Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen und deutschen Strafrecht [1 ed.] 9783428490066, 9783428090068

Hat das in Deutschland herrschende Dogma von der besonderen Schädlichkeit der kurzen Freiheitsstrafe noch seine Berechti

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German Pages 248 Year 1997

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Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen und deutschen Strafrecht [1 ed.]
 9783428490066, 9783428090068

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SASCHA SCHAEFERDIEK

Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen und deutschen Strafrecht

Kötner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Klaus Bernsmann, Hans Joachim Hirsch Günter Kohlmann, Michael Walter Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln

Band 22

Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen und deutschen Strafrecht

Von

Sascha Schaeferdiek

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schaeferdiek, Sascha:

Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen und deutschen Strafrecht I von Sascha Schaeferdiek. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften ; Bd. 22) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09006-3 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-09006-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Für meine Mutter

Vorwort Die vorliegende Abhandlung ist in den Jahren 1994 und 1995 im Rahmen eines Auslandsaufenthaltes in Schweden entstanden und hat im Sommersemester 1996 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Schrifttum in Deutschland sind bis August 1996 berücksichtigt. Das Gutachten des Strafsystemausschusses (SOU 1995:91 Ett reformerat straffsystem. Betänkande av Straffsystemkommitten) konnte keine Berücksichtigung mehr finden. Mein aufrichtiger Dank gilt Herrn Professor Nils Jareborg von der Universität Uppsala, der mich während meines Aufenthaltes in Schweden freundschaftlich und mit großem Engagement unterstützt hat und dem ich zahlreiche wertvolle Anregungen verdanke. Ohne ihn hätte dieses Buch nicht entstehen können. Ett jättestort tack! Nicht weniger herzlich danke ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Joachim Hirsch, für seine Unterstützung und Herrn Prof. Dr. Klaus Bernsmann für die Erstellung des Zweitgutachtens. Einen großen Dank auch an Alexandra, die unermüdlich Korrektur gelesen hat, und an Annikki für die Formatierung der Arbeit. Dank schulde ich schließlich auch dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) und dem Land Nordrhein-Westfalen, aus deren Mitteln die Arbeit gefördert wurde, sowie der Universität Uppsala und der Gesellschaft für Rechtsvergleichung, Freiburg, für einen großzügigen Druckkostenzuschuß. Berlin, im Oktober 1996 Sascha Schaeferdiek

Inhaltsverzeichnis Einleitung A. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung........................................................... B. Bedeutung und Methode der Rechtsvergleichung ..... ...... .................................. I. Die Bedeutung der Rechtsvergleichung ................. ....... .......... .......... ... ...... 11. Zur Methodik der Rechtsvergleichung ....... .... ........... ..... .... ..... .......... ... ...... III. Methode und Aufbau der vorliegenden Untersuchung......... ........ ..... ... ...... C. Zur Problematik rechts vergleichender Untersuchungen ... ........... ........ ...... ........

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1. Kapitel

Der Begriff der kurzen Freiheitsstrafe A. Zeitliche Obergrenze oder funktionale Definition?........................................... B. Der Streit um die Obergrenze ........ ........ .......................... ................. ...... ...... .....

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2. Kapitel

Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht A. Überblick über die Geschichte der Freiheitsstrafe und die kriminal politische Entwicklung......... ...... .... ..... ...... ............... ..... ......... .... ........ ... .... ................ .... ..... I. Von den Anfängen der Freiheitsstrafe zum Strafgesetz von 1864.............. 11. Die Ära der Behandlungsideologie......... .... ............................ .................... 1. Die moderne Schule............................................................................. 2. Die Reformen bis 1962 .. ......... .... ..... ............. ...... ... .................. ............ a) Die Reformen unter Thyren.......................... ..... ...... ................ ... ..... b) Das Reformwerk Schlyters....................................... ............. .......... 3. Der Brottsbalk von 1962 .............. ... ................... ........... ........ ..... .......... III. Die Entwicklung bis heute.......................................................................... 1. Die Kritik an der Behandlungsideologie .. .......... ..... ............................. 2. Der "Neoklassizismus"......................................................................... 3. Die Reformen nach 1965...................................................................... 4. Jüngere kriminalpolitische Strömungen ............................................... B. Der Aufbau des Sanktionensystems und die Stellung der Freiheitsstrafe... ....... I. Der Aufbau des Sanktionensystems.......... ............ ... .... ........................ ... ....

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Inhaltsverzeichnis

1. Das Gefängnis.. .............................. .................. ...................... .............. 2. Die Geldstrafe...................................................................................... 3. Die Bewährungssanktionen.................................................................. a) Die bedingte Verurteilung............................................................... b) Die Schutzaufsicht.......................................................................... 4. Die Überweisung in besondere Fürsorge................................ .............. 5. Zur Terminologie .......................................................................... .. ..... 11. Die Freiheitsstrafe als ultima ratio ............ ........ .......................... ................ C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe .................... ........................ ................ I. Die Zeit vor dem Erlaß des Brottsbalk .................... .................... ............... 1. Strafgesetz und Sanktionspraxis........................................................... 2. Kritik und Reformvorschläge ............ .................................. ................. 11. Die Regelungen des Brottsbalk zur kurzen Freiheitsstrafe...... ................... 1. Die Einführung des Strafminimums von einem Monat .......... .............. 2. Die Regelung der Strafzumessung .............. .................................... ..... 3. Die Einführung einer kurzen Anstaltsbehandlung im Rahmen der Schutzaufsicht ...... ................................................................ ......... ....... 4. Zwischenbetrachtung ........................................................................... III. Die Entwicklung nach dem Erlaß des Brottsbalk .... .................... ............... 1. Die Einführung der Möglichkeit einer Kombination von Schutzaufsicht und kurzer Gefängnisstrafe (1980) ........................................ ...... a) Die vorausgegangene Reformdiskussion......................................... b) Die Reform und die heutige Regelung ............................................ 2. Die Senkung des Strafminimums auf vierzehn Tage (1981) ................ a) BRA 1977:7.................................................................................... b) SOU 1980:1 und Proposition 1980/81:44....................................... c) Die Reform von 1981...................................................................... 3. Die Reformierung der Schutzaufsicht (1983)....................................... 4. Die Einführung der Vertrags pflege (1987)........................................... 5. Die Reform des Strafzumessungsrechts (1989).................................... a) Überblick......................................................................................... aa) Die Strafbemessung .......................................................... ....... bb) Die Sanktionswahl................. ................................ .................. (1) Die Strafskala als Ausgangspunkt ..................................... (2) Die Wahl zwischen der Geldstrafe und einer schwereren Sanktion. .................... .................................. ........... ..... (3) Die Entscheidung zwischen der Gefängnisstrafe und den Bewährungssanktionen ...... ......................................... b) Die Strafbemessung......................................................................... aa) Der Strafwert............................................................................ bb) Strafmildernde und strafschärfende Umstände ........................ c) Die Entscheidung zwischen der Gefängnisstrafe und den Bewährungssanktionen .... ..... ........ .................. ......... ....... .... ................. aa) Kap. 30 BrB ................ .......... .................. ................ .................

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Inhaltsverzeichnis bb) Die Gründe für die Verhängung einer Gefängnisstrafe nach Kap. 30 § 4 Abs. 2 BrB............................................................ (I) Der Strafwert (Kap. 30 § 4 Abs. 2,1. Var. BrB) ............... (2) Die Art der Straftat (Kap. 30 § 4 Abs. 2, 2. Var. BrB) ...... (a) Die Einordnung einer Tat als "Art-Delikt" .................. (b) Die Prüfung von Umständen gemäß Kap. 30 § 4 Abs. 1 BrB, die gegen die Verhängung einer Gefängnisstrafe sprechen ............ ....... ..... ................ ......... (3) Strafrechtliche Vorbelastung des Täters (Kap. 30 § 4 Abs. 2,3. Var. BrB)........................................................... d) Die Bedeutung der Strafzumessungsreform für die Verhängung kurzer Gefangnisstrafen.................. ...... ......... ... ............ .... ............... 6. Die Einführung der gemeinnützigen Arbeit (1990). ................ .... ..... .... 7. Die Änderung der Vorschriften zur Trunkenheit im Straßenverkehr (1990)................................................................................................... a) Die Zeit vor 1990................... ............................. .... ...... ........ ....... ... b) Die Reform aus dem Jahre 1990 ..................................................... c) Die Rückkehr zur alten Praxis......................................................... 8. Zusammenfassung zum 3. Abschnitt.................................................... D. Die Praxis .........................................................~................................................. I. Überblick über die Sanktionspraxis............................................................ 11. Die Zahl der verhängten kurzen Gefängnisstrafen... ........... ........................ I. Die Entwicklung seit 1985 ... ....... ........... ...... ................ .............. ..... ..... 2. Die Zahl der Gefängnisstrafen unter einem Monat....... .............. .......... 3. Die Kombination von Schutzaufsicht und kurzer Gefängnisstrafe....... III. Die wichtigsten Delikte .......... .................. ....... .................... .... .... ............... IV. Die Dauer des Anstaltsaufenthaltes . ... ........... ....... .... ......... .... ............ ......... V. Fazit............................................................................................................ E. Kritik an der gegenwärtigen Rechtslage und Sanktionspraxis sowie Reformdiskussion .......... ......................................................... ........................... ..... I. Kritik ............... .... .......... ............. ........ ........... .... ...................... .......... ... ...... I. Kritik an der kurzen Gefängnisstrafe............................................... ..... 2. Kritik an der Generalprävention als Strafzumessungskriterium ........... a) Kritik an der negativen Generalprävention...................................... b) Kritik an der positiven Generalprävention ...................................... 11. Reformvorschläge.. .......... ...................................... .............. ...... ................. I. Die Forderung nach Anhebung der Mindestdauer der Gefängnisstrafe auf einen Monat.... ........... ... ......... .... ......... ........... ............ ........... a) Forderungen nach Beibehaltung der einmonatigen Mindeststrafe im Vorfeld der Reform von 1981 .. ....... .......................... ....... b) SOU 1986:13 - 15 ........................................................................... 2. Die Forderung, die Bedeutung der Generalprävention bei der Strafzumessung einzuschränken... ................ ............. ....... ...... .... ........ ... ...... a) BRÄ 1977:77 ..................................................................................

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Inhaltsverzeichnis

b) SOU 1986:13 - 15........................................................................... c) Die Literatur .................................................................................... 3. Die Forderung nach erweiterter Anwendung ambulanter Sanktionen........................................................................................................ a) Erweiterte Anwendung der Geldstrafe. ......... ..... ................ ..... ........ aa) Streichung der Gefangnisstrafe aus den Strafskalen bestimmter Delikte. ....... ..... .... .................... ..................... ............. bb) Einführung der Geldstrafe als neue Mindeststrafe bei Straftaten, die bislang nur mit Gefängnis bedroht sind..... .... ... cc) Erhöhung des Höchstbetrages der Geldstrafe .......................... dd) Erweiterung der Möglichkeit, die Geldstrafe mit anderenSanktionen zu kombinieren .. ......... .... ... .... ............ ... ..... ....... .... ee) Änderung des Verhältnisses zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe ................................................................................. b) Verschärfung der Bewährungssanktionen ....................................... c) Erweiterung der gemeinnützigen Arbeit.......................................... 4. Die Forderung nach Einführung neuer Alternativen zur kurzen Gefängnisstrafe....... ...... .... ..... ........... ............. ....... ..... ...... ......... ............ a) Intensivüberwachung (intensivövervakning)................................... b) Obligatorische Freizeitbeschäftigung (obligatorisk fritidssysselsättning)........................................................................................... c) Anwesenheitspflicht (närvaroplikt) ................................................. d) Aufschiebung der Verurteilung (uppskjuten dom) .......................... 5. SOU 1986:14....................................................................................... F. Der Vollzug der kurzen Gefangnisstrafe............................................................ I. Vollzugsziele und Grundsätze des Strafvollzuges ................................ ...... H. Besonderheiten beim Vollzug kurzer Freiheitsstrafen ............ .................... 1. Gelten die Vollzugsziele auch für den Vollzug kurzer Gefangnisstrafen? ................................................................................................. 2. Die Regelungen im einzelnen.......... .................. .................... ........ ....... III. Reformvorschläge.... .... ........................ ........... ......... ................................... I. Die Forderung nach Verschärfung des Anstaltsvollzuges von kurzen Gefängnisstrafen ............... ............... ......................................... ..... 2. Die Forderung nach milden Sonderformen des Vollzuges von kurzen Gefängnisstrafen. .................... ...................... ............... ....... ........... G. Die bedingte vorzeitige Entlassung (villkorlig frigivning) bei kurzen Gefängnisstrafen ..................................................................................................... I. Die Regelung vom 1.7.1983....................................................................... H. Die heutige Regelung ..................................... ;........................................... 1. Die Voraussetzungen ........................................................................... 2. Bewährungszeit und Bewährungshilfe ...... ................... .......... .............. 3. Die Maßnahmen bei Pflichtverletzungen ............................................. IH. Die Praxis ....................................... .............................. .............. ....... ......... IV. Reformvorschläge........ ............ .............. .......... ..................................... ......

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Inhaltsverzeichnis I. Die Forderung nach Abschaffung der Mindestverbüßungszeit ............ 2. Die Forderung nach einer kürzeren Mindestverbüßungszeit................ H. Die Ersatzfreiheitsstrafe (förvandlingsstraffet) ...... ...... ... ......................... ...... .... I. Die gesetzliche Regelung ..... .... ................ ............... ......... .... ........ .... ....... ... I. Die Voraussetzungen für die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe..................................................................................................... 2. Die Bestimmung der Länge der Ersatzfreiheitsstrafe ........................... 3. Das Verfahren ...................................................................................... 4. Zwischen betrachtung ............ .................. .... ....... .................................. II. Die Praxis ................................................................................................... III. Die Diskussion um die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe.................... I. Die herrschende Meinung ........... ................... ................ ........... ........... 2. Strafschärfung bei wiederholter Geldstrafendelinquenz....................... 3. Erweiterung des Tatbestandes der Vollstreckungsvereitelung ............. 4. Widerruf der Geldstrafe und Verhängung einer Gefängnisstrafe .. ....... J. Zusammenfassung zum 2. Kapitel.....................................................................

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3. Kapitel

Vergleich zwischen deutscher und schwedischer Regelung und Praxis der kurzen Freiheitsstrafe A. Vergleich der kriminal politischen Entwicklung........................................ ..... .... B. Vergleich der Stellung und Bedeutung der Freiheitsstrafe im Gesamtsystem der strafrechtlichen Sanktionen.......................................................................... I. Der Aufbau des Sanktionensystems. ... ..................... ... .............. .................. I. Ein- bzw. Zweispurigkeit ..................................................................... 2. Die Freiheitsstrafe ......................... .................................... .......... ... ... ... 3. Die Geldstrafe ...................................................................................... 4. Die Bewährungssanktionen .................. .... ........... ....................... .......... II. Die Stellung der Freiheitsstrafe ....... ..... ..................... ..... ..... .................. ..... C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe .......................... .............. .... I. Von Liszts "Kreuzzug gegen die kurzzeitige Freiheitsstrafe" .................... II. Die Vorarbeiten zur deutschen Strafrechtsreform in den 50er und 60er Jahren ......................................................................................................... III. Die heutige Regelung der kurzen Freiheitsstrafe im deutschen Strafrecht............................................................................................................ I. Die Dauer der Freiheitsstrafe........................................ .......... ........ ...... 2. Überblick über den Entscheidungsablauf bei der Strafzumessung ....... a) Die Festlegung der Strafhöhe ......... ............. ....... .............. ....... ... ..... b) Die Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe ................................. c) Die Folgeentscheidungen ................................................................

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Inhaltsverzeichnis

3. Die Festlegung der Stratböhe ..................................................... .......... a) Die Strafrahmen .......... ............ ....... .... .... ................ .... ...... ..... .... ...... b) § 46 StGB................................................................... ........ ............. aa) Die Bestimmung des "Schuldrahmens" .. ....... ............ .............. (I) Der Unrechtsgehalt der Tat.... .... ............... ...... .......... ......... (2) Der Schuldgehalt der Tat...................... ...... ................... .... (3) Die Einordnung der konkreten Tat in den Strafrahmen ..... bb) Die Bestimmung der genauen Stratböhe.................................. (I) Berücksichtigung spezialpräventiver Gesichtspunkte........ (2) Berücksichtigung der negativen Generalprävention als Stratböhenkriterium? ......................................................... 4. Die Regelung des § 47 StGB................................................................ a) Die Ratio der Vorschrift.................................................................. b) Die Regelung im einzelnen ......... .... ......... ......................... .............. aa) Die erste Alternative ................................................................ (I) Besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters........................................................................... (2) Einwirkung auf den Täter ....... .... .......... ..... ....... ..... ...... ...... (3) Unerläßlichkeit .................................................................. bb) Die zweite Alternative ............................................................. (I) Besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters........................................................................... (2) Unerläßlichkeit zur Verteidigung der Rechtsordnung ....... cc) Das Verhältnis zwischen § 47 StGB und der ultima-ratioFunktion der Freiheitsstrafe ....... ................................ ........... ... 5. Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ................ IV. Vergleich der Regelungen.......................................................................... I. Die Geschichte der kurzen Freiheitsstrafe ............................................ 2. Die Mindestdauer der Freiheitsstrafe................................................... 3. Die Strafbemessung.............................................................................. a) Vorbemerkung................................................................................. b) Vergleich der Strafbemessungskriterien .. ....... ........ ....... ... ......... ...... 4. Die Entscheidung zwischen der Geldstrafe und einer schwereren Sanktion. .............................. ....... ............. .................. .... ................... ... 5. Die Entscheidung zwischen der kurzen Freiheitsstrafe und einer Bewährungssanktion ............................................................................ a) Vergleich der Kriterien.................................................................... b) Zusammenfassung der bei der Entscheidung über die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe maßgeblichen Kriterien .............. 6. Die Möglichkeit einer Kombination der kurzen Freiheitsstrafe mit anderen Sanktionen ....... ................ ............... .................. ......... ............. D. Die Praxis........................................................................................................... I. Zur Problematik eines Vergleiches der Sanktionspraxis ............................

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Inhaltsverzeichnis I. Allgemeine Probleme eines Vergleiches der Sanktionspraxis zwischen verschiedenen Ländern............................................................... 2. Spezielle Probleme eines Vergleiches zwischen der Praxis kurzer Freiheitsstrafen in Schweden und in Deutschland................................ 11. Vergleichender Überblick über die Sanktionspraxis .................................. III. Vergleich der Zahl der verhängten kurzen Freiheitsstrafen.. ............ ....... ... IV. Die wichtigsten Delikte ........... .................. .... ...... ........ ........ .... .............. ..... V. Die Dauer des Anstaltsaufenthaltes in Deutschland ..... ...... .............. .......... VI. Fazit....................................... ...................... ........ ................. ............ ....... ... E. Vergleich der Kritik an der Rechtslage und der Reformvorschläge...... ............. I. Forderungen nach Abschaffung der kurzen Freiheitsstrafe......... ...... ......... 11. Forderungen, die kurze Freiheitsstrafe als "short sharp shock" einzusetzen.......................................................................................................... III. Der Einsatz der kurzen Freiheitsstrafe anstelle längerer Freiheitsstrafen ... I. DerVorschlagWeigends ...................................................................... a) Verhängung ambulanter Sanktionen anstelle kurzer Freiheitsstrafen.............................................................................................. b) Ersetzung längerer Freiheitsstrafen durch kurze Freiheitsstrafen.. ................................................................................................. c) Die Implementation des Vorschlages... ......... ............... ...... ... .......... aa) Ersatzlose Streichung von § 47 StGB? .. ....... .............. ............. bb) Kurze Freiheitsstrafe als Sanktion mit eigener Bezeichnung "Strafhaft" ................................................................................ 2. Vergleich mit dem schwedischen ModelL.......................................... IV. Die Forderung, die Bedeutung der Generalprävention bei der Strafzumessung zurückzudrängen.......................................................................... V. Forderungen nach vermehrter Anwendung der Geldstrafe ......................... VI. Vorschläge einer Reformierung der Bewährungssanktionen ..... .... .......... ... VII. Forderungen nach Einführung weiterer ambulanter Sanktionen ....... ......... F. Der Vollzug der kurzen Freiheitsstrafe .............................................................. I. Vergleich der Vollzugsziele und -grundsätze............................................. I. Das Vollzugsziel .......... ........ .............. ........ ........................ .... .............. 2. Die Ausgestaltung des Vollzuges .................... ................... .......... ........ 11. Vergleich der Ausgestaltung des Vollzuges kurzer Freiheitsstrafen........... III. Reformvorschläge............. .......... ........ ...... ................. ... .... .... .... .... ... ..... ...... I. Forderungen nach milden Sonderformen des Vollzuges von kurzen Gefängnisstrafen................................................................................... 2. Forderungen nach Verschärfung des Vollzuges von kurzen Freiheitsstrafen ..... .... ... ........ ............. ....... ........... .... .... ....................... ......... G. Die bedingte Entlassung .................................................................................... 1. Vergleich der gesetzlichen Regelungen...................................................... I . Die Voraussetzungen........................................................................... 2. Bewährungszeit und Bewährungshilfe .......... ............................... ... ..... 3. Die Maßnahmen bei Pflichtverletzungen .............................................

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Inhaltsverzeichnis

11. Die Praxis ................................................................................................... III. Reformvorschläge .............................................................................. :........ H. Die Ersatzfreiheitsstrafe ..................................................................................... I. Vergleich der Regelungen.......................................................................... 1. Die Voraussetzungen für die Umwandlung einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe.................................................................................. 2. Das Verfahren .............................................................. ... ..... ........... ..... 3. Die Länge der Ersatzfreiheitsstrafe ...................... ... ..... ........................ 4. Die Zulässigkeit einer bedingten Entlassung........................................ 5. Zusammenfassung ................................................................................ 11. Die Praxis ... ....... ....... .......... .... ............ ................ ................. ........ ......... ...... III. Kritik und Reformvorschläge .......... .... ............... ....................... ..... ............ I. Forderungen nach Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe ...... ..... .......... 2. Forderungen nach Zurückdrängung der Ersatzfreiheitsstrafe .. ... ..........

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4. Kapitel

Stellungnahme A. Der Aufbau der Stellungnahme.......................................................................... B. Welcher Strafzweck soll über den Einsatz der kurzen Freiheitsstrafe entscheiden?........................................................................................................... I. Schuldausgleich.......................................................................................... 11. Individualprävention .................................................................................. I. Sind härtere Sanktionen individualpräventiv wirksamer? .................... a) Probleme des empirischen Nachweises ........................................... b) Erkenntnisse aus den durchgeführten empirischen Untersuchungen................................................................................................... 2. Zwischenergebnis.. ............ ... ................................................................ III. Resozialisierung........ .............................. ........... ........................................ I. Die Eignung der Sanktionen zur Resozialisierung............ ................... a) Probleme des empirischen Nachweises ........................................... b) Erkenntnisse aus den durchgeführten empirischen Untersuchungen................................................................................................... c) Fazit................................................................................................. 2. Entsozialisierende Nebenwirkungen .................. .................. ................ 3. ..Kriminelle Infektion" im Vollzug....................................................... 4. Stigmatisierung ..... ..... .......... ............... .................... ............................. 5. Fazit.............................. ........ ................................................................ IV. Schutz der Gesellschaft .............................................................................. V. Positive Generalprävention ........ ................................................................ VI. Negative Generalprävention ............ .......... ...... ...........................................

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Inhaltsverzeichnis I. Das Model1 der negativen Generalprävention ...................................... 2. Ist eine schwerere Sanktion generalpräventiv wirksamer? ................... a) Die Problematik des empirischen Nachweises ................................ b) Erkenntnisse aus der Erforschung der Generalprävention ............... 3. Zwischenergebnis................................................................................. VII. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen ................................................ C. In welchem Umfang sol1 von der kurzen Freiheitsstrafe Gebrauch gemacht werden?.............................................................................................................. I. Sol1 die kurze Freiheitsstrafe abgeschafft werden? ..................................... 11. Die Strafzumessungskriterien bei der Entscheidung für oder gegen die kurze Freiheitsstrafe ............ ........ ............................... ................................ I. Die Regelung im Strafgesetzbuch ........................ .................... .... .... .... a) § 46 StGB............................................... .. ....... ........... ..... .. ...... ..... ... b) § 47 StGB........................................................................................ aa) Die Regelung des Verhältnisses zwischen der kurzen Freiheitsstrafe und den ambulanten Sanktionen............................. bb) Die Regelung des Verhältnisses zwischen kurzen und längeren Freiheitsstrafen............................................................... c) § 56 StGB........................................................................................ 2. Die kurze Freiheitsstrafe als "short sharp shock" ................................. a) Ist der Einsatz der kurzen Freiheitsstrafe als individualpräventiver "short sharp shock" sinnvol1?.................................................... b) Ist der Einsatz der kurzen Freiheitsstrafe als generalpräventiver "short sharp shock" sinnvol1?.......................................................... 3. Der Vorschlag Weigends...................................................................... 4. Die Regelung im Brottsbalk............ .............. ............................ ........... a) Die Strafbemessungskriterien.......................................................... b) Die Entscheidung zwischen der kurzen Freiheitsstrafe und den Bewährungssanktionen. ........................ ........................................... c) Der Einsatz der kurzen Freiheitsstrafe anstel1e längerer Freihei tsstrafen ...................................................................................... 5. Forderungen, die Bedeutung der Generalprävention bei der Strafzumessung einzuschränken .................................................................. 6. Eigener Lösungsvorschlag .......... ...................... ............ .................. ..... a) Die Bedeutung des Schuldausgleichs .............................................. aa) Die Konsequenzen aus der Analyse der Strafzwecke.. .. ........... bb) Die Rechtfertigung für die Bedeutung der Schwere der Tat bei der Strafzumessung............................................................ cc) Wird nach dem Schuldausgleichsprinzip Strafe um der Strafe willen verhängt? ............................................................ b) In welcher Weise bestimmt die Schwere der Tat die Strafe? ........... c) Die Festlegung des Strafniveaus ..................................................... d) Die Kriterien zur Bestimmung der Schwere der Tat.......... .............. aa) Die Schädlichkeit des Verhaltens.......... ........................ .......... 2 Schaeferdiek

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Inhaltsverzeichnis

bb) Die Vorwerfbarkeit des Verhaltens.................................... ...... 214 cc) Berücksichtigung weiterer Umstände ................................ ...... '215 dd) Zwischenbetrachtung .... .... ............... ....... ............... ........... ... .. .. 216 e) Der Entscheidungsablauf. ....... ...................... ..... ..... ... ...... ..... ...... ..... 216 f) Das Problem der Implementation.......... .......... ................ ........... ..... 217 g) Die Vorteile des vorgeschlagenen Modells............... ...... ..... ........... 219 III. Die Strafskalen ........................................................................................... 220 IV. Neue Alternativen zur kurzen Freiheitsstrafe ............................................. 221 D. Wie soll die kurze Freiheitsstrafe ausgestaltet werden? ..................................... 221 I. Die Mindestdauer der kurzen Freiheitsstrafe.............................................. 221 11. Die Kombination der kurzen Freiheitsstrafe mit ambulanten Sanktionen.............................................................................................................. 223 III. Der Vollzug der kurzen Freiheitsstrafe....................................................... 224 I. Vollzugsziel. Vollzugs grundsätze und Anstaltssystem ... ...... ........... .... 224 2. Die Ausgestaltung des Kurzstrafenvollzuges ........................ ............... 224 IV. Die bedingte Entlassung ......................................... :................................... 225 I. Der Zweck der bedingten Entlassung .......... ... .... ................... ............... 225 2. Soll die bedingte Entlassung obligatorisch oder fakultativ erfolgen?.. 226 3. Bedingte Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln oder der Hälfte der Strafe? ................................................................................. 227 4. Die Mindestverbüßungsdauer............................................................... 227 5. Die Dauer der Bewährungszeit............................................................. 228 V. Die Ersatzfreiheitsstrafe.............................................................................. 228 I. Die Kritik an der Ersatzfreiheitsstrafe ...... ........ .......... ............ ... ...... ..... 228 2. Ist die Ersatzfreiheitsstrafe abzuschaffen? ............................................ 229 3. Die Voraussetzungen für die Umwandlung einer Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe ......... ............ ......... .... ..... ....................... ................ 230 4. Die Länge der Ersatzfreiheitsstrafe ...... .... .......... ........ .... .............. ........ 231 5. Bedingte Entlassung und Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafe zur Bewährung........................................................................................... 23 I E. Zusammenfassung des eigenen Lösungsmodells ............... ...... ......... .............. ... 232 Literaturverzeichnis

233

Sachwortverzeichnis

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Verzeichnis der Tabellen Tabelle I

Überblick über die Sanktionspraxis....................................................

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Tabelle 2:

Verhältnis von Freiheitsstrafe, bedingter Verurteilung und Schutzaufsicht....................................................................................

77

Tabelle 3:

Dauer der verhängten Freiheitsstrafen................................................

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Tabelle 4:

Entwicklung der Zahl der kurzen Freiheitsstrafen..............................

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Tabelle 5:

Zahl der kurzen Freiheitsstrafen ohne Fälle von Trunkenheit im Straßenverkehr ............................. ....... ................ ..................... .....

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Tabelle 6:

Zahl der wegen Trunkenheit im Straßenverkehr verhängten kurzen Freihei tsstrafen .......................................................................

80

Tabelle 7:

Zahl der Gefängnisstrafen unter einem Monat ...................................

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Tabelle 8:

Zahl der Verurteilungen zu Schutzaufsicht und kurzer Freiheitsstrafe ........................................................................... ,. ... ...........

83

Tabelle 9:

Die wichtigsten Delikte ......................................................................

83

Tabelle 10:

Vergleich der bei der Entscheidung zwischen der Geldstrafe und einer schwereren Sanktion herangezogenen Strafzumessungskriterien ......... ....... ..... ......... ........................ ............ ............. ......

142

Zusammenfassung der bei der Entscheidung über die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe maßgeblichen Strafzumessungskriterien ............ .........................................................................

146

Tabelle 12:

Vergleichender Überblick über die Sanktionspraxis ..........................

151

Tabelle 13:

Die Länge der verhängten kurzen Freiheitsstrafen.............................

152

Tabelle 14:

Vergleich der Zahl der verhängten kurzen Freiheitsstrafen................

155

Tabelle 15:

Anteil der einzelnen Delikte an den verhängten kurzen Freiheitsstrafen ................. ............................. ......... ................ ..................

157

Tabelle 11:

2*

Abkürzungsverzeichnis für die abgekürzten schwedischen Ausdrücke

BRA

Brottsförebyggande radet

BrB

Brottsbalk

BvL

Bötesverkställighetslag

JuU

Justitieutskottet

KvaL

Lagen om kriminalvard i anstalt

NJA

Nytt juridiskt arkiv

NTfK

Nordisk Tidskrift for Kriminalvidenskab

Prop.

Proposition

SOU

Statens offentliga utredningar

SvJT

Svensk juristtidning

TfKv

Tidskrift för kriminalvärd

Einleitung A. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung Die kurze Freiheitsstrafe steht seit langem international im Mittelpunkt des kriminal politischen Interesses, ohne daß die Frage, wie diese Sanktion zu beurteilen ist und in welcher Weise sie sinnvollerweise eingesetzt werden sollte, abschließend und einheitlich beantwortet werden konnte. In Deutschland ist die Überzeugung von der Wirkungslosigkeit und kriminalpolitischen Verfehltheit der kurzen Freiheitsstrafe seit dem "Kreuzzug" Franz von Liszts gegen diese Sanktion zu einem fast als selbstverständlich vorausgesetzten Grundsatz des kriminal politischen Denkens geworden I. Die Zurückdrängung kurzer Freiheitsstrafen wird als das "Kernstück,,2 der Strafrechtsreform in den sechziger Jahren betrachtet und ganz überwiegend befürwortet. International ist dagegen seit einiger Zeit eine Renaissance der kurzen Freiheitsstrafe zu beobachten, die das deutsche Modell der Zurückdrängung im internationalen Vergleich in eine Außenseiterposition gebracht hatJ . Gerade in den Ländern, die - wie insbesondere Schweden - traditionell eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Kriminalpolitik einnehmen, hat die kurze Freiheitsstrafe heute eine zentrale Stellung im Sanktionensystem und in der Sanktionspraxis inne. Sie wird in großem Umfang bei leichter und mittlerer Kriminalität eingesetzt und wegen ihrer im Vergleich zu längeren Freiheitsstrafen geringeren entsozialisierenden Nebenwirkungen gezielt an deren Stelle eingesetzt. Hinkt Deutschland einem fortschrittlichen kriminalpolitischen Trend hinterher oder wird die kurze Freiheitsstrafe auch heute noch zu Recht abgelehnt und weitgehend zurückgedrängt? Die vorliegende rechtsvergleichende UntersuI Nach Trändle (in: LK. StGB, Vor § 38 Rn. 27) hat dieser Grundsatz in Deutschland "axiomatische Bedeutung" gewonnen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Entscheidung BGHSt 22, 192 (199), in der der Bundesgerichtshof von der "heute allgemein anerkannten Wirkungslosigkeit und kriminalpolitischen Verfehltheit der Yerbüßung sehr kurzer Freiheitsstrafen" spricht.

2Kaiser, Kriminologie, S. 927. 3yg l. zu dieser Entwicklung leseheck, AT, S. 675; Kaiser, Kriminologie. S. 928; WeigelUi, JZ 1986.260 (264).

22

Einleitung

chung von Regelung und Praxis der kurzen Freiheitsstrafe in Schweden und Deutschland soll einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage leisten. B. Bedeutung und Methode der Rechtsvergleichung Zunächst soll ein Blick auf Bedeutung und Methodik der Rechtsvergleichung allgemein geworfen werden. I. Die Bedeutung der Rechtsvergleichung

Rechtsvergleichende Untersuchungen können wertvolle Beiträge zur Bewältigung ungelöster rechtspolitischer Probleme im eigenen Land leisten 4 • Sie tragen darüber hinaus auch unabhängig von aktuellen Reformvorhaben zu einem besseren Verständnis des eigenen Rechts bei, indem sie neue Einsichten, Ideen und Argumente vermitteln. Dabei hilft die Rechtsvergleichung, den eigenen Horizont durch die Erkenntnis zu erweitern, daß es neben den Lösungen des eigenen Rechts eine Fülle von anderen, ebenso gut vertretbaren oder sogar vorzugswürdigen Lösungen gibt. Gerade im Verhältnis zwischen Schweden und Deutschland hat die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Strafrechts traditionell eine sehr große Bedeutungs. 11. Zur Methodik der Rechtsvergleichung

Üblicherweise wird heute die Methode6 der funktionellen Rechtsvergleichung angewandt7 • Den Ausgangspunkt einer rechts vergleichenden Untersuchung bildet danach nicht - wie in der Anfangszeit der Rechtsvergleichung - eine Norm oder ein Rechtsinstitut, sondern eine Problemstellung, die von bestimmten Normen in den zu vergleichenden Rechtsordnungen geregelt wird. Untersucht 4Siehe zum Folgenden Rheinstein, Rechtsvergleichung, S. 27, S. 32 f. und S. 191; Kaiser, Kriminologie, S. 155 ff.; leseheck, Strafrechtsvergleichung, S. 43 f. Sleseheck, ZStW 90 (1978), 777 ff.; zur Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit bei der Reform des deutschen Strafrechts vgl. leseheck, AT, S. 681. 6 Zur Frage, ob die Rechtsvergleichung eine Methode oder eine selbständige Wissenschaft darstellt, siehe leseheck, Strafrechtsvergleichung, S. 36 f. 7y

gl. zum Folgenden Rheinstein, Rechtsvergleichung, S. 15 und S. 21 ff.

B. Bedeutung und Methode der Rechtsvergleichung

23

wird, welche Zwecke diese Normen verfolgen und welche Funktionen innerhalb der jeweiligen Rechtsordnung sie erfüllen. Dabei beschränkt sich die Rechtsvergleichung nicht auf eine bloße Beschreibung der Lösungen in den verglichenen Ländern. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, die verschiedenen Lösungen zu bewerten und herauszufinden, welche Konsequenzen die Änderung, Abschaffung oder Beibehaltung bestimmter Normen hätte 8. Bei jeder rechtsvergleichenden Untersuchung9 müssen die behandelten, möglicherweise sehr eng umgrenzten, Probleme im Gesamtzusammenhang des jeweiligen Rechtssystems und auf dem Hintergrund der sozialen und kulturellen Gegebenheiten in den verglichenen Ländern betrachtet werden lO •

Irr. Methode und Aufbau der vorliegenden Untersuchung Bei der Problematik der kurzen Freiheitsstrafe geht es im Kern um zwei Fragen: 1. In welchem Umfang soll von der kurzen Freiheitsstrafe Gebrauch gemacht werden? 2. Wie soll die kurze Freiheitsstrafe ausgestaltet werden? Die möglichen Antworten auf die erste Frage reichen von der Abschaffung der kurzen Freiheitsstrafe bis hin zu ihrem häufigen gezielten Einsatz anstelle anderer Sanktionen. Die zweite Frage zerfällt in verschiedene Teilaspekte, deren wichtigste der Vollzug und die bedingte Entlassung sind. In der vorliegenden Arbeit werden das schwedische und das deutsche Modell einer Lösung dieser Fragen behandelt. Nach einer Klärung des Begriffs der kurzen Freiheitsstrafe (1. Kapitel) werden Regelung und Praxis der kurzen Freiheitsstrafe in Schweden (2. Kapitel) und Deutschland (3. Kapitel) einander gegenübergestellt und vergleichend betrachtet. Dieser Vergleich liefert einschließlich der in beiden Ländern diskutierten Reformvorschläge eine außeror-

8Jescheck,

Strafrechtsvergleichung, S. 43.

9Zum Unterschied zwischen Mikrovergleichung (Untersuchung eng umgrenzter, konkreter Details eines Rechtssystems) und Makrovergleichung (Vergleich zwischen verschiedenen Rechtskreisen und Rechtssystemen im Ganzen) siehe Rheinstein, Rechtsvergleichung, S. 31 ff.

IORheinstein, RechtsvergIeichung, S. 32; Jescheck, Strafrechtsvergleichung, S. 41; Kaiser, Kriminologie, S. 157.

24

Einleitung

dentlich breite Palette möglicher Modelle für einen Einsatz der kurzen Freiheitsstrafe und ist damit eine ideale Voraussetzung für eine abschließende Stellungnahme zur Problematik der kurzen Freiheitsstrafe und für die Entwicklung eines eigenen Lösungsvorschlages (4. Kapitel). Während der gesamten Untersuchung wird versucht, das Problem der kurzen Freiheitsstrafe im Gesamtzusammenhang der jeweiligen Strafrechtsordnung und auf dem Hintergrund der in beiden Ländern vorherrschenden kriminalpolitischen Vorstellungen zu sehen.

c. Zur Problematik rechtsvergleichender Untersuchungen Bei rechtsvergleichenden Untersuchungen muß man sich bestimmter typischer Schwierigkeiten und Gefahren bewußt sein. Die Gefahr von Irrtümern ist bedeutend höher als bei der Beschäftigung mit dem eigenen Recht, weil, wie Jescheck zutreffend bemerkt, niemand fremdes Recht genauso sicher beherrschen kann wie sein eigeneslI. Auch sind die Quellen fremden Rechts schwerer auslegbar und oft weniger vollständig als die Materialien des eigenen Rechts, was gerade in bezug auf eine Beschäftigung mit dem schwedischen Recht nur unterstrichen werden kann: Die Literatur ist im Vergleich zu deutschen Verhältnissen weitaus weniger umfangreich und schwerer auffindbar l2 • Als Konsequenz aus diesen Schwierigkeiten fordert Jescheck für die Anfertigung rechtsvergleichender Untersuchungen zu Recht "strengste Skepsis und ständig wachsames Mißtrauen" des Verfassers gegen sich selbst 13 •

11 V gl. zum Folgenden ausführlich Jescheck, Strafrechtsvergleichung, S. 37 f. Zu den Problemen eines Vergleiches der Sanktionspraxis siehe unten 3. Kapitel 4. Abschn. A. 12In Deutschland ist demgegenüber zuweilen die gegenteilige Situation zu beobachten: Der Bearbeiter sieht sich einer unüberschaubaren Masse von zu bearbeitender Literatur gegenüber, ohne daß dieser Masse eine entsprechende Vielfalt von Meinungen, Ideen oder Argumenten entspräche.

I3Jescheck, Strafrechtsvergleichung, S. 38.

J. Kapitel

Der Begriff der kurzen Freiheitsstrafe Am Anfang der Untersuchung muß die Klärung des Begriffs der kurzen Freiheitsstrafe stehen. Dabei gilt es insbesondere, eine Definition zu finden, die im Rahmen einer rechtsvergleichenden Untersuchung praktikabel ist. In Schweden findet eine Diskussion über den Begriff der kurzen Freiheitsstrafe nicht statt. Soweit der Begriff verwendet wird, geschieht dies ohne jede weitere Erörterung, was genau unter einer kurzen Freiheitsstrafe verstanden werden soll. Dieser auf den ersten Blick überraschende Befund ist darauf zurückzuführen, daß man in Schweden die Auffassung, kurzzeitige Freiheitsstrafen seien in besonderem Maße schädlich, nicht teilt'. Alle Freiheitsstrafen werden vielmehr gleich behandelt, so daß kein Grund besteht, genau festzulegen, wann eine Freiheitsstrafe als "kurz" definiert werden so11 2 . In Deutschland ist der Begriff der kurzen Freiheitsstrafe seit jeher kontrovers diskutiert worden, wobei sich zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze unterscheiden lassen. A. Zeitliche Obergrenze oder funktionale Definition? Überwiegend wird eine bestimmte zeitliche Obergrenze festgelegt, ab der nicht mehr von einer kurzen Freiheitsstrafe gesprochen werden soll. Dem stehen Versuche einer funktionalen Definition gegenüber'. Eine kurze Freiheitsstrafe

'Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (810 f.). 2 Am

Anfang dieses Jahrhunderts, als die kurze Freiheitsstrafe in Schweden noch sehr umstritten war, wurde auch über den Begriff der kurzen Freiheitsstrafe diskutiert. So verstand beispielsweise Thyren (Principerna, S. 66) unter einer kurzen Freiheitsstrafe eine solche mit einer Dauer von weniger als sechs Monaten. 'Siehe zum Folgenden Wasik, in: Festschrift für Blau, S. 599 f.

26

1. Kapitel: Der Begriff der kurzen Freiheitsstrafe

ist danach eine solche, die in ihrer Vollzugsdauer so bemessen ist, daß eine "tiefere" Einwirkung auf den Gefangenen nicht möglich ist. Die Entscheidung der Frage, ob im Einzelfall eine kurze Freiheitsstrafe vorliegt, hängt nach dieser Definition vor allem von zwei Variablen ab. Zum einen wird die für eine weitergehende Einwirkung erforderliche Dauer der Freiheitsstrafe von der Persönlichkeitsstruktur des Täters beeinflußt. Je höher dessen Resozialisierungsbedürftigkeit ist, desto höher liegt die Obergrenze einer noch als kurz zu bezeichnenden Freiheitsstrafe. Zum anderen richtet sich die Obergrenze nach der Ausgestaltung des Vollzuges. Je nachdem, wie die Freiheitsstrafe im einzelnen vollzogen wird, verändert sich die für eine tiefere Einwirkung erforderliche Dauer. Bedenken gegen eine solche funktionale Definition bestehen zunächst insofern, als sie es zuläßt, bei stark resozialisierungsbedürftigen Tätern auch Freiheitsstrafen von langer Dauer noch als "kurz" zu bezeichnen, soweit deren Dauer für eine tiefere Einwirkung noch nicht ausreicht4 . Desweiteren ist die Definition nicht praktikabel, da im Einzelfall nicht sicher feststellbar ist, ab welcher Dauer eine tiefere Beeinflussung des Gefangenen möglich ist5 . Auch wäre jede Aussage über die praktische Häufigkeit kurzer Freiheitsstrafen unmöglich, da aus den verfügbaren Statistiken nicht abgelesen werden kann, welche Freiheitsstrafen so bemessen waren, daß sie zur tieferen Einwirkung auf den Täter erforderlich waren. Eine funktionale Definition ist schließlich auch deshalb abzulehnen, weil sie unausgesprochen unterstellt, daß Freiheitsstrafen ab einer gewissen Dauer geeignet sind, den Täter positiv zu beeinflussen, eine These, die aufgrund neuerer kriminologischer Forschung als sehr fragwürdig angesehen werden muß 6 • Der Begriff der kurzen Freiheitsstrafe muß also aus der Festlegung einer zeitlichen Obergrenze gewonnen werden.

4Wasik (in: Festschrift für Blau, S. 599 (600» nennt eine Grenze von zwei Jahren. 5Kürzinger, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1737 (1829); vgl. auch die Kritik von Weigend (JZ 1986, 260 (261 Fn. 8», der das Fehlen einer "generell handhabbare[n] Grenzlinie" moniert. 6 y gl. nur Jescheck, in: Festschrift für U. Klug, S. 257 (269); Träskman, SvJT 1984, 826 (830 f.).

B. Der Streit um die Obergrenze

27

B. Der Streit um die Obergrenze Bis zu welcher Obergrenze noch von einer kurzen Freiheitsstrafe gesprochen werden soll, ist im einzelnen umstritten. Von Liszt legte die Grenze bei sechs Wochen fest? Stenner versteht unter "kurzfristigen Freiheitsstrafen" solche mit einer Dauer unter neun Monaten 8 • Andere definieren Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Monaten als kurz mit der Begründung, bis zu dieser Dauer existierten in der Praxis die Sonderformen des Kurzstrafenvollzuges 9 • Zieschang wählt ebenfalls die Grenze von zwölf Monaten, weil erst ab dieser Dauer eine nachhaltige Beeinflussung des Gefangenen möglich sei 10. Die meisten Autoren leiten die zeitliche Fixierung demgegenüber aus den §§ 47, 56 StGB ab und legen die Grenze bei sechs Monaten fest I I. Nach § 47 StGB darf eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur verhängt werden, wenn dies aufgrund besonderer Umstände unerläßlich ist. Gemäß § 56 Abs. 3 StGB kann das Unterbleiben einer Strafaussetzung zur Bewährung bei Freiheitsstrafen unter sechs Monaten nicht auf das Gebot der Verteidigung der Rechtsordnung gestützt werden. In bei den Vorschriften verstehe der Gesetzgeber, so die herrschende Meinung, unter einer kurzen Freiheitsstrafe eine solche mit einer Dauer unter sechs Monaten. Eine Sonderstellung in diesem Streit nimmt Quensel ein, der im Unterschied zu den genannten Auffassungen bei der Festlegung der Obergrenze nicht an die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe, sondern an die Dauer der tatsächlichen Verbüßung anknüpft I 2. Eine kurze Freiheitsstrafe sei eine solche, bei der die Dauer der Verbüßung weniger als sechs Monate betrage. Nach dieser Auffas-

?Von Liszt, ZStW 9 (1889), 737 (775). 8Stenner, Kurzfristige Freiheitsstrafe, S. 28 f. 9 Do1de/Rössner,

ZStW 99 (1987), 424 (425); Dolde/Jehle, ZfStrVo 1986, 195 (196).

IOZieschang, Sanktionensystem, S. 354 ff.; ebenso Hall, ZStW 66 (1954), 77. 11 Jescheck, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1939 (2039); Kaiser, Kriminologie, S. 927; Schaffmeister, in: Festschrift für Jescheck, S. 991 ff.; Weigend, JZ 1986, 260 (26 I); Kürzinger, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1737 (1829); Jütting, Kurze Freiheitsstrafe, S. 7 f.; Terdenge, Strafsanktionen, S. 77; Dünnebier, JR 1970,241 (245); Koch, NJW 1970, 842.

12Quensel, in: Festschrift für Hentig, S. 287 (291 f.).

28

1. Kapitel: Der Begriff der kurzen Freiheitsstrafe

sung ist beispielsweise auch eine verhängte achtmonatige Freiheitsstrafe eine kurze Freiheitsstrafe, wenn nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Festlegung der zeitlichen Grenze muß mit den §§ 47, 56 StGB vereinbar sein. Diese Vorschriften enthalten eine Sonderregelung für Freiheitsstrafen mit einer Dauer von weniger als sechs Monaten. Fraglich ist nun, ob durch diese Regelung der Begriff der kurzen Freiheitsstrafe verbindlich festgelegt wird. Faßt man den Begriff enger, indem man eine zeitliche Obergrenze unterhalb von sechs Monaten festlegt, läßt sich nicht erklären, warum Freiheitsstrafen mit einer Dauer zwischen dieser Obergrenze und sechs Monaten nach § 47 StGB wie kurze Freiheitsstrafen behandelt werden. Wählt man einen weiteren Begriff, indem man eine zeitliche Obergrenze über sechs Monaten festlegt oder auf die Dauer der tatsächlichen Verbüßung abstellt, so ergibt sich die mißliche Situation, daß § 47 StGB nur auf einen Teil der kurzen Freiheitsstrafen in diesem Sinne Anwendung findet, die kurze Freiheitsstrafe also nicht einheitlich geregelt wäre. Die Festlegung einer anderen als der Sechsmonatsgrenze läßt sich daher nicht mit den §§ 47, 56 StGB in Einklang bringen und ist abzulehnen, auch wenn sie möglicherweise aus anderen Gründen - etwa mit Blick auf die Vollzugsrealität - als sinnvoll erscheinen mag. Da die §§ 47, 56 StGB nur die Freiheitsstrafe im Sinne von §§ 38 f. StGB regeln, fallen der Jugendarrest nach § 16 JGG und der Strafarrest nach § 9 WStG ebensowenig unter den Begriff der kurzen Freiheitsstrafe wie eine Ersatzfreiheitsstrafe anstelle einer uneinbringlichen Geldstrafe. Zu klären bleibt, ob auch solche Freiheitsstrafen mit einer Dauer von weniger als sechs Monaten, die nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, unter den Begriff der kurzen Freiheitsstrafe fallen sollen. Dabei ist zu bedenken, daß das Institut der Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung dem schwedischen Strafrecht ,unbekannt ist und es aus diesem Grunde dort keine zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen unter sechs Monaten gibe 3 . Um den Vergleich zwischen beiden Ländern zu ermöglichen, soll daher im Rahmen dieser Untersuchung unter einer kurzen Freiheitsstrafe nur eine tatsächlich zu verbü-

13 Statt dessen enthält das schwedische Recht die Bewährungssanktionen "bedingte Verurteilung" (villkorlig dom) und "Schutzaufsicht" (skyddstillsyn); siehe zum schwedischen Sanktionensystem im einzelnen unten 2. Abschn. A.

B. Der Streit um die Obergrenze

29

ßende, also nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe mit einer Dauer von weniger als sechs Monaten verstanden werden l4 •

14S0 auch Weigend, JZ 1986,260 (261); a.A. Terdenge (Strafsanktionen, S. 77), der allerdings die kurze Freiheitsstrafe nicht rechtsvergleichend untersucht. Für einen Ausschluß der ausgesetzten Freiheitsstrafen spricht im übrigen auch, daß es sich nach ihrer Funktion und Wirkung bei der Strafaussetzung zur Bewährung nicht um eine Modifikation der Freiheitsstrafe, sondern um eine selbständig neben dieser stehende strafrechtliche Sanktion eigener Art handelt; vgl. Jescheck, AT, S. 674; zu anderen Auffassungen siehe Schönke/Schröder - Stree, StGB, § 56 Rn. 4.

2. Kapitel

Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht A. Überblick über die Geschichte der Freiheitsstrafe und die kriminalpolitische Entwicklung Regelung und Praxis der kurzen Freiheitsstrafe in Schweden sind nur unter Einbeziehung einer historischen Perspektive verständlich. Daher werden im folgenden zunächst die Geschichte der Freiheitsstrafe und die Entwicklung der Kriminalpolitik Schwedens in groben Zügen dargestellt. I. Von den Anrängen der Freiheitsstrafe zum Strafgesetz von 1864

Die Anfänge der Freiheitsstrafe reichen in das 16. Jahrhundert zurück'. In der Folgezeit spielte sie lange nur eine untergeordnete Rolle. So sah das Missetatenund Strafgesetz (missgärnings- och straffbalkarna) von 1734 neben der Todesstrafe vor allem harte Leibes- und Ehrenstrafen vor, durch die man das begangene Unrecht vergelten und von der Begehung weiterer Taten abschrecken wollte 2 • Daneben unterschied das Gesetz drei Formen der Freiheitsstrafe, nämlich die Strafarbeit (straffarbete)3, die mit schwersten, oft tödlichen Strapazen verbunden war, das Gefängnis (fangelse) und das Gefängnis bei Wasser und Brot (fangelse pa vatten och bröd), das den Leibesstrafen zugeordnet wurde. Auch bei der Freiheitsstrafe standen also die körperlichen Qualen im Vordergrund, während der Freiheitsentzug allein nicht als zur Vergeltung und Abschreckung ausreichend angesehen wurde4 •

'Anners, Straffrättshistoria, S. 27. 2Träskman, SvJT 1984, 826. 3 Die Bezeichnung "straffarbete" wurde erst 1855 in das Gesetz aufgenommen; vgl. Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 26 Vor § I, S. 54.

4Anners, Straffrättshistoria, S. 31; Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (786).

A. Überblick über Geschichte und kriminalpolitische Entwicklung

31

Etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts setzte sich dann die Aufklärung in Schweden durchs. Der Zweck der Strafe wurde nicht länger in der möglichst rigiden Vergeltung begangenen Unrechts, sondern nur noch in der Abschreckung gesehen. Unter dem Einfluß der Aufklärung wurden die grausamen Körperstrafen zugunsten einer größeren Bedeutung der Freiheitsstrafe abgeschafft. Im Strafgesetz (strafflag) von 1864 schließlich wurde die Freiheitsstrafe zusammen mit der Geldstrafe zum Gerüst des Sanktionensystems6 . Das Gefängnis (fängelse) als die kürzere Form der Freiheitsstrafe dauerte von einem Monat bis zu zwei Jahren 7 . Die Strafarbeit (straffarbete) als die längere Form konnte von zwei Monaten bis zu zehn Jahren oder lebenslänglich dauern, war im Unterschied zum Gefängnis mit Arbeitspflicht verbunden und wurde in Festungs-, Straf- oder Arbeitsgefängnissen vollstreckt. 11. Die Ära der Behandlungsideologie

In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte in Deutschland bekanntlich Franz von Liszt eine spezialpräventive Lehre, die als moderne oder soziologische Schule bezeichnet wird. Diese Lehre bildete den Gegenpol zur sogenannten klassischen Strafrechtslehre, die vor allem von Karl Binding auf der Grundlage der Auffassungen Kants und Hegels vertreten wurde und in der Strafe ein Mittel zur gerechten Vergeltung sah. Während die klassische Strafrechtslehre in Schweden kaum Bedeutung erlangteS, fiel die Lehre von der Spezialprävention auf fruchtbaren Boden, weil in Schweden seit jeher eine pragmatische, zweckorientierte Einstellung zum Strafrecht vorherrschte, die auch dem

SYgl. zum Folgenden Anners, Straffrättshistoria, S. 33. Besonders einflußreich waren die Gedanken des italienischen Juristen Beccaria, die er in seinem Hauptwerk "Dei delitti e delle pene" von 1764 darlegte. Anners (Straffrättshistoria, S. 36) hebt allerdings hervor, daß es nie zu einem wirklichen Durchbruch der Aufklärungsideen in Schweden gekommen sei. 6Agge,

Allmänna dei, S. 88 ff.; Träskman, SvJT 1984,826.

7Berg/Berggren/ Munck u.a., Kommentar, Kap. 26 Yor § I, S. 54; Hoflund, Straff, S. 27. Das Strafgesetz von 1864 übernahm vom Missetatengesetz außerdem eine besonders

harte Sonderform des Gefangnisses, das Gefängnis bei Wasser und Brot, bei der der Gefangene bis zu zwanzig Tage nur Wasser und Brot erhielt und zudem gelegentlich arbeiten mußte. Diese Sonderform wurde 1884 abgeschafft. sWallen, Straffrättshistoria, S. 17 ff.

32

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Behandlungsgedanken zugrunde liegt9 . Seit den sechziger Jahren wird die spezialpräventive Lehre in Schweden üblicherweise als "Behandlungsideologie" bezeichnet 10. J. Die moderne Schule

Die moderne Schule betrachtete kriminelles Verhalten als eine krankheitsähnliche Fehlentwicklung, die man behandeln und heilen könnelI. Sanktionensystem und Strafzumessung sollten sich an der Gefährlichkeit des Täters und an seinem Behandlungsbedürfnis orientieren, nicht dagegen, wie von der klassischen Strafrechtsschule gefordert, an der Schwere der begangenen Tat. Von Liszt teilte die Verbrecher in drei Kategorien ein. Die besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Täter sollten - durch relativ lange, zeitlich unbestimmte Freiheitsstrafen - "gebessert" werden. Die nicht Besserungsbedürftigen müßten von weiterer Delinquenz abgeschreckt werden. Nicht besserungsfähige Täter schließlich seien "unschädlich zu machen", indem man lebenslange oder zeitlich unbestimmte Freiheitsstrafen gegen sie verhänge.

2. Die Reformen bis J962 Die moderne Schule setzte sich um die Jahrhundertwende in Schweden durch 12 und prägte die Reformarbeit in den folgenden Jahrzehnten, die schließlich im Jahre 1962 in Gestalt eines neuen Strafgesetzes, des Brottsbalk (BrB)I3, ihren Abschluß fand. 9Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (785). IOZum Begriff "Behandlungsideologie" vgl. Kyvsgaard, in: Heckseher u.a., Straff, S. 83 (85 ff.); Träskman, SvJT 1984, 826 (829); zum Ideologiebegriff allgemein siehe Jareborg, Ansvarslära, S. 310 ff.

IlSiehe zum Folgenden von Liszt, Lehrbuch, S. 81 ff.; Kyvsgaard, in: Heckseher u.a., Straff, S.83 (85); Agge, Allmänna dei, S. 58 ff.; AggefFhornstedt, in: Mezger u.a., Ausländisches Strafrecht, S. 262. 12Wallen, Straffrättshistoria, S. 18; Träskman, SvJT 1984, 826 (828). In die spezialpräventive Lehre in Schweden gingen etwas später auch Ideen der vor allem auf Ferri zurückgehenden italienischen Schule ein; siehe dazu Wallen, Straffrättshistoria, S. 19 f.; Thornstedt, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsreform, S. 66 (69). 13 Das schwedische Wort "brott" bedeutet Straftat; "balk" ist die Bezeichnung für einen Abschnitt des Schwedischen Reichsgesetzes (Sveriges Rikes Lag). Der Brottsbalk

A. Überblick über Geschichte und kriminalpolitische Entwicklung

33

a) Die Reformen unter Thyren Von 1910 bis 1933 wurde die Kriminalpolitik in Schweden maßgeblich von dem späteren Justizminister Johan C.W. Thyren (1861 - 1933) bestimmt. Thyren machte sich im wesentlichen die Aussagen der modernen Schule Franz von Liszts zu eigen l4 . Bemerkenswert ist, daß er, wie übrigens auch von Liszt, der Strafe neben der Aufgabe der Besserung des Täters auch einen generalpräventiven Zweck zuschrieb l5 . Thyren verfehlte zwar sein Ziel einer durchgreifenden Reform, auf ihn geht aber eine Vielzahl bedeutender einzelner Reformen vor allem auf dem Gebiet des Sanktionensystems zurück l6 . Die wichtigste war die Einführung der Verwahrung (förvaring) für vermindert Zurechnungsfähige und der Internierung (internering) für gefährliche Rückfalltäter aus dem Jahre 1927. Beide Sanktionen verfolgten den Zweck, die Gesellschaft vor gefährlichen Tätern zu schützen und diese zugleich im Rahmen des Möglichen zu behandeln. Verwahrung und Internierung waren zeitlich unbestimmt, d.h. das Gericht legte nur die Mindestdauer der Freiheitsentziehung fest, über deren Beendigung dann eine vom Gericht unabhängige Internierungsbehörde entschied 17. b) Das Reformwerk Schlyters Thyrens Reformarbeit wurde in den dreißiger Jahren von dem damaligen Oberlandesgerichtspräsidenten und späteren Justizminister Karl Schlyter (1879 - 1959) fortgesetzt. Auf ihn ging die Einführung des Jugendgefängnisses ist also der Abschnitt des Schwedischen Reichsgesetzes, der das Strafrecht enthält. Im Folgenden wird - in Anlehnung an Agge/Fhornstedt, in: Mezger, u.a., Ausländisches Strafrecht, S. 264 - von einer Übersetzung des Begriffs "Brottbalk" abgesehen. 14Jescheck, ZStW 90 (I978), 777 (780). Thyren hat seine kriminal politischen Vorstellungen vor allem in dem dreibändigen Werk "Principerna för en strafflagsreform" (Prinzipien einer Strafgesetzreform, Lund 1910 - 1914; insbesondere Bd. I, Straffets sociala uppgift, S. I - 57) niedergelegt. 15Thyren, Principerna, S. 16 f. 16Als

bahnbrechende Reformen auf anderen Gebieten sind die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten (1921) und die Einführung des Tagesbußensystems (1931) zu nennen; dazu näher Corni/s, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (791 f.). 17 Bei der Internierung legte das Gericht auch die Höchstdauer fest. die aber überschritten werden konnte. 3 Schaeferdiek

34

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

(ungdomsflingelse) für 18- bis 21-jährige im Jahre 1935 zurück. Dabei handelte es sich um eine zeitlich unbestimmte Sanktion, deren Zweck in der Erziehung des Jugendlichen statt in seiner Bestrafung liegen sollte l8 . Durch Schlyters Reform der Vorschriften über die Vollstreckung von Geldstrafen wurde die zuvor sehr zahlreich verhängte Ersatzfreiheitsstrafe stark eingeschränkt. Die Reform führte in der Praxis zu der von Schlyter beabsichtigten "Entvölkerung der Gefängnisse,,19. Das Strafvollzugsgesetz VOn 1945 bewirkte eine radikale Umgestaltung des Strafvollzuges2o . Der offene Vollzug wurde als Regelform des Strafvollzuges eingeführt; Vollzugszweck sollte fortan die Behandlung des Gefangenen sein. Seit 1938 beschäftigte man sich mit den Vorarbeiten zu einem neuen Strafgesetzbuch, die wesentlich von der Behandlungsideologie geprägt wurden 21 . Bemerkenswert ist allerdings, daß daneben auch eine generalpräventive Strömung, die sogenannte Moralbildungstheorie (moralbildnirrgsteori), die Vorarbeiten und den Brottsbalk mitbeeinflußte 22 . Die Moralbildungstheorie entstand in den dreißiger Jahren und entspricht in ihren Grundaussagen im wesentlichen der Lehre VOn der positiven Generalprävention 23 . Ihr zufolge haben Strafdrohung und Strafverhängung einen moralbildenden und moral verstärkenden Effekt. Um diesen Effekt sicherzustellen, müßten die verhängten Strafen dem allgemeinen Rechtsempfinden entsprechen und die Bestrafung als regelmäßige Reaktion auf 18Die Mindestdauer des Jugendgefängnisses betrug ein Jahr, ihre Höchstdauer vier Jahre. Innerhalb dieses Rahmens war die Dauer des Jugendgefängnisses unbestimmt. Über seine Beendigung entschied eine vom Gericht unabhängige Jugendgefängnisbehörde. VgI. zum Jugendgefängnis eingehend Cornils, in: Dünkef/Meyer, Jugendstrafe, S. 497 (500 f.). 19Das Zitat ist der Titel eines berühmten Vortrages aus dem Jahre 1934 (Schlyter, Avfolka fängelserna!, S. I ff.). 2oWallen, Straffrättshistoria, S. 35; Elwingffuren/Walten, Brott, S. 169.

21Daneben hatten auch die italienische "positive Schule" und die Ideen der Defense sociale einen gewissen Einfluß auf die Vorarbeiten. Dieser kommt besonders deutlich in dem Vorschlag zu einem "Schutzgesetz" von 1956 (SOU 1956:55, Skyddslag) zum Ausdruck, der teilweise auch den Brottsbalk beeinflußte; vgI. dazu Wallen, Straffrättshistoria, S. 19 f. und S. 35 f.; siehe zu den Vorarbeiten im einzelnen Hoflund, Straff, S. 29 f. 22 Als deren bekannteste Vertreter sind Vilhelm Lundstedt und Karl Olivecrona zu nennen. 23VgI. zum Folgenden Lundstedt, Rätten, S. \05 ff.; Lundstedt, Rechtswissenschaft, S. 87 ff.; Nelson, Kriminalpolitik, S. 21.

A. Überblick über Geschichte und kriminalpolitische Entwicklung

35

die Begehung von Verbrechen erscheinen. Die Bedeutung der Moralbildungstheorie besteht vor allem darin, daß sie als Gegenpol zur Behandlungsideologie verhinderte, daß das Sanktionensystem im Brottsbalk gänzlich individualpräventiv ausgestaltet wurde 24 .

3. Der Brottsbalk von 1962 Der Brottsbalk wurde 1962 verabschiedet und trat 1965 in Kraft. Er vereinte die früheren Strafarten Gefängnis (fängelse) und Strafarbeit (straffarbete) zu einer Sanktion mit der Bezeichnung "Gefängnis" (fängelse)25. Gefängnis und Geldstrafe (böter) bildeten die allgemeinen Strafen (allmänna straffen); hinzu traten weitere "Sanktionen für Verbrechen" (päföljder), nämlich Internierung (internering)26 , Jugendgefängnis (ungdomsfängelse), bedingte Verurteilung (villkorlig dom), Schutzaufsicht (skyddstillsyn) und die Überweisung in besondere Fürsorge (överlämnande till särskild vard) als Sanktion für spezielle Tätergruppen (z.B. Süchtige und psychisch Kranke)27. 111. Die Entwicklung bis heute

Schon vor dem Erlaß des Brottsbalk wurde scharfe Kritik an der Behandlungsideologie laut, die Anfang der siebziger Jahre zu einem Kurswechsel in der Kriminalpolitik führte.

24 Walten , Straffrättshistoria, S. 39; ElwingfFhurt?n/Wallen u.a., Brott, S. 156; leseheck, ZStW 90 (1978), 777 (787 f.). Nach Thornstedt (in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsreform, S. 66 (80» ist der Brottsbalk ein "Kompromiß ... zwischen der Berücksichtigung der Generalprävention und der Spezialprävention im Sinne von Behandlung". 25Die Einführung der Einheitsfreiheitsstrafe wurde vor allem damit begründet, daß im Hinblick auf den Vollzug der früheren Strafarten Gefangnis und Strafarbeit kaum mehr ein Unterschied verblieben war; vgl. zu den Motiven im einzelnen SOU 1953: 17, S. 71 ff. 26 Die früheren Sanktionen Verwahrung (förvaring) und Internierung (internering) wurden zur Internierung (internering) zusammengefaßt.

27Hinzu traten als "besondere Folgen der Straftat" (särskild rättsverkan av brott) die Einziehung und eine Reihe weiterer Sanktionen; siehe zum Sanktionensystem des Brottsbalk im einzelnen Hoflund, Straff, S. 29 ff. 3·

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

1. Die Kritik an der Behandlungsideologie

Die Kritik an der Behandlungsideologie beruhte vor allem auf dem Anstieg der Kriminalitätsrate und auf Rückfalluntersuchungen, die das Scheitern des Behandlungsgedankens in der Praxis belegten28 • Kriminologische Untersuchungen ergaben, daß alle strafrechtlichen Sanktionen im wesentlichen gleich wenig effektiv seien ("nothing works"), eine Erkenntnis, die in direktem Widerspruch zu der Forderung der Behandlungsideologen nach Ausrichtung des Sanktionensystems und der Strafzumessung am Behandlungsbedürfnis der Täter stand. Scharfer Kritik waren zudem die unbestimmten Sanktionen ausgesetzt, die nach Meinung der Kritiker wegen ihrer Unbestimmtheit eine Gefahr für die Rechtssicherheit darstellten 29 und sich in ihrer Vollstreckung nicht von der gewöhnlichen Gefängnisstrafe imterschieden 30 . 2. Der "Neoklassizismus"

Aus der Kritik an der Behandlungsideologie entstand Anfang der siebziger Jahre eine neue kriminalpolitische Strömung, der sogenannte ,,Neoklassizismus·Ll1 . Seine Anhänger fordern, daß sich die Strafzumessung statt am Behandlungs bedürfnis des Täters und am Rückfallrisiko an der Schwere der Tat ausrichten müsse 32 • Die Schwere der Tat, bemessen nach der Schädlichkeit

28 V gl. zum Folgenden die ausführliche Kritik in BRA 1977:77, S. 72 ff. , 177 ff.; siehe auch Berg/Berggren/ Munck u.a., Kommentar, Kap. 26 Vor § I, S. 56 f.; Aggeffhomstedt, in: Mezger u.a., Ausländisches Strafrecht, S. 262 f.; Jescheck, ZStW 90 (1978), 777 (799).

29Jareborg/von

Hirsch, in: Eser, Tendenzen, S. 35 (44).

30Träskman, SvJT 1984, 826 (832). Die unbestimmten Sanktionen hatten zudem schon seit langem praktisch fast keine Bedeutung mehr. 31Dessen Vertreter lehnen den Begriff "Neoklassizismus" überwiegend ab, weil sie in ihrer Auffassung mehr sehen als eine bloße Rückkehr zur klassischen Strafrechtslehre. Jareborg und von Hirsch (in: Strafmaß, S. 4) ziehen den Begriff "proportionalistische" Strafrechtsphilosophie vor; vgl. zum Begriff und zur Herkunft des "Neoklassizismus" auch Weigend, ZStW 94 (1982), 801 ff. 32Vgl. zum Folgenden Jareborg/von Hirsch, in: Eser, Tendenzen, S. 35 (36 ff.); BRA 1977:77, S. 198. Die Abkürzung BRA steht für "Brottsförebyggande radet" und bezeichnet den Rat für Verbrechensverhütung. Dieser ist eine dem Justizministerium unterstehende staatliche Behörde, deren Aufgabe unter anderem darin besteht, die

A. Überblick über Geschichte und kriminalpolitische Entwicklung

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des Verhaltens und der Schuld des Täters, und die eingesetzte Sanktion müßten proportional sein J3 • Damit würden zugleich die Prinzipien von Gleichheit und Gerechtigkeit der Bestrafung verwirklicht, da Verhalten von gleicher Schädlichkeit und Vorwerfbarkeit gleichartig bestraft werden sollen. Es wird betont, daß die Schwere der begangenen Tat nur die obere Grenze für die Bestrafung bilde. Nach unten wird eine allgemeine Senkung des Strafniveaus und vor allem eine seltenere Anwendung der Freiheitsstrafe gefordere 4. Die Anhänger des ,,Neoklassizismus" betonen, das zugrunde liegende Prinzip ihrer Auffassung sei nicht etwa, wie ihre Gegner oft behaupten35 , die Generalprävention 36 • Zwar sei die Absicht, potentielle Täter von der Begehung von Straftaten abzuschrecken, der Grund für die Kriminalisierung eines bestimmten Verhaltens. Die im Einzelfall verhängte Strafe solle sich aber ausschließlich nach der Schwere der Tat und nicht nach der Höhe ihres Abschreckungseffektes richten.

Entwicklung der Kriminalität zu beobachten, ihre Ursachen zu erforschen und die Kriminalpolitik durch eigene Untersuchungen und Initiativen voranzutreiben. Y gl. näher zu den Aufgaben des BRA Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (796 Fn. 37). 33 Das Proportionalitätsprinzip hat zudem noch eine andere Komponente, da Proportionalität nicht nur zwischen Tat und Sanktion, sondern auch zwischen den Rechtsfolgen verschiedener Deliktsarten (also beispielsweise Yermögenskriminalität und neuerer Wirtschaftskriminalität) verlangt wird; vgl. hierzu das Gutachten der Sachverständigenkommission "Förmögenhetsbrottsutredningen" in SOU 1983:50. 34 S0U 1986:14, S. 77 ff.; BRA 1977:77, S. 66, 214 f., 220; Jareborg/von Hirsch, in: Eser, Tendenzen, S. 35 (63); Heckscher, in: Nachwort zu Christie, Gränser, S. 104 (107 f.); von Hofer, KrimJ 1975, 278 (285 f.); Cornils, ZStW 99 (1987), 873 (880). 35 Z.B. Bondeson, in: Heckscher u.a., Straff, S. 97 (98 f.); Christie, in: Heckscher u.a., Straff, S. 116 (125); Löfmarck, in: Eser (Hrsg.), Tendenzen, S. 15 (20). 36 ygl. zum Folgenden Jareborg/von Hirsch, in: Eser, Tendenzen, S. 35 (47 f.); SOU 1986: 14, S. 67, Fn. 77. Der neoklassizistisch geprägte Bericht BRA 1977:77 (S. 199) plädierte einerseits für eine "vorsichtige Aufwertung der Bedeutung der Generalprävention" ("en försiktig uppvärdering av allmänpräventionens betydelse"), warnte andererseits aber davor, "das ideologische Pendel zurückschwingen zu lassen und das general präventi ve Gedankengut unkritisch zu akzeptieren"("liita den ideologiska pendeln svänga tillbaka och okritiskt acceptera allmänpreventiva tankegängar").

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

3. Die Reformen nach 1965

Auf den ,,Neoklassizismus" gehen zahlreiche Reformen nach 1965 zurück3? So wurde 1974 der Strafvollzug durch das Gesetz über die Kriminalpflege in der Anstalt (lagen om kriminalvard i anstalt, KvaL) neu geregelt. Zweck des Strafvollzuges sollte nicht länger eine breit angelegte Behandlung des Gefangenen sein 38 • Statt dessen sollte der Vollzug zur Erhaltung und Pflege der sozialen Beziehungen des Gefangenen so offen wie möglich gestaltet und von Beginn an Maßnahmen zur Vorbereitung auf das Leben außerhalb der Anstalt getroffen werden 39 • Im Jahre 1980 wurde das Jugendgefängnis und ein Jahr später auch die Internierung abgeschafft. Eine umfassende Reform des Strafzumessungsrechts fand 1989 statt40 . Ausgangspunkt für die Strafzumessung ist nunmehr der "Strafwert" einer Tat, der sich aus der Schuld des Täters und dem angerichteten Schaden ergibt. 4. Jüngere kriminalpolitische Strömungen

Gegen den ,,Neoklassizismus" haben sich einige kritische Stimmen erhoben41 . Neben dem bereits angesprochenen Vorwurf der Überbetonung der Generalprävention wird behauptet, der ,,Neoklassizismus" habe einen strafschärfenden Effekt und begründe ein ,,rigides System", das "gegenüber individuellen Bedürfnissen unempfindlich" sei 42 • Die Gegner des "Neoklassizismus" empfehlen überwiegend eine vorsichtige Rückkehr zur Behandlungsideologie43 •

3?Eine Auflistung der Reformen im einzelnen findet sich bei Hoflund, Straff, S. 32. 38 So war der Yollzugszweck im Behandlungsgesetz (lagen om behandling i fangvardsanstalt) von 1964 definiert worden, das dem Gesetz über die Kriminalpflege in der Anstalt vorausging.

39Berg/Berggrenl Munck u.a., Kommentar, Kap. 26 Vor § I, S. 57. 40 ygl.

dazu im einzelnen Jareborg, ZStW 106 (1994),140 ff.

41 yg l. die ausführliche Kritik in Bondeson, in: Heckseher u.a., Straff, S. 97 (98 f.); Christie, Gränser, S. 31 ff.; Christie in: Heckseher u.a., Straff, S. 116 ff.

B. Der Aufbau des Sanktionensystems und die Stellung der Freiheitsstrafe

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B. Der Aufbau des Sanktionensystems und die Stellung der Freiheitsstrafe Bevor diejenigen Regelungen im schwedischen Strafrecht, die die kurze Freiheitsstrafe betreffen, einer genauen Analyse unterzogen werden, sollen in einem Überblick das System der strafrechtlichen Sanktionen und die Stellung der Freiheitsstrafe in diesem System dargestellt werden. I. Der Aufbau des Sanktionensystems

Das schwedische Strafrecht unterscheidet vier verschiedene Sanktionsformen (päföljder), nämlich das Gefangnis (fangelse), die Geldstrafe (böter), die Bewährungssanktionen der bedingten Verurteilung (villkorlig dom) und der Schutzaufsicht (skyddstillsyn) sowie die Überweisung in besondere Fürsorge (överlämnande till särskild värd)44.

J. Das Gefängnis Das Gefangnis (fangelse) kann nach Kap. 26 § 1 S. I BrB zeitig oder auf Lebenszeit verhängt werden. Seine Mindestdauer ist 1981 von einem Monat auf vierzehn Tage herabgesetzt worden. Die Höchstdauer beträgt nach Kap. 26 § 1 S. 2 BrB zehn Jahre, kann aber im Falle der Bildung einer Gesamtstrafe gemäß Kap. 26 § 2 BrB oder bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Rückfallverschärfung nach Kap. 26 § 3 BrB auf bis zu vierzehn Jahre erhöht werden45 .

42Christie, Gränser, S. 5: "rigida system som är okänsliga för individuella behov". Bondeson (in: Heckseher u.a., Straff, S. 97 (105» spricht von einer "Rehabilitierung des

Vergeltungsbegriffes" (" ... rehabilitera vedergällningsbegreppet").

43Siehe etwa Löfmarck, in: Jescheck (Hrsg.), Tendenzen, S. 15 ff., nach deren Auffassung der Behandlungsgedanke in Schweden nie umfassend verwirklicht worden ist. 44Auf die in Kap. I § 8 BrB geregelten Nebenfolgen (Schadensersatzverpflichtung, Unternehmensstrafe, Verwirkung des Eigentums) soll hier nicht näher eingegangen werden; vgl. dazu im einzelnen Hoflund, Straff, S. 170 ff.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Bemerkenswert ist, daß die schwedische Rechtsordnung kein besonderes Jugendstrafrecht enthält. Auch gegen Jugendliche (15 bis 17 Jahre) und Heranwachsende (18 bis 20 Jahre) kann daher eine Gefängnisstrafe verhängt werden. Allerdings gibt es eine Reihe von Vorschriften 46 , die die Gefängnisstrafe gegen Jugendliche und Heranwachsende stark zurückdrängen. Sie spielt aus diesem Grunde in der Praxis kaum eine Rolle47 . 2. Die Geldstrafe Der Brottsbalk unterscheidet in Kap. 25 § 1 BrB drei Arten der Geldstrafe (böter)48. Bei den Tagesbußen (dagsböter) werden 30 bis 150 Tagessätze a 30 bis 1.000 Kronen als Geldstrafe verhängt (Kap. 25 § 2 BrB). Eine Festbetragsbuße (penningsböter) ist eine feste Summe von bis zu 2.000 Kronen, die als Geldstrafe festgesetzt wird (Kap. 25 § 3 BrB). Bei einer normierten Buße (normerade böter) schließlich bestimmt sich die Höhe der Geldstrafe nach einer besonderen Berechnungsgrundlage49 .

45Liegen sowohl die Voraussetzungen einer Gesamtstrafenbildung als auch diejenigen einer Rückfallverschärfung vor, so beträgt die mögliche Höchststrafe achtzehn Jahre; siehe Jareborg, ZStW 106 (1994), 140 (143).

46 Vor allem Kap. 29 §§ 3 und 7 BrB, Kap. 30 § 5 BrB, Kap. 31 § 1 BrB; vgl. zu diesen Vorschriften im einzelnen Cornils, in: Dünkel/Meyer, Jugendstrafe, S. 497 (499). 47 In der Praxis dominieren Anklageunterlassung und Überweisung in besondere Fürsorge; siehe Cornils, in: Dünkel/Meyer, Jugendstrafe, S. 497 (512 f.). 48 Vgl. im einzelnen ElwingffurenIWallen u.a., Brott, S. 159 ff. 49Eines der seltenen Beispiele für diese Form der Geldstrafe findet sich im Fischfanggesetz (lag om rätt till fiske). Nach § 35 c dieses Gesetzes soll die Geldstrafe bei Verstößen gegen Fischfangvorschriften dem Hundertfachen der Motorstärke (DIN) des beim Fischfang benutzten Bootes entsprechen; vgl. im einzelnen ßerg/ßerggren/ Munck u.a., Kommentar, Kap. 25 § 4, S. 43.

B. Der Aufbau des Sanktionensystems und die Stellung der Freiheitsstrafe

41

3. Die Bewährungssanktionen Das schwedische Sanktionensystem enthält zwei Bewährungssanktionen, die bedingte Verurteilung und die Schutzaufsicht50 . . a) Die bedingte Verurteilung Die bedingte Verurteilung (villkorlig dom) stellt vereinfacht ausgedrückt eine bloße Verwarnung dar51 . Neben dem Schuldspruch setzt das Gericht eine Bewährungszeit von zwei Jahren fest, während der der Verurteilte verpflichtet ist, ein "ordentliches Leben zu führen,,52 und nach Kräften für seinen Unterhalt zu sorgen. Es wird weder eine Überwachung des Täters angeordnet noch wird, wie bei der Strafaussetzung zur Bewährung im deutschen Strafgesetzbuch, eine Freiheitsstrafe verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die bedingte Verurteilung ist vielmehr eine völlig eigenständige Sanktion neben der Freiheitsstrafe. Nach Maßgabe von Kap. 27 § 5 BrB kann die Auflage erteilt werden, den angerichteten Schaden wiedergutzumachen oder für den Geschädigten gewisse Arbeiten zu verrichten, um den Schaden zu beseitigen oder zu begrenzen. Bei Pflichtverletzungen des Verurteilten kann das Gericht gemäß Kap. 27 § 6 BrB eine Verwarnung aussprechen, eine Auflage erteilen oder die bedingte Verurteilung widerrufen und eine andere Sanktion anordnen. Im Regelfall soll die bedingte Verurteilung mit einer Geldstrafe verbunden werden (Kap. 27 § 2, Kap. 30 § 8 BrB).

50Teilweise werden bedingte Verurteilung und Schutzaufsicht auch unter dem Begriff "Freipflegesanktionen"zusammengefaßt; vgl. etwa leseheck, in: Festschrift für Thornstedt, S. 353 (356). 51 Thornstedt, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsreform, S. 66 und S. 82; vgl. zur bedingten Verurteilung im einzelnen Cornils/Wiskemann, in: Dünkel/Spiess, Alternativen, S. 123 ff. S2 Kap.

27 §§ 3,4 BrB: "iakttaga skötsamhet".

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

b) Die Schutzaufsicht Bei der Schutzaufsicht (skyddstillsyn) wird eine Bewährungszeit von drei Jahren festgesetzt und die Überwachung des Verurteilten für das erste Jahr angeordnet53 . Zudem können Weisungen und Auflagen erteilt werden 54 , wobei zwei mögliche Auflagen besondere Erwähnung verdienen , weil der Gesetzgeber sie als Alternativen zur kurzen Freiheitsstrafe ausgestaltet hat. Dem Verurteilten kann die Auflage erteilt werden, ohne Lohn gemeinnützige Arbeiten auszuführen (samhällstjänst)55. Außerdem ist die Auflage an Süchtige möglich, sich einer Behandlung zu unterziehen (kontraktsvärd)56. Bei Pflichtverletzungen kann gemäß Kap. 28 §§ 7 - 9 BrB unter anderem die Überwachungszeit verlängert oder die Schutzaufsicht widerrufen und eine andere Sanktion festgesetzt werden. Unter gewissen Voraussetzungen kann die Schutzaufsicht nach Kap. 30 § 10 BrB mit einer Geldstrafe verbunden werden, unter besonderen Voraussetzungen gemäß Kap. 28 § 3 Abs. 1, Kap. 30 § 11 BrB auch mit einer kurzen Freiheitsstrafe von vierzehn Tagen bis drei Monaten. 4. Die Überweisung in besondere Fürsorge

Für drei besondere Tätergruppen sieht Kap. 31 BrB die Überweisung in besondere Fürsorge (överlämnande till särskild vard) als Sanktion vor. 15- bis 20jährige können nach dem Wohlfahrtsgesetz (socialtjänstlag) oder dem Jugend-

53Siehe Kap. 28 §§ 4, 5 Abs. I S. I, Abs. 2 BrB. Eine längere Überwachungs zeit ist unter den besonderen Voraussetzungen von Kap. 28 § 5 Abs. 4 BrB oder Kap. 28 § 7 BrB möglich. Vgl. zur Schutzaufsicht im einzelnen CornilslWiskemann, in: Dünkel/Spiess, Alternativen, S. 123 ff. 54Siehe Kap. 28 § 6 BrB i.V.m. Kap. 26 § 15 Abs. 1 - 3, Kap. 27 § 5 Abs. 2 BrB. 55V gl. das Gesetz über die gemeinnützige Arbeit (lag om samhällstjänst) von 1989. Die gemeinnützige Arbeit wurde 1990 zunächst versuchsweise lokal eingeführt und gilt seit dem 1.1.1993, befristet bis Ende 1995, für ganz Schweden. Vgl. im einzelnen BerglBerggren/Munck u.a., Kommentar, Lagen om samhällstjänst, S. 176 ff. 56Kontraktsviird wird üblicherweise mit "Vertragspflege" übersetzt; vgl. zur Ausgestaltung der Vertragspflege Kap. 30 § 9 Abs. 2, Nr. 3, Kap. 28 § 6 a BrB; eine ausführliche Darstellung findet sich bei Berg/Berggren/ Munck u.a.; Kommentar, Kap. 28 § 6a, S. 155 ff.

B. Der Aufbau des Sanktionensystems und die Stellung der Freiheitsstrafe

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fürsorgegesetz (lag med särskilda bestämmelser om yard av unga) in die Jugendfürsorge (vard inom socialtjänsten) überwiesen werden (Kap. 31 § 1 BrB). Für Alkoholiker und Drogenabhängige kommt die Überweisung in die Suchtkrankenfürsorge (vard av missbrukare) nach dem Gesetz über Suchtkrankenfürsorge (lagen om yard av missbrukare i vissa fall) in Betracht (Kap. 31 § 2 BrB). Psychisch Kranke schließlich können nach den Gesetzen über psychiatrische Anstaltspflege und die Behandlung psychisch Entwicklungsgestörter (lagen om rättspsykiatrisk yard) in psychiatrische Anstaltspflege überwiesen werden (Kap. 31 § 3 BrB). 5. Zur Terminologie

Der Oberbegriff für alle Sanktionen ist die "Tatfolge" (päföljd). Innerhalb der Tatfolgen wird zwischen Strafen 57 und sonstigen Tatfolgen unterschieden. Zu den Strafen zählen nach Kap. 1 § 3 BrB Geldstrafe und Gefängnis, während alle übrigen Sanktionen, also bedingte Verurteilung, Schutzaufsicht und Überweisung in besondere Fürsorge, zu den sonstigen Tatfolgen gehören. Wie sich aus Kap. 1 §§ 3,4 BrB ergibt, ist die Differenzierung allerdings rein terminologisch 58 . Es besteht also kein wesensmäßiger Unterschied zwischen Strafen und sonstigen Tatfolgen wie in einem zweispurigen System mit seiner Unterscheidung von Strafen und Maßregeln. Alle Sanktionsformen stehen unter dem Oberbegriff der Tatfolgen gleichberechtigt nebeneinander. Die Zweispurigkeit wird in Schweden seit jeher als "inhuman und kriminalpolitisch unbegründet" abgelehnt59 .

57 Bei den Vorarbeiten zum Brottsbalk war - deutlich beeinflußt von der italienischen positiven Schule - vorgeschlagen worden, den Begriff Strafe nicht mehr zu verwenden und alle Sanktionen als Tatfolgen (päföljder) zu bezeichnen (V gl. SOU 1956:55). Dieser Vorschlag konnte sich zwar nicht durchsetzen, die Bemühungen um eine Ersetzung des Strafbegriffs hatten aber doch insoweit Erfolg, als der Oberbegriff für alle Sanktionen heute nicht "Strafe", sondern "Tatfolge" lautet; vgl. AggelThornstedt, in: Mezger u.a., Ausländisches Strafrecht, S. 268 f.

58Hojlund, Straff, S. 40 f.; Corni/s, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (795 f.). BRÄ 1977:77 (S. 205 f.) plädiert dafür, die begriffliche Differenzierung aufzugeben und den Begriff "Strafe" als Oberbegriff für alle strafrechtlichen Sanktionen zu verwenden. 59Thornstedt, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsreform, S. 66 und S., 82.

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

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11. Die Freiheitsstrafe als ultima ratio

Innerhalb des Sanktionensystems ist die Freiheitsstrafe als die schwerste Sanktion anzusehen und nur dann zu verhängen, wenn alle übrigen Sanktionen nicht in Betracht kommen. Diese sogenannte ultima-ratio-Funktion der Freiheitsstrafe wird zwar an keiner Stelle im Brottsbalk ausdrücklich festgelegt, läßt sich aber aus folgenden Vorschriften eindeutig erschließen60 : Nach Kap. I § 5 BrB ist das Gefängnis im Verhältnis zur Geldstrafe als die schwerere Sanktion anzusehen. Aus Kap. 30 § I BrB ergibt sich weiterhin, daß die Gefängnisstrafe auch schwerer ist als die bedingte Verurteilung und die Schutzaufsicht. Der Gesetzgeber geht also davon aus, daß das Gefängnis die schwerste Sanktion innerhalb des Sanktionensystems ist. Kap. 30 § 4 BrB bringt eine Vermutung gegen die Verhängung dieser schwersten Sanktion "Gefängnis" zum Ausdruck, da das Gericht bei der Sanktionswahl besonders solche Umstände berücksichtigen soll, die für eine mildere Sanktion als das Gefängnis sprechen, und eine Gefängnisstrafe nur verhängt werden darf, wenn näher bezeichnete besondere Gründe vorliegen. Die ultima-ratio-Funktion des Gefängnisses wird ferner noch dadurch unterstrichen, daß die Geldstrafe auf der Rechtsfolgenseite der Delikte stets an erster Stelle vor der Gefängnisstrafe genannt wird 61 • Der Hauptgrund für die ultima-ratio-Funktion wird in den schädlichen Wirkungen der Freiheitsstrafe gesehen, die den Gefangenen aus seinem sozialen und beruflichen Umfeld herausreiße, ihm das Stigma beifüge, im Gefängnis gesessen zu haben und oft irreparable Persönlichkeitsschäden hervorrufe62 • Darüber hinaus wird auf den besonderen Wert der Freiheit in einem wohlhabenden Land verwiesen 6J . Da Schweden ein Land mit beachtlichem Wohlstand sei und der Freiheitsentzug daher dort besonders schwer wiege, dürfe die Freiheitsstrafe nur verhängt werden, wenn dies unumgänglich sei. Ein beachtliches Argument

60Jescheck, in: Festschrift für Thornstedt, S. 353 (363); Jescheck, ZStW 90 (1978), 777 (783). 61 Corni/s,

62 BR Ä

in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (798).

1977:77, S. 211 ff.

6J BR Ä 1977:77, S. 214; von Hafer, KrimJ 1975, 278 (287); Christie, Scandinavian Studies in Crimino1ogy, Vol. 2,1968,161 (172).

C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

45

gegen die Gefängnisstrafe wird zudem in den hohen Kosten gesehen, die die Freiheitsstrafe im Unterschied zu anderen Sanktionen mit sich bringe 64 . C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe Bei der folgenden Darstellung der kurzen Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht, die mit der Ära Thyn!ns (ab ca. 1910) beginnt, steht zunächst die Frage im Vordergrund, in welchem Umfang kurze Gefängnisstrafen verhängt werden können. Nach der Untersuchung der diese Frage betreffenden Vorschriften werden deren Auswirkungen auf die Sanktionspraxis und die an ihnen geübte Kritik erörtert. Die Darstellung des schwedischen Rechts schließt mit einer Betrachtung der Ausgestaltung der kurzen Freiheitsstrafe, d.h. insbesondere ihres Vollzuges.

I. Die Zeit vor dem Erlaß des Brottsbalk J. Strafgesetz und Sanktionspraxis

Das Strafgesetz unterschied zwei Arten der Freiheitsstrafe, das Gefängnis mit einer Dauer von einem Monat bis zu zwei Jahren und die Strafarbeit, deren Dauer von zwei Monaten bis zehn Jahren reichte. Die kurze Freiheitsstrafe konnte also in bei den Formen verhängt werden, wobei der Unterschied im wesentlichen darin bestand, daß die Strafarbeit im Unterschied zum Gefangnis mit Arbeitspflicht verbunden war. Da das Strafgesetz keine Vorschrift enthielt, die die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen einschränkte, verhängten die Gerichte in erheblichem Umfang kurze Freiheitsstrafen, die regelmäßig mit generalpräventiven Bedürfnissen begründet wurden 65 . Im Jahre 1933 waren beispielsweise 70 % aller verhängten Freiheitsstrafen (Gefängnis und Strafarbeit) und 97 % aller Verurteilungen zu Gefängnis Freiheitsstrafen mit einer Dauer unter sechs Monaten 66 . Bis zum Erlaß des Brottsbalk änderte sich an dieser

64BR Ä 1977:77, S. 213; Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (798 ff.).

65Siehe SOU 1953: 17, S. 78 f. 66Kungliga Fangvardsstyrelsen, fangvarden 1933, S. 6 und 8. Im Jahre 1917 betrug der Anteil der kurzen Freiheitsstrafen an den Gefangnisstrafen sogar 99%; siehe SOU 1923:9, S. 249.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Dominanz kurzer Freiheitsstrafen nichts: 1948 waren 74 %67 und 1961 70 %68 der verhängten Freiheitsstrafen kurze Freiheitsstrafen. Die Anteile betrugen bei den Gefängnisstrafen 99 % im Jahre 1948 und 98 % im Jahre 1961. Bei 82 % aller Personen, die eine Gefängnissstrafe verbüßten, lag die Dauer der Strafzeit unter drei Monaten.

2. Kritik und Reformvorschläge Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die kurze Freiheitsstrafe Gegenstand immer lauter werdender Kritik. Die Anhänger der Behandlungsideologie, allen voran Thyren, kritisierten die kurze Freiheitsstrafe scharf, weil sie infolge ihrer Kürze keinen bleibenden Behandlungserfolg erziele und den Täter aus seinen familiären und beruflichen Bindungen reiße 69 . Sie belaste den Verurteilten mit dem Stigma, im Gefängnis gesessen zu haben, und bringe ihn in Kontakt mit Schwerstkriminellen. Zudem beeinträchtige die Ahndung von Bagatelltaten durch die Freiheitsstrafe die Wirkung der Generalprävention, weil dadurch schwere Taten, die ebenfalls mit der Freiheitsstrafe geahndet werden, auf eine Stufe mit Bagatelldelikten gestellt würden 70 . Thyren faßt seine Kritik in dem Urteil zusammen, die kurze Freiheitsstrafe sei der "schwächste Punkt im modernen Strafensystem,,71. Er forderte die Ab-

67Die Zahlenangaben für 1948 entstammen SOU 1953: 17, S. 73. 68Die Angaben für 1961 sind der Statistik Fangvardsstyrelsen, Kriminalvarden 1961, S. 44 und S. 82 f. entnommen. Siehe zur Praxis vor 1965 auch von Websky, Deliktsfolgensyste,m, S. 69 f, 69Vgl. zum Folgenden Thyren, Principema, S. 61 ff.; SOU 1923:9, S. 247 ff, 70Thyren bemängelte zudem, die kurze Freiheitsstrafe habe keinen abschreckenden Effekt auf den Täter, weil ein Gefängnisaufenthalt für diesen wegen der kostenlosen Unterkunft sogar attraktiv sei. Er wies auf die Ungleichheit in der Härte der kurzen Freiheitsstrafe hin, weil ein kurzzeitiger Gefängnisaufenthalt für etablierte Bürger einen erheblichen Eingriff darstelle, während er für Angehörige der Unterschicht oft nicht einmal unerwünscht sei. Dieses Argument überrascht aus heutiger Sicht, weil diese Ungleichheit heute - von den Vertretern eines "short sharp shock" - oft als Argument für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen gegen sozial integrierte Straftäter angeführt wird. 71Thyren, Principerna, S. 62: "den svagaste punkten i det moderna straffsystemet".

C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

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schaffung der Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten, jedenfalls aber die Anhebung des Strafminimums auf mindestens drei Monate 72 . Die Strafgesetzkommission (Strafflagskommissionen), die Anfang der zwanziger Jahre Vorschläge zur Änderung des Strafgesetzes erarbeiten sollte, forderte im Anschluß an Thyren die Anhebung der Mindeststrafe des Gefängnisses auf drei Monaten. Daneben wollte sie den Arrest als milde Sonderform der kurzen Freiheitsstrafe für Gewissens- und Überzeugungstäter mit einem Mindestmaß von ebenfalls drei Monaten einführen. Für schwere Delikte sollte als neue Form der Freiheitsstrafe das Zuchthaus verhängt werden. Die Strafgesetzkommission beabsichtigte mit diesem neuen Sanktionensystem, die kurze Freiheitsstrafe so weit wie möglich durch die Geldstrafe zu ersetzen. Weder die Vorstellungen Thyrens noch die Reformvorschläge der Strafgesetzkommission konnten sich in der Folgezeit praktisch durchsetzen, so daß die oben beschriebene Gesetzeslage bis 1962 unverändert blieb74 • Ein Grund dafür könnte darin zu sehen sein, daß bei vielen Anhängern der Behandlungsideologie die Überzeugung von der generalpräventiven Wirksamkeit der Strafe weit verbreitet war und man sich daher nicht dazu durchringen konnte, die kurze Freiheitsstrafe als vermeintlich generalpräventiv unentbehrliches Mittel abzuschaffen. Hinzu kommt, daß seit den dreißiger Jahren die Moralbildungstheorie an Einfluß gewann, die der Strafe die Aufgabe der Moralbildung und Moralverstärkung zuschrieb und in deren Konsequenz eine Befürwortung kurzer Freiheitsstrafen als moralbildendes Mittel lieges.

72Thyren, Principema, S. 66. 7J ygl.

zum Folgenden SOU 1923:9, S. 252 ff.

74 Auch in der Schlyterschen Epoche (ca. 1933 bis 1962) war die kurze Gefangnisstrafe zwar weiterhin Gegenstand scharfer Kritik, die aber keine Reformen nach sich zog; vgl. Träskman, SvJT 1984, 826 (835). 7S ygl. z.B. Olivecrona (in: Sveriges Juristförbund, Aktuell debatt, S. 79 (80)), der die Bestrafung der Trunkenheit am Steuer als Beipie1 für die Moralbildung nennt.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

11. Die Regelungen des Brottsbalk zur kurzen Freiheitsstrafe

1. Die Einführung des Strafminimums von einem Monat

Bei den Vorarbeiten zum Brottsbalk wurde die Frage wieder aufgegriffen, ob man im Anschluß an Thyren das Mindestmaß der Freiheitsstrafe auf drei Monate anheben oder die bisherige Regelung beibehalten sollte. Der Strafgesetzausschuß (Strafflagberedningen), der an den Vorarbeiten maßgeblich beteiligt war, lehnte eine Anhebung des Strafminimums ab und schlug statt dessen vor, eine einheitliche Freiheitsstrafe mit der Bezeichnung Gefängnis (fängelse) und einem Mindestmaß von einem Monat einzuführen 76 . Der Ausschuß betonte zwar, eine Freiheitsstrafe sollte nur verhängt werden, wenn andere Sanktionen, insbesondere Geldstrafe und bedingte Verurteilung, nicht ausreichten. Er hielt aber die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen aus general präventiven Gründen "in gewissem Umfang" für erforderlich. In welchem Umfang nach Auffassung des Ausschusses kurze Freiheitsstrafen verhängt werden sollten, geht aus der Begründung für seine These hervor, eine Anhebung des Strafminimums auf drei Monate würde die Anzahl der Freiheitsstrafen insgesamt nicht vermindern. Die Begründung zeigt, daß der Strafgesetzausschuß die bisherige Praxis, unter Berufung auf generalpräventive Gründe eine Vielzahl kurzer Freiheitsstrafen zu verhängen, befürwortete77 . Die meisten kurzen Freiheitsstrafen würden, so der Ausschuß, in Fällen verhängt, in denen generalpräventive Gründe eine Freiheitsstrafe erforderten. Bei einer Erhöhung des Strafminimums würden in diesen Fällen daher höhere Freiheitsstrafen verhängt werden. Zwar sei es denkbar und erstrebenswert, das System der ambulanten Sanktionen auszubauen, um diesen Effekt abzumildern. Die kurze Freiheitsstrafe sei aber in vielen Fällen als generalpräventives Mittel unentbehrlich. Mit diesen Äußerungen distanzierte sich der Ausschuß deutlich von den Vorstellungen Thyrens und erklärte sich mit der bisherigen Regelung der kurzen Freiheitsstrafe und ihrer Bedeutung in der Sanktionspraxis einverstanden.

76Siehe zum Folgenden SOU 1953: 17, S. 78 f. 77Dies kommt auch deutlich in SOU 1953:17, S. 74 zum Ausdruck: Der Ausschuß befürwortet dort eine "gewisse Schematisierung" ("viss schematisering") des Strafvollzuges bei Verurteilten, die Taten begangen haben, bei denen aus generalpräventiven Gründen die Notwendigkeit bestand, eine Freiheitsstrafe zu verhängen.

C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

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Der Strafgesetzausschuß beschäftigte sich weiterhin mit der Frage, ob eine milde Sonderform der Freiheitsstrafe für kurze Freiheitsstrafen eingeführt werden sollte78 . Dies war teilweise gefordert worden, um geringfügige Kriminalität stärker von schwerer Delinquenz, die mit der normalen Gefängnisstrafe geahndet werden sollte, abgrenzen zu können. Dadurch würde jedoch nach Ansicht des Ausschusses die Verhängung einer normalen Gefängnisstrafe ein erheblich größeres Stigma für den Verurteilten bedeuten. Weiterhin sei es widersinnig, wegen der Art der Tat eine kurze Freiheitsstrafe zu verhängen, zugleich aber eine besondere Bezeichnung für die Sanktion zu verwenden, um den geringen Unwertgehalt der Tat zum Ausdruck zu bringen. Schließlich werde die Strafzumessung verzerrt, weil die Richter in dem Bestreben, den besonderen Unwertgehalt einer Tat zum Ausdruck zu bringen, in der Praxis dazu verleitet würden, eine längere Gefängnisstrafe zu verhängen, als dies der Fall wäre, wenn es nur eine Form der Freiheitsstrafe gäbe79 • Entsprechend den Vorschlägen des Strafgesetzausschusses wurde in Kap. 26 § 1 BrB a.F. das Mindestmaß der Gefängnisstrafe auf einen Monat festgesetzt. 2. Die Regelung der Strafzumessung

Da der Gesetzgeber die große Zahl kurzer Freiheitsstrafen aus general präventiven Gründen für erforderlich hielt, enthielt der Brottsbalk von 1962 - wie auch das Strafgesetz - keine besondere Strafzumessungsvorschrift zur Zurückdrängung kurzer Freiheitsstrafen. Die Frage, ob im Einzelfall eine kurze Freiheitsstrafe zu verhängen ist, war vielmehr ausschließlich nach den allgemeinen Strafzumessungsvorschriften zu entscheiden. Die Sanktions wahl (päföljdsval), d.h. die Entscheidung, weIche Sanktion Anwendung finden soll, richtete sich nach Kap. 1 § 7 BrB a.F., wonach zum einen die allgemeine Rechtstreue als generalpräventiver Gesichtspunkt und zum anderen die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft als spezi-

78 Vg l.

zum Folgenden SOU 1953: 17, S. 75 f.

79 Der Strafgesetzausschuß behandelte schließlich auch die Frage, ob die Einführung einer besonders milden Sonderform der kurzen Freiheitsstrafe, einer sogenannten "custodia honesta", für Gesinnungstäter sinnvoll sei; siehe im einzelnen zu dieser Frage SOU 1953:17, S. 76 f.; von Websky, Deliktsfolgensystem, S. 30 f. 4 Schaeferdiek

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

alpräventiver Aspekt berücksichtigt werden sollte80 . Konkretere Strafzumessungsvorschriften beinhaltete der Brottsbalk in der Fassung von 1962 nicht; die Entscheidung, ob im Einzelfall eine kurze Freiheitsstrafe oder eine ambulante Sanktion zu verhängen war, sollte allein auf Grund der von Kap. 1 § 7 BrB a.F. vorgesehenen Abwägung zwischen generalpräventiven und spezialpräventiven Gesichtspunkten getroffen werden. Diese Regelung ermöglichte in weitem Umfang die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen. Es konnte ohne weiteres bei bestimmten Arten von Straftaten ein Bedürfnis zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Rechtstreue angenommen werden, das im Rahmen der Abwägung eine fehlende individualpräventive Notwendigkeit überspielen und die Verhängung einer kurzen Gefängnisstrafe rechtfertigen konnte 81 . Der Einfluß der Spezialpräventionslehre auf die Strafzumessungsregelung des Brottsbalk war damit insgesamt überraschend gering und blieb auf bestimmte Arten von Straftätern, wie Jugendliche (Jugendgefängnis) und gefährliche Rückfalltäter (Internierung) beschränkt82 .

3. Die Einführung einer kurzen Anstaltsbehandlung im Rahmen der Schutzaufsicht

In Kap. 28 § 3 BrB a.F. schuf der Gesetzgeber des Brottsbalk die Möglichkeit, innerhalb der Schutzaufsicht eine im Rahmen von ein bis zwei Monaten zeitlich unbestimmte Behandlung in einer Anstalt anzuordnen. Aus den Motiven ergibt sich, daß er damit in erster Linie eine verbesserte Behandlung des Verurteilten erreichen wollte und insoweit spezial präventive Zwecke verfolgte83 . Als weiteren Zweck nannte der Gesetzgeber die Absicht, die normalerweise in Freiheit zu vollziehende Sanktion der Schutzaufsicht zu verschärfen 84 . Er hielt diese Verschärfung zum Zwecke der Abschreckung, also aus generalpräventiven Gründen, für erforderlich. Auch hier zeigt sich also, daß der Ge-

80yg l. zu Kap. I § 7 BrB a.F. SOU 1986:14, S. 416 ff.; Jareborg, ZStW 106 (1994), 149 (141); Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (809).

81Victor (in: Berg/BerggreniMunck u.a., Kommentar, Einführung zu Kap. 29, S. 190) weist zu Recht darauf hin, daß bei der allgemeinen Rechtstreue weniger die Prüfung des Einzelfalles als vielmehr eine allgemein geübte Praxis von Bedeutung gewesen sei. 82Jareborg, ZStW 106 (1994),140 (141). 83 yg l.

Agge/fhornstedt, in: Mezger u.a., Ausländisches Strafrecht, S. 291.

84Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 28 § 3, S. 138.

C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

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setzgeber des Brottsbalk kurzfristige Freiheitsentziehungen als aus generalpräventiven Gründen notwendig ansah 85 .

4. Zwischenbetrachtung Die Behandlungsideologen stehen der kurzen Freiheitsstrafe typischerweise sehr kritisch gegenüber, weil diese nichts zur Behandlung des Täters beitrage. Daher überrascht es, daß während der Vorherrschaft der Behandlungsideologie zwischen 1910 und 1965 keine Vorschrift in das schwedische Strafgesetz aufgenommen wurde, die auf eine Zurückdrängung der in der Praxis so dominierenden kurzen Freiheitsstrafe abzielte. Der Grund hierfür ist, wie deutlich wurde, in der Überzeugung von der generalpräventiven Notwendigkeit der kurzen Freiheitsstrafe zu sehen, die sich bei den Vorarbeiten zum Brottsbalk endgültig durchsetzte und dem Gesetz von 1962 zugrunde lag 86 • III. Die Entwicklung nach dem Erlaß des Brottsbalk

Im folgenden ist zu untersuchen, weIche Auswirkungen der "Neoklassizismus", der schon bald nach dem Erlaß des Brottsbalk die schwedische Kriminalpolitik dominierte, auf die Regelungen zur kurzen Freiheitsstrafe ausübte. Dabei werden chronologisch diejenigen Reformen betrachtet, die direkt oder indirekt die kurze Gefängnisstrafe betrafen und aus denen die heutige Gesetzeslage hervorgegangen ist.

85 Bei den Vorarbeiten zum Brottsbalk wurde außerdem diskutiert, nach dem Vorbild des deutschen Jugendarrestes eine besondere Arreststrafe als kurze Freiheitsstrafe für Jugendliche einzuführen. Der Vorschlag konnte sich jedoch letztlich nicht durchsetzen, weil nach überwiegender Auffassung die Jugendlichen nach Möglichkeit aus den Strafanstalten herausgehalten werden sollten. Die Entscheidung gegen die Einführung einer Sonderform war also keine Entscheidung gegen die kurze Freiheitsstrafe im allgemeinen; vgl. zu dieser Diskussion NJA 11 1962, 380 f.; BRA 1977:77, S. 260.

86Cosmo (NTfK 1969,279) moniert, daß bei den Vorarbeiten zum Brottsbalk keine Diskussion über die Anwendung kurzer Freiheitsstrafen stattgefunden habe. Törnudd (in: Nestius, Behandling, S. 27 (29» weist darauf hin, daß generalpräventive Gesichtspunkte die Kriminalpolitik auch in der Ära der Behandlungsideologie wesentlich bestimmt hätten. 4*

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

1. Die Einführung der Möglichkeit einer Kombination von Schutzaufsicht und kurzer Gefängnisstrafe (1980)

Mit Wirkung vom 1.1.1980 schaffte der Gesetzgeber die Anstaltsbehandlung im Rahmen der Schutzaufsicht ab und führte an ihrer Stelle die Möglichkeit ein, die Schutzaufsicht und eine kurze Gefängnisstrafe nebeneinander zu verhängen. a) Die vorausgegangene Reformdiskussion Auf den ersten Blick könnte diese Reform den Eindruck erwecken, daß der Gesetzgeber nun in noch größerem Maße die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen ermöglichen wollte. Die folgende Betrachtung der Motive zeigt jedoch, daß er eine andere Absicht verfolgte. Die Jugendgefängniskommission (Ungdomsfängelseutredningen) unterzog die Anstaltsbehandlung in einem Gutachten aus dem Jahre 1977 erstmals einer kritischen Analyse 87 . Sie wies auf die fehlenden praktischen Behandlungserfolge der Anstaltsbehandlung hin und kritisierte deren zeitliche Unbestimmf heit88 • Der Justizminister schloß sich der Kritik an und führte sie fort 89 . Da die beiden Zwecke der Anstaltsbehandlung, die Behandlung des Täters und die generalpräventiv motivierte Verschärfung der Schutzaufsicht, durch eine normale kurze Gefängnisstrafe ebensogut verfolgt werden könnten, sei die Anstaltsbehandlung überflüssig. Dies gelte um so mehr, als sie ohnehin genauso vollzogen werde wie eine kurze Freiheitsstrafe90 • Der Justizminister forderte daher die Abschaffung der Anstaltsbehandlung und die Einführung der Möglichkeit, die

87 Vgl.

zum Folgenden SOU 1977:83, S. 122 ff.; Aspelin, NtfK 1973, 53 (64).

88 Als Konsequenz forderte die Jugendgefängniskommission die Abschaffung der Anstaltsbehandlung in der damaligen Form und die Einführung eines neuen Institutes, der Aufnahme in eine Anstalt (intagning i anstalt). Diese sollte zeitlich bestimmt sein und ausschließlich zu general präventiven Zwecken eingesetzt werden, also nicht länger der besonderen Behandlung des Täters dienen. 89 Vgl.

zum Folgenden prop. 1978179:212, S. 53 ff.; ähnlich BRÄ 1977:77, S. 229 f.

1974 gab es noch besondere Bewährungshilfeheime (tillsynsanstalter), in denen die Anstaltsbehandlung vollzogen werden sollte. Diese wurden später in lokale Gefängnisse umgewandelt mit der Folge, daß kein Unterschied mehr zum Vollzug kurzer Gefängnisstrafen verblieb; vgl. Bondeson, in: DünkelJSpiess, Alternativen, S. 148 (151 f.). 9OVor

C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

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Schutzaufsicht mit einer kurzen Freiheitsstrafe zu kombinieren. Diese Reformforderung verwirklichte der Gesetzgeber im Jahre 1979. Hinter der Reform stand also die Absicht, die Unzulänglichkeiten der bisherigen Anstaltsbehandlung zu beseitigen. Es wurde betont, die Kombination sei eine Alternative zu längeren Gefängnisstrafen und solle nicht etwa in solchen Fällen eingesetzt werden, in denen bislang nur Schutzaufsicht verhängt wurde 91 . Der Reform lag also - entgegen dem ersten Anschein - keineswegs die Absicht zugrunde, den Anwendungsbereich der kurzen Freiheitsstrafe und ihre praktische Bedeutung zu erhöhen. b) Die Reform und die heutige Regelung Nach der Reform von 1979 konnte zunächst eine kurze Gefängnisstrafe mit einer Dauer von einem bis drei Monaten mit Schutzaufsicht verbunden werden. Seit 1981 beträgt die Mindestdauer der Gefangnisstrafe gemäß Kap. 28 § 3 Abs.l BrB vierzehn Tage 92 . Die Kombination sollte nach dem Willen des Gesetzgebers von 1979 verhängt werden, wenn dies mit Rücksicht auf die allgemeine Gesetzestreue unbedingt erforderlich sei 93 . Seit der Reform des Strafzumessungsrechts aus dem Jahre 1989 bestimmt Kap. 30 § 11 BrB, daß die Schutzaufsicht mit einer kurzen Gefängnisstrafe verbunden werden kann, wenn dies im Hinblick auf den Strafwert oder frühere Taten des Täters unumgänglich ist94 . Für die Freiheitsstrafe gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln 95 . Insbesondere wird sie wie alle Freiheitsstrafen nach Maßgabe des Gesetzes über die Kriminalpflege in der Anstalt (lagen om kriminalvard i anstalt, KvaL) vollzogen. Allerdings ist eine vorzeitige bedingte Entlassung nach Kap. 26 § 6 Abs. 1 S. 2 BrB nicht möglich. Eine weitere Besonderheit findet sich in Kap. 26 § I S. 3 BrB, wonach der Richter, wenn er die Schutzaufsicht mit einer kurzen Freiheitsstrafe verbinden will, nicht an die in den Tatbeständen angegebenen Straf-

9l prop.

1978/79:212, S. 1 und S. 74.

92Diese Änderung geschah im Zuge der Senkung des Strafminimums der Freiheitsstrafe auf vierzehn Tage. Vgl. unten 3. Abschn. D. 11. 93NJA 111979, 219 f.; BerglBerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 28 § 3, S. 140. 94Zur Strafzumessungsreform von 1989 im einzelnen siehe unten 3. Abschn. D V. 95BergiBerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 28 § 3, S. 139 f.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

skalen gebunden ist. Dies bedeutet, daß die Verhängung auch dann möglich ist, wenn das Strafminimum für das begangene Delikt drei Monate übersteigt96 .

2. Die Senkung des Strafminimums auf vierzehn Tage (1981) Im Jahre 1980 senkte der schwedische Gesetzgeber das Mindestmaß der Gefängnisstrafe von einem Monat auf vierzehn Tage. Die Vorarbeiten zu dieser Reform und die Motive der Gesetzesänderung bringen eine neuartige Einstellung zur kurzen Freiheitsstrafe zum Ausdruck, weshalb die Reform hier eingehend dargestellt werden soll. a) BRÄ 1977:7 Der Vorschlag, das Strafminimum zu senken, wurde erstmals in dem einflußreichen Bericht BRÄ 1977:77 der kriminalpolitischen Arbeitsgruppe innerhalb des Rates für die Verbrechensverhütung (Brottsförebyggande rädet)97 aus dem Jahre 1977 geäußert. Die Arbeitsgruppe forderte eine Einschränkung der Verhängung von Freiheitsstrafen und einen möglichst weitgehenden Einsatz ambulanter Sanktionen98 . Wenn aber die Verhängung einer Freiheitsstrafe unbedingt erforderlich sei, dann solle sie so kurz wie möglich bemessen sein 99 . BRÄ 1977:77 wollte also gezielt auf die kurze Freiheitsstrafe setzen, soweit ein Freiheitsentzug im Einzelfall unumgänglich ist. Zur Begründung dieser neuartigen Forderung führt die Arbeitsgruppe an, daß die Kritik, die üblicherweise an der kurzen Freiheitsstrafe geübt werde, sich in Wahrheit auf alle Freiheitsstrafen, unabhängig von ihrer Dauer, beziehe. Kurze Freiheitsstrafen seien im Vergleich zu längeren in keiner Hinsicht in besonderem Maße kritikwürdig, weshalb der Freiheitsentzug, wenn er unbedingt erfor-

96 Eine dritte Ausnahme stellt Kap. 34 § lAbs. 2 BrB dar; vgl. dazu Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 28 § 3, S. 140.

97Zur Aufgabe des Rates für die Verbrechens verhütung siehe oben Fn. 59. 98Siehe zum Folgenden BRÄ 1977:77, S. 262 ff. 99 Der Gedanke findet sich in ähnlicher Form auch in SOU 1977:83, S. 123, wo der Jugendgefängnisausschuß ausführt, der Zweck der vorgeschlagenen Aufnahme in eine Anstalt im Rahmen der Schutzaufsicht bestehe unter anderem in der Verringerung der Dauer des Freiheitsentzuges und damit seiner schädlichen Wirkungen in den Fällen, in denen er unumgänglich sei.

c. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

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derlich sei, ohne Bedenken möglichst kurz bemessen werden könne. Insbesondere gelte das klassische Gegenargument gegen die kurze Freiheitsstrafe, es könne kein Behandlungserfolg beim Täter erzielt werden, in gleicher Weise für alle Freiheitsstrafen, da diese, wie die neuere kriminologische Forschung ergeben habe, generell nicht geeignet seien, irgend welche positiven Effekte beim Inhaftierten herbeizuführen. Auch komme der Täter bei kurzen wie bei längeren Freiheitsstrafen mit anderen Kriminellen in Kontakt und werde in seinen sozialen und beruflichen Beziehungen beeinträchtigt. Schließlich sei auch das Argument, ein kurzer Freiheitsentzug schrecke potentielle Täter nicht hinreichend ab, weswegen die kurze Freiheitsstrafe generalpräventiv wenig wirkungsvoll sei 100, nicht überzeugend. Auch kurze Freiheitsstrafen bedeuteten für die meisten Menschen ein beträchtliches Übel und das wesentliche abschreckende Moment liege in dem Risiko eines Freiheitsentzuges überhaupt, während die Höhe des drohenden Freiheitsentzuges keine Auswirkung auf den Gesetzesgehorsam habe. Der Bericht geht sogar noch einen Schritt weiter und betont die besonderen Vorteile der kurzen Freiheitsstrafe. Diese lägen gerade in ihrer Kürze begründet, weil der Täter in geringerem Maße aus seinen familiären und sozialen Beziehungen herausgerissen werde und weniger Kosten verursacht würden. Eine Senkung des Strafniveaus sei zudem geboten, weil Wohlstand und Freizeit seit 1965 zugenommen und sich der Strafwert des Freiheitsentzuges damit erhöht habe IOI . Diese Ausführungen bringen den neuartigen Gedanken zum Ausdruck, die kurze Freiheitsstrafe im Rahmen einer allgemeinen Senkung des Strafniveaus gezielt anstelle längerer Freiheitsstrafen einzusetzen. Der erste Schritt dieser Senkung des Strafniveaus sollte die Herabsetzung des einmonatigen Strafminimums der Gefangnisstrafe sein. Die Arbeitsgruppe sah in diesem Bereich einen besonderen Bedarf für eine Senkung des Strafniveaus, weil die Richter in vielen Fällen - nämlich bei einem Drittel aller Verurteilungen zu Freiheitsstrafe - eine Freiheitsstrafe von genau einem Monat verhängten. Die Praxis teile also offenbar die Ansicht, daß der Freiheitsentzug, wenn er unvermeidlich sei, wenigstens so kurz wie möglich bemessen werden sollte.

IOOy gl. die Ausführungen des schwedischen Generalstaatsanwalts und des Obergerichts Göta in SOU 1980: I, S. 27 f. 101 Außerdem weist die Arbeitsgruppe darauf hin, daß das Strafminimum im Vergleich mit den anderen nordischen Ländern in Schweden am höchsten sei und eine Senkung daher im Interesse der Rechtseinheit der nordischen Länder liege.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Die Arbeitsgruppe betonte, die Herabsetzung der Mindeststrafe dürfe in der Praxis nicht dazu führen, daß die Richter eine kurze Freiheitsstrafe in Fällen verhängten, in denen sie ohne die Senkung auf eine ambulante Sanktion erkannt hätten. Dies hätte zur Folge, daß die Zahl der Freiheitsstrafen insgesamt anstiege. Die Arbeitsgruppe glaubte, diesen Effekt durch die KlarsteIlung vermeiden zu können, daß die Senkung nicht beabsichtige, die Zahl der Freiheitsstrafen zu erhöhen: "Man sollte davon ausgehen, daß die Richter solchen Richtlinien loyal folgen"J02. BRA 1977:77 schlug abschließend vor, das Mindestmaß der Freiheitsstrafe so weit zu senken, daß sie verwaltungstechnisch noch vollstreckt werden könne. Die Arbeitsgruppe empfahl ein Maß von einer Woche. b) SOU 1980: 1 und Proposition 198018 1:44 Das Gefängnisstrafenkomitee schlug anknüpfend an BRA 1977:77 in seinem Gutachten SOU 1980: I eine Senkung des Minimums der Gefängnisstrafe auf vierzehn Tage vor. Die schwedische Regierung schloß sich diesem Vorschlag in ihrer Gesetzesvorlage Proposition 198018 I :44 an. SOU 1980: I und Proposition 1980/8 I :44 folgen in ihrer Argumentation im wesentlichen dem Bericht des Rates für die Verbrechensbekämpfung und führen sie in einigen Punkten fort1(ß. Neben der Senkung des Strafniveaus verfolge die Reform auch den Zweck einer stärkeren Differenzierung bei der Strafzumessung. Mit der bisherigen Mindeststrafe von einem Monat seien bislang viele Taten von ganz unterschiedlichem Unwertgehalt sanktioniert worden. Nach einer Senkung des Strafminimums könnten die Richter in diesem Bereich stärker nuancieren und in gewissen Fällen auch Freiheitsstrafen von vierzehn oder einundzwanzig Tagen verhängen. Eine Aussage, bei welchen Delikten im einzelnen eine Senkung des Strafmaßes unter einen Monat in Frage kommt, könne nicht getroffen werden, um den Spielraum der Richter bei der Strafzumessung nicht zu sehr einzuschränken. Allerdings solle jeweils auf die Umstände des

I02 BR A 1977:77, S. 263: ,,( ... ) torde man kunna utga fran att domstolarna lojalt följer sädana riktlinjer".

J03 y gl. zum Folgenden prop. 1980/81 :44, S. 6 ff.; SOU 1980: I, S. 34 ff.; kurze Zusammenfassung bei Örn, NTfK 1981, 63 f.

C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

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Einzelfalles abgestellt werden, das Strafniveau also nicht pauschal für bestimmte Delikte gesenkt werden 104 • Mit Nachdruck betonen das Gefängnisstrafenkomitee und die Regierung, die Reform beabsichtige keine erweiterte Anwendung der Freiheitsstrafe. Nicht etwa sollten Fälle, in denen bislang Geldstrafe oder eine Bewährungssanktion verhängt wurden, jetzt mit kurzen Freiheitsstrafen geahndet werden. Um dies zu vermeiden, dürfe die Mindeststrafe nicht zu tief angesetzt werden. Auch werde eine Gefängnisstrafe von nur wenigen Tagen von der Allgemeinheit als sehr geringe Sanktion angesehen und höhle daher die general präventive Funktion der Freiheitsstrafe aus. Entgegen BRÄ 1977:77 wird aus diesen Gründen ein Mindestmaß von vierzehn Tagen vorgeschlagen. Bei einer so bemessenen Senkung des Strafniveaus sei eine Erhöhung der Zahl der Freiheitsstrafen als Folge der Reform nicht zu befürchten. Insoweit genüge eine KlarsteIlung des Gesetzgebers über den Zweck der Reform. Auch spreche die Praxis, die kurze Freiheitsstrafe für bestimmte Delikte zu verhängen, dagegen, daß nach einer Senkung des Strafminimums in größerem Umfang Gefängnisstrafen verhängt würden. c) Die Reform von 1981

Im Jahre 1981 wurden die Vorschläge des Gefängnisstrafenkomitees und der Regierung Gesetz. Die Mindestdauer der Freiheitsstrafe nach Kap. 26 § 1 BrB und der mit Schutzaufsicht kombinierten Gefängnisstrafe gemäß Kap. 28 § 3 BrB wurde auf vierzehn Tage gesenkt. 3. Die Reformierung der Schutzaufsicht ( J983) 1983 führte der Gesetzgeber verschiedene Änderungen bei der Schutzaufsicht durch 105. Unter anderem verschärfte er die Reaktionsmöglichkeiten bei Pflichtverletzungen des Verurteilten (Kap. 28 § 7 BrB) und ordnete an, daß die Über-

H)4prop. 1980/81 :44, S. 13; lustitieutskottet, betänkande 1980/81 :32, S. 8. Insbesondere solle eine Gefangnisstrafe von vierzehn Tagen nicht zur Standardsanktion bei Trunkenheit am Steuer werden, sondern nur "in klaren Ausnahmefällen" verhängt werden. Vgl. Berg/BerggreniMunck U.Q., Kommentar, Kap. 26 § I, S. 59.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

wachung im Regelfall auch ohne Rechtskraft des Urteils unmittelbar nach dessen Erlaß beginnen solle (Kap. 28 § 5 Abs.l BrB). Diese Änderungen verfolgten den Zweck, die Schutzaufsicht zu effektivieren und ihren generalpräventiven Wert zu erhöhen, um auf diese Weise ihren Anwendungsbereich auf Kosten der kurzen Freiheitsstrafe zu erweitern. Die Motive offenbaren damit erstmals die Absicht des Gesetzgebers, die Zahl der kurzen Gefängnisstrafen zu verringern. Die Reform veränderte zwar zu diesem Zwecke nicht die Regelungen zur kurzen Freiheitsstrafe, der Gesetzgeber versprach sich aber auf indirektem Wege durch die Verschärfung ambulanter Sanktionen eine Verringerung der Zahl der kurzen Gefängnisstrafen. 4. Die Einführung der Vertragspflege (1987) Seit dem 1.1.1988 gibt es im schwedischen Strafrecht eine neuartige Alternative zur kurzen Gefängnisstrafe, die Vertragspflege (kontraktsvard) 106. Sie kann verhängt werden, wenn der Mißbrauch suchterzeugender Mittel (v.a. Alkohol und Drogen) wesentlich zur Begehung der Tat beigetragen hat. Erklärt sich der Täter in einem solchen Fall bereit, sich einer Behandlung nach einem besonderen Behandlungsplan zu unterziehen, so kann er statt zu Gefängnis zu Schutzaufsicht verurteilt werden 107. Die Vertragspflege ist also keine eigenständige Sanktion, sondern eine qualifizierte Form der Schutzaufsicht lO8 • Die Einführung beruhte auf dem Gedanken, daß bei süchtigen Kriminellen in erster Linie die Sucht bekämpft werden müsse l09 . Das Interesse, die begangene Tat mit einer Freiheitsstrafe zu ahnden, trete hier hinter der Notwendigkeit einer Bekämpfung der Sucht und einer Verringerung der Rückfallwahrscheinlichkeit zurück. Der Gesetzgeber hielt die kurze Freiheitsstrafe also bei der speziellen I05Siehe zum Folgenden NJA 11 1983, 232 ff.; Berg/Berggren/Munck U.Q., Kommentar, Kap. 30 § 9, S. 276; Cornils, in: Eser U.Q., Strafrechtsentwicklung I, S. 663

(669).

I06Kap. 28 § 6 a Abs. 1 BrB und Kap. 30 § 9 Abs. 2 Nr.3 BrB. 107 Führt der Verurteilte die Behandlung nicht plangemäß durch, so kann die Vertragspflege durch Gerichtsbeschluß in eine Gefängnisstrafe umgewandelt werden; vgl. zu den Voraussetzungen im einzelnen Berg/Berggren/Munck U.Q., Kommentar, Kap. 30 § 9, S. 282 ff.; Kommittedirektiv 1992:47, S. 5.

108Cornils, in: Eser/Huber, Strafrechtsentwicklung III, S. 961 (969).

I09NJA 11 1987, 459 ff.; Berg/Berggren/Munck S. 280 f.

U.Q.,

Kommentar, Kap. 30 § 9,

C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

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Tätergruppe der Süchtigen für eine ungeeignete Sanktion und versuchte, sie bei dieser Tätergruppe zurückzudrängen. Für die große Gruppe der gegen andere Täter verhängten kurzen Gefängnisstrafen hat die Reform dagegen keine Bedeutung. 5. Die Reform des Strafzumessungsrechts (1989)

Am 1.1.1989 trat in Schweden ein neues Strafzumessungsrecht in Kraft, das die unbestimmte Vorschrift des Kap. 1 § 7 BrB 110 durch detaillierte Strafzumessungsnormen ersetzte. Nachdem die bei den letztgenannten Reformen in Ansätzen den Willen des Gesetzgebers zeigten, die kurze Freiheitsstrafe zurückzudrängen, bot sich jetzt die Gelegenheit, den Einsatz der kurzen Gefängnisstrafe grundlegend neu zu regeln und ihre praktische Bedeutung zu vermindern. Die Reform schuf keine Sondervorschrift für die Strafzumessung bei kurzen Gefangnisstrafen, viele der neuen Vorschriften sind jedoch für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen von Relevanz. Sie regeln die für die vorliegende Untersuchung zentrale Frage, in welchem Umfang heute in Schweden kurze Gefängnisstrafen verhängt werden können und werden im folgenden eingehend analysiert. a) Überblick Der Akt der Strafzumessung zerfällt nach dem neuen Strafzumessungsrecht in zwei Teile, die Festsetzung der Höhe der Sanktion (Strafbemessung) und die Wahl einer Sanktion (Sanktionswahl)"'. aa) Die Strajbemessung

Bei der Strafbemessung (straffmätning) ist von der Strafskala des verwirklichten Tatbestandes auszugehen 112. Die Festlegung der Strafhöhe innerhalb des vom Deliktstatbestand vorgegebenen Rahmens ist in· Kap. 29 BrB geregelt. Nach Kap. 29 § 1 BrB richtet sie sich maßgeblich nach dem Strafwert des Deliktes. Daneben enthalten Kap. 29 §§ 4, 5 und 7 BrB weitere Umstände, die, '\OYgl. dazu oben B 11. "'SOU 1986:14, S. 69; Jareborg, ZStW 106 (1994),140 (141). 112ygl.

Berg/BerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 29 § I, S. 199.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

wenngleich sie nichts mit dem Strafwert zu tun haben, die Strafe mildern oder schärfen können.

bb) Die Sanktionswahl (1) Die Strafskala als Ausgangspunkt Die anschließende Wahl einer Sanktion (päföljdsval) richtet sich zunächst nach der Strafskala des verwirklichten Tatbestandes 113. Dabei ist zu beachten, daß in den Strafskalen nur die allgemeinen Strafen, also Geldstrafe und Gefängnisstrafe, genannt sind, die Bewährungssanktionen als Alternativen zur Freiheitsstrafe aber auch ohne ausdrückliche Erwähnung anwendbar sind, wenn eine Gefängnisstrafe verhängt werden kann 114. Läßt der Tatbestand, was regelmäßig der Fall ist, die Verhängung einer Geldstrafe, einer Bewährungssanktion oder einer Gefängnisstrafe zu, so wird zunächst entschieden, ob die Geldstrafe ausreicht oder eine schwerere Sanktion erforderlich ist 1l5 . Fällt die Entscheidung gegen die Geldstrafe aus, so muß in einem zweiten Schritt zwischen einer Bewährungssanktion und einer Gefängnisstrafe entschieden werden. (2) Die Wahl zwischen der Geldstrafe und einer schwereren Sanktion Bei der Wahl zwischen der Geldstrafe und einer schwereren Sanktion ist zu beachten, daß das Verhältnis zwischen der Geldstrafe auf der einen und der Gefängnisstrafe und den Bewährungssanktionen auf der anderen Seite im Brotts-

JJ3 Jareborg, Fragment, S. 166. Sieht der Tatbestand nur die Verhängung einer Geldstrafe vor, so kommen Gefängnisstrafe und Bewährungssanktionen von vornherein nicht in Betracht. Sieht der Tatbestand dagegen nur die Verhängung einer Gefängnisstrafe vor, so ist die Geldstrafe damit noch nicht ausgeschlossen, weil verschiedene Strafmilderungen die Möglichkeit vorsehen, eine mildere als die im Tatbestand des verwirklichten Deliktes vorgesehene Mindeststrafe zu verhängen.

114Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (796). I t5Diese Prüfungsreihenfolge folgt aus Kap. 27 § 1 und Kap. 28 § 1 BrB, nach denen eine Bewährungssanktion nur verhängt werden darf, wenn eine Geldstrafe nicht ausreicht; vgl. Berg/BerggrenJMunck u.a., Kommentar, Kap. 30 § 4, S. 242; Kommittedirektiv 1992:47, S. 4.

C. Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

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balk auf eine aus deutscher Sicht ungewöhnliche Weise geregelt ist. Nach Kap. I §§ 4 f. BrB sind Freiheitsstrafe, Schutzaufsicht und bedingte Verurteilung immer als schwerer anzusehen als die Geldstrafe. Dies bedeutet, daß es keinen Bereich auf der Skala der Strafwerte gibt, in dem sich Geld- und Freiheitsstrafe "überlappen,,116. Bei der anfänglichen Stratbemessung gelangt man entweder in den Strafhöhenbereich der Geldstrafe oder in den Bereich der schwereren Sanktionen. Im Strafhöhenbereich der Geldstrafe kommt keine andere Sanktion in Betracht117, so daß die Sanktionswahl abgeschlossen ist und nur noch die Festlegung der genauen Höhe der Geldstrafe aussteht. Im Bereich der Freiheitsstrafe und der Bewährungssanktionen scheidet eine Geldstrafe von vornherein aus. Hier ist in einem nächsten Schritt die Entscheidung zwischen einer Freiheitsstrafe und einer Bewährungssanktion zu treffen ll8 . Die Wahl zwischen der Geldstrafe und einer schwereren Sanktion fällt also im schwedischen Strafrecht mit der anfänglichen Stratbemessung zusammen 11 9. (3) Die Entscheidung zwischen der Gefängnisstrafe und den Bewährungssanktionen

Die Entscheidung zwischen der Gefängnisstrafe und den Bewährungssanktionen richtet sich nach Kap. 30 BrB. Entscheidet sich der Richter für eine Gefängnisstrafe, ist abschließend nach Maßgabe von Kap. 29 BrB die genaue Höhe der Strafe zu bestimmen. Fällt die Entscheidung zugunsten einer Bewährungssanktion aus, so verbleibt die Wahl zwischen bedingter Verurteilung und Schutzaufsicht, die in Kap. 30 §§ 7 und 9 BrB geregelt ist. Die genaue Festlegung der Strafhöhe entfällt bei den Bewährungssanktionen, weil die Dauer der 116Jareborg, Fragment, S. 167; Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 30 § 4, S.243. I17 Dies gilt mit der Einschränkung, daß nicht die besonderen Voraussetzungen einer Überweisung in besondere Fürsorge nach Kap. 31 §§ 1 und 2 BrB vorliegen; vgl. Jareborg, Fragment, S. 168.

118Zu berücksichtigen ist daneben die Alternative der Überweisung in besondere Fürsorge nach Kap. 31 §§ 1 - 3 BrB. 119BergIBerggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 30 § 4, S. 242 und Kap. 26 § 1 S. 61; Jareborg, ZStW 106 (1994), 140 (157). Zur Verdeutlichung der Besonderheit sei darauf hingewiesen, daß Geld- und Freiheitsstrafe im deutschen Strafrecht im Strafhöhenbereich von einem Monat bis zwei Jahren nebeneinanderstehen und nach der Strafbemessung anhand der Kriterien des § 47 StGB entschieden werden muß, ob eine Geldstrafe ausreicht oder eine schwerere Sanktion erforderlich ist.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Bewährungszeit vom Gesetz vorgegeben ist und nur noch gewisse Folgeentscheidungen, z.B. hinsichtlich der Verhängung von Auflagen, zu treffen sind 12o • Zum besseren Verständnis des dargestellten Entscheidungsablaufes sei abschließend angemerkt, daß die Strafbemessung genau genommen in zwei Teile zerfallt. In einem ersten Schritt wird die Strafe noch nicht in ihrer exakten Höhe, sondern nur soweit bemessen, daß beurteilt werden kann, ob sie im Strathöhenbereich der Geldstrafe oder einer härteren Sanktion liegt. Erst nachdem die Entscheidung für eine Geld- oder eine Gefängnisstrafe feststeht, wird die Strafe in ihrer genauen Höhe festgelegt. Die Grund für diese Zweiteilung liegt darin, daß bei den Bewährungssanktionen keine Strafbemessung stattfindet. Um ein unökonomisches Vorgehen zu vermeiden, ist es daher zweckmäßig, die Strafhöhe erst dann genau festzulegen, wenn feststeht, daß eine Gefängnis- oder eine Geldstrafe verhängt wird. b) Die Strafbemessung Im folgenden werden die im Zusammenhang mit der kurzen Gefängnisstrafe wichtigen Einzelheiten des schwedischen Strafzumessungsrechts ausführlich erörtert. Dabei interessiert zunächst, nach weIchen Kriterien sich die Strafbemessung richtet, die, wie oben ausgeführt, im schwedischen Strafrecht mit der Entscheidung zwischen einer Geldstrafe und einer schwereren Sanktion zusammenfällt. aa) Der Strafwert

Die zentrale Vorschrift für die Strafbemessung ist Kap. 29 § 1 Abs.l BrB, wonach der Strafwert (straffvärde) der Tat darüber entscheidet, ob die Geldstrafe zur Ahndung der Tat ausreicht. Ab einer gewissen Höhe des Strafwertes ist eine schwerere Sanktion als die Geldstrafe erforderlich, bis zu dieser Höhe genügt eine Geldstrafe. Als wichtigste Umstände, die bei der Bemessung des Strafwertes einer Tat zu berücksichtigen sind 121 , nennt Kap. 29 § 1 Abs. 2 BrB

120Jareborg,

ZStW 106, 140 (141).

Brottsbalk enthält also keine Definition des Strafwertes, sondern nennt nur nicht abschließend - die wichtigsten bei der Bestimmung des Strafwertes zu berücksichtigenden Umstände; vgl. BerglBerggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 29 § I,S. 201. 121 Der

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die Schädlichkeit des Verhaltens und das Maß der in der Tat zum Ausdruck kommenden Schuld 122. Schädlichkeit und Schuld lassen sich unter dem Begriff der Schwere der Tat zusammenfassen 123 • Bei deren Bemessung ist von den Tatbestandsmerkmalen auszugehen, also beispielsweise im Falle eines Diebstahls von der Höhe des Vermögensschadens oder im Falle einer Brandstiftung vom Ausmaß der geschaffenen Gefahr l24 . Zusätzlich enthalten Kap. 29 §§ 2 und 3 BrB eine Auflistung von Umständen, die den Strafwert erhöhen (z.B. ein besonders hohes Maß an Rücksichtslosigkeit) oder verringern (z.B. eine Provokation durch das Opfer). Neben der Schwere der Tat können bei der Bestimmung des Strafwertes nach den Motiven ausnahmsweise auch generalpräventive Bedürfnisse berücksichtigt werden 125. Zwar sei die Wahrnehmung generalpräventiver Interessen in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers. Wenn jedoch beispielsweise eine bestimmte Art von Delikten einen solchen Umfang oder so bösartige Formen angenommen habe, daß eine Änderung der Rechtsprechungspraxis angezeigt sei, könnten generalpräventive Bedürfnisse ausnahmsweise bei der Beurteilung des Strafwertes berücksichtigt werden. Einschränkend wird betont, es sei unzulässig, in einem Einzelfall ein generalpräventives Bedürfnis anzunehmen, ohne daß in vergleichbaren Fällen eine entsprechende Praxis bestehe oder durch die Entscheidung begründet werden solle 126 •

bb) Strafmildernde und strafschärfende Umstände Neben dem Strafwert können ausnahmsweise auch noch weitere Umstände bei der Strafbemessung von Bedeutung sein 127 • Nach Kap. 29 § 4 BrB kann eine

122Der Gesetzgeber vermied bewußt den Begriff der Schuld und spricht statt dessen in Kap. 29 § 1 Abs. 2 BrB von der Einsicht, den Absichten und den Motiven des Täters; vgl. Cornils, in: Eser/Huber, Strafrechtsentwicklung III, S. 961 (967 f.). 123 Jareborg, ZStW 106 (1994), 140 (148). 124Jareborg, Fragment, S. 159. l25 ygl. zum Folgenden Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 29 § 1, S. 202; Hoflund, Straff, S. 79. Außerdem sollen bei internationaler Kriminalität die Strafmaße in

anderen Ländern beachtet werden.

126Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 29 Einleitung, S. 194 und § 1, S. 203; vgl. auch SOU 1986:14, S. 70.

127Siehe zu diesen Umständen im einzelnen Jareborg, Fragment, S. 162 ff.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

frühere StraffälJigkeit des Täters strafschärfend ins Gewicht fallen. Kap. 29 § 5 BrB zählt einige strafmildernde "Billigkeitsgründe" auf, die die Strafwürdigkeit des Täters verringern, wie z.B. die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Verletzung des Täters infolge der Tat. Nach Kap. 29 § 7 BrB fällt schließlich bei Jugendlichen ihr Alter strafmildernd ins Gewicht. Die Strafmilderungsgründe können dazu führen, daß eine Geldstrafe verhängt wird, obwohl der Strafwert der Tat im Bereich der Gefängnisstrafe liegt. c) Die Entscheidung zwischen der Gefängnisstrafe und den Bewährungssanktionen aa) Kap. 30 BrB

Entscheidet sich man sich an hand der Kriterien des Kap. 29 BrB gegen die Geldstrafe, so muß im weiteren nach Kap. 30 BrB bestimmt werden, ob eine Freiheitsstrafe verhängt werden soll oder eine Bewährungssanktion ausreicht. Kap. 30 § 1 und § 4 Abs. 1 BrB bringen eine Vermutung gegen die Verhängung einer Freiheitsstrafe zum Ausdruck 128 . Kap. 30 § 1 BrB bestimmt, daß das Gefängnis im Verhältnis zu den Bewährungssanktionen als die schwerere Sanktion anzusehen ist. Nach Kap. 30 § 4 Abs. 1 BrB soll der Richter in besonderem Maße solche Umstände berücksichtigen, die für eine mildere Strafe als das Gefangnis sprechen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Umstände, die den Strafwert der Tat vermindern, z.B. ein geringes Alter des Täters oder eine psychische Störung bei Begehung der Tat 129 • Daneben sind - kraft ausdrücklicher Verweisung 130 - auch die "Billigkeitsgründe" des Kap. 29 § 5 BrB zu berücksichtigen. Die Vermutung gegen die Verhängung einer Gefängnisstrafe kann in drei Fällen, die Kap. 30 § 4 Abs. 2 BrB abschließend auflistet, außer Kraft gesetzt und in eine Vermutung für die Verhängung einer Freiheitsstrafe umgekehrt werden, nämlich ab einer gewissen Höhe des Strafwertes, aufgrund der Art der Straftat oder wegen einer strafrechtlichen Vorbelastung des Täters.

128Jareborg, ZStW 106 (1994),140 (157); Jareborg, Fragment, S. 169. 129 HD NJA 1992, 190 (193); Berg/BerggrenJ Munck u.a., Kommentar, Kap. 30 § 4, S. 240 f. 130 Vgl.

Kap. 30 § 4 Abs. 1 S. 2 BrB i.V.m. Kap. 29 § 5 BrB.

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Auch in diesen drei Fällen wird aber nicht zwingend eine Gefängnisstrafe verhängt. Die in diesen Fällen bestehende Vermutung für eine Freiheitsstrafe kann vielmehr aufgrund besonderer Umstände wiederum durchbrochen werden. So läßt Kap. 30 § 5 BrB die Verhängung einer Gefängnisstrafe gegen Jugendliche nur unter besonderen engen Voraussetzungen zu. Kap. 30 § 9 Abs. 2 BrB nennt "besondere Gründe" dafür, daß trotz der Vermutung für eine Gefängnisstrafe Schutzaufsicht verhängt werden solll3J. Schließlich können auch die Billigkeitsgründe des Kap. 29 § 5 BrB in extremen Fällen die Vermutung für die Gefängnisstrafe in den Fällen des Kap. 30 § 4 Abs.2 BrB außer Kraft setzen 132 . bb) Die Gründefür die Verhängung einer Gefängnisstrafe nach Kap. 30 § 4 Abs. 2 BrB

Von besonderem Interesse sind die drei Fallgruppen, in denen eine Vermutung für eine Gefängnisstrafe besteht und die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe anstelle einer Bewährungssanktion gerechtfertigt werden kann. (1) Der Strafwert (Kap. 30 § 4 Abs. 2, 1. Var. BrB)

Der erste Grund für die Verhängung einer Freiheitsstrafe ist gemäß Kap. 30 § 4 Abs. 2 1. Var. BrB die Höhe des Strafwertes. Aus den Motiven ergibt sich, daß ab einem Strafwert von etwa einem Jahr eine Vermutung für die Freiheitsstrafe spricht und eine andere Sanktion nur bei Vorliegen sehr starker besonderer Gründe in Betracht kommt 133 • Eine kurze Freiheitsstrafe kann also nicht mit der Höhe des Strafwertes gerechtfertigt werden; für sie verbleiben die beiden anderen Gründe nach Kap. 30 § 4 Abs. 2, 2. und 3. Var. BrB.

131 Vg l.

Jareborg, Fragment, S. 171.

132Die Verhängung einer Gefängnisstrafe ist weiterhin gemäß Kap. 30 § 6 BrB bei Vorliegen einer psychischen Störung des Täters ausgeschlossen.

I33 prop. 1987/88: 120, S. 100; Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 30 § 4, S. 243; Hoflund, Straff, S. 139. 5 Schaeferdiek

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht -

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(2) Die Art der Straftat (Kap. 30 § 4 Abs. 2, 2. Var. BrB) (a) Die Einordnung einer Tat als "Art-Delikt" Die zweite Variante "Art der Straftat" (brottslighetens art) soll den Einsatz der - insbesondere kurzen - Freiheitsstrafe aus generalpräventiven Gründen ermöglichen l34 . Bei bestimmten Delikten (sogenannten "Art-Delikten") wird angenommen, daß die Tat von einer Art ist, bei der aus generalpräventiven Gründen die Verhängung einer Gefängnisstrafe regelmäßig unerläßlich ist, auch wenn die Tat keinen hohen Strafwert hat m . Einige Delikte, wie beispielsweise die Körperverletzung, sind allgemein als "Art-Delikte" anerkannt l36 . Als Beispiele werden in den Gesetzesmaterialien neben der Körperverletzung die Trunkenheit im Verkehr 137 , der unerlaubte Waffenbesitz, der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, der unerlaubte Aufenthalt in Schweden und die Steuerhinterziehung genannt 138 . Bisweilen tritt die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen ein Delikt, das nicht zum anerkannten Kreis der "Art-Delikte" gehört, der Kategorie der Art der Tat zugeordnet werden kann. Mit den dabei ausschlaggebenden Kriterien beschäftigte sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung HD NJA 1992,

134prop. 1987/88: 120, S. 100; Berg/BerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 30 § 4, S. 245; Hojlund, Straff, S. 87 und S. 137; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß, S. 32 f. 135 Auch bei der Kategorie der Art der Straftat ist der Strafwert der Tat zu berücksichtigen. Je höher dieser ist, desto mehr spricht für die Gefangnisstrafe. Umgekehrt kann ein niedriger Strafwert infolge mildernder Umstände gegen die Freiheitsstrafe sprechen, obwohl der Täter eine Tat begangen hat, bei der üblicherweise eine Gefangnisstrafe wegen der Art der Straftat verhängt wird. Vgl. dazu im einzelnen Berg/BerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 30 § 4, S. 245.

136Hojlund, Straff, S. 137. 137Seachte zur Trunkenheit im Straßenverkehr aber die Reform vom 1.7.1990; siehe unten VII. 138prop. 1987/88: 120, S. 100. Hat der Angeklagte ein solches Delikt begangen, so wird in den Entscheidungen der Gerichte regelmäßig ohne nähere Erörterung apodiktisch festgestellt, es handele sich anerkanntermaßen bei dem betreffenden Delikt um ein solches, das im Normalfall wegen der Art der Tat eine Gefängnisstrafe nach sich ziehe.

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190 ff. 139. Er hatte die Frage zu entscheiden, ob Betrug gegenüber Versicherungen ein Delikt ist, das wegen seiner Art regelmäßig mit Gefängnisstrafe geahndet werden sollte. Der Oberste Gerichtshof betonte zunächst, die Wahrnehmung generalpräventiver Interessen sei in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers. In der richterlichen Praxis dürften solche Interessen ausnahmsweise in zwei Fällen berücksichtigt werden. Zum einen sei es beachtlich, wenn ein bestimmtes Delikt nachweislich häufiger oder in schwereren Formen auftrete. Zum anderen sei es erheblich, wenn die Aufdeckung und Vorbeugung einer bestimmten Art von Delikten Schwierigkeiten bereite und daher die Versuchung zur Begehung solcher Taten besonders groß sei. Beide Fälle seien allerdings mit großer Restriktivität anzuwenden und wurden aus diesem Grunde im zu entscheidenden Fall auch abgelehnt. Es gebe, so der Oberste Gerichtshof, keinen Beleg für eine erhöhte Zahl von Betrügereien gegenüber Versicherungen und es sei auch nicht ersichtlich, daß Betrügereien gegenüber Versicherungen im allgemeinen besonders schwer aufklärbar seien. Auch an anderer Stelle l40 verlangt der Oberste Gerichtshof den Nachweis, daß eine bestimmte Art von Delikten deutlich zugenommen hat. Dort gründete er die Verhängung einer kurzen Gefängnisstrafe wegen Widerstandes gegen im Massenverkehr tätige Vollstreckungsbeamte auf eine Untersuchung, derzufolge die Zahl der Übergriffe auf Personal im Massenverkehr in den letzten Jahren massiv zugenommen hatte. Die Rechtsprechung läßt also insgesamt bei der Erweiterung des anerkannten Kreises der "Art-Delikte" große Restriktivität walten. (b) Die Prüfung von Umständen gemäß Kap. 30 § 4 Abs. I BrB, die gegen die Verhängung einer Gefängnisstrafe sprechen Bei "Art-Delikten" wird keineswegs automatisch eine Gefängnisstrafe verhängt. Vielmehr muß zuvor gemäß Kap. 30 § 4 Abs. 1 BrB geprüft werden, ob im Einzelfall Umstände vorliegen, die trotz der Art der begangenen Tat die Verhängung einer ambulanten Sanktion rechtfertigen. Diese Prüfung wird von den Gerichten überwiegend sehr gründlich und ausführlich vorgenommen 141 139 y gl.

auch die Entscheidung HD NJA I 1984, 740 (741).

140 HD

NJA 1980, 421 ff.; vgl. auch die Entscheidung HD NJA 1991, 444 ff. zum

Straßenraub.

141 Bis etwa 1975 wurde dagegen bei bestimmten Delikten fast automatisch eine kurze Freiheitsstrafe verhängt; vgl. dazu BRA 1977:77, S. 261 f.

5*

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Auffallend häufig schließen sich an die Entscheidungen Minderheitsvoten einzelner Richter an, was darauf hindeutet, daß es den Gerichten sehr schwerfäIIt, zu entscheiden, wie gewichtig die gegen eine Gefängnisstrafe sprechenden Umstände sein müssen. Die folgenden Entscheidungen verdeutlichen diese Probleme und zeigen, welche mildernden Umstände in der Praxis diskutiert werden. In HD NJA 1990 B 2 wurde der Täter wegen schweren Diebstahls zu Schutzaufsicht verurteilt. Gegen eine Gefängnisstrafe sprachen nach Ansicht des Gerichtes die schweren psychischen Probleme des Täters und die Tatsache, daß er zuvor nicht straffällig geworden war. In HD NJA 1990, 84 ff. begründete der Oberste Gerichtshof die Verhängung einer bedingten Verurteilung wegen Körperverletzung damit, daß die persönlichen Verhältnisse des Täters gegen eine Gefängnisstrafe sprächen. Der Täter habe keine Vorstrafen, sei erst zwanzig Jahre alt und lebe in geordneten Verhältnissen. Außerdem seien keine schwereren Schäden entstanden. Dagegen verurteilte der Oberste Gerichtshof in einer anderen Entscheidung einen achtzehnjährigen Täter wegen Körperverletzung durch einen Karateschlag zu einer vierzehntägigen Gefängnisstrafe 142 • Zwar sprächen die stabilen sozialen Verhältnisse des Täters und sein geringes Alter gegen eine Gefangnisstrafe. Eine solche sei aber doch aus general präventiven Gründen unumgänglich, weil man davon ausgehen könne, daß Körperverletzungen durch Karateschläge, vor allem in der Altersgruppe des Täters, "nicht ungewöhnlich" seien l43 . Hier wird also ohne Nachweis ein besonderes general präventives Bedürfnis mit der Begründung bejaht, die Körperverletzung trete vermehrt in schwereren Begehungsformen auf. In HD NJA 1990,521 ff. verurteilte das Gericht den Täter trotz der geordneten sozialen Verhältnisse und des Fehlens von Vorstrafen zu einer Gefängnisstrafe, weil die dem Opfer zugefügte Körperverletzung nicht unbedeutend sei. Der Oberste Gerichtshof verhängte schließlich in HD NJA 1988, 156 ff. eine kurze Gefangnisstrafe wegen Körperverletzung unter Berufung auf die Art der Tat, obwohl die persönlichen Verhältnisse des Täters stark dagegen sprachen.

142 HD

NJA 1991,438 ff.

NJA 1991, 438 (442): "Som riksäklagaren anfört torde misshandel genom sparkar inte vara ovanlig." Ein Richter betonte demgegenüber in einem Minderheitsvotum (S. 442 f.), generalpräventive Interessen dürften nur mit äußerster Zurückhaltung berücksichtigt werden und könnten im zu entscheidenden Fall eine Gefängnisstrafe nicht rechtfertigen. 143 HD

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Die behandelten Entscheidungen zeigen, daß die Gerichte die Umstände, die gegen eine Gefängnisstrafe sprechen, zwar sorgfältig prüfen. Sie vermitteln aber dennoch das Bild einer recht strengen Rechtsprechung, da teilweise selbst bei einer Kumulation starker Gegenargumente zugunsten einer kurzen Gefängnisstrafe entschieden wird. (3) Strafrechtliche Vorbelastung des Täters (Kap. 30 § 4 Abs. 2, 3. Var. BrB) Neben der Art der Tat kann auch die Tatsache, daß der Täter bereits strafrechtlich vorbelastet ist, die Verhängung einer kurzen Gefängnisstrafe begründen. Die Gerichte nehmen allerdings nicht bei jedem Rückfall eine Vermutung für die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach Kap. 30 § 4 Abs. 2, 3.Var. BrB an 144 . Sie stellen vielmehr entscheidend darauf ab, wieviel Zeit seit der letzten Verurteilung verflossen ist l45 , wie oft der Täter bereits früher verurteilt worden ist und wie schwer und von welcher Art das begangene Delikt ist l46 . Wurde der Angeklagte früher zu einer Geldstrafe oder einer Bewährungssanktion verurteilt, so kann nach Maßgabe der genannten Kriterien bei einem Rückfall in gleich- oder andersartige Delinquenz die Grenze zur Gefängnisstrafe überschritten werden l47 • In der Praxis geschieht dies oft bei Fahren ohne Fahrerlaubnis und bei der Verweigerung des Militärdienstes, Fälle, in denen bei erstmaliger Begehung auf Geldstrafe oder bedingte Verurteilung erkannt wird und im Wiederholungsfalle regelmäßig eine Verurteilung zu Gefängnis erfolgt l48 • Führt der Rückfall nach Kap. 30 § 4 Abs. 2, 3. Var. BrB zu einer Vermutung für die Gefängnisstrafe, so prüfen die Gerichte gleichwohl sorgfältig Umstände,

144 Vgl.

zum Folgenden Berg/BerggreniMunck U.Q., Kommentar, Kap. 30 § 4, S. 248;

Hoflund, Straff, S. 156 ff.

145 Nach HD NJA 1991, 379 ist eine frühere Verurteilung bei der Sanktionswahl unbeachtlich, wenn seitdem mehr als vier Jahre vergangen sind.

146 Der Höhe des Strafwertes und der Art der Tat wird also auch bei der dritten Variante von Kap. 30 § 4 Abs. 2 BrB Bedeutung beigemessen. 147 Hoflund, Straff, S. 156 f. Sieht die Strafskala des begangenen Deliktes nur die Geldstrafe als Sanktion vor, so wird nach erneuter Begehung eines gleichartigen Deliktes eine höhere Geldstrafe verhängt.

148 Vgl.

zu dieser Praxis z.B. HO NJA 1992, 590 ff.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

die gegen eine Gefängnisstrafe sprechen l49 . Werden solche Umstände als ausreichend angesehen, so wird beispielsweise nach einer vorherigen Geldstrafe auf bedingte Verurteilung oder Schutzaufsicht erkannt oder nach der Verhängung einer Schutzaufsicht bei der erstmaligen Tatbegehung im Rücktrittsfalle zu einer mit Geld- oder kurzer Freiheitsstrafe verstärkten Schutzaufsicht verurteilt. d) Die Bedeutung der Strafzumessungsreform für die Verhängung kurzer Gefängnisstrafen Nach der Reform von 1989 kann eine kurze Freiheitsstrafe wegen der Art der Straftat oder wegen wiederholter Straffälligkeit des Täters verhängt werden, wobei in beiden Fällen auch die Höhe des Strafwertes zu berücksichtigen ist. Die Höhe des Strafwertes allein kann eine kurze Freiheitsstrafe nicht rechtfertigen. Der Gesetzgeber knüpfte mit dieser Regelung bewußt an die bisherige Praxis an, kurze Freiheitsstrafen unter Berufung auf generalpräventive Interessen zu verhängen 150. Zum einen können, wenn auch nur in extremen Ausnahmefällen, generalpräventive Erfordernisse bei der Entscheidung, ob die Geldstrafe als Sanktion ausreicht, eine Erhöhung des Strafwertes begründen und damit zur Verhängung einer Gefängnisstrafe führen, obwohl die Schwere der Tat allein für eine Geldstrafe spricht. Zum anderen kann bei der Wahl zwischen der Freiheitsstrafe und den Bewährungssanktionen die Vermutung gegen die Verhängung einer Gefängnisstrafe aus generalpräventiven Gründen widerlegt werden. Diese Regelung ist deutlich auf kurze Freiheitsstrafen, die unter Berufung auf generalpräventive Interessen anstelle ambulanter Sanktionen verhängt werden sollen, zugeschnitten. Nach dem alten Strafzumessungsrecht (Kap. I § 7 BrB a.F. BrB) wurde über die zu wählende Sanktion in einer Abwägung zwischen generalpräventiven Interessen, der Schwere der Tat und spezialpräventiven Interessen entschieden I51 • Die Strafzumessungsreform hat die Spezialprävention als Abwägungsgesichtspunkt beseitigt, im übrigen aber sind nach wie vor die Schwere der Tat und general präventive Erfordernisse die entscheidenden Kriterien. Die Reform

149 Vgl.

beispielsweise HD NJA 1991,558 ff.

150BergiBerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 29 Einleitung, S. 192. 151 Zur Kritik an der alten Regelung vgl. BerglBerggreniMunck u.a., Kommentar, Einleitung zu Kap. 29, S. 189 ff.

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hat somit detaillierte Strafzumessungsvorschriften geschaffen, ohne dabei aber die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe wesentlich zu verändern. Sie hat allerdings den Akt der Strafzumessung transparenter gemacht und zwingt den Richter dazu, die Beweggründe offenzulegen, die ihn zu seiner Entscheidung, eine kurze Freiheitsstrafe zu verhängen, veranlaßt haben 152 • 6. Die Einführung der gemeinnützigen Arbeit (1990)

Seit dem l.1.1990 153 besteht die Möglichkeit, einen Täter im Rahmen der Schutzaufsicht zu gemeinnütziger Arbeit (samhällstjänst) zu verpflichten. Das Gericht kann dem Verurteilten mit seiner Einwilligung auferlegen, 40 bis 200 Stunden lang ohne Lohn Arbeiten durchzuführen 154. Die gemeinnützige Arbeit wurde vor allem für Jugendliche als Alternative zur kurzen Gefängnisstrafe konzipiert, wobei der Gesetzgeber insbesondere zwei Fallgruppen vor Augen hatte: Fälle, bei denen die Täter nach wiederholter Begehung eines nicht allzu ernsten Deliktes bislang wegen ihrer Rückfälligkeit zu Gefängnisstrafe verurteilt worden waren und Fälle, bei denen üblicherweise eine kurze Freiheitsstrafe von wenigen Monaten wegen der Art der Tat verhängt wurde 155 . Ähnlich wie die Einführung der Vertragspflege aus dem Jahre 1987 zeigt auch diese Reform den Willen des Gesetzgebers, die kurze Freiheitsstrafe für einen sehr begrenzten Täterkreis durch neue ambulante Sanktionen zu ersetzen. Für die ganz überwiegende Zahl der Fälle, in denen üblicherweise kurze Gefängnisstrafen verhängt werden, ist allerdings auch diese Reform ohne Bedeutung.

152Berg/BerggrenJMunck u.a., Kommentar, Einleitung zu Kap. 29, S. 190 f.; Jareborg, Fragment, S. 152; Jareborg, ZStW 106 (1994), 140 (162). 153 Seit dem 1.1.1990 wurde die gemeinnützige Arbeit zunächst in fünf Gerichtsbezirken erprobt. Mit Wirkung vom 1.1.1993 wurde sie - befristet bis Ende 1995 - für ganz Schweden eingeführt. Sie ist im Gesetz über die gemeinnützige Arbeit (lag om samhällstjänst) geregelt. 154 Vg l. zu den Voraussetzungen im einzelnen und zur vorangegangenen Reformdiskussion Berg/BerggrenJMunck u.a., Kommentar, S. 176 ff. 155Berg/BerggrenJMunck

u.a., Kommentar, S. 177.

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2. Kapitel : Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

7. Die Änderung der Vorschriften zur Trunkenheit im Straßenverkehr (1990) a) Die Zeit vor 1990 Vor 1990 war die schwere Trunkenheit im Straßenverkehr l56 das Paradebeispiel für ein "Art-Delikt,,157. Die Gefängnisstrafe wurde als Normalstrafe verhängt; nur in besonderen Ausnahmefällen konnten mildernde Umstände die Verhängung einer ambulanten Sanktion rechtfertigen l58 . Wie restriktiv in Fällen schwerer Trunkenheit im Straßenverkehr ambulante Sanktionen verhängt wurden, verdeutlicht die Entscheidung HD NJA 1982, 350 III: Der Angeklagte hatte mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,92 %0 am späten Abend mit seinem PKW eine Strecke von 1.500 Meter zurückgelegt und war dabei einen Kilometer auf einem Privatweg und anschließend 500 Meter auf einer öffentlichen Straße gefahren, die am Abend üblicherweise nicht befahren wurde. Obwohl der Täter also nur eine sehr geringe Verkehrsgefahr geschaffen hatte, nicht vorbestraft war und bereits durch die Entziehung seiner Fahrerlaubnis erhebliche Nachteile erlitten hatte, kam der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, daß bei einer Gesamtbetrachtung eine Bewährungssanktion nicht in Betracht komme, und verhängte eine Gefängnisstrafe von vierzehn Tagen. b) Die Reform aus dem Jahre 1990 Im Jahre 1990 nahm der Gesetzgeber im Rahmen einer Änderung der Vorschriften zur Trunkenheit im Straßenverkehr - die Strafbarkeitsgrenze wurde auf

156Das Verkehrsstrafengesetz (trafikbrottslagen) unterscheidet seit 1990 zwischen einfacher Trunkenheit im Straßenverlehr (rattfylleri) und grober Trunkenheit im Straßenverkehr (grovt rattfylleri). Die einfache Trunkenheit im Straßenverkehr wird mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten, die schwere mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Die Tat wird als schwer eingestuft, wenn die Blutalkoholkonzentration 1,6 %0 (bis 1993 1,5 %0) übersteigt, der Täter aus anderen Gründen beachtlich von Alkohol oder anderen Mittel berauscht war oder die Tat eine konkrete Gefahr für die Verkehrssicherheit mit sich brachte. Die vor 1990 bestehende Einteilung in "rattonykterhet" und "rattfylleri" entspricht im wesentlichen der heutigen Regelung. I57 Vg l. zur Praxis vor 1990 Klette, in: Festschrift für Thornstedt, S. 377 ff.; Löfmarck, SvJT 1985, 337 (369 ff.).

158Siehe z.B. HD NJA 1982,350 I, S. 352.

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eine Blutalkoholkonzentration von 0,2 %0 herabgesetzt - auch zur Verhängung kurzer Gefängnisstrafen Stellung l59 . Er kritisierte die bisherige Praxis, nach der in Fällen von schwerer Trunkenheit im Straßenverkehr im Regelfall wegen der Art der Tat eine Gefängnisstrafe verhängt wurde l60 und forderte die Gerichte auf, in weitaus größerem Maße als bislang "die normalen Regeln der Sanktionswahl" anzuwenden. Es sollten verstärkt Umstände berücksichtigt werden, die für eine mildere Sanktion als das Gefängnis sprechen, wie Kap. 30 § 4 Abs.l BrB es verlange. Der Strafwert der groben Trunkenheit im Straßenverkehr sei normalerweise nicht so hoch, daß die Verhängung einer Freiheitsstrafe allein mit der Höhe des Strafwertes nach Kap. 30 § 4 Abs. 2, I. Var. BrB gerechtfertigt werden könne. Wegen der Art der Tat gemäß Kap. 30 § 4 Abs. 2, 2. Var. BrB sollte Gefängnis nur verhängt werden, wenn besondere Umstände mit einer konkreten Gefahr für die Verkehrssicherheit oder eine Rückfallsituation vorlägen. Sonst solle entgegen der bisherigen Praxis auf bedingte Verurteilung oder Schutzaufsicht erkannt werden. Zur Begründung des Vorschlages führte der Gesetzgeber aus, die Gefängnisstrafe sei nicht geeignet, irgendwelche positiven Effekte beim Täter zu erzielen und könne die Probleme, die den eigentlichen Grund für die Begehung von Straftaten darstellten, nicht lösen. Die Ausführungen bedeuten zwar keine grundsätzliche Kehrtwende des Gesetzgebers im Hinblick auf die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen aus generalpräventiven Gründen. Sie sind aber dennoch beachtlich, weil sich der Gesetzgeber hier erstmals - für die praktisch bedeutsamen Fälle der Trunkenheit im Straßenverkehr - von der üblichen Praxis distanzierte, in großer Zahl kurze Freiheitsstrafen unter Berufung auf generalpräventive Interessen zu verhängen l61 •

159 y gl. zum Folgenden Prop. 1989/90, NJA 1990, S. 3 (13 ff.); Hoflund, Traffikbrottslagen, S. 96 f.; Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 26 § I, S. 59 und Kap. 30 § 4, S.247.

160In Fällen von einfacher Trunkenheit im Straßenverkehr wurde dagegen auch vor 1990 im Normalfall eine Geldstrafe verhängt. 161 In dem Gutachten "Trafiknykterhetsbrott", SOU 1970: 61, wurde bereits 1970 eine größere Anwendung nichtfreiheitsentziehender Sanktionen bei Trunkenheit im Straßenverkehr und eine Anwendung der normalen Strafzumessungskriterien auch auf diese Fälle gefordert; siehe dazu SOU 1970:61, S. 215 ff.

74

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

In der Entscheidung HD NJA 1990, 772 wandte der Oberste Gerichtshof die neuen Prinzipien erstmals an 162 . Der Angeklagte war mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,27 %0 durch ein Wohn gebiet mit wenig Verkehr gefahren. Nach Auffassung des Gerichtes sprach zwar die Höhe der Blutalkoholkonzentration für die Verhängung einer kurzen Gefängnisstrafe. Da der Täter aber kein größeres Risiko für die Verkehrssicherheit geschaffen habe, sei die Tat nicht von einer Art, die im Normalfall eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen müsse, weswegen der Oberste Gerichtshof zu bedingter Verurteilung mit einer Geldstrafe verurteilte. Im Vergleich dieser Entscheidung mit dem oben beschriebenen Urteil HD NJA 1982, 350 III wird das Ausmaß der 1990 eingeleiteten Wende in der Sanktionspraxis bei schwerer Trunkenheit im Straßenverkehr besonders deutlich. c) Die Rückkehr zur alten Praxis In einer Gesetzesvorlage aus dem Jahre 1993 hat die neu gewählte konservative Regierung die Reform von 1990 inzwischen scharf kritisiert und eine Rückkehr zur Strafzumessungspraxis der Zeit vor 1990 gefordert l63 . Die schwere Trunkenheit im Straßenverkehr solle wieder im Regelfall mit einer Gefängnisstrafe wegen der Art der Tat geahndet werden. Die Sanktionspraxis nach 1990 zeige eine "Aufweichung der Einstellung zum Alkohol im Straßenverkehr"l64 und werde den generalpräventiven Erfordernissen nicht gerecht. Die Regierung bringt die Überzeugung zum Ausdruck, eine harte Linie in der Gesetzgebung zur Trunkenheit im Straßenverkehr werde die Zahl der alkoholisierten Fahrer vermindern. Es sei wichtig, "durch eine strenge Gesetzgebung Respekt für die Nüchternheit im Straßenverkehr einzuschärfen,,165. In der Gerichtspraxis deutet sich bereits eine Rückkehr zur alten Praxis an, wie beispielsweise die Entscheidung HD NJA 1992,653 zeigt. Der Oberste Gerichtshof führte aus, die Gefängnisstrafe müsse wegen der besonderen Gleich-

162Siehe auch HO NJA 1991,77 I; HO NJA 1991,471 ff.; HO NJA 1991,379 ff.; HO NJA 1991,558 ff. 163 y gl. zum Folgenden Prop. 1993/94:44, S. 19 ff.; siehe dazu auch Hoflund, Trafikbrottslagen, S. 97 ff. I 64prop.

1993/94:44, S. 20: "uppmjukning av inställningen till alkohol i trafiken".

I 65prop. 1993/94:44, S. 19: ,,( ... ) genom en sträng lagstiftning inskärpa Tespekten fÖT nykterheten i tTaffiken".

O. Die Praxis

75

gültigkeit des Täters als Normalsanktion angesehen werden. Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten hätten sich zwar seit der Tat wesentlich verbessert und der Täter den Behandlungsplan im Rahmen der erstinstanzlich verhängten Schutzaufsicht befolgt. Das Gericht hielt diese Umstände aber nicht für ausreichend, um die Wahl einer ambulanten Sanktion zu rechtfertigen und verhängte eine Gefängnisstrafe mit einer Dauer von zwei Monaten.

8. Zusammenfassung zum 3. Abschnitt Die Regelung der kurzen Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht wird von zwei Grundgedanken geprägt. Zum einen hält der Gesetzgeber die kurze Gefängnisstrafe in einer großen Anzahl von Fällen aus generalpräventiven Gründen für unerläßlich, wobei solche Gründe bei bestimmten Delikten generell angenommen werden. Nur für wenige besondere Fallkonstellationen hat der Gesetzgeber versucht, die kurze Gefängnisstrafe durch die Schaffung von Alternativen zurückzudrängen. Zum anderen setzt er die kurze Freiheitsstrafe gezielt anstelle längerer Freiheitsstrafen ein, soweit die Verhängung einer Gefängnisstrafe unumgänglich ist. D. Die Praxis

Im folgenden wird die Praxis der kurzen Gefängnisstrafe in Schweden untersucht. Nach einem Überblick über die Sanktionspraxis werden die Zahl der verhängten kurzen Freiheitsstrafen, die Delikte, deren Begehung in der Praxis am häufigsten mit einer kurzen Gefängnisstrafe geahndet wird, und die Strafzumessungspraxis der Gerichte bei kurzen Gefängnisstrafen betrachtet. I. Überblick über die Sanktionspraxis

Aus Tabelle 1 geht hervor, wie häufig die einzelnen Sanktionen im Jahre 1993 verhängt wurden l66 •

166 0ie Zahlen sind der Kriminalstatistik Statistiska Meddelanden R Nr. 11 SM 9401, S. 3 ff. entnommen; vgl. zur Sanktionspraxis in Schweden auch Cornils/Wiskemann, in: DünkelJSpiess (Hrsg.), Alternativen, S. 123 (126 ff.); zu den Problemen bei der Auswertung der schwedischen Statistiken siehe BRÄ, Konsten, S. 48 ff.

76

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht Tabelle 1

Überblick über die Sanktionspraxis Sanktion

Anzahl

Anteil an allen Verurteilungen

Geldstrafe J67

111.560

74 %

Gefängnisstrafe

15.872

11 %

Bedingte Verurteilung

11.916

8%

Schutzaufsicht

6.274

4%

Überweisung in besondere Fürsorge

1.882

1%

Sonstige Verurteilungen J68

2.934

2%

Verurteilungen insgesamt

150.438

100 %

Die Statistik zeigt, daß die Geldstrafe mit einem Anteil von fast drei Viertel aller Verurteilungen die mit Abstand häufigste Sanktion ist. Bei einem Zehntel aller Verurteilungen wurde eine Gefängnisstrafe verhängt, während die Bewährungssanktionen auf einen Anteil von 12 % an allen verhängten Sanktionen kamen. Interessant ist ein Vergleich der Anteile von Gefängnisstrafe, bedingter Verurteilung und Schutzaufsicht l69 • Der Gesetzgeber stellt, wie gesehen, in Kap. 30 § 4 Abs. 1 BrB für die Fälle, in denen andere Sanktionen, d.h. vor allem Geldstrafe und Überweisung in besondere Fürsorge, ausscheiden, eine Vermutung gegen die Verhängung einer Gefängnisstrafe auf. Tabelle 2 zeigt das Verhältnis von Gefäng.nisstrafe, bedingter Verurteilung und Schutzaufsicht in den Fällen, in denen andere Sanktionen nicht in Betracht kamen. 1671n dieser Zahl sind nur die Geldstrafen durch Verurteilung (böter genom dom) und durch Strafbefehl (böter genom strafföreläggande), nicht dagegen die Ordnungs gelder (böter genom ordningsbot) enthalten. Letztere entsprechen im deutschen Strafrecht den bei der Begehung von Ordnungswidrigkeiten verhängten Geldbußen und werden in dieser Arbeit ausgeklammert, um den späteren Vergleich mit den deutschen statistischen Angaben (siehe auch 3. Kapitel D. I. 2., S. 100) zu ermöglichen. 168 Die sonstigen Verurteilungen umfassen Fälle der Konsumtion durch eine frühere Verurteilung (Kap. 34 § I BrB), der Straffreiheit (Kap. 30 § 6 BrB) und des Absehens von Strafe (Kap. 29 § 6 BrB). 169 Vg l.

zum Folgenden Jareborg, ZStW 106 (1994).140 (161).

77

D. Die Praxis

Tabelle 2

Verhältnis von Freiheitsstrafe, bedingter Verurteilung und Schutzaufsicht Freiheitsstrafe

Schutzaufsicht

bedingte Verurteilung

47%

18%

35 %

Der Grund für den hohen Anteil der Gefängnisstrafe von fast 50 % trotz der gesetzlichen Vermutung für die Bewährungssanktionen besteht darin, daß die Praxis in großem Umfang von den drei Ausnahmefällen des Kap. 30 § 4 Abs. 2 BrB Gebrauch macht. Die Dauer der verhängten Freiheitsstrafen geht aus Tabelle 3 hervor: Tabelle 3

Dauer der verhängten Freiheitsstrafen kurze Gef3ngnisstrafe

mitteUange Gef3ngnisstrafe (6 Mon. bis 2 J.)

langzeitige Gef3ngnisstrafe (über 2 J.)

lebenslange Gef3ngnisstrafe

Zahl 170

11.411

4.508

800

13

Anteil an allen Gefangnisstrafen

68,20 %

26,94 %

4,78 %

0,08 %

Hinsichtlich der Dauer der verhängten Freiheitsstrafen ist zwischen vier Bereichen zu unterscheiden: 1. Eine Dauer von über zwei Jahren hatten 1993 nur 5 % aller Gefängnisstrafen. Sie wurden hauptsächlich bei Gewaltverbrechen und Rauschgiftdelikten verhängt.

170[m Unterschied zu Tabelle I erfaßt Tabelle 2 auch die Verurteilungen zu Gefängnis in Kombination mit anderen Sanktionen. Aus diesem Grund ist die Gesamtzahl der Gefängnisstrafen in Tabelle 4 höher als in Tabelle I.

78

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

2. 27 % der Gefängnisstrafen waren solche mit einer Dauer von sechs Monaten bis zu zwei Jahren. Solche mittellangen Freiheitsstrafen wurden vor allem bei schwereren Vermögensdelikten verhängt. Im Strafwertbereich von sechs Monaten bis einem Jahr wird die Gefängnisstrafe in erheblichem Umfang durch die Bewährungssanktionen zurückgedrängt, deren Hauptanwendungsgebiet bei den mittelschweren Vermögensdelikten liegt. 1993 wurden 3.485 Freiheitsstrafen mit einer Dauer von sechs Monaten bis einem Jahr verhängt, während die Zahl der bedingten Verurteilungen bei 11.916 und diejenige der Schutzaufsichten bei 6.274 lag. 3. Auch die Gefängnisstrafen mit einer Dauer von vier bis sechs Monaten werden stark von den Bewährungssanktionen zurückgedrängt. 1993 wurden nur 265 Freiheitsstrafen mit dieser Länge verhängt, was einem Anteil von weniger als zwei Prozent an allen Gefängnisstrafen entspricht. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, daß die Bewährungssanktionen bei Delikten mit einem Strafwert zwischen vier Monaten und einem Jahr dominieren und die Freiheitsstrafe deutlich zurückdrängen 171 • 4. Geld- und Freiheitsstrafe dominieren im unteren und mittleren Bereich der leichten Kriminalität, d.h. bei Delikten mit einem Strafwert unter vier Monaten. Zwei Drittel aller Gefängnisstrafen und 98 % aller kurzen Freiheitsstrafen hatten 1993 eine Dauer von bis zu vier Monaten. Was die Anwendung der Geldstrafe betrifft, so fällt auf, daß die Praxis den Spielraum bei der Verhängung von Tagesbußen (bis zu 150 Tagessätzen) nur selten ausschöpft. 1993 wurden bei 80 % der Tagesbußen weniger als 65 Tagessätze und nur bei 8 % der Tagesbußen 100 oder mehr Tagessätze verhängt. Insgesamt ist bemerkenswert, daß die Gerichte die oft weiten Strafrahmen der Delikte in den seltensten Fällen voll ausnutzen. Die Strafen bewegen sich fast ausschließlich im unteren Sechstel der Strafskala des begangenen Deliktes 172 .

171 yg l.

auch die Analyse von leseheck, in: Festschrift für Thornstedt, S. 353 (367 f.).

I72BerglBerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 29 § I, S. 198.

79

D. Die Praxis

11. Die Zahl der verhängten kurzen Gerängnisstrafen

1. Die Entwicklung seit 1985

Aus Tabelle 4 läßt sich die Entwicklung der Zahl der kurzen Freiheitsstrafen ablesen 173. Tabelle 4 Entwicklung der Zahl der kurzen Freiheitsstrafen 1985

1986

1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

Zahl der kurzen Gefängni sstrafen

11.545

12.051

12.826

13.429

13.233

12.093

10.689

11.598

11.411

Anteil an allen Gefängnisstrafen

82,7 %

83 ,0 %

82,0 %

8 1,3 %

80,0 %

77,9 %

74,7 %

73,3 %

71 ,9 %

Anteil an all en Verurteilungen

8.0 %

8,5 %

9,1 %

9,4 %

9,0 %

8,1 %

7,1 %

7,8 %

7,6 %

Gesamtzahl der Gefängnisstrafen

13.959

14.525

15.640

16.520

16.635

15.527

14.313

15.832

15.872

Die Zahl der kurzen Gefängnisstrafen stieg von 1985 bis 1988 um 16 % auf 13.429 an 174 , Zwischen 1988 und 1991 ist eine deutliche Abnahme um 20 % festzustellen, ehe die Zahl 1992 wieder zunahm und 1993 annähernd konstant blieb, Eine parallele Entwicklung ist im Hinblick auf die Zahl der Gefängnisstrafen insgesamt und den Anteil der kurzen Gefängnisstrafe an allen Verurteilungen zu verzeichnen, Dieser stieg bis 1988 auf 9,4 % an, sank dann bis auf 7, I % im Jahre 1991 ab und nahm bis 1993 wieder leicht zu.

I73 Die Zahlen sind dem Rechtsstatistischen Jahrbuch (rättsstatistisk arsbok) für die Jahre 1985 bis 1993 entnommen.

174 Mit Wirkung vom 1.6.1987 wurde die Disziplinarstrafe für Soldaten als Sonderform der kurzen Freiheitsentziehung abgeschafft. Da die Disziplinarstrafe vor der Abschaffung so gut wie keine praktische Bedeutung mehr hatte· 1986 wurde sie in sechzig Fällen verhängt· führte ihre Abschaffung nur zu einer unwesentlichen Erhöhung der Zahl der kurzen Gefängnisstrafen, die vernachlässigt werden kann. Vgl. zur Disziplinarstrafe Corni/s, in: Jescheck, Freiheitsstrafe I, S. 78 J (799).

80

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Der Anteil der kurzen Gefängnisstrafen an allen Freiheitsstrafen lag von 1984 bis 1990 durchgehend bei etwa 80 % und fiel seitdem auf 72 % im Jahre 1993 ab. Trotz der Zunahme der Zahl der kurzen Gefängnisstrafen seit 1991 sank der Anteil an allen Freiheitsstrafen auch zwischen 1991 und 1993, wenn auch weniger stark als in den Jahren zuvor. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Gesamtzahl der Gefängnisstrafen in diesem Zeitraum stärker anstieg als die Zahl der kurzen Freiheitsstrafen. Die Entwicklung läßt sich erklären, wenn man die Zahlen unter Ausklammerung der Verurteilungen wegen Trunkenheit im Straßenverkehr betrachtet. Tabelle 5

Zahl der kurzen Freiheitsstrafen ohne Fälle von Trunkenheit im Straßenverkehr

Zahl der kurzen Gefängnisstrafen ohne Fälle von Trunkenheit im Straßenverkehr

1989

1990

1991

1992

1993

7.827

8.172

8.041

8.544

8.563

Zwischen 1989 und 1991 ist ein leichter Zuwachs festzustellen, während im gleichen Zeitraum die Zahl aller kurzen Freiheitsstrafen deutlich um 9 % abnahm. Dies kann nur darauf zurückzuführen sein, daß zwischen 1989 und 1991 die Zahl der wegen Trunkenheit im Straßenverkehr verhängten kurzen Gefängnisstrafen stark zurückgegangen ist, während die Entwicklung hinsichtlich der übrigen kurzen Freiheitsstrafen einen Aufwärtstrend aufweist. Tabelle 6 zeigt die Zahl der wegen Trunkenheit im Straßenverkehr verhängten kurzen Freiheitsstrafen von 1985 bis 1993 und bestätigt diese Entwicklung. Tabelle 6

Zahl der wegen Trunkenheit im Straßenverkehr verhängten kurzen Freiheitsstrafen

Zahl der kurzen Gefdngnisstrafen wegen Trunkenheit im S traBen verkehr

1985

1986

1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

4.463

4.748

4.903

5.\3\

5.406

3.92\

2.648

3.054

2.848

D. Die Praxis

81

Die Zahl stieg von 1985 bis 1989 um 21 % deutlich an und halbierte sich anschließend zwischen 1989 und 1991 175 • Seit 1992 ist erneut eine Zunahme zu verzeichnen, wobei die absolute Zahl jedoch deutlich unter dem Niveau der Jahre vor 1990 bleibt. Diese Entwicklung ist auf Entscheidungen des Gesetzgebers zurückzuführen, die an anderer Stelle bereits angesprochen worden sind 176 . Nachdem der Gesetzgeber im Jahre 1990 die Richter aufforderte, in Zukunft nur bei Vorliegen besonderer Umstände eine Gefängnisstrafe wegen Trunkenheit im Straßenverkehr zu verhängen, folgte die Praxis offensichtlich dieser Aufforderung, was zu einer Halbierung der Zahl der wegen dieses Deliktes verhängten kurzen Freiheitsstrafen bis 1991 führte. 1992 wurde dann verstärkt, vor allem in den Massenmedien, eine Rückkehr zur alten Praxis gefordert, die sich auch bereits in einigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes andeutete 177. Dieser Stimmungsumschwung erklärt die erneute Zunahme der Verurteilungen zu kurzen Freiheitsstrafen im Jahre 1992 178 • Damit ist deutlich geworden, daß die Abnahme der Zahl der kurzen Gefängnisstrafen zwischen 1989 und 1991 nicht etwa einen Trend gegen die kurze Freiheitsstrafe bedeutet, sondern auf eine Sonderentwicklung der Verurteilungen wegen Trunkenheit im Straßenverkehr zurückzuführen ist. Abgesehen von dieser Sonderentwicklung hat die Zahl der kurzen Gefängnisstrafen seit 1989 weiter zugenommen. 2. Die Zahl der Gefängnisstrafen unter einem Monat

Aus Tabelle 7 geht die Zahl der Freiheitsstrafen mit einer Dauer unter einem Monat in den Jahren 1985 bis 1993 hervor 179 • Aus den Zahlen geht hervor, in-

175Zugleich stieg der Anteil der bedingten Verurteilungen an allen Verurteilungen wegen schwerer Trunkenheit am Steuer zwischen 1989 und 199 I von 5 % auf 28 % an; siehe Rättsstatistisk ärsbok 1993, S. 84 f. I76Siehe oben 3. Abschn. C. VII. 177Rättsstatistisk ärsbok 1993, S. 85. 178 Der Anteil der bedingten Verurteilung an allen Verurteilungen wegen schwerer Trunkenheit im Straßenverkehr sank zwischen 1991 und 1992 von 28 % auf 17 %.

1791n der Praxis werden bei der Verhängung von Gefängnisstrafen keine kleineren Abstufungen als Wochen gewählt; es werden also Freiheitsstrafen mit einer Dauer von 6 Schaeferdiek

82

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

wieweit die Reform von 1981, durch die das Strafminimum auf vierzehn Tage gesenkt wurde, in der Praxis Erfolg gehabt hat. Die Zahl der Gefängnisstrafen unter einem Monat lag in den Jahren 1987 bis 1993 im Durchschnitt bei 825 Verurteilungen, ihr Anteil an allen kurzen Gefängnisstrafen bei durchschnittlich 6,8 %. Der Gesetzgeber hat 1981 die Gefängnisstrafe unter einem Monat nicht als Standardsanktion bei bestimmten Delikten eingeführt, sondern wollte der Praxis durch die Erweiterung des Spielraumes bei der Strafzumessung nur die Möglichkeit geben, bei Vorliegen besonderer Umstände kürzere als einmonatige Gefängnisstrafen zu verhängen. Angesichts dieser Zielsetzung können die genannten Zahlen als Beleg für einen Erfolg der Reform gewertet werden.

Tabelle 7 Zahl der Gefängnisstrafen unter einem Monat 1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

Zahl der Gefangnisstrafen unter einem Monat

866

771

765

875

882

897

715

Anteil an allen kurzen Gefang niss trafen

6,8 %

5,7 %

5,8 %

7,2 %

8,3 %

7,7 %

6,3 %

3. Die Kombination von Schutzaufsicht und kurzer Gefängnisstrafe Tabelle 8 verdeutlicht, in welchem Umfang die Richter von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Schutzaufsicht mit einer kurzen Gefängnisstrafe zu kombinieren. Die mit Schutzaufsicht kombinierten kurzen Freiheitsstrafen werden in den Statistiken nicht unter den Gefängnisstrafen, sondern als Fälle von Schutzaufsicht erfaßt. Sie müssen also, um ein vollständiges Bild von der praktischen Bedeutung der kurzen Freiheitsstrafe zu erhalten, zu den unter I. aufgeführten Zahlen der kurzen Gefängnisstrafen addiert werden. Mit einem Anteil von etwa einem halben Prozent an allen Verurteilungen hat die Möglichkeit, Schutzaufsicht in Kombination mit einer kurzen Freiheitsstrafe zu verhängen, eine sehr geringe praktische Bedeutung. Die Zahl der Verteilungen ist zudem seit 1988 um über 40 % zurückgegangen. vierzehn Tagen, einundzwanzig Tagen, einem Monat, sechs Wochen u.s.w. verhängt; vgl. Jareborg, Fragment, S. 158.

o

DIe PraxIs

83

Tahelle R

Zahl der Verurteilungen zu Schutzaufsilht und kurzer Freiheitsstrafe

1985

1986

1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

803

858

813

867

662

687

598

527

509

0,6%

0,6%

0,6%

0,6 %

0,4 %

0,5 %

0,4 %

0,4 %

0,3 %

Zahl der Verurteilungen Anteil an allen Verurteilungen

III. Die wichtigsten Delikte

DIe folgende Uberslcht verdeutlIcht. aut welche Delikte dIe kurzen FreIheItsstrafen Im Jahre 1993 enttIelen. Tahelle Y

Die wilhtigsten Delikte Delikt(sart)

Zahl der kurzen Gefängnisstrafen

Anteil an allen kurzen Gefängnisstrafen

Schwere Trunkenheit im Straßenverkehr (§ 4 a TBL)

2.837

24,9 %

Körperverletzung (Kap. 3 § 5 BrB)

1.859

16,3 %

Diebstahl (Kap. 8 § I BrB)

1.520

13,3 %

Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 3 TBL)

620

5,4 %

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (Kap. 17 ~ 1 BrB)

619

5,4%

Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz (Narkotikastrafflagen)

618

5,4 %

Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeuges (Kap. 8 § 7 BrB)

494

4,3 %

Hehlerei (Kap. 9

391

3,4%

255

2,2 %

~

6 BrB)

Verstöße gegen das Wehrpflichtgesetz (Värnpliktlag) 6*

84

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Über die Hälfte aller kurzen Gefängnisstrafen wurden wegen schwerer Trunkenheit im Straßenverkehr, Körperverletzung und Diebstahl verhängt. Besonders hoch war der Anteil der schweren Trunkenheit im Straßenverkehr, der bis 198940 % betrug und auch heute noch bei einem Viertel aller Gefängnisstrafen liegt. Weitere Delikte, deren Begehung oft mit einer kurzen Freiheitsstrafe geahndet wurde, waren Fahren ohne Fahrerlaubnis, Widerstand gegen Vollstreckungs beamte, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, unbefugter Gebrauch eines Fahrzeuges und Hehlerei. IV. Die Dauer des Anstaltsaufenthaltes

Die durchschnittliche Dauer des Aufenthaltes in den Strafvollzugsanstalten betrug im Jahre 1992 drei Monate l80 • Die Differenz zur durchschnittlichen Dauer der verhängten Gefängnisstrafen, die im gleichen Jahr bei 6,7 Monaten lag, ist vor allem auf die bedingte Entlassung zurückzuführen, die an späterer Stelle eingehend dargestellt wird l8l.

v. Fazit Es kann festgehalten werden, daß die kurze Gefängnisstrafe in der schwedischen Sanktionspraxis eine zentrale Stellung innehat. Wenngleich den Statistiken nicht entnommen werden kann, aus welchen Gründen diese Freiheitsstrafen verhängt wurden, kann angesichts der Gesetzeslage davon ausgegangen werden, daß die überwiegende Zahl der Verurteilungen zu kurzen Gefängnisstrafen unter Berufung auf generalpräventive Gründe erfolgt.

180Rättsstatistisk ärsbok 1993, S. 126. 181Siehe unten G.

E. Kritik und Reformdiskussion

85

E. Kritik an der gegenwärtigen Rechtslage und Sanktionspraxis sowie Reformdiskussion I. Kritik J. Kritik an der kurzen Gefängnisstrafe Wie bereits bei der Schilderung der Reform zur Senkung des Strafminimums aus dem Jahre 1981 dargestellt wurde, ist in Schweden nicht die kurze Gefängnisstrafe als solche Gegenstand der Kritik 182 . Kritisiert wird jede Freiheitsentziehung gleich welcher Dauer, wobei betont wird, daß sich alle Argumente, die in anderen Ländern gegen die kurze Freiheitsstrafe vorgebracht würden, in Wahrheit gegen alle Freiheitsstrafen richteten. Die kurze Gefängnisstrafe habe gegenüber einer längeren sogar den Vorteil, daß bei ihr infolge ihrer Kürze die schädlichen Nebenwirkungen geringer ausfielen. Wenn eine Freiheitsentziehung unvermeidlich sei, sei daher eine kurze Gefängnisstrafe einer längeren vorzuziehen.

2. Kritik an der Generalprävention als Strafzumessungskriterium Seit 1965 wurde die Wirksamkeit der Generalprävention in Schweden intensiv erforscht. Das Ergebnis dieser Forschungen ist eine weit verbreitete Kritik an der - negativen und positiven - Generalprävention'83 als Strafzumessungsprinzip.

'82Siehe zum Folgenden BRA 1977:77, S. 262; Andenaes, in: Strämholm, Legal Science Today, S. 13 (19); Lahti, in: Festschrift für Jescheck, S. 871 (875); Träskman, SvJT 1984, 826 (835). 1830ft werden positive und negative Generalprävention zu einem Modell der Generalprävention zusammengefaßt und der Strafe eine moral bildende und zugleich eine abschreckende Funktion zugewiesen; vgl. etwa Andenaes, in: Strömholm, Legal Science Today, S. 13 (18). Zum Zwecke des besseren Verständnisses wird die Kritik an den bei den Aspekten der Generalprävention im Folgenden getrennt dargestellt.

86

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht a) Kritik an der negativen Generalprävention

Gegen die negative Generalprävention wird eingewandt, die Furcht vor Strafe sei nur eine Ursache für den Gesetzesgehorsam neben anderen oft wichtigeren l84 . Häufig führten die Furcht vor sozialen Konsequenzen, das Fehlen von Gelegenheiten und vor allem moralische Bedenken unabhängig von der Strafdrohung dazu, daß ein potentieller Täter von der Tatbegehung Abstand nehme. Soweit die Furcht vor Strafe von Bedeutung sei, sei die Höhe der zu erwartenden Strafe ohne Bedeutung; abschreckend wirke vielmehr die allgemeine Furcht davor, ergriffen und verurteilt zu werden. Dies werde durch die Erkenntnis belegt, daß potentielle Täter selten über genauere Kenntnisse hinsichtlich der zu erwartenden Strafe verfügten. Neben der fehlenden empirischen Nachweisbarkeit des Modells der Generalprävention 185 sei es außerdem bedenklich, daß am Täter ein Exempel statuiert werde, um andere von der Begehung weiterer Taten abzuhalten 186. b) Kritik an der positiven Generalprävention Ähnliche Argumente werden auch gegen die positive Generalprävention vorgebracht 187 . Neben der Verhängung von Strafen spielten andere Faktoren, wie zum Beispiel die Erziehung in Schule und Familie, eine weitaus größere Rolle

184 yg l. zum Folgenden im einzelnen SOU 1986:14, S. 63 ff.; BRA 1977:77, S. 164 ff.; von HoferlTham, in: BRA 1975:2, S. 257 ff.; von Hafer, TfKY 1981 :4, 31 ff.

185 Von HoferlTham, General deterrence, S. 25 ff.; Nelson, Kriminalpolitik, S. 21; von Hirsch/Jareborg, Strafmaß, S. 33; Kutschinsky, in: Nestius, Behandling, S. 27 (29 ff.); Aspelin, NTfK 1973, 53 (72). Auch Andenaes (in: Strämholm, Legal Science Today, S.

13 (19)), ein norwegischer Vertreter der Generalprävention, räumt ein, die Lehre von der Generalprävention beruhe mehr auf "unsystematischer Erfahrung und gesundem Menschenverstand als auf spezifischen Forschungsergebnissen" ("We still have to rely more on unsystematic experience and common sense reasoning than on specific results"). 186 yg l. Jareborg, Fragment, S. 157: Es verstoße gegen elementare strafrechtliche Prinzipien, die Verantwortung für die Anhäufung von Schäden infolge der häufigen Begehung bestimmter Taten (v.a. Drogenstraftaten) dem einzelnen Täter aufzubürden.

187 yg l. zum Folgenden ausführlich BRA 1977:77, S. 176 ff. Die positive Generalprävention wird oft auch als Integrationsprävention bezeichnet.

E. Kritik und Reforrndiskussion

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bei der Moralbildung. Auch sei die Möglichkeit, über die Moralbildung durch Strafe die Kriminalität in der Gesellschaft zu beeinflussen, empirisch nicht nachweisbar l88 . Schließlich sei auch bei der positiven Generalprävention bedenklich, daß am einzelnen Täter zum Zwecke der Moralbildung in der Gesellschaft ein Exempel statuiert werde. 11. Reformvorschläge

Im folgenden werden die auf der dargestellten Kritik beruhenden Reformvorschläge wiedergegeben 189.

1. Die Forderung nach Anhebung der Mindestdauer der Gefängnisstrafe auf einen Monat Da in Schweden ein allgemeiner Konsens besteht, die kurze Gefängnisstrafe sei nicht in besonderem Maße kritikwürdig und daher längeren Freiheitsstrafen vorzuziehen, wird von keiner Seite die Forderung erhoben, sie durch eine dem § 47 StGB entsprechende Regelung einzuschränken oder gar abzuschaffen l90 . Umstritten ist allein, ob ihre Mindestdauer vierzehn Tage oder - wie vor 1981 einen Monat betragen sollte. a) Forderungen nach Beibehaltung der einmonatigen Mindeststrafe im Vorfeld der Reform von 1981 Im Vorfeld der Reform von 1981 wurde vereinzelt die Beibehaltung der einmonatigen Mindeststrafe gefordert l91 . Zur Begründung wurde vorgetragen, eine

188Jareborglvon Hirsch, in: Eser, Tendenzen, S. 35 (49).

1890er jüngste Reformvorschlag, das Gutachten des Strafsystemausschusses (SOU 1995:91 Ett reformerat straffsystem. Betänkande av Straffsystemkommitten), in dem eine durchgreifende Umgestaltung des Sanktionensystems empfohlen wird, konnte in dieser Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden. 19()Bevor sich im Anschluß an BRA 1977:77 die Überzeugung durchsetzte, daß kurze Gefängnisstrafen längeren vorzuziehen seien, schlug Aspelin (NTfK 1973, 53 (72) vor, dem deutschen Modell des § 47 StGB zu folgen. 191 Vg l. zum Folgenden die in SOU 1980:1, S. 27 f. wiedergegebe Kritik an der Reform von 1981 durch den Generalstaatsanwalt und das Obergericht Göta.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Gefängnisstrafe unter einem Monat werde als vergleichsweise milde Sanktion aufgefaßt, habe keinen general präventiven Effekt und beinträchtige dadurch die generalpräventive Wirksamkeit der Freiheitsstrafe insgesamt. Zudem bestehe die Gefahr, daß die Richter die Gefängnisstrafe unter einem Monat entgegen der Absicht des Gesetzgebers auch in Fällen einsetzen, in denen sie bei höherer Mindeststrafe eine ambulante Sanktion verhängt hätten, was eine vermehrte Anwendung der Freiheitsstrafe zur Folge habe l92 . b) SOU 1986:13 - 15 Der Gefängnisstrafenausschuß, auf dessen Gutachten die Senkung des Strafminimums von 1981 zurückging, schlug in seinem neueren Gutachten SOU 1986:13 - 15, "Päföljd för brott", vor, die alte Mindeststrafe von einem Monat wiedereinzuführen l9J . Der Ausschuß teilte allerdings· nicht die im Vorfeld der Reform von 1981 geäußerte Kritik, sondern lehnte Gefängnisstrafen unter einem Monat nur im Rahmen eines von ihm vorgeschlagenen neuen Sanktionensystems mit höheren Geldstrafen ab. Durch die höheren Geldstrafen werde der Anwendungsbereich von Freiheitsstrafen unter einem Monat deutlich eingeschränkt. Solche Freiheitsstrafen seien im Verhältnis zu sehr hohen Geldstrafen auch nicht immer als schwerer einzustufen, so daß eine Anhebung des Strafminimums erforderlich sei, um das Schwereverhältnis zwischen Freiheits- und Geldstrafe zu wahren. Zudem schlug der Ausschuß eine obligatorische bedingte Entlassung nach zwei Dritteln der Strafzeit für Freiheitsstrafen gleich weIcher Dauer - also nicht erst, wie de lege lata, nach einer Mindestverbüßungszeit von zwei Monaten - vor. Behielte man die Mindestdauer von vierzehn Tagen bei, ergäben sich demnach Anstaltsaufenthalte mit einer Dauer von unter zehn Tagen, die praktisch nicht vollstreckt werden könnten. 2. Die Forderung, die Bedeutung der Generalprävention bei der Strafzumessung einzuschränken ~lIe übrigen Reformvorschläge bezwecken, die Zahl der unter Berufung auf general präventive Gründe verhängten Gefängnisstrafen zu verringern. Ein möglicher Ansatzpunkt zur Erreichung dieses Zieles sind die Strafzumes-

19250 auch Bondeson, in: Heckscher u.a., Straff, S. 97 (111 0. 19J5iehe zum Folgenden SOU 1986:14, S. 158 ff.

E. Kritik und Reformdiskussion

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sungsregeln. Verzichtete man auf die Generalprävention als Strafzumessungskriterium, so könnte eine kurze Freiheitsstrafe nur noch verhängt werden, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen eines Rückfalls, unerläßlich ist. In aIIen anderen FäIIen würden Geldstrafe, bedingte Verurteilung oder Schutzaufsicht ausreichen. In der Konsequenz der geschilderten Kritik an der Generalprävention liegen ein solcher Verzicht auf die Generalprävention als Strafzumessungskriterium und die vorbehaltlose Ablehnung der Praxis, unter Berufung auf general präventive Interessen eine Vielzahl kurzer Freiheitsstrafen zu verhängen. Dennoch distanzieren sich die Kritiker der Generalprävention oft nicht vollständig von dieser Praxis und messen der Generalprävention auch weiterhin eine - wenn auch eingeschränkte - Bedeutung bei der Strafzumessung zu. a) BR.A 1977:77 Dies wird besonders deutlich in dem schon mehrfach erwähnten Bericht der kriminalpolitischen Arbeitsgruppe innerhalb des Rates für die Verbrechensbekämpfung, BR.A 1977:77. Der Bericht schließt sich der Kritik an der negativen und positiven Generalprävention in allen Punkten an. Ein generalpräventiver Effekt der Strafe sei sehr fragwürdig, da es keine irgendwie geartete empirische Grundlage für die These gebe, daß eine strengere Sanktion einen größeren generalpräventiven Effekt habe l94 . Die Freiheitsstrafe sei so weit wie möglich zurückzudrängen und solle im wesentlichen nur bei besonders schweren Delikten und bei wiederholter Delinquenz verhängt werden l95 . ledenfaIIs dürfe die Gefängnisstrafe nur mit großer Zurückhaltung, nach sorgfältiger Prüfung des Strafwertes der Tat und nur als äußerstes Mittel eingesetzt werden. Bei der Strafzumessung soIIe nur auf die Schwere der Tat, genauer auf die Gefährlichkeit und Verwerflichkeit des Täterverhaltens, abgesteIIt werden 196. Die Strafe für ein Delikt dürfe nach dem Proportionalitätsprinzip nie härter sein, als es seiner Schwere entspreche l97 .

194BRA 1977:77, S. 83. 1955iehe zum Folgenden BRA 1977:77, S. 222,406 ff. (v.a. 409). 196Yereinzelt (z.B. auf S. 406) verwendet auch BRA 1977:77 bereits den Begriff "Strafwert". 197BRA 1977:77, S. 200 und S. 220.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

In merkwürdigem Widerspruch zu dieser Ablehnung der Generalprävention als Strafzumessungskriterium stehen aber die späteren Ausführungen zur Sanktionspraxis. Zwar sollten die Geldstrafe und die Bewährungssanktionen in größerem Umfang in den Fällen verhängt werden, die in der Praxis typischerweise aus generalpräventiven Motiven mit kurzen Freiheitsstrafen geahndet würden 198 . Die Gefängnisstrafe solle aber auch weiterhin in diesem Bereich verhängt werden können, um zu verdeutlichen, daß gewisse Delikte einen besonders hohen Strafwert verdienen. Dies könne vor allem in den Fällen angezeigt sein, "in denen es sich als schwer heraussteHt, den allgemeinen Respekt gegenüber einem Strafverbot aufrechtzuerhalten und ein Verstoß daher aus Sicht der Gesellschaft als besonders schwer erscheint,,199. Generalpräventive Interessen führen also in gewissen Fällen zu einer erhöhten Schwere der Tat und damit zu einer Erhöhung des Strafwertes und können auf diese Weise die Verhängung einer kurzen Gefängnisstrafe anstelle anderer Sanktionen rechtfertigen. Es fällt auf, daß der Bericht das Modell der Generalprävention zunächst verwirft, es dann aber bei seinen Ausführungen zur Sanktionspraxis doch zur Rechtfertigung der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen einsetzt. Diese Widersprüchlichkeit, die viele SteHungnahmen zum generalpräventiven Einsatz kurzer Gefängnisstrafen kennzeichnet, dürfte darauf zurückzuführen sein, daß die Kritiker der Generalprävention einen vöHigen Verzicht auf die Generalprävention als Strafzumessungskriterium für politisch nicht durchsetzbar halten und ihr daher aus taktischen Erwägungen heraus weiterhin eine gewisse Bedeutung zukommen lassen. b) SOU 1986:13 - 15 Der Gefängnisstrafenausschuß unterschied in SOU 1986: 14 hinsichtlich der Relevanz der Generalprävention als Strafzumessungskriterium zwischen der Strafbemessung und der Sanktionswahl. Die Strafbemessung solle sich aus-

198BR A 1977:77, S. 334; vgl. auch S. 225: Bei vielen der Taten, die gegenwärtig mit Freiheitsstrafen geahndet würden, sei fraglich, ob sie den Strafwert hätten, den die Praxis ihnen zuweise. 199BR A 1977:77, S. 334.: ,,( ... ) när det visa sig vara svart att upprätthälla den allmänna respekten för ett straffbud och överträdelse däremot bedöms vara särskilt allvarligt fran samhällets synpunkt".

E. Kritik und Reformdiskussion

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schließlich nach dem Strafwert der Tat richten 2OO . Dieser werde durch deren Schwere bestimmt, "unter besonderer Berücksichtigung des Schadens oder der Gefahr, zu denen das Verhalten führte, und der Schuld des Straftäters, die in der Tat zum Ausdruck kam,,20l. Die Formulierung "unter besonderer Berücksichtigung" wirft die Frage auf, welche Faktoren neben der Schädlichkeit und der Schuld für die Bestimmung der Schwere der Tat und damit des Strafwertes von Bedeutung sein können. Der Gefängnisstrafenausschuß stellt hierzu fest, daß generalpräventive Interessen und die größere Häufigkeit einer Deliktsart für die Strafbemessung irrelevant seien. Als Kriterium neben Schädlichkeit und Schuld sei lediglich bei gewissen Delikten mit internationalem Bezug (vor allem bei Drogendelikten) das Strafniveau in anderen Ländern zu beachten. Bei der Sanktionswahl sollen demgegenüber generalpräventive Bedürfnisse in begrenztem Umfang berücksichtigt werden können 202 . Zwar sei es grundsätzlich sehr schwierig zu beurteilen, inwieweit eine Straferhöhung in einem einzelnen Fall eine abschreckende Wirkung entfalten könne. Bei bestimmten Arten von Delikten dürften jedoch generalpräventive Interessen, wenn auch mit großer Zurückhaltung, bei der Sanktionswahl berücksichtigt werden. Dies gelte insbesondere, wenn ein bestimmter Deliktstyp häufiger oder in schwereren Formen auftrete. Der Gefängnisstrafenausschuß verzichtete also in SOU 1986: 14 nicht auf die Generalprävention als bei der Sanktionswahl zu berücksichtigendes Kriterium, schränkte die Berufung auf sie aber deutlich ein. Er lehnte die gängige Praxis, unter Berufung auf generalpräventive Interessen eine Vielzahl kurzer Freiheitsstrafen zu verhängen, ab und schlug vor, die kurze Gefängnisstrafe in erheblichem Umfang durch andere Sanktionen, insbesondere durch die Geldstrafe, zu ersetzen. Eine verstärkte Anwendung der Freiheitsstrafe sei kein geeignetes Mittel, die Kriminalität zu vermindern oder auch nur eine Erhöhung zu vermeiden. Umgekehrt führe eine Verringerung der Anwendung der Gefängnis-

200ygl. zum Folgenden SOU 1986:14, S. 69 ff., 143 ff.; Cornils, in: Eser u.a., Strafrechtsentwicklung 11, S. 1287 (1306 f.). 201 SOU 1986: 13, S. 76: "Ett brotts straffvärde bestäms av brottets svärhet med särskild hänsyn till I. den skada eller fara som gärningen inneburit, 2. gärningsmanens skuld sädan den kommit till uttryck i gämingen."

Im Unterschied zu Kap. 29 § I BrB handelt es sich dabei um eine Definition des Begriffs "Strafwert". 202Siehe zum Folgenden SOU 1986: 14, S. 73 ff.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

strafe keineswegs zu erhöhter Kriminalität und könne daher ohne Bedenken durchgeführt werden. An dem Gutachten des Gefängnisstrafenausschusses wurde nach seiner Veröffentlichung vor allem kritisiert, die Notwendigkeit der Generalprävention werde nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Kritik führte dazu, daß das heutige Strafzumessungsrecht als Ergebnis der Reform von 1989 in großem Umfang die Berücksichtigung generalpräventiver Interessen bei der Strafzumessung ermöglicht. c) Die Literatur Als Konsequenz aus der Kritik an der Generalprävention hat sich die Literatur, insbesondere die "neoklassische", überwiegend von der Generalprävention als Kriterium bei der Ausformung des Strafensystems und der Strafzumessung distanziert. Die Generalprävention wird zwar als Grund für die Kriminalisierung eines bestimmten Verhaltens anerkannt, nicht aber als Maßstab der Strafzumessung, die sich ausschließlich nach der Schwere der Straftat richten solle203 . Die Strafzumessungsreform von 1989 wird kritisiert, weil sie die Abschrekkung als Kriterium bei der Strafzumessungsentscheidung beibehalten habe. Es sei schwer verständlich, was generalpräventive Interessen mit der Bestimmung des Strafwertes nach Kap. 29 § 1 BrB im Rahmen der Strafbemessung zu tun hätten 204 . Jedenfalls dürfe die Generalprävention im Rahmen des Strafwertes nur mit großer Restriktivität berücksichtigt werden205 . Jareborg betont, es sei mit dem Gesetz (Kap. 29 § 1 BrB) nicht vereinbar, "allgemein bei bestimmten Typen von Delikten einen vorgegebenen Bedarf an Generalprävention einem höheren Strafniveau zugrunde zu legen,,206.

203 Jareborg/von Hirsch, in: Eser, Tendenzen, S. 35 (50 f., 55 ff.); Jareborg/von Hirsch, Strafmaß, S. 30 und S. 33; Jareborg, ZStW 106 (1994), 140 (161); Svensson, NTfK 1983, 103 (110 f.).

204BerglBerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 29 § I, S. 202 f. 205BergiBerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 29 § I, S. 203. 2()6 Jareborg, Fragment, S. 157: "Att mer allmänt lägga ett föregivet behov av allmänprevention vid vissa typer av brott till grund för en högre straffniva fär anses sta i strid med lagtexten."

E. Kritik und Reformdiskussion

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Auch in der Kategorie der Art der Tat nach Kap. 30 § 4 Abs. 2, 2. Var. BrB wird "eine Schwachstelle" der Reform gesehen, weil sie die Möglichkeit der Berücksichtigung generalpräventiver Interessen eröffne 207 • 3. Die Forderung nach erweiterter Anwendung ambulanter Sanktionen

Eine weitere Möglichkeit, die generalpräventiv motivierten kurzen Gefängnisstrafen zurückzudrängen, besteht darin, den Anwendungsbereich der ambulanten Sanktionen zu erweitern. a) Erweiterte Anwendung der Geldstrafe Viele Reformvorschläge zielen darauf ab, vermehrt Geldstrafen anstelle kurzer Gefängnisstrafen zu verhängen. aa) Streichung der Gefängnisstrafe aus den Strafskalen bestimmter Delikte

Vereinzelt wird gefordert, die Gefängnisstrafe bei Delikten unter einem gewissen Strafwert ganz aus der Strafskala zu streichen mit der Folge, daß bei diesen Delikten dann nur zu Geldstrafe verurteilt werden könnte 208 • Eine solche Änderung der Strafskalen sei vor allem bei solchen Delikten angezeigt, die bereits in der Praxis reine Geldstrafendelikte seien, komme aber grundsätzlich auch bei allen übrigen Delikten in Betracht, bei denen in der Praxis kurze Freiheitsstrafen aus generalpräventiven Gründen verhängt werden209 . Ein derartig weitgehender Ausschluß der Gefängnisstrafe wird allerdings von den Vertretern

207 Jareborg, ZStW 106 (1994), 140 (161). 208Svensson, NTfK 1983, 103 (108); BRA 1977:77, S. 225, 265; Aspelin, NTfK 1973, 53 (69 ff.). Den Weg, die Freiheitsstrafe aus der Strafskala zu streichen, hat der Gesetzgeber teilweise auch beschritten: 1966 wurde beispielsweise die fahrlässige geringfügige Gefährdung des Straßenverkehrs zu einem reinen Geldstrafendelikt umgeformt. Die Bedeutung der Reform ist allerdings als gering einzustufen, weil vorher so gut wie nie eine Freiheitsstrafe für dieses Delikt verhängt worden war; vgl. Aspelin, NTfK 1973, 53 (65 f.). 209Aspelin, NTfK 1973,53 (71).

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

dieser Auffassung für politisch nicht durchsetzbar gehalten 2lO. Zur Begründung des Vorschlages wird angeführt, die Geldstrafe sei eine überlegene Alternative zur kurzen Gefängnisstrafe und aus generalpräventiver Sicht völlig ausreichend, da eine kräftige Geldstrafe von vielen Menschen als hinreichend schwere Sanktion empfunden werde211 .

bb) Einführung der Geldstrafe als neue Mindeststrafe bei Straftaten, die bislang nur mit Gefängnis bedroht sind Andere schlagen vor, die Geldstrafe bei Delikten, die bislang nur Gefängnisstrafe vorsehen, als neue Mindeststrafe einzuführen 2l2 . Der Gefängnisstrafenausschuß nannte als Beispiele die Delikte Körperverletzung, Diebstahl, Betrug und Unterschlagung213 • Die Geldstrafe solle bei diesen Delikten in bedeutendem Umfang verhängt werden und bei Taten mit geringem Strafwert vor allem bedingte Verurteilung und Schutzaufsicht, aber auch die kurze Gefängnisstrafe ersetzen. Noch weiter geht ein Vorschlag von Svensson, der anregt, die Geldstrafe bei allen Delikten, die üblicherweise mit kurzen Freiheitsstrafen geahndet werden, in die Strafskalen aufzunehmen und in diesen Fällen als Normalsanktion zu verhängen 214 . Als wichtigste Beispiele nennt Svensson die Trunkenheit am Steuer, den Diebstahl, die Unterschlagung und die Körperverletzung. Zur Begründung führt er aus, die Geldstrafe sei in einer kommerzialisierten Gesellschaft wie der schwedischen eine hinreichend harte Sanktion. Auch sei nicht zu befürchten, daß Geldstrafen zu selten bezahlt würden, da hinter ihnen stets die Drohung einer Ersatzfreiheitsstrafe stehe.

2IOAspelin, NTfK 1973, 53 (71); Svensson, NTfK 1983, 103 (108). 21lAspelin, NTfK 1973,53 (71).

212S0U 1986:14, S. 150,160; BRA 1977:77, S. 333; Aspelin, NTfK 1973,53 (72); so wohl auch Bishop (TfKV 1981 :4, 28 (29», die kritisiert, daß ein Täter, der erstmals einen Diebstahl begeht, nach dem Brottsbalk nicht zu einer Geldstrafe verurteilt werden kann. 213 S0U

1986:14, S. 150, 160.

214Siehe zum Folgenden Svensson, NTfK 1983, 103 (108 ff.).

E. Kritik und Reformdiskussion

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ce) Erhöhung des Höchstbetrages der Geldstrafe Der Gefängnisstrafenausschuß empfahl eine Erhöhung der maximalen Zahl der Tagessätze auf 200. Die erhöhte Geldstrafe solle "bei einer recht großen Anzahl von Delikten"Zl5 mit einem Strafwert von bis zu einem Monat zur Anwendung kommen und vor allem die bedingte Verurteilung, aber auch die kurze Freiheitsstrafe ersetzen.

dd) Erweiterung der Möglichkeit, die Geldstrafe mit anderen Sanktionen zu kombinieren Eine weiterer Weg zur Verschärfung der Geldstrafe wird darin gesehen, die Möglichkeiten, sie mit bedingter Verurteilung oder Schutzaufsicht zu kombinieren, zu erweitern 216 . Auch wird überlegt, die Kombination einer kurzen Gefängnisstrafe mit einer Geldstrafe zuzulassen, um längere Freiheitsstrafen zu vermeiden 217 .

ee) Änderung des Verhältnisses zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe Jareborg erwägt, das Verhältnis von Geld- und Freiheitsstrafe in der Weise zu ändern, daß die Strafskalen von Geld- und Gefängnisstrafe einander überlappen, so daß hohe Geldstrafen eine Alternative zur kurzen Freiheitsstrafe sein könnten 218 . Demgegenüber können nach dem geltenden Recht, wie gesehen 2l9 , oberhalb eines gewissen Strafwertes nur bedingte Verurteilung, Schutzaufsicht und Gefängnisstrafe verhängt werden.

Z15S0U 1986: 14, S. 160: "vid ett ganska stort antal brott". 216Kommittedirektiv 1992:47, S. 17. Z17Kommiuectirektiv 1992:47, S. 17; kritisch hierzu prop. 1980/81 :44, S. 11.

Zl8Jareborg, Fragment, S. 153. 219Siehe oben 3. Absehn. C. V. I. b. bb.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

b) Verschärfung der Bewährungssanktionen Das Strafsystemkomitee prüft gegenwärtig Möglichkeiten, bedingte Verurteilung und Schutzaufsicht zu verschärfen und sie dadurch als Alternative zur kurzen Gefängnisstrafe attraktiver zu machen 220 . Es wird überlegt, die Maßnahmen bei Pflichtverletzungen zu verschärfen, die Überwachung zu verbessern und die Möglichkeiten, Weisungen zu erteilen, auszubauen. c) Erweiterung der gemeinnützigen Arbeit Das Strafsystemkomitee prüft außerdem, ob der Anwendungsbereich der gemeinnützigen Arbeit erweitert und diese möglicherweise als eigenständige Sanktion ausgestaltet werden sollte221 .

4. Die Forderung nach Einführung neuer Alternativen zur kurzen Gefängnisstrafe Seit vielen Jahren wird in Schweden intensiv nach Alternativen zur - insbesondere kurzen - Freiheitsstrafe gesucht. a) Intensivüberwachung (intensivövervakning) Eine bereits versuchsweise praktizierte Alternative besteht darin, den Verurteilten einer Intensivüberwachung (intensivövervakning) in Form elektronischer Kontrolle zu unterwerfen 222 • Er erhält Weisungen, insbesondere hinsichtlich seines Aufenthaltsortes, deren Befolgung durch eine elektronische Apparatur überwacht wird.

220Kommittedirektiv 1992:47, S. 18. 221Kommittedirektiv 1992:47, S. 19. 222Kommittedirektiv 1992:47, S.I, 20 f.; prop. 1993/94:44, S. 37 f.; BRÄ 1977:77, S. 307 ff.

E. Kritik und Reformdiskussion

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b) Obligatorische Freizeitbeschäftigung (obligatorisk fritidssysselsättning) Die obligatorische Freizeitbeschäftigung (obligatorisk fritidssysselsättning) beinhaltet die Verpflichtung des Verurteilten, in seiner Freizeit an bestimmten Kursen teilzunehmen223 . c) Anwesenheitspflicht (närvaroplikt) Als denkbare weitere Alternative wird die Verpflichtung erwogen, sich eine bestimmte Zeit bei einer besonderen Institution (day centre) aufzuhalten oder an verschiedenen Aktivitäten teilzunehmen 224 . d) Aufschiebung der Verurteilung (uppskjuten dom) Ferner wird diskutiert, dem Gericht die Möglichkeit zu geben, nach der Feststellung der Schuld die Bestimmung der Sanktion aufzuschieben 225 • Auf diese Weise könnten später eventuell eintretende positive Veränderungen in den persönlichen Verhältnissen des Täters (z.B. hinsichtlich Arbeit oder Wohnung) bei der Wahl der Sanktion berücksichtigt werden.

5. SOU 1986:14 Die unter I. bis IV. getrennt dargestellten Wege werden in den Reformvorschlägen oft miteinander kombiniert. Dies gilt im besonderen für das Gutachten des Gefängnisstrafenausschusses SOU 1986 : 14, das alle Wege zu einem einheitlichen Konzept verbindet226 : Bei der Strafzumessung sei in erster Linie auf die Schwere der Tat abzustellen und die Generalprävention nur mit großer Zurückhaltung bei der Sanktionswahl zu berücksichtigen. Die Geldstrafe solle bei den wichtigsten der gegenwärtig üblicherweise mit kurzer Gefängnisstrafe ge-

223ygl. zur Kritik an der obligatorischen Freizeitbeschäftigung BRA 1977:77, S. 391 ff.

224Siehe zur Kritik an der Anwesenheitspflicht SOU 1984:32, S. 179 ff. 225Zur Kritik vgl. SOU 1984:32, S. 181 f. 226Siehe zum Folgenden SOU 1986: 14, S. 69 ff., 143 ff. 7 Schaeferdiek

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

ahndeten Delikten als neue Mindeststrafe in die Strafskalen aufgenommen werden. Außerdem wird vorgeschlagen, das Höchstmaß der Geldstrafe auf 200 Tagessätze zu erhöhen, um auf diese Weise deren Anwendungsbereich auf Kosten der Gefängnisstrafe auszuweiten. Schließlich plädiert der Ausschuß dafür, auf kurze Gefängnisstrafen unter einem Monat gänzlich zu verzichten und das Strafminimum auf einen Monat anzuheben. Dem Gefängnisstrafenausschuß schwebt somit insgesamt ein Strafensystem vor, in dem für Delikte mit geringem Strafwert die Geldstrafe, für Taten mit mittlerem Strafwert eine Bewährungssanktion oder eine Gefängnisstrafe und nur bei Delikten mit hohem Strafwert ausschließlich eine Gefängnisstrafe verhängt werden soll.

F. Der Vollzug der kurzen Gefängnisstrafe I. Vollzugsziele und Grundsätze des Strafvollzuges

Das Gesetz über die Kriminalpflege in der Anstalt (lagen om kriminalvard i anstalt, KvaL) von 1973 enthält die wichtigsten Vorschriften zum Strafvollzug. Die Ziele des Vollzuges werden in § 4 KvaL beschrieben. Danach soll der Strafvollzug so ausgestaltet werden, daß die Anpassung des Gefangenen an die Gesellschaft gefördert und schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegengewirkt wird. Soweit dies mit den Schutzinteressen der Gesellschaft vereinbar ist, soll der Gefangene von Beginn an auf seine Entlassung vorbereitet werden. § 4 KvaL legt damit die Anpassung des Verurteilten an die Gesellschaft (Resozialisierung) als Vollzugsziel fest, das im Einzelfall mit den Sicherheitsinteressen der Gesellschaft in Ausgleich gebracht werden muß 227 . Die Maßnahmen zur Resozialisierung zielen allerdings heute nach dem Scheitern der Behandlungsideologie nicht länger auf eine breit angelegte Behandlung und Besserung des Gefangenen ab 228 . Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß Behandlungsmaßnahmen fehlen, die sicher geeignet sind, die Rückfälligkeit von Verurteilten zu verringern. Heute handelt es sich bei den Re-

227Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, KvaL Vor § 1, S. 615 und § 4, S. 619 f. Demgegenüber stellt die Vermeidung von Haftschäden kein eigenständiges, positives Vollzugsziel dar; a.A. insoweit SOU 1993:76, S. 227. 228 Vg l.

615.

zum Folgenden Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, KvaL Vor § 1, S.

F. Der Vollzug der kurzen Gefängnisstrafe

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sozialisierungsmaßnahmen um praktische Maßnahmen der Orientierungs- und Wiedereingliederungshilfe, die sozialer Isolierung entgegenwirken und Nachteile hinsichtlich Arbeit, Ausbildung, Wohnung u.ä. vermeiden sollen 229 . Als wichtigste Beispiele sind Arbeitsvermittlung, Wohnungs beschaffung, Freigang, Urlaub sowie Trainingsprogramme zu nennen, bei denen der Verurteilte zum Beispiel lernen soll, mit Geld umzugehen oder seine Freizeit aktiv zu gestalten. Aus dem Vollzugsziel ergibt sich als wichtiger Grundsatz des Strafvollzuges das Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs in die persönliche Freiheit, das eine möglichst weitgehende Öffnung des Strafvollzuges gegenüber der Außenwelt verlangt23o . Das früher für den schwedischen Strafvollzug charakteristische Näheprinzip, nach dem die Vollzugsanstalt in der Nähe des Heimatortes liegen sollte, um soziale und familiäre Kontakte möglichst wenig zu beeinträchtigen, wurde 1995 abgeschafft231 • Gemäß § 3 KvaL wird bei den Vollzugsanstalten zwischen offenen und geschlossenen Anstalten unterschieden 232 . Im Regelfall soll eine offene Anstalt gewählt werden, wenn nicht Sicherheitsgründe dagegen sprechen oder der Verurteilte eine Arbeit, Ausbildung oder Behandlung erhalten soll, die in geeigneter Weise nur in einer geschlossenen Anstalt erfolgen kann (§ 7 KvaL).

2291escheck, in: Festschrift für Thomstedt, S. 353 (358); Cornils, in: Dünkel/Meyer, Jugendstrafe, S. 497 (514 f.).

230Siehe dazu Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, KvaL Vor § I, S. 615 f.; leseheck, in: Festschrift für Thornstedt, S. 353 (358, 361); Cornils, in: Dünkel/Meyer, Jugendstrafe, S. 497 (514 f.). 231 Vg l. zu den Motiven prop. 1994/95: 124. 232Die frühere Unterteilung in zentrale Reichsanstalten (riksanstalter) und kleinere lokale Anstalten (lokalanstalter) wurde 1995 gleichzeitig mit dem Näheprinzip abgeschafft; zum früheren Anstaltssystem siehe Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, KvaL § 3, S. 619; Cornils, in: leseheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (816 ff.). 7"

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

11. Besonderheiten beim Vollzug kurzer Freiheitsstrafen

1. Gelten die Vollzugsziele auch für den Vollzug kurzer Gefängnisstrafen? § 4 KvaL gilt unbestritten insoweit auch für kurze Gefängnisstrafen, als schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und die Entlassung rechtzeitig vorzubereiten ist. Dem Resozialisierungsprinzip wird jedoch hauptsächlich bei solchen Gefangenen Bedeutung beigemessen, deren Anstaltsaufenthalt voraussichtlich in eine Bewährungszeit nach erfolgter bedingter Entlassung übergehen wird 233 • Da die bedingte Entlassung nach Kap. 26 § 6 Abs. 2 BrB nur bei Gefängnisstrafen über zwei Monaten in Betracht kommt, hat das Resozialisierungsprinzip bei Freiheitsstrafen mit einer Dauer von zwei Monaten oder weniger kaum Bedeutung. Der Grund ist in der kurzen Dauer dieser Gefängnisstrafen zu sehen. Auch Maßnahmen der Resozialisierung im heutigen Sinne einer praktischen Orientierungs- und Wiedereingliederungshilfe müssen sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, um Wirkung zeigen zu können. Sie sind sinnvollerweise in ein Konzept einzufügen, daß den Zeitraum des Anstaltsaufenthaltes und die Bewährungszeit nach erfolgter bedingter Entlassung umfaßt.

2. Die Regelungen im einzelnen

Grundsätzlich gelten für Verurteilte mit kurzen Gefängnisstrafen dieselben Regelungen wie für alle Gefangenen. Beispielsweise sind Gefangene, die eine kurze Freiheitsstrafe verbüßen, arbeitspflichtig (§ IO Abs.l KvaL), haben ein Recht auf Briefverkehr (§§ 25 ff. KvaL), Besuch (§ 29 KvaL) und das Recht zu telefonieren (§ 30 KvaL). Zu beachten sind aber einige Sonderregelungen für die Verbüßung kurzer Gefängnisstrafen, deren Grund in der eingeschränkten Bedeutung des Resozialisierungsprinzips liegt. Solche Sonderregelungen finden sich vor allem bei den Vorschriften, die die Möglichkeiten regeln, dem Verurteilten einen Aufenthalt außerhalb der Anstalt zu gewähren. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um

233Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, KvaL § 4, S. 620. In der Regel fehlt bei den Verurteilten mit kurzen Gefangnisstrafen auch ein beachtliches Sicherheitsinteresse der Gesellschaft.

F. Der Vollzug der kurzen Gefängnisstrafe

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Resozialisierungsmaßnahmen, die bei Gefangenen mit kurzen Freiheitsstrafen aus den genannten Gründen nur in eingeschränktem Umfang sinnvoll sind. So wird bei der Entscheidung über Freigang (frigang) gemäß § 11 KvaL zum Zwecke der Arbeit oder Ausbildung außerhalb der Anstalt zwischen der Länge der Strafe und dem Bedürfnis nach Freigang abgewogen 234 • Gefangene mit sehr kurzen Gefängnisstrafen erhalten normalerweise keinen Freigang, während diese Vergünstigung mit zunehmender Dauer der Gefängnisstrafe und damit steigendem Gewicht des Resozialisierungsinteresses häufiger gewährt wird 235 • Regelmäßig wird Gefangenen mit sehr kurzen Freiheitsstrafen auch kein Aufenthalt außerhalb der Anstalt (vistelse utanför anstalt) zum Zwecke der Resozialisierung nach § 34 KvaL oder zur Freizeitbeschäftigung gemäß § 14 Abs. 2 KvaL gewährt. Kurzzeitigen Urlaub (korttidspermission) nach § 32 Abs. 1 KvaL zur Aufrechterhaltung familiärer und sozialer Kontakte erhalten nur Gefangene, die eine mindestens zweimonatige Gefängnisstrafe verbüßen 236 • Entlassungsurlaub (frigivningspermission) darf gemäß § 33 KvaL nicht vor dem Zeitpunkt bewilligt werden, zu dem die bedingte Entlassung frühestens in Frage kommen könnte. Da bei Gefängnisstrafen mit einer Dauer von zwei Monaten oder weniger eine bedingte Entlassung nicht möglich ist, erhalten Gefangene mit sehr kurzen Freiheitsstrafen auch keinen Entlassungsurlaubm . Demgegenüber ist Sonderurlaub (särskild permission) nach § 32 Abs. 1 KvaL bei Vorliegen außerordentlicher Gründe, beispielsweise dem Besuch schwerkranker Angehöriger, auch bei Verbüßung sehr kurzer Gefängnisstrafen möglich 238 . Insgesamt wird also die Gewährung eines Aufenthaltes außerhalb der Anstalt vor allem für sehr kurze Freiheitsstrafen, für die praktisch nur Sonderurlaub in Betracht kommt, deutlich eingeschränkt.

234 S0U

1993:76, S. 290.

235BergiBerggrenJMunck u.a., Kommentar, KvaL Kap. 2 § 11, S. 630. 236 y gl. die Richtlinien des Reichsamtes für Strafvollzug und Bewährungshilfe (kriminalvardsstyrelsen), KYYFS 1990:10 § 97.

237BergiBerggrenJMunck u.a., Kommentar, KvaL § 33, S. 655. 238 S0U

1980:1, S. 23, 39.

102

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Irr. Reformvorschläge J. Die Forderung nach Verschärfung des Anstaltsvollzuges von kurzen Gefängnisstrafen

Den Forderungen, den Vollzug von kurzen Gefängnisstrafen zu verschärfen, liegt die Auffassung zugrunde, der gegenwärtige Anstaltsvollzug schrecke nicht in ausreichendem Maße ab und sei daher aus generalpräventiver Sicht zu mild. Vereinzelt wird diskutiert, eine besondere Isolationshaft für sehr kurze Gefängnisstrafen einzuführen, bei der der Vollzug in einer Einzelzelle ohne Recht auf Besuch, Urlaub und Korrespondenz stattfinden soll. Der Vorschlag wird überwiegend unter Verweis auf das beträchtliche Risiko schwerer Schäden infolge einer solchen Isolation abgelehnt239 • Andere erwägen, das Besuchsrecht, das Recht zur Korrespondenz oder das Recht zu telefonieren bei sehr kurzen Freiheitsstrafen auszuschließen oder einzuschränken 24o . Auch wird diskutiert, bei sehr kurzen Gefängnisstrafen den Freigang, den kurzzeitigen Urlaub, den Entlassungsurlaub oder den Aufenthalt außerhalb der Anstalt vollständig abzuschaffen. Dagegen wird eingewandt, der Vorschlag sei zu streng, da ausnahmsweise auch bei Gefangenen mit sehr kurzen Freiheitsstrafen durchaus ein Bedürfnis nach diesen Vergünstigungen bestehen könne241 . Im Frühjahr 1992 wurde ein besonderer Ausschuß (Fängelseutredningen) eingesetzt, der den Auftrag erhielt, vor dem Hintergrund zunehmender Drogenprobleme in den Anstalten Vorschläge zu einer Reformierung des Strafvollzuges auszuarbeiten 242 . In seinem Abschlußbericht SOU 1993:76 schlug der Ausschuß ein neues "Gefängnisgesetz" (fängelselag) anstelle des Gesetzes über

239prop. 1980/81:44, S. 13 f.; SOU 1980:1, S. 38; zur Diskussion über einen Sondervollzug für Gefangene, die wegen Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilt worden sind, vgl. Prop. 1993/94:44, S. 38 ff. 240Abiehnend Prop. 1980/81:44, S. 13 f.; SOU 1980:1, S. 38, wo betont wird, diese Vergünstigungen dürften allerdings nicht regelmäßig gewährt werden, weil sonst der Respekt vor sehr kurzen Gefängnisstrafen verloren ginge. 241 S0U 1980:1, S. 39. 242Vgl. zur Aufgabe des Ausschusses Kommittedirektiv 1992:36.

F. Der Vollzug der kurzen Gefängnisstrafe

103

die Kriminalpflege in der Anstalt vor. Der Vorschlag sieht verschärfte Regelungen hinsichtlich eines Aufenthaltes außerhalb der Anstalt vor. Für das hier behandelte Thema ist vor allem die Forderung von Interesse, Gefangenen mit kurzen Gefängnisstrafen regelmäßig keinen Freigang zu gewähren 243 • Sei die Freiheitsstrafe wegen der Art der Tat verhängt worden, so stehe eine so weitreichende Vergünstigung wie der Freigang im Widerspruch zum generalpräventiven Zweck der Bestrafung, so daß nicht einmal dringende soziale Bedürfnisse des Gefangenen die Gewährung von Freigang rechtfertigen könnten. Sei wegen Rückfalls auf eine kurze Gefängnisstrafe erkannt worden, so stünden dem Freigang in der Regel allgemeine Sicherheitsbedürfnisse entgegen. 2. Die Forderung nach milden Sonder/ormen des Vollzuges von kurzen Gefängnisstrafen

Weit verbreitet sind in Schweden Forderungen nach milden Sonderformen des Vollzuges kurzer Gefängnisstrafen. In den letzten Jahren stand dabei das ,,Freizeitgefängnis" (fritidsfängelse) im Mittelpunkt der Diskussion 244 . Dessen Besonderheit besteht darin, daß der Verurteilte nur während der Freizeit seiner Freiheit beraubt wird, wobei zwei verschiedene Formen unterschieden wer" den 245 : Beim Nachtgefängnis (nattfängelse) befindet sich der Verurteilte tagsüber in Freiheit und muß sich am Abend in der Strafvollzugsanstalt einfinden und dort die Nacht verbringen. Beim Wochenendgefängnis (veckoslutfängelse) findet der Vollzug der Freiheitsstrafe nur am Wochenende statt. Der Vorteil des Freizeitgefängnisses wird darin gesehen, daß der Verurteilte trotz des Strafvollzuges weiter seiner Arbeit nachgehen und seine familiären und sozialen Kontakte aufrechterhalten könne. Dadurch ließen sich die negativen Folgen des Freiheitsentzuges für den Gefangenen erheblich begrenzen.

243 Vgl.

zum Folgenden SOU 1993:76, S. 303 f.

244 Das Freizeitgefängnis wird auch oft als Alternative zur Gefängnisstrafe aufgefaßt. Zu Recht verweist demgegenüber SOU 1984:32, S. 53 ff. darauf, daß es sich der Sache nach nur um eine besondere Form des Vollzuges der Freiheitsstrafe handele. 245 Vgl. zum Folgenden BRA 1977:77, S. 379 ff.; Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (857); Corni/s, in: Eser/Huber, Strafrechtsentwicklung, S. 663 (670).

104

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Nach Auffassung der Kritiker überwiegen jedoch die Nachteile des Freizeitgefängnisses 246 . In der Nacht und vor allem am Wochenende sei ein erheblicher Personaleinsatz erforderlich, während die Anstaltskapazität zu den übrigen Zeiten nur ungenügend ausgenutzt werden könne. Weiterhin sei zu befürchten, daß das Freizeitgefängnis in der Praxis auch in solchen Fällen verhängt werden würde, in denen bislang ambulante Sanktionen eingesetzt werden. Auch seien die Möglichkeiten, während der Dauer des Strafvollzuges die Begehung von Straftaten zu vermeiden, im Verhältnis zum normalen Vollzug gering. Bei den meisten Gefangenen sei aber eine ununterbrochene Kontrolle zur Vermeidung weiterer Straftaten erforderlich. Schließlich sei auch der generalpräventive Wert des Freizeitgefängnisses im Vergleich zum normalen Vollzug deutlich vermindert.

G. Die bedingte vorzeitige Entlassung (villkorlig frigivning) bei kurzen Gefangnisstrafen Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Verurteilte nach der Verbüßung eines Teiles seiner Strafe vorzeitig aus der Haft entlassen werden. Diese bedingte Entlassung (villkorlig frigivning) ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht nur bei kurzen Gefängnisstrafen von Interesse. Sie kann nämlich in Fällen, in denen eine längere Freiheitsstrafe verhängt wurde, dazu führen, daß der Anstaltsaufenthalt weniger als sechs Monate andauert. Die tatsächliche Dauer des Anstaltsaufenthaltes ist aber gerade aus der Sicht der Gegner kurzer Gefängnisstrafen von Interesse, soweit diese sich auf das klassische Argument berufen, daß bei Anstaltsaufenthalten unter sechs Monaten keine Besserung des Gefangenen erzielt werden könne. I. Die Regelung vom 1.7.1983

Mit Wirkung vom 1.7.1983 führte der Gesetzgeber in Schweden die obligatorische bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafdauer ein 247 • Die bedingte Entlassung durfte nach Verbüßung der Hälfte der Strafdauer nur auf Wunsch des Gefangenen oder bei offensichtlichem Risiko eines Rückfalls in besonders schwere Kriminalität unterbleiben. Begründet wurde die Regelung

246Siehe zum Folgenden die ausführliche Kritik in SOU 1984:32, S. 60 ff. 247 y gl. zur Reform von 1983 ausführlich Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 26 § 6, S. 73 f.

G. Die bedingte vorzeitige Entlassung

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mit den Erfordernissen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit sowie mit der Notwendigkeit, die Anwendung der Freiheitsstrafe zurückzudrängen 248 . Sie führte dazu, daß bei Freiheitsstrafen mit einer Dauer von weniger als einem Jahr die Dauer des Anstaltsaufenthaltes regelmäßig unter sechs Monaten lag. 11. Die heutige Regelung

Die obligatorische Halbzeitverbüßung wurde bald Gegenstand zunehmender Kritik249 . Man sah es als verfehlt an, daß das Verhalten des Gefangenen im Vollzug im Hinblick auf die Entscheidung über eine vorzeitige Entlassung keine Rolle spielte. Auch hielt man die große Diskrepanz zwischen tatsächlicher Anstaltszeit und Dauer der verhängten Freiheitsstrafe für unzufriedenstellend. Die Kritik führte schließlich mit Wirkung vom 1.7.1993 zur Einführung der heutigen Regelung in Kap. 26 § 6 ff. BrB, die im wesentlichen der Gesetzeslage vor 1983 entspricht25o . 1. Die Voraussetzungen

Kap. 26 § 6 ff. BrB enthalten eine komplizierte Regelung, die hinsichtlich des frühestmöglichen Zeitpunktes der - jetzt fakultativen - bedingten Entlassung zwischen vier Fallgruppen unterscheidet251 . Hier interessiert nur die erste Fallgruppe, die Gefängnisstrafen mit einer Dauer bis zu einem Jahr umfaßt. Nach Kap. 26 § 6 Abs. 2 BrB ist eine bedingte Entlassung bei diesen Freiheitsstrafen frühestens nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit, mindestens aber von zwei Monaten, möglich. Bei Gefängnisstrafen mit einer Dauer von zwei Monaten oder darunter kommt die bedingte Entlassung also nicht in Betracht. Sie scheidet ferner in den Fällen der Kombination einer kurzen Freiheitsstrafe mit Schutzaufsicht und bei der Ersatzfreiheitsstrafe aus. Bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung soHen vor allem die Voraussetzungen einer Anpassung des Verurteilten an die Gesellschaft und sein Verhalten in der Anstalt berück-

248prop. 1984/85: I 00, Beilage 4,

s. 29 f.

249Siehe zur Kritik im einzelnen Berg/BerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 26 § 6,

S.74. 250prop. 1992/93:4, S. 24. 25l yg l. im einzelnen Berg/BerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 26 § 6, S. 75 f.

106

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

sichtigt werden 252 . Die heutige Regelung hat zur Folge, daß bei Gefängnisstrafen unter neun Monaten der Anstaltsaufenthalt im Falle der bedingten Entlassung weniger als sechs Monate dauert.

2. Bewährungszeit und Bewährungshilfe Mit dem Entlassungsbeschluß wird eine Bewährungszeit von gewöhnlich einem Jahr festgesetzt 253 • Ausnahmsweise kann auch eine längere Bewährungszeit bis zu drei Jahren bestimmt werden, was aber bei zu einer kurzen Gefängnisstrafe Verurteilten nur in extremen Ausnahmefällen geschiehr254 . Für die Dauer der Bewährungszeit kann Bewährungshilfe zur Überwachung und Unterstützung des Verurteilten angeordnet werden, wenn dies für erforderlich gehalten wird 255 • Inwieweit bei kurzen Freiheitsstrafen eine Überwachung angeordnet werden kann, ist umstritten. Teilweise wird vertreten, bei zu kurzen Gefängnisstrafen Verurteilten bestehe in aller Regel kein Grund, eine Überwachung anzuordnen 256 . Nach anderer Auffassung ist in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob eine Überwachung erforderlich ist257 • Bemerkenswert ist, daß die Bewährungszeit unabhängig von der verbliebenen Strafdauer stets mindestens ein Jahr dauert. Dies hat zur Folge, daß sie bei zu einer kurzen Gefängnisstrafe Verurteilten wesentlich länger ist als die zum Zeitpunkt der bedingten Entlassung noch verbliebene Strafzeit. Zur Begründung dieser Diskrepanz wird auf den Zweck einer eventuell angeordneten Überwachung verwiesen, der unter anderem in der Hilfe und Unterstützung des Entlassenen bestehe 258 • Die Überwachung müsse sinnvollerweise sorgfältig und ohne Zeitdruck geplant und durchgeführt werden und solle auch längerfristige Ziel-

252Siehe Kap. 26 § 7 BrB. 253 Kap . 26 § 10 BrB. 254Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 26 § 11, S. 88.

255Kap. 26 § 11 BrB. Die Überwachung endet im Normalfall spätestens nach einem Jahr. 256prop. 1982/83:85, S. 126; SOU 1986:14, S. 95: Je kürzer die Strafdauer sei, desto weniger Veranlassung bestehe, eine Überwachung anzuordnen. Bei zu Gefängnisstrafe unter zwei Monaten Verurteilten komme Überwachung nie in Frage. 257JuU 1982/83:26, S. 39. 258Vg l. zum Folgenden BerglBerggren/Munck u.a., Kommentar, Kap. 26 § 11, S. 87 f.

G. Die bedingte vorzeitige Entlassung

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setzungen umfassen, was bei einer zu kurzen Bewährungszeit unter einem Jahr nicht möglich wäre. Um die Regelung nicht zu kompliziert werden zu lassen, wurde die Bewährungszeit generell auf ein Jahr festgesetzt, auch wenn im Einzelfall keine Überwachung angeordnet wird. 3. Die Maßnahmen bei Pflichtverletzungen

Bei Pflichtverietzungen259 , Verstößen gegen erteilte Auflagen 260 oder im Falle der Begehung eines neuen Deliktes während der Bewährungszeit kann dem Verurteilten eine - eventuell erneute - Auflage oder Verwarnung erteilt werden. Weiterhin kann die Überwachung verlängert werden oder - als ultima ratio - die bedingte Entlassung für jeweils höchstens einen Monat, bei Begehung eines neuen Deliktes auch ganz, für verwirkt erklärt werden 261 • III. Die Praxis

Vor 1983, also zu einer Zeit, als im wesentlichen bereits die heutige Regelung galt, wurden Verurteilte in etwa 30 % aller Fälle nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit vorzeitig entlassen262 • Nach der Einführung der obligatorischen Halbzeitverbüßung im Jahre 1983 nahm die Zahl deutlich zu: 1992 wurde in über der Hälfte aller Fälle von der Möglichkeit der bedingten Entlassung Gebrauch gemacht263 • Für die Zeit nach 1993 ist eine Rückkehr zur Praxis vor 1983 wahrscheinlich.

259Vg l. 260Zur

zu den Pflichten des Überwachten Kap. 26 §§ 13, 14 Abs. I BrB. Möglichkeit, Auflagen zu erteilen, siehe Kap. 26 § 15 - 17 BrB.

261 Vg l. im einzelnen Kap. 26 §§ 18, 19 LV.m. Kap. 26 § 15 BrB, Kap. 34 § 4 BrB, Kap. 37 § 7 Abs. I BrB.

262Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (826). 263 1992 wurden 6.249 Personen endgültig und 7.250 Personen vorzeitig aus dem Strafvollzug entlassen. Zu beachten ist, daß die Zahl der endgültigen Entlassungen auch die Verurteilungen zu kurzer Gefangnisstrafe in Kombination mit Schutzaufsicht und zu Ersatzfreiheitsstrafe umfaßt, bei denen eine vorzeitige Entlassung von vornherein nicht in Betracht kommt.

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2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht IV. Reformvorschläge

J. Die Forderung nach Abschaffung der Mindestverbüßungszeit

Teilweise wird die Abschaffung der Mindestverbüßungszeit von zwei Monaten als Voraussetzung für eine bedingte Entlassung gefordert264 • Es gebe keinen Grund, die zu kurzer Gefängnisstrafe Verurteilten bei der bedingten Entlassung anders zu behandeln als andere Gefangene 265 . Vor allem ergäben sich infolge der Mindestverbüßungszeit ungerechte "Schwelleneffekte", weil unterschiedlich lange Gefängnisstrafen einen gleich langen Anstaltsaufenthalt nach sich zögen 266 . 2. Die Forderung nach einer kürzeren Mindestverbüßungszeit

Bei den Vorarbeiten zur Reform von 1993 wurde eine Herabsetzung der Mindestverbüßungszeit auf einen Monat gefordert267 . Man kritisierte vor allem die genannten "Schwelleneffekte" und hielt diese nur bei Gefängnisstrafen mit einer Dauer bis zu einem Monat für akzeptabel. Der Vorschlag konnte sich letztlich nicht durchsetzen, weil eine Verkürzung des Anstaltsaufenthaltes der zahlreichen aus generalpräventiven Gründen zu Gefängnisstrafen bis zu zwei

264ygl. zum Folgenden SOU 1986:14, S. 93 ff.; BRA 1977:77, S. 248 ff. Zu beachten ist, daß sich der Gefängnisstrafenausschuß in SOU 1986: 14 auf ein System mit obligatorischer bedingter Entlassung bezieht. Bei fakultativer bedingter Entlassung sei eine Mindestverbüßungszeit eher vorstellbar. 265 Administrative Schwierigkeiten, die kurzen Gefängnisstrafen im Falle der bedingten Entlassung zu vollstrecken, bestünden nach Auffassung des Gefängnisstrafenausschusses nicht. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß der Ausschuß zugleich das Minimum der Gefängnisstrafe auf einen Monat anheben wollte. 266 Nach der gegenwärtigen Regelung ist die Dauer des Anstaltsaufenthaltes beispielsweise bei drei- und zweimonatigen Gefängn"isstrafen identisch, wenn bei der dreimonatigen Gefängnisstrafe nach Yerbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit eine bedingte Entlassung erfolgt. 267 ygl. zum Folgenden Prop. 1992/93:4, S. 23 ff.; Berg/BerggreniMunck u.a., Kommentar, Kap. 26 § 6, S. 75; vgl. zu den weiteren im Hinblick auf die bedingte Entlassung diskutierten Reformvorschlägen Hoflund, Straff, S. 37 f.

H. Die Ersatzfreiheitsstrafe (förvandlingsstraffet)

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Monaten Verurteilten für unerwünscht gehalten wurde 268 . Statt dessen wurde die Mindestverbüßungsdauer vorläufig in Anlehnung an die Regelung vor 1983 auf zwei Monate festgesetzt und der Strafensystemausschuß mit einer weiteren Prüfung der Frage beauftragt.

H. Die Ersatzfreiheitsstrafe (förvandlingsstraffet) Unter einer Ersatzfreiheitsstrafe versteht man eine Freiheitsstrafe, die bei Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe an deren Stelle tritt. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist zwar keine kurze Freiheitsstrafe im hier verstandenen Sinne; weil ihre Vollstreckung aber zu Anstaltsaufenthalten mit einer Dauer unter sechs Monaten führt, werden Regelung und Praxis der Ersatzfreiheitsstrafe hier in ihren Grundzügen dargestellt. I. Die gesetzliche Regelung

Die wichtigsten Regelungen zur Ersatzfreiheitsstrafe finden sich in Kap. 25 § 8 Abs. 2 BrB i.V.m. dem Gesetz über die Vollstreckung von Geldstrafen (bötesverkställighets-lag, BvL). Nach den Motiven bezwecken diese Vorschriften, daß nur in besonderen Ausnahmefällen eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt werden so1l269. 1. Die Voraussetzungen für die Verhängung einer Ersatifreiheitsstrafe

Die Voraussetzungen für die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe sind in § 15 BvL geregelt, demzufolge die Umwandlung einer Geld- in eine Freiheitsstrafe in zwei Fällen in Betracht kommt270 . Zum einen kann eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt werden, wenn der Verurteilte es schuldhaft versäumt hat, seine Geldstrafe zu bezahlen. Diese erste Alternative des § 15 BvL kommt in Betracht, wenn sich der Geldstrafenschuldner ausdrücklich geweigert hat, seiner Zahlungsverpflichtung nachzukommen oder wenn er Maßnahmen ergriffen hat,

268 JuU 1992/93: 19, S. 11. 269Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, BvL § 15, S. 581 f.; Comils, in Eser/Huber, Strafrechtsentwicklung 1982/1984, S. 663 (670).

270 yg l. zum Folgenden Berg/Berggren/Munck u.a., Kommentar, BvL § 15, S. 584 f.; Hoflund, Straff, S. 148 ff.

110

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

die die Vollstreckung der Geldstrafe verhindern sollen, wie z.B. Transaktionen zur Verschleierung der wahren Vermögensverhältnisse. Die zweite Alternative betrifft Fälle, in denen eine Umwandlung aus besonderen Gründen geboten ist. Dies wird vor allem angenommen, wenn ein zahlungsunfähiger Geldstrafenschuldner zum wiederholten Male Geldstrafendelikte begeht. Die Umwandlung bezweckt in solchen Fällen, daß illiquide Täter nicht immun gegen die Verhängung von Geldstrafen werden. Die zweite Alternative soll aber äußerst restriktiv nur bei Vorliegen besonderer Umstände angewandt werden, wobei die Art des begangenen Deliktes und die Erwägungen, die zur Verhängung der Geldstrafe geführt haben, besonders zu berücksichtigen sind. Es kann festgehalten werden, daß § 15 BvL die Umwandlung einer Geld- in eine Freiheitsstrafe nur unter sehr engen Voraussetzungen zuläßt. Auch wenn die Voraussetzungen von § 15 BvL vorliegen, ist die Umwandlung im übrigen unzulässig, wenn die Tat unter Einwirkung einer psychischen Störung begangen wurde (§ 22 BvL) oder wenn der Betrag der Geldstrafe gering ist271 . 2. Die Bestimmung der Länge der Ersatifreiheitsstrafe

Die Ersatzfreiheitsstrafe kann vierzehn Tage bis drei Monate dauern (§ 15 Abs. 3 BvL). Die Bestimmung ihrer Länge wurde bis 1983 nach einer festen Skala vorgenommen, die direkt an die Höhe der Geldstrafe, d.h. die Zahl der Tagessätze bei Tagesbußen bzw. die Höhe des Betrages bei der Festbetragsbuße, anknüpfte 272 • Heute richtet sich die Festlegung der Länge dagegen nach den Umständen in jedem Einzelfall, wobei insbesondere die persönlichen und sozialen Verhältnisse des Geldstrafenschuldners sowie bereits erfolgte Zahlungen von Bedeutung sind 273 . Auch die Höhe der Geldstrafe ist zu berücksichtigen, wobei allerdings betont wird, daß 'nicht länger - wie vor 1983 - jeder Unterschied in der Höhe der nicht bezahlten Geldstrafe die Länge der Ersatzfreiheitsstrafe beeinflussen soll. Die Strafdauer solle vielmehr in erster Linie an die normale Strafzumes-

271 prop.

1982183:93, S. 26; Hoflund, Straff, S. 44.

272Berg/BerggrenJMunck u.a., Kommentar, BvL § 15, S. 582 f. Bis 1964 galt ein starres Umwandlungsprinzip von 1: 1; vgl. Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe, S. 781 (805). 273 Vgl. zum Folgenden Berg/BerggrenJMunck u.a., Kommentar, BvL § 15, S. 582 f.; Hoflund, Straff, S. 148 f.

H. Die Ersatzfreiheitsstrafe (förvandlingsstraffet)

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sungspraxis bei der Verhängung von kurzen Gefängnisstrafen angepaßt werden. Als allgemeine Richtlinie bei der Bemessung der Länge der Ersatzfreiheitsstrafe gilt, daß deren Höhe nicht so niedrig sein darf, daß der bezahlungsfördernde Effekt der Ersatzfreiheitsstrafe generell beeinträchtigt wird.

3. Das Verfahren Bevor die Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe umgewandelt wird, kann dem Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen ein Zahlungsaufschub gewährt werden, der mit einer Ratenzahlungsvereinbarung kombiniert werden kann274 • Erst als ultima ratio wird die Geldstrafe in einem neuen Gerichtsverfahren auf Antrag des Anklägers in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt275 . Die Ersatzfreiheitsstrafe wird wie eine normale Gefängnisstrafe vollzogen (§ 20 BvL i.V.m. § lAbs. 2 KvaL). Eine vorzeitige bedingte Entlassung ist nicht möglich (Kap. 26 § 6 Abs. 1 S. 2 BrB).

4. Zwischenbetrachtung Die gesetzliche Regelung stellt hohe Hürden auf dem Weg zur Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe auf. Zunächst müssen die sehr engen Voraussetzungen des § 15 BvL vorliegen. Auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist die Umwandlung in bestimmten Fällen unzulässig. Schließlich müssen vor der Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe Zahlungserleichterungen wie Zahlungsaufschub und Ratenzahlung in Betracht gezogen werden. 11. Die Praxis

In den Jahren 1980 bis 1982 wurden durchschnittlich nur 29 zu einer Ersatzfreiheitsstrafe Verurteilte pro Jahr in die Vollzugsanstalten aufgenommen 276 . Im gleichen Zeitraum betrug die durchschnittliche Zahl der pro Jahr verhängten 274Vgl. § 6 Abs. 2 BvL i.V.m. § 7 des Gesetzes über die Einziehung staatlicher Forderungen (lag om indrivning av statliga fordringar). 275Thornstedt, in: Lüttger (Hrsg.), Strafrechtsreform, S. 66 (81); Cornils, in: Jescheck, Freiheitsstrafe I, S. 781 (805 f.).

276Rättsstatistisk ärsbok 1993, S. 127; vgl. auch Jescheck, in: Festschrift für Thornstedt, S. 353 (367).

112

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

Geldstrafen 131.775. Nur bei einem verschwindend geringen Prozentsatz aller Verurteilungen zu Geldstrafe (0,02 %) wurde also eine Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt. Seit 1983 werden die Ersatzfreiheitsstrafen in den Statistiken nicht mehr unter einer eigenen Rubrik aufgeführt, sondern sind in den Angaben der Zahl aller Gefängnisstrafen enthalten, so daß die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen nicht mehr aus der Statistik abgelesen werden kann 277 . Da aber die Neuregelung der Ersatzfreiheitsstrafe im Jahre 1983 noch restriktiver war als die bis dahin geltende Regelung, kann angenommen werden, daß die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen nach 1983 weiter abgenommen hae 8. Iß. Die Diskussion um die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe

Die Ersatzfreiheitsstrafe war in Schweden seit jeher Gegenstand scharfer Kritik. Da der Sinn der Geldstrafe darin bestehe, die kurze Freiheitsstrafe zurückzudrängen, wird es als widersinnig angesehen, die Geldstrafe bei Uneinbringlichkeit in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln 279 • Diese Kritik führte zur Herausbildung der heutigen sehr restriktiven Regelung der Ersatzfreiheitsstrafe. Seit vielen Jahren wird darüber hinaus eine vollständige Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe diskutiert. J. Die herrschende Meinung

Die herrschende Meinung spricht sich gegen eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe aus 280 • Da gerade die Drohung der Ersatzfreiheitsstrafe bewirke, daß in den meisten Fällen die Geldstrafen bezahlt würden, müsse die Ersatzfreiheitsstrafe erhalten bleiben, auch wenn man die Verurteilten dadurch auf einem Umweg doch einem kurzzeitigen Anstaltsaufenthalt aussetze 281 .

277Rättsstatistisk ärsbok 1993, S. 127. 278 Nach unveröffentlichten Schätzungen wird heute pro Jahr in etwa zehn Fällen eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und in etwa zwei Fällen vollstreckt.

279Cornils, in: Jescheck, Freiheitsstrafe I, S. 781 (805). 280Svensson, NTfK 1983, 103 (112). 281Bishop, TfKV 1981:4, S. 28 (29).

H. Die Ersatzfreiheitsstrafe (förvandlingsstraffet)

113

Die Befürworter einer Abschaffung sind sich darüber einig, daß die Ersatzfreiheitsstrafe nur unter der Voraussetzung wegfallen könne, daß zugleich andere wirksame Mittel zur Durchsetzung von Geldstrafen eingeführt würden 282 . Umstritten ist jedoch, wie die Ersatzfreiheitsstrafe ersetzt werden kann. 2. Strafschärfung bei wiederholter Geldstrafendelinquenz

Teilweise wird vorgeschlagen, die Ersatzfreiheitsstrafe abzuschaffen und an ihrer Stelle eine Strafschärfung für die wiederholte Begehung von Geldstrafendelikten einzuführen 283 • Begeht ein zu mehreren nicht bezahlten Geldstrafen Verurteilter erneut eine Tat, so solle diese auch dann mit Gefängnisstrafe geahndet werden können, wenn die Strafskala des begangenen Deliktes nur die Geldstrafe vorsehe. Diesem Vorschlag wird überwiegend entgegengehalten, eine solche Regelung erfasse nicht diejenigen Geldstrafenschuldner, die die Vollstreckung der Geldstrafe bewußt boykottierten 284 . Auch könne eine Strafschärfungsregel nicht so ausgeformt werden, daß sie nur diejenigen treffe, die keinen akzeptablen Grund hätten, die Geldstrafe nicht zu bezahlen. 3. Erweiterung des Tatbestandes der Vollstreckungsvereitelung

Andere schlagen vor, im Falle einer Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe den Tatbestand der Vollstreckungsvereitelung auf vermögensmindernde Handlungen vor Rechtskraft der Verurteilung zu Geldstrafe zu erweitern 285 . Dadurch könnten Geldstrafenschuldner, die bezahlen können, sich der Vollstreckung aber entziehen, wegen Vollstreckungsvereitelung bestraft werden. Auch die Vertreter dieser Lösung gestehen aber ein, daß damit das Problem der Entstehung einer geldstrafenimmunen Gruppe, d.h. von Personen, die nicht bezahlen können und bei denen die Verhängung einer Geldstrafe daher keine Wirkung zeigt, ungelöst bleibe.

282Aspelin, NTfK 1973,53 (71). 283 prop. 284 yg l.

1976177:104, S. I ff.

zur Kritik SOU 1980:7, S. 9.

285 yg l. zum Folgenden SOU 1980:7, S. 9 ff.

8 Schaeferdiek

114

2. Kapitel: Die kurze Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht

4. Widerruf der Geldstrafe und Verhängung einer Gefängnisstrafe Nach einer anderen Auffassung soll die Geldstrafe, wenn sie nicht vollstreckt werden kann, widerrufen und eine Gefängnisstrafe verhängt werden können, falls der Geldstrafenschuldner die Vollstreckung der Geldstrafe vorsätzlich verhindert hat286 . An diesem Vorschlag wird kritisiert, er betreffe nur die Täter, die die Vollstreckung vorsätzlich zu verhindern versuchen 287 . Auch sei das Verhältnis des neuen Verfahrens zum Verfahren wegen Vollstreckungsvereitelung, das in solchen Fällen auch eingeleitet werden müsse, unklar und problematisch.

J. Zusammenfassung zum 2. Kapitel Die kurze Freiheitsstrafe nimmt im schwedischen Strafrecht und in der Sanktionspraxis eine zentrale Stellung ein. Das Gesetz eröffnet die Möglichkeit, aus generalpräventiven Gründen oder wegen eines Rückfalles eine kurze Gefängnisstrafe zu verhängen, obwohl angesichts der Schwere der Tat eine ambulante Sanktion ausreichen würde. Die Gerichte machen von dieser Möglichkeit in großem Umfang Gebrauch, wobei sie allerdings durchaus in jedem Einzelfall sorgfältig diejenigen Umstände prüfen, die gegen die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe sprechen. Gegen diese Gesetzeslage und Praxis erheben sich kritische Stimmen, die neuartige Alternativen zur kurzen Gefängnisstrafe vorschlagen oder fordern, daß die Bedeutung der Generalprävention bei der Strafzumessung eingeschränkt werden müsse. Dagegen wird die gezielte Verhängung kurzer Freiheitsstrafen anstelle längerer Gefängnisstrafen allgemein befürwortet. Der Vollzug der kurzen Gefängnisstrafen, bei denen nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafdauer eine bedingte Entlassung möglich ist, findet in der Regel in offenen Lokalanstalten statt. Infolge einer sehr restriktiven Regelung hat die Ersatzfreiheitsstrafe in Schweden praktisch keine Bedeutung.

286JuU

1977178:25, S. I ff.

287 yg l.

zur Kritik SOU 1980:7, S. 9.

3. Kapitel

Vergleich zwischen deutscher und schwedischer Regelung und Praxis der kurzen Freiheitsstrafe A. Vergleich der kriminalpolitischen Entwicklung Da die Regelungen der kurzen Freiheitsstrafe nur vor dem Hintergrund der vorherrschenden kriminalpolitischen Strömungen verständlich sind, soll zu Beginn des Vergleiches in groben Zügen die kriminalpolitische Entwicklung in Deutschland und in Schweden betrachtet werden I. Bis 1933 war die Kriminalpolitik in Deutschland vom sogenannten Schulenstreit geprägt, einer erbitterten politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der modernen Schule um Franz von Liszt und den konservativen Vertretern der klassischen Schule um Kar! Binding2 • Dagegen setzte sich in Schweden um die Jahrhundertwende die moderne Schule durch, ohne daß die klassische Strafrechtslehre je größere Bedeutung erlangt hätte3 . Während in der Folgezeit die Behandlungsideologie die schwedische Kriminalpolitik nahezu unangefochten bis zur Schaffung des Brottsbalk im Jahre 1962 dominierte, folgte man ihr in Deutschland nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges nicht4 • Aus dem Schulenstreit ging die auch heute noch herrschende Vereinigungstheorie hervor, die versucht, die herkömmlichen Strafzwecke Schuldausgleich, Generalprävention und Spezialprävention in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen5 . Die Strafe soll Schuld ausgleichen, daneben aber auch präventive Aufgaben erfüllen. Sie soll den Verurteilten bessern, von der Begehung weiterer Taten abschrecken oder, wenn bei des keinen Erfolg verspricht, von der Allgemeinheit absondern I Zur Geschichte der Freiheitsstrafe in Deutschland siehe die ausführliche Darstellung bei Kürzinger, in: leseheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1737 (1741 ff.).

2Siehe zum Folgenden leseheck, AT, S. 67 ff.; Schönke/Schröder - Stree, StGB, Yorbem. zu §§ 38 ff. Rn.1 ff.; Horn. in: EseriCornils, Tendenzen, S. 147 (148 ff.). 3yg l.

zum Folgenden oben 2. Kapitel I. Abschn.

41escheck, in: Festschrift für Thomstedt, S. 353 (358 f.). 5Lackner. 8*

StGB, § 46 Rn. 2.

116

3. Kapitel: Yergleich

(Spezialprävention). Zudem wird ihr Zweck darin gesehen, das Vertrauen in den Schutz der Strafrechtsordnung zu festigen (positive Generalprävention) sowie potentielle Täter von der Begehung von Taten dieser Art abschrecken (negative Generalprävention). Während der zunehmende Behandlungspessimismus in Schweden seit dem Anfang der siebziger Jahre zu einem radikalen Kurswandel und einer Hinwendung zum ,,Neoklassizismus" führte, behauptete sich in Deutschland die Vereinigungstheorie trotz der internationalen Krise der Kriminalpolitik infolge des Scheiterns der Behandlungsideologie und der zunehmenden Kriminalität6 • Zwar gab es auch in der deutschen Kriminalpolitik gewisse Pendelausschläge, weil die Richter in unterschiedlichem Maße individual- und generalpräventive Gesichtspunkte betonten7 . Diese fielen aber wesentlich schwächer aus, als dies in der schwedischen Kriminalpolitik mit ihren radikalen Kurswechseln der Fall war. B. Vergleich der Stellung und Bedeutung der Freiheitsstrafe im Gesamtsystem der strafrechtlichen Sanktionen Zunächst sollen die wichtigsten Unterschiede zwischen dem schwedischen und dem deutschen Sanktionensystem dargestellt werden. I. Der Autbau des Sanktionensystems

J. Ein- bzw. Zweispurigkeit

Das Sanktionensystem des Strafgesetzbuches ist zweispurig, da zwischen Strafen (§§ 38 ff. StGB) einerseits und Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) andererseits unterschieden wird. Während sich die Strafe als Reaktion auf die begangene schuldhafte Tat darstellt, werden die Maßregeln aus Anlaß der Tat zum Zwecke der Sicherung der Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern angeordnet8. Demgegenüber stehen im schwedischen Strafrecht alle Sanktionsformen unter dem Oberbegriff "Tatfolgen" gleichberechtigt ne-

6Jescheck, AT, S. 674. 7Horn , in:

Eser/Cornils, Tendenzen, S. 147 (148, 152 ff.).

8ygl. im einzelnen Schönke/Schröder - Stree, StGB, Yorbem. zu §§ 38 ff. Rn. 5 und Yorbem. zu §§ 61 ff. Rn. I ff.

B. Vergleich der Stellung der Freiheitsstrafe im Sanktionensystem

117

beneinander, ohne daß ein wesensmäßiger Unterschied zwischen Strafen und sonstigen Tatfolgen bestünde9 • Das schwedische Strafensystem ist daher als einspurig zu charakterisieren. 2. Die Freiheitsstrafe Die Einheitsfreiheitsstrafe hat sich in bei den Ländern durchgesetzt. Neben der Freiheitsstrafe nach dem Strafgesetzbuch sieht das deutsche Sanktionensystem zwei Sonderformen der Freiheitsstrafe für besondere Tätergruppen vor. Der Strafarrest (§§ 9 ff. WStG) ist eine militärische Strafe, die bei Straftaten von Soldaten für eine Dauer von zwei Wochen bis sechs Monaten verhängt werden kann. Die Jugendstrafe (§ 18 JGG) ist für Jugendliche und - bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen - für Heranwachsende vorgesehen und kann von sechs Monaten bis zu fünf Jahre, bei schwersten Verbrechen bis zu zehn Jahre andauern. Im Unterschied dazu enthält die schwedische Rechtsordnung kein besonderes Jugendstrafrecht, sondern sieht nur einzelne Sondervorschriften für Jugendliche vor. Die frühere Disziplinarstrafe für Soldaten als Sonderform der kurzen Gefängnisstrafe wurde 1987 abgeschafft. Die Dauer der zeitigen Freiheitsstrafe reicht nach dem Strafgesetzbuch von einem Monat bis zu fünfzehn Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB). In Schweden beträgt das Mindestmaß der Gefängnisstrafe vierzehn Tage und das Höchstmaß zehn Jahre, im Falle einer Gesamtstrafenbildung oder einer Rückfallverschärfung vierzehn Jahre. Das Höchstmaß der Freiheitsstrafe liegt also in Deutschland für den Fall, daß die Voraussetzungen von Gesamtstrafenbildung und Rückfallverschärfung nach dem Brottsbalk nicht vorliegen, wesentlich höher als in Schweden. 3. Die Geldstrafe In bei den Ländern gilt bei der Bemessung von Geldstrafen das Tagessatzsystem lO • In Deutschland können fünf bis 360 Tagessätze!! mit einer Höhe von

9 Vgl.

dazu näher oben 2. Kapitel 2. Abschn. A. V.

wIn Schweden besteht daneben auch die Möglichkeit, Festbetragsbußen und normierte Bußen zu verhängen; vgl. dazu oben 2. Kapitel 2. Abschn. A. 11.

118

3. Kapitel: Vergleich

zwei bis 10.000 DM verhängt werden (§ 40 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 StGB). Dagegen reicht die nach dem Brottsbalk mögliche Zahl der Tagessätze von 30 bis zu 150 Tagessätzen I2 , wobei die Höhe eines Tagessatzes 30 bis 1.000 Kronen betragen kann I3 . Es fallt auf, daß das Strafgesetzbuch wesentlich höhere Geldstrafen zuläßt. Dies betrifft sowohl die maximale Zahl der Tagessätze (360 gegenüber 150 in Schweden), als auch den Höchstbetrag eines Tagessatzes (10.000 DM gegenüber 1.000 Kronen)14.

4. Die Bewährungssanktionen Das schwedische Strafrecht sieht als Bewährungssanktionen die bedingte Verurteilung und die Schutzaufsicht vor, das Strafgesetzbuch die Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 56 ff. StGB). Bei der Strafaussetzung handelt es sich nach ihrer Funktion und Wirkung, wie bei den schwedischen Bewährungssanktionen, um eine strafrechtliche Sanktion eigener Art, die selbständig neben der Freiheitsstrafe steht l5 . Trotz gewisser Unterschiede überwiegen die Parallelen zwischen den schwedischen Bewährungssanktionen und der deutschen Aussetzung zur Bewährung, etwa hinsichtlich der Festsetzung einer Bewährungszeit, der Möglichkeit, Weisungen und Auflagen zu erlassen, und der Fol-

II Bei Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 2 StGB können bis zu 720 Tagessätze verhängt werden.

121m Falle der Bildung einer Gesamtstrafe gemäß Kap. 25 § 6 Abs. 2 BrB beträgt die Höchstzahl der Tagessätze 200. I3Einer deutschen Mark entsprechen etwa 4,50 schwedische Kronen. 14Kein nennenswerter Unterschied besteht hinsichtlich der Mindesthöhe der Geldstrafe. Zwar beträgt die Mindestzahl der Tagessätze im schwedischen Strafrecht 30 gegenüber fünf im deutschen Strafrecht. Jedoch werden die unter 30 Tagessätzen liegenden Geldstrafen in Schweden als Festbetragsbußen (penningsböter), d.h. als feste Summe von bis zu 2.000 Kronen, verhängt. 15Vgl. zur Begründung näher Jescheck, AT, S. 674; Kaiser, Kriminologie, S. 932; Kürzinger, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1737 (1868); Dreher, ZStW 65 (1953), 481 (493); ähnlich der Bundesgerichtshof (BGHSt 24, 43), der in der

Strafaussetzung zwar eine Modifikation der Strafvollstreckung sieht, ihr aber "Eigenständigkeit im Sinne einer besonderen ambulanten Behandlungsart" beimißt. Nach anderer Auffassung ist die Strafaussetzung dagegen nur eine unselbständige Modifikation der Freiheitsstrafe; vgl. etwa Schönke/Schröder - Stree, StGB, § 56 Rn. 4.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

119

gen von Pflichtverletzungen des Verurteilten. Ein wichtiger Unterschied besteht allerdings darin, daß die schwedischen Bewährungssanktionen mit Geldstrafe und im Falle der Schutzaufsicht auch mit einer kurzen Freiheitsstrafe verbunden werden können, während das deutsche Strafrecht keine Möglichkeit vorsieht, neben der Strafaussetzung zur Bewährung eine weitere Sanktion zu verhängen. 11. Die Stellung der Freiheitsstrafe

Innerhalb bei der Sanktionensysteme wird der Freiheitsstrafe eine ultima-ratioFunktion zugeschrieben, d.h. eine Freiheitsstrafe darf nur verhängt werden, wenn alle anderen Sanktionen nicht in Betracht kommen l6 . Die ultima-ratioFunktion wird in bei den Ländern mit den schädlichen entsozialisierenden Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe und ihrer zweifelhaften individual- und generalpräventiven Wirksamkeit begründet 17 • Das in Schweden weit verbreitete Argument, der Freiheitsentzug wiege um so schwerer, je höher der Wohlstand eines Landes sei, weswegen eine Freiheitsstrafe nur verhängt werden dürfe, wenn sie unumgänglich sei, wird in Deutschland nur von wenigen Autoren angeführt l8 . C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

Im folgenden werden die wichtigsten Regelungen des deutschen Strafrechts zur kurzen Freiheitsstrafe dargestellt (A. bis c.) und anschließend mit den schwedischen Regelungen verglichen (D). I. Von Liszts "Kreuzzug gegen die kurzzeitige Freiheitsstrafe"

Das Strafgesetzbuch von 1871 ermöglichte die uneingeschränkte Verhängung kurzer Freiheitsstrafen mit einer Mindestdauer von nur einem Tag sowohl in der

16 LK _ Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 2, S. 200; Jescheck, AT, S. 674 u. S. 678; Jung, in: Jung/Müller-Dietz, Langer Freiheitsentzug, S. 31 (33).

17 Jescheck,

AT, S. 674; Walter, Strafvollzug, S. 50 Rn. 40.

18 Vg l. Cornils, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe I, S. 781 (797); Weigend, JZ 1986, 260 (267). Weigend (a.a.O.) weist zudem darauf hin, daß die Sensibilität für staatliche Eingriffe in das empflindlicher gewordene Netz privater Sozialbeziehung gegenüber früheren Zeiten gewachsen sei.

120

3. Kapitel: Vergleich

Form des Gefängnisses als auch in Form der Haft l9 . In der Praxis erfreute sich die kurze Freiheitsstrafe größter Beliebtheit: 1886 beispielsweise wurden 42 % aller Verurteilten zu Gefängnisstrafe von weniger als einem Monat verurteilt20 . 80 % aller Freiheitsstrafen waren im gleichen Jahr solche mit einer Dauer unter drei Monaten. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Kritik an der kurzen Freiheitsstrafe immer lauter. Die Kritiker formierten sich bald zu einem von Franz von Liszt angeführten "Kreuzzug gegen die kurzzeitige Freiheitsstrafe", der auf ihre Abschaffung abzielte21 . Von Liszt verstand unter einer kurzen Freiheitsstrafe eine solche mit einer Dauer unter sechs Wochen, sah sich aber nur aufgrund fehlender praktischer Erfolgsaussichten daran gehindert, das geforderte Mindestmaß der Freiheitsstrafe höher anzusetzen. Auf der Grundlage der Lehre von der Spezialprävention kritisierte er, die kurzzeitige Freiheitsstrafe sei für eine nachhaltige Besserung des Gefangenen ungeeignet und erziele auch keinen abschreckenden Effekt. Sie bringe den Verurteilten dauerhaft auf die "Bahn des Verbrechens" und richte ihn sittlich zugrunde. Von Liszt faßte seine Beurteilung in dem Satz zusammen: "Die kurzzeitige Freiheitsstrafe ist nicht nur nutzlos: Sie schädigt die Rechtsordnung schwerer, als die völlige Straflosigkeit der Verbrecher es zu thun im stande wäre.,,22 Der Erfolg des "Kreuzzuges" stellte sich erst nach dem Tod von Liszts ein. 1921 wurde ein "Gesetz zur Erweiterung des Anwendungsgebietes der Geldstrafe und zur Einschränkung der kurzen Freiheitsstrafe" erlassen, demzufolge eine Freiheitsstrafe von weniger als drei Monaten nur noch verhängt werden durfte, wenn der Strafzweck durch eine Geldstrafe nicht erreicht werden konnte 23 . Das Gesetz führte zu einer deutlichen Abnahme der Zahl der kurzen Freiheitsstrafen 24 . Eine weitere wichtige Reform mit dem Zweck, die kurze Freiheitsstrafe zurückzudrängen, wurde 1953 durchgeführt, als die Möglichkeit,

19KürZinger, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1737 (1832). :oVon Liszt, ZStW 9 (1889), 737 (740).

21 Vgl. zum Folgenden von Liszt, ZStW 9 (1889), 737 (743 und 775 ff.); von Liszt, Lehrbuch, S. 81; Jescheck, in: Festschrift für Klug, S. 257 (264 f.). 22 Von

Liszt, ZStW 9 (1889), 737 (743).

23 Kürzinger,

in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1737 (1835).

24 1923 betrug der Anteil der kurzen Freiheitsstrafen an allen Verurteilungen nur noch 17%.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

121

Freiheitsstrafen bis zu neun Monaten zur Bewährung auszusetzen, in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde25 . 11. Die Vorarbeiten zur deutschen Strafrechtsreform in den SOer und 60er Jahren

Trotz der durchgeführten Reformen wurde nach wie vor eine sehr große Zahl kurzer Freiheitsstrafen verhängt. Vor 1969 lag der Anteil an allen Freiheitsstrafen über 80 % und mehr als die Hälfte aller kurzen Freiheitsstrafen hatten eine Dauer von weniger als einem Monae6 • Bei den Vorarbeiten zur Strafrechtsreform in den 50er und 60er Jahren herrschte weitgehend Einigkeit darüber, daß die kurze Freiheitsstrafe weiter zurückgedrängt werden müsse27 • In weIchem Ausmaß dies geschehen sollte, war jedoch sehr umstritten. Nach Auffassung der Großen Strafrechtskommission (1954 - 1959) war die kurze Freiheitsstrafe zur Sühne und Abschreckung in begrenztem Umfang nicht zu entbehren. Die Kommission schlug vor, die Strafhaft als eigenständige Sanktion mit einer Dauer von einer Woche bis sechs Monaten einzuführen und die Mindestdauer der Freiheitsstrafe auf einen oder sechs Monate anzuheben. Die Regierungsentwürfe E 1958, E 1960 und E 1962 schlossen sich dieser Auffassung an und schlugen die Einführung der Strafhaft und die gleichzeitige Anhebung des Mindestmaßes der Freiheitsstrafe auf einen Monat vor. Wesentlich radikaler war dagegen der von Strafrechtslehrern verfaßte Alternativ-Entwurf (AE) aus dem Jahre 1966. Ihm zufolge sollte die kurze Freiheitsstrafe gänzlich abgeschafft und das Mindestmaß der Freiheitsstrafe auf sechs Monate heraufgesetzt werden. Die bei den Strafrechtsreformgesetze aus dem Jahre 1969, die die noch heute geltende Regelung des § 47 StGB schufen, stellen einen Komprorniß zwischen den beschriebenen Positionen dar.

25 Kürzinger,

in: .leseheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1737 (1872).

26 Kürzinger,

in: .leseheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1737 (1837).

27 y gl. zum Folgenden Kürzinger, in: .leseheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1737 (1836 ff.).

3. Kapitel: Vergleich

122

III. Die heutige Regelung der kurzen Freiheitsstrafe im deutschen Strafrecht J. Die Dauer der Freiheitsstrafe

Nach § 38 Abs. 2 StGB beträgt das Mindestmaß der Freiheitsstrafe einen Monat. Diese Regelung gilt seit dem 1.1.1975, als das Strafminimum von einem Tag auf einen Monat angehoben und dadurch die sehr kurzen Freiheitsstrafen unter einem Monat abgeschafft wurden 28 . 2. Überblick über den Entscheidungsablauf bei der Strafzumessung

Die Entscheidung der Frage, ob eine kurze Freiheitsstrafe verhängt werden und weIche Höhe sie gegebenenfalls haben soll, ist in den §§ 46 und 47 StGB geregelt. Zum besseren Verständnis dieser Vorschriften folgt zunächst ein kurzer Überblick über den Entscheidungsablauf bei der Strafzumessung29 • Der Strafzumessungsakt zerfällt in drei Schritte: die Festlegung der Strafhöhe, die Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe sowie eventuelle Folgeentscheidungen 3o . a) Die Festlegung der Strafhöhe Bei der Festsetzung der Strafhöhe geht der Richter von der Strafskala des oder der verwirklichten Delikte aus 31 . Die Bestimmung der Höhe der Strafe innerhalb dieser oft sehr weiten Strafskala regelt § 46 StGB. Nach den Kriterien

28 LK

- Tröndle, StGB, Vor § 38 Rn. 24.

29 Der Begriff der Strafzumessung wird dabei in einem weiten Sinne verstanden und umfaßt die Ermittlung der Strafhöhe, die Bestimmung der Strafart und Folgeentscheidungen wie insbesondere die Strafaussetzung zur Bewährung. V gl. Jescheck, AT,

S.777.

30Siehe zum Folgenden Systematischer Kommentar - Horn, StGB, Vor § 46 Rn. 5 ff.

31Lackner, StGB, § 46 Rn. 6. Dabei sind auch benannte und unbenannte Strafschärfungen und Strafmilderungen sowie Regelbeispiele zu berücksichtigen; siehe Jescheck, AT, S. 778.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

123

dieser Vorschrift wird eine Strafhöhe festgesetzt, die in Wochen, Monaten oder Jahren ausgedrückt wird. b) Die Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe Liegt die Höhe der Strafe unter einem Monat, so kommt wegen § 38 Abs. 2 StGB nur die Verhängung einer Geldstrafe in Betracht, so daß sich die Frage der Bestimmung der Strafart nicht stellt. Beträgt die Strafhöhe weniger als sechs Monate, regelt § 47 StGB die Bestimmung der Strafart. Nach dieser Vorschrift darf nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen eine Freiheitsstrafe verhängt werden. Liegt die Strafhöhe im Bereich von sechs Monaten bis einem Jahr, so findet § 47 StGB keine Anwendung. Entscheidend ist in diesem Bereich, ob eine Geldstrafe unter Berücksichtigung spezial- und generalpräventiver Gesichtspunkte als Sanktion ausreicht32 . Bei einer Strafhöhe über einem Jahr schließlich kommt nur die Verhängung einer Freiheitsstrafe in Betracht, weil das Höchstmaß der Geldstrafe nach § 40 Abs. 1 StGB 360 Tagessätze beträgt33 . c) Die Folgeentscheidungen Hat sich der Richter für eine Geldstrafe entschieden, so muß er nach § 40 StGB die Höhe des einzelnen Tagessatzes festsetzen. Soll eine Freiheitsstrafe verhängt werden, muß nach § 56 StGB entschieden werden, ob diese zur Vollstreckung ausgesetzt werden soll. Im Falle der Aussetzung sind weitere Folgeentscheidungen, insbesondere über die Erteilung von Weisungen und Auflagen, zu treffen. Der geschilderte Ablauf der Strafzumessungsentscheidung wird vom Strafgesetzbuch zwingend vorgegeben, weil die Vorschriften, die die Bestimmung der

32Systematischer Kommentar - Horn, StGB, Vor § 46 Rn. 22; § 47 Rn. 7. 33Kommt wegen der Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 54 Abs. 2 StGB eine Geldstrafe von bis zu 720 Tagessätzen in Betracht, so richtet sich die Sanktionswahl nach den für den Bereich von sechs Monaten bis einem Jahr genannten Kriterien.

124

3. Kapitel: Vergleich

Strafart regeln (§§ 47, 56 StGB), zwischen verschiedenen Strafhöhen differenzieren und daher die vorherige Bestimmung der Strafhöhe voraussetzen 34 . Im folgenden werden die Teile der beschriebenen Strafzumessungsregelung, die für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen relevant sind, einer genauen Analyse unterzogen. 3. Die Festlegung der Strafhähe

a) Die Strafrahmen Da das Gericht zur Bestimmung der Strafhöhe bei den Strafskalen der verwirklichten Tatbestände ansetzt, interessiert zunächst, in weIchem Umfang die Bestimmungen des Strafgesetzbuches und des Nebenstrafrechts die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen zulassen. Bei etwa einem Drittel aller Delikte liegt die Mindestdauer der angedrohten Freiheitsstrafe bei sechs Monaten oder darüber, so daß kurze Freiheitsstrafen nicht in Betracht kommen. Da das deutsche Strafrecht keine Tatbestände mit Strafskalen enthält, die nur eine Geldstrafe vorsehen, wird die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen bei allen anderen Delikten auf dieser ersten Stufe des Strafzumessungsaktes nicht weiter eingeschränkt. Bei 80 % aller Delikte, bei denen die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen möglich ist, ist auch die Geldstrafe als mögliche Sanktion vorgesehen. b) § 46 StGB § 46 StGB bestimmt die Kriterien, nach denen der Richter entscheidet, ob eine Tat dem Strafhöhenbereich von einem bis weniger als sechs Monaten Freiheitsstrafe zuzuordnen ist. Die herrschende Meinung ermittelt die Strafhöhe im Rahmen des § 46 StGB nach der Spielraum- oder Rahmentheorie35 . Die Strafhöhe wird in einem ersten Schritt nur nach der Schuld bestimmt, wobei der Richter noch keinen genauen Wert für die Strafhöhe, sondern einen "Schuldrahmen" erhält , der "nach unten durch die schon angemessene und nach oben durch die noch angemessene Strafe begrenzt" wird 36 . In einem zwei-

34Systematischer Kommentar - Horn, StGB, § 46 Rn. 3. 35BGHSt 20, 264 (266 f.); BGHSt 7,86 (89). 36 Maurach/GösseliZipj,

AT 2, § 63 Rn. 14.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

125

ten Schritt wird dann aufgrund einer Abwägung zwischen spezialpräventiven und generalpräventiven37 Gesichtspunkten innerhalb dieses Rahmens die genaue Strafhöhe bestimmt38 .

§ 46 Abs. 2 S. 2 StGB enthält eine Auflistung von Strafzumessungstatsachen, die bei der Bestimmung der Strafhöhe von Bedeutung sein können.

aa) Die Bestimmung des "Schuldrahmens" Schuld im Sinne von § 46 Abs. 1 StGB ist "das verschuldete Unrecht in seiner Gesamtheit,,39. Sie umfaßt den Unrechts- und den Schuldgehalt der Tat4o . (1) Der Unrechtsgehalt der Tat Der Unrechtsgehalt der Tat ist gleichbedeutend mit dem Gewicht der Rechtsverletzung. Er hängt von der Schädlichkeit des Verhaltens 41 und der Art und Weise der Ausführung der Tat ab. (2) Der Schuldgehalt der Tat Der Schuldgehalt der Tat beschreibt die Schwere des Vorwurfes, der dem Täter wegen der Tat gemacht werden muß. Er ist unter anderem abhängig von den Beweggründen und Zielen des Täters, der in der Tat zum Ausdruck kommenden Gesinnung des Täters, dem Maß der Pflichtwidrigkeit und den persön37S0 die Rechtsprechung entgegen der h.L; siehe unten 2.b. 38Nach einer anderen Auffassung (Strafzumessung als sozialer Gestaltungsakt) ermittelt der Richter die nach seiner Auffassung schuldangemessene Strafe (Punktstrafe) und modifiziert diese zugunsten der anderen Strafzwecke; siehe dazu Jescheck, AT, S. 786. Die Stellenwert- oder Stufentheorie bestimmt die Strafhöhe ausschließlich nach der Schuld und will erst bei den weiteren Entscheidungen (Strafart, Strafaussetzung) spezialpräventive Gesichtspunkte berücksichtigen; vgl. Systematischer Kommentar Horn, StGB, § 46 Rn. 33 ff. 39Jescheck, AT, S. 787. 40Vgl.

zum Folgenden Jescheck, AT, S. 792 ff.

41 Die Schädlichkeit des Verhaltens ist von der Höhe und Qualität des angerichteten Schadens bzw. dem Grad der Gefährdung des geschützten Handlungsobjektes (bei Versuch und Gefährdungsdelikten) abhängig.

126

3. Kapitel: Vergleich

lichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters. Auch Vorstrafen können bei der Bestimmung des Schuldgehaltes schulderhöhend zu berücksichtigen sein, wenn dem Täter bereits bei der Vorverurteilung die Verwerflichkeit von Taten dieser Art klargemacht worden ist und er daher bei Begehung der abzuurteilenden Tat größere Hemmungen hat überwinden müssen, als dies bei einem Ersttäter der Fall ist42 . Voraussetzung für die Annahme einer solchen höheren Hemmschwelle ist ein "gewisser Zusammenhang" der Vorverurteilung mit der konkret abzuurteilenden Tat, der insbesondere bei gleichartiger Delinquenz gegeben ist. (3) Die Einordnung der konkreten Tat in den Strafrahmen Nachdem der Richter die für die Schuld maßgeblichen Umstände gesammelt hat, muß er das Maß der Schuld quantifizieren. Bezugspunkt ist dabei der "Regel fall" des betreffenden Deliktes, d.h. der Fall, der erfahrungsgemäß am häufigsten vorkommt43 • Wegen des verhältnismäßig geringen Schweregrades der meisten Fälle liegt das Maß der Strafzumessungsschuld des Regelfalles im unteren Drittel des gesetzlichen Strafrahmens. Der Richter setzt den zur Entscheidung anstehenden Fall in Bezug zum Regelfall und bestimmt auf diese Weise einen Schuldrahmen, innerhalb dessen sich die zu verhängende Strafe bewegen muß.

bb) Die Bestimmung der genauen Strajhöhe (1) Berücksichtigung spezialpräventiver Gesichtspunkte Bei der Bestimmung der genauen Strafhöhe ist der Strafzweck der Spezialprävention mit den Elementen Resozialisierung, individuelle Abschreckung und Sicherung der Gesellschaft zu berücksichtigen44. Spezial präventive Ge-

42Jescheck, AT, S. 797; Bruns, Strafzumessung, S. 223 ff.; zu den Voraussetzungen im einzelnen Systematischer Kommentar - Horn, StGB, § 46 Rn. 124 ff. 43 Vg l. zum Folgenden Systematischer Kommentar - Horn, StGB, § 46 Rn. 87 ff.; Lackner, StGB, § 46 Rn. 48 f. 44 Die h.M. liest den Strafzweck der Spezialprävention in § 46 Abs. I S. 2 StGB hinein, obwohl die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur die Berücksichtigung der Wirkungen der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft verlangt.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

127

sichtspunkte können aber keine Über- oder Unterschreitung des von der Schuld vorgegebenen Rahmens rechtfertigen 45 • Unter dem Aspekt der Resozialisierung kann die Erforderlichkeit einer längeren erzieherischen Beeinflussung des Täters ebenso berücksichtigt werden wie der Umstand, daß eine der Schuld voll entsprechende Strafe die Wiedereingliederung des Täters vereiteln oder unangemessen erschweren würde46 • Bei nicht resozialisierungsbedürftigen Tätern ist beachtlich, wenn eine der Schuld voll entsprechende Strafe den Täter aus der sozialen Ordnung herausreißen würde. Straferhöhend kann des weiteren ins Gewicht fallen, daß der Täter von der Begehung von Straftaten für die Zukunft abgeschreckt werden muß (individuelle Abschreckung). Denkbar ist schließlich, daß die Gefährlichkeit des Täters dessen zeitweilige Absonderung von der Allgemeinheit erfordert (Sicherung der Gesellschaft). (2) Berücksichtigung der negativen Generalprävention als Strafhöhenkriterium? Sehr umstritten ist, ob die negative Generalprävention bei der Bestimmung der Strafhöhe als Kriterium herangezogen werden darf, ob also eine Straferhöhung mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden kann, potentielle Täter von der Begehung ähnlicher Taten abzuschrecken 47 . Die Rechtsprechung bejaht dies grundsätzlich, macht aber zwei wesentliche Einschränkungen. Um eine floskelhafte Berufung auf generalpräventive Be-

45 0b das Maß der Schuld aus spezialpräventiven Gründen unterschritten werden darf, ist umstritten, wird aber von der h.M. verneint; siehe leseheck, in: Festschrift für Klug, S. 257 (268). 46 Vgl.

zum Folgenden Systematischer Kommentar - Horn, StGB, § 46 Rn. 16 ff.

47 Die positive Generalprävention ist nach allgemeiner Ansicht kein taugliches Strafhöhenkriterium, weil sie kein Maß für die im Einzelfall zu verhängende Strafe liefert. Nach Auffassung ihrer Anhänger läßt sich zwar ein Rahmen angeben, der von der schon ernstzunehmenden Reaktion bis zur noch nicht übertrieben scharfen Reaktion reicht. Sie gelangen damit, wenn auch mit einer anderen Begründung als die h.M., ebenfalls zu einem Rahmen, innerhalb dessen sich die angemessene Strafe bewegt. Für die genaue Bestimmung der Strafhöhe innerhalb des vorgegebenen Rahmens, um die es in diesem Zusammenhang geht, können die Kriterien der positiven Generalprävention aber auch nach Auffassung ihrer Vertreter nicht herangezogen werden; vgl. im einzelnen Systematischer Kommentar - Horn, StGB, § 46 Rn. 10.

128

3. Kapitel: Vergleich

dürfnisse zu vermeiden, verlangt der Bundesgerichtshof den Nachweis einer "gemeinschaftsgefährliche[n] Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen,,48. Nicht ausreichend sei der bloße allgemeine Hinweis auf die Häufigkeit von Straftaten oder die Feststellung deutlich zunehmender Kriminalität in einem andersgearteten Bereich. Zudem betont die Rechtsprechung die Gefahr, bei der Berufung auf die Generalprävention gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB zu verstoßen. Nach dieser Vorschrift dürfen Umstände, die schon Tatbestandsmerkmale sind, bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden. Das Verbot der Doppelverwertung gilt nicht nur für Tatbestandsmerkmale, sondern auch für die Berücksichtigung der gesetzgeberischen Intention eines Tatbestandes insgesamt49 . Da schon der Gesetzgeber bei der Festlegung eines bestimmten Strafrahmens für bestimmte Tatbestände Allgemeinabschreckung verfolgt hat, liegt ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot vor, wenn die straferhähend herangezogenen generalpräventiven Bedürfnisse nicht über die vom Gesetzgeber verfolgten generalpräventiven Zwecke hinausgehen 50 . Beispielsweise ist es unzulässig, bei der Trunkenheit im Verkehr straferhähend zu berücksichtigen, daß der Straßenverkehr durch fahruntaugliche Fahrer erheblich gefährdet wird 5 !. Die herrschende Lehre steht dagegen der Berücksichtigung generalpräventiver Bedürfnisse sehr zurückhaltend gegenüber oder lehnt sie gänzlich ab 52 . Zur Begründung wird auf die unsichere empirische Grundlage der Generalprävention verwiesen 53 und betont, der Täter dürfe nicht zur Erreichung eines Zweckes benutzt werden, der mit ihm und seiner Tat nichts zu tun habe 54 .

48 BGH NStZ 1986,358; BGHSt 17,321 (324); siehe auch Bruns, Strafzumessung, S. 97 ff. 49Schönke/Schröder - Stree, StGB, § 46 Rn. 45. 50BGHSt 17,321 (324); Systematischer Kommentar - Horn, StGB, § 46 Rn. 15. S! Schönke/Schröder

_ Stree, StGB, § 46 Rn. 45.

52MaurachlGössellZipf, AT 2, § 63 Rn. 90 ff.; Roxin, in: Festschrift für BTUns, S. 183 (195 ff.). 530azu ausführlich MaurachlGössellZipf, AT 2, § 63 Rn. 90 ff.

54Lackner, StGB, § 46 Rn. 29.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

129

4. Die Regelung des § 47 StGB

Legt das Gericht die Strafhöhe im Bereich von einem Monat bis weniger als sechs Monate fest, so richtet sich die Entscheidung zwischen Geld- und Freiheitsstrafe nach § 47 StGB 55 . a) Die Ratio der Vorschrift Mit der Schaffung des § 47 StGB verfolgte der Gesetzgeber die Absicht, kurze Freiheitsstrafen zugunsten der Geldstrafe weitgehend zurückzudrängen 56 . Diese Absicht beruht auf der Überzeugung, die kurze Freiheitsstrafe sei im Vergleich zu anderen Sanktionen in besonderer Weise schädlich. Sie sei zu kurz, um den Gefangenen positiv zu beeinflussen, aber lang genug, um seine sozialen und beruflichen Bindungen zu beeinträchtigen und ihn mit anderen Kriminellen in Kontakt zu bringen. Da der Gesetzgeber die kurze Freiheitsstrafe in Ausnahmefällen aber doch für unentbehrlich hielt, entschied er sich gegen die vom Alternativ-Entwurf geforderte Abschaffung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten. b) Die Regelung im einzelnen § 47 Abs. 1 StGB schränkt den Anwendungsbereich der strafe ein, indem er ihre Verhängung von besonderen, engen abhängig macht. Diese Voraussetzungen müssen unabhängig ob eine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht kommt57 .

kurzen FreiheitsVoraussetzungen davon vorliegen, § 47 StGB regelt

55 Für Straftaten von Soldaten gelten die Spezialvorschriften der §§ 10, 12 WStG. Gemäß § 10 WStG darf eine Geldstrafe nicht verhängt werden, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung von Freiheitsstrafe zur Wahrung der Disziplin erfordern. In solchen Fällen ist nach § 12 WStG auf Strafarrest zu erkennen, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten nicht in Betracht kommt. 56 Vg l. zum Folgenden LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 2, S. 200; Lackner, StGB, § 47 Rn. I; Dreherffrändle, StGB, § 47 Rn. I; Dünnebier, JR 1970,24 I (245 0. 57 Lackner, StGB, § 47 Rn. I; a.A. Systematischer Kommentar - Horn, StGB, § 47 Rn. I I ff.

9 Schaeferdiek

130

3. Kapitel: Vergleich

also die Entscheidung zwischen der Geldstrafe einerseits und einer - vollstreckten oder ausgesetzten - Freiheitsstrafe unter sechs Monaten andererseits. Ob die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, ist erst in einem zweiten Schritt zu entscheiden58 • § 47 Abs. 2 StGB erweitert den Anwendungsbereich der Geldstrafe. Um zu vermeiden, daß in Fällen, in denen eine kurze Freiheitsstrafe wegen Fehlens der Voraussetzungen von § 47 Abs. 1 StGB nicht verhängt werden darf und in denen die Strafskala des verwirklichten Tatbestandes die Geldstrafe nicht vorsieht, keine Sanktion verhängt werden kann, ordnet § 47 Abs. 2 StGB für solche Fälle die Möglichkeit an, auf eine Geldstrafe zu erkennen 59 .

§ 47 StGB findet nur auf Freiheitsstrafen im Sinne von § 38 StGB Anwendung, nicht dagegen auf Jugendstrafen nach dem Jugendgerichtsgesetz und Strafarrest nach dem Wehrstrafgesetz6o . aa) Die erste Alternative

Nach § 47 Abs. I I. Alt. StGB darf eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt werden, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, dies zur Einwirkung auf den Täter unerläßlich machen. (1) Besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters

Besondere Umstände sind solche, die von den durchschnittlichen, gewöhnlich vorkommenden Taten gleicher Art erheblich abweichen 61 . Besondere Umstände

58 Eine gewisse Durchbrechung dieses Grundsatzes gilt bei der ersten Alternative des § 47 StGB; siehe unten Fn. 391. 59 Bei den Normen, die Freiheitsstrafe ohne ein besonderes Mindestmaß androhen, tritt allerdings bereits nach Art. 12 Abs. I EGStGB die wahlweise Androhung der Geldstrafe neben die Freiheitsstrafe, so daß § 47 Abs. 2 StGB in diesen Fällen keine Anwendung findet; vgl. zu § 47 Abs. 2 StGB ausführlich LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 7, S. 201. 60 Kürzinger, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe III, S. 1829 f.; DreherITrändle, StGB, § 47 Rn. I. Für die Jugendstrafe folgt dies schon daraus, daß das Mindestmaß der Jugendstrafe sechs Monate beträgt. 61 Lackner, StGB, § 47 Rn. 2; Kürzinger, in: Jescheck (Hrsg.), Freiheitsstrafe 1II, S. 1830 f.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

131

in der Tat betreffen die Art der Tatausführung, besonders schwere verschuldete Folgen der Tat oder das Maß der Pflichtwidrigkeit62 . Besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters können in bestimmten Eigenschaften (z.B. kriminellen Neigungen) oder Verhältnissen beim Täter (z.B. seinem Verhalten vor und nach der Tat) liegen, die einen Unterschied gegenüber dem durchschnittlichen Täter solcher Taten begründen63 . Auch Vorstrafen können, insbesondere bei mehrfachem Rückfall, als besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters zu werten sein64 • Zu beachten ist jedoch, daß auch bei mehrfachem Rückfall stets im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine kurze Freiheitsstrafe unerläßlich ist. Gute Vermögensverhältnisse des Täters sind dagegen nach überwiegender Auffassung unbeachtlich und können nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe mit der Begründung rechtfertigen, eine Geldstrafe verfehle bei einem vermögenden Täter ihre Wirkung 65 . Zur Begründung wird angeführt, der Strafzweck der Geldstrafe könne schon durch die mit ihrer Verhängung verbundene Warnung erreicht werden, so daß es auf die Wirkung der Vollstreckung nicht immer notwendig ankomme. Außerdem würden gute Vermögensverhältnisse bei der Festsetzung der Höhe des Tagessatzes berücksichtigt. Besonders hervorzuheben ist, daß die beschriebenen besonderen Umstände bei allen Delikten erforderlich sind66 . Es gibt also keine Delikte, bei denen im Durchschnittsfall regelmäßig eine kurze Freiheitsstrafe zu verhängen ist. Insbesondere ist die Geldstrafe auch bei der Trunkenheit im Straßenverkehr die Regel strafe, so daß für die Verhängung einer Freiheitsstrafe besondere Umstände erforderlich sind67 .

62LK _ Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 10, S. 202.

63Lackner, StGB, § 47 Rn. 2; LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 27, S. 206. 64 LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 18, S. 204; Lackner, StGB, § 47 Rn. 6; DreherlTrändle, StGB, § 47 Rn. 9.

65Vg l. zum Folgenden BGH MDR 1978,985 (986); BGHSt 3, 259 ff.; Bay ObLG NJW 1964,2120 (2121); LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 23 f., S. 205 f.; a.A. die Vertreter des "short sharp shock"; s.u. E. I. 2. 66BGHSt 24, 40 (46); LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 9, S. 201; Lackner, StGB, § 47

Rn. 1.

67BGHSt 24, 64 (67); LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 18, S. 204. 9"

132

3. Kapitel: Vergleich

(2) Einwirkung auf den Täter Der Begriff der Einwirkung ermöglicht die Berücksichtigung spezialpräventiver Gründe, meint aber nicht etwa die konkrete Behandlung im Strafvollzug, weil § 47 StGB ja gerade auf dem Gedanken beruht, daß eine Behandlung wegen der Kürze der Strafe keine Erfolgsaussicht habe68 . Die Einwirkung auf den Täter kann in der Schockwirkung der Freiheitsstrafe durch die Verhängung der schwersten Strafart bestehen; daneben kann aber auch durch die Strafaussetzung und die mit ihr verbundenen Bewährungsmaßnahmen auf den Täter eingewirkt werden 69 . (3) Unerläßlichkeit Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten muß zur Einwirkung auf den Täter unerläßlich sein. Dies setzt voraus, daß sie zur Einwirkung geeignet ist, d.h. es muß ernsthaft zu besorgen sein, daß der Täter ohne die Verhängung einer Freiheitsstrafe weitere Straftaten begehen würde und es muß eine positive Wirkung der Freiheitsstrafe beim Täter wahrscheinlich sein70 . Des weiteren ist Voraussetzung, daß andere schuldangemessene Reaktionen (v.a. eine hohe Geldstrafe) nicht ausreichen, um die erforderliche Einwirkung auf den Täter zu erzielen71. Die Unerläßlichkeit muß zur Überzeugung des Gerichtes feststehen 72 •

68Siehe zum Folgenden Lackner, StGB, § 47 Rn. 3; DreherlTröndle, StGB, § 47 Rn. 4; leseheck, AT, § 72 III. 1., S. 693. 69Insoweit muß der Richter sich also schon bei der Entscheidung, ob die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter unerläßlich ist, darüber klar werden, ob er die Strafe zur Bewährung aussetzen oder vollstrecken lassen will; vgl. Schönke/Schröder - Stree, StGB, § 47 Rn. 13. 70LK

- Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 15, S. 203.

71 Lackner, StGB, § 47 Rn. 6. Dabei genügt es, wenn erst die Umstände in Tat und Persönlichkeit zusammen die Freiheitsstrafe unerläßlich machen; vgl. Lackner, StGB, § 47 Rn. 2.

72 LK

- Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 13, S. 203.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

133

bb) Die zweite Alternative § 47 Abs. 1 StGB ermöglicht in seiner zweiten Alternative die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten, wenn diese aufgrund besonderer Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich ist. (1) Besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters

Hinsichtlich der erforderlichen besonderen Umstände kann auf die Darstellung bei der ersten Alternative verwiesen werden. (2) Unerläßlichkeit zur Verteidigung der Rechtsordnung Die "Verteidigung der Rechtsordnung" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Bedeutung bei seiner Aufnahme in das Strafgesetzbuch keineswegs feststand 73 . Der Gesetzgeber hat durch die Verwendung dieses Begriffes die Entscheidung über den Anwendungsbereich der zweiten Alternative weitgehend auf die Gerichte abgewälzt74 . Der Begriff meint unbestritten nicht die Verteidigung der Rechtsordnung durch spezial präventive Einwirkung auf den Täter, da diese bereits von der ersten Alternative erfaßt wird 75 . Auch ist unstreitig, daß bei der Subsumtion keine Abwägung aller Strafzwecke vorgenommen werden so1l76. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung ist der Begriff betont restriktiv auszulegen und bezieht sich zum einen auf den Strafzweck der positiven Generalprävention, d.h. die Funktion der Strafe, die Stärke der Rechtsordnung vor der Rechtsgemeinschaft zu erweisen, indem das Recht gegenüber dem vom Tä-

73BGHSt 24, 40 (41 f.); Koch, NJW 1970, 842. 74LK _ Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 28, S. 207 f. 75Lackner, StGB, § 47 Rn. 4; Koch, NJW 1970, 842.

76BGHSt 24, 40 (44); Jescheck, AT, S. 756.

134

3. Kapitel: Vergleich

ter begangenen Unrecht durchgesetzt wird 77 • Zum anderen sieht die Rechtsprechung die negative Generalprävention, also die Vorbeugung vor künftigen ähnlichen Rechtsverletzungen potentieller Täter, als einen weiteren von dem Begriff der Verteidigung der Rechtsordnung erfaßten Zweck die negative Generalprävention an 7S . Unerläßlich zur Verteidigung der Rechtsordnung ist eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten dann, wenn bei einem Verzicht auf sie "eine ernstliche Gefährdung der rechtlichen Gesinnung der Bevölkerung als Folge schwindenden Vertrauens in die Funktion der Rechtspflege zu besorgen wäre,,79. Eine solche Gefährdung ist gegeben, wenn die Verhängung einer anderen Sanktion, insbesondere einer Geldstrafe, "angesichts der außergewöhnlichen konkreten Fallgestaltung als ungerechtfertigte Nachgiebigkeit und unsicheres Zurückweichen vor dem Verbrechen verstanden werden könnte". Diese Definition der Unerläßlichkeit bezieht sich unmittelbar nur auf den Strafzweck der positiven Generalprävention, wird aber in gleicher Weise auch herangezogen, wenn der Strafzweck der negativen Generalprävention verfolgt wird. Es genügt also nicht, daß der Richter ein Bedürfnis nach Abschreckung sieht, zum Beispiel, weil die Tat einen ,,Nachahmungseffekt" bei potentiellen Tätern zur Folge haben kannso. Hinzukommen muß, daß eine Freiheitsstrafe in so starkem Maße geboten ist, daß ohne sie die Rechtstreue der Bevölkerung erschüttert würdesI. Die negative Generalprävention hat daher im Rahmen der zweiten Alternative des § 47 StGB keine selbständige Bedeutung, da stets erforderlich ist, daß der Strafzweck der positiven Generalprävention die Verhängung einer Freiheitsstrafe unerläßlich macht.

77BGHSt 24, 40 (44); OLG Stuttgart, NJW 1971,629 (630); LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 28, S. 207; Bruns, Strafzumessung, S. 114 ff.; lescheck, AT, S. 755. 7SVg l. etwa BGH NStZ 1985, 165 (166); DreherITröndle, StGB, § 47 Rn. 5. Nach anderer Auffassung bezieht sich die Verteidigung der Rechtsordnung dagegen nur auf den Strafzweck der positiven Generalprävention und bedeutet nicht die Abschreckung potentieller Täter; siehe LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 28, S. 207; Koch, NJW 1970, 842. 79Siehe zum Folgenden BGHSt 24, 40 (44 ff.). sOBGH NStZ 1985, 165 (166). SI Schönke/Schröder - Stree, StGB, Vor §§ 38 ff. Rn. 20.

c. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

135

Eine Freiheitsstrafe kann unter dem Gesichtspunkt der positiven Generalprävention beispielsweise unerläßlich sein82 , wenn der Täter aus ungewöhnlicher Rechtsfeindschaft, Rücksichtslosigkeit oder Brutalität gehandelt hat oder die Straftat geeignet ist, die Rechtsgemeinschaft in Mißkredit zu bringen (z.B. Verwüstung jüdischer Friedhöfe). Wichtig ist, daß der Anstieg einer Deliktsart für sich allein nicht genügt, um ein Bedürfnis zur Verteidigung der Rechtsordnung zu begründen. Zusätzlich ist erforderlich, daß die Tat Ausdruck einer in der Bevölkerung verbreiteten Einstellung ist, die die verletzte Norm nicht ernst nirnmt83 oder daß wegen der Häufung der Delikte einer bestimmten Art (z.B. Rockerdelikte) in der Bevölkerung Unruhe und Unsicherheit entstanden ist. Auch die Schwere der Schuld oder der Tatfolgen reicht für sich allein nicht aus, um eine Freiheitsstrafe zu rechtfertigen 84 . Die Schwere der Schuld kann aber mittelbar bei der Frage von Bedeutung sein, ob eine Geldstrafe von der Bevölkerung als eine unangemessen milde Sanktion aufgefaßt werden würde und daher die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich ist85 . cc) Das Verhältnis zwischen § 47 StGB und der ultima-ratio-Funktion der Freiheitsstrafe Abschließend soll das Verhältnis des § 47 StGB zur ultima-ratio-Funktion, die allen Freiheitsstrafen zugeschrieben wird, verdeutlicht werden. Die ultimaratio-Funktion besagt, daß eine Freiheitsstrafe verhängt werden darf, wenn dies angesichts der Schwere der Tat und unter Berücksichtigung spezial- und generalpräventiver Gesichtspunkte erforderlich ist. Während dabei alle anerkannten Strafzwecke die Entscheidung für eine Freiheitsstrafe rechtfertigen können, schränkt § 47 StGB die bei der Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten zu berücksichtigenden Strafzwecke auf die Spezialprävention und die positive Generalprävention ein 86 . 82Vgl. zum Folgenden BGHSt 24, 40 (47); LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 29, S. 207; Lackner, StGB, § 47 Rn. 5. 83BGHSt 24,64 (66 ff.); BGHSt 24, 40 (47). 84BGHSt 24, 40 (44); Dreher/Fröndle, StGB, § 47 Rn. 6. 85LK - Gribbohm, StGB, § 47 Rn. 31, S. 208. 86Dreher/Fröndle (StGB, § 47 Rn. 7) sieht einen weiteren Unterschied darin, daß nach der ultima-ratio-Funktion Freiheitsstrafen von sechs Monaten und mehr nur verhängt werden dürften, wenn sie "erforderlich" sind, während Freiheitsstrafen unter

136

3. Kapitel: Vergleich

5. Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung Hält das Gericht die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nach § 47 StGB für unerläßlich, muß anschließend entschieden werden, ob die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Wird die Aussetzung abgelehnt, so verhängt das Gericht eine kurze Freiheitsstrafe im hier verstandenen Sinne. Wird die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, muß das Gericht eine Bewährungszeit bestimmen und kann Auflagen, Weisungen und Bewährungshilfe anordnen (§§ 56a - d StGB). Die Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung ist in § 56 StGB geregelt. Die Vorschrift unterscheidet zwischen drei Fallgruppen je nach der Höhe der Freiheitsstrafe, wobei sich die hier allein interessierende Regelung für Freiheitsstrafen unter sechs Monaten in § 56 Abs. I StGB findet. Danach wird die Freiheitsstrafe zur Vollstreckung ausgesetzt, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird. Diese soziale Prognose erfolgt aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände, bei der gemäß § 56 Abs. I S. 2 StGB vor allem die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben (z.B. Vorstrafen), sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse (z.B. berufliche und familiäre Situation), die Umstände der Tat und die zu erwartenden Wirkungen der Aussetzung zu berücksichtigen sind. Bei einer günstigen Sozialprognose ist die Aussetzung der Freiheitsstrafe unter sechs Monaten zwingend vorgeschrieben. Sie kann also nicht unter Berufung auf generalpräventive Gesichtspunkte (insbesondere auf die Verteidigung der Rechtsordnung 87 ) oder auf die Schwere der Tat verweigert werden 88 . Ebensowenig spielt die Art des verwirklichten Deliktes eine Rolle. Es ist unzulässig,

sechs Monaten "unerläßlich" sein müssen, da sie "grundsätzlich unerwünscht" seien. Dies ist jedoch kein über die Einschränkung der Strafzwecke hinausgehender Unterschied: Erforderlichkeit und Unerläßlichkeit sind Synonyme und die Urierwünschtheit der kurzen Freiheitsstrafe zeigt sich gerade darin, daß ihre Verhängung nicht mit den Strafzwecken des Schuldausgleiches und der negativen Oeneralprävention gerechtfertigt werden kann. 87Mit der Begründung, die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete die Vollstreckung, kann die Aussetzung, wie sich aus § 56 Abs. 3 StOB ergibt nur bei Freiheitsstrafen mit einer Dauer von mindestens sechs Monaten abgelehnt werden. 88Systematischer Kommentar - Horn, StOB. Vor § 46 Rn. 29; leseheck, AT, S. 754.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

137

bestimmte Deliktsgruppen, wie etwa die Trunkenheit am Steuer, regelmäßig von der Strafaussetzung auszuschließen 89 . IV. Vergleich der Regelungen

J. Die Geschichte der kurzen Freiheitsstrafe

In beiden Ländern eröffnete das jeweilige Strafgesetz am Anfang dieses Jahrhunderts uneingeschränkt die Möglichkeit, kurze Freiheitsstrafen zu verhängen. Während die Mindestdauer in Schweden einen Monat betrug, konnten in Deutschland sogar Freiheitsstrafen mit einer Dauer von nur einem Tag verhängt werden. Die überragende praktische Bedeutung der kurzen Freiheitsstrafe infolge dieser Gesetzeslage veranlaßte in beiden Ländern einen "Kreuzzug gegen die kurzzeitige Freiheitsstrafe", der in Deutschland durch von Liszt und in Schweden von Thyren angeführt wurde. Beide kritisierten übereinstimmend, kurze Freiheitsstrafe seien für eine nachhaltige Besserung des Verurteilten ungeeignet und entfalteten keine Abschreckungswirkung. Während von Liszt die Abschaffung der Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen forderte, wollte Thyren das Strafminimum auf mindestens drei Monate anheben. Die weitere Entwicklung verlief in beiden Ländern sehr unterschiedlich. In Deutschland wurde der "Kreuzzug" nach dem Tode von Liszts erfolgreich fortgesetzt und führte zu verschiedenen wichtigen Reformen, durch weIche die Zahl der kurzen Freiheitsstrafen deutlich verringert wurde. Die heute geltende gesetzliche Regelung beruht noch immer auf den Gedanken von Liszts. In Schweden zeichnete sich dagegen bald nach dem Tode Thyrens ein Gesinnungswandel und eine Abkehr der Behandlungsideologen von der kompromißlosen Ablehnung der kurzen Freiheitsstrafe ab. Es setzte sich die Überzeugung durch, die kurze Freiheitsstrafe sei in gewissem Umfang aus generalpräventiven Gründen erforderlich, und man billigte zunehmend die Praxis, unter Berufung auf diese Gründe eine Vielzahl von kurzen Gefängnisstrafen zu verhängen. Dieser Einstellungswandel erklärt, warum der "Kreuzzug" gegen die kurze Freiheitsstrafe in Schweden nie zu Reformen geführt hat, obwohl die Behandlungsideologie bis in die sechziger Jahre die Kriminalpolitik beherrschte90 . In Deutschland

891escheck, AT, S. 754. 90 Der Einstellungswandel selbst ist schwer zu erklären. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist sicher der Einfluß der Moralbildungstheorie seit den dreißiger Jahren. Zu

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3. Kapitel: Vergleich

wurde die Behandlungideologie demgegenüber zwar nie zur herrschenden kriminalpolitischen Strömung, konnte sich aber auf dem Gebiet der kurzen Freiheitsstrafe mit ihren Vorstellungen durchsetzen. 2. Die Mindestdauer der Freiheitsstrafe

Das Mindestmaß der Freiheitsstrafe wurde in Deutschland im Jahre 1975 von einem Tag auf einen Monat angehoben, in Schweden 1981 auf vierzehn Tage abgesenkt. Diesen Maßnahmen liegt eine grundsätzlich unterschiedliche Einstellung zur kurzen Freiheitsstrafe zugrunde: Der deutsche Gesetzgeber lehnt sie wegen ihrer Kürze ab und schließt - als erste Stufe der Zurückdrängung - die Verhängung sehr kurzer Freiheitsstrafen unter einem Monat aus. Der schwedische Gesetzgeber hält die kurze Freiheitsstrafe dagegen nicht in besonderem Maße für kritikwürdig, weil sich nach seiner Auffassung die gegen sie vorgebrachten Einwände gegen alle Freiheitsstrafen richten. Er bemüht sich, den Gebrauch der Freiheitsstrafe gleich weIcher Länge zu begrenzen und in möglichst weitem Umfang ambulante Sanktionen einzusetzen. Wenn aber eine Freiheitsstrafe unbedingt erforderlich ist, so soll sie möglichst kurz sein, da die schädlichen Nebenwirkungen bei kurzen Freiheitsstrafen geringer seien als bei längeren. Das Mindestmaß der Freiheitsstrafe solle aus diesem Grund - unter Berücksichtigung der Grenze der Vollziehbarkeit - möglichst niedrig bemessen sein. Unter der Voraussetzung, daß die Verhängung einer Freiheitsstrafe unumgänglich ist, setzt der schwedische Gesetzgeber also gezielt auf die kurze Gefangnisstrafe, während der deutsche Gesetzgeber Freiheitsstrafen unter einem Monat gänzlich ausschließt und Freiheitsstrafen unter sechs Monaten weitgehend zurückzudrängen versucht. Ein weiterer Unterschied betrifft die Bemessung der Freiheitsstrafe. In Schweden kann sie nach einzelnen Tagen bemessen werden, wohingegen die Bemessung nach § 39 StGB bei Freiheitsstrafen unter einem Jahr nach vollen Wochen und Monaten erfolgt. Da aber in der Praxis in Schweden die kurzen Gefangnisstrafen in Wochenabständen bemessen werden (also vierzehn Tage, einundzwanzig Tage, ein Monat u.s.w.), hat dieser Unterschied keine praktische Bedeutung.

beachten ist außerdem, daß die schwedischen Behandlungsideologen schon zu Zeiten Thyrens die Bedeutung der Generalprävention hervorhoben.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

139

3. Die Strafbemessung

a) Vorbemerkung Die Entscheidung zugunsten einer kurzen Freiheitsstrafe kann in drei Schritte zerlegt werden: 1. Schritt:

Der Richter bestimmt die Strafhöhe (Strafbemessung) und legt diese im Bereich unter sechs Monaten fest.

2. Schritt:

Bei der anschließenden Wahl zwischen einer Geldstrafe und einer schwereren Sanktion, d.h. einer Bewährungssanktion oder einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten, entscheidet er sich gegen die Geldstrafe.

3. Schritt:

Der Richter hält bei der Wahl zwischen einer Bewährungssanktion und einer kurzen Freiheitsstrafe die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe für erforderlich.

Während die Entscheidung für eine kurze Freiheitsstrafe nach dem deutschen Strafrecht in dieser Reihenfolge getroffen wird 91 , weist das schwedische Strafrecht zwei Unterschiede auf: (1) Bei der anfänglichen Stratbemessung wird die Strafhöhe noch nicht eindeutig festgelegt, sondern nur entschieden, ob die Strafe im Strafhöhenbereich der Geldstrafe oder einer schwereren Sanktion liegen soll. Erst nach der Sanktionswahl erfolgt, wenn diese zugunsten einer Geld- oder einer Freiheitsstrafe ausfiel, die genaue Festlegung der Strafhöhe. Der Grund für dieses Vorgehen besteht darin, daß im Falle der Verhängung einer Bewährungssanktion keine Stratbemessung erfolgt und diese daher sinnvollerweise erst nach der Entscheidung für die Geld- oder Freiheitsstrafe vorgenommen wird. Die Entscheidungsreihenfolge des schwedischen Strafrechts ist also nicht logisch zwingend vorgegeben, sondern folgt aus ökonomischen Erwägungen. Sie kann daher im Rahmen der folgenden Darstellung zum Zwecke der besseren Vergleichbarkeit mit dem deutschen Recht ohne inhaltliche Veränderung oder Verzerrung in der

91 Die Reihenfolge wird bei der ersten Alternative des § 47 StGB insoweit durchbrochen, als sich der Richter hier bereits bei der Entscheidung gegen die Geldstrafe (2.) darüber klar werden muß, ob er die Freiheitsstrafe vollstrecken oder zur Bewährung aussetzen lassen will (3.).

140

3. Kapitel: Vergleich

Weise modifiziert werden, daß wie nach dem Strafgesetzbuch im ersten Schritt des Strafzumessungsaktes die genaue Strafhöhe festgelegt wird 92 . (2) Da sich die Strafhöhenbereiche von Geld- und Freiheitsstrafe im schwedischen Strafrecht nicht überschneiden, fällt die Entscheidung zwischen der Geldstrafe und einer schwereren Sanktion mit der Strafbemessung zusammen. Die Stratbemessungskriterien entscheiden also indirekt auch über die Frage, ob die Geldstrafe ausreicht oder eine härtere Strafe erforderlich ist. In der folgenden Darstellung müssen daher die schwedischen Strafbemessungskriterien mit den Kriterien verglichen werden, die nach dem deutschen Strafrecht über die - in einem eigenständigen zweiten Schritt vorgenommene - Entscheidung für oder gegen die Geldstrafe entscheiden. b) Vergleich der Strafbemessungskriterien Von Interesse ist zunächst ein Vergleich der Kriterien, die darüber bestimmen, ob die Strafhöhe im Bereich unter sechs Monaten festgesetzt wird 93 . Die Schwere der Tat - mit den Elementen Schädlichkeit94 und Schuld - ist in bei den Ländern der Ausgangspunkt bei der Bestimmung der Strafhöhe. Nach der in Deutschland herrschenden Meinung gibt das Kriterium einen Rahmen vor, innerhalb dessen weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind; im schwedischen Strafrecht bestimmt die Schwere der Tat unmittelbar zusammen mit weiteren Aspekten eine bestimmte Strafhöhe.

92 Für das deutsche Strafrecht ist dieser Entscheidungsablauf zwingend und könnte nicht umgekehrt werden, weil die Strafartbestimmung nach dem Strafgesetzbuch die vorherige Festlegung der Strafhöhe voraussetzt.

93Interessant wäre auch ein Vergleich der Ausgestaltung der Strafrahmen im schwedischen und im deutschen Strafrecht, weil der Strafrahmen des verwirklichten Deliktes in bei den Ländern der Ausgangspunkt der Strafzumessung ist und bereits auf dieser ersten Stufe des Strafzumessungsaktes die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen ausgeschlossen werden kann. Da jedoch das schwedische Strafrecht im Unterschied zum deutschen keine Unterscheidung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten vorsieht, entziehen sich die Straftatbestände beider Rechtsordnungen von vornherein jeder Vergleichbarkeit. 94 Der Begriff der Schädlichkeit umfaßt den eingetretenen Schaden oder - beim Versuch und bei Gefährdungsdelikten - die durch die Tat verursachte Gefahr.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

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Die Relevanz des Rückfalls wird unterschiedlich beurteilt. In Deutschland erhöht ein Rückfall unter bestimmten Voraussetzungen die Schwere der Tat, wohingegen er im schwedischen Strafrecht die Schwere der Tat nicht berührt, aber unter bestimmten Voraussetzungen ein die Strafwürdigkeit des Täters erhöhender Umstand sein kann. In beiden Ländern können neben der Schwere der Tat auch generalpräventive Gesichtspunkte berücksichtigt werden, wenn nachweislich eine außergewöhnliche Häufung von Straftaten einer bestimmten Art eingetreten ist und das generalpräventive Bedürfnis über die vom Gesetzgeber bei der Schaffung des Tatbestandes verfolgte Allgemeinabschreckung hinausgeht. Nach dem deutschen Strafrecht sind weiterhin spezialpräventive Gesichtspunkte zu beachten, während diese bei der Strafhöhenbestimmung nach dem Brottsbalk ohne Bedeutung sind. Ein Gesichtspunkt, der in Deutschland keine Rolle spielt, ist die Berücksichtigung der Strafmaße in anderen Ländern bei internationaler Kriminalität. Ein zentraler Unterschied besteht insofern, als nach dem schwedischen Strafrecht die Höhe der Freiheitsstrafe so gering wie möglich bemessen, die kurze Freiheitsstrafe also gezielt anstelle längerer Freiheitsstrafen eingesetzt wird. Dieser Gedanke ist dem deutschen Strafrecht, das von dem Grundsatz der besonderen kriminalpolitischen Verwerflichkeit kurzer Freiheitsstrafen ausgeht, fremd. 4. Die Entscheidung zwischen der Geldstrafe und einer schwereren Sanktion

Nachdem der Richter anhand der geschilderten Kriterien die Strafhöhe im Bereich unter sechs Monaten festgelegt hat, muß er entscheiden, ob eine Geldstrafe ausreicht oder eine schwerere Sanktion, d.h. eine Bewährungssanktion oder eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt werden muß 95 .

95 Für die hier nicht weiter interessierenden Strafhöhenbereiche unter einem und ab sechs Monaten gilt folgendes: Wird die Strafhöhe unter einem Monat festgesetzt, so ist damit nach dem Strafgesetzbuch zugleich auch zugunsten der Geldstrafe über die Strafart entschieden worden. Die bei dieser Entscheidung herangezogenen Kriterien, also die Strafbemessungskriterien, stimmen mit denjenigen des schwedischen Rechts überein mit dem Unterschied, daß in Deutschland auch spezialpräventive Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Im Bereich ab sechs Monaten ist im deutschen Strafrecht entscheidend, ob eine Geldstrafe angesichts der Schwere der Tat und unter Berücksichtigung spezial- und general präventiver Gesichtspunkte als Sanktion

142

3. Kapitel: Vergleich

Nach dem Brottsbalk ist das entscheidende Kriterium bei dieser mit der Strafbemessung zusammenfallenden Wahl der Strafwert, der nach der Schwere der Tat96 und eventuellen generalpräventiven Bedürfnissen bemessen wird. Daneben können ein Rückfall des Täters und bestimmte Billigkeitsgründe beachtlich sein. Während also in Schweden die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten oder einer Bewährungssanktion angesichts der Schwere der Tat und möglicher generalpräventiver Bedürfnisse erforderlich sein muß, muß sie in Deutschland aufgrund besonderer Umstände zum Zweck der Spezialprävention oder der positiven Generalprävention unerläßlich sein. In beiden Ländern ist die Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur ultima ratio; die Strafzwecke, die ihre Verhängung rechtfertigen können, unterscheiden sich aber deutlich. Das folgende Schaubild stellt die Gründe für die Verhängung einer schwereren Sanktion als der Geldstrafe einander gegenüber. Tabelle JO

Vergleich der bei der Entscheidung zwischen der Geldstrafe und einer schwereren Sanktion herangezogenen Strafzumessungskriterien

Deutsches Strafrecht 1) besondere Umstände + Unerläßlichkeit zum Zwecke individueller Abschreckung 2) besondere Umstände + Unerläßlichkeit zum Zwecke positiver Generalprävention

Schwedisches Strafrecht 1) Schwere der Tat 2) Generalprävention (bei außergewöhnlicher Häufung von Straftaten einer bestimmten Art) 3) Rückfall (unter bestimmten Voraussetzungen) zu beachten: "Billigkeitsgründe" nach Kap. 29 § 5 BrB

Zu untersuchen ist nun, in welchem Verhältnis die genannten Kriterien zueinander stehen. Sofort einsichtig ist, daß die deutschen Kriterien insofern be-

ausreicht. Auch in diesem Bereich besteht also eine weitgehende Übereinstimmung mit den schwedischen Kriterien. 96 Die Schwere der Tat setzt sich aus der Schädlichkeit der Tat und der Schuld des Täters zusammen.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

143

deutend enger sind, als die Entscheidung gegen die Geldstrafe nicht mit der Schwere der Tat begründet werden kann. Die Generalprävention kann in beiden Ländern unter engen Voraussetzungen die Wahl zugunsten einer schwereren Sanktion als der Geldstrafe rechtfertigen. In Deutschland müssen besondere Umstände, aufgrund derer die Verhängung einer Freiheitsstrafe zum Zwecke der positiven Generalprävention erforderlich ist, weil ohne sie die Rechtstreue der Bevölkerung empfindlich erschüttert würde. Im schwedischen Strafrecht kann aus generalpräventiven Gründen eine schwerere Sanktion als die Geldstrafe verhängt werden, wenn eine bestimmte Art von Delikten einen solchen Umfang oder so bösartige Formen angenommen hat, daß eine Änderung der Rechtsprechungspraxis angezeigt ist. Während der Rückfall im schwedischen Strafrecht die Entscheidung gegen die' Geldstrafe rechtfertigen kann, wenn er anderenfalls nicht angemessen berücksichtigt werden könnte, hat eine frühere Straffälligkeit des Täters im deutschen Strafrecht keine eigenständige Bedeutung. Sie kann nur als besonderer Umstand in der Person des Täters zu qualifizieren sein, wobei aber zusätzlich die Unerläßlichkeit einer Freiheitsstrafe zum Zwecke der Spezialprävention oder der positiven Generalprävention feststehen muß. Auch was die Relevanz des Rückfalles betrifft, ermöglicht das schwedische Strafrecht also im Strafhöhenbereich unter sechs Monaten in größerem Umfang als das Strafgesetzbuch die Verhängung schwererer Sanktionen als der Geldstrafe. Denkbar wäre, daß in den Fällen, in denen nach § 47 Abs. I I.Alt. StGB eine Freiheitsstrafe zum Zwecke individueller Abschreckung des Täters verhängt wird, in Schweden zu einer Geldstrafe verurteilt würde, weil spezial präventive Gesichtspunkte dort bei der Strafartbestimmung nicht berücksichtigt werden. Insofern könnten die Kriterien des deutschen Strafrechts also teilweise weiter gefaßt sein als diejenigen des Brottsbalk. Zu bedenken ist aber, daß nicht spezialpräventive Erfordernisse allgemein für § 47 Abs. I I.Alt. StGB ausreichen, sondern besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters erforderlich sind, die die Verhängung einer Freiheitsstrafe zum Zwecke individueller Abschreckung unerläßlich machen. Besondere Umstände in der Tat, wie die Art der Tatausführung, das Maß der Pflichtwidrigkeit oder schwere verschuldete Folgen der Tat, werden in Schweden bei der Schwere der Tat berücksichtigt und begründen auf diesem Wege, wenn auch mit einer anderen Begründung, die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder einer Bewährungssanktion. Gleiches gilt für besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters, wie etwa die Begehung mehrerer Taten, weil diese nach der schwedischen Regelung ebenfalls zu einer erhöhten Schwere der Tat führen. Es bleibt damit festzuhal-

144

3. Kapitel: Vergleich

ten, daß in allen Fällen, In denen nach § 47 StGB eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt wird, auch in Schweden die gleiche Entscheidung wenn auch mit einer anderen Begründung - getroffen werden würde. Die deutschen Kriterien sind also insgesamt enger als die schwedischen 97 •

5. Die Entscheidung zwischen der kurzen Freiheitsstrafe und einer Bewährungssanktion Hat sich der Richter für die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten entschieden, steht die weitere Entscheidung an, ob er eine kurze Freiheitsstrafe oder eine Bewährungssanktion verhängen will. a) Vergleich der Kriterien In bei den Ländern ist eine günstige soziale Prognose, d.h. die Erwartung, daß der Verurteilte auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird, als Grund für die Verhängung einer Bewährungssanktion beachtlich98 • Während aber nach dem Strafgesetzbuch eine kurze Freiheitsstrafe 99 nur verhängt werden darf, wenn keine günstige soziale Prognose getrof-

97 Auch in den Fällen, in denen "Billigkeitsgründe" nach Kap. 29 § 5 BrB die Entscheidung für die Geldstrafe rechtfertigen, würde nach dem Strafgesetzbuch mangels besonderer Umstände gemäß § 47 StGB eine Geldstrafe verhängt werden. 98 Vg l. § 56 StGB bzw. Kap. 30 § 7 und § 9 BrB, nach denen die Tatsache, daß der Verurteilte voraussichtlich auch ohne Freiheitsentzug keine Straftaten mehr begehen wird, als besonderer Grund für die Verhängung einer Bewährungssanktion zu beachten ist. 99 An dieser Stelle ist nur der Bereich der Freiheitsstrafen unter sechs Monaten von Interesse. Im Bereich ab einem Jahr läßt sich eine deutliche Ähnlichkeit der Kriterien feststellen: Während nach dem Strafgesetzbuch Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren nur bei günstiger sozialer Prognose und dem Vorliegen besonderer Umstände (§ 56 Abs. 2 StGB) ausgesetzt werden, setzt im schwedischen Strafrecht ab einem Strafwert von einem Jahr die Verhängung einer Bewährungssanktion außergewöhnliche Gründe voraus. Im Bereich von sechs Monaten bis zu einem Jahr ist für die Aussetzung zur Bewährung neben einer günstigen sozialen Prognose erforderlich, daß nicht die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung gebietet. In Schweden wird in diesem Bereich (wie auch im Bereich unter sechs Monaten) eine Bewährungssanktion verhängt, soweit nicht generalpräventive Bedürfnisse oder eine Rückfallsituation vorliegen.

C. Vergleich der Regelung der kurzen Freiheitsstrafe

145

fen werden kann, kann im schwedischen Strafrecht auch bei günstiger sozialer Prognose zu einer kurzen Gefangnisstrafe verurteilt werden. Voraussetzung dafür sind generalpräventive Bedürfnisse ("Art der Tat") oder das Bestehen einer Rückfallsituation. Demgegenüber haben generalpräventive Gesichtspunkte nach dem Strafgesetzbuch bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung keinerlei Bedeutung, während Vorstrafen bei der sozialen Prognose zu berücksichtigen sind, dort aber keineswegs zwingend einer Aussetzung entgegenstehen 100. Das schwedische Strafrecht ermöglicht also in wesentlich größerem Umfang die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen im Verhältnis zu den Bewährungssanktionen. Der Umstand, daß im schwedischen Recht generalpräventive Bedürfnisse über die Kategorie der Art der Tat die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe rechtfertigen können, begründet einen weiteren Unterschied: Während in Schweden bei bestimmten Delikten grundsätzlich eine kurze Freiheitsstrafe verhängt wird, ist es in Deutschland unzulässig, bestimmte Deliktsgruppen, wie die Trunkenheit am Steuer, regelmäßig von der Strafaussetzung auszuschließen. b) Zusammenfassung der bei der Entscheidung über die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe maßgeblichen Kriterien Tabelle 11 faßt die Kriterien zusammen, die nach deutschem und schwedischem Strafrecht bei der Entscheidung für oder gegen eine kurze Freiheitsstrafe maßgeblich sind.

)fK)SchönkeISchröder - Stree, StGB, § 56 Rn. 22. 10 Schaeferdiek

146

3 Kapitel Vergleich

Tabelle 11

Zusammenfassung der bei der Entscheidung über die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe maßgeblichen Strafzumessungskriterien IEntscheidung über die Entscheidung zwischen Geldstrafe Entscheidung zwischen Bewährungssanktion und und Freiheitsstrafe unter sechs ~tratlaöhe Monaten I Bewährungssanktion kurzer Freiheitsstrafe StGB • Schwere der Tat • negative Generalprävention (bei außergewöhnlicher Straftatenhäufung) • Spezialprävention BrB

• besondere Umstände + Unerläßlichkeit zum Zwecke individueller Abschreckung



• Generalprävention (bei außergewöhnlieher Straftatenhäufung)

• Generalprävention (bei außergewöhnlicher Straftatenhäufung)11I1

Rückfall (unter bestimmten Voraussetzungen)

negative Prognose



Rückfall

• besondere Umstände + Unerläßlichkeit zum Zwecke positiver Generalprävention

• Schwere der Tat



·



Schwere der Tat

• Generalprävention ("Art der Tat")

Rückfall (unter bestimmten Voraussetzungen)

(zu beachten: .. Billigkeit~gründe" nach Kap. 29 § 5 BrB)

(zu beachten: "Billigkeitsgründe" nach Kap. 29 § 5 BrB)

6 Die Mogltchkezt elfler Kombmat/On der kur;:en FreIheitsstrafe mlt anderen Sanktwnen Zu der Mogllchkelt, die Schutzaufsicht mit emer kurzen Gcfangm~strafe zu kombmleren, gibt es Im Strafgesetzbuch keme Ent~prechung, weil ~ 56 Abs 4 StGB die teilweise Ausset- ung emer FrelheIt~strate ausschließt HP• DIe V 01· schntt beruht zum emen auf der AbSIcht, dIe VolIstreLkung kurl.er FlcIheIt~-

*

](lI Zur Besllmmunb des Sir fwertes gemaß Kap 29 I BrB konnen hel Stlaftatcn mit Intern' tlOnalem ezug nehen der Schwere der Tat und generalpraventlvcn Inlelc~~cn (he Strafmaße In anderen Landern beachtet werden

I02Siehe zum Folgenden LK - Gnbbohm. StGB. § 56 Rn 5

D. Die Praxis

147

strafen zurückzudrängen. Zum anderen liegt ihr die Vorstellung zugrunde, es sei undenkbar, daß die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung nur hinsichtlich eines Teiles der Strafe vorlägen. Dagegen hält der schwedische Gesetzgeber die Kombination einer Bewährungssanktion mit einer kurzen Freiheitsstrafe für sinnvoll, um in Fällen, in denen eine Freiheitsentziehung unumgänglich ist, deren Dauer zur Begrenzung der schädlichen Nebenwirkungen zu verringern. § 41 StGB sieht die Möglichkeit vor, Geldstrafe und Freiheitsstrafe miteinander zu kombinieren, wenn der Täter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht hat. Mit dieser Möglichkeit soll erreicht werden, daß Täter, die Vermögens vorteile erstrebt haben, durch die Bestrafung auch wirtschaftlich getroffen werden 103. Im Unterschied zur Kombinationsmöglichkeit von Schutzaufsicht und kurzer Gefängnisstrafe im schwedischen Strafrecht zielt § 41 StGB also nicht darauf ab, die Dauer einer unumgänglichen Freiheitsentziehung zu verringern lO4 • Eine dem § 41 StGB vergleichbare Vorschrift enthält der Brottsbalk nicht.

D. Die Praxis I. Zur Problematik eines Vergleiches der Sanktionspraxis

Im folgenden soll die Praxis kurzer Freiheitsstrafen in Schweden und in Deutschland verglichen und untersucht werden, wie sich die verschiedenartigen Regelungen in beiden Ländern praktisch auswirken. Zunächst muß auf einige grundsätzliche Probleme eines solchen Vergleiches hingewiesen werden. J. Allgemeine Probleme eines Vergleiches der Sanktionspraxis zwischen verschiedenen Ländern

Aus den statistischen Angaben für Schweden und Deutschland könnte man nur dann unmittelbar ablesen, wie sich die verschiedenartigen Regelungen zur kurzen Freiheitsstrafe auswirken, wenn die Situation in beiden Ländern bis auf I03SchönkeiSchröder - Stree, StOB, § 41 Rn. l.

I04Dieser Effekt wird aber tatsächlich im Falle einer nach § 41 StGB kumulativ verhängten Geldstrafe erreicht, weil die der oberen Grenze des Schuldmaßes entsprechende Höhe der Freiheitsstrafe um die Zahl der Tagessätze herabgesetzt wird, damit das Schuldprinzip nicht verletzt wird; vgl. dazu SchönkeiSchröder - Stree, StGB, § 41 Rn. 8. 10*

148

3. Kapitel: Vergleich

diese Regelungen identisch oder zumindest vergleichbar wäre. Neben dem Unterschied in der Einwohnerzahl, der leicht durch Umrechnung der statistischen Angaben auf 100.000 Einwohner beseitigt werden kann, stehen unter anderem folgende Faktoren einer Vergleichbarkeit entgegen: (1) Die Anzahl und die Art der Fälle, die den Gerichten in bei den Ländern vorgelegt werden, können sich stark unterscheidenlOs. Umfang und Art der Kriminalität sind ebenso unterschiedlich wie das Interesse der Bevölkerung, Delikte anzuzeigen, und die Effektivität der Polizei bei der Aufklärung der Delikte. Ferner ist auch der Umfang vorgerichtlicher Erledigung durch Polizei und Staatsanwaltschaft verschieden.

(2) Es können grundsätzliche Unterschiede im Maß der Kriminalisierung bestehen, weil bestimmte Verhaltensweisen möglicherweise nur in einem der verglichenen Länder strafbar sind, Tatbestandsmerkmale (z.B. bei der Körperverletzung) verschieden definiert werden oder Unterschiede im Allgemeinen Teil (z.B. Versuch, Rechtfertigungsgründe) bestehen. Ein Beispiel hierfür ist die in Schweden und Deutschland unterschiedliche Strafbarkeit der Trunkenheit im Straßenverkehr: Während diese in Schweden bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 %0 beginnt lO6 , ist sie in Deutschland regelmäßig erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %0 (absolute Fahruntüchtigkeit) gegeben lO7 . (3) Schließlich können Unterschiede in der Statistikführung den Vergleich erschweren \08. Wenn aus den beschriebenen Schwierigkeiten vereinzelt gefolgert wird, der Vergleich der Sanktionspraxis verschiedener Länder gleiche einem "Ratespiel"I09, so ist dies sicher übertrieben. Die Schwierigkeiten führen aber

105Siehe zum Folgenden Sveri, in: SOU 1986:15, S. 57 und 61; SOU 1986:14, S. 80; Kaiser, Kriminologie, S. 158 f.; Weigend, JZ 1986,260 (262).

I06Die Trunkenheit im Straßenverkehr (rattfylleri) beginnt bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 %0, die schwere Trunkenheit im Straßenverkehr (grovt rattfylleri) bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,0 %0. 107Ausnahmsweise kann die Strafbarkeit auch bei einer niedrigeren Blutalkoholkonzentration gegeben sein, wenn im Einzelfall nachgewiesen werden kann, daß der Fahrer nicht mehr imstande war, sich im Verkehr sicher zu bewegen (relative Fahruntüchtigkeit); vgl. Schönke/Schröder - eramer, StGB, § 316 Rn. 5. 108Vgl. dazu ausführlich BRA, Konsten, S. 25 ff. und S. 44 ff. I09So die holländischen Forscher Steenhuis, Tiggers und Essers (BRA 1982:3, S. 11) zu ihrem - dennoch durchgeführten - Vergleich zwischen Holland, Deutschland und Schweden.

D. Die Praxis

149

dazu, daß aus kleineren Abweichungen der statistischen Angaben keine verläßlichen Schlüsse gezogen werden können und Schlußfolgerungen im übrigen stets unter einem generellen Vorbehalt eingeschränkter Vergleichbarkeit stehen. 2. Spezielle Probleme eines Vergleiches zwischen der Praxis kurzer Freiheitsstrafen in Schweden und in Deutschland

Neben diesen allgemeinen Schwierigkeiten sind bestimmte spezielle Probleme eines Vergleiches zwischen der Praxis kurzer Freiheitsstrafen in Schweden und in Deutschland zu beachten. Vor allem muß bedacht werden, daß das schwedische Strafrecht im Unterschied zum deutschen nicht zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten unterscheidet. Aus diesem Grunde sind in den schwedischen statistischen Angaben zur Anzahl der Geldstrafen auch diejenigen Fälle enthalten, bei denen in Deutschland Geldbußen verhängt werden. Die meisten dieser Fälle werden in Schweden durch eine besondere Form der Geldstrafe, ein sogenanntes Ordnungsgeld (ordningsbot) geahndet 11O • Da der Anwendungsbereich der Ordnungsgelder im wesentlichen mit demjenigen der Geldbußen des deutschen Rechts übereinstimmt, entspricht die Zahl der Geldstrafen in Schweden abzüglich der Ordnungsgelder in etwa den deutschen Angaben zur Zahl der Geldstrafen. Aus diesem Grunde sind in dieser Arbeit die Ordnungsgelder in den Angaben zur Zahl der Geldstrafen und der Gesamtzahl der Verurteilungen in Schweden nicht enthalten 111. Die Tatsache, daß im schwedischen Strafrecht nicht zwischen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten unterschieden wird, beeinträchtigt den Vergleich allerdings gleichwohl insoweit, als der Anwendungsbereich der schwedischen Ordnungs gel der und der deutschen Geldbußen nicht vollkommen identisch ist. Ein weiterer, allerdings geringerer Unterschied betrifft Sonderformen kurzer Freiheitsentziehung für besondere Tätergruppen. Während das deutsche Strafrecht für Jugendliche und Soldaten besondere Formen kurzer Freiheitsentziehung (Jugendarrest, Strafarrest gegenüber Soldaten) vorsieht, fallen in den schwedischen Statistiken unter die kurzen Gefängnisstrafen auch die Freiheitsstrafen gegen diese Tätergruppen. Um eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit

IIOOrdnungsgelder werden mit Zustimmung des Betroffenen von Polizei beamten verhängt. Stimmt der Betroffene nicht zu, so begründet dies die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft, die entweder Anklage erhebt oder einen Strafbefehl (böter genom strafföreläggande) erläßt. Illygl. auch oben S. 52 Fn. 194.

150

3. Kapitel: Vergleich

zu erzielen, müßten die in Schweden gegen Jugendliche und wegen militärischer Straftaten gegen Soldaten verhängten kurzen Gefangnisstrafen aus dem Vergleich ausgenommen werden, was nicht möglich ist, weil sie in den Statistiken nicht gesondert ausgewiesen werden. Die Beeinträchtigung der Vergleichbarkeit ist allerdings nur minimal, weil in Schweden nur sehr selten Gefängnisstrafen gegen Jugendliche und Soldaten verhängt werden 1l2 . 11. Vergleichender Überblick über die Sanktionspraxis

Tabelle 12 zeigt die Anzahl der wichtigsten strafrechtlichen Sanktionen und ihren Anteil an allen Verurteilungen im Jahre 1991 113 . Der deutschen Geldstrafe entsprechen dabei die schwedischen "böter", die neben nach dem Tagessatzsystem berechneten Tagesbußen auch Festbetragsbußen und normierte Bußen umfassen. Den Gefangnisstrafen des schwedischen Strafrechts stehen die zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen gegenüber. Nicht etwa dürfen alle Freiheitsstrafen, also auch die ausgesetzten, mit den schwedischen Gefangnisstrafen verglichen werden, weil dem schwedischen Strafrecht die Möglichkeit einer Aussetzung der Gefangnisstrafe zur Bewährung unbekannt ist. Das Pendant zu den ausgesetzten Freiheitsstrafen bilden vielmehr die Bewährungssanktionen, also bedingte Verurteilung und Schutzaufsicht. In beiden Ländern ist die Geldstrafe die häufigste Sanktion. Sie dominiert in Deutschland 1l4 mit einem Anteil von 84 % an allen Verurteilungen stärker als in Schweden, wo der Anteil bei 74 % liegt. Pro 100.000 Einwohner werden in Schweden allerdings mehr Geldstrafen verhängt als in Deutschland. Freiheitsstrafen und Bewährungssanktionen sind in Schweden wesentlich häufiger: Es werden pro 100.000 Einwohner mehr als dreimal so viele Freiheitsstrafen und mehr als doppelt so viele Bewährungssanktionen verhängt. Der Anteil der Freiheitsstrafe an allen Sanktionen ist fast doppelt so hoch wie in Deutschland.

112Vgl. Cornils, in: DünkelJMeyer, Jugendstrafe, S. 497 (502); Jareborg, Fragment, S. 17 I. II3 Zu den deutschen Angaben siehe Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Reihe 3, Strafverfolgung 1991, S. 40 ff.; die Angaben beziehen sich auf die Bundesrepublik nach dem Gebietsstand bis zum 3.10.1990. 1I4Vgl. zur Sanktionspraxis in Deutschland die ausführliche Darstellung in Terdenge, Strafsanktionen, S. 63 ff.

D. Die Praxis

151

Tabelle 12

Vergleichender Überblick über die Sanktionspraxis

Deutschland

Geldstrafen

Anzahl pro 100.000 Einwohner lls

Anteil an Anzahl pro allen Verur- 100.000 Einteilungen wohner

Anteil an allen Verurteilungen

808

83,75 %

73,S %

(ges. 521.291)

5,2 %

Zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen bzw. Bedingte Verurteilung I Schutzaufsicht

11 %

106

964 (ges. 622.390)

9,6%

236

13,6 %

(ges. 20.365)

0.05 %

(ges. 333)

Verurteilungen insgesamt

166 (ges. /4.3 / 3)

(ges. 6R.407)

-

1.271 116 (ges. /09.9RO)

Nicht zur Bewährung ausgesetzte 50 Freiheitsstrafen bzw. Gefangnisstra(ges.32.359) fen

Sonstige

Schweden

58

3,3 %

(ges.5006)

100%

1731

100 %

(ges. /49.664)

Wie Tabelle 12 weiter zu entnehmen ist, liegt die Gesamtzahl der Verurteilungen pro 100.000 Einwohner in Schweden deutlich höher als in Deutschland. Tabelle 13 zeigt die Länge der in beiden Ländern im Jahre 1991 verhängten zeitigen Freiheitsstrafen Jl7 , wobei zwischen vier Bereichen unterschieden wird.

115Die jeweils in Klammem angegebene Zahl gibt die Häufigkeit der betreffenden Sanktion ohne Umrechnung auf 100.000 Einwohner an. 1161n dieser Zahl sind nur die Geldstrafen durch Verurteilung (böter genom dom) und durch Strafbefehl (böter genom strafföreläggande), nicht dagegen die Ordnungsgelder (böter genom ordningsbot) enthalten. 117Erfaßt sind auch hier nur die nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen.

152

3. Kapitel: Vergleich Tabelle 13

Die Länge der verhängten kurzen Freiheitsstrafen

Schweden

Deutschland Anzahl im Bereich: weniger als 6 Monate von 6 Mon. bis I Jahr

Zahl

15 11S

31 %

1,6%

16

32,9 %

1,7 %

15,9%

(lIe.l'.56)

69,4 %

7,1 %

36

20,5 %

2,1 %

0,8%

10

5,36%

0,6%

4,7%

0,5 %

0,04%

0,004%

ge".827)

20%

1,0%

8 lie.l'. 726)

0,2%

lebenslang

heit~strafen

Anteil an allen Verurteilungen

ge.I·.3./54)

(ge.l'./0.631)

10 (lie,I·. 6.504)

124

Anteil an allen Frei-

ges. /0.689)

(ge.