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German Pages 138 Year 1982
Die japanische Herausforderung Fernöstliche Mentalität und Strategie
Von
Willy Kraus
Duncker & Humblot . Berlin
WILLY
KRAUS
Die japanische Herausforderung
Wirtschaftspolitische Kolloquien der Adolf-Weber-Stiftung
Die japanische Herausforderung Fernöstliche Mentalität und Strategie
Von
Willy Kraus
DUNCKER & HUMBLOT/BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1982 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05281 1
Vorwort Das Ausmaß japanischer Konkurrenz und die Steigerung der Wirtschaftskraft des fernöstlichen Handelspartners haben überall in Europa, vor allem aber i n Deutschland, Bewunderung und Sorgen zugleich geweckt. Diese wirkliche Herausforderung der deutschen Wirtschaft läßt sich nicht allein m i t den herkömmlichen wirtschaftswissenschaftlichen Kategorien und Maßstäben erfassen und erklären. Übereinstimmung besteht darin, daß Geschichte, Mentalität und soziologische Lage des Inselvolkes v o n entscheidender Bedeutung für die japanischen Erfolge sind. Aus ihnen erwächst eine „Wirtschaftsphilosophie", die sich allerdings ebensowenig als solche nach Europa übertragen läßt wie viele Einzelrezepte fernöstlicher Erfolge. Dennoch muß all dies sorgfältig beobachtet und es kann eben doch auch i n manchem von dem gefürchteten Konkurrenten gelernt werden — anderenfalls könnte die japanische Herausforderung zur japanischen Gefahr für unsere Wirtschaft werden. I m Rahmen ihrer wirtschaftspolitischen Kolloquien hat die Adolf-Weber-Stiftung diese Frage i n einer Gesprächsrunde zwischen Vertretern von Wirtschaft und Wissenschaft behandelt, welche i m Oktober 1981 in Frankfurt stattfand. A n ihr haben neben Vertretern der Wirtschaftswissenschaft auch Japanologen teilgenommen. Das Referat hielt Professor D r . WillyKraus, Bochum. Sein erweitertes Referat und die Ergebnisse der Aussprache legt die Adolf-Weber-Stiftung als Band 9 der Reihe ihrer wirtschaftspolitischen Kolloquien vor. Adolf-Weber-Stiftung
Inhaltsverzeichnis
/.
Grundlagen und Antriebskräfte entwicklung 1. Besonderheiten zesses
des
der japanischen Wirtschafts-
japanischen
Industrialisierungspro-
2. Gemeinschaftsorientiertes L e i t b i l d 3. Idee der Familie als Grundlage zwischenmenschlicher Beziehungen i n den Unternehmungen 4. M o t i v a t i o n s s t r u k t u r u n d Verhaltensmuster
II.
Technologie- und Industriepolitik 1. Schließung der technologischen Lücke i n der ersten Nachkriegsphase 2. Übergang zu eigenen technologischen Entwicklungen
...
3. Forschung u n d Forschungsförderung 4. Formulierung u n d Durchsetzung der Technologiepolitik 5. Technologiepolitik u n d dualistische Industriestruktur 6. Technologische Vormachtstellung Japans?
III.
Handelspolitik 1. Japanische Exportoffensive nach den Ölkrisen 2. Z u m V o r w u r f des sozialen Dumpings 3. Zugang zum japanischen M a r k t 4. Yen-Kurs u n d Leistungsbilanz 5. Japan i n der W e l t der Wirtschaftsblöcke
...
8
Inhaltsverzeichnis
IV. Begegnung der japanischen Herausforderung 1. Lernen von Japan 2. Selbstkritische Überprüfung eigener Verhaltensweisen — Wiederverwendung bereits bewährter Maßstäbe 3. Japan u n d der Westen
V.
Zusammenfassung der Aussprache
93 93 99 102
110
1. Anstrengungen einer stets bedrohten N a t i o n
110
2.
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„ T o t a l e Effizienz"
3. Leistung aus Konsens oder Wettbewerb?
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4. Erfolge durch Planung u n d Staatsförderung?
121
5. V o r allem: F l e x i b i l i t ä t
124
6. K a p i t a l u n d A r b e i t — das fehlende Feindbild
127
7. U n d dies t r o t z bescheidenem Lebensstandard
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8. „Japans Bäume" — unaufhaltsames Wachstum?
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9. Was bleibt den Deutschen?
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I . Grundlagen und Antriebskräfte der japanischen Wirtschaftsentwicklung Europa und Amerika fühlen sich durch Japan herausgefordert, das in erstaunlich kurzer Zeit i n die Reihe der führenden Industrienationen aufgestiegen ist. Zunehmend erweisen sich japanische Unternehmungen auf zahlreichen Märkten als erfolgreiche Konkurrenten, i n einzelnen Branchen indessen bereits als überlegene Anbieter. Seit 1957 steht Japan i m Weltschiffsbau an der Spitze. Die japanische Eisen- und Stahlindustrie liegt an zweiter Stelle der Weltrangliste hinter der Sowjetunion. I n der Automobilproduktion hat Japan inzwischen die bisher unangefochten führenden Vereinigten Staaten überrundet. Dabei erreichte die Herstellung v o n Personenwagen i m Jahre 1962 kaum ein Achtel der damaligen deutschen Produktionszahlen. I n der synthetischen Faserherstellung nimmt Japan den zweiten Platz i n der Welt ein. Die chemische I n dustrie ist auf den dritten Platz hinter den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland vorgerückt. Die Produktion der japanischen Elektroindustrie liegt auf dem zweiten Platz. Japan ist inzwischen zur drittgrößten Welthandelsnation geworden. Es überflügelte zwischen 1968 und 1975 das Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Kanadas und wurde zur zweitgrößten Industrienation der freien Welt. I m Jahre 1980 erreichte das japanische Bruttosozialprodukt den beachtlichen Wert von 1 040 M r d . US-Dollar — und wenn nicht alles täuscht, so ist i n naher Zukunft der Zeitpunkt bereits absehbar, i n dem Japan m i t seinem Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt auch noch die restlichen Industrieländer einholen w i r d , vorausgesetzt, daß die bisherige Entwicklung nicht durch besondere Umstände jäh unterbrochen w i r d .
I. Grundlagen und Antriebskräfte
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Es liegt nahe, die gewaltige japanische Wirtschaftsexpansion m i t ihren Sonderheiten nicht nur mehr oder weniger detailliert wie global darzustellen, sondern auch wesentlichen U r sachen dieser Entwicklung nachzuspüren. Bei diesem Bemühen sollten allerdings ohne Mystifizierung wesentliche soziokulturelle und politische Sachverhalte ausreichend beachtet werden, deren Kenntnis davor bewahrt, Unvergleichbares miteinander zu vergleichen oder in Beziehung zu setzen. W i r d gegenüber stolzen japanischen Leistungsziffern die Frage nach den Schattenseiten des Wirtschaftswachstums aufgeworfen, so scheint es ebenfalls angebracht zu sein, nicht nur anhand europäischer oder amerikanischer Maßstäbe den Preis für den Fortschritt zu ermitteln oder gar kategorische Werturteile über Wachstum und Entwicklung i n Japan fällen zu wollen. W i r müssen uns bewußt sein, daß man sich in allen Teilen der Welt trotz Ausbreitung einer Massenzivilisation zunehmend auf eigene k u l turelle Werte besinnt, auf die Traditionsmasse, auf eigenständige Entwicklungen und geistig-kulturelle Kontinuität. Auch soziale Wertmaßstäbe sind an Kulturkreise gebunden. Es besteht kein Grund, alles auf dieser Welt m i t unserer eigenen, derzeit üblichen Elle zu messen. I m Jahre 1914 erschien in der von Georg Schanz herausgegebenen Reihe „Wirtschafts- und Verwaltungsstudien m i t besonderer Berücksichtigung Bayerns" die von dem ord. Professor der Universität K y ö t o Masao Kambe verfaßte Schrift „ D i e Entwicklung der japanischen Volkswirtschaft in der Gegenwart". Masao Kambe faßte das Ergebnis seiner Studie dahingehend zusammen: „ D i e gesamten Erörterungen führen zu der berechtigten Schlußfolgerung, daß die japanische Volkswirtschaft ununterbrochen m i t riesigen Schritten vorwärtsgekommen ist und daß sie in dieser Entwicklung i n gleichem Tempo fortfahren w i r d , da sie eine gute Grundlage hat 1 ." M a n würde heute kaum anders schreiben können. Auch w i r d man dem Verfasser beipflichten müssen, der dem Leser i n der Ein1
Leipzig 1914, S. 49.
I. Grundlagen und Antriebskräfte
leitung folgende Worte m i t auf den Weg gab: „Diese unglaublich schnelle, sprunghafte Entwicklung hat ein zweifaches zur Folge: einmal, daß man i n Europa Japan zu hoch und dann, daß man es zu gering einschätzt. Die richtige Beurteilung japanischer Verhältnisse ist wegen ihrer außerordentlich verschiedenartigen Gestaltung sehr schwierig, schwerer noch für einen Europäer, der alles generalisiert und daher häufig zu einem schiefen U r t e i l kommt, selbst wenn er einige Zeit i m Lande war2."
1. Besonderheiten des japanischen Industrialisierungsprozesses Japan hat als erstes — und lange Zeit auch als einziges — nicht-westliches Land erfolgreich einen Industrialisierungsprozeß abgeschlossen, obwohl die natürlichen Bedingungen für eine Industralisierung nicht sonderlich günstig sind. A u f kärglichem Boden ist die Bevölkerung in den schmalen Küstenstreifen dicht zusammengedrängt und hat sich gegen die immer wiederkehrenden Zerstörungen der Naturgewalten zu behaupten. Nahezu 120 M i l l . Menschen leben auf den japanischen Inseln m i t einer Fläche von ca. 372 000 qkm, während nur etwa ein Fünftel dieser Bodenfläche für Bebauung und Besiedelung geeignet ist. Japan verfügt nur in geringem Umfange über Bodenschätze. Rohstoffe müssen über weite Entfernungen herangeschafft, die Rohstoffversorgung muß langfristig sichergestellt werden. Der Übergang von der vorindustriellen in die industrialisierte Gesellschaft ist seit etwa 1890 fast schlagartig erfolgt. Japan benötigte nur wenige Jahrzehnte, um von der rückständigen, starren und autoritären Agrargesellschaft zu einer der führenden Industrienationen aufzurücken — aus eigener Kraft, ohne großartige Regionalprogramm, Unterstützung durch internationale Organisationen und ohne ein weltweites System der Entwicklungshilfe. Zwischen 1860 und 1913 wies 2
Ebenda, S. 7.
I. Grundlagen und Antriebskräfte
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die japanische Volkswirtschaft eine jahresdurchschnittliche Z u wachsrate von 4,1 Prozent des realen Volkseinkommens auf. Diese Zuwachsrate war höher als i n allen anderen vergleichbaren Ländern, m i t Ausnahme der U S A (4,3 Prozent). I m Zeitraum v o n 1913-1938 lag indessen Japan weit an der Spitze m i t einem jahresdurchschnittlichen realen Zuwachs von 4,5 Prozent gegenüber 2 Prozent i n den U S A , 1 Prozent i n Großbritannien, 1,1 Prozent in Frankreich und 1,3 Prozent i n Deutschland 3 . Japans Nachkriegswirtschaft hat v o m Beginn der fünfziger bis zum Ende der sechziger Jahre ein bis dahin fast unvorstellbares Wachstum m i t einer Durchschnittsrate von ca. 10 Prozent hervorgebracht. Zwischen 1970 und 1980 ist das jahresdurchschnittliche Wachstum des Bruttosozialprodukts auf 5,4 Prozent abgesunken. Auch Japan wurde nicht von den Auswirkungen der Ölkrisen verschont. Gleichwohl war es i n der Lage, wiederum die höchste Durchschnittsrate aller Industriestaaten zu erzielen. Diese imponierende Entwicklung m i t einem hohen Investitionsanteil — i m Durchschnitt der Jahre 1961 - 1970 wurden jährlich fast 37 Prozent des Bruttosozialproduktes investiert 4 — war nur möglich durch die unvoreingenommene Übernahme aller Errungenschaften des wissenschaftlich-technischen Zeitalters. Gleichwohl hat Japan seine eigene Überlieferung, seine i n K u l t u r und Geschichte gewachsenen und gepflegten Normen und Werte weitgehend beibehalten. Traditionelle Bindungen bestehen nicht nur auf dem Lande weiter. Der über Jahrhunderte bewahrte eigenständige Lebensstil ist weiterhin fest ver8 M i y o h e i Shinohara, Wirtschaftliche Entwicklung i n der V o r kriegszeit, i n : K a z u o O k o d i i u n d Yoshiro Tamanoi, Wirtschaft Japans. Wachstum u n d Strukturwandel. Düsseldorf 1973, S. 22. V g l . auch Lawrence K l e i n and Kazushi O h k a w a (ed.), Economic G r o w t h . The Japanese Experience since the M e i j i Era. Illinois, Nobleton, O n tario 1968, S. 10 i f . ; Kazushi Ö h k a w a and H e n r y Rosovsky, Japanese Economic G r o w t h , Stanford, Ca. — L o n d o n 1973, S. 27 if. 4
G . C. A l l e n , The Japanese Economy, L o n d o n 1981, S. 99.
I. Grundlagen und Antriebskräfte
wurzelt. Paternalistische Grundordnungen bestehen selbst in dynamischen Wirtschaftsbereichen. Traditionelle Formen der D o r f - und Familiengemeinschaft leben i n den modernen Unternehmungen, Nachbarschaften und Berufsgemeinschaften fort. Fremdeinflüsse werden zwar begierig aufgenommen. Aber sie werden nicht nur nachvollzogen, sondern den Überlieferungen gemäß durch eigenschöpferische Leistungen ergänzt oder umgeformt. Japan bietet jedenfalls i n Asien ein einrucksvolles B i l d einer kontinuierlichen Wirtschafts- und Sozialentwicklung, der die Symbiose v o n T r a d i t i o n und Fortschritt, Status und Leistung, Bewahrung der eigenen soziokulturellen Überlieferung und Übernahme des Lebensstils der modernen Industriegesellschaft wesentliche Impulse verliehen hat. Vielfach erfolgt sogar eine Wiederbelebung traditioneller Ausdrucksformen oder gar althergebrachter Ordnungen als Reaktion auf den Zusammenprall von japanischem und westlichem Lebensstil. Das ändert aber nichts an der zukunftsorientierten Grundhaltung: Die lebende Generation fühlt die Verpflichtung für kommende Generationen, trifft entsprechend langfristige Entscheidungen und ist auch bereit, die anfallenden Lasten der Zukunft wegen zu tragen — so, wie auch die Ahnen die Bürde der weitreichenden Vorsorge für die heute Lebenden auf sich genommen haben. Die Zukunftsorientierung hat zwar stets den Verlauf der Industriealisierung geprägt, aber i n Japan offenbar weitaus stärker als i n anderen Industrienationen.
2. Gemeinschaftsorientiertes Leitbild Das gemeinschaftsorientierte Leitbild des Meiji-Japan ist nach wie vor lebendige Wirklichkeit und findet seinen Niederschlag i n der engen Verbindung von Staat, Wirtschaft und P o l i t i k wie i n der paternalistischen Unternehmungsorganisation. Die Entwicklung der N a t i o n wurde zum selbständigen, sozialen Ziel, die Idee der gottgewollten nationalen Einheit zum vorrangigen Wert. Entscheidender Anstoß zur Meiji-Restauration war die politische Reaktion unzufriedener Samurai auf die Ge-
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I. Grundlagen und Antriebskräfte
fährdung Japans durch ausländische Mächte. I h r nationalpatriotisches Bewußtsein bestärkte sie in der Auffassung, daß die bestehende Gesellschaft nicht in der Lage war, erfolgreich Widerstand gegen die ausländische Bedrohung zu leisten. So vollzog sich der gesellschaftliche Umbau — eng verbunden m i t die Wiedererrichtung der Tennö-Herrschaft — unter der Zielsetzung, die unabhängige Existenz Japans weithin zu sichern. Grundvoraussetzungen hierzu bildeten i n den Augen der Reformer ein stabiles politisches System, ein technisch geschultes V o l k und ein fortschrittliches Industriesystem. Wenn auch die A k t i v i t ä t der Samurai bei der Durchsetzung des wirtschaftlichen Fortschritts besonders augenfällig war, so traten dodi nach und nach, insbesondere nach Überwindung der schwierigen Anlaufphase, weitere Trägergruppen hinzu. Städtisches Bürgertum, Händlerfamilien und Angehörige des gehobenen Bauernstandes leisteten zusätzlich Beiträge zur Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Aber auch die breiten Schichten fühlten sich aufgerufen, zum Wohle Japans zu handeln und in nationaler Disziplin und Solidarität alle Entbehrungen i n K a u f zu nehmen. Konkretes Leitbild der japanischen w i r t schaftlichen Entwicklung wurden das Ansehen und der Zusammenhalt der N a t i o n sowie die Wahrung der nationalen U n abhängigkeit. Der Wohlstand des Einzelnen war dem umfassenden Wohle der japanischen Gemeinschaft unterzuordnen. Wirtschaftliche A k t i v i t ä t wurde nicht an der privaten, sondern an der sozialen Grenzproduktivität ausgerichtet 5 . Staat und Tennö, Bürokratie und Fachleute i m Dienste des Staates haben bisher von ihrer traditionell angestammten Wertschätzung wenig eingebüßt. Die Dreiheit von Politikern, Geschäftsleuten und Bürokraten gilt i n breiten Bevölkerungsschichten Japans als grundlegend für die wirtschaftlichen Erfolge des Landes. Bei der Durchsetzung nationaler staatspoli5 V g l . Gustav Ranis, The C o m m u n i t y Centered Entrepreneur i n Japanese Development. Explorations i n Entrepreneurial H i s t o r y , V o l . V i l i , N o . 2 (December 1955), S. 93.
I. Grundlagen und Antriebskräfte
tischer Ziele sind alle Gruppen bereit, große Opfer zu erbringen. Auch für die Wirtschaft sind politische Ziele bestimmend. Der Staat ist nicht Antipode, sondern Partner. Die Dominanz politischer Ziele i m Wertesystem der Japaner bewirken eine enge Verzahnung von Staat und Wirtschaft und ein Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Wirtschaftsverbänden. Die staatliche Bürokratie sieht in den Unternehmern den eigentlichen Träger der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Unternehmungen betrachten wiederum die staatliche Bürokratie als qualifizierten wie kompetenten Partner. So sind staatliche W i r t schaftspolitik und private Unternehmungspolitik aufeinander abgestimmt. Die gegenseitige Durchdringung von Staat, W i r t schaft und Politik ist auch dadurch gekennzeichnet, daß einerseits mächtige Unternehmerverbände und Unternehmungsgruppen Einfluß auf die politischen Entscheidungen nehmen, während andererseits die Regierung trotz liberaler Grundsätze und Beachtung der Prinzipien des Privateigentums tief i n den W i r t schaftsablauf eingreift. Das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie ( M I T I ) und das Finanzministerium übernehmen wirtschaftliche Lenkungs- und Kontrollfunktionen. Das staatliche Planungsamt ist für die langfristige wirtschaftliche Gesamtplanung und für die Vorausschätzungen der Produktions- und Bedarfsentwicklung verantwortlich. O b w o h l diese Zahlen nicht vollzugsverbindlich sind, werden sie von den Unternehmungen bereitwillig übernommen. Auch werden ganze Produktionszweige auf staatliche Initiative hin auf- und ausgebaut. Durch Einflußnahme auf den K a p i t a l m a r k t n i m m t die Regierung die Möglichkeit zur Investitionslenkung wahr®. Uber die „administrative guidance" macht die Regierung von zahlreichen Einflußmöglichkeiten Gebrauch, die zwar nicht i n einem Rechtssystem westlicher Prägung verankert sind, sondern auf festgefügten Traditionen beruhen und demnach weithin 6 V g l . Saburo O k i t a and Isamu M i y a z a k i , The Impact of Planning on Economic G r o w t h i n Japan, i n : Development Plans and Programms Studies i n Development N o . 1 der O E C D , Paris 1964, S. 42 ff.
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I. Grundlagen und Antriebskräfte
wirksam sind. Unternehmer sind zur Zusammenarbeit m i t der Regierung auch meist bereit, zumal diese bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten um Abhilfe bemüht ist 7 . Das heißt aber nicht, daß der Staat befiehlt oder daß die Wirtschaft blindlings seinen Intentionen folgt. Als zu Beginn der 1960er Jahre immer stärker der japanische Automobilexport Gegenstand der längerfristigen Unternehmungs- wie auch der staatlichen Wirtschaftsp o l i t i k wurde, empfahl das M I T I die Fusion von acht japanischen Automobilproduzenten und entwarf zu diesem Zweck das „Gesetz zur Förderung bestimmter Industrien". A u f diese Weise hoffte man, Wettbewerbs vorteile der europäischen und amerikanischen Automobilindustrie aufholen zu können. Die japanische Automobilindustrie vertraute indessen auf ihre eigene Kraft und Fähigkeit und lehnte die Fusionspolitik des M I T I ab 8 . Der Staat überläßt es der Wirtschaft, ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Er ebnet lediglich die Wege und lenkt durch Rat und H i l f e , Informationsaustausch und Empfehlungen, Gewährung und Entzug v o n Finanzhilfen, öffentliche M i t t e l erhalten jene, die zur Erfüllung der nationalen Ziel beitragen, die Wachstumsbereiche — und nicht die Schwachen.
3. Idee der Familie als Grundlage zwischenmenschlicher Beziehungen in den Unternehmungen Die Idee der Familie, des „Hauses" (Ie), das die Ehegatten, ihre Nachkommen, Verwandte und sonstige nicht blutsverwandte Mitglieder zu einer sozialen und wirtschaftlichen Einheit unter der Leitung des Hausherrn, des Töshu, zusammenschließt, bestimmt auch heute noch die Grundstruktur zwischenmenschlicher Beziehungen i n den Unternehmungen. 7 Einen Ausnahmefall bildet der Zusammenbruch des Stahlkonzerns Sanyo i m Jahre 1965. Offenbar auf einen W i n k der Regierung h i n wurden seitens der Banken keine Stützungsaktionen vorgenommen. 8 Tsunehiko Y u i , Beziehungen zwischen Regierung u n d U n t e r nehmen u n d i h r Einfluß auf die Industrialisierung Japans, i n : D i e japanische Unternehmung, Tübingen 1975, S. 41.
I . Grundlagen und Antriebskräfte
Der Leiter eines Unternehmens ist gleichsam Oberhaupt einer Familie, das die Verantwortung auch für das persönliche W o h l ergehen eines jeden Mitglieds der Belegschaftsfamilie zu tragen hat. I h m bzw. dem Management obliegt nicht nur die permanente Anpassung an die wechselnden Marktverhältnisse. Seine wesentliche Aufgabe besteht darin, die Belegschaft für die U n ternehmung und ihre Zielsetzungen zu begeistern. Entsprechend der Fürsorgepflicht der Eltern ihren K i n d e r n gegenüber, übern i m m t die Unternehmungsleitung die Verantwortung für das persönliche W o h l der Belegschaftsmitglieder, die vielfach i n Form zusätzlicher Monatsgehälter am Betriebsergebnis beteiligt sind. Firmen gewähren ihren Belegschaftsmitgliedern nicht nur besondere H i l f e n bei Eheschließungen, Geburten, Krankheitsund Sterbefällen, sie fühlen sich auch verpflichtet, ihre M i t glieder i n allen persönlichen Angelegenheiten zu beraten und zu betreuen. Die hierarchische Ordnung erfordert von den Belegschaftsmitgliedern Treue und Ergebenheit der Leitung gegenüber. Wie i m „Hause" hat der Ältere ein Vorrecht vor dem Jüngeren. Dieses Prinzip bildet auch die Grundlage des innerbetrieblichen Tarifsystems. Der berufliche Aufstieg erfolgt nach dem Senioritätsprinzip. Lohnzahlungen wie Beförderungen von Arbeitern und Angestellten werden weniger auf der Grundlage des Leistungsprinzips, sondern nach Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, persönlicher Führung und Schulbildung vorgenommen. Unternehmensleitung u n d Belegschaft ist gemeinsam auferlegt, loyal für den Fortbestand und Ausbau ihrer Unternehmung Sorge zu tragen. Das Interesse der Unternehmung steht vor den Eigeninteressen der einzelnen Mitglieder. Unternehmensleitung, Arbeiter und Angestellte bilden verschiedene Teile der Unternehmungs-„Familie", die nur dann prosperiert, wenn ein harmonisches Zusammenleben aller Teile gewährleistet ist. Das Ansehen des Einzelnen leitet sich v o m Ansehen seiner Firma ab. Auch ohne Mitbestimmungs- und Betriebsverfas2 Kraus
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I . Grundlagen und Antriebskräfte
sungsgesetz ist eine umfassende Information der Belegschaftsmitglieder sowie eine Meinungsbildung und Entscheidungsfindung auf breiter Grundlage gewährleistet. Einsame Entschlüsse passen schlecht i n das B i l d des japanischen Alltags. Es gehört zur Eigenart der japanischen Gruppenstruktur, daß Arbeiter und Angestellte i n der Regel bestrebt sind, ihre berufliche Laufbahn dort zu beenden, w o sie diese begonnen haben. M a n fühlt sich seiner Unternehmung so verbunden, daß die Mitarbeiter zur Lebensaufgabe w i r d , genauso, wie die M i t glieder eines „Hauses" (Ie) ihr ganzes Leben lang diesem angehören. Günstigere Arbeitsbedingungen und bessere Entlohnung i n anderen Wirtschaftsbereichen bilden meist kein ausreichendes M o t i v zum Arbeitsplatzwechsel. Das gegenseitige Treueverhältnis verpflichtet dagegen die Unternehmer, ihren A r beitern die Arbeitsplätze zu sichern. I m Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten werden alle Anstrengungen unternommen, v o n Entlassungen Abstand zu nehmen. Gegebenenfalls werden Löhne und Gehälter gesenkt und die Arbeitszeiten gekürzt. Notfalls muß das Privatvermögen des Unternehmers herhalten, um die Lohnzahlungen an die Mitarbeiter fortzusetzen. Praktisch sind allerdings nur die Stammarbeiter der Großbetriebe unkündbar. Weitgehend außerhalb des Systems der „Beschäftigung auf Lebenszeit" stehen dagegen die nicht der Unternehmungs-wFamilie" angehörenden Gelegenheitsarbeiter, die zudem wie die Arbeiter der Klein- und Mittelunternehmen — und das sind 71 Prozent der i n der verarbeitenden Industrie beschäftigten Arbeiter — auch schlechter entlohnt werden. Bei anhaltendem Arbeitskräftemangel bietet sich allerdings den Gelegenheitsarbeitern die Möglichkeit, i n die Stammarbeitergruppe aufgenommen zu werden. Gelegenheitsarbeiter werden meist auch nicht i n die Betriebs- oder Unternehmungsgewerkschaften aufgenommen, die Ausdruck des Gemeinschaftsgefühls der Unternehmungs-wFamilie" sind. I n Japan sind die Gewerkschaften nicht nach Branchen oder Berufen organisiert. N u r die Gewerkschaft der Seeleute vertreten die Interessen der
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Arbeitnehmer eines ganzen Wirtschaftszweiges. Gewerkschaftssprecher fühlen sich nicht so sehr als Vertreter eines Faktors „ A r b e i t " , der i n einem angeblich nicht auflösbaren Widerspruch zum Faktor „ K a p i t a l " steht. Sie sehen vielmehr weithin ihre Aufgabe darin, gemeinsam m i t dem Management i n einer Sozialpartnerschaft m i t identischer Interessenlage zum Gedeihen der Unternehmung beizutragen. Betriebsgewerkschaften — ihre Z a h l betrug i m Juni 1980 72 693 — gehören zwar meist auch einem Dachverband 9 an. Diese Verbindung ist indessen nur locker und n i m m t keinen Einfluß auf die Tarifautonomie, die fest i m Betrieb verankert ist. Japanische Arbeiter identifizieren sich weithin m i t ihrem Betrieb. M i t dem Management ihres Betriebes fühlen sie sich meist stärker verbunden als m i t den Arbeitern anderer Betriebe. „ D e r Einzelne ist i n erster Linie M i t g l i e d seiner Gruppe: der Familie, des Betriebes oder der N a t i o n . Er fühlt sich m i t allen Angehörigen dieser Gruppe verbunden, gleichgültig ob sie i h m gleichgeordnet, übergeordnet oder untergeordnet sind 1 0 ." So bestimmt vertikale Solidarität maßgeblich das japanische Gesellschaftsleben 11. Klassenbewußtsein als Ausdruck horizontaler Solidarität t r i t t hinter dem Gruppenbewußtsein zurück, der Solidarität m i t den Angehörigen seiner Gruppe. Unter diesen Umständen kann auch v o n ernsthaften Gegensätzen z w i schen K a p i t a l und Arbeit keine Rede sein. Vielmehr bilden ausgeprägtes Gemeinschafts- bzw. Zugehörigkeitsgefühl, gegenseitiges Treueverhältnis v o n Unternehmungsleitung und Belegschaft markante Erscheinungen der Sozialstruktur japanischer Unternehmungen. E i n dichtes N e t z von Verpflichtungen gegenüber Staat, Familie, Betrieb bzw. beruflicher Wirkungsstätte, 9 Z u nennen sind insbesondere die Söhyö (ca. 4,5 M i l l . M i t g l i e der), D ö m e i (ca. 2,2 M i l l . M i t g l . ) , Chüritsu-rören (ca. 1,4 M i l l . M i t g l . ) u n d Shinsan-betsu (ca. 70 000 M i t g l . ) . 10 K a r l H a x , Grundlagen u n d Tendenzen der Wirtschaft Japans, i n : Ostasien. T r a d i t i o n u n d Umbruch. Erlenbach—Zürich—Stuttgart 1971, S. 167. 11
2*
Ebenda.
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I . Grundlagen und Antriebskräfte
gegenüber Höhergestellten und Älteren, führt auch inmitten eines ungemein dynamischen Entwicklungsganges zu zahlreichen festgefügten familienähnlichen Bindungen und Gruppierungen. Die Gruppenorientierung setzt sich bis zum Arbeitsplatz fort. Organisatorische Einheit i m Aufbau eines Unternehmens ist i n der Regel nicht der Einzelne m i t seinem Arbeitsplatz und den ihm zugewiesenen Kompetenzen, sondern die Gruppe. Ohne deutliche Arbeitsteilung sind alle Gruppenmitglieder für das ganze mitverantwortlich. M a n mag darüber streiten, ob und i n welchem Umfang diese Gruppenorientierung aus dem Reisanbau ableitbar ist. Aber zumindest hat die Reisbaukultur die Dependenz i m sozialen Bereich deutlich zum Bewußtsein gebracht. Nicht zu übersehen sind indessen auch die ethnische Homogenität, das durch Insellage bedingte Gefühl der Isolierung oder der Bedrohung, verbunden m i t einer Festigung der kulturellen Eigenarten und der angestammten Solidaritätsbereitschaft. Jene für Japan typischen Unternehmensgruppen m i t ihren spezifischen multiplen Aufgaben i n der Industrieproduktion, i m Außenhandel und i m Finanzwesen, die Familienkonzerne (Zaibatsu) wie ζ. B. Mitsui, Mitsubishi, Sumitomo und Yasuda, waren ebenfalls durch die Idee der Familie geprägt. Grundlage bildeten Familienverfassungen, die den Zusammenhalt der Familie sicherten und das von den Vorfahren überkommene Familienvermögen bewahrten — verbunden m i t erheblichen Einschränkungen der Verfügungsmacht der Nachkommen. Es war abzusehen, daß der Auflösung der Zaibatsu durch die amerikanische Besatzungsmacht ein noch umfassenderer rationalisierter Neuaufbau folgen würde — wenn auch ohne Rückkehr der Zaibatsu-Familien i n die Unternehmensleitung.
4. Motivationsstruktur und Verhaltensmuster Es liegt nahe, eine Parallele zu M a x Webers innerweltlicher Askese i n der asketischen Lebenshaltung japanischer Unternehmer und Arbeiter zu sehen. Auch ist die Sittenlehre des Bushidö,
I . Grundlagen und Antriebskräfte
die Standesethik der Samurai, m i t ihren durch Zen-Buddhismus und Konfuzianismus geprägten Postulaten der Opferbereitschaft und der einfachen Lebensführung als m i t der protestantischen E t h i k vergleichbar herausgestellt worden. Aber die M o t i v e m i t ihrem geistesgeschichtlichen Hintergrund sind höchst unterschiedlich. Calvinistische E t h i k ist zutiefst verbunden m i t der Distanzierung v o m sündhaften, irdischen Staat. Der Einzelne ist auf sich selbst gestellt. Japaner sehen sich dagegen als Mitglieder der N a t i o n und als die eigentlichen Träger des Staates. Ihre Zielsetzungen sind gemeinschaftsorientiert — i m Gegensatz zu den individualistischen der calvinistischen Sektenreligiosität. Überkommene, noch heute wirksame Verhaltensweisen u n d Institutionen lassen sich bis tief i n die Tokugawa-Zeit zurückverfolgen, die als Vorbereitungszeit für die japanische W i r t schaftsentwicklung nicht weniger bedeutsam ist als die M e i j i Periode. Sie formte bereits jene typisch japanischen Sozialnormen und Institutionen, die später entscheidend die Richtung und den Verlauf des Industrialisierungsprozesses bestimmt haben. So wurden nach der Errichtung des Tokugawa-Bakufu die bislang dem überlieferten shintoistisch-konfuzianischen Denkgefüge angepaßten Sozialbeziehungen vertikal kanalisiert und institutionell so gefestigt, daß sie noch heute die japanische Sozialstruktur prägen. Die entscheidende Rolle spielte dabei die bewußte Übernahme des Chu-Hsi-Konfuzianismus als offizielle Staatsethik und geschlossene Ordnungsidee i m Dienste der Stabilisierung der Tokugawa-Herrschaft sowie die gelenkte akademische Pflege des neokonfuzianischen Ideengutes in Verbindung m i t der überlieferten shintoistischen T r a d i t i o n der Reinheit, Natürlichkeit und Selbstlosigkeit 12 . Zentrales Anliegen des Chu-Hsi-Konfuzianismus als Staats- und Gesellschaftslehre war die Eingliederung des Einzelnen als soziales Wesen in eine beständige Ordnung, getragen durch die fünf Grund12 Sources o f Japanese T r a d i t i o n , compiled b y Ryusaku Tsunoda, f m . Theodore de Bary, D o n a l d Keene, N e w Y o r k 1960, S. 344 ff.
