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German Pages 190 [191] Year 2021
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von
Konrad Schmid (Zürich) ∙ Mark S. Smith (Princeton) Hermann Spieckermann (Göttingen) ∙ Andrew Teeter (Harvard)
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Rainer Albertz
Die Josephsgeschichte im Pentateuch Ein Beitrag zur Überwindung einer anhaltenden Forschungskontroverse
Mohr Siebeck
Rainer Albertz, geboren 1943; Studium der Ev. Theologie und Assyriologie in Berlin und Heidelberg; 1972 Promotion; 1977 Habilitation; 1983-95 Professor für Biblische Exegese und Biblische Theologie an der Universität-Gesamthochschule Siegen; 1995–2008 Professor für Altes Testament an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; 2008–15 Seniorprofessor im Exzellenzcluster »Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne« der Universität Münster.
ISBN 978-3-16-160099-9 / eISBN 978-3-16-160100-2 DOI 10.1628/978-3-16-160100-2 ISSN 0940-4155 / eISSN 2568-8359 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Minion gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Der British Academy zum Dank für die Verleihung der Burkitt Medal 2021 for Biblical Studies
Vorwort Wenn ich mich am Ende eines langen Forscherlebens entschlossen habe, noch einmal ein Buch ausgerechnet zur biblischen Josephsgeschichte zu schreiben, dann hat das vier ganz verschiedene Gründe. Erstens ist mir die Josephsgeschichte aus familiären Gründen schon seit meiner Jugend vertraut, lange bevor ich mich entschloss, Theologie zu studieren. Denn auf dem Nachttisch meines Vaters, Heinrich Albertz, stand neben seiner zerlesenen kleinen Lederbibel über viele Jahre ein Schuber mit dem mehrbändigen Werk Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“. Er hat es mehrmals gelesen und sprach immer wieder einmal darüber. Für den zuvor von vielen angefeindeten jungen Pastor der Bekennenden Kirche aus Schlesien, den es nach dem Zweiten Weltkrieg zu Verwandten meiner Mutter nach Celle verschlagen hatte, mag es von großem Reiz gewesen sein, seinen eigenen unverhofften Aufstieg vom geringfügig bezahlten Flüchtlingspfarrer zum ersten Flüchtlingsminister des Landes Niedersachsen im Geschick dieser biblischen Gestalt zu spiegeln. Wie Joseph sich von Gott voraus gesandt sah, um seine Brüder in der Hungerkrise am Leben zu erhalten, so sorgte er sich als Minister um Unterkunft, Nahrung und Arbeit für die vielen Flüchtlinge, die infolge der Kriegskatastrophe aus den Ostgebieten in die Britische Zone strömten. Auch seine Passierscheinverhandlungen, die er später als Bürgermeister von Berlin trotz aller Anfeindungen mit den Verantwortlichen in der DDR führte, um den durch die Mauer getrennten Familien in West- und Ostberlin endlich ein Wiedersehen zu ermöglichen, mag er im Lichte dieser biblischen Geschichte gesehen und gedeutet haben. Sie waren ein Grundstein für die neue Ostpolitik Willy Brandts. Der zweite Grund für dieses Buch liegt in meinen Vorlesungen zur Josephsgeschichte. Nachdem diese in den dreistündigen Vorlesungen zur Vätergeschichte immer zu kurz kam, habe ich mich erstmals für das Sommersemester 1993 entschlossen, an der Universität-Gesamthochschule Siegen eine zweistündige Vorlesung speziell zur Josephsgeschichte anzubieten. Das waren nun ausgerechnet die Monate, in denen mein Vater starb. Ich erinnere mich, dass ich einige Teile der Vorlesung im Gästezimmer des Bremer Altersheims ausgearbeitet habe, als ich dort zusammen mit meiner Mutter und meinen Schwestern den Sterbeprozess meines Vaters begleitete. Dass ich dabei die Josephsgeschichte auch ein wenig mit den Augen meines Vaters, als Sohn eines Politikers, gelesen habe, braucht darum nicht weiter zu verwundern. Im Zentrum stand damals für mich
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Vorwort
allerdings noch die Auseinandersetzung mit der Quellentheorie, zu deren Vorstellungen, wie schon Julius Wellhausen zubilligte,1 der literarische Befund in der Josephsgeschichte völlig quer stand. Meine Einsicht, dass sich die Josephsgeschichte zwar nicht auf die drei Pentateuchquellen aufteilen lässt, sie aber eine erweiternde Bearbeitung und dann noch weitere Zusätze erfahren hat, geht schon ansatzweise auf diese erste Vorlesung zurück. Sie hat sich durch zwei weitere Vorlesungen, die ich dann an der Universität Münster in den Sommersemestern 2002 und 2007 zur Josephsgeschichte gehalten habe, weiter verfestigt und bildet den Hintergrund der Kapitel 1–4 dieses Buches. Ich hatte eigentlich immer vor, die Einsichten aus meinen Josephsvorlesungen zu veröffentlichen, kam aber wegen anderer Verpflichtungen nicht dazu. Eine erste Gelegenheit bot ein Aufsatz in der Festschrift für Walter Dietrich im Jahr 2009. Doch war hier der Platz naturgemäß so beengt, dass ich in einer Anmerkung die Nachlieferung einer ausführlicheren Begründung ankündigte.2 Diese kleine Anmerkung ist der dritte Grund für dieses Buch, in meinen Augen der gewichtigste. Denn es hat mir keine Ruhe gelassen, dass ich etwas versprochen hatte, was ich möglicherweise schon aufgrund meines fortgeschrittenen Alters nicht einhalten würde. Man mag dies ein „preußisches Pflichtgefühl“ nennen, das mir mein Vater eingeimpft hat. Vielleicht ist es aber auch bloß die Furcht, dass nach meinem Tode ein aufgeweckter junger Forscher mit spöttischem Unterton nachfragen könnte, ob sich denn „der Albertz“ je noch einmal, wie angekündigt, zu dem Thema geäußert habe. Auch der vierte und letzte Grund, der mich bewog, dieses Buch zu schreiben, mag für Heutige etwas irrational klingen. Ich fühle mich ein Stück weit auch persönlich von dem Streit um die Thematik und Datierung der Josephsgeschichte belastet, in den dieses Juwel unserer Bibel in der jüngsten Forschungsgeschichte geraten ist. Ich habe während meiner Zeit an der Universität Münster über viele Jahre in interdisziplinären Forschungsverbünden gearbeitet und dabei kennengelernt, welchen Eindruck die Theologie im Allgemeinen und die Alttestamentliche Wissenschaft im Besonderen auf die Vertreter anderer Universitätsfächer macht. Viele Einsichten, die wir als Theologen in akademischen Diskurs einbringen können, werden geschätzt. Aber für solche Phänomene, dass etwa in der Alttestamentlichen Wissenschaft über Jahrzehnte zu einem biblischen Abschnitt derart divergierende Positionen vertreten werden können, ohne dass auch nur die Möglichkeit einer Lösung des Problems in Sicht ist, haben die Vertreter nicht-theologischer Fächer nur ein müdes Lächeln und milden Spott übrig („Theologengezänk“). Ein solch schlechter Eindruck, den mein Fachgebiet nach außen hinterlassen könnte, schmerzt mich. Darum war es mir ein Anliegen, das Buch durchgehend so zu verfassen, dass es in ständiger Auseinandersetzung mit Vgl. sein berühmtes Statement in Wellhausen, Composition, 52. S. Albertz, Josephsgeschichte, 23 Anm. 51; vgl. Ders., Pentateuchstudien, 67 Anm. 51.
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Vorwort
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den beiden strittigen Positionen vielleicht einen hilfreichen Beitrag zur Überwindung der Forschungskontroverse um die Josephsgeschichte liefern kann. Ob das Buch in diese Richtung wirken wird, weiß ich nicht. Aber ich wollte doch zumindest das Wenige, was ich mit bestem Wissen und Gewissen dazu beitragen kann, getan haben. Dieses Buch ist während der Corona-Pandemie geschrieben; es wurde am Anfang der ersten Infektionswelle im März 2020 begonnen und auf dem Höhepunkt der dritten Welle im April 2021 abgeschlossen. Ohne die Pandemie wäre aus dem Projekt vielleicht nur ein etwas längerer Aufsatz geworden. Doch boten das Leben in Zurückgezogenheit und der Wegfall vieler Termine, die das Virus erzwangen, mir genügend Muße, mich tiefer als ursprünglich geplant in die Materie einzuarbeiten. Wenn die Pandemie eine schwere Prüfung ist, die Gott uns auferlegt hat, dann muss sie auch einige positive Effekte haben! Damit ein solches Buch entstehen kann, bedarf es vieler Helferinnen und Helfer, denen ich an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte. Mein erster Dank gilt der Leiterin der Bibliothek des Theologischen Seminars an der Universität Heidelberg, Frau Dr. Beate Konradt, die mir sogar dringend benötigte Bücher aus dem Fenster reichen ließ, als die Seminarbibliothek wegen des Infektionsgeschehens über mehrere Wochen geschlossen war. Mein zweiter Dank gilt meinem ehemaligen Schüler, Herrn Prof. Dr. Jakob Wöhrle an der Universität Tübingen, der mich nicht nur zu diesem Buch ermutigte, sondern auch zusammen mit seiner Doktorandin, Frau Dorothea von Böhlen, und seiner Hilfskraft, Antonia Lehmann, die mühevolle Aufgabe übernahm, das Manuskript einer sorgfältigen Korrektur zu unterziehen und auf die Drucklegung vorzubereiten. Die Indices wurden von den Tübinger Hilfskräften Antonia Lehmann und Rebekka Ursula Schwend erstellt. Als drittes möchte ich den Herausgebern der „Forschungen am Alten Testament“, den Professoren Konrad Schmid (Zürich), Mark S. Smith (Princeton), Hermann Spieckermann (Göttingen) und Andrew Teeter (Harvard), für ihre zügige und überaus freundliche Empfehlung danken, den Band in die von ihnen betreute Reihe aufzunehmen. Schließlich danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlagshauses Mohr Siebeck, Frau Elena Müller, Herrn Tobias Stäbler, Herrn Tobias Weiß und Frau Kendra Mäschke, für die professionelle Betreuung meines Buches bis zu seinem Erscheinen. Heidelberg, im September 2021
Rainer Albertz
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einführung: Die Josephsgeschichte im Meinungsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Der literarische Bestand der Josephsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.1 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.2 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 47,13–26 und damit verbundener Passagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Differenzierung zwischen ursprünglicher und erweiterter Josephsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.1 Die Rekonstruktion des ursprünglichen Schlusses der Josephsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.2 Die Rekonstruktion des erweiternden Schlussabschnitts der Josephsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG) . . . . . . . . . . . . . 39 3.1 Die familiengeschichtliche Erzählebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.2 Die ursprungsgeschichtliche Erzählebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.3 Die Rolle Ägyptens in der Erzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3.3.1 Ein Fenster in die Gegenwart des Erzählers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3.3.2 Die Verankerung der Ägyptenthematik im Handlungsgang . . . . 61 3.3.3 Möglicher textexterner Realitätsbezug ägyptischer Bräuche . . . . 64 3.3.4 Gründe für die Wahl Ägyptens als Handlungsort . . . . . . . . . . . . . 65 4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG) . . . . . . . . . . . . . . . 69 4.1 Jakobs Tod und Bestattung als lokale Distanzierung von Ägypten . . . 70 4.2 Josephs unterschiedliche Herrschaftsausübung als sachliche Distanzierung von Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.3 Die kulturelle Abgrenzung vonseiten der Ägypter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.4 Eine Ausweitung des Ägyptenaufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.5 Der Realitätsbezug der aufgeführten ägyptischen Sitten und Gebräuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.6 Ein Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.1 Eine kritische Überprüfung der nachexilischen Ansetzung . . . . . . . . . 88 5.1.1 Datierung aufgrund sprachlicher Indizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.1.2 Datierung aufgrund des Ägyptenbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 5.1.3 Datierung aufgrund der ägyptischen Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 5.1.4 Datierung aufgrund interner Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5.1.5 Datierung aufgrund von Motiventsprechungen zu anderen Diaspora-Erzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.1.6 Datierung aufgrund der innerbiblischen Bezeugung der Josephsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.1.7 Datierung aufgrund der literarischen Stratigraphie . . . . . . . . . . . 99 5.2 Ein Plädoyer für eine vorexilische Ansetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5.3 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die ursprüngliche Josephsgeschichte (JG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5.4 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die erweiterte Josephsgeschichte (EJG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.1 Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.2 Die Verbindung mit der Jakobsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.3 Die judäische Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 6.4 Die Einbindung in die Erste exilische Vätergeschichte(VG1) . . . . . . . 130 6.5 Die Einbindung in die Zweite exilische Vätergeschichte(VG2) . . . . . . 131 6.6 Die priesterliche Einbindung in den entstehenden Pentateuch (Triteuch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 6.7 Die Einbindung in den Hexateuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 6.8 Eine neue Strukturierung durch die priesterliche Pentateuchredaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 6.9 Eine neue Ausrichtung durch die nicht-priesterliche Pentateuchredaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6.10 Die literaturgeschichtlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 7. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 8. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 9. Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 10. Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Einführung: Die Josephsgeschichte im Meinungsstreit „Von jeher ist die Josephserzählung als eine Perle der Weltliteratur gepriesen worden …“, die „immer wieder Alt und Jung entzückt und rührt,“ so beginnt Benno Jacob seine Auslegung von Gen 37–50 in seinem großen Genesiskommentar.1 Dennoch ist diese schöne Perle leider Gottes in einen heftigen Meinungsstreit innerhalb der Alttestamentlichen Wissenschaft geraten, der sich nun schon an die 50 Jahre hinzieht. Dabei erschwert die Forschungskontroverse nicht nur eine angemessene Interpretation der Josephsgeschichte, sondern beeinträchtigt, da diese die Brücke zwischen der Väter‑ und der Exodusgeschichte darstellt, auch unser Verständnis von der Entstehung des Pentateuchs. In einigen Variationen stehen sich heute zwei Auslegungstypen unversöhnlich gegenüber, die sich, sowohl was die zentrale Thematik als auch die Datierung der Josephsgeschichte betrifft, diametral unterscheiden: Der erste, schon ältere Typ sieht im Rahmen der familiär konzipierten Ursprungsgeschichte Israels die Problematik und Legitimation politischer Herrschaft, speziell die des NordreichKönigtums über ganz Israel, abgehandelt. Er kann sich darauf berufen, dass in der Josephsgeschichte ausgehend von den Träumen Josephs in Gen 37,5–11, in denen Joseph seine Brüder, ja, selbst seine Eltern vor ihm niederfallen sieht, die Herrschaftsstellung, die Joseph in Ägypten erlangt (42,6.30; 44,18; 45,8.9.26), und die Unterwerfung der Brüder unter ihn (42,6; 43,26; 44,14; 50,18) ein durchlaufendes Erzählmotiv darstellt. Aus dieser thematischen Bestimmung folgt fast notwendig eine vorexilische Datierung, d. h. in eine Zeit, in der es ein Königtum in Israel, speziell im Nordreich, gegeben hat (10.–8. Jh. v. Chr.).2 1 S. Jacob,
Genesis, 693. schon Wellhausen, Prolegomena, 321; Gunkel, Genesis, 495. In noch recht grundsätzlicher Form hatte Westermann die Grundfrage des Herrschens von Menschen über Menschen schon in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts als Thema der Josephsgeschichte benannt, vgl. Westermann, Genesis III, 29. Detailliert ausgearbeitet wurde dieser Auslegungstyp von Crüsemann, Widerstand, 143–155, im Jahr 1978, wenn auch noch bezogen auf das davidisch-salomonische Königtum. Blum, Komposition, 240–244, stellte dann sachgemäßer den Bezug zum Nordreich-Königtum her und vermutete eine mögliche Entstehung im 8. Jh. v. Chr. Speziell an das Königtum Jerobeams I. dachten Dietrich, Josephserzählung, 14–15.62–65, und Carr, Fractures, 273–280. Keine genauere zeitliche Festlegung findet sich bei Albertz, Pentateuchstudien, 67, und Wöhrle, Joseph, 54–57. Blum/Weingart, Joseph Story, 520, denken jetzt genauer an die Regierungszeit Jerobeam II. Oswald, Staatstheorie, 174–184, möchte dagegen die starke Stellung der Provinz Samaria in frühpersischer Zeit als geschichtlichen Hintergrund heranziehen. 2 Vgl.
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Einführung
Der zweite Auslegungstyp, der in den letzen beiden Jahrzehnten immer mehr Anhänger gewinnt, bestimmt die Josephsgeschichte als eine Diasporanovelle, was sie mit den Büchern Esther, Daniel oder Tobit vergleichen lasse. Sie verfolge das Ziel, Ägypten als einen möglichen Lebensraum für Israel zu erweisen, in dem sich für einzelne Israeliten, wie am Beispiel Joseph gezeigt wird (Gen 39–41), sogar ungeahnte Aufstiegschancen eröffnen. Dieser Typ kann sich darauf berufen, dass die Josephsgeschichte nicht nur über weite Strecken in Ägypten spielt, sondern auch dem ägyptischen Staatswesen (40–41; 47,13–26) und der ägyptischen Kultur (50,2–3) eine erstaunlich hohe Aufmerksamkeit zuwendet und Möglichkeiten einer israelitischen Akkulturation, bis hin zur Heirat einer ägyptischen Priestertochter offen benennt (41,45). Da eine solche starke Profilierung der Ägyptenthematik die Existenz einer Diaspora in Ägypten voraussetzt, folgt daraus fast notwendig eine exilische oder nachexilische Datierung (6.–2. Jh. v. Chr.).3 In jüngster Zeit haben Erhard Blum und Kristin Weingart den ersten Auslegungstyp noch einmal ausführlich begründet, wobei sie auch auf die besondere Rolle aufmerksam machten, die Benjamin in der Josephsgeschichte spielt: „The formulated claim of Josephite primacy and the bond to Benjamin, including its recognition by Judah and the other brothers, fit well with the Northern Israelite ambitions for political hegemony over all of Israel including Judah and Benjamin.“4 Darüber hinaus haben sie viele Argumente genannt, die den zweiten 3 Die These, dass die Josephsgeschichte eine Diasporanovelle darstellt, geht auf eine ungedruckte Greifswalder Dissertation aus dem Jahr 1971 zurück, aus der Arndt Meinhold 1975/76 Auszüge veröffentlichte (Meinhold, Gattung I/II). Hinsichtlich der damit verbundenen späten Datierung konnte er an Redford, Study, 250, anknüpfen, der aufgrund sprachlicher Indizien und ägyptischer Parallelen den Zeitraum für die Entstehung der Josephsgeschichte zwischen die Jahre 650 und 425 v. Chr. meinte ansetzen zu können (Meinhold, Gattung I, 310–311). Die These blieb länger unbeachtet, wurde dann aber insbesondere von Thomas Römer 1992 aufgegriffen (Römer, Joseph approché, 75–76) und später ausgebaut, vgl. Ders., Narration; Ders., Joseph Story, wobei er bezüglich der Datierung im Laufe der Jahre vom 6.–5. Jh. auf das 5.–4. Jh. hinabglitt (vgl. Römer, Joseph approché, 84–85, mit Ders., Pentateuch, 103); vgl. auch Macchi, Israël, 126–129. An einer vor-priesterschriftlichen Datierung im 6. Jh. halten Kratz, Komposition, 285–286; Schmid, Josephsgeschichte, 111; Lux, Josef, 234; Ede, Josefsgeschichte, 514, fest. Bei Uehlinger, Fratrie, 311–319, erstrecken sich die verschiedenen Entstehungsstufen über einen Zeitraum vom 6. bis zum 4. Jh. v. Chr. Kunz, Ägypten, 216–224, meint aufgrund einiger ägyptischer Parallelen aus der Ptolemäerzeit, insbesondere der sog. Hungerstele, bis ins 3. oder sogar 2. Jh. v. Chr. hinabgehen zu müssen, doch hat Schipper, Joseph, Ahiqar, and Elephantine, 77–79; Ders., Egyptian Background of the Joseph Story, 16–19, auf Vorläufer zur Hungerstele hingewiesen, so dass eine Datierung ins 5. oder frühe 4. Jh. möglich bleibe; er will dabei die Josephsgeschichte aus der „,Judaic/Aramaic‘ diaspora in Egypt“ herleiten, eine mit der aus den Elephantine-Texten bekannten Gemeinschaft vergleichbaren Gruppe. Direkt im Elephantine der Perserzeit vermuten Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 375, ihren Schlussautor, vgl. ähnlich jetzt auch Römer, Joseph Story, 195. Weitere Autoren werden a. a. O., 192–193 Anm. 47, genannt. Auch im neusten Tagungsband zum Thema (Römer /Schmid/Bühler, Joseph Story) sind noch einmal vor allem Vertreter dieses zweiten Auslegungstyps versammelt. 4 S. Blum/Weingart, Joseph Story, 519.
Einführung
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Auslegungstyp in Frage stellen, etwa dass die Sinuhe-Erzählung, die von den Abenteuern eines ägyptischen Helden in der Levante handelt, beweise, dass sich vom Ort der Handlung im Ausland nicht notwendig auf die Existenz einer entsprechenden Diaspora schließen lasse.5 Auf diese Darlegungen hat Konrad Schmid auf bemerkenswerte Weise reagiert. Er räumt ein, dass Blum und Weingart eine „kraftvolle Deutung der Josephsgeschichte“ vorgelegt haben,6 gesteht auch zu, dass sich aus dem Ägyptenbild und dem sprachlichen Befund der Erzählung keine zwingenden Kriterien für ihre Datierung ableiten lassen,7 er hält aber dennoch an seiner Deutung als Diasporanovelle fest, und zwar wegen des starken Gewichts, das der Ägyptenthematik in der Erzählung zukomme, und weil sie „nicht auf die Begründung einer staatlichen Struktur oder Administration“ hinauslaufe.8 Schmid erwägt eine Synthese zwischen beiden Auslegungstypen, hält diese letztlich aber für unmöglich, da „sich hinter Gen 37–50 keine ältere Erzählung herausschälen“ lasse, „die erst sekundär zu einer Diasporanovelle ausgestaltet worden wäre.“9 Beide Auslegungstypen schlössen sich gegenseitig aus. Abschließend verweist Schmid darauf, dass es sich bei der Alttestamentlichen Wissenschaft um eine „,weiche‘ Wissenschaft“ handele, die angesichts „der vergleichsweise bescheidenen externen Datenlage … und des Fehlens von Primärquellen“ in „der historischen Forschungsdiskussion notwendigerweise große Spielräume“ zulasse.10 Bedeutet dies, dass der Meinungsstreit über die sachgemäße Auslegung der Josephsgeschichte mit den Mitteln, die uns in der alttestamentlichen Exegese zur Verfügung stehen, grundsätzlich unlösbar ist? Damit möchte ich mich, der ich Zeit meines Lebens die recht ausgefeilte exegetische Methodik im Fach Altes Testament geschätzt und auf die Überzeugungskraft des besseren Arguments vertraut habe, jedoch nicht abfinden. Vielmehr möchte ich meine Vorschläge zu einer stärkeren redaktionsgeschichtlichen Differenzierung der Josephsgeschichte, die ich vor mehr als zehn Jahren nur kurz skizzieren konnte,11 nun in der nötigen Breite in die gegenwärtige Diskussion einbringen, um damit vielleicht einen kleinen Beitrag zur Überwindung der Kontroverse zu leisten.
Vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, 513–516. S. Schmid, Datierung, 105. 7 Vgl. Schmid, Datierung, 100–101.108. 8 S. Schmid, Datierung, 106. 9 S. Schmid, Datierung, 107. 10 S. Schmid, Datierung, 109. 11 Vgl. Albertz, Exilszeit, 203–204; Ders., Pentateuchstudien, 55–77. Der dort leicht aktualisiert abgedruckte Aufsatz „Die Josephsgeschichte im Pentateuch“ erschien 2009 in der Festschrift für Walter Dietrich. 5 6
1. Der literarische Bestand der Josephsgeschichte Es ist nun allerdings bemerkenswert, dass trotz ihrer divergierenden Auslegung Blum/Weingart und Schmid in einer ganze Reihe exegetischer Einschätzungen zur Josephsgeschichte übereinstimmen. Beide Seiten halten sie für eine ehemals selbständige Erzählung, auch wenn sie das Problem, wie jene dann zur Brücke zwischen Väter‑ und Exodusgeschichte werden konnte, unterschiedlich lösen.1 Beide Seiten halten die Josephsgeschichte – abgesehen von einigen späteren Ergänzungen – für literarisch weitgehend einheitlich. Auch über diese Ergänzungen besteht ziemliche Einigkeit: Sie bestehen, wie Blum/Weingart in Aufnahme älterer Beobachtungen noch einmal ausführen,2 abgesehen von den priesterlichen Passagen3 in den Einschüben von Gen 38; 46,1–5a; 48; 49,1b–28a und einigen sie verklammernden Versen.4 Dazu erklärt Schmid ausdrücklich: „Die literarkritische Umgrenzung der Josephsgeschichte nach Blum und Weingart ist gut gesichert und (bis auf die Zugehörigkeit von Gen 39) vergleichsweise breit anerkannt.“5 Nach ihren redaktionskritischen Aussonderungen halten Blum/ Weingart fest: „Without the additional layers …, the older Joseph story remains narratively harmonious and literarily self-sufficient. There is no basis for identifying different sources or extensive redactional layers in it.“6 Allerdings sehen sie sich zu einer längeren Anmerkung genötigt, warum sie an der Zugehörigkeit von Gen 39 festhalten. Wie die beiderseitigen Hinweise auf Kapitel Gen 39 zeigen, ist der literarische Bestand der ursprünglichen Josephsgeschichte offenbar doch noch nicht so gesichert, wie es scheint. Wenn aufgrund des gleichen Textbestandes zwei so divergierende Auslegungstypen, wie sie Blum und Weingart auf der einen und 1 Während Schmid, Josephsgeschichte, 103–105, die Josephserzählung in Palästina enden lassen möchte und darum – etwas gewagt – die Verse Gen 50,8b.14, die auf eine Rückkehr nach Ägypten deuten, einfach streicht, sehen Blum/Weingart, Joseph Story, 510, die Josephsgeschichte schon immer auf „the enduring stay of the Israelite family in Egypt“ hinauslaufen. 2 Vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, 503–510. 3 Gen 37,1.2*; 41,46; 46,6–7; 47,8–10.11*.27–28; 48,3–7; 49,29–32.33*; 50,12–13.22a.26a*. Hinzu kommen allerdings noch die spät-priesterliche Auflistung der Jakobsfamilie in Gen 46,8–27 sowie die Stammessprüche in 49,1b–28a. 4 So Gen 37,28aα .36 für Kapitel 37; 41,50–52 für Kapitel 48. Die Verse 48,21–22; 50,22bβ–26 1 gehen darüber hinaus auf die Hexateuchredaktion zurück. 5 S. Schmid, Datierung, 107; vgl. seine eigene sehr ähnliche Abgrenzung in Ders., Josephsgeschichte, 106. 6 S. Blum/Weingart, Joseph Story, 510, mit der dortigen Anmerkung 35.
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1. Der literarische Bestand der Josephsgeschichte
Schmid auf der anderen Seite vertreten, möglich sind, dann lohnt es sich möglicherweise, den literarischen Bestand der ursprünglichen Josephsgeschichte doch noch einmal genauer, als es bisher geschehen ist, zu umreißen und gegenüber nachträglichen Überarbeitungen abzuheben, weil dann besser erkennbar wird, auf welcher Textebene die Passagen angesiedelt sind, welche für den einen oder den anderen Auslegungstyp in Anspruch genommen werden. Um nur ein erstes Beispiel zu nennen: Die Schilderung der Geburt der beiden halb-ägyptischen Joseph-Söhne Ephraim und Manasse in Gen 41,50–52, die Schmid als Beispiel für die jüdische Akkulturation in der Diaspora anführt,7 ist eindeutig ein literarischer Einschub, der mit der Einfügung von Kapitel 48 zusammenhängt.8 Sie gehört somit gar nicht zur ursprünglichen Josephsgeschichte.
1.1 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 39 Die Frage, ob das Kapitel Gen 39 zur ursprünglichen Josephsgeschichte gehört oder nicht, hat für beide Auslegungstypen Auswirkungen. Auf der einen Seite führt Konrad Schmid die Verse 39,2–6, die aussagen, dass JHWH, der Gott Israels, „zugunsten eines Ägypters handelt und dass es diesem Ägypter gar möglich ist, Josephs göttlichen Beistand als Beistand JHWHs zu erkennen“ – eine Vorstellung, die am ehesten an Deuterojesaja erinnere (Jes 45,1–7)9 – als ein wesentliches Argument an, das für eine Datierung der Josephsgeschichte in die Exilszeit spreche. Gehörte Gen 39 zur Josephsgeschichte, wäre eine Datierung ins 8. Jh. v. Chr., die Erhard Blum und Kristin Weingart vertreten, schon deswegen erheblich in Frage gestellt, zumal Blum selber das Thema „Segen für andere“ von Gen 12,3, woran 39,5 deutlich anklingt, seiner exilischen Vätergeschichte zugerechnet hatte.10 Auf der anderen Seite handelt es sich bei Gen 39 um das Kapitel, das deutlicher als alle anderen in der Josephsgeschichte die Existenz eines Israeliten im Ausland, mit all ihren Chancen und Gefahren, thematisch in den Fokus rückt. Es spielte darum für Arndt Meinhold, dem Begründer der These, es handele sich bei der Josephsgeschichte um eine Diasporanovelle, eine prominente Rolle. Vgl. Schmid, Datierung, 104. literarische Einschätzung teilt übrigens eigentlich auch Schmid selber, vgl. Schmid, Josephsgeschichte, 102. Die Verse unterbrechen den direkten Erzählzusammenhang zwischen Gen 41,49 und V. 53, vgl. Donner, Gestalt, 97–98; Blum, Komposition, 246; Westermann, Genesis III, 101. Die Bezeichnung Ägyptens als „Land meines Elends“ in der Erklärung des Namens Ephraim (V. 52) wirft auffälligerweise ein deutlich negativeres Bild auf das Ausland als der Kontext des Kapitels, in dem Joseph hier zu höchsten Ehren gelangt. Es geht in der sekundären Passage offenbar schon, wie dann ja auch deutlicher noch in Kapitel 48, um eine gewisse Korrektur einer zu grenzenlosen Akkulturation! 9 S. Schmid, Datierung, 107. Anders als hier hielt Schmid, Josephsgeschichte, 116, die Verse Gen 39,2–4a.5.(6a*).21–23 noch für sekundär. 10 Vgl. Blum, Komposition, 349–361. 7
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Ganz wesentliche Strukturelemente, die er für sie herausarbeitete, wie die Standhaftigkeitsprobe und deren gefährliche Folgen oder die ethnische Klassifizierung des Protagonisten, die ihm den Vergleich mit dem Estherbuch ermöglichen, stammen aus Gen 39.11 So hat die Frage der Zugehörigkeit von Gen 39 auch für den zweiten Auslegungstyp eine ganz erhebliche Bedeutung. Wie Konrad Schmid schon andeutete, fällt Gen 39 aus dem relativ breiten Konsens über die Textbasis der Josephsgeschichte heraus. In der Tat mehren sich in jüngerer Zeit die Stimmen, die das Kapitel, genauer 39,2–23, der ursprünglichen Josephsgeschichte absprechen und als spätere Ergänzung ansehen.12 Die zahlreichen Gründe sind schon vielfach benannt worden. Sie seien hier noch einmal zusammengefasst: Der erste Grund betrifft die theologische Dimension: Während sonst in der Josephsgeschichte das göttliche Handeln im Hintergrund bleibt und nur in Deuteworten der handelnden Personen zur Sprache kommt (44,16; 45,7–9; 50,20), wird in Gen 39,2–5.21–23 gehäuft und betont vom Handeln Gottes erzählt. Allein fünfmal ist vom Mit-Sein JHWHs mit Joseph die Rede (V. 2.3.23), zweimal davon, dass JHWH Josephs Handeln gelingen lässt (V. 2.23), und je einmal davon, dass JHWH das Haus des Ägypters um Josephs willen segnet (V. 5a) bzw. dass der Segen JHWHs auf all dessen Besitz lag (V. 5b). Auch wenn man der Tatsache, dass nur hier in der Josephsgeschichte das Tetragramm verwendet wird, und zwar nicht weniger als achtmal (V. 2.3[2×].5[2×].21.23[2×], neben einmal אלהיםin V. 9), nicht mehr das grundlegende Gewicht beimessen will, das ihr einmal in der Quellentheorie zukam, so kann man sich doch des Eindrucks nicht erwehren, dass hier jemand zu Beginn des Aufstiegs Josephs in Ägypten die theologische Dimension dieses Geschehens ganz massiv in den Vordergrund rücken wollte, die ihm im Folgenden zu schwach ausgebildet war. Zweitens führt der Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg Josephs, der in Gen 39,2–23 geschildert wird, zu erheblichen Ungereimtheiten im Erzählfluss. Aufgrund der falschen Anklage der Frau Potiphars wird Joseph von seinem Herrn ins Gefängnis geworfen, ohne dass seine Unschuld je aufgedeckt wird. Vielmehr wird geschildert, dass er durch Gottes Beistand die Gunst und das Vertrauen des Gefängnisaufsehers ( )שׂ ר בית־הסהרgewinnt (V. 21–23), er dann aber nicht von ihm, sondern vom Obersten der Leibwache ()שׂ ר הטבחים, d. h. Potiphar selber (vgl. V. 1), ohne dass es noch einmal zu einer Aussprache über die angeblichen Affäre mit seiner Frau gekommen wäre, mit der nicht ganz unwich11 So Gen 39,7–12.13–20a und Esth 3,1–4.5–15; Gen 39,14.17 und Esth 2,5; 3,6. Vgl. Meinhold, Gattung I, 312–316; Ders., Gattung II, 76–83.88–89. Auch in der Übersicht über die Parallelen zwischen der Josephsgeschichte und dem Esther‑ und Danielbuch, die Kunz, Ägypten, 214, tabellarisch aufgestellt hat, stammen vier der zehn Motive aus Gen 39. 12 Vgl. Redford, Study, 146–147; Schmitt, Josephsgeschichte, 84–87; Dietrich, Josephserzählung, 27–30; Kebekus, Joseferzählung, 31–45; Weimar, Jahwe, 87–124; Albertz, Exilszeit, 203–204; Ders., Pentateuchstudien, 69–71; Uehlinger, Fratrie, 312–313; Ska, Introduction, 206–207; Lisewski, Studien, 321–324; Wöhrle, Joseph, 58–59; Ede, Josefsgeschichte, 80–106; Römer, Joseph Story, 188; Ders., Genesis 39, 52–57.
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tigen Aufgabe betraut wird, zwei prominente Hofbeamte des Pharaos, die in der Zelle seines Hauses ()משמר בית שׂ ר הטבחים ׁ in Untersuchungshaft sitzen, zu bedienen (40,2–3aα.4). Auffällig ist nun Folgendes: Weder wird das Verhältnis des Gefängnisaufsehers zu Potiphar, dem Obersten der Leibwache, geklärt. Handelt es sich um zwei verschiedene Personen oder sind sie identisch? Noch wird erzählerisch ausgeführt, wie sich das Gefängnis ()בית־הסהר, in das Joseph geworfen wurde, und die Haftzelle ()משמר ׁ im Haus Potiphars, in dem die prominenten Untersuchungshäftlinge gefangen gehalten wurden, sachlich oder auch baulich zueinander verhalten. Stattdessen werden beide in 40,3aβb.5b glossenartig miteinander identifiziert, offenbar weil 39,20 allein das Gefängnis als den Ort benennt, an dem Joseph und die königlichen Gefangenen einsitzen. Doch nicht von diesem Gefängnis, sondern nur von der Haftzelle ist in der weiteren Josephsgeschichte noch die Rede (40,4.7; 41,10). Und was noch auffälliger ist: Als Joseph vor dem inzwischen begnadigten Obermundschenk vor dem Pharao eingeführt wird, da wird er „ein Sklave des Obersten der Leibwache“ genannt (41,12). Demnach war er gar kein Gefangener, sondern befand sich immer noch in der gleichen Dienstposition, in die er schon in 39,1 – d. h. vor den ganzen Verwicklungen von 39,2–23 – durch den Verkauf an Potiphar gekommen war. Dies spricht doch sehr dafür, dass die ganze Erzählung Gen 39,2–23 in einen schon bestehenden Erzählgang eingeschoben wurde, in dem Joseph als Sklave des Obersten der Leibwache zur Bedienung von zwei prominenten Untersuchungshäftlingen eingesetzt wurde und damit die Chance erhielt, sich bei ihnen durch seine kompetenten Traumdeutungen zu qualifizieren, was ihn – leider erst nach einigem Warten – für noch höhere Aufgaben empfahl. Allerdings entstanden bei Ausrichtung des Schlusses von Kap. 39 auf den Handlungsgang von Kap. 40 die angesprochenen Probleme. Um zu den für seinen Aufstieg so wichtigen Hofbeamten Kontakt zu bekommen, musste Joseph nicht wegen falscher Anklage ins Gefängnis geworfen werden. Vielmehr war er als Bediensteter des Hauses, in dessen Zelle jene inhaftiert wurden, längst vor Ort. Drittens kommen schließlich stilistische Merkmale hinzu, mit denen sich die Erzählung Gen 39,2–23 von der übrigen Josephsgeschichte unterscheidet. Die Erzählung arbeitet mit vielen Wiederholungen, wodurch die Sätze eng miteinander verkettet werden und sich ein deutlich breiterer Erzählstil als in der übrigen Josephsgeschichte ergibt. Davon sind nicht nur die theologischen Rahmenteile in V. 2–6 und 21–23 betroffen (vgl. V. 2 mit V. 3, V. 4 mit V. 5 und V. 21 mit V. 23), sondern auch die Verführungserzählung dazwischen (V. 7–20) mit ihrer eng aufeinander bezogenen Szenenfolge (vgl. V. 7–10 mit 11–12 und V. 13–15 mit 16–18).13 Sehr häufig wird die Verbform ויהיverwendet (15-mal), öfter als in den 13 Früher hat man gerne bei Gen 39 zwischen einem Erzählkorpus (V. 6–19 E) und einem theologischen Rahmen (V. 1–5.21–23 J) unterschieden (vgl. Wellhausen, Composition, 54– 55), was noch bis heute nachklingt (vgl. Schmid, Josephsgeschichte, 116; Römer, Genesis 39, 56–57). Doch die stilistische Ähnlichkeit, motivliche Verkettung und wiederkehrende sprach-
1.1 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 39
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sechs folgenden Kapiteln, die eindeutig zur Josephsgeschichte gehören, zusammengenommen (nur 10-mal). Noch auffälliger ist dabei die Temporalsatzkonstruktion mit ויהי+ כ+ inf.cstr., die in dem relativ kurzen Kapitel nicht weniger als 5-mal vorkommt (V. 10.13.15.18.19), sonst aber in der Josephsgeschichte nicht mehr begegnet. So hat die vielfach vertretene These, dass Gen 39,2–23 nicht zur ursprünglichen Josephsgeschichte gehört, sondern von einem anderen Verfasser stammt und in sie eingefügt wurde, viele gute Gründe für sich. Nun hat Jürgen Ebach gegen die von mir und vielen anderen vertretene These eingewandt, dass für die Josephsgeschichte, selbst wenn man Joseph nicht als Gefangenen, sondern als Sklaven Potiphars betrachte, „die Passage über Josefs Wirken im Hause Potifars unverzichtbar sei,“ sich der durch Gen 39 bewirkte dreifache Aufstieg Josephs gut in die Struktur der Josephsgeschichte füge, die von einer dreifachen Reise der Brüder nach Ägypten wisse und sich die sachlichen und sprachlichen Besonderheiten des Kapitels eher durch die Annahme erklären lassen, dass es sich bei Gen 39 um „den ältesten Erzählkern der Geschichten von Josef “ handle.14 Um mit dem letzten der drei Gegenargumente zu beginnen: Die von Ebach anvisierte überlieferungsgeschichtliche Lösung des Problems, lässt sich definitiv ausschließen, weil die Sätzchen 40,3aβb.5b, welche die aus Kapitel 39 stammende Gefängnisterminologie ( ;בית־הסהרvgl. 39,20–23) mit der in Kapitel 40–41 benutzten (;משמר ׁ vgl. 40,3.4.7; 41,10) ausgleichen wollen, eindeutig sekundäre literarische Einschübe in ihrem literarischen Kontext sind.15 Wäre das Kapitel Gen 39 der ältere Kern, dann hätte es entweder von vornherein allen späteren Texten seine Terminologie aufgedrückt, oder aber ein in jüngeren Texten aufgekommener neuer Sprachgebrauch hätte in Gen 39 verankert werden müssen. Beides ist jedoch nicht der Fall. Die Kapitel Gen 40–41 sind somit eindeutig älter als Gen 39. Am besten lassen sich die benannten Sätzchen als literarische Klammern verstehen, mit denen der Verfasser von Gen 39 sein Kapitel in den ihm vorliegenden literarischen Erzählkontext einfügte. Weitere solche Klammern oder kleine Retuschen lassen sich in 39,1*; 40,1.15 und 41,12*.14* ausmachen.16 liche Ausdrücke (vgl. nur ]אשר[ ׁיש־לו ׁ כלV. 4.5[2×].8 oder באשר ׁ mit der seltenen Bedeutung „weil“ in V. 9 und 23) sprechen für die literarische Einheitlichkeit von Gen 39,2–23. 14 Vgl. Ebach, Genesis, 159. 15 Gen 40,3aβb erzeugt eine Dublette; 40,5b stellt eine nachhängende Spezifierung der Subjekte dar, die auch sonst terminologisch vom Erzählkontext abweicht („Mundschenk“ und „Bäcker“ statt „Oberbäcker“ und „Obermundschenk“, „König von Ägypten“ statt „Pharao“). 16 In Gen 39,1 bildet die Bezeichnung Potiphars als „ein ägyptischer Mann“ nach den Berufsangaben „Kämmerer des Pharao“ und „Oberster der Leibwache“ eine nachklappende, an sich überflüssige dritte Apposition, die sich am ehesten aus dem Interesse des Verfassers von Gen 39,2–23 an ethnischen Konnotierungen (vgl. V. 2.5) erklärt. Gen 40,1 ist fast eine Dublette zu V. 2. Der Vers lässt sich am besten als eine Überleitung von Gen 39,2–23 zum vorgegebenen Erzählkontext verstehen, die das dort in V. 9 angesprochene Thema möglicher Versündigung aufgreift und auf den Mundschenk und Bäcker des Pharaos bezieht. Die hier für sie gebrauchten Titel weichen wie in 40,5b gegenüber V. 2.9.16 u. ö. ab; anstelle von „Pharao“ steht wie dort
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1. Der literarische Bestand der Josephsgeschichte
Ebachs Strukturüberlegungen sind deswegen nicht voll überzeugend, weil ja für die Josephsgeschichte nicht die Dreier-, sondern die Zweier-Struktur typisch ist. Es handelt sich in Gen 37, 40 und 41 um jeweils zwei Träume, die Joseph deutet; und es sind ja eigentlich auch nur zwei Reisen der Brüder nach Ägypten in Gen 42 und 43–45, die parallel zueinander stehen. Die letzte Reise, in der Jakob und die ganzen Familien seiner Söhne nach Ägypten nachgeholt werden (Gen 46–47*), hat dagegen einen völlig anderen Charakter. Sondert man dagegen Gen 39 aus, dann lässt sich auch der Aufstieg Josephs der durchlaufenden Zweierstruktur einordnen: Einen ersten Aufstieg erlebte Joseph im Hause Potiphars, indem er als dessen Sklave zwei prominente Häftlinge bediente (Gen 39,1; 40,2–23*). Seine erfolgreichen Traumdeutungen führen zwar noch nicht zu einer Verbesserung seines sozialen Status, aber zur deutlichen Erhöhung seines Ansehens. Der zweite Aufstieg erfolgt dann durch seine überzeugende Traumdeutung vor dem Pharao (Gen 41).17 Warum Ebach schließlich ein erfolgreiches, von JHWH gestütztes Wirken Josephs im Hause Potiphars für unverzichtbar hält, lässt sich von mir nicht nachvollziehen. Zugegeben, Gen 39,1 und 40,2 schließen nicht völlig glatt aneinander an, es fehlt vor 40,2 zumindest ein Zeitadverb, das im vorliegenden Text durch den von Kapitel 39 überleitenden Vers 40,1 verloren gegangen ist. Man könnte sich auch, wie Thomas Römer es tut, an eine kurze Würdigung Josephs durch Potiphar im Sinne von 39,4a „da fand Joseph Gnade in seinen Augen“ dazwischen denken,18 die durch den Einschub der Erzählung Gen 39,2–23 verdrängt worden wäre. Doch wie dem auch sei, eine derart massive Schilderung des Beistands‑ und Segenshandelns JHWHs, wie sie in Gen 39,1–5 vorliegt, ist für den weiteren Verlauf der Josephsgeschichte keineswegs unverzichtbar. Im Gegenteil, das wachsende Ansehen und der soziale Aufstieg Josephs werden hinreichend durch den im Hintergrund wirksamen göttlichen Beistand begründet, den Joseph bei seinen Traumdeutungen erfährt. Gott gibt ihm die nötige Einsicht und er lässt seine Traumdeutungen in Erfüllung gehen; dessen sind sich Joseph und seine Gesprächspartner bewusst (vgl. 40,8.20–21; 41,16.25.28.32.38.39). Ein solcher im Hintergrund wirksamer Beistand Gottes ist der gesamten Josephsgeschichte „König von Ägypten“. Die zeitliche Einleitungsformel hatte der Bearbeiter schon in 39,7 verwendet. Zu Gen 40,15 s. u. Anm. 20. In 41,12 ist wahrscheinlich die Näherbezeichnung Josephs als „ נער עבריhebräischer Jüngling“, in V. 14 der Ort „ מן־הבורaus der Grube“, von dem Joseph zum Pharao geholt wurde, vom Bearbeiter hinzugesetzt, um seine Anliegen, Joseph als Hebräer den Ägyptern ethnisch gegenüberzustellen (vgl. 39,14.15; 40,15) und seinen Zisternen‑ (37,24) und Gefängnisaufenthalt (40,15) zu parallelisieren, weiteren Nachdruck zu verschaffen. Trotz aller Privilegien, so will er damit sagen, war für Joseph das Gefängnis schlimm. 17 Man kann nicht Gen 39,21–41,46 zu einem langen Aufstieg zusammenziehen, um neben dem kurzen Aufstieg von 39,1–5 auf eine Zweizahl zu kommen. Dies wäre erstens erzählerisch völlig disproportional und würde zweitens die Zäsur in 40,23 nicht beachten, die eine Unterbrechung in Josephs Karriere konstatiert. 18 Vgl. Römer, Genesis 39, 52–53.
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viel angemessener als dessen direkte Ausmalung auf der Erzählebene, wie sie in 39,2–5.21–23 geschieht. Ähnlich wie Ebach bezweifeln auch Erhard Blum und Kristin Weingart, dass sich das Problem von Gen 39 durch eine literarkritische Ausgliederung lösen lasse. Sie verweisen dabei zusätzlich auf das Motiv vom Kleid Josephs, das Gen 39 mit Gen 37 verbinde.19 So angemessen dieser Hinweis auf der sachlichen Ebene auch sein mag, stellt sich jedoch methodisch die Frage, wieweit eine einzelne Motivübereinstimmung eine ursprüngliche literarische Zusammengehörigkeit zweier verschiedener Texte beweisen kann, zumal auf der sprachlichen Ebene die beiden Kapiteln zwei ganz verschiedene Bezeichnungen für Kleidungsstücke verwenden: In Gen 37 ist es ausnahmslos der Terminus („ כתנת ([ה]פסיםÄrmelrock“ (37,3.23.31–33), ein ganz besonderes Kleid, das Joseph bevorzugt und den Neid seiner Brüder provoziert; in Gen 39 wird dagegen der ganz gewöhnliche Ausdruck בגדfür Kleidung gebraucht (39,12.13.15.16.18), hier ist es das Kleidungsstück, das die Frau Potiphars Joseph bei seiner Flucht vom Leibe reißt. Wenn ein Autor ein verbindendes Leitwort für beide Kapitel im Sinn gehabt hätte, hätte er leicht den Begriff בגדauch schon in Gen 37 einführen können. Aber hier bezeichnet dieser nur einmal das Kleid Rubens, das dieser vor Trauer zerreißt (37,29). Bleibt man auf der Wortebene, dann spielt der Begriff בגדeher in Gen 38 eine größere erzählerische Rolle, weil er hier die Witwenkleider bezeichnet, mit denen Tamar die List ihrer Verführung ausführt (38,14.19). Mindestens genauso stark, wenn nicht stärker ist Gen 39 nämlich motivlich mit diesem Kapitel Gen 38 verbunden, das von einer gelungenen Verführung Judas durch Tamar erzählt, d. h. mit einem Kapitel, dessen nachträgliche Zufügung zur Josephsgeschichte allgemein anerkannt ist. Es gibt wahrscheinlich sogar einen deutlichen Hinweis darauf, dass der Verfasser von Gen 39 die Einfügung der Juda-Tamar-Erzählung in die Josephsgeschichte voraussetzt. Wenn er in einem seiner das Kapitel einbindenden Links Joseph sagen lässt „Ich bin aus dem Land der Hebräer gestohlen worden, und auch hier habe ich nichts getan, dass sie mich in die Grube warfen“ (40,15),20 um die Gefangennahme, die Joseph durch die Brüder erfuhr, mit der durch Potiphar zu parallelisieren,21 dann kennt er offensichtlich schon den Diebstahl Josephs durch die Midianiter aus Gen 37,28aα1, d. h. aus einem Versstück, für das Erhard Blum gute Gründe beigebracht hat, dass es erst zusammen mit der Juda-Tamar-Erzählung eingefügt wurde, um Juda vom Vorwurf 19 S. Blum/Weingart,
Joseph Story, 510 Anm. 35. in der Bitte an einen ägyptischen Beamten um Empfehlung bei Hofe merkwürdig vertrauliche Begründung erweist sich als Werk des Verfassers von Gen 39 durch die Hervorkehrung der ethnischen Bezeichnung „ עבריHebräer“ (vgl. 39,14.17; „Land der Hebräer“ begegnet in der Hebräischen Bibel nur hier) und wegen des Gebrauchs des relativ seltenen Begriffs מאומה „irgendetwas“, der aber in Gen 39 gehäuft vorkommt (vgl. V. 6.9.23). 21 Sowohl in Gen 37,24 als auch in 41,15 wird das für ein ägyptisches Gefängnis nicht recht passende Wort „ בורGrube“ verwendet. 20 Die
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1. Der literarische Bestand der Josephsgeschichte
des Verkaufs seines Bruders an die Ismaeliter zu entlasten.22 Damit wäre Gen 39 deutlich später als die ursprüngliche Josephsgeschichte anzusetzen; sie setzt deren judäische Rezeption schon voraus. So kann auch die Motiventsprechung, auf die Blum/Weingart hinweisen, die Zugehörigkeit von Gen 39 zur ursprünglichen Josephsgeschichte nicht erweisen. Im Gegenteil, gerade die literarische Ausscheidung von 39,2–23 würde eine vorexilische Datierung, wie sie die beiden vorschlagen, deutlich erleichtern. Die literarische Aussonderung von Gen 39 lässt nun auch die thematischen Besonderheiten dieses Kapitels gegenüber der sonstigen Josephsgeschichte deutlicher hervortreten. Während etwa die Kapitel 40–45 ein eindeutig positives Bild von Ägypten zeichnen und Josephs Leben dort als vollkommen unproblematisch darstellen, ist das Ägyptenbild von Gen 39 deutlich kritischer, und das hier gezeichnete Geschick Josephs trägt deutlich ambivalente Züge: Ägypten ist hier der Ort, an dem Joseph als Sklave im Haus eines hohen Beamten mit Gottes Beistand einen ungeahnten Aufstieg erleben kann; die gesamte Verwaltung von Haus und Hof wird ihm von seinem ägyptischen Herrn anvertraut (V. 1–6a). Aber Ägypten ist auch der Ort, wo Joseph ohne eigenes Verschulden, einfach aufgrund seiner Standhaftigkeit gegenüber den Gelüsten seiner Herrin den geballten Fremdenhass der Einheimischen zu spüren bekommt23 und aufgrund einer falschen Anklage, ohne jedes Verhör ins Gefängnis geworfen wird (V. 6b– 20). Indem der Verfasser von Gen 39 mit ethnischen Bezeichnungen arbeitet, er Joseph einen Hebräer ( ;עבריV. 14.17)24 und Potiphar ausdrücklich einen Ägypter ( ;מצריV. [1].2.5.) nennt, will er offenbar die prekäre Fremdlingsexistenz Josephs in den Mittelpunkt seiner Erzählung rücken. Mochte Joseph im ägyptischen Ausland aufgrund massiver göttlicher Unterstützung noch so weit aufsteigen und sogar seinem ägyptischen Herrn den göttlichen Segen vermitteln, im Konfliktfall war er als Ausländer rechtlos und der Willkür der Einheimnischen schutzlos ausgeliefert; er wäre im Gefängnis untergegangen, wenn nicht Gott wieder eingegriffen hätte. So zeichnet der Verfasser von Gen 39 am Beispiel Josephs in der Tat ein sehr realistisches, ein zutiefst ambivalentes Bild von den Chancen und Gefahren eines Lebens im Ausland. Es ist somit kein Zufall, dass Meinhold bei seiner These, es handele sich bei der Josephsgeschichte um eine Diasporanovelle, 22 Vgl. Blum, Komposition, 244–245. Die Schwierigkeiten, die dieser Einschub für den Handlungsgang auslöste, sind bekannt, vgl. erneut Baden, Composition, 1–12.34–44. 23 Vgl. die Anklage der in ihrer Liebe düpierten Herrin „Seht, da hat man uns einen Hebräer gebracht, dass der seinen Mutwillen mit uns treibe“, mit der sie ihre einheimischen Bediensteten gegen den Ausländer aufstachelt. 24 Die Bezeichnung עבריbegegnet sonst in der Josephsgeschichte nur noch in Gen 40,15; 41,12 und 43,32. Bei den ersten beiden Belegen handelt es sich wahrscheinlich um literarische Verklammerungen, die der Verfasser von Gen 39,2–23 setzte, s. o. Anm. 16.20. Der dritte Beleg wird sich als eine weitere Ergänzung zur ursprünglichen Josephsgeschichte herausstellen, s. unten S. 21–22.
1.1 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 39
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sehr stark auf dieses Kapitel zugriff,25 weil auch die Diaspora-Erzählungen im Daniel-, Esther‑ oder Tobitbuch, mit denen er die Josephsgeschichte verglich, von solchen ambivalenten Auslandserfahrungen geprägt sind.26 Nun sollte man meinen, dass auch die Forscher, die Meinholds These aufgriffen und ausbauten, ein starkes Interesse haben sollten, die Zugehörigkeit von Gen 39 zur Josephsgeschichte zu verteidigen. Doch seltsamerweise ist dies nur eingeschränkt der Fall. Noch im Jahr 2000 hatte zwar Thomas Römer als einer der prominentesten Vertreter der Diaspora-Novellen-Hypothese dezidiert erklärt: „Il n’y a aucune raison d’exclure Gn 39 sous prétexte que c’est seulement dans ce chapitre qu’apparaît le nom de Yhwh. L’histoire de Joseph chez Mme Potiphar est narrativement nécessaire pour préparer la deuxieme descente de Joseph (après la cisterne, la prison) et pour présenter Joseph comme un modèle de loyauté face à son employeur égyptien.“27 Doch 15 Jahre später hat er sich von Jean-Louis Ska und anderen überzeugen lassen, dass Gen 39,2–23 sehr wahrscheinlich eine Ergänzung zur Josephsgeschichte darstellt.28 Nochmals vier Jahre später hat er dann sogar eine ausführliche Analyse zu diesem sekundären Kapitel vorgelegt, in der er meinte, darin zwischen einer einheitlichen Erzählung V. 7–20 und einer nochmals späteren jahwistischen Revision V. 2–3.5.21–23 unterscheiden zu können.29 Doch erstaunlicherweise führt diese Korrektur der Textgrundlage bei Römer nicht zu einem Überdenken seiner Gesamthypothese. Auch ohne Gen 39 darf seiner Meinung nach die Josephsgeschichte weiterhin als Diasporanovelle bezeichnet werden, wobei er sich erneut auf Arndt Meinhold beruft.30 Doch Meinhold bezog sich, wie John Van Seters gegenüber Christoph Uehlinger, der schon zuvor eine „novelle de la diaspora“ fast ohne Gen 39 rekonstruiert hatte,31 mit Recht kritisch geltend machte, auf eine andere Textgrundlage, in der, wie wir sahen, die Verführungserzählung von Gen 39 eine wesentliche Rolle spielte.32 Angesichts der sich hier auftuenden erheblichen Differenz zwischen dem Begründer der Hypothese und einigen ihrer heutigen Vertreter ist es vielleicht an der Zeit, noch einmal kritisch über die Textbasis und die Textnähe des o.g. zweiten Auslegungstyps nachzudenken. Oder sollte zur Be-
S. oben S. 6–7. Vgl. nur Dan 1–3; 6; Esth 3–8; Tob 1–2. 27 S. Römer, Narration, 20. 28 Vgl. Römer, Joseph Story, 187–188. 29 Vgl. Römer, Genesis 39, 48–57. Diese Aufteilung, in der noch die frühere Quellenscheidung nachklingt, ist eher unwahrscheinlich, s. o. Anm. 13. In Ders., Wife, 76–83, hat er die Abgrenzung der zweiten Überarbeitung auf Gen 39,2–3.5 eingeschränkt. 30 Vgl. Römer, Genesis 39, 58. 31 Vgl. Uehlinger, Fratrie, 312–313; Uehlinger rechnete dieser ältesten Josephsnovelle aller dings nur Gen 40–41*, Gen 39,1aα?.2–6 als mögliche Exposition und vielleicht noch Gen 47,13– 26* zu. Er setzte sie in das 6. Jh. v. Chr. 32 Vgl. Van Seters, Joseph Story, 372.375. 25 26
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gründung der Hypothese, dass die Josephsgeschichte eine Diaspora-Erzählung darstelle, schon der bloße Hinweis ausreichen, dass sie weithin in Ägypten spielt? Römer möchte Gen 39 mit seiner Warnung vor den Gefahren der Diasporaexistenz an das Ende des 4. Jhs. v. Chr. datieren. Eine solche Datierung ist weithin seiner späten Ansetzung der Josephsgeschichte ins 5.–4. Jh. geschuldet, auch wenn Römer sie darüber hinausgehend ein wenig zu begründen sucht.33 Zu der interessanten Frage, ob sich denn das Leben in der ägyptischen Diaspora am Ende des 4. Jhs. so stark verschlechtert habe, dass sich ein Bearbeiter veranlasst sah, die einhellig positive Sicht Ägyptens in der Josephsgeschichte mit einer derartigen Warnung zu versehen, erfährt man nichts. Oder handelt es sich bei der ambivalenten Schilderung der Auslandsexistenz in Gen 39 nicht eher um eine Einschätzung, die generell gilt? Vom wichtigen theologischen Motiv des Kapitels her, dass Joseph als Segensmittler zugunsten seines ägyptischen Herrn fungiert (Gen 39,5), was stark an die Abrahamsverheißung von Gen 12,1–3 erinnert, legt sich jedenfalls eher eine Datierung in die Exilszeit nahe, als sich die Religion Israels positiv hin zu den Völkern öffnete (vgl. Jes 45,22–23).34 Ich hatte darum Gen 39,2–23 dem Redaktor der Ersten exilischen Vätergeschichte (VG1) zugeordnet, für den ja zugleich eine diasporakritische Haltung typisch ist (vgl. 12,1–2; 26,2–3aα; 31,13).35 Gen 39 ist das einzige Kapitel der Josephsgeschichte, das ausdrücklich von der Fremdlingsexistenz im ägyptischen Ausland handelt, von den großen Chancen, die sich hier für einen Hebräer mit Gottes Hilfe eröffnen, von den Bewährungsproben, die ihm hier auferlegt werden, aber auch von den abgrundtiefen Gefährdungen, in die er hier trotz mustergültigem Verhalten unschuldig hineingerät. Wenn der Abschnitt Gen 39,2–23, wie es hier wahrscheinlich gemacht wurde, 33 Römer, Genesis 39, 55–56, macht erstens geltend, dass das ägyptische Brüdermärchen aus dem 12. Jh. v. Chr., auf das der Verfasser von Gen 39 bei der Schilderung der Verführung Josephs wahrscheinlich anspielt, auch noch in der persischen und hellenistischen Zeit bekannt war. Das ist ein interessanter Hinweis, der beispielhaft zeigt, wie wenig Zeugnisse aus der stark traditional bestimmten ägyptischen Kultur für eine Datierung der Josephsgeschichte bzw. ihrer Ergänzungen aussagekräftig sind. Als zweites möchte Römer nachweisen, dass dem Verfasser von Gen 39 die weisheitliche Warnung vor der „fremden“ Frau aus Prov 7 bekannt war. Doch ob die Erwähnung von „ägyptischem Leinen“ in Prov 7,16 und die Verlockung der Frau, dass ihr Mann nicht zuhause sei (V. 19), für den Nachweis einer literarischen Abhängigkeit ausreichen, ist doch sehr die Frage. Es handelt sich eher um einen verbreiteten weisheitlichen Topos, vgl. Prov 2,16–20; 5,3–21; 6,24–35. 34 So auch Schmid, Datierung, 107, obwohl er ebenfalls die Josephsgeschichte als Diasporanovelle versteht. 35 Vgl. Albertz, Exilszeit, 203–204; Ders., Pentateuchstudien, 69–71; vgl. genauer unten S. 130–131. Eine solche Datierung von Gen 39 wird jetzt auch durch die Untersuchung von Joosten, Linguistic Dating, 38–41, gestützt, die aufweist, dass dieses Kapitel – anders als die sonstige Josephsgeschichte – neben Formen des „Classical Biblical Hebrew“ (CBH) in den Versen 3.5.8.20.22–23 auch schon zahlreiche Merkmale des „Late Biblical Hebrew“ (LBH) enthält, was auf eine Übergangs-Sprachstufe weise („Transitional Biblical Hebrew“, TBH).
1.2 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 47,13–26 und damit verbundener Passagen 15
nicht zur ursprünglichen Josephsgeschichte gehört, dann hat das auf beide Auslegungstypen größere Auswirkungen als dies bisher gesehen wurde.
1.2 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 47,13–26 und damit verbundener Passagen Dass mit dem Ausscheiden von Gen 39,2–23 noch nicht sämtliche literarische Probleme der Josephsgeschichte gelöst sind, macht der eigentümliche Abschnitt Gen 47,13–26 deutlich, nach dem Joseph aus der Hungersnot heraus eine Art von zentralistischer Staatswirtschaft in Ägypten einführt. Die Ausleger sind sich nämlich merkwürdig unsicher36 und völlig uneins, ob dieser Text, in dem die Brüder und die Jakobsfamilie völlig ausgeblendet sind, zur Josephsgeschichte gehört37 oder nicht.38 Für Peter Weimar ist Gen 47,13–26 „ein irritierender Abschnitt im Rahmen der Josefsgeschichte“, sowohl was seinen Inhalt als auch was seine literarische Zugehörigkeit betrifft.39 Da es in dem Textabschnitt zentral um das Thema „staatliche Herrschaft“ geht – wird doch durch Josephs Maßnahmen die Macht des Pharao gewaltig gesteigert –, könnte man meinen, dass die Vertreter des ersten Auslegungstyps ihn in der Josephsgeschichte halten wollen, während die Anhänger des zweiten, die in ihr das Leben in der Diaspora gestaltet sehen, ihn eher ausgliedern möchten. Doch ist dies nur eingeschränkt der Fall.40 So hält etwa auf der einen Seite Frank Crüsemann, der zu den Begründern des ersten Auslegungstyps zählt, Gen 47,13–26 für einen „offensichtlichen Anhang“, was ihn aber nicht hindert, den Abschnitt dennoch als ein höfisches Votum zugunsten einer staatlichen Steuerpolitik aus der frühen Königszeit anzusehen, das auf kritische Vorwürfe antworte, wie sie in 1 Sam 8,17 geäußert werden.41 Auf 36 Vgl. etwa Holzinger, Genesis, 249; Wellhausen, Composition, 59; Schmitt, Josephsgeschichte, 64. 37 Zur Josephsgeschichte rechnen ihn: Dillmann, Genesis, 442; Gunkel, Genesis, 465; Rudolph, Josefsgeschichte, 168; Meinhold, Gattung I, 319; Ders., Gattung II, 89; Blum, Komposition, 243; Römer, Joseph approché, 80.84; Carr, Fractions, 276; Uehlinger, Fratrie, 311; Kunz, Ägypten, 224; Ebach, Genesis, 497; Oswald, Staatstheorie, 171. Nach Dietrich, Josephserzählung, 42–43.68–69, gehört der Abschnitt zur zweiten Ausbaustufe, der sog. Josephs-Geschichtsschreibung. 38 Für einen Nachtrag halten ihn: Holzinger, Genesis, 251; Redford, Study, 182; von R ad, Genesis, 357; Crüsemann, Widerstand, 149; Schmitt, Josephsgeschichte, 66; Westermann, Genesis III, 192; Seebass, Genesis III, 138–143; Römer, Narration, 20; Ders., Joseph Story, 187; Ders., Inventeur, 17; Schmid, Josephsgeschichte, 106; Weimar, Abschnitt, 137. Wie man sieht, konnte Thomas Römer im Laufe der Jahre sogar die Lager wechseln. 39 S. Weimar, Abschnitt, 125, schon im Titel und nochmals a. a. O., 133. 40 So Gunkel, Blum, Carr, Oswald auf Seiten des ersten und Redford, Schmid, Römer auf Seiten des zweiten Auslegungstyps. 41 So Crüsemann, Widerstand, 149–151. Westermann, Genesis III, 197, der ebenfalls die Herrschaftsproblematik in den Mittelpunkt gestellt sieht, spricht dagegen dem als sekundär angesehenen Abschnitt jede „erkennbare Funktion“ ab.
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1. Der literarische Bestand der Josephsgeschichte
der anderen Seite kann dagegen Arndt Meinhold, der als Begründer des zweiten Auslegungstyps gilt, Gen 47,13–26 als Beleg dafür in Anspruch nehmen, dass sich der Verfasser der Josephsgeschichte „zuerst am Wohl der Fremdvölker orientiert zeigt und damit die Bedeutung Israels für die Umwelt beschreibt, die zum Lebensgebiet der Diaspora geworden ist.“42 Doch ist mit einer solchen – eher inkonsequenten – Einschätzung der Sinn des Abschnitts erfasst? Immerhin werden die Ägypter durch Josephs Maßnahmen zu Sklaven ihres Königs! Im Gegensatz zur früheren Forschung, die Gen 47,13–26 einen schlechten Stil oder unklaren Aufbau unterstellte,43 hat Peter Weimar dem Abschnitt nach einer eingehenden Untersuchung bescheinigt, dass er „unzweifelhaft eine wohldisponierte kompositorische Einheit darstellt, deren einzelne Teile sorgsam zueinander in Beziehung gesetzt sind.“44 Nach einer Einleitung, die davon berichtet, dass in der Hungersnot den Hilfesuchenden aus Ägypten und Kanaan gleichermaßen das Geld für den Getreidekauf ausging (V. 13–14), wird in einer ersten Szene (V. 15–17) geschildert, wie die Ägypter zu Joseph kommen, recht harsch von ihm Brot fordern und Joseph ihnen dieses um den Preis ihres Viehs verkauft. Als dann nach einem Jahr auch dieser gesamte mobile Besitz ins Eigentum des ägyptischen Staates übergegangen ist, bietet die vom Hungertod bedrohte Bevölkerung in einer zweiten Szene (V. 18–22) Joseph an, doch auch sie samt ihren Äckern für den Pharao aufzukaufen, damit sie Brot sowie Saatgetreide für einen Neustart erhalten (V. 18–19). Joseph geht auf diese Bitte ein, die Ägypter verkaufen ihm ihre Felder, und er macht sie zu Sklaven des Pharao,45 nur die Priester und ihr Ackerland bleiben davon ausgenommen (V. 20–22). Beide Szenen sind durch die Klagen „Warum sollen wir vor dir (bzw. vor deinen Augen) sterben?“ in V. 17 und 19 zusammengehalten. Es geht um nichts weniger als um das Überleben. Die dritte Szene in V. 23–26 macht aus dem zuletzt Geschilderten einen förmlichen Übereignungsakt und schafft Raum für die damit verbundene 42 So Meinhold, Gattung I, 319. In der Übersicht von Ders., Gattung II, 89, erscheint Gen 47,13–26 unter der Kategorie „Gewinn der Erhöhung (sc. des Protagonisten) für das Fremdvolk“ geradezu als Finale der ganzen Josephsgeschichte. 43 Zum ersten vgl. Holzinger, Genesis, 251, zum zweiten Westermann, Genesis III, 193. 44 S. Weimar, Abschnitt, 131. 45 So vom Zusammenhang gefordert und textlich auch durch Sam und LXX bezeugt in Gen 47,21. Allerdings wird sonst in der Hebräischen Bibel die Versklavung nicht wie hier mit dem Ausdruck העביד לעבדים, sondern mit den Wendungen ( נתן לעבדיםGen 27,37), ( לקח לעבדיםGen 43,18), oder ( היה לעבדיםGen 44,9; 1 Sam 8,17; 1 Kön 12,7) umschrieben. Der masoretische Text „ ואת־העם העביר אתו לעריםund das Volk, er überführte es zu den Städten“ gibt keinen glatten Sinn und ist auch grammatisch unwahrscheinlich, da das Hifʿil vom Verb עבר, sofern es die Überführung zu einem Ort bezeichnet, nicht mit der Präposition ל, sondern mit אלkonstruiert wird (Jos 4,8; Ez 46,21). Mit der Präposition לwird dagegen die Übereignung an eine Person, meist die Weihe für einen Gott, beschrieben (Ex 13,12; Lev 18,21 u. ö.), bzw. die Hingabe zum Fraß (Ez 16,21). Vielleicht könnte der offensichtlich mechanisch beschädigte Text von MT einmal העביר „ … אתו לפרעהund das Volk, er übereignete es dem Pharao“ gelautet haben, um damit dessen Versklavung auszudrücken. Der ungewöhnliche Ausdruck könnte gewählt sein, um damit auf die gottähnliche Stellung des Pharao anzuspielen.
1.2 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 47,13–26 und damit verbundener Passagen 17
Regierungsmaßnahme: Joseph erklärt feierlich, dass er hiermit Land und Leute dem Pharao übereignet hat und übergibt das Saatgetreide unter der Bedingung, dass die Ägypter von nun an dem Pharao ein Fünftel ihrer Erträge abführen müssen (V. 23–24). Die Bevölkerung stimmt dieser Regelung ausdrücklich zu: Weil Joseph sie damit so gnädig am Leben erhalten hat, sind sie freiwillig zu Sklaven des Pharao geworden (V. 25). So kann Joseph im Konsens mit der Bevölkerung das Gesetz einer 20-prozentigen Ertragssteuer erlassen, das – abgesehen von den Priestern – für alle Ägypter gilt (V. 26). Die Ausnahmeregelung in der abschließenden ätiologischen Notiz schließt die dritte Szene nochmals mit der zweiten zusammen. Der Abschnitt Gen 47,13–26 ist somit in der Tat gut gebaut, er führt zielstrebig auf eine Ausweitung der Regierungsgewalt des Pharao zu, die über ihre lebenserhaltende Funktion in der Krise legitimiert wird. Allerdings haftet dem Text etwas Schematisches oder Konstruiertes an.46 Weder werden Orte genannt, wo die Begegnung der Bevölkerung mit Joseph stattfindet, noch wird genauer ausgeführt, wie denn das Einsammeln von so vielen Tieren und die Übertragung der Eigentumsrechte von so vielen Äckern vonstatten gegangen sein könnte. Im Unterschied zu den sonstigen Kapiteln der Josephsgeschichte mangelt es dem Abschnitt – abgesehen von den eingestreuten Dialogen – an erzählerischer Konkretion. Darin wird schon ein formaler Unterschied zur sehr lebendigen Erzählweise etwa in den Kapiteln 37; 40–45 sichtbar. Dass der Abschnitt Gen 47,13–26 tatsächlich in die Josephsgeschichte eingeschoben wurde, machen die folgenden Beobachtungen wahrscheinlich: Erstens unterbricht er die zusammengehörenden Bemerkungen von 47,12 und V. 27a, die davon handeln, dass Joseph nach der Zuweisung von Land durch den Pharao (V. 5–6.11*) seine gesamte Familie versorgt, so dass diese – von der Hungersnot nicht weiter behelligt – „im Lande Ägypten, im Land Gosen“ wohnen kann. Zweitens ist auffällig, dass die beiden Jahre der Hungersnot, von denen in 47,17.18 die Rede ist, ganz offensichtlich nicht mit der Periode einer siebenjährigen Hungersnot, von der die Josephsgeschichte sonst durchweg handelt (vgl. 41,27.30.36.54 u. ö.), abgestimmt sind. Vom Kontext her würde man sich im dritten Jahr der Hungersnot befinden (vgl. 45,6.11). Da aber in 47,13–26 schon das Saatgetreide zur Sprache kommt, das nötig sei, damit die Ackerfläche nicht wüst liegen bleibt (V. 19.23), ist eher schon, ohne dass dies deutlich gesagt wird, an die letzten Jahre der Hungersnot gedacht. Drittens irritiert, dass die einleitenden Verse 47,13–15, die festhalten, dass das Geld für den Getreidekauf ausgegangen war, neben Ägypten auch dreimal das „Land Kanaan“ erwähnen, obgleich in den Versen danach nur noch von innerägyptischen Hilfsmaßnahmen die Rede ist. Hängt dieser seltsame Umstand damit zusammen, dass die Josephsgeschichte bisher ausführlich nur von einem monetären Getreideverkauf an Vgl. von R ad, Genesis, 357; Westermann, Genesis III, 193.
