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German Pages 51 [56] Year 1895
DIE KAISERLICHE
UNIVERSITÄTS- UNI) LANDESBIBLIOTHEK IN
STRASSBURG. FESTSCHRIFT ZUR EINWEIHUNG DES NEUEN BIBLIOTHEKSGEBÄUDES
VON
Dr. S. HAUSMANN, UNIVERSITÄTS-SEKRETÄR.
MIT 7 A B B I L D U N G E N .
STRASSBURG V E R L A G VON K A R L J. TRÜBNER 1895
Druckerei der „Strassburger Neuesten Nachrichten", vrm. H. L. Kayser.
VORBEMERKUNG.
Die vorliegende Schrift ist auf Grund eines sehr umfangreichen Aktenmaterials ausgearbeitet, für dessen freundliche Überlassung ich der Bibliotheksverwaltung auch an dieser Stelle bestens danke. Strassburg, den 21. Oktober 1S9">. S.
Hausmann.
Kaiserliche L'niversitats- und Landesbiblioihck.
Gcsammtansicht.
I. Die möglichst rasche Einnahme der Festung Strassburg war eine der ersten und wichtigsten Voraussetzungen für die glückliche Weiterführung des Krieges.
Am 11. August 1870 erschienen die ersten Truppen
vor den Mauern der Stadt, deren Name trotz der 200jährigen Entfremdung für alle deutschen Herzen einen besonders sympathischen Klang hatte, in die nunmehr Tod und Verderben zu tragen die unerbittliche Nothwendigkeit des Krieges den deutschen Geschützen auferlegte. Als General Uhrich die unter Androhung des Bombardements erfolgte Aufforderung zur Uebergabe ablehnte, wurde am 23. August von der Feldartillerie und in der Nacht vom 24. auf den 25. August auch von der schweren Festungsartillerie das Feuer eröffnet. Schon diese erste Schreckensnacht brachte neben der Vernichtung zahlreicher Privathäuser auch die Einäscherung einiger öffentlicher Gebäude, von denen das eine den schwersten Verlust bedeutet, den Strassburg in jenen traurigen sechs Wochen überhaupt erlitten hat : die ehemalige Dominikanerkirche, seit der Reformation „Neue Kirche" genannt, wurde, von einer Brandgranate getroffen, bis auf die Fundamente ein Raub der Flammen. In dem gewaltigen Chor dieser „Neuen Kirche" aber waren die beiden grossen Strassburger Bibliotheken untergebracht, so dass sie 1
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den Eingang, das Treppenhaus und den Lesesaal gemeinsam hatten: die Stadtbibliothek und die Bibliothek des protestantischen Seminars. Die S e m i n a r b i b 1 i o t h e k '), die seit Ende des 16. Jahrhunderts bereits in diesen Räumen aulbewahrt wurde, war die minder umfangreiche und werthvolle. Kein geringerer als der grosse Stättemeister Jakob Sturm von Sturmeck hatte 1531 den Grund zu ihr gelegt. Schon im Laufe des 16. Jahrhunderts erheblich vermehrt, namentlich durch die Ueberweisung der Sammlungen des Domkapitels, wurde sie 1621 zur offiziellen Bibliothek der Strassburger Universität erklärt, in welche damals das alte Gymnasium umgewandelt wurde.
Im 17. und 18. Jahrhundert erlangte sie, namentlich
durch die Vermächtnisse einheimischer Gelehrter (so insbesondere des Generalsachwalters Marcus Otto, gestorben
1692 und des Geschichts-
forschers Wenker, gestorben 1738) einen sehr bedeutenden Umfang. Nach der Aufhebung der alten deutschen Universität wurde sie durch arrêté vom 30. Floréal an I X (30. Mai 1801) ausschliesslich dem protestantischen Seminar überwiesen, das als Erbe der alten Universität betrachtet wurde. Auch im laufenden Jahrhundert wurde dann noch viel für ihre Erweiterung gethan, insbesondere erhielt sie durch den Ankauf der enzyklopädischen Büchersammlung des Kanzelredners und Professors Haifner in den 40er und durch das Vermächtniss der bedeutenden philologischen und archäologischen Bibliothek des Professors Theodor Kreiss zu Anfang der 60er Jahre starken Zuwachs. Bei den laufenden Ankäufen wurde die theologische und philologische Litteratur besonders berücksichtigt.
Sie umfasste auch
eine stattliche Sammlung von unersetzlichen Manuskripten und seltenen Druckschriften; besonders bekannt war von ihr die werthvollc Sammlung von 500 Bänden (mit durchschnittlich je 30 Nummern) politischer und theologischer Flugschriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Viel jünger, aber trotzdem viel bedeutender war die S t a d t b i b l i o t h e k . Der Strassburger Geschichts- und Alterthumsforscher Schöpflin, der Verfasser der Alsatia diplomatica und der Alsatia illustrata, bot 1765 seine mehr als 10000 Bände umfassende Bibliothek der Universität Strassburg zum Geschenk an.
Diese glaubte aber nicht die erforderlichen Mittel zur
Fortsetzung und entsprechenden Bereicherung dieses Bücherschatzes zu besitzen und lehnte die Schenkung ab. Daraufhin übergab Schöpflin seine Sammlung dem Magistrate der Stadt unter dem Vorbehalte lebensläng-
') S A n h a n g 1.
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licher Nutzniessung.
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Fünf Jahre später starb der Schenkgeber und am
31. Oktober 1771 wurde die Schöpflin'sche Bibliothek mit einem Bestände von 11425 Bänden zum ersten Male fiir das allgemeine Publikum eröffnet. Sie bestand hauptsächlich aus diplomatischen und geschichtlichen Werken, nebst einigen Antiquitäten und Kunstgegenständen, die der gelehrte Archäologe auf seinen italienischen Reisen gesammelt oder später durch die Gunst hoher Gönner und gelehrter Körperschaften zum Geschenk erhalten hatte. Wenige Jahre darnach überwies auch der berühmte Orgelbauer Silbermann seine reiche Bücher- und Handschriftensammlung der neugegründeten Stadtbibliothek.
Beim Ausbruche der Revolution wusste dann der Archäologe
J. Oberlin, der als Schüler und Freund Schöpflin's mit der Oberleitung der Bibliothek betraut worden war, die Spezialbibliotheken aller aufgehobenen Abteien und Klöster, des Jesuitenkollegiums und des katholischen Seminars für die Stadt zu gewinnen, wodurch auf einmal mehr als 100000 Bände zu dem vorhandenen Grundstock der Bibliothek hinzukamen.
Nachdem
die so plötzlich vermehrte Bibliothek mehrfach von einem Gebäude in das andere gewandert war, wurde sie zuletzt nach dem Chor der alten Dominikanerkirche verlegt. Auch im laufenden Jahrhundert wurde sie noch stark vermehrt, namentlich unter der langjährigen Verwaltung von Professor Jung (1830—63), durch verschiedene grössere Gesammtankäufe sowie durch die testamentarische Zuwendung der grossen geographischen Bibliothek des Privatgelehrten Breu. Schliesslich war der Bestand der Stadtbibliothek, obgleich bei der Restauration das bischöfliche Seminar seine Bibliothek von etwa 30000 Bänden zurückerhalten hatte, auf rund 200 000 Bände angewachsen.
Darunter war die historische Abtheilung, insbesondere die
deutsche und französische Geschichtsforschung, von sehr grosser Reichhaltigkeit, auch Litteraturgeschichte, Philosophie, Theologie und Jurisprudenz waren reich vertreten, mit naturwissenschaftlichen Werken aber war in der letzten Zeit ein Anfang gemacht worden. Besonders empfindlich war der Verlust der zahlreichen, gegen 8000 Nummern zählenden Handschriften und Inkunabeln, unter denen sich manche von ganz ungewöhnlichem Werthe befanden. Die Perle der Sammlung war bekanntlich der Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg, der Aebtissin von Hohenburg (1170): ein starker Folioband von etwa 600 Pergamentblättern, eine fast auf jeder Seite mit zahlreichen Illustrationen in glänzender byzantinischer Farbenhebung ausgestattete Enzyklopädie des damaligen Wissens, ein Werk für die Kunst - und Kulturgeschichte, das
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namentlich für die Kenntniss des Kostüms und der Bauten des Mittelalters von hervorragendster Bedeutung war'). Theilweise ist die Handschrift bereits 1819 von Moritz Engelhardt bearbeitet, später auch von Bastard zu seinem grossen Werke verwerthet worden; neuerdings hat sich die Gesellschaft ftir Erhaltung der historischen Denkmäler des Elsass das Verdienst erworben, in einer werthvollen Publikation eine grosse Zahl von Pausen, die seiner Zeit nach Abbildungen des Originals genommen worden waren, in Lichtdruck wiederzugeben. Auch sonst waren manche der Handschriften von hervorragender Bedeutung. So vor Allem die Kanonessammlung des Bischofs Rachio von Strässburg (787) 2), eine der ältesten Kopien der von Isidor von Sevilla begonnenen Sammlung der kanonischen Gesetze, ohne Beimischung der späteren falschen Dekretalen; weiterhin ein Kodex argenteus, ein Gebetbuch aus dem 8. oder 9. Jahrhundert, auf Purpur velin mit Gold- und Silberlettern; ein Synodicon und eine Handschrift der allemannischen Gesetze aus dem 9., Manuskripte klassischer Schriftsteller aus dem 10. Jahrhundert. Dazu kamen die Handschriften verschiedener Minnesänger und Prediger des Mittelalters, unter den letzteren Meister Eckart und Tauler, zahlreiche Strassburger Chroniken, die sämmtlichen Verfassungen Strassburgs vom 13. Jahrhundert ab, die Prozessakten Guttenbergs und Dritzehns. Endlich mehr als 500 Inkunabeln aus den Druckerpressen von Fust, Mentelin, Scheffcr u. s. w. Die Sammlung von Antiquitäten und Kunstgegenständen, die mit der Stadtbibliothek verbunden waren, trat ihrem Werthe nach gegenüber der Bibliothek selbst stark zurück, immerhin aber enthielt auch sie manche Stücke von grosser Bedeutung. Diese beiden Bibliotheken standen seit Gründung der Stadtbibliothek nach einer Uebereinkunft zwischen Stadtverwaltung und Seminar unter gemeinsamer Leitung, zunächst bis 1805 unter dem bereits erwähnten Oberlin. Auf ihn folgten die beiden Schweighäuser, Vater und Sohn, der Hellenist und der Archäologe, weiterhin dann der Physiker Herrenschneider und schliesslich der Kirchen - Historiker Andreas Jung, der sich in seiner langjährigen Verwaltung besonders hervorragende Verdienste um die beiden Bibliotheken erwarb. Nach dem Tode Jung's wurde die bisherige Personalunion aufgegeben: der Philologe Professor Reussner übernahm die Verwaltung der Seminarbibliothek, während Alfred Schweighäuser, ein ') Vcrgl. dazu Janitschck, Geschichte der deutschen Malerei, S. 109ff.,insbesondere S. 112 Anmerkung. ) Vergl. dazu Janitschek, a. a. O. S. 21.
