Die Johannesoffenbarung als Brief: Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort 9783666538186, 3525538189, 9783525538180


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German Pages [356] Year 1986

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Die Johannesoffenbarung als Brief: Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort
 9783666538186, 3525538189, 9783525538180

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V&R

MARTIN KARRER

Die Johannesoffenbarung als Brief Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort

VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 140. Heft der ganzen Reihe

ClP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Karrer,

Bibliothek

Martin:

Die Johannesoffenbarung als Brief: Studien zu ihrem literar., histor. u. theol. Ort/ Martin Karrer. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1986. (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 140) ISBN 3-525-53818-9 NE: G T

D 29 Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG W o r t © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1986 — Printed in Germany. - Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesetzt aus Baskerville auf Linotron 202 System 3 (Linotype). Satz und Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen. Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen.

Inhalt Vorwort

9

Vorbemerkung zu Schreibweise und Abkürzungen

11

0 Aufgabenstellung und forschungsgeschichtlicher Ort der Untersuchung

13

1 Die Aufgabenstellung

13

Exkurs 1: Bemerkungen zur frühen Rezeptionsgeschichte der Apk . . . .

17

2 Die Wahrnehmung und Beurteilung der brieflichen Züge der Apk in der neueren Forschung

22

1 Die Weichenstellung Lückes

23

2 Literarkritische Hypothesen einbeziehende Erklärungen bis zur Gegenwart

24

3 Die Linie der interpretatorischen Vernachlässigung der brieflichen Züge der Apk von Bousset bis zur Gegenwart

30

4 Die Interpretationsversuche Goodspeeds (1927) und Poiriers( 1943)

32

5 Neue Erklärungsimpulse im letzten Jahrzehnt

34

6 Ergebnis

38

1 Grundlegung: Erstellung von Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk mit ihren brieflichen Zügen

41

1 Kommunikationstheoretische und briefanalytische Grundlagen der Untersuchung

41

2 Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche

48

1 Das Umfeld von apokalyptischer und Offenbarungsliteratur . . . .

48

1 Die Apk und die Briefe der Elia-, Jeremia- und Baruchtradition 2 Die Apk und die Briefe in der Henochliteratur 3 Zwischenergebnis

49 53 59

6

Inhalt

4 Vergleichstexte in griechischer Offenbarungsliteratur 5 Der Kontext frühchristlicher Offenbarungsliteratur 6 Ein Blick auf die Gnosis und Ergebnis 2 Ortsbestimmung der Apk in der urchristlichen Briefliteratur . . . . 1 Die paulinische Translation vor- und außerchristlicher Briefkonventionen 2 Die Apk und die paulinische Brieftradition 3 Ergebnis

2 Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk

60 63 65 66 67 73 82

85

1 Die einführende Kenntlichmachung der Apk für ihre Leser/Hörer in 1,1-3

86

1 Formgeschichtliche Bestimmung

86

2 Inhaltliche Schwerpunkte 1 Die Werkbezeichnung als Offenbarung Jesu Christi und ihr religionsgeschichtlicher Ort 2 Die Standpunktbestimmung des Apk-Autors in seiner spezifischen Aufnahme alttestamentlicher Traditionen 3 Der Rezeptionshinweis im Makarismus

96

100 106

3 Ergebnis

108

2 Die Brieferöffnung Apk 1,4-8 mit ihren soteriologischen, christologischen und eschatologischen Leitlinien

96

108

1 Der Textzusammenhang und das Textgefälle

109

2 Die dem Apk-Autor und seinen Adressaten gemeinsame christologisch-soteriologische Grundlage nach 1,5b-6a 1 Traditionsgeschichtliche Vorfragen 2 Der Aussagegehalt

110 110 113

3 Die Vertiefung und Weiterführung dieser Grundlage durch den Apk-Autor in ihrem Kontext 1 Die Vertiefung in den weiteren christologischen Aussagen von l,5f 2 Die Weiterführung in der Aussage von 1,7 3 Die Bekräftigung durch die Selbstprädikation Gottes 1,8

117 121 125

4 Die Vorstellung der sieben Geister in der Apk

128

5 Ergebnisse

131

117

Inhalt

7

Exkurs 2: Der forschungsgeschichtliche Ort der vorgetragenen Sicht einer kommunikativen Entwicklung und Entfaltung der eschatologischen Auffassungen in der Apk

132

3 Die Spiegelung der Kommunikationssituation in der Eröffnungsepiphanie mit den Sendschreiben Apk 1,9-3,22

137

1 Formgeschichtliche Analyse sowie traditions- und religionsgeschichtliche Ortsbestimmung

138

1 Die Audition und Vision 1,9-20 (bzw. 3,22) Exkurs 3: Zur Frage einer Engelchristologie in der Apk 2 Gnostische Bezüge, Schreibbeauftragung und Drei-Zeiten-Formel 3 Die Sendschreiben 2,1-3,22 4 Der Gesamtzusammenhang und das leserführende Textgefalle 2 Kommunikativ wichtige Einzelaspekte der Epiphanie und der Beauftragungen 1 Die Selbstbezeichnung der Apk als zu versendendes ßißXiov . . . 2 Das Einbringen der Gemeindeengelvorstellung in die Beauftragungen 3 Die kommunikative Bestimmung der Situation der Christen in 1,9-3,22 1 Die Grundcharakteristik der Situation der Christen in der Bedrängnis und der Gottesherrschaft ( 1,9) 2 Die Bedrängnis der Gemeinden durch Heiden und Juden 3 Die Gefahrdung der Gemeinden durch Nikolaiten, die Anhänger der Lehre Bileams, und durch die Gruppe um Isebel 4 Die Gefahrdung der Gemeinden durch ein Handeln, das ihren Heilsstand verfehlt Exkurs 4: Bemerkungen zur Ethik in der Apk

139 147 152 159 165 168 168 169 186 187 191 195 203 210

4 Das kommunikative Anliegen der Uberwindersprüche

212

5 Ergebnisse

217

4 Die rezipientenorientierte Bewältigung der Kommunikationssituation in Apk 4-22

220

1 Die durchgängige Leser-und Hörerorientierung von Apk 4-22 . . .

221

2 Die Linien der Leserfuhrung im Aufbau von Apk 4-22 1 Die Linien und das Ziel der Leserfuhrung im Corpus 2 Die Linie der Leserfuhrung im Werkschluß 3 Ergebnis: Die Aussagelinien und ihr Integrationspunkt in der Eschatologie

224 225 249 254

8

Inhalt

3 Die Spiegelung wichtiger Aspekte der Kommunikationssituation in Apk 4-22 1 Die Abfassung im Zusammentreffen alttestamentlich-jüdischer und griechisch-hellenistischer Vorstellungen 2 Der Bezug auf die Bedrängnis der Christen von Seiten ihrer heidnischen Umwelt 3 Die implizite Auseinandersetzung mit dem Judentum 4 Der Bezug auf das Wirksamwerden gnostischer Tendenzen bei den Adressatengemeinden 5 Der Bezug auf ethisch unzureichendes Tun bei Christen in den Adressatengemeinden 4 Zusammenfassung

256 258 263 266 269 276 278

Exkurs 5: Vergeltung und Rechtsdurchsetzung Gottes in der Apk . . . .

279

5 Ergebnis

282

3 Schluß: Textexterne B ü n d e l u n g der U n t e r s u c h u n g u n d E r t r ä g e 1 Die äußere kommunikative Situationseinbettung der Apk

285 285

1 Bezüge der Apk auf die Profan- und die allgemeine Religionsgeschichte Kleinasiens

286

2 Die Einbettung der Apk in die innere Geschichte des kleinasiatischen Christentums

291

3 Rückschlüsse auf einen äußeren brieflichen Vorgang der Apk . . . .

301

2 Erträge: Der literarische, historische und theologische Ort der Apk . .

304

Literaturverzeichnis

313

Register

345

Vorwort Bereits zu Beginn meines Studiums regte mich 1973 ein Seminar bei Professor Dr. Otto Böcher zur Beschäftigung mit der Johannesoffenbarung an. Den Herren Professoren Dr.Jürgen Roloff und Dr. Otto Merk habe ich es zu danken, wenn ich die damaligen Anstöße nach meinem Studium wieder aufnehmen und in neuer Richtung entfalten konnte: Ersterer lenkte meine Aufmerksamkeit auf die brieflichen Züge der Johannesoffenbarung und begleitete die darauf unter seiner Betreuung vornehmlich in den Jahren 1980-1982 entstehende Arbeit in einem freundschaftlichen Dialog, der sich in Anerkennung wie Kritik umso anregender erwies, als er nur wenig zeitverschoben seinen Kommentar zur Johannesoffenbarung schrieb. Letzterer förderte mich ebenso gewichtig, indem er mir als seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter großzügig den nötigen Freiraum zum Abfassen vorliegender Arbeit gewährte und mich immer wieder auf wichtige Aspekte hinwies. Ich erlebte diese Konstellation, in der sich auch verschiedene theologische Schultraditionen begegnen konnten, als sehr glücklich und danke beiden Lehrern herzlich. Ihre Gutachten lagen der Annahme meiner Arbeit als Dissertation durch die Theologische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Frühjahr 1983 zugrunde. Herrn Professor Dr. Wolfgang Schräge und dem Verleger danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments", Herrn Professor Dr. Schräge überdies fiir wichtige Sachhinweise, die ich in der vorliegenden Druckfassung berücksichtigen konnte. Für diese habe ich die Arbeit gekürzt und da sich der Druck verzögerte — im Forschungsstand durch Einarbeitung der bis Ende 1985 zur Apk neu erschienenen Literatur aktualisiert. Die Grundthese konnte unverändert bleiben, nach der es sich in der Johannesoffenbarung um einen brieflichen, kommunikativ an kleinasiatische Gemeinden paulinischer Tradition gerichteten Text der späthellenistischfrühkaiserzeitlichen Offenbarungsliteratur handelt, in dem der sich Johannes nennende Autor seine Adressaten durch eine Entfaltung der futurischen Dimension der Heilsdurchsetzung Gottes und Jesu der Gewißheit, aber auch der normativen Verbindlichkeit ihres Heils angesichts einer Krise versichert, die er durch heidnische Pressionen, jüdische Widerstände, das Aufbrechen gnostischer Tendenzen und ethische Unzulänglichkeiten in den Gemeinden bestimmt sieht. Freunde und Verwandte haben die Entstehung dieser Arbeit mit einem

10

Vorwort

Interesse und einer Hilfsbereitschaft begleitet, die sie in Rat und Tat keine Mühe scheuen ließ und die bei der Erstellung und Korrektur des Manuskripts ihren stärksten Ausdruck fand. Stellvertretend für sie sei Herr stud. theol. Walter Erlwein genannt, der auch die Register miterstellte. Ich bleibe ihnen allen in Dankbarkeit über diese Arbeit hinaus verbunden. Großzügige Zuschüsse aus dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der Verwertungsgesellschaft Wort sowie aus der Zantner-BuschStiftung und vom Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern haben dankenswerterweise die Drucklegung ermöglicht. Erlangen, den 27. Januar 1986

Martin Karrer

Vorbemerkung zu Schreibweise und Abkürzungen Die Schreibweise von Namen biblischer Personen und Orte richtet sich nach dem Ökumenischen Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien, Stuttgart 21981. Die Abkürzungen im Text und im Literaturverzeichnis folgen soweit wie möglich dem Abkürzungsverzeichnis zur Theologischen Realenzyklopädie, zusammengestellt von Siegfried Schwertner, Berlin-New York 1976. Die darin nicht erfaßten antiken und altkirchlichen Texte werden nach in der Literatur allgemein üblichen Kurztiteln zitiert. Darüber hinaus werden noch folgende Abkürzungen verwendet: BET CPA EWNT

JSNT NHC NHS SNTU

=

Beiträge zur biblischen Exegese und Theologie Clavis Patrum Apostolicorum, ed. Henricus Kraft, Darmstadt 1963 Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, hrsg. v. H. Balz u. G.Schneider, 3 Bde., Stuttgart usw. 1980/ 1981/1983 Journal for the Study of the New Testament Nag Hammadi Codex Nag Hammadi Studies Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt

0 Aufgabenstellung und forschungsgeschichtlicher Ort der Untersuchung 0.1 Die Aufgabenstellung In den letzten Jahrzehnten geriet ein Grundpfeiler der kritischen ApkForschung seit Lücke und der religionsgeschichtlichen Schule ins Wanken, die Annahme nämlich, daß dieses Werk als Apokalypse im Konnex der jüdischen apokalyptischen Tradition und Literaturgattung zu interpretieren sei. Die Anstöße dazu gingen wesentlich von der amerikanischen Forschung aus, die an ältere deutsche Exegeten mit einem konservativen Vorbehalt gegen Lücke und Bousset, etwa an Th. Zahn anknüpfen konnte 1 . Ladd (1957), Kallas (1967) und Jones (1968) suchten den Erweis, daß die Apk von der Apokalyptik abzusetzen sei, durch einen Vergleich der Apk mit ihrer Ansicht nach zentralen Merkmalen der Apokalyptik: Sie bezeichne sich unapokalyptisch als Prophetie, sei nicht Pseudonym und in der Methode ihrer Zukunftsvoraussagen eher prophetisch als apokalyptisch, sehe die Gegenwart der Geschichte nicht pessimistisch, sondern als Ort der göttlichen Erlösung, zeige ethische Zielgerichtetheit statt Passivität 2 , entwickle ein unapokalyptisches Konzept des Leidens als gottgesetzt 3 und verwerfe schließlich einen Entwurf als Geheimlehre 4 . Obwohl diese Argumente in Gewicht und Stringenz ungleichgewichtig sind 5 , strahlten sie nach Europa aus. Auch deutsche Exegeten machten sich die Vorbehalte gegen eine unmittelbar apokalyptische Betrachtung der Apk bis zu deren Bezeichnung als „Antiapokalypse" (Georgi 1980) zu eigen6. Den Hintergrund dieser Entwicklung bildet die nach 1945 durchgebrochene und bis heute nicht überwundene Verunsicherung gegenüber der Bestimmung einer Apokalypsengattung im Kontext der religionsgeschichtlichen Strömung der Apokalyptik überhaupt. Nahezu alle dafür 1 S. etwa Ladd, Revelation and Jewish Apocalyptic 94. Zahn, Offenbarung kritisiert Lücke explizit I 144; Bousset, Offenbarung übergeht er bis auf die Literaturangabe I 127 sogar in seiner Forschungsübersicht. 2 Ladd a.a.O. 94-100; vgl. Jones, Apocalypse bes. 326f. 3 Kallas passim. 4 Jones a.a.O. 327. 5 So lehnte sogar Jones a.a.O. 325f. die Argumentation Kallas' mit der Auffassung des Leidens in der Apk ab. 6 Georgi, Visionen 363; etwas zurückhaltender Schüßler Fiorenza 1969: „kein apokalyptisches Werk" (Gericht 331, dort hervorgehoben).

14

Aufgabenstellung und forschungsgeschichtlicher Ort

verwandten Einzelkriterien erwiesen sich nämlich bei der intensiven Sichtung der hierher gerechneten Texte als ohne allgemeingültigen, in der Forschung konsensfahigen Charakter 7 . Konsequent urteilte Rau 1974, daß für eine gegenwärtige Untersuchung eines angeblich apokalyptischen Werkes von keiner „der vorliegenden Bestimmungen dessen, was unter Apokalyptik zu verstehen ist", auszugehen sei8. Die historisch-kritische Forschung bewies so eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Selbstkritik an eigenen früheren Thesen und deren methodischer Gewinnung, ohne aber grundsätzlich auf die Erträge der älteren Forschung verzichten zu wollen. Daher wurde in den letzten Jahren der Apokalyptikbegriff nicht aufgegeben 9 . Vielmehr wurde nach neuen Möglichkeiten gesucht, ihn zu bestimmen, sei es über traditionsgeschichtliche Akzentsetzungen oder, dazu verwandt, über einen Ansatz beim innerhalb traditionsgeschichtlicher Fragestellungen methodenvielfaltig zu untersuchenden Uberlieferungsgeschehen 10 , über die Bildung von Merkmalsyndromen, deren Zusammenhang gegebenenfalls im übergreifenden Anliegen einer Deutung der Gegenwart gesucht wird 11 , schließlich über eine Grunddefinition, die die Apokalypsengattung hinter die umstrittenen Merkmale zurückgehend erfassen will. Den größten Einfluß gewann die Grunddefinition J.J. Collins' (1979): „, Apocalypse' is a genre of revelatory literature with a narrative framework, in which a revelation is mediated by an otherworldly being to a human recipient, disclosing a transcendent reality which is both temporal, insofar as it envisages eschatological salvation, and spatial insofar as it involves another, supernatural world." 12 Das Problem dieser auf den ersten Blick bestechenden Definition liegt darin, daß sie stark mit inhaltlichen Kriterien arbeitet. In der europäischen Rezeption werden diese denn auch - unter Verlust möglicher Spezifika von Apokalypsen innerhalb der übergreifenden Gattung Offenbarungsliteratur! - teilweise zurückgenommen: Carmignac beendet die Definition nach „transcendent reality", „car l'eschatological salvation est un contenu theologique qui est possible, mais qui n'est pas du tout essentiel ä l'Apocalyptique." 13

7 S. etwa Dexinger bes. 58fF., dessen Tabelle S. 59 schon vorab den mangelnden Forschungskonsens deutlich werden läßt. 8 Rau 16. 9 Entgegen Glassons Aufforderung von 1980 (Apocalyptic 105). 10 S. Rau 19ff., 495ff. und K. Müller, Apokalyptik 207-210. 11 Lebram, Apokalyptik 192; vgl. methodisch schon Koch, Ratlos vor der Apokalyptik 20ff.(24 ff.). 12 J.J. Collins, Morphology 9 (Zitat hervorgehoben); vgl. z.B. Yarbro Collins, Early Christian Apocalypses 62. 13 Carmignac, l'Apocalyptique 33.