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I . Grundlagen und Antriebskräfte
beziehungen des sozialen Lebens und die damit verbundenen gegenseitigen Verpflichtungen. Die Beziehungen zwischen H e r r scher und Untertan, Vater und K i n d , zwischen M a n n und Frau, älterem und jüngerem Bruder und zwischen Freunden ergaben die Basis einer auch den höheren Gesetzen des Alls folgenden Staats- und Sozialordnung. I m methaphysischen System des Chu-Hsi-Konfuzianismus war der H i m m e l der Herrscher und Schöpfer auch aller Dinge. Dem Menschen war es auferlegt, an diesem schöpferischem Werk dadurch teilzunehmen, daß er das Wesen der Dinge und die i n ihnen waltenden Gesetze zu erfassen suchte. V o n dieser Seite gingen dann auch kräftige A n stöße auf das moderne Erziehungswesen aus. Der Staat förderte die Wissenschaftsentwicklung, besonders den Fortschritt der Naturwissenschaften, die den dramatischen Verlauf der japanischen Wirtschaftsexpansion so nachhaltig unterstützt haben. Die Tokugawa-Zeit hat auch die für die japanische W i r t schaftsentwicklung so bedeutsamen Grundanschauungen und Verhaltensweisen mitgeprägt. Das sich auf Standesunterschiede stützende Feudalsystem fand seine gesellschaftliche Ausdrucksform i n der starren Rang- und Klassenordnung der Ritter (Shi), Bauern ( Ν ό ) , Handwerker (Kö) und Kaufleute (Shö). Den Angehörigen der einzelnen Stände oblag die Verpflichtung, ihre Aufgaben durch angemessenes Verhalten und durch harte Arbeit zu erfüllen. A l l dies stand auch i n Einklang m i t dem Buddhismus, der i m 6. Jahrhundert Japan über die koreanische Halbinsel erreicht hat. Gemäß der i m Mittelalter entwickelten Zen-Philosophie ist den Menschen auferlegt, durch Selbstlosigkeit das Wesen der Dinge und die Wahrheit des Lebens zu finden. Innerhalb der starren Rang- und Klassenordnung sollte jeder nach seinem Buddha streben, indem er unter Aufbietung seiner ganzen Kraft und unter Einsatz aller Fähigkeiten seinen Beruf auszuüben hatte. Entsprechend den Sozialnormen des Chu-Hsi-Konfuzianismus wurde der Händler, der nur i m Eigeninteresse arbeitete, von der Gesellschaft verachtet und als Angehöriger der unpro-
I. Grundlagen und Antriebskräfte
duktiven Klasse auf die unterste Stufe der sozialen Hierarchie verwiesen. Die Tokugawa und ihre neokonfuzianischen Berater teilten die traditionelle chinesische Einstellung dem Händler gegenüber, dem keinerlei soziale Funktionen zufielen 13 . Unter diesen Umständen suchte der Kaufmannsstand seine soziale Unterprivilegierung durch materiellen Reichtum und finanzielle Macht zu kompensieren. Auch gelang es i h m m i t der Zeit, einen den Bauern und Handwerkern ebenbürtigen Sozialrang zu erhalten. Schließlich geriet die offizielle handelsfeindliche Theorie der Tokugawa-Periode i n Widerspruch zum W i r t schaftsleben des Alltags, das die wohlstandsfördernden produktiven Wirkungen der Handelstätigkeit anerkannte. M i t dem Anwachsen der Großstädte T o k y o (Edo), Osaka und K y ö t o war schließlich der Aufstieg des städtischen Bürgertums, des Chönin-Standes verbunden. Die Geldwirtschaft; breitete sich aus und führte auch zur Kommerzialisierung der Landwirtschaft 1 4 . A u f dem Lande zeigten sich die ersten Ansätze der für Japan so charakteristischen Kleinindustrie. Das Shögunat wurde selbst von Bankiers und Kaufleuten abhängig. Kriegerische Macht wich vor der finanziellen Macht zurück 1 5 . Einzelne Samurai nahmen die Verbindung zum Chönin-Stand auf, traten ihren Status ab und wurden Kaufleute. Ehen wurden zwischen M i t gliedern beider Stände geschlossen, reiche Bürgersöhne wurden von den Samurai-Familien adoptiert. Ohne revolutionäre Bewegungen wurde schließlich nach 1868 durch die Macht des wirtschaftlich Erforderlichen die starre Standesordnung durchbrochen, w e i l sie der Weiterentwicklung i m Wege stand — allerdings ohne Beeinträchtigung des auf das W o h l Japans gerichteten Arbeitsethos.
13
Ebenda, S. 353.
14
Yasuada Y a w a t a , Religionssoziologische Untersuchungen zur Geschichte Japans, i n : M a x Weber zum Gedächtnis, Sonderheft 7, K ö l n e r Zeitschrift für Soziologie u n d Sozialpsydiologie, K ö l n u n d Opladen 1963, S.381. 15 V g l . B y r o n R . Marshall, Capitalism and N a t i o n a l i s m i n Prewar Japan, Stanford (Cai.) 1967, S. 9.
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I . Grundlagen und Antriebskräfte
Selbstverständlich ist unter dem Einfluß der Besatzungszeit zwischen 1945 und 1950 sowie durch Ausweitung der internationalen Beziehungskreise ein erheblicher Wandel der Lebenseinstellung und der üblichen Verhaltensweisen eingetreten. Dem früher vorherrschenden Spiritualismus ist die Hochschätzung materiellen Reichtums, der Askese und Sparsamkeit die explosionsartige Ausweitung des Konsums gefolgt. Gleichzeitig änderten sich die Konsumgewohnheiten. Aber das private Glück w i r d jeweils eingegrenzt und eingeordnet i n einen größeren Zusammenhang, i n den Dienst für die N a t i o n . Persönlich habe ich sogar den Eindruck gewonnen, daß Japan m i t fortschreitender Entwicklung offenbar japanischer w i r d . Nach übereifriger Aufnahme ausländischen Geistesgutes ist die Wiedererstarkung eigener traditioneller Wertsysteme nur allzu verständlich. I n einem solchen K l i m a ist wenig Platz für Gesellschaftskritik und Jugendrevolten, wenn auch Japan nicht von der weltweiten Erscheinung des Terrorismus und der ansteigenden Jugendkriminalität verschont worden ist — allerdings i n einem wesentlich geringeren Maße. V o r dem Hintergrund der kurz umrissenen Grundlagen und Antriebskräfte der japanischen Wirtschaftsentwicklung, ihrer Sonderheiten, Leitbilder sowie der Motivationsstruktur und Verhaltensmuster erscheint es angebracht, auf jene Bereiche näher einzugehen, i n denen die „japanische Herausforderung" uns unmittelbar angeht — das sind die Gebiete der Industrie-, Technologie- und Handelspolitik.
I I . Technologie- u n d Industriepolitik 1. Schließung der technologischen Lücke in der ersten Nachkriegsphase Nach Beendigung des zweiten Weltkrieges hatte Japan, ähnlich wie zur Zeit der Meiji-Restauration, eine gewaltige technologische Lücke — gemessen am internationalen Standard — zu schließen. So w a r Japan m i t der Wiederaufnahme des Außenhandels 1947 bemüht, i n hohem Maße Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung und moderne Technologie, also insbesondere Patentlizenzen u n d K n o w how, aus den U S A und westlichen Industrieländern zu importieren. Bei einer insgesamt restriktiven I m p o r t p o l i t i k wurde die Technologieeinfuhr weithin gefördert. Die Regierung hatte es m i t H i l f e eines Genehmigungsverfahrens zwar i n der H a n d , gemäß ihren industriepolitischen Zielsetzungen auf die Richtung dieses I m ports durch die Zuteilung von Devisen Einfluß zu nehmen. Aber angesichts des gewaltigen Nachholbedarfs zur Errichtung eines technologischen Fundaments bestand praktisch kaum Anlaß, allzu wählerisch vorzugehen. Bis zum Jahr 1965/66 wurden etwa 7 408 Lizenz- und Know-how-Verträge abgeschlossen, verbunden m i t Zahlungsverpflichtungen an das Ausland i n Höhe v o n insgesamt 1 M r d . US-Dollar. H i n z u kamen noch zahlreiche Vertragsänderungen, die als Neuabschlüsse gelten konnten, da die ursprünglichen Vereinbarungen wesentlich ergänzt bzw. erweitert worden waren 1 . Gegenüber diesem Technologieimport hatte i m gleichen Zeitraum die Ausfuhr japanischer Technologie kaum Bedeutung. 1 H e r m a n n O . G r i m m , D i e japanische E i n f u h r ausländischer Technologie seit Erlaß des Auslandskapital-Investitionsgesetzes v o n 1950. Aachen 1968, S. 19, 36 f., 41.
26
I I . Technologie- und Industriepolitik
Nach amtlichen Verlautbahrungen wurden zwischen 1950 und 1964 nur 366 Technologie-Ausfuhrverträge (Lizenz-, Patentund Know-how-Verträge) abgeschlossen2. So zahlte Japan z. B. i m Finanzjahr 1963/64 12,5 M i l l . US-Dollar Gebühren für Lizenzen, die aus der Bundesrepublik Deutschland stammten. I m gleichen Zeitraum flössen indessen Japan aus der Bundesrepublik nur 0,2 M i l l . Lizenzgebühren zu. Insgesamt wurde dem Technologieimport mehr Gewicht beigemessen als der naturwissenschaftlich-technischen Grundlagenforschung. Der wirtschaftliche Wiederaufbau sollte möglichst ohne zeitlichen Verzug durch Rückgriff auf das bereits vorhandene Wissen außerhalb Japans erfolgen. Vorrangig sollte zunächst einmal die Industrie modernisiert werden. Der Aufbau einer angemessenen Forschungsinfrastruktur hatte i n dieser Phase zurückzustehen. Deutlich w a r aber bereits M i t t e der sechziger Jahre die Tendenz erkennbar, daß Japan seinen auch weiterhin ansteigenden Tedinologieimport zunehmend selektiver handhabte und sich auf die Einfuhr des Unentbehrlichen konzentrierte. D a waren vor allen Dingen schutzrechtlich weithin abgesicherte Verfahrenselemente, technologische „Kerne", deren Einfuhr wichtiger erschien als die Übernahme ganzer Verfahrenskomplexe, die nodi bis zum Beginn der sechziger Jahre bevorzugt wurde. Außerdem verschoben sich nach und nach auch die technologischen Einsatzbereiche. Bei abnehmender Einfuhr von technologischen Verfahren der Grundstoffindustrie nahm der Technologieimport für die Weiter- und Endverarbeitungsstufen kräftig zu. Die ergänzende eigene Industrieforschung wurde auf den unmittelbar praktischen Erfolg ausgerichtet, ohne aber langfristige Aspekte zu vernachlässigen. Z u r Schließung der technologischen Lücke der Nachkriegszeit hat Japan das ausländische wissenschaftlich-technische Rüstzeug unbefangen übernommen, ohne den Verlust der eigenen kulturellen Identität zu riskieren, wenn auch die Folgewirkun2
Ebenda, S. 50.
I I . Technologie- und Industriepolitik
gen technologischer Entscheidungen nicht weniger ernst genommen wurden als hierzulande. Allerdings war man stets bemüht, übernommenes Gedankengut soweit wie möglich i n die eigene Welt zu integrieren. Überzeugende Ergebnisse dieser Anfangsphase systematisch betriebener Technologiepolitik bildeten der zielstrebige Aufbau einer modernen schwerindustriellen Basis m i t Stahl- und Maschinenindustrie, chemischer Industrie sowie die Entwicklung einer eigenen Elektronikindustrie. Aber bereits i n der zweiten H ä l f t e der 50er Jahre w a r deutlich erkennbar, daß Japan eine weitere Konzentration von Ressourcen auf Schwerindustrie und Chemie durch sektorale Umschichtungen in wachstumsträchtige Bereiche abzuändern versuchte 3 .
2. Übergang zu eigenen technologischen Entwicklungen Einer Verlautbarung des Amtes für Wissenschaft und Technologie aus dem Jahre 1966 w a r zu entnehmen, „daß die Beschaffung von Auslandstechnologie zunehmend den Charakter einer Ergänzung, Komplettierung und Abrundung der technologischen forschungs- und entwicklungsmäßigen Eigenaktivität der japanischen Wirtschaftsunternehmen annehme und daß Tendenzen einer technologischen Kooperation, eines technologischen Austauschs mehr u n d mehr an Bedeutung gewonnen hätten" 4 . Vorbedingung einer solchen Kooperation w a r aber, daß Japan bald auch selbst i n der Lage sein werde, eigenständige technologische Entwicklungen i m Rahmen eines internationalen Austausches zur Verfügung zu stellen. Es k a m hinzu, daß der Technologieimport für Japan erschwert wurde, als japanische Waren i n großen Mengen auf dem Weltmarkt auftauchten. Lizenz3 Unveröffentlichtes M a n u s k r i p t „Zusammenhänge zwischen dem Informationsverhalten Japans u n d der internationalen Wettbewerbsf ä h i g k e i t " ; Forschungsbericht des Ostasien-Instituts e. V . Bonn. 4 V g l . Jahrbudi des Amtes für Wissenschaft u n d Technik N r . 10, T o k y o , November 1966 ( K a g a k u Gijutsu C h ö N e n p ö 10, Shöwa 41-nen-ban, T o k y o 1966), hier zit. nach H e r m a n n O . G r i m m , D i e japanische E i n f u h r ausländischer Technologie seit Erlaß des Auslandskapital-Investitionsgesetzes v o n 1950, S. 26.
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I I . Technologie- und Industriepolitik
geber wurden vorsichtig und zurückhaltend, boten also nicht mehr so großzügig wie i n der Wiederaufbauphase ihre modernen Technologien an. Sie bestanden vielfach auf die Einhaltung bestimmter Bedingungen, wie z. B. auf Begrenzung der Absatzmärkte für Lizenzerzeugnisse, Gewährung v o n Beteiligungen am K a p i t a l der lizenznehmenden Firmen, Einräumung von Nutzungsrechten an Lizenzen japanischer Unternehmen (Gegenseitigkeitslizenz — cross licenses) usw. 5 Ein verstärkter Übergang zu eigenständigen technologischen Entwicklungen war damit für einen der größten Technologie-Importeure der Welt unausweichlich. Ziele und Aufgaben der Wissenschafts- und Technologiepolitik waren neu zu formulieren und entsprechende Strategien zu konzipieren. Dieser zielstrebige Prozeß der Neugestaltung der Wissenschafts- und Technologiepolitik vollzog sich offenbar gemäß den Sonderheiten des japanischen Denkens. Die Probleme wurden praxisnahe von den verschiedensten Ausgangspunkten her „eingekreist", ohne sonderliche Bereitschaft, i n die langfristig angelegte Grundlagenforschung groß einzusteigen. W o h l nicht zu Unrecht ist die These vertreten worden, daß die Deutschen forschen, die Japaner indessen entwickeln®. I n erstaunlich kurzer Zeit ist es jedenfalls Japan gelungen, eigenen technologischen Entwicklungen zum Durchbruch zu verhelfen, nachdem i n den fünfziger Jahren moderne Technologien erst einmal eingeführt und i n den sechziger Jahren verbessert bzw. weiterentwickelt worden sind 7 . I n dem umfangreichen Bericht v o m 5. März 1970 des Ausschusses für technologischen Fortschritt — ein Gremium des 5 Japans Technologische Strategie. Wiedergabe u n d K o m m e n t a r einer Studie des Ausschusses für technologischen Fortschritt des japanischen Wirtschaftsrates. Vorgelegt v o m Ostasien-Institut e. V . Bonn, i n Zusammenarbeit m i t dem Bundesminister für B i l d u n g u n d Wissenschaft. B o n n 1973, S. 37. 6 7
Handelsblatt, 7. 4. 1981.
Status and O u t l o o k o f Scientific and Technological Development. A Summary o f 1979 W h i t e Paper on Science and Technology. Science and Technology Agency, T o k y o , August 1980, S. 13.
I I . Technologie- und Industriepolitik
Wirtschaftsrates beim Ministerpräsidenten — hieß es u. a., daß Japan gegenüber den U S A offensichtlich auf zahlreichen Gebieten technologische Lücken aufweise. Auch gegenüber europäischen Industrieländern sei manches noch aufzuholen. Aber i n vielen Bereichen hätten die v o r kurzem noch bestehenden Technologie-Defizite nicht nur ausgeglichen, sondern auch überkompensiert werden können. I m Grunde sei nur noch die bestehende technologische Lücke gegenüber den U S A von Belang 8 . Bei dieser Gelegenheit wurde festgestellt, daß Japan hinsichtlich der Z a h l der Patentanmeldungen inzwischen an die Spitze aller Länder vorgerückt sei. Aber es wurde auch unumwunden zugegeben, daß Japan gegenüber den Vereinigten Staaten „ h i n sichtlich der Heranbildung und des Einsatzes hochqualifizierter, wissenschaftlich ausgebildeter Forschungskräfte sowie hinsichtlich des Niveaus der Grundlagenforschung" klar zurückliege 9 . Kennzeichnend für die Technologiepolitik der 70er Jahre w a r die bereits bewährte Schwerpunktbildung, die nunmehr aber unter dem Aspekt vorgenommen wurde, daß bestimmte Kernbereiche zu entwickeln waren, v o n denen man weitreichende, stimulierende wie dynamisierende Wirkungen erwartete. Sie sollten „eine ähnliche technologische ,Ausstrahlungskraft' ausüben, wie die i n den U S A entwickelten »technologischen Grenzbereiche' der aus dem Verteidigungsbudget finanzierten militärischen Forschung und Entwicklung oder der Weltraumforschung und Raumfahrttechnik" 1 0 . Dieses strategische Technologiekonzept sah demnach vor, i m Rahmen des Möglichen zwar aus den verschiedenen Industrieländern auch weiterhin fortgeschrittene Technologien zu beschaffen, aber daneben bestimmte Schwerpunktbereiche m i t Nachdruck selbst zu entwickeln. V o n einer Einschränkung des Technologieimports konnte also keine Rede sein. So importierte Japan z. B. i m Finanzjahr 1980 Technologie i m Werte von 1 440 M i l l . US8
Japans Technologische Strategie, S. 266.
9
Ebenda, S. 234 ff., S. 226.
10
Ebenda, S. 270.
30
I I . Technologie- und Industriepolitik
Dollar. D i e Technologieausfuhr betrug indessen i m gleichen Jahr nur 378 M i l l . US-Dollar. Japanische Unternehmungen haben zwischen 1950 und 1978 insgesamt 32 000 Verträge zur Übernahme v o n Patenten, Verfahren und Erfahrungen abgeschlossen. James Abegglen und A k i o E t o r i haben Japans außerordentlich erfolgreiche Technologiepolitik i n den zurückliegenden drei Jahrzehnten w o h l realistisch gewürdigt, wenn sie die Feststellung treffen: „ I n diesen knapp 30 Jahren betrug der A u f w a n d Japans für die Übernahme der gesamten i n der Welt bis dahin entwickelten Technik nicht mehr als neun Milliarden D o l l a r . M a n schätzt die jährlichen Forschungsausgaben der Vereinigten Staaten zur Zeit auf etwa 50 M i l l i a r d e n D o l l a r . Das bedeutet, daß es den Japanern gelungen ist, sich für den Gegenwert eines Bruchteils der jährlichen amerikanischen Forschungsausgaben alle Technik der Welt zu beschaffen und seine technische Lücke zu schließen 1 1 ." Der japanische Industriestrukturrat hat i m September 1974 eine technologische Zielprojektion für den Zeitraum bis 1985 vorgelegt, die inhaltlich auch durch die inzwischen eingetretene Ölkrise mitgeprägt worden ist. I n verstärktem Maße wurde das Augenmerk auf die schonende Verwendung der natürlichen Ressourcen und auf Energieeinsparungen gelenkt. Die weitere Entwicklung sollte weniger rohstoffintensiv als vielmehr wissensintensiv getragen werden, wie dies i m Gesamtentwicklungsplan v o m 31. M a i 1969 bereits ganz allgemein, wenn auch nicht i n der nunmehr gebotenen Dringlichkeit, postuliert w o r den war. Übergeordnete Zielvorstellung für die anzustrebende Technostruktur bildete die „kommunikative Gesellschaft". Das war weit mehr als ein politisches Schlagwort zur öffentlichen Meinungsbildung, denn seit Jahren war deutlich erkennbar, daß Japan Wert auf intensiven Ausbau des informationstedinischen Bereiches legte, der als Musterbeispiel wissensintensiver 11 James Abegglen u n d A k i o E t o r i , Japans Technologie heute, i n : Spektrum der Wissenschaft, A p r i l 4/1981, S. 30.
I I . Technologie- und Industriepolitik
Entwicklung gelten konnte. Darüber hinaus war die technologische Entwicklung der achtziger Jahre insbesondere durch folgende industrielle Schwerpunktbereiche vorgezeichnet: M i kroelektronik, Mechatronik, Meeresforschung, neue Metallegierungen, Fusion von Computer- und Informationstechnik (C u. C), Optoelektronik, Biogenetik, Atomenergie, Feinkeramik, hochfunktionelle Hochmolekularmaterialien, .Bürotechnologie, Luft- und Raumfahrttechnologie und Umweltschutz. A l l das lief darauf hinaus, die technologieintensiven und energiesparenden Fertigungszweige zu verstärken, — gleichzeitig eine japanische A n t w o r t auf die Herausforderung der zurückliegenden Ölkrisen und der weiterhin zu erwartenden Anspannungen auf dem Energie- und Rohstoffsektor. Japan sollte systematisch i n einen „Technologiestaat" umgeformt werden, wie dies inzwischen auch in den Empfehlungen des japanischen I n dustriestrukturrates v o m 17. M ä r z 1980 zur Industrie- und Außenhandelspolitik der 80er Jahre zum Ausdruck gebracht worden ist. Zielrichtung der aktuellen Technologiepolitik bildet die Informatisierung v o n Wirtschaft und Gesellschaft.
3. Forschung und Forschungsförderung Träger des technologischen Fortschritts i n Japan sind Firmen und Institutionen der Privatwirtschaft. Grundsätzlich sind I n novationen Aufgabe der privaten Unternehmungen. Aber der Staat verzichtet nicht darauf, durch seine Forschungs- und Technologiepolitik Einfluß auf Umfang und Richtung der technischen Entwicklung zu nehmen. Der Nutzbarmachung moderner technologischer Erkenntnisse dienen umfassende Förderungsprogramme, die er m i t H i l f e eines breit aufgefächerten Instrumentariums durchzusetzen bestrebt ist. I n der ersten H ä l f t e der 50er Jahre lag der A n t e i l der gesamten Forschungsausgaben am Volkseinkommen unter 1 Prozent. I m Jahre 1957 wurde erstmals die Ein-Prozent-Marke überschritten. Der A n t e i l der Forschungsausgaben am Volkseinkommen erreichte dann 1960 1,5 Prozent, 1971 2 Prozent,
I I . Technologie- und Industriepolitik
32
1976 2,12 Prozent und 1979 2,29 Prozent. D i e japanischen Ausgaben für Forschung lagen damit i m Verhältnis zum Volkseinkommen höher als i n Frankreich, aber zum T e i l erheblich niedriger als die Forschungsausgaben i n den Vereinigten Staaten und i n der Bundesrepublik Deutschland 12 . I m Rahmen des Neuen Wirtschafts- und Sozial-Siebenjahresplanes der Regierung ist indessen vorgesehen, den A n t e i l der Forschungsausgaben am Volkseinkommen bis 1985 auf 3 Prozent anzuheben 13 . Der A n t e i l der Ausgaben für Wissenschaft und Technologie an den gesamten Staatsausgaben ist ebenfalls v o n Jahr zu Jahr angestiegen. Er lag 1953 noch unter zwei Prozent, stieg 1956 auf annähernd drei und 1976 auf 3,2 Prozent. I n den nachfolgenden Jahren ist er leicht abgesunken und betrug 1979 wie auch 1980 etwa 3 Prozent. I m Vergleich zu den U S A , der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich u n d Großbritannien lag Japan m i t diesem A n t e i l ebenfalls weit zurück — soweit direkte Vergleiche bei sehr unterschiedlichen Finanzsystemen und Staatsquoten überhaupt aussagekräftig sind 1 4 . Vergleicht man indessen den absoluten Umfang der gesamten Forschungsausgaben m i t dem der übrigen Industrieländer — unabhängig davon, ob die M i t t e l p r i v a t oder öffentlich aufgebracht werden, so ergibt sich ein anderes Bild. M i t 4 080,10 M r d . Yen lag Japan 1979 hinter den Vereinigten Staaten bereits an zweiter Stelle der OECD-Länder, während die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Großbritannien erst m i t Abstand folgen 1 5 . Aber neben dem erheblichen absoluten U m 12 A Summary o f F Y 1980 W h i t e Paper on Science and Technology i n Japan. International Comparisons and Future Tasks. Science and Technology Agency, Japan, J u l y 1981, S. 11. 13 N e w Economic and Social Seven-Year Plan (Summary). Economic Planning Agency, August 1979, S. 43. 14 15
Ebenda, S. 17 ff.
A Summary o f F Y 1980 W h i t e Paper on Science and Technology i n Japan, S. 10. V g l . hierzu auch H a r a l d Blau, K o n r a d Faust, Hans Schedi, Japans Wettbewerbsposition i m Industriegüterexport. I n : I f o D o k u m e n t a t i o n , Neuere Veröffentlichungen i n Publikationen des Ifo-Instituts z u m Thema Japan. München 1981, S. 17 f.
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fang der Forschungsausgaben ist ferner deren besondere effiziente Verwendung beachtenswert. Japans Forschungsausgaben sind auf jene technologisch hochentwickelten und exportorientierten Produktionsbereiche konzentriert, die nur einen relativ kleinen Ausschnitt des internationalen Warenangebots abdecken. E i n wesentlicher Teil der japanischen Forschungsmittel w i r d i n den Unternehmungen verausgabt. I h r A n t e i l betrug 1978 64,2 Prozent und 1979 65,3 Prozent. Es folgen die Universitäten m i t einem A n t e i l von 20 bzw. 19,5 Prozent und dann die Forschungsinstitute m i t 15,9 bzw. 15,2 Prozent 1 6 . Die insgesamt für Forschung und Entwicklung verwendeten M i t t e l sind 1979 zu rd. 27,7 Prozent durch die öffentliche H a n d (Regierung und lokale Körperschaften) und zu 72,3 Prozent durch den privaten Sektor aufgebracht worden. Vergleicht man den Aufbringungsanteil der öffentlichen H a n d m i t dem der Bundesrepublik Deutschland i m Jahre 1977, so w i r d deutlich, daß w i r m i t der öffentlichen Aufbringung i n Höhe von 41,3 Prozent erheblich höher liegen, wenn auch wesentlich niedriger als Frankreich, die Vereinigten Staaten und Großbritannien 1 7 . Charakteristisch ist jedenfalls für die japanische Technologieund Forschungspolitik, daß die öffentliche H a n d jeweils nur einen relativ kleinen Teil der für Forschung und Entwicklung verfügbaren M i t t e l bereitstellt. Das w i r d besonders deutlich, wenn man die Herkunft der i n der Industrie verausgabten Forschungsmittel verfolgt. Diese werden i n Japan zu fast 98 Prozent von den Unternehmen selbst getragen. Der Staat steuert nur 1,9 Prozent bei, wogegen i n der Bundesrepublik Deutschland die öffentliche H a n d 15,8 Prozent der M i t t e l bereitstellt 1 8 . 16 A Summary o f F Y 1980 W h i t e Paper on Science and Technology i n Japan. International Comparisond and Future Tasks, S. 12. 17
Ebenda, S . l I f .
18
H e l m u t Laumer, Empirische Wirtschaftsforschung i n Japan. Mitteilungen des Instituts für Asienkunde, H a m b u r g 1982, S. 12. Laumer stützt sich hierbei auf die Veröffentlichung des Stifterver3 Kraus
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I I . Technologie- und Industriepolitik
Prinzipiell stehen die japanischen Unternehmungen unter massivem Druck, ihre Entwicklungen selbst zu finanzieren. Offenbar hat sich dieses Prinzip als sehr erfolgreich erwiesen 19 . Über die Aufteilung der Gesamtausgaben auf die einzelnen Forschungsschwerpunkte liegen folgende Angaben vor, die ebenfalls ein B i l d über die Wirksamkeit der japanischen Technologiepolitik vermitteln. Der Grundlagenforschung stehen seit 1976 etwa 16 Prozent (1978 = 16,6 und 1979 = 15,6 Prozent) zur Verfügung. Der A n t e i l der angewandten Forschung bewegt sich i m angegebenen Zeitraum zwischen 25,1 und 25,9 Prozent, während der überwiegende Teil i n einer Größenordnung z w i schen 58,4 und 58,5 Prozent der Durchführung von Entwicklungsaufgaben dient. Die anwendungsbezogene Forschung steht also weit i m Vordergrund. Aber es ist auch deutlich erkennbar, daß nunmehr m i t Macht der Rückstand der Grundlagenforschung eingeholt werden soll, u. a. durch verstärkte Kooperation von Universitäten, Industrie und öffentlicher H a n d 2 0 . Japan w i l l tragfähige Grundlagen zur eigenen originären Technologieentwicklung schaffen. A m 1. A p r i l 1980 betrug die A n z a h l der i n Japan tätigen Wissenschaftler 367 000. Das gesamte Forschungspersonal einschließlich Techniker und Hilfskräfte erreichte i m gleichen Jahr die Z a h l von 629 000 Personen. D a v o n waren 52,7 Prozent i n Unternehmen, 37 Prozent i n Universitäten oder sonstigen Ausbildungseinrichtungen und 11,3 Prozent i n Forschungseinrichtungen beschäftigt. D a m i t steht Japan hinsichtlich der beschäftigten Forscher hinter den Vereinigten Staaten an zweiter Stelle der Industrieländer; es verfügt insgesamt über mehr bandes für die Deutsche Wissenschaft, Forschung u n d E n t w i c k l u n g i n der Wirtschaft 1977, Arbeitsschrift A 1980, S. 34, Tabelle R (Anhangtabelle A 2). 19
James Abegglen u n d A k i o E t o r i , Japans Technologie heute,
S.8. 20 Rede des Ministerpräsidenten auf der 94. ordentlichen Sitzung des D i e t (Parlament) i m Januar 1981.
I I . Technologie- und Industriepolitik
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Forschungspersonal als die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen 21 . A u f die vergleichsweise hohe Forschungsintensität der verarbeitenden Industrie i n Japan, gemessen als A n t e i l der Wissenschaftler und Ingenieure an der Gesamtzahl der Beschäftigten i n diesem Bereich, hat der Sachverständigenrat i n seinem Jahresgutachten 1981/82 i m Rahmen seiner Stellungnahme zum Innovationspotential der deutschen Wirtschaft aufmerksam gemacht. Der Wert v o n 1,4 Prozent i n Japan (1977) lag wesentlich höher als der i n der Bundesrepublik Deutschland, i n Großbritannien und i n Frankreich 2 2 . Die enge Bindung der Belegschaftsmitglieder an Betrieb und Unternehmung hat die Einführung und Verbreitung neuer Fertigungstechniken stark gefördert. Bei lebenslanger Beschäftigungsgarantie brauchen die Belegschaftsmitglieder kaum zu befürchten, daß die Verwendung von arbeitssparenden Fertigungsverfahren ihre Arbeitsplätze bedroht. Aber sie haben ein Interesse daran, durch stetige Modernisierungsprozesse die Ertragslage ihres Betriebes zu verbessern, zumal sie über BonusZahlungen, die i n der Regel zweimal i m Jahr (im Juli und i m Dezember) vorgenommen werden, am Ertrag beteiligt sind. Japanische Arbeiter empfinden Industrieroboter nicht als Bedrohung ihrer Existenz, sondern als äußerst produktive K o l legen 23 . Zudem ist nicht zu übersehen, daß das hohe Ausbildungsniveau japanischer Arbeiter wesentlich dazu beigetragen hat, dem technischen Fortschritt gegenüber aufgeschlossen zu 21 Japan Economic Yearbook 1981/82. The O r i e n t a l Economist. T o k y o 1981, S. 48. 22 Jahresgutachten 1981/82 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Deutscher Bundestag 9. Wahlperiode. Drucksache 9/1061, 20. 11. 1981, S. 196. 23 Allerdings gibt es auch i n Japan kritische Stimmen gegenüber dem zunehmenden Einsatz v o n „intelligenten" Robotern. Prof. H a segawa v o n der Waseda-Universität hat z. B. i n diesem Zusammenhang auf eine „neue soziale Frage" hingewiesen, die er m i t Arbeitsplatzvernichtung u n d Verlust der Lebensmotivation i m Beruf charakterisiert. V g l . N i h o n K o g y o Shinbun v o m 1 . 1 . 1982, S. 9.
3*
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sein, um Japans Innovationskraft zu stärken. E t w a 95 Prozent aller Schüler besuchen nach Abschluß der 9jährigen Pflichtschulzeit die Oberschule. V o n diesen nehmen nahezu 40 Prozent das Hochschulstudium auf. Universitäten und Hochschulen bilden i n aller Regel zum Generalisten und nicht zum Spezialisten aus. Die berufliche Laufbahn der Absolventen m i t breitem Wissen beginnt i n Unternehmungen und Verwaltungsdienststellen ganz unten — ohne Anspruch auf spezielle Tätigkeiten. Bei Neueinstellungen stehen die Fachkenntnisse meist nicht i m Vordergrund. Gefragt sind generelle Qualifikationen wie Loyalität, Flexibilität und die Bereitschaft, sich einzuordnen und sich i m Berufsleben stetig weiterzubilden. D e m tradierten „Lernen, Lernen* folgt i m „Technologiestaat" Japan das „Erfinden, Erfinden". Unablässig werden der Erfindergeist u n d die Begeisterung für technische bzw. technologische Neuerungen aktiviert. I m ganzen L a n d werden Erfindervereine für Jugendliche gegründet. Nach einer Untersuchung des japanischen Erziehungsministeriums betrug der A n t e i l der naturwissenschaftlich-technischen Universitätsabsolventen m i t einem Master- bzw. D o k torgrad (Shushi bzw. Hakushi) an der Gesamtheit dieser Graduierungen per 1974 gut 65 Prozent 2 4 . Die technikfreundliche Einstellung der Bevölkerung und ihr Fortschrittsoptimismus sind ungebrochen. Bei Toyota i n Nagoya werden pro Beschäftigten etwa 10 Verbesserungsvorschläge pro Jahr gemacht. I n der amerikanischen Automobilindustrie erreicht der Ideenertrag der Arbeiter nicht einmal ein Zehntel davon 2 5 . Die Z a h l der Patentanmeldungen ist laufend gestiegen. I m Jahre 1980 betrug die Z a h l der Anträge 191 020 — daneben wurden 191 785 Gebrauchsmuster registriert. Die Z a h l der Patentanmeldungen, die v o n Ausländern i n Japan vorgenommen wurden, betrug i m glei24 M i n i s t r y o f Education (Shöwa 50-Nendo), Waga K u n i K y ö i k u Suijun, T o k y o 1976, S. 244.
no
25 Motor-Informationsdienst N r . 18/81, 4. M a i 1981. I m A u t o m o b i l w e r k v o n Mitsubishi soll die Quote der Verbesserungsvorschläge pro M a n n u n d Jahr sogar bei 20 liegen.
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chen Jahr 25 290. Auch ist bemerkenswert, daß die Z a h l der japanischen Patentanmeldungen i m Ausland laufend angestiegen ist und 1978 die Z a h l von 30 177 erreichte. M i t seinen inländischen Patentanmeldungen steht Japan an der Spitze aller Länder, m i t den i m Ausland vorgenommenen Patentanmeldungen an dritter Stelle 26 . I n den Vereinigten Staaten ist Japan seit M i t t e der siebziger Jahre der bedeutendste ausländische Patentnehmer. Der Präsident des Deutschen Patentamtes erklärte i m Januar 1981: „ I m ersten H a l b j a h r 1980 standen auf dem Gebiet der EVD-gesteuerten Steuer- und Regelsysteme 121 japanischen Patentdokumenten nur sechs deutsche gegenüber 27 ." Insgesamt ließen sich i m Jahre 1980 japanische Unternehmen 1 151 Erfindungen aus dem Bereich der Elektrotechnik patentieren. Zehn Jahre vorher betrug die Vergleichszahl lediglich 629 2 8 .
4. Formulierung und Durchsetzung der Technologiepolitik I m internationalen Vergleich w i r d der japanischen Technologiepolitik ein hoher Grad von Effizienz zuerkannt. U m so erstaunlicher ist die Kompetenzvielfalt der m i t Forschung und Technologie befaßten Beratungsgremien und Exekutivorgane. 1959 nahm der Rat für Wissenschaft und Technologie, das höchste technologiepolitische Beratungsorgan des Ministerpräsidenten, seine Tätigkeit auf. I h m gehören der Finanzminister, der Erziehungsminister, die Leiter des Wirtschaftsplanungsamtes und des Amtes für Wissenschaft und Technologie, der Vorsitzende des Japanischen Wissenschaftsrates und fünf namhafte Wissenschaftler an, die v o m Ministerpräsidenten m i t Z u stimmung der beiden Häuser des Reichstages ernannt werden. 2β A Summary o f F Y 1980 W h i t e Paper o n Science and Technology i n Japan, S. 14 f. 27 28
Handelsblatt, 23./24. 1. 1981.
Jahresgutachten 1981/82 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, S. 197.
