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German Pages 298 Year 1998
FRANK LAUX
Die Lehre vom Unternehmen an sich
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 74
Die Lehre vom Unternehmen an sich Walther Rathenau und die aktienrechtliche Diskussion in der Weimarer Republik
Von
FrankLaux
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Laux,Frank:
Die Lehre vom Unternehmen an sich : Watther Rathenau und die aktienrechtliche Diskussion in der Weimarer Republik I von Frank Laux. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zur Rechtsgeschichte; H. 74) Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09234-1
Alle Rechte vorbehalten
© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-09234-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Meinen Eltern
Die innere Entwicklung der Aktiengesellschaft ist das Werk unausgleichbarer Gegensätze, die durch die politische Geschichte sowie durch die Geschichte der Wirtschaft und des Geisteslebens in sie hineingetragen weden. (Franz Klein, 1904)
Vorwort Die Arbeit wurde im Sommersemester 1997 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bietefeld als Dissertation angenommen. Betreut wurde sie von Prof. Dr. Wollschläger, dessen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Neuere Privatrechtsgeschichte ich drei Jahre als Wissenschaftlicher Mitarbeiter angehörte. Ihm weiß ich mich zu Dank verpflichtet, insbesondere für die mir gewährte Freiheit bei der Wahl und der Entfaltung der Arbeit. Aus dem Kreis derjenigen, denen ich Dank schulde für mir gewährte Unterstützung, möchte ich Dr. Bettina Griinwald, meine Frau, besonders hervorheben. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern. Kehlnbach, im April 1998
FrankLaux
Inhaltsverzeichnis Einleitung ...................................................................................................................... 19
1. Teil
Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
27
A. Wirtschaftliche Entwicklung der Aktiengesellschaft ................................................ 27 B. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Aktionär................................................ 31 I. Aktiengesellschaft und Unternehmen ................................................................... 31 II. Organe der Aktiengesellschaft ............................................................................ 34 C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft .......................... 39 I. Im Octroi-System ................................................................................................. 41 II. Im Konzessions-System ...................................................................................... 44 I. PrEisenbahnG von 1838 und PrAktG von 1843 ............................................... 44 2. ADHGB von 1861 ........................................................................................... 48 111. Im System der Normativbestimmungen ............................................................. 50 D. Zusammenfassung ..................................................................................................... 56
2. Teil
Die Lehre vom Unternehmen an sich
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A. Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich ............................................................. 61 I. Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft ................................................. 64
12
Inhaltsverzeichnis II. Konvergenz der berechtigten Interessen ............................................................. 67 I. Interessenkonvergenz in und an der Aktiengesellschaft ................................... 68 . 2. Die konvergierenden Interessen von Aktiengesellschaft, Staat und Gesellschaft....................................................................................... 71 3. Das konvergierende Interesse der Aktionäre .................................................... 73 4. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft, Verwaltung und Aktionär .................. 76 III. Ratbenaus Wirtschaftssystem und die Kriegswirtschaft .................................... 79 I. Ratbenaus Wirtschaftssystem ........................................................................... 80 a) Staatlich gelenkte Verbandswirtschaft........................................................ 81 b) Ratbenaus Philosophie und sein Wirtschaftssystem ................................... 86 2. Kriegswirtschaft................................................................................................ 90 a) Kriegsrohstoff-Abteilung ........................................................................... 91 b) Kriegsgesellschaften ................................................................................. 94
B. Weimarer Republik ................................................................................................... 99 I. Das Unternehmen und sein Interesse .................................................................... 99 I. Das Unternehmen als soziologische Einheit nach Netter................................ I 00 2. Das Unternehmen als korporative Organisation nach Geiler .......................... I 05 II. Die Aktiengesellschaft und ihr Interesse ........................................................... I 06 I. Autonomie der Aktiengesellschaft und Gesamtinteresse nach Haußmann .............................................................................................. I 07 2. Autonomie der Aktiengesellschaft und Unternehmen an sich nach Geiler...................................................................................................... 113 3. Die wirkliche Aktiengesellschaft nach Netter................................................. 115 III. Das lebende Aktienrecht .................................................................................. 116 I. Ratbenaus Verständnis von Recht .................................................................. 117
Inhaltsverzeichnis
13
2. Lebendes Aktienrecht ..................................................................................... 118 C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen ....................................................... 123 I. Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft ..................................... 124 I. Konzentration der Wirtschaft und Großunternehmen ..................................... 124 2. Machtverschiebung in der Aktiengesellschaft ................................................ 130 II. Erklärung des Strukturwandels ........................................................................ 139 I. Schutz der Aktiengesellschaft und des Unternehmens ................................... 140 2. Entdemokratisierung der Aktiengesellschaft .................................................. 144 D. Zwischenergebnis .................................................................................................... 150
3. Teil
Die Reform des Aktienrechts
157
A. Stimmrechtsaktie ..................................................................................................... 158 I. Zulässigkeit der Stimmrechtsaktie nach dem HGB ............................................ 159 II. Vorschläge zur Regelung der Stimmrechtsaktie................................................ 161 III. Rechtfertigung der Stimmrechtsaktie............................................................... 165 I. Gefahr der Überfremdung der Aktiengesellschaft .......................................... 166 2. Interesse an Kontinuität der Verwaltung ........................................................ 171 IV. Treuhandfunktion der Stimmrechtsaktie.......................................................... 174 I. Nach der Lehre vom Unternehmen an sich ..................................................... 175 2. Andere Ansätze............................................................................................... 177 a) Vor Haußmanns Schrift .,Vom Aktienwesen" .......................................... 177 b) Nach Haußmanns Schrift "Vom Aktienwesen" ....................................... 180 3. Ansichten der Gegner der Lehre vom Unternehmen an sich .......................... 185
14
Inhaltsverzeichnis
B. Die Generalklausel .................................................................................................. 193 I. Nichtigkeit und Anfechtbarkeil von Generalversammlungsbeschlüssen wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten .............................................................. 194 I. Schutz der Aktiengesellschaft und des Unternehmens ................................... 197 2. Schutz der Minderheit .................................................................................... 201 II. Das Reichsgerichts zu den Schranken der Aktionärsrechte............................... 205 I. Schädigung der Minderheit ............................................................................ 206 2. Schutz von Aktiengesellschaft und Gesellschaftsinteresse ............................. 208 III. Die Generalklausel der Kommission des 34. DJT ........................................... 216 IV. Die Treuepflicht des Aktionärs ........................................................................ 223 C. Die Gesetzentwürfe über ein neues Aktienrecht...................................................... 229 I. Die Fragebogen des Reichsjustizministeriums ................................................... 229 I. Fragen nach den Grundproblemen .................................................................. 231 2. Fragen zur Stimmrechtsaktie und Generalklausel... ........................................ 234 II. Die Entwürfe eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien ................................................................ 237 I. Programmatik der Erläuternden Bemerkungen ............................................... 238 2. Stimmrechtsaktie ............................................................................................ 242 3. Generalklausel ................................................................................................ 250 D. Zwischenergebnis .................................................................................................... 256
Inhaltsverzeichnis
15
Resümee Die Entwicklung des Aktienrechts in der Weimarer Republik
263
Quellen- und Literaturverzeichnis A. Gesetze, Entwürfe, Materialien ............................................................................... 269
B. Literatur ................................................................................................................... 273
Sachwortregister ............................................................................................,........... 296
Abkürzungsverzeichnis ADHGB ALR BA BGBI. d. Nordd. Bundes DAV DB DJT. E 1930
E 1931
E.B. EGBGB EGHGB FF. FG Fn. FS GA Gruchots Beiträge GS HdWb. Hervorh. Hg., hg. HOB JW JZ KritV Lit. LZ 2 Lau•
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Bankarchiv, Zeitschrift für Bank- und Börsenwesen Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Deutscher Juristentag Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Entwurf eines Einführungsgesetzes nebst erläuternden Bemerkungen, veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium, Berlin 1930 Amtlicher Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Entwurf eines Einführungsgesetzes, veröffentlicht auf Anordnung des Reichsjustizministeriums, Berlin 1931 Erläutemde(n) Bemerkungen Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuche französische Franc Festgabe Fußnote Festschrift Gesamtausgabe Gruchots Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts Gesammelte Schriften Handwörterbuch Hervorhebung Herausgeber, herausgegeben Handelsgesetzbuch Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Literatur Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
18
Abkürzungsverzeichnis
MEGA Mk. 0.
J.
p. PrAktG PrEG zum ADHGB PrEisenbahnG PrGAG
RGZE RM. ROHGE ZBH ZGR ZHR ZNR SZGerm
Kar! Marx Friedrich Engels Gesamtausgabe Mark ohne Jahr page Preußisches Gesetz über die Aktiengesellschaften Einführungs-Gesetz zum Allgemeinen Deutschen HandelsGesetzbuche für das Königreich Preußen vom 24. Juni 1861 Preußisches Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen Preußisches Gesetz über die Aktiengesellschaften, bei welchen der Gegenstand des Unternehmens nicht in Handelsgeschäften besteht. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Reichsmark Entscheidungen des Reichsoberhandelsgericht Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung
Einleitung Die Lehre vom Unternehmen an sich hat seit Gründung der Bundesrepublik eine widersprüchliche Behandlung erfahren. Zwar wird ihr maßgebende Bedeutung fiir die Diskussion aktienrechtlicher Probleme während der Weimarer Republik zugesprochen'. Doch ist weder sie selbst noch ihre Rolle in der Entwicklung des Aktienrechts der Weimarer Republik tiefergehend analysiert worden. Regelmäßig wird sie in nur wenigen Zeilen oder Absätzen abgehandelf, was auch mit ihrer angeblich fehlenden Relevanz fiir heutige Problemlösungen begründet wird3• Auch die jüngsten Versuche, das Unternehmen an sich im Rahmen einer systemtheoretischen Erklärung des Beziehungsgeflechts Unternehmen-Aktiengesellschaft-Aktionär fruchtbar zu machen4, abstrahieren nahezu vollständig von ihrer Diskussion in der Weimarer Republik. Sie teilt insofern das Schicksal der Literatur zur Reform des Aktienrechts am Ende der Weimarer Republik, die zwar in einer außerordentlichen Fülle bestand, die manchen Zeitgenossen nur noch schwer überschaubar erschien5, bislang jedoch auffallend zurückhaltend behandelt worden ist, soweit die Arbeiten sich nicht auf die Behandlung einzelner Problemen6 beschränken7• In der Diskussion aktueller Probleme des Aktienrechts hat die Lehre vom Unternehmen an sich bislang die Rolle eines Enfant terrible gespielt. Gegen sie Kühler, Gesellschaftsrecht, 4 1994, S. 160 Fn. 28. S. nur Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 132-136; für das rechtshistoriographische Schrifttum K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 110 f. 3 So meint Zöllner, Stimmrechtsmacht, 1963, S. 68, daß sich die Darstellung der "Entwicklung und Ausprägung der Theorie vom 'Unternehmen an sich' in den Einzelheiten" heute nicht mehr lohne; ebenso Jürgenmeyer, Unternehmensinteresse, 1984, S. 53. 4 Vgl. Teubner, in: ZHR 148 (1984), S. 470, passim; ders., in: KritV 1987, S. 61, passim, ein ausdrücklicher Hinweis auf das Unternehmen an sich findet sich aufS. 82. 5 Netter, in: ZBH 1930, S. 290, hatte den Eindruck, daß die Literatur in Form von Monographien, Zeitschriften- und Zeitungsaufsätzen nur schwer, "wenn nicht unmöglich" zu überblicken sei. 6 Etwa Meyer im Hagen, Geschäftsbericht und Jahresabschluß, 1988. 7 Schubert, in: Schubert I Hornmethoff (Hg.), Aktienrechtsreform, 1987, S. 9, 25 Fn. 77; eine neuere zusammenfassende Darstellung gibt K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 107 ff. 1
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Einleitung
wurde und wird der Vorwwf inhaltlicher Beliebigkeil erhoben8 und der Verdacht der Ideologie ausgesprochen9, was sie zum "Schreckgespenst juristischer Dogmatik im Unternehmensrecht bis heute" werden ließ 10• Gemeinhin wird sie mit dem Versuch in Verbindung gebracht, die Verwaltung 11 der Aktiengesellschaft von ihrer Verantwortung gegenüber den Aktionären und der Generalversammlung zu lösen. Sie habe der ,,Zurückdrängung des Einflusses und der Ansprüche der Aktionäre" gedient12 • Wenn darüberhinaus auch die Bindung der Aktiengesellschaft an das gemeine Wohl und die Anerkennung eines Eigenwertes des Unternehmens genannt werden, dann regelmäßig unter dem Blickwinkel der Stärkung der Verwaltung 13, da sie Trägerio des Eigeninteresse des Unternehmens sei 14• Dennoch fmdet die Lehre vom Unternehmen an sich vor allem in der Auseinandersetzung um das Unternehmensinteresse eine außerordentlich zahlreiche Erwähnung und taucht neuerdings im Zusammenhang mit dem Problem der Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat und dem der Befähigung des Aufsichtsrats zur Erfüllung seiner gesetzlich vor8 In diesem Sinne etwa Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 134; Zöllner, Stimmrechtsmacht, 1963, S. 67 f; K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 110 f.; und schon Haußmann, in: BA XXX (1930 I 31), S. 57,86 (59). 9 Kühler, Gesellschaftsrecht, 4 1994, S. 160 Fn. 28; Flume, in: FS f. Beitzke, 1979, S. 43,46 u. 47; ders., Diejuristische Person, 1983, S. 37 u. S. 39, der sie auch als "Formel" und einer dieser entsprechenden "Lehre" bezeichnet; Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 38; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Recht der Aktionäre, 1958, S. 14 f., der auch die Bezeichnung "Lehre" gebraucht. Nach K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 106, handelt es sich um eine "Idee"; Zöllner, Stimmrechtsmacht, 1963, S. 68, hingegen spricht von einer "Theorie". Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, z. B. S. 42, verwendete neben den Bezeichnungen "Lehre" und "Theorie" auch "Schlagwort". 10 Raiser, in: FS f. R. Schmidt, 1976, S. 101, 119. Teubner, in: ZHR 148 (1984), S. 470, meint: ,,An sich gehört das 'Unternehmen an sich' in das Gruselkabinett der Rechtsfiguren." 11 Verwaltung wird als übergeordnete Bezeichnung für das Leitungsorgan der Gesellschaft verwendet. Diese Funktion oblag zwar grundsätzlich nach § 231 HGB v~n 1897 dem Vorstand, während dem Aufsichtsrat nach § 246 Abs. I Satz 2 HGB die Uberwachung dessen Tätigkeit zukam. Nach § 246 Abs. 3 HGB jedoch war die Delegation von Geschäftsführungsaufgaben an den Aufsichtsrat möglich, wodurch dieser zu einem verwaltenden Aufsichtsrat wurde. Davon wurde nach den Untersuchungen des EnqueteAusschusses schon vor dem ersten Weltkrieg und vermehrt danach Gebrauch gemacht (Enquete, Generalbericht, 1930, S. 51 u. 54 f.; s. auch Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, s. 1). 12 S. nur Kühler, Gesellschaftsrecht, 4 1994, S. 160 Fn. 28. 13 Flume, in: FS f. Beitzke, 1979, S. 43, 46; ders., Die juristische Person, 1983, S. 38; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 302, in Bezug auf Rathenaus Ausführungen. 14 Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 13 f.; C. E. Fischer, in: AcP 154 (1955), S. 85, 103 ff.
Einleitung
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geschriebenen Aufgaben sogar wieder in Massenmedien auf' 5• Dariiberhinaus wurde das "Unternehmen an sich" vom damaligen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Müller anläßtich des ,,Mitbestimmungsurteils" des Bundesverfassungsgerichts sogar als im geltenden Recht anerkannt betrachtet 16• Die Anziehungskraft der Lehre vom Unternehmen an sich scheint trotz aller Kritik und Schmähungen ungebrochen 17 • Vor allem die Bewertung der Lehre vom Unternehmen an sich als Ideologie deutet auf die Bedingungen ihrer Entstehung lind Diskussion und unterstellt ihre Determiniertheit von ihnen in einem Maße, die ihre weitgehende Vernachlässigung gerechtfertigt erscheinen läßt. Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre setzte mit der Diskussion der Lehre vom Unternehmen an sich auch eine erneute wirtschaftliche Destabilisierung ein, die sich u. a. 1931 zu einer großen Bankenkrise18 auswuchs, in deren Folge die Darmstädter und Nationalbank (Danatbank) und die Dresdner Bank, nach der Deutschen Bank mit die größten Privatbanken, nur durch massive Unterstützung des Reichs vor dem Konkurs bewahrt werden konnten. Im Gefolge der wirtschaftlichen Krise geriet auch das parlamentarische System in existenzbedrohende Probleme 19, deren Lösung mit Hilfe von Präsidialkabinetten versucht wurde. Die Kritik am parlamentarisch-demokratischen Staat und der individualistisch-liberalistischen Gesellschaft wurde allgemein20 • Nach der allumfassenden Katastrophe des ersten Weltkrieges waren die ehemals sinnstiftenden und die Gesellschaft konstituierenden ethischen und moralischen Werte und Überzeugungen des 19. Jahrhunderts für viele diskreditiert. Der ihnen entsprechende politische und wirtschaftliche Liberalismus, der sich im Streben nach Individualisierung und Selbstverwirklichung auszeichnete, schien den Anforderungen der Zeit nicht mehr zu genügen. Das Heil wurde gesucht in der Ausrichtung des Einzelnen an
W. Engels, in: Wirtschaftswoche, Nr. 8, 1994, S. 118. G. Müller, in: DB 1979, Beilage Nr. 5 I 79, S. I, II . 17 Nach Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 30, handelt es sich um ein damals wie heute "modernes" Schlagwort. IR Zu ihr neuestens Feldmann, in: Deutsche Bank, hg. v. Gall u. a., 1995, S. 138, 293 ff. 19 Nach Winkler, Weimar 1918-1933, 1993, S. 416 f., erschütterte die Bankenkrise das Vertrauen der Bevölkerung, die in Panik ihr Geld von den Banken abhob, in das kapitalistische Wirtschaftssytem mehr als alle marxistische und sozialistische Propaganda; vgl. auch Nickel, Einfluß wirtschaftlicher Vorgänge, 1935, S. I 02 ff. 20 Vgl. aus zeitgenössischer Perspektive Kelsen, Verteidigung der Demokratie (1932), in: Demokratie und Sozialismus, 1967, S. 60, passim. 15
16
22
Einleitung
idealisierten Gemeinschaften. Dem entsprach die Zuriickdrängung seiner Rechte zu Gunsten der Gemeinschaff 1• Die Koinzidenz der wirtschaftlichen und politischen Destabilisierung mit der Diskussion um die Lehre vom Unternehmen an sich erschien schon damals nicht nur zufallig zu sein. Nußbaum (Professor in Berlin) meinte 1931, daß die Entstehung der Lehre vom Unternehmen an sich nur unter solchen Umständen möglich gewesen sei, denn ,.nie hätte die Lehre vom 'Unternehmen an sich' in einer Zeit blühender Wirtschaft und regerEmissionenaufkommen können. Sie ist das typische Produkt eines Zeitalters der Auflösung und Zusammenlegungeine aktienrechtliche Untergangsphilosophie."22 Obgleich die Verbindungen mit dem geistes-, kultur-, wirtschafts- und politikgeschichtlichen Hintergrund reizvoll sind, konnten sie nicht eigens untersucht werden. Dies gilt auch fiir die sozialpolitischen Forderungen, die insbesondere von Seiten der Gewerkschaften mit dem Unternehmen an sich verbunden wurden. Die vorliegende Arbeit versucht die Begrundung der Lehre vom Unternehmen an sich durch Walther Rathenau und ihre Entwicklung und Diskussion in der Weimarer Republik aufzuarbeiten. Dazu werden vorbereitend im I. Teil die Grundzüge der wirtschaftlichen Entwicklung der Aktiengesellschaft bis um die Jahrhundertwende dargestellt und das Verhältnis der Aktiengesellschaft zum Aktionär einerseits und zum Staat und der Gesellschaft andererseits untersucht. Erforderlich ist die Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung der Aktiengesellschaft deswegen, weil ein wesentliches Element der Lehre vom Unternehmen an sich der Bezug auf eben diese Entwicklung und ihre Folgen fiir die Aktiengesellschaft und ihr Recht ist. Die Klärung der Beziehung der Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende zum Aktionär einerseits und zum Staat und der Gesellschaft andererseits ist notwendig, weil sowohl der Lehre vom Unternehmen an sich als auch der Diskussion einzelner Probleme des Aktienrechts in der Weimarer Republik die Bewertung der Veränderungen dieser Verhältnisse meinungsbildend zu Grunde lag. Ohne die Klärung der Ausgangssituation um die Jahrhundertwende ist eine hinreichende Analyse der Lehre vom Unternehmen an sich und ihrer Diskussion in der Entwicklung des Aktienrechts während der Weimarer Republik nicht möglich. Die Untersuchung der Begrundung der Lehre vom Unternehmen an sich und ihrer Entwicklung und Diskussion in der Weimarer Republik erfolgt in zwei Stufen. Das resultiert daraus, daß mit der Lehre vom Unternehmen an sich nicht 21 Zur Entwicklung des Gemeinschaftsgedankens seit 1914 zusammenfassend u. m. w. Nachw. Stolleis, 'Recht im Unrecht, 1994, S. 97 f. 22 Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, s. 492,502.
Einleitung
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fiir ein spezielles aktienrechtliches Problem eine Lösung geboten werden sollte, sondern versucht wurde, die Aktiengesellschaft und ihr Recht neu zu erklären, was dann allerdings auf die Lösung einzelner aktienrechtlicher Probleme ausstrahlen sollte. Mit ihr und gegen sie wurde daher in den verschiedensten Bereichen des Aktienrechts argumentiert. Demgemäß werden im 2. Teil der Arbeit die Lehre vom Unternehmen an sich und ihre Diskussion zunächst in ihrem Bezug auf die Aktiengesellschaft und ihr Recht grundsätzlich untersucht. In Gestalt ihrer Auswirkungen auf einzelne, fiir die Reform des Aktienrechts beispielhafter Problembereiche des Aktienrechts werden sie im 3. Teil behandelt. Mit ihm wird nicht in erster Linie ein Beitrag zur Aufarbeitung der Reform des Aktienrechts und ihrer Diskussion in der Weimarer Republik bezweckt. Dennoch wird der Anspruch erhoben, deren wesentliches Thema abzuhandeln. Es bestand in der Frage nach der Anerkennung der Schutzbedürftigkeit von Unternehmen und Aktiengesellschaft und deren eigenen, von denen der Aktionäre unvermittelten Interessen, die in der Lehre vom Unternehmen an sich eine neue, fiir die Reform ausschlaggebende Antwort erhielt. In der Arbeit wird nicht gesondert der Frage nachgegangen, ob die Lehre vom Unternehmen an sich in Gestalt ihrer Ausarbeitung während der Weimarer Republik Vorläufer hatte, etwa in den Lehren 0. v. Gierkes, und wie sie sich zur Lehre von der juristischen Person verhielt. Das würde der Eigenheit ihrer Diskussion in der Weimarer Republik auch nicht gerecht. Weder Vertreter noch Kritiker der Lehre vom Unternehmen an sich nahmen Bezug auf tradierte Lehren oder Theorien. Mag dies auch zu einem guten Teil der Tatsache geschuldet sein, daß die Diskussion fast ausschließlich von Praktikern gefiihrt wurde, ist doch vorrangig, daß es dem erkenntnistheoretischen Verständnis ihrer Vertreter widersprochen hätte, die durch die Lehre vom Unternehmen an sich versuchten, eine Beschreibung der tatsächlich bestehenden Aktiengesellschaft zu geben, die einzig von deren tatsächlichen Gegebenheiten ausgehen und nicht auf theoretischen Vorüberlegungen beruhen sollte. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung erstreckt sich auf die Zeit von der Veröffentlichung der Rathenauschen Schrift »Vom Aktienwesen« 1917 bis zum Ende der Weimarer Republik23 • Sowohl ihre Vertreter als auch ihre Kritiker sahen in der Rathenauschen Schrift die Grundlegung der Lehre vom Unternehmen an sich. Ihre eigentliche Diskussion fallt in die Zeit nach Erscheinen des Haußmannschen Buchs »Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht« 1928 bis zum Ende der Weimarer Republik.
23 Zur Periodisierung allgemein und der Weimarer Zeit als Periode der Privatrechtsgeschichte s. K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 240 ff.
24
Einleitung
Die Zeit des Nationalsozialismus wird nicht berücksichtigt. Unerörtert bleibt deswegen, ob das Gesetz über Aktiengesellschaften von 1937, vor allem dessen § 70 Abs. 124 und § 101 Abs. 12\ von ihr beeinflußt sind26• Diese Frage kann nicht ohne eine Untersuchung des Einflusses der NS-Ideologie auf das Aktiengesetz von 1937 beantwortet werden, die in dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Die Aussparung der Zeit des Nationalsozialismus resultiert auch daraus, daß die Diskussion der Lehre vom Unternehmen an sich in ihr nicht fortgesetzt wurde. Das mag vor allem daran gelegen haben, daß die Lehre vom Unternehmen an sich in der damaligen Auffassung eng mit Rathenau verbunden war, der der jüdischen Religionsgemeinschaft zugehörig war. Schließlich soll hier noch ein Spezifikum der Diskussion der Lehre vom Unternehmen an sich in der Weimarer Republik erwähnt werden. Sowohl die Vertreter der Lehre vom Unternehmen an sich als auch ihre Kritiker setzten sich vornehmlich aus Vertretern der Praxis, insbesondere aus Rechtsanwälten zusammen. Schon 1929 meinte Welter, Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Zeitung, daß die "Verwaltungsjuristen", gemeint waren die die Aktiengesellschaften beratenden Rechtsanwälte, die wissenschaftliche Literatur beherrschten27 • Anwälte spielten in der Diskussion des Aktienrechts eine hervorragende Rolle28 • Sie verkörperten "den qualiftzierten rechtspraktischen Sachverstand der damaligen Zeit in herausragender Weise"29 • Der Einschätzung Hommelhoffs jedoch, daß sie regulierend und ausgleichend auf die Diskussion einwirkten, indem sie die schädlichen Auswirkungen vorhersahen, die überzogene Regelungsvorschläge auf die Praxis der Aktiengesellschaften haben mußten, und es immer wieder verstanden hätten, den Weg praktischer Vernunft zu weisen, ohne sich
24 "Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern." (Hervorh. hinzugefügt). 25 "Wer zu dem Zwecke, für sich oder einen anderen gesellschaftsfremde Sondervorteile zu erlangen, vorsätzlich unter Ausnutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet." 26 Bergmann, in: ZHR 105 (1938), S. I, 6, meinte apodiktisch, daß dem nationalsozialistischen Recht und der Ausprägung der Generalklausel in § I 0 I AktG von 193 7 nicht das "'Unternehmen an sich"' zu Grunde liege. 27 Weiter, Erneuerung des Aktienrechts, 1929, S. 10; ebenso Nord, in: ZBH 1931, s. 223. 2 ~ Hommelhoff, in: Schubert I Hommelhoff (Hg.), Aktienrechtsreform, 1987, S. 71, 96 f. 29 Hommelhoff, in: Schubert I Hommelhoff (Hg.), Aktienrechtsreform, 1987, S. 71, 96 f.
Einleitung
25
jedoch kritiklos einseitige Praxisstandpunkte anzueignen30, kann nicht zugestimmt werden. Sie trifft sicherlich auf einige der Anwälte und insbesondere auf deren prominentesten Vertreter, Max Hachenburg, zu31 • Andererseits kamen gerade die extremen Vorschläge, sowohl hinsichtlich der Lehre vom Unternehmen an sich als auch in Richtung auf eine Wiederherstellung der Aktiendemokratie, auch von Anwälten. Vor diesem Hintergrund wird der zur Zeit ihrer Äußerungen jeweils ausgeübte Beruf der im Text genannten Autoren mit angegeben, soweit er ermittelt werden konnte32•
30
97.
Hommelhoff, in: Schubert I Hommelhoff (Hg.), Aktienrechtsrefonn, 1987, S. 71 ,
31 Hachenburg flihrte in drei flir die Refonn des Aktienrechts maßgeblichen Kommissionen den Vorsitz: in der durch den 34. DJT eingesetzten Kommission zur Prüfung einer Refonn des Aktienrechts; in dem Ausschuß des DA V zur Beantwortung der Fragen des Reichsjustizminsteriums zur Aktienrechtsreform und im Aktienrechtsausschuß des vorläufigen Reichswirtschaftsrat Zu Hachenburg und seiner. Rolle in der Diskussion der Reform des Rechts der Aktiengesellschaft s. Schilling, in: Schubert I Hommelhoff (Hg.), Aktienrechtsreform, 1987, S. I ff. 32 Dabei bezieht sich "Professor" auf eine Tätigkeit als Rechtslehrer. Die von Rechtsanwälten mit ausgeübte Tätigkeit als Notar wird nicht ausgewiesen.
I. Teil
Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende A. Wirtschaftliche Entwicklung der Aktiengesellschaft Die Grundzüge der wirtschaftlichen Entwicklung der Aktiengesellschaften bis um die Jahrhundertwende werden an zwei Entwicklungstendenzen dargestellt. Einmal an der Entwicklung der Aktiengesellschaftsgründungen und dann an der Veränderung des Erscheinungsbildes der Aktiengesellschaft vom Sozienzum Großunternehmen. Beide spielen für die Lehre vom Unternehmen an sich und die Entwicklung des Aktienrechts in der Weimarer Republik eine hervorragende Rolle. Zur wirtschaftlichen Entwicklung der Aktiengesellschaften und insbesondere der Eisenbahn-Aktiengesellschaften während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegen nur unvollständige und nicht immer zuverlässige statistische Angaben vor. 1907 begann das Statistische Reichsamt mit Veröffentlichungen über Aktiengesellschaften, für die es zunächst noch auf Zahlen aus privaten Quellen Rückgriff nahm. Erstmalig wurde von ihm für den 30. September 1909 eine Erhebung über den Bestand an Aktiengesellschaften vorgenommen, die auf Angaben der Registergerichte beruhte 1• Die Zahlenangaben in der Literatur weichen demgemäß für die Zeit des 19. Jahrhunderts zum Teil nicht unerheblich voneinander ab. Für den hier allein interessierenden Trend in der Entwicklung des Aktiengesellschaftswesens können diese Differenzen weitgehend unbeachtet bleiben. In der Literatur wird für die Zeit bis 1850 von wenig mehr als l 00 Aktiengesellschaftsgründungen in Preußen ausgegangen. Zwischen 1851 bis 1870 soll die Zahl der Gründungen dann schon auf ca. 300 gestiegen sein. Insgesamt
1 Passow, Aktiengesellschaft, 2 1922, S. 14; M~Jl, HdWb. d. Staatswissenschaften, I. Bd., 4 1923, S. 141 ff., ders. gibt dort auch einen Uberblick über die Entwicklung der statistischen Erhebungen die Aktiengesellschaften betreffend.
28
I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
seien in Preußen bis 1870 454 Aktiengesellschaften gegriindet worden2• Die Entwicklung des Aktiengesellschaftswesens wurde vor allem beeinflußt durch den Eisenbahnbau, der mit der Gründung der ersten Eisenbahn-Aktiengesellschaft, der Prinz-Wilhelm-Bahngesellschaft von 18283, zur Mitte des Jahrhunderts verstärkt einsetzte. Die Aktiengesellschaftsform hatte sich als die geeignetste erwiesen, um die großen Kapitalien zu bilden, die erforderlich waren, um die Vorhaben des Eisenbahnbaus zu verwirklichen4 • Schon 1845 hatten in Preußen Eisenbahn-Aktiengesellschaften einen Anteil am Nominalkapital aller Aktiengesellschaften von ca. 80%5• Noch 1850 enthielt der Kurszettel der Berliner Börse nur Aktien von Eisenbahn-Aktiengesellschaften6 • In der Zeit von 1800 bis 1850 wurden lediglich 80 Aktiengesellschaften gegründet, die nicht Eisenbahn-Aktiengesellschaften waren7 • Die Aktien der Gesellschaften befanden sich zumeist fest in den Händen einiger privater Anleger, die oft auch Gründer der Gesellschaften waren8 • Nach dem deutsch-französischen Krieg und der Reichsgründung 1870 I 71 bis hin zum Kriegsausbruch 1914 befand sich das Deutsche Reich in einer Pha-
2 Engel, in: Zeitschrift d. Königlich Preussischen Statistischen Bureaus, 1875, S. 449, 467; vgl. Pross, Manager und Aktionäre in Deutschland, 1965, S. 47, der auf Moll, HdWb. d. Staatswissenschaften, I. Bd., 4 1923, S. 141, 155, verweist, welcherwiederum auf die Berechnungen von Engel, in: Zeitschrift d. Königlich Preussischen Statistischen Bureaus, 1875, S. 449, 467, Bezug nahm. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3. Bd., 1849-1914, 1995, S. 81, gibt für die Zeit von 1851 bis Mitte 1870 die Gründung von 295 Aktiengesellschaften an. Nach Landwehr, in: SZGerm 99 (1982), S. I, 2, wurden in der Zeit von 1800 bis 1870 in Preußen 418 Aktiengesellschaften gegründet. 3 Bösse1mann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 86. 4 K. Marx, Das Kapital, I. Bd. (4 1890), MEGA II. Abt./ Bd. I 0, 1991 , S. 563: ,.Die Welt wäre noch ohne Eisenbahnen, hätte sie solange warten müssen, bis die Akkumulation einige Einzelkapitale dahin gebracht hätte dem Bau einer Eisenbahn gewachsen zu sein. Die Centralisation dagegen hat dieß, vermittelst der Aktiengesellschaften, im Handumdrehen fertiggebracht" 5 Reich, in: Jus Commune, Bd. II, 1969, S. 239, 249; Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 200. 6 Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 30. 7 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3. Bd., 1849-1914, 1995, S. 81. Vgl. Landwehr, in: SZGerm 99 (1982), S. I, 2, nach dem sich unter den in der Zeit von 1800 bis 1870 in Preußen gegründeten 4 I 8 Aktiengesellschaften 48 Eisenbahngesellschaften befanden. Eine nach dem Gesellschaftszweck gegliederte Aufstellung der Aktiengesellschaften und Nachweise von Fundstellen für die Statuten der von ihm untersuchten Aktiengesellschaften gibt Landwehr, in: SZGerm 99 ( 1982), S. I, I 04 ff. K Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 100.
A. Wirtschaftliche Entwicklung der Aktiengesellschaft
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se der Hochindustrialisierung9, in der es sich endgültig von einem Agrar- zu einem Industriestaat wandelte 10• In den ersten Jahren nach der Reichsgründung stieg die Zahl der Aktiengesellschaftsgründungen sprunghaft. Die Zahlenangaben in der Literatur weichen allerdings nicht unerheblich voneinander ab. Nach Henning wurden allein während der Zeit von 1870 bis 1873 mehr als 500 Aktiengesellschaften mit einem Nominalkapital von 2,9 Milliarden Mk. gegriindet11 • Dagegen meint Wehler, daß in der Zeit von 1871 bis 1873 928 neue Aktiengesellschaften mit einem Gesamtkapital von 2,81 Milliarden Mk. gegründet worden seien12• Engel gibt fiir die Zeit vom l. Juli 1870 bis Ende 1874 fiir Preußen 857 Gründungen von Aktiengesellschaften an13• Bis 1902 ist von einem Anstieg der Zahl der Aktiengesellschaften auf 5.186 mit einem Nominalkapital von 11.968,33 Millionen Mk. auszugehen14• Prägend fiir das Bild der Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende waren die großen Aktiengesellschaften oder Großuntemehmen15• Das läßt sich zeigen 9 Zum Problern der Periodisierung und der Bezeichnung "Industrialisierung" oder "industrielle Revolution" s. Kiesewetter, Industrielle Revolution in Deutschland, 1989, S. 13 ff. m. w. Nachw. 10 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3. Bd., 1849-1914, 1995, S. 618 f.; Nipperdey, Deutsche Geschichte. 1866-1918, I. Bd., 3 1993, S. 268 ff.; Henning, Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, ~1993, S. 205; Horn, in: Horn I Kocka (Hg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 123, 124; Sombart, Der moderne Kapitalismus, 3. Bd. I 2. Hlbd. ( 1902), 1955, S. 951 ff. Dieser Prozeß war in politische, soziale und technische Entwicklungen eingebettet, die insgesamt als Revolutionen bewertet werden, Kiesewetter, Industrielle Revolution in Deutschland, 1989, S. 13; vgl. Henning, Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, 8 1993, S. 205. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3. Bd., 1849-1914, 1995, S. 3 ff. u. passim, spricht von der "deutschen Doppelrevolution" in Bezug auf eine industrielle und eine politische Revolution. 11 Henning, Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, ~ 1993, S. 210. 12 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3. Bd., 1849-1914, 1995, S. 83. 13 Engel, in: Zeitschrift d. Königlich Preussischen Statistischen Bureaus, 1875, s. 449,467. 14 Moll, HdWb. d. Staatswissenschaften, I. Bd., 4 1923, S. 141, 149; Wagner, in: Hdb. der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 3. Bd. I 3. Teilbd., hg. v. Coing, 1986, S. 2969, 3011, gibt "rund 5.000" Aktiengesellschaften für die Zeit "um 1900" an. 15 Die typische Aktiengesellschaft an der Jahrhundertwende ist oft als Großunternehmen bezeichnet worden und das Aktienrecht als das der Großunternehmen (Für die Weimarer Zeit s. nur Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, 1930, S. I; in der neueren rechtswiss. Lit.: Wiedernann, Gesellschaftsrecht, Bd.l, 1980, S. 319.) Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3. Bd., 1849- 1914, 1995, S. 627, meint, daß 1887 und auch 1907 vier Fünftel "der größten Unternehmen" als Aktiengesellschaften organisiert waren, deren Entstehung nach Kocka, Unternehmer in der deutschen Industrialisierung, 1975, S. 89 ff., charakteristisch für diese Industrialisierungsphase gewesen sein soll.
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
am Anteil von Großunternehmen am gesamten Nominalkapital aller Aktiengesellschaften. Nach Berechnungen von Passow 16 hatten 1904 Aktiengesellschaften mit einem Nominalkapital von jeweils mehr als 40 Millionen Mk. einen Anteil an der Gesamtzahl der Aktiengesellschaften von lediglich 0,9% (41 Gesellschaften), jedoch einen Anteil am Nominalkapital aller Aktiengesellschaften von rd. 22%. Aktiengesellschaften mit einem Nominalkapital von jeweils mehr als 20 Millionen Mk. (89 Gesellschaften) hatten einen Anteil an der Gesamtzahl der Aktiengesellschaften von rd. 2% und machten rd. 33% des Nominalkapitals aller Aktiengesellschaften aus. Demgegenüber hatten Gesellschaften mit einem Nominalkapital von unter 1. Millionen Mk. einen Anteil an der Gesamtzahl der Aktiengesellschaften von rd. 49%, aber lediglich rd. 8% am gesamten Nominalkapital aller Aktiengesellschaften. Das durchschnittliche Nominalkapital der Aktiengesellschaften betrug 2,44 Millionen Mk., also mehr als das zweifache des Nominalkapitals annähernd der Hälfte der Aktiengesellschaften. An den aufgezeigten Entwicklungstendenzen des Aktiengesellschaftswesen bis um die Jahrhundertwende läßt sich die gesteigerte Bedeutung der Aktiengesellschaften fiir die Wirtschaft und damit auch fiir den Staat und die Gesellschaft erkennen. Dadurch, daß sich die Aktiengesellschaftsform als die geeignetste erwies, um die im Zuge der Hochindustrialisierung durchgefiihrten kapitalintensiven Vorhaben zu verwirklichen, erfuhr das Aktiengesellschaftswesen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen rasanten Aufschwung. In dessen Gefolge wurde die Aktiengesellschaftsform zur typischen Organisationsform fiir Großunternehmen, die in dieser Form bis dahin unbekannt waren. Die besondere Bedeutung der Großunternehmen fiir die Wirtschaft und dadurch auch fiir den Staat hob die Aktiengesellschaftsform von den sonstigen Gesellschaftsformen ab. Inwieweit sich dies um die Jahrhundertwende in der BewerReich, in: Horn I Kocka (Hg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 255, 263 f., stellt fest, daß durch die erhöhten Anforderungen an die Aktiengesellschaftsgründung durch die 2. Novelle zum ADHGB von 1884, es "gleichsam gesetzlich festgeschrieben [wurde], daß die Aktiengesellschaft die typische Rechtsform der Großunternehmen ist und eigentlich nur von ihnen bewältigt und in Anspruch genommen werden kann." Die Untersuchungen von Kocka u. Siegrist, in: Horn I Kocka (Hg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 55, 80 f., zu den Rechtsformen der 100 größten deutschen Industrieunternehmen fiir 1887 und 1907 scheinen dies zu bestätigen. Die erforderlichen quantitativen und qualitativen Kriterien zur Erklärung des Begriffs Großunternehmen sind jedoch noch nicht ausreichend präzisiert (vgl. den Versuch von Kocka u. Siegrist, Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 55, 59 ff.). Die Bezeichnung Großunternehmen wird im folgenden daher im Sinne von größten Unternehmen gebraucht. 16 Die folgenden Zahlen sind entweder zitiert nach Passow, Aktiengesellschaft, 2 1922, S. 32, oder sind Berechnungen auf Grund der von ihm gegebenen Zahlen.
B. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Aktionär
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tung und den rechtlichen Regelungen des Verhältnisses der Aktiengesellschaft zum Aktionär und zum Staat niederschlug, ist nunmehr zu untersuchen.
B. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Aktionär
I. Aktiengesellschaft und Unternehmen Allgemein wurde in der Literatur an der Jahrhundertwende angenommen, daß die Aktiengesellschaft zwar "ein besonderes Lebewesen" darstelle, welches aber nur durch und für die Aktionäre bestehe 17• Auch das Reichsgericht ging davon aus, daß die Aktiengesellschaft kein "selbstnütziges Vermögenssubjekt" war, sondern die Bestimmung habe, für die Aktionäre zu arbeiten 18 . Zweck der Aktiengesellschaft war danach, was die Gründer und Aktionäre in der Satzung als Zweck defmierten 19. Dieser Einschätzung der Bedeutung und Funktion der Aktiengesellschaft steht nicht entgegen, daß ihr im Innenverhältnis eine gewisse Selbständigkeit zugesprochen wurde, die sich etwa in ihrer Befugnis ausdrücke, ihre Satzung in bestimmten Punkten verbindlich für die Aktionäre verändern zu können. Nach überwiegender Meinung in Literatur und Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts20 besaß sie diese Kompetenz21 , weil ihr insoweit eine Autonomie zukomme, als sie die Fähigkeit habe, "durch regelmäßig mit Mehrheit der Mitglieder ergehende Beschlüsse, den Kreis ihrer Angelegenheiten in einer für die Mitglieder verbindlichen Weise zu ordnen.'m Diese Autonomie beruhte jedoch darauf, daß die Aktiengesellschaft durch ihre Aktionäre ermächtigt wurde, innerhalb festgelegter Grenzen im Innenverhältnis Regeln erlassen zu können. Sie stand unter der Voraussetzung, daß die Aktiengesellschaft "den Mitgliedern nicht als fremdes Rechtsindividuum gegenübersteht, sondern mit der sich ver17 K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. I (1898), 1964, S. 243; so auch R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 40. 18 Urt. des I. Zivilsenats v. 30. November 1904; RGZE 59, S. 423, 425. 19 R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 341. 20 Sen. 1., Urt. v. 26. Oktober 1875, ROH GE 20, S. 43 f. 21 Nachweis des Meinungsstandes bei R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 337 f. 22 K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. 2 ( 1904), 1964, S. 13.
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
fassungsmäßig betätigenden Gesamtheit der Mitglieder zusammenfällt." 23 Vor diesem Hintergrund war es nicht möglich, eine Eigenständigkeil der Aktiengesellschaft und des Unternehmens in Form von eigenen Interessen oder einer von den Aktionären unvermittelten Schutzbedürftigkeit anzuerkennen. Daraus resultierte folgerichtig, daß grundsätzlich die Rechtsausübung der Aktionäre allein durch die Satzung der Aktiengesellschaft und das kodifizierte Recht beschränkt war4 • Darüberhinaus wurde eine Begrenzung der Rechte der Aktionäre durch den Gesellschaftszweck angenommen. Grundlage dafür war die Unterscheidung der Rechte der Aktionäre nach selbstnützigen und gemeinnützigen. Angenommen wurde, daß dem Aktionär Rechte zustehen, die er im Interesse der Gesellschaft besitzt und ausübt. Deren Beschränkung wurde jedoch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von eigenen und unvermittelten Interessen der Aktiengesellschaft problematisierf5• Vielmehr wurde davon ausgegangen, daß Rechte und Pflichten der Aktionäre aus dem Zweck der Aktiengesellschaft resultieren. Die Rechte, die den Aktionären im Interesse der Gesellschaft zustünden, seien in ihrer Ausübung durch die Verbindlichkeit des gemeinsamen Zwecks eingeschränkf6 • Zu ihnen wurden auch die Minderheitenrechte gezählt, wie etwa das Recht auf Erhebung von Anfechtungs- und Minderheitenklagen nach§§ 271 ff., 268, 269 HGB und die Bestellung von Revisoren nach§§ 266, 267 HGB. Von diesen durch den gemeinsamen Zweck eingeschränkten Rechten seien solche zu unterscheiden, die sich auf die Gestaltung und Führung der Geschäfte bezögen, die im individuellen Interesse der Minderheit gegeben seien27 • Diese Ansicht hat ihre Wurzeln in den Lehren 0. v. Gierkes. Nach ihm ist die Aktiengesellschaft eine Genossenschaft, freilich eine besondere insofern, als es sich um "eine durchgeführte Vermögensgenossenschaft, eine reine Kapitalkör-
23 K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. 2 (1904), 1964, S. 14; vgl. R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 337m. w. Nachw. 24 R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 186 ff.; K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. 2 (1904), 1964, S. 211 ff. 25 Vgl. K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. 2 (1904), 1964, S. 398 f.; Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 4 1898, S. 643; gegen das Bestehen eines solchen Unterschieds der Aktionärsrechte sprach sich Lippmann aus, in: ZHR 39 ( 1891 ), S. 126, 204 ff. 26 R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 200. 27 R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 200 f.
B. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Aktionär
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perschaft" handelt28 • Daraus folgerte er, ,.dass bei der Aktiengesellschaft der individualrechtliche Bestandtheil der Mitgliedschaft die Struktur des gesamten Mitgliedschaftsverhältnisses in höherem Maße als bei jeder anderen Genossenschaftsform bestimmt", wodurch ,.die durch den Verband begründeten Pflichten vor den in ihm wurzelnden Befugnissen dergestalt zurück[treten], dass sie bei der rechtlichen Beurtheilung des Gesamtverhältnisses nur als Modifikationen der Befugnisse aufgefasst werden." 29 Die Mitgliedschaft gehöre, obwohl sie die Partizipation an einem gemeinsamen Willen enthalte, der vom individuellen Willen beherrschten Sphäre des Individualvermögens an30• Daneben bestehen nach 0. v. Gierke Individualrechte der Aktionäre, die der ,.gemeinheitlichen Willenssphäre" angehören31 • Als ein solches sah er das fiir das Verhältnis von Aktionär und Aktiengesellschaft wesentliche Stimmrecht an, das nach ihm ein reines Mitgliedschaftsrecht in dem Sinne ist, als es dem Aktionär als Mittel zur Ausübung derjenigen Befugnisse zusteht, welche er als Mitglied der Aktiengesellschaft in Bezug auf die ,.einheitliche Herrschaftssphäre" besitzf2 • Dadurch wird der Aktionär zum Träger eines einheitlichen Willens, wodurch er nicht nur den Beschränkungen der Satzung der Aktiengesellschaft und des normierten sonstigen Rechts unterliegt, sondern an den ,.körperschaftlichen Zusammenhang gebunden" ist33 • Bei dem Interesse der Aktiengesellschaft handelt es sich also nicht eigentlich um das der Aktiengesellschaft, sondern um das gemeinsame Interesse aller Aktionäre. Das wird deutlich an der Bewertung der Minderheitenrechte durch 0. v. Gierke. Sie seien Rechte, die nicht einer bestimmten Gruppe oder einem bestimmten Aktionär zustehen, sondern einem variablen Bruchteil der Gesamtheit der Aktionäre. Das Minderheitenrecht folgt also aus der Eigenschaft der Minderheit als eines Organs der Gesamtheit. Die Minderheit tritt bei Wahrnehmung dieser Rechte als Vertreterio des Ganzen auf gegen die regulären Organe der Gesellschaft. Dadurch handelt es sich bei einem Streit zwischen ihnen nicht um einen solchen zwischen der Aktiengesellschaft und einem oder mehreren Mitgliedern, sondern um ,.einen inneren Konflikt im Leben des einheitlichen Gemeinwesens. "34 Entscheidend im Hinblick auf die Konzeption der Aktiengesellschaft ist, daß auch nach diesen Ansichten die Rechte der Aktionäre nicht durch ein eigenstän-
28 29 30
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0. v. Gierke, Genossenschaftsrecht, I. Bd., 1868, S. I 005. 0 . v. Gierke, Genossenschaftstheorie (1887), 1963, S. 240 f. 0. v. Gierke, Genossenschaftstheorie (I 887), 1963, S. 241. 0. v. Gierke, Genossenschaftstheorie ( 1887), 1963, S. 244. 0. v. Gierke, Genossenschaftstheorie ( 1887), 1963, S. 261. 0. v. Gierke, Genossenschaftstheorie (1887), 1963, S. 261 f. 0. v. Gierke, Genossenschaftstheorie (1887), 1963, S. 267.
3 Laux
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
diges Interesse der Aktiengesellschaft eingeschränkt sind. Die Einschränkung bezieht sich vielmehr auf die Aktionäre und den durch sie.defmierten Zweck der Gesellschaft und ergibt sich letztlich aus der gemeinsamen Verbundenheit der Aktionäre in der Aktiengesellschaft. Von diesem Verständnis der Aktiengesellschaft und ihres Verhältnisses zum Aktionär leiten sich die Ansichten zur Funktion und Bedeutung der Organe der Aktiengesellschaft und ihres Verhältnisses zueinander und zum Aktionär folgerichtig ab.
II. Organe der Aktiengesellschaft Der Aufsichtsrat35 wurde um die Jahrhundertwende allgemein als Kontrollund Überwachungsorgan des Vorstandes angesehen36, ohne daß seine Kompetenz hierzu grundsätzlich in Zweifel gezogen wurde37• Überwiegend war die Meinung, daß der Aufsichtsrat seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen könne, da er nicht jedes einzelne Geschäft zu kontrollieren brauche, sondern lediglich die Geschäftsführungstätigkeit grundsätzlich und im Rahmen der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns38 • Zumal sei bei großen Gesellschaften mit weitverzweigter Geschäftstätigkeit der Aufsichtsrat mehrgliedrig, wodurch er vielfache Fachkompetenz heranziehen könne, was ihm seine Aufgabenerfüllung ermögliche39 • Nur vereinzelt wurde die Fähigkeit zur erfolgreichen Bewältigung dieser Aufgabe in Zweifel gezogen40 •
Der Aufsichtsrat fand seine Regelung in den §§ 243-249 HGB. Nach Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 4 1898, S. 623, war der Aufsichtsrat Organ der Aktiengesellschaft, der in Ausnahmefallen die Interessen der Gläubiger der Aktiengesellschaft zu vertreten haben sollte, was zwar der allgerneinen Meinung widersprach, doch noch mit dem allgernein geteilten Begriff der Aktiengesellschaft übereinstimmte (vgl. die entsprechende Ansicht Cosacks zur Vertretung der Interessen der Gläubiger durch den Vorstand in Fn. 51). 37 R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 243; Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 4 1898, S. 622. 3" R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 243 Fn. I; Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 4 1898, S. 622. Dies setzte sich auch während der Weimarer Republik als vorherrschende Ansicht durch, s. nur A. Pinner, in:.~taub, HGB, 14 1933, § 246 Anm. Ein!. II. m. w. Nachw. auch der größere Kontroll· und Uberwachungspflichten befürwortenden Ansichten. 39 K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. 2 (1904), 1964, S. 353. 411 So von Klein, Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, 1904, s. 36. 35
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8. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Aktionär
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Nach allgemeiner Meinung in der Literatur um die Jahrhundertwende war der Vorstand41 zwar grundsätzlich Organ der Aktiengesellschaft und nicht der Aktionäre oder der Generalversammlung42, jedoch ein von der Generalversammlung43 abhängiges Organ44 , welchem von jener die Grundsätze und Maßstäbe der Geschäftsführung auferlegt wurden45 . Entsprechend der soeben geschilderten allgemeinen Auffassung von der Aktiengesellschaft bedeutet dies, daß der Generalversammlung eine gegenüber dem Vorstand dominierende Rolle zukam, sie war nach allgemeiner Ansicht im Schrifttum das oberste Organ der Aktiengesellschaft46 . Nur vereinzelt wurde die maßgebliche Bedeutung des Vorstands in der Praxis hervorgehoben. Klein, Sektionschef im Österreichischen Justizministerium und späterer österreichischer Justizminister, den Haußmann (Rechtsanwalt, Berlin) als "große[n] Realist[en] in der Betrachtung und Grundauffassung der Aktiengesellschaft" bezeichnete47, hatte schon 1904 darauf hingewiesen, daß der Vorstand das im Dasein der Aktiengesellschaft dominierende und wichtigste Organ, "in Wahrheit schlechthin die Gesellschaft selbst" war48 : "Gedacht ist das in der Generalversammlung vereinigte Kapital als Herr, die Verwaltung (Vorstand) als Diener, tatsächlich ist das Verhältnis entgegengesetzt." 49 Im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum wurde denn auch 1908 bemerkt, daß es "außer in gewissen, der Praxis ganz fernstehenden Juristenkrei-
41 Der Vorstand fand seine Regelung in den§§ 231-242 HGB von 1897. 42 Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 84 m.
Nachw. d. Rechtsprechung d. RG. 43 Die Generalversammlung war in den§§ 250-259 HGB geregelt. 44 K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. 2 ( 1904), 1964, S. 151. 45 Vgl. R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd./ I. Abt., 1916, S. 230; H. Horrwitz, Recht der Generalversammlungen, 1913, S. 18 ff.; Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 4 1898, S. 626. 46 R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd./1. Abt., 1916, S. 183 u. 211; K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. 2 (1904), 1964, S. 152 f;, S. 626; vgl. für die Weimarer Zeit A. Pinner in: Staub, HGB, 14 1933, § 250 Anm. 7; J. v. Gierke, Handelsrecht, 4 1933, S. 343; Friedländer, Aktienrecht, ( 1932), § 250 Anm. I; K. Wieland, Kapitalgesellschaften, 1931, S. 89; Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 250 HGB Anm. l.a). Ob sie dies nach damaligem Recht tatsächlich war, was Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 82 ff., bestreitet, kann dahinstehen, da es hier allein darauf ankommt, wie die Generalversammlung in der überwiegenden Ansicht der Zeitgenossen gewertet wurde. 47 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 12. 48 Klein, Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, 1904, S. 32; auch K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. 2 ( 1904), 1964, S. 231, meinte, daß in der Praxis der Vorstand das herrschende Organ sei. 49 Klein, Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, 1904, s. 55.
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
sen" eine nicht mehr begründungsbedürftige Tatsache sei, daß die Generalversammlung in der Aktiengesellschaft ,,nicht 'regiert"'50• Von der überwiegenden Ansicht zur Funktion und Bedeutung des Vorstandes leitet sich dann folgerichtig die Feststellung ab, daß der Vorstand die Interessen der Aktionäre in ihrem einheitlichen, durch die Generalversammlung geäußerten Willen zu verfolgen hat51 • Dieser Wille wurde als der der Gesellschaft betrachtet. So hatte dies schon die Begründung der 2. Novelle des ADHGB 1884 zum Ausdruck gebracht: "Der Wille der Aktiengesellschaft, als der organisierten Gesamtheit der Aktionäre, fmdet seinen Ausdruck allein in der Generalversammlung"52. Daraus ergab sich zugleich, daß in der Generalversammlung die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidend sein sollte, sofern nicht gesetzlich oder nach den Statuten ein bestimmtes Quorum erforderlich war3 • Maßgeblich hinsichtlich der Machtverteilung in der Generalversammlung war also die Kapitalsmehrheit Dem liegt der Gedanke der Gleichheit der Aktionäre zu Grunde5\ wie er sich als naturrechtliche Forderung in den Regelungen des Aktienrechts des Code de Commerce von 1807 und den von ihm beeinflußten gesetzlichen Regelungen in den deutschen Ländern niedergeschlagen hatte. Er wurde Teil einer weitergehenden Auffassung von einer Aktiendemokratie, nach der es sich bei der Organisation der Aktiengesellschaft um ein Ebenbild der des Staates handelf5 • Das stieß jedoch schon an der Jahrhundertwende auf Kritik, insbesondere weil die Realität der wirtschaftlichen Gegebenheiten hinter der theoretischen Forderung fast notwendig zurückbleiben mußte56•
Steinitzer, Ökonomische Theorie der Aktiengesellschaft, 1908, S. 163. Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 4 1898, S. 621, meinte, daß der Vorstand Interessen der Gläubiger der Aktiengesellschaft wahrzunehmen habe und begründete dies mit einem berechtigten Interesse der Gläubiger daran, daß das Vermögen der Aktiengesellschaft ausreiche11~ für die Erfüllung der Gläubigerforderungen sein müsse. Das bedeutet jedoch keine Anderung der herrschenden Auffassung der Aktiengesellschaft. 52 Allge. Begründung d. Entwurfs 1884, in: Schubert I Hornmethoff (Hg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 387, 464. 53 R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. des gesamten Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abt., 1916, S. 194; K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. 2 (1904), 1964, S. 192; Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 4 1898, S. 629. 54 Dazu ausführlich Zöllner, Stimmrechtsmacht, 1963, S. 30 I ff.; Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. I 03 ff. 55 Vgl. dazu Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 119 f.; Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 77 m. w. Nachw. 56 Klein, Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, 1904, S. 54 ff.; 0. v. Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht, I. Bd., 1868, S. I 036 f.; im volkswirtschaftlichen Schrifttum: Schmoller, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, 50 51
B. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Aktionär
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Das Mehrheitsprinzip wurde jedoch von der Judikatur noch bis in die Weimarer Republik hinein in ständiger Rechtsprechung als allein entscheidend betrachtet. Im vielbeachteten und -kritisierten Hibemia-Urteil57 vom 8. April 1908 sprach sich der I. Zivilsenat des Reichsgerichts ganz eindeutig für ein striktes Mehrheitsprinzip aus58• Danach galt, daß "die Mehrheit des Aktienbesitzes über die Verwaltung der Gesellschaft und darüber entscheidet, was im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zu tun und zu lassen ist." 59 Anschließend daran entschied der II. Zivilsenat in einem wenig später, am l. Mai 1908, ergangenen Urteil, daß die Mehrheitsentscheidung auch dann Gültigkeit habe, wenn die damit verursachte Schädigung der Gesellschaft oder der Minderheit "willkürlich und ohne allen und jeden gerechtfertigten Grund" ist60• Und der VI. Zivilsenat erklärte in einem Urteil vom 11. I 18. Juni 1914, daß die Mehrheit die Geschicke der Aktiengesellschaft allein bestimme und wendete sich gleichzeitig gegen eine "Überspannung der Anforderungen, die im Interesse der Redlichkeit des Verkehrs an das kaufmännische Geschäftsleben, insbesondere im Aktienverkehr, zu stellen sind"61 • Wenngleich in dem Hibemia-Urteil auch von einem Interesse der Gesellschaft gesprochen wird, geschieht es doch nicht in dem Sinne, daß es sich dabei um ein eigenständiges und unvermitteltes, also anderes als das der Mehrheit der Aktionäre handelt62• Leitbild dieser Entscheidungen war noch ganz die Begründung der 2. Novelle des ADHGB von 1884, nach dem der Mehrheitsbeschluß "den wahren Willen der Gesellschaft unverfalscht zum Ausdruck bringt."63 Dies I. Teil, 4-61901, S. 442; vgl. Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 77 m. w. Nachw. 57 Ausruhrlieh zum Sachverhalt und seinen Hintergründen Jung, Ueberfremdung, 2 1921 , s. 25 ff. sK Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 262; Raiser, Unternehmen als Organisation, 1969, S. 42; Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht, 1929, S. 331; Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 38. Nach A. Pinner, in: ders., Beiträge zum Aktienrecht, 1918, S. 68, 71 , unterlag das Reichsgericht einer Fehleinschätzung, als es in der Hibernia-Entscheidung meinte, daß im Aktienrecht der Grundsatz gelte, daß die Mehrheit über die Geschicke der Aktiengesellschaft bestimme und ihre Interessen definiere. Dieser Grundsatz könne dem HGB nirgends entnommen werden; kritisch m. w. Nachw. auch A. Hueck, in: FG f. RG, Bd. IV, 1929, S. 167, 177; Sontag, Aktiengesellschaften im Kampfe zwischen Macht und Recht, 1918, S. 51 . 59 RGZE 68, S. 235, 246. (I() RGZE68,S.314,317. 61 RGZE 85, S. 170, 172. 62 Dalhoff, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Generalversammlungsbeschlüssen, 1933, S. 39; W. Horrwitz, in: JW 1930, S. 2637,2638. 63 Allge. Begründung d. Entwurfs 1884, in: Schubert I Hommelhoff (Hg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 387, 464.
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
resultierte aus dem Verständnis der Aktiengesellschaft als unselbständigem Zuordnungsobjekt der Aktionäre. Die Anerkennung von eigenen Interessen der Aktiengesellschaft war dadurch ausgeschlossen. Noch ganz in diesem Sinne erklärte der Il. Zivilsenat des Reichsgerichts in einem Urteil vom 19. Juni 1923, daß das, was im Interesse der Gesellschaft liegt, durch die Generalversammlung bestimmt wird, in der die Mehrheit entscheidet64 • Das Mehrheitsprinzip in diesem Sinne bedeutete also nicht nur eine Regelung der Entscheidungstindung in der Generalversammlung, sondern schlug auch auf die Bestimmung der maßgeblichen Interessen und die Frage nach eigenständigen Interessen der Aktiengesellschaft durch. Schon früh wurde erkannt, daß diese Konzeption ideale Aktionäre voraussetzt, die in der Wirklichkeit zumeist nicht anzutreffen sind. Schon in der Begründung der 2. Novelle zum ADHGB von 1884 heißt es, daß die Aktionäre in ihrer großen Mehrheit nur an der kurzfristigen Realisierung von Gewinnen interessiert und von spekulativen Absichten geleitet seien und nicht eine langfristige Förderung des Unternehmens durch die Beteiligung an der Gesellschaft bezweckten65 • Das stehe der Maßgeblichkeil des Mehrheitsprinzips und der Bestimmung der Interessen der Aktiengesellschaft allein durch die Mehrheit der Aktionäre entgegen. Als Voraussetzung die Beibehaltung der Maßgeblichkeil der Mehrheit der Aktionäre wurde deswegen bestimmt: "Nur unter der Annahme, daß alle Aktionäre sich bei der Abstimmung in der Generalversammlung durch das Interesse der Gesellschaft leiten lassen, rechtfertigt es sich, die Generalversammlung als dasjenige Organ der Gesellschaft anzusehen, in welchem der wahre Wille der Gesellschaft zum Ausdruck kommt."66 Dem nicht allein logischen Problem, daß dadurch ein Interesse der Gesellschaft vorausgesetzt wurde, an daß sich die Aktionäre bei der Abstimmung zu orientieren hatten, die Aktionäre in ihrer Gesamtheit durch die Abstimmung jedoch erst den Willen der Gesellschaft bildeten und ihre Interessen definierten, wurde nicht weiter nachgegangen. Gleichwohl bleibt festzustellen, daß die Frage nach der Anerkennung RGZE 107, S. 67, 71. Allge. Begründung d. Entwurfs 1884, in: Schubert I Hommelhoff (Hg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 387, 412. 66 Allge. Begründung d. Entwurfs 1884, in: Schubert I Hommelhoff (Hg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 387, 5! 7. Daß dies lediglich frommer Wunsch sein konnte, erkannte Klein, Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, 1904, S. 56: "Die letzte Ursache seiner Vergeblichkeit [sei!. Aktienrechtsgesetzgebung] ist der Zwiespalt zwischen biologischem Wesen und Lebensinstinkten der Kapitalvereinigung und der Ethik ihrer Verfassung. Die Ideale Harmonie der Interessen, die erstrebt wird, bleibt unverwirklicht, weil sich die Idealmenschen zu dieser Verfassung nur selten finden, sie for den Durchschnitt Übermenschliches im Tun wie im Entsagen verlangt." (Hervorh. hinzugefügt). 114 65
C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft
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von eigenen, von denen der Aktionäre unabhängigen Interessen der Aktiengesellschaft und der Konflikt der Interessen der Gesellschaft mit denen der Mehrheit der Aktionäre schon durch die 2. Novelle zum ADHGB vorgezeichnet wurde. Im Ergebnis führte die weitestgehend bedingungslose Assoziation des Willens der Aktiengesellschaft mit der Mehrheit in der Generalversammlung und die vorherrschende Ansicht von Funktion und Bedeutung der Aktiengesellschaft dazu, daß der Vorstand Interessen der Aktiengesellschaft nur als vermittelte Interessen der Aktionäre wahrnehmen konnte. Unvermittelte eigene Interessen der Aktiengesellschaft waren vor diesem Hintergrund nicht möglich. Die BeIiicksichtigung von eigenen Interessen der Aktiengesellschaft durch die Mehrheit und eine Haftung wegen einer Verletzung dieser Interessen wurde demgemäß in der Literatur nicht oder nur in Ansätzen diskutiert67 •
C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft Das Verhältnis von Aktiengesellschaft zu Staat und Gesellschaft um die Jahrhundertwende ist daraufhin zu priifen, ob für die Aktiengesellschaft eine Verpflichtung zur Beriicksichtigung von Interessen des Staates und der Gesellschaft an ihr bestand. Dieser Frage kommt Bedeutung für die Analyse der Lehre vom Unternehmen an sich in mehrfacher Hinsicht zu. Zunächst, weil nach der Lehre vom Unternehmen an sich, insbesondere nach Rathenau, die Aktiengesellschaft an die Interessen des Staates und der Gesellschaft anzubinden sein sollte. Dariiberhinaus wirkt sie sich aus auf die Auffassung der Aktiengesellschaft und ihres Rechts. Denn durch die Anhindung der Aktiengesellschaft an die Interessen des Staates und der Gesellschaft wird das Verhältnis von Aktionär und Verwaltung neu bestimmt. Die Verwaltung hat nicht mehr allein die Interessen der Aktionäre zu verfolgen, sondern auch die des Staates und der Gesellschaft an der Aktiengesellschaft zu beriicksichtigen. Dadurch erhält die Aktiengesellschaft eine Eigenständigkeil gegenüber den Aktionären in dem Sinne, als ihre Interessen sich nicht mehr alleine durch die Mehrheit in der Generalversammlung definieren. Auch dies war Gegenstand der Lehre vom Unternehmen an sich.