Die Aufgabenstellung

15

Ein Abschluß der Diskussion ist noch nicht abzusehen 14 . Immerhin tritt gegenwärtig zweierlei deutlich hervor. Zum einen läßt sich bei aller Unsicherheit des Begriffs nach wie vor wenigstens in einer ersten gattungsmäßigen Annäherung eine Gruppe jüdischer Texte als Apokalypsen bezeichnen, insbesondere Dan 7-12, äthHen, 4Esr, syrBar, ApkAbr und slavHen, ebenso eine Gruppe frühchristlicher Texte mit z. B. der ApkPaul und ApkPetr 15 . Zum anderen weitet sich das Feld für die Erforschung dieser und der weiteren traditionell im Umkreis der Apokalyptik angesiedelten Texte: Ihre gattungsmäßige Bestimmung muß den sie übergreifenden Bereich der gemeinantiken Offenbarungsliteratur berücksichtigen 16 und ihre religionsgeschichtliche Betrachtung den gesamten zeitgenössischen antiken Raum zur Sichtung von Vergleichsmaterial heranziehen 17 . In diesem Rahmen bleibt es möglich und gefordert, die Apk in Erörterungen über die antike Apokalyptik, die apokalyptische und griechischrömische Offenbarungsliteratur einzubeziehen, in Erörterungen über eine spätantike Gedankenbewegung und literarische Strömung also, die bei allen nötigen traditions- und religionsgeschichtlichen Differenzierungen im einzelnen - übergreifend die Übermittlung überweltlicher Offenbarung an einzelne Menschen und deren inhaltliche Entfaltung sprachlich zu erfassen und darzustellen sucht. Ein Unbehagen aber muß entstehen, sobald näherhin postuliert wird, die Apk sei innerhalb dieses Kontextes ihrer Anlage, ihrer Intention oder ihrem Gehalt nach ein apokalyptisches Buch in spezifischem, namentlich in jüdisch-apokalyptischem Sinn 18 . Die Aufsprengung einer zu engen Einordnung ist hier besonders dringend, da nur so die eingangs aufgezeigte Krise der religionsgeschichtlich-literarischen Beurteilung der Apk weiterführend überwunden werden kann: Da die Selbstbezeichnung eines Werks als „Apokalypse" auch in der frühen Gnosis erscheint (etwa in der Apokalypse Adams NHC V 5), sind zum literarischen und religionsgeschichtlichen Vergleich gegenüber der bisherigen Forschung verstärkt frühgnostische Quellen, da die Apk sich selbst in einem Kerngebiet des späten Hellenismus, der Asia, ansiedelt, weiterhin griechisch-hellenistische Offenbarungsschriften heranzu14 Auch auf dem Uppsalaer Colloquium über Apokalyptik 1979 konnte keine gemeinsame Definition erstellt werden (s. Rudolph, Apokalyptik 772-777). 15 S. Collins, Pseudonymity 329 und Yarbro Collins a.a.O. passim (umfassende Zusammenstellung frühchristlicher „Apokalypsen"!); vgl. für den deutschen Raum zuletzt Kretschmar, OfTenbarung 11-21,69 f. 16 Wie sich an der genannten Definition Collins' (und Carmignacs) exemplarisch zeigt. 17 Charakteristisch bezog der erwähnte Kongreß in Uppsala Texte von Ägypten bis Rom und Iran in seine Diskussionen ein (dokumentiert in Apocalypticism passim). 18 Dieses Unbehagen bleibt auch gegenüber neuen Verteidigungen des „apokalyptischen" Charakters der Apk (wie in Collins, Pseudonymity passim) bestehen. Zumindest die Zurückhaltung Giesens (Christusbotschaft passim) ist zu wahren.

16

Aufgabenstellung und forschungsgeschichtlicher Ort

ziehen 19 . Ferner muß sich die Interpretation der Apk auf eine vertiefte Wahrnehmung von Textindizien öffnen, die bei einer zu eng apokalytpischen Betrachtung dieses Werks nur sekundär in den Blick kommen. In entscheidender Weise gehört hierher der Rahmen, den sich die Apk über 1,1-3 hinaus und daran anschließend gibt: Indem sie ihren gesamten Fortgang zwischen das eröffnende und das abschließende Briefformular in l,4f. und 22,21 einbettet, behauptet sie für sich als Gesamtwerk eine briefliche Anlage und ein briefliches Rezeptionsinteresse, die neu entdeckt werden müssen. Hier sieht die vorliegende Arbeit ihre Aufgabe. Aufgrund der Selbstcharakteristik der Apk in 1,1 als Offenbarung Jesu Christi und der brieflichen Rahmung widmet sie sich ihr als einem brieflichen Offenbarungstext. Um die literarisch und religionsgeschichtlich problematische Verengung ihrer gattungsgeschichtlichen Betrachtung als „Apokalypse" von vorherein zu vermeiden, nimmt sie den Analyseansatz bei ihren brieflichen Zügen. Von deren Untersuchung aus sucht sie den literarischen, theologischen und historischen Ort der Apk in der Geschichte des frühen Christentums genauer zu erfassen als in der bisherigen Forschung nach Lücke geschehen. Der Aufbau der Arbeit spiegelt dabei einen fortschreitenden Reflexions- und Erkenntnisprozeß: Schon der eröffnende Exkurs zur frühen Rezeptionsgeschichte der Apk zeigt, daß deren Betrachtung von ihren brieflichen Zügen aus mehr als nur eine Ergänzung ihrer Sichtweise als Apokalypse bedeutet. Um nämlich dem in der frühen Rezeption noch wahrgenommenen brieflichen Charakter der Apk gerecht zu werden, muß die Interpretation den Wechsel von der traditionell dominierenden, am Werk als Buch interessierten, produktionsästhetischen Betrachtungsweise zur am Werk als Kommunikationsakt orientierten rezeptionsästhe19 Einen Ansatz zu letzterem unternahm bereits 1914 Boll, Offenbarung. Doch vereinseitigte er seine Untersuchung methodisch nur auf heidnisch-griechische Quellen und den dort seiner Ansicht nach zentralen Sternenglauben (s. bes. 125). Bereits der ihn rezipierende Clemen mußte zu einer breiteren religionsgeschichtlichen Ortung der Apk greifen (s. etwa sein Ergebnis 416). Auch einer weiteren Nachfolge Bolls stand dessen Einseitigkeit im Wege: Noch Böcher, der in seinem Astrologie-Aufsatz immer wieder auf ihn zurückgrifl (Sternglaube passim), distanzierte sich Johannesapokalypse 15 im Ansatz von ihm. So konnte (ur die Erforschung des Ortes der Apk in ihrer griechisch-hellenistischen Umwelt keine durchgängige und zu sicheren Ergebnissen führende Forschungstradition entstehen, obwohl auch in der Theologie immer wieder die Verankerung der Apokalyptik in einer Gesamtbewegung spätantiker Religiosität bemerkt wurde (s. bes. Hengel, Judentum 381-394). Die Folge war einerseits eine Vernachlässigung des griechisch-hellenistischen Vergleichsmaterials zur Apk, andererseits bei dessen Heranziehung die Erstellung nicht haltbarer Thesen: Dies gilt ebenso für die Versuche, die Apk vom griechischen Drama her zu verstehen (vertreten durch Brewer 1936 und neuerdings Blevins 1980), wie für ihre Zuordnung zur Gattung der griechisch-römischen Traum(!)-Visions-Berichte (durch J. S. Hanson, Dreams 1423).

Bemerkungen zur frühen Rezeptionsgeschichte

17

tischen Analyse vollziehen. Die neuere Forschung bietet dafür - wie der Forschungsüberblick erweisen wird — kaum Hilfestellungen. Daher muß sich ein Grundlegungsteil anschließen, der die Analysegrundlagen sichert und an seinem Ende eine begründete Arbeitshypothese zu interpretatorischem Gewicht und Bedeutung des Briefcharakters der Apk erlaubt. Die weiteren Arbeitsteile sollen diese Arbeitshypothese füllen und bestätigen, indem sie Art und Fortgang der Kommunikation in der Apk erheben und schließlich mit der textexternen Realität in Beziehung setzen, um so als Ertrag eine Gesamtinterpretation dieses Werkes zu ermöglichen.

EXKURS 1: Bemerkungen zurfrühen

Rezeptionsgeschichte der Apk

Der Ansatz einer brieflich-rezeptionsästhetischen Analyse der Apk findet in ihrer frühen Rezeptionsgeschichte eine wesentliche Stütze, zeigt sich hier doch, daß die Selbstbezeichnung der Apk als „Apokalypse" erst sekundär ab dem späten 2.Jh. zur übertragbaren Gattungsbezeichnung wurde und daß erst nach diesem Vorgang das briefliche Rezeptionsinteresse der Apk aus dem Blick geriet: a) D e r Weg zum Verständnis von „ Apokalypse" als Gattungsbezeichnung h e b t

mit der Suche nach einer Kurzbezeichnung der Apk aus Zitationsinteressen an, deren textlichen Ausgangspunkt vom ältesten zuhandenen Beleg an der Abschnitt Apk 1,1-3 bildet. Denn hier allein in der Apk findet sich das Nomen djtoxdX\)\|)i5, das schon Justin 1 bei der Explikation seiner Auffassung von der 1000jährigen Zeit in dial. 81,4 zur näheren Kennzeichnung seiner Berufung auf eine Prophetie des Johannes gebraucht, den er zu den Aposteln Christi zählt. Er verwendet ctno>tdX.vij>i5 dabei ohne Artikel und mit der attributiven Erweiterung y^vonevr) aiixtp und faßt so Apk 1,1 zusammen, extrahiert also aus dieser Stelle seiner Quelle eine Kurzbezeichnung, die mit der Angabe eines inhaltbezogenen und eines personbezogenen Elements zur Kenntlichmachung des zitierten Werkes - als „ihm (= Johannes) zuteilgewordener Offenbarung" - ausreicht. Eine Verwendung als titulus und in der Folge davon als Buchtitel läßt seine Formulierung allerdings noch nicht zu 2 . Anders verhält sich dies bei einer Verbindung der aus Apk 1,1 extrahierten Elemente mit einer Nennung des Namens Johannes in einer präpositionellen oder genitivischen Konstruktion. Beide Möglichkeiten sind nach Justin belegt. 1 Vom etwa gleichzeitigen Marcion ist zwar durch Tertullian, adv. Marc. IV 5,2 die Ablehnung der Apk belegt. Aber Rückschlüsse aus dem tertullianischen „apocalypsin eius ( = Ioannis) Marcion respuit" auf die marcionitische Bezeichnung der Apk sind nicht möglich. 2 Mit z. B. Kraft, Offenbarung 17; Prigent, L'Apocalypse 9.

18

Aufgabenstellung und forschungsgeschichtlicher Ort

Erstere verwendet im ersten Drittel des 3. Jh. Hippolyt zur Bezeichnung seines verlorenen Werks xoteq xoti xatct 'Iwävvrjv tvayyekiov x a i d;ioxaXiJi|)eojg 3 . Letztere findet sich schon im letzten Drittel des 2. Jh. in den Varianten „Iohannis Apocalypsis" (Irenäus, adv.haer.I 26,3) und 'Aitoxd^uijiig 'Icodvvou (bei Melito von Sardes nach Euseb, h. e. I V 26,2 und - auf lateinisch vorliegend - in CanMur 71) 4 . Beide Genitivvarianten werden in der handschriftlichen Überlieferung der Apk als Titel gebraucht, so daß die Entstehung des heutigen Buchtitels der Apk kurz nach Justin in die zweite Hälfte des 2. Jh. angesetzt werden kann 5 .

Auch diese Kurztitel sind aus Apk 1,1 (-3) gewonnen. Doch die Nähe zur dortigen Aussage ist geringer als bei Justin: Der Genitiv 'Ioodvvov, der an die Stelle des 'Itjöoö Xqiotoü von 1,1 tritt, ist als genitivus subiectivus (näherhin auctoris) auffaßbar, so daß das noch justinische Verständnis der Apk als einzelner, dem Johannes widerfahrener Offenbarung einer Titelbezeichnung „Apokalypse" weicht, die Johannes verfaßte und schrieb. Der Ubergang dazu ist bei Irenäus festzustellen, wenn dieser neben der Zitierformel .Johannes vidit in Apocalypsi" (adv. haer. IV 30,4; vgl. V 35,2) 6 Zitierformeln mit Verben des Sagens (,Johannes in Apocalypsi ait" IV 14,12 u.ö.; ferner mit „inquit" nach „videns" IV 20,11 u.ö.; mit „dixit" I 26,3 usw.) oder mit „significavit" (V 26,1; 28,2) setzt. Die Entwicklung ist im CanMur (71 f., vgl. 57ff.) und den monarchianischen Prologen zu den Evangelien (Z. 26f.) abgeschlossen.

'AjloxaX'UljHg vermag nun von der literarischen Bezeichnung des Einzeltextes zur Gattungsbezeichnung zu werden: Der CanMur spricht erstmals pluralisch von den „Apocalypses [...] Iohannis et Petri" (71 f.)7. Weitere Übertragungen auf christliche wie aufjüdische Texte folgen, die in christlichem Gebrauch stehen, darunter auch auf syrBar 8 . Die Folge ist 3

S. Allo CCXIX. Als Belege hier nicht heranziehbar sind Eusebs Berichte zu Theophilus (h.e. IV 24) und Apollonius (h.e. V 18,14), da es sichjeweils um Formulierungen Eusebs handelt. 5 Mit Kraft, Offenbarung 17; zum Handschriftenbefund s. Charles, Revelation II 236 (Apparat!). 6 Vgl. auch tot) xf|V T|QCI)V xal ... und übersetzt unter Bezugnahme auf das Äthiopische: ,,[Lov]e from n[ow on uprightness, and hate works of wijcked ones and [do not]."37 Auch ohne solch weitere Füllung ist der mahnend-anredende Tenor des Fragments erkennbar. So erlaubt es die Schlußfolgerung, daß der griechische Brief wie die parallele äthiopische Tradition mit einer grundlegenden Paränese begann. Da deren Adressaten nur 33

Diese Einleitung ist dem R a h m e n w e r k des astronomischen Buches (vgl. 82,1) und des T r a u m b u c h e s (vgl. 83,1; 85,1-2) angeschlossen. Dort hat auch das 1!?D1 von 94,1 a Parallelen (vgl. 82,1; 83,1; leider aramäisch nicht erhalten), so d a ß Miliks Rückgriff (a.a.O. 51) auf die a r a m ä i s c h e Epistolographie zur Erklärung des G e b r a u c h s dieses nicht auf die K e n n zeichnung brieflicher Abschnitte beschränkten Adverbs (vgl. z.B. D a n 5,15fT.) unnötig ist. 34 A . a . O . 51 f., Zitat 51. I m übrigen fügt er auch in die aramäische Textlücke in 93,1 noch ohne A n h a l t a m Text einen Briefhinweis ein. 35 Milik b e h a u p t e t ohne wirkliche A n h a l t s p u n k t e a m Text a.a.O. 34f.,51 auch 14,1-16,4 als Henochbrief: Der Abschnitt gehört zum zweiten bis 19 reichenden Teil einer größeren Komposition, deren erster Teil 6 - 1 3 u m f a ß t e (a.a.O. 33f.). Versteht m a n 13,10 als Uberleitung zu ihm, so ist er insgesamt als Rede (4QEn c 1 V I ) - griechisch noch deutlicher als Botenrede - gekennzeichnet, die die Antwort auf die Bittschrift der gefallenen Engel (13,4fT.; vgl. 15,2; 16,2) enthält. Die 14,1 eingefügte Uberschrift mit der Bezeichnung des folgenden Abschnitts als "ISO besagt d a m i t nicht m e h r als die A n n a h m e der Verschriftung dieser Rede d u r c h den Verfasser dieser Überschrift, die in 4 Q E n G i a n t s a 8,1 (dazu s. a . a . O . 314,315) und ä t h H e n 72,1 Parallelen hat. 36 Milik fuhrt a . a . O . 52 zur Sicherung seiner T h e s e noch Ausdrücke der E r m u t i g u n g , Weherufe und Schwurformeln des griechischen (!) Textes an, die aber nicht an briefliche Texte g e b u n d e n u n d d a h e r wenig aussagekräftig sind. 37 Milik a . a . O . 259.

