Die Haftung des Staates für Verletzungen der Berufsfreiheit [1 ed.] 9783428554805, 9783428154807

Die Reformbedürftigkeit des Staatshaftungsrechts lässt sich an keinem Grundrecht so eindrücklich verdeutlichen wie an de

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German Pages 406 Year 2019

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Die Haftung des Staates für Verletzungen der Berufsfreiheit [1 ed.]
 9783428554805, 9783428154807

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1397

Die Haftung des Staates für Verletzungen der Berufsfreiheit

Von

Michael Limanowski

Duncker & Humblot · Berlin

MICHAEL LIMANOWSKI

Die Haftung des Staates für Verletzungen der Berufsfreiheit

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1397

Die Haftung des Staates für Verletzungen der Berufsfreiheit

Von

Michael Limanowski

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahr 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15480-7 (Print) ISBN 978-3-428-55480-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-85480-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Juli 2017 berücksichtigt. Ich danke zuvörderst meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Bernd Grzeszick, LL.M. (Cambridge), für die gute Betreuung der Arbeit und die stete Diskussionsbereitschaft, weiterhin auch für die sehr schöne Zeit am Lehrstuhl. Mein Dank gilt ebenso Herrn Professor Dr. Peter Axer für die Erstellung des Zweitgutachtens. Zudem bedanke ich mich bei Dr. Juliane Hettche, Dr. Katharina Stock und Dr. Jochen Rauber nicht nur für den wissenschaftlichen Austausch, sondern auch für immer willkommene Ablenkung. Schließlich gilt mein Dank vor allem meinen Eltern und meinem Bruder für die ausdauernde Unterstützung nicht nur während der Promotion, sondern über das gesamte Studium hinweg. Ebenfalls danke ich Kirsten, Gero, Daniel, Nikola und Anna, die mich immer wieder ermutigt haben und wertvolle Impulse gaben. Heidelberg, im Juli 2017

Michael Limanowski

Inhaltsverzeichnis Erster Teil

Einleitung und Problemhinführung 

15

§ 1 Der ambivalente Schutz der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 § 2 Der gegenwärtige Stand der staatlichen Einstandspflichten als Problem­ exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 § 3 Fallanalytische Herausarbeitung einer Reformnotwendigkeit . . . . . . . . . . . . . 20 § 4 Praktische Erwägungen als Prüfstein theoretischer Lösungskonzepte  . . . . . . 24 § 5 Umsetzungsoptionen im Wechselspiel zwischen Judikative und Legislative . 28 § 6 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Zweiter Teil

Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?  

§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Grundrecht der Berufsfreiheit – Abgrenzung des Untersuchungs­ gegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung und Herkunft der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutzbereich und Verletzungsszenarien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die „Schadensneigung“ des Art. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Untersuchung des gegenwärtigen Rechtsschutzes als Voraussetzung für die Feststellung von Schutzlücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründungslinien der Einstandspflicht des Staates als theore­ tischer Rahmen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unterscheidung zwischen Primärrechtsschutz und Sekundärrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Primärrechtsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der allgemeine Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Folgenbeseitigungsanspruch als Sonderkonstrukt zwischen Primärrechtsschutz und Sekundärrechtsschutz  . . . . . . (1) Herkunft und Begründung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Das Rechtsstaatsprinzip  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Analogieschluss zum Zivilrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Statusverletzung und Grundrechte . . . . . . . . . . . . . .

31 31 31 31 35 38 41 41 46 49 49 51 52 53 53 54

8 Inhaltsverzeichnis (d) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Begrenzte Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Wiederherstellung des Status quo ante – zwischen Restitution und Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Beschränkung auf „unmittelbare“ Folgen . . . . . . . . . c) Die Folgenbeseitigungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Folgenentschädigungsanspruch – eine „Weiterentwicklung“ des Folgenbeseitigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Berücksichtigung des Mitverschuldens im Rahmen des Folgenbeseitigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Rechtsgedanke aus §§ 254, 251 BGB als Entwicklungskriterium  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Exkurs: Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch . . . . . . . . f) Ausgleichspflichten für die Indienstnahme Privater . . . . . . . . 2. Zwischenergebnis: Effektiver Schutz der Berufsfreiheit auf der Primärebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bestehender sekundärrechtlicher Schutz – eine Entwicklung jenseits des Status negativus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Amtshaftung: Zwischen tradiertem Verständnis und ­Erweiterungsdruck  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Erbe der Unrechtsunfähigkeit des Monarchen . . . . . . . . b) Tatbestand der mittelbaren Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Problem des Verschuldens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Restriktionen des Amtshaftungsanspruches . . . . . . . . . . . 2. Spezialgesetzliche Ausgleichsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansprüche aus Polizeigesetzen und dem VwVfG . . . . . . . . . b) Fortgeltendes DDR-Staatshaftungsrecht in den Ländern . . . . 3. Haftung für Verletzungen von Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Herleitung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs . . b) Weiterreichender Schutz auf europäischer Ebene  . . . . . . . . . C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Haftungslücken in der Praxis – das „Bermudadreieck“ des Sekundärrechtsschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Analyse der Rechtsprechung zum Nachweis der Praxisrelevanz der theoretischen Schutzlücke  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Widerrechtliche Verzögerungen und Restriktionen der Berufstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unberechtigte Einberufung zum Wehr(ersatz)dienst  . . . . . . . . . . 2. Prüfungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verweigerte Berufszulassung und Ausübungsrestriktionen . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Grenzbereich zur Eigentumsfreiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb  . .

55 56 58 59 61 63 65 65 66 67 69 71 72 73 73 76 78 81 83 83 84 85 86 87 91 92 92 93 94 95 97 99 100 101

Inhaltsverzeichnis9 2. Grenzfälle und Grenzziehungen in der Rechtsprechung  . . . . . . . a) Betriebsgründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betriebserweiterungen und -modernisierungen  . . . . . . . . . . . c) Substanz und Rahmenbedingungen des Betriebs . . . . . . . . . . 3. Das Fehlen eindeutiger und klar begründbarer Abgrenzungs­ kriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ergebnis: Aufgezeigte Praxisrelevanz als Aufgabe an Gesetzgeber und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

102 102 104 109 113 118 118

Dritter Teil

Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke 

121

§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 A. Der enteignungsgleiche Eingriff als Ausgangspunkt  . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Zwitterstellung zwischen Staatsunrechtshaftung und Aufopferung . . 126 B. Aufopferungsgleicher Eingriff als Parallelinstitut – Erweiterungs­ tendenzen des BGH?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 C. Topoi einer möglichen Erweiterung auf Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Vergleichbarkeit von Art. 12 und Art. 14 GG – ein hinreichender Grund für eine Erweiterung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Gegenprobe: Die „gesicherte Rechtsposition“ als taugliches Eingrenzungskriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Existenzsicherung als Ziel der Wirtschaftsgrundrechte  . . . . . . . . 133 3. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – Sekundärrechtsschutz für den Erwerb und das „Gebot der Methodenehrlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Verfassungskonforme Auslegung der „Rechtsgrundlage“ der §§ 74, 75 EinlALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Verbleibende Einwände gegen eine Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . 143 D. Kritik und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I. Beschränkung der Erweiterung auf Art. 12 Abs. 1 GG  . . . . . . . . . . . 147 II. Fehlende Tauglichkeit der Rechtgrundlage – Zur Unvereinbarkeit des Aufopferungsgedankens mit einer Rechtswidrigkeitshaftung  . . . 150 E. Die Gesamtanalogie aus dem einfachen Recht als Hilfsüberlegung?  . . . 156 § 2 Der Folgenentschädigungsanspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die „Einwendungen“ des Folgenbeseitigungsanspruchs als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Berücksichtigung des Mitverschuldens des Betroffenen . . . . . . . . . . II. Erweiterung des Konzepts auf die übrigen Einwendungen . . . . . . . . 1. Tatsächliche Unmöglichkeit und rechtliche Unzulässigkeit . . . . . 2. Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158 158 158 159 159 160

10 Inhaltsverzeichnis III. Übertragung des Grundgedankens aus BVerwGE 82, 24 . . . . . . . . . . 160 B. Ein umfassender Folgenentschädigungsanspruch? Kritik einer axiomatischen Lückenfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Die „Einwendungssystematik“ des Folgenbeseitigungsanspruchs . . . 162 1. Die Unzumutbarkeit als umgekehrter Verhältnismäßigkeitsgrundsatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Der Mitverschuldensgrundsatz als Ausschlussgrund eines verschuldensunabhängigen Instituts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Anwendbarkeit des § 251 BGB? Zur Wandlungsfähigkeit eines Restitutionsanspruches  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 C. Kritik und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 § 3 Europarechtlicher Impetus für die Fortentwicklung der Staatshaftung  . . . . . A. Unionaler Anstoß für eine Fortentwicklung der deutschen Staats­ haftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übertragbarkeit der Geltungsgründe und des Haftungszwecks auf das nationale Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Effet utile, Unionstreue und mitgliedsstaatliche Grundsätze . . . . 2. Rechtsschutz als letzter Haftungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einheitsdogmatik und Tatbestand des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kritik und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

§ 4 Die Haftung aus Grundrechten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Freiheitsrechte als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Vorgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundrechtliche Fundierung der Abwehransprüche . . . . . . . . . . . . . . III. Die Reichweite des grundrechtlichen Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterlassen und Folgenbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Transformationstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parallelität der Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kompensationsrechtlicher Charakter der Freiheitsrechte? Bestandsschutz und Werterhalt als allgemeiner Grundsatz  . . . . . a) Rechtsfolgenmonismus der Grundrechte – keine Leistungsrechte auf Schadensersatz?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriffszurechnung als maßgebliches Haftungskriterium . . . c) Partielle Anerkennung der Grundsätze auch durch die ­Gegenauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Volle Kompensation als grundsätzliche Rechtsfolge  . . . . . . . . . . . . . V. Grenzen der Grundrechtshaftung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zumutbarkeitserwägungen und Mitverantwortlichkeit des Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorrang des Primärrechtsschutzes als Rangprinzip? . . . . . . . . . . . 4. Ausgestaltungs- und Einschränkungsmöglichkeiten des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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181 182 182 183 184 185

209 210 216 218 221 222 222 224 225 233

Inhaltsverzeichnis11 B. (Hilfs-)Begründungen aus dem Rechtsstaatsprinzip   . . . . . . . . . . . . . . . . 236 C. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 I. Die Abgrenzung zur Theorie der allgemeinen öffentlich-rechtlichen Wiedergutmachungsnorm  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 II. Negative Präjudizierung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 III. Keine soziale Entdifferenzierung durch Abwehrrechte . . . . . . . . . . . 245 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Vierter Teil

Rückbeziehung der Lösungsvorschläge auf die Problemfelder des Art. 12 GG  

248

§ 1 Zur Problematik der Rechtswegspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 § 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 A. Erweiterung der Aufopferungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Die Modi des staatlichen Eingriffshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Sonderopfer und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Entschädigung als adäquate Rechtsfolge rechtswidriger Grundrechtseingriffe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 B. Der Folgenentschädigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 I. Einschlägigkeit des Folgenbeseitigungsanspruchs als Grundvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 II. Unterlassen als tauglicher Eingriffsmodus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 III. Wertungsspielräume durch das Unmittelbarkeitskriterium . . . . . . . . . 272 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 C. Europarechtlich überformter Amtshaftungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Voller Schadensersatz als Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 II. Der qualifizierte Verstoß – Wesensmerkmal und Crux . . . . . . . . . . . 276 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 D. Grundrechtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 I. Die Abwesenheit künstlicher Haftungseinschränkungskriterien . . . . . 280 II. Haftungsbegrenzung durch Kausalitätserwägungen und die Schadensberechnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Haftung für gesetzgeberisches Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Haftung für gesetzgeberisches Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 a) Zur Relevanz hypothetischer Handlungsverläufe . . . . . . . . . . 286 b) Der Gedanke der Vorteilsausgleichung als Korrektiv . . . . . . 296 3. Potenziale einer genauen Schadensermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . 297 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 § 3 Ergebnis: Die Fortsetzung dogmatischer Probleme in der praktischen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

12 Inhaltsverzeichnis Fünfter Teil

Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform 

§ 1 Reformbedarf und Untätigkeit des Gesetzgebers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Staatshaftungsgesetz von 1981  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Bestrebungen seit Klärung der Kompetenzfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fortbestehende kompetenzielle Probleme eines umfassenden Staats­ haftungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umfang der Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Erfordernis des Art. 72 Abs. 2 GG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Verbleibende Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Judikative Umsetzung der Konzepte – Zu den Problemen einer Fixierung auf das Umsetzungssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zur Rolle des Richters bei der Entwicklung des Rechts . . . . . . . . . . . . . B. Die spezifischen Voraussetzungen des Richterrechts im Bereich der Staatshaftung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Bestehen einer ausfüllungsbedürftigen Lücke . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einflüsse des Staatshaftungsgesetzes von 1981 . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Aussagekraft von Art. 34 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Grundrechte als verfassungsrechtliche Garantie  . . . . . . . . . . II. Grenzen einer richterlichen Fortbildung des Staatshaftungsrechts . . . 1. Geltendes Gewohnheitsrecht als Limitierung – die praktische Anschlussfähigkeit als legitimitätsstiftender Maßstab? . . . . . . . . . 2. Unterlaufen des bestehenden verschuldensabhängigen Amts­ haftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parlamentarisches Budgetrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Finanzvorbehalt für Grundrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . .

301 303 303 305 306 306 307 311 311 316 326 326 328 329 331 332 332 335 338 339

§ 3 Ergebnis: Deutliche Regelungsvorgaben an Legislative und Judikative . . . . . 348 Sechster Teil

Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 

353

§ 1 Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 § 2 Der gegenwärtige Schutz der Berufsfreiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 § 3 Überprüfung der Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 § 4 Praktische Rückbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 § 5 Umsetzungsoptionen von Legislative und Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Ansicht AcP Archiv für die civilistische Praxis AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AG Amtsgericht AöR Archiv des öffentlichen Rechts BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter BeckRS Beck-Rechtsprechung BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, amtliche Sammlung BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts, amtliche Sammlung BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, amtliche Samm­ lung BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, amtliche Samm­ lung DB Der Betrieb DÖV Die Öffentliche Verwaltung DV Die Verwaltung DVBl. Deutsche Verwaltungsblätter EinlALR Einleitung zum Allgemeinen Preußischen Landrecht ESVGH Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder EuR Europarecht (Zeitschrift) FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung ff. folgende GesR Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) GewArch Das Gewerbearchiv ICLQ International & Comparative Law Quarterly JA Juristische Arbeitsblätter JR Juristische Rundschau Jura Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

14 Abkürzungsverzeichnis JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KritJ Kritische Justiz LG Landgericht LKV Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) m.N. mit Nachweisen m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJW Neue juristische Wochenzeitschrift NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht NZWehrr Neue Zeitschrift für Wehrrecht OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht OVGE Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rspr. Rechtsprechung RuP Recht und Politik (Zeitschrift) St. Rspr. Ständige Rechtsprechung StHG 1981 Staatshaftungsgesetz von 1981 StHG-DDR Staatshaftungsgesetz für die Deutsche Demokratische Republik UPR Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift) VBlBW Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verb. Rs. Verbundene Rechtssache VersR Versicherungsrecht (Zeitschrift) VerwArch Verwaltungsarchiv VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof VR Verwaltungsrundschau VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht ZAP Zeitschrift für die Anwaltspraxis ZfR Zeitschrift für Finanzmarktrecht ZfS Zeitschrift für Schadensrecht ZfZ Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ZG Zeitschrift für Gesetzgebung ZHR Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZphF Zeitschrift für philosophische Forschung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik

Erster Teil

Einleitung und Problemhinführung § 1 Der ambivalente Schutz der Berufsfreiheit Der Beruf ist „in seiner Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen im ganzen [zu verstehen], die sich erst darin voll ausformt und vollendet, daß der Einzelne sich einer Tätigkeit widmet, die für ihn Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt. Das Grundrecht gewinnt so Bedeutung für alle sozialen Schichten; die Arbeit als ‚Beruf‘ hat für alle gleichen Wert und gleiche Würde.“1 Im „engen Zusammenhang mit der freien Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit im ganzen begründet liegt, [dass nur] aus Gründen des Gemeinwohls unumgängliche Einschränkungen [zulässig sind und] unter dem Gebot strikter Wahrung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit stehen […]. Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen deshalb nicht weiter gehen, als die sie legitimierenden öffentlichen Interessen erfordern; die Eingriffsmittel müssen zur Erreichung der angestrebten Zwecke geeignet und dürfen nicht übermäßig belastend sein.“2 Mit diesen eindrücklichen Worten umreißt das BVerfG treffend den Stellenwert des Grundrechts der Berufsfreiheit. In dessen herausragender Bedeutung für die individuelle Selbstverwirklichung in der heutigen komplexen und vielfältig regulierten Gesellschaft3 begründet liegt die enge Beschränkung hoheitlicher Eingriffe, die eine besondere Zurückhaltung und Rücksichtnahme des Staates verlangt. Lässt der Hoheitsträger diese vermissen, scheint ein eigentümlicher Bruch mit der oben genannten Logik zu folgen. Bereits in den frühen Jahren der Geltung des Grundgesetzes beispielhaft durch eine rechtswidrig verweigerte Notarzulassung4 aufgeworfen und in jüngster Zeit durch die Klagen der Sportwettenbetreiber mit europarechtli-

1  BVerfGE

7, 377 (397). 19, 300 (337 f.). 3  Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 1 ff. m. w. N. zur geschichtlichen Entwicklung. 4  BGH, Urt. v. 14.11.1955 – III ZR 143 / 54. 2  BVerfGE

16

1. Teil: Einleitung und Problemhinführung

chen Implikationen dringlich ins Gedächtnis gerufen,5 hat eine zentrale Frage nie an Aktualität verloren: Wie kann es in einem Rechtssystem, das dem Schutz des Berufes einen solchen Stellenwert beimisst, dazu kommen, dass Bürgern rechtswidrig die Berufszulassung oder Betriebsgründungen, beziehungsweise Erweiterungen ihres Tätigkeitsfeldes versagt werden und diese selbst angesichts bisweilen existenzgefährdender Schäden im Stich gelassen werden? Wie korrespondiert der Ratio der obigen Aussagen, dass trotz einer festgestellten hoheitlichen Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG die Betroffenen – ob Schrotthändler, Ärztin oder Großkonzern – selbst nach jahrelangen Prozessen mit leeren Händen dastehen? Bleibt die Betonung der außerordentlichen Bedeutung der Berufsfreiheit tatsächlich ein Lippenbekenntnis, weil sie sich um die haftungsrechtlichen Konsequenzen drückt?6 Die Untersuchung dieser augenscheinlichen Widersprüchlichkeiten führt in ein Rechtsgebiet, welches in der juristischen Wissenschaft wegen seiner Komplexität und Unübersichtlichkeit gefürchtet wird7 und mit einer „dogmatisch kaum zu bewältigende[n] Gemengelage unterschiedlichster Ansprüche“8 aufwartet. Wenig schmeichelhaft als defizitäre9 „Geheimwissenschaft [mit] esoterischem Charakter“10 oder als „altes, in einem verschlissenen, vielfach geflickten und ausgebesserten Kleide daherkommendes Rechtsgebiet“11 umschrieben, beschäftigt sich das Recht staatlicher Einstandspflichten mit der Problematik der Unrechtswiedergutmachung, die immer dann virulent wird, wenn der Hoheitsträger den rechtskonformen Idealzustand verlässt. Als „Ursprung und Basis“ des Rechtsstaates nach modernem Verständnis12 kommt dem Staatshaftungsrecht neben den rechtlichen auch eine wichtige soziale Befriedigungsfunktion zu,13 die seinen zerworfenen Zustand noch weniger nachvollziehbar wirken lässt. 5  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009  – 15 O 23548 / 08; OLG Hamm, Urt. v. 03.05.2013 – 11 U 88 / 11; BGH, Beschl. v. 26.2.2015 – III ZR 204 / 13; OLG Bremen, NVwZ 2014, 96; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.03.2013 – 6 W 21 / 12. 6  Kluth, FAZ 16.11.2011 – Staatshaftungsrecht. Ohne Haftung! 7  Grzeszick, ZRP 2015, 162; vgl. Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 2. 8  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 140. 9  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 318. 10  Ossenbühl, Entwicklungen, S. 5. 11  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 1. 12  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 1 f. 13  Luhmann, Rechtssoziologie, S. 40 ff.; So auch Morlok, in: FS für U. Palme, S. 291, 295 in Bezug auf Psalm, 94, 15 (Luther 1912): „Recht muss doch Recht bleiben“.



§ 2 Der gegenwärtige Stand als Problemexposition17

§ 2 Der gegenwärtige Stand der staatlichen Einstandspflichten als Problemexposition Während Ansprüche auf Unterlassen und weitergehend auf Beseitigung der durch den hoheitlichen Unrechtsakt unmittelbar entstandenen Folgen dem Bürger umfassenden Primärrechtsschutz gewährleisten, gestaltet sich die Aufarbeitung der Rechtsschutzmechanismen, die entstandenes Unrecht finanziell kompensieren sollen, deutlich komplexer.14 Bereits im Vorfeld einer Betrachtung der einzelnen Einstandsmechanismen tritt ein Dilemma zu Tage: Bestimmt der Hoheitsträger selbst und ungebunden seine Haftung, droht eine „sachfremde Rücksichtnahme auf die stets knappen Haushaltsmittel“ die Überlegungen zu verzerren und Fehlstellungen zu verursachen.15 Um ein derartiges eigenmächtiges Zurechtschneidern des Haftungsmaßstabs durch den Schädiger zu verhindern, sah die Rechtswissenschaft über lange Zeit primär zwei Lösungen: Entweder sollte „die Entwicklung des Haftungsmaßstabs ausschließlich der Rechtsprechung eines höchsten Gerichts überlassen“, oder diese direkt aus zivilrechtlichen Grundsätzen abgeleitet werden.16 Wirkt eine grundsätzliche Skepsis gegenüber einer Haftungsausgestaltung durch die Legislative nach freiem Ermessen nachvollziehbar, scheint demgegenüber geradezu bemerkenswert, wie wenig Energie darauf verwendet wurde, vorrangig das gesamte öffentliche Recht auf Vorgaben hinsichtlich der staatlichen Einstandspflichten zu untersuchen. Nun mag der Gesetzgeber auf haushaltspolitischen Schutz bedacht sein und deshalb seine Haftung möglichst restriktiv gestalten; ein solcher Handlungsspielraum käme ihm allerdings nur unter der Prämisse zu, dass er tatsächlich weitgehend ungebunden Rechtspolitik im Bereich der Staatshaftung betreiben dürfte. Auch das Parlament aber bleibt in all seinem notwendigen Gestaltungsspielraum der verfassungsmäßigen Ordnung unterworfen. Ergäben sich also aus dieser adäquate Begrenzungen, wäre ein Rückgriff auf das Zivilrecht oder die Übertragung der exklusiven Ausgestaltungsverantwortung an die Gerichte obsolet. Gleichzeitig erscheint durchaus befremdlich, dass das Grundgesetz für einen so essentiellen Bereich wie die Unrechtswiedergutmachung keinerlei verbindliche Aussage getroffen haben soll.17 Obschon jedoch das Staatshaf14  Siehe

Zweiter Teil: § 1 B.III., S. 72. JZ 1986, 1082, 1088. 16  Motsch, JZ 1986, 1082, 1088. Für die zweite Variante plädierte bereits früh Otto von Gierke, der kurzerhand die zivilrechtliche Organhaftung nach §§ 89, 31 BGB auf hoheitliches Handeln anwenden wollte. Vgl. von Gierke, Referat zum 28. DJT, S. 102 ff.; in diese Richtung gehend bereits von Gierke, AT, S. 476, 528 ff. 17  Denn ob tatsächlich „die Entscheidung über Staatshaftungsansprüche in erheb­ lichem Maß von persönlichen Vorstellungen des Rechtsanwenders beeinflusst“ (Kümper, Risikoverteilung, S. 4) sein muss, oder es gar „ausschließlich im rechts­politischen 15  Motsch,

18

1. Teil: Einleitung und Problemhinführung

tungsrecht in der Vergangenheit häufig de- und rekonstruiert wurde, standen die grundgesetzlichen Bestimmungen nur selten im Mittelpunkt der Betrachtung.18 So wurde die Verfassung bereits kurz nach ihrem Inkrafttreten in den Begründungsversuchen der staatlichen Einstandspflichten zugunsten eines Rekurses auf vorkonstitutionelle Normen oder schlicht auf Gerechtigkeit und Billigkeit weitgehend außer Acht gelassen.19 Wie ausführlich zu zeigen sein wird, schlug man im Falle des deutschen Staatshaftungsrechts einen halbherzigen Mittelweg zwischen der richterlichen Ausgestaltung und der Übertragung zivilrechtlicher Dogmen ein. Weder wurde die Entwicklung der Staatshaftung konsequent den obersten Gerichten überantwortet – nahmen diese sich auch zumindest lückenschließenden Aufgaben immer wieder an, noch legte man eine durchgehende Anbindung an das Zivilrecht zugrunde, dessen Normen und Grundsätze indes das gesamte staatshaftungsrechtliche System durchwirken. Entstanden sind so neben der Amtshaftung als Zentralnorm ergänzende Institute wie der enteignungsgleiche und aufopferungsgleiche Eingriff, die beide rechtsgutsspezifisch, aber verschuldensunabhängig erlittene Sonderopfer ausgleichen sollen. In dieses Mosaik gliedern sich weiterhin der unionsrechtliche Haftungsanspruch, der sozialrechtliche Wiederherstellungsanspruch und die Ausgleichspflicht für die Indienstnahme Privater ein. Zieht man die Grenzen dieser bestehenden Haftungsinstitute nach, so ergibt sich korrespondierend der Bereich, in dem die Rechtsordnung offenbar gegenwärtig „mit Rechtswidrigkeiten ihrer Organe leben und fehlerhafte Rechtsakte in der Wirklichkeit stehen lassen“20 kann. Mit solchen pauschalen Umschreibungen des gegenwärtigen „Flicken­ teppich[s]“21 und Rufen nach einer Reform allein ist noch wenig gewonnen – nur durch eine präzise Analyse der dem Bürger zur Verfügung stehenErmessen [liegt], eine einheitliche verschuldensunabhängige Einstandspflicht des Staates für rechtswidriges Handeln zu statuieren“ (Morlok, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 125), gilt es mit unvoreingenommenem Blick auf die Verfassung erst zu klären. 18  Auffällig ist dies auch in der Begründung der einzelnen Ansprüche: So wird beispielsweise die aufopferungsgleiche Haftung, die ein Sonderopfer ausgleichen soll, nicht etwa über den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, sondern über einen Rückgriff auf über 200 Jahre alte, nicht mehr in Kraft befindliche Normen begründet. Vgl. kritisch Schmidt, NJW 1999, 2847, 2448; Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 16. 19  Vgl. dazu kritisch Dürig, JZ 1955, 521, 522. Man „bemüh[e] sich mit der wohl herrschenden Meinung nicht mehr um eine spezielle Deckung dieses Aufopferungsanspruchs im Verfassungstext.“ Dürig selbst will indes auf Art. 3 Abs. 1 GG rekurrieren. 20  Seestern-Pauly, Anfechtbarkeit, S. 9. 21  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 4.



§ 2 Der gegenwärtige Stand als Problemexposition19

den Rechtsmechanismen kann der genaue Umfang der Mängel ermittelt werden. Innerhalb dieses Prozesses offenbaren sich gleichsam die strukturellen Schwächen beider Ansätze, die in dem gewählten Mittelweg in bedauernswerter Weise vereint erscheinen: So wirft die freie richterliche Rechtsfortbildung trotz allen möglicherweise berechtigten Misstrauens gegenüber der Legislative in der Ausgestaltung der Staatshaftung Probleme hinsichtlich der Legitimität und Gewaltenteilung auf und führt mangels Anbindung an ein übergeordnetes Ordnungselement zu einer Fragmentierung und Strukturlosigkeit des Rechts. Die Heranziehung der Prinzipien des Zivilrechts als Strukturelement auf der anderen Seite hatte häufig eine vorschnelle Übertragung dessen Leitgedanken zur Folge, welche die fundamentalen Unterschiede beider Rechtsgebiete nur unzureichend würdigte und damit zu fragwürdigen Ergebnissen führte. So liegt im Verhältnis der Bürger untereinander der wesentliche Grund für die Belastungszuweisung nicht allein in der Verursachung oder potenziellen Abwendbarkeit des Schadens, sondern im Verschulden des Schädigers.22 Während das Verschuldensprinzip als Zurechnungsmechanismus im Zivilrecht zum Dogma geworden ist, bestehen erhebliche Zweifel daran, dieses ohne weiteres auf die öffentlich-rechtliche Haftung zu übertragen.23 Denn das öffentliche Recht grenzt, anders als das Privatrecht, nicht die Freiheitssphären von grundsätzlich Gleichberechtigten ab,24 sondern vollzieht sich in einem subordinationsrechtlichen Kontext,25 der dem Staat weitreichende Befugnisse anvertraut: Er darf rechtssetzend tätig werden und sogar mit Zwang gegenüber dem Bürger agieren. Durch intensive Eingriffsmöglichkeiten, von denen der Hoheitsträger häufig extensiven Gebrauch macht, steht dem Bürger eine überlegene, nahezu allgegenwärtige Macht gegenüber.26 Es liegt daher nahe, diese Privilegien an besondere Verpflichtungen und Verantwortungen zu binden und damit auch die staatliche Haftung weiter zu fassen als die zivilistische.27 Somit muss jede Ableitung aus dem bürger22  von

Jhering, Schuldmoment, S. 38. muss daher unterliegen, ob im Verschulden tatsächlich ein Merkmal gesehen werden kann, mit dem „situationsgerecht eine Feinsteuerung der Verantwortlichkeiten zwischen Staat und Bürger erfolgen kann“. So aber Morlok, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 67; kritisch Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 104; Enders, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 3. 24  Rebhahn, Staatshaftung, S. 196 f.; Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, S. 412. 25  So auch Motsch, JZ 1986, 1082, 1083 m. w. N. 26  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 22. 27  Vgl. Motsch, JZ 1986, 1082, 1088. Ähnl. auch Kluth, FAZ 16.11.2011 – Staatshaftungsrecht. Ohne Haftung! 23  Zweifeln

20

1. Teil: Einleitung und Problemhinführung

lichen Recht im Staatshaftungsrecht besonders sorgfältig auf ihre Tragfähigkeit im öffentlich-rechtlichen Kontext untersucht werden – ein Appell, der innerhalb der bisherigen Übernahmen von Wertungen häufig vernachlässigt wurde. Das gegenwärtige Staatshaftungsrecht als „üppiges Gewächshaus voller z. T. fremdartiger Schönheiten“28 zu beschreiben, erscheint angesichts der angerissenen Mängel daher euphemistisch. Man blickt vielmehr auf ein fragmentarisches, historisch „gewachsenes Chaos“29, welches trotz der Vielzahl seiner Anspruchsgrundlagen gegenwärtig kein umfassendes Schutzsystem bietet. Deckt auch die Amtshaftung – zumindest seit in richterlicher Fleiß­ arbeit die anachronistischen staatlichen Haftungsprivilegien immer weiter niedergefeilt wurden – einen Großteil des Haftungspotentials ab, krankt sie an dem Verschuldenserfordernis und dem kategorischen Ausschluss legislativen und normativen Unrechts über das Merkmal der Drittbezogenheit. Gerade deshalb sah sich die Rechtsprechung genötigt, bereichsspezifische Institute zu entwickeln, die den Haftungslücken abhelfen sollten. Allen voran der enteignungsgleiche und aufopferungsgleiche Eingriff dienten der sachgerechten Behandlung von Fällen, in denen der Amtshaftungsanspruch des Betroffenen am Verschulden gescheitert wäre. Wurden auch rechtsgüterindifferente Ansprüche wie der Folgenentschädigungsanspruch ergänzt, klafft wegen der „Unschärfe der zentralen Dogmatik“30 trotz aller richterlicher Bemühungen eine Lücke im System der staatlichen Einstandspflichten insbesondere für unverschuldetes exekutives und im allgemeinen für gesetzgeberisches Handeln.

§ 3 Fallanalytische Herausarbeitung einer Reformnotwendigkeit Das Staatshaftungsrecht ist reformbedürftig.31 Diese gebetsmühlenhaft wiederholte Formel scheint angesichts ihrer umfassenden Anerkennung zur juristischen Binsenweisheit avanciert zu sein. Obschon sie innerhalb der Literatur als gesichert gelten darf und sich auch politische Absichtserklärungen 28  Motsch,

JZ 1986, 1082, 1083. in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 1. 30  Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 18. 31  Vgl. aus jüngerer Zeit nur Grzeszick, ZRP 2015, 162 ff.; Morlok, DV 1992, 371, 374; Schoch, DV 2001, 261 ff.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 126 ff.; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 1 ff.; Breuer, Staatshaftung, S. 93; Röder, Haftungsfunktion, S.  16; jew. m. w. N. 29  Höfling,



§ 3 Fallanalytische Herausarbeitung einer Reformnotwendigkeit21

häufen, ist indes seit Jahrzehnten Stillstand zu verzeichnen. Beharrlich weigern sich Legislative und Judikative, den Erweiterungsforderungen nachzukommen. Deshalb zeigt sich die Reformgeschichte des Rechts der staatlichen Einstandspflichten gleichsam zäh wie frustrierend. Nachdem sie ihren Höhepunkt in dem aus Kompetenzgründen für nichtig erklärten Staatshaftungsgesetz von 1981 gefunden hatte, folgten im Wesentlichen keine ernstzunehmenden Reformversuche – und das, obwohl im Wege einer Verfassungsänderung dem Bund die Regelungskompetenz mit dem impliziten Auftrag zur Neugestaltung zugewiesen wurde. Nun muss man angesichts dieses bereits seit Inkrafttreten des Grundgesetzes und sogar darüber hinaus geführten „Kampf[es] gegen Windmühlen“32 in der Legislative und Justiz fragen, warum bislang offenbar keine adäquate Abhilfe geschaffen wurde. Wie kann trotz zahlreicher bereitstehender Konzepte und politischer Willensbekundungen der Reformprozess derart gelähmt sein? Die Suche nach den Ursachen des unbefriedigenden Status quo führt zu ernüchternden Ergebnissen: Während der Gesetzgeber die Probleme mangels politischer Entschlossenheit schlicht vernachlässigt, wird in der kritischen Literatur zuweilen trotz aller dogmatischer Unstimmigkeiten der praktische Reformbedarf abgestritten, oder aber eine zwar als grundsätzlich vorteilhaft empfundene Reform wegen ihrer unberechenbaren finanziellen Folgewirkungen und kompetenziellen Schwierigkeiten abgelehnt. Im Umgang mit diesen Vorbehalten wurden in der Vergangenheit verschiedene Ansätze deutlich. Gerade die progressive Jurisprudenz fokussiert sich dabei sehr stark auf eine theoretische Untermauerung einer Staatshaftungsreform, ohne die Praxis mit ihren eigenen Komplikationen immer ausreichend in den Blick zu nehmen. Den Gegenpol hierzu bildet die mit einer Verantwortungsüberwälzung von Seiten des Gesetzgebers konfrontierte Rechtsprechung, die sehr pragmatisch und weitgehend ohne Rücksicht auf eine dogmatische Fundierung agiert: So wird zum einen durch die Verortung der geschaffenen lückenschließenden Institute auf einfachrechtlicher Ebene der Konflikt mit dem BVerfG vermieden, zum anderen eine finanzielle Begrenzbarkeit unter Zurückhaltung gegenüber der parlamentarischen Budgethoheit mit zweifelhaften haftungseinschränkenden Tatbestandsmerkmalen erkauft. Nun scheinen sowohl die Außerachtlassung der praktischen Probleme, als auch die pragmatische, aber dogmatisch nicht begründbare Überformung des Normtatbestands zwar angesichts der Konfliktlage als nachvollziehbare, jedoch keineswegs ideale Lösungen. Während die praktischen Bedürfnisse und Auswirkungen einer potenziellen Neugestaltung der staatlichen Einstandspflichten nicht schlicht beiseitegeschoben werden dürfen, kann eine beliebig 32  Röder,

Haftungsfunktion, S. 18.

22

1. Teil: Einleitung und Problemhinführung

wirkende Festsetzung von beschränkenden Merkmalen insbesondere durch den Richter ebenso wenig überzeugen. Anstatt aber weiter einer „gewisse[n] Furcht vor einer verfassungsrecht­ lichen Determination des Staatshaftungsrechts“33 nachzugeben, sollte unvoreingenommen gefragt werden, warum „Maximalforderungen“34 wie die einer staatlichen Einstandspflicht ohne starre Bereichsausnahmen eigentlich vermieden werden sollten. An dieser neuralgischen Frage will die vorliegende Bearbeitung ansetzen und sie am Beispiel der Berufsfreiheit mithilfe einer Symbiose aus theoretischen und praktischen Gesichtspunkten erörtern. Dabei werden die praktischen Erwägungen nicht etwa gegen die dogmatische Fundierung der Konzepte gewissermaßen als pragmatisches Korrektiv in Stellung gebracht, um als günstig oder gar notwendig empfundene Einschränkungen zu etablieren, sondern vielmehr das in ihnen liegende Erkenntnispotenzial nutzbar gemacht. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich durch zwei wesentliche Vorteile: Zunächst unterliegt eine auf rechtstheoretische Beobachtungen und Analysen beschränkte Ausarbeitung der immanenten Gefahr, die Kernfunktion des Rechts zu vernachlässigen: Die Lösung praktischer Konflikte, die gleichsam den Ausgangspunkt jeder Reformüberlegung bilden müssen. Denn sind praktische Problemszenarien bereits unter Geltung der bestehenden Mechanismen nicht abzusehen, verringert sich der Reformdruck – eine Ergänzung oder Neuverortung der Staatshaftung brächte zwar möglicherweise immer noch erhebliche dogmatisch-strukturelle Vorteile mit sich, indes wäre dem postulierten Szenario einer Krisenhaftigkeit35 des Staatshaftungsrechts viel seiner Bedrohlichkeit geraubt. Um dem Reformanliegen Gewicht zu verleihen, muss daher der Einwand entkräftet werden, die Kritik des gegenwärtigen Staatshaftungsrechts sei nur akademische Spiegelfechterei, da „im Ergebnis“ adäquate Haftungsinstitute zur Verfügung stünden und „der Bürger insoweit ausreichend geschützt“36 sei. Belastbar kann dies allein durch eine Betrachtung der praktischen Problemfälle erreicht werden.37 Zur beispielhaften Illustration der prekären Lage 33  Unterreitmeier,

Schmerzensgeldanspruch, S. 211. Staatshaftung, S. 133. 35  Kunig, Jura 1992, 554. 36  Vgl. Kluth, FAZ 16.11.2011 – Staatshaftungsrecht. Ohne Haftung!; Morlok, in: FS für U. Palme, S. 291, 297 f. 37  Vgl. dazu insbesondere die bisher einmalige Leistung des Bundesministeriums für Justiz mit seiner rechtstatsächlichen Erhebung im Vorfeld einer Reform des Staatshaftungsrechts (BMI / BMJ, Reform des Staatshaftungsrechts, passim), die indes aufgrund ihres Alters und der eingetretenen Veränderungen erheblich an Aussagekraft eingebüßt hat. Gerade im Bereich der ohnehin sehr fragmentarischen Staatshaftung ist im Umgang mit einem solchen „kasuistischen“ Vorgehen Vorsicht geboten (Ossen34  Breuer,



§ 3 Fallanalytische Herausarbeitung einer Reformnotwendigkeit23

und Verdeutlichung des Reformdrucks zeigt sich dabei kein Grundrecht ­besser geeignet als Art. 12 Abs. 1 GG. Denn der Beruf ist aufgrund seiner Bedeutung für die persönliche Selbstverwirklichung in der heutigen arbeitsteiligen und komplexen Gesellschaft38 zur ihrer „zentrale[n] Institution“39 avanciert und bestimmt maßgeblich die sozialen und wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten.40 Durch das fein verwobene und interagierende Zusammenleben sieht er sich aber notwendigerweise staatlicher Regulierung bis ins kleinste Detail ausgesetzt.41 Die umfassenden Befugnisse geben dabei spiegelbildlich viel Raum für hoheitliche Fehlentscheidungen: Ob Zulassungssperren oder Ausübungsregeln – durch weite Eingriffsmöglichkeiten und kumulierte Beschränkungen droht eine schleichende Entwertung der Freiheit wie bei kaum einem anderen Grundrecht.42 Dementsprechend wurde der Berufsfreiheit, die häufig komplexe und fein austarierte Wertungsentscheidungen nötig macht, ein besonderer entschädigungsrechtlicher Gehalt und ein „unabdingbares Haftungsbedürfnis“43 attestiert.44 Prototypisch am Beispiel der Berufsfreiheit werden deshalb in dieser Arbeit anhand konkreter Einzelschicksale Fallgruppen erarbeitet, die haftungsrechtliche Schutzlücken in der Praxis deutlich machen. Dabei erweist eine bühl, DVBl. 1994, 977, 978 ff.; Schoch, DV 2001, 261, 262 ff.). Denn gemäß der Maxime „hard cases make bad law“ (vgl. ausführlich zu deren Ursprung und heutiger Bedeutung Davis / Stark, Conflicts in Rulemaking, passim) birgt eine fall- oder schicksalsbasierte Herangehensweise die latente und sich im Rahmen der Staatshaftung zuweilen manifestierende Gefahr, das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren und aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit nicht verallgemeinerungsfähige Wertentscheidungen zu treffen. Um dies zu vermeiden, ist die Aussagekraft der Fallbetrachtung klar zu umgrenzen: So sollen die herausgearbeiteten Beeinträchtigungsszenarien im Bereich von Art. 12 Abs. 1 GG der Rückanbindung und der theoretischen Debatte an die alltägliche Realität der Grundrechtsträger und ihrer Überprüfung dienen und auf diesem Wege eindrücklich die gegebene praktische Reformnotwendigkeit illus­ trieren, nicht aber selbst den Ausgangspunkt einzelfallbezogener Änderungsvorschläge bilden. 38  Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 1 ff. m. w. N. zur geschichtlichen Entwicklung. 39  Pitschas, Berufsfreiheit, S. 32. 40  Müller-Franken, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 172, Rn. 5; Hesse, AöR 1970, 449, 452 f. 41  Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 59. 42  Hufen, NJW 1994, 2913, 2916; Grimm, NJW 1989, 1305 ff. 43  So Sass, Entschädigungserfordernis, S. 400; vgl. Badura, AöR 1973, 153, 155, 157 f.; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 51. 44  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 119 f., 400; insb. wird darauf hingewiesen, dass Eingriffe typischerweise zu Vermögensschäden führen, Schenke, NJW 1991, 1777, 1782 m.N.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 372. Kunig, Jura 1992, 554, 557.

24

1. Teil: Einleitung und Problemhinführung

Rechtsprechungsanalyse, dass bei Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG der Schutz der Amtshaftung häufig zu kurz greift. Obschon die meisten außerhalb von § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG liegenden Schädigungsszenarien angesichts der restriktiven Haltung der Gerichte vermutlich nicht einmal ­judiziert wurden, lassen sich zahlreiche Urteile finden, in denen den Geschädigten trotz einer Verletzung der Berufsfreiheit haftungsrechtlicher Schutz versagt wurde: Während ein besonders prominentes Feld im Grenzbereich zum über den enteignungsgleichen Eingriff geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt, zeigen die ausgewählten Beispielsfälle, dass von Beginn der Ausbildung bis zum Ende des Berufslebens jeder Arbeitstätige potenziell selbst betroffen sein kann und sich keine pauschal höher gefährdeten Gruppen ausmachen lassen. Die umfassende Regulierung von Ausbildung und Beruf bringt mit sich, dass von der Ärztin zum Schrotthändler und vom Sportwettenanbieter zum Notar jeder Arbeitstätige der latenten Gefahr einer kompensationslosen staatlichen Schädigung ausgesetzt bleibt. Schier unumstößlich steht die ständige Rechtsprechung, nach der eine „Beeinträchtigung der Berufsfreiheit […] für sich allein genommen einen Entschädigungsanspruch nicht zu begründen“ vermag.45 Anders als im Rahmen des Art. 14 GG vertreten die Richter hinsichtlich der potenziellen Haftungsmechanismen eine restriktive Linie und verweisen die Betroffenen auf die von eigenen Voraussetzungen abhängigen allgemeinen Ersatzansprüche; scheitern diese, steht er schutzlos da.

§ 4 Praktische Erwägungen als Prüfstein theoretischer Lösungskonzepte Trotz der dem heutigen System staatlicher Einstandspflichten auf systematischer Ebene immanenten Lücke, die insbesondere im Bereich der Berufsfreiheit durch weite praktische Auswirkungen einen erheblichen Reformdruck aufbaut, werden sowohl die Gerichte als auch der Gesetzgeber von der oben skizzierten langanhaltenden Blockadehaltung dominiert. Letztlich gründet diese auf einer Befürchtung, die schon vor über 120 Jahren der Rechtsminister prägnant formulierte und deren Entkräftung Aufgabe dieser Bearbeitung ist: „Was aber würde die weitere Folge eines solchen […] Experimentes sein?“46 Will man diese Frage beantworten, ist zunächst ein dogmatisch solides Konzept zu erarbeiteten, welches die staatshaftungsrechtlichen Lücken im

45  BGH,

NJW 1994, 1468; BGHZ 111, 349 (355 f.); BVerfG, NJW 1992, 36. II, S. 1308.

46  Mugdan



§ 4 Praktische Erwägungen als Prüfstein theoretischer Lösungskonzepte25

Rahmen der Berufsfreiheit schließt. Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes47 haben sich aufgrund der erkannten Friktionen und Unzulänglichkeiten des Staatshaftungsrechts zahlreiche Erweiterungs- und Reformvorschläge herausgebildet, die sich wechselseitig beeinflusst und immer weiter diversifiziert haben. Auf diese Weise entstand ein nur noch schwerlich überschaubarer Markt der Meinungen, von kleinschrittigen Erweiterungen anerkannter Ins­ trumente bis hin zu umfassenden Neukonzeptionalisierungen.48 Einigkeit scheint dabei auf den ersten Blick allein hinsichtlich der grundsätzlichen Reformbedürftigkeit des Staatshaftungsrechts zu bestehen. Indes lassen sich bei eingehenderer Betrachtung durchaus gemeinsame Leitlinien und Prinzipien herausarbeiten, sodass sich einige Ansätze im Ergebnis trotz aller häufig mit einiger Vehemenz vorgenommenen Binnendifferenzierungen49 als Spielarten einer ähnlichen Grundidee darstellen. Im Wege einer Zusammenschau wird diese Bearbeitung zunächst verbindende Elemente und Fluchtpunkte finden und die wesentlichen Grundströmungen erkennbar machen.50 Durch die in einer gewissen Abstraktion liegende Erkenntnischance51 können so die wesentlichen Reformvorschläge übersichtlich und systematisch dargestellt werden – auch kristallisieren sich die einzelnen Ansätze überspannenden Prinzipien heraus und ermöglichen einen klareren Blick auf die zugrundeliegenden Strukturen und Problemfelder. Eine solche Betrachtung fördert zwei wesentliche Grundströmungen zu Tage: So werden überwiegend bereits anerkannte Rechtsinstitute erweitert, indem Einschränkungen – insbesondere auf bestimmte Rechtsgüter oder Rechtsfolgen – hinterfragt und aufgegeben werden. Gewissermaßen im Gegensatz dazu steht die deduktive Herangehensweise, die eine Rechtsgrundlage zu ermitteln versucht, aus der sich durch Gesetzesauslegung eventuelle Schutzansprüche ableiten lassen. Prototypisch für die erste Strömung stehen die Konzepte der erweiterten aufopferungsgleichen Haftung und des Folgenentschädigungsanspruchs. Beiden Ansätzen wohnt eine gewisse „Selbstverständlichkeit [inne], mit der […]

47  Überlegungen zu einer unmittelbaren Staatsunrechtshaftung gab es bereits wesentlich früher, vgl. nur Windscheid / Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd II, 9. Aufl. 1906, S. 1051 f. 48  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 135, der eine „nahezu erdrückende Fülle von Stellungnahmen zur Amtshaftung, zur Aufopferung und zum enteignungsgleichen Eingriff“ konstatiert. 49  Schoch, VerwArch 1988, 1, 6 warnt deshalb nicht zu Unrecht davor, über Detailfragen den Blick für das Ganze zu verlieren. 50  Vgl. auch Schmidt, NJW 1999, 2847, 2850. 51  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 4.

26

1. Teil: Einleitung und Problemhinführung

über Begründungsfragen hinweggegangen wird“52 – weniger als eine stringente normative Rückanbindung bildet den klaren Fokus das zu erreichende Ziel, die Haftung des Staates auf die als problematisch empfundenen Fälle auszudehnen. Deshalb wird im Rahmen der Aufopferungshaftung wenig Energie darauf verwandt, die Erweiterung auf die Berufsfreiheit aus der „Rechtsgrundlage“ der §§ 74, 75 EinlALR heraus zu entwickeln; vielmehr wird diese zuvörderst mit der Begründung postuliert, dass eine Beschränkung auf die Eigentumsgarantie angesichts der Gleichwertigkeit und Schutzbedürftigkeit beider Grundrechte und der von der Rechtsprechung bemühten Eingrenzungstopoi nicht überzeugen könne. Ähnlich basiert die Entwicklung des Folgenentschädigungsanspruchs ohne tiefergehende Auseinandersetzung mit der wohl überwiegend in einer Parallele zu § 1004 BGB gesehenen Rechtsgrundlage primär auf dem ergebnisgeleiteten Gedanken, der haftungsrechtliche Schutz könne nicht plötzlich abbrechen, bloß weil eine Beseitigung der Folgen unmöglich oder unzumutbar sei. Spätestens seit den Leitentscheidungen des EuGH zur Haftung der Mitgliedsstaaten für Unionsrechtsverstöße bemühen Teile der Literatur zunehmend auch eine transnationale Perspektive auf das deutsche Staatshaftungsrecht: So wird der Königsweg in der Europäisierung der Staatshaftung gesehen, zumal diese eine rechtspragmatisch wünschenswerte internationale Anschlussfähigkeit des deutschen Staatshaftungsrechts ermöglichte. Eine andere Struktur liegt der grundrechtlich gestützten Haftung zugrunde. Diese findet ihren Ausgangspunkt nicht in der Ausdehnung bereits bestehender Rechtsinstrumente auf die Schutzlücke, sondern nimmt normhierarchisch überzeugend mangels einschlägiger einfachrechtlicher Normen die Verfassungsbestimmungen und deren im Wege der Auslegung zu ermittelnde Rechtsfolgen in den Blick. Der grundrechtliche Ansatz zur „Rekonstitutio­ nalisierung“ des Staatshaftungsrechts53 bildet damit in gewisser Weise die über lange Zeit abwesende Gegenbewegung zu der durch den Nassauskiesungsbeschluss angestoßenen Tendenz, richterlich anerkannte staatshaftungsrechtliche Institute von einer verfassungsrechtlichen Grundlage zu entkoppeln. Nach der Herausarbeitung dieser Grundansätze folgt eine umfassende Kritik, die neben der systemimmanenten Funktionslogik auch die dogmatische Stringenz und die Vereinbarkeit mit anderen Rechtssätzen erfasst. Die so gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen nicht nur eine fundierte Bewertung der Ansätze – darüber hinaus wird eingedenk des ehernen Prinzips der Wis52  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 24; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 363. 53  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 276.



§ 4 Praktische Erwägungen als Prüfstein theoretischer Lösungskonzepte27

senschaft „standing on the shoulders of giants“54 durch eine synthetische Zusammenschau aus Grundkonzept und Kritik ein eigener, verbesserter Vorschlag erarbeitet. Unter Zugrundelegung dieser „evolutionären“ Prämisse will diese Bearbeitung dazu beitragen, den Blick von einem verfassungsrechtlichen Standpunkt aus zu erweitern. Allein mit einer Betrachtung der dogmatisch-theoretischen Ebene darf man sich indes in dem praxisrelevanten Gebiet der Staatshaftung nicht begnügen. Deshalb ist das Augenmerk auf die Lösungsfähigkeit der Ansätze hinsichtlich der herausgearbeiteten problematischen Fallgruppen zu lenken. Da die „Verwirklichung praktischer Gerechtigkeit unter den Menschen“ „die eigentliche Leistung des Rechts“55 bleibt, wird die Legitimität der Konzepte entscheidend durch ihre Praxisrelevanz determiniert. Nur soweit sie dem betroffenen Bürger sachgerecht zu helfen vermögen, können die Ansätze auch für sich in Anspruch nehmen, die Lücke im Staatshaftungsrecht tatsächlich zu schließen. Eine praktische Anwendung ist weiterhin unersetzlich, um die Stärken und Schwächen der Konzepte herauszustellen – insbesondere die weitreichende Wirkung und Ergebnisrelevanz unklarer Eingrenzungsmerkmale wird erst auf diesem Wege in Gänze erfassbar. Angesichts der gegen eine Reform vorgebrachten Einwände entfaltet die Anwendung der Lösungskonzepte auf die problematisierten Fallgruppen schließlich einen rationalisierenden Effekt: Gerade die staatshaftungsrecht­ liche Debatte ist seit jeher geprägt von häufig nicht näher substantiierten Ängsten vor den Folgen einer Erweiterung. Zuweilen werden unkalkulierbare Risiken durch „Super-Haftungsinstitute“ befürchtet, teilweise schlicht die begrenzte finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates vorgebracht. Auch dürften potenzielle Haftungsszenarien den Staat – allen voran die Legislative – in ihrer Handlungsfähigkeit und -freude nicht beeinträchtigen. Diesen Bedenken kann – zumindest soweit der Reformvorschlag noch nicht umgesetzt ist und die Rechtspraxis demnach keine belastbaren Ergebnisse verspricht – fundiert nur durch eine Folgenabschätzung anhand der Problemfälle begegnet werden. Nun mag eine Analyse der Szenarien zwangsläufig nur näherungsweise erfolgen, da die tatsächliche Umsetzung immer Konstellationen aufwerfen wird, die im Vorfeld nicht genügend gewürdigt wurden. Dies steht aber einer belastbaren Prognose, zu der auch die vorliegende Bearbeitung ihren Teil beitragen will, nicht entgegen. Letztlich können nur so die praktischen Auswirkungen unbeschönigt, aber auch entdramatisiert am konkreten Fall eingeschätzt werden und bilden damit die geeignete Grundlage, um die vorgebrachten, vor allem haushaltspolitischen Einwände zu entkräften. 54  Vgl. dazu das Zitat Isaac Newtons: „If I have seen further it is by standing on the shoulders of Giants.“ (Turnbull, The Correspondence of Isaac Newton, I, S. 416). 55  Wieacker, Gründer und Bewahrer, S. 190 f.

28

1. Teil: Einleitung und Problemhinführung

§ 5 Umsetzungsoptionen im Wechselspiel zwischen Judikative und Legislative Nach einer theoretischen und praktischen Evaluation der Reformoptionen müssen schließlich deren Umsetzungsoptionen untersucht werden. Denn die staatshaftungsrechtliche Evolution findet wie kaum eine andere Rechtsentwicklung im Spannungsfeld zwischen legislativer Passivität und richterlicher Rechtsfortbildung statt. Angesichts der parlamentarischen Untätigkeit überrascht es nicht, dass sich in der Vergangenheit die oberen Gerichte als partikularer Ersatzgesetzgeber geriert und das Staatshaftungsrecht um lückenschließende Institute ergänzt haben. Dies drängt Fragen nach der Natur des Richterrechts, seiner Reichweite und dem Verhältnis zur parlamentarischen Gesetzgebungskompetenz in den Vordergrund. Aufgrund seiner langen Verfestigung und Dominanz wurde das Richterrecht in fragwürdiger Weise in einen gewissen Selbststand erhoben, der sich angesichts der postulierten gewohnheitsrechtlichen Geltung einerseits jeder Kritik entziehen können, andererseits aber selbst zum Maßstab für weitere Fortentwicklungen des Rechts avancieren soll. Sei nicht bereits das entscheidende Maß an richterlicher Einflussnahme ohnehin erschöpft, müsse zumindest „ein Bezug zur gerichtlichen Entscheidungspraxis“ hergestellt werden, der „für die Anschlussfähigkeit und Realisierbarkeit dogmatischer Fortentwicklungen unerlässlich“56 sei. Diese Forderung muss umso mehr verwundern, als die normative Deduktion bei der richterlichen Rechtsfindung nahezu vollständig in den Hintergrund trat, die bestehenden Institute also selbst auf zweifelhaften Begründungen ruhen. Gerade deshalb muss kritisch hinterfragt werden, inwiefern dem Richter eine freie Rechtsentwicklung überhaupt zusteht und ob eine ungebundene Rechtsfindung im Ergebnis allein den Fehler einer „verfassungsfernen“ Herangehensweise auf der Ebene der Umsetzung perpetuierte. Denn sind ­ die staatlichen Einstandspflichten in ihren Grundzügen verfassungsrechtlich prädeterminiert, kann eine Staatshaftungsreform nie gelingen, „wenn nur einzelne mehr oder weniger wichtige Retuschierungen am [gegenwärtigen, verfassungsfern entwickelten] Gesamtsystem vorgenommen werden“57. Weder stünde dann dem Gesetzgeber eine freie rechtspolitische Entscheidung zu, noch könnte die Praxis der auf eine Konfliktvermeidung mit dem BVerfG sinnenden Gerichte überzeugen, staatshaftungsrechtliche Ergän56  So Kümper, Risikoverteilung, S. 21 in Anschluss an Löwer, Staatshaftung, S.  66 ff.; 77 ff. 57  Stelkens, DÖV 2006, 770, 779.



§ 6 Gang der Untersuchung29

zungsmechanismen abseits des Grundgesetzes auf einfachrechtlicher Ebene entwickeln und verankern zu wollen. Hat bereits der Grundgesetzgeber eine Leitentscheidung getroffen, dürfen dieser nicht die Vereinbarkeit mit richterrecht­ lichen Ansprüchen oder die Gestaltungsfreiheit des Parlaments entgegengehalten werden – denn weder den „Krücken positiver Rege­ lun­ gen“58 noch dem „Korsett des Richterrechts“59 gebührt ein Vorrang vor der Verfassung.

§ 6 Gang der Untersuchung Entsprechend der Problemstellung vollzieht sich der Gang der Untersuchung in drei wesentlichen Schritten: Als Grundlage jeder belastbaren Erweiterungsdebatte wird zunächst der Ist-Zustand genau ermittelt. Nur durch eine sorgsame Evaluation der derzeitigen rechtstheoretischen und praktischen Grenzen der Leistungsfähigkeit des Staatshaftungsrechts im Rahmen der Berufsfreiheit können sowohl die größten Fehler und Insuffizienzen in der historischen Evolution nachgezeichnet werden, deren Perpetuierung es in der Ausarbeitung der Fortentwicklungsansätze zu vermeiden gilt, als auch die in der großen praktischen Relevanz der systematischen Schutzlücke begründete Reformnotwendigkeit aufgezeigt werden. Sodann werden die teils induktiv, teils deduktiv gewonnenen Lösungsvorschläge bewertet, kritisiert und weiterentwickelt. Die Analyse darf sich dabei nicht allein auf deren dogmatische Fundierung beschränken, sondern hat in einem derart praktischen Bereich wie dem Staatshaftungsrecht mit Blick auf die faktischen Problemfälle zu erfolgen. Dies ermöglicht neben einer Einschätzung der praktischen Lösungsfähigkeit die rationale Bewältigung der reformhemmenden Einwände. Schließlich wird insbesondere angesichts des historisch „gewachsenen Chaos“60 das Augenmerk auf die Umsetzungsoptionen der einzelnen Ansätze gerichtet und ermittelt, ob allein der Gesetzgeber oder möglicherweise auch der Richter zur Reform des Staatshaftungsrechts berufen sind und welchen Beschränkungen sie dabei unterliegen. Damit will sich diese Bearbeitung als Hilfestellung für Judikative und Legislative im Prozess einer Umsetzung verfassungsadäquater Einstandspflichten für Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG verstanden sehen. Insbesondere die praktischen Bedürfnisse im sensiblen Bereich der Berufsfreiheit fordern, dass der Kampf um dogmatische Grundkonzepte nicht länger auf 58  Ossenbühl,

Entwicklungen, S. 18 f. Staatshaftung, S. 126. 60  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 1. 59  Breuer,

30

1. Teil: Einleitung und Problemhinführung

dem Rücken des Bürgers ausgetragen wird61 und dieser „nicht deswegen leer ausgeh[t], weil er keine Lobby hat“62. Der – wie bereits 1968 von Haas trocken bemerkt – „scheußliche, eines Rechtsstaats unwürdige Zustand“63 des Staatshaftungsrechts, in dem die Rechtsordnung „mit Rechtswidrigkeiten ihrer Organe leben und fehlerhafte Rechtsakte in der Wirklichkeit stehen lassen“64 kann, muss beendet werden. Der Gesetzgeber mag sich gegenwärtig mit einigen „Jahrhundertprojekten“ konfrontiert sehen, die das Staatshaftungsrecht in bequemer Weise in den Hintergrund treten lassen. Ein wahrhaft historisches und denkwürdiges Projekt bestünde indes in der Umsetzung ­eines systematischen und sachadäquaten Haftungsrechts.65 Denn der Staat besteht eben nicht um seiner selbst, sondern findet „seinen Endzweck in der gleichen Freiheit aller und der Gewährleistung ihrer materiellen Rea­ lisierungsbedingungen“66, zu der aber auch die Einstandspflichten für die Folgen seines Handelns zählen. Ziel dieser Bearbeitung ist deshalb, die in den vergangenen Jahren in einen Dornröschenschlaf verfallene Debatte wieder anzufachen und dabei sowohl die dogmatischen als auch die haushaltsund rechtspolitischen Vorbehalte gegenüber einer Reform auszuräumen.

auch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 196. Entwicklungen, S. 28. 63  Haas, Referat zum 47. DJT, S. 32. 64  Seestern-Pauly, Anfechtbarkeit, S. 9. 65  Vgl. Höfling, VVDStRL 2002, 462, 464, der jedoch selbst „keine Hoffnung“ darauf hat. 66  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 1. 61  So

62  Ossenbühl,

Zweiter Teil

Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG? § 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit Bereits die vorangegangene Problemexposition gibt einen Ausblick auf das enge Wechselspiel zwischen der Ausübung der Berufsfreiheit, hoheitlicher Regulierung und korrespondierenden Haftungsregelungen. Um die These haftungsrechtlicher Defizite zu substantiieren, gilt es nun zunächst ausführlich die Reichweite des staatlichen Schutzes von Art. 12 Abs. 1 GG auf systematischer Ebene zu ermitteln.