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Ausländer gehandelt hatte, besonders von solchen, die aus Kanaan kamen (41,57; 42,5.10.25; 43,21–22 u. ö.)? Wollte der Verfasser von Gen 47,13–26 zwar an dieses Erzählmotiv anknüpfen, aber mit seinem Text in eine neue Richtung umlenken? Nun ist immer wieder aufgefallen, dass der Abschnitt Gen 47,13–26 eine gewisse sachliche Nähe zu den Versen Gen 41,55–56 aufweist,47 in denen der Pharao die zu ihm um Brot klagenden Ägypter an Joseph verweist und dieser in der Hungersnot die Getreidespeicher öffnet und an sie Getreide verkauft.48 Das führte einige Exegeten zu der Vermutung, dass Gen 47,13–26 eigentlich nach Kapitel 41 seinen Platz gehabt habe und nur irrtümlich an seine heutige Stelle gerückt sei.49 Doch ganz abgesehen davon, dass schwer zu erklären wäre, warum das Textstück versetzt worden sein könnte, will das Kapitel 41 mit seinem abschließenden Vers 57 eindeutig schon auf Kapitel 42 überleiten.50 Zudem ist Gen 47,13–26, obgleich es einen literarischen Zusammenhang zerreißt, an seiner Stelle relativ gut verankert: Der Begriff „ לחםBrot“, der V. 13–19 leitwortartig durchzieht, knüpft an den voranstehenden V. 12 an; die Ernährung der ägyptischen Haushalte mit ihren Kleinkindern ()טף, die Joseph in V. 24 im Auge hat, entspricht der Versorgung der Kleinsten seiner eigenen Familie, von der ebenfalls in V. 12 die Rede war. Der Verfasser von Gen 47,13–26 wollte offenbar mit seinem Einschub die Versorgung der Jakobsfamilie in Ägypten und mit derjenigen der ägyptischen Bevölkerung kontrastieren. Eine Lösung des dargestellten Problems ist allerdings relativ einfach möglich, sobald man erkennt, dass die mit Gen 47,13–26 thematisch verwandten Verse 41,55–56 ebenfalls sekundär in die Josephsgeschichte eingeschoben sind. Die Widersprüche in der Passage V. 54–57 sind schon länger aufgefallen.51 Die Feststellung in V. 54b „Es geschah eine Hungersnot in allen Ländern, doch im ganzen Land Ägypten gab es Brot“ ist Voraussetzung dafür, dass Jakob seine Söhne zum Getreidekauf nach Ägypten schickt (vgl. 42,2 „Seht, ich habe gehört, dass es Getreide in Ägypten gibt“); sie steht aber im Widerspruch zur Aussage von 41,55, dass die Hungersnot auch Ägypten so stark heimsuchte, dass das Volk beim Pharao schreiend nach Brot verlangte. Der Befehl des Pharao, sich an Joseph zu wenden und seinen Anweisungen zu folgen,52 bereitet direkt die Verse 47,15–19 47 Vgl. etwa Dietrich, Josephserzählung, 43 Anm. 113; Ebach, Genesis, 494; Ede, Josefsgeschichte, 389. 48 So nach dem Text der Septuaginta, vgl. Sam und Syr. MT gibt keinen glatten Sinn. 49 So etwa Holzinger, Genesis, 442; Dillmann, Genesis, 442; Gunkel, Genesis, 465. Wellhausen, Composition, 59, erwog, ob Gen 47,13–26 zu einer Variante von Gen 41 gehört haben könnte. 50 Vgl. das Urteil von Schmitt, Josephsgeschichte, 64 Anm. 265: Eine Umstellung von Gen 47,13–26 hinter 41,55–56 „schafft allerdings mehr Schwierigkeiten, als sie löst.“ 51 Vgl. etwa Rudolph, Josefsgeschichte, 159; von R ad, Genesis, 331; Westermann, Genesis III, 102; Dietrich, Josephserzählung, 32. 52 Im Unterschied zur zentralistisch gedachten Nahrungsausgabe in Gen 41,55; 47,15–25 sprach die ursprüngliche Josephsgeschichte von einer dezentralen Einlagerung des Getreides aus dem Umland in den jeweiligen Städten (41,35.48).
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vor, wo Joseph solche Anweisungen gibt, die allerdings schon voraussetzen, dass ein monetärer Verkauf des Getreides, von dem 41,56 noch berichtet, aus Geldnot schon an sein Ende gekommen war. Dagegen schließt V. 57, der ausführt, dass alle Länder nach Ägypten kommen,53 um bei Joseph Getreide zu kaufen, direkt an V. 54b an. Da nun die Passage 41,55–56 den Abschnitt 47,13–26 nicht nur sachlich vorbereitet, sondern auch sprachlich in V. 55 das Wort לחםverwendet, das 47,13.15.17.19 zum Leitwort wird, stammen beide Texte wahrscheinlich von dem gleichen Autor. Somit sind die Verse 41,55–56 als eine redaktionelle Klammer zu interpretieren, mit welcher der Verfasser von 47,13–26 seinen Einschub in der Josephsgeschichte verankerte.54 Eine weitere redaktionelle Klammer, die sehr wahrscheinlich auf den Verfasser von Gen 47,13–26 zurückgeht, stellt das Sätzchen von 41,34b dar: „treibe den Fünften ein in den sieben Jahren der Fülle!“55 Denn es unterbricht den syntaktischen Zusammenhang zwischen V. 34a und V. 35, der Pharao solle Aufseher über das Land einsetzen, „dass sie(!) alle Nahrung dieser guten Jahre sammeln.“ Außerdem ist von einer solchen Steuer im Fortgang von Kapitel 41, wo es um die Umsetzung der Ratschläge Josephs geht, nicht mehr die Rede. Mit der vorzeitigen Nennung der in 47,24 eingeführten 20-prozentigen Steuer wollte der Redaktor wohl verdeutlichen, dass es sich bei Josephs Reform keineswegs um eine völlig neue oder gar willkürliche Regierungsmaßnahme handelte. Mit ihrer Einführung wurde nur auf Dauer gestellt, was sich befristet schon in den Jahren der Fülle bewährt hatte. Schon jetzt wird deutlich: Gen 47,13–26 stellt keinen vereinzelten Einschub in die Josephsgeschichte dar, sondern ist durch zwei redaktionelle Klammern darin weiträumig fest eingebunden. Müssen wir damit möglicherweise doch, auch wenn Erhard Blum und Kristin Weingart das haben ausschließen wollen,56 mit der Existenz einer ausgedehnteren Redaktionsschicht innerhalb der Josephsgeschichte rechnen? Es finden sich nämlich in der Josephsgeschichte noch weitere Passagen, die nachträglich eingeschoben zu sein scheinen und mit der sich abzeichnenden Redaktion zusammenhängen können: Ebenfalls in Kapitel 41 sind die Verse 44–45a auffällig. Nachdem in einer ersten Rede des Pharao (V. 37–40) Joseph aufgrund seiner souveränen Traumdeutungen und klugen politischen Ratschläge, wie der sich abzeichnenden Hungersnot zu steuern sei, für das zweithöchste Staatsamt 53 Egal ob man das Nomen „ ארץLand“ in Gen 41,57 mit MT singularisch oder mit Sam und LXX pluralisch liest, es ist, wie das pluralische Verb zeigt, an ein kollektives Subjekt gedacht. 54 So Dietrich, Josephserzählung, 32–33.43.68; Albertz, Pentateuchstudien, 68, und jetzt Römer, Inventeur, 28. Auch Ede, Josefsgeschichte, 391–393, sieht, dass die Verse Gen 41,55–56 auf 47,13–26 hinüber weisen; doch kommt bei ihr deren sekundäre Stellung im Kontext von Kapitel 41 nicht klar heraus (vgl. a. a. O., 135–136). 55 Vgl. Rudolph, Josefsgeschichte, 158; Schmitt, Josephsgeschichte, 38; Westermann, Genesis III, 95; Levin, Jahwist, 287; Albertz, Pentateuchstudien, 68; Ede, Josefsgeschichte, 157; Römer, Inventeur, 28. 56 Vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, 510, s. oben S. 5.
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ausgewählt und in einer zweiten, förmlich in sich abgerundeten Rede des Pharao (V. 41–43) feierlich unter Verleihung höchster Insignien in das Amt eingeführt worden war, worauf sofort der Amtsantritt, der in V. 46b57 berichtet wird, folgen könnte, klappt in V. 44 noch eine dritte Rede des Pharao nach,58 in der dieser Joseph aus seiner Machposition heraus eine unbegrenzte Befehlsgewalt überträgt: „Ich bin der Pharao! Ohne dich darf keiner seine Hand oder seinen Fuß heben im ganzen Land Ägypten.“ Eine solche totale Bevollmächtigung geht nun deutlich über die Verwaltungsaufgaben hinaus, die Joseph zur Bewältigung der Dürrenot zu leisten hatte, entspricht aber durchaus dem radikalen Umbau der Wirtschaftsstruktur des ägyptischen Staatswesens, den er in 47,13–26 unternimmt. Diese dient einem absolutistischen Ausbau pharaonischer Herrschaft; und eben eine solche Sicht spricht sich schon in der Beauftragung von 41,44 aus. Wenn nun in diesem Zusammenhang davon die Rede ist, dass der Pharao Joseph nicht nur einen ägyptischen Namen gibt, sondern auch mit der Tochter eines Priesters aus der berühmten Metropole On (Heliopolis)59 verheiratet (V. 45), dann ist damit mehr als die Akkulturation oder gesellschaftliche Integration eines Fremden, nämlich seine feste Einbindung in die ägyptische Machtelite gemeint. Von einer solchen Einheirat in höchste Priesterkreise her wird dann gut verständlich, warum Joseph bei seiner Staatsreform ausgerechnet den Priestern und ihrem Tempelland Privilegien einräumt (47,22.26). Auch der ägyptische Name Zaphenat-Paneach, den Joseph in 41,45 erhält, hat, wenn seine übliche Herleitung von dem ägyptischen Namen Ḏd-p3-nṯr-iw=f-ʿnḫ, etwa mit der Bedeutung: „Der Gott spricht: Er möge leben“ richtig ist, etwas mit den Reformmaßnahmen Josephs in Gen 47 zu tun. Denn sie bewahren die Ägypter vor dem drohenden Hungertod und verschaffen ihnen Leben (47,15.19). „Du hast uns am Leben erhalten“ ()החיתנו, danken die Ägypter Joseph nach deren Abschluss (V. 25).60 So ist es wahrscheinlich, dass es wieder der Verfasser von 47,13–26 war, 57 Eine knappere Schilderung des Amtsantritts findet sich schon in Gen 41,45b. Westermann, Genesis III, 100, hält den Versteil, der in der LXX fehlt, für einen Schreiberirrtum, der vielleicht mit dem Einschub der priesterlichen Datierung der Audienz in V. 46a zusammenhängt. 58 So auch Dietrich, Josephserzählung, 33. 59 Die berühmte Stadt, an der Stelle erbaut, wo nach ägyptischer Mythologie der Urhügel aus der Urflut auftauchte, ist übrigens der einzige ägyptische Ort, der in der ganzen Josephsgeschichte genannt wird! 60 Vgl. das Vorkommen von חיהhif. in Gen 45,7 und 50,20, dort bezogen auf die Jakobfamilie. Guerin, Joseph Story, 131, möchte den Namen im Sinn einer Wiedergeburt deuten, die Joseph in Ägypten erlebe. Doch da die Namen dieses Typs, wie Camille Guerin interessanterweise ausführt, solchen Kindern gegeben wurden, die nach der Geburt die erste Krise der Kindersterblichkeit überlebt hatten, ist sehr wahrscheinlich schon das politische Amt Josephs im Blick, das er dank göttlicher Vorsehung in Ägypten ausführt: nämlich in der Hungerkrise für ein Überleben der Bevölkerung zu sorgen. Da sich der Redaktor ganz offensichtlich für Besonderheiten Ägyptens interessierte, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er die Bedeutung des für Joseph ausgewählten ägyptischen Namen kannte.
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der auch die Verse 41,44–45a in die Josephsgeschichte einsetzte. Möglicherweise geht auch die Einfügung des Sätzchens in V. 40aβ „und auf deinen Mund soll (dich) mein ganzes Volk küssen“, der die Gegenüberstellung von V. 40aα und 40b („Du sollst über meinem Hause sein …, nur um den Thron bin ich größer als du“) unterbricht, auf denselben Verfasser zurück, falls mit dem nur schwer deutbaren und textlich nicht ganz sicheren Gestus61 eine kollektive Huldigung gemeint ist, die seiner Vorstellung von Ägypten als einem absolutistischen Staat entspricht. Findet sich in Kapitel 41 ein ganzes Netz von redaktionellen Einschüben, die alle Besonderheiten des ägyptischen Staatswesens betonen, so tauchen am Ende der Kapitel 43 und 46 noch Notizen über Eigentümlichkeiten der ägyptischen Kultur auf, deren sekundärer Charakter in der Forschung bisher noch nicht genügend erkannt wurde. Bei der Beschreibung des Gastmahls, das Joseph zur Begrüßung seiner Brüder bei ihrer zweiten Reise abhält (Gen 43,31–34), wird hervorgehoben, dass ihm und ihnen gesondert Speise aufgetragen wurde (V. 32a), die Brüder merkwürdigerweise nach ihrem Alter geordnet ihm gegenüber ihren Platz fanden (V. 33) und Joseph die Portionen, die vor ihm standen, zu ihnen tragen ließ, wobei die Portion Benjamins ganz besonders groß ausfiel (V. 34). Die Sonderung der Essensplätze ist Ausdruck der herrschaftlichen Distanz, die zwischen Joseph als hohem ägyptischen Beamten und seinen Brüdern vor ihrer Versöhnung noch besteht. In diese stimmige Szenerie führt der Vers 32b nachklappend noch eine dritte Gruppe ein, und zwar „die Ägypter“, die ebenfalls „mit ihm gesondert“, d. h. an der Seite Josephs, am Mahl teilnehmen sollen, um dann der abgesonderten Platzierung eine neue Begründung zu geben: „Denn die Ägypter können nicht mit den Hebräern essen, weil dies für die Ägypter ein Gräuel ist.“ Dass dieser Versteil ein Einschub ist, sieht man daran, dass er den syntaktischen Zusammenhang zwischen V. 32a und 33 empfindlich stört: Mit dem ungenannten pluralischen Subjekt von וישבו ׁ „da setzten sie sich“ bzw. „fanden sie ihren Platz“ am Anfang von V. 33 sind nicht die in V. 32b zuletzt genannten Ägypter gemeint, sondern die am Ende von V. 32a angesprochenen Brüder. Dies wird durch V. 33b bestätigt, denn mit „den Männern“ ()האנשים, die ׁ sich hier über ihre Platzierung erstaunen, sind schon im ganzen Kapitel 43 die Brüder gemeint (V. 15.16.17.18.24). Es war also ein Bearbeiter, der aus der herrschaftlichen Distanzierung eine ethnische Absonderung machte, wobei er mit dem Begriff „ תועבהGräuel“ auf deren tiefere religiös-kultische Wurzeln wies. Mit Recht weist Horst Seebass darauf hin, dass sonst in der Josephsgeschichte „Religionsunterschiede … gerade nicht betont werden.“62 Die Hervorkehrung eines solchen fremdartigen Brauches ist durchaus dem Verfasser von 47,13–26 61 Die Septuaginta liest: „und auf deinen Mund wird mein ganzes Volk hören“, vgl. zur Diskussion Redford, Study, 166; Westermann, Genesis III, 97; Ebach, Genesis, 248. 62 S. Seebass, Genesis III, 100.
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1. Der literarische Bestand der Josephsgeschichte
zuzutrauen, weil dieser auch sonst ein deutliches Interesse an den Eigentümlichkeiten Ägyptens bekundet. Die ähnlich klingende Bemerkung in Gen 46,34bβ: „Denn ein Gräuel für Ägypten ist jeder Kleinviehhirt“ ist zwar syntaktisch unbedenklich, aber doch sachlich schwierig. Sie kann kaum Teil der Rede gewesen sein, in der Joseph seine Brüder vor dem Pharao dadurch als verlässliche Personen erscheinen lassen will, dass sie sich ihm als „Kleinviehhirten“ bzw. „Viehzüchter“ vorstellen (V. 32.34a). Denn die Brüder benutzen bei ihrer Vorstellung in 47,3 ausgerechnet den inkriminierten Begriff „Kleinviehhirten“. Es könnte sich also nur um eine beigefügte Bemerkung des Erzählers handeln.63 Eine solche steht nun aber in einem sachlichen Widerspruch zu V. 6, weil hier der Pharao Josephs Brüdern, nachdem er von ihrem Beruf erfahren hat, gegebenenfalls sogar die Aufsicht über seine eigenen Herden anvertrauen will. Hier ist auch nicht der geringste Vorbehalt gegenüber Kleinviehhirten spürbar. Es handelt sich somit in 46,34bβ sehr wahrscheinlich wieder um einen Einschub, auch weil dieser in den Text einen Gegensatz zwischen die Termini „Viehzüchter“ (אנשי מקנה, ׁ wörtlich: „Männer des Viehs“, 46,32.34a) und „Kleinviehhirten“ ( ;רעי צאן46,32; 47,3) einträgt, die im Kontext parallel zueinander gebraucht werden. Der Einschub will dem Leser eine Erklärung dafür liefern, warum eine derart sorgfältige Belehrung der Brüder vor ihrer ersten Begegnung mit dem Pharao überhaupt notwendig war: Es galt, eine tiefe Abscheu, welche die Ägypter eigentlich gegen Leute ihres Schlags hegten, zu überwinden. Darum passt die Ergänzung durchaus zu einem Redaktor, der in 47,13–26 das stolze ägyptische Staatswesen ein Stück weit karikierte. Das Ergebnis der von Gen 47,13–26 ausgehenden redaktionsgeschichtlichen Untersuchung ist schon an dieser Stelle bemerkenswert. Der die Forschung irritierende Abschnitt Gen 47,13–26 ist zwar nachträglich in die ursprüngliche Josephsgeschichte eingefügt, aber nicht nur weiträumig redaktionell mit ihr verklammert (41,34b.55–56), sondern auch von einem Netz ebenfalls sekundärer Notizen begleitet, die wie er ebenfalls politische und kulturelle Besonderheiten Ägyptens beleuchten (41,40aβ.44–45a; 43,32b; 46,34bβ). Dieses Zwischenergebnis hat bereits einige Auswirkungen für die beiden oben genannten konträren Auslegungstypen: Das Thema „Herrschaft“, das im ersten Auslegungstyp eine zentrale Rolle spielt, wird durch die Redaktionsschicht weiter profiliert, und zwar in Richtung auf eine absolutistische Zuspitzung der Herrschaft im ägyptischen Staat. Aber noch wichtiger sind die Folgerungen für den zweiten Auslegungstyp: Ganz wesentliche Motive, welche für die Auslegung der Josephsgeschichte als Diasporanovelle in Anspruch genommen werden, der ägyptische Name, der Joseph verliehen wird, seine Heirat mit der ägyptischen Priestertochter Asenat oder die seltsame Absonderung beim Essen,64 gehören gar nicht So schon Holzinger, Genesis, 249. Vgl. etwa Schmid, Datierung, 104; Kunz, Ägypten, 208.215; Römer, Narration, 25–26;
63 64
1.2 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 47,13–26 und damit verbundener Passagen 23
der ursprünglichen Josephsgeschichte an, sondern sind erst durch die besagte Redaktionsschicht in sie eingeführt worden. Zwar lässt sich an dieser Stelle noch nicht ausmachen, ob Konrad Schmids Einschätzung zutrifft, es lasse sich hinter Gen 37–50 keine ältere Erzählung herausschälen, „die erst sekundär zu einer Diasporanovelle ausgestaltet worden wäre,“65 aber es zeigt sich zumindest schon, dass in der ursprünglichen Josephsgeschichte das „Ägyptenthema“ keineswegs so stark „profiliert“ war, wie es Schmid annahm.66 Es bleibt die Aufgabe, Gen 47,13–26 und die mit ihr verbundene Redaktionsschicht zeitlich einzuordnen. Nun ist der isolierte Abschnitt Gen 47,13–26 immer wieder in die nachexilische Zeit datiert worden.67 Thomas Römer betreibt sogar einigen Aufwand, um ihn aufgrund einiger textlicher Details speziell in der frühhellenistischen Zeit plausibel zu machen, als die ersten ptolemäischen Herrscher eine offensive Wirtschafts‑ und Steuerpolitik in Ägypten und der südlichen Levante einführten.68 Doch bleiben solche historischen Auswertungen eines Textes, der auf völlig unhistorische Weise Joseph zum Begründer der ägyptischen Staatsidee macht, nach der ganz Ägypten dem Pharao gehört und die als Ideal vom Alten Reich bis in die ptolemäische Zeit ihre Gültigkeit hatte,69 grundsätzlich fragwürdig. Schon gegenüber früheren Versuchen Redfords in diese Richtung70 hatte Hans-Christoph Schmitt mit Recht eingewandt, dass hinter „der Erzählung von der ‚Agrarreform‘ Josephs allgemein israelitische Vorstellungen über die ägyptische Verhältnisse stehen, so daß in ihr kaum mit Detailkenntnissen über bestimmte historischen Gegebenheiten zu rechnen ist.“71 Die 20-prozentige Ertragssteuer, die Joseph nach Gen 47,24.26 eingeführt haben soll, ist jedenfalls auch in ptolemäischer Zeit, wie Römer eingesteht,72 in Ägypten nicht belegt; sie ist eher eine Erfindung des Verfassers, mit der er seinen Lesern vor Augen führen will, dass die Ägypter einen doppelt so hohen Steuersatz zahlen mussten als sie selbst (1 Sam 8,15.17; Am 4,4). dabei versteht Römer das letzte Motiv als eine ironische Verkehrung orthodox jüdischer Speisregeln. 65 So Schmid, Datierung, 107. 66 Vgl. Schmid, Datierung, 104. 67 So Redford, Study, 239; Seebass, Genesis III, 144; Weimar, Abschnitt, 137. 68 Vgl. Römer, Inventeur, 30–34. Die Eigentümlichkeit, dass in Gen 47,15–17 das Land Kanaan neben Ägypten genannt ist, möchte Römer damit erklären, dass die Ptolemäer zwischen 320 und 315 v. Chr. ihren Herrschaftsbereich bis zum Libanon hin ausweiteten. Sie lässt sich allerdings auch als pauschaler Rückverweis auf Kapitel 42–44 verstehen. Aus V. 21 möchte er einen Hinweis auf die Urbanisierung herauslesen, den die Ptolemäer etwa mit der Gründung der Stadt Alexandria betrieben. Doch ist der Wortlaut des masoretischen Textes ganz unsicher, s. o. Anm. 45. Bezüglich der in V. 22 angesprochenen königlichen Gehaltszahlung an die Priester verweist er auf Diodorus Siculus, Bibl.hist. I, XXI, 7. 69 So mit Recht Redford, Study, 236. 70 Vgl. Redford, Study, 236–239. 71 S. Schmitt, Josephsgeschichte, 141. 72 Römer, Inventeur, 31.
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1. Der literarische Bestand der Josephsgeschichte
Lassen sich aus den Realien des Textes Gen 47,13–17 kaum brauchbare Daten für eine zeitliche Ansetzung der Redaktionsschicht gewinnen, helfen zwei literarische Bezüge, die zwischen ihm und weiteren Texten bestehen, eine relative chronologische Einordnung vorzunehmen. Der erste Bezug besteht zwischen den Passagen 41,44–45a und 41,50–52. Die zweite Passage, die über die Geburt der beiden Joseph-Söhne Ephraim und Manasse berichtet, und anerkannten Maßen eine redaktionelle Klammer für das nachträglich eingeführte Kapitel 48 darstellt, bezieht sich explizit auf die Eheschließung zwischen Joseph und der ägyptischen Priestertochter Asenat in der ersten Passage zurück, die unser Redaktor in 41,45 eingeschoben hatte. Die angesprochene Redaktionsschicht ist somit eindeutig älter als der Einschub von Kapitel 48.73 Weil dieses Kapitel, wie Erhard Blum wahrscheinlich gemacht hat, dazu diente, Jakobs‑ und Josephsgeschichte miteinander zu verbinden,74 gehört unsere Redaktion in eine relativ frühe Phase der Redaktionsgeschichte, als die Josephsgeschichte noch selbständig war. Sie ist damit deutlich eher anzusetzen als der Einschub von Gen 39.75 Der zweite Bezug besteht in dem sachlichen Kontrast zwischen Gen 47,19.25 und 50,18–19. Während Joseph das Angebot der Ägypter, Sklaven Pharaos zu werden, annimmt, lehnt er das Angebot der Brüder, seine Sklaven zu werden, ab, und zwar mit dem Hinweis, dass er nicht an Gottes Stelle stehe. Die Steigerung der Herrschaft, die in Ägypten zur Sicherung des Überlebens möglich erscheint, soll unter Israeliten dezidiert nicht gelten. Wie ist dieser sachliche Bezug literargeschichtlich zu bewerten? Theoretisch könnte es sich, wie schon im vorangehenden Fall, um eine sekundäre Bezugnahme handeln, dass also dem Verfasser von 47,13–26 die Passage 50,15–21 schon als Teil der Josephsgeschichte vorlag. Doch fällt auf, dass für Erhard Blum, als er entdeckte, dass Gen 47,13–26 nicht, wie Frank Crüsemann noch dachte, als ein Vorbild für innerisraelitische Steuergesetzgebung gemeint sei,76 sondern die Funktion einer Kontrastfolie zu 50,18–21 erfülle, diese Einsicht ein wesentlicher Grund dafür war, die gängige 73 Ede, Josefsgeschichte, 155–156, möchte das Abhängigkeitsverhältnis umkehren, weil die Information in Gen 41,50b, dass die Söhne, die Joseph geboren wurden (V. 50a), von Asenat stammten, syntaktisch nachklappt und in Gen 48 von Asenat gar nicht mehr die Rede ist. Doch setzt die Geburt der Söhne in jedem Fall eine Heirat Josephs sachlich voraus; und von einer anderen als der mit der ägyptischen Priestertochter Asenat (41,45a) ist im Text nicht die Rede. Der eigentümliche Befund, den Franziska Ede beschreibt, lässt sich besser aus der Absicht des Ergänzers von Gen 41,50–52 und 48* erklären, die Söhne Josephs von ihrem ägyptischen Milieu zu distanzieren und in die israelitische Stammesgesellschaft einzugemeinden, s. unten S. 128. 74 Vgl. Blum, Komposition, 250–254; diese kompositorische Funktion übernimmt Gen 48 vor allem durch die Aufnahme des Motivs der Vertauschung der Söhne bei der Segenshandlung in Gen 27; dazu genauer unten S. 127–128. 75 Im Gegensatz zu Schmitt, Josephsgeschichte, 65 Anm. 268, oder Römer, Inventeur, 23, die vermuten, dass Gen 47,13–26 und Gen 39 etwa auf der gleichen späten Zeitschiene anzusiedeln seien. Zur Datierung von Gen 39 s. oben S. 14. 76 Vgl. Crüsemann, Widerstand, 150–151; ähnlich Schmitt, Josephsgeschichte, 142; Seebass, Genesis III, 144.
1.2 Das Problem der Zugehörigkeit von Gen 47,13–26 und damit verbundener Passagen 25
Ansicht, Gen 47,13–26 sei erst sekundär in die Josephsgeschichte eingeschoben, in Frage zu stellen.77 Auch alle übrigen Exegeten, die Blum in seiner Auslegung folgten, behandeln beide Abschnitte so, als ob sie auf dergleichen literarischen Ebene lägen.78 Ja, nach Einschätzung von Rainer Kessler findet die Schlussszene der Josephsgeschichte erst auf dem Hintergrund von 47,13–26 „ihr ganzes Gewicht.“79 Der Kontrast bestimmt nicht nur das Verständnis von 47,13–26, sondern auch das von 50,15–21 so tiefgreifend, dass sich eine Herkunft beider Texte von einem einzigen Autor nahelegt. Die Annahme, dass die beiden Texte aus der Feder desselben Verfassers stammen, lässt sich noch durch einige exegetische Beobachtungen stützen: Die angebotene Selbstversklavung wird in Gen 47,25 und 50,18 ähnlich formuliert ( עבדים+ )ל״, in beiden Zusammenhängen kommt die Lebenserhaltung zur Sprache ( חיהhif.), in 47,25 durch Joseph, in 50,20 durch Gott, und in beiden Zusammenhängen geht es um die Versorgung in der Hungersnot (47,19.24 und 50,21). Darüber hinaus zeichnet sich auch die Schlussszene der Josephsgeschichte durch eine ähnliche Erzählweise aus, die wir schon für den Abschnitt 47,13–26 beobachtet hatten:80 Wieder bleibt der Ort der Handlung ganz undeutlich, der Ortswechsel, den die Brüder in 50,18 unternehmen, wird nur angedeutet, allein die das Geschehen dominierenden Reden geben dem Stück Farbe und Konkretion. Wenn nun aber einiges dafür spricht, dass 50,15–21 und 47,13–26 aus derselben Hand stammen, der letztgenannte Abschnitt aber, wie oben gezeigt werden konnte, eindeutig einer Redaktionsschicht angehört, welche die ursprüngliche Josephsgeschichte ergänzte, stellt sich unausweichlich die Frage, ob der erstgenannte wirklich den ursprünglichen Abschluss der Josephsgeschichte darstellt, wie häufig angenommen. Denn wenn 50,15–21 ebenfalls der Redaktionsschicht zugerechnet werden müsste, hätten wir es möglicherweise mit einer Bearbeitung zu tun, welche dem gesamten Schlussteil der Josephsgeschichte ganz wesentlich seine heutige Gestalt gab. Entpuppt sich damit die bisher herausgearbeitete Redaktionsschicht als eine erweiternde Bearbeitungsstufe der ursprünglichen Josephsgeschichte? Sie würde damit sachlich und möglicherweise auch zeitlich noch näher an diese heranrücken. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.
Vgl. Blum, Komposition, 243. Vgl. Carr, Fractions, 276; Lux, Josef, 194–195; Ebach, Genesis, 495–497; Oswald, Staatstheorie, 171. 79 Kessler, Ägyptenbilder, 146. 80 S. oben S. 17. 77 78
2. Differenzierung zwischen ursprünglicher und erweiterter Josephsgeschichte 2.1 Die Rekonstruktion des ursprünglichen Schlusses der Josephsgeschichte Neben den genannten literarkritischen Beobachtungen gibt es noch einen formkritischen Grund, der daran zweifeln lässt, dass es sich in Gen 50,15–21 um den ursprünglichen Schluss der Josephsgeschichte handelt. Denn in ihrer vorliegenden Form verfügt sie über zwei Höhepunkte, was für antike Erzählungen, die meist nur einen einzigen Gipfel besitzen, an dem die zuvor aufgebaute Spannung gelöst wird, zumindest sehr auffällig ist. Der erste große, sehr dramatisch gestaltete Höhepunkt findet sich in Kapitel 45, in dem sich Joseph seinen Brüdern zu erkennen gibt (V. 3.4) und sich mit ihnen versöhnt (V. 14–15), der zweite kleinere, in dem es nach dem Tod des Vaters zu einer nochmaligen Aussöhnung der Brüder kommt, findet sich im besagten Schlussabschnitt 50,15–21 (vgl. bes. V. 21b). Dabei stimmen beide Höhepunkte über die Versöhnungsthematik hinaus auch darin überein, dass das zwischenmenschliche Geschehen durch Joseph eine theologische Deutung erhält (vgl. 45,5–9 mit 50,20) und Joseph die Versorgung seiner Familie verspricht (vgl. כולpilp. in 45,11 und 50,21a). Aus diesem Befund konnte Claus Westermann folgern: „Die nochmalige Versöhnung Josephs mit seinen Brüdern hat für den Erzählverlauf der Josephserzählung keine notwendige Funktion“, zumal die in 50,15 plötzlich konstatierte Angst der Brüder, Joseph könne sich nach dem Tod des Vaters an ihnen rächen, zuvor bei der Schilderung des einträchtigen Begräbnisses (50,1–11) auch nicht im Geringsten angedeutet wird.1 Nun könnte man mit Thomas Römer einwenden „Joseph’s speech in Gen 50:19–21 is the necessary conclusion of Gen 37“,2 weil die Brüder erst hier in 50,18, wie in den dortigen Träumen vorhergesagt (vgl. 37,7.9), vor Joseph unter Kenntnis seiner wahren Identität niederfallen. Zuvor hatten sie nur in Unkenntnis der wahren Situation einem hohen ägyptischen Beamten die Reverenz erwiesen (42,6; 43,26.28; 44,14). Doch es fragt sich, ob eine solche verhüllte, spielerisch1 S. Westermann, Genesis III, 230–231; das Zitat auf S. 230. Auf diese gewisse Inkongruenz hatte schon Redford, Study, 163–164, aufmerksam gemacht. 2 S. Römer, Joseph Story, 189 Anm. 21.
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2. Differenzierung zwischen ursprünglicher und erweiterter Josephsgeschichte
ironische Erfüllung der Träume Josephs für den Erzählzusammenhang nicht völlig ausreicht. Die demonstrative, mit einem Angebot zur Selbstversklavung verbundene Unterwerfungsgeste der Brüder, die in 50,18 geschildert wird, wirkt jedenfalls nach der schon vollzogenen Versöhnung von Kapitel 45 und nachdem die Brüder in Kapitel 44 gewaltig an menschlichem Format gewonnen hatten, wie ein infantiler Rückfall.3 Da der zweite Höhepunkt der vorliegenden Josephsgeschichte für deren Erzählzusammenhang nicht unbedingt notwendig ist, wurde in der Forschung schon häufiger die Ansicht geäußert, dass die ursprüngliche Josephserzählung schon nach dem ersten Höhepunkt in Kapitel 45 geendet habe.4 Allerdings besteht über die genaue Rekonstruktion des ursprünglichen Abschlusses noch einige Unsicherheit. Walter Dietrich möchte die Erzählung mit Gen 45,27aα.b enden lassen: „Da erzählten sie (d. h. die Brüder) alle Worte Josephs, die er ihnen gesagt hatte … Da lebte der Geist ihres Vaters Jakob auf.“ Nach seiner Einschätzung „ein wundervoller Abschluß der Novelle.“5 Doch muss Dietrich dazu alle die Passagen, die auf eine Übersiedlung Jakobs nach Ägypten hinauslaufen (45,8–13.16–21.23b*[]לאביו לדרך.27aβ.28), aus dem Kapitel herausstreichen, obgleich dies nach literarkritischer Methodik nicht unbedingt angezeigt ist.6 Im Gegenteil, schon die erste Frage, die Joseph gleich nach der ersten Eröffnung seiner Identität in V. 2 stellt, zielt auf das Leben des Vaters; um die Sicherung seines Überlebens in der Hungersnot geht es Joseph zuvörderst (vgl. V. 9–13). Es ist darum Westermann zuzustimmen, dass zumindest noch die Wiederbegegnung Josephs mit seinem Vater (46,28–30), dessen bittere Klagen um den Verlust seines Sohnes die Erzählung durchzogen hatten (vgl. 37,34–35; 42,36; 43,14; 44,29), noch zur ursprünglichen Josephsgeschichte gehört haben müssen.7 Doch auch mit der glücklichen Wiederbegegnung von Vater und Sohn haben noch nicht alle Erzählfäden ihren Abschluss gefunden. Es geht in der ursprünglichen Erzählung zentral um die Versorgung der Jakobsfamilie in der Hungersnot. Sie war der Grund, warum die Brüder Josephs zweimal nach Ägypten reisten (Gen 42; 43), und sie wurde ermöglicht, weil Joseph in die zweithöchste 3 Ebach, Genesis, 658, spricht treffend in Aufnahme einer Formulierung Walter Benjamins von einem Rückfall in die „selbstverschuldete Unmündigkeit.“ 4 Vgl. Coats, Canaan, 52–53; Westermann, Genesis III, 181.186; Dietrich, Josephserzählung, 37–40; Kebekus, Joseferzählung, 145–152; Kratz, Komposition, 282–284; Ede, Josefsgeschichte, 514–516; Albertz, Pentateuchstudien, 64–66. Uehlinger, Fratrie, 314, lässt die erste Ausgabe seines „roman de Joseph“ mit oder kurz nach Gen 45 enden. 5 S. Dietrich, Josephserzählung, 40. 6 Dieselben methodischen Einwände sind auch gegen die Vorschläge von Kebekus, Joseferzählung, 149, und Kratz, Komposition, 284, zu erheben, welche die Josephserzählung mit einem textlich stark reduzierten Bestand von Gen 45 enden lassen wollen. Ersterer rechnet zum Grundbestand nur V. 4abα.5aα.8, letzterer immerhin V. 1–4.14–15.25–27. Auch Ede, Josefsgeschichte, 335–339.514–16, möchte ihre zweite Ausbaustufe der Josephsgeschichte in Kapitel 45 enden lassen; sie muss aber dazu seinen Versbestand auf V. 4.15.24a.25*.26aα.27 reduzieren. 7 Vgl. Westermann, Genesis III, 181.
2.1 Die Rekonstruktion des ursprünglichen Schlusses der Josephsgeschichte
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Position des ägyptischen Staates aufgestiegen war (45,8.9). Es ist darum nur folgerichtig, dass Joseph seinen Vater mit dem Versprechen nach Ägypten einlädt, ihn und seine gesamte Familie hier in der Hungersnot zu versorgen und dazu in Gosen anzusiedeln (V. 10–11). Zur Einlösung dieses Versprechens kommt es aber erst in 47,12.27a, zwei zusammengehörigen Versen, die erst durch den Einschub von 47,13–26 auseinandergerissen wurden: Gen 47,12
Dann versorgte Joseph seinen Vater und seine Brüder und das ganze Haus seines Vaters mit Brot nach der Zahl der Kleinkinder. 47,27a So wohnte Israel im Lande Ägypten, im Lande Gosen.
Hier ist in der Tat ein völliger Abschluss der Handlungskette erreicht. So hat die These von George W. Coats die höchste Wahrscheinlichkeit für sich, dass die Josephsgeschichte einmal in Gen 47,12.27a ihr ursprüngliches Ende gefunden hat.8 Ihr hat sich schließlich auch Westermann angeschlossen.9 Sie findet ihre literargeschichtliche Bestätigung dadurch, dass just in dieses Ende hinein die oben herausgearbeitete Redaktion mit 47,13–26 den ersten größeren Textblock ihrer erweiternden Bearbeitung der Josephsgeschichte geschoben hat. Auch die priesterliche Redaktion sah an dieser Stelle offenbar einen gewissen Abschluss erreicht, wenn sie in direkter Folge daran mit 47,27b.28 ihre zusammenfassende Bemerkung zum Leben der Jakobsfamilie in Ägypten und zum Alter des Ahnherrn einschob. Schneller als der jetzige Text wegen mehrerer Einschübe vermuten lässt, kam die ursprüngliche Josephsgeschichte nach ihrem Höhepunkt in Kapitel 45 zu ihrem Ende. Nachdem Jakob den Entschluss gefasst hat, der Einladung Josephs nach Ägypten (45,9–11) zu folgen (45,29), wird er von seinen Söhnen zusammen mit den Frauen und Kindern der Großfamilie auf die Wagen geladen (46,5b),10 die ihnen der Pharao zum Transport zur Verfügung gestellt hatte (45,19). Die Mitnahme des Viehs und die Reise nach Ägypten lässt sich noch unter der priesterlichen Bearbeitung in 46,6aα1.aβ erkennen.11 Da man Juda vorangeschickt hatte, konnte Joseph seiner Familie entgegenfahren. So kommt es zum heiß ersehnten Zusammentreffen von Vater und Sohn in Gosen, im östlichen Nildelta (46,28–39). Wenn Jakob nach dem herzlichen Wiedersehen erleichtert sagt, nun könne er beruhigt sterben, weil er weiß, dass Joseph noch lebt (V. 30), so bezieht 8 Vgl. Coats, Canaan, 52–53; ähnlich schon Redford, Study, 178. Er sah das Ende der „original Joseph Story“ in 47,12. 9 Vgl. Westermann, Genesis III, 186. 10 Dass die Reiseoffenbarung an Jakob in Gen 46,1–5a nicht zur Josephsgeschichte gehört, ist seit Donner, Gestalt, 98–100, anerkannt; s. dazu genauer unten S. 132–133. 11 Gen 46,6–7 gelten gemeinhin als priesterschriftlich, vgl. jedoch den Begriff „ מקנהViehbesitz“ in Gen 46,6aα1 neben dem für P typischen רכוש ׁ „Besitz“ in V. 6aα2 (ähnlich auch in 31,18) und die zweimalige Erwähnung der Reise nach Ägypten in V. 6aβ und V. 7b. Die ausführliche Auflistung der Großfamilie Jakobs in Gen 46,8–27 stammt von einem späteren priesterlichen Bearbeiter; s. dazu unten S. 141–142.
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2. Differenzierung zwischen ursprünglicher und erweiterter Josephsgeschichte
sich das auf die bitteren Klagen über den vermeintlichen Tod seines Sohnes zurück (37,34–35; 42,36; 43,14; 45,29) und verlangt nicht, dass dieser Tod noch Gegenstand der Erzählung gewesen sein muss. Vor dem Schluss kommt es noch zu einer kleinen Komplikation: Joseph hatte Jakob die Ansiedlung seiner ganzen Familie samt ihrer Klein‑ und Großviehherden während der verbleibenden fünf Jahre der Hungersnot im Land Gosen versprochen (Gen 45,10–11). Der Pharao wusste von diesem Viehbesitz der Jakobsfamilie noch nichts. Er ging nur von einer Versorgung der Personen aus (V. 18) und dachte an Vieh nur insofern, als es sich um Transporttiere handelt (V. 17). So musste Joseph seine Brüder klug instruieren, was sie bei der Vorstellung vor dem Pharao sagen sollten (46,31–34abα), um von ihm die Erlaubnis zu erhalten, die mitgebrachten Herden im Land Gosen weiden zu lassen (47,1–6). Die Erlaubnis des Herrschers (V. 6) wird dadurch erreicht, dass sich eine Delegation der Brüder dem Pharao als erwerbsmäßige Kleinviehhirten vorstellt, deren Herdenbesitz ebenfalls von der schweren Dürre bedroht sei. Dabei betonen sie, dass sie mit ihren Herden nur einen begrenzten Gaststatus ( )גורerhalten wollen (V. 4). Nachdem Joseph die Erlaubnis des Pharaos erlangt hat, kann er seinen Vater und seine Brüder – wie von ihm geplant – „in der besten Gegend des Landes“ ansiedeln (V. 11).12 Dort kann er die gesamte Großfamilie versorgen (V. 12), und somit hat Israel ein Bleiberecht in Ägypten, nämlich in Gosen, erhalten (V. 27a). Da die sekundären Bestandteile vor Gen 45 bereits weitgehend herausgearbeitet wurden, ergeben sich damit für den Textbestand der ursprünglichen Josephsgeschichte die folgenden Passagen: Gen 37,…3–27.28aα2–31.32–33*13.34– 35; 39,1*(ohne ;)איש מצרי 40,2–3aα.4–5a.6–14.16–23; 41,1–11.12*(ohne )נער עברי. ׁ 13.14*(ohne )מן־הבור.15–34a.35–40aα.b.41–43.46b–49.53–54.57; 42,1–38; 43,1– 32a.33–34; 44,1–34; 45,1–6.7–8*14.9–28; 46,5b.6aα1.aβ.28–34bα; 47,1–10.11*(ohne ויתן להם אחזהund )בארץ רעמסס.12.27a. 12 Die Begegnung Jakobs mit dem Pharao in Gen 47,7–10 wird generell der Priesterschrift zugerechnet; Wöhrle, Fremdlinge, 117–118, möchte auch noch V. 11 hinzunehmen. Doch bezieht sich dieser Vers direkt auf V. 6, die Anweisung des Pharaos an die Brüder, zurück. So wird man eher nur die Wendung „ ויתן להם אחזהund er gab ihnen Eigentum“ als priesterlichen Eintrag werten, mit dem er das temporäre Nutzungsrecht, das der Pharao gewährte, in einen ständigen Landbesitz umdefinieren wollte. Die Näherbestimmung des besten Landesteils als „Land Ramses“ ist wahrscheinlich eine nachträgliche Glosse, die auf Ex 1,11 vorausdeuten soll. Dass dieser beste Landesteil, den der Pharao versprochen hat (Gen 47,6), wirklich – wie gewünscht – Gosen ist, wird erst im Schlussvers 47,27a gebührend hervorgehoben. 13 Wie Blum, Komposition, 244–245, herausgearbeitet hat, gehen die Einschübe von Gen 37,32aα1.b und die Ergänzung von ויכירהam Anfang von V. 33 auf den Bearbeiter zurück, der das Kapitel 38 einarbeitete und der damit die Identifikation der Beweismittel in der Josephsgeschichte an die in der Juda-Tamar-Geschichte (V. 25–26) angleichen wollte. Von diesem stammt auch die Prolepse zu 39,1 in 37,36. 14 Die Sätzchen in Gen 45,7aβ „ לשׂ ום לכם ׁשארית בארץum euch einen Rest auf Erden übrigzulassen“ und V. 7bβ „ לפליטה גדולהals eine große gerettete Schar“ weiten die Perspektive aus und erinnern an die exilische Heilsprophetie (vgl. Jes 37,32). Es handelt sich wahrscheinlich um
2.2 Die Rekonstruktion des erweiternden Schlussabschnitts der Josephsgeschichte
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2.2 Die Rekonstruktion des erweiternden Schlussabschnitts der Josephsgeschichte Leider hat die recht gut begründete These, dass die Josephsgeschichte ursprünglich nur über einen Höhepunkt in Gen 45 verfügte, noch nicht zu einer Klärung geführt, wie Texte nach diesem rekonstruierten früheren Ende literarisch einzuordnen seien. George W. Coats und Claus Westermann vermuteten danach die Einbindung von Traditionen über das Ende Jakobs, doch verzichteten sie darauf, diese auf der Textebene genauer zu umreißen.15 Am klarsten hat Walter Dietrich die These einer durchlaufenden literarischen Überarbeitung und Erweiterung der Josephsgeschichte ausgearbeitet, die ab deren ursprünglichem Ende den weiteren Ausbau des Erzählfadens übernimmt.16 Die von ihm sogenannte „Josephs-Geschichtsschreibung“ umfasst abgesehen von den Stammessprüchen in Gen 49 fast das gesamte nicht-priesterliche Textmaterial Gen 47 bis 50, d. h. etwa sowohl den Abschnitt über Josephs ägyptische Staatsreform (47,13–26) als auch das Kapitel über die Segnung Ephraims und Manasses in Kapitel 48,8–22.17 Dadurch werden aber in diesem Bereich literarische Brüche eingeebnet, während für die Rekonstruktion ihres ersten Teils zwischen Gen 37 und 45 noch teilweise überkritische Distinktionen – etwa die Differenzierung zwischen einer Ruben‑ und einer Juda-Schicht – zum Tragen kommen, die noch aus Zeiten der Quellentheorie stammen. Die hier vorgetragene Hypothese ist demgegenüber zugleich konservativer und kritischer. Indem sie oben herausarbeitete, dass eine mit Gen 47,13–26 zusammenhängende Redaktion nur relativ sparsam in den Bestand der ursprünglichen Josephsgeschichte vor deren Abschluss eingriff (41,40aβ?.34b.44–45a.55–56; 43,32b; 46,34bβ), trägt sie der von vielen Forschern geteilten Einschätzung Rechnung, dass diese über weite Strecken den Eindruck großer literarischer Einheitlichkeit vermittelt.18 Zugleich soll versucht werden, den Textbestand dieeine nachträgliche punktuelle Ergänzung; vgl. ähnlich Westermann, Genesis III, 159–160; s. unten S. 59–60. 15 Vgl. Coats, Unity, 17–20; Westermann, Genesis III, 186 u. ö. Für Westermann stammt dann der jetzige Schlussabschnitt Gen 50,15–21 vom Redaktor, der nach Einbindung des Schlusses der Jakobsgeschichte wieder zur Josephsgeschichte zurücklenken wollte (vgl. a. a. O., 231). 16 Vgl. Dietrich, Josephserzählung, 67–78. 17 Vgl. Dietrich, Josephserzählung, 67–68, die Textauflistung. Genauer sind dies Gen 47,1– 6.11–26.29–31; 48,(1–2?).8–22; 49,33aβb; 50,1–11.15–23.26. 18 In dem Bemühen, die Texte für literarisch einheitlich zu halten, solange deren Zusammenhang nicht durch inhaltliche Widersprüche oder Ungereimtheiten bzw. stilistische oder grammatische Brüche infragegestellt ist, setzt sich die vorgetragene Hypothese auch von dem Fortschreibungsmodell ab, das Franziska Ede jüngst für die Josephsgeschichte vorgetragen hat (vgl. Ede, Josefsgeschichte, 514–523). Ausgehend von der Rekonstruktion möglichst knapper und thematisch einliniger Handlungsbögen meint sie, schon innerhalb Gen 37; 40–45 zahlreiche erzählerische Ausgestaltungen des Handlungsgangs einer Vielzahl von Fortschreibungen zuweisen zu können (z. B. Juda-, Ruben-, Kundschafter‑ oder Benjamin-Bearbeitung u. a. m.).
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2. Differenzierung zwischen ursprünglicher und erweiterter Josephsgeschichte
ser Bearbeitungsschicht ab dem ursprünglichen Abschluss in 47,12.27a bis zum jetzigen Ende in Kapitel 50 genauer herauszuarbeiten, als es Dietrich getan hat. Es spricht für die Hypothese, dass der Bearbeiter seine erste substantielle Erweiterung der ursprünglichen Josephsgeschichte, nämlich die Schilderung von Josephs Reform des ägyptischen Staatswesens (Gen 47,13–26), direkt mit deren Abschluss in 47,12 und V. 27a verzahnt hat. Damit schuf er einen scharfen Kontrast zu der dort geschilderten Versorgung der Jakobsfamilie. Während Joseph in der Hungersnot seiner Familie ihren Bestand und ihren Herdenbesitz sicherte (45,11; 47,6), gingen die Ägypter ihrer Herden und ihres Landbesitzes verlustig; sie mussten alles, schließlich auch sich selbst dem Pharao verkaufen (V. 25). Zugleich baute der Bearbeiter damit eine wichtige Kontrastfolie für den neuen Schlussteil (50,15–21) auf, um ägyptisches und israelitisches Herrschaftsverständnis gegeneinander abzusetzen (50,18–19). Dafür dass es der Verfasser von Gen 47,13–26 ist, der auch den nächsten folgenden nicht-priesterlichen Textabschnitt 47,29–31, der zum Tod Jakobs hinleitet, formuliert hat, spricht die folgende Beobachtung: Die hebräische Wendung „ מצא חן בעיני״in jemandes Augen Gnade gefunden haben“, die er in V. 25 verwendet hatte, begegnet ebenfalls in V. 29 und dann noch einmal in 50,4. Sie ist in der Hebräischen Bibel nicht ungeläufig,19 auffällig ist jedoch, dass sie sonst nirgends in der Josephsgeschichte gebraucht wurde, sondern nur hier in den Schlusskapiteln gleich dreimal. Sie kann damit als ein aussagekräftiges sprachliches Indiz gelten. Nicht ganz so aussagekräftig, aber immerhin bemerkenswert, ist die Beobachtung, dass der Bearbeiter, wohl um einen glatteren Anschluss an den Schlussvers der ursprünglichen Josephsgeschichte zu gewinnen, den IsraelNamen aus 47,27a, der hier wohl schon das Kollektiv bezeichnet, in V. 29 aufgreift, um damit Jakob zu benennen und dann auch in 47,31 und 50,2 konsequent bei dieser Benennung zu bleiben. Jakob ist für ihn hier immer schon betont der Stammvater und Repräsentant des Sozialverbandes Israel. Mit dem Tod Jakobs greift der Bearbeiter in Gen 47,29–31 durchaus ein Thema auf, das in der ursprünglichen Josephsgeschichte schon angelegt war; hatte Jakob doch schon nach dem Wiedersehen mit Joseph ausgerufen, jetzt beruhigt sterben zu können (46,30). Doch ist es erst der Bearbeiter, der mit dem von ihm konzipierten Ausblick auf das Ende der Hungerjahre (47,18–19.23) einen gewissen zeitlichen Abstand schafft, damit der Tod Jakobs nicht tragischerweise gleich nach der glücklichen Ansiedlung in Ägypten erfolgte.20 Wenn der Bearbeiter Doch fragt sich, ob ein solches Vorgehen die literarkritische Methodik nicht oft stark überfordert. 19 Vgl. dazu etwa die Saul‑ und Davidgeschichten (1 Sam 16,22; 20,3.29; 2 Sam 14,22; 16,4), die noch den ursprünglich höfischen Kontext der Wendung zeigen, dazu den gehäuften Gebrauch in der Jakob-Esau-Geschichte (Gen 30,27; 32,6; 33,8.10.15); daneben wird die Wendung auch religiös gegenüber Gott verwendet (vgl. Gen 18,3; Ex 33,12–13.16–17). 20 Der priesterliche Bearbeiter verlängert in 47,28 den Zeitraum von Jakobs Ägyptenaufenthalt dann explizit auf 17 Jahre.
2.2 Die Rekonstruktion des erweiternden Schlussabschnitts der Josephsgeschichte
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Jakob bei seiner Bitte, nicht in Ägypten, sondern im heimatlichen Grab bei seinen Vätern begraben zu werden (V. 29–30), Joseph mit der gleichen höfischen Formel anreden lässt wie die Ägypter ihren Herrn (V. 25), will er damit eine gewissen Unterordnung des alten Vaters unter seinen Sohn ausdrücken, so wie sie im zweiten Traum Josephs vorhergesagt war (37,9–10). Doch lässt er den sterbenden Vater auf seinem Bett zwar den vorhergesagten Gestus einer Proskynese vollziehen (47,31); doch Jakob verbeugt sich nicht vor Joseph, sondern nur im Beisein Josephs. Die tiefe Verbeugung vollzieht keine Unterwerfung, sondern ist mehr ein Ausdruck der Dankbarkeit dafür, dass ihm Joseph das Begräbnis am heimatlichen Ort versprochen und durch seinen Schwur bekräftigt hat. Insofern nimmt der Bearbeiter ein wichtiges Motiv der ursprünglichen Josephsgeschichte auf, wandelt es aber charakteristisch ab. Da das Kapitel 50 mit der Trauer Josephs um den gestorbenen Jakob einsetzt und sich mit dem Verweis auf Josephs Schwur (V. 5–6) unmittelbar auf 47,29–31 zurückbezieht, könnte es einmal ziemlich direkt an diesen Abschnitt angeschlossen haben.21 Es fehlt eigentlich nur die eigentliche Todesnotiz, die im vorliegenden Text durch die priesterliche Darstellung in 49,29–33 verdrängt wurde. Sie kann aber in Anlehnung an V. 33aβ mit der Formulierung ויאסף רגליו „ אל־המטה וימתdann zog er seine Füße auf das Bett zusammen und starb“ in etwa ergänzt werden. Schon dieser unmittelbare erzählerische Zusammenhang von Gen 47,29–31 und 50,1–11 spricht dagegen, dass Kapitel 48, oder zumindest dessen älteste Textstufe (V. 1–2.8–14.17–20),22 der hier verfolgten Bearbeitungsschicht angehört haben könnte. Vielmehr wird in diesem Kapitel der in 47,31 schon eingeleitete Sterbevorgang noch einmal künstlich aufgehalten, um ein erneutes Treffen Jakobs mit Joseph zu arrangieren, zu dem dieser – anders als beim ersten Treffen – seine halbägyptischen Söhne Ephraim und Manasse mitbringen kann, damit sie der Stammvater noch kurz vor seinem Tode durch seinen Segen rituell vollgültig in die israelitische Großfamilie integriert.23 Wie die Nennung des Bettes ()מטה, auf dem Jakob sich befindet, in 48,2 verdeutlicht, setzt das Kapitel 48 die Szenerie unserer Bearbeitungsschicht voraus (47,31; vgl. 49,33). 21 Der dublettenartige priesterliche Bericht vom Tod Jakobs in Gen 49,1a.29–33 unterscheidet sich von 47,29–31 dadurch, dass Jakob all seinen Söhnen das Versprechen, in seinem heimischen Grab beerdigt zu werden, abnimmt. In 50,1 ist aber wie schon in 47,29–31 nur Joseph allein am Sterbebett Jakobs zugegen. Bei den Stammessprüchen samt ihrem Rahmen in 49,1b–28 handelt es sich um einen noch späteren Einschub; s. dazu unten S. 143–150. 22 Gen 48 ist noch mehrfach überarbeitet worden: V. 3–7 lassen sich der ersten priesterlichen, V. 15–16 einer noch unbestimmt exilischen und V. 21–22 der hexateuchischen Redaktion zuordnen, vgl. Blum, Komposition, 251–253. 23 Wegen solcher Schwierigkeiten, zu der sich noch der Umstand gesellt, dass in Gen 48,2 anders als in 47,29.31 nicht von „Israel“ sondern von „Jakob“ die Rede ist, möchte Dietrich, Josephserzählung, 68 Anm. 202, die ersten beiden Verse des Kapitels am liebsten aussparen und nach 47,31 gleich mit 48,8 fortfahren. Doch hat er dann mit dem Problem zu kämpfen, dass von einer Mitnahme der Joseph-Söhne in 47,29–31 nicht die Rede war.
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2. Differenzierung zwischen ursprünglicher und erweiterter Josephsgeschichte
Es gehört aber eindeutig einer späteren Bearbeitungsstufe an, womit sich die Richtung der Abhängigkeit, die zwischen dem Einschub der ersten Redaktion in 41,44–45a (Josephs Verheiratung mit Asenat) und der verklammernden Notiz über die Geburt der Josephssöhne in 41,50–52 oben festgestellt worden war,24 noch einmal bestätigt. Der Einschub von Kapitel 48, der nach Erhard Blum kompositorisch dazu diente, die Jakobs‑ und die Josephsgeschichte miteinander zu verknüpfen,25 zielt inhaltlich darauf ab, die vertiefte Integration Josephs in die ägyptische Herrschaftselite, welche unser Bearbeiter vorgenommen hatte, schon wieder ein Stück weit dadurch zu korrigieren, dass seine Söhne förmlich in den israelitischen Stämmeverband eingebunden werden. Die Erzählung von den Trauerriten, die an Jakob nach seinem Tod vollzogenen werden (50,1–3), und der Überführung seines Leichnams ins Land Kanaan (V. 4–11) gehört aufgrund ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit 47,29–31 und den aufgezeigten Stichwortverknüpfungen (50,2.4)26 wieder eindeutig der ersten redaktionellen Erweiterung der Josephsgeschichte an. Der Bearbeiter, der schon zuvor Eigentümlichkeiten der ägyptischen Kultur beschrieben hatte (43,34b; 46,34bβ), nimmt den Tod Jakobs zum Anlass, eine Besonderheit des ägyptischen Totenkultes, nämlich die aufwändige Einbalsamierung durch spezielle Fachleute, in den Blick zu nehmen (50,2–3). Was sonst nur den Pharaonen, Würdenträgern und wohlhabenden Bürgern zustand, wurde seiner Meinung nach dank Josephs Herrscherstellung auch dem israelitischen Stammvater Israel zuteil! Nicht nur Joseph (V. 1), sondern auch die Ägypter trauern um Jakob 70 Tage lang (V. 3). Entsprechend aufwändig ist auch die Überführung des Stammvaters von Ägypten nach Kanaan, die in Gen 50,4–11 vom Bearbeiter geschildert wird. Sie wird auf Josephs Bitte hin ausdrücklich vom Pharao genehmigt (V. 4–6) und wohl auch entsprechend ausstaffiert. Denn es machen sich mit Joseph und seinen Brüdern auch eine Vielzahl ägyptischer Würdenträger auf die Reise (V. 7–8). Sogar Wagenlenker und Streitwagen begleiten den großen Zug (V. 9). Die Präsenz der Ägypter bei der Totenklage, die bei der Beisetzung Jakobs abgehalten wird, ist so groß, dass sie von den einheimischen Kanaanäern für eine ägyptische Veranstaltung gehalten wird (V. 10–11). Der Bearbeiter möchte herausstellen: Auch wenn Jakob als ein bloßer Bittsteller nach Ägypten gekommen sein mag, wird er doch mit allem Pomp des ägyptischen Staatswesens zu Grabe getragen! Auffällig auch für den Erzählabschnitt Gen 50,1–11 ist es, dass die Plätze der Handlung nicht genauer lokalisiert werden. Auch bei der Überführung des Leichnams von Ägypten nach Kanaan wird keine Reiseroute beschrieben. Dass sich der Zug ins Ostjordanland bewegt hat, wird erst ganz am Schluss der Reise
S. oben S. 24. Vgl. Blum, Komposition, 250–254. 26 S. oben S. 32. 24 25
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erkennbar (V. 10),27 die in eine siebentägige Trauerfeier am Ort Goren Hā’āṭād jenseits des Jordan mündet, dessen Umbenennung in ʾAbel Miṣrajim „Trauerfeier Ägyptens“28 ätiologisch aus dem Ereignis erklärt wird. Leider bleibt unklar, ob sich hier nach einer älteren Tradition, die der Bearbeiter noch kannte, das Jakobsgrab befand, das sich nach V. 5 der Stammvater selber ausgehauen haben soll.29 Hat doch der priesterliche Bearbeiter just an dieser Stelle eingegriffen, um ein Begräbnis an der gemeinsamen Grabstätte aller Erzväter in der Höhle von Machpela bei Hebron sicherzustellen (V. 12–13). Doch wenn dem so wäre, dann bezeugte selbst noch der Ortsname bei der Grabstätte Jakobs die hohe Wertschätzung, die dem Stammvater Israels durch höchste Vertreter des ägyptischen Staates erwiesen wurde!30 Allerdings wurde er durch die würdevolle Rückführung seines Leichnams in die Heimat zugleich vom ägyptischen Herrschaftsbereich eindeutig getrennt. Nach dem Begräbnis mit internationalem Flair lenkt das Geschehen abschließend noch einmal auf den familiären Konflikt zwischen Joseph und seinen Brüdern zurück. Die Rückreise nach Ägypten wird in Gen 50,14 noch knapper und pauschaler geschildert als die Hinreise. Auch in der anschließenden Schlussszene 50,15–21 fehlen alle Lokalisierungen des Geschehens. Diese Eigenart der Darstellung hat Konrad Schmid zum Anlass genommen, die Notiz über die Rückreise in V. 14 als einen späteren Einschub zu betrachten und die Schlussszene nach Kanaan zu verlegen. Die ganze Josephsgeschichte habe einmal in Palästina geendet und somit ursprünglich nicht die Funktion einer Brücke zur Exodusgeschichte gehabt!31 Doch übersieht Schmid, dass es sich hier um einen auch sonst erkennbaren Erzählstil des Verfassers der erweiterten Josephsgeschichte handelt, den man kaum in dieser Weise auswerten darf. Zudem ist es mit einer Ausscheidung von V. 8b, der mit seiner Aussage, man habe bei der Reise nach Kanaan allein das Vieh und die Kleinkinder in Gosen zurückgelassen, eine 27 Angesichts dessen hier eine bewusste Analogie zu der Route zu sehen, welche später die aus Ägypten befreiten Israeliten ins gelobte Land nahmen, wie Bartelmus, Topographie, 48–50, vorschlägt, bedarf schon einiger Phantasie. Er erschließt sie allerdings weniger aus den spärlich genannten Ortsnamen als aus der „heilsgeschichtlichen Logik des Jahwisten“ (a. a. O., 48). 28 Der Erzähler spielt hier mit dem Gleichklang der Worte ʾebæl „Trauerfeier“ bzw. ʾābel „trauernd“ und ʾābel „Aue, Bach“. In Ortsnamen ist normalerweise das letztere gemeint. 29 Dass dieses nach Gen 50,5 im „Land Kanaan“ platziert wird, spricht nicht gegen dessen Lokalisierung im Ostjordanland. Die Beschränkung des Begriffs ארץ כנעןauf das Westjordanland entstammt erst der priesterlichen Tradition (so eindeutig in Num 32,30.32; 33,51; 34,2–29 u. ö.). Dessen häufiger Gebrauch in der ursprünglichen und erweiterten Josephsgeschichte (16-mal) ist demgegenüber viel pauschaler. Übrigens, in den Fällen, in denen der Ausdruck עבר „ הירדןjenseits des Jordan“ ausnahmsweise wenige Male auch das Westjordanland bezeichnen kann (Num 32,19; Dtn 3,21.25; Jos 9,1), liegt der Blickpunkt eindeutig in Transjordanien. Dies ist in Gen 50,10.11 nicht der Fall. 30 Richtig hat Bartelmus, Topographie, 47–48, erkannt, dass die hohe Ehre, welche die Ägypter Jakob bei seinem aufwändigen Begräbnis zuteil werden lassen, letztlich dem Volk Israel gilt. 31 Vgl. Schmid, Josephsgeschichte, 103–106.
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2. Differenzierung zwischen ursprünglicher und erweiterter Josephsgeschichte
Rückkehr nach Ägypten voraussetzt, nicht getan. Auch Josephs Bitte um Reiseerlaubnis gegenüber dem Pharao in V. 4–5 hätte völlig anders formuliert werden müssen, wenn es um einen endgültigen Abschied gegangen wäre. Dass die Schlussszene Gen 50,15–21 nicht sekundär angehängt wurde, wie Redford und Westermann meinten,32 zeigt sich nicht nur an der Fortsetzung der oben beschriebenen Stileigentümlichkeit. Mit der vorangegangen Begräbniserzählung verbindet sie auch das Motiv eines indirekten, durch andere vermittelten Bittgesuchs, mit der sich Joseph an den Pharao (V. 4–5) und die Brüder an ihn wenden (V. 16–17a). Beide Male geht es dabei um heikle Bitten, bei Joseph um eine Reise ins Ausland, bei den Brüdern um Vergebung ihrer Sünden, die bei direktem Vortrag vielleicht hätten abgelehnt werden können. Obgleich die plötzliche Furcht der Brüder, Joseph könne sich nach dem Tod des Vaters an ihnen rächen, in V. 15 etwas überraschend eingeführt wird, spricht somit ebenfalls der stilistische und motivliche Zusammenhang mit der vorangegangenen Erzählung dafür, dass die Schlussszene wirklich, wie schon die ausdrückliche Kontrastbeziehung zwischen Gen 47,19.25 und 50,18–19 vermuten ließ, von demselben Bearbeiter stammt, der die ursprüngliche Josephsgeschichte nach deren Abschluss in 47,12.27a fortlaufend erweitert hat. Der Bearbeiter schuf der von ihm erweiterten Josephsgeschichte mit dieser Schlussszene einen zweiten abschließenden Höhepunkt, indem er das Thema von Schuld und Vergebung, das auch schon in der großen Versöhnungsszene von Kapitel 45 eine Rolle gespielt hatte (V. 4.5), noch einmal betont, aber mit abweichender Terminologie33 zur Sprache brachte (50,15.17). Dies gab ihm die Gelegenheit, den gesamten Versöhnungsprozess aus Gen 45 noch einmal kurz und prägnant zu reduplizieren. Und indem er die Unterwerfung der Brüder unter Josephs Herrschaft bis zum Angebot der Selbstversklavung steigerte (50,18), schuf er sich die Möglichkeit, der absolutistischen Herrschaft Ägyptens (47,25) eine durch Gott begrenzte Herrschaft (50,19) unter den Israeliten effektvoll gegenüber zu stellen. Mochte der ägyptische Staat dem Stammvater Jakob noch so eindrucksvoll die letzte Ehre erwiesen haben, im Herrschaftsverständnis unterschieden sich Ägypten und Israel diametral! Da aus der Schlussszene Gen 50,15–21 das Anliegen des Bearbeiters deutlich zu erkennen ist, den Höhepunkt der ursprünglichen Josephsgeschichte noch einmal zu wiederholen, stellt sich die Frage, ob er nicht auch deren Schluss in 47,12.27a ebenfalls imitieren wollte. Dann gehörte aber zu dem Versprechen Josephs, seine Brüder samt deren Kleinkinder zu versorgen (50,21a parallel zu 47,12), auch noch 32 So
Redford, Study, 163–164; Westermann, Genesis III, 231. in Gen 50,17 gebrauchten Nomina פשע ׁ „Frevel“ und „ חטאתSünde“ kommen sonst in der Josephsgeschichte nicht vor (stattdessen das Nomen ֵח ְטאin 41,9), ebenso wenig wie die Wendung „ גמל רעהBöses tun“ in V. 15.17. In 45,4.5 war stattdessen konkret vom Verkauf ()מכר Josephs in die Fremde die Rede gewesen, der allerdings nach Ex 21,16 im Zusammenhang mit Menschendiebstahl als todeswürdiges Verbrechen gilt. Die ausdrückliche Schuldanerkenntnis der Brüder hatte in der ursprünglichen Josephsgeschichte schon in 42,21 und 44,16 stattgefunden. 33 Die
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der Ausklang in 50,22a dazu: „So wohnte Joseph in Ägypten, er und das Haus seines Vaters.“ Es gibt also gute Gründe, die erweiterte Josephsgeschichte nicht schon wie üblich in 50,21, sondern erst in 50,22a enden zu lassen. Dagegen gehört die Notiz vom Tod Josephs in 50,26, die Walter Dietrich noch zu seiner „Josephs-Geschichtsschreibung“ hinzurechnen wollte,34 mit einiger Sicherheit nicht der erweiterten Josephsgeschichte an. Die Feststellung, dass Joseph mit 110 Jahren starb, sein Leichnam einbalsamiert und noch in Ägypten in einen Kasten oder eine Lade ( )ארוןgelegt wurde, ist fest mit dem Passus 50,24–26 verbunden, in dem Joseph seinen Brüdern das Versprechen abnimmt, seinen Leichnam nach der großen Heimsuchung Gottes, die zur Befreiung Israels aus Ägypten führen wird, in das schon den Erzvätern verheißene Land mitzunehmen. Denn nur so bekommt die Zwischenlagerung des Leichnams in einem tragbaren Kasten einen Sinn. Der gesamte Passus stammt eindeutig vom Hexateuchredaktor, der das Motiv von der Mitnahme der Josephgebeine zu einer durchlaufenden thematischen Linie seiner Komposition ausgestaltete (Gen 33,19; 50,24–26; Ex 13,19; Jos 24,32).35 Dieser setzt schon die Zusammenfügung der Väter‑ und Exodusgeschichte voraus, die sehr wahrscheinlich erst durch die erste priesterliche Bearbeitung erfolgte.36 Eben weil die Erwähnung des Todes Josephs sofort die Frage nach seiner Bestattung gestellt hätte, spart der priesterliche Bearbeiter, auf den wahrscheinlich die Verse Gen 50,22b–23 zurückzuführen sind,37 bei seiner Bestimmung von Josephs Lebensalter merkwürdigerweise die Todesnotiz bewusst aus. Nein, auch die erweiterte Josephsgeschichte hat nicht mit dem abgeschlossenen Leben seines Protagonisten im Ausland geendet. Vielmehr endete sie wie schon die ursprüngliche mit einem offenen Schluss (vgl. 47,27a). Ein Unterschied besteht nur im damit eröffneten Zeithorizont: Wies letztere von ihrer Anlage her nur auf die Jahre bis zum Ende der Hungersnot, so blickt die erweiterte Josephsgeschichte aufgrund von 47,19.24 schon ein Stück weit über deren Ende hinaus. Damit lässt sich der Textbestand der erweiterte Josephsgeschichte (EJG) folgendermaßen umreißen; zum Text der ursprünglichen Josephsgeschichte kommen noch die folgenden Passagen hinzu: Gen 41,34b.40aβ?.44–45a.55–56; 43,32b; 46,34bβ; 47,13–26.29–31+ ( ויאסף רגליו אל־המטה וימתanalog zu 49,33aβ); 50,1–11.14–22a. 34 Dietrich, Josephserzählung, 44.68. Römer, Narration, 20; Ders., Genesis 39, 58, rechnet Gen 50,26 zur ursprünglichen Josephsgeschichte hinzu, um seine „Diasporanovelle“ besser abrunden zu können. Blum/Weingart, Joseph Story, 505 Anm. 9, möchten Gen 50,26a P zuweisen. Schon diese Divergenz weist auf eine methodische Unsicherheit. 35 Vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 451–453.455.467–468, und unten S. 139–141. 36 Vgl. Blum, Textgestalt, 110–119; Albertz, Pentateuchstudien, 51–54.80–90, und die dortige Diskussion. 37 Vgl. Blum, Textgestalt, 115–116; er rechnete hier noch Gen 50,22–23 insgesamt der P-Komposition zu.
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2. Differenzierung zwischen ursprünglicher und erweiterter Josephsgeschichte
Diese redaktionsgeschichtliche Differenzierung hat vor allem auf den zweiten Auslegungstyp, welcher die Josephsgeschichte als Diasporanovelle deutet, eine nicht unerhebliche Auswirkung. Denn neben den Motiven der ägyptischen Benennung und Verheiratung Josephs (41,45a) sowie der seltsamen Absonderung der Ägypter beim Essen (43,32b) gehört nun auch das Motiv der Einbalsamierung Jakobs (50,2–3), das von Konrad Schmid ebenfalls als Beispiel für die besondere Profilierung des Ägyptenthemas und ein Interesse am Thema der Akkulturation angeführt wurde,38 gar nicht der ursprünglichen Josephsgeschichte an. All diese Motive, die vielleicht auf eine Diasporasituation hindeuten könnten, wurden ihr erst in einer zweiten, erweiterten Ausgabe der Erzählung hinzugefügt. Damit stellt sich aber die Aufgabe, noch einmal genauer nach der Thematik der ursprünglichen und erweiterten Josephsgeschichte und der Rolle, die jeweils Ägypten darin spielt, zu fragen. Es könnte ja sein, dass die redaktionsgeschichtliche Differenzierung zwischen zwei Ausgaben der Josephsgeschichte und die Ausblendung des noch später hinzugefügten Kapitels 39 zu einer präziseren Bestimmung der jeweiligen Themen in der Josephsgeschichte verhilft.
38 Vgl. Schmid, Datierung, 104. Von den von ihm genannten Motiven ist es nur „Josephs Expertise in der Lekanomantie (Gen 44,5),“ die noch zur ursprünglichen Josephsgeschichte gehört. Doch ist einigermaßen fraglich, ob es sich bei der Becherweissagung überhaupt um einen ägyptischen Ritus handelt, s. unten S. 65.