~7 Klein, Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, 1904, S. 46, meinte, daß dies nicht zum herrschenden Gesellschafts- oder Korporationsbegriff passe, zukünftig aber nicht zu verhindern sein werde, da entsprechende politische Vorstellungen sich immer mehr durchsetzten.
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
Das Verhältnis von Aktiengesellschaft zu Staat und Gesellschaft in diesem Sinne macht sich fest an der Frage nach der Gemeinwohlbindung der Aktiengesellschaft. Sie meint eine über diejenige hinaus, die sich in einer Bindung an den Staat und die Gesellschaft in Form allgemeiner Normierungen, wie etwa der Steuergesetzgebung, ausdrückt. Die aktienrechtliche Gesetzgebung in Deutschland vollzog sich bis zum HGB von 1897 in sechs Schritten. Die erste allgemeine Regelung erfuhr das Recht der neuzeitlichen Aktiengesellschaft durch den Code de Commerce von 1807 in Frankreich68 • Das Aktienrecht in den deutschen Staaten vor der Reichsgründung und dem Inkrafttreten des ADHGB von 1861 war uneinheitlich69• Eine erste partielle Regelung in Preußen erfolgte mit dem PrEisenbahnG von 1838, welches einen speziellen Bereich des Aktiengesellschaftswesens regelte70• Dem folgte das preußische Gesetz über Aktiengesellschaften von 1843. Die erste umfassende Regelung erhielt das Aktienrecht durch das ADHGB von 1861, mit dem in Form der l. Novelle zum ADHGB von 1870 der Grundstein fiir die noch heute geltende dreigliedrige Verfassung der Aktiengesellschaft gelegt wurde. Mit der 2. Novelle zum ADHGB von 1884 versuchte der Gesetzgeber auf die sich durch die Gründerkrise gezeigten Mißstände zu reagieren, ohne wesentliche strukturelle Änderungen an der geltenden Regelung des Aktienrechts vorzunehmen. Den Abschluß fand der Gesetzgebungsprozeß bis zur Jahrhundert-
6H Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 64; Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 61. 69 Zur Geschichte des Aktiengesellschaftswesens und des Aktienrechts für die Zeit bis zum ADHGB s.: Landwehr, in: SZGERM 99 (1982), S. I ff.; Reich, in: Jus Commune, Bd. II, 1969, S. 239 ff.; K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. I (1898), 1964, S. 4-91; K. Lehmann, Die geschichtliche Entwicklung des Aktienrechts, 1895; 0 . v. Gierke, Genossenschaftsrecht, I. Bd., 1868, S. 990 ff.; Sombart, Der moderne Kapitalismus, 2. Bd. I I. Hlbd. (1902), 1969, S. 150 ff. 70 Wegen der besonderen Bedeutung Preußens sowohl politisch und wirtschaftlich für das spätere Deutsche Reich als auch flir die reichseinheitliche Ausgestaltung des Rechts der Aktiengesellschaft durch das ADHGB wird im folgenden allein dessen Regelung des Aktienrechts vor Erlaß des ADHGB untersucht werden. Die besondere Situation der preußischen Rheinprovinz seit 1815, die sich aus der Weitergeltung des Code de Commerce von 1807 bis zum Erlaß des preußischen Gesetzes über Aktiengesellschaften von 1843 ergab, das die aktienrechtlichen Bestimmungen des Code de Commerce außer Kraft setzte, bleibt dabei außer Betracht (Zur Regelung des Aktienrechts in der preußischen Rheinprovinz bis zum Erlaß der PrAktG 1843 s. Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 63 ff.). Die Entwicklung des Aktienrechts ftir die Rheinprovinz hatte zur Folge, daß von den bis 1850 in ihr gegründeten Aktiengesellschaften 40 den Regelungen des Code de Commerce, 34 dem ALR und 56 dem PrAktG unterworfen waren (Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 63 Fn. 3.).
C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft
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wende mit der Regelung des Aktienrechts im HGB von 1897, womit das bis dahin geltende Aktienrecht nur marginal geändert wurde. I. Im Octroi-System Das Aktienrecht in Preußen war bis zum Erlaß des Gesetzes über EisenbahnUnternehmungen von 1838 dadurch gekennzeichnet, daß der Staat im Wege des Octroi-Systems einen umfassenden Einfluß auf die Aktiengesellschaften ausübte71. Die spärliche rechtliche Grundlage für das Aktienrecht bildeten einige Bestimmungen im ALR von 179472, die sich jedoch nicht speziell auf die Aktiengesellschaft bezogen. Da eine besondere gesetzliche Regelung nicht bestand, abgesehen von den Gebieten, in denen der Code de Commerce mit seiner rudimentären Regelung galt73, und die Verfassung der Aktiengesellschaften von der der anerkannten Handelsgesellschaften abwich, war die Entstehung, die Art und Weise der Ausgestaltung der Verfassung und der Bestand der Aktiengesellschaften weitestgehend vom Ermessen des Staates abhängig74 . Wegen § 16 II 6 ALR war die Verleihung von Korporationsrechten und die damit verbundenen Zuerkennung der Eigenschaften einer juristischen Person an Gesellschaften zur Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke nur als Ausnahme möglich. "Handlungsgesellschaften" waren grundsätzlich auf das Recht der "Societätshandlung" und dasjenige verwiesen, das für gemeinschaftliches Eigentum und Vermögen galt. Den Bedürfnissen der Aktiengesellschaften nach der Erlangung der Eigenschaften einer juristischen Person, insbesondere der limitierten Haftung, konnte nur durch Verleihung der Korporationsrechte nach § 25 ff. II 6 ALR Rechnung getragen werden. Regelmäßig wurde für die Genehmigung und die Verleihung von Korporationsrechten die Verfolgung von gemeinnützigen Zwecken vorausgesetzt, wie dies § 25 II 6 ALR ausdrücklich verlangte und noch am ehesten von Versicherungsgesellschaften nachgewiesen
71 Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 115 ff.; K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. I ( 1898), 1964, S. 286; vgl. ders., Die geschichtliche Entwicklung des Aktienrechts, 1895, S. 82-88. 72 Schumacher, Entwicklung der inneren Organisation der Aktiengesellschaft, 193 7, S. 5. 73 Im Code de Commerce war in zehn Artikeln (Artt. 30 ff.) zur societe anonyme weniges nur geregelt, etwa der Genehmigungszwang (Art. 37), die beschränkte Haftung der Aktionäre (Art. 33), die Notwendigkeit eines Vorstandes (mandataires) (Artt. 31, 32). 74 K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. I ( 1898), 1964, S. 285 f.
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I. Teil Die AktiengeseJischaft um die Jahrhundertwende
werden konnte75 • Die Genehmigungsverfahren zogen sich durchschnittlich I bis 2 Jahre hin; man sprach gemeinhin von dem ,,Kampf um die Konzession"76• Außer Aktiengesellschaften mit Korporationsrechten gab es in Preußen noch diejenigen, denen dieses Privileg nicht oder nur zum Teil, etwa zum Erwerb von Grundstücken, gewährt wurde. Im Ergebnis gab es also drei grundsätzlich verschiedene Arten der rechtlichen Behandlung von Aktiengesellschaften77 • 0. v. Gierke gelangteangesichtsdessen zu der Einschätzung: "Dass der hiermit geschaffene Rechtszustand nicht nur äußerst wirr, sondern unheilbar widerspruchsvoll ist, kann keinem Zweifel unterliegen.'m Das Octroi-System war nicht lediglich eine besonders drastische Form der staatlichen Überwachung der Aktiengesellschaften, sondern bedeutete die Verfolgung von staatlichen Interessen in der Aktiengesellschaft und damit ihre Anhindung an den Staat. Ihm kam nicht lediglich polizeiliche Natur zu, wie Großfeld meine9 • Es bestand eine enge Verschränkung zwischen den Aktiengesellschaften und dem Staat, die weit über eine Überwachungsfunktion im Sinne einer polizeilichen Aufsicht hinausging. Sicher war die Aktiengesellschaft zu dieser Zeit keine "Staatsanstalt" im Sinne einer vom Staat getragenen und geführten Anstalt. Sie war aber auch noch nicht ,,rein" privater Zusammenschluß gleichgerichteter Interessen, die vom ,,'staatsanstaltlichen Gewande"' befreit80 oder aus ihrer Stellung entsprechend einer "öffentlich-rechtlichen Institution" entlassen w~ 1 • Es bestand nicht nur eine Bindung an die Interessen des Staates, dieser versicherte sich deren Durchsetzung auch durch besonders drastische Mittel82 • Durch einen Beauftragten (Gouverneur oder Kommissar), der dem Vorstand zur Seite gestellt war und die Interessen des Staates vertrat, konnte er direkt die Geschäftsführung überwachen und auch in diese eingreifen83 • Die Verschränkung von Staat und Aktiengesellschaft ergab sich daraus von selbst84•
75 Reich, in: Ius Commune, Bd. II, 1969, S. 239, 246; Schuhmacher, Entwicklung der inneren Organisation der AktiengeseJischaft, 193 7, S. 8 f. 76 Zitiert nach Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 115. 77 Schuhmacher, Entwicklung der inneren Organisation der AktiengeseJischaft, 193 7, s. 29 ff. 7K 0. v. Gierke, Genossenschaftstheorie (1887), 1963, S. 105. 79 Großfeld, AktiengeseJischaft, 1968, S. 119. ~0 Wiethölter, Interessen und Organisation der AktiengeseJischaft, 1961, S. 73. Kl Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977, S. I 05. K2 Vgl. Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 116; Klein, Grundlagen des Rechts der Erwerbsgesellschaften, 1914, S. 19.
C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft
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Eine ausgeprägte Aktienrechtspolitik bestand in Preußen während des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts insofern nicht, als Preußen die Zunahme der wirtschaftlichen Macht des Bürgertums im Anschluß an die französische Revolution fürchtete85 und ein staatlicher Bedarf an der Förderung von größeren privaten Kapitalakkumulationen bis zum Zeitpunkt der staatlichen Förderung des Eisenba1mbaus noch nicht bestand86• Von einer Verwendung der Aktiengesellschaft zu einer staatlichen Finanz- und Wirtschaftspolitik kann noch nicht gesprochen werden87• Während der Zeit des Octroi-Systems war die Begrenzung der wirtschaftlichen Macht der Aktiengesellschaften ein wesentliches Ziel der staatlichen Wirtschaftspolitik88 • Die Förderung des Eisenbahnbaus durch Preußen und damit auch die Instrumentalisierung der Aktiengesellschaft setzte erst ab den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein. Zuvor wurde der Ausbau des Verkehrsnetzes vom preußischen Staat im Wege des Chausseebaus favorisiert; Preußen stand dem Bau von Eisenbahnen zunächst ablehnend gegenübe~9 • Dies zeigt sich deutlich an den für den Eisenbahnbau zu erkennenden Finanzierungsperioden. Während bis 1842 der Eisenbahnbau allein durch private Finanzierung im Rahmen von Aktiengesellschaften erfolgte, engagierte sich der preußische Staat ab 1842 bis 1847 in der Form, daß er sich an den Aktiengesellschaften fmanziell beteiligte und für deren Kapital- und Zinsendienst Staatsgarantieen aussprach. Ab 1848 begann dann der Eisenbahnbau durch Preußen selbst90 •
KJ Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 116; ders., in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. IV, 1979, S. 236, 237; K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. I ( 1898), 1964, S. 286. R4 K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. I (1898), 1964, S. 285. as Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977, S. I 06; Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 123; Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 7 f. R6 Vgl. K. J. Hopt, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. V, 1980, S. 128, 165; Großfeld, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. IV, 1979, S. 236, 237 f.; Reich, in: Jus Commune, Bd. II, 1969, S. 239, 246. R? Unzutreffend Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977, S. I 0 I. RK Großfeld, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. IV, 1979, S. 236; ders., Aktiengesellschaft, 1968, S. 117. R9 Fremdling, Eisenbahnen und deutsches Wirtschaftswachstum 1840-1879, 1975, S. 123 ff. m. w. Nachw. 90 Nach Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939, S. 88.
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
II. Im Konzessions-System 1. PrEisenbahnG von 1838 und PrAktG von 1843
Die Behandlung der Aktiengesellschaften einerseits durch das PrEisenbahnG und andererseits durch das PrAktG führte zu einer Disparität in der Bewertung des rechtlichen Status der Aktiengesellschaft danach, ob ihnen nach dem ALR Sozietäts- und Körperschaftsrechte zukamen oder ob es sich lediglich um privilegierte Gesellschaften handelte. Gesellschaften, die nach dem PrEisenbahnG genehmigt wurden, wurde der Status einer Korporation nach II § 25 ALR verliehen, wofür die Verpflichtung zu einem gemeinnützigen Zweck Voraussetzung war. Im Gegensatz dazu war eine solche Gemeinwohlbindung nicht Voraussetzung für die Genehmigung einer Aktiengesellschaft nach dem PrAktG, da sie als lediglich privilegierte Gesellschaften nach dem ALR behandelt wurden, für die eine ausdrücklich normierte Gemeinwohlbindung nicht bestand. Wegen dieser unterschiedlichen rechtlichen Behandlung kann jedoch noch nicht von einer allgemeinen Lösung der Aktiengesellschaften von ihrer Anhindung an das gemeine Wohl gesprochen werden91 • 0. v. Gierke meinte, daß sich in dem Übergang vom Octroi-System auf das Konzessions-System eine veränderte Einstellung des Staates zu den Aktiengesellschaften bemerkbar mache, wodurch der Konzession lediglich eine "staatspolizeiliche Natur" zukomme. Die Aktiengesellschaften stünden allein unter einer Staatsaufsicht, seien aber ansonsten aus dem staatlichen Bereich herausgelöst worden92 • Die von 0. v. Gierke zutreffend erkannte rechtspolitische Tendenz zur Befreiung der Aktiengesellschaft von der unmittelbaren staatlichen Einflußnahme änderte zunächst jedoch nicht die normativ bestehende Bindung an das gemeine Wohl, zumindest für einen Teil der Aktiengesellschaften. Mit dem Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen vom 3. November 1838, das neben dem ALR und in der Rheinprovinz neben dem französischen Code de Commerce galt93 , erfuhr das Aktienrecht in Preußen seine erste ausdrückliche Regelung, die sich jedoch auf einen sachlich eng begrenzten Anwendungsbereich bezog: den der Eisenbahngesellschaften94 • Das Statut der ihr unterworfenen Aktiengesellschaft bedurfte nach § 3 Abs. 1 der staatlichen Be-
Unzutreffend Martens, Aktiengesellschaft in der Kritik, 1934, S. 25. 0. v. Gierke, Genossenschaftsrecht, I. Bd., 1868, S. I 003 ff. 93 Landwehr, in: SZGerm 99 (1982), S. I, 3. 94 Unzutreffend Eckardt, in: Geßler I Hefermehll Eckardt I Kropff, Aktiengesetz, Bd. I, 1973, Vorbemerkungen Rdn. 8, nach dem das deutsche Aktienrecht mit dem Preußischen Gesetz über Aktiengesellschaften von 1843 begann. 91
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C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft
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stätigung. Aus § 3 Abs. 2 PrEisenbahnG95 ergab sich die Bindung der Aktiengesellschaft an das gemeine Wohl. Nach ihm wurden der AktiengeseUschaft durch die Bestätigung ihres Statuts die Rechte einer Korporation oder einen anonymen Gesellschaft, also einer privilegierten Korporation im Sinne von ALR II 6 §§ 25 ff. zuerkannt, wie dies das Königliche Ober-Tribunal in einer Entscheidung vom 26. September 1871 ausdrucklieh feststellte96 • Voraussetzung fiir die Verleihung der Korporationsrechte nach dem ALR war, daß sich die GeseUschaft "zu einem fortdauernden gemeinnützigen Zweck verbunden" hatte (ALR II 6 § 25)97 • Die Bindung an das gemeine Wohl war also Voraussetzung fiir die Konzessionserteilung. Das besondere Interesse des Staates an den GeseUschaften wird deutlich an § 46 PrEisenbahnG, welcher dem preußischen Staat die Befugnis einräumte, sich durch einen ständigen Kommissar in der Aktiengesellschaft vertreten zu lassen, der das Recht hatte, Gesellschaftsvorstände zu berufen und an deren Sitzungen teilzunehmen98 • Die insgesamt 30 Paragraphen des preußischen Gesetzes über Aktiengesellschaften vom 9. November 1843 waren fiir die innere Organisation und die Rechtsverhältnisse der Aktiengesellschaft nicht abschließend. Ergänzend galten weiterhin die Bestimmungen des ALR und des Code de Commerce in der Rheinprovinz99 • Nach § 30 Abs. 1 PrAktG fand das Gesetz keine Anwendung auf bereits bestehende Aktiengesellschaften, beanspruchte jedoch hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs Allgemeingültigkeit100• 95 "§ 3. Das Statut ist zu Unserer landesherrlichen Bestätigung einzureichen; es muß jedoch zuvor der Bauplan im Wesentlichen festgestellt worden sein. So lange die Bestätigung nicht erfolgt ist, bestimmen sich die Verhältnisse der Gesellschaft und ihrer Vertreter nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften über Gesellschafts- und Mandats-Verträge. Mittels der Bestätigung des Statuts, welches durch die Gesetzsammlung zu publizieren ist, werden der Gesellschaft die Rechte einer Korporation oder einer anonymen Gesellschaft ertheilt." 96 Königliches Ober-Tribunal v. 26. September 1871, in: Striethorst (Hg.), Archiv für Rechtsfalle, die zur Entscheidung des Königlichen Ober-Tribunals gelangt sind, Bd. 82, s. 333,335. 97 "§. 25. Die Rechte der Corporationen und Gemeinden kommen nur solchen vom Staate genehmigten Gesellschaften zu, die sich zu einem fortdauernden gemeinnützigen Zwecke verbunden haben."; H. Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs, I. Bd., 3 1881, S. I 0 I. 9R ,,Zur Ausübung des Aufsichtsrechts des Staates über das Unternehmen wird, nach Ertheilung Unserer Genehmigung(§. 1.), ein beständiger Kommissanus ernannt werden, an welchen die Gesellschaft sich in allen Beziehungen zur Staatsverwaltung zu wenden hat. Derselbe ist befugt, ihre Vorstände zusammen zu berufen und deren Zusammenkünften beizuwohnen."; Renaud, Recht der Actiengesellschaften, 1863, S. 180. 99 Landwehr, in: SZGerm 99 ( 1982), S. I, 9. 100 Landwehr, in: Scherner I Willoweit (Hg.), Vom Gewerbe zum Unternehmen, 1982, s. 251 ' 252.
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
Der Gesellschaftsvertrag bedurfte nach § 1 Abs. 2 PrAktG der staatlichen Genehmigung 101 . Entgegen der Regelung im PrEisenbahnG, wonach den Gesellschaften mit der Genehmigung ihrer Statuten Korporationsrechte nach dem ALR verliehen wurden, wodurch sie einem gemeinnützigen Zweck verpflichtet waren, wurde die Verleihung von Korporationsrechten nach dem ALR für die nach dem PrAktG genehmigten Aktiengesellschaften vom Schrifttum 102 und in ständiger Rechtsprechung des Königlichen Ober-Tribunals nicht angenommen103. Dementsprechend entschied das Königliche Ober-Tribunal, daß bei diesen Aktiengesellschaften, im Gegensatz zu den Eisenbahngesellschaften, die Gemeinwohlverpflichtung als Folge der Verleihung von Korporationsrechten nach dem ALR fehle 104. Die Genehmigungspraxis nach dem PrAktG war zunächst sehr restriktiv und orientierte sich an der Genehmigungspraxis unter dem Octroi-System 105. Eine "Instruktion" für die Genehmigungserteilung vom 22. April 1845 sah vor, daß eine Konzession erfordere, daß der Zweck der Gesellschaft u. a. auch "aus allgemeinen Gesichtspunkten nützlich und der Beforderung werth erscheint" 106. Und für die Ausgabe von Inhaberaktien war erforderlich, daß das Unternehmen "über den Kreis örtlicher Wirksamkeit und Nützlichkeit hinausgeht, und im höheren Interesse des Gemeinwohls besondere Begünstigung verdient" 107. Diese Gemeinwohlorientierung trat in späteren "Cirkular-Verfügungen" vom 7. März
101 § I Abs. 2: "Der Gesellschaftsvertrag (das Statut) ist zur landesherrlichen Bestätigung vorzulegen." 102 C. F. Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 3. Bd., 6 1879, II 6 § 22 Anm. 12; Rehbein I Reincke, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 3. Bd., 5 1894, II 6 § 24 Anm. II a). 103 Landwehr, in: SZGerm 99 ( 1982), S. I, 9 f. 104 Königliches Ober-Tribunal v. 18. Juli 1865, in: Striethorst (Hg.), Archiv für Rechtsfälle, die zur Entscheidung des Königlichen Ober-Tribunals gelangt sind, Bd. 59, S. 329, 332 f.; dass., Entscheidung vom 8. März 1870, in: Striethorst (Hg.), Archiv ftir Rechtsfälle, die zur Entscheidung des Königlichen Ober-Tribunals gelangt sind, Bd. 78, s. 63, 67 f. 105 Reich, in: Jus Commune, Bd. II, 1969, S. 239, 253 f.; Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 122; Martens, Aktiengesellschaft in der Kritik, 1934, S. 25; K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. I ( 1898), 1964, S. 287 f. 106 I. I) der Instruktion, die Grundsätze in Ansehung der Konzessionierung von Aktiengesellschaften betreffend. Vom 22. April 1845, in: Weinhagen, Recht der Aktiengesellschaften, 1866, Anhang, S. 41. 107 II. I) der Instruktion, die Grundsätze in Ansehung der Konzessionierung von Aktiengesellschaften betreffend. Vom 22. April 1845, in: Weinhagen, Recht der Aktiengesellschaften, 1866, Anhang, S. 41, 42.
C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft
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und 29. März 1856 108, die eine Zusammenstellung allgemeiner Grundsätze für die KonzessionseTteilung friiherer "Cirkular-Verfügungen" darstellen, zuriick. Nach ihnen wurde eine Verpflichtung auf das gemeine Wohl von den Aktiengesellschaften nicht mehr gefordert, auch nicht indirekt durch die Möglichkeit der Entziehung der Konzession, wenn Griinde des gemeinen Wohls dies erforderten109. Dementsprechend wurde in der Literatur überwiegend vertreten, daß die Aktiengesellschaften einer besonderen staatlichen Aufsicht nicht mehr unterlagen und auch eine besondere Bindung an den Staat und seine Interessen nicht mehr vorhanden war110. Das korrespondiert mit einer sich langsam veränderten staatlichen Wirtschaftspolitik Preußens. Nach den zahlreicheren Griindungen von Aktiengesellschaften und dem Bedarf an Aktiengesellschaften zur Finanzierung kapitalintensiver Vorhaben, wie den Eisenbahn- und Chausseebau 111 , traten zur Mitte der fiinfziger Jahre des 19. Jahrhunderts die wirtschaftliche Entwicklung in rechtlich gelenkten Bahnen und der Schutz des interessierten Publikums als Ziele der Wirtschaftspolitik in den Vordergrund. Allerdings blieb unterschwellig die staatliche Selbstbehauptung gegen Mächte und Übergriffe der Wirtschaft als Leitlinie erhalten 112• Vor diesem Hintergrund ist es zu bewerten, daß die KonzessionseTteilung zur Mitte des Jahrhunderts zunehmend zu einer rein ordnungsbehördlichen Maßnahme wurde 113• Im Wechsel vom Konzessions-System auf das System der Normativbestimmungen liegt insofern ein Mittel, um diese neuen Ziele der Wirtschaftspolitik zu erreichen 114, als der Staat auf eine unmit-
10~ Cirkular-Verftigung betreffend die Bedingungen zur Errichtung von AktienGesellschaften abhängig ist. Vom 7. März 1856, in: Weinhagen, Recht der Aktiengesellschaften, 1866, Anhang, S. 79 f.; Cirkular-Verftigung wegen der bei Bestätigung der Statuten von Aktien-Gesellschaften festzuhaltenden allgemeinen Grundsätze. Vom 29. März 1856, in: Weinhagen, Recht der Aktiengesellschaften, 1866, Anhang, S. 80 tf. 109 Vgl. Reich, in: Jus Commune, Bd. II, 1969, S. 239,254. 110 Renaud, Recht der Actiengesellschaften, 1863, S. 180 mit Nachweis d. a. M. 111 Zur Bedeutung insbes. des Eisenbahnbaus ftir die Entwicklung des Aktienrechts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts s. Reich, in: Jus Commune, Bd. II, 1969, s. 239, 249 f. 11 2 K. J. Hopt, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. V, 1980, S. 128, 167; ähnlich Raisch, in: FS f. Hefermehl, 1976, S. 347, 351, wonach das Konzessions-System der Kontrolle der in der "'Kollektivpersönlichkeit"' verbundenen sozialen Kräfte diente; vgl. auch Pross, Manager und Aktionäre in Deutschland, 1965, S. 46. 113 Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 132. 114 Vgl. K. J. Hopt, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. V, 1980, S. 128, 168.
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
telbare normative Anhindung der Aktiengesellschaft an seine Interessen zu Gunstender regulativen Kräfte des Marktes verzichtete 115•
2. ADHGB von 1861 Das ADHGB von 1861 116 erlangte in Preußen Geltung am I. März 1862 117• Mit den Artt. 207-249 erfolgte erstmals eine ausruhrliehe Regelung des Aktienrechts in Deutschland. Sie galten in Preußen zunächst nur fiir solche Aktiengesellschaften, deren Geschäftsgegenstand der Betrieb von Handelsgeschäften war 118 • Für alle übrigen Aktiengesellschaften fanden sie durch die Regelung in § 1 des Gesetzes über die Aktiengesellschaften vom 15. Februar 1864 Anwendung. Art. 208 Abs. 1 ADHGB sah die Konzessionspflicht fiir Aktiengesellschaften vor119 • Eine staatliche Beaufsichtigung der Aktiengesellschaften war in der Form normiert, daß nach Art. 214 Abs. I ADHGB jeder den Gesellschaftsvertrag abändernde Beschluß der Generalversammlung der staatlichen Genehmigung bedurfte 120• Dies bedeutete jedoch nicht die Vorsehung einer Bindung der Aktiengesellschaft an das gemeine Wohl, was sich an der Gesetzgebungsgeschichte zum ADHGB zeigen läßt. An ihr wird deutlich, daß mit dem ADHGB 115 Vgl. Großfeld, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd.IV, 1979, S. 236,244 ff. 116 Zitiert wird es nach dem Entwurf der 3. Lesung der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches 1861, in: v. Lutz(Hg.), Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, Beilagenbd. I II. Theil, 1861 , S. 2 ff. 117 PrEG zum ADHGB (1861) vom 24. Juni 1861, Art. I, in: v. Lutz (Hg.), Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, Beilagenbd. I 111. Theil, 1867, S. I. Zur Umsetzungspraxis in den Staaten des Deutschen Reichs s. L. Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, I. Bd., ( 1875), 1973, S. II 0. 11 RPrEG zum ADHGB (1861) vom 24.Junil861, Titel III.Abschnittl9., § 5 Nr. 12, in: v. Lutz (Hg.)., Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, Beilagenbd. I III. Theil, 1867, S. I, 7; vgl. Landwehr, in: SZGerm 99 (1982), S. I, 2 f. 119 "Aktiengesellschaften können nur mit staatlicher Genehmigung errichtet werden.", in: v. Lutz (Hg.), Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, Beilagenbd. I II. Theil, 1861, S. 39. 120 ,,Jeder Beschluß der Generalversammlung, welcher die Fortsetzung der Gesellschaft oder eine Abänderung der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages zum Gegenstande hat, bedarf zu seiner Gültigkeit der notariellen oder gerichtlichen Beurkundung, sowie der staatlichen Genehmigung.", in: v. Lutz (Hg.), Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, Beilagenbd. I II. Theil, 1861, s. 41.
C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft
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von einer weitgehenden Staatsaufsicht mit einer partiellen Normierung einer Gemeinwohlbindung der Aktiengesellschaften zu Gunsten ihrer Lösung vom Staat abgerückt wurde. Der preußische Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, der Grundlage der Beratungen der Nürnberger Konferenz zur Kodiftkation eines deutschen Handelsgesetzbuchs war121 , sah noch eine umfassende staatliche Aufsicht über die Aktiengesellschaften vor122 • Art. 185 Abs. I des preußischen Entwurfs bestimmte, daß die erteilte Genehmigung bei überwiegenden Gründen des gemeinen Wohls zurückgenommen werden konnte 123 • Eine Art. 185 Abs. I des preußischen Entwurfs entsprechende Bestimmung fehlte bereits im Entwurf nach der ersten Lesung und auch im folgenden zweiten und endlichen dritten Entwurf. Darüberhinaus sah der preußische Entwurf in Art. 200 Nr. 3 die Möglichkeit der Auflösung der Aktiengesellschaft durch die Zurücknahme der Genehmigung wegen "groben Mißbrauchs" vor124• Dies würde eine Möglichkeit und Pflicht zur Überwachung der Aktiengesellschaft auf genehmes Verhalten bedeutet haben, was jedoch nicht ohne weiteres einer Gemeinwohlbindung gleichgekommen wäre. Im Entwurf nach der ersten Lesung fmdet sich eine entsprechende Norm in Art. 220 Nr. 3m. In dem die Auflösung der Gesellschaft regelnden Artikel des Entwurfs nach der zweiten Lesung und in dem des endgültigen dritten Entwurfs fehlt eine dementsprechende Bestimmung126 • Zwar konnte sich in den Beratungen noch nicht die weitergehende Liberalisierung des Aktienrechts in Form einer Freigabe der Gründung von Aktiengesellschaften durchsetReich, in: Jus Commune, Bd. II, 1969, S. 239,258. Reich, in: Jus Commune, Bd. II, 1969, S. 239, 258. 123 Art. 185 Abs. I "Die Genehmigung einer Aktiengesellschaft kann von der Staatsregierung aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls gegen Ersatz des wirklichen Schadens und des entgangenen Gewinns zurückgenommen werden.", in: v. Lutz (Hg.), Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen HGB, Beilagenbd. I I. Theil, 1861, S. I, 34. 124 Art. 200 Nr. 3: "Die Aktiengesellschaft wird aufgelöst: [... ] 3. durch die Zurücknahme der Staatsgenehmigung oder Aufhebung des Rechts wegen groben Mißbrauchs;", in: v. Lutz (Hg.), Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen HGB, Beilagenbd. I I. Theil, S. I, 37. 125 Art. 220 Nr. 3: "Die Aktiengesellschaft wird aufgelöst: ...3) durch die Aufhebung des Rechts wegen groben Mißbrauchs", in: v. Lutz (Hg.), Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen HGB, Beilagenbd. I I. Theil, 1861, S. 141, 182. 126 Vgl. Art. 228 des Entwurfs nach der zweiten Lesung und Art. 242 des endgültigen Entwurfs der 3. Lesung, in: v. Lutz (Hg.), Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen HGB, Beilagenbd., I. Theil, 1861, S. 207, 246 u. ders., Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen HGB, Beilagenbd. I II. Theil, 1861, S. I, 47. 121
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
zen, wie dies insbesondere die Vertreter der Hansestädte gefordert hatten 127, doch wurde vom Konzessions-System preußischer Prägung zu Gunsten einer formalisierten Handhabung der Konzessionsecteilung abgerückt und mit Art. 249 Abs. I S. I ADHGB 128 den Staaten des Deutschen Reichs die Möglichkeit eröffnet, vom Konzessions-System insgesamt abzusehen. Von dieser Möglichkeit machten denn auch die Hansestädte, Oldenburg, Baden, Württemberg und später Sachsen und Anhalt Gebrauch 129• Im ADHGB war also von der ursprünglichen weitgehenden Staatsaufsicht und Anhindung der Aktiengesellschaften an den Staat, wie es noch der preußische Entwurf in Form der Möglichkeit der Rücknahme der Genehmigung bei Gründen des gemeinen Wohls vorgesehen hatte, nichts mehr übrig geblieben 130•
111. Im System der Normativbestimmungen Die nach dem ADHGB von 1861 nicht mehr bestehende Gemeinwohlbindung der Aktiengesellschaft wurde auch später nicht wieder eingeführt. Mit der 1. Novelle zum ADHGB, durch das Gesetz des Norddeutschen Bundes, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 11. Juni 1870, wurde das Konzessions-System durch das System der Normativbestimmungen ersetzt131 • Art. 208 Abs. 1 des ADHGB, welcher die staatliche Genehmigung für die Aktiengesellschaften vorschrieb, wurde durch Art. 208 der Novelle ersetzt, wonach das Erfordernis der staatlichen Genehmigung entfiel. Art. 208 der Novelle sah in Abs. 2 vor, daß über die Errichtung der Gesellschaft und den Inhalt des Gesellschaftsstatuts eine gerichtliche oder notarielle Urkunde aufzunehmen war. Neu wurde mit Art. 21 Oa normiert, daß für die Anmeldung der Aktiengesellschaft in das Handelsregister nach Art. 21 0 in der Fassung der Novelle der Nachweis über die Zeichnung des Grundkapitals 127 S. die Rede des Hamburger Abgeordneten, in: Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buches, Protokoll I-XLV., I 857, S.319,323. 12R "Den Landesgesetzen bleibt vorbehalten, zu bestimmen, daß es der staatlichen Genehmigung zur Errichtung von Aktiengesellschaften im Allgemeinen oder zu einzelnen Arten derselben nicht bedarf.", in: v. Lutz (Hg.), Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen HGB, Beilagenbd. I II. Theil, 1861, S. I, 49. 129 Reich, in: Jus Commune, Bd. II, I 969, S. 239, 261 f. 130 Vgl. Reich, in: Jus Commune, Bd.ll, 1969, S. 239, 258; K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Bd. I (1898), 1964, S. 289; Thöl, Handelsrecht, I. Bd., 6 1879, s. 421 f. 131 Zur Genese der Novelle ausfUhrlieh Schubert, in: ZGR 198 I, S. 285, 292 ff.
C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft
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und die Einzahlung von mindestens l 0%, bei Versicherungsgesellschaften mindestens 20%, des gezeichneten Kapitals zu erbringen war. Mit § 2 Abs. 1 der Novelle wurden alle landesgesetzlichen Bestimmungen, die eine Konzession vorsahen, und diejenigen Bestimmungen, mit denen eine besondere staatliche Aufsicht über die Aktiengesellschaft angeordnet war, aufgehoben, was nach Abs. 2 auch für alle schon bestehenden Aktiengesellschaften und den Bestimmungen in ihren Gesellschaftsverträgen galt132• Eingeführt wurde auch die zwingend vorgeschriebene Dreigliedrigkeit der Aktiengesellschaft, bestehend aus Generalversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat. Während das ADHGB die Einrichtung eines Aufsichtsrats noch in das Belieben der Gesellschaft und der Aktionäre gestellt hatte, indem Art. 205 ADHGB seine Rechte und Pflichten für den Fall seiner Errichtung regelte, war nach Art. 209 Nr. 6) der Novelle die Bestellung eines Aufsichtsrats durch den Gesellschaftsvertrag zwingend. Entgegen verbreiteter Meinung, wonach die Entwicklung des modernen Aktienrechts in Deutschland mit der 2. Novelle zum ADHGB ( 1861) 1884 begann133, wurde bereits durch die 1. Novelle mit der Einführung des Systems der Normativbestimmungen und der zwingenden Dreigliedrigkeit der Aktiengesellschaft das noch heute geltende Aktienrecht in seinen Grundzügen festgeschrieben und von der 2. Novelle im wesentlichen nur schärfer konturiert 134• Die 2. Novelle zum ADHGB vom 18. Juli 1884 135 wurde wegen den in den siebziger Jahren massiv entstandenen Problemen bei der Anwendung des geltenden Aktienrechts auf die sprunghaft ansteigende Zahl von vielfach nicht fmanziell abgesicherten Neugründungen von Aktiengesellschaften notwendig 136 • Tiefgreifende Auswirkungen zeitigte diese Krise im Kapital- und Börsenbereich, weniger in dem der Produktion 137• Die kurzfristige Folge dieser Krise für Thöl, Handelsrecht, I. Bd., 6 1879, S. 421 f. Vgl. Zöllner in: Kötner Kommentar z. Aktiengesetz, Einleitungsband, 1984, Einl. Rdn. 64; Raisch, Unternehmensrecht, Bd. 2, 1974, S. 26. 134 Landwehr, in: SZGerm 99 (1982), S. I , 20. 135 Zur Entstehungsgeschichte der Novelle s. Schubert, in: Schubert I Hornmethoff (Hg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. I ff. 136 Vgl. Allge. Begründung d. Entwurfs 1884, in: Schubert I Hornmethoff (Hg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 387, 408 ff. u. 412 f.; Hommelhoff, in: Schubert I Hornmethoff (Hg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 53, 64 ff.; Reich, in: Horn I Kocka (Hg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 255, 258 ff. Zu den ökonomischen Bedingungen und Auswirkungen der Gründerkrise s. Henning, Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, RJ993, S. 205 ff. 137 Henning, Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, RJ993, S. 211. 132 133
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
das Aktienwesen war ein dramatischer Fall der Börsenkurse. In der Zeit von 1872 bis 1873, dem Jahr des Kurseinbruchs im Oktober, schrumpfte der Kurswert von 444 deutschen Aktiengesellschaften um knapp die Hälfte von 4.528 Milliarden Mk. auf 2.444 Milliarden Mk. 138• Dies ließ den Ruf nach einem effektiven Anlegerschutz laut werden. Als ungenügend wurde das bisherige Aktienrecht empfunden, weil es die Gründung der Aktiengesellschaft, nachdem durch die l. Novelle von 1870 vom Konzessions-System auf das System der Normativbestimmungen übergegangen worden war, ohne ausreichende Kontrolle durch den Staat ermögliche und die Gründer und die Leitung der Aktiengesellschaft nicht hinreichend haftbar für ihr Tun mache 139 • Dies kommt deutlich in einem Rundschreiben des preußischen Ministers für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten an die preußischen Handelsvorstände vom 28. Mai 1873 zum Ausdruck, mit dem diese zur Stellungnahme zu einer Reihe von Fragen bezüglich einer Reform des Aktienrechts aufgefordert wurden. Gefragt wurde etwa nach der Erforderlichkeil einer gesteigerten Publizität, einer verschärften Haftung der Gründer, einer Verschärfung der Verantwortlichkeit der Geschäftsfiihrung und eines zusätzlichen Überwachungsorgans. Daneben fmden sich Fragen nach einer Stärkung der Generalversammlung, des einzelnen Aktionärs und der Minderheit, aber auch nach einem Schutz gegen "willkürliche oder künstlich herbeigefiihrte Mehrheitsbeschlüsse" 140• Entsprechende Aufforderungen ergingen auch an die Handelskammern der anderen deutschen Staaten141 • Die Stellungnahmen der Handelskammern zeichnen sich durch eine weitgehende Übereinstimmung darin aus, daß eine verstärkte Publizität und Haftung fiir die Gründung und während der Gründung der Aktiengesellschaft erforderlich sei 142• Dem suchte der Gesetzgeber der Novelle von 1884 insbesondere durch eine Erhöhung der Anforderungen an die Offenlegung der Gründung und der daran Beteiligten, durch eine Verschärfung der Haftung der Gründer und durch eine Stärkung der Stellung des Aufsichtsrats Rechnung zu tragen 143 , ohne daß
m Henning, Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, RJ993, S. 211. K. Wieland, Kapitalgesellschaften, 1931, S. 8. 140 Rundschreiben des Ministers für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten in Preussen an die preussische Handelsvorstände vom 28. Mai 1873, in: Hecht, Das Börsen- und Aktienwesen der Gegenwart, Bd. I, 1874, S. 181 ff. 141 Hecht, Das Börsen- und Aktienwesen der Gegenwart, Bd. I, 1874, S. 154. 142 Vgl. die Stellungnahmen der Handelskammern, in: Hecht, Das Börsen- und Aktienwesen der Gegenwart, Bd. I, 1874, S. 186 ff. 143 Allge. Begründung d. Entwurfs 1884, in: Schubert I Hornmethoff (Hg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 387, 431 u. 457 ff., 459; Reich, in: Horn I Kocka (Hg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, s. 255, 262. 139
C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft
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das System der Normativbestimmungen geändert und eine weitergehende Staatsaufsicht über die Aktiengesellschaften wieder eingefiihrt wurde.
Befiirchtungen einer wirtschaftlichen Monopolisierung des Marktes durch die Aktiengesellschaften und den damit sich ergebenden negativen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und den Staat traten ab Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkt zu Tage 144. Vor allem die Gründerkrise und ihre Folgen fiihrten zu einer Änderung der staatlichen Wirtschaftspolitik insoweit, als der Staat nunmehr zu einem verstärkten Interventionismus in Form der Gestaltung der Wirtschaftsprozesse nach gesetzten Zielen überging 145 . Deutlich wird dies an der Einfiihrung von Schutzzöllen auf industrielle und agrarische Erzeugnisse ab 1879. Wichtiger und wirkungsvoller waren jedoch die allgemeinen Instrumente der Infrastrukturpolitik, derer sich der preußische Staat nunmehr massiv bediente146. So förderte Preußen den Eisenbahnbau insbesondere im strukturschwächeren Osten147. An dem Neubau vor allem von Nebenstrecken 148 wird deutlich, daß strukturschwache Landesteile an wirtschaftsstärkere Regionen angebunden werden sollten 149. Obwohl gegen die Aufgabe des Konzessions-Systems eingewendet wurde,
daß den Gefahren der wirtschaftlichen Konzentration durch die Aktiengesell-
schaften nur durch seine Beibehaltung begegnet werden könne150, entsprach seine Ablösung durch das System der Normativbestimmungen der sich im Prozeß der Liberalisierung der Wirtschaft ausdrückenden allgemeinen Anerkennung der volkswirtschaftlichen Theorie von der Selbstregulierung durch den freien Markt151 . Dementsprechend hielt die 2. Novelle zum ADHGB von 1884
144 Großfeld, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. IV, 1979, S. 236, 245; ders. Aktiengesellschaft, 1968, S. 123fT. m. w. Nachw.; Martens, Aktiengesellschaft in der Kritik, 1934, S. 34 fT. 145 Abelsha~~er, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik I 09 (1980), S. 9, 15; ders. gibt dort einen Uberblick über die preußische Infrastrukturpolitik während dieser Zeit. 146 Abelshauser, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik 109 (1980}, S. 9, 16fT. 147 Abelshauser, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik I09 ( 1980), S. 9, 19 fT. 148 Vgl. die Statistik von Abelshauser, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik 109 (1980}, s. 9, 20. 149 Wehler, DeutscheGesellschaftsfeschichte, 3. Bd., 1849-1914, 1995, S. 677 f. 150 Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 132fT. m. w. Nachw. 151 Vgl. HommelhofT, in: Schubert I Hornmethoff (Hg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 53, 80; Schubert, in: ZGR 1981, S. 285, 287; Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 139 ff. Zur Durchsetzung des Liberalismus politisch und gesellschaftlich vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918,2. Bd., 2 1993, S. 359 ff. Zur rechtspolitischen Durchsetzung des Liberalismus vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2 1967, S. 481; ders. , Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, S. I0. Zum Übergang vom
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
am System der Normativbestimmungen fest, obwohl es in der Form der 1. Novelle von 1870 mit seinen sehr geringen Anforderungen an die Gründung von Aktiengesellschaften nach einhelliger Meinung der damaligen Zeit mit zum Gründungsschwindel beigetragen hatte 152• Die sich darauf beziehende heftige Kritik reichte bis hin zur Forderung nach der Abschaffung des Aktienwesens 153• Die Befreiung der Aktiengesellschaft von ihren Bindungen an die Interessen des Staates und wichtiger noch: die Befreiung des Bürgers als Aktionär und Eigentümer der Aktiengesellschaft von diesen Bindungen entsprach den Überzeugungen und Forderungen des Liberalismus wirtschafts-und gesellschaftspolitisch. Charakteristisch dafür sind die Ausführungen L. Goldschmidts auf dem 8. Deutschen Juristentag 1870, mit denen er die Forderung nach der Genehmigungsfreiheit für die Gründung von Aktiengesellschaften mit der wirtschaftlichen und rechtlichen Freiheit des Bürgers begründete 154• Dem Wirtschaftsliberalismus mit seinem Postulat der ungebundenen Wirtschaft entsprach es, den Staat aus dem Bereich der Wirtschaft weitgehend auszuschließen. Er beruhte auf der durch D. Ricardo, J. St. Mill und besonders A. Smith, dessen Ansatz zur Behandlung ökonomischer Fragen bestimmend für die wirtschaftswissenschaftliche Theorie insbesondere der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wariSS, geprägten klassischen wirtschaftsliberalistischen Nationalökonomie. Ihr zufolge
Konzessions-System zum System der Normativbestimmungen als Folge des Liberalisierung s. Reich, in: Horn I Kocka (Hg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 255, 257. 152 Eine differenzierende Analyse vor allem der volkswirtschaftlichen Gründe der Gründerkrise gibt Henning, Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, 8 1993, s. 205 ff. 153 Die Commission der Handels- und Gewerbekammer zu Chemnitz forderte 1872 die Aufhebung der die Aktiengesellschaft regelnden Artikel im ADHGB ( 1861) und die "Unterstellung der Actien-Gesellschaften unter das deutsche Genossenschaftsrecht", Gutachten der Commission der Handels- und Gewerbekammer zu Chemnitz d. d. 12.9.1872, in: Hecht, Das Börsen- und Aktienwesen der Gegenwart, Bd. I, 1874, S. 157, 171. v. Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. I, 4 1904, S. 172 ff., 173, meinte: "Die Aktiengesellschaft in ihrer jetzigen Gestalt ist eine der unvollkommensten und verhängnisvollsten Einrichtungen unseres ganzen Rechts; das mtiste Ungemach, welches in den letzten Jahren auf dem Gebiete des Verkehrslebens über uns hereingebrochen ist, stammt entweder direkt aus dieser Quelle oder steht wenigstens mit ihr in engster Verbindung." 154 In: 8. DJT, Bd. Il, 1870, S. 48; vgl. auch L. Goldschmidt, in: ZHR 30 ( 1885), s. 69, 75. 155 Pribram, Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. I, 11992, S. 243; Winkel, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. IV, 1979, S. 3 f.; Schremmer, in: Aubin I Zorn (Hg.), Hdb. der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2, 1976, S. 122, 138 ff.
C. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft und Staat und Gesellschaft
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erforderte das Selbstinteresse der Wirtschaftssubjekte eine Wirtschaft weitestgehend frei von Einflüssen des Staates 156• Mit dem Aufkommen der "sozialen Frage" wurde jedoch der Ruf nach einer Abkehr von dieser wirtschaftspolitischen Lehre lauter157• Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts und dann verstärkt zum Ende des Jahrhunderts hin entstand die Forderung, von ihr zu Gunsten eines stärkeren Restriktion und eines größeren Interventionismus abzurücken 158 • Die zunehmende Intervention des Staates 159 und ihm entsprechende Forderungen in der volkswirtschaftlichen Theorie bewirkten jedoch kein Abrücken von den Grundsätzen des liberalkapitalistischen Wirtschaftssystems, mit dem eine Gemeinwohlbindung der Aktiengesellschaft unverträglich ist160• Es ist daher nicht zutreffend, wenn Schmidt-Leithoffschon fiir die Zeit vor 1918 161 eine Bindung der Aktiengesellschaften an die Interessen des Staates und der Gesellschaft feststellen zu können glaubt162• Er begründet dies mit Maßnahmen des Staates und Privater in verschiedenen Bereichen, so etwa die Förderung des Eisenbahnwesens durch Preußen und die Errichtung von Stiftungen 163, die er als Ausdruck einer ,,Praktizierung des Gemeinwohlgedankens durch Staat und Gesellschaft" erkennt164• Das vermag seine These von einer Bindung der Aktiengesellschaften an das gemeine Wohl nicht zu stützen. Allein, daß fiir Aktiengesellschaften womöglich ein Handeln im öffentlichen Interesse in der Zeit des 19. Jahrhunderts feststellbar ist, bedeutet nichts fiir die Frage nach einer Verpflichtung dazu. Auch mit dem Verweis auf gemeinwohlorientiertes Verhalten von Privatpersonen läßt sich eine normative Bindung der Aktiengesellschaften an das gemeine Wohl nicht nachweisen. Der Staat und die Gesellschaft haben freilich allgemein ein Interesse daran, daß die Volkswirtschaft in einem solchen Maße funktioniert, daß eine Sombart, Der moderne Kapitalismus, 3. Bd. I I. Hlbd. (1902), 1955, S. 51 f. Winkel, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. rv, 1979, s. 3, 10. m Winkel, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. rv, 1979, s. 3, 5 ff. 159 Nach Stolleis, in: ZNR, II. Jahrg. (1989), S 129 ff., insbes. S. 134 ff., ist flir die Zeit nach der Krise von 1873 die Bezeichnung Interventionsstaat gerechtfertigt; eingehend dazu neuestens Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3. Bd., 1849-1914, 1995, s. 668 ff. 160 Vgl. Stolleis, in: ZNR, II. Jahrg. ( 1989), S 129 ff., 134, 136. 161 Schmidt-Leithoff bezieht sich in seiner Argumentation nicht auf die Zeit der Kriegswirtschaft, sondern auf die Zeit des 19. Jahrhunderts. Nur auf diese Feststellung bezieht sich meine Kritik. 162 Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 25. 163 Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 22 f. 164 Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 20 ff. 156 157
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
zufriedenstellende Verteilung des Sozialprodukts erfolgt und dessen Steigerung gewährleistet ist. Dieses allgemeine Interesse darf jedoch nicht mit der in Frage stehenden normativen Bindung der Aktiengesellschaften an die Interessen des Staates und der Gesellschaft in eins gesetzt werden, worauf allerdings die Ausführungen Schmidt-Leithoffs hindeuten. Dementsprechend führte auch das HGB vom 10. Mai 1897, das zusammen mit dem BGB am I. Januar 1900 in Kraft trat und die Regelungen des abgelösten ADHGB über die Aktiengesellschaften nur marginal änderte165, die normative Gemeinwohlbindung der Aktiengesellschaften nicht wieder ein. In der Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs heißt es: "Grundlegende Aenderungen im System des geltenden Aktienrechts kommen hiernach nicht in Frage und sind auch von keiner Seite in Anregung gebracht." 166
D. Zusammenfassung Der Industrialisierungsprozeß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ließ das Deutsche Reich zu einem Industriestaat werden. An diesem Prozeß hatten die Aktiengesellschaften maßgeblichen Anteil. In ihm veränderten sie ihre Struktur von einer Gesellschaft weniger Sozien, die zumeist die Gesellschaft auch gegründet hatten und die Aktien dauerhaft hielten, zu großen Publikumsgesellschaften, deren Aktionäre regelmäßig ein lediglich kapitalistisches Interesse an einer möglichst hohen Rendite ihres eingesetzten Kapitals hatten. Schon um die Jahrhundertwende konnte festgestellt werden, daß eine Machtverschiebung von der Generalversammlung und den Aktionären zur Verwaltung stattfand. Diesen wirtschaftlichen Gegebenheiten genügte die Konzeption der Aktiengesellschaft, die den gesetzlichen Regelungen zu Grunde lag, nur noch eingeschränkt. Das dem Aktienrecht seit der 1. Novelle des ADHGB von 1870 zu Grunde liegende Leitbild von der Aktiengesellschaft war die rein private und sich selbst verwaltende Gesellschaft 167• Die Bedeutung, die die Aktiengesellschaft für die Volkswirtschaft und damit den Staat und die Gesellschaft erlangt 165 Vgl. Wagner, Gesellschaftsrecht, in: Hdb. der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatf.echtsgeschichte, 3. Bd. /3. Teilbd., hg. v. Coing, 1986, S. 2969, 3010, wonach eine Anderung der sprachlichen Fonnundeine Verfeinerung Systematik erfolgte. 166 Denkschrift zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, in: Reichs-Justizamt, Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, 1896, Denkschrift, S. 119. 167 C. E. Fischer, in: AcP 154 ( 1955), S. 85, 89.
D. Zusammenfassung
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hatte, blieb ausgeklammert. Die Aktiengesellschaft war nach dieser Konzeption einerseits zwar rechtlich selbständige juristische Person Dritten gegenüber andererseits jedoch unselbständiges Zuordnungsobjekt der Aktionäre. Dem entsprach das Mehrheitsprinzip als alleinige Voraussetzung für die Willensbildung in der Generalversammlung, von der die Leitung der Aktiengesellschaft abhängig sein sollte. Grundlage dessen war die Annahme, daß es den Aktionären um die Interessen der Aktiengesellschaft zu tun sein würde. Diesem Leitbild von der Aktiengesellschaft entsprach es, daß eine nonnative Anhindung der Aktiengesellschaft an die Interessen des Staates und der Gesellschaft an der Jahrhundertwende nicht mehr bestand. Die während der Anfänge des Aktienwesens auch nonnativ bestehende Bindung der Aktiengesellschaften an die Interessen des Staates hatte sich zur Jahrhundertwende hin gelöst. Nicht in dem Sinne, daß der Staat sein Interesse an den Aktiengesellschaften und der Wirtschaft verloren hätte, doch insofern, als eine Anhindung der Aktiengesellschaften an die Interessen des Staates weder nonnativ noch nach dem Verständnis von den Aufgaben und der Bedeutung des Staates gewollt war. Die nonnative Gemeinwohlbindung war schon im PrAktG nicht mehr ausdrücklich vorgesehen, wenngleich die Handhabung der Konzessionierung zunächst noch den Entzug der Konzession aus Gründen des gemeinen Wohls vorsah. Da das PrAktG neben das PrEisenbahnG und das ALR trat, die eine Gemeinwohlbindung für bestimmte Aktiengesellschaften vorsahen, kann erst mit dem Inkrafttreten des ADHGB von 1861 von einer allgemeinen Lösung der Aktiengesellschaft von einer nonnativen Bindung an das gemeine Wohl gesprochen werden. Diese Lösung der Aktiengesellschaft von der Anhindung an die Interessen des Staates und der Gesellschaft war bedingt durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Erst das Zusammentreffen des wirtschaftlichen Strukturwandels mit der Liberalisierung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bewirkte die Lösung der Aktiengesellschaft von der staatlichen Abhängigkeit168 • Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß der Wegfall der positiv-rechtlichen Normierung der Gemeinwohlbindung Ausdruck eines Wechsels in der wirtschaftspolitischen Anschauung des Gesetzgebers war. Der Übergang vom Konzessions-System zum System der Nonnativbestimmungen indiziert vor diesem Hintergrund die Aufhebung der Gemeinwohlbindung, hat diese aber nicht herbeigeführt, wie dies Krüger169 meint170•
16~
169 170
Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977, S. I 07. Krüger, in: Coing I Kaiser (Hg.), Planung V, 1971, S. 19, 34 f. Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 13 f.
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I. Teil Die Aktiengesellschaft um die Jahrhundertwende
Der fehlenden normativen Gemeinwohlbindung steht nicht entgegen, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der "sozialen Frage" der Staat zunehmend wirtschaftspolitisch intervenierte und eine Verantwortlichkeit der Wirtschaft und der Wirtschaftsgesellschaften für die Gesellschaft und den Staat gefordert wurde. Dabei handelte es sich mehrheitlich nicht um das Verlangen nach einer Rückkehr zu den Zuständen des Merkantilismus, sondern zu einer Verantwortlichkeit unter Beibehaltung der Selbständigkeit der Gesellschaften. Die sich an der Jahrhundertwende zeigenden Divergenzen zwischen dem geltenden Aktienrecht und vor allem: dem ihm zu Grunde liegenden Begriff der Aktiengesellschaft und den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen der Aktiengesellschaften waren Motiv und Gegenstand der Lehre vom Unternehmen an sich, die nunmehr untersucht wird.
2. Teil
Die Lehre vom Unternehmen an sich Die Bezeichnung "Lehre vom Unternehmen an sich" ist keine Schöpfung Rathenaus, sondern wurde von Haußmann (Rechtsanwalt, Berlin) geprägt1• Zwar erschienen 1928 ungefähr zeitgleich der Bericht der durch den 34. Deutschen Juristentages zur Prüfung einer Reform des Aktienrechts eingesetzten Kommission, der Haußmann nicht angehörte2, und die Haußmannsche Schrift »Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht«. In beiden ist vom neuen Typus der Aktiengesellschaft in Form des "Unternehmen an sich", wie ihn Rathenau vorgeschlagen habe, die Rede3• Jedoch wurde schon am 17. Dezember 1927 in der Juristischen Wochenschrift ein Aufsatz Haußmanns veröffentlicht, in dem sich die Bezeichnung ,,'Unternehmen an sich"' u. a. als Bestandteil des Titels fmdet (Die Aktiengesellschaft als "Unternehmen an sich"f Der Aufsatz ist ein vorab veröffentlichter Auszug aus seinem Buch »Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht«5, das wiederum auf einen Vortrag Haußmanns zurückgeht, den er im März 1927 in der juristischen Gesellschaft in Wien hielt6 • Die Annahme der Verwendung der Bezeichnungen "Unternehmen an sich" und "Lehre vom Unternehmen an sich" schon in dem Vortrag liegt nahe, da sie durchgehend in den Haußmannschen Schriften fiir die Ansichten Ratbenaus gebraucht werden und diese den hauptsächlichen Gegenstand der Erörterung in seinem Aufsatz aus 1927 und in »Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht« bilden. Demgegenüber hielt die durch den 34. Deutschen Juristentag eingesetzte Kommission ihre Sitzungen am 4. Dezember 1926, 17. Dezember 1927, 9. und 10. März und 3. und 4. Mai 1928 ab7• Laut Kommissionsbericht wurde in der 1 2
s. I.
So Haußmann selbst in BA XXX (1930 I 31 ), S. 57, 86 (58). Vgl. die Aufzählung der Mitglieder in: AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928,
3 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, z. B. S. 23 und AktRKomm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 6. 4 Haußmann, in: JW 1927, S. 2953. 5 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, z. B. S. 23. 6 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. VII. 7 AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 2 f.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
ersten Sitzung der zu behandelnde Stoff bestimmt und auf dann gebildete Unterkommissionen verteilt8• Mit der Ausarbeitung und Diskussion des veröffentlichten Berichts, in dem sich die Bezeichnung "Unternehmen an sich" fmdet, kann daher erst nach dem Haußmannschen Vortrag und zeitgleich mit der Veröffentlichung seines Aufsatzes in der Juristischen Wochenschrift begonnen worden sein. Auch bemerkte Nußbaum 1931, daß Haußmann "die charakteristische Formel von dem Unternehmen an sich" geprägt habe9 • Da Nußbaum selbst Mitglied der durch den 34. Deutschen Juristentag eingesetzten Kommission war10, muß davon ausgegangen werden, daß er es vermerkt hätte, wenn die Bezeichnung eine Schöpfung eines Mitglieds der Kommission gewesen wäre. Haußmann erkannte in Ratbenaus Schrift »Vom Aktienwesen« 11 eine Lehre vom Unternehmen an sich12, die sich durch das Bemühen um eine Verselbständigung des Unternehmens auf Kosten der Aktionäre auszeichne. In dieser Form ist sie in der Weimarer Republik weithin rezipiert worden13 • In der Auseinandersetzung mit der Lehre vom Unternehmen an sich seitdem wird einerseits vertreten, daß Rathenau ihr Begründer gewesen sei 14• Andererseits wird darauf hingewiesen, daß schon Netter (Rechtsanwalt, Berlin) 1932 dargelegt und begründet habe, daß es unzutreffend sei, eine Lehre vom Unternehmen an sich im Sinne Haußmanns Rathenau zuzuschreiben, so daß sich das ,,Paradoxon" ergeben habe, "daß Haußmann der Begründer einer im gleichen Zuge von ihm bekämpften Lehre" geworden sei 15 •
~ AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 2. 9
Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931,
s. 492, 500 f. 10
s. I.
S. die Aufzählung ihrer Mitglieder in: AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928,
Rathenau, Vom Aktienwesen, (1917), GS 5, 1925, S. 121 ff. Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 27 ff. 13 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 554; vgl. ihre Darstellung bei Klausing, Reform des Aktienrechts, 1933, S. 23; AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, s. 6. 14 K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 110; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 13. 15 Zöllner, Stimmrechtsmacht, 1963, S. 68; Nach K. J. Hopt, in: ZGR 1993, S. 534, 535, wurde in den ,.zwanziger Jahren" das ,.Haussmann'sche Unternehmen an sich" diskutiert; vgl. auch Flume, Die juristische Person, 1983, S. 37; Rittner, Die werdende juristische Person, 1973, S. 288 Fn. 27; Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 39. 11
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A. Rathenaus Lehre vom Unternehmen an sich
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Wie im weiteren gezeigt wird, stimmen die Darlegungen Ratbenaus und die Lehre vom Unternehmen an sich, so wie sie in der Weimarer Republik entwikkelt wurde, in charakteristischen Teilen überein, so daß die gemeinsame Bezeichnung ,,Lehre vom Unternehmen an sich" gerechtfertigt ist. Soweit es im folgenden auf die Differenzen zwischen ihnen ankommt, wird zur näheren Charakterisierung der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich der Zusatz ,,Konvergenz der berechtigten Interessen" gebraucht oder schlicht von "seiner" Lehre vom Unternehmen an sich gehandelt.