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Seine Empfehlungen bilden die Grundlage für die staatlichen Förderungsprogramme. Neben dem Rat für Wissenschaft und Technologie untersteht dem Ministerpräsidenten der Japanische Wissenschaftsrat, der als Selbstverwaltungsorgan der wissenschaftlichen Einrichtungen die Belange der Forschung für sämtliche Fachdisziplinen vertritt. Das bedeutsamste Gutachtergremium für alle Fragen der industrietechnischen Forschung ist der Rat für Industrietechnologie m i t dem nachgeschalteten Ausschuß für Technologie und der Technologie-Forschungsgruppe. Seine Stellungnahmen dienen i n der Regel dem einflußreichen japanischen Beratungsgremium, dem Rat für Industriestruktur, als Beratungsgrundlage. D a m i t w i r d bereits i n der Phase der Entscheidungsvorbereitung eine enge Verknüpfung v o n Technologie- und Industriepolitik sichergestellt. Eine führende Rolle i n der industrietechnischen Forschung und Entwicklung Japans spielt das 1948 geschaffene A m t für Industriewissenschaft und -technologie ( A I S T ) , eine Oberbehörde des M I T I , dem die Aufgabe zufällt, die experimentelle Forschung und Entwicklung in Richtung auf Innovationen und Rationalisierung der industriellen Fertigungsverfahren zu fördern. Seine Forschungsaufgaben erfüllt A I S T zum großen Teil i n eigener Regie i n 16 Forschungsinstituten, von denen i n z w i schen neun i n der nationalen Wissenschaftsstadt Tsukuba konzentriert worden sind. Z u r Schaffung eines international wettbewerbsfähigen Innovationspotentials haben wesentlich jene Forschungsprojekte beigetragen, die das A m t für Industriewissenschaft und -technologie gemeinsam m i t privaten Unternehmen durchgeführt hat. Diese Form staatlich-privatwirtschaftlicher Kooperation findet insbesondere Verwendung i m Rahmen der nationalen Großprojekte sowie bei den zur Zeit parallel laufenden drei Energieforschungsprogrammen. Daneben fördert das A m t die industrietechnische Forschung i m privaten Sektor aus mehreren Haushaltstiteln wie dem Fonds für Schlüsseltechnologien, dem Fonds für Förderung inländischer Tech-
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nologien und dem Fonds für Forschungsgemeinschaften zur Förderung der Bergbau- und Verarbeitungstechnologie. Gleichzeitig m i t dem eigenständigen Forschungsauftrag nimmt A I ST auch den Technologietransfer wahr. Bei der Umsetzung v o n Forschungsergebnissen i n neue Verfahren und Produkte w i r k t vor allem das ebenfalls zum MITI-Bereich gehörende A m t für Klein- und Mittelindustrien (SMEA) a k t i v mit. Dem i m Jahre 1974 gegründeten Nationalen Institut zur Forschungsförderung ( N I R A ) obliegt unter der Aufsicht des Wirtschaftsplanungsamtes die Aufgabe, wirtsdiafts- und gesellschaftspolitisch vordringliche Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu identifizieren, für ihre Bearbeitung Sorge zu tragen und die Bewertung der Ergebnisse vorzunehmen. M i t dem A u f bau dieser Institution ist die vorausschauende und begleitende Bewertung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zunehmend zu einem integrierenden Bestandteil der japanischen Technologiepolitik geworden 29 . Z u den genannten Institutionen kommen die i m Verlauf der Ölkrisen vorgenommenen Neugründungen, insbesondere das A m t für natürliche Ressourcen und Energie des M I T I und die m i t diesen verbundenen Forschungs- und Beratungsgremien 30 . I m Rahmen der Förderung von Wissenschaft und Technologie sind außerdem umfassende Informationssysteme aufgebaut w o r den, die laufend alle irgendwie erreichbare Informationen sammeln, vergleichen, analysieren, aufbereiten und i n eine praktisch umsetzbare Form weiterverarbeiten. V o r allen Dingen ist zu nennen das Nationale Informationssystem für Wissenschaft und Technologie ( N I S T ) des Japanischen Informationszentrums für Wissenschaft und Technologie (JICST), das dem A m t für Wissenschaft und Technologie (STA) untersteht. Daneben sind 29 Integrierte Technologiebewertung i n Japan. I n : Ostasien i m Wandel. Analysen technologiepolitisch relevanter Literatur i n ostasiatischen Sprachen. Ostasien-Institut e. V . , Bonn 1978, S. 11 - 36. 30 Energieforschung u n d Beratung i n Japan. In? Ostasien i m Wandel. Analysen technologiepolitisch relevanter Literatur i n ostasiatischen Sprachen, S. 51 - 73.
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hochspezialisierte Informationszentren gebildet worden, wie z. B. das Japanische Patent-Informations-Zentrum ( J A P A T I C ) . Japan hat systematisch seine Auslandskontakte ausgebaut, die der Zentrale laufend Informationen zuführen. Japanische U n ternehmungen unterhalten Auslandsbüros, die zielstrebig Fachzeitschriften auswerten und wichtige technische Entwicklungen oder marktrelevante Daten umgehend nach Japan übermitteln. W i r haben diesen inzwischen aufgebauten Informationssystemen i n H i n b l i c k auf Organisation, Quellen- und Datenerfassung nichts annähernd gleichwertiges entgegenzusetzen. D e m A m t für Wissenschaft u n d Technologie (STA) ist als zentrale Behörde, die dem Ministerpräsidenten und unmittelbar untersteht, die Aufgabe zugewiesen, die Koordination und Abstimmung der Technologiepolitik vorzunehmen. Dennoch sollte man meinen, daß angesichts der Vielzahl v o n Institutionen der Forschungs- und Technologiepolitik sowie der unterschiedlichen Ressortzuordnungen notwendig m i t Kompetenzw i r r w a r , Überschneidungen und Leerlauf zu rechnen ist. Das ist offenbar nicht der Fall — bedingt durch japanische Kooperationsbereitschaft und Identifizierung einer hoch qualifizierten Bürokratie m i t den staatspolitischen Aufgaben und Zielen. Die v o n dieser Bürokratie konzipierten kompakten Förderungsprogramme, die bisher weithin erfolgreich durchgeführt werden konnten, zeigen dies jedenfalls. Bereits 1956 setzte eine gezielte Sektoralförderung für den Maschinenbau ein. E i n Jahr später wurde die Förderung der Elektronikindustrie eingeleitet. I n dem Gesetz betr. befristeter Förderung bestimmter Sparten des Maschinenbaues und der informationstechnischen Industrie v o m 1. 7. 1978 wurden die Förderungsbereiche Maschinenbau und Elektronik (Mechatronik) schließlich zusammengefaßt 31 . I m Jahre 1966 wurde v o n M I T I das Nationale Forschungsund Entwicklungsprogramm (large-scale project) vorgelegt. 81 V g l . hierzu Japans fertigungstechnische Förderungsprogramme. Übersetzung der amtlichen Bekanntmachungen des M i n i s t r y o f I n ternational Trade and Industry. Ostasien-Institut e. V . , Bonn 1981, S. 385.
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Längst vor der Ölkrise gab es ein Programm zur Einsparung von Rohstoffen und Energie. Große Umweltschäden als Folge einer ungebremsten Expansionspolitik haben den Anstoß für Programme zur Verringerung der Umweltbelastung gegeben. 1977 wurde ein Weltraum-Entwicklungsprogramm verabschiedet. 1982 hat M I T I ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm für Basistedinologie u n d Zukunftsindustrien ins Leben gerufen 32 . A l l e diese Förderungsprogramme sind zeitlich befristet. Regierung und Industrie sind gehalten, laufend die angemessene Durchführung wie auch die Erfolgsaussichten zu prüfen. Nachgewiesene Erfolge sind Voraussetzung für ihre Verlängerung oder Erweiterung. Z u r Durchsetzung der industriepolitischen Zielsetzungen verfügt die Forschungs- und Technologiepolitik über ein breitgefächertes Instrumentarium: a) Der Staat gewährt gegebenenfalls Unternehmungen Z u schüsse zur Durchführung v o n Forschungs- und Entwicklungsprojekten — i n der Regel bis zu 50 Prozent der Gesamtkosten. Bei erfolgreichem Abschluß sind diese teilweise oder ganz zurückzuzahlen. b) Privatpersonen und Unternehmungen werden Steuererleichterungen bzw. die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit für Forschungsausgaben i m laufenden Haushaltsjahr gewährt, falls diese die bisher höchsten Ausgaben dieser A r t überschritten haben. c) Z u r wirtschaftlichen Verwertung neuer einheimischer Technologien werden Kredite der Japan Development Bank zur Verfügung gestellt, falls die einzuführenden Verfahren die I n dustriestruktur verbessern und v o n ihnen ein wesentlicher Beitrag zur Hebung des Niveaus der japanischen Industrie erwartet werden kann. I m Prinzip handelt es sich u m Kredite zu Vorzugskonditionen für Anlageinvestitionen, die aber i n der 32 Japanwirtschaft. Deutsch-Japanisches Wirtsdiaftsförderungsbüro. N r . 1/82, Januar 1982.
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Regel nur bis zu einem A n t e i l von 50 Prozent der Gesamtaufwendungen bereitgestellt werden. d) Bei der Einfuhr wichtiger Ausrüstungen w i r d Zollfreiheit gewährt. e) Möglichkeiten zur Sonderabschreibung werden eingeräumt. Zur Förderung des Robotereinsatzes können z . B . 13 Prozent des Anschaifungswertes als außerordentliche Aufwendungen abgeschrieben werden. Bis zum Beginn des Haushaltsjahres 1980/81 konnte i m ersten Jahr nach Anschaffung bestimmter Anlagegüter ein Viertel des Anschaifungs wertes abgeschrieben werden. Der Abschreibungssatz ist dann ebenfalls auf 13 Prozent gesenkt worden. f) Bei Fusionen zur Rationalisierung von Fertigungsanlagen werden gegebenenfalls Abschreibungsvergünstigungen gewährt. Auch scheut sich die japanische Regierung nicht, zur Durchsetzung v o n Rationalisierungszielen die Zwangskartellbildung vorzunehmen oder die Bestimmungen des „Gesetzes betr. Verbot privater Monopole u n d Gewährleistung fairer Handelspraktiken" außer Kraft zu setzen. Die Durchsetzung des strukturellen Wandels hat Vorrang vor der Aufrechterhaltung wettbewerblicher Bedingungen. Auch werden regelmäßig die an Förderungsprogrammen zur Technologieentwicklung beteiligten Firmen zur Kooperation aufgefordert. Insbesondere sind die Forschungsergebnisse auszutauschen. Vielfach werden die v o n der japanischen Regierung bzw. v o m M I T I der Industrie gewährten Finanzierungshilfen zur Entwicklung neuer Produkte weit überschätzt. So wurden zur Entwicklung hochintegrierter Schaltkreise i m Verlaufe von sieben Jahren 100 M i l l . US-Dollar bereitgestellt, aufgeteilt auf mehrere Unternehmungen. Dieser Beitrag war, gemessen an den eigenen Aufwendungen der japanischen Industrie sowie i m Vergleich zu den Subventionen, die andere Länder ihrer I n dustrie zur Entwicklung der Halbleiterindustrie bereitgestellt haben, recht unbedeutend 33 . Auch i m Bereich der Forschung
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und Technologieentwicklung hält Japan an dem Grundsatz fest, den öffentlich kontrollierten Teil des Bruttosozialprodukts möglichst klein zu halten. U m so mehr ist man bemüht, die technologischen Zielsetzungen auf indirektem Wege durchzusetzen, insbesondere durch eine klar formulierte, einsichtige Industriepolitik auf der Grundlage eines langfristigen marktkonformen Konzeptes.
5. Tedinologiepolitik und dualistische Industriestruktur Es ist verständlich, daß i n der gegenwärtigen breit angelegten Japan-Diskussion das Augenmerk recht stereotyp auf jene Sachverhalte gerichtet w i r d , die sich i n besonderem Maße von den europäisch-amerikanischen Verhältnissen abzuheben scheinen. M a n verweist z. B. auf die in Japan übliche lebenslange Beschäftigung, auf die beachtenswerte Arbeitsprodukt i v i t ä t und deren Anstieg, insbesondere natürlich auf die technologischen Fortschritte und modernen Fertigungstechniken. Aber all das bezieht sich weithin auf die Großbetriebe, auf 1 762 der insgesamt 739 301 Unternehmen i m industriellen Sektor (1979), wenn man zu den Großbetrieben alle Betriebe m i t mehr als 500 Beschäftigten rechnet — oder i n Prozenten, ebenfalls ausgehend von der Z a h l der Unternehmen, auf 0,23 Prozent Großbetriebe gegenüber 99,77 Prozent Klein- und M i t t e l betrieben. So werden m i t Blick auf die Großbetriebe weitgehend Verallgemeinerungen vorgenommen, während die Klein- und Mittelbetriebe ausgeklammert bleiben. W i r d aber das Augenmerk auf die japanische K l e i n - und Mittelindustrie gelenkt, so sind häufig wiederum einseitig generalisierende Aussagen vorzufinden, die den sehr differenzierten Verhältnissen wie auch den jüngsten Wandlungsprozessen kaum gerecht werden. D a sind die so „unselbständigen" und demnach „ausgebeuteten" Zulieferer der Großkonzerne. M i t Nachdruck 33
S. 18.
James Abegglen u n d A k i o Etori, Japans Technologie heute,
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werden die relativ „ p r i m i t i v e n " Produktionsmethoden, die „mangelnde Fähigkeit zur Improvisation", aber auch die „ U n terprivilegierung" hervorgehoben. Mitunter w i r d die Kleinund Mittelindustrie sogar als „Krisenbereich" charakterisiert. Würde all dies i n dieser überspitzten Form zutreffen, dann wäre es w o h l schwer verständlich, daß über 99 Prozent aller Betriebe der verarbeitenden Industrie K l e i n - u n d Mittelbetriebe sind, daß sie 71,7 Prozent der Arbeiter beschäftigen und an der Wertschöpfung m i t 56,6 Prozent beteiligt sind. Indessen ist unbestritten, daß i n Japan Klein-, M i t t e l - und Großbetriebe einen interdependenten komplexen Verbund bilden. Er hat nachhaltig Japans Entwicklungen vorgezeichnet und schließlich auch bestimmt. E i n so hervorragender Kenner der japanischen Industriewirtschaft wie K a r l H a x 3 4 hat schon vor Jahren auf das „Nebeneinander von großen und modernsten Unternehmen und einer Fülle von mittleren und kleineren Betrieben" als Charakteristikum der japanischen Industrie verwiesen. Die Neigung zu weitgehender Desintegration wirtschaftlicher Prozesse sei wesentlich stärker ausgeprägt als die Tendenz zur vertikalen Integration. A u f diesem Prinzip beruhe auch die ungewöhnliche Elastizität der japanischen Industrie. Während i n der Schwerindustrie aus technischen Gründen der Großbetrieb vorherrsche, würden i n der Leichtindustrie mittlere und und kleinere Betriebe oft i n technischer wie auch i n wirtschaftlicher Beziehung sehr günstige Lebenbedingungen vorfinden, so daß sie dem Wettbewerb des Großbetriebes nicht nur gewachsen, sondern bisweilen sogar überlegen seien. Aber H a x hat auch darauf verwiesen, daß sich beim längerfristigen Vergleich zwischen Groß- und Kleinbetrieben ein ungewöhnlicher Produktivitätsabfall zeigt, bedingt durch allzu geringe Ausstattung m i t Geldkapital, die zwangsläufig zur unzureichenden technischen Aus34 K a r l H a x , Japan. Wirtschaftsmadit des Fernen Ostens. K ö l n und O p l a d e n 1961, S. 226 ff. I n diesem Zusammenhang muß a u d i auf das grundlegende W e r k v o n Siegfried Böttcher, Lebensverhältnisse i n der japanischen Kleinindustrie, F r a n k f u r t am M a i n — B e r l i n 1961, verwiesen werden.
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stattung führt. Vielfach sei i n Klein- und Mittelbetrieben die Qualität der Arbeitskräfte wegen der niedrigen Löhne geringer als i n Großbetrieben. Auch hätten die Bemühungen zur Einschränkung der zügellosen Konkurrenz und zur Erzwingung eines lauteren Wettbewerbs i m Bereich der kleinen und m i t t leren Industrie nicht zu einem durchschlagenden Erfolg geführt. I n jüngster Zeit sind allerdings manche Wandlungen zu verzeichnen, die Einfluß auf das Verhalten und die Position der Klein- und Mittelbetriebe sowie auf deren Verhältnis zu den Großbetrieben genommen haben. Den 1980 und 1981 v o m M I T I veröffentlichten „ W h i t e Paper on Small and Medium Enterprises" 35 ist zu entnehmen, daß die K l e i n - und M i t t e l betriebe seit der Ölkrise i n fast allen Industriesektoren expandierten und zahlreiche neue Produktionsrichtungen eingeschlagen haben. Nach diesen Berichten haben sie große A n strengungen unternommen, um ihre technische Ausrüstung zu verbessern, neue Produkte zu entwickeln und i n zusätzliche Nachfragebereiche vorzustoßen. I m Verlaufe des schnellen technischen Fortschritts i n den 70er Jahren sind besonders hohe Anforderungen an die Zulieferer i n H i n b l i c k auf Qualität und Präzision der zugelieferten Produkte gestellt worden. Unter diesen Umständen haben 80 Prozent der klein- und mittelbetrieblichen Zulieferer neue Fertigungstechnologien entwickelt, entweder unabhängig oder i n Zusammenarbeit m i t den A u f traggebern. Einzelne K l e i n - und Mittelbetriebe verwenden bereits Roboter, die i m Leasing-Verfahren finanziert werden 3 6 . Einen dunklen Schatten werfen die laufend ansteigenden Energiepreise auf die Rentabilität der K l e i n - und Mittelbetriebe. Viele Betriebe sehen ihre wesentliche Aufgabe bereits darin, m i t den anstehenden Energieproblemen irgendwie fertig 35 W h i t e Paper on Small and M e d i u m Enterprises, T o k y o 1980, ferner unter gleichem T i t e l der Bericht des Jahres 1981. 36 D i e Japan Robot Leasing ( J A R O L ) ist 1980 zu dem Zweck gegründet worden, u m auch kleinen u n d mittleren Betrieben den Roboter-Einsatz zu ermöglichen.
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zu werden. Haupthindernis bei der Lösung dieser Frage bildet der Mangel an Informationen, an Technologien und Investitionsmitteln. Ferner trifft der Anstieg von Rohstoffpreisen i n besonderem Maße die Klein- und Mittelindustrie.
Vielfach
konnten i n zurückliegenden Geschäftsjahren steigende Rohstoffpreise nicht durch Preisanhebungen aufgefangen werden. Auch weiterhin bestehen noch erhebliche Disparitäten z w i schen K l e i n - und Mittelbetrieben einerseits und Großbetrieben andererseits i n H i n b l i c k auf die Arbeitsbedingungen und Produktivitätsverhältnisse, wenn auch m i t der Versteifung des Arbeitsmarktes i n den 60er Jahren manche Unterschiede eingeebnet wurden. Das Lohnniveau der K l e i n - und M i t t e l i n d u strie lag 1978 zwischen 11 und 39,3 Prozent unter dem der Großbetriebe. Die Lohnunterschiede waren besonders stark ausgeprägt bei Arbeitern über 25 Jahre, wogegen bei jüngeren der Lohnabstand nur relativ wenig Gewicht hatte. Deutlich ist aber erkennbar, daß i m Zeitablauf zwischen 1960 und 1978 die Lohndisparität bei Arbeitern i m mittleren und älteren Lebensalter laufend kleiner geworden ist. Folgt man den Verlautbarungen des M I T I , so ist langfristig auch der Abstand der Arbeitsproduktivität zwischen Groß- und Kleinbetrieben verringert worden, insbesondere nach starker Reduzierung dieser Disparität i n den frühen sechziger Jahren. Jedenfalls betont M I T I , daß die großen Produktivitätsunterschiede der Vergangenheit nunmehr nicht mehr bestehen. Auch die K l e i n und Mittelindustrien sähen sich veranlaßt, ihre durchschnittliche Kapitalausstattung pro Beschäftigtem zu erhöhen. Gleichw o h l ist man sich bewußt, daß i n zahlreichen Betrieben der Klein- und Mittelindustrie weitere Produktivitätsverbesserungen auf große Schwierigkeiten stoßen. Auch w i r d befürchtet, daß m i t sinkenden Wachstumsraten insbesondere Kleinund Mittelbetriebe härtere Marktbedingungen vorfinden werden. Der Wettbewerb innerhalb der Gruppe der Klein- und Mittelbetriebe w i r d dann noch schärfere Formen annehmen. Insgesamt herrscht aber die Überzeugung vor, daß die Klein-
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und Mittelbetriebe i n der Lage sind, sich flexibel auch den neuen Anforderungen anzupassen. M a n betont, daß die Erfolge der japanischen Wirtschaft zum großen T e i l auf Leistungen der Klein- und Mittelbetriebe beruhen. Währen der 70er Jahre waren ihre Wachstumsraten höher als die der Großindustrie, insbesondere i m Bereich der verarbeitenden Industrie. Auch ist man sich bewußt geworden, daß ein beträchtlicher Teil der Großindustrie einmal der K l e i n - und Mittelindustrie angehört hat, aus der sie durch qualifizierte Leistungserstellung schließlich herausgewachsen ist. Das gilt i n besonderem Maße für die Elektroindustrie. V o n den K l e i n - und Mittelbetrieben erwartet man ferner erhebliche Beiträge zur technologischen Weiterentwicklung. Jedenfalls kann heute keine Rede mehr davon sein, die dualistische Wirtschaftsstruktur zu überwinden, wie dies i m Einkommens verdoppelungsplan (1961 - 1970) noch angeklungen ist. Allerdings hält es die japanische Regierung grundsätzlich für erforderlich, umfassende Maßnahmen durchzuführen, um alle jene Nachteile auszugleichen, denen kleinere Betriebe ausgesetzt sind. D a m i t folgt man den Grundprinzipien des Grundgesetzes für Kleinunternehmungen aus dem Jahre 1963. Auch ist damit zu rechnen, daß die seit geraumer Zeit bestehenden Förderungsprogramme zur Erhaltung und Festigung der dualistischen Wirtschaftsstruktur verstärkt und erweitert werden. Sie beziehen sich auf die Zusammenfassung von Kleinbetrieben zu größeren wettbewerbsfähigen Einheiten, auf die Förderung der genossenschaftlichen Zusammenarbeit, die Gewährung verbilligter Investitionskredite, Beratung durch die Small Business Corporation und die Präfekturämter für K l e i n - und Mittelbetriebe. Auch ist man bemüht, die Managementschulung voranzutreiben und den Betrieben moderne Technologien zuzuleiten. Zudem ist die Regierung bemüht, die Klein- und Mittelbetriebe stärker als bisher m i t Aufträgen i m Rahmen ihrer Beschaffungspolitik zu berücksichtigen. Nachdem die kapitalintensiven Großunternehmen insbesondere durch Verwendung moderner Technologien ihre Marktpositionen weltweit gefestigt haben, scheint es der japanischen Regierung
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ein Gebot der Stunde zu sein, unter allen Umständen zu verhindern, daß der Abstand zu den K l e i n - und Mittelbetrieben wieder zunimmt. Darüber hinaus sollen noch bestehende Disparitäten möglichst verringert werden. Aber die duale I n d u striestruktur als solche w i r d sicherlich nicht zur Diskussion stehen. Auch ist man bereit, i n Gebieten m i t starker Ansiedelung von K l e i n - und Mittelbetrieben diesen i m Rahmen des „ L a w for Temporary Measures to Deal w i t h Small and Medium Enterprises i n Producing Regions" unter die Arme zu greifen, falls sie i n größerem Umfange Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Aber auch diese H i l f e w i r d nur befristet gewährt.
6. Technologische Vormachtstellung Japans? Nach Meinung v o n Fachingenieuren sind die i n Japan angewandten Technologien — von wenigen Ausnahmen abgesehen — keineswegs moderner als bei uns i n der Bundesrepublik Deutschland. I n Japan würden keine Fertigungstechnologien eingesetzt, über die nicht auch die westliche Industrie verfüge 37 . M a n verwende weder neuartige Werkstoffe noch überlegene Fertigungstechnologien, die einen strategischen Vorteil begründeten; aber bewährte Rationalisierungsmöglichkeiten würden auf der Grundlage hochautomatisierter Fertigungsabläufe konsequent eingesetzt — auch bei den Investitionsgüterherstellern selbst. V o n Expertenseite w i r d weiter betont, daß bei den Werkzeugmaschinenproduzenten 15 bis 20 Prozent ihrer Produktionsmaschinen bereits numerisch gesteuert würden. Durch den Einsatz hochautomatisierter Fertigungsanlagen habe sich demnach ein großer Erfahrungsschatz i m Bereich der Steuerungselektronik angesammelt. Ferner sei die Innovationsgeschwindigkeit i n Japan außerordentlich hoch. I m Durchschnitt benötige die Entwicklung eines neuen NC-Maschinentyps bis zur Prototypenfertigung nur neun bis z w ö l f Monate. Schließlich w i r d auf die Fertigungstiefe der Investitionsgüterherstel37 Automatisierung b r i n g t Fortschritt nach Japan. V D I - N a d i r i c h ten, Jg. 3 5 / N r . 3, 16. Januar 1981.
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lung verwiesen, die i n der Regel bei 55 bis 70 Prozent liegt. Zulieferfirmen brächten vielfach vorgeprüfte Baugruppen unmittelbar an die Montageplätze. Aber all dies seien auch i n Europa bekannte, altbewährte Rationalisierungskonzepte, die allerdings i n Japan „ i n verantwortungsbewußter Zusammenarbeit von allen Betriebsangehörigen" 38 zielstrebig v e r w i r k licht würden. Es gibt aber auch vorzügliche Kenner der technologischen Verhältnisse Japans, die ganz klar auf einen technologischen Vorsprung verweisen, der über die Fertigungsrationalisierung hinausgehe. E i n weithin anerkannter Fachmann auf diesem Gebiet wie James Abegglen schrieb kürzlich: „ I n der Technik wie i n so vielen anderen Dingen, die m i t der Wirtschaft i n Verbindung stehen, haben die Japaner aufgeholt. Es sieht so aus, als ob sie inzwischen das höchste technische N i v e a u erreicht haben 3 9 ." Folgt man den Ergebnissen einer sektoralen Strukturanalyse, die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft veranlaßt worden ist, so hat Japan zu 23,7 Prozent am Weltexport jener Erzeugnisse beigetragen, die — i n der Formulierung dieses Berichts — „die technologische K o n trolle gewährleisten". Es folgen die Bundesrepublik Deutschland m i t 20,2 Prozent, die Vereinigten Staaten m i t 16 Prozent und Frankreich m i t 7,5 Prozent. Sieht man i n der Höhe dieser Anteile einen plausiblen I n d i k a t o r für den technologischen Standard, so besteht i n der T a t eine Vormachtstellung Japans auf diesem Gebiet 4 0 . Die Jetro, die Japan External Trade O r ganization, hat inzwischen offen ausgesprochen, daß sich die 38 Japan rationalisiert m i t Konsequenz. P r o d u k t i v i t ä t ohne revolutionäre Fertigungstechnologie. V D I - N a d i r i c h t e n , Jg. 3 5 / N r . 3 , 1 6 . Januar 1981. 39
James Abegglen u n d A k i o E t o r i , Japans Technologie heute,
S. 42. 40 D i e E n t w i c k l u n g der sektoralen Strukturen Volkswirtschaften seit der Erdölkrise 1973 - 1978. Europäischen Gemeinschaften, Brüssel 1979, S. 46. H e l m u t Laumer, Empirische Wirtschaftsforsdiung i n 1982, S. 9.
4 Kraus
der europäischen Kommission der V g l . hierzu auch Japan. H a m b u r g
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„Technologie i n Japan zur Zeit auf dem höchsten N i v e a u der Welt« befinde 41 . M a n w i r d kaum übersehen können, daß sich unter den zehn größten Produzenten von Mikroprozessoren der Welt nicht ein einziges europäisches Unternehmen befindet. Japan und die U S A liegen hier eindeutig vorne 4 2 . Es muß auch zu denken geben, daß i n T o k y o heftig u m die Entscheidung gerungen wurde, ob Japan den pazifischen, verbündeten U S A hochentwickelte, auch i m militärischen Bereich zu verwendende Techniken wie ausgedehnte integrierte Schaltkreise, Mikroprozessoren, Laser- und Infrarot-Techniken zur Raketensteuerung liefern dürfe 4 3 . Bei der Einschätzung des japanischen Technologieniveaus w i r d ferner auf den auffallend starken Einsatz v o n Robotern verwiesen. Japans Unternehmungen scheinen v o n „RoboterFieber" befallen zu sein. Folgt man den Verlautbarungen der Japan Industrial Robot Association, so beträgt inzwischen die Roboterbevölkerung dieser Erde 70 000 bis 80 000 Stück (1981), von denen über 70 Prozent i n Japan beheimatet sind. Aber selbst dann, wenn man nach amerikanischem Muster den Begriff des Roboters wesentlich enger faßt, verbleiben immerhin noch 20 000 Industrieroboter, von denen mehr als die H ä l f t e i n Japan eingesetzt sind 4 4 . Die Japan Industrial Robot Association rechnet außerdem m i t einem weiterhin stark ansteigenden Robotereinsatz und schätzt das jährliche Durchschnitts41 N i p p o n Fakts, Japans A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t . Sonderausgabe Jetro-Informationen, September 1980, S. 10. 42 F A Z , 3. Sept. 1981. Offenbar liegt aber Japan bei der E n t wicklung v o n Software u n d Systemtechnik noch zurück. 43 René Wagner, Liefert Japan moderne Militärtechnologie an die Vereinigten Staaten? F A Z , 10. J u l i 1981. 44 V g l . hierzu N Z Z , 7. August 1981. D i e v o n der Japan I n d u strial Robot Association getroffene Unterscheidung i n sechs Kategorien schließt offenbar auch sehr einfache Manipulatoren ein, die i n den U S A nicht als Roboter zählen. D i e Japan Industrial Robot Association bildet eine Vereinigung der 40 wichtigsten japanischen R o boter-Produzenten.
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Wachstum der Roboterproduktion während der ersten H ä l f t e der achtziger Jahre auf 2 6 - 3 1 Prozent, während der zweiten H ä l f t e auf 13 - 15 Prozent 4 5 . Es sollte allerdings auch nicht übersehen werden, daß die moderne japanische Fertigungstechnologie i m Rahmen eines relativ hohen Investitionsniveaus zur Anwendung gelangt. Der durchschnittliche A n t e i l der Investitionsausgaben am Bruttosozialprodukt lag zwischen 1955 und 1960 bei 29,6 Prozent, zwischen 1961 und 1964 bei 37,2 Prozent, zwischen 1965 und 1970 bei 37,3 Prozent, zwischen 1971 und 1975 bei 31,1 Prozent 4 6 — Investitionsquoten, die i n keinem westlichen I n dustrieland erreicht werden. Japans Wachstum kann sich auf außerordentlich hohe private und öffentliche Anlageinvestitionen stützen. E i n weiterer technologisch relevanter Sachverhalt scheint bei der gegenwärtigen Japan-Diskussion zu kurz zu kommen. W i r stellen fest, daß Japan bereits unverzüglich nach dem Wiederaufbau unablässig bemüht war, den Wandel der Industriestruktur i n Richtung auf Abbau arbeitsintensiver Fertigungen voranzutreiben. Japan hat systematisch seine arbeitsintensiven Fertigungen nach Korea, T a i w a n und Südostasien verlagert. Japanische Kapitalhilfe unter Einschluß technischer H i l f e , gegebenenfalls i n Form von Gemeinschaftunternehmen, hat diese Umstrukturierung wesentlich gefördert. Der prozentuale A n t e i l der leichtindustriellen Produkte am gesamten Export Japans betrug i m Jahre 1955 noch 56,7 Prozent. Zehn Jahre später, also 1965, belief sich dieser A n t e i l nur noch auf 33,9 Prozent. Besonders interessant ist die Tatsache, daß die Zuwachsrate des Exports der gesamten leichtindustriellen Produkte nach 1960 auffallend rasch verringert wurde. Zwischen 1961 und 1965 ist die jährliche Zuwachsrate des Exports arbeitsintensiver leichtindustrieller Produkte von 10,3 Prozent auf 2,9 Prozent zurückgegangen. Diese Umstrukturierung ist durch die 45
The O r i e n t a l Economist, January 1982, V o l . 50, N o . 855, S. 15.
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G. C. A l l e n , The Japanese Economy, S. 99.
4*
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spezifische Form der japanischen Arbeitsmarktpolitik stark gefördert worden. Japans Arbeitskräftepotential ist selbst i n den Phasen des ausgeprägten Arbeitskräftemangels nicht durch Gastarbeiter ausgeweitet worden. Die homogene japanische Gesellschaft war nach dem zweiten Weltkrieg nicht bereit, Gastarbeiter aufzunehmen. D a m i t w a r prinzipiell der Weg zu kapitalintensiven Fertigungen vorgezeichnet. A l l dies hat dazu geführt, daß Japan seit Beginn der sechziger Jahre kräftige Produktivitätsfortschritte erzielen konnte, die wesentlich höher waren als die aller anderen Industrieländer. Japan wurde dam i t i n die Lage gesetzt, das hohe Produktivitätsniveau der führenden Industrienationen i n einzelnen Produktionsrichtungen zu erreichen. Zwischen 1960 und 1978 belief sich der jahresdurchschnittliche Anstieg der Arbeitsstundenproduktivität i n der verarbeitenden Industrie i n Japan auf 8,2 Prozent, i n der Bundesrepublik Deutschland auf 5,5 Prozent, i n den U S A auf 3,4 Prozent und in Großbritannien auf 3,2 Prozent 4 7 . Nach Schätzungen des Planungsbüros des Amtes für Wissenschaft und Technologie hat der technologische Fortschritt i n der Periode 1955-1960 etwa u m 20 Prozent, i n der Periode 1960-1965 um 25 Prozent, zwischen 1965 und 1970 um 38 Prozent und z w i schen 1970 und 1972 um 47 Prozent zum wirtschaftlichen Wachstum Japans beigetragen. Für den Zeitraum 1 9 7 5 - 1 9 8 2 w i r d dieser Beitrag sogar auf 65 Prozent geschätzt 48 .
47 M i n i s t r y o f International Trade and Industry, M I T I I n f o r m a t i o n Office, Sept. 3, 1980, S. 6. A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t hier i n der Weise definiert: o u t p u t / N o . o f employees Hours worked. 48 Science and Technology Policy for the 1980s. O E C D , Paris 1981, S. 15.
I I I . Handelspolitik 1. Japanische Exportoffensive nach den Ölkrisen Japan ist m i t den Belastungen der letzten Ölkrise, insbesondere durch Einschränkung des privaten und öffentlichen Energieverbrauches, relativ gut und schnell fertig geworden 1 . A u f diese Herausforderung h i n hat Japan außerdem m i t einer Export-Offensive reagiert, die weltweit gezielt auf M a r k t liicken und Marktschwächen i m Bereich von Industrieerzeugnissen hoher Technologie und Güte gerichtet war. Japan konzentrierte seine Exportbemühungen auf Produkte m i t einem hohen A n t e i l von qualifizierter Arbeit und von Forschungs- bzw. Entwicklungsaufwand. Die japanischen Exporte waren demnach auf bestimmte Produktgruppen bzw. auf wenige Schwerpunkte konzentriert und haben daher wichtige Wirtschaftszweige i n Europa und i n den U S A i n Schwierigkeiten gebracht. A u f phototechnischem Gebiet waren w i r lange Zeit führend auf der Welt. Japan hat uns abgelöst. Die Schweiz, das klassische L a n d der Uhrenindustrie, mußte m i t ansehen, wie Japan ihre Vormachtstellung auf dem Weltuhrenmarkt binnen kurzer Zeit endgültig zunichte machte. I n der Produktion v o n Radiound Fernsehgeräten haben die Vereinigten Staaten jahrelang eine Spitzenposition eingenommen. Japan ist an diese Stelle getreten. Es ist ferner zu erwarten, daß die japanische Maschinenproduktion der deutschen Spitzenposition auf dem Weltmaschinenmarkt noch hart zusetzen w i r d . Der A n t e i l der Importe aus Japan i n der Bundesrepublik und i n den übrigen europäischen Ländern (1980) insgesamt, 1 Zwischen 1973 u n d 1979 konnte die pro Einheit des B r u t t o sozialprodukts aufgewendete Energiemenge u m 22 Prozent gesenkt werden. V g l . Neues aus Japan. Herausgegeben v o n der Japanischen Botschaft u n d den Japanischen Generalkonsulaten i n der Bundesrepublik Deutschland. N r . 269, Juli/August 1980, S. 5 ff.
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erreicht nicht einmal außerordentliche Größenordnungen. V o n den gesamten Wareneinfuhren der E G entfallen etwa 5 Prozent 2 , von den Gesamteinfuhren der Bundesrepublik Deutschland etwa 3 Prozent auf Japan. I n absoluten Werten lagen die Einfuhren der Bundesrepublik Deutschland aus Japan i m Jahre 1981 bei 12,910 M r d . D M , wogegen die Ausfuhren nach Japan 4,759 M r d . D M erreichten. Der Passivsaldo des deutschjapanischen Warenverkehrs ist damit v o n ca. 3,8 M r d . D M i m Jahre 1979 auf ca. 8,2 M r d . D M i m Jahre 1981 angestiegen 3 . Gegenüber der E G erzielte Japan 1981 sogar einen A k t i v saldo i n Höhe von 10,3 M r d . US-Dollar. I m bilateralen H a n del m i t den Vereinigten Staaten erwirtschaftete Japan i m gleichen Jahr einen Überschuß von 13,4 M r d . US-Dollar. So sind Japans Handelsbeziehungen m i t Europa und den Vereinigten Staaten durch strukturelle Ungleichgewichte gekennzeichnet, die sich zudem zunehmend verstärkt haben 4 . Außerdem sind Japans Exporterfolge auf D r i t t m ä r k t e n zu beachten, die noch stärker ins Gewicht fallen als Japans Direktexporte in die Bundesrepublik Deutschland, i n den EG-Raum und i n die Vereinigten Staaten. M a n sollte allerdings auch beachten, daß den japanischen Anbietern von Eisen und Stahl, Schiffen, petrochemischen Produkten, Büromaschinen und Ausrüstungen zur Datenverarbeitung, Nachrichtenübermittlungs- und Meßgeräten, optischen Instrumenten und Kameras, Uhren und Konsumelektronik, NC-Werkzeugmaschinen, Motorrädern und Kraftfahrzeugen die inzwischen errungenen Marktpositionen auf den Weltmärkten nicht i n den Schoß gefallen sind — wenn auch ausgeprägte Abwertung des Yen seit Ende 1978 dem japanischen 2
Ohne Berücksichtigung des Handels innerhalb der EG-Länder.