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Enkel des Hellenisten, an die Spitze der Stadtbibliothek trat, dem im Oktober 1865 der Oberbibliothekar Saum nachfolgte. Eine dritte Bibliothek, die sich vor dem Kriege in Strassburg befand, war von geringerer Bedeutung. Die Kärglichkeit, mit welcher die an Stelle der alten deutschen Universität getretene Akademie unter französischer Verwaltung ausgestattet war, verhinderte ungeachtet ihrer fünf Fakultäten und ungeachtet mancher hochbedeutender Mitglieder derselben eine lebensvolle Entfaltung der Wissenschaftspflege. Diese dürftige Ausstattung machte sich insbesondere auch bei der Bibliothek der Akademie geltend; standen doch zum Beispiel der juristischen Fakultät für Neuanschaffungen jährlich nicht mehr als 100 Francs zur Verfügung, das Gesammtbudget der Bibliothek aber weist für 1870 nur 1600 Francs für Bücherankäufe und 1810 Francs für Zeitschriftenabonnements und Büchereinbände auf. Immerhin war diese so stark vernachlässigte Bibliothek nach und nach zu einem Bestände von rund 40000 Bänden angewachsen, die, im alten Akademiegebäude untergebracht, die Beschiessung unversehrt überstanden haben. Schwere Vorwürfe sind sofort nach der unglücklichen Nacht, wie auch späterhin wiederholt, noch gegen die Personen erhoben worden, denen die Verwaltung der beiden vernichteten Büchersammlungen anvertraut war, und die es selbst bei Beginn der Einschliessung der Stadt noch unterlassen haben, auch nur die wichtigsten von den unersetzlichen Handschriften soweit möglich in Sicherheit zu bringen. Bei anderen Verwaltungen Strassburgs sind thatsächlich für Bergung der Dokumente Vorkehrungen getroffen worden, auch hatten andererseits in deutschen Städten, die der Grenze viel ferner lagen, wie Stuttgart und München, die Bibliotheksverwaltungen ähnliche Vorsichtsmassregeln vorbereitet; die werthvollsten Bestandtheile der Bibliothek Donaueschingen waren sogar nach der Schweiz in sicheren Gewahrsam gebracht worden. Eine mildere Beurtheilung der unbestreitbar begangenen Fahrlässigkeit greift Platz, wenn man sich in jene furchtbar aufgeregten Tage zurückzuversetzen versucht. Auch bei Beginn der Einschliessung noch glaubten die allerwenigsten an eine Beschiessung der inneren Theile der Festung. In der Bibliothek selbst fehlte es an sicheren Kellerräumen. Auch ist es Thatsache, dass der Stadtbibliothekar unmittelbar vor der Beschiessung den damaligen Bürgermeister auf die Gefährdung der Bibliothek aufmerksam machte, von diesem aber, der augenblicklich mit den allerwichtigsten
Geschäften aller Art übermässig belastet war, auf spätere Tage vertröstet wurde. Dass daraufhin der Bibliothekar nicht auf eigene Verantwortung nach Möglichkeit Vorkehrungen traf, ist bedauerlich, erklärt sich aber zum grossen Theil daraus, dass das ganze imperialistische System der französischen Verwaltung die niederen und mittleren- Beamten durchaus nicht daran gewöhnt hatte, in wichtigen Fragen selbstständig die Initiative zu ergreifen1). II. Die Vernichtung der beiden Büchersammlungen machte in allen Gelehrtenkreisen ungemein tiefen Eindruck. Am tiefsten natürlich in Strassburg selbst, wo auch die der wissenschaftlichen Arbeit ferner stehende Bevölkerung eine besondere Vorliebe für ihre berühmte Stadtbibliothek hegte. «Auch die» — so schreibt ein Augenzeuge dieser Ereignisse 2) — «welche niemals von den Reichthümern der Bibliothek einen Gebrauch gemacht, deren Werth gar nicht kannten, standen trostlos an der Ruine, aus der die Flammen lichterloh zum Himmel schlugen, unter dem fortwährenden Zischen der Geschosse! Es ist kein Schmerz tiefer gefühlt worden in der belagerten Stadt, als der um dies Heiligthum der Kunst und Wissenschaft, keine Wunde hat so bitteres Weh zurückgelassen in den Herzen der Elsässer, wie die in jener Nacht geschlagene!» Dass man auch alsbald daran dachte, einen Ersatz für das Verlorene soweit überhaupt möglich zu schaffen, ist selbstverständlich. Unter dem 31. August 1870 richtete der Rektor der Strassburger Akademie, Professor Zeller, ein Schreiben an den französischen Unterrichtsminister Brame, worin er um die Erlaubniss bat, für die baldmöglichste Wiederherstellung der Bibliothek wirken zu dürfen — dass Strassburg fortan seinem alten deutschen Heimathlande wieder zurückgegeben werde, kam dem Bittsteller nicht in den Sinn. In diesem Briefe weist Zeller auf die Büchervorräthe in den französischen Ministerien hin und auf die Doubletten in den öffentlichen Bibliotheken, sowie auf die Möglichkeit, von den französischen Schriftstellern und Verlegern deren Publikationen geschenkt zu erhalten ; auch den Gedanken giebt er zu erwägen, ob man sich nicht an die befreundeten Nationen um Unterstützung wenden solle, die gewiss bereit sein würden, ') S. Anhang, 2. — ') Pfarrer Rcichard in «Daheim. 1872, No. 33.
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die der französischen Wissenschaft geschlagene Wunde zu verbinden; «das würde vielleicht die beste Antwort sein, die man diesem Deutschland geben könnte, das vor den Augen aller seine wahre Barbarei entfaltet und sich nur gelehrt zeigt fiLir's Vernichten.» Im Antwortschreiben des Ministers ist die bedauernswerthe Thatsache, dass keine Anstalten zum Schutze der werthvollsten Bestandtheile der Bibliotheken getroffen wurden, sowie die andere Thatsache, dass der Befehlshaber der Einschliessungsarmee ausdrücklich auf die Nothwendigkeit, die wissenschaftlichen und künstlerischen Schätze zu bergen, hingewiesen hatte, mit keinem Worte crwiihnt, wohl aber wird in bombastischen Ausdrücken von der blutigen Niedertracht der belagernden Armee und von der Schmach geredet, die an dem Namen des preussischen Generals ewig haften werde, und schliesslich wird mit Zuversicht verheissen: «Rechnen Sie auf mich, Herr Rektor, die Bibliothek von Strassburg wird reich und ruhmvoll wiedererstehen.». Die Probe darauf zu machen, wie weit diesen schönklingenden Phrasen auch die thatkräftige Arbeit entsprochen hatte, ist durch den weiteren Verlauf des Krieges verhindert worden. Ohne jede Phrasenhaftigkeit und in bescheidener Stille, dafür aber mit um so grösserer Umsicht wurden zu gleicher Zeit bereits von deutscher Seite die ersten Schritte für die Wiederherstellung der Strassburger Bibliothek eingeleitet. Hier war es der fürstliche Hofbibliothekar zu Donaueschingen, Dr. Karl August Barack, der in patriotischer Begeisterung den Gedanken fasste, durch Neubegründung einer würdigen Bibliothek zu Strassburg der Wissenschaft und dem Vaterlande einen Dienst zu erweisen : dass Strassburg fortan wieder wie einstmals auch staatsrechtlich eine deutsche Stadt sein werde, war für ihn — wie überwiegend für die öffentliche Meinung in Deutschland — schon damals ausser allem Zweifel. Am 5. Oktober, wenige Tage nachdem Strassburg sich ergeben hatte, richtete Barack einen Brief an seinen Kollegen Halm, den Direktor der Münchener Hofbibliothek: «Strassburg hat seine herrliche Bibliothek verloren! Durch ganz Deutschland wird dieser Verlust auf's Tiefste beklagt. Das sonstige Elend in Strassburg zu mildern, eilt die deutsche Mildthätigkeit mit reichen Gaben herbei. Sollte es nicht am Platze sein und der Gedanke Beifall finden, durch einen Aufruf an die deutschen Buchhändler, Antiquare, Bibliothekare, Gelehrten, an die Gebildeten überhaupt, der schwergeprüften Stadt wieder zu einer Bibliothek zu verhelfen?» Im gleichen Sinne schrieb Barack
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auch an Stälin, den Direktor der Stuttgarter Bibliothek.
Von beiden
kam in wenigen Tagen die übereinstimmende Antwort, dass ihnen der Vorschlag Barack's aus der Seele gesprochen sei; Direktor Halm hatte schon vor dem Eintreffen des Barack'schen Briefes in der Voraussetzung, dass in Strassburg auf irgend einem Wege eine neue Bibliothek errichtet werden müsse, das bayerische Ministerium um Genehmigung ersucht, von den
zahlreich
vorhandenen
Inkunabel-Doubletten an die Strassburger
Bibliothek, sobald deren Neubegründung in Angriff genommen würde, abgeben zu dürfen. Mit einem bei den schwierigen Gesammtverhältnissen (mitten im Kriege!) fast unbegreiflichen Vertrauen auf das gute Gelingen seines Werkes, mit unermüdlicher Thatkraft und mit einem ungewöhnlichen Organisationstalente ging Barack ohne Zögern an die Verwirklichung seiner kühnen Idee. Am 11. Oktober fuhr er nach Strassburg hinüber und verhandelte hier mit dem Maire, Professor Küss, und dem Präfekten Grafen Luxburg. Beide begrüssten die Absicht Baracks mit lebhaftem Danke, bedauerten aber ihrerseits dieselbe vorläufig nicht fördern zu können; namentlich könnte die Bereitstellung von Räumlichkeiten für die einlaufenden Büchersammlungen nicht zugesagt werden, da die öffentlichen Gebäude zum Theil zerstört, zum Theil für anderweitige öffentliche Zwecke bereits verwendet waren. Es würde also nichts übrig bleiben als die Sammlungen vorerst an den einzelnen Orten in Deutschland zu verwahren, bis der Friede geschlossen und für geeignete Räumlichkeiten gesorgt wäre. Während Barack so in Strassburg selbst die ersten Vorbereitungen für die Verwirklichung seines Gedankens traf, trat er gleichzeitig mit einer grossen Zahl von Fachgenossen und Gelehrten in Süd- und Norddeutschland in Verhandlung, ob sie bereit seien, sich an einem öffentlichen Aufrufe zu betheiligen. Einige erachteten die Zeit zu einem solchen Vorgehen noch nicht für gekommen, weitaus die Mehrzahl aber ging mit grosser Begeisterung auf den Gedanken Barack's ein. So konnte er die Namen von 49 angesehenen Persönlichkeiten (39 Bibliothekare, 6 Antiquare und Buchhändler, der Präsident der Münchener Akademie der Wissenschaften, von Liebig, und die beiden Direktoren des germanischen Museums zu Nürnberg, Essenwein und Frommann) unter den folgenden Aufruf setzen, den er unter dem 30. Oktober 1870 in 600 Exemplaren versandte und ausserdem in einer Reihe der verbreitetsten Zeitungen veröffentlichte :
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«Strassburg hat seine herrliche Bibliothek verloren! Erkundigungen, die daselbst bei amtlichen Personen angestellt wurden, geben die traurige Gewissheit, dass «Nichts, auch gar Nichts» davon gerettet worden ist.
Durch ganz Deutschland wird
dieser Verlust aufs Tiefste beklagt.