56

Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk

mit „ihr" angesprochen sind, muß ihre genauere Benennung vorher erfolgt sein, und zwar den Anreden im Verlauf des Briefes nach (s. z.B. 98,lvgl.6; 101,1 „Menschensöhne") in recht allgemeiner Art. Ferner ist der Umfang des griechischen Henochbriefes nicht völlig klar, da die C M zugrundeliegende Uberlieferung wie Kap. 105 so auch Abschnitte aus den Kap. 91-97 übergangen haben kann. Freilich besteht kein Anlaß, die Zehn-Wochen-Apokalypse auszuschließen, die bereits aramäisch eng mit ihrem Kontext verschmolzen war 3 8 . Auch bei ihrer Aufnahme bilden aber nicht apokalyptische Motive den Schwerpunkt des Briefes, sondern „the economic differentiation of poor and rieh, which is treated as approximately equivalent to the ethical discrimination of ,righteous' and ,sinners'." 39 Auf eine Vision wird neben der Zehn-Wochen-Apokalypse zwar noch 106,13 Bezug genommen, aber ein der Apk vergleichbares Visionscorpus fehlt. Kaum mehr ausmachbar ist schließlich der konkrete Anlaß der Transformation des Textes in einen Henochbrief. Sie fügt sich aber gut in eine Zeit großer Beliebtheit der brieflichen Kommunikationsform zur Einkleidung von (pseudonymen) Texten der verschiedensten Art 4 0 und fuhrt nur eine bereits im aramäischen Henochbuch vorhandene Tendenz fort. Diese tritt bereits im Rahmenwerk des astronomischen Buchs auf. Dort erhält Henoch 81,5f. den Auftrag zur Unterweisung Metuschelachs und aller seiner Kinder. Er führt ihn 82,1 (ff.) in einer Weise aus, die in ihrer Parallelität zu 80, l a c und 81,5d-6 zeigt, „daß es um eine Traditionsherleitung geht: Die Engel haben Henoch zugänglich gemacht, worin dieser seinen Sohn unterweisen soll, und Henoch hat seinem Sohn zugänglich gemacht, worin dieser die späteren Geschlechter unterweisen soll." 41 Dabei wird die mündliche Tradierung zugunsten der schriftlichen überschritten: Henoch, dessen Mitschreiben bereits 74,2 erwähnt wurde (vgl. auch 33,3.4), erzählt nach 82,1 Metuschelach nicht nur alles, sondern schreibt es ihm zugleich auf, um ihm die all diese Dinge betreffenden Bücher (plur.) zu übergeben, von denen das astronomische Buch nur mehr eines ist. Ein ganz analoger Text liegt innerhalb des hier besonders interessierenden Abschnitts in 92,1 vor. Er ist aramäisch mit erheblichen Lücken erhalten, seine Syntax ist jedoch klar erkennbar; Milik gibt sie folgendermaßen wieder: „That which (Enoch) wrote and gave to Methuselah... (line 22)..., he wrote (it also) for his sons of sons and for future generations... (line 23/4)." 42 Noch über 82,1 (ff.)

38 S. 4QEn g . Grelots Trennung von Brief und Zehn-Wochen-Apokalypse (Henoch 499) läßt sich daher nur auf literarkritisch zu erhebende Textstadien bezogen halten; vgl. die Rekonstruktion der Textgeschichte Dexinger 102 ff. 39 Milik a.a.O. 49, vgl. 51. 40 Dies belegen neben den bereits besprochenen Texten und der EpAp etwa auch die neu gefundenen gnostischen Texte, auf die im Abschnitt 1.2.1.6 kurz einzugehen sein wird. 41 Rau 426; vgl. Milik a.a.O. 13. 42 Milik a.a.O. 262 nach 260 zu 4QEn 8 1 II.

Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche

57

hinausgehend tritt hier an die Stelle mündlicher die an definite Adressaten Metuschelach, die Kindeskinder und zukünftige Generationen - gerichtete schriftliche Kommunikation. Wird dieses Konzept der formalen Gestaltung eines Textes zugrundegelegt, so ergibt sich die Wahl der brieflichen Kommunikationsform geradezu fiktiv zwangsläufig 4 3 .

Eine besondere Absicht läßt der griechische Henochbrief in 104,10-13 hervortreten. Einer Klage über die Verdrehung der Wahrheit und die literarischen Fälschungen der Sünder (10) schließt sich 11 der Wunsch an, sie möchten alle seine (Henochs) Worte unverändert wiedergeben 4 4 . 12f. führen weiter: Den Gerechten, Heiligen und Besonnenen werden Henochs Bücher (ai ßißXoi jlou) zur wahren Freude übergeben werden; sie werden ihnen glauben und aus ihnen freudig alle Wege der Wahrheit entnehmen 4 5 . Damit wird der Henochbrief bei aller Eigengewichtigkeit, wie sie z.B. 100,6 hervortritt, eine Art Empfehlungsschreiben zu den deutlich davon getrennten Henochbüchern (ßißXoi im Unterschied zur ejtiotohri), das ihre unversehrte Tradierung sichern und ihre Rezeption fordern soll. Demgegenüber verweist die Apk ihre Leser nicht auf die Rezeption von ihr unterschiedener Bücher, ist also kein vergleichbarer Empfehlungsbrief. Insgesamt dokumentiert der griechische Henochbrief also zwar eindrucksvoll die Möglichkeit, einen Teil eines Werkes aus dem Bereich apokalyptischer Literatur von diesem abzulösen und nachträglich brieflich zu fassen. Eine unmittelbare Parallele zur Apk bildet er in Intention wie Gestaltungjedoch nicht. Fast mehr Interesse im Vergleich zur Apk verdienen von der Forschung bislang nicht berücksichtigte Fragmente einer aus der 2. Hälfte des l . J h . v. C h r . s t a m m e n d e n R o l l e d e s aramäischen Buchs der Giganten, d a s i n h a l t l i c h

eine Entwicklung der Geschichte der gefallenen Engel aus dem Buch der Wächter darstellt 4 6 : 4QEnGiants a 7 II spricht von zwei „Tafeln" an Mah[awai], deren zweite bislang nicht gelesen sei; Mahawai dürfte dabei als (Brief-)Bote Henochs an die Giganten und gefallenen Engel vorgestellt

43 Anzumerken ist hier Miliks Hinweis auf ein den Tradierungsvorgängen des äthHen vergleichbares sumerisches und babylonisches „literary genre, namely the epistles with sapiential and other contents, which the antediluvian sages [...] addressed to the kings, their contemporaries" (a.a.O. 13 mit Textbeleg). Der räumliche und zeitliche Abstand verbietet es jedoch, dieses Material für den Zusammenhang des griechischen Henochbriefes näher heranzuziehen. 44 Bemerkenswerterweise durchaus unter ihren eigenen Namen - s. dazu Milik a.a.O. 50. 45 1 04,12 verbindet dies als zweites Geheimnis mit dem ersten Geheimnis von 103,2fT., das auf Henochs besondere Kenntnisse um das Los der Verstorbenen abhebt. 46 S. allg. Milik a.a.O. 298(ff.). Das Buch der Giganten dürfte gegen Ende des 2.Jh. v.Chr. entstanden sein (a.a.O. 58).

58

Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk

sein 47 . Dazu stimmt, daß die wahrscheinlich nächste Kolumne (4QEnGiants 3 8) - mit der übrigens ein neuer Abschnitt des Buchs der Giganten beginnt — nach 8,3 eine Abschrift der zweiten Tafel enthält, die durch x m i J ' S H als Brief(teil) charakterisiert wird 4 8 . Laut Z. 5 ist der Brief an Semihazah, den Anführer der gefallenen Engel (s. äthHen 6,3 u.ö.) und alle (seine Gefährten) gerichtet, die nach den Implikationen von Z. 14f. bereits gefesselt sind, steht weiter hinter Henoch die Autorität einer durch das Epithet NW"Tp charakterisierten Person, wohl eines Engels 49 . Der Brief enthält eine Anklage (Z.6-11), Zukunftsansage (Z. 12—14) und Gebetsaufforderung (Z. 14f.). Literarisch liegt hier eine Weiterentwicklung des in äthHen 12-16 ausgebildeten Motivs Henochs als eines Boten zwischen Gott und seinen Engeln auf der einen und den gefallenen Engeln auf der anderen Seite vor 50 . Der Einsatz der brieflichen Kommunikationsform bleibt dabei im Unterschied zum griechischen Henochbrief und der Apk ganz in der Welt im Text. Daher kann er nicht zur Erklärung des brieflichen Gesamtrahmens der Apk dienen. Doch verdient zur Erhellung des schwierigen Gemeindeengelproblems der Apk ein Einzelaspekt Beachtung: Die Rolle Henochs macht in ihrer schon im Buch der Wächter ansetzenden (s. 13,4— 7; 14,1 nach 13,1.3), in unseren Fragmenten fortgeführten Entfaltung deutlich, daß die Vermittlung von - auch schriftlichen - Botschaften zwischen Gott und seinen Engeln auf der einen und zumindest gefallenen Engeln auf der anderen Seite durch einen Menschen religionsgeschichtlich in zwischentestamentlicher Zeit vorstellbar ist 51 . Nun ist Hennoch freilich ein besonders ausgezeichneter Mensch (s. etwa 12,2 und seine 4 7 S. a.a.O. 314f. (dort auch Text des Fragments) in Verbindung mit 3 0 5 - 3 0 7 (Belege für Mahawai als Boten). 4 8 A.a.O. 314f. Die Rekonstruktion von KmVK wird durch die Adressenangabe in Z. 5 gestützt, an die sich Z. 6 als Briefeingangsformel gut anschließt (vgl. a.a.O. 316). pBHD (Z. 3) ist für Briefabschriften auch Esr 4,11.23; 5,6; vgl. 7,11 belegt. 4 9 A.a.O. 316. Ob dieser den Brief näherhin diktierte (so Milik ebd.), muß nach dem erhaltenen Text offenbleiben. 5 0 Falls die erste der zwei Tafeln von 4QEnGiants" 7 11,6 auf äthHen 14,1 zu beziehen wäre, hätte der Autor des Buchs der Giganten bereits letzteren Text als Brief verstanden (s. Milik a.a.O. 314). Allerdings erscheinen im dortigen Zusammenhang weder der Ausdruck „Tafel" noch Mahawai. 5 1 Dabei bedarf die Beauftragung Henochs durch „die Wächter des Heiligen, des Großen" (äthHen 12,3 griechisch; aramäisch nicht erhalten) dank seiner engen Verbindung mit diesen (12,2) keiner näheren Begründung, obwohl sie zur Sendung von Engeln in Kap. 10 korrespondiert (s. Milik a.a.O. 34). Trotzdem bleibt der Unterschied von Henochs Status als Mensch sogar gegenüber den gefallenen Engeln bewußt: Nachdem er 15,1 ausdrücklich als Mensch angesprochen wurde, wird sein ihrer Bittschrift korrespondierender Auftrag an sie mit der Bemerkung eingeleitet, daß eigentlich sie für die Menschen bitten müßten - eine deutliche Bezugnahme auf die Fürbittfunktion von Engeln - und nicht die Menschen für sie.

Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche

59

Epitheta 15,1), so daß keine unmittelbare Parallele zur in der Apk bei einer Deutung der äyyeXoi von 2,1.8 etc. auf Engel vorliegenden Niederschrift von Botschaften Christi an Engel durch Johannes besteht. Denn Johannes gehört nicht zu den ausgezeichneten Vorzeitgestalten und verzichtet 1,4.9 auf ihn hervorhebende Epitheta; auch sind die Engel von Apk 2,1.8 etc. in ihrer Zuordnung zu Einzelgemeinden von den gefallenen Engeln der Henochliteratur zu unterscheiden 5 2 . Trotzdem bleibt ein relevanter traditionsgeschichtlicher Zusammenhang möglich, ist für die Apk nicht mehr auszuschließen, daß „Christus durch die Feder eines Menschen an einen Engel schreibe" 5 3 . 1.2.1.3

Zwischenergebnis

Die Besprechung der Belege Bergers und in ihren Umkreis gehörender weiterer Texte läßt insgesamt keine einheitliche Entwicklungslinie - etwa von den Prophetenbriefen über den Einsatz von Briefen in Apokalypsen zu brieflich gefaßten Apokalypsen - erkennen, in die die Apk eingeordnet werden könnte. Vielmehr war der Gebrauch der Kommunikationsform Briefjeweils individuell zu klären. Als Briefsorten im Zusammenhang der Offenbarungsliteratur ließen sich neben den Himmelsbriefen nur die Prophetenbriefe ausmachen, die beide die Gesamtform der Apk nicht erklären können. Sehr differenziert zu behandeln waren gerade die Briefe im Bereich der geläufig als apokalyptisch bezeichneten jüdischen Literatur: Im für die Apk wichtigen Vergleichszeitraum liegt keine ganz als Brief gefaßte Apokalypse vor. Ebensowenig läßt sich von den jeweils unabhängig voneinander zu erklärenden Verwendungen der brieflichen Kommunikationsform in syrBar und in der Henochliteratur aus eine Briefsorte des apokalyptischen Briefs erheben, dem auch die Apk zugeordnet werden könnte. Keine Parallelen zur literarischen Gesamtgestalt der Apk finden sich übrigens in den der Gemeinde von Q u m r a n eigentümlichen, außerhalb dieser nicht überlieferten Texten 5 4 . 52 So gewiß sie nicht zu den „,heiligen Engel(n)' Gottes und Jesu" (Lk 9,26) gezählt werden müssen, wie Zahn, Offenbarung I 211 bei der Argumentation gegen die Engelthese postuliert. 53 Dazu tendiert Kraft, Offenbarung 51 (Zitat). 54 Hier bestätigt sich das Urteil, das Braun im Einzelvergleich der Apk mit den Qumranschriften gewann: „Von einer engeren spezifischen Verwandtschaft zwischen beiden Schriftgruppen kann keine Rede sein" (Qumran 325). Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß es nicht zahlreiche traditionsgeschichtliche Querlinien gibt, denen hier aber nicht nachzugehen ist. Was diese angeht, so verdient unter den neu edierten Fragmenten SirSabb (4 Q, 11 Q, Massada-Fragmente) mit seinem Konnex von ausgebildeter Angelologie, Thronvorstellung Gottes und himmlischem Gottesdienst zum Vergleich mit der Apk besondere Aufmerksamkeit (vgl. van der Woude, SirSabb 311 f.,329).

60 1.2.1.4

Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk Vergleichstexte in griechischer

Offenbarungsliteratur

1979 l e n k t e n m e h r e r e V o r t r ä g e a u f d e m i n t e r n a t i o n a l e n K o l l o q u i u m zur A p o k a l y p t i k in U p p s a l a d e n Blick in E r w e i t e r u n g des r e l i g i o n s g e schichtlichen Betrachtungsraums auf die griechische und hellenistischkaiserzeitliche O f f e n b a r u n g s l i t e r a t u r m i t T e x t e n v o n H e s i o d s Weltalterm y t h o s bis z u P l u t a r c h u n d der r ö m i s c h e n K a i s e r z e i t 5 5 . S o g e w i ß d e r e n F o r m - u n d T r a d i t i o n s z u s a m m e n h a n g m i t der ö s t l i c h e n a p o k a l y p t i s c h e n T r a d i t i o n d e b a t t i e r t w e r d e n k a n n u n d m u ß 5 6 , fordert d o c h die S e l b s t a n s i e d l u n g der A p k in der g r i e c h i s c h e n A s i a ihre S i c h t u n g a u f e t w a i g e Parallelen z u r B r i e f f o r m der A p k h e r a u s . Der früheste hierher gehörige Beleg sind die Katharmoi des Empedokles, die nach d e m in F r a g m e n t 112 erhaltenen Textbeginn als Brief a n die F r e u n d e E m p e d o kles' in Akragas gehalten sind. I h n e n berichtet er in der 1. Person, was er erlebte u n d sah, wozu allem Anschein n a c h auch die F ü h r u n g u n d Belehrung d u r c h eine göttliche Gestalt gehörte 5 7 . Doch steht dieser Text des 5. J h v. C h r . der Apk zeitlich zu fern u n d ist zu fragmentarisch erhalten, u m literargeschichtliche Bezüge herstellen zu lassen. B e s o n d e r e s I n t e r e s s e v e r d i e n t d a s zur A p k z e i t g e n ö s s i s c h e Pflanzenbuch des Thessalos, d a s i m T h e s s a l o s t e x t als Brief b e g i n n t 5 8 . Bei a l l e n S c h w i e r i g keiten, vor d i e d a s differierende B r i e f f o r m u l a r der g r i e c h i s c h e n H a n d schrift T u n d der l a t e i n i s c h e n H a n d s c h r i f t M stellt - T eröffnet I p r o o e m . 1 m i t WQjraxQaTioov K a i a a Q i A ^ y o i i c r a p x a ^ Q e i v > M d a g e g e n m i t „ T h e s s a l u s p h i l o s o p h u s G e r m a n i c o C l a u d i o regi et d e o e t e r n o s a l u t e m et amorem"59 ist d e u t l i c h , in w e l c h e n Z u s a m m e n h a n g es gehört: D a die A n r e d e b z w . A d r e s s i e r u n g a n d e n K a i s e r i m w e i t e r e n V e r l a u f d e s Werkes k e i n e R o l l e m e h r spielt u n d ein brieflicher A b s c h l u ß fehlt, h a n d e l t es s i c h 55

S. Burkert, Apokalyptik; Betz, Problem und Cancik je passim. Unabhängig von dem Kongreß vgl. etwa gleichzeitig Attridge passim. 56 Rudolph urteilt in seiner Summierung der Kongreßergebnisse 1983 hier sehr zurückhaltend (Apokalyptik 777f.). 57 Dazu s. Burkert a.a.O. 239 (Anm. 10 Lit.). 58 Titel nach dem Explizit (vgl. das Incipit) in M. H.-V. Friedrich legte 1967 eine neue Textedition vor (zitiert: Thessalos); zum Thessalostext s. dort 13ff. 59 Da der Name Thessalos auch in T in der Anrede des Gottes an den Ich-Erzähler enthalten ist (I prooem. 25), kommt ihm mit M in der Superscriptio die Priorität zu. Auch die Adscriptio von T mag verderbt sein (s. die Anm. z. St. in der Thessalosausgabe Friedrichs 45) - der Name Harpokration verweistjedenfalls ins 2. J h . n. Chr. (s. Festiguère, L'expérience 55). Problematisch ist freilich gleichfalls die Adscriptio in M. Das Epithet „rex et deus eternus" ist fur Claudius und Nero, die beiden für die Adresse in Frage kommenden Kaiser, nicht belegt (vgl. die Zusammenstellung Smallwoods in Documents Gaius... bes. S.45ff.), so daß die vorliegende Formulierung in spätere Zeit weist (vgl. Friedrichs Anm. in Thessalos 45). So gewiß also das Vorhandensein eines Briefpräskripts in den beiden unabhängigen Hss. für eine originäre briefliche Rahmung spricht, läßt sich deren ursprünglicher Wortlaut nicht mehr eindeutig ausmachen.

Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche

61

u m eine W i d m u n g , wie sie im hellenistischen und römischen R a u m weit verbreitet war 6 0 . Im 1 .Jh. n.Chr. ist sie in einer der Thessalosschrift vergleichbaren Weise im Briefpräskript an den Kaiser fiir die Naturgeschichte des Plinius maior belegt (praef. 1). Das fügt sich gut zu einer Ansetzung der Thessalosschrift ins l.Jh. n.Chr., deren Zuschreibung an Thessalos von Tralles, einen Arzt neronischer Zeit, freilich zu bezweifeln ist 61 .

Das Pflanzenbuch des Thessalos zeigt also gegenüber den bisher besprochenen Vergleichstexten zur Apk einen weiteren auch im Umkreis der OfFenbarungsliteratur möglichen Einsatz brieflicher Elemente. Freilich liegt wieder keine direkte Parallele zur Apk vor, deren briefliche R a h m u n g am Anfang und Ende (!) in Verbindung mit dem umfangreichen Sendschreibencorpus weit über eine knappe, vom Werkinhalt wenig bestimmte W i d m u n g hinausgeht. Bemerkenswert für den religionsgeschichtlich-literarischen Vergleich ist allein die R a h m e n h a n d l u n g 6 2 : Nach I prooem. 1-28 reist der wohl aus der Asia (!) s t a m m e n d e (3) Thessalos nach einem medizinischen Mißerfolg ins Innere Ägyptens. Er k o m m t in die Stadt des Zeus (12) und erhält über einen Priester Z u g a n g zur |XClYixri evspyeia (13), der 14-20 in Gesprächen mit diesem Priester vor allem auf einem Ausflug zu einem heiligen H a i n retardierend vorbereitet wird. Drei Tage später geht Thessalos im M o r g e n g r a u e n zum Priester, der inzwischen alles für die Ejuoxeijug vorbereitet hat. Er hat ohne dessen Wissen Schreibutensilien dabei SJtl ( t ( ö ) aT]^Eicbaacr&ai Tfirv Xeyonivoov, ( a ) e ä v öerjaxi- Er bittet u m eine U n t e r r e d u n g mit Asklepios, bei der er allein sein möchte (22). Der Priester verläßt den R a u m , n a c h d e m er Thessalos seinen Platz gegenüber dem T h r o n des Gottes angewiesen hat, indem er den Gott über die verbotenen N a m e n herbeiruft (23). Dessen in Menschenwort (avÖQü)Jtov Xöyog) nicht erklärbare Erscheinung fiihrt zur E n t k r ä f t u n g (exX.veiv) von Leib und Seele des Thessalos (24vgl.26). Der Gott erhebt (dvaxeiveiv) seine rechte H a n d - zum G r u ß 6 3 ? - (24) und erklärt sich bereit, die Fragen Thessalos' 60 S. dazu allg. Fuhrmann, Widmung 1373 und Kroymann. M nennt das Pflanzenbuch im Incipit wie Explicit denn auch sachgemäß „liber". 61 Gegen Festiguère (L'expérience 55 unter Berufung auf Cumont), mit Kudlien 55. Gegen eine spätere Datierung spricht zum einen die sekundäre Abwanderung des Textes in die hermetische Literatur, die (eruiert von Friedrich in Thessalos 13,25ff.) zu einer eigenen Textrezension fuhrt, zum anderen seine aus Orpheus-Fragmenten im medizinischen Werk des Aetios erschließbare spätere Ausgabe unter dem Namen des Orpheus (dazu s. a.a.O. 35f.). 62 Im folgenden wird fur den Prolog von T, fur den Epilog - der in T nicht erhalten ist von M ausgegangen (vgl. dazu dann jeweils die Hss. BH,V und P; zu den Unterschieden der Hss. s. Friedrich a.a.O. 19fF.). 63 Festiguère a.a.O. 63 Anm. 28.

62

Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk

zu beantworten (25). Der Ansatz zu einem Gespräch (26-28) mündet von 28 auf 29 nahtlos in einen ausfuhrlichen Vortrag des Gottes an Thessalos über die Heilkräfte der Kräuter etc. ein, den dieser nach Vorstellung des Textes „genau nachschreibt" 64 . Der Epilog setzt zunächst die Rede des Gottes fort, der Thessalos zur Geheimhaltung des so entstandenen Werkes mahnt (2.5), da die Kunst leiden würde, wenn es in unberufene Hände geriete (3f.). Danach schließt sich die Rahmenhandlung. 15 steigt der Gott zum Himmel auf. 15 f. verabschiedet sich Thessalos vom Priester, wozu V 17—19 noch die Erprobung der neuen Therapie, die Abfassung eines Buches und die Bewährung des Thessalos vor Fachkollegen ergänzt; die in 2.5 vorgesehene Beschränkung der Tradierung wird also nicht befolgt. Diese Rahmenhandlung verdeckt die Eigenständigkeit, ja Differenz des Apk-Autors - dem die menschlich-wissenschaftliche Suche nach Offenbarung ebenso fremd ist wie die Einfuhrung eines vermittelnden Priesters, heiliger Orte und entsprechender Offenbarungsvorbereitungen - gegenüber hellenistischer Religiosität nicht. Um so auffalliger ist die trotzdem zu bemerkende religionsgeschichtliche Verwandtschaft gerade bei Abschnitten und Zügen der Apk, die deren Abfassungskonzeption explizieren: Die Epiphanie-Vision Apk l,9-20(;2—3) hat bei allen hervorzuhebenden Differenzen zum Thessalostext in ihm ebenso einen Bezugspunkt wie die Niederschrift von Offenbarung (Apk 1,11.19 durch einen Schreibbefehl eingeführt); auch der gezielte Verzicht auf Geheimhaltung Apk 22,10 mußte in einer Welt verstehbar sein, in der zugleich ein Geheimhaltungsbefehl und seine Durchbrechung berichtet werden konnte. Die Möglichkeit tritt ins Blickfeld, daß die Apk von einem Judenchristen auf griechischem Boden gezielt für griechische Empfänger nichtjüdischer Herkunft geschrieben wurde. So gewiß diese Möglichkeit erst in einer durchgängigen Analyse der Apk verifiziert werden kann, läßt sich methodisch festhalten: Die Öffnung der Apk-Betrachtung für traditions- und religionsgeschichtliche Umfelder auch im nichtjüdischen und nichtchristlichen Hellenismus ist fortzuführen. Sie verspricht namentlich Auskünfte über die Orientierung der Apk an griechisch-hellenistischen Adressaten und an für jene eigentümlichen Traditionen und religiösen Vorstellungen. I m übrigen enthalten n o c h eine Reihe weiterer späthellenistisch-kaiserzeitlicher Texte - so d a s Traumbuch des Artemidor und die Zauberpapyri - OfFenbarungsmotive und briefliche Züge. D o c h handelt es sich in keinem Fall u m weiterfuhrende Parallelen zur literarischen G e s a m t f o r m der A p k 6 5 . 64 Friedrich in Thessalos 14. Freilich ist dieser Teil der Schrift eher als Traktat denn als OfFenbarungsniederschrift zu charakterisieren (a.a.O. 13). 65 Das Traumbuch des Artemidor aus Ephesus (2. Hälfte 2. Jh. n.Chr.) (Sontheimer 618) fiihrt mit seinem vorangestellten Briefgruß an Cassius Maximus literarisch nicht über den Bereich der Widmungen hinaus (vgl. Artemidorus (White) 67). Das Proömium des an den

Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche

1.2.1.5 Der Kontext frühchristlicher

63

OJJenbarungsliteratur

I m als U m f e l d der Apk besonders wichtigen Bereich der christlichen Literatur liegt kein der Apk zeitgenössischer Text der Offenbarungsliteratur vor, der durch die Kommunikationsform Brief getragen wäre. D o c h zeigt Ansätze dazu der Hirt des Hermas, der in seiner abschließenden Gestalt noch vor die Mitte des 2. J h . gehört, keine nachweisbare Kenntnis der Apk verrät und von dieser auch in seinen eschatologischen Partien unabhängig erscheint 6 6 . Er thematisiert im Teil der Visionen (vis I - I V ) wie d e m der Gebote und Gleichnisse (vis V - s i m V I I I bzw. X ) 6 7 seine Verschriftung und in ersterem darüber hinaus seine Versendung: Die Teile des Herrn gehen gleichermaßen davon aus, daß H e r m a s über die ältere Frau bzw. den Hirten Offenbarungen erhält. In erster Linie ist er deren Rezipient, in zweiter Linie auch ihr - zunächst mündlicher (s. z. B. vis III 8,10f.; I V 2,5; sim V I I I 1 1 , 1 ) - Übermittler, wobei seine Rolle auf die eines „reporter" ohne eigenständige Wortverkündigung beschränkt wird 6 8 . Korrektheit und (paränetisches) Gewicht der mitgeteilten Inhalte werden dadurch unterstrichen, daß die Offenbarung der alten Frau wie des Hirten jeweils wenigstens teilweise 6 9 explizit verschriftet wird.

Sohn Artemidors gerichteten Buchs IV bringt ein weiteres Beispiel zur Beschränkung der Tradierung eines Textes (dazu s. Artemidore (Festiguere) 10). Die Zauberpapyri (Ausgabe PGrM) bieten briefliche Züge etwa in P I 43.194 aus dem 4./ 5.Jh. n.Chr. (a.a.O. Band I S. 1) und P IV 153f. aus dem 4.Jh. n.Chr. (a.a.O. Band I S.64), die zwar früher als die Papyri datierbar sein mögen, aber nicht mit zur Apk vergleichbaren Visionscorpora verknüpft sind. P X I I I aus dem 4.Jh. n.Chr. (a.a.O. Band I I S . 86) enthält zwei Fassungen, deren beide - dem Thessalostext vergleichbar - das Motiv des Bereithaltens von Schreibutensilien zum Niederschreiben des von der angerufenen Gottheit Gesagten enthalten (XIII 90-94 und 644f.); die erste Fassung (XIII 1-233) liegt dabei „in Einkleidung freier Briefform des Verfassers an sein Kind (225f.)" vor (Preisendanz a.a.O. S. 87). P V 96ff.ist als an den Schöpfer gerichteter Zauber-Brief (zu E J U O T O X T I 97 beachte aber die Anm. Preisendanz' a.a.O. Band I S. 185) der Apk nicht vergleichbar. Auch die Zauberpapyri sind so nur zum Ausziehen religionsgeschichtlicher Linien heranziehbar. So bieten sie z.B. P I 192f. auch wieder ein Beispiel der Beschränkung der Weitergabe. 66 Zur Datierung s. Vielhauer, Geschichte 523 und Reiling 24 (vgl. Giet, Hermas 2 8 4 f f ) ; zum Verhältnis zur Apk s. schon Lücke 564f. und etwa Bousset, Offenbarung 20. Giet behauptet a.a.O. 294 eine Beeinflussung der Herm-Visionen durch die Apk, kann dafür (a.a.O. 18, 124, 135 mit Anm.) aber nur die Gemeinsamkeit des Brautschaftmotivs (Herrn vis IV 2,1; Apk 21,2), der Bezugnahme auf die große Bedrängnis (Herrn vis II 2,7; Apk 7,14) und des Vorkommens von himmlischen Büchern anführen. Diese Berührungspunkte sind religions- und traditionsgeschichtlich zu erklären und berechtigen daher nicht zu seinen Schlüssen. 67 Zu den literarkritischen Problemen des Herrn s. Giet a.a.O. passim (dazu Kritik: Joly, Hermas 1967), Reiling 22 ff. und Vielhauer, Geschichte 516 f. 68 S. Reiling 164-169 (Zitat 169). 69 Wieweit der explizit zu verschriftende Teil reicht, ist von vis II aus nicht mehr ausmachbar - s. Dibelius, Hermas 453.

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Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk

vis II 1,3 läßt den abgeleiteten Charakter der schriftlichen gegenüber der mündlichen Übermittlung hervortreten: Die in einem Schriftstück lesende Greisin fragt Hermas, ob er dies den Auserwählten Gottes verkünden könne. Erst als Hermas darauf hinweist, soviel könne er sich nicht merken, und darum bittet, ihm die Schrift zum Abschreiben zu geben, erhält er sie dazu. Die schriftliche Niederlegung des Textes wird also mit dem Interesse unverfälschter Tradierung begründet. Anders akzentuiert die Einleitungsvision zu den Geboten und Gleichnissen, vis V: Der Hirte befiehlt die Niederschrift der Mandata und Similitudines, damit Hermas sie lesen und befolgen könne (5). Das paränetische Anliegen tritt in den Vordergrund und wird in 7 mit Verheißung und Drohung auf die in der 2. Person plur. angesprochenen Leser des Herrn ausgeweitet 70 .

Im Visionenteil erscheint II 4,2f. die Greisin Hermas zusätzlich, um die Tradierung des von ihm inzwischen niedergeschriebenen, noch zu ergänzenden Textes an alle Auserwählten festzulegen: Er solle zwei Abschriften (ßißXaQiöia) anfertigen und diese Klemens und Grapte schikken; ersterer werde die Weiterversendung an die auswärtigen Städte übernehmen, letztere die Witwen und Waisen ermahnen, Hermas selbst mit den Presbytern die Verlesung für diese Stadt durchfuhren (4,3). Herrn operationalisiert die Übermittlung seiner Inhalte also in einer Weise, die bei Durchfuhrung der Versendung an die auswärtigen Städte notwendig zur Wahl der brieflichen Kommunikationsform geführt hätte. Nicht zufallig trägt er trotzdem weder insgesamt noch in den mit vis II unmittelbar zusammenhängenden Teilen briefliche Formelemente: Der durch die unmittelbar vorher als die Kirche identifizierte - Greisin angegebene Adressatenkreis umfaßt alle Auserwählten und ist daher nicht näher lokal zu fixieren71. Brieflichkeit käme lediglich als allgemeine Publikationsform - wie in den katholischen Briefen - in Frage. Die Differenz zur Apk ist unübersehbar: In dieser hat die Verschriftung keinen gegenüber der mündlichen OfFenbarungsübermittlung sekundären Charakter, sondern trägt sie das Werk vom Schreibauftrag der EröfFnungsvision (1,11.19) an (s. noch 2,1 u.ö.; 10,4; 14,13; 19,9; 21,5). Der Versendungsauftrag gilt sieben namentlich genannten Gemeinden, also lokal fixierten Adressaten (1,11; vgl. 1,4 in Verbindung mit den Sendschreiben) . Damit ist die Apk den spezifischen Kennzeichen der Kommunikationsform Brief in ungleich höherem Maße adäquat abgefaßt als

70 Dabei wird der fiir das Werk zentrale Bußgedanke angesprochen; zu diesem s. Vielhauer a.a.O. 520f. und Pernveden 223 ff. Das Verschriftungsmotiv bleibt im folgenden als Rahmen erhalten (s. sim I X 33,1; X 1,1). 71 Die Identifikation Greisin - Kirche korrespondiert der Adressatenangabe (vgl. Pernveden 19), muß also gegen Vielhauer a.a.O. 518 nicht sekundär sein. Konsequent verzichtet der Versendungsauftrag auf eine konkrete Benennung der auswärtigen Städte und schon der Heimatstadt des Hermas.

Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche

65

Herrn. Zur Erklärung ihres Gebrauchs reicht ein einfaches Publikationsinteresse nicht aus. Die noch zu nennende EpAp leitet bereits zur späteren Entwicklung über. Sie gehört in die Auseinandersetzung mit der Gnosis im 2.Jh. wahrscheinlich in Ägypten und zeigt zur Apk wenig Bezüge, ohne daß diese ihr unbekannt gewesen sein muß 7 2 . Die elf Apostel teilen in ihr OfFenbarungsgespräche mit, die der auferstandene Christus mit ihnen geführt habe. Sie adressieren sie 2(13) an die Kirchen der vier Himmelsrichtungen, rahmen sie also als katholischen Brief. Solche Herausstellung der Apostolizität und Katholizität ist im antignostischen Impetus verständlich, unterscheidet die EpAp aber von der Apk, die 1,4 auf eine Kennzeichnung des Johannes als Apostel verzichtet und die Adressaten lokal fixiert. Überdies wird in der EpAp der Briefstil nicht durchgehalten 7 3 . Lediglich auf ihren Abschnitt 1(12) wird wegen seiner Stellung vor dem Briefformular als formale Parallele zu Apk 1,1—3 zurückzukommen sein.

1.2.1.6 Ein Blick auf die Gnosis und Ergebnis Für die Gnosis läßt sich nach den Funden von Nag Hammadi von besonderer Beliebtheit der brieflichen Kommunikationsform zur Einkleidung von Offenbarungsschriften sprechen. Die Epistulae ad Rheginum ( N H C I 4), Petri ad Philippum ( N H C V I I I 2) und Iacobi apocrypha ( N H C I 2) etwa zeigen dies in verschiedenen Ausprägungen der Gestaltung 7 4 . Hier liegt nun tatsächlich insofern ein Kontext zur Apk vor, als auch ausdrücklich 72 Schlüsselstelle für die Einleitungsfragen ist E p A p 1(12); zum antignostischen Impetus s. etwa Duensing in Hennecke/Schneemelcher I 126f. und Schmidt-Wajnberg 195ff., zur Datierung etwa Duensing a.a.O. 127, Hornschuh 116,119(1. Hälfte 2.Jh.) und Ehrhardt, Epistula Apostolorum 367f. (2. Hälfte 2. J h . ) ; zum Verhältnis zur Apk SchmidtWajnberg 249. Die ältere Lokalisierung auf Kleinasien (noch Altaner/Stuiber 125) erscheint zugunsten Ägyptens überholt (Ehrhardt a.a.O. 368f.; Hornschuh 99fT., 120), zumal wenn der Jakobusbrief des Codex J u n g an den EpAp 1(12) genannten Kerinthos adressiert sein sollte, was Schenke in Jakobusbrief 118 f. vom erhaltenen Namensende „thos" in ( N H C I 2,) 1,2 aus erschließt (vgl. Helderman 36f.). Allerdings lokalisieren die Kirchenväter Kerinth - so problematisch ihre sonstigen Angaben zu dessen Person und Wirken auch sind - übereinstimmend in die Asia (s. Klijn/Reinink, Sects 3-19). 73 Hornschuh 4 A n m . 4; vgl. Schmidt-Wajnberg 206. Die E p A p endet 51(62) mit J e s u Himmelfahrt, ohne Briefschluß. 74 Erstere bildet den „apologetischen L e h r b r i e f eines Lehrers an einen Schüler (Peel 21); zu zweiterer s. Luttikhuizen und M e n a r d , Lettre: structure jeweils passim - sie bildet einen Traktat mit vorgeschaltetem, der ganzen Schrift den N a m e n gebendem Brief; letztere mutet als Brief des J a k o b u s an Kerinthos - wenn diese Namenrekonstruktion aus 1,2 zutrifft (s. Anm. 72) - und nur an diesen (1,17-19), der nach der Einleitung a b 2,21 Gespräche zwischen dem Erlöser und den J ü n g e r n mitteilt, fast wie ein Gegenstück zur besprochenen E p A p an.

66

Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk

als Offenbarungstexte bezeichnete Schriften brieflich adressiert und verschickt gedacht sind 7 5 . Ein überraschender möglicher Bezug der Apk zu gnostischer Praxis zeigt sich, der freilich, was ihre briefliche R a h m u n g angeht, nicht überinterpretiert werden darf; sind doch die gnostischen Brieftexte später zu datieren und, wie die genannten Beispiele zeigen, an Einzelpersonen, nicht Gemeinden gerichtet. Bei aller so gebotenen Vorsicht wird aber die Gnosis weiterhin als ein Vergleichsfeld zumindest für den literarischen Charakter der Apk als Offenbarungsschrift und für religionsgeschichtliche Einzelfragen 7 6 von Belang bleiben. Damit schließt sich der Kreis. Die Sichtung der hellenistischen, christlichen und gnostischen Vergleichstexte bestätigt das bereits zuvor gewonnene Bild: Die Apk bewegt sich mit der Wahl der Kommunikationsform des Briefes zwar durchaus im Bereich der der antiken apokalyptischen und Offenbarungsliteratur zuhandenen Möglichkeiten. Aber sie hat dort nirgendwo eine unmittelbare, zeitgenössische Parallele zu der besonderen Ausprägung ihrer brieflichen Züge, sondern wird den spezifischen Möglichkeiten der brieflichen Kommunikationsform in ungleich höherem M a ß e gerecht als alle näher zu analysierenden Vergleichstexte. Ihre definite und in den Sendschreiben noch entfaltete Adressierung, ihre Konsequenz in der brieflichen Anlage bis zum Textschluß 22,21, schließlich die Perspektive einer Briefsituation in der Kommunikation zwischen einem judenchristlichen Autor und heidenchristlich-hellenistischen Adressaten, all das lenkt das Interesse auf ihre bereits von Lücke herausgestellten, nun zu eruierenden Bezüge zur neutestamentlichen Briefliteratur.

1.2.2

Ortsbestimmung

der Apk in der urchristlichen

Briefliteratur

In der Forschungsgeschichte kam die urchristliche Briefliteratur als Bezugsfeld der Apk nur bei der Erörterung ihres Verhältnisses zur paulinischen Tradition in den Blick. F. C. Baur bestimmte dieses Verhältnis mit der Entgegensetzung der angeblich judaistischen Apk zum Paulinismus und Paulus selbst pointiert negativ 7 7 . Seine Auffassung trat nach der 75 S. noch bes. den Hinweis auf ein früher abgesandtes OfFenbarungsschreiben in NHC 12, 1,28-32! 76 So tritt etwa das Motiv der Beschränkung der Tradierung auch in der Epistula Iacobi apocrypha (1,20ff.) auf. 77 S. Baur, Christenthum 80-83. Danach zeigt die Apk bei ihrer Rüge des Mißbrauchs christlicher Freiheit in 2,14.20 nicht nur eine „antithetische Beziehung auf paulinische Christen", sondern hat auch Paulus selbst im Auge, den sie 21,14 aus der Zahl der Apostel ausschließe und 2,2 zusammen mit seinen Gehilfen bei der Rühmung der Abwehr von Pseudaposteln durch die Gemeinde von Ephesus meine (80, dort auch Zitat).

Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche

67

Erschütterung seines Geschichtsbildes aber allmählich in den Hintergrund und konnte schließlich auch in den neueren deutschen Untersuchungen zur frühen Wirkungsgeschichte des Paulus vernachlässigt oder negiert werden 7 8 . In den USA dagegen begründete Goodspeed mit seiner besprochenen These, in der Apk liege die früheste Nachahmung der von ihm postulierten ältesten Sammlung von sieben Paulusbriefen mit einem Deckbrief vor, die bis Barnett (1941) wirksame Sicht einer gewissen Paulusnachfolge der Apk 7 9 . Freilich verlagerte sich danach auch dort die Forschung. So trat die Frage nach dem Verhältnis der Apk zu Paulus und der in den kleinasiatischen Gemeinden lebendigen paulinischen Tradition erst in den 70er J a h r e n wieder hervor. Dabei hob U. B. Müller auf die angebliche grundlegende Verschiedenheit der Apk „von den vorherrschenden Anschauungen der kleinasiatischen Gemeinden" ab und ordnete sie der Linie der „Ignorierung oder Ablehnung des Paulus bzw. des zeitgenössischen Paulinismus" zu, während Schüßler Fiorenza den ApkAutor umgekehrt in die Paulus fortsetzende Linie einordnete 8 0 . Der Forschungsstand ist also unklar, ein methodisch sicherer Zugang zur Behandlung der Fragestellung dringend erforderlich. U m diesen zu erhalten, ist zunächst eine Übersicht über die im 1 .Jh. n.Chr. außerchristlich zur Verfugung stehenden Briefkonventionen - auf die die Apk also auch hätte zurückgreifen können - und ihre paulinische christliche Translation zu erstellen. Danach ist der Vergleich der Apk damit durchzufuhren und auszuwerten. 1.2.2.1

Die paulinische Translation vor- und außerchristlicher

Briefkonventionen

Vor- und außerchristlich lassen sich fiir den hier interessierenden Raum zwei Briefkonventionen unterscheiden: die vorderorientalische und die hellenistische. Die vorderorientalische Briefkonvention wird in ihrer hebräischen Spätform in den Texten von M u r a b a ' a t (2. J h . n.Chr.) faßbar. Dort nennen die Briefpräskripte in einem Satz den Absender mit der Präposition ]D und den Adressaten mit gelegentlich unter Zufugung von Epitheten zu den Personenbezeichnungen. Darauf folgt als zweiter Präskriptteil der Eingangsgruß, und zwar zeigen alle Texte, in denen die entsprechende Zeile erhalten ist, hier D'jtP. Nach dem Corpus kennen die Texte zwei Typen von 78 Strecker, Paulus (1970) und D a ß m a n n , Paulus (1979) verzichten zur Wirkungsgeschichte des Paulus auf eine Behandlung der Apk. Lindemann (1979) sieht die Apk „von Paulus offenbar ü b e r h a u p t nicht b e r ü h r t " (396, vgl. 233). 79 S.o. unter 0.2.4 und Barnett 41-51. 80 U . B . Müller, Theologiegeschichte 47 (erstes Zitat), 82 (zweites Zitat), vgl. 84f.; Schüßler Fiorenza, Apocalyptic passim; dies., Apokalypsis 125-127 u.ö.; vgl. o. unter 0.2.5.

68

Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk

Abschlußformeln: G r ü ß e mit D^tP und die Identifikation des Senders d u r c h seine Unterschrift. Eine D a t u m s a n g a b e fehlt ebenso wie eine Außenadresse 8 1 . Diese Spätform weist deutliche Unterschiede zu den ins 6./ 5. J h . v . C h r . fallenden alten hebräischen Briefen auf, die etwa in Adresse wie Eingangsgruß eine größere Variationsbreite bieten und auf eine Abschlußformel verzichten 8 2 . Doch bleibt die Zweiteiligkeit des Präskripts konstant und kennzeichnet auch die aramäische Epistolographie, die übrigens im ersten Präskriptteil auf die A b s e n d e r n e n n u n g verzichten kann 8 3 . Diese Zweiteiligkeit ist d e m n a c h ebenso Proprium des vorderorientalischen BriefFormulars wie bei einer Voranstellung des Absenders im Präskript dessen E i n f ü h r u n g durch eine Präposition 8 4 . Das griechisch-hellenistische Briefformular faßt demgegenüber nämlich Absender (im Subjektnominativ) und Adressaten (im Dativ) mit d e m in der Regel d u r c h xcupetv ausgedrückten G r u ß in einem Satz der G r u n d f o r m o ö e i v a TÖ) öeivi xatQEtv z u s a m m e n . Im Freundschaftsbrief folgen auf das Präskript fakultativ die formula valetudinis, die Proskynemaformel u n d das wechselseitige Gedenken von Sender und Adressat. An das Briefcorpus schließen G r ü ß e mit fakultativem Gesundheitswunsch sowie die gewöhnlich mit dem Verb g c b w u m gebildete Schlußklausel an, die philophronetisch erweitert werden kann 8 5 . Besondere M e r k m a l e des griechischen Briefes sind seine Traditionsgebundenheit und Formelhaftigkeit, die zahlreichen philophronetischen Züge und vor allem der G e d a n k e der „Parusie", der im Freundschaftsbrief Z u s a m m e n l e b e n über die räumliche T r e n n u n g hinweg vermittelt 8 6 . D a der Briefsituation a d ä q u a t vom S t a n d p u n k t des Adressaten aus geschrieben wird, bildet sich ein eigener Briefaorist aus 8 7 . Diese griechische Briefkonvention hat im übrigen anders als die vorderorientalische im Neuen Testament direkten Niederschlag gefunden: im Präskript des Jak (1,1) und den Briefen Act 15,23-29; 23,26-30. 81

Pardee 333,337,338f.,341,342f. S. a.a.O. 332f.,334,338,340f. u.ö. (Pardee edierte inzwischen das Textmaterial in Pardee, Handbook). 83 S. allg. Alexander, Remarks 161 ff., zum Verzicht auf die Absendernennung die Briefe Gamaliels bei Dalman 3. Weiterhin erscheint „Frieden" selten als Ein-Wort-Gruß (s. Fitzmyer, Notes 214; vgl. Alexander a.a.O. 162f. und zu den Briefen Simeon ben Gamaliels und Yohanan ben Zakkais Neusner, Life 41 f.). 84 Neben der es aramäisch auch die - gleichfalls ungriechische - Nachstellung des Absenders gab, bei der auf dessen präpositioneile Einfuhrung verzichtet werden konnte (s. Alexander a.a.O. 161). 85 S. Koskenniemi 155ff. zum Formular (andere Grußformeln 161 ff.) und 130-154 zu Briefstruktur und Schlußklausel. 86 Zu ersterem a.a.O. 201 f. u.ö., zu zweiterema.a.O. 95ff., 128ff. (vgl. Thraede 125ff), zu letzterem a.a.O. 38 und Thraede 39ff., 52ff., 8 3 f f , 146ff; Bünker 25f. 87 Koskenniemi 204, vgl. 189ff. 82

Der Ort der Apk mit ihren brieflichen Zügen in ihrer Literaturepoche

69

Die hellenistische Durchdringung des östlichen Mittelmeerraums führt zur Ausprägung von Mischformen. So erscheint nun eine Präskriptform, die den Absender wie die griechische Konvention als Subjekt dem Adressaten voranstellt, daran aber einen vorderorientalischen Friedensgruß in einem eigenen Satz anschließt. Der Hauptbeleg dafür ist Dan 3,31 in der Ubersetzung durch Theodotion (dort 4,1) 8 8 . Der vorderorientalischen Konvention stärker verhaftet bleibt 2Makk 1,1 mit der Voranstellung der Adressaten im Dativ vor die Nennung der Absender im Nominativ 18 ' 84 , worauf der Friedensgruß folgt. Aber die Einfügung von XOÜQEIV nach der dativischen Adressatennennung durchbricht die aramäische Grundform und fuhrt dazu, daß in diesem Präskript griechische und vorderorientalische Grußformel parallel zueinander stehen. Dieses Nebeneinander gibt übrigens der darauffolgende Brief 2Makk 1,10-2,18 zugunsten der griechischen Konvention auf*9. - Als weiterer Beleg der Mischformen war syrBar 78,2-86,3 bereits zu besprechen 90 .

In der Linie der Mischformen ist auch daspaulinische Formular zu sehen, wenn es am zweisätzigen Präskript festhält, in dessen erstem Satz aber den/die Absender im Nominativ (mit Epithet) vor den Adressaten im Dativ einführt. Insofern ist über einseitig vorderorientalische wie griechische Zuweisungen dieses Formulars hinauszugehen 9 1 . In der Transformation der einzelnen Formelemente wie in der Ausbildung einer spezifischen Funktionalität seiner Briefe entwickelt Paulus nun freilich eine eigene Briefkonvention: a) Bereits das Formular von IThess 1,1 zeigt in der Einfügung eines gott- und christusbezogenen Glieds nach der Adressatennennung eine besondere Theo- und Christozentrik des Präskripts, die sich in den späteren Paulusbriefen weiter ausprägt: Superscriptio wie Adscriptio erfahren Erweiterungen, die Absender und Adressaten der Briefe Christus und Gott zuordnen. Analog wird die Salutatio ergänzt 9 2 . Schon deren Grund88 Vgl. auch Esr 7,12, dessen aramäischer Text allerdings zum Gruß Schwierigkeiten bereitet ( L X X verzichtet auf einen Gruß); dazu s. Fitzmyer a.a.O. 212 mit Anm. 34. 89 Mit einem seltenen Doppelgruß, der aber auch in 2 Makk 9,19(—27) - einem weiteren Beispiel vorderorientalisch-griechischer Mischform - enthalten ist. Zum Grußformular vgl. Bunge 43fT., Wacholder 95f. Das Dankgebet in 1,11 stellt im übrigen eine Vorstufe der paulinischen Danksagung dar (mit Doty, Letters 31; Lohse, Briefe 41). Im Verzicht der drei Texte aus 2 Makk auf einen Schlußgruß dürfte die ältere vorderorientalische Konvention nachwirken. 90 S . o . in Punkt 1.2.1.1. 91 Erstere vertrat Lohmeyer, Probleme 159ff. (dazu s. die Kritik Friedrich, Lohmeyers These 346), letztere Roller 54f. u.ö., J. Schneider, Brief 575, tendenziell noch White, Structural Analysis (8 und passim). Letzterer bietet in Saint Paul passim eine Ubersicht über den gegenwärtigen amerikanischen Forschungsstand zur paulinischen Briefkonvention. 92 S. Roller, Tabelle 1 und S. 57-59, 99ff.; Tabelle 2 und S. 59-61,107fT.; Tabelle 3 und S. 61 f., 110-112.