3
Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, A p r i l 1982, N r . 4.
4
Es ist v o n japanischer Seite daher immer wieder m i t Nachdruck darauf verwiesen worden, daß wegen Japans außerordentlicher Abhängigkeit v o n Rohstoffimporten, verbunden m i t Handelsbilanzdefiziten, es nicht möglich sei, schlechthin einen bilateralen Ausgleich zu erzielen.
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Export noch zusätzliche Impulse gegeben hat. Ferner ist nicht zu übersehen, daß Japan über zwanzig Jahre lang ein Handelsdefizit gegenüber Europa hinnehmen mußte. I m deutsch-japanischen Handel ist i m Jahre 1969 nach vielen Jahren zum ersten M a l ein A k t i v - S a l d o i n Höhe von 58 M i l l . D M zugunsten Japans eingetreten, der sich allerdings i n den nachfolgenden Jahren stetig ausgeweitet hat. Er betrug 1971 bereits 713 M i l l . D M und 1972 1 209 M i l l . D M . A u f jeden Fall waren gewaltige Anstrengungen zur Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit erforderlich, u m stärker i n Europa und i n den Vereinigten Staaten Fuß fassen zu können. I n wohldurchdachten Schritten wurden die Auslandsmärkte erkundet, detaillierte Marktstudien durchgeführt, Ausbildungsprogramme entwickelt, Servicenetze eingerichtet usw. — und dies alles nach langfristig angelegten Konzepten und hartnäckig durchgesetzten Programmen eines effizienten Export-Marketing. E i n geradezu perfektes System der Exportförderung hat die Jetro durch ein dichtes Netz von Vertretungen rund um den Erdball aufgebaut, das i n der Lage ist, alle relevanten Marktbeobachtungen auf schnellstem Wege nach T o k y o weiterzuleiten. A l l das setzte aber eine qualitative hochstehende, technisch ausgereifte wie kostengünstige Produktion voraus. So war die japanische Industrie seit Jahren unablässig bemüht, den Qualitätsstandard ihrer Erzeugnisse durch Einsatz spezieller Technologien einschl. Automation sowie durch Einführung angemessener Organisationsformen zur umfassenden Qualitätskontrolle ( T Q C ) sowie durch Bildung von Qualitätszirkeln (QC) und ZD-Kampagnen (Zero-Defect Campaigns) kräftig anzuheben. Inzwischen existieren mehr als eine M i l l i o n Qualitätszirkel m i t über acht M i l l . Mitarbeiter. Heute besteht kein Zweifel mehr an dem inzwischen erreichten außerordentlich hohen Qualitätsstandard japanischer Erzeugnisse. H i n z u treten die japanischen Vorteile i m Preiswettbewerb. I n der Regel w i r d erst einmal der Binnenmarkt erschlossen. Häufig versucht man v o r dem Eindringen i n westliche Märkte noch auf den ost- und
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südostasiatischen Märkten Fuß zu fassen. A u f diese Weise bieten große Stückzahlen die Möglichkeit der Massenproduktion i n Großserie unter Einsatz modernster Fertigungstechnologien, die Japan i m harten internationalen Preiswettbewerb erhebliche Kostenvorteile bringt. Die japanische Wettbewerbsposition hat sich jedenfalls kostenmäßig, qualitativ wie auch v o m technologischen Standard her laufend verbessert. Außerdem ist der japanische Export Schritt für Schritt auf Branchen umstrukturiert worden, die als Exportschwerpunkte der traditionellen Exportländer gelten. Das hat auch dazu geführt, daß die Exportanteile der favorisierten Produktionsbereiche außerordentlich hoch sind. So betrug der Exportanteil 5 (1980) u. a. bei Automobilen (Personenwagen) 57 Prozent, bei Motorrädern 61 Prozent, bei Uhren 67 Prozent, bei Stahl 37 Prozent, Farbfernsehgeräten 40 Prozent, elektronischen Haushaltsgeräten 70 Prozent, Video-Ausrüstungen 78 Prozent, Photo-Kameras 75 Prozent und bei Maschinen 64,1 Prozent 6 . Die Gewinnung von zusätzlichen Marktanteilen hat vielfach Vorrang vor der Rentabilität erhalten. V o r zwanzig Jahren betrug der japanische A n t e i l an der Weltautomobilproduktion weniger als ein halbes Prozent. Heute stammt jedes vierte i n der W e l t gebaute A u t o m o b i l aus Japan — bedingt durch systematische Erschließung ausländischer Absatzmärkte. Der A n t e i l des A u t o mobilexports (Pkw) am gesamten Export Japans ist laufend von 4,4 Prozent i m Jahre 1965 auf über 20,5 Prozent i m Jahre 1979 angestiegen. Hauptabnehmer der japanischen Exporte (1980) sind die Vereinigten Staaten m i t etwa 24,5 Prozent, die EG-Staaten m i t etwa 13,2 Prozent, die asiatischen Schwellenländer ( H o n g Kong, Malaysia, Philippinen, Singapur, Südkorea und Taiwan) m i t etwa 17,7 Prozent und die OPEC-Länder m i t etwa 14,3 Prozent 7 . 5
Japan Economic Yearbook 1981/82. The O r i e n t a l
6
E x p o r t a n t e i l bei Maschinen auf das Jahr 1978 bezogen ( M I T I ) . O E C D , Statistics of Foreign Trade, Series A , March 1982.
7
Economist.
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A l l e diese Zahlen können leicht den Eindruck vermitteln, daß Japan i n hohem Maße exportorientiert sei, was jedoch nicht der Fall ist. N u r etwa 12,5 Prozent des japanischen Bruttoinlandsprodukts (1980) gehen i n den Export, wogegen der entsprechende A n t e i l der Bundesrepublik Deutschland bei 23,4 Prozent liegt. Japans Exportquote muß sogar angesichts seiner so starken Importabhängigkeit als überraschend niedrig gelten. Aber sie ist auch stetig ausgeweitet worden. Zudem werden Importverteuerungen Japan zwingen, seine Exportbemühungen zu verstärken. Auch ist damit zu rechnen, daß Japan m i t Abschwächung der binnenwirtschaftlichen Antriebskräfte darum bemüht sein w i r d , den Export zur Aufrechterhaltung der inneren wirtschaftlichen Stabilität auszuweiten — über die Voraussetzungen einer solchen Exportoffensive, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Japans, bestehen heute keine Zweifel mehr 8 . Es ist allerdings zu befürchten, daß die japanischen Exportbemühungen angesichts des niedrigen Wachstums, der geringen Kapazitätsauslastung, der hohen Arbeitslosigkeit, der starken Inflation und der hohen Leistungsbilanzdefizite i n den westlichen Industrieländern zum Protektionismus herausfordern — entgegen dem vitalen Interesse der Bundesrepublik Deutschland und auch Japans an einer offenen Weltwirtschaft. Z u den bereits angelaufenen protektionistischen Fehlentwicklungen zählen sicherlich bereits auch die getroffenen bilateralen Absprachen zu Lasten D r i t t e r , z. B. die Aufforderung aus Brüssel an die japanische Regierung, die Ausfuhr „sensibler" Produkte aus Japan (Pkw, Farbfernseher und -röhren, bestimmte Werkzeugmaschinen) nach Europa einzuschränken oder die sog. freiwillige Selbstbeschränkung der japanischen Automobilausfuhr i n die Vereinigten Staaten auf Druck der amerikanischen Regierung hin. N i m m t infolge solcher Maßnahmen der Export in 8 I n einem v o m European Management F o r u m i n Genf i m Jahre 1981 erstellten Bericht über die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist Japan unter 21 Ländern als eindeutiger Spitzenreiter bezeichnet worden.
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jene Länder noch zu, die ihre Grenzen weiterhin offenhalten — gleichsam als Kompensation für die Kürzungen durch Selbstbeschränkung — , so besteht die große Gefahr, daß auch hier die Dämme gegen den Protektionismus brechen. Zudem w i r d ein noch so starker protektionistischer Druck auf die außenwirtschaftlichen Beziehungen m i t Japan auf D r i t t m ä r k t e n weithin wirkungslos bleiben, also gerade dort, w o Japan unserem eigenen Export am meisten zu schaffen macht.
2. Zum Vorwurf des sozialen Dumpings Gegenüber Japan w i r d häufig der V o r w u r f des „sozialen Dumpings" erhoben. M a n spricht v o m „ N i e d r i g l o h n l a n d " Japan, verweist auf relativ niedrige Sozialkosten und bemängelt lange Arbeitszeiten, kurze Urlaubsunterbrechungen sowie geringe soziale Absicherungen des einzelnen Arbeitnehmers. I n Japan werden i n der Regel Lohnerhöhungen am Produktionswachstum ausgerichtet, wenn auch der Grundsatz der lebenslangen Beschäftigung starken Einfluß auf die Tarifpolit i k nimmt. U m so mehr muß zu denken geben, daß i n der verarbeitenden Industrie seit 1968 die Steigerungsraten der Löhne regelmäßig den Produktivitätsanstieg überschritten haben 9 . Der teilweise beträchtliche Abstand zwischen Lohn- und Produktivitätsanstieg ist zwar nach 1975 weithin eingeebnet worden. Gleichwohl sind immerhin noch von 1975 bis 1980 die Produktivität i m Jahresdurchschnitt u m 7,4 Prozent, die Löhne indessen um 8,5 Prozent gestiegen. I m internationalen Vergleich betrug zwischen 1970 und 1977 der jahresdurchschnittliche Lohnanstieg i n Japan 16,8 Prozent, i n den Vereinigten Staaten 7,5 Prozent, i n der Bundesrepublik Deutschland 9,7 Prozent, i n Großbritannien 15,9 Prozent und i n Frankreich (1972 1977) 15,4 Prozent. I m angegebenen Zeitraum wies Japan die 9 Labor and the Economy Illustrated. I n : Japanese Industrial Relations Series, The Japan Institute of Labour. T o k y o 1980, S. 17.
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höchste Zuwachsrate auf 1 0 . Bereits M i t t e der 70er Jahre hat es Japan fertig gebracht, das Lohnniveau Großbritanniens einzuholen. A m Ende des Jahrzehnts war auch der Abstand zum französischen Lohnniveau beseitigt. Dagegen ist der absolute Unterschied der Arbeitskosten zwischen Japan und der Bundesrepublik noch recht erheblich, weniger durch die Höhe der Stundenlöhne bedingt, als durch die Personalnebenkosten (vom Arbeitgeber zu zahlende Beiträge zur Sozialversicherung, freiwillige Sozialleistungen usw.). Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft 1 1 betrugen die durchschnittlichen Stundenlöhne 1979 i n der Bundesrepublik Deutschland (verarbeitende Industrie) 12,46 D M , in Japan umgerechnet 9,69 D M . Die Personalnebenkosten erreichten i n der Bundesrepublik 8,68 D M , in Japan dagegen nur 2,08 D M . Insgesamt beliefen sich demnach die Arbeitskosten 1979 i n der Bundesrepublik auf 21,14 D M und i n Japan auf 11,77 D M . Aber die Arbeitskosten je Stunde sind i n der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1970 und 1970 um insgesamt 124,4 Prozent, in Japan dagegen um fast 200 Prozent gestiegen 12 . Während bei uns Aussagen über Lohnkosten meist auf die tatsächlich b e z a h l t e A r b e i t s s t u n d e bezogen werden, legt man i n Japan die Kosten der tatsächlich g e l e i s t e t e n Arbeitsstunde zugrunde. Angesichts der großen Z a h l bezahlter Urlaubs- und Feiertage sowie der i m Vergleich zu Japan hohen Fehlzeiten w i r d der Lohnkostenvergleich m i t der Bundesrepublik Deutschland erschwert. Das japanische Arbeitsministerium hat indessen einen internationalen Lohnkosten10 Wages and Hours o f W o r k . Japanese Industrial Series. The Japan Institute o f Labour, Series 3, 1979, S. 6.
Relations
11 i w d Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, N r . 26, v o m 26. J u n i 1980, S. 5. 12 Das I n s t i t u t der deutschen Wirtschaft i n K ö l n errechnet sogar auf der Basis der nationalen Währungen einen Anstieg i m angegebenen Zeitraum v o n 262,3 Prozent. Bei den i m T e x t angegebenen Prozentsätzen handelt es sich um den Anstieg der Arbeitskosten je Stunde auf DM-Basis. IW-Trends. 3/80, 18. J u l i 1980, S. 52.
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vergleich vorgelegt, bei dem die ausländischen statistischen A n gaben den japanischen Daten durch Umrechnung auf die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden angepaßt wurden. Folgt man diesen Untersuchungsergebnissen, dann lagen i m Jahre 1978 die Arbeitskosten für die tatsächlich geleistete Arbeitsstunde i n der Bundesrepublik Deutschland u m 51,8 Prozent über dem japanischen N i v e a u 1 3 . Jedenfalls war Japan i n den Jahren 1978 und 1979 i n der Lage, von der Lohnseite her noch beachtliche Kostenvorteile gegenüber der Bundesrepublik Deutschland wahrzunehmen, wenn auch von einem „Niedriglohnland Japan" keine Rede mehr sein konnte. Zudem stellen w i r heute fest, daß der seit Jahren anhaltende Anpassungsprozeß an das europäisch-amerikanische Lohnniveau weiterhin schnell fortschreitet. Das stark auf das Dienstalter der Beschäftigten abgestellte japanische Lohnsystem — worauf besonders H e l m u t Laumer hingewiesen hat — w i r d diese Grundtendenz i n Z u kunft noch verstärken. Demographisch bedingt w i r d i m kommenden Jahrzehnt der A n t e i l älterer Arbeiter absolut und relat i v erheblich zunehmen und zum überproportionalen Lohnanstieg beitragen 14 . I n Ost- und Südostasien gilt Japan i n z w i schen als „Hochlohnland". Wettbewerbsvorteile bestehen für Japan auch durch die vorherrschenden Arbeitszeit-, Freizeit- und Urlaubsregelungen. Nach den v o m japanischen Arbeitsministerium vorgelegten Zahlen arbeiteten i m Durchschnitt die japanischen Arbeiter i m Jahre 1980 2 132 Stunden, die deutschen Arbeiter dagegen nur 1 746 Arbeitsstunden 15 . Gleichwohl ist unverkennbar, daß auch hier ein Wandel i m Gange ist. D e m veröffentlichten Zahlen13 Löhne i n Japan. Ministerium f ü r Auswärtige Angelegenheiten. Japan, J u n i 1979, S. 3 ff. 14 H e l m u t Laumer, Japans Wirtschaft i n den achtziger Jahren — Perspektiven, Chancen, Risiken, i n : I f o - D o k u m e n t a t i o n , S. 91. 15 Diese Zahlen stimmen hinsichtlich Größenordnung u n d Tendenz m i t jenen überein, die der Gewerkschaftsbund Sohyo für das Jahr 1978 veröffentlicht hat. V g l . Sohyio News N o . 364, March 15, 1981, S. 84.
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material des Arbeitsministeriums ist zu entnehmen, daß von 1969 an die effektiven Arbeitsstunden pro Woche, M o n a t und Jahr sowie die Arbeitstage pro Jahr laufend abgesunken sind. I m Jahr 1969 betrug die Z a h l der Arbeitstage noch 273,6. Sie hat sich bis zum Jahre 1979 auf 255,6 Arbeitstage verringert 1 6 . D i e überwiegende Z a h l der Großbetriebe ist zur 5-TageWoche übergegangen. K l e i n - und Mittelbetriebe haben sich teilweise angeschlossen. Den Berichten des Japan Institute of Labour ist zu entnehmen, daß bereits 1978 44,7 Prozent der Unternehmungen die 5-Tage-Woche eingeführt hatten. Für einen Teil der Unternehmungen gilt diese Regelung für alle Wochen des Monats. Andere stufen ab, und dies i n unterschiedlichem Maße bis h i n zu einer einzigen 5-Tage-Woche i m Monat. Immerhin ist diese Form der Arbeitszeitverkürzung i n Gang gesetzt worden, die inzwischen 72,3 Prozent der Arbeit zugute kommt17. Die Gewährung von bezahltem Urlaub weicht i n Japan noch erheblich von den i n Europa und i n den Vereinigten Staaten heute geltenden Regelungen ab, wenn auch in einzelnen Teilbereichen keine allzu großen Unterschiede mehr zur Bundesrepublik Deutschland bestehen. Aber i n Japan werden vielfach die zustehenden Urlaubstage nicht oder nur teilweise in Anspruch genommen. Bei Toyota w i r d z . B . den Mitarbeitern je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit ein Urlaub v o n 12 bis 20 Tagen gewährt, der aber nur zu 65 Prozent genutzt wird. Allerdings zeichnet sich auch hier ein Wandel ab. Toyota w i l l i n Zukunft darauf einwirken, daß die Mitarbeiter sich nicht einzelne Tage freinehmen, sondern, wie in anderen Ländern üblich, zusammenhängend ihren Urlaub nehmen 18 . 16 Economic Survey o f Japan 1980/1981. Economic Planning Agency, Japanese Government, T o k y o 1981, S. 259. V g l . zur Frage der Reduzierung der Arbeitsstunden i n Japan auch Shunsaku N i s h i k a w a and H a r u o Shimada, Employment and U n e m p l o y m e n t : 1970 to 1975. I n : K e i o Business Review N o . 13, 1974, S. 43 ff. 17
Labour and The Economy Illustrated, S. 19.
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J e t r o - I n f o r m a t i o n M ä r z 1981.
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Die bisweilen erhobene Forderung nach Anpassung der japanischen Arbeits-, Freizeit- und Urlaubsverhältnisse (Internationale Arbeitszeitanpassung) 19 würde praktisch bedeuten: Überstunden werden vermindert, zustehende Urlaubszeit w i r d ausgeweitet und v o l l genutzt, Lohnunterschiede zwischen Männerund Frauenarbeit werden beseitigt, die Fünf-Tage-Woche w i r d allgemein eingeführt und schließlich werden die Löhne i n der Klein-, M i t t e l - und Großindustrie vereinheitlicht. Es bedarf keiner Frage, daß hierbei Unrealistisches gefordert w i r d . Nicht einmal vor der eigenen Haustür i n Europa wäre ein solches Programm durchsetzbar. Zudem wäre es auch nicht zu rechtfertigen. Wer könnte schon den Anspruch erheben, über objekt i v richtige, international anerkannte Normen für soziale Leistungen zu verfügen? M u ß es nicht als überheblich gelten, eigene Auffassungen über Ausmaß und Ausgestaltung von Sozialleistungen auch für andere Nationen, unabhängig von dem Kulturkreis, dem sie angehören, als verbindlich zu erklären? Zudem sollte man auch nicht übersehen, daß zumindest i m Rahmen des Systems „Beschäftigung auf Lebenszeit" zahlreiche japanische Unternehmen eine Vielzahl freiwilliger Sozialleistungen anbieten. Wettbewerbsvorteile kann Japan auch dadurch wahrnehmen, daß sein System der sozialen Sicherung längst nicht so ausgebaut ist wie i n einzelnen europäischen Ländern. Den statistischen Ubersichten der O E C D über ihre Mitgliedsländer ist zu entnehmen, daß i m Jahre 1978 insgesamt die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung i n Frankreich 11,8 Prozent, i n der Bundesrepublik Deutschland 6,84 Prozent, i n I t a lien 9,43 Prozent, i n den Niederlanden 7,9 Prozent und i n Schweden 13,16 Prozent des Bruttosozialprodukts betrugen. 19 V g l . hierzu Jetro-Informationen, M ä r z 1981. H i e r heißt es z . B . : „ I m Dezember letzten Jahres fand i n T o k i o ein Treffen v o n Führungskräften japanischer u n d europäischer A u t o m o b i l f i r m e n statt, bei dem v o n europäischer Seite wieder einmal starke K r i t i k an der langen wöchentlichen Arbeitszeit u n d den hohen Überstundenzahlen der japanischen Arbeiter der Automobilindustrie ausgeübt w u r d e . "
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I n Japan erreichte dieser A n t e i l dagegen lediglich 3,71 Prozent 2 0 . Japan w i r d nicht umhinkönnen, den Problemen der sozialen Sicherung weit mehr Beachtung zu schenken, als dies bisher der Fall war. Das Problem der „ A l t e n " , die Sicherung ihrer Versorgung, ihre Unterbringung, ihre ärztliche Betreuung i m K r a n k heitsfalle bewegen i n starkem Maße die japanische Öffentlichkeit. Namentlich Kazuo Okochi hat sich seit vielen Jahren für eine Besserung der Lebensumstände und der Beschäftigungsverhältnisse älterer Leute i n Japan eingesetzt. M i t Beginn des Ruhestandsalters, gewöhnlich m i t 55 Jahren, geht das Einkommen drastisch zurück. Gelegenheitsarbeiten, die oft übernommen werden, sind meist schlecht bezahlt. Auch w i r d es für die zunehmende Z a h l älterer Leute immer schwieriger, solche Arbeit zu finden. So setzt vielfach m i t dem Ausscheiden aus dem Berufsleben der soziale Abstieg ein, während vor 1985 kaum erwartet werden kann, daß die angestrebte H e r aufsetzung der Altersgrenze auf 60 Jahre allgemein v e r w i r k licht w i r d 2 1 . U m so dringender w i r d eine befriedigende Lösung der renten bzw. der Altersversorgung, unabhängig davon, System der Abfindungen beim Ausscheiden aus dem beibehalten, modifiziert oder aufgegeben w i r d 2 2 . Es
Altersob das Dienst kommt
20 Revenues Statistics o f O E C D Member Countries 1965 - 1980. O E C D Paris 1981, S. 84. V g l . audi H e l m u t Laumer, Japans W i r t schaft i n den achtziger Jahren — Perspektiven, Chancen, Risiken. I n : I f o - D o k u m e n t a t i o n , S. 23. 21 K a z u o Okochi, Lebensumstände u n d Beschäftigungsverhältnisse älterer Leute i n Japan. I n : W i l l y Kraus (Hrsg.), Humanisierung der Arbeitswelt. Gestaltungsmöglichkeiten i n Japan u n d i n der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1979, S. 285 f. D e r T r e n d zu einem Pensionierungsalter v o n 60 Jahren ist 1979 durch die I n i t i a t i v e der großen Stahlgesellschaften u n d der Privatbanken verstärkt worden, stufenweise die Altershöchstgrenze heraufzusetzen. 22 Unternehmen, die mehr als 30 Personen beschäftigen, zahlen etwa zu 90 Prozent beim Ausscheiden aus dem Dienst Abfindungen. Nach offiziellen japanischen Angaben betrugen die Abfindungen an Arbeitnehmer, die i m Rahmen des Systems der Altersgrenze aus dem
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hinzu, daß sich i n Japan der Altersaufbau der Bevölkerung schnell verändert und damit audi die Sozialausgaben aus den verschiedenen Rentenkassen und aus Staatszuschüssen, die sog. Transferzahlungen, notwendig ansteigen müssen 23 . Der A n t e i l der älteren Bevölkerung (65 Jahre und mehr) an der Gesamtbevölkerung betrug 1978 i n Japan nur 8,6 Prozent gegenüber 15,2 Prozent i n der Bundesrepublik Deutschland. Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, daß die Ausgaben zur A l tersversorgung, die einen wichtigen Posten der Transferzahlungen bilden, i n beiden Ländern erheblidi voneinander abweichen. Während die Transferquote (Anteil der Transferausgaben am Volkseinkommen) 1978 i n der Bundesrepublik 21,9 Prozent betrug, erreichte sie i m gleichen Jahr i n Japan nur 12,3 Prozent, wesentlich bedingt durch die günstige Altersstruktur 2 4 . Angesichts der hohen und weiterhin ansteigenden Lebenserwartungen bei absinkenden Geburtenzahlen w i r d aber die Alterspyramide der japanischen Bevölkerung zunehmend kopflastig. So w i r d damit gerechnet, daß der A n t e i l der A l t e n an der Gesamtbevölkerung i n zwanzig Jahren etwa bei 15 Prozent liegen w i r d 2 5 . Zunehmende soziale Sicherheitsbedürfnisse wie die sich ändernde Altersstruktur der Bevölkerung werden Japan veranlassen, die Transferquote anzuheben, wie dies i m Neuen Wirtschafts- und Sozial-Siebenjahresplan der Regierung aus Dienst scheiden, i m Schnitt p r o Person 3,288 M i l l . Yen. Neues aus Japan. N r . 267, M ä r z / A p r i l 1980, S. 5. Nach einer P u b l i k a t i o n des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten lag dagegen 1975 die Abfindungssumme zwischen 6 u n d 13 M i l l . Yen. Löhne i n Japan, S. 13. 23 Siegfried Lörcher, Sozialversicherung, Altersversorgung, Rentensystem. I n : Japan 1979/80. P o l i t i k u n d Wirtschaft. Hrsg. v o n M a n f r e d Pohl. I n s t i t u t für Asienkunde, H a m b u r g 1980, S. 81 ff. 24 V g l . hierzu N e w Economic and Social Seven-Year P l a n (Summary), S. 50. 25 H a r u o Shimada, The Japanese Employment System. Japanese Industrial Relations Series. The Japan Institute o f Labour. 1980, S. 32.
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dem Jahre 1979 auch bereits vorgesehen ist. Sie soll bis 1985 auf 14,5 Prozent erhöht werden 2 6 . Insgesamt werden auf Japan große soziale Belastungen zukommen. I m Haushaltsentwurf für 1981 hat die Regierung für Zwecke der sozialen Sicherheit 8 837 M r d . Yen bereitgestellt; das waren 40,2 M r d . US-Dollar und etwa 18,9 Prozent des gesamt ordentlichen Haushalts. Dabei w i r d es i n den kommenden Jahren sicherlich nicht bleiben. Es ist damit zu rechnen, daß nicht nur der A n t e i l der Ausgaben für soziale Sicherheit am ordentlichen Haushalt ansteigen w i r d . Darüber hinaus w i r d wahrscheinlich auch die vergleichsweise niedrige Staatsquote (Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt) ansteigen müssen. Sie betrug i m Jahre 1979 31,5 Prozent gegenüber 46,4 Prozent i n der Bundesrepub l i k Deutschland 27 . D e m entsprechen natürlich auch die relativ niedrigen Steuer- und Abgabenquoten. I m Jahre 1980 belief sich i n Japan die Steuerquote, der A n t e i l der Steuereinnahmen am Bruttosozialprodukt, auf 17,1 Prozent gegenüber 24,4 Prozent i n der Bundesrepublik Deutschland. I m gleichen Jahr lag die Abgabenquote, der A n t e i l an Steuern und Sozialabgaben am Bruttosozialprodukt i n Japan bei etwa 24,6 Prozent, i n der Bundesrepublik Deutschland dagegen bereits bei 38,4 Prozent 2 8 . V o n japanischer Seite w i r d zugegeben, daß es i m Verlaufe der letzten Jahrzehnte versäumt worden ist, die soziale Infrastruktur — Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen usw. — angemessen auszubauen. Es ist zu erwarten, daß dieser Nachholbedarf ebenfalls m i t japanischer Gründlichkeit und Schnelligkeit gedeckt werden w i r d . So sieht der Neue Wirtschafts- und Sozial-Siebenjahresplan der Regierung vor, daß die Steuerlastquote (Anteil der Steuerlast am Volkseinkommen) von 19,9 Prozent i m Jahre 1978 auf 26,5 Prozent 28
N e w Economic and Social Seven-Year P l a n (Summary), S. 20.
27
The O E C D Economic O u t l o o k 1979.
28
Bundesministerium der Finanzen. Informationsdienst nanzpolitik des Auslandes. N r . 1/1982, 5. M ä r z 1982, S. 16. 5 Kraus
zur
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i m Jahre 1985 angehoben w i r d 2 9 . Dennoch w i r d für Japan kaum Veranlassung bestehen, ein europäisch konzipiertes System der sozialen Sicherung zu übernehmen, das durch mangelnde Anpassung an längst veränderte Grunddaten inzwischen überstrapaziert w i r d und nicht mehr i n der Lage ist, die gestellten Anforderungen m i t den beschränkten Ressourcen in Deckung zu bringen 3 0 . Japan w i r d auf seine A r t ein eigenes System auf- und ausbauen müssen. Dichte und Polsterung des sozialen Netzes bilden doch w o h l ein internes japanisches Problem, eng verbunden m i t dem ostasiatischen Kulturkreis und der japanischen Geschichte, m i t den konkreten sozialen Sicherheitsbedürfnissen der japanischen N a t i o n und den selbstgewählten bzw. bevorzugten institutionellen Vorkehrungen. Die Familiensolidarität ist i n Japan weiterhin fest verankert und w i r d auch i n Zukunft zur Absicherung der Lebensverhältnisse einen wichtigen Beitrag leisten. Die private Vorsorge ist i n Japan ebenfalls stark ausgeprägt, wie dies die außerordentlich hohen Sparquoten und Versicherungssummen bei privaten Lebensversicherungen deutlich zeigen 31 . I m neuen Wirtschafts- und Sozial-Siebenjahresplan aus dem Jahre 1979 ist deutlich zum Ausdruck gebracht worden, daß eine „ N e w Japanese-style Welfare Society" zu schaffen sei, die sich der kreativen Kraft des marktwirtschaftlichen Systems bediene, auf die Selbsthilfe des Einzelnen zurückgreife und auf die Solidarität der Gemeinschaft baue. Ausdrücklich wurde betont, daß die Wohlstandsgesellschaft japanischen Zuschnitts durch öffentliche und private Bemühungen zustande kommen werde 3 2 . 29
N e w Economic and Social Seven-Year Plan (Summary), S. 50.
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Ruprecht V o n d r a n , Japanische Wirtschaftserfolge — Schicksal oder M o t i v a t i o n für die übrigen Industriestaaten?, I f o - D o k u m e n t a t i o n Japan, S. 4. 31 Nach einer offiziellen japanischen Verlautbarung ergab ein Vergleich der durchschnittlichen Versicherungssumme pro K o p f der Bevölkerung i m Jahre 1977 für Japan umgerechnet 30 962,— D M u n d für die Bundesrepublik Deutschland 9 058,— D M . Neues aus Japan, N r . 267, M ä r z / A p r i l 1980, S. 5. 32 N e w Economic and Social Seven-Year Plan (Summary), S. 9 ff.
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Die Ursachen der japanischen Wettbewerbsfähigkeit sind vielgestaltig. Als Hauptursachen können indessen nicht ein relativ niedriges Lohnniveau oder gar ein Lohn- und Sozialdumping i n Betracht gezogen werden. Wesentlich sind w o h l die geistigen Einstellungen der Japaner und ihre Einflußnahme auf die Technologieentwicklung, auf den Produktivitätsanstieg sowie auf die anhaltende Steigerung der Leistungskraft. Bereits vor zwei Jahrzehnten hat sich K a r l H a x m i t dem V o r w u r f einer unlauteren Außenhandelspolitik durch soziales D u m p i n g auseinandergesetzt und m i t Nachdruck auf einen „natürlichen Kostenvorteil Japans" verwiesen, der „bei anderen Nationen i n anderer Weise gegeben sein kann, etwa i n Form von leicht zu erschließenden Rohstoffquellen" 3 3 . U m so mehr erscheint nach dem gewaltigen Wandel der japanischen sozialen Verhältnisse i n den sechziger und siebziger Jahren der V o r w u r f eines Lohn- oder sozialen Dumpings heute vollauf ungerechtfertigt zu sein.
3. Zugang zum japanischen Markt V o n japanischer Seite ist angesichts der wachsenden Exportüberschüsse i m Warenverkehr m i t Europa und den Vereinigten Staaten nachdrücklich die Auffassung vertreten worden, daß die Handelsbilanz nicht auf bilateraler, sondern auf globaler Basis betrachtet werden müsse. Auch seien bei der Beurteilung der Uberschüsse i m Warenverkehr die unsichtbaren Posten zu berücksichtigen. So betonte am 19. Februar 1981 der japanische Botschafter i n der Bundesrepublik Deutschland anläßlich einer Veranstaltung der Deutsch-Japanischen Gesellschaft i n Bremen: „ I m H a n d e l zwischen Japan und der E G konnte 1979 einen Überschuß v o n 5,1 M r d . US-Dollar verbuchen, aber zugleich bei den unsichtbaren Posten mußte es ein Defizit von 3,4 M r d . US-Dollar hinnehmen." Die japanische Regierung halte daher auch an der Ansicht fest, „daß der H a n d e l zwischen Japan und der E G i m Grundsatz durch 33
5'
K a r l H a x , Japan, S. 129.
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einen Zuwachs der Exporte aus der E G nach Japan verbessert werden kann und sollte" 3 4 . V o n europäischer wie auch amerikanischer Seite w i r d dagegen immer wieder betont, daß solche Deklamationen kaum weiterhelfen, wenn T o k y o nicht gleichzeitig drastische Maßnahmen zur Öffnung seines Binnenmarktes ergreift. Sieht man sich die japanische Einfuhrstatistik an, so w i r d man feststellen müssen, daß die Position „Fertigwareneinfuhr" für ein hochindustrialisiertes Land erheblich unterentwickelt ist. Der A n t e i l der Fertigwarenimporte am Gesamtimport betrug 1980 i n den Vereinigten Staaten 54,1 Prozent, i n der Bundesrepublik Deutschland 58,3 Prozent, i n Großbritannien 67,3 Prozent, i n Frankreich 57,9 Prozent, in Italien 49,7 Prozent, i n Japan indessen nur 22,9 Prozent 3 5 . I n den Beschuldigungen der E G gegenüber Japan i m Rahmen des am 7. A p r i l 1982 eingeleiteten GATT-Verfahrens gemäß A r t . X X I I I hat sich die Europäische Kommission u. a. auf das A r gument stützen können, daß die Pro-Kopf-Importe industrieller Güter 1980 i n den Vereinigten Staaten 547 US-Dollar, i n der E G 796 US-Dollar, i n Japan dagegen nur 233 US-Dollar betrugen. Die Handelsdefizite der Bundesrepublik Deutschland und der E G sind demgemäß auch von Jahr zu Jahr angestiegen. I m Jahre 1981 deckten die EG-Exporte nach Japan nicht einmal 35 Prozent der EG-Importe aus Japan. A u f ausländischen Druck h i n hat die japanische Regierung N o t i m p o r t programme durchgeführt. Aber diese Form einer Importausweitung hat kaum dazu beigetragen, die bestehenden K o n f l i k t stoffe zu beseitigen. Entweder hat Japan auf diesem Wege seine Rohstoffvorräte erweitert oder Fertigerzeugnisse eingeführt, die es selbst nicht herstellt (z. B. auf internationalen Linien einsetzbare Verkehrsflugzeuge). Seine einseitige I m p o r t struktur ist dadurch nicht abgeändert worden. 34 V o r t r a g des japanischen Botschafters B u n r o k u Yoshino am 19. Februar 1981 anläßlich der G r ü n d u n g der Deutsch-Japanischen Gesellschaft i n Bremen. Abdruck i n der D o k u m e n t a t i o n Vorträge des Japanischen Botschafters i n der Bundesrepublik Deutschland Bunroku Yoshino 1 9 7 9 - 1981. 35
O E C D , Statistics of Foreign Trade, Series A , March 1982.