3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG) Da bei der Interpretation der Josephsgeschichte immer wieder vor einer „allegorischen Auslegung“ gewarnt wurde,1 die in der Gefahr stehe, sich zu weit von den erzählten Ereignissen zu entfernen, soll hier ihre Thematik in der Form eines „close readings“ bestimmt werden, bei dem im Sinne der Formkritik ihr Erzählbogen genau verfolgt und die Funktion der einzelnen Erzählelemente in ihm bestimmt werden. Dabei lassen sich zwei verschiedene Erzählebenen unterscheiden, eine familiengeschichtliche und eine ursprungsgeschichtliche. Schließlich soll die Rolle, die Ägypten in der Ereigniskette spielt, genauer geklärt werden.
3.1 Die familiengeschichtliche Erzählebene Auf einer ersten Ebene handelt die Josephsgeschichte eindeutig von einem Familienkonflikt. Ausgelöst wird er gleich am Anfang in Gen 37: Weil Jakob seinen Sohn Joseph mehr liebte als alle seine Söhne, da er ihm erst im Alter geboren war und dieser Vorliebe auch noch durch die Verleihung eines besonderen Kleides einen ständigen Ausdruck verlieh (V. 3–4a), provozierte er den Hass seiner zurückgesetzten Söhne auf ihren bevorzugten Bruder. Die brüderliche Solidarität ihm gegenüber zerbrach (V. 4b). Der Konflikt wird noch einmal gesteigert durch die beiden Träume Josephs (V. 5–7.9–10), in denen sich der Bevorzugte in eine Rolle katapultiert sah, der sich alle seine Brüder (V. 7), ja, sogar seine ganze Familie (V. 10) unterordnen mussten: alle seine Brüder, ja, sogar seine Eltern würden vor ihm niederfallen, den selbstdemütigenden Gestus der Proskynese vollziehen (;השתחוה ׁ V. 7.9.10).2 Die Brüder deuten diese Träume als Herrschafts1 Vgl. etwa Uehlinger, Fratrie, 308; Römer, Joseph Story, 191; Schmid, Datierung, 105, die gegenüber dem ersten Auslegungstyp den Einwand erheben, er interpretiere die Josephsgeschichte zu sehr als historische oder politische Allegorie. 2 Die doppelte Motivation des Konflikts durch die Vorliebe des Vaters für Joseph (Gen 37,3–4) und Josephs Herrscherträume (V. 5–11), war unter der Ägide der Quellentheorie Anlass, die beiden Motive auf die zwei postulierten parallelen Quellenschriften J und E zu verteilen (vgl. etwa Gunkel, Genesis, 404–405). Die Aufteilung wirkt auch noch in ergänzungstheoretischen Modellen nach (vgl. etwa Schmitt, Josephsgeschichte, 25–27.197; Dietrich, Josephserzählung, 53). Ede, Josefsgeschichte, 23, erkennt zwar an, „dass beide Motive weder in einem unver-
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3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG)
ambitionen ihres kleinen Bruders über sie, die sie nicht hinzunehmen bereit sind. Mit ihrer empörten Entgegnung: „Willst du etwa König über uns werden oder über uns herrschen?“ (V. 8) werfen sie die Frage nach einer staatlicher Herrschaft auf, die es in ihrer familiären Welt eigentlich gar nicht gibt. Während Jakob den Familienfrieden aufrecht zu erhalten sucht und Joseph noch die Solidarität zu seinen Brüdern wahrt, indem er sie fern vom Vater bei ihren Herden aufsucht (V. 12–17), fassen die Brüder den Beschluss, Joseph umzubringen und damit den bevorzugten Bruder mit seinen Herrschaftsambitionen zu beseitigen (V. 18–20). Der halbherzige Rettungsversuch Rubens, der als der Älteste eigentlich Verantwortung für den kleinen Bruder hätte übernehmen müssen, geht schief (V. 21– 22.29–30). Ein Rest von Familiensolidarität bringt Juda auf die Idee, Joseph doch lieber nicht umzubringen, sondern ihn stattdessen ins Ausland zu verkaufen (V. 26–27). Auch damit wäre eine Lösung des Geschwisterkonflikts durch Beseitigung des bevorzugten Bruders erreicht. Die Brüder verkaufen Joseph an die Ismaeliter, die nach Ägypten ziehen (V. 28aβb).3 Aber der Verkauf ist nur eine Scheinlösung des Familienkonflikts. Die Brüder müssen ihrem Vater das Verschwinden Josephs durch Inszenierung eines Unfalls vortäuschen (V. 31–33*). Jakob ist über den Verlust seines geliebten Sohnes untröstlich (V. 34–35). Der Familienfriede ist tief gestört. Dieser ungelöste Familienkonflikt um die Frage, ob ein Bruder über seine übrigen Brüder herrschen darf, der hier am Anfang in Gen 37 auf dramatische Weise geschürzt wird, durchzieht die gesamte weitere JG. Das zeigen nicht nur die nicht weniger als 14 expliziten Rückbezüge auf die in Gen 37 geschilderten Ereignisse in den Kapiteln 42–45.4 Auch die Kapitel 40–41, in denen die Brüder Josephs erst einmal gar nicht mehr im Blick sind, legen die entscheidenden Grundlagen für die Lösung des Konflikts: Denn nur dadurch, dass Joseph in Ägypten, fern von seiner Familie, wirklich auf wunderbare Weise in eine hohe Herrschaftsposition aufsteigt (41,41.43), kann er das Überleben seiner Familie einbaren Widerspruch zueinander stehen noch ohne weiteres gegeneinander ausgetauscht werden können.“ Sie meint diese aber doch wegen einer sachlichen Akzentverschiebung literarisch trennen zu müssen: „Ist Josef in den V. 3 f. noch unschuldig an der Entstehung des brüderlichen Konflikts, so trägt er nach Aussage von V. 5–8 maßgeblich zur Verschärfung des Hasses bei.“ Doch fragt sich, ob eine solche Akzentverschiebung zur Begründung einer literarischen Aufteilung des Textes ausreicht, zumal die Aussagen vom Hass der Brüder gegenüber der Bevorzugung Josephs durch den Vater (V. 4b) und als Reaktion auf die Träume (V. 8b; vgl. V. 11a; V. 5b fehlt in der LXX und ist vielleicht doch eher eine falsch platzierte Glosse) ausdrücklich im Sinne einer Steigerung aufeinander bezogen sind. Zudem drückt sich die Vorliebe des Vaters auch in seiner auffällig sanften Rüge gegenüber Josephs zweitem Traum aus (V. 10.11b); und dessen Auszeichnung mit dem Ärmelrock in V. 3 weist schon heimlich in die herrschaftliche Welt der Träume hinüber (vgl. 2 Sam 13,18–19). Jakobs Vorliebe und Josephs Herrschaftsgelüste bedingen sich somit gegenseitig. Familiäre und politische Konfliktebene sind in der Josephsgeschichte eng miteinander verwoben und literarkritisch nicht zu trennen. 3 Zu den sekundär eingefügten Midianitern, s. oben S. 11–12 und unten S. 129. 4 Vgl. Gen 42,6.9.13.21–22.32; 43,26.28.32; 44,14.16.20.28; 45,4.5. Gen 37 ist somit weit mehr als nur ein Vorbau zu den Ereignissen in Ägypten.
3.1 Die familiengeschichtliche Erzählebene
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in der Hungersnot sichern (45,7–8), zuerst heimlich, indem er seinen Brüdern zwar Getreide verkauft, ihnen aber das dafür bezahlte Geld wieder zurück in die Säcke legt (42,25; 44,1), dann offen, indem er seine ganze Familie samt ihrem Viehbesitz nach Ägypten einlädt (45,9–11), um sie dort in der Krise zu versorgen (45,11; 47,12). Und nur dadurch, dass Joseph die Träume des Pharao von den sieben fetten und sieben mageren Jahren in eine kluge Bevorratungspolitik in Ägypten umsetzt (41,25–36.47–49.53–54.57), schafft er die Vorraussetzungen dafür, dass es überhaupt zu einer Wiederbegegnung mit seinen Brüdern kommt: Von der weltweiten Hungersnot getrieben, machen diese sich auf den Weg nach Ägypten, weil dort noch Getreide zu kaufen ist (42,1–5).5 Ohne dass sie ihn erkennen, tritt ihnen hier ihr Bruder Joseph als „Machthaber über das Land“ (ׁשליט )על־הארץ, d. h. als ein sehr hoher ägyptischer Beamter, entgegen. Als Bittsteller fallen sie vor ihm nieder (42,6 mit )השתחוה ׁ und erkennen damit seine Herrschaft über sie an, so wie es in den Träumen Josephs vorausgesagt war (37,5–10). Diese leicht ironische Schilderung der faktischen – aber noch unbewussten – Anerkennung der Herrschaft des einen Bruders über die anderen wird sich im Verlauf des Konfliktlösungsdramas noch einige Male wiederholen (mit השתחוה ׁ in 43,26.28, mit נפלin 44,14). Waren in den Kapiteln 37 auf der einen und 40–41 auf der anderen Seite familiäre und staatliche Welt noch voneinander geschieden, so werden sie in Gen 42–44 eng miteinander verzahnt. Als Joseph als hoher ägyptischer Amtsträger seine Brüder als demütige Bittsteller vor sich liegen sieht, erinnert er sich an seine Träume (42,9) und entschließt sich, sie mit der ganzen Härte staatlicher Macht zu konfrontieren: Er verdächtigt seine Brüder ohne jeden Grund als Spione (V. 9.12.14.16), nimmt sie willkürlich gefangen (V. 16–17), entlässt sie scheinbar gnädig nach drei Tagen wieder (V. 18), um sodann aus ihrer Mitte einen, den Zweitältesten, Simeon, als Geisel solange einzusperren (V. 24b), bis sie ihre Glaubwürdigkeit nachgewiesen haben. Doch mit dieser ganzen Kaskade staatlicher Willkürmaßnahmen verfolgt Joseph nur ein Ziel: Er will überprüfen, ob seine Brüder, die ihm gegenüber jegliche Verantwortung so schnöde verraten hatten, inzwischen gelernt haben, untereinander Familiensolidarität zu üben:6 5 Die damit beschriebene notwendige erzählerische Funktion von Gen 40–41 im Gesamtverlauf der JG macht es relativ unwahrscheinlich, dass diese Kapitel einmal ein eigenständiger ältester Kern der Josephsgeschichte gewesen sein könnten, wie es etwa von Levin, Jahwist, 267–284; Uehlinger, Fratrie, 311–312, oder Ede, Josefsgeschichte, 513–514, vertreten wird. Den Kapiteln fehlt ein gesondertes Thema und ein eigener kompositioneller Abschluss, vgl. auch unten S. 110–111. 6 Wenn Gunkel, Genesis, 443, den Gedanken einer Prüfung der Brüder durch Joseph ablehnt und meint: „Der antike Erzähler denkt viel einfacher: Joseph will seine Brüder strafen; dies ist … nicht niedere ,Rachsucht‘, denn sie haben ja die Strafe verdient. Aber ein Christ, der nach dem Gebot des Herrn das ihm angetane Unrecht ohne weiteres vergibt, ist Joseph nicht gerade,“ dann unterschätzt er aus einem christlichen Überlegenheitsbewusstsein heraus wohl erheblich den psychologischen und theologischen Tiefsinn der Erzählung. Dass es hier um Prüfung in dem Sinne geht, dass Joseph in Verkehrung der „Versuchsanordnung“ eine Kon-
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Die Verdächtigung als Spione, zwingt die Brüder, ihre gestörten Familienverhältnisse offen zu legen (V. 13), ihre schroffe Festnahme bringt sie dazu, sich an ihre alte Schuld gegenüber ihrem Bruder Joseph zu erinnern, den sie mitleidslos beseitigt hatten (V. 21). Als Ältester deutet Ruben seinen Brüdern ihre plötzliche Notlage als Vergeltung für ihre bislang ungesühnte Schuld (V. 22). Die Festnahme Simeons, bis dass die Brüder Benjamin zum Beweis ihrer Glaubwürdigkeit vorführen (V. 18–20a), soll überprüfen, ob diese inzwischen begriffen haben, dass sie für ihren gefährdeten Bruder gemeinsam einstehen müssen und ob es ihnen gelingt, eine neue Verlässlichkeit gegenüber dem misstrauisch gewordenen Vater unter Beweis zu stellen. Dass Joseph nicht bloß aus purer Rache den willkürlichen ägyptischen Potentaten hervorkehrt, sondern trotz allem, was ihm widerfuhr, an der Familiensolidarität festhält, zeigt sich darin, dass er über das Schuldeingeständnis der Brüder ins Weinen gerät (V. 24a) und in einem weiteren verwirrenden Willkürakt seinen Brüdern das Geld, das sie für das Getreide bezahlt haben, wieder in ihre Säcke zurücklegen lässt (V. 25). Die Konvulsionen, welche diese geballten staatlichen Willkürakte daheim in der Jakobsfamilie auslösen, werden ausführlich in dem längeren Abschnitt 42,29–43,15 geschildert. Sie bringen den Familienvater Jakob in eine ohnmächtige Zwangslage; klagend bringt er seine Furcht zum Ausdruck, dass die Konfrontation mit der Staatsmacht, der er sich aufgrund der Hungersnot kaum entziehen kann, seine Familie noch weiter zerstören wird (42,36.38; 43,3–7). Die anhaltende und fast trotzige Weigerung des misstrauisch gewordenen Vaters, Benjamin, seinen Kleinsten, der ihm nach dem Verlust Josephs von seiner geliebten Frau übriggeblieben ist (44,27–28), für eine Reise nach Ägypten in die Obhut seiner älteren Söhne zu geben (42,38; 44,6), stürzt die Familie beinahe in den Ruin. Als die bei der ersten der Reise geholten Vorräte in der andauernden Hungersnot verzehrt sind, bittet Jakob seine Söhne fast kleinlaut, erneut „ein wenig“ Getreide in Ägypten zu kaufen (43,1–2), doch erfährt er von Juda, der sich von nun ab zum Sprecher der Brüder erhebt, schroffen Widerspruch (V. 3–5). Die väterliche Autorität ist beschädigt, die Söhne verweigern den Gehorsam. Juda weist den Vater unmissverständlich darauf hin, dass sie ohne Benjamin gar nicht zur Audienz mit dem ominösen „Mann“ ()האיש, wie der ägyptische Poׁ tentat aus familiärer Perspektive nun durchweg genannt wird (43,3.5–7.11.13–14), vorgelassen würden ( ;ראה פנים43,3.5; vgl. 44,23.26), und damit eine erneute Reise sinnlos wäre. Politische Machthaber verfügen über die Möglichkeit, den stellation in Gang setzt, „in der einer in eine Zwangslage gebracht wird und sich zeigen muss, wie die anderen damit umgehen“ (so Ebach, Genesis, 280), ist heute weitgehend anerkannt. Umso mehr verwundert es, dass Ede, Josefsgeschichte, 170–172.515–516, die Meinung vertritt, nach Gen 42,17, wo Joseph die Brüder gefangen setzt, hätte in einer älteren Fassung der Josephsgeschichte sogleich die Versöhnung von 45,4.15 stattfinden können, weil Joseph bereits hier Gleiches mit Gleichem vergolten habe. Damit werden aber wohl die Schwierigkeiten im Versöhnungsprozess zwischen Verbrechensopfern und ihren Tätern nicht genügend beachtet, vgl. Naumann, Opfererfahrung, 496–504.
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Zugang zu ihnen zu kontrollieren und zu sperren (vgl. Ex 10,28–29; 2 Sam 14,18; Est 4,11).7 Nachdem der Älteste, Ruben, mit seinem heroischen Versprechen, sogar seine beiden Söhne zu opfern, falls Benjamin etwas zustoßen sollte (Gen 42,37), noch gescheitert war, gelingt es dem Drittältesten, Juda, nun, da das Überleben der Familie auf dem Spiel steht (43,8), den Vater mit dem Versprechen umzustimmen, persönlich mit seinem Leben für das Wohlergehen Benjamins zu bürgen (ערב, V. 9). Dieser neue, ganz außergewöhnliche Akt risikobereiter Familiensolidarität wird dann schlussendlich sogar die Lösung des Familienkonflikts möglich machen (44,32). Hier ermöglicht er es erst einmal, das tiefe Misstrauen des Vaters zu überwinden, den Söhnen – wenn auch schweren Herzens – die Mitnahme Benjamins zu erlauben (43,13) und damit den drohenden Ruin von der Familie abzuwenden.8 Mit dieser Entscheidung, die auch ihm eine schmerzliche Solidaritätsleistung zugunsten seiner Familie abverlangt, gewinnt Jakob seine väterliche Autorität wieder zurück: Er verfügt, dass Spezialitäten des Landes Kanaan als Geschenk mitgenommen werden, um den hohen Herrn günstig zu stimmen (V. 11), er bestimmt, dass das mysteriös aufgefundene Kaufgeld aus der ersten Reise zurückgebracht wird, um die Ehrlichkeit seiner Familie zu erweisen (V. 12), und bittet um den Beistand des Familiengottes, dass er seinen Söhnen das Erbarmen des launischen Machthabers schenken möge, so dass er sie nach erfolgtem Getreidekauf zusammen mit dem noch inhaftierten Simeon und dem nun gefährdeten Benjamin wieder nach Hause ziehen lässt (V. 14). Die erneute Begegnung der Familie mit dem Staatsapparat bedarf angesichts der gemachten schlimmen Erfahrungen ausdrücklich des göttlichen Beistands. Als die Brüder auf ihrer zweiten Reise erneut mit Joseph zusammentreffen, erfahren sie, ganz unvermutet, eine völlig andere Behandlung als auf ihrer ersten Reise. Joseph erblickt in der Menge der Bittsteller Benjamin unter den Brüdern. In seinen Augen haben sie damit die erste Prüfung bestanden; sie müssen – wie auch immer – den Familienfrieden soweit wiederhergestellt haben, dass 7 Vgl. die Legende von der Installierung des Königtums in Medien, die Herodot, Historien I, 96–99, berichtet. Deïokes, den die medischen Edlen zum König wählen wollen, macht zur Bedingung, dass sie ihm einen Palast, eine Leibgarde und eine mit Mauerringen befestigte Stadt verschaffen, damit niemand zu dem König unkontrolliert Zutritt hätte, insbesondere nicht „die Jugendfreunde, die mit ihm aufgewachsen und von nicht geringerem Herkommen waren und nicht weniger tüchtig als er.“ Bekämen diese ihn direkt als König zu Gesicht, könnte sie das kränken und zur Verschwörung antreiben. „Bekämen sie ihn aber nicht zu Gesicht, würde er ihnen als ein Wesen anderer Art vorkommen“ (Marg, Herodot I, 58, § 99). Die Abschirmung der Herrschenden gehört zur Ausübung von politischer Herrschaft notwendig hinzu; sie kann diese aber auch zur Hybris verführen. 8 Wenn Dietrich, Josephserzählung, 23–24.68, die Juda-Rede von Gen 43,3–12 (und dann auch von 44,17–34) aus seiner „Josephs-Novelle“ ausgliedern und der „Josephs-Geschichtsschreibung“ zuweisen will, dann nimmt er ersterer ein gutes Stück ihrer Dramatik. Dass Juda in 42,3–13 seinem Vater hier selbstbewusst gegenübertritt, dessen Würde schmälert und die Ereignisse von 42,13–20 zur eigenen Verteidigung etwas anders wiedergibt als dort geschildert, ist kein literarkritisches Kriterium, sondern Absicht des Erzählers. Auch Ede, Josefsgeschichte, 256.285.521–522, rechnet mit einer nachträglichen Juda-Bearbeitung.
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der Vater ihnen den Kleinsten anvertraute. Darum entscheidet er sich spontan, das Zusammentreffen mit allen seinen Brüdern bei einem Festmahl in seinem Hause gleich in der kommenden Mittagspause zu feiern und gibt seinem Hausverwalter entsprechende Anweisungen (Gen 43,16). Als die Brüder von diesem in Josephs Palast geführt werden, muss diese überraschende Sonderbehandlung nach all der Willkür, die sie vom ägyptischen Machthaber auf ihrer ersten Reise erlebt hatten, in ihnen blankes Entsetzen auslösen. Sie haben Angst, wegen der mysteriösen Geldgeschichte nur deswegen abgesondert worden zu sein, damit man ungestört über sie herfallen, sie ausrauben und samt ihren Lasttieren in die Sklaverei pressen könne (V. 18). Aber anders als bei der ersten Reise verharren sie nicht in der stummen Opferrolle gegenüber der bedrohlichen Staatsmacht. Noch am Hoftor sprechen sie den Hausverwalter an, versuchen ihm die Sache mit dem nachträglich aufgefundenen Kaufgeld zu erklären und ihre Ehrlichkeit zu erweisen (V. 19–22). Überraschenderweise reagiert der nachgeordnete ägyptische Beamte auf ihre Rede mit einer geradezu überfließenden Freundlichkeit. Mit allen Mitteln sucht er, den Brüdern ihre Angst zu nehmen: das Kaufgeld sei ordnungsgemäß bei ihm eingegangen, das mysteriöse Geld in den Säcken müsse ein Geschenk ihres Familiengottes sein.9 Er führt ihnen den gefangenen Simeon heraus und versorgt sie wie Ehrengäste, die eine lange Reise hinter sich haben, mit Wasser für die Füße und Futter für die Esel (V. 23–24). So überraschend human kann die Staatsmacht auch sein! So sind die Brüder halbwegs beruhigt. Sie bereiten sich auf ihre Begegnung mit dem hohen Herrn vor, indem sie ihre Geschenke auspacken (V. 25). Auch das Zusammentreffen mit Joseph verläuft nun ganz anders als bei der ersten Reise. Die Brüder verhalten sich zwar nach allen Regeln der Hofetikette: Sie bringen dem hohen Herrn ihre Geschenke dar und vollziehen – sogar gleich zweimal – vor ihm ehrerbietig die Proskynese. (Gen 43,26.27). Sie erkennen damit erneut – unbewusst – Josephs Herrschaftsstellung an. Joseph dagegen verhält sich fast familiär: Er entbietet ihnen den Friedengruß, erkundigt sich ganz menschlich nach dem Wohlergehen des alten Vaters und wendet sich besonders freundlich an Benjamin, zu dem er sich als Blutsbruder ganz besonders hingezogen fühlt. Er unterstellt ihn der Fürsorge Gottes und nennt ihn dabei „meinen Sohn“ (V. 27.29). Gefällt sich der launische Potentat plötzlich in der Rolle eines Menschenfreundes? – mögen sich die Brüder gefragt haben. Sie bekommen 9 Dietrich, Josephserzählung, 35, sieht in der ganzen Szene (Gen 43,17b–23a) einen Einschub der Josephs-Geschichtsschreibung, weil er das zweimalige Vorkommen des Satzes „Da führte der Mann die Männer in das Haus Josephs“ in V. 17b und 24a als Wiederaufnahme wertet. Doch diese Einschätzung geschieht kaum zurecht, da die gleiche Terminologie, mit der die Brüder als האנשים „die Männer“ bezeichnet werden, über die Szene hinaus in Gen ׁ 43,15.16.17.18.24.33 durchläuft. Die beiden identischen Sätze sind somit eher als Szenengliederungsmarken zu verstehen, wobei man sie sachlich dadurch ausgleichen kann, dass man unter dem „Haus Josephs“ in V. 17b mehr den Innenhof und in V. 24a mehr das Wohngebäude des Anwesens versteht.
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nicht mit, wie emotional Joseph von der Begegnung mit ihnen bewegt ist, weil er sich fluchtartig in sein Gemach zurückzieht, um sich auszuweinen (V. 30). Im anschließenden Festmahl bleibt Joseph von seinen Brüdern herrschaftlich getrennt: Ihm wird an einem gesonderten Platz aufgetragen, während die Brüder vor ihm – seltsamerweise genau ihrem Alter nach aufgereiht – ihren Platz finden und von ihm mit Speisen versorgt werden, was sie einigermaßen verwundert. Benjamin wird dabei durch eine besonders große Portion bevorzugt, wogegen sie nicht protestieren (V. 31–32a.33–34). Erstmals sind alle Brüder wieder friedlich vereint, und zwar unter Josephs Leitung, so wie es dieser in seinem ersten Traum vorhergesehen hatte (37,5–7). So führt das fröhliche gemeinsame Mahl, bei dem der gehörige Weingenuss die Standesgrenzen durchlässig werden lässt, schon ganz nah an die Lösung des Familienkonfliktes heran: Die Familie ist schon fast wiedervereint, geleitet und versorgt von Joseph. Doch Joseph gibt sich mit dem scheinbar harmonischen Eindruck eines wieder gewonnenen Familienfriedens noch nicht zufrieden. Die Brüder haben zwar gezeigt, dass sie den gefangen gesetzten Bruder Simeon nicht aufgeben, sie haben offenbar auch gegenüber ihrem Vater eine neue Verantwortlichkeit an den Tag gelegt, aber sie haben noch nicht bewiesen, dass sie auch gegenüber dem kleinsten und vom Vater bevorzugten Bruder Benjamin die Familiensolidarität aufbringen, die sie ihm selbst gegenüber so schmählich haben vermissen lassen. Darum will Joseph seine Brüder einer zweiten, noch schwerer zu bestehenden Prüfung unterwerfen, indem er sie künstlich in eine Entscheidungssituation hineinzwingt, die etwa der Lage, als er von seinen Brüdern preisgegeben wurde (Gen 37,17–27.28aα2.aβb), entspricht. Noch während er fröhlich mit seinen Brüdern zechte, gibt er seinem Hausverwalter die Anweisung, für die Abreise der Brüder am nächsten Tag nicht nur ihre Säcke prall zu füllen, sondern auch noch seinen Silberbecher im Sack Benjamins zu verstecken (44,1–2*).10 Kaum dass die Brüder am frühen Morgen aufgebrochen sind und die Stadt verlassen haben, lässt sie Joseph durch seinen Hausverwalter verfolgen und unter eine wüste Anklage stellen: Sie hätten die ihnen mit dem Festmahl erwiesene Freundlichkeit auf schäbige Weise vergolten, indem sie den Silberbecher des hohen Herrn geklaut haben, der diesem keineswegs nur zum Trinken, sondern auch zu Orakelweissagungen diene (V. 3–6).11 Durch diese erneute staatliche Willkürmaßnahme fühlen sich die Brüder tief in ihrer Ehre verletzt. Sie sind von ihrer Unschuld so sehr überzeugt, dass sie hypothetisch den Schuldigen dem Tod und alle übrigen 10 Die Bemerkungen, dass auch das Kaufgeld in die Säcke zurückgelegt werden soll (Gen 44,1b.2aβ), sind wohl ein an die erste Reise angleichender Zusatz, da dieses Geld bei der folgenden Durchsuchung keine Rolle mehr spielt. 11 In Gen 44,5 fehlt der eigentliche Diebstahlvorwurf; MT gibt kleinen glatten Sinn, da das Demonstrativum זהein Beziehungswort erfordert. Ergänze mit LXX „Warum habt ihr meinen silbernen Becher gestohlen?“ Vgl. Westermann, Genesis III, 139–140; unentschieden bleibt Ebach, Genesis, 350.
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der Versklavung anheimgeben wollen, um ihre Ehrlichkeit erneut unter Beweis zu stellen (V. 7–9). Der kühle Amtsträger wischt eine solch maßlose kollektive Bestrafung überlegen beiseite; scheinbar gerecht, will er nur den Schuldigen versklaven, aber die übrigen Brüder freilassen (V. 10). Damit stellt er aber die Brüder zum ersten Mal vor die Entscheidung, wieweit ihre Familiensolidarität reicht. Aufgeregt beginnt die Durchsuchung der Säcke unter Kontrolle des Hausverwalters, schließlich wird der Silberbecher im Sack Benjamins gefunden und dieser dadurch der Schuld überführt (V. 11–12). Die Brüder sind so entsetzt, dass sie ihre Kleider zerreißen wie bei einer Totenklage (V. 13a). Alles zuvor geschaffene Vertrauen, dass mit den hohen politischen Herren doch ein menschlicher Umgang möglich sei, ist mit einem Schlag verflogen. Sie sind, wie sie es am Tag zuvor schon befürchtet hatten, den Mächtigen doch in die Falle gegangen (43,18). Aber trotz dieses Schocks versuchen diejenigen Brüder, deren Unschuld bei dem dramatischen Vorfall erwiesen wurde, nicht, ihre Haut unter Preisgabe des schuldigen Benjamin zu retten, sondern kehren alle gemeinsam in die Stadt des Machthabers zurück (44,13b). Joseph, der offenbar auf diesen Beweis brüderlicher Solidarität gehofft hatte, hielt sich immer noch in seinem Hause auf, als die Brüder unter Judas Führung bei ihm anlangen. Von der willkürlichen Anklage völlig verunsichert, fallen sie einfach vor ihm zu Boden ()נפל ארצה. Zur höfischen Etikette besteht kein Anlass mehr, sie können sich nur noch ohnmächtig seiner Herrschaft unterwerfen und auf ein gnädiges Urteil hoffen (Gen 44,14). Doch Joseph lässt es sich nicht nehmen, bei seiner Anklage ironisch und überlegen den Abstand herauszustreichen, der zwischen ihm und seinen Brüdern besteht: Sollten sie, die ihn einst als Träumer verspottet hatten (37,19), bei ihrem Diebstahl so dumm gewesen sein, nicht damit zu rechnen, dass Machthaber wie er über hellseherische Fähigkeiten verfügen, die solche Untaten leicht aufdecken können (V. 15)? Die Brüder sind gegenüber einem solchen überlegenen Mann ratlos. Doch Juda lässt sich nicht unterkriegen: Auch er weiß keine Antwort auf die ebenso falsche wie unwiderlegbare Anklage, er will aber auf jegliche Entschuldigung oder Rechtfertigung verzichten, weil er erkannt hat, dass Gott mit dieser Notlage, in die sie unverständlicherweise geraten sind, ihre Lebensschuld, die seit der Beseitigung Josephs auf ihnen liegt, ahnden will. Darum erklärt er sich im Namen der Brüder zur solidarischen Schuldübernahme bereit. An der Seite des beschuldigten Benjamin werden auch alle übrigen Brüder die ihm auferlegte Strafe der Versklavung auf sich nehmen (V. 16).12 Doch Joseph ist eine solche pauschal erklärte kollektive 12 Gunkel, Genesis, 455, der den Gedanken einer Prüfung der Brüder durch Joseph ablehnt (a. a. O., 443), verkennt ein Stück weit den gewaltigen Schritt, den die Brüder hier mit ihrem Angebot solidarischer Schuldübernahme zugunsten Benjamins vollziehen, wenn er schreibt: „Nicht, daß sie sich gebessert haben, sondern daß sie jetzt völlig gebrochen sind, soll dieser Vorschlag zeigen.“ Nach ihm fühlen sich die Brüder in ihrem Unglück nur allgemein unter Gottes Zorn und denken nicht an eine bestimmte, etwa an die Joseph angetane Sünde. Sachgemäßer
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Strafübernahme noch zu wenig, da sie die besondere Rolle Benjamins in der Familie noch nicht berücksichtigt. So lehnt er diese schroff ab und beharrt darauf, dass nur der der Schuld überführte Benjamin in Ägypten versklavt wird, während er die übrigen Brüder geradezu verführerisch auffordert, „in Frieden“ zu ihrem Vater heimzukehren (V. 17). Noch einmal stehen die Brüder vor der schweren Entscheidung: sollen sie den kleinsten Bruder preisgeben, um zumindest ihr Leben zu retten und damit ein noch schlimmeres Unheil von der Familie abzuwenden? Dieses absichtlich entsolidarisierende Urteil des hohen Herrn fordert Juda, der schon zuvor den Mut zu einer Entgegnung gefunden hatte, zu einer langen und bewegenden Gegenrede heraus (Gen 44,18–34). Höflich bittet er um Gehör, denn es ist eigentlich unziemlich, dass ein Machthaber von einem Normalbürger, noch dazu aus irgendeiner dahergelaufenen Familie, angesprochen wird. Wenn Juda sein Gegenüber dabei sogar fast mit dem Pharao gleichsetzt, ist dies nicht nur Schmeichelei, sondern auch ein Eingeständnis der eigenen Ohnmacht und zugleich ein Appell an den hohen Herrn, auf die Anliegen der Schwachen zu hören. Juda beharrt mutig auf der Humanität der politischen Macht (V. 18). Ziel Judas ist es, bei dem hohen Herrn ein Verständnis dafür zu gewinnen, dass er und seine Brüder unter keinen Umständen ohne Benjamin zu ihrem Vater nach Hause reisen können (V. 30–31). Dazu lässt er die Ereignisse der ersten Reise noch einmal Revue passieren, wobei er aber höflich unterstellt, die willkürliche Vorforderung Benjamins sei eigentlich schon aus einer fürsorglichen Obhut des hohen Herrn erfolgt (V. 21),13 wie dieser sie erst bei der zweiten Reise an den Tag legte (43,29). Eindrucksvoll schildert Juda, wie sehr sein Vater an Benjamin hängt, der ihm nach dem vermeintlichen Tod Josephs als einziger von den Kindern seiner geliebten Frau übrig geblieben ist (44,20), und wie schwer es darum war, dem Vater das Einverständnis zur Mitnahme Benjamins auf der zweiten Reise abzuringen (V. 26.29). Damit hört Joseph zum ersten Mal, wie sehr sein Verschwinden den Vater und den gesamten Familienfrieden immer noch belastet (V. 27–28). Ja, wenn er hört, wie viel Verständnis Juda für das Leid seines Vaters und seine Sorge um Benjamin aufbringt, kann er sich davon überzeugen, dass die Brüder die Vorliebe des Vaters für den Kleinsten (V. 20), die einmal den gesamten Familienkonflikt ausgelöst hatte (vgl. 37,3–4), inzwischen voll akzeptieren. Die Sorge, dass der alte Vater, nachdem er schon den Verlust Josephs hat verkraften müssen, bloß nicht aus lauter Kummer über den Verlust seines kommentiert Westermann, Genesis III, 146, wenn er schreibt: „Einen Diebstahl kann Juda nicht zugeben. Indem er aber die alte Schuld zugibt, stellt er den eben erhaltenen Schuldspruch in einen weiteren Zusammenhang, in dem nicht der mächtige Mann am ägyptischen Hof, sondern allein Gott wirkt und lenkt. Damit aber haben die Brüder die Probe bestanden, der sie Joseph unterworfen hat.“ 13 Zum Ausdruck שׂ ים עיני עליו, wörtlich: „mein Auge auf ihn setzen“, im Sinne von „in Obhut nehmen“ vgl. Jer 39,12; 40,4.
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geliebten Sohnes Benjamin sterben möge (V. 29.34), hat für Juda inzwischen ein weitaus größeres Gewicht als das Gerangel der Brüder um väterliche Anerkennung. Wie wichtig ihm die Solidarität mit dem Vater und der Zusammenhalt in der Familie geworden ist, stellt Juda mit der eher bescheiden vorgebrachten Bemerkung unter Beweis, dass er dem Vater gegenüber mit seinem ganzen Leben für das Wohlergehen Benjamins persönlich gebürgt hat (V. 32; vgl. 43,9). Dessen Bevorzugung spielt keinerlei Rolle mehr. Darum bittet er den hohen Herrn untertänigst, die Benjamin zugedachte Strafe übernehmen zu dürfen und dafür den kleinen Bruder nach Hause reisen zu lassen (44,33), weil er – wie er seinem Gegenüber am Ende ohne alle höfischen Umschweife gesteht – den Kummer des Vaters über den Verlust Benjamins nicht ertragen könnte (V. 34). Diese emotional vorgetragene Rede Judas führt unmittelbar zu dem Höhepunkt der ganzen JG, der Lösung des Familienkonflikts. Mit seiner eindrucksvollen Rede hat Juda und haben mit ihm die Brüder die zweite ihnen von Joseph auferlegte Prüfung mit Bravour bestanden: Sie halten unter allen Umständen, ja, bis zur Selbstaufopferung, ihre brüderliche Solidarität mit ihrem kleinsten, vom Vater bevorzugten Bruder aufrecht.14 Joseph ist von der neu gewonnenen Solidarität in seiner Familie, die Juda an den Tag gelegt hat, emotional so stark bewegt, dass er – anders als beim Festmahl (Gen 43,31) – vor seinen Bediensteten nicht länger die Fassung bewahren kann, sondern sie alle hinausschickt, um die Maske des ägyptischen Potentaten fallen zu lassen und sich seinen Brüdern als ihr Bruder zu erkennen zu geben (45,1). Er, der dem erbarmungslosen Neid und Hass seiner Brüder zum Opfer gefallen war, ist von dem Selbstklärungs‑ und Entwicklungsprozess, den seine Brüder an Schuldeinsicht, Solidarität, Mitgefühl und Selbstaufopferung unter seiner Leitung durchgemacht haben, so gerührt und begeistert, dass er lauthals in Tränen der Rührung und der Freude ausbricht (V. 2). Ja, zu einer derart gewandelten Familie kann er und will er als ehemals ausgestoßenes Opfer wieder dazugehören. Er ist bereit und fähig, sich mit seinen Brüdern wieder zu versöhnen. Und bei der Lösung seines Familienkonflikts soll die staatliche Welt, zu der er inzwischen gehört, erst einmal draußen bleiben. Doch die Versöhnung zwischen Joseph und seinen Brüdern ist nach allem, was vorgefallen war, gar nicht so einfach. Als Joseph seine wahre Identität vor ihnen lüftet, sind die Brüder so tief erschrocken, dass sie gar nicht reagieren können (Gen 45,3). Wenn Joseph meinte, mit der solidarisierenden Nachfrage 14 Für Gunkel, Genesis, 456–457, der den Gedanken einer Prüfung ablehnt (a. a. O., 443), ist es allein der „Edelmut“ Judas, der Joseph überwindet. Das ist sicher zu individualistisch gedacht, weil dies das solidarische Eintreten Judas für Benjamin und seinen Vater auf eine bloße Haltung reduziert. Dennoch hat Gunkel wohl das Schönste über den Umschlag der Stimmung Josephs, den die Rede Judas bewegt, geschrieben, was in einem Kommentar zu lesen ist: „Diese Schilderung wird das Entzücken der Leser bilden, solange man die Genesis liest. Und wenn so manche Gelehrte vor lauter Wissenschaft an solcher Schönheit achtlos vorübergehen, so trösten wir uns, daß die Kinder und die Künstler auch ohne Wissenschaft fühlen, was der Erzähler hier gewollt hat“ (a. a. O., 457).
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nach dem Ergehen seines Vaters, den sozialen Abstand zwischen sich und den Brüdern überspringen zu können, hatte er sich geirrt. Mussten die Brüder nicht fürchten, dass Joseph nach all den staatlichen Willkürmaßnahmen, denen er sie ausgesetzt hatte, seine Machtposition nun erst richtig ausnützen werde, um sich für ihr Verbrechen an ihm zu rächen? Joseph muss darum noch einmal neu mit seiner Eröffnung einsetzen und wortreich erhebliche psychologische und theologische Versöhnungsarbeit leisten (Gen 45,4–8).15 Er spricht das Verbrechen, das seine Brüder an ihm begangen haben, offen an (V. 4), aber versieht es sogleich mit einer theologischen Deutung, die seine Brüder von ihrer Schuld entlasten soll: Es waren in Wirklichkeit nicht sie, die ihn nach Ägypten verkauft haben, sondern Gott hatte seine Hand im Spiel. Er hat Joseph vor ihnen nach Ägypten vorausgesandt, um ihr Leben in der siebenjährigen Hungersnot zu erhalten. Ihre Untat hatte somit einen tieferen, einen letztlich positiven Sinn; die Brüder brauchen sich ihrer nicht mehr zu schämen und sich ihretwegen weiter Vorwürfe zu machen (V. 5–7).16 Aber Joseph geht noch einen Schritt weiter: Er führt auch die Herrscherposition, die er in Ägypten erlangte, auf Gottes Wirken zurück: Gott hat ihn zum Herrscher ()מושל ׁ über das ganze Land Ägypten gemacht; er war zum Herrn ( )אדוןüber das Haus des Pharao aufgestiegen und hatte damit sogar die Stellung eines „Vaters für den Pharao“ gewonnen, der sich um die Versorgung des Hofes und des gesamten Staatswesens kümmert (V. 8). Seine Träume, die den Brüdern so unerträglich waren, dass sie meinten, ihn beseitigen zu müssen (37,5–11.19–20), hatten sich somit auf eine überraschende Weise erfüllt. Doch damit es zur Aussöhnung mit seinen Brüdern kommen kann (Gen 45,14–15), muss Joseph noch den entscheidenden Schritt praktischer Versöhnungsarbeit vollziehen: Er lädt seinen Vater und damit seine ganze Familie, auch die Familien seiner Brüder, samt ihren Herden nach Ägypten ein; er soll mit ihnen allen in seiner Nähe, im Landstrich Gosen wohnen. Darüber hinaus verspricht er seinem Vater, sie alle in der noch fünf Jahre andauernden Hungersnot zu versorgen ( כולpilp.), damit seine Familie nicht völlig verarmt (V. 9–13). Er verspricht damit, seine Herrscherposition solidarisch zum Überleben seiner Familie in einer existentiellen Bedrohung einzusetzen. Damit der Vater sieht, dass Joseph keine leeren Versprechungen abgegeben hat, sondern die Macht 15 Josephs doppelte Enthüllung seiner Identität in Gen 45,3a und V. 4b ist somit keine Dublette, sondern als Darstellung der Schwierigkeit der psychologischen Situation erzählerisch beabsichtigt, vgl. Westermann, Genesis III, 156–157; Ebach, Genesis, 387–388. Schon Donner, Gestalt, 90–94, hat aufgezeigt, dass Gen 45 keinerlei Spannungen aufweist, die eine literarische Aufteilung des Kapitels rechtfertigen könnten. Gen 45 ist somit literarisch weitgehend einheitlich, nur die Versteile Gen 45,7aβ.bβ werden sich als Glossen aus späterer Zeit erweisen, s. u. 59–60. 16 Dass Joseph mit seiner theologischen Ausdeutung des Geschehens auch sich selbst ermöglicht, sein hartes Schicksal anzunehmen und auf Vergeltung zu verzichten, betont zu Recht Marzouk, Forced Migration, 99.
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eines ganzen Staates dahintersteht, sollen die Brüder ihm von seiner Herrscherposition ()אדון, die er in Ägypten erlangt hat (V .9), und von der Ehre ()כבוד, die ihm hier entgegengebracht wird (V. 13), erzählen. Das bedeutet aber, genau die Herrschaftsambitionen, die einst den Konflikt in Josephs Familie ausgelöst hatten, sind es nun, die als realisierte politische Herrschaft die Lösung des Familienkonflikts möglich machen. Die staatliche Vorsorgepolitik, die Joseph in Ägypten eingeleitet hatte, ermöglicht es ihm nun, das Überleben seiner Familie in einer schweren wirtschaftlichen Krise zu sichern. Erst nachdem die Brüder Josephs erkannt haben, dass ihr überraschend wiederentdeckter Bruder seine politische Machtposition nicht gegen sie, sondern solidarisch zur Unterstützung der ganzen Familie einzusetzen gewillt ist, sind auch sie zur Aussöhnung fähig. Den Anfang macht Benjamin, mit dem sich Joseph besonders verbunden fühlt. Indem sich die Brüder in den Armen liegen, miteinander weinen und erstmals auf familiärer Ebene wieder miteinander reden, willigen sie stillschweigend ein, Josephs segensreiche Leitungsfunktion über die ganze Familie in Zukunft – nun auch in Kenntnis seiner Identität – anzuerkennen (Gen 45,14–15). Da das großzügige familiäre Versorgungsversprechen Josephs politische Dimensionen hat, gehört auch dessen Bestätigung durch den Pharao in Gen 45,16–20 notwendig zur familiären Konfliktlösung und Versöhnung hinzu. Nur weil Joseph im ägyptischen Staatswesen ein derart hohes Ansehen genießt, löst die überraschende Nachricht, dass es sich bei den kanaanäischen Bittstellern um Josephs Verwandte handelt, am Hof des Pharao kein Misstrauen, sondern Wohlwollen aus. Der Pharao bestätigt die Einladung an Josephs Vater und seine Familie, nach Ägypten kommen zu dürfen, um dort bestens versorgt zu werden (V. 18). Allerdings weiß er noch nichts von den zugehörigen Klein‑ und Großviehherden (V. 12), sondern rechnet nur mit einigen Lasttieren (V. 17) und meint, dass die Familie möglicherweise nur einige Gerätschaften zurücklassen müsse (V. 20). Über Josephs Versprechen hinaus stellt er aus dem Staatsbesitz Wagen für den Transport des Vaters sowie der Frauen und Kinder zur Verfügung (V. 19), damit die Übersiedlung für die Familie bequemer wird. Wie selbstverständlich Joseph mit der Versöhnung die Leitungsfunktion über seine Familie übernommen hat, wird daran deutlich, dass er seine Brüder vor ihrer Rückreise reich beschenkt und ihnen auch Geschenke für den Vater samt der von ihm benötigten Wegzehrung mitgibt. Er sorgt für alles vor und lässt seine Brüder an seiner gehobenen sozialen Stellung teilhaben (V. 21–24). Wenn Joseph dabei – wie schon beim Festessen in 43,34 – Benjamin bei seinen Gaben erneut maßlos bevorzugt – er bekommt nicht nur ein Festgewand wie die übrigen Brüder, sondern fünf Festtagskleider und dazu eine hübsche Geldsumme –, so dient das der Bewährung der wiedererlangten Familiensolidarität. Über solcherlei Statusunterschiede zwischen ihnen sollen sich die Brüder auf ihrer Heimreise nicht mehr ereifern (V. 24). Als die Brüder nach ihrer Heimkehr in Kanaan ihrem
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Vater berichten, dass Joseph nicht nur noch am Leben, sondern sogar zum Herrscher ()משל ׁ über ganz Ägypten aufgestiegen ist, will er das zuerst nicht glauben (V. 25–26). Zu fern liegt das von seinem familiären Vorstellungshorizont. Erst als er von weiteren Worten Josephs hört und als Beweis der einladenden staatlicher Macht die ägyptischen Reisewagen erblickt, lässt er sich überzeugen und findet die Kraft, sich zu einer Reise nach Ägypten zu entschließen, um seinen geliebten Sohn, um den er so viel getrauert hat, vor seinem Tode noch einmal wiederzusehen (V. 27–28). Die Wiedervereinigung der auseinandergerissenen Familie gehört zur vollen Lösung des Familienkonflikts noch unweigerlich hinzu. Nach diesem Höhepunkt gelangt die JG recht schnell zu ihrem Ende. Der abschließende Handlungsgang wurde bereits oben bei ihrer Rekonstruktion genauer verfolgt17 und braucht hier nur noch einmal kurz zusammengefasst werden: Jakob bricht mit seiner gesamten Familie samt den Herden nach Ägypten auf (Gen 46,5b.6aα1.aβ) und gelangt nach Gosen (V. 28). Vorbereitet durch Juda, der auch hier wieder eine Führungsrolle in der Familie übernimmt, kommt es dort zu der heißersehnten Wiederbegegnung zwischen Joseph und seinem alten Vater (V. 29–30). Die zerbrochene Familie ist wieder vereint. Durch eine geschickte Verhandlungsführung gelingt es Joseph und einer Delegation seiner Brüder, dem Pharao die Erlaubnis zu entlocken, dass die Familie auch mitsamt ihren von der Dürre bedrohten Herden in Gosen siedeln darf (46,31–34abα; 47,1–6), obgleich die Ägypter sonst das Eindringen von Nomaden ins Deltagebiet durch strenge Kontrollen möglichst zu verhindern suchen.18 Nachdem auch diese letzte Hürde genommen ist, kann Joseph seine Versprechen wahr machen, seine Familie in Gosen ansiedeln und während der Hungernot versorgen (47,11*.12). So übt er seine segensreiche Herrschaft über seine Familie aus. Mit ihrer durch Josephs Herrscherstellung ermöglichten Übersiedlung nach Ägypten ist der gesamte Familienverband „Israel“ in der Tat glücklich wieder vereint und sein Überleben in der Hungersnot gesichert (V. 27a). Obgleich der Schlusssatz der JG „So wohnte Israel im Lande Ägypten, im Lande Gosen“ (Gen 47,27a) den Ägyptenaufenthalt der Familie nicht ausdrücklich begrenzt, sondern offen in eine unbestimmte Zukunft hineinblickt, wird aus ihrer ganzen Anlage deutlich, dass in ihr nur an einen befristeten Aufenthalt während der verbleibenden fünf Jahre der Hungerperiode gedacht ist. Schon in seiner theologischen Ausdeutung des Führungshandelns Gottes hatte Joseph vor seinen Brüdern auf die noch verbleibenden fünf Hungerjahre Bezug genommen (45,6). Noch deutlicher hatte er sein Versorgungsversprechen gegenüber dem Vater ausdrücklich mit den noch anhaltenden fünf Hungerjahren begründet (V. 11a). 17 S.
oben S. 28–30. Realität wird vom Erzähler bei seinen Hörern offenbar als bekannt vorausgesetzt. Vgl. den Musterbrief eines Grenzbeamten aus dem Ostdelta über den Einlass von Shasu-Nomaden aus Edom aus der Regierungzeit Sethos II. oder Merenptahs (Galling, Textbuch, 40–41; Weippert, Textbuch, 171–173). Die dortige Wendung „um sie und ihr Kleinvieh am Leben zu erhalten“ weist wahrscheinlich ebenfalls auf eine Dürrenot als Grund für diesen kontrollierten Grenzübertritt hin. 18 Diese
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Auch sein Ziel, durch Übersiedlung und Versorgung eine Verarmung seiner Familie zu verhindern (V. 11b), bleibt auf die Gefährdung durch die Hungersnot bezogen. Dass auch die Brüder keine dauernde Übersiedlung nach Ägypten im Auge haben, machen sie vor Pharao deutlich, indem sie betonen, sie seien bloß gekommen, um als Fremdlinge ()גור im Lande zu wohnen (47,4), also für sich und ihre Herden nur eingeschränkte Siedlungsrechte, aber keineswegs etwa Bodenbesitz erbitten.19 Diese eindeutigen Hinweise mögen in der EJG, welche, wie sich zeigen wird, den Zeithorizont stillschweigend erweitert, in den Hintergrund treten,20 in der JG sind sie jedoch bis zum Abschluss so präsent, dass diese ziemlich sicher auf einen bis zum Ende der Hungersnot befristeten Aufenthalt der Familie in Ägypten zuläuft. Auch in anderen Erzählungen, die von einem durch Hungersnot bedingten Ausweichen ins Ausland handeln, ist selbstverständlich an eine Rückkehr in die Heimat nach Ende der Not gedacht (Gen 12,10–20; 2 Kön 8,1–6; vgl. Ruth 1,1–6). Aus diesem Befund ergeben sich nicht ganz unwichtige Folgerungen für die Pentateuchforschung: Denn wenn die JG ursprünglich nur von einem zeitlich eng begrenzten Ägyptenaufenthalt der Jakobsfamilie handeln wollte, dann hatte sie sehr wahrscheinlich noch nicht die Geschichte von der Befreiung Israels aus Ägypten im Blick.
Die vorangegangene Auslegung hat gezeigt, dass die JG in der Tat von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende als eine Erzählung von einem Familienkonflikt interpretiert werden kann. Am Anfang wird die Familie durch einen heftigen Geschwisterstreit zerrissen und ihr Familienfriede zutiefst gestört (Gen 37,33–35). Am Ende gelingt die Beilegung des Streits unter den Geschwistern (45,14–15), die Familie wird wieder vereinigt und der Familienfriede wiederhergestellt (46,29– 30; 47,12). Über weite Strecken geht es um typisch familiäre Konfliktthemen wie die Vorliebe des Vaters für eines seiner Kinder (37,3–4; 44,20.27–29) oder den Konkurrenzneid der Brüder und ihren Hass gegen den Bevorzugten (37,4.8.11; 42,21), der sich bis zu Mordplänen steigert (37,18–20), oder aber auch um familiäre Werte wie das Aufrechterhalten von Familiensolidarität (37,21–22; 42,25 u. ö.), das Eintreten des einen Bruders für den anderen (42,37; 43,9) bis hin zur stellvertretenden Schuld‑ und Strafübernahme (44,16.33), um das Mitgefühl des Sohnes für den alten Vater (44,30–31.34) und die gemeinsame Verantwortung für das Überleben der ganzen Familie (43,8.14; 45,9–11). D. h. gegenüber beiden konkurrierenden Auslegungstypen ist erst einmal festzuhalten, dass es in der JG 19 Es ist erst der Josephs‑ und Exodusgeschichte verbindende priesterliche Bearbeiter, der die Gewährung begrenzter Siedlungsrechte in Gen 47,11 zu einer Übergabe von Landbesitz ausweitet ()ויתן להם אחזה, da für ihn anders eine Ansiedlung und Mehrung Israels (V. 27b) über den langen Zeitraum von 430 Jahren, auf den er den Ägyptenaufenthalt ausweitet (Ex 12,40), nicht vorstellbar ist. 20 Wöhrle, Joseph, 56, hatte die von mir vertretene These (Albertz, Pentateuchstudien, 66), auf die gesamte Josephsgeschichte bezogen und damit die Entgegnung von Blum/Weingart, Joseph Story, 512 Anm. 47, hervorgerufen, die Formulierung von Gen 45,11 „does not exclude the possibility that Joseph will continue to provide his family after the famine is over.“ Dies mag von einem Ende in 50,21 her, wo die Hungersnot vorbei zu sein scheint (47,25), ein möglicher Einwand sein. Doch für die JG, in der noch kurz vor ihrem Schluss die Hungersnot in ihrer ganzen Schwere betont wird (47,4), ist der Einwand unbegründet. Nichts spricht dafür, dass eine Versorgung über deren Ende hinaus im Blick ist.
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keineswegs bloß um die Legitimation von Herrschaft noch um die Beschreibung der Lebensmöglichkeiten in der Diaspora geht, sondern um die Bedrohung einer Familie durch ein tiefes Zerwürfnis von innen und eine schwere Not von außen und deren wunderbare Aussöhnung und göttliche Bewahrung, die ihr ein Überleben ermöglichen. Wenn man allerdings die JG mit biblischen Erzählungen vergleicht, die von ähnlichen Brüderkonflikten handeln, etwa die Erzählungen von Kain und Abel (Gen 4) oder die Jakob-Esau-Erzählungen (25–33*), dann wird deutlich, dass sie ihr besonderes Profil dadurch gewinnt, dass ihre grundlegend familiäre Thematik eng mit einem weiteren Thema, nämlich das der politischen Herrschaft verbunden ist. Wie die vorangegangene Auslegung gezeigt hat, ist die Verquickung beider Themen sogar noch intensiver als bisher vom ersten Auslegungstyp beschrieben. Es trifft zu: Der Familienkonflikt, den die Vorliebe Jakobs am Anfang auslöst (37,3–4), wird durch die Herrschaftsambitionen Josephs zusätzlich befeuert (V. 5–11). Und der Familienkonflikt wird am Ende wesentlich dadurch beigelegt, dass Joseph allein aus seiner in Ägypten erlangten Herrscherposition heraus das Überleben seiner Familie in der Dürrekatastrophe sichern kann (45,9–13). Beide Themen sind im Handlungsgang der JG sowohl in der Exposition als auch auf dem Höhepunkt eng miteinander verschränkt. Das Thema Herrschaft lässt sich somit gar nicht aus der JG ausscheiden.21 Prominent tritt es in den Vordergrund, wo der politische Aufstieg Josephs in die höchste Position des ägyptischen Staates unterhalb des Pharaos geschildert wird (40–41*); eine Vielzahl von Herrschertiteln werden ihm beigelegt.22 Erzählerisch ausgestaltet wird es besonders in den Szenen, wo die Brüder wirklich – wenn auch unwissend – vor Joseph niederfallen und damit faktisch seine Hegemonie über sich anerkennen (42,6; 43,26.28; 44,14). Wohl hat Konrad Schmid Recht, wenn er feststellt, dass Joseph „weder König über die Brüder noch König von Ägypten“ wird – entgegen der Perspektive von 37,8; auch kann man seiner Feststellung zu21 Als Beleg dafür lässt sich die eng am Text bleibende Auslegung anführen, die Safwat Marzouk jüngst vorgelegt hat (vgl. Marzouk, Forced Migration, 87–100). Obwohl er die Josephsgeschichte als Diasporanovelle verstehen will (s. a. a. O., 100), zeichnet er dennoch das entfremdende und Versöhnung ermöglichende Potential, das der politischen Herrschaft innewohnt, im Handlungsgang der Erzählung feinfühlig nach. 22 Nachdem der Pharao Joseph „über das ganze Land Ägypten“ (Gen 41,41.43) und über sein eigenes Haus eingesetzt hat, so dass ihn nur noch der Thron von ihm unterscheidet (V. 40), wird er in 42,6 mit dem aramäischen Titel השליט על־הארץ ׁ „der Machthaber über das Land“ bezeichnet, wohl um seine Fremdartigkeit gegenüber den Brüdern zu betonen, während diese ihn mit dem hebräischen Titel האיש אדני הארץ „der Mann, der Herr des Landes“ belegen ׁ (42,30.33) und dabei zur Steigerung seiner Vollmacht den Majestätsplural benutzen. Joseph bezeichnet sich selber als משל בכל־ארץ מצרים ׁ „Herrscher im ganzen Land Ägypten“ (45,8; vgl. V. 26) oder als „ אדון לכל־מצריםHerr für ganz Ägypten“ (V. 9) und als „ אדון לכל־ביתוHerr für sein (d. h. Pharaos) Haus“ (V. 8). Als solcher, der die ganze Hofhaltung des Pharaos aufrechterhält, kann er sich sogar als „ אב לפרעהVater für Pharao“ bezeichnen (V. 8). Auch Juda rückt Joseph mit der ehrerbietigen Gleichsetzung „ כמוך כפרעהdu bist wie Pharao“ (44,18) nah an den König von Ägypten heran.
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3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG)
stimmen: „Politisch läuft die Josephsgeschichte nicht auf die Begründung einer staatlichen Struktur oder Administration hinaus.“23 Doch trifft er mit solchen Klarstellungen nur eine möglicherweise zu enge politische Auslegung der JG, kann damit aber kaum die Rolle, welche die Herrschaftsthematik darin spielt, beiseite schieben. Denn in der familiären Erzählwelt der JG gibt es in Israel noch gar kein Königtum. Die königliche Herrschaft wird in ihr vielmehr durch den ägyptischen Staat repräsentiert. Dieser aber braucht gar nicht begründet zu werden, sondern existiert für den Erzähler bereits seit langem. Ja, nur dadurch, dass es sich um einen voll ausgebauten und funktionsfähigen Staat handelt, kann Joseph darin seine staatliche Vorsorgepolitik betreiben, welche am Ende seiner Familie das Überleben rettet. So ist und bleibt es berechtigt, auf der Linie des ersten, von Frank Crüsemann und anderen begründeten, Auslegungstyps zu sagen, dass die JG die staatliche Herrschaft, weil sie in Krisenzeiten eine solche rettende Vorsorgepolitik ermöglicht, aus einer familiären Perspektive heraus legitimieren will.24 Aber es ist nicht nur diese oft beschriebene, die politische Herrschaft legitimierende Linie, welche die JG durchzieht. Sondern daneben wird auch, wie oben gezeigt, detailreich und überaus plastisch über mehrere Kapitel (Gen 42–46) hinweg beschrieben, wie die familiäre und die staatliche Welt in eine konfliktreiche Interaktion hineingeraten: Als Bittsteller, die in der Hungersnot vom ägyptischen Staat Getreide für ihre Familie kaufen wollen, werden die Brüder einer ganzen Reihe staatlicher Willkürmaßnahmen ausgesetzt, denen sie ohnmächtig ausgeliefert sind. Da sie nicht wissen, dass Joseph ihnen damit ein hartes Erziehungsprogramm auferlegen will, müssen sie meinen, mit einer typischen Form staatlicher Machtausübung konfrontiert zu werden, die sie in Angst und Schrecken versetzt. Sie erleben den ägyptischen Staat auf der einen Seite als eine unkalkulierbare, undurchschaubare Macht, die den Bestand ihrer Familie zutiefst bedroht (42,9–24; 44,4–17). Auf der anderen Seite werden sie durch ebenso willkürliche Gunsterweise des Machthabers in Entsetzen und Verwirrung gestürzt (42,28; 43,18–24). D. h. die Josephsgeschichte macht ebenfalls drastisch deutlich, wie bedrohlich die Staatsmacht aus der Sicht der Familie erscheinen und erlebt werden kann. Und weil dies so ist, eben darum ist ihre Legitimation über ihre segensreichen Funktionen so nötig, um die sich die JG bemüht. Es geht in der Josephsgeschichte somit um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der politischen Herrschaft, nicht allein um ihre segensreichen Wirkungen, 23 S. Schmid,
Datierung, 105–106. Crüsemann, Widerstand, 149. Seine dort formulierte Ausdeutung: „Es handelt sich bei der Josephsgeschichte also um nichts Geringeres als den Versuch einer innen‑ und versorgungspolitisch argumentierenden Legitimation königlicher Steuerpolitik und damit einen gewichtigen Beitrag zur ideologischen Rechtfertigung des umstrittenen Königtums,“ ist wohl zu zugespitzt auf eine bestimmte Diskussionslage in der frühen Königszeit formuliert, bleibt aber tendenziell richtig. Von Steuerpolitik ist noch nicht in der JG, sondern erst in der EJG die Rede (Gen 47,13–27). 24 Vgl.
3.2 Die ursprungsgeschichtliche Erzählebene
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sondern auch und ausführlich um ihr bedrohliches und gefährliches Potential. Und dabei werden beide widerstreitenden Aspekte über weite Strecken aus einer bewusst eingenommenen familiären Perspektive beschrieben. Was immer für Themen die JG noch aufweisen mag, dass sie kein politisches Anliegen habe, wie Gerhard von Rad noch meinte,25 kann von dem aufgezeigten exegetischen Befund her als eindeutig widerlegt gelten.
3.2 Die ursprungsgeschichtliche Erzählebene Obwohl die JG über weite Strecken als Familiengeschichte interpretiert werden kann, bleibt zu berücksichtigen, dass sie von keiner x-beliebigen Familiengeschichte handeln, sondern ein Stück der Ursprungsgeschichte Israels erzählen will. Diese Dimension der Vätergeschichte hatte Erhard Blum schon gegenüber Claus Westermann betont, der deren Grundbestand als echte Familienerzählungen verstehen wollte, die von den Nachkommen derer erzählt wurden, von denen sie handeln.26 Ihm gegenüber machte Blum geltend: „Unter der Vorraussetzung des genealogischen Modells von der Entstehung der Völker kann deren Frühgeschichte gar nichts anderes als Familiengeschichte sein.“27 In ihrer neuesten Einlassung beharren Erhard Blum und Kristin Weingart darauf, dass dies besonders auch für die Josephsgeschichte gelte: „first and foremost, it is an Ursprungsgeschichte. Its characters are the ancestors of Israel. Deeply rooted in a genealogical world view which defines social and ethnic identities in terms of kinship, these ancestors and their relationships represent social entities and structures in the world of the story’s addressees.“28 Wenn Blum und Weingart der ursprungsgeschichtlichen Dimension der Josephsgeschichte die erste und beherrschende Stelle einräumen, ist das vielleicht etwas übertrieben. Immerhin hatte Blum selber gegenüber der Auslegung Westermanns zugestanden, dass auch unter einer völkergeschichtlichen Perspektive die „Grunderfahrungen im Lebensbereich der Familie/Sippe“ ein wichtiger Bedeutungsaspekt der Vätergeschichte bleiben würden.29 Doch haben sie insofern Recht, dass keine Auslegung der Josephsgeschichte davon absehen kann, dass Joseph und seine Brüder nicht nur Mitglieder einer Familie, sondern zugleich auch die Stammväter Israels darstellen, von denen her die Adressaten der Erzählung ihre Identität und Weltsicht ein gutes Stück weit zu definieren gewohnt sind. Was von ihnen erzählt wird, hat potentiell direkte Auswirkung auf die Gegenwart des Erzählers und seiner Adressaten. Das bedeutet, die ursprungs25 So
von R ad, Josephsgeschichte, 279, vgl. ähnlich Van Seters, Joseph Story, 369–370. Westermann, Genesis II, 8. 27 S. Blum, Komposition, 482. 28 S. Blum/Weingart, Joseph Story, 516. 29 Vgl. Blum, Komposition, 506. 26 Vgl.
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3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG)
geschichtliche Erzählebene ist für die Bestimmung der Erzählpragmatik der JG von erheblicher Bedeutung. Allerdings bestehen an dieser Stelle methodische Schwierigkeiten, die schon in der früheren stammesgeschichtlichen Deutung der Vätergeschichte zutage traten:30 Es bedarf Kriterien, einigermaßen sicher zu entscheiden, welchen Erzählzügen der JG ursprungsgeschichtliche Bedeutung für die Welt der Adressaten zukommt und solchen, welche in der fiktionalen Erzählwelt verbleiben. So hat etwa Konrad Schmid gegenüber der These von Blum/Weingart, das Dreiecksverhältnis zwischen Joseph, Benjamin und Juda, von dem die JG erzählt, lasse sich auf die politische Auseinandersetzung in der Königszeit beziehen, ob das Stammesgebiet Benjamin zum Nord‑ oder Südreich gehöre, den Vorwurf einer methodischen Eklektik erhoben. Er stellt die Frage: „Sind grundsätzlich realgeschichtlich ausdeutbare Züge einer Erzählung einmal als Reflexe entsprechender politischer Konstellationen und einmal als Resultat der Anwendung literarischer Motive zu interpretieren?“31 Wenn insbesondere Kristin Weingart die Bürgschaft, die Juda für Benjamin übernimmt (Gen 43,8–9) ursprungsgeschichtlich so ausdeutet, dass er als Repräsentant des Südreichs Sorge dafür trage, dass Benjamin wieder zu Joseph, d. h. zum Nordreich, gelangt,32 dann kann man in der Tat fragen, ob hier eine realgeschichtliche Überinterpretation eines Erzählmotivs vorliegt, zumal in der großen Juda-Rede (44,18–34) die Anerkennung, dass Benjamin zu Joseph gehört, gar keine Rolle spielt, sondern Juda für ihn eintritt, weil der Vater an ihm hängt. Thomas Römer hat Recht: „The plot is therefore not about the destiny of Benjamin per se, but about the possible reconciliation of the family.“33 Man könnte höchstens fragen, ob nicht die wichtige Rolle, die Juda in der Erzählung bei der Versöhnung der Familie eingeräumt wird, etwas von der politischen Bedeutung widerspiegelt, die dem Südreich innerhalb Israels zukommt, während Ruben und Simeon, die im genealogischen System eigentlich vor ihm stehen, offenbar schon an Bedeutung als gesellschaftliche Identifikationsfiguren verloren haben. Angesichts dieser methodischen Unsicherheiten möchte ich zwei Kriterien benennen, die eine Identifikation der Erzählzüge, die ursprungsgeschichtlich in 30 Ihre Vertreter hatten gemeint, auch Einzelheiten der familiär konzipierten Vätergeschichte stammesgeschichtlich ausdeuten zu können. So schreibt etwa, Steuernagel, Einwanderung, 56, zu Gen 35,16–19: „Der Stamm Rahel hörte auf zu existieren, sobald Benjamin als selbständiger Stamm entsteht; die Sage erzählt: Rahel starb bei der Geburt Benjamins.“ Eine solche Ausdeutung geriet in der Tat in die Nähe der Allegorie. Vgl. die kritische Darstellung dieser Forschungsrichtung bei Westermann, Genesis 12–50, 5–7. Blum, Komposition, 481–483, suchte daran anzuknüpfen, aber ihre Fehler dadurch zu vermeiden, dass er die Vätergeschichte nicht als familiäre Verkleidung der Stammesgeschichte verstand, sondern als ursprungsgeschichtliche Darstellung der Volksgeschichte selber. 31 S. Schmid, Datierung, 105. 32 Vgl. Weingart, Stämmevolk, 253.266. 33 S. Römer, Joseph Story, 191; er hält Weingarts Ausdeutung der Benjaminmotive für eine problematische „historical allegory“. Vgl. ähnlich Römer, Joseph Narrative, 41.
3.2 Die ursprungsgeschichtliche Erzählebene
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die Welt der Adressaten hineinreichen, sicherer machen. Es sind erstens einzelne Erzählzüge, die bewusst ein Fenster in die Welt des Erzählers öffnen, und es ist zweitens der Plot, welcher den ganzen Gang der Erzählung von der Schürzung des Konflikts bis zu seiner Lösung bestimmt. Nicht nur Erhard Blum und Kristin Weingart, sondern auch Konrad Schmid sind der Meinung,34 dass ein solches Fenster in die Welt des Erzählers in der empörten Rückfrage der Brüder vorliegt, mit der sie auf Josephs ersten Traum reagieren: Gen 37,8a
Willst du etwa König über uns werden und über uns herrschen?
Denn ein Königtum gibt es im Israel der ursprungsgeschichtlichen Erzählwelt der JG noch gar nicht. Eine bekannte Realität stellt es aber sehr wahrscheinlich in der Welt der Adressaten dar. Wenn der Erzähler, die Erfahrungen seiner Hörer einbeziehend, sich die Brüder derart über das Königtum empören lässt, stellt er die Legitimität einer Institution, in der sich ein Bruder in Israel über seine Brüder erhebt, grundsätzlich in Frage. Herrschaft des einen über die anderen ist nicht selbstverständlich, sie ist erst einmal bedrohlich und sozial sprengend; sie bedarf von der Ursprungsgeschichte her ihre Legitimation. Ein erstes Anliegen der JG ist von diesem Eingangsfenster her, die Vorbehalte oder gar Aggressionen, die gegenüber der politischen Herrschaft, wie sie sich in der Welt der Adressaten gegenüber der Institution des Königtums manifestierte, aufzunehmen und durch ihren weiteren Verlauf Verständnis und Zustimmung für diese zu schaffen. Dass der gesamte Plot der Erzählung der Josephsgeschichte durch das Thema der politischen oder staatlichen Herrschaft bestimmt ist, wurde schon oben bei der Interpretation der familiengeschichtlichen Ebene der Josephsgeschichte erwiesen. Die thematische Durchdringung ist sogar noch intensiver als in der bisherigen Forschung aufgezeigt. Sie bestimmt nicht nur die Exposition, in der die Herrschaftsambitionen Josephs den Konflikt auf die Spitze treiben (37,5–11) und den Höhepunkt, in der die Herrscherstellung Josephs in Ägypten die Bewahrung der Seinen vor der Hungersnot (45,9–13) und damit auch die Beilegung des Konfliktes ermöglicht (V. 14–15), sondern auch die gesamte Konfliktlösungsvorbereitung, in der Joseph seine Brüder zu ihrer Prüfung mit der ganzen Härte staatlicher Machtwillkür konfrontiert (42–44). Auch die Kapitel 40–41, die von Josephs Aufstieg im ägyptischen Staat handeln, stellen einerseits drastisch vor Augen, wie sehr das Schicksal staatlich Bediensteter allein an der Gunst oder dem Zorn des Königs hängt (40,2.20–22), und eröffnen andererseits den Blick auf die segensreichen Möglichkeiten des Staatswesens durch Organisation einer Vorsorgepolitik für eine schwere und langanhaltende Krise (41,33–36.47–49.53– 54). Diese wiederum bildet auch die Basis für die interne Akzeptanz von Josephs 34 Vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, 517, bes. Anm. 57, mit Schmid, Traum, 379. Letzterer schränkt seine Einsicht aber gleich wieder ein, wenn er meint, dass die „Welt der Erzähler … nicht (mehr) zwingenderweise monarchisch verfasst gewesen sein muss.“
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3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG)
Herrschaftsposition (45,11; 47,12). So ist der gesamte Erzählgang der JG so stark von der Problematik politischer Herrschaft durchzogen, die schon im Fenster in Richtung auf die Welt des Erzählers angesprochen war, dass an dieser Stelle eine ihrer wesentlichen Botschaften an ihre Adressaten identifiziert werden kann.35 Anders als die übrigen Vätergeschichten weist die JG nicht nur punktuell, sondern durchweg über den familiengeschichtlichen Horizont auf die politische Ebene hinaus, auf der es um die Konstitution des Volkes Israel geht. Ursprungsgeschichtlich interpretiert kann eine Auslegung der JG nicht davon absehen, dass die Herrschaftsproblematik ausgerechnet an der Gestalt Josephs, d. h. an dem Stammvater eines starken Verbandes (nach 2 Sam 19,21: Ephraim, Manasse, Benjamin) innerhalb des Nordreichs abgehandelt wird. Dies bedeutet: Es geht in ihr weder um das Königtum im allgemeinen, noch um die Rechtfertigung des davidisch-salomonische Königtums im Süden, wie noch Frank Crüsemann meinte,36 sondern speziell um die Legitimation des Königtum des Nordreichs, wie es besonders Erhard Blum und Kristin Weingart herausgearbeitet haben.37 Dabei richtet sich das Werben um Akzeptanz der staatlichen Herrschaft, die grundsätzlich in ihrer bedrohlichen Seite wie in ihren segensreichen Auswirkungen dargestellt wird, zuerst an die eigenen freiheitsliebenden Untertanen des Nordreichs. Joseph übt ja seine Herrschaft auch über die übrigen Stämme des Nordreichs aus.38 Doch darüber hinaus, und dies ist das Besondere der gesamtisraelitischen Konzeption der JG, erscheint hier der Herrschaftsbereich Josephs auf alle Stammväter Israels, auch auf Juda, den Stammvater des Südreichs, ausgeweitet. Wieweit dahinter eine politische Realität steht, wird weiter unten zu klären sein.39 Doch man kann vorläufig mit Kristin Weingart formulieren, dass sich die JG mit diesem gesamtisraelitischen Herrschaftsanspruch „am besten als 35 Schmid, Josephsgeschichte, 112–113, versucht, diesem klaren exegetischen Befund dadurch auszuweichen, dass er als „zentrales Thema“ der Josephsgeschichte „Entzweiung und Versöhnung“ bestimmt, aber davon absieht zu erwähnen, dass die Entzweiung der Brüder am Herrschaftsanspruch Josephs aufbricht und die Versöhnung nicht zuletzt durch seine Herrschaftsposition ermöglicht wird. Er möchte Josephs Frage in Gen 50,19 „Bin ich denn an Gottes statt?“ so verstehen, dass Joseph damit nicht etwa nur eine versklavende Herrschaft über seine Brüder (s. oben S. 24–25), sondern die Herrschaft prinzipiell von sich weise (so Schmid, Traum, 386). Seiner Meinung nach laufe die Josephsgeschichte damit auf „ein theokratisches Ideal“ hinaus (so Schmid, Josephsgeschichte, 112). Doch einmal abgesehen davon, ob Schmid mit dieser theologischen Sublimierung der Herrschaftsthematik den Sinn von Gen 50,19 richtig trifft – immerhin erneuert Joseph in V. 21 sein Versorgungsversprechen, das wie das von 45,9–11 seiner gewonnenen Machtposition entspringt –, hat sich durch die vorangegangene Untersuchung herausgestellt, dass Gen 50 sehr wahrscheinlich noch gar nicht zur ursprünglichen Fassung der Josephsgeschichte hinzugehört. Der Vers Gen 50,19 lässt sich damit noch weniger als zuvor dazu benutzen, die durchlaufende Herrschaftsthematik der JG beiseite zu schieben. 36 Vgl. Crüsemann, Widerstand, 146–151. 37 Vgl. Blum, Komposition, 241; Blum/Weingart, Joseph Story, 517–519. 38 Insofern hat Wöhrle, Joseph, 56, Recht, wenn er als Ziel der Josephsgeschichte „a legitimization of Joseph’s dominance among the northern tribes“ bestimmt. 39 S. unten S. 113–114.