Sollte sich, Angesichts der
warmen Theilnahme, welche die materielle Noth der unglücklichen Stadt
allerwärts
erregt,
Deutschland
nicht auch aufgefordert
fühlen, dieser Stadt, welche, so lange sie beim Reiche war, eine hervorragende
Pflegestätte deutschen Geistes, deutscher
und deutscher Wissenschaft gewesen Losreissung
Kunst
ist, und auch nach ihrer
nicht aufgehört hat, die Trägerin und Vermittlerin
des deutschen Geisteslebens für die losgetrennten Landestheile zu sein, — dieser alten deutschen Stadt die WiedergeAvinnung eines Bücherschatzes anzubahnen, der es ihr ermöglicht, auch fernerhin ihre kulturhistorische Mission zu erfüllen? Gewiss, wenn wir Hand anlegen, um der Stadt, mit deren Namen das Gedächtniss eines Gottfried, Erwin, Twinger, Tauler, Guttenberg, Geiler, Brant, Fischart, Oberlin, Schöpflin, Schweighäuser, Herder, Goethe verknüpft ist, einen Ersatz zu schaffen für das Kostbarste, das sie verloren hat, so heisst dies nur den Manen dieser Männer dankbar sein, es heisst die segensreichste Saat für die Zukunft ausstreuen. Was
den Stolz der einstigen Strassburger Bibliothek aus-
machte, die Handschriften und seltenen Drucke, vermögen wir nicht zu ersetzen : mit vereinten Kräften werden wir aber im Stande sein, wenigstens den Grundstock zu einem Geistesschatze zu legen, welcher
in der gegen zwei Jahrhunderte von uns ge-
trennten Stadt deutsche Wissenschaft
und deutsche
Kultur in
erfolgreichster Weise zu neuer Geltung und damit zur alten Blüthe zu bringen vermag. Die Unterzeichneten wenden sich daher vertrauensvoll an alle Deutschen, insbesondere an die Vorstände und Besitzer von Bibliotheken, an die Gelehrten,
Autoren, Verleger,
Antiquare,
Universitäten, Akademien, an andere gelehrte Gesellschaften und wissenschaftliche Vereine mit der angelegentlichsten Bitte : durch Beiträge von geeigneten Büchern oder Geld zur Wiederbegründung einer Bibliothek in Strassburg mithelfen zu wollen,
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und erklären sich bereit, die Beiträge in Empfang zu nehmen und deren Ablieferung an den Bestimmungsort nach Wiederherstellung des Friedens und nach Herrichtung geeigneter Räume zu besorgen. Ueber die eingegangenen Gaben wird von Zeit zu Zeit öffentliche Rechenschaft gegeben werden.» III. Der Erfolg dieses Aufrufes übertraf alle Erwartungen. Allerdings nicht überall. An manchen Orten, in Hannover zum Beispiel, fanden die Kreise, die hauptsächlich in Betracht kamen, die Idee zu kühn oder, wie man sich gewöhnlich ausdrückte, verfrüht; man habe vorläufig noch viel wichtigere, andere Dinge zu thun. Andere glaubten noch nicht recht daran, dass Strassburg wirklich wieder deutsch bleiben würde: die Franzosen würden dann die Geschenke gar nicht annehmen und man würde sich nur lächerlich gemacht haben. In Hamburg hatte sich vor Abschluss der Belagerung Strassburgs bereits ein Komite gebildet, um Geld für das Strassburger Münster zu sammeln, aber vollständig ohne Erfolg; hier fürchtete man das gleiche Schicksal für den Gedanken der freiwilligen Bücherspenden. Wieder andere — und deren waren es nicht wenige — hegten die Befürchtung, dass bei einer derartigen Aufbringung des Grundstockes der neuen Bibliothek nichts Brauchbares herauskommen werde, es würden wohl meistens nur werthlose Sachen doppelt und dreifach zusammenfliessen, während gerade die wichtigeren Publikationen voraussichtlich ferne blieben. An manchen Punkten endlich bestand die Absicht, sich zwar an der Sache zu betheiligen, aber selbstständig für sich die Sammlung vorzunehmen und deren abgeschlossenes Ergebniss erst nach Strassburg abzuliefern; ein Vorgehen, das unbedingt zur Zersplitterung und Verwickelung hätte führen müssen. Alle diese Umstände aber fielen nicht in's Gewicht gegenüber der begeisterten Aufnahme, deren sich der Aufruf weit überwiegend zu erfreuen hatte, und gegenüber der Umsicht, mit welcher Barack die auftauchenden einzelnen Schwierigkeiten zu überwinden verstand. Am 30. Oktober war der Aufruf veröffentlicht worden und schon am 12. November waren 72 Sammler an 48 Sammelorten gewonnen, von da ab wuchs die Zahl von Tag zu Tag. In Deutschland selbst liessen sich vor allem mehrere fürstliche Persönlichkeiten für die Sache interessieren, allen voran
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Kaiser Wilhelm, der ausser dem theueren Prachtwerke von Lepsius (Denkmäler aus Egypten und Aethiopien) noch ca. 4000 Doubletten aus seiner Handbibliothek zur Verfügung stellte. Weiterhin gelang es ohne grosse Schwierigkeiten die Regierungen der meisten Bundesstaaten, die Universitäten und Akademien bestimmen.
zur Abgabe
Insbesondere
ihrer amtlichen
hatte eine spezielle
Publikationen zu
Einladung,
die
Anfang
Januar 1871 an etwa 160 wissenschaftliche Vereine erging, überraschend günstigen Erfolg.
Bedenklicher
liess sich anfangs das Verhalten
der
deutschen Verleger an, deren Mitwirkung für die ganze Unternehmung natürlich von besonderer Bedeutung war.
An
Bereitwilligkeit,
in um-
fassendster Weise beizusteuern, fehlte es auch hier keineswegs. aber fand in weiteren vember
Kreisen
Wohl
eine Idee Anklang, die Petzhold im No-
1870 im Börsenblatt -der deutschen Buchhändler anregte : die
deutschen Verleger und Antiquare sollten iür sich allein in Leipzig eine vollständige Bibliothek
begründen, die nach ihrer Fertigstellung
Strassburg transportiert würde.
nach
Glücklicher Weise gelang es Barack, diese
Gefahr einer Zersplitterung rasch zu beseitigen. pondenz mit den einflussreichsten Verlegern
Nach längerer Korres-
erliess er im Verein
mit
Duncker, Humblot und F. A. Perthes Mitte Januar 1871 einen speziellen Aufruf an die deutschen Verleger, und zu Anfang Februar beschloss daraufhin der Börsenvorstand der Buchhändler, dem gesammten Buchhandel die Abgabe von Werken an das unter Baracks Leitung stehende Komite aufs Wärmste zu empfehlen.
Bis Mitte Februar hatten dann bereits 125
Firmen die unentgeltliche Abgabe von Verlagsartikeln und antiquarischen Werken
zugesagt, drei Wochen später war diese Zahl bereits auf 200
und bis Anfang August desselben Jahres auf über 300 gestiegen, darunter etwa 200, die ihren ganzen Verlag zur freien Auswahl zur Verfügung stellten.
Verschiedene wie Braumüller in Wien und Schauenburg in Lahr
z. B. gaben gleichzeitig die Erklärung ab, auch ihre künftigen Publikationen der Bibliothek überlassen zu wollen. Nicht nur in Deutschland selbst, auch in zahlreichen fremden Ländern hatte der Aufruf Barack's einen kräftigen Wiederhall gefunden. Zuerst und am stärksten in England und Nordamerika. Noch vor der Veröffentlichung des Barack'schen Aufrufes — unter dem 24. Oktober 1870 — schrieb einer der bedeutendsten Buchhändler Londons, N. Trübner, an den Karlsruher Hofbibliothekar Holder, er habe mit Interesse erfahren, dass eine Wiederherstellung
der Strassburger Bibliothek geplant sei. Er stelle mit
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gnügen eine vollständige Serie seiner Verlagswerke zur Verfügung. Auch sei er gerne bereit, einen Aufruf an seine Kollegen in England und Schottland ergehen zu lassen und die Agitation auch auf Nordamerika dehnen, wo er mit den hervorragendsten Beziehung stand.
Verlegern
auszu-
in geschäftlicher
Für die Organisation der Sammlungen selbst in Nord-
amerika schlug er einen der eifrigsten deutsch-pensilvanischen Patrioten vor, den Colonel Richard Mückle, den aus dem Schwarzwald gebürtigen Leiter einer weitverbreiteten und sehr einflussreichen Zeitung in Philadelphia (Public Ledger).
Bis Ende 1871 hatte dann Trübner ein Komite
für England zusammengebracht, das sich der lebhaftesten Unterstützung von Männern wie Max Müller und Carlyle erfreute, während gleichzeitig Mückle in der gleichen Weise für Nordamerika vorging. Der eifrigen und geschickten Thätigkeit dieser beiden Männer ist es dann auch zu danken, dass England und
Nordamerika
ganz
besonders reiche Beiträge
zur
Strassburger Bibliothek beigesteuert haben. In der Schweiz wurde zu Anfang 1871 durch Sauerländer in Aarau die Agitation eingeleitet und das Sammeln von Bücherspenden ebenso eifrig wie glücklich betrieben.
Im Herbste desselben Jahres wurde dann
die ausländische Agitation weiter ausgedehnt.
In Belgien konstituirte sich
ein Komite auf Betreiben des Buchhändlers Bruylant in Brüssel. In Italien wurde an verschiedenen Orten eine starke Bewegung ins Leben gerufen: in Rom waren es Konsul Nast, dann der Sekretär des archäologischen Institutes Hensen, ferner Tomasi und der gelehrte Theologe Pater Theiner, in Florenz Christ. Negri, in Cagliari der Kanonikus Spano, die sich zunächst der Sache annahmen, bis dann im August 1872 die Thätigkeit für Italien unter Leitung von Angelo de Glubernatis konzentrirt wurde. In Griechenland liess sich der Metropolit Theophilos in Athen, in der Türkei der Interpret bei der deutschen Gesandtschaft in Konstantinopel, Dr. Schröder, für die Organisation der Sammlungen gewinnen.