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Japan hat inzwischen seine Zollschranken gegenüber europäischen Fertigwaren i m Rahmen des G A T T i n weitem U m fange abgebaut. 1976 lagen bereits die japanischen Einfuhrzölle i m Durchschnitt unter denen der E G und der U S A . Z u m 1. A p r i l 1980 hat Japan freiwillig i m Vorgriff auf die Vereinbarungen der „ T o k y o - R u n d e " Zollsenkungen bis zu 25 Prozent vorgenommen. Es folgte eine weitere vorzeitige Zollsenkung zum 1. A p r i l 1982 bei ca. 1 650 Zollpositionen. Ende M a i 1982 wurden 215 Zollsenkungen bzw. die völlige Beseitigung von Einzelzöllen i n diesem Umfang ab 1. A p r i l 1983 bekanntgegeben. Japan kann jedenfalls m i t Recht darauf verweisen, daß es zu den Industrienationen m i t den niedrigsten Z o l l tarifen gehört — und dies bereits heute und nicht erst 1987, wenn die in der Tokyo-Runde vereinbarten Tarifreduzierungen v o l l durchgeführt sind. Japan kann ferner zahlreiche A n griffe auf seine Handelspolitik m i t dem Argument zurückweisen, daß sich seine mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen auf eine geringere A n z a h l v o n Produkten erstrecken als die der EG-Mitgliedsländer. Z u Beginn des Jahres 1982 bestanden in Japan insgesamt 27 Importbeschränkungen, 22 Einfuhrquoten für landwirtschaftliche Produkte und 5 für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse. Die sehr freizügig m i t Quoten operierende Handelspolitik einzelner EG-Mitgliedsländer bildet nicht gerade ein nachahmenswertes Musterbeispiel für offenen M a r k t zugang. Frankreich und Italien sind auch weiterhin nicht bereit, ihre Einfuhrrestriktionen, insbesondere Importquoten für japanische Kraftfahrzeuge, aufzuheben. Japanische Automobileinfuhren sollen 3 Prozent der französischen Zulassungen nicht überschreiten. Auch ist bekannt geworden, daß japanische Frachtschiffe m i t Automobilen i n Frankreich nicht entladen worden sind. Importrestriktionen i n Italien haben über viele Jahre bewirkt, daß i n der Regel nicht mehr als 2 000 Fahrzeuge i m Jahr importiert werden. Insgesamt w i r d i n Frankreich die Einfuhr von 46 Produkten kontingentiert, davon sind 27 dem Industriesektor zuzurechnen. Darüber hinaus bestehen in insgesamt 9 EG-Ländern diskriminierende Einfuhr-
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besciiränkungen, die nicht allgemeiner A r t sind, sondern gezielt auf die Behinderung des Exportes aus Japan gerichtet sind 3 6 . Die Vereinigten Staaten erwarten von Japan, daß es seine Importquoten für landwirtschaftliche Produkte aufhebt, während sie selbst zum Schutze ihrer Landwirtschaft sich des Quotensystems bedienen — teilweise sogar bei den gleichen Produkten wie i n Japan. Es erscheint ein Gebot der Fairneß zu sein, von Japan nur dann einen Abbau des Agrarprotektionismus, insbesondere von Importquoten für Agrarprodukte zu fordern, wenn man i n gleicher Weise selbst zu handeln bereit ist. Das gilt w o h l insgesamt für die Handelspolitik der drei großen und wichtigen Welthandelspartner, die statt gegenseitiger Vorwürfe alles unternehmen sollten, u m die Grundlagen des multinationalen Handels zu erhalten und zu festigen. Reziprozitätsüberlegungen, wie sie gegenwärtig i n den U S A Japan gegenüber angestellt werden, unterminieren das G A T T Meistbegünstigungsprinzip und damit das m i t großer Mühe aufgebaute und nunmehr so stark gefährdete Welthandelssystem. I n diesem Zusammenhang scheint es audi angebracht zu sein, auf ein Grundprinzip der japanischen Handelspolitik zu verweisen. I n den Vereinigten Staaten wie auch i n Europa w i r d regelmäßig bedrohten heimischen Industriezweigen — geradezu m i t Selbstverständlichkeit der Textilindustrie, neuerdings der Stahlindustrie, dem Schiffbau wie der Automobilproduktion — insbesondere durch die Z o l l p o l i t i k oder durch die Einführung von Marktordnungen i n massiver Weise Schutz gewährt. Japan schützt nicht seine v o l l ausgereiften
Produktionszweige
wie die Textilindustrie oder die Automobilindustrie, dagegen die aufsteigenden, die wachsenden Bereiche wie z. B. die Computer· und nachrichtentechnische Industrie. Aber der Umfang dieses Schutzes findet dort seine Grenze, w o infolge staatlicher 36 V g l . hierzu Japanwirtschaft. N r . 3/82, M a i 1982, Deutsch-Japanisches Wirtschaftsförderungsbüro, S. 11 ff.
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Hilfsmaßnahmen m i t dem Erlahmen der Privatinitiative bei der technologischen Weiterentwicklung gerechnet werden kann 3 7 . Nachdem de jure die Liberalisierung erfolgt ist, w i r d w o h l m i t Recht auf die nichttarifären Handelshemmnisse verwiesen, die den Export nach Japan erheblich behindern. Die Beanstandungen erstrecken sich insbesondere auf drei Bereiche: 1. auf die Importprüfverfahren m i t ihren Normen, Verordnungen, Vorschriften, Ausführungsbestimmungen, Tests, Modalitäten der Zollabfertigung und Genehmigungsverfahren; 2. auf das japanische Vertriebssystem; 3. auf die Vergabe öffentlicher Aufträge. I m Jahre 1980 hat Japan das von der Tokyo-Runde aufgestellte Normenabkommen angenommen sowie das Gesetz über industrielle Standardisierung revidiert. Es w i r d allerdings geltend gemacht, daß Japan diesen Verpflichtungen nicht ausreichend Rechnung trägt 3 8 . Gemäß der am 1. Dezember 1980 i n Kraft getretenen Novelle zum japanischen Devisen- und Außenhandelskontrollgesetz sind Kapitalbewegungen grundsätzlich frei. Durch das neue Japanische Außenhandelsgesetz sind ferner die Formalitäten für Finanztransaktionen, die auf Waren- und Dienstleistungsgeschäften beruhen, erheblich vereinfacht worden. Allerdings enthält das Gesetz noch umfangreiche Schutzklauseln. Es bleibt abzuwarten, wie es gehandhabt w i r d . Trotz dieser Fortschritte sind auch weiterhin Japans Importprüf- und -genehmigungsverfahren weltweit harter K r i t i k ausgesetzt, zumal sie zum Teil restriktiver w i r k e n als Z o l l barrieren und Importquoten. W i r d z . B . die Erteilung einer Einfuhrgenehmigung davon abhängig gemacht, daß nicht nur Produktionsbeschreibungen und Bedienungsanleitungen, sondern auch genaue Konstruktionszeichnungen, Schaltpläne, A n 37
James Abegglen u n d A k i o Etori, Japans Technologie heute,
S. 12. 38 A d m i n i s t r a t i v e Importbeschränkungen i n Japan. Z u r W i r k u n g tarifärer u n d nichttarifärer Handelshemmnisse. Bundesverband der Deutschen Industrie e. V., M ä r z 1982, S. 10.
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gaben über die Herkunft der Zulieferer (z. B. bei medizinischen Geräten) und schließlich auch noch Informationen über Fertigungsmethoden vorzulegen sind, dann werden zur Wahrung ihrer Wettbewerbsposition und ihres Technologievorsprungs manche Unternehmungen davon Abstand nehmen müssen, nach Japan überhaupt zu liefern 3 9 . Auch w i r d weiterhin Klage darüber geführt, daß technische Prüfverfahren und -tests nicht nur einfuhrhemmend wirken, sondern einzelne Testanforderungen als „einzigartig" i n der industrialisierten Welt gelten müssen, die auch noch zu allem Überdruß in einzelnen Präfekturen unterschiedlich ausgelegt und gehandhabt werden 4 0 . International vereinbarte Prüfungs- und Genehmigungsvorgänge werden häufig nicht anerkannt. Ferner bereiten schwer auslegbare Gesetzestexte und Ausführungsbestimmungen, fehlende Veröffentlichungen der Rechtsgrundlagen wie die Uneinheitlichkeit der lokalen Vorschriften manchen Ärger. H i n z u treten die sehr komplizierten, langwierigen und teuren zolltechnischen Verfahren. I n der Dokumentation des B D I über „Administrative Importbeschränkungen i n Japan" w i r d darauf hingewiesen, daß zur Anerkennung des CIF-Wertes folgende Dokumente je Warengruppe vorzulegen sind: Einkaufsrechnungen; K a l k u l a tion der Einstandspreise anhand v o n Rechnungen für Frachten, Versicherungen etc.; Verkaufsrechnungen; Kostenbestandteile der Erfolgsrechnung je Erzeugnisgruppe. Hieraus w i r d m i t Recht die Folgerung gezogen, daß durch „diese V o r s c h r i f t e n . . . ausländische Unternehmen gezwungen [werden], eine nahezu vollständige Transparenz ihres Betriebsablaufes einschließlich der Struktur des Betriebsergebnisses zu schaffen. D a die Lizenzen i n der Regel nach jeweils 2 Jahren erneuerungsbedürftig sind, erhalten (interessierte) japanische Stellen ständig aktuelle Informationen über ihre Konkurrenten" 4 1 . 39 Ebenda, S. 18 f. D e r Bericht verweist ferner auf die K l i n i k erprobung aller medizinischen Güter, die 3 Monate bis 2 Jahre i n Anspruch n i m m t . Erst nach Vorliegen des Erprobungsberichtes w i r d über die I m p o r t l i z e n z entschieden. 40
Ebenda, S. 6 f.
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Die Bindung von Importgenehmigungen für einzelne I m portgüter an den japanischen Importeur hat zur Folge, daß ausländische Produzenten nicht nur auf einen japanischen Partner angewiesen sind, sondern auch vor einem Wechsel zurückschrecken müssen. Anderenfalls sind die Genehmigungsverfahren zu wiederholen. Bei der Diskussion über nichttarifäre Handelshemmnisse sollte fairerweise allerdings auch beachtet werden, daß das i n Japan fest verwurzelte Gesundheitsbewußtsein an die heimische Produktion wie an Importeure spezifische Anforderungen stellt, die i n zahlreichen Exportländern vielfach nicht gestellt werden. Traditionelle H e i l m i t t e l und Kräutermedizin erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Konservierungsstoffe bei Lebensmitteln sind i n Japan grundsätzlich nicht zugelassen. Auch erschweren die japanischen Abgasbestimmungen den I m p o r t v o n ausländischen Automobilen aus jenen Ländern, deren Immissionsnormen weniger streng gehandhabt werden 4 2 . Allerdings sind inzwischen auch Lockerungen der Vorschriften zur Immissionskontrolle für Importautos vorgenommen worden. Aber insgesamt handelt es sich hierbei u m Bestimmungen, die nach heutigem Verständnis genau so wenig als diskriminierende Handelshemmnisse einzustufen sind wie das deutsche Reinheitsgebot für Bier, verbunden m i t einem Einfuhrverbot für ausländisches Bier, das konservierende und stabilisierende Zusätze enthält. Nachdem aber die EG-Kommission i m deutschen Reinheitsgebot nicht eine Maßnahme des Verbraucherschutzes sondern eine unzulässige Einfuhrbeschränkung für ausländisches Bier und demnach einen Verstoß gegen A r t . 30 der römischen Verträge sieht und sogar dieserhalb ein Verfahren vor dem 41 I n der D o k u m e n t a t i o n des B D I heißt es hierzu noch weiter: „ E i n Vorgang, der i n seiner diskriminierenden W i r k u n g innerhalb der industrialisierten Länder w o h l ohne Beispiel sein dürfte." S. 12. 42 Allerdings erscheinen uns die Methoden des »Type Designation Test" einschl. der damit verbundenen Einzeltests sowie der „ T y p e N o t i f i c a t i o n Test" auch unabhängig v o n dem Nachweis für die E r füllung japanischer Abgasvorschriften als diskriminierende Vorgänge.
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Europäischen Gerichtshof eingeleitet hat, kann man nur gespannt sein, ob die Brüsseler Bürokratie i n vergleichbarer Weise gegen die Verbrauchsgewohnheiten, lebensmittelrechtlichen Bestimmungen und Maßnahmen des Umweltschutzes i m Einfuhrland Japan ebenfalls zu Felde ziehen w i r d . Es ist jedenfalls nicht einzusehen, daß eine sog. Harmonisierung von Standards der Nahrungsmittelhygiene und des Verbraucherschutzes stets eine Anpassung aller an das allerniedrigste, untere Niveau bedeuten muß und daß dieses fragwürdige Verfahren dann auch noch als „Beseitigung von Handelshemmnissen" gelten soll. E i n wesentliches Handelshemmnis bildet sicherlich auch das japanische Warenverteilungssystem. Über 350 000 Großhandelsunternehmen nehmen vielstufig auf dem japanischen M a r k t eine außerordentlich starke Stellung durch die Wahrnehmung von Finanzierungs-, Beschäftigungs-, Transport- und Beratungsfunktionen ein. H i n z u kommen die für Europäer und Amerikaner schwer durchschaubaren Distributionskanäle und Handelspraktiken. Ferner ist auf den hohen Konzentrationsgrad des Handels zu verweisen. Die Sogo Shosha — neun riesige Welthandelsunternehmen (Mitsubishi Corporation; M i t sui & Co. L t d . ; C. I t o h & Co., L t d . ; Marubeni Corporation; Sumitomo Corporation; Nissho-Iwai, Co. L t d . ; T o y o Menka Kaisha, L t d . ; Kanematsu-Gosho L t d . ; Nichimen Co., Ltd.) — wickeln einen großen Teil des gesamten japanischen Außenhandels ab. Sie schaffen die Märkte, finanzieren die Lieferungen, erschließen neue Rohstoffquellen und organisieren internationale Investitionsprojekte sowie den I m p o r t 4 3 . I m Geschäftsjahr 1979 entfielen auf diese Umsatzgiganten 42 Prozent des gesamten Exports und 56,5 Prozent des Imports 4 4 . 43 Schaltstellen der Wirtschaft u n d des Welthandels, i n : W i r t schaftspartner Japan, herausgegeben v o m Institut für Asienkunde, H a m b u r g , u n d der Deutschen Industrie- u n d Handelskammer i n Japan, H a m b u r g 1980. 44 H e l m u t Laumer, „Sogo Shosha": Japans multinationale H a n delsunternehmen — w e l t w e i t ohne Pendant, i n : Ifo-Studien, N r . 3/4, 1981, S. 155.
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Es muß angenommen werden, daß sie Aufträge inländischer Produzenten bevorzugt ausführen, insbesondere dann, wenn diese dem eigenen Unternehmensverbund angehören. Sie werden w o h l nichts gegen den W i l l e n japanischer Firmen auf den M a r k t bringen, m i t denen sie laufend i n Geschäftsverbindung stehen. Außerdem ist das japanische Verteilungssystem insgesamt für den ausländischen Importeur unübersichtlich, aufwendig und bei Textilien und verarbeiteten Nahrungsmitteln auch außergewöhnlich lang. Allerdings sollte man nicht übersehen, daß das so verschlungene und personell überbesetzte japanische Vertriebssystem, falls man es m i t unseren Maßstäben mißt, auch soziale Aufgaben zu erfüllen hat. Es ist historisch gewachsen und genau so wenig wie die japanische Sprache, die w o h l das wirksamste nichttarifäre Handelshemmnis darstellt, ausdrücklich zur Einfuhrbeschränkung geschaffen worden. Es ist verständlich, daß für Japan aus sozialpolitischen Gründen allzu schnelle Änderungen in diesem Bereich unerwünscht sind, wie dies auch offen von kompetenter Seite mehrfach dargelegt w o r den ist. Historisch gewachsen ist auch das funktionierende Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft, das auf der politischen Bühne der Bundesrepublik Deutschland entweder hoch gelobt oder schlag wortartig flott als „Protektionismus der dritten Dimension" gebrandmarkt w i r d 4 5 . Die K r i t i k e r übersehen indessen, daß diese tradierte enge Kooperation, zudem m i t weitaus größerem Staatseinfluß, längst bestanden hat, als Japan i n noch völliger Abgeschlossenheit überhaupt nicht an der internationalen Arbeitsteilung teilgenommen hat. Was nun die Vergabe öffentlicher Aufträge an ausländische Exporteure betrifft, so hat Japan i m Jahre 1981 das G A T T Abkommen über Regierungseinkäufe vorzeitig ratifiziert. Aber man sollte sich doch keine Illusionen über den faktischen A b 45 I n Abweichung v o n G r a f Lambsdorff spricht indessen Klaus v o n D o h n a n y i geradezu voller Bewunderung v o n der vorurteilslosen Zusammenarbeit v o n Staat u n d Wirtschaft. Klaus v o n D o h n a n y i , Japanische Strategien u n d das deutsche Führungsdefizit, München 1969, S. 36, S. 89 u. S. 90.
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bau von importbehindernden Maßnahmen i n diesem Bereich machen. Das gilt gleichermaßen für Japan wie für die übrigen Industrienationen. Es fehlen nicht nur eindrucksvolle japanische Taten, sondern auch die großen hehren Vorbilder der gestrengen Ankläger. I m M ä r z 1982 wurde z . B . bekannt, daß die jüngste Ausschreibung der American Telephone and Telegraph Co. ( A T T ) für eine Glasfaserverkabelung zwischen Washington und N e w Y o r k zu folgendem Ergebnis geführt hatte: Der führende japanische Computer-Hersteller Fujitsu legte das niedrigste Angebot i n Höhe von 56,5 M i l l . US-Dollar vor. Den Zuschlag erhielt der niedrigste Anbieter unter den amerikanischen Firmen, die Western Electric, deren Angebot sich immerhin auf 75 M i l l . US-Dollar belief 4 6 . Ende Januar 1982 hat die japanische Regierung ein Programm m i t 67 Einzelmaßnahmen zum Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse beschlossen, die einem Katalog von insgesamt 99 Beanstandungen der E G und der Vereinigten Staaten entnommen waren 4 7 . Gleichwohl w i r d i m Bereich der nichttarifären Handelshemmnisse noch manches zu t u n sein, wenn ausländische Waren schlechthin auf dem japanischen M a r k t die gleichen Chancen erhalten sollen wie japanische Waren auf den Auslandsmärkten. M a n sollte allerdings deutlich aussprechen, daß Japans Handelshemmnisse dem Ausland häufig auch als Ausrede dienen. Die deutsche und die amerikanische Handelskammer i n T o k y o haben die Auffassung vertreten, daß m i t nichttarifären Einfuhrhürden oft nur die eigene Untätigkeit gerechtfertigt werde 4 8 . Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer i n Japan, Bernhard Großmann, hat vor nicht allzu langer Zeit auf einer Veran46 Japaninfo 6, A k t u a l i t ä t i n Japan: Deutscher Dienst für P o l i t i k , Wirtschaft u n d Gesellschaft. 22. M ä r z 1982, S. 2 f. 47 I n 9 Fällen sah sich die japanische Regierung z u m gegenwärtigen Z e i t p u n k t nicht i n der Lage, Änderungen vorzunehmen. 15 Fälle sollen auf Mißverständnissen beruhen. I n 8 Fällen hat die japanische Regierung eine Änderung abgelehnt. 48
Süddeutsche Zeitung, 18. August 1981.
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staltung i n Nürnberg als größtes nichttarifäres Handelshemmnis für die deutschen Exporteure in Japan ihr eigenes Fehlverhalten bezeichnet, nämlich die Erwartung, daß sich der japanische M a r k t nach ihren Vorstellungen ändern werde 4 9 . Jedenfalls sind von europäischer und amerikanischer Seite nicht m i t gleicher Zielstrebigkeit Anstrengungen unternommen w o r den, um dauerhaft auf dem japanischen M a r k t Fuß zu fassen, wie w i r sie von den Japanern i n Europa und Amerika kennengelernt haben. Unsere Exporteure haben sich allzu lange vorwiegend europäischen und nordamerikanischen Märkten zugewandt, indessen Japan — den zweitgrößten M a r k t der westlichen Welt — vernachlässigt und die zahlreichen Marktnischen übersehen. Das lag natürlich zum großen Teil an der lange Zeit durchgehaltenen protektionistischen japanischen I m p o r t p o l i t i k . Auch haben die großen Entfernungen zum Fernen Osten, die Sprach- und Schriftbarrieren, die damit verbundenen K o m munikationsschwierigkeiten, bisher ungewohnte Produkt- und Marketing-Probleme sowie auch Fehlschläge i m Japan-Geschäft zu dieser Zurückhaltung beigetragen. Immerhin hat die japanische Regierung sich nunmehr veranlaßt gesehen, eine interministerielle Schiedsstelle für Beschwerden ausländischer Exporteure über mangelnde Zugangsmöglichkeiten zum japanischen M a r k t einzurichten. Vorgesehen ist, daß auf Beschwerden hin innerhalb von 10 Tagen eine erste A n t w o r t erteilt und i m übrigen ohne Verzug eine definitive Entscheidung gefällt w i r d . Es bleibt abzuwarten, ob und i n welcher Weise diese Institution i n der Lage sein w i r d , aufkommende Meinungsverschiedenheiten aus dem Wege zu räumen, vor allen Dingen aber dazu beiträgt, den V o r w u r f einer Abschottung des japanischen Marktes zu entkräften. I n diesen Tagen w i r d von der japanischen Regierung erwartet, daß sie ein umfangreiches Bündel neuer Liberalisierungsmaßnahmen zur weiteren Öffnung des japanischen Marktes vorlegen w i r d . Selbst dann, wenn von japanischer Seite auch 49
Handelsblatt, 9. 7. 1980.
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noch so große Zugeständnisse gemacht werden sollten, die u. a. eine Unterbindung importfeindlicher Absprachen japanischer Unternehmen (Fall Thyssen N i p p o n ) vorsehen, so werden der E G und den Vereinigten Staaten Exporterfolge i n Japan nicht ohne weiteres i n den Schoß fallen. Dauerhafte Erfolge auf japanischen Märkten sind nur dann zu erwarten, wenn es in Geduld verstanden w i r d , die Realitäten des japanischen W i r t schaftslebens zu erfassen sowie auf Sprache und K u l t u r , Denkweisen und Lebensgewohnheiten der Japaner einzugehen. Selbstüberschätzung wie mangelnde Bereitschaft, alle Informationsmöglichkeiten zu nutzen, u m z . B . Einblick i n japanische Entscheidungsprozesse oder i n die Vertriebskanäle und die andersartigen Handelsbräuche zu erlangen, haben manches Japan-Engagement zum Scheitern verurteilt. Ohne Berücksichtigung des Bedarfs und der Präferenzen der Japaner w i r d auch i n Zukunft auf diesem anspruchsvollen M a r k t wenig zu erreichen sein. Er ist nur aufnahmebereit für Güter hoher Qual i t ä t und Spezialität. Bei Konsumgütern werden hohe A n f o r derungen an Verpackung und Präsentation gestellt, bei I n vestitionsgütern, z. B. Maschinen, erwartet man i m Bedarfsfall einen erstklassigen Service 50 . Auch hat es vielfach an ausreichender Präsenz i n Japan, an sorgfältiger Planung, an brauchbaren Produkt- und Marketing-Konzepten und einer längerfristig angelegten Unternehmensstrategie gefehlt. Es gibt aber genügend Beispiele dafür, daß es Europäern und Amerikanern m i t Fingerspitzengefühl und Asienerfahrungen gelungen ist, bis auf die Kernprobleme der japanischen Insider-Gesellschaft vorzustoßen und selbst zu Quasi-Insidern zu werden. Unter solchen Voraussetzungen haben sie dann auch ein Japan vorgefunden, daß erstaunlich offen wie transparent ist, nichts verbergen w i l l und kann. Zudem sollte i n der Diskussion über 50 U m der mittelständischen deutschen Wirtschaft den Zugang zum japanischen M a r k t zu erleichtern, wurde i m September 1979 das I n s t i t u t für M a r k t b e r a t u n g bei der Deutschen Industrie- u n d Handelskammer i n Japan eröffnet. Es soll deutsche Firmen bei der Einführung i n den M a r k t beraten, Geschäftskontakte herstellen u n d konkrete Absatzmöglichkeiten aufzeigen.
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Importsteigerungen nach Japan stärker als bisher auch beachtet werden, daß diese grundsätzlich nur über eine gute japanische Binnenkonjunktur erreichbar sind. Eine Milderung bzw. Entschärfung der Spannungen zwischen Japan und der E G würde w o h l auch dadurch eintreten können, daß Japan sich zu einer Ausweitung seiner Produktion i n Europa entschließt. Ansätze hierzu sind i n Form von Joint ventures vorhanden, die aber noch längst nicht ausreichen, u m v o m japanischen Exportdruck fühlbar zu entlasten. Die japanischen Auslandsinvestitionen i n der Bundesrepublik betragen heute zwar bereits das 31/2fache der deutschen Investitionen i n Japan. Aber sie dienen weniger der Produktion sondern weit mehr dem Vertrieb, dem Service und der Erschließung neuer A b satzmärkte. I m EG-Raum entfallen auf den Produktionsbereich nur 17 Prozent der japanischen Direktinvestitionen. I n der Bundesrepublik Deutschland ist dieser A n t e i l nodi kleiner.
4. Yen-Kurs und Leistungsbilanz Japan hat i m Verlaufe der 1978 einsetzenden zweiten Ö l krise eine außergewöhnliche Passivierung seiner Leistungsbilanz hinnehmen müssen, die 1979 8,7 M r d . D o l l a r betrug und sich i m nachfolgenden Jahr auf 10,8 M r d . D o l l a r ausweitete. V o n Ende Oktober 1978 bis zum A p r i l 1980 hat der Yen etwa 33 Prozent seines Wertes gegenüber dem D o l l a r eingebüßt, obwohl die japanische Notenbank gegen eine allzu starke Abwertung durch Einsatz erheblicher Währungsreserven massiv interveniert hat 5 1 . Aber sie hat sich nicht gegen den A b wertungsdruck gestemmt, durch den schließlich die internationale Wettbewerbsfähigkeit japanischer Produkte deutlich verbessert worden ist. Yen-Abwertung und restriktive Finanzp o l i t i k veranlaßten die Unternehmen, ihre Exportbemühungen 51 V g l . hierzu Wolfgang Rieke, Vergleich Japan-Bundesrepublik. D i e größere D y n a m i k führte zum Erfolg. Handelsblatt, 20. August 1981.
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zu verstärken, während der reale I m p o r t v o n Gütern und Dienstleistungen sich angesichts erheblich gestiegener I m p o r t preise rasch zurückbildete 52 . D a m i t war eine wesentliche V o r aussetzung zu einer Wiedererstarkung des Yen geschaffen. Bereits ab Jahresmitte 1980 zeichnete sich zunehmend eine kräftige A k t i v i e r u n g der Handels- und Leistungsbilanz ab, die dann auch in der Umkehrung der Kursentwicklung des Yen zum Ausdruck kam. Allerdings hat die Dollar-Hausse des Jahres 1981 auch den Yen nicht verschont, der sich gegenüber dem D o l l a r erneut abwertete. Angesichts der gewaltigen japanischen Exportexpansion lag es w o h l nahe, daß immer wieder die Frage aufgeworfen w o r den ist, ob nicht abseits aller kurz- und mittelfristigen Kursschwankungen eine fundamentale Unterbewertung des Yen vorliege, die zumindest für die enormen Handelsüberschüsse Japans gegenüber Europa und den Vereinigten Staaten mitverantwortlich sei. Insbesondere wurde der V o r w u r f unangemessener Wechselkursmanipulationen erhoben. Japan sei bemüht, den Yen-Kurs künstlich niedrig zu halten, die Exporte zu fördern, die Einfuhr zu beschränken und zu Lasten D r i t t e r immer wieder Leistungsbilanzüberschüsse zu produzieren. Bei der Wiederaufnahme des Außenhandels 1947 wurde der Yen/Dollar-Kurs auf 360 Yen festgesetzt und blieb dann fast 25 Jahre lang unverändert. Dabei hatte Japan seit 1965 ununterbrochen Außenhandelsüberschüsse aufzuweisen und konnte darüber hinaus seit 1968 auch beachtliche Leistungsbilanzüberschüsse erzielen. Ohne Zweifel w a r i m Rahmen des seinerzeit geltenden Systems fester Wechselkurse der Yen i n eine „ f u n damentale Unterbewertung" hineingeraten, die notwendig zu einer Neubewertung führen mußte. I m Dezember 1971 wurde dann der Yen bei der Währungsneuordnung gemäß dem „Smithsonian Agreement" erstmals durch eine neue Kursfest52 Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 30/81, 16. J u l i 1981, S . 3 5 2 : H a t der frei floatende Yen-Kurs den wirtschaftlichen Alleingang Japans erleichtert?
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setzung i n Höhe von 308 Yen gegenüber dem D o l l a r um 16,9 Prozent aufgewertet. D a m i t nahm Japan den höchsten A u f wertungssatz aller Länder der Zehnerkonferenz auf sich 53 . Nach Freigabe des Wechselkurses am 14. Februar 1973 ist dann i m Rahmen des Systems flexibler Wechselkurse der YenWert i m Verlaufe dieses Jahres weiter auf ca. 260 Yen gestiegen, i m wesentlichen bedingt durch die zwischen 1971 und 1973 erzielten erheblichen Leistungsbilanzüberschüsse. Als Folge der Ende 1973 auftretenden ersten Ölkrise hatte Japan i m nachfolgenden Jahr ein Leistungsbilanzdefizit in Höhe von 4,7 M r d . D o l l a r hinzunehmen, das allerdings bereits 1975 auf 0,7 M r d . D o l l a r reduziert werden konnte. I m Verlaufe eines kräftigen Exportwachstums erzielte Japan erneut erhebliche Handelsbilanzüberschüsse, verbunden m i t wiederum laufend ansteigenden positiven Leistungsbilanzsalden, die 1976 3,7 M r d . Dollar, 1977 10,8 M r d . D o l l a r und 1978 16,5 M r d . D o l l a r betrugen. Neben den Globalzahlen der japanischen Zahlungsbilanz war zudem der Sachverhalt nicht zu übersehen, daß bei insgesamt positiven Handels- und Leistungsbilanzsalden sowie Defiziten gegenüber ö l - und sonstigen Rohstoffländern Japans Überschüsse gegenüber einzelnen Regionen — wie die Vereinigten Staaten und die E G — besonders ausgeprägt waren und auch zu entsprechenden Reaktionen führten. V o n 1976 an wurde der Yen erneut fester notiert und erreichte 1978 gegenüber dem D o l l a r schließlich einen Spitzenkurs von 176 Yen. Insgesamt ist der Yen zwischen 1976 und 1978 um ca. 40 Prozent aufgewertet worden. I n der nachfolgenden durch die zweite Ölkrise ausgelösten Abwertungsphase ist indessen der Yen-Kurs stetig gesunken und erreichte 1979 ein Niveau von 220 Yen, das sich zu Beginn des Jahres 1980 sogar noch auf ein Kursverhältnis von annähernd 250 Yen verschlechterte. Unter Schwankungen hat 53 V g l . H e n r i k Schmiegelow, Japans Außenwirtschaftspolitik. M e r kantilistisch, liberal oder funktionell? Mitteilungen des Instituts für Asienkunde H a m b u r g , H a m b u r g 1981, S. 79 f.
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sich dann der Yen-Kurs erneut gefestigt, wesentlich bedingt durch die bis 1981 konsequent durchgehaltene restriktive Finanzpolitik und unterstützt durch stabilitätskonforme Lohnabschlüsse. Gegenüber den kräftigen Leistungsbilanzdefiziten der Jahre 1979 und 1980 in Höhe von 8,7 M r d . und 10,8 M r d . D o l l a r wurde 1981 bereits wieder ein beträchtlicher Überschuß erzielt, der sich auf annähernd 5 M r d . D o l l a r belief. Z u r Beantwortung der hier aufgeworfenen Frage ist einmal auf die frei floatende japanische Währung zu verweisen. Unter dieser Bedingung bringt der Wechselkurs zumindest auf längere Sicht die innere Kosten- und Preisentwicklung zum Ausdruck. Wenn demgegenüber immer wieder die Auffassung vertreten w i r d , daß der Yen i n sehr starkem Maße von der Zentralbank manipuliert werde, so muß doch auf folgenden Sachverhalt verwiesen werden: Nichts spricht dafür, daß die Interventionen der japanischen Zentralbank jenes Maß überschreiten, das den Spielregeln des Internationalen Währungsfonds und des Wirtschaftsgipfels von Rambouillet entgegensteht. Die Deklaration von Rambouillet aus dem Jahre 1975 sieht ausdrücklich vor, daß die Finanzbehörden ungewöhnlichen Marktbedingungen und sprunghaften Fluktuationen der Wechselkurse entschieden entgegenwirken sollten, um insgesamt die währungspolitische Stabilität zu gewährleisten oder zu verstärken. Gerade nach den beiden Ölkrisen mußte Japan daran gelegen sein, Preissteigerungen von der Importseite her möglichst i n Grenzen zu halten, demnach insbesondere bei einem absinkenden Yen-Kurs Gegenmaßnahmen einzuleiten. I m O k tober 1981 wurde bekannt, daß die japanischen Währungsbehörden i n dieser Weise durch den Einsatz hoher Dollarbeträge interveniert haben, als der Yen einen Kurs von 230 erreicht hatte 5 4 . Japans Interventionen auf dem Devisenmarkt sind seit den beiden Ölkrisen weder v o m Weltwährungsfonds beanstandet worden, noch haben sie zu Konsultationen mit der japanischen 54
Financial Times, Saburo Matsukawa, The Yen, 26. 10. 1981.
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Regierung geführt. Auch ist i n diesem Zusammenhang zu bemerken, daß insgesamt zwischen 1973 und 1980 die Kursschwankungen des Yen wesentlich ausgeprägter waren als z. B. die der D - M a r k 5 5 . V o n 1977 bis zur zweiten Jahreshälfte 1978 stieg der Yen-Kurs gegenüber den Währungen der japanischen Außenhandelspartner um fast vierzig Prozent. Ende 1978 folgte ebenso ausgeprägt eine Abwertung, die bis 1980 anhielt. I h r schloß sich wieder eine Aufwertung von nahezu 24 Prozent an, die 1981 erneut i n eine Abwertung umschlug 56 . Manche Prognosen gehen dahin, daß der Yen auf dem besten Wege sei, zur festesten Währung der Welt zu werden — bedingt durch eine aktive Leistungsbilanz sowie durch Japans innere politische und finanzielle Stabilität 5 7 . Die D - M a r k findet sicherlich gegenwärtig weit stärker als der Yen als internationale Anlagewährung Verwendung. Aber für den Yen scheint dieser Weg ebenfalls vorgezeichnet zu sein. Das gilt auch i n H i n b l i c k auf die durch den Yen gemeinsam m i t dem Dollar, der D - M a r k , dem Schweizer Franken und dem Pfund Sterling verstärkt zu übernehmenden Aufgaben i m sog. M u l t i Reservewährungssystem. Bisher konnte der Yen als Reservewährung lediglich i m ost- und südostasiatischen Raum festen Fuß fassen. Entweder hat die japanische Regierung ihre dortigen Außenhandelspartner veranlaßt, einen Teil ihrer Währungsreserven i n Yen-Papieren zu halten, oder aber diese sind unmittelbar daran interessiert, i n einem bestimmten Umfang den Yen, die Währung ihres größten Handelspartner und Kre55 V g l . hierzu H e n r i k Schmiegelow, Japans Außenwirtschaftspolit i k : Merkantilistisch, liberal oder funktionell?, S. 51 f. M a n kann allerdings auch die Auffassung vertreten, daß die heftigen Schwankungen gerade durch die Interventionen der Währungsbehörden verursacht worden sind. So z. B. W o r l d Financial Markets. M o r g a n G a r a n t y Trust Company o f N e w Y o r k , March 1981, S. 9. 56 V g l . hierzu auch die Ausführungen i m Jahresgutachten 1981/82 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, S. 192. 57 H e i n z Brestel, Der Y e n auf dem Weg zur „festen W ä h r u n g der W e l t " ? ; i n : F A Z , 2. Januar 1982.
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ditgebers, auch für Reservezwecke zu verwenden. Insgesamt kann man w o h l davon ausgehen, daß 1980 ca. 3 Prozent der Devisenreserven ausländischer Zentralbanken i n japanischer Währung angelegt waren. Aber gemessen an dem A n t e i l anderer Währungen, die als Divesenreserven gehalten werden — z . B . 11,5 Prozent i n D M — entspricht dies nicht der Wettbewerbs- und Wirtschaftskraft Japans 58 . Angesichts des inzwischen erreichten Welthandelsranges sowie des politischen und wirtschaftlichen Gewichtes Japans mit seinem zweitgrößten Wirtschaftspotential i n der freien Welt w i r d die fortschreitende Internationalisierung des Yen und des japanischen Kapitalmarktes nicht mehr aufzuhalten sein. Japan kann sich bei seiner wirtschaftlichen Leistungskraft nicht länger seiner Verantwortung für das Weltwährungsgeschehen entziehen. Darüber hinaus liegt die verstärkte Internationalisierung auch „ i m wohlverstandenen Eigeninteresse Japans". Angesichts der — historisch bedingten — „vergleichsweise geringen Kapitaldecke sind die japanischen Unternehmen i n hohem Maße kreditabhängig und deshalb insbesondere zur kurzfristigen Außenhandelsfinanzierung auf internationale Finanzierungsquellen wie den Eurodollarmarkt angewiesen" 59 . Die Internationalisierung wurde bereits Anfang der 70er Jahre nach Aufgabe der traditionellen Zurückhaltung in der Weltwährungspolitik eingeleitet, als die ersten ausländischen Yen-Anleihen (Samurai-Bonds) auf dem japanischen K a p i t a l markt erschienen. Den nächsten Schritt i n die Richtung machte die Asiatische Entwicklungsbank m i t der Begebung einer YenAnleihe, der dann bald die Weltbank, weitere internationale Organisationen und auch ausländische Staaten folgten. Wenn auch darüber hinaus japanischen Anlegern bald die Möglichkeit geboten wurde, Fremdwährungsanleihen zu zeichnen, z. B. die Dollaranleihe der Europäischen Investitionsbank, so bedurfte 58 59
Angaben gemäß I M F A n n u a l Report 1981.