3.3 Die Rolle Ägyptens in der Erzählung
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politische Propaganda, d. h. als Programmschrift im Dienste eines politischen Hegemonieanspruchs des Nordreichs für ganz Israel“ erklärt.40 Doch vor einem abschließenden Urteil ist angesichts der divergierenden Auslegungstypen erst noch genauer zu klären, welche Rolle Ägypten in der JG spielt.
3.3 Die Rolle Ägyptens in der Erzählung Als Vertreter des zweiten Auslegungstyps, der die Josephsgeschichte als Diasporanovelle interpretieren will, hat insbesondere Konrad Schmid geltend gemacht, dass die Ägyptenthematik in ihr ein derartiges Gewicht beansprucht, dass ihr nicht allein eine literarische Funktion zukomme, sondern sie auf eine textexterne Realität verweise.41 Seiner Meinung nach verfolgten die Autoren der Josephsgeschichte das Ziel, „Ägypten als möglichen Lebensraum für Israel zu zeichnen.“42 Darum soll hier – sozusagen als Gegenprobe zu dem bisher Ausgeführten – noch einmal genauer untersucht werden, welche Bedeutung Ägypten im Allgemeinen und dem Ägyptenaufenthalt der Jakobsfamilie im Besonderen innerhalb der JG zukommt. Dies soll in teilweiser Anlehnung an die schon zuvor für die ursprungsgeschichtliche Ausdeutung genannten Kriterien in den folgenden vier Schritten geschehen: 1. Suche nach möglichen Fenstern in die Gegenwart des Erzählers, 2. Untersuchung der Verankerung der Ägyptenthematik im Handlungsgang und ihrer erzählerischen Funktion, 3. Überprüfung der erwähnten ägyptischen Bräuche auf ihren möglichen textexternen Realitätsbezug und 4. Frage nach den Gründen, warum Ägypten als Handlungsort gewählt wurde. 3.3.1 Ein Fenster in die Gegenwart des Erzählers Nicht nur für die Herrschafts-, sondern auch für die Ägyptenthematik gibt es möglicherweise in der JG ein Fenster, das in die Gegenwart des Erzählers und seiner Adressaten hinausweist. Im Rahmen der theologischen Ausdeutung des Geschehens, mit dem Joseph seine Brüder kurz vor der Versöhnung zu entlasten sucht, heißt es: Gen 45,7aα 7aβ 7bα 7bβ
So hat Gott mich vor euch her gesandt, um euch einen Rest ( ׁ)שאריתim Lande/auf Erden ( )בארץzu bereiten und für euch das Leben zu erhalten, als eine große gerettete Schar ()פליטה גדלה/zu großer Rettung.43
S. Weingart, Stämmevolk, 358. Vgl. Schmid, Datierung, 100.104. 42 S. Schmid, Datierung, 104; ähnlich Ebach, Genesis, 693; Kunz, Ägypten, 209; Römer, Joseph Story, 192. 43 Der Text ist nicht ganz sicher überliefert und weist insofern eine grammatische Schwierigkeit auf, als dem Verb חיהhif. „am Leben erhalten“ in Gen 45,7bα das übliche direkte Objekt 40 41
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3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG)
Der Begriff „ ׁשאריתRest“, der nur hier im Pentateuch auftaucht, bezeichnet bei den Vorderen und Hinteren Propheten häufig (Jes 46,3; Jer 24,8; Mi 5,6–7; Hag 1,12; Sach 8,6 u. ö.), teilweise auch in Parallelismus mit „ פליטהEntronnene“, diejenigen, die die Exilskatastrophen überlebt haben (2 Kön 19,31 par Jes 37,32; Jes 4,2–3; Esr 9,14). In der exilisch-nachexilischen Zeit wurde eine regelrechte Rest-Theologie entwickelt, nach der dieser Rest sogar zu einem Hoffnungsträger aufsteigt.44 Auf diese Theologie will Gen 45,7 sehr wahrscheinlich anspielen.45 Die göttliche Bewahrung der Jakobsfamilie vor der Hungersnot in Ägypten hat eine direkte, Hoffnung stiftende theologische Relevanz für die Überlebenden in der exilisch-nachexilischen Epoche. Es ist nicht ganz sicher, ob mit dem Land, in dem sich die Rettung des Restes ereignen wird, allein Ägypten gemeint ist, oder aber – was von anderen Belegen eher naheliegt (z. B. 2 Kön 19,31) – auch schon das verheißene Land im Blick ist, in das Israel später wieder zurückgeführt werden wird. Möglicherweise bezeichnet der Begriff ארץhier gar kein Land, sondern, was ebenfalls möglich ist und von Benno Jacob vorgezogen wird, die Erde.46 Wo auch immer Israeliten nach der Exilskatastrophe auf Erden leben, will Gott ihnen ein Überleben ermöglichen. Aber wie dem auch sei, in jedem Fall wird hier in der Tat ein Stück Diasporatheologie greifbar, nach der auch Ägypten ein Ort auf Erden ist, an dem Gott Israel das Überleben gewährt. So interessant diese Aussagen auch sind, es bestehen ganz erhebliche Zweifel daran, dass sie der JG zugerechnet werden können. Denn die Vorstellung, dass Gott durch Joseph nur einen Rest der Brüder durch die Krise hindurchretten wolle, widerspricht dem Handlungsverlauf der JG diametral, nach dem Joseph seiner gesamten Familie das Überleben ermöglicht. So hat Claus Westermann die Versteile Gen 45,7aβ.b als spätere Ergänzungen aus der Josephsgeschichte ausgeschieden.47 Selbst Jürgen Ebach, der sich um eine synchrone Auslegung bemüht, neigt der Ansicht zu, dass es sich bei dem ganzen Vers 7 um eine nachträgliche Fortschreibung handelt, „welche eine nachexilische Perspektive fehlt, weswegen Sam und LXX die nachfolgende Näherbestimmung zum Objekt machen. Doch kann, worauf Jacob, Genesis, 814, hinweist, das Verb auch absolut gebraucht werden (vgl. 2 Kön 5,7). Das Nomen פליטהkann abstrakt („Rettung“) als auch personal („Entronnene, Gerettete“) verwendet werden. Da mit dem „Rest“ Menschen gemeint sind, liegt die personale Bedeutung näher. 44 Vgl. Hausmann, Rest, 198–219; zur Stelle a. a. O., 192–196. 45 So auch Schmitt, Josephgsgeschichte, 167–169, der aufgrund u. a. dieses Verses seine Ruben-Schicht der exilischen Zeit zuordnen will. Die Möglichkeit, auf die vor allem in 2 Sam 14,7 belegte Sonderbedeutung „Nachkommenschaft, Fortbestand“ auszuweichen, die Lux, Josef, 176 Anm. 169, erwägt, besteht, wie Ebach, Genesis, 393, geltend gemacht hat, nur bedingt, da auch im Falle Absaloms die zuvor angesprochene mögliche Vernichtung mitgehört werden muss. 46 Jacob, Genesis, 814, interpretiert Gen 45,7aβ: „um euch einen Fortbestand auf der Welt zu ermöglichen.“ 47 Vgl. Westermann, Genesis III, 153.157–158.160; er spricht allerdings ungenau von Gen 45,7b.
3.3 Die Rolle Ägyptens in der Erzählung
61
in die Geschichte einblendet.“48 Ich selber halte nur die Versteile 7aβ und 7bβ für interpretierende Glossen, weil die in V. 5 variierende und konkretisierende Aussage von V. 7aα.bα im Grundtext der JG durchaus Sinn macht.49 Aus dieser Einschätzung ergibt sich: Es hat durchaus die Möglichkeit gegeben, die JG im Rahmen der exilisch-nachexilischen Rest-Theologie auszudeuten und damit auch Ägypten eine Heilsbedeutung für das Überleben Israels zuzubilligen. Aber dieses Fenster auf eine nachexilische Weltsicht gehörte mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht der JG an. Es wurde erst später und auch nur einen kleinen Spalt breit geöffnet. 3.3.2 Die Verankerung der Ägyptenthematik im Handlungsgang Auch wenn oben gezeigt wurde, dass eine ganze Anzahl von Textpassagen, die sich mit Ägypten beschäftigen, erst in der EJG hinzugekommen sind,50 bleibt die Ägyptenthematik auch schon in der JG fest verankert. Nicht weniger als 36mal taucht in ihr das Stichwort מצריםauf, und zwar über alle Kapitel von Gen 37 bis 47 gestreut. Konrad Schmid hat Recht mit seinem Urteil, eine ältere Stufe der Erzählung, die nicht im ägyptischen Ausland spielte, lässt sich nicht herausschälen;51 es wird gestützt von Kristin Weingarts Feststellung: „die Geschichte funktioniert nur exterritorial.“52 Allerdings lohnt es sich, genauer hinzusehen: In der Exposition der JG ist die Ägyptenthematik, anders als das Herrschaftsthema nicht mit dem konfliktauslösenden Element der JG, dem Geschwisterstreit von 37,3–11, verbunden. Das Ägyptenmotiv wird in diesem Kapitel erst später und eher beiläufig mit der Bemerkung in V. 25 eingeführt, dass die Ismaeliter, welche zufällig in der Nähe der Brüder vorbeizogen, sich mit ihrer Handelskarawane auf dem Weg nach Ägypten befanden. Für den weiteren Handlungsgang Bedeutung erhält diese Auskunft erst dadurch, dass die Brüder Joseph an die Ismaeliter verkauften und diese ihn nach Ägypten mitnahmen (V. 28aβb). Ähnliches gilt auch für den Höhepunkt der JG, der Konfliktlösung durch die Versöhnung Josephs mit seinen Brüdern (45,1–15). Diese findet zwar in Ägypten statt, doch aus dem Versöhnungsereignis werden die Ägypter, die Joseph umgeben, ausdrücklich ausgesperrt (45,1–2). Sie sind nur Ohrenzeugen des dramatischen Ereignisses. Und der Pharao wird von sich aus erst nachträglich tätig, indem er mit seinen Mitteln die Versöhnung und Vereinigung der Jakobsfamilie unterstützt 48 Vgl. Ebach, Genesis, 393–395; das Zitat auf S. 395. Den ganzen Vers sondert ebenfalls Seebass, Genesis III, 112, aus. 49 In Gen 45,5 hatte Joseph seine von Gott bestimmte Funktion noch in der allgemeinen Lebenserhaltung ( )מחיהgesehen, die ja einen großen Kreis von Menschen einschloss. In V. 7aα. bα wird diese speziell auf die Brüder zugespitzt. Die Kopula vor V. 7bα gehört natürlich noch mit zum Einschub. 50 S. oben S. 19–23. 51 Vgl. Schmid, Datierung, 107. 52 S. Weingart, Stämmevolk, 265.
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3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG)
(V. 16–20). Dagegen ist, wie oben gezeigt wurde, das Herrschaftsthema zentral in den Versöhnungsprozess selber einbezogen (V. 8–11). Schon aus diesen formkritischen Beobachtungen wird deutlich: Die Ägyptenthematik ist wichtig und unverzichtbar, aber sie ist keineswegs so zentral mit dem Handlungsgang der JG verknüpft wie das Herrschaftsthema. Fragt man nach der erzählerischen Funktion des Ägyptenmotivs im Einzelnen, ergibt sich folgendes Bild. Als erstes wird Ägypten wichtig als Ort für die gewaltsame Abschiebung eines missliebigen Familienmitglieds (Gen 37,26.28aβb). Als weit genug entferntes eigenes Staatsgebiet mit kontrollierten Grenzen garantierte Ägypten den Brüdern eine dauerhafte Beseitigung des Störenfriedes aus der Familie, so wie es umgekehrt auch einzelnen Flüchtlingen aus Palästina vor Nachstellungen im eigenen Lande Schutz bot, wie Jerobeam I., dem späteren König des Nordreichs, oder Hadad, dem späteren König von Edom (1 Kön 11,14–22.40). Die gewaltsame Abschiebung Josephs nach Ägypten durch die eigenen Familienmitglieder, die sich juristisch am ehesten als Menschenraub qualifizieren lässt (Ex 21,16), hat mit Deportation durch eine Fremdmacht oder auch mit freiwilliger Auswanderung nichts zu tun. Letztere hier assoziieren zu wollen, wäre eine fragwürdige Allegorisierung des erzählten Geschehensvorgangs. Zweitens ist Ägypten für den Handlungsgang der JG absolut notwendig als der Ort, an dem Joseph vom verkauften Sklaven zum zweitmächtigsten Mann im Staate aufsteigt (Gen 40–41*).53 Dieser Aufstieg ist nicht ganz glatt (40,23), aber er wird in der ursprünglichen Josephsgeschichte durch keinerlei ethnische oder religiöse Vorbehalte oder Vorurteile vonseiten der Ägypter beeinträchtigt. Er beruht allein auf Josephs Begabung als Traumdeuter und einer besonderen göttlichen Unterstützung und ist darum kaum als allgemeines Exempel für Aufstiegschancen, die vielen oder gar jedem Israeliten im ägyptischen Ausland offenständen, anzusehen. Wenn Konrad Schmid meint, es sei „kaum denkbar, dass diese Motivkonstellation literarisch wirksam werden konnte, solange es keine Israeliten in der Diaspora gab“,54 dann stellt er doch vielleicht etwas zu voreilig einen solchen Zusammenhang her. In 1 Kön 11,14–22 wird berichtet, dass Hadad, der als junger Mann nach Ägypten hatte fliehen müssen, so große Gnade vor den Augen des Pharaos fand, dass er von diesem sogar mit der Schwester seiner Frau verheiratet wurde (V. 19–20), ohne dass auch nur entfernt eine edomitische Diaspora in Ägypten in den Blick käme. Und gleiches gilt aus umgekehrter Perspektive in der Sinuhe-Erzählung, die ausführlich davon berichtet, wie ein Ägypter in der Byblos eine Karriere machen konnte, die mit der Josephs durchaus vergleichbar ist.55 Einzelne Israeliten befanden sich schon zu vorexilischen Zeiten zeitweise in Ägypten, wie Jerobeam I. (V. 40) oder der Prophet Urija (Jer So richtig hervorgehoben von Wöhrle, Joseph, 56. S. Schmid, Josephsgeschichte, 111. 55 Vgl. den wichtigen Hinweis darauf bei Blum/Weingart, Joseph Story, 513–515. 53 54
3.3 Die Rolle Ägyptens in der Erzählung
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26,20–23), auch wenn sie dort nicht unbedingt Karriere machten. Solche Einzelschicksale haben mit den Massendeportationen oder Auswanderungswellen der Exilszeit nichts zu tun. Drittens ist Ägypten für den Handlungsgang der JG unverzichtbar, weil es der Ort ist, der auch noch in einer lang anhaltenden Hungersnot ein Überleben ermöglicht. Dank seiner Flusskultur und der Möglichkeit staatlicher Vorsorgepolitik Josephs kann es in der Krise auch die Anrainer, die vom Regenfeldbau abhängig sind, darunter nicht zuletzt auch die Jakobsfamilie, mit Getreide versorgen (Gen 41,57; 42,1–5). Bei dieser wichtigen Funktion Ägyptens spielt schon das Herrschaftsthema mit hinein. Ägypten als Aufenthaltsort Israels, das durch die Jakobsfamilie repräsentiert wird, spielt entgegen der Ansicht der Ausleger, die die Josephsgeschichte als Diasporanovelle ansehen, in der JG nur eine Nebenrolle. Über weite Teile der JG, die von den Reisen der Brüder nach Ägypten bestimmt sind (Gen 42–44), will sich die Jakobsfamilie gar nicht in Ägypten ansiedeln. Die Brüder sollen dort nur Getreide kaufen und möglichst unbehelligt und so schnell wie möglich wieder in die Heimat zurückkehren (42,2; 43,10.14). Das Thema einer Umsiedlung der Familie nach Ägypten kommt erst im Schlussteil der JG auf, als Joseph seinen Vater im Zuge der Versöhnung und zum Zweck der Wiedervereinigung der Familie nach Ägypten einlädt (45,9–11). Mit der Einreise nach Ägypten und der Erlaubnis einer Ansiedlung in Gosen sind dann die nach dem Höhepunkt von Kapitel 45 verbleibenden 17 Verse beschäftigt, ein kleiner Bruchteil der JG von gerade einmal 6,8 Prozent!56 Von der vollzogenen Ansiedlung („ ׁישבsich niederlassen, wohnen“) hören wir gar erst im Schlussvers (47,27a), aber deren Implikationen werden in der JG gar nicht mehr ausgeführt.57 Die möglichen Schwierigkeiten, welche die JG für eine solche Ansiedlung der Jakobsfamilie andeutet, sind in ihrem Herdenbesitz begründet (46,31–47,4), nicht etwa ihrer ethnischen Herkunft oder in ihrer religiösen Zugehörigkeit, wie man es vielleicht bei der Ansiedlung einer Diasporagemeinschaft erwarten könnte. Und was noch wesentlicher ist: Diese Ansiedlung wird in der JG, wie oben dargelegt,58 nicht als dauerhaft angesehen, sondern als vorübergehende Rettungsmaßnahme, die auf die verbleibenden fünf Jahre der Hungersnot begrenzt ist (45,6–7*.11). So können wir festhalten: Ägypten ist in der JG erstens ein in mehrfacher Hinsicht wichtiges, unverzichtbares Erzählmotiv, aber nur nebenbei und nur zeitlich begrenzt als Ansiedlungsort für Israel im Blick. Zweitens ist die Ägyptenthematik in ihrem Handlungsgang deutlich weniger zentral verankert als das Herrschaftsthema.
Der von mir rekonstruierte Text der JG umfasst etwa 250 Verse. Auch Wöhrle, Joseph, 56, stellte schon fest: „the original Joseph story does not reflect life in Egypt.“ 58 S. oben S. 51–52. 56 57
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3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG)
3.3.3 Möglicher textexterner Realitätsbezug ägyptischer Bräuche Schon bei der Rekonstruktion der JG hat sich ergeben, dass fast alle der Passagen, die den Besonderheiten des ägyptischen Staatswesens und der kulturellen Bräuche Aufmerksamkeit zuwenden, erst von dem Verfasser stammen, der die JG bearbeitete und erweiterte.59 Es verblieben in der JG nur zwei Passagen, die auf mögliche textexterne Erfahrungen mit der ägyptischen Kultur weisen, die Schilderung der Investitur Josephs zum zweithöchsten Herrscher in Ägypten in Gen 41,41–43 und die Bemerkungen zu Josephs Becherweissagung in 44,5.15. Von den Elementen, die bei Josephs Investitur genannt werden, hat besonders die Verleihung „der goldenen Kette“ ( )רבד הזהבin 41,42 das Interesse der Ägyptologen auf sich gezogen, weil vor allem aus der Zeit des Neuen Reiches (1539–1070 v. Chr.) vielfach sowohl ikonographisch als auch textlich eine Zeremonie belegt ist, bei der die ägyptischen Könige verdienten Untertanen eine filigrane Kette, „Gold der Ehre“ (nbw n.y ḥsw.t) genannt, verliehen, um sie für besondere Leistungen oder Beweise ihrer Loyalität zu belohnen und auszuzeichnen.60 Dass dieser Brauch nicht auf die Zeit des Neuen Reiches beschränkt war, bezeugt eine Inschrift aus dem 7. Jh. v. Chr. in Kleinasien, auf die Bernd Schipper hingewiesen hat.61 Sie belegt die Verleihung einer goldenen Kette durch Psammetich I. an einen griechischen Söldner, der sich bei der militärischen Ausweitung seiner Macht besonders hervorgetan hatte.62 Die Ehrung konnte somit auch verdienten Ausländern zugute kommen. Allerdings ist diese Art der belohnenden Ehrbezeugung durch den Pharao nach Susanne Binder nur in seltenen Fällen mit der Investitur in ein Amt verbunden, und sonst etwa nie mit der Verleihung des königlichen Siegelrings wie bei Joseph.63 Dient doch dieser dazu, wie aus Est 3,10.12; 8,2.8.10 erkennbar wird, dass der damit Betraute im Namen des Königs Dekrete verfassen kann. In der griechischen Inschrift wird dem verdienten Söldner von Psammetich immerhin die Regierung über eine Stadt anvertraut. Die ehrenvolle Fahrt im Streitwagen, wie sie in Gen 41,43 erwähnt wird, kann dagegen wiederum Teil pharaonischer Belohnungszeremonien sein.64 So ist es wahrscheinlich, dass der Verfasser der JG einige Kenntnisse über Bräuche königlicher Ehrbezeugungen in
59 S.
oben S. 13–23. Vgl. dazu besonders Binder, Joseph’s Rewarding, 44–51, mit Berücksichtung der älteren Literatur, bes. Vergote, Joseph, 116–134, und Redford, Study, 208–226. 61 Vgl. Schipper, The Egyptian Background of the Joseph Story. 62 Vgl. Schipper, The Egyptian Background of the Joseph Story, 334–335. 63 Vgl. Binder, Joseph’s Rewarding, 55–56. Bei der Investitur Nechos zum Vasallenkönig Assurbanipals, auf die in diesem Zusammenhang gerne verwiesen wird (vgl. Westermann, Genesis III, 98), ist, entgegen der Übersetzung in ANET 295, nicht von einer goldenen Kette, sondern von einer goldenen Hacke (allu) die Rede (TUAT NF 2, 77), die man vielleicht als Uräus-Diadem deuten kann, vgl. Schipper, Gen 41,42, 333. 64 Vgl. Binder, Joseph’s Rewarding, 57–59. 60
3.3 Die Rolle Ägyptens in der Erzählung
65
Ägypten hatte,65 sie aber mit weiteren Elementen, die auch in anderen Kulturen üblich waren, zu einer Investitur-Zeremonie kombinierte. Wie die von Binder und Schipper beigebrachten ägyptologischen Belege in ihrer breiten zeitlichen Streuung zeigen, eignet sich der textexterne Realitätsbezug allerdings nicht dazu, die JG genauer historisch einzuordnen. Hat die Schilderung der Investitur Josephs zumindest teilweise einen Realitätsbezug in der ägyptischen Welt, so lässt sich dies für die Lekanomantie oder Kylikomantie, für die Joseph seinen Silberbecher nach Gen 44,5.15 gebraucht haben soll, nicht sagen.66 Die Praxis der Ölomina, bei dem Öl in ein offenes Gefäß mit Wasser getropft und aus dessen Verteilung an der Oberfläche gewahrsagt wurde, stammt aus Babylonien. So stellen Michael Fieger und Sigrid HodelHoenes klipp und klar fest: „Wahrsagerei mit dem Becher war genuin nicht in Ägypten heimisch … Die Lekanomantie kam aus ihrem Heimatland Babylon durch Vermittlung der Perser zu den Griechen und könnte in der Spätzeit infolge fremder Einflüsse auch in Ägypten praktiziert worden sein.“67 Doch anstatt mit der Datierung der JG bis in spätpersische oder gar hellenistische Zeit hinabzugehen,68 wogegen eigentlich schon die Ächtung solcher Wahrsagepraktiken im dtn. Gesetz spricht (Dtn 18,10), sollte man vielleicht lieber konstatieren, dass ihr Verfasser in seiner Zeichnung der ägyptischen Welt auch kulturelle Merkmale aus der zweiten großen orientalischen Flusskultur einmischte. Der Realitätsbezug des Ägyptenbildes, das die JG entwirft, ist somit relativ dünn und gebrochen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass der Verfasser damit auf die Erfahrungswelt einer in Ägypten ansässigen jüdischen Diaspora eingehen will. 3.3.4 Gründe für die Wahl Ägyptens als Handlungsort Wenn es nicht unbedingt die ägyptische Kultur war, die den Verfasser der JG interessierte, stellt sich abschließend noch die Frage, warum er überhaupt Ägypten als wesentlichen Handlungsort für seine Erzählung auswählte. Für Kristin Weingart und Erhard Blum beantwortet sich diese Frage allein auf der literarischen Ebene. Da ihrer Meinung nach die Josephsgeschichte von vornherein als ein Zwischenstück zwischen Erzvätererzählung und Exodus konzipiert war, sei dem Verfasser Ägypten als Zielort der Übersiedlung der Jakobsfamilie quasi vorgege65 Das Motiv der Verleihung einer goldenen Ehrenkette durch Belsazar an Daniel in Dan 5,29 entspringt wohl nicht dem babylonischen Milieu, sondern ist eher eine literarische Anleihe an Gen 41,41. 66 Die fehlende Kongruenz mit ägyptischen Verhältnissen kann kein Grund sein, das am nächsten liegende Verständnis des Texts von Gen 44,5, dass Joseph „mit seinem Becher wahrsagt (נחש בו, ב-instrumenti)“, in Frage zu stellen, vgl. die Diskussion bei Vergote, Joseph, ׁ 171–176, und Schmitt, Josephsgeschichte, 148 Anm. 301. 67 S. Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 267. 68 So etwa Arnet, Identity, 79–80.
66
3. Die Thematik der ursprünglichen Josephsgeschichte (JG)
ben gewesen.69 Doch gegen eine solche rein literarische Begründung hat Konrad Schmid mit Recht Bedenken angemeldet.70 Auch wenn der Ägyptenthematik in der JG längst nicht das Gewicht zukommt, wie er noch annahm, so wird die von Blum/Weingart gegebene Erklärung schon allein deswegen fragwürdig, weil die Josephsgeschichte, zumindest in ihrer ursprünglichen Form, gar nicht auf eine dauerhafte Übersiedlung der Jakobsfamilie in Ägypten zusteuerte, sondern nur einen zeitlich eng begrenzten Aufenthalt im Auge hat. Da nun aber auch der Ägyptenaufenthalt der Jakobsfamilie als solcher nicht im Zentrum, sondern eher am Rande der JG steht, wird zugleich auch Schmids textexterne Erklärung fragwürdig,71 dass die Wahl Ägyptens mit der Existenz einer Diasporagemeinschaft ebendort zusammenhinge, deren faktischer Lebensraum außerhalb des verheißenen Landes durch die Erzählung gerechtfertigt werden soll. Da eine viel größere und einflussreichere Diasporagemeinschaft in Babylonien und Persien lebte, hätte sich eigentlich aus solcher Perspektive die Wahl des Zweistromlandes nahelegen müssen.72 Aus meiner Perspektive hängt die Wahl Ägyptens mit drei ganz anderen textexternen geographischen und politischen Gegebenheiten zusammen. Erstens war Ägypten durch seine Flusskultur gegenüber dem Regenfeldbau in Palästina von seinen natürlichen Resourcen her begünstigt. Es bildete in Dürreperioden, wie auch außerhalb der JG biblisch und historisch bezeugt,73 für die Menschen in Palästina einen Ort, an dem man in solchen Krisenzeiten Hilfe suchen und Zuflucht finden konnte. Zweitens ist Ägypten deutlich näher als die zweite große Flusskultur in Mesopotamien an Palästina gelegen und war damit für dessen Bevölkerung leichter erreichbar.74 Und drittens und entscheidend für die Wahl stellte Ägypten für die Bewohner Palästinas, weit mehr als die wechselnden Reiche in Mesopotamien, einen schon seit Menschengedenken existierenden hoch entwickelten Staat dar. Auch Konrad Schmid bemerkt die Wichtigkeit dieses Aspektes, wenn er sagt, dass Ägypten in der Josephsgeschichte „nicht 69 Vgl. Weingart, Stämmevolk, 265; Blum/Weingart, Joseph Story, 510. Römer, Joseph Narrative, 42–43, hat Recht, dass eine solche postulierte Ausrichtung der Josephsgeschichte auf den Exodus nicht erklärt, warum diese ägyptischen Namen und Bräuchen so viel Aufmerksamkeit zuwendet. Doch ist seine alternative Erklärung „It is the easiest to explain the attention given to describing the Egyptian integration and career of Joseph if one assumes that the Joseph narrative is a ,diaspora novella‘ and was composed as a story reflecting on the possibilities of a life outside the land“ (a. a. O., 43) wenig begründet und an ihrem Erzählbogen nicht wirklich ausgewiesen. 70 Vgl. Schmid, Datierung, 103–104. 71 Vgl. Schmid, Datierung, 104. 72 Es ist deswegen vielleicht kein Zufall, dass alle Erzählungen, die man mit Recht als Diasporanovellen ansprechen oder auf solche zurückführen kann, nämlich die Bücher Esther, Tobit und Daniel, in Babylonien oder Persien spielen. 73 Vgl. Gen 12,10–20; vgl. den schon erwähnten Musterbrief eines ägyptischen Grenzbeamten im Ostdelta (Weippert, Textbuch, 171–173). 74 Ein weiterer Grund für den Ausschluss Mesopotamiens wird sich aus der zeitgeschichtlichen Ansetzung der JG ergeben, s. unten S. 115–116.
3.3 Die Rolle Ägyptens in der Erzählung
67
einfach als Landschaft, sondern als politisches Gebilde in den Blick kommt.“75 Wenn nun aber der Autor der JG sich grundsätzlich, wie wir gesehen haben, mit den bedrohlichen und segensreichen Seiten politischer Herrschaft aus ursprungsgeschichtlicher Perspektive heraus auseinandersetzen wollte, dann lag die Wahl Ägyptens gleich in mehrfacher Hinsicht nahe: Es repräsentierte sozusagen urbildlich die staatliche Herrschaft. An ihm ließen sich alle Züge politischer Herrschaft aufweisen, die es in der ursprungsgeschichtlichen Situierung der Erzählung unter Israeliten noch gar nicht gab. Und schließlich repräsentierte Ägypten einen vorbildlich funktionierenden Staat, den der Verfasser der JG benötigte, um die politische Herrschaft über deren segenreichen Wirkungen in der Krise zu legitimieren. Dass Ägypten in der JG weniger das Ausland als die staatliche Herrschaft repräsentiert, wird zusätzlich von einigen weiteren Beobachtungen gestützt: Ethnische oder religiöse Unterschiede zwischen Ägyptern und Israeliten spielen in der JG, wie oft festgestellt wurde, keine Rolle. Es ist eigentlich nur der Spionagevorwurf Josephs (Gen 42,9.11.14.16), der seine Brüder als möglicherweise verdächtige Ausländer denunziert. Allen anderen Willkürmaßnahmen Josephs könnten sie auch im eigenen Staatswesen ausgesetzt sein, wenn es ein solches schon gäbe. Sie sind nicht allein schon von ihrem Status als Ausländer her benachteiligt. Auch die Ägypter selbst unterliegen auf vergleichbare Weise ohnmächtig dem Zorn oder der Gunst des Herrschers (40,2–3.21–22). Es gibt also keinen grundsätzlichen Unterschied in der Behandlung von In‑ und Ausländern. Da Josephs drastische Willkürmaßnahmen, wie sich herausstellt, pädagogische Ziele in seiner Familie verfolgen, lassen sie sich nur bedingt als typischer Ausdruck politischer Herrschaft in Ägypten werten. Im Gegenteil, der Pharao wird als überaus freundlich und entgegenkommend gezeichnet; und Josephs Herrschaft in seinem Auftrag gestaltet sich letzten Endes für alle, Ägypter wie Israeliten, als segensreich. Das Ägypten der JG repräsentiert nicht die Fremdmacht,76 unter der Israel, wie in der Exodusgeschichte drastisch ausgeführt, zu leiden hätte. Es ist vielmehr das – ein Stück weit bestaunte – Beispiel für einen gelungenen Staat. Dies bedeutet aber: Auch die Wahl Ägyptens als Handlungsort für einen Großteil der JG ist letztlich von der Herrschaftsthematik bestimmt. Damit lässt sich aber, zumindest für die älteste rekonstruierbare Fassung der Josephsgeschichte, eine Deutung als Diasporanovelle mit exegetischen Mitteln ausschließen.
75 S. Schmid,
Datierung, 103. Die Feststellung von Schmid, Josephsgeschichte, 113: „Die Josephsgeschichte optiert diesbezüglich nicht für die Souveränität Israels als eigenständiges Königtum, sondern wertet auch die Existenz Israels unter fremder Oberherrschaft als mögliche Lebensform,“ beruht dann doch wohl eher auf einer falschen Alternative. 76
4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG) In der erweiterten Josephsgeschichte (EJG) erhält die Ägypten-Thematik ein deutlich stärkeres Gewicht. Das wird schon rein äußerlich daran erkennbar, dass in den Passagen, die ihr Verfasser zur JG hinzufügte, das Wort „ מצריםÄgypten“ nicht weniger als 27-mal begegnet, obgleich diese kaum 17 Prozent des Versbestandes der JG ausmachen,1 in der das Stichwort 36-mal vorkam. Der Eindruck verstärkt sich noch, wenn man berücksichtigt, dass es vor allem der Verfasser der EJG war, welcher, wie oben herausgearbeitet,2 wichtigen Besonderheiten des ägyptischen Staatswesens und seiner Kultur seine Aufmerksamkeit zuwandte. Die Herleitung der zentralistischen pharaonischen Staatswirtschaft (Gen 47,13–26), die Erwähnungen von Josephs Heirat mit Asenat, der Tochter eines Priesters aus Heliopolis (41,45), oder der Einbalsamierung Jakobs (50,2–3) und die Notizen über die Vorbehalte der Ägypter gegenüber Ausländern und Kleinvieh-Hirten (43,32b; 46,34bβ) stammen von ihm. Was war Anlass und Ziel einer solchen neuen thematischen Profilierung? Wollte der Bearbeiter mit seiner Neuausgabe der JG stärker auf die Lebenswelt seiner Adressaten eingehen? Wollte er die ägyptische politische und kulturelle Welt stärker gegenüber der eigenen abgrenzen? Oder wollte er einfach nur den Reiz der JG auf ihre Hörer und Leser mit solchen Ausflügen in die Besonderheit und Fremdartigkeit der ägyptischen Welt weiter steigern?3 Abgesehen von den kurzen Einschüben in den Kapiteln Gen 41, 43 und 464 hat der Verfasser der EJG drei längere Schilderungen zur JG hinzugefügt: die Einführung der zentralistischen Staatswirtschaft in Ägypten durch Joseph (47,13–26), Jakobs letzte Verfügungen, sein Tod und seine Bestattung (47,29–31; [49,33aβ]; 50,1–11) und die nochmalige Aussöhnung der Brüder nach dem Tod des Vaters (50,14–22a). An ihnen sollte sich methodisch am sichersten seine Absicht greifen lassen. Es war oben schon gezeigt worden, dass der erste und 1 Gegenüber den rund 250 Versen der JG machen die Passagen der EJG-Bearbeitung etwa 42 Verse aus. 2 S. oben S. 19–23. 3 So etwa Gunkel, Genesis, 448, zu Gen 50,2–3: „Der Hörer ergötzt sich an den Sitten der Fremde.“ 4 Im Einzelnen sind dies Gen 41,34b.40aβ?.44–45a.55–56; 43,32b; 46,34bβ. Dabei dienen die Passagen in 41,34b.55–56 vor allem dem Zweck einer kompositorischen Einbindung von 47,13–27, s. oben S. 18–19.
70
4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG)
der dritte Abschnitt thematisch aufeinander bezogen sind.5 Doch welche erzählerische Funktion kommt dem zweiten Abschnitt dazwischen zu?
4.1 Jakobs Tod und Bestattung als lokale Distanzierung von Ägypten Wohl kann man mit Rüdiger Lux sagen, dass mit dem Abschnitt über Jakobs Tod und Bestattung ein letzter offener Erzählfaden der Josephsgeschichte zum Abschluss gebracht wurde,6 war doch in der JG vom Alter und dem möglichen Tod Jakobs immer wieder die Rede gewesen (vgl. Gen 37,35; 43,27–28; 44,22.29–31; 45,3.28; 46,30), dennoch ist die Art und Weise, wie dies geschieht, verwunderlich. Der Einbalsamierung des gestorbenen Jakob, den Trauerfeierlichkeiten und der prunkvollen Überführung seines Leichnams nach Kanaan wird vom Verfasser der EJG ein so breiter Raum gegeben, dass sich darüber der Erzählfokus von Joseph und seinen Brüdern weg und ganz auf den Ahnvater und sein Schicksal verschiebt. Es ist darum kein Zufall, dass an dieser Stelle später noch weitere Überlieferungen zum sterbenden Jakob eingeschoben wurden (Gen 48; 49) und einige Forscher sogar vermuteten, die Josephsgeschichte habe hier das Ende der Jakobsgeschichte integriert.7 Horst Seebass hat Recht, wenn er feststellt, dass das in Gen 50,1–11 Erzählte „der Sache nach kein Hauptmotiv“ der Josephsgeschichte darstelle.8 Hat doch die Überführung und Bestattung Jakobs weder etwas mit der „Herrschaft“ noch etwas mit der „Diaspora“ zu tun, d. h. den beiden Themen, welche in den beiden Auslegungstypen fokussiert wurden. Nun leitet der Verfasser der EJG die Sterbeszene mit einem kleinen Dialog ein, in dem Jakob, der hier konsequent Israel genannt wird (Gen 47,29.31; 50,2), Joseph ruft, um ihm seinen letzten Willen zu verkünden (47,29–31). In höfischer Demut bittet er seinen einflussreichen Sohn geradezu flehentlich darum,9 dass er ihn bloß nicht in Ägypten begräbt. Dieser Wunsch steht voran, ihn gnädig und treu zu erfüllen, soll ihm Joseph feierlich beschwören (V. 30). Erst danach folgt die Bitte, ihn nach seinem Tod aus Ägypten zu tragen und ihn in seinem heimatlichen Grab10 zu bestatten (V. 31a). Und obwohl Joseph seinem Vater sofort sein 5 S.
oben S. 24–25. Vgl. Lux, Josef, 198. 7 Vgl. etwa Coats, Unity, 17–20; Westermann, Genesis III, 186 u. ö. Allein der Erzählzug, dass Jakob nicht – wie gewöhnlich – seinem ältesten Sohn, sondern Joseph die Sorge für seine Bestattung überträgt, spricht dafür, dass die älteste Sterbe‑ und Bestattungsszene von vornherein als Teil der – erweiterten – Josephsgeschichte konzipiert ist. 8 So Seebass, Genesis III, 191. 9 Vgl. die Verwendung der höfischen Formel מצא חן בעני״und den dreimaligen Gebrauch der emphatischen Partikel ־נאin Gen 47,29. 10 Da in Gen 50,5 vom Grab die Rede ist, das Jakob sich selbst ausgehauen hat, ist das pluralische Suffix in „ בקברתםin ihrem (d. h. der Vorväter) Grab“ in 47,30 als eine Angleichung an die priesterliche Vorstellung von 50,12–13, dass Jakob wie Abraham und Isaak in der Höhe von 6
4.1 Jakobs Tod und Bestattung als lokale Distanzierung von Ägypten
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Versprechen gibt (V. 30b), besteht Jakob auf einem förmlichen Schwur (V. 31a). Er will absolut sicher gehen, dass er nach seinem Tod nicht in Ägypten, sondern in Kanaan bestattet wird. Und weil es ihm gelungen ist, diesen seinen letzten Willen durchzusetzen, vollzieht er auf seinem Sterbebett aus Dankbarkeit den Ritus der Proskynese im Beisein Josephs (V. 31b) und stirbt (vgl. 49,33aβ), so wie der Verfasser der EJG das durchlaufende Motiv der JG (vgl. 37,10 u. ö.) hier aufnimmt und abwandelt. Es fragt sich, warum der Verfasser der EJG der Frage um den Ort der Bestattung Jakobs eine derart zentrale Bedeutung in seiner Darstellung einräumt. Auf der Erzählebene wirkt Jakobs drastische Durchsetzung seines letzten Willens, nicht in Ägypten, sondern in Kanaan begraben zu werden, einigermaßen unmotiviert. Sie lässt sich weder voll aus der Sehnsucht eines alten Mannes erklären, „dort begraben zu werden, wohin er gehört“, wie Westermann unterstellt,11 noch aus der gemeinhin antiken Vorstellung herleiten, dass in fremdem Lande begraben zu werden, als großes Unglück gelte, die Gunkel heranzieht.12 Denn erstens wird auf solche Ängste oder Sehnsüchte im Text nicht erkennbar angespielt, noch kann man sie generell voraussetzen. Benno Jacob etwa macht geltend: „Daß Jakob nicht in Ägypten begraben sein will, kann nicht in der Abneigung gegen den Boden dieses Landes an sich oder gegen das Heidentum seiner Bewohner begründet sein, denn Jahrhunderte lang werden nachher Israeliten in Ägypten begraben sein,“13 so jedenfalls in der Vorstellung des priesterlichen Autors von einem 430 Jahre währenden Aufenthalt Israels in Ägypten (Ex 12,40). Und für den Autor der nicht-priesterlichen Exoduskomposition war das Begrabenwerden in Ägypten immer noch besser als ein Sterben in der Wüste (14,11). Auch dafür, dass der alte Jakob seinem Sohn Joseph so misstraut haben sollte, dass er seinen letzten Willen meinte nur mit einem förmlichen Schwur durchsetzen zu können, gibt es vom Erzählkontext her keinerlei Anhaltspunkte.14 Wenn sich aber die Einleitung der Sterbeszene nicht aus dem Erzählverlauf selber erklären lässt, liegt die Annahme nahe, dass ihre merkwürdige Gestaltung einem besonderen Interesse des Verfassers der EJG entspringt. Die JG hatte in Gen 47,12.27a mit einem offenen Schluss geendet: Joseph hatte das ganze Haus seines Vaters in Gosen angesiedelt, um es in der Hungersnot zu versorgen. Was mit seiner Familie danach geschah, war nicht weiter ausgeführt worden, musste es auch nicht, weil die JG nur an einen eng begrenzten Aufenthalt für die verMachpela beigesetzt wurde, zu verstehen, so schon Wellhausen, Composition, 60. Lies בקברתי „in meinem Grab“. 11 S. Westermann, Genesis III, 204. 12 S. Gunkel, Genesis, 470; möglicherweise denkt er an Am 7,17; hier handelt es sich allerdings um eine Gerichtsankündigung! 13 S. Jacob, Genesis, 862. 14 Die Auskunft von Jacob, Genesis, 863, Jakob wolle mit dem geleisteten Schwur Joseph nur ein Druckmittel gegenüber dem Pharao an die Hand geben, lässt sich vom Text her nicht begründen.
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4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG)
bleibenden fünf Jahre der Hungersnot gedacht hatte. Hier sah sich nun der Verfasser der EJG zu einer korrigierenden Klarstellung genötigt. Wie immer sich der weitere Ägyptenaufenthalt von Joseph und seinen Brüdern auch gestalten sollte, der Ahnvater Jakob, der für ihn Israel repräsentierte, musste auf jeden Fall, und sei es als Leichnam, in die kanaanäische Heimat zurückgebracht werden. Es ist möglich, dass er damit einer heimischen Grabtradition aus dem Ostjordanland in der Josephsgeschichte Geltung verschaffen wollte. Ganz offensichtlich war es aber seine Absicht, den Ahnvater und damit Israel auf der lokalen Ebene grundsätzlich von Ägypten zu distanzieren. Beide gehörten in verschiedene Siedlungsräume! Gerade weil die JG Ägypten nicht als Fremdmacht, sondern als typischen Repräsentanten einer voll entwickelten Staatsmacht gezeichnet hatte, war es dem Verfasser der EJG wichtig, dass im offenen Schluss der JG Israel und Ägypten nicht miteinander verschwammen, sondern als je eigene Entitäten sichtbar blieben. Von dieser Absicht her lässt sich nun auch die eigentümliche Schilderung der Trauerriten, der Überführung und Bestattung Jakobs, die der Verfasser der EJG in Gen 50,1–11 vornimmt, angemessen interpretieren. Wenn Joseph nach seiner persönlichen Trauer um seinen Vater (V. 1) durch seine Leibärzte dessen Leichnam das 40-tägige Ritual einer Einbalsamierung angedeihen lässt (V. 2), dann erweist er ihm nicht nur die Ehre, die nach ägyptischer Sitte hochgestellten Persönlichkeiten zukam, sondern macht damit auch den Tod Jakobs zu einem öffentlichen Ereignis. Auch die Ägypter werden so in die siebzigtägige Trauerfeierlichkeiten einbezogen (V. 3). Allerdings dient der Rückgriff auf diese typische ägyptische Sitte dem Verfasser der EJG nur dem Zweck, den langwierigen Transport der sterblichen Überreste des verehrten Ahnvaters in die Heimat sicherzustellen. Er unterlässt jeden Hinweis auf die begleitenden magischen Riten, die nach ägyptischer Anschauung den Toten für seine Reise ins Jenseits schützen und vorbereiten sollten.15 Indem Joseph nach Abschluss der Trauerfeierlichkeiten beim Pharao um eine offizielle Erlaubnis zur Überführung Jakobs nach Kanaan nachsucht (Gen 50,4– 6), macht er das Begräbnis des Stammvaters Israels zu einem ägyptischen Staatsakt. Er handelt nicht eigenmächtig, sondern bezieht den Hof des ägyptischen Königs mit ein, indem er ihn in bewusster Demutshaltung um Fürsprache für sein familiäres Anliegen bei Pharao bittet.16 Der Wille Jakobs, nicht in Ägypten, sondern in der heimatlichen Grabstätte begraben zu werden, hätte vom Pharao leicht als Ausdruck des Undanks oder der Illoyalität missverstanden werden 15 Um das Leben nach dem Tode sicherzustellen, gehört dazu u. a. ein Mundöffnungsritual, vgl. dazu Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 336–339. 16 Ebach, Genesis, 647, notiert eine „Spannung zwischen dem Superminister und dem Bittsteller“ Joseph. Sie löst sich auf, wenn man das etwas gewagte Bemühen des Verfassers der EJG erkennt, das Begräbnis Jakobs, das ja eigentlich nur die Jakobsfamilie betrifft, zu einem offiziellen ägyptischen Staatsakt aufzuwerten.
4.2 Josephs unterschiedliche Herrschaftsausübung als sachliche Distanzierung von Ägypten 73
können. Doch der Pharao genehmigt die Überführung. Damit bekommt die posthume Auswanderung des Stammvaters Israels aus dem ägyptischen Herrschaftsbereich eine offizielle Anerkennung durch Ägypten. Nach Schilderung des Verfassers der EJG fand dann die Überführung Jakobs nach Kanaan mit der vollen Unterstützung und unter militärischem Schutz des ägyptischen Staates statt (Gen 50,7–11). Bei den siebentägigen Feierlichkeiten zu seinem Begräbnis wurde der Stammvater nicht nur von seinen Familienangehörigen, sondern auch von den Ältesten, d. h. von Würdenträgern des pharaonischen Hofes und des Landes geehrt. Auch und gerade in seiner lokalen Distanzierung von Ägypten blieb der Stammvater Israels ein von Ägypten hochgeachteter Repräsentant seines eigenen Volkes. Mit der Szene vom Tod und der Überführung Jakobs nach Kanaan setzte der Verfasser der EJG einige neue Akzente, die auch ursprungsgeschichtlich von Bedeutung sind: Er baute über den Stammvater das Volk Israel stärker zu einem Gegenüber Ägyptens aus, und zwar zu einem von Ägypten geachteten Gegenüber, so eng die gegenseitige Kooperation unter Joseph gewesen sein mochte. Er hielt unmissverständlich fest, dass die eigentliche Heimat Israels in Kanaan liegt, wo die Väter gelebt hatten, mochte auch die Versorgung durch Joseph in Ägypten noch so komfortabel erscheinen. Ägypten war zwar rettendes Gast-, aber nicht Heimatland.
4.2 Josephs unterschiedliche Herrschaftsausübung als sachliche Distanzierung von Ägypten Die JG hatte in Gen 47,12.27a mit einer Schilderung geendet, wie segensreich sich Josephs Herrschaft für seine Familie auswirkte. Sie durfte sich in der weltweiten Hungersnot in Ägypten ansiedeln, erhielt in Gosen Weiderecht für ihre Herden und wurde von Joseph rundum versorgt. Wenn der Verfasser der EJG in diese abschließende Schilderung mit V. 13–26 seine erste erweiternde Szene einschob, in der er darstellte, wie Joseph die anhaltende Hungersnot zum Anlass nahm, dass die Ägypter für Brot und Saatgetreide ihr Vieh, ihre Äcker und schließlich sich selber verkaufen mussten, so dass dem Pharao am Ende ganz Ägypten und seine Bewohner gehört,17 so wollte er Josephs Herrschaft gegenüber seiner Familie und diejenige gegenüber den Ägyptern ganz offensichtlich differenzieren und kontrastieren: eine brüderliche und schonende Herrschaft gegenüber den Seinen, die den Regierten ihren Besitz und ihre Freiheitsrechte belässt, und eine absolute und harte Herrschaft gegenüber den Ägyptern, welche den Regierten ihren Besitz nimmt, sie in dauernde Abhängigkeit vom Staat bringt und zur Zahlung einer hohen Steuer verpflichtet. Mit letzterem spielt der Verfasser der EJG Vgl. im Einzelnen oben S. 15–17.
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4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG)
auf das alte ägyptische Staatsideal an, dass dem Pharao ganz Ägypten gehört und somit er allein über den Einzug und die Distribution aller Güter und Leistungen im Lande verfügt, auch wenn dieses zu keiner Zeit voll realisiert wurde.18 Dass er dabei Joseph zum Begründer der zentralistischen pharaonischen Staatswirtschaft machte, konnte seine israelitischen Adressaten mit einem gewissen Stolz erfüllen. Doch zugleich setzte er sich damit vom ägyptischen Herrschaftsmodell, das in der JG noch als bestaunter Prototyp einer funktionieren staatlichen Herrschaft gegolten hatte, kritisch ab. Seine Schilderung, wie die Ägypter gegenüber Joseph ihre Dankbarkeit darüber ausdrücken, um den Preis ihres Überlebens Sklaven des Pharao geworden zu sein (V. 25), trägt Züge einer Karikatur. Weil der Verfasser der EJG Joseph in die Stellung eines Erfinders des ägyptischen Staatsideals erhob, was weit über die in der JG beschriebene staatliche Vorsorge‑ und Versorgungstätigkeit hinausging, fühlte er sich genötigt, ihn fester in der ägyptischen Herrschaftselite zu integrieren. Seiner Meinung nach verlieh ihm der Pharao eine absolute, uneingeschränkte Vollmacht über alle ägyptischen Untertanen (Gen 41,44). Nur dadurch konnte er den Umbau zur zentralistischen Staatswirtschaft durchsetzen. In diesen Zusammenhang gehört nun aber auch die Verheiratung Josephs mit Asenat, einer Tochter aus dem berühmten Priestergeschlecht von Heliopolis, hinein (V. 45a).19 Sie wird vom Pharao verfügt und besiegelt die Einbindung Josephs in die ägyptische Machtelite. Nur durch eine derart manifeste Einbindung konnte Joseph die Reform des gesamten Staatswesens gegen alle nur möglichen Widerstände durchstehen. Und Joseph revanchierte sich gegenüber der Verwandtschaft seiner Frau und sicherte dem Pharao die Loyalität der Priesterschaft, indem er sie von der Verstaatlichung ihres Tempellandes und der Verpflichtung, dem Pharao Steuern zu zahlen, ausnahm (47,22.26). Wie bereits vermutet,20 zielt wahrscheinlich auch die Verleihung eines ägyptischen Namens an Joseph durch den Pharao (41,45a) auf dessen spätere Staatsreform ab. Sie soll die Leben spendende Funktion Josephs, die ihm dann von der ägyptischen Bevölkerung trotz ihrer Enteignung und Versklavung zuerkannt wird (47,25), bereits bei seiner Amtseinsetzung programmatisch in der Landessprache festhalten. Um den Preis ihrer gesicherten Versorgung in der Hungersnot war die ägyptische Bevölkerung gerne bereit, den absolutistischen Ausbau der Herrschaft in ihrem Lande hinzunehmen. Wie schon länger beobachtet wurde, hat der Bericht vom Aufbau eines zentralistischen und absolutistischen Staatswesens in Ägypten die Funktion einer erzählerischen Kontrastfolie zur Schlussszene der Josephsgeschichte (Gen 50,15– 22a).21 Der Verfasser der EJG schildert hier – in Aufnahme des Höhepunktes der JG –, wie es nach dem Tod Jakobs zu einer nochmaligen und endgültigen 18 Vgl.
Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 316–317. Vgl. oben S. 20. 20 S. oben S. 20–21. 21 S. oben S. 24–25. 19
4.2 Josephs unterschiedliche Herrschaftsausübung als sachliche Distanzierung von Ägypten 75
Versöhnung zwischen Joseph und seinen Brüdern kam. Die Brüder berufen sich dabei nicht nur auf ein – erfundenes – Vermächtnis ihres gemeinsamen Vaters, ihnen Vergebung ihrer Sünden zu gewähren, sondern, indem sie sich als „Knechte des Gottes deines Vaters“ bezeichnen, appellieren sie gegenüber Joseph auch an die ihnen allen gemeinsame Gottesbeziehung (V. 17). Um ihre Bitte zu unterstreichen, gehen die Brüder Josephs sogar soweit, – ähnlich wie die Ägypter in 47,19 – ihre Selbstversklavung gegenüber ihrem zum Herrscher aufgestiegenen Bruder anzubieten (50,18). Doch während Joseph keinerlei Hemmungen verspürte, die Ägypter zu Sklaven des Pharao zu machen (47,21.2225), lehnt er die Versklavung seiner Brüder unter seiner Herrschaft rigoros ab (50,19). Wenn er diese Ablehnung mit der rhetorischen Frage begründet: „Bin ich etwa an Gottes statt? (V. 19b), dann ist damit nicht etwa gemeint, wie Konrad Schmid annahm, dass er ein „theokratisches Ideal“ vertreten, also gleichsam seine Herrschaftsposition auf Gott übertragen wolle.23 Denn erstens ist von einer Herrschaft Gottes im Text nicht die Rede, und zweitens will Joseph seine Herrschaft in der Versorgung seiner Brüder ja ausdrücklich weiter ausüben (V. 21). Nein, die Aussage Josephs, sich nicht an die Stelle Gottes setzen zu wollen, kann in dem vorgegebenen Zusammenhang nur meinen, dass unter den Angehörigen der Jakobsfamilie, die alle gemeinsam diesen väterlichen Gott verehren, eine absolutistische Ausweitung der Herrschaft, die auf eine Versklavung der Beherrschten abzielen würde, absolut ausgeschlossen ist. Der Verfasser der EJG wollte mit einer solchen Darstellung festhalten, dass unter Israeliten die politische Herrschaft – anders als unter den Ägyptern – immer nur eine von Gott begrenzte Herrschaft sein kann. Sein berühmtes theologisches Schlussvotum: „Ihr gedachtet mir Böses zu tun, aber Gott hat es zum Guten gewendet“ (V. 20) schließt mit dem Begriff des Guten ( )טובהüber die Versöhnung der Brüder und die Rettung in der Hungersnot hinaus auch die Abkehr vom absolutistischen ägyptischen Herrschaftsmodell und die Hinkehr zum Modell einer von Gott begrenzten Herrschaft, die Joseph und seine Brüder am Schluss vollziehen, mit ein. Erst damit hat alles wirklich sein gutes Ende gefunden.24 Der Verfasser der EJG unternimmt mit seiner erweiternden Ausgestaltung der JG eine durchaus selbstbewusste sachliche Distanzierung von der Form von Herrschaft, die durch Ägypten repräsentiert wird. Die Herrschaftsthematik der JG erhält dadurch eine neue, wichtige differenzierende Facette. 22 Zur
Rekonstruktion des gestörten Textes dieses Verses s. oben S. 16 Anm. 45. Vgl. Schmid, Josephsgeschichte, 112–113. 24 Der jüngst von Schmid, Sapiential Anthropology, 109–113, geäußerte Gedanke, dass sich Joseph mit seinem Rekurs auf Gott in Gen 50,19 zugleich von seinen hochfliegenden Herrschaftsambitionen des zweiten Traums (Gen 37,9–11) distanziert, die im Sinne einer blasphemischen Hybris verstanden werden könnten, würde sehr gut zum Verfasser der EJG passen, der über die Grenzen politischer Herrschaft in Israel im Kontrast zur absolutistischen Herrschaft in Ägypten reflektiert. Schon in 47,31b hatte dieser ja das Unterwerfungsmotiv der JG abgebogen, indem er Jakob den Gestus der Proskynese nur im Beisein und nicht vor Joseph vollziehen lässt. 23
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4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG)
4.3 Die kulturelle Abgrenzung vonseiten der Ägypter Während der Verfasser der EJG mit seinem Bericht vom Tod und der Überführung Jakobs nach Kanaan eine lokale und mit seiner Kontrastierung der Herrschaft Josephs über die Ägypter mit der über seine Brüder eine sachliche Distanzierung der eigenen Volksangehörigen von Ägypten in aller Breite vollzogen hat, weist er in zwei kurzen, eingefügten Notizen darauf hin, dass auch die Ägypter sich ihrerseits teilweise schroff gegenüber ihren ausländischen Nachbarn abgrenzen. Sie empfinden Abscheu gegenüber einer Tischgemeinschaft mit den Hebräern (Gen 43,32b), und gegenüber den fremdländischen Nomaden pflegen sie eine tiefe Abneigung (46,34bβ).25 Nach seiner Sicht waren die Vorbehalte zwischen Ägyptern und Israeliten durchaus wechselseitig. Der Verfasser der JG hatte mit seinem Anliegen, Ägypten als Repräsentant staatlicher Herrschaft aufzubauen, ihm möglichst viel von seinem fremdländischen, abgrenzenden Charakter genommen. Nach ihm gab es hier keinerlei ethnische Vorbehalte gegenüber Joseph. Zwischen ihm und dem Pharao war auch auf der religiösen Ebene ohne Probleme eine Verständigung möglich (41,25–40). Joseph konnte im ägyptischen Staat unbehelligt in eine hohe Herrscherposition aufsteigen und praktisch wie ein Einheimischer seine Macht zum Wohle aller politisch ausüben. Der Verfasser der EJG wollte dieses harmonische Bild gelungener politischer Kooperation zwischen Joseph und dem Pharao nicht trüben, an der ja auch das Überleben der Jakobsfamilie hing, aber er wollte zumindest anmerken, dass diese Harmonie ihre Grenzen hatte, dass nicht nur Israel sein Proprium wahren musste, sondern dass auch die Ägypter kulturelle Abgrenzungen gegenüber den Hebräern und ihrer nomadischen Lebensweise vornahmen, die nur teilweise, und dann auch nur mit Mühe überwunden werden konnten (vgl. 46,31–34abα). Damit lässt sich ein durchlaufendes Anliegen des Verfassers der EJG erkennen, die Jakobsfamilie und damit Israel auf der einen und Ägypten auf der anderen Seite, deutlicher als dies in der JG geschehen war, voneinander abzugrenzen, in lokaler, politischer und kultureller Hinsicht.
4.4 Eine Ausweitung des Ägyptenaufenthalts Indem der Verfasser der EJG seine Berichte über die ägyptische Staatsreform des Joseph und über den Tod und das Begräbnis Jakobs an die JG anfügte, war er allerdings gezwungen, den Ägyptenaufenthalt Josephs und seiner Brüder zeitlich auszuweiten, ein Stück weit über das Ende der noch fünf Jahre währenden Hungersnot hinaus. Er konnte Jakob nicht sofort nach der Ankunft in Ägypten sterben lassen (Gen 47,12); und die Staatsreform bedurfte mit der Einführung Vgl. dazu oben S. 21 und S. 22.
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4.5 Der Realitätsbezug der aufgeführten ägyptischen Sitten und Gebräuche
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von Steuern auf die künftigen Erträge (V. 24) schon den Blick auf den Neustart nach dem Ende der Hungerjahre. Auch die Überführung Jakobs nach Kanaan (50,7–11), die Rückkehr der Brüder nach Ägypten und die endgültige Versöhnung nahmen eine unbestimmte Zeit in Anspruch (V. 14–20). Wenn der Verfasser der EJG seine Erzählfassung in V. 21.22a, ähnlich wie schon die JG mit einem offenen Schluss versah, der noch einmal die Versorgung der Familie durch Joseph und deren gemeinsames Wohnen ( ׁישבwie in 47,27a) in Ägypten aufnimmt, dann war ein Ende des Ägyptenaufenthalts nicht mehr klar absehbar. Ob der Bearbeiter damit die EJG schon auf den Ägyptenaufenthalt Israels hin ausrichten wollte, von dem die Exodustradition zu erzählen wusste? Eine Voraussetzung für eine Verknüpfung hatte er immerhin dadurch geschaffen, dass mit seiner Schilderung vom Tod Jakobs die Rückführung des Stammvaters nach Kanaan sichergestellt war. Wohl hatte er Israel ein Stück weit kritisch von Ägypten distanziert, doch hat er in keiner Weise das extrem negative Ägyptenbild der Exodustradition, zu dem zentral die Unterdrückung der Hebräer gehört, vorbereitet. So wollte wohl auch der Verfasser der EJG sehr wahrscheinlich noch nicht zur Exodusgeschichte überleiten.26
4.5 Der Realitätsbezug der aufgeführten ägyptischen Sitten und Gebräuche Der Verfasser der EJG hat den ägyptischen Sitten und Besonderheiten des ägyptischen Staatswesens deutlich mehr Aufmerksamkeit zugewandt als derjenige der JG. Darum stellt sich abschließend die Frage, ob deren Schilderungen einen derart engen textexternen Bezug auf die ägyptische Wirklichkeit aufweisen, dass sie im Sinne von Konrad Schmid als Hinweis dafür gelten können, dass die Josephsgeschichte zumindest in ihrer erweiterten Form auf reale Erfahrungen einer in Ägypten lebenden Diaspora zurückgreift. Wollte die EJG, wie Schmid es annimmt, Ägypten damit als einen „Ort der jüdischen Akkulturation“ zeichnen?27 26 Für Ede, Josefsgeschichte, 518–519, ist die Josephsgeschichte schon ab ihrer dritten Bearbeitungsstufe, die sich vielschichtig von Gen 46 bis 50 hinzieht, auf die Exodusgeschichte ausgerichtet. Doch ist es fraglich, ob man etwa die Selbstversklavung der Ägypter in Gen 47,25, die dem pharaonischen Staatsideal entspringt, mit der unterdrückenden Versklavung der Israeliten in Ex 1,13–14 (übrigens P!), die auf deren Dezimierung, ja, sogar Ausrottung abzielt (vgl. V. 9–12.15–22), vergleichen kann. Auch lässt sich die Formulierung von Gen 50,20, dass Gott durch Joseph „ עם־רבviel Volk“ am Leben erhalten wollte, womit die Jakobsippe gemeint ist, nicht als kompositorische Klammer zu Ex 1,9 auswerten, wo der Pharao behauptet, die Israeliten seien רב ועצום ממנו...„ עםein größeres und stärkeres Volk als wir“. Der Begriff עםhat in beiden Versen, wie auch das zusätzliche Adjektiv עצוםin Ex 1,9 unterstreicht, völlig andere Dimensionen (vgl. dazu auch Ede, Joseph Story, 15–21). 27 Vgl. Schmid, Datierung, 104–105; das Zitat befindet sich auf S. 104.
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4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG)
Die Nachforschungen zu den oben behandelten Textstellen fallen recht unterschiedlich aus: Für die in Gen 43,32b berichtete Abscheu der Ägypter, zusammen mit den Hebräern zu speisen, wird zwar immer wieder auf die Nachricht von Herodot verwiesen, dass ein Ägypter keine griechische Frau auf den Mund küssen und kein Fleisch verzehren darf, das mit einem griechischen Messer zerlegt wurde (Historien II, 41). Doch geht es hier eher um spezielle Reinheitsregeln und nicht um ein generelles Verbot, mit Ausländern zu speisen. Nach Michael Fieger und Sigrid Hodel-Hoenes gab es in Ägypten zwar unterschiedliche Restriktionen gegenüber dem Verzehr bestimmter Tiere (vgl. auch Ex 8,22), die aber vor allem die Priester betrafen, doch halten sie aus ägyptologischer Sicht fest: „Ein Verbot für Ägypter, mit Hebräern (oder anderen) zu essen, ist expressis verbis nicht zu belegen.“28 Wegen der fehlenden Kongruenz mit ägyptischen Verhältnissen vermuten sie und noch dezidierter Thomas Römer eine Inversion bzw. ironische Verdrehung jüdischer Reinheitsvorschriften,29 was aber wohl etwas gewagt ist und eine nachexilische Datierung des Textes voraussetzt. Denn von Ironie ist in der knappen Notiz nichts zu spüren; und eher könnte man mit Claus Westermann sagen, dass „das sich hier zeigende Staunen über solche Exklusivität in den ägyptischen Tischsitten … nur in der Frühzeit Israels möglich“ sei,30 als dort noch keine rigiden Speisegebote galten. So hat die alte Vermutung von Heinrich Holzinger immer noch viel für sich, dass „der Erzähler … sich den ihm bekannten Hochmut der Ägypter gegenüber allem Ausländischen in dieser Weise zurechtgelegt“ habe.31 D. h. die kulturgeschichtliche Notiz in Gen 43,32b entspringt – nach allem, was wir zur Zeit wissen – nicht einer zutreffenden internen Kenntnis ägyptischer Verhältnisse; es handelt sich eher um eine erfundene Projektion, die aus der Außensicht vorgenommen worden ist. Etwas mehr Anhalt in der Realität hat die ähnlich formulierte kulturgeschichtliche Notiz in Gen 46,34bβ, dass die Ägypter eine Abscheu gegenüber allen Kleinvieh-Hirten hegen. Ein solch generelles negatives Werturteil gegenüber Hirten lässt sich zwar wieder nicht aus ägyptischen Quellen belegen.32 Wohl aber wissen wir, dass die Ägypter wie alle Bewohner der alten Flusskulturen auf die fremden Nomaden vor ihrer Haustür mit Verachtung herabblickten und deren Eindringen in das Deltagebiet streng zu kontrollieren suchten.33 Wahrscheinlich S. Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 247. Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 247, und Römer, Joseph approché, 85; Ders., Narration, 26. In Ders., Joseph Story, 194–195, spricht er dagegen zutreffender von einem Reflex ägyptischer Fremdenfeindlichkeit. 30 S. Westermann, Genesis III, 136. 31 S. Holzinger, Genesis, 249. 32 So explizit Seebass, Genesis III, 132; Lux, Josef, 186; vgl. Westermann, Genesis III, 187; Ebach, Genesis, 472. 33 So auch die Einschätzung von Vergote, Joseph, 188–189. Dillmann, Genesis, 440, dachte an eine Verachtung für fremde Nomaden; Redford, Study, 255, spricht von einem alten Hass 28 29
4.5 Der Realitätsbezug der aufgeführten ägyptischen Sitten und Gebräuche
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spiegelt sich auch hier eine typische israelitische Außenperspektive wieder.34 Die Notiz entspringt kaum Erfahrungen von Juden, die schon länger in Ägypten lebten. Dazu ist sie zu ungenau. Dagegen war die in Gen 41,45a angesprochene Praxis, Ausländern ägyptische Namen zu geben, weit verbreitet. Allein aus dem Neuen Reich sind 680 Frauen und Männer namentlich bekannt.35 Allerdings ist eine solche Praxis keineswegs auf Ägypten beschränkt, sondern findet sich auch in anderen Kulturen (vgl. nur Dan 1,7). Zudem drückt eine „Nostrifkation“ durch den Pharao, die Joseph widerfuhr, eine ganz besondere Ehre aus, die nur ganz wenigen offenstand. Sie kann darum nur bedingt als Beispiel für eine übliche Akkulturation gelten. Sofern die ägyptologische Deutung des Namens Zophnat-Paneach, den Joseph erhielt, mit „Der Gott spricht: Er möge Leben“ zutrifft, hat die Umbenennung einen programmatischen Charakter, der über die bloße kulturelle Integration eines normalen Diasporajuden weit hinausweist.36 Am ehesten könnte man die Heirat Josephs mit der Priestertochter Asenat als Beispiel für eine gelungene Integration eines Israeliten in die ägyptische Gesellschaft ansehen. Doch auch hier sind die genaueren Umstände in Betracht zu ziehen: Es ist nicht Joseph, der sich um eine solche Akkulturation bemüht, sondern es ist der Pharao, der ihn verheiratet, und zwar nicht mit irgendjemanden, sondern mit einer Tochter aus dem berühmten Priestergeschlecht von On, dem religiösen Zentrum von Unterägypten. Michael Fieger und Sigrid Hogel-Hoenes schreiben dazu: „Es musste dem damaligen Publikum nicht erläutert werden, dass Josef in eine der besten Familien Ägyptens einheiratete, vielleicht sogar in die erweiterte Königsfamilie selbst.“37 Die Heirat war somit ein politischer Gnadenakt. Er hat mit Akkulturation so wenig zu tun wie diplomatische Heiraten, welche die Herrscher arrangierten (vgl. 1 Kön 11,19). Mit ihm ließ der Pharao Joseph in die höchste Machtelite Ägyptens aufsteigen und band ihn zugleich in seinen Herrschaftsapparat ein. Es geht darum völlig fehl, wenn Thomas Römer diese politische Heirat Josephs mit dem Satz interpretiert: „Le héros devient le gendre d’un prêtre égyptien. Joseph pratique ainsi les marriages mixtes contre lesquelles Esdras et Néhémie … luttent avec ferveur.“38 Denn erstens wird die Heirat vom Pharao verfügt, Joseph selber wird dazu gar nicht gefragt. Und zweitens gehört es gerade zu den Auffälligkeiten des Textes, dass diese Einheirat Josephs in die höchste ägyptische Aristokratie mit keiner Silbe negativ bewertet
gegen die Beduinen. Zur Grenzkontrolle vgl. den ramessidischen Musterbrief bei Weippert, Textbuch, 173–174. 34 Ähnlich Lux, Josef, 186–187. 35 Vgl. Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 188. 36 Vgl. oben S. 20. 37 S. Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 203. 38 S. Römer, Narration, 25–26.
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4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG)
wird.39 Auch von einer Polemik ist nicht das Geringste zu spüren.40 Horst Seebass schließt aus dieser Auffälligkeit: „Daß Josephs Heirat mit offenkundiger Billigung erzählt wird, kann wohl nur vordeuteronomisch erklärt werden.“41 Mit der Nennung Ons (Heliopolis) führt der Verfasser der EJG übrigens den einzigen ägyptischen Städtenamen in die Josephsgeschichte ein. Doch um den Namen dieses kultischen Zentrums von Unterägypten zu wissen, brauchte man nicht intern mit den ägyptischen Verhältnissen vertraut sein. Ihn konnte man auch außerhalb Ägyptens kennen (Ez 30,17). Es bleibt dabei: Die Heirat Josephs mit Asenat hat, so wie sie dargestellt wird, mit dem Akkulturationsphänomen wenig und mit der Mischehenproblematik nichts zu tun. In dem ausführlichen Bericht von Josephs Reform des ägyptischen Staates, den der Verfasser der EJG einfügte (Gen 47,13–26), hat nur das Ergebnis, dass am Ende dem Pharao das ganze Land samt seiner Bevölkerung gehört, einen Anhalt in der textexternen ägyptischen Realität. Es entspricht der grundlegenden ägyptischen Staatsidee, die sich als Ideal durch alle Epochen der ägyptischen Geschichte hindurch zog. „From the first Dynasty to Ptolemaic times the king was, in theory, the owner of the land of Egypt,“ konstatiert der Ägyptologe Donald Redford.42 Und Michael Fieger und Sigrid Hodel-Hoenes assistieren: „Dem Dogma nach gehörten alles Land und alle Leute dem Pharao. Er steht einem straff organisierten, zentral gelenkten Staatsgebilde vor. Er bildet quasi die Spitze der Pyramide; unter ihm befinden sich die Beamten und Priester, den breiten Sockel stellt die Masse des Volkes dar. Es wird hier ein Idealzustand geschildert, der in Ägypten so wohl nie oder nur selten existierte.“43 Wenn der Autor der EJG allerdings selbstbewusst Joseph zum Begründer dieses ägyptischen Staatsdogmas macht, das in Epochen zurückreicht, als Israel auch nicht ansatzweise existierte, dann handelt es sich eindeutig um eine unhistorische Erfindung. Fieger/Hodel-Hoenes vermuten zu Recht, dass die zentrale Aussage des Berichts, nämlich dass am Ende alles dem König gehört, „für die in Ägypten 39 Diese Auffälligkeit wird von fast allen Auslegern notiert: vgl. Gunkel, Genesis, 439; von R ad, Genesis, 331; Westermann, Genesis III, 100; Ebach, Genesis, 254. Gerade die Tatsache, dass der Roman Joseph und Asenet, der aus dem hellenistischen Judentum des 1. Jhs. n. Chr. stammt, auf einer Konversion Asenats zum Judentum besteht, macht die Differenz zur Schilderung in der EJG deutlich. 40 Es war erst ein noch späterer Bearbeiter, von dem die Passagen zu den Joseph-Söhnen (Gen 41,50–52; 48,1–2.8–14.17–20) stammen, der erstmals ein Problem in der Heirat Josephs mit einer Ägypterin entdeckte, das aber nicht etwa die Ehe als solche, sondern die aus ihr hervorgehenden Kinder betraf. Waren sie Ägypter oder Israeliten? Mit der Segnung der halbägyptischen Sprösslinge Ephraim und Manasse durch den Stammvater Jakob wurde nach seiner Auffassung deren Eingliederung in den israelitischen Stammesverband sichergestellt. Der priesterliche Bearbeiter, auf den die Verse 48,3–7 zurückgehen, verstärkte diese Israelitisierung dadurch, dass er Jakob die beiden genannten Josephsöhne förmlich adoptieren ließ. 41 Vgl. Seebass, Genesis III, 72. 42 S. Redford, Study, 236. 43 S. Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 316–317.
