. 2. Zitiert nach: Ebenda, S. 458.
3. Brocquière, Early Travels in Palestine, London 1848, S. 418. 4. Zitiert nach: Inalcik, The Ottoman Empire, London 1973, S. 59.
ANMERKUNGEN
5. 6. 7. 8.
Zitiert nach: Babinger, S. 23. A History of Ottoman Poetry, Bd. 2. Mihailovich, S. 171. Doukas, Fragmenta, Bd. 5, Paris 1870, S. 228. 9. Sa’d-ud-din, The Capture of Constantinople, Glasgow 1879, S. 41. 10. Doukas, Fragmenta, S. 227.
265
11. Zitiert nach: Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 461. 12. Zitiert nach: Ebenda, S. 115. 13. Brocquière, S. 335–341. 14. Nestor-Iskander, The Tale of Constantinople, S. 67. 15. Zitiert nach: Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 69.
4 Das »Messer an der Kehle« 1. Zitiert nach: Freely, Istanbul. Ein Führer, München 1986, S. 521. 2. Zitiert nach: Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 71, 3. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, Graz 1954, S. 33 f. 4. Doukas, Fragmenta, Bd. 5, S. 228. 5. Tursun Bey, The History of Mehmet the Conqueror, Minneapolis und Chicago 1978, S. 33. 6. Doukas, Fragmenta, S. 234 f. 7. Zitiert nach: Nicol, The Immortal Emperor, Cambridge 1969, S. 52. 8. Sa’d-ud-din, S. 11. 9. Kritobulos, Mehmet II. erobert Konstantinopel, Graz 1986, S. 48. 10. Doukas, Fragmenta, S. 237 f.
11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.
Ebenda, S. 238. Ebenda, S. 239. Ebenda. Ebenda, S. 245. Kritobulos, S. 51. Mihailovich, S. 89. Kritobulos, S. 52. Ebenda, S. 51. Tursun Bey, S. 34. Kritobulos, S. 52. Zitiert nach: Stacton, S. 206. Kritobulos, S. 52 f. Pertusi, La Caduta, Bd. 1, Mailand 1976, S. 311. 24. Ebenda. 25. Sa’d-ud-din, S. 12. 26. Doukas, Fragmenta, S. 248.
5 Die dunkle Kirche 1. Zitiert nach: Mijatovich, Constantine Palaiologos, London 1892, 17. 2. Zitiert nach einem Artikel auf der Internetseite des Daily Telegraph, 4. Mai 2001. 3. Zitiert nach: Ware, The Orthodox Church, S. 43. 4. Zitiert nach: Ebenda, S. 53. 5. Zitiert nach: Clark, Why Angels Fall, London 1968, S. 27.
6. Zitiert nach: Norwich, A History of Byzantium, Bd. 3, London 1995, S. 184. 7. Zitiert nach: Mijatovich, S. 24 f. 8. Zitiert nach: Gill, The Council of Florence, Cambridge 1959, S. 381. 9. Zitiert nach: Runciman, Die Eroberung von Konstantinopel 1453, München 1990, S. 68. 10. Zitiert nach: Nicol, S. 58. 11. La Caduta, Bd.1, S. 125.
266
12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.
ANMERKUNGEN
Zitiert nach: Gill, S. 384. La Caduta, Bd. 1, S. 11. Ebenda, S. 92. Zitiert nach: Stacton, S. 201. Zitiert nach: Sherrard, S. 34. Zitiert nach: Stacton, S. 201. Kritobulos, S. 62. Ebenda, S. 65 ff. Ebenda, S. 66.
21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.
Ebenda, S. 72 f. Doukas, Fragmenta, S. 257. Barbaro, Giornale, Wien 1856, S. 3. Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 13. Doukas, Fragmenta, S. 265. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 94.
6 Die Mauer und die Kanone 1. Zitiert nach: Hogg, A History of Artillery, London 1974, S. 16. 2. Kritobulos, S. 79. 3. Ebenda, S. 73. 4. Gunther of Pairis, S. 99. 5. Zitiert nach: Tsangadas, S. 9. 6. Zitiert nach: Van Millingen, Byzantine Constantinople, London 1899, S. 49. 7. Zitiert nach: Ebenda, S. 47. 8. Zitiert nach: Ebenda, S. 107. 9. Zitiert nach: Mijatovich, S. 50. 10. Zitiert nach: Hogg, S. 16. 11. Zitiert nach: Cipolla, European Culture and Overseas Expansion, London 1970, S. 36.
12. Zitiert nach: DeVries, Guns and Men in Medieval Europe, Aldershot 2002, S. 125. 13. Doukas, Fragmenta, S. 247 f. 14. Kritobulos, S. 83. 15. Ebenda. 16. Ebenda. 17. Chelebi, In the Days of the Janissaries, London 1951, S. 90. 18. Ebenda. 19. Ebenda, S. 91. 20. Kritobulos, S. 84. 21. Doukas, Fragmenta, S. 248. 22. Ebenda, S. 249. 23. Ebenda.