Peter Baron, Der Y e n w i r d international zahlungsfähig. Süddeutsche Zeitung v o m 28. 3. 1978.
In:
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es immerhin eines Zeitraumes von fast weiteren 10 Jahren, um die japanischen Finanzmärkte von Reglementierungen des administrativen Dirigismus wesentlich zu entlasten, also das umfassende System von Devisen-, Geld- und K a p i t a l m a r k t - K o n trollen weithin abzubauen. A m 1. Dezember 1980 ist die Novelle zum japanischen Devisen· und Außenhandelskontrollgesetz i n Kraft getreten, die trotz dehnbarer Generalklauseln und Eingriffsvorbehalten die Internationalisierung des Yen weiter vorangetrieben hat 6 0 . Der Handel m i t japanischen A k t i e n i n Japan und i m Ausland wurde liberalisiert. Nach der bisherigen Regelung durften nur bis zu 25 Prozent der Stammaktien einer japanischen Gesellschaft von Ausländern gehalten werden. Die Melde- bzw. Genehmigungspflicht des Kapitaltransfers ins Ausland oder nach Japan wurde aufgehoben. Selbst Privaten wurde die Möglichkeit eingeräumt, i m Ausland Guthaben i n Yen oder Devisen in unbegrenzter Höhe zu unterhalten 6 1 . Allerdings hat man sich auch nicht gescheut, zwischenzeitlich Eingriffe gegen K a p i t a l abflüsse vorzunehmen. Ferner ist die Bedeutung Tokyos als internationaler Finanzplatz dadurch angehoben worden, daß beide Häuser des japanischen Parlaments i m M a i 1981 eine Novelle zum japanischen Bankgesetz verabschiedet haben, die am 1. A p r i l 1982 i n Kraft getreten ist. Sie veranlaßte Tokyoer Wertpapierhäuser, „bereits für 1982 ein internationales Jahr des Yen in der Zuversicht auszurufen, daß der japanischen Valuta i n Zukunft auf den internationalen Finanzmärkten ein ähnliches Gewicht zukommen w i r d wie heute schon den PetroDollarströmen" 6 2 . Dazu gehört allerdings, daß der auf YenBasis abgewickelte A n t e i l der Außenhandelsgeschäfte in Zu60 Es handelt sich u m das Gesetz N r . 65, durch welches das „ F o r eign Exchange and Foreign Trade C o n t r o l L a w " wesentlich abgeändert wurde. 61 H e l m u t Becker, die Internationalisierung des japanischen Yen. I n : Geld i n Japan. Ο AG-Reihe Japan modern/Band 2, Berlin 1981, S. 203. 62
Ebenda, S. 216.
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kunft noch wesentlich erhöht und damit der Yen als Außenhandelswährung gängiger w i r d 6 3 . Auch i m Lichte der jüngsten Fortschritte zur Internationalisierung des Yen und des damit verbundenen latenten Yen-Bedarfs für Anlage- und Reservezwecke besteht kaum noch Anlaß, m i t dem Argument der „ f u n damentalen Yen-Unterbewertung" zu operieren. Die bis 1979 stetig aufgetretenen Leistungsbilanzüberschüsse haben selbst in Japan immer wieder erhebliches Unbehagen ausgelöst. Kompetente Stellen sahen sich bereits zu dieser Zeit veranlaßt, konkrete Gegenmaßnahmen i n Betracht zu ziehen. Der zweite ölschock und die nachfolgenden weltweiten Krisenerscheinungen haben für die weitere Entwicklung der japanischen Leistungsbilanz neue Daten gesetzt. Inzwischen hat Japan auch kräftige Defizite hinnehmen müssen. Entscheidend ist wohl, daß mehr als zuvor Japans Außenhandelspolitik weltweit kritische Beobachter findet. Aber Japan ist sich auch bewußt geworden, daß eine möglichst ausgeglichene Leistungsbilanz w o h l das beste M i t t e l bildet, um einen für Japan höchst bedrohlichen Protektionismus der Außenwelt abzuwehren.
5. Japan in der Welt der Wirtschaftsblöcke Angesichts der Zuständigkeit der E G für Handelsfragen ihrer Mitgliedsländer sieht sich Japan i n Europa einem W i r t schaftsblock konfrontiert. Eine ähnliche Einstellung ist gegenüber einem nordamerikanischen Block (USA—Kanada) feststellbar. 120 Millionen Japaner stehen insgesamt dem europäischen und amerikanischen Block von insgesamt 500 M i l l . Menschen gegenüber. Aus japanischer Sicht verschanzen sich insbesondere i n Europa die einzelnen Mitgliedsländer hinter 63 1980 wurden 28,9 Prozent der japanischen Exporte gegenüber 2 Prozent zu Beginn der 70er Jahre auf Yen-Basis abgewickelt. D e r auf Yen-Basis abgewickelte A n t e i l der japanischen Importe ist i n dessen unverändert geblieben u n d beläuft sich auf etwa 3 Prozent. V g l . W h i t e Paper on International Trade 1981. M i n i s t r y o f International Trade and Industry, T o k y o 1981, S. 71.
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dem Schutzschild der supranationalen Handelspolitik, die m i t den japanischen Interessen zunehmend kollidiert. Japan fühlt sich indessen isoliert, umgeben von Nachbarn, die weltpolitisch einem anderen Lager angehören oder Entwicklungsländer sind 6 4 . Das von der E G eingeleitete GATT-Verfahren gegen Japan hat nodi zusätzlich den Japanern ihre faktische handelspolitische Isolierung als einzelnes Land gegenüber dem EG-Block drastisch vor Augen geführt. Es w i r d wahrscheinlich nur dazu beitragen, daß sich Europa und Japan nodi mehr entfremden — und dies nach bilateralen Gesprächen, die seit mehr als acht Jahren geführt werden. I n der japanischen politischen wie auch wissenschaftlichen Diskussion spielt die E G i n der Tat eine ganz bedeutende, wenn auch ambivalente Rolle. Denn man sieht sich einerseits als Leidtragender der durch die EG-Gründung und EG-Erweiterung ausgelösten Umlenkung der Handelsströme. Andererseits übt die E G auch eine gewisse V o r b i l d - F u n k t i o n aus. So w i r d die starke innereuropäische Handelsexpansion i n den zurückliegenden Jahrzehnten zum großen Teil auf die institutionellen Vorteile einer funktionierenden Wirtschaftsgemeinschaft zurückgeführt. I n diesem Zusammenhang hat Kiyoshi Kojima, einer der bedeutendsten Vertreter einer pazifischen Kooperation, nachdrücklich darauf hingewiesen, daß der I n t r a Handel i n der E G zwischen 1958 und 1973 von 30 Prozent auf 49 Prozent des gesamten Handelsvolumens angestiegen ist, während der I n t r a - H a n d e l zwischen den fünf pazifischen I n dustrieländern U S A , Kanada, Japan, Australien und Neuseeland i m gleichen Zeitraum nur von 33 Prozent auf 43 Prozent expandierte. Es wäre allerdings noch eingehend zu prüfen, inwieweit diese unterschiedlichen Zuwachsraten ursächlich auf institutionellen Faktoren beruhen. Immerhin hat K o j i m a die 64 Allerdings handelt es sich dabei vorwiegend u m Länder an der Schwelle zum Industriestaat ( N e w l y Industrializing Countries). U m das Privileg besonderer geographischer N ä h e zu diesen Ländern w i r d Japan umgekehrt v o n den Industrieländern Europas geradezu beneidet.
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Feststellung getroffen: „ W e n n es keine Europäische Gemeinschaft gäbe, so bestände für uns kein Anlaß, eine pazifische wirtschaftliche Integration i n Betracht zu ziehen 6 5 ." M a n mag in diesem Argument vielleicht eine Überschätzung institutionell bedingter Effekte sehen. Unbestritten ist indessen, daß der EG-Beitritt Großbritanniens besonders stark Australien, Neuseeland und Kanada getroffen hat und damit eine stärkere Hinwendung zum pazifischen Wirtschaftsraum notwendig auslösen mußte. Seit den sechziger Jahren haben die asiatischen Länder verstärkt ihr Augenmerk auf eine wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Integration gelenkt. M a n ging von dem Sachverhalt aus, daß eine Erweiterung der bisher recht schwachen wechselseitigen Handelsbeziehungen zur Entlastung der Leistungsbilanzen beitragen würden. Auch wurde erkannt, daß i n einzelnen Produktionszweigen eine wirtschaftliche Betätigung wegen der bestehenden Marktenge des nationalen Wirtschaftsraumes kaum möglich war. Darüber hinaus erschwerten die schnell erreichten Marktgrenzen die Errichtung oder Auslastung optimaler Betriebsgrößen, die Ausnutzung der Kostendegression und eine sinnvolle Importsubstitution. Weitgehend wurde w o h l Übereinstimmung darüber erzielt, daß die Voraussetzungen für großräumige komplementäre Produktionsstrukturen m i t optimalen Standorten möglichst frühzeitig geschaffen werden sollten, da anderenfalls schmerzhafte und kostspielige Anpassungs- und Umstellungsprozesse in späteren Entwicklungsphasen erforderlich werden, die zu äußerst schwierigen Problemen führen können. Wurden auch die Vorteile einer großräumigen Integration allenthalben erkannt und entsprechende Zielvorstellungen immer wieder formuliert, so standen doch einer umfassenden Realisierung zahlreiche Hindernisse i m Wege. So hat Japan i n der Vergangenheit immer wieder befürchtet, daß seine Mitgliedschaft i n 65 K o j i m a , Kiyoshi, Economic Cooperation i n a Pacific C o m m u n i t y , The Japan Institute of International Af fairs, T o k v o 1980, S. 10.
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einem umfassenderen Asienblock seine Elastizität und Balance gegenüber der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bzw. der E G und den entstehenden Wirtschaftsblöcken i n A f r i k a und Südamerika beeinträchtigen könnte. Japan lehnte daher auch 1962 eine umfassende wirtschaftliche Zusammenarbeit aller asiatischen Länder bzw. die Gründung eines gemeinsamen Marktes von 18 asiatischen Ländern ab, wie dies seinerzeit auf der 18. Vollversammlung der E C A F E (UN-Wirtschaftskommission für Asien und den Fernen Osten) i n T o k y o angestrebt wurde. Aber es empfahl stattdessen die Bildung kleinerer regionaler Integrationszonen, die sich zu einem späteren Zeitpunkt zu einem größeren M a r k t zusammenschließen sollten. V o m wirtschaftlichen Standpunkt lag es zu dieser Zeit w o h l nahe, die Ländergruppierung Japan, Korea und Taiwan ins Auge zu fassen. Allerdings w a r Japan auch bestrebt, alles zu vermeiden, was irgendwie potentielle Märkte i n der Volksrepublik China und i n Nordkorea gefährden konnte. Inzwischen ist das K o n zept „Pacific Basin Cooperation" zum Gegenstand intensiver Überlegungen und Diskussionen geworden. A m 6. März 1979 hat die Regierung in diesem Zusammenhang eine Beratergruppe für den Ministerpräsidenten Ohira unter dem Vorsitz von Saburo O k i t a gebildet. Der offizielle Auftrag lautete, eine Studie darüber anzufertigen, wie die regionale Kooperation und die harmonischen Beziehungen unter den pazifischen Ländern zu verstärken seien und wie eine regionale Gemeinschaft innerhalb des Gebietes des pazifischen Beckens gebildet werden könne. Dem verstorbenen Ministerpräsidenten Ohira schwebte visionär ein „Pazifisches Zeitalter" vor. Er konnte darauf verweisen, daß fast die H ä l f t e der Menschheit rings um den Großen Ozean lebt und daß dieser Raum über ein bedeutendes Rohstoffpotential verfügt. So sind als Mitglieder einer W i r t schaftsgemeinschaft um das pazifische Becken neben Teilen Asiens auch Australien und Neuseeland, darüber hinaus Kanada und die Vereinigten Staaten ins Visier genommen. Diesen Überlegungen kommt sicherlich entgegen, daß sich i n den Vereinigten Staaten die wirtschaftlichen Gewichte stetig nach Westen
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zur pazifischen Kiistenregion verlagern und außerdem eine pazifische Orientierung der amerikanischen Außenpolitik immer stärker i n Widerstreit zur atlantischen Ausrichtung zu geraten scheint — nicht zuletzt auch durch das Z u t u n der Europäer. I m Abschlußbericht der Studiengruppe über die Kooperation im Pazifischen Becken, der am 19. M a i 1980 dem Ministerpräsidenten vorgelegt wurde, heißt es: „Dieses Konzept zur Bildung einer Wirtschaftsgemeinschaft i n einer Region, die i n einem solchen Umfang m i t einem reichen Ressourcenpotential unterschiedlicher A r t ausgestattet ist, muß als historisch einmalig bezeichnet werden. Ein solcher Sachverhalt verweist einmal auf die große Anziehungskraft dieses Versuches, aber auch auf die bestehenden Schwierigkeiten. Die Zusammenarbeit i m Pazifischen Becken sollte daher nicht überhastet, sondern sorgfältig Schritt für Schritt auf der Grundlage eines breiten internationalen Konsensus durchgeführt w e r d e n . . . Der nächste Schritt sollte darin bestehen, daß die Möglichkeit überprüft w i r d , eine internationale Organisation für die Kooperation i m pazifischen Becken zwischen den Regierungen der beteiligten Länder zu bilden." Neben diesem bezüglich der Organisationsfrage sehr vorsichtig formulierten Abschlußbericht der Studiengruppe sind eine Reihe weiterer Forschungsberichte und Aktionspläne von verschiedenen Seiten vorgelegt worden, die ebenfalls auf die aktuelle Diskussion Einfluß nehmen: — I n einem Bericht an das Committee on Foreign Relations des US-Senats 66 haben Drysdale (Canberra) und Patrick (Yale) für die Einrichtung einer Organization for Pacific Trade, A i d and Development ( O P T A D ) plädiert, die nicht so sehr an dem fortgeschrittenen Integrationsmodell der E G orientiert ist, sondern eher den lockeren Konsultationsmechanismus der O E C D zum V o r b i l d nimmt. 66 V g l . Congressional Research Service/Library of Congress, A n Asian-Pacific Regional Economic Organization: A n E x p l o r a t o r y Concept Paper, Washington 1979.
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— Auch K o j i m a — früher nodi Verfechter einer Pacific Free Trade Area ( P A F T A ) — favorisiert heute die O P T A D Konzeption 6 7 , wobei er allerdings besonders die entwicklungspolitische Dimension hervorhebt und konkrete V o r schläge einer regionalisierten Nord-Süd-Kooperation i n den Bereichen Rohstoffpolitik, Ressourcentransfer und Handelsliberalisierung vorlegt. — Ferner ist auf Kooperationsvorschläge hinzuweisen, die das N o m u r a Research Institute sowie die japanische Sektion des Pacific Basin Economic Council, einer Vereinigung von Geschäftsleuten und Bankiers, ausgearbeitet haben 68 . Während das N o m u r a - l n s t i t u t regionale Zusammenarbeit i n der Energiepolitik und Rohstoffausbeutung i n den Vordergrund stellt, dominieren in den Vorstellungen des Pacific Basin Economic Council die stark expandierenden Handels- und Investitionsverflechtungen. Daneben könnten noch weitere Konzepte angeführt werden, die aber alle darauf hinauslaufen, die Pazifische Wirtschaftskooperation voranzutreiben. Sicherlich handelt es sich dabei nicht so sehr um intellektuelle Glasperlenspiele, sondern um das Ringen u m eine Regionalisierung, deren weltpolitische Auswirkungen heute noch nicht abzusehen sind. V o n der europäischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt haben inzwischen zahllose Konferenzen und Seminare über diese Problematik stattgefunden, namentlich ein von den Ministerpräsidenten Ohira und Fräser 1980 initiiertes Seminar an der Australian N a t i o n a l University. Dabei wurde deutlich, daß eine intensive und expandierende wirtschaftliche Verflechtung zwischen den pazifischen Industrie- und Entwicklungsländern bereits heute Realität ist und nicht erst durch besondere K o operationsformen i n Gang gesetzt werden muß. Insofern können die bestehenden Pläne auf einem stabilen Fundament 67 68
V g l . K o j i m a , Economic Cooperation.
V g l . dazu: Morris-Suzuki, T., Japan and the Pacific C o m m u n i t y , i n : The W o r l d Today, V o l . 36 (1981), S. 456 ff.
Basin
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aufbauen, das sie institutionell absichern und festigen sollen. Wenn dennoch manche Skepsis hinsichtlich einer schnellen Einigung über konkrete Kooperationsformen aufgetaucht ist, so lag ihr insbesondere die schwierige Frage der Länderabgrenzung bzw. der Mitgliedschaft zugrunde. Als Kernländer einer evtl. zu bildenden O P T A D werden gegenwärtig die fünf pazifischen Industrieländer (Japan, U S A , Kanada, Australien, Neuseeland), die ASEAN-Staaten sowie m i t Einschränkungen Taiwan, Südkorea und Hongkong angesehen. Das überragende Interesse Japans und Australiens steht außer Zweifel. Die entscheidende Rolle w i r d i n Zukunft indessen Japan zufallen. Es stellt sich die Frage, welchen Preis es i n Form von Entwicklungshilfeleistungen, Handelsliberalisierung etc. zu zahlen bereit ist, um in einem ersten Schritt die ASEAN-Staaten für seine pazifischen Ambitionen zu gewinnen. Daneben w i r d es darauf ankommen, daß Japan seine Interessen m i t denen der Vereinigten Staaten und Kanadas harmonisiert.
I V . Begegnung der japanischen Herausforderung 1. Lernen von Japan Eine Grundvoraussetzung zur Begegnung der japanischen Herausforderung w i r d darin bestehen, Japan, seine Stärken und Schwächen, seine wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen und Prioritäten, seine strukturellen Änderungen, sein Marketing auf nationalen und internationalen Märkten usw. besser kennenzulernen als bisher. Offenbar fällt es uns schwer, Japan als L a n d kontemplativer Lebensweise, ästhetischer Neigungen, gruppenorientierter Beziehungen, ursprünglicher Naturverbundenheit, als Land der Tempel und Gärten, des K a b u k i und N ö irgendwie in Verbindung, geschweige denn i n Einklang zu bringen m i t jenem Japan der harten, unerbittlichen Konkurrenz, der eindrucksvollen Schwerindustrie, der technologischen Fortschritte, der laufend ansteigenden Roboterbevölkerung, der Riesenstädte und m i t den sonstigen zahlreichen Ergebnissen eines gigantischen W i r t schaftswachstums. Befaßt man sich m i t der „japanischen Herausforderung", so kann sicherlich nicht das Problem der „Sprachbarriere" übersehen werden, die zudem noch einseitig w i r k t . Während die Japaner inzwischen durch vielseitige Kenntnisse fremder Sprachen i n der Lage sind, laufend die Fortschritte in Wissenschaft und Forschung außerhalb zu verfolgen, fehlen uns dagegen weithin solche Möglichkeiten. Gegenüber rd. 30 000 japanischen Studenten der Germanistik sind bei uns jeweils etwa 200 Hauptfachstudenten um die Erlernung der japanischen Sprache bemüht 1 . I m Jahre 1980 reisten 4 M i l l . Japaner ins Ausland, 1 Ruprecht Vondran, Japanische Wirtschaftserfolge oder M o t i v a t i o n für die übrigen Industriestaaten?, S. 4.
—
Schicksal
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während nur 1,3 M i l l . Fremde Japan besuchten2. Allerdings sind die Wirkungen der einseitigen Sprachbarriere noch durch den systematischen Ausbau eines dichten Informationssystems verstärkt worden, dem w i r bisher nichts vergleichbares entgegenstellen konnten. Jedenfalls ist Japan über die übrige Welt besser informiert als umgekehrt. W i r müssen sprachkundige Japan-Fachleute heranbilden. M a n sollte sich hüten, die Hintergründe der japanischen Wirtschaftserfolge i n unzulässiger Weise zu vereinfachen. Es genügt natürlich nicht, auf die Gruppengesellschaft zu verweisen, die Kooperation zwischen Staat und Privatwirtschaft herauszustellen, die Abwicklung der Zulieferungen an die Großbetriebe, die japanische Form der Industrieplanung oder relativ niedrige Löhne und Sozialkosten, bescheidener Staatsverbrauch und geringe Verteidigungslasten (weniger als ein Prozent des Bruttosozialprodukts) verantwortlich zu machen. Ein solcher Katalog ließe sich noch hinreichend verlängern. Ein ganzes Geflecht von Bedingungskonstellationen hat zu Japans W i r t schaftsaufstieg beigetragen, der nicht nur in punktuellen Weltmarktleistungen bzw. bei einigen wenigen Produkten zum Ausdruck kommt. Japan ist i n einen ostasiatischen Kulturkreis eingebettet, der alle Lebensgebiete — von der Kunst und Literatur bis zur Politik und Wirtschaft — umschließt, i n dem alle Einzelerscheinungen bzw. Systemelemente konsistent oder gar harmonisch in Übereinstimmung m i t dem herrschenden Wertsystem eingefügt und aufeinander abgestimmt sind. Schon vor Jahren haben Experten wie James Abegglen und Johannes Hirschmeier für die japanischen Unternehmungen und ihr Management grundlegende kulturelle Unterschiede gegenüber europäisch-amerikanischen Ausprägungen herausgearbeitet. Bis i n die wirtschaftlichen Unternehmungen hinein reicht die nachhaltige geschichtliche Gebundenheit der Japaner und ihrer I n stitutionen, die tief verwurzelt sind in den geistigen Traditionen des Shintoismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Es muß 2
F A Z , 15. 10. 1981.
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doch zu denken geben, daß die überaus schnelle Wirtschaftsentwicklung i n Ostasien — i n Japan, Korea, Singapor, i n der Volksrepublik China, i n Hongkong und T a i w a n sich auf den konfuzianisch geformten Kulturkreis beschränkt. Auch i n Südostasien würden manche Entwicklungen langsamer und verhaltener verlaufen sein, wenn nicht chinesische Minoritäten die erforderlichen Verhaltensweisen aufgebracht hätten. Das japanische, an Tradition und Geschichte gebundene I n dustriesystem ist sicherlich nicht auf andere Kulturkreise übertragbar. W i r wissen heute zur Genüge, daß es verschiedenartige industrielle Realisierungsmöglichkeiten gibt, die jeweils an konkrete Kulturkreise gebunden sind. Aber daneben stellt jedes Industriesystem spezifische Anforderungen, die als wirtschaftspolitische Grundnormen für alle Kulturkreise und Gesellschaftsordnungen verbindlich sind. Japan ist es offenbar gelungen, diese allgemeinen Erfordernisse optimal zu erfüllen. Es ist nicht einzusehen, warum solche Leitlinien der erfolgreichen japanischen Wirtschaftspolitik nicht für andere Industrieländer nachahmenswert sein sollten. Die japanische Wirtschaftspolitik folgt dem Grundsatz, daß die zur Ausweitung des Sozialprodukts erforderlichen Produktivitätssteigerungen von K a p i t a l und Arbeit nur dann erwartet werden können, wenn laufend Produktionsprozesse i n technisch höher entwickelte Bereiche unter Aufgabe veralteter Verfahren und schrumpfender Branchen verlagert werden. Die Vorbedingungen zur Durchsetzung des Strukturwandels im Sinne der steten Produktionsverlagerung i n Bereiche höherer Wertschöpfung sind bereits i m Einzelbetrieb gegeben. Japanische Betriebsgewerkschaften wehren sich i n der Regel nicht gegen einen Arbeitsplatzwechsel i m Betrieb oder gegen die Zuweisung von neuen Aufgaben an ihre Mitglieder. I n zahlreichen Betrieben besteht sogar ein Rotationssystem. Arbeitsplätze werden in einem festen Turnus regelmäßig gewechselt. Auch ist die japanische Wirtschaftspolitik ständig bemüht, bereits vorausschauend den Strukturwandel zu fördern. Sie bietet den Unternehmun-
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I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
gen zwar befristet strukturelle Anpassungshilfen an, drängt aber darauf, das unrentable Kapazitäten abgebaut werden. Insgesamt hat die Wirtschaft — Unternehmungen und Arbeitnehmer — weithin selbst die Anpassungslasten zu tragen. Erhaltungssubventionen bilden i m Rahmen der japanischen I n dustriepolitik eine seltene Ausnahme. Als nach der ersten Ölkrise 1973 der Schiff baumarkt weltweit zusammenbrach, hat Japan es fertiggebracht, innerhalb kurzer Zeit über 35 Prozent seiner Schiffbaukapazität abzuwracken, ohne damit die führende Stellung i m Weltschiffbau aufzugeben. Ü b r i g geblieben sind die leistungsstarken modernen Werften m i t hohem Produktivitätsniveau. Andere Schiffbaunationen haben den entgegengesetzten Weg eingeschlagen. M i t H i l f e erheblicher Subventionen versuchen sie, ihren leistungsschwachen Schiffbau auch weiterhin am Leben zu halten. Ein weiteres Beispiel für Japans Fähigkeit, sich den Strukturänderungen auf den Weltmärkten möglichst rasch anzupassen, bietet der Kapazitätsabbau i n der Chemiefaserproduktion. Z u m 1. A p r i l 1982 ist die Tageskapazität um 16 Prozent reduziert worden. Eines der Grundprinzipien der japanischen W i r t schaftspolitik besteht darin, nicht schützend einzugreifen, „wenn der M a r k t den langsamen Untergang von Industriezweigen erzwingt, die am Ende ihrer technischen Entwicklungsmöglichkeiten angelangt sind" 3 . Die Auswirkungen des zweiten ölschocks hat Japan, obwohl der Grad der Abhängigkeit von importierter Energie und Rohstoffen besonders hoch ist, schneller und besser als andere Länder überwunden — durch wirksame Geldmengensteuerung der Notenbank, maßvolle Lohnabschlüsse der Tarifparteien und durch konsequente Senkung des Ölverbrauchs. Während zwischen 1973 und 1979 das Bruttosozialprodukt um ca. 27 Prozent gestiegen ist, ist der Ölverbrauch praktisch während dieser Zeit unverändert geblieben. I m Jahre 1980 ist er sogar um 9 Prozent gesenkt worden. Die Anpassungsfähigkeit Japans 3
J. Abegglen u n d A k i o Etori, Japans Technologie heute, S. 42.
I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
wurde durch kräftige Wechselkursschwankungen auf eine harte Probe gestellt, die ebenfalls erfolgreich durchgestanden wurde. Japan hat es längerfristig insgesamt besser als manch andere Industrienation verstanden, dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht möglichst nahezukommen, und dies auch unter den gegenwärtigen schwierigen weltwirtschaftlichen Verhältnissen. Der Wandel der Industriestruktur i m Verlaufe der 80er Jahre w i r d auch i n Japan sicherlich tiefgreifend auf die bestehenden Institutionen und die Verhaltensweisen einwirken. Offenbar erhöht sich tendenziell i n allen Bereichen — auch i n den Großbetrieben — die horizontale M o b i l i t ä t der Mitarbeiter. I n den Großbetrieben ist die Neigung erkennbar, das System der Senioritätslöhne irgendwie durch leistungsorientierte Löhne oder Leistungsbestandteile aufzulockern. Die Erhöhung des Pensionsalters w i r k t i n die gleiche Richtung. Das auf dem Prinzip der Seniorität beruhende Beschäftigungssystem führt unter diesen Umständen zu hohen Kostenbelastungen. Vielfach w i r d von Japanern und Ausländern die Auffassung vertreten, daß sich die traditionelle Tugend der Unterordnung des I n d i viduums gegenüber Staat und Familie zunehmend lockere. Einzelpersönlichkeiten würden sich von Familien- und Gruppenbindungen emanzipieren. Uralte Vorstellungen seien teilweise bereits jetzt zerbrochen. Der japanische „Technologiestaat" werde den paternalistischen Manager i n den rationalen Technokraten umwandeln. Das entpolitisierte und entmilitarisierte Leben schwäche den Patriotismus und zerstöre damit das konkrete Leitbild der japanischen wirtschaftlichen Entwicklung. M a n verweist ferner auf die steigenden Einkommen, auf die dadurch bedingte Zunahme des privaten Verbrauchs, auf die wachsenden Lebensansprüche u n d Veränderungen der K o n sumgewohnheiten. Brot verdränge den Reis, Bier den Sake. Moderne Konsumgüter wie z . B . Fernsehgeräte, Waschmaschinen, Kühlschränke fänden Eingang in die Haushalte der breiten Schichten und veränderten ihren Lebensstil. Das so ausgeprägte Leistungsstreben werde unentwegt zersetzt. 7 Kraus
98
I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
Die gesamte Industriestruktur unterliegt natürlich einem steten Wandel, erzwungen durch den dynamischen Prozeß der permanenten Anpassung an Änderungen der Rahmenbedingungen. Dabei werden auch traditionelle Werte u n d Formen langsam aber stetig umgestaltet und den Erfordernissen einer neuen Zeit angepaßt — nicht durch Gruppen, die die Gesellschaft unter Druck zu setzen vermögen, sondern durch die Wucht der Expansion u n d durch das tragende Fortschrittsbewußtsein. Aber all das hat japanischen Zuschnitt. Es erfolgt i n einem Kulturkreis, der m i t fortschreitender Entwicklung seine Eigenständigkeit zu stärken versteht. W i r ahnen jedenfalls, daß der Wunsch nach europäischem Lebensstil, daß die Konsumorientierung, der hohe technische Zivilisationsgrad nicht nennenswert die Lebensformen und die Lebenseinstellung Japans umgeformt haben. Die wirtschaftliche Entwicklung nach dem Kriege hat deutlich gezeigt, wie Japan Tradition und Fortschritt ins rechte Verhältnis zu setzen vermochte. D i e Pflege alter, bewährter Traditionen und ihre behutsame, evolutionäre Anpassung an die Erfordernisse einer modernen, dynamischen Wirtschaft u n d Gesellschaft bewahrten v o r dem A b schied v o n der eigenen Geschichte. Nach alledem, was w i r bisher an Erfahrungen sammeln konnten, w i r d Japan i m Zuge der jüngsten Entwicklung noch japanischer und noch geschichtsbewußter. Der Vormarsch der Elektronik-Rechner i n Japan hat den Abakus (Rechengerät m i t Holzperlen) nicht dem Tode überantwortet. Er lebt indessen sogar auf und erfreut sich bester Gesundheit. Trotz fortschreitender persönlicher Entfaltung w i r d die Zugehörigkeit zu einer Gruppe auch weiterhin jene Geborgenheit vermitteln, auf die Japaner entsprechend ihren traditionellen Wertvorstellungen nicht verzichten wollen. Es wäre allzu töricht, darauf zu hoffen, daß all das, was w i r als japanisches Leistungspotential inzwischen identifizieren, sich i m Rahmen eines rasch fortschreitenden Zivilisationsprozesses langsam aber sicher zersetzen werde. Jedenfalls erscheint es m i r v ö l l i g unrealistisch, i m Verlaufe der weiteren japanischen W i r t schaftsexpansion einen Abbau der japanischen Leistungskraft
I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
99
erwarten zu wollen. W i r sollten uns vielmehr darüber i m klaren sein, daß die „japanische Herausforderung" erst einen A n fang bildet. Sehr schnell werden die sog. Schwellenländer nachfolgen — besonders aus Ost- und Südostasien, die ebenfalls m i t Macht auf den M a r k t drängen. Insofern erteilt uns Japan eine recht heilsame Lektion, u m die Zeichen der Zeit rechtzeitig zu erkennen.
2. Selbstkritische Überprüfung eigener Verhaltensweisen — Wiederverwendung bereits bewährter Maßstäbe Die japanische Entwicklung sollte weniger als Gefahr, sondern weit mehr als Chance und Ansporn zu erhöhter Leistung gesehen werden. Ich denke an die genaue und intensive Beobachtung der Märkte und ihrer Veränderungen, an die langfristige Unternehmensplanung, an vorausschauende Investitionen, an den Aufbau und die Benutzung von Informationssystemen, an die Programme zur Weiterentwicklung der Fertigungstechniken usw. Die japanische Herausforderung sollte uns ferner veranlassen, das vorhandene Innovationspotential effizient zu nutzen, um unsere Weltmarktposition durch Senkung der relativ hohen Fertigungskosten zu verteidigen und weiter auszubauen. Auch ist es an der Zeit, eigene Fehler und Unterlassungen selbstkritisch zu erkennen, weithin anerkannte und vernünftige Maßstäbe wieder zu verwenden und zu längst bewährten, aber inzwischen verschütteten Grundsätzen und Leitbildern zurückzukehren. A l l das setzt ein Wirtschafts- und Sozialsystem voraus, bei dem sich „Leistung l o h n t " sowie der Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Lohnentwicklung und Produktivitätsfortschritt hinlänglich beachtet w i r d . W i r müssen v o m Anspruchsdenken endlich Abstand nehmen. Unsere Probleme sind gegenwärtig nicht durch steigende soziale Ansprüche, sondern nur durch mehr Leistung und mehr Verantwortung zu lösen. Unser hoher Lebensstandard kann nur dann noch weiter erhöht werden, wenn er durch unsere 7*
100
I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
Produktion abgestützt w i r d . Außerdem w i r d es unumgänglich sein, daß stärker als bisher alle Unternehmensebenen am Betriebsgeschehen interessiert werden. Das setzt einmal eine intensive Information voraus. Darüber hinaus müssen w i r endlich wieder lernen, vernünftig, natürlich und respektvoll miteinander umzugehen und eine wärmere Atmosphäre zwischenmenschlicher Beziehungen zu schaffen 4. Weithin bewährte Seiten des japanischen Alltags, die allerdings manchen Zeitströmungen bei uns kraß entgegenstehen, geben zumindest Anlaß, unsere eigene Position selbstkritisch zu überprüfen. Unverkennbar erfüllen Verlauf und Ergebnisse der gewaltigen Wirtschaftsexpansion alle Japaner m i t berechtigtem Stolz. Sie sind auch weiterhin bereit, ungewöhnliche Opfer auf sich zu nehmen, wenn es sich um die Durchsetzung nationaler Ziele handelt. I n allen Lebensbereichen Japans hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß das Überleben einen ständigen Lernprozeß erfordert, daß Fleiß und Disziplin, selbständiges H a n d e l n und verständnisvolle Zusammenarbeit wesentliche Voraussetzungen für das Funktionieren des Industriesystems bilden. Wer wollte indessen die bei uns u m sich greifende Arbeitsunlust i n Abrede stellen 5 ? Wer könnte schon übersehen, daß immer weniger Menschen bereit sind, Belastungen und Risiken freiwillig auf sich zu nehmen? Müssen nicht unsere hohen Fehlzeiten zu denken geben, die zwischen 7 und 8 Prozent liegen, i n Japan dagegen kaum 2 Prozent erreichen 6? Würde uns nicht ein stärkeres Befassen m i t japanischen H a r monieideen wohltun, nach dem w i r m i t der uns eigenen Gründ4 V g l . hierzu Dieter Schneidewind, H a r m o n i e als Ideal i n den zwischenmenschlichen Beziehungen i n Japan. Symposium der DeutschJapanischen Gesellschaft i n Bayern i m Januar 1982 i n T u t z i n g . 5 V o n gewerkschaftlicher Seite i n Japan ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß die Abwesenheitsquote der A r b e i t nehmer i m Durchschnitt unter 1 Prozent liege. 6 M a r t i n Posth, Lernen, v o n den Japanern zu lernen, i n : Gaugier/ Zander, H a b e n uns die Japaner überholt? Heidelberg 1981, S. 102. V g l . auch Eugen Loderer, Japan — Bedrohung unserer Arbeitsplätze? Ebenda, S. 103, S. 120 f.