4.5 Der Realitätsbezug der aufgeführten ägyptischen Sitten und Gebräuche
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ansässigen Juden … nichts Sensationelles gewesen sein“ dürfte. Für die im Lande Lebenden war die ägyptische Staatsidee bekannt und allzu selbstverständlich. Wenn die beiden aber fortfahren: „Es ist dies eine Staatsform, die anderen fremd und unverständlich bleiben musste,“44 dann stützen sie die Annahme, dass auch der Bericht von Josephs Staatsreform wahrscheinlich aus der Außenperspektive und für Adressaten außerhalb Ägyptens verfasst worden ist. Denn nur aus dieser Perspektive und für solche Adressaten stellte die ägyptische Staatsform etwas Besonderes dar, was das Interesse erweckte. Abgesehen von dieser Staatsidee lassen sich für die einzelnen Reformmaßnahmen Josephs keine eindeutigen ägyptologische Belege beibringen. Dies gilt erstens für die Steuerbefreiung des Tempellandes und der Priester, von der in Gen 47,22.26 die Rede ist. Die Passage aus dem Papyrus Ryland IX, 6,16, die Redford für eine Steuerbefreiung der Priester in der Saïtenzeit auswertet,45 handelt nur von der Feststellung, dass die Steuerbefreiung nicht eingehalten wurde.46 Sie belegt höchstens, dass Steuererleichterungen für die Tempel ein gewisses Ideal darstellten, auf das man sich berufen konnte.47 Auch die Nachricht von Herodot, die gerne herangezogen wird (Historien II, 168), handelt eigentlich von Privilegien, welche die Krieger in Ägypten erhielten, und erwähnt solche für Priester nur pauschal nebenbei.48 Die einzige klare Übereinstimmung mit einem Erzählzug aus Gen 47,22, nämlich eine königliche Gehaltszahlung an die ägyptischen Priester, stammt erst von dem griechischen Historiker Diodorus Siculus aus dem 1. Jh. v. Chr. (Bibl.hist. I, XXI, 7). Aber sie gilt erst für die ptolemäische Epoche! Doch deswegen den biblischen Text erst in eine so späte Epoche ansetzen zu wollen,49 wäre bei einem Bericht, der von seiner ganze Anlage her eindeutig unhistorische Züge aufweist, etwas gewagt. Eher legt sich die Annahme nahe, dass der Verfasser wohl etwas von den Privilegien wusste, die zeitweise den Tempeln und Priestern in Ägypten gewährt wurden, und daraus seine idealtypische Darstellung erfand. Dafür spricht auch, dass sich zweitens für eine 20-prozentige Ertragssteuer, die Joseph in Ägypten eingeführt haben soll (41,34b; 47,24.26), keine außerbiblischen Belege beibringen lassen, auch für die ptolemäische Epoche nicht.50 Nach den wenigen aussagekräftigen Zeugnissen, die wir besitzen, konnten die Steuern über die Zeiten durchaus niedriger, aber auch erheblich höher sein.51 Hier handelt es sich wohl ebenfalls um eine Erfindung des biblischen Verfassers. So stellt sich der textexterne Bezug auf die 44 Beide
Zitate befinden sich in Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 316. Redford, Study, 238. 46 So Schmitt, Josephsgeschichte, 141 Anm. 253; ähnlich Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 317; Römer, Inventeur, 34. 47 Vgl. Vergote, Joseph, 191. 48 Vgl. Römer, Inventeur, 33. 49 Diesen Schritt geht Römer, Inventeur, 31–34. 50 Vgl. Redford, Study, 237–238; Römer, Inventeur, 33. 51 Vgl. Redford, Study, 237. 45 Vgl.
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4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG)
ägyptische Realität auch für den Bericht in 47,13–26 als so brüchig dar, dass er kaum auf konkrete Kenntnisse von dort lebenden Juden zurückgeht. Vielmehr hat hier der Verfasser der EJG aus dem Wenigen, was er über die Besonderheiten des ägyptischen Staatswesens aus der Außenperspektive wusste, eine effektvolle und leicht karikierende Darstellung von einer Herrschaftsausübung geformt, die er als Kontrast zum israelitischen Verständnis von Herrschaft benötigte. Für sich genommen könnte man den Erzählzug, dass Joseph seinen Vater einbalsamieren lässt (Gen 50,2–3), als ein Beleg dafür sehen, dass der Verfasser der EJG die volle Akkulturation seines Protagonisten an die ägyptische Kultur beschreiben und damit auch auf Erfahrungen seiner jüdischen Adressaten aus dem ägyptischen Milieu eingehen wolle. Doch zeigt der Vergleich mit den Schilderungen Herodots (Historien II, 86–89) und der ägyptischen Quellen, dass der biblische Verfasser nur über rudimentäre Kenntnisse der ägyptischen Mumifizierungsbräuche verfügte. Seine Vorstellung, dass Joseph seine Ärzte die Einbalsamierung Jakobs habe vornehmen lassen (V. 2), lässt eine Kenntnis darüber vermissen, dass die Ägypter klar zwischen dem Berufstand der Ärzte (swnw) und dem der Einbalsamierer (wt) unterschieden und dass normalerweise nur den letzteren die Aufgabe oblag, die Mumifizierung von Leichen vorzunehmen.52 Der biblische Verfasser erwähnt nicht, dass dem Einbalsamierer dabei ein Priester assistierte,53 der die nötigen magischen Abwehrrituale vollzog und den mumifizierten Toten auf sein Leben im Jenseits vorbereitete. Entweder wusste er nichts davon, oder er überging es absichtlich, was auf eine gewisse Distanzierung von der ägyptischen Gedankenwelt hindeuten würde. Seine Vorstellung, dass die Einbalsamierung Jakobs 40 Tage gedauert habe (V. 3), entspricht nicht den bislang bekannten ägyptischen Quellen, nach denen das Ritual in der Regel 70 Tage in Anspruch genommen hat,54 eine Zahl, die der biblische Autor für die gesamte Trauerzeit in Anschlag bringt. So hat er entweder die ihm bekannten Informationen verwechselt oder aber ganz bewusst eine seiner israelitischen Symbolwelt näher liegende Zahl in den ägyptischen Ritus eingetragen.55 Eine solche Anpassung an die israelitische Vorstellungswelt liegt ja dann auch in V. 7 vor, wo der Autor bei seiner Schilderung der Überführung des Leichnams mit „Ältesten“ am pharaonischen Hof und im Lande Ägypten rechnet, wie er sie aus seiner heimischen Stammesgesellschaft kennt. 52 Vgl. Redford, Study, 240; Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 340; erst in der hellenistisch-römischen Zeit ging die Terminologie durcheinander. 53 Vgl. Redford, Study, 240; Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 339. 54 Vgl. Vergote, Joseph, 199; Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 340; Gunkel, Genesis, 488; Westermann, Genesis III, 225. 55 Vgl. Vergote, Joseph, 200; Redford, Study, 241; Seebass, Genesis III, 193; Ebach, Genesis, 646. Nach den ägyptischen Quellen dauerte allein schon die Entwässerung des Leichnams, dem man zuvor das Gehirn und die Eingeweide entnommen hatte, mithilfe von Natronsalz etwa 35 Tage.
4.5 Der Realitätsbezug der aufgeführten ägyptischen Sitten und Gebräuche
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Der Verfasser der EJG verfügte somit offenbar über keine genauen und umfassenden Kenntnisse über die typisch ägyptische Sitte der Einbalsamierung, die ihm etwa aus dem Milieu jüdischer Einwanderer nach Ägypten zur Verfügung gestanden hätten. Und falls er mehr wusste, wählte er selektiv aus und näherte seine Schilderung israelitischen Vorstellungen an. Der gesamte Horizont ägyptischer Jenseitsvorstellungen wurde ausgeblendet. Insofern blieb die Anleihe bei der ägyptischen Sitte rein äußerlich. Der Verfasser wollte keine volle Akkulturation Josephs beschreiben. Vielmehr diente ihm ausgerechnet der Rückgriff auf die speziell ägyptische Sitte der Einbalsamierung dazu, die langwierige Rückführung der sterblichen Überreste des Ahnvaters Israels aus dem ägyptischen Kulturbereich in die kanaanäische Heimat sicherzustellen. Problemstellungen, die sich aus einer länger anhaltenden Diasporaexistenz in Ägypten hätten ergeben können, hatte der Verfasser bei seiner Beschreibung der Einbalsamierung Jakobs nicht im Blick. Wir können also als Ergebnis festhalten: Es hat sich gezeigt, dass das Ägyptenbild, das die EJG zeichnet, sehr wahrscheinlich weder auf genauere Kenntnisse von den in Ägypten lebenden Juden zurückgeht, noch auf deren Probleme eingehen will, sondern unter Verwendung einiger lückenhafter Informationen aus israelitischer Sicht von außen her entworfen wurde. Obgleich die EJG den Besonderheiten des ägyptischen Staatswesens und der ägyptischen Kultur eine größere Aufmerksamkeit als die JG zuwendet, Joseph mit seiner Heirat und beim Begräbnis seines Vaters stärker als diese in die ägyptische Welt integriert und damit der Ägyptenthematik formal ein höheres Gewicht einräumt, zielt dies alles, sieht man genauer hin, paradoxerweise gerade darauf ab, Ägypten und Israel stärker voneinander abzugrenzen, ja sogar in Distanz oder in Kontrast zu setzen. Das „elaborierte Ägyptenbild“ hat nicht, wie Konrad Schmid annahm, den Zweck, „Ägypten als möglichen Lebensraum für Israel“ zu zeichnen.56 Im Gegenteil, es soll deutlicher, als es die JG vermochte, die Ägypten als bloßen Repräsentanten staatlicher Herrschaft begriff, herausarbeiten, dass Ägypten und Israel in zwei verschiedene Lebensräume gehören, zwei unterschiedliche Vorstellungen von Herrschaft vertreten und kulturell voneinander abgegrenzt sind. Ägypten und Israel gingen nicht, wie man die JG vielleicht missverstehen konnte, ineinander auf, sondern Israel wurde – dank Josephs Einfluss – zu einem von Ägypten geachteten Gegenüber. Von daher konnte auch für den Verfasser der EJG, selbst wenn er die Zeit des Ägyptenaufenthalts der Jakobsfamilie über die Jahre der Hungersnot ausweitete, grundsätzlich nur eine begrenzte sein. Das bedeutet: Auch auf ihrer erweiterten Stufe wird die Josephsgeschichte trotz ihrer vermehrten Ägyptenbezüge nicht zur Diasporanovelle, die die Vertreter des zweiten Auslegungstyp in ihr sehen möchten. Vielmehr wird auf dieser Stufe die Herrschaftsthematik, welche die Vertreter des ersten Auslegungstyp S. Schmid, Datierung, 104.
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4. Die Thematik der erweiterten Josephsgeschichte (EJG)
in den Vordergrund rückten, in der Weise dadurch weiter akzentuiert, dass dem ägyptischen Ideal einer absolutistischen pharaonischen Zentralherrschaft selbstbewusst das israelitische Konzept einer durch Gott begrenzten politischen Herrschaft gegenübergestellt wird.
4.6 Ein Zwischenresümee Eine diachrone Differenzierung zwischen der ursprünglichen (JG) und erweiterten Josephsgeschichte (EJG), wie sie oben literarkritisch begründet und thematisch entfaltet wurde, führt damit zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn, dessen wichtigste Punkte hier noch einmal knapp zusammenfassend aufgelistet werden sollen: 1. Die Differenzierung ermöglicht erstmals eine eindeutige literaturgeschichtliche Einordnung des Berichts von Josephs ägyptischer Wirtschafts‑ und Staatsreform (Gen 47,13–26), über dessen Zugehörigkeit zur Josephsgeschichte in der Forschung bisher eine große Unsicherheit herrschte.57 Es hat sich gezeigt: Der Text ist sekundär in das ursprüngliche Ende der JG eingeschoben, bildet aber eine Säule der EJG. 2. Die Differenzierung liefert eine einfache Erklärung, wie es dazu kommen konnte, dass die vorliegende Josephsgeschichte nicht – wie formkritisch üblich – nur über einen erzählerischen Höhepunkt (Gen 45,1–24), sondern noch über einen zweiten in 50,15–21 verfügt. Der Verfasser der EJG hat diese Verdoppelung vorgenommen, um die Herrschaft Josephs über seine Brüder gegenüber der Herrschaftsform, die er in Ägypten etablierte (47,23–25), kritisch abgrenzen zu können (50,18–19). 3. Die Differenzierung liefert eine Lösung des überlieferungsgeschichtlichen Problems, wie es sein kann, dass die Josephsgeschichte alle Merkmale einer ehemals eigenständigen Großerzählung aufweist, aber dennoch die Funktion einer Brücke zwischen der Väter‑ und der Exodusüberlieferung übernehmen konnte. Die JG rechnet nur mit einem ganz kurzen Aufenthalt der Jakobsfamilie in Ägypten während der fünf verbleibenden Jahre der Hungersnot (Gen 45,6.11). Sie ist gegenüber der Exodusgeschichte noch völlig selbständig, was sich auch an dem zu ihr völlig konträren Ägyptenbild zeigt. Erst die EJG erweitert den Zeitraum des Ägyptenaufenthalts ein Stück weit und schafft, indem sie den verstorbenen Stammvater Jakob aus Ägypten wieder in die Heimat zurückführt (50,1–11), zumindest die gedankliche Voraussetzung dafür, später die Ägyptenaufenthalte der nächsten Generation aus der Josephsgeschichte und der Exodusgeschichte zusammenfließen zu lassen, auch wenn die konträren Ägyptenbilder ein Problem bleiben. S. oben S. 15–16.
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4.6 Ein Zwischenresümee
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4. Die diachrone Differenzierung zur EJG zu Gen 39 und anderen späteren Erweiterungen erlaubt es, die Thematik der JG klarer zu beschreiben, als es bisher möglich war. Es geht in ihr um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit staatlicher Herrschaft aus familiärer Perspektive, und zwar keineswegs nur um deren lebenserhaltende Wirkung in schwerer Krise, die jene letztlich rechtfertigt, sondern auch um ihre irritierenden und bedrohlichen Seiten. Ursprungsgeschichtlich geht es um den Hegemonieanspruch des Nordreichs über ganz Israel. Demgegenüber spielt Ägypten im Handlungsbogen der JG eine weniger gewichtige Rolle. Auf Besonderheiten Ägyptens wird in der JG nur selten und eher unspezifisch eingegangen. Ägypten repräsentiert in der JG vor allem die Staatsmacht, die es in der familiären Welt der Ursprungsgeschichte Israels noch nicht gibt; daneben ist es Zufluchtsort für die Zeit der Hungersnot, nicht aber Lebensraum auf Dauer. Der zeitlich eng begrenzte Aufenthalt der Jakobsfamilie in Ägypten kommt in der JG nur ganz am Rande in den Blick. 5. In Differenzierung zur JG lässt sich auch das Profil der EJG klar herausarbeiten: Gegenüber der JG vermehrt die EJG die Bezüge auf Besonderheiten des ägyptischen Staates und seiner Kultur erheblich, aber dies dient nicht, wie man denken könnte, dazu, den Aufenthalt der Jakobsfamilie in Ägypten breiter auszuleuchten. Eine genauere Analyse zeigt vielmehr, dass der Verfasser der EJG diese vermehrten Bezüge gerade zu dem Zweck benutzt, Israel von Ägypten deutlicher, als es in der JG geschehen war, in lokaler, politischer und kultureller Hinsicht abzugrenzen. Israelitisches und ägyptisches Herrscherverständnis werden zueinander in Kontrast gesetzt. Israel wird über den Stammvater als von Ägypten geachtetes Gegenüber zu dieser Großmacht aufgebaut. Dagegen spielen in der Darstellung Probleme, die vielleicht für eine jüdische Diaspora in Ägypten von Interesse wären, etwa der Grad und die Grenze der Akkulturation oder das Problem von Mischehen,58 keine Rolle. 6. Weil damit die vorgenommene diachrone Differenzierung der Josephsgeschichte eine präzisere Bestimmung der erzählerischen Funktion und der Bedeutung der Ägyptenbezüge erlaubt, als dies bisher bei einer stärker synchronen Sicht möglich war, hilft sie dabei, die Kontroverse zwischen den beiden konkurrierenden Auslegungstypen mit exegetischen Mitteln einer Entscheidung zuzuführen. Dem zweiten Auslegungstyp, der die Josephsgeschichte als Diasporanovelle zu verstehen suchte, wird durch sie weithin die textliche Grundlage entzogen. Dagegen ermöglicht sie, den ersten Auslegungstyp, der die Herrschaftsthematik in den Mittelpunkt rückte, breiter zu begründen, umfassender auszubauen und konzeptionell genauer zu spezifizieren.
58 So etwa in Texten, die wahrscheinlich wirklich einen Diasporahintergrund haben, wie etwa Dan 3; 6 (besonders in der Version der LXX); Est 3,1–5; 4,9–17; Tob 1,11; 4,12–13 u. ö.
5. Die Datierung der Josephsgeschichte Eine Entscheidung über die kontroversen Auslegungstypen kann allerdings erst dann getroffen werden, wenn über die stark divergierenden Datierungsvorschläge für die Josephsgeschichte eine methodische Klärung und ein gewisses Einvernehmen erreicht werden kann. Es ist vor allem die einflussreiche Studie des Ägyptologen Donald B. Redford gewesen, welche in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgrund einer detaillierten Untersuchung des sprachlichen Befundes und des Ägyptenbildes der Josephsgeschichte, die bis dahin weithin übliche Datierung der Josephsgeschichte in die frühe Königszeit in Frage stellte und mit ihrer eher weitläufigen Ansetzung in die Zeit zwischen 650 und 425 v. Chr. die Tür für ihre Deutung als Diasporanovelle aufstieß. Er schrieb: „This time span puts us into the period when the Diaspora with all its consequences was a reality.“1 Doch während sich Redford noch scheute, aus einer solchen Datierung eine thematische Ausdeutung der Josephsgeschichte als Diasporanovelle abzuleiten,2 haben dann einige Theologen diesen Schritt ohne Zögern vollzogen: Für den Begründer der Hypothese, Arndt Meinhold, bildete Redfords Datierung eine willkommene Bestätigung seiner Ansicht, dass die Josephsgeschichte und das Estherbuch in der Tat der gleichen nachexilischen Gattung der „Diasporanovelle“ angehörten.3 Für Thomas Römer folgte aus der Spätdatierung der Josephsgeschichte mehr oder minder direkt ihre Bestimmung als Diasporanovelle.4 Der zweite Auslegungstyp schien somit den großen Vorteil zu bieten, die Herausforderung, die Redfords Spätdatierung der Josephsgeschichte für die alttestamentliche Forschung darstellte, positiv aufzunehmen und sogar noch mit einer theologischen Deutungsmöglichkeit auszustatten.
So Redford, Study, 250. Study, 250, fragt nur vorsichtig: „Do we hear a faint echo of the Exile in the story of a boy, sold as a slave into a foreign land …?“ Doch war für ihn ein zeitgeschichtlicher Bezug der Josephsgeschichte kaum von Belang, weil er sie – zumindest in ihrer ursprünglichen Form – eher als zeitlose Märchen-Novelle verstand (a. a. O., 66–67). „The original Joseph Story seems to be nothing more than the Hebrew Version of the common motif of a boy who dreamed great things“ (a. a. O., 251). 3 Vgl. Meinhold, Gattung I, 310–311. 4 Vgl. Römer, Joseph approché, 84; Ders., Narration, 23–24. 1
2 Redford,
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
5.1 Eine kritische Überprüfung der nachexilischen Ansetzung In den nun gut fünfzig Jahren nach dem Erscheinen von Redfords einflussreicher Studie hat sich die Datenlage und deren Einschätzung soweit verschoben, dass eine neue kritische Überprüfung hinsichtlich ihrer Aussagekraft für eine Datierung der Josephsgeschichte angezeigt ist. Da in der Josephsgeschichte „harte“ Daten fehlen, die sich eindeutig historisch auswerten lassen, lässt sich eine Datierung nur über „weiche“ Indizien vornehmen. Darum ist die Argumentation notwendigerweise komplex. Sieben verschiedene Argumentationslinien lassen sich bei den Forschern, welche die Josephsgeschichte in die nachexilische Zeit datieren, unterscheiden: 1. Datierung aufgrund sprachlicher Indizien, 2. Datierung aufgrund des Ägyptenbildes, 3. Datierung aufgrund der ägyptischen Namen, 4. Datierung aufgrund interner Motive, 5. Datierung aufgrund von Motiventsprechungen mit anderen Diaspora-Erzählungen, 6. Datierung aufgrund der innerbiblischen Bezeugung der Josephsgeschichte und 7. Datierung aufgrund der literarischen Stratigraphie. 5.1.1 Datierung aufgrund sprachlicher Indizien Redfords lexikographische Untersuchung, dass 52 Worte und Wendungen der Josephsgeschichte überhaupt oder in dieser Bedeutung sonst nur noch in exilischen und nachexilischen Texten der Hebräischen Bibel belegt sind,5 wirkt zwar auf den ersten Blick recht eindrucksvoll, weist aber erhebliche Probleme auf. Schon Hans-Christoph Schmitt hat die häufig viel zu geringe statistische Basis angemerkt, um valide sprachgeschichtliche Aussagen machen zu können.6 Noch grundlegender ist der methodische Einwand, dass die Bücher der Hebräischen Bibel nur einen kleinen Prozentsatz der gesprochenen oder literarisch verwendeten Sprache abbilden und darum immer die Gefahr von Zufallsbefunden im Raum steht. Als ein Beispiel sei hier nur das Wort משמר ׁ genannt, das in der JG durchgängig für das Gefängnis bzw. die Arrestzelle verwendet wird (Gen 40,3.4.7; 41,10; 42,17.19), sonst aber nur in späten priesterlichen Texten belegt ist (Lev 24,12; Num 15,34).7 Doch dass der Begriff zumindest in spät-vorexilischer Zeit nicht unbekannt war, zeigt inzwischen ein Ostracon aus Arad.8 Mit Jan Joosten und Konrad Schmid kann man die Sprachgestalt der Josephsgeschichte dem „Classical Biblical Hebrew“ (CBH) zuordnen, die auffälligerweise nur wenige ägyptische, aber eine ganze Anzahl akkadischer und aramäischer Lehn Vgl. Redford, Study, 54–64. Vgl. Schmitt, Josephsgeschichte, 131–133. 7 Vgl. Redford, Study, 58, Nr. 12. 8 S. Arad(6)111,2, vgl. Renz/Röllig, Epigraphik I, 402, leider wird aus dem zerbrochenen Kontext nicht deutlich, ob mit dem Begriff die Wachmannschaft oder das Gefängnis gemeint ist. 5 6
5.1 Eine kritische Überprüfung der nachexilischen Ansetzung
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worte aufweist.9 Diese Sprachgestalt ist allerdings keineswegs auf die vorexilische Zeit beschränkt, sondern fand – zumindest für die Texte des Pentateuch – wohl bis zum Ende des 5. Jhs. v. Chr. Verwendung.10 Wenn aber nun in Gen 42,6 das aramäische Lehnwort „ ׁשליטMachthaber“ begegnet, das sonst nur noch im hebräischen Buch Kohelet (Koh 7,19; 10,5) und im aramäischen Danielbuch (Dan 2,15; 5,29) vorkommt, zwei Texten, die aus der zweiten Hälfte des 3. bzw. dem Anfang des 2. Jhs. v. Chr. stammen, dann scheint dies den angesprochenen zeitlichen Rahmen völlig zu sprengen. Redford meint allerdings, auch diesen Befund für eine Spätdatierung der Josephsgeschichte verwenden zu können.11 Andere wollen ihn als späte Glossierung aus der Josephsgeschichte ausscheiden,12 was aber literarkritisch nicht angezeigt ist.13 Doch anstatt aufgrund eines sperrigen lexikographischen Befundes die Josephsgeschichte in eine Zeit datieren zu wollen, in welcher der Pentateuch insgesamt längst abgeschlossen war,14 ist es wohl doch näherliegend, die Anleihe ans Aramäische aus einer früheren sprachlichen Nähe des im Norden Israels gesprochenen Hebräisch zu dieser Nachbarsprache zu erklären,15 auch wenn das Wort ׁשליטbislang im Altaramäischen noch nicht belegt ist. Immerhin wird der Begriff ŠLYṬ schon im Ugaritischen als Epitheton eines Chaosmonsters verwendet.16 Aufgrund solcher und anderer offensichtlicher Schwierigkeiten räumt inzwischen sogar einer der Promotoren der Spätdatierung, Thomas Römer, ein, dass nicht alle sprachlichen Belege, die Redford auflistete, immer überzeugend sind.17 Dann kann diese Liste aber auch nicht mehr – jedenfalls nicht mehr ohne eine nähere Spezifierung – als Grundlage für eine nachexilische Datierung der Josephsgeschichte verwendet werden.
Vgl. Joosten, Linguistic Dating, 41–43; Schmid, Datierung, 101. Blum, Linguistic Dating, 311–314; Albertz, Pentateuchstudien, 436–439. 11 Vgl. Redford, Study, 61, Nr. 35. 12 Vgl. z. B. Gunkel, Genesis, 442; Westermann, Genesis III, 111. 13 So richtig Seebass, Genesis III, 86. Die Wahl dieses Begriffs hat die rhetorische Absicht, die Fremdartigkeit der Herrschergestalt Josephs zu betonen, als er seinen Brüdern zum ersten Mal gegenübertritt, s. oben S. 41. 14 Vgl. nur die Vorrede des griechischen JesSir V. 1–2, die für den Anfang des 2. Jhs. v. Chr. die Existenz der Kanonteile Gesetz und Propheten bezeugt, und die Septuaginta-Übersetzung des Pentateuchs, die wahrscheinlich in der Mitte des 3. Jhs. v. Chr. stattfand. 15 Vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, 503–504 Anm. 4. Joosten, Linguistic Dating, 32–34, vermutet hier eine ad hoc geschehene Modernisierung des Textes durch einen perserzeitlichen Schreiber für den sonst gebrauchten hebräischen Begriff משל ׁ „Herrscher“ (Gen 45,8.26; vgl. 37,8). Doch auch für ihn können die wenigen sonst nur spät bezeugten Begriffe in der Josephsgeschichte (neben ׁשליטnoch „ מזוןSpeise“ in 45,23) den überwältigenden Eindruck nicht verkehren, dass diese auf die sprachgeschichtliche Stufe des „Classical Biblical Hebrew“ gehört. 16 Vgl. KTU 1.2 III, 42 (TUAT II/6, 1143): „der Machthaber mit den sieben Köpfen“; vgl. Seebass, Genesis III, 86. 17 Vgl. Römer, Narration, 23 Anm. 33. 9
10 Vgl.
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
5.1.2 Datierung aufgrund des Ägyptenbildes Die zweite Argumentationslinie Redfords lief über Merkmale des in der Josephsgeschichte vermittelten Ägyptenbilds. Doch zeigt sich auch hier, dass die Befunde nicht eindeutig oder sogar fraglich sind. Dies wird schon daran deutlich, dass Redford mit seiner Datierung einen relativ weiten Zeitraum angeben muss (650 bis 425 v. Chr.), um alle seine Beobachtungen unterbringen zu können, und dass ein anderer Ägyptologe, Jozef Vergote, bei seiner Untersuchung der gleichen Motive zu einer völlig anderen Datierung, nämlich in die Zeit der 19. Dynastie (1314–1200 v. Chr.) gelangen konnte.18 Die obigen Untersuchungen haben gezeigt, dass etwa für die Verleihung einer goldenen Ehrenkette, die bei Josephs Investitur erwähnt wird (Gen 41,42), die Fülle der ägyptologischen Belege eher auf die Zeit des Neuen Reiches weisen (1539–1070), aber dieser Brauch offenbar auch noch im 7. Jh. v.Chr geübt wurde.19 Und für die hinter Gen 47,13–26 stehende ägyptische Staatsidee, dass dem Pharao das ganze Land samt seinen Leuten gehört, ließ sich gar keine Periode zwischen dem Alten Reich und der ptolemäischen Zeit eingrenzen.20 D. h. für eine Datierung über den Vergleich mit bestimmten Bräuchen und Vorstellungen ist die stark traditional ausgerichtete ägyptische Kultur offenbar wenig geeignet.21 Hinzu kommt, dass einige Belege, die Redford für genauere Datierungen angeführt hat, etwa für eine Steuerbefreiung der Tempel in saïtischer Zeit (6. Jh. v. Chr.) in Bezug auf Josephs Reformmaßnahmen in Gen 47,22.26, in ihrer Interpretation korrigiert werden mussten. Inzwischen wurde einhellig festgestellt, dass die Passage in Papyrus Ryland IX, 6,16, auf die sich Redford dazu berief,22 nicht in einem solchen Sinn verstanden werden kann.23 Auch Redfords Ansicht, in demselben Papyrus lasse sich ein Hinweis für die Einführung einer 20-prozentigen Steuer in dieser Periode finden, wurde von der weiteren Forschung nicht geteilt.24 In seinen eigenen Ausführungen über eine nachexilische Datierung greift Thomas Römer zwei der Beobachtungen Redfords auf, die er offensichtlich für besonders aussagekräftig ansieht. Da ist zum einen der sprachliche Befund, 18 Vgl.
Vergote, Joseph, VI; vgl. die von ihm bevorzugte Datierung a. a. O., 216. oben S. 64–65. 20 S. oben S. 80–81. 21 Ob die eher lockeren Motiventsprechungen der Josephsgeschichte zur Achikar-Erzählung und zu der auf pBerlin 23071 fragmentarisch erhaltenen Vorform zur „Hungerstele“ hinreichen, wie Schipper, Egyptian Background of the Joseph Story, 14–20, meint, um eine Datierung der Josephsgeschichte in der Perserzeit zu begründen, ist doch wohl eher fraglich, zumal Schipper selber den keineswegs geringeren Motiventsprechungen zur Sinuhe-Erzählung jegliche Bedeutung für eine frühere Ansetzung der Josephsgeschichte abspricht (a. a. O., 9–11). 22 Vgl. Redford, Study, 238; Ders., Egypt, 426. 23 Vgl. Schmitt, Josephsgeschichte, 144 Anm. 33; Fieger /Hodel-Hoenes, Einzug, 317; Römer, Inventeur, 34; s. oben S. 81. 24 Vgl. Redford, Egypt, 426; er verweist hier auf Papyrus Rylands IX, 3,17–18; 15,3–4. Zum negativen Befund s. oben S. 81. 19 S.
5.1 Eine kritische Überprüfung der nachexilischen Ansetzung
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dass der Begriff „ פקידAufseher“, der in Gen 41,34 für Bedienstete des Pharao verwendet wird, in den ägyptischen Verwaltungsurkunden aus persischer Zeit sehr häufig vorkommt und sich sogar zu einem regelrechten terminus technicus für „the govenor of a township“ verfestigt.25 Doch ist die Aussagekraft dieses Befundes methodisch zu hinterfragen. Sie wäre nur dann gegeben, wenn man die Josephsgeschichte als eine ägyptische Quelle lesen könnte, die einen zu einer bestimmten Zeit in Ägypten üblich gewordenen Sprachgebrauch teilen würde. Doch ist dies kaum möglich. Im Gegenteil, die JG und auch die EJG haben sich oben als Texte erwiesen, welche einige ägyptische Bräuche und Vorstellungen aus der israelitischen Außenperspektive schildern.26 Um den Begriff פקידzu verwenden, brauchte der Verfasser der JG keine ägyptischen Urkunden der Perserzeit vor Augen haben. Vielmehr war der wohl aus dem Akkadischen stammende Begriff im Südreich schon Anfang des 6. Jhs. geläufig (Jer 20,1; 29,26; 2 Kön 25,19) und kann, wie die altaramäische Sfire Inschrift aus der Mitte des 8. Jhs. belegt (KAI 224,4.10.13), im Nordreich auch schon früher bekannt gewesen sein (vgl. Ri 9,28). So ist der besagte Befund kaum geeignet, eine Abfassung der Josephsgeschichte in der Perserzeit zu begründen. Zum anderen greift Thomas Römer das sachliche Motiv auf, dass Joseph seine Brüder in Gen 42,7.9.14 ausgerechnet als Spione verdächtigt, was nur in einer Situation einen Sinn ergäbe, in der sich Ägypten von einer äußeren Macht, die Palästina kontrolliert, bedroht gefühlt habe. Dies sei aber nur in der persischen (und auch hellenistischen) Epoche der Fall gewesen.27 Doch wie wenig zwingend solche politischen Erwägungen sind, kann die abweichende Einschätzung von Jan Alberto Soggins deutlich machen. Dieser gibt zu bedenken, dass während eines Großteils der persischen Epoche und dann noch einmal in der ptolemäischen Zeit Palästina und Ägypten unter der gleichen Oberherrschaft standen und dass darum erst das 2. Jh. v. Chr., als Palästina unter die Herrschaft der Seleukiden geriet, für eine Entstehung der Josephsgeschichte in Frage komme.28 Nach solchen Überlegungen wäre die lange persische Epoche von Kambyses bis zu Darius II. (525–404 v. Chr.) geradezu ausgeschlossen! Leider übersieht Soggin, dass es auch schon im 9.–8. Jh. eine Zeit gegeben hat, in der von Ägypten weitgehend unabhängige Kleinstaaten in Palästina existierten, darunter nicht zuletzt Israel und Juda. Jozef Vergote ist der Ansicht, dass die ägyptischen Quellen wenig zur Frage der Spionage beisteuern könnten.29 Eine deutlich stärkere Rolle scheint sie dagegen in den alttestamentlichen Erzählungen zu spielen (vgl. Num 21,32; Dtn 1,24; Jos 2,1; 6,25; Ri 18,2; 1 Sam 26,4; 2 Sam 10,3). So spricht doch viel 25 Vgl. Römer, Narration, 23, entsprechend Redford, Study, 207; ähnlich Schipper, Egyptian Background of the Joseph Story, 9. 26 S. oben S. 80–83. 27 Vgl. Römer, Narration, 23; Redford, Study, 232–233; Ders., Egypt, 427. 28 Vgl. Soggin, Dating, 15–16. 29 Vgl. Vergote, Joseph, 160–161.
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
dafür, dass es sich hier um ein gängiges israelitisches Erzählmotiv handelt, das überhaupt nicht zeitgeschichtlich ausgewertet werden kann. So lässt sich auch von dem in der Josephsgeschichte gezeichneten Ägyptenbild her kein zwingendes Kriterium für deren Datierung ableiten.30 5.1.3 Datierung aufgrund der ägyptischen Namen An sich könnte man von den in der Josephsgeschichte verwendeten ägyptischen Personennamen am ehesten einen zeitlichen Anhalt erwarten, da wir über die Geschichte der ägyptischen Namengebung recht gut informiert sind.31 Der Name Zophnat-Paneach, der Joseph in Gen 41,45 verliehen wird, gehört nach der weithin akzeptierten ägyptologischen Ableitung von Ḏd-p3-nṯr-iw=f-ʿnḫ mit der Bedeutung: „Der Gott spricht: er möge leben“ zur Gruppe der Geburtsnamen.32 Nach Redfords Untersuchung „the type begins in the 21st Dynasty, becomes very common in the ninth through seventh centuries B. C., thereafter peters out, though sporadic examples survive in the Greco-Roman times.“33 D. h. den Höhepunkt seiner Verbreitung erreicht dieser Namenstyp zwischen dem 9. und 7. Jh. v. Chr.; in der nachexilischen Periode wird er eher ungebräuchlicher. Etwas anders verteilen sich die Vorkommen der beiden Namensvarianten Potiphar für Josephs Herren (39,1) bzw. Potiphera für seinen Schwiegervater (41,45) mit der Bedeutung „Der, den (der Gott) Ra gibt“ (P3-di-p3-Rʿ). Sie gehören der Gruppe der Danknamen an. Nach Redfords Untersuchung beginnen die entsprechenden ägyptischen Personnamen „close of the New Kingdom, increase in frequency in the 21st and 22nd Dynasties, and become very common from the Kushite 25th Dynastie to Greco-Roman times.“34 In diesem Fall erstreckt sich der Höhepunkt der Verbreitung vom 7. Jh. bis weit in die nachexilische Periode; doch wird eine frühere Datierung, etwa ins 9. oder 8. Jh., als in Ägypten die 22. Dynastie regierte, von dem Befund keineswegs ausgeschlossen. Asenat, der Name der ägyptischen Frau, die Joseph in 41,45 angetraut wurde, fällt dagegen zeitlich aus dem Raster. Der entsprechende ägyptische Personenname Nś-N.t mit der Bedeutung „(der Göttin) Neith gehörig“, den man zu den Bekenntnisnamen 30 Dies Urteil bestätigt sich, wenn neuestens Guerin, Joseph Story, 120–123.136, u. a. von Beobachtungen zu ägyptischen Handelsgepflogenheiten her für eine Ausweitung der Entstehungszeit der Josephsgeschichte bis weit in die ptolemäische Epoche plädiert, d. h. eine Periode, die Römer, Joseph Story, 190, aus innerbiblischen Gründen eigentlich ausgeschlossen hatte. 31 Vgl. die bei Redford, Study, 228–231, angegebene Literatur, dazu Schipper, Egyptian Background of the Joseph Story, 9; Guerin, Joseph Story, 130–133. 32 Und zwar nach Guerin, Joseph Story, 130–131, zu den Geburtsnamen, die Neugeborenen gegeben wurden, die von der hohen Kindersterblichkeit bedroht waren. Camille Guerin betont, dass normalerweise der Name des Gottes genannt wird, dem das Kind sein Überleben verdankt. Dessen Ersetzung durch das Appellativ p3-nṯr „der Gott“ bringt sie mit dem jüdischen Monotheismus in Verbindung. 33 S. Redford, Egypt, 424; vgl. Ders., Study, 230–231. 34 S. Redford, Egypt, 424; vgl. Ders., Study, 228–229.
5.1 Eine kritische Überprüfung der nachexilischen Ansetzung
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rechnen kann, ist nach Redford ausdrücklich erst in griechisch-römischer Zeit belegt.35 Der Namenstyp als solcher ist dagegen im ganzen ersten Jahrtausend v. Chr. üblich. So trägt dieser dritte Personname für die Datierung wenig aus. Damit fördert der Vergleich mit der ägyptischen Namengebung zwar einige Anhaltspunkte zu Tage, die für eine Datierung der Josephsgeschichte verwendet werden können. Sie wurden jedoch von Redford etwas einseitig für eine Entstehung in der saïtischen und persischen Periode (664–331 v. Chr.) ausgewertet,36 was sich vom aufgezeigten Befund her nicht unbedingt nahelegt. Mögliche frühere Ansetzungen wurden gar nicht erwogen. Auf wie unsicherem Terrain Redford sich dabei bewegte, wird daran deutlich, dass er in einer späteren Veröffentlichung den Zeitraum, der sich aus der ägyptischen Namengebung für die Datierung der Josephsgeschichte ergibt, auf das 7. und 6. Jh. v. Chr. einschränkte37 und damit die persische Zeit ausschloss. So führt auch dieser spezielle Bereich des kulturellen ägyptischen Hintergrundes zu keiner eindeutigen Datierung. Schon gar nicht gibt er zwingende Kriterien für eine nachexilische Ansetzung der Josephsgeschichte an die Hand. Vielmehr wird man der Einschätzung Konrad Schmids zustimmen müssen, wenn er feststellt: „Das Ägyptenthema in der Josephsgeschichte ist zu diffus dargestellt, als dass sich daraus eindeutige Datierungsanhalte ableiten ließen.“38 Dies bedeutet aber: Die detaillierten ägyptologischen Erwägungen, die Donald B. Redford für eine späte Entstehung der Josephsgeschichte vorgetragen hat, können heute nicht mehr als gelungener Nachweis für ihre nachexilische Datierung betrachtet werden. 5.1.4 Datierung aufgrund interner Motive Es mag mit der gespürten Insuffizienz der vom ägyptischen Hintergrund her unternommenen Datierungsbemühungen zusammenhängen, dass viele Forscher bestrebt waren, stattdessen oder daneben weitere Argumentationslinien für eine exilische oder nachexilische Datierung der Josephsgeschichte aufzubauen. Eine davon stützt sich auf interne Motive. Das häufigste Motiv der Josephsgeschichte, dass immer wieder zur Bestimmung ihrer späten Entstehungszeit herangezogen wird, liegt in der „dauerhaften Übersiedlung Jakobs und seiner Söhne nach Ägypten,“ wie es etwa Rüdiger Lux formuliert.39 Selbst nach der Beisetzung Jakobs in Kanaan würden Joseph und seine Brüder sofort dorthin zurückkehren (Gen 50,14). Dies würde Lux’ Meinung nach die Exilierung nicht nur des Nordreichs, sondern auch des Südreichs voraussetzen, wobei er den Verrat und Ver S. Redford, Egypt, 424; vgl. Ders., Study, 229–230. Redford, Study, 231. 37 Vgl. Redford, Egypt, 424.429. 38 S. Schmid, Datierung, 108. 39 S. Lux, Josef, 229; vgl. ähnlich Ebach, Genesis, 688; Kratz, Komposition, 276; Römer, Joseph Story, 192; u. a. 35
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kauf Josephs durch seine Brüder mit der unsolidarischen Außenpolitik Judas im Syrisch-Ephraimitischen Krieg (734 v. Chr.) zusammenbringt. Lux begnügt sich damit, daraus bloß eine Datierung der Josephsgeschichte in die Exilszeit abzuleiten,40 andere gehen weiter hinab.41 Es muss jedoch ernsthaft in Frage gestellt werden, ob die Josephsgeschichte überhaupt von einer „dauerhaften Übersiedlung“ der Jakobsfamilie nach Ägypten handelt. Wie oben gezeigt, rechnet sie in ihrer ursprünglichen Form (JG) nur mit einem zeitlich eng begrenzten Aufenthalt während der noch verbleibenden fünf Hungerjahre. In ihrer erweiterten Fassung (EJG) wurde zwar der zeitliche Horizont des Aufenthalts etwas vergrößert, aber nur, um darstellen zu können, dass Israel und Ägypten, sowohl was ihre angestammten Wohnsitze als auch was ihre Herrschaftskonzeptionen betrifft, klar voneinander getrennt sind.42 Wenn Thomas Römer meint, eine vorexilische Datierung der Josephsgeschichte könne nicht erklären, warum Joseph bis zum seinem Tod in Ägypten bleibt,43 so ist dem zu entgegnen, dass der Vers Gen 50,26, wo dieser Tod berichtet wird, erst von einem späteren Redaktor, wahrscheinlich dem Hexateuchredaktor, stammt, der sicherstellen wollte, dass nach der Zusammenfügung von Josephs‑ und Exodusgeschichte, zumindest die Gebeine Josephs wieder ins gelobte Land zurückgeführt werden (vgl. Gen 33,19; 50,24–26; Ex 13,19; Jos 24,32).44 Dagegen weisen sowohl die JG (Gen 47,12.27a) als auch die EJG (50,21.22a) einen offenen Schluss auf. Sich vorzustellen, wie die Geschichte weitergehen könnte, bleibt dem Leser überlassen. Einen definitv dauerhaften Aufenthalt Josephs und seiner Familie in Ägypten wollen beide Versionen der Josephsgeschichte offenbar ganz bewusst nicht schildern. Jürgen Ebach möchte dieses angebliche Hauptmotiv der Josephsgeschichte dadurch anreichern, dass er in ihr auch noch „das Thema der Nähe und Distanz gegenüber den Fremden“ verhandelt sieht, das auch in anderen Diasporanovellen aus nachexilischer Zeit vorkomme. Doch als Beleg dafür führt er nur die beiden bekannten Stellen an, die notieren, dass die Ägypter gegenüber den Hebräern, sowohl was das gemeinsame Essen (Gen 43,32b) als auch was das gemeinsame Wohnen betrifft (46,34bβ), auf Distanz gingen.45 Wenn Ebach dazu ausführt: „In beiden Fällen geht es vordergründig um eine Distanz, welche die Ägypter wahren wollen, auf einer Tiefenebene der Texte mindestens auch umgekehrt um Distanzwahrung Israels,“ so ist das durch den Wortlaut der Texte nicht gedeckt. Nichts spricht dafür, dass in ihnen hintergründig an jüdische Speise‑ oder Reinheitsregeln gedacht ist. Vielmehr ist es ganz besonders für die JG ein auffälliges 40 Vgl.
Lux, Josef, 230–234. So etwa Ebach, Genesis, 688; Römer, Narration, 23–24; Schipper, Joseph, Ahiqar, and Elephantine, 79; Kunz, Ägypten, 228; u. a. 42 S. oben S. 76–77. 43 Vgl. Römer, Joseph Story, 191. 44 S. oben S. 37 und unten S. 139–141 45 Vgl. Ebach, Genesis, 692; gilt auch für das folgende Zitat. 41
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Merkmal, dass das Zusammenleben zwischen Ägyptern und Hebräern als völlig problemlos darstellt wird. So stellen beide genannten Motive gar keine wirklichen Themen der Josephsgeschichte dar und sind darum ungeeignet, zu ihrer exilischen oder nachexilischen Datierung ausgewertet zu werden. 5.1.5 Datierung aufgrund von Motiventsprechungen zu anderen Diaspora-Erzählungen Eine beliebte Weise, die nachexilische Datierung der Josephsgeschichte zu plausibilisieren, stellt der Hinweis auf Motiventsprechungen dar, die zwischen ihr und den sicher nachexilisch anzusetzenden Büchern Daniel, Esther und Tobit bestehen. Arndt Meinhold meinte, zwischen der Josephsgeschichte und dem Estherbuch so viele ähnliche Motive und übereinstimmende Strukturen aufweisen zu können, dass er beide der gemeinsamen Gattung einer „Diasporanovelle“ zuwies, die selbstverständlich als nachexilische Textform zu gelten habe.46 Als Ergebnis seines umfangreichen Vergleich stellte er fest: „Das Gattungsthema der Diasporanovelle des Esth ist wie in der Josephsgeschichte die Darstellung und Deutung der jüdischen Diasporaexistenz,“ meint dann aber doch veränderte Voraussetzungen und Zielvorstellungen unterscheiden zu müssen. Sei es in letzterer noch um ihre umfassende Nützlichkeit gegangen, so in ersterem um die „Konzentrierung auf ihre durch Eigenaktivität erlangte Größe, die dem eigenen Überleben dienen soll.“47 Macht schon die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung deutlich, dass thematische Gemeinsamkeiten zwischen beiden Texten offenbar doch begrenzt sind, so haben Erhard Blum und Kristin Weingart gegenüber Meinholds thematischer Interpretation der Josephsgeschichte vom Estherbuch her den Einwand erhoben, dass sie den Blick für dessen eigentliche Aussagen eher verstellt als fördert.48 Nun braucht bei einer solchen kritischen Einschätzung eines Gesamtkonzepts natürlich gar nicht geleugnet werden, dass eine ganze Reihe von Motiventsprechungen zwischen der Josephsgeschichte und den oben genannten nachexilischen Büchern bestehen. Auf sie beruft sich etwa Andreas Kunz ausführlich bei seiner frühjüdischen Datierung:49 In Esther, Daniel 1–6 und in der Josephsgeschichte machen jüdische Menschen am Hof des denkbar größten Herrschers Karriere. Sowohl Esther, Mordechai, Daniel und Joseph zeichnen sich durch große Loyalität gegenüber dem Herrscher aus; es gelingt ihnen, eine Bedrohung für den Staat oder einen seiner Teile abzuwenden. Die Bedrohung der Helden, die in Est 5–7; Dan 3; 6 (aber auch in Tob 1,15–20) eine wichtige Vgl. Meinhold, Gattung I und II. So Meinhold, Gattung II, 92. 48 Vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, 511–512, in Kritik der Themenbeschreibung von Meinhold, Gattung I, 323. 49 Vgl. Kunz, Ägypten, 212–214. 46 47
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Rolle spielt, kommt in der Josephsgeschichte allerdings nur dann ansatzweise zum Tragen, wenn man das oben als sekundär erkannte Kapitel Gen 3950 zu ihr hinzunimmt. Kunz meint, auch im Motiv der Grube zwischen Gen 37 und Dan 6 eine Entsprechung erkennen zu können, obgleich beide weder terminologisch noch der Sache nach übereinstimmen. Eine Zisterne ( )בורist etwas anderes als ein in den Erdboden eingelassener Löwenkäfig ( !)גבAber ganz sicher berechtigt ist sein Hinweis auf das Motiv des erfolgreichen Traumdeuters, das sowohl in der Josephsgeschichte (Gen 40–41) als auch im aramäischen Danielbuch (Dan 2; 4–5; 7) eine prominente Rolle spielt, auch wenn im letzteren die Dimension des Geschichtsplans, den Gott dabei offenbart, ganz andere Ausmaße annimmt. Die Motivparallelen sind unbestritten. Es fragt sich nur, was man aus ihnen für eine Datierung der Josephsgeschichte folgern kann.51 Diese Frage stellt sich umso mehr, als in diesen nachexilischen Büchern ein wesentliches Thema eine große Rolle spielt, das, wie wir gesehen haben,52 in der Josephsgeschichte komplett fehlt, nämlich wie bei aller politischen Loyalität und Anpassung an die fremdkulturelle Umwelt eine Bewahrung der jüdischen Identität durchzuhalten ist. Daniel und Tobit hüten sich davor, heidnische Speisen zu essen (Dan 1,8–17; Tob 1,11), Daniel, seine Freunde und Mordechai verweigern die Verehrung einer sich vergötzenden politischen Staatsmacht (Dan 3; 6; Est 3,1–6) und Esther und Tobit halten selbst unter Lebensgefahr die Solidarität zu ihrem Volk aufrecht (Est 4,12–17; Tob 1,16–20). D. h. trotz aller Motivverwandtschaft unterscheidet sich die Josephsgeschichte von diesen nachexilischen Erzählungen mit Diasporahintergrund in einem zentralen Punkt. Für die Frage der Datierung sind allerdings zwei Unterschiede noch entscheidender: Während man in der Josephsgeschichte den Verkauf Josephs nach Ägypten durch seine eigenen Angehörigen höchstens auf einer sehr hohen Abstraktionsebene als eine Anspielung auf die Deportationen, die Israel und Juda im Laufe ihrer Geschichte als Strafaktionen der siegreichen Fremdmächte haben S. oben S. 6–15. Michael Fox hatte die Form der Weisheit, die sich in Josephs Traumdeutungen zeigt, eng an die „pietistic and inspired wisdom of Daniel“ herangerückt und von der ethischen und praktischen Weisheit der Weisheitsliteratur abgesetzt (s. Fox, Wisdom, 40). Von dieser Einschätzung angeregt möchte Konrad Schmid die Josephsgeschichte zwar nicht so spät wie die Danielerzählungen datieren, da sie „is still developing the intellectual notions of inspired dream interpretation in Daniel“ (s. Schmid, Sapiential Anthropology, 117). Aber er möchte diese Form der Weisheit doch als eine spätere Entwicklungsstufe der Weisheitstradition ansehen, die seine exilisch-frühnachexilische Datierung der Josephsgeschichte stütze (a. a. O., 118). Doch war die Oneiromantie im gesamten antiken Vorderen Orient eine alte, weit verbreitete Form der Mantik und auch in Israel schon in vorexilischer Zeit gebräuchlich (Dtn 13,2.4.6; Ri 7,13–15; Jer 23,25–28). Die Fragen, wie sie mit der ethisch-praktischen Weisheit zusammenhängt und ob sie ihr gegenüber wirklich eine spätere Entwicklungsstufe darstellt, sind nicht so sicher zu beantworten, als dass sich daraus eindeutige Datierungskriterien ableiten ließen, zumal in Israel ein Großteil der ethisch-praktischen Weisheitsliteratur in die nachexilische Zeit gehört. 52 S. oben S. 12–13. 50 51
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erdulden müssen, interpretieren kann, beziehen sich alle nachexilischen „Diaspora-Erzählungen“ ausnahmslos, ausdrücklich und mehrfach auf die realen, in der Geschichte Israels erfahrenen Exilierungen zurück, auch wenn dies zuweilen in legendärer Übermalung geschieht. So blickt Tobit zurück auf die assyrische Deportation der Nordreichbevölkerung nach Ninive (Tob 1,3.10; vgl. 7,3). Mordechai wird im Estherbuch als jüdischer Mann eingeführt, der aus Jerusalem mit dem König Jojachin und anderen Verbannten vom babylonischen König ins Exil weggeführt worden war (Est 2,5–6). Damit ist ein exakt datierbares Ereignis im Jahr 598 v. Chr. angesprochen!53 Das Danielbuch berichtet von einer sonst nicht belegten babylonischen Deportation unter König Jojakim (Dan 1,1–2). Daniel selbst wird mehrfach als ein Mann aus der judäischen Exulantenschaft tituliert (2,25; 5,13; 6,14). Das heißt aber: diese Bücher definieren sich selbst ausdrücklich als nachexilisch; sie wollen vom Leben von Menschen berichten, welche die Exilierungen überlebt haben. Eben genau dies geschieht in der Josephsgeschichte nicht. Ein zweiter Unterschied kommt hinzu: Die Fremdherrscher, bei denen einzelne Juden Karriere machen, tragen in den explizit nachexilischen Büchern alle Namen. Es sind die Namen der assyrischen, babylonischen und persischen Könige, die auch in den geschichtlichen Büchern der Hebräischen Bibel mit der exilisch-nachexilischen Zeit verbunden sind. So nennt das Buch Tobit in Bezug auf die Exilsgeschichte des Nordreichs Salmanassar, Sanherib und Asarhaddon (Tob 1,2.15.21), das Danielbuch Nebukadnezar, Belsazar, Darius und Kyros (Dan 1,1; 2,1; 5,1; 6,1.29) und das Estherbuch den Perserkönig Artaxerxes (Est 1,1). Das heißt, diese Bücher wollen bei ihren Hörern einen geschichtlichen Raum aus der exilisch-nachexilischen Zeit aufrufen, auch wenn die historischen Verhältnisse zuweilen legendär verschoben und verwoben worden sind. Dagegen ist der Pharao der Josephsgeschichte namenlos. Er gehört in keine benennbare Epoche, sondern repräsentiert innerhalb der Ursprungsgeschichte Israels die staatliche Macht als solche. So sind die Differenzen zwischen der Josephsgeschichte und den nachexilischen „Diasporanovellen“ trotz einer Reihe von Motiventsprechungen so erheblich, dass letztere nicht zur Datierung ersterer in Anspruch genommen werden können. 5.1.6 Datierung aufgrund der innerbiblischen Bezeugung der Josephsgeschichte Insbesondere Thomas Römer wollte eine nachexilische Ansetzung der Josephsgeschichte dadurch unterstützen, dass er auf ihre spärliche Bezeugung in den Schriften der Hebräischen Bibel außerhalb des Buches Genesis aufmerksam gemacht hat. So fehlt die Josephsgeschichte fast in sämtlichen Geschichtssum53 Auch wenn dies mit der Herrschaft des Perserkönigs Artaxerxes, unter der die Erzählung spielt, nur schwer in Einklang zu bringen ist.
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
marien, welche die Ursprungsgeschichte Israels mehr oder weniger knapp zusammenfassen. Nach ihnen befand sich Israel entweder schon in Ägypten, aus dem es von Gott herausgeführt wurde (Dtn 6,21–24; Hos 11,1–5; Am 2,10; Ez 20,5–9; Ps 78,12–14; 106,6–8; 136,10–15), oder dort, wo auf die Zeit vor dem Exodus zurückgeblickt wird, wird nur knapp erwähnt, dass ein „umherirrender Aramäer“ (Dtn 26,5), mehrere (Num 20,15) oder 70 unbenannte Vorväter (Dtn 10,22) bzw. Jakob (1 Sam 12,8) oder Jakob und seine Söhne (Jos 24,4) nach Ägypten gezogen waren. Der einzige dieser Texte, der sich ausdrücklich und ausführlich auf die Josephsgeschichte bezieht, ist Ps 105 in V. 16–23. Doch sei dieser nach Meinung von Römer erst sehr spät und setzte den fertigen Pentateuch schon voraus.54 Selbst im Preis der Väter bei Jesus Sirach werde Joseph übergangen (vgl. Sir 44,22–45,5) und erst später nachgetragen (vgl. 49,15).55 Der Befund wirkt auf den ersten Blick eindrucksvoll, aber lässt sich daraus eine nachexilische Entstehung der Josephsgeschichte und ihre erst sehr späte Einfügung in den Pentateuch ableiten? Erstens ist eine zeitliche Auswertung des Befundes schon deswegen fraglich, weil Ps 105 keineswegs den jüngsten Beleg in der Reihe der Geschichtssummarien darstellt. Mindestens zwei Belege, die gar nicht auf die Väterzeit eingehen, sind entweder aus etwa der gleichen Zeit (Ps 106) oder wahrscheinlich noch jünger (Ps 136).56 Zweitens lässt sich die fehlende Erwähnung Josephs dort, wo über den Exodus hinaus zurückgeblickt wird, auch ganz einfach aus dem sachlichen Grund erklären, dass in ein Bekenntnis, von Gott aus der Unterdrückung in Ägypten errettet worden zu sein, eine Schilderung, dass man zuvor unter Josephs Ägide frei und gut versorgt in Ägypten gelebt hat, einfach nicht hereinpasst. Die Stilisierung Jakobs zum „umherirrenden“ oder „verlorenen“ Aramäer“ in Dtn 26,5 macht deutlich, dass das Unterdrückungs-Befreiungs-Paradigma der Exodustradition keinen Rückblick auf eine davor liegende glückliche Zeit zulässt. Die scheinbare „Ausnahme“ in Ps 105,16–23 erklärt sich dagegen dadurch, dass dieser Psalm weniger die Unterdrückung Israels als die Wundertaten Gottes in Ägypten im Auge hat und Josephs Schicksal unter dem Gesichtspunkt in den Blick nimmt, dass Gott keinem Königreich in der Welt erlaube, seinen Propheten anzurühren (V. 12–15). Die Einbeziehung der Josephsgeschichte in den geschichtlichen Rückblick dieses Textes ist somit sachlich bedingt. Auf ähnliche Weise erklärt sich der Befund im Preis der Väter im Sirachbuch: In die Linie von Bund, Gebot und Erwählung, die Jesus Sirach von den drei Erzvätern direkt zu Mose zieht (Sir 44,19–45,6), passt die Josephsgeschichte, die zu diesen Vgl. Römer, Joseph approché, 82; Ders., Narration, 22–23; Ders., Joseph Story, 193. Vgl. Römer, Pentateuch, 102. 56 Die „Zwillingspsalmen“ Ps 105 und Ps 106 am Ende des 4. Psalmenbuches gehören wahrscheinlich noch ins 5. Jh. v. Chr.; für die Psalmen 135 und 136 im 5. Psalmenbuch, die eindeutig den Abschluss des Pentateuchs voraussetzen (vgl. Ps 135,9 mit Dtn 34,11), kommt frühestens das 4. Jh. v. Chr. in Frage, vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen 101–150, 100–101.676–677. 54 55
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Themen schweigt, thematisch nicht hinein. Wenn Sirach erst in 49,15 auf Joseph zu sprechen kommt und ihn als „Großen unter seinen Brüdern und Zierde seines Volkes“ würdigt, dann lässt sich das kaum als ein Reflex einer erst spät eingeschobenen Josephsgeschichte erklären, sondern hat einfach damit zu tun, dass erst der hintere Rahmen zum geschichtlichen Rückblick, der wieder von Nehemia zu Adam zurücklenkt (V. 14–16), dem zuvor Übergangenen einen angemessenen Platz bietet. Auch hier hat der Befund sachliche und keine literaturgeschichtlichen Gründe. Drittens ist es immer etwas heikel aus der Nichterwähnung eines Gegenstandes auf seine Nichtexistenz zu schließen. Nur um ein weiteres Beispiel aus dem Pentateuch zu nennen, das zur Vorsicht mahnen sollte: Auch die Erzählung von Israels Abfall zum Goldenen Kalb (Ex 32/Dtn 9) ist in fast keinem der Geschichtssummarien erwähnt. Dieses dramatischen Ereignisses wird hier ebenfalls nur in einem einzigen Fall, nämlich in Ps 106,19–23 gedacht, d. h. einem Psalm, der ähnlich spät wie Ps 105 anzusetzen ist. Dennoch bildet diese Erzählung, wie sich kompositionskritisch eindeutig nachweisen lässt, eine der tragenden Säulen der Exoduskomposition, die schon aus der Exilszeit stammt.57 So ist das Fehlen von Bezügen auf die Josephsgeschichte in den Geschichtssummarien nur ein weiterer Beleg dafür, dass jene thematisch nicht recht zur Exodus‑ und Sinaitradition passt. Es bildet jedoch kein hinreichendes Argument, deren Entstehung erst für die nachexilische Zeit zu postulieren. In jedem Fall ist es nicht dazu geeignet, eine vorexilische Datierung auszuschließen. 5.1.7 Datierung aufgrund der literarischen Stratigraphie Nicht genügend wurde bei der Debatte um eine nachexilische Datierung der Josephsgeschichte bisher beachtet, dass die in ihr zu beobachtende Textstratigraphie relativ klare Kriterien an die Hand gibt, den möglichen Datierungsspielraum einzugrenzen. Eindeutig vorausgesetzt wird die Josephsgeschichte von einer späten Redaktionsschicht, die darum bemüht ist sicherzustellen, dass die Gebeine Josephs aus Ägypten beim Exodus ins gelobte Land überführt und an einem bestimmten Grabplatz bei Sichem bestattet werden (Gen 33,19; 48,21–22; 50,24–26; Ex 13,19; Jos 24,32). Diese Schicht setzt die Verbindung von Josephs‑ und Exodusgeschichte schon voraus (vgl. die priesterliche Brücke Ex 1,1a.2–5a.7), unterscheidet aber in Ex 1,1b zwischen den Brüdern, die erst mit Jakob nach Ägypten kamen, und Joseph, der schon zuvor in Ägypten gewesen war, und sucht die gegensätzlichen Ägyptenbilder hier und dort auszugleichen, indem sie berichtet, dass nach dem Tod Josephs, seiner Brüder und aller ihrer Zeitgenossen ein neuer Pharao an die Regierung kam, der von Joseph nichts mehr wusste (V. 6.8.).58 Die These, dass diese Redaktionsschicht dem Hexateuch Vgl. Albertz, Exodus II, 268–283.323–324. Vgl. Albertz, Exodus I, 39–46.
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redaktor zugeschrieben werden kann, der gegen Ende der Entstehungsgeschichte des Pentateuch eine alternative Gründungsurkunde Israels etablieren wollte, die das Josuabuch einschloss, wird heute ähnlich sowohl von Erhard Blum als auch von Thomas Römer vertreten.59 Sie stellt damit einen wichtigen Konsens zwischen zwei wichtigen Vertretern der kontroversen Auslegungstypen zur Josephsgeschichte dar. So braucht nur noch geklärt werden, wann die Hexateuchredaktion anzusetzen ist, um einen klaren terminus ad quem für die Datierung der Josephsgeschichte zu gewinnen. Thomas Römer bleibt in der Ansetzung der Hextauchredaktion relativ vage; er möchte sie in die späte Perserzeit,60 bzw. die zweite Hälfte der Perserzeit,61 setzen und denkt dabei wohl an das 4. Jh. v. Chr. Ich selber habe mich für eine Datierung in das letzte Drittel des 5. Jhs. (430–410 v. Chr.) ausgesprochen,62 eine Periode, in der es nach Nehemias Regentschaft zu einer engen Kooperation zwischen Judäern und Samariern kam (vgl. Neh 11,28), was gut zu der allseits anerkannten pro-samarischen Tendenz der Hexateuchredaktion passen würde.63 In den Anfang des 4. Jhs. fällt für mich schon die endgültige Entscheidung für den Pentateuch und dessen abschließende Redaktion und Promulgation (vgl. Esr 7 in der Spätdatierung, 398 v. Chr.). Aber an welche Stelle man die Hexateuchredaktion in dem Zeitfenster zwischen 430 und 333 v. Chr. auch immer platzieren mag, eine Ansetzung der Josephsgeschichte in die ptolemäische oder gar seleukidische Zeit (3.–2. Jh. v. Chr.), wie sie einige Forscher erwägen,64 ist definitiv ausgeschlossen. So eindrucksvoll etwa die motivlichen Parallelen, die Andreas Kunz zwischen der Josephsgeschichte und der ägyptischen Hungerstele aus dem 2. Jh. v. Chr. aufzeigt,65 auch sein mögen (siebenjährige Hungersnot, Traumoffenbarung, Einführung einer Steuer), sie lassen sich nicht für eine Datierung des biblischen Textes in diese späte Zeit auswerten! Auch Thomas Römer hat inzwischen dem Ausschluss solcher Datierungen der Josephsgeschichte in die hellenistische Zeit zugestimmt. Er schreibt: „A date of composition in the 3rd or even 2nd century BCE seems implausible when one considers the formation of the Pentateuch during the second half of the Persian period.“66 Wenn er allerdings die als sekundär erkannten Passagen Gen 39 und 47,13–26 in die frühhellenistische Zeit 59 Vgl. Blum, Textgestalt, 116–120.263–272; Nihan/Römer, Entstehung, 158–160; Römer, Pentateuch, 102. Bisher ist nur die Zugehörigkeit von Ex 1,1b zur Hexateuchredaktion in diesem Bereich von ihnen noch nicht anerkannt. Römer meint allerdings Gen 50,26 noch für die Josephsgeschichte reklamieren zu können, s. oben S. 94, doch kaum zurecht. 60 Vgl. Römer, Pentateuch, 74. 61 Vgl. Nihan/Römer, Entstehung, 159. 62 Vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 468–469. 63 Vgl. Blum, Textgestalt, 266–267; Römer /Brettler, Deuteronomy 34, 413–414; Albertz, Pentateuchstudien, 469. 64 So Kunz, Ägypten, 224–229; Soggin, Genesis, 430.435. 65 Vgl. Kunz, Ägypten, 217–220; s. jetzt aber die auch kritische Einschätzung dieser Parallele durch Kratz, Joseph Story, 31. 66 S. Römer, Joseph Story, 190.
5.1 Eine kritische Überprüfung der nachexilischen Ansetzung
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datieren möchte,67 dann kommt er selbst einer Überschreitung des terminus ad quem in seiner späten Ansetzung gefährlich nahe. Eine Mehrzahl weiterer Bearbeitungsschichten, die sich in Gen 37–50 zwischen den beiden Fassungen der Josephsgeschichte und der Hexateuchredaktion aufzeigen lassen, weisen eher darauf hin, dass zwischen ersteren und der letzteren mit einem größeren zeitlichen Abstand zu rechnen ist. Eine weitere wichtige literarische Schicht in der Textstratigraphie der Josephsgeschichte, die einen noch engeren terminus ad quem liefern könnte, ist die sog. Priesterschrift, deren nicht allzu zahlreichen, aber doch unübersehbaren Spuren sich in Gen 37–50 greifen lassen. Die Identifikation der ihr zugehörigen Passagen hat sich seit ihrer Entdeckung vor 150 Jahren kaum geändert.68 Da diese Textschicht in Gen 37,2; 41,46; 47,7–10 die JG und EJG und in 48,3–7 sogar ihre Verbindung mit der Jakobsgeschichte explizit voraussetzt und sich relativ sicher in die spätexilische bzw. frühnachexilische Zeit datieren lässt,69 wird durch sie eine Ansetzung der Josephsgeschichte in die spätere nachexilische Epoche (5.–4. Jh. v. Chr.) eigentlich ausgeschlossen. Allerdings tut sich hier ein forschungsgeschichtliches Problem auf: Während einige Vertreter des zweiten Auslegungstyps diese zeitliche Grenze akzeptieren und sich mit einer Datierung der Josephsgeschichte in der Exilszeit begnügen,70 wird von denen, welche sie in die nachexilische Zeit ansetzen wollen, der terminus ad quem mit dem Argument beiseite geschoben, dass die ursprüngliche Priesterschrift die Josephsgeschichte noch nicht kenne. Das Argument ist nicht ganz neu. Schon Theodor Nöldecke war vor 150 Jahren aufgefallen, dass die „Grundschrift“, wie P damals noch genannt wurde, seltsam S. oben S. 14 und 23. Inzwischen ist Römer gewillt, weitere Teile und Motive der Josephsgeschichte in die hellenistische Zeit zu datieren (vgl. Römer, Joseph Narrative, 46–52), und dafür bereit, die Septuaginta-Übersetzung des Pentateuchs an das Ende des 3. oder den Anfang des 2. Jhs. v. Chr. herabzuschieben. Er hält nunmehr die Josephsgeschichte als „perhaps even one of the latest writings of the Pentateuch“ (a. a. O., 46). 68 Vgl. ihre Auflistungen bei Nöldeke, Untersuchungen, 32–35: Gen 37,1–2; 41,46; 46,6–7; 47,7–11.28; 48,3–7; 49,29–33; 50,12–13; Noth, Überlieferungsgeschichte, 18: Gen 37,1.2aα.b; 41,46a: 46,6–7; 47,27b.28; 48,3–6; 49,1a.29–33; 50,12–13; Blum/Weingart, Joseph Story, 505 Anm. 9: Gen 37,1.2*; 41,46; 46,6–7; 47,8–10.11*.27–28; 49,29–32.33*; 50,11–13.22a.26a. In der Aufstellung von Wöhrle, Fremdlinge, 145, fehlt Gen 49,29b.30–32 und 50,12–13, weil er die Tradition vom Patriarchengrab in Gen 23 für eine nachträgliche priesterliche Erweiterung hält. Ich würde diese eher als eine vom ersten priesterlichen Bearbeiter integrierte Vorlage bewerten (vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 475). Ich selber rechne zu PB1: Gen 37,1–2aα; 41,46a; 46,6aα2b–7; 47,7–10.11*.27b.28; 48,3–7; 49,1a.28bα2.29–33; 50,12–13.22b–23. 69 Dieser weithin geteilte Datierungsansatz schwankt, je nachdem, welche Textbereiche jenseits des Buches Genesis im Einzelnen der priesterlichen Grundschicht zugerechnet werden, etwa zwischen den Jahren 535–485 v. Chr.; vgl. für die ältere Forschung Wellhausen, Prolegomena, 363–391, und den Überblick bei Pola, Priesterschrift, 31–36, für die neuere z. B. Frevel, Blick, 382–383; de Pury, Jacob Story, 69–71; Römer, Pentateuch, 93; Albertz, Exodus II, 379–380; Kratz, Komposition, 329; Blum, Studien, 357; Nihan, Priestly Tora, 383–394. 70 So Kratz, Komposition, 285–286; Lux, Josef, 234; Schmid, Josephsgeschichte, 111. 67
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
wenig über Joseph berichte und hatte dies unter der Voraussetzung, dass sie ein eigenständiges Quellenwerk darstelle, damit erklärt, man könne gar nicht verlangen, dass der „volksthümliche Erzählstoff über Joseph auch dem Autor der Grundschrift bekannt sein musste, der sicher nicht zu den Josephstämmen gehörte.“71 Thomas Römer, der die Priesterschrift ebenfalls für eine selbständige Quelle hält, ging nun noch einen Schritt weiter, und meinte, diese habe in den besagten Passagen ursprünglich gar keine Josephsgeschichte, sondern den Abschluss der Jakobsgeschichte darstellen und eine Überleitung zur Exodusgeschichte liefern wollen. Denn die wenigen Bezüge auf Joseph ließen sich allesamt als sekundär erweisen.72 In dieser Sicht wurde Römer vehement von seinem Genfer Lehrer, Albert de Pury, unterstützt73 und fand auch bei anderen Gefolgschaft.74 Da schon P sozusagen an der Josephsgeschichte vorbei die literarische Verbindung zwischen den Büchern Genesis und Exodus hergestellt habe, bereitet für Römer auch ein späterer Einschub der Josephsgeschichte kurz vor der Fertigstellung des Pentateuchs keine Probleme. Der Preis für diese Lösung ist allerdings hoch:75 Römer muss erstens die priesterliche Einleitung der Josephsgeschichte in Gen 37,2aα und damit das gesamte, die Vätergeschichte gliedernde Toledot-Schema (vgl. 11,27; 25,19 u. a.) der Priesterschrift absprechen. Er muss zweitens leugnen, dass die Datierung der Investitur Josephs in 41,46a vom priesterlichen Autor stamme, obgleich sie in ihrer Eigenart und ihrer grammatischen Konstruktion exakt den Datierungen entspricht, die ihm an anderer Stelle in Gen–Ex zugeschrieben werden.76 Er übergeht viertens die Rede Jakobs vor Pharao in Gen 47,7–10 stillschweigend, obgleich das Motiv der „Fremdlingsschaft“ ( )מגוריםin V. 9 sonst für P charakteristisch ist (vgl. 17,8; 28,4; 37,1). Und er sieht sich genötigt, die Jakobrede zu Joseph in Gen 48,3–7 der ursprünglichen Priesterschrift abzusprechen, obgleich er den Rückbezug auf die ihr sicher angehörenden Texte Gen 17 und 35,9–15 wahrnimmt. Dabei müssen zwei kleine sprachliche Besonderheiten die ganze Beweislast tragen, so der Ortsname Paddan anstelle des sonst üblichen Paddan-Aram77 und der Begriff נחלהanstatt אחזה, der aber dort, wo es wie hier um den noch zu verteilenden Erbbesitz im gelobten Lande geht, in priesterlichen Texten auch sonst
71 S. Nöldeke,
Untersuchungen, 32. Vgl. Römer, Joseph Story, 196–201; ähnlich schon Ders., Joseph approché, 79; Ders., Narration, 23 bes. Anm. 32; vorsichtiger Ders., Pentateuch, 103. Er reduziert P hier auf Gen 37,1; 46,6–7; 47,27b–28; 49,1a.28b–33; 50,12–13; Ex 1,1–5a.7.13–14. 73 Vgl. de Pury, Umgang, 44–46; Ders., Jacob Story, 55.64. 74 Vgl. etwas Uehlinger, Fratrie, 310–311; Ders., Genesis 37–50, 221–222; Schmid, Yahwist, 46–47; s. aber auch Ders., Sapiential Anthropology, 117. 75 Vgl. zum Folgenden Römer, Joseph Story, 198–199. 76 Vgl. Gen 12,4; 16,16; 17,24.25; 21,5; 25,20.26b; Ex 7,7, jeweils mit שנה-x ׁ היה בן+ ב+inf.cs. 77 Vgl. etwa Gen 25,20; 28,2,5–7; 31,18; 33,18; 35,9.26, übrigens auch hier vom Sam, LXX und Syr belegt! 72
5.1 Eine kritische Überprüfung der nachexilischen Ansetzung
103
vorkommt.78 Oder sollte für Römer das Argument noch gewichtiger sein, dass sich der Vers 48,7 auf einen nicht-priesterlichen Zusammenhang bezieht (Rahels Tod in 35,16–20) und somit beide Jakobreden auf ihren nicht-priesterlichen Kontext angewiesen sind? Wurden doch im Rahmen der alten Quellentheorie, die P als eigenständiges Quellenwerk postulierte, solche Bezüge gern dazu verwendet, eine Passage P abzusprechen und stattdessen einem priesterliches und nichtpriesterliches Material vereinenden Endredaktor zuzuschreiben.79 Doch kann eine solche Sicht heute kaum noch als gesichert gelten. Inzwischen hat nämlich Jakob Wöhrle detailliert und überzeugend nachgewiesen, dass die priesterlichen Passagen nicht nur im Bereich der Josephsgeschichte, sondern in der gesamten Vätergeschichte keine eigenständige Quellenschrift, sondern eine Bearbeitungsschicht des älteren nicht-priesterlichen Erzählzusammenhangs darstellen.80 Damit verlieren aber die sporadischen priesterlichen Passagen im Bereich von Gen 37–50 ihre Auffälligkeit. Und ein wichtiges Argument, das Römer dazu verwendet, einigen von ihnen ihre Zugehörigkeit zu P abzusprechen, hat seine Überzeugungskraft eingebüßt. Ist schon die Aussonderung der Josephbezüge aus der priesterlichen Schicht mit einigen methodischen Schwächen behaftet, so weist auch die von Thomas Römer rekonstruierte ursprüngliche priesterliche Brücke zwischen der Jakobs‑ und der Exodusgeschichte erhebliche Probleme auf.81 In dem von Römer ermittelten Textstrang von Gen 37,1; 46,6–7; 47,27b–28; 49,1a.28b–33; 50,12–13; Ex 1,1–5a kommt zwar Joseph nicht mehr vor,82 doch das unbestimmte pluralische Subjekt von 46,6, das die Initiative zur Übersiedlung nach Ägypten in Angriff nimmt, schließt grammatisch und sachlich nicht an 37,1 an, wo vom Wohnen Jakobs im Land seiner Väter die Rede war. Darüber hinaus wäre die Übersiedlung Jakobs und seiner Familie nach Ägypten in einem solchen Text ohne jede Motivation. Christoph Uehlinger spürte das Problem und schlug vor, noch den Versteil 41,54b, der notiert, dass es, als sich die Dürre in allen Ländern ereignete, in Ägypten noch Brot gab, dazwischen zu schieben.83 Doch weist dieser keinerlei Vgl. Num 18,20–24; 26,53–56. Vgl. Levin, Jahwist, 311; Kratz, Komposition, 243 Anm. 23, u. a. Zur Fragwürdigkeit der Annahme eines solchen „Endredaktors“ außerhalb von Gen 1–11 vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 256–261. 80 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 145–146; vgl. seine Kritik an Römers Lösung a. a. O., 110–111. 81 Vgl. zum Folgenden die kritischen Einschätzungen bei Albertz, Pentateuchstudien, 60– 62; Blum/Weingart, Joseph Story, 505–506. 82 Römer, Joseph Story, 200, vermutet zu Recht, dass in der priesterschriftlichen Liste der Söhne Jakobs (Ex 1,1–5a) Joseph ursprünglich in V. 3 vor Benjamin gestanden habe (vgl. Gen 35,23–26). Diese Lesart ist jetzt sogar sekundär durch die Rolle 4QExodb belegt, die dafür V. 5b ausgelassen hat. Die Versetzung des Joseph-Namens nach V. 5b, hinter das Ende der Liste, geht wahrscheinlich auf den Hexateuchredaktor zurück, der auch V. 6 und 8 einfügte. Seine Differenzierung zwischen solchen Brüdern, die mit Jakob nach Ägypten kamen (V. 1b), und Joseph, der schon in Ägypten war, kommt in der Übersetzung Römers, ebd., nicht heraus. 83 Vgl. Uehlinger, Fratrie, 310; Ders., Genesis 37–50, 222. 78 79
104
5. Die Datierung der Josephsgeschichte
priesterliche Sprachmerkmale auf und ist, wie oben gezeigt wurde,84 fest in der vorpriesterlichen JG verankert. So ist diese Notlösung aus methodischen Gründen abzulehnen. Hinzu kommt, dass die summierende Altersangabe in 47,28 (17 Jahre lebte Jakob in Ägypten, 147 Jahre war sein gesamtes Lebensalter), einem Vers, den Römer zur ursprünglichen Schicht zählt, ohne Jakobs Selbstaussage vor dem Pharao, er sei jetzt 130 Jahre alt (V. 9), in der Luft hängt; ohne sie hätte gar kein Anlass bestanden, den Ägyptenaufenthalt Jakobs zeitlich gesondert zu spezifizieren. Die Jakobrede in 47,7–10 war jedoch von Römer bei seiner Rekonstruktion stillschweigend übergangen worden. Schließlich endet die rekonstruierte priesterschriftliche Textreihe mit dem Begräbnis Jakobs im Lande Kanaan. Sie erfüllt somit gar nicht die ihr von Römer und de Pury zugeschriebene Brückenfunktion, nämlich aufzuzeigen, wie die Jakobsfamilie nach Ägypten gelangte, was dann in Ex 1,1–5a rekapituliert wird. Denn von einer Rückkehr Josephs und seiner Brüder nach Ägypten im Anschluss an Jakobs Begräbnis wird im vorliegenden Text allein vom vorgegebenen nicht-priesterlichen Kontext erzählt (50,14–22a). Sollte hier in der angeblichen Brücke eine Lücke vorliegen? Wenn es aber nicht gelingt, vom vorliegenden Text her einen lückenlosen und in sich stimmigen priesterlichen Erzählfaden zu rekonstruieren, der ohne Bezug auf die Josephsgeschichte die Verbindung von Erzväter‑ und Exodusgeschichte herstellt, dann wird der ganze, methodisch ohnehin teilweise fragwürdig begründete Rekonstruktionsversuch insgesamt hinfällig. Dies bedeutet aber: Die sog. Priesterschrift aus dem letzten Drittel des 6. oder Anfang des 5. Jhs. v. Chr. hat bis auf weiteres als terminus ad quem für die Datierung der Josephsgeschichte zu gelten.85 Als Bearbeitungsschicht erkannt, gewinnt sie als zeitliche Begrenzung sogar noch an zwingender Kraft. Damit setzt sie nun aber hinter alle Hypothesen, welche die Josephsgeschichte in die mittlere oder späte Perserzeit (5.–4. Jh. v. Chr.) datieren, ein großes Fragezeichen. Dies bedeutet aber: Die Mehrzahl der im zweiten Auslegungstyp vorgetragenen Interpretationen bewegen sich, so plausibel sie auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, auch von der zeitlichen Ansetzung her auf ungesichertem Terrain.