A. Das Grundrecht der Berufsfreiheit – Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes Obschon sich Fragen nach staatlicher Unrechtswiedergutmachung auch im Zusammenhang mit anderen grundrechtlichen Bestimmungen auftun können, nimmt die vorliegende Bearbeitung Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG in den Fokus. Die Beschränkung des Untersuchungsgegenstands ermöglicht dabei eine prototypische und damit übersichtlichere Behandlung der Problemfelder, bedarf aber ihrerseits einer Begründung: Diese ergibt sich aus den im Folgenden skizzierten Besonderheiten der Berufsfreiheit im entschädigungsrechtlichen Kontext, die das Grundrecht zu Recht in den Mittelpunkt der staatshaftungsrechtlichen Debatte haben rücken lassen. I. Bedeutung und Herkunft der Berufsfreiheit Das Grundrecht der Berufsfreiheit tauchte verglichen mit anderen Freiheitsrechten erst mit einiger Verzögerung in den klassischen Grundrechts­ katalogen auf. So war über lange Zeit der Schutz der beruflichen Tätigkeit zwar von dem allgemeinen Freiheitsgedanken umfasst, jedoch nicht explizit geregelt.1 Auch im deutschen Rechtskreis sah sich der Schutz der Berufsfrei1  Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 1 ff. m. w. N. zur geschichtlichen Entwicklung.

32

2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

heit einer historisch fortschreitenden Wandlung unterworfen, die parallel zur Evolution der Wirtschaftsordnungen verlief.2 Von einer ursprünglich eng verstandenen Gewerbefreiheit baute man das Gerüst zu einer umfassenden Berufsfreiheit aus, die so weit reicht, dass die deutsche Verfassung mittlerweile sogar das „postmoderne Recht“ schützt, keinen bestimmten Beruf ergreifen zu müssen.3 Dabei waren die Diskussionen um Art. 12 GG im Parlamentarischen Rat ebenso umfangreich, wie von konträren Positionen geprägt.4 Letztlich kam es im Sinne einer „Politik der Nichtentscheidung“5 zu einer wortkargen Regelung, die der Berufsfreiheit einerseits schärfere Konturen verleihen, andererseits einen umfassenden gesetzgeberischen Spielraum gewährleisten sollte.6 Der Schutz der Berufsausübung und -wahl behielt damit seinen dualistischen Charakter als traditionelles und gleichzeitig sehr modernes Grundrecht, das einer kontinuierlichen Aktualisierung und Anpassung unterworfen ist.7 Die praktische Bedeutung der Berufsfreiheit verdeutlicht eine Analyse ihrer realen wirtschaftlichen und sozialen Berührungspunkte.8 Gerade in der heutigen modernen und arbeitsteiligen Gesellschaft hat der Beruf ein herausragendes Gewicht für die persönliche Selbstverwirklichung und dient als soziale Lebensform zur Erlangung gesellschaftlicher Anerkennung.9 Bereits die Berufsausbildung zielt auf die Ausformung und Entwicklung der Persönlichkeit und ermöglicht es der Person, ihre individuellen Begabungen zu entfalten und zu verbessern.10 Gleichzeitig bestimmt diese Phase maßgeblich ihre sozialen und wirtschaftlichen zukünftigen Handlungsmöglichkeiten.11 Darüber hinaus entspricht die Berufsausbildung einer unausgesprochenen „Verfassungserwartung“: Wenn der Staat dieses auch nicht mit Rechtsmitteln sank­ tioniert, so liegt es doch im verfassungsrechtlichen Leitbild, dass jeder Ein2  Schneider, VVDStRL 1985, 7, 8 ff.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn.  1 ff. 3  Vgl. BVerfGE 58, 358 (364); Hufen, NJW 1994, 2913, 2914; Bryde, NJW 1984, 2177, 2184; a. A. Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 7. 4  Nolte, in: Stern / Becker (Hrsg.), Grundrechte, Art. 12, Rn. 4 ff.; zur Vorgängervorschrift Art. 157 Abs. 1 WRV, Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 3. 5  Bryde, NJW 1984, 2177, 2184 f. 6  Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 9, 11 f.; Bryde, NJW 1984, 2177, 2177 f. m.N. aus dem Sitzungsprotokoll. 7  Hufen, NJW 1994, 2913, 2914. Zum nötigen Funktionswandel Schneider, VVDStRL 1985, 7, 20, sowie zur historischen Dimension S. 11 f. m. w. N. 8  Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 49 ff. 9  Schneider, VVDStRL 1985, 7, 13. 10  BVerfGE 7, 377 (397); Müller-Franken, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 172, Rn. 5; Hesse, AöR 1970, 449, 452 f. 11  Müller-Franken, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 172, Rn. 5.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit33

zelne sich im Rahmen seiner Möglichkeiten entfaltet und somit auch seinen Teil am Wohl der Gesamtgesellschaft erwirtschaftet.12 Die Ausbildung avanciert somit gleichermaßen zum grundgesetzlich abgesicherten Staatsziel wie zur staatlichen Aufgabe.13 Der Beruf selbst, die „systematische Betätigung geistiger oder körperlicher Kräfte, gerichtet auf ein die Zeit des Arbeitens überdauerndes Ergebnis“14 vermittelt Lebenschancen und soziale Integration.15 Der Mensch gestaltet dabei als „schaffendes Wesen“ die Wirklichkeit mit, worin sich Wert und Würde des Individuums manifestieren.16 Durch die über das Zusammenleben hinausreichende Komponente der Selbstverwirklichung wird die Berufsausübung zum Teil der persönlichen Identität und zur geistigen Existenzgrundlage.17 Auch das BVerfG betonte den in Art. 12 GG so offen zu Tage tretenden Menschenwürdekern und bezeichnete den Beruf gar als „Kern menschlicher Selbstbestimmung“18. Wurde die Berufsfreiheit zwar aufgrund der zuweilen einseitigen Rechtsprechung als „Grundrecht des Mittelstandes“19 gebrandmarkt, entfaltet sie in der Realität Bedeutung für alle sozialen Schichten. Als eines der praktisch bedeutsamsten Grundrechte20 und „Herzstück“21 oder „Eckstein der Verfassungsordnung in wirtschaftlicher Hinsicht“22 idealisiert sie im Prozess wirt12  Von einem Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung spricht BVerfGE 7, 377 (397). 13  Vgl. Müller-Franken, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 172, Rn. 7 f. 14  Rüegg, Soziologie, S. 181. 15  Hesse, AöR 1970, 449, 452 f.; Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 50; Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 9; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 20. 16  Schneider, VVDStRL 1985, 7, 15; vgl. auch Pielow, in: Pielow (Hrsg.), GewO, § 1, Rn. 77. 17  Hufen, NJW 1994, 2913, 2914 f. Zum philosophischen Hintergrund ausführlich Schneider, VVDStRL 1985, 7, 10 ff. m. w. N.; vgl. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 33. 18  BVerfGE 7, 377 (397); 19, 330 (336); 50, 290 (362). 19  Schneuner, DVBl. 1958, 845, 847; Hege, Sozialstaat, S. 13; Häberle, VVDStRL 1972, 43, 101 Fn. 252. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die Gerichte nur über Sachverhalte entscheiden, die an sie herangetragen werden. Dem richterlichen Augenmerk entgehen damit jedoch all die Fälle, die aus verschiedenen Beweggründen, zuweilen aber schlicht aus Resignation, nicht auf dem Rechtsweg ausgefochten werden. In der praktischen Realität ist die Berufsfreiheit allgemein – über Tätigkeitsund Einkommensgrenzen hinweg – von herausragender Bedeutung. Vgl. Ossenbühl, AöR 1990, 1, 6 f. 20  Bryde, NJW 1984, 2177. 21  Badura, DÖV 1990, 353, 356. 22  Oppermann, VVDStRL 1985, 76, 83.

34

2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

schaftlicher Selbstverwirklichung keinesfalls eine Ellbogengesellschaft, sondern will möglichst viel Freiraum für möglichst viele Grundrechtsinhaber schaffen.23 Denn die Arbeit hat – zumindest in der verfassungsrechtlichen Theorie – „für alle den gleichen Wert und die gleiche Würde“24. Gemeinsam mit dem entschädigungsrechtlich weitreichend geschützten Eigentum gewährleistet sie den wesentlichen erwerbswirtschaftlichen Freiheitsraum und damit die Existenzsicherung des Individuums.25 Während Art. 12 Abs. 1 GG primär die persönlichkeitsbezogene Willensfreiheit sichert, garantiert Art. 14 GG die materielle Basis.26 Dabei stellt das Eigentum häufig aber nichts anderes dar als „geronnene Arbeit“27. Bereits früh wurde deshalb die menschliche Arbeit als natürliche Quelle des Eigentums und maßgeblicher Faktor aller Wertschöpfung entdeckt.28 Dominierte indes noch in der Vergangenheit das Eigentum die soziale Stellung und damit folge­ richtig die entschädigungsrechtliche Debatte, so ist heute der Beruf zur „zentrale[n] Institution“29 der Gesellschaft avanciert. In einer Zeit, in der ein Großteil der Bürger seine wirtschaftliche Lebensgrundlage nicht länger in Eigentum und Vermögen, sondern vielmehr in seiner Arbeit und der damit einhergehenden Entlohnung sucht, hat so die „Arbeitskraft das Eigentum hinsichtlich der Bedeutung der Existenzsicherung abgelöst“30. Insbesondere aus der Bedeutung der beiden Grundrechte lassen sich daher nur schwerlich Argumente für eine haftungsrechtliche Privilegierung des Kapitals gegenüber der Arbeit herleiten.31 Denn in der heutigen Gesellschaft ist die Berufsfreiheit „[m]ehr noch als Eigentumsgarantie […] für den Lebensentwurf des Menschen […] das zentrale Freiheits- und Persönlichkeitsrecht“32. 23  Bryde,

NJW 1984, 2177 f. 7, 377 (397 f.); 50, 290 (362). 25  Zur Vergleichbarkeit von Art. 12 und 14 GG und den daraus für die Entschädigungsmechanismen zu ziehenden Schlüssen siehe Dritter Teil: § 1 C.I., S. 128 ff. 26  Vgl. Ossenbühl, AöR 1990, 1, 3 f.; Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 106; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 371; Löwer, Staatshaftung, S. 441; Bauschke / Kloepfer, NJW 1971, 1233; Häberle, JZ 1984, 345 ff. 27  Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 366. 28  Locke, in: Mayer-Tasch (Hrsg.), The Second Treatise of Government (1689), S.  26, 27 ff. 29  Pitschas, Berufsfreiheit, S. 32. 30  Löwer, Staatshaftung, S. 441; ähnl. auch Bauschke / Kloepfer, NJW 1971, 1233; Häberle, JZ 1984, 345 ff.; vgl. auch Schenke, NJW 1991, 1777, 1781 f. 31  Kritisch dazu bereits Menger, Bürgerliches Recht, S. 200; Wolf, in: FS F. von Hippel, S. 665, 682 f.; Kötz / Wagner, Deliktsrecht, S. 49. Vgl. auch Schenke, NJW 1991, 1777, 1781 f., der eine solche Differenzierung schon vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips und des Gleichheitssatzes für unzulässig hält. Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten auch Schneider, VVDStRL 1985, 7, 39. 32  Schneider, VVDStRL 1985, 7, 19 (Hervorhebung im Original). 24  BVerfGE



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit35

II. Schutzbereich und Verletzungsszenarien Diesem Anspruch gerecht zu werden, versuchte der Verfassungsgeber mit Art. 12 Abs. 1 GG, der aufgrund seiner vielfältigen Implikationen nicht ­umsonst als „schlimmste crux des Grundrechtsteils“33 und „Irrgarten“34 bezeichnet wurde.35 Das auf einen weitreichenden Schutz angelegte Grundrecht umfasst die Freiheit der Berufswahl und -ausübung.36 Die „existenzielle und unlösliche Verklammerung“37 beider Einzelgarantien wird daran deutlich, dass die Berufswahl sich während der Berufsausübung ständig aktualisiert und letztgenannte gleichzeitig zur Verfeinerung der eigenen Fertigkeiten, kurz: zu einer qualifizierenden Ausbildung, dient.38 Aufgrund der häufigen Wechselwirkungen schien es der Rechtsprechung nur konsequent, trotz des Wortlauts des Art. 12 Abs. 1 GG, der eine Trennung nahelegt, von einem einheitlichen Freiheitsrecht auszugehen.39 Daher hat die genaue tatbestandliche Zuordnung zum Bereich der Berufsausübung oder -wahl heutzutage nur noch eine zurückgenommene Funktion als Vororientierung für die Schrankenprüfung.40 Neben dem subjektiv-rechtlichen Gehalt kommt dem „Hauptfreiheitsrecht des Wirtschaftslebens“ eine weitergehende objektiv-rechtliche Wirkung zu, die alle drei Gewalten in ihren Entscheidungen bindet und aus der auch positive Schutzpflichten resultieren können.41 33  Jellinek,

DÖV 1952, 383. VVDStRL 1985, 76, 133. 35  Für die vorliegende Bearbeitung ist nur das in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht von Bedeutung, nicht dagegen die Freiheit vor Zwangsarbeit (Art. 12 Abs. 2 GG) und die Freiheit von Arbeitszwang (Art. 12 Abs. 3 GG), die nach überwiegender Auffassung eigenständige Grundrechte darstellen, vgl. Kämmerer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 1 m. w. N.; Ruffert, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 16. 36  Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 1; Kämmerer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 1; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn.  48 ff. jew. m. w. N. 37  Pitschas, Berufsfreiheit, S. 34. 38  Insbesondere die Phase des Ergreifens eines Berufes macht die Schwierigkeit einer eindeutigen Trennung deutlich: denn einerseits kann von der „Berufsaufnahme“ gesprochen und diese der Berufswahl zugeordnet werden, andererseits vom „Berufsbeginn“, der in die Berufsausübungsfreiheit fällt. BVerfGE 7, 377 (401); Ruffert, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 17 f.; Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 22 f.. 39  So auch das BVerfG seit dem grundlegenden Apothekenurteil, BVerfGE 7, 377 (400 ff.); dazu kritisch Gusy, JA 1992, 257, 260; Lücke, Berufsfreiheit, S.  8 ff. m. w. N. 40  Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 84; Bryde, NJW 1984, 2177, 2181; 41  Vgl. BVerfGE 81, 242 (LS 1); BVerfGE 7, 377 (404); 81, 242 (255); Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 4 f. Daraus kann indes keine Festlegung auf 34  Schneider,

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Der weite persönliche Schutzbereich umfasst deutsche und europäische,42 natürliche und juristische Personen. Sachlich korrespondiert diesem ein grundsätzlich offener Berufstatbestand, der sowohl selbstständige, als auch unselbstständige Tätigkeiten schützt.43 Entscheidende Bedeutung für die Reichweite des grundrechtlichen Schutzes erlangt der verfassungsrechtliche Berufsbegriff: Er ist mit der Rechtsprechung weit zu verstehen und umfasst jede auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Betätigung, ohne dass es darauf ankommt, ob diese erlaubt ist oder einem traditionellen Berufsbild entspricht.44 Zur Vermeidung von Schutzlücken werden an die einzelnen Merkmale keine überhöhten Anforderungen gestellt45 und der Schutzbereich damit entwicklungsoffen gehalten.46 Durch die notwendige staatliche Regulierung in einer fein verwobenen Industriegesellschaft ist der eröffnete große Freiheitsbereich einer latenten Gefahr ausgesetzt:47 Während der frühe liberale Rechtsstaat die Gesellschaft weitestgehend autonom agieren ließ und nur selten in bürgerliche Rechts­ positionen eingriff, haben sich die Regelungsintensität und -frequenz insbesondere seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts vervielfacht – der Staat ist von einem bloßen „Nachtwächter“ zu einem gestaltenden und ausformenden ­Akteur avanciert.48 Um diesen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, zieht Art. 12 Abs. 1 GG die Grenzen der staatlichen Befugnisse korrespondierend zum Schutzbereich ebenfalls weit: So kann die Hoheitsgewalt grundsätzlich durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes regelnd eingreifen. Obschon es keinem vernünftigen Zweifel unterliegen kann, dass der Staat überhaupt Rahmenbedingungen im Bereich der Berufstätigkeit setzen muss, droht durch weite Eingriffsbefugnisse und kumulierte Beschränkungen ein „nahezu lückenloses System staatlicher Berufsregulierung“49 und ein bestimmtes Wirtschaftssystem gefolgert werden, BVerfGE 50, 290 (338); Schmidt, Wirtschaftspolitik und Verfassung, S. 89. 42  Während die genaue Begründung umstritten ist, tendiert die überwiegende Auffassung jedenfalls dazu, die Garantien des Art. 12 GG wegen des in Art. 18 Abs. 1 AEUV niedergelegten Diskriminierungsverbotes auch auf EU-Ausländer zu erstrecken, vgl. zum Meinungsstand nur Ruffert, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art.  12, Rn.  36 m. w. N. 43  BVerfGE 7, 377 (398 f.); 50, 290 (363 ff.); BVerwGE 1, 54 f.; sowie BVerfGE 104, 357 (364); 110, 10 (28) zu den Mischformen dieser Ausprägungen. 44  BVerfGE 7, 397; 9, 78; 13, 106; 14, 22; 16, 163; 105, 252 (265); 111, 10 (28). 45  Vgl. nur Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 32 ff.; Kämmerer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 16 ff. jew. m. w. N. 46  Papier, DVBl. 1984, 801, 802. 47  Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 59 ff.; Schneider, VVDStRL 1985, 7, 18, 20. 48  Jannsen, Entschädigung, S. 22 ff.; Kreft, Aufopferung, S. 10. 49  Schneider, VVDStRL 1985, 7, 21.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit37

damit eine schleichende Entwertung der Freiheit wie bei kaum einem anderen Grundrecht50 – metaphorisch gesprochen wird die Berufsfreiheit durch immer weitere normative Vorgaben „verstopft wie ein Wasserrohr durch schleichende Kalk­ablagerung“.51 Dies ist umso bedenklicher, als Art. 12 Abs. 1 GG seiner Struktur nach auf eine möglichst unreglementierte Berufstätigkeit zielt.52 Zunächst ist Berufswahl direkten Beeinträchtigungen durch zahlreiche subjektive und objektive Zulassungsschranken ausgesetzt. Während erstgenannte die Berufsaufnahme des Betroffenen von persönlichen Merkmalen und Qualifikationen abhängig machen, betreffen letztere Anforderungen, die nicht von ihm beeinflusst werden können.53 Weiterhin kommt dem Staat die Befugnis zu, umfassende Berufsausübungsregelungen zu erlassen, mit denen er das „Wie“ der Berufstätigkeit normieren kann. Diese spielen im „dichten Normengeflecht“ eines Industriestaates eine entscheidende Rolle.54 Nach dem modernen Verständnis gilt der Schrankenvorbehalt auch für indirekte Eingriffe, welche die Berufsfreiheit zwar faktisch, nicht jedoch zielgerichtet betreffen. Besonders problematisch im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG erweist sich, dass der weite Schutzbereich durch nahezu jede gesetzliche Regelung beeinträchtigt wird.55 Daher versucht die Rechtsprechung, faktische Eingriffe von bloßen „Beeinträchtigungen“ ohne berufsregelnde Tendenz zu unterscheiden, um den Vorbehalt des Art. 12 Abs. 1 GG nicht zulasten anderer Grundrechtsschranken zu überdehnen.56 Diese Abweichung von der etablierten Eingriffsdogmatik führt indes zu inkonsequenten und wenig überzeugenden Abgrenzungen.57 Sind die vielfältigen Eingriffsbefugnisse in der Theorie bereits wegen des weiten Schutzbereichs naheliegend, zeigt die Praxis in bedenklicher Weise, dass der Staat von diesen weitreichenden Gebrauch macht und somit einer 50  Hufen, NJW 1994, 2913, 2916; Grimm, NJW 1989, 1305 ff. Kritisch zum leichthändigen Umgang auch Lecheler, VVDStRL 1985, 48, 52. 51  Hufen, NJW 1994, 2913, 2916. 52  BVerfGE 82, 209 (223); Axer, in: FS Isensee, S. 121, 123. 53  Vgl. nur BVerfGE 7, 377 (406 ff.). 54  Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 69; Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 343 f. jew. mit Beispielen aus der Gesetzgebung. 55  Kämmerer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 46; Hufen, NJW 1994, 2913, 2916. 56  Vgl. BVerfGE 13, 181 (185 f.); 22, 380 (384); 41, 251 (262); 46, 120 (137, 145); 47, 109 (116); kritisch zu dieser Tendenz Ruffert, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art.  12, Rn.  55 f. m. w. N.; vermittelnd Kämmerer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 46. 57  Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 43 f. m. w. N.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Entwertung des grundrechtlichen Berufsschutzes Vorschub leistet.58 Gleichzeitig ist das BVerfG um Grenzziehungen bemüht und sucht, dem hohen Schutzbedürfnis der Berufsfreiheit gerecht zu werden. Lassen Rechtsprechung und Gesetzgebung hinsichtlich der Berufszulassungshürden generell eine gewisse Zurückhaltung erkennen, so ist das Verhältnis zu Berufsausübungsregelungen von einer bedenklichen Leichthändigkeit geprägt.59 Berufsregelnde Gesetze laufen somit Gefahr, immer mehr zu parlamentarisch abgesegneten „Zunftordnungen“ für einzelne Berufsfelder zu mutieren.60 Zieht sich dann noch das BVerfG unter Verweis auf die weite Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers im Wesentlichen auf eine reine Vertretbarkeitsprüfung zurück, droht förmlich eine Einschnürung der beruf­ lichen Freiheit.61 Erschwerend kommt hinzu, dass die Berufsfreiheit von einer Vielzahl an Hoheitsakten direkt und indirekt betroffen ist. In der punktuellen Rechtmäßigkeitsprüfung vor den Gerichten geht jedoch unter, dass die Einzelmaßnahmen zwar für sich genommen gerade noch verfassungsmäßig sind, im Zusammenspiel mit den anderen Regelungen jedoch eine nicht mehr zu vertretenden Beschränkung der Berufsfreiheit bedeuten und damit „erdrosselnde Wirkung“ entfalten können.62 Damit wird nicht zu Unrecht mit Unbehagen eine gewisse „Unterbewertung“ und „Geringschätzung“ der Berufsfreiheit bemängelt,63 die wie kaum ein anderes Grundrecht von einer starken Reglementierung geprägt ist.64 III. Die „Schadensneigung“ des Art. 12 GG Trotz dieser Analyse mag es aus einer rechtlichen Perspektive überspitzt klingen, in Art. 12 GG nur noch eine „Leerformel in der politisch-ideologischen Auseinandersetzung“65 zu erblicken. Gleichermaßen scheint es unzu58  Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 80; Lecheler, VVDStRL 1985, 48, 59; Hufen, NJW 1994, 2913 ff. 59  Lecheler, VVDStRL 1985, 48, 59. Dies liegt bereits terminologisch nahe, wenn von einer „bloßen“ Berufsausübungsregel gesprochen wird. So wohl erstmals verwandt in BVerfGE 9, 338 (344); 12, 281 (295). 60  Vgl. Hufen, NJW 1994, 2913, 2916 f. 61  Hufen, NJW 1994, 2913, 2916 f.; Scheuner, DVBl. 1955, 848; Schneider, VVDStRL 1985, 7, 37. 62  Eine solche prüfen die Gerichte aber nur bei Einzelmaßnahmen, nicht bei einer kumulierten Belastung, vgl. BVerfGE 13, 181 (187). 63  Lecheler, VVDStRL 1985, 48, 50, 52. 64  Auf die Regelungsbedürftigkeit der Berufsfreiheit als sozialem Konflikt hinweisend, Pitschas, Berufsfreiheit, S. 136.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit39

treffend optimistisch zu konstatieren, das „klassische Schutzgut“ der Berufsfreiheit würde in einer „marktwirtschaftlichen Ordnung vom Staat nicht bedroht“.66 Die Wahrheit liegt wie häufig zwischen beiden Extremen. Wird dem Gesetzgeber jedoch eine zu umfassende Einschätzungsprärogative zugestanden, fördert dies weiter interventionistische Maßnahmen. Dabei sieht dieser sich gerade im Bereich der Berufsregelung komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten gegenübergestellt, die eine Prognose nur schwer möglich machen. Während daher eine vollständige Ersetzung der gesetzgeberischen Erwägungen durch solche des Verfassungsgerichts aus Ex-post-Perspektive abzulehnen ist,67 drängt sich doch die Frage nach einer pragmatischen Einschränkung des Ermessensspielraums auf.68 Deshalb darf sich die Legislative nicht auf die „Experimentierklausel“69 berufen, ohne die verfügbaren Fakten genau ermittelt und ausgewertet zu haben.70 Gibt die Einschätzungsprärogative dem Gesetzgeber auch einen Argumentationsvorsprung, kann sie jedenfalls kein nachträglich erwiesen verfehltes Gesetz rechtfertigen.71 Denn ihr Ziel liegt nicht darin, grundrechtswidrige Gesetze zu perpetuieren, sondern dem primär demokratisch legitimierten Gesetzgeber zu ermöglichen, trotz der Erkenntnisdefizite zukunftsgerichtet zu handeln.72 Schließt man sich dem BVerfG an und hält im Ausnahmefall sogar eine Regelung für verfassungsmäßig, deren tragende Erwägungen sich zwar ex post als unzutreffend erwiesen haben, jedoch ex ante nicht zu beanstanden waren, so muss darauf zumindest eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers folgen, die strikter Überwachung bedarf.73 Gleiches gilt für den exekutiven Normgeber, der aufgrund des vielfältigen Einsatzes von Verordnungen im Bereich der Berufsfreiheit eine herausgehobene Stellung hat.

65  Schöber, in: Lange / Büschges (Hrsg.), Aspekte der Berufswahl in der modernen Gesellschaft, S. 75, 91. 66  Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 19. 67  So aber noch in früher Rechtsprechung praktiziert, vgl. BVerfGE 7, 377 (413 ff.); 11, 30 (43 ff.). 68  Vgl. nur Badura, in: FS für L. Fröhler, S. 321, 341 m. w. N. 69  Hufen, NJW 1994, 2913, 2919. 70  Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 119 m.N. 71  Hufen, NJW 1994, 2913, 2919; das BVerfG will eine Wiederaufnahme der Prüfung nur vornehmen, wenn sich die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen völlig gewandelt haben, vgl. BVerfGE 87, 363 (382). 72  Bickenbach, Einschätzungsprärogative, S. 525 f. 73  Vgl. BVerfGE 98, 265 (308  f.); Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 118 f. zu der befremdlich wirkenden Möglichkeit, dass die ursprünglich verfassungsgemäße Norm durch Zeitablauf und Nichtabhilfe des Gesetzgebers verfassungswidrig wird. Hufen, NJW 1994, 2913, 2919 regt an, Gesetze, die auf der „Experimentierklausel“ beruhen, grundsätzlich zeitlich zu beschränken.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Insofern mag die gerichtliche Zurückhaltung bei der Überprüfung der vielbeklagten Normenflut74 zuweilen über das Ziel hinaus schießen.75 Denn in unserem Rechtsgefüge obliegt es der Verfassungsgerichtsbarkeit, das letzte Wort zu den grundgesetzlichen Grenzen des Gesetzgebers zu sprechen.76 Wenn auch zuweilen zögerlich, kommen die Richter dieser Aufgabe zumindest grundsätzlich nach, was in der Nichtigerklärung zahlreicher Berufsregelungen resultiert. Dies wirft aber zwangsläufig die Folgeüberlegung auf, wie die unter Umständen erheblichen nachteiligen Konsequenzen der Betroffenen ausgeglichen werden können. Denn in der eng verwobenen und von zahlreichen Wechselwirkungen gekennzeichneten Wirtschaftswelt kann jede noch so unbedeutend scheinende staatliche Intervention weitreichende Folgen entfalten.77 In der Kombination aus weiter Einschätzungsprärogative und der Nähe zur wirtschaftlichen Betätigung entfaltet sich dabei das spezifische Schädigungspotential im Bereich der Berufsfreiheit besonders deutlich – parallel drängt sich die Frage nach Entschädigungsansprüchen förmlich auf.78 Zu Recht steht daher Art. 12 GG – dem ein besonderer entschädigungsrechtlicher Gehalt attestiert wurde79 – im Mittelpunkt der Diskussion um einen Ausbau der staatshaftungsrechtlichen Institute.80 Zwar mag die aufgezeigte besondere Schadensneigung81 der Berufsfreiheit nicht geeignet sein, eine tatbestandliche Einschränkung der Entschädigungsmechanismen zu 74  Lecheler,

VVDStRL 1985, 48, 49. vertretbar erscheint es deshalb bereits terminologisch, einen „Überschuss“ an Ausbildungs- und Prüfungsanforderungen für verhältnismäßig zu erachten. So aber BVerfGE 13, 97 (117 f.); 25, 236 (248). Einen strengen Maßstab an das gesetzgeberische Tätigwerden anzulegen, sowie eine kritische Reevaluation der bestehenden Regelungen, fordert insbesondere Hufen, NJW 1994, 2913, 2920. Dennoch wäre es mittlerweile wohl etwas zu drastisch ausgedrückt, aus „der kraftvollen Melodie der Freiheit [sei] ein Melodram der Resignation geworden.“ So aber noch Rupp, NJW 1965, 993. 76  Vgl. nur Grimm, JZ 1976, 697; Böckenförde, NJW 1999, 9, 10. Zu den Problemen, die sich hinsichtlich der demokratischen Legitimierung auftun insb. Ebsen, Bundesverfassungsgericht, S.  179 ff.; Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, S.  25 ff. 77  Hufen, NJW 1994, 2913, 2915. 78  Schenke, NJW 1991, 1777, 1782; Löwer, Staatshaftung, S. 445 f. sieht hierin einen legitimen Begrenzungstopos. 79  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 119 f., 400. 80  Röder, Haftungsfunktion, S. 70, 132 weist zu Recht darauf hin, dass die berufsrechtlichen Fälle den Großteil der haftungsrelevanten Konstellationen bilden dürften. 81  Insb. wird darauf abgestellt, dass Eingriffe typischerweise zu Vermögensschäden führen, Schenke, NJW 1991, 1777, 1782 m.N.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 372. 75  Schwer



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit41

rechtfertigen.82 Jedoch macht sie Art. 12 GG als Untersuchungsgegenstand besonders wertvoll, da die Entschädigungsfrage in seinem Dunstkreis von größter praktischer Bedeutung ist und sich in einem politisch und wirtschaftlich brisanten Klima entfaltet.83 Umso mehr erscheint deshalb eine nüchterne rechtliche Betrachtung der Entschädigungspflichtigkeit staatlicher Eingriffe in die Berufsfreiheit vonnöten, zu der diese Bearbeitung ihren Beitrag leisten will.

B. Untersuchung des gegenwärtigen Rechtsschutzes als Voraussetzung für die Feststellung von Schutzlücken Will man eine Lösung für das Problem einer fehlenden Entschädigung im Rahmen der Berufsfreiheit finden, muss zuvörderst die Hypothese erwiesen werden, dass im heutigen Rechtssystem überhaupt ein solcher Missstand besteht. Hierzu muss geklärt werden, warum der Staat überhaupt für sein Fehlverhalten einstehen sollte, in welchem Maße er dies gegenwärtig tut und schließlich, ob das Haftungssystem auf theoretischer Ebene Lücken erkennen lässt. I. Begründungslinien der Einstandspflicht des Staates als theoretischer Rahmen der Untersuchung Vor einer kritischen Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Haftungsinstitute muss als theoretischer Rahmen kursorisch erläutert werden, warum der Hoheitsträger für sein Handeln einstehen soll. Nun mag diese Frage im durchaus „haftungsaffinen“ Deutschland84 geradezu befremdlich wirken, weshalb sie, anders als der Haftungsgrund in der zivilistischen Literatur, nur verhältnismäßig geringe Beachtung gefunden hat85 – selbstverständlich oder gar obsolet ist ihre Beantwortung dadurch keineswegs. Denn die Untersu82  Siehe

ausführlich Dritter Teil: § 1 D.I., S. 147 ff. Hufen, NJW 1994, 2913, 2915. Es mag in der Tat verwundern, dass man dem Entschädigungserfordernis in Deutschland angesichts der möglichen Verletzungsszenarien eher ablehnend gegenübersteht. Hufen will sogar eine grundlegende „Angst“ der Deutschen vor der seelenlosen, individualistischen Berufsfreiheit bereits seit preußischen Zeiten ausmachen können. 84  So bereits von Tucholsky, Gesammelte Werke, S. 38 prägnant, wenngleich auch etwas polemisch formuliert: „Wenn der Deutsche hinfällt, steht er nicht auf, sondern sieht sich um, wer ihm schadensersatzpflichtig ist.“ 85  Vornehmlich beispielsweise Bullinger, in: FS für E. von Caemmerer, S. 297 ff.; Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 11 ff.; Motsch, JZ 1986, 1082 ff.; Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, S. 412. 83  Vgl.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

chung der wesentlichen Begründung und der Funktionen staatlicher Einstandspflichten ist für das Verständnis und auch die Bewertung der dem Bürger zur Verfügung gestellten Schutzinstitute wichtig: Diese können nur insoweit überzeugen, als sie mit den Haftungszwecken selbst vereinbar sind. Zunächst scheinen zwei Grundkonzeptionen zum Umgang mit den Konsequenzen hoheitlicher Schädigungen denkbar:86 Theoretisch ist es ebenso gut möglich, die durch rechtswidriges Staatshandeln entstandenen Belastungen beim Bürger zu belassen, wie sie auf den Staat zu verlagern. Die Entscheidung für einen der Ansätze oder Mischformen derselben basiert primär auf Erwägungen zur Risikoverteilung, die das Verhältnis von Staat und Gesellschaft definieren – denn die Schadenszuweisung an den Hoheitsträger bedeutet letztlich wenig anderes als die Umverteilung von Nachteilen vom Einzelnen auf die Allgemeinheit.87 Gerade in einem stark „verrechtlichten“ Staat, der durch die hohe Regulationsdichte nahezu permanent in das Leben der Bürger eingreift, erhöht sich das Risiko einer Fehlanwendung des Rechts; die Gefahr einer unter Umständen erheblichen Schädigung ist damit immanent.88 Zieht man dabei in Betracht, dass der Bürger in vielfältiger Weise vom Hoheitsträger profitiert, erscheint durchweg plausibel, ihm spiegelbildlich die Risiken fehlerhaften Staatshandelns aufzubürden.89 Gewissermaßen realisiere sich darin nur das mit der vom Staat garantierten Freiheit einhergehende Risiko; denn „Sicherheit für alle Lebenseventualitäten“ könne der Staat seinen Bürgern nur „unter Verzicht auf die freiheitliche Konzeption der Verfassung […] bieten“90. Deshalb wird vorgebracht, der „soziale Staat“ solle „seinerseits von Rechts wegen sozialbereite Bürger voraussetzen [können]. Die Bereitschaft, soziale Risiken des Gemeinschaftslebens selbst zu tragen, [dürfe] daher vom zur Normierung der Schadenssituationen aufgerufenen Gesetzgeber nicht nur als Korrelat der individuellen Freiheit, sondern eben auch als unmittelbare Erscheinungsform sozialer Bindung vielfach zu Recht voraus gesetzt werden“91. Kümper, Risikoverteilung, S. 2 ff. Staatshaftung, S. 117, 218; Gromitsaris, Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, S. 16; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 5, 9; Ossenbühl, Entwicklungen, S. 6; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 58. 88  Vgl. Ossenbühl, Entwicklungen, S. 6. 89  Boujong, UPR 1984, 137, 139; Kreft, Aufopferung, S. 20. 90  Dürig, JZ 1955, 521, 525. In gewisser Hinsicht folgt auch die Amtshaftung einer abwägenden Ratio. So dient die Verschuldensabhängigkeit als Instrument der Risikoverteilung. Danach soll der Staat lediglich das Risiko einer vorwerfbaren Fehlanwendung tragen; der Bürger hingegen wird mit „unvermeidbaren“ Risiken belastet, die aus einer schuldlosen Beamtenhandlung resultieren. Vgl. dazu Ossenbühl, Entwicklungen, S. 6. 91  Dürig, JZ 1955, 521, 525. 86  Vgl.

87  Rebhahn,



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit43

Andernfalls drohe der Staat zu einem „Versicherungs- und Rentnerstaat“ zu verkommen, „in dem fast jedes Lebensrisiko auf die Gemeinschaft abgewälzt werden kann“92. Nun kann kaum bestritten werden, dass die Staatsapparatur eine für den Bürger nützliche und nicht wegzudenkende Errungenschaft darstellt.93 Ebenso verlangt das Sozialstaatsprinzip nicht, der Träger von Hoheitsgewalt müsse eine allumfassende „Assekuranzanstalt“ bilden, die dem Bürger jegliches Lebensrisiko abnehme.94 Allein aus diesen im Kern zutreffenden Feststellungen kann allerdings nur schwerlich die Ablehnung umfassender Einstandspflichten für staatliches Unrecht deduziert werden. Denn rechtswidrige hoheitliche Eingriffe in Grundrechte – mögen sie auch häufig sein – dürfen nicht schlicht als allgemeines Lebensrisiko abgetan werden, wodurch trotz der Handlungsherrschaft des Staates der Schaden alleinig dem betroffenen Bürger aufgebürdet würde.95 Eine solche Gleichsetzung von Unrecht und Unglück kann im Ergebnis nicht überzeugen.96 Gleichzeitig trägt auch das Argument nicht, der Bürger müsse als Profiteur des Staates individuell für dessen Fehlverhalten einstehen; denn ist es die Allgemeinheit, welche die Vorteile genießt, ist nicht ersichtlich, warum nicht auch sie in ihrer Gesamtheit die Risiken und Nachteile tragen soll.97 Mögen bereits diese Erwägungen nahelegen, dass eine Haftungsallokation beim Staat sinnvoller ist, begründet erst die Funktionalität der Staatshaftung in ausreichendem Maße auch deren Notwendigkeit. Staatliche Einstandspflichten haben nach heutiger Auffassung primär eine Ausgleichsfunktion inne:98 Dem in seiner persönlichen Rechtssphäre verletzten Bürger steht eine Dürig, JZ 1955, 521, 524 unter Berufung auf eine Aussage von Haas. in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 69. 94  Vgl. Dürig, JZ 1955, 521, 525, der es als „Entartungsform“ ansieht, wenn der Staat „als Wohlfahrtsstaat […] zum Versorgungsstaat würde.“ 95  Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 377  f.; Ossenbühl, Entwicklungen, S. 28; Ferschl, Aufopferungsanspruch, S. 198. 96  Schmidt, NJW 1999, 2847, 2849. 97  Vgl. Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 69. So kann aus ökonomischer Perspektive die steuerfinanzierte Staatshaftung als Versicherung gegen Staatsunrecht angesehen werden, da sie den einzigen Weg bildet, wie sich ein Bürger gegen potenziell existenzgefährdendes Hoheitshandeln „absichern“ kann. Vgl. Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 370. 98  Lange, Schadensersatz, S. 6 ff.; Motsch, JZ 1986, 1082, 1087; Kümper, Risikoverteilung, S. 152; jew. m. w. N. Streng terminologisch betrachtet mag man an der Aussagekraft dieser These Zweifel haben, denn bedeutet „Haftung“ ohnehin die Übernahme des Schadens durch den Schädiger, so droht die Ausgleichszweckbestim92  Vgl.

93  Morlok,

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Wiedergutmachung für den schädigenden Eingriff zu.99 Auf diesem Wege vermag die Haftung „dem Einzelnen ein höheres Maß an Handlungsfreiheit […] zu gewähren, indem die relative Sicherheit, auf Wiederherstellungs- und Schadensersatzansprüche zurückgreifen zu können, die Notwendigkeit mindert, sich vor der Zufügung von Schäden durch Dritte zu schützen.“100 Eng verwandt hiermit erweist sich der Gedanke der „Rechtsfortwirkung über eine eingetretene Rechtswidrigkeit hinaus“101, wonach sich das verletzte subjektive Recht gewissermaßen im Ersatzanspruch fortsetzt.102 Diese Kernfunktionalitäten103 werden durch sich zuweilen überschneidende Überlegungen ergänzt:104 So besagt das Verursacherprinzip, dass der Schaden auf den Schädiger als Verursacher abzuwälzen ist. Dies scheint nun insofern ungenau, als der Geschädigte ebenso wie der Schädiger den Schaden „verursacht“, also dessen notwendige Eintrittsbedingung gesetzt hat.105 Präziser ist es daher, vom Abwendbarkeitsprinzip zu sprechen, wonach der „Schaden […] grundsätzlich dem angelastet werden [soll], der ihn hätte vermeiden oder abwenden können oder sollen“.106 Zu fragen ist mithin, wem „schadenfreie Verhaltensalternativen am ehesten offenstanden und zumutbar waren, also mung zur „nichtssagenden Tautologie“ zu verkommen. Dazu Motsch, JZ 1986, 1082, 1087. 99  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 1  ff., 60  ff.; Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, S. 418. 100  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 22. So soll die „grundrechtlich getragene Handlungsfreiheit des Handelnden von wirtschaftlichen Risiken entlastet“ werden. 101  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 11; Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 761 ff. 102  Bereits dieser Gesichtspunkt deutet an, dass subjektive Rechte – allen voran die Grundrechte, deren Aufgabe darin liegt, Freiheitsräume zu gewährleisten – im Rahmen der Staatshaftung eine entscheidende Rolle spielen müssen. Vgl. Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 12. Zutreffend daher beispielhaft die Ansätze von Grzeszick, Rechte und Ansprüche, passim; Röder, Haftungsfunktion, passim; Höfling, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn.  1 ff.; Schoch, DV 2001, 261, 273 ff.; ähnl. auch Baumeister, Beseitigungsanspruch, passim; Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 101 ff. Ausführlich Dritter Teil: § 4, S. 188 ff. 103  Für eine erweiterte Betrachtung der Haftungsfunktionen Bullinger, in: FS für E. von Caemmerer, S. 297 ff.; anschließend Küch, Vertrauensschutz durch Staatshaftung, S. 83. 104  Motsch, JZ 1986, 1082, 1087; Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 343. 105  Adams, Ökonomische Analyse, S. 13  ff.; Rödig, Denkform der Alternative, S. 110 ff., insb. S. 125. 106  Motsch, JZ 1986, 1082, 1086 f.



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insbesondere [wer] Beherrscher des Ursprungs, sozusagen der Quelle des Schadensereignisses“107 ist. Diese Allokationskriterien offenbaren eine sekundäre Präventivfunktion der Haftung,108 die dem Beherrscher der Schadensquelle einen Anreiz zu rechtskonformem Verhalten und damit zur Schadensvermeidung setzt.109 Im Rahmen der Staatshaftung können sie die Gesetzbindung in besonderer Weise stärken:110 Indem dem Betroffenen adäquate Rechtsschutzmöglichkeiten zur Seite gestellt werden, kann er als Procurator iuris und Sachwalter der Allgemeinheit zur effektiven Rechtsdurchsetzung beitragen.111 Dennoch bleiben diese reflexiven rechtsstaatlichen Funktion „eher Wirkung als normative Vorgabe“112. Insbesondere darf nicht aus ihnen auf eine dem Haftungsrecht zuweilen implizit zugeschriebene, richtigerweise aber fremde Straffunktion geschlossen werden. Denn Sanktionserwägungen können allein keine staatliche Haftung begründen – vielmehr nimmt der Schadensersatz den Geschädigten in den Blick und will dessen Verluste ausgleichen, nicht aber den Schädiger unabhängig hiervon bestrafen.113 Schließlich entfalten die staatlichen Einstandspflichten eine nicht zu unterschätzende soziologische Bedeutung: Das Recht als solches nährt im Bürger eine normative Erwartung, dass sich Mitbürger und noch vielmehr der Staat gesetzestreu verhalten.114 Das Vertrauen auf rechtskonformes Verhalten ande107  Motsch,

JZ 1986, 1082, 1087. JZ 1986, 1082, 1087. 109  In Bezug auf die Staatshaftung bereits Bullinger, in: FS für E. von Caemmerer, S.  297, 304 ff.; Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 17; Motsch, JZ 1986, 1082, 1087 f. 110  Schoch, DV 2001, 261, 273 ff. Dieser Gedanke der Rechtsdurchsetzung findet auch im europäischen Haftungskontext starke Betonung. Ausführlich statt vieler Masing, Mobilisierung des Bürgers, S. 19 ff., 175 ff. Zu der ökonomischen Wechselwirkungen, die besonders im Rahmen der Präventivfunktion beachtlich sind Adams, Ökonomische Analyse, passim; Taupitz, AcP 1996, 114 ff.; Schäfer, AcP 1989, 501 ff. Indes kann eine ökonomische Analyse zwar aufschlussreich sein, rechtliche Überlegungen aber nicht überlagern oder gar obsolet machen. Dazu Kümper, Risikoverteilung, S. 159; Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 155 ff. 111  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 20; Masing, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann /  Voßkuhle (Hrsg.), Der Rechtsstatus des Einzelnen im Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 36; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 67 f. Ausführlich Masing, Mobilisierung des Bürgers, passim. 112  Kümper, Risikoverteilung, S. 155. 113  Dazu Stelkens, DÖV 2006, 770, 771; Kümper, Risikoverteilung, S. 158. Insofern missverständlich Morlok, DV 1992, 371, 377: „Rechtsbindung braucht […] Sanktion“. 114  Luhmann, Rechtssoziologie, S. 40 ff.; vgl. auch Morlok, in: FS für U. Palme, S. 291, 295. 108  Motsch,

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

rer bildet einen der Eckpfeiler moderner Gesellschaften,115 da die „ ‚Kosten‘ des Rechtsgehorsams […] ein rationaler Akteur nur auf sich [nimmt], wenn er die realistische Aussicht darauf hat, dass er auch in den Genuss des ‚Gewinns‘ der Rechtstreue in Gestalt rechtstreuen Verhaltens der anderen Rechtsgenossen kommen kann“.116 Im Falle einer Inkongruenz zwischen Erwartungshaltung und Realität bieten sich dem Betroffenen nur zwei Möglichkeiten: Entweder, er korrigiert seine Erwartung und „lernt“, dass die Welt schlicht nicht so sei, wie sie sein sollte.117 Oder aber es existieren adäquate „Mechanismen der Enttäuschungsabwicklung“, die eine „kontrafaktische Stabilisierung“118 des enttäuschten Vertrauens ermöglichen. Nur durch eine hinreichende Staatshaftung kann daher das legitime Widerstandsgefühl des Bürgers gegen eine rechtswidrige staatliche Behandlung gemildert und er auf das Prinzip des „dulde und prozessiere“119 verwiesen werden.120 II. Unterscheidung zwischen Primärrechtsschutz und Sekundärrechtsschutz Der Ausblick über die theoretische Begründung und die Funktionen der staatlichen Einstandspflichten ermöglicht ein fundiertes Verständnis der nun vorzunehmenden Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Schutzmechanismen. Grundsätzlich können aus einer Verletzung von subjektiven Rechten verschiedene Folgen resultieren, die nach unterschiedlichen Maßstäben geordnet werden können.121 Angesichts des verbreiteten „terminologischen Wild­ wuchses“122 bietet sich deshalb zunächst eine klare Abgrenzung der relevanten Kategorien und Begriffe an.123 Denn wegen der nur losen kodifikatori115  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 13. 116  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 16. 117  Vgl. Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 13; Luhmann, Rechtssoziologie, S. 42. 118  Luhmann, Rechtssoziologie, S. 53 ff. 119  Morlok, in: FS für U. Palme, S. 291, 298; Luhmann, Entschädigung, S. 22 ff.; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 66 ff. 120  Die Brisanz der gegenwärtigen Lage insbesondere im Hinblick auf das Europarecht betont Kluth, FAZ 16.11.2011 – Staatshaftungsrecht. Ohne Haftung! 121  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 64. 122  Morlok, DV 1992, 371, 374 f. mit Beispielen; vgl. auch Höfling, VVDStRL 2002, 260, 263. 123  Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth (Hrsg.), VerwR II, § 66, Rn. 1; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn.1 m. w. N.



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schen Verankerung vieler Rechtsinstrumente werden verschiedenen Termini zuweilen unterschiedliche Bedeutungen beigemessen, was in einem ohnehin schon unübersichtlichen Rechtsfeld zu zusätzlichen Unklarheiten führen kann und den Rationalitäts- und Ordnungsanspruch des Verwaltungsrechts besonders herausfordert.124 Im Sinne einer effektiven Debatte und Systembildung ist es deshalb sinnvoll, nachvollziehbare begriffliche Strukturen zu schaffen. Auch wenn der so vorzunehmenden Ordnung der Ansprüche eine „heuristische Funktion“125 zukommt und die Kategorisierung bestimmte Strukturmerkmale verdeutlicht, findet sie keinen verbindlichen Anhaltspunkt im geschriebenen Recht oder gar in der Verfassung und bleibt somit letztlich rein deskriptiver Natur.126 Während dies nicht ihre Vorteile schmälert, dürfen deshalb nicht etwa aus der begrifflichen Verselbstständigung eigene Konsequenzen abgeleitet werden – vielmehr bleibt sie lediglich verständnisfördernd, nicht aber unmittelbar rechtlich relevant. Welche Rechtsfolgen aus einer Rechtsverletzung resultieren, muss von der Strukturierungsweise unabhängig und allein im Hinblick auf die Normen der Rechtsordnung untersucht werden.127 Anders gewendet: Ein Rechtsinstitut gewinnt nicht deshalb bestimmte Charakteristika, weil es der ein oder anderen Kategorie zugeschrieben wird; vielmehr wird es aufgrund seiner Eigenschaften eingeordnet.128 Unter diesem Vorbehalt wird der Bearbeitung die weitgehend geläufige Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz zugrunde gelegt, die sowohl Zuordnung als auch Analyse der relevanten Institute erleichtert. Grundsätzlich umfasst das öffentliche Primärrecht alle öffentlich-recht­ lichen Normen, die Rechte und Pflichten des Staates und der Bürger in Beziehung zum Staat regeln.129 Da der Idealzustand vollständiger Regelkonformität130 jedoch in der Realität nicht einzuhalten ist, muss die Rechtsordnung Vorsorge für den Fall einer Verletzung des Primärrechts treffen.131 Verfas124  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 3. 125  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 65. 126  Vgl. Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 10; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 65. 127  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 65. 128  Vgl. zum Problem der empfundenen Interdependenz von Rechtsinstituten und deren Bezeichnung oder Kategorisierung im Bereich der Staatshaftung: Röder, Haftungsfunktion, S.  205 f. Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 237; Kreft, Aufopferung, S. 33. 129  Morlok, DV 1992, 371, 376; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 63. 130  Kloepfer, JZ 1979, 209, 210. 131  Brugger, JuS 1999, 625, 628; Schoch, DV 2001, 261.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

sungsrechtliche Anhaltspunkte für diese staatlichen Einstandspflichten,132 die zuweilen sogar als „Ursprung und Basis“ des Rechtsstaates nach modernem Verständnis bezeichnet werden,133 finden sich vor allem in den Grundrechten und in der Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt in Art. 20 Abs. 3 GG, welche Art. 19 Abs. 4 GG einer gerichtlichen Überprüfung unterwirft. Ohne wirkungsvolle Sanktionen könnte diese jedoch kaum als effektiv angesehen werden.134 Um diesen Anforderungen zu genügen und Recht und Realität wieder in Übereinstimmung zu bringen, gewährt das öffentliche Sekundärrecht bei Missachtung des Primärrechts Rechtsschutz.135 Ihm kommt dabei wie besehen eine bedeutsame Doppelfunktion zu: Zuvörderst bewirken die staatlichen Einstandspflichten eine individuelle Absicherung, wirken darüber hinaus aber bereits präventiv auf die bestmögliche Einhaltung des Primärrechts hin.136 Während rechtswidriges, aber nicht zwingend verschuldetes Verhalten des Staates demnach die Grundvoraussetzung der Rechtsschutzansprüche bil­ det,137 besteht ihr vorrangiges Ziel in der Herstellung des geschützten Idealzustands.138 Ist diese nicht, oder nicht vollständig durch Störungsbeseitigung möglich, reagiert das öffentliche Sekundärrecht strukturell nach dem Prinzip der Rechtmäßigkeitsrestitution139 auf eine Verletzung der primären Normen subsidiär restitutiv oder kompensatorisch.140 Hinsichtlich der resultierenden 132  Vgl. zum Terminus BVerwG, DVBl. 2010, 1434 (1436); Enders, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn.  1 ff.; Durner, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), GG, Art. 74 I Nr. 25, Rn. 20 f. 133  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 63. 134  Morlok, DV 1992, 371, 377. 135  Schoch, DV 2001, 261; Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Einl., Rn. 231; Axer, DVBl. 2001, 1322. 136  Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Einl., Rn. 230; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 11; Ausführlich zur Präventivfunktion des Haftungsrechts durch drohende Kostenbelastungen Wagner, AcP 2006, 352, 454 f. und Reinert, in: Bamberger / Roth (Hrsg.), BGB, § 839, Rn. 0.7 m. w. N. 137  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 52 f.; Morlok, DV 1992, 371, 384 f. 138  Morlok, Verfahrensfehler, S. 58; Bender, DÖV 1968, 156 ff. 139  Zu diesem Prinzip grundlegend Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.; Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 2 ff.; Morlok, DV 1992, 371, 378 weist darauf hin, dass es sich um einen Grundsatz handelt, von Abweichungen zwar möglich sind, aber in besonderem Maße begründungsbedürftig bleiben. 140  Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Einl., Rn. 231; Morlok, DV 1992, 371, 385 f.; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aß-



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Ansprüche wird deshalb differenziert zwischen solchen, die gegen das rechtsverletzende Verhalten selbst gerichtet sind und ihren Folgeansprüchen: dem Staatshaftungsrecht.141 Dieser Unterscheidung korrespondiert die Gliederung in primären und sekundären Rechtsschutz.142 1. Der Primärrechtsschutz Der auf die Aufhebung und Beseitigung staatlichen Unrechts zielende Primärrechtsschutz bildet die erste Stufe des öffentlichen Sekundärrechts. Aus einer Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts resultieren demnach prinzipiell in gleichem Umfang gegenläufige Ansprüche.143 Dieser Grundgedanke kommt exemplarisch in der Anfechtungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO als kodifiziertem „verallgemeinerungsfähigem Prototyp“144 zum Ausdruck. Ob es sich bei den einzelnen Ansprüchen um bloße Ausprägungen eines einheitlichen, grundrechtlichen Schutzanspruches oder um eigenständige, aus einfachrechtlichen Grundnormen entwickelte Institute handelt, ist umstritten und letztlich eine Frage der rechtlichen Herleitung, die jedoch die Existenz und Anerkennung der einzelnen Anspruchsgrundlagen nicht im Zweifel ziehen kann. Im Rahmen einer Untersuchung des gegenwärtigen Schutzes der Berufsfreiheit kann eine Entscheidung zwischen den zu erläuternden Ansätzen daher dahinstehen. Vielmehr ist an dieser Stelle zunächst eine Darstellung der bestehenden und von der Rechtsprechung angewandten primären Rechtsschutzinstrumente von Interesse. a) Der allgemeine Unterlassungsanspruch Der allgemeine rechtsgüterindifferente öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch dient der Wahrung der grundrechtlich geschützten Integrität und soll künftige Rechtsverletzungen verhindern. Im Prozess des Staatshandelns können Bedrohungsszenarien bereits im Vorfeld des eigentlichen Hoheitsakts auftreten; ebenso kann aber eine Rechtsbeeinträchtigung andauern oder weitere Verletzungen und Wiederholungen können zu besorgen sein. Tatbemann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 85 ff. m. w. N.; allesamt mit Hinweisen auf die grundrechtlichen Wurzeln dieser Abstufung. 141  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 65 f. 142  Statt vieler nur Höfling, VVDStRL 2002, 260, 263 f. 143  Schoch, VerwArch 1988, 1, 35; Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 5; Röder, Haftungsfunktion, S. 199 ff. m. w. N. Dabei kommt es auf die rechtstechnische Umsetzungsform – also ob ispo iure Nichtigkeit eintritt, oder der Rechtsakt lediglich vernichtbar wird – nicht an, worauf Morlok, DV 1992, 371, 378 zutreffend hinweist. 144  Rupp, DVBl. 1972, 232; Morlok, DV 1992, 371, 379.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

standlich ist deshalb für den Unterlassungsanspruch ausreichend, dass eine Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts durch eine hoheitliche Maßnahme droht oder andauert, ohne dass eine Duldungspflicht des Bürgers besteht.145 Im Bereich der Berufsfreiheit ergeben sich zahlreiche Bedrohungsszenarien insbesondere durch faktisches Verwaltungshandeln: Beispielsweise können öffentlich-rechtliche Immissionen einen Betrieb in seiner Funktion beeinträchtigen; von noch größerer Bedeutung sind öffentliche Äußerungen, insbesondere Produktwarnungen, die sich für ein gesamtes Unternehmen existenzgefährdend auswirken können.146 Aufgrund des kaum bestreitbaren Schutzbedürfnisses des ungestörten Status negativus ist der Unterlassungsanspruch als eigenständiges Institut in der Rechtsprechung allgemein anerkannt.147 Die Einigkeit hinsichtlich des Tatbestands des Anspruchs findet jedoch keine Entsprechung in der Anspruchsbegründung. Vielmehr lassen die Gerichte einen einheitlichen Ansatzpunkt vermissen und tendieren zuweilen zu einer freiheitsrechtlichen Begründung,148 halten aber als Herleitung auch das Rechtsstaatsprinzip oder einen Rückgriff auf den allgemeinen Rechtsgedanken, der in den zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen aus §§ 12, 864 und vornehmlich § 1004 BGB zu Tage tritt, für geeignet.149 Überwiegend begnügen sich die Richter indes damit, die Rechtsgrundlage offen zu lassen oder beide Ansätze als wechselseitig bestärkend anzusehen,150 was im Hinblick auf aus der Rechtsgrundlage resultierende Unterschiede hinsichtlich der Reichweite und des Verhältnisses zu anderen Regelungen fragwürdig scheinen mag.151 Da die Diskussion um die 145  Baldus, in: Baldus / Grzeszick / Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rn. 82 ff.; Ossen­ bühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 373 ff.; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S.  247 ff.; Sproll, JuS 1996, 313, 316; Baur, JZ 1966, 381; speziell zur Problematik der vorbeugenden Unterlassungsklage Kopp / Schenke, VwGO, Vorb. § 40 Rn. 33 ff. 146  Vgl. z. B. BVerwGE 87, 37; BVerfG, NJW 2002, 2621; OVG Münster, NJW 1986, 2783; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 16 Rn. 1 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung zu den einzelnen Fallgruppen. 147  Vgl. nur Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S.  247 und BVerwG, NJW 1988, 2396. Das Bestehen des Unterlassungsanspruchs stehe „außer Zweifel“ bzw. sei „unbestritten“. 148  BVerwGE 79, 254 (257); VGH BW, NJW 1986, 340 f.; OVG NW, NJW 1986, 2783. 149  VGH BW, NJW 1985, 2352 ff.; BVerwGE 79, 254 (257); Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 353. 150  BVerwGE 79, 254 (257); ESVGH 32, 112 ff.; OVGE 33, 409 (413); 36, 239 (241 ff.). 151  Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 106 f.