70 form

Analysekriterien und literargeschichtliche Ortung der Apk ^iv

xctl

(so I T h e s s 1,1) ist v o r p a u l i n i s c h brieflich

nicht belegt. Ist bei eiQf|VTi die Nähe zum vorderorientalischen Gruß deutlich, so bereitet dessen Verbindung mit / ä g i g einer Erklärung Schwierigkeiten. D a ß einlinige Ableitungen der Verbindung scheitern 93 , spricht dafür, hier „a complex background of epistolary greetings, Christian commissionings, Jewish prayers and salutations" anzunehmen, vor dem Paulus die vorliegende Formel anscheinend eigenständig entwickelte 9 4 . Dabei füllte er sie theologisch: EiQf|VT] erhält (spätestens durch die Zufiigung von CtJtÖ d s o i xtX.) eschatologischen Akzent, und in XCtQig klingt der Gedanke von Gottes freier rettender Gnade an, freilich durch den briefFormelhaften Gebrauch eingeschränkt 95 . Bei alledem läßt die theozentrische

93 Die Ableitung aus dem urchristlichen Gottesdienst (Lohmeyer, Probleme 162; s. dagegen Friedrich, Lohmeyers These 345f.; vgl. Wiles 112) ebenso wie die Annahme einer einfachen Kombination des griechischen mit dem vorderorientalischen Gruß (White, Structural Analysis 29f.), die nur zu einer Verbindung von xatQEiv, nicht aber von Xaji|H5 'Itjöov XOIOTOÜ, f|V EÖCDXEV

Did

Apokrjoh (NHC II 1) (Übersetzung Krause 17 )

Aiöaxr) xuqiod

Die Lehre und die Worte des Heilands,

ai>xä> o deög

b) ösi^ai xoig 8011X015 xoii a 8ei yeveodai, ev xdxsi,

(xoig EdvEoiv)

(Geheimnisse)

c) xai eor||j,av8v äjtoaxEiXag 81a xröv 8ci)8Exa Und er, Jesus Christus, offen81a xoü ayyekov amov xa> ajtoaxöXwv xoig barte diese Geheimnisse, die in einem Schweigen verboröoiitau aiixoü Icoavvfl, ög E^VEOIV gen sind, und er lehrte sie den E|xaQtiJßr)OEV töv Xoyov Johannes, der es niederTOV §EOV xai XTV | [XaßT'Uschrieb. giav 5Ir]aoi) Xqioxoü ö a a EIÖEV. d) Maxägiog 0 a v a yivcoaxcov xai 01 axoi) ovTEg toxi g Xöyou g xfjg jtQOcpr]TEiag xai TT)Qo€vteg xa ev atixfi yeYgannEva, 6 yäg xaigog eyyug.

Die einfuhrende K e n n t l i c h m a c h u n g der Apk 1,1-3

95

gnostischen Offenbarungsschriften (Ubersicht)

EvThom (ergänzt mit Menard 1 9 )

Oxjioi oi \6yoi oi ajioxQtiqpoi, ofig iXaXriaev 'IriaoOg 6

(Xö-yoi ditöxpucpoi)

EpAp (Ubersetzung Duensing 3 1 ) Was Jesus Christus seinen J ü n gern als einen Brief offenbart hat und wie Jesus Christus offenbart hat den Brief des Kollegiums der Apostel, der J ü n g e r Jesu Christi,

Wie wir (es) gehört, (im Gedächtnis) behalten und für alle Welt aufgeschrieben haben, so vertrauen wir (es) euch, ihr unsere Söhne und Töchter, in Freude an im N a m e n des Vaters, des Herrschers der Welt, und in Jesus Christus.

x a l eijrev öoxig

Die Gnade mehre sich über euch!

töiv Koyaiv TOtJTCOV EVQf|öei, Oavdiot) oi) |xr) Y£TJOT|TCH.

Die Offenbarung,

den für alle (bestimmten), der wegen der Pseudapostel Simon und Kerinth geschrieben worden ist, damit niemand sich ihnen anschließe, weil in ihnen eine List ist, mit welcher sie die Menschen töten, a u f d a s s ihr fest seid und nicht wankt, nicht erschüttert werdet und nicht abweicht vom Worte des Evangeliums, das ihr gehört habt.

x a i eYQacpev 'Ioiiöagöxai ©cojiäg

xfjv EQ[ii]veiav

Apk Adams (NHC V5) (Ubersetzung Böhlig 22 )

die Adam seinen Sohn Seth gelehrt hat im siebenhundertsten J a h r e

96

Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk

eine Seligpreisung, eine Verheißung oder einen Gnadenwunsch für die, die ihn richtig vernehmen und festhalten, auslaufen 36 . Die Incipits, nach denen die Textcorpora mit Rahmenhandlung, Logien oder Briefformular neu einsetzen, sind nicht an eine bestimmte Kommunikationsform gebunden, sondern vermögen ebenso etwa eine ausgesprochene Geheimschrift (das Apokrjoh) wie einen literarischen offenen Brief (die EpAp) einzuführen. Nicht schon ihr Vorhandensein als solches, sondern erst weitere spezifische Kriterien ermöglichen also eine Entscheidung über den kommunikativen Charakter eines Textes. So ergibt sich die Fingiertheit der Brieflichkeit im Falle der EpAp erst aus den dafür eigentümlichen Kriterien fingierter Verfasserschaft und nicht durchgehaltener Brieflichkeit 37 , die sich für die Apk schon nicht mehr in gleicher Weise nachweisen lassen. Deren Incipit ist vielmehr sprachlich dem Stil antiker nichtfingierter Briefe adäquat, indem es, konsequent am Standpunkt seiner Rezipienten orientiert, die sie betreffenden Angaben V. 3 ins Präsens setzt, die den Gesamttext der Apk und das Tun des Johannes betreffenden Angaben VV. 1 f. dagegen in den (Brief-)Aorist 38 . Es kann daher durchaus die Eröffnung eines nichtfingierten Briefes sein.

2.1.2 Inhaltliche 2.1.2.1

Schwerpunkte

Die Werkbezeichnung als Offenbarung Jesu und ihr religionsgeschichtlicher Ort

Christi

Nach der vorgetragenen Analyse führt die Form ihres Incipits die Apk in ein eigentümliches Spannungsfeld der Offenbarungsliteratur zwischen Christentum und Gnosis. Wie ist hier ihr Ort näher zu bestimmen? Schon die eröffnende Bestimmung des Textgehalts in 1,1 verspricht mit ihrer Offenbarungsbegrifflichkeit dazu gewichtige Aufschlüsse. Erstmals und singulär in der Apk, also gezielt als umfassende Werkbezeichnung, erscheint dort das literarisch gerade erst zur Festlegung gelangende Nomen djtoxd^u^ig. Dieses ist klassisch-griechisch wie frühhellenistisch nicht geläufig und zur Bezeichnung göttlicher Manifestationen 36 Diese Ausprägung der Incipitschlüsse mag durch die synagogale und kirchliche Praxis gefördert worden sein, der Verlesung von Schriften eine Benediktion o. ä. voranzuschicken (vgl. Hartman, Form 134f.). 37 S. die Kriterienbildung o. unter 1.1, zur EpAp 1.2.1.5. 38 Als solchen verstehen denn auch z. B. Charles, Revelation I 7; Lohmeyer, Offenbarung 8 und sogar Müller, Offenbarung 68 zumindest den besonders auffälligen Aorist £HaQXX)QT)OEV V. 2, der bemerkenswert vom Tempusgebrauch der gern verglichenen Eröffnung des l j o h (s. z. B. Kraft, Offenbarung 22) abweicht, die bei |iaQTUQOti|j,EV xxL in 1,2 unbrieflich vom Perfekt ins Präsens übergeht.

Die einführende Kenntlichmachung der Apk 1,1-3

97

ohne Belang 3 9 . In der L X X findet es sich ganze dreimal (Sir 41,26 ist änö xaXlJil>£C05 zu lesen), j eweils in der Apk fremden Bedeutungen - in L X X 1 Reg 20,30 als Bezeichnung der weiblichen Scham, in Sir 11,27 für das Offenbarwerden der Taten eines Menschen beim Tod und in Sir 22,22 für das Verraten von Geheimnissen. Obwohl manches dafür spricht, daß in den letzten vorchristlichen J a h r h u n d e r t e n das zugehörige Verb d i t o x a Xuirceiv im Sprachsubstrat unterer und mittlerer Bevölkerungsschichten zur Bezeichnung der Enthüllung von zwischenmenschlichen, schließlich auch religiösen Geheimnissen an Gewicht gewinnt, bleibt das Nomen nicht nur den jüdischen Historikern und Schriften wie den Test X I I und JosAs ungeläufig 4 0 . Selbst in der zwischentestamentlichen jüdisch-apokalyptischen Literatur bleibt es singulär und ohne zur Apk parallele Bedeutung: In syrBar 76,1, wo es das einzige bisher nachgewiesene Mal (in syrischer Ubersetzung) vorkommt, dient es nicht zur umfassenden literarischen Bezeichnung eines Textes, sondern bezieht es sich nur auf die Einzelvision und ihre Deutung 4 1 . Erst in der jüdischen Ubersetzungsliteratur späterer Zeit gewinnt es allmählich an Gewicht 4 2 . Das bedeutet aber, daß eine traditionsgeschichtliche Herleitung der Selbstbezeichnung der Apk als „Offenbarung" aus der jüdischen Apokalyptik und Schlußfolgerungen daraus auf ein Selbstverständnis der Apk in deren Linie verwehrt sind 4 3 . Vielmehr greift die Apk - zu dieser Schlußfolgerung zwingt die Zentrierung der ur- und frühchristlichen Belege um Paulus und die paulinische Tradition 4 4 - auf eine terminologische Prägung der von ihr bei ihren impliziten Adressaten vorausgesetzten paulinischen Tradition zurück. Sie knüpft dabei näherhin nicht an die im genitivus obiectivus gehaltenen Verbindungen von 1 Kor 1,7; Gal 1,12 (und 1 Petr 1,7.13), sondern an den Gebrauch des Nomens zur Bezeichnung einer Gnadenga-

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S. Smith 9ff. im Gegenüber zu Oepke, xaXwrru) 572f. S. Smith 12,13f. (dort auch die wenigen Belege für den Gebrauch des Verbs). S. Lührmann, Offenbarungsverständnis 40 und die Auseinandersetzung damit bei Stuhlmacher, Evangelium 76 Anm. 3 (S. 76f.). Der Bezug der OfFenbarungsvokabeln auf visionäre Erlebnisse und deren Deutung bestimmt im übrigen auch den Gebrauch in Herrn (s. Oepke a.a.O. 596). Die Apk spricht dafür von ö g a a i g (9,17)! 42 Noch Theodotion, der in seiner Dan-Übersetzung das Verb öfter neu einführt (u. a. 10,1), verzichtet dort auf das Nomen. Die Entwicklung skizziert (mit weiteren Belegen) Smith 19. Auf die sekundäre Übertragung der Bezeichnung „Apokalypse" auf syrBar und andere Texte war o. Exkurs 1 a) einzugehen. 43 Vgl. Schüßler Fiorenza, Apokalypsis 125. 44 'Airoxodinpis findet sich außerhalb der unmittelbaren Paulustradition im N T nur noch Lk 2,32 und 1 Petr 1,7.13; 4,13, in Schriften also, die jedenfalls Berührungen zur Paulustradition haben. In der frühapostolischen Literatur mit u.a. den Ign, 1 Clem, Pol fehlt es außer dem gegenüber Apk 1,1 traditionellen Gebrauch in Herrn (s.o. Anm.41; Belege in CPA 54) völlig! Auf christliche Apokalypsen findet es erst später Anwendung (s.o. Exkurs 1 a). 40 41

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Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk

be an, die sie im genitivus subiectivus betont aufJesus Christus zurückführt 45 . Die Gnadengabe, Offenbarung zu haben und in ihr - im Unterschied zur Glossolalie verständlich - zu sprechen, bezeugt 1 Kor 14,6.26 für Paulus und für die korinthische Gemeinde. Später wünscht sie der Verfasser des Eph seinen kleinasiatischen Adressaten, wenn er in der Danksagung ausspricht, der Gott unseres Herrn Jesus Christus möge ihnen den Geist der Weisheit und der Offenbarung geben, in denen man zu seiner Erkenntnis komme (1,17) 4 6 . An die dortige Vorstellung insbesondere klingt es an, wenn Johannes die ihm gezeigte Offenbarung Apk 1,1 auf Gott als den Geber zurückfuhrt. Gewicht legt er aber auf die Mitteilung der Offenbarung durch Jesus Christus. Mag dieser im Offenbarungsvorgang auch nicht die letzte Instanz sein - darin daß die Offenbarung ihm erst von Gott gegeben wird, ist ein subordinatianischer Zug unverkennbar er ist für Johannes die entscheidende Instanz und wird daher an erster und entscheidender Eingangsstelle vor Gott genannt.

Die Betonung der Urheberschaft Jesu Christi für die OffenbarungsGabe erhält ihre Tiefenschärfe, sobald beachtet wird, daß die Berufung auf Offenbarungen und damit die Offenbarungs terminologie in der Gnosis enormes Gewicht erhält 47 , ja, daß auch dort ÖJTOxaX/ul|a5 - unabhängig von der Apk - bereits früh eine Tendenz zum literarischen terminus technicus ausbildet. Zeitlich der Apk vielleicht am nächsten dokumentiert dies die ApkAdams - später kommen zumindest die „Apokalypsen" des Jakobus (I und II), Paulus und Petrus hinzu 48 - , die in ihrem Incipit nur die Stelle des genitivus subiectivus und damit der die Offenbarung an Adam gebenden Gestalt(en) offenläßt. In ihren - möglicherweise überarbeiteten—Schlußbemerkungen bietet sie ein Modell dafür, wie COTOxaXv-

gnostisch verstanden bzw. adaptiert wurde: als Gabe und Weitergabe

45 Nur ein Übersehen des Unterschieds im Genitivgebrauch kann zu einer unmittelbaren Interpretation der Apk-Wendung von den auf die Parusie bezogenen Stellen 1 Kor 1,7; 1 Petr 1,7.13 oder der das Lebendes Paulus nach Gal l,12vgl. 16 entscheidenden BerufungsOfFenbarung Jesu Christi her fuhren, wo jeweils ein gen.obi. vorliegt (s. Schelkle, Petrusbriefe 36 mit Anm. 1 und Mußner, Galaterbrief 68). Schon daher ist Schüßler Fiorenzas Interpretation abzulehnen, für die Johannes hier unter Bezug auf Gal 1,12.16 „his own experience as a Christian prophetic experience similar to the call-experience of Paul" charakterisiert (a.a.O. 126). Sie vernachlässigt zudem, daß in Apk 1,1-3 die für die Berufungs-Interpretation von Gal 1,16 maßgeblichen Motive aus Gal 1,15 fehlen. 46 Vgl. zur Interpretation Schlier, Epheser 77-79. 47 Umfassende Belege lassen sich dem Nag-Hammadi-Register entnehmen (koptische Begriffe Nr. 274C und 453A; Ableitungen vom griechischen Stamm GuroxaXimT- S. 216). Besonders interessant erscheint ein Passus der titellosen Schrift NHC XI 2, der von der Offenbarung handelt (23,31-26,21 u.ö.); weiterhin s. z.B. Evangelium Veritatis NHC I 3, 17,2; 27,5; 30,25; 37,6. 48 Vom Incipit her auch die Drei Stelen des Seth (zu diesen Texten s. bereits o. unter 2.1.1 mit der Anm. 30 genannten Literatur).