Aus Russland wurden wenigstens die
sämmtlichen Publikationen der Petersburger Akademie der Wissenschaften in sichere Aussicht gestellt. IV. In welchem Umfange mit dieser so weit verzweigten und geschickt organisirten Thätigkeit Erfolge erzielt wurden, lässt sich am besten mit einigen Zahlenangaben darthun: bis Ende Oktober 1872 waren Geschenke angekommen oder angekündigt von 1673 Schenkgebern aus 421 Orten. V o n den
letzteren lagen 293 in Deutschland selbst, 102 im übrigen Europa (25 in der Schweiz, 22 in Oesterreich, 21 in England, 10 in Italien) und 26 in den übrigen Welttheilen (17 in Nord- und 2 in Südamerika, 4 in Indien und 1 in China). Dass bei dieser in so kurzer Zeit emnehten Ausdehnung der Sammlungen rasch wieder ein sehr grosser Bücherschatz zusammenfliessen musste, ist selbstverständlich, namentlich wenn man bedenkt, welch bedeutende Geber sich darunter befanden. So waren von einigen Verlegern (besonders Cotta in Stuttgart und Augsburg, Brockhaus in Leipzig und Braumüller in Wien) Geschenke bis zu 1000 Bänden auf einmal gekommen, Theodor Fischer in Cassel stiftete einige Werke von mehr als 3000 Francs Ladenwerth, Geheimrat Landfermann in Koblenz schenkte zum Andenken an seinen im Felde gefallenen Sohn eine reiche Sammlung von philologischen und historischen Werken, einzelne Bibliotheken stellten die beliebige Anzahl aus Tausenden von Doubletten (bei der Königsberger Universitätsbibliothek allein waren es ca. 15000) anheim u. s. w. Dabei waren die Bibliotheken und auch einzelne Privatpersonen darauf bedacht, der jungen Bibliothek namentlich auch zu Werken der älteren Litteratur zu verhelfen; so besass die Anstalt zum oben erwähnten Zeitpunkte eine beträchtliche Anzahl von Inkunabeln, von denen sie einen grossen Theil dem Augsburger Antiquar Fidelis Butsch und dann den Städten Heilbronn, Trier und Schweinfurt verdankte; die letztere Stadt allein hatte 100 Bände geschickt, darunter mehrere werthvollc Drucke aus den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts. Und wenn endlich die zu Grunde gegangene alte Strassburger Stadtbibliothek namentlich durch ihren Reichthum an Handschriften hervorragte, so war bei ihrer Nachfolgerin auch in diesem Punkte schon ein vielversprechender Anfang gemacht: Deutsche in Ostindien hatten eine Sammlung orientalischer Handschriften gesandt, der bereits erwähnte Antiquar Fidelis Butsch in Augsburg hatte eine Anzahl lateinischer und deutscher Manuskripte aus dem Mittelalter beigesteuert, ebenso waren unter den reichen Geschenken der Stadt Schweinfurt mehrere werthvolle Handschriften, einzelne Manuskripte wurden endlich von Privatgelehrten angeboten. Von besonderer Wichtigkeit für die rasche Ausgestaltung der neuen Bibliothek war, dass die Anregung Barack's, neben den einlaufenden Geschenken möglichst bald an die käufliche Erwerbung geschlossener ganzer Bibliotheken zu gehen, bei der Regierung sofort auf fruchtbaren Boden fiel. So wurde schon frühzeitig vor Allem die reiche, fast ausschliesslich elsässische Litteratur umfassende Büchersammlung des 1867 verstorbenen
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Strassburger Buchhändlers F. C. Heitz angekauft, die 27503 Nummern, darunter nicht weniger als 1818 Handschriften zählte. Schon vor dem Kriege hatte die Strassburger Stadtverwaltung daran gedacht, diese interessante Sammlung für die Stadtbibliothek zu erwerben, die Verhandlungen hatten aber zu keinem Ergebnisse geführt — glücklicherweise, sonst wäre auch diese wichtigste Quelle für elsässische Geschichte in Flammen aufgegangen. Aehnliche bedeutende Ankäufe wurden dann in den ersten zwei Jahren noch mehrere gemacht; die juristische Bibliothek des Heidelberger Rechtslehrers von Vangerow, eine überaus reiche Sammlung theologischer Werke von dem katholischen Pfarrer Block in Geseke (Westphalen), eine grosse Sammlung von Werken aus dem Zeitalter der Humanisten und Reformatoren aus der Hinterlassenschaft des Professors Böcking in Bonn, zahlreiche Werke über die altdeutsche Litteratur aus dem Nachlasse von Uhland; dazu kam der besonders wichtige Ankauf der Bibliothek des 1872 in London verstorbenen Professors Goldstücker, die in 2302 Nummern fast die sämmtlichen Werke umfasste, die sich auf das Studium der Sanskrit-Philologie und des indischen Alterthums beziehen, sowie eine beträchtliche Zahl der wichtigeren Werke über die vergleichende Sprachwissenschaft; besonders zahlreich und wohl vollständiger als in jeder anderen europäischen Bibliothek waren darin die in Indien gedruckten Sanskrittexte vertreten, eine um so schätzenswerthere Erwerbung, als der Bezug ostindischer Drucke erfahrungsgemäss mit grossen Kosten und viel Zeitaufwand verknüpft zu sein pflegt. Wenn man sich die Zahl und den Umfang dieser Beiträge vorstellt, deren Ergebniss an den Bestand der alten Akademiebibliothek angeschlossen wurde, so begreift man die sonst ganz unglaublich erscheinende Thatsache, dass im August 1871, bei der feierlichen Eröffnung der Bibliothek, bereits ca. 120000 Bände an Geschenken eingelaufen waren und dass in weniger als zwei Jahren, im Frühjahr 1872, wieder eine Bibliothek von 200000 Bänden geschaffen war! Als die neubegründete Kaiser-Wilhelms-Universität am 1. Mai 1872 feierlich eröffnet wurde, war somit eine der ersten und wichtigsten Voraussetzungen für eine gedeihliche Wirksamkeit
der neuen
Hochschule erfüllt; was kurze Zeit vorher noch ftir unmöglich gehalten vielfach verlacht und verspottet worden war, war zur Wirklichkeit geworden, ohne bedeutende Opfer seitens der Regierung, in der Hauptsache auf dem Wege freiwilliger Spenden, war eine neue Bibliothek hervorgezaubert worden, die den weitgehenden Ansprüchen einer deutschen Hochschule für den Anfang genügte.
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Schon wenige Wochen nach Beginn der Agitation war es ausser Zweifel, dass der äussere Umfang der Sammlungen die gehegten Erwartungen mehr als erfüllen werde.
Dagegen legte gerade das rasche und
massenhafte Zusammenströmen der Bücherspenden die Gefahr einer Ueberhäufung mit werthlosen Doubletten nahe. Das Bestreben Barack's war daher von allem Anfange an besonders auch darauf gerichtet, gerade dieser Gefahr wirksam zu begegnen. Anfang November 1870 hatte er auf seine Bitte von dem Bibliothekar der Strassburger Akademiebibliothek, dem verdienstvollen Schriftsteller Piton, einen ausführlichen Bericht über die Entwickelung und über den Bestand der Akademiebibliothek erhalten. Von dem Bestände der hier vorhandenen Bücher ging Barack bei der Auswahl der angebotenen Geschenke aus. Es wurde vor Allem ein einheitliches Formular festgestellt, nach welchem die von Privatpersonen, Vereinen und Bibliotheken angebotenen Werke in übersichtlichen Verzeichnissen zusammengestellt wurden. Diese Verzeichnisse, sowie die sämmtlichen Verlags- und Antiquariatskataloge flössen in der Hand Barack's zusammen.
Hier wurden diese Verzeichnisse
verarbeitet, geordnet und ergänzt, um aus ihnen dann unter Vergleichung mit der Akademiebibliothek die Auswahl zu treffen. Dabei nahm Barack bezüglich der Doubletten den Standpunkt ein, dass im Wesentlichen nur solche Werke in mehr als einem Exemplar angenommen wurden, bei denen man voraussetzen konnte, dass sie besonders häufig verlangt würden oder dass die Doubletten
vortheilhaft zum Austausch — so namentlich bei
älteren Werken — verwerthet werden könnten. Aus den Katalogen der Buchhändler wurde zuletzt die Auswahl getroffen, um von diesen, die ohnehin in so grossartiger Weise sich betheiligten, nicht unnöthige Opfer zu verlangen. Eine ungeheure Arbeitslast hatte Barack mit dieser Thätigkeit auf sich genommen.
Dass er dafür die erforderliche Zeit aufzuwenden im
Stande war, und dass ihm namentlich auch die äusseren Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt wurden, beruht auf der dankenswerthen Theilnahme des Fürsten von Fürstenberg
an den Bestrebungen seines Hofbibliothekars.
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VI.
Nicht minder wichtig als die zweckmässige innere Organisation war für die weitere Entwickelung des ganzen Unternehmens die Entscheidung der Frage nach der äusseren rechtlichen Gestaltung der neu zu begründenden Bibliothek. Der Gedanke, von dem zuerst diese ganzen Bestrebungen ausgegangen waren, war ganz allgemein der gewesen, einen Ersatz für die in Strassburg zerstörte Büchersammlung zu beschaffen. Nun waren zwei Bibliotheken vernichtet worden, die zwar räumlich vereinigt, bezüglich der Eigenthumsfrage aber vollständig von einander unabhängig gewesen waren: die eine war Eigenthum der Stadt Strassburg, die andere dagegen Eigenthum des protestantischen Seminars. Selbstverständlich waren die Bestrebungen Barack's und seiner Genossen von Anfang an auf die Begründung einer einzigen grossen Bibliothek gerichtet. Es war also vor allem die wichtige Frage zu entscheiden : wem sollte diese neue Bibliothek zu eigen gehören ? Dabei lagen drei Möglichkeiten vor : die neue Bibliothek konnte als Stadtbibliothek, als Landesbibliothek und endlich als Universitätsbibliothek gedacht werden, — denn dass nach der Wiedergewinnung Strassburgs hier die ehemalige deutsche Hochschule in neuer glanzvoller Gestaltung wieder auferstehen würde, darüber herrschte schon im Herbste 1870 in der deutschen Gelehrtenwelt nur eine Stimme. Diese wichtige Frage nach der äusseren Gestaltung der neuen Bibliothek legte Barack in einem Schreiben vom 31. Oktober 1870 dem Generalgouvernement des Elsasses zur Beschlussfassung vor. Der Civilkommissär, Regierungspräsident von Kühlwetter, der selbst mit den näheren Verhältnissen natürlich noch nicht vertraut war, beauftragte den ihm beigegebenen Regierungsrath von Sybel, die Rechtsverhältnisse der zerstörten Bibliotheken näher festzustellen, und mit der städtischen Verwaltung sowohl wie mit den hervorragendsten Professoren der theologischen Fakultät und der Akademie zu verhandeln. Das Resultat dieser Verhandlungen war «die unbedingteste, allseitig ohne jede, auch nur andeutungsweise Erhebung einer abweichenden Meinung ertheilte Zustimmung zu dem Vorschlage, die neue Bibliothek in Strassburg nicht als eine städtische und nicht als eine nach Wahl der Schenker städtische oder Seminarbibliothek, sondern als eine UniversitätsBibliothek zu begründen. Es war namentlich der damalige Maire der
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Stadt, Küss, Professor der Physiologie bei der Akademie, welcher diese Idee auf das Wirksamste vertrat und besonders hervorhob, dass bei dieser Modalität der Neugründung zugleich die Bibliothek der Akademie eine zweckmässige Einreihung in die grössere Bibliothek für die nach deutschen Grundsätzen zur Universität umzugestaltende Akademie erfahren würde. Der Maire Küss war es auch, welcher es für richtiger hielt, die Bibliothek unter dem wissenschaftlichen Einfluss und der Autorität der Universität zu verwalten, als ihre Leitung der städtischen Verwaltung zu überlassen und welcher offen aussprach, dass alsdann auch der Nutzen der Bibliothek für die städtische Bevölkerung ein grösserer sein würde.»') Daraufhin erfolgte am 7. November die Antwort an Barack, in welcher der Civilkommissär ausführlich auf die ganze Frage einging. Würde man, so führte er aus, die Zweckbestimmung der Bücher ohne bestimmte einheitliche Regelung einfach der Absicht der einzelnen Geschenkgeber überlassen, so würden wahrscheinlich zwei Bibliotheken, eine für die Stadt und eine für das Seminar und möglicherweise noch eine dritte gemeinschaftliche entstehen. Dass ein solches Verhältniss hinsichtlich der Verwaltung wie der Benützung der Anstalt durchaus unzweckmässig wäre, sei zweifellos. «Im Interesse der Wissenschaft und der geistigen Bildung der jetzigen und künftigen Generationen kann es nur liegen, dass überhaupt eine gute Bibliothek hier existirt, welche unter wissenschaftlicher Leitung die Bedürfnisse der Wissenschaft zu erfüllen vermag. Dieser Gesichtspunkt aber führt nothwendig dazu, die Bibliothek nicht der Stadt oder dem Seminar zuzubringen, sondern der Universität und zwar der Universität, zu welcher die jetzt hier aus vier selbstständigen Fakultäten bestehende Akademie nach deutschen Begriffen umgewandelt werden muss. Diese Akademie besitzt heute schon eine nicht unansehnliche, wohl erhaltene und gut geordnete Bibliothek, für deren Vermehrung konnte aber bisher nur wenig geschehen. Hier eine Aenderung eintreten zu lassen, dieser so vernachlässigten Sammlung die neuen Zuwendungen zuzuführen und der umzugestaltenden Universität Lehr- und Lernmittel zu schaffen, welche ihr ermöglichen, in die Reihe der übrigen deutschen Universitäten
würdig
einzutreten, das scheint mir das Richtige zu sein; das leider Vergangene bleibt dann vergangen, aber für die Zukunft wird dann ein neuer Grundstein zu einem guten Hause gelegt.» Die Regierung wolle und könne aber
') Aus einem amtlichen Berichte des OberprHsidenten an den Reichskanzler vom 11. Mal 1872.