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Rechtsgrundlage typischerweise jedoch im Zusammenhang mit dem Folgenbeseitigungsanspruch geführt wird,152 soll sie aus Gründen der Übersichtlichkeit ebenfalls dort dargestellt werden. b) Der Folgenbeseitigungsanspruch als Sonderkonstrukt zwischen Primärrechtsschutz und Sekundärrechtsschutz Eine prominente Sonderstellung im System des öffentlichen Sekundärrechts nimmt der Folgenbeseitigungsanspruch ein.153 Unter diesem Begriff sammelt sich eine „verwirrende Vielfalt an Qualifikationen“154, denen eine Grundidee gemeinsam ist: Soweit hoheitliches Handeln nicht durch einen Unterlassungsanspruch abgewehrt werden konnte und tatsächliche Folgen nach sich gezogen hat, seien diese prinzipiell zu beseitigen.155 Begreift man das Rechtsinstitut damit als eine Art fortgesetzten oder umgewandelten Unterlassungsanspruch, wird die Relevanz für die Berufsfreiheit manifest. In aller Regel zieht in diesem Bereich das rechtswidrige staatliche Handeln erhebliche nachteilige Konsequenzen nach sich, welche die Betroffenen zu beseitigen suchen.156 Bedingt durch Unsicherheiten hinsichtlich seiner Rechtsgrundlage und der genauen Rechtsfolgen ist bereits umstritten, ob der Folgenbeseitigungsanspruch überhaupt noch dem Primärrechtsschutz zuzuordnen ist. Zuweilen wird eine Charakterisierung als Ersatzanspruch des Staatshaftungsrechts vertreten,157 wobei insbesondere im Hinblick auf die von der Rechtsprechung 152  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 45 m. w. N. 153  Diese beweisen allein die neueren Arbeiten über dieses Rechtsinstitut, vgl. Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, passim; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, passim; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, passim. 154  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 265 Fn. 21; dazu auch Enders, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn.  47 f. 155  Zu der schwierigen Grenzziehung zwischen dem Unterlassens- und Beseitigungsanspruch vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S.  108 m.N.; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 246 spricht gar von „fließenden Übergängen“. 156  Besondere Relevanz kommt dabei behördlichen Aussagen zu, insbesondere produktbezogenen Warnungen (BVerwGE 87, 37). Vgl. zu weiteren für die Berufsfreiheit einschlägigen Konstellationen Faber, NVwZ 2003, 159 ff. 157  Rüfner, in: Ehlers (Hrsg.), VerwR, 11. Aufl. 1998, § 48 Rn. 28; Schoch, DV 2001, 261, 263 ff.; in diese Richtung auch Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 146. Bemerkenswerter Weise ordnete auch das StHG 1981 den Folgenbeseitigungsanspruch in § 3 Abs. 1 den Schadensersatzansprüchen zu.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

praktizierte Rechtsfolge158 eine Zuordnung zum primären Rechtsschutz näher liegt und er deshalb an dieser Stelle erläutert wird.159 (1) Herkunft und Begründung Während einzelne Ansprüche auf Folgenbeseitigung in Spezialgesetzen160 kodifiziert sind, existiert vergleichbar mit dem Unterlassungsanspruch keine geschriebene materiell-rechtliche Grundlage für einen allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch. Indes wird ein solcher vom Prozessrecht – insbesondere in § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO – vorausgesetzt.161 Das Fehlen einer explizit kodifizierten Wurzel führt dazu, dass sich trotz der mittlerweile über 60 Jahre anhaltenden Debatte162 bezüglich der Rechtsgrundlage des Folgenbeseitigungsanspruchs immer noch ein „höchst verwirrendes“ Bild ergibt.163 Die heute anzutreffenden Grundströmungen gehen im Wesentlichen auf die Konzepte der Vordenker in der Literatur zurück und wurden über die Jahre immer weiter verfeinert.164

158  Hierzu

sogleich (3), S. 58 ff. auch Axer, DVBl. 2001, 1322; Maurer, VerwR, § 29 Rn. 6; Höfling, VVDStRL 2002, 260, 265. Diese Zuordnung teilen auch Autoren, die sowohl den Unterlassungsanspruch als auch den Folgenbeseitigungsanspruch als sich lediglich in der Rechtsfolge unterscheidende Ausprägungen eines einheitlichen Schutzanspruches begreifen – so Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 352 ff. und Schoch, Jura 1993, 478, 481. Morlok, DV 1992, 371, 378 ff. verortet den Folgenbeseitigungsanspruch auf einer dritten Ebene zwischen primärem Rechtsschutz und Kompensation. 160  Diese finden sich vor allem in Sonderregelungen der Landespolizeigesetze, vgl. nur § 21 ME PG; § 46 PolG BW; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 360; Schoch, Jura 1993, 478, 480 jew. m. w. N. 161  Maurer, VerwR, § 30 Rn. 4; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 114; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 360 Fn. 74 m. w. N. aus anderen Prozessordnungen. 162  Vgl. Fiedler, NVwZ 1986, 969; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 38 f. 163  So Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 360; zu den vielfältigen Begründungslinien auch Brugger, JuS 1999, 625, 627; Schoch, VerwArch 1988, 1, 15 ff. m. w. N. 164  Während für eine Darstellung des gegenwärtigen Rechtsschutzes die genaue Herleitung des Folgenbeseitigungsanspruchs nicht entscheidend ist, da die Rechtsprechung unabhängig von der Entscheidung für eine rechtliche Verwurzelung die Rechtsfolgen apodiktisch festlegt, zeigt sie doch die Zerrissenheit des Instituts und ist insbesondere für die an späterer Stelle (Siehe Dritter Teil: § 2, S. 158 ff.) zu erläuternde Frage nach einer eventuellen Erweiterbarkeit des Folgenbeseitigungsanspruchs von entscheidender Bedeutung. Deshalb sollen im Folgenden zumindest die gedanklichen Grundströmungen kurz eingeführt werden. Dabei finden nur die wesentlichen Ansätze Erwähnung, ohne zu übersehen, dass es noch weitere Ansichten gibt, die indes häufig 159  Dafür



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit53

(a) Das Rechtsstaatsprinzip „Entdeckt“165 wurde der Folgenbeseitigungsanspruch im Kern von Bachof, der sich der vor allem durch die Exmittierungsfälle166 offenbar gewordenen „Lücke“ im Rechts staatlicher Einstandspflichten annahm.167 Eine Grundlage für den als Wiedergutmachungsinstrument für rechtswidrig-schuldlose Hoheitsakte konzipierten Anspruch fand er vor allem in Art. 20 Abs. 3 GG und in den landesrechtlichen Vorschriften über die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.168 Verstärkend trat eine Analogie zu den §§ 717 Abs. 2, 958, 302 Abs. 4, 600 Abs. 2 ZPO hinzu: Aus dem zugrundliegenden Rechtsgedanken ergäbe sich, dass die Verpflichtung zur Folgenbeseitigung eines Verwaltungsaktes im Falle seiner Aufhebung implizit in seiner vorläufigen Vollstreckbarkeit enthalten sei.169 (b) Analogieschluss zum Zivilrecht Obschon das Bedürfnis nach einem Folgenbeseitigungsanspruch in der Literatur anerkannt wurde, erfuhr die dogmatische Begründung Bachofs erhebliche Kritik, die sich insbesondere auf die Fundierung in Art. 20 Abs. 3 GG bezog. Das Rechtsstaatsprinzip sei als Lex imperfecta ungeeignet, um daraus konkrete Rechtsfolgen abzuleiten. Zwar verbiete es rechtswidriges Handeln der Verwaltung, träfe aber keine Aussage über die Folgen eines rechtswidrigen Hoheitsaktes.170 Bettermann bemühte deshalb einen Analogieschluss zu den zivilrechtlichen Normen §§ 1004, 861, 862, 12 BGB. Der auf ähnlichen Grundgedanken oder Kombinationen der Konzepte basieren. Vgl. dazu Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 205. 165  Haueisen, DVBl. 1973, 739. 166  Insbesondere in der Nachkriegszeit häuften sich Fälle, in denen Hauseigentümer nach einem erfolgreichen Vorgehen gegen die polizeirechtliche Einweisung von Obdachlosen auch deren Exmittierung erreichen wollten. Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 111; Schoch, VerwArch 1988, 1, 15 m. w. N. 167  Bachof, Folgenbeseitigungsanspruch, passim. Indes klang der Grundgedanke einer Beseitigung der Folgen von Hoheitsakten bereits 1933 in einer Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts an, PrOVGE 92, 108 (111); vgl. Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 5 f. m. w. N. zur Rechtsprechung. 168  Bachof, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 128. Explizit auf das Rechtsstaatsprinzip verweisend auch Krüger, DVBl. 1955, 208, 210 ff.; Oldiges, DÖV 1977, 75, 78; Vogel, DVBl. 1978, 657, 661. 169  So Bachof, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 128, der allerdings im Vorwort (S. XV) der Folgeauflage selbst zugestand, man könne „diese Krücke heute entbehren“, vgl. dazu die Kritik von Bettermann, DÖV 1955, 528, 531 ff. 170  Vor allem Bettermann, DÖV 1955, 528, 531 ff.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

wiederherstellende Beseitigungsanspruch sei aus einem „Gebot der Gerechtigkeit“ begründet, welches den Staat genau wie die Bürger binden müsse.171 Daher entstehe im Falle eines rechtswidrigen hoheitlichen Eingriffs ein quasi-negatorischer Wiederherstellungsanspruch, der nicht so sehr auf die Beseitigung der Folgen, sondern vielmehr des rechtswidrigen Zustands selbst ziele.172 (c) Statusverletzung und Grundrechte Rupp hingegen versteht den Folgenbeseitigungsanspruch als Reaktionsanspruch wegen Statusverletzungen.173 Dabei schließt er in aktionsrechtlichem Denken von der prozessualen Möglichkeit der Geltendmachung auf das Vorhandensein eines materiellen Rechts. So zeige § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, der dem Richter die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts aufgibt, dass der öffentlich-rechtliche Reaktionsanspruch auf die Beseitigung der Statusverletzung zielt. Die Anfechtungsklage sei damit als primäre Beseitigungsklage zu erfassen und wird vom sekundären Folgenbeseitigungsanspruch ergänzt, um einen umfassenden reaktionsrechtlichen Schutz des Status negativus zu erreichen.174 Einen verwandten Ansatz entwickelte Weyreuther, der jedoch den Folgenbeseitigungsanspruch dogmatisch direkt aus den Grundrechten ableiteten will.175 Maßgeblich sei dabei der abwehrrechtliche Gehalt der Freiheitsrechte. Aus der Verletzung des Status negativus könnten Rechte erwachsen, insbesondere ein solches auf Beseitigung der Beeinträchtigung.176 Weyreuther bedient sich der „überkommenen und anerkannten“177 Auffassung, dass zumindest der Unterlassungsanspruch gegen hoheitliche Eingriffe implizit in den 171  Bettermann, DÖV 1955, 528, 534 ff.; anschließend auch Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  119 ff.; Schleeh, AöR 1967, 58, 76 ff. 172  Vgl. auch Schoch, VerwArch 1988, 1, 16; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 45. 173  Rupp, Grundfragen, S. 153 ff., 221 ff., 258; in diese Richtung später auch Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 75 ff. 174  Rupp, Grundfragen, S. 174 ff.; Rupp, DVBl. 1972, 232 f.; Heidenhain, JZ 1968, 757 ff.; Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 76 ff.; Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 69 f.; vgl. dazu Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 362 und Schoch, VerwArch 1988, 1, 17 insb. Fn. 97 m. w. N. 175  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 78 ff. Ebenso Baumeister, Beseitigungsanspruch, S.  6 ff.; Böß, Vergleich, S. 23; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.  127 ff.; Naumann, in: GS für W. Jellinek, S. 391, 398; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S.  19 ff. 176  Vgl. auch Lübbe-Wolff, Abwehrrechte, S.  33 ff.; Stern, Staatsrecht III / 1, S.  426 ff. 177  So Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 362.



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Freiheitsrechten enthalten sei. Anstatt eine neue dogmatische Grundlage für den Folgenbeseitigungsanspruch zu suchen, konstruiert er diesen als „ein[en] umgewandelt[en], ein[en] der geschehenen Rechtsverletzung angepasst[en] Unterlassungsanspruch“.178 Seiner Auffassung gemäß gehen damit die Ansprüche auf Unterlassen und Folgenbeseitigung mit den Grundrechten auf dieselbe Rechtsgrundlage zurück und stellen nur verschiedene Ausprägungen eines Schutzanspruches dar.179 (d) Rechtsprechung Vor dem breiten Meinungsspektrum in der Lehre erscheint es verwunderlich, dass sich die Rechtsprechung in ihren frühen Entscheidungen zum Folgenbeseitigungsanspruch kaum zu dessen Grundlage äußerte.180 Zu einer Stellungnahme ließ sich das BVerwG erst 1971 hinreißen. Ohne eingehendere Auseinandersetzung hielt es den Folgenbeseitigungsanspruch „als Rechtsinstitut für mit den Freiheitsgrundrechten bzw. – was insoweit keinen prinzi­ piellen Unterschied mach[e] … – dem Vorbehalt des Gesetzes“ für gegeben.181 Von dieser weiten Auffassung hingegen nahm das Gericht in der Bardepot-Entscheidung182 Abstand und führte aus, es sähe „die rechtliche Grundlage des Folgenbeseitigungsanspruchs in Art. 20 Abs. 3 GG, durch dessen Regelungen die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden wird. Daraus [ließe] sich die Verpflichtung der vollziehenden Gewalt ableiten, die rechtswidrigen Folgen ihrer Amtshandlung wieder zu beseitigen.“183 Wenig kritisch schloss sich die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit den Aussagen des BVerwG an und perpetuierte diese, ohne vertieft auf die dogmatischen Grundlagen des Folgenbeseitigungsanspruchs einzugehen.184 ­ Selbst wenn die Gerichte von dem Rechtsstaatsprinzip als Begründung vereinzelt Abstand nahmen, stützten sie den Folgenbeseitigungsanspruch nicht auf den in der Literatur wohl herrschenden Rekurs auf die Freiheitsgrund178  Weyreuther,

Gutachten B zum 47. DJT, S. 85. Gutachten B zum 47. DJT, S. 90. Stützen konnte er sich dabei auf Vorarbeiten von Naumann, in: GS für W. Jellinek, S. 391, 398. Vgl. Schoch, Verw­ Arch 1988, 1, 18. 180  Vgl. nur BVerwG, DVBl. 1959, 580 (581); DVBl. 193, 677 (678); BVerwGE 35, 268 (272 f.). 181  BVerwG, DVBl. 1971, 858. Vgl. auch die Anmerkungen Bachof, DVBl. 1971, 859; Rupp, DVBl. 1972, 232; Erichsen, VerwArch 1972, 217; Hoffmann-Becking, JuS 1972, 509. 182  BVerwGE 69, 366. 183  BVerwGE 69, 366 (370); mit Rekurs auf die Freiheitsrechte hingegen BVerw­GE 82, 24 (25); offen gelassen in BVerwGE 82, 76 (96). 184  Vgl. Schoch, VerwArch 1988, 1, 21 ff. m. w. N. 179  Weyreuther,

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

rechte185, sondern bemühten den Analogieschluss zu § 1004 BGB.186 Teilweise verzichten die Richter vollständig auf die Angabe einer dogmatischen Grundlage und verweisen vielmehr nur lapidar auf die gewohnheitsrechtliche Geltung.187 Die Lustlosigkeit und Gleichgültigkeit der Gerichte kann damit erklärt werden, dass die Rechtsprechung die Rechtsfolge des Folgenbeseitigungsanspruchs konkret und weitgehend unabhängig von seiner Fundierung festgelegt hat. Ein solches Vorgehen ist zunächst rechtsdogmatisch unbefriedigend, aber insbesondere angesichts der Tatsache bedenklich, dass die genauen Rechtsfolgen und Tatbestandsmerkmale von der Rechtsgrundlage abhängen.188 Zu Recht wird daher der Folgenbeseitigungsanspruch als „Kuriosität“ bezeichnet, da er zwar allgemein anerkannt ist, jedoch kein Konsens über seine dogmatische Fundierung besteht.189 (2) Tatbestand Anders als die exakte Rechtsfolge wird der Tatbestand des Folgenbeseitigungsanspruchs in seinen Grundzügen einheitlich skizziert. Er findet seinen Ausgangspunkt in der Verletzung eines subjektiven Rechts durch einen hoheitlichen Eingriff.190 Anders als bei dem klassischen Vollzugsfolgenbeseiti185  Vgl. Maurer, VerwR, § 30 Rn. 8; Schoch, DV 2011, 397, 398; Faber, NVwZ 2003, 159, 160. 186  BayVGH, BayVBl. 1990, 627; BayVBl. 2001, 115; VGH BW, VBlBW 1990, 337; HessVGH, NJW 1993, 3088 f.; vgl. auch Enders, DV 1997, 29 f. 187  Vgl. die Entscheidungen derselben Gerichte nur wenige Jahre später BayVGH, BayVBl. 1999, 463; BayVBl. 2004, 50; VGH BW, DVBl. 1999, 176 (180). 188  Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 73 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  364 ff.; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 114; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 15, 26, 117; Schoch, DV 2011, 397, 399 insb. zur Frage einer umfassenden Wiedergutmachung. 189  Schoch, VerwArch 1988, 1, 31. 190  Maurer, VerwR, § 30 Rn. 7 ff.; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S.  229 ff.; Baldus, in: Baldus / Grzeszick / Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rn. 37 ff.; vgl. BVerwG, NVwZ 2011, 1388. Die Einschränkung auf Verwaltungsakte wurde von der Rechtsprechung bereits früh aufgegeben (vgl. BVerwG, DVBl. 1971, 858 (860)), sodass heute die Handlungsform irrelevant ist und insbesondere auch die Folgen von Realakten wie Äußerungen und Immissionen umfasst sind. Im Gegensatz zum Verwaltungsakt als eindeutiger staatlicher Handlungsform muss bei diesen Eingriffsformen ermittelt werden, ob sie auch hoheitlich, also letztlich dem Staat noch zurechenbar sind. Bei Warnungen und Äußerungen kommt es entscheidend da­rauf an, ob die Zuständigkeiten gewahrt wurden und die dienstliche Autorität genutzt wurde (BVerwG, NJW 1987, 2529 (2530)). Richterliche Akte scheiden dabei nach dem in § 839 Abs. 2 S. 1 BGB verankerten Rechtsgedanken aus. Ebenso sind grundsätzlich Legislativakte nicht über den Folgenbeseitigungsanspruch rückgängig zu machen, da



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gungsanspruch, der die Rechtswidrigkeit des eingreifenden Verwaltungsakts und der herbeigeführten Folge voraussetzt, reicht es für den allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch aber aus, dass ein möglicherweise auch pflichtgemäßer öffentlicher Akt einen rechtswidrigen Zustand nach sich zieht.191 Obwohl der Folgenbeseitigungsanspruch rechtsgüterindifferent ist, dominieren in der Praxis die Fälle des Grundeigentumsschutzes; zunehmend beschäftigt die Gerichte auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht.192 Der Schutzbereich des Art. 12 GG wird vor allem virulent, wenn es um Immissionsbeseitigung und Produktwarnungen von öffentlicher Hand geht.193 Ausgelöst durch eine Aussage des BVerwG in der Bardepot-Entscheidung194, wurde – parallel zur Problematik beim enteignungsgleichen Eingriff195 – die Frage aufgeworfen, ob neben aktivem Tun auch behördliches Unterlassen einen Folgenbeseitigungsanspruch hervorrufen kann.196 Im Vordergrund dieser Diskussion steht dabei weniger die Frage nach der Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen, sondern vielmehr, inwiefern der Folgenbeseitigungsanspruch von seiner Schutzrichtung auf solche Fallgestaltungen passt. Eine Gleichbehandlung erscheint zunächst gerechtfertigt, wenn nach einem vorherigen aktiven hoheitlichen Eingriff das rechtswidrige Unterlassen er nicht „als Sanktion für Fehlentscheidungen des Gesetzgebers gedacht ist“, Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  375; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  225 ff.; Schenke, DVBl. 1975, 121, 123; Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 73. 191  Vgl. BVerwGE 94, 100 (107 ff.); Gerhardt, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Vorb. § 113, Rn. 8; Schoch, DV 2011, 397, 403; Detterbeck / Windthorst /  Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 230. Während rechtswidrige Zustände zwar nachträglich legalisiert werden können und damit den Folgenbeseitigungsanspruch entfallen lassen, ist eine bloße Möglichkeit der Legalisierung nicht ausreichend, vgl. Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 383; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 231 f. Zwischen dem Verwaltungshandeln und dem rechtswidrigen Zustand muss überdies ein hinreichender Kausalzusammenhang bestehen, der in den wenigsten Fällen problematisch ist. Dazu nur Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  387 ff.; Schoch, DV 2011, 397, 404. 192  Vgl. Brugger, JuS 1999, 625, 627; Schoch, DV 2011, 397, 400 f. Zu der vorliegend nicht relevanten Frage, inwiefern auch einfache subjektive Rechte umfasst sind, Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 374. 193  Vgl. nur Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 374; Faber, NVwZ 2003, 159 ff. 194  BVerwGE 69, 366 (367). So sollte der Folgenbeseitigungsanspruch „nicht alle rechtswidrigen Folgen [abdecken], die durch ein Tun oder Unterlassen der vollziehenden Gewalt“ einträten. 195  Ausführlich Vierter Teil: § 2 A.I., S. 256 ff. 196  So OVG Lüneburg, DVBl. 1962, 63 (65); Brugger, AöR 1987, 389; 442 ff.; vgl. auch Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 50 f.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 377; Schoch, DV 2011, 397, 402.

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zu weiteren Verletzungen der geschützten Rechtsposition führt.197 Sehr zweifelhaft ist hingegen, ob die für die Berufsfreiheit sehr bedeutsamen Fälle der nicht erfolgten Zulassung zu einem Studium oder einer Prüfung,198 sowie die Verweigerung der Erteilung von Genehmigungen als pflichtwidriges ­Unterlassen den Folgenbeseitigungsanspruch auslösen können.199 Mag eine Gleichsetzung von Tun und Unterlassen auf den ersten Zugriff auch naheliegend erscheinen, so darf nicht übersehen werden, dass es sich strukturell um Leistungsansprüche handelt, die ungeachtet des behördlichen Unterlassens weiter bestehen. Des Weiteren ist der Status quo ante ja gerade unverändert, kann also auch nicht „wiederhergestellt“ werden. Einschlägig bleibt damit für die Verfolgung des primären Anspruchs weiterhin die einfache Leistungsklage, ohne dass es eines Rückgriffs auf den Folgenbeseitigungsanspruch bedürfte.200 Als letzte denknotwendige Voraussetzung muss der durch die Beeinträchtigung geschaffene rechtswidrige Zustand fortdauern. (3) Begrenzte Rechtsfolge Unmittelbar aus den verschiedenen Begründungsansätzen resultiert die Diskussion um die genaue Rechtsfolge des Folgenbeseitigungsanspruchs. Das Meinungsspektrum reicht dabei von einem restriktiv zu handhabenden reinen Störungsbeseitigungsanspruch bis hin zu einem umfassenden öffent-

197  VGH BW, VBlBW 1993, 337 (339); BayVGH, BayVBl. 2000, 345 (346); ausführlich Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 157 ff., die diese Fallgruppe jedoch aufgrund des Schwerpunktes der Vorwerfbarkeit dem Tun zuordnen will. 198  VGH BW, JZ 1984, 999; BayVGH, DVBl. 1981, 1158 (1159). 199  BVerwG, DVBl. 1961, 447; BGHZ 37, 176 (181). 200  So bereits Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 76  ff., 93 ff.; Schoch, Verw­Arch 1988, 1, 41; Schoch, DV 2011, 397, 402; Maurer, VerwR § 30 Rn. 9. Mag die Idee, Unterlassen durch den Folgenbeseitigungsanspruch aufzufangen, aufgrund der Tatbestandsstruktur zunächst fernliegend erscheinen, erklärt sie sich aus dem kaum bestreitbaren Rechtsschutzbedürfnis: Denn allein durch die Verzögerung kann es zu erheblichen Nachteilen kommen, wenn sich beispielsweise die rechtlichen oder tatsächlichen Umstände dergestalt verändert haben, dass der Leistungsanspruch nun nicht mehr begründet ist. In diesen Fällen haben aber die Gerichte – hinsichtlich der von ihnen praktizierten begrenzten Rechtsfolge des Instituts auch konsequent – Ansprüche auf Folgenbeseitigung mit der Begründung abgelehnt, die Wiederherstellung sei rechtlich unmöglich oder auf ein Ziel gerichtet, welches über den Status quo ante hinausginge. Vgl. BVerwG, DVBl. 1987, 1158; BVerwGE 28, 155; VGH BW, JZ 1984, 999; a. A. OVG NW, NWVBl. 1989, 143 f.; NdsOVG NJW 1992, 1979 f. Zu diesem Problem der Folgenbeseitigungslast siehe auch unter Zweiter Teil: § 1 B. II.1.f), S. 63  ff.; sowie Vierter Teil: § 2 B.II., S. 271  ff. und Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 378 sowie Schoch, Jura 1993, 478, 479 f., 482 f.



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lich-rechtlichem Wiedergutmachungsanspruch.201 In der an dieser Stelle relevanten Gerichtspraxis hat sich – trotz zwischenzeitlicher Unsicherheiten – mittlerweile ein überwiegend einheitliches Bild herauskristallisiert.202 (a) W  iederherstellung des Status quo ante – zwischen Restitution und Kompensation Nach der Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung in der Literatur zielt der Folgenbeseitigungsanspruch auf Herstellung des Status quo ante in natura;203 er bezweckt also verkürzte Restitution statt Kompensation:204 Anders als beispielsweise die Aufopferungs- oder Amtshaftung ist er im Regelfall nicht auf eine Geldzahlung205 gerichtet, sondern will den Zustand wiederherstellen, der im Zeitpunkt des rechtswidrigen Eingriffs bestanden hat.206 Daher ist die Folgenbeseitigung konstruktivistisch als ein Aliud zur Entschädigung und ein Minus zur Naturalrestitution aufzufassen.207 Unzutreffend ist somit die Aussage, es bestünde „kein Unterschied zum Schadensersatzanspruch nach § 249“208, da dieser auf die Herstellung209 eines hypothetischen Zustands gerichtet ist, der bestünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.210 201  Vgl. dazu ausführlich die Darstellung bei Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 391 ff. m.N. und Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn.48 ff. 202  Schoch, DV 2011, 397, 405 f.; Maurer, VerwR, § 30 Rn. 11 f.; Gerhardt, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Vorb. § 113, Rn. 9. 203  St. Rspr., vgl. BVerwGE 28, 155 (165 f.); 69, 366 (370 f.); BVerwG, DVBl. 1979, 852 (854 f.); DVBl. 1984, 1178; BayVBl. 1987, 541; vgl. Schoch, VerwArch 1988, 1, 23 f. und Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 393; jew. m. w. N. 204  So prägnant Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 367; vgl. Bender, JZ 1986, 838, 844; Köckerbauer, JuS 1988, 782 ff.; Redeker, DÖV 1987, 194 ff.; zu den Fragen, die diese Kurzformel unbeantwortet lässt vgl. Schoch, VerwArch 1988, 1, 43 f. 205  Indes kann die Wiederherstellung ohne weiteres in einer Geldzahlung bestehen, wie im beispielsweise Bardepot-Fall, BVerwGE 69, 366 (371); VGH BW, VBlBW 1988, 102 (103). 206  BVerwG, DVBl. 2001, 726 (731); vgl. auch Höfling, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 36. 207  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 368. 208  So aber BayVGH, BayVBl. 2004, 50 (51). Hingegen einen Schadensersatz verneinend, BVerwG, NJW 2001, 1878 (1882). 209  Insofern ist es ungenau, von einer Wiederherstellung zu sprechen, da der hypothetische Zustand denknotwendig noch nie bestanden hat. 210  Kritisch dazu auch die überwiegende Rechtsprechung, vgl. BVerwG, DVBl. 1979, 852 (854 f.); BVerwGE 40, 313 (322); Schoch, DV 2011, 397, 406; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 394; jew. m. w. N.

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Differenziert betrachtet wird in der Rechtsprechung, ob auch die Herstellung eines gleichwertigen Zustands umfasst wird, oder ob der Folgenbeseitigungsanspruch als Grundlage ausscheidet, wenn sich die identische ehemalige Lage nicht wiederherstellen ließe.211 Richtigerweise ist der Folgenbeseitigungsanspruch in seiner derzeitigen Ausprägung aber gerade keine reine Actio negatoria; zudem wird zurecht darauf hingewiesen, dass der konkrete vormalige Zustand bereits aufgrund der tatsächlichen Veränderung und schlicht des Zeitablaufs nie identisch wiederhergestellt werden kann.212 Da bei einer zu restriktiven Auslegung die Gefahr bestünde, dass eine Wiederherstellung nahezu immer unmöglich wäre und damit die grundrechtsschützende Funktion leerliefe, ist es insofern folgerichtig, die Herstellung eines gleichwertigen Zustands als legitime Folgenbeseitigung zu betrachten.213 Damit geht der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch in seinem Umfang sogar über das weite zivilrechtliche Verständnis hinaus,214 was zuweilen zu der Einschätzung führte, es handle sich nicht mehr um einen Beseitigungs-, sondern um einen Ersatzanspruch.215 211  Befürwortend OVG Hamburg, NJW 1978, 658 (659); VGH BW, NJW 1985, 1482; VBlBW 1983, 141 f.; in diese Richtung auch BVerwGE 38, 336 (346) und § 3 Abs. 1 S. 1 StHG 1981. Mit einem restriktiven Verständnis ablehnend VGH BW, VBlBW 1990, 102; BayVGH, BayVBl. 1992, 147; vgl. auch BGH, DVBl. 1963, 24 (25). 212  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 272; Schoch, DV 2011, 397, 407; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 368; Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S.  206 ff. 213  Vgl. Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 10 ff. m. w. N. Die drohende Absurdität demonstriert auch Bender, VBlBW 1990, 223, 225 am vieldiskutierten Mauerbeispiel des VGH BW, VBlBW 1990, 102: Denn die Möglichkeit eines identischen Wiederaufbaus der Mauer bestünde eigentlich nur bei Vorhandensein aller alten Steine in derselben Anordnung, wobei selbst dann die zeitliche Komponente Schwierigkeiten bereitete. Eine solche Verengung der Rechtsfolge kann jedoch nicht überzeugen. So auch BVerwGE 38, 336 (345 f.). Bereits Thomas von Aquin erweiterte seine Restitutionslehre auf die Leistung gleichwertigen Ersatzes, um den potenziellen Schutzlücken zu entgehen, vgl. Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 206. 214  Diese Entwicklung lässt sich zumindest teilweise daraus erklären, dass eine vergleichbare Sorge vor einem verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch im Verhältnis des Staates zum Bürger nicht besteht und die Rechtsprechung deshalb progressiver vorgeht. Vgl. dazu auch den Gedanken von Maaß, BayVBl. 1987, 520, 526, der ein Mitverschulden nicht hinsichtlich der unmittelbaren Folgen, sondern nur im Hinblick auf die mittelbaren Auswirkungen berücksichtigen will. 215  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 62 f., 139 f.; Bartelsperger, NJW 1968, 1697, 1704; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 361 f.; vgl. Röder, Haftungsfunktion, S. 271 m. w. N.; kritisch Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 50 f. m. w. N. Problematisch kann sich indes die Bestimmung eines gleichwertigen Zustands erweisen – keineswegs darf der Staat dabei ohne oder gegen den Willen des Betroffen ein Aliud



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit61

(b) Beschränkung auf „unmittelbare“ Folgen Nach einheitlicher Überzeugung der Gerichte müssen nur die „unmittelbaren“ rechtswidrigen Folgen einer hoheitlichen Handlung beseitigt werden.216 Findet sich das maßgebliche Kriterium der Unmittelbarkeit auch häufig als haftungsbegrenzendes Element im Staatshaftungsrecht,217 wird es mit ebensolcher Regelmäßigkeit als vager „Verlegenheitsbegriff“ kritisiert, der „überall dort auftauch[e], wo klare Grenzen (noch) fehl[ten].“218 Auch im Bereich des Folgenbeseitigungsanspruchs bereitet seine Feststellung mangels konkreter Kriterien im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten219 und lässt es „leerformelverdächtig“220 erscheinen. In hohem Maße anschaulich für diese problematische Grenzziehung zeigt sich die Bardepot-Entscheidung des BVerwG. Die Klägerin war aufgrund des Außenwirtschaftsgesetzes und einer ergänzenden Rechtsverordnung fälschlicherweise zur Depothaltung verpflichtet worden. Für die Aufnahme des nötig gewordenen Kredits fielen Zinsen in Höhe von ca. 93.000 DM an, die das Unternehmen im Rahmen eines Folgenbeseitigungsanspruchs geltend zu machen versuchte. Gestützt auf den Schutzzweck des Art. 20 Abs. 3 GG stellte das Gericht fest, dass die Unmittelbarkeit der Folgen jedenfalls dann221 zu verneinen sei, „wenn sie erst durch ein Verhalten des Betroffenen – oder eines Dritten – verursacht oder mitverursacht worden [seien], das auf dessen eigener Entschließung beruh[te]“.222 Während die Rückzahlung der Einlage vom Beseitigungsanspruch erfasst war, stelle der Verlust der Zinsen keine unmittelbare Folge des staatlichen Verhaltens dar. Fast schon zynisch mutet es an, wenn das BVerwG trocken konstatiert, die „Bardepotbescheide der Bekl. [seien] nicht unmittelbar auf die Aufnahme eines Kredits gerichtet, auch wenn diese Aufnahme im Falle der Kl. erforderlich gewesen sein [mochte], um den Bescheiden nachschlicht als gleichwertig festlegen. Vgl. Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 207. 216  BVerwG, DVBl. 2001, 744 (745); VGH BW, VBlBW 1994, 137 f.; BayVGH, BayVBl. 1999, 436 (437); HessVGH, NVwZ 1995, 300; Mit Hinweise auf ältere Rechtsprechung auch Schoch, VerwArch 1988, 1, 24. 217  Schoch, DV 2011, 397, 411. 218  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 368; ähnl. auch Nipperdey, NJW 1967, 1985, 1990. 219  Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 434 f. 220  Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Vor Art. 1, Rn. 87. 221  Diese Formulierung des BVerwG macht deutlich, dass die Mitverursachung zwar einen wichtigen, nicht aber den alleinigen Fall darstellt, in dem die „Mittelbarkeit“ der Folgen einer Folgenbeseitigung entgegensteht. 222  BVerwGE 69, 366 (368); ähnl. auch BVerwG, DVBl. 2001, 744 (745); VGH BW, VBlBW 1993, 26 (28); HessVGH, NVwZ 1995, 300 (302).

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

kommen zu können“.223 Damit träte eine eigene Willensentschließung zwischen Schaden und hoheitlichen Eingriff, die der Annahme der Unmittelbarkeit entgegenstünde. Die vorher schon mit einem Verfahren vor dem BGH gescheiterte Klägerin224 bekam im Ergebnis also keinen Ersatz für die aufgebrachte Zinslast. Nun mögen die vom BVerwG angewandten Kriterien zwar bei einem imperativen Eingriffsverständnis sinnvoll erscheinen, sie sind indes kaum mit dem modernen, materiell-normativen Eingriffsbegriff vereinbar.225 Hält man – entgegen gewichtiger Kritik in der Literatur – das Merkmal der Unmittelbarkeit dennoch zumindest abstrakt als Haftungsbegrenzungskriterium für geeignet, tun sich erhebliche Zweifel hinsichtlich seiner Herleitung aus dem Schutzzweck des Art. 20 Abs. 3 GG auf.226 Indes ist der Folgenbeseitigungsanspruch als „Geschöpf der Rechtsprechung“ in besonderem Maße auch hinsichtlich des Tatbestands und der Rechtsfolge von der Fortbildung der Richter abhängig.227 Dies entbindet zwar keineswegs von einer inneren dogmatischen Stringenz. Gerade für die hiesige Bestandsaufnahme bleibt aber an dieser Stelle lediglich zu konstatieren, dass der fak­tische Schutz des Folgenbeseitigungsanspruchs durch das Merkmal der U ­ nmittelbarkeit eine erhebliche Einschränkung erfährt, die in Abwesenheit klarer Voraussetzungen zudem eine signifikante Rechtsunsicherheit bedingt.228

223  BVerwGE

69, 366 (368). 83, 190. 225  Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 349; Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Vor Art. 1, Rn. 87; Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 226. 226  Kritik zu dieser fragwürdigen Begründung findet sich zuhauf, vgl. nur Bender, VBlBW 1985, 201, 203; Schoch, Jura 1993, 478, 484; Redeker, DÖV 1987, 194, 200; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 370 f. Hinsichtlich des Schutzzwecks werden letztlich die selbst angedeutete Ratio und das Ergebnis erwägungsleitend für das Gericht gewesen sein, vgl. BVerwGE 69, 366 (368): „Im übrigen wird durch diese Begrenzung auch eine sonst nicht mehr eindämmbare Ausuferung des Folgenbeseitigungsanspruchs vermieden, die zugleich zu einer Verwischung der Abgrenzung zwischen diesem Anspruch und dem Schadensersatzanspruch aus § 839 BGB und Artikel 34 GG führen würde.“ So auch Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 435 f. 227  So ausdrücklich Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 371. 228  Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 435. Dabei ist das zugrundeliegende Dilemma der Rechtsprechung zu beachten: Verzichtete man auf ein Einschränkungsmerkmal, rückte man in die Nähe eines allgemeinen, verschuldensunabhängigen Wiedergutmachungsanspruchs. Andernfalls aber verpflichtet man den Betroffenen zur ersatzlosen Duldung staatlicher rechtswidriger Eingriffe, ohne dass eine solche im Gegensatz zur Situation rechtmäßiger Eingriffe stringent begründbar wäre. So Hösch, DÖV 1999, 192, 195. 224  BGHZ



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit63

c) Die Folgenbeseitigungslast Ein frühes, weites Verständnis der Folgenbeseitigung umfasste auch die im Rahmen der Unterlassungsproblematik angedeuteten Sachverhalte, die heute indes unter dem Topos der Folgenbeseitigungslast diskutiert werden. Die prototypische Situation stellt sich wie folgt dar: Ein begünstigender Verwaltungsakt wird rechtswidrig verweigert, woraufhin sich die Sach- oder Rechtslage dergestalt verändern, dass der Anspruch nunmehr entfällt oder im Ermessen der Behörde steht.229 Solche Konstellationen können insbesondere im für diese Ausarbeitung relevanten Berufszulassungsrecht auftreten, wenn sich nach dem rechtswidrigen Unterlassen der Behörde die Zulassungsvoraussetzungen verschärfen. Während die Rechtsprechung für diese Sachverhalte eine Lösung über den Folgenbeseitigungsanspruch mit dem Argument ablehnt, letztlich würde ein Erfüllungsanspruch eingefordert, sucht sie in zweifelhafter Weise Abhilfe im Prozessrecht. Entscheidungserheblich sei ausnahmsweise das frühere, zum Zeitpunkt des Urteils aber nicht mehr in Geltung befindliche Recht, da sonst faktisch eine Rückwirkung des neueren Rechts stattfände. Maßgeblich ist demnach, wie der Bewerber bei rechtzeitiger und rechtmäßiger Behandlung seines Antrags stünde.230 Diese nur im Berufszulassungsrecht praktizierte Konstruktion231 sieht sich indes der Kritik einer reinen „prozessrechtlichen Verhüllung“ ausgesetzt.232 Bemerkenswert ist dabei, dass die Richter eine Bereitschaft erblicken lassen, von wesentlichen Prozessgrundsätzen abzurücken, um dem Betroffenen Abhilfe zu verschaffen. Denn grundsätzlich liegt es im Wesen der Leistungsklage, „daß ein Kläger, der eine Leistungsverurteilung erreichen will, einen im Zeitpunkt der Verurteilung bestehenden Anspruch […] vorweisen können [muss]. Ein Anspruch, der ihm lediglich einmal zugestanden hat, wäre allen229  Zu diesen Fällen Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 49 ff.; 53 f.; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 133. Darüber hinaus vertieft zu den problematischen Dreiparteienverhältnissen nur Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 524 ff.; Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 20 ff. 230  Instruktiv dazu BVerwG, NJW 1961, 1275: „Rechtsstaatliche Erwägungen“ geböten es, die „Zulassung eines Bewerbers zu einer beruflichen Betätigung auch dann auszusprechen, wenn die Zulassung zwar nach dem während des Rechtsstreits in Kraft getretenen Recht nicht mehr begehrt werden kann, der Bewerber aber bei Inkrafttreten der neuen Vorschriften bei ordnungsgemäßer Handhabung des bisherigen Rechts im Besitz der Zulassung hätte sein müssen.“ Vgl. auch BVerwGE 1, 291 (295 f.); BVerwG, DVBl. 1959, 664 ff.; DVBl. 1960, 778 ff.; DVBl. 1961, 447 ff.; BGHZ 37, 179 (181); Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 53 f.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 386. 231  Die st. Rspr. lehnt eine Übertragung auf das Baurecht ab, vgl. BVerwG, NJW 1962, 507 f.; BVerwG, DVBl. 1964, 184 (185). 232  Ule, DVBl. 1963, 475, 481.

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falls geeigneter Gegenstand einer Feststellungsklage.“233 Auch die angewandte prozessrechtliche Anomalie kann nicht darüber hinweg täuschen, dass es im Kern allein um die materiell-rechtliche Frage des Bestehens eines Zulassungsanspruchs geht.234 Dies verdeutlicht im Übrigen die Behandlung der Parallelfälle – insbesondere der im Baurecht. Dort wird die Frage der Folgenbeseitigungslast im Rahmen des – eventuell noch vorhandenen – behördlichen Ermessens oder der Dispensregelungen thematisiert.235 Sind die gesetzlichen Regelungen jedoch eindeutig, bleibt dem Betroffenen lediglich ein Amtshaftungsanspruch mit allen verbundenen Einschränkungen und Risiken,236 sofern er nicht die geänderte zugrundliegende Norm, beziehungsweise die Übergangsvorschriften, selbst angreifen will.237 Angesichts dieser wenig Erfolg versprechenden Lage verwundert es nicht, dass insbesondere im häufig weitreichende Konsequenzen zeitigenden Berufszulassungsrecht ein Ausweg in der Folgenbeseitigungslast erblickt wurde. Obschon die Vorstellung, dass die Verwaltung allein durch zögerliches Verhalten im Ergebnis vormals gegebene Ansprüche des Bürgers ausschließen kann, dem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen muss,238 ist eine derartige Umdeutung des materiellen Rechts indes nicht stringent begründbar. Weder vorgebliche rechtsstaatliche Erwägungen noch das Prinzip von Treu und Glauben239 können die Gesetzesbindung der Verwaltung aufheben – mag dies auch zumindest unter Billigkeitsgesichtspunkten einleuchtend wirken.240

233  Weyreuther, DVBl. 1964, 893; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 119 f.; vgl. auch BVerwGE 1, 291 (295). 234  Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 54; kritisch auch Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 118 f.; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 102 f. 235  Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 133; Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 54; Blanke / Peilert, DV 1998, 29, 46 ff. weisen zu Recht darauf hin, dass kein eigentlicher Rechtsanspruch des Betroffenen besteht und der Verwaltung somit die Möglichkeit einer Interessensabwägung eröffnet wird. 236  Vgl. unter Zweiter Teil: § 1 B.III.1.b), S. 76 ff. Dieser kann indes zumindest mittelbar auch das behördliche Ermessen beeinflussen, da sich die Verwaltung im Zweifel einer Haftung zu entziehen versuchen wird und diesen Aspekt in die Interessensabwägung einfließen lassen wird, vgl. Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn.135. 237  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 103 m. w. N.; Maaß, VR 1985, 71, 73. 238  Maaß, VR 1985, 71, 73; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 104 f. 239  Maaß, VR 1985, 71, 73; vgl. auch Schleeh, AöR 1967, 58, 77 f. 240  Vgl. die umfassende Kritik bei Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  106 ff.; Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 266. Gleichzeitig würde die Gewährung einer Rechtsposition, die der Betroffene vorher nicht innehatte, das Institut strukturell weit vom vergangenheitsbezogenen Folgenbeseitigungsanspruch entfernen. Vgl. dazu auch ablehnend BayVGH, NJW 1982, 2627.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit65

d) Der Folgenentschädigungsanspruch – eine „Weiterentwicklung“ des Folgenbeseitigungsanspruchs Eine weitere richterrechtliche, vor allem durch zwei Entscheidungen des BVerwG bestärkte Entwicklungslinie241 bildet der häufig als Folgenentschädigung titulierte Anspruch auf Geldzahlung, der entsteht, wenn der originär gegebene Folgenbeseitigungsanspruch scheitert.242 Bereitet schon die Zuordnung des Beseitigungsanspruchs zum Primärrechtsschutz teilweise Schwierigkeiten, gilt dies umso mehr für dessen fortentwickeltes Derivat. Dennoch soll die Entwicklung aufgrund des Sachzusammenhanges hier kursorisch erläutert werden, zumal sie eine wichtige praktische Ergänzung des Folgenbeseitigungsanspruchs darstellt. (1) B  erücksichtigung des Mitverschuldens im Rahmen des Folgenbeseitigungsanspruchs Dass der Folgenbeseitigungsanspruch grundsätzlich auf die unteilbare Leistung der Wiederherstellung des Status quo ante in natura gerichtet ist, führt zwangsläufig zu Friktionen, wenn eine Quotelung der Verpflichtung gewünscht ist. Mit diesem Dilemma sahen sich die Gerichte insbesondere in Fällen konfrontiert, in denen der Betroffene den Schaden mit verschuldete, weil er beispielsweise in vorwerfbarer Weise eine Unterlassungsklage gegen drohendes rechtswidriges Handeln versäumte.243 Ausgehend von Weyreuthers Überlegungen zur vergleichbaren zivilrechtlichen Problematik244 erblickten die Gerichte in § 254 BGB einen allgemeinen, auf die öffentlichen Einstandspflichten übertragbaren Rechtsgedanken und ein Gebot unmittelbarer Gerechtigkeit dahingehend, dass ein gemeinschaftlich verursachter Schaden auch angemessen auf die Parteien aufgeteilt werden müsse.245 War eine Quotelung bei ausnahmsweise auftretenden Geldzahlungsansprüchen simpel umsetzbar, stellte die regelmäßige Unteilbarkeit der Folgenbeseitigung die Richter vor ein neues Problem.246 Die „gewisse Besonderheit“ bestand darin, 241  BVerwG,

NVwZ 1994, 275 ff.; BVerwGE 82, 24 ff. dazu bereits Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 139 ff.; Franke, VerwArch 1966, 357 ff. 243  BVerwG, DÖV, 1971, 857 (859); BVerwG, NJW 1989, 2484 (2485); BVerwG, NVwZ 1989, 453. 244  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 98 ff. stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des BGH, der § 254 BGB auf entschädigungsrechtliche Ansprüche anwendet und will diese auf den Folgenbeseitigungsanspruch erweitern, vgl. insb. die Nachweise bei Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 98 Fn. 400. 245  BVerwG, DÖV, 1971, 857 (859). 246  Hain, VerwArch 2004, 498, 502. 242  Grundlegend

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

dass die Folgenbeseitigung anders als beispielsweise Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche „wegen ihres Inhalts häufig eine der beiderseitigen Verantwortlichkeit Rechnung tragende Verteilung des Schadens […] nicht“247 gestatte.248 Infolgedessen kam es zu einer fragwürdigen „Alles-oder-Nichts“Rechtsprechung:249 Sei eine „ins Gewicht fallende Mitverantwortlichkeit des Betroffenen“ gegeben, entfiele der Folgenbeseitigungsanspruch vollständig; andernfalls bliebe er in Gänze ungekürzt bestehen.250 Dass eine bereits in sich selbst inkonsequente251 Anwendung einer zivilrechtlichen Schadens­ ersatzvorschrift auf den öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch vielfältig kritisiert wurde, mag nicht weiter verwundern.252 Auch das BVerwG selbst empfand diese nur schwerlich begründbare Schwarz-Weiß-Lösung zunehmend als „unbefriedigend“ und entschloss sich deshalb, seine Rechtsprechung entscheidend zu modifizieren.253 (2) Der Rechtsgedanke aus §§ 254, 251 BGB als Entwicklungskriterium Infolge der Kritik hielt das BVerwG zwar an einer analogen Anwendung des § 254 BGB fest, brachte jedoch einen weiteren allgemeinen, aus § 251 BGB deduzierten Rechtsgedanken zum Ansatz. Danach könne es bereits 247  BVerwG,

DÖV 1971, 857 (859). DÖV 2001, 732 f.; Maurer, VerwR, § 30 Rn. 17; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 1221. 249  Hain, VerwArch 2004, 498, 502; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 39. 250  BVerwG, DÖV 1971, 857 (859). Die Richter sahen hierin die einzige Möglichkeit, das Mitverschulden adäquat zu berücksichtigen. Denn während dem Bürger grundsätzlich im Falle des Scheiterns des Folgenbeseitigungsanspruchs noch andere Ersatz- und Ausgleichsansprüche zustünden, habe der Staat keine weitere Rechtsgrundlage zur Geltendmachung der Mitverantwortung des Geschädigten. Der Verweis auf andere Schutzansprüche erscheint aber wenig zielführend, da der Folgenbeseitigungsanspruch gerade als Antwort auf eine Rechtsschutzlücke entwickelt worden war. 251  Vgl. Böß, Vergleich, S. 123. Wenn der Gedanke aus dem Zivilrecht übernommen würde, müsse dies für seine Gesamtheit gelten, Dort ist der Gedanke eines Anspruchswegfalls bei überwiegendem Verschulden jedoch fremd. 252  Die Kritik ist breit gefächert und bezieht sich vor allem auf die – vor einer grundrechtlichen Fundierung besonders problematische – differenzierungslose Verlagerung des Schadens auf den Bürger. Vgl. Rupp, DVBl. 1972, 232, 233; Erichsen, VerwArch 1972, 217; Hoffmann-Becking, JuS 1972, 509; Fiedler, NVwZ 1986, 969, 975; zweifelnd insofern auch BayVGH, BayVBl. 1990, 627 (628). Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  177 f.; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 540 jew. m. w. N. 253  BVerwGE 82, 24. 248  BVerwG,



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grundsätzlich nicht zum Vorteil des Verpflichteten reichen, dass eine Leistung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sei.254 Vielmehr trete häufig ein Geldzahlungsanspruch anstelle des ursprünglichen Restitutionsanspruchs. Ein vollständiger Ausschluss sei nur dann zu billigen, wenn sich das bürgerliche Verlangen als rechtmissbräuchlich darstelle.255 Aufgrund der ungeschriebenen Natur des Folgenbeseitigungsanspruchs und der Ergebnisgerechtigkeit sah das Gericht die Möglichkeit, den Rechtsgedanken auf Fälle des Mitverschuldens zu erstrecken. Dies ermöglichte eine Quotelung des Anspruchs nach den dem § 254 BGB inhärenten Zurechnungsgesichtspunkten.256 Eine zusätzliche Stütze für diese Argumentation erblickten die Richter in § 3 Abs. 3 StHG, welcher eine ähnliche Kostentragungsregel vorsah.257 Folglich stand dem Betroffen ein um seinen Mitverschuldensanteil gekürzter, auf Geldzahlung gerichteter Ausgleichanspruch zu.258 Aufgrund der Rechtsprechungsentwicklung und der positiven Rezeption in der Jurisprudenz kann der „gewandelte“ Folgenbeseitigungsanspruch im Falle eines Mitverschuldens als gesicherter Teil des gegenwärtigen Rechtsschutzes gesehen werden.259 e) Exkurs: Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch Im Zusammenhang mit der Folgenbeseitigung ist schließlich der sozialrechtliche Herstellungsanspruch zu erwähnen.260 Wurde er zu Beginn als 254  BVerwGE

82, 24 (27). 80, 178. 256  BVerwGE 82, 24 (28); zur Bestärkung verweist das Gericht auf § 17 Abs. 4 S. 2 FStrG und § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG, die ein ähnliches Prinzip aufweisen, sich jedoch auf rechtmäßiges Handeln beziehen. Den Gedanken einer Anwendung von § 251 BGB hatte bereits Grave, DVBl. 1972, 231, 232 in seiner kritischen Urteilsanmerkung vorgebracht. 257  § 3 Abs. 3 StHG 1981: „Haben Umstände, die der Geschädigte zu vertreten hat, den rechtswidrigen Zustand mitverursacht, so kann der Geschädigte die Folgenbeseitigung nur verlangen, wenn er sich an ihren Kosten entsprechend dem Maße seiner Mitverursachung beteiligt; überwiegt seine Mitverursachung, so entfällt der Anspruch.“ Kritisch angemerkt sei an dieser Stelle jedoch, dass die Regelung eine Kostenbeteiligungspflicht des Betroffenen vorsah und eben keinen gekürzten Geldzahlungsanspruch. Vgl. dazu ausführlich Dritter Teil: § 2 B.I.2., S. 166 ff. 258  BVerwGE 82, 24 (28). Vgl. auch Erbguth, JuS 2000, 336, 337. 259  Statt vieler nur Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 67; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 1219; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 390; Schoch, DV 2011, 397, 416. 260  Zwar hat dieses Institut im Zusammenhang mit der Berufsfreiheit kaum Bedeutung. Da es jedoch zuweilen als erweiterungsfähige Basis für eine Entwicklung des Rechtsschutzes angesehen wird, muss eine kurze Darstellung an systematisch nahelie255  BVerwGE

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

„Unterfall des Folgenbeseitigungsanspruchs“,261 später nur noch als „Parallele“ oder „Weiterentwicklung“262 charakterisiert, ist er nun als gewohnheitsrechtlich verfestigtes sozialrechtliches Institut sui generis anerkannt.263 Obschon seinem Wesen nach ebenfalls auf Beseitigung behördlichen Unrechts gerichtet, unterscheiden sich sowohl der Tatbestand als auch die Rechtsfolge der Institute deutlich. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch behandelt nicht die Folgen rechtswidrigen Verwaltungshandelns in der Eingriffsverwaltung, sondern in Ausnahmefällen der sozialen Leistungsverwaltung. Erleidet der Bürger Nachteile durch einen Betreuungsfehler,264 so hat er einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Herstellung des Zustandes, der bestünde, wenn sich die Behörde rechtmäßig verhalten hätte.265 Der Betroffene kann also regelmäßig trotz vorliegender Ausschlussgründe wie Frist­ abläufen oder nichtgezahlten Beiträgen seine aufgrund der fehlerhaften Beratung unterlassenen Dispositionen nachholen und die Leistung verlangen.266 Die Rechtsfolge besteht in einer weiten „Folgenbeseitigung“ durch Herstellung des rechtmäßigen Zustands, wobei gerade keine Begrenzung auf den Status quo ante stattfindet.267 Bemerkenswert ist, dass das Institut trotz seiner Ähnlichkeiten mit dem kritisierten allgemeinen verschuldensunabhängigen Wiedergutmachungsanspruch überwiegend Zustimmung erhielt. Dies erscheint vornehmlich deshalb verständlich, weil es allein Ansprüche betrifft, die dem Bürger ohnehin zugestanden hätten und damit auch keine Fragen finanzieller Folgenverantwortung aufwirft.268 gender Stelle erfolgen. Dies gilt umso mehr, als es als Spezialfall der Folgenbeseitigung gewertet wird, vgl. Bull / Mehde, Verwaltungsrecht, S. 487. 261  BSGE 34, 124 (126). 262  BSGE 49, 76 (79 f.). 263  BSGE 50, 40 (43); 60, 158 (164); Geschwinder, ZfS 1985, 70, 71; Schmidt / Schmidt, Jura 2005, 372, 373; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  396 m. w. N.; kritisch: Löwer, Staatshaftung, S. 291: „Das an sich zu begründende Ergebnis wird […] als geltendes Recht postuliert“. Schoch, VerwArch 1988, 1, 58 lehnt den „allgemeinen Billigkeitsanspruch [ohne] klare Konturen“ ab. 264  Die Betreuungspflichten finden sich in den §§ 13–15 SGB I. 265  Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 136 f.; Wallerath, DÖV 1987, 505, 506 f. 266  Kritisch zu der Notwendigkeit der Figur in diesem Zusammenhang insbesondere Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 139 und Schoch, Verw­ Arch 1988, 1, 59, die den Gedanken des venire contra factum proprium ausreichen lassen wollen. Bereits dieser verböte es der Behörde, sich auf ihr eigenes fehlerhaftes Verhalten zulasten des Bürgers zu berufen und mache einen nachgelagerten Herstellungsanspruch damit obsolet. 267  So Axer, DVBl. 2001, 1322, der den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch folgerichtig im Primärrechtsschutz verortet. Ähnl. auch BGHZ 103, 242 (247), wonach der Anspruch „in seiner Zielsetzung mit der Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes eng verwandt“ sei.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit69

f) Ausgleichspflichten für die Indienstnahme Privater Innerhalb des primären Rechtsschutzes zu erläutern sind schließlich Ausgleichspflichten für die Indienstnahme Privater.269 Hierunter versteht das BVerfG die staatliche Pflicht zur Schaffung von Vermögensausgleichsnormen, wenn Private zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden.270 Die Zuordnung zum Primärrechtsschutz ergibt sich daraus, dass über die Ausgleichspflicht im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Beseitigungsklage bezüglich der Indienstnahme entschieden wird, wobei die Kompensation selbst beschränkungsrechtfertigend wirkt.271 Obgleich das thematisch verwandte Phänomen ausgleichspflichtiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums zumeist breiter diskutiert wird, ist die Indienstnahme von hoher praktischer Bedeutung.272 Der Gesetzgeber weist Privaten im Regelungsbereich der Berufsfreiheit kontinuierlich neue Pflichten zu: Beispielhaft seien dafür genannt die mittlerweile wieder abgeschaffte Praxisgebühr,273 die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung,274 die Warnpflicht auf Tabakerzeugnissen,275 aber auch die Pflicht der Stromerzeuger zur Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energien.276 Angesichts knapper Staatskassen ist zukünftig eine weitere Überwälzung staatlicher Aufgaben auf Private vorauszusehen, was dem Phänomen der Indienstnahme konti­ nuierliche Aktualität verleiht und eine knappe Auseinandersetzung mit der Rechtsfigur unabdinglich macht.277 268  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 393 m.N.; vgl. Schoch, VerwArch 1988, 1, 59. 269  Hierzu insbesondere Ferger, Indienstnahme Privater, S. 3 ff.; Ossenbühl, VVDStRL 1971, 137 ff.; Gallwas, VVDStRL 1971, 211 ff.; instruktiv bereits Ipsen, in: FS für E. Kaufmann, S. 141, 142 ff. 270  BVerfGE 30, 292 (311); Dabei schwanken die Bewertungen der Rechtsfigur zwischen einer „Alltäglichkeit“ (Heintzen, VVDStRL 2003, 220, 222) und einer „erklärungsbedürftigen Anomalie“ (Voßkuhle, VVDStRL 2003, 266, 268). 271  Axer, DVBl. 2001, 1322; Höfling, VVDStRL 2002, 260, 264, Fn. 17. 272  Angemerkt sei an dieser Stelle auch, dass die Berufsfreiheit den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Rechtsprechung zu ausgleichspflichtigen Grundrechtseingriffen bildete, vgl. nur Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 151. Zu ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums Eschenbach, Jura 1998, 401 ff.; Heinz / Schmitt, NVwZ 1992, 513 ff.; König, DVBl. 1999, 954 ff. 273  Dazu insb. Linke, NZS 2004, 186; Weimar / Elsner, GesR 2004, 120 ff. 274  BVerfGE 125, 260 (361). 275  BVerfGE 68, 155 (170). 276  BGH, NVwZ 2003, 1143 (1144). 277  Drüen, Indienstnahme Privater, S. 3 spricht von der „fast unwiderstehliche[n] Anziehungskraft“ einer „Zwangsprivatisierung“.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Beachtlich ist, dass sich die Aufgabenübertragung häufig nicht in ihrer Erfüllung erschöpft, sondern dem Verpflichteten implizit auch die Vollzugskosten auflastet.278 Folglich ist eine Differenzierung innerhalb der Rechtmäßigkeitsprüfung zwischen der Ebene der Naturalleistungspflicht und derjenigen der Kostentragungspflicht angezeigt.279 Zunächst muss die Indienstnahme selbst verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Ist diese für sich genommen prinzipiell zulässig, muss in einem weiteren Schritt geklärt werden, ob durch die Verpflichtung Privater eine finanzielle Ausgleichspflicht ausgelöst wird, beispielsweise, weil durch die Pflichterfüllung erhebliche Kosten entstehen.280 Auch das BVerfG schließt sich einer dualistischen Legitimationsprüfung an: Insbesondere nahmen die Richter eine Ausgleichspflicht an, wenn der Betrieb in seiner Existenz gefährdet sei,281 ihm keine angemessene Rendite verbliebe282 oder aber, wenn die Indienstnahme ein typisches Erwerbsgeschäft beträfe, welches einen eigenen, wirtschaftlich realisierbaren Vermögenswert habe.283 Bemerkenswert ist hierbei, dass das BVerfG die Ausgleichspflicht primär aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gleichheitsgebot284 beziehungsweise seiner Ausprägung als Übermaßverbot285 heraus konstruiert und somit das Grundrecht der Berufsfreiheit um „kompensatorische“ Wertausgleichsnormen ergänzt. Ähnlich wie im Aufopferungsrecht bildet dabei die ungleiche Behandlung eines Bürgers den Ausgangspunkt einer etwaigen finanziellen Ausgleichsverpflichtung des Staates.286 Durch die zweistufige Prüfung wird vermieden, dass die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs durch einen bloßen monetären Ausgleich hergestellt werden kann.287 Denn könnte man an sich unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen allein durch finanzielle Kompensation rechtfertigen, führte 278  Eckhardt,

Verwaltungsaufgaben, S. 136; Drüen, Indienstnahme Privater, S. 208. zum dualistischen Legitimationsmodell Ossenbühl, VVDStRL 1971, 137 ff.; Friauf, in: FS für H. Jahrreiß, S. 45, 65; Schulze-Osterloh, NJW 1981, 2537, 2542 f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, S. 286; kritisch hierzu Trzaskalik, DStJG 1989, 157, 181; Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 255 f.; zur Unklarheit und Klärungsbedürftigkeit des Legitimationsmodus vgl. nur Drüen, Indienstnahme Privater, S.  206 ff. 280  Drüen, Indienstnahme Privater, S. 208. 281  BVerfGE 54, 251 (271). 282  BVerfGE 30, 292 (333). 283  BVerfGE 54, 251 (274 f.). 284  BVerfGE 30, 292 (333 f.). 285  BVerfGE 30, 292 (325 f.). 286  Röder, Haftungsfunktion, S. 87 f. m. w. N., der darin auch ein Indiz für die Gleichgerichtetheit des Sekundärschutzes von Art. 12 GG und Art. 14 GG erblicken will. Vgl. auch Sass, Entschädigungserfordernis, S. 119 ff. 287  Hey, AöR 2003, 226 ff.; Drüen, Indienstnahme Privater, S. 210. 279  Grundsätzlich