I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
lichkeit geradezu verbissen die Rolle des Konflikts in den sozialen Beziehungen so hochstilisiert haben? Unverkennbar sind Mißtrauen und Abneigung gegenüber allen jenen gewachsen, die durch Lerneifer, Fleiß und Intelligenz, Verantwortungsbewußtsein und Beherzigung v o n Lebenserfahrungen den Rahmen eines selbstgefälligen Durchschnitts zu überschreiten wagen. Bei schwindendem Gemeinschaftssinn gilt Disziplin dem Freizeitbürger als überlebt, verwerflich und unzumutbar, Harmonie als heuchlerisches Vertuschen der angeblich stets vorhandenen Konfliktstoffe. V o r lauter „Selbstidentifikation" ist die Identifikation m i t den I n stitutionen des Staates und der Wirtschaft mächtig i m Schwinden begriffen. M i t solchen Einstellungen i n einem vielfach technik-feindlichen K l i m a werden w i r uns der japanischen Herausforderung auf die Dauer sicherlich nicht stellen können. Auch verkennen die Jünger eines allumfassenden Egalitarismus, daß sich Japans soziale Oberschicht durch A u f - und A b stieg immer wieder erneuert hat. Bei relativ geringer horizontaler M o b i l i t ä t ist die vertikale M o b i l i t ä t offenbar u m so stärker ausgeprägt. Nicht Privilegien, sondern Bildung und K ö n nen verhelfen i n aller Regel zum Aufstieg. Ebenso werden Anhänger klassenkämpferischer Ideen i n Japan kaum auf ihre Kosten kommen. Durchlässigkeit zwischen Belegschaft und M a nagement w i r d nicht nur postuliert, sondern praktiziert. Mehr als zwanzig Prozent aller Vorstandsvorsitzenden der größten Unternehmungen waren vorher Gewerkschaftsvorsitzende ihres Betriebes. Neunzig Prozent der japanischen Bevölkerung zählen sich zur Mittelschicht, wie den Befragungen zu entnehmen ist 7 . Japan hat offenbar zu zeigen vermocht, daß es überall dort eine Anpassung der Institutionen und Verhaltensweisen ohne jeden Zwang vollzog, w o die Entwicklung und der Trend der 7 James Abegglen u n d A k i o E t o r i , Japanische Technologie heute, S. 27. Nach neueren Umfragen zählen sich sogar 94 Prozent zur M i t telschicht.
1 0 2 I V .
Begegnung der japanischen Herausforderung
Zeit dies erforderten. Selbst der Sprung aus starrem Feudalismus i n die moderne Industriegesellschaft erfolgte unter Bewahrung weiter Bereiche des eigenen, traditionellen Lebensstils, sofern dieser der Entwicklung nicht i m Wege stand. Nunmehr t r i t t aber für Japan eine neue Dimension hinzu. Den führenden Politikern und auch den breiten Schichten des japanischen Volkes w i r d i n zunehmendem Maße bewußt, daß m i t dem wirtschaftlichen Wachstum notwendig die Wohlfahrt und das Wohlbefinden der Bevölkerung i n Einklang zu bringen ist. Es ist anzunehmen, daß Japan i m Prinzip bessere Grundvoraussetzungen erfüllt als Europa und hier speziell die Bundesrepub l i k Deutschland, u m quantitatives Wachstum und Lebensqualität i n ein vernünftiges, ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Japan ist anscheinend nicht dem schroffen „entweder-oder" verhaftet, wie dies häufig bei uns der Fall zu sein scheint. M a n neigt dem „sowohl als auch" zu und versucht immer wieder, Konflikte, Spannungen und Gegensätze i n einem vernünftigen Konsensus zum Ausgleich zu bringen. Gerade Japan hat m i t größter Anpassungsfähigkeit immer wieder gezeigt, daß selbst Widerstrebendes zusammenfügbar ist.
3. Japan und der Westen Japan hat einst v o m Westen gelernt, der heute als „verunsicherter Schulmeister" (Wolfgang Höpker) vielfach sprachlos, grimmig wie u n w i l l i g die Leistungen des Schülers zur Kenntnis nimmt. W i l l sich Westeuropa wirtschaftlich wie politisch behaupten, so ist es w o h l an der Zeit, auch einmal über den umgekehrten Weg nachzudenken. Das bedeutet sicherlich nicht, daß nach jahrelanger Geringschätzung oder Verkennung der japanischen Wirtschaftskraft nunmehr eine v ö l l i g konträre Position weiterhelfen soll, indem — wie diese teilweise bereits geschieht — Japan als lebensbedrohende Gefahr bezeichnet w i r d , die m i t allen irgendwie zur Verfügung stehenden M i t teln abzuwehren sei. E i n guter Schuß „ostasiatischer Gelassenheit" würde allen jenen Kreisen sehr bekömmlich sein, die über
I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
Japans Leistungen und Erfolge sich so aufgebracht zeigen und ihre vitalen Interessen ernst bedroht sehen. W i r selbst sollten uns auf das vielfach nicht v o l l genutzte Innovationspotential sowie auf die unverzichtbaren vernünftigen Prinzipien des Wirtschaftens u n d der Wirtschaftspolitik zurückbesinnen und uns wieder stärker der liberalen Traditionen Europas und Amerikas bewußt werden. I n diesem Geiste kann Wettbewerb auf dem Weltmarkt nur verstanden werden als unverzichtbare Antriebskraft zum weltweiten Fortschritt, der schließlich dem Verbraucher zu dienen hat. Tüchtige zu bestrafen, sie zum Prügelknaben für eigene Fehler, für Arbeitslosigkeit und Leistungsbilanzdefizite zu machen, muß doch als Anachronismus gelten, wenn auch protektionistische Maßnahmen dem einzelnen L a n d kurzfristig und vorübergehend Luft verschaffen können. Weit mehr als bisher sollte die unternehmerische Zusammenarbeit sowie die Forschungs- und Entwicklungskooperation zwischen Japan, Europa und Amerika i n Betracht gezogen werden. M a n w i r d H e l m u t Laumer beipflichten müssen, daß sich gerade i n der Forschung und Entwicklung „die spezifischen Stärken der Deutschen (auf dem Gebiet der theoretischen Grundlagenforschung) und der Japaner (auf dem Gebiet der anwendungsbezogenen Forschung) ideal ergänzen" 8 könnten. Die Bundesrepublik Deutschland und Japan stehen an zweiter u n d dritter Stelle des Welthandels. Sie tragen daher auch entsprechende Verantwortung. I m Interesse der Aufrechterhaltung eines liberalen Welthandels und der Wirtschaftsgestaltung freier Menschen sollte man endlich die Tatsache stärker als bisher beachten, daß Japan zu den wichtigsten der verbliebenen Bollwerke liberaler Wirtschaftsgestaltung gehört und sich den Prinzipien des Wettbewerbs u n d der marktwirtschaftlichen Ordnung verpflichtet fühlt. Auch muß man sich fragen, ob es angesichts weltweiter politischer Spannungen und wirtschaft8 H e l m u t Laumer, Japan als Wirtschaftspartner — Informationslücken u n d Forschungsbedarf, S. 10.
1 0 4 I V .
Begegnung der japanischen Herausforderung
licher Schwierigkeiten noch angebracht ist, plump und einseitig all das herauszustellen, was Europa und Japan i n zunehmendem Maße zu trennen scheint. Es ist w o h l an der Zeit, anstelle eines krämerhaften Feilschens u m Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse endlich verstärkt darüber nachzudenken, was Japan, Europa und die Vereinigten Staaten i n Partnerschaft wie i n gegenseitiger Sympathie und Hochachtung gemeinsam zur Formung einer besseren Welt unternehmen können 9 . Das setzt allerdings Japans Bereitschaft voraus, anstelle einer einseitigen Konzentration auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen nunmehr verstärkt an der Lösung der großen weltpolitischen Aufgaben a k t i v mitzuwirken, die den Völkern der freien Welt i n unserer Zeit gestellt sind.
9 Hervorzuheben sind die Bemühungen Wolfgang Höpkers u m eine Kooperation des Westens unter Einschluß Japans. V g l . W o l f gang H ö p k e r , D e r Westen ist stärker als er denkt. Plädoyer für ein globales Verbundsystem. München 1981.
USA Japan
republik
1979b) 1979b) 1979b)
öffentlicher Verbrauch Privater Verbrauch Bruttoinlandsinvestitionen Außenbeitrag
1979b) 1979b) 1979b) 1979b)
Verwendung des Bruttoinlandsprodukts in °/o
Landwirtschaft Industrie Dienstleistungssektor
Entstehung des Bruttoinlandsprodukts in %
18 64 19
34 63 USA
3
USA
10 59 33
42 53
-2
5
Japan
49
Japan
20 55 25
49
0
2
BundesDeutschland
Bundesrepublik Deutschland
Bundesrepublik Deutschland
Bevölkerung in Mill. 1980a) 227,658 116,782 61,566 Fläche in 1 000 qkm 9 363,1 372,3 248,6 a) davon landw. genutzt 1980 4 281,6 57,0 128,1 Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen in Mrd. US- Dollar 1980a) 2 587,10 1 039,98 819,12 Bruttoinlandsprodukt pro-Kopf a) in US-Dollar 1980 11 360,0 8 910,0 13 310,0 Zuwachsrate des Bruttoinlandsb) produkts (real) jahresdurchschnittl. 1960 - 1970 4,3 10,5 4,4 1975 - 1980a) 3,9 5,1 3,55 a) 1980 - 1981 1,75 3,75 -1,0 Anstieg der Konsumgüterpreise jahresdurchschnittl. 1976 - 1981a) 9,8 5,7 4,4 1981a) 8,9 4,3 6,3 (Dez. 80 Dez. 81)
Basiskennzahlen
Indikatoren zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum sozialen Wandel der USA, Japans und der Bundesrepublik Deutschland
I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
USA
Japan
Gesamte Primärenergieerzeugung in Petajoule Anteile der Energieträger an der Primärenergieerzeugung in Prozent: Stein- und Braunkohle Rohöl Naturgas Kernenergie Wasserkraft und Sonstige Anteil der Kernenergie an der gesamten Elektrizitätserzeugung in Prozent Energieverbrauch pro Kopf in t Rohöleinheiten Gesamter Primärenergieverbrauch in Mill, t Rohöleinheiten
Energiewirtschaft
|| 1 877,4
1979
370,0
3,2
8,5
1979 c)
11,4
c)
1979d)
1 146
1,8 9,4
3,2
1979c) 29,1 33,3 34,4
1970a) 61 192
USA
4 839
4,6 284,2
11,9
46,0
42,8 4,2 15,2
Japan
Deutschland
Bundes-
BundesDeutschland
10,8
4,5
76,1
republik
44,8 49,2
republik
Erwerbsbevölkerung (Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter 15 - 64 Jahre) in Mill. 1979b) 147,58 78,67 40,39 Anzahl der Beschäftigten in Mill. 1979a) 96,95 54,79 25,02 1980a) 97,27 55,36 25,27 Anteil der Beschäftigten in Prozent in Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei 1980a) 3,6 10,4 6,0 Industrie 1980a) 30,6 35,3 a) Andere Bereiche 1980 65,8 54,3 Arbeitslosenquote in Prozent der 1980a) 7 2 3,1 a) Erwerbsbevölkerung 1981 7^5 2^2 413
Erwerbsbevölkerung und Beschäftigung 106 I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
Währungsreserven insgesamt, ohne Gold in Mill. US-Dollar Goldreserven in Mill, fine troy ounces
Export f. o. b. in Mill. US-Dollar Import c. i. f. in Mill. US-Dollar Anteil des Exports am Bruttoinlandsprodukt in Prozent Anteil des Imports am Bruttoinlandsprodukt in Prozent Anteil der Fertigwarenimporte am Gesamtimport Leistungsbilanzsaldo in Mrd. US-Dollar
Außenhandel
1981
k)
1981k)
1980 1978° 1979°
Ende 18 924 28 208 Ende 264,11
22,7
43 719 24,228
13,6
95,18
22,4 55,8 +16,5 4- 9,0 - 6,0 -10,7 -16,3 + 5,8 - 7,6
185 854
12,5
141 108
191 688
53,1 -14,1 + 1,4 - 8,8 1980υ + 3,7 19811} + 6,6
9,3
1980a) c)
8,5
241 195
220 705
21^9 BundesDeutschland
22,5
60,0
50,5
republik
23,4
50,0 54^0
33,0 38^0
129 584
90,6
21,7
Japan
70,9
46,2
USA
1980a)
1980
a)
1980a)
Anteil des Mineralöls am Primärenergieverbrauch in Prozent 1979c) Anteil der Nettoimporte am Primärenergieverbrauch in Prozent 1979c) ölimporte in Prozent des gesamten Importwerts 1980c) in Prozent des gesamten Exportwerts 1980e) I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
USA
1980a)
Einwohner pro Arzt 1977b) Einwohner je Beschäftigte in der Krankenpflege 1977b) Anzahl der Besucher weiterführender Schulen in Prozent ihrer Altersgruppe Anzahl der Besucher von Hochschulen und Universitäten in Prozent der Bevölkerung im Alter von 20 - 24 Jahren 1977b)
Säuglingssterblichkeit Todesfälle im 1. Lebensjahr auf 1 000 Lebendgeburten
56
1978
290
150 b)
850
12,6
1,3 1,0 70 1979b)
32
97
7,4
1,0 1,1 68 74
USA Japan
570
Bevölkerungswachstum Jahresdurchschnitt 1960- 1970b) in Prozent 1970 - 1979b) Lebenserwartung bei der Geburt 1960b)
Gesundheitswesen und Erziehung
Steuerquote 1980f) 21,9 17,1 Abgabenquote 1980f) 29,5 24,6 Staatsquote 1979ε) 33,4 31,5 Verteidigungsausgaben als Prozentsatz des Bruttosozialprodukts 1980h) 5,5 0,9 öffentliche Entwicklungshilfeleistungen (netto) in °/o des Bruttosozialprodukts 1980a) 0^27 032
Staatswirtschaft
70
0,9
13,5
260
490
76
25
93
3,2
0,1
republik
0,43
24,4 38,4 46,3
Japan
94
73
(1979)
Deutschland
Bundes-
Bundesrepublik Deutschland 108 I V . Begegnung der japanischen Herausforderung
I V . Begegnung der japanischen Herausforderung Quellen zur statistischen Übersicht: a) The O E C D Member Countries, 1981 u n d 1982 E d i t i o n . b) Weltentwicklungsbericht 1981, W e l t b a n k . c) Jahresgutachten 1981/82 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Deutscher Bundestag, 9. Wahlperiode, Drucksache 9/1061 v o m 20. 11. 1981, S. 248 f. d) Statistisches Jahrbuch 1981 f ü r die Bundesrepublik Deutschland. Statistisches Bundesamt. e) U N , M o n t h l y Bulletin, Jan. 1982. f)
B M F . Informationsdienst zur F i n a n z p o l i t i k des Auslands.
g) The O E C D Economic O u t l o o k J u l i 1981, S. 138. D i e Angabe für die U S A bezieht sich auf das Jahr 1978. h) The M i l i t a r y Balance 1981 - 1982. The International Institute for Strategie Studies, L o n d o n 1981, S. 112 f. i)
O E C D - M a i n Economic Indicators. June 1982, S. 86, 92, 124. D i e D M - A n g a b e n w u r d e n anhand der jahresdurchschnittlichen Wechselkurse (ebenda, S. 28, H e f t Januar 1982, S. 28) i n U S - D o l l a r umgerechnet.
k) U N , M o n t h l y Bulletin, M a i 1982.
V . Zusammenfassung der Aussprache Japans Erfolge sind für die Deutschen Herausforderung, nicht Bedrohung. Die deutsche Wirtschaft darf sich nicht i n die Defensive drängen lassen. W i r müssen heute von den Japanern lernen, die Gründe ihres Aufstiegs besser verstehen — darüber besteht Einigkeit.
1. Anstrengungen einer stets bedrohten Nation a) Japans Geschichte ist geprägt von seiner isolierten Lage und dem Streben, diese Isolation zu überwinden, zugleich aber seine nationale Identität zu bewahren. Nach dem Selbstverständnis der Japaner liegt ihr L a n d irgendwie „außerhalb der W e l t " , doch es genügt nicht die Hoffnung, daß stets ein „ G ö t t e r w i n d " es retten werde, wie einst v o r der mongolischen I n vasion. So ist Japan schon früh zum „ L a n d der Übernahmen" geworden, der raschen, perfekten Assimilation. I n wenigen Jahrhunderten wurde seit dem 5./6. Jahrhundert n. Chr. chinesische K u l t u r übernommen, der chinesische Kulturzustand gegen 900 n. Chr. erreicht, spätestens um 1600 n. Chr. der chinesische Entwicklungsstand i m M a r k t - und Siedlungsbereich. Nicht erst 1868 öffnete sich Japan dem Westen; schon seit dem 17. Jahrhundert wurden westliche naturwissenschaftliche und technische Erkenntnisse v o r allem von den Holländern übernommen; seit 1800 bestand ein Büro „ z u r Uberprüfung ausländischer Schriften" i n Nagasaki, das Shogunat ließ sie übersetzen. Die M e i j i - Ä r a brachte also keinen völligen Neubeginn; doch nun wurden die Ubernahmen westlicher Wissenschaft und Tedi-
V . Zusammenfassung der Ausspräche
111
n i k verstärkt und systematisiert. I n gewissem Sinne wiederholt sich i n diesem Kopieren und Assimilieren die frühere japanischchinesische Entwicklung i n den Beziehungen des Inselreiches zum Westen. Seit über 100 Jahren gibt es ein nationales Programm: daß die Japaner i n alle Länder gehen, überall ständig lernen müssen, und daß es gilt, i n Fleiß das Übernommene fruchtbar zu machen, Rückstand i n Überlegenheit zu verwandeln. b) Stets haben daher die Japaner aus einem gewissen Gefühl der Unterlegenheit heraus ihre Anstrengungen unternommen — gegenüber China wie neuerdings gegenüber dem Westen — ; es ist auch M o t o r ihrer gegenwärtigen Erfolge: Die Katastrophe des machtpolitischen Scheiterns 1945, der ersten fremden Besetzung, hat tief gedemütigt, neue Abhängigkeitsgefühle geweckt, zugleich aber auch Kräfte zu neuem Wettbewerb gestärkt. Das V o l k hat erkannt, wie stark es gerade heute bedroht ist — i n seiner geographischen Isolation, seiner Abhängigkeit von Einfuhren, von verteuertem ö l . Die Sprachbarriere gegenüber dem Westen behindert die Assimilation; gerade aus dieser N o t haben die Japaner durch Fleiß und besondere Gründlichkeit immer wieder eine Tugend gemacht — westliche Anweisungen, etwa zum Anlagenbau, übersetzen sie i n gemeinsamer Diskussion so gründlich, daß alle Mitarbeiter zugleich v o l l informiert und motiviert werden. c) So haben die Anstrengungen einer bedrohten N a t i o n zur Integration von Gruppen geführt, i n deren Identität der Einzelne seine geschichts- u n d sprachbedingte Verunsicherung überwindet, mehr noch: zu wirtschaftsrelevanter nationaler Integration. Der Japaner weiß, daß er den ökonomischen Herausforderungen dieser Zeit nur als Glied seiner personen-(nicht: interessen-)bestimmten Gruppe, seiner Gesellschaft, seines V o l kes begegnen kann. Daraus ergeben sich allgemeine wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, die sich weit von denen westlicher Länder,
V . Zusammenfassung der Aussprche
insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, unterscheiden: Die Japaner sehen ihren Staat weder als hoheitliche Interventionspolizei gegenüber einer „liberal-selbständigen W i r t schaft", noch als ökonomische Staats-AG, er ist entscheidende Integrationshilfe zu wirtschaftsgünstigem Großgruppenverhalten. Die immer noch „geschlossene" japanische Gesellschaft sperrt sich gegen Fremdarbeiter und nicht selten auch gegen westlichen Wirtschaftseinfluß. Japanische Kapitaleigner ziehen nicht i n gleichem Umfang wie die westlichen Länder ihre M i t tel aus der eigenen Volkswirtschaft ab, etwa u m höhere Renditen i n den Vereinigten Staaten zu erzielen. I n zunehmendem Maße werden japanische Firmen v o n Japanern, weniger i m Konsumgüter- als i m Zulieferbereich, gegenüber gleich leistungsfähigen westlichen Konkurrenten bevorzugt, ebenso bei öffentlichen Aufträgen. I n alldem ist noch kein systematisch wirkender japanischer Wirtschafts-Nationalismus erkennbar, manch ähnliche Erscheinungen sind auch i m Westen feststellbar. Gleichwohl w i r d hier eine andere ökonomisch-politische Grundhaltung deutlich, aus der heraus Einzelne, Gruppen, Gesellschaft, Staat i n Japan handeln. Diese „Gruppen- und Nationalintegration" ist w o h l eine der wichtigsten Quellen japanischer Erfolge — gegenüber westlichen Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland, i n denen so viel mehr an zentrifugalen Tendenzen wirksam ist, in denen man sich so lange jeder Bedrohung überlegen fühlte.
2. „Totale Effizienz" Die japanischen Erfolge erstaunen immer wieder, erscheint doch so vieles i n Japan, nach westlicher Auffassung, eher als Hindernis denn als Vorteil: der Aufstieg nach Alter, nicht nach Verdienst und Leistung; die geringe M o b i l i t ä t einer weithin orts- und firmengebundenen Arbeiterschaft; die vergleichsweise geringe Bewertung von Kapitalinteressen, welche v o r allem Neugründungen eigentlich erschweren sollte. Woher kommt
V . Zusammenfassung der Aussprche
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die japanische Wirtschaftsdynamik, ist sie doch nur Ausdruck natürlicher Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit dieser „Preußen des Ostens", welche damit eben über die wichtigsten Eigenschaften der industrialisierten Welt ganz natürlich verfügen, ist da nur Unübernehmbares, Unnachahmliches? D a ist mehr: vor allem eine ganz besondere auf Effizienz
„Ausrichtung
a) Die Japaner haben eine beispiellose „Technik der Übernahmen" entwickelt, bis hin zum Kopieren. Vorurteilslos und systematisch ahmen sie nach, ohne durchgehendes Streben nach Selbständigkeit, nach Verwirklichung eigener Gedanken. Dabei sind sie zugleich „Weltmeister i m Weglassen" all dessen, was i n ihrer Lage überflüssig sein könnte, i n der Vereinfachung des Übernommenen. Die Assimilation w i r d zur extremen Rationalisierung. Japaner sind über die Entwicklungen des Westens besser informiert als sogar viele westliche Insider. Systematisch nutzen sie alle westlichen Informationssysteme, welche nur zu oft — das Beispiel der T I B zeigt es — von deutscher Seite kaum konsultiert werden. Diese rezeptive Grundeinstellung ist vor allem eine Erklärung für die Überlegenheit. b) Die erstaunliche Marktorientierung der gesamten w i r t schaftlichen Tätigkeit Japans w i r d allseits betont. I n Japan versucht sich nicht, wie so oft i m Westen, der Konstrukteur allein am Reißbrett, isoliert von Vertrieb und M a r k t . Zielstrebig w i r d vielmehr Technologie auf Marktstrategie ausgerichtet und dieser untergeordnet. Der Konstrukteur lernt den gesamten Betrieb kennen, vor allem den Vertrieb. Ständig werden ihm die Bedürfnisse aller aktuellen und möglichen Märkte vermittelt. Weit enger als etwa i n Deutschland ist die Verklammerung von Konstruktion und Fertigung. Das gesamte industrielle Denken der Japaner ist v o m Endabsatz her bestimmt. Diese führt dann, ganz natürlich, zur Kompetenzauflockerung, zur Teambildung (vgl. unten 5). Dieses M a r 8 Kraus
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keting-Denken vor allem erklärt die japanischen Fortschritte auf so vielen, gänzlich unterschiedlichen internationalen M ä r k ten, von der Photobranche bis zum Schiffbau. c) I n Japan w i r d nach wirklichen Marktstrategien vorgegangen, beharrlich und i n einem wahrhaft langfristigen Effizienzdenken. Der große und weithin homogene japanische M a r k t dient als breite Ausgangsbasis und Testbereich. Bei größeren Erfolgen k o m m t es von dort aus, unter folgerichtiger Ausnutzung der Standortvorteile, zu systematischen Vorstößen in diejenigen Länder, i n welchen es noch keine heimische K o n kurrenzproduktion gibt. Sind die westlichen Mitbewerber dort zurückgedrängt, oder sind gar solche Märkte erobert, erst dann wagen sich die Japaner i n die „ H ö h l e des L ö w e n " ihrer westlichen Konkurrenten — sie dringen etwa m i t Autoproduktion in die U S A oder nach Deutschland vor. Solche langfristige Strategien werden durch die japanische Unternehmensorganisation erleichtert, die ebenfalls auf größere K o n t i n u i t ä t angelegt ist als die der westlichen Industrieländer: Vorstände werden i n Japan sehr langfristig, wenn nicht auf Lebenszeit bestellt. M a n kennt dort nicht die Kurzfristigkeiten des deutschen Aktienrechts m i t seinen ständigen Berichtspflichten. Die Stellung der Aktionäre ist, vor allem i n der Praxis, weit schwächer, Störungen längerfristiger Vorgänge sind von ihnen nicht zu befürchten — japanische Hauptversammlungen dauern meist nur wenige Minuten. d) Die japanische Überlegenheit kommt i n vielen Fällen aus einer ganz konsequenten Massenproduktion. Die ständigen Übernahmen westlicher Erkenntnisse und Techniken haben zu der schon erwähnten durchgehenden Vereinfachung geführt, in welcher Japaner unerreichte Meister sind. Die Vorteile der großen Stückzahl werden rückhaltlos ausgenützt, und dies führt zu einem besonders hohen Stand der Automation: In nicht wenigen Bereichen konnten bisher nur Japaner v o l l automatisierte Produktionsstätten planen und zum Teil realisieren.
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Ein konsequentes Denken i n solchen Größenordnungen der Massenproduktion erklärt denn auch die Erfolge auf sonst ganz unterschiedlichen Märkten. H i n z u kommt i n vielen Fällen der gerade hier beachtliche Vorteil des „letzten Investors". Westliche, vor allem deutsche Produktionsweisen erscheinen demgegenüber nicht selten als eindeutig überkompliziert.
Indi-
vidualismus und Fortschrittsstreben führen hier zu ständigen Veränderungen, die nicht immer hinreichend auf Vereinfachung zielen. Die japanischen Größenordnungen und Rationalisierungsmöglichkeiten i n der Massenproduktion werden allerdings auch wesentlich durch den bedeutenden japanischen Inlandsmarkt begünstigt, der eine große Homogenität der zu befriedigenden Bedürfnisse aufweist. Solche auch aus den U S A bekannten Vorteile werden i n Japan v o l l ausgenutzt. N u r auf der Grundlage einer hier bereits entwickelten oder anlaufenden Massenproduktion stoßen japanische Produzenten auf fremde Märkte vor, i n der Regel zunächst begrenzt und gezielt. e) Weitere Effizienz kommt aus der Zulieferer-Organisation. I n Japan ist die Fertigungstiefe bei den vor allem exportentscheidenden Großbetrieben weit geringer als i n den westlichen Industrieländern. Die sehr große Z a h l kleiner und kleinster Zuliefer-Betriebe
garantiert
eine elastische, stets marktange-
paßte Reaktionsmöglichkeit der Großen und Giganten, die sich hier auch überaus günstige Preise und Konditionen sichern können. Das japanische Subkontraktsystem ist so hart, daß seine Übernahme i n andere Länder undenkbar wäre. Zugleich sind die Zulieferfirmen, die oft auch kapital- und ausrüstungsmäßig v o m Großunternehmen abhängen, sehr weitgehend in dieses integriert, computermäßig werden sie dort v o l l erfaßt. Praktisch ergibt sich daraus für die „Großen" nicht zuletzt der Vorteil, daß die Last der Lagerhaltung auf die Zulieferer abgewälzt werden kann. 8=
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Schließlich garantiert das System der beherrschten Zulieferer eine beschäftigungspolitische Flexibilität, von der noch die Rede sein w i r d (unten 5). f) Allseits gerühmt w i r d die positive Einstellung zu Technik und Technologie. I n westlichen Ländern sind heute etwa Roboter vor allem als „ J o b - K i l l e r " Gegenstand der K r i t i k , die lähmenden Auswirkungen solcher Diskussionen i n der Öffentlichkeit machen sich, psychologisch und wirtschaftlich, in Entwicklung und Vertrieb immer stärker bemerkbar, besonders deutlich i m Bereich der Nuklearenergie. Der Japaner dagegen sieht i n der „neuen Technik" stets und grundsätzlich das Positive. Für ihn gibt es kein Problem der Werbung von Studierenden für naturwissenschaftliche und technische Fächer, keine Verständigungsschwierigkeiten über deren zukunftsentscheidende Bedeutung m i t einer überkritischen Jugend. I m Gegenteil: Technik w i r d nicht nur „gerechnet", sie w i r d m i t persönlichem, menschlichem Engagement getragen und gefördert. Gerade hier gilt es, nicht „das Gesicht zu verlieren" gegenüber der westlichen Konkurrenz: Das eigene, das japanische Produkt muß stets die Spitze halten, das „Gesicht des Verlierers" gilt als Anfang vom Ende. Aus solcher Geisteshaltung heraus bauen die Japaner auch entschlossen gerade auf westlicher Technologie auf und weiter. Nicht selten werden neue, bedeutsame Technologien i m Westen entwickelt, etwa neue Aufzeichnungstechniken i n der Unterhaltungselektronik — Japanern gelingt es, die Entwicklung durch eigene Patente zu nipponisieren. g) Das Ergebnis solcher Effizienz, in der Organisation wie in der geistigen Grundhaltung, ist bei einem Vergleich mit der Wir tschaß der Bundesrepublik immerhin beunruhigend. Z w a r liegt der Gesamtautomatisierungsgrad i n Japan — noch — nicht höher als hierzulande, doch es w i r d dort einfacher gearbeitet. Die Produktivität der deutschen Betriebe ist, i n der konkurrenzwichtigen Automobilbranche etwa, an sich eher höher als i m Fernen Osten, berücksichtigt man die größere
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deutsche Fertigungstiefe und die weitergehende Diversifikation. Die Produktivität pro K o p f der Bevölkerung liegt ebenfalls in der Bundesrepublik noch immer höher als in Japan, was allerdings i m weit höheren A n t e i l der landwirtschaftlichen Bevölkerung i n dem Inselland vorwiegend begründet ist. Andererseits ist aber die Produktivität pro Arbeiter i n der Groß- und vor allem i n der Exportindustrie deutlich höher als i n Deutschland, und selbst wenn man von der Produktivität pro Arbeitsstunde ausgeht und berücksichtigt, daß der Japaner erheblich mehr arbeitet als der Deutsche, weniger Urlaub nimmt und sehender krank w i r d , so bleibt noch immer eine nicht unwesentliche fernöstliche Überlegenheit. Bei deutschen Stückkostenpreisen sind auch i n letzter Zeit Erhöhungen festzustellen, denen in Japan eher ein leichter Rückgang gegenübersteht. Die fernöstliche Überlegenheit ist also w o h l — noch — nicht eine durchgehende, gesamtwirtschaftlich faßbare. Sie liegt heute weit mehr in der Leistungsfähigkeit derjenigen Großbetriebe, welche mit dem Westen unmittelbar konkurrieren. D o r t aber ist sie beachtlich — beunruhigend. U n d es sind eben nicht nur die Qualitätskontrollen in Japan besser — oft ist es schon die Qualität.
3. Leistung aus Konsens oder Wettbewerb? a) Ein wesentlicher Faktor japanischer Erfolge ist der Konsens aller Betriebsangehörigen, die Übereinstimmung auch all jener, welche einen bestimmten Produktions- oder Vertriebsvorgang tragen. Übereinstimmung w i r d dort weit intensiver, gründlicher, vor allem aber viel breiter hergestellt als anderswo, und sie w i r d in ständiger Flexibilität erhalten und vertieft. Aus scheinbarer Schwerfälligkeit entsteht so ein langfristiger K o n sens, der beharrliches, ja nach außen monolithisch wirkendes Verhalten ermöglicht, die systematische N u t z u n g des bereits Investierten sichergestellt und nachträgliche „MittelVernichtung" durch die Gegenläufigkeit innerer Dissense ausschließt.
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b) Sehr wichtig zur Herstellung dieses breiten Konsenses ist die hohe Identifizierung aller Beschäftigten mit dem Unternehmeny dessen Erfolgen und Rückschlägen. Einerseits kommt dies aus dem auch i m industriellen Bereich wirksamen Gruppendenken: Die Gruppe w i r d nicht nur durch gemeinsame I n teressen, sie ist durch ein menschliches Zusammengehörigkeitsgefühl, durch gemeinsame Verantwortung für gemeinsame A u f gaben geprägt und laufend motiviert. Dieser Gruppenkonsens w i r k t auch, ja gerade i n exportintensiven Großbetrieben, schafft dort erstaunliche Identifikation m i t dem Unternehmen, und diese Überhöhung individualistischen Denkens ist für westliche Wettbewerber praktisch kaum erreichbar. Andererseits verläßt sich aber das japanische Unternehmen keineswegs allein auf eine solche „natürliche" Konsens- und Identifikationsbereitschaft. Die breite Übereinstimmung wird vielmehr laufend durch eine Vielzahl innerbetrieblicher Maßnahmen erhalten und verstärkt. Permanente Diskussionen der Betriebsziele auf allen Ebenen und zwischen diesen erhalten das Gefühl der Zusammengehörigkeit bei allen. Eine streng hierarchische Unternehmensorganisation w i r d dadurch entschärft und vermenschlicht. Mitbestimmung und Teilhabe finden nicht zwischen juristisch erstarrten Fronten, sondern i m Miteinander des Dauerdialoges statt. Der „Untergebene" w i r d laufend in die Umsetzung dessen einbezogen, was aus dem Ausland übernommen worden und nun mühsam übersetzt und assimiliert werden muß; all dies kann ja durch Anordnung allein nicht geschehen. Selbst der Mitarbeiter, welcher aus Schriftgründen zu Besprechungen zugezogen w i r d und diese, schweigend m i t schreibend, verfolgt, ist gerade dadurch i n den Willens- und Konsensbildungsprozeß einbezogen. Wichtig für breiten Konsens ist die Behandlung der Verbesserungsvorschläge aus der Belegschaft: Es gibt ihrer weit mehr als i m Westen, selbst wenn man den i n Japan weiteren V o r schlagsbegriff berücksichtigt. Bedeutsame Anregungen werden nicht nur honoriert, man trägt ihnen vor allem sehr weitgehend
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Rechnung, ein Gesichtsverlust wäre die Folge, geschähe dies nicht. So werden die besten Kräfte zu treuen Mitträgern des Betriebsgeschehens. Die Unterschiede zwischen Japan und den westlichen Industriestaaten liegen nicht allein, nicht so sehr i n der Größenordnung der Investitionen, sie kommen nicht zuletzt aus der höheren Konsensfähigkeit der Japaner. Diese schließt weithin all jene Reibungsverluste aus, welche i m Westen durch das Gegeneinander geistiger Kapazitäten oder durch die Resignation nicht motivierter Mitarbeiter entstehen. c) Ist nun die japanische Wirtschaft eine „Konsenswirtschaft", wie steht es dort m i t dem Wettbewerb? Ist nicht der hohe Konzentrationsgrad der japanischen Produktionsunternehmen und, nicht zuletzt, auch der japanischen Außenhandelshäuser, ein Indiz für eine wettbewerbsschwache Ordnung, steht dies nicht i n deutlichem Gegensatz zu westlicher, vor allem auch deutscher „Wirtschaftsphilosophie"? Ubereinstimmung besteht darin, daß der dort leichter und breiter hergestellte Konsens individuelles Denken i m westlichen Sinn i n Grenzen halten mag, daß er aber Wettbewerb keineswegs ausschließt. Unterschieden muß hier allerdings werden zwischen dem „Innenwettbewerb" unter den japanischen Unternehmen und den sie tragenden „Gruppen" einerseits und dem außenwirtschaftlichen Wettbewerb m i t den westlichen I n dustrieländern zum anderen. A l l e Anzeichen sprechen dafür, daß der „innere Wettbewerb" zwischen japanischen Unternehmen sehr hart ist. Das Gruppendenken steht dem nicht entgegen, kann vielmehr diese K o n kurrenz nodi steigern: Die Gruppe als Trägerin eines vergemeinschafteten Konkurrenzdenkens t r i t t leicht i n besonders scharfen Wettbewerb zu rivalisierenden Gruppierungen. O b die Intensität dieses inneren Wettbewerbs zwischen kleineren Unternehmen und zwischen den „Großen" jeweils die gleiche ist, kann schwer beurteilt werden. Manches spricht da-
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für, daß die „ K l e i n e n " nicht selten zu „Wettbewerbspuffern" der Großunternehmen werden. Zwischen diesen letzteren ergeben sich überdies eigenartige und schwer durchschaubare K o n kurrenzabschwächungen auf Führungsebene: D o r t sind allenthalben Absolventen der gleichen hohen Schulen, insbesondere der Tokyo-Universität tätig. Durch gemeinsame Studien kann sich leicht ein „Instituts- oder Jahrgangsdenken" entwickeln, das dem der ENA-Absolventen vergleichbar ist und in lebenslanger Freundschaft auch Unternehmensgrenzen überspielt. Dafür, daß der Wettbewerb i m Außenhandel zwischen Japanern nicht ebenso intensiv ist, spricht immerhin einiges, nicht zuletzt die immer wieder zu beobachtende selektive Marktstrategie; auch können hier „Japaner als solche" sich doch naturgemäß leichter als Gruppe fühlen. V o n einem systematisch aufgebauten Exportkartell kann allerdings heute keine Rede sein. Der starke japanische Exportdruck hat bei den westlichen Ländern Abwehrreaktionen hervorgerufen. U m Abwehrprotektionismus zu verhindern, hat sich die japanische Seite, auch i n internationalen Verhandlungen, bereit gezeigt, den an sich ja nicht geschlossenen japanischen M a r k t noch weiter als bisher zu öffnen, insbesondere durch Abbau der strukturellen nichttarifären Einfuhrhemmnisse, vor allem der Standardisierungen und Genehmigungserschwernisse. Was den japanischen Export anlangt, so w i l l sich Japan um einen gewissen order of marketing bemühen, u m einen „ E x p o r t nach Augenmaß". Gerade dies könnte nun aber, durch Schonung einzelner Konkurrenten, Exportströme umleiten und gerade damit antijapanischen Protektionismus anderenorts hervorrufen. V o r allem zwingen solche westliche Vorstöße die japanische Exportindustrie wie den Exporthandel praktisch zu immer festeren Formen der Kartellierung, die insbesondere i n der Bundesrepublik Deutschland nicht gebilligt werden und eine japanische Exportgefahr eher verstärken könnte. Wie so vieles, sind eben auch die Gewichte von Konsens und Wettbewerb in Japan anders verteilt als in der übrigen Welt.