5.2 Ein Plädoyer für eine vorexilische Ansetzung Vom terminus ad quem, den die Priestergrundschrift oder die erste priesterliche Bearbeitung setzt, ist zwar eine Datierung der Josephsgeschichte in die Exilszeit grundsätzlich möglich, doch rät ihre diachrone Differenzierung, die oben vor84 S.
oben S. 18–19. Mit Recht macht Schmid, Sapiential Anthropology, 117, geltend, dass die Josephsgeschichte allein schon aus dem folgenden Grund nicht später als die Priesterschrift entstanden sein kann. „Otherwise one would expect the Joseph story to create a smoother bridge between the Genesis and Exodus traditions than it currently does.“ 85
5.2 Ein Plädoyer für eine vorexilische Ansetzung
105
genommen wurde, von einer solchen pauschalen Spätansetzung ab. Es hat sich nämlich gezeigt, dass das Kapitel Gen 39 sehr wohl erste ambivalente Exilserfahrungen an Joseph anschaulich macht: Ihm boten sich im ägyptischen Ausland mit Gottes Hilfe ungeahnte Aufstiegschancen, doch war er dennoch im Konfliktfall, wie die falsche Anklage von Potiphars Frau drastisch vor Augen führt, den Einheimischen als Ausländer schutzlos ausgeliefert.86 Dieses Kapitel lässt sich in der Tat gut in die Exilszeit datieren, zumal es mit der Joseph zugeschriebenen Segensmittlerschaft für seinen ägyptischen Herrn (39,1–5) ein zentrales Thema der ersten Version der exilischen Vätergeschichte (12,1–3) aufgreift.87 Doch wurde oben im Einzelnen nachgewiesen, dass es sich bei der Passage 39,2–23 mitsamt ihrer redaktionellen Klammern um einen nachträglichen literarischen Einschub handelt.88 Die ursprüngliche Josephsgeschichte (JG) und die erweiterte Josephsgeschichte (EJG) müssen darum älter sein.89 Für eine vorexilische Ansetzung der JG und EJG spricht nun vor allem, dass in ihnen ausgerechnet Joseph eine so beherrschende Rolle gegenüber allen seinen übrigen Brüdern spielt. Denn dieser Erzählzug lässt sich am einfachsten daraus erklären, dass er aus der Perspektive des Nordreichs konzipiert worden ist, solange dieser Staat noch existierte (vor 722 v. Chr.). Dies gilt umso mehr, als für diese Hervorhebung Josephs aus nachexilischer Zeit bisher keine überzeugenden Erklärungen beigebracht werden konnten.90 Nun hat Thomas Römer S. oben S. 6–15. Schon Wolff, Kerygma, 365–366, hatte auf die Nähe zwischen Gen 39,5 und 12,3b hingewiesen; vgl. Albertz, Exilszeit, 203–204; Ders., Pentateuchstudien, 69–71; s. unten S. 131. Da der Verfasser von Gen 39 auf einen ägyptischen Erzählstoff, das sog. „Brüdermärchen“ (vgl. Brunner-Traut, Märchen, 28–40; Wettengel, Erzählung, 21–190), zurückgreift, scheint er sogar über genauere Kenntnisse der ägyptischen Kultur zu verfügen. Auch für Schmid, Datierung, 107, bildet Gen 39,1–6 ein Stützpfeiler seiner exilischen Datierung der Gesamtgeschichte. 88 S. oben S. 7–9. 89 Für eine Ansetzung der Josephsgeschichte in die vorexilische Königszeit spricht sich auch Joosten, Linguistic Dating, 42–43, aufgrund seiner sprachgeschichtlichen Untersuchung aus; für ihn repräsentiert Gen 39 auch sprachgeschichtlich ein gegenüber der sonstigen Josephsgeschichte späteres Stadium (a. a. O., 38–41). 90 Wenn Römer, Joseph Story, 195, die Wahl Josephs zum Helden in einer nachexilischen Diasporanovelle auf der einen Seite mit dem literarischen Motiv begründen will, dass es sich bei ihm neben Benjamin um den Sohn der von Jakob bevorzugten Frau handele, dann stellt er damit generell die Möglichkeit einer zeitgeschichtlichen Auswertung dieses Erzählmotivs in Frage. Wenn er auf der anderen Seite dann aber erwägt: „The Northern character of Joseph could also be explained by the hypothesis that the Joseph story was perhaps composed in Elephantine, a colony which may have Northern origins,“ dann bringt er damit – allerdings recht vorsichtig – eine mögliche zeitgeschichtliche Erklärung erneut ins Spiel. Eine solche war schon von Fieger / Hodel-Hoenes, Einzug, 373–375, zumindest für die Endredaktion der Josephsgeschichte, vertreten worden, begründet mit einer in ihr und in den Elephantinetexten fehlenden religiösen Exklusivität. Noch nachdrücklicher wurde die These einer Herleitung der Josephsgeschichte aus Elephantine von Schipper, Joseph, Ahiqar, and Elephantine, 76–79, ausgebaut. Für ihn „the Joseph story presents a concept of identity that is connected with the ,Judahite/Aramaic‘ diaspora in Egypt of the Persian period and differs sharply from other identity concepts found in the narrative cycle of the ancestors, the Deuteronomistic History, or the books of Ezra and 86 87
106
5. Die Datierung der Josephsgeschichte
gegen eine solche naheliegende Herleitung eingewandt, dass der Name Joseph in vorexilischer Zeit nicht als positives Eponym für das Nordreich verwendet worden ist. Vielmehr werde diese Bezeichnung in dieser Epoche nur negativ gebraucht (Am 5,6; 6,6; Obd 18; vgl. Ps 78,67) und habe erst nachexilisch eine positive Bedeutung erhalten (Sach 10,6; Ps 89,2[!];91 Ez 47,13), wobei sie entweder Samaria oder ganz Israel meine.92 Doch dieser Einwand überzeugt in mehrfacher Hinsicht nicht. Erstens bedeutet der Umstand, dass der Judäer Amos in seiner Gerichtsprophetie gegen das Nordreich dieses gleich mehrfach als „Joseph“ oder „Haus Joseph“ bezeichnet (Am 5,6.15; 6,6), ja nicht, dass er diese Begriffe als solche abwerten will. Im Gegenteil, dies ist ein Beleg dafür, dass sie bei seinen nordisraelitischen Adressaten als Eponyme für ihren Staat im 8. Jh. v. Chr. geläufig waren. Zweitens gibt es daneben noch eine ganze Reihe anderer vorexilischer oder exilischer Stellen, welche „Joseph“ oder „Haus Joseph“ völlig wertfrei als Bezeichnungen für das Nordreich bzw. seiner wesentlichen Teile verwenden (2 Sam 19,21; 1 Kön 11,28; Ps 80,2; Ez 37,16.19). Drittens belegt darüber hinaus Ps 80, einer der ganz wenigen Psalmen, die sehr wahrscheinlich aus dem Nordreich stammen, mit der Anrufung Gottes: „Hirte Israels, höre,
Nehemiah“ (a. a. O., 79; vgl. Ders., Egyptian Background of the Joseph Story, 21; Ders., Joseph in Egypt, 158–160). Doch ganz abgesehen davon, dass sich die vor-deuteronomistische Form des Jahweglaubens in der Josephsgeschichte auch ganz anders erklären lässt, ist die These einer nordisraelitischen Herkunft der Elephantine-Gruppe heute keineswegs mehr gesichert. So stellt Bob Becking nach der Diskussion der Forschung zum Thema in seiner neuen Monographie fest: „In the light of this, I take the position that the Yehudites did not come to Elephantine in one wave but should be seen as the merger of various groups who – for different reasons and various periods – ended up in Elephantine“ (Becking, Identity, 23). Woher sich auch immer diese Söldnerkolonie in persischen Diensten rekrutierte – aus Israel oder Juda, z. T. wohl mit Umweg über Syrien, Assyrien oder Babylonien –, sie nannten sich selbst „ יהודיאJudäer“ (TAD A4.8,22 u. ö.) und wandten sich mit ihrem großen Anliegen, dem Wiederaufbau des von den Chnum-Priestern zerstörten Jaho-Tempels, keineswegs nur an den Stadthalter von Samaria (Z. 29), sondern genauso an den Stadthalter von Juda (TAD A4.7,1), auch an die dortigen judäischen Selbstverwaltungsgremien (Z. 17–19). Das spricht nicht gerade für eine spezifisch nordisraelitische Identität. Dies heißt aber: Trotz einiger erkennbarer religionsgeschichtlicher Einflüsse aus Phönizien und Syrien (vgl. Becking, Identity, 38–48), ist eine speziell nordisraelitische Identität der Elephantine-Kolonie, die eine Wahl Josephs zum Helden einer hier geschriebenen Erzählung erklären könnte, in den erhaltenen Texten nicht nachweisbar. Fast triftiger scheint demgegenüber die Position von Wolfgang Oswald zu sein, der „die starke Stellung Josephs … als Ausdruck der privilegierten und wirtschaftlich starken Stellung Samarias unter der persischen Oberherrschaft“ verstehen möchte (Oswald, Staatstheorie, 182). Doch ist sie von dem Problem belastet, dass von einer persischen Oberherrschaft in der Josephsgeschichte nichts erkennbar ist; s. dazu aber die erneute starke Würdigung Josephs durch die späte Hexateuchredaktion unten S. 139–141. 91 Gemeint ist nach dem zitierten Text Ps 80,2, ein Psalm, der nicht nach-, sondern vorexilisch anzusetzen ist, s. u. 92 Vgl. Römer, Joseph approché, 83; Ders., Narration, 22. In seiner jüngsten Äußerung zum Thema (Ders., Joseph Narrative, 40) hält Römer seine Ansicht von einer negativen Konnotation des Eponyms in vorexilischer Zeit nicht auftrecht.
5.2 Ein Plädoyer für eine vorexilische Ansetzung
107
der du Joseph leitest wie Schafe, [der du auf den Keruben thronst,]93 erscheine über Ephraim, Benjamin und Manasse!“ (V. 2–3), dass „Joseph“ neben „Israel“ sogar als eine Selbstbezeichnung dieses Staates im poetischen Kontext verwendet wurde. Der Grundbestand dieses Psalms stammt wahrscheinlich aus den Jahren unmittelbar nach 732 v. Chr., der ersten Exilierung des Nordreichs, und ist somit vorexilisch anzusetzen.94 Wenn sich aber das Staatsvolk des Nordens selber in einem Dokument offizieller Theologie aus vorexilischer Zeit in der Person des Ahnherrn Joseph verkörpert sehen konnte, dann gibt es keinerlei Hindernisse, auch die Josephsgeschichte aus diesem Umfeld herzuleiten. Nun ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass die Josephsgeschichte auch nach dem Untergang des Nordreichs am Ende des 8. Jhs. oder im 7. Jh. v. Chr. geschrieben sein könnte, wie es etwa Norbert Kebekus oder John Van Seters vorgeschlagen haben,95 spielten doch die Flüchtlinge aus dem Norden nach 722 v. Chr. in Juda wahrscheinlich eine nicht unerhebliche Rolle. Doch rät die völlig unpolemische Art, mit der sowohl die JG als auch noch die EJG das kulturelle und religiöse Zusammenleben von Hebräern und Ägyptern schildern, davon ab, in die Zeit der Hiskianischen und Josianischen Reformbewegungen hinunterzugehen. Dafür dass für Joseph bei seinem Dienst als ägyptischer Würdenträger die Opfer für andere Götter als JHWH ein Problem werden könnten, die das Bundesbuch, das Ende des 8. oder Anfang des 7. Jhs. konzipiert wurde, unter strengste Strafe stellt (Ex 22,19),96 findet sich in keiner der beiden Versionen der Josephsgeschichte auch nur die leiseste Andeutung; und dass die Verführung zu fremden Göttern durch die geliebte Ehefrau, die das Deuteronomische Gesetz aus dem letzten Drittel des 7. Jhs. mit drastischen Mitteln verhindern will (Dtn 13,7–9), bei Josephs Verheiratung mit einer ägyptischen Priestertochter eine Gefahr gewesen sein könnte, kommt in Gen 41,45a auch nicht mit dem geringsten Wimpernschlag in den Blick. Nach Sicht des Verfassers der EJG sind es die Ägypter, die eine Tischgemeinschaft mit den Hebräern meiden (43,32b) und eine Abscheu gegen ausländische Nomaden hegen (46,34bβ); und es findet sich nicht der geringste Anhalt im Text, diese Aussagen seien in einem hintergründigen Sinne genau umgekehrt gemeint. Auch dass hier eine auf Abgrenzung und Reinerhaltung zielende dtn. oder dtr. Theologie ironisiert oder listig bekämpft werden solle, lässt sich nirgends aus dem Wortlaut ablesen.97 Dazu wurden diese knappen Bemerkungen viel zu beiläufig platziert. Nein, der erstaunlich welt Hier handelt es sich wahrscheinlich um eine judäische Erweiterung. Vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen 51–100, 456–457; Albertz, Israel, 48–49. Zum Grundbestand rechne ich Ps 80,2*.3–7.9–16a.17b–19. 95 Vgl. Kebekus, Joseferzählung, 250–257, datiert seine Ruben-Grundschicht nach dem Untergang des Nordreichs in die Hiskiazeit; Van Seters, Joseph Story, 371, denkt eher an das 7. Jh. 96 Vgl. zu dieser Datierung des Bundesbuches (Ex 20,22–23,19*) Albertz, Religionsgeschichte I, 280–290. 97 So vor allem Römer, Narration, 24–27, der in Gen 41,45a und 43,32b (!) die Mischehen‑ und Speiseverbote eines orthodoxen Judentums ironisch aufs Korn genommen sehen möchte. 93 94
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
offene Duktus der Josephsgeschichte lässt sich meiner Ansicht nach nur erklären, wenn sie noch in einer Zeit vor den großen Reformbewegungen am Ende des 8. und im letzten Drittel des 7. Jh. v. Chr. entstanden ist, die mit einer umfassenden religiösen Neubesinnung auf den Untergang des Nordreichs reagierten. Damit kommt aber für eine Datierung der JG und der EJG am ehesten eine Epoche vor dem letzten Drittel des 8. Jhs. v. Chr. in Frage. Allerdings steht eine solch relativ frühe vorexilische Datierung biblischer Literaturwerke heutzutage in einem gewissen Dilemma. Weil eine mit erheblichem Aufwand betriebene Palästina-Archäologie bisher nur vergleichsweise wenige hebräische Texte zutage gefördert hat, machte sich in der Alttestamentlichen Wissenschaft die Ansicht breit, dass sich die Literarizität in Israel und Juda erst ziemlich spät entwickelt habe. So kam David W. Jamieson-Drake in seiner einflussreichen Studie von 1991 zu der Ansicht, dass die archäologischen Funde „strongly confirm the absence of a general knowledge of writing in Judah prior to the 8th century;“98 und viele sind seiner Sicht gefolgt. Die Popularität, welche die nachexilische Datierung der Josephsgeschichte gewinnen konnte, hat auch mit einer solchen generellen Einschätzung zu tun. Doch hat sich die Diskussionslage inzwischen gewandelt: Es ist deutlich geworden, dass die vorherrschenden Textfunde auf Ostraca, Gefäßen und Siegeln, welche eine Ausbreitung der Literarizität der Bevölkerung im späten 8. und im 7. Jh. v. Chr. belegen, das Bild stark verfälschen, weil die anspruchsvolleren, die literarischen Texte auf Papyrus geschrieben wurden, diese aber durch das zu feuchte Klima in Palästina fast alle zerstört worden sind. Deren Existenz wird aber z. B. durch einen ganzen Hort unbeschrifteter Bullae bezeugt, die in Jerusalem schon aus der zweiten Hälfte des 9. Jhs. gefunden wurden.99 Zudem weisen die kurzen Inschriften, die jüngst in Tel Reḥov und Tel Amal im Beth-Shean-Tal aus dem Ende des 10. und der ersten Hälfte des 9. Jhs. entdeckt wurden,100 teilweise eine solch professionelle semi-kursive Schriftform auf, dass sie, wie Benjamin Sass formulierte, „can be interpreted as the non-perishable offshoots of a significant output of papyri, the first concrete testimony for the beginning of such documents, sometime during the first half of the ninth century.“101 Ja, Erhard Blum machte zurecht geltend, dass die wenigen literarischen Texte, die bisher an den Rändern des israelitischen Siedlungsgebiets gefunden wurden, die Steininschriften auf der Mescha‑ und der Tel-Dan-Stele und die Putzinschriften in Tell Deir Alla und in Kuntillet Ajrud aus dem 9. oder beginnenden 8. Jh. v. Chr. stammen.102 Davon könnte man die Dabei bezieht er sich auch auf die Passage 41,50–52, die von der Geburt der Kinder Josephs und Asenats berichtet. Sie gehört allerdings weder der JG noch der EJG an, s. oben S. 24. 98 S. Jamieson-Drake, Scribes, 147. 99 Es handelt sich immerhin um über 170 Fragmente von dekorierten Bullae, vgl. Reich/ Shukron/Lernau, Discoveries, 156–157. 100 Vgl. Aḥituv/Mazar, Inscriptions, 206–242. 101 S. Sass, Aram, 224. 102 Vgl. Blum, Solomon, 71.
5.3 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die ursprüngliche Josephsgeschichte 109
moabitische Mescha-Stele als einen Beleg für die professionelle Schreiberausbildung im omridischen Israel ansehen, welche selbst die moabitischen Vasallen während der Zeit ihrer Abhängigkeit hatten genießen können. Nach sorgfältiger Einschätzung aller dieser und anderer neuerer Befunde hat Matthieu Richelle die Frage: „Could any Hebrew literature have been written prior to the eighth century BCE?“ mit einem klaren „ja“ beantwort: „In sum, the conditions for the production of literature were already present in the 10th and 9th centuries.“103 Damit öffnet sich nun aber auch unter Berücksichtigung der archäologischen Sicht ein breiteres Zeitfenster für die Datierung der beiden Versionen der Josephsgeschichte.
5.3 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die ursprüngliche Josephsgeschichte(JG) Terminus a quo für die JG, in der die Problematik staatlicher Herrschaft, wie oben gezeigt wurde,104 eine derart prominente Rolle spielt, ist mit einiger Sicherheit die Epoche von David und Salomo im 10. Jh. v. Chr., während der es in Israel zu ersten Ausformungen staatlicher Herrschaft kam.105 Dies gilt, egal wie man das Ausmaß und die territoriale Reichweite dieser Herrschaft beschreibt.106 Es war somit durchaus begründet, wenn Frank Crüsemann die Josephsgeschichte in diese Epoche anzusetzen suchte,107 wobei er sich noch zusätzlich darauf berufen konnte, dass in der biblischen Überlieferung mit dem Namen David und Salomo massive Aufstände gegen das junge Königtum verbunden sind (2 Sam 16–20; 1 Kön 11–12), die eine Legitimation von staatlicher Herrschaft, welche die Josephsgeschichte liefern möchte, nötig gemacht haben könnten. Allerdings gelang es Crüsemann nicht recht zu erklären, warum in einer Situation, in der eine Staatenbildung von Süden aus erfolgte, ausgerechnet mit Joseph ein Repräsentant der nördlichen Stämme als der Protagonist ausgewählt wurde, der S. Richelle, Elusive Scrolls, 37. Die Frage ist Teil des Titels seines Aufsatzes. S. oben S. 53–59. 105 Dass die Josephsgeschichte den Herrschaftsanspruch eines noch unabhängigen politischen Gebildes „Haus Joseph“ über die mittelpalästinische Region sogar schon in der vor‑ oder früh-monarchischen Zeit begründen wolle, der sich aus der Karriere ableitet, die sein Ahnherr „Joseph, der Hebräer“ noch in der älteren ägyptischen Administration gemacht habe, ist ein origineller Gedanke von Lauren Monroe (vgl. Monroe, Robe, 58–72). Jedoch beruht er auf der fraglichen Annahme, dass es sich in den Passagen Gen 39,2–41,54a; 47,13–25*, in denen Joseph ohne seine Brüder agiert, um den ältesten Kern der Josephsgeschichte handele, die sich hier nicht bewährt hat (s. oben S. 41 und unten S. 111). Zudem wird der Begriff „ עבריHebräer“ in dem später eingeschobenen Kapitel Gen 39 (V. 14.17), anders als Monroe meint (a. a. O., 72), nicht neutral gebraucht, sondern ist eindeutig negativ konnotiert. 106 Dass dies auch heute noch selbst dann gilt, wenn man die Existenz eines vereinten Königreiches leugnet, zeigt etwa Sergi, Emergence. 107 Vgl. Crüsemann, Widerstand, 145. 103 104
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
unter seinen Brüdern zur Herrschaft gelangte.108 So gab Erhard Blum schon früh zu bedenken, ob man daraus nicht doch eher einen Bezug auf „ein josephitisches Königtum (im Nordreich)“ entnehmen müsse.109 So hat sich diese frühe Datierung der JG nicht durchsetzen können. Es war darum durchaus folgerichtig, dass Walter Dietrich die ursprüngliche Josephsnovelle mit Jerobeam I., dem Begründer des Nordreichs in Verbindung bringen wollte und damit an das Ende des 10. Jhs. v. Chr. setzte.110 Er konnte sich darauf berufen, dass Jerobeam nicht nur als Ephraimit, sondern auch als Beauftragter der „Fronarbeiter des Hauses Joseph“ (1 Kön 11,26.28) bezeichnet wird, der unter Salomo die Josephiten ein Stück weit repräsentierte. Als solcher unternahm er einen gescheiterten Aufstandsversuch gegen den König Salomo und musste zu Pharao Schischak (Šošenq I.) nach Ägypten fliehen (V. 26–27.40). Nach Salomos Tod kehrte er zurück und wurde zum König der Nordstämme gewählt (12,1–2.20). Aus diesem Lebensweg ergeben sich einige Berührungspunkte zum Schicksal Josephs (Ägyptenaufenthalt, Aufstieg zum Herrscher). Dietrich meinte insbesondere die Vertrautheit mit ägyptischen Bräuchen und das ausgesprochen positive Ägyptenbild in der Josephsgeschichte damit erklären zu können. Aufgrund der genannten Parallelen halten es Rüdiger Lux und Jürgen Ebach, welche die Josephsgeschichte in viel spätere Zeiten datieren, für gut möglich, dass sich in der Schilderung vom Aufstieg Josephs am ägyptischen Hof (Gen 39–41) eine ältere Vorstufe greifen lasse, welche die Karriere Jerobeams I. reflektiere.111 Dennoch gibt es eine ganze Reihe von Gründen, die eine Ansetzung der JG in die Zeit Jerobeams I. eher unwahrscheinlich machen: Erstens sind die Berührungspunkte zwischen den beiden Karrieren nicht so eng, dass man sagen könnte, die Gestalt Josephs sei nach dem Vorbild des ersten Nordreichkönigs gestaltet worden. Joseph wird von den Seinen nach Ägypten verkauft, Jerobeam muss dorthin fliehen. Joseph steigt in Ägypten zum Herrscher auf, Jerobeam wird in Palästina zum König gewählt.112 Dass er dabei auch vom Pharao gefördert worden sei, können wir nur vermuten. Zweitens haben sich die Kapitel Gen 108 Crüsemann, Widerstand, 154, meint, dass Joseph nur als hoher Beamter und nicht als König charakterisiert werde, weil der Thron für Angehörige des Nordreichs unter David und Salomo unerreichbar gewesen sei. Doch werden in der Erzählung offenbar bewusst gar keine Beamtentitel für Joseph benutzt, sondern stattdessen umfassende Herrscherbezeichnungen (מושל ׁ „Herrscher“, Gen 45,8.26, „ ׁשליטMachthaber“, 42,6), die ihn nah an den Pharao heranrücken. Die Position des „Königs“ ist im ursprungsgeschichtlichen Erzählplot, in dem der Staat durch Ägypten repräsentiert wird, durch den Pharao schon besetzt. 109 Vgl. Blum, Komposition, 235. Einen solchen Bezug hatte Crüsemann, Widerstand, 153, noch ausschließen wollen. 110 Vgl. Dietrich, Josephserzählung, 61–66. 111 Vgl., Lux, Josef, 225–229; Ebach, Genesis, 687. 112 Deutlich engere Parallelen weist eigenartigerweise die in den ältesten Schichten des Exodusbuches geschilderte Mosegestalt zu Jerobeam I. auf, vgl. Albertz, Religionsgeschichte I, 217–219; Ders., Exodus I, 64–65.
5.3 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die ursprüngliche Josephsgeschichte 111
39–41 in der obigen Untersuchung nicht als älterer Kern der Josephsgeschichte erwiesen.113 Im Gegenteil, Gen 39 hat sich als spätere Zufügung herausgestellt.114 Drittens scheinen nach der biblischen Darstellung die staatlichen Herrschaftsstrukturen des Nordreichs unter Jerobeam I. noch so wenig ausgebildet gewesen zu sein,115 dass für eine breit angelegte Reflexion über das Gefährdungs‑ und Leistungspotential staatlicher Herrschaft, welche die JG unternimmt, zu dieser Zeit eher noch ein geringer Bedarf bestanden hat. Schließlich will so gar nicht der räuberische Feldzug zum Ganzen passen, den der Pharao Šošenq I. um 925 v. Chr. nach Palästina unternommen hat (vgl. 1 Kön 14,25–28).116 Wie auch immer jener zeitlich und sachlich genauer einzuordnen sein mag,117 er hätte eigentlich das Ägyptenbild der JG zumindest ein wenig eintrüben müssen, wenn sie während der Regierungszeit Jerobeams I. (926–906 v. Chr.) verfasst worden wäre. Allerdings empfiehlt es sich nicht, zu weit in der Geschichte des Nordreichs hinabzugehen. Zur Zeit besteht ein gewisser Trend, mehr oder minder alle Überlieferungen, die sich in der Hebräischen Bibel aus dem Norden erhalten haben – die Jakob-Erzählung, die ersten literarischen Ausformungen der Exodustradition oder die Heldenerzählungen des Richterbuches – in die Regierungszeit Jerobeam II. (786–746 v. Chr.) und damit in die erste Hälfte des 8. Jhs zu setzen.118 Für die vorliegende Fassung der Josephsgeschichte, die in etwa der EJG entspricht, denken auch Erhard Blum und Kristin Weingart an diese Zeit.119 Doch ließe sich bei einer solch späten Ansetzung der ursprünglichen Fassung der Josephsgeschichte 113 S. oben S. 41. Der jüngste detaillierte Rekonstruktionsversuch, der durch Franziska Ede im Gefolge von Kratz, Komposition, 283, und Levin, Jahwist, 267–284, unternommen wurde, macht offensichtlich, dass der angebliche Schlussvers (Gen 41,54) einer solchen postulierten frühesten Erzählfassung deren zentrales Thema, den sagenhaften Aufstieg Josephs in Ägypten, gar nicht widerspiegelt und mit der Formulierung „Die Dürre ereignete sich in allen Ländern, doch in ganz Ägypten gab es Brot“ schon auf die Fortsetzung des Geschehens, das Kommen der Bittsteller aus den anderen Ländern voraus weist (41,57; 42,5). D. h., es mangelt der Hypothese an einer kompositionskritischen Überprüfung. Zudem zwingt sie offenbar dazu, den dramatischen Erzählverlauf von Gen 37 auf ein bloßes Vorspiel zur Aufstiegsgeschichte in Kapitel 40–41 zu reduzieren, nämlich auf die Verse 37,3a.4a.12.13a.14b*.23a.25.28a*.b; vgl. Ede, Josefsgeschichte, 46–49.158–160.513–514. 114 S. oben S. 6–15. 115 So scheint Jerobeam I. z. B. noch nicht über eine feste Residenz verfügt zu haben, vgl. 1 Kön 12,25; 14,17. 116 Vgl. Weippert, Textbuch, 228–241. 117 Diente er der Installation Jerobeams I. als Vasallen (so Finkelstein, Jeroboam and Jeroboam, 147), oder war er eine Strafaktion gegen ihn als eines unbotmäßigen Vasallen (so Albertz, Exodus I, 247–248)? 118 Vgl. z. B. Finkelstein, Kingdom, 141–151; Ders., Corpus, 267–267; Ders., Jeroboam and Jeroboam, 143–152. In Ders., Northern Royal Traditions, 121.126, möchte Finkelstein sogar Literatur vom omridischen Hof ausschließen. Gegen diese Tendenz wendet sich Na’a man, Reign, 348–353, mit einigem Recht; er schießt aber mit seiner In-Frage-Stellung jeglicher literarischer Aktivität unter Jerobeam II. wohl ein Stück weit über das Ziel hinaus. 119 Vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, 520.
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
(JG) nur noch schwer erklären, warum nach 150 Jahren staatlicher Geschichte des Nordreichs die staatliche Herrschaft als solche immer noch so ein brennendes Problem gewesen sein sollte, dass jemand zur Darstellung ihrer Problematik und ihrer Rechtfertigung ein längeres Literaturwerk verfasste. Darum möchte ich hier die These aufstellen, dass die JG während der Regierungszeit der Omriden (881–845 v. Chr.), d. h. in der ersten Hälfte des 9. Jhs. v. Chr. im Nordreich konzipiert und aufgeschrieben wurde. Vier Gründe sind dafür maßgebend. 1. Die Josephsgeschichte begründet die Notwendigkeit staatlicher Herrschaft gegenüber den traditionellen familiären und tribalen Autoritäten. Kann man das Königtum Jerobeams I. noch als einen „early state“ im Sinne von Henry J. M. Claessen und Peter Skalnik bezeichnen, in dem die tribalen Autoritäten noch einen gewichtigen Einfluss auf die Staatsführung ausüben, so führten erst Omri und seine Nachfolger das junge Nordreich in das Stadium eines „full blown or mature state“ über.120 Ein entscheidender Schritt war dabei die Gründung der Hauptstadt Samaria außerhalb des Stammesterritoriums (1 Kön 16,23–24), welche dem König und seinen Bediensteten eine gewisse Unabhängigkeit bei der zentralen Regierungsausübung ermöglichte. Der prachtvolle Ausbau der Hauptstadt, die Gründung der befestigten Residenz Jesreel und der Bau bzw. Ausbau eines ganzen Kranzes von Festungsstädten hat als Demonstration staatlicher Machtentfaltung zur Sicherung der Einheit des Reiches nach innen und zu seinem Schutz nach außen gewaltige Bauwerke hinterlassen, deren archäologischen Reste noch heute eindrucksvoll sind.121 Allein schon für die Durchführung solcher umfassenden Baumaßnahmen bedurfte es einerseits des Aufbaus einer größeren staatlichen Verwaltung, in der die königlichen Dienstleute eine neue Elite bildeten.122 Andererseits erforderten sie die Verpflichtung einer Vielzahl von Fronarbeitern und stellte damit eine erhebliche Belastung der Bevölkerung dar. Neue Chancen für die einen und Belastung für die anderen stellte dazu der Aufbau einer schlagkräftigen Streitwagen‑ und Fußtruppe dar, mit der die Omriden ihr Staatsgebiet erweiterten, etwa im Südosten Moab unterwarfen, und sich tatkräftig in die internationale Politik einmischten. Omris Sohn Ahab soll in der Schlacht von Qarqar 853 v. Chr. gegen den Assyrerkönig Salmanassar III. innerhalb einer großen syro-phönizischen Koalition allein schon 2000 Streitwagen und 10.000 Mann Fußvolk aufgeboten haben.123 Der notorische Landbedarf der Krone und die stärkere soziale Stratifizierung der Vgl. Claessen/Skalnik, Early State, 23–28, und dazu Albertz, Social History, 355–359. Kingdom, 85–105, führt archäologisch dokumentierte omridische Baumaßnahmen in nicht weniger als 12 Ortslagen auf: Samaria, Jesreel, Megiddo, Dor, Gezer, Ataroth, Jahaz, Ramoth-Gilead, En Gev, Hazor, Har Adir und Tel Harashim. In Ders., Corpus, 266, stellt Finkelstein die Aufgabe „to address issues of identity“ als ein wichtiges Erfordernis der omridischen Innenpolitik heraus. 122 Zu den archäologischen Zeugnissen für die Existenz eines königlichen Verwaltungsapparates auch schon unter den Omriden vgl. Kleiman, Administrative System, 366–369. 123 Vgl. die Stele von Kerh-i-Dicle Rs. Z. 91–92, bei Weippert, Textbuch, 257. 120
121 Finkelstein,
5.3 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die ursprüngliche Josephsgeschichte 113
Gesellschaft führten zu ersten sozialen Konflikten (1 Kön 20,1–20a; 2 Kön 4,1). In einer Periode, während der das Nordreich Israel innerhalb nur weniger Jahrzehnte einen derart tiefgreifenden politischen und sozialen Wandel beim Ausbau eines voll entwickelten Staatswesens durchmachte, ist ein literarisches Werk, das grundsätzlich über die irritierenden Erfahrungen mit staatlicher Herrschaft und deren letztlich doch segensreichen Auswirkungen reflektiert, wie es in der JG geschieht, am ehesten vorstellbar. 2. Die JG begründet einen Führungsanspruch Josephs gegenüber allen seinen übrigen Brüdern, einschließlich Judas. In letzter Konsequenz propagiert sie damit ein vereintes Königreich unter der Führung des Nordens. Auch diese auf den ersten Blick etwas befremdlich erscheinende pan-israelitische Idee der JG lässt sich am Besten auf dem Hintergrund der Omridenzeit erklären. Um sein Reich aus der politischen Isolation herauszuführen, verheiratete Omri auf der einen Seite seinen Sohn Ahab mit der phönizischen Königstochter Isebel (1 Kön 16,31) und auf der anderen Seite seine Tochter (2 Kön 8,26) oder Enkelin (8,18) Atalja mit dem davidischen Thronfolger Joram. Doch während die erste diplomatische Eheschließung das Nordreich nur stärker politisch und kulturell in die internationale Staatenwelt einband, bildete die zweite die Grundlage für eine längere politische und militärische Zusammenarbeit zweier kulturell und religiös verwandter Staaten, einer Zusammenarbeit, die zwar immer eindeutig unter der Dominanz des politisch und wirtschaftlich potenteren Nordreichs stand, die aber einmal in der dauerhaften Verbindung beider Königshäuser hätte enden können. Wenngleich aus späterer Sicht kritisch bewertet und teilweise legendär übermalt, haben sich in der Hebräischen Bibel nicht weniger als drei Überlieferungen von gemeinsamen Kriegszügen omridischer und davidischer Könige erhalten: so einer Ahabs und Josaphats gegen die Aramäer (1 Kön 22), Jorams und Josaphats gegen Moab (2 Kön 3) und Jorams und Ahasjas gegen Hasael von Damaskus (2 Kön 8,28–29). Die darin zweimal bezeugte bedingungslose Solidaritätserklärung, die der judäische König gegenüber dem Omriden ablegt: „Wie ich so du, wie mein Kriegsvolk so dein Kriegsvolk, wie meine Streitpferde so deine Streitpferde“ (1 Kön 22,4; 2 Kön 3,7), spiegelt seine Abhängigkeit, doch wäre es falsch von einem Vasallenverhältnis zu sprechen;124 nirgends wird überliefert, dass Juda Tribute an das Nordreich zu entrichten hätte.125 Wenn der Sohn der Omridin Atalja (2 Kön 8,26), der judäische König Ahasja, seinem Neffen bzw. Vetter, dem nordisraelitischen König Joram, im fernen Ramot-Gilead gegen den Aramäerkönig Hasael Heeresfolge leistete (2 Kön 8,28) und diesen nach dessen Verwundung sogar am Krankenlager in Jesreel besucht haben soll (V. 29),126 124 So etwa Donner, Geschichte II, 279; Knauf, Könige, 495. Frevel, Geschichte, 234, will sogar noch über eine Vasallität hinausgehen. 125 So richtig Sergi, Judah’s Expansion, 234. 126 Bekanntlich nimmt Hasael auf der Tel-Dan-Inschrift (Z.8’–10’) nach der gängigen Rekonstruktion für sich in Anspruch, nicht nur den israelitischen König Joram, sondern auch den
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
dann scheinen in diese politische Allianz sogar familiäre Bindungen hineinzuspielen. Wie Omer Sergi aufweisen konnte, hat auch Juda als der schwächere Partner von dieser Allianz mit den Omriden erheblich profitiert. Mit der Macht der Omriden im Rücken konnte der judäische König Joram zum ersten Mal eine expansionistische Außenpolitik Judas betreiben (2 Kön 8,20–22) und nach omridischen Vorbild eine effektive staatliche Verwaltung aufbauen.127 Selbst als der Offizier Jehu im Nordreich die Herrschaft der Omriden im Jahr 845 v. Chr. blutig beendet hatte, konnte sich in Jerusalem Atalja noch 6 Jahre an der Macht halten; offenbar gab es hier noch genügend judäische Parteigänger der Omriden, die sie stützten. Allerdings geriet Juda damit in Opposition zu dem im Norden nunmehr regierenden nimschidischen Herrscherhaus. Zum endgültigen Abbruch der langjährigen Allianzpolitik mit dem Nordreich kam es erst, als sich nach dem Sturz Ataljas der judäische König Joasch dem König Hasael von Damaskus, dem Erzfeind und Bedränger des Nordreichs, freiwillig unterwarf, als dieser Gath, die mächtigste Stadt der Schephela, um 830 v. Chr. erobert hatte (2 Kön 12,18–19).128 Das heißt aber: Die auf den ersten Blick befremdliche panisraelitische Idee der JG hatte im 9. Jh. v. Chr. einen durchaus realistischen Anhalt in der politischen Realität. Hätte Jehu im Norden die Omriden nicht gestürzt und wäre Atalja im Süden nicht ermordet worden, hätte nach einer sich über mehr als 20 Jahre erstreckenden Zusammenarbeit vielleicht sogar die Chance zur Bildung eines vereinten Reiches unter der Führung des Nordens bestanden. Vor diesem historischen Hintergrund gewinnt an Bedeutung, dass die JG je länger je mehr vor allen übrigen Brüdern ausgerechnet Juda eine moralische Führungsrolle bei Versöhnung und der Vereinigung der Jakobsfamilie zubilligt (Gen 43,8–10; 44,14–16.18–34). Die gesamtisraelitische Herrschaft Josephs ist auf die Solidarität Judas angewiesen.129 Die aus biblischen und außerbiblischen Quellen sowie archäologischen Befunden recht gut rekonstruierbaren politischen Ereignisse dieser Zeit ermöglichen es sogar, die wahrscheinliche Entstehungszeit der JG auf die Jahrzehnte vor und kurz nach der Mitte des 9. Jhs. v. Chr. einzuschränken. judäischen König Ahasja getötet zu haben (vgl. Weippert, Textbuch, 269), während die biblische Erzählung 2 Kön 9–10 diese Taten dem Usurpator Jehu zuschreibt (9,24.27). Dann wäre der Krankenbesuch Ahasjas legendär. Da es sich in beiden Fällen um propagandistische Texte handelt, halte ich die biblische Version für glaubwürdiger, da sich die Jehu-Dynastie zu ihrer Rechtfertigung kaum mit Morden belastet haben würde, die gar nicht auf ihr Konto gingen. 127 Vgl. Sergi, Judah’s Expansion, 227–232.239; Kleiman, Administrative System, 369–371. 128 Vgl. Sergi, Judah’s Expansion, 239–240. 129 Wenn Kratz, Joseph Story, 27, in seinen Erwägungen zum historischen Hintergrund der Josephsgeschichte allein aus dem Grunde, dass ihre pan-israelitische Idee nicht auf ein reales politisches Interesse des Nordreichs weisen müsse, sondern genauso gut auf ein allgemein akzeptiertes Ideal abzielen könne, eine mögliche Datierung in der Omridenzeit gar nicht weiter verfolgt, dann war das vielleicht etwas voreilig, zumal die Geschichte der Teilreiche Israel und Juda keineswegs nur durch Gegensätze, wie er meint (a. a. O., 26), sondern auch von Bemühungen um Kooperation geprägt war.
5.3 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die ursprüngliche Josephsgeschichte 115
3. Auch für das auffallend positive Ägyptenbild der JG kann die Omridenzeit einige Gründe liefern, die allerdings bisher in der alttestamentlichen Forschung eher verborgen geblieben sind. Entgegen der eher skeptischen Sicht von Bernd Schipper130 sind die Ägyptologen Kenneth A. Kitchen und Donald B. Redford der Meinung, dass einige Pharaonen auch noch nach Šošenq I. eine aktive Außenpolitik in Richtung Palästina und Phönizien betrieben haben.131 So hat der Pharao Osorkon II., der etwa zwischen 874 und 831 regierte, nachdem er die Einheit von Unter‑ und Oberägypten wieder hatte herstellen können, nicht nur die traditionellen Bindungen zur Phönizierstadt Byblos erneuert und gestärkt, sondern er hat sich auch an der Seite von Byblos mit der syro-phönizischen Koalition gegen die Angriffe des Assyrerkönigs Salmanassar III. solidarisiert und in die Schlacht von Qarqar 853 v. Chr. ein kleines, aber immerhin symbolisch bedeutsames Truppenkontingent von 1000 Mann geschickt.132 Ägypten stand somit im Abwehrkampf gegen die assyrische Bedrohung auf der Seite der Koalition, in die sich auch der Omridenkönig Ahab maßgeblich eingeschaltet hatte. Es benutzte die syrischen, phönizischen und palästinischen Kleinstaaten als Schutzschild gegen die sich abzeichnende neuassyrische Gefahr. Dafür dass Osorkon II. auch mit dem Nordreich Israel ein freundschaftliches Verhältnis unterhielt, spricht nun der Fund der Reste einer großen zwei-henkligen Prunkvase aus Alabaster mit ca. 40 cm Durchmesser im Königspalast von Samaria, in welche die Kartusche Osorkons II. eingeritzt ist.133 Sie mag ein Geschenk gewesen sein, das der Pharao zu einem offiziellen festlichen Anlass, vielleicht sogar einem Abkommen, in die omridische Residenz übersandt hat. Redford rechnet sogar mit der Anwesenheit eines ägyptischen Botschafters am samarischen Hof.134 Bestanden aber zur Zeit der Omriden derart freundschaftliche diplomatische Kontakte zwischen Ägypten und dem Nordreich Israel, die neben 130 Vgl. Schipper, Israel und Ägypten, 143–149. Da nach Schipper die ägyptischen Quellen keinen Hinweis auf außenpolitische Aktivitäten liefern (a. a. O., 144), zweifelt er die durch andere Quellen belegten grundsätzlich an. Osorkons Alabastervase in Samaria übersieht er. 131 Vgl. Kitchen, Period, 302–325; Redford, Egypt, 334–341. 132 Vgl. Kitchen, Period, 324–325; Redford, Egypt, 339–341. Die These, dass in der Stele von Kerh-i-Dicle in Z. 92 „500 Fußsoldaten aus Byblos und 1000 Fußsoldaten aus Ägypten“ gemeint sind, wurde erstmals von Tadmor, Que, aufgestellt. Diese Lesung und Interpretation der Gentilitien kurGu{-bal}-a-a „aus Byblos“ und Mu-uṣ-ra-a-a = „aus Ägypten“ wird von Galling, Textbuch, 50, und Weippert, Textbuch, 257, akzeptiert, aber von Schipper, Israel und Ägypten, 144–146, angezweifelt, da die akkadische Bezeichnung muṣri auch noch ein Gebiet im Osttigrisland und in Nordsyrien bezeichnen kann. Doch ist sowohl die Bedeutung als auch die Stellung des Lexems in der Liste durch die Nähe zum Verbündeten Byblos genügend gesichert. In den gängigen Geschichten Israels wird auf die Beteiligung Ägyptens an der Schlacht von Qarqar oft gar nicht eingegangen, vgl. etwa Noth, Geschichte, 224; Donner, Geschichte, 290–291; Miller /Hayes, History, 257–259. 133 Vgl. Reisner /Fischer /Lyon, Samaria I, 131–132.243.247.334 fig. 205.334; II, pl. 54b.56g. 134 Vgl. Redford, Egypt, 339 Anm. 84; er verweist hier auf ein in Samaria gefundenes Siegel mit einem ägyptologisch deutbaren Namen „belonging to Pediese“. Ich habe dieses Siegel leider nicht verifizieren können.
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
der Pflege der Handelsbeziehungen auch das Ziel hatten, sich gemeinsam gegen den assyrischen Aggressor zu wehren, dann wird leicht erklärlich, warum die JG ein so ungetrübt positives Bild von Ägypten zeichnet. Die mesopotamische Flusskultur kam in dieser Situation als Ausweichsort in der Hungersnot gar nicht in Betracht. Als befreundeter Staat bot stattdessen Ägypten die beste Überlebenschance. Aus einer Zeit, als die ägyptische Staatsmacht unter Orsokon II. für Israel so solidarisch und so wenig bedrohlich auftrat, wird es verständlich, warum Ägypten für den Autor der JG, den wir ja wohl im Umkreis des omridischen Hofs vermuten müssen, zum Repräsentanten eines voll ausgebildeten und gut funktionierenden Staatswesens werden konnte, das man sogar ein wenig als ein Vorbild für den eigenen Staatsaufbau bewunderte. Erst in der EJG wurde der Blick auf Ägypten dann deutlich kritischer. 4. Schließlich mag die erstaunliche religiöse Offenheit, welche die JG charakterisiert, etwas mit der religiösen Ausgleichspolitik zu tun haben, welche die Omriden programmatisch betrieben. Nach innen mussten die verschiedenen Bevölkerungsgruppen ihres vergrößerten Staatsgebiets kulturell geeint werden, nach außen erforderte die gewollte internationale Einbindung des Nordreichs religiöse Rücksichtsnahmen. So hatte der König Ahab, der, wie die theophoren Namen seiner Kinder zeigen, selber auf der familiären Ebene ein JHWH-Verehrer war, anscheinend überhaupt keine Probleme damit, für seine phönizische Frau einen Baalstempel in Samaria zu errichten und mit einigem Aufwand zu betreiben (1 Kön 16,32; vgl. 2 Kön 10,18–27). Für ihn war offenbar die Verehrung beider Gottheiten in seinem Reich problemlos miteinander vereinbar (1 Kön 18,21). Auch die in Samaria gefunden Elfenbeinschnitzereien bezeugen eine solche kulturelle Offenheit, auch hin zu der von den Phöniziern vermittelten ägyptischen religiösen Symbolik.135 Wegen dieser religiösen Ausgleichspolitik sind die Omriden schon zu Lebzeiten in die Kritik radikaler prophetischer Kreise um Elia und Elisa geraten. Sie war nach 2 Kön 9–10 ein Grund für die JehuRevolution, die sie stürzte. Und die dieser Sicht folgende dtr. Historiographie brachte die Omriden in der Hebräischen Bibel dann vollends in Misskredit (1 Kön 16,29–33; 21,20b–26; 2 Kön 10,30). Die JG wäre somit auf diesem Hintergrund ein von dieser Linie völlig abweichendes Zeugnis für den auf religiösen Ausgleich zielenden aufgeklärten religiösen Geist,136 der am omridischen Hof bzw. bei den Schreibern in seinem Umfeld herrschte, welches sich gegen eine 135 Vgl. etwa nur das Motiv vom Horus-Kind im Lotus bei Crowfoot/Crowfoot, Ivories, 12–13, pl. I,1–2. 136 Hier würde die Charakterisierung der Josephsgeschichte von von R ad, Josephsgeschichte, 272–273, wieder passen. Auffällig wäre bei einer solchen neuen zeitlichen Ansetzung nur, wie wenig sich der Autor der JG genötigt sah, mit den kritischen prophetischen Strömungen, die in seiner Zeit aufkamen, auseinanderzusetzen. Oder sollte man schon die konsequente Vermeidung des JHWH-Namens in seinem Werk als ein bewusstes Votum werten? Vielleicht waren aus der Perspektive eines gebildeten Schreibers im Umkreis des omridischen Hofes die prophetischen Kreise einfach viel zu marginal!
5.4 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die erweiterte Josephsgeschichte
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beginnende, auf Exklusivität der JHWH-Religion drängende Entwicklung aus früher Zeit erhalten hat. Zwar mögen die vorgetragenen Überlegungen zur Datierung der JG für sich genommen keineswegs zwingend sein. Doch die Tatsache, dass es möglich ist, gleich vier ihrer auffälligen Charakteristika aus ein‑ und derselben Epoche zu erklären, stattet die These, dass die ursprüngliche Josephsgeschichte in der Omridenzeit, d. h. etwa um die Mitte des 9. Jhs. v. Chr., entstanden ist, mit einiger Wahrscheinlichkeit aus.
5.4 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die erweiterte Josephsgeschichte(EJG) Das gegenüber der JG deutlich kritischere Ägyptenbild in der EJG lässt vermuten, dass letztere in einer anderen geschichtlichen Epoche entstanden ist. Praktisch kommt für sie eigentlich nur die Regierungszeit Jerobeams II. (786– 746 v. Chr.) in Frage, als das Nordreich nach einer Periode harter Bedrängung durch die Aramäer in der zweiten Hälfte des 9. Jhs. und kurz vor seiner endgültigen Eroberung durch die Assyrer (722 v. Chr.) noch einmal eine längere Phase der politischen Stabilität, der territorialen Expansion und der wirtschaftlichen Blüte erlebte. So soll hier die These vertreten werden, dass nicht, wie zuweilen angenommen, die Josephsgeschichte als solche,137 deren Reflexion über die Gefahren und den Nutzen staatlicher Herrschaft in dieser relativ späten Zeit kaum noch einen Anlass gehabt hätte, sondern allein die Erweiterung der ursprünglichen Josephsgeschichte mit ihrer Abgrenzung vom ägyptischen Herrschaftsmodell und ihrer Hervorkehrung der eigenen israelitischen Identität aus der Epoche der starken Nimschiden-Herrscher, Joasch (801–786 v. Chr.) und seines Sohnes Jerobeams II., aus der ersten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. stammt. Vier Gründe sind dafür maßgebend: 1. Nach Auskunft der EJG wurde der einbalsamierte Leichnam des Stammvaters Jakob aus Ägypten auffälligerweise in das Ostjordanland überführt. Wohl sind die in diesem Zusammenhang genannten Ortslagen Goren Hā’āṭād und ʾAbel-Miṣrajim (Gen 50,10–11) bisher nicht genauer lokalisierbar, und auch wird aufgrund der priesterlichen Überarbeitung in V. 12–13 nicht mehr klar erkennbar, ob diese miteinander identifizierten Orte als die letztendliche Begräbnisstätte oder bloß als eine besondere Gedenkstätte für Jakob gemeint waren. Doch setzt diese Schilderung der Grablegung Jakobs in jedem Fall voraus, dass das Ostjordanland zur Zeit ihres Autors zum Staatsgebiet des Nordreichs gehörte. Dies war aber, nachdem das Ostjordanland unter Jehus Nachfolger Joahas an die Aramäer verloren gegangen war, erst wieder unter dem König Joasch der Fall. 2 Kön 13,25 berichtet, dass er dem im Jahr 796 v. Chr. unter Vgl. etwa Blum/Weingart, Joseph Story, 520.
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
den massiven Druck der Assyrer geratenen König Benhadad von Damaskus die verloren gegangenen Gebiete im Ostjordanland wieder abnehmen konnte. Damit ist ein terminus a quo für die Datierung der EJG gewonnen. 2. Auch die EJG vertritt einen pan-israelitischen Herrschaftsanspruch Josephs. Ihr Autor hat diesen Erzählzug der JG ausdrücklich aufgenommen und mit dem Motiv der freiwilligen Selbstunterwerfung der Brüder unter Josephs Herrschaft (Gen 50,18–19) in der von ihm gestalteten Schlussszene sogar noch einmal auf eine spezifische Weise theologisch akzentuiert. Im letzten Drittel des 9. Jh. v. Chr., als das Nordreich unter den Angriffen des Königs Hasael von Damaskus stark geschwächt und dezimiert wurde, wäre ein solcher Anspruch völlig illusorisch gewesen. Hatte doch das Südreich in dieser Zeit die Lage genutzt, um unter dem Schutz Hasaels stärkere Eigenständigkeit zu gewinnen138 und seinen Einflussbereich auszuweiten (2 Kön 14,7). Als der judäische König Amazja allerdings nach einem Sieg über Edom meinte, er könne nun – genau umgekehrt wie in omridischer Zeit – seinen Herrschaftsanspruch auf das geschwächte Nordreich ausdehnen (V. 8–11), wurde er vom nordisraelitischen König Joasch bei BetSchemesch vernichtend geschlagen. Wenn Joasch sogar soweit ging, Jerusalem zu erobern und zu plündern und Amazja samt einigen Judäern als Geiseln nach Samaria zu verschleppen (V. 12–14), dann sieht das nach einer regelrechten Strafaktion aus. Juda sollte dafür büßen, dass es sich zuvor mit den Feinden des Nordreichs verbündet hatte. Joasch wollte ein Exempel statuieren, dass das Südreich in Zukunft nur an der Seite und unter der Oberherrschaft des Nordreichs überleben könne. Angesichts dieser geschichtlichen Ereignisse gewann aber nun der pan-israelitische Herrschaftsanspruch der JG neue geschichtliche Aktualität. Sie könnten einen Schreiber im Umkreis des Hofes in Samaria veranlasst haben, über die Art dieser neu aufgerichteten gesamtisraelitischen Herrschaft nachzudenken. Die drastischen Maßnahmen des Joasch kann man wohl nur mit Israel Finkelstein so verstehen, dass er damit Amazja in die Vasallität zwingen wollte.139 Aber es scheint so, dass sich das Abhängigkeitsverhälnits Judas vom Norden während der langen Regierungszeit Jerobeams II. wieder entspannt hat. Wohl wird in der Hebräischen Bibel – anders als für die omridische Zeit – von keinen gemeinsamen Aktionen der Könige des Nord‑ und Südreichs berichtet, aber die Nachricht, dass Amazjas Sohn den Hafen Elat am Roten Meer für Juda zurückgewann und ausbaute (2 Kön 14,22), lässt sich im Zusammenhang mit dem archäologischen Befund, dass unter Jerobeam II. Kuntillet Ajrud auf der nördlichen Sinaihalbinsel als nordisraelitischer Handelsstützpunkt gebaut und betrieben wurde, in der Weise verstehen, dass Nord‑ und Südreich beim Ausbau
S. oben S. 114. So Finkelstein, Kingdom, 129.
138 139
5.4 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die erweiterte Josephsgeschichte
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des lukrativen Arabienhandels kooperierten und beide davon profitierten.140 So verschaffte Juda die loyale Zusammenarbeit mit dem Nordreich auch in dieser Periode Sicherheit und Prosperität. Angesichts dieser Entwicklung ist es durchaus möglich, dass der Autor der EJG mit seiner Schlusssequenz von Gen 50,15–22a, in der er Joseph das Angebot der Selbstversklavung seiner Brüder schroff zurückweisen lässt, gegen eine zu drastische Unterwerfung Judas unter das Nordreich, wie sie Joasch vollzogen hatte, protestieren wollte. Im Unterschied zu Ägypten sollte eine gesamtisraelitische Herrschaftsausübung nie absolutistische Züge tragen, sondern von außen durch Gott begrenzt und im Innern durch Solidarität getragen sein. Allerdings hat Juda nach Jerobeams Tod eine solche Bemühung um eine brüderliche Form von Herrschaft nicht gedankt. Im Jahr 734 v. Chr., als Damaskus und das Nordreich direkt von einer neuen assyrischen Westoffensive bedroht wurden, hat es den Brüdern im Norden keine Solidarität erwiesen, sondern sich stattdessen mit den Assyrern verbündet, um sein eigenes Überleben zu sichern (2 Kön 16,5–8). Damit ist ein terminus ad quem für die EJG gewonnen. 3. Gegenüber der gesamtägyptischen Herrschaft Osorkons II. zur Zeit der Omriden hatte sich das Erscheinungsbild des ägyptischen Staates gegen Ende des 9. Jhs. deutlich verändert. Während der Herrschaft seines Nachfolger Šošenq III. in Tanis schwang sich in Leontopolis Pedubast I. im Jahr 818 zu einem zweiten Pharao auf und begründete neben der 22. libyschen die konkurrierende 23. Dynastie. In den folgenden 80 Jahren zersplitterte die Herrschaft im Delta und in Mittel‑ und Oberägypten in eine Vielzahl kleinerer König‑ und Fürstentümer. Das Herrschaftsgebiet der libyschen Pharaonen Pimay und Šošenq V., die etwa zur Zeit Jerobeams II. regierten, beschränkte sich mehr oder minder auf das Ostdelta.141 In dieser Epoche war Ägypten keine Großmacht mehr. Seine konkurrierenden Pharaonen und Fürsten waren weitgehend mit sich selber beschäftigt und betrieben keine Außenpolitik. Das Machtvakuum, das sie hinterließen war mit ein Grund dafür, warum sich das Reich Jerobeams II. so ungestört zu einem erheblichen Machtfaktor in der Levante entwickeln konnte.142 Es ist dieser Niedergang der ägyptischen Staatsmacht in der ersten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr., der meiner Meinung nach für das veränderte Ägyptenbild der EJG verantwortlich ist. Nur weil man sich im Reich Jerobeams II. fast auf Augenhöhe mit den in ihrer Macht geschrumpften ägyptischen Königs‑ und Fürstentümern wähnen konnte, war es vorstellbar, dass der israelitische Stammvater Jakob ein ägyptisches Staatsbegräbnis erhielt (Gen 50,1–11). Nur weil die Führungseliten im Nordreich in dieser Zeit um kaum weniger politischen Einfluss verfügten als Vgl. Finkelstein, Kingdom, 135–138. Vgl. dazu Kitchen, Period, 334–377; Becker, Identität, 240–241. 142 Der wichtigere Grund war natürlich, dass die Assyrer nach der Schwächung des Reiches von Damaskus ihre Westoffensive bis in die zweite Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. unterbrachen, weil sie gegen das Reich von Urartu mit der Sicherung ihrer Nordgrenze beschäftigt waren. 140 141
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
ihre Kollegen in ägyptischen Teilstaaten, war es nicht unvorstellbar, dass Joseph als einer der Ihren sogar in die berühmte Priesterelite von Heliopolis einheiratete (41,45a). Nur weil man in Israel angesichts einer zerfallenden ägyptischen Staatsmacht unter Joasch und Jerobeam II. einen stabilen und florierenden Staat aufgebaut hatte, konnte der Autor der EJG den israelitischen Protagonisten sogar zu dem großen Staatsmann erheben, der in Ägypten aus der Krise heraus das pharaonische Herrschaftsideal zur vollen Geltung brachte (47,13–26), wozu die Einheimischen selber bis dahin nicht fähig waren. Die hohe Achtung, die der Pharao dem Stammvater Israels entgegenbrachte, war somit wohlbegründet! Doch eben weil das zersplitterte Ägypten des frühen 8. Jhs. ein gutes Stück weit seine Faszination als vorbildliche Repräsentanz staatlicher Herrschaft verloren hatte, war es dem Autor der EJG möglich, sich kritisch von einem als absolutistisch oder sogar als totalitär empfundenen ägyptischen Herrschaftsverständnis abzusetzen. Ein solches sollte und konnte für Israel seiner Meinung nach kein Vorbild sein (50,18–19)! Allerdings blieb auch das Ägypten des frühen 8. Jhs. für Israel und das mit ihm verbündete Juda ein wichtiger Handelspartner. Neben den traditionellen Harzen und Parfümstoffen (Gen 37,25) wurden aus dem Reich Jerobeams offenbar in größerem Ausmaß Wein und Öl nach Ägypten exportiert.143 Möglicherweise gewann Ägypten für das Nordreich in dieser Zeit sogar noch erheblich an wirtschaftlicher Bedeutung, wenn die These von Deborah O. Cantrell und Israel Finkelstein zutrifft, dass unter Jerobeam II. in Megiddo eine regelrechte „PferdeIndustrie“ aufgebaut wurde, bei der im großen Stil ägyptische, besonders die großen nubischen Pferde importiert wurden, um sie in Megiddo für eine Verwendung als Streitwagenpferde zu trainieren, von denen sich dann viele mit hohem Gewinn weiter nach Assyrien weiterverkaufen ließen.144 Jedenfalls könnte sich die erhöhte Bedeutung, welche die ägyptischen Pferde in dieser Epoche für Israel bekamen, darin widerspiegeln, dass der Autor der EJG unter das Klein‑ und Großvieh, das die Ägypter an Joseph in der Hungersnot zur Erlangung von Nahrungsmitteln ablieferten, an erster Stelle die Pferde ( )סוסיםeinreiht (47,17). Das ist insofern höchst auffällig, weil die Pferde anders als die an letzter Stelle erwähnten Esel (vgl. 12,16; 22,2–3 u. ö.) an dieser Stelle überhaupt zum ersten Mal im Buch Genesis erwähnt sind.145 Bei den intensivierten Handelskontakten mögen selbstbewusste israelitische Handelskommissare möglicherweise auch 143 Vgl. die für den Fernhandel normierten sog. „torpedo storage jars“, die in großer Zahl in israelitischen und phönizischen Hafenstädten, z. T. sogar noch in Schiffswracks, gefunden wurden, bei Finkelstein, Kingdom, 132–134. 144 Vgl. Cantrell/Finkelstein, Horse, 656–660; Finkelstein, Kingdom, 133–135. Zu den kritischen Anfragen, die sich z. B. bei Halpern, Fall, 262–263, finden, vgl. die Entgegnungen bei Cantrell, Stable. 145 Vgl. dann noch einmal die Nennung der Pferde an erster Stelle bei der Aufzählung des in Ägypten existierenden Viehs in Ex 9,3. Die Plagen-Auszugs-Erzählung gehört allerdings schon in eine spätere Zeit, nach meinen Untersuchungen in die erste Hälfte des 7. Jhs. v. Chr.,
5.4 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die erweiterte Josephsgeschichte
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die irritierende Erfahrungen gemacht haben, dass ihnen stolze ägyptische Kollegen die Mahlgemeinschaft verweigerten (43,32b) oder sie gar als nomadische Viehzüchter aus der Levante verachteten (46,34bβ). So sehr auch ihr politischer Einfluss gesunken war, die Ägypter hielten sich immer noch für etwas Besseres! So könnten auch an diesen beiden Stellen zeitgenössische Erfahrungen aus der Jerobeam-Zeit in die EJG eingeflossen sein, was allerdings voraussetzt, dass dergleichen kulturelle Vorbehalte gegenüber Ausländern damals in Israel und Juda noch unüblich waren. 4. Schließlich ist noch die Frage zu klären, ob und inwieweit sich das Anliegen der EJG, die Identität Israels deutlich stärker, als es die JG gekonnt hatte, gegenüber Ägypten abzugrenzen, aus der Epoche Jerobeams II. erklären lässt. Auf den ersten Blick mag es ja verwunderlich erscheinen, dass unter dem mächtigsten Nimschiden-Herrscher, der den blutigen Sturz der Omriden und die Begründung seiner Dynastie damit legitimierte, dass er Jehu als Eiferer für JHWH und Vernichter des Baalkults von Samaria feierte (vgl. 2 Kön 10,16.18–27),146 mit der JG ausgerechnet ein literarisches Werk aufgegriffen und bearbeitet wurde, das mit seiner Weltoffenheit den aufgeklärten Geist der ausgleichenden Religionspolitik atmete, welche die gestürzten Omriden-Herrscher betrieben hatten. Nun lassen die Inschriften von Kuntillet Ajrud, die nach neueren Erkenntnissen ebenfalls in die erste Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. datiert werden müssen,147 jedoch erkennen, dass von einer strengen JHWH-Monolatrie zur Zeit Jerobeams II. nicht die Rede sein kann. Wohl hat es Jerobeam II. offenbar – im Gegensatz zu den Omriden – vermieden, die Kulte eindeutig ausländischer Gottheiten in seinem Reich zu fördern,148 sondern stattdessen den Kult des Nationalgottes JHWH unterstützt, aber er hat doch durch dessen lokale Spezifierung („JHWH von Samaria“ u. a.) und mit der Zuordnung anderer Gottheiten unter ihn („seine Aschera“), einer gewissen internen religiösen Pluralität Raum gegeben.149 Dieses drückt sich auch in dem Ausbau mehrerer Kultstätten im ganzen Reichsgebiet aus, die inzwischen auf ihn zurückgeführt werden können.150 So fiel die JG mit ihrer religiösen Offenheit nicht völlig aus dem Rahmen, wenn man weniger die propagierte Ideologie, sondern mehr die religionspolitische Realität unter dem vgl. Albertz, Exodus I, 215–216. Sie könnte aber immer noch den lukrativen Pferdehandel mit Ägypten im 8. Jh. reflektieren. In 1 Kön 10,28–29 wird dieser sogar in die Zeit Salomos projiziert. 146 In ihrer eingehenden Untersuchung der Jehu-Erzählung von 2 Kön 9–10 hat Otto, Jehu, 97–104, wahrscheinlich gemacht, dass diese Erzählung ebenfalls am ehesten während der Regierungszeit Jerobeams II. verfasst wurde. 147 Vgl. Finkelstein, Kingdom, 137. 148 In KAgr(9):7,1–3 werden allerdings die Gottesbezeichnungen „ אלEl“ und „ בעלBaal“ parallel zueinander genannt, wenn nicht sogar miteinander gleichgesetzt, vgl. Renz/Röllig, Epigraphik I, 59. 149 Vgl. Renz/Röllig, Epigraphik I, 58.61.62.64 150 So etwa Dan, Beerscheba und Kirjat-Jearim, vgl. Finkelstein, Kingdom, 138–139; Ders., Jeroboam II’s Temples.