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit71

dies in letzter Konsequenz zu einem nicht tolerablen „Abkauf des Grundrechtsschutzes“.288 Keineswegs dürfen Ausgleichregelungen als ein verfassungsrechtlich zulässiges Mittel missverstanden werden, um an sich unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen zu legitimieren.289 Daher muss der entgeltliche Ausgleich subsidiär zum Bestandsschutz die Ultima Ratio bleiben.290 Fehlt indes eine finanzielle Kompensation oder ist sie unzureichend, obwohl verfassungsmäßig gefordert, so entfällt gleichermaßen auch die primäre Dienstpflicht.291 Nur auf diesem Wege kann effektiv sichergestellt werden, dass es zu keiner Überlastung Privater durch die Abwälzung öffentlicher Aufgaben kommt. 2. Zwischenergebnis: Effektiver Schutz der Berufsfreiheit auf der Primärebene Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass die Berufsfreiheit strukturell umfassenden primären Rechtsschutz genießt. Eine Betrachtung der Systematik des Primärrechtsschutzes ergibt, dass dieser am Ideal eines ungestörten grundrechtlichen Status negativus ausgerichtet ist. Die Rechtsordnung reagiert auf Verletzungen dieses Idealzustands mit Ansprüchen, die dessen Wiederherstellung dienen oder bereits eine Beeinträchtigung zu verhindern suchen. Die verletzungsreaktionsrechtliche Dogmatik gibt daher hinreichend bestimmt im Primärrechtsschutz sowohl Inhalt als auch Umfang der Ansprüche vor.292 Dabei sind nicht nur bestimmte Handlungsformen, sondern grundsätzlich alle hoheitlichen Ingerenzen erfasst.293 In einem sehr frühen, zuweilen sogar dem Eingriff vorgelagertem Stadium, hat der Bürger die Möglichkeit, mit dem allgemeinen Unterlassungsanspruch seine freie Berufswahl und -ausübung zu schützen. Der Folgenbeseitigungsanspruch berechtigt ihn darüber hinaus, die Wiederherstellung des ungestörten ursprünglichen Zustandes zu 288  Haack, DVBl. 2010, 1475, 1477; in diesem Sinne bereits Ossenbühl, VVDStRL 1971, 137, 181, der dies als „unhaltbares Ergebnis“ bezeichnet. Kritisch zur zweistufigen Herangehensweise Drüen, Indienstnahme Privater, S. 209 ff. 289  Bezugnehmend auf Art. 14 Abs. 1 GG BVerfGE 100, 226 (232). 290  Zum Parallelproblem im Eigentumsschutz, vgl. BVerfGE 100, 226 (242 ff.); Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 220 f. 291  Eckhardt, Verwaltungsaufgaben, S. 140; ähnl. Weimar / Elsner, GesR 2004, 120, 124. 292  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 96 f.; Höfling, VVDStRL 2002, 260, 266; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 63. 293  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 67.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

verlangen und weist in seiner Ausprägung als Folgenentschädigungsanspruch kompensatorisch anmutende Elemente auf. Gleichzeitig wird durch die Beschränkung auf unmittelbare Folgen und die Herstellung des Status quo ante die Abgrenzung zum vollen Schadensersatz gewahrt. Diesen Schutz ergänzen der für die Berufsfreiheit wenig relevante soziale Herstellungsanspruch und die ungleich wichtigeren ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmungen. Mögen die Gerichte den Rechtsschutz auch in Einzelfällen durch eine restriktive Handhabung verengt haben, ändert dies nichts daran, dass dieser auf primärer Ebene umfassend konzipiert ist und somit dem in Art. 19 Abs. 4 GG wurzelnden Leitbild eines effektiven Rechtsschutzes entspricht.294 III. Bestehender sekundärrechtlicher Schutz – eine Entwicklung jenseits des Status negativus Grundlegend anders verhalten sich die Dinge beim sekundären Rechtsschutz, der aufgrund eines „fundamentalen Bruchs in der Funktionslogik“295 losgelöst vom Status negativus entwickelt wurde.296 Die starke Fragmentierung und Strukturlosigkeit können als Reminiszenzen und „Implikationen einer vorkonstitutionellen Vergangenheit“297 begriffen werden, die viel zu der defizitären Ausformung der öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen beigetragen haben.298 Während das gebräuchliche Bild zweier tragender Säulen – der Amtshaftung und Aufopferungsentschädigung – in durchaus fragwürdiger Weise ein geschlossenes System suggeriert,299 zeigt sich in Wahrheit ein zersplittertes Rechtsgebiet, das wie kaum ein anderes von Kasuistik geprägt ist.300 294  Vgl. Axer, DVBl. 2001, 1322, 1328 f.; Ibler, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 233 ff.; Schoch, DV 2001, 261, 262; Schoch, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 7 ff. Gewisse „Modernitätsrückstände“ insbesondere im Hinblick auf die Schutznormlehre und die Klagebefugnis sieht Schoch, NVwZ 1999, 457 ff., 467 ff. 295  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 63. 296  Vgl. dazu auch grundlegend Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 98 ff. 297  Morlok, DV 1992, 371, 377. 298  Schoch, DV 2001, 261, 262. 299  Vgl. Schoch, VerwArch 1988, 1, 8; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 5; Morlok, DV 1992, 371, 376; Schoch, Jura 1989, 529. Seinen Ursprung findet diese Dichotomie in der Weimarer Verfassung, die den Amtshaftungsanspruch in Art. 131 WRV und den Aufopferungsanspruch in Art. 153 WRV kodifizierte und damit ein einheitliches System staatlicher Verantwortung für die Ausübung hoheitlicher Gewalt schaffen wollte. Dazu nur Stödter, Entschädigung, S. 45 und Heidenhain, Amtshaftung, S.  66 ff. 300  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 5 f.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit73

Allein die weiter zu erläuternden strukturellen Missstände – mögen sie auch eine gewisse Indizwirkung dahingehend haben – erlauben jedoch keine definitive Aussage über konkrete Schutzlücken in der Staatshaftung für Eingriffe in die Berufsfreiheit. Vielmehr ist eine eingängige Analyse der einschlägigen nationalen und internationalen Haftungsinstitute erforderlich, um ein eventuell bestehendes Rechtsschutzbedürfnis präzise herausarbeiten zu können. 1. Die Amtshaftung: Zwischen tradiertem Verständnis und Erweiterungsdruck Der „Mittelpunkt der hoheitlichen Staatsunrechtshaftung“301 findet seine positiv-rechtliche Fundierung in § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG, die gemeinsam die Rechtsgrundlage der heutigen haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Staates für schuldhafte und rechtswidrige Schädigungen Dritter bilden. Seit seiner Entstehung widerfuhr dem deutschen Amtshaftungsanspruch harsche Kritik: Er sei einer der „schlechtest konstruierten, dazu für das Volk unverständlichsten aller Rechtssätze“302, seine Dogmatik „sowohl staatstheoretisch wie auch verfassungsrechtlich untragbar.“303 Der Grund hierfür liegt in seiner antiquierten Struktur,304 die durch das BGB kodifiziert, nicht aber reformiert wurde und sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts mit gewichtigen progressiven Stimmen konfrontiert sah, die eine modernere unmittelbare Staatshaftung forderten.305 a) Das Erbe der Unrechtsunfähigkeit des Monarchen Die der Kritik zugrundliegenden Unzulänglichkeiten in der heutigen Konstruktion der Amtshaftung lassen sich nur entwicklungsgeschichtlich adäquat aufschlüsseln und nachvollziehen. Grundsätzlich hat der Staat zwei Möglich301  Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 78. Wie sich die Normen zueinander verhalten, hat eine vielfältige Debatte in der Literatur hervorgerufen. Überwiegend wird Art. 34 GG nur als Zurechnungsnorm angesehen, teilweise wird ihn der Vorschrift jedoch die eigentliche Anspruchsgrundlage gesehen, die § 839 BGB nur weiter konkretisiert. Zum Meinungsstand vgl. nur Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 33 und Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 53 f.; jew. m. w. N. 302  So bereits Hofacker, AcP 1920, 281, 349. 303  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 7. 304  Vgl. BGHZ 42, 176 (181). 305  Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, S. 1051 f.; Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 1 ff.; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 44, Rn.  1 f.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

keiten, ersatzrechtlich auf eine hoheitliche Verletzung der Rechte seiner Bürger zu reagieren: Zunächst kann er im Sinne einer reinen Beamtenhaftung allein den handelnden Beamten haftbar machen. Das konsequente Gegenstück hierzu bildet die Verbandshaftung, in der wiederum der Hoheitsträger selbst haftet. Beide Modelle lassen sich weiterhin im Rahmen einer dritten Option kombinieren. Entweder es wird eine Art Gesamtschuld zwischen Staat und Beamten konstruiert, oder die originäre Haftung des Beamten wird im Wege einer befreienden Schuldübernahme auf den Staat übergeleitet. Denklogisch setzen diese beiden Varianten zunächst eine Beamtenhaftung voraus.306 Den Ausgangspunkt für die deutsche staatshaftungsrechtliche Entwicklung bildet die prima facie irritierend anmutende Devise der „Nichthaftung des Staates für die unrechtmäßige Ausübung der öffentlichen Gewalt“307, die auf das Verständnis einer Unrechtsunfähigkeit des Staates gegründet ist.308 Ursprünglich wurde zwischen Beamten und Staat ein privatrechtliches Verhältnis konstruiert: Der Mandatskontrakt. Konsequenterweise galten rechtswidrige Handlungen als contra mandatum, sodass allein der gesetzeswidrig handelnde Staatsdiener einzustehen hatte.309 Schon früh wurde die Verweisung des Bürgers auf den Beamten zur Erholung als „skandalös“310 und „unbillig“311 bewertet. Der sich durchsetzenden Unterscheidung zwischen hoheitlichem und fiskalischem Handeln des Staates folgte ein öffentlich-rechtliches Beamtenverständnis, das den Weg zu einer mittelbaren Staatshaftung eröffnete. Die Begründungsansätze für diesen Schritt variierten indes erheblich und blieben zumeist unzureichend.312 Die „wunderlichen Konstruktionen“, die der Forderung gegen den Staat ein „ju306  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  8; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S.  6 f.; Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 17 ff. 307  Papier, JZ 1975, 585, 586. 308  Vgl. dazu Kelsens normative Rechtslehre, nach der der Staat nicht unrecht handeln kann, da er nur das Recht wollen kann. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre: entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, S. 245 ff. Vgl. auch Schenke, NJW 1991, 1777, der darauf hinweist, dass der Grundrechtsschutz ein staatliches Unrecht denknotwendig voraussetzt und damit nicht kompatibel mit der Staatsunrechtsunfähigkeit ist, die sich noch aus der konstitutionell-monarchistischen These „the king can do no wrong“ speist. 309  Gehre, Entwicklung der Amtshaftung, S. 27 ff.; Kohl, Unrechtsunfähigkeit des Staates, S. 78 ff.; vgl. hierzu Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 8 f.; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 11  f.; sowie grundlegend Triepel, Delegation und Mandat, S. 23 ff. 310  Zoepfl, Staatsrecht, S. 370 f. 311  Sundheim, Schadensstiftung durch Staatsbeamte, S. 1. 312  Heidenhain, Amtshaftung, S.  23 f.; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 15.



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ristisches Gewand“ geben sollten,313 stützten sich auf die Organeigenschaft des Beamten, oder ergänzend auf die Schutzpflicht und Verantwortung des Staates für seine Untertanen. Zuweilen wurde sogar der Rechtsgedanke der allgemeinen Aufopferungshaftung fruchtbar gemacht.314 Ergebnisorientiert sollte so eine Zurechnung zum Staat erreicht werden, ohne den Gedanken einer persönlichen Beamtenhaftung aufzugeben. Diese Kombination führte zu dem der heutigen Amtshaftung zugrundeliegenden Widerspruch: Denn entweder man rechnet das Verhalten dem Staat zu, was zu einer direkten Verbandshaftung führen muss, oder der Beamte bleibt persönliches Haftungssubjekt.315 Kodifikatorische Ausgestaltung erfuhr das Konzept in § 839 BGB, der die persönliche Haftung des Beamten im Wesentlichen auf dem Stand des 19. Jahrhunderts ohne Reformbestrebungen festschreibt.316 Art. 34 GG ist die Nachfolgenorm zum nahezu wortgleichen317 Art. 131 WRV und dient als Haftungsüberleitung im Sinne einer befreienden Schuldübernahme. Durch diese Konstruktion wurde ein Vehikel für die Übertragung einer im Privatrecht begründeten Forderung auf den Staat geschaffen.318 Der Wechsel in der Passivlegitimation verkehrt in eigentümlicher Weise die Ausgangssituation in ihr genaues Gegenteil: Der Staat haftet in aller Regel, obwohl eine unmittelbare Staatshaftung de lege lata ausgeschlossen ist. Gleichzeitig wird der persönlich haftende Beamte von seiner Verbindlichkeit befreit.319 Aufgrund dieser Ambiguität muss, wie im Weiteren zu zeigen sein wird, die ehemalige Ultra-vires-Lehre in der jetzigen Ausgestaltung der Amtshaftung zumindest noch abgeschwächt mitgedacht werden. Obwohl die Ratio für die Haftungsüberleitung – der Schutz des Geschädigten durch einen sol313  Mayer,

VerwR, S. 259. Heidenhain, Amtshaftung, S.  23 ff. 315  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 9; Höfling, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn.  19 f. 316  Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 44, Rn. 2 f.; Kritisch Scheuner, in: GS für W. Jellinek, S. 331, 338. 317  Der Begriff des Beamten wurde durch den Ausdruck „jemand in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ ersetzt, um dem weiten haftungsrechtlichen Beamtenbegriff Rechnung zu tragen, der bereits vom Reichsgericht praktiziert wurde, vgl. RGZ 104, 257 (259 ff.). 318  Umstritten ist dabei, ob damit auch der Charakter der Forderung öffentlichrechtlich wird. Ohne nähere Begründung gehen hiervon sowohl Rechtsprechung als auch die überwiegende Lehre aus; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 82; kritisch Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 12 und Heidenhain, Amtshaftung, S. 43 Fn. 54. 319  Heidenhain, Amtshaftung, S. 47; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 21. 314  Vgl.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

venten Schuldner und die Aufrechterhaltung der Entschlussfreudigkeit des Amtswalters, der keine persönliche Inanspruchnahme bei leichtem Verschulden fürchten muss – im Grundsatz sinnvoll ist, führt der amtshaftungsrechtliche Konstruktionsfehler zu im Folgenden erläuterten „erheblichen dogmatischen und rechtlichen Schwierigkeiten“320. b) Tatbestand der mittelbaren Staatshaftung Die Tatbestandsvoraussetzungen der „ausschließlichen, subsidiären, mittelbaren und verschuldensabhängigen Unrechtshaftung des Staates“321 ergeben sich aus § 839 BGB, an den die Passivlegitimationsnorm des Art. 34 GG „angeseilt“ wird.322 Ausgangspunkt der deliktischen Haftung ist ein aktives Tun oder das Unterlassen einer gebotenen Amtshandlung. Dieses muss in Ausübung eines Amtes geschehen, d. h. zwischen der hoheitlichen Zielsetzung und dem deliktischen Verhalten muss ein hinreichend enger äußerer und innerer Zusammenhang bestehen.323 Nach dem weiten staatshaftungsrechtlichen Beamtenbegriff kommen neben Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst ebenfalls Beliehene und Verwaltungshelfer in Betracht, auch wenn bei ihnen die Anstellungskörperschaft im eigentlichen Sinne fehlt.324 Von besonderer Bedeutung ist das Merkmal einer dem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht, welches die Ambivalenz der amtshaftungsrechtlichen Konstruktion spiegelt: Amtspflichten eines Amtswalters325 bestehen grundsätzlich nur gegenüber seinem Dienstherren, dem Staat, nicht aber im Verhältnis zum Bürger selbst. Dieser kann wiederum gegenüber dem Staat bestimmte öffent­lichrechtliche Verhaltenspflichten einfordern.326 Die Rechtsprechung löst diesen

320  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 11; Höfling, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 14 f., 21 sieht in dieser „Ambivalenz bereits die erste Ursache für die ungenügende Stringenz des gesamten Rechtsgebiets.“ 321  Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 81. 322  So die oft zitierte Formulierung von Jellinek, JZ 1955, 147, 149. 323  Vgl. nur BGHZ 69, 128 (132 f.); Wienhues, in: Baldus / Grzeszick / Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rn.  111 ff. 324  Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 44, Rn. 15; vertiefend Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 16 ff.; vgl. BGHZ 161, 6 (10). 325  Maurer, VerwR, § 26 Rn. 19 f. Mit zahlreichen Beispielen zu einzelnen Amtspflichten Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 45  ff. und Detterbeck / Windt­ horst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 118 f. 326  Rupp, Grundfragen, S. 35  ff.; Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 191.; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 115.



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Konflikt pragmatisch dadurch, dass Amtspflichten eine Außenwirkung gegenüber dem Bürger zugemessen wird.327 Wie alle anderen staatshaftungsrechtlichen Institute328 weist damit auch die Amtshaftung ein Tatbestandsmerkmal auf, welches dem Ausufern staatlicher Einstandspflichten vorbeugen soll – die Drittbezogenheit der verletzten Amtspflicht.329 In der Drittbezogenheit ist gleichsam der Ausschluss der Amtshaftung für legislatives und normatives Unrecht begründet. Denn nach ständiger Rechtsprechung erfolgt die Rechtsetzung ausschließlich im Inte­ resse der Allgemeinheit, ohne dass bestimmte Personen gesondert geschützt werden sollten.330 Obschon das Merkmal dem legitimen Interesse dient, eine Haftung nicht schon bei jeder bloßen Benachteiligung einer Person auszu­lösen, wird es zu Recht auf Grund seiner Unbestimmtheit und Weite als „crux“331 und „Achillesferse“332 der Amtshaftung beschrieben. In bedenk­licher Weise lässt die Rechtsprechung in ihrer Kasuistik allgemeingültige Kriterien vermissen333 und zieht keine konsequente Parallele zum subjektiven öffentlichen Recht auf Ebene des Primärrechtsschutzes.334 Zwar postulieren die Gerichte eine Grundformel, nach der aus der Amtspflicht hervorgehen müsse, „dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt oder gefördert werden sollen“335. Erkennbar kristallisieren sich zwei Gesichtspunkte heraus: Zunächst dient das personale Element der Drittbezogenheit dazu, die Aktivlegitimation festzulegen. Als weiterer Schritt ist mit dem sachlichen Element als rechtsgutbezogener Qualifizierung zu bestimmen, ob 327  Bemerkenswert ist, dass sogar Verwaltungsvorschriften – administrativem Innenrecht – diese Eigenschaft zukommen kann, vgl. Maurer, VerwR § 4 Rn. 1 ff., 30. 328  Vgl. zu deren weitreichenden praktischen Auswirkungen Vierter Teil: § 2 A.II., S. 258 ff.; Vierter Teil: § 2 B.III., S. 272 ff. 329  So explizit BGHZ 239, 17 (19). 330  St. Rspr., vgl. BGHZ 87, 321 (335); 102, 350 (367 f.); 132, 30 (32); zur Ausnahme für Maßnahme- und Einzelfallgesetze siehe BGHZ 56, 40 (46); 84, 292 (300); Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 48 m. w. N. 331  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 60. 332  Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 130. 333  Blankenagel, DVBl. 1981, 15  ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 61 bezeichnet eine Systematisierung der Drittbezogenheit angesichts der Rechtsprechungskasuistik gar als „unmöglich.“ 334  Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 44; Maurer, VerwR, § 26 Rn. 19; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 130. 335  BGH, NJW 1971, 1699; BGHZ 63, 25 (38 f.); 65, 196 (198); Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 61 m. w. N.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

auch das spezifische Interesse des Betroffenen geschützt ist.336 Entscheidend bleibt dabei für den nach Personen und Rechtsgütern relativierten Drittbezug der im Einzelfall zu ermittelnde Schutzzweck der Norm.337 In der Ausfüllung dieser Anforderungen ziehen sich die Richter aber ins Formelhafte zurück und rechtfertigen die Einordnung häufig nicht oder nur unzureichend.338 (1) Das Problem des Verschuldens Ist der Verstoß gegen die drittbezogene Amtspflicht kausal für den Schaden geworden, kommt es schließlich entscheidend auf das Verschulden des Amtswalters an. Nicht allein die objektive Amtspflichtverletzung ist damit haftungsbegründend; vielmehr muss diese auch subjektiv vorwerfbar sein.339 In diesem Erfordernis, das zwar nicht von Art. 34 GG,340 aber von § 839 BGB vorgegeben wird, setzt sich die ambivalente Natur des Amtshaftungsanspruchs als persönlicher, auf den Staat übergeleiteter Haftung des Amtswalters fort.341 Maßgeblich ist der in § 276 BGB normierte Verschuldensmaßstab. Während ein vorsätzliches Handeln wenig Probleme bereitet, indes wegen des erforderlichen Bewusstseins der Amtspflichtwidrigkeit des eigenen Verhaltens die Ausnahme bildet,342 hat sich zum Fahrlässigkeitsmaßstab eine nuancierte Rechtsprechung entwickelt. Im Ausgangspunkt sind ein objektivierter Sorgfaltsmaßstab und damit die für die Führung des übernommenen Amts erforderlichen Kenntnisse und Einsichten relevant.343 Der Amtswalter kann sich demnach nicht mit seinen individuellen Fertigkeiten oder seiner persönlichen Unkenntnis entlasten, da insoweit allein auf einen objektiv-abstrakten, 336  Schoch, Jura 1988, 585, 590; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 132, 140 f.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 44; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 60 ff. 337  BGHZ 109, 380 (389 ff.); 110, 1 (9 f.); 113, 367 (372); Maurer, VerwR, § 26 Rn.  20 ff.; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 140 m. w. N. 338  Kayser, Amtshaftung, S. 34. 339  Maurer, VerwR, § 26 Rn. 24; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S.164. 340  Anders noch Art. 131 WRV, der ein Verschuldenserfordernis beinhaltete. 341  Ausführlich dazu Link, Amtshaftung, S. 3 ff.; vgl. Wurm, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, § 839 Rn. 195. Mag das Verschuldenserfordernis in privatrechtlichen Beziehungen sachangemessen sein, ist sein Bestand im von einem starken Machtgefälle geprägten Verhältnis zwischen Bürger und Staat zweifelhaft (Schenke, NJW 1991, 1777 f.). Auf diese Ratio gründen sich auch die immer weiter gehenden Objektivierungstendenzen des BGH hinsichtlich des Verschuldens in der Amtshaftung. 342  Vgl. BGHZ 30, 374 (381); 120, 176 (181). 343  BGHZ 117, 240 (249); BGH, NJW 2011, 2586 (2587); Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  76 m. w. N.



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pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten abgestellt wird.344 Von diesem wird zuvörderst erwartet, dass er die für die Ausübung seines Amtes nötigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzt oder sich verschafft.345 Von besonderer Bedeutung zeigt sich der Problemkreis der unrichtigen Rechtsanwendung durch die Exekutive: Während zwar nicht jeder objektive Rechtsirrtum ein Verschulden zu begründen vermag, stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen an den Amtswalter. Seine Rechtsauffassung muss nicht nur objektiv vertretbar sein, sondern darüber hinaus auf einer sorgfältigen rechtlichen und tatsächlichen Prüfung basieren.346 Dabei ist auch die höchstrichterliche Rechtsprechung gebührlich zu berücksichtigen und eine Abweichung nur dann nicht schuldhaft, wenn ihr eine fundierte Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen vorherging.347 Die Richter milderten diese hohen Verhaltensanforderungen indes dadurch ab, dass der Verschuldenseinwand entfallen soll, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht das vorhergegangene Verhalten gebilligt hatte.348 Dem liegt die bereits vom Reichsgericht entwickelte Ratio zugrunde, von einem seine Entscheidungen in der Regel unter Zeitdruck fällenden Beamten könne keine größere Sorgfalt und bessere Einsicht verlangt werden, als von einem sorgfältig prüfenden Gericht.349 Absolut gedacht führte dieser richterrechtlich entwickelte Entschuldigungsgrund zu der mit dem Rechtsstaatsprinzip nur schwer zu vereinbarenden Folge350 eines Scheiterns der Amtshaftungsklage, sofern auch nur ein Instanzgericht die Handlung für vertretbar hielt.351 Dass eine pauschale Entschuldigung des Beamten allein aus der seinerseits rechtswidrigen Billigung durch ein Kollegialgericht entspringen sollte, kann indes schwerlich überzeugen und veranlasste den BGH dazu, die Ausnahme nur noch als „eine Richtlinie, von der abgewichen 344  Dies gilt sogar für ehrenamtlich tätige Amtswalter, denn auch hier besteht das Risiko einer unbilligen Schadensverlagerung auf den Bürger, BGHZ 106, 232 (329 f.); Reinert, in: Bamberger / Roth (Hrsg.), BGB, § 839, Rn. 84; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 44, Rn. 29. 345  BGHZ 117, 240 (249); BGH, NJW 2011, 2586 (2587). 346  BGH, NJW 1993, 530 (531); BGHZ 119, 365 (369  f.); Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 167 m. w. N. 347  Ossenbühl, AöR 1967, 478 ff.; Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 291 ff.; kritisch Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 167 f., der Zweifel an der Bindungswirkung höchstrichterlicher Rechtsprechung äußert. 348  Vgl. BGHZ 17, 153 (158); 27, 338 (343); 73, 161 (164); 134, 268 (275). 349  Insb. RGZ 106, 406 (410); aus neuerer Zeit BGH, NJW 1984, 168 (169 m. w. N.). 350  Kritisch Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 229 m. w. N.; Schmidt, NJW 1993, 1630  f.; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 169. 351  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 77.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

werden kann“352 zu qualifizieren. Eine ausnahmenreiche Kasuistik353 führt dazu, dass der Grundsatz weitgehend aufgeweicht wurde und im Ergebnis eine kollegialgerichtliche Billigung die vorangegangene sorgfältige Prüfung des Beamten nur noch rechtfertigen kann, wenn sie ihrerseits vertretbar ist.354 Von größerer Relevanz sind die Tendenzen der Rechtsprechung, das Verschulden immer weiter zu objektivieren und damit die Unterschiede zu einer originären Staatshaftung zu nivellieren.355 Zum angesprochenen typisierten Fahrlässigkeitsmaßstab treten die Grundsätze des Organisationsverschuldens und der Entindividualisierung. Danach muss der Kläger den schuldigen Amtswalter nicht namentlich bezeichnen oder in anderer Weise individualisieren.356 Sein Verschulden wird somit dem fehlerhaft organisierten und daher mangelhaft funktionierenden Verwaltungsträger selbst zugerechnet.357 Rechtfertigt sich diese Beweiserleichterung auch aus dem Informationsgefälle zwischen dem meist schwer durchschaubaren Verwaltungsapparat und dem Bürger, schränkt sie das ursprüngliche Merkmal der persönlichen Vorwerfbarkeit erheblich ein.358 Aufgrund der großzügigen Handhabung in der Rechtsprechung scheitert ein Amtshaftungsanspruch daher tendenziell selten nur am fehlenden Verschulden des Amtswalters.359 352  BGH, NVwZ, 1987, 258 (259 f.); BGHZ 120, 184 (197); 134, 268 (275); früher noch als „Regel“ und „Rechtssatz“ bezeichnet, vgl. nur BGHZ 17, 153 (158). 353  Zu den Einschränkungen und Ausnahmen vgl. Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 169; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 77 f.; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 44, Rn. 29; jew. m. w. N. 354  Vgl. Schmidt, NJW 1993, 1630, 1631; diese Beschränkungen werden teilweise kritisch gesehen, Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 218, während andere gar die Abschaffung des Grundsatzes fordern; so stellvertretend Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 170. 355  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 21 spricht von „problematischen Versuchen“; vgl. auch Reinert, in: Bamberger / Roth (Hrsg.), BGB, § 839, Rn. 84; Detterbeck /  Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 165 f.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 78. 356  So bereits RGZ 100, 102 f.; bestätigt in BGHZ 116, 312 (314). 357  BGHZ 113, 267 (372); OLG Düsseldorf, NWVBl. 1988, 248; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 79; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 166. 358  Dies gilt umso mehr, wenn man bereits einen „prima-facie-Beweis“ für ausreichend erachtet, dazu m.  w.  N. Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 166. Problematisch wird die „Schuldvermutung“ (Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 79) im Hinblick darauf, dass der BGH dennoch verlangt, dass „der gesamte Haftungstatbestand“ in einer Person verwirklicht ist, vgl. BGH, NJW 2011, 2586, 2588. 359  Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 228; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 44, Rn. 29; vgl. auch Reform des Staatshaftungsrechts – Kommissionsbericht, 1973, 153 f. Es sind in der Praxis jedoch genau diese



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(2) Restriktionen des Amtshaftungsanspruches Eine weitere Konsequenz der personalen Konstruktion der Amtshaftung resultiert in ihrer begrenzten Rechtsfolge. Forderungsinhalt kann nur sein, was der Amtswalter als Privatperson zu leisten im Stande wäre:360 Der Anspruch ist daher auf die Leistung vertretbarer Sachen, in aller Regel auf Geldzahlung gerichtet. Ausgeschlossen ist hingegen die Naturalrestitution, sofern sie die Vornahme von Hoheitsakten impliziert.361 Eingegrenzt wird die Amtshaftung darüber hinaus durch die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB. Handelt der Amtswalter fahrlässig, kann er nur in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Auch diese Restriktion ist nur rechtshistorisch vor dem Hintergrund einer persönlichen Beamtenhaftung zu erklären.362 Als „Schutzbestimmung zu Gunsten des Beamten“363 sollte sie die Entschlussfreudigkeit des Beamten steigern, der zumindest bei fahrlässigem Verhalten keine Eigenhaftung fürchten musste, sofern sich der Bürger anders erholen konnte. Mit der Haftungsüberleitung auf den Staat entfiel dieser Schutzzweck, da dem Beamten ohnehin keine persönliche Haftung mehr drohte.364 Als Reaktion hierauf versuchte die frühe Rechtsprechung zunächst, in der Subsidiaritätsklausel ein Fiskalprivileg zu entdecken: Der Staat selbst

Fälle, die eine Schutzlücke im Bereich der Berufsfreiheit offenbaren, vgl. sogleich unter Zweiter Teil: § 2, S. 92 ff. 360  Vgl. BGHZ 34, 99 (105); 113, 17, (20); 121, 367 (374); Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 295; Reinert, in: Bamberger / Roth (Hrsg.), BGB, § 839, Rn. 115. 361  BGHZ 67, 92 (100) 121, 367 (374); 137, 11 (26); Detterbeck / Windthorst /  Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 204 f.; bemerkenswert hierzu sind die Ausführungen des BVerfG, NJW 2006, 1580, 1581: Danach sei die Beschränkung auf Geldersatz nicht vorgegeben, vielmehr seien „andere Arten des Schadensausgleichs von Verfassungs wegen nicht schlechthin ausgeschlossen“. Ähnl. auch Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 104. Während es zwar zutrifft, dass Art. 34 GG eine Naturalrestitution nicht ausschließt, ist die zwingende Konsequenz aus der personalen Konstruktion über § 839 BGB, dass nur die einer Privatperson möglichen Handlungen umfasst sind. Dem kann auch nicht die Bezugnahme auf § 249 BGB, der als Grundregel des Schadensersatzes gerade eine Naturalrestitution fordert, entgegengehalten werden. Denn eine unmögliche Naturalrestitution – die bei der Vornahme eines Hoheitsaktes durch eine private Person vorliegt – wandelt sich nach § 251 Abs. 1 BGB in eine Geldschuld. 362  Reinert, in: Bamberger / Roth (Hrsg.), BGB, § 839, Rn. 88; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 59. 363  RG, JW 1938, 2667. 364  Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 82; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 59; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 81 m. w. N.

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solle finanziell entlastet werden, da er nur für fremdes Unrecht hafte.365 Eine solche Überlegung verstößt wohl nicht nur gegen die rechtsstaatlichen Gewährleistungen des Art. 34 GG,366 ein Entlastungsbedürfnis des Staates ist allein schon hinsichtlich des besonderen Schutzbedürfnisses des Bürgers in Amtshaftungskonstellationen zu verneinen.367 Während der BGH einlenkend in seiner neueren Rechtsprechung die „antiquierte“368 Subsidiariätsklausel schrittweise teleologisch reduzierte,369 konnte er sich nicht zuletzt aufgrund der Bindung an Recht und Gesetz nicht zu einer – eigentlich konsequenten – vollständigen Lösung vom Verweisungsprivileg durchringen.370 Das Spruchrichterprivileg in § 839 Abs. 2 BGB beschränkt die Haftung der Judikative auf Fälle einer strafbaren Amtspflichtverletzung, insbesondere Rechtsbeugung oder Richterbestechung und soll damit den Besonderheiten der Justiz Rechnung tragen..371 Weite Auslegung in der Praxis hat die in § 839 Abs. 3 BGB normierte vorwerfbare Rechtsmittelversäumung erfahren. Die im Grundsatz von Treu und Glauben begründete Obliegenheit des Geschädigten umfasst nach ständiger Rechtsprechung sämtliche Rechtsbehelfe bis hin zur Dienstaufsichtsbeschwerde und schließt bei vorwerfbarer Versäumnis ihrer Einlegung die Amtshaftung vollständig aus.372 365  BGHZ

13, 88 (103 ff.); 56, 40 (44 f.); 87, 321. Staatshaftungsrecht, S. 174. 367  Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 302; folgerichtig enthielt auch das StHG, welches eine unmittelbare Staatshaftung postulierte, kein Verweisungsprivileg des Staates. 368  BGHZ 42, 176 (181). 369  Vgl. ausführlich zur Kasuistik: Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  82 ff.; Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 301; jew. m. w. N. 370  Vgl. BGHZ 42, 176 (181): „Mag diese Bestimmung bei mancherlei Fallgestaltungen auch heute nicht mehr stets zu sachgerechten Ergebnissen führen, mag sie deshalb auch mit einer gewissen Berechtigung als ‚antiquiert‘ bezeichnet werden […], und mag eine Gesetzesreform insoweit notwendig erscheinen, so ist der Richter doch nicht befugt, dem Gesetz von sich aus die Beachtung zu versagen.“ Befürwortend Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 303; Papier, Forderungsverletzung, S. 119; Bettermann, DÖV 1954, 299, 304; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  82 m. w. N. 371  OLG München, Beschl. v. 27.06.2011  – 33 UF 942 / 11; zur Ratio BGHZ 50, 14. 372  Vgl. Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 73; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 187. Kritisch Papier, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 180, Rn. 52. Näher zur Figur des Vorrangs des Primärrechtsschutzes Dritter Teil: § 4 A.V.3., S. 225 ff. Problematisch ist das Verhältnis zum im Anwendungsbereich des § 839 Abs. 3 BGB verdrängten § 254 BGB. Obschon angesichts der strengen Rechtsfolgen der Rechtsmittelversäumnis eine enge Auslegung vorzugswürdig scheint, wendet die Rechtsprechung die Vorschrift extensiv an. Damit bleibt für das anspruchskürzend zu berücksichtigende Mitverschulden nur ein verhältnismäßig kleiner Anwen366  Detterbeck / Windthorst / Sproll,



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2. Spezialgesetzliche Ausgleichsregelungen Neben der allgemeinen Amtshaftung kennt das deutsche Recht weitere bereichsspezifische öffentlich-rechtliche Ausgleichsregelungen, von denen beispielhaft die für die Berufsfreiheit bedeutsamsten skizziert werden.373 a) Ansprüche aus Polizeigesetzen und dem VwVfG Zunächst verdienen die Entschädigungsansprüche nach dem Polizeirecht der jeweiligen Länder Aufmerksamkeit. Wurden sie anfangs im Vergleich zu den allgemeinen Instituten der Staatshaftung vernachlässigt, sind sie in der heutigen Rechtspraxis von großer Bedeutung.374 Als spezialgesetzliche Rechtsgrundlagen gehen sie den allgemeinen Ansprüchen vor und decken einen großen Teil der Fälle ab, welche die Rechtsprechung früher über aufopferungsrechtliche Mechanismen zu lösen suchte.375 Obschon die verschiedenen Landesregelungen im Einzelnen große Unterschiede aufweisen, lassen sich deutliche Grundlinien der Ausgleichsansprüche erkennen.376 Dies liegt vor allem in ihrer gemeinsamen Wurzel, dem in §§ 74, 75 EinlALR zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Aufopferungsgedanken, begründet, die gleichzeitig die erhebliche Überschneidung mit den Instituten des enteignungsgleichen und aufopferungsgleichen Eingriffs verdeutlicht.377 Rechtmäßige polizeiliche Maßnahmen lösen deshalb nach allen Landesregelungen einen Entschädigungsanspruch des Nichtstörers aus, für den der Zugriff auf seine Rechte im polizeilichen Notstand ein Sonderopfer darstellt. Geht es hingegen um rechtswidrige polizeiliche Maßnahmen ist die Regelungslage differenzierter. Einige Polizeigesetze sehen ausdrücklich verschuldensunabhängige Entschädigungsansprüche vor.378 Fehlt eine solche Regelung, wird teilweise eine Analogie zu den Vorschriften über rechtmäßige dungsbereich. Vgl. dazu nur Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S.  197 f. 373  Ein tiefergehender Überblick findet sich bei Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 46, Rn. 1 ff.; vgl. auch Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 43 f. 374  Ossenbühl, JuS 1971, 577. 375  Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 46, Rn. 3; Treffer, Staatshaftung im Polizeirecht, S. 35 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 485 f. 376  Grundlegend Treffer, Staatshaftung im Polizeirecht, S. 5  ff.; Papier, DVBl. 1975, 567 ff.; Hoeft, Die Entschädigungsansprüche des Störers im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, S. 16 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 487 f. 377  Dazu nur Römermann, Aufopferungshaftung in Europa, S. 11 ff. 378  Vgl. nur Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 492, 512 m.N.; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 46, Rn. 2.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Eingriffe vertreten, die jedoch richtigerweise mangels Rechtsähnlichkeit abzulehnen ist. Stattdessen ist auf den Amtshaftungsanspruch zurückzugreifen. Dieser kann indes die Fälle schuldlos-rechtswidrigen Verhaltens nicht abdecken, weswegen insofern den entsprechenden Landesnormen eine eigenständige Bedeutung zukommt.379 Weiterhin von praktischer Bedeutung insbesondere im Zusammenhang mit der Vergabe von Genehmigungen und Erlaubnissen sind die in §§ 48, 49 (L)VwVfG geregelten Entschädigungsansprüche wegen enttäuschten Vertrauens bei Rücknahme oder Widerruf von Verwaltungsakten.380 b) Fortgeltendes DDR-Staatshaftungsrecht in den Ländern Erwähnt werden muss in der Bestandsaufnahme auch das StHG-DDR, wenngleich weniger ob seiner praktischen Relevanz, als vielmehr wegen seiner Dogmatik und Struktur.381 Anders als in der vormals westdeutschen Amtshaftung bildet den Ausgangspunkt eine originäre, verschuldensunabhängige Staatshaftung, eine moderne Konzeption, die auch dem Staatshaftungsgesetz von 1981 zugrunde lag.382 In der Literatur ist das StHG-DDR deshalb für gesetzliche Reformbestrebungen als „taugliches Orientierungsmuster“383 mit „Modellcharakter für ein modernes, rechtsstaatliches Staatshaftungs­ recht“384 bezeichnet worden.385 Während haftungsauslösend nach § 1 grundsätzlich jedes staatliche Verhalten ist, das die Rechte eines Bürgers verletzt, wurde in der Praxis eine Be379  Sydow, Jura 2007, 7, 8; Würtenberger / Heckmann, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rn. 859. 380  Eingehend hierzu nur Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn.  673 ff.; Maurer, VerwR, § 11 Rn. 10 ff. 381  Nach Art. 9 Abs. 1 Einigungsvertrag wurde eine Fortgeltung in den neuen Bundesländern vereinbart. Aufgehoben wurde das StHG-DDR in Berlin, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern; in Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt mitunter wesentlich verändert; vgl. Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 46, Rn. 34 m. w. N.; Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 135 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 556. 382  Lühmann, NJW 1998, 3001 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 555; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 46, Rn. 27. 383  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 115. 384  Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 46, Rn. 34. 385  Positiv äußert sich auch Gromitsaris, DÖV 2006, 288, 294, der ein „großes Potential moderner Staatsunrechtshaftung“ erkennen will. Indes muss beachtet werden, dass in der DDR selbst der Rechtsweg nicht eröffnet war und die sozialistische Gesetzlichkeit nicht mit einem rechtsstaatlichen Verständnis zu vereinbaren war. Zu diesen und weiteren Vorbehalten, Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 555 f.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit85

grenzung über den Schutzzweck der verletzten Norm vorgenommen.386 Grundsätzlich ist voller Schadensersatz in Geld zu leisten, wobei die Behörde diesen durch Wiederherstellung des Zustandes, der vor dem Schadensfall bestanden hat, ausgleichen kann, also ein ermessenabhängiger Folgenbeseitigungsanspruch alternativ zum Schadensersatz besteht.387 Eine Einschränkung ergibt sich zum einen durch die Schadensminderungspflicht des Geschädigten, zum anderen aber erneut durch den Schutzzweck der Norm, welcher die ersatzfähigen Schadenspositionen begrenzt.388 Damit geht das StHG-DDR konzeptionell deutlich über den geltenden Schutzstandard hinaus und würde als originäre Staatsunrechtshaftung einer Lückenschließung dienlich sein, was es in der Tat als eine „geeignete Grundlage zur Fortentwicklung des Staatshaftungsrechts“389 erscheinen lässt. Indes wurden die Regelungen dem neuen „Rechts- und Lebensraum“ entsprechend ausgelegt, sodass der sachliche Anwendungsbereich mittlerweile nicht substantiell weiter als der des § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG reicht.390 Damit beschränkt sich die Vorbildfunktion im Wesentlichen auf die Konzeption und den Wortlaut des StHG-DDR, hinter denen die Rechtspraxis jedoch zurückblieb. 3. Haftung für Verletzungen von Unionsrecht Durch die fortschreitende europäische Integration erfahren nationale Regelungen verschiedenster Gebiete Modifikationen oder werden vom Recht der Europäischen Union überlagert.391 Betrachtet man das Staatshaftungsrecht, so kommt es insbesondere im Bereich der Berufsfreiheit392 aufgrund häufig Cornils, LKV 2003, 206 ff.; Grzeszick, JZ 2006, 795 ff. StHG-DDR. 388  §§ 1, 2 StHG-DDR. 389  Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 136. 390  BGH, NJW 2000, 427 (430); Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 68. 391  Papier, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 180, Rn. 83; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 48; Detterbeck, AöR 2000, 203 f. 392  Dies mag zunächst angesichts der Tatsache verwundern, dass das Unionsrecht bis heute in seinen durchaus weitreichenden Garantien keine Berufsfreiheit im eigentlichen Sinne kennt. Jedoch ergeben sich im Schutzbereich des deutschen Art. 12 GG zahlreiche Überschneidungen zu den europäischen Garantien, insbesondere der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. EUV), der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EUV), der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 ff. EUV) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EUV). Vgl. dazu ausführlich Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 17 ff.; sowie zum Schutz der unternehmerischen Betätigung über das Eigentum auf europäischer Ebene Axer, in: FS Isensee, S. 121, 137 ff. m. w. N. 386  Vgl. 387  § 3

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

grenzüberschreitender Sachverhalte zu einer „Gemengelage von deutschem und europäischen Haftungsrecht“, in der beide Rechtsordnungen Ansprüche zur Verfügung stellen.393 Mangels einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage für Ansprüche der Bürger gegen Mitgliedsstaaten wurde der unionsrechtliche Haftungsanspruch primär richterrechtlich entwickelt.394 Auch wenn seine Existenz mittlerweile kaum mehr bestritten und er sogar zum „Kernbestand der Unionsrechtsdogmatik“ gezählt wird, zog die ursprüngliche Entwicklung erhebliche Kritik nach sich.395 Diese bezog sich vor allem auf die Kompetenz des EuGH zu einer solch weitreichenden Rechtsschöpfung und die möglichen Grundlagen des Anspruchs.396 Insofern befanden sich die europäischen Richter in einer ähnlichen Ausgangslage wie die nationalen Gerichte: Der Gesetzgeber hatte den Sachverhalt nicht, beziehungsweise nur lückenhaft geregelt, sodass die Rechtsprechung dem Bedürfnis nach einer Haftung des Staates Abhilfe schaffen musste.397 Unter anderem deshalb wird dem unionsrechtlichen Anspruch über seine originäre Haftungsfunktion hinaus auch eine wegweisende Perspektive bescheinigt: Er könne maßstabsbildend auf eine Weiterentwicklung im deutschen Staatshaftungsrecht drängen. Umso größerer Aufmerksamkeit bedürfen daher die Parallelen als auch die Unterschiede zur deutschen Amtshaftung.398 a) Herleitung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs Der EuGH nahm kompetenzrechtlich eine sehr pragmatische Haltung an und verneinte die Notwendigkeit einer ausdrücklich im europäischen Primäroder Sekundärrecht kodifizierten Anspruchsgrundlage. Vielmehr übertrage 393  Detterbeck,

AöR 2000, 203, 204. regelt Art. 340 AEUV in direkter Anwendung nur die Haftung

394  Insbesondere

der Union selbst. 395  Vgl. nur Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), AEUV, Art. 340, Rn. 36. 396  Statt vieler nur Cornils, Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch, S.  139 ff., 247 ff.; Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 312 ff.; Schoch, JZ 1995, 109, 118; Häde, BayVBl. 1992, 449, 445. 397  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 51 f. 398  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 268; Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 760 ff. Dazu ausführlich unter Dritter Teil: § 3 A.I., S. 182 ff. Von besonderem Interesse ist der Vergleich, wenn man entgegen der Rechtsprechung annimmt, die unionsrechtlichen Vorgaben seien durch eine Modifikation nationaler Haftungsinstitute und nicht durch die Schaffung eines eigenständigen Instituts zu erreichen, vgl. dazu nur Cornils, Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch, S. 89 ff.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit87

ihm Art. 19 EUV399 die Aufgabe und die Berechtigung, unter Rückgriff auf allgemeine unionsrechtliche Prinzipien und die Rechtsgrundsätze der Mitgliedsstaaten eine nicht explizit geregelte Frage nach anerkannten Auslegungsmethoden zu entscheiden.400 „Praktisch hinfällig geworden“401 ist die kompetenzrechtliche Diskussion jedoch zumindest seit selbst die nationalen Gerichte den Haftungsanspruch anerkannt und damit legitimiert haben. Als maßgeblichen Impetus für diese Rechtsfortbildung zogen die Richter vier Grundideen heran, aus denen sich die Notwendigkeit einer mitgliedsstaatlichen Einstandspflicht für Verletzungen von Unionsrecht ergeben sollte. Zunächst statuiere Art. 4 Abs. 3 EUV402 eine Verpflichtung, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beseitigen.403 In den neueren Urteilen wurde ergänzend der Rechtsgedanke der unionsrechtlichen Innenhaftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV herangezogen.404 Gewichtiger indes war für die Richter der Grundsatz der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts: Das Effet-utile-Prinzip.405 Schließlich gebiete der effektive Schutz der Rechte der Unionsbürger eine Sicherung in Form einer Haftung der Mitgliedsstaaten.406 b) Weiterreichender Schutz auf europäischer Ebene Aus einer Gesamtschau dieser Ideen leiteten die Richter ab, ein Mitgliedsstaat müsse dem Bürger Schäden ersetzen, die unmittelbar aus einer hinreichend qualifizierten Verletzung einer den Individualschutz407 bezweckenden 399  Damals

Art. 220 EGV. Verb. Rs. C-46 / 93 u. C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 24 ff. – Brasserie du Pêcheur und Factortame. 401  Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 47, Rn. 17; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 75. Ausführlich noch Dörr, DVBl. 2006, 598 ff. 402  Vormals Art. 10 EGV. 403  EuGH, Verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Slg. 1991, I-5357, Rn. 36 – Francovich. 404  EuGH, Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 28 f. – Brasserie du Pêcheur und Factortame. 405  EuGH, Verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Slg. 1991, I-5357, Rn. 33 – Francovich. Deutlich wurde dabei die Ratio einer Disziplinierung der Mitgliedsstaaten, vgl. auch von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 599 f.; Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 761. 406  EuGH, Verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Slg. 1991, I-5357, Rn. 31 ff.  – Francovich. 407  Damit ist auch die – besonders im Umfeld der Richtlinienumsetzung relevante – künftige Verleihung eines Rechts umfasst. Der Begriff des subjektiven Rechts im Europarecht ist damit deutlich weiter als der des Art. 19 Abs. 4 GG. Zu der wenig restriktiven Rechtsprechung vgl. EuGH, Verb. Rs. C-178 / 94 u. a., Slg. 1996, I-4845, 400  EuGH,

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Unionsrechtsnorm resultieren, sofern dieser sie nicht auf zumutbare Art und Weise abzuwehren vermochte.408 Wie die deutsche Amtshaftung ist auch der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch rechtsgüterindifferent ausgestaltet, da allein das staatliche Unrecht den Ausgangspunkt der Haftung darstellt. Ein folgenträchtiger Unterschied besteht indes darin, dass der Staat und nicht der handelnde Beamte selbst originär passivlegitimiert ist. Dadurch wird zum einen eine Haftungsüberleitung obsolet, zum anderen kann die Staatshaftung durch jedes hoheitliche Verhalten ausgelöst werden, ohne dass es auf die Handlungsform oder das handelnde Organ ankäme.409 Nicht maßgeblich ist damit zumindest strukturell auch ein Verschulden aufseiten des Amtswalters.410 Über die deutsche Amtshaftung hinaus geht der unionsrechtliche Anspruch zunächst im Bereich des judikativen und legislativen Unrechts. Er kennt kein Spruchrichterprivileg, sodass auch judikatives Fehlverhalten, selbst bei der Beweiswürdigung oder Gesetzesauslegung, grundsätzlich eine Staatshaftung nach sich ziehen kann.411 Darüber hinaus ist wegen der großzügigeren Handhabung der Schutznormtheorie durch den EuGH auch legislatives Handeln prinzipiell erfasst. Unproblematisch ist dies auch für Exekutivakte, sodass der EuGH zumindest formal einheitliche staatliche Einstandspflichten ohne Bereichsausnahmen geschaffen hat.412 Rn.  30 ff.  – Dillenkofer; Rs. C-127 / 95, Slg. 1998, I-1531, Rn. 108 – Norbrook Laboratories / MAFF; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 56 f.; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), AEUV, Art. 340, Rn. 55. 408  EuGH, Verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Slg. 1991, I-5357, Rn. 33 – Francovich; verfeinert und ergänzt durch zahlreiche Folgeurteile, vgl. Detterbeck, AöR 2000, 203, 228 m. w. N. In der Literatur umstritten, in der Rechtsprechung jedoch mittlerweile eindeutig beantwortet ist die Frage, ob die Vorgaben des EuGH durch einen eigenen unionsrechtlichen Haftungsanspruch oder durch die Anpassung und Überformung bestehender nationaler Institute – insbesondere des Amtshaftungsanspruchs – zu erreichen sind. Der BGH entschied sich für eine dualistische Konzeption, in welcher der im Unionsrecht wurzelnde Anspruch eigenständig neben den nationalen – von ihm unberührt bleibenden – Instituten steht. St. Rspr. Rechtsprechung, BGH, NVwZ 2001, 465; NJW 2004, 1241; NJW 2005, 742. 409  EuGH, Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029  – Brasserie du Pêcheur und Factortame. Zu der umstrittenen Frage, ob der die Bundesrepublik als Mitgliedsstaat immer ergänzend zu der handelnden Körperschaft wie den Ländern haftet im Ergebnis verneinend, BGHZ 161, 224. 410  Deshalb wird von einer „verschuldensunabhängigen objektiven Haftung“ gesprochen, vgl. GA Tesauro, Schlussanträge vom 28.11.1995 zu Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93 – Brasserie du Pêcheur und Factortame, Slg. 1996 – I-1066 (1113). 411  EuGH, Rs. C-224 / 01, Slg. 2003, I-10239  – Köbler; EuGH, NJW 2006, 3337 (3339); Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 614. 412  Vgl. nur Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 601 ff., 616; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), AEUV, Art. 340, Rn. 16, 23.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit89

Damit besteht prima facie eine umfassende Staatsunrechtshaftung, ohne dass Einwände wie die finanzielle Belastung einer Haftung für legislatives Unrecht oder Aspekte der Rechtssicherheit bezüglich der judikativen Amtshaftung Niederschlag gefunden hätten. Obschon der EuGH derartige Bedenken nicht für ausreichend erachtete, um von seinem formal einheitlichen Konzept Abstand zu nehmen, versuchte er doch, diese innerhalb der Anspruchsausgestaltung zu berücksichtigen.413 Von entscheidender haftungsbegrenzender Bedeutung ist in der unionalen Dogmatik das Merkmal des hinreichend qualifizierten Verstoßes.414 Während der EuGH sich einer einheitlichen Terminologie bedient, werden die Anforderungen an die Qualifikation maßgeblich durch die Besonderheiten der jeweiligen Gewalten beeinflusst. Durch die Berücksichtigung verschiedener Gesichtspunkte415 und ihrer unterschiedlichen Gewichtung im Einzelfall entsteht so ein Haftungskriterium, welches eine flexible Reaktion auf die unterschiedlichen Situationen ermöglicht.416 Das vorgeblich begrenzte Haftungsrisiko im Bereich administrativer Einzelmaßnahmen bedarf nach Ansicht der Richter keine besondere Haftungseinschränkung, weshalb der EuGH meist ohne weitere Probleme einen qualifizierten Rechtsverstoß annimmt und sich damit weitgehend deckungsgleich zum nationalen Haftungsrecht positioniert.417 Weit konfliktträchtiger war die Einbeziehung normativen und legislativen Unrechts in den unionsrechtlichen Haftungsanspruch. Es waren nicht zuletzt die massiven nationalen Bedenken, die den EuGH zur Entwicklung des Merkmals des hinreichend qualifizierten Verstoßes überhaupt veranlassten.418 Besonders groß erschien hier aufgrund des schwer kalkulierbaren Haftungspotentials das Bedürfnis nach einer geeigneten Stellschraube zur Erreichung sachgerechter Ergebnisse.419 Deshalb 413  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  611; Jarass, NJW 1994, 881, 882 ff.; Papier, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 180, Rn. 86. 414  Vgl. EuGH, Rs. C-5 / 71, Slg. 1971, 975, Rn. 11 f.  – Schöppenstedt. Instruktiv hierzu Detterbeck, AöR 2000, 203, 214 f.; Breuer, Staatshaftung, S. 452 ff.; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), AEUV, Art. 340, Rn. 54 ff. 415  Einbezogen werden in der Rechtsprechung des EuGH ohne ein eindeutiges Rangverhältnis unter anderem die Klarheit der Norm, gegen die verstoßen wurde, ob das Organ vorsätzlich handelte oder sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befand, aber auch eventuelle Äußerungen von Unionsorganen, die ein schutzwürdiges Vertrauen generieren könnten. Vgl. dazu Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), AEUV, Art. 340, Rn. 54 ff.; Papier, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 180, Rn. 88. 416  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 616 spricht sogar von einer „Begriffshülse“, die nahezu jedes Ergebnis zu begründen vermag; vgl. auch Breuer, Staatshaftung, S.  452 ff. 417  Böhm, JZ 1997, 53, 55; Jarass, NJW 1994, 881, 884; Zenner, Haftung der EG-Mitgliedstaaten, S.  140 ff. 418  Vgl. EuGH, Rs. C-5 / 71, Slg. 1971, 975, Rn. 11 f. – Schöppenstedt. 419  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 610 ff.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

verlangt der EuGH für legislatives Handeln einen evidenten und erkennbaren Verstoß gegen Unionsrecht, welcher angesichts der zuerkannten wirtschaftspolitischen Gestaltungsfreiheit des Normgebers nur selten gegeben sein wird.420 Noch weitreichendere Einschränkungen finden sich im Bereich der Staatshaftung für judikatives Unrecht: Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Besonderheiten der richterlichen Funktion beschränkt der EuGH diese ausdrücklich auf „Ausnahmefälle.“421 So kann grundsätzlich nur ein letztinstanzlicher und offenkundiger Rechtsverstoß die Haftung auslösen, der im Einzelfall nach der Klarheit und Präzision der verletzten Norm, der Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, der Äußerung eines Unionsorgans und insbesondere der Verletzung der Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV beurteilt wird, wobei der EuGH den nationalen Gerichten wegen ihrer besonderen Funktion einen weiten Ermessensspielraum zugesteht.422 Insgesamt zeigt sich somit, dass trotz prima facie einheitlicher Haftungsvoraussetzungen eine bereichsspezifische unionsrechtliche Staatshaftung entwickelt wurde, welche ungeachtet des systematischen Unterschieds aufgrund der Anwendung im Einzelfall häufig zu ähnlichen Ergebnissen wie die nationale Amtshaftung kommen wird.423 Diese Beobachtung wird auch auf Rechtsfolgenseite gestützt: Wegen seiner Ausgestaltung als reine Verbandshaftung ist der unionsrechtliche Anspruch auf der Rechtsfolgenseite zwar strukturell keinen Restriktionen unterworfen. Denkbar ist also eine umfassende Naturalrestitution, die auch die Vornahme hoheitlicher Handlungen bedingen kann. Zu beachten ist indes, dass der EuGH bisher wenig konkrete 420  Eine Ausnahme stellt hierbei die vollständige Nichtumsetzung einer Richtlinie dar, vgl. Deckert, EuR 1997, 203, 222 f.; Böhm, JZ 1997, 53, 55. 421  EuGH, Rs. C-224 / 01, Slg. 2003, I-10239  – Köbler; EuGH, NJW 2006, 3337 (3338). 422  Unzulässig ist jedoch ein Gesetz, welches die Haftung nur auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt (EuGH, Rs. C-379 / 10, Slg. 2011, I-00180 – Kommission / Italien). Vielmehr muss eine Abwägung der einzelnen Faktoren im Einzelfall entscheidend bleiben. 423  Ähnl. auch Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 617. Fraglich erscheint, ob insoweit tatsächlich noch von einer objektiven Unrechtshaftung gesprochen werden kann. Faktisch ist nicht länger allein der Rechtsverstoß maßgeblich, sondern das Maß des subjektiven Fehlverhaltens der Organe – was indes kennzeichnend für eine Verschuldenshaftung ist. Dazu Cornils, in: Koziol / Steininger (Hrsg.), European Tort Law 2005, S. 23, 26 ff. Eine weitere Angleichung wird dadurch begünstigt, dass die Mitgliedsstaaten in der nationalen Umsetzung sowohl das Mitverschulden des Klägers als auch den Vorrang des Primärrechtsschutzes einbeziehen können, sofern dies nicht zu einer Schlechterstellung verglichen mit rein nationalen Sachverhalten führt, vgl. nur EuGH, Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 84 – Brasserie du Pêcheur.



§ 1 Gegenwärtiger Schutz der Berufsfreiheit91

Vorgaben gemacht hat und Art und Umfang des Schadensersatzes grundsätzlich von den Mitgliedsstaaten ergänzend zu bestimmen sind. Daher wäre es zumindest zulässig, die europarechtliche Haftung in Deutschland auf Geld­ ersatz zu beschränken, obwohl die tragende Ratio hierfür im Gegensatz zur deutschen Amtshaftung nicht besteht.424

C. Zwischenergebnis Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass der Primärrechtsschutz für Verletzungen von Art. 12 GG umfassend ausgestaltet ist und keine Rechtsschutzlücken erkennen lässt.425 Wie einleitend angedeutet ist jedoch der Sekundärrechtsschutz nicht aus einer einheitlichen Grundidee heraus entworfen worden, sondern besteht aus einzelnen „Säulen“, die sich unabhängig von einer gemeinsamen Systematik entwickelt haben. Fährt man die Grenzen der bestehenden Rechtsschutzinstrumente nach, umreißt man damit spiegelbildlich präzise die möglichen Schutzlücken. Während im Spezialfall entweder polizeirechtliche oder verwaltungsverfahrensrechtliche Entschädigungsklauseln greifen mögen, bleibt auf nationaler Ebene die Amtshaftung das wichtigste Instrument des Sekundärrechtsschutzes. Insbesondere der Quervergleich mit der Konzeption der für innereuropäische, grenzüberschreitende Sachverhalte einschlägigen unionsrechtlichen Haftung der Mitgliedsstaaten verdeutlicht aber die Grenzen der Leistungsfähigkeit dieses Konstrukts. Unmittelbar aus der dogmatischen Ambiguität folgt der größte Vorbehalt gegen die deutsche Amtshaftung: ihre Verschuldensabhängigkeit. Darüber hinaus kann die Amtshaftung nach § 7 BeamtHaftG für Ausländer ausgeschlossen sein, sofern keine Gegenseitigkeit mit dem Herkunftsstaat verbürgt ist. Schließlich ist eine Haftung für normatives Unrecht und judikatives Unrecht praktisch inexistent. Zweifelhaft erscheint weiterhin, ob eine im Wesentlichen auf Geldzahlung beschränkte Rechtsfolge in allen Fällen adäquat ist, insbesondere, wenn es um den für die Persönlichkeitsentwicklung maßgeblichen Bereich der Berufsfreiheit geht. Da für Verletzungen von Art. 12 GG auf nationaler Ebene keine ergänzenden Instrumente greifen, sind die Grenzen der Amtshaftung gleichfalls instruktiv für eine potentielle Schutzlücke. Während die letzten drei Einschränkungen zumindest nachvollziehbaren und möglicherweise auch vor dem Grundgesetz rechtfertigbaren Überlegungen entspringen, fehlt eine solche Ratio für den Ausschluss rechtswidrig-schuldloser Beeinträchtigungen durch 424  Vgl. Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S.68  f.; Ossenbühl /  Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 624 m. w. N. 425  So auch Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 67.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

die Exekutive.426 Wenig verwunderlich scheint deshalb, dass genau für rechtswidrig-schuldlose Eigentumseingriffe – auf eine lange Rechtsprechungstradition427 zurückgehend – eine Lückenschließung durch das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs vorgenommen wird.428 Zusammenfassend ist festzustellen, dass im dogmatischen Konzept der deutschen Staatshaftung eine Lücke für Verletzungen der Berufsfreiheit besteht. Zu untersuchen gilt es daher, ob und in welchem Maße sich dieser Mangel im rechtspraktischen Alltag manifestiert.

§ 2 Haftungslücken in der Praxis – das „Bermudadreieck“ des Sekundärrechtsschutzes A. Analyse der Rechtsprechung zum Nachweis der Praxisrelevanz der theoretischen Schutzlücke Wie aufgezeigt besteht bezüglich der Berufsfreiheit in der Systematik der Haftungsmechanismen eine Schutzlücke für rechtswidrige Beeinträchtigungen, soweit die Amtshaftung nicht greift. Dieser Zustand hat in der Literatur zu erheblicher Kritik am System des Staatshaftungsrechts geführt; die gegenwärtige Rechtslage wird als unzureichend bezeichnet.429 Demgegenüber entwickelte sich eine Tendenz der Rechtsprechung, die Amtshaftung immer weiter in Richtung einer objektiven Staatshaftung zu entwickeln, um damit auch dem Schutzbedürfnis der Berufstätigen gerecht zu werden. Insbesondere das objektivierte Verschulden hat dazu beigetragen, dass der Anspruch aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG eine Vielzahl poten­ tieller Schädigungsszenarien abdeckt.430 Darüber hinaus wird zumindest ein Teilbereich der unternehmerischen Freiheit haftungsrechtlich durch die weite tatbestandliche Auslegung des enteignungsgleichen Eingriffs im Hinblick auf 426  Allein, dass diese Fälle nicht regelmäßig auftreten, rechtfertigt nicht deren Ausschluss, denn ein Schluss von einer geringen Quantität auf eine allgemeine Nichtbeachtung kann nur schwerlich überzeugen. 427  So erkannte das Reichsgericht bereits 1933 in RGZ 140, 276 (283) einen Entschädigungsanspruch bei rechtswidrig-schuldlosen Eigentumseingriffen an. 428  Zum enteignungsgleichen Eingriff ausführlich unter Dritter Teil: §  1 A., S.  122 ff. 429  Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth (Hrsg.), VerwR II, § 66, Rn. 6; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 6; von einer unbefriedigenden Situation angesichts mangelnden Erwerbsschutz spricht bereits Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 117. 430  Vgl. Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 828; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 44, Rn. 29.