7 Zahlreich wie die Sterne 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
La Caduta, Bd. 1, S. 315. Mihailovich, S. 177. Doukas, Fragmenta, S. 262. Zitiert nach: Imber, The Ottoman Empire, London 1978, S. 257. Ebenda, S. 277. Zitiert nach: Goodwin, Lords of the Horizons, London 1999, S. 66. Doukas, Fragmenta, S. 262. Sa'd-ud-din, S. 16.
9. Chelebi, »Le Siege de Constantinople« in: Byzantinoslavica, Bd. 14 (1953), S. 2. 10. Kritobulos, S. 74. 11. Ebenda, S. 76. 12. Sa'd-ud-din, S. 17. 13. Doukas, Fragmenta, S. 262. 14. Zitiert nach: La Caduta, Bd. 1, S. xx. 15. Tursun Beg, S. 34. 16. Sprantzes, S. 44. 17. Zitiert nach: Goodwin, S. 70.
ANMERKUNGEN
18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33.
34. 35.
La Caduta, Bd. 1, S. 316. Kritobulos, S. 81. La Caduta, Bd. 1, S. 176. Zitiert nach: Melville Jones, S. 43 f. Ebenda, S. 5. La Caduta, Bd. 1, S. 130. Mihailovich, S. 91. Zitiert nach: La Caduta, Bd. 1, S. xx . Zitiert nach: Ebenda. Mihailovich, S. 175. Bd. 1, S. 175 f. Zitiert nach: Mijatovich, S. 137. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 47. Ebenda. Ebenda. Leonhard von Chios, De Capta a Mehemethe II Constantinopoli, Paris 1823, S. 38. La Caduta, Bd. 1, S. 146. Leonhard von Chios, S. 38.
267
36. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 47. 37. Barbaro, Giornale, S. 19. 38. La Caduta, Bd. 1, S. 148. 39. Ebenda, S. 27. 40. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 49. 41. La Caduta, Bd. 1, S. 148. 42. Barbaro, Giornale, S. 19. 43. La Caduta, Bd. 1, S. 152 ff. 44. Barbaro, Giornale, S. 19 f. 45. Koran, Sure 17 (Die Nachtwanderung), 15 f. 46. Chelebi, »Le Siege de Constantinople«, S. 3. 47. Doukas, Decline and Fall of Byzantinum, übersetzt von Magoulias, Detroit 1975, S. 217. 48. Kritobulos, S. 73. 49. Ebenda, S. 78.
8 Die schrecklichen Posaunen des jüngsten Gerichts 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.
Nestor-Iskander, S. 45. Kritobulos, S. 79. Ebenda, S. 87. Doukas, Fragmenta, S. 266. Ebenda. Kritobulos, S. 87. Ebenda, S. 88. La Caduta, Bd. 1, S. 130. Leonhard von Chios, S. 18. Barbaro, Diary, New York 1969, S. 30. Nestor-Iskander, S. 43. La Caduta, Bd. 1, S. 130. Ebenda, S. 15 . Kritobulos, S. 84. Ebenda, S. 85. Ebenda. Ebenda. La Caduta, Bd. 1. S. 130.
19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.
Sa'd-ud-din, S. 21. Nestor-Iskander, S. 33 ff. Ebenda, S. 35. Melville Jones, S. 46. Ebenda, S. 47. Kritobulos, S. 86. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 46. Ebenda. Doukas, Fragmenta, S. 273 f. Melville Jones, S. 45. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 48. Kritobulos, S. 90. Leonhard von Chios, S. 38. Doukas, Fragmenta, S. 266 . Barbaro, Giornale, S. 22. Kritobulos, S. 90.
268
ANMERKUNGEN
35. La Caduta, Bd. 1, S. 15 f. 36. Nestor-Iskander, S. 37.
37. Ebenda, S. 39. 38. Ebenda.
9 Ein Wind von Gott 1. Zitiert nach: Guilmartin, Galleons and Galleys, London 2002, S. 22. 2. Kritobulos, S. 75. 3. Ebenda. 4. Ebenda. 5. Ebenda, S. 81. 6. La Caduta, Bd. 2, S. 256. 7. Kritobulos, S. 76. 8. La Caduta, Bd. 2, S. 256. 9. Barbaro, Giornale, S. 19. 10. Barbaro, Diary, S. 29. 11. Barbaro, Giornale, S. 20. 12. Ebenda. 13. Ebenda, S. 21. 14. La Caduta, Bd. 1, S. 15. 15. Barbaro, Giornale, S. 22. 16. Kritobulos, S. 92. 17. Ebenda, S. 93.
18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35.
La Caduta, Bd. 1, S. lxxvi. Kritobulos, S. 95. Ebenda. Ebenda. Barbaro, Giornale, S. 23. Kritobulos, S. 96. Ebenda. Doukas, Fragmenta, S. 269. Leonhard von Chios, S. 30. Doukas, Fragmenta, S. 269. Kritobulos, S. 97. Melville Jones, S. 21. La Caduta, Bd. 1, S. 140. Barbaro, Diary, S. 33. Kritobulos, S. 97. Melville Jones, S. 22. Barbaro, Giornale, S. 24. Kritobulos, S. 98.