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5. Die Datierung der Josephsgeschichte
Nimschiden-Herrscher in Betracht zieht. Mir scheint aber, dass die nicht zuletzt durch die JHWH-Religion gestärkte israelitische Identität in der Zeit Jerobeams II. den Autor der EJG veranlasst hat, Israel schärfer, als es die JG vermocht hatte, von der ägyptischen Kultur abzugrenzen. Dieses Anliegen verwirklichte er nun aber nicht etwa damit, dass er den JHWH-Namen, den die JG vermieden hatte, einfach in seinen Ergänzungen verwendete. Nein, er wählte zwei andere, der JG kongenialere erzählerische Strategien, indem er auf der einen Seite Jakob, den Stammvater Israels, nicht in Ägypten beließ, sondern dafür sorgte, dass er posthum wieder in das kanaanäische Stammland überführt wurde, und indem er auf der anderen Seite das für die JHWH-Religion typische herrschaftskritische Element151 gegen das pharaonische Herrschaftsverständnis zur Geltung brachte: Er ließ Joseph, der ohne Zögern die Selbstversklavung der Ägypter unter den Pharao vollzogen hatte (Gen 47,18–25), das Angebot einer Selbstversklavung seiner Brüder unter ihn brüsk mit den Worten ablehnen: „Bin ich etwa an Gottes Statt?“ (50,18–19). Politische Herrschaft in Israel, auch die vom Nordreich ausgeübte Dominanz über Juda, konnte seiner Meinung nach nur eine durch Gott begrenzte sein. Da die EJG auf diese indirekte Weise einem wesentlichen Element des JHWH-Glaubens im vorgefundenen Stoff der JG Raum verschaffte, passt sie durchaus in die Zeit der beiden Nimschiden-Herrscher Joasch und Jerobeam II. hinein. Leider verfügen wir aus der Hebräischen Bibel zu Jerobeam II. über weit weniger historische Informationen als über die Omriden-Könige (vgl. 2 Kön 14,23–29). Darum lässt sich der geschichtliche Hintergrund der EJG weniger detailliert aufhellen, als dies für die JG möglich war. Doch unter Zuhilfenahme der zusätzlichen Informationen, die uns die Archäologie inzwischen liefert, konnten immerhin vier Charakteristika der Erweiterung mit historischen Daten aus der Jerobeam-Zeit in Verbindung gebracht werden, so dass eine Datierung der EJG in der ersten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. nicht mehr bloß vermutet, sondern mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann. Die hier vorgeschlagene und begründete diachrone Differenzierung hat zu einer recht plausiblen Datierung der ursprünglichen Josephsgeschichte und ihrer Erweiterung in zwei wichtige Phasen der Geschichte des Nordreichs geführt (Mitte des 9. und erste Hälfte des 8. Jhs. v. Chr.). Damit gewinnt aber die geschichtliche Verankerung der Josephsgeschichte in die vorexilische Zeit einen Grad an Plausibilität, den alle bisherigen Vorschläge, sie in die nachexilische Zeit anzusetzen, nie erreicht haben.152 Somit dürfte sich der erste der beiden kontro151 Vgl. Ri 8,32–33; 9,8–15; 1 Sam 8,11–17 und aus späterer Zeit Hos 13,9–11; Dtn 17,14–20; 1 Sam 8,4–9. 152 Vgl. dazu oben S. 23 und 105–106 Anm. 90. In seinem jüngsten Aufsatz (Römer, Joseph Narrative, 45–46), erwägt Thomas Römer nicht weniger als fünf verschiedene Möglichkeiten für eine nachexilische historische Situierung der Josephsgeschichte, ohne eine davon präferieren zu wollen: 1. eine Entstehung in Elephantine, 2. eine Entstehung im Nildelta, 3. eine Ent-
5.4 Ein möglicher geschichtlicher Hintergrund für die erweiterte Josephsgeschichte
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versen Auslegungstypen (Reflexion über staatliche Herrschaft) – in der hier vorgeführten modifizierten Form – endgültig als der bei weitem wahrscheinlichere erwiesen haben. Es wird sich im Folgenden aber zeigen, dass die EJG im Laufe ihrer innerbiblischen Auslegungsgeschichte dann doch noch nachträglich mit dem im zweiten Auslegungstyp verhandelten Thema (Reflexion über DiasporaExistenz) zu tun bekam.
stehung in der samaritanischen Diaspora, die allerdings erst in hellenistischer Zeit bezeugt ist, 4. eine Entstehung in der persischen Provinz Samaria, die Kooperation mit der Nachbarprovinz Juda reflektierend; 5. stellt sie einen Niederschlag der pan-israelitischen Ideologie dar, wie man sie etwa bei Propheten wie Ezechiel oder Sacharja findet. Wenn Kratz, Joseph Story, 32, als einer der besten Kenner der nachexilischen Epoche gegen Schluss seiner längeren historischen Erwägungen jüngst feststellte: „I can say almost nothing about the historical background of the Joseph story in the Egyptian diaspora,“ dann weist das sehr deutlich auf die historischen Probleme, in die ihre nachexilische Ansetzung führt. Er vermutet abschließend, dass vielleicht die Wahl Josephs zum Protagonisten und Ägypten zum Aufenthaltsort durch die Nachrichten aus Jer 41–43 eine Erklärung finden könnten, dass nach der Gedalja-Ermordung mit den verängstigten Judäern wohl auch zehn überlebende nordisraelitische Pilger nach Ägypten abwanderten (41,4–10; 43,5–7), aber er möchte daraus ausdrücklich keinen historischen Kontext für die Josephsgeschichte konstruieren (a. a. O., 32–33).
6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge Nachdem die historische Ansetzung von JG und EJG einigermaßen gesichert ist, lässt sich die Literaturgeschichte, wie jene mit der Zeit in immer größere literarische Zusammenhänge eingefügt wurden, soweit dies sich aus der Textstratigraphie von Gen 37 bis 50 ablesen lässt, deutlich genauer nachzeichnen.
6.1 Die Ausgangslage Wie oben herausgearbeitet wurde, war die JG ein eigenständiges, in sich abgeschlossenes Erzählwerk, das nicht auf eine Fortsetzung angelegt war. Abgesehen davon, dass eine kurze Erzählexposition durch die jetzige redaktionelle Einbindung in Gen 37,1–2 weggefallen ist, ließ sich von 37,3 bis 47,12.27a – abzüglich der späteren Einschübe – ein vollständiger, in sich ruhender Erzählbogen rekonstruieren.1 Die JG setzt die Kenntnis der Jakobserzählung voraus, aber offensichtlich noch nicht in der Form, in der sie uns heute vorliegt. So wird Rahel in 37,10 entgegen 35,16–20, wo ihr Tod bei der Geburt Benjamins berichtet wird,2 als noch lebend vorausgesetzt, und entgegen 30,21, wo wir von der Geburt der einen Tochter Dina hören, werden in 37,35 mehrere Töchter Jakobs erwähnt. Die JG war also ursprünglich gegenüber der Jakobserzählung selbstständig.3 Da inzwischen auch Erhard Blum annimmt, dass nur eine frühere Form der Jakobserzählung aus einer Zeit vor den Omriden stammt, ihre vorliegende Fassung aber erst in der Epoche Jerobeams II. geschrieben wurde,4 lässt sich die aufgezeigte sachliche Divergenz recht gut mit der Ansetzung der JG in die Omriden-Zeit, d. h. einer Zeit, in der die Jakobserzählung zwar schon vorhanden, aber noch im Werden war, erklären. Da die JG, wie oben gezeigt,5 voraussetzt, dass der Ägyptenaufenthalt der Jakobsfamilie bloß auf die verbleibenden fünf Jahre der S. oben S. 39–51. Die Szene stellt schon eine Erweiterung zur Jakobserzählung (25,19–33,20*) dar, vgl. Blum, Komposition, 208–209. 3 Entgegen der Meinung von Kratz, Komposition, 282; Ede, Josefsgeschichte, 20–22.513; Dies., Joseph Story, 7–10). 4 Vgl. Blum, Jacob Tradition, 210; ähnlich Finkelstein, Kingdom, 141–144. 5 S. oben S. 51–52. 1 2
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
siebenjährigen Hungersnot begrenzt war (45,6.11), hatte sie die Exodustradition, die von einem lang anhaltenden Aufenthalt des Volkes Israel in Ägypten erzählte, überhaupt nicht im Auge. Auch wenn ihrem Autor deren erste literarische Ausformungen bekannt gewesen sein mögen, brauchte er auf diese keinerlei Rücksicht zu nehmen. Er konnte geradezu im Gegensatz zur Exodustradition Ägypten als überaus freundliches Gastland und als Vorbild für eine funktionierende staatliche Herrschaft präsentieren, weil die dortige Rettung der Jakobsfamilie in der Hungersnot ja nur als eine kurze Episode gemeint war und weil zu seiner Zeit die Ursprungsgeschichte der Stammväter noch völlig unabhängig von der anderen Ursprungsgeschichte, welche die Exodustradition verkörperte, gedacht und konzipiert werden konnte. Die JG ist nicht, wie Martin Noth und andere meinten, als Brücke zwischen Erzväter‑ und Exodustradition entstanden,6 sonst hätte ihr Ägyptenbild völlig anders gestaltet sein müssen. Noch der Hexateuchredaktor hatte seine liebe Not damit, die konträren Ägyptenbilder der Josephs‑ und der Exodusgeschichte mühsam miteinander auszugleichen.7 Auch die EJG ist noch ein eigenständiges Erzählwerk, das voll in sich selbst ruht und auf keine Fortsetzung angewiesen ist. Allerdings hat ihr Autor in seinen Ergänzungen eine spätere Einbindung der Josephsgeschichte in größere literarische Zusammenhänge auf der einen Seite durchaus erleichtert, auf der anderen Seite aber auch erschwert: So hat zum einen die hohe Aufmerksamkeit, die er in Gen 47,29–31; [49,33aβ]; 50,1–11 im Rahmen der EJG dem Tod Jakobs und seiner Überführung seines einbalsamierten Leichnams in die Heimat widmete,8 den Anschluss der Josephs‑ an die Jakobsgeschichte vorbereitet. Die EJG konnte, indem sie den Lebensbogen Jakobs zum Abschluss bringt, auch als ein weiteres Kapitel der Jakobsgeschichte gelesen werden. Zum anderen hat die Ausweitung der Zeitperspektive des Ägyptenaufenthalts ein Stück weit über das Ende der Hungersnot hinaus, die der Verfasser der EJG vornahm,9 die Möglichkeit eröffnet, später einmal weitere Ereignisse, die im Rahmen der Exodustradition in Ägypten spielten, anzuschließen, zumal mit dem Tod Jakobs ein erster Abschluss der Ursprungsgeschichte der Stammväter gesetzt war. Auch den Kontrast, den er dabei zwischen ägyptischem und israelitischem Herrschaftsverständnis aufbaute, mochte eine solche Fortsetzung trotz divergierender Ägyptenbilder erleichtert haben. Allerdings schuf der Verfasser mit der verstärkten Integration Josephs in die ägyptische Herrschaftselite bis hin zur Einheirat (41,45a), die nötig war, um ihn als den wahren Reformer des ägyptischen Staatswesens präsentieren zu können (47,13–26), erhebliche Probleme, weil damit unklar wurde, wieweit er 6 Vgl. Noth, Überlieferungsgeschichte, 226–228; und in dieser Richtung wieder Weingart, Stämmevolk, 265; Blum/Weingart, Joseph Story, 516, wogegen Schmid, Datierung, 102–103, mit Recht Einspruch erhoben hat. 7 S. unten S. 139–141. 8 S. oben S. 70–73. 9 S. oben S. 76–77 und 84.
6.2 Die Verbindung mit der Jakobsgeschichte
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und seine Nachkommen noch wirklich der stammesgeschichtlich konzipierten Ursprungsgeschichte Israels angehörten. So bot die EJG sowohl Anknüpfungspunkte als auch Schwierigkeiten, welche spätere Redaktoren nutzen konnten, aber auch lösen mussten, wenn sie daran gingen, sie in eine umfassendere Perspektive der Gründungsgeschichte Israels einzubinden.
6.2 Die Verbindung mit der Jakobsgeschichte Schon Erhard Blum hat die These aufgestellt, dass dem Kapitel Gen 48*10 samt seiner Verklammerung in 41,50–52, die von der Geburt und der Segnung der Josephssöhne Ephraim und Manasse handeln, „eine wesentliche Funktion“ bei der kompositionellen Verknüpfung von Jakobs‑ und Josephsgeschichte zugekommen ist.11 Denn das Motiv von der Vertauschung des Segens zwischen dem Zweit‑ und Erstgeborenen spielt sowohl in Gen 27 als auch in Gen 48 eine zentrale Rolle und kann als bewusste thematische Gestaltung gelten, die den Leser, der von der Segnung Ephraims und Manasses durch den alten und erblindeten Jakob erfährt (48,10), an die Segnung erinnern soll, die sich Jakob als der Jüngere in seiner Jugend zum Nachteil seines älteren Bruders Esaus von seinem blinden Vater Isaak erschlichen hat (27,1). Das lässt an eine literarische Verknüpfung von Jakobs‑ und Josephsgeschichte denken, auch wenn der genaue Übergang aufgrund späterer redaktioneller Überarbeitungen am vorliegenden Text nicht mehr im Einzelnen aufweisbar ist. Da jetzt eine priesterliche Überleitung in Gen 37,1–2* zutage liegt, hat Jakob Wöhrle die These vertreten, dass erst der priesterliche Bearbeiter die Josephsgeschichte in die Vätergeschichte einfügte. Er hält das Thema der Segensvertauschung für nicht so zentral und vermisst markante terminologische Verbindungen zwischen Gen 27 und 48.12 Doch relativiert sich diese Einschätzung, wenn man berücksichtigt, dass die ganze Segensszenerie von Gen 48*, wie oben aufgezeigt, überhaupt erst nachträglich in die EJG eingeschoben ist. Es verwundert darum nicht, dass es sich um eine fremde Thematik handelt, die der JG und EJG von Hause aus nicht eigen war. Zudem belegt der priesterliche Einschub in 48,3–7, dass dem priesterlichen Bearbeiter das besagte Segenskapitel, das eindeutige motivliche Linien zur Jakobsgeschichte herstellt, bereits vorlag. So hat Blums These weiter viel für sich. Auffällig ist, dass der Redaktor, der Jakobs‑ und Josephsgeschichte miteinander verknüpfen wollte, seine literarische Brücke genau an der Stelle einsetzte, wo schon der Verfasser der EJG das weitere Schicksal des Stammvaters Jakob, seine Genau handelt es sich um dessen älteste Schicht in Gen 48,1–2.8–14.17–20. S. Blum, Komposition, 259; im Ganzen a. a. O., 250–254.259–260; vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, 509–510. 12 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 103–104.146. 10 11
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
letzten Weisungen, seinen Tod und seine Überführung nach Kanaan in den Fokus seiner Darstellung gerückt hatte (Gen 47,29–31; [49,33aβ]; 50,1–11). Hier war der beste Anknüpfungspunkt in der EJG gegeben. Mit dem gewählten Thema wollte der Redaktor ausdrücken, dass die Durchbrechung der angestammten Normen, nämlich dass ausgerechnet der Jüngere den vollen Segen des Vaters erhält, das Leben Jakobs von seiner Jugend bis kurz vor seinem Tod begleitet hat. Von einer solchen handelte ja auch auf ihre Weise die Josephsgeschichte. Doch etwas anderes war dem Redaktor vielleicht noch wichtiger: Für ihn konnte die EJG erst dann mit der Jakobsgeschichte verbunden und damit in die Ursprungsgeschichte Israel eingebunden werden, wenn sichergestellt war, dass die Söhne Josephs, Ephraim und Manasse, die nach den Vorgaben der EJG nur von seiner ägyptischen Frau geboren worden sein konnten (vgl. 41,50–52), ein Stück weit aus dem ägyptischen Milieu gelöst und voll in den Stammesverband Israels integriert wurden. Und der Ritus, der dies ermöglichte, konnte nach seiner Sicht nur eine Segnung durch den Stammvater Israels sein. Mit ihm machte Jakob die halbägyptischen Söhne Josephs quasi zu seinen eigenen Kindern.13 D. h. die ganze Segenszene dient vornehmlich dazu, die etwas gewagten Eskapaden des Autors der EJG, der meinte, Joseph voll in die ägyptische Herrschaftselite einbinden zu müssen, wieder einzufangen und mit der israelitischen Stammesgeschichte kompatibel zu machen.14 Auch in der vorbereitenden Szene, die von der Geburt Manasses und Ephraims berichtet (41,50–52), versucht der Redaktor schon, Joseph und seine Kinder ein Stück weit von der ägyptischen Welt abzusetzen: Er lässt Joseph, der gerade einen kometenhaften Aufstieg in Ägypten erlebt hat, bei der Ausdeutung der Namen seiner Kinder erstaunlicherweise von „meiner Mühsal“ ( )עמליund dem „Land meines Elends“ ( )ארץ ענייsprechen, bei der bzw. in dem er Gottes Hilfe erfuhr (V. 51.52). Da es in dieser Jakobs‑ und Josephsgeschichte verknüpfenden Redaktion um die Legitimation Ephraims und Manasses als vollgültige und hochgeachtete Mitglieder im israelitischen Stammesband geht (Gen 48,20), d. h. der Stämme, die den Kern der Nordreichsbevölkerung bildeten (vgl. Jos 17,17; Ps 80,2), ist es wahrscheinlich, dass jene noch während der Epoche der staatlichen Existenz des Nordreichs, d. h. im 8. Jh. vor dem Jahr 722, oder besser noch vor dem Bruch der Allianz mit Juda 734 v. Chr. erfolgt ist.
13 So dann noch eindeutiger die priesterliche Bearbeitung (Gen 48,3–7), nach der Jakob die Josephssöhne Ephraim und Manasse regelrecht adoptiert (V. 5–6). 14 Der Redaktor schafft auch darin Ordnung, dass er sich Joseph, wie es sich gehört, vor seinem Vater Jakob verneigen lässt (Gen 48,12), nicht etwa umgekehrt, wie es Joseph in der JG (37,9–10) erträumt und der Autor der EJG abmildernd in 47,31 dargestellt hat.
6.3 Die judäische Bearbeitung
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6.3 Die judäische Bearbeitung Die aus dem Nordreich stammende vereinte Jakob-Josephs-Geschichte hat dann nach dem staatlichen Untergang des Nordreichs (722/720 v. Chr.) offenbar in Juda eine Bearbeitung erfahren, bei der Überlieferungen von den Jakobssöhnen, die im Südreich eine wichtige Rolle spielten, in sie eingefügt wurden, so etwa zu Simeon und Levi in Gen 34 und zu Juda in Gen 38.15 Hinzu kommen wohl auch die Stammessprüche Gen 49,2–28bα1, die wahrscheinlich einmal ursprünglich hinter 35,21–22a standen.16 Für den Bereich der Josephsgeschichte können wir uns darum hier auf die Juda-Tamar-Erzählung in Gen 38 konzentrieren. Der judäische Redaktor hat sie ganz bewusst an dieser Stelle in den Handlungsverlauf der JG eingeschoben, wie sein in 37,36 formulierter Vorverweis auf 39,1 zeigt. Da hier von Midianitern die Rede ist,17 hat dieser Redaktor, wie schon Rainer Kessler erkannte,18 in 37,28aα1 die Midianiter ins Geschehen eingeführt, die nun anstelle der Brüder Joseph aus der Zisterne holten und an die Ismaeliter weiter verkauften (V. 28aα2.aβ). Diese Veränderung des Geschehensgangs, welche der Auslegung große Schwierigkeiten gemacht hat, diente dem Zweck, Juda vom Vorwurf des Menschenraubs (vgl. Ex 21,16) zu entlasten: Juda wollte zwar Joseph an die Ismaeliter verkaufen (Gen 37,27), aber die Midianiter sind ihm zuvor gekommen.19 Ebenso wurde von dem judäischen Redaktor die Szene, wie Jakob den vorgetäuschten Tod Josephs anhand eines corpus delicti entdeckt (V. 32–33) mit der entsprechenden Szene der Juda-Tamar-Erzählung (38,25–26) durch die Einfügung einiger Sätzchen (37,32aα1.32b.33aα1) parallelisiert, um die hintergründigen Bezüge zwischen den beiden auf den ersten Blick so unterschiedlichen Erzählungen sichtbar zu machen.20 Die durch zwei genealogische Berichte (Gen 38,1–11.27–31) gerahmte TamarErzählung (V. 12–26) erzählt, wie in der Situation eines göttlichen Verhängnisses allein durch das kämpferisch entschlossene, wenn auch höchst anstößige Handeln Tamars, die ihren Schwiegervater, als Hure verkleidet, zum Geschlechtsakt verführte, das Überleben des Stammes Juda gesichert und die Entstehung seines stärksten Geschlechtes Perez, aus dem auch David stammt, begründet werden 15 Vgl.
Blum, Komposition, 224–229.244–245; Blum/Weingart, Joseph Story, 508–509. Vgl. Schmid, Josephsgeschichte, 115–116; Leuenberger, Segen, 275; Wöhrle, Fremdlinge, 91–95; dazu s. genauer unten S. 143–149. Gen 34 und 35,21–22a sind insofern auf Gen 38 bezogen, als sie erklären, warum Juda in der Rangfolge der Söhne Jakobs an die erste Stelle rückte, vgl. 49,3–12. 17 Der MT überliefert zwar „ מדניםMedaniter“ und denkt vielleicht an die Angehörigen des in Gen 25,2 erwähnten Stammes Medan. Doch liegt wahrscheinlich ein Textfehler für מדינים „Midianiter“ vor, vgl. die LXX. 18 So Kessler, Querverweise, 147–148; vgl. Blum, Komposition, 244–245. 19 Dass in der JG ursprünglich die Brüder die eigentlich Schuldigen waren, wird aus Gen 42,21–22 ersichtlich. 20 Vgl. Blum, Komposition, 245. 16
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
konnte. Im Motiv des Aufbrechens traditioneller familiärer Autoritätsstrukturen zur Überlebungssicherung kommt sie daher mit der Josephsgeschichte überein. Den Lernprozess, den Juda dabei durchmacht, als er das anstößige, aber um Familiensolidarität kämpfende Verhalten der Tamar als „gerecht“ anerkannte (V. 26), mag der Redaktor als Grund dafür angesehen haben, warum Juda, der es noch in Gen 37 an Solidarität gegenüber Joseph so bitter hatte fehlen lassen, sich dann in Gen 43–44 zu einem vorbildlichen Wahrer der Familiensolidarität wandeln konnte. Die judäische Bearbeitung der Josephsgeschichte war darum keineswegs nur eine äußerliche Ergänzung. Sie zielte vielmehr darauf ab, aus der bloßen Propagandageschichte des Nordreichs eine wirklich gesamtisraelitische Ursprungsgeschichte zu schaffen, wie dies in der pan-israelitischen Ausrichtung der JG schon intentional angelegt war. Als Zeit für die judäische Bearbeitung der Jakob-Josephs-Geschichte kommt am ehesten die zweite Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. in Betracht,21 nachdem zahlreiche Bewohner des Nordreichs angesichts der assyrischen Eroberung Samarias von 722/720 v. Chr. nach Juda geflohen waren und dabei wichtige literarische Werke aus dem Norden in den Süden mitgebracht hatten.
6.4 Die Einbindung in die Erste exilische Vätergeschichte(VG1) Die judäische „Eingemeindung“ der Jakob-Josephs-Geschichte machte es möglich, sie mit den Geschichten der übrigen Erzväter zu verbinden, die in Juda eine zentrale Rolle spielten und ursprünglich noch vereinzelt umliefen, der Abraham-Lot-Erzählung (Gen 13,5–19,38*) und der Isaak-Erzählung (26*). Die Komposition einer alle drei Erzväter umfassenden Vätergeschichte, die von der Berufung Abrahams aus Mesopotamien (Gen 12,1–3) bis hin zum Tod Jakobs lief (Gen 50*), geschah nach heutigem Erkenntnisstand erst in der Exilszeit, sind doch die Einwanderungs‑ bzw. Rückwanderungsbefehle an Abraham (12,1–2) und Jakob (31,13), gepaart mit dem Auswanderungsverbot an Isaak (26,2–3aα), wie besonders Erhard Blum herausgearbeitet hat,22 als Appelle an die Exilierten gemeint, in die Heimat zurückzukehren bzw. diese nicht zu verlassen.23 Hier lässt sich eindeutig eine diasporakritische Tendenz der Komposition greifen. Blum rechnet, nachdem er seine These einer noch spät-vorexilischen Vätergeschichte aufgegeben hat,24 nur noch mit einer exilischen Vätergeschichte (bei ihm „Vätergeschichte 2“). Mir scheint es dagegen angemessener, von zwei Aus21 Insbesondere die Stammesspruch-Komposition Gen 49,2–28bα1 wird dann genauer auf die Regierungszeit des Königs Josia (639–609 v. Chr.) verweisen, s. unten S. 143–144. 22 Vgl. Blum, Komposition, 297–311; vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, 507. 23 Zur Auswanderungserlaubnis Gen 46,1–5a, die Blum noch einbezog, vgl. unten S. 132–133. 24 Vgl. Blum, Studien, 214 Anm. 35.
6.5 Die Einbindung in die Zweite exilische Vätergeschichte
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gaben der exilischen Vätergeschichte auszugehen (VG1 und VG2).25 Die erste Ausgabe könnte am ehesten aus den Jahren 550–539 v. Chr. stammen, als mit dem Siegeszug des Perserkönigs Kyros erste Hoffnungen auf Rückwanderungen aus dem babylonischen Exil aufkamen (vgl. Jes 40–48). Auf den Redaktor der VG1 (VGR1) geht im Bereich der Josephsgeschichte, wie oben schon aufgezeigt,26 allein der Einschub des als sekundär erwiesenen Kapitels Gen 39 samt dessen redaktionellen Verklammerungen zurück.27 Indem der VGR1 dieses Kapitel dem gesamten Ägyptenaufenthalt Josephs voranstellte, wollte er erste Exilserfahrungen seiner Zeit in seine Vätergeschichte programmatisch einbringen. Auf der einen Seite betonte er, dass es allein durch Gottes Beistand und Segen sehr wohl möglich war, dass einzelne Exilierte im Ausland einen sozialen Aufstieg erlebten. Damit versetzte JHWH sie sogar in die Lage, zu einem Segensmittler für „alle Geschlechter der Erde“ zu werden (Gen 39,2–6a), wie er es Abraham und Jakob verheißen hatte (12,1–3; 28,14). Aber auf der anderen Seite wollte der VGR1 seinen Adressaten auch ganz realistisch die enormen Gefahren vor Augen stellen, die mit ihrem Aufenthalt in der Fremde verbunden waren. Im Konfliktfall waren sie als Ausländer der Willkür der Einheimischen rechtlos ausgeliefert und von schlimmstem sozialen Absturz bedroht (39,7–20). Sie sollten darum die Schilderungen der JG und EJG von einer problemlosen Karriere Josephs in Ägypten nicht als ein glänzendes Vorbild missverstehen, sondern sich doch lieber zur Rückwanderung entschließen. Immerhin war ja auch der dritte Stammvater Jakob aus Syrien wieder in die Heimat zurückgewandert (Gen 31–33) und war nach seinem Tod aus Ägypten wieder nach Kanaan überführt worden (50,1–11). Mit dieser Bearbeitung wurde damit die Josephsgeschichte zum ersten Mal ein Stück weit für eine Diasporaperspektive geöffnet, die allerdings weniger positiv als negativ ausfiel.
6.5 Die Einbindung in die Zweite exilische Vätergeschichte(VG2) Die zweite Ausgabe der exilischen Vätergeschichte stand der Diasporaexistenz positiver gegenüber. Sie hatte schon ihre Neuinterpretation der Abraham-Erzählungen (Gen 20–22) ins philistäische Ausland und südliche Grenzland verlegt (20,1; 21,33–34). Der Stammvater Abraham war für sie ein von Gott zur Wanderschaft durch die Länder Berufener (20,13); selbst sein Sohn Isaak wurde ihm im Fremdland geboren (21,1–5*). Umso wichtiger war ihm die Sicherung der klaren 25 Vgl. Albertz, Exilszeit, 191–209. Damit nehme ich Beobachtungen von Kessler, Querverweise, 91–101, auf, der Gen 20,1–22,19 als eigene kleine Komposition erkannt hat („NegevGruppe“), in der die älteren Abrahams-Erzählungen (Gen 12–19*) schon kommentiert werden. 26 S. oben S. 7–15. 27 Vgl. in Gen 39,1*(nur „ein Ägypter“); 39,2–23; 40,1.3aβb.5b.15; 41,12*(nur „ein hebräischer junger Mann“).14*(nur „aus der Grube“).
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
Abstammungslinie, weswegen Abrahams Sohn Ismael, der von der Ägypterin Hagar stammte, vertrieben werden musste (21,9–20).28 Dem Redaktor der VG2 (VGR2) weise ich die Passagen Gen 46,1–5a und 48,15–16 zu, die erste, weil sie den Dialog zwischen Gott und Jakob bei der nächtlichen Vision in 46,2 analog zu der Anrufung Abrahams durch den Engel in 22,11 gestaltet und die Mehrungsverheißung an Jakob in 46,3b fast mit den gleichen Worten ausdrückt, wie die an Ismael in 21,18 gegebene;29 die zweite, weil sie im Segenspruch Jakobs (48,15–16) die Kontinuität der Abstammungslinie herausstellt, die von den Stammvätern Abraham, Isaak und Jakob bis zu Joseph und seinen beiden Söhnen reicht.30 Dass die Visionsszene von Gen 46,1–5a einen Fremdkörper in der Josephsgeschichte darstellt, wurde schon lange gesehen,31 kommen doch göttliche Interventionen und damit verbundene Verheißungen in ihr sonst nicht vor. Herbert Donner wollte in ihr noch den Rest einer ursprünglichen Verbindung zwischen Väter‑ und Exodusgeschichte durch die Pentateuchquellen entdecken, die älter als die Josephsgeschichte gewesen sei.32 Doch setzt die Szene, wie am deutlichsten der Hinweis auf den Tod Jakobs im Beisein Josephs in V. 4b zeigt, die EJG schon voraus (vgl. 47,31; 50,1). Außerdem knüpft der in 46,1 verwendete Israel-Name an den Sprachgebrauch der JG in 45,28 an. Dass sie einen Einschub in die JG darstellt, wird daran erkennbar, dass die Erlaubnis Gottes, nach Ägypten zu ziehen (46,3), nach dem in 45,28 gefällten Entschluss Jakobs, die Reise nach Ägypten anzutreten, eigentlich zu spät kommt und dass der erste Satz der Reiseschilderung (46,5b) über die Visionsszene hinweg direkt an 45,28 anknüpft.33 Dafür dass der Einschub erst in exilischer Zeit formuliert wurde, spricht die Verwendung des Terminus „ במראותin Gesichten“ in 46,2, der sonst nur noch im Buch Ezechiel begegnet (Ez 8,3; 40,2; vgl. 1,1; 43,3).34 Da der VGR2 grundsätzlich Verständnis für eine Diasporaexistenz Israels aufbrachte, lag es ihm daran, das göttliche Verbot, in einer Hungersnot nach Ägypten auszuwandern, das der VGR1 dem Stammvater Isaak auferlegt hatte (Gen 26,1–3aα), für die von der JG vorgegebene Reise Jakobs nach Ägypten ausdrücklich aufzuheben. In Beerscheba, am südlichen Rande des den Vätern verheißenen Landes, ließ er Jakob nach einer Opferhandlung (46,1; vgl. 26,25) einer 28 Vgl.
Albertz, Exilszeit, 198–199.204–209. Vgl. לגוי גדול אשׂ ימךin Gen 46,3b mit לגוי גדול אשׂ ימנוin 21,18; ähnlich V. 13; dazu die doppelte Namensnennung in 46,2aβ und 22,11aβ. 30 Vgl. daneben noch die bevorzugte Verwendung der Gottesbezeichnung אלהיםin Gen 20–22 und in 46,2; 48,15 (2×). 31 Vgl. Rudolph, Josefsgeschichte, 165.177; Westermann, Genesis III, 169–170. 32 Vgl. Donner, Gestalt, 98–100. 33 Vgl. Blum, Komposition, 246–249; er rechnete allerdings die Passage seiner einen exilischen Vätergeschichte zu, vgl. auch Blum/Weingart, Joseph Story, 507. 34 So schon Westermann, Genesis III, 171. In dem unsicheren Vers Ex 38,8 findet sich die Bedeutung „Spiegel“. 29
6.5 Die Einbindung in die Zweite exilische Vätergeschichte
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nächtlichen Vision teilhaftig werden, in der ihn der Gott seines Vaters ausdrücklich zur Reise nach Ägypten ermutigte (46,3). Es lag nichts Verbotenes darin, jetzt das verheißene Land in der Hungersnot zu verlassen. Im Gegenteil, der Gott Isaaks (V. 1b), der zugleich der universale Gott war ( ;האלvgl. Jes 42,5), versprach ihm, mit ihm zusammen nach Ägypten herabzuziehen (V. 4aα). Er war auch in der Diaspora gegenwärtig. Ja, mehr noch, er gab Jakob die Verheißung, dass er seine Familie „dort“ ()שם, ׁ d. h. in Ägypten, „zu einem großen Volk machen“ werde (V. 3b) und tröstete ihn damit, dass er nach seinem Tode, den Joseph begleiten würde, wieder ins gelobte Land zurückkehren werde (V. 4aβb). Damit blickte aber der VGR2 nicht nur voraus auf das Ende der Josephsgeschichte, sondern zog erstmals auch schon die Exodustradition, die vom Aufenthalt des Volkes Israel in Ägypten wusste, vage ins Blickfeld ein.35 Explizit von einer solchen Mehrung der Jakobsfamilie zum Volk ist dann allerdings erst in einem Vers des ersten priesterlichen Bearbeiters die Rede (Ex 1,7), dem Autor, dem wir wahrscheinlich die erste literarische Verbindung von Väter‑ und Exodusgeschichte verdanken.36 Die kleine Segensszene Gen 48,15–16 stellt ebenfalls eindeutig einen Einschub in das Kapitel von der Segnung Ephraims und Manasses dar,37 das ursprünglich von dem Redaktor stammt, der Josephs‑ und Jakobgeschichte miteinander verbunden hat.38 Sie stellt eine Dublette zu der in V. 20 geschilderten Segnung dar, unterbricht den Handlungsgang des durch Vertauschung der Hände Jakobs beeinträchtigten Rituals (V. 13–14+17–20) und fällt inhaltlich dadurch aus dem Rahmen, dass in ihr Manasse und Ephraim – im Unterschied zum Kontext – völlig gleich behandelt werden (V. 16) und sogar Joseph selber in die Segnung einbezogen wird (V. 15). Da der Segenswunsch in V. 16 die Namen der Kinder gar nicht mehr nennt, sondern sie bloß noch pauschal als נערים, d. h. „Knaben“ oder „Burschen“, bezeichnet, setzt die eingeschobene Szene das Kapitel voraus und ist für ihren jetzigen Ort verfasst. Mit dem ausführlichen Segenswunsch Jakobs über Joseph und seine Kinder wollte der VGR2, noch weit stärker als es dem Vereiniger von Jakobs‑ und Josephsgeschichte und dem VGR1 gelungen war, die Josephsgeschichte in die Kontinuität der Generationen der Vätergeschichte einbinden. Gleich zweimal werden die Namen der beiden Stammväter, die Jakob vorausgingen, Abraham und Isaak, genannt (V. 15bα.16aβ). Gleich dreimal blickt Jakob dankbar auf seinen eigenen Lebensweg zurück, der von Gott beschützt und behütet worden war, und dabei schließt er sich in seiner Bindung an diesen Gott mit seinen Vorvätern zusammen. Schlussendlich soll in Zukunft sowohl sein eigener Name als 35 Vgl. Albertz, Exilszeit, 208; Ders., Pentateuchstudien, 72; ähnlich auch schon Blum, Komposition, 247. 36 S. unten S. 134–136. Wöhrle, Fremdlinge, 104–105, will deswegen Gen 46,1aβ–5a als nachpriesterlichen Eintrag in die Josephsgeschichte verstehen, doch ist das nicht zwingend. 37 Vgl. Rudolph, Josefsgeschichte, 171–172; Blum, Komposition, 253. 38 S. oben S. 127–128.
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
auch der Name seiner Vorväter in den Söhnen Josephs fortleben. Mit diesem Segen Jakobs werden sowohl Joseph selber als auch seine Kinder voll und ganz in die eine große, auch in der Fremde gültige Abstammungslinie der Erzväter Israels hineingestellt. Sie setzen die Geschichte Gottes mit den Vätern Israels fort, egal wie weit sie in der ägyptischen Gesellschaft und Kultur integriert waren. Nach Ansicht des VGR2 war für die Nachkommen der Erzväter ein Leben in der Diaspora durchaus möglich. Es kam nur darauf an, dass sie sich wie der Stammvater Jakob ihrer besonderen Abstammung und ihrer besonderen Gottesbeziehung bewusst blieben. Indem der VGR2 aber schon die Exodustradition mit ihrer Befreiung aus Ägypten und der Wanderung ins verheißende Land in den Horizont seiner Ausgabe der exilischen Vätergeschichte einbezog, charakterisierte er die Diasporaexistenz als ein Durchgangsstadium, das einmal würde enden müssen, entweder dadurch, dass der Einzelne – wie Jakob – Sorge dafür trug, in Palästina begraben zu werden, oder aber dass sich die Nachkommen der Exilierten unter Gottes Führung wie zu Zeiten des Mose zur Rückkehr ins verheißene Land entschlössen. Die Grundtendenz der VG1 blieb also durchaus erhalten. Somit wurde in der VG2 die Exodus-Landnahme-Tradition erstmals zu einem notwendigen theologischen Horizont der Josephsgeschichte.39 Mit ihrer gewandelten Tendenz gehört die zweite Ausgabe der exilischen Vätergeschichte wohl schon in die Zeit nach der Eroberung Babylons durch Kyros 539 v. Chr., als es erst nach einer längeren Zeit des Abwartens im Jahr 521 unter dem Perserkönig Darius I. zu ersten größeren Rückwanderungen von Exilierten aus Babylonien kam.40 In dieser Situation lieferte die VG2 einige theologische Argumente, angesichts der Risiken im immer noch kriegszerstörten Juda lieber noch etwas länger in der Diaspora zu bleiben, ohne aber das Ziel einer Rückwanderung ins verheißene Land aufzugeben.41
6.6 Die priesterliche Einbindung in den entstehenden Pentateuch (Triteuch) Die Einbindung der Josephsgeschichte als Teil der exilischen Vätergeschichte in den größeren Zusammenhang des entstehenden Pentateuchs geschah nach jetzigem Erkenntnisstand sehr wahrscheinlich durch die sog. Priestergrundschrift, die sich inzwischen – zumindest für den Bereich der Vätergeschichte42 – als Bearbeitungsschicht herausgestellt hat.43 Sie und ihr Verfasser sollen darum 39 Vgl.
Albertz, Exilszeit, 208; Ders. Pentateuchstudien, 73. Albertz, Exilszeit, 97–112. 41 Vgl. Albertz, Exilszeit, 209. 42 Vgl. dazu den Nachweis durch Wöhrle, Fremdlinge, 163–164, und oben S. 103. 43 Vgl. dazu grundsätzlich Blum, Profil, 50–55; Albertz, Pentateuchstudien, 255–276. 40 Vgl.
6.6 Die priesterliche Einbindung in den entstehenden Pentateuch
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hier PB1 genannt werden. Konrad Schmid und Jan Christian Gertz haben nämlich unabhängig voneinander nachgewiesen, dass es erst die sog. Priesterschrift gewesen ist, welche die Väter‑ mit der Exodusgeschichte literarisch miteinander verbunden hat.44 Denn erst durch die knappe priesterliche Darstellung, wie sich die nach Ägypten eingewanderte Jakobsfamilie von 70 Personen in Ägypten zu einem großen und starken Volk gemehrt hat (Ex 1,1a.2–5a.457), war die erzählerische Brücke zwischen den zuvor eigenständigen Ursprungsgeschichten Israels geschaffen. Dieser Nachweis lässt sich zusätzlich durch die Einsicht unterstützen, dass in der vorpriesterlichen Moseberufung (Ex 3*) das Land als Zielpunkt der Befreiung aus der ägyptischen Fron, neu eingeführt wird (V. 8), so als hätte es die vielen Landverheißungen der exilischen Vätergeschichte (Gen 13,14–17; 28,13–14 u. ö.) nicht gegeben, und dass sich erst die priesterliche Moseberufung explizit auf den Bund, den Gott mit Abraham und den übrigen Erzvätern geschlossen hat (Gen 17), substantiell für die Begründung des Exodus zurückbezieht (Ex 6,3–6). Mit dem Vorbau der Urgeschichte (Gen 1–11*) und dem Ausbau der Sinaioffenbarung (ab Ex 24,15b) umfasste die erste priesterliche Ausgabe der Gründungsgeschichte Israels meiner Ansicht nach den Textbereich von Gen 1 bis Lev 16.46 Man kann ihn darum als „Triteuch“ bezeichnen. Nachdem schon die VGR2 den Blick auf die Exodus-Landnahme-Tradition gelenkt und als Zukunftshorizont der eigenen Diasporakonzeption aufgetan hatte, vollzog der PB1 ganz konsequent den nächsten Schritt, wenn er die VG2 mit der zu seiner Zeit existierenden Exoduskomposition (Ex 1,9–34,32*)47 nun auch literarisch verknüpfte. Die völlig konträren Ägyptenbilder nicht achtend, schrieb damit erst er der Josephsgeschichte eine Brückenfunktion zwischen der Väter‑ und der Exodusgeschichte zu, weil sie erklären konnte, warum die Jakobsfamilie nach Ägypten einwanderte. Damit musste der PB1 allerdings den in ihr als mehr oder minder zeitlich eng begrenzt gedachten Ägyptenaufenthalt der Jakobsfamilie zur Vorbereitung auf einen Daueraufenthalt der Nachkommen Jakobs in Ägypten umdeuten. Als erstes diente ihm dazu sein Datierungssystem: Wenn Joseph, wie er in Gen 41,46a feststellte, bei seiner ersten Begegnung mit dem Pharao 30 Jahre alt war, er aber 110 Jahre lebte (50,22b),48 dann dauerte 44 Vgl. Schmid, Erzväter, 69–73.152–153; Gertz, Tradition, 357–366; zustimmend Blum, Textgestalt, 110–117; Albertz, Pentateuchstudien, 51–54. 45 Der jetzt erst in Ex 1,5b genannte Joseph, war ursprünglich in der Liste der Jakobsöhne enthalten, vgl. Gen 35,24. Die Verse Ex 1,1b.5b–6.8 werden sich als Bearbeitung des Hexateuchredaktors herausstellen, s. unten S. 139–140. 46 Vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 297–312. Innerhalb von Gen 37–50 rechne ich folgende Passagen dem PB1 zu: Gen 37,1–2aα; 41,46a; 46,6aα2.b.7; 47,7–10.11*.27b.28; 48,3–7; 49,1a.28bα2.29–33; 50,12–13.22b–23. 47 Diese stammt meiner Meinung nach ebenfalls aus spätexilischer Zeit, vgl. Albertz, Exodus II, 323–324. 48 Wohl ist der Versteil stilistisch für PB1 gesichert (vgl. Gen 5,3–5; 11,11.13; 47,28b), doch könnte die Altersangabe von 110 Jahre durch Angleichung an das vom Hexateuchredaktor
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
seiner Meinung nach der in Gen 41–50 geschilderte Aufenthalt allein schon 80 Jahre; davon weilte selbst der alte Jakob noch 17 Jahre in Ägypten (vgl. 47,9.27b). Die ganze Länge des Ägyptenaufenthalts Israels in Ägypten wird der PB1 dann in Ex 12,40 mit 430 Jahren berechnen.49 So war aus einem halben Jahrzehnt bis zum Ende der Hungersnot, das der Autor der JG noch im Auge hatte, unter der Hand des PB1 fast ein halbes Jahrtausend geworden! Weil der PB1 die Josephsgeschichte nun als Vorbereitung für den lang anhaltenden Ägyptenaufenthalt Israels verstand, musste er die Jakobsfamilie fest ansiedeln. So arbeitete er den Vers Gen 47,11 so um, dass der Pharao der Jakobsfamilie in Ägypten nicht bloß ein passageres Aufenthaltsrecht gewährte, sondern ihr ständigen Landbesitz übereignete ()ויתן להם אחזה. Und weil seiner Meinung nach die Jakobsfamilie in Ägypten regelrecht ansässig wurde ( אחזni.), konnte sie sich schon bald stark vermehren (V. 27b). Das heißt aber, die starke Mehrung der Israeliten (vgl. Ex 1,7), die dann in der Exoduskomposition die Unterdrückungs‑ und Dezimierungsmaßnahmen des Pharaos provozierten (1,9–12.15–22), nahm in der Sicht des PB1 schon unter den günstigen Bedingungen der Josephära ihren Anfang. Allerdings war der Landbesitz Israels in Ägypten nach Sicht des PB1 nicht von Dauer. Als „ewigen Landbesitz“ ( )אחזת עולםhatte Gott seiner Meinung nach den Nachkommen Abrahams (Gen 17,8) und Jakobs (48,4) allein das „Land Kanaan“ ( )ארץ כנעןverheißen. Ja, er hatte es den Erzvätern sogar schon übergeben (Gen 28,4; 35,12; Ex 6,4), aber nur in der Weise, dass sie noch als Fremdlinge darin weilten („ ארץ מגוריםLand der Fremdlingsschaft“; Gen 17,8; 28,4; 37,1; Ex 6,4). Sie waren „Fremdlinge im eigenen Land“, wie es Jakob Wöhrle in seiner Studie treffend ausdrückt.50 Jakob bezeichnet vor dem Pharao sein Leben und das Leben seiner Väter regelrecht als „Fremdlingsschaft“ ( ;מגוריםGen 47,9). Zeichenhaftes Angeld auf den Landbesitz in Kanaan war für die Erzväter der „Grabbesitz“ (אחזת )קבר, den Abraham von dem Hethiter Effron in Machpela bei Hebron gekauft hatte (23,4.9.20; 49,30; 50,13). Darum war dem PB1 so wichtig, dass auch Jakob nicht irgendwo im Ostjordanland, das noch der Autor der EJG im Blick hatte (50,9–11), aber für ihn selber gar nicht mehr zum verheißenen Land Kanaan gehörte,51 sondern im westjordanischen Patriarchengrab bei Hebron bestattet gegebene Todesjahr in 50,26 entstanden sein, der sich wiederum am Lebensalter Josuas orientierte (vgl. Jos 24,29; Ri 2,8), vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 87–88. Nicht ganz so sicher ist die Zuweisung von 50,23 zur priesterlichen Bearbeitung. Blum, Textgestalt, 115, nahm sie vor; in der Aufstellung bei Blum/Weingart, Joseph Story, 505 Anm. 9, fehlt der Vers. 49 Das heißt genau doppelt so lange, wie die drei Erzväter in Kanaan gelebt hatten, vgl. Albertz, Exodus I, 271 Anm. 26. 50 So der Titel von Wöhrle, Fremdlinge. 51 Anders als für die JG und EJG beschränkt sich für den PB1 das Land Kanaan fast ganz auf das Westjordanland, vgl. Gen 13,11b.12abα; 36,6; südlich vom dem See Genezareth bildet der Jordan nach der priesterlichen Tradition die Ostgrenze, vgl. Ez 47,18; Num 34,11–12.
6.6 Die priesterliche Einbindung in den entstehenden Pentateuch
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wurde (49,29–32; 50,12–13). Weil der PB1 erstmals Väter‑ und Exodusgeschichte zu einem literarischen Werk verband, reflektierte er über die verschiedenen Existenzweisen innerhalb und außerhalb des verheißenden Landes und versuchte eine terminologische Klärung. Er relativierte einerseits das Leben der Patriarchen in Kanaan zu einer Art „Diasporaexistenz“, weil er auf die Exodusgeschichte Rücksicht nehmen musste, nach der erst dem Volk Israel das Land Kanaan als ständiger Erbbesitz ()מורשה übergeben werden würde (Ex 6,8).52 Andererseits ׁ verfestigte er den Aufenthalt Israels in Ägypten zu einer lang anhaltenden Diasporaexistenz, aber nur, um zugleich deren Vorläufigkeit festzuhalten. Sowohl die Väter‑ als auch die Exodusgeschichte liefen seiner Meinung nach auf eine Ansiedlung im verheißenen Land zu. Die Josephsgeschichte war darum für den PB1 unverzichtbar, weil mit ihr die zeitweise Abwanderung Israels außerhalb des ihm zugewiesenen Landes von Gott legitimiert wurde, explizit durch den VGR2 in Gen 46,3–4. Wenn der PB1 Jakob in seiner Rede an Joseph an den vorzeitigen Tod Rahels kurz nach seiner Rückkehr von Syrien nach Kanaan erinnern lässt (Gen 48,7), dann ist dies vielleicht als Warnung gemeint, „daß es auch ein ‚zu spät’ für die Heimkehr geben kann.“53 So spricht die priesterliche Bearbeitung noch einmal ihr eigenes Wort zur Problematik der Diasporaexistenz Israels.54 Schließlich ist der PB1 in seiner Bearbeitung bemüht, die unangefochtene Autorität des Stammvaters Jakob, auch gegenüber Joseph und seinen übrigen Söhnen hervorzuheben. Als Höhepunkt der Verhandlungen um die Ansiedlung in Ägypten lässt es der PB1 zu einer direkten Begegnung zwischen Pharao und dem alten Jakob kommen (Gen 47,7–10). Es ist ein würdevolles Zusammentreffen auf gleicher Augenhöhe: Jakob demütigt sich nicht vor dem hohen Herrn, sondern segnet ihn zur Begrüßung und zum Abschied (V. 7.10). Und der Pharao erweist ihm Respekt, indem er sich nach seinem Alter erkundigt (V. 8). Nach der Sicht des PB1 ist es weniger die Überzeugungsarbeit Josephs und der ihn begleitenden Brüder (V. 1–6), sondern die hohe Würde, die Jakob ausstrahlte, gewesen, welche den Pharao dazu bewog, der Jakobsfamilie mit der Übergabe von Landbesitz eine feste Ansiedlung in Ägypten zu ermöglichen (V. 11*). Wie hoch die Autorität war, die Jakob auch auf Joseph ausstrahlte, stellte der PB1 klar, wenn er jenen ohne die Möglichkeit eines Widerspruchs erklären ließ, er sei entschlossen, die ohne sein Wissen gezeugten halbägyptischen Kinder Josephs selber zu adoptieren (48,5–6). Die göttlichen Verheißungen, die ihm und seinen Nachkommen gegeben worden waren, verlangten einfach nach einer klaren und eindeutigen Abstammungslinie (48,3–4). Nur durch eine solche 52 Den sonst für ihn ungewöhnlichen Begriff verwendet der PB1 hier, um den ständigen Landbesitz im verheißenen Land von dem passageren in Ägypten abzusetzen, vgl. Albertz, Exodus I, 126–127. 53 So Lux, Geschichte, 175. 54 Vgl. zum Ganzen die Ausführungen von Lux, Geschichte, 165–180.
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
autoritative Intervention des Stammvaters ließ sich das Durcheinander, das Joseph mit seiner ägyptischen Frau in der Genealogie angerichtet hatte, rechtsgültig beseitigen.55 Schließlich ergänzte der PB1 die Darstellung des EJG, in der Jakob seinen Sohn Joseph flehentlich um eine Bestattung in Kanaan gebeten hatte (47,29–31), um eine Szene, in der der Stammvater allen seinen Söhnen nach ihrer Segnung den unmissverständlichen Befehl erteilte ( צוהpi.), ihn im Patriarchengrab in Machpela bei Hebron zu beerdigen (49,1a.28bα2.29–33). Hatte schon der Verfasser der EJG die Herrschaftsambitionen Josephs gegenüber seinem Vater (37,9–10) abgemildert (47,31b), und hatte der Redaktor, der Jakob‑ und Josephsgeschichte miteinander verband, sich Joseph vor seinem Vater erniedrigen lassen (48,12), so ordnete der PB1 Joseph endgültig der Autorität seines Vaters unter. Mit dieser Gewichtsverlagerung von der Herrschaft Josephs zur Autorität des Stammvaters verlor die Josephsgeschichte ein Stück weit ihr eigenständiges Profil und wurde voll und ganz in die Geschichte der Erzväter Israels eingemeindet. Der PB1 hat nur vergleichsweise sparsam in den ihm vorliegenden Textbestand der Josephsgeschichte eingegriffen. Seine theologischen Schwerpunkte hatte er im Rahmen der Vätergeschichte bei der Bearbeitung der Überlieferung des Stammvaters Abraham gesetzt, der für den Süden eine größere Rolle spielte, so im Bundesschluss Gottes mit Abraham (Gen 17) und in der Begründung der Patriarchengrabstelle in Machpela bei Hebron (23),56 die auch noch einmal beim Tod Jakobs eine wichtige Rolle spielt (49,29–32; 50,12–13). Dennoch blieben für ihn die Jakobüberlieferung (35,9–15; 48,3–4) und auch die Josephsgeschichte von theologischer Bedeutung, aber eben nicht mehr als Traditionen, die aus dem ehemaligen Nordreich stammten, sondern als Teil einer kontinuierlichen gesamtisraelitischen Heilsgeschichte. In der vereinten Gründungsgeschichte Israels, die er erstmals entwarf, erhielt der Jakobsohn Joseph darum eine heilsgeschichtliche Relevanz, weil sich Gott seiner Herrschaftsambitionen nicht nur deswegen bediente, um der Jakobsfamilie in einer schweren Hungersnot das Leben zu retten, sondern auch um ihr in Ägypten einen gesicherten Ansiedlungsort zu gewähren, auf dem sich diese ungestört zum großen Volk Israel vermehren konnte (Gen 47,27b; Ex 1,7). Auch wenn dieses Volk später in Ägypten unterdrückt werden würde und von Gott erneut errettet werden musste (Ex 1–15), konnte nur auf diese Weise die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, die schon der Weltschöpfer bei der Erschaffung des Menschen nach seinem
55 Wegen dieser klaren rechtlichen Lösung kann sich der PB1 jedes Kommentars zur „Mischehe“ Josephs enthalten. Eine solche war im Falle Esaus für ihn Gegenstand heftiger Kritik (Gen 26,34–35; 27,46–28,8). 56 Da das Kapitel teilweise vom Stil des PB1 abweicht, aber dennoch von ihm sachlich vorausgesetzt wird, lässt es sich am besten als eine aus seinen Kreisen stammende Vorlage erklären, die der PB1 in sein Werk integriert hat.
6.7 Die Einbindung in den Hexateuch
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Ebenbild im Blick hatte (Gen 1,26–28), in der Begründung des Gottesdienstes des Volkes Israel (Ex 19–Lev 16) zu ihrem Ziel kommen.57 Zur Datierung der Gründungsgeschichte des PB1 in das letzte Drittel des 6. Jhs. v. Chr. wurde schon das Nötige gesagt.58
6.7 Die Einbindung in den Hexateuch Hatte der PB1 im letzten Drittel des 6. Jhs. Joseph so weit wie möglich in die gesamtisraelitische Gründungsgeschichte einzugemeinden versucht, so war der Hexateuchredaktor (HexR), der in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. erstmals eine autoritative Gründungsurkunde für die Judäer und Samarier schaffen wollte,59 darum bemüht, die Gestalt des Joseph erneut hervorzuheben. Der PB1 hatte zwar das Lebensalter Josephs notiert (Gen 50,22b), aber die Frage, wo er beerdigt werden würde, offengelassen. Auch seine Brüder waren ja irgendwie in Ägypten gestorben, wenn der Ägyptenaufenthalt Israels 430 Jahre lang währen sollte (Ex 12,40–41); das brauchte nicht eigens erwähnt zu werden. Der Hexateuchredaktor, dem daran gelegen war, nordisraelitische Traditionen, wie sie die Samarier erneut pflegten, in seiner Gründungsurkunde zu bedienen, konnte sich mit einer solchen Lösung nicht zufrieden geben. Deswegen konstruierte er in seinem Werk eine durchgehende Motivlinie, die sicherstellen sollte, dass Joseph nach seinem Tod genauso wie sein Vater Jakob (Gen 50,1–13) im verheißenen Land beerdigt werden konnte: Schon in Gen 33,19 ließ er Jakob den Acker von den Leuten in Sichem kaufen, der später als Josephs Grabplatz bei Sichem dienen würde (Jos 24,32). In Gen 48,21 ließ er Jakob kurz vor seinem Tod allein seinem Sohn Joseph dessen Rückkehr ins „Land seiner Väter“ ankündigen. Und er zeichnete ihn „über seine Brüder“ aus, indem er ihm Sichem zum Geschenk machte, hier als ein Ort bezeichnet, den er im Kampf den Amoritern abgenommen habe (V. 22). Und in Gen 50,24–26 nahm Joseph kurz vor seinem Tod seinen Brüdern60 das sogar beschworene Versprechen ab (vgl. 47,31), dafür zu sorgen, dass dann, wenn Gott sich ihnen gnädig zuwenden und in das Land der Verheißung hinaufziehen lassen werde (50,24), seine Gebeine mitgenommen würden (V. 25). Darum wurde Joseph, als er dann mit 110 Jahren starb, wie sein Vater (50,2) einbalsamiert und in eine tragbare Lade gelegt (V. 26).61 Das Versprechen der Brüder wurde 57 Zu dieser thematischen Ausrichtung des priesterlichen Werks vgl. Blum, Studien, 287–323; Albertz, Exodus II, 379–380. 58 S. oben S. 101 Anm. 69. 59 Zur wahrscheinlichen Datierung der Hexateuchredaktion in die Jahrzehnte zwischen 430 und 410 v. Chr. s. oben S. 100. 60 Dass sie – abgesehen von Benjamin – alle älter als Joseph waren und eigentlich die meisten schon vor ihm gestorben sein müssten, spielt für den HexR keine Rolle! 61 Da Gen 50,26 in dieser Motivlinie fest verankert und auch kein literarischer Bruch zu V. 24–25 erkennbar ist, kann der Vers weder als der ursprüngliche Abschluss der Josephs-
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
nach Sicht des HexR dann von den Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägypten getreulich ausgeführt (Ex 13,19) und die Gebeine Josephs nach der Einwanderung Israels ins verheißene Land tatsächlich auf dem Acker bei Sichem beigesetzt (Jos 24,32). Wie die Anspielungen auf Jakobs Tod und Beisetzung zeigen, wollte der HexR Joseph die gleiche Ehre wie dem Stammvater zukommen lassen, auch wenn das erheblichen redaktionellen Aufwand erforderte. Daraus kann man schließen, dass die Gestalt des Joseph, sein Grab und seine Geschichte, bei den Bewohnern der persischen Provinz Samaria eine wichtige Rolle spielte. Vielleicht diente sie als Integrationsfigur, mit der die Samarier ihr Selbstbewusstsein und ihren Führungsanspruch gegenüber den sonst so einflussreichen Judäern artikulieren wollten.62 Als Verfasser der ersten Gründungsurkunde Israels mit autoritativen Anspruch (vgl. Jos 24,26) hatte der HexR aber nicht nur Interessen der angesprochenen Volksgruppen, sondern auch die kompositionelle Gliederung seines Werkes im Auge.63 Hatte schon der PB1 mit seiner auf die Josephsgeschichte rückblickenden Genealogie (Ex 1,1a.2–5a) eine Zäsur für das beginnende Exodusbuch gesetzt, so verstärkte der HexR diesen Einschnitt, indem er dem Buch Genesis mit den Versen Gen 50,24–26, insbesondere mit der Nachricht vom Tod Josephs, einen klaren Abschluss verschaffte, nicht ohne schon auf das im Buch Exodus vorauszublicken (vgl. den Verweis von Gen 50,24.25 auf Ex 3,16). Zugleich konstruierte er am Anfang des Exodusbuches eine regelrechte Epochenwende,64 indem er erstens zwischen solchen Söhnen Jakobs unterschied, die erst mit dem Vater nach Ägypten gekommen waren (Ex 1,1b), und Joseph, der schon in Ägypten gewesen war (V. 5b), zweitens auf diese Weise noch einmal vom Tod Josephs, seiner Brüder und all ihrer Zeitgenossen berichten konnte (V. 6) und drittens dadurch plausibel zu machen vermochte, dass ein neuer König in Ägypten an die Macht kam, der von Joseph nichts mehr wusste (V. 8).65 Damit gelang es dem HexR, erstmals zu begründen, warum die Israeliten trotz all der Wohltaten Josephs in Ägypten dermaßen unterdrückt werden konnten, wie es in der Exodusgeschichte erzählt wurde. Erst durch seine aufwändige Redaktion wurden geschichte angesehen werden (so Römer, Narration, 20), noch kann die Todesnotiz in V. 26a allein der priesterlichen Bearbeitung (so Blum/Weingart, Joseph Story, 505 Anm. 9) zugewiesen werden. 62 Die Überlegungen, die Oswald, Staatstheorie, 174–184, in diese Richtung anstellte, bekommen nicht durch die ursprüngliche Josephsgeschichte, wohl aber durch ihre späte Redaktion, einen gewissen Rückhalt. 63 Vgl. dazu Albertz, Pentateuchstudien, 469–470. 64 Dabei orientierte er sich am Vorbild, wie das DtrG den Epochenwandel von der Josua‑ zur Richterzeit beschreibt (Ri 2,8–10), vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 86–87. 65 Da sich all diese Verse an die priesterliche Genealogie anlehnen (der Name Joseph wurde sogar aus der Genealogie herausgenommen und hinter sie nach Ex 1,5b versetzt), können die genannten Verse nicht für einen vor-priesterlichen Übergang vom Genesis‑ zum Exodusbuch in Anspruch genommen werden, s. dazu im Einzelnen Albertz, Pentateuchstudien, 85–89 (mit Diskussion); Ders., Exodus I, 42–46.
6.8 Eine neue Strukturierung durch die priesterliche Pentateuchredaktion
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die gegensätzlichen Ägyptenbilder, welche die Josephsgeschichte auf der einen und die Exodusgeschichte auf der anderen Seite gezeichnet hatten, einigermaßen miteinander vermittelt. Es dauerte somit bis in die zweite Hälfte des 5. Jhs. v. Chr., bis die sperrige Josephsgeschichte ihre Brückenfunktion zwischen der Patriarchen‑ und Exodusgeschichte widerspruchsfrei übernehmen konnte.
6.8 Eine neue Strukturierung durch die priesterliche Pentateuchredaktion In Gen 46,8–27 findet sich just an der Stelle, wo die Jakobsfamilie nach Ägypten aufbricht, eine lange genealogische Liste der 70 Mitglieder des „Hauses Jakob“ (V. 27), die nach der Sicht des PB1 nach Ägypten gekommen waren (Ex 1,5a). Die Liste stellt eindeutig einen Einschub in den Reisebericht der JG dar (46,5b.6*), der in V. 28–30 fortgesetzt wird, und gehört auch nicht zu dessen Kommentierung durch den PB1 in V. 6*.7. Meist wird sie darum einem späteren priesterlichen Bearbeiter zugewiesen.66 Diese Liste steht auch sonst in sachlicher Spannung zur Josephsgeschichte, etwa damit, dass sie vier Söhne Rubens nennt, während Ruben selber in 42,37 nur von zwei Söhnen gesprochen hatte, oder dass sie drei Söhne und sieben Enkel Benjamins aufführt, d.h mehr Nachkommen als bei allen übrigen Jakobsöhnen, während Benjamin in der JG noch ein junger Bursche gewesen zu sein scheint (vgl. 44,20.23). Dennoch wurde die Liste auf ihren Kontext hin ausgerichtet: So wird in 46,12 der frühe Tod der Juda-Söhne Er und Onan erwähnt (vgl. 38,2–10), und in 46,20 wird die in 41,50 vom Autor der EJG berichtete Geburt Manasses und Ephraims durch die Priestertochter Asenat fast wörtlich aufgenommen. Auch die Erwähnung Dinas in 46,15 (vgl. 30,21; 34,1) und noch weiterer ungenannter Töchter (vgl. 37,35) in der sonst fast durchweg rein agnatischen Abstammungsliste mag aus solcher Kontextanpassung herrühren. Die Liste weist eine Reihe interner Probleme auf, auf die hier nicht erschöpfend eingegangen werden kann,67 wichtiger ist, dass sie die Josephsgeschichte und mit ihr die ganze Vätergeschichte in zwei Teile strukturiert: in eine Phase, in der die Erzväterfamilien noch in Kanaan wohnten, und eine zweite Phase, in der die Jakobsfamilie unter Führung des Stammvaters nach Ägypten auswanderte. 66 Vgl. etwa Wellhausen, Composition, 51; Gunkel, Genesis, 493; Westermann, Genesis III, 174–175; Seebass, Genesis III, 126–128. 67 Vgl. dazu ausführlich Ebach, Genesis, 438–445. Schwierigkeiten macht besonders die Divergenz zwischen den 70 männlichen Angehörigen (nur in Gen 46,17 ist eine Tochter Aschers mit eingerechnet) des Hauses Jakob (V. 27b) und den 66, die mit Jakob nach Ägypten kamen (V. 26). Denn die in V. 27a herausgerechneten Personen Joseph, Manasse und Ephraim, die ja schon in Ägypten waren, würden die Summe von 67 Personen ergeben. Möglicherweise wurden bei dieser Berechnung die schon in Kanaan gestorbenen Juda-Söhne Er und Onan (V. 12) abgezogen und dafür die zuvor unberücksichtigte Tochter Dina (V. 15) hinzugezählt.
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
Nun findet sich im Buch Numeri an einem ganz ähnlichen Wendepunkt eine Geschlechterliste Israels (Num 26,5–51.57–62),68 die, trotz einiger Abweichungen im Kleinen, im Gesamtduktus stark an Gen 46,8–27 erinnert. So wird auch dort etwa auf den frühen Tod der Juda-Söhne Er und Onan verwiesen (Num 26,19). Diese Geschlechterliste wird im Zusammenhang von Num 25–36 für eine zweite Volkszählung verwendet, die sicherstellen soll, dass die Verteilung des gelobten Landes auf gerechte Weise entsprechend der Zahl der Geschlechter und Größe der Stämme erfolgt (V. 52–56). Diese Liste hat also schon die Landnahme vor Augen und zählt alle die auf, die berechtigt sind, in Kanaan Land zu erhalten.69 Die zweite Volkszählung gliedert somit im Numeribuch das Geschehen zwischen der Wanderung Israels aus Ägypten (vgl. V. 4b) und den Vorbereitungen zur Einwanderung in das verheißene Land. Die Numeri-Liste erkennt übrigens die Joseph-Söhne Manasse und Ephraim als vollgültige Mitglieder des Stammesverbandes Israel an (V. 28–37)! Da die Listen in Gen 46 und Num 26 einen ähnlichen Aufbau und eine vergleichbare kompositorische Funktion haben, stammen sie wohl von demselben Bearbeiter. Weil die Kapitel Num 25–36 schon das Thema der Verteilung des Landes aufgreifen, das eigentlich zum Josuabuch gehört (vgl. Jos 14–19), lässt sich dieser späte priesterliche Bearbeiter, den ich PB5 nenne, als priesterlicher Pentateuchredaktor (PentRP) qualifizieren, der dem entscheidenden Thema des Josuabuches schon innerhalb der Grenzen des Pentateuchs Raum gewährte, als man sich entschlossen hatte, die autoritative Gründungsurkunde Israels mit dem Tode des Mose enden zu lassen und damit das Josuabuch, das der Hexateuchredaktor einbezogen hatte, aus ihr wieder auszugliedern.70 Mit der Einfügung der genealogischen Listen in Gen 46,8–27 und Num 25,5–51 ging es dem priesterlichen Pentateuchredaktor um den Nachweis, dass zwischen der Jakobsfamilie, die aus dem gelobten Land ausgewandert war, und dem Stammesverband Israel, der in das verheißene Land wieder einwanderte, eine ungebrochene genealogische Kontinuität bestand. Es war im Grunde die gleiche Menschengruppe, nur hatten sich die Söhne Jakobs inzwischen zu großen Stämmen und die Enkel Jakobs zu zahlreichen Geschlechtern vermehrt. Aus den 70 Auswanderern (Gen 46,27) waren über den wechselvollen Verlauf der Heilsgeschichte durch alle Bewahrungen und Katastrophen hindurch 601.730 Einwanderer (Num 26,51) geworden!
68 Der ausführliche Abschnitt über die Leviten (Num 26,57–62), die in Gen 46,11 nur kurz erwähnt werden, hat wiederum in der sekundär eingefügten Liste in Ex 6,14–25 sein Pendant. 69 Vgl. dazu ausführlicher Albertz, Pentateuchstudien, 361–364. 70 Vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 364–373.
6.9 Eine neue Ausrichtung durch die nicht-priesterliche Pentateuchredaktion
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6.9 Eine neue Ausrichtung durch die nicht-priesterliche Pentateuchredaktion Neben der priesterlichen hat es ganz offensichtlich auch noch eine nicht-priesterliche Pentateuchredaktion (PenRL) gegeben, wie die sekundäre Einfügung des Moseliedes samt Einleitungen (Dtn 31,16–22.24–30 + 32,1–43) und des Mosesegens (33,1–29) sowie die kompositorische Abrundung des Gesamtwerks in 34,11–12 zeigt.71 Öffnet das Moselied den Blick in die Zukunft Israels, so beschreibt der Mosesegen noch einmal die Besonderheiten und die Einheit der Stämme Israels. Auffällig ist nun an der Komposition des Pentateuch, dass sowohl am Ende seines letzten Buches, im Mosesegen des Deuteronomiums, als auch am Ende seines ersten Buches, im Jakobsegen der Genesis (Gen 49,1–28), Stammessprüche platziert sind, beide Male sogar im vorletzten Kapitel. Eine solche Rahmenbildung kann kaum zufällig sein. Damit stellt sich die Frage: Hatte möglicherweise der PentRL auch in Gen 49 seine Hand im Spiel? Die kleine Stammesspruch-Komposition in Gen 49,1–28 stellt ein bis heute noch nicht hinreichend geklärtes Problem der Literaturgeschichte der JakobJosephs-Geschichte dar. Sicher ist, dass sie nicht zur JG oder EJG gehört, findet sich doch in deren Erzählgang keine Lücke, in die sie hineingehört haben könnte, und handelt sie neben Ruben, Simeon, Juda, Joseph und Benjamin auch von solchen Söhnen Jakobs, die dort gar nicht benannt waren. Der Hinweis auf Rubens Schandtat (V. 3–4) bezieht sich auf die Notiz in Gen 35,21–22a zurück, die Verfluchung Simeons und Levis wegen ihrer maßlosen Gewalttat gar auf die Dina-Erzählung in Gen 34, d. h. auf Ereignisse, die jenseits der Josephsgeschichte liegen und in dieser ganz offensichtlich nicht vorausgesetzt werden.72 Zudem greift ein Vers der Komposition mit der Phrase „vor dir fallen nieder ()השתחוה ׁ die Söhne deines Vaters“ (49,8) zwar ein Leitwort der JG auf73 und nimmt damit auf dessen zentrale Herrschaftsthematik Bezug, gibt ihr aber eine völlig neue Wendung, indem nun ein solcher Herrschaftsanspruch über die Jakobsfamilie nicht mehr Joseph, sondern Juda zuerkannt wird. Wegen dieser Besonderheiten hat Erhard Blum die Stammesspruch-Komposition von Gen 49 mit gutem Grund der judäischen Bearbeitung zugerechnet, welche die vereinte Jakobs‑ und Josephsgeschichte im 7. Jh. erfahren habe.74 Die Disqualifikation Rubens, Simeons und Levis lässt den viertplatzierten Juda an die erste Stelle der Jakobsöhne vorrücken. Mehr noch, der Stammvater Jakob spricht Juda als Identifikationsfigur des Südreichs einen klaren Herrschaftsanspruch über Vgl. dazu Albertz, Pentateuchstudien, 483; Ders., Konstituierung, 138–143. Vgl. die vergleichsweise positive Zeichnung Rubens in Gen 37,22.29–30; 42,22.37 und Sorge Jakobs um Simeon in 42,36; 43,14. 73 Vgl. Gen 37,7.9.10; 42,6; 43,26.28; ähnlich 44,14; 50,18. 74 Vgl. Blum, Komposition, 228–229.260–263. Zu der Bearbeitungsschicht gehören auch Gen 34; 35,21–22a; 38 samt den zugehörigen Verklammerungen; s. oben S. 129. 71 72
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6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
seine Brüder, auch über diejenigen im Norden, zu. Eine solche veränderte Machtkonstellation lässt sich nach Blums Meinung gut mit der politischen Lage im letzten Drittel des 7. Jhs. v. Chr. in Verbindung bringen, als der judäische König Josia nach dem Zusammenbruch des Assyrerreiches seine Herrschaft auf das Gebiet des ehemaligen Nordreichs auszudehnen versuchte (2 Kön 23,15–20.29).75 Doch so plausibel diese literarturgeschichtliche Einordnung der StammesspruchKomposition auch sein mag, Blum blieb eine Erklärung schuldig, wie sie, wiewohl eindeutig nicht-priesterlicher Herkunft,76 ausgerechnet nach Gen 49 geraten konnte,77 in ein Kapitel, dessen Handlungsverlauf eindeutig von der ersten priesterlichen Bearbeitung der Josephsgeschichte (PB1) gestaltet wurde (vgl. sicher V. 1a.29–33), die mindestens einhundert Jahre später am Werk war. Eine Lösung des Problems, die auch schon die Quellenkritiker nicht geben konnten,78 wird möglich, wenn man der Vermutung einiger Exegeten folgt, dass die Stammespruch-Komposition einmal an anderer Stelle gestanden habe, nämlich gleich hinter der Nachricht von Rubens Schandtat, mit Bilha, der einen Nebenfrau seines Vaters, sexuell verkehrt zu haben (Gen 35,21–22a), worauf sich der Rubensspruch in 49,3–4 direkt zurückbezieht.79 Doch leider ist es, wie der Abbruch des Satzes, dass Jakob von der Schandtat erfährt, in V. 22a zeigt,80 an dieser Stelle – aufgrund redaktioneller Arbeit oder aus anderen Gründen – zu einem Textausfall gekommen, so dass der genaue erzählerische Zusammenhang, wie Jakob mit den Stammessprüchen auf den Vorfall reagiert, nicht mehr rekonstruiert werden kann. Aber immerhin könnte Jakob in diesem Kontext gut mit der zweiten der beiden konkurrierenden Einleitungen (49,1b.2) der SpruchKomposition angehoben haben: „Versammelt euch und hört, ihr Söhne Jakobs, und hört auf Israel, euren Vater!“ (V. 2). Die dazugehörige Ausleitung findet sich noch in V. 28bα1: „Dies ist es, was ihnen ihr Vater gesagt hat.“ Dagegen gehörte die in V. 28a erhaltene Unterschrift: „Diese alle sind die Stämme Israels, zwölf (an der Zahl)“ wohl schon zu der Sammlung von Stammessprüchen, die der judäische Redaktor für seine Komposition verwendet hat. Dafür dass der judäische Redaktor die Stammessprüche an dieser Stelle platzierte, könnte zu Vgl. Blum, Komposition, 260–263. Ein möglicher Anklang an den priesterlichen Sprachgebrauch liegt höchstens in Gen 49,25 vor, wo die Gottesbezeichnung ואת ׁשדי, wohl besser mit dem Samaritanus, der Septuaginta und der Peschitta „ ואל ׁשדיund El-Šaddaj“ zu lesen, begegnet, die sonst typisch für den PB1 ist, vgl. Gen 17,1; 28,3; 35,11; 48,3; Ex 6,3. 77 Vgl. die noch tastenden Mutmaßungen bei Blum, Komposition, 260 Anm. 16. 78 Vgl. Gunkel, Genesis, 474–475, der Gen 49,1b–28a Jb zuwies, weil im Handlungsgang von Ja keine Lücke zu finden ist (vgl. 47,29–31; 49,33aβ; 50,1), in welche die Stammesspruch-Komposition gepasst hätte. Da Gunkel Gen 49,1a.28b–33* P zuweist, kann sie nach ihm, wiewohl hohen Alters, „erst in später Zeit in die Vätersagen eingestellt worden“ sein (a. a. O., 478). 79 Vgl. etwa Schmid, Josephsgeschichte, 115–116; Leuenberger, Segen, 275; Wöhrle, Fremdlinge, 92–93. 80 Gen 35,22b ist schon Einleitung des folgenden Verzeichnisses der Söhne Jakobs. Vgl. die masoretische Petumah. 75 76
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dem sprechen, dass sich Jakob erst hier nach seiner langen Reise mit allen zwölf Söhnen wirklich im Land Kanaan ansiedelte (35,21–22a). Denn um das Schicksal der Söhne im Lande Kanaan – und nicht etwa in Ägypten – geht es auch in den Sprüchen. Zudem zeltete Jakob gerade in Migdal-Eder bei Bethlehem im Landesteil Juda (V. 21), was zu der Hervorhebung seines Sohnes Juda passen würde (V. 8.10). Was könnte die ursprüngliche Funktion der Stammesspruch-Komposition (Gen 49,2–28bα1) im Kontext von Gen 35 gewesen sein? Sie war zwar ans Ende der Jakobserzählungen platziert, sollte sie allerdings nicht völlig abschließen. Denn von einem Segen, den Jakob seinen Söhnen kurz vor seinem Tod erteilt hätte, war an dieser Stelle noch gar nicht die Rede. Es ging vielmehr um eine zeremonielle Form von Tadel und Lob des Vaters, mit der er einerseits die drei ältesten seiner Söhne für Vergehen degradierte und mit schlechten Zukunftsaussichten bestrafte (V. 3–7), andererseits seinen Sohn Juda über alle seine übrigen Söhne erhob und ihm eine glänzende Zukunft, Herrschaft und Überfluss, voraussagte (V. 8–12). Wenn er dabei ausdrücklich auf das zentrale Herrschaftsmotiv der Josephsgeschichte Bezug nahm und es zugunsten Judas umdrehte (V. 8b), dann wollte er offenbar mit seiner Spruchkomposition nicht nur Jakobsgeschichten abschließen, sondern zugleich auch auf die Josephsgeschichte vorausblicken. Dafür spricht ebenfalls die Tatsache, dass er auch Joseph in seiner Komposition einen längeren Abschnitt widmete (V. 22–26). Wenn er hier allerdings nicht etwa die Herrschaft, sondern die großen Segenskräfte thematisierte, deren Joseph teilhaftig werden sollte, dann erkannte er nur die überlegene wirtschaftliche Potenz der Nordprovinz an, die ihn zu einer Art „Geweihten“ ()נזיר, d. h. besonders von Gott Begnadeten, unter seinen Brüdern machte (V. 26). Man schätzte ihn wegen seiner Wirtschaftskraft, vielleicht beneidete man ihn sogar, aber man wollte sich von ihm nicht mehr beherrschen lassen. Das bedeutet aber: An dem vermuteten ursprünglichen Platz am Ende der Jakobs‑ und Anfang der Josephsgeschichte kam der Stammesspruch-Komposition des judäischen Redaktors die Funktion einer Lesebrille für die Josephsgeschichte zu: Mochte Joseph auch die Herrschaft über seine Brüder in Ägypten beansprucht haben, im Lande Kanaan war Juda die Herrschaftsaufgabe von seinem Vater längst zugesprochen worden. Die Herrschaftsausübung Josephs war nur eine begrenzte Episode.81 Wenn aber die Stammesspruch-Komposition als Reaktion auf Gen 35,21–22a im Rahmen einer vereinten Jakob-Josephs-Geschichte einen guten Sinn ergibt, dann stellt sich umso mehr die Frage, wer sie nach Gen 49 umgestellt haben könnte und welche Absicht er damit verfolgte. Jakob Wöhrle hat die These vertreten, dass es der erste priesterliche Bearbeiter (PB1) selbst gewesen ist, der diese 81 In Gen 35 platziert setzt somit die Stammesspruch-Komposition von ihrer thematischen Ausrichtung her schon die Zusammenfügung der Jakobs‑ und Josephsgeschichte voraus! Dass ihr Autor im 7. Jh. v. Chr. in letzterer ausgerechnet die Herrschaftsthematik als zentral empfand, bestätigt übrigens die Richtigkeit der ihr oben S. 85 gegebenen Auslegung.