§ 2 Haftungslücken in der Praxis93

das eigentumsrechtlich geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb abgedeckt.431 Auch wenn die Kritiker durchweg defizitäre Zustände vorwerfen, muss daher der Frage nachgegangen werden, wie groß die praktischen Auswirkungen der Schutzlücke angesichts der weiten Interpretation der bestehenden Haftungsinstitute tatsächlich sind.432 Essentiell ist hierfür eine genaue Analyse der Rechtsprechung,433 die zwei wesentliche Gesichtspunkte offenbaren kann: Zum einen ergibt sich erst aus der praktischen Relevanz der theoretischen Schutzlücke der akute Änderungsbedarf, welcher sich zu einer Aufforderung an Gesetzgeber und die richterliche Rechtsfortbildung verdichten kann.434 Zum anderen gibt die präzise Untersuchung der faktischen Haftungslücken einen Bewertungsmaßstab für etwaige Lösungskonzepte an die Hand, die sich daran messen lassen müssen, wie adäquat sie die Lücke zu schließen vermögen.435 Die folgende Untersuchung zeichnet deshalb die wichtigen Fälle nach, welche prototypisch die praktische haftungsrechtliche Schutzlücke für Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG demonstrieren. I. Widerrechtliche Verzögerungen und Restriktionen der Berufstätigkeit Ein frühes Stadium der Berufsfreiheit betreffen die Fälle der widerrecht­ lichen Verzögerung des Berufseinstiegs. Kennzeichnend für diese Fallgruppe ist ein hoheitlicher Eingriff, der den Betroffenen zwingt, seine Wunschausbildung oder seinen Wunschberuf nicht oder nur verzögert aufzunehmen. 431  Siehe

sogleich Zweiter Teil: § 2 A.II.1., S. 101 ff. wird insbesondere angesichts der Tatsache nötig, dass bisweilen eine praktisch relevante Schutzlücke bestritten wird. Vgl. Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 2: die Rechtsprechung habe „die vorhandenen Lücken des Staatshaftungsrechts im Wege richterlicher Rechtsfortbildung durchweg durch vernünftige Entscheidungen geschlossen“. 433  Allen nachstehend untersuchten Fällen ist dabei gemein, dass der naheliegende Amtshaftungsanspruch scheitert. Meist fehlt es aufgrund einer unklaren Rechtslage am Verschulden des Beamten oder der Drittbezogenheit der Amtspflicht. 434  Dazu unter Fünfter Teil, S. 301 ff. 435  Siehe Vierter Teil, S. 248  ff. An dieser Stelle sei auf die bisher einmalige rechtstatsächliche Untersuchung der Staatshaftung hingewiesen, die aufgrund ihres Alters und der damaligen Spezifika heute indes nur noch begrenzte Aussagekraft ­entfalten kann. Die Beweggründe decken sich in weiten Teilen daher mit denen dieser Ausarbeitung: „Erst auf einer hinreichend aussagekräftigen rechtstatsächlichen Grundlage können der Rahmen für die Reform des Staatshaftungsrechts, ihr Inhalt und ihre finanziellen Folgen sachgerecht ermittelt und den rechtlichen und finanziellen Notwendigkeiten und Möglichkeiten angepasst werden.“ BMI / BMJ, Reform des Staatshaftungsrechts, S. 1. 432  Dies

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Weiterhin erfolgen Eingriffe durch Regelungen der Ausübung der Berufstätigkeit. 1. Unberechtigte Einberufung zum Wehr(ersatz)dienst Von praktischer Bedeutung können zunächst staatliche Handlungen sein, die zeitlich der Aufnahme einer konkreten Berufsausbildung vorgelagert sind, auf diese jedoch nachteilige Auswirkungen haben. Insbesondere Fälle der unberechtigten Einberufung beschäftigten die obersten Gerichte. Diese haben zwar seit der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahre 2011436 an Relevanz eingebüßt; es darf aber nicht übersehen werden, dass die Wehrpflicht nicht etwa abgeschafft ist, sondern rekonstruktionsfähig bleibt und durch einfaches Gesetz jederzeit wieder aktiviert werden könnte.437 Darüber hinaus können sie zur exemplarischen Veranschaulichung des richterlichen Umgangs mit Verzögerungsfällen dienen. Zwei vergleichbar gelagerte Sachverhalte veranlassten den BGH, sich zeitnah mit der Problematik des verzögerten Berufseinstiegs im Zusammenhang mit der Wehrpflicht und dem in Art. 12 GG wurzelnden Erwerbsschutz zu beschäftigen. Hintergrund des ersten Verfahrens war, dass der Kläger objektiv fälsch­ licherweise für tauglich befunden und zum Wehrdienst eingezogen wurde. Über anderweitig abgegoltene Gesundheitsschäden hinaus wollte er seinen Erwerbsausfall in Form eines Verzögerungsschadens geltend machen, der ihm dadurch entstand, dass er sein Studium ein Jahr später abschloss und damit auch jede berufliche Einkommenssteigerung verzögert eintrat. Der auf den ersten Blick naheliegende Amtshaftungsanspruch gegen den Musterungsarzt scheiterte daran, dass kein hinreichender Beweis für dessen Verschulden geführt wurde.438 Eine vergleichbare Situation behandelte der BGH nur wenig später:439 Der verspätet zum Wehrersatzdienst einberufene Kläger verlangte seinen Verdienstausfall440 ersetzt, der ihm durch diese Verzögerung entstanden war.441 436  Durch

das WehrRÄndG 2011 vom 28.4.2011, BGBl. I 678. dazu vertieft Gramm, NZWehrr 2011, 89, 95. Hinzu kommt, dass die Praxis der Wehrämter zahlreiche rechtlich fragwürdige Einberufungsentscheidungen hervorgebracht hat. Zu diesem, unter dem Terminus der „Wehrgerechtigkeit“ diskutierten Problem, vgl. Voland, ZfR 2007, 185 ff. 438  BGHZ 65, 196. 439  BGHZ 66, 118. 440  Unklar bleibt aber, wie der Schadensausfall aufgrund des verzögerten Berufseinstiegs so weit in die Zukunft zu bemessen ist. Dazu nimmt auch der BGH keine Stellung, vgl. die Kritik von Pagenkopf, NJW 1977, 1519, 1520. 437  Vgl.



§ 2 Haftungslücken in der Praxis95

In beiden Fällen nahm der III. Zivilsenat zu einem möglichen Entschädigungsanspruch aus Aufopferung Stellung. Anstatt sich mit der strukturlogisch vorrangigen Frage nach einem Eingriff in ein geschütztes Recht auseinanderzusetzen, lag der Schwerpunkt auf dem Sonderopfer der Kläger.442 Letztlich verneinte der BGH dieses mit der Begründung, der Wehr(ersatz)dienstleistende erbringe „nicht mehr als das Opfer, das das Gesetz jedem einzelnen Wehrpflichtigen zugemutet“ habe.443 Obwohl ein Aufopferungshaftungsanspruch im Ergebnis scheiterte, ließen die Richter zunächst zumindest die grundsätzliche Frage nach Ersatzfähigkeit von Eingriffen in Art. 12 Abs. 1 GG offen.444 2. Prüfungsentscheidungen Das Problem der rechtswidrigen Verzögerung des Berufseinstiegs wird insbesondere auch im Zusammenhang mit Prüfungsentscheidungen relevant und bot den Gerichten Gelegenheit, ihre Rechtsprechung weiter auszubauen. Exemplarisch hierfür steht der Fall einer Studentin, die Entschädigung für eine verfassungsrechtswidrige Prüfungsentscheidung zu erlangen suchte.445 Die Klägerin hatte zum dritten Mal in einem Teilbereich des medizinischen Staatsexamens weniger als 60 % der Prüfungsfragen zutreffend beantwortet, was nach der damals geltenden Approbationsverordnung für Ärzte zum endgültigen Nichtbestehen der Prüfung führte. Die gegen den Bescheid eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Auf eine andere – vom Fall unabhängige – Verfassungsbeschwerde hin sah das BVerfG die absolute Bestehensregel als unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG und damit nichtig an.446 Daraufhin erhielt die Klägerin mit rund 10 Jahren Verspätung einen positiven Prüfungs441  Vgl. Pagenkopf, NJW 1977, 1519 f., der allerdings in der hoheitlichen Zwangsmaßnahme der Einberufung einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG sieht. 442  Teile der Literatur sahen in diesem Vorgehen eine Öffnung des Anwendungsfeldes der Aufopferungshaftung für Art. 12 GG; vgl. dazu die Analyse von Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 294 Fn. 158: Das Gericht habe die Frage eines Eingriffs in ein geschütztes Recht – vorliegend die Berufsfreiheit – inzident bejaht. Ebenso Röder, Haftungsfunktion, S. 44 f. 443  BGHZ 65, 196 (206 f.); kritisch hierzu Pagenkopf, NJW 1977, 1519 f.; Löwer, Staatshaftung, S. 346. 444  Die unglückliche Formulierung, dass „die Einberufung nicht in ein insoweit geschütztes Rechtsgut eingegriffen hat“ ist unpräzise und missverständlich. Das Gericht stellt lediglich fest, dass die „Schutzgrenzen“ nicht verletzt wurden; vgl. auch zutreffend: Röder, Haftungsfunktion, S. 45, Fn. 100. 445  Prüfungsentscheidungen sind indes auch in einem noch früheren Stadium denkbar, beispielsweise bei der rechtswidrigen Nichtversetzung in die nächste Klassenstufe. 446  BVerfGE 80, 1 (26 ff.).

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

bescheid. Die neuere Entwicklung veranlasste sie, ihren bis zu diesem Zeitpunkt erlittenen Verdienstausfall447 anteilig in Höhe von 100.000 DM gerichtlich geltend zu machen.448 Auch hier scheiterte der Amtshaftungsanspruch am Verschulden: Die ursprüngliche Entscheidung des Amtswalters im Prüfungsamt war vertretbar, da die zugrundliegende Norm unmissverständlich gefasst war, er von einer Rechtmäßigkeit der Approbationsverordnung ausgehen durfte und diese nicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen musste.449 Hinsichtlich der geprüften Aufopferungshaftung waren sowohl der rechtswidrige Eingriff als auch – im Unterschied zu den Wehrdienstfällen – das daraus resultierende Sonderopfer gegeben.450 Streitentscheidend und einer ausdrücklichen Stellungnahme diesmal bedürfend war somit die Frage, ob die Berufsfreiheit aufopferungsrechtlich geschützt war. Im Nichtannahmebeschluss stellte der BGH zunächst fest, dass keine eigentumsrechtliche Position beeinträchtigt war, womit zumindest der enteignungsgleiche Eingriff in seiner ursprünglichen Form scheiterte. Die bloße Chance auf einen künftigen Arbeitsplatz – sei sie auch stark verdichtet – unterfiele nicht dem Schutzbereich des Art. 14 GG.451 Bezugnehmend auf kritische Literaturstimmen, die eine Aufopferungshaftung im Bereich der Berufsfreiheit befürworteten,452 verwiesen die Richter auf ihre bisher ablehnende Haltung.453 Apodiktisch wiederholte man die Abgrenzung zwischen dem Erworbenen und dem zu Erwerbenden und beschränkte die Entschädigungssanktion auf den Bereich des Eigentumsschutzes. Ohne weitergehende Begründung wurde eine Ausdehnung auf Erwerbsschutzfälle wie zuvor abge447  Tatsächlich wurde die Klägerin, die bis dahin als wissenschaftliche Mitarbeiterin angestellt war, zeitnah nach dem Prüfungsbescheid als Ärztin beschäftigt. Den Einkommensunterschied zu einer Direktanstellung als Assistenzärztin bezifferte sie aufgrund des langen Zeitraums auf über 240.000 DM. 448  Den Ausgangspunkt nahm das Verfahren am LG Berlin (Urt. v. 06.02.1992 – 13 O 322 / 91); die Berufung wurde vom Kammergericht zurückgewiesen (Urt. v. 30.10.1992 – 9 U 2569 / 92); Es folgte der Nichtannahmebeschluss des BGH (Beschl. v. 21.10.1993 – III ZR 170 / 92) und schließlich der Nichtannahmebeschluss BVerfG, NVwZ 1998, 271. 449  LG Berlin, Urt. v. 06.02.1992 – 13 O 322 / 91, S. 5. 450  Anders als in den obigen Entscheidungen perpetuiert der BGH hier seinen Grundsatz, dass der rechtswidrige Eingriff das Sonderopfer „indiziert“, vgl. BGHZ 32, 208 (211 f.); 58, 124 (127); 78, 41 (43 f.). 451  BGH, Beschl. v. 21.10.1993 – III ZR 170 / 92, so bereits BGH Senatsbeschluss vom 16.2.1989  – III ZR 28 / 88; unveröffentlicht; mitgeteilt bei Schwager / Krohn, WM 1991, 31, 35 bei Fn. 13. 452  Siehe Dritter Teil: § 1, S. 121 ff. 453  Dazu auch Boujong, in: FS für R. Nirk, S. 61, 63, 66 f.



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lehnt.454 Unterstützung erfuhr diese Argumentation schließlich durch das BVerfG, das die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annahm. Insbesondere Art. 3 GG sei kein zwingender Grund für eine Gleichbehandlung des Eigentums und der Berufsfreiheit, da das Merkmal einer konkreten Rechtsposition eine hinreichende Differenzierung gewährleiste. Darüber hinaus sei ein Ersatzanspruch jedenfalls nicht Inhalt jeder Grundrechtsgewährleistung.455 Der BGH perpetuierte fortan seine Rechtsprechung nahezu wortgleich in zwei ähnlich gelagerten Entscheidungen, in denen die Kläger Entschädigung wegen verfassungswidriger Prüfungsentscheidungen begehrten.456 3. Verweigerte Berufszulassung und Ausübungsrestriktionen Obschon gerade im Dunstkreis des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs eine Vielzahl der lösungsbedürftigen Konstellationen angesiedelt sind,457 darf nicht übersehen werden, dass sich die Problematik einer verfassungswidrigen beruflichen Nichtzulassung ebenso abseits eines Gewerbes stellt. Denn zwar ist jedes Gewerbe gleichzeitig ein Beruf, nicht aber zwangsläufig jeder Beruf ein Gewerbe.458 Dies betrifft vor allem unselbstständige und freie Tätigkeiten,459 oder aber Fälle, in denen bereits keine Zusammenfassung von Sachen und Rechten als Grundvoraussetzung für die Annahme eines Gewerbebetriebs vorhanden ist, sodass eine Heranziehung der Eigentumsfreiheit selbst unter Erweiterungsgesichtspunkten nicht in Betracht kommt. Obgleich derartige Konstellationen nur sehr selten höchstrichterlich behandelt oder zum Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Debatte werden, sollte dies nicht über die Bedeutung dieser Fallgruppe hinwegtäuschen: Zum einen wird generell nur ein Bruchteil dieser Fälle überhaupt judiziert werden460 – erschwerend kommt hinzu, dass wegen der fernliegenden Annahme eines enteignungsgleichen Eingriffs und angesichts der deutlichen negativen 454  BGH, Beschl. v. 21.10.1993  – III ZR 170 / 92; so auch Krohn, Entschädigung, Rn. 34. 455  BVerfG, NVwZ 1998, 271 f. 456  BGH, NJW 1994, 1468; NJW 1994, 2229. 457  Vgl. zu den Schwierigkeiten und Unsicherheiten, die sich im Bereich der Gewerbezulassung auftun aus neuerer Zeit Scheidler, GewArch 2015, 102 ff.; Kramer, GewArch 2010, 273. 458  Pielow, in: Pielow (Hrsg.), GewO, § 1, Rn. 77. 459  Vgl. zum nicht legal definierten Gewerbebegriff BVerwG, GewArch 1976, 293 (294); NJW 1977, 772 und GewArch 1993,197; DÖV 1995, 644. 460  Vgl. Ossenbühl, AöR 1990, 1, 6 f.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Präjudizierung berufsfreiheitsrechtlicher Entschädigungsansprüche des BGH derartige Klagen bereits in früheren Instanzen abgewiesen werden dürften und damit kaum Anlass für eine fruchtbare Debatte zu existieren scheint. Zieht man hingegen die Vielzahl der berufsrechtlichen Regelungen in Betracht, ergibt sich ein durchaus erhebliches und gleichermaßen unterrepräsentiertes potenzielles Verletzungsfeld. Gerade die Berufswahl und -ausübung sind wie kaum ein anderes Feld durch schier zahllose Verwaltungsakte – seien es Genehmigungen, Lizenzen, Konzessionen oder Untersagungen – geprägt.461 Ein erheblicher Anteil der heutigen Berufe – vom Rechtsanwalt zum Ergotherapeuten – wird entweder bereits bei Aufnahme, spätestens aber während der Ausübung von ordnenden Verwaltungsakten betroffen sein. In einem derart stark normierten Feld bürgerlicher Freiheitsausübung bleiben aber auch Fehlentscheidungen der Verwaltung nicht aus. Insbesondere die an die persönliche Eignung anknüpfenden Befähigungsnachweise implizieren dabei komplexe Wertentscheidungen,462 bei denen trotz einer letztlich rechtswidrigen Einschätzung das Verschulden des Amtswalters entfallen kann, sodass die Amtshaftung scheitern würde und sich eine Haftungslücke auftut.463 Aus frühester Rechtsprechung exemplarisch zeigt sich der Fall eines aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Betroffenen, dem seine Bestellung als Notar rechtswidrig zunächst abschlägig beschieden und erst nach einem Gerichtsverfahren zugesprochen wurde. Er verlangte für die Zwischenzeit, in der er seine Tätigkeit nicht ausüben konnte, Entschädigung. Der BGH stellte klar, dass es hier bereits an einem schützenswerten vermögenswerten Recht des Betroffenen für einen Entschädigungsanspruch fehlte. Es sei zwar zutreffend, dass eine öffentlich-rechtliche Pflicht nicht erfüllt wurde. Dies allein reiche aber nicht aus. Da mangels einer Zusammenfassung sachlicher Mittel bereits im Ansatz kein eingerichteter Gewerbebetrieb bestand, scheiterte der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff. Auf die beeinträchtigte Berufsfreiheit gingen die Richter in diesem Urteil nicht einmal näher ein.464 461  Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 383; Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 93. 462  Dabei wird häufig die Zuverlässigkeit im Mittelpunkt der Abwägung stehen, vgl. Kramer, GewArch 2010, 273 ff.; allgemeiner Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 385. 463  Zum Entfall des Verschuldens bei unklarer Rechtslage siehe Zweiter Teil: § 1 B.III.1.b)(1), S. 78 ff. Belastbare Schätzwerte können dabei nur schwer ermittelt werden, da kaum absehbar ist, wie häufig die Verwaltung „durchschnittlich“ Fehlentscheidungen trifft. Immerhin rund zehn Prozent der Amtshaftungsklagen scheitern indes trotz der Objektivierungstendenzen am Verschuldenserfordernis, womit im Bereich der Berufszulassung oder -regulierung eine nicht zu vernachlässigende Schutzlücke geschaffen wird. Vgl. dazu BMI / BMJ, Reform des Staatshaftungsrechts, S. 153 f. 464  BGH, Urt. v. 14.11.1955 – III ZR 143 / 54.



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4. Zwischenergebnis Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der Staat – außerhalb der Amtshaftung – nach heutiger Rechtslage nicht für die Schäden haftet, die infolge einer durch rechtswidrigen Hoheitsakt hervorgerufenen Verzögerung der Aufnahme oder Einschränkung der beruflichen Tätigkeit entstehen. Während die Relevanz im Hinblick auf die Wehrpflicht aktuell begrenzt ist, betreffen verfassungswidrige Prüfungsentscheidungen vor allem angesichts der immer weiter steigenden Studienanfängerraten465 eine große Bevölkerungsschicht. Gleiches muss für die vielfältigen Eingriffsszenarien während der Berufszulassung und -ausübung auch abseits der Schnittmenge zur Eigentumsfreiheit gelten. Neben dem fehlenden Verschulden wird dabei insbesondere der Bereich des mangels Drittbezug aus der Amtshaftung ausgeklammerten normativen und legislativen Unrechts virulent.466 Gerade in der Regulierung der Berufsfreiheit nimmt der Normgeber häufig eine erhebliche Einschätzungsprärogative in Anspruch, aus der fragliche Wertentscheidungen resultieren.467 Mögen auch einige Regelungen noch durch grundrechtskonforme Auslegung „gerettet“ worden sein, indizieren die Systembrüche, dass sie sich nahe am Verdikt der Verfassungswidrigkeit bewegen.468 Zieht man in Betracht, dass aufgrund einer verfassungswidrigen Prüfungs- oder Berufsordnung zahlreiche rechtswidrige, aber schuldlose Einzelentscheidungen ergehen können, die für die Betroffenen angesichts der verweigerten Berufsqualifizierung erhebliche Konsequenzen entfalten, ist das Schutzbedürfnis in diesem Bereich kaum bestreitbar. Gleiches gilt für den Bereich der Berufszulassung und -ausübung: Da die Berufswelt von Innovationen lebt, muss der berufsfreiheitsrechtlich zulässige Rahmen immer wieder neu evaluiert und gegebenenfalls angepasst 465  Während noch 1998 nur 29,2 % des Geburtenjahrgangs ein Studium begannen, erhöhte sich diese Quote kontinuierlich bis 2010 auf 45,2 %, vgl. Statistisches Bundesamt – Fachserie 11 Reihe 4.2 – Prüfungen an Hochschulen. 466  Nolte, in: Stern / Becker (Hrsg.), Grundrechte, Art. 12, Rn. 79 m.N.; vgl. Bulla, GewArch 2014, 470, 472 f. 467  Nur schlaglichtartig sei hingewiesen auf BVerfGE 13, 237 (240); 22, 1 (20 f.) zu zeitlichen Begrenzungen, oder BVerfGE 41, 378 (395 ff.) zu örtlichen Vorgaben, sowie aus neuerer Zeit BVerwGE 124, 26 zum Werbeverbot für Taxen oder dem Nachtbackverbot BVerfGE 87, 363. Ausführlich zu den häufig fragwürdigen Begründungen und der Normflut Lecheler, VVDStRL 1985, 48, 49 ff.; vgl. auch Schneider, VVDStRL 1985, 7, 20; Rupp, AöR 1967, 212, 233; Hufen, NJW 1994, 2913, 2918; Bulla, GewArch 2014, 470, 472. 468  So zur Handwerksordnung Bulla, GewArch 2014, 470, 472 f. Diese wurde indes von BVerwGE 140, 267 noch für verfassungsgemäß erklärt. Kritisch Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 389 ff. Mehr Liberalisierung fordert auch Hufen, NJW 1994, 2913, 2921.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

werden, um einer verfassungswidrigen Freiheitsverkürzung vorzubeugen.469 Damit steigt aber die Gefahr, dass auch der Normgeber nicht zu einer adäquaten Interessensabwägung kommt und daher freiheitsverkürzend eingreift, ohne dass nach gegenwärtigem Stand Unrechtskompensation verlangt werden könnte. II. Der Grenzbereich zur Eigentumsfreiheit Wie angedeutet wird über den enteignungsgleichen Eingriff470 ein Teil der unternehmerischen Tätigkeit im Grenzbereich zur Berufsfreiheit verschuldensunabhängig geschützt, der unter dem Topos des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs von der Rechtsprechung seit langer Zeit in immer neuen Konstellationen diskutiert wird.471 Soweit haftungsrechtlich der Schutz des Gewerbebetriebs durch Art. 14 GG, respektive durch den enteignungsgleichen Eingriff reicht, besteht komplementär keine Schutzlücke im Bereich der Berufsfreiheit. Gleichzeitig markieren die Grenzen des enteignungsgleichen Eingriffs im Bereich der unternehmerischen Tätigkeit das praktische Bedürfnis nach weitergehenden Haftungsinstituten. Notwendig ist daher zunächst, die Rechtsfigur in ihren Grundzügen vorzustellen, um danach in einer fallbasierten Untersuchung die Grenzziehung der Gerichte zur reinen unternehmerischen Freiheit festzustellen. Dies gilt umso mehr, als die Richter die Abgrenzung der jeweiligen Schutzbereiche häufig „unsicher“ und „lustlos“472 vornehmen, und sich da­ rauf zurückziehen, dass beide Grundrechte zwar funktionell aufeinander bezogen sind, indes rechtlich eigenständige Bedeutung haben.473

469  Schneider, VVDStRL 1985, 7, 12 f.; kritisch auch Hufen, NJW 1994, 2913 f., der den „Nachtschlaf eines ganzen Grundrechts [beklagt, der] zur wirtschaftspolitischen Gefahr werden“ könne. Wie dynamisch und anpassungsnotwendig das Berufsrecht ist, hat nicht zuletzt der jüngst um das im Personenbeförderungswesen tätig gewordene Unternehmen Uber entbrannte Streit gezeigt. Dazu Kramer / Hinrichsen, GewArch 2015, 145 ff.; Alexander / Knauff, GewArch 2015, 200, 208. 470  Dazu ausführlich unter Dritter Teil: § 1 A., S. 122 ff. 471  Vgl. hierzu grundlegend Kröner, Eigentumsgarantie, S. 51 ff.; Kreft, WM 1977, 382 ff.; Friauf / Wendt, Eigentum am Unternehmen, S. 5 ff.; Engel, AöR 1993, 169 ff.; weitgehend auch Axer, in: FS Isensee, S. 121, 124 ff. 472  Berkemann, in: Clemens / Umbach (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 71. 473  BVerfGE 50, 290 (361 f.); zum Konkurrenzverhältnis zwischen Eigentumsgarantie und Berufsfreiheit siehe Zweiter Teil: § 2 A.II.3., S. 113 ff.



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1. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist im Zivilrecht als sonstiges Recht im Sinne des § 823 BGB anerkannt.474 Fraglich ist indes, ob das „Unternehmen in seiner Gesamtheit“ vom Eigentumsbegriff des Art. 14 GG umfasst wird und damit auch vertikalen „staatsgerichteten“ Schutz genießt.475 Während das BVerfG in seiner ambiguen Rechtsprechung eine Tendenz erkennen lässt, keinen Schutz zu gewähren, der über die ohnehin von Art. 14 GG umfassten einzelnen vermögenswerten Rechtspositionen hinausgeht,476 entwickelte der BGH in „schillernder Kasuistik“477 eine komplexe Rechtsfigur, die den gewerblichen Tätigkeitskreis vor hoheitlichen Störungen bewahren soll.478 Von ihr werden zum einen die einzelnen Elemente erfasst, darüber hinaus aber auch das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit, die – auch wenn ihr genauer Umfang umstritten ist – jedenfalls mehr ist als die bloße Gesamtheit ihrer Bestandteile.479 Bei einem hoheitlichen Eingriff in ein Unternehmen kommen daher grundsätzlich zwei separate Entschädigungsan474  Vgl. bereits RGZ 58, 24; BGHZ 2, 287; aus neuerer Zeit BGHZ 167, 1; Axer, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 51 m. w. N.; Badura, AöR 1973, 153, 155; zur umfangreichen Kritik Sack, Das Recht am Gewerbebetrieb, S. 139 ff. m. w. N. 475  Axer, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 51; Badura, AöR 1973, 153, 155 ff., 163 weist zu Recht darauf hin, dass wegen der unterschiedlichen Leitgedanken kein vollständiger Rückschluss von der zivilrechtlichen Betrachtungsweise auf das öffentliche Recht möglich ist. 476  BVerfGE 51, 193 (221 f.); 74, 139 (148); ausführlich dazu Engel, AöR 1993, 169, 171 ff., der sogar von einem „Offenlassen des Offenlassens“ spricht. Ähnl. auch Boujong, in: FS für R. Nirk, S. 61, 62; Axer, in: FS Isensee, S. 121, 125 f. 477  So Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 176. 478  BGHZ 23, 157 (162 ff.); 45, 150 (155); 78, 41 (48); anschließend BVerwGE 30, 235 (239); 62, 224 (226); 66, 307 (309). 479  Engel, AöR 1993, 169, 175 ff.; Boujong, in: FS für R. Nirk, S. 61, 63 f. Andernfalls hätte die Figur keinen eigenständigen Sinngehalt und betriebsbezogene staatliche Schädigungen könnten nur unzureichend erfasst werden, vgl. Engel, AöR 1993, 169, 204 f.; Axer, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 52; Ossenbühl, ZHR 1991, 329, 347 f.; Axer, in: FS Isensee, S. 121, 134 f. Dass der funktionsfähigen wirtschaftlichen Einheit ein Mehrwert gegenüber ihren Einzelteilen zukommt, zeigt eine simple Hilfsüberlegung, die sich bei Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 48 findet: Verkauft man das Unternehmen als Ganzes, kann in aller Regel ein höherer Erlös erzielt werden als bei einer Übertragung der einzelnen Bestandteile. Indes legt die Argumentation mit eventuellen Schutzlücken bezüglich der betrieblichen Tätigkeit nahe, dass es sich um eine Art verdeckten Sekundärrechtsschutz für Teilbereiche der Berufsfreiheit handelt. Ein Indiz für den Schutz des Unternehmens durch Art. 14 GG will Engel, AöR 1993, 169, 203 im Ersten Zusatzprotokoll zur EMRK erkennen, welches nach EGMR-Rechtsprechung auch das Unternehmen als Ganzes schützt; ähnl. auch Axer, in: FS Isensee, S. 121, 137 ff.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

sprüche in Betracht – der eine hinsichtlich der Einzelgegenstände und der andere hinsichtlich des Gewerbetriebs.480 2. Grenzfälle und Grenzziehungen in der Rechtsprechung Problemen begegnet man indes bei dem Versuch, diesen Mehrwert des Unternehmens genauer zu bestimmen, weshalb die vom BGH in seiner Rechtsprechung vorgenommene Grenzziehung besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Im Folgenden wird daher nach Fallgruppen geordnet zunächst die systemimmanente Entscheidungslogik des BGH481 herausgearbeitet, um sodann zu einer Analyse derselben zu kommen und klären zu können, wie weit der Schutz der unternehmerischen Freiheit über den enteignungsgleichen Eingriff tatsächlich reicht. a) Betriebsgründungen Chronologisch den frühestmöglichen Zeitpunkt, in dem die Figur des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs virulent werden kann, markieren Sachverhalte, in denen der zum Betrieb eines Unternehmens482 nötige begünstigende Hoheitsakt verweigert wird. Infolgedessen wird die betrieb­ liche Tätigkeit nicht – oder zumindest nicht legal – ausgeübt, wodurch wiederum ein Vermögensschaden entsteht.483 Beispielhaft steht hierfür aus früher Rechtsprechung ein vereinfacht dargestellter Fall484, der die Richter mit einer noch nicht in Betrieb genommenen genehmigungspflichtigen Gaststätte befasste. Im Unterschied zu den obigen Zulassungskonstellationen war das Gewerbe der Kläger sachlich bereits voll480  Vgl. BGH, NJW 1983, 1663; BGHZ 48, 65. Begrenzt werden diese im Grundsatz voneinander unabhängigen Entschädigungsansprüche jedoch durch das Verbot der Doppelentschädigung; so Boujong, in: FS für R. Nirk, S. 61, 64; Engel, AöR 1993, 169, 175 f. 481  Eine Beschränkung auf den BGH ist an dieser Stelle notwendig, da bereits die oberen Instanzgerichte zuweilen eine wesentlich andere Auffassung der Reichweite der Rechtsfigur an den Tag legen, deren Darstellung jedoch den Rahmen dieser Bearbeitung sprengen würde. 482  Der Begriff des Unternehmens ist hier mit der Rechtsprechung weit zu verstehen, sodass beispielsweise auch Apotheken, Arztpraxen, Forstbetriebe oder Notariate umfasst werden, ohne dass es darauf ankommt, ob ein Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung vorliegt, BGHZ 45, 150 (154). 483  Vgl. zu diesen Fällen: Ossenbühl, Entwicklungen, S. 21; Battis, Aufopferungsentschädigung, S.  13 f.; Engel, Planungssicherheit, S. C I 2; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 295; Engel, AöR 1993, 169, 188. 484  BGH, NJW 1957, 633 f.



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ständig eingerichtet und damit „betriebsbereit“ – lediglich die Schankerlaubnis fehlte. Die Räumlichkeiten der Gaststätte wurden gemäß § 6 Flüchtlingsnotleistungsgesetz in Anspruch genommen; infolgedessen übernahm das Kreisbesetzungskostenamt als Ausgleich die Zahlung des Pachtzinses. Darüber hinaus begehrten die Kläger für die Zeit ab Stellung des Antrags auf Erteilung der Schankerlaubnis entgangenen Gewinn infolge der Tatsache, dass sie die Gaststätte nicht hatten bewirtschaften können. Der BGH ­beschäftige sich in dieser Entscheidung ausgiebig mit der Frage, ab wann für eine Entschädigung relevantes, „schutzwürdiges Vermögen“ vorläge.485 Zunächst stellte er fest, dass die gesetzeswidrige Ausübung eines Gewerbes grundsätzlich keinen Schutz genießen könne.486 Indes war zur Zeit der Stellung des Antrags ein sachlich vollständig eingerichteter Betrieb bereits vorhanden – es fehlte nur an der Erteilung der Schankerlaubnis. Vom Zeitpunkt der Antragsstellung an bestand daher die „Aussicht der Klägerin, nach Erteilung der Konzession rechtmäßig Gewinn aus dem schon eingerichteten Betrieb ziehen zu können.“487 Somit wurde nicht nur eine bloße Gewinnchance ohne Vermögenswert entzogen; vielmehr sei die Aussicht, von der Erlaubniserteilung an rechtmäßig Gewinn ziehen zu können, selbst Inhalt des eingerichteten Gewerbebetriebs. Daher stellte die Inanspruchnahme der Räumlichkeiten der Gaststätte einen Eingriff dar, der einen Entschädigungsanspruch dem Grunde nach ab dem Zeitpunkt nach sich zog, zu dem die Erlaubnis regelmäßig erteilt worden wäre.488 In einer vergleichbar gelagerten Konstellation kamen die Richter jedoch zu einem anderen Ergebnis: Der Kläger verlangte Entschädigung für die Zeitspanne, in der er seine – vollständig eingerichtete – Apotheke mangels rechtswidrig versagter Konzession nicht hatte betreiben dürfen. Laut BGH genügte es für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff nicht, wenn die für das Unternehmen benötigen sachlichen Mittel zusammengetragen wurden, sofern das Gewerbe bisher nicht durch den Inhaber oder einen Dritten betrieben wurde. Vielmehr müsse dafür grundsätzlich in den wirksamen Organismus des Betriebs eingegriffen werden. Der Kläger mochte zwar einen Anspruch darauf haben, dass ihm bei Erfüllung der gesetzlichen Vorausset485  Im konkreten Fall ging es um einen Entschädigungsanspruch direkt aus dem Sondergesetz (§ 16 Flüchtlingsnotleistungsgesetz), nicht um einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff. Die Überlegungen zur Reichweite des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes sind jedoch über den Einzelfall hinaus von Relevanz. 486  Der Betrieb einer Gaststätte wäre mangels einer Erlaubnis nach § 30 GastG sogar strafbar. 487  BGH, NJW 1957, 633 (634). 488  Dies war vorliegend aus anderen Gründen noch nicht geschehen. Überdies sollte Beweis über die Rechtsmissbräuchlichkeit des gestellten Antrags erhoben werden.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

zungen die Konzession erteilt werde. Er hatte aber, so lange ihm die Konzession nicht erteilt wurde, kein Recht auf den Betrieb der Apotheke.489 Bemerkenswert ist, dass dies scheinbar einen eklatanten Widerspruch zur vorherigen Argumentation bildet, in der die Aussicht auf rechtmäßigen Gewinn in Schutzbereich des Gewerbebetriebs einbezogen wurde. Auch der BGH nahm infolge der offenkundigen Parallele auf seine frühere Entscheidung Bezug. Der maßgebliche Unterschied läge darin, dass es im Schankerlaubnisfall im Kern um die Inanspruchnahme von Räumen eines konzessionspflichtigen Gewerbes ging, während vorliegend lediglich die Erlaubnis zum Betrieb der eingerichteten Apotheke verweigert wurde. Fraglich ist, ob diese Argumentation überzeugen kann oder ob die Fälle nicht hätten identisch entschieden werden müssen. Denn die reine Inanspruchnahme der Räumlichkeiten war durch die Pachtübernahme abgegolten – es ging dem Kläger aber explizit um den entgangenen Gewinn, den er aus dem Gewerbe hätte ziehen können.490 Dies kann vorliegend offen bleiben, da der BGH in seiner weiteren Rechtsprechung klarstellte, dass bloße Gewinnchancen nicht Teil des Gewerbe­ betriebes sein können, selbst wenn ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung bestand.491 Insofern bleibt festzuhalten, dass kein entschädigungsrechtlicher Schutz für noch nicht in Betrieb befindliche Unternehmen besteht, und zwar unabhängig davon, ob sie sachlich vollständig eingerichtet sind und die faktische Betriebsaufnahme lediglich an der rechtswidrigen Genehmigungsverweigerung des Staates scheitert.492 Art. 14 GG schützt demnach nur Unternehmen, aber keine Unternehmensgründer.493 Angesichts der Tatsache, wie häufig der legale Betrieb eines Gewerbes heutzutage von einer staatlichen Erlaubnis abhängt, zeigt sich hier deutlich eine weitere Schutzlücke im Bereich der unternehmerischen Freiheit. b) Betriebserweiterungen und -modernisierungen Die Problematik verweigerter hoheitlicher Genehmigungen setzt sich fort, wenn bereits ein eingerichteter Gewerbebetrieb besteht. Dann kommt es nach der Rechtsprechung für das Vorliegen eines entschädigungspflichtigen Eingriffs entscheidend darauf an, ob in das Unternehmen in seiner gegenwärti489  BGH,

NJW 1962, 2347 f. insofern auch Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 88. 491  BGHZ 55, 261 (265); 98, 341 (351); 111, 349 (357); so auch BVerfGE 30, 292 (334 f.); 68, 193 (222 f.). 492  Insofern muss der Schankerlaubnisfall – wenn man die Argumentation nicht bereits als inkonsistent ablehnt – zumindest als Ausnahmefall angesehen werden, der extrem selten vorkommen dürfte. 493  Engel, AöR 1993, 169, 213. 490  Zweifelnd



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gen Form eingegriffen wird, oder lediglich eine Erweiterung auf einen anderen Tätigkeitskreis faktisch verhindert wird.494 Maßgeblich ist dabei die Reichweite des Betriebes, die der BGH in seiner Rechtsprechung zu bestimmen suchte. In einem beispielhaften Fall beschäftigten sich die Richter mit den Grundzügen dieser Abgrenzung. Einem Kläger, der bereits Großhandel mit unedlen Metallen betrieb, war die Erlaubnis zum Kleinhandel mit Schrott rechtswidrig versagt worden. Zunächst wiederholte der III. Zivilrechtssenat, „der Betrieb, in den eingegriffen werde, brauche nicht notwendig bereits in Gang befindlich sein, es genüge, wenn er so eingerichtet sei, daß er ohne den Eingriff unbeschränkt hätte ausgeübt werden können.“495 Für den angestrebten Kleinhandel war vorliegend keine Veränderung des bestehenden Betriebes notwendig gewesen, lediglich die versagte Erlaubnis fehlte. Dennoch war dieser Eingriff nicht entschädigungswürdig, da das Unternehmen nicht spezifisch für den Kleinhandel mit unedlen Metallen eingerichtet gewesen war, womit der Grundbetrieb durch die behördliche Verweigerung unbeeinträchtigt blieb. Der Unternehmer hatte also keine vergeblichen Investitionen getätigt und war nicht weiter schutzbedürftig.496 Auch handelte es sich nicht um eine notwendige Modernisierung, sondern vielmehr um die Aufnahme eines erweiterten Tätigkeitskreises. Dieses Ergebnis wurde von der klaren Ratio getragen, den Kreis der geschützten bisherigen Tätigkeiten eng zu fassen, um zu gewährleisten, dass eine Entschädigung nur für Eingriffe in tatsächlich bestehende vermögenswerte Rechtspositionen und nicht für den Verlust bloßer Vorteilschancen gewährt würde.497 Die Reichweite des Gewerbebetriebs befasste die Gerichte weiter in dem Fall eines stadtansässigen Apothekers, der eine Rezeptsammelstelle auf dem Land betreiben wollte, was ihm durch die zuständige Behörde versagt wurde. Während das Berufungsgericht die Sammelstelle als bloß unselbstständigen Teil der Apotheke betrachtete, in dem lediglich eine Maßnahme des Kunden494  BGH, NJW 1976, 1312 ff.; BGHZ 98, 341 (351 ff.). Eng verwandt damit ist die Investitionsfreiheit der Unternehmen, die durch staatliche Kontrolle beeinträchtigt werden kann. Indes werden Investitionen nur höchst ausnahmsweise dem Schutzbereich des Art. 14 GG unterfallen, da sie regelmäßig zukunftsbezogen sind und damit Art. 12 GG zugeordnet sind. Vgl. dazu Engel, AöR 1993, 169, 211; Müller-Graff, Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung, passim. 495  BGH, MDR 1961, 752. 496  Dieser Gedankengang erinnert stark an BVerwGE 3, 254 (256 f.), wo das Gericht neben einem Leistungsaufwand des Unternehmers zusätzlich noch die Einbringung von Kapital verlangte. Eine solche Differenzierung läuft jedoch auf die überkommene Vorstellung von kleinerem und größerem Eigentum heraus, vgl. Engel, AöR 1993, 169, 227 f. 497  BGH, MDR 1961, 752.

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dienstes angeboten wurde und diese Tätigkeit als von der ursprünglichen Apotheken-Konzession mit umfasst ansah, trat der BGH dieser Auffassung entgegen. Zwar gehöre zur Fortführung des Gewerbebetriebs auch die Möglichkeit seiner dauernden Erneuerung und Modernisierung, die sich aus Wettbewerbsgründen zu einer Notwendigkeit verdichten könne.498 Diese müsse indes anhand einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, die sich auf die allgemeine Verkehrsanschauung stütze, von einer Betriebserweiterung abgegrenzt werden. Vorliegend erschöpfe sich eine Sammelstelle nicht nur in der Anbringung einer Vorrichtung zur Aufnahme der schriftlichen Bestellungen. Vielmehr gehörten zu ihrer Einrichtung auch Vorkehrungen für die prompte Lieferung und Abholung, sowie gegebenenfalls die Einstellung weiterer vertrauenswürdiger Personen. Daher müsse erst eine Reihe sachlicher und persönlicher Mittel zu einer neuen Organisation zusammengefügt werden, um enteignungsrechtlichen Schutz zu erfahren. Im Ergebnis stellten die Richter fest, dass die Einrichtung einer Sammelstelle keine bloße Fortführung, sondern bereits eine Erweiterung des Gewerbebetriebs darstellte, die enteignungsrechtlich keinen Schutz genösse.499 Aufschlussreich für die Grenzziehung erwies sich auch folgender Sachverhalt: Auf einem mit mehreren Gebäuden bebauten Grundstück wurden Flüchtlinge in eine alte Villa eingewiesen. In den anderen Häusern betrieben die Kläger ein Hotel, in das sie auch das in Rede stehende Gebäude einbeziehen wollten. Daher begehrten sie Ersatz für den Schaden, der ihnen dadurch entstand, dass sie ihren Gewerbebetrieb nicht nach Plan betreiben konnten. Der BGH etablierte zunächst einschränkend den Grundsatz, dass die „Enteignungsentschädigung keine Schadensersatzleistung ist, die sämt­ liche Vermögenseinbußen des Betroffenen in Gegenwart und Zukunft ersetzt“500, sondern auf Substanzverluste begrenzt ist. Bei Eingriffen in ein Gewerbeunternehmen müsse daher ein Betrieb bereits vorhanden sein, d. h. eine Organisation sachlicher und sonstiger Mittel geschaffen sein, die ein planmäßiges Wirtschaften ermöglicht. Geschützt sei damit lediglich das Recht auf Fortsetzung des Betriebes auf Grund der schon vorhandenen betrieblichen Veranstaltungen. Hingegen sei die Verhinderung des Bemühens der Kläger, in anderweitig belegten Räumen einen Betrieb erst zu eröffnen, noch kein Eingriff in das schon vorhandene Gewerbe. Entscheidend war, dass erst noch eine Reihe persönlicher oder sachlicher Mittel zusammengefügt hätten werden müssen, um die Pläne tatsächlich zu verwirklichen. Im konkreten Fall bestand die Villa aus nahezu verwahrlosten Räumen, die erst hätten aufwendig renoviert werden müssen und konnte nach der notwendigen 498  So

auch BGH, NJW 1959, 1775 f. 188. 500  BGH, Urt. v. 15.03.1965 – III ZR 187 / 63. 499  BGHZ 34,



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wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht mehr als gegenwärtiger Teil des übrigen Hotelbetriebs angesehen werden.501 In einem weiteren Fall wollte eine Fachärztin für Radiologie auch Leistungen im Bereich der Computertomographie erbringen. Dazu kaufte sie einen Computertomographen und erwarb den erforderlichen Befähigungsnachweis. Die notwendige Zustimmung der kassenärztlichen Vereinigung wurde verfassungswidrig, aber schuldlos verweigert. Erneut ging das Gericht lediglich von einer Erweiterung der Praxis aus, die nur der Berufsfreiheit selbst zugeordnet sei. Art. 14 GG habe eine „objektbezogene Gewährleistungsfunktion“ und umfasse damit nur Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, indes keine Chancen und Verdienstmöglichkeiten. Hier sollte die Praxis aber nicht nur in ihren bisherigen Stand fortgeführt werden. Selbst der Kauf des Computertomographen sei nur eine vorbereitende Maßnahme, die ein Vertrauen auf künftige Erwerbschancen zeige, weshalb der eigentumsmäßig geschützte Kern nicht betroffen sei. Vielmehr unterfiele die Entscheidung als Investition auf rechtlich ungesicherter Grundlage dem eigenen Risiko. Eine Erweiterung der Entschädigungspflicht auf Art. 12 Abs. 1 GG wurde wie zuvor mangels rechtlicher Grundlage knapp abgelehnt.502 Nachdem es über ein Dutzend Jahre aufgrund der deutlichen Rechtsprechung verhältnismäßig still geworden war, lenkte ein Sachverhalt mit europarechtlichen Implikationen die Aufmerksamkeit der Richter erneut auf die Frage der Entschädigungspflichtigkeit von Verletzungen der unternehmerischen Freiheit im Umfeld eines ausgeübten Gewerbebetriebs. Die Klägerin, die ein konzessioniertes Wettbüro für Pferdewetten betrieb, beantragte die Genehmigung einer Erweiterung ihrer Tätigkeiten auf sonstige Sportwetten. Da diese aufgrund der bundes- und landesrechtlichen Vorschriften nicht erteilt werden konnte, erhielt sie einen ablehnenden Bescheid, der auch gerichtlich bis zum BVerwG aufrechterhalten wurde.503 Erst auf eine Verfassungsbeschwerde hin stellte das BVerfG eine Verletzung der Berufsfreiheit und die Unvereinbarkeit des Staatslotteriegesetzes mit dem Grundgesetz fest.504 In der Zwischenzeit war durch Kundenabwanderung und entgangene Gewinne der einst profitable Betrieb der Klägerin wirtschaftlich ruiniert, weshalb sie Prozesskostenhilfe für ein Schadensersatzverfahren beantragte.505 501  BGH,

Urt. v. 15.03.1965 – III ZR 187 / 63. MDR 1996, 798 f. Welche Abgrenzungsschwierigkeiten diese Frage aufwirft, verdeutlicht BGHZ 98, 341 (352). 503  Vgl. BVerwGE 114, 92. Zum vorherigen Prozessgang BayVGH, GewArch 2001, 65. 504  BVerfGE 115, 276. 505  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 1 f. Zu vergleichbar gelagerten Konstellationen siehe auch OLG Hamm, 03.05.2013 – 11 U 88 / 11; BGH, 502  BGH,

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Primär stützte sie sich auf eine Verletzung des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs, sekundär indes auf Amtshaftungs- und Aufopferungsansprüche. Dabei wandte sich die Klägerin gegen die Behörde wegen Nichterlasses der Zulassung als auch gegen die Legislative, weil sie keine normativen Grundlagen für die Erlaubniserteilung geschaffen hatte. Das Landgericht wies zunächst die Ansprüche gegen die handelnde Behörde ab: Diese habe aufgrund der auch von den höheren Gerichten als rechtmäßig erachteten Rechtslage nicht qualifiziert gegen Unionsrecht verstoßen; insbesondere sei keine direkt auf Art. 12 Abs. 1 GG gestützte Erlaubniserteilung in Betracht gekommen.506 Ebenso führe „das rechtswidrige Vorenthalten […] nicht dazu, dass das Veranstalten des Glücksspiels deswegen ohne behördliche Erlaubnis zulässig wäre“507. Ein Amtshaftungsanspruch scheiterte am fehlenden Verschuldens­ vorwurf,508 eine Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff daran, dass letztlich nur eine Betriebserweiterung in Frage stand.509 Gegenüber der zweiten Antragsgegnerin könne ebenfalls kein qualifizierter Verstoß gegen das ­Unionsrecht festgestellt werden, da dieses keine hinreichend unmissverständlichen Vorgaben gemacht habe. Jedenfalls aber fehle es am Kausalzusammenhang, da nicht dargelegt werden konnte, dass der Schaden nicht auch entstanden wäre, wenn der Gesetzgeber eine rechtlich zulässige – und später tatsächlich gewählte – Regelung erlassen hätte.510 Im Ergebnis scheiterte die Klägerin daher mit all ihren Ansprüchen und blieb ohne Entschädigung. Von bloßen Betriebserweiterungen abzugrenzen sind nach dem BGH notwendige Modernisierungsmaßnahmen des eigentlichen Kerngewerbes. Prototypisch steht hierfür der Automatenfall:511 Der Kläger wollte einen alten Spielautomaten durch ein neues Modell ersetzen, wofür die Behörde rechtswidrig ihre Genehmigung verweigerte. Obwohl nach ständiger Rechtsprechung das reine Unterlassen einer Erlaubnis für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff unzureichend war, sprach der BGH dem Betreiber vorliegend eine Entschädigung zu. Um eine Substanzbeeinträchtigung annehmen zu können, müsse zwar die Sache grundsätzlich eine produktive Aufgabe – einen bereits im Betrieb wirkenden Wert – haben, was bei dem noch Beschl. v. 26.2.2015  – III ZR 204 / 13; OLG Bremen, NVwZ 2014, 96; OLG Zweibrücken, 06.03.2013 – 6 W 21 / 12. 506  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 4 ff. 507  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 15. 508  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 16. 509  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 17. Darüber hinaus sei der enteignungsgleiche Eingriff auch bereits deswegen ausgeschlossen, weil es sich um nachteilige Auswirkungen eines verfassungswidrigen formellen Gesetzes handelte. 510  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 18 f. 511  BGH, DVBl. 1972, 827 f.



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anzuschaffenden Automaten nicht der Fall war. Die Besonderheit lag aber darin, dass es sich um eine notwendige512 Erneuerungsmaßnahme handelte, um das Gewerbe in dem bisherigem Umfang weiterzuführen und daher nicht um eine Betriebserweiterung. Konsequenterweise erhielt der Kläger jedoch nicht etwa den entgangenen Gewinn zugesprochen, sondern lediglich eine Entschädigung für die dem Gewerbebetrieb durch die versagte Aufstellungserlaubnis entzogene Vermögenssubstanz zu.513 Deutlich wird an dieser Rechtsprechung, dass die unternehmerische Freiheit selbst bei bereits bestehenden Betrieben nur sehr rudimentär gegen hoheitliche Eingriffe in Form versagter begünstigender Hoheitsakte über den enteignungsgleichen Eingriff entschädigungsrechtlich geschützt ist.514 Bis auf die vom BGH eng definierte Ausnahme der notwendigen Modernisierungsmaßnahmen unterfallen Betriebserweiterungen daher regelmäßig „nur“ der Berufsfreiheit. Bedenklich erscheint die daraus folgende Haftungslücke umso mehr, als dass gerade die Verweigerung einer Betriebs(erweiterungs-) erlaubnis den Unternehmenswert bis zum „Zerschlagungswert“ verringern kann.515 c) Substanz und Rahmenbedingungen des Betriebs Schließlich kann eine Entschädigung durch Substanzeingriffe hervorgerufen werden, die den Betriebsablauf des Unternehmens stören. Entscheidend ist in derartigen Konstellationen, ob der Betrieb noch im Wesentlichen ungestört funktionieren kann. Sowohl bei der rechtswidrigen Indizierung eines PC-Spiels in Deutschland516 als auch bei dem Vertriebsverbot für einen bestimmten Schokoladenriegel aufgrund der verfassungswidrigen Kakaoverordnung517 verneinten die 512  Die technische Zulassung des Altgerätes lief ab, wodurch es nicht mehr verwendet werden durfte. 513  Diese musste im konkreten Fall noch ermittelt werden, ergab sich nach dem BGH jedoch aus der „Höhe des Teilwertes, der bei einer angenommenen Veräußerung des gesamten Unternehmens anteilig für den [Automat] unter Berücksichtigung der mit dem konkreten Aufstellplatz verbundenen Gewinnerwartung erlöst worden wäre.“ 514  Insbesondere im Kontext des Atomausstiegs erlangen das Problem verweigerter Genehmigungen im Hinblick auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und damit verbundene Entschädigungsfragen große Aufmerksamkeit. Vgl. Ossenbühl, AöR 1999, 1, 5 ff.; Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 47. 515  Engel, AöR 1993, 169, 213. 516  OLG Köln, NVwZ 1994, 410. 517  BGHZ 111, 349: Aufgrund der Kakaoverordnung wurde einem Hersteller das Inverkehrbringen eines Puffreisriegels untersagt, dessen pflanzliche Fettglasur mit Schokolade verwechselbar war. Die entsprechende Vorschrift der Verordnung wurde

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Gerichte eine solch weitreichende Störung. Im ersten Fall sei ein Verkauf an Erwachsene weiterhin möglich gewesen, zudem sei der Absatz im Ausland unbeeinträchtigt geblieben. Daher könne von einer erheblichen Funktionsstörung des gesamten Betriebes nicht die Rede sein. Auch beim Vertriebsverbot des Riegels sei nur das „Wie“ der Produktion eines einzelnen Artikels betroffen, also die Möglichkeit, ein bestimmtes Erzeugnis zu günstigeren Bedingungen herzustellen. Zwar könne die Verteuerung der Herstellungskosten erheblich für den ganzen Betrieb sein, indes sei dies nur eine „mittelbare“ Eigentumsbeeinträchtigung, während dessen „Kernbereich“ unangetastet bliebe.518 Eine Ausnahme sei nur zu machen, wenn Produktionsumstellung schlechthin nicht verkraftbar sei und faktisch zu einer Erdrosselung des Betriebs führe.519 In beiden Fällen blieb daher der von dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützte bestimmungsgemäße Gebrauch der Produktionsmittel nach Ansicht der Gerichte möglich. Betroffen sei vielmehr lediglich die nicht von Art. 14 GG umfasste Möglichkeit, in einer bestimmten Weise Gewinn zu erzielen.520 Ein besonderes Problem tut sich im Bereich legislativen Unrechts auf, also wenn der Gesetzgeber selbst ohne dazwischentretenden Exekutivakt regulierend in die Berufsfreiheit eingreift. Bilden diese selbstvollziehenden Gesetze zwar auch die Ausnahme, können sie doch auf einmal eine Vielzahl an Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Aufgrund des im Rahmen der Amtshafvom BVerfG als Berufsausübungsregelung mangels Erforderlichkeit für mit Art. 12 GG unvereinbar erklärt. Die Klägerin verlangte die Mehrkosten ersetzt, die durch die Produktionsumstellung entstanden waren. 518  So auch Krohn, Entschädigung, Rn. 155. 519  BGHZ 83, 190 (194 f.); Nüßgens / Boujong, Enteignung, S. 20. Dem scheint BVerfGE 16, 147 (187 ff.) entgegenzustehen. Dort wurde, um den Werksfernverkehr einzudämmen, der Steuersatz um 400 % erhöht, was die Tätigkeit faktisch unökonomisch machte. Die Richter führten indes aus, diese „Einschränkung der Rentabilität“ falle selbst dann nicht unter den Schutzbereich des Art. 14 GG, wenn sie zur Betriebsstilllegung führte. Engel, AöR 1993, 169, 213 verweist daher zutreffend auf die Gefahr, wie schnell ein gesamtes Unternehmen seine Lebensfähigkeit einbüßen kann, wenn auch nur ein Stück „herausgeschlagen“ wird. Indes erscheint zweifelhaft, die haftungsrechtliche Relevanz eines Eingriffs nur an dessen Auswirkungen auf das Gesamtunternehmen bewerten zu wollen. Folge daraus ist letztlich eine fragwürdige Privilegierung von schlecht wirtschaftenden Unternehmen, bei denen ein vergleichsweiser milder Eingriff den entscheidenden Tropfen darstellt, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ein wirtschaftlich solide geführtes Gewerbe, das denselben Eingriff besser verkraftet, wäre dagegen schutzlos. Zu der sich aufdrängenden argumentativen Parallele zum Eigentumsschutz im Hinblick auf Steuerlasten vgl. nur Klawonn, Eigentumsgewährleistung, passim. 520  Kritisch Axer, in: FS Isensee, S. 121, 136. In die Kategorie der Substanzbeeinträchtigungen gehören auch behördliche Warnungen, die den Produktabsatz betreffen, vgl. Boujong, in: FS für R. Nirk, S. 61, 77.