A. Rathenaus Lehre vom Unternehmen an sich Walther Rathenau wurde am 29. September 1867 in Berlin als Sohn von Emil Rathenau, dem späteren Gründer der AEG 16, und dessen Frau Mathilde geboren 17• Ein naturwissenschaftliches Studium in Berlin und Straßburg (18851889) und eine zusätzliche Ausbildung in Chemie und Maschinenbau an der technischen Hochschule München (1889-1890) schloß er mit einer Promotion über ,,Die Lichtabsorption der Metalle" ab. Anschließend leistete er einen einjährigen freiwilligen Militärdienst bei den Berliner Gardekürassieren. Sein Wunsch nach einer Laufbahn als aktiver Offizier scheiterte an seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft. Nach einer kurzen Zeit in der Aluminium AG in Neuhausen I Schweiz wurde er 1893 Direktor der von der AEG gegründeten Elektrochemischen Werke GmbH in Bitterfeld. 1899 trat er ins Direktorium der AEG ein; 1902 in den Vorstand der BerlinerHandelsgesellschaft. 1904 wurde er, nach seinem Ausscheiden aus dem Direktorium, Mitglied und 1912 Vorsitzender des Aufsichtsrats der AEG. Nach dem Tod seines Vaters 1915 gelang ihm zwar nicht, Generaldirektor der AEG zu werden, doch erhielt er den Titel ,,Präsident" als Vorsitzender des Aufsichtsrats und erweiterte Vollmachten für diese Position 18• 16 Nach 113-jährigem Bestehen ist die AEG AG durch die Eintragung ihrer Verschmelzung auf die Daimler-Benz AG am 20 September 1996 im Handelsregister Stuttgart erloschen; s. FAZ vom 28.09.1996, S. 14, mit einer kurzen Darstellung der wichtigsten Stationen der Unternehmensgeschichte der AEG. 17 Zur Biographie Ratbenaus s. vor allem: Graf Kessler, Rathenau ( 1928), GS III, 1988; Schulin, Rathenau, 2 1992; Berglar, Rathenau, 1987. Ein Verzeichnis der schriftstellerischen Arbeiten Rathenaus enthält: Gottlieb, Rathenau-Bibliographie, 1929. 18 Hughes, in: ders. u. a, W. Rathenau und die Kultur der Moderne, 1990, S. 9, 10 u. passim, weist der Tätigkeit Rathenaus in den verschiedenen Unternehmungen eine wesentliche Rolle für das Verständnis seiner Schriften zu. Bei Rathenau habe es sich um einen "system builder" gehandelt. Kritisch dazu Heilige, in: Hughes u. a., W. Rathenau und die Kultur der Moderne, 1990, S. 32 ff.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Neben und nach seiner untemehmerischen Betätigung entwickelte Rathenau sich zu einem der "brillantesten Köpfe der deutschen Politik" 19• Seine politische Karriere, die ihm ebenso Bewunderung wie Haß eintrug20, begrundete seinen fortdauernden Rang im öffentlichen Bewußtsein, obwohl sie quantitativ nur einen kleinen Teil seiner Tätigkeit ausmachte und sich auf die letzten Jahre seines Lebens konzentrierte. Erst nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es ihm, die Aufmerksamkeit staatlicher Stellen auf sich zu ziehen. Am 13. August 1914 wurde er zum ersten Leiter der von ihm angeregten KriegsrohstoffAbteilung im preußischen Kriegsministerium ernannt, aus der er jedoch schon am l. Aprill915 wieder ausschied21 • 1918 war er Gründungsmitglied der Deutschen Demokratischen Partei, ohne jedoch einen Kandidatenplatz für einen Reichstagssitz zu erhalten. Seine eigentliche politische Karriere begann 1920 mit seiner Mitgliedschaft in der zweiten Sozialisierungskommission und der Teilnahme an der Konferenz in Spa vom 5.-16. Juli. Ein Jahr später, 1921, wurde er zum Wiederaufbauminister im Kabinett Wirth ernannt und schied aus der AEG aus. Am 6. Oktober unterzeichnet er das Wiesbadener Abkommen. 1921, nach Rücktritt und Neubildung, kehrte er nicht mehr ins Kabinett Wirth zurück, wurde von ihm aber nach London entsandt, um über Reparationszahlungsmodalitäten zu verhandeln. Am 31 . Januar 1922 wurde er zum Reichsaußenminster ernannt und unterzeichnete am 16. April während der Konferenz von Genua (10. April bis 19. Mai) den Rapallo-Vertrag. Kurze Zeit später, am 24. Juni, wurde er in Berlin ermordet. Neben seiner beruflichen und politischen Tätigkeit war Rathenau in zunehmenden Maße, seit 1897, als Schriftsteller tätig. Schon in seiner Bitterfelder Zeit beschäftigte er sich intensiv mit Literatur und Malerei. So gehörte er mit zu den ersten Förderem Edvard Munchs in Deutschland. Seinen während dieser Zeit gefaßten Entschluß, Maler zu werden, gab er schließlich wieder auf. Als seine erste Veröffentlichung erschien 1897 »Höre Israel« in Maximilian Hardens Zeitschrift ,,Die Zukunft". Als seine schriftstellerischen Hauptwerke sind: »Zur Kritik der Zeit« (1912), »Zur Mechanik des Geistes« (1913) und »Von kommenden Dingen« (1917) anzusehen22 • Schon 1918 erschienen eine fünf-bändige Ausgabe seiner Gesammelten Schriften23•
H. Mommsen, Die verspielte Freiheit, 1989, S. 131 . Ausführlich zur öffentlichen Meinung, insbesondere nach Ratbenaus Ernennung zum Reichsaußenminster Sabrow, Rathenaumord, 1994, S. 69 ff. 21 Zu Rathenau und der Kriegsrohstoffabteilung ausführlicher unten S. 91 ff. 22 Sie sind 1977 als Band II der von H. D. Heilige u. E. Schulin herausgegebenen W. Ratbenau-Gesamtausgabe neu erschienen. 23 Zur öffentlichen Kritik an Ratbenaus Schriften s. unten S. 81 m. w. Nachw. 19
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A. Rathenaus Lehre vom Unternehmen an sich
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Haußmann ging davon aus, daß Ratbenaus Ausführungen zur Aktiengesellschaft in dessen Konzeption eines neuen Wirtschaftssystems, das Haußmann als gemeinwirtschaftliches erkannte, wurzeln24 • Diese Einschätzung wurde in der Weimarer Zeit allgemein übernommen25 und wird auch in neuerer Zeit geteilt26 • Dagegen versuchte Netter bereits 1932 nachzuweisen, daß ein Konnex dieser Art nicht besteht27 • Vor diesem Hintergrund kann sich eine den spezifischen Anforderungen der Rathenauschen Schrift genügende Interpretation nicht auf eine textimmanente beschränken, um zur Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich vorzustoßen. Sie hat den relevanten Teil der Rathenauschen Konzeption eines neuen Wirtschaftssystems einzubeziehen, um zu gewährleisten, daß ein eventueller Einfluß jenes auf seine Lehre berücksichtigt wird. Der folgenden Interpretation liegt als erkenntnisleitende These zu Grunde, daß das von Rathenau entworfene Wirtschaftssystem und seine Lehre vom Unternehmen an sich durch die Kriegswirtschaft in charakteristischen Punkten beeinflußt wurden28 • Diese These wird vordergründig durch die Tatsache nahegelegt, daß alle wirtschaftstheoretische Schriften Ratbenaus (bei seiner Abhandlung »Vom Aktienwesen« handelt es sich ja in erster Linie um eine solche29, wie der Untertitel »Eine geschäftliche Betrachtung« anzeigt) während und unmittelbar nach seiner Tätigkeit in der Kriegsrohstoff-Abteilung und in kurzer zeitlicher Folge in den Jahren 1914-1918 entstanden. Die Beeinflussung des Rathenauschen Wirtschaftssystems und seiner Lehre vom Unternehmen an sich durch die Kriegswirtschaft besteht nach dieser Annahme darin, daß die Erfahrungen mit der Kriegswirtschaft Rathenau eine Überzeugung gewinnen oder eine schon vorhandene Idee zu einer solchen werden ließen, die sich als Leitmotiv in seinem Wirtschaftssystem und seiner Lehre vom Unternehmen an sich wiederfinden läßt. Dieser Überzeugung nach ist ein ideales Wirtschaftssystem an die Interessen des Staates und der Gesellschaft anzubinden. Trifft dies zu, besteht eine Verwandtschaft der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich mit seinem Wirtschaftssystem und der Kriegswirtschaft deswegen, weil sowohl seine Lehre als auch sein Wirtschaftssystem durchdrungen sind von dem Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. I I u. 7. S. Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, I 932, S. 507, 554. 26 S. nur K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, I 988, S. I I 0. 27 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, I 932, S. 507, 546 tf. 2x Vgl. Hughes, in: ders. u. a., W. Rathenau und die Kultur der Modeme, 1990, S. 9 f., nach dem in Rathenaus wirtschaftlichen Erfahrungen "ein Schlüssel zum Verständnis der in seinen Aufsätzen entwickelten Ideen liegt." 29 Vgl. Schmidt-Leithotf, Untemehmensleitung, I 989, S. 133 Fn. 463, nach dem sie geprägt ist durch Rathenaus "weniger rechtliche als mehr unternehmenssoziologische Sicht". 24
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
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Gedanken einer Anhindung der Volkswirtschaft und der Wirtschaftsgesellschaften an die Interessen des Staates und der Gesellschaft. Das setzt voraus, daß sowohl in seiner Lehre vom Unternehmen an sich als auch in seinem Wirtschaftssystem die Gemeinwohlbindung der Volkswirtschaft und der Wirtschaftsgesellschaften nachweisbar ist.
I. Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft Von grundlegender Bedeutung für Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich ist die Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft. Sie hat sich nach Rathenau durch die Entwicklung der Aktiengesellschaft vom Familien- und Sozienunternehmen zum Großunternehmen ergeben30• Eine Definition von Substitution des Grundes fmdet sich in »Vom Aktienwesen« nicht, vielmehr verweist Rathenau auf seine Ausfiihrungen in »Von kommenden Dingen«31 : "Einrichtungen bleiben im Namen und wesentlichen Attributen sich selbst gleich und vertauschen ihren Inhalt, ja selbst ihren Daseinsgrund; in der veralteten Schale schlägt ein neues Geschöpf seine Wohnung auf." 32 Mit dieser Definition ergeben sich zwei Fragen in Bezug auf die Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft: (1.) Was ist dieses neue Geschöpf Aktiengesellschaft und wie sieht es aus, und (2.) worin genau bestehen die Differenzen zur veralteten Schale? Beide Fragen stehen zueinander in einem Verhältnis der Interdependenz insofern, als die Beschreibung des neuen Geschöpfs die Kenntnis der Differenzen zwischen diesem und der alten Schale voraussetzt und die Erkenntnis der alten Schale Bezug nimmt auf das neue Geschöpf. Das neue Geschöpf, die neue Aktiengesellschaft, ist nach Rathenau durch Veränderungen innerhalb der Aktiengesellschaft, also mikroökonomische, einerseits und solche des Verhältnisses der Aktiengesellschaft zur Gesellschaft und zum Staat und ihrer Stellung in der Wirtschaftsordnung, also makroökonomische, entstanden. Makroökonomisch ist die Substitution des Grundes nach Rathenau Folge einer veränderten Bedeutung der Aktiengesellschaft als Großunternehmen für den Staat und die Gesellschaff3 • Nach Rathenau sind die Aktiengesellschaften nicht Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 127. Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 124. 32 Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Ratbenau-GA II, 1977, S. 297, 335. 33 Schmidt-Leithoff, Untemehmensleitung, 1989, S. 132 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 302; Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktienge30 31
A. Rathenaus Lehre vom Unternehmen an sich
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mehr allein Objekte privatnütziger Interessen der Aktionäre, sondern stehen im Dienst der Volkswirtschaft und damit der Gesellschaft und des Staates. Sie haben sich aus dem Bereich privatwirtschaftlicher Interessen heraus zu einem nationalwirtschaftlichen Faktor entwickelf4 • Von dieser Erkenntnis leitete Rathenau eine Reihe von Folgerungen fiir die Verfassung und die maßgeblichen Interessen innerhalb der Aktiengesellschaft ab, die im Zusammenhang mit seinen Ausruhrungen zur Konvergenz der berechtigten Interessen behandelt werden. Mikroökonomisch bedeutet die Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft nach Rathenau zunächst eine Veränderung in der Zusammensetzung der Aktionäre. Die in den Anfangen des Aktienwesens kennzeichnende Verbundenheit der Aktionäre mit der Gesellschaft, die sich oftmals nicht nur in einer reinen Kapitalbeteiligung geäußert habe, bestehe nicht mehr. Statt dessen beteiligten sich die Aktionäre nunmehr überwiegend deswegen an der Gesellschaft, weil sie eine Wertsteigerung ihrer durch Papiere verkörperten Rechte an der Aktiengesellschaft erhoffien. Das Wohl und Wehe der Gesellschaft habe keinen Platz mehr in diesem Kalkül. Allein der anlagesuchende Aktionär, der langfristig in die Aktiengesellschaft investiere, an deren Wohlergehen er interessiert sei, habe noch ein wirkliches Interesse an der Aktiengesellscha.ft35 • Das maßgebende Merkmal fiir die Einteilung der Aktionäre durch Rathenau ist also das Interesse, das sie an der Aktiengesellschaft haben. Das unterscheidet sie von Einteilungen allein nach der Quantität der Beteiligung36. Gegen die Rathenausche Typisierung wurde denn auch eingewendet, daß die Bedeutung der Quantität als qualitatives Merkmal des Aktienbesitzes und dadurch insbesondere die Rolle des Großaktionärs nicht genügend gewürdigt werde37• Haußmann meinte, daß nach Rathenau die Aktionäre sich dadurch auszeichneten, daß es sich ausschließlich um Einzelaktionäre in Form von Kleinaktionären handele38, gegenüber denen der Großaktionär keine große Bedeutung mehr habe, was der empirischen Realität widerspreche39 . Die Feststellung der Bedeutungslosigsellschaft, 1961, S. 38 f. ; Hachenburg, in: JW 1918, S. 16. Vgl. v. Strandmann, in: Mosse/ Pohl (Hg.), Jüdische Unternehmer, 1992, S. 356,365. 34 Rathenau, VomAktienwesen(I917),GS5, 1925,S. I21, 154f. 35 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 142 ff. 36 Danach unterteilten etwa Haußmann, s. S. 79 f.; und Passow, Aktiengesellschaft, 2 1922, s. 328 ff. 37 A. Bondi, Rechte der Aktionäre, 1930, S. 70 ff., nannte das Rathenausche Kriterium ein subjektives oder psychologisches im Gegensatz zu einem rein objektiven nach der Höhe des Aktienbesitzes. 3R Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 23. 39 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 19 f. 5 Laux
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
keit des Großaktionärs bei Rathenau ist jedoch unzutreffend. Die Textstelle bei Rathenau, die Haußmann als Beleg anfiihrte40, bezieht sich auf die Häufigkeit von natürlichen Personen als Großaktionäre in den Aufsichtsräten von großen Aktiengesellschaften (Großunternehmen) und nicht auf die Bedeutung von Großaktionären für das Aktienwesen grundsätzlich. Die Großaktionäre, auch diejenigen in den Aufsichtsräten, zeichnen sich nach Rathenau nach der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft dadurch aus, daß es sich um institutionelle Anleger oder Vertreter solcher handelt41 • Das ergibt sich auch aus dem Kontext der Belegstelle, in dem es zwei Sätze weiter heißt: ,,Heute setzen die Kreise [scil. der Aufsichtsratsmitglieder] sich überwiegend zusammen aus Finanzleuten, als Emissionsgaranten der Werte, und Treuhänder der Aktionäre; aus Großindustriellen benachbarter, befreundeter, auftraggebender und auftragnehmender Gebiete."42 Damit wollte Rathenau jedoch nicht das entgegengesetzte Extrem behaupten, daß es sich bei den anlagesuchenden Aktionären immer um Großaktionäre und bei den Spekulationsaktionären immer um Kleinaktionäre handelt, wie dies behauptet wurde43 • Die Veränderungen in der Zusammensetzung der Aktionäre und ihrer Motive für die Beteiligung an der Aktiengesellschaft bewirkten nach Rathenau eine Verschiebung und Veränderung der Bedeutung und der Funktion des Aufsichtsrates und der Verwaltung der Aktiengesellschaft44 • Die tatsächlich verantwortliche Leitung der Gesellschaft habe sich immer mehr vom Aufsichtsrat auf den Vorstand verlagert45 • Dem Aufsichtsrat sei nunmehr nach der gesetzlichen Regelung lediglich die Aufgabe der Kontrolle des Vorstandes verblieben, der er aber nicht mehr wirksam nachkommen könne46 • Entsprechendes gelte auch für die gesetzlich vorgesehene Prüfung der Bilanzen und Bücher der Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat47 • Gleichwohl billigte Rathenau dem Aufsichtsrat eine den Vorstand mittelbar kontrollierende Wirkung zu, insofern allein durch dessen Existenz ein kontrollierender Einfluß auf den Vorstand ausgeübt werde. Denn: "Es liegt eine sonderbare Macht im Vorhandensein einer gesetzlichen, 40 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 20: "Der Begriff des Großaktionärs hat der Großunternehmung gegenüber, deren Kapital sich nach Zehnern, ja nach hunderten von Millionen bemißt, an Bedeutung verloren; Großaktionäre gehören den Aufsichtsräten nicht mehr im früheren Maße an". 41 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 142. 42 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 132. 43 So von Passow, Aktiengesellschaft, 2 1922, S. 328 Fn. 4). 44 Hachenburg, in: JW 1918, S. 16 f. 4 s Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121 , 129 ff. 46 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121 , 129 f. 47 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 130 f.
A. Rathenaus Lehre vom Unternehmen an sich
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wenn auch passiven Instanz". Sie gewährt nach ihm ein hohes Maß an Stetigkeit der Entwicklung48 • Die hauptsächliche Funktion des Aufsichtsrats besteht nach Rathenau jedoch darin, in Zeiten von Krisen Schaden von der Aktiengesellschaft abzuwenden, etwa indem ein sich als unfahig erweisender Vorstand ausgetauscht werde oder die Geschäfte vorübergehend durch den Aufsichtsrat oder einzelne seiner Mitglieder geführt würden49 • Die Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft hat nach Rathenau insofern Auswirkungen auf die Funktion und die Bedeutung des Vorstandes, als er nunmehr auch die Interessen des Staates und der Gesellschaft an der Aktiengesellschaft wahrzunehmen hat. Rachenburg (Rechtsanwalt, Mannheim) interpretierte also unvollständig, als er feststellte, daß sich die rechtliche Stellung des Vorstandes nach Rathenau nicht verändert habe, doch die Anforderungen an ihn gestiegen seien, da er das "denkende Haupt" der Aktiengesellschaft sei50• Für die Generalversammlung erkannte Rathenau keine relevante Veränderung ihrer Funktion und Bedeutung infolge der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft. Sie sei noch immer oberstes Willensbildungsorgan der Gesellschaft und der Vorstand habe diese als ihr übergeordnet anzuerkennen51 • Diese Feststellung verwundert, da in der Praxis die Verwaltung eine die Gesellschaft und die Generalversammlung dominierende Funktion einnahm und dies Rathenau als erfahrener Praktiker in leitender Position bei der AEG und Mitglied zahlreicher Aufsichtsräte nicht verborgen geblieben sein konnte52 • II. Konvergenz der berechtigten Interessen Ausgehend von der Beschreibung des Zustands des Aktienwesens nach der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft ergab sich für Rathenau eine Konvergenz der berechtigten Interessen in und an der Aktiengesellschaft. Sie 4~ Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 131 f.; Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 130, verglich dies mit der englischen Flotte, von der fiir frühere Zeiten gesagt worden sei, daß sie kontrollierend wirke allein durch ihr Vorhandensein, durch ihr in being. 49 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 133 ff. 50 Hachenburg, in: JW 1918, S. 16 f. 51 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 144. 52 Nach Berglar, Rathenau, 1987, S. 327, saß Rathenau in der Zeit nach der Jahrhundertwende in über 100 Aufsichtsräten; nach Hecker, Rathenau und sein Verhältnis zu Militär und Krieg, 1983, S. 8, in nahezu 100. Nach Berglar, Rathenau, 1987, S. 229, nahm die Tätigkeit Rathenaus zu dieser Zeit in den verschiedenen Wirtschaftsunternehmen neun Zehntel seiner Arbeitszeit in Anspruch.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
bildet, neben der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft, das für die Ratbenansehe Lehre vom Unternehmen an sich charakteristische Merkmal. Grundlage der Konvergenz der berechtigten Interessen ist die besondere Bedeutung der Aktiengesellschaft für die Volkswirtschaft und damit für den Staat und die Gesellschaft. Daraus folgerte Ratbenau, daß die Aktiengesellschaften an die Interessen des Staates und der Gesellschaft anzubinden seien. Von dieser Grundprämisse leitete er ab, daß die Interessen in der Aktiengesellschaft und dadurch auch die Funktionen und Aufgaben der Gesellschaftsorgane und ihrer Beziehungen zueinander neu zu bewerten seien. Folge dieser Neubewertung war für ihn, daß die berechtigten Interessen der Aktionäre, der Aktiengesellschaft und des Staates und der Gesellschaft in bezug auf die Aktiengesellschaft konvergieren. Eigensüchtige Interessen der Aktionäre seien demgegenüber nicht schutzwürdig. Ihre Verfolgung in der Aktiengesellschaft müsse jedenfalls dann unterbleiben, wenn sie den konvergierenden Interessen entgegenstünden. 1. Interessenkonvergenz in und an der Aktiengesellschaft
Bevor der Konvergenz der berechtigten Interessen in der Ratbenansehen Lehre vom Unternehmen an sich nachgegangen wird, ist zunächst zu klären, auf was sich diese bezieht, ob also die Konvergenz der berechtigten Interessen und damit die Ratbenansehe Lehre auf die Aktiengesellschaft oder auf das Unternehmen abstellt. Dieser Frage kommt erhebliche Bedeutung zu, sowohl für die Bestimmung des Inhalts der Ratbenansehen Lehre vom Unternehmen an sich als auch für ihr Verhältnis zur Entwicklung der Lehre vom Unternehmen an sich in der Weimarer Republik. Zweifelhaft ist der Bezug der Konvergenz der berechtigten Interessen auf die Aktiengesellschaft deswegen, weil Ratbenau in »Vom Aktienwesen« überwiegend vom Unternehmen oder der Unternehmung handelt. In bezug auf die Konvergenz der berechtigten Interessen jedoch gebraucht er die Bezeichnung Unternehmen synonym für Aktiengesellschaft. Dafür spricht zunächst, daß sich die Substitution des Grundes eindeutig auf die Aktiengesellschaft beziehf3• Zudem verwendet er für die Bezeichnung der unternehmerischen Einheit, also das, was nach unserem heutigen Verständnis das Unternehmen ausmacht, die Bezeichnungen Betrieb oder Geschäff". Unternehmen meint also offenbar etwas davon verschiedenes, eben die Aktiengesellschaft.
53 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 124 ff.; vgl. auch zur Substitution des Grundes oben S. 64 ff. 54 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, z. B. S. 121, 125.
A. Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich
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Deutlich wird synonyme Verwendung der Bezeichnungen "Unternehmen" und ,,Aktiengesellschaft" in der Rathenauschen Kritik der Auffassung des "Unternehmungswesen" der damaligen Juristen. Er meinte, daß sie noch immer das "Unternehmungswesen lediglich von der Seite einer Erwerbsvereinigung von Kaufleuten zur Erzielung handelsgeschäftlicher Erträge fassen" würden55 . Die Vereinigung von Kaufleuten im Sinne der Rathenauschen Kritik meint die Aktiengesellschaft als juristische Person. Dies wird auch deutlich an der Rathenauschen Erklärung der Probleme, die sich aus der Auffassung der Juristen ergeben würden, an Hand des Grundsatzes der ungeschmälerten Ausschüttung des Gewinns an die Aktionäre. Ausdrücklich spricht er dabei von einer "Gesellschaft", die "I 0% ertragen und ihren Kurs auf etwa 170-180% erhalten habe"56 . Wenn Unternehmen und (Aktien)Gesellschaft unterschiedliches bedeuten würden, wäre die Verwendung der Bezeichnung Gesellschaft für das Unternehmen, daß einen Ertrag erwirtschaftet und der Gesellschaft, deren Aktien zu einem bestimmten Kurs notiert werden, fehlerhaft. Die synonyme Verwendung läßt sich auch an seinen Ausführungen über die Folgen der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft für die Generalversammlung zeigen. Nach seiner Erklärung der Veränderungen durch die Substitution des Grundes für die "Verwaltungsinstanzen", also den Vorstand und den Aufsichtsrat, der "Wirtschaftsgesellschaft", also der Aktiengesellschaft, erklärte er die Veränderungen für den "lebendigen beherrschenden Körper des Unternehmens", "die Genossenschaft der Beteiligten und ihr Willensorgan, die Hauptversammlung"57. Unternehmen und Wirtschaftsgesellschaft bedeuten hier Aktiengesellschaft, da die Substitution des Grundes für die Aktiengesellschaft erklärt wird, also die Folgen der Substitution des Grundes für die Generalversammlung als beherrschendes Organ der Aktiengesellschaft von ihm untersucht wurden. Unmittelbar im Anschlußdaranführte er aus: "Träger der Gesellschaft war ursprünglich eine kleine Zahl vereinigter Kaufleute; sie hatten sich zusammengeschlossen, um dauernd Besitzer des Unternehmens zu bleiben und es fortlaufend zu überwachen; ihre Absicht ging auf ein stetiges Erträgnis; es konnten Meinungsverschiedenheiten unter ihnen vorkommen, grundsätzliche Konflikte zwischen ihnen und dem Unternehmen selbst konnten nicht bestehen."58 Träger der Gesellschaft und Besitzer des Unternehmens meinen die Aktiengesellschaft, was sich deutlich darin zeigt, daß Rathenau die "Wandlung" dieser Situation darin erkannte, daß eine Anonymisierung des "Unternehmens"
55 56
57 SK
Rathenau, Vom Aktienwesen ( 1917), GS 5, Rathenau, Vom Aktienwesen ( 1917), GS 5, Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5,
1925, S. 1925, S. 1925, S. 1925, S.
121, 121, 121, 121,
171 f. 172. 139. 139.
70
2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
durch die Schaffung der Rechtsform der Kapitalgesellschaft stattgefunden habe, indem das "Unternehmen" bestimmt sei, über seine Gründer hinaus weiter zu leben, weswegen die Anteile vererbbar und übertragbar seien. Dabei sei ursprünglich an eine unbeschränkte Lebensdauer des "Unternehmens" nicht gedacht gewesen, wie etwa das französische Aktienrecht eine Begrenzung des Bestehens des "Unternehmens" auf dreißig bis fünfzig Jahre vorgesehen habe59• Die Beschränkung des Bestehens im französischen Aktienrecht bezog sich allein auf die Aktiengesellschaft. Auch die Anonymisierung des "Unternehmens" durch die Beteiligung im Wege des Aktienerwerbs bezieht sich auf die Aktiengesellschaft, da die Aktien Rechte an dieser verkörpern. Nach Rathenau waren die Aktionäre in früheren Zeiten, vor der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft, Besitzer der Aktiengesellschaft. Sie übten zugleich die Geschäftsführung aus, indem sie auch den Vorstand und den Aufsichtsrat bildeten. Deswegen war ein Konflikt zwischen ihnen und der Aktiengesellschaft nicht möglich. Bestätigt wird diese Interpretation durch die Verwendung der Bezeichnung Unternehmen oder Unternehmung für Aktiengesellschaft in den sonstigen Schriften Rathenaus. In diesem Sinne ist die Erklärung der Zukunft der Aktiengesellschaft in dem von ihm vorgestellten Wirtschaftssystem in ))Von kommenden Dingen« zu verstehen: Die "Objektivierung des Unternehmens, die Lösung des Eigentums führt einem Punkte entgegen, wo das Unternehmen sich in ein Gebilde nach Art einer Stiftung" verwandeln wird60• Rathenau wollte damit die Annäherung der Gesellschaftsformen und damit auch der Aktiengesellschaftsform an die der Stiftung behaupten. In anderem Zusammenhang erklärte er, daß es möglich sei, "daß das Unternehmen sein eigener Eigentümer wird, indem es aus seinen Erträgen die Anteile der Besitzer zurückkauft." 61 Das kann nur meinen, daß die Aktiengesellschaft die Aktien erwirbt und ihr eigener Eigentümer wird. Das Unternehmen nach heutigen Verständnis blieb bei Rathenau noch unselbständiges Zuordnungsobjekt der Aktiengesellschaft. Selbständigkeit im Sinne eines eigenen Interesses maß er ihm nicht zu. Ihm war es allein darum zu tun, die Veränderungen, die durch die Substitution des Grundes für die Aktiengesellschaft eingetreten waren, aufzuzeigen. Insoweit ist es unzutreffend, wenn die Ausführungen Ratbenaus interpretiert werden in dem Sinne, daß Rathenau ein Interesse "des Unternehmens einer Aktiengesellschaft" angenommen habe62 , 59 60
61 62
Rathenau, Vom Aktienwesen ( 1917), GS 5, 1925, S. 121, 139 f. Rathenau, Von kommenden Dingen ( 1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297, 376. Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297,376. So Raiser, in: FS fR. Schmidt, 1976, S. 101, 103.
A. Rathenaus Lehre vom Unternehmen an sich
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oder es ihm um den Schutz des Unternehmens im Sinne eines von der Aktiengesellschaft verschiedenen Gebildes zu tun gewesen sei63 • Haußmann hätte also für seine Bezeichnung der Rathenauschen Lehre statt des Bestandteils "Unternehmen" ,,Aktiengesellschaft" verwenden müssen, also: "Lehre von der Aktiengesellschaft an sich". 2. Die konvergierenden Interessen von Aktiengesellschaft, Staat und Gesellschaft
Das Interesse des Staates und der Gesellschaft an der Wirtschaft, und damit auch an den Aktiengesellschaften, besteht nach Rathenau deswegen, weil die Aktiengesellschaften von weitreichender Bedeutung für den Staat und die Gesellschaft sind und wichtige Funktionen für diese ausüben. Bei diesen handele es sich z. B. um Forschung, Entwicklung und Produktion von zivilen und militärischen Gütern, auf die der Staat und die Gesellschaft angewiesen seien64 • Darüberhinaus kommt den Wirtschaftsgesellschaften nach Rathenau erhebliches Gewicht für die Entwicklung und den Bestand des Staates in der Konkurrenz mit anderen Staaten zu. Er ging davon aus, daß sich in Zukunft die Stellung, insbesondere die Vormachtstellung eines Staates zu anderen Staaten allein durch seine Wirtschaftskraft bestimmen werde65 • Der Aktiengesellschaft komme die Funktion als wirtschaftliches ,,Kampf- und Arbeitsorgan" zu66• Deswegen ist es nach ihm erforderlich, daß Wirtschaft und Wirtschaftsgesellschaften sich entwickeln und wachsen, wenn anders der Staat und die Gesellschaft nicht ihr Wohlstandsstreben aufgeben wollen, um "zu einem kümmerlichen Lande des Menschenexports zu werden." 67 Von der Bedeutung der Wirtschaft und der Wirtschaftsgesellschaften für den Staat und die Gesellschaft leiten sich nach Rathenau deren Interessen an diesen ab. Darüberhinaus komme wegen der Bedeutung der Wirtschaft für den Staat und die Gesellschaft deren Interessen ein Vorrang vor konkurrierenden Interessen in der Aktiengesellschaft zu. Sie sind also entscheidend fiir die Bestimmung der maßgeblichen Interessen in der Aktiengesellschaft. 63 So Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 133; widersprüchlich insofern Jürgenmeyer, Unternehmensinteresse, 1984, S. 53, der einerseits meint, daß es Rathenau um die Erhaltung und den Schutz der Aktiengesellschaft gegangen sei, andererseits erklärt, daß der Kern der Rathenauschen Darlegungen darin bestehe, daß im Interesse der dauerenden Erhaltung des Unternehmens die Mehrheit vor dem Eigennutz der Minderheit zu schützen sei. 64 Rathenau, Vom Aktienwesen ( 1917), GS 5, 1925, S. 121, 156, 167 ff. 65 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 164 f. 66 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 165. 67 Rathenau, Vom Aktienwesen ( 1917), GS 5, 1925, S. 121, 164.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Das Interesse des Staates und der Gesellschaft richtet sich nach Rathenau zunächst auf den Bestand und die Entwicklung leistungsfähiger Untemehmen68 • Damit diese die Funktion ausüben können, die ihnen im Interesse des Staates und der Gesellschaft zukommt, sei es erforderlich, daß sie eine absolute Größe und Stabilität erreichen, wozu ihr beständiges Wachsen erforderlich sei69 • Dieses Interesse des Staates und der Gesellschaft an einem beständigen Wachstum führten dazu, daß auch der Aktiengesellschaft ein "organischer Anspruch" auf Wachstum zukomme70 • Das rechtfertigt nach Rathenau Maßnahmen der Aktiengesellschaft, die der Erfüllung des Anspruchs auf Wachstum dienen. Als Beispiele solcher Maßnahmen nennt er: Bildung von Rückstellungen durch stille Reserven, Begrenzung der Ausschüttung von Dividenden71 und Beschränkung der Auskunfts- und Publizitätsforderungen der Aktionäre auf das für die Gesellschaft unschädliche Maß72• Bei dem Interesse der Aktiengesellschaft handelt es sich nach Rathenau also nicht um ein originäres dergestalt, daß es unvermittelt besteht. Vielmehr bringt Rathenau dieses Interesse stets in Verbindung mit dem Interesse des Staates und der Gesellschaft an der Aktiengesellschaft. So ist das Interesse der Aktiengesellschaft an Wachstum und Größe vermittelt durch das Interesse des Staates und der Gesellschaft an Wachstum und Größe der Aktiengesellschaft hin zur "absoluten Größe'm. Vor diesem Hintergrund ist das vielzitierte, von Rathenau zur Illustration gegebene Beispiel der Liquidation der Deutschen Bank zu interpretieren. Rathenau meinte, daß für den Fall, daß die Generalversammlung der Deutschen Bank die Liquidation der Gesellschaft beschließen würde, der Staat keine andere Wahl hätte, als im Interesse des Staates und der Gesellschaft ein Sondergesetz zu erlassen, um den Bestand der Deutschen Bank zu sichem74 • Nicht eigentlich das Interesse der Aktiengesellschaft fordert also den Fortbestand der Gesellschaft, sondern dasjenige des Staates und der Gesellschaft. Die Interessen von Gesellschaft, Staat und Aktiengesellschaft konvergieren also dann, wenn die Interessen der Aktiengesellschaft durch entsprechende Interessen des Staates und der Gesellschaft vermittelt sind. Logisch nicht zwingend und der Rathenauschen Ansicht nicht entsprechend ist die Folgerung, die Nußbaum aus der zutreffend von ihm erkannten Anhin6~ 69
70 71
72 73 74
Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 165, 169. Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121,166 f, 170. Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 165. Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 171. Vgl. Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 171 ff. Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 170. Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 155.
A. Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich
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dung der Aktiengesellschaft an die Interessen des Staates und der Gesellschaft in der Rathenauschen Lehre zog. Er glaubte, daß sich aus ihr die Forderung ergebe, einseitig den Einfluß des Staates und der Gesellschaft und insbesondere der Arbeiter in der Aktiengesellschaft zu stärken75 • Diese Auffassung rührt daher, daß die Rathenausche Lehre nicht als eine der Konvergenz der berechtigten Interessen begriffen wurde. Denn aus ihr folgt, daß widerstreitenden Interessen zwischen Aktiengesellschaft, Staat und Gesellschaft (Arbeitnehmer) nicht bestehen, da ihre Interessen konvergieren. Es ist daher nicht erforderlich, dem Staat und der Gesellschaft einen unmittelbaren Einfluß auf die Verwaltung der Aktiengesellschaft einzuräumen. 3. Das konvergierende Interesse der Aktionäre Die Bestimmung des konvergierenden Interesses der Aktionäre hat von der Rathenauschen Scheidung der Aktionäre nach ihrem Interesse an der Aktiengesellschaft auszugehen. Als unproblematisch in Bezug auf die aufgezeigten konvergierenden Interessen der Aktiengesellschaft, des Staates und der Gesellschaft erweist sich das Interesse desjenigen Aktionärs, der sein Kapital langfristig, nach gewissenhafter Prüfung der Aktiengesellschaft anlegt. Er ist nach Rathenau an einem stetigen Wachsturn der Aktiengesellschaft interessiert, so daß sein Interesse mit dem der Aktiengesellschaft "vollkommen gleichgerichtet" isf6 • Dieses Interesse des Aktionärs konvergiert auch mit dem Interesse des Staates und der Gesellschaft an der Aktiengesellschaft, da das konvergierende Interesse der Aktiengesellschaft nach Rathenau mit dem Interesse des Staates und der Gesellschaft an ihr übereinstimmt. Ein Großteil der Aktionäre beteiligt sich nach Rathenau jedoch allein deswegen an der Aktiengesellschaft, um die Aktien anschließend wieder verkaufen zu können, also wegen rein spekulativer Interessen an einer Kurssteigerung77 • Der dadurch mögliche Konflikt mit den konvergierenden Interessen von Aktiengesellschaft, Staat und Gesellschaft wird vermieden, indem nach Rathenau allein auf die berechtigten Interessen der Aktionäre abzustellen sein soll. Berechtigt sind diejenigen Interessen, die den konvergierenden Interessen von Aktiengesellschaft, Staat und Gesellschaft nicht entgegenstehen. Sie richten sich nach Rathenau auf das Wohlergehen der Gesellschaft, mit dem dann mittelbar eine 75
Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., I 93 I,
s. 492,502.
Rathenau, Vom Aktienwesen (191 7), GS 5, 1925, S. 121, 142 f. Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 143; zur Unterscheidung und Bewertung der Interessen der Aktionäre s. oben S. 65 ff. 76
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Wertsteigerung der Aktien verbunden ist. Dieses Interesse ist dasjenige des Anlageaktionärs und stimmt überein mit dem der Aktiengesellschaff8. Die Interessen der anlagesuchenden Aktionäre werden dadurch zu den maßgeblichen im Verhältnis zu den rein egoistischen Interessen des Spekulationsaktionärs. Dies verkannte Netter, als er meinte, daß die Einteilung der Aktionäre durch Ratbenau ohne Bedeutung fiir dessen Lehre vom Unternehmen an sich sei79 • Zwangsläufig ergibt sich aus den konvergierenden Interessen, daß die Aktionäre nur auf eine angemessene Ausschüttung von Dividenden bestehen können und die Verwaltung das Recht zur Bildung von Rückstellungen hat, um ein Wachstum der Gesellschaft zu ermöglichen. Zutreffend meint Mestmäcker, daß nach Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich der Aktionär das Wohl des Unternehmens, der Aktiengesellschaft, zur Richtschnur seines Verhaltens zu machen habe80. Das rührt nach Ratbenau daher, daß die berechtigten Interessen der Aktionäre mit denen der Aktiengesellschaft übereinstimmen. Ein Verfolgen von unberechtigten Interessen, also den Interessen der Aktiengesellschaft schädlichen, ist nach ihm unzulässig. Unzutreffend leitet Mestmäcker von seiner Feststellung ab, daß sie dazu fiihre, daß Recht das ist, was dem Unternehmen nützt. Das fiihre zu der Frage, ob "eine Rechtsgemeinschaft sich von rechtlichen Bindungen lösen könne, wenn ihr materieller Nutzen es im konkreten Fall erfordere"81. Diese Frage kann nach der Lehre Ratbenaus nicht sinnvoll gestellt werden. Nach ihm ist das Interesse der Gesellschaft ja nicht autonom und damit auch die Gefahr nicht gegeben, daß die Gesellschaft bestimmt, was Recht ist. Das Interesse der Aktiengesellschaft leitet sich, wie gezeigt, nach Ratbenau von den Interessen des Staates und der Gesellschaft an ihr ab. Das Interesse des Staates und der Gesellschaft an der Einhaltung der Rechtsordnung ist dadurch auch fiir die Aktiengesellschaft verbindlich und sie kann kein berechtigtes Interesse bilden, das dem entgegensteht. Nach Ratbenau ist es deswegen grundsätzlich ausgeschlossen, daß ein gesetzwidriger Generalversammlungsbeschluß im Interesse der Aktiengesellschaft liegt. Innerhalb des Ratbenauschen Systems kann ein Konflikt, wie ihn Mestmäcker vorfUhrt, nicht zu der von ihm dargestellten Aporie fiihren 82.
S. oben zum Interesse der Aktiengesellschaft S. 71 f. Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 552. Ko Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 14. Kl Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 14. Kz Dies wäre nur dann der Fall, wenn auch ein rechtswidriges Interesse beim Staat und der Gesellschaft bestehen könnte, wodurch der Staat selbst sich nicht rechtstreu verhalten würde. Das bleibt für die Interpretation unberücksichtigt. 7~
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Entsprechend diesem Muster entscheiden sich nach Rathenau die Konflikte zwischen Aktionären und Aktionärsgruppen in der Aktiengesellschaft. Sie stellen sich für ihn wegen der überragenden Bedeutung der konvergierenden Interessen nicht als solche zwischen Mehrheit und Minderheit, sondern zwischen konvergierenden Interessen und unberechtigten Interessen dar. Ausgehend von der Feststellung, daß das berechtigte Interesse der Aktionäre mit dem der Aktiengesellschaft und des Staates und der Gesellschaft konvergiert, kann Rathenau das Mehrheitsprinzip anerkennen. Die konvergierenden Interessen drücken sich nach ihm in dem Mehrheitsbeschluß aus und legitimieren ihn, insbesondere dann, wenn die Minderheit Interessen verfolgt, die den Interessen der Gesellschaft entgegenstehen83 . Deswegen soll nach Rathenau grundsätzlich die Mehrheit der Aktionäre entscheiden, was auch dem parlamentarischen und kapitalistischen System entspreche84 • Die Minderheit sei nur bei einem rechtswidrigen Handeln der Mehrheit zu schützen85 . Die Konvergenz der berechtigten Interessen fiihrt nach Rathenau jedoch nur insoweit zur Gleichsetzung der Mehrheit mit der Aktiengesellschaft, als dies Ausdruck der Konvergenz der berechtigten Interessen ist. Ein Schutz der Mehrheit im Interesse der Erhaltung der Aktiengesellschaft und des Unternehmens vor dem Eigennutz von Minderheiten86 oder des Unternehmens oder der Aktiengesellschaft vor der Minderheit87 ist nach Rathenau nur auf der Grundlage der Konvergenz der berechtigten Interessen möglich. Rathenau ging es also nicht grundsätzlich um die Beschneidung der Rechte von Minderheiten, sondern nur in dem Maße und fiir den Fall, daß sie den konvergierenden Interessen entgegenstehen. In diesem Sinne fiihrte Hachenburg (Rechtsanwalt, Mannheim) 1918 in seiner Rezension der Rathenauschen Schrift aus, daß Minderheitenrechte im Interesse der Aktiengesellschaft und der anlagesuchenden Aktionäre eingeschränkt werden müßten88. Bedeutende Minderheiten sollten dagegen an den Aufsichtsräten beteiligt sein, um ihre Interessen dort vertreten zu können, damit sie vom Gebrauch ihrer gesetzlichen und satzungsrechtlichen Minderheitenrechte zum Schaden der Aktiengesellschaft Abstand nähmen89• Das entscheidende Kriterium Ratbenaus fiir die Bewertung und Definition der maßgeblichen Interessen innerhalb der ~ 3 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 154 ff. ~4 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 146 f.
Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 146. So Jürgenmeyer, Untemehmensinteresse, 1983, S. 53 u. Flume, Die juristische Person, 1983, S. 37. R? So Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, s. 492, 500. RR Hachenburg, in: JW 1918, S. 16, 17. ~ 9 Hachenburg, in: JW I 9 I 8, S. I 6, I 7. Rs
R6
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Aktiengesellschaft wurde jedoch von Rachenburg nicht herausgearbeitet. Denn der veränderten Stellung und Funktion der Aktiengesellschaft im Staat und der Gesellschaft entsprach nach Rathenau die Forderung, daß sich die inneraktiengesellschaftliche Interessenverfolgung an dieser neuen Stellung und Funktion auszurichten hat, und die Definition der maßgeblichen Interessen in der Aktiengesellschaft an Hand dieses Kriteriums vorzunehmen ist. Deswegen bezweckt die Rathenausche Erwägung, qualifizierte Minderheiten an der Verwaltung der Gesellschaft zu beteiligen90, nicht deren Beruhigung wie bei Hachenburg, sondern ist Reflex der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im letzten Kriegsjahr des ersten Weltkriegs. 4. Das Verhältnis von Aktiengesellschaft, Verwaltung und Aktionär Funktion und Bedeutung der Verwaltung bestimmen sich nach Rathenau auf der Grundlage der Konvergenz der berechtigten Interessen. Der Verwaltung der Aktiengesellschaft als Exekutivorgan kommt nunmehr auch die Aufgabe der Wahrung und Durchsetzung der konvergierenden Interessen zu. Sie ist nicht mehr allein der Wahrnehmung der Interessen der Aktionäre als Eigentümer der Aktiengesellschaft verpflichtet. Dies führt jedoch nicht zu einer Entkoppelung der Aktiengesellschaft und der Verwaltung von den Aktionären oder der Mehrheit der Aktionäre, wie dies vielfach gegen die Rathenausche Lehre vom Unternehmen an sich vorgebracht wurde und wird. Schon Haußmann folgerte aus der Rathenauschen Einteilung der Aktionäre, daß es Rathenau darum gegangen sei, die Aktiengesellschaft vor ihren Aktionären zu schützen, da die Aktionäre nach Rathenau als spekulative Anleger überwiegend eigensüchtige Interessen zum Schaden der Aktiengesellschaft verfolgten91. In dieser Form wurden die Rathenauschen Ausführungen auch verstanden von der durch den 34. Deutschen Juristentag zur Prüfung einer Reform des Aktienrechts eingesetzten Kommission. In ihrem Bericht heißt es, daß Rathenau mit dem Unternehmen an sich einen neuen Typus der Aktiengesellschaft "gegenüber der Mehrheit der Aktionäre" vorgeschlagen habe, der nicht übernommen werden könne92 • Rachenburg (Rechtsanwalt, Mannheim) meinte 1932 I 34 in der Kommentierung des Aktienrechts im Düringer-Hachenburg, daß den Ausführungen Ratbenaus die Ansicht zu Grunde liege, daß die Aktionäre die Verwaltung wählen und dann gewähren lassen müßten93 . Dies habe zwar eine 90 91
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Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 147. Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 23. AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 6. Hachenburg, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, EinI. (1932) Anm. 77.
A. Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich
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gewisse Berechtigung, berge aber die Gefahr des Mißbrauchs in sich94• In der Rathenauschen Schrift drücke sich der Gedanke aus, die Aktiengesellschaft von ihrem ,,Personensubstrat" zu lösen95 • Die Aktiengesellschaft sei jedoch notwendig auf ihr ,,Personensubstrat" angewiesen, da sie nicht in der Luft schwebe. Diese Abhängigkeit der Aktiengesellschaft könne auch nicht durch ein Heranziehen der Allgemeinheit ersetzt werden: ,,man darf die AG nicht nur als eine der Allgemeinheit dienende Körperschaft auffassen, deren Mitglieder zwar nicht geleugnet werden können, die aber im Grunde genommen gegenüber den höheren Interessen keine Existenzberechtigung mehr haben. [...] Der Hinweis auf die Interessen der Gesamtheit dient oft nur zu einer Stützung ihrer [scil. der Verwaltung] Herrschaft. Diese ist geneigt, sich dem Unternehmen und dieses wieder mit der Gesamtwirtschaft zu identifizieren."96 Rachenburg interpretierte damit nicht nur die Rathenausche Schrift anders, als er dies noch 1918 getan hatte, sondern er ändert seine eigene Ansicht über die maßgeblichen Interessen in der Aktiengesellschaft. Während er 1918 Rathenau darin zugestimmt hatte, daß die Interessen der Allgemeinheit zu berücksichtigen seien und Minderheiten in ihren Rechten zu Gunsten des Unternehmens beschnitten werden müßten, legte er nunmehr das Schwergewicht der Argumentation auf das ,,Personensubstrat" der Aktiengesellschaft, also wieder auf die Aktionäre97, was der traditionellen Vorstellung von der Aktiengesellschaft und ihrer Beherrschung durch die Aktionäre entsprach98 • Diese Kritik wird der Rathenauschen Lehre jedoch nicht gerecht. Auch die Ansicht, daß Rathenau die Abschwächung der Verantwortung der Verwaltung gegenüber den Aktionären zu Gunsten einer Stärkung der Verantwortlichkeit
Hachenburg, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Eint. (1932) Anm. 77. Hachenburg, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Eint. (1932) Anm. 77; vgl. Schilling, in: Schubert I Hornmethoff (Hg.), Aktienrechtsreform, 1987, S. I, 4 f. 96 Hachenburg, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Eint. (1932) Anm. 77; vgl. Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 135. 97 Vgl. Schilling, in: Schubert/ Hommelhoff(Hg.), Aktienrechtsreform, 1987, 1987, S. I, 5, der meint, daß es Hachenburg entscheidend um dieses Personensubstrat gegangen sei. 9K Dementsprechend erklärte A. Pinner in: Staub, HGB, 141933, § 178 Anm. 23, daß dem Unternehmen nicht der Charakter eines selbständigen Rechtsguts zukomme, da die Mehrheit im Interesse der Gesellschaft beschließe, was von der Minderheit hingenommen werden müsse. Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 143, meinte, daß sich Aktionäre und Unternehmen nicht voneinander trennen ließen, beide seien vielmehr "unlösliche Teile eines Begriffs: der Aktiengesellschaft". Schönfeld, in: FG f. RG, 2. Bd., 1929, S. 191, 263 ff., 265, erklärte, daß das Unternehmen kein selbständiges Rechtsgut sei, weswegen es einen Rechtsschutz des Unternehmens nur über den Unternehmer geben könne. 94 95
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
gegenüber der Allgemeinheit gefordert habe99 , ist nur die halbe Wahrheit. Rathenau ging es nicht allein um die Berücksichtigung der Verantwortlichkeit der Aktiengesellschaft gegenüber Staat und Gesellschaft. Ihm kam es daneben darauf an, den Vorrang der konvergierenden Interessen in der Aktiengesellschaft aufzuzeigen. Verwaltung und Aktiengesellschaft sind diesem konvergierenden Interesse verpflichtet. Für das Verhältnis zum Aktionär ist entscheidend, daß auch die berechtigten Interessen der Aktionäre Bestandteil der konvergierenden Interessen sind. Deswegen dient Ratbenaus Lehre nicht der Legitimierung der Herrschaft der Verwaltung im Sinne eines Verwaltungsabsolutismus 100 oder einer Entkoppelung der Aktiengesellschaft von Bindungen an die Aktionäre10\ sondern fiihrt zu einer zusätzlichen Bindung der Aktiengesellschaft und der Verwaltung an die Interessen des Staates und der Gesellschaft102. Haußmann selbst war es, der durch seine Interpretation der Rathenauschen Ausführungen diesen "die Wendung gegen die Mehrheit" gab 103 . Wegen dem Vorrang der konvergierenden Interessen konnte Rathenau sowohl der Generalversammlung die Funktion als oberstem Organ der Aktiengesellschaft im Sinne einer Gemeinschaft von Eigentümern zuerkennen104 als auch gleichzeitig eine Stärkung der Stellung der Verwaltung befiirworten 105 • Rathenau ging es vor diesem Hintergrund insbesondere um den Schutz der Aktiengesellschaft und des Unternehmens vor Spekulationsaktionären und deren Verfolgung eigensüchtiger Interessen 106. Er erklärte dies an Hand der Funktionszuweisungen in der parlamentarischen Demokratie. Die "Volksvertretung wird die eigentliche Führung der Politik einem aus ihrer Mitte gewählten Kabinett übertragen. Sie wird die Aufteilung des Staatshaushaltes nicht Volksabstimmungen unterwerfen; sie wird die Maßnahmen der Landesverteidigung
Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 302. So aber Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, s. 14. 101 Dies deutet Flume, in: FS f. Beitzke, 1979, S. 43, 46; ders., Die juristische Person, 1983, S. 38, an. 102 Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 38 f., der jedoch die Bedeutung der Interessenkonvergenz und der Anhindung der Aktiengesellschaft an die Interessen des Staates und der Gesellschaft nicht als bestimmende Faktoren der Rathenausche Lehre erkennt; Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, 1932, S. 507, 559 f. 103 Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, S. 492, 501; so auch Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, s. 39. 104 Rathenau, VomAktienwesen(I917),GS5, 1925,S.I21, 144. 1115 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 174 f. 106 Vgl. Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 135. 99
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durch Kommissionen prüfen, jedoch nicht öffentlich erörtern lassen." 107 Ebenso müsse es in der Aktiengesellschaft sein. Diese habe ihre Kapitalien als einzige "Verteidigungskraft". Deren Verwendung könne nicht in der Öffentlichkeit der Generalversammlung erörtert werden. Die Verwaltung müsse darüber entscheiden können, so lange sie von dem Vertrauen der Generalversammlung getragen werde 108 • Das bedeutet jedoch nicht, wie Schmidt-Leithoff meint, daß es Rathenau um die Sicherung des Bestandes der Unternehmen ging, worin der Staat, die "von den Aktionären unabhängige Unternehmensleitung" und ein Teil der Aktionäre übereinstimmen würden109 • Abgesehen davon, daß SchmidtLeithoff bei der Bestimmung der nach Rathenau bestehenden gemeinsamen Interessen am Unternehmen zu kurz greift, da es sich bei diesen erst in zweiter Linie um solche auf Erhaltung des Bestandes des Unternehmens handelt, kommt nach Rathenau der Verwaltung der Aktiengesellschaft ein eigenes Schützenswertes Interesse am Erhalt der Gesellschaft nicht zu. Sie hat allein die Aufgabe der Wahrnehmung der Interessen der Aktiengesellschaft, die mit denjenigen des Staates und der Gesellschaft und auch denen der Aktionäre konvergieren.
111. Ratbenaus Wirtschaftssystem und die Kriegswirtschaft Haußmann sah in Rathenau einen "Idealisten der Aktiengesellschaft"110• Er habe durch seine Lehre vom Unternehmen an sich die Aktiengesellschaft der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in Gesellschaften einer Gemeinwirtschaft111 transformieren wollen 112• Das Rathenausche Unternehmen an sich sei "die Brücke, die ihn [seit. Rathenau] zur Fortentwicklung des Wesens der Aktiengesellschaft im gemeinwirtschaftliehen Sinne leitet, und ihm damit zugleich die Möglichkeit gibt, das Gebilde der Aktiengesellschaft in seine wirtschaftliche Grundauffassung einzufiigen" 113 • Obgleich Haußmann mit dieser Behauptung
107 Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 174 f.; vgl. Hachenburg, in: JW 1918, S. 16, 17. lOK Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 175. 109 Schmidt-Leithoff, Untemehmensleitung, 1989, S. 133. 110 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 13. 111 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 28, gebraucht ftir die Charakterisierung des Rathenauschen Wirtschaftssystems auch die Bezeichnung "Planwirtschaft". 112 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 7, 14 f. u. 28. 113 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 27.
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das zu Beweisende als bewiesen voraussetzte 114, wurde sie zur allgemeinen Ansicht bis heute 115 • Dieser Auffassung kann unter der Voraussetzung der Eingangs vorgestellten Thesen 116 nur insoweit zugestimmt werden, als sowohl dem Rathenauschen Wirtschaftssystem als auch seiner Lehre vom Unternehmen an sich der Gedanke zu Grunde liegt, die Aktiengesellschaft an die Interessen des Staates und der Gesellschaft anzubinden. Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich erfordert danach nicht die Realisierung seines Wirtschaftssystems 117• Entsprechendes gilt fiir ihr Verhältnis zur Kriegswirtschaft. Auch hier kann von einer direkten Beeinflussung nicht gesprochen werden118• Gemeinsam ist auch ihnen der Leitgedanke der Ausrichtung und Anhindung der Aktiengesellschaft an das Interesse des Staates und der Gesellschaft. Dagegen ist das von Rathenau konzipierte Wirtschaftssystem durch seine Anhindung der Wirtschaft an die Interessen des Staates und der Gesellschaft und in der Ausformung dieser Anhindung in Gestalt der staatlichen Beaufsichtigung und Einflußnahme durch (Zwangs-) Verbände stark durch das Vorbild der Kriegswirtschaft und der Kriegsgesellschaften beeinflußt. 1. Rathenaus Wirtschaftssystem
Rathenau entwickelte sein Wirtschaftssystem unter dem Eindruck der maßgeblich von ihm im Rahmen der Kriegsrohstoff-Abteilung aufgebauten Kriegswirtschaft. Ausgeführt hat er es vor allem in »Von kommenden Dingen« 119 und
Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 80. S. nur K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 110 u. Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 39. 116 S. oben S. 63. 117 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, 1932, S. 507, 553 f. m So aber Hachenburg, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Einl. (1932) Anm. II; zweifelnd an der Einschätzung Hachenburgs auch Assmann, in Großkommentar AktG, 4 1992, Einleitung Rdn. 128, der "in der Vorstellung einer vom Substrat des Aktionärs losgelösten Verfassung der AG" Gedankengut erkennt, das "komplementär zu Überlegungen (einer gesamtwirtschaftlich und gemeinwohlorientiert in Pflicht zu nehmenden, entprivatisierten Institution AG) verläuft, deren Ideengut weit über die Verarbeitung der Kriegserfahrungen hinausgeht." Nach K. W. Nörr, in: Staat und Unternehmen aus der Sicht des Rechts, hg. v. H. Coing u. a., 1994, S. 15, 22, besteht kein Zweifel daran, daß Rathenaus "Gedanken", wobei er sich auf Zitate aus »Von kommenden Dingen« und )Nom Aktienwesen« gleichermaßen bezieht, von seinen kriegswirtschaftlichen Erfahrungen beeinflußt worden seien. 119 Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297 ff. 114
115
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in »Die neue Wirtschaft« 120, worin er über seine wirtschaftstheoretischen Ausführungen in »Von kommenden Dingen« nicht wesentlich hinausging, diese aber in einer mehr populären Form vorstellte und mit aktuellen Aspekten anreicherte121. Sein spezielles Gepräge erhält das von Rathenau konzipierte Wirtschaftssystem durch die Verbindung mit der Rathenauschen Philosophie. Sinnbildlich kommt dies zum Ausdruck in Ratbenaus Feststellung: ,,Der Sinn aller Erdenwirtschaft ist die Erzeugung idealer Werte. Deshalb ist das Opfer materieller Güter, das sie erfordern, nicht Verbrauchsaufwand, sondern endgültige Erfüllung der Bestimmung." 122 Wegen dieser Verknüpfung ist auf Ratbenaus Philosophie insoweit einzugehen, als sie Aussagen über sein Wirtschaftssystem und die Wirtschaftsgesellschaften enthält123• a) Staatlich gelenkte Verbandswirtschaft Schwierigkeiten bei der Bestimmung des von Rathenau vorgestellten Wirtschaftssystems ergeben sich daraus, daß sich seine wirtschaftstheoretischen Vorstellungen mit mehreren wirtschaftspolitischen und gesellschaftspolitischen Theorien kreuzen. Darauf dürfte zu einem guten Teil zurückzuführen sein, daß seine Kritiker sich mit ihren Bewertungen zwischen Extremen bewegen. Feldmann hält Rathenau für einen konservativen sozialliberalen Reformer mit Plänen für eine gemeinwirtschaftliche Wirtschaftsordnung 124. Kuczynski meint, daß Rathenau sich selbst für einen Sozialisten besonderer Prägung gehalten habe 125, der jedoch "zweifellos der bedeutendste bourgeoise Kritiker der Hemmnisse der Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus, den das letzte Jahrhundert hervorgebracht hat", gewesen sei 126. Pogge v. Strandmann meint, daß Rathenau einen korporativen Pluralismus vertreten habe, von dem er selbst als reguliertem Kapitalismus gesprochen habe, welcher sich zwar durch einen Interventionsstaat auszeichne, der aber gleichzeitig die korporative
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Rathenau, Die neue Wirtschaft, (1918), GS 5, 1925, S. 179 ff. Berglar, Rathenau, 1987, S. 149; Schulin, in: Ratbenau-GA II, 1977, S. 499, Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Ratbenau-GA II, 1977, S. 297,347. Vgl. v. Wiese, Freie Wirtschaft, 1918, S. 5. Feldmann, in: Hughes u. a, Rathenau und die Kultur der Modeme, 1990, S. 84,
12s
Kuczynski, in: Hughes u. a., Rathenau und die Kultur der Modeme, 1990, S. 70. Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 13, 1961 , s. 61. 126
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Selbstverwaltung fordere 127• Ihm sei es um die Abwehr eines dogmatischen Sozialismus gegangen, die er durch eine Synthese aus staatlicher Intervention und privatwirtschaftlicher Selbstverwaltung für möglich gehalten habe 128 • Nach Kruse strebte Rathenau eine gemeinwirtschaftliche Ordnung jenseits von Kommunismus und Kapitalismus an, deren Grundlage der regulierende Staatseingriff, gepaart mit vom Taylorismus inspirierten technokratischen Visionen sei, worin sich ein antiliberales gesellschaftspolitisches Denken unter Rückgriff auf Ideen des vormodernen Ständestaats ausdrücke. Letztlich hätten die Gemeinwirtschaftspläne Ratbenaus der Stabilisierung der privatwirtschaftliehen Eigentums- und Machtverhältnisse gedient129• Dies meint auch Schieder, nach dem Rathenau den wirtschaftsliberalistischen Kapitalismus zugunsten einer gebundenen, sozialem Ausgleich verpflichteten Wirtschaft überwinden wollte 130• Die extreme Position vertritt Felix, der generalisierend meint, daß Rathenau einer der schlechtesten je veröffentlichten Denker gewesen sei 131 • Ratbenaus Zeitgenossen haben sein schriftstellerisches Werk zunächst überwiegend kritisch und ablehnend beurteilt, ihn zumeist als bemühten Dilettanten eingeschätzt132• Dies änderte sich mit »Von kommenden Dingen« insofern, als Ratbenaus Leistungen in der Kriegsrohstoff-Abteilung bekannt wurden und er allgemeine Anerkennung, sogar durch das feindliche Ausland, erfuhr133• Sein Werk wurde nun in kaum unübersehbarer Zahl in Zeitschriften und Zeitungen rezensiert134 • Rathenau wurde zu einem der meistgelesenen nicht-belletristischen Autoren des deutschsprachigen Raums 135 •
127 Pogge v. Strandmann, in: Franz (Hg.), Wendepunkt der europäischen Geschichte, 1981, S. 88,92 f. 12K Pogge v. Strandmann, in: Wilderotter (Hg.), Rathenau 1867-1922 (1993), S. 33, 43. 129 Kruse, in: Wilderotter (Hg.), Rathenau 1867-1922 (1993), S. 151, 157 u. 163. 130 Schieder, in: FS Bonjour, Bd. I, 1968, S. 239, 251 u. 260. 131 Felix, in: European Studies Review V (1975), p. 69: "He was one of the worst thinkers ever published." 132 Schulin, in: Ratbenau-GA II, 1977, S. 499, 502 ff. m. w. Nachw. 133 Schulin, in: Rathenau-GA II, 1977, S. 499,562 m. w. Nachw. 134 Schulin, in: Rathenau-GA II, 1977, S. 499, 563 f.; v. Wiese, Freie Wirtschaft, 1918, s. 31. 135 Sabrow, Rathenaumord, 1994, S. 69. »Von kommenden Dingen« wurde allein 1917, im Jahr der Erstveröffentlichung, in über 43.000 Exemplaren verkauft und dürfte insgesamt eine Verbreitung von ca. 100.000 Exemplaren gefunden haben; Berglar, Rathenau, 1987, S. 130; nach Schulin, in: Rathenau-GA II, 1977, S. 499, 563, wurden bis zum Tode Rathenaus ca. 72.000 Exemplare verkauft.