Die einführende Kenntlichmachung der Apk 1,1—3

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der verborgenen gnostischen Erkenntnis, die ihre Träger mit überweltlichen Instanzen verbindet. Der Text lautet (NHC V 5, 85, 19-31): „Dies sind die Offenbarungen (oui;oxaXin|H5), die Adam dem Seth, seinem Sohn, offenbart hat und über die sein Sohn seinen Samen unterrichtet hat. Dies ist die verborgene (ajtöxßixpov) Gnosis (yvwaic,) Adams, die er Seth gegeben hat, d.h. die (25) heilige Taufe derer, welche die ewige Gnosis kennen durch die Logosgeborenen und die unvergänglichen Phosteres, die hervorgegangen sind aus dem heiligen Samen Jesseus, [Maz]areus[, Jesse]dekeus, [...], die heilig sind." 49

Von dieser Auffassung unterscheidet sich die Apk nicht nur im christlich ausschließlichen Bezug der Offenbarung auf Jesus Christus. Vor allem negiert ihr Autor die Gleichsetzung von COTOxdXviJJig mit verborgener Erkenntnis. Nie benützt er die Worte yvcöoig und aJiöxQUcpog, obwohl - oder gerade weil! - er das Erkennen (yivoboxEiv) der „Tiefen Satans" polemisch ablehnt (Apk 2,24), sondern er schließt 22,10 umgekehrt die Versiegelung der Apk nicht nur gegen Dan 12,4, sondern auch gegen das gnostische Geheimhaltungsmotiv demonstrativ aus (vgl. z.B. Apokrjoh NHC II 1, 31,28-32,1 und die Versiegelung der Himmelsbriefe OdSal 23,5-9; ActThom 1 1 1 = Perlenlied 49.54). Er ist also sicher kein früher Gnostiker, wozu ihn Gegner der Apk mit der Deutung seines Namens Johannes als Pseudonym Kerinths machten (s. bes. Euseb, h.e. VII 25,2; vgl. das Gaius-Referat III 28,2). Aber die umgekehrte Interpretationsperspektive kann sich bewähren, wonach er sich in seinem Werk — neben anderem - von (früh)gnostischen Tendenzen absetzt, die bei seinen Adressaten wirksam werden oder bereits wirksam sind. Er entkräftet dann deren esoterischer Erkenntnisvermittlung dienende Offenbarungen durch die Bezeugung einer autoritativ ihm zuteil gewordenen Offenbarung Jesu Christi, hinter der Gott selbst als der Offenbarungsgeber steht. Diese Interpretationsperspektive flihrt Ansätze der neueren Forschung fort, die auch ohne Detailanalysen von Apk 1,1-3 verstärkt aufgnostisierende Tendenzen bei den von der Apk bekämpften Gegnern aufmerksam macht und jüngst sogar die Apk selbst nicht mehr ganz gnosisfern sieht 50 . Aufgrund des vorgelegten Befundes stellt sich weiter die gewichtige Rückfrage, ob nicht schon die Ausprä49 Übersetzung nach Böhlig in Koptisch-gnostische Apokalypsen 117. Die Identifikation der Gnosis mit der Taufe zeigt eine Spiritualisierung der Kulthandlung, vielleicht sogar einen antirituellen Akzent an (s. Beltz, Adam-Apokalypse 197). Eine neuere Untersuchung zum Offenbarungsverständnis der gnostischen Strömungen fehlt. Die bislang m.W. einzige Monographie zum Thema legte Liechtenhan 1901 vor. Nach ihm ist OfTenbarung eine zentrale Kategorie zum Erfassen der Gnosis, da die Gnostiker sich gerade in den wichtigsten Fragen auf OfTenbarung(en) berufen (Ergebnis 162-164). Diese AufTassung dürfte durch die neuen Texte eine vertiefte Absicherung erfahren. 50 S. für die Gegnerfrage Schüßler Fiorenza, Apocalyptic passim; Prigent, L'hérésie bes.

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Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk

gung des OfFenbarungscharismas im Umkreis der paulinischen Gemeinden vor der Abfassung der Apk im Spannungsfeld aufkommender gnostischer Tendenzen zu sehen ist. Ist eine endgültige Entscheidung aufgrund des gegenwärtigen Forschungsstandes 51 auch nicht möglich, so ist doch auffällig, daß Paulus das Charisma gerade für Korinth bezeugt (1 Kor 14,26), wo ein Wirksamwerden der frühen Gnosis besonders wahrscheinlich ist, daß ferner djioxaX/uipig im Eph (1,17) gerade mit oocpia und eiriyvcooig zusammengestellt ist. Es muß daher ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß die Offenbarungsvorstellung christlich bereits früh für protognostische Tendenzen offen oder sogar durch solche angeregt war, ohne daß damit die jüdischen Wurzeln der Vorstellung grundsätzlich in Frage gestellt werden müßten.

2.1.2.2

Die Standpunktbestimmung des Apk-Autors in seiner spezifischen Aufnahme alttestamentlicher

Traditionen

Bildet die Absetzung von der Gnosis einen wichtigen Interpretationshorizont für die Apk, so ist es von besonderem Belang, wie deren Autor demgegenüber seinen eigenen Standpunkt bestimmt. Erste Hinweise darauf kann die Eigenart seiner Bezugnahme auf die alttestamentlichen Traditionen von Am 3,7 und Dan 2,28f.45 im Incipit geben. Am 3,7 (LXX) ist ein in das Amosbuch nachträglich eingeschobener deuteronomistischer Lehrsatz, der Gott bindet: Alles, was er tue, offenbare er zuvor seinen Knechten, den Propheten, die es so als Warner verkündigen können, „um noch eine Umkehr möglich zu machen." 52 Die beiden Dan-Stellen stehen am Beginn und Ende der Rede 2,27-45, in der Daniel die Standbildvision Nebukadnezzars deutet. Sie stellen heraus, daß Weise, Wahrsager usw. das Geheimnis nicht enthüllen können, nach dem der König frage (2,27). Aber es sei ein Gott im Himmel, der Geheimnisse enthülle (erst 0 setzt dafür äjtoxaX,\)JiTU)v). Er lasse den König wissen, was geschehen müsse (a ÖeI yeveo'frca) in den letzten Tagen (LXX, © 2,28) bzw. nach diesem ( 0 2,45.vgl.29).

8ff. und ders., L'Apocalypse 374f. Barrett, Gnosis sucht über die Gegnerfrage (zu dieser 127-129) hinaus positive Bezüge der Apk zur Gnosis (129-135). Seinem Ergebnis - „it would not be wrong to say that it [ = Rev] contained the true gnosis" (135) - ist von der oben vorgeschlagenen Interpretationsperspektive her nur zuzustimmen, sofern über Barrett hinaus beachtet wird, daß die „true gnosis" der Apk ihre Adressaten nach dem Willen des Apk-Autors gerade von der Gnosis wegfuhren soll. 51 So fehlt eine befriedigende Erörterung der OfFenbarungsäußerungen in Korinth etwa den beiden - sehr verschiedenen (vgl. Dautzenberg, Zur urchristlichen Prophetie passim) größeren deutschen Arbeiten zur urchristlichen Prophetie gleichermaßen: U. B. Müller, Prophetie zielt zur Eruierung der Lage in Korinth nur auf die Linie zur hellenistischen und jüdisch-hellenistischen Prophetenvorstellung ab (31-37), Dautzenberg, Urchristliche Prophetie dagegen nur auf die jüdisch-apokalyptischen Wurzeln des dortigen Charakters der Prophetie (so geht er auch 217 ff. auf keine gnos tischen Belege der OfFenbarungsvorstellung ein). 52 W.H. Schmidt 185ff. (Zitat 187); Wolff, Dodekapropheton 2,225f.

Die einfuhrende Kenntlichmachung der Apk 1,1-3

101

Die wörtlichen Anklänge von Apk 1,1 an Am 3,7 wie an D a n 2,28f.45 sind gering. Das ist insofern auffällig, als auf beide Stellen im Fortgang der Apk noch einmal und genauer Bezug genommen wird: In 10,7 erscheint die 1,1 fehlende Ergänzung JTQO(pfjTai von Am 3,7, und in 4,1 die in 1,1 durch ev t a x e i ersetzte Formulierung ftetd ToriJta von D a n 2,45vgl.29 0 . Die Abweichungen gegenüber den Vorstellungen von Am 3,7 und D a n 2,28 f.45 in Apk 1,1 sind d e m n a c h nicht zufallig, sondern f ü r die Aussageintention des Apk-Autors genauso bezeichnend wie der Rückgriff auf die alttestamentlichen Stellen als solcher. a) Die Anspielung auf Am 3,7 ü b e r n i m m t von dort lediglich den G e d a n ken, d a ß Gott die von ihm bestimmten Ereignisse zuvor seinen K n e c h t e n enthülle. Dabei hält der Apk-Autor die Satzkonstruktion so offen, d a ß ebenso von K n e c h t e n J e s u Christi wie Gottes die Rede sein kann 5 3 . Beides aber dient frühchristlich - in der paulinischen Tradition wie der Apk - zur allgemeinen Benennung der Christen 5 4 , so d a ß sich eine E n t s c h r ä n k u n g der in Am 3,7 vorgestellten Empfänger der O f f e n b a r u n g Gottes auf alle Christen - in den Adressatengemeinden der Apk und d a r ü b e r hinaus ergibt 5 5 . Die E i n f ü h r u n g der Person des J o h a n n e s wird dem nachgestellt und bis zur Knechts-Bezeichnung parallelisiert 5 6 , charakterisiert diesen also als seinen Adressaten in der Knechtschaft Gottes bzw. J e s u Christi verbundenen exemplarischen Offenbarungsempfanger, ohne ihm einen besonderen Prophetenstatus zu geben. Auch wenn er das von ihm geschriebene Werk dem Inhalt nach als JtQoqpr^teia versteht (1,3), verkündigt er diese nach 1,1-3 seinen Adressaten nicht in prophetisch-apostolischer Autorität 5 7 , sondern tritt er lediglich als sich mit seiner eigenen Person verbürgender Zeuge für das Wort Gottes und das Zeugnis J e s u Christi auf. 'E[iaQTiJQr)oev 1,2 ist von der forensischen Grundbedeutung her zu verstehen, die den Gebrauch der Wortgruppe in der Apk gegenüber der späteren martyrologischen Verfestigung noch durchgängig trägt 58 , und meint daher nicht eigentlich das adressatenorientierte Weitersagen59, sondern das personale Verbürgen der 53

Mit Pesch, Offenbarung 18. S. Huß 133 fT. und Rengstorf, öoOXog 276ff.¡konsequent fügt die Apk 10,7; 11,18 bei Zuspitzung auf Propheten eine entsprechende Ergänzung bei. 55 Diese Deutung der „Knechte" setzt sich gegen diejenige auf Propheten (vgl. Am 3,7) in der Forschung zu Recht mehr und mehr durch (s. zuletzt Müller, Offenbarung 67). 56 Die hier also nicht wie 15,3 Ehrentitel eines Gottesknechtes im besonderen Sinne ist. Die darauf basierenden Schlüsse, hier sei „ein Inhaber des Prophetenamtes" gemeint (so Kraft, Offenbarung 21) bzw. hier charakterisiere Johannes seine Autorität ähnlich der der alttestamentlichen Propheten und der des Paulus (Schüßler Fiorenza, Apokalypsis 127), gehen über den Text hinaus. 57 Ein Verb des Verkündigens fehlt, im Unterschied auch zum Eingang des l j o h (1,2)! 58 S. bes. Trites, Witness 154-162. 59 In diese Richtung tendiert Pesch a.a.O. 22. 54

102

Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk

Wahrheit des Textes. Die nächste neutestamentliche Parallele ist J o h 21,24, wo der Lieblingsjünger Jesu als Bürge für den Inhalt des J o h in Anspruch genommen wird; aber auch in l j o h 1,2 klingt die Vorstellung an 6 0 . Ihr Traditionshintergrund ist in der jüdisch-zwischentestamentlichen Literatur zu suchen, die das Verständnis eines Textes selbst als Zeugnis belegt - so für den Baruchbrief in syrBar 84,7 - und äthHen 81,6 und J u b 4,18.19 das Niederschreiben der zu vermittelnden Inhalte durch einen Menschen (Henoch) und dessen ZeugnisAblegen gegenüber Menschen miteinander verbindet. Die Tradition reicht in die Gnosis hinein weiter, wie aus Pistis Sophia 71 (Kap. 43) mit dem Zeugen-Motiv nach Dtn 19,15 hervorgeht. D i e M o d i f i k a t i o n g e g e n ü b e r A m 3,7 ist a l s o erheblich: D e r A p k - A u t o r a n t w o r t e t a u f d a s E i n d r i n g e n g n o s t i s c h e r T e n d e n z e n in die v o n i h m als E m p f a n g e r g e d a c h t e n G e m e i n d e n n i c h t m i t der I n a n s p r u c h n a h m e d e r b e s o n d e r e n W a r n e r - A u t o r i t ä t eines der G e m e i n d e g e g e n ü b e r t r e t e n d e n P r o p h e t e n i m S i n n e d e s a n g e s p i e l t e n T e x t e s , s o n d e r n als e x e m p l a r i s c h e r E m p f a n g e r u n d Z e u g e der prinzipiell allen C h r i s t e n g l e i c h e r m a ß e n z u g e d a c h t e n O f f e n b a r u n g J e s u Christi. S e i n e Z u r ü c k h a l t u n g g e g e n ü b e r d e m T i t e l eines P r o p h e t e n - er v e r m e i d e t i h n b e k a n n t l i c h g a n z u n d greift a u c h a u f d a s z u g e h ö r i g e V e r b JtQOcprjTE'UEiv n u r e i n m a l in der W e l t i m T e x t ( 1 0 , 1 1 ) , n i c h t a u f der e x p l i z i t e n K o m m u n i k a t i o n s e b e n e zurück - ist ernst z u n e h m e n . Er d a r f erst d a n n in s e i n e m S e l b s t v e r s t ä n d n i s als P r o p h e t e i n g e o r d n e t w e r d e n , w e n n geklärt ist, w a s m i t e i n e m s o l c h e n S e l b s t v e r s t ä n d n i s g e m e i n t ist u n d w a r u m er sich t r o t z d e m nie so b e z e i c h n e t 6 1 . b) A u c h die Anspielung auf Dan 2,28f.45 p r ä g t der A p k - A u t o r b e d e u t s a m u m : D i e O f f e n b a r u n g J e s u Christi u n d G o t t e s d u r c h d i e s e n d i e n t i h m n i c h t d a z u , z u z e i g e n , w a s in d e n l e t z t e n T a g e n b z w . d a n a c h , s o n d e r n w a s - der G r u n d b e d e u t u n g v o n t d x o g n a c h 6 2 — in e i l e n d e m A b l a u f , s c h n e l l 60 Zur Interpretation der Stellen s. Schnackenburg, Johannesevangelium III 446f. und ders., Johannesbriefe 54. 61 Hier ist nicht der Ort, die breite auf ein prophetisches Selbstbewußtsein des ApkAutors abhebende neuere Literatur auf die Befolgung dieses methodischen Grundsatzes durchzusehen. In jedem Falle aber ist Kraft zu widersprechen, sofern er seine These, der Verfasser der Apk fühle „sich als Fortsetzer und abschließender Ausleger der alttestamentlichen Prophetie" (OfFenbarung 16), ebd. 19 an unserem Abschnitt zu erproben versuchte: Die Am 3,7 ausgesprochene Erwartung wurde ihm „Voraussetzung", Dan 2,28f.45 „Vorbild" von Apk 1,1. Hinzu nahm er die Vorstellung der Wirkmächtigkeit der prophetischen Verkündigung und kam zu der Ansicht, „daß das prophetische Handeln als Zwischenglied zwischen Gottes Plan und seine geschichtliche Verwirklichung geschaltet ist. So wird auch das Weltende dadurch herbeigeführt, daß es durch den Mund der Propheten geweissagt wird. Dies ist der tiefere Sinn unseres Buches: ein Unternehmen, das das Weltende und das Gottesreich herbeifuhren soll, indem es sie verkündet." So faszinierend dieser tiefere Sinn der Apk wäre, aus ihrem Incipit ist er schon deswegen nicht zu entnehmen, weil dort die Vorstellung einer Wirkmächtigkeit des Johannes in seinem Zeugnis (nicht Verkündigung!) nicht einmal anklingt. Der Bruch zu der von Kraft beschworenen prophetischen Tradition ist größer als die Kontinuität. 62 S. Bauer, Wörterbuch 1597, der freilich in Apk 1,1 bereits eine ins Zeitliche übertrage-

Die einführende Kenntlichmachung der Apk 1,1-3

103

geschehen m u ß (Apk 1,1). D e m korrespondiert die abschließende Beg r ü n d u n g in 1,3, der eschatologische Zeitpunkt sei (auch räumlich) n a h e (eyyijg) 63 . Beide M a l e setzt er also in eigener Akzentuierung p r i m ä r lokale, nicht temporale Termini ein. So liegt an unserer Stelle nicht n u r — wie in der Forschung gern vertreten 6 4 - die Neuformulierung einer mit der jüdischen Apokalyptik der Sache nach geteilten, christlich zur BaldigstE r w a r t u n g zugespitzten, temporalen N a h e r w a r t u n g vor. Vielmehr beginnt schon hier die sprachliche - und zugleich religionsgeschichtliche Ö f f n u n g der Apk f ü r eine E r w a r t u n g der N ä h e Christi und des Eschatons im wörtlichen Sinn, für räumlich-eschatologische Vorstellungen also, wie sie sich etwa im analysierten Kommensmotiv der Sendschreiben fortsetzen und gerade den impliziten hellenistischen L e s e r n / H ö r e r n der Apk naheliegen müssen 6 5 . Der Apk-Autor bleibt freilich bei deren räumlichem Denken nicht stehen, sondern bringt - hier implizit, später explizit - temporale Akzente ein. Wie ihm nämlich in den Sendschreiben das endparusiale K o m m e n J e s u besonders wichtig ist, so wählt er schon an unserer Stelle mit EVT&XEI und iyyvc, Ausdrücke, die leicht in ein zeitliches Verständnis weitergeführt werden können. Dorthin aber lenkt er seine Adressaten, wenn er in der N e u a u f n a h m e der Anspielung auf D a n 2,29.45 an der Nahtstelle von 4,1 für sie neu wie © von dem spricht, was zeitlich d a n a c h geschehen soll. Ein den Apk-Autor von seinen Adressaten theologisch a b h e b e n d e r Bezug zur jüdischen Apokalyptik tritt hervor, den weitere Indizien erhärten: Die O f f e n b a r u n g J e s u Christi hat den Verben des Zeigens und Sehens in 1,1 f. nach Visionscharakter; durch eine Himmelsvision aber werden die j ü disch-apokalyptischen Werke geprägt. Der Engel Gottes bzw. J e s u Christi, der die O f f e n b a r u n g an J o h a n n e s vermittelt, findet im dortigen Deuteengel seine Entsprechung, und das göttliche M u ß , das nach 1,1 das

ne Bedeutung vorliegen sieht. Doch beachte man, daß auch Taxv in der Apk nur in Verbindung mit dem lokalen Verb EQX£o^ai- erscheint (2,16; 3,11; 11,14; 22,7.12.20) und dem Apk-Autor für eine eindeutig temporale Bestimmung die Wendungen EMEÜ); und HlxQÖv xpövov zur Verfügung gestanden hätten (vgl. 4,2; 6,11; 20,3 und noch 10,6 und 2,21). 1,1 darf also nicht vorschnell temporal interpretiert werden. 63 Zu xaiQÖg s. H.W. Günther, Nah- und Enderwartungshorizont 66 und Pesch, Offenbarung 28, zur Wortgruppe Eyyvg xtX. Preisker, eyyvq bes. 329f. 64 S. z.B. Pesch a.a.O. 19f. und H.W. Günther a.a.O. 61 ff. 65 Vgl. o. unter 1,2.2.2 b). Neuerdings wird sogar die angebliche Parallelität des Adverbs „schnell" Apk 1,1; 2,16 usw. zu der „schnell, schnell"-Schlußwendung der ägyptischen Zauberpapyri betont (Aune, Magic 1555), die die Apk noch viel tiefer im Hellenismus (und seinen magischen Praktiken) verankern würde. Aber vor solchen Uberinterpretationen ist zu warnen: Das Adverb ist in der Apk anders als in den Belegen der PGrM und bei Wortmann 64 u. ö. nirgends magische Herbeirufung einer Zauberwirkung, entsprechend auch nie gedoppelt und als Schlußwendung gebraucht.