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«ohne Zustimmung der wissenschaftlichen Welt und insbesondere derjenigen Fachmänner, welche die Beschaffung der neuen Bibliothek sich zur besonderen Aufgabe gestellt haben», einen endgiltigen Beschluss in der Sache nicht fassen. Diesem letzteren Wunsche des Civilkommissärs entsprechend wandte sich Barack mit einem Rundschreiben vom 14. November an die sämmtlichen Mitglieder des für die neue Begründung der Bibliothek zusammengetretenen Ausschusses. Er selbst schloss sich in diesem Schreiben der Ansicht des Civilkommissärs vollständig an, in der Hand der zu begründenden Universität werde die künftige Bibliothek als Lehr- und Lernmittel ihren Zweck am ehesten erfüllen, weiterhin biete sie «als Universitäts(Staats-) Bibliothek mehr Garantie für eine nachhaltige Unterstützung und eine wissenschaftliche Leitung», auch werde sie sich in dieser Eigenschaft von Seiten der Staatsverwaltung jedenfalls einer kräftigeren Förderung zu erfreuen haben; der ihrer Bibliothek beraubten Stadt aber werde die Benützung der neuen Bibliothek selbstverständlich im weitesten Umfange freigestellt, so dass auch deren Interessen vollständig gewahrt seien. Am 24. November bereits konnte Barack an das Strassburger Civilkommissariat berichten, dass «die eingelaufenen Stimmen, 46 an Zahl, darunter Männer wie Pertz in Berlin nnd von Liebig in München, sich alle für die Zuwendung der Beiträge an eine künftige Universitätsbibliothek, näherhin für den Ausbau der vorhandenen Akademiebibliothek zu einer Universitätsbibliothek in
entschiedenster Weise
ausgesprochen
haben,
gleichzeitig mit dem Wunsche, dass die Stadt das Recht der Mitbenützung erhalte.» Eine einzige Stimme hatte die weitere Bestimmung für nothwendig gehalten, «dass die Bibliothek Eigenthum der Stadt Strassburg werden solle, wenn je einmal die Universität von Strassburg wegverlegt werden sollte.» Dass mit dieser Entscheidung sachlich das einzig Richtige getroffen wurde, liegt auf der Hand, ist auch durch die ganze weitere Entwicklung der neuen Bibliothek auf das deutlichste bewiesen worden. Ebenso zweifellos ist aber auch, dass mit dieser Entscheidung nach keiner Richtung ein Unrecht geschehen ist. Das Gesetz vom 14. Juni 1871, betreffend den Ersatz von Kriegsschäden und Kriegsleistungen, hatte bestimmt, dass die Mobilien und Immobilien, die im Laufe des Krieges bei Beschiessung in dem bisherigen Bundesgebiete oder in Elsass-Lothringen gelegener Ortschaften zerstört worden waren, nach dem vollen Werthe vergütet werden sollten. Von der mit der geschäftlichen Erledigung dieser Entschädigungs-
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anspräche betrauten Commission wurde für die verbrannte Stadtbibliothek der Stadt Strassburg eine Vergütung von 600000 fr. angeboten und von der Stadtverwaltung wurde diese Entschädigung ohne Einspruch angenommen. Für die Seminarbibliothek aber wurde eine Entschädigung von 400 000 fr. ausgeworfen und acceptirt. Hier entstand allerdings späterhin ein Konflikt bezüglich der Frage, ob die neue Universität als Rechtsnachfolgerin des protestantischen Seminars in seiner Eigenschaft, als Lehrananstalt auf diese Entschädigung oder einen Theil derselben Anspruch habe oder nicht. Erst am 12. März 1878 wurde diese Streitfrage durch einen Vergleich beigelegt: es wurde die Summe von 160000 Mark als besonderer Bibliothekfond ausgeschieden, der zu Gelegenheitskäufen
von
ganzen
Bibliotheken, besonders werthvollen Handschriften und dergleichen verwendet werden sollte, die aus den laufenden Jahresmitteln der Bibliothek nicht beschafft werden könnten; die aus diesem Fond angeschafften Werke sollten im Eigenthum des Thomasstiftes bleiben, der Bibliothek aber zur Verwaltung und Benutzung übergeben werden; bezüglich des Restbetrages der Entschädigungssumme erklärte dagegen die Universität, keine weiteren Ansprüche erheben zu wollen.
VII. Wie schon erwähnt, war die Sammelarbeit in der Weise durchgeführt worden, dass nur die Verzeichnisse der angebotenen Werke an den Hofbibliothekar Barack eingeschickt, die Bücher selbst aber an den einzelnen Sammelorten zurückbehalten wurden. Mit dem raschen Anwachsen der Schenkungen stellten sich hierin Schwierigkeiten ein. Schon im Frühjahr 1871 kam es immer häufiger vor, dass grössere Bücherspenden unter der Bedingung oder doch mit dem ausdrücklichen Wunsche angeboten wurden, dass die Bücher sofort abgesandt werden könnten. Damit traten zwei Nothwendigkeiten an den geschäftsfiihrenden Ausschuss oder richtiger gesagt, an die Seele desselben, den Hofbibliothekar Barack, heran: einmal durfte die Centralisation der ganzen Arbeit in Strassburg selbst nicht mehr länger aufgeschoben und dann musste dort für ein wenn auch nur provisorisches Lokal gesorgt werden, das zur einstweiligen Unterbringung der Sendungen geeignet war. Diese Verlegung des Schwerpunktes der ferneren Arbeit nach Strassburg vollzog sich im Frühjahr und Sommer 1871. Dass der kaiserliche
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Generalgouverneur an die Spitze der Strassburger Organisation niemand anders berufen konnte als den Vater der ganzen Bewegung, Dr. Barack, war selbstverständlich.
Dieser entschloss sich auch, seinen bisherigen
Wirkungskreis zu verlassen und dem ehrenvollen Rufe, der unter dem 6. Juli 1871 offiziell an ihn erging, zu folgen. Er siedelte alsbald nach Strassburg über und begann hier am 17. Juli seine Thätigkeit, unterstützt von zwei gleichfalls für die Sache begeisterten, an Arbeitskraft und wissenschaftlichen Kenntnissen wie an bibliothekarischer Schulung gleich hervorragenden Arbeitsgenossen, dem im Juli desselben Jahres aus Tübingen berufenen Bibliothekar Dr. Euting, und dem bisherigen Subrektor und Stadtarchivar in Nördlingen, Dr. Müller, der kurz darauf in die Verwaltung der Bibliothek eintrat. Am 29. Juli wurde der Verwaltung der neuen Bibliothek durch Erlass des Civilkommissärs der Bestand der alten Akademiebibliothek offiziell überwiesen und am 9. August wurde die Bibliothek feierlich eröffnet. Diese Eröffnungsfeier, die sich gleichzeitig zu einer Erinnerungsfeier an Goethe gestaltete, der vor hundert Jahren (am 6. August 1771) an der alten Strassburger Universität promovirt hatte, brachte schon in der Zusammensetzung des Festkomites die erhebende Thatsache zum Ausdrucke, dass die Neubegründung der Bibliothek das erste grosse aussöhnende und annähernde Moment zwischen Deutschland und dem zurückeroberten Elsass bedeutete: Altelsässer und Eingewanderte hatten sich hier freundschaftlichst vereinigt, Dr. Baum, Professor an dem protestantischen Seminar, Dr. Bergmann, Professor und Dekan der facultö des lettres, Dr. Heitz, Professor am protestantischen Gymnasium, J. Klein, der Maire von Strassburg, der Archivdirektor Dr. Spach und der Dichter Mühl waren die elsässischen, Hofbibliothekar Dr. Barack, Bibliothekar Dr. Euting und das Mitglied der Präfektur, Dr. Löning, waren die deutschen Mitglieder dieses Festausschusses.
Der greise clsässische Gelehrte Spach,
der die Festrede übernommen hatte, gestaltete diese zu einem feurigen Hymnus auf den grossen deutschen Geisteshelden Göthe, als dessen Schüler er die elsässische Gelehrtenwelt proklamirte und in dem er den Friedensfürsten begrüsste, dessen Geist versöhnend auf die jetzige Welt zu wirken bestimmt sei. Ganz absonderlich Strassburg und das Elsass seien zur Dankbarkeit gegen ihn verpflichtet. „So knüpfe die Gründung einer neuen Universitätsbibliothek ftir Strassburg unmittelbar an die erhebenden Erinnerungen an, die hier mit Goethes Namen eng verschwistert auf jedem Schritt und
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Tritt entgegentreten; indem wir die Inauguration der neuen Schöpfung mit seinem Andenken verbinden, errichten wir ihm ein Monument, das als Abschlagszahlung unserer Schuldverschreibung gelten mag." Der Festredner schloss seine Ausführungen mit dem Gedanken: „Ich wünsche in Goethe einen Vermittler zu finden; ich wünsche, dass bei der Verehrung dieses Glanzgestirnes politische Gegner sich die Hand reichen ; ich wünsche, dass die an seinen Namen sich anlehnende Gründung wachse, gedeihe und segensreiche Früchte bringe, dass unter dem Balsam der alles heilenden Zeit geschlagene Wunden vernarben." Bei der Lektüre des offiziellen Berichtes über dieses Eröffnungsfest ') und insbesondere in dieser sehr bezeichnenden Festrede tritt dem Leser auf jeder Seite klar und deutlich entgegen, welch hervorragende politische Bedeutung der aus hoher patriotischer Begeisterung hervorgegangenen Gründung der neuen Strassburger Bibliothek zuerkannt werden muss. Bei diesem Festakte wurde von dem Vertreter der Regierung, Herrn v. Sybel, offiziell mitgetheilt, dass der Generalgouverneur die Einsetzung einer Bibliothekskommission angeordnet habe, die in Gemeinschaft mit der Bibliotheksverwaltung sich der Erledigung der weiteren organisatorischen Arbeiten zu unterziehen habe. In diese Kommission wurden berufen die Professoren Bruch, Reuss, Wieger, Bergmann, Schimper, Abbé Straub und Archivdirektor Spach ; der Maire von Strassburg, J. Klein, trat der Kommission als Ehrenmitglied bei. Als die neue Universität im Mai 1872 ihre Thätigkeit begann, fand sie die Bibliothek bereits in vollem Betriebe vor. Namentlich war auch schon eine für die wissenschaftliche Arbeit besonders wichtige Einrichtung getroffen : zu Anfang dieses Jahres war von der Bibliotheksverwaltung ein Lesezimmer eröffnet Worden, in welchem mehr als 400 wissenschaftliche Zeitschriften aufgelegt wurden. Am 19. Juni 1872 wurden dann durch kaiserliche Verordnung der neuen Bibliothek alle Rechte einer öffentlichen Anstalt, insbesondere auch die juristische Persönlichkeit verliehen und bestimmt, „dass die Bibliothek die Bezeichnung „ U n i v e r s i t ä t s - und L a n d e s - B i b l i o t h e k " führe und die bleibende Bestimmung erhalte, die literarischen Hülfsmittel für die durch Erlass vom 28. April dieses Jahres neu begründete Universität Strassburg, sowie zum Gebrauche der übrigen Lehranstalten in Elsass-Lothringen, ' Die Neugrllndung der Strassburger Bibliothek und die Goethefeier am 9. Aug. 1871. Strassburg, 1871.