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Umstellung vorgenommen hat. Er, der seiner Meinung nach die Jakobs‑ und die Josephsgeschichte miteinander verband, habe damit den Zweck verfolgt, der vereinten Geschichte im Jakobsegen den passenden kompositionellen Abschluss zu verschaffen. „Denn nach der Verbindung von Jakob‑ und Josefgeschichte konnte der als Vermächtnis des Ahnherrn gestaltete Jakob-Segen doch kaum am Ende von Gen 35 – weit vor dem nun in Gen 47,29ff dargestellten Tod des Ahnherrn – stehen bleiben.“82 Doch machen gleich mehrere Beobachtungen eine solche auf den ersten Blick plausible Lösung eher unwahrscheinlich: Erstens hat sich oben gezeigt, dass die Spruchkomposition im Umfang von 49,2–28bα1 noch kein Vermächtnis Jakobs kurz vor seinem Tod darstellte. Zweitens wurde deutlich, dass sich die Stammessprüche über Juda und Joseph bereits auf die Josephsgeschichte beziehen und darum die Vereinigung von Jakobs‑ und Josephsgeschichte schon voraussetzen, wie es Erhard Blum für die judäische Bearbeitung insgesamt wahrscheinlich gemacht hat.83 Drittens lassen sich in Gen 49 keine Anzeichen dafür finden, dass es der PB1 war, der die Stammessprüche in seine Darstellung des Todes Jakobs (49,1a.29–33) eingebunden hat; im Gegenteil, der priesterliche Erzählzusammenhang wird durch den Einschub der Stammessprüche sachlich und sogar syntaktisch unterbrochen. Als mögliches Glied einer kompositionellen Einbindung der Sprüche in den priesterlichen Kontext kommt der in der Ausleitung zugewachsene Versteil Gen 49,28bα2.bβ in Betracht: „Er segnete sie, einen jeden nach seinem Segen segnete er sie.“ Denn dieser bindet die Stammessprüche in einen Segensritus ein, der kurz vor dem Tod des Stammvaters stattgefunden haben könnte. Zugleich versucht er durch die nähere Spezifierung des Segens für die verschiedenen Jakobsöhne auszugleichen, dass eigentlich nur Juda (V. 11–12) und Joseph (V. 25–26) Wohlstand bzw. Segen versprochen wird, während Simeon und Levi sogar verflucht werden (V. 7). Nun ist Gen 49,28b zwar von einigen Exegeten P zugewiesen worden,84 doch kaum zurecht. Es war Jakob Wöhrle selber, der darauf aufmerksam machte, dass P sonst nie das Verb „ ברךsegnen“ zusammen mit dem Nomen „ ברכהSegen“ konstruiert, so dass damit V. 28b oder zumindest der Versteil V. 28bβ kaum vom priesterlichen Bearbeiter stammen könnten.85 Geht man von der Beobachtung aus, dass in dem sicher dem PB1 zuzurechnenden Vers Gen 49,29 die Adressaten der Jakobrede („seine Söhne“) gar nicht mehr explizit genannt werden, sondern nur noch pronominal auf sie verwiesen wird („und er befahl ihnen und sprach zu ihnen: Ich werde zu meinem Volk versammelt …“), dann benötigt dieser Vers syntaktisch unbedingt den Versteil S. Wöhrle, Fremdlinge, 127. Blum, Komposition, 209–229. 84 Vgl. etwa Gunkel, Genesis, 496; Westermann, Genesis III, 223.252; Macchi, Israël, 27–28. 85 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 125, der für diese Stilfigur auf den nicht-priesterlichen Vers Gen 27,41 verweist. Dieselbe begegnet allerdings auch in Dtn 33,1. 82 83
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1a: „Da rief Jakob seine Söhne.“ Dazwischen könnte auch noch das Sätzchen von V. 28bα2: „und er segnete sie“ stehen, weil die Verb-Abfolge: „rufen“, „segnen“, „befehlen“ und „sprechen“ auch in Gen 28,1, einem von PB1 formulierten Satz, belegt ist.86 Alle anderen Sätze, die zwischen V. 1a und V. 29 stehen, fallen aus dieser syntaktisch klaren Handlungskette heraus. Wenn der PB1 die Stammesspruch-Komposition hätte in seinen Erzählzusammenhang einbauen wollen, hätte er zumindest in V. 29 die Söhne als Adressaten der Jakobrede erneut nennen, oder besser noch eine Erzählzäsur formulieren müssen, etwa: „Als er geendet hatte, seine Söhne zu segnen, befahl er ihnen und sprach zu ihnen: …“ (vgl. Ex 31,18). Da aber all solche sachlichen und syntaktischen Einbindungen fehlen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Stammesspruch-Komposition – jetzt in dem Umfang von Gen 49,1b–28bα1.bβ – erst nachträglich in den Erzählkontext des PB1 eingeschoben worden ist.87 Wer kommt aber für diesen nach-priesterlich anzusetzenden Redaktor in Frage, auf den die Umsetzung der Stammesspruchkomposition von Gen 35 nach Gen 49 zurückgeht? Zu seiner Identifikation stehen uns einigermaßen sicher die beiden Rahmen-Versstücke zu Verfügung, die ihr in 49,1b.28bβ wahrscheinlich erst bei der Umstellung zugewachsen sind: Gen 49,1a 1b 2
Da rief Jakob seine Söhne … und er sprach: Versammelt euch, so will ich euch kundtun, was euch am Ende der Tage zustoßen wird!
Kommt zusammen und hört, ihr Söhne Jakobs, hört auf Israel, euren Vater!
28bα1 Und dies ist es, was ihnen ihr Vater sagte; 28bα2 und er segnete sie, 28bβ einen jeden gemäß seinem Segen segnete er sie.
Die Zusätze sind kursiv hervorgehoben; der vom Redaktor vorgefundene priesterliche Kontext in Gen 49,1a.28bα2 ist recte gesetzt, die ältere Rahmung in petit angedeutet. Auch wenn Jean-Daniel Macchi in seiner ausführlichen Untersuchung von Gen 49 meinte, dass sich die beiden Sprucheinleitungen V. 1b und V. 2 auf der gleichen Redaktionsebene befänden, weil die erste auf den Inhalt und die zweite den Sprecher abziele,88 weist die doppelte Aufforderung an die Söhne Jakobs, sich zu versammeln ( האספוin V. 1b und הקבצוin V. 2), eindeutig darauf hin, dass es sich um Dubletten handelt, von denen die erste sicher die jüngere ist.89 Egal ob man den Ausdruck „ באחרית הימיםam Ende der Tage“ schon eschatologisch (vgl. Dan 10,14) oder auf eine ferne, noch unbestimmte Zukunft gerichtet (vgl. Num So Levin, Jahwist, 309; Leuenberger, Segen, 272. So Schmitt, Josephserzählung, 73 Anm. 305; Levin, Jahwist, 311, Leuenberger, Segen,
86 87
274.
Vgl. Macchi, Israël, 29–40. So auch Gunkel, Genesis, 478–479; Westermann, Genesis III, 252–253; Leuenberger, Segen, 273, und viele andere Ausleger. 88 89
148
6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
24,14) verstehen will, die Absicht des Redaktors besteht in jedem Fall darin, die folgenden Stammessprüche als eine Art prophetischer Zukunftsansage zu verstehen und damit den Zeithorizont der Jakob-Josephs-Geschichte weit zu öffnen. Der Versteil 28bβ knüpft zwar sachlich an die priesterliche Phrase von V. 28bα2 an, doch kann man aus seinem Sprachgebrauch mit Jakob Wöhrle den Schluss ziehen,90 dass es wahrscheinlich ein nicht-priesterlicher Redaktor gewesen ist, auf den diese neue Rahmung der Stammesspruch-Komposition zurückgeht. Auch wenn die Anhaltspunkte relativ spärlich sind und inzwischen schon mehrere nicht-priesterliche Redaktoren nachgewiesen wurden, die in nachpriesterlicher Zeit gewirkt und dabei nicht-priesterliche Texte in priesterliche eingeschoben haben,91 möchte ich hier erstmals die These vertreten, dass es der nicht-priesterliche Pentateuchredaktor (PentRL) war, der die Umstellung der Stammesspruch-Komposition nach Gen 49 und ihre Neuinterpretation in diesem Kapitel vorgenommen hat. Drei Gründe möchte ich dafür geltend machen: Erstens ist die Eröffnung einer weitläufigen Zukunftsperspektive über die im Pentateuch dargestellte Gründungsgeschichte Israels hinaus, die sich in Gen 49,1b greifen lässt, nachweislich ein Anliegen des PentRL, das dieser ebenfalls mit der Einfügung des Moseliedes (Dtn 32) verfolgte. In der von ihm formulierten Einleitung dazu verwendete er ebenfalls den Ausdruck „ באחרית הימיםam Ende der Tage“ (31,29). Zweitens gebrauchte er bei der Formulierung der Einleitung des Mosesegens (Dtn 33,1) dieselbe auffällige Stilfigur wie Gen 49,28bβ, bei der das Nomen „ ברכהSegen“ mit dem Verb „ ברךsegnen“ konstruiert wird. Und drittens formte er die tadelnden und lobenden Stammessprüche Jakobs, indem er sie in die von PB1 knapp erwähnte Segnung seiner Söhne kurz vor seinem Tode (vgl. Gen 49,28bα2) einstellte, ausdrücklich zu einem förmlichen Jakobsegen um (V. 28bβ) und schuf damit ein genaues Pendant zu dem Mosesegen, der ebenfalls Stammessprüche enthält und den er an das Ende des Pentateuch zu platzieren gedachte (Dtn 33). Wie der sterbende Gesetzgeber Mose den Stämmen Israels eine überwiegend heilvolle Zukunft aufzeigte, so sollte es erst recht der sterbende Stammvater Israels gegenüber seinen Söhnen tun (Gen 49). Auf diese Weise sollte sich über die ganze Gründungsgeschichte Israels ein Bogen spannen, der auch noch die weitere Zukunft dieses Volkes bestimmen würde. Wenn sich diese These bewähren sollte, dann könnte ein Vergleich von Gen 49 mit Dtn 33 im Einzelnen sicher noch detailliertere Bedeutungsaspekte dieser redaktionellen Rahmenbildung zutage fördern. Dies kann hier nicht geleistet werden. Zwei Beobachtungen sollen genügen: Jean-Daniel Macchi hat gute 90 Vgl.
Wöhrle, Fremdlinge, 125. der Urgeschichtsredaktor (RUG), der die nicht-priesterliche Urzeitkomposition Gen 2,4b–8,22* und noch einige Einzelerzählungen in die priesterliche Urgeschichte Gen 1–11 einstellte, oder der Hexateuchredaktor, der den ganzen Textbereich von Gen 15 bis Jos 24 mit kleineren und größeren Einschüben versah, seine Zukunftsschau über den Hexateuch hinaus allerdings im vierten Bileam-Orakel (Num 24,14b–19) unterbrachte, vgl. dazu Albertz, Pentateuchstudien, 477.481. 91 Etwa
6.9 Eine neue Ausrichtung durch die nicht-priesterliche Pentateuchredaktion
149
Gründe beigebracht, dass es sich bei den Versen Gen 49,24b–25 im Josephspruch um einen redaktionellen Einschub handelt.92 Die sich hier findende auffällige Häufung alter und neuer Gottesbezeichnungen93 lässt sich gut als bewusste Gestaltung des PentRL verstehen, wenn man sie mit dem Josephspruch in Dtn 33,13–17 vergleicht: Dort wird nämlich der Segen für Joseph allein auf den Gott JHWH zurückgeführt (V. 13). Der Redaktor wollte mit seinem Einschub in Gen 49 zum Ausdruck bringen, dass sich die zahlreichen Gottesbezeichnungen, die in der frühen Phase der Gründungsgeschichte Israels noch genannt wurden, durch das Wirken des Mose allesamt in dem einen Namen des Gottes Jahwe vereinen. Es fällt auf, dass die Zukunft Judas in Gen 49,8–12 viel prächtiger ausgemalt wird als in Dtn 33,7. Da der PentRL in Gen 49,1b den Zeithorizont schon bis in eine ferne Zukunft geöffnet hatte, ist es durchaus wahrscheinlich, dass er diese Verse schon als Ausblick auf ein messianisches Zeitalter verstanden hat.94 Wie auch immer der textlich schwierige und geheimnisvolle V. 10b von ihm interpretiert worden sein mag,95 er hat wahrscheinlich die Realisierung der Juda zugesprochenen Herrschaft über seine Brüder und über die Völker auf eine Epoche bezogen, in der man in gleichsam paradiesischer Sorglosigkeit seinen Esel an seinem Weinstock anbinden konnte, weil es vor lauter Überfluss keine Rolle mehr spielte, ob der ihn abfraß oder nicht (V. 11).96 Die Herrschaftszusage, die einst der judäische Redaktor Juda anstelle von Joseph zugesprochen hatte, wird damit in das messianische Zeitalter transponiert. Der reiche Segen, der von all den Repräsentationen Gottes auf das Haupt Josephs kommen sollte (Gen 49,24b–26), betraf dagegen für den Redaktor eher das irdische Leben in der Epoche vor der messianischen Heilszeit. So wie Joseph die Seinen in der Hungersnot versorgt hatte, so würde die seinem Stamm zugesprochene große Wirtschaftskraft zum Überleben und Wohlstand Israels beitragen. Auf diese Weise spiegelt auch noch der PentRL in seiner späten Ausdeutung auf seine Weise die Themen von Herrschaft und Versorgung, die einst im Zentrum der JG und EJG gestanden hatten. Vgl. Macchi, Israël, 206–221. Zum „Starken Jakobs“ vgl. Jes 49,26; 60,16; Ps 132,2.5; zum „Hirten Israels“ Ps 80,2; zum „Stein Israels“ die Aufrichtung der Mazzeben in Gen 28,18; 31,45; 35,14; zum „Gott deines Vaters“ vgl. Gen 46,3; 50,17; zu dem wahrscheinlich zu lesenden „El Šaddaj“ Gen 17,1; 28,3; 35,11; 48,3 (PB1). Auch diese Auflistung zeigt, dass der hier formulierende Redaktor in die nachexilische Zeit anzusetzen ist. 94 Eindeutig als messianische Verheißung hat dann die Septuaginta etwa 150 Jahre später den Juda-Spruch von Gen 49,8–12 ausgelegt. 95 Vgl. die Diskussion um das rätselhafte Wort שילהbei Macchi, Israël, 94–110. ׁ 96 So mit Recht Macchi, Israël, 112–117, auch wenn seine These, dass die StammesspruchKomposition in Gen 49 bis auf die Verse 13–21 generell erst aus der Zeit nahe der Endredaktion stammt (a. a. O., 135.303–306), nicht recht überzeugt; sie hängt wesentlich mit seiner nachexilischen Datierung der Josephsgeschichte zusammen (vgl. a. a. O., 127–128), die hier widerlegt wurde. Aber immerhin hat Macchi den endredaktionellen Charakter ihrer letzten Bearbeitung richtig gespürt. 92 93
150
6. Die Einbeziehung der JG und EJG in größere literarische Zusammenhänge
6.10 Die literaturgeschichtlichen Ergebnisse Es sind somit nicht weniger als zehn Überlieferungsstufen, welche die Literaturgeschichte von Gen 37–50 durchlaufen hat, bis aus der JG der uns heute vorliegende Text der Hebräischen Bibel wurde. Dabei ist die JG über die EJG schrittweise in immer größere Überlieferungsblöcke eingebunden worden, vom Stadium der selbständigen Novelle über die Vereinigung mit der Jakobserzählung, der übrigen Vätergeschichte, der Anbindung an die Exodusgeschichte bis hin in den Gesamthorizont des Hexa‑ und Pentateuchs und dessen prophetischer Zukunftsschau. Auch wenn man meint, vielleicht mit ein paar weniger Überlieferungsstufen auskommen zu können, die langwierige und komplizierte Literaturgeschichte, die der Textbereich der Josephsgeschichte nach Ausweis seiner Stratigraphie durchlaufen hat, spricht dagegen, dass diese erst ein oder zwei Jahrzehnte vor dem Abschluss des Pentateuchs entstanden sein könnte. Jene lässt sich nur dann mit allen ihren reichhaltigen Bedeutungsverschiebungen beschreiben, wenn man ihr einen angemessenen Zeitraum zubilligt. Der hier vorgeschlagene beträgt zumindest 450 Jahre! Das Ergebnis der literaturgeschichtlichen Untersuchung der Josephsgeschichte sei hier noch einmal tabellarisch zusammengefasst: Überlieferungsstufen
Kürzel
Textanteil
Datierung
ursprüngliche Josephsgeschichte
JG
Gen 37,3–27.28aα2–31.32aα2.aβ.33* (ohne )ויכירה.34–35; 39,1* (ohne ;)איש מצרי ׁ 40,2–3aα.4–5a.6–14.16–23; 41,1–11.12*(ohne )נער עברי.13.14* (ohne )מן־הבור.15–34a.35–40aα.b. 41–43.46b–49.53–54.57; 42,1–38; 43,1–32a.33–34; 44,1–34; 45,1–7aα. bα.978.9–28; 46,5b.6aα1.aβ.28–34bα; 47,1–10.11*(ohne ויתן להם אחזהund )בארץ רעמסס.9812.27a
Mitte des 9. Jhs. v. Chr.
erweiterte Josephsgeschichte
EJG
Gen 41,34b.40aβ?.44–45a.55–56; 43,32b; 46,34bβ; 47,13–26. 29–31+ויאסף רגליו אל־המטה וימת (analog zu 49,33aβ); 50,1–11.14–22a
1. Hälfte des 8. Jhs.
Gen 41,50–52; 48,1–2.8–14.17–20
8. Jh., vor 722
Verbindung mit der Jakobsgeschichte
97 Die Versteile Gen 45,7aβ.bβ sind wahrscheinlich vereinzelte Glossen aus exilisch-nachexilischer Zeit, s. oben S. 59–61. 98 Bei der ersten Phrase handelt es sich um einen Einschub des PB1, bei der zweiten („im Land Ramses“) um eine vereinzelte Glosse, die nach der Vereinigung von Väter‑ und Exodusgeschichte auf verwandte Siedlungs‑ und Arbeitsorte der Israeliten hier und dort hinweisen wollte, vgl. Ex 1,1; 12,37.
151
6.10 Die literaturgeschichtlichen Ergebnisse Überlieferungsstufen
Kürzel
Judäische Bearbeitung der Jakob- Josephs-Geschichte
Textanteil
Datierung
Gen 34; 35,5b.21–22a; [49,2– 28ba1*]; 37,28aα1.32aα1.32b.33* (nur )ויכירה.36; 38,1–30
2. Hälfte des 7. Jhs.
Einbindung in die Vätergeschichte 1
VG1
Gen 39,1* (nur ;)אש מצרי ׁ 39,2–23; 40,1.3aβb.5b.15; 41,12* (nur )נער עברי.14* (nur )מן־הבור
zwischen 550 und 539
Einbindung in die Vätergeschichte 2
VG2
Gen 46,1–5a; 48,15–16
zwischen 539 und 521
Erste priesterliche Bearbeitung, Einbindung in den Triteuch
PB1
Gen 37,1–2aα;99 41,46a; letztes Drittel 46,6aα2.b–7; 47,7–10.11*(nur des 6. Jhs. )ויתן להם אחזה.27b.28; 48,3–7; 49,1a.28bα2.29–33; 50,12–13.22b–23; Ex 1,1a.2–5a100.7
Einbindung in den Hexateuch
HexR
Gen 48,21–22; 50,24–26; Ex 1,1b.5b.6.8
Strukturierung durch die priesterliche Pentateuchredaktion
PentRP Gen 46,8–27
Neuausrichtung PentRL Umstellung von 49,2–28bα1* durch die nichtaus Gen 35 und Ergänzungen priesterliche in 49,1b.24b–25.28bβ Pentateuchredaktion
zwischen 430 und 410 Anfang des 4. Jhs.
Anfang des 4. Jhs.
Man sollte sich den Reichtum einer fast 500-jährigen Auslegungsgeschichte, die in den Texten von Gen 37–50 aufbewahrt ist, nicht durch eine zu enge Beschränkung der diachronen Differenzierung bei der Auslegung der Josephsgeschichte entgehen lassen.
Allein die Herkunft des Versteils Gen 37,2aβb bleibt unsicher. Mit der Nennung Josephs nach Benjamin in Ex 1,3; vgl. Gen 35,24, s. oben S. 103 Anm. 82.
99 100
7. Schlussbetrachtung Die ausgedehnte exegetische Untersuchung von Gen 37–50 hat zu einem relativ eindeutigen Ergebnis geführt.1 Ausgehend von zwei neueren programmatischen Aufsätzen, welche – kritisch aufeinander bezogen – die Positionen der beiden kontroversen Auslegungstypen der Josephsgeschichte dargelegt haben,2 konnte im Einzelnen nachgewiesen werden, dass weder die ursprüngliche Josephsgeschichte (JG: Gen 37,3–47,12.27a*) noch ihre erweiterte Fassung (EJG: Gen 37,3–50,22a*) etwas mit der Legitimation oder Klärung der nach-staatlichen Diasporaexistenz zu tun haben. Vielmehr handelt es sich bei beiden Fassungen um eine tiefgründige Reflexion über das Gefährdungs‑ und das Leistungspotential staatlicher Herrschaft aus der familiär geprägten ursprungsgeschichtlichen Perspektive heraus, insbesondere der Hegemonie des Nordreichs über ganz Israel. Ägypten repräsentiert hier die staatliche Macht als solche, die es in der Erzählwelt der Josephsgeschichte sonst noch gar nicht gibt. Es ist nicht die Fremdmacht, mit der man sich arrangieren müsste. Während die JG Ägypten noch völlig kritiklos als Paradebeispiel einer funktionierenden staatlichen Herrschaft darstellt, in der Joseph aus seiner erlangten Herrschaftsposition heraus eine segensreiche Vorsorgepolitik für die Hungerkrise organisieren kann, differenziert die EJG kritisch zwischen einer totalitären, absolutistischen Herrschaftsform, wie sie unter Ägyptern möglich ist (Gen 47,13–26), und einer schonenden, durch Gott begrenzten politischen Herrschaft, wie sie unter Israeliten ausgeübt werden sollte (50,18–21). In der weiteren innerbiblischen Auslegung bekam die Josephsgeschichte dann allerdings mit dem Einbau in größere literarische Horizonte auf vielfache Weise mit der Diasporathematik zu tun, angefangen von der ersten und zweiten Ausgabe der exilischen Vätergeschichte bis hin zur priesterlichen Pentateuchredaktion. Recht verschiedene Aspekte der Diaspora-Existenz werden dabei beleuchtet, positive wie auch negative (vgl. etwa Gen 39; 46,1–5a). Doch in keiner einzigen der redaktionell hinzugefügten, die ältere Josephsgeschichte auslegenden Passagen wird das Leben der Israeliten in der Diaspora als rein positiv oder völlig problemlos bewertet, wie es im zweiten Auslegungstyp häufig 1 Wer in der Untersuchung eine Auseinandersetzung mit den Positionen der Quellentheorie vermisst, sei auf meinen früheren Beitrag zur Josephsgeschichte verwiesen, s. Albertz, Pentateuchstudien, 56–63. 2 Vgl. Blum/Weingart, Joseph Story, und Schmid, Datierung.
154
7. Schlussbetrachtung
angenommen wird. Fast immer wird die Rückwanderungsperspektive offengehalten (vgl. etwa Gen 46,8–34 mit Num 26). Im Einzelnen lassen sich die folgenden Ergebnisse der Untersuchung benennen: 1. Wichtig für eine eindeutige Bestimmung der Thematik der Josephsgeschichte ist die Einsicht, dass Gen 39 schon zu dessen innerbiblischer Auslegung, nicht aber zur JG oder EJG gehört. Denn dieses Kapitel ist das einzige, das die Existenz im Ausland ausdrücklich zum Thema macht, indem es erzählt, wie Joseph als verkaufter hebräischer Sklave einerseits im Haushalt des Ägypters Potiphar mit JHWHs Beistand eine steile Karriere erlebt (V. 2–6a), aber andererseits – nach standhafter Verweigerung gegenüber den Gelüsten seiner Herrin – als rechtloser Ausländer den geballten Fremdenhass der Ägypter zu spüren bekommt (V. 13–20). Nur in diesem später zugefügten Kapitel und dessen redaktionellen Verklammerungen wird Joseph als „ עבריHebräer“ bezeichnet (39,14.17; 41,12; vgl. 40,15) und von seinem ägyptischen Gegenüber ( ;מצרי39,1.2.5) auf ethnische Weise unterschieden. In der JG spielen solche ethnischen Kategorien gar keine Rolle; in der EJG kommen sie als kollektive Distanzierungsmerkmale nur ganz am Rande in den Blick (43,32b). D. h. in Gen 39 spiegeln sich wahrscheinlich wirklich erste exilische Auslandserfahrungen,3 die in der JG und der EJG noch fehlen. 2. Die konsequente redaktionskritische Nachfrage, wie die umstrittene Erzählung von Josephs ägyptischer Wirtschafts‑ oder besser Staatsreform (Gen 47,13–26) literaturgeschichtlich eingeordnet werden muss, führt zu dem Ergebnis, dass sie – eindeutig in den Kontext eingeschoben, aber durch redaktionelle Klammern (41,34b.44–45a.55–56) weiträumig in der JG verankert – als Teil einer frühen Bearbeitungsschicht anzusehen ist, welche die Josephsgeschichte über deren ursprüngliches Ende in 47,12.27a hinaus bis zu ihrem jetzigen Abschluss in 50,22a verlängert (EJG). Die redaktionsgeschichtliche Differenzierung liefert nicht nur eine einfache Erklärung für den Umstand, dass die Josephsgeschichte nach ihrem eindeutigen Gipfelpunkt in Kapitel 45 noch einen zweiten Höhepunkt in 50,15–22a aufweist, sie macht auch verständlich, warum dieser neue Abschluss, indem er die Unterwerfung der Brüder unter Joseph bis zum Angebot der Selbstversklavung steigert (V. 18), als Kontrastszene zur Erzählung von der ägyptischen Staatsreform 47,13–26 gestaltet ist: Während Joseph das Angebot der Selbstversklavung der Ägypter annimmt (47,19–20.25), lehnt er das seiner Brüder brüsk mit der Bemerkung ab: „Bin ich etwa an Gottes Statt?“ (50,19). Beide Passagen stammen vom gleichen Ergänzer, dem Verfasser der EJG.4 3. Die Einsicht, dass wir zwischen zwei Fassungen der Josephsgeschichte zu unterscheiden haben, erlaubt es, die Thematik ihrer ältesten Fassung (JG), Vgl. dazu oben S. 12 und S. 131. Vgl. dazu oben S. 73–76.
3 4
7. Schlussbetrachtung
155
die von Gen 37,3 bis 47,12.27a reichte, genauer zu beschreiben, als dies bisher möglich war. Eng mit dem Handlungsbogen vom Ausbruch und der Lösung eines schweren Geschwisterkonflikts in der Jakobsfamilie verwoben, geht es in ihr um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit staatlicher Herrschaft aus familiärer Perspektive (37,8a). Deren bedrohliche und die Familie gefährdenden Seiten werden in den staatlichen Willkürmaßnahmen beleuchtet, denen Joseph als hoher Potentat seine Brüder unterwirft, um zu überprüfen, ob sie inzwischen die Familiensolidarität zu wahren gelernt haben, die sie ihm gegenüber haben vermissen lassen (42–44). Doch trotz all dieser irritierenden Erfahrungen wird staatliche Herrschaft letztlich dadurch gerechtfertigt, dass nur sie in der Lage ist, in der schweren Hungerkrise eine Vorsorgepolitik zu organisieren, welche der Bevölkerung das Überleben ermöglicht (41,47–49.53–54.57). Joseph übt – wie in den Träumen vorhergesagt (37,5–11) – die politische Herrschaft über seine Brüder und seine gesamte Familie schließlich dadurch aus, dass er sie in der Hungersnot versorgt und ihr das Überleben durch zeitweise Übersiedlung nach Ägypten ermöglicht (45,9–11; 47,12). Gegenüber der Herrschaftsproblematik spielt Ägypten im Handlungsgang der JG eine weniger gewichtige Rolle. Es wird eher beiläufig eingeführt (Gen 37,25); und auf dem Höhepunkt, bei der Versöhnung der Brüder, müssen sich die Ägypter mit einer Zuschauerrolle begnügen (45,1.16–20). Nur zweimal wird in der JG auf Besonderheiten der ägyptischen Kultur eher unspezifisch eingegangen – bei der Verleihung der goldenen Ehrenkette an Joseph (41,42) und beim Diebstahl von Josephs Wahrsagebecher (44,5.15). Doch während die goldene Kette immerhin bei der pharaonischen Auszeichnungspraxis eine gewisse Rolle spielte, ist die Kylikomantie eindeutig eine Merkmal der babylonischen Kultur!5 Es gehört zu den überraschenden Ergebnissen dieser Untersuchung, dass die meisten ägyptologisch auswertbaren Motive noch nicht der JG, sondern erst der EJG angehören. Ägypten repräsentiert in der JG weniger eine fremde Kultur, sondern vornehmlich den Prototyp einer funktionierenden staatlichen Herrschaft. Daneben ist es Zufluchtsort für die Zeit der Hungersnot. Aber Ägypten ist in der JG keineswegs, wie im zweiten Auslegungstyp gerne unterstellt wird, ein Lebensraum auf Dauer. Von einem Wohnen der Jakobsfamilie in Ägypten wird in der JG nichts erzählt, es wird im offenen Schluss der Erzählung bloß angedeutet (47,27a). Dass in der JG der Ägyptenaufenthalt der Jakobsfamilie als ein zeitlich eng auf die verbleibenden fünf Jahre der Hungersnot begrenzter gemeint ist, lässt sich von Gen 45,6–8.11 her wahrscheinlich machen. Denn hier ist die lebensrettende Funktion Josephs und die Einladung an seine väterliche Familie klar auf diesen begrenzten Zeitraum bezogen. Auch die Bitte um das Weiderecht für die mit5 S. oben S. 64–65. Der Bezug auf das ägyptische Brüdermärchen in Gen 39 gehört erst zur exilischen Bearbeitung, s. oben S. 14 Anm. 33 und S. 105 Anm. 87.
156
7. Schlussbetrachtung
gebrachten Herden wird mit der noch anhaltenden Hungersnot begründet; die Brüder erbitten darum vom Pharao für sich und ihre Tiere nur einen Gaststatus ()גור, kein dauerhaftes Bleiberecht (47,4). Wenn aber der Ägyptenaufenthalt der Jakobsfamilie in der JG nur als eine zeitlich begrenzte Episode aufgefasst war, dann wurde diese mit einiger Sicherheit nicht mit Blick auf die Exodusgeschichte konzipiert. Sie war eine eigenständige Erzählung im Rahmen der familiären Ursprungsgeschichten Israels – der Vätergeschichten –, die zu der Zeit, als sie verfasst wurde, noch nicht auf die andere Ursprungsgeschichte von der Befreiung Israels aus der ägyptischen Fron Rücksicht nehmen musste. Dafür spricht auch das überaus positive Ägyptenbild, das die JG im Unterschied zur Exodustradition entwirft. Nach vorne hin setzt die JG wohl die Kenntnis der Jakobserzählung voraus, aber noch nicht genau in der Form, in der sie uns überliefert ist. Die JG war somit von Hause aus eine völlig selbständige Großerzählung; sie ist erst später Schritt für Schritt zu einer Brücke zwischen Väter‑ und Exodusgeschichte aus‑ und umgebaut worden. 4. Die EJG wendet den Besonderheiten des ägyptischen Staates und seiner Kultur deutlich mehr Aufmerksamkeit zu als die JG. Nicht weniger als sechs auffällige Merkmale – die Benennung Josephs mit einem ägyptischen Namen (Gen 41,45a), seine Verheiratung mit der ägyptischen Priestertochter Asenat (41,45a), der Umbau Ägyptens zu einer zentralistischen Staatswirtschaft (47,13–26), die Einbalsamierung Jakobs (50,2–3) und die Abgrenzung der Ägypter gegenüber den Hebräern (43,32b) und nomadischen Viehzüchtern (46,34bβ) – gehen sehr wahrscheinlich erst auf den die JG erweiternden Bearbeiter zurück. Zahlreiche Ungenauigkeiten und Fehlinformationen zeigen jedoch, dass der Verfasser der EJG kaum über interne ägyptische Kenntnisse verfügte. Er hat vielmehr sein Bild von Ägypten aus der palästinischen Außenperspektive entworfen.6 Sieht man genauer hin, dann hat die explizitere Zeichnung einer spezifischen ägyptischen Welt in der EJG paradoxerweise die Funktion, Israel stärker, als es die JG getan hat, von Ägypten abzugrenzen. Die Einbalsamierung des Stammvaters Israels dient dazu, seinen Leichnam aus dem ägyptischen Herrschaftsbereich wieder zurück in die kanaanäische Heimat zu transportieren (50,1–11). Israel geht nicht etwa, wie man die JG missverstehen konnte, in Ägypten auf, sondern bleibt ein eigenständiges und von diesem geachtetes Gegenüber. Die Verheiratung Josephs mit einer Tochter aus dem berühmten Priestergeschlecht von Heliopolis hat zum Ziel, ihn voll in die ägyptische Herrschaftselite zu integrieren. Sie hat mit dem Mischehenproblem nichts zu tun. Sie dient vielmehr dazu, ihm den nötigen politischen Rückhalt zu verschaffen,7 damit er den ägyptischen Staat zu einem zentralistischen Herrschaftsgebilde nach altem pharaonischen Ideal umbauen kann Vgl. oben S. 77–84. Vgl. nur die Privilegien, die Joseph den Priestern bei der Staatsreform einräumt (Gen 47,22.26); sie stehen in Korrespondenz zu seiner Einheirat in ein Priestergeschlecht (41,45a). 6
7
7. Schlussbetrachtung
157
(47,13–26), das in scharfem Kontrast zum israelitischen Herrschaftsverständnis steht (50,18–19). Auf diese Weise wird in der EJG die Herrschaftsthematik der JG spezifiziert und theologisch qualifiziert. Zugleich macht sie deutlich, dass sich auch die Ägypter von den Hebräern und ihrer Wirtschaftsform abgrenzen (43,32b; 46,34bβ). So will der Verfasser der EJG zwar die segensreiche politische Kooperation zwischen Joseph und dem ägyptischen König nicht leugnen, aber doch die israelitische Identität stärker und selbstbewusster herausstellen, als es der Autor der JG getan hat. Die geographische und politische Distanzierung von Ägypten, die der Verfasser der EJG in Gen 47,13–50,22a* vornimmt, führt dazu, dass er den Aufenthalt der Jakobsfamilie in Ägypten ein Stück weit über die Jahre der Hungersnot ausweitet (vgl. 47,23–24). Dennoch hat er im offenen Schluss von 50,22a, den er parallel zum Abschluss der JG in 47,27a gestaltet, noch keinen Daueraufenthalt Israels in Ägypten in Blick. Trotz seiner im Vergleich zur JG kritischeren Sicht des ägyptischen Staates hat er ihr positives Ägyptenbild nicht an das negative der Exodustradition angeglichen. So hatte er wahrscheinlich ebenfalls noch keine Verbindung der Exodusgeschichte im Auge. Auch die EJG ist noch eine selbständige Novelle. Allerdings hat sie mit ihrem Bericht vom Tod Jakobs die Einbindung in größere literarische Zusammenhänge nach vorne und hinten teilweise erleichtert. 5. Eine ausführliche Untersuchung der vielfältigen Argumente, die bisher für eine Datierung der Josephsgeschichte in die nachexilische Zeit (5.–3. Jh. v. Chr.) vorgebracht worden sind, hat ergeben, dass keines von ihnen in Anspruch nehmen kann, als zwingend oder auch nur als hinreichend zu gelten. Vielmehr weist die Textstratigraphie, die im Bereich von Gen 37 bis 50 erkennbar ist, auf eine vorexilische Entstehung von JG und EJG: Die Priesterschrift, die im Bereich der Vätergeschichte mit einiger Sicherheit eine Bearbeitungsschicht darstellt, setzt einen kaum zu übersteigenden terminus ad quem ins letzte Drittel des 6. Jhs. v. Chr. Weil das Kapitel Gen 39, das deutliche Merkmale der Exilszeit aufweist, eine literarische Ergänzung zur Josephsgeschichte darstellt, müssen die EJG und JG früher verfasst worden sein. Und da die beiden mit dem Juda-Kapitel Gen 38 und den Stammessprüchen von 49,2–28bα1 eine judäische Bearbeitung erfahren haben,8 die am ehesten aus dem 7. Jh. v. Chr. stammt, gerät man für ihre Ansetzung in einen Zeitraum, der das 8. und 9. Jh. umfasst. Auch die Auswahl Josephs zum Protagonisten der Erzählung lässt sich am einfachsten erklären, wenn die JG und EJG in einer Zeit geschrieben wurden, als das Nordreich Israel noch als Staat existierte (vor 722 v. Chr.). Immerhin wurde der Joseph-Name nachweislich im 8. Jh. als Eponym für es verwendet (Am 5,6.15; 6,6; Ps 80,2). 8 Die Stammessprüche waren wohl ursprünglich in Gen 35 als Abschluss der Jakobserzählung und Lesebrille für die Josephsgeschichte positioniert. Sie wurden erst nachträglich – wahrscheinlich durch den nicht-priesterlichen Pentateuchredaktor (PentRL) – in den priesterlichen Bericht vom Tode Jakobs (49,1a.28bα2.29–33) eingeschoben, s. oben S. 143–149.
158
7. Schlussbetrachtung
6. Für die Entstehung der JG kommt am ehesten die Zeit der Omriden (881– 845 v. Chr.) in Frage, weil sich gleich vier ihrer Charakteristika auf diesem geschichtlichen Hintergrund plausibel machen lassen. Der rasche Ausbau des Nordreichs zu einem voll entwickelten Staat unter den Königen Omri und Ahab macht verständlich, warum in dieser Zeit überhaupt eine Erzählung verfasst wurde, die aus der familiären Perspektive einer tribalen Gesellschaft heraus grundsätzlich über das Bedrohungs‑ und Leistungspotential staatlicher Herrschaft reflektiert. Die pan-israelitische Herrschaftsidee der JG findet im nachweisbaren Bestreben der omridischen Könige ihren Rückhalt, durch eine kluge Heirats‑ und Kooperationspolitik ein mit Juda vereintes Reich unter Führung des Nordens aufzubauen (1 Kön 22; 2 Kön 3; 8,18.26.28–29). Das überaus positive Ägyptenbild der JG erklärt sich aus dem Umstand, dass König Ahab (870–851) und Pharao Osorkon II. (874–831) Verbündete im gemeinsamen Abwehrkampf der phönizischen und syrischen Staaten gegen die Expansionsbestrebungen des neuassyrischen Reiches unter Salmanassar III. waren. Schließlich lässt sich die erstaunliche religiöse Offenheit der JG mit der offiziellen religiösen Ausgleichspolitik erklären, welche die Omriden zur Einigung ihres Reiches nach innen und zur diplomatischen Einbindung nach außen betrieben (1 Kön 16,31–32; 17,21; 2 Kön 10,18–27). So ist die JG wahrscheinlich im Umkreis des omridischen Hofs um die Mitte des 9. Jhs. v. Chr. herum verfasst worden. Wenn eine solche – sachlich eigentlich naheliegende – zeitliche Ansetzung der JG bisher kaum in Erwägung gezogen worden ist, dann hängt das wohl damit zusammen, dass viele Forscher – mich eingeschlossen – angesichts der jetzt in der biblischen Tradition im Vordergrund stehenden prophetischen und deuteronomistischen Kritik an den Omriden (1 Kön 16,23–33; 17,18–19; 21,20b–26 u. ö.) gar nicht damit gerechnet haben, dass hinter deren Bündnis‑ und Religionspolitik eine Geisteswelt von hohem kulturellen und theologischen Niveau stehen könnte.9 Aber möglicherweise sind wir Elia, Elisa und den Deuteronomisten zu kritiklos auf den Leim gegangen und müssen unsere Einschätzung korrigieren. Wenn die JG in die Omridenzeit gehört, dann besitzen wir mit ihr ein wertvolles literarisches Zeugnis für eine beachtliche israelitische Theologie aus einem Stadium, bevor sich diese in Richtung auf eine immer exklusivere Jahwe-Verehrung entwickelte. 7. Für die Entstehung der EJG kommt am ehesten die zweite Blütezeit des Nordreichs in Betracht, die dieses nach der Aramäer-Bedrängnis in der zweiten Hälfte des 9. Jhs. unter den Nimschiden-Königen Joasch (801–786) und Jerobeam II. (786–746) in der ersten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. erlebte. Die Überführung des Leichnams Jakobs ins Ostjordanland (Gen 50,10–11) setzt die Wiedereroberung dieser Region nach deren Verlust an die Aramäer durch Joasch voraus (2 Kön 9 Ein hohes kulturelles, international ausgerichtetes Niveau bezeugen auch die im omridischen Samaria gefundenen phönizischen Elfenbein-Plaketten mit ihrer teilweise religiösen ägyptischen Symbolik, s. oben S. 116.
7. Schlussbetrachtung
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13,25). Auch die pan-israelitische Herrschaftsidee der JG fand in dieser Zeit erneute Aktualität, da Joasch, vom König des Südreichs herausgefordert, Juda sogar militärisch besiegte und in die Vasallität zwang (14,8–14). Möglicherweise wollte der Verfasser der EJG eine solch drastische Form der gesamtisraelitischen Herrschaftsausübung mit der Gestaltung der Schlussszene in Gen 50,18–19 kritisieren. Soweit wir erkennen können, kam es unter Jerobeam II. jedenfalls zu einer gemäßigteren Form der Hegemonie des Nordens über den Süden, zu einer politischen und wirtschaftlichen Kooperation zu beiderseitigem Nutzen. Das kritischere Ägyptenbild der EJG lässt sich mit der geschichtlichen Entwicklung erklären, dass ab dem Jahr 818 v. Chr. Ägypten für lange Zeit in ein Konglomerat konkurrierender Fürstentümer zerfiel. Es hatte damit seine Faszination als Repräsentant eines funktionierenden Staatswesens ein Stück weit verloren. Die Handelskommissare Jerobeams begegneten ihren ägyptischen Kollegen auf Augenhöhe, ja, konnten sich angesichts ihres eigenen prosperierenden Staates sogar ein wenig überlegen fühlen. Die hohe Bedeutung des Handels mit ägyptischen Pferden in dieser Zeit, für die es archäologische Hinweise aus Megiddo gibt, könnte sich in Gen 47,17 widerspiegeln, wo der Verfasser der EJG unter dem Vieh, das die Ägypter Joseph verkaufen, an erster Stelle die Pferde aufführt. Der unter den Nimschiden-Herrschern nicht zuletzt durch die Förderung der JahweKulte gestärkten israelitischen Identität verschafft der Autor in seinem Werk insofern Raum, als er dafür sorgt, dass in ihm der Leichnam des Stammvaters auf eigenem Territorium beerdigt wird und dass das für die JHWH-Religion so typische herrschaftskritische Element darin zum Zuge kommt. So lässt sich eine Entstehung der erweiterten Fassung der Josephsgeschichte in der ersten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. recht wahrscheinlich machen. 8. Mit ihrer an Ägypten exemplifizierten Herrschaftsthematik erwies sich die Josephsgeschichte als einigermaßen sperrig gegenüber ihrer Einbindung in größere literarische Zusammenhänge, welche die Gründungsgeschichte Israels anderweitig beschrieben. Ihr positives Ägyptenbild passte nicht zum Not-Befreiungs-Paradigma der Exodustradition, das von einer Unterdrückung Israels in Ägypten ausging. Ihre massive Integration Josephs in die ägyptische Herrschaftselite, die sogar durch eine Heirat mit einer ägyptischen Priestertochter besiegelt wurde, warf das Problem auf, wieweit er und seine halbägyptischen Kinder noch als vollgültige Ahnherren Israels gelten konnten. Schließlich erwies sich der in ihr ausgesprochene Dominanzanspruch des Nordens als anstößig, nachdem das Nordreich 722 v. Chr. untergegangen war und die Josephsgeschichte im Südreich weiter tradiert werden musste. Wie mit all diesen Schwierigkeiten umgegangen wurde – angefangen von der Vereinigung der EJG mit der Jakobsgeschichte (Gen 48) über die judäische (Gen 38; 49,2–28baα1) und priesterliche Bearbeitung bis hin zur Hexateuchredaktion – ist oben ausführlich behandelt
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worden.10 Nur soviel: Die literarische Verknüpfung der Josephsgeschichte mit der Exodusgeschichte wurde erst von der ersten priesterlichen Bearbeitung (PB1) vollzogen (vgl. Gen 47,27b; 50,22b.23; Ex 1,1–5a*.7); der Ausgleich der konträren Ägyptenbilder erfolgte sogar erst durch die Hexateuchredaktion (HexR) in Gen 50,24–26; Ex 1,1b.5b.6.8. An dieser Stelle soll nur noch einmal zusammenfassend ein Blick darauf gelenkt werden, wie die Josephsgeschichte im Zuge dieser innerbiblischen Auslegung auf verschiedene Weise mit der Diaspora-Thematik in Berührung kam. 9. Die erste Einführung der Diaspora-Thematik in die Josephsgeschichte lässt sich mit der Einfügung von Gen 39 greifen, die wahrscheinlich auf den Verfasser der Ersten exilischen Vätergeschichte (VG1) in der fortgeschrittenen Exilszeit (550–539 v. Chr.) zurückgeht. Deren kritische Stoßrichtung setzt allerdings voraus, dass schon zuvor die Geschichte von Josephs Aufenthalt im ägyptischen Ausland von Diasporajuden zur positiven Ausdeutung ihres Exilsgeschicks verwendet wurde. Seine Karriere machte ihnen Hoffnung. Sie konnten sich damit trösten, dass sie wie er ganz im Sinne des Propheten Jeremia (Jer 29,7) zum Wohl ihres Gastlandes beitragen könnten, ja, sogar aufgrund ihres Geschicks von Gott mit der Funktion eines Segensmittlers für ihre babylonischen oder ägyptischen Nachbarn beauftragt wären (Gen 39,1–6a). Der Verfasser der VG1, dem es darum ging, die Exilierten in die Heimat zurückzurufen (12,1–3) und an einer weiteren Abwanderung aus ihr zu hindern (26,1–3aα), knüpfte zwar an diese positiven Hoffnungen der Exilierten an; ja, mit JHWHs Beistand war ein sozialer Aufstieg in der Diaspora, wie ihn einst Joseph in Ägypten erlebt hatte, möglich. Aber er wollte mit seiner drastischen Schilderung, wie Joseph zum wehrlosen Opfer der Verleumdung und des Fremdenhasses der Einheimischen wurde (39,7–20), die Exilierten davor warnen, Josephs scheinbar problemlose Karriere in Ägypten als ein glänzendes Vorbild misszuverstehen. Sie sollten doch lieber an eine Rückwanderung in die Heimat denken, sobald sie möglich werden sollte. Der Verfasser der Zweiten exilischen Vätergeschichte (VG2), der wahrscheinlich schon am Ende der Exilszeit wirkte (539–521 v. Chr.), stand der Diasporaexistenz positiver gegenüber. Ihm war es wichtig zu betonen, dass Gott das Auswanderungsverbot für Isaak (Gen 26,1–3aα) gegenüber Jakob und seiner Familie ausdrücklich aufgehoben habe (46,1–5a). Jakob durfte sicher sein, bei seiner Auswanderung nach Ägypten von Gott begleitet zu werden; der universale Gott war auch im Ausland gegenwärtig (V. 4). Wichtig für die Diasporajuden war allerdings, dass sie sich in der Fremde ihrer besonderen Abstammung und ihrer besonderen Gottesbeziehung bewusst blieben (48,15–16). Indem der Verfasser jedoch schon die Exodustradition in den Horizont der Ausreiseerlaubnis einbezog (46,3), charakterisierte er die Diasporaexistenz als ein Durchgangsstadium, das Vgl. oben S. 125–130.
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auch dann, wenn es etwas länger währte, einmal durch Rückwanderung in die Heimat beendet werden sollte. Da der erste priesterliche Bearbeiter (PB1) im letzten Drittel des 6. Jhs. v. Chr. Erzväter‑ und Exodusgeschichte erstmals zu einer gemeinsamen Gründungsgeschichte Israels literarisch miteinander verband, musste er das Verhältnis von Heimat und Diaspora neu bestimmen. Mit Rücksicht auf die Exodus-Landnahme-Tradition, nach der erst das aus Ägypten befreite Volk Israel das von Gott verheißene Land zum Besitz erhalten würde (Ex 6,8), definierte er das Leben der Erzväter in eben diesem Land als „Fremdlingsschaft“ (Gen 17,8; 28,4; 37,1; 47,9), d. h. zu einer Art Diasporaexistenz um. Dagegen weitete er den Ägyptenaufenthalt der Jakobsfamilie, der in der JG noch auf 5 Jahre begrenzt gewesen war, auf die lange Zeitperiode von 430 Jahren aus (Ex 12,40.41) und machte diesen damit zu einer lang anhaltenden Diasporaexistenz Israels, die allerdings mit der Befreiung aus Ägypten und der Einwanderung in das verheißene Land enden würde. Nach ihm erhielt die Jakobsfamilie in Ägypten sogar Landbesitz (Gen 47,12*), der die Grundlage dafür bildete, dass sie sich stark vermehren konnte (V. 27b). Im ursprungsgeschichtlichen Konzept des Priesters erhielt damit Ägypten vor allem dadurch eine wichtige heilsgeschichtliche Bedeutung, dass es den Schutzraum gewährte, in dem sich Israel aus einer Familie lange ungestört zu einem großen Volk vermehren konnte (Ex 1,7). Dennoch blieb es nur ein Durchgangsraum auf dem Weg in die verheißene Heimat. Die kleinen Glossen in Gen 45,7aβ.bβ, die zu kurz sind, um sie genauer in die exilisch-nachexilische Periode einordnen zu können, geben der Tatsache, dass Gott die Jakobsfamilie vor der Hungernot in Ägypten bewahrte, sogar eine noch positivere Bedeutung. Sie sprechen den im Ausland Bewahrten die Würde eines heilvollen Restes zu, der für das Überleben Israels als Ganzes eine wichtige Rolle übernehmen könnte. Zwar ist hier die Rückwanderung nicht im Blick, aber die Diaspora bleibt immerhin funktional auf die Gesamtheit des Volkes bezogen. In den sonstigen Verheißungen, in denen der Restgedanke, der eigentlich mehr um die Überlebenden auf dem Zion kreist,11 auf die Diaspora bezogen wurde, wird dann zum Teil ausdrücklich ihre Rückführung aus den vielen Ländern, in die sie zerstreut war, erwartet.12 Der priesterlichen Pentateuchredaktion (PentRP) aus dem Anfang des 4. Jhs. v. Chr., die just bei der Reise der Jakobsfamilie nach Ägypten eine detaillierte Liste ihrer 70 Mitglieder einfügte (46,8–34), geht es dagegen wieder betont um den Zusammenhang von Auswanderung und Einwanderung. Denn diese Liste korrespondiert eng mit der Sippenliste, die der Redaktor in Num 26 dazu verwandte, alle Stämme und Sippen des Volkes genau zu zählen, damit sie bei der Vgl. 2 Kön 19,29–31; Zeph 3,11–13; Jes 4,3–6; 28,5–6. So Jes 11,11.16; Jer 23,3; vgl. aber auch Mi 5,6.7–8 ohne erkennbare Rückführungsperspektive. 11 12
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Verteilung des Landes ihren gerechten Anteil erhalten würden. Mit dieser kompositorischen Gliederung der im Pentateuch beschriebenen Heilsgeschichte will der priesterliche Redaktor festhalten, dass zwischen den Auswanderern aus der alten Heimat und den Rückkehrern in die verheißene Heimat eine ungebrochene genealogische Kontinuität besteht. Es ist diese genealogische Kontinuität, die seiner Meinung nach entscheidend dazu beiträgt, dass die Identität Israels selbst über längere Phasen einer Diasporaexistenz hinweg gewahrt bleibt. So vermitteln die späteren Bearbeitungen der Josephsgeschichte sehr wohl ein facettenreiches Bild davon, wie ab der Exilszeit, angeregt durch Josephs Aufenthalt und Wirken in Ägypten, über die Chancen, Gefahren und Grenzen der Diasporaexistenz samt der dafür notwendigen Verhaltensnormen nachgedacht wurde. Aber bei all dem bewegen wir uns nicht in den unteren, tragenden Geschossen der ursprünglichen und der erweiterten Josephsgeschichte, sondern in den oberen und obersten Stockwerken, die später darauf gesetzt wurden. Die hier vorgelegte ausführliche exegetische Untersuchung führt somit zu einem recht klaren Ergebnis, das vielleicht einige Leserinnen und Leser in seiner Eindeutigkeit überraschen mag: Die ursprüngliche Josephsgeschichte (JG) reflektiert im Rahmen eines ursprungsgeschichtlichen Familienkonflikts über das Bedrohungs‑ und Leistungspotential politischer Herrschaft, insbesondere der staatlichen Herrschaft des Nordreichs über ganz Israel. Die erweiterte Josephsgeschichte (EJG) setzt sodann eine in Israel gewünschte „brüderliche“ Herrschaftsform kritisch von einem als absolutistisch gekennzeichneten ägyptischen Staatswesen ab. Insofern wird durch diese Untersuchung der erste Auslegungstyp bestätigt, ausgebaut und modifiziert. Aber auch die Überlegungen des zweiten Auslegungstyp, dass im Rahmen der Josephsgeschichte über Chancen und Gefahren der Diasporaexistenz Israels reflektiert werde, haben durchaus ihre Anhaltspunkte im Text. Nur gehören die betreffenden Textpassagen erst zur späteren innerbiblischen Auslegung, welcher die Josephsgeschichte im Zuge ihrer Einarbeitung in größere Zusammenhänge unterzogen wurde. Ob die hier vorgelegte Untersuchung wohl dazu beitragen wird, die in der Forschung lange verhandelten Streitfrage über die Thematik der Josephsgeschichte auf konstruktive Weise zu lösen? Es sollte mich freuen. Jedenfalls möchte ich die Hoffnung nicht zu früh aufgeben, dass sich trotz der zuweilen dürftigen Datenlage in der Alttestamentlichen Wissenschaft selbst die schwierigen, schon länger festgefahrenen Kontroversen über das rechte Verständnis eines biblischen Textzusammenhangs durch eine sorgfältige exegetische Analyse unter konsequenter Anwendung exegetischer Methodik überwinden lassen.
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37,8 53, 57, 155 37,9–10 33, 138 37,9 27 37,10 71 37,17–28 45 37,19–20 49 37,19 46 37,24 11 A21 37,25 61, 120, 155 37,26 62 37,27 129 37,28 61–62, 129 37,32–33 129 37,33–35 52 37,34–35 28 37,35 70 37,36 129 38,14 11 38,19 11 38,25–26 129 39 5–15, 24, 96, 105, 110–111, 131, 153–154, 160 39,1–6a 12, 160 39,1–5 10, 105, 154 39,1 10, 92 39,2–23 7–9, 11–14 39,2–6 6, 131, 154 39,6b–20 12 39,7–20 131, 160 39,12–18 11 39,13–20 154 39,14 11 A20, 154 39,17 11 A20, 154 39,20 8 40,1 9 40,2–23 10 40,2–7 8 40,2–3 67
172
9. Stellenregister
40,2 57 40,3–7 9 40,3 88 40,4 88 40,7 88 40,15 9, 11, 154 40,20–22 57 40,21–22 67 40,23 62 41,10 8–9, 88 41,12 8–9, 154 41,14 9 41,15 11 A21 41,25–40 76 41,25–36 41 41,27 17 41,30 17 41,34 19, 22, 81, 91, 154 41,35 19 41,36 17 41,37–40 19 41,41–43 20, 53 A22, 64 41,42 90, 155 41,44–45a 19, 21, 24, 34, 154 41,44 20, 74 41,45 2, 20, 24, 38, 69, 74, 79, 92, 107, 120, 126, 156 41,46 20, 101–102, 135 41,47–49 41, 155 41,50–52 6, 24, 34, 127–128 41,53–54 41, 155 41,54–57 18 41,54 17, 103 41,55–56 18–19, 22, 154 41,57 18–19, 41, 63, 155 42,1–5 41, 63 42,2 63 42,6 41, 53, 89 42,7 91 42,9–24 41–42, 54 42,9 67, 91 42,11 67 42,14 67, 91 42,16 67 42,17 88 42,19 88 42,21 52
42,25 41–42, 52 42,28 54 42,30 53 A22 42,33 53 A22 42,36 28, 42 42,37 43, 52, 141 42,38 42 43,1–14 42 43,3–7 42 43,8–10 114 43,8–9 56 43,8 43, 52 43,9 48, 52 43,10 63 43,11–14 43 43,14 28, 52, 63 43,16–29 44 43,18–24 54 43,18 46 43,26 41, 53 43,27–28 70 43,28 41, 53 43,30–34 45 43,31–34 21 43,31 48 43,32 21, 38, 69, 76, 78, 94, 107, 121, 154, 156–157 43,34 34 44,1–6 45 44,1 41 44,4–17 54 44,5 64–65, 155 44,6 42 44,7–16 46 44,14–34 114 44,14 41, 53 44,15 64–65, 155 44,16 7, 52 44,17 47 44,18–34 47, 56 44,20 52, 141 44,22 70 44,23 42, 141 44,26 42 44,27–29 52 44,27–28 42 44,29–34 48 44,29–31 70
9. Stellenregister
44,29 28 44,30–34 52 44,32 43 44,33 52 45,1–24 84 45,1–15 61 45,1–3 48 45,1–2 61 45,1 155 45,3 70 45,4–8 49 45,5–9 27 45,5–7 61 45,6–8 155 45,6 17, 51, 63, 84, 126 45,7–9 7 45,7–8 41 45,7 59–60, 63, 161 45,8 53 A22 45,8–28 28 45,8–11 62 45,9–15 57 45,9–13 49, 53 45,9–11 29, 41, 52, 63, 155 45,10–18 30 45,11 17, 32, 51, 63, 84, 126, 155 45,14–24 50 45,14–15 49, 52 45,16–20 62, 155 45,19 29 45,25–30 51 45,28 70, 132 45,29 29 46,1–5 132, 153, 160 46,3–4 136 46,5b 29, 51, 141 46,6–7 103, 141 46,6 29, 51, 103, 141 46,8–34 154, 161 46,8–27 141–142 46,27 141 46,28–39 29 46,28–30 28, 141 46,29–30 52 46,30 32, 70 46,31–34 30, 51, 76 46,32–34 22
46,34
173
22, 34, 69, 76, 78–79, 94, 107, 121, 156–157 47,1–11 137 47,1–6 30, 51 47,3 22 47,6 32 47,7–10 101–102, 104 47,9 136, 161 47,11 30, 136 47,12 17, 29, 30, 32, 36, 41, 52, 71, 73, 76, 94, 154–155, 161 47,13–26 2, 15–20, 22–25, 29, 31–32, 69, 73, 80, 82, 84, 90, 100, 120, 126, 153–154, 156–157 47,13–17 24 47,17 159 47,18–25 122 47,19 24–25, 36, 74 47,21 75 47,22 20, 74, 81, 90 47,24 19, 23, 25, 77, 81 47,25 24–25, 32, 36, 74–75 47,26 20, 23, 74, 81, 90 47,27–28 103 47,27 17, 29–30, 32, 36–37, 51, 63, 71, 73, 77, 94, 136, 138, 154–155, 157, 160–161 47,28 29 47,29–31 32–34, 69–71, 126, 128, 138 47,31 33, 132, 138–139 48 6 48,1–20 33 48,2 33 A23 48,3–7 101–102, 127, 137 48,3–4 138 48,4 136 48,8–22 31 48,10 127 48,12 138 48,13–20 133 48,15–16 132, 160 48,20 128 48,21–22 99, 139 49,1–28 33 A21, 143, 147
174
9. Stellenregister
49,1–4 144 49,1 33 A21, 103, 138, 149 49,2–28 129, 145–146, 157, 159 49,8–12 149 49,24–26 149 49,28–33 103 49,28 138, 148 49,29–33 33, 138, 146 49,29–32 138 49,29 33 A21 49,33 33, 71 50,1–13 139 50,1–11 27, 34, 69, 72, 84, 119, 126, 128, 131, 156 50,1 33 A21, 132 50,2–3 2, 34, 38, 69, 82, 156 50,2 32, 34, 139 50,4–21 36 50,4–11 34 50,4 32, 34 50,5–21 35 50,7–11 73, 77 50,7 82 50,9–11 136 50,10–11 117, 158 50,12–13 103, 138 50,14–22 69, 77, 104 50,14 93 50,15–22 74, 119, 154 50,15–21 24–25, 27, 32, 36, 84 50,15 27, 36 50,17 36, 75 50,18–21 24, 153 50,18–19 24, 32, 36, 84, 118, 120, 122, 157, 159 50,18 25, 27–28, 36, 75 50,19 36, 75, 154 50,20 7, 25, 27, 75 50,21 27, 36–37, 75, 94 50,22–23 37 A37, 160 50,22 37, 77, 94, 135, 139, 154, 157 50,24–26 37, 94, 99, 139–140, 160 50,26 37 A34 Exodus 1,1–8
99, 140, 160
1,1–7 135 1,1–5 103–104 1,5 141 1,7–22 136 1,7 133, 138, 161 1,9–12 77 A26 1,9 77 A26 1,13–14 77 A26 1,15–22 77 A26 3,16 140 6,3–6 135 6,4 136 6,8 137, 161 8,22 78 10,28–29 43 12,40–41 139, 161 12,40 71 13,19 37, 94, 99, 140 14,11 71 21,16 36 A33, 129 22,19 107 Leviticus 24,12 88 Numeri 15,34 88 20,15 98 21,32 91 25,5–51 142 26,4–62 142 Deuteronomium 1,24 91 6,21–24 98 13,7–9 107 18,10 65 26,5 98 31,29 148 33,1 148 33,7 149 33,13–17 149 Josua 2,1 91 6,25 91 17,7 128 24,4 98
9. Stellenregister
24,26 140 24,32 37, 94, 99, 139–140 Richter 9,28 91 18,2 91 1 Samuel 8,15 23 8,17 15, 23 12,8 98 26,4 91 2 Samuel 10,3 91 13,18–19 40 A2 14,18 43 19,21 58, 106 1 Könige 11,14–22 62 11,19 79 11,26–40 110 11,28 106 11,40 62 12,1–2 110 12,20 110 14,25–28 111 16,23–33 158 16,23–24 112 16,29–33 116 16,31 113 16,32 116 17,18–19 158 17,21 158 18,21 116 20,1–20 113 21,20–26 116, 158 22,4 113 2 Könige 3,7 113 4,1 113 8,18 113 8,20–22 114 8,26 113 8,28–29 113 10,16–27 121
10,18–27 116, 158 10,30 116 12,18–19 114 13,25 117, 159 14,7–14 118 14,8–14 158 14,22 118 14,23–29 122 16,5–8 119 19,29–31 161 A11 19,31 60 23,15–20 144 23,29 144 25,19 91 Jesaja 4,2–3 60 4,3–6 161 A11 11,11–16 161 A12 28,5–6 161 A11 37,32 60 42,3–5 133 45,1–7 6 45,22–23 14 46,3 60 Jeremia 20,1 91 23,3 161 A12 24,8 60 26,20–23 63 29,7 160 29,26 91 Ezechiel 1,1 132 8,3 132 20,5–9 98 30,17 80 37,16 106 37,19 106 40,2 132 43,3 132 47,13 106 Hosea 11,1–5 98
175
176
9. Stellenregister
Amos 2,10 98 4,4 23 5,6 106, 157 5,15 106, 157 6,6 106 7,17 71 A12
3,10 64 3,12 64 4,9–17 85 A58, 96 4,11 43 8,2 64 8,8 64 8,10 64
Micha 5,6–7 60 5,5–8 161 A12
Daniel 1,1–2 97 1,1 97 1,8–17 96 1,7 79 2,1 97 2,15 89 2,25 97 3 85 A58, 96 5,1 97 5,13 97 5,29 65 A65, 89 6 85 A58, 96 6,1 97 6,14 97 6,29 97
Zefanja 3,11–13
161 A11
Haggai 1,12 60 Sacharja 8,6 60 10,6 106 Psalmen 78,12–14 98 78,67 106 80,2 106, 128, 157 89,2 106 105,16–23 98 105,12–15 98 106,6–8 98 106,19–23 99 136,10–15 98 Kohelet 7,19 89 10,5 89 Esther 1,1 97 2,5–6 97 2,5 7 A11 3,1–15 7 A11 3,1–6 85 A58, 96
Esra 9,14 60 Tobit 1,2 97 1,3 97 1,10 97 1,11 85 A58, 97 1,15–20 96 1,15 97 1,21 97 4,12–13 85 A58 7,3 97 Sirach 44,19–45,6 98 49,14–16 99
10. Autorenregister Aḥituv, S. 108 Albertz, R. 1, 3, 7, 14, 19, 28, 37, 52, 89, 99–101, 103, 105, 107, 110–112, 121, 131–137, 139–140, 142–143, 148, 153 Arnet, S. 65
Fieger, M. 2, 65, 72, 74, 78–82, 90, 105 Finkelstein, I. 111–112, 118–121, 125 Fischer, C. S. 115 Fox, M. V. 96 Frevel, C. 101, 113
Baden, J. S. 12 Bartelmus, R. 35 Becker, M. 119 Becking, B. 106 Binder, S. 64 Blum, E. 1–3, 5–6, 11–12, 15, 19, 24–25, 30, 33–34, 37, 52, 55–58, 62, 65–66, 89, 95, 100–101, 103, 108, 110–111, 117, 125–127, 129–130, 132–136, 139–140, 143–144, 146, 153 Brettler, M. Z. 100 Brunner-Traut, E. 105 Bühler, A. 2
Galling, K. 51, 115 Gertz, J. C. 135 Guerin, C. 20, 92 Gunkel, H. 1, 15, 18, 39, 41, 46, 48, 69, 71, 80, 82, 89, 141, 144, 146–147
Cantrell, D. O. 120 Carr, D. M. 1, 15, 25 Claessen, H. J. M. 112 Coats, G. W. 28–29, 31, 70 Crowfoot, G. M. 116 Crowfoot, J. W. 116 Crüsemann, F. 1, 15, 24, 54, 58, 109–110 Dietrich, W. 1, 7, 15, 18–20, 28, 31–33, 37, 39, 43–44, 110 Dillmann, A. 15, 18, 78 Donner, H. 6, 29, 49, 113, 115, 132 Ebach, J. 9–10, 15, 17–18, 21, 25, 28, 42, 45, 49, 59–61, 72, 78, 80, 82, 93–94, 110, 141 Ede, F. 2, 7, 18–19, 24, 28, 31, 39, 41–43, 77, 111, 125
Halpern, B. 120 Hausmann, J. 60 Hayes, J. H. 115 Hodel-Hoenes, S. 2, 65, 72, 74, 78–82, 90, 105 Holzinger, H. 15–16, 18, 22, 78 Hossfeld, F.-L. 98, 107 Jacob, B. 1, 60, 71 Jamieson-Drake, D. W. 108 Joosten, J. 14, 89, 105 Kebekus, N. 7, 28, 107 Kessler, R. 25, 129, 131 Kitchen, K. A. 115, 119 Kleiman, A. 112, 114 Knauf, A. 113 Kratz, R. G. 2, 28, 93, 100–101, 103, 111, 114, 123, 125 Kunz, A. 2, 7, 15, 22, 59, 94–95, 100 Lernau, O. 108 Leuenberger, M. 129, 144, 147 Levin, C. 19, 41, 103, 111, 147 Lisewski, K. D. 7
178
10. Autorenregister
Lux, R. 2, 25, 60, 70, 78–79, 93–94, 101, 110, 137 Lyon, D. G. 115 Macchi, J.-D. 2, 146–147, 149 Marg, W. 43 Marzouk, S. 49, 53 Mazar, A. 108 Meinhold, A. 2, 6–7, 12–13, 15–16, 87, 95 Miller, J. M. 115 Monroe, L. 109 Naʾaman, N. 111 Naumann, T. 42 Nihan, C. 100–101 Nöldeke, T. 101–102 Noth, M. 101, 115, 126 Oswald, W. 1, 15, 25, 106, 140 Otto, S. 121 Pola, T. 101 Pury, A. de 101–102 Rad, G. von 15, 17–18, 55, 80, 116 Redford, D. B. 2, 7, 15, 21, 23, 27, 29, 36, 64, 78, 80–82, 87–93, 115 Reich, R. 108 Reisner, G. A. 115 Renz, J. 88, 121 Richelle, M. 109 Röllig, W. 88, 121 Römer, T. 2, 7–8, 10, 13–15, 19, 22–24, 27, 37, 39, 56, 59, 66, 78–79, 81, 87, 89–94, 97–98, 100–107, 122, 140 Rudolph, W. 15, 18–19, 132–133 Sass, B. 108 Schipper, B. U. 2, 64–65, 90–92, 94, 105–106, 115
Schmid, K. 2–3, 5–6, 8, 14–15, 22–23, 35, 38–39, 53–54, 56–59, 61–62, 66–67, 75, 77, 83, 88–89, 93, 96, 101–102, 104–105, 126, 129, 135, 144, 153 Schmitt, H.-C. 7, 15, 18–19, 23–24, 39, 60, 65, 81, 88, 90, 147 Seebass, H. 15, 21, 23–24, 61, 70, 78, 80, 82, 89, 141 Sergi, O. 109, 113–114 Shukron, E. 108 Ska, J.-L. 7 Skalnik, P. 112 Soggin, J. A. 91, 100 Steuernagel, C. 56 Tadmor, H. 115 Uehlinger, C. 2, 7, 13, 15, 28, 39, 41, 102–103 Van Seters, J. 13, 55, 107 Vergote, J. 64–65, 78, 81–82, 90–91 Weimar, P. 7, 15–16, 23 Weingart, K. 1–3, 5–6, 11–12, 19, 37, 52, 55–59, 61–62, 65–66, 89, 95, 101, 103, 111, 117, 126–127, 129–130, 132, 136, 140, 153 Weippert, M. 51, 66, 79, 111–112, 114–115 Wellhausen, J. 1, 8, 15, 18, 71, 101, 141 Westermann, C. 1, 6, 15–21, 27–29, 31, 36, 45, 47, 49, 55–56, 60, 64, 70–71, 78, 80, 82, 89, 132, 141, 146–147 Wettengel, W. 105 Wöhrle, J. 1, 7, 30, 52, 58, 62–63, 101, 103, 127, 129, 133–134, 136, 144, 145–146, 148 Wolff, H. W. 105 Zenger, E. 98, 107