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tung nicht länger hinterfragten Ausschlusses legislativen Unrechts über das Kriterium der Drittgerichtetheit werden jedoch kaum Schadensersatzprozesse angestrengt, geschweige denn von den obersten Gerichten judiziert. Beispielhaft521 soll an dieser Stelle der Fall der Vorratsdatenspeicherung angeführt werden, der verdeutlicht, dass selbst Konstellationen, in denen eine Berufsausübungsregelung nicht zum Kerninhalt gehört,522 weitreichende Konsequenzen zeitigen können. Der für nichtig erklärte § 113a TKG523 sah eine Speicherungspflicht für Telekommunikationsdienstleister vor, welche eine potenzielle Nutzung der Daten durch die Behörden ermöglichen sollte. Diese – erhebliche Investitions- und Betriebskosten verursachende – Berufsausübungsregelung erfolgte daher ohne gesetzliche Grundlage und somit rechtswidrig. Unter geltendem Recht steht den Betreibern aber keine Möglichkeit offen, sich von potenziellen Schäden wegen legislativen Unrechts zu erholen. Eng verwandt mit Berufsausübungsregelungen sind die Fälle, in denen es entscheidend auf vorgefundene Chancen und Vorteile ankommt, die dem Grunde nach nicht zum geschützten Bestand des Betriebes zählen.524 Wann hier ausnahmsweise eine Entschädigungspflicht anzunehmen sei, erläuterte der III. Zivilsenat im Fluglotsenfall.525 Die für die Flugsicherung zuständigen Beamten hatten sich kollektiv krankgemeldet und ihre Arbeit verlangsamt, weshalb eine amerikanische Fluggesellschaft hohe Verluste erlitt. Zunächst hielten die Richter fest, dass aufgrund des engen inneren Zusammenhangs zwischen dem Streikverhalten der Beamten und ihrer Dienstausübung der Fluglotsenstreik als einheitlicher Lebensvorgang und damit als hoheitliche Maßnahme angesehen werden musste. Sodann beschäftigten sie sich mit der Frage, ob die Fluglotsentätigkeit hier bloß als vorgefundener, nicht geschützter Vorteil für die Fluggesellschaft anzusehen sei. Grundsätzlich lag diese Betrachtungsweise nahe, da die von Dritten unabhängig ausgeübte Tätigkeit klar außerhalb des Betriebes der Klägerin anzusiedeln war. Überraschend kam der BGH jedoch zu einem anderen Ergebnis: Denn es sei nicht allein 521  Herausgegriffen wird dieser Fall, da er von Haack, DVBl. 2010, 1475, 1482 mit Fn. 65 dazu verwendet wird, die Unberechenbarkeit einer Haftung für legislatives Unrecht im Bereich der Berufsfreiheit zu illustrieren und sich daher gut als Aufhänger der Diskussion eignet. Auf dieses Problem wird ausführlicher einzugehen sein, siehe Fünfter Teil: § 2 B.II.4., S. 339 ff. 522  Die Nichtigkeitserklärung erfolgte im Hinblick auf einen Verstoß der Regelungen gegen Art. 10 Abs. 1 GG; nicht aber gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Vgl. BVerfGE 125, 260 (357 ff.). 523  BVerfGE 125, 260. 524  BGH, WM 1975, 834. Zu den möglichen, vielgestaltigen Fallgruppen vgl. die Übersicht bei Engel, AöR 1993, 169, 215 ff. 525  BGHZ 69, 128.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

die Erwartung der Chartergesellschaft in das Funktionieren der Flugsicherung enttäuscht, vielmehr wurden geschäftliche Veranstaltungen, zu deren Durchführung sich die Klägerin gegenüber Dritten verpflichtet hatte, durch einen betriebsbezogenen Eingriff von hoher Hand erschwert. Dies unterfiele indes nicht mehr dem Bereich des allgemeinen unternehmerischen Wagnisses, sondern träfe den Betrieb auch in seiner geschützten Sach- und Rechtsgesamtheit.526 Ähnlich gelagert ist der sogenannte Werbefahrtenfall:527 Das BVerfG entscheid, das generelle absolute Verbot an Fahrzeugen befestigter Werbung des § 33 Abs. 1 S. 3 StVO sei unverhältnismäßig und verstoße damit gegen die Berufsfreiheit des Unternehmers.528 Im folgenden zivilgerichtlichen Entschädigungsverfahren trug die beklagte Bundesrepublik vor, das Verbot hätte jedenfalls nicht in die von Art. 14 GG geschützte Substanz des Gewerbebetriebes eingegriffen.529 Die Möglichkeit, sein Gewerbe auch auf öffentlichen Straßen zu betreiben, habe nur die Bedeutung einer Chance gehabt, die ausschließlich dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG unterfiele. Der BGH bekräftigte zunächst seine bisherigen Ausführungen, indem er die allgemeinen Gegebenheiten und Chancen, innerhalb derer der Unternehmer seine Tätigkeit entfaltet, als nicht geschützt ansah, selbst wenn sie für das einzelne Gewerbe von entscheidender Bedeutung sein mochten.530 Beruhte dieses „Umfeld“ jedoch auf einer bestimmten Rechtslage, auf deren Fortbestehen sich der Unternehmer verlassen und einrichten durfte, sei ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand gegeben.531 Es entspräche gerade der Funktion des Art. 14 GG, dem Bürger Rechtssicherheit zu gewähren und sein Vertrauen auf das verfassungsmäßig ausgeformte Eigentum zu schützen.532 Durch das „Verbot einer weiteren bestimmten Verwendung vorhandener Vermögensgüter in ihrer unternehmensrechtlichen Zusammenfassung berührte die neue Regelung“533 – über Art. 12 Abs. 1 GG hinaus – auch den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit. Der Unternehmer genösse insofern entschädigungsrechtlich abgesicherten Schutz vor hoheitlichen unzumutbaren Beeinträchtigungen des Eigentumsobjekts.534 526  BGHZ

69, 128 (142). 78, 41. 528  BVerfGE 40, 371 (382). 529  Ein Amtshaftungsanspruch scheiterte am fehlenden Verschulden des Bundesministers für Verkehr. 530  BGHZ 45, 83; BGH, NJW 1964, 769; NJW 1968, 293. 531  BGHZ 25, 266 (269); vgl. auch BGHZ 45, 83 (87). 532  Zum Vertrauensschutz und seinen Abstufungen vgl. Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 95 ff. 533  BGHZ 78, 41 (44). 534  BGHZ 78, 41 (46 ff.). 527  BGHZ



§ 2 Haftungslücken in der Praxis113

Die obigen Beispiele aus verschiedenen Kategorien verdeutlichen, wie häufig Einschränkungen der unternehmerischen Tätigkeit vorkommen können. Die vom BGH entwickelten – eng zu fassenden – Ausnahmen eines Schutzes über den enteignungsgleichen Eingriff können aber nur einen kleinen Teilaspekt des gewerblichen Alltags abdecken. Für den Großteil der Reglementierungen der unternehmerischen Freiheit besteht demzufolge kein über die Amtshaftung hinausgehender Sekundärrechtsschutz.535 3. Das Fehlen eindeutiger und klar begründbarer Abgrenzungskriterien Angesichts der vielfältigen und teilweise zumindest prima facie widersprüchlich anmutenden Entscheidungen zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wird kritisiert, die tatbestandlichen Strukturen der Rechtsfigur ließen sich kaum festlegen.536 Vielmehr bilde diese lediglich ein Vehikel, um im Einzelfall grobe Unbilligkeiten im Bereich der Entschädigung für unternehmensbezogene Eingriffe zu korrigieren.537 Bezeichnend hierfür sei, dass der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb eines der bedeutsamen Anwendungsfelder für den eigenen Unschärfen unterliegenden enteignungsgleichen Eingriff darstelle.538 Fraglich ist, ob diese Kritik in voller Härte zutrifft. Denn betrachtet man die obigen Fallkonstellationen in ihren Besonderheiten, lassen sich zumindest rechtsprechungsinhärent abstrakte Leitlinien erkennen. Dabei erscheint nötig, die Urteile nicht „nur beim Wort“ zu nehmen, sondern vielmehr in Relation zu den jeweiligen Sachverhalten zu setzen.539 Danach lässt sich der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als eine Sach- und Rechtsgesamtheit aus vermögenswerten Rechten und – im Bereich der Eigentumsgarantie bemerkenswert – tatsächlichen Verhältnissen, also dem Tätigkeitsbereich des Unternehmens, begreifen. 535  Dazu mit zahlreichen Beispielen Berkemann, in: Clemens / Umbach (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 75 ff. 536  Vgl. Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 179; Röder, Haftungsfunktion, S.  82 f. 537  Ossenbühl, ZHR 1991, 329, 347 f.; Röder, Haftungsfunktion, S. 82, ähnl. auch Fikentscher, in: FS für H. Kronstein, S. 261, 283, 285 f.; zuweilen wird sogar von einer „politischen Funktion“ des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gesprochen, vgl. Wiethölter, KritJ 1970, 121 ff. 538  Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 360. 539  Löwer, Staatshaftung, S. 363; insofern werden verkürzte Darstellungen, die nicht auf die unterschiedliche Lagerung der Einzelfälle eingehen, dem Problem nur bedingt gerecht. So u.A Röder, Haftungsfunktion, S. 81 ff., der von „fragwürdigen Zuordnungen“ und „zweifelhaften Judikaten“ spricht, indes diese im Ergebnis für „vielleicht noch nachvollziehbar“ hält (S. 82).

114

2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Hochgradig problematisch erweist sich jedoch die genauere Umschreibung des bestehenden wirtschaftlichen Organismus’540: Bereits die vielfältige Terminologie des BGH zeugt von einer gewissen Unsicherheit, was genau die „Substanz“,541 der „geschützte Bestand“,542 der „eigentumsmäßig geschützte Kern“543 des Betriebs ist; also was ihm „zugerechnet“544 wird und was seinen „eigenen Wert“545 bedeutet. Keine Schwierigkeiten bereitet allein der gegenständliche Bereich, der bereits nach traditionellem Eigentumsverständnis Schutz genießt. Weit weniger eindeutig umrissen ist der „gewerbliche Tätigkeitskreis“ – die tatsächlichen Verhältnisse des Betriebes. Während notwendige Modernisierungsmaßnahmen Schutz genießen sind, gilt dies für reine Unternehmenserweiterungen nicht.546 Ein Substanzeingriff bei staat­ licher Einflussnahme auf die mögliche Nutzung der Produktionsmittel ist nur in Extremfällen – genauer: bei erdrosselnder Wirkung – anzunehmen; ebenfalls rufen dem Grundsatz nach außerhalb des Unternehmens stehende Chancen und Rahmenbedingungen kein schutzwürdiges Vertrauen hervor, solange nicht hoheitliche rechtswidrige Einwirkungen auf das Eigentumsobjekt den Eigentümer unzumutbar belasten.547 Diese abstrakt-theoretischen Kriterien zeigen jedoch in der Praxis einen hohen Ausfüllungsbedarf durch die Rechtsprechung, sodass die Subsumtion durchaus als „Drahtseilakt“548 angesehen und der Ausgang des Einzelfalls kaum prognostiziert werden kann.549 Mangels einer tragfähigen Systematik kommt es zu einem „Sich-Verlieren in schillernder Kasuistik“550, das angesichts der gravierenden entschädigungsrechtlichen Konsequenzen umso bedenklicher erscheint.551 Indes ist bereits zweifelhaft, ob das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb je die Funktion haben sollte, eine dem Sacheigentum vergleichbare, klar umrissene Rechtsposition darzustellen. Diesbezüglich aufschlussreich zeigt sich die parallele Problematik im Zivilrecht, wo das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 540  BGHZ

111, 349 (356). 48, 58 (61). 542  BGHZ 45, 151 (157); 55, 261 (263); 78, 41 (44). 543  BGHZ 132, 181 (187); 133, 265 (267). 544  BGHZ 98, 341 (352). 545  BGHZ 50, 73 (76). 546  BGHZ 98, 341 (351); 132, 181 (187). 547  Zu diesem eigentumsrechtlichen Vertrauensschutz insb. BGHZ 132, 181 (188); 111, 349 (359); 78, 41 (44 ff.). 548  Röder, Haftungsfunktion, S. 81. 549  Zur Möglichkeit einer Heranziehung der Rspr. des EGMR, um den Eigentumsbegriff zu konturieren Axer, in: FS Isensee, S. 121, 143. 550  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 176. 551  Badura, AöR 1973, 153, 158. 541  BGHZ



§ 2 Haftungslücken in der Praxis115

seinen Ausgangspunkt nahm.552 Dort wird das Rahmenrecht als Auffangtatbestand charakterisiert, der einen gewissen richterrechtlichen Schutz der wirtschaftlichen Betätigung ermöglicht und dabei eine lückenschließende Struktur aufweist.553 Seiner Natur nach stellt dieses Recht daher weniger einen klaren Tatbestand mit „subsumtionsgeeigneten“ Merkmalen dar, sondern eher eine Zusammenfassung normativer Gesichtspunkte, die einen gewissen Unternehmensschutz bezwecken.554 Durch die Verwendung deutungsoffener Kriterien555 behält sich die Rechtsprechung dabei größtmög­ liche Flexibilität vor. Selbst wenn man anerkennt, dass die „zum Teil fast nur pointilistische[n] Wertungs- und Abwägungsgesichtspunkte […] der Gerichtspraxis ein nur mit Mühe faßbares Gerüst“556 geben und damit ein schwer berechenbarer Spielraum entsteht, so bleibt jedenfalls die eigentliche Begründung der Grenzziehung problematisch und erklärungsbedürftig.557 Anstatt eine belastbare Dogmatik zu entwickeln, beschränkt sich der BGH auf die Postulierung frag­ würdiger Grundsätze und setzt sich damit dem Vorwurf aus, lediglich unter Billigkeitsgesichtspunkten so einem „unabdingbaren“ Haftungsbedürfnis Rechnung tragen zu wollen.558 In der Tat mögen die Fälle, in denen die Richter eine Entschädigung gewährten, dem Gerechtigkeitsempfinden e­ ntsprechen und somit als „evident berechtigt“ gelten.559 Es ist aber frag­ lich, warum dieselbe Ratio nicht auch auf ein „werdendes“ Unternehmen, den „geradenoch-nicht-vorhandenen-Gewerbebetrieb“560 übertragen werden kann, der im Zweifel womöglich noch schutzwürdiger ist. Gleiches gilt für Betriebserweiterungen oder Substanzeingriffe. Unter rechtsstaatlichen und gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten bleibt es befremdlich, dass die Tätigkeit nur entschädigungsrechtlich geschützt wird, wenn sie auf Basis einer gegen552  Fikentscher, in: FS für H. Kronstein, S. 261, 262 m. w. N. Letztlich ist dennoch wie dargestellt kein vollständiger Rückschluss von der zivilrechtlichen Betrachtungsweise auf die Problematik im Verhältnis zwischen Staat und Bürger möglich. Badura, AöR 1973, 153, 155. 553  Badura, AöR 1973, 153, 158. 554  Badura, AöR 1973, 153, 159 f. Hieraus erklärt sich auch, dass Schutzbereich und Eingriff häufig in der Rechtsprechung verwoben und vermischt werden. 555  So können die Richter im Einzelfall entscheiden, wann ein Betrieb im Wesentlichen ungestört funktioniert, wann eine wirtschaftliche Betrachtungsweise eine Erweiterung nahelegt oder wann eine unzumutbare Beeinträchtigung vorliegt. 556  Badura, AöR 1973, 153, 164. 557  Vgl. Engel, AöR 1993, 169, 223, der bemängelt, dass „Zauberformeln“ im Ergebnis lediglich die Sachargumente verschleierten. 558  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 400; Badura, AöR 1973, 153, 157 f. 559  So Sass, Entschädigungserfordernis, S. 401; Röder, Haftungsfunktion, S. 85 spricht von „intolerablen Haftungslücken“. 560  Löwer, Staatshaftung, S. 356 f., 359.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

ständlichen Verkörperung – des Gewerbebetriebs – geschieht.561 Man kommt kaum umhin, an das biblische Zitat erinnert zu werden: „Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch das genommen was er hat.“562 Den BGH zwingt indes die Beschränkung des enteignungsgleichen Eingriffs auf Rechtsgüter des Art. 14 GG zu einer Aufrechterhaltung der Abgrenzung zur Berufsfreiheit. Diese Grenze ziehen die Richter dort, wo die eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition endet und wahren damit zumindest eine gewisse Nähe zum Sacheigentum.563 Aufweichungen im Einzelfall und fragwürdige Zuordnungen lassen jedoch Kritik laut werden, es handle sich in Wirklichkeit um eine „versteckte Anerkennung des […] Schutzes der gewerblichen Betätigung als solcher“.564 Ein derartiger Vorwurf liegt bereits anhand der Terminologie einiger Urteile nahe: Die Behinderung einer „geschäftlichen Veranstaltung“ ist naheliegender Weise eher der Berufsausübungsfreiheit als der Eigentumsgarantie zu unterstellen,565 es drängt sich überdies die Frage auf, inwiefern überhaupt sinnvollerweise von einer „vergegenständlichten“ Unternehmenstätigkeit566 gesprochen werden kann.567 Der Mischcharakter wird offenkundig, wenn die Festlegung einer Altershöchstgrenze für Hebammen – eigentlich eine klassische Berufsausübungsregelung – unter dem Topos eines Eingriffs in ihren Gewerbebetrieb diskutiert 561  Kötz / Wagner, Deliktsrecht, S. 49; eine Privilegierung des Kapitals vor der Arbeitskraft anprangernd: Menger, Bürgerliches Recht, S. 200; Wolf, in: FS F. von Hippel, S. 665, 682 f. 562  Matthäus 13, 12 (Lutherübersetzung 1912). 563  Rinne, DVBl. 1993, 869; Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 411, jew. m. w. N.; Badura, AöR 98 (1973), 153, 160. 564  So ausdrücklich Fikentscher, in: FS für H. Kronstein, S. 261, 285 f. Ähnl. auch Röder, Haftungsfunktion, S. 82, der in der Rechtsprechung des BGH einen „verschleierten sekundären Erwerbsschutz“ ausmacht. 565  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 401 m. w. N.; Löwer, Staatshaftung, S. 354, 362. 566  So bereits RGZ 58, 24. 567  Angesichts dieser Gratwanderung verwundert es nicht, dass insbesondere die Rechtsprechung höherer Fachgerichte zuweilen über das Ziel hinauszuschießen scheint: dazu nur OLG Stuttgart, NJW 1964, 595 (596), das gar „die gewerbliche Betätigung schlechthin“ als geschützt ansieht und sich damit im klaren Gegensatz zum BGH befindet, nach dem das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb „keinesfalls […] als ein Recht auf freie Betätigung als Unternehmer überhaupt aufgefaßt werden“ dürfe, BGHZ 45, 151 (155). Bei aller ambiguen Terminologie hat der BGH in seiner Rechtsprechung bisher keinen Eingriff gegen die bloße wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit entschädigungsrechtlich sanktioniert, worauf zutreffend Löwer, Staatshaftung, S. 363 hinweist. Progressiv aber bspw. Axer, in: FS Isensee, S. 121, 128 ff., 131 ff., der verstärkt auf die zukunftsbezogene Komponente des Art. 14 GG abstellt, also den Gebrauch und die Nutzungen des Eigentums.



§ 2 Haftungslücken in der Praxis117

wird.568 Zweifelhaft erscheint auf Rechtsfolgenseite weiterhin, dass der BGH die Entschädigung vereinfacht über den Ertragsausfall berechnet und somit über den Ersatz des entgangenen Gewinns letztlich eben doch den Erwerb und nicht das Erworbene schützt.569 Die obigen Fälle illustrieren deutlich, dass sich im Bereich des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs Schutzbereichsüberlagerungen zwischen Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG auftun, die über ihre theoretische auch eine erhebliche praktische Relevanz aufweisen. Eine solche tatbestandliche Verschränkung wirft zwangsläufig die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis der Normen zueinander auf.570 Die überwiegende Auffassung nimmt eine – zumindest partielle – Idealkonkurrenz an, sodass die kumulative Anwendung von Art. 12 Abs. 1 GG neben Art. 14 GG möglich ist.571 Das BVerfG bildet in seinen Entscheidungen das gesamte Meinungsspektrum ab und lässt keine eindeutige Wertung erkennen: Nach Möglichkeit wird die Frage offen gelassen572 und zuweilen auch eine Idealkonkurrenz angenommen.573 Andererseits finden sich Entscheidungen, die ein Exklusivitätsverhältnis nahelegen.574 Auch die salomonische Aussage, beide Grundrechte seien funktional aufeinander bezogen, haben jedoch selbstständige Bedeutung, bleibt diffus.575 Dass die entschädiBVerwGE 3, 254 ff.; vgl. auch Engel, AöR 1993, 169, 223. 57, 259, 268; BGH, NJW 1983, 1663. 570  Verdeutlicht wird dies durch den Werbefahrtenfall, in dem derselbe Sachverhalt zunächst im Rahmen der Berufsfreiheit behandelt wurde, danach indes eine Entschädigung wegen Eingriffs in Art. 14 GG angenommen wurde. 571  So bereits Battis, Aufopferungsentschädigung, S.  16, 83  ff.; Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 130 f.; Axer, in: FS Isensee, S. 121, 148; jew. m. w. N. Insbesondere Ossenbühl, AöR 1990, 1, 25 weist darauf hin, dass berufliche Betätigung und Eigentumsgebrauch häufig in Idealkonkurrenz zueinander stehen, da die Eigentumsgarantie gerade auch den Gebrauch der vermögenswerten Güter umfasst. 572  BVerfGE 22, 380 (386); 34, 252 (257). 573  BVerfGE 21, 150 (151); 50, 290 (339 ff.). 574  BVerfGE 121, 317 war mit der Einordnung des Rauchverbots in Gaststätten befasst. Während auch das Hausrecht des Gastwirtes beeinträchtigt war, lag der „Schwerpunkt des Eingriffs“ (344 f.) in der Einschränkung seiner Erwerbstätigkeit, womit (nur) Art. 12 GG einschlägig war. Ähnlich entschieden die Richter die Streitfrage der Eingliederung privater Dienstleister in den öffentlichen Rettungsdienst (BVerfG, NVwZ 2010, 1212): Zwar sei eine Begrenzung der Verwendung vorhandener Vermögensgüter gegeben, diese aber nur mittelbare Folge der Handlungsbeschränkung. Daher verdrängte Art. 12 GG als sachnäheres Grundrecht Art. 14 GG. Deutlich wird daran das Ziel des BVerfG, im Ergebnis nur ein Grundrecht als maßgeblich anzusehen, vgl. Berkemann, in: Clemens / Umbach (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 71. Kritisch Ossenbühl, AöR 1990, 1, 32. 575  BVerfGE 50, 290 (361 f.). 568  So

569  BGHZ

118

2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

gungsrechtliche Alles-oder-Nichts-Frage in der heutigen Rechtsprechungspraxis jedoch von der nahezu zufälligen Zuordnung zu einem der Schutzbereiche in einer wenig geklärten Grauzone abhängt, ist ein kaum hinnehmbares Ergebnis.576 Umso dringender ist die Rechtsprechung zu einer klaren Stellungnahme aufgerufen, nicht zuletzt, um das Prozessrisiko des Rechtsschutzsuchenden kalkulierbar zu gestalten. 4. Zwischenergebnis Mag das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in seiner Ausprägung durch die Gerichte auch einen gewissen – über den enteignungsgleichen Eingriff auch haftungsrechtlichen – Schutz für die unternehmerische Betätigung bieten, hat die vorstehende Analyse klar die Grenzen dieser Rechtsfigur aufgezeigt. Nur ein kleiner Teilausschnitt der gewerblichen Tätigkeit zeigt sich umfasst und selbst dort nimmt der BGH eine sehr „restriktive Umgrenzung der geschützten Zone“577 vor. Über diesen rudimentären Schutz in Ausnahmefällen hinaus wird eine vielschichtige Palette an Verletzungsszenarien deutlich, die nach geltender Rechtslage staatshaftungsrechtlich ungeschützt sind. Das Zusprechen von Entschädigungen in Einzelfällen mag diese prekäre Situation zwar abmildern, es kann jedoch keinesfalls davon die Rede sein, dass kein über sie hinausgehendes Schutzbedürfnis bestünde.578

B. Ergebnis: Aufgezeigte Praxisrelevanz als Aufgabe an Gesetzgeber und Rechtsprechung Betrachtet man die vielgestaltigen Einwirkungsmöglichkeiten, die dem Staat im Schutzbereich der Berufsfreiheit zukommen, so tritt die besondere Schutzwürdigkeit dieses Freiheitsrechts deutlich zutage. Wie dargestellt machen sowohl Legislative als auch Exekutive von ihren Befugnissen regen Gebrauch und überschreiten dabei bisweilen die Grenzen der grundgesetzlich geschützten Freiheitssphäre. Ob durch Prüfungsentscheidungen, die Verzögerung des Berufseinstiegs, oder aber durch Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit: An potenziellen Verletzungsszenarien besteht kein Mangel. Dabei vermögen die oben dargestellten Fälle nur schlaglichtartig spezifische Konstellationen zu beleuchten, jedoch kein wirklichkeitsgetreues Abbild zu ver576  Vgl. m. w. N. zur Rechtsprechung des BVerfG, Röder, Haftungsfunktion, S. 85; Schenke, NJW 1991, 1777, 1782. 577  Ossenbühl, AöR 1999, 1, 7. 578  Insofern erscheint die Analyse von Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 2 vorschnell.



§ 2 Haftungslücken in der Praxis119

mitteln. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die Gerichte nur über Sachverhalte entscheiden können, die an sie herangetragen werden. Dem richterlichen Augenmerk entgehen damit jedoch all die Fälle, die aus verschiedenen Beweggründen, zuweilen aber schlicht aus Resignation, überhaupt nicht auf dem Rechtsweg ausgefochten werden.579 Selbst an der Fallauswahl ist indes erkennbar, dass eine Reduzierung des Art. 12 Abs. 1 GG auf ein „Grundrecht des Mittelstandes“580 die Realität unzulässig verkürzt und verzerrt. Vielmehr sind alle Berufsgruppen potentiell betroffen – Arbeitnehmer gleichermaßen wie Selbstständige.581 Darüber hinaus kann die Berufsfreiheit auch in Fällen beeinträchtigt sein, bei denen auf den ersten Blick andere Grundrechte primär einschlägig scheinen.582 Schließlich kann die Schutzfunktion des Art. 12 Abs. 1 GG den Staat verpflichten, die berufliche „Freiheitssphäre zu schützen und zu sichern“583. Obschon derartige Pflichten nur mit großer Zurückhaltung anzunehmen sind, können sich nichtsdestotrotz auch aus der Verletzung der objektiven Schutzfunktion Haftungspotentiale ergeben.584

579  Ossenbühl,

AöR 1990, 1, 6 f. Breuer, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 170, Rn. 25 m.N. aus der Rechtsprechung. 581  Auch Arbeitgeber können in den unterschiedlichsten Situationen betroffen sein, so beispielsweise wenn die zuständige Behörde ihre nötige Zustimmung zu einer Kündigung verweigert. Mit diesem Beispiel unter Hinweis auf § 9 Abs. 3 MuSchG, § 15 SchwerbhG, Röder, Haftungsfunktion, S. 71. 582  Nachrangige gewerbliche Interessen werden sich häufig beispielsweise bei Religionsgemeinschaften oder Versammlungen finden lassen, vgl. Röder, Haftungsfunktion, S. 22. 583  BVerfGE 92, 26 (46). 584  Vgl. zur Schutzkomponente der Berufsfreiheit BVerfGE 81, 242; Ruffert, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 19; Pielow, in: Pielow (Hrsg.), GewO, § 1, Rn. 81, 114; Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 76 ff. Mit Bedacht muss aber Ansätzen begegnet werden, die Art. 12 GG mit einer sozialstaatlichen Komponente „aufladen“, um staatliche Interventionen und Ausgestaltungen aus ihm heraus zu begründen. (Vgl. Schneider, VVDStRL 1985, 7, 34 ff., der von einer Vielzahl an Schutzfunktionen und -zwecken ausgeht). Zwar ist zutreffend, dass sich die Berufsfreiheit sich „dem Schutzversprechen [anschließt], das dem Staat für die Würde des Menschen und die freie Entfaltung der Persönlichkeit obliegt“ (so Badura, in: FS für W. Herschel, S. 21, 26). Indes ist die Grundrechtswohltat des einen häufig Grundrechtslast der anderen (Isensee, VVDStRL 1985, 76, 113). Eine zu weitgehende, soziale Funktionalisierung von Art. 12 GG führte im Extremfall dazu, dass die Berufsfreiheit in ambivalenter Weise zu ihrer eigenen Schranke würde (vgl. Bachof, VVDStRL 1985, 76, 127). Deshalb wird zu Recht vor einem „Übermaß der Schutz-, Fürsorge-, Lenkungsmaßnahmen“ (Isensee, VVDStRL 1985, 76, 113) gewarnt, welchem indes durch eine Fokussierung auf die liberal-abwehrrechtliche Primärfunktion von Art. 12 GG vorgebeugt werden kann. 580  Vgl.

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2. Teil: Unzureichender Schutz für Verletzungen von Art. 12 GG?

Ist eine staatliche Schädigung irreversibel eingetreten, bleibt die Frage nach einer Wiedergutmachung, bei welcher der Bürger auf den vorhandenen Sekundärrechtsschutz angewiesen ist. Aufgezeigt wurde, dass die theoretische Schutzlücke für Eingriffe, in denen die Amtshaftung scheitert, auch in der Praxis erheblichen Niederschlag findet. Selbst eine Ausweitung des über den enteignungsgleichen Eingriff weiter geschützten Rechts am Gewerbebetrieb kann das Schutzbedürfnis nicht adäquat oder auch nur annähernd vollständig auffangen. Diese haftungsrechtliche Schutzlücke fungiert als Handlungsaufforderung an den Staat, dem es obliegt, Abhilfe zu schaffen. Es gilt, eine umfassende Staatshaftung zu erreichen, die als „letzte Vollendung des Rechtsstaates“585 und als dessen verfassungsnotwendiges Erfordernis angesehen wird.586 Daher ist ein „gesetzgeberischer Handlungsbedarf nicht zu bestreiten“,587 dem jedoch wegen kompetenzieller und politischer Schwierigkeiten bisher nicht nachgekommen wurde. Verstärkt werden somit die Gerichte in die Verantwortung genommen, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung Haftungsinstitute zu entwickeln, die dem Schutzbedürfnis für Art. 12 Abs. 1 GG gerecht werden.588 Der Jurisprudenz fällt es dabei zu, Rechtserklärungs- als auch -fortentwicklungsansätze zur Verfügung zu stellen, die von der Legislative und Judikative aufgegriffen werden können.589 Dieser Aufgabe hat sich das Schrifttum insbesondere im Bereich der Frage einer staatlichen Haftung für Eingriffe in die Berufsfreiheit mit einem breiten Meinungsspektrum angenommen. Es herrscht insofern sicherlich kein Mangel an Angeboten an den Rechtssetzer und -anwender. Das Dickicht der verschiedenen Ansichten muss jedoch zunächst systematisch aufgearbeitet werden. Nur so kann zielbezogen geklärt werden, wie dogmatisch tragfähig ein Ansatz ist, wie gut er die Haftungslücke zu schließen vermag und schließlich, wie er umgesetzt werden kann.

585  Leisner,

VVDStRL 1963, 185, 187. bereits die Kommission zum Staatshaftungsgesetz 1981, vgl. Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, § 2 Rn. 54 ff. 587  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 115. 588  Dazu ausführlich Fünfter Teil: § 2, S. 311 ff. 589  Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth (Hrsg.), VerwR II, § 66, Rn. 9; Rüthers /  Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 202; Pestalozza, in: FS für H. H. von Arnim, S. 283, 284; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 357. 586  So

Dritter Teil

Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke Der gescheiterte gesetzgeberische Versuch einer Neuordnung und Lückenschließung1 hat das Staatshaftungsrecht in einem komplexen, an Stringenz mangelnden Zustand zurückgelassen. Basierend auf unterschiedlichen, nicht aufeinander abgestimmten Rechtsgrundlagen, die in starker richterrechtlicher Prägung „fast bis zur Grenzenlosigkeit“2 erweitert und ausgelegt wurden, gleicht das Rechtsgebiet einem gordischen Knoten, dessen Zerschlagung angesichts legislativer Passivität in geradezu hoffnungsloser Ferne scheint.3 In den Unzulänglichkeiten des gegenwärtigen Konstrukts offenbart sich eine große Chance für die Jurisprudenz, durch systematische Aufarbeitung eine tragfähige Dogmatik zu entwickeln, die den Haftungslücken im Bereich der Berufsfreiheit abhilft und als Grundlage einer Reform dient.4 Gerade das häufig fragwürdig wirkende Zusammenspiel kodifizierter Normen mit dem Richterrecht bietet weiten Raum für dogmatische Fortentwicklung, der vielfältig von der juristischen Wissenschaft genutzt wurde.5

§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung Um die bestehende Schutzlücke im Bereich von Art. 12 Abs. 1 GG zu schließen, will eine Strömung in der Literatur die Aufopferungshaftung im 1  Gesetz vom 26.6.1981, BGBl. I S. 553, von BVerfGE 61, 149 mangels Bundeskompetenz für nichtig erklärt. Ausführlich dazu Fünfter Teil: § 1 A., S. 303 ff. 2  Wallerath, DÖV 1987, 505, 506. 3  Hain, VerwArch 2004, 498, 499, der eine Zerschlagung unter Rückgriff auf das Gemeinschaftsrecht für die plausibelste Option hält. Vgl. Brugger, JuS 1999, 625, 626. Ähnl. auch Schenke, NJW 1991, 1777, 1778, der ohne gesetzgeberisches Eingreifen „keine Lösung der Staatshaftungsproblematik aus einem Guß“ erwartet. Zur Umsetzbarkeit durch Richterrecht ausführlich Fünfter Teil: § 2, S. 311 ff. 4  Vgl. Hain, VerwArch 2004, 498, 499; Thoma / Dreier, Rechtsstaat – Demokratie – Grundrechte, S. XLII; Luhmann, Entschädigung, S. 11. Auch dem Staatshaftungsgesetz 1981 lag eine umfangreiche Vorarbeit von Hochschullehrern und Praktikern zugrunde, vgl. Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 349. 5  Hain, VerwArch 2004, 498, 500; in diese Richtung auch Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 347 f.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

weitesten Sinne ausdehnen. Obschon in ihren einzelnen Ausprägungen differenziert, eint die Vertreter dieser Auffassung der Gedanke, die Berufsfreiheit in den Kanon der entschädigungsrechtlich geschützten Rechtsgüter mit einzubeziehen.6 Den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden die richterrechtlich anerkannten Institute des enteignungsgleichen Eingriffs7 und des eng verwandten aufopferungsgleichen Eingriffs, deren „zentrale Inspirations­ quelle“8 wiederum in Vorschriften des Allgemeinen Preußischen Landrechts liegt.9

A. Der enteignungsgleiche Eingriff als Ausgangspunkt Um die Tragfähigkeit einer Erweiterung des enteignungsgleichen Eingriffs auf die Berufsfreiheit beurteilen zu können, müssen seine Grundstrukturen aufgezeigt werden, da sich nur aus ihnen eine Entwicklungsoffenheit ergeben kann. Zur Klärung der Frage, ob die rechtsprechungsimmanente Begründungslogik für eine Einbeziehung der Berufsfreiheit in den aufopferungsrechtlichen Schutz streitet, ist daher nötig, zunächst die Entwicklungstendenzen der Rechtsfortbildung nachzuzeichnen und eine belastbare Basis zu entwickeln, auf der die Erweiterungsargumente fußen können. I. Historische Entwicklung Heute gilt der enteignungsgleiche Eingriff als ein am allgemeinen Aufopferungsgedanken orientiertes, gewohnheitsrechtlich verfestigtes Institut, das einer gewissen Dynamik hinsichtlich seiner genauen Ausformung unterworfen bleibt. Diese ist nur vor dem Hintergrund seiner historischen Herkunft zu verstehen, welche den Charakter und die Ausprägungen der Rechtsfigur 6  Engelhardt, NVwZ 1985, 621, 628; Schoch, Jura 1989, 529, 534; Maurer, JZ 1991, 36, 39; Schenke / Guttenberg, DÖV 1991, 945, 953; Schenke, NJW 1991, 1777, 1779; Maurer, JZ 1996, 1122 ff.; Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 352; Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 693; Papier, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 1989, § 157, Rn. 60; Ossenbühl, Entwicklungen, S.  19 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 294 ff.; Maurer, VerwR, § 27 Rn. 106 m. w. N.; aus der Rechtsprechung explizit OVG Münster, NVwZ 1994, 795 (796) für eine „behutsame Ausdehnung des Anspruchs wegen aufopferungsgleichen Eingriffs“ auf Fälle der Berufsfreiheit. 7  Diese sprachliche Kurzform hat sich für das richterrechtlich geprägte Entschädigungsinstitut für rechtswidrige, aber schuldlose Eigentumseingriffe durchgesetzt und wird deshalb auch in dieser Bearbeitung verwendet. 8  Morlok, in: FS für U. Palme, S. 291, 292. 9  So auch Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 310. Vgl. ausführlich Kreft, Aufopferung, S. 4.



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maßgeblich beeinflusst hat.10 Der Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs wurde intentional zur „Überwindung der bekannten strukturellen Mängel und Haftungsdefizite der Amtshaftung und der zeitgerechten Fortentwicklung der Staatsunrechtshaftung“11 konstruiert. Ziel der richterlichen Schöpfung war es, Ersatzansprüche wegen Eigentumsverletzungen dort zu ermöglichen, wo der Amtshaftungsanspruch des Geschädigten scheiterte: dies betraf regelmäßig Fälle rechtswidrig-schuldloser Eingriffe, die nicht durch den Primärrechtsschutz abgewehrt werden konnten.12 Das Grundproblem einer Lücke im System der öffentlichen-rechtlichen Ersatzleistungen beschäftigte die Gerichte dabei seit langer Zeit. In der Weimarer Republik bildeten zwei verfassungsrechtliche Institute, die Amtshaftung in Art. 131 WRV und der Aufopferungsanspruch in Art. 153 WRV, „das ganze System der staatlichen Verantwortlichkeit für die Ausübung ­öffentlicher Gewalt“13. Eine nüchterne Zusammenschau der jeweiligen „Schutzbereiche“ musste die Schutzlücke für rechtswidrig-schuldlose Eingriffe in eindrücklicher Weise offenbaren. Denn hier konnte die Amtshaftung mangels Verschuldens ebenso wenig einschlägig sein wie die Aufopferungsentschädigung, die nach ihrer Ratio nur bei rechtmäßigem Staatshandeln eingriff.14 Bereits 1933 schloss sich deshalb das Reichsgericht den Forderungen nach Lückenschließung aus der Literatur an und entwickelte einen Entschädigungsanspruch wegen rechtswidriger Eigentumsverletzung. Begründet wurde dies mit einem Erst-Recht-Schluss aus den §§ 74, 75 EinlALR, die einfachgesetzlich die Ausgleichspflicht im Falle der Aufopferung wegen rechtmäßigem Staatshandeln regelten.15 Später übernahm der BGH in seiner Leitent10  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 259; Ossenbühl, NJW 1983, 1; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 353; Schenke, NJW 1991, 1777, 1778; Röder, Haftungsfunktion, S. 39. 11  Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 598; Ossenbühl, Entwicklungen, S. 15; zu dem „unausweisbaren praktischen Bedürfnis“ vgl. auch Sass, Entschädigungserfordernis, S.  107 m. w. N. 12  Zu den deutlichen Parallelen zur Schutzbedürftigkeit der Berufsfreiheit, siehe Zweiter Teil: § 1 C., S. 91 ff. 13  Stödter, Entschädigung, S.  45; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 25; zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S.  297 ff. m. w. N. 14  Heidenhain, Amtshaftung, S.  65 ff.; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 2 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 260; Maurer, VerwR, § 26 Rn. 2 ff.; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 2 ff. 15  RGZ 140, 276 (283); ausführlich hierzu Höfling, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 26.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

scheidung16 die Ratio des Reichsgerichts, leitete den Anspruch aber aus Art. 14 Abs. 3 GG her.17 Obschon eine Haftung für rechtswidrig-schuldlose Eingriffe überwiegend befürwortet wurde, erwiesen sich die dogmatische Herleitung und die folgende schrittweise Erweiterung zu „einer Superanspruchsgrundlage für Ei­ gentumsverletzungen“18, die Züge einer Gefährdungshaftung zeigte, nicht zuletzt konkurrenzrechtlich zu den anderen staatshaftungsrechtlichen Instituten als problematisch. Diese Spannungen kulminierten im Nassauskiesungsbeschluss des BVerfG:19 Obschon der enteignungsgleiche Eingriff selbst mit keinem Wort erwähnt wurde, widersprachen die Richter einer Ableitung der Entschädigungshaftung aus Art. 14 Abs. 3 GG.20 Damit war fraglich, ob das Institut 16  BGHZ 6, 270 (290). „Der entscheidende Grundgedanke […] sei mindestens in dem gleichen Maße gegeben wie bei einer rechtmäßigen, also gesetzlich zulässigen Enteignung.“ Vgl. dazu auch Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 301; kritisch bereits früh Dürig, JZ 1954, 4. 17  BGHZ 6, 270 (291). Hierbei entfernte sich der BGH vom Aufopferungsgedanken des Preußischen Allgemeinen Landrechts und stützte einen Ausgleichsanspruch auf eine entsprechende Anwendung des Art. 14 GG insgesamt. Vgl. Kreft, Aufopferung, S. 30. Problematisch an der Ableitung aus Art. 14 GG erwies sich, dass damit die Rechtsgrundlage für Ausgleichsansprüche auf Verfassungsebene angesiedelt war. Dies suchte der BGH zu vermeiden, indem er postulierte, der enteignungsgleiche Eingriff sei zwar „aus dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG abgeleitet, aber seine Ausgestaltungen nach Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen im Einzelnen“ seien auf einfachrechtlicher Ebene verankert. BGHZ 76, 275 (384); 90, 17 (29 f.). 18  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 264 f. Schoch, Jura 1989, 529 f. Im Wege immer weiterer „kühn anmutender“ (Schoch, VerwArch 1988, 1, 11) ErstRecht-Schlüsse und Tatbestandserweiterungen entwickelte der BGH eine weitgehend umfassende, unmittelbare, primäre und verschuldensunabhängige Staatsunrechtshaftung. Insbesondere kritisch wurde die Erweiterung durch BGHZ 7, 296 (298) auf rechtswidrig-schuldhafte Eingriffe im Wege eines weiteren Erst-Recht-Schlusses gesehen, die direkt im Gebiet des Amtshaftungsanspruches wilderte, vgl. dazu Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 303. Bezeichnend für die ständige Ausdehnung ist die pointierte Kritik von Wolff / Bachof, VerwR I, 9. Aufl. 1974, S. 529: „Der enteignungsgleiche Eingriff sei [mittlerweile] weder enteignungsgleich noch stets ein Eingriff.“ 19  BVerfGE 58, 300. 20  Das BVerfG stellte fest, der „Dulde-und-liquidiere“-Grundsatz der Zivilgerichte könne keinen Bestand haben. Indem das Gericht das Wahlrecht zwischen primärrechtlicher Abwehr des Eingriffs und sekundärrechtlichem Ausgleich ausschloss, stärkte es seine Kompetenz als verbindliche Interpretationsinstanz des Grundgesetzes. Da nun der Weg einer Entschädigung zumindest für gesetzlich begründete Eigentums­ eingriffe ohne ausdrückliche Regelung versperrt war, erhielt die verfassungsmäßige Prüfung von Normen an den Maßstäben des Art. 14 Abs. 3 GG erneut erhebliche Bedeutung. Die Richter führten aus, die Zivilgerichte dürften nach Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG nur über die Höhe der Entschädigung entscheiden, nicht jedoch über Umfang und



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nun dogmatisch unhaltbar, zumindest aber überflüssig geworden war.21 In der Tat schien das vom BVerfG postulierte Erfordernis der Gesetzmäßigkeit jeder Enteignungsentschädigung den Kritikern Recht zu geben. Indes nahm die Entscheidung zu rechtswidrigen Eigentumsbeeinträchtigungen zutreffender Weise keine Stellung. Aussagen über Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG, der die Entschädigung für rechtmäßige hoheitliche Handlungen regelt, können aber nicht ohne weiteres auf rechtswidrige Eingriffe Anwendung finden.22 Obschon der enteignungsgleiche Eingriff also nicht explizit verworfen wurde, stellten die strenge Formalisierung des Enteignungsbegriffes und die klare Ablehnung des „Dulde-und-liquidiere“-Grundsatzes deutliche Warnzeichen für die Zivilgerichte dar. In einer weiteren Grundsatzentscheidung23 sah sich der BGH daher mit einem Dilemma konfrontiert: Zum einen erblickten die Richter unverändert die Notwendigkeit eines ergänzenden Haftungsinstituts wegen schuldlosrechtswidriger Eingriffe.24 Zum anderen aber war der Begründungsweg über einen Analogieschluss zu Art. 14 Abs. 3 GG verschlossen. Apodiktisch stellte der BGH zunächst fest, „dass für rechtswidrige hoheitliche Eingriffe in das Eigentum […] Entschädigung zu leisten“25 sei. Gleichzeitig entkoppelten die Richter den enteignungsgleichen Eingriff unter Beibehaltung seiner Bezeichnung und der richterrechtlich entwickelten Voraussetzungen von seiner Fundierung in Art. 14 Abs. 3 GG. Stattdessen sei das Institut nunmehr auf den allgemeinen Rechtsgedanken der Aufopferung zu stützen, welcher sich aus den §§ 74, 75 EinlALR ergäbe. Damit reaktivierte der BGH die Begründung des Reichsgerichts, ergänzte diese jedoch um die weiterhin bestehende Anbindung an Art. 14 Abs. 1 GG, die eine Eingrenzung auf Eigentumsverletzungen garantierte.26 Inhalt des Anspruches selbst, der gesetzlich bestimmt sein müsse. Sei keine Entschädigung in einem Gesetz vorgesehen, hätte dies nicht die Konsequenz, dass die (zivilen) Gerichte dem Beschwerten eine gesetzlich nicht zugebilligte Entschädigung zusprechen könnten; vielmehr sei das Gesetz selbst verfassungswidrig wegen eines Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 3 GG und das Opfer müsse gegen den – mangels Rechtsgrundlage rechtswidrigen – Eingriff direkt vorgehen. BVerfGE 58, 300 (318 ff.; 322; 328 ff.). 21  Vgl. nur den ausführlichen Überblick über den damaligen Diskussionsstand bei Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 267 insb. Fn. 24 f. und Schoch, Jura 1989, 529, 533 insb. Fn. 49 f. 22  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 269. 23  BGHZ 90, 17. 24  Zur rechtspolitischen Seite auch Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 103. 25  BGHZ 90, 17 (LS 1). 26  Maurer, VerwR, § 27 Rn. 87; Schoch, Jura 1989, 529, 533; Schoch, VerwArch 1988, 1, 12 f.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 271; Papier, in: Dürig /  Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 714; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungs-

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II. Zwitterstellung zwischen Staatsunrechtshaftung und Aufopferung Geschaffen war damit ein Zwitterinstitut zwischen Aufopferung und Staatshaftung,27 das zwar bürgerfreundlich ausgestaltet ist, aber dogmatischen Bedenken ausgesetzt bleibt.28 Nach heutiger Rechtsprechung kann über den enteignungsgleichen Eingriff insoweit eine Entschädigung verlangt werden, als eine Verletzung von Art. 14 GG durch unmittelbare Auswirkungen einer rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme zu einem Sonderopfer führt und der Schaden nicht durch schuldhaft versäumte Rechtsmittel hätte abgewendet werden können.29 Dabei sieht der BGH in der Regel die Rechtswidrigkeit der staatlichen Maßnahme als konstitutiv für das Sonderopfer an, was im Ergebnis eine „Ineins-Setzung von Unrechtshaftung und Aufopferungshaftung“ nahelegt.30 Zur Begründung wird angeführt, mit der Rechtswidrigkeit stehe gerade fest, „dass das dem Einzelnen durch Eingriff auf­ erlegte Sonderopfer jenseits der gesetzlichen allgemeinen Opfergrenze liegt und damit ein entsprechend dem Gebot des Gleichheitssatzes zu entschädigendes Sonderopfer darstellt“.31 Dennoch gilt dieser Grundsatz nicht umfassend – vielmehr behält der BGH eine, wenngleich auch diffuse, Anknüpfung an den Aufopferungsgedanken bei, die ihm erlaubt, in partikularen Konstellationen das Sonderopfer trotz rechtswidrigem Staatshandeln zu verneinen und damit auch eine gewisse Abgrenzung zu einer reinen Staatsunrechtshaftung aufrecht zu erhalten.32

recht, S. 310 sieht damit auch den Konflikt zwischen BVerfG und BGH weitgehend entschärft. Gestützt wird diese These durch BVerfG, NJW 1992, 37, wo der enteignungsgleiche Eingriff als einfachrechtliches Haftungsinstitut Erwähnung findet. 27  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 259. 28  Schoch, Jura 1989, 529, 536. 29  Maurer, VerwR, § 27 Rn. 88 ff.; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S.  353 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 292; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 46, Rn. 26 ff. Bei all diesen Nachbesserungen bleibt der Verdacht, dass „der BGH seine bisherige Rechtsprechung möglichst unverändert fortsetzen und die Auffassung des BVerfG nur berücksichtigen möchte, soweit die unumgänglich ist“ (Schoch, Jura 1989, 529, 533). 30  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 311. 31  BGHZ 32, 208 (211 f.). Indes praktizieren die Gerichte Ausnahmen von dem Grundsatz insbesondere in den Fällen, in denen kein hinreichender „innerer Zusammenhang“ zwischen hoheitlichem Eingriff und Schaden besteht, oder die Beeinträchtigung auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. Vgl. Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 312 f. m.N. aus der Rechtsprechung. 32  Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 363; Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 91; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  311 ff. m. w. N.



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B. Aufopferungsgleicher Eingriff als Parallelinstitut – Erweiterungstendenzen des BGH? Strukturell eng verwandt mit dem enteignungsgleichen Eingriff ist die gewohnheitsrechtliche Aufopferungshaftung, die ihren Ursprung ebenfalls im Rechtsgedanken der §§ 74, 75 EinlALR findet. Traditionell erfasste sie nur rechtmäßige Eingriffe in nicht vermögenswerte, immaterielle Rechte – genauer Leben, Gesundheit und Freiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG. Schnell wurde jedoch auch diese Rechtsfigur auf rechtswidrige Hoheitsakte erweitert, was teilweise durch die Verwendung des Terminus des „aufopferungsgleichen Eingriffs“ verdeutlicht wird.33 Deutlich zutage tritt damit die Parallelität zum enteignungsgleichen Eingriff sowohl hinsichtlich der Verortung im allgemeinen Aufopferungsgedanken als auch der Rechtsfolge.34 Den wesentlichen tatbestandlichen Unterschied bildet allein das geschützte Rechtsgut. Diesbezüglich gab eine Reihe „offener“ Formulierungen des BGH35 Anlass zu Diskussionen über eine mögliche Erweiterung des Instituts insbesondere auf andere immaterielle Rechte wie die Berufsfreiheit.36 Ebenso wie beim enteignungsgleichen Eingriff hat die Rechtsprechung diese Forderungen indes regelmäßig mit knapper Begründung abgetan.37

33  Vgl. BGHZ 9, 83; 45, 58 (76  ff.); Maurer, VerwR, § 28 Rn. 1 ff.; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 313 ff.; Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 114; Kreft, Aufopferung, passim; Heuser, Die Rechtsnatur des Aufopferungsanspruchs, S.  5 ff.; Pagenkopf, NJW 1977, 1519; Schwabe, NJW 1983, 2370; Schenke, NJW 1991, 1777, 1779 f. 34  Pointiert Röder, Haftungsfunktion, S. 68: „Inhaltlich ist das jedoch ein und dasselbe“. Ähnl. auch Schenke, NJW 1991, 1777, 1781; Vogel, in: Kreft, Aufopferung, S.  32 f. 35  Sehr weit beispielsweise BGHZ 9, 83: „Der in §75 EinlALR normierte Grundsatz der Entschädigungspflicht des Staates ist in dieser Gesetzesbestimmung selbst gegenständlich nicht beschränkt, sondern er umfasst jedes Sonderopfer, das der einzelne an irgendwelchen Rechtsgütern zum Wohle der Allgemeinheit zu erbringen genötigt wird.“ Vgl. auch BGHZ 65, 196 (205): „bei einem hoheitlichen Eingriff in nicht vermögenswerte Güter, insbesondere Leben, Gesundheit und Freiheit“; BGHZ 45, 58 (76) „Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Freiheit“ (Hervorhebungen durch den Verfasser). 36  Zu den Erweiterungsüberlegungen vor allem Battis, Aufopferungsentschädigung, S.  104 ff.; Maurer, JZ 1991, 36, 39; Schenke, NJW 1991, 1777, 1780 ff.; Schenke / Guttenberg, DÖV 1991, 945, 953; Röder, Haftungsfunktion, S. 70 ff.; Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 536 ff.; jew. m. w. N. 37  BGHZ 111, 349 (355 ff.); BGH, NJW 1994, 1468; NJW 1994, 2229 f. Auch BVerfG, NVwZ 1998, 271 f. sieht eine Ausweitung auf Art. 12 GG als nicht verfassungsrechtlich geboten an.

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C. Topoi einer möglichen Erweiterung auf Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG Trotz der dogmatischen Unsicherheiten beider Haftungsinstrumente wird in der Literatur unter verschiedenen Gesichtspunkten nicht ihre Abschaffung, sondern vielmehr die Ausweitung auf Verletzungen der Berufsfreiheit diskutiert. Gegen eine solche Tendenz könnte zunächst ganz grundsätzlich sprechen, dass der vorrangig maßgebliche Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG hinsichtlich einer möglichen Entschädigungspflicht unergiebig ist. Dieser Einwand wird jedoch durch die Tatsache entkräftet, dass er zumindest auch für alle übrigen über den aufopferungsgleichen Eingriff geschützten Rechtsgüter Geltung beansprucht. Mag Art. 14 Abs. 3 GG im Hinblick auf das Eigentum zwar eine entschädigungsrechtliche Regelung beinhalten, kann diese wie besehen jedenfalls nicht für rechtswidrige Eingriffe herangezogen werden. Das Wortlautargument richtet sich also nicht gegen eine Erweiterung auf Art. 12 Abs. 1 GG, sondern vielmehr gegen die aus dem Aufopferungsgedanken abgeleiteten Haftungsinstrumente schlechthin. Akzeptiert man diese in ihrer gewohnheitsrechtlichen Geltung, muss auch eine Erweiterungsdebatte ohne Rücksicht auf eine Verankerung der Entschädigungspflicht im grundrechtlichen Wortlaut geführt werden.38 Aufgrund der Strukturähnlichkeit bietet sich hierfür eine Gesamtschau der für beide Ansprüche Geltung beanspruchenden Argumente an.39 Voranzustellen sind allerdings zunächst die Erweiterungsmotive, welche nur auf den enteignungsgleichen Eingriff Anwendung finden, da sie am Eigentum als geschütztem Rechtsgut anknüpfen. I. Vergleichbarkeit von Art. 12 und Art. 14 GG – ein hinreichender Grund für eine Erweiterung? Die Diskussion um die Erweiterung des enteignungsgleichen Eingriffs auf Verletzungen der Berufsfreiheit findet unter zwei wesentlichen Topoi statt, die im Folgenden einer kritischen Betrachtung bedürfen. Zunächst wird aus rechtsdogmatischer Sicht argumentiert, die „Entkopplung“ des Instituts von Art. 14 GG ermögliche eine Ausdehnung auf Art. 12 Abs. 1 GG. Ergänzend soll aus teleologischen Gesichtspunkten folgen, beide Grundrechte seien zumindest hinsichtlich ihrer entschädigungsrechtlichen Schutzwürdigkeit eben38  Röder, Haftungsfunktion, S. 71  f.; vgl. auch Sass, Entschädigungserfordernis, S.  119 f. 39  Dieses Vorgehen liegt maßgeblich in der einheitlichen Anspruchsherleitung aus dem Rechtsgedanken der §§ 74, 75 EinlALR begründet, vgl. Schenke, NJW 1991, 1777, 1780 f.



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bürtig. Strukturell fußt diese Argumentation auf einem Art. 3 Abs. 1 GG entspringenden Prüfungsmaßstab:40 Da die aufopferungsrechtlichen Haftungsinstitute aufgrund ihres offenen Grundcharakters keinerlei Differenzierungskriterien an die Hand geben, könnten diese nur aus dem spezifischen Gehalt der Schutzgüter entspringen. Gelinge aber der Nachweis einer Vergleichbarkeit der geschützten und zu schützenden Rechte, streite dies konsequenterweise für eine Ausweitung der Aufopferungshaftung.41 1. Gegenprobe: Die „gesicherte Rechtsposition“ als taugliches Eingrenzungskriterium? Dogmatisch soll der Weg zu einem „wünschenswerten“42 haftungsrecht­ lichen Schutz der Berufsfreiheit über den enteignungsgleichen Eingriff durch die vollzogene Ablösung des Instituts von Art. 14 GG geebnet sein. Denn hierdurch sei das in der Rechtsprechung und der kritischen Literatur bemühte Argument, die eigentumsmäßig geschützte Position begrenze ihrerseits die Reichweite des enteignungsgleichen Eingriffs,43 endgültig entkräftet. Fraglich ist, ob dieser Einwand in Gänze zu überzeugen vermag: Wie dargestellt leitete der BGH den enteignungsgleichen Eingriff ursprünglich direkt aus Art. 14 GG ab, hat ihn infolge des Nassauskiesungsbeschlusses jedoch dem Reichsgericht entsprechend auf die §§ 74, 75 EinlALR gestützt. Nach der deutlichen Warnung des BVerfG diente die gewandelte dogmatische Grundlage weiterhin einer Verortung des Anspruchs auf Ebene des einfachen Rechts, zumal der Rückgriff auf Art. 14 Abs. 3 GG versperrt war.44 Strukturell deckte sich diese Anbindung auch besser mit der Ansicht des BGH, die Enteignung selbst nur als Unterfall der allgemeinen Aufopferung zu klassifizieren.45 Gleichzeitig schien damit jedoch eine Eingrenzung auf das Eigentum zumindest vonseiten der Rechtsgrundlage nicht länger nötig. Dennoch wurde die naheliegende Erweiterung auf die Berufsfreiheit unverändert mit einer Varianz an Argumenten abgelehnt, die kritischer Hinter40  Zur auf den Gleichheitsgrundsatz gestützten widerspruchsfreien Norminterpretation Schlehofer, in: FS U. König, S. 393, 397 f. 41  Schenke, NJW 1991, 1777, 1780, 1786; Röder, Haftungsfunktion, S. 68. Kritisch hingegen Kunig, Jura 1992, 554. 42  So Trimbach, Möglichkeiten einer Kodifikation, S. 94; ähnl. auch Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 28 f. 43  Im Anschluss an die Rechtsprechung statt vieler nur Rinne, DVBl. 1993, 869 f.; Boujong, in: FS für R. Nirk, S. 61, 62 ff., 66 f. 44  Damit war das früher herangezogene argumentum a fortiriori seiner vermeintlichen Schlagkraft endgültig beraubt, vgl. dazu noch BGHZ 6, 270 (290). 45  BGHZ 13, 91.