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Der wichtigste makroökonomische Gedanke im Rathenauschen Wirtschaftssystem ist der der Steuerung der Wirtschaftsabläufe durch ein System von Verbänden, das im englischen Gildensozialismus seinen Vorläufer fmdet 136. Alle Wirtschaftsunternehmen und Berufstätigen sollen danach in Berufs- und Gewerbeverbänden organisiert sein 137• Die Berufsverbände fassen alle Gesellschaften zusammen, die ein bestimmtes Produkt herstellen, sind also horizontale Zusammenschlüsse (Rathenau nannte als Beispiel alle Baumwollspinnereien). In den Gewerbeverbänden sollen alle im Produktions- und Vertriebsprozeß diesen vor- oder nachgeordnete Gesellschaften zusammengefaßt sein138, also vertikale Zusammenschlüsse. Der Berufsverband, der der wichtigere der beiden ist, soll in der Form einer Aktiengesellschaft organisiert sein, an der alle Gesellschaften entsprechend ihrem Leistungsvermögen beteiligt sind139 • Dieser Verband hat die Aufgabe der Beschaffung und des Vertriebs der Rohstoffe und Waren ftir die an ihm beteiligten Gesellschaften140• Der Staat soll in diesen Verbänden durch Vertreter in den Aufsichtsorganen beteiligt sein, denen das Recht auf Überwachung und Eingriff in die Geschäftsfiihrung und auf Einforderung von sozialen Leistungen und Gewinnabgaben zukommen soll 141 . Für diese Verbände ist das Vorbild der Kriegsgesellschaften offensichtlich, worauf zurückzukommen sein wird. Rathenau selbst sah die Gründung der Kriegsgesellschaften als einen Schritt hin zum "Staatssozialismus" an142 und bezeichnete sie als "ein Mittelding zwischen der Aktiengesellschaft, welche die freie wirtschaftlich-kapitalistische Form verkörpert, und einem behördlichen Organismus; eine Wirtschaftsform, die vielleicht in kommende Zeiten hinüberdeutet."143 Diese kommenden Zeiten sind in ihrer Wirtschaftsform charakterisiert durch eben diesen Staatssozialismus im Rathenauschen Sinne. Er verstand darunter eine privatwirtschaftliche Wirtschaftsordnung, die jedoch gezügelt und vom Gemeinschaftswillen durchdrungen wird, welcher sich durch "Sittlichkeit und Verantwortung" auszeichnet144 und in der "Eigentum, Verbrauch und Anspruch nicht Privatsache" sind 145 . Mit diesen Postulaten wollte er jedoch nicht
Revesz, Rathenau und sein ökonomisches Werk, 1927, S. 149 ff. Rathenau, Die neue Wirtschaft (1918), GS 5, 1925, S. 179, 231 ff. 13R Rathenau, Die neue Wirtschaft (1918), GS 5, 1925, S.l79, 231 f. 139 Rathenau, Die neue Wirtschaft (1918), GS 5, 1925, S. 179, 231 f. 140 Rathenau, Die neue Wirtschaft (1918), GS 5, 1925, S. 179, 232. 141 Rathenau, Die neue Wirtschaft ( 1918), GS 5, 1925, S. 179, 233. 142 Rathenau, Deutschlands Rohstoffversorgung (1916), GS 5, 1925, S. 23, 40. 143 Rathenau, Deutschlands Rohstoffversorgung (1916), GS 5, 1925, S. 23, 41. 144 Rathenau, Die neue Wirtschaft ( 1918), GS 5, 1925, S. 179, 202 f. 145 Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Ratbenau-GA II, 1977, S. 297,343. 136
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als Sozialist verstanden werden. Sozialismus und Kommunismus lehnte er entschieden ab 146 • Sein Ideal zeichnet sich auch nicht durch einen strikten Staatsdirigismus aus, sondern durch weitgehende Selbstverwaltung, jedoch unter staatlicher Kontrolle und mit staatlicher Einwirkungsmöglichkeit147• Es war ihm darum zu tun, eine Synthese aus staatlich gelenkter Wirtschaft und Privatinitiative herzustellen, also Freiheit und Ordnung optimal zu koordinieren 148 • Das läßt sich zeigen an seiner Konzeption des Eigentums, insbesondere an Produktionsmitteln und an für den Wirtschaftsprozeß erforderlichen Waren. Rathenau kam es darauf an, das Eigentum in die Verantwortung für die Gesellschaft einzubinden. Er hielt alles Eigentum, daß über eine nicht näher bestimmte Grenze des persönlich notwendigen Bedarfs hinausging, für eine Art Treuhandeigentum zu Gunsten der Gesellschaft149• Der Staat habe deswegen das Recht, es für die Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen. Daraus folgerte er, daß zwar formal Eigentum fortbestehe, doch der Eigentümer daran gehindert sei, in beliebiger Weise mit ihm zu verfahren. Ebenso wie das Eigentum sah er auch den Verbrauch von Gütern nicht als reine Privatsache an. Er sei "Sache der Gemeinschaft, Sache des Staates, der Sittlichkeit und Menschlichkeit" 150 deswegen, weil übermäßiger und unnützer Verbrauch für die Gemeinschaft schädlich sei. Durch ihn sei Arbeitskraft zur Produktion von Gütern des unnützen Verbrauchs verwendet worden, die für die Gemeinschaft hätte sinnvoller eingesetzt werden können 151 • Damit ist nach ihm jedoch nicht gemeint, daß eine Nivellierung des Verbrauchs, des Einkommens und des Vermögens erfolgen soll. Unterschiede sollen zulässig sein, solange sie nicht zu einer einseitigen Verteilung der Macht führen 152• Für die Umsetzung dieser Erkenntnisse in Praxis schlug Rathenau eine Reihe von Maßnahmen vor, die in ihrem Schwergewicht auf eine Regulierung des Verbrauchs abstellen, insbesondere also Steuern und Abgaben 153• Von besonderem Interesse für die Rathenausche Lehre vom Unternehmen an sich ist die Stellung und Verfassung der Wirtschaftsgesellschaften in dem von ihm konzipierten Wirtschaftssystem. Nach Rathenau werden sie sich zukünftig zu autonomen Unternehmen entwickeln, da der für ihre Kapitalzufuhr erforderRathenau, Von kommenden Dingen (1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297,331 f. Vgl. Schulin, in: Rathenau-GA II, 1977, S. 499, 593. 14R Adler, "Gemeinwirtschaft", 1952, S. 59. 149 Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297, 350 ff. 150 Rathenau, Von kommenden Dingen ( 1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297, 345. 151 Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297, 344 ff. 152 Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297, 368. 153 Rathenau, Von kommenden Dingen ( 1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297, 369 ff.; v. Wiese, Freie Wirtschaft, 1918, S. 35, kam auf Grund dessen zum Schluß, daß Rathenaus Wirtschaftspolitik im Kern Verbrauchspolitik sei. 146
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liehe große Reichturn weniger zukünftig nicht mehr bestehen werde 154• Diese autonomen Unternehmen des Rathenauschen Wirtschaftssystems können nicht als Vorbild der Aktiengesellschaft in Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich angesehen werden 155 • Denn sie zeichnen sich durch eine weitestgehende Entpersönlichung aus und nehmen eine Art Vennittlerfunktion zwischen dem Einzelnen und dem Staat ein, die mit der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich nicht zu vereinbaren ist. Die mit ihr beschriebene Aktiengesellschaft bleibt, wie gezeigt, eine der privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung, mit all den Folgen, die sich daraus für ihre Funktion und Bedeutung in Wirtschaft und Staat ergeben. Bei den autonomen Unternehmen handelt es sich nach Rathenau um ,,mittlere Gebilde". Ihnen komme die Stellung und Funktion eines Mittlers zwischen Staatsverwaltung und reinen Privatgeschäften zu 156• Sie entstehen nach ihm durch eine Entpersönlichung des Eigentums der Aktionäre an der Aktiengesellschaft, die zu deren Autonomie führe. Diese zeichne sich dadurch aus, "daß das Unternehmen ein eigenes Leben gewinnt, gleich als gehöre es niemand, ein objektives Dasein, wie es vormals nur in Staat und Kirche [... ] war." 157 Nach Rathenau entspricht der Entpersönlichung der Aktiengesellschaft eine Veränderung der Funktion ihrer Verwaltung. Die Leitung der Aktiengesellschaft werde nicht mehr durch Aktionäre wahrgenommen, sondern von ,,Beamten"158, die mit den preußischen Staatsbeamten vergleichbar und von Verantwortungsbewußtsein für ihren Arbeitsbereich und für das Ganze erfüllt seien159 • Daraus folge eine Verschiebung der Macht zu Gunsten der Verwaltung. Den Aktionären verbleibe als Eigentümer "das souveräne Recht der Bestimmung, doch dieses Recht wird mehr und mehr theoretisch, indem eine Mehrzahl andrer Kollektivorganismen, etwa Banken, mit der Wahrung ihrer Rechte betraut und indem diese Treuhänder wiederum unmittelbar an der Verwaltung des Unternehmens mitwirken." 160 Rathenau konstatierte also, daß die Rechte der Aktionäre als 1s4
Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Ratbenau-GA II, 1977, S. 297,374.
rss So aber Krantz, Die sozial- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen Rathenaus,
1975, S. 51 f., der zwischen den autonomen Unternehmen und der Aktiengesellschaft der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich nicht unterscheidet. Das ergibt sich daraus, daß er bei der Erörterung des autonomen Unternehmen sich auch auf die Ausführungen Ratbenaus in »Vom Aktienwesen« bezieht. Er selbst spricht von ihnen als einer .,autonomen 'Unternehmung an sich'". 1s6 Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Ratbenau-GA II, 1977, S. 297, 377. 1s7 Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Ratbenau-GA II, 1977, S. 297,375 f. m Als .,Beamte" wurden auch die Angestellten der AEG bezeichnet. 159 Vgl. Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Ratbenau-GA II, 1977, S. 297, 377.
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Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Ratbenau-GA II, 1977, S. 297, 375 f.
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Eigentümer faktisch eingeschränkt sein werden in dem Maße, wie die Verwaltung von den Aktionären auf Angestellte übergehen und eine wechselseitige Beteiligung der Aktiengesellschaften aneinander stattfmden wird. Nicht die Rechte der Aktionäre in ihrer Gesamtheit werden einer rechtlichen Beschränkung unterliegen, sondern der Einfluß von natürlichen Personen auf die Unternehmensleitung wird sinken. Mit diesen Feststellungen, die Rathenau fiir künftige Jahrhunderte prognostizierte 161 , nahm er die Diskussion um den Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft während der Weimarer Republik in ihren wesentlichen Punkten vorweg162. Erforderlich ist nunmehr, der Eingangs dargelegten Abhängigkeit entsprechend163, sich Ratbenaus Philosophie insoweit zu vergewissern, als das von ihm konzipierte Wirtschaftssystem von ihr beeinflußt sein kann, um die bis jetzt gewonnenen Ergebnisse der Interpretation weiter abzusichern. b) Ratbenaus Philosophie und sein Wirtschaftssystem Der Kern des von Rathenau konzipierten Wirtschaftssystems, die Indienststellung der Wirtschaft und der Unternehmen für die Interessen des Staates, hat seine Wurzeln in der Rathenauschen Philosophie, die er ausführlich in dem 1913 erschienenen Buch »Zur Mechanik des Geistes« 164 vorstellte. Ratbenaus Philosophie ist nicht die eines wissenschaftlich arbeitenden Philosophen, der sie in Relation zu anderen Philosophien setzt und sich dabei in Form und Terminologie an die tradierten hält 165, sondern Ausdruck der Ambivalenz seiner Persönlichkeit166, der er durch das Schreiben Ausdruck verschaffen wollte 167: Einer-
161 Vgl. Rathenau, Von kommenden Dingen (1917), Rathenau-GA II, 1977, S. 297,
378.
162 Vgl. fiir die Entwicklung in den USA Berle/ Means, The Modern Corporation and Private Property, 1932, passim, die diese Entwicklung fiir die USA untersuchten und aufS. 352 ausführlich Rathenau zitierten. 163 S. oben S. 80. 164 Rathenau fügte später dem Titel hinzu: .,oder vom Reich der Seele", so auch der Titel in der Rathenau-GA II, 1977, S. 105. 165 Berglar, Rathenau, 1987, S. 118. 166 Besonders deutlich wird dies in der Rathenau Biographie von Graf Kessler, Rathenau ( 1928), GS III, 1988, der mit Rathenau befreundet war. Th. Mann bemerkte 1919 in seinem Tagebuch, Tagebücher, 1918-1921, hrsg. v. P. de Mendelssohn, 1979, S. 294: ,,Auch ein sonderbarer Heiliger, halb echt, halb falsch, halb rein, halb trüb, aber er plagt sich redlich". 167 Rathenau formulierte dies so: .,Ich erhebe keinen Anspruch, ein philosophisches Buch zu schreiben; ich versuche, meine inneren Erlebnisse zu ordnen und zu deuten.";
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seits der ZWeckrationalistische Großindustrielle und spätere Politiker und Reichsaußenrninister, der andererseits einen Drang nach geistiger und kultureller Tätigkeit verspürte; in der Terminologie Rathenaus: Gleichzeitigkeit des Mechanistischen und Seelischen. In diesem Antagonismus in der Philosophie des jüdischen Großbürgers und Homme de Iettees spiegeln sich die Widersprüche seines Charakters 168, die St. Zweig, der Rathenau persönlich kannte, zu der Einschätzung gelangen ließen: ,,Bei Rathenau spürte ich immer, daß er mit all seiner unermeßlichen Klugheit keinen Boden unter den Füßen hatte. Seine Existenz war ein einziger Konflikt immer neuer Widersprüche. Er hatte alle denkbare Macht geerbt von seinem Vater und wollte doch nicht Erbe sein, er war Kaufmann und wollte sich als Künstler fühlen, er besaß Millionen und spielte mit sozialistischen Ideen, er empfand sich als Jude und kokettierte mit Christus. Er dachte international und vergötterte das Preußentum, er träumte von einer Volksdemokratie und war jedesmal hochgeehrt, vom Kaiser Wilhelm empfangen und befragt zu werden, dessen Schwächen und Eitelkeiten er hellsichtig durchschaute, ohne darum der eigenen Eitelkeit Herr werden zu können." 169 Der erfolgreiche und einflußreiche Politiker und Diplomat Rathenau war Hervorbringung eines geistig und seelisch unausgeglichenen und beständig an sich und seinen Überzeugungen zweifelnden Persönlichkeit170 • Rathenau sah den Menschen in der Ambivalenz von Mechanik und Seele gefangen. Der Begriff der Mechanisierung nimmt eine zentrale Stelle in seiner Philosophie ein 171 • Er wurde vielen Zeitgenossen zu einer adäquaten kulturkritischen Problembezeichnung, einem "Epochenbegrifl", der schließlich zu einem "Schlagwort" wurde 172• Mechanisierung bedeutet Rathenau nicht nur eine wirtschaftliche Rationalisierung im Zuge der Industrialisierung, sondern eine totale des "ganzen geistigen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens" 173 • Die Mechanisierung der Wirtschaft, also die allumfassende Organisation des Güterund Kapitalverkehrs und auch der Menschen und deren Leben als Arbeitskräfte, in: ders., Zur Mechanik des Geistes (1913), Rathenau-GA II, 1977, S. 105, 123; s. auch v. Wiese, Freie Wirtschaft, 1918, S. 79 ff. IM Sabrow, Rathenaumord, 1994, S. 69. 169 St. Zweig, Welt von Gestern, 1993, S. 213 f. 170 Sabrow, Rathenaumord, 1994, S. 71, meint gar: "Schwerlich wird es gelingen, in der jüngeren deutschen Geschichte eine zweite Figur von solchem äußeren Einfluß und gleichzeitig solcher inneren Zerrissenheit zu finden." 171 Heilige, in: Rathenau-GA VI, 1983, S. 15, 183. 172 Schulin, in: W. J. Mommsen I W. Schwentker (Hg.), Max Weber, 1988, S. 434, 441 ; w. Nachw. über die Verwendung und Bedeutung des Begriffs in der Weimarer Zeit als "Epochen begriff" bei dems. , in: Rathenau-GA II, 1977, S. 499, 528. 173 Graf Kessler, Rathenau (1928), GS III, 1988, S. 94; Heilige, in: Rathenau-GA VI, 1983, s. 15, 183.
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sei möglich geworden durch die Mechanisierung des Eigentums: ,,Der Besitz mußte bis ins kleinste teilbar, bis zum Größten anhäufbar, er mußte beweglich, austauschbar, fungibel, seine Erträge mußten vom Stamm trennbar und für sich verwendbar sein. Kurz, der Besitz mußte im Abbilde den Aufgaben der mechanisierten Wirklichkeit, der Arbeitsteilung, Arbeitshäufung, Organisation und Massenwirkung entsprechen lernen, er mußte mechanisiert werden." 174 Das zu alledem erforderliche Kapital habe die verschiedensten Zirkulationsformen angenommen. Die Aktie, als eine solche Zirkulationsform des Kapitals, sei diejenige des Arbeitswertes 175• Ähnlich dem dialektischen Materialismus folgerte er, daß die Mechanisierung des Eigentums und der Wirtschaft eine solche der Politik, der Gesellschaft und auch des Menschen bewirkt habe 176 • Durch sie werde der Mensch daran gehindert, eine Seele zu erlangen oder auszubilden177, was das Ziel des Daseins sei. Um dem Menschen zum Erwerb und zur Ausbildung einer Seele zu verhelfen, sei die Mechanisierung jedoch nicht rückgängig zu machen, sondern zu überwinden. Die Überwindung der Mechanisierung soll dadurch erreicht werden, daß sie und diejenigen Institutionen, von denen sie ausgeht, den Interessen des Menschen verpflichtet werden und dadurch die Mechanisierung in einer Art Evolutionsprozeß überwunden wird178 • Daraus folgt nach Rathenau das Erfordernis der Bindung der Wirtschaft und der in ihnen tätigen Wirtschaftsgesellschaften an das gemeine Wohl. Sie ist nach ihm Ausdruck der Bindung der Wirtschaft und der Wirtschaftsgesellschaften an die Interessen des Menschen. Die Verwirklichung des Interesse des Einzelnen auf Ausbildung und Erhalt einer Seele ist dem Staat als Aufgabe übertragen. Er hat für die Bedingungen zu sorgen, die die Wahrnehmung dieses Interesses durch den Einzelnen ermöglichen. Die Verpflichtung der Wirtschaftsgesellschaften gegenüber dem Staat und der Gesellschaft ergibt sich also daraus, daß für Rathenau die Wirtschaftsgesellschaften im Dienste des Einzelnen stehen, insofern dieser zumindest nicht daran gehindert werden darf, eine Seele zu erwerben und sich zu erhalten. Nußbaum interpretierte also unvollständig, als er erklärte, Rathenau, Zur Kritik der Zeit (1912), Ratbenau-GA II, 1977, S. 17, 53. Rathenau, Zur Kritik der Zeit ( 1912), Ratbenau-GA II, 1977, S. 17, 54. 176 Rathenau, Zur Kritik der Zeit (1912), Ratbenau-GA Il, 1977, S. 17, 58 ff. u. 65 ff. 177 Nach Rathenau hat der Mensch nicht grundsätzlich eine Seele. Es ist jedoch ft.ir jeden möglich, eine Seele zu erlangen und auszubilden. Die Ausformung des SeeleProblems kann hier dahingestellt bleiben, da es spezifisch philosophische Probleme aufwirft, die für die vorliegende Arbeit ohne Relevanz sind. Einen Kurzabriß seiner Behandlung durch Rathenau findet sich bei: Graf Kessler, Rathenau (1928), GS III, 1988, S. 77 ff. u. Berglar, Rathenau, 1987, S. 125 f.; vgl. auch Schulin, in: Ratbenau-GA Il, 1977, s. 499, 530 ff. 17x Heilige, in: Rathenau-GA VI, 1983, S. 15, 193; Hughes, in: ders. u. a., W. Rathenau und die Kultur der Modeme, 1990, S. 9, 25 f. 174
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daß das Unternehmen nach Ratbenau den wirtschaftlichen Zwecken der Menschen zu dienen bestimmt sei 179, denn nach Ratbenau soll die Daseinsbestimmung und insbesondere die Ausformung des Daseins der Aktiengesellschaft nicht lediglich den wirtschaftlichen Zwecken des Menschen dienen, sondern ihm den Erwerb und den Erhalt seiner Seele ermöglichen. Als maßgeblicher Gedanke der Ratbenauschen Philosophie für die Erkenntnis der leitenden Idee des Ratbenauschen Wirtschaftssystems und seiner Lehre vom Unternehmen an sich ergibt sich somit die Anhindung der Wirtschaft und der Wirtschaftsgesellschaften an den Staat und das Interesse des Menschen auf Erwerb und Erhalt einer Seele. Folge davon ist die Verpflichtung des Staates, die Wirtschaft dergestalt zu organisieren, daß dieser Forderung genügt wird. Damit ist zunächst noch nichts über die Art und Weise der Organisation des Wirtschaftssystems gesagt, insbesondere ergibt sich daraus nicht zwingend eine bestimmte. Ob das von Ratbenau vorgestellte Wirtschaftssystem den Anforderungen seiner Philosophie an die Wirtschaft genügt, kann dahinstehen. Wichtig jedoch ist, daß Ratbenau von der wirtschafts-liberalistischen Auffassung des Laissez-Faire abrückte und dem Staat die Aufgabe einer weitgehenden Gestaltung des Wirtschaftslebens zu einem bestimmtem Zweck zuwies, der durch die Interessen des Einzelnen bestimmt ist und über eine bloße Überwachungsfunktion weit hinausgeht. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß Ratbenaus Lehre nicht beeinflußt oder eingebettet ist in sein projektiertes Wirtschaftssystem 180• Ratbenau selbst erklärte ausdrücklich, daß das vorfmdliche Aktienwesen zwar die Möglichkeit einer Transformation in ein anderes Wirtschaftssystem biete, hielt es jedoch nicht für sinnvoll, im Rahmen des bestehenden "willkürlich Teile herauszubrechen und durch Konstruktionen zu ersetzen, die einem anderen, erdachten Mechanismus angehören" 181 • Zwischen Ratbenaus Lehre und dem von ihm konzipierten Wirtschaftssystem besteht lediglich eine mittelbare Verwandtschaft insofern, als beiden der Gedanke der Ausrichtung der Wirtschaft und der Wirtschaftsgesellschaften an den Interessen des Staates und der Gesellschaft zu Grunde liegt. Seine Lehre vom Unternehmen an sich bedeutet also nicht das "Bindeglied" zwischen der damaligen Wirtschaftsform und Ratbenaus
179
Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931,
s. 492,502.
IMO Unzutreffend daher Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, S. 492, 500; Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 81; u. die aufS. 80 in Fn. 118 genannten. IRI Rathenau, Vom Aktienwesen (1917), GS 5, 1925, S. 121, 147.
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"Ideengebilde der Planwirtschaft" 182, die Ausdruck des Wunsches nach einem Interventionsstaat sei, um die Wirtschaft planwirtschaftlich zu lenken und die Aktionäre um ihre Rechte an der Aktiengesellschaft zu bringen183 • Schon Netter versuchte 1932 diesen Einwand gegen die Ratbenausche Lehre zu widerlegen 184• Jedoch blieb auch ihm die tieferliegende Verbundenheit zwischen dem von Ratbenau konzipierten Wirtschaftssystem und seiner Lehre vom Unternehmen an sich unentdeckt. In einem Aufsatz, der 1931 erschien, also ein Jahr vor der Veröffentlichung seiner ausführlichen Auseinandersetzung mit der Lehre vom Unternehmen an sich in 1932, hatte er noch konzediert, daß die Aktiengesellschaft als Selbstzweck im Sinne der "gemeinwirtschaftlichen Gedankengänge Ratbenaus als Element der heutigen Wirtschaftsordnung nicht unbedingt angesprochen werden kann." 185 Abschließend ist nunmehr das Verhältnis der Ratbenauschen Lehre vom Unternehmen an sich zur Kriegswirtschaft zu behandeln und dabei zu prüfen, inwieweit diese Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich beeinflußte. 2. Kriegswirtschaft
Vergleicht man nun Ratbenaus Vorstellung eines neuen Wirtschaftssystems mit den durch ihn herbeigeführten Ausformungen der Kriegswirtschaft, ist deren Vorbildfunktion für jene offensichtlich. Insbesondere den Kriegsgesellschaften kommt diese Funktion für die Verbände und deren Lenkungsfunktion im Ratbenauschen Wirtschaftssystem zu 186• Beidemale findet sich die Anlehnung an die Verfassung der Aktiengesellschaft und jeweils ist vorgesehen, dem Staat durch entsandte Kommissare ein Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht in den auch Geschäftsführungsaufgaben übernehmenden Aufsichtsräten einzuräumen, um so die Anhindung der Gesellschaften an die Interessen des Staates zu verwirklichen. Auch beider Funktion als Beschaffungsstelle für die erforderlichen Rohstoffe (im weitesten Sinne, also auch vorgefertigte Produkte) und Verteilungsstelle für die hergestellten Güter ist identisch. Entscheidend ist jedoch, daß sowohl im kriegswirtschaftlichen System als auch in dem Ratbenauschen Wirtschaftssystem eine Anhindung der Volkswirtschaft und der Unter1 ~2
1927,
Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 28; ders., in: JW
s. 2953.
Unzutreffend Haußmann, in: BA XXX (1930 I 31 }, S. 57, 86 (62). Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 546 ff. IKS Netter, in: ZBH I 93 I, I, 37, 59 (41 ). 1 ~ 6 Dies wird hervorgehoben von: Schulin, in: Rathenau-GA II, 1977, S. 499, 593 u. Schieder, in: FS Bonjour, I 968, Bd. I, S. 239, 250 f. 1 ~3
1 ~4
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nehmen an die Interessen des Staates und der Gesellschaft bestand bzw. besteht. Ob sich darüberhinaus Gemeinsamkeiten in der theoretischen Konzeption finden lassen, etwa in Form einer staatssozialistischen Prägung beider, kann dahinstehen187. Die Bindung der Wirtschaft und der Wirtschaftsgesellschaften an die Interessen der Gesellschaft und des Staates verbindet also auch die Kriegswirtschaft mit der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich. a) Kriegsrohstoff-Abteilung Mit der Entwicklung Deutschlands zu einem modernen Industriestaat wuchs der Bedarf an Rohstoffunporten, da nur fiir einzelne industrielle Produktionen auf eigene Rohstoffvorkommen zurückgegriffen werden konnte. Das zeigt sich beispielhaft daran, daß im letzten Vorkriegsjahr 44% des Betrages für den Import auf Rohstoffe und nochmall5% auf Vorprodukte (Halbwaren) entfielen 188. Dies war schon vor Ausbruch des Krieges ein allgemein bekannter Tatbestand, von dem unterschiedliche Konsequenzen für die Politik abgeleitet wurden 189, die jedoch nicht zu konkreten Maßnahmen für eine Sicherstellung der Rohstoffversorgung in Krisenzeiten führten. Weder seitens der Industrie noch des Staates waren vor Kriegsausbruch besondere Maßnahmen getroffen worden oder Pläne existent, um eine Rohstoffversorgung im Kriegsfall zu gewährleisten 190. Aus einer vom Reichsamt des Innern Anfang 1913 durchgeführten Befragung im Bereich der Montanindustrie ergibt sich, daß die Rohstoffvorräte der meisten der befragten Unternehmen lediglich für 2-3 Monate ausreichten 191 . Insgesamt ist fiir den Zeitpunkt des Kriegseintritts von einem Rohstoffvorrat für ein halbes IM? ln Bezug auf die Kriegswirtschaft und die ersten Jahre danach wird von einem "organisierten Kapitalismus" gesprochen; vgl. zur Diskussion die Beiträge in: H. A. Winkler (Hg.), Organisierter Kapitalismus, 1974. Rathenau selbst verteidigte sein Wirtschaftssystem vor der Behauptung der Vergleichbarkeit mit der Kriegswirtschaft. Er meinte, daß es mit der Zwangswirtschaft im Kriege nichts gemeinsam habe, ders., Kritik der dreifachen Revolution, 1919, S. 102. Allerdings hatte er sich 1918 in anderem Sinne geäußert. Die durch ihn geschaffene Kriegswirtschaft sei eine bewußte Schöpfung einer neuen Wirtschaftsordnung, die nicht vergehen könne und alle künftigen Wirtschaftsformen in ihrem Schoß trage, in: ders., An Deutschlands Jugend (1918), GS VI, 1929, s. 93,99 f. m Henning, Das industrialisierte Deutschland 1914 bis 1992, KJ993, S. 39. IM9 Burchardt, Friedenswirtschaft und Kriegsvorsorge, 1968, S. 78 ff.; ders., in: Tradition 15 (1970), S. 169, 170 f. 190 Burchardt, in: Tradition 15 (1970), S. 169, 171 ff. 191 Vgl. Denkschrift des Reichsamts des Innem an die Staatssekretäre der Reichsämter, die Preußischen Staatsminister, den Admiralstab der Marine und den Generalstab der Armee vom Januar 1914, in: Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, Anlagenbd. z. I. Bd., 1930, S. 253-270, insbes. S. 262 f.
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Jahr auszugehen 192• Dieser Tatsache und der einsetzenden englischen Seeblokkade verdankt die Kriegsrohstoff-Abteilung ihre Gründung 193 • Sie sollte dazu beitragen, Deutschland als rohstoffann.em Land eine längere Kriegführung zu ermöglichen. Dies entsprach ganz der Überzeugung Ratbenaus von der Bedeutung der Wirtschaft für die Kriegführung und der dazu erforderlichen Versorgung mit Rohstoffen. Schon 1907 hatte er erklärt: ,,Der Kriegsgott unserer Tage heißt wirtschaftliche Macht" 194, die wiederum auf eine ausreichende Versorgung mit Rohstoffen angewiesen sei 195 • Der Leitgedanke für die KriegsrohstoffAbteilung war, daß die Sicherstellung der Versorgung der Armee mit kriegswichtigem Material nur durch eine regulierte und geplante Rohstoffversorgung der produzierenden Industrie gelingen könne 196 • Die Kriegsrohstoff-Abteilung wurde am 13. August 1914 durch den Preußischen Kriegsminister v. Falkenhayn beim preußischen Kriegsministerium formell errichtet197 und Rathenau als ihr erster Leiter emannt198 • Ihre Zuständigkeit für die Planung und Sicherstellung der Versorgung der kriegswichtigen Industrie mit Rohstoffen erlangte sie auf Reichsebene erst durch Übertragung der Verwaltungszuständigkeit der Länder mit eigenen Heereskontingenten (Bayern, Sachsen, Württemberg) auf Preußen am 20. August 1914 199• Entsprechend den Forderungen des Hindenburgprogramms nach einer einheitlichen Leitung der gesamten Kriegswirtschaft auf Reichsebene sollte auch die KriegsrohstoffAbteilung in ein neu zu schaffendes Reichsamt eingegliedert werden. Die Errichtung einer selbständigen obersten Reichsbehörde stieß jedoch auf verfas192 Burchardt, in: Tradition 15 (1970), S. 169, 173 m. w. Nachw.; Schröter, KriegStaat-Monopol, 1965, S. 77. 193 Ob die Initiative zur Gründung allein von Ratbenaus ausging oder ob er auf eine Anregung von v. Moellendortfhin entsprechende Vorschläge gegenüber dem Kriegsministerium machte, kann unerörtert bleiben; s. dazu Burchardt, in: Tradition 15 ( 1970), S. 169, 173 ff.; Hecker, Rathenau und sein Verhältnis zu Militär und Krieg, 1983, S. 202 ff.; Schulin, Rathenau, 2 1992, S. 64 ff. 194 Rathenau, Die neue Ära ( 1907), in: NachgeL Sehr. I, 1928, S. 15, 16. 195 Vgl. Graf Kessler in: Rathenau, GS 111, hg. v. Blasberg I Schuster, 1988, S. 135. 196 Dieckmann, Die Behördenorganisation in der deutschen Kriegswirtschaft 19141918, (1937), S. 35; vgl. Rathenau, Deutschlands Rohstoffversorgung (1916), in: GS 5, 1925, s. 23, 27 f. 197 Zum Aufbau der Kriegsrohstoff-Abteilung s. E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 31 ff.; zur Struktur der Kriegsrohstoff-Abteilung im Jahre 1918 s. Dieckmann, Die Behördenorganisation in der deutschen Kriegswirtschaft 1914-1918, (1937), S. 41 ff. 19~ Vgl. Ratbenaus Schilderung in: ders., Deutschlands Rohstoffversorgung ( 1916), GS 5, 1925, S. 23, 27 ff. 199 Hecker, Watther Rathenau und sein Verhältnis zu Militär und Krieg, 1983, S. 216; E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 26 f.
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songsrechtliche Bedenken. Die Lösung wurde schließlich in der Schaffung eines Kriegsamtes gesehen, daß durch kaiserliche Verordnung am 1. November 1916 innerhalb des preußischen Kriegsministeriums geschaffen und dem die Kriegsrohstoff-Abteilung eingegliedert wurde200 • Folge davon war, daß das Kriegsamt in seiner Hoheitsgewalt auf Preußen und die Länder beschränkt war, die zu seiner militärischen Kontingentsverwaltung gehörten. Auf Grund des Hilfsdienstgesetzes in Form eines Reichsgesetzes standen dem preußischen Kriesamt auch in den Länder mit eigener Militärverwaltung (Bayern, Sachsen und Württemberg) gewisse Befugnisse zu, grundsätzlich hatte es jedoch ein Einvernehmen mit diesen herzustellen201 • Die rechtlichen Grundlagen für die Tätigkeit der Kriegsrohstoff-Abteilung waren zunächst unzureichend202 , wurden dann mittels des Ermächtigungsgesetzes für den Bundesrat vom 04. August 1914 geschaffen, mit dessen § 3 dem Bundesrat nahezu unbeschränkte und unkontrollierbare Befugnisse eingeräumt wurden203 • Besondere Bedeutung erlangte die daraufhin erlassene Verordnung über die Bekanntmachung über die Sicherstellung von Kriegsbedarf vom 24. Juli 1915 204, die als die eigentliche Grundlage der militärischen Kriegswirtschaft bezeichnet werden kann205 , da nach ihr Beschlagnahmen und Enteignungen in einem vereinfachten Verfahren möglich waren und nicht überprüft werden konnten206 • Die Kriegswirtschaft verursachte einerseits einen starken industriellen Konzentrationsprozeß bzw. beförderte ihn, währenddessen besonders kleinere Ge-
200 Dieckmann, Die Behördenorganisation in der deutschen Kriegswirtschaft 19141918, (1937), s. 49 ff. 201 Dieckmann, Die Behördenorganisation in der deutschen Kriegswirtschaft 19141918, (1937), s. 50 f. 202 Zur Rechtslage zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs s. E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 38 ff. u. Dieckmann, Die Behördenorganisation in der deutschen Kriegswirtschaft 1914-1918, (1937), S. 36 f. 203 Schon damals wurde von einer diktatorischen Macht des Bundesrates gesprochen, s. E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 50 f. 204 Vgl. dazu Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, I 921, s. 52 ff. 205 E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 53. 206 E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 53. Auf Grund dessen wurde angenommen, daß der Staat eine Art Oberherrschaft über das Privateigentum erlangt habe. Diese Ansicht soll sich in den Sozialisierungsgesetzgebungen der Nachkriegszeit und in den Artt. 151 ff. WRV niedergeschlagen haben; dazu E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 75 ff. m. w. Nachw.
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sensehaften ab 1916 I 17 stillgelegt wurden207• Andererseits konnte jedoch beobachtet werden, daß eine Volkswirtschaft auch dann erfolgreich funktionieren kann, wenn sie weitgehend staatlich beaufsichtigt und staatlichen Eingriffen unterworfen ist und der Staat zu dem bedeutendsten Abnehmer der industriellen Produktion wird208 • Der Erfolg der Tätigkeit der Kriegsrohstoff-Abteilung war Voraussetzung dafiir, daß die deutsche Armee mit Nachschub an kriegswichtigen Produkten versorgt werden konnte. The Times bemerkte dies schon 1915 und erklärte, daß die Kriegsrohstoff-Abteilung "the greatest industrial organisation in the history of the world" see09 • Dies ist in hohem Maße der Tätigkeit Ratbenaus geschuldet. Wiederum formulierte The Times: "It is an extraordinary story, this miracle of industry, this inventivness, this genius of organization. lt is a story which explains the fall of Warsaw and the great eastem offensive and the impregnable westem line. And when the Falkenhayns, the Mackensens, the Hindenburgs are thought of as the great German soldiers, one person must be set beside them, the Germanbusiness man, Dr. Walther Rathenau."210 b) Kriegsgesellschaften Rathenau versuchte zunächst den Rohstoffbedarf in der metallerzeugenden und -verarbeitenden Industrie festzustellen. Hierzu führte er eine Umfrage bei ca. 900 Gesellschaften durch21 1• Es stellte sich sehr schnell heraus, daß bei dem sich abzeichnenden Rohstoffbedarf die Beschaffung und Verteilung der Rohstoffe und deren Finanzierung nicht allein durch die Kriegsrohstoff-Abteilung bewältigt werden konnte, da hierzu die personellen und fmanziellen Mittel nicht vorhanden waren und auch die erforderliche Organisation in der Kürze der Zeit nicht aufgebaut werden konnte212• Die Tätigkeit Ratbenaus in der Kriegsrohstoff-Abteilung ist nun deswegen von besonderem Interesse, weil er als Schöp-
207 A. Müller, Kriegsrohstoffbewirtschaftung 1914-1918, 1955, S. 21 f. mit Zahlenangaben zu einzelnen Wirtschaftsbereichen. 20~ Feldmann, in: H. A. Winkler (Hg.), Organisierter Kapitalismus, 1974, S. 150, 153 ff.; Bruck, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 48. Bd. (1920 I 21), S. 547, 576, meint, daß die von Rathenau errichtete Form der Kriegswirtschaft unter den gegebenen Umständen die bestmögliche war. 209 Swing, A Business Man and War, in: The Times vom II. Oktober 1915, S. 6. 210 Swing, A Business Man and War, in: The Times vom II. Oktober 1915, S. 6. 211 Hecker, Rathenau und sein Verhältnis zu Militär und Krieg, 1983, S. 218 f. 212 Hecker, Rathenau und sein Verhältnis zu Militär und Krieg, 1983, S. 219 f.; E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 132 f.
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fer der Kriegsrohstoffgesellschaften, kurz Kriegsgesellschaften213 , gelten kann214 , mit denen diese Probleme gelöst wurden215 • Um das Kapital der Unternehmen und den in ihnen konzentrierten Sachverstand nutzbar zu machen, sollten durch sie, in größtmöglicher Selbstverwaltung, die sich stellenden Aufgaben bei der Rohstoffbeschaffung und -Verteilung im Rahmen der Kriegsgesellschaften bewältigt werden. Diese Überlegungen fiihrten zur Errichtung von gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften216 , die in Form einer juristischen Person des Privatrechts, vor allem als Kriegsaktiengesellschaft und Kriegsgesellschaft mit beschränkter Haftung, verfaßt waren217 , auf deren Geschäftsfiihrung der Staat aber ein gesichertes weitgehendes Einwirkungsrecht besaß218 • An ihnen waren jeweils die rohstoffverarbeitenden Gesellschaften einer Branche beteiligt, so daß ein verbandsartiger Zusammenschluß erfolgte. Die Kriegsgesellschaften beschafften alle Rohstoffe fiir je ihren industriellen Bereich und verteilten diese an die verarbeitenden Gesellschaften219, die wiederum Träger der Kriegsgesellschaften waren. Den Unternehmen wurde somit die Möglichkeit der Selbstverwaltung und Selbstversorgung mit den benötigten Rohstoffen freilich unter staatlicher Aufsicht und mit staatlichem Vetorecht- eingeräumt. Im Ergebnis können die Kriegsgesellschaften als staatlich beaufsichtigte Zwangskartelle der gesamten Industrie angesehen werden220, die den Charakter von Monopolen hatten, da der Staat ihnen das alleinige Recht zur Beschaffung von Rohstoffen sicherte und alleiniger Abnehmer des Kriegsbedarfs war221 •
213 Diesen Tenninus bezeichnet E. Heymann als den gewöhnlich verwendeten Oberbegriff, ders., Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 133; so auch Hachenburg, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Einl. (1932) Anm. 9. 214 Allg. Ansicht; fiir alle: Hecker, Rathenau und sein Verhältnis zu Militär und Krieg, 1983, S. 219 f. 215 Nach GrafKessler handelt es sich bei der Organisierung der Rohstoffwirtschaft um eine in ihren Auswirkungen welthistorische Tat Rathenaus, in: Rathenau (1928), GS III, 1988, S. 166) Nach Kocka besteht im schnellen Autbau der Kriegsrohstoff-Abteilung und der Kriegsgesellschaften die eigentliche Leistung von Rathenau, ders., in: Hughes u. a., Rathenau und die Kultur der Modeme, 1990, S. 79, 80. 216 E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921 , S. 134. 217 Daneben gab es noch Abrechnungsstellen und Kriegsausschüsse; zu diesen s. E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 145 f. u. 147 ff. m Nußbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, 2 1922, S. 48. E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 133, charakterisiert sie als Unterorgane der Heeresverwaltung, da sie von dieser abhängig gewesen seien. 219 E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921 , S. 135. 220 E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921 , S. 134. 22 1 Bruck, in: Archiv fiir Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 48. Bd. (1920 I 2 I), s. 547, 564.
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Schon im Herbst 1914 entstanden eine Reihe von Kriegsaktiengesellschaften222. Sie waren der Aktiengesellschaft ähnliche Organisationsformen, in deren Aufsichtsräten Kommissaren der Reichsbehörden und Ministerien ein Vetorecht gegen ihre Beschlüsse zustand223 • Der Aufsichtsrat war als verwaltender Aufsichtsrat ausgestaltet, d. h. er nahm Verwaltungsaufgaben wahr, die sonst dem Vorstand oblagen, was nach § 246 HGB durch entsprechende Bestimmungen in den Statuten möglich war24 • Neben Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung besaßen die Kriegsaktiengesellschaften als weiteres Organ eine Schätzungs- und Verteilungskommission, der neben Angestellten der Kriegsgesellschaften, die von den an ihnen beteiligten Gesellschaften kamen, Mitglieder von Handelskammern und Beamte der Ministerien angehörten. Die eigentliche Verteilung der Rohstoffe an die einzelnen Gesellschaften wurde von diesen Kommissionen durchgefii~25 • Den Kriegsaktiengesellschaften war die Ausschüttung von Dividenden und Liquidationsgewinnen untersagr26; nach ihren jeweiligen Statuten waren sie gemeinnützigen Zwecken verpflichter27 • Die Verpflichtung zur Gemeinnützigkeit der Kriegsgesellschaften wurde allgemein angenommen. Das Reichsgericht stellte in einem Urteil vom 20. Oktober 1921 fest, daß die Kriegsgesellschaften die Aufgabe gehabt hätten, "in gemeinnütziger Weise jene Erzeugnisse und Rohstoffe gemeinschaftlich zu beziehen, zu verteilen und zu verwerten." 228
222 Zu den einzelnen Kriegsaktiengesellschaften s. E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 136 f.; ein Verzeichnis aller Kriegswirtschaftsbehörden, -Organisationen und -gesellschaften enthält Schröter, Krieg-Staat-Monopol, S. 154-157; bei Bruck, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 48. Bd. (1920 I 21 ), S. 547, 578 ff., findet sich eine ausführliche Darstellung der KriegshadernAG. Zu den Kriegsgesellschaften mit beschränkter Haftung s. E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 142 ff. 223 Diese Konstruktion wurde schon vor dem Krieg für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen vorgeschlagen, um die Wahrung der öffentlichen Interessen sicherzustellen (H. Lehmann, Grundlinien des deutschen Industrierechts, in: FS Zitelmann, 1913, S. I, 37 ff.); auch E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 134, weist auf die gemischten ·Gesellschaften als Vorbilder der Kriegsgesellschaften hin. 224 E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 139 f.; R. Fischer, Aktiengesellschaft, in: Ehrenberg (Hg.), Hdb. d. ges. Handelsrechts, 3. Bd. I I. Abtlg., 1916, S. 231 m. w. Nachw. 225 E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 140 f. 226 Rathenau, Deutschlands Rohstoffversorgung ( 1916), GS 5, 1925, S. 23, 41; vgl. Zunkel, Industrie und Staatssozialismus, 1974, S. 23 f. 227 E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 138. 22" Urt. d. IV. Zivilsenats v. 20. Oktober 1921, RGZE I 03, S. 52, 56.
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In der Praxis entsprach das System der Zwangsbewirtschaftung der Rohstoffe durch die Kriegsgesellschaften jedoch nur sehr eingeschränkt einer Verpflichtung zur Gemeinnützigkeit im Sinne einer Hintaostellung der eigenen Interessen für diejenigen des Staates und der Gesellschaft. Unabhängig von der Frage nach den Interessen des Staates und der Gesellschaft im ersten Weltkrieg kann für das kriegswirtschaftliche System nicht von einer Zurückstellung der eigenen Interessen auf Profitmaximierung bei den beteiligten Unternehmen gesprochen werden. Tatsächlich führte die Rohstoffzwangsbewirtschaftung zu einer Bevorzugung der großen Unternehmen bei der Verteilung der Rohstoffe. Diese besaßen einen entscheidenden Einfluß in den Kriegsgesellschaften durch ihre hohe finanzielle Beteiligung an ihnen und über die Kriegsgesellschaften auch in den entsprechenden staatlichen Gremien der K.riegsrohstoff-Abteilung, welche wiederum in den wichtigsten Kriegsgesellschaften durch hochrangige Beamte vertreten war. Auf diesen Umstand der Verflechtung und der zwangsläufigen Interessenkollisionist es zurückzuführen, daß große Unternehmen bei der Verteilung der Rohstoffe bevorzugt wurden229 • Wegen der zunehmenden Zahl der Beschwerden über die Verteilung der Rohstoffe wurden in einigen Kriegsgesellschaften Unterkommissionen errichtet, sog. Vertrauenskommissionen, und die Wahl der Kommissionsmitglieder von der Zustimmung des Kriegsministeriums abhängig gemachr30• Die Verteilung der Rohstoffe hauptsächlich an große Unternehmen ließe sich womöglich dadurch als gemeinnützig rechtfertigen, daß diese eher als kleinere Verarbeiter zu einer schnellen und effektiven Herstellung der dringend benötigten Produkte in der Lage waren. Jedoch bewirkte die Praxis der Beschaffung und Verteilung der Rohstoffe und der anschließende Ankauf der mit den Rohstoffen hergestellten Produkte durch den Staat oder andere Abnehmer, daß die schon bei der Verteilung der Rohstoffe bevorzugten großen Unternehmen einen außerordentlich hohen Gewinn zu Lasten des Staatshaushalts erwirtschafteten. So wurde für die Kriegsmetallgesellschaft nachgewiesen, daß durch eine niedrige Preisfestsetzung für die zu beschaffenden Rohstoffe durch die Kriegsrohstoff-Abteilung und das Kriegsministerium und den hohen Verkaufspreis für die mit den Rohstoffen hergestellten Produkte eine hohe Profitrate der groBindustriellen Verarbeiter dieser Metalle entstand. Dem entsprach auf Seiten der Kriegsgesellschaften ein bilanzielles Defizit, das dadurch entstand, daß diese die Roh229 Schröter, Krieg-Staat-Monopol, 1965, S. 137 ff., der die wechselseitigen Verflechtungen anband von nachgedruckten Quellen nachweist. Im Ergebnis ebenso: H. Mommsen, Die verspielte Freiheit, 1989, S. 19; Meinik, Rathenau und die Sozialisierungsfrage, 1973, S. 19 f. u. Bruck, in: Archiv fiir Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 48. Bd. (1920 1_21), S. 547,564. 230 E. Heymann, Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, 1921, S. 141 f. 7 Laux
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stoffe fiir einen höheren Preis bei dritten Gesellschaften beschaffen mußten als sie diese -bedingt durch die niedrige Preisfestsetzung durch die KriegsrohstoffAbteilung -an die die Rohstoffe verarbeitenden Gesellschaften verkauften. Diese Defizite gingen insoweit auf Kosten des Staatshaushalts, als der Staat die Defizite der Kriegsgesellschaften durch Zuschüsse ausglich, etwa bei der Kriegsmetallgesellschaft in Höhe von 255,6 Millionen Mark231 • Das kriegswirtschaftliche System bedeutet insgesamt jedoch eine Anhindung der Unternehmen an staatliche Zwecke und Interessen. Im Ergebnis bedeutet die Ausformung der Kriegswirtschaft als System von Zwangsverbänden, die jeweils die Gesellschaften einer Sparte zusammenfaßten, ein Vorbild fiir die Wirtschaftsverbände des von Rathenau konzipierten Wirtschaftssystems. Das zeigt sich zunächst an der weitgehend identischen Konzeption der Selbstverwaltung bei staatlich gesicherter Überwachung und Einwirkungsmöglichkeit Darüberhinaus haben die autonomen Unternehmen des Rathenauschen Wirtschaftssystems ihr Vorbild in den Kriegsgesellschaften. Diese nahmen eine Mittelstellung zwischen reiner Privatwirtschaft und staatlicher Verwaltung ein, wie es Rathenau fiir die autonomen Unternehmen vorhersagte. Auch waren an ihnen lediglich Unternehmen beteiligt, was ebenfalls ein Kriterium der autonomen Unternehmen nach Rathenau ist. Dagegen fehlt diese Vergleichbarkeit der Kriegsgesellschaften mit der Aktiengesellschaft in der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich. Nach ihr blieb die Aktiengesellschaft trotz ihrer Anhindung an die Interessen des Staates und der Gesellschaft Bestandteil eines liberal-kapitalistischen Wirtschaftssystems. Das die Kriegswirtschaft mit der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich verbindende Element besteht in der Anhindung der Aktiengesellschaften an die Interessen des Staates und der Gesellschaft. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß sich die Rathenausche Lehre vom Unternehmen an sich im wesentlichen durch die Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft und die Konvergenz der berechtigten Interessen auszeichnet. Nach der Substitution des Grundes entwickelte sich die Aktiengesellschaft zu einem Großunternehmen, daß mit dem dem Gesetz zugrundeliegenden Leitbild von der Aktiengesellschaft nicht mehr zu vereinbaren war. Folge dieser Entwicklung war fiir Rathenau, daß die Aktiengesellschaften, ihrer gestiegenen Bedeutung fiir den Staat und die Gesellschaft entsprechend, an deren Interessen anzubinden waren. Die Interessen des Staates und der Gesellschaft an der Aktiengesellschaft konvergieren nach ihm mit den berechtigten Interessen der Aktionäre. Sie bilden maßgeblich die Interessen der Aktiengesellschaft, gegenüber denen egoistische Interessen der Aktionäre zurückzustehen haben. 231
A. Müller, Kriegsrohstoffbewirtschaftung 1914-1918, 1955, S. 43 ff.
B. Weimarer Republik
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Im folgenden ist zu untersuchen, inwieweit dies in der Lehre vom Unternehmen an sich während der Weimarer Republik aufgegriffen und weiterentwickelt wurde.
B. Weimarer Republik Die in der Weimarer Republik maßgeblich von dem Berliner Rechtsanwalt Netter geformte Lehre vom Unternehmen an sich232 bedeutet in einigem eine Weiterentwicklung der Rathenauschen Lehre. Dies gilt insbesondere für die Einführung eines eigenständigen Unternehmens neben der Aktiengesellschaft. Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer Neubewertung der maßgeblichen Interessen in der Aktiengesellschaft. Dem Unternehmen wurde ein eigenes Interesse zugesprochen, das maßgeblich das Interesse der Aktiengesellschaft bilden und über dieses Vorrang vor den sonstigen Interessen in der Aktiengesellschaft, insbesondere denen der Aktionäre, einnehmen soll. Gemeinsam ist der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich und ihrer Ausformung in der Weimarer Republik vor allem die Bewertung der wirtschaftlichen Veränderungen als Grundlage einer neuen Konzeption der Aktiengesellschaft. Die Erklärung der Entwicklung der wirtschaftlichen Bedingungen der Aktiengesellschaft in der Lehre vom Unternehmen an sich war Teil der Diskussion um den Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft. I. Das Unternehmen und sein Interesse Mit der Lehre vom Unternehmen an sich wurde in der Weimarer Republik versucht, die gestiegene Bedeutung des Unternehmens für die Gesellschaft und den Staat und deren Auswirkungen auf die Aktiengesellschaft und die Aktionäre juristisch zu erfassen. Der gesteigerten Bedeutung des Unternehmens als Folge des Strukturwandels von Wirtschaft und Aktiengesellschaft entsprach es, das Unternehmen gegenüber seiner Funktion als unselbständigem Zuordnungsobjekt der Eigentumsrechte der Aktionäre, vermittelt über die juristische Person Aktiengesellschaft, aufzuwerten. Diese Aufwertung erfolgte durch die Neube-
232 Raiser, in: FS f. R. Schmidt, 1976, S. 101, 118; Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931 , S. 492, 50 I; Haußmann, in: BA XXX (1930/ 31), S. 57,86 (58). Unzutreffend meinen dagegen Jürgenmeyer, Das Unternehmensinteresse, 1984, S. 52, u. Zöllner, Stimmrechtsmacht, 1963, S. 69, niemand habe nachhaltig die Lehre vom Unternehmen an sich vertreten.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
stimmung des Substrats des Unternehmens und die damit im Zusammenhang stehende Zuweisung von eigenen Interessen an das Unternehmen. 1. Das Unternehmen als soziologische Einheit nach Netter
Das Unternehmen tritt in der Konzeption Netters als ein selbständiges Gebilde neben die Aktiengesellschaff33 • Zwar erklärte er, daß es einen "Gegensatz" zwischen dem Unternehmen und der Aktiengesellschaft in der "Theorie des Unternehmens an sich" weder sachlich noch methodisch gebe234 • Ein fehlender Gegensatz bedeutet jedoch nicht automatisch Identität, sondern zunächst lediglich, daß zwei Positionen oder Begriffe sich nicht in Form eines antagonistischen Widerspruchs gegenüberstehen. Das schließt eine inhaltliche Verschiedenheit nicht aus. Die Verschiedenheit von Aktiengesellschaft und Unternehmen hob Netter in der Erklärung hervor, daß die Bezeichnung "Gesellschaft" fiir die Lehre vom Unternehmen an sich als eine von der "Gesellschaft an sich" nicht geeignet sei, da sie durch ihre römisch-rechtliche Prägung in erster Linie auf die vertragliche Verbundenheit der Gesellschafter abstelle, was die entscheidenden Momente der Lehre vom Unternehmen an sich ausblende235 • Der Begriff des Unternehmens sei in der Lehre vom Unternehmen an sich als "lebender Rechtsbegriff" zu verstehen236• Durch ihn sei vor allem auf die wirtschaftliche, juristische und soziologische Eigenwertigkeit und Unabhängigkeit des Unternehmens abzustellen237 • Konstitutiv für diese Eigenwertigkeit des Unternehmens ist sein Substrat, daß nach Netter in der Verbundenheit der Aktionäre und der Unternehmensleitung in Form einer Gemeinschaft besteht, deren Mitglieder zur gegenseitigen Rücksichtnahme und Verantwortung für die Gemeinschaft verpflichtet sind238 • Um dies als Inhalt der Lehre vom Unternehmen an sich auszudrücken, schlug Netter als adäquatere Bezeichnung vor: "Theorie
233 Unzutreffend Jürgenmeyer,pas Unternehmensinteresse, 1984, S. 56 u. Zöllner, Stimmrechtsmacht, 1963, S. 74. Ahnlieh hatte auch schon Passow, in: Jahrbücher f. Nationalökonomie u. Statistik, 130. Bd. (1929), S. 942, 943, bemängelt, daß die Vertreter der Lehre vom Unternehmen an sich, insbesondere Netter, nicht genügend zwischen der Aktiengesellschaft und dem Unternehmen unterschieden. 234 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, 1932, S. 507, 566; auf diese Bemerkung stütz sich Jürgenmeyer, Das Unternehmensinteresse, 1984, S. 56, zum Beleg seiner Behauptung, daß das Unternehmen bei Netter mit der Aktiengesellschaft identisch ist. 235 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, 1932, S. 507, 566. 236 Netter, in: ZBH 1931, S. I, 37,59 (40 Fn. 27), in ausdrücklicher Erwiderung auf Passow, in: Jahrbücher f. Nationalökonomie u. Statistik, 130. Bd. (1929), S. 942, 943. 237 Netter, in: ZBH 1931, S. I, 37, 59 (40). m Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507,579 f.
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der Unternehmensgemeinschaft"239, was sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Deutlich wird an ihm jedoch, daß sich der Begriff des Unternehmens in der Lehre vom Unternehmen an sich grundsätzlich von dem der Aktiengesellschaft unterscheidet. Die rechtliche Bedeutung des Unternehmens für die Aktiengesellschaft wird deutlich an der Konzeption der Unternehmensgemeinschaft als eines "lebenden Organismus"240 • Dieser meint nach Netter nicht ein Unternehmen "losgelöst von dem Substrat der das Unternehmen konstituierenden rechtlichen Elemente"241 , sondern deren wechselseitige Anbindung. Diese das Unternehmen konstituierenden rechtlichen Elemente sind die für die Aktiengesellschaft maßgeblichen Organisationsstrukturen. Demzufolge erklärte Netter, daß das Unternehmen von der Verwaltung verkörpert und von der Gesamtheit der Aktionäre getragen wird242 • Dies meint jedoch keine einseitige Abhängigkeit des Unternehmens, sondern eine Interdependenz, nach der auch Verwaltung und Aktionäre gebunden sind an das Unternehmen243 • Das Unternehmen und die es tragende Unternehmensgemeinschaft bedingen sich also wechselseitig. Die Unternehmensgemeinschaft trägt das Unternehmen, ist jedoch gleichzeitig gebunden an das Unternehmen und seine Interessen244 • Das Unternehmen in diesem Sinne ist also nicht der Verwaltung als Objekt überantwortet, sondern es erlangt durch die Verwaltung seine Handlungsfähigkeit Die Verwaltung ist somit in ihren Befugnissen durch die Interessen des Unternehmens gebunden. Sie hat gegenüber dem Unternehmen eine Treuepflicht und ihr Recht reicht nur soweit, als sie dem Unternehmen dienf45 • Entsprechendes ergibt sich für die Stellung der Aktionäre. Als Mitglieder der Unternehmensgemeinschaft sind sie Träger des Unternehmens. Gleichzeitig sind sie durch ihre Mitgliedschaft in der Unternehmensgemeinschaft an das Unternehmen und sein Interesse gebunden. Daraus folgerte
Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. Ill, 1932, S. 507, 580. Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 559. 241 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 611. 242 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. Ill, 1932, S. 507, 611 . 243 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. Ill, 1932, S. 507, 611. 244 Vgl. die systemtheoretische Beschreibung des Verhältnisses von Unternehmen und juristischer Person Aktiengesellschaft von Teubner, in: KritV 1987, S. 61 , 78, wonach: ..'Träger' des Unternehmens ist das als juristische Person verfaßte Kollektiv; 'Substrat' der juristischen Person ist das als Kollektiv personifizierte Unternehmen." 245 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. Ill, 1932, S. 507, 563. Diesen Zusammenhang übersah Passow, Jahrbücher f. Nationalökonomie u. Statistik., 130. Bd. ( 1929), S. 942, 943, als er in Bezug auf die Ausführungen Netters meinte, daß es nicht logisch sei, der Verwaltung die Wahrnehmung der Interessen des Unternehmens zuzuschreiben, da diese nicht automatisch zur Wahrnehmung der Interessen des Unternehmens verpflichtet sei. 239
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Netter, daß sich die "Willensbildung der Aktionäre zu orientieren [hat] an den Bedürfnissen des Unternehmens als eines lebenden Organismus."2Mi Deutlich ist nunmehr, daß die heute allgemein geteilte Kritik unzutreffend ist, wonach die Lehre vom Unternehmen an sich die Verantwortlichkeit für das Unternehmen im Interesse seiner Erhaltung und Weiterentwicklung auf die Großaktionäre und die Verwaltung übertrage und dadurch dem auGenstehenden Aktionär die Stellung eines Obligationärs beimesse. Sie habe dadurch zur Rechtfertigung der Verwaltungsherrschaft gedient und zur Lösung des Unternehmens von den Aktionären247, zu einem "Überindividualismus" und "Transpersonalismus"248. Entgegen dieser Kritik führt die Konzeption des Unternehmens und der sie tragenden Unternehmensgemeinschaft zu einer festeren Anbindung von Aktionären und Unternehmen einerseits und Unternehmen und Verwaltung andererseits. Insbesondere die Verwaltung ist nach Netter, wie gezeigt, strikt an das Unternehmen gebunden, was eine Verwaltungsherrschaft im Sinne der Kritik verhindert. Das gilt entsprechend für die damalige Kritik, nach der die Lehre vom Unternehmen an sich der Rechtfertigung der Herrschaft der Verwaltung in der Aktiengesellschaft diene249 und sie richtigerweise in Lehre von der Verwaltung an sich umzubenennen sef50• Der Nettersehen Konzeption des Unternehmens 246 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, 1932, S. 507, 559. 247 Die Formulierungen divergieren in der Hervorhebung der Rechtfertigung der Verwaltungsherrschaft oder der Lösung des Unternehmens von den Aktionären: Ballerstedt, in: JZ 1951, S. 486, 490; Rasch, Deutsches Konzernrecht, 21955, S. 297, C. E. Fischer, in: AcP 154 (1955), S. 85, 104 f.; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 13 ff.; Zöllner, Stimmrechtsmacht, 1963, S. 68 f.; Raiser, in: FS f. R. Schmidt, 1976, S. 101, 118; Raisch, in: FS f. Hefermehl, 1976, S. 347, 355; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 302; Flume, in: FS f. Beitzke, 1979, S. 43, 46 f.; ders., Die juristische Person, 1983, S. 38 f.; Wilhelm, Rechtsform und Haftung, 1981, S. III f.; Brinkmann, Unternehmensinteresse, 1983, S. 18.; Koch, Unternehmensinteresse, 1983, S. 53; Schmidt-Leithoff, Unternehmensleitung, 1989, S. 133, in Bezug auf Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich als Konvergenz der berechtigten Interessen; vgl. Brecher, Unternehmen als Rechtsgegenstand, 1953, S. 124 ff.; nach dems. lag der Lehre vom Unternehmen an sich ein "Institutionelles Denken" als "unpersönliches Denken" zu Grunde (ders., Unternehmen als Rechtsgegenstand, 1953, S. 124 Fn. 138). 24" Salm, Unternehmensinteresse, 1986, S. 13. 249 Nord, Grundlinien der Machtverteilung, 1930, S. 24. Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, 1930, S. 3, meinte, daß die Lehre vom Unternehmen an sich sei die "ideologische Begründung, die diese Verlagerung des Einflusses nachträglich rechtfertigen soll". 250 Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, S. 492, 503; so auch Passow, in: Jahrbücher f. Nationalökonomie u. Statistik, 130. Bd. (1929), S. 942,943.
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wurde insbesondere auf der Grundlage der traditionellen Vorstellung der Aktiengesellschaft entgegengehalten, daß .,der Gedanke, daß man das Unternehmen gegen seine Eigentümer (dieses Wort sei hier in weitestem Sinne verstanden) schützen müsse, [... ] überhaupt kein aktienrechtliches Prinzip" sei251 • An dieser Kritik wird deutlich, daß die Konzeption Netters gegen die tradierte Vorstellung von der Bedeutung und Funktion des Unternehmens verstieß, nach der das Unternehmen allein Objekt der Eigentumsrechte der Aktionäre ist, wenngleich auch dafür der Eigentumsbegriff bis an seine Grenzen getrieben werden mußte. Dieser Vorstellung entspricht es, daß die Verwaltung allein die Aufgabe der Wahrnehmung der Interessen der Aktionäre hat und daß die Interessen der Aktiengesellschaft diejenigen der Gesellschafter sind252 • Ganz in diesem Sinne hielt Nußbaum die Assoziation des Kantschen Ding an sich mit der Lehre vom Unternehmen an sich für zutreffend253 • Er meinte, daß es der .,Ideologie, aus welcher die neue Lehre hervorgegangen ist," entspreche, .,dem Unternehmen eine Art metaphysischer Wesenheit zuzuschreiben, die um ihrer selbst willen unantastbar sein soll", was dazu führe, daß die notwendige .,Selbstausscheidung lebensunfahiger Unternehmungen" und der wirtschaftliche Fortschritt verhindert werde. Das Unternehmen werde um seiner selbst Willen erhalten254 • Die Assoziation des Ding an sich mit der Lehre vom Unternehmen an sich war von Haußmann beabsichtigf55 • In ihr liegt ein wesentliches Motiv für den Ideologieverdacht gegenüber der Lehre vom Unternehmen an sich begründef56• Mit ihr wird jedoch, wie gezeigt, unzutreffend der Eindruck erzeugt, als handele es sich bei dem Unternehmen in der Lehre vom Unternehmen an sich um ein lediglich konstruiertes Gebilde, mit dem auf eine Abstrahierung von den Aktionären abgezielt werde. Eine solche Transzendenz des Unternehmens wird mit der Lehre vom Unternehmen an sich nicht begründet, weswegen sie auch zur Recht-
251
Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931,
s. 492,501.