10 S t r ö m e v o n B l u t 1. Bernard Lewis, Der Islam von den Anfängen bis zur Eroberung Konstantinopels, Bd. 1, S. 300. 2. Leonhard von Chios, S. 18. 3. Kritobulos, S. 98. 4. Barbaro, Giornale, S. 23 f. 5. Tursun Bey, Zitiert nach: Inalcik, in: Speculum 35, S. 411. 6. La Caduta, Bd. 1, S. 301. 7. Ebenda, S. 301 f. 8. Barbaro, Diary, S. 34. 9. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 55. 10. Barbaro, Giornale, S. 25. 11. Ebenda. 12. Doukas, Fragmenta, S. 214.
13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.
Melville Jones, S. 4. Zitiert nach: Mijatovich, S.161. Zitiert nach: Nicol, S. 127 f. La Caduta, Bd. 1, S. 16. Ebenda. Barbaro, Diary, S. 36. Ebenda. La Caduta, Bd. 1, S. 17. Ebenda. Ebenda, S. 16. Doukas, Decline and Fall of Byzantinum, S. 258. Leonhard von Chios, S. 28. La Caduta, Bd. 1, S. 134 ff. Kritobulos, S. 99. Ebenda, S. 99 f.
ANMERKUNGEN
28. Ebenda, S. 100. 29. Barbaro, Giornale, S. 28. 30. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 55. 31. Kritobulos, S. 101. 32. La Caduta, Bd. 1, S. 19. 33. Barbaro, Giornale, S. 29. 34. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 57. 35. Barbaro, Giornale, S. 30. 36. Ebenda, S. 31. 37. Ebenda. 38. Ebenda, S. 32.
39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47.
Ebenda, S. 33. Ebenda. Ebenda, S. 31 f. Zitiert nach: Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 429. Melville Jones, S. 5. Doukas, Decline and Fall of Byzantinum, S. 260. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 58. La Caduta, Bd. 1, S. 144. Ebenda, S. 144.
11 Fu r c h t e i n f l ö ß e n d e M a s c h i n e n 1. Siegecraft: Two Twentieth-century Instructional Manuals by Heron of Byzantium, Washington D.C. 2000, S. 29. 2. Leonhard von Chios, S. 36. 3. La Caduta, Bd. 1, S. 20. 4. Ebenda, S. 142. 5. Ebenda. 6. Ebenda, S. 23. 7. Barbaro, Giornale, S. 34. 8. Kritobulos, S. 93. 9. Leonhard von Chios, S. 32. 10. Barbaro, Giornale, S. 35 f. 11. Ebenda, S. 36. 12. Leonhard von Chios, S. 32. 13. Doukas, Fragmenta, S. 279. 14. Ebenda, S. 278. 15. Barbaro, Giornale, S. 39. 16. Nestor-Iskander, S. 43. 17. Ebenda, S. 45. 18. Ebenda. 19. Leonhard von Chios, S. 44. 20. Ebenda, S. 46. 21. Ebenda, S. 44. 22. La Caduta, Bd. 1, S. 152. 23. Tursun Bey, S. 36. 24. Nestor-Iskander, S. 49. 25. Ebenda, S. 53. 26. Barbaro, S. 36.
27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54.
269
Nestor-Iskander, S. 55. Ebenda, S. 57. Ebenda. Barbaro, Giornale, S. 39. Nestor-Iskander, S. 47. Ebenda. Wintle, S. 245. Barbaro, Giornale, S. 37. Ebenda, S. 39. Nestor-Iskander, S. 57. Ebenda, S. 59. Ebenda, S. 61. Zitiert nach: Mijatovich, S. 181. Barbaro, Giornale, S. 40. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 41. Ebenda. Ebenda, S. 44. Barbaro, Diary, S. 55. Barbaro, Giornale, S. 43. La Caduta, Bd. 1, S. 262. Ebenda, S. 134. Melville Jones, S. 5. Barbaro, Giornale, S. 42. Ebenda, S. 43. Ebenda. Leonhard von Chios, S. 22.
270
55. 56. 57. 58.
ANMERKUNGEN
Barbaro, Diary, S. 53. Barbaro, Giornale, S. 42. Nestor-Iskander, S. 51. Leonhard von Chios, S. 22.
59. 60. 61. 62.
Barbaro, Giornale, S. 46 f. La Caduta, Bd. 1., S. 26. Ebenda, S. 26 f. Barbaro, Giornale, S. 35.
1 2 O m e n u n d b ö s e Vo r z e i c h e n 1. Zitiert nach: Sherrard, S. 120 f. 2. Yerasimos, Les Traditions Apocalyptiques, Paris 1999, S. 59. 3. Melville Jones, S. 129. 4. Leonhard von Chios, S. 14. 5. Nestor-Iskander, S. 69. 6. Zitiert nach: Yerasimos, S. 70. 7. Barbaro, Diary, S. 56. 8. La Caduta, Bd. 1, S. 26. 9. Ebenda. 10. Ebenda, S. 26 f. 11. Zititert nach: Tsangadas, The Fortifications and Defense of Constantinople, New York 1980, S. 304. 12. Kritobulos, S. 103. 13. Ebenda. 14. Ebenda. 15. Ebenda. 16. Ebenda, S. 104. 17. Nestor-Iskander, S. 81. 18. Ebenda, S. 63. 19. Ebenda, S. 81. 20. Ebenda, S. 63.
21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40.
Ebenda, S. 65. La Caduta, Bd. 1, S. 309 f. Leonhard von Chios, S. 50. Melville Jones, S. 47 f. Ebenda, S. 48. Ebenda. Doukas, Fragmenta, S. 286. Leonhard von Chios, S. 50. Ebenda. Melville Jones, S. 6. Leonhard von Chios, S. 50. La Caduta, Bd. 1, S. 27. Doukas, Fragmenta, S. 281. La Caduta, Bd. 1, S. 181. Leonhard von Chios, S. 54. Zitiert nach: Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 98. Doukas, Decline and Fall of Byzantinum, S. 221. Zitiert nach: Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 98. La Caduta, Bd. 1, S. 27. Zitiert nach: Yerasimos, S. 157.
1 3 » M e r k t e u c h d e n Ta g « 1. Zitiert nach: Inalcik, The Ottoman Empire: The Classical Age, London 1978, S. 56 2. Mihailovich, S. 145. 3. Barbaro, Giornale, S. 49. 4. Kritobulos, S. 104. 5. Ebenda, S. 106. 6. Ebenda, S. 108.
7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Ebenda, S. 110. Melville Jones, S. 48 f. Ebenda, S. 49. Leonhard von Chios, S. 54. Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 387. La Caduta, Bd. 1, S. 156 ff. Barbaro, Giornale, S. 49 Ebenda, S. 21.
ANMERKUNGEN
15. 16. 17. 18. 19.
20. 21. 22. 23.
Nestor-Iskander, S. 75. Ebenda, S. 77. Barbaro, Diary, S. 60. Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 92. Der Koran, Sure 3, Vers 136 und Sure 2, Vers 25, zitiert nach: http://de. knowquran.org. La Caduta, Bd. 1, S. 302. Der Koran, Sure 48, Vers 20, zitiert nach: http://de.knowquran.org. Barbaro, Giornale, S. 50. Leonhard von Chios, S. 56.
24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32.
Ebenda, S. 58. Kritobulos, S. 108. Nestor-Iskander, S. 87. Barbaro, Giornale, S. 49. Barbaro, Diary, S. 56. Barbaro, Giornale, S. 49. La Caduta, Bd. 1, S. 29. Sa’d-ud-din, S. 27. Sphrantzes, Die letzten Tage von Konstantinopel, S. 74. 33. Ebenda, S. 37 f.
1 4 D i e v e r r i e g e l t e n To r e 1. Ibn Khaldun, The Muqaddimah, Bd. 2, S. 67. 2. Kritobulos, S. 107. 3. Doukas, Fragmenta, S. 283. 4. La Caduta, Bd. 1, S. 42. 5. Ebenda, S. 30. 6. Leonhard von Chios, S. 16. 7. Kritobulos, S. 114. 8. Barbaro, Diary, S. 62. 9. Kritobulos, S. 114. 10. Barbaro, Giornale, S. 52. 11. Nestor-Iskander, S. 71. 12. Barbaro, Giornale, S. 52. 13. Leonhard von Chios, S. 60. 14. Barbaro, Giornale, S. 52. 15. Leonhard von Chios, S. 60. 16. Kritobulos, S. 114. 17. Barbaro, Giornale, S. 53. 18. Leonhard von Chios, S. 40. 19. Ebenda. 20. Kritobulos, S. 116.
21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.
Ebenda. La Caduta, Bd. 1, S. 518. Kritobulos, S. 116. Melville Jones, S. 7. Kritobulos, S. 117. Barbaro, Giornale, S. 53. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Kritobulos, S. 117. La Caduta, Bd. 1, S. 160. Kritobulos, S. 117. Barbaro, Giornale, S. 53. La Caduta, Bd. 1, S. 161. Leonhard von Chios, S. 44. Kritobulos, S. 116. Ebenda, S. 119. Barbaro, Giornale, S. 54. Melville Jones, S. 50. Kritobulos, S. 120.
15 E i n e H a n d v o l l S t a u b 1. Zitiert nach: Sherrard, S. 117. 2. Doukas, Fragmenta, S. 296. 3. Kritobulos, S. 120.
271
4. Ebenda. 5. Barbaro, Giornale, S. 55. 6. Nestor-Iskander, S. 89.
272
7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33.
ANMERKUNGEN
Melville Jones, S. 51. Doukas, Fragmenta, S. 295. Doukas, S. 228. Sa’d-ud-din, S. 29. Melville Jones, S. 123. Kritobulos, S. 121. Ebenda. Leonhard von Chios, S. 66. Doukas, Fragmenta, S. 295. Kritobulos, S. 121. Ebenda. Ebenda, S. 122. Ebenda, S. 123. Melville Jones, S. 38. Barbaro, Diary, S. 67. Kritobulos, S. 122. Doukas, Fragmenta, S. 292. La Caduta, Bd. 1, S. 34. Barbaro, Diary, S. 67. Kritobulos, S. 125. Doukas, Fragmenta, S. 296. La Caduta, Bd. 1, S. 185 f. Ebenda, S. 44. Ebenda. La Caduta, Bd. 1. S. 36. Ebenda, S. 37. Barbaro, Giornale, S. 58.
34. La Caduta, Bd. 1, S. 36. 35. Ebenda. 36. Prokop, zitiert nach: Freely, Istanbul. Ein Führer, S. 72. 37. Kritobulos, S. 125. 38. Doukas, Decline and Fall of Byzantinum, S. 227. 39. Doukas, Fragmenta, S. 292. 40. Ebenda, S. 227. 41. Sa’d-ud-din, S. 30. 42. La Caduta, Bd. 1, S. 214. 43. Ebenda, S. 184 f. 44. Legrand, Recueil de Chansons Populaires Grecques, Paris 1874, S. 74. 45. Zitiert nach: Lewis, Die Welt der Ungläubigen, Frankfurt, Berlin und Wien 1983, S. 29. 46. Zitiert nach: Freely, The Companion Guide to Istanbul, Woodbridge 2000, S. 211 f. 47. Kritobulos, S. 126. 48. Zitiert nach: Lewis, Istanbul and the Civilization of the Ottoman Empire, Norman 1968, S. 8. 49. La Caduta, Bd. 1, S. 219–221. 50. Ebenda, S. 327. 51. Norwich, Byzanz, Bd. 3, S. 169.
16 D e r g e g e n w ä r t i g e S c h r e c k e n d e r We l t 1. Melville Jones, S. 135. 2. Camariotes, »De Constanopoli Capta Narratio Lamentabilis« in: Patrologiae Cursus Completus, Paris 1866, S. 1070. 3. La Caduta, Bd. 2, S. 416. 4 Ebenda. 5. Doukas, Decline and Fall of Byzantium, S. 234 f. 6. Lewis, Istanbul and the Civilization of the Ottoman Empire, Norman 1968, S. 8. 7. Sa’d-ud-din, S. 33. 8. Kritobulos, S. 127.
9. Zitiert nach: Wheatcroft, The Ottomans, London 1995, S. 23. 10. La Caduta, Bd. 1, S. xxxviii. 11. Zitiert nach: Schwoebel, The Shadow of the Crescent, Nieuwkoop 1967, S. 4. 12. Ebenda, S. 9. 13. Ebenda, S.4. 14. Lewis, Die Welt der Ungläubigen, Frankfurt/M. 1983, S. 31. 15. Ibn Taghribirdi, History of Egypt, Berkeley 1960, S. 38 f. 16. Doukas, Fragmenta, S. 300. 17. Inalcik, The Ottoman Empire, S. 56.
ANMERKUNGEN
18. 19. 20. 21. 22. 23. 24.
Zitiert nach: Schwoebel, S. 43. Barbaro, Giornale, S. 66. Zitiert nach: Schwoebel, S. 11. Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 393. Zitiert nach: Ebenda, S. 181 f. Shakespeare, Othello. Mohr von Venedig. Zitiert nach: Nabil, Islam in Britain 1558–1685, Cambridge 1998, S. 158. 25. Sa’d-ud-din, S. 33. 26. Runciman, S. 161. 27. Zitiert nach: Mansel, S. 15.
28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35.
273
Zitiert nach: Ebenda, S. 47. Zitiert nach: Schwoebel, S. 9. Zitiert nach: Nabil, S. 159. Zitiert nach: Levey, The World of Ottoman Art, London 1971, S. 15. Zitiert nach: Istanbul: Everyman Guides, S. 82. Zitiert nach: Levey, S. 18. Zitiert nach: Mansel, S. 57. Zitiert nach: Freely, Istanbul. Ein Führer, S. 19.
Epilog: Ruhestätten 1. 2. 3. 4. 5.
Babinger, Mehmed der Eroberer, S. 448. Ebenda, S. 461. Ebenda, S. 461 f. Ebenda, S. 452. Babinger, Mehmet the Conqueror and His Time, Princeton 1978, S. 405. 6. Sphrantzes, The Fall of the Byzantine Empire, übersetzt von Marios Philippides, Amherst 1980, S. 21.
7. 8. 9. 10.
Ebenda, S. 75. Ebenda, S. 91. La Caduta, Bd. 1, S. 162. Zitiert nach: Setton, The Papacy and the Levant, Philadelphia 1978, S. 429. 11. Chelebi, »Le Siege de Constantinople«, S. 2. 12. Gilles, The Antiquities of Constantinople, London 1729, S. 130.
Über die Quellen 1. La Caduta, Bd. 2, S. 261.
2. Kritobulos, S. 35 ff.
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Danksagung
Die Idee zu diesem Buch beschäftigte mich schon so lange, dass ich sehr vielen Menschen Dank dafür schulde, dass es schließlich verwirklicht werden konnte. In erster Linie danke ich meinem Agenten Andrew Lownie sowie Julian Loose vom Verlag Faber und Bill Strachan vom Verlag Hyperion, die an die Geschichte glaubten, sowie den engagierten Mitarbeitern in beiden Verlagen, die sich um die Abwicklung kümmerten. Für das Zustandekommen des Buches werde ich auch immer Christopher Trillo dankbar sein, der mich 1973 dazu veranlasste, die Stadt zu besuchen, sowie einer Reihe von Freunden, die mir stets mit Rat und Tat zur Seite standen: Andrew Taylor, Elizabeth Manners und Stephen Scoffham für Vorschläge und dafür, dass sie das Manuskript gelesen haben; noch einmal Elizabeth Manners für ihre Fotos von den Wandgemälden im Kloster Moldovita in Rumänien; John Dyson für seine wertvolle Hilfe in Istanbul bei der Sichtung von Büchern und Fotos sowie für seine Gastfreundschaft; Rita und Ron Morton, die mich in Griechenland bei sich wohnen ließen; Ron Morton und David Gordon-Macloed dafür, dass sie mich auf den Berg Athos mitgenommen und mir einen kleinen Einblick in die lebendige byzantinische Kultur ermöglicht haben; Annamaria Ferro und Andrew Kirby für Übersetzungen; Oliver Poole für Fotos; Athena Adams-Florou für das Scannen von Fotografien; Dennis Naish für Informationen über das Kanonengießen; Martin Dow für Auskünfte zur arabischen Sprache. Allen diesen Menschen möchte ich meinen großen Dank aussprechen. Zu guter Letzt geht mein Dank an Jan, nicht nur für Ratschläge und die kritische Lektüre des Manuskripts, sondern auch dafür, dass sie den Biss eines türkischen Hundes ertragen hat und dem Autor jahrein, jahraus in Liebe verbunden war. Danken möchte ich ferner folgenden Verlagen für die Erlaubnis, längere Passagen für dieses Buch zu verwenden: Material aus The Tale of Constantinople by Nestor-Iskander, übersetzt und herausgegeben von Walter K. Hanak und Marios Philippides, mit freundlicher Genehmigung von Aristide D. Caratzas, Verlag Melissa International Ltd; Material aus Franz Babinger, Mehmet the Conqueror and His Time, New York 1978, mit freundlicher Genehmigung von Princeton University Press.
Register Register
Aberglauben 14 Abraham von Ankara 237 Ägypten 17, 23, 30f., 34, 82, 241, 250 Ahmet (jüngerer Bruder von Mehmet) 38, 45, 50, 56 Ajjub, Märtyrertod des 22, 238, 252 Akschemsettin, Scheich 143, 145, 186, 196, 238, 259 Alexander der Große 24, 48, 52, 61, 242 Alexios, Thronprätendent 34 Ali (Bruder von Mehmet) 45f., 281 Ali Bey 56 Alp Arslan, Sultan 31 Al-Rawandi 30f. Anadolu Hisari 61f. Andronikos der Schreckliche 87 Andronikos III., Kaiser 36 Antichrist 62, 73, 177, 242 Apokalypse des Pseudo-Methodius 188 Araber, Belagerung Konstantinopels 14, 17–21, 28, 80, 89, 113, 127, 179, 196, 238, 252 Atatürk, Kemal 233, 254 Awaren, Belagerung Konstantinopels (626) 28, 88f., 179 Bajezit I., Sultan 42, 61 Bajezit II., Sultan 246, 251 Baltaoglu (Admiral) 116, 129, 133f., 137–40, 143f.
Barbaren 23f., 27, 71, 172, 231, 243, 250 Barbaro, Nicolo 81, 124, 130, 142, 146, 158, 226, 258 Barlaam von Kalabrien 72 Belagerungsturm 172f., 204 Bellini, Gentile, Gemälde von 51, 251 Blachernae, Kaiserpalast 87–90, 102, 108, 116, 161, 167, 170, 203, 205, 212, 215, 220 Bocchiardi-Brüder 108, 212, 215, 219, 237 Brocquière, Betrandon de la 41, 54, 90 Bulgaren, Belagerung Konstantinopels 14 Byzantiner, als Goldstandard 27, 184 Chalkokondylas (byzantinischer Chronist) 103f., 221, 231 Charisios-Tor 87, 107f., 171f., 201, 205, 207, 218, 222, 228, 233, 256 Coco, Giacomo 81, 153, 154–59, 161 Contarini, Jacopo de 109 Dandolo, Enrico 34, 230 Dar al-Harb (Haus des Krieges) 17 Dar al-Islam (Haus des Islam) 17 Demetrios (Bruder von Konstantin) 53, 55, 67f. Demetrios Kantakuzenos 109, 220, 231 Derwische 32, 37, 101, 166, 184, 195 Diedo, Alviso 109, 132, 154, 226f.
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Doukas (griechischer Chronist) 49, 64, 69, 78, 94, 97, 100, 121, 138, 144, 161, 185, 187, 206, 230f., 238, 241, 255, 258, 261f. Dschihad (Heiliger Krieg) 27, 30, 44, 79, 101, 105, 112, 130, 145, 166, 191, 238, 241 Edirne 12, 15, 41, 43, 45–47, 49, 50, 56, 58–61, 63, 67f., 77f., 94, 95, 97f., 101f., 114, 117, 135, 144, 183, 233, 236, 238, 246, 252, 255f., 262 Eyüp, Märtyrertod von 252 Feuerwaffen und Schießpulver 14, 62, 90f., 93f., 108, 113, 125, 155, 172, 211, 244 Florenz, Konzil von (1439) 73–76 Francisco von Toledo, Don 82, 111, 207, 218 Fulcher von Chartres 24 Galata (Genueser Kolonie am Bosporus) 12, 33, 53, 58, 67, 82, 84, 103, 106f., 131–33, 138, 140, 148–50, 152–54, 157–62, 168f., 185–87, 197f., 207, 225–27, 231, 236f., 239, 246f., 256 Gallipoli 37, 50, 60, 63, 67, 101f., 127, 129, 136 Gennadios (Scholarios) 74–77, 80, 193, 224, 246 Genuesen 15, 33, 47, 53, 55, 58, 67, 81, 84, 106, 108, 113, 137f., 149f., 153f., 158–60, 162, 185, 186, 194, 198, 200, 215f., 226f., 242, 259, 261 Georgevich, Bartholomew 245 Gilles, Pierre 57, 249, 257 Giustiniani Longo, Giovanni 82, 83, 90, 107f., 110, 113–15, 123, 125, 147–49, 153f., 161f., 164–67, 171, 181, 187f., 194f., 197f., 200f., 205–08, 213–17, 210, 227, 253f. Goldener Apfel 13, 11, 37, 101, 112, 145, 189, 192f., 223, 228, 242, 244, 254 Goldenes Horn 11f., 18, 23, 33f., 53, 66, 84, 87, 89, 103, 107, 109, 116f., 119, 130–33, 137f., 140f., 148–54, 157,
159–63, 168f., 178, 181, 191, 195, 197–201, 203, 207, 211, 219–21, 223–28, 231, 236, 248, 253, 255f. Goldenes Tor 85, 87, 108, 254, 256 Gottfried von Villehardouin 34 Grant, Johannes 171, 174 Gregor (Patriarch von Konstantinopel) 73f., 76 Griechisches Feuer 19, 21, 86, 154, 171, 173, 206, 211 Hadithe, Prophezeiungen der 22, 37, 112, 166, 196 Hagia Sophia (Sophienkirche) 25f., 34, 36, 40, 53, 65, 70, 73f., 76f., 87, 102, 112, 126, 136, 167, 177f., 180, 199, 201, 203, 209, 222, 228f., 230f., 233–35, 238, 247, 255 Halil Pascha (oberster Wesir) 47–50, 58–60, 64, 66, 77–79, 112, 142–45, 185f., 191, 212, 252, 256 Hamza Bey 144, 157, 220, 227 Hilfe aus dem Westen (Hilfsappelle) 42, 48, 55, 62, 67–70, 72, 74–76, 82, 110, 112, 134f., 167, 174, 183, 186, 242 Hodegetria 102, 179, 199, 222 Homer 28, 215, 247 Hunyadi, Johann 58, 67, 121f., 183 Ibn Battutah 37, 40 Ibn Khaldun 30, 205 Ishak Pascha 103, 191, 212 Isidor, Kardinal von Kiew 75f., 109, 224, 237, 254, 260 Janitscharen 39, 45, 49, 59, 61, 99f., 104, 125, 137, 142, 144, 147, 189, 191f., 208, 212, 214, 216–18, 228, 231–33, 248 Johannes VI., Kantakuzenos, Kaiser 37, 40 Johannes der Täufer 25, 222 Justinian, Kaiser 13, 25, 53, 177, 181, 201f., 228f., 231, 234, 238, 243, 257 Kara Hizir Pascha 45 Karaja Pascha 103, 191, 212, 215 Karaman, Bey von 46f., 59
REGISTER
Kerkoporta 188, 212, 215, 219, 256 Kirchenspaltung 70–77, 198, 201, 253, 259 Kleinasien, türkische Eroberung 32 Komnenos, Johannes, Kaiser 57 Kompositbogen 30 Konstantin I. (der Große) 73, 177, 249, 252 Koran 28, 35, 38, 43, 46, 58, 101, 110, 196, 207, 248, 252 Kreta, Belagerung von Candia 82, 93, 131, 235 Kreuz, Wahres oder Heiliges 16, 87, 178, 199 Kreuzzüge 14, 32–34, 41f., 46f., 55, 57, 72, 77, 84, 116, 136, 142, 170, 183, 193, 198, 201, 229, 233–35, 240, 243–45 Kritobulos (griechischer Chronist) 66, 79, 95, 111, 120, 128, 139, 151, 191, 213, 215, 222, 233, 258f., 262 Kuwae, Vulkanausbruch (1453) 182 Languschi, Giacomo de 51 Lecannella, Francesco 136 Leonhard von Chios, Erzbischof 9, 75, 105, 110, 118, 139, 149, 157, 162, 172, 183, 194, 199, 210, 212, 237, 253, 258, 260 Lomellino, Angelo 226, 236f. Lysippos 24 Mahmut Pascha 103, 191 Mameluken 241, 250f. Manuel II., Kaiser 54, 60, 146 Maria, Jungfrau, Schutzpatronin 28, 33, 80, 89, 166, 175, 178–80, 187 Maslama, General 20, 23 Melissenos (griechischer Chronist) 120, 261 „Messer an der Kehle“ 57, 60, 66–68, 74f., 81, 94f., 101, 115, 127, 256, 262 Michael der Janitschar 41, 49, 99, 105, 189 Milvische Brücke, Schlacht bei der 176 Minotto (venezianischer Bailo) 81, 108, 237 Mohammed 16f., 22, 38, 142, 187, 192, 202, 241f., 251 Mondfinsternis 178, 184 Murat I., Sultan 39, 44 Murat II., Sultan 42–50, 53–58, 91–93, 103, 127, 143f., 164