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Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk

eilends zu Geschehende bestimmt, läßt an den dortigen Determinismus denken 66 . So gewiß daher an der persönlichen Verbundenheit des Apk-Autors mit der jüdisch-apokalyptischen Tradition nicht zu zweifeln ist, bleibt doch weiterhin die Kommunikabilität der von ihm aufgenommenen Fragestellungen und Motive apokalyptischer Tradition auch in eine nichtjüdische hellenistische Umwelt zu beachten: Deren - mit deterministischen Vorstellungen verbundenes 67 - Interesse am Vorherwissen der Zukunft bezeugen schon die Orakelstätten, in Kleinasien besonders Didyma und das etwas später zur Blüte kommende Klaros; es steigerte sich zum 2.Jh. n.Chr., in dem sich (nach Lukian, Alexander 8) sogar ein Falschorakel errichten ließ. Was die Visionshinweise angeht, ist das Sehen griechisch allgemein hochgeschätzt, öeixvuvai dort für das Sehenlassen von Visionen, ormaiveiv sogar als ausgesprochener Terminus der Orakelsprache belegt 68 . Schließlich sind hellenistisch irdische wie himmlische ayyekoi vorstellbar, in deren Kontext sich die Vorstellung des Offenbarungs- und Deuteengels von Apk 1,1 kommunizieren läßt, so gewiß sie ungriechischer Herkunft und daher das sicherste Indiz für die Verankerung des ApkAutors in jüdisch-apokalyptischen Traditionen ist 69 . c) Wie in der Aufnahme von Am 3,7 beobachtet, schlägt im Umgang des Apk-Autors mit der alttestamentlich-jüdischen Tradition ein entschieden christlicher Impetus durch. Dem entspricht es, daß er sein Werk 66 Zum Bereich der Himmelsvision s. Collins, Pseudonymity 329 und Pesch a.a.O. 18,24, zum Angelus interpres Schäfer, Rivalität 10-18, zum Determinismus Collins a.a.O. 339. Die Behauptung der OfFenbarungsmitteilung durch den Engel Gottes bzw. Jesu Christi in Apk 1,1 bereitet übrigens Schwierigkeiten, wenn man mit Bousset, Offenbarung 182 einen solchen Engel im Fortgang der Apk erst 10,1 ff. eine vorübergehende und ab 17 eine gewichtigere Rolle spielen sieht, ihn aber bis dahin vermißt (so in neuerer Zeit auch z. B. Pesch a.a.O. 21 und Prigent, L'Apocalypse 25). Diese Auffassung beruht jedoch auf einer Identifizierung der Stimme von 1,10 mit der des Menschensohnes (s. Bousset a.a.O. 193), die nicht haltbar ist: Die Posaunenstimme wird 4,1 als erste Stimme von der des Menschensohnähnlichen unterschieden, die 1,15 anders der Stimme vieler Wasser verglichen wird. Mit Hadorn 25 und Lohmeyer, Offenbarung 15 (vgl. z. B. Mantel 61 und Cerfaux/Cambier 20) ist die Stimme von 1,10 (und 4,1!) also als die eines Engels aufzufassen, der sich mit dem ofTenbarungsübermittelnden Engel von 1,1 identifizieren läßt. Dann aber trägt die dortige Konzeption, daß der Engel Gottes bzw. Jesu Christi Johannes die Offenbarung zeige, auch die Durchfuhrung der Apk vom Beginn bis zum Ende ihres Visionscorpus, ohne für die Einzelgesichte nochje gesondert eingeführt werden zu müssen. 67 S. etwa Grundmann, öei 22 und Berger, Frage 75 mit Anm. 36 (Lit.). 68 S. Michaelis, öodo) 319-324; Schlier, T]T£ia (wieder m i t e i n e m N o m e n actionis!) - also z u n ä c h s t als V e r k ü n d i g u n g s - / W e i s s a g u n g s h a n deln u n d erst d a v o n abgeleitet als inhaltliche u n d schriftlich n i e d e r g e l e g t e Prophetie - ist k o n s e q u e n t an die B e z e u g u n g s h a n d l u n g J e s u g e b u n d e n ; w i e 19,10 expliziert, ist diese der in der „ P r o p h e t i e " w i r k s a m e G e i s t 7 2 . J e s u s Christus trägt also als der selbst sich darin B e z e u g e n d e die v o n J o h a n n e s e r f a h r e n e u n d s e i n e r s e i t s in v o l l e m p e r s ö n l i c h e m

Eintreten

b e z e u g t e O f f e n b a r u n g . D i e A p k k a n n daher nicht bei einer subordinatian i s c h e n Christologie s t e h e n b l e i b e n , wie sie in der F o r m u l i e r u n g d e s Relat i v s a t z e s 1,1 a n k l i n g t , s o n d e r n k o o r d i n i e r t J e s u s C h r i s t u s u n d G o t t s o f o r t - d i e d o p p e l t e B e z i e h b a r k e i t d e s z e i g e n d e n S u b j e k t s i n V . 1 ist e b e n s o gezielt wie die Beiordnung des Wortes Gottes und des Zeugnisses J e s u Christi V. 2 - , j a identifiziert sie i m F o r t g a n g tendenziell73. So ergibt sich f ü r A p k 1,1 f. i n s g e s a m t e i n b e m e r k e n s w e r t e s S y n d r o m v o n c h r i s t l i c h e n Impulsen,

persönlicher V e r w u r z e l u n g des A u t o r s in

alttestamentlich-

jüdischen Traditionen und Ausrichtung der K o m m u n i k a t i o n an Adressaten hellenistischer Prägung. D i e Z u o r d n u n g der A p k zur

christlichen

O f f e n b a r u n g s l i t e r a t u r als briefliches Werk b e g i n n t s i c h in i h r e n K o o r d i -

70 Vgl. zur Wortbildung S t r a t h m a n n , (iCtßTOg 480. D a ß an unserer Stelle eine gen. subi.Konstruktion vorliegt, ist wegen der Parallelität zu „Wort Gottes" und wegen des nicht anders zu erklärenden Gebrauchs der Wendung in 12,11; 6,9 und 11,7 weithin anerkannt (s. bes. Trites, Witness 156fF.). 71 Vgl. Kittel in Debrunner u.a., Xeyw 126; etwas unschärfer, aber sachlich noch richtig Pesch a.a.O. 23. K r a f t verkürzt, zu sehr von l j o h 1,1-4 her interpretierend, auf „die in Tod und Auferstehung J e s u Christi sichtbar gewordene und so von Christus bezeugte Aufersteh u n g der Toten" (OfFenbarung 22). 72 Zu JTQO(pT]TEia als Nomen actionis vgl. Apk 11,6 und allg. K r ä m e r in ders. u.a., Jtpocpf|TT}5 784; zum Z u s a m m e n h a n g mit dem Zeugnis (Jesu Christi) Trites a.a.O. 157, Pesch a.a.O. 23. Die Vorstellung des Geistes der Prophetie entwickelt sich auch im J u d e n t u m (fiir die rabbinische Literatur umfassend durch Schäfer, Vorstellung bes. 2 3 27,63-70 nachgewiesen), ist an unserer Stelle aber durch die Inblicknahme von Jesus aus ganz christlich geprägt. 73 S. etwa die Ü b e r t r a g u n g des Gottesprädikats von 1,8 auf J e s u s in 22,13. Das Ausziehen von Linien der OfFenbarungsweitergabe etwa von Gott über Christus, den Engel etc. zu den Christen (so C e r f a u x / C a m b i e r 15) kann d a h e r dem Befund von Apk 1,1-3 nicht voll gerecht werden. (Eine komplexere - doppelte - Offenbarungslinie behaupten Lohmeyer, O f f e n b a r u n g 6, Satake, Gemeindeordnung 98 und Müller, Offenbarung 67).

106

Lesevorgang: Die Kommunikationsstruktur der Apk

naten von Position des Autors und Position der (impliziten) Adressaten zu füllen.

2.1.2.3

Der Rezeptionshinweis

im

Makarismus

Das Incipit läuft in einen Makarismus aus. Wie die übrigen Makarismen der Apk ist er in der dritten Person gehalten und spricht auf diese Weise zwar nicht ausdrücklich, doch indirekt unabweisbar die Adressaten der Apk an. Im Rahmen der Abschlußsätze der Incipits frühchristlicher und christlich-gnostischer Offenbarungsliteratur setzt er schon durch die Wahl seiner - übrigens griechisch-hellenistisch ebenso wie alttestamentlich-jüdisch und gnostisch vertrauten - Form 7 4 einen Akzent: Im Nachsatz eschatologisch motiviert, verbindet er die Zusage des Seligseins mit einem dieses bedingenden Anspruch, der darauf zielt, das im Lesen und Hören erfolgende Vernehmen des Gehalts der (prophetischen) Verkündigung der Apk und weitergehend das Festhalten daran zu erreichen 75 . Das Motiv des ttiqeiv ist syntaktisch gesondert und dadurch hervorgehoben; es erscheint im korrespondierenden Makarismus 22,7 gar alleine, so daß in ihm ein besonderes Anliegen des Apk-Autors vorliegen muß. Er gebraucht dieses Verb von der Grundbedeutung „achtgeben, bewachen" aus und setzt es daher 16,15 - unübertragen, wenn auch in metaphorischem Zusammenhang - für das schützende Bewachen von Gewändern ein 76 . Ubertragen meint er mit ihm ein Festhalten, das sich gegenüber alternativen Möglichkeiten bewährt: ein Festhalten am Wort Jesu - nach 3,8 ausdrücklich gegenüber der Möglichkeit, seinen Namen zu verleugnen (vgl. sachlich 3,10a); ein Festhalten ferner an den von Jesus vollbrachten (Heils-)Werken (2,26) 77 , am Empfangenen 74 Zur Form (in der eine indikativische Hilfsverbform zu ergänzen ist) s. allg. Strecker, (xaxäQio; 926 ff. (925 f. Lit.) und Giesen 191-195. AufTälligerweise haben die gnostischen Belege in der Literatur bislang noch kein Interesse gefunden (auch in der Diss. G.Chr. Köhlers nicht, zu der mir nur das Referat in ThLZ 101 (1976), 77-80 zugänglich wurde). Markantes Beispiel am Eingang eines Briefes ist die Seligpreisung derer, die durch den Glauben an die mitgeteilte (Geheim-) Lehre erlöst werden, in der Epjac apocr. (NHC I 2 1,26-28). Weitere Belege (ab a.a.O. 3,17ff.) sind über Nag-Hammadi-Register S.267 auffindbar. 75 Vgl. namentlich die vorläufige Besprechung des Makarismus beim Vergleich mit syrBar o. unter 1.2.1.1. Er ist also keinesfalls „nichtssagend" (gegen Kraft a.a.O. 23).

76

77

Vgl. Riesenfeld, uiqeco 139,143.

Gegen die Werke der Isebel (2,22). Es ist nicht nötig, über den Text hinauszugehen und die Werke Jesu auf die von Jesus vorgelegten, verordneten und daher von den Gläubigen zu vollziehenden bzw. zu haltenden Werke hin zu interpretieren (so Hadorn 55) oder TTigeiv xa ecr/a |iou als „eine kühne, johanneisch gefärbte Kombination aus ttiqeiv xctg evxoXa? nou und Jtoieiv xa EQya |ioi>" aufzulösen (so Lohmeyer a.a.O. 29, dem etwa Riesenfeld a.a.O. 145 folgt; vgl. auch Kraft a.a.O. 71). Da egyov mit einem genitivischen Pronomen oder personalen Nomen in Apk 2,2.6.19.23; 3,1.2.8.15; 14,13; 16,11; 18,6; 20,12.13; 22,12; vgl. 9,20 unbestreitbar das von der bezeichneten (Kollektiv-) Person vollzogene Werk meint und entsprechend 15,3 auch Gott für die von ihm vollzogenen großen und

Die einfuhrende Kenntlichmachung der Apk 1,1-3

107

und Gehörten (3,3), an den Geboten Gottes und dem Glauben an Jesus (14,12; vgl. 12,17). Ein Akzent des Schützens tritt hinzu, wenn 3,10 die Zusage der Bewahrung vor der Stunde der Prüfung enthält.

Nach diesem begrifflichen Befund ist TT]peIv an unserer und den verw a n d t e n Stellen (22,7.9) spezifischer zu verstehen denn n u r als „Gesamtbezeichnung für ,gläubiges Verhalten'" 7 8 : Es geht d a r u m , die Worte der Prophetie, die in der Apk niedergeschrieben sind, in ihrem Gehalt „gläubig zu bewahren und vor Fälschung zu h ü t e n " 7 9 ; m a n beachte, d a ß 22,18f. nicht weit nach den zu 1,3 korrespondierenden Ausfuhrungen in 22,7.9 eine außerordentlich harte W a r n u n g vor Änderungen a m Text der Apk erfolgt. Das heißt aber, d a ß der Apk-Autor mit der Möglichkeit rechnete, d a ß sein Werk bei seinen Adressaten nicht nur sichere Anerkennung, sondern auch Widerspruch und gegebenenfalls Verfälschungen erfahren könnte. Der Kreis schließt sich zu den antignostischen Implikationen seiner Berufung auf eine vollmächtige OfFenbarungJesu Christi in 1 , 1 - die Situierung der Apk in einem konkreten Spannungsfeld zwischen Christentum und Gnosis gewinnt an Wahrscheinlichkeit. Dieses Spannungsfeld wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, welchen Anspruch der Vermittlung von Erlösung gnostisch-hermetische Texte sogar im zu Apk 1,3 analogen Makarismus erheben können 80 , daß weiter auch sie die strenge Einschärfung kennen, den Gehalt eines Textes gegenüber Alternativmöglichkeiten festzuhalten. Die titellose Schrift NHC VI 6 aus wohl dem 2. Jh. n.Chr. 81 geht dafür bis zu einem für oder auf das Buch zu schreibenden Eid - 62,22 f. bietet beide Übersetzungsmöglichkeiten - , der den Leser bei Himmel, Erde, Feuer, Wasser, Seinsherrschern, Geist, Gott usw. beschwört, das von Hermes (dem Offenbarer) Gesagte zu halten (63,16—24). Dem, der diesen Eid hält, wird die Aussöhnung Gottes zugesagt, dem Eidesbrecher aber der Zorn aller (63,25-30). So gewiß diese Stelle keinen Makarismus wie Apk 1,3 bietet, so verwandt ist das Sachanliegen, das freilich aus verschiedenen Lagern - in der Apk geradezu antihermetisch! - geäußert wird.

Keineswegs m u ß sich das Anliegen der Apk freilich im antignostischen Impetus erschöpfen. L a u t Dio Cassius L X I I 20.5 wird auch Nero bei seiner Rückkehr aus Griechenland mit einem (Selbst-) M a k a r i s m u s seiner Hörer begrüßt: Lepa