252 Homburger, Aufsichtsrat und Bilanzprüfer, 1932, S. 25.; Schreier, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, S. 764, 790; Lifschütz, Generalklausel, 1931, S. 34; A. Hueck, in: FG f. RG, 4. Bd., 1929, S. 167, 175. 253 Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, s. 492, 501. 254 Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, S. 492, 502. Damit stimmt auch die Kritik von Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, 1930, S. 5, überein, daß das Unternehmen "niemals Selbstzweck" sein könne, sondern allein das Interesse, "das dieser oder jener weitere oder engere Kreis von Personen oder die Gesamtheit an dem Unternehmen hat", sei maßgebend. 255 Haußmann, in: BA XXX ( 1930 I 31 ), S. 57, 86 (58 Fn. 3). 256 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 560.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
fertigung eines Bestandsschutzes des Unternehmens über das wirtschaftlich Sinnvolle hinaus nicht taugf57 • Seine maßgebende Bedeutung für die widerstreitenden Interessen in der Aktiengesellschaft erhält das Unternehmen dadurch, daß es nach Netter mit einem eigenen Interesse in Form eines Gesamtinteresses versehen ist, dem in der Aktiengesellschaft Vorrang vor konkurrierenden Interessen zukomme258 • Das Gesamtinteresses defmiert sich nach ibm durch seine Ausrichtung auf das Wohlergehen des Unternehmens und dessen größtmögliche Wirtschaftlichkeit und Ertragsflihigkeif59 • Darin verkörpere es das Interesse der Aktionäre260• Entscheidend ist jedoch, daß nach Netter das Gesamtinteresse sich nicht bildet durch die Idealisierung der Summe der Einzelinteressen der Aktionäre. Denn die Einzelinteressen bestehen nach ibm auch in der Form, daß sie dem Unternehmen und seinem Interesse abträglich sind. Nur solche Interessen, die sich nicht gegen das Interesse des Unternehmens richten, gehen also in das Gesamtinteresse ein261 • Dadurch wird jedoch nicht die Lehre vom Verbandszweck der Gesellschaft auf das Unternehmensinteresse übertragen262 oder die "bekannte Bindung an das Gesellschaftsinteresse" neu formulierf63 • Das Verbandsinteresse oder Gesellschaftsinteresse bedeutet insbesondere nach 0. v. Gierke ein idealisiertes Inter-
Vgl. Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. lll, 1932, S. 507, 564. Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 540. Von Flume, in: FS f. Beitzke, 1979, S. 43, 46; ders., Die juristische Person, 1983, S. 38, wurde denn auch als wesentlicher Inhalt der Lehre vom Unternehmen an sich der Vorrang des Gesamtinteresses vor den Partikularinteressen ausgemacht. Haußmann, in: BA XXXI (1931 I 32), 467,486 (491 f. ), erkannte in dem Gesamtinteresse seinen Begriff des Gesamtinteresses wieder (zum HauSmannsehen Begriff des Gesamtinteresses s. S. 107 ff.), was schon deswegen nicht zutreffend ist, weil sich das Gesamtinteresse bei ihm auf die Aktiengesellschaft bezieht. 259 Netter, in: ZBH 1931, I, 37, 59 (62). 260 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd.III, 1932, S. 507, 540 u. 611; vgl. auch ders., in: ZBH 1931, \, 37,59 (62). 261 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 612. Mertens, in: AG \990, S. 49, 53; u. ders., in: Kölner Kommentar, 1985, § 76 Rdn. 6 ff., \0 ff., meint, daß das "unternehmensrechtliche Modell" als dasjenige des geltenden Rechts anzusehen ist, nach dem die Verwaltung zur Wahrnehmung des Unternehmensinteresses verpflichtet ist, innerhalb dessen das Interesse der Aktionäre "nur noch ein partielles ist" (ähnlich ders. in der 2. Aufl. in § 76 Rdn. 6 f. u. 10 ff., 2 1989); dagegen Wiedemann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen, 1989, S. 40 ff.; s. dazu auch Hopt, in: ZGR \993, s. 534, 538 f. 262 So aber Zöllner, Stimmrechtsmacht, 1963, S. 74. 263 So aber Jürgenmeyer, Unternehmensinteresse, 1984, S. 56. 257
25 M
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esse der Gesamtheit der Aktionäre264 • Dagegen meint das Gesamtinteresse bei Netter lediglich einen Teil der Interessen der Aktionäre. Erforderlich wurde dadurch jedoch ein zusätzliches Kriterium, mit dem das Interesse des Unternehmens in Abgrenzung zu dem ihm schädlichen Interesse der Aktionäre definiert werden kann. Denn wenn das Gesamtinteresse sich aus den Partikularinteressen bildet und gleichzeitig solche Interessen ausgeschlossen sein sollen, die ihm abträglich sind, wird fiir die Bestimmung der Abträglichkeit der Inhalt des zu bestimmenden Gesamtinteresses vorausgesetzt. Die Maßstäbe für eine solche Abgrenzung konnte Netter nicht angeben265• Er versuchte das Problem zu umgehen, indem er forderte, daß sowohl die Verwaltung als auch die Aktionäre ihre Rechte im Interesse des Unternehmens ausüben und keine "Sonderinteressen" verfolgen dürften. Dies müsse durch ,,rechtstechnische Maßnahmen" gewährleistet werden, die "die Innehaltung der rechtlichen Grenzen nach Möglichkeit" sichern266 • Doch gerade dafür wäre die Bestimmung des Gesamtinteresses erforderlich. 2. Das Unternehmen als korporative Organisation nach Geiler Im Gegensatz zu Netter defmierte Geiler (Rechtsanwalt und Professor, Mannheim, Heidelberg), neben Netter der wichtigste Vertreter der Lehre vom Unternehmen an sich während der Weimarer Republik, das Interesse des Unternehmens in Anlehnung an das Verbandsinteresse, ohne dies näher zu begründen. Prägend für die Lehre vom Unternehmen an sich und die Diskussion um sie wurde denn auch die Konzeption des Unternehmens und seines Interesses durch Netter. Gemeinsam ist ihr mit der Geilerschen, daß dem Unternehmen ein eigenständiges Interesse zukommt, daß sich vom Interesse der Aktionäre unterscheidet und die Funktion hat, auf die Aktionärsinteressen begrenzend einzuwirken. Konstitutiv fiir den Begriff des Unternehmens war nach Geiler eine korporative Organisation, in die auch die Arbeiter und Angestellten einbezogen sein sollten267 • Das Interesse des Unternehmens war nach Geiler zu einem den Ak264 Dies deswegen, weil nach 0. v. Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände (1902), 1954, S. 24, die Gemeinschaft mehr ist als die Summe seiner Mitglieder, somit auch ein Gemeinschaftsinteresse mehr sein muß als die Summe der Einzelinteressen. 265 Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, S. 492, 502, kritisierte, daß ein klares Abgrenzungskriterium fiir die Interessen des Unternehmens von denen der Aktionäre fehle, ohne dabei die Nettersehe Konzeption des Gesamtinteresses zu berücksichtigen. 266 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 565. 267 Geiler ( 1932), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 65, 82 f.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
tionärsindividualismus einschränkenden Moment geworden, indem der "Rechtsgedanke des •Unternehmen an sich"' als Ausdruck der ,,korporativen Zusammenfassung" der Interessen der im Unternehmen Organisierten die sonstigen Partikularinteressen innerhalb der Aktiengesellschaft ausgleiche und begrenze268 • Das Interesse des Unternehmen an sich, das auch er Gesamtinteresse nannte, bedeute jedoch ein gegenüber den Partikularinteressen Höheres269 • Darin unterscheidet es sich einerseits von dem Nettersehen Gesamtinteresse und knüpfte andererseits an das Verbandsinteresse 0. v. Gierkes an. Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß das Unternehmen in der Lehre vom Unternehmen an sich als eine soziologische Einheit erklärt wurde, der rechtliche Bedeutung für die Aktiengesellschaft und die Bestimmung der maßgeblichen Interessen in der Aktiengesellschaft zukommen soll. Diese soziologische Einheit Unternehmen bedeutet in der Konzeption der Lehre vom Unternehmen an sich nicht einen weiteren Versuch der Erklärung der juristischen Person Aktiengesellschaft. Das Unternehmen tritt vielmehr als eigenständiges Gebilde neben die juristische Person Aktiengesellschaft. Das unterscheidet die Konzeption des Unternehmens in der Lehre vom Unternehmen an sich von den Theorien über die juristische Person, insbesondere auch von 0. v. Gierkes Theorie der realen Verbandspersönlichkeit Es macht auch den entscheidenden Fortschritt in der Entwicklung der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich in der Weimarer Republik aus. Denn nach Rathenau beziehen sich die konvergierenden Interessen noch allein auf die Aktiengesellschaft. Ein eigenständiges Unternehmen wurde von ihm nicht vorgesehen. Wie sich diese Konzeption des Unternehmens auf die der Aktiengesellschaft in der Lehre vom Unternehmen an sich auswirkte, ist nunmehr zu untersuchen. II. Die AktiengeseUschaft und ihr Interesse Im Zusammenhang mit der Vorstellung der Aktiengesellschaft und der Bedeutung des Unternehmens für sie in der Lehre vom Unternehmen an sich stehen die Ausführungen Haußmanns zur Autonomie der Aktiengesellschaft und zum Gesamtinteresse in ihr. Haußmann beabsichtigte mit diesen einen Beitrag zur Lehre vom Unternehmen an sich zu leisten, da er mit der Autonomie der
Geiler(l932), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 65,82 f. Geiler (1931), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 10. Vgl. Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 84, nach dem das Gesamtinteresse als Summe aller in dem Unternehmen verbundenen Interessen das richtig verstandene Unternehmen an sich bedeute. 2 ~"
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Aktiengesellschaft und dem Gesamtinteresse das nach seiner Meinung richtig zu verstehende Unternehmen an sich beschreiben wollte270• Ein hinreichendes Verständnis der Aktiengesellschaft und ihres Interesses in der Lehre vom Unternehmen an sich erfordert daher zunächst die Darstellung der Haußmannschen Positionen. 1. Autonomie der Aktiengesellschaft und Gesamtinteresse nach Haußmann
Die Autonomie der Aktiengesellschaff71 im Sinne Haußmanns meint eine Eigenständigkeil und Verselbständigung der Aktiengesellschaft, die wesentlich über die Rathenausche Anerkennung der Aktiengesellschaft als Bezugspunkt von Interessen des Staates und der Gesellschaft und ihrer damit verbundenen Aufwertung über die Stellung als Bezugsobjekt von Rechten der Aktionäre hinausgeht. Obwohl Haußmann die nach ihm mit der Lehre vom Unternehmen an sich bezweckte Lösung der Aktiengesellschaft von den Aktionären ablehnte, ist Folge seiner Konzeption der Autonomie der Aktiengesellschaft und des Gesamtinteresses in der Aktiengesellschaft eben diese Lösung der Aktiengesellschaft von den Aktionären272• Zur Erklärung der Autonomie der Aktiengesellschaft verwies Haußmann auf Keynes, der in seiner Schrift »Das Ende des Laissez-Faire« 1926 die Bedeutung des Unternehmen an sich fiir den Begriff der Aktiengesellschaft dargelegt habe. Das folgerte Haußmann daraus, daß Keynes auf die Entwicklung der Aktiengesellschaft hin zu einer "öffentlichen Korporation" hingewiesen habe273 • Tatsächlich hatte Keynes 1926 in einer Vorlesung an der Universität Berlin vorgetragen und kurze Zeit später veröffentlicht, "daß der Fortschritt in der Richtung der Entwicklung und der Anerkennung halb-autonomer Körperschaften im Rahmen des Staates" liege, die allein dem Kriterium des Gemeinwohls verpflichtet sein sollten. Damit erfolge eine Rückkehr "zu den mittelalterlichen Formen selbständiger Autonomien"274 • Obwohl er nicht ausdrücklich auf Rathenau Bezug nahm, lassen sich doch Parallelen zu den autonomen Unter-
Haußmann in: BA XXX (1930 /31), S. 57,86 (64). Die Haußmannschen Darlegungen zur Autonomie beziehen sich auf die Aktiengesellschaft, s. nur: Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 47, 48, 55, 58. 212 Vgl. Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, s. 492, 501. 273 Haußmann, in: JW 1927,2953, 2954; ders., Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 29 ff. u. 4 7. 274 Keynes, Das Ende des Laissez-Faire, 1926, S. 31 f. 270 271
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
nehmen des von Rathenau konzipierten Wirtschaftssystems erkennen275• Die Halbautonomie der Körperschaften bezieht sich bei Keynes offenbar auf ihre Abhängigkeit gegenüber dem Staat, was der Verweis auf die Entwicklung hin zu "öffentlichen Korporationen" mit der Verpflichtung zum gemeinen Wohl nahelegt Dem entsprechen die autonomen Unternehmen des Rathenauschen Wirtschaftssystems, da auch sie eine zwischen dem Staat und den Privaten vermittelnde Stellung einnehmen. Das unterscheidet sich jedoch grundlegend von der Aktiengesellschaft der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich. Diese ist Gesellschaft in einem liberal-kapitalistischem System, wenngleich dem Interesse des Staates und der Gesellschaft an ihr im Rahmen der konvergierenden Interessen verpflichtet. Die Aktiengesellschaft, wie Rathenau sie in der Lehre vom Unternehmen an sich beschrieb, war nach ihm lediglich geeignet zur Transformation in autonome Unternehmen, hatte sich jedoch noch nicht zu solchen entwickelf76• Vom autonomen Unternehmen Ratbenaus und der halbautonomen Körperschaft Keynes' unterscheidet sich die Haußmannsche autonome Aktiengesellschaft wesentlich. Vor allem kommt ihr nicht die Eigenschaft einer halbstaatlichen Organisation zu. Deutlich wird das, was Haußmann unter der Autonomie der Aktiengesellschaft verstand, an der Anerkennung und Bewertung der Interessen in der Aktiengesellschaft. Denn eine wie auch immer geartete Autonomie der Aktiengesellschaft setzt zwangsläufig die Anerkennung eines eigenen Interesses der Aktiengesellschaft voraus. Nach Haußmann besteht in der Aktiengesellschaft grundsätzlich eine Vielheit von berechtigten Interessen der Aktionäre. Obwohl er die Rathenausche Typisierung der Aktionäre ablehnte, nahm er seinerseits eine Typenbildung vor, die mit der Rathenauschen inhaltlich übereinstimmt und sich lediglich in der Bezeichnung unterscheidet277 • Haußmann teilte in Unternehmer- und Gelegenheitsaktionäre. Gelegenheitsaktionäre haben nach ihm lediglich ein Interesse an einer möglichst kurzfristigen Erzielung hoher Erträge, während der Unternehmeraktionär "die Dividendenfrage auf lange Sicht betrachtet. Ihm liegt mehr an der Stabilität der Erträgnisse als an der augenblicklichen Höhe der Ausschüt-
275 K. W. Nörr, in: Staat und Unternehmen aus der Sicht des Rechts, hg. v. Coing u. a., 1994, S. 15, 22, nimmt an, daß Keynes vor seinem Vortrag zumindest Kenntnis von Ratbenaus Schriften erlangt hatte. 276 Zu den autonomen Unternehmen Ratbenaus s. oben S. 85 f. 217 Unzutreffend A. Bondi, Rechte der Aktionäre, 1930, S. 71 f., nach dem die Einteilung der Aktionäre durch Haußmann auf rein objektiven Kriterien, nach der Höhe des Kapitalbesitzes, basiert. Er selbst unterschied zunächst nach der Höhe des Kapitalbesitzes und dann danach, welche Interessen die Aktionäre typischerweise verfolgten.
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tung."278 Wegen der berechtigten Interessenpluralität konnte Haußmann die Autonomie der Aktiengesellschaft zwangsläufig allein an der Verwaltung der Aktiengesellschaft festmachen. Durch die Berechtigung je der verschiedenen einzelnen Interessen der Aktionäre schieden sie als Sachwalter eines eigenständigen Interesses der Aktiengesellschaft aus, wodurch auch die Autonomie der Aktiengesellschaft nicht an ihnen und ihrem Interesse festgemacht werden konnte. Um dennoch zu einer Autonomie der Aktiengesellschaft gelangen zu können, mußte Haußmann einen gegenüber den Aktionären und ihren berechtigten Interessen eigenständigen Willen und ein eigenständiges Interesse der Verwaltung der Aktiengesellschaft anerkennen279 • Daß es sich bei dem Willen und Interesse der Verwaltung um eigenständige handelt, wird deutlich daran, daß Haußmann der Verwaltung bei einem Interessenkonflikt mit dem Unternehmeraktionär in bestimmten Fällen eine Durchsetzung ihrer Interessen gegen die des Unternehmeraktionärs zubilligen wollte280• Dies gelte, obwohl der Unternehmeraktionär ,,mit dem 'Unternehmen an sich' in der Interessenlagerung identisch" sei281 • Haußmann vertrat dadurch dasjenige, was er bei Rathenau als Negativum feststellen zu können glaubte, nämlich die Lösung der Verwaltung von den Aktionären282 und auch von der Aktiengesellschaft. Denn wenn der Unternehmeraktionär in seiner Interessenlagerung identisch ist mit dem Unternehmen an sich und es sich bei dem Gegensatz zwischen Unternehmeraktionär und Verwaltung um einen Konflikt zwischen "der Persönlichkeit des Verwaltenden gegenüber dem Unternehmeraktionär als seinem Mandanten"283 handelt, nimmt die Verwaltung Interessen wahr, die nicht die des Unternehmens sind und auch nicht die des Aktionärs. Haußmann ging damit wesentlich über dasjenige hinaus, was Rathenau der Verwaltung zubilligte. Nach diesem kommt der Verwaltung ein selbständiger Wille und ein selbständiges Interesse im Sinne Haußmanns nicht zu. Ihre Interessen sind vielmehr bedingt durch die konvergierenden Interessen an und in der Aktiengesellschaft. Widersprüchlich sind die Haußmannschen Darlegungen insofern, als er neben der Anerkennung eines selbständigen Willens und Interesses der Verwaltung fiir die Autonomie der Aktiengesellschaft die Prämisse aufstellte, daß jede Interessenverfolgung in der Aktiengesellschaft sich grundsätzlich an dem Interesse der Aktiengesellschaft auszurichten habe: ,,Es ist ein ungeschriebenes m Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 53. 279
280 281 lKl
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Vgl. Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, 1928, S. 52. Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 53. Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 53. Vgl. Haußmann, in: JW 1927, S. 2953,2955. Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 53.
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Rechtsprinzip des Aktienrechts, das wiederum auf die Autonomie der Aktiengesellschaft hinleitet, daß jeder seinen Einfluß in der Aktiengesellschaft nur im Interesse des Unternehmens selbst ausüben darf. " 284 Dem widerstreitet die Anerkennung eines auch gegenüber der Aktiengesellschaft selbständigen Willens der Verwaltung, durch die eine Interessenverfolgung gegen die Interessen der Aktiengesellschaft möglich wird. Eine solche Ausrichtung der Interessenverfolgung und damit der Rechtsausübung in der Aktiengesellschaft fmdet sich nicht bei Rathenau. Bei ihm besteht die Schranke fiir die Rechtsverfolgung der Aktionäre in den konvergierenden Interessen, die sich nicht von einer Autonomie der Aktiengesellschaft ableiten, sondern auf der Indienststellung der Aktiengesellschaft fiir die Interessen des Staates und der Gesellschaft beruhen und mit den berechtigten Interessen der Aktionäre an der Aktiengesellschaft und auch dem Interesse der Aktiengesellschaft konvergieren. Eine Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit hielt auch Haußmann fiir erforderlich, allerdings nur in dem Maße, daß "das Grundprinzip der AktG. als privatwirtschaftliches Erwerbsunternehmen und die Stellung der Leitung als Verwalterio fremden Vermögens nicht aufgehoben wird."2ss Haußmann selbst schränkte das Postulat der Ausrichtung der Rechtsverfolgung in der Aktiengesellschaft am Interesse des Unternehmens später wieder ein. Im Mittelpunkt der Argumentation stand dabei das Gesamtinteresse, an dem die Rechtsverfolgung in der Aktiengesellschaft ihre Grenze fmden soll. Er ging nunmehr davon aus, daß die Konflikte auf Grund der widerstreitenden Interessen der Aktionäre nicht an Hand starrer Formeln gelöst werden können. Weder dürfe eine "sozial irrelevante 'Wendung zum Kleinaktionär'" erfolgen, noch dürfe das kapitalistische Prinzip aufgegeben werden, nach dem die ,,Aktiengesellschaft nicht um ihrer selbst willen da ist, sondern fiir ihre Aktionäre arbeitet und Erträge fiir diese herauszuwirtschaften hat"286 • Indem Haußmann den Zweck des Daseins der Aktiengesellschaft im Erwirtschaften von Erträgnissen fiir die Aktionäre sah, schränkte er auch seinen Begriff der Autonomie der Aktiengesellschaft wieder ein. In einem späteren Aufsatz aus 1930 I 31 verstärkte er dies noch, indem er zunächst anerkannte, "daß die Berufung auf ein richtig verstandenes Gesellschaftsinteresse durchaus ihre Berechtigung haben kann", jedoch meinte, daß "auch Interessenpolitik dem Wesen der Aktiengesellschaft
Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 55. Haußmann, in: JW 1927,2953, 2955; vgl. ders., Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 42. 2M6 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 54. 2M
2M5
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III
keineswegs widerstreitet"287• Ausdrücklich unter Hinweis auf seine frühere Position fUgte er hinzu, "daß es keinen Grundsatz und auch kein Rechtsprinzip in der Aktiengesellschaft gibt, wonach gesellschaftsfremde Interessen nicht vertreten werden dürfen."288 Vom Grundsatz der Ausrichtung der Interessenverfolgung in der Aktiengesellschaft an dem Interesse des Unternehmens blieb dadurch nicht mehr viel übrig. Allerdings schränkte er auch dies wieder ein durch die Forderung, daß "sie [seit. die gesellschaftsfremden Interessen] im Kollisionsfall hinter den höheren Interessen zurücktreten" müßten289 • Im Ergebnis wollte Haußmann die von ihm postulierte Autonomie der Aktiengesellschaft in ihrer ursprünglichen Gestalt einschränken, offenbar deswegen, weil zwischenzeitlich angemerkt worden war, daß sein Begriff der Autonomie mit dem des von ihm bei Rathenau erkannten und kritisierten Unternehmen an sich große Ähnlichkeit besaß290• Haußmann erklärte seinen Begriff der Autonomie nun mit einem Gesamtinteresse, "das höher steht als das Einzelinteresse und das autonom die in der Gesellschaft verbundenen Interessen regiert"291 • Damit näherte er sich jedoch nicht etwa der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich an, wie diese Netter meinte292, denn das Gesamtinteresse besteht nach Haußmann in der Einheit aller Partikularinteressen an und in der Aktiengesellschaft, worunter z. B. auch die Gläubigerinteressen fallen sollen293 • Das steht im Gegensatz zur Rathenauschen Konvergenz der berechtigten Interessen, die sich von einem amorphen Konglomerat verschiedenster Interessen an und in der Aktiengesellschaft scharf abhebt. Das besondere dieses Haußmannschen Gesamtinteresses besteht nun darin, daß es regulierend und mäßigend auf je die Einzelinteressen einwirken und "das Interesse des in der Aktiengesellschaftsform in Erscheinung tretenden lebenden Organismus des Unternehmens" verkörpern soll, ohne aber ein Interesse des Unternehmens an sich zu sein294 • Das Gesamtinteresse sei der "lebende Organismus der in der Aktiengesellschaft verbundenen lnteressen"295 • Deutet dies auf eine Beschränkung der Verfolgung von Einzelinteressen durch m Haußmann, in: BA XXX (1930 I 31), S. 57,86 (57). m Haußmann, in: BA XXX ( 1930 I 31 ), S. 57, 86 (63). 2 ~9 Haußmann, in: BA XXX (1930 I 31), S. 57, 86 (63). 290 Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, s. 492,501. 291 Haußmann in: BA XXX (1930 I 31), S. 57,86 (64 f.). 292 So aber Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 569 u. Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 84. 293 Haußmann, in: BA XXX ( 1930 I 31 ), S. 57, 86 (64). 294 Haußmann, in: BA XXX (1930 I 31), S. 57,86 (64). 295 Haußmann, in: BA XXX (1930 I 31), S. 57,86 (65).
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das Gesamtinteresse hin, hob Haußmann an anderer Stelle ausdriicklich hervor, daß er mit dem Begriff des Gesamtinteresses nicht ausschließen haben wolle, daß gesellschaftsfremde Interessen in der Aktiengesellschaft verfolgt werden können296 • Auch unter dem Begriff des lebenden Organismus Aktiengesellschaft und des Gesamtinteresses habe er am hergebrachten Modell der widerstreitenden Interessen in der Aktiengesellschaft festhalten wollen. Zur weiteren Verdeutlichung erklärte er, daß das Gesamtinteresse von einem Allgemeininteresse verschieden sei, da nicht der Allgemeinheit ein entscheidendes Interesse an der Aktiengesellschaft einzuräumen sei, sondern verschiedene Interessen in der Aktiengesellschaft auszutarieren seien297• Im Ergebnis näherte sich Haußmann mit der Vorstellung des Gesamtinteresses dem Nettersehen Gesamtinteresse an. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, daß das Gesamtinteresse bei Netter nicht ein idealisiertes Interesse einer Vielzahl ist, das etwa auch die Interessen der Gläubiger einschließt, sondern lediglich ein Teil der Interessen in und an dem Unternehmen ausmacht und sich in Beziehung auf das Unternehmen und die Unternehmensgemeinschaft bildet298• Haußman wollte mit dem Begriff des Gesamtinteresses offenbar ein Gegenmodell zu dem Unternehmen an sich vorstellen, ohne daß er den Inhalt des Begriffs ausreichend klären konnte. Dies verhinderte sein Bemühen einerseits gesellschaftsfremde Interessen in eine Verantwortung für die Aktiengesellschaft einzubinden, andererseits aber sein Festhalten am Modell der kapitalistischen Aktiengesellschaft, die Dividenden für ihre Aktionäre erwirtschaften soll299 • Diese Spannung driickt sich aus in der Bedeutung der Begriffe Gesamtinteresse und gesellschaftsfremde Interessen. Ihre Abgrenzung durch Haußmann zeigt, daß beide zurückgehen und bedingt sind durch die tradierte Vorstellung von der Aktiengesellschaft, der er verhaftet blieb300• Das hat zur Konsequenz, daß alle Interessen, die sich nicht auf diese Funktion der Aktiengesellschaft als Instrument zur Erzielung von Gewinnen für die Aktionäre richten, gesellschaftsfremde sind, also etwa auch diejenigen des Staates und der Gesellschaft an der Aktiengesellschaft301 • Da er jedoch anerkannte, daß Interessen der Gesellschaft und des Staates an der Aktiengesellschaft berechtigt bestehen können, war es erforderlich, zu konzedieren, daß gesellschaftsfremde Interessen wahrgenommen werden dürfen.
296
297 29K 299 300
301
Haußmann, in: ZBH 1931, S. 4, 29 (5). Haußmann, in: BA XXXI (1931 I 32), S. 467,486 (491). S. oben S. I 00 ff. Vgl. Landsberger, in: ZBH 1932, 79. S. Haußmann in: BA XXX (1930 I 31), S. 57,86 (60). Haußmann, in: ZBH 1931 , S. 8.
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Dieser Ansatz widerstreitet dem Rathenauschen grundsätzlich. Nach ihm wird die Aktiengesellschaft nicht nur von den Interessen der Aktionäre, sondern auch von denen des Staates und der Gesellschaft an ihr bestimmt, wodurch diejenigen der Gesellschaft und des Staates keine gesellschaftsfremden im Haußmannschen Sinne sind. Andererseits bedeutet die Autonomie der Aktiengesellschaft und das Gesamtinteresse in der Aktiengesellschaft nach Haußmann nicht die Anerkennung eines Unternehmens als .,lebendiger sozialer Organismus", wie dies Geiler meinte302, da, wie gezeigt, sich die Erklärungen Haußmanns letztlich immer auf die Aktiengesellschaft und den Ausgleich der widerstreitenden Interessen in ihr beziehen und nicht auf ein Unternehmen im Sinne eines lebendigen sozialen Organismus im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich.
2. Autonomie der Aktiengesellschaft und Unternehmen an sich nach Geiler Geiler erklärte, daß auch die Aktiengesellschaft eine soziale Ordnung erhalten habe dadurch, daß der .,Organschaftsgedanke" in der Form immer größere Bedeutung erlange, daß die Verwaltung und auch der Aktionär als Eigentümer der Aktiengesellschaft eine. Art Treuhänder der Allgemeinheit seien. Diese Erscheinung beruhe auf einer Entindividualisierung der Aktiengesellschaft. Sie sei festzustellen daran, daß sich die Aktionäre an ihrer Verwaltung kaum mehr beteiligten und diese in der Hand Dritter liege, die sich zunehmend als Treuhänder nicht nur des ihnen anvertrauten Kapitals, sondern auch der Verbraucher fiihlten303, während die Aktionäre in die Stellung von Obligationären gedrängt würden304• Diese Ansichten stimmen mit Ratbenaus Ausführungen im Rahmen seiner Erklärung der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft überein. Nach ihm resultiert aus der gesteigerten Bedeutung der Aktiengesellschaft für den Staat und die Gesellschaft, daß deren Interessen an der Aktiengesellschaft entgegenstehende Interessen der Aktionäre zurückzustehen haben. Ebenso folgerte Geiler aus der Entindividualisierung der Aktiengesellschaft, daß die Individualinteressen der Aktionäre nicht mehr uneingeschränkt durchgesetzt werden könnten. Vielmehr ergäben sich drei Interessenbereiche, die für das Aktienrecht von Bedeutung seien: 1. Das Interesse der Allgemeinheit an einem .,gesunden Aktienwesen" und an einer den Interessen der Wirtschaftlichkeit entsprechenden Unternehmensleitung. 2. Das .,Interesse des Unternehmens an sich, als 302 303
304
Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, I 0. Geiler ( 1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I I 9, 120 f. Geiler ( 1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 35, 56.
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korporative Organisation, die nicht bloß die Aktionäre als Kapitalinteressenten, sondern auch die Angestellten und Arbeiter in sich zu einem geschlossenen Organismus vereinigt." 3. Das Aktionärsinteresse, das nach wie vor zu schützen sei. In der Ausgleichung dieser Interessen liege die eigentliche Problematik des Aktienrechts305 • Geiler maß dem ,,Rechtsgedanken des Unternehmens an sich" die Funktion eines Ausgleichs- und Begrenzungsprinzip bei306 • Das "Unternehmen als solches, seine Objektivierung und Versachlichung [sei] zu einem den Aktionärsindividualismus einschränkenden Moment geworden"307• Das unterscheidet die Geilersehen Ansichten von der Rathenauschen Lehre, nach der in der Aktiengesellschaft keine berechtigte Interessenpluralität besteht, die auszugleichen wäre, sondern allein die konvergierenden Interessen als berechtigte Interessen anerkannt werden. Neben der Funktion als Ausgleichs- und Begrenzungsprinzip der widerstreitenden Interessen folgt nach Geiler noch ein weiteres aus dem Rechtsgedanken vom Unternehmen an sich, was sich unterscheidet von der Rathenauschen Lehre. Es ist die Ausbildung einer Autonomie der Aktiengesellschaft308 , die ihre Parallele in der Autonomie der Aktiengesellschaft bei Haußmann fmdet. Diese Autonomie hebe die Aktiengesellschaft von der Ebene der Interessenkämpfe auf eine höhere, wodurch ihr ein Eigenleben zukomme309• Was genau unter diesem Eigenleben der Aktiengesellschaft zu verstehen ist, wurde von ihm nicht weiter erklärt. Seine Ausführungen lassen lediglich den Schluß zu, daß er der Verwaltung die Funktion der Vertretung der Interessen der autonomen Aktiengesellschaft zumaß. Dies ergibt sich aus der Erklärung, daß sich die bisherige Frontstellung von Kapital und Arbeit geändert habe in eine der "Unternehmensleitung auf der einen und Arbeiterschaft und Volksgesamtheit, insbesondere Verbraucherschaft, auf der anderen Seite."310 Gleichzeitig brachte Geiler damit zum Ausdruck, daß die Interessen der Aktiengesellschaft nicht notwendig diejenigen der Gesellschaft und des Staates an der Aktiengesellschaft sind, da sich ansonsten eine Frontstellung zwischen der Verwaltung, die die Interessen der Aktiengesellschaft wahrzunehmen hat, und dem Staat und der Gesellschaft nicht ergeben könnte. In dieser Autonomie der Aktiengesellschaft liegt der wesentliche Unterschied zur Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich, nach der der 305 Geiler ( 1932), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 65, 82 f.; Geiler (1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 35, 55 f. 306 Geiler ( 1932), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 65, 83. 307 Geiler ( 1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 124; so auch Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 84 u. 87 f. 30M Geiler ( 1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 124. 309 Geiler ( 1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 124. 310 Geiler(l927), in: ders., Beiträgezum modernen Recht, 1933, S. 35, 56.
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Aktiengesellschaft ein Selbstwert und ein eigenes Interesse nur abgeleitet von denjenigen des Staates und der Gesellschaft an ihr zukommf 11 • Entscheidend für die Formulierung der Lehre vom Unternehmen an sich während der Weimarer Republik ist, daß nach Geiler der Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft die Aktiengesellschaft dergestalt veränderten, daß ihr eine Eigenbedeutung gegenüber den Aktionären zukam. Daraus ergab sich für ihn, daß das Unternehmen an sich ausgleichend und begrenzend auf die Interessen der Aktionäre wirken sollte. Dies läßt sich auch in den Darlegungen Netters als zentrales Motiv wiederfmden. 3. Die wirkliche Aktiengesellschaft nach Netter
Haußmann meinte, daß bei Rathenau nur der Idee nach ein neuer Typus der Aktiengesellschaft vorhanden sei, den erst Netter als Unternehmen an sich auszubauen versucht habe312 • Tatsächlich versuchte Netter das, was er als die Rathenausche Lehre erkannte, weiter auszuführen und zu optimieren. Entscheidend dafür wurde die Annahme, daß das Unternehmen und sein Interesse von wesentlicher Bedeutung für das Recht der Aktiengesellschaft sind, da die Aktiengesellschaft ihr Recht und ihre Verfassung aus der sozialen Funktion des Unternehmens ableite und dies Grenze und Ausmaß der Ausübung von Rechten festlege313 • Das "gestaltende Rechtsprinzip" der Aktiengesellschaft sei die Unternehmensgemeinschaft als "lebender Organismus"314• Nach der "Theorie des Unternehmens an sich" liege in dem, was sie als "Unternehmen an sich" bezeichne, das gestaltende Prinzip, "aus dem sich die einzelnen Lebensfunktionen der Aktiengesellschaft, wie wir sie in der Wirklichkeit vor uns sehen, erfassen und 'richten', das will heißen auf ein Grundprinzip zurückführen lassen." 315 Das Unternehmen sei "das gestaltende Prinzip für die A.G."316• Das gestaltende Prinzip Unternehmen führt nach Netter zwangsläufig zu einer Einschränkung des Aktionärsindividualismus deswegen, weil das Interesse des Unternehmens vorrangig ist vor dem der Aktionäre317•
S. oben S. 76 ff. Haußmann, in: BA XXX (1930 I 31), S. 57, 86 (58); in diesem Sinne auch Nußbaum, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, hg. v. Klausing u. a., 2. Bd., 1931, S. 492, 50 I. 313 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 34. 314 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 612. 315 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 541. 316 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 563. 317 Netter, in: ZBH 1931, I, 37,59 (62). 311
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Ausgangspunkt dieser Feststellungen war auch in der Nettersehen Konzeption der Aktiengesellschaft der Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft. Unzutreffend nahm er an, daß sich aus der Rathenauschen Lehre ergebe, daß die Aktiengesellschaft als ein selbständiges Rechtsgut zu betrachten sei318• Nach Rathenau ist die Aktiengesellschaft tatsächlich bedeutend fiir die Gesellschaft und den Staat und ihr kommt ein Schutz lediglich insoweit zu, als Interessen des Staates und der Gesellschaft an ihrer Existenz und Funktion in der Gesellschaft und dem Staat bestehen. Dadurch erhält die Aktiengesellschaft nicht die Eigenschaft eines selbständigen Rechtsguts, sondern ihre Rechtsgutqualität ist vermittelt durch die Interessen an und in ihr. Netter schloß hier ebenso von dem Schutz der Aktiengesellschaft vor eigensüchtigen Interessen einzelner Aktionäre auf einen grundsätzlichen Bestandsschutz der Aktiengesellschaft kurz, wie dies auch schon Haußmann und die ihm nachfolgende Kritik tat. Entscheidend fiir die Gemeinsamkeiten der Rathenauschen Lehre vom Unternehmen an sich und derjenigen während der Weimarer Republik, ist jedoch, daß nach beiden die Aktiengesellschaft grundsätzlich vor dem Hintergrund ihrer Bedeutung fiir den Staat und die Gesellschaft erklärt wird und sich daraus vergleichbare Konsequenzen fiir das Verhältnis von Aktionäre und Aktiengesellschaft ergeben. Wenngleich auch Netter die Anhindung der Aktiengesellschaft an die Interessen des Staates und der Gesellschaft weniger stark als Rathenau hervorhob, wie Haußmann zutreffend erkannte319 • Nach der Lehre vom Unternehmen an sich kommt also den Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse und ihren Auswirkungen auf das Aktienrecht eine bedeutende Rolle zu. Die Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse bedingten nach ihr auch eine Veränderung der Aktiengesellschaft, die wiederum sich auf das Aktienrecht auswirken sollte. Dieses Verhältnis der Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse zum Aktienrecht in der Lehre vom Unternehmen an sich ist nunmehr genauer zu untersuchen. 111. Das lebende Aktienrecht Dem Verständnis von Recht kommt in der Lehre vom Unternehmen an sich während der Weimarer Republik eine bedeutende Rolle zu. Nach ihr soll das m Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 501, 552 f. So auch Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 81, 83 f. u. 86, nach dem die Wirtschaftswandlungen die Herrschaftsverhältnisse in der Aktiengesellschaft derart modifiziert hatten, daß "die Organisation der A.G., die Gesellschaft als solche, als juristische Eigenpersönlichkeit" und als "Selbstzweck" entstanden sei. 319 Haußmann, in: BA XXXI (1931 I 32), 467,486 (491 f.).
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Sein der Aktiengesellschaft einen wesentlichen Einfluß auf das Aktienrecht als ein lebendes Aktienrecht haben. Die Ansichten darüber, wie dieser Einfluß zu verstehen sein soll, divergieren. Sie reichen von einer Bedingtheit des Rechts vom Sein bis hin zu einer Konstituierung von Recht durch Sein. Gemeinsam ist ihnen die Annahme, daß die Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse auch eine Veränderung der Aktiengesellschaft bewirkten, welche maßgeblich für Findung und Anwendung des Rechts der Aktiengesellschaft sein soll. Dem kontrastiert die Vorstellung von Recht durch Rathenau, die noch ganz gesetzespositivistisch war. 1. Rathenaus Verständnis von Recht
Rathenau äußerte sich nicht ausdrücklich zu rechtstheoretischen oder philosophischen Problemen, seine Konzeption einer idealen Wirtschaftsordnung erfolgte ohne Rücksicht auf die bestehende Rechtsordnung320• Sein Verständnis von Recht läßt sich jedoch aus seiner Erklärung der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft rekonstruieren. Nach dieser kam es zu einer Divergenz zwischen der dem kodifizierten Aktienrecht als Vorstellung zu Grunde liegenden und der in Folge der wirtschaftlichen Entwicklungen tatsächlich bestehenden Aktiengesellschaft321 • Die Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft bedeutet nach Rathenau jedoch keine unmittelbare Veränderung des Aktienrechts. Es handelt sich um rein tatsächliche Veränderungen, die nach Rathenau Anlaß zu einer Änderung des Rechts der Aktiengesellschaft geben322• Netter bezeichnete zwar die Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft als ein "rechtliche[s] Prinzip"323 , doch meinte er damit nicht, daß nach Rathenau die veränderten tatsächlichen Verhältnisse eine Rechtsänderung bewirkten. Das wird deutlich an der weiteren Erklärung Netters, nach der es Rathenau darauf angekommen sei, nachzuweisen, daß im ,,Aktienwesen" die Substitution des Grundes wirksam geworden warl24• Sie beschränkte sich also auf Veränderun-
° K. W. Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994, S. 35.
32
S. oben S. 64 ff. Ähnlich kam dies bei Frank-Fahle, Die Stimmrechtsaktie, 1923, S. 96 f., in dessen Formel von der "Vertauschung des Lebensgrundes bei gleichbleibender Rechtsnorm" zum Ausdruck. Er erklärte, daß die Rechtsform der Aktiengesellschaft und das Leitbild der Aktiengesellschaft, das den gesetzlichen Regelungen zu Grunde liege, unverändert geblieben seien, hingegen sich die tatsächlich vorfindliehe Aktiengesellschaft verändert habe. 323 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 550. 324 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 551. 321
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gendes Wesens der Aktiengesellschaft, die nicht unmittelbar zu einer Änderung des Rechts führten. Rathenau hielt die gesetzlichen Regelungen des Aktienrechts für insuffizient wegen ihrer Verknüpfung mit dem ihnen zu Grunde liegenden Begriff der Aktiengesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts325• Er scheint davon ausgegangen zu sein, daß eine Änderung des den Normen zu Grunde liegenden Begriffs der Aktiengesellschaft nicht im Wege der gewöhnlichen Rechtsfmdung möglich ist, sondern allein durch eine Änderung der Normen selbst, die auf einem geänderten Begriff der Aktiengesellschaft beruht. Der neue Begriff der Aktiengesellschaft, der sich aus der veränderten Wirklichkeit der Aktiengesellschaft nach der Substitution ihres Grundes ergab, konnte nach ihm also nicht den bestehenden Normierungen des Aktienrechts unterlegt, sondern nur durch eine Gesetzesänderung rechtlich erfaßt werden. Ein solches entgeistigtes326, gesetzespositivistisches Verständnis von Recht wurde während der Weimarer Zeit vielfaltig in Frage gestellt327, ohne daß diese in der Zivilrechtsdogmatik grundsätzlich zu einer Abkehr vom (gesetzes- oder rechts-) positivistischen Ideal geführt hätte328 • 2. Lebendes Aktienrecht
Maßgebend für das Verständnis des Verhältnisses von Sein und Recht in der Lehre vom Unternehmen an sich während der Weimarer Republik wurde Geilers wirtschaftsrechtliche Methode im Gesellschaftsrecht Geiler ging von einer zunehmenden Entrationalisierung des Rechts aus, die Folge der Entwicklungen in der "allgemeinen Daseinsgestaltung" und "Wirtschaftsgestaltung" gewesen Vgl. Rathenau, Vom Aktienwesen ( 1917), GS 5, 1925, S. 121, 171 f. Die Bezeichnung stammt von Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, 1976, S. 96, der damit die Abwendung vom Idealismus Hegelhescr Prägung und die Hinwendung zu einer Begriffsjurisprudenz bezeichnet. 327 Etwa durch den Neukantianismus und Neuhegelianismus als Hauptströmungen Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich durch das Bemühen der Abkehr vom Begriffs- und Gesetzespositivismus auszeichnen; vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6 1991, S. 85, der dem Neuhegelianismus die Phänomenologie zur Seite stellt und Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 111, 1976, S. 286, der dazu noch die Existenzphilosophie nennt; so bereits Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2 1967, S. 586. 32R Die gleichwohl während der Weimarer Zeit beginnende Abwendung vom starren Gesetzespositivismus ist auf die schweren Erschütterungen des Gesellschafts- und Sozialgefliges während dieser Zeit zurückzuführen; vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6 1991, S. 84 f. Fn. 4. Das ist vor allem an der Rechtsprechung des Reichsgerichts nachweisbar, die insoweit vornehmlich unter dem Paradigma des Interesses stand, vgl. nur: Müller-Erzbach, in: FG f. RG, 2. Bd., 1929, S. 161 ff.; Silberschmidt, FG f. RG, 2. Bd., 1929, S. I ff., jeweils mit zahlreichen Nachw. 325
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sei. Unter ausdrücklicher Ablehnung des Positivismus in Form von Gesetzespositivismus, rechtswissenschaftlichem Positivismus und Reiner Rechtslehre, denen das Rechtssystem und die "Seinswelt" noch zwei streng getrennte Sphären seien, stellte er fest, daß eine wechselseitige Durchdringung von ,,Recht und Leben" stattfinde329 • Die Entrationalisierung des Rechts erfordere eine wirtschaftsrechtliche Methode im Gesellschaftsrecht, die er auch als Ausfluß der Soziologisierung der Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung begri~30 • Mit der wirtschaftsrechtlichen Methode im Gesellschaftsrecht werde die Grenzziehung zwischen Sein und Sollen aufgehoben331 • Dagegen wurde vor allem eingewendet, daß aktienrechtliche Probleme mit wirtschaftspolitischen Idealen vermengt würden332• Die Entrationalisierung des Rechts bedeutet nach Geiler eine Bindung des Rechts an das Sein in Form der Bedingtheit des Rechts vom Sein. Das sei Folge davon, daß dem meisten Recht, insbesondere dem Gesellschaftsrecht, ein "Nichtaprioricharakter'' eigne333 • Es verdanke seine Entstehung allein dem Sein334, daß als Quelle des Rechts immer bedeutsamer werde335 • Dieser Einfluß des Seins auf das Recht bewirke eine größere "Wirklichkeitsnähe, mit stärkerer Lebensbetontheit" sowohl rechtstheoretisch als auch rechtsdogmatisch336 , die auf eine ,,Parallelität zwischen allgemeiner Lebensgestaltung, Wirtschaftsgestaltung und Rechtsgestaltung" ziele337• Diese zeige sich etwa an der Tendenz zur .,Anknüpfung von Rechtsfolgen an unformale, irrationale Gesinnungsmomente, wie z. B. Treu und Glauben, bona fides, das Gebot der guten Sitten", deren Besonderheit darin liege, daß nicht nur subjektiv beim Handelnden eine bestimmte Gesinnung vorliegen müsse, sondern daß der Richter durch das Gesetz angewiesen werde, einen rechtsethischen Beurteilungsmaßstab an objektives Verhalten anzulegen338 • Um das .,lebendige Recht" zu erfassen, sei es erforderlich, daß Rechtswissenschaft .,empirische Rechtswirklichkeitsbetrachtung" Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 20 f. Geiler (1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 35. 331 Geiler (1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 35, 36. 332 Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 7, der jedoch konzedierte, daß die Entwicklungen der Wirtschaftsordnung insgesamt Rückwirkungen auf das Recht der Aktiengesellschaft hätten, die es zu beachten gelte, ders., Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 8. m Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I. 334 Geiler(l927), in: ders., Beiträgezum modernen Recht, 1933, S. 35, 37. 335 Geiler (1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 16. 336 Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 22 ff. 337 Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 2. m Geiler (1932), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 65. 329 330
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werde. Denn das lebendige Recht, insbesondere das Privatrecht, bilde "stets den Geist der jeweiligen sozialen und wirtschaftlichen Seinslage" ab und erhalte "erst aus diesem Geist heraus seinen vollen Inhalt"339. Es ist demnach also nicht so, daß das Sein das Recht bestimmt, vielmehr bedingt der Geist des Seins das Recht. Für die Rechtswissenschaft und die Rechtsanwender gilt es, den Geist des Seins zu ermitteln. Im Recht spiegelt sich also nicht die Wirklichkeit, sondern der Geist verleiht der Wirklichkeit ihren Ausdruck im Recht. Der für Rechtswissenschaft und Rechtsanwender zu erkennende Geist läßt sich nach Geiler an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen ablesen als fortwährender Kampf ,,zwischen dem Zwangsprinzip und dem Freiheitsprinzip, die in echt Regelsehern Sinne bald als These und Antithese einander ablösen, bald sich wieder zu einer Synthese verbinden." 340 Auf dem Gebiet des Gesellschaftsrecht bilde sich eine Synthese aus "individualistischkapitalistischer These mit der sozialistisch-kollektivistischen Antithese" heraus341. Das zeige sich an dem Entstehen neuer Rechtsformen mit sozialrechtlichem Charakter, wie etwa den Holding- und Organgesellschaften342, an der Genossenschaftsbewegung, dem Sozialisierungsgedanken, an den Großunternehmungen des Reichs, der Länder und Kommunen, den gemeinwirtschaftliehen Organisationen und Unternehmungen und der Konzentrationsbewegung, die in ihrer Rationalisierungstendenz die Verwirklichung der Planwirtschaft innerhalb der Privatwirtschaft bedeute343 . Aus dieser Synthese ergebe sich eine sozialrechtliche Gebundenheit, die sich in der Anerkennung der Gemeinwohlbindung als das dem "hemmungslosen Wirtschaftsindividualismus" übergeordnete Rechtsprinzip ausdrücke344. Es habe eine "Entwicklung zum sozialen Recht" oder auch "Sozialrecht" stattgefunden345, die ein geändertes 339 Geiler (1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 35, 38. Dies bezeichnet Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 81 f., als die "Wirtschaftsauslegung" der Lehre vom Unternehmen an sich und nannte sie die Rathenau-Geilersche Lehre. Auch Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 80 f., ging davon aus, daß sich die Überzeugung durchgesetzt habe, "daß das Recht als Zeitausdruck in funktionalem Zusammenhang mit der Realität steht", wofür er auf die Geilersehen Ansichten verwies. Inwieweit dieser funktionale Zusammenhang eine rechtserzeugende Funktion des Seins bedeutet, wird nicht deutlich. Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, 1932, S. 507, 572 Fn. 97, meinte denn auch, daß die Ausführungen Landshergers noch der methodischen Vertiefung bedürften. 340 Geiler ( 1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 35, 52. 341 Geiler ( 1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 35, 54. 342 Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 4 f. 343 Geiler ( 1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, 1933, S. 35, 54 f. 344 Geiler (1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 35, 53; ders., (1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 3. 345 Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 3; ders., (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 122. Eine solche Ent-
B. Weimarer Republik
121
Verhältnis des Einzelnen zum Staat anzeige. Das Primäre sei der Staat und die Gesellschaft geworden, die dem Einzelnen die Sphäre vorgeben würden, innerhalb deren er noch eine gewisse Freiheit habe346 . Die allgemeine wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Einzelnen sei eingeschränkt zu Gunsten des Gemeinwohls und des Gesamtinteresses347. Auf der Grundlage der Geilersehen wirtschaftsrechtlichen Methode im Gesellschaftsrecht formulierte Netter seine Vorstellung vom lebenden Aktienrecht348, die bestimmend wurde fiir die Lehre vom Unternehmen an sich. Das lebende Aktienrecht ergebe sich aus dem Begriff der Aktiengesellschaft des geltenden Rechts, der wiederum sich ableitet von der lebenden Aktiengesellschaft. Durch die Erfassung der lebenden Aktiengesellschaft mit der Lehre vom Unternehmen an sich wird diese bestimmend fiir das lebende Aktienrecht Voraussetzung fiir die Erkenntnis des lebenden Aktienrechts ist nach Netter eine von der hergebrachten abweichende rechtstheoretische Methode der ErwiekJung zum sozialen Recht wurde in der Literatur zunehmend angenommen. S. Radbruch (1930), in: Radbruch GA 2, 1993, S. 485 passim; Schlegelberger, in JW 1930, S. 2617, in bezug auf den Entwurf des AktG 1930; Wertheimer, Entwicklungstendenzen, 1928, S. 31, spricht von einem Gemeinschaftsgedanken, der das mittelalterliche "deutsche Wirtschafts- und Rechtsleben" beherrscht habe und nunmehr das liberale Zeitalter ablöse; auch in den »Erläuternden Bemerkungen« zum Entwurf eines Aktienrechts aus 1930, in: Entwurf AktG 1930, 1930, S. 93, 94, wird bemerkt, daß es der ,,Ablösung rein individualistischer Auffassung" in Bezug auf die Aktiengesellschaft Rechnung zu tragen gegolten habe; zweifelnd Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht, 1929, S. 2. Zu der Ablösung des Individualismus und der Hinwendung zum Gemeinschaftsgedanken im Rahmen der Deutung der Phänomene des Strukturwandels von Wirtschaft und Aktiengesellschaft s. unten S. I 07 ff. 346 Geiler (1927), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 35, 53; ders., (1931), in: ders., Beiträgezum modernen Recht, 1933, S. I, 15 ff. 347 Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 6. 34R Den Terminus lebendiges Aktienrecht übernahm er ausdrücklich von Haußmann, dem er aber vorhielt, "die rechtsbildende Bedeutung des lebenden Aktienrechts nicht genügend erkannt zu haben." (Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 18 Fn. I). Haußmann hatte dem Rathenauschen Gesetzespositivismus das "lebende Aktienrecht" entgegengehalten, mit dem er "die Brücke zwischen Form und Inhalt" schlagen wollte (ders., Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 57). Dem lebenden Aktienrecht als Form entspreche als Inhalt die Aktiengesellschaft als "lebende[r] Organismus" (ders., Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 47). Die Bezeichnung lebendes Aktienrecht wurde vielfach übernommen und auch weitgehend im dargelegten Sinne verstanden als die Beeinflussung des Rechts durch das Sein, woraus sich eine Weiter- und Fortentwicklung des normierten Aktienrechts ergeben habe, ohne daß dies näher erklärt wurde (S. Hachenburg, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 I 934, Ein!. (1932), Anm. 50; Klausing, Reform des Aktienrechts, 1933, z. B. S. 24; Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, I 932, z. B. S. 3; Enquete, Generalbericht, 1930, z. B. S. 2; Ludewig, Hauptprobleme, 1929, z. B. S. 18 f.).
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
kenntnis und der Anwendung von Recht. Der tradierten und vorherrschenden Methode, die er als diejenige ,,konstruktiver Jurisprudenz" oder ,,Begriffsjurisprudenz" bezeichnete, hielt er eine der "gestaltenden Jurisprudenz" entgegen349, die er auch, in Anlehnung an Geiler, die wirtschaftsrechtliche Methode nannte350. Diese gestaltende Jurisprudenz sah er unzutreffend auch den Ausführungen und der Lehre Rathenaus, freilich von diesem unausgesprochen, zu Grunde liegen. Er hielt die nach dieser Methodik von Rathenau und ihm gewonnenen Erkenntnisse über das "lebende Aktienrecht" für weitgehend identisch351 • Ratbenaus Ausführungen über das geltende Recht und die Rechtsanwendung wurzeln jedoch, wie gezeigt, noch ganz im Gesetzespositivismus. Netters Anliegen war es, mit dem lebenden Aktienrecht die lebende Aktiengesellschaft zu erfassen352• Sie resultierte für ihn nicht aus den positivrechtlichen Bestimmungen des Aktienrechts oder einer naturrechtliehen Konstruktion, sondern aus dem "lebendigen Aktienrecht"353 • Die Feststellung der lebenden Aktiengesellschaft setzt also die des lebenden Aktienrechts voraus. Das lebende Aktienrecht waren für Netter diejenigen ,,Rechtsgrundsätze, die im heutigen Recht zur Anerkennung gelangt" sind354 und "im engsten Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und geistigen Entwicklung" stehen355 • Das fmdet seine Entsprechung bei Geiler. Wie dieser hielt es Netter für erforderlich, um die Rechtsüberzeugung ermitteln und ihre Geltung feststellen zu können, die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung zu erfassen, wobei "der Einfluß der geistigen und kulturellen Entwicklung auf die Gestaltung dieser Tatsachen, insbesondere das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, im Ergebnis also der rechtliche Gehalt der heutigen Wirtschaftsordnung auf dem aktienrechtlichen Gebiete" zu berücksichtigen sei356• Wenn er auch meinte, daß Geiler bei seien Feststellungen nicht immer die Grenze zwischen dem, was tatsächlich schon Recht geworden und dem, was noch im Werden begriffen sei, richtig gezogen habe, war er doch grundsätzlich mit dessen Methode einverstanden357• Die juristische Erkenntnis hat also die Aufgabe, dasjenige Prinzip zu erkennen, "das die Gestaltung des Aktienwesens bewirkt und in ihr lebendig ist." 358 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, 1932, S. 507, 508 ff., 511. Netter, Die aktienrechtliche Auskunftspflicht, 1928, S. 4. 35 1 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 25. 352 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 14, 18. 353 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 26. 354 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 23. m Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 26. m Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 23 f. 357 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 25. m Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, 1932, S. 507, 543. 349 350
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen
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Im Ergebnis zeichnen sich sowohl die Geilersehe wirtschaftsrechtliche Methode im Gesellschaftsrecht als auch das lebende Aktienrecht nach Netter durch das Bemühen aus, Recht und Gesetz mit den Entwicklungen des Seins in Einklang zu bringen, wobei dem Begriff der Aktiengesellschaft im lebenden Aktienrecht eine maßgebende Rolle zukommt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Ratbenaus Lehre vom Unternehmen an sich in der Weimarer Republik insofern weiterentwickelt wurde, als sie nunmehr entscheidend auf das Unternehmen als ein soziologisches Gebilde abstellte. Dessen Interessen sollen maßgeblich fiir die Aktiengesellschaft und ihr Interesse sein. Beibehalten und ausgebaut wurde die Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft, aus der sich die Eigenständigkeit des Unternehmens und seines Interesses ergeben. Entscheidend fiir die immanente Folgerichtigkeit der Lehre vom Unternehmen an sich wurde damit, ob die als Substitution des Grundes festgestellten Veränderungen der Aktiengesellschaft zutreffend waren. Sie wurden, insbesondere ab Mitte der zwanziger Jahre, im Zusammenhang mit der Reform des Aktienrechts unter dem Stichwort der Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft diskutiert. Der Streit um die Erklärung der Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft wurde dadurch auch zu einem um die Lehre vom Unternehmen an sich. Dem ist nunmehr nachzugehen.
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen Die Bezeichnung Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft wurde ab Mitte der zwanziger Jahre fiir die Entwicklung und Veränderungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft allgemein359• Sie stand fiir den Konzentrationsprozeß der Wirtschaft und die "Umgestaltung der inneren Struktur" der Aktiengesellschaft in Form einer Verlagerung von Macht und Einfluß in der Aktiengesellschaft von der Generalversammlung und den Aktionären auf die Verwaltung360 • Der Streit um die Strukturwandlungen von Wirtschaft und Akti-
359 Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 13; nach Assmann, in: Großkommentar AktG, 4 1992, Einleitung Rdn. 129, wurde sie zum "Jahrzehntschlagwort". 36 Klausing, Reform des Aktienrechts, 1933, S. 19; Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, 1930, S. 2.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
engesellschaft wurde um deren "soziologische"361 Erklärung geführt. Einerseits wurden sie als Entdemokratisierung der Aktiengesellschaft aufgefaßt, die im Wege einer Reform des Aktienrechts rückgängig zu machen sei. Andererseits wurden sie als eine Verobjektivierung der Aktiengesellschaft und des Unternehmens erklärt, die zum Unternehmen an sich geführt habe. Die Diskussion um sie war dadurch zugleich Auseinandersetzung um die Lehre vom Unternehmen an sich, da die Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft der Lehre vom Unternehmen an sich einerseits als faktische Grundlage dienten362 und wurden andererseits mit ihr erklärt wurden363 .
I. Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft
1. Konzentration der Wirtschaft und Großunternehmen Die Entwicklung zur industriellen Konzentration war Ursache der strukturellen Veränderung von Wirtschaft und Aktiengesellschaft in der Weimarer Republik vor allem seit der Inflationszeit in den zwanziger Jahren364. Als Grund für die Konzentration wurde schon von den Zeitgenossen der stattfmdende Rationalisierungsprozeß in der Güterproduktion, also eine technische Rationalisierung365, und die durch den Taylorismus aufkommende wissenschaftliche Unternehmensführung genannf66 Die dadurch entstandenen wirtschaftlichen Probleme fanden in den Regelungen des Aktienrechts im Handelsgesetzbuch von 1897 keine adäquate Behandlung. Dies betraf in einem spezifischen Sinne
361 Vgl. Schmölder, in: JW 1929, S. 2090, der von "soziologischen Strukturwandlungen" spricht. 362 Vgl. Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 82 und Meyer im Hagen, Geschäftsbericht, 1988, S. 25, der für die Angabe des Inhalts der Lehre vom Unternehmen an sich die Erklärung der Strukturwandlungen in der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften von 1930 zitiert. 363 Vgl. Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, 1930, S. 3. 364 K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 108; C. E. Fischer, in: AcP 154 (1955), s. 85, 116. 365 Buchwald, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 89, 90; Brodmann, Sanierung unseres Aktienwesens, 1931, S. 4. 366 Nach den Feststellungen des Enquete-Ausschusses, in: Enquete, Generalbericht, 1930, S. 67, war die Ermöglichung der Rationalisierung sowohl der technischen Produktion als auch der Unternehmensführung regelmäßig ein tragendes Motiv für die Konzentration.
C. Erklfu:ung der wirtschaftlichen Entwicklungen
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das erstmals problematisierte Konzernrechf67. Das Ungenügen der gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Probleme durch die Entstehung von Großunternehmen und der Konzentration insgesamt wurde allgemein anerkannt und auf die Divergenz zwischen der tatsächlich vorfmdlichen Aktiengesellschaft und derjenigen, die als Leitbild den gesetzlichen Regelungen zu Grunde lag, zurückgefiihrf68. Wenngleich diese Entwicklungen auch schon vor der Jahrhundertwende feststellbare Erscheinungen waren, so waren doch deren Ausmaß und Geschwindigkeit während der Weimarer Republik bis dahin unbekannf69 . Rathenau kommt das Verdienst zu, eine breite Öffentlichkeit vor allem auf die Entwicklung hin zu Großunternehmen und deren Bedeutung für die Wirtschaft, den Staat und die Gesellschaft hingewiesen zu haben370. Die Entwicklung der Unternehmen hin zu Großunternehmen und die Konzentration der Wirtschaft wurden in der Weimarer Zeit ausgiebig diskutiert und bildeten einen wesentlichen Bestandteil dessen, was als Strukturwandel der Wirtschaft und der Aktiengesellschaft erkannt wurde371 • Die ihnen beigemesse367 Zur Entwicklung des Konzernrechts während dieser Zeit s. Hommelhoff, Konzernleitungsptlicht, 1982, S. 2 ff.; K. W. Nörr, in: ZHR 150 (1986), S. 155, 168 ff.; ders., Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 121 ff. 36~ Enquete, Generalbericht, 1930, S. I; Müller-Erzbach, Kerngesellschaft, 1929, S. 2; J. Flechtheim, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 5, 10 u. 39; Friedländer, Konzernrecht, 1927, S. 269; v. Neii-Breuning, Aktienreform und Moral, 1930, S. 2 f., 4 f.; ders., Aktienreform und Moral, 1930, S. I, meinte, daß es nur noch einige Äußerlichkeiten seien, die die tatsächliche vorfindbare Aktiengesellschaft mit dem Leitbild der Aktiengesellschaft des HGB gemeinsam habe; darüberhinaus seien sie "schlechthin wesensverschieden." 369 K. W. Nörr, in: ZHR ISO (1986), S. ISS, 169. Nach Henning, Das industrialisierte Deutschland 1914 bis 1992, "1993, S. 108 f., waren charakteristisch die "Tendenz zum größeren Betrieb" und die "Bestrebungen, durch Zusammenschlüsse verschiedener Intensität die Konkurrenzverhältnisse zu verbessern"; R. Goldschmidt, Sofortige Verschmelzung (Fusion), 1930, S. I, hielt die Konzentration für das charakteristische der damaligenir wtschaftlichen Entwicklung; Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, 1930, S. I, meinte, "daß in neuerer Zeit viele Unternehmen eine starke Tendenz zur Vergrößerung zeigen, daß eine gewaltige Verschmelzungsbewegung eingesetzt hat und daß damit auch viele Aktiengesellschaften immer größere Ausmaße erlangen. Zur "Expansion-Konzentration-Protektion" in den letzten beiden Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende und bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges neuestens Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3. Bd., 1849-1914, 1995, S. 620 ff. 37 Friedländer, Konzernrecht, 1927, S. 269; K. W. Nörr, in: Staat und Unternehmen aus der Sicht des Rechts, hg. v. Coing u. a., 1994, S. 15, 21, der zudem meint, daß Rathenau "bekanntlich zu den sensibelsten Beobachtern der Erscheinungen seiner Zeit" zu rechnen ist. 371 Neben der Bezeichnung Großunternehmen wurden noch andere gebraucht, um die größten Aktiengesellschaften als solche mit besonderer Qualität und Bedeutung zu charakterisieren. Dalberg, in: Ring I Schachian (Hg.), Praxis der Aktiengesellschaft ( 1929), S. 99, 151, bezeichnete sie als Groß- und . Riesengesellschaften; Solmssen, in:
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
ne Bedeutung zeigt sich beispielhaft daran, daß die staatlich eingesetzte Enquete zur "Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft" sich in der 3. Arbeitsgruppe des I. Unterausschusses vor allem mit ihnen befaßte372 • In seinem »Generalbericht« stellte der Ausschuß einleitend fest: "Unter den Strukturwandlungen der Wirtschaft ist die fortschreitende Konzentrationsbewegung fiir die Umbildung des Aktienrechts besonders bedeutungsvoll geworden"373 • Unter dem Konzentrationsprozeß wurde neben der Herausbildung von Großunternehmen die Verflechtung der Gesellschaften vor allem in Form von Konzernen verstanden374 • Konzerne wurde defmiert als Zusammenfassungen rechtlich selbständiger Gesellschaften zu einer wirtschaftlichen Einheit unter einer gemeinsamen Leitung375 • Entscheidend fiir die Diskussion der Strukturwandlungen war jedoch nicht die rechtliche Form der Assoziation der Gesellschaften, sondern die wirtschaftliche Tatsache der Konzentration376 • Allgemeine FeststelRing I Schachian (Hg.), Praxis der Aktiengesellschaft (1929), S. 679, 681, sprach von Mammutunternehmungen und Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 139, von Riesenunternehmen; von Riesenunternehmungen handelte Schmoller, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Bd. I, 2 1923, S. 539 Ziff. 2. 372 So schon im Titel "Wandlungen in den Rechtsformen der Einzelunternehmungen und Konzerne", Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. I; v. Miller, in: ZHR 100 (1934), S. 256,265. Die 3. Arbeitsgruppe des I. Unterausschusses zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft beschäftigte sich mit den sich aus der Konzentration der Wirtschaft ergebenden Folgen. Als Grundlage der Befragungen durch die Arbeitsgruppe dienten Gutachten von J. Flechtheim, Hachenburg, Geiler, Buchwald und Haußmann. Gemeinsam ist den Gutachten, daß in ihnen die wirtschaftliche Konzentration als richtungsgebender Bedingungsfaktor für die Entwicklung des Aktienrechts genannt wird (Schmölder, in: JW 1929, S. 1338, 1339). Die Verhandlungen beschränkten sich im Anschluß an J. Flechtheim im wesentlichen auf die Erforschung der tatsächlichen Gegebenheiten, was sich schon am Fragenplan zeigen läßt (Dieser findet sich in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 143 ff.). Der Umfang und die Reichweite der Antworten der Befragten aus den verschiedensten Kreisen lassen sie als "das Spiegelbild des Lebens der AktG." erscheinen (Schmölder, in: JW 1929, S. 1338, 1339; sehr kritisch zum Wert der Enquete, Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, 1930, S. 34 f., nach dem die Enquete beiweitem ihre Möglichkeiten nicht ausgeschöpt habe.). 373 Enquete, Generalbericht, 1930, S. I, s. auch S. 64. 374 Enquete, Generalbericht, 1930, S. 64, 69 ff.; Friedländer, Konzern recht, 1927, s. 9. 375 Enquete, Generalbericht, 1930, S. 65; Weisbart, in: Ring I Schachian (Hg.), Praxis der Aktiengesellschaft (1929), S. 419, 423; Friedländer, Konzernrecht, 1927, S. 30 f. m. w. Nachw.; Rosendorf, Die rechtliche Organisation der Konzerne, 1927, S. 18; Haußmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 1926, S. 87; Passow, Betrieb, Unternehmung, Konzern, 1925, S. I 00. 376 Haußmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 1926, S. 15, erklärte: "So lassen sich nach alledem für die Betrachtung der Unterneh-
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen
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lung während der Weimarer Republik war, daß durch die industrielle Konzentration die einzelne und unabhängige, nicht allzu große Aktiengesellschaft, die dem HGB von 1897 als Vorstellung der Aktiengesellschaft zu Grunde lag377, zur Ausnahme und die konzernierte Aktiengesellschaft in Form des Großunternehmens zur Regel geworden war378 • Die prägende Funktion der großen Aktiengesellschaften für das Aktienwesen wird deutlich an der Veränderung der Relation der Zahl der Aktiengesellschaften zum gesamten Nominalkapital aller Aktiengesellschaften pro Jahr. Während am 30. September 1909 5.222 Aktiengesellschaften mit einem Nominalkapital von 15.723 Millionen Mk. bestanden379 erhöhte sich die Zahl der Gesellschaften zum Ende 1925 auf 13.010 mit einem Nominalkapital von 19.132 Millionen RM. und 1.968 Gesellschaften mit einem auf Mk. lautenden Nominalkapital380• Der starke Anstieg der Zahl der Aktiengesellschaften und des gesamten Nominalkapitals während dieser Periode ist im besonderen Maße den Bedingungen während der Inflation zuzuschreiben. Die fmanziellen Hemmnisse und Hürden sowohl für die Gründung von Aktiengesellschaften als auch für den Erwerb von größeren Aktienpaketen war stark verringert im Vergleich zu Zeiten einer stabilen Währung, da der Kurs der Aktien und die Höhe des Aktienkapitals der Gesellschaften nicht in dem Tempo des Währungsverfalls stiegen. Der Trend zu größeren Unternehmen zeigt sich deutlich an der Entwicklung des durchschnittlichen Nominalkapitals pro Aktiengesellschaft seit der Zeit der Inflation. Es betrug pro Aktiengesellschaft am Jahresende 1926 1,7 Millionen RM. und stieg zum Jahresende 1932 auf 2,3 Millionen RM. an. Seit der Zeit der Inflation fand eine Konzentration der Aktiengesellschaften insofern statt, als menszusammenfassungen die Probleme: Konzern, Kartell und Effektenkapitalismus überhaupt nicht mehr trennen." 377 C. E. Fischer, in: AcP 154 (1955), S. 85, 115; A. Bondi, Rechte der Aktionäre, 1930, S. 53; J. Flechtheim, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 5, I 0; Friedländer, Konzernrecht, 1927, S. 269. l?R A. Bondi, Neue Wege des Aktienrechts, 1933, S. 9; Friedländer, Aktienrecht (1932), S. 5; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 3 f.; v. NeiiBreuning, Aktienreform und Moral, 1930, S. 5; Müller-Erzbach, Kerngesellschaft, 1929, S. 3; J. Flechtheim, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 5, 12; Geiler, in: Enquete, Generalbericht, 1930, S. 52 f.; nach Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, 1932, S. 5 f., war dies Ausdruck der Entwicklung 'Y.Om Hoch- zum Spätkapitalismus, womit er die Bewertung von Sombart übernahm. Ahnlieh auch Geiler, in: Enquete, Qeneralbericht, 1930, S. 52, der meinte, daß seit Beginn des ersten Weltkrieges ein Ubergang von der Phase des Hochkapitalismus in die des Spätkapitalismus stattfinde; s. auch unten zur Entdemokratisierung S. III ff. 379 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1921 I 22, S. 410. JRO Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1926, S. 353; ohne Gesellschaften mit auf FF lautendem NominalkapitaL
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
sich die Zahl der Aktiengesellschaften verringerte, dagegen das gesamte Nominalkapital aller Aktiengesellschaften sich erhöhte. Schon Ende 1926 ist ein Rückgang der Zahl der Aktiengesellschaften auf 12.343 festzustellen, während eine Steigerung des Nominalkapital auf 20.655 Millionen RM. gegenüber den Werten für Ende 1925 stattfand381 • Dieser Trend setzte sich bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise fort. Zum Ende 1930 ging die Zahl der Aktiengesellschaften auf 10.970 zurück, während sich das gesamte Nominalkapital weiter auf 24.189 Millionen RM. erhöhte382• Bis Ende 1932 fiel die Zahl der Gesellschaften auf 9.634 mit einem Nominalkapital von 22.264 Millionen RM.383 • Im Vergleich zu den Zahlen für Ende 1926 bedeutet diese eine Verringerung der Zahl der Aktiengesellschaften um annähernd 20% und einen Anstieg des gesamten Nominalkapitals um ca. 3%. Maßgebend für die Feststellung der Bildung von Großunternehmen in Form von Aktiengesellschaften und ihrer Bedeutung für das Aktienwesen in der Weimarer Republik ist jedoch das Verhältnis der Anteile von verschieden großen Aktiengesellschaften, gemessen an ihrem Nominalkapital, am Gesamtnominalkapital aller Aktiengesellschaften. Es zeigt in seiner Entwicklung die Herausbildung von Großunternehmen und ihre Bedeutung am deutlichsten. Dafür liegen Daten des Statistischen Reichsamts lediglich zum Jahresende 1927, 1928 und 1932 vor. Ende 1927 hatten Aktiengesellschaften mit einem Nominalkapital von über 20 Millionen RM. einen Anteil am Bestand aller Aktiengesellschaften von 1,3%384, besaßen jedoch einen Anteil am gesamten Nominalkapital von 46,7%. Ende 1932 hatte sich dieses Verhältnis noch vergrößert. 1,8% aller Aktiengesellschaften mit einem Nominalkapital von über 20. Millionen RM. bedeuteten nunmehr 53% des gesamten Nominalkapitals aller Aktiengesellschaften. Dagegen nahm die Bedeutung der Aktiengesellschaften mit einem Nominalkapital bis I . Millionen RM. ab. Ihr Anteil an der Zahl der Aktiengesellschaften insgesamt sank in diesem Zeitraum von 74% Ende 1927 auf 71% Ende 1932. Ihr Anteil am gesamten Nominalkapital aller Aktiengesellschaften verringerte sich m Statistisches Jahrbuch fiir das Deutsche Reich 1927, S. 395; ohne Gesellschaften mit auf FF lautendem NominalkapitaL m Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1931, S. 363; ohne Gesellschaften mit auf FF lautendem NominalkapitaL m Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1933, S. 367; ohne Gesellschaften mit auf FF lautendem NominalkapitaL 3 ~4 Für die Zahlen zum 31.12.1927 vgL Statistisches Jahrbuch fiir das Deutsche Reich 1928, S. 442; flir die Zahlen zum 31 .12.1928 vgL Statistisches Jahrbuch fiir das Deutsche Reich 1929, S. 337; für die Zahlen zum 31.12.1932 vgL Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1933, S. 365.
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen
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von 9% Ende 1927 auf 7% Ende 1932. Während also ihr relativer Anteil an der Gesamtzahl der Aktiengesellschaften in diesem Zeitraum um rd. 4% sank, verringerte sich ihr relativer Anteil am gesamten Nominalkapital der Aktiengesellschaften um ca. 20%. Für die Beurteilung der Konzentration der Aktiengesellschaften ist der Grad und die Entwicklung ihrer Konzernierung ein entscheidendes Merkmal385 • Dazu sind die verfügbaren Daten am dürftigsten. Daten fehlen vor allem fiir die Zeit der Inflation. Für die Beurteilung der durch das Statistische Reichsamt erhobenen Daten von Bedeutung ist seine Defmition des Konzerns. Nach ihm fielen darunter "alle bedeutenden Zusammenschlüsse zwischen rechtlich selbständigen Unternehmungen [... ], soweit sie auf einer Kapitalbeteiligung, auf Interessengemeinschafts- und Pachtverträgen und ähnlichen Bindungen beruhen, ohne Rücksicht darauf, ob die Bildung einer den einzelnen Unternehmungen übergeordneten Wirtschaftseinheit bezweckt wird oder lediglich Kapitalanlage" bedeutete386. Von einem Konzern ging das Statistische Reichsamt also auch dann aus, wenn lediglich eine effektenkapitalistische Beteiligung vorlag, ohne daß dadurch eine unmittelbare Beherrschung und Abhängigkeit erzeugt worden wäre. An den vorliegenden Daten läßt sich eine erhebliche Steigerung des in Konzernen gebundenen Kapitals bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise erkennen. Nach den Ermittlungen des Statistischen Reichsamtes waren am 31. Oktober 1926 von 12.392 Gesellschaften mit einem Nominalkapital von 20.354 Millionen RM 1967 Gesellschaften mit einem Kapital von 13.242 Millionen RM verflochten in Konzernen387. Das gebundene Kapital machte also einen Anteil von rd. 65% des Kapitals aller untersuchten Gesellschaften aus388 • Dieser Wert steigerte sich nach dem Statistischen Reichsamt für den Stichtag 31. Oktober 1927
JRS Eine Auflistung von besonders wichtigen Konzernierungen gibt Friedländer, Konzernrecht, 1927, S. 14 ff., für die Zeit ab Ende 1925 bis 1927. Einen nach Branchen gegliederten Überblick über die "Unternehmensentwicklungen" und die Formen der Konzentration für die Zeit von 1870-1933 an Hand von Fallbeispielen gibt neuestens Spindler, Recht und Konzern, 1993, S. 96-215. 3R6 Statistisches Reichsamt, in: Wirtschaft und Statistik 1928, S. 108 Fn. I). JR? Auf das Problern der Doppelzählung des Nominalkapitals innerhalb eines Konzerns, etwa bei der herrschenden und der abhängigen Gesellschaft oder bei beiden in Form der wechselseitigen Beteiligung, wird hier nicht eingegangen. Das Statistische Reichsamt versuchte das Problern durch die Bildung eines berichtigten Nominalkapitals zu lösen, dazu dass., in: Wirtschaft und Statistik, 1928, S. I 08. JRR Statistisches Reichsamt, Konzerne, Interessengemeinschaften, 1927, S. 13; vgl. Enquete, Generalbericht, 1930, S. 15.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
aufrd. 69%389 und fiir den Zeitpunkt Ende 1930 aufannähernd 75%390• Soweit das Statistische Reichsamt auch die Konzentration ,,mittels Effektenbesitzes" durch "Dachgesellschaften" (Holdinggesellschaften) hinzurechnete, ergab sich für diesen Zeitpunkt, daß insgesamt ca. 85% des Kapitals der deutschen Aktiengesellschaften an Konzernierungen beteiligt waren391 • In einer Schätzung wurden von ihm auch die von Kleinaktionären gehaltenen und in Händen der Banken befindlichen Aktien als Ergänzung deren "effektenkapitalistischer Beherrschung (Bankeigentum) als dauernd gebunden betrachtet". Es schloß, daß der "am 31.12.1930 am 'freien' Kapitalmarkt unmittelbar verfügbare Teil des Nominalkapitals der deutschen Aktiengesellschaften kaum mehr als 20 vH, das sind rd. 5 Milliarden RM., betragen haben" dürfte392• In der Literatur wurde angenommen, daß "das tatsächlich flottante Material" lediglich einen Bruchteil dieser 20% ausgemacht habe393• Die Daten zum Konzentrationsprozeß der Aktiengesellschaften bestätigen die zeitgenössischen Feststellungen. Vor allem läßt sich an ihnen die dominierende Rolle der großen Aktiengesellschaften für das Erscheinungsbild des Aktienwesens und der starke Anstieg der wechselseitigen Verflechtungen der Gesellschaften während der Weimarer Republik erkennen. 2. Machtverschiebung in der Aktiengesellschaft
Der Konzentrationsprozeß war eine der Ursachen für die in der Weimarer Republik allgemein angenommene Machtverschiebung von der Generalversammlung zur Verwaltung der Aktiengesellschaft394 • Daneben wurde das Depot3R9 Vom gesamten Nominalkapital der Aktiengesellschaften von 21.329 Millionen RM. waren nunmehr 14.667 Millionen RM. in Konzernen angelegt (Statistisches Reichsamt, in: Wirtschaft und Statistik 1928, S. I 08); vgl. die Zahlenangaben von K. W. Nörr, in: ZHR 150 (1986), S. 155, 169. 390 Vom Statistischen Reichsamt wurde geschätzt, daß vom Nominalkapital von 10.970 Aktiengesellschaften von 24.189 Millionen RM 18.053,5 Millionen RM in Konzernen gebunden waren (Statistisches Reichsamt, in: Wirtschaft und Statistik 1931, s. 710). 391 Statistisches Reichsamt, in: Wirtschaft und Statistik 1931, S. 710. 392 Statistisches Reichsamt, in: Wirtschaft und Statistik 1931, S. 710; vgl. Schmalenbach, Beteiligungsfinanzierungen, 5 1932, S. I 02. m Schmalenbach, Beteiligungs-Finanzierungen, 5 1932, S. I 02. 394 Erläuternde Bemerkungen zum Entwurf AktG 1930, in: Entwurf AktG 1930, 1930, S. 93, 94; Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, 1932, S. 8; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 46; DAV, Antworten II, 1929, S. 14 f.; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. II; vgl. Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 68.
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Stimmrecht der Banken genannt, das in Verbindung mit dem geringen Besuch der Generalversammlungen und der Ausübung des Stimmrechts durch die Banken regelmäßig zu Gunsten der Verwaltungen diesen ihre Stellung und Macht in den Aktiengesellschaften erhalten habe395 • Vor allem jedoch durch die Stirnrnrechtsaktie verlagerte sich die Willensbildung in der Aktiengesellschaft von der Generalversammlung zur Verwaltung und der sie stützenden Aktionärskreise396• Stimmrechtsaktien waren das ideale Mittel zur Durchsetzung der Machtverschiebung in der Aktiengesellschaft und dadurch auch der Konzentration der Wirtschaft, da sie auch der Festigung der Machtposition innerhalb eines Konzerns dienen konnten397• Nach allgemeiner Meinung verlor die Generalversammlung dadurch ihre Funktion als oberstes Organ der Aktiengesellschaft398 • Stimmrechtsaktien oder auch Mehrstimmrechtsaktien399 waren eine Ausprägung der sog. Verwaltungsaktien. Darunter wurden in der Weimarer Zeit Aktien verstanden, die der Verwaltung zur Stützung ihrer Stellung und ihres Einflusses zur Verfügung standen, ohne rechtlich eigene Aktien der Aktiengesellschaft zu m Vgl. dazu zusammenfassend u. m. w. Nachw. Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 69 ff.; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 26 ff; P. Gieseke, Aktienstimmrecht der Banken, 1926. 396 Schubert, in: Schubert I Hommelhoff (Hg.), Aktienrechtsreform, 1987, S. 9, 25; Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, 1932, S. 8; Fricke, in: ZBH 1932, S. 262, 264; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 74 u. 88. 397 K. W. Nörr, in: ZHR 150 (1986), S. 155, 176 ff.; Ruth, Eigene Aktien und Verwaltungsaktien, 1928, S. 85; Friedländer, Konzernrecht, 1927, S. 309 f.; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 177; Rosendorf, Organisation der Konzerne, 1927, S. 73; Haußmann, Tochtergesellschaft, 1923, S. 59 f.; A. Hueck, Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, 1922, S. I 0 f. m v. Miller, in: ZHR 100 (1934), S. 256, 268; A. Bondi, Neue Wege des Aktienrechts, 1933, S. 9 f.; Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, 1932, S. 3, I 0; Fricke, in: ZBH 1932, S. 262, 264; Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, 1930, S. 2; ders., Aktiengesellschaft, 2 1922, S. 321 f.; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 2 f., 66, 87; Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 55, 57, 59; Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 6; Harmening, in: Ring I Schachian (Hg.), Praxis der Aktiengesellschaft (1929), S. 357 f. u. 362 f.; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. II; P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923), S. I, 2; Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 9. 399 Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 185 Anm. 4, unterschied Stimmrechtsaktien und Mehrstimmrechtsaktien danach, daß Mehrstimmrechtsaktien zulässige Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht seien, wohingegen Stimmrechtsaktien allein um der Schaffung des erhöhten Stimmrechts Willen geschaffen worden seien, ohne daß eine Beteiligung an der Aktiengesellschaft das vorrangige Motiv dafür gewesen sei. Diese Unterscheidung setzte sich jedoch nicht durch, war wohl wegen der Schwierigkeit der in der rechtlichen Konstruktion nicht zu unterscheidenden Stimmrechts- und Mehrstimmrechtsaktien und der Handhabung des Kriteriums der jeweiligen Motivation für die Schaffung der Aktien nicht praktikabel.
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sein400 • Sie wurden ihrem Zweck nach in zwei verschiedene Gattungen unterschieden: die der Vorratsaktien, die im wesentlichen ein Instrument zur erleichterten Kapitalbeschaffung waren, jedoch auch als Herrschaftsaktien fungieren konnten401 , und die der Herrschafts- oder Schutzaktien402 • Die Stimmrechtsaktie war die charakteristische Form der Herrschafts- oder Schutzaktie. Sie sollte der Verwaltung und den ihr nahestehenden Gruppen möglichst dauernd die Herrschaft in der Generalversammlung sichern oder verschaffen dadurch, daß ihr ein mehrfaches Stimmrecht beigegeben wurde, das Stimmrecht also in einem qualifizierten Verhältnis zur Kapitalanlage stand403 • Die Funktion als Herrschaftsaktie ergab sich daraus, daß ihr Inhaber in der Lage war, die Generalversammlung zu dominieren und Abstimmungen zu seinen Gunsten zu entscheiden oder zumindest eine Sperrminorität zu bilden404, was regelmäßig der Fall war405 • Dadurch konnte etwa das Auskunftsrecht der freien Aktionäre zunichte gemacht werden, weil ein entsprechender Generalversammlungsbeschluß nicht gefaßt werden konnte, der zur Durchsetzung des Auskunftsrechts nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts Voraussetzung war406 • 400 Nach K. W. Nörr, in: ZHR 150 (1986), S. 155, 162 f., handelt es sich jedoch um wirtschaftlich eigene Aktien der Aktiengesellschaft. 401 Ausführlich zur Vorratsaktie Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 36 ff. m. w. Nachw. 402 S. nur Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 74 u. Harmening, in: Ring I Schachian (Hg.), Praxis der Aktiengesellschaft (1929), S. 357, 388. Von den eigentlichen Herrschaftsaktien wurden die unechten Herrschaftsaktien unterschieden. Hierunter wurden vor allem Aktien verstanden, die ihre Inhaber bei Banken deponierten und deren Stimmrecht durch die Banken ausgeübt wurde. Da das Stimmrecht der Depotaktien nach Einschätzung der Diskutanten regelmäßig im Sinne der Verwaltung ausgeübt wurde, wurden sie vielfach den Herrschaftsaktien gleichgesteHt (Vgl. Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 86 f.; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 2 u. 26 ff.; Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, s. 10 ff.). 403 Urt. d. II. Zivilsenats des RG v. 30. März 1926, RGZ 113, S. 188, 191 u. 196; Bing in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, § 185 Anm. 4.; Rachenburg in: DüringerHachenburg, HGB, 3 1934, Einl. (1932) Anm. 102; A. Pinner in: Staub, HGB, 14 1933, § 185 Anm. II i; Wülfing, Die Stimmrechtsaktie und ihre Reform, 1931, S. 43; Enquete, Generalbericht, 1930, S. 7; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 74; Harmening, in: Ring I Schachian (Hg.), Praxis der Aktiengesellschaft (1929), S. 357, 387; Geiler, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 52 67; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. I; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 18; A. Hueck, Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, 1922, S. 12. 404 Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 75; H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 3. 405 Vgl. nur Rachenburg in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Einl. (1932) Anm. 14; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 18. 406 A. Pinner in: Staub, HGB, 14 1933, § 260 Anm. 20m. w. Nachw.
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Stimmrechtsaktien zeichneten einmal durch die Durchbrechung des Grundsatzes der Adäquität aus407 , nach dem sich das Mitbestimmungsrecht in der Aktiengesellschaft grundsätzlich nach der Kapitalbeteiligung richtet408 • In diesem Sinne erfolgte in den Entwürfen eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien von 1930 und 1931 eine Legaldefinition der Stimmrechtsaktie409 • Charakteristisch fiir sie war jedoch die Bindung ihrer Inhaber, insbesondere hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens in der Generalversammlung, an die Aktiengesellschaft410 • Diese Bindung konnte auf dreierlei Weise erfolgen: als dingliche, obligatorische und auf Grund rein tatsächlicher Verbundenheit411 • Eine dingliche Bindung hinsichtlich der Übertragbarkeit von Stimmrechtsaktien war möglich, wenn sie als Namensaktien ausgegeben wurden (§ 180 Abs. 3, 212 Abs. 1 S. I i. V. m. § 222 Abs. 2 u. I HGB). Nach § 222 Abs. 2 HGB war fiir die Übertragung von Namensaktien die Zustimmung der Aktiengesellschaft erforderlich, wenn dies in der Satzung vorgesehen worden war. Verfiigungen über Namensaktien, die ohne die erforderliche Genehmigung der Aktiengesellschaft erfolgten, waren unwirksam gegenüber jedermann412 • Eine dingliche Bindung war allerdings nicht hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens möglich413 • Typisch für die Stimmrechtsaktie war jedoch der Bindungsvertrag, der als weitaus häufigste Form der Bindung der Stimmrechtsaktionäre an die Aktiengesellschaft vorkam414 • Praktisch bedeuteten sie regelmäßig eine Bindung an die 407 Enquete, Generalbericht, 1930, S. 8; Ludewig, Hauptprobleme der Refonn des Aktienrechts, 1929, S. 84; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 16. 40" Das ergab sich aus § 252 Abs. I Satz 2 HOB (1897); Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 15. 409 § 94 Abs. I E. 1930; § 96 Abs. I E. 1931. 410 Urt. d. II. Zivilsenats d. RG v. 30. März 1926, in RGZE 113, S. 188, 192; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 81; Ludewig, Hauptprobleme der Reform des Aktienrechts, 1929, 1929, S. 85; Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 62; ders., in: ZBH 1930, S. 290, 295; Geiler, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 52, 67; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 18; H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 2; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, s. 22. 411 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 60. 412 J. Flechtheim in: Düringer-Hachenburg, HOB, 3 1934, § 222 Anm. 5; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 61. 413 A. Pinner in: Staub, HOB, 14 1933, § 222 Anm. 6; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, s. 65. 414 Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 85; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 71; P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923), S. I, 17 f.
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Weisungen der Verwaltung415 • Der Bindungsvertrag wurde als Auftrag angesehen, sofern keine besonderen Vereinbarungen getroffen wurden und er unentgeltlich war416 , ansonsten als Geschäftsbesorgungsvertrag417 • Durch ihn verpflichteten sich die Stimmrechtsaktionäre, die Aktien nicht ohne die Zustimmung der Aktiengesellschaft zu übertragen und sich in ihrem Abstimmungsverhalten an die Weisungen der Aktiengesellschaft zu halten418 • Bei diesen Verträgen konnte es sich um selbständige Vereinbarungen oder um Nebenabreden im Rahmen der Übernahme der Aktien handeln419 • Stimmrechtsaktien wurden häufig auf ein Konsortium übertragen, daß zumeist aus Mitgliedern der Verwaltung, einzelnen Großaktionären und Vertretern von Banken bestand420, die auch Verwaltungsbanken genannt wurden und regelmäßig den überwiegenden Teil in den Konsortien ausmachten421 • Die Mitglieder des Konsortiums schlossen meist einen weiteren Vertrag, wodurch das Stimmrecht nur einheitlich ausgeübt werden konnte oder auf einen eigens dafür gegründeten beratenden Ausschuß übertragen wurde, der regelmäßig aus Vertretern der Verwaltung der Aktiengesellschaft bestand422 • Daneben gab es auch Fälle, in denen Stimmrechtsaktien allein von Mitgliedern der Verwaltung oder des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft423, einer Bank424, einer "befreundeten" Aktiengesellschaft425 , einer eigens 415 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 72 m. Bspen.; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 34. 416 Sinn, Die gebundene Aktie, 1935, S. 45; J. Lebmann in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1933, § 252 Anm. 61; DAV, Antworten I, 1929, S. 134; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 89; a. A. P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923), S. 1, 17 f., nach dem es sich um die Begründung einer Gesellschaft nach bürgerlichem Recht handelte, bei der der nach § 705 BGB erforderliche gemeinsame Zweck in der Weiterführung der Geschäfte der Aktiel}gesellschaft bestehe; nach Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 74 f., war der reine Ubernahmevertrag als Kaufvertrag nach dem BGB zu werten; er konnte nach ihm jedoch auch auftragsähnlichen Charakter annehmen; im Ergebnis handelte es sich nach ihm um Verträge sui generis. 417 Sinn, Die gebundene Aktie, 1935, S. 45. 418 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 71; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, s. 74 f. 419 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 71 f. 420 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 83; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 29; Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 30. 421 Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 29 f.; Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, s. 30. 422 Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 35 m. Bspen. 423 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 71, S. 81 m. Bspen.; nach Jung, Ueberfremdung, 2 1921, S. 40, war dies am häufigsten. 424 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 82; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 29 f.; F. Bondi, in: Gruchots Beiträge 65 ( 1921 ), S. 129, 131; Jung, Ueberfremdung, 2 1921, S. 35 ff. 1919 wurde die Bank für Industriewerte AG gegründet, deren
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zu diesem Zweck gegründeten juristischen Person426, von Familienmitgliedern der die Stammaktien überwiegend haltenden Aktionäre427 oder von ,,Freunden" der Aktiengesellschaft, wie bei der Berliner Handelsgesellschaft428 , übernommen wurden. Die Bindung der Stimmrechtsaktionäre konnte auch eine bloß tatsächliche sein. Die Aktiengesellschaft begab sich dadurch allerdings der Möglichkeit, Verpflichtungen aus der Bindung rechtlich durchsetzen zu können429 • Unabhängig davon wurde sie als die sicherste eingeschätzt, da sie an "persönlichen Vertrauensmomentenvon gewöhnlich sehr starker Art" angeknüpft habe430. Stirnrnrechtsaktien wurden auf diesem Wege vor allem auf Mitglieder der Verwaltung, Mehrheitsaktionäre, Banken und Angestellte der Aktiengesellschaft übertragen431. Stimmrechtsaktien in Form von Herrschaftsaktien waren vor dem ersten Weltkrieg nahezu ungebräuchlich und erst seit der Zeit der Inflation in großem Umfang verbreitet432. Noch 1912 machte die Zulassungsstelle der Berliner BörAktien von der Deutschen Bank, der Direktion der Disconto-Gesellschaft, der Dresdner Bank und der Berliner Handelsgesellschaft gehalten wurden (Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 30 f.), die nach ihrer Umstellung auf Goldmark 1926 die Herrschaftsaktien von 15 Aktiengesellschaften hielt (Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 84 f. m. Autlistung der Gesellschaften in Fn. I aufS. 85). 425 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 82 m. Bspen.; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 30; Jung, Ueberfremdung, 2 1921, S. 33 f. 426 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 84 f., m. Bspen. 427 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 85; G. Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, s. 29. 42 ~ Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 85. 429 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 122 f. 430 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 123. 431 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 126. 432 K. Wieland, Kapitalgesellschaften, 1931, S. 234; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 65; Enquete, Generalbericht, 1930, S. 7; Harmening, in: Ring I Schachian (Hg.), Praxis der Aktiengesellschaft ( 1929), S. 357, 386; Schmölder, in: JW 1929, S. 2090, 2093; Hagen, Schlitter, A. Pinner, Wolff vor dem EnqueteAusschuß, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 176, 183, 191, 192; Lifschütz, in: JW 1928, 204, 206; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 3; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 29; H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. I f.; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 18 ff.; A. Hueck, Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, 1922, S. 7 ff.; Passow, Aktiengesellschaft, 2 1922, S. 239 f.; Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 28; F. Bondi, in: Gruchots Beiträge 65 (1921), S. 129 f.; Nord, in: ZBH 1927, S. 197. Nach Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 65, und Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 25 ff., gab es vor der Inflation keine Stimmrechtsaktien bei börsennotierten Aktiengesellschaften; Sontag, in: ZBH 1931, S. 13, 15, meinte, daß Stimmrechtsaktien in der Zeit vor und noch während
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se die Zulassung von Aktien zum Handel davon abhängig, daß keine Stirnrnrechtsaktien bestanden433 • Vereinzelt hatte es jedoch schon vor dem ersten Weltkrieg Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht gegeben, die meist im Gefolge von Sanierungen oder der Sicherung des Einflusses der Gründer oder deren Familienmitgliedern ausgegeben worden waren434• Allgemein wurde angenommen, daß Stimmrechtsaktien während der Weimarer Republik als Herrschaftsaktien "in sehr großem Maße gebräuchlich" waren435. Die statistische Erfassung der Stimmrechtsaktie war problematisch, da ihre Eigenart sich vor allem aus der Bindung der Stimmrechtsaktionäre an die Aktiengesellschaft und die Verwaltung ergab, was schwer nur festzustellen war, da dies eine entsprechende Auskunftsbereitschaft der Aktiengesellschaften voraussetzte. In den Erhebungen über die Verbreitung von Stimmrechtsaktien sind sie denn auch allein danach qualifiziert, ob den Aktien ein mehrfaches Stimmrecht beigegeben wurde. Es wurde also davon ausgegangen, daß Aktien mit mehrfachem Stimmrecht regelmäßig Stimmrechtsaktien im Sinne von Herrschaftsaktien waren, was auch der Legaldefinition in den Entwürfen eines neuen Aktienrechts aus 1930 und 1931 entsprach436• Offizielle Erhebungen über die Verbreitung von Stimmrechtsaktien insgesamt gibt es erst für die Zeit ab 1925. Lediglich fiir ihren Anteil an neu ausgegebenen Aktien gab das Statistische Reichsamt fiir die Jahre 1921 und 1922 Zahlen bekannt. Für die Zeit vor 1925 liegen partiell Schätzungen und Untersuchungen einzelner Autoren vor. Nach dem Statistischen Reichsamt wurden 1921 von den neu ausgegebenen Aktien (Stammaktien und Vorzugsaktien) rd. 4% mit mehrfachem Stimmrecht ausgegeben437 • 1922 fiel dieser Anteil auf rd. 0,5%438• Für 1922 wurde gedes ersten Weltkrieges "als etwas Unmoralisches und Untragbares" angesehen worden seien. 433 Wülfing, Stimmrechtsaktie und ihre Reform, 1931, S. 13; Passow, Aktiengesellschaft, 2 1922, S. 244 Anm. 2. 434 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 25 f.; H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 37 Anm. 2); Wülfing, Stimmrechtsaktie und ihre Reform, 1931, S. 13; Nord, Mitverwaltung, 1927, S. 35; Schlegelberger, Probleme des Aktienrechts, 1926, S. 6; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 16 ff. m. Bspen. 435 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 26; vgl. Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 86 f.; Netter, Probleme des lebenden Aktienrecht, 1929, s. 55. 436 § 94 Abs. I E. 1930; § 96 Abs. I E. 1931. 437 Insgesamt wurden nach dem Statistischen Reichsamt Aktien im nominalen Wert von 16.436 Millionen RM. ausgegeben, wovon Akten mit mehrfachem Stimmrecht einen nominalen Wert von 649,8 Millionen RM. hatten; vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1923, S. 394; vgl. Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 25.
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen
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schätzt, daß ca. 20% aller Aktiengesellschaften Stimmrechtsaktien ausgegeben hatten439 und fiir 1923 wurde ennittelt, daß 40% der Aktiengesellschaften, deren Aktien an der Berliner Börse gehandelt wurden, Stimmrechtsaktien ausgegeben hatten440 • Von Bedeutung fiir die Funktion der Stimmrechtsaktien in den Aktiengesellschaften ist vor allem das Verhältnis der Zahl ihrer Stimmen zu der der Stammaktien. Nach einer privaten Erhebung bei 150 Aktiengesellschaften betrug 1922 I 23 bei diesen das durchschnittliche Verhältnis der Stimmenzahl der Stimmrechtsaktien zu der Stimmenzahl der Stammaktien 6:10. Bei 12 Aktiengesellschaften habe sich eine Parität der Stimmen von Stimmrechtsaktien und Stammaktien ergeben und lediglich bei 6 Aktiengesellschaften sei die Stimmenzahl der Stimmrechtsaktien höher gewesen als die der Stammaktien441 • Für die Zeit ab 1925 liegen differenziertere Angaben des Statistischen Reichsamts zur Verbreitung der Stimmrechtsaktie vor. Die Daten zeigen fiir den Zeitraum von 1925 bis Ende 1932442 , daß der Anteil an börsennotierten Aktiengesellschaften, die Stimmrechtsaktien ausgegeben hatten, seit dem Ende der Inflationszeit kontinuierlich zurückging und dieser Trend sich auch während der Zeit der Weltwirtschaftskrise fortsetzte. Als Tendenz ist dies auch fiir den Anteil der Stimmen der Stimmrechtsaktien an der Gesamtzahl der Stimmen in den Aktiengesellschaften, die Stimmrechtsaktien ausgegeben hatten, feststellbar. Nach dem Statistischen Reichsamt hatten zum I. September 1925 rd. 54% aller Aktiengesellschaften Stimmrechtsaktien ausgegeben, die einen durchschnittlichen Anteil von rd. 38% der Stimmen in Aktiengesellschaften mit Stimmrechtsaktien hatten. Das veränderte sich bis Ende 1932 dahin, daß nunmehr 42% aller Aktiengesell-
43 R Insgesamt wurden Aktien (Vorzugs- und Stammaktien) mit einem nominalen Wert von 1.971,5 Miilionen RM. mit mehrfachem Stimmrecht ausgegeben, bei einer Gesamtemmission von Aktien mit einem nominalen Wert von 40.6621, I Miilionen RM.; vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1923, S. 394. 439 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 5; Benade, in: JW 1922, S. 345. 440 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 5; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 20, errechnete, daß von den 906 Aktiengesellschaften, deren Aktien am 2. Juli 1923 an der Berliner Börse gehandelt wurden, 368 Aktiengesellschaften Stirnrnrechtsaktien ausgegeben hatten, als rd. 41 %. 441 G. Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 25 f. 442 Für die Zahlen bis zum 31.12.1928 vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1929, S. 336; für die Zahlen zum 31. Dezember 1929 vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1930, S. 3 88; für die Zahlen zum 31 . Dezember 1930 vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1931 , S. 368; für die Zahlen zum 31 . Dezember 1931 vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1932, S. 365; für die Zahlen zum 31.12.1932 vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1934, s. 369.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
schaften Stimmrechtsaktien ausgegeben hatten, deren Anteil an den Stimmen in Aktiengesellschaften mit Stimmrechtsaktien durchschnittlich 33% betrug. Die hohe Zahl der Stimmrechtsaktien am Ende der Inflation erklärt sich auch dadurch, daß die inflationsbedingte Geldentwertung immer wieder Erhöhungen des Kapitals notwendig machte, die von den Verwaltungen und den sie tragenden Aktionären oft nicht aufgebracht werden konnten. Die Ausgabe von Stirnrnrechtsaktien lag nahe, um das vorhandene Übergewicht der Verwaltung und der sie tragenden Aktionärsgruppen zu erhalten443 • Diese Funktion der Stirnrnrechtsaktien blieb auch nach 1925 weitgehend erhalten444 • Zwar ging die absolute Zahl der Gesellschaften, die Stimmrechtsaktien ausgegeben hatten, zurück auf 42%. Der relative Anteil der Stimmen der Stimmrechtsaktien an der Gesamtzahl der Stimmen in den Aktiengesellschaften mit Stimmrechtsaktien verringerte sich von 1925 bis Ende 1932 um rd. 15%. Selbst der niedrigste relative Anteil der Stimmen der Stimmrechtsaktien an der Gesamtzahl der Stimmen in den Aktiengesellschaften mit Stimmrechtsaktien von rd. 28% zum Ende 1929 und 1930 bedeutet noch, daß durchschnittlich mit diesen Stimmen eine Sperrminorität erreicht werden konnte. Berücksichtigt man dazu, daß die Beteiligung der freien Aktionäre an den Generalversammlungen durchschnittlich sehr gering war und ein nicht unbeträchtlicher Teil von ihnen mit der Verwaltung stimmte445, war auch noch mit diesem Anteil, in Verbindung mit den Stimmen der die Verwaltung tragenden Aktionäre, eine Mehrheit in der Generalversammlung zu erzielen.
443 Wülfing, Stimmrechtsaktie und ihre Reform, 1931, S. 16; Müller-Erzbach, Entartung des deutschen Aktienwesens, 1926, S. I 0. 444 A. A. Schubert, in: Schubert I Hommelhoff (Hg.), Aktienrechtsreform, 1987, S. 9, 179. Der DAV, Antworten I, 1929, S. 131, stellte 1929 fest, daß "in einer Reihe von Aktiengesellschaften [... ] die Stimmrechtsaktien beseitigt worden" seien, da insbesondere bei Erhöhungen des Kapitals der Aktiengesellschaft die Beseitigung der Mehrstimmrechtsaktien in vielen Aktiengesellschaften verlangt worden sei, ohne daß hierüber genauere Angaben in Form von Statistiken gemacht werden könnten; nach dem Generalbericht der Enquete ( 1930), in: Enquete, Generalbericht, 1930, S. I 0, war für die Zeit von 1925 bis 1929 ein Rückgang der Stimmrechtsaktien sowohl hinsichtlich der absoluten Zahl als auch an Bedeutung festzustellen; Schlitter, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank (Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 4), erklärte vor dem Enquete Ausschuß, daß die Deutsche Bank schon seit einigen Jahren (vor 1928) darauf gedrängt habe, Stimmrechtsaktien zu beseitigen, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 185; nach Hachenburg in: Düringer-Hachenburg, HGB, 31934, Ein!. (1932) Anm. 102, waren die Verwaltungsaktien .~ "stumpfen Waffen" geworden, da Mehrstimmrechtsaktien durch den Druck der Offentlichkeit nicht mehr zur Betätigung des Stimmrechts benutzt und auch keine neuen mehr geschaffen würden. 445 Voß, Stimmrecht der Generalversammlung, 1930, S. 159; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 26.
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen
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Im Ergebnis bestätigen also die angegebenen Daten zur Stimmrechtsaktie die Einschätzung, daß sich die Macht in der Aktiengesellschaft von den freien Aktionären in der Generalversammlung auf die Verwaltungen der Aktiengesellschaft und der sie tragenden Aktionäre verschoben hatte. Die faktischen Grundlagen der Lehre vom Unternehmen an sich, insbesondere die Herausbildung von Großunternehmen, die Konzentration der Aktiengesellschaften und die Machtverschiebung in der Aktiengesellschaft von der Generalversammlung auf die Verwaltung, konnten an Hand der verfügbaren Daten bestätigt werden. Die Lehre vom Unternehmen an sich war dadurch prädestiniert für die Erklärung der Strukturwandlungen der Wirtschaft und der Aktiengesellschaft als eine Entwicklung hin zum Unternehmen an sich.
II. Erklärung des Strukturwandels In der Diskussion um die Erklärung des Strukturwandels von Wirtschaft und Aktiengesellschaft wurde einerseits eine Entdemokratisierung der Aktiengesellschaft behauptet, die in die Forderung nach der Wiederherstellung der Aktiendemokratie mündete. Andererseits wurde aus ihr die Anerkennung der Schutzbedürftigkeit der Aktiengesellschaft und des Unternehmens und deren Interessen im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich gefolgert446 • Exemplarisch dafür sind die Ausführungen in den »Erläuternden Bemerkungen« zum Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien des Reichsjustizministeriums aus 1930. Danach waren Strukturwandlungen zutage getreten in Form der ,,Ablösung rein individualistischer Auffassung durch die Rechtsidee, daß das Unternehmen nicht nur der äußere Rahmen für die Verfolgung der Interessen der einzelnen beteiligten Staatsbürger, sondern als solches ein Rechtsgut besonderer Eigenart und eine Einrichtung mit besonderen Aufgaben sei, eine Einrichtung, der der Staat Schutz und Förderung auch insoweit nicht vorenthalten dürfe, als das Schutz- und Förderungsbedürfnis in Widerstreit mit den Sonderinteressen der Aktionäre gerät."447
446 Vgl. K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 110; C. E. Fischer, in: AcP 154 (1955), S. 85, I 00. 447 Erläuternde Bemerkungen zum Entwurf AktG 1930, in: Entwurf AktG 1930, 1930, s. 94.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
1. Schutz der Aktiengesellschaft und des Unternehmens
Nach der Lehre vom Unternehmen an sich in der Weimarer Republik sind die Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft Ausdruck der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft448 . Das Unternehmen und seine Interessen wurden in ihr als selbständig anerkannt. Dadurch erfährt in der Lehre vom Unternehmen an sich die Aktiengesellschaft insofern eine Verselbständigung, als das Interesse des Unternehmens maßgeblich ist und die Interessen und Rechte der Aktionäre dann zurückstehen müssen, wenn sie ihm entgegenstehen449. Über die Vertreter der Lehre vom Unternehmen an sich hinaus wurden die Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft als eine Verobjektivierung der Aktiengesellschaft in diesem Sinne auch von anderen Autoren bewertet und dabei insbesondere die Bedeutung der Aktiengesellschaften und Unternehmen für den Staat und die Gesellschaft hervorgehoben, zum Teil mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ausführungen Rathenaus450 • Dies basierte auf der Einsicht, daß in dem Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft sich die Ablösung der Vorherrschaft der rein individualistischen Interessen der Aktionäre durch einen sich· herausbildenden Gemeinschaftsgedanken ausgedrückt habe, was auch als Entindividualisierung bezeichnet wurde451 • Darin wurde von den Vertretern der Forderung nach der Wiederherstellung der Aktiendemokratie eine "antidemokratische Tendenz" erkannt452 , die eine sozialistische Ausrichtung erkennen lasse453 • 44" Zur Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft nach Rathenau s. oben S. 64 ff. und in der Lehre vom Unternehmen an sich in der Formulierung während der Weimarer Republik oben S. 124 ff. 449 S. dazu ausführlich oben S. 99 ff. 450 S. nur Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. II f. u. S. II Fn. 2, S. 24, u. S. 24 Fn. I, 71, 147; So1mssen, Aktienrecht, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaft, Ergänzungsband, 4 1929, S. I; ders., in: Ring I Schachian (H9.), Praxis der Aktiengesellschaft (1929), S. 679, 680; Müller-Erzbach, Handelsrecht, 2 ' 1928, S. 243; Frank-Fahle, Die Stimmrechtsaktie, 1923, S. 101 f., 103. 451 Vgl. dazu die Parallele in der Feststellung der Entwicklung des Rechts hin zum sozialen Recht oben S. 118m. Nachw. in Fn. 345. 452 Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 70; vgl. Heilbrunn, Zur Reform des Aktienrechts, 1930, S. 3 f, der feststellte, daß ,je demokratischer die politische Verfassung, um so autokratischer wird die wirtschaftliche Verfassung." 453 Hachenburg in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Eint. (1932) Anm. 80, diagnostizierte einen "sozialistische[n] Einschlag unserer Wirtschaftslenker", der womöglich verantwortlich gewesen sei für die Durchsetzung der "Ethik des Rechts gegen die Selbstsucht des einzelnen im Wirtschaftsleben". Vgl. C. E. Fischer, in: AcP 154 (1955), S. 85, 92, nach dem "die sozialistische Wirtschaftsdiagnose [... ] insbesondere in den Kreisen der fUhrenden Kartell- und Aktienrechtsjuristen (wie namentlich Flechtheim, Friedländer, Horrwitz, Geiler, Hachenburg, Haussmann, Hamburger, /say, Lion, Netter,
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen
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Die ganz überwiegende Meinung ging davon aus, daß auch durch den Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft ihr Wesen als privatrechtliche Kapitalgesellschaft sich nicht verändert habe. Sie sei noch immer als eine Gesellschaft anzusehen, die auf den Grundlagen eines kapitalistischen Wirtschaftssystems beruhe454 • Jedoch habe, wie dies der »Generalbericht« der Enquete ausdrückte, "das Hervortreten des Allgemeininteresses gegenüber dem individuellen Gewinnstreben zur Bildung neuer Erscheinungsformen im Aktienrecht" gefiihrt455 • Dies entspricht ganz der Beurteilung durch Rathenau456 und auch der im Rahmen der Lehre vom Unternehmen an sich während der Weimarer Republik457 • Vor allem Geiler begründete den Schutz der Aktiengesellschaft und die Einschränkung des Aktionärsindividualismus durch den Gemeinschaftsgedanken im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich. Er erklärte, daß durch den Strukturwandel seit dem ersten Weltkrieg die individualistisch-kapitalistische Wirtschaft wesentliche Umgestaltungen erfahren habe, die zu einem modifizierten Kapitalismus geführt hätten458 , hinsichtlich dessen es womöglich berechtigt sei, mit Sombart von dem Eintritt in eine Periode des Spätkapitalismus zu reden459 • Als Folge erkannte er eine Entindividualisierung der Wirtschaft, die Nußbaum, Pinner, Rosendorj) auf sehr fruchtbaren Boden" gefallen sei und man sich "in den führenden Kreisen der die Wirtschaft beratenden und die Publizistik in den Fachzeitschriften beherrschenden Juristen in einer, der angeblich zwangsläufig kommenden Entwicklung zum Sozialismus aufgeschlossenen Betrachtungsweise" gefallen habe. 454 Flume, in: FS f. Beitzke, 1979, S. 43, 48; ders., Die juristische Person, 1983, S. 40. 455 Enquete, Generalbericht, 1930, S. 1.; vgl. Pricke, in: ZBH 1932, S. 262, 263; DAV, Antworten I, 1929, S. 137; ders., Antworten Il, 1929, S. 12; Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1928, S. 34; Geiler (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 123 f. u. 125; ders., in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 52, 57; Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 25; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 19, meinte, daß die Aktiengesellschaft mit mehrfachem Stimmrecht einen neuen Typus der Aktiengesellschaft darstelle, der sich mehr der Personengesellschaft nähere, sich von dieser aber wiederum durch den Mangel der persönlichen Haftung unterscheide. Dagegen erkannte Frank-Fahle, Die Stimmrechtsaktie, 1923, S. I 03, daß die Aktiengesellschaft sich aus einem rein privatwirtschaftliehen zu einem halböffentlichem Unternehmen entwickelt habe, "das sich mehr und mehr mit dem Nationalwirtschaftlichen" verbunden habe. 456 S. oben S. 71 ff. 457 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1928, S. 34. 45 ~ Geiler (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119; so auch Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 80. 459 Geiler ( 1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119 u. 122. Auf die von K. W. Nörr, in: Staat und Unternehmen aus der Sicht des Rechts, hg. v. Coing u. a., 1994, S. 15, 16, behauptete Einwirkungen "der Morphologie des Spätkapitalismus"
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
sich in der Abwendung von einer freien, ungebundenen Individualwirtschaft und der Hinwendung zu einer gebundenen Wirtschaft, einer "Gruppenwirtschaft" ausdrücke460 • Was unter einer Gruppenwirtschaft zu verstehen ist, wird erkennbar an ihren Erscheinungsformen. Geiler nannte Karteliierungen und Konzernierungen461 , das Hervortreten der öffentlichen Hand als Trägerio wirtschaftlicher Unternehmungen und die gemischt- und gemeinwirtschaftliehen Organisationen462 • Auch die individualistisch-kapitalistische Aktiengesellschaft, die sich durch die Möglichkeit der unbeschränkten Interessenverfolgung der Aktionäre auszeichne, habe eine Wandlung erfahren463 • Es sei ein "Einströmen neuartiger, zum Teil akapitalistischer Wirtschaftselemente" festzustellen, wie die zunehmende Berücksichtigung "des Gedeihens der Unternehmen als solcher'' und die "Tendenz der Großunternehmungen sich selbst zu objektivieren, indem das Unternehmen als solches, seine Stabilität, sein Ansehen, seine Mission und Aufgabe innerhalb der Gesamtwirtschaft immer bedeutungsvoller werden gegenüber dem reinen Kapitalinteresse der Gesellschafter''464 • Das rein individuelle Gewinnstreben werde begrenzt durch eine zunehmende Berücksichtigung von Kollektivinteressen und des Gemeinwohls465 • Netter erklärte dazu, daß die Entwicklung des Aktienwesens getragen sei von einem "Gemeinschaftsgedanken, der die Bedeutung des Unternehmens als Rechtsträger der zusammengefaßten Interessen" verstärkt habe466 • Nicht mehr allein die ,,kapitalistische Bedeutung" des Eigentums allein entscheide, sondern die Verpflichtung, mit diesem dem gemeinen Besten zu dienen, "d. h. hier die volkswirtschaftliche Produktivität des Unternehmens im Interesse der Allgemeinheit und aller in dem Unternehmen wirkenden Kräfte zu steigern." 467 Darim Sinne Sombarts auf die Lehre vom Unternehmen an sich kann im Rahmen der Arbeit nicht eingegangen werden. Wichtig ist jedoch, daß die FeststelJung einer Entwicklung in diesem Sinne weit verbreitet war und auch unter Juristen einigen Anklang fand (so auch K. W. Nörr, in: Staat und Unternehmen aus der Sicht des Rechts, hg. v. Coing u. a., 1994, s. 15, 16). 460 Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 3. 461 Geiler (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119 f. 462 Geiler (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 121. Eine im wesentlichen wiederholende DarstelJung dieser Strukturwandlungen findet sich auch in: Geiler ( 1931 ), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I, 20 tT, 24, 24 tT., 27 ff., 28. 463 Geiler (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. I 19, 123 f. 464 Geiler (I 929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, I 933, S. I I 9 f. 465 Geiler, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 52, 53. 46~ Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, I 928, S. 49. 467 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, I 928, S. 49 f.
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen
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aus ergab sich, entsprechend der Lehre vom Unternehmen an sich, daß "das Unternehmen als solches, seine Objektivierung und Versachlichung zu einem den Aktionärsindividualismus einschränkenden Moment geworden" war468 . Ganz ähnlich dieser Erklärung wurde in der Literatur überwiegend die Einschränkung des Aktionärsindividualismus durch den Gemeinschaftsgedanken vertreten. Wertheimer (Justizrat und Rechtsanwalt, Frankfurt a. M.) meinte, daß "das sorgsame Beachten des Aus- und Rückwirkens gesetzlicher Bestimmungen in gemeinwirtschaftlicher Hinsicht [...] in Deutschland in immer ausgedehnterem Maße zum leitenden, tragenden Gedanken" geworden sei. Die Interessen der Allgemeinheit beanspruchten schon vielfach vorrangige Beachtung vor denjenigen der Individuen469 . Der "Gemeinschaftsgedanke" habe sich auch auf dem Gebiet des Aktienrechts ausgewirkt, insofern der Grundgedanke des kodifizierten Aktienrechts von der Maßgeblichkeil des Interesses des Aktionärs in Hintergrund getreten sei. In der Praxis habe sich durchgesetzt, daß dem Interesse des Aktionärs das Interesse des Unternehmens überwiege470. Daraus ergab sich für den Geschäftsinhaber der Disconto-Gesellschaft (Berlin) Solmssen, daß Ergebnis der ,,kriegerischen, politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen" hinsichtlich der Aktiengesellschaft gewesen sei, ihr "ein Eigendasein zu verleihen"471. Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis gelangte auch der Deutsche Anwaltverein in seinen Antworten zu den Fragebogen des Reichsjustizministeriums472• Für ihn hatten die "wirtschaftlichen Wandlungen" zu "einer gewissen Abschwächung des rein individuellen Charakters" der Aktiengesellschaft, zu einer "Entindividualisierung" gefiihrt473 , was auch darauf zurückgefiihrt werden könne, daß die Aktiengesellschaft zu einem "Hauptmittel fiir die Organisation unserer heutigen Verbands- und Gruppenwirtschaften geworden" sei474 • Die Entindividualisierung zeige sich daran, daß innerhalb der Aktiengesellschaft Individualinteressen der Aktionäre nicht mehr in früherem Maße durchgesetzt werden könnten. Das Unternehmen sei als solches "in seiner Objektivierung und Versachlichung und durch den Schutz dieser sozialen Funktion des Unternehmens zu einem den Aktionärsindividualismus einschränkenden Moment geworden", auch wenn es sich dabei lediglich um ein Zurückdrängen des Individuellen zu Geiler ( 1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 124. Wertheimer, Entwicklungstendenzen, 1928, S. 33. 470 Wertheimer, Entwicklungstendenzen, 1928, S. 34 f. 471 Solmssen, in: Ring I Schachian (Hg.), Praxis der Aktiengesellschaft (1929), s. 679,680. 472 Zu den Fragebogen des Reichsjustizministeriums zur Vorbereitung der Reform des Aktienrechts s. ausführlich unten unter S. 229 ff. 473 DAV, Antworten II, 1929, S. 13 f. 474 DAV, Antworten II, 1929, S. 14. 46R 469
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Gunstendes Überindividuellen und nicht um dessen Ersetzung handele475• Dieser Gedanke findet Anklang auch in den »Erläuternden Bemerkungen« zum Entwurf eines Aktiengesetzes von 1930, wonach es der feststellbaren ,,Ablösung rein individualistischer Auffassung" in Bezug auf die Aktiengesellschaft im Gesetzesentwurf Rechnung zu tragen gegolten habe476 • Eben darauf spielte auch die Formulierung im »Generalbericht« des Enquete-Ausschusses an, wonach ein "Hervortreten des Allgemeininteresses gegenüber dem individuellen Gewinnstreben" festzustellen sei477 • Allgemeiner noch meinte A. Hueck (Professor, Jena), daß der Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft einen Übergang "von einem rein individualistisch gestalteten Wirtschaftssystems zu einer kollektiv stärker gebundenen Wirtschaft" bewirkt habe478 • 2. Entdemokratisierung der Aktiengesellschaft
Der Einschränkung der Rechte der Aktionäre durch den Gemeinschaftsgedanken wurde die Feststellung der Entdemokratisierung der Aktiengesellschaft und die Forderung nach einer Wiederherstellung der Aktiendemokratie als Erklärung der Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft entgegengehalten. Sie gingen aus von der Idee der Gleichheit der Aktionäre und der Beherrschung der Aktiengesellschaft durch die Aktionäre allein nach ihrer Kapitalbeteiligung. Diese Vorstellung war ursprünglich über den Code de Commerce von 1807 und die Anlehnung der Gesetzgebung in den deutschen Ländern an ihn in das deutsche Aktienrecht gelangt479 • Dementsprechend wurde die Entwicklung des Aktienrechts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Zeitgenossen zumeist als eine Demokratisierung der Aktiengesellschaft insofern interpretiert, als "wenigstens juristisch der Schwerpunkt des Unternehmens in der Generalversammlung der Aktionäre liegt und auf möglichst unverkürztes antheiliges Verwaltungsrecht, insbesondere aber Kontrollrecht jedes Theilhabers gehalten wird'"'80• Die Verfassung der Aktiengesellschaft wurde mit der des Staates in einer Korrelation gesehen, wodurch die Generalversammlung der Aktiengesellschaft zum Pendant des Parlaments wurde, in der
DAV, Antworten II, 1929, S. 14. In: Entwurf AktG 1930, 1930, S. 93, 94. 477 Enquete, Generalbericht, 1930, S. I. 47R A. Hueck, in: FG f. RG, 4. Bd., 1929, S. 167. 479 Müller-Erzbach, Kerngesellschaft, 1929, S. 18; F. Lehmann, Rechtsformen und Wirtschaftstypen der privaten Unternehmungen, 1925, S. 68; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 9 f.; Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 46 f. 4K0 L. Goldschmidt, in: ZHR 30 (1885), S. 69, 72. 475
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eine ,,Demokratie des Kapitals" herrschen müsse481 . Dies traf jedoch schon an der Jahrhundertwende aufBedenken482 • Die Idee der Demokratie des Kapitals war maßgebend bei denjenigen Autoren, die sich gegen die Lehre vom Unternehmen an sich und gegen die Anerkennung der Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft in Form der Machtverschiebung in der Aktiengesellschaft zu Gunsten der Verwaltung und einzelner Gruppen von Aktionären aussprachen483, weil dies die Aktionäre als Eigentümer der Aktiengesellschaft entrechten würde. Die von ihnen geforderte Wiederherstellung der Aktiendemokratie484 war jedoch nicht im Sinne eines absoluten Egalitarismus gemeint, sondern so zu verstehen, wie dies Naphtali 1926 ausgeführt hatte. Danach wurde ,,nicht etwa für eine wirklich demokratische Form der Unternehmungen" gefochten, die das "gleiche Mitbestimmungsrecht aller in den Unternehmungen Arbeitenden wäre, oder bei denen auch nur die an den Unternehmungen mit Kapital beteiligten Menschen mit je einer Stimme pro Kopf über das Schicksal entscheiden sollten, wie es etwa bei den Genossenschaften, die stets Personengesellschaften sind, der Fall ist, sondern sie verstehen unter Demokratie die Anerkennung des gleichen Rechts für je 1000 Mk. Kapitalanteil. Daß der Besitzer von 100.000 Mk. Aktien hundertmal soviel Einfluß haben soll wie der Besitzer von 1.000 Mk. Aktien gehört zu den selbstverständlichen Voraussetzungen der Verfechter der sogenannten Aktiendemokratie'"'85. In der tatsächlichen und rechtlichen Entwicklung der Aktiengesellschaft lag der von den Vertretern der Aktiendemokratie erkannte Verstoß gegen das demokratische Prinzip im Aktienrecht Es habe sich eine Verwaltungsoligarchie oder ein Verwaltungsabsolutismus entwickelt486, für den die Aushöhlung der 4R1 C. E. Fischer, in: AcP 154 (1955), S. 85, 90; vgl. Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961, S. 77 ff. m. w. Nachw. 4R2 Sombart, Der moderne Kapitalismus, 3. Bd., 2. Hlbd. (1902), 1955, S. 735, formulierte: "Die Aktiengesellschaft ist das Spiegelbild der modernen Demokratie; in der Fiktion herrscht das Volk (die Aktionäre), in Wirklichkeit ein kleiner Klüngel von Machthabern, der in der Aktiengesellschaft verschieden zusammengesetzt ist." Klein, Die neueren Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, 1904, S. 64, meinte, daß es nicht fOrderlich sei, der Aktiengesellschaft eine demokratische Verfassung nachzurühmen. 4R3 Schubert, in: Schubert/ Hommelhoff(Hg.), Aktienrechtsreform, 1987, S. 9, 26. 4R4 P. Gieseke, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Bd. 2, 1931, S. 744. 4Rs Naphtali, in: Beilage zum Vorwärts vom 22. September 1926; zitiert nach Schubert, in: Schubert I Hommelhoff(Hg.), Aktienrechtsreform, I 987, S. 9, 26. 4R6 Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, I 930, S. 2; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 66; Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, 1932, s. 10. 10 Laux
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Rechte der Stammaktionäre charakteristisch sei487 • Insbesondere die Stirnrnrechtsaktie habe dazu gedient, die ,,kapitalistische Mehrheit zugunsten einer Minderheit" auszuschalten, was zur Errichtung einer ,,Diktatur im Aktienrecht" geführt habe488 • Diese Ausführungen fmden ihre Entsprechung in der Kritik der Lehre vom Unternehmen an sich, nach der diese eine Lösung der Aktiengesellschaft von den Aktionären bedeute, die diesen ihr Recht an der Aktiengesellschaft und ihre Macht über sie nehme489 • Stellvertretend für diese Richtung sind die Ausführungen Nußbaums, da sie einerseits am ausführlichsten ausgearbeitet sind und er andererseits in der Anschauung der damaligen Zeit als der Anführer der Anhänger der Aktiendemokratie galt490• Nußbaum hob insbesondere die Wirkung der Strukturwandlungen als Lösung der Verwaltung der Aktiengesellschaft von der Generalversammlung hervor. Er sah in der Einbürgerung der Stimmrechtsaktien ein folgenschweres Ereignis, das zu einer Botkoppelung der Verwaltung von den Aktionären geführt habe491 • Als Folge für das Aktienrecht erkannte er das Entstehen eines Widerspruchs zwischen der Vorstellung der Aktiengesellschaft des Gesetzes, in der die Verwaltung ein von der Generalversammlung abhängiges Organ sei, und der Wirklichkeit, in der die Verwaltung weitgehend von den Aktionären unabhängig geworden sei. Er erklärte, daß durch die Stimmrechtsaktie und die ungenügende Rechenschaftspflicht der Verwaltung gegenüber den Aktionären ein Zustand herbeigeführt worden sei, bei dem, "wenn man nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes, sondern nach den tatsächlichen Verhältnissen urteilt, eine materielle und formelle Verantwortungslosigkeit der Verwaltung" bestehe492 • Auf die Unvereinbarkeit der Stimmrechtsaktie mit dem Grundgedanken des Aktienrechts, daß sich das Stimmrecht nach der Kapitalbeteiligung richten solle, wurde von den Gegnern der Stimmrechtsaktie immer wieder hingewiesen. Durch die Stimmrechtsaktie habe sich der Charakter der Aktiengesellschaft vollständig verändert, indem wenige die Herrschaft über sie ohne eine entsprechende Kapitalbeteiligung ausübten und diejenigen, die die Mehrheit des Kapi-
4R7 Eine entsprechende Beurteilung der Strukturwandlungen der Wirtschaft und der Aktiengesellschaft in der Weimarer Republik geben in neuerer Zeit K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 110 u. C. E. Fischer, in: AcP 154 (1955), S. 85, 94 u. 100 4RK Hachenburg in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, EinI. ( 1932) Anm. I 02. 4" 9 S. oben S. I 00 f. 490 Vgl. Brodmann, in: ZHR 94 (1929), S. 31, 44. 491 Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. I ff. 492 Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 3. 0
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen
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tals stellten, ohne entscheidenden Einfluß seien493 . Mit den Stimmrechtsaktien sei bewußt die Herrschaft über das Unternehmen von der Kapitalbeteiligung getrennt worden494. In diesem Sinne wurde von einer ,,Ausschaltung des Einzelaktionärs aus der Mitverwaltung"495 und von einer "Entrechtung der Aktionäre" gesprochen496 . Noch weiter ging Nord (Rechtsanwalt, Hamburg), der von einer entschädigungslosen Enteignung sprach497 . Dem wurde entgegengehalten, daß die Aktiendemokratie auch in der Vergangenheit lediglich als Idee bestanden habe und sich eine politische Idee nicht auf ein Rechtsgebilde wie die Aktiengesellschaft übertragen lasse498 . Die Aktiengesellschaft sei seit ihrer erstmaligen Konstituierung im 17. Jahrhundert eine aristokratische Organisation gewesen, der jedoch durch den Code de Commerce und der durch ihn beeinflußten Gesetzgebung ein "demokratisches Gepräge" gegeben worden sei, was die irrige Vorstellung von einer "absoluten Gleichheit" der Aktionäre hervorgerufen habe499. Die "Idee der Demokratie des Kapitals" in der Aktiengesellschaft, wie sie der Code de Commerce formuliert und die Novelle von 1884 ausgebaut habe, sei überwunden und nur noch "im JuristischFormalen erhalten geblieben" und widerspreche nunmehr den "wirklichen Zuständen"500. Wie überall, so hätten auch in der Aktiengesellschaft immer nur wenige geherrscht, und dies werde sich auch nicht ändem. 501 Die Aktiengesellschaft werde ,,monarchisch oder wenigstens oligarchisch regiert''502. Die Tatsache der Konzentration in Form von Konzemierungen habe dazu geführt, daß die "von fremden Unternehmen verstrickte und in sie verflochtene Gesellschaft" zu einem "allgemeinen Typ" geworden sei, was zu einer weitgehenden Einflußlosigkeit des Kleinaktionärs geführt habe. "So ist der Glaube heute mehr als je zu einer Illusion geworden, das Recht habe jedem Aktionär die Mittel gegeben, um selbst in seiner Gesellschaft nach dem Rechten zu sehen und so sich selbst zu helfen."503 493 A. Hueck, Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, 1922, S. 13; so auch Buchwald, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 89, 106. 494 A. Hueck, Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, 1922, S. 9. 495 Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, 1932, S. II, II ff., 15 ff., 26 ff. 496 Weiter, Erneuerung des Aktienrechts, 1929, S. 7. 497 Nord, in: ZBH 1932, S. 265. 49R Netter, in: ZBH 1931, I, 37, 59 (59). 499 Müller-Erzbach, Kemgesellschaft, 1929, S. 18. 500 Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 46 f.; so auch F. Lehmann, Rechtsformen und Wirtschaftstypen der privaten Unternehmung, 1925, S. 68. 501 Frank-Fahle, Die Stimmrechtsaktie, 1923, S. 97. 502 Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 9. 503 Müller-Erzbach, Kemgesellschaft, 1929, S. 3.
148
2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Weitreichender war jedoch der Einwand, daß das, was die Vertreter der Aktiendemokratie als Entrechtung der Aktionäre bezeichneten, Entsprechung und Folge der tatsächlich bestehenden Interessen in der Aktiengesellschaft als Folge der Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft sei. Ausgangspunkt dafür war die Scheidung der Aktionäre entsprechend ihrem Interesse an der Aktiengesellschaft und dem Unternehmen. Während die meisten Aktionäre alleine an einer Wertsteigerung ihrer Aktien und möglichst hohen Dividenden interessiert seien, interessierten sich andere an der Gesellschaft und ihrer wirtschaftlichen Entwicklung darüber hinaus. Regelmäßig wurde in Unternehmeraktionäre, die ein Interesse an dem Unternehmen hätten, und Spekulationsaktionäre oder Gelegenheitsaktionäre, die alleine an einer Kurssteigerung ihrer Aktien interessiert seien, unterschieden504, was dem Kriterium der Einteilung der Aktionäre durch Rathenau und der in der Lehre vom Unternehmen an sich während der Weimarer Republik entspricht. Das fehlende Interesse des Kleinoder Gelegenheitsaktionärs an der Aktiengesellschaft und dem Unternehmen habe dazu geführt, daß sich seine Stellung der eines Obligationärs oder bloßen Kapitalisten angenähert habe505 • Darin bestehe der "innere Grund" für die Durchbrechung des Grundsatzes der Adäquitäf06 zu Gunsten einer Stärkung der Macht der Verwaltung. Diejenigen Aktionäre, die ein Interesse an der Aktiengesellschaft selbst hätten, strebten nach einer Beteiligung an der Verwaltung, während diejenigen Aktionäre, die lediglich eine rentable Form der Kapitalanlage suchten, dieses Interesse nicht hätten507 • Stimmrechtsaktien seien auf Grund dessen als Instrumente zur Durchsetzung der Interessen des Unternehmens und 504 Drescher, Interessen des Einze1aktionärs, 1932, S. 4 f.; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 66 ff.; Enquete, Generalbericht, 1930, S. 18 f.; Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 6 ff. Zur Unterscheidung der Aktionäre nach ihrem Interesse an der Aktiengesellschaft und ihrem Unternehmen durch Rathenau oben S. 41 f.; durch Haußmann oben S. 79 f. Der Gegensatz der Aktionärstypen und ihrer Interessen wurde auch ausgedrückt mit der Gegenüberstellung von "Kapital und Persönlichkeit" oder der Feststellung der Nichtindentität von Aktionär und Unternehmer (Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 4 f.; Schreiber, in: ZBH 1926, S. 267 f.; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 98). 505 Enquete, Generalbericht, 1930, S. 87; Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 9; Geiler, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 52, 68; Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1928, S. 49; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 98. 506 Zur Durchbrechung des Grundsatzes der Adäquität durch die Stimmrechtsaktie s. oben S. 131 ff. 507 Enquete, Generalbericht, 1930, S. 13. Dies liegt auch als Idee der Konzeption Müller-Erzbachs von einer Kerngesellschaft verantwortlicher Großaktionäre zu Grunde (ders., Kerngesellschaft, 1929 passim), wonach die Kleinaktionäre von der Verwaltung und Mitsprache in den Dingen der unternehmerischen Führung der Aktiengesellschaft ausgeschlossen sein sollten, weil ihr Interesse ein rein vermögensmäßiges sei, daß sich von dem unternehmerischen der Großaktionäre grundsätzlich unterscheide.
C. Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklungen
149
der Aktiengesellschaft und der dazu erforderlichen Stabilisierung der Verwaltung gerechtfertigf08 • Als Bestätigung dieser Einschätzung diente die mangelnde Beteiligung der Aktionäre an den Generalversammlungen. Allgemein wurde angenommen, daß eine Vertretung des Aktienkapitals in der Generalversammlung von ca. 30% die Regel sei509 • Nach den Befragungen des Enquete-Ausschusses fehlten die Kleinaktionäre regelmäßig in den Generalversammlungen510, was auf das fehlende Interesse der Aktionäre an der Aktiengesellschaft zurückgeführt wurde511 • Ein Interesse entstehe erst in dem Moment, wenn die Lage der Aktiengesellschaft sich ungewöhnlich verbessere oder verschlechtere512 • Auch sei der durchschnittliche Aktionär nicht in der Lage, die Bedeutung der in der Generalversammlung abgehandelten Probleme zu erkennen, und deswegen auch nicht fähig, Entscheidungen zu treffen513 • Dem wurde von den Vertretern der Aktiendemokratie entgegengehalten, daß durch die in Folge des Strukturwandels von Wirtschaft und Aktiengesellschaft eingetretenen Entdemokratisierung der Aktiengesellschaft und der Entrechtung der Aktionäre der Besuch der Generalversammlung durch die Aktionäre bedeutungslos geworden sei514 • Grundsätzlich seien die Aktionäre in der Lage, die in der Generalversammlung zu·entscheidenden Fragen angemessen zu beurteilen515 • Die mangelnde Beteiligung der Kleinaktionäre an den Generalversammlungen konnte jedoch nicht mit dem Aufkommen und der Wirkung der Stimmrechtsaktien zutreffend erklärt werden, da das Phänomen der geringen Präsens der Aktionäre in den GeneralversammGeiler, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 52, 68 f. Netter, in: ZBH 1931, I, 37, 59 (60); Wülfing, Stimmrechtsaktie und ihre Reform, 1931, S. II Fn. 7; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 6 Fn. I; H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 3. 510 In: Enquete, Verhandlungen und berichte, 1928: Schlitter, S. 204, 208; Geiler, S. 75; J. Flechtheim, S. 207 f.; A. Pinner, S. 209; Wolff, S. 212; v. Siemens, S. 215. 511 Enquete, Generalbericht, 1930, S. 21 f. 512 So durchgängig in den Antworten der Sachverständigen, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, Hagen, S. 20 I f., Schlitter, S. 204 f., J. Flechtheim, S. 207 f., A. Pinner, S. 209 f., Clemm, S. 214; Raschig, S. 214 f. Dies wurde allgemein unter der "Indolenz der Aktionäre" verstanden, deren Beklagen seit der Jahrhundertwende weit verbreitet war: Klein, Dieneueren Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, 1904, S. 55; Passow, Aktiengesellschaft, 2 1922, S. 342; Solmssen, Probleme des Aktienrechts, 2 1928, S. 69, 79; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 66; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 70; vgl. auch C. E. Fischer, in: AcP 154 ( 1955), S. 85, 94 ff. 513 Solmssen, Probleme des Aktienrechts, 2 1928, S. 69 f. 514 Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 7 u. 2; Weiter, Erneuerung des Aktienrechts, 1929, S. 28 f.; v. Neii-Breuning, Aktienreform und Moral, 1930, S. 15 f. 515 Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 7. 50~
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150
2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Iungen schon an der Jahrhundertwende, also vor dem Aufkommen der Stimmrechtsaktien, bekannt war. Schon 1901 wurde bemerkt, daß die Aktionäre "außer in besonderen Fällen" nicht in den Generalversammlungen erscheinen würden. So lange die Geschäfte gut gingen, seien die Generalversammlungen "schlecht besuchte Komödien, die von den Leitern der Form wegen rasch abgespielt" würden516 • Daraus wurde die Stärkung "des wahrhaft verantwortlichen Unternehmers"517 gefolgerf 18 • Das Streben nach Beherrschung der Aktiengesellschaft durch die Verwaltung sei gerechtfertigt, weil die Stammaktionäre lediglich "das tote Kapital" verkörperten, "dem erst durch die Leistung anderer Leben und Bewegung eingehaucht" werden müsse519• Die Aktiengesellschaft und das Unternehmen könnten nur dann "blühen und gedeihen", wenn sie von wenigen starken Persönlichkeiten geleitet würden, woraus sich das Erfordernis der Abschwächung der demokratischen Verfassung der Aktiengesellschaft ergebe520. Deswegen habe schließlich habe auch der Gelegenheitsaktionär ein Interesse an einer stabilen Verwaltung521 •
D. Zwischenergebnis Entgegen der heute allgemein geteilten Ansicht ist die Lehre vom Unternehmen an sich nicht indifferent und mehrdeutig bis zur Inhaltslosigkeif22 • Allerdings gelang ihre Explikation in der Weimarer Republik nicht in allen Punkten restlos, insbesondere das Unternehmensinteresse konnte nicht zweifelsfrei erklärt werden. Netter, der Hauptprotagonist der Lehre vom Unternehmen an sich in der Weimarer Republik, konzedierte denn auch 1932, daß sie "dogmatisch und methodisch" noch wenig geklärt sei523 •
516 Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, I. Teil, 4-61901, S. 443; zur Beteiligung an den Generalversammlungen an der Jahrhundertwende s. Passow, Aktiengesellschaft, 2 1922, S. 479 ff., mit statistischen Angaben über den Besuch von Generalversammlungen großer Banken. 517 Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. I 03. m Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 101 f. 519 Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 46. 520 Harmening, in: Ring I Schachian (Hg.}, Praxis der Aktiengesellschaft (1929}, s. 357, 362 f. 521 Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 98. 522 S. oben S. I m. w. Nachw. 523 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 540.
D. Zwischenergebnis
151
Die Ratbenansehe Lehre vom Unternehmen an sich basiert auf der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft. Damit umschrieb Ratbenau die Entwicklung der Aktiengesellschaft vom Familien- und Sozienunternehmen zur Publikumsgesellschaft und Großunternehmen. Vor allem die Entwicklung zum Großunternehmen führte nach ihm dazu, daß die Aktiengesellschaften besonders bedeutsam für die volkswirtschaftliche, gesellschaftliche und staatliche Entwicklung wurden. Daraus ergab sich für ihn die Anhindung der Aktiengesellschaften an die Interessen des Staates und der Gesellschaft, die er auch philosophisch begründete. Sie bildet das Leitmotiv seiner Lehre vom Unternehmen an sich. Kennzeichnend für sie ist darüberhinaus die Annahme einer Konvergenz der berechtigten Interessen an und in der Aktiengesellschaft als Folge der Substitution des Grundes. Die konvergierenden Interessen sollen für die Verfolgung von Interessen in der Aktiengesellschaft ausschlaggebend sein. Ihnen abträgliche Interessen sollen zurückzustehen haben. Die konvergierenden Interessen werden wiederum maßgeblich bestimmt durch die Interessen des Staates und der Gesellschaft an der Aktiengesellschaft. Der Konvergenz der berechtigten Interessen verdankt die Ratbenansehe Lehre ihre Geschlossenheit. Nur durch sie ist die Ablehnung einer unbeschränkten und eigennützigen Interessenverfolgung durch die Aktionäre bei gleichzeitiger Anerkennung eigener Interessen der Aktiengesellschaft und deren Anhindung an das gemeine Wohl widerspruchsfrei. Entgegen der Kritik an ihr führt sie nicht zu einer Verselbständigung der Aktiengesellschaft von den Aktionären, sondern bezweckt im Gegenteil eine engere Bindung von Aktionären und Aktiengesellschaft aneinande~24 • Dies verhindert die Transzendierung der Aktiengesellschaft zu einer metaphysischen Wesenheit, da eine unbedingte und unvermittelte Erkenntnis des Wesens der Aktiengesellschaft im Sinne des Ding an sich nicht möglich ist525 • In der Nachfolge Ratbenaus wurde in der Weimarer Republik versucht, in der Lehre vom Unternehmen an sich das Verhältnis von Aktionär, Unternehmen und Aktiengesellschaft so zu begreifen, wie es sich durch die wirtschaftlichen Veränderungen ergeben hatte. Ziel war es, mit der Lehre vom Unternehmen an sich die lebende Aktiengesellschaft zu erfassen. Der Begriff der Aktiengesellschaft oder: das Wesen der Aktiengesellschaff26 wurde neu erklärf27 • Die Lehre S. oben S. I 00 f. Zur Assoziation des Ding an sich s. auch S. I 03, 151, 189. 526 Dorpalen, in: ZHR 102 (1936), S. I. 527 P. Gieseke, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Bd. 2, 1931, S. 744, 749, erklärte, daß in der Diskussion um die Lehre vom Unternehmen an sich der Streit um den Begriff 524 525
152
2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
vom Unternehmen an sich und die Diskussion um sie gingen dadurch weit über die Thematisierung allein eines Unternehmensinteresses hinaus528 • Ausgeklammert blieben jedoch die Bezüge auf das "Wesen der juristischen Person"529• Das läßt sich damit erklären, daß das für die Lehre vom Unternehmen an sich in der Weimarer Republik charakteristische Unternehmen nicht als juristische Person konzipiert wurde, sondern als ein soziales Gebilde, das neben die juristische Person Aktiengesellschaft tritt530• Als solches kann es auch nicht als eine Art "soziologisches Naturrecht der juristischen Person"531 angesehen werden. Grundlage auch für die Lehre vom Unternehmen an sich während der Weimarer Republik waren die Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die für die Aktiengesellschaft als Substitution ihres Grundes erkannt wurden. Die Feststellungen im Rahmen der Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft wurden während der Weimarer Republik unter der Bezeichnung Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft diskutiert. Der Streit um ihre Erklärung wurde dadurch auch zu einem um die Lehre vom Unternehmen an sich. Einerseits wurde eine Verobjektivierung der Aktiengesellschaft festgestellt, die Ausdruck einer Einschränkung des Aktionärsindividualismus durch den Gemeinschaftsgedanken gewesen sei. Sie basiere auf der Anerkennung der gesteigerten Bedeutung von Aktiengesellschaften und Unternehmen für den Staat und die Gesellschaft532 • Als Folge davon wurden der Aktiengesellschaft eigene, von denen der Aktionäre unabhängige Interessen zugesprochen, was der Lehre vom Unternehmen an sich entsprach. Andererseits dienten die Strukturwandlungen als Beleg für die Behauptung einer Entdemokratisierung der Aktiengesellschaft und waren Bestandteil der Begründung der Forderung nach der Wiederherstellung der Aktiendemokratie durch eine Reform des Aktienrechts533 •
der Aktiengesellschaft seinen Ausdruck gefunden habe. Nach K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 107, ist die Lehre vom Unternehmen an sich der "charakteristische Beitrag der Weimarer Zeit zum Unternehmensbegritl". m Unzutreffend daher Brinkmann, Unternehmensinteresse, 1983, S. 17 f. 529 A. A. R. Goldschmidt, Grundfragen des neuen schweizerischen Aktienrechts, 1937, s. 10. 530 Siehe dazu S. I 00 ff. 531 Vgl. Teubner, in: KritV 1987, S. 61, 71. 532 Vgl. K. W. Nörr, in: Staat und Unternehmen aus der Sicht des Rechts, hg. v. Coing u. a., 1994, S. 15, 20 f., wonach die Objektivierung des Unternehmens an die Indienststellung der Unternehmen für die Interessen des Staates und der Gesellschaft anknüpfte. 533 K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 108, greift deswegen zu kurz, wenn er meint, daß die Mißstände im Gefolge der Konzentrationsbewegung der "un-
D. Zwischenergebnis
153
Von den Sbukturwandlungen und ihren Auswirkungen auf die Aktiengesellschaft leiten sich nach der Lehre vom Unternehmen an sich die Folgerungen fiir das Recht der Aktiengesellschaft ab534. Dabei spielt das Verständnis von Recht seitens der Vertreter der Lehre vom Unternehmen an sich eine besondere Rolle. Mit Ausnahme von Rathenau gingen sie davon aus, daß das Sein der Aktiengesellschaften das Recht beeinflusse oder unmittelbar rechtsgestaltend sei. Leitbild dafiir war die Geilersehe wirtschaftsrechtliche Methode im Gesellschaftsrecht Danach leitet sich das Recht der Aktiengesellschaft nicht lediglich vom Gesetz ab. Vielmehr fmde eine Entwicklung des Rechts entsprechend den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen statt, die es von den Rechtsanwendern zu erkennen gelte, um das geltende Recht der Aktiengesellschaft feststellen zu können535 . Die Lehre vom Unternehmen an sich fiihrte deswegen nicht in erster Linie zur Forderung nach einer Reform des Aktienrechts. Zunächst galt es, das tatsächlich bestehende und sich im Einklang mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung befmdliche "lebende" Aktienrecht zu ermitteln536. Der Kern der Lehre vom Unternehmen an sich während der Weimarer Republik besteht darin, daß das Unternehmen, entsprechend seiner Bedeutung fiir den Staat und die Gesellschaft, nicht mehr bloßes Objekt der Eigentumsrechte der Aktionäre ist, die durch die Aktiengesellschaft an das Unternehmen vermittelt werden, sondern ihm eine "soziologische" Eigenbedeutung zukommt. Das Unternehmen wird nach Netter getragen von einer Unternehmensgemeinschaft, die aus den Aktionären und der Verwaltung der Aktiengesellschaft besteht. Seine juristische Relevanz erhält es durch die Anerkennung eines eigenständigen Unternehmensinteresses. Dies hat nach Netter Vorrang vor den Partikularinteressen der Aktionäre. Es bilde eine Schranke fiir die Rechtsverfolgung der Aktionäre und wirke ausgleichend und begrenzend auf die widerstreitenden Interessen in der Aktiengesellschaft. Unklar blieb jedoch die Abgrenzung des Interesses des Unternehmens von denen der Aktionäre. Es wurde nicht ausreichend deutlich, wie das Interesse des Unternehmens zu defmieren ist, wenn lediglich diejenigen Interessen der Aktionäre einfließen sollen, die dem Unternehmen und seinem Interesse nicht abträglich sind537•
mittelbare Anlaß" für den Ruf nach der Reform des Rechts der Aktiengesellschaft waren. 534 Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 80; s. oben S. 114 ff. 535 Ausführlich dazu s. oben S. 116 ff.; zum Rathenauschen gesetzespositivistischen Verständnis von Rechts. oben S. 117 f. 536 Landsberger, in: ZBH 1932, S. 79, 80. 537 S. dazu ausführlich oben S. I00 ff.
154
2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Weder die Rathenausche Lehre vom Unternehmen an sich noch ihre Entwicklung in der Weimarer Republik führen zu einer Entkoppelung der Aktiengesellschaft oder der Verwaltung von den Aktionären, wie dies ihre Kritiker einmütig behaupten538 • Die Bedeutung der Verwaltung und ihr Recht in der Aktiengesellschaft bestimmen sich nach der Lehre vom Unternehmen an sich durch ihre Funktion zur Wahrnehmung der Interessen des Unternehmens bzw. der konvergierenden lnteressen539• Dies bedeutet einerseits, daß nicht mehr allein das Interesse der Aktionäre in ihrer Mehrheit für die Aktiengesellschaft maßgebend ist. Andererseits führt die Bindung der Verwaltung an das Unternehmensinteresse oder an die konvergierenden Interessen zu einer stärkeren Bindung sowohl der Verwaltung als auch der Aktiengesellschaft an die Aktionäre. Allerdings bedeutet sie auch eine stärkere Bindung der Aktionäre an die Aktiengesellschaft und das Unternehmen540• Daraus folgt jedoch kein interessenmonistisches Bild der Aktiengesellschaff41 • Denn die Funktion des Unternehmensinteresses, begrenzend auf die Rechte und Interessen der Aktionäre in der Aktiengesellschaft zu wirken, setzt notwendigerweise einen Interessenpluralismus voraus, bei dem die Interessen der Aktionäre nur dann eingeschränkt sind, wenn sie dem Unternehmensinteresse entgegenstehen. Dies gilt auch fiir die Konzeption der konvergierenden Interessen bei Rathenau. Auch hier bleibt Raum fiir eine Verfolgung von Interessen, die den konvergierenden Interessen nicht entgegenstehen. Ebenso ist die Kritik unbegründet, die der Lehre vom Unternehmen an sich zum Vorwurf macht, daß sie aktienrechtliche Probleme mit Idealen eines ,,neuen Gemeinschaftsgedanken" versehe542 oder daß sie Ausdruck einer ,,marxistisch-sozialistischen Volkswirtschaftstheorie" sei543 • Es konnte gezeigt werden, daß für die Vertreter der Lehre vom Unternehmen an sich, insbesondere auch fiir Rathenau, die von ihnen in der Lehre vom Unternehmen an sich beschriebene Aktiengesellschaft Bestandteil eines liberal-kapitalistischen Systems war und bleiben sollte. Allerdings nahmen sie mit der Anhindung der Aktiengesellschaft
m Für alle Schilling, in: FS f. Gessler, 1971, S. 159, 161, nach dem von Rathenau bis Netter eine gleichförmige Bewegung reiche, in der es um die Begründung der Herrschaft des Vorstandes in der Aktiengesellschaft gegangen sei. 539 Für die Rathenausche Formulierung der Lehre vom Unternehmen an sich s. oben S. 71 ff.; für ihre Formulierung während der Weimarer Republik s. oben S. 100 ff. 540 S. oben für Rathenau S. 71 ff. u. in Bezug auf die Konzeption des Unternehmens bei Netter S. I 00 ff. 541 So aber Schilling, in: FS f. Gessler, 1971, S. 159, 161 ff. 542 Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, 1932, S. 49. 543 Zahn, Wirtschaftsfiihrertum, 1934, S. 39; so auch C. E. Fischer, in: AcP 154 ( 1955), S. 85, I 05, mit Verweis auf Zahn.
D. Zwischenergebnis
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an die Interessen des Staates und der Gesellschaft den Gemeinschaftsgedanken auf, der allgemein für die Entwicklung der Wirtschaft, der Gesellschaft und des Rechts anerkannt wurde544 • Die Umsetzung diese Gedankens in der Lehre vom Unternehmen an sich durch die Anhindung der Aktiengesellschaft an die Interessen des Staates und der Gesellschaft und den Vorrang der Interessen von Aktiengesellschaft und Unternehmen vor den Individualinteressen der Aktionäre entsprach ganz der Forderung, daß sich die ,,Aufgabe der AG" "aus dem Wesen des Kapitalismus" ergeben müsse545 • Denn das "Wesen" des Kapitalismus meint nicht ein statisches, ein für alle Mal festliegendes, sondern dasjenige, des Kapitalismus in seiner jeweils bestehenden Form. Unter dieser Prämisse ist die Einschätzung Mestmäckers zutreffend, daß der Strukturwandel mit der Lehre vom Unternehmen an sich als eine zwangsläufige Entwicklung zum "spätkapitalistischen Großunternehmen" erklärt wurde, bei der "der Weg [ ...] von der aktiven Anteilnahme des Aktionärs an der Führung des Unternehmens, von der funktionstüchtigen Aktiendemokratie zum verselbständigten Unternehmen" führf46 • Für die Lehre vom Unternehmen an sich bedeutet dies, daß sie nur dadurch abgetan werden konnte, daß man den Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft als ein vorübergehendes, ephemeres Ereignis betrachtete, dem durch partielle Änderungen des Aktienrechts begegnet werden konnte. Sobald er jedoch als grundlegende strukturelle Änderungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft betrachtet wurden, mußte die Lehre vom Unternehmen an sich anerkannt werden. Wie bereits angemerkt, kam der Diskussion um die Erklärung des Strukturwandels von Wirtschaft und Aktiengesellschaft große Bedeutung für die Forderung einer Reform des Aktienrechts zu. Deutlich wird dies auch daran, daß den Strukturwandlungen eine eigene Enquete gewidmet wurde und das Reichsjustizminsterium ihren Folgen fiir die Aktiengesellschaft und das Aktienrecht breiten Raum in seinen Fragebogen zur Vorbereitung der Reform des Aktienrechts einräumte547 • Auch in der rechtswissenschaftliehen Literatur nahmen nahezu alle Erörterungen zur Reform des Aktienrechts auf den Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft und seine Auswirkungen und Bedeutung für das Aktienrecht Bezug548 • Durch die hervorragende Rolle, die die Lehre vom 544 Zur Entwicklung zum sozialen Rechts. S. 118 ff.; zum Gemeinschaftsgedanken in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung s. S. 139 ff. 545 Hachenburg, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Einl. (1932), Anm. 50. 546 Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, 14 f. 547 Fragebogen Teil V., I. Kapitel, A., in: DAV, Antworten II, 1929, S. 3 f.; vgl. Schmölder, in: JW 1929, S. 2090; Netter, in: ZBH 1929, S. 321,322. 54 R Netter, in:ZBH 1931,S. I,37,59(3).
s.
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2. Teil Die Lehre vom Unternehmen an sich
Unternehmen an sich in der Diskussion um die Erklärung des Strukturwandels spielte, ergab sich ihre Verknüpfung mit der Diskussion um die Aktienrechtsreform von selbst. In welchem Umfang sie auf die Reform und ihre Diskussion einwirkte, ist Gegenstand der folgenden Untersuchung.
3. Teil
Die Reform des Aktienrechts Die Reform des Aktienrechts gehörte zu den umfangreichsten Vorhaben des Reichsjustizministeriums in der Weimarer Republik auf zivilrechtlichem Gebiet~. Die Diskussion um sie setzte mit Vehemenz ab Mitte der zwanziger Jahre ein2• Sie und die Entwürfe des Reichsjustizministeriums fiir ein Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien aus 1930 und 1931 werden auf den Niederschlag der Lehre vom Unternehmen an sich in ihnen untersucht. Dies erfolgt exemplarisch an Hand der Problembereiche Stimmrechtsaktie und Generalklauset An ihnen läßt sich die Wirkung der Lehre vom Unternehmen an sich auf die Reform des Aktienrechts und ihre Diskussion am deutlichsten zeigen. Zudem gehörten sie zu den fiir die Reform des Aktienrechts bedeutsamsten Problembereichen, da fiir sie einerseits das Verhältnis Aktionär und Verwaltung und damit die Frage nach der Machtverteilung in der Aktiengesellschaft und andererseits die Bedeutung des Unternehmens fiir die Aktiengesellschaft in Abgrenzung zu der der Aktionäre besonders relevant wurde3•
Schubert, in: SZGerm 103 (1986), S. 140, 141. Assmann in: Großkommentar AktG, 4 1992, Einleitung Rdn. 129; Schubert, in: SZGERM 103 (1986), S. 140, 141 Fn. 2. Klausing, Reform des Aktienrechts, 1933, S. 26, meint, daß schon in der Zeit der Inflation die Diskussion einsetzte. 3 In der Literatur der Weimarer Zeit und danach werden die genannten Problembereiche in unterschiedlichen Formulierungen und Schwerpunktsetzungen genannt, die weitgehend Ausdruck der Einstellung der Verfasser insoweit sind, als sich in ihnen die Betonung des Aktionärsschutzes oder die der Bedeutung des Unternehmens ausdrückt; s. Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 13; Fechner, Die Treubindungen des Aktionärs, 1942, S. 62 Fn. I; Bergmann, in: ZHR I 05 (1938), S. I, 5; Bruch, Reform des Aktienrechts, 1932, S. 53; Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. III, 1932, S. 507, 589 f.; Weiter, Der Aktienrechts-Entwurf, 1930, S. 7 ff.; Geiler (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 127; Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht, 1929, S. 329; Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 141; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. I; ders., in: Magazin der Wirtschaft 1928, s. 1903, 1904. 1
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3. Teil Die Reform des Aktienrechts
A. Stimmrechtsaktie Die Stimmrechtsaktie gehörte zu den umstrittensten Problemen des Aktienrechts in der Diskussion seiner Reform während der Weimarer Republik4• Bei keiner anderen Frage standen sich die Meinungen vergleichbar unversöhnlich gegenüber. Das lag darin begründet, daß mit ihr nicht nur ein spezielles Problem des Aktienrechts abgehandelt, sondern der Begriff der Aktiengesellschaft thematisiert wurde6 • Der Lehre vom Unternehmen an sich kam daher von vomherein besondere Bedeutung für die Diskussion der Stimmrechtsaktie zu. Ihre Relevanz ergibt sich auch daraus, daß sie sich zur Rechtfertigung der Stirnrnrechtsaktie besonders gut eignete. Nach ihr kommt dem Unternehmen Bigenständigkeil zu. Es ist mit eigenen Interessen ausgestattet, welche auf die in der Aktiengesellschaft widerstreitenden Interessen ausgleichend wirken, indem ihnen regelmäßig der Vorrang vor den Interessen der Aktionäre gebührt, die dem Unternehmen schädlich sein können. Diese Interessen des Unternehmens sind nach der Lehre vom Unternehmen an sich der Verwaltung zur Wahrnehmung anvertraut. Es lag also nahe, die Zulässigkeil von Stimmrechtsaktien jedenfalls dann anzunehmen, wenn sie im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich verwendet würden7 , also zur Sicherung der Interessen des Unternehmens. 4 Vgl. A. Pinner, in: Staub, HGB, 14 1933, § 185 Anm. Einleitung; A. Bondi, Neue Wege des Aktienrechts, 1933, S. 10; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 63; Wülfing, Stimmrechtsaktie, 1931, S. 61; Heilbrunn, Zur Reform des Aktienrechts, 1930, S. 20; A. Hueck, in: JW 1930, S. 2646; Schmölder, in: JW 1929, S. 2090, 2092; AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 4; vgl. Fricke, in: ZBH 1932, S. 262, 265. Das zeigt sich auch am Umfang der Veröffentlichungen zu ihr. J. v. Gierke, Handelsrecht, 4 1933, S. 346, meinte, daß das Schrifttum zur Stimmrechtsaktie kaum mehr zu übersehen sei; ebenso A. Pinner, in: in: Staub, HGB, 14 1933, § 185 Anm. Einleitung. 5 Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 63; Lifschütz, in: ZBH 1929, s. 132, 141. 6 Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 63, meinte, daß es sich bei der Diskussion um die Stimmrechtsaktie um einen ,juristischen 'Weltanschauungsstreit"' handele; Geiler (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 127, fand, daß es sich bei dem Problem der Stimmrechtsaktie weniger um ein juristisches, denn um ein wirtschaftspolitisches handele; Nußbaum, in: Magazin der Wirtschaft 1928, S. 1903, 1908, erklärte in Bezug auf die Diskussion der Stimmrechtsaktie und der Generalklausel, daß es sich im eigentlichen um wirtschaftspolitische Machtkämpfe handele, die mit ihnen ausgetragen würden; der DAV, Antworten I, 1929, S. 138, bemerkte, daß die Abwägung der Vor- und Nachteile der Stimmrechtsaktie "meist stark von der subjektiven Einstellung des Urteilenden beeinflußt" würde; Bing, in: DüringerHachenburg, HGB, 3 1934, § 185 Anm. 38, erkannte, daß Ursache der Widerstände gegen die Stimmrechtsaktie "wesentlich[ ...] gefühlsmäßige" seien (Hervorh. hinzugefügt). 7 Vgl. Geiler(l929), in: ders., Beiträgezum modernen Recht, 1933, S. 119, 127.
A. Stimmrechtsaktie
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Grundlage der Rechtfertigung der Stimmrechtsaktie mit der Lehre vom Unternehmen an sich war die Anerkennung des Unternehmens als "systematischer Grundbegriff' der Aktiengesellschaft8• Die Stimmrechtsaktie sollte in ihrer Entstehung und ihrem Bestand durch das Unternehmen bedingt sein. Sie erschien dadurch als originärer Ausdruck der Lehre vom Unternehmen an sich. Netter meinte denn auch, daß das Unternehmen im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich seinen stärksten rechtlichen Exponenten und seine deutlichste rechtliche Auswirkung in der Stimmrechtsaktie fmde9 • Dagegen mußten diejenigen, die die Lehre vom Unternehmen an sich ablehnten, auch zu einer Ablehnung der Stimmrechtsaktien und jedweder Stabilisierung der Stellung der Verwaltung gelangen, um die Wiederherstellung der Aktiendemokratie fordern zu können 10• Dementsprechend wurde die Diskussion der Stimmrechtsaktie um ihre Rechtfertigung mit einem Interesse des Unternehmens und der Aktiengesellschaft an der Kontinuität der Verwaltung einerseits und der Funktion der Inhaber der Stimmrechtsaktie als Treuhänder des Unternehmens und der Aktiengesellschaft andererseits gefiihrt. Bevor dem nachgegangen wird, werden die Zulässigkeit der Stimmrechtsaktie nach den Regelungen des HGB von 1897 und die Vorschläge zur Regelung der Stimmrechtsaktie im Überblick dargestellt. I. Zulässigkeit der Stimmrechtsaktie nach dem HGB Grundlegend fiir die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeil der Stirnrnrechtsaktie war § 252 Abs. 1 S. 4 HGB 11 • Danach konnte der Gesellschaftsvertrag vorsehen, daß bei Ausgabe mehrerer Gattungen von Aktien einer Gattung ein höheres Stimmrecht beigegeben wird. Bis Mitte der zwanziger Jahre war streitig, ob dies zu bedeuten hatte, daß Stimmrechtsaktien schon eine eigene Gattung bilden mußten, bevor ihnen das mehrfache Stimmrecht zugegeben wurde, oder ob es ausreichte, daß die Beilegung des mehrfachen Stimmrechts konstitutiv fiir die Bildung einer eigenen Gattung war12 • Als vorherrschende und schließlich kaum mehr bestrittene Ansicht konnte sich durchsetzen, daß Stirnrnrechtsaktien schon als eigene Gattung bestehen mußten, bevor ihnen ein mehr-
Vgl. Netter, in: ZBH 1930, S. 290,295. Vgl. Netter, in: ZBH 1930, S. 290, 295. 10 Vgl. Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931 , S. 68. 11 P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923), S. I, 2. 12 AusfUhrlieh zu diesem Streit Anfang der zwanziger Jahre Frank-Fahle, Die Stimmrechtsaktie, 1923, S. 38 ff. R 9
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3. Teil Die Refonn des Aktienrechts
faches Stimmrecht beigegeben werden konnte 13 • Dagegen wurde eingewendet, daß der Wortlaut des § 252 Abs. 1 HGB nicht eindeutig sei und ihm die Beilegung des mehrfachen Stimmrechts als eine eigene Aktiengattung statuierende Maßnahme ebenfalls genüge 14• Die Zulässigkeit der Beilegung des mehrfachen Stimmrechts sei allein danach zu beurteilen, ob darin ein Verstoß gegen die guten Sitten liege 15 • Nach der ab Mitte der zwanziger Jahre ganz überwiegenden Ansicht in der Literatur und nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts 16 waren Stirnrnrechtsaktien nach dem HGB zulässig, soweit sie nicht gegen die guten Sitten verstießen 17 • Dementsprechend wurde auch die vertragliche Bindung des Stimmrechts der Stimmrechtsaktionäre von der ganz überwiegenden Ansicht im Schrifttum und der Rechtsprechung des Reichsgerichts grundsätzlich als zulässig angesehen, soweit darin kein Verstoß gegen§§ 317, 318 HGB und gegen
13 A. Pinner in: Staub, HGB, 14 1933, § 252 Anm. II m. w. Nachw.; vgl. Enquete, Generalbericht, 1930, S. 7; Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 90; P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923}, S. I, 3; A. Hueck, Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, 1922, S. 32 f.; S. 262; Jung, Ueberfremdung, 2 1921, S. 13; H. Horrwitz, Recht der Generalversammlungen, 1913, S. 218; a. A. Fricke, in: ZBH 1932, S. 262, 263; Rosendorf, Organisation der Konzerne, 1927, S. 83; K. Lehmann, in: Lehmann-Ring, HGB, 2 1913, § 252 Anm. 4. 14 K. Wieland, Kapitalgesellschaften, 1931, S. 239; P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923), S. I, 3f. 15 P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923), S. I, 8. 16 Urt. d. II. Zivilsenats v. 19. Juni 1923, RGZE 107, S. 67, 70; Urt. d. II. Zivilsenats v. 30. März 1926, RGZE 113, S. 188, 192; Urt. d. II. Zivilsenats v. 13. Dezember 1927, RGZE 119, S. 248, 252; Urt. d. II. Zivilsenats v. 31. März 1931, RGZE 132, 149, 160 (Schutzaktien in Fonn von Stammaktien betreffend); jew. m. Nachw.: Bing, in: Düringer-Hachenburg, 3 1934, HGB, § 185 Anm. 37 f.; A. Pinner, in: Staub, HGB, 14 1933, § 185 Anm. II i; J. v. Gierke, Handelsrecht, 4 1933, S. 347; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 80 f.; Netter, in: ZBH 1929, S. 161, 168; Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 185 Anm. l.e). 17 Bing, in: Düringer-Hachenburg, 3 1934, HGB, § 185 Anm. 37; A. Pinner, in: Staub, HGB, 14 1933, § 185 Anm. I Ii; J. v. Gierke, Handelsrecht, 4 1933, S. 347; Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, 1932, S. 15; Wülfing, Stimmrechtsaktie, 1931, S. 17 ff. u. 61; K. Wieland, Kapitalgesellschaften, 1931, S. 236; A. Hueck, in: FG f. RG, 4. Bd., 1929, S. 167, 181; Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 63; ders., in: ZBH 1929, S. 161, 168; DAV, Antworten I, 1929, S. 132; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 138 f.; Nord, Mitverwaltung, 1927, S. 35, erklärte die Stimmrechtsaktien ftir "in abstracto" zulässig; F. Goldschmit, Aktiengesellschaft, 1927, § 273 Anm. 15; Schlegelberger, Probleme des Aktienrechts, 1926, S. 8; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 95; A. Hueck, Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, 1922, S. 17 ff., ders., in: JW 1930, S. 2646; F. Bondi, in: Gruchots Beiträge65 (1921), S. 129.
A. Stimmrechtsaktie
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die guten Sitten lag, was nur beiHinzutreten besonderer Umstände der Fall sein sollte 18 . Dagegen wurde geltend gemacht, daß es sich durch die Stimmrechtsbindung zu Gunsten der Aktiengesellschaft wirtschaftlich um eigene Aktien der Gesellschaft handele, weswegen ihnen kein Stimmrecht in der Generalversammlung zukommen könne 19. Bei den Stimmrechtsbindungen handele es sich dariiber hinaus um einen nach § 317 HGB verbotenen Stimmenkauf0 • Nach Brodmann (Reichsgerichtsrat i.R.) waren Stimmrechtsaktien, die nicht zu Zwecken der Beteiligung an der Aktiengesellschaft, sondern allein der Schaffung des mehrfachen Stimmrechts wegen ausgegeben wurden, grundsätzlich unzulässig und nichtig. Sie verstießen gegen die Vorschriften des Aktienrechts zwar nicht der Form, aber deren Inhalt nach, da sie "simulierte Rechtsgeschäfte" seien21 .
U. Vorschläge zur Regelung der Stimmrechtsaktie Die Vorschläge zur Regelung der Stimmrechtsaktie reichen von ihrem Verbot hin zu ihrer vorbehaltlosen Anerkennung über vielfältige Einschränkungen zur Verhütung möglichen Mißbrauchs des mehrfachen Stimmrechts22. Überwiegend war in der Literatur die Ansicht, daß Stimmrechtsaktien zulässig bleiben sollten, wenn Vorsorge gegen ihre mißbräuchliche Verwendung getroffen werde23. Umstritten war allerdings schon, ob Stimmrechtsaktien tatsächlich mißtM Urt. d. II. Zivilsenats v. 19. Juni 1923, RGZE 107, S. 67, 71; Urt. d. II. Zivilsenats v. I 0. Januar 1928, RGZE 119, S. 386, 388; Urt. d. II. Zivilsenats v. II . Juni 1931, RGZE 133, S. 90, 93 f.; jew. m. w. Nachw. auch zu den abw. Meinungen: J. v. Gierke, Handelsrecht, 4 1933, S.357f.; A. Pinner, in: Staub, HGB, 14 1933, §317 Anm.19ff; J. Lehmann, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1933, § 252 Anm. 58; Friedländer, Aktienrecht (1932), S. II f.; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 80 f.; Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 68; Ruth, Eigene Aktien und Verwaltungsaktien, 1928, S. 66 f.; P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923), S. I, 19; a. A. H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 49 m. w. Nachw. 19 K. Wieland, Kapitalgesellschaften, 1931, S. 238; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 75 ff.; R. Ruth, Eigene Aktien und Verwa1tungsaktien, 1928, S. 81 ff.; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 19 ff. u. 26 für Verwertungsaktien, also Stammaktien ohne mehrfaches Stimmrecht, die ein Treuhänder für die Gesellschaft hält. 20 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, I 926, S. 48 f.; dagegen ausdrücklich P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923), S. I, 20; G. Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 76 f. 21 Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 185 Anm. 4. 22 A. Pinner, in: ZBH 1927, S. 198. 23 Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd. 111, 1932, S. 507, 586; Lifschütz, in: JW 1928,204, 205. vgl. Schmölder, in: JW 1929, S. 2090, 2093, nach dem die Vorschläge zur Lösung
II Laux
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3. Teil Die Reform des Aktienrechts
bräuchiich verwendet worden waren, etwa in dem Sinne einer Schädigung der Gesellschaft oder der Minderheit in der Generalversammlung24• Die Vertreter der Forderung nach der Wiederherstellung der Aktiendemokratie lehnten Stimmrechtsaktien grundsätzlich ab und forderten, für den Fall ihrer Beibehaltung, ihre weitgehende Beschränkung, um einen Mißbrauch zu Zwecken der Entrechtung der Aktionäre zu verhindem25 • Zur Abwendung und Beseitigung der Entrechtung der Aktionäre sei ein Eingreifen des Gesetzgebers erforderlich26 , da der eigentliche Grund für die Schaffung der Stimmrechtsaktien mit dem Verschwinden des Problems der übermäßigen Inflation ebenfalls verschwunden sei27 • Auch einige einflußreiche Praktiker hielten die Beseitigung der Stimmrechtsaktien für erforderlich28 • des Problems der Stimmrechtsaktie die Gemeinsamkeit aufwiesen, "daß eine 'Überspannung des Gedankens der Stimmrechtsaktie ungesund' sei, und daß die Auswüchse zu bekämpfen" seien. 24 Nach dem DAV, Antworten I, 1929, S. 134, waren nur sehr wenige Fälle eines wirklichen Mißbrauchs der Stimmrechtsaktien bekannt geworden; regelmäßig seien die Beschlüsse in den Generalversammlungen einstimmig gefaßt worden, also auch mit Zustimmung der Stammaktionäre. Ebenso bemerkte Schlitter (Bankdirektor der Deutschen Bank) vor dem Enquete-Ausschuß, daß ihm kein Fall bekannt geworden sei, in dem durch die Abstimmung von Stimmrechtsaktien tatsächlich eine Schädigung der Stammaktionäre eingetreten sei (Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 190). Schon 1921 hatte F. Bondi, in: Gruchots Beiträge 65 (1921), S. 129, 131 , bemerkt, daß ein Mißbrauch des mehrfachen Stimmrechts in der Form der Herbeiführung eines Beschlusses der Generalversammlung, der den Interessen der Gesellschaft widerspreche, nicht bekannt geworden sei. Dagegen meinten Netter und Homburger, daß es offenbar sei, daß Stimmrechtsaktien mißbräuchlich verwendet worden seien (Netter, in: ZBH 1929, S. 161, 168; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 69). 25 Sontag, in: ZBH 1931, S. 13, 15; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 139 ff.; Nord, Grundlinien der Machtverteilung, 1930, S. 39; Brodmann, in: ZHR 94 ( 1929), S. 31 , 44; ders., Aktienrecht, 1928, § 185 Anm. 4; H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 21 ff. Nußbaum, in: Magazin der Wirtschaft 1930, S. 503, der Wortführer detjenigen, die sich für die Wiederherstellung der Aktiendemokratie und für ein Verbot der Stimmrechtsaktien aussprachen (Brodmann, in: ZHR 94 ( 1929), S. 3 I, 44), erklärte apodiktisch: "Eine Reform, die nicht zur Beseitigung der Stimmrechtsaktien führt, verfehlt ihr Ziel." 26 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 3 ff. 27 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 22. 2x Brodmann, Sanierung unseres Aktienwesens, 1931, S. 17 f.; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 9 ff., jew. m. Nachw. In einem Beschluß des Reichsverbandes der Deutschen Industrie und des Zentralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes vom 16. Januar 1926 wurde nach gemeinsamer Beratung gefordert, Stimmrechtsaktien zu beseitigen, allerdings nur insofern ihr Bestehen nicht wichtigen Interessen der Gesellschaft und der Wirtschaft entspreche, worunter auch die Förderung der Produktion durch industriellen Zusammenschluß verstanden wurde (nach Haußmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928, S. 69 Fn. 70).
A. Stimmrechtsaktie
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Dagegen wurde eingewendet, daß Stimmrechtsaktien Folge einer "inneren Notwendigkeit" der Wirtschaft als "lebender Organismus" seien und auf diese Weise auch wieder verschwinden würde, sobald sie nicht mehr notwendig seien29. Vorgeschlagen wurden eine Reihe von Maßnahmen, um eine mißbräuchliche Ausübung des Stimmrechts der Stimmrechtsaktie zu verhindern:
1. Übertragung des Stimmrechts auf einen Treuhänder; staatliche Einwirkungsmöglichkeiten Eine Reihe von Vorschlägen betraf die Übertragung des Stimmrechts auf Treuhänder oder die Einführung einer besonderen staatlichen Befugnis zur Einwirkung auf die Schaffung und Einziehung von Stimmrechtsaktien. So wurde etwa gefordert, ihr Stimmrecht auf einen staatlichen Treuhänder oder eine neutrale Treuhandstelle zu übertragen30• Dagegen wurde eingewendet, daß dies dem Treuhänder "eine äußerst schwierige, vielfach von Zufälligkeilen abhängige Entscheidung in wirtschaftlichen Fragen und damit eine übergroße, kaum zu tragende Verantwortung" aufbürden und darüberhinaus gegen den "Grundgedanken" des Aktienrechts verstoßen würde, wonach die Angelegenheiten der Gesellschaft von den Aktionären zu entscheiden seien31 • Zudem führe dies zu einer teilweisen "Sozialisierung des Wirtschaftslebens"32• Auch die Schaffung oder Beauftragung einer staatlichen Stelle, die die Beibehaltung oder Schaffung neuer Stimmrechtsaktien entscheiden solle, wurde abgelehnt, da es vermieden werden müsse, daß der Staat zusätzliche Möglichkeiten der Einflußnahme und Kontrolle auf die Aktiengesellschaft erlange; den Aktionären müsse die alleinige Entscheidung verbleiben33 • Allenfalls könne es den Aktionären überlassen werden, ob sie diese Befugnisse staatlichen Stellen einräumen wollten34 • Heftig kritisiert wurde auch der Vorschlag, das Stimmrecht auf die Verwaltung zu übertragen, da die Verwaltung nicht als neutrale Stelle zu betrachten sei35 •
S. nur Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 142. Vgl. H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 16 f.; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 69. 31 So der DAV, Antworten I, 1929, S. 139; im Ergebnis ebenso Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 69; Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 144. 32 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 17. 33 DAV, Antworten I, 1929, S. 140; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, s. 69. 34 Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 69. 35 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 16. 29
30
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3. Teil Die Refonn des Aktienrechts
2. Möglichkeit zur Klage aufBeseitigung der Stimmrechtsaktien Nußbaum forderte die Möglichkeit einer Klage auf Beseitigung der Stirnrnrechtsaktien aus wichtigen Gründen, entsprechend der Regelung des § 268 HGB36 . Dagegen wurde geltend gemacht, daß schon das vorhandene Anfechtungsrecht die Überprüfung der Stimmrechtsaktien ermögliche37. Der Deutsche Anwaltverein lehnte eine solche Klage ab, da er darin die Gefahr begründet sah, daß Minderheiten die Möglichkeit zur Klage mißbrauchen könnten. Zudem könne durch die Generalklausel ein wirksames Mittel gegen den Mißbrauch der Stimmrechtsaktien geschaffen werden38 . Auch die durch den 34. Deutschen Juristentag eingesetzte Kommission zur Prüfung einer Reform des Aktienrechts schien einer solchen Klage eher ablehnend gegenüber zu stehen39. 3. Gesteigerte Publizität Einige Vorschläge betrafen die Offenlegung der Stimmrechtsaktien und des Verhältnisses ihrer Inhaber zur Verwaltung der Aktiengesellschaft. Stirnrnrechtsaktien sollten nur als vinkulierte Namensaktien ausgegeben werden können40 und in einem Register41 oder im Geschäftsbericht besonders auszuweisen sein42. Vorgeschlagen wurde auch, daß die Konsortialverträge auf Verlangen der Generalversammlung vorzulegen und die Verwaltung zur Auskunft über die Erfüllung dieser Verträge verpflichtet sein sollte43. Der Deutsche Anwaltverein lehnte eine besondere Publizität in Form von Offenlegung durch Eintragung in ein spezielles Verzeichnis beim Handelsregister und die gesonderte Ausweisung im Geschäftsbericht und der Bilanz ab44 • Auch die Kommission des
36 Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 17. 37 Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 144. 3R
270.
DAV, Antworten I, 1929, S. 140 f.; ebenso Schmulewitz, in: ZBH 1929, S. 268,
39 AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 25, wonach eine Beratung dieses Vorschlags durch die Kommission stattfand, ohne daß dessen Ergebnis mitgeteilt wird. 40 Der DAV, Antworten I, 1929, S. 144, schlug vor, Stimmrechtsaktien zukünftig nur noch als Namensaktien zuzulassen. Für schon bestehende sei zu überlegen, ob diese in einer bestimmten Frist nicht auch in solche umgewandelt werden müßten; E. Jung, Ueberfremdung, 2 1921, S. 15. 41 Netter, in: ZBH 1929, S. 161, 168, forderte, Stimmrechtsaktien nur als Namensaktien zuzulassen und in ein Verzeichnis beim Handelsregister einzutragen; ähnlich erklärte Heilbrunn, Zur Refonn des Aktienrechts, 1930, S. 22, daß Stimmrechtsaktien als Namensaktien in einem Aktienregister einzutragen sein sollten. 42 Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 106; Schmulewitz, in: ZBH 1929, S. 268. 43 DAV, Antworten I, 1929, S. 145; Netter, in: ZBH 1929, S. 161, 168; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 184 ff. 44 DAV,Antwortenl, 1929,S. I44f.
A. Stimmrechtsaktie
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34. Deutschen Juristentags zur Prüfung einer Reform des Aktienrechts lehnte dies ab, da eine solche Bestimmung leicht umgangen werden könne45 • 4. Beschränkungen des Stimmrechts
Viele Vorschlägen betrafen die quantitative oder qualitative Beschränkung des Stimmrechts. Es sollte entfallen, wenn Gegenstand der Abstimmung die Prüfung der Geschäftsführung und die Entlastung des Vorstands oder des Aufsichtsrats sei46 • Quantitativ sollte das mehrfache Stimmrecht vom Besitz eines größeren Postens Stammaktien abhängig sein47 , oder die Gesamtzahl der Stimmen der Stimmrechtsaktien auf einen bestimmten Prozentsatz des Grundkapitals der Aktiengesellschaft beschränkt sein48 • Vorgeschlagen wurde auch, die Stimmenzahl pro Stimmrechtsaktie zu beschränken, was als ungeeignet kritisiert wurde, da eine Umgehung dieser Regelungen durch die Einschaltung von Strohmännern leicht möglich wäre49 • Gegen eine zeitliche Beschränkung des Bestehens der Stimmrechtsaktien wurde geltend gemacht, daß die Stammaktionäre über die Einziehung der Stimmrechtsaktien entscheiden können sollten50• Und ganz allgemein fand der Deutsche Anwaltverein, daß eine gegenständliche und quantitative Beschränkung der Stimmrechtsaktien nicht "praktisch" sei51 • ßl. Rechtfertigung der Stimmrechtsaktie
Die Rechtfertigung der Stimmrechtsaktie mit einem Interesse der Aktiengesellschaft und des Unternehmens an der Kontinuität der Verwaltung war eingebettet in die Feststellung einer Gefahr der sog. inneren Überfremdung der Aktiengesellschaft, die die Ausgabe von Stimmrechtsaktien notwendig mache. Im folgenden sind diese beiden Aspekte näher zu betrachten.
AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 25. Netter, in: ZBH 1929, S. 161, 169; Lifschütz, in: JW 1928, S. 204,206. 47 Schlegelberger, Probleme des Aktienrechts, 1926, S. 12; Kurz, Überfremdungsgefahr, 1921, S. 39 u. 56. 411 Schlegelberger, Probleme des Aktienrechts, 1926, S. 12. Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 14, wollte die Höchstgrenze bei 25% gezogen sehen; Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 106, schlug vor, die Höchstgrenze der Stimmen von Stirnrnrechtsaktien auf 15% aller Stimmen zu begrenzen; nach Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 58 ff. u. 62, sollte die Zahl der Stimmen der Stimmrechtsaktien nicht die Zahl der Stimmen der Stammaktionäre übersteigen dürfen. 49 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 18m. Nachw. 50 Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. I 06; DAV, Antworten I, 1929, S. 144. 51 DAV, Antworten I, 1929, S. 143 f. ; ebenso Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 144. 45
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3. Teil Die Reform des Aktienrechts
1. Gefahr der Überfremdung der Aktiengesellschaft 1921 wurde Überfremdung defmiert als die "die Herrschaft aller detjenigen Kreise [... ], deren Interessen anders als auf das Wohlergehen der Gesellschaft gerichtet sind"52, durch "das Eindringen fremden ausländischen Kapitals in deutsche Unternehmungen in dem Umfang, daß das ausländische Kapital dabei zum beherrschenden Faktor wird"53 • Überfremdung wäre danach die ausländische oder äußere Überfremdung. Diese Defmition erwies sich jedoch als zu eng. Im weiteren Verlauf der Diskussion wurden zwei Fälle der Überfremdung unterschieden: die äußere und die innere54 • Als einen besonderen Fall der Gefahr der inneren Überfremdung führte Haußmann die öffentlich-rechtliche Überfremdung an. Darunter verstand er die Gefahr, daß der Staat oder öffentliche Körperschaften versuchten, die Mehrheit in der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft zu erlangen55 • Schon der Sachverhalt des Hibemia-Urteils des Reichsgerichts wäre danach als eine öffentlich-rechtliche Überfremdung zu qualifizieren. Sie fand als eigenständige Fallgruppe der inneren Überfremdung jedoch keine Anerkennung. Durch die Begrundung der Stimmrechtsaktie mit der Abwehr einer Überfremdung der Aktiengesellschaft entstand das Problem der Abgrenzung der abzuwehrenden Überfremdung von dem erwünschten Wechsel der Mehrheit in der Aktiengesellschaft im "freien Wirtschaftskampf", der durch die Stirnrnrechtsaktien nicht verhindert werden sollte56 • Zudem wurde durch die Rechtfertigung der Stimmrechtsaktie mit der Gefahr der inneren Überfremdung die hergebrachte Ansicht von der Maßgeblichkeit der Mehrheit des Kapitals, insbesondere für die Bestimmung der Interessen der Gesellschaft, in Frage gestellt. Denn die Möglichkeit der Überfremdung der Aktiengesellschaft setzt voraus, daß Interessen der Gesellschaft definiert werden, die sich nicht von denen der Mehrheit des Kapitals in der Generalversammlung ableiten. Die Gesellschaft kann nur dann durch die Bildung neuer Mehrheiten in Folge der Überfremdung geschädigt und ihre Interessen können nur dann beeinträchtigt werden, wenn für deren Bestimmung und Feststellung von den Interessen der abzuwehrenden Mehrheit des Kapitals in der Generalversammlung abstrahiert wird. Jung, Ueberfremdung, 2 1921, S. 6 f. Kurz, Überfremdungsgefahr, 1921, S. I. 54 Jung, Ueberfremdung, 2 1921, S. 7; H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. I und zustimmend Ruth, Eigene Aktien und Verwaltungsaktien, 1928, S. 15 Fn. 5. 55 Haußmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 1926, s. 56 f. 56 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. I und zustimmend Ruth, Eigene Aktien und Verwaltungsaktien, 1928, S. 15 Fn. 5. 52 53
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Die Ausgabe von Stimmrechtsaktien erfolgte während der Zeit der Inflation zunächst zur Abwehr einer äußeren Überfremdung57 • Danach wurden Stirnrnrechtsaktien zunehmend mit der Gefahr der inneren Überfremdung begründef8 • Die Begründung der Stimmrechtsaktie mit der Gefahr der äußeren Überfremdung nach dem Weltkrieg und in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre ist vor dem politischen und wirtschaftlichen Hintergrund des verlorenen Krieges, des nahezu einmütig abgelehnten Versailler-Vertrages und der wirtschaftlichen Probleme in Folge der Inflation zu sehen. Das Bestehen der Gefahr einer äußeren oder ausländischen Überfremdung und die Geeignetheil und Erforderlichkeit der Stimmrechtsaktien zu ihrer Abwendung wurden in dieser Zeit einhellig festgestellt. Den Problemen, die sich hieraus für das Verhältnis von Aktionär und Aktiengesellschaft und die Feststellung der maßgeblichen Interessen in der Aktiengesellschaft ergaben, wurde erst ab Mitte der zwanziger Jahre vermehrt Aufmerksamkeit zugewendet. Die Begründung der Gefahr der äußeren Überfremdung ging davon aus, daß durch die schnell zunehmende Abwertung der deutschen Valuta während der Zeit der Inflation Ausländer günstig Aktienpakete deutscher Aktiengesellschaften erwerben konnten, da die Aktienkurse nicht entsprechend der Inflation und der Abwertung der deutschen Valuta stiegen59• Dementsprechend empfahlen im November 1919 der Deutsche Industrie- und Handelstag und der Reichsverband der Deutschen Industrie ihren Mitgliedern, Stimmrechtsaktien als Schutz vor ausländischer Überfremdung zu schaffen60 • Ganz überwiegend wurde in der Literatur für die Zeit der Inflation eine Gefahr der äußeren Überfremdung als 57 F. Bondi, in: Gruchots Beiträge 65 (1921), S. 129, 130; Lifschütz, in: JW 1928, 204, 206; Hachenburg in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Ein!. ( 1932) Anm. 14; AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 4; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 65; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 82; Schlegelberger, Probleme des Aktienrechts, 1926, S. 6; so auch die Angaben der Sachverständigen vor dem Enquete-Ausschuß, Enquete, Generalbericht, 1930, S. 9. SR A. Pinner in: Staub, HGB, 14 1933, § 185 Anm. I Ii u. Einleitung; AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 4 f.; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 26; Schmölder, in: JW 1929, S. 2090, 2993; A. Hueck, in: JW 1930, S. 2646, 2647; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 82; Rosendorf, Organisation der Konzerne, 1927, S. 83; Schlegelberger, Probleme des Aktienrechts, 1926, S. 8; Hachenburg, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 44, 51; F. Bondi, in: Gruchots Beiträge 65 (1921 ), S. 129, 131; Benade, in: JW 1922, S. 345; Hübner, Schutzaktie ( 1923), S. 41, der nicht zwischen innerer und äußerer Überfremdung unterscheidet. 59 Eine Berechnung des erforderlichen Kapitals in US $ für den Erwerb von Aktien deutscher Aktiengesellschaftt:r:~. im Vergleich für die Zeit von 1913 und die Zeit der Inflation findet sich bei Kurz, Uberfremdungsgefahr, 1921, S. 9. 60 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 3; Jung, Ueberfremdung, 2 1921, s. 10.
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3. Teil Die Reform des Aktienrechts
bestehend angenommen und Stimmrechtsaktien wurden als wirksames und legitimes Mittel zu deren Abwehr angesehen61 • Mit der Überwindung der Inflation und der wirtschaftlichen Stabilisierung Mitte der zwanziger Jahre wurden die kritischen Stimmen gegenüber der Stimmrechtsaktie lauter. Insbesondere die Auswirkungen der Stimmrechtsaktie auf das inneraktiengesellschaftliche Machtgefüge wurden nunmehr problematisiert. Zwar wurde noch immer anerkannt, daß die Gefahr einer äußeren Überfremdung in der Zeit der Inflation bestanden habe62 , jedoch darauf hingewiesen, daß sie übertrieben dargestellt worden sei und hervorgehoben, daß in den Fällen, in denen tatsächlich Ausländer Einfluß auf die Verwaltungen der Aktiengesellschaften gewonnen hatten, dies r~gelmäßig mit Billigung der Verwaltungen geschehen sei63 • Die Stirnrnrechtsaktien hätten hinsichtlich ihres ursprünglichen Zwecks kontraproduktiv gewirkt64 • Die Furcht vor einer äußeren Überfremdung sei regelmäßig nur Vorwand zur Schaffung von Stimmrechtsaktien gewesen65 • Der eigentliche Grund für ihre Ausgabe habe in der Gefahr der inneren Überfremdung bestanden66 • Überwiegend war in der Literatur die Ansicht, daß eine Gefahr der äußeren Überfremdung ab Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr bestand und die Stirnrnrechtsaktie ihre Funktion und ihre Legitimation zur Abwehr einer Gefahr der äußeren Überfremdung verloren habe67, wenngleich sie dazu grundsätzlich
61 Jung, Ueberfremdung, 2 1921, S. 7 tf. weist Fälle nach, in denen französische Anleger die Mehrheit in deutschen Gesellschaften erlangten und zum Nachteil nutzten; Kurz, Uberfremdungsgefahr, 1921, S. I tf, 16 tf., 24, 35; Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 33; A. Hueck, Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, 1922, S. 9 f.; P. Gieseke, in: Gruchots Beiträge 66 (1923), S. I, 2; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 18 f.; Hachenburg, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 44, 51; Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 86 f.; Enquete, Generalbericht, 1930, S. 9. 62 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, 1926, S. 3; Schlegelberger, Probleme des Aktienrechts, 1926, S. 6 f.; Nord, Mitverwaltung, 1927, S. 20 f, 21; Lifschütz, in: JW I 928, 204, 206; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 82. 63 Sontag, in: ZBH 1931, S. 13, 15; Wülfing, Stimmrechtsaktie, 1931, S. 15 u. 63; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 66; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 82 u. 140 f.; Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 27 m. Bspen.; Weiter, Erneuerung des Aktienrechts, 1929, S. 12 f.; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 16 f.; ders., in: Magazin der Wirtschaft 1930, S. 503, 504; vgl. Passow, Strukturwandel der Aktiengesellschaft, 1930, S. 13; Naphtali und Bernhard vor dem Enquete-Ausschuß, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 151 f. 64 Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 36. 65 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 28. 66 Enquete, Generalbericht, 1930, S. 9 f. 67 Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 65; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 141; DAV, Antworten I, 1929, S. 133; Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 142. Dagegen war die durch den 34. DJT zur Prüfung einer Reform des Aktienrechts eingesetzte Kommission 1928 mehrheitlich der Meinung, daß eine
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nützlich sei68 • Nach den Untersuchungen und Befragungen des EnqueteAusschusses behielten die Aktiengesellschaften, die zum Zeitpunkt der Untersuchung 1928 Stimmrechtsaktien ausgegeben hatten, diese auch mit der Begriindung einer Gefahr der äußeren Überfremdung bei, wenngleich die Befürchtung einer inneren Überfremdung zusätzlicher Grund sei69 • Auch für die Auseinandersetzung um die Begriindung der Stimmrechtsaktien mit der Gefahr der inneren Überfremdung lassen sich zwei Perioden unterscheiden. Einmal die Zeit der Inflation, in der es möglich war, die Mehrheit in der Generalversammlung oder eine Sp~rrminorität bedeutend unter dem realen Wert der Aktien zu erlangen70, und die Periode danach. Während für die Zeit der Inflation die Gefahr einer inneren Überfremdung noch vielfach angenommen wurde71 , wurde die Diskussion in der Zeit nach der Inflation darum geführt, ob die Aktiengesellschaft berechtigte Interessen an der Stabilität und Kontinuität der Verwaltung haben könne und ob diese Interessen durch Stimmrechtsaktien gesichert werden durften72 • Bei der Diskussion der inneren Überfremdung kam es entscheidend auf das Problem der Bestimmung der maßgeblichen Interessen in der Aktiengesellschaft und der Frage nach der Anerkennung von eigenen Interessen der Aktiengesellschaft an. Innere Überfremdung wurde allgemein als Übergang der Vorherrschaft in der Generalversammlung und damit der Aktiengesellschaft an diejenigen Inländer erklärt, "deren Interessen anders als auf das W obiergehen der Gesellschaft gerichtet" sind73 • Weitergehend wurde von einigen darauf abgestellt, daß mit ihr allein die Bildung neuer Mehrheiten abgewehrt werden sollte74 • Bei einer solch weitgehenden Defmition, die grundsätzlich auf die Verhinderung der Erlangung
Gefahr der äußeren Überfremdung gegeben sei, AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, s. 25. 6" Schmölder, in: JW 1929, S. 2090, 2093; Nord, in: ZBH 1927, S. 197. 69 Enquete, Generalbericht, 1930, S. II. 70 DAV, Antworten I, 1929, S. 133; Jung, Ueberfremdung, 2 1921, S. 7 f. m. Bspen. 71 A. Hueck, Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, 1922, S. 10; vgl. DAV, Antworten I, 1929, S. 133; Wü1fing, Stimmrechtsaktie, 1931 , S. 15 f. 72 Vgl. Wü1fing, Stimmrechtsaktie, 1931, S. 15 f.; DAV, Antworten I, 1929, S. 133; Geiler, in: Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, S. 52, 68; Schmulewitz, Verwa1tungsaktie, 1927, S. 26 ff., 59. 73 Wülfing, Stimmrechtsaktie, 1931, S. 15; vgl. Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 82; Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 87. 74 Sontag, in: ZBH 1931 , S. 13, 15; vgl. DAV, Antworten I, 1929, S. 133 f., nach dem sich die Diskussion um die Stimmrechtsaktie im Rahmen der Reform des Rechts der Aktiengesellschaft an der inneren Überfremdung im Sinne eines "Eindringens neuer Mehrheiten" festmachte.