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fragung bedürfen. Eine Eingrenzung des Schutzbereiches nicht allein zu tragen vermag zunächst der Rekurs auf behauptetes Gewohnheitsrecht. Denn eine Berufung auf eine selbst nie stichhaltig begründete Tradition muss letztlich als inhaltsleer zurückgewiesen werden.46 Gleichermaßen zum Scheitern verurteilt ist eine Ableitung der Beschränkung allein aus der Terminologie des „enteignungsgleichen Eingriffs“.47 Denn „[r]echtliche Begriffe und Terminologien stehen nicht frei im Raum; sie sind abhängig von ihrer materiell-rechtlichen Grundlage.“48 Daher ist die Rechtsgrundlage des Instituts selbst kritisch zu würdigen, da sich nur aus ihr valide Eingrenzungstopoi ergeben können. Diesbezüglich traten die Gerichte Ausdehnungsforderungen mit einer an der Grenze zur juristischen Spitzfindigkeit stehenden Differenzierung entgegen: Zwar sei der enteignungsgleiche Eingriff von Art. 14 Abs. 3 GG, nicht aber von Art. 14 Abs. 1 GG entkoppelt, sodass eine Beschränkung auf vermögenswerte Positionen nach wie vor imperativ sei.49 Damit wurde der Anspruch gewissermaßen mit einer doppelten Grundlage unterfüttert – der allgemeine Aufopferungsgedanke in eigentümlicher Weise an das Grundrecht „angeseilt“. Bezeichnend für diesen Prozess erwies sich, dass kaum Energie darauf verwendet wurde, diese doppelte Grundlage zu begründen. Ohne weitere Erklärung wurde Art. 14 Abs. 1 GG als „mittelbare Anspruchsgrundlage“ gesehen – im gleichen Atemzug aber zugegeben, dass auf diese auch hätte verzichtet werden können.50 Ob eine solche, fakultative Zwitternatur zwischen einfachem und Verfassungsrecht überzeugen kann, muss gewichtigen Zweifeln unterliegen. Diese sind umso stärker zu gewichten, als die Eingrenzung auf vermögenswerte Rechte nahezu alleinig mit der bestehenden Anbindung an das Eigentumsgrundrecht erklärt wird.51 Dabei legen gerade die offenkundigen Parallelen zum aufopferungsgleichen Eingriff – der ausschließlich in dem Gedanken auch Röder, Haftungsfunktion, S. 49. Klein, in: Soergel (Hrsg.), BGB, Anh. § 823, Rn. 200; kritisch dazu Schmidt, NJW 1999, 2847. 48  Kreft, Aufopferung, S. 33. 49  BGHZ 99, 24 (29 f.); Rinne, DVBl. 1993, 869, 870. Eine bloß „verbal behauptete“ Abkopplung attestiert auch Schoch, Jura 1989, 529, 534, der bei einer wirk­ lichen Lösung von Art. 14 GG eine umfassende Haftung für Grundrechtseingriffe als konsequent ansieht. Anders aber Kreft, in: FS für W. Geiger, S. 399, 409. 50  Kreft, Zur Reform des Staatshaftungsrechts, S. 173, 206. Bezeichnend für diesen „dogmatischen“ Begründungsversuch ist, dass Kreft selbst zugibt, es sei im Ergebnis „unerheblich, ob man noch an der Verbindung mit Art. 14 GG festhält oder die in Rede stehenden Entschädigungsansprüche völlig von Art. 14 GG abkoppeln will.“ 51  Vgl. Rinne, DVBl. 1993, 869, 870. 46  So

47  Vgl.



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der §§ 74, 75 EinlALR gegründet ist – einen erhöhten Begründungsaufwand für ein derartiges „Novum“ im Aufopferungsrecht eindringlich nahe.52 Wenig Klarheit kann die immer wieder perpetuierte Aussage bringen, der enteignungsgleiche Eingriff sei aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleitet, seine Ausgestaltung und seine Tatbestandsvoraussetzungen lägen jedoch auf der Ebene des einfachen Rechts.53 Auch eine historische Evolution bietet insbesondere angesichts der wandlungsvollen Entstehungsgeschichte keine hinreichende Begründung für die ambigue Grundlage. Denn selbst wenn man dem BGH eine „gewisse Enthaltsamkeit in Fragen der Rechtssystematik“54 zugesteht, lässt die geltende Rechtsprechung zum enteignungsgleichen Eingriff „nicht einmal dem um Systematisierung bemühten Betrachter die Möglichkeit offen, aus diesen Entscheidungen eine geschlossene Ordnung abzuleiten“55. Nüchtern betrachtet bleibt es letztlich „völlig dunkel, aus welchem Rechtsgrund der Entschädigungsanspruch“ tatsächlich hergeleitet wird.56 Nun könnte eine derart harte Kritik überzogen scheinen, wenn dem BGH allein mangelnder systematischer Ehrgeiz vorzuwerfen wäre,57 die Ergebnisse aber stringent und sachgerecht blieben. Indes lässt die außer Acht gelassene Klärung des Verhältnisses der beiden Rechtsgrundlagen zueinander Bedenken an den möglichen zugrundeliegenden Handlungsmotivationen der Gerichte aufkommen: Zum einen dient die Betonung der einfachrechtlichen Natur des enteignungsgleichen Eingriffs dem Schutz vor bundesverfassungsgerichtlichem Zugriff, der diesem kraft seiner Interpretationshoheit über verfassungsrechtliche Instrumente zukäme.58 Gleichzeitig ermöglicht die Röder, Haftungsfunktion, S. 43. nur BGHZ 90, 17 (29 ff.); 91, 243 (252); 99, 24 (29); ebenso auch Rinne, DVBl. 1993, 869, 870; Krohn, Entschädigung, Rn. 233, 235a; Nüßgens / Boujong, Enteignung, Rn. 337, 342. Kritisch Schmidt, NJW 1999, 2847, 2448, der eine unreflektierte Verknüpfung von Aufopferungshaftung und Freiheitsrechten beklagt. Bemerkenswert ist, dass der BGH diese Formulierung bereits vor dem Nassauskiesungsbeschluss verwendet hat, vgl. BGHZ 72, 273 (277); 76, 375 (384). Somit kann sie nur schwerlich als dessen Konsequenz aufgefasst werden, weswegen in Bezug auf den enteignungsgleichen Aufgriff eher von einem „Sturm im Wasserglas“ (zutreffend Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 494), denn von einem „Seebeben“ (so Trimbach, Möglichkeiten einer Kodifikation, S. 22) gesprochen werden sollte. 54  Schmidt, Diskussionsbeitrag in: Kreft, Aufopferung, S. 37. 55  Schmidt, Diskussionsbeitrag in: Kreft, Aufopferung, S. 37. Ähnl. auch Schneider, Diskussionsbeitrag in Kreft, Aufopferung, S. 29. 56  Schneider, Diskussionsbeitrag in: Kreft, Aufopferung, S. 30. 57  Boujong, UPR 1984, 137  f.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 270; Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 681 f. 58  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 270  f. weist auf die Erfahrungen mit dem Nassauskiesungsbeschluss hin, bei dem ein „Umräumen im Obergeschoss der Verfassung unmittelbar […] im Erdgeschoss des einfachen Rechts“ durchschlug. 52  Vgl. 53  Vgl.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Anknüpfung an Art. 14 Abs. 1 GG, die Ausweitungsforderungen in der Literatur auf Verletzungen der Berufsfreiheit ohne größeren Begründungsaufwand zu entkräften. Durch diese funktionale Doppelgleisigkeit der Rechtsgrundlage, die je nach Bedarf unterschiedlich pointiert wird, zeigte sich der enteignungsgleiche Eingriff in der Vergangenheit sehr wehrhaft gegenüber Veränderungen und dient dabei einer Perpetuierung des entschädigungsrechtlichen Status quo.59 In der Tat ermöglicht eine Beschränkung des Instituts auf den objektbezogenen Eigentumsschutz einen verhältnismäßig mühelosen Ausschluss bloßer risikobehafteter Erwerbschancen. Prima facie erscheint diese Eingrenzung nur folgerichtig, da Vermögensmehrungsmöglichkeiten eben keine eigentumsrechtlich geschützte Rechtsposition darstellen. Die vielfältige Wiederholung dieser Aussage kann und darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie gerade die zu beweisende Hypothese darstellt und daher kein valides Argument bieten kann, will man nicht dem Fehlschluss einer Petitio principii unterliegen.60 Gerade ein solcher Zirkelschluss ist jedoch in den knappen Postulaten der Rechtsprechung zu bemängeln, die im Ergebnis kaum mehr besagen, als dass der enteignungsgleiche Eingriff auf den Schutz vermögenswerter Rechte beschränkt ist, sofern man ihn auf den Eigentumsschutz begrenzt.61 Die mangelnde Auseinandersetzung mit der sich aufdrängenden Kritik seiner Begründungen legt nahe, dass der primäre Grund gegen eine Erweiterung kein rechtsdogmatischer zu sein scheint, sondern dass der BGH seine selbst gezogenen Grenzen schlichtweg nicht aufgeben will.62 Dass diese dogmatische Unentschiedenheit funktionell primär der Verteidigungsfähigkeit und Festschreibung des Richterrechts dient, verdeutlicht ebenfalls ein Vergleich mit den möglichen anderen Begründungslinien: Zum einen stünde es dem BGH offen, den enteignungsgleichen Eingriff ausschließlich auf Art. 14 Abs. 1 GG zu stützen.63 Alternativ dazu wäre eine Fundierung allein in §§ 74, 75 EinlALR ohne Rückanknüpfung an ein spezifisches Grundrecht denkbar und angesichts des nur auf diesen Rechtsgedanken gestützten aufopferungsgleichen Eingriffs auch konsequenter.64 Beide 59  Röder,

Haftungsfunktion, S. 76 f., 135 ff. Haftungsfunktion, S. 49. Anders Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 408. 61  Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 103; anschließend Röder, Haftungsfunktion, S. 74. 62  Schenke / Guttenberg, DÖV 1991, 945, 952; Maurer, JZ 1996, 1122, 1125; Schoch, DV 2001, 261, 279 f. Zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung ausführlich Fünfter Teil: § 2 A., S. 316 ff. 63  Maurer, VerwR, § 27 Rn. 87; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 272. 64  Vgl. Schoch, Jura 1989, 529, 534 f.; Röder, Haftungsfunktion, S. 77. Im Ergebnis auch Kreft, Zur Reform des Staatshaftungsrechts, S. 173, 207. 60  Röder,



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung133

Optionen würden indes die Frage nach einer Erweiterung auf andere Grundrechte mit noch schwerer zu bestreitender Vehemenz aufwerfen. Gerade bei einer Ableitung aus dem Grundrecht selbst scheint ein solches Vorgehen mandatorisch,65 will man nicht in der Wertschutzgarantie des Eigentums das entscheidende Differenzierungskriterium erblicken.66 Gleichermaßen bietet der Rechtsgedanke der §§ 74, 75 EinlALR Anlass, die bestehende Grenzziehung kritisch zu hinterfragen.67 Ist die fehlende stringente Begründung einer Einschränkung der Haftungsgrundlage auf das Eigentum aus dogmatischen Gesichtspunkten aufgezeigt und damit gleichzeitig ihre systemimmanente Entwicklungsoffenheit erwiesen, können ergänzend teleologische Erwägungen hinzugezogen werden, die für eine entschädigungsrechtliche Gleichbehandlung von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 GG streiten. 2. Existenzsicherung als Ziel der Wirtschaftsgrundrechte Während die Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie grundsätzlich voneinander unabhängig sind, gewährleisten sie gemeinsam den wesentlichen Freiheitsraum, in dem sich die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Individuums entfaltet. Art. 12 Abs. 1 GG als Hauptgrundrecht der wirtschaftlichen Betätigung garantiert dabei primär die persönlichkeitsbezogene Willensfreiheit, während Art. 14 GG die materielle Basis sichert.68 Dass staatliche Eingriffe in beide Freiheitsbereiche typischerweise zu Vermögensschäden führen, ist ebenso kennzeichnend wie naheliegend.69 Denn beide Grundrechte zielen letztlich auf eine Ermöglichung der Existenzsicherung durch das Indivi­ 65  So bereits Schneider, Diskussionsbeitrag in: Kreft, Aufopferung, S. 30, der argumentiert, wenn der enteignungsgleiche Eingriff aus Art. 14 GG in seiner Gesamtheit hergeleitet würde, müsse man allein aus dem Umstand einer staatlichen Verletzung eines Grundrechts auf einen Entschädigungsanspruch schließen können. 66  Diese Theorie will dem Eigentum einen eigenständigen „Wertschutzgehalt“ attestieren, der auf dessen unmittelbaren „Sachbezogenheit“ beruhe. Damit ergebe sich ein Entschädigungsanspruch direkt aus der Eigentumsgarantie selbst, ohne dass es eines Rückgriffs auf den Aufopferungsgedanken bedürfe. Allen anderen Freiheitsrechten sei ein solcher Gehalt indes nicht zu attestieren. Vgl. dazu vor allem Sass, Entschädigungserfordernis, S.  201 ff.; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S.  179 ff.; Ipsen, DVBl. 1983, 1029 ff. Kritisch ist indes, dass diese Theorie nicht die entschädigungsrechtliche Sonderstellung des Art. 2 Abs. 2 GG zu erklären vermag, da diesen Grundrechten der spezifische Wertschutzgehalt fehlt. Wird aber dann ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken der §§ 74, 75 EinlALR nötig, so stellt sich spätestens dort die Frage nach einer konsequenten Erweiterung. 67  Dazu sogleich unter Dritter Teil: § 1 C.II., S. 137 ff. 68  Vgl. Ossenbühl, AöR 1990, 1, 3 f.; Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 106. 69  Löwer, Staatshaftung, S. 441.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

duum.70 Durch den Aufbau eines eigenen Vermögens wird dieses unabhängig von gesellschaftlicher oder staatlicher Fürsorge und Fremdbestimmung. Zu klären ist folglich, ob die praktizierte Privilegierung von Art. 14 GG hinsichtlich des Sekundärrechtsschutzes teleologisch gerechtfertigt werden kann, oder ob nicht vielmehr die partielle Austauschbarkeit der Schutzbereiche und die vielfältigen „Verbindungen und Überlagerungen“71 als unterstützende Erweiterungstopoi heranzuziehen sind.72 Will man einen umfassenderen entschädigungsrechtlichen Schutz des Eigentums mit seiner Bedeutung für die Existenzsicherung des Individuums begründen, drängen sich berechtige Zweifel an dieser Bevorzugung geradezu auf. Denn heutzutage ist der Beruf zur „zentrale[n] Institution“73 unserer Gesellschaft geworden. Der Großteil der Bürger sucht seine wirtschaftliche Lebensgrundlage nicht länger im Eigentum, sondern vielmehr in seiner Arbeit, die somit gleichsam zur geistigen und materiellen Existenzgrundlage avanciert.74 Stellt das Eigentum aber häufig nicht anderes dar als „geronnene Arbeit“75, so hat – pointiert ausgedrückt – die „Arbeitskraft das Eigentum hinsichtlich der Bedeutung der Existenzsicherung abgelöst“76. Die übereinstimmende Zielrichtung und Bedeutungsgleichheit verbieten es also, von einem verringerten Schutzbedürfnis der Berufsfreiheit oder komplementär von einem verfassungsrechtlichen Vorrang des Eigentumsschutzes auszugehen.77 Ist somit zumindest die „Gleichwertigkeit“ beider Grundrechte bewiesen, fällt eine teleologische Begründung der Privilegierung von 70  Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 371; Löwer, Staatshaftung, S. 441; Bauschke / Kloepfer, NJW 1971, 1233; Häberle, JZ 1984, 345 ff. 71  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 121, der beide Verbürgungen als „spezialgrundrechtlich geschützte und typischerweise vermögenswerte Rechtsstellungen“ klassifiziert. Sehr weitgehend ist allerdings die These, dass „die Wertausgleichserfordernisse in beiden Garantiebereichen letztlich auf eine gemeinsame Wertungsgrundlage gestützt worden [seien], […] [nämlich einer] übergeordneten grundrechtsübergreifenden verfassungsrechtlichen Vermögenswertgarantie“. 72  Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 16, 90 ff.; Löwer, Staatshaftung, S. 445; zum zentralen Unterschied der Entschädigungspflichtigkeit und seinen Auswirkungen auch Axer, in: FS Isensee, S. 121, 126 ff. 73  Pitschas, Berufsfreiheit, S. 32. 74  Hufen, NJW 1994, 2913, 2914 f. mit Hinweisen auf Hegel, Kant und Locke. Zum philosophischen Hintergrund ausführlich Schneider, VVDStRL 1985, 710 ff. m. w. N. 75  Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 366. 76  Löwer, Staatshaftung, S. 441; ähnl. auch Bauschke / Kloepfer, NJW 1971, 1233; Häberle, JZ 1984, 345 ff.; vgl. auch Schenke, NJW 1991, 1777, 1781 f. 77  So auch Rinne, DVBl. 1993, 869, 871, der einer Erweiterung der Aufopferungshaftung jedoch ablehnend gegenübersteht.



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung135

Art. 14 GG auf sekundärrechtlicher Ebene immer schwerer.78 In der Tat lassen sich keine zwingenden Gründe dafür anführen, dass das Kapital dergestalt gegenüber der Arbeit begünstigt wird.79 Selbst Kritiker einer Erweiterung des enteignungsgleichen Eingriffs auf Art. 12 Abs. 1 GG gehen von einer Ebenbürtigkeit aus, weisen aber lapidar darauf hin, dass diese allein eine Ausdehnung nicht rechtfertigen kann.80 Da allerdings eine stringente Handhabung der Rechtsgrundlage des enteignungsgleichen Eingriffs wie besehen keine Einschränkung auf den Eigentumsschutz begründen kann, streitet die gleichrangige Bedeutung der Grundrechte weiter für eine Erweiterung. 3. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – Sekundärrechtsschutz für den Erwerb und das „Gebot der Methodenehrlichkeit“ Die durch die entschädigungsrechtliche Differenzierung aufgeworfene Problematik wird weiter dadurch verschärft, dass auch die terminologische Unterscheidung der Rechtsprechung zwischen Erwerb und Erworbenem längst nicht mehr als deutliche Trennlinie zwischen Beruf und Eigentum dienen kann.81 Nicht ohne Grund kulminieren die Überlegungen zu einer erweiterungsrechtfertigenden Austauschbarkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche im Umfeld des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, welches die Überschneidungen deutlich zu Tage fördert.82 Mannigfaltige Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen nicht entschädigungsrechtlich geschützter unternehmerischer Freiheit und der vergegenständlichten Erwerbstätigkeit lassen insbesondere in diesem Bereich eine Zuordnung zum jeweiligen Schutzbereich oft zufällig erscheinen. Dogmatische Friktionen sowie die zuweilen nur schwer nachvollziehbare Rechtsprechungspraxis haben deshalb vor allem in der Jurisprudenz vermehrt ablehnende Reaktion gegenüber dieser Rechtsfigur hervorgerufen.83 78  Gleichzeitig ist augenscheinlich, dass allein die schutzrechtliche Ebenbürtigkeit eine Erweiterung des Haftungsinstitutes nicht begründen kann. Menger, Bürgerliches Recht, S. 200; Wolf, in: FS F. von Hippel, S. 665, 682 f. 79  Kritisch dazu bereits Menger, Bürgerliches Recht, S. 200; Wolf, in: FS F. von Hippel, S. 665, 682 f.; Kötz / Wagner, Deliktsrecht, S. 49. Vgl. auch Schenke, NJW 1991, 1777, 1781 f., der eine solche Differenzierung schon vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips und des Gleichheitssatzes für unzulässig hält. 80  Rinne, DVBl. 1993, 869. Vgl. auch Schoch, DV 2001, 261, 280; Schenke, NJW 1991, 1777, 1781. 81  Vgl. Röder, Haftungsfunktion, S. 79; Schmidt, NJW 1999, 2847. 82  Es scheint in der Tat bezeichnend, wenn selbst ein Richter des BGH eingesteht, dass sich der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb „nicht strikt auf den Schutz des Erworbenen“ beschränkt. Rinne, DVBl. 1993, 869, 872. 83  Dazu ausführlich Dritter Teil: § 1 D.II., S. 150 ff.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Gleichzeitig bleibt das „unabdingbare Haftungsbedürfnis“84 für den gewerblichen Tätigkeitskreis, dem das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb abhelfen sollte, kaum bestreitbar. Angesichts der Tatsache, dass die Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie in diesem Bereich, der eines der Hauptanwendungsfelder für den enteignungsgleichen Eingriff darstellt, nahezu unauflöslich miteinander verbunden sind, wird deshalb gefordert, statt des derzeitigen gerichtlichen Vorgehens methodisch einen alternativen Weg einzuschlagen.85 Anstatt auf die „zweifelhafte Figur“86 des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs zurückzugreifen, um einen „verschleierten sekundären Erwerbsschutz“87 zu erreichen, sei die Erweiterung des enteignungsgleichen Eingriffs auf die Berufsfreiheit die konsequentere Lösung, die sowohl dogmatische als auch terminologische Grauzonen vermeiden könnte.88 Damit könne endlich auch die dringend nötige Rechtssicherheit im Bereich der unternehmerischen Betätigung geschaffen werden. Denn es käme nicht länger auf eine häufig schwerlich vorhersehbare Zuordnung der jeweiligen Tätigkeit zu einem der beiden Grundrechte an. Gleichzeitig wären auch die Richter von der im Einzelfall sehr schwierig zu treffenden entschädigungsrechtlichen „Alles-oder-Nichts“-Entscheidung entbunden.89 Die „versteckte Anerkennung des […] Schutzes der gewerblichen Betätigung als solcher“90 über die Rechtsschöpfung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs soll darüber hinaus bereits dem „Gebot der Methodenehrlichkeit“91 widersprechen, welches eine Ablösung der relevan84  So Sass, Entschädigungserfordernis, S. 400; vgl. Badura, AöR 1973, 153, 155, 157 f.; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 51. 85  Vgl. Sass, Entschädigungserfordernis, S. 402; Röder, Haftungsfunktion, S. 85. 86  Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 352. 87  Röder, Haftungsfunktion, S. 82. In diese Richtung scheint auch Axer, in: FS Isensee, S. 121, 147 f. zu tendieren, wenn er dem Eigentumsgrundrecht die „wirtschaftliche Dispositionsfreiheit, […] sowie die unternehmerische Produktions-, Organisations-, und Betätigungsfreiheit“ als klassische Schutzgüter der Berufsfreiheit zuordnet und damit freimütig bezugnehmend auf Art. 12 Abs. 1 GG einen „doppelten Schutz wirtschaftlicher Betätigung“ eingesteht, der indes durch die – sich insbesondere in der Entschädigung manifestierende – „eigenständige Funktion eines Eigentumsschutzes für wirtschaftliche Betätigung“ gerechtfertigt sei. 88  Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 352. Dies gelte umso mehr, als die Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie im Bereich des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs „fast zu einer Untrennbarkeit kulminiert“ seien (Röder, Haftungsfunktion, S. 85). 89  Schenke, NJW 1991, 1777, 1782; Röder, Haftungsfunktion, S. 85 f.; ähnl. auch Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 408. 90  So ausdrücklich Fikentscher, in: FS für H. Kronstein, S. 261, 285 f. 91  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 402; ähnl. auch Röder, Haftungsfunktion, S. 86.



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung137

ten Fälle von der Eigentumsfreiheit und Anerkennung des genuinen berufsfreiheitsrechtlichen Haftungsbedürfnisses gebiete.92 Kritisch lässt sich jedoch hiergegen vorbringen, dass die bloße schwere Trennbarkeit beider Grundrechte für sich genommen keine derartige Aussagekraft entfalten kann.93 Fraglich ist zudem, was das postulierte „Gebot der Methodenehrlichkeit“ besagen und welchen Rang es innehaben soll.94 Zumindest teilweisen Aufschluss darüber kann das nicht nur terminologisch eng verwandte vom BVerfG in seiner Nichtraucherentscheidung wiederentdeckte Gebot der Folgerichtigkeit geben.95 Danach sei eine getroffene Grundsatzentscheidung folgerichtig weiterzuverfolgen und es nicht schlüssig, wenn identischen Gefährdungen unterschiedliches Gewicht beigemessen würde.96 Abstrahiert man beide Gebote auf ihren Kern, so kommt ans Licht, dass es sich um Spielarten des Gleichheitssatzes handelt, die aber weit über das Willkürverbot als Untergrenze hinausgehen.97 So besehen nähert sich auch im Bereich des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs die tragende Argumentation der obigen an, die eine Gleichbehandlung wesentlich Gleichen fordert. Und in der Tat stützen auch die aufgezeigten Überschneidungen in Abwesenheit wesentlicher Differenzierungskriterien, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, teleologisch eine entschädigungsrechtliche Gleichstellung der Berufsfreiheit mit der Eigentumsgarantie.98 II. Verfassungskonforme Auslegung der „Rechtsgrundlage“ der §§ 74, 75 EinlALR Wie dargestellt kann die Anseilung des enteignungsgleichen Eingriffs an Art. 14 Abs. 1 GG schwerlich überzeugen. Selbst wenn man diese indes als nicht stringent begründbare Anomalie hinnimmt, müsste sich eine Beschrän92  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 402; in diese Richtung auch Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 340, 352; Schulze-Osterloh, NJW 1981, 2537, 2343 f.; Battis, Aufopferungsentschädigung, S.  104 ff. 93  Rinne, DVBl. 1993, 869. 94  Dazu trifft Sass, Entschädigungserfordernis, S. 402 leider keine Aussage, sodass seine Ausführung den Beigeschmack einer nachvollziehbaren, nicht jedoch dogmatisch fundierten Aufforderung hat. 95  BVerfG, NJW 2008, 2409. Erste Ansätze finden sich allerdings bereits in BVerfGE 1, 14 (45). 96  So BVerfG, NJW 2008, 2409 (2415), das damit die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative eingeschränkt sehen will. 97  Ausführlich dazu Payandeh, AöR 2011, 578. 98  Problematisch an einer rein gleichheitsgetragenen Argumentation erweist sich indes, dass dieser auch durch einen Entfall der Entschädigungspflicht bei Eigentumseingriffen entsprochen würde. Dies zeigt bereits, dass die Haftung des Staates einer über bloße Gleichbehandlungsgedanken hinausgehenden Begründung bedarf.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

kung der geschützten Rechtsgüter zumindest aus der Perspektive des aufopferungsgleichen Eingriffs allein über die §§ 74, 75 EinlALR erklären lassen. Denn dieses Institut soll nach der Rechtsprechung ausschließlich auf dem allgemeinen Aufopferungsgedanken beruhen, ohne dass hilfsweise die Grundrechte als „mittelbare Anspruchsgrundlage“ bemüht werden müssten.99 Eine Untersuchung und Auslegung dieser Vorschriften kann nicht ohne einen bereits an dieser Stelle anzureißenden Vorbehalt erfolgen. Denn der Rückgriff auf die Vorschriften des Preußischen Allgemeinen Landrechts ist keinesfalls so unproblematisch, wie es der leichthändige Umgang der Gerichte mit ihnen vermuten ließe. Grundsätzlich ist das Rechtssystem abschließend ausgestaltet, sodass eventuell auftretende Lücken durch Anwendung, Auslegung und Fortbildung der gegenwärtig geltenden Normen zu schließen sind.100 Die Freiheit, zur Begründung neuer Rechtsgedanken auf überaltete, nicht mehr in Kraft befindliche Gesetze zurückzugreifen, mag dem Richter unter dem common law zukommen; eine Berufung auf sie bleibt dagegen der im kontinentaleuropäisch-kodifikatorisch geprägten System agierenden Justiz weitgehend versagt.101 Bereits deshalb ruft der Rekurs auf eine über 220 Jahre alte, aus einem anderen Rechtssystem stammende Norm Bedenken hervor102 – es mutet nachgerade verwunderlich an, warum ausgerechnet das Preußische Allgemeine Landrecht „Wurzel und Nährboden des deutschen Staatshaftungsrechts“103 sein sollte. Selbst unter Heranziehung dieser Rechtsquelle schiene es aber jedenfalls naheliegender, im Kontext von Staatsunrecht auf die §§ 85–91 Einl­ ALR Bezug zu nehmen, die sich explizit mit rechtswidrigem Hoheitshandeln befassten104 und nicht auf die §§ 74, 75 EinlALR, deren prägendes Leitmotiv der Lastengleichheit heute im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 GG wiederzufinden ist, sodass folgerichtig eigentlich dieser im Mittelpunkt der Betrachtung stehen müsste.105 Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus 99  Ossenbühl / Cornils,

Staatshaftungsrecht, S. 134. Rechtstheorie, S. 528 ff., 534, 547 f; Röhl / Röhl, Rechtslehre, S. 546 f., 634 ff.; deutlicher noch Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 187, nach denen auch die Lückenschließung nur Auslegung geltender Gesetze darstellt. (Ausführlich hierzu Fünfter Teil: § 2 A., S. 316 ff.). 101  Vgl. zu den Systemunterschieden Röhl / Röhl, Rechtslehre, S. 635. Zu Recht kritisch zur „Anwendung […] tradierter normpolitischer Konzepte mit dem (nicht begründeten) Anspruch wissenschaftlich erwiesener Gültigkeit“ Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 547. 102  Vgl. Breuer, Staatshaftung, S. 114 f., 119; Röder, Haftungsfunktion, S. 185 ff. 103  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 2. 104  Vgl. Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 4. 105  So Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 16. 100  Rüthers / Fischer / Birk,



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung139

der immer wieder erwähnten Beteuerung, nicht die §§ 74, 75 EinlALR dienten als Grundlage, sondern der hinter ihnen stehende Rechtsgedanke.106 Denn lassen sich die Grundsätze aus der gegenwärtigen Verfassungsordnung ableiten, müsste der Rückgriff auf das Preußische Allgemeine Landrecht unterbleiben; sollen hingegen tatbestandliche Einschränkungen allein auf die außer Kraft getretenen Normen gestützt werden, darf dies nicht durch das Vorschieben einer bloßen Bezugnahme auf den Rechtsgedanken verschleiert werden. Bereits die Heranziehung der §§ 74, 75 EinlALR begegnet demnach durchgreifenden Bedenken, die innerhalb der Argumentationsstruktur der Gerichte jedoch keinen Niederschlag gefunden haben. In der nun folgenden rechtsprechungsimmanenten Überprüfung der Begründungslogik sollte deshalb immer mit bedacht werden, dass diese auf tönernen Füßen steht.107 Den Ausgangspunkt jeglicher Ausdehnungsüberlegungen muss wie besehen der Wortlaut dieser Vorschriften bilden. § 75 EinlALR gibt dem Staat eine Entschädigungspflicht gegenüber demjenigen auf, „welcher seine besondern Rechte und Vortheile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genöthigt wird“. Zu untersuchen ist nun, wie die Normen angesichts des erfahrenen Sinn- und Bedeutungswandels heute zu interpretieren sind.108 Denn übernimmt man einen vorkonstitutionellen Rechtsgedanken, so ist dieser gerade wegen seines „ehrwürdige[n] Alter[s]“109 im Lichte der heutigen verfassungsrechtlichen Vorgaben auszulegen.110 Kritischer Hinterfragung bedarf dabei insbesondere die Tendenz der Rechtsprechung, sich auf die historische gewachsene Begrenzung der Entschädigung auf Eigentumsverletzungen zu berufen.111 Ursprünglich wurden unter die später von § 75 EinlALR geschützten Positionen ausschließlich die wohlerworbenen und damit staatlichem Zugriff entzogenen Rechte gefasst. Diese iura quaesita gründeten auf speziellen Rechtstiteln und waren den natürlichen, persönlichkeitsbezogenen Freiheiten gegenübergestellt, die nicht entschädigungsrechtlich geschützt waren.112 Der 106  Ablehnend zur Berufung auf die „Rechtsidee“ als Scheinbegründung Rüthers /  Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 547 f. Kritisch auch Höfling, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 24. 107  Ausführlich zur Kritik an der Gesamtkonstruktion siehe sogleich unter Dritter Teil: § 1 D.II., S. 150 ff. 108  Kreft, Aufopferung, S. 5. 109  Kreft, Aufopferung, S. 5. 110  Vgl. auch Stödter, Entschädigung, Vorwort. 111  So prototypisch RGZ 72, 85 (90 ff.); 103, 423 (426); 122, 298 (301); 144, 325 (333); 149, 34 (36). 112  Stödter, Entschädigung, S. 52 ff., 91; Kreft, Aufopferung, S. 6. Die Grundlage dieser Überlegungen bildete der Sozialvertrag, nach dem sich der Bürger aber nur insoweit seiner Rechte und Befugnisse begeben hat, als es dem Staat zur Erreichung

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

naturrechtlichen Sichtweise entsprechend wurde das Eigentum als vorstaat­ liche Äußerungsform der Persönlichkeit angesehen, die besonderen Schutz genoss.113 Dies spiegelte das Verhältnis des Einzelnen zum Staat während dieser Epoche wider. Schnell wurde aber deutlich, dass selbst die wohlerworbenen Rechte in Konflikt mit staatlichen Aufgaben treten können und daher unter bestimmten allgemeinwohldienlichen Voraussetzungen einschränkbar sein mussten. Mit dem ius eminens machte der Herrscher demnach nicht so sehr „sein“ Recht geltend, als vielmehr stellvertretend die Interessen der Gesamtgesellschaft, hinter denen die Individualrechte im Zweifelsfall zurückstehen mussten. Gleichzeitig setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Staat in aller Regel nur auf die Nutzbarkeit des Sacheigentums angewiesen war, damit jedoch nicht zwingend auch eine Entziehung seines Wertes gerechtfertigt war.114 Als Lösung für dieses Spannungsfeld wurde der funktionalen Entziehung das „Bollwerk der Entschädigung“ entgegengestellt.115 Diese Entwicklung fand letztlich kodifikatorischen Niederschlag in den §§ 74, 75 EinlALR. In der Entstehungszeit des Preußischen Allgemeinen Landrechts schien eine enge Eingrenzung der Aufopferungshaftung auf Verletzungen des Eigentums verständlich, da „der liberale und formale Rechtsstaat, der die von ihm verschiedene Gesellschaft sich selbst überließ und nur Nachtwächterdienste an der Gesellschaft zur Wahrung ihrer Autonomie zu leisten brauchte, nur in geringem Maße genötigt war“116, in bürgerliche Rechtspositionen einzugreifen. Die Eingriffe beschränkten sich somit zunächst im Wesentlichen auf Enteignungen zugunsten der staatlichen Infrastruktur. Erst die Spannungen um den ersten Weltkrieg und seine Nachwirkungen ließen die hoheitlichen Zugriffe auf andere Rechtsgüter deutlicher zu Tage treten.117 Heute könnte die Realität nicht weiter entfernt von einem bloßen Nachtwächterdienst des Staates sein – vielmehr greift dieser in noch nie dagewesener Intensität regelnd in die Gesellschaft ein.118 Eine der heutigen Verfassungswirklichkeit angepasste Deutung des Wortlauts des § 75 EinlALR streitet deshalb – sogar unabhängig von einer besonderen Schutzwürdigkeit – für die Aufnahme der anderen Freiheitsrechte, des gemeinen Wohls unabdingbar war. Die wohlerworbenen – auf einem naturrecht­ lichen Erwerbstitel basierenden – Rechte blieben dabei unbeeinträchtigt. 113  Jannsen, Entschädigung, S. 22 ff.; Stödter, Entschädigung, S. 91 f. Vgl. auch Bluntschli, Allgemeines Statsrecht, S. 231. 114  Kreft, Aufopferung, S.  5 ff. m. w. N. 115  Stödter, Entschädigung, S. 59. 116  Jannsen, Entschädigung, S. 22 ff.; Kreft, Aufopferung, S.10. 117  Kreft, Aufopferung, S. 11. 118  Vgl. Zweiter Teil: § 1 A.II., S. 35.



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung141

insbesondere aber der Berufsfreiheit, in den aufopferungsrechtlich geschützten Kanon.119 Angesichts der starken historisch geprägten Prävalenz des Eigentums im Entschädigungsrecht120 verwundert es aber kaum, dass noch das Reichsgericht den Anwendungsbereich des Aufopferungsanspruchs auf Eingriffe in vermögenswerte Rechte beschränkte.121 Wurden Freiheitsbetätigungen früher nicht als subjektive Rechte angesehen,122 zeichnete sich spätestens aber mit dem Grundgesetz ab, dass die übrigen Grundrechte nicht anders zu behandeln sind als die Eigentumsgarantie, die eine Form „vergegenständlichte[r] Freiheit“123 darstellt. Zunehmend trat damit der Gedanke des subjektiven Rechts in den Vordergrund der entschädigungsrechtlichen Debatte.124 Bahnbrechend erschien die Leitentscheidung des BGH, in welcher der Anwendungsbereich des Instituts auf Eingriffe in immaterielle Güter wie die Gesundheit oder das Leben erweitert wurde.125 Denn die Richter beschränkten ihre Begründung weitgehend darauf, angesichts der „neueren Rechtsentwicklung“ könne „hinsichtlich der Entschädigungspflicht zwischen Eingriffen in Eigentum und sonstige vermögenswerte Rechte einerseits und solchen in Leben und Gesundheit andererseits ein Unterschied zu Ungunsten der letzten nicht mehr gemacht werden“126. Die maßgeblichen Argumente bildeten dabei die vergleichbare Schutzwürdigkeit der Rechtsgüter und der durch das Son119  Sieht man die innere Begründung der Aufopferungshaftung selbst im in Art. 3 GG verwurzelten Verbot ungerechtfertigter Ungleichbehandlung, so muss sich dieses Institut bereits seiner Natur in besonderer Art und Weise „erweiterungsfreundlich“ für vergleichbare Problemlagen zeigen, will es nicht seinen immanenten Gerechtigkeitsgehalt einbüßen. Im Zuge einer stringenten Systematik bedürfte vielmehr der wenig nachvollziehbare Ausschluss einzelner Schutzgüter aus der Aufopferungshaftung einer eingehenden Begründung und nicht etwa deren Einbeziehung. Vgl. dazu Schlehofer, in: FS U. König, S. 393, 397 ff.; Röder, Haftungsfunktion, S. 47; Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 340; ähnl. auch Engelhardt, NVwZ 1985, 621, 628. 120  Vgl. dazu Röder, Haftungsfunktion, S. 34. 121  Vgl. RGZ 72, 85 (90 ff.); 103, 423 (426); 122, 298 (301); 144, 325 (333); 149, 34 (36). 122  Schenke, Normatives Unrecht, S. 107. 123  Ipsen, AöR 1965, 393, 492. Eine solche Erweiterung zeichnete sich bereits früh ab; vgl. Stödter, Entschädigung, S. 73. Auch Kreft, Aufopferung, S. 8 konstatiert, das wohlerworbene Recht entspräche im Wesentlichen dem subjektiven Recht. Kritisch zur Etablierung einer Status-Lehre, die eine Differenzierung zwischen den Grundrechten ermöglichen sollte Schenke, Normatives Unrecht, S. 64 m. w. N. 124  Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 301; Schoch, Jura 1989, 529, 536; Kreft, Aufopferung, S. 8. 125  BGHZ 9, 83. Die Preußische Kabinettsorder vom 4.12.1831, auf die das Reichsgericht seine restriktive Praxis primär gestützt hatte (RGZ 72, 85 (88)), präkludiere eine Erweiterung auf sonstige Rechtsgüter bereits nicht negativ, wäre aber jedenfalls gewohnheitsrechtlich beseitigt worden. Kritisch zu dieser Anbindung insgesamt Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 187. 126  BGHZ 9, 83 (89).

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deropfer verursachte Verstoß gegen den Gleichheitssatz als innere Begründung der Entschädigung.127 Wie oben erläutert ist dieses aber im Zusammenhang mit der Berufsfreiheit von ebensolcher Schlagkraft. Nichtsdestotrotz wird derzeit auch eine Erweiterung des aufopferungsgleichen Eingriffs auf Art. 12 Abs. 1 GG von der Rechtsprechung weit überwiegend abgelehnt.128 Die Berufsfreiheit entspreche als ungesicherte Rechtsposition nicht dem Leben oder der Gesundheit. Der Staat müsse in „einen Gegenstand, einen vorhandenen und erworbenen Bestand, eine Substanz, […] ein Ergebnis, ein Sein und Haben eingegriffen haben“129. Dies sei bei Art. 12 Abs. 1 GG schon denklogisch ausgeschlossen, da dieser den Erwerbsvorgang – also eine Betätigung – nicht aber dessen Ergebnis schützt. „Man [könne] schon begrifflich nichts aufopfern, was man noch nicht erworben [habe].“130 Die bloße Verdienstaussicht sei keine hinreichend gesicherte Rechtsposition, die aufopferungsrechtlich schutzwürdig schiene.131 Diese Argumentation leidet indes an erheblichen Mängeln. Zunächst muss ganz grundsätzlich zwischen der geschützten Rechtsposition als Eingriffsobjekt und dem verursachten Schaden unterschieden werden. Nur eine differenzierte Betrachtung, wie sie von der Rechtsprechung jedoch selten vorgenommen wird, kann belastbare Ergebnisse liefern. Es ist zwar zutreffend, dass die Erwerbsfreiheit grundsätzlich nur die Chance eines künftigen Erwerbs be­ inhaltet, die mit dem Risiko des Scheiterns behaftet ist. Wird daraus aber weiterhin geschlossen, es läge keine der körperlichen Integrität und dem Ei127  Vgl. BGHZ 9, 83 (89): „Diese Lebensgüter können hinsichtlich ihrer Schutzwürdigkeit hinter den vermögenswerten Rechten in keiner Weise zurückstehen und sind zum mindesten in gleicher Weise schutzwürdig. Die Schutzwürdigkeit dieser Lebensgüter ist heute dadurch noch besonders unterstrichen, daß das Grundgesetz in Erkenntnis des Wertes der Einzelpersönlichkeit im heutigen sozialen Rechtsstaat neben dem Recht des einzelnen auf Entfaltung seiner Persönlichkeit auch das Recht des einzelnen auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art 2 als verfassungsmäßig geschütztes Grundrecht ausdrücklich proklamiert. […] Ist es aber gerade dieser Verstoß gegen den Gleichheitssatz, der die innere Begründung und Rechtfertigung für die Entschädigungspflicht bei Enteignungen abgibt, dann kann auch bei Eingriffen in die Gesundheit, die in gleicher Weise durch den Verstoß gegen den Gleichheitssatz gekennzeichnet sind, ein Entschädigungsanspruch nicht mehr versagt werden“. (Hervorhebungen durch den Verfasser). Zustimmend Schenke, NJW 1991, 1777, 1781; Kunig, Jura 1992, 554, 555. 128  Vgl. nur Schoch, Jura 1989, 529, 534. 129  So plastisch, LG Berlin, Urt. v. 30.10.1992 – 9 U 2569 / 92, S. 8 f. 130  LG Berlin, Urt. v. 30.10.1992  – 9 U 2569 / 92, S. 8 f.; ähnl. auch Kunig, Jura 1992, 554, 557: Während im Bereich des Primärrechtsschutzes die Schutzbereiche von Art. 12 und Art. 14 GG konvergierten, sei dies haftungsrechtlich jedoch nicht mehr der Fall. 131  Rinne, DVBl. 1993, 869, 870 f.



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gentum vergleichbare Rechtsposition vor,132 muss dies bezweifelt werden. Denn Eingriffsobjekt bleibt gerade die Berufsfreiheit selbst – und nicht ihr hypothetischer wirtschaftlicher Erfolg, der für die Schadensberechnung maßgeblich ist.133 Es kann aber kaum Zweifel daran bestehen, dass die Berufsfreiheit an sich eine hinreichend gesicherte Rechtsposition darstellt. Der Fehlschluss der Erweiterungsgegner erklärt sich daraus, dass nicht die persönlichkeitsbezogenene Berufsfreiheit, sondern beispielsweise der mangels Genehmigung noch nicht existente zukünftige Gewerbebetrieb als Eingriffsobjekt gesehen wird.134 Eine solche Betrachtungsweise ist zirkulär, da sie gerade vom nicht vorhandenen Eigentum als einzigem validen Eingriffsobjekt ausgeht. Dies stellt jedoch wie aufgezeigt gerade die Prämisse dar, die zu begründen wäre.135 Noch weit weniger als der enteignungsgleiche Eingriff mit seiner fragwürdigen postulierten Anbindung an Art. 14 GG kann der aufopferungsgleiche Eingriff stringent auf den Schutz bestimmter Rechtsgüter reduziert werden. Vielmehr sperrt sich eine der modernen Verfassungswirklichkeit angepasste Deutung des ihm und letztlich auch dem enteignungsgleichen Eingriff zugrundeliegenden Rechtsgedanken gegen die nicht begründbare Privilegierung des Eigentums und der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 GG auf der Ebene des Sekundärrechtsschutzes.136 Denn „der in § 75 EinlALR normierte Grundsatz der Entschädigungspflicht des Staates ist in dieser Gesetzesbestimmung selbst gegenständlich nicht beschränkt, sondern […] umfasst jedes Sonderopfer, das der einzelne an irgendwelchen Rechtsgütern zum Wohle der Allgemeinheit zu erbringen genötigt wird.“137 III. Verbleibende Einwände gegen eine Erweiterung Wurde dargelegt, dass die dogmatische Herleitung und das Telos der aufopferungsrechtlichen Institute deutlich für eine Einbeziehung der Berufsfreiheit sprechen, müssen die übrigen – primär in der Literatur vorgebrachten – Hinderungsgründe auf ihre Stichhaltigkeit geprüft werden. 132  Rinne,

DVBl. 1993, 869, 870. Staatshaftung, S. 444; Schmidt, NJW 1999, 2847, 2850. 134  Selmer, Aufopferungsanspruch, S. 111. 135  Vgl. Schenke, NJW 1991, 1777, 1782; Röder, Haftungsfunktion, S. 73; ähnl. auch Schmidt, NJW 1999, 2847, 2850. Vor einem circulus in probando warnt methodisch auch Schlehofer, in: FS U. König, S. 393, 407. 136  Röder, Haftungsfunktion, S. 75 mit Hinweisen auf die gesteigerte Wertigkeit der Grundrechte im Vergleich zur WRV; Kreft, Aufopferung, S. 5. Ähnl. Schmidt, NJW 1999, 2847, 2850. 137  So BGHZ 9, 83 (89) (Hervorhebungen durch den Verfasser). 133  Löwer,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Dabei ist festzuhalten, dass die fehlende Konvergenz zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden bei Verletzungen der Berufsfreiheit nur schwerlich als erweiterungshindernde Einwendung begriffen werden kann. Ohnehin könnte dieses Argument allein für den enteignungsgleichen Eingriff Geltung beanspruchen, da die aufopferungsrechtlich geschützten Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit ebenfalls einen Gleichlauf zwischen Rechtsgutverletzung und Schadenshöhe vermissen lassen.138 Nun stellt es ein Spezifikum des Eigentums und damit auch des enteignungsgleichen Eingriffs in seiner jetzigen Form dar, dass die Rechtsgutverletzung direkt mit einem Vermögensverlust einhergeht und dieser nicht „vermittelt“ eintritt. Anders betrachtet liegt es aber gerade in der Natur immaterieller Rechte, dass Eingriff und Vermögensschaden in einem Verhältnis von Ursache und Folge stehen.139 Mag hierin zwar ein Unterschied zwischen dem enteignungsgleichen Eingriff und der aufopferungsgleichen Haftung bestehen, so bezieht dieser sich nur auf die Schadensfeststellung auf der Rechtsfolgenseite und kann daher einen legitimen tatbestandlichen Eingrenzungstopos nicht bieten.140 Als problematisch wird weiter bewertet, die Ausdehnung der Haftungsinstitute auf die Berufsfreiheit würde bereits immer dann zu einer „Entschädigung führen, sofern nur die Beurteilung des hypothetischen Kausalverlaufs den Schluss auf einen eingriffsbedingten Vermögensnachteil rechtfertigen könnte.“141 Dies sei ein klarer Widerspruch zur aufopferungsrechtlichen Struktur, welche grundsätzlich eben nur eine Entschädigung vorsähe und keinen nach der Differenzhypothese des § 249 BGB berechneten vollen Schadensersatz.142 Gleichzeitig würde die vom BGH vorgenommene feine Grenzziehung im Bereich von Eingriffen in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb untergraben, bei dem der entgangene Gewinn grundsätzlich nicht ersatzfähig ist.143 Auch dieser Vorwurf erweist sich näher betrachtet als nicht haltbar. Zwar mag es zutreffen, dass die Entschädigungsberechnung im Bereich immaterieller Rechte aufgrund der mangelnden Konvergenz von Rechtsgutverletzung 138  Im Kontext des aufopferungsgleichen Eingriffs wird dies jedoch soweit ersichtlich nicht diskutiert, geschweige denn kritisiert. 139  Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 365; Schenke, NJW 1991, 1777, 1781; ähnl. auch Schmidt, NJW 1999, 2847, 2850. 140  Schenke, NJW 1991, 1777, 1781; anschließend Röder, Haftungsfunktion, S.  68 f. 141  Rinne, DVBl. 1993, 869, 871 f. Ausführlich zu den angedeuteten potentiellen finanziellen Auswirkungen einer Reform unter Fünfter Teil: § 2 B.II.4., S. 339 ff. 142  Rinne, DVBl. 1993, 869, 871. 143  Vgl. BGH, Urt. v. 26.04.1990  – III ZR 208 / 88; Jannsen, DVBl. 1967, 190, 192; Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 114. vgl. auch Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 106.



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung145

und Vermögensschaden komplizierter ist als beim Eigentum. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Zivilrecht ein vollständiges Instrumentarium der Schadensberechnung zur Verfügung stellt, mit der auch immaterielle Schäden valutiert werden können. Auch führt dies – anders als von den Kritikern vorausgesetzt – nicht notwendigerweise zu einer vollen Schadensersatzhaftung, was ein Blick auf die bestehende Aufopferungshaftung für Eingriffe in Art. 2 Abs. 2 GG verdeutlicht: Dort ist angemessene Entschädigung für das Sonderopfer zu leisten,144 die möglicherweise, aber nicht zwingend mit einem vollen Schadensersatz kongruent ist – allein entscheidend ist, dass das Sonderopfer vollständig ausgeglichen wird.145 Gleiches würde im Falle einer Einbeziehung der Berufsfreiheit in den Kanon der geschützten Rechtsgüter gelten. Gerade der Aufopferungsanspruch könnte darüber hinaus durch Anbindung an das jeweilige Grundrecht „feinjustiert“ werden, wie es auch in seiner Ausprägung als enteignungsgleicher Eingriff geschehen ist.146 Im Ergebnis wird mit dieser Kritik der Gegenmeinung demnach eine Konsequenz zugeschoben, die diese nicht ziehen braucht. Nicht zu überzeugen vermag weiterhin der Einwand, die Rechtswidrigkeit erhielte durch die Ausdehnung auf die Berufsfreiheit im Rahmen der Aufopferung „einen ihr nicht gebührenden Stellenwert“147. Vorgebracht wird hierbei, der aufopferungsgleiche Eingriff würde letztlich zu einem Instrument der Staatsunrechtshaftung umfunktioniert, obwohl er seine Wurzeln in der Entschädigung für rechtmäßige Eingriffe habe.148 Nun mag diese Kritik bezogen auf eine Aufopferungshaftung für rechtswidrige Schädigungen insgesamt zutreffen;149 sie bezieht sich aber nicht auf ein Spezifikum der Erweiterung auf Art. 12 Abs. 1 GG.150 Missbilligt wird in Wahrheit damit die durchaus fragwürdige, in ständiger Rechtsprechung praktizierte Anwendung eines entschädigungsrechtlichen Instituts auf rechtswidrige Eingriffe,151 die aber in 144  BGHZ

45, 46 (77). 2, 270 (293, 295); 7, 331 (334); 22, 43 (50). Vgl. auch Kunig, Jura 1992, 554. Überdies nimmt der BGH im Bereich der Betriebseingriffe bereits jetzt zur Berechnung der Entschädigung zuweilen Bezug auf den entgangenen Gewinn. Fraglich ist, inwiefern eine Entschädigung überhaupt die richtige Reaktion auf rechtswidrige Grundrechtseingriffe darstellt, vgl. ausführlich Vierter Teil: § 2 A.III., S.  263 ff. 146  Vgl. Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 112, Röder, Haftungsfunktion, S. 77. 147  Rinne, DVBl. 1993, 869, 871. 148  Rinne, DVBl. 1993, 869, 871. 149  Dazu sogleich unter Dritter Teil: § 1 D.II., S. 150 ff. 150  Schoch, Jura 1989, 529, 534; kritisch auch Röder, Haftungsfunktion, S. 190 f. 151  Insgesamt bezeichnend an Rinnes Kritik ist, dass er primär die kaum bestreitbaren Ähnlichkeiten zwischen Eigentums- und Berufsfreiheit herausarbeitet, auf der Ebene der Kritik jedoch im Oberflächlichen und Formelhaften verbleibt. So gibt er 145  BGHZ

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der rechtsprechungsimmanenten Untersuchung einer Erweiterungsmöglichkeit außer Betracht bleiben muss. Systemimmanent lassen sich also keine belastbaren Einwände gegen die Erweiterung der geschützten Rechtsgüter auf Art. 12 Abs. 1 GG erheben, die sowohl von der „dogmatischen“ Fundierung der Aufopferungshaftung als auch der Ähnlichkeiten zwischen Eigentumsgarantie und Berufsfreiheit gestützt wird.

D. Kritik und Zwischenergebnis Entgegen der wohl überwiegenden Auffassung ergibt sich die notwendige, aber auch hinreichende Basis einer Erweiterung der Aufopferungshaftung auf Verletzungen der Berufsfreiheit unter Zugrundelegung der rechtsprechungsimmanenten Logik aus den obigen Erwägungen. Ließe sich somit zumindest auf den ersten Blick die Schutzlücke schließen, darf eine Untersuchung nicht an dieser Stelle abbrechen. Denn will man die überkommene Dogmatik überholen, ist ein substantieller Fortschritt zu gewährleisten: Es genügt eben nicht, genauso gut zu sein.152 Die Vorteile des neuen Konzepts, seine Systematik und Stringenz müssen die Nachteile – insbesondere das enttäuschte Vertrauen auf die bestehenden Regeln und die potentiellen Umstellungskosten zumindest aufwiegen.153 Deshalb bedarf die Lösung selbst umfassender Kritik. Zu untersuchen ist damit zunächst, ob eine Limitierung der Ausweitung auf Art. 12 Abs. 1 GG überzeugen kann. Sodann ist die Ebene der rechtsprechungsimmanenten „Systematik“ zu verlassen und die dogmatische Grundlage der Gesamtkon­ struktion auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Denn steht wie bereits einleitend angedeutet die Ausgangsüberlegung auf tönernen Füßen, rückt dies auch beispielsweise zu, dass Art. 12 und Art. 14 GG von der verfassungsrechtlichen Wertigkeit identisch sind. Darüber hinaus sei eine Trennung zwischen Erwerb und Erworbenen häufig im Bereich des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs schwierig (S. 869). Auch ließen sich die Tatbestandsmerkmale des Aufopferungsanspruchs bei der Erwerbsfreiheit „logisch begründen“. Unklar bleibt dagegen, warum es für sich genommen einen Kritikpunkt darstellen soll, wenn über die Ausdehnung „vermögensrechtliche Aspekte in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG“ einbezogen werden (S. 870). Wenig überzeugend wirkt auch der Rückzug auf eine gewohnheitsrechtliche Verfestigung des enteignungsgleichen Eingriffs zu dessen Verteidigung und Abgrenzung. Zugute zu halten ist ihm indes, dass er zumindest den Versuch unternimmt, sich fundiert mit den Argumenten der Erweiterungsbefürworter auseinanderzusetzen. Anders beispielsweise Boujong, in: FS für R. Nirk, S. 61, 64 ff. mit bloßem Verweis auf die Rechtsprechung. 152  So auch Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 306. 153  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 306.



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jegliche Fortentwicklung in ein zweifelhaftes Licht, die dann die Perpetuierung einer fragwürdigen Rechtsprechung bedeutete.154 I. Beschränkung der Erweiterung auf Art. 12 Abs. 1 GG Wenig überzeugend wirkt zunächst die „Beschränkung der Erweiterung“ auf Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG. Teilweise wird angenommen, die gesamte Haftungslücke im Staatshaftungsrecht würde durch eine Erweiterung der Aufopferungshaftung auf Verletzungen der Berufsfreiheit geschlossen – es bestünde also kein darüber hinausgehender Bedarf.155 Indes finden sich ohne besondere Mühen haftungsrelevante Szenarien anderer Grundrechtsausübungen, in denen die Amtshaftung scheitert und der Bürger entschädigungsrechtlich schutzlos steht.156 Mögen sie auch weit seltener vorkommen als im Bereich der wirtschaftlichen Betätigung, erübrigt dies nicht die Frage, inwiefern eine Erweiterung der Aufopferungshaftung konsequenterweise alle grundrechtlich geschützten Rechtspositionen umfassen müsste – selbst wenn dadurch eine vermeintliche „Super-Haftungsgrundlage“ geschaffen würde. Wie dargestellt kann eine sinnvolle Differenzierung nur anhand der Schutzgüter vorgenommen werden.157 Will man allein Art. 12 Abs. 1 GG in den aufopferungsrechtlich geschützten Kanon einbeziehen, muss daher nach einem Spezifikum der Berufsfreiheit gegenüber den anderen Freiheitsrechten gesucht werden. Als relevantes Alleinstellungsmerkmal soll dienen, dass nur Eingriffe in das Eigentum und die Erwerbsfreiheit typischerweise zu Vermögensschäden führen.158 Hiergegen lässt sich bereits auf den ersten Zugriff einwenden, dass den aufopferungsrechtlich geschützten Rechten aus Art. 2 Abs. 2 GG diese Eigenschaft fehlt, sie aber unbeschadet dessen entschädigungsrechtlichen Schutz genießen. Zudem stellt die typische Neigung zu Vermögensschäden ein sehr diffuses Kriterium dar, dessen Feststellung erheblicher Rechtsun­ 154  Dies bedarf einer kritischen Würdigung umso mehr, als der enteignungsgleiche Eingriff als „Sorgenkind“ des Staathaftungsrechts galt, vgl. Papier, Jura 1982, 65 ff. 155  Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 386; ähnl. auch OVG Münster, NVwZ 1994, 795 (796). 156  Vgl. dazu vor allem die Beispiele zur Versammlungsfreiheit und der allgemeinen Handlungsfreiheit bei Schenke, NJW 1991, 1777, 1781. 157  So auch Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 341; Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 114; Löwer, Staatshaftung, S.  439  ff.; Röder, Haftungsfunktion, S.  68 f., 123. 158  Löwer, Staatshaftung, S. 445  f.; vgl. auch Sass, Entschädigungserfordernis, S.  119 ff.

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sicherheit unterliegt.159 Überdies ist zweifelhaft, ob die Überlegungen überhaupt einen legitimen Eingrenzungstopos darstellen können. Dies scheint unter Heranziehung des Maßstabs von Art. 3 GG sehr fraglich, wonach die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte nur verboten ist, sofern dies auch sachlich gerechtfertigt ist. Es kann also nicht schon jeder festgestellte Unterschied für eine Differenzierung ausreichen. Der Beweis, dass die typische Schadensneigung eine entschädigungsrechtliche Unterscheidung rechtfertigen könnte, bleibt aber aus. Die Tatsache, dass ein Vermögensschaden selten auftritt, legitimiert keineswegs, diesen vollständig zu vernachlässigen.160 Es widerspricht sowohl dem Gerechtigkeitsempfinden als auch der dogmatischen Stringenz, einen normativ gegebenen Anspruch bloß deshalb zu verneinen, weil die Großzahl ähnlicher Fälle nicht entschädigungsrelevant ist.161 Aus staatshaushaltlicher Sicht ließe sich sogar das gegenteilige Argument führen, dass Fälle, in denen dem Hoheitsträger keine große finanzielle Belastung droht, erst recht unbedenklicher in die Aufopferungshaftung einbezogen werden könnten. Diese Kontrollüberlegung verdeutlicht jedoch, dass die Schadensneigung an sich als Eingrenzungskriterium schlechthin keine belastbaren Maßstäbe an die Hand gibt. Als weiterer Eingrenzungstopos soll bisweilen die oben beschriebene partielle Austauschbarkeit der Schutzbereiche zwischen Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 GG dienen, die sich insbesondere im Hinblick auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb manifestiert.162 Kann dieses Argument zwar teleologisch für eine Einbeziehung der Berufsfreiheit in den enteignungsgleichen Eingriff streiten, zeigt sich seine Mangelhaftigkeit zur Begründung einer Einschränkung der Schutzgüter allein schon im Hinblick auf den aufopferungsgleichen Eingriff, dessen Schutzbereich gänzlich losgelöst von der wirtschaftlichen Betätigung des Einzelnen ist.163 Eine bloße „Ähnlichkeitskontrolle“ allein bietet letztlich deshalb genauso wenig ein materielles ­Abgrenzungskriterium für wie gegen eine Haftungserweiterung.164 Ebenso zweifelhaft erscheinen Versuche, eine besondere Aufopferungsrelevanz der Art. 2 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG zu ermitteln. Dennoch wird zuweilen vorgebracht, gerade diese drei Grundrechte dienten der „Existenzgrundlagensicherung [und ermöglichten] dem einzelnen die Grundvorausset159  Schenke,

NJW 1991, 1777, 1778 m.N. Schenke, NJW 1991, 1777, 1782; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 372. 161  Röder, Haftungsfunktion, S. 129. 162  Vgl. Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 16, 83  ff.; Löwer, Staatshaftung, S. 445. 163  So Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 371; Röder, Haftungsfunktion, S. 124. 164  Vgl. auch Röder, Haftungsfunktion, S. 126. 160  Vgl.



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zungen autonomer eigenverantwortlicher Lebensgestaltung“165. Durch diese „Elementar-Autonomie“ werde letztlich auch die Wahrnehmung der übrigen Freiheitsrechte erleichtert.166 Nun stellen Eigentum, Erwerbstätigkeit und nicht zuletzt die körperliche Unversehrtheit in der Tat fundamentale Voraussetzungen weiterer Freiheitswahrnehmungen dar und können durchaus als elementare Grundsätze begriffen werden. Problematisch ist aber, dass dies für nahezu alle Grundrechte behauptet werden kann. Es erschließt sich nicht, warum beispielsweise die Meinungsfreiheit – die vom BVerfG selbst als „Grundlage jeder Freiheit überhaupt“167 qualifiziert wurde – weniger existentiell sein sollte.168 Darüber hinaus wird die Hypothese nicht begründet, warum nur der Bereich der „Elementar-Autonomie“ – selbst wenn man diesen relativ willkürlich auf die drei Grundrechte beschränken sollte – aufopferungsrechtlich geschützt sein soll. Eine derartige Differenzierung läuft zudem im Ergebnis auf eine bedenkliche Rangfolge in der „Wertigkeit“ der Grundrechte hinaus, die aber weder begründbar, noch im Grundgesetz angelegt ist:169 Ein „Zweiklassensystem von Grundrechten“, das sich im Wesentlichen aus dem „Schielen auf Schadensersatzfolgen“170 speist, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Mangels valider Eingrenzungstopoi, die letztlich nur aus dem Schutzgut selbst resultieren könnten, muss die paradoxe Limitierung der Haftungs­ extension zu Schwierigkeiten führen. Denn Kern der Aufopferungshaftung bleibt der Ausgleich des erlittenen Sonderopfers, unabhängig davon, welches Rechtsgut letztlich betroffen war.171 Im Ergebnis drängt sich daher die Vermutung auf, dass durch die obigen Begründungsversuche nur ein bereits vorgefundenes Ergebnis dogmatisch unterfüttert werden soll. Anstatt diesem Fehlschluss zu erliegen, müsste die Aufopferungshaftung konsequenterweise vollständig von jeder Anbindung an einzelne Grundrechte gelöst und als allgemeines, rechtsgüterindifferentes Haftungsinstrument für die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte begriffen werden. Mag auch die Akzeptanz für eine kleinschrittige, vorsichtige Entwicklung größer sein, stellt diese einen Pragmatismus dar, der nur die bisherigen Fehler in einem anderen Kontext wiederholen würde.172 Einer solchen „halbherzigen Kompromisslösung“ wird dabei immer der Makel anhaften, dass sie sich in der Be165  Löwer,

Staatshaftung, S. 445. Staatshaftung, S. 445. 167  BVerfGE 7, 198 (208). 168  Mit diesem Beispiel Röder, Haftungsfunktion, S. 124 f. 169  Vgl. Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 306. 170  Haverkate, ZRP 1977, 33, 36. 171  Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 679. 172  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 298 f. 166  Löwer,

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schränkung der Erweiterung selbst widerspricht.173 Sind aber Systematik und Folgerichtigkeit tragende Begründungen der Ausdehnungsforderung, so müs­ sen sie auch innerhalb dieser beachtet werden – überzeugen könnte daher allein eine Ausweitung der Aufopferungshaftung auf alle Grundrechte. II. Fehlende Tauglichkeit der Rechtgrundlage – Zur Unvereinbarkeit des Aufopferungsgedankens mit einer Rechtswidrigkeitshaftung Dargelegt wurde bisher, dass eine stringente Handhabung der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu einer verschuldensunabhängigen Entschädigung bei rechtswidrigen hoheitlichen Eingriffen in die Berufsfreiheit und – mangels tragfähiger Differenzierungskriterien – konsequenterweise auch in die übrigen Grundrechte führt. Prima facie scheint damit die Rechtsschutzlücke im Bereich des Staatshaftungsrechts zufriedenstellend geschlossen. Spätestens nun ist kritisch zu hinterfragen, inwiefern der Aufopferungsgedanke für einen solch weitreichenden Schritt einen tragfähigen und dogmatisch stringenten Ausgangspunkt bildet. Regelmäßig wird die sonderbare Zwitterstellung des Instituts zwischen Aufopferung und Unrechtshaftung174 axiomatisch behauptet und schlicht mit Verweis auf die gewohnheitsrecht­ liche Geltung hingenommen.175 Zieht die Rechtsprechung sich auf eine schlichte Perpetuierung apodiktisch postulierter Grundsätze zurück, so scheint aber nur vermeintlich „in einem jahrzehntelangen Erfahrungs- und Klärungsprozeß […] die Frage nach dem tragenden Fundament ihre Bedeutung“ immer weiter einzubüßen.176 Denn je stärker sich die Ablösung vom Fundament manifestiert, desto schwieriger wird auch eine vorhersehbare und den elementaren Ansprüchen der Rechtssicherheit entsprechende Handhabung der Institute – im Extremfall droht eine „wildwüchsige Billigkeits­ rechtsprechung“177. Diese Gefahr zeigt sich deutlich an den in zahlreichen 173  Röder, Haftungsfunktion, S. 131. Beispielhaft hierfür Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 495: die Beschränkung auf Art. 14 sei „verständlich, wenn auch systematisch nicht logisch“. 174  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 259. 175  Eher apodiktisch in seiner Begründung auch Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 331, der eine gemeinsame Überzeugung und langanhaltende Praxis als ausreichend und gegeben ansieht, sodass Fragen nach dem Fundament überflüssig seien; kritisch dazu Böhmer, NJW 1988, 2561, 2565; Ferschl, Aufopferungsanspruch, S.  33 f.; Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 88; Schoch, Jura 1989, 529, 534. 176  Ossenbühl, DVBl. 1994, 977, 983; ähnl. auch Hain, VerwArch 2004, 498. 177  Jaschinski, Enteignender Eingriff, S. 31.