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der Behörden und Privatleute, zu sammeln und zu ordnen." Am 1. Juli desselben Jahres wurde von dem Reichskanzler das Statut der Bibliothek erlassen, auf Grund dessen auch die Bibliotheksordnung ausgearbeitet und unter dem 2. Dezember veröffentlicht wurde, das die Benutzung der Bibliothek regelte. An demselben Tage, von dem die Stiftungsurkunde der Bibliothek datirt, am 19. Juni 1872, war der Begründer und nunmehrige Leiter der neuen Anstalt, Hofbibliothekar Barack zum kaiserlichen Oberbibliothekar mit dem Charakter eines Ordentlichen Professors ernannt worden.
VIII. Auch auf die Zuweisung eines für die Unterbringung der Bücher geeigneten Lokales hatte Barack schon sehr frühzeitig sein Augenmerk gerichtet. Schon am 1. November 1870 regte er in einem Briefe an den Archivdirektor Spach diese Frage an. Aber gerade die Lokalfrage bereitete ungemein grosse Schwierigkeiten. Im Frühjahre 1871 kam Barack immer dringender auf die Sache zurück. Mitte April richtete er an das Civilkommissariat die Bitte, einstweilen das der Stadt gehörige Akademiegebäude für die eintreffenden Sendungen zur Verfügung zu stellen. Da der Stellvertreter des Maire, J. Klein, sich damit einverstanden erklärte, wurde seitens der Regierung diesem Antrage entsprochen.
Bald darauf aber
wurde, da die Räumlichkeiten des Akademiegebäudes sich sofort gegenüber dem grossen Andränge als gänzlich unzureichend erwiesen, die provisorische Unterbringung der Bücher in dem „alten Schlosse", das gleichfalls der Stadt gehörte, genehmigt: am 12. Juli konnte Barack durch Zirkular seine sämmtlichen Sammelausschüsse auffordern, ihre Sendungen fortan an die „kaiserliche Universitätsbibliothek (Schloss)" zu adressiren. Das alte Schloss'), in welchem die Bibliothek neben einem Theile der späterhin begründeten Strassburger Universität wider alles Erwarten fast ein Vierteljahrhundert „provisorisch" untergebracht blieb, ist das interessanteste Erzeugniss der grossartigen Bauthätigkeit, die in Strassburg um die Mitte des vorigen Jahrhunderts entfaltet wurde. Als der Kardinalbischof von Strassburg, Armand Gaston de Rohan - Soubise, seine Residenz aus dem Zaberner Schloss nach Strassburg verlegte, begann man 1728 auf ') Vgl. dazu besonders: Strassburg und seine Bauten, (herausgegeben von dem Architekten-und Ingenieurverein für Elsass - Lothringen, Strassburg. 1894), S. 325 ff.
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dem zur alten bischöflichen Pfalz gehörigen Grundstücke zwischen dem Münster und der III mit dem Bau eines neuen fiirstbischöflichen Schlosses, der bis 1742 dauerte, in welchem Jahre die unmittelbar an der III gelegene, mit Ballustraden geschmückte und mit schönen Gittern abgeschlossene Terrasse angelegt wurde. Die Pläne zu diesem bedeutenden Bauwerk sollen von dem Hofarchitekten Robert de Cotte (1656—1735), einem Schüler Mansart's herrühren; die Ausführung des Baues war dem Architekten des Domkapitels, Massol, übertragen. Nach dem genannten Kardinalbischof haben noch weitere drei Rohans in dem prachtvoll ausgestatteten Schlosse ihre glanzvolle Holhaltung geführt. Während der Revolution wurde das Gebäude als Nationaleigenthum versteigert und von der Stadt Strassburg für 128 000 Francs erworben. Späterhin wurde es von Napoleon gegen den Hanauer Hof eingetauscht, von Ludwig Philipp aber wieder an die Stadt zurückgegeben.
Obwohl
dann das Schloss vorübergehend zu verschiedenen Zwecken benützt wurde auch einige Zeit hindurch nochmals die Residenz der Bischöfe bildete, wurde doch fast nichts für seinen Unterhalt gethan, so dass es sich in ziemlich verwahrlostem Zustande befand, als es 1871 der Landesverwaltung zur Unterbringung der Bestände der neuen Bibliothek zur Verfügung gestellt wurde. IX. So war mit vieler Mühe die ganze Sache glücklich in Gang gebracht, als plötzlich von einer Seite neue Schwierigkeiten herantraten, an die man am wenigsten gedacht hatte. Wie schon früher einmal angedeutet, war in Strassburg schon im Herbste 1870 unter dem Vorsitze des Maire der Stadt, Professor Küss, eine Kommission zusammengetreten, um eine neue Bibliothek zu gründen. Diese Kommission kam aber gar nicht dazu, eine grössere Wirksamkeit zu entfalten. Mit Freude und Dank nahmen seine Mitglieder von den in Deutschland bereits eingeleiteten gleichartigen Bestrebungen Kenntniss. Am 2. Dezember 1870 schon konnte der Civilkommissär dem Hofbibliothekar Barack mittheilen, dass „die Besprechungen mit Herrn Maire Küss und anderen Mitgliedern des städtischen Komites ergeben haben, dass das letztere geneigt ist, seine Bemühungen mit den übrigen zum Zwecke der Errichtung einer Universitätsbibliothek in Strassburg thätigen Herren zu vereinigen." In der That stellte auch unmittelbar darauf das Strassburger
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Komite seine Thätigkeit ein, um nicht durch Zersplitterung der Arbeit den Gesammterfolg in Frage zu stellen. Als dann der Bürgermeister sowohl wie die angesehensten Strassburger Gelehrten dem Plane der neuen in grösserem Stile zu gestaltenden Bibliothek den Karakter einer Universitätsbibliothek zu geben, bereitwillig zustimmten und als weiterhin die Stadt die Entschädigung, die ihr für die verbrannte Bibliothek angeboten wurde, rückhaltlos annahm, hielt man die Frage der Wiederbegrtindung einer besonderen Stadtbibliothek allgemein für erledigt. Da wurde wider alles Erwarten im Frühjahr 1872 diese Idee wieder aufgegriffen, geraume Zeit also, nachdem die Universitätsbibliothek bereits offiziell eröffnet war: vielleicht waren es gerade die grossartigen Erfolge der von Barack angeregten und so geschickt geleiteten Sammelthätigkeit, die bei manchen Strassburgern den Gedanken entstehen Hessen, den gleichen Weg zu Gunsten einer besonderen Stadtbibliothek zu betreten. Es wurde zu dem genannten Zeitpunkte von dem Stadtrathe die Schaffung einer neuen Stadtbibliothek beschlossen und unter dem Vorsitze des damaligen Maire, Lauth, eine neue Kommission eingesetzt, in welcher von dem ersten Komite des Herbstes 1870 nur Professor Schimper vertreten war. Diese Kommission trat im April 1872 mit einem Aufruf an die Oeffentlichkeit, der unter der Spitzmarke „Reconstitution de la bibliothèque municipale de Strasbourg" allgemein verbreitet wurde. Darinnen hiess es unter Anderem, die von der deutschen Verwaltung neu begründete Strassburger Universität habe erfolgreich den Appell an die Freigebigkeit der verschiedenen Länder ergehen lassen, um die der Zerstörung entgangene alte Akademiebibliothek zu vermehren; die Stadtverwaltung aber sei durch die vielen und schweren auf ihr lastenden Verpflichtungen bisher verhindert gewesen, ein Werk zu unternehmen, das ihr besonders theuer gewesen wäre, die Wiederherstellung der zerstörten Stadtbibliothek. Dass die Stadt eine besondere Entschädigung für diese Bibliothek erhalten hatte, war in dem Aufrufe nicht erwähnt. Man kann sich wohl leicht vorstellen, welche Verwirrung durch diesen Schritt in den weitesten Kreisen hervorgerufen wurde, in denen man mit Begeisterung beigesteuert hatte, um der schwer geprüften Stadt Strassburg einen Ersatz für ihren empfindlichsten Verlust zu schaffen. Von allen Seiten kamen Anfragen, an manchen Stellen wurden die Sammlungen einstweilen eingestellt und die angesammelten Bücher zurückbehalten, bis Aufklärung über die wirkliche Sachlage erfolgt war. Der ungünstige Ein-
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druck, der so vielfach hervorgerufen wurde, wurde noch verstärkt, als eine sehr lebhafte öffentliche Erörterung durch die Behauptung veranlasst wurde, die Verwaltung der Universitätsbibliothek habe an die Stadtbibliothek adressirte Sendungen für sich behalten. Der beschuldigten Verwaltung war es nicht schwer, diese völlig unbegründete Anklage zurückzuweisen. Da die Sammlungen fast ausschliesslich von den durch Barack und seine Genossen eingerichteten Komites geleitet wurden, so waren Sendungen mit falscher Adresse überhaupt nur in verschwindend geringer Zahl eingelaufen, diese aber waren alle ohne Ausnahme von der Bibliotheksverwaltung zurückgewiesen und der Mairie übersandt worden. Glücklicher Weise ging auch dieser Sturm vorüber, ohne ernsthaften Schaden anzurichten. Die gedeihliche Entwicklung der Universitätsbibliothek wurde in keiner Weise dadurch aufgehalten. Dass daneben sich thatsächlich noch eine Stadtbibliothek *) entwickelt hat, die namentlich in der elsässischen Litteratur sehr bedeutend geworden ist und die unter geschickter, sachverständiger Leitung in liberalster Weise jedermann ohne Unterschied zur Verfügung steht, kann natürlich nur als erfreulicher besonderer Gewinn betrachtet werden.
X. Mit der feierlichen Eröffnung der Bibliothek war deren Verwaltung auf festere Füsse gestellt worden, und in der ganzen Entwicklung, die bis dahin in der Hauptsache auf die Sammlung freiwilliger Spenden beruht hatte, war damit eine entscheidende Wendung eingetreten.
Während, wie
früher schon erwähnt, die äussere Organisation der neuen Bibliothek als einer staatlichen Anstalt geregelt wurde, wurden gleichzeitig auch seitens der Regierung nunmehr in reichem Masse die Mittel bereit gestellt, um die neue Anstalt rasch auf jene Höhe zu bringen, die deren Begründern vorgeschwebt hatte und die durch die Bedürfnisse der Universität verlangt wurde. Eine bemerkenswerthe Anregung Baracks, es möchte bei Vereinbarung der Friedensbedingungen speziell der Strassburger Bibliothek gedacht werden, blieb leider ohne Erfolg. Barack hatte namentlich den Wunsch ausgesprochen, dass bei diesem Anlasse die Ueberlassung von Doub') Dieselbe zählte im Herbst 1894 46894 Nummern mit 105927 Bänden und Broschüren, d a r u n t e r 716 Inkunabeln und 723 Bände Handschriften (vgl. cMinerva», J a h r b u c h der gelehrten Welt, 18915, S. 706).