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Nestor-Iskander 105, 114, 125f., 161, 165, 167, 177, 180, 194, 202, 258, 261 Niketas Choniates 33 Nizänisches Glaubensbekenntnis 37, 71 Nikolaus I., Papst 71 Nikolaus V., Papst 67, 74, 136, 245 Notaras, Lukas (Großherzog) 109f., 133, 166f., 171, 198, 224, 231, 237f. Omar Bey 164 Omen und Prophezeiungen 13, 22, 27f., 39, 43, 62, 101, 111f., 122, 143, 166, 176–79, 196, 199, 240f., 254 Orhan, Prinz 47f., 50, 58–61, 79, 109, 200, 223f., 231 Orhan, Sultan 36f. Oruç (Chronist) 232 Osmanische Kriegsflotte, Beförderung über Land 149f., 201 Paulos Silentarios 25 Persien 16, 35, 223, 241 Prokop 13, 25, 247 Pseudo-Methodius, Apokalypse des 188 Rhangabes (griechischer Offizier) 164f., 261 Rizzo, Antonio 68f., 75, 81, 95 Rumeli Hisari 66, 81, 256 Russisch-orthodox 258 Sa’d-ud-din (osmanischer Chronist) 67, 203, 221, 246 Saladin, Sultan 30, 149, 170 „Schlacht der Masten“ 17 Schlacht von Mantzikert 31f. Scholarios, Georg (Gennadios) 74–77, 80, 193, 224, 246 Schwimmbrücke 200, 203 Seldschuken 30–32, 35 Schihabettin Pascha 48, 64 Sphrantzes, Georgios 57f., 60, 82, 106f., 111, 120, 152, 157, 203f., 224, 253, 258, 260f. Stollen, unterirdische 170f., 173, 204, 224 St. Romanos-Tor 111, 116, 122, 133, 146, 151, 161, 166–68, 209, 218, 228, 231
284
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Tafur, Pero 40 Tetaldi, Giacomo 104–06, 130, 172, 187, 225, 232, 258 Theodora (Gemahlin von Konstantin) 255 Theophanes der Bekenner 20 Thomas (Bruder von Konstantin) 55, 67f. Trapezunt, Kaiser von 57 Trevisano, Gabriel 81, 109, 154f., 166, 168, 227 Turahan Bey (osmanischer General) 68, 186 Tursun Bey (osmanischer Chronist) 99, 102, 142, 162, 234, 258 Ungarn 27, 41, 46, 49, 58, 60, 72, 94, 100, 105, 122, 167, 208, 240, 242f., 247 Urban II., Papst 32
Urban (Geschützgießer) 94f., 97f., 116f., 120–22, 252, 256f., 262 Varna, Niederlage der Christen bei (1444) 47–49, 55, 57, 136 Venezianer 15, 33f., 54, 58, 62, 68, 81, 84, 94, 106, 108f., 127, 131f., 135f., 149f., 153f., 158f., 163, 166, 175, 186, 194, 198, 200, 225f., 237, 241f., 244, 251, 259, 261 Wien, Belagerung durch die Osmanen (1683) 244 Zaganos Pascha 48, 103, 117, 145, 150f., 186, 191, 197, 252
ISBN 9783806241778 wbg BestellNr. 1024737
Der letzte Kampf um das Heilige Land
»Wenn alle Geschichtsbücher so geschrieben wären, wäre John Grisham arbeitslos.« CONTEMPORARY REVIEW DAILY MAIL
Am 18. Mai 1291 fällt die Hafenstadt Akkon, die letzte Bastion der Kreuzritter im Heiligen Land. Der Traum von einem Königreich Jerusalem unter christlicher Herrschaft stirbt in den Ruinen. Wie konnte es dazu kommen? Roger Crowley erzählt die wechselvolle Ge schichte der Kreuzzüge im 13. Jahrhundert bis zu der Belagerung von Akkon. Der Kampf um die Stadt ist dra matisch. Bis zum letzten Mann und dem letzten Turm wird er geführt. Crowley erzählt aus Sicht beider Seiten, basierend vielfach auf Augenzeugenberichten, ein schließlich bislang unübersetzter arabischer Berichte.
»Die wbg macht Wissenschaft mit anhaltendem Erfolg für ein breites Publikum zugänglich und zeichnet sich durch Sorgfalt in Herstellung und Gestaltung aus.« Aus der Würdigung der Jury unter Vorsitz von Denis Scheck zur Verleihung des Deutschen Verlagspreises an die wbg