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4. Erfolge durch Planung und Staatsförderung? a) Japans Wirtschaftswunder beruht nicht auf Planung oder gar auf Planwirtschaft. Bis zur ersten Ölkrise haben die faktischen Wachstumsraten des japanischen Bruttosozialprodukts ständig die Planprojektionen weit übertroffen. Das Wachstumspotential der japanischen Wirtschaft war über viele Jahre wesentlich umfangreicher als dies die Planzahlen zum Ausdruck gebracht haben. Nach der ersten Ölkrise mußten allerdings i n Hinblick auf das realisierte Wachstum erhebliche Korrekturen in entgegengesetzter Richtung vorgenommen werden. Die Planung scheint eher hemmend gewirkt zu haben — als sie gelockert wurde, verstärkte sich das Wirtschaftswachstum; es zeigten sich in Japan ähnliche Erscheinungen wie i n Frankreich (und neuerdings in Spanien), w o die EG-bedingte Flexibilisierung der planification mehr Wachstum gebracht hat. Die japanische Planung ist allerdings, und war i m Grunde stets, nur eine höchst flexible Programmierung. Die japanische Stärke liegt in der Elastizität v o n Programmen, die meist für fünf Jahre entworfen, selten aber über mehr als zwei oder drei Jahre hinaus unverändert durchgeführt werden. Die eigentliche Bedeutung der Planung dürfte auf einer anderen Ebene liegen, wie die A k t i v i t ä t e n der Planning Agency zeigen: in der Koordination von öffentlichem und privatem Sektor, von „Staat und Gesellschaft". I n ungewöhnlich breiten und langdauernden Diskussionen w i r d dort ein Konsens z w i schen Staat und Wirtschaft und zwischen den verschiedenen Gruppen hergestellt, welche die ökonomische Entwicklung tragen. Ist dann gemeinsam entschieden, so werden die Beschlüsse in erstaunlicher Konsequenz von allen Beteiligten realisiert — bis veränderte Umstände neuen Planungsdialog erzwingen. Typisch für Japan ist eine sehr enge Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft, die nicht zuletzt aus dieser orientierenden gemeinsamen Planung herauswächst. Die Zusammenarbeit reicht
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bis i n Einzelheiten, bis zum einzelnen Produkt. Überall werden Wirtschaftsbeiräte tätig, welche auch i m Detail beraten. Führungskräfte aus der Privatindustrie erhalten laufend Einblick in staatliche Verwaltungen, werden i n diese sogar auf Zeit übernommen und dort fortgebildet. Der Wechsel v o m Staat zur Wirtschaft und umgekehrt ist häufiger als i n den europäischen Industrieländern. Darüber hinaus werden gerade in dieser Kooperation die bereits erwähnten informellen, gesellschaftlichen Beziehungen zwischen staatlichen und wirtschaftlichen Eliten genutzt, die sich aus gemeinsamen früheren Studien ergeben. I n alldem werden Reibungen zwischen Staat und Wirtschaft und zwischen den Gruppen abgebaut, es entsteht etwas wie eine breite konzertierte Aktion, die dann übrigens durch Gruppendenken und Gruppenkonsens i n verfeinerte interne Planung der Branchen und Unternehmen umgesetzt w i r d — immer allerdings unter Wahrung der Elastizität, nicht in p l a n w i r t schaftlicher Mentalität. b) I n diesen Formen der Programmierung zeigt sich bereits ein Phänomen, das ganz allgemein für Japan typisch und für seine wirtschaftliche Entwicklung w o h l höchst bedeutsam ist: ein ganz anderes Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat als im Westen. Die japanische Wirtschaft sieht die Verwaltung nicht als eine Gegenspielerin, welche ihr primär Grenzen zu setzen hat und ihr überdies vor allem M i t t e l entziehen w i l l . Die japanische Steuerbelastung ist weit geringer als die i n der Bundesrepublik, und dies ist auch psychologisch von großem Gewicht: Die Unternehmen brauchen i m Staat nicht eine teure Maschinerie zu sehen, welche ihre „wirtschaftliche Belastbarkeit laufend testet". Japans Staatlichkeit ist weit weniger bürokratisiert, die Zahl der öffentlichen Bediensteten liegt viel tiefer als in Deutschland, Qualität und Ansehen der Beamtenschaft sind ausgezeichnet, sie stellt eine echte Meritokratie dar. A l l dies sind günstige Voraussetzungen für ein Klima des gegenseitigen Verständnisses, des großen Vertrauens zu einem
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Staat, der als allgegenwärtiges Forum konzertierter Aktionen w i r k t . Der Staat ist nicht Antagonist, Ordnungshüter von außen, für die Wirtschaft erscheint er i n erster Linie als der große Konsensschöpfer, als Hersteller der für den Japaner so wichtigen Gemeinsamkeit. U n d i n dieser konsensfördernden Schiedsrichterrolle gewinnt er dann allerdings auch nicht selten eine Gruppenunabhängigkeit, die ihm die Verfolgung übergeordneter nationaler Ziele, ihre Durchsetzung nicht gegen, sondern mit der Wirtschaft noch erleichtert. c) Diese allgemeine Lage, diese Geisteshaltung i m Verhältnis Staat—Wirtschaft hat audi für das Verständnis der vieldiskutierten japanischen Staatshilfen für die Unternehmen Bedeutung: Sie müssen gesehen, sie dürfen aber nicht m i t westlichen Maßstäben gewertet werden. I n Deutschland w i r d diese Förderung als Wettbewerbsverzerrung oft beklagt. O b sie wirklich i n solchen Größenordnungen erfolgt, wie dies mitunter behauptet w i r d , ist zweifelhaft. Immerhin liegt die Investitionsförderung aus öffentlichen Haushalten in Japan viel höher als i n der Bundesrepublik Deutschland, die Subventionen machen einen bedeutenden A n t e i l der Gesamtinvestitionen aus. V o r allem Technologien werden gezielt unterstützt. A u d i die Absatzorganisationen i m Ausland dürften wenigstens teilweise m i t öffentlichen M i t t e l n gefördert werden. Der eigentliche Grund, warum die Japaner m i t ihrer öffentlichen Förderung erfolgreicher gewesen sind als etwa die Deutschen, liegt w o h l nicht nur i n der Größenordnung der eingesetzten Mittel. Die Japaner wenden diese vielmehr i n besserer Koordination zwischen Staat und Wirtschaft an, ständige K o n takte und gegenseitiges Vertrauen gewährleisten höheren N u t zen. U n d nicht zuletzt w i r d i n Japan aus einer anderen Grundeinstellung heraus gefördert: Den Starken, nicht den Schwachen w i r d geholfen, Subventionen verfolgen primär wirtschaftliche, nicht soziale Ziele.
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d) Nicht nur unmittelbar hilft der Staat der Wirtschaft in Japan, in seinem eigenen Bereich sorgt er entschlossen für eine Ordnung, welche der Wirtschaft günstige Rahmenbedingungen schafft. Die zweite ölpreiserhöhung hatte zunächst auch i n Japan zu einer hohen Staatsverschuldung geführt, welche das Ausmaß der gegenwärtigen deutschen erreicht hatte. Bereits nach zwei Jahren war sie erheblich abgebaut, i n einer bewundernswert konsequenten staatlichen Sparpolitik. Die Gewerkschaften haben wiederum Senkungen des Reallohns hingenommen. D a m i t waren gute Voraussetzungen für die rasche Verbesserung der Leistungsbilanz geschaffen — der japanische Staat und die japanischen Beschäftigten hatten das Ihrige getan, daß das Land die stabilitätspolitische Herausforderung der Ölkrise bestehen konnte. Das japanische Erfolgsrezept ist also nicht „Staatsförderung", sondern vielmehr: vertrauensvolle Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft.
5. Vor allem: Flexibilität Ein G r u n d für die japanische Wirtschaftskraft w i r d immer wieder übereinstimmend genannt: eine bewundernswerte Flexibilität. Nicht zuletzt mag sie das Ergebnis ständiger und historisch bedingter Assimilationsprozesse, dauernder Ubernahmen sein, welche elastisches Reagieren verlangen. Bemerkenswert ist jedoch, wie vielseitig diese Flexibilität i n Erscheinung t r i t t . V o n der elastischen Planung und der raschen Reaktion der öffentlichen H a n d und ihrer Haushalte war bereits die Rede. Folgende Erscheinungen verdienen hier noch besondere Hervorhebung: a) I n japanischen Betrieben, tierten Großindustrie, herrscht lität. Sie beruht vor allem auf arbeiter, die weit vielseitiger ist
vor allem in der exportorieneine hohe Organisationsflexibieiner Einsatzfähigkeit der M i t als etwa i n Deutschland.
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Dies w i r d bereits im Schul- und Hochschulunterricht vorbereitet: Ganz entgegen dem, was man von Japanern als technical animals erwarten sollte, bilden sie weit weniger den reinen Spezialisten aus als westliche Industrieländer. Ausbildungsschranken wie etwa die zwischen Maschinen- und Elektroingenieur gibt es i n Japan nicht in vergleichbarer Starrheit. Die Unternehmen erwarten vom Hochschulabsolventen weit mehr ein all-round-Wissen, bis hin zu wirklicher Generalistenausbildung. Sodann w i r d er ja i n den Betrieb auf Dauer integriert und dort fortgebildet, entsprechend eben den elastischen Bedürfnissen des Unternehmens, auf die er sich i n breiter Ausbildung soll einstellen können. Diese schwächer entwickelte, später einsetzende Spezialisierung ist auch einer der Gründe für das vereinfachende und das marktorientierte japanische Vorgehen, das bereits erwähnt wurde. I n Japan w i r d systematisch alles gepflegt, was zu job enrichment führen könnte. Kompetenzen werden breiter angelegt, Kompetenz Verteilungen nicht so streng durchgehalten; Einsatz außerhalb des zugewiesenen Aufgabenkreises ist stets möglich und häufig. Die ständige motivierende Gruppendiskussion verwischt ohnehin allzu scharfe Kompetenzabgrenzungen und trägt damit zur Flexibilisierung einer Organisationsstruktur bei, in welcher etwa die formalen Kategorien von Stab und Linie nicht beachtet werden. I n alldem w i r k t bewußt-elastisches Führungsverhalten, nicht nur die natürlichen Qualitäten des Volkes. b) Die Beschäftigungsflexibilität ist i n Japan, und gerade in der exportierenden Großindustrie, besonders ausgeprägt; sie erleichtert Anpassung an veränderte Wirtschaftslagen, rasche Reaktionen. Der Kündigungsschutz ist i n Japan auch nicht entfernt so wirksam wie i n der Bundesrepublik Deutschland. Geschützt sind hier nur die — oft vergleichsweise wenigen — Stammarbeiter, während die zahlreichen Gelegenheitsarbeiter weitest-
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gehend ungesichert bleiben. I n Rezessionszeiten werden sie rasch an andere Groß- oder an Zulieferbetriebe abgegeben. H i n z u kommt noch eine besonders hohe Beschäftigungsfluktuation bei Frauen. H i e r liegt w o h l der größte Unterschied zwischen Japan und Deutschland; diesen Wettbewerbsvorteil kann die in das soziale Netz eingebundene deutsche Konkurrenz durch nichts wettmachen. c) Der japanische Aufstieg war keineswegs stets steil, kontinuierlich. Das Land hat mehrfach schwere Rückschläge erlitten. Auch seine Exportoffensiven wurden nicht selten zu Niederlagen, wie etwa i m Tankerbau, i m Faserbereich, i n der Stahlproduktion. Der japanische Erfolg kommt jedoch aus der Fähigkeit, gerade solche Einbrüche i n flexibler Reaktion immer wieder erstaunlich rasch zu überwinden, Organisations- und Beschäftigungselastizität geben hier stets die notwendige Kraft. Doch all diese Flexibilität ist nicht nur eine betriebswirtschaftliche, sie setzt sich i n der Makroökonomie, in der Reaktion der Gesamtwirtschaft, des gesamten Volkes auf stabilitätspolitische Herausforderungen fort. Die erste Ölkrise hatte Japan desorientiert: Enorme Inflationsraten, noch höhere Lohnsteigerungen waren die Folge. Die zweite Krise traf schon ein in Elastizität vorbereitetes Inselland: Trotz extrem hoher ö l rechnung wurde das Leistungsbilanzdefizit in kurzer Zeit überwunden, nicht nur der öffentliche, auch der private Konsum ging rasch zurück. So kann denn ein neuer OECD-Bericht den Japanern mustergültige Leistungen i n der Überwindung dieser Krise bescheinigen. Was i m Betrieb beginnt, in der Bewältigung der Einzelaufgabe, das setzt sich volkswirtschaftlich fort — i n einer unerreichten Flexibilität.
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6. Kapital und Arbeit — das fehlende Feindbild Die westlichen Industrienationen werden ständig durch soziale Unruhen erschüttert, Verteilungskämpfe verhindern rasche Anpassung an veränderte Wirtschaftslagen ebenso wie längerfristige Marktstrategien. I n Japan ist all dies weitgehend — noch — unbekannt, und hier liegt wiederum ein Schlüssel für das Verständnis fernöstlicher Erfolge: Einen K a m p f von K a p i t a l und Arbeit gibt es dort nicht, kaum einen wirklichen Gegensatz. a) Dies hat tiefe geschichtliche und weltanschauliche W u r zeln: Das „Kapital" wird in Japan anders gesehen als im Westen. Die Japaner kennen nicht die liberale Beliebigkeit eines Kapitaleinsatzes, i n dem Herrschaftsstreben zum Ausdruck kommen könnte. Der Ausgangspunkt des fernöstlichen Kapitalverständnisses liegt im Konfuzianismus und prägt, spätestens seit dem 17. Jahrhundert, das ökonomische Verhalten des Inselvolks: Nicht selbst verdientes, nicht durch eigene Arbeit erworbenes Geld hat geringen Wert. D a r i n trifft sich die heutige japanische Wirtschaftsmoral m i t frühreformatorischen K a p i t a l vorstellungen eines M a r t i n Luther. Deshalb vor allem ist auch der A k t i o n ä r w i r k l i c h nur der Geldgeber, der Arbeit und Verdienst ermöglicht, nicht der H e r r von Produktionsmitteln und Unternehmen. V o n vorneherein steht er daher weder als Gegner, noch als gleichberechtigter Partner einem „ F a k t o r A r b e i t " gegenüber. U n d weil es keine „Macht K a p i t a l " gibt, existiert auch keine „Gegenmacht A r b e i t " , sondern nur eine „Gemeinschaft Betrieb" — die Identifikation m i t i h m w i r d nicht durch marxistische Kategorien gestört, die ganze auf dem Gegensatz von K a p i t a l und Arbeit gegründete D y n a m i k des Marxismus findet in Japan schon i m Grundsätzlichen keinen Ansatzpunkt; damit aber fehlt dort der eigentliche, der weltanschauliche Schwung. Der Marxismus hat allenfalls die Tokyo-Universität erfaßt, nicht das Wirtschaftsleben.
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b) Dem fehlenden Feindbild i m Verhältnis K a p i t a l — A r beit entspricht auch die gewerkschaftliche Lage in Japan, und dies ist ein weiterer gewichtiger Grund für kontinuierliches Wachstum und ungestörte, langfristige Marktstrategien. I n Japan gibt es keine marxistisch beeinflußte Gewerkschaftsbewegung von einigem wirtschaftlichem Gewicht. Die betriebsübergreifenden Gewerkschaftsverbände fristen ein überwiegend politisch orientiertes Dasein ohne entscheidenden wirtschaftlichen Einfluß. Dieser letztere liegt vielmehr v o l l bei den allenthalben gebildeten Betriebsgewerkschaften. Sie sind nicht politisiert, bei ihnen gibt es keinerlei betriebsfeindliche oder auch nur zum K a m p f gegen das „ K a p i t a l " bereite Grundeinstellung. Diese Betriebsgewerkschaften sind vielmehr organisatorischer Ausdruck der „Unternehmens-Familie". Die Vorstellung hat in Japan Tradition, seit dem Beginn der großen Industrialisierung. Schon 1909 sprach man ausdrücklich etwa von der „ N a t i o n a l - R a i l w a y - F a m i l y " aller Eisenbahner. Die Unternehmer aller Sparten haben bewußt und systematisch das herkömmliche Gruppendenken auch i n der Betriebsorganisation wie i n der Organisation beruflicher Interessen eingesetzt, sie förderten die Bildung der Betriebsgewerkschaften und arbeiteten von vornherein eng m i t diesen zusammen. Nennenswerte Informationsprobleme sind, angesichts eines konsensbildenden Dauerdialogs, dabei kaum aufgetreten. Nicht als ob es jene Arbeitskonflikte gar nicht gegeben hätte, welche dem Westen so viele Probleme gebracht haben; doch sie wurden i n der japanischen Unternehmens-Gewerkschaftsorganisation aufgefangen und gelöst, bevor sie zu echten und dauernden Feindbildern führen konnten. Die Entwurzelung der Arbeiterschaft, ihre Proletarisierung, hat i n Japan nie das Ausmaß des Westens erreicht; stets stand noch der „Weg zurück ins D o r f " offen, w o derjenige wieder aufgefangen wurde, dessen Existenz bedroht war. So zeigen denn die Betriebs-Vertreter der japanischen Industriearbeiterschaft wenig Verständnis
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für kämpferische Töne westlicher Gewerkschaftler. Japanische Unternehmer wünschen sich deren nicht selten klassenkämpferisches Auftreten manchmal sogar — die Reaktion der japanischen Arbeitervertreter ist Ablehnung und die mißtrauische Frage, ob etwa Deutschland durch solche Ratschläge die japanische Konkurrenz schwächen wolle . . . Die japanischen Gewerkschaften haben gerade neuerdings hohes Verantwortungsbewußtsein durch ihre H a l t u n g nach der jüngsten Ölpreiserhöhung eindrucksvoll bewiesen: U m die Stabilität zu erhalten, nahmen sie sogar Lohneinbußen hin — und dies bei einem erwarteten Wachstum von über 4 °/o! Welche westliche Gewerkschaft wäre dazu bereit?
7. Und dies trotz bescheidenem Lebensstandard Das Verantwortungsbewußtsein der japanischen Gewerkschaften, der Arbeiterschaft, w i r d man noch weit höher schätzen müssen, berücksichtigt man, unter welchen Umständen derartige arbeitspolitische Zurückhaltung geübt w i r d . a) Die wirtschaftliche Lage der japanischen Arbeiterschaft ist mit der der deutschen Beschäftigten nicht entfernt vergleichbar. Z w e i D r i t t e l etwa der japanischen Arbeiter sind i n K l e i n und Mittelbetrieben tätig oder müssen sich m i t Teilzeitarbeit begnügen. Ihre Bezahlung liegt dort weit unter vergleichbarem L o h n i n Deutschland, vor allem aber sind die sozialen Leistungen wesentlich geringer. Noch immer ist denn auch das Bruttosozialprodukt, umgerechnet auf den einzelnen Beschäftigten, in Deutschland wesentlich höher als i m Fernen Osten. Besonders ungünstig ist die Lage bei den Beschäftigten der zahlreichen Zulieferbetriebe. E i n sehr hoher Prozentsatz der Arbeiter ist hier nicht auf Lebenszeit angestellt und genießt kaum Kündigungsschutz. E i n „soziales N e t z " i m deutschen Sinn gibt es nicht; das Sozialgefälle innerhalb der Arbeiter9 Kraus
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schafl ist daher groß. Bei diesen Zulieferbetrieben w i r d nodi härteste Fließbandarbeit i n einem Tempo verlangt, wie es i m Westen längst als unmenschlich angesehen würde, hier werden wirklich noch menschliche Maschinen rücksichtslos eingesetzt. H i n z u kommt, daß der Freizeitwert für den japanischen Arbeiter, selbst wenn er etwa mehr verdienen sollte, insgesamt m i t dem des deutschen Beschäftigten nicht vergleichbar ist. Dies alles, i n Verbindung m i t den beengten Lebensverhältnissen, der Hellhörigkeit der Wohnungen, führt nicht selten dazu, daß Arbeit als Flucht aus einer beengten, problematischen Freizeit erscheint. D i e Lebensqualität ist i n Japan, v o r allem i m vergangenen Jahrzehnt, wesentlich gesteigert worden. Der Lebensstandard der Arbeiterschaft steht aber noch immer weithin i n keinem Verhältnis zum Bruttosozialprodukt. b) Daß es i n dieser Lage nicht zu sozialen Unruhen kommt, daß die Arbeiterschaft die großen betrieblichen, ja nationalen Wirtschaftsanstrengungen v o l l mitträgt, hat nicht zuletzt einen Grund: I n der Familie findet der Japaner einen H a l t , der viele Leistungen sozialer Netze des Westens ersetzt. Wiederum kommen die entscheidenden Impulse aus dem Konfuzianismus: das hierarchische Denken, i n dem diese familiäre Einheit geordnet ist, wie der Grundsatz der weitestgehenden ökonomischen Vergemeinschaftung alles Verdienten i n einem gemeinsamen Familienfonds. Der größte Teil des Lebens, vor allem aber die recht umfangreichen Abfindungen, welche der Altersversorgung dienen, fließen i n die gemeinsame Familienkasse, sie dienen allen Familiengliedern, sind dort die Grundlage kollektiver privat-sozialer Sicherheit. Der Einzelne mag auf soziale Sicherheit verzichten, solange er sich auf die wichtigste der japanischen Gruppen, auf seine Familie verlassen kann. U n d wenn er i n der Großstadt i n N o t gerät, so steht i h m meist doch noch der Weg zurück ins D o r f offen — eben wieder i n die Familie. Diese japanische Familie ist i n
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erster Linie eine wirtschaftlich, nicht eine emotional begründete Einheit. Noch immer herrscht die vermittelte Ehe vor, die auch zur Versorgungseinheit führt. Dies alles mag sich i n den Großstädten abschwächen, noch ist sie eine verbreitete Realität, diese soziale Sicherung durch die Familie. U n d aus einem derart familiengeprägten Denken heraus führt nicht leicht ein Weg in soziale Kämpfe, zur I n fragestellung von Ordnungen und Hierarchien, welche doch zu Hause ohne Widerspruch hingenommen werden. Vieles spricht dafür, daß gerade hier die eigentlichen Quellen der japanischen Wirtschaftskraft liegen.
8. „Japans Bäume" — unaufhaltsames Wachstum? Verständlich ist, daß der so herausgeforderte Westen seit langem nach Gründen und Anzeichen dafür sucht, daß auch Japans wirtschaftliche Bäume nicht i n den H i m m e l wachsen. Auch wenn man sich von Zweckoptimismus freihält — derartige Indizien gibt es. a) Sie liegen zunächst schon i n dem Bereich, aus dem w o h l das meiste an japanischer Wirtschaftskraft k o m m t : Japans soziale Ordnung wandelt sich. Das Seniorenprinzip gilt nicht mehr so unangefochten wie früher. Z w a r liegen seine geistigen und historischen Wurzeln vielleicht nicht allzu tief, und der Grundsatz ist ja auch immer i n Gruppensolidarität relativiert worden. Doch er hat auch gruppenprägende Bedeutung. Gerade darin aber w i r d er heute von einer jüngeren Generation zunehmend i n Frage gestellt. Überhaupt stellen Beobachter Japans immer stärkere Generationsunterschiede, auch und gerade i m wirtschaftsrelevanten Denken fest: Die ältere Generation n i m m t noch nicht v o l l den Urlaub, arbeitet ohne Rücksicht auf Krankheit — Jüngere schöpfen hier zunehmend ihre Rechte v o l l aus, in ganz natür9*
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lieh wirkendem Anspruchsdenken. I n spätestens einem Jahrzehnt w i r d sich damit auch die japanische Leistungsfähigkeit ändern. Soziale Probleme kommen auf Japan zu: Die Lage der m i t telständischen Betriebe verlangt immer deutlicher das Eingreifen des Staates: Mittelstandsprogramme werden aufgestellt, es w i r d eben doch nicht mehr nur der Starke, es w i r d auch der Schwache unterstützt, Aufträge werden zusammengefaßt und entsprechend auf die Kleinbetriebe verteilt. Das Rentenproblem w i r f t seine Schatten voraus. Zweifel werden laut, ob „die Familie" noch so intakt ist, daß sie die soziale Sicherung v o l l übernehmen kann. Den i n der Familie zu vergemeinschaftenden Abfindungen dürfte kaum die Z u kunft gehören. D a m i t aber w i r d sich vieles ändern: Es gilt dann, ein Rentensystem zu schaffen bzw. die vorhandenen Ansätze auszubauen, damit werden die Staatsausgaben steigen, ebenso die Transferquote. Es ist dann auch nicht mehr m i t der bisher so hohen Sparquote zu rechnen; Staat und Wirtschaft werden i m Ergebnis weit stärker belastet. U n d dabei ist noch zu berücksichtigen, daß sich i n naher Zukunft die japanische Bevölkerungsstruktur wandeln und all dies noch verschärfen w i r d : Japan w i r d bald weit mehr, immer mehr alte Menschen zu sichern haben. b) V o m Mentalitätswandel innerhalb der Generationen war schon die Rede; er läßt sich ganz allgemein beobachten, und zwar i n eine Richtung, i n der wirtschaftliche Kraftquellen verschüttet werden könnten. Die Japaner sind dabei, die schlechten Sitten der westlichen Industrieländer zu übernehmen. A n die Stelle der bisherigen zähen, stillen Bescheidenheit ist ein oft erstaunliches, ja übersteigertes Selbstbewußtsein getreten. Der Bewährungsdruck läßt eben nach, die Anstrengungskraft aus der Unterlegenheit heraus w i r d schwächer. Auch den Japanern scheint es nicht voll, und immer weniger, zu gelingen, die wirtschaflsgefährdenden
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Auswirkungen des Wohlstandsdenkens zu neutralisieren. A l l zuviele Kommunikationssperren m i t dem Westen sind i n den letzten Jahren gefallen, die beispiellose Reisefreudigkeit der Inselbewohner bringt viele schlechte Vorbilder von westlicher Sattheit und Trägheit nach Hause. c) A l l dies schlägt sich auch bereits i n der Konkurrenzfähigkeit der japanischen Wirtschaft nieder: Die Löhne steigen, das Kostengefälle zum Westen besteht nach wie vor, schwächt sich aber insgesamt ab. Die Lohnkosten nähern sich bereits an, mehr noch die Gehälter. Die Folgen lassen nicht auf sich warten: Zunehmend muß die Fertigung ins kostengünstigere Ausland verlagert werden, vor allem nach Südkorea, nach Formosa, nach Südostasien. D a m i t läßt die betriebliche Konzentration nach, die Störungsanfälligkeit steigt, die Abhängigkeit von größerer Politik. H i e r scheint das Inselland einen Weg Deutschlands zu gehen, auf dem seine Konkurrenzfähigkeit bedroht werden könnte. U n d immer wieder ist man an den deutschen Vorsprung gegenüber England und Frankreich nach 1945 e r i n n e r t . . . d) Ein weiterer Trost bleibt den herausgeforderten westlichen Konkurrenten: der Wechselkurs — er könnte für eine Relativierung des japanischen Vorsprungs sorgen, diesen entscheidend verringern. Bei dem gerade für Deutschland so ungünstigen Lohnkostenvergleich schneidet ja Japan nicht zuletzt deshalb so günstig ab, weil der Yen-Kurs nicht höher liegt. Eine Kurskorrektur nach oben könnte die japanische Exportkonkurrenz wesentlich erschweren. M a n ist hier an das deutsch-französische Verhältnis der 50er Jahre erinnert: Frankreich sperrte sich damals gegen die Wirtschaftsgemeinschaft vor allem aus Sorge vor den zu erwartenden deutschen Exportpreisen. Als i n der Folgezeit durch Kurskorrekturen die deutschen Kosten erheblich niedriger lagen, schwächte sich dieses Mißtrauen rasch ab, die Deutschen
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mußten sogar Rückschläge hinnehmen. Ähnliches könnte auch den Japanern widerfahren. Japan hat die Bedeutung bewußter Wechselkurspolitik für seine Wirtschaft längst erkannt. Z u Zeiten ist der Yen-Kurs dort massiv gestützt worden. I m Augenblick gibt sich das L a n d hier „marktwirtschaftlich": Der Yen-Kurs w i r d weder wesentlich gedrückt noch gestützt — letzteres verbietet sich zur Zeit schon deshalb, w e i l die Japaner m i t ihrem Exportüberschuß, vor allem i m Amerikahandel, ihre hohe ölrechnung bezahlen. Auch Japans Kraft hat Grenzen, und vielleicht gilt es w i r k lich, den fernöstlichen Vorsprung zu relativieren, möglicherweise schwächt er sich bereits ab. D o d i —
9. Was bleibt den Deutschen? Sie müssen in der nächsten Zeit nodi m i t harter, vielleicht verstärkter japanischer Konkurrenz rechnen. Bis jene oben erwähnten Entwicklungen v o l l zum Tragen kommen, welche den fernöstlichen Expansionsschwung abschwächen könnten, v o r allem durch das Heraufkommen einer neuen, weniger leistungswilligen Generation — bis dahin mag noch ein Jahrzehnt oder mehr vergehen. Wie kann heute und jetzt der japanischen Herausforderung begegnet werden? a) Eine Übernahme japanischer Erfolgsrezepte nach Deutschland ist weithin ausgeschlossen, darüber besteht Einigkeit. Das soziale Netz kann nicht weggenommen, die Funktionen der Rentenversicherung können nicht auf die Familie übertragen werden. E i n Abbau des Kündigungsschutzes, bis hin zur japanischen Beschäftigungsflexibilität, kommt nicht i n Betracht, das System der Betriebsgewerkschaften w i r d eine fernöstliche Besonderheit bleiben. V o r allem lassen sich die japanischen Gruppenmentalität und die Anstrengungsbereitschaft einer Nation, die sich stets i n der Bewährung fühlt, nicht i n den Westen übertragen.
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Selbst auf der Ebene des technisch-Organisatorischen kann vieles und Wichtiges aus Japan nicht übernommen werden: Das japanische System der geringen Fertigungstiefe, der harten Subkontrakte für Zulieferer würde am Grundsatz des freien Unternehmertums scheitern, das sich nicht i n solche Abhängigkeiten zwingen läßt. V o r allem aber w i r d die Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft i n Deutschland die japanische Intensität und Vielseitigkeit nie erreichen können. Der Staat mag denen, welche sich für den japanischen M a r k t interessieren, I n formationen bieten, eine gezielte Subventionierung widerspräche der deutschen Wirtschaftspolitik, die von Wettbewerb und weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung ausgeht. Auch die Technologieförderung ist, i n japanischem Umfang, i n der Bundesrepublik Deutschland kaum nachvollziehbar. Verständlich ist es daher, wenn manche meinen, die Unterschiede seien allzu groß, als daß man „ v o n Japan lernen" könnte. b) Selbst die Zusammenarbeit fällt nicht leicht. Die Sprachund Schriftbarriere, die zudem noch einseitig zugunsten der Japaner w i r k t , läßt sich allenfalls in sehr beschränktem U m fang, für gewisse Vertriebsbereiche, durch moderne Methoden überwinden. Deutsche Unternehmen werden also auf dem japanischen M a r k t stets weitgehend Fremde bleiben, m i t all den Nachteilen, welche das gerade i n diesem Lande zur Folge hat. Die Zusammenarbeit m i t japanischen Firmen und der Einsatz japanischer Kräfte i n größerem Umfang in deutschen Betrieben sind ebenfalls nicht unproblematisch. Japaner gewöhnen sich nicht leicht an den deutschen Arbeits- und Entscheidungsrhythmus; immer wieder hat sich i n der Praxis gezeigt, daß Kooperation auf Distanz leichter fällt als engere Unternehmensverbindungen. U n d schließlich haben sich manche japanische Unternehmen, z. B. Handelshäuser, für Bereiche der Zusammenarbeit, wie etwa das Projektgeschäft, als ungeeignet erwiesen.
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c) Solcher weitverbreiteter Skepsis gegenüber meinen andere Stimmen, manches und Wichtiges sei durchaus von Japan nach Deutschland übertragbar, insbesondere i m Bereich der Betriebsorganisation. V o n der geringeren Spezialisierung der Japaner, ihrem Generalistentum, könne man lernen, übersteigerte K o m petenzschranken seien auch i n der deutschen Industrie von Übel, auch hier gelte es, zu entbürokratisieren, durchaus unter Einsatz japanischer Techniken einer „Führung durch Konsens". Nach japanischem V o r b i l d könne die M o t i v a t i o n der M i t a r beiter wesentlich gesteigert werden, und überhaupt forderten die fernöstlichen Erfolge eben dazu heraus, m i t der gegebenen Belegschaft höhere Effizienz zu erzielen; job enrichment nach japanischem Muster sei ein Gebot, wenn auch der moderne Großbetrieb nicht zur „Fabrik als Werkstatt" rückentwickelt werden könne. Investitionssteigerung allein nicht so sehr bei Fertigungs-, kosten gespart werden könne, nutzte Reserven i n deutschen wertanalysen müßten verstärkt
genüge nicht. Japan lehre, daß als vielmehr bei Verwaltungshier steckten noch viele ungeGroßbetrieben, Gemeinkostendurchgeführt werden.
Übernommen werden können weder die japanische Geschichte nodi der japanische Mensch, w o h l aber, punktuell, so mandies „technische" Rezept aus dem Inselland. N u r wenn dies geschieht, kann man, über reine Abwehr hinaus, der japanischen Herausforderung wirklich begegnen. d) V o r allem kann aber w o h l i n einem aus der japanischen Herausforderung gelernt werden: Japan hat Erfolge, weil es aus seinen besonderen Kraftquellen schöpft, weil es sich stets auf seine Stärken besinnt, diese folgerichtig einsetzt und fortentwickelt. Die Deutschen müssen sich ebenso wieder mehr auf ihre Stärken besinnen — dies wurde i n der Aussprache immer wieder betont — auch wenn es nicht die der Japaner sind. Auch Deutschland hatte ja nach 1948 ein besonderes Erfolgserlebnis, nur sind Kräfte und Erfolge später überstrapaziert
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worden. Auch Deutschlands Aufstieg kam aus einer Tüchtigkeit, die heute i n Japan erstaunt; jetzt droht sie sich i m Westen in Nivellierung zu verlieren — der Weg muß wieder zu einem Elite-Denken führen, dessen Bedeutung der Ferne Osten uns zeigt. Schließlich sollten mehr jene westlichen Vorteile ausgenutzt werden, welche den kulturell, gesellschaftlich, sprachlich stärker isolierten Japanern verschlossen sind: Die Deutschen haben ganz andere Möglichkeiten der Kooperation m i t Unternehmen von Drittländern, der Produktion i m Ausland, bis hin zur Eroberung fremder Märkte „ v o n innen". U n d vielleicht sollten sich die Deutschen, auch i m Wirtschaftlichen, wieder auf eines besinnen, was ihnen Japan i n friedlichem Wettbewerb vorlebt: Was es bedeutet, eine N a t i o n zu sein. W i l l y Kraus
Walter Leisner