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letten aus den reichen Bücherschätzen der französischen Ministerien vereinbart werden solle, da die Beschaffung dieser gerade Air die Strassburger Bibliothek besonders wichtigen Werke voraussichtlich Schwierigkeiten machen werde. Auch hatte Barack gleichzeitig den Gedanken angeregt, die deutsche Regierung solle bei dem Friedensschlüsse die im dreissigjährigen Kriege mit der Heidelberger Palatina entführte und im vorigen Jahrhundert in die königl. Bibliothek zu Paris gekommene, für die frühere deutsche Litteratur überaus wichtige Manessische Liederhandschrift *) zurückverlangen. Wenn diese Anregung keinen Erfolg hatte, so fanden dagegen die sonstigen Wünsche der Bibliotheksverwaltung in weitestem Umfange Berücksichtigung. Im Februar 1871 war Barack von dem Civilkommissariat aufgefordert worden, bezüglich der Summen, die für die neue Bibliothek in den Etat aufzunehmen wären, Vorschläge zu machen. Er bezeichnete daraufhin unter dem 8. April einen Dotationsfond von 75 000 Thalern, sodann einen Jahresetat von 5000 Thalern auf 10 Jahre zur Ausfüllung von Lücken im Bücherbestande, und den gleichen Betrag für ausserordentliche Bedürfnisse als wünschenswerth.
Die erstere Frage eines besonderen
Gründungsfonds wurde erst 1874 gelöst: in dem Gesetze vom 25. Dezember 1874 betreffend die Feststellung des Landeshaushalts von Elsass-Lothringen für das Jahr 1875 wurde bestimmt, dass der auf Elsass-Lothringen entfallende Antheil an Reichskassenscheinen2) bis zum Betrage von 150 000 M. fiir die Universitäts- und Landesbibliothek zu verwenden sei. In den ordentlichen Ausgaben des Jahreshaushalts für Elsass-Lothringen aber waren für das Jahr 1872 für die regelmässigen Bücherankäufe 42 000 M. eingesetzt, ein Betrag, der in den nächsten Jahren auf 36 000, von 1879 bis 1893/4 auf 55 000 und seitdem auf 56 800 M. festgesetzt worden ists). Neben diesen fortlaufenden Ausgaben sind Regierung und Volksvertretung auch mit ausserordentlichen Bewilligungen nicht sparsam gewesen (an ausserordentlichen Ausgaben fiir Bücherankäufe und Einbände weist der Landeshaushalt auf ca. 40000 M. jährlich bis 1876, 35000 in den beiden nächsten Jahren und 23000 im Jahre 1879, dann 9000 und 8000 in den Jahren 1880 und 1881, von da ab jährlich 5000 bis 189314, seitdem ist dieser Posten im Extraordinarium weggefallen). Gerade diese letzteren waren ja die unerläss') Dieselbe ist später, 1888, durch Tausch in den Besitz des Strassburger Buchhändlers K. Trübner gekommen, alsdann von dem Deutschen Reiche angekauft und von Kaiser Friedrich der Bibliothek zu Heidelberg zurückgegeben worden. !
) Vgl. Gesetz vom 30. April 1874.
*) Vgl. dazu Anhang 3.
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liehe Voraussetzung dafür, dass auch weiterhin — was für den inneren Werth der Bibliothek eine der wichtigsten Bedingungen war — an die Erwerbung von geschlossenen grösseren Büchersammlungen gedacht werden konnte. Was gerade dies für die Entwicklung der Bibliothek bedeutet hat, zeigt sich deutlich, wenn wir nur die wichtigsten von diesen Erwerbungen erwähnen. So wurden als geschlossene Büchersammlung angekauft: die philologische Bibliothek von Menke, eine die neuere Litteratur umfassende Bibliothek von Menzel, die naturwissenschaftliche, insbesondere physikalische Bibliothek von Poggendorf, eine die ganze Dantelitteratur umfassende Bibliothek von Witte, die Sammlung von Semitica von Rödiger, die philologische und historische Bibliothek von Stahl, die naturwissenschaftliche Bibliothek von Schimper, die theologischen Bibliotheken von Baum und Reuss, von denen die erstere besonders die Reformationslitteratur, die letztere die biblische Litteratur umfasste, dann die Calvinbibliothek von Reuss und Cunitz, neuerdings auch die theologische Bibliothek von Carl Schmidt, in der namentlich die ältere Litteratur vertreten war; weiterhin dann die Alsatica-Sammlung von Baron von Schauenburg, mehrere Goethehandschriften aus dem Besitze des Freiherrn von Stein-Kochberg, eine DoublettenSammlung aus der Bibliothek des Friedrich-Gymnasiums zu Frankfurt a. O., endlich eine Sammlung arabischer Handschriften aus dem Besitze des Dr. Wilhelm Spitta-Bey)1. Neben diesen umfassenden Büchereinkäufen gingen auch weiterhin freiwillige Bücherspenden immer noch in erfreulichem Umfange ein. Noch im Jahre 1874 traten zu den früher bereits begründeten Ausschüssen neue hinzu : ein solcher bildete sich in Indien im August, auf Anregung von A. C. Gumpert, unter dem Vorsitze des Vice-Kanzlers der Universität Bombay, James Gibbs, ein zweiter in Spanien, unter dem Vorsitze des bekannten Schriftstellers Hartzenbusch. Es liegt uns eine ausführliche Uebersicht der Geschenkgeber bis Ende des genannten Jahres vor. Bis dahin war die früher für den Oktober 1872 mitgetheilte Zahl der Geschenkgeber von 1673 auf 4130, die Zahl der Ortschaften aber, aus denen Büchersendungen eingelaufen waren, von 421 auf 995 gestiegen! Besonders wichtig war dabei der erfreuliche Umstand, dass auch unter diesen Schenkungen sich eine grosse Zahl von grösseren Fachbibliotheken befanden. Es seien auch von diesen nur die bedeutendsten hier ver') Vgl. darüber: Die arabischen Handschriften Spitta's. Von Theodor Nöldeke (Separatabdruck aus der Zeitschrift der deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band XL), Leipzig 1886.
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zeichnet : Der Fürst von Bentheim-Steinfurt übersandte eine alte Klosterbibliothek, die Handschriften und ältere theologische Litteratur enthielt, der Graf von Blankensee-Firks zu Wugarten schenkte die Bibliothek des Diplomaten Wessenberg, Salomon Hirzel in Leipzig eine reichhaltige Sammlung der Zwingli-Litteratur, medizinische Bibliotheken kamen von Sanitätsrath Tiemann in Bielefeld und Professor Textor in Würzburg, juristische Bibliotheken von dem Staatsminister von Bethmann-Hollweg in Berlin und Advokaten Frantz in Strassburg, eine philosophische von Professor Imanuel Fichte in Stuttgart, eine kunstwissenschaftliche von Chr. Fellner in Frankfurt a. M., eine nationalökonomische und statistische Bibliothek von Ch. Grad in Logelbach, eine Sammlung der handelswissenschaftlichen Litteratur von dem Handelskammerpräsidenten Sengenwald in Strassburg, eine hauptsächlich botanische Bibliothek von Dr. Hasskarl in Cleve und eine Sammlung historischer Schriften von Professor Baumgarten in Strassburg. Bei diesem Umfange der Bttcherkäufe und der freiwilligen Bücherspenden erscheint es nicht mehr verwunderlich, wenn es die Bibliothek zu einem so bedeutenden Bücherbestande gebracht hat, dass sie heute dem Umfange nach in Deutschland an dritter Stelle steht (hinter Berlin und München). Die Zahl der Bände, die Ende 1872 etwa 220000 betrug, ist bis Ende 1875 auf 370 892, bis Ende 1880 auf 509 842, bis 1885 auf 587629, bis 1890 auf 680152 angewachsen.
Am 1. Januar 1895 umfasste die Bibliothek
749372 Bände '). XI. Je rascher und grossartiger die neue Bibliothek sich entwickelte, um so empfindlicher musste sich ein schwerer Umstand geltend machen, unter dem sie schon von Anfang an zu leiden hatte: so interessant das alte Schloss in rein architektonischer Beziehung war, so wenig war gerade dieses hauptsächlich für repräsentative Zwecke gebaute und eingerichtete Gebäude geeignet, den Bedürfnissen einer grossen Bibliothek zu genügen. Dazu kam noch die schon erwähnte Thatsache, dass das Gebäude infolge der mangelhaften Unterhaltung im Laufe der Zeit vielfach Schaden gelitten hatte. In dieser Beziehung wurden zwar bei Ueberweisung des alten Schlosses an die Bibliothek die nöthigsten Reparaturen vorgenommen, ') Vgl. dazu Anhang, 4.
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zahlreiche Befestigungsarbeiten, die durch die schadhaft gewordenen Balkenlager erforderlich geworden waren, ausgeführt, auch die beiden kleineren Seitenhöfe überdacht, um an Raum zu gewinnen. Aber auch dadurch war nur nothdürftig den Hauptmängeln abgeholfen, während vor allem hinsichtlich der Unzweckmässigkeit der Räume, die auf deren Gesammtanlage beruht, naturgemäss durchgreifende Veränderungen und Verbesserungen überhaupt ausgeschlossen waren. Wieweit es allmählig mit dem Zustande diesesprovisorischen Bibliotheksgebäudes kam, geht am deutlichsten aus dem Berichte einer Kommission hervor, die im März 1879 von dem Oberpräsidenten von Möller beauftragt wurde, den baulichen Zustand des Schlosses zu untersuchen.
In diesem
Berichte heisst es u. A.: Dass das Mauerwerk des Gebäudes durch die Witterungseinflüsse schwer gelitten habe, dass „eine Anzahl von Balken gegenwärtig durch Schwamm und Trockenfäulniss von dem Kopfe aus bis auf 2 oder 3 Meter beinahe verfault sind", dass insbesondere der Zustand der Balkenköpfe an der Wasserseite in hohem Grade gefahrdrohend sei. Der ganze Umfang der Unzuträglichkeiten aber, zu denen der schlechte Zustand wie auch die ganze Raumeintheilung des Gebäudes schliesslich geführt hat, ist in einem amtlichen Berichte der Bibliotheksverwaltung zusammengefasst, den der Staatsminister von Hoffmann in der Sitzung des Landesausschusses vom 19. Februar 1886 öffentlich mittheilte') und worin u. A. es heisst: „Es ist bekannt, dass das Schloss, in welchem die Bibliothek untergebracht ist, zu Wohn- und Repräsentationszwecken gebaut worden ist.
Dasselbe blieb jedoch im Laufe der Zeit meist unbewohnt und ist
deshalb mit Ausnahme der im Erdgeschoss gelegenen, seiner Zeit zu Festlichkeiten benutzten grossen Säle, in Verwahrlosung gerathen. Diese Verwahrlosung zeigt sich zunächst im Dachwerk, welches sich in einem so üblen Zustande befindet, dass bei etwas stärkerem Regen oder bei Thauwetter das Wasser nicht selten an 3 bis 4 Stellen bis in die Büchersäle und in die Arbeitszimmer der Bibliothekare dringt und Bücher und Kataloge durchnässt werden.
Wie früher schon oft, so befindet sich eben zur Zeit, infolge des
letzten Thauwetters, wieder eine Anzahl von Büchern beim Trocknen. Welcher Schaden hiedurch den Büchern und den Katalogarbeiten zugefügt wird, bedarf keiner Erläuterung.
Allgemein bekannt ist sodann,
dass die Balken im Innern des Gebäudes grösstentheils faul sind. Es wurden
>) Vgl. Verhandlungen des Landesausschusses für Elsass-Lothringen, Session 188687, S. 296 f.
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zwar, um bei der enormen Belastung derselben durch die Büchermassen dem drohenden Einstürze vorzubeugen, kostspielige Stützen und Durchzüge angebracht; bei der stets sich mehrenden Bücherlast wird deren Wirkung jedoch mehr und mehr abgeschwächt und die Gefahr droht (über kurz oder lang) von neuem. Macht dieser Mangel an Tragfähigkeit das Gebäude für eine Bibliothek durchaus untauglich, so kommt noch dazu, dass die Anlage des Gebäudes, wodurch die Nebenflügel durch Treppenhäuser vom Hauptbau getrennt sind, dasselbe für den Bibliothekbetrieb in hohem Grade unzweckmässig macht. Nur durch Entfernung der Treppenhäuser, durch gänzlichen Ausbruch der Balkenlagen im Hauptbau, durch gründliche Reparatur des Dachwerkes und Anbringung eines Zugangs in der Mitte des Hauptbaues könnte ein dauernder Zustand geschaffen werden, dies aber nur durch ein Opfer von mindestens 500 000 Mark — für ein Flickwerk! Und wohin während des Baues mit den Büchermassen? Zu diesen für die Aufbewahrung gefahrdrohenden und für den Betrieb höchst störend wirkenden Mängeln kommt ein weiteres Uebel — der Mangel an ausreichendem Licht in den meisten Büchersälen. Da das Licht diesen nur von einer Seite zugeführt wird, werden die hinteren Partieen der Räume durch die für die Unterbringung der Bücher nöthigen Zwischengestelle in der Regel so verfinstert, dass man an nicht ganz sonnigen Tagen die von dort zu holenden Bücher nur mit Hilfe einer Laterne finden kann. Wie es die Raschheit der Entstehung der Bibliothek und die erst nach und nach erfolgte Zuweisung der Räumlichkeiten mit sich brachte, konnte für die Unterbringung der Bücher nur eine provisorische Einrichtung erstellt werden. Die hohe Regierung hat auch auf dieses Provisorium jederzeit hingewiesen, wenn es sich um Mittel zur Herstellung von Bücherschäften gehandelt hat. Eine Folge desselben ist, dass die meisten 4—6 Meter hohen Büchergestelle keine Galerien haben und die oberen Bücherreihen nur mit hohen Leitern erreicht werden können. Dass das Erklimmen solcher Höhen, in der Regel mit Büchern auf den Armen, für die Beamten lebensgefährlich ist, zeigen die nicht selten vorkommenden Unfälle, die glücklicherweise bis jetzt noch kein Menschenleben, aber monatelange Arbeitsunfähigkeit gekostet haben. Zu all diesen Mängeln und Missständen kommt die Gefahr, welche den in dem Gebäude verkehrenden zahlreichen Personen sowie der Existenz
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der Bibliothek überhaupt droht durch eine bei der stets wachsenden Belastung trotz der Unterstützung immerhin möglichen grösseren oder geringeren Einsturzkatastrophe, sowie durch die stete Feuergefahr, in welcher das Gebäude, sowohl von den Nachbarstrassen, als auch, selbst bei der grössten Vorsicht, durch die Heizungseinrichtungen der Verwaltungslokale schwebt." Als dann im Frühjahre 1888 die Frage des Neubaues von verschiedenen Seiten aus wieder betrieben wurde, nahm auch die vor allem in der Sache betheiligte Universität Gelegenheit, bei der Regierung die Errichtung eines Neubaues auf das allerdringlichste zu befürworten. In dem betreffenden Schreiben des Rektors der Universität*) sind als Gründe, die für dieses Vorgehen der Universität massgebend waren, aufgeführt: „Die grosse Feüergefährlichkeit und Baufälligkeit des jetzigen Bibliothekgebäudes, ferner die in einer ganzen Reihe von Bibliothekräumen herrschende Dunkelheit, welche die Benutzung der Bibliothek ausserordentlich erschwert, endlich die Thatsache, dass der beschränkte Raum vielfach zur Aufstellung der Bücher in solcher Höhe nöthigt, dass die Benutzung derselben durch die Professoren in Folge der nothwendigen Anwendung von Leitern geradezu als lebensgefährlich bezeichnet werden muss."
XII. Dass also ein Neubau für die Bibliothek unbedingt nothweudig sei, darüber bestand für die Bibliothekverwaltung selbst, wie auch für die Regierung von Anfang an kein Zweifel. Bei dem ungemein grossen Umfange der Bauaufgaben aber, die in Strassburg in den 70er und 80er Jahren zu lösen waren, dauerte es geraume Zeit, bis die Aufführung eines solchen Bibliothekneubaues wirklich in Angriff genommen wurde. Schon 1881 hatte es einmal den Anschein gehabt, als ob sich der lang gehegte Wunsch plötzlich verwirklichen wollte. Das Reichsgesetz vom 23. Mai 1881 bestimmte, dass die Verhandlungen des Landesausschusses vom 1. März 1882 ab öffentlich sein sollten. Die Ausführung dieses Gesetzes war bei den Räumlichkeiten, die damals provisorisch für den Landesausschuss bereit gestellt waren, nicht wohl durchzuführen und die Regierung dachte nun daran, das alte Schloss als Landesausschussgebäude ') Vgl. Verhandlungen des Landesausschusses f. E.-L., Session 1887,88. S. 220.
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einzurichten. E s wurden daher sofort die ersten Vorbereitungen zur Errichtung eines Neubaues für die Bibliothek getroffen: der Oberbibliothekar, Professor Barack, und der Ministerialrath Pavelt wurden von der Regierung beauftragt, eine Reihe grösserer Bibliothekbauten zu besichtigen.
Dieser
Auftrag wurde von den genannten im April und Mai 1881 ausgeführt, indem sie die Bibliotheken zu Paris, Grenoble, Turin, Mailand, Venedig, Wien, München, Stuttgart und Karlsruhe besuchten. Als dann für den Landesausschuss ein besonderes provisorisches Gebäude auf dem Kaiserplatz errichtet wurde, kam die Idee des BibliothekNeubaues wieder ins Stocken. Erst 1886 wurde sie neuerdings aufgegriffen: auf eine Anfrage im Landesausschusse gab in der Sitzung vom 19. Februar dieses Jahres Staatssekretär von Hoffmann die Erklärung ab, die Regierung wünsche nichts sehnlicher, als dass ihr möglichst bald die Mittel zur Verfügung stehen möchten, dem bisherigen unhaltbaren Zustande abzuhelfen; sie habe allerdings darauf verzichtet, schon im jetzigen Etat eine darauf bezügliche Forderung zu stellen, sie behalte sich aber vor, in einer der nächsten Sessionen eine Vorlage in dieser Richtung zu machen. Im Landesausschusse selbst bestand für den beabsichtigten Neubau lange Zeit sehr geringe Sympathie. Nur wenige Mitglieder desselben waren durch eigene Erfahrung mit den Zuständen in der Bibliothek genauer bekannt, von diesen am besten der Abgeordnete Ch. Grad, der als langjähriger eifriger Benützer und warmer Freund der Anstalt der eigentliche Vorkämpfer ftir die Idee des Neubaues war.
Seinen Bemühungen ist es
auch hauptsächlich zu danken, dass die Stimmung im Landesausschusse allmählich günstiger wurde.
Zwar wurde noch am 24. Februar 1888 sein
Antrag, die Regierung um Vorlage eines Projektes zu ersuchen, abgelehnt, aber doch nur mit Stimmengleichheit, wobei noch dazu 4 Mitglieder fehlten, die den Antrag mit unterzeichnet hatten.
Durch diesen Erfolg ermuthigt
trat Grad noch eifriger für die Sache ein, und veranlasste einen grossen Theil der Abgeordneten, sich persönlich von den Verhältnissen der Bibliothek zu überzeugen.
Die Folge davon war, dass der Landesausschuss durch
Resolution vom 18. April desselben Jahres noch die Regierung ersuchte, thunlichst bald ein Projekt für den bezeichneten Neubau ausarbeiten zu lassen, um dasselbe in der nächsten Session vorzulegen. Am 23. April bereits wurde daraufhin der Oberbibliothekar von dem Ministerium veranlasst, ein Programm fiir die Bedingungen aufzustellen, die von dem Neubaue zu erfüllen waren.
Am 7. Mai wurde dieses Pro-
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gramm eingereicht, worauf die Regierung alsbald den Ministerialrath Pavelt mit Herstellung eines Vorentwurfes betraute.
Es wurden Pläne
ausgearbeitet für einen Neubau, der bis zu 1 130000 Bänden fassen konnte und dessen Kosten auf 1116 000 Mark berechnet wurden.
Gleichzeitig
wurde aber auch die Frage studiert, ob man sich nicht mit einem Gebäude begnügen könne, das bei einem Kostenaufwande von 981000 Mark etwa 850000 Bände fassen würde. In der Kommission des Landesausschusses, die über diese Frage zu berathen hatte, entschied man sich für das zweite Projekt.
Der Antrag der Kommission, diesem Projekt zuzu-
stimmen, wurde dann von dem Landesausschusse in seiner Sitzung vom 27. Februar 1889 mit 30 gegen 14 Stimmen zum Beschluss erhoben. Die Ausarbeitung des definitiven Projektes war von der Regierung den Architekten Härtel und Neckelmann übertragen worden. Die Oberaufsicht über die Bauausführung, die im Mai 1889 begonnen und im Herbste 1894 vollendet wurde, wurde durch die Bauabtheilung des kaiserlichen Ministeriums ausgeübt, die spezielle Bauleitung lag zuerst in den Händen des Bauinspektors Trumm, später und der Hauptsache nach in denen des Kreisbauinspektors Wägner. Die Ausarbeitung sämmtlicher architektonischer und künstlerischer Details für das Aeussere und Innere wurden nach den Entwürfen und näheren Angaben des Architekten Professor Neckelmann bewirkt, der mit der künstlerischen Oberleitung betraut war. XIII. Als Baustelle war von der Stadt Strassburg das nordöstliche Bauquadrat am Kaiserplatz unentgeldlich zur Verfügung gestellt worden, in gleicher Vorderflucht mit dem Landesausschussgebäude, das gleichfalls von den Architekten Härtel & Neckelmann entworfen und ausgeführt worden ist. Hier erhebt sich auf einer überbauten Fläche von 3320 Quadratmetern der in den Formen italienischer Renaissance gehaltene wuchtige Bau, dessen Kern von einem 300 Quadratmeter grossen, durch die ganze Höhe des Gebäudes — ca. 16 m. — hindurch geführten Lesesaal gebildet wird.
Von einer
in die
technischen Details ein-
gehenden Beschreibimg des Gebäudes müssen wir hier absehen und diese den Fachzeitschriften überlassen, jedoch mag ein kurzer Ueberblick über die Raumeintheilung und über die dekorative Ausgestaltung gestattet sein.1) ') Vgl. dazu die Abhandlung von W ä g n e r in „Strassburg und seine Bauten". S. -132 ff.
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Die Gesammtanlage — vergleiche hierzu die untenstehenden Pläne — umschliesst zwei Lichthöfe und zeigt eine ziemlich scharfe Scheidung der
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