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3. Teil Die Reform des Aktienrechts
einer neuen Mehrheit in der Generalversammlung abstellt, lag eine ablehnende Bewertung der Gefahr der inneren Überfremdung nahe75 • Die Anerkennung eines Schutzes der Aktiengesellschaft und des Unternehmens vor neuen Mehrheiten, deren Interessen sich nicht auf ihr Wohl richten, entsprach der Lehre vom Unternehmen an sich76• Von den Gegnern der Stirnrnrechtsaktie und ihrer Rechtfertigung mit der Gefahr der inneren Überfremdung wurde denn auch auf diesen Zusammenhang besonders hingewiesen. So meinte der Wirtschftsredakteur der Frankfurter Zeitung, Weiter, daß das Argument des Schutzes vor innerer Überfremdung immer wieder auf den "Schutz der gerade amtierenden Verwaltung" hinausliefe77 • Und ganz vor dem Hintergrund der traditionellen Vorstellung von der Generalversammlung als oberstem Organ der Aktiengesellschaft und einzigem Interpreten ihrer Interessen meinte Nord (Rechtsanwalt, Hamburg), daß die Begründung der Gefahr der inneren Überfremdung "ohne Sinn und Inhalt" sei, da die Aktionäre die Eigentümer der Aktiengesellschaft seien und sich deswegen auch nicht selbst überfremden könnten78 • Dagegen war es nach H. Horrwitz (Justizrat und Rechtsanwalt, Berlin) unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten legitim, ein "Schutzmittel" gegen "gesellschaftsfeindliche Überfremdung" zur Verfügung der Verwaltung bereitzustellen. Die berechtigten Interessen der Verwaltung nach einem "Schutzmittel" gegen "gesellschaftsfeindliche Überfremdung" in der Form von Stirnrnrechtsaktien seien jedoch zur Entrechtung der Aktionäre und zum Schaden der Aktiengesellschaft mißbraucht worden79 • Ähnlich argumentierte Planitz (Professor, Köln), nach dem die Gefahr der inneren Überfremdung nicht in jedem Falle unbegriindet war, da die Gefahr, das Unternehmen fremden Interessen dienstbar zu machen und die Kontinuität der Entwicklung des Unternehmens zu stören, durchaus bestehen könne, müsse der Überfremdung durch die Verwaltung der Aktiengesellschaft entgegengewirkt werden80• Die Stimmrechtsaktien seien jedoch zur Abwehr einer solchen Gefahr nicht ohne weiteres geeignet, da gera-
75 Sontag, in: ZBH 1931, S. 13, 15 meinte denn auch, daß es gegen den Versuch, in der Generalversammlung die Mehrheit zu erlangen, keinen berechtigten Schutz geben könne. 76 Vgl. Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 66, der erkannte, daß der Kampf gegen innere Überfremdung der Stabilisierung der Verwaltungsmacht diene, die erforderlich sei, wenn man das Unternehmen an sich als schutzwürdiges Rechtsgut anerkenne. Vgl. DAV, Antworten I, 1929, S. 137; ders., Antworten II, 1929, S. 16. 77 Weiter, Erneuerung des Aktienrechts, 1929, S. 15. 7R Nord, Mitverwaltung, 1927, S. 23; im Ergebnis ebenso Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 142. 79 H. Horrwitz, Schutz- und Vorratsaktien, I 926, S. 2. so Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 34 f.
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de sie auch zur schädlichen Zementierung von beherrschenden Stellungen in der Aktiengesellschaft genutzt werden könnten81 • Nach der Begründung der Gefahr der inneren Überfremdung durch die Lehre vom Unternehmen an sich besteht also ein Schützenswertes Interesse der Aktiengesellschaft und des Unternehmens vor dem Eindringen neuer Mehrheiten, deren Interessen der Aktiengesellschaft und dem Unternehmen schädlich sein können. Da die Interessen der Aktiengesellschaft und des Unternehmens von der Verwaltung zu wahren sind, ergab sich die Frage nach dem Interesse der Aktiengesellschaft und des Unternehmens an der Stabilität und Kontinuität der Verwaltung, die mit Stimmrechtsaktien gesichert werden konnten.
2. Interesse an Kontinuität der Verwaltung Nach der Erklärung der Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft in der Lehre vom Unternehmen an sich ergibt sich ein eigenes Interesse der Aktiengesellschaft und des Unternehmens an der Kontinuität der Verwaltung und die Verwendung von Stimmrechtsaktien zur dessen Sicherung als konsequente Folgerung82• Alle Rechte, die ihren Zweck in der Sicherung des Unternehmens haben, sind nach der Lehre vom Unternehmen an sich durch eben diesen Zweck in ihrer Entstehung und ihrem Bestand bedingt83 • Daraus ergibt sich, daß Stimmrechtsaktien auf dem ,,Rechtsprinzip" des Unternehmens basieren, aus dem sich ihre Anerkennung und Grenzen ergeben84• Ausdrücklich erklärte Netter, daß in der Aktiengesellschaft zwar grundsätzlich ,.der demokratische Grundsatz des Mehrheitsprinzips" gelte. Der sei jedoch einzuschränken, wenn das Interesse des Unternehmens dies erfordere. Das Mehrheitsprinzip in der Generalversammlung finde seine Grenze, ,.wo nicht die nach demokratischen Grundsätzen vorgesehene Beschlußfassung durch die Mehrheit über die Führung der Geschäfte Platz greift, sondern wo im Interesse des Unternehmens die wechselnde Mehrheit ersetzt werden muß durch ein die dauernde Wahrung dieser Interessen gewährleistendes Organ." Diese Aufgabe komme der Verwaltung als Treuhänderio der Interessen des Unternehmens zu85 • Zur Ermöglichung und Sicherung dieser Funktion der Verwaltung sollten die Stimmrechtsaktien dienen. Sie mußten daher auf eben diesen Zweck beschränkt sein, um ihre VerPlanitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 38. So insbes. Netter, in: ZBH 1929, S. 161, 168. Kl So insbes. Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 60; vgl. oben zur Konzeption des Unternehmens S. 72 ff. R4 Netter, in: ZBH 1930, S. 290, 292 f. Rs Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 49. RJ
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3. Teil Die Refonn des Aktienrechts
wendung in einem anderen Interesse zu verhindern. Der durchaus erkannten Gefahr des ,,nachteiligen Industriefeudalismus und von industriellen Fideikommissen" durch die Schaffung von Stimmrechtsaktien im Sinne derjenigen, die unter der Forderung nach der Wiederherstellung der Aktiendemokratie von durch die Stimmrechtsaktien herbeigefiihrten "aktienrechtlichen Fideikommissen" sprachen86, sollte vorgebeugt werden87 durch eine Anhindung der Verwaltung an die Interessen des Unternehmens. Netter erklärte dies ausführlich. Die Kontinuität der Verwaltung habe ihre Berechtigung im tragenden ,,Rechtsgrund" Unternehmen88 • Daraus folge, daß die Stimmrechtsaktien gerechtfertigt seien, um "der Verwaltung die Mehrheit im Interesse des Unternehmens zu sichern."89 Die Stabilisierung der Verwaltung war danach das ,juristischtechnische Mittel", um "die Einschränkung des kapitalmäßigen Einflusses zugunsten des Unternehmens" durchzuführen, die sich zwingend aus dem Hervortreten des Unternehmens in seiner wirtschaftlichen und sozialen Funktion und damit auch als "Rechtsträger'' ergeben hatte90• Im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich war es also Voraussetzung, daß die Verwaltung keine völlig losgelöste Stellung von den Aktionären erlangte. Sie war vielmehr durch das Unternehmen mit den Aktionären verbunden91 • Die Stimmrechtsaktie sollte zur Stabilisierung der Verwaltung dienen, welche wiederum verpflichtet sein sollte auf den Schutz des Unternehmens und seiner Interessen92 • Auf Grund dieser Argumentation war die Stimmrechtsaktie jedoch dann nicht gerechtfertigt, wenn sie allein zu einer Verselbständigung der Verwaltung dienen sollte. Die Kritik an der Begriindung der Stimmrechtsaktie mit einem Interesse an der Kontinuität der Verwaltung wendete sich gegen die Anhindung der Verwaltung an das Interesse des Unternehmen. Sie lag ganz auf der Linie der Kritik an der Lehre vom Unternehmen an sich auf der Grundlage der traditionellen Auffassung der Aktiengesellschaft, die ein Unternehmen im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich nicht anerkannte und deswegen zwangsläufig auch K6 Nußbaum, in: Magazin der Wirtschaft 1930, S. 503; im einzelnen oben zur Entdemokratisierung der Aktiengesellschaft und Entrechtung der Aktionäre als Erklärung des Strukturwandels von Wirtschaft und Aktiengesellschaft S. 111 ff. " 7 Geiler (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 127; Netter, in: ZBH 1929, S. 161, 168. KK Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 23; ders., in: ZBH 1930, S. 290,298. " 9 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 68. 90 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 59. 91 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 61. 92 Vgl. Geiler (1929), in: ders., Beiträge zum modernen Recht, 1933, S. 119, 127; Sintenis, in: BA XXIX (1930), S. 461, 466; auch nach Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 4, war dies die Begründung für die Schaffung von Stimmrechtsaktien.
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eigene Interessen dieses Unternehmens nicht anerkennen konnte93 • Jedoch wurde auch von den Kritikern eines Unternehmensinteresses und der Anhindung der Verwaltung an dieses ein Interesse an der Stabilität der Verwaltung grundsätzlich anerkannt. So meinte Bing (Rechtsanwalt, Mannheim), daß es nicht geleugnet werden könne, "daß es für eine Gesellschaft wirtschaftlich vorteilhaft sein kann, eine stabile Verwaltung zu haben."94 Und Brodmann (Reichsgerichtsrat i.R.), der Stimmrechtsaktien ansonsten strikt ablehnte, erklärte, daß es "gute und berechtigte Zwecke" seien, mit ihnen die Verwaltung gegen die "Unberechenbarkeiten der Abstimmung der Generalversammlung zu sichern" 95 • Es sei daher eine berechtigte Forderung, die Stellung der Verwaltung gegenüber dem geltenden kodifizierten Aktienrecht zu stärken96 • Dieses Bedürfnis nach einer von den Aktionären unabhängigen Verwaltung sei durch die wirtschaftlichen Wandlungen eingetreten, und jeder zukünftige Gesetzesverfasser habe dies bei einer Reform des Aktienrechts zu berücksichtigen97• Ebenso war es nach Winterberg (Gerichtsreferendar) im Interesse der Gesellschaft, einen Schutz der Verwaltung vor Zufallsmehrheiten zu gewährleisten und eine Kontinuität der Verwaltung zu sichern98 • Und auch nach Nußbaum (Professor, Berlin) und Nord (Rechtsanwalt, Hamburg) hatte die Kontinuität der Verwaltung, gestützt durch Stimmrechtsaktien, durchaus wirtschaftliche Vorteile und konnte deswegen berechtigt sein99 • Das Interesse an der Stabilität der Verwaltung wurde jedoch nicht im Unternehmen im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich verankert, sondern bezog sich auf die Aktiengesellschaft in der Form, wie sie dem Gesetz als Leitbild diente und Grundlage der Forderung nach der Wiederherstellung der Aktiendemokratie war. Deutlich wird das insbesondere an der Argumentation Nußbaums. Er erklärte, daß die Verwaltung auch dadurch an Stabilität gewinne, wenn sie eine qualifizierte und erfolgreiche Tätigkeit erbringe 100• Die Verwaltung solle ihre Stabilität rechtfertigen, indem sie eine für die Aktionäre erfolgreiche Arbeit leiste. Kriterium war also nicht das Interesse des Unternehmens, sondern das der Aktionäre an einer gewinnbringenden Tätigkeit der Verwaltung fiir sie. Auch die mögliche Schädigung der Aktiengesellschaft durch eine mißS. dazu im einzelnen oben S. 100 f. Bing, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, § 185 Anm. 38. 95 Brodmann, in: ZHR 94 (1929), S. 31 , 47. 96 Brodmann, Sanierung unseres Aktienwesens, 1931, S. 17. 97 Brodmann, in: ZHR 94 (1929), S. 31, 49. 9~ Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 142. 99 Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 4; Nord, Mitverwaltung, 1927, 39 f. 100 Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 4. 93 94
s.
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3. Teil Die Refonn des Aktienrechts
bräuebliche Verwendung der Stimmrechtsaktien wurde nicht erkannt als Schädigung des Unternehmens, sondern als Schädigung der Aktionäre. Dieser Kritik lag die tradierte Vorstellung zu Grunde, wonach allein detjenige die wirtschaftliche Macht haben solle, der auch das finanzielle Risiko trage 101 • So meinte denn auch Lifschütz (Rechtsanwalt, Bremen), daß die Forderung nach einer Kontinuität der Verwaltung im Interesse des Unternehmens nicht zu rechtfertigen sei, da das Unternehmen der Aktiengesellschaft und dadurch den Aktionären gehöre. Die Aktionäre und die Generalversammlung seien die höchste Autorität in der Aktiengesellschaft. Die Interessen des Unternehmens und der Aktiengesellschaft würden alleine von den Aktionären bestimmt102• Diese Argumentation führte jedoch zwangsläufig zu dem Problem der Anerkennung der Stimmrechtsaktien. Denn wenn die Mehrheit in der Generalversammlung die Interessen der Aktiengesellschaft defmiert, kann sie auch die Ausgabe von Stimmrechtsaktien grundsätzlich beschließen, wenn sie es im Interesse der Aktiengesellschaft für erforderlich hält 103 • Als Lösung bot sich dann nurmehr noch die Ablehnung der Stimmrechtsaktie grundsätzlich wegen eines Verstoßes gegen Grundprinzipien des Aktienrechts an, wie dies insbesondere Nußbaum vertrat104 • Mit der Auseinandersetzung um die Anerkennung eines eigenen, von dem der Aktionäre unvermittelten Interesse des Unternehmens im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich ist der Hauptgegenstand des Streits in der Diskussion um die Stimmrechtsaktie im Rahmen ihrer Rechtfertigung mit der Verselbständigung des Unternehmens angesprochen. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Streit in der Begründung der Funktion des Stimmrechtsaktionärs als Treuhänder des Unternehmens und der Aktiengesellschaft. IV. Treubandfunktion der Stimmrechtsaktie Schon bei der Analyse der Rechtfertigung der Stimmrechtsaktie mit einem Interesse des Unternehmens und der Aktiengesellschaft an der Kontinuität der Verwaltung wurde deutlich, daß nach der Begründung dieses Interesses mit der Lehre vom Unternehmen an sich die Stimmrechtsaktie in ihrer Entstehung und ihrem Bestand bedingt ist durch das Interesse des Unternehmens. Dementsprechend wurde mit der Lehre vom Unternehmen an sich entscheidend darauf abgestellt, daß die Stimmrechtsaktie von ihrem Inhaber treuhändefisch für das
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Nußbaum, in: ZBH 1926, S. 288,291. Lifschütz, in: JW 1928, 204, 205. Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 138 f. S. oben S. 162 f. m. Nachw. in Fn. 25
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Unternehmen und die Aktiengesellschaft gehalten wird 105• Außer mit der Lehre vom Unternehmen an sich gab es weitere Ansätze zur Begründung einer Treuhandstellung der Stimmrechtsaktionäre. Die Definition der von den Stirnrnrechtsaktionären wahrzunehmenden Interessen bezog sich zumeist auf die Aktiengesellschaft im Sinne der Mehrheit der Aktionäre. 1. Nach der Lehre vom Unternehmen an sich
Folge der Anerkennung des Unternehmens und eines Unternehmensinteresses war nach Netter, daß der Stimmrechtsaktionär eine Treuhandstellung zum Unternehmen einnahm. Das führte nach ihm jedoch nicht zur Bedeutungslosigkeit der übrigen Aktionäre und ihrer Interessen für das Verhältnis von Stirnrnrechtsaktionär und Unternehmen. Dies hätte auch der Lehre vom Unternehmen an sich nicht entsprochen, die ja nicht zu einer Entrechtung der Aktionäre führt, wie dies ihre Kritiker auf dem Boden der traditionellen Vorstellung von der Aktiengesellschaft erklärten, sondern zu einem Ausgleich der in der Aktiengesellschaft widerstreitenden Interessen, allerdings unter dem Primat des Unternehmens und seines Interesses. Ganz in diesem Sinne meinte Netter, daß die Stimmrechtsaktionäre ihre Rechte und Pflichten durch den Beschluß der Generalversammlung erlangten, mit dem die Ausgabe von Stimmrechtsaktien beschlossen werde. Sie erhielten dadurch einen Teil der Rechte der Gesamtheit der Aktionäre. Vorrangig sei jedoch, daß die Stimmrechtsaktionäre Treuhänder des Unternehmens würden 106• Dadurch ergab sich das Problem, wie das Interesse des Unternehmens in Abgrenzung zu denen der Aktionäre, insbesondere der Mehrheit der Aktionäre, die ja die Ausgabe der Stimmrechtsaktien beschlossen hat, zu bestimmen ist. Dies blieb ebenso unklar wie auch schon in der Entwicklung der Lehre vom Unternehmen an sich in ihrer abstrakten Form. Die Begründung der Treuepflicht der Stimmrechtsaktionäre mußte deswegen lückenhaft bleiben, weil wegen der offen gebliebenen Frage der Bestimmung der Interessen des Unternehmens auch die Frage der Anknüpfung der Treuepflicht letztlich nicht restlos begründet werden konnte. Netter beantwortete die naheliegende Frage, ob die Gesamtheit der Aktionäre das Interesse des Unternehmens defmiere, unterschiedlich. 1929, also noch vor seiner ausführlichen Begründung der Lehre vom Unternehmen an sich in 1932, erklärte er, daß die Gesamtheit der Aktionäre das Unternehmen ausmache. Treuhänder des Unternehmens bedeute Treuhänder der
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Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, I 929, S. 40. Netter, in: ZBH 1930, S. 290, 295.
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3. Teil Die Refonn des Aktienrechts
Aktionäre in ihrer Gesamtheit, da das Unternehmen verkörpert werde "lediglich durch die Gesamtheit der Aktionäre." Deren Rechtsstellung sei durch die Stimmrechtsaktien zulässigerweise eingeengt, weil die Stimmrechtsaktien im Interesse des Unternehmens und dadurch der Aktionäre insgesamt geschaffen und auch ihr Stimmrecht ausgeübt werde 107• Daraus folge, daß die Ausübung des Stimmrechts durch die Stimmrechtsaktionäre immer dann zulässig sei, wenn dies dem Interesse des Unternehmens diene 108 • Während dies noch auf eine Identität des Interesses des Unternehmens mit dem der Gesamtheit der Aktionäre hindeutet, ließ Netter 1930 dies ausdrücklich offen 109• Entscheidend war nach ihm nunmehr, daß die Stimmrechtsaktien durch das Vertrauen der Mehrheit der Generalversammlung geschaffen und daß die Aktien im Sinne der Gesellschaft und des Unternehmens verwendet würden. Daraus folge eine entsprechende Treuepflicht des Stimmrechtsaktionärs110• Unerheblich sei deswegen, wer die Stimmrechtsaktien übernehme, da eine Verwendung entgegen der bestehenden Treuepflicht unzulässig sei 111 • Mit dieser Erklärung wurde jedoch das Problem der Bestimmung der maßgeblichen Interessen nicht gelöst. Zusätzlich zweifelhaft wurde, ob es auf die Interessen der Aktiengesellschaft oder des Unternehmens ankommt und ob zwischen diesen ein Unterschied besteht. Auch in der ausfiihrlichen Begründung der Lehre vom Unternehmen an sich 1932 konnte Netter das Problem der Bestimmung der Interessen des allein maßgeblichen Unternehmens nicht befriedigend lösen, obgleich ihm wesentliche Fortschritte bei der Erklärung der Bedeutung des Unternehmens im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich gelangen 112 • Nach der Lehre vom Unternehmen an sich nahm also der Stimmrechtsaktionär eine Treuhandstellung zum Unternehmen ein. Seine Treuepflicht knüpft an die Interessen des Unternehmens an 113 • Die Bestimmung der für das Treueverhältnis maßgeblichen Interessen des Unternehmens gelang jedoch nur unvollständig.
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Netter, Problerne des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 69. Netter, Problerne des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 69. Netter, in: ZBH 1930, S. 290, 295. Netter, in: ZBH 1930, S. 290, 296 f. Netter, in: ZBH 1930, S. 290,297 f. S. ausfUhrlieh dazu oben S. 100 tf. Netter, in: FS f. A. Pinner, Bd.lll, 1932, S. 507,591 f.
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2. Andere Ansätze
Eine Treuepflicht des Stimmrechtsaktionärs wurde in der Weimarer Republik über die Vertreter der Lehre vom Unternehmen an sich hinaus auch von anderen Autoren angenommen. Dabei spielte insbesondere die Erklärung des Strukturwandels von Wirtschaft und Aktiengesellschaft eine bedeutende Rolle. Ausgangspunkt war die Erklärung der Strukturwandlungen in Bezug auf Stellung und Interessen der Aktionäre. Angenommen wurde, daß der durchschnittliche Aktionär lediglich an einer kapitalistischen Beteiligung an der Aktiengesellschaft interessiert sei und es deswegen nicht gerechtfertigt sei, ihm die Macht in der Aktiengesellschaft zu überlassen. Daraus wurde gefolgert, daß die Verwaltung nicht mehr allein die Aufgabe der Wahrnehmung der Interessen der Aktionäre habe. Bis hierhin entspricht dies der Erklärung der Strukturwandlungen in der Lehre vom Unternehmen an sich. Worin genau die Aufgabe der Verwaltung nunmehr bestehen sollte, wurde unter den verschiedenen Ansätzen allerdings unterschiedlich beurteilt. Das hatte zur Folge, daß der Treunehmer der Stirnrnrechtsaktionäre nicht einheitlich festgestellt wurde. Neben der Begründung einer Treuepflicht gegenüber dem Unternehmen oder der Aktiengesellschaft wurde auch die Gesamtheit der Aktionäre als Treunehmer erkannt. Zu unterscheiden sind zwei zeitliche Phasen. Für deren Trennung bildet das Erscheinen der Haußmannschen Schrift »Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht« 1928, mit dem die Diskussion der Lehre vom Unternehmen an sich unter dieser Bezeichnung begann, die Zäsur. Für die Zeit danach kann vermehrt auch die ausdrückliche Bezugnahme auf die Lehre vom Unternehmen an sich oder das Unternehmen an sich festgestellt werden. a) Vor Haußmanns Schrift "Vom Aktienwesen" Von einigen Autoren wurde vor 1928 die Aufgabe der Verwaltung abgeleitet von der Defmition der Rolle der Aktiengesellschaft in der Volkswirtschaft und ihrer Bedeutung für den Staat und die Gesellschaft. Die Folgerungen daraus in Bezug auf die Selbständigkeit der Aktiengesellschaft gingen zumeist über die diesbezüglichen Feststellungen in der Lehre vom Unternehmen an sich hinaus. Für die unmittelbare Nachkriegszeit und die Zeit der Inflation dürfte dies zu einem guten Teil den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verwerfungen dieser Zeit geschuldet sein, die einen Schutz der Aktiengesellschaft vor rein spekulativen Beteiligungen zum Schaden der Gesellschaft als geboten erschienen ließen 114 • Wegen der besonderen Bedeutung der Aktiengesellschaft für den
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3. Teil Die Refonn des Aktienrechts
Staat und die Gesellschaft wurde die Aufgabe der Verwaltung nicht mehr alleine in der Wahrnehmung der Interessen der Aktionäre gesehen. Sie habe nunmehr der veränderten Bedeutung der Aktiengesellschaft Rechnung zu tragen. So meinte Planitz (Professor, Köln) 1922, daß die "soziologischen Grundlagen" der Aktiengesellschaft darin bestünden, daß die Verwaltung nicht mehr Hüterin des ihr anvertrauten Kapitals sei, sondern die Aufgabe habe, "im Wirtschaftskampfe neue Werte zu schaffen". Das dazu nötige Kapital der Aktionäre stünde nicht an erster Stelle in der Aktiengesellschaft, diese komme vielmehr dem produktiven Menschen zu 115 • Ganz ähnlich argumentierte auch Frank-Fahle 1923. Er meinte, daß die Gesetzgebung nicht die Aufgabe habe, eine Bewegung, die in der Schaffung der Stimmrechtsaktie ihren Ausdruck gefunden habe, zu hemmen. Die Aktiengesellschaft habe sich von einem rein privatwirtschaftlichem zu einem halb-öffentlichem Unternehmen entwickelt, das sich mehr und mehr mit dem Nationalwirtschaftlichen verbinde. Für die Aktiengesellschaft könne deswegen das Ziel der Gesetzgebung nur in ihrer ,,Fortbildung in gemeinwirtschaftlichem Sinne unter Stärkung der Bedeutung des Unternehmers sein." 116 Es sei jedoch nicht sinnvoll, den Staat mit der Wirtschaft zu assoziieren. Die Wirtschaft sei in die staatlichen Aufgaben einzubinden, wie dies im Rahmen der Kriegsrohstoffwirtschaft geschehen sei 117• Wegen der großen Bedeutung der Aktiengesellschaft fiir die Wirtschaft, den Staat und die Gesellschaft sei sie so zu organisieren, daß diejenigen die Leitung der Gesellschaft ausübten, die "sich voll bewußt sind, Hüter und Förderer des Volksgute und der Produktion zu sein, und welche unter Wahrung der Interessen der Einzelgesellschaft das nationale Interesse nicht aus dem Auge verlieren." 118 Die Argumentationen zeigen deutliche Entsprechungen zur Lehre vom Unternehmen an sich, insbesondere zur Substitution des Grundes der Aktiengesellschaft nach Rathenau. Vor dem Hintergrund des solchermaßen erklärten Struk'turwandels von Wirtschaft und Aktiengesellschaft wurde die Stimmrechtsaktie als gerechtfertigt und notwendig angesehen, damit die Verwaltung in die Lage versetzt werden könne, ihre neue Funktion auszuüben. Aus dieser Zweckbestimmung folge zugleich die Begrenzung der Stimmrechtsaktie 119 • Sie dürfe also
114 S. dazu die Begründung der Stimmrechtsaktien mit der Gefahr der äußeren Überfremdung oben S. 166 ff. 115 Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 46 f. 116 Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 134. 117 Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 139. IIM Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 135. 119 Vgl. Planitz, Stimmrechtsaktie, 1922, S. 48; Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, s. 140.
A. Stimmrechtsaktie
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nicht lediglich dazu dienen, die Aktionäre zu entrechten, was ganz der Begründung der Stimmrechtsaktie durch die Vertreter der Lehre vom Unternehmen an sich entspricht. Daraus ergab sich die Funktion der Stimmrechtsaktionäre als Treuhänder von selbst. Deutlich wird dies an den Ausführungen Frank-Fahles, mit denen er begriindete, daß das Stimmrecht auf einen Treuhänder übertragen werden sollte. Grundlage dessen war für ihn, daß der aktienrechtliche Grundsatz nicht verletzt werden dürfe, wonach jeder Aktie ein Stimmrecht zukomme 120• Der Charakter der Aktiengesellschaft als Kapitalgesellschaft müsse beachtet werden, was jedoch nicht geschehe, wenn die Stimmrechtsaktien "das Kapital" wirkungslos machen könnten dadurch, daß die Zahl der Stimmen der Stimmrechtsaktien die der Stammaktionäre übersteige 121 • Um einen Ausgleich zwischen Kapital und Unternehmer zu erreichen, sei es sinnvoll, einen Teil der Stimmrechtsaktien einem Treuhänder zu übertragen 122 • Entscheidend ist, daß den Stimmrechtsaktien eine vermittelnde Funktion zwischen Kapital und Unternehmer zukommt, die ihre Treuhandfunktion begründet. Unklar bleibt jedoch, welche Interessen genau ausschlaggebend sein sollen. Ganz ähnlich hob Schmulewitz (Rechtsanwalt, Berlin) 1927 auf die Bedeutung und den Vorrang des Unternehmers gegenüber dem Kapital ab. Aus ihnen ergebe sich eine Treuepflicht der Stimmrechtsaktionäre gegenüber dem Unternehmen. Er erklärte, daß es allgemein gebilligt sei, daß das Schwergewicht in der Aktiengesellschaft bei den "mit Unternehmergeist erfüllten Persönlichkeiten und nicht bei den 'nur Kapitalisten'" liege". Das Streben der herrschenden Unternehmensaktionäre nach Aufrechterhaltung ihrer Macht im Unternehmen sei "volkswirtschaftlich wertvoll", denn es trage zur Schaffung "starker, lediglich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geleiteter Unternehmungen bei" 123 • Entscheidend war nach ihm demnach die Bedeutung der Unternehmungen, deren Wohlergehen auf dem Machterhalt der Unternehmeraktionäre basierte. Daraus ergab sich konsequent die Berechtigung der Stimmrechtsaktien zur Stützung der Macht der Unternehmeraktionäre im Interesse des Unternehmens. Die Bindung und Verwendung des Stimmrechts der Stimmrechtsaktie sollte "unter dem Gesichtspunkt der Förderung und der stetigen Entwicklung des Aktienunternehmens" erfolgen 124 •
° Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 58 ff. u. 62.
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Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 61 ff. Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 138 f. 123 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. II f.; ähnlich auch Frank-Fahle, Stimmrechtsaktie, 1923, S. 135. 124 Schmulewitz, Verwaltungsaktie, 1927, S. 18. 121
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3. Teil Die Refonn des Aktienrechts
An den untersuchten Begründungen der Treuepflicht der Stimmrechtsaktionäre vor 1928 wurden deutliche Entsprechungen zur Lehre vom Unternehmen an sich erkennbar. Sie beziehen sich insbesondere auf die Anerkennung des Vorrangs des Unternehmens und seines Interesses in der Aktiengesellschaft. Dies wiederum führte zu der Annahme einer Treuhandstellung der Stirnrnrechtsaktionäre zum Unternehmen. Inwieweit sich dies nach dem Erscheinen der Haußmannschen Auseinandersetzung mit der Lehre vom Unternehmen an sich 1928 fortsetzte, ist nunmehr zu untersuchen. b) Nach Haußmanns Schrift "Vom Aktienwesen" Ausgehend vom Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft kamen einige Autoren nach dem Beginn der Diskussion der Lehre vom Unternehmen an sich unter dieser Bezeichnung zu Folgerungen für die Aktiengesellschaft, die Bedeutung des Unternehmens für die Aktiengesellschaft und die Bewertung der Interessen in der Aktiengesellschaft, die mit denjenigen der Lehre vom Unternehmen an sich weitgehend übereinstimmten und zum Teil unter ausdriicklicher Bezugnahme auf sie erfolgten. Am bedeutendsten für die Reform des Aktienrechts waren die Antworten des Deutsche Anwaltvereins zu den Fragebogen des Reichsjustizministeriums und der Bericht der Kommission des 34. Deutschen Juristentags zur Prüfung einer Reform des Aktienrechts. An ihnen lassen sich im Hinblick auf die Anerkennung einer Treuhandstellung der Stimmrechtsaktionäre deutlich Übereinstimmungen mit der Lehre vom Unternehmen an sich feststellen. Die durch den 34. Deutschen Juristentag eingesetzte Kommission zur Prüfung einer Reform des Aktienrechts ging von einer Veränderung der Aktiengesellschaft durch den Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesellschaft aus, betonte jedoch ausdriicklich, daß auch durch eine Reform des Aktienrechts der Charakter der Aktiengesellschaft als Kapitalgesellschaft gewahrt bleiben müsse125. Die Feststellungen im Kommissionsbericht zur Stellung der Verwaltung wahren noch eine weitgehende Neutralität gegenüber der Lehre vom Unternehmen an sich. Die Kommission war zwar mehrheitlich der Meinung, daß es nicht im Interesse des Unternehmens sei, wenn die Verwaltung "sich als unabsetzbar empfinde", erklärte aber gleichzeitig, daß die Verwaltung vor ,,Zufallsmehrheiten" geschützt werden müsse 126 • Deuten diese Äußerungen noch auf den Versuch des Ausgleichs zwischen der Forderung nach Wiederherstellung der Akti-
125 126
AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 26. AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 25.
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endemokratie einerseits und der Beriicksichtigung des Unternehmens und seiner Interessen im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich andererseits hin, zeigen die weiteren knappen Ausführungen zur Stimmrechtsaktie, daß die Mehrheit der Kommission der Anerkennung des Unternehmens und seiner Interessen als maßgeblichem Faktor für die Lösung des Problems der Stimmrechtsaktie zuneigte. An den Ausführungen im Kommissionsbericht läßt sich die Aufgabe der Auffassung von einer Aktiengesellschaft, die allein durch die Aktionäre beherrscht wird, erkennen. Das zeigt sich vor allem daran, daß das Interesse des Unternehmens an einer Verwaltung, die allein dem Wohlergehen des Unternehmens verpflichtet ist, anerkannt wurde. So wurde erklärt, daß nur ein "Dauerinteresse" am Unternehmen den Einfluß auf die Leitung der Aktiengesellschaft rechtfertige, was bei Aktionären fehle, die allein wegen spekulativer Grunde sich an ihr beteiligten. Deswegen sei die Sicherung des Einflusses der Verwaltung durch Stimmrechtsaktien ,,heute unter Umständen um so notwendiger, als die zunehmende Spekulation der Vermögenswerte die Aktienpakete in einem Umfange zum Spielball spekulativer Interessen gemacht habe, wie es in der Vorkriegszeit nicht denkbar gewesen sei." 127 Stimmrechtsaktien sollten daher bestehen bleiben können, wenngleich zukünftig für ihre Ausgabe eine Mehrheit von 75% der Generalversammlung erforderlich sein sollte 128 • Darüberhinaus sollten sie nach 5 Jahren seit ihrer Ausgabe eingezogen werden können 129• Die Sicherung des Einflusses der Verwaltung vor und gegenüber neuen Mehrheiten in der Aktiengesellschaft bedeutet, daß der Verwaltung und den Stimmrechtsaktionären eine Treuhandstellung zugesprochen wurde. In der Abgrenzung gegenüber neuen Mehrheiten bedeutet dies zugleich, daß die Treuepflicht nicht zu Gunsten der Mehrheit der Aktiengesellschaft besteht. Dadurch wurden notwendigerweise eigene Interessen der Aktiengesellschaft vorausgesetzt, die nicht von der Mehrheit defmiert werden, vor derem schädlichen Einfluß auf die Aktiengesellschaft die Stimmrechtsaktien schützen sollten. Die Vorstellung von der durch die Mehrheit der Aktionäre bestimmten Aktiengesellschaft und ihres Interesses war damit aufgegeben und ein wesentliches Element der Lehre vom Unternehmen an sich aufgenommen worden. Ausführlicher als die Kommission des 34. Deutschen Juristentags äußerte sich der Deutsche Anwaltverein in seinen Antworten auf die Fragebogen des Reichsjustizministeriums zur Stimmrechtsaktie. Grundlage dieser Äußerungen waren die Erklärungen zum Strukturwandel von Wirtschaft und Aktiengesell127 12R 129
AktR-Komm. d. 34 OJTs, Bericht, 1928, S. 25. AktR-Komm. d. 34 OJTs, Bericht, 1928, S. 24 u. 27. AktR-Komm. d. 34 DJTs, Bericht, 1928, S. 26.
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3. Teil Die Reform des Aktienrechts
schaft. An ihnen und den Folgerungen, die der Deutsche Anwaltverein aus ihnen zog, zeigen sich deutliche Entsprechungen zur Lehre vom Unternehmen an sich, was auch von den Diskutanten in der Weimarer Republik allgemein bemerkt wurde 130• Die Übernahme wesentlicher Elemente der Lehre vom Unternehmen an sich findet sich durchgängig in den Antworten des Deutschen Anwaltvereins zu den Fragebogen des Reichsjustizministeriums 131 • Ebenso wie die Kommission des 34. Deutschen Juristentages gab auch der Deutsche Anwaltverein den dem kodifizierten Recht zu Grunde liegende Begriff von der Aktiengesellschaft auf' 32• Der Deutsche Anwaltverein erkannte zunächst, daß die Strukturwandlungen von Wirtschaft und Aktiengesellschaft zu einer Verschiebung der Macht in der Aktiengesellschaft von den Aktionären auf die Verwaltung geführt hatten, was der allgemeinen Ansicht entsprach. Diese Machtverschiebung entspreche "den allgemeinen wirtschaftlichen Wandlungen", "insbesondere der Tendenz der Versachlichung des Unternehmens" und könne daher durch legislatorische Maßnahmen nicht korregiert werden133 • Ebenso wie die Kommission des 34. Deutschen Juristentags sprach sich der Deutsche Anwaltverein daher für die Zulässigkeil von Stimmrechtsaktien aus. Lediglich eine Minderheit votierte für ihre völlige Beseitigung 134• Nach Ansicht der Mehrheit konnte nicht festgestellt werden, daß Stimmrechtsaktien "grundsätzlich wirtschaftlich nachteilig" seien135. Stimmrechtsaktien seien noch immer wirtschaftlich nützlich und ihre Existenz daher berechtigt. Allerdings sei ihrem Mißbrauch vorzubeugen136 • Die Machtverschiebung und die Versachlichung des Unternehmens, die nach dem Deutschen Anwaltverein ihren Ausdruck in den Stimmrechtsaktien gefunden hatte, führte ihn zur Annahme einer Treuhandstellung der Stimmrechtsaktionäre. Den Treuhandcharakter der Stimmrechtsaktien hob er ausdrücklich hervor. Er sah jedoch nicht das Unternehmen als Treunehmer und damit ver130 Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 66 f.; Netter, in: ZBH 1931, I, 37, 59 (39 f.). 131 Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 67 f.; ders., in: JW 1930, S. 1364. Unzutreffend meint Schubert, in: Schubert I Hommelhoff(Hg.), Aktienrechtsrefonn, 1987, S. 9, 29, u. auch schon Drescher, Interessen des Einzelaktionärs, 1932, S. 59, lediglich im programmatischen Teil der Antworten des Deutschen Anwaltvereins finde sich eine Annäherung an die Lehre vom Unternehmen an sich. 132 Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 70. 133 DA V, Antworten II, 1929, S. 15. 134 DA V, Antworten II, S. 131 f., 134; vgl. Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 193 I, S. 64 f. 135 DAV, Antworten 11, S. 131 f. 136 DAV,Antwortenll,S. I33f. u. l38.
A. Stimmrechtsaktie
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selbständigtes Bezugssubjekt an, sondern die Aktiengesellschaft. Darin besteht ein bedeutender Unterschied zur Begründung der Treuhandstellung der Stirnrnrechtsaktionäre mit der Lehre vom Unternehmen an sich. Der Deutsche Anwaltverein erklärte, daß die Stimmrechtsaktionäre als treuhänderisch gebundene Beauftragte der Aktiengesellschaft anzusehen seien, deren Interesse sie durch das Stimmrecht wahrzunehmen hätten 137• Er empfahl, diesen Treuhandcharakter ausdrücklich zu normieren 138 • Und in Abgrenzung zur Lehre vom Unternehmen an sich wird weiter betont, daß kein ,,Dauerinteresse des Unternehmens als solches" anzuerkennen sei, das einen Schutz vor den Individualinteressen der Aktionäre verdiene. Das Dauerinteresse sei vielmehr das Interesse der Gesellschaft vor einem Mißbrauch des mehrfachen Stimmrechts zu gesellschaftsfremden Zwecken 139 • Trotz dieser verbalen Abgrenzung gegenüber der Lehre vom Unternehmen an sich liegt in der Konzeption der Treuhandstellung des Stimmrechtsaktionärs die Übernahme eines wesentlichen Elements der Lehre vom Unternehmen an sich. Ausgehend von der Überlegung, daß die Stimmrechtsaktionäre die Mehrheit in der Generalversammlung bilden können, kann ein Mißbrauch des Stimmrechts im Sinne des Deutschen Anwaltvereins durch eine Verletzung der Interessen der Aktiengesellschaft nur dann vorliegen, wenn sich die Interessen der Aktiengesellschaft nicht durch die Mehrheit in der Generalversammlung definieren. Dadurch werden selbständige Interessen der Aktiengesellschaft vorausgesetzt, die nicht ausschließlich bedingt sind von denen der Aktionäre. Dies entspricht der Lehre vom Unternehmen an sich. Nach dieser sind darüberhinaus allerdings die Interessen des Unternehmens entscheidend für die Interessen der Aktiengesellschaft. Das Anknüpfen der zu schützenden Interessen an die Aktiengesellschaft anstatt am Unternehmen bedeutet jedoch nicht die Ablehnung der Lehre vom Unternehmen an sich. Dies zeigen die Ausfiihrungen, die sich ausdrücklich mit ihr beschäftigen. So erklärte der Deutsche Anwaltverein, daß der ,,Rechtsgedanke" des Unternehmens an sich geeignet sei, als Ausgleichsprinzip fiir die widerstreitenden Interessen in der Aktiengesellschaft zu dienen 140• Weiter erklärte er dazu, daß zwar im Gegenzug zur Verringerung der Rechtsstellung des AktioDA V, Antworten II, S. 134. DAV, Antworten II, 1929, S. II 0; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 69, bemängelte, daß solchen Ansichten keine Vorschläge für die Umsetzung in die rechtstechnische Praxis gefolgt seien. 139 DAV, Antworten I, 1929, S. 137; vgl. Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 66. 140 DAV, Antworten II, 1929, S. 16; vgl. Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 68. 137
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3. Teil Die Refonn des Aktienrechts
närs und der Generalversammlung auch das Aktionärsinteresse wirksamer zu schützen sei. Ein solcher Schutz sei jedoch nur insoweit gerechtfertigt, als der Schutz der Interessen der Aktionäre nicht das Interesse des Unternehmens gefährde. Der gesteigerten Macht der Verwaltung müsse sowohl eine Verstärkung des Schutzes der Aktionäre als auch des Unternehmens entsprechen 141 • Das entspricht ganz der Lehre vom Unternehmen an sich. Die Bedeutung, die der Deutsche Anwaltverein dem beimaß, ergibt sich auch aus seinem Vorschlag fiir eine Reform des Aktienrechts. Er meinte, daß der ,,Rechtsgedanke[n] des Schutzes der Unternehmung" bei der Regelung spezieller Probleme des Aktienrechts zu berücksichtigen sei, wie etwa bei denen der Stimmrechtsaktien und der Generalklausel 142• Die Ansicht, daß die Verwaltung nicht mehr in erster Linie die Interessen der Aktionäre verfolgen, sondern im Interesse der Aktiengesellschaft und des Unternehmens handeln solle, war auch die vorherrschende Ansicht unter den Mitgliedern der Verwaltungen der Aktiengesellschaften. Dementsprechend ergab sich die Funktion der Stimmrechtsaktie zur Stützung der Verwaltung bei der Wahrnehmung ihrer neu defmierten Aufgabe und damit die Treuhandstellung des Stimmrechtsaktionärs. Insbesondere Solmssen begründete dies ausfiihrlich. Er selbst war Geschäftsinhaber der Discanto-Gesellschaft (Berlin) 143 und wurde als der inoffizieller Vertreter der Positionen der Banken angesehen 144• Zwar hatte Salmssen noch 1926 auf dem Kötner Juristentag betont, daß es sittenwidrig sei, wenn mit Hilfe von Stimmrechtsaktien die Mehrheit des Kapitals überstimmt werden könne 145, was eher auf eine Ablehnung der Funktion der Stimmrechtsaktie als Mittel zur Durchsetzung der Stellung der Verwaltung als VertreteTin der Interessen des Unternehmens im Sinne der Lehre vom Unternehmen an sich hindeutet. Er meinte aber zwei Jahre später, daß es der Verwaltung möglich sein müsse, ihren Willen gegen die Aktionäre durchzusetzen, um die Interessen des Unternehmens zu schützen 146• Damit brachte er deutlich zum Ausdruck, daß 141 DAV, Antworten II, 1929, S. 15 ff., 17; vgl. Hamburger, Neugestaltung des Aktienrechts, 1931, S. 67. 142 DAV, Antworten II, 1929, S. 16. 143 Die Disconto-Gesellschaft war einer der Hauptkonkurrenten der Deutschen Bank bis zur Fusion beider Gesellschaften 1929, s. dazu Feldmann, in: Gall u. a. (Hg.), Die Deutsche Bank. 1870-1995, 1995, S. 138,258 ff. m. w. Nachw. 144 Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 58; Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 6. 145 Verh. d. 34 DJT, 2. Bd., 1927, S. 678,747 ff. 146 Solmssen, Probleme des Aktienrechts, 2 1928, S. 117; vgl. Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts, 1929, S. 58; wie Solmssen auch Schlitter, Vorstandsmitglied der
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dem Interesse des Unternelunens der Vorrang vor denen der Aktionäre zukommt. Um diesen Vorrang zu sichern, waren die Stimmrechtsaktien erforderlich. Aus diese Zweckbestimmung ergab sich die Bindung der Stimmrechtsaktionäre an das Unternelunen und dessen Interesse. Dies entspricht der Begründung der Treuhandstellung der Stimmrechtsaktionäre mit der Lehre vom Unternelunen an sich. Nußbaum meinte denn auch, daß die Ausführungen Solmssens, die eine Idealisierung der Verwaltung bedeuteten147, durchzogen seien von der Vorstellung, daß die Stimmrechtsaktie nicht den Interessen der Stimmrechtsaktionäre, sondern "denen der Gesellschaft selbst dienen sollen." 148 Die Argumentation von Solmssen lief jedoch nicht auf die von Nußbaum erkannte Idealisierung der Verwaltung in dem Sinne hinaus, daß sie vollständig von den Aktionären und deren Interessen entkoppelt werden sollte. Vielmehr korrespondierte der Lösung der Verwaltung von den Aktionären, entsprechend der Lehre vom Untemelunen an sich, eine Anhindung der Verwaltung an die Interessen des Untemelunens. Auch die Argumentation von Solmssen basierte insoweit auf der Erkenntnis, daß ein Gegensatz zwischen den Interessen der durchschnittlichen Aktionäre und den Verwaltungen, die dem Wohlergehen und den Interessen der Unternelunen verpflichtet seien, entstanden sei. Insbesondere müsse das Untemelunen vor allein zu spekulativen Zwekken erworbenen Aktien von ,,Piratenminoritäten" geschützt werden. Die Stirnrnrechtsaktie diene diesem Schutz des Unternelunens und der Aktiengesellschaft und sei auch weiterhin wegen ihrer Funktion zur Wahrung der Interessen des Untemelunens erforderlich. Allein ein Schutz vor ihrem Mißbrauch in dem Sinne sei geboten, daß sie nicht zum Wohle des Untemelunens verwendet würdel49. 3. Ansichten der Gegner der Lehre vom Unternehmen an sich
Die Ansichten der Gegner der Lehre vom Untemelunen an sich zur Treuepflicht des Stimmrechtsaktionärs waren unterschiedlich. Während die Mehrheit unter ihnen eine Treuhandstellung des Stimmrechtsaktionärs zu Gunsten der Aktiengesellschaft annalun, wurde dies von wenigen als ein Verstoß gegen die Grundlagen des Aktienrechts strikt abgelehnt. Diejenigen, die eine TreuhandDeutschen Bank, vor dem Enquete-Ausschuß, Enquete, Verhandlungen und Berichte, 1928, s. 186. 147 Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 6 f. 14K Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 17. 149 Solmssen, in: Ring I Schachian (Hg.), Praxis der Aktiengesellschaft (1929), s. 679, 683.
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3. Teil Die Refonn des Aktienrechts
stellung annahmen, gelangten zu dem Problem der Bestimmung der Interessen der Aktiengesellschaft in Abgrenzung zu denjenigen der Aktionäre. Denn wenn die Interessen der Aktiengesellschaft nach der traditionellen Vorstellung durch die Mehrheit in der Generalversammlung defmiert werden, ergibt sich das Problem, daß die Aktiengesellschaft ihre Interessen selbst bestimmen kann, wenn die Stimmrechtsaktionäre die Mehrheit in der Generalversammlung bilden, da sie ja ihrerseits an die Aktiengesellschaft gebunden sein sollen150• Damit allerdings wäre das anerkannt worden, was in der Lehre vom Unternehmen an sich vehement bekämpft wurde, nämlich die Abkoppelung der Aktiengesellschaft und ihrer Verwaltung von den (Stamm-)Aktionären. Vor dieses Problem sah sich vor allem Nußbaum gestellt. Entgegen der naheliegenden Vermutung, daß er vor dem Hintergrund seiner Forderung nach Wiederherstellung der Aktiendemokratie eine Treuhandstellung des Stirnrnrechtsaktionärs gegenüber der Aktiengesellschaft hätte ablehnen müssen, erklärte er, daß die Stimmrechtsaktien im Interesse der "Gesellschaft als solcher'' stünden und sich daraus ihre Beschränkungen ergäben151 • Er schlug vor, das gesamte Stimmrecht der Stimmrechtsaktien auf eine Stimmrechtsaktie zu konzentrieren. Damit würde deutlich, daß die Stimmrechtsaktie nicht einzelnen Personen, sondern "der Gesellschaft als solcher'' diene 152• Dies bedeutet jedoch nicht die Übernahme der Lehre vom Unternehmen an sich durch Nußbaum, sondern den Versuch, die Stimmrechtsaktie an die Stammaktionäre anzubinden und ihnen dadurch ihre von Nußbaum angenommene Wirkung zur Entrechtung der Aktionäre zu nehmen. Das läßt sich zeigen an seiner "Gesellschaft als solcher''. Zwar wurde sie von ihm nicht näher erklärt. Aus der Beschreibung ihrer Auswirkungen auf die Stimmrechtsaktie kann jedoch abgeleitet werden, daß sie als Verband, etwa im Sinne 0. v. Gierkes zu verstehen ist. Jedoch bedeutet auch das die Anerkennung von eigenen Interessen der Aktiengesellschaft, die nicht lediglich diejenigen sind, die die Mehrheit defmiert. An diese Interessen der Gesellschaft als solcher sollte der Stimmrechtsaktionär nach Nußbaum gebunden sein. Die Begründung der Treuhandstellung des Stimmrechtsaktionäre zur Gesellschaft als solcher weist daher eine Nähe zur Begründung der Treuhandstellung des Stimmrechtsaktionärs zum Unternehmen mit der Lehre vom Unternehmen an sich aus. Der Gedanke, daß die Stimmrechtsaktien nicht den Interessen der Stimmrechtsaktionäre, sondern denen der "Gesellschaft selbst" dienen, war nach Nuß-
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Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 76 tf. Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 17. Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 15.
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baumeiner von "wesentlicher rechtlicher Bedeutung" 153 • Die Anhindung an die Interessen der Gesellschaft ergab sich fiir ihn daraus, daß die Beschränkungen der Stimmrechtsaktionäre in den Regelungen der Konsortialverträge im Interesse der Gesellschaft vereinbart würden. Darauf deutet seine Äußerung hin, daß die Aktionäre ein berechtigtes Interesse daran hätten, über die Beschränkungen der Stimmrechtsaktionäre in den Konsortialverträgen unterrichtet zu werden. Ihnen stehe der Anspruch zu, "daß die Stimmrechtsaktien wenigstens rechtlich auf das engste mit den Gesellschaftsinteressen verknüpft" seien 154 • Durch die Annahme der Beschränkung der Stimmrechtsaktionäre im Interesse der Gesellschaft gelangte Nußbaum folgerichtig zu der Feststellung, daß die Stimmrechtsaktionäre in einem Treueverhältnis zur Gesellschaft als solcher standen ISS. Unklar bleibt, wie die Interessen dieser Gesellschaft als solcher im einzelnen zu defmieren sind, vor allem ihre Abgrenzung zu denen der Aktionäre. Deutlich wird jedoch, daß es sich um von denen der Stimmenmehrheit verschiedene Interessen handelt. Denn wenn die Stimmen der Stimmrechtsaktien die Mehrheit bilden, müssen die Interessen der Gesellschaft zumindest ab diesem Zeitpunkt andere als die der Stimmenmehrheit sein. Wenn die Interessen der Aktiengesellschaft jedoch nicht von der Mehrheit der Stimmen defmiert werden, kam noch die Mehrheit des Kapitals in Frage. Das blieb jedoch unklar, Nußbaum machte dazu keine Angaben. Ähnlich wie von Nußbaum wurde eine Treuepflicht der Aktionäre gegenüber der Aktiengesellschaft als Bedingung fiir die Schaffung und den Bestand von Stimmrechtsaktien auch von anderen Vertretern der Forderung nach einer Wiederherstellung der Aktiendemokratie anerkannt, wobei ebenfalls das Problem der Bestimmung der Interessen der Aktiengesellschaft entstand und entweder ignoriert oder nicht befriedigend gelöst wurde 156 • Ludewig (Professor, Prag) versuchte diese Schwierigkeit zu umgehen. Nach ihm war die Entwicklung zur Herrschaft der "Verwaltungspartei" in der Aktiengesellschaft nicht aufzuhalten und sie auch grundsätzlich nicht zu verurteilen, solange die "Verwaltungspartei" das "Gesellschaftsinteresse" verfolge. Denn es sei oberster Grundsatz, "daß das Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 18. Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 18. 155 Vgl. Nußbaum, Aktionär und Verwaltung, 1928, S. 17; ders., in: Magazin der Wirtschaft 1928, S. 1903, 1904. 156 Vgl. Hachenburg, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, Ein!. (1932), Anm. 16; Winterberg, Strukturwandlungen des Aktienrechts, 1930, S. 76 ff. Bruch, Reform des Aktienrechts, 1932, S. 51 f., meinte, daß den Stimmrechtsaktien ein "gewisser Treuhandcharakter" zu Gunsten der Aktiengesellschaft c:Cg n sei. Es bestehe jedoch kein Hedürfnis diesen zu kodifizieren·, da die Lehre vom Unternehmen an sich in ihrer "abstrakten Form" abzulehnen sei. 153
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Gedeihen des Unternehmens als solchem im Vordergrund stehen muß"IS7. Die Verwendung von Stimmrechtsaktien im Interesse der Gesellschaft sei daher gerechtfertigt 158 • Damit assoziierte er das Interesse der Aktiengesellschaft mit dem Wohlergehen des Unternehmens, was im Ergebnis eine Annäherung an die Lehre vom Unternehmen an sich bedeutet, da auch nach dieser als eindeutiges Interesse des Unternehmens und der Aktiengesellschaft das Wohlergehen des Unternehmens festgestellt werden konnte 159 • Die Schwierigkeit der Bestimmung der Interessen der Gesellschaft bei Annahme einer Treuhandstellung der Stimmrechtsaktionäre zu Gunsten der Aktiengesellschaft wurde von denjenigen ignoriert, die erklärten, daß die Mehrheit die Interessen der Aktiengesellschaft bestimme, insoweit ganz der hergebrachten Auffassung von der Aktiengesellschaft entsprechend. Danach sollte die Schaffung von Stimmrechtsaktien im Interesse der Gesellschaft erfolgen, "wie es die Mehrheit guten Glaubens auffaßt und auffassen kann" 160• Damit war jedoch eine Begrenzung der Stimmrechtsaktien nach ihrer Ausgabe durch das Interesse der Aktiengesellschaft nicht mehr möglich, jedenfalls dann, wenn sie kraft ihres Stimmrechts die Mehrheit in der Generalversammlung und damit auch nach dieser Ansicht die Interessen der Aktiengesellschaft defmierten. Einen darüber hinausgehenden Lösungsvorschlag machte Lifschütz (Rechtsanwalt, Bremen), nach dem eine Treuhandstellung der Stimmrechtsaktionäre gegenüber der Aktiengesellschaft nicht bestand, jedoch eine nach Treu und Glauben bewirkte Verbundenheit der Aktionäre untereinander, aus der sich Einschränkungen der Ausübung von Rechten in der Aktiengesellschaft ergeben sollten 161 • Die Abwägung der kollidierenden Interessen der Aktionäre habe nach dem jeweiligen Schutzanspruch zu erfolgen, der sich aus der Größe des Anteils am Ganzen ergebe. Dies entspreche dem "Wesen der Kapitalgesellschaft" 162• Aus der Verbundenheit der Aktionäre untereinander folge die Verpflichtung der Stimmrechtsaktionäre, das mehrfache Stimmrecht nur dann auszuüben, wenn die Gefahr virulent sei, für deren Abwehr die Stimmrechtsaktien ursprünglich geschaffen worden seien, nämlich zur Abwehr der äußeren Überfremdung 163 •
Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 71. Ludewig, Hauptprobleme, 1929, S. 72. u 9 Zur Bestimmung der Interessen des Unternehmens durch Netter s. oben S. I 00 ff. 160 Bing, in: Düringer-Hachenburg, HGB, 3 1934, § 185 Anm. 38. 161 Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 143. 162 Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 144. 163 Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 142. 157 15 ~
A. Stimmrechtsaktie
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Grundlage auch der Argumentation von Lifschütz war, daß er eine Eigenständigkeit des Unternehmens und der Aktiengesellschaft in Form von eigenen Interessen ablehnte. Er erklärte, daß die Aktiengesellschaft eine Vereinigung von Personen sei, bei der man das "Gegenständliche" nicht zu stark betonen, also nicht das Unternehmen an sich als ihren Kern betrachten dürfe. Das ,,Kapital" sei die "wichtigste Lebensquelle des Unternehmens" 164• Das Unternehmen "als Ding an sich" habe kein selbständiges Interesse; sein Interesse sei dasjenige aller Aktionäre 165 • Ein Widerspruch zwischen einem Dauerinteresse des Unternehmens mit dem Interesse der Aktionäre sei daher unmöglich. Ein solcher Widerspruch könne nur dann entstehen, wenn man der Auffassung vom Unternehmen an sich folge 166, also dem Unternehmen eigene Interessen zusprechen würde. Vor diesem Hintergrund war die Annahme einer Treuhandstellung der Stimmrechtsaktionäre zu Gunsten des Unternehmens und der Aktiengesellschaft nicht möglich. In einem Aufsatz, der ein Jahr vor den soeben geschilderten Ansichten erschienen war, hatte Lifschütz noch anders argumentiert und dem ,,Allgemeinwohl" eine hervorragende Rolle zuerkannt. Er erklärte zunächst, daß sich in der Aktiengesellschaft der einzelne dem Mehrheitswillen unterzuordnen habe, womit er die ,.höheren Interessen des Ganzen" meinte 167• Seine weiteren Ausführungen lassen nicht erkennen, wie die Bestimmung der Interessen des Ganzen erfolgen soll. Er erklärte, daß Probleme, die im Verhältnis der Minderheit zur Mehrheit in der Generalversammlung entstünden, von ihnen innerhalb der Generalversammlung gelöst werden müßten, weswegen etwa das Recht zur Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen für Einzelaktionäre beschränkt oder ganz beseitigt werden sollte 168 • Das deutet an, daß er die Interessen des Ganzen in dem Ergebnis der Einigung zwischen den widerstreitenden Aktionärsgruppen erkannte. Diese sollte erfolgen nach dem Mehrheitsprinzip, wonach "soweit es sich um rein interne Angelegenheiten der Gesellschaft handelt, muß mit der Entschließung der Mehrheit die Angelegenheit im eigenen Hause der Gesellschaft grundsätzlich ihre Erledigung fmden." 169 Im Ergebnis bedeutet das die Defmition der Interessen des Ganzen durch die Mehrheit. Ein Erkenntnisfortschritt war mit der Einführung des ,.höheren Ganzen" also nicht verbunden. Auch wurde damit nicht das Problem der Anhindung der StimmrechtsakLifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 142. Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 143; so auch Bruch, Reform des Aktienrechts, 1932, S. 45 f.; Schmölder, in: JW 1930, S. 2623,2628. 166 Lifschütz, in: ZBH 1929, S. 132, 143. 167 Lifschütz, in: LZ 1928, Sp. 1649, 1651. 16K Lifschütz, in: LZ 1928, Sp. 1649, 1653 ff. 169 Lifschütz, in: LZ 1928, Sp. 1649, 1654 f. 164 165
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3. Teil Die Reform des Aktienrechts
tionäre -gelöst, da wiederum die Mehrheit fiir die Bestimmung des Interesses entscheidend sein sollte. Einen gänzlich abweichenden Ansatz vertrat Nord (Rechtsanwalt, Hamburg), neben Nußbaum einer der ,,Hauptrufer'' 170 im Streit um die Stimmrechtsaktie und der Forderung nach deren Beseitigung bzw. Einschränkung vor dem Hintergrund des hergebrachten Verständnisses der Aktiengesellschaft. Er versuchte das Problem, das durch die Bindung der Stimmrechtsaktionäre an die Interessen der Gesellschaft entstand, dadurch zu lösen, daß er die Stimmrechtsaktien der Verwaltung zurechnete, der er eigene Rechte zubilligte. Erforderlich wurde dadurch die Abgrenzung der Rechte der Aktionäre von denen der Verwaltung, wodurch das Problem der maßgeblichen Interessen nicht gelöst, sondern auf die Ebene der Bestimmung der Rechte der Verwaltung verlagert wurde. Nach Nord stand jedem Aktionär ein subjektives Recht auf Mitverwaltung gegen die Aktiengesellschaft nach § 250 HGB zu. Dieses Recht sei von demjenigen auf Abstimmung nach § 252 HGB verschieden und werde verletzt, wenn die Verwaltung durch Beschlüsse der Generalversammlung sich eine dauernde Macht sichere 171 • Eine solche Beeinträchtigung des subjektiven Rechts auf Mitverwaltung sei jedoch zulässig, wenn das "objektive Recht" sie zulasse. Stirnrnrechtsaktien seien durch das objektive Recht, also das normierte Recht, zugelassen worden, wodurch sie als eine Beeinträchtigung des Rechts auf Mitverwaltung hinzunehmen seien 172 • Jedoch sei fraglich, wie weit dieses "objektive Recht" die subjektiven Rechte der Aktionäre auf Mitverwaltung einschränke. Seiner Ansicht nach konnte das subjektive Recht des Aktionärs auf Mitverwaltung durch Generalversammlungsbeschlüsse insoweit eingeschränkt werden, als ein subjektives Recht der Verwaltung der Aktiengesellschaft auf dauernde Beherrschung der Gesellschaft ohne äquivalente Kapitalbeteiligung nach Treu und Glauben anzuerkennen ist173 • Aktionäre und Verwaltung stehen sich also mit konkurrierenden subjektiven Rechten gegenüber, die auszugleichen sind 174• Fraglich sind nunmehr die Kriterien fiir einen solchen Ausgleich der subjektiven Rechte in bezug auf die Stimmrechtsaktie. Nord erklärte, daß Stirnrnrechtsaktien nur dann als Einschränkung des Rechts der Aktionäre auf Mitverwaltung zulässig seien, wenn "sie im einzelnen Falle ein angemessenes Mittel zu einem gerechtfertigten Zweck, insbesondere zum Zwecke des Gedeihens der
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A. Pinner, in: Staub, HGB, 14 1933, § 185 Anm. llc. Nord, Mitverwaltung, 1927, S. 32; ders, Rechte des Aktionärs, 1925, S. 27 f. Nord, Mitverwaltung, 1927, S. 32 f. Nord, Mitverwaltung, 1927, S. 33. Nord, Mitverwaltung, 1927, S. 33.
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Gesellschaft darstellen." 175 Abgestellt wird von ihm also nicht auf ein Interesse der Gesellschaft oder des Unternehmens, sondern auf gerechtfertigte Zwecke. Die Anerkennung von gerechtfertigten Zwecken sei eine Weiterentwicklung des Gesetzes, insbesondere durch die Verhältnisse der Inflationszeit 176• Stirnrnrechtsaktien seien nach diesen Grundsätzen in der Zeit der Inflation häufig gerechtfertigt gewesen und könnten dies auch danach noch in besonderen Fällen sein, insbesondere zur Sicherung vor ausländischem Einfluß, Sicherung von Geschäftsgeheimnissen und bei Gefährdung der Kontinuität der Verwaltung 177• Ein solcher Fall sei jedoch nicht die Schaffung von Stimmrechtsaktien fiir die Verwaltung allein aus Gründen ihrer Machtsteigerung 178• Damit ergab sich die Frage nach den Kriterien fiir die Bestimmung der berechtigten Zwecke im einzelnen, etwa in Form der Abgrenzung der zulässigen Verwendung der Stirnrnrechtsaktien zum Schutz der Kontinuität der Verwaltung einerseits und der unzulässigen Verwendung allein zur Machtsteigerung der Verwaltung. Dazu machte Nord keine näheren Angaben. Die Analyse der Diskussion um die Stimmrechtsaktie im Rahmen der Reform des Aktienrechts hat ergeben, daß die Lehre vom Unternehmen an sich im besonderen Maße geeignet war, die Eigenart der Stimmrechtsaktie als Schutzinstrument der Verwaltung gegen eine Schädigung der Aktiengesellschaft und des Unternehmens zu erklären. Das wurde vor allem deutlich an der Begründung der Treuhandstellung der Stimmrechtsaktionäre. Mit der Lehre vom Unternehmen an sich konnte schlüssig dargelegt werden, daß das Treuhandverhältnis der Stimmrechtsaktionäre zum Unternehmen besteht. Allerdings wurde deutlich, daß es auch in diesem Rahmen nicht gelang, die Interessen des Unternehmens trennscharf in Abgrenzung zu denjenigen der Aktionäre zu bestimmen.
Nord, Mitvern