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung151

Einzelfällen entwickelten Aufopferungsrechtsinstituten des BGH, die seit Beginn stark ergebnisorientiert vorangetrieben wurden, ohne dass die Richter versuchten, eine tragfähige Dogmatik hervorzubringen. Umso verwunderlicher erscheint deshalb, wenn die Frage nach der Rechtsgrundlage gerade in der Jurisprudenz als „reine Doktorfrage, an der sich nichts entscheidet“178 abgetan wird. Denn den Gerichten steht trotz Gesetzesvakanz eine über die Grenzen der anerkannten Auslegungsmethoden hinausgehende Freiheit in der Rechtsfortentwicklung mitnichten zu, wenn sie diese auch häufig für sich in Anspruch nehmen mögen.179 Die bloße Etablierung von Richterrecht über einen längeren Zeitraum kann die Frage nach dem Ursprung der hoheitlichen Einstandspflichten nicht obsolet machen.180 Nun mag zutreffen, dass die Entwicklung eines umfassenden Systems nicht des Richters erste Aufgabe ist – vielmehr soll er „einen konkreten, mit Erwartungen, Hoffnungen und Schicksalen einzelner Bürger verbundenen Konfliktfall verantwortlich […] entscheiden.“181 Dies impliziert jedoch keine Befugnis zu freier Rechtsschöpfung ohne Rücksicht auf normative Grundlagen – denn das Richterrecht stellt nur eine formale Kategorie dar, ist seinerseits aber auf eine stringente Ableitung aus dem geltenden Recht angewiesen.182 Der zweifelhafte, derzeit in Anspruch genommene Luxus, die Frage nach der Rechtsgrundlage unter Rekurs auf Gewohnheitsrecht dahinstehen zu lassen, ist daher nur gerechtfertigt, wenn die zugrundeliegenden Hypothesen tatsächlich plausibel sind.183 Eine Betrachtung der Entwicklung der aufopferungsgleichen Haftung lässt jedoch eine tiefgehende Befassung der Richter mit eben dieser Frage vermissen. In Abwesenheit einer belastbaren systematischen Auseinandersetzung scheint die Rechtsfortbildung treffend mit der lapidaren Aussage eines ehemaligen Präsidenten des BVerfG beschrieben: „Ach wissen Sie, bei uns hat eigentlich jeder Fall seine eigene Methode“184. Grundlegend problematisch an der gegenwärtigen Herangehensweise erweist sich, dass sie einen nicht kodifizierten richterrechtlichen Anspruch als gege178  Heintzen,

VerwArch 1990, 532, 535. in: FS U. König, S. 393, 394 m.N.; Rüthers, NJW 2011, 434 ff. 180  Vgl. Sass, Entschädigungserfordernis, S.  114; Röder, Haftungsfunktion, S.  197 f., 253. 181  Ossenbühl, DVBl. 1994, 977, 983. So auch Röder, Haftungsfunktion, S. 204. 182  Röder, Haftungsfunktion, S. 198. 183  Vgl. Sass, Entschädigungserfordernis, S. 114 und Röder, Haftungsfunktion, S. 203 f., der zumindest im Staatshaftungsrecht erhebliche Zweifel an dieser Stringenz hat. Insofern erscheint auch der beispielhaft von Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 496 vertretene kleinschritte Erweiterungsansatz kritisch, da er eine immer weitere, vorsichtige Ausdehnung befürwortet, gleichermaßen aber zugibt, dass diese nicht vollständig konsequent ist. 184  Wolfgang Zeidler – zitiert nach Rüthers, JZ 2006, 53, 54. 179  Schlehofer,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

ben annimmt und erst nachträglich mit dogmatischen Überlegungen begründen will. Daraus folgt ein leichthändiger Umgang mit den Rechtsgrundlagen, in dem diese ergebnisgeleitet so zurechtgebogen werden, dass eine dem Billigkeitsempfinden entsprechende Lösung greifbar scheint.185 Groß ist dabei die Versuchung, aus dem postulierten Wesen oder den Charakteristika eines Rechtsinstituts sowohl Tatbestand als auch Rechtsfolge „abzuleiten“, die allerdings bereits axiomatisch festgelegt wurden. Dies entspricht letztlich der Umsetzung eines subjektiven Gerechtigkeitsempfindungen dienenden Anspruchs ohne Anspruchsgrundlage, der lediglich nachträglich legitimierend mit rechtsdogmatischen Überlegungen unterfüttert wird.186 Stattdessen ist gerade geboten, Energie auf die Problematik der Rechtsgrundlage zu „verschwenden“187, da nur so ein tragfähiges Konstrukt erarbeitet werden kann, das auf Fragen auf der tatbestandlichen und Rechtsfolgenseite adäquate Antworten parat hält. Der untechnische Rückschluss vom Ergebnis auf die Rechtsgrundlage kann zu den oben anklingenden Friktionen führen und ein widerspruchsfreies System gar verhindern.188 Dies hat zur Konsequenz, dass Ungereimtheiten im Wege immer weiterer Erst-RechtSchlüsse oder Reduktionen abgemildert werden müssen. Die einer solchen Herangehensweise innewohnende Gefahr sollte zumindest seit der durch den Nassauskiesungsbeschluss beendeten expansiven Rechtsprechung des BGH zum enteignungsgleichen Eingriff präsent sein.189 Lässt man sich auf eine von dogmatisch-systematischen Überlegungen geleitete und vom potentiellen Ergebnis weitestgehend unbeeinflusste Betrachtungsweise ein, bestehen erhebliche und offenkundige Bedenken gegen die Heranziehung des Aufopferungsgedanken zur Lückenschließung im Staatshaftungsrecht. Denn selbst mehrfache Erweiterungen über Erst-RechtSchlüsse können nicht verdecken, dass die Aufopferungshaftung nie für die Abwicklung rechtswidriger hoheitlicher Beeinträchtigungen konzipiert war.190 Strukturell besteht ihr Grundgedanke im Konflikt zwischen Allgemein­ 185  Selbst BGHZ 90, 17 (30) nimmt auf „allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen“ Bezug. Vgl. auch Schoch, VerwArch 1988, 1, 32; Röder, Haftungsfunktion, S. 195, 199 f. kritisiert „künstliche Verbiegungen der Tatbestandsstruktur“ und den lustlosen und gleichgültigen Umgang der Rechtsprechung mit der Rechtsgrundlage, siehe dazu auch Zweiter Teil: § 1 B.II.1.b)(1), S. 52 ff. 186  Schoch, VerwArch 1988, 1, 32; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 24. 187  Vgl. mit Blick auf den Folgenbeseitigungsanspruch Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 300. 188  Grundlegend Jaschinski, Enteignender Eingriff, S. 30. 189  Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 302 ff. 190  Vgl. Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 476 f., 495 ff.; Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 243; Fetzer, Legislatives Unrecht, S. 135 ff.; Morlok, DV 1992, 371, 375 f.; a. A. Kreft, in: FS für W. Geiger, S. 399, 410; Lege, NJW 1990, 864, 871.



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung153

interesse und Individualrecht, wobei das letztere gegebenenfalls gegen eine Entschädigung weichen muss.191 Dem gegenüber steht die Rechtswidrigkeitshaftung des Staates, deren fundamentales Kennzeichen das Fehlen einer Duldungspflicht des Betroffenen ist.192 Er darf und soll sich gegen widerrechtliche Eingriffe zur Wehr setzen.193 Den entscheidenden Unterschied macht gerade, ob der Bürger nur übermäßig oder aber rechtswidrig in Anspruch genommen wird.194 Der vom BGH praktizierte Rückschluss von der Rechtswidrigkeit auf das Sonderopfer kann dabei nur scheinbar überzeugen.195 Zwar ist es zutreffend, dass der rechtswidrig verletzte Bürger stärker als die übrige Bevölkerung belastet wird. Verfehlt wäre es aber, die Situationen allein deshalb als wesensgleich zu betrachten: Denn die gesetzeswidrige Inanspruchnahme ist nicht etwa zum Wohle der Allgemeinheit unvermeidbar – sie ist schlichtweg verboten.196 Deshalb reagiert das Recht auf solche Akte nicht allein in einer gerechten Umverteilung der Belastung, sondern in einer Sanktion für das staatliche Verhalten und einer vollständigen Wiedergutmachung.197 Dies kann

191  Vgl. nur Maurer, VerwR, § 28 Rn. 1. Insbesondere am Merkmal der All­ gemeinwohldienlichkeit wird deutlich, dass der Tatbestand nicht auf rechtswidrige Beeinträchtigungen passt. Im Rahmen des enteignungsgleichen Eingriffs wird daher versucht, das Merkmal faktisch aufzugeben. Gleichzeitig soll es wiederum bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit inkonsequenter Weise seine Bedeutung beibehalten. Vgl. zu diesem Problemfeld Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 70 ff.; Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 491; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, § 17 Rn. 25; Maurer, VerwR, § 26 Rn. 87  ff. Bezeichnender Weise verzichtet der BGH mittlerweile darauf, eine abstrakte Vergleichbarkeit zur Enteignung zu fordern, wonach die rechtswidrige Beeinträchtigung im Falle ihrer Rechtmäßigkeit als Enteignung gedacht werden müsse. Vielmehr werden nun auch solche rechtswidrigen Eingriffe erfasst, die – rechtmäßig gedacht – als zulässige Konkre­ tisierung der Sozialbindung des Eigentums hinzunehmen wären. Vgl. dazu Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 158 f.; Heidenhain, Amtshaftung, S.  109 ff. 192  Schoch, Jura 1989, 529, 536; Ipsen, DVBl. 1983, 1029, 1034. 193  Stödter, Entschädigung, S. 50; Ipsen, DVBl. 1983, 1029, 1034; Böhmer, NJW 1988, 2561, 2566; Schoch, Jura 1989, 529, 536. 194  Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 488; Hösch, DÖV 1999, 192, 193; Konow, JR 1964, 410 ff.; vgl. auch Rinne, DVBl. 1993, 869, 871. 195  BGHZ 32, 208 (212 ff.); 58, 124 (127 f.). Vgl. Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Grundrechte III / 2, S. 779, 857; Heidenhain, Amtshaftung, S. 117; SchmittKammler, JuS 1995, 473, 477. 196  Vgl. zu dieser Widersprüchlichkeit ausführlich Schmitt-Kammler, NJW 1990, 2515, 2519; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 68 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 355 ff. 197  Hösch, DÖV 1999, 192, 194; Bartelsperger, NJW 1968, 1697; Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 340; Fetzer, Legislatives Unrecht, S. 142 f.; Morlok, DV 1992, 371, 375 f.; Schmitt-Kammler, NJW 1990, 2515, 2518.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

jedoch ein von der Aufopferungshaftung vorgesehener „billiger Ausgleich“ in Geld strukturell nicht leisten.198 Ein solch gravierender Unterschied lässt sich nicht schlicht durch einen Erst-Recht-Schluss überbrücken, weshalb die Differenzierung zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Eingriffen keinesfalls eingeebnet werden darf.199 Geradezu irreführend erscheint damit die Bezeichnung als aufopferungsgleicher Eingriff – die Situationen sind eben weder vergleichbar, noch rechtfertigen sie eine Gleichbehandlung.200 Denn dass der Staat an der rechtswidrigen Schädigung eines Bürgers ein legitimes Interesse haben soll und dass jener hierfür lediglich auf eine angemessene Entschädigung verwiesen werden darf, ließ die Rechtssystematik völlig zu Recht ihren „Atem anhalten“201. Die propagierte Fortentwicklung verlor somit immer mehr ihren Charakter als Weiterentwicklung, hin zu einer „Wegentwicklung, bei der die neuen Argumentationsmuster lediglich scheinbar (= terminologisch) an alte Kategorien“ anknüpften.202 Dadurch wurde die fundamentale Zweiteilung der staatlichen Einstandspflichten in Schadensersatzhaftung für rechtswidrige und Entschädigung für rechtmäßige Eingriffe untergraben,203 ohne dass der ihr 198  Schoch, Jura 1989, 529, 534; vgl. auch Schmitt-Kammler, JuS 1995, 473, 477. Vgl. zu den weiteren praktischen Problemen der Vermischung Vierter Teil: § 2 A.II., S.  258 ff. 199  Schneider, Diskussionsbeitrag in: Kreft, Aufopferung, S. 31; Konow, JR 1964, 410, 411 ff. Bezeichnender Weise begründet auch Kreft, in: FS für W. Geiger, S. 399, 410 die Ineinssetzung letztlich ergebnisorientiert damit, andernfalls folgte eine umfassende Staatsunrechtshaftung, die aber die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritte. Bedenklich in diesem Zusammenhang zeigt sich auch die vom BGH praktizierte „Wahlfeststellung“, in der er die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme dahinstehen lässt und wahlweise aus enteignungsgleichem oder enteignendem Eingriff eine Entschädigung zuspricht, vgl. BGH, JZ 1984, 741 ff. 200  Konow, JR 1966, 16, 17; in diese Richtung auch Fetzer, Legislatives Unrecht, S.  135 ff. 201  So in Bezug auf die zivilrechtliche Rechtsfortbildung Dürig, JZ 1955, 521, 535; kritisch auch Hain, VerwArch 2004, 498, 510. Ähnl. auch Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 31 f. Der Verzicht auf wesentliche Strukturmerkmale wie die Allgemeinwohldienlichkeit ist nur eine der weiteren Korrekturen, die notwendig sind, um den zweifelhaften Zusammenhang zwischen Aufopferungs- und Staatsunrechtshaftung aufrecht zu erhalten. Konstatiert man nüchtern, dass der BGH von fast allen Wesensmerkmalen der Aufopferungshaftung Abstand genommen hat oder diese nahezu bis zur Unkenntlichkeit „auslegt“, so kann dessen Zögerlichkeit hinsichtlich der geschützten Rechtsgüter nur weiter verwundern. 202  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 25. 203  Vgl. statt vieler nur Höfling, VVDStRL 2002, 260, 264; Osterloh, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Retrospektive und prospektive



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung155

zugrundliegenden überzeugenden Ratio Beachtung geschenkt wurde: Dass diese keinesfalls etwa entbehrlich war, wurde mit Blick auf die als billig empfundenen Ergebnisse großzügig übersehen.204 Dabei perpetuierte die Rechtsprechung unter Verweis auf die befriedigenden Lösungen den „Geburtsfehler“ immer weiter.205 Aus der belasteten historischen Entwicklung ging so, überspitzt formuliert, „Gewohnheitsunrecht“206 hervor, das den Verweis auf eine legitimierende gewohnheitsrechtliche Geltung der Institute zweifelhaft erscheinen lässt.207 Prägnant formulierte Tucholsky: „Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen.“208 Notwendig bleibt also eine vom Ergebnis weitestmöglich abgekoppelte Suche nach konsequenteren Lösungsmöglichkeiten, um die „jahrzehntelange Fehlentwicklung“209 zu korrigieren. Insbesondere der kritisierten Verwässerung des Entschädigungsbegriffes210 könnte durch eine echte Schadensersatzhaftung für rechtswidrige Eingriffe abgeholfen werden. Besteht aber die Chance einer Ausarbeitung eines stringenten Systems, wäre dies bereits aus dogmatischen Gründen dem bestehenden „Flickenteppich“211 vorzuziehen.212 Ein Gegenkonzept darf die Beliebigkeit der Rechtsprechung im Hinblick auf die zugrundliegenden Rechtsgrundlagen nicht übernehmen und verstärken. Ziel muss sein, sich nicht länger mit einer „rechtspolitisch zwar prinzipiell begrüßenswerten, rechtdogmatisch aber anfechtbaren“ Lösung zu begnügen.213 Zwar mag zutreffen, dass „das Bedürfnis nach gerechten Lösungen Kompensation der Folgen rechtmäßigen Hoheitshandelns, § 55, Rn. 2  f., 6; jew. m. w. N. Ausführlich zur Problematik von Entschädigungszahlungen für rechtswidrige Handlungen Vierter Teil: § 2 A.III., S. 263 ff. 204  Vgl. Konow, JR 1964, 410, 411: Diese entsprächen durchaus dem „Gerechtigkeitsgefühl“. 205  Ossenbühl, Entwicklungen, S. 1; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 45 m. w. N. 206  Schmitt-Kammler, in: FS für E. Wolf, S. 595, 608. 207  So aber Ossenbühl, Entwicklungen, S. 19; ähnl. auch Ipsen, DVBl. 1983, 1029, 1034. Vgl. kritisch Morlok, DV 1992, 371, 372. 208  Tucholsky, Gesammelte Werke, S. 49. Insofern ruft die Feststellung, der enteignungsgleiche Eingriff sei ein „Schulbeispiel geglückter Rechtsfortbildung“ Skepsis hervor. So aber Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 489. 209  Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 21. Vgl. auch Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 495. 210  Rinne, DVBl. 1993, 869, 871. 211  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 4. 212  Vgl. Hain, VerwArch 2004, 498, 499. 213  So für den enteignungsgleichen Eingriff Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 103. Daran mag auch die gesetzliche Bezugnahme auf den enteignungsgleichen Eingriff in § 232 BauGB wenig zu verändern. Selbst wenn man annimmt, der Gesetzgeber habe

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

[…] beim Richterrecht vor dem Ziel einer geschlossenen Systematik“214 steht. Die bisherige Entwicklung sollte jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass sich beide Ziele möglicherweise vereinen lassen. Entschieden sich die Legislative oder die Gerichte in bisheriger Tradition zu einer notdürftigen Lückenschließung ohne normativ stimmiges Konzept,215 wäre erneut die Chance auf eine tragfähige Reform der staatlichen Einstandspflichten vertan.

E. Die Gesamtanalogie aus dem einfachen Recht als Hilfsüberlegung? Ergänzend zu den obigen Erweiterungsüberlegungen wird bisweilen ein Gesamtanalogieschluss aus den Vorschriften des einfachen Rechts herangezogen. Dieser soll eine allgemeine Aufopferungshaftung alleine nicht begründen können, indes aber die Herleitung aus dem Rechtsgedanken der §§ 74, 75 EinlALR zusätzlich abstützen. Begegnet wird mit dieser Überlegung dem Einwand, die bestehenden einfachgesetzlichen Ausgleichsansprüche im Sinne eines Umkehrschlusses als abschließende Regelungen und damit als einer Erweiterung der Aufopferungshaftung entgegenstehend zu begreifen.216 Neben den polizeirechtlichen Ausgleichsregelungen217 steht dabei insbesondere § 49 Abs. 5 VwVfG im Mittelpunkt der Betrachtung, der bereits nach der Gesetzesbegründung eine Konkretisierung des Aufopferungsanspruches darstellt.218 Um die Erweiterung der Aufopferungshaftung stützen zu können, müsste dieser jedoch auch für Fälle gelten, in denen der Widerruf in rechtswidriger Weise erfolgte. Bereits hinsichtlich dieser Analogie stellt sich die Frage nach einer Regelungslücke und der Vergleichbarkeit der Situationen, die jedoch zunächst offen bleiben kann.219 Denn darüber hinaus soll sich ein Entschädigungsanspruch auch ergeben, wenn das immaterielle das Institut „anerkannt“, lässt sich daraus zumindest nicht zwingend eine Verfestigung des tatbestandlichen Status quo ableiten. Dies gilt umso mehr, als es sich um eine reine Rechtswegzuweisung handelt, die keinerlei konkrete Aussagen über das Konstrukt selbst enthält. Weitergehend aber Boujong, in: FS für W. Geiger, S. 430, 435. 214  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 372. 215  Vgl. Schmitt-Kammler, JuS 1995, 473, 478; Röder, Haftungsfunktion, S. 197 f. 216  Schenke, NJW 1991, 1777, 1783; Schenke / Guttenberg, DÖV 1991, 945, 954. Ein solcher Rückschluss verböte sich bereits aufgrund des Rechtsstaatsprinzips und Art. 3 GG. 217  Siehe dazu Zweiter Teil: § 1 B.III.2.a), S. 83 ff. 218  BT-Drs. 7 / 910, S. 73. 219  In der Tat dürfte ein unverschuldeter, aber rechtswidriger Widerruf eines Verwaltungsakts nur schwer vorstellbar sein.



§ 1 Die Ausweitung der Aufopferungshaftung157

schutzwürdige Recht bereits unabhängig von einem Verwaltungsakt bestand.220 Die zugrundeliegende, auch von Befürwortern selbst hervorgehobene, gleichheitsrechtliche Argumentation vermag indes einen solch weiten Analogieschluss ohne eingehendere Begründung nur schwerlich zu stützen.221 Gerade im Hinblick auf die gesetzgeberische Autonomie ist zutiefst fraglich, aus einem differenzierten System spezieller Ausgleichsregelungen nur über Art. 3  GG einen allgemeinen, nivellierend wirkenden Anspruch herzuleiten. Denn der allgemeine Gleichheitssatz trägt kein umfassendes Gebot systematischer Stimmigkeit einfachen Rechts in sich, wenn er auch zur Vermeidung von willkürlicher Ungleichbehandlung führen kann.222 Letztlich besteht die eigentliche Motivation dieses Ansatzes in der „prinzipielle[n] Notwendigkeit der Anerkennung eines allgemeinen Aufopferungsanspruchs“223, die über die argumentativen Schwächen hinweg helfen soll. Nüchtern betrachtet bleibt der Mehrwert der zusätzlichen Abstützung jedoch verborgen: Denn die doppelte Analogie ist ein methodisch noch konfuserer Weg als der über den Rechtsgedanken der §§ 74,75 EinlALR. Auch die argumentative Ergänzung kann also dem eigentlichen Grundproblem der aufopferungsrechtlichen Argumentation nicht abhelfen. Unabhängig von der methodischen Tragfähigkeit aber bleibt die Frage, ob eine Regelungslücke überhaupt besteht, die durch die Analogie geschlossen werden müsste. Dies ist nicht der Fall, wenn sich ein anderes Haftungsinstitut auftut, insbesondere, wenn sich dessen Vorgaben direkt aus der Verfassung herleiten ließen.224

220  Schenke, NJW 1991, 1777, 1784 sieht die Begründung der Entschädigung in der Verletzung eines immateriellen Rechts, das durch den Verwaltungsakt verliehen wurde. Gleiches müsse aber für sonstige bestehende Rechte gelten, da es nicht einzusehen sei, dass eine Entschädigung letztlich davon abhänge, ob eine Freiheitsbetätigung einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterworfen, oder im Ausgangspunkt erlaubt sei. Allein, dass der Vertrauenstatbestand in den letzten Fällen schwächer sein dürfte, rechtfertige eine solche Andersbehandlung nicht – vielmehr könne ihr durch Abstufungen, die dem VwVfG nicht fremd seien, Rechnung getragen werden. 221  Dies sieht indes wohl auch Schenke, NJW 1991, 1777, 1783 so, der die Argumentation nur hilfsweise ins Feld führt, sofern man die Geltung eines allgemeinen Aufopferungsanspruchs „leugnet“. 222  So Kunig, Jura 1992, 554, 557, der eine solche Willkür bei der „mißlichen“ entschädigungsrechtlichen Vernachlässigung von Art. 12 Abs. 1 GG indes nicht erkennen will. 223  Schenke, NJW 1991, 1777, 1784. 224  Kunig, Jura 1992, 554, 557.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch Nicht zuletzt durch die Begründungsschwächen im Rahmen einer Erweiterung der Aufopferungshaftung angespornt, versuchten Jurisprudenz und Judikative in Anlehnung an die skizzierte Rechtsprechung zum gewandelten Folgenbeseitigungsanspruch in Fällen des Mitverschuldens225 einen weitreichenderen Lösungsansatz zu entwickeln, der die Lücken im öffentlichen Haftungsrecht schließen sollte. Aufgrund der rechtsgüterindifferenten Natur des Folgenbeseitigungsanspruches stehen, anders als beim enteignungs- oder aufopferungsgleichen Eingriff, nicht die geschützten Rechtsgüter im Vordergrund der Erweiterungsdebatte, sondern vielmehr die potentiellen Rechtsfolgen und deren Reichweite.

A. Die „Einwendungen“ des Folgenbeseitigungsanspruchs als Ausgangspunkt Den Anknüpfungspunkt einer möglichen Erweiterung bilden die Ausschlusstatbestände im Rahmen des Folgenbeseitigungsanspruchs, die das Begehren des Betroffenen auf Beseitigung trotz einer hoheitlichen, rechtswidrigen Beeinträchtigung seiner Rechte scheitern lassen. Obschon ihr rechtstechnischer Charakter nicht abschließend geklärt ist, da die Rechtsprechung keine eindeutige sprachliche Zuordnung vornimmt und zuweilen von anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruchs spricht,226 liegt eine Qualifikation als Einwendungen nahe, die sich auch in der überwiegenden richterlichen Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal niederschlägt.227 I. Berücksichtigung des Mitverschuldens des Betroffenen Wie dargestellt228 nimmt die Rechtsprechung in Fällen, in denen der Bürger den Schaden mit verursacht hat und die Folgenbeseitigung unteilbar ist, 225  Siehe

Zweiter Teil: § 1 B.II.1.g), S. 65 ff. anderem VGH BW, VBlBW 1983, 141; OVG Münster, DÖV 1983, 1020 (1021); Obermayer, JuS 1963, 110, 114. 227  Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 504 m.N., die einen Hinweis auf den Einwendungscharakter im tatsächlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis sehen. Es sei typisch für Ausschlusstatbestände, dass der negative Fall seltener auftrete als der positive. Auch aus Gesichtspunkten eines effektiven Rechtsschutzes liegt eine solche Einordnung näher, da trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) ein faktischer Nachteil zulasten des Bürgers zumindest in Non-liquet-Situationen nicht auszuschließen wäre. 228  Siehe Zweiter Teil: § 1 B.II.1.g), S. 65 ff. 226  Unter



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch159

einen auf anteilige Geldzahlung gerichteten „gewandelten“ Anspruch an. Dieser ist Ergebnis eines zweischrittigen Prozesses: zunächst ließen die Gerichte im Falle eines relevanten Mitverschuldens die Beseitigungspflicht des Staates mit dem Argument vollumfänglich entfallen, die Unteilbarkeit der Leistung sperre sich gegen eine eigentlich gebotene, aber faktisch nicht mögliche Quotelung des Schadens.229 Ein Ausweg aus der unbefriedigenden „Alles-oder-Nichts“-Rechtsprechung schien in der entsprechenden Anwendung des § 254 i. V. m. § 251 Abs. 1 BGB gefunden, aus der die Richter einen anteiligen Geldanspruch des Geschädigten gegen den Staat herleiteten.230 Mittlerweile erkennt die Rechtsprechung einen gewandelten Folgenbeseitigungsanspruch dieser Spielart an, der sogar in den Teilen der Literatur Anklang gefunden hat, die andererseits einen selbstständigen Folgenentschädigungsanspruch ablehnen.231 II. Erweiterung des Konzepts auf die übrigen Einwendungen Ausgehend von dieser richterrechtlich anerkannten Ausnahme drängte sich die Frage auf, wie die anderen Hinderungsgründe im Bereich des Folgenbeseitigungsanspruchs zu behandeln wären. Neben dem Mitverschulden werden vor allem zwei Aspekte diskutiert, die der Folgenbeseitigung entgegenstehen sollen.232 1. Tatsächliche Unmöglichkeit und rechtliche Unzulässigkeit Unmittelbar einleuchtend ist zunächst die Einwendung ultra posse nemo obligatur. Der allgemeine Rechtsgrundsatz, dass niemand, auch der Staat nicht, eine objektiv unmögliche Leistung erbringen muss, schließt eine Folgenbeseitigung aus.233 Neben den naheliegenden Sachverhalten, in denen das Bezugsobjekt untergeht, spielt die Unmöglichkeit ebenso bei Werturteilen eine Rolle.234 Denn anders als Tatsachenbehauptungen können diese nicht 229  BVerwG,

DÖV 1971, 857 (859). 82, 24 (27 f.); zustimmend auch VGH BW, NJW 1985, 1482. 231  Vgl. Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 67; Maurer, VerwR, § 30 Rn. 17.; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 1221; kritischer Hoffmann-Becking, JuS 1972, 509 ff.; Rupp, DVBl. 1972, 232 ff.; Fiedler, NVwZ 1986, 969, 973. Einen eigenständigen Folgenentschädigungsanspruch dezidiert ablehnend auch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 194. 232  Dazu grundlegend Maurer, VerwR, § 30 Rn. 7, 14 ff. 233  Schoch, VerwArch 1988, 1, 51. 234  Jedoch ist insbesondere beim Untergang der Sache zu beachten, dass die Restitution einer gleichwertigen Sache häufig möglich bleibt. Insofern zu Recht kritisch zu den Standardbeispielen Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 145. Grund230  BVerwGE

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durch einen Widerruf neutralisiert oder gar beseitigt werden.235 Weitgehend unumstritten236 und naheliegend ist auch der Anspruchsausschluss bei rechtlicher Unzulässigkeit der Folgenbeseitigung. Wegen der fortbestehenden Bindung an Recht und Gesetz darf der Staat auch zur Beseitigung der Folgen seines rechtswidrigen Verhaltens nicht gegen geltende Normen verstoßen.237 2. Unzumutbarkeit Darüber hinaus soll auch die Unzumutbarkeit der Wiederherstellung des Status quo ante die Folgenbeseitigung ausschließen. Dazu gehören Fälle, in denen ihr überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen oder ein unverhältnismäßiger finanzieller oder technischer Aufwand seitens des Staates notwendig würde.238 Bei der vorzunehmenden Abwägung muss allerdings beachtet werden, dass der Staat aufgrund seiner – zumindest theoretisch unbegrenzten Liquidität239 – finanziell eben nicht wie ein Bürger steht und daher grundsätzlich auch unwirtschaftlichen Aufwand in Kauf nehmen muss. III. Übertragung des Grundgedankens aus BVerwGE 82, 24 Schließt man eine Folgenbeseitigung in den skizzierten Konstellationen aus, bedarf sodann die Frage nach anderen möglichen Ansprüchen des geschädigten Bürgers einer Antwort. Ausgehend von einer Anwendbarkeit des hinter § 251 Abs. 1 BGB erblickten Rechtsgedankens auf Fälle des Mitverschuldens, drängt sich dabei eine Ausdehnung der Rechtsprechung auf Fälle einer Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Folgenbeseitigung nahezu auf.240 Bereits der Wortlaut des §251 BGB legt dies nahe. So erfasst Abs. 1 sätzlich darf daher die Unmöglichkeit nicht vorschnell angenommen werden, da sonst eine Kommerzialisierung des naturalen Wiederherstellungsinteresses des Betroffenen droht. 235  Vgl. BayVGH, NVwZ 1986, 327 zum instruktiven Fall als herabsetzend empfundener Werturteile eines Bürgermeisters über eine Geflügelschlachterei in einer öffentlicher Gemeinderatssitzung; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 384. 236  Zu den den Rahmen dieser Bearbeitung sprengenden, problematischen tripolaren Verhältnissen, in denen eine hoheitliche Maßnahme gleichzeitig für eine Partei begünstigend, für eine andere indes belastend wirkt, vgl. nur Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  511 ff.; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 147  ff.; jew. m. w. N. 237  So bereits Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 95. 238  BGHZ 130, 332; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 108; Schoch, Verw­ Arch 1988, 1, 51  ff.; ausführlich Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 532  ff. m. w. N. 239  Vgl. dazu Schloer, JA 1992, 39, 44. 240  Hain, VerwArch 2004, 498, 502; so auch Schoch, DV 2011, 397, 410.



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch161

Fälle rechtlicher und tatsächlicher Unmöglichkeit, Abs. 2 betrifft hingegen Sachverhalte, die das BVerwG unter den Terminus der Unzumutbarkeit fasste. Ergänzend ergibt eine Analyse der Entscheidungsgründe des BVerwG, dass diese sogar stärker für einen Entschädigungsanspruch in Fällen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit streiten, als in Konstellationen bürgerlichen Mitverschuldens. Denn als maßgeblich erachteten die Richter, es könne bereits grundsätzlich nicht zum Vorteil des Verpflichteten gereichen, dass eine Leistung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sei.241 Gleiches müsse auch für eine Unzumutbarkeit gelten. Ein vollständiger Ausschluss sei nur gerechtfertigt, wenn sich das bürgerliche Verlangen als rechtmissbräuchlich darstelle,242 was jedoch bei einer Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Folgenbeseitigung regelmäßig nicht der Fall ist. Nichtsdestotrotz ließ das BVerwG die Frage nach einem „allgemeinen Ausgleichsanspruch in der Form des im Schrifttum erörterten sogenannten Folgenentschädigungsanspruchs“243 als nicht entscheidungserheblich zunächst dahinstehen. Eine Tendenz wurde erst im obiter dictum einer weiteren Entscheidung erkennbar: Die Richter bezeichneten es als „naheliegend, daß sich ein Anspruch auf Beseitigung der Folgen, der nur wegen Unzumutbarkeit zu versagen [sei], dann in einem Anspruch auf ‚Entschädigung‘ als Surrogat fortsetz[e], wenn die Gründe der Unzumutbarkeit allein oder doch überwiegend in der Handlungssphäre des anspruchsverpflichteten Hoheitsträgers [lägen].“244 Eher progressiv zog wiederum der BayVGH daraus die Folgerung, es sei „geklärt, daß sich der Folgenbeseitigungsanspruch in einen Anspruch auf Entschädigung in Geld wandeln [könne], wenn die Herstellung des früheren Zustands aus tatsächlichen Gründen nicht möglich“245 sei. Verallgemeinert ausgedrückt anerkennt damit zumindest einen Teil der Rechtsprechung immer dann einen auf monetäre Kompensation des Status quo ante gerichteten Anspruch, wenn der Folgenbeseitigungsanspruch wegen der staatlichen Einwendungen scheitert.246 Dieser ist um den möglichen Mitverschuldensanteil des Betroffenen zu kürzen; ein vollständiger Ausschluss hingegen nur in rechtsmissbräuchlichen Fällen gerechtfertigt. Im Ausgangspunkt sind demnach die Kosten für eine vollständige hypothetische Wiederherstellung zu veranschlagen, wobei dieser Grundsatz je nach Konstellation aufgrund der besonderen Interessenlage denknotwendig zu modifizieren ist. 241  BVerwGE

82, 24 (27) (Hervorhebungen durch den Verfasser). 80, 178. 243  BVerwGE 82, 24 (29). 244  BVerwG, NVwZ 1994, 275 (280). 245  BayVGH, NVwZ 1999, 1237. 246  Vgl. Hain, VerwArch 2004, 498, 503. 242  BVerwGE

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Denn gerade wenn Unzumutbarkeit der Wiederherstellung eingewandt wurde, verbietet sich ein Rekurs auf die vollen Wiederherstellungskosten. Deshalb wird nach § 173 VwGO i. V. m. § 287 Abs. 1 ZPO der Ausgleichsbeitrag vom Gericht geschätzt, sofern auch das Beauftragen eines Gutachters zu unverhältnismäßigen Kosten führte.247

B. Ein umfassender Folgenentschädigungsanspruch? Kritik einer axiomatischen Lückenfüllung Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Jurisprudenz hat demnach vereinzelt ein rechtgüterindifferenter Kompensationsanspruch Einzug gefunden, der an die Stelle des gescheiterten Beseitigungsanspruches tritt. Angesichts der vehementen Kritik scheint es jedoch zu weitreichend, dessen Bestehen als „in der Praxis geklärt“248 zu betrachten. Obschon auch diese Lösung rechtspolitisch begrüßenswert scheint,249 da sie dem Schutzbedürfnis der Bürger zumindest prima facie abhilft, muss ihre dogmatische Tragfähigkeit hinterfragt werden. Denn gleich den Ausführungen zur aufopferungsgleichen Haftung gilt, dass eine Fortentwicklung eines bestehenden Anspruchs nur wirklich sinnvoll sein kann, wenn die Ableitungen konsequent sind und der Ausgangspunkt der Überlegungen als solcher selbst zu überzeugen vermag. I. Die „Einwendungssystematik“ des Folgenbeseitigungsanspruchs Zunächst ist innerhalb der Rechtsprechungslogik zu diskutieren, inwiefern der gewohnheitsrechtlich anerkannte Folgenbeseitigungsanspruch den herangezogenen Erlöschensgründen überhaupt zugänglich ist und ob die gezogenen Schlüsse zu überzeugen vermögen. Nicht kritikwürdig scheint insoweit zunächst nur die Einwendung der Unmöglichkeit: Es gibt keinen vernünftigen Grund, diese nicht auch dem Staat zuzugestehen, sodass sie zum Scheitern des ursprünglichen Beseitigungsanspruchs führt.250

247  BayVGH, 248  Schoch,

1237.

NVwZ 1999, 1237 (1238). DV 2011, 397, 410; Erbguth, JuS 2000, 336; BayVGH, NVwZ 1999,

Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 551. ist indes noch nichts darüber gesagt, welche Konsequenzen sich aus dem erloschenen Beseitigungsanspruch ergeben. 249  Vgl.

250  Damit



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch163

1. Die Unzumutbarkeit als umgekehrter Verhältnismäßigkeitsgrundsatz? Wesentlich zweifelhafter hingegen wirkt die Heranziehung der Unzumutbarkeit als Ausschlussgrund. Anders als die Einwendungen der rechtlichen und tatsächlichen Unmöglichkeit, die geradezu als „verwaltungsrechtliche Selbstverständlichkeiten“ erscheinen, begegnet dieses Merkmal erheblicher Kritik.251 Eingewandt wird zunächst aus dogmatischer Sicht, das Einschränkungskriterium habe keine gesetzliche Grundlage und verstoße damit wegen seiner belastenden Natur für den Bürger gegen den Gesetzesvorbehalt.252 Zu kurz greift dabei die Gegenkritik, wenn sie allein darauf abstellt, dass der Folgenbeseitigungsanspruch mangels gesetzlicher Grundlage dann ebenfalls entfallen müsste.253 Denn dieser ist für den Bürger begünstigend und damit nicht in gleichem Maße von einer geschriebenen Rechtsgrundlage abhängig. Nichtsdestotrotz trifft der Gedankengang im Kern zu: Gesteht man den Richtern eine im Wesentlichen freie Rechtsschöpfung zu, so ist per se auch nur schwerlich etwas dagegen einzuwenden, wenn sie deren Reichweite beschränken. Dies muss umso mehr gelten, als man die „Einwendungen“ auch als positive Tatbestandsvoraussetzungen verstehen könnte, die schlicht den Inhalt des begünstigenden Rechtsinstituts beschränken. Wird darüber hinaus die Unbestimmtheit und Weite des Kriteriums gerügt, so kann dem mit einer, soweit ersichtlich auch in der Rechtsprechung praktizierten, restriktiven Auslegung und Präzisierung begegnet werden.254 Selbst wenn die Einwendung der Unzumutbarkeit auch ohne gesetzliche Grundlage als zulässig erachtet wird, bleibt sie der Kritik ausgesetzt, lediglich eine „abzulehnende Frucht ergebnisorientierter Überlegungen“255 zu sein, die zu einer schleichenden Entwertung des Folgenbeseitigungsanspruchs führe.256 Nun ist allein die Ausrichtung an den Ergebnissen für sich genommen kein kritikwürdiger Aspekt einer Rechtsfortbildung257 – gleichzeitig kann sie aber eine rechtsdogmatische Begründung nicht ersetzen.258 Die Gefahren einer freien Rechtsfindung treten in der Diskussion um das Unzu251  Stellvertretend Führen, VR 1986, 5, 8; Schoch, VerwArch 1988, 1, 51 f.; Fiedler, NVwZ 1986, 969, 976; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 162 ff. 252  Führen, VR 1986, 5, 10. 253  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 163. 254  Vgl. Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 390. Auch Fiedler, NVwZ 1986, 969, 974 bedauert „eine kaum mehr überschaubare Kasuistik“, „in der schon die Terminologie zum Verschwimmen der Konturen beiträgt“. 255  Schoch, VerwArch 1988, 1, 51 f. 256  Fiedler, NVwZ 1986, 969, 976. 257  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 387. 258  Schoch, Jura 1993, 478, 485.

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mutbarkeitskriterium deutlich zutage, wenn zu seiner Rechtfertigung vorgebracht wird, die Gerichte interpretierten das Merkmal der Zumutbarkeit keineswegs als allgemeine Vorteils- und Nachteilsabwägung, sondern als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.259 Es trifft zwar zu, dass die aus dem Rechtsstaatsprinzip erwachsene Verhältnismäßigkeitsprüfung als verallgemeinerungsfähiges Prinzip gilt.260 Allerdings soll sie immer das staatliche Handeln begrenzen und nur dem Schutz des Individuums dienen. Eine Anwendung auf hoheitliche Pflichten verkehrte indes den Grundsatz in sein genaues Gegenteil.261 Deshalb muss hinterfragt werden, ob eine Zumutbarkeitsprüfung dem Staat nicht eine unangemessene Privilegierung zukommen lässt. Zumindest eine Heranziehung des Gedankens aus § 251 Abs. 2 BGB scheint verfehlt, da die Folgenbeseitigung nach einer rechtswidrigen Beeinträchtigung situativ nicht der Schadensersatzverpflichtung zwischen zwei Privaten entspricht.262 Der Staat darf keinesfalls nur durch Hinweis auf die aufgewendeten oder aufzuwendenden Kosten einen rechtswidrigen Zustand faktisch „legalisieren“.263 Denn mit einem derartigen Privileg korrespondierte eine nicht begründbare Duldungspflicht des Betroffenen für rechtswidrige Eingriffe in seine Grundrechte.264 Auch wenn zumindest bei einem praktizierten weiten Verständnis der Folgenbeseitigung einleuchtet, dass dem Staat eine Möglichkeit zukommen muss, gänzlich unvertretbare Ergebnisse zu vermeiden,265 ist daher fraglich, ob dies unter der Kategorie der Unzumutbarkeit geschehen sollte. Der Terminus lädt gerade zu einer reinen Kosten-Nutzen-Überlegung ein, in der die Interessen des Einzelnen gegenüber den staatlichen regelmäßig weniger be259  OVG Lüneburg, NuR 1992, 242; BVerwG, DVBl. 1993, 1357 (1362); in diese Richtung auch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 164 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 387. 260  So auch OVG Berlin, NVwZ 1992, 901 (902). 261  Erbguth, JuS 2000, 336, 337 f.; Schoch, Jura 1993, 478, 485. 262  Fiedler, NVwZ 1986, 969, 976; Schloer, JA 1992, 39, 44. 263  BVerwG, DVBl. 1993, 1357 (1362). Dabei dürfe es auch nicht darauf ankommen, dass eine vorherige Investition damit „nutzlos“ würde, was für die Vorinstanz – OVG Lüneburg, URP 1991, 78 – der entscheidende Faktor war. 264  Dies wird insbesondere deutlich, wenn man die Begründung für den Folgenbeseitigungsanspruch in einer Analogie zu § 1004 BGB sucht, vgl. Gursky, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 1004, Rn. 155. Zur Problematik von Rückschlüssen auf die zivilrechtliche Ableitung siehe auch sogleich. 265  OVG Lüneburg, NuR 1992, 242; BVerwG, DVBl. 1993, 1357 (1362); in diese Richtung auch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 164 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 387; Schoch, VerwArch 1988, 1, 51; Schloer, JA 1992, 39, 44; Fiedler, NVwZ 1986, 969, 972.



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch165

deutend erscheinen.266 Mildert man die Konsequenzen für den Betroffenen auch durch einen Entschädigungsanspruch ab und besänftigt so prima facie das Gerechtigkeitsempfinden, wird einer leichtfertigen Unzumutbarkeits­ abwägung weiter Vorschub geleistet.267 Gerade im häufig kostenintensiven Bereich der Berufsfreiheit wären „empfindliche Rechtsschutzlücken“268 die Folge. Dass der Folgenbeseitigungsanspruch aber nur dann entfallen darf, wenn das Ergebnis und „der Respekt für das Verlangen nach rechtmäßigen Zuständen in keinem […] Verhältnis“ zum hoheitlichen Aufwand stehen,269 scheint besser durch die Kategorie der Rechtsmissbräuchlichkeit oder Verwirkung ausgedrückt, die eine Restriktivität bereits in sich trägt.270 Unabhängig von der genauen Terminologie muss sich dieser Einwand daher auf Ausnahmefälle beschränken und darf keinesfalls leichthändig zu einer zweckverkehrten Verhältnismäßigkeitsprüfung zulasten des Bürgers umgedeutet werden.

266  So beispielsweise im Falle eines „unbedeutenden“ Überbaus beim Straßenbau. Begrüßenswert hingegen OVG Hamburg NJW 1978, 658, das selbst die Rückumwandlung einer Durchfahrtsstraße zu einer Sackgasse für hinnehmbar hielt, da den Zustand „allein die das Recht mißachtende Behörde zu verantworten“ habe. 267  Besondere Gefahren tun sich auf, da somit die grundrechtliche Schutzposition durch den Staat „abgekauft“ werden kann. Man stelle sich nur vor, dass beispielsweise unzulässig gespeicherte Daten wegen des erheblichen Verwaltungsaufwands nicht gelöscht werden, sondern der Betroffene auf eine Geldzahlung verwiesen wird. 268  Fiedler, NVwZ 1986, 969, 976. 269  BVerwGE 94, 100 (113 f.). 270  Dazu vor allem Schoch, VerwArch 1988, 1, 52; vgl. auch Erbguth, JuS 2000, 336 ff. Beispielhaft wird diese Kategorie im Zusammenhang mit einer nachträglichen Legalisierungsmöglichkeit des Zustands durch die Verwaltung diskutiert. Überwiegend wird gefordert, die Legalisierung müsse unmittelbar bevorstehen; eine bloße Möglichkeit reiche also nicht. Dies scheint auch im Hinblick auf den eng verwandten Gedanken des dolo agit, qui petit, quod statim [also: sofort] redditurus est zutreffend. Vgl. dazu BVerwGE 94, 100 (101); 80, 179 (180); BVerwG, DVBl. 1993, 1357 (1360); VGH BW, NVwZ-RR 1994, 7 (8); Maurer, VerwR, § 29 Rn. 15; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  534 f.; Schoch, Jura 1993, 478, 486; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 170 m. w. N. Vorsicht ist geboten, wenn die Rechtsmissbräuchlichkeit bereits bei einem Missverhältnis der staatlichen Kosten und des Individualinteresses angenommen wird. Insbesondere, wenn die Gemeinwohlbelange als Rechtfertigung herangezogen werden, befindet man sich auch terminologisch wieder in Sphären rechtmäßiger Eingriffe. Vgl. aber Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 535; ähnl. auch Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 205; BVerwG, NJW 1992, 269.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

2. Der Mitverschuldensgrundsatz als Ausschlussgrund eines verschuldensunabhängigen Instituts Trotz ihrer weitgehenden Anerkennung ist die Rechtsprechungspraxis zur Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Betroffenen ebenfalls auf erheblichen Widerstand in der Literatur getroffen. Zum einen richtet sich die Kritik grundsätzlich gegen die Heranziehung des § 254 BGB im Rahmen des Folgenbeseitigungsanspruchs,271 zum anderen aber gegen seine Wandlung zu einem gekürzten Geldanspruch. Grundlegende dogmatische Vorbehalte liegen dabei nahe: So mag der „zentrale Rückgriff auf das Privatrecht“272 im öffentlichen Recht der Einstandspflichten insgesamt kritikwürdig scheinen. Bereits strukturell bedarf die Entlehnung zivilrechtlicher Wertungen im öffentlichen Recht skeptischer Betrachtung, da sie im Verhältnis des Staates zum Bürger bei unbedarfter Übertragung zu nicht gerechtfertigten Benachteiligungen führen kann.273 Indes dienen die gezogenen Parallelen häufig nur dazu, Rechtsgedanken, die sich bereits aus der Verfassung ergeben, einfachrechtlich zu untermauern und so eine „Orientierungshilfe“ zu schaffen.274 Insbesondere aber, wenn die Rechtsgrundlage für den Folgenbeseitigungsanspruch wie von der überwiegenden Rechtsprechung in einer Analogie zu § 1004 BGB verortet wird, scheint auch im Rahmen möglicher Einwendungen der Rückgriff auf bürgerlich-rechtliche Normen naheliegender.275

271  Zur Frage, ob eine Einschränkung zulasten des Bürgers mit dem Gesetzesvorbehalt vereinbar ist, vgl. das Parallelproblem unter Dritter Teil: § 2 B.I.1., S. 163. 272  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 75. 273  Fiedler, NVwZ 1986, 969, 973; Erichsen, VerwArch 1972, 217, 223 f.; Rupp, DVBl. 1972, 232, 233; Schenke, JuS 1990, 370 ff.; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  538 ff. 274  So auch Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 236. Kritisch erscheint eine Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Normen bereits aus normhierarchischen Gründen, wenn man eine verfassungsrechtliche Fundierung des Folgenbeseitigungsanspruchs annimmt. So Schenke, JuS 1990, 370, 373 f.; in diese Richtung auch Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 401. Indes nehmen die Gerichte ohne Problembewusstsein ähnlich wie im Rahmen des enteignungsgleichen Eingriffs eine verfassungsrechtliche Grundlegung, aber einfachrechtliche Ausgestaltung an, vgl. OVG Münster, NVwZ 1994, 795 (796): dazu kritisch Hain, VerwArch 2004, 498, 506; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 182 m. w. N. 275  Das gesteht im Ergebnis auch Schenke, JuS 1990, 370, 373 ein. So ebenfalls Hain, VerwArch 2004, 498, 503; Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 254, Rn. 21 ff. Auch die Kritik von Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 401 bezieht sich auf eine „grundrechtliche Anspruchsbegründung“. Ginge man von einer Fundierung in den Grundrechten aus, läge in der Tat eine Berücksichtigung des „Mitverschuldensgedanken“ eher im Rahmen von Zurechnungserwägungen nahe, denn innerhalb



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch167

Schwerwiegender scheint der Einwand, mit dem § 254 BGB werde eine an das (Mit-)Verschulden des Betroffenen anknüpfende Regelung auf einen verschuldensunabhängigen Folgenbeseitigungsanspruch angewendet.276 Das Argument eines „Systembruches“ wurde primär innerhalb der zivilrechtlichen Parallelproblematik im Rahmen des § 1004 BGB entwickelt und wird deshalb im Folgenden anhand dieser skizziert.277 Zunächst ist zu konzedieren, dass § 254 BGB unmittelbar nur im Schadensersatzrecht Anwendung findet, um eine verschuldensangemessene Verteilung der Belastung zu ermöglichen,278 was einem Rückgriff im Bereich des verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruches des § 1004 BGB entgegenzustehen scheint, der seiner Natur nach gerade nicht auf Schadensersatz zielt.279 Nichtsdestotrotz hält die weit überwiegende Meinung in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur den Mitverschuldensgrundsatz im Rahmen des § 1004 BGB wegen eines ErstRecht-Schlusses für anwendbar:280 Wenn das Privileg des § 254 BGB schon dem schuldhaften Schädiger zukomme, müsse es auch dem unabhängig von seinem Verschulden auf Beseitigung haftenden Störer gebühren.281 Diese These erfährt inzwischen vehemente Kritik, die auch im öffentlichen Recht rezipiert wird.282 Die Forderung einer Nichtanwendung des Mitverschuldenskonzepts wird dabei primär mit der Natur der Actio negatoria und der damit zwingend vorgegebenen Rechtsverwirklichungsaufgabe begründet. Denn der Haftungsgrund bestehe nicht in der durch einen in der Vergangenheit liegenden Akt verursachten negativen Situation, sondern allein darin, dass der Störer gegenwärtig ausschließlich dem Betroffenen zugewiesene Befugnisse faktisch wahrnimmt.283 Aufgrund dieser unterschiedlichen Auseiner Heranziehung von § 254 BGB. Siehe vertieft Dritter Teil: § 4 A.III.2.b), S.  216 ff. 276  So ausdrücklich BVerwG, NJW 1989, 2484 (2485): Obschon der Folgenbeseitigungsanspruch verschuldensunabhängig sei, schließe dies eine Berücksichtigung des Mitverschuldens bei der Schadensberechnung nicht aus. 277  Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 544; Schenke, JuS 1990, 370, 373; in diese Richtung auch VGH München, BayVBl. 1990, 627 (628). 278  Statt vieler nur Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 254, Rn. 7 m. w. N. 279  Vgl. dazu im Kontext des Folgenbeseitigungsanspruchs Schenke, JuS 1990, 370, 373. 280  So bereits RGZ 127, 29 (35); 138, 327 (330 f.); anschließend etwa BGH, NJW 1995, 395. Vgl. nur Baldus, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 1004, Rn. 245 m. w. N. 281  St. Rspr., siehe nur BGHZ 110, 313 (317); Fritzsche, in: Bamberger / Roth (Hrsg.), BGB, Rn. 68; jew. m. w. N. 282  So Schenke, JuS 1990, 370, 373; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 544. 283  Picker, Beseitigungsanspruch, S. 167 f.; im Anschluss daran Gursky, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 1004, Rn. 157 m. w. N.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

gangspunkte überzeuge auch der Erst-Recht-Schluss nicht, da der Schadensersatz weit über die Störungsbeseitigung hinausginge und es daher sinnvoll sei, ihn unter anderen eigenen Gesichtspunkten einzuschränken.284 Überträgt man diese im Grunde zutreffende Kritik jedoch ohne weiteres auf das öffentliche Recht und folgert daraus eine Nichtberücksichtigung des Mitverschuldens, läuft man Gefahr, einem Fehlschluss zu unterliegen.285 Denn sie baut auf der Prämisse einer strikt umgrenzten Beseitigungspflicht auf und schließt explizit eine Deutung der Actio negatoria als Folgenbeseitigungsanspruch aus.286 Dementsprechend müsste der Umfang der Pflicht auf die Beseitigung der Störung reduziert werden und könnte eben nicht weitergehend wie von der herrschenden Meinung angenommen auch die Beseitigung der Störungsquelle umfassen.287 Ist aber der Störer allein zur Aufgabe seiner störenden Handlung verpflichtet, kann in diesem Sinne bereits denklogisch gar kein Verursachungsbeitrag des Betroffenen vorliegen. Dieser erlangt erst bei einem weiten Beseitigungsverständnis Relevanz, das zu einer partiellen Überschneidung zu schadensersatzrechtlichen Normen führt.288 Nähert man sich im Umfang der Actio negatoria aber einem „gekürzten“ Schadensersatzanspruch289 an, entfallen spiegelbildlich auch die Einwände gegen eine Anwendung des Rechtsgedankens aus § 254 BGB – vielmehr wird diese durch die Ausweitung notwendig.290 284  Baldus,

in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 1004, Rn. 238. Folgenbeseitigungsanspruch, S. 554; Schenke, JuS 1990, 370, 373 ff. 286  Gursky, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 1004, Rn. 157; deutlich auch Picker, Beseitigungsanspruch, S. 153: „irgendeine Folgenbeseitigung schuldet er aus dieser Anspruchsgrundlage nicht“. 287  Picker, Beseitigungsanspruch, S. 167 f.; im Anschluss daran Gursky, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 1004, Rn. 157 m. w. N. 288  Baldus, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 1004, Rn. 245; Wenzel, NJW 2005, 241, 243. Daher steht auch nicht entgegen, § 985 BGB als Sonderfall des allgemeineren § 1004 BGB kenne keine Berücksichtigung des Mitverschuldens. Denn dieser ist zum einen konsequent nur auf die Beseitigung der Eigentumsstörung durch Besitzaufgabe (nicht aber deren Folgen) gerichtet und wird gleichzeitig durch die komplementären Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses ergänzt, sodass eine zweifelhafte Heranziehung des § 254 BGB wie im Rahmen des § 1004 BGB bereits deshalb nicht notwendig erscheint. Befürwortend aber Schenke, JuS 1990, 370, 374 f. 289  Deutlich wird dies am Bardepot-Fall, der eine Abgrenzung zwischen Folgenbeseitigung und Kompensation schwierig macht. Bezeichnend ist, dass der Kläger seine Rechte mit dem Folgenbeseitigungsanspruch (BVerwGE 69, 366 ff.), als auch mit dem enteignungsgleichen Eingriff (BGHZ 83, 190 ff.) verfolgte. Ausführlich zur Abgrenzung zwischen einem Störungs- und Folgenbeseitigungsanspruch Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, §  53, Rn.  48 ff. m. w. N. 290  Dabei erkennt der BGH selbst an, dass eine solche Ausweitung des § 1004 nicht zwingend rechtsdogmatisch konsequent ist. Dann sollte aber wiederum eine 285  Pietzko,



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch169

Nun geht der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch in seinem Umfang wohl sogar über das weite zivilrechtliche Verständnis hinaus.291 Die Tatsache, dass er im Regelfall auf die Herstellung eines vergleichbaren Status quo ante zielt,292 führte zuweilen sogar zu der Einschätzung, es handle sich nicht um einen Beseitigungs-, sondern um einen Ersatzanspruch293. Bei restriktiverer Handhabung im Sinne einer eng verstandenen Actio negatoria wäre zwar ein Verzicht auf die Berücksichtigung des bürgerlichen Mitverschuldens konsequent. Die Beseitigung bleibender Folgen unterfiele dann wiederum allein der Amtshaftung und den aufopferungsrechtlichen Entschädigungsansprüchen, bei denen ein bürgerliches Fehlverhalten anspruchskürzend einbezogen würde. Indes würden mit diesem Schritt eben diese Schutzlücken wieder aufgerissen, die der verschuldensunabhängige, rechtsgüter­ indifferente Folgenbeseitigungsanspruch zu schließen bestimmt war.294 Dies zeigt aber gleichzeitig, dass ihm in seiner jetzigen Form die obigen systematischen Argumente gegen eine Berücksichtigung des Mitverschuldens nicht entgegen gehalten werden können. Eine verwandte Kritik betrifft den Einwand, der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch stünde bereits wegen seiner Tatbestandsstruktur einer Berücksichtigung des Mitverschuldens entgegen.295 Zwar ist zuzugeben, dass eine regelmäßige Unteilbarkeit des Anspruchsziels anders als bei Geldzahlungsansprüchen wie der Amtshaftung und dem enteignungsgleichen Abmilderung der Folgen über § 254 BGB erfolgen, vgl. BGH, BeckRS 2012, 3734, Rn. 10; BGH, NJW 1997, 2234 (2235); Wenzel, NJW 2005, 241, 243; in diese Richtung auch Baldus, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 1004, Rn. 247 ff. und Gursky, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 1004, Rn. 157. 291  Diese Entwicklung lässt sich zumindest teilweise daraus erklären, dass die Sorge vor einem verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch im Verhältnis des Staates zum Bürger weit geringer ist als im Zivilrecht, weshalb die Rechtsprechung hier progressiver vorgeht. Vgl. dazu auch den Gedanken von Maaß, BayVBl. 1987, 520, 526, der ein Mitverschulden nicht bezüglich der unmittelbaren Folgen, sondern nur im Hinblick auf die mittelbaren Auswirkungen berücksichtigen will. 292  Ein Rückgängigmachen für die Vergangenheit ist nicht möglich, sodass streng genommen immer nur die Herstellung eines gleichwertigen Zustands verlangt werden kann. 293  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 62 f., 139 f.; Bartelsperger, NJW 1968, 1697, 1704; vgl. Röder, Haftungsfunktion, S. 271 m. w. N. 294  So auch Hain, VerwArch 2004, 498, 507, insbesondere Fn. 46. Zu Recht weist Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 185 darauf hin, dass es bei einer solchen Reichweite des Folgenbeseitigungsanspruches keinen Anlass gibt, den Betroffenen frei von jeder Eigenverantwortlichkeit zu stellen. Als Parallele führt er § 60 VwGO an, bei dem Verschulden in eigener Sache sogar den Anspruch auf Rechtsschutz zu verkürzen vermag. 295  Schenke, JuS 1990, 370, 373; Rupp, DVBl. 1972, 232, 233; Schoch, VerwArch 1988, 1, 54.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Eingriff eine quotale Beteiligung von Betroffenem und Staat komplexer macht.296 Allein eine schwieriger zu handhabende Rechtslage kann jedoch die Berücksichtigung der Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners nicht ausschließen. Einen Ausweg scheint die Herangehensweise des BVerwG297 bereitzustellen, das eine Unmöglichkeit der unteilbaren Folgenbeseitigung annimmt und einen Ausweg in einem monetären, teilbaren Anspruch sucht. Daraus folgend ergeben sich jedoch die oben angedeuteten Probleme einer entsprechenden Anwendung des § 251 BGB und der generellen Wandlungsfähigkeit von Restitutionsansprüchen.298 Dieser Ansatz ist jedoch keinesfalls so zwingend, wie er auf den ersten Zugriff wirken mag – vielmehr können die Folgeprobleme durch eine stringente Anwendung der herangezogenen Rechtsgrundsätze vermieden werden. So ist zunächst dem BVerwG299 dahingehend zu widersprechen, eine Unteilbarkeit der Folgenbeseitigung bedinge deren Unmöglichkeit. Zutreffend ist allein, dass eine unteilbare Naturalleistung nicht auf zwei Personen umgelastet werden kann und damit in diesem Sinne auch keine Anspruchskürzung eintreten kann. Jedoch trägt allein diese Analyse nicht den weitergehenden Schluss des Gerichts: Denn die Möglichkeit der faktischen Wiederherstellung ist allein durch eine geteilte Verantwortlichkeit völlig unbeeinflusst – einzig die Teilung der Belastung bereitet Probleme.300 Hierfür bietet jedoch der von den Richtern falsch verstandene § 3 Abs. 3 StHG 1981 eine plausible Lösung, indem er die Durchsetzbarkeit des Folgenbeseitigungsanspruchs von einer Kostenbeteiligung des Klägers in Höhe des Mitverantwortlichkeitsanteils abhängig machen will.301 Dieser Weg wird auch im Zivilrecht diskutiert302 und ermöglicht sowohl die systematisch stringente Berücksichtigung der Wertungskriterien des § 254 BGB als auch 296  Insofern übersieht Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 98 ff., dass eine Übertragung nicht ohne weiteres erfolgen kann. Darauf hinweisend Thomas, Flexible Schadenszurechnung, S. 130 f.; in diese Richtung gehend auch Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 545. 297  BVerwG, NJW 1989, 2484 (2485); vgl. Busse, ZAP 1989, 541, 542; ähnl. bereits Grave, DVBl. 1972, 231, 232. 298  Vgl. Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 549 ff. So auch für die zivilrechtliche Parallelproblematik noch Medicus, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, 12. Aufl. 1983, § 254, Rn. 108: Die Naturalherstellung sei rechtlich unmöglich, was einen Rückgriff auf § 251 BGB erforderlich mache. 299  BVerwGE 82, 24 (26 ff.). 300  Hain, VerwArch 2004, 498, 502; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 187 f.; ähnl. auch Böß, Vergleich, S. 123. 301  § 3 Abs. 3 StHG 1981: „Haben Umstände, die der Geschädigte zu vertreten hat, den rechtswidrigen Zustand mit verursacht, so kann der Geschädigte die Folgenbeseitigung nur verlangen, wenn er sich an ihren Kosten entsprechend dem Maße seiner Mitverursachung beteiligt; überwiegt seine Mitverursachung, so entfällt der Anspruch.“ 302  Gursky, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 1004, Rn. 157; Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 254, Rn. 106; jew. m. w. N.



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch171

eine vollständige Folgenbeseitigung in natura ohne Rückgriff auf § 251 BGB.303 Gleichzeitig kann der Bürger so nicht vorschnell vom Bestandsschutz auf Wertschutz verwiesen werden. Dieser Lösungsansatz macht indes notwendig, in einem zweiten Schritt zu begründen, woraus sich der Kostenbeteiligungsanspruch des Staates ergeben soll, wenn der Rechtsgedanke des § 254 BGB nur eine von Amts wegen zu beachtende Einwendung gegen die Durchsetzbarkeit des Folgenbeseitigungsanspruchs darstellt.304 Ansprüche aus einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag oder einem Bereicherungsausgleich passen bereits von ihren Voraussetzungen nicht recht auf die Situation und würden überdies die Durchsetzbarkeit des Folgenbeseitigungsanspruchs nicht hindern, da sie denklogisch erst mit dessen Erfüllung entstünden. Daher empfiehlt sich der Rückgriff auf das auch der Berücksichtigung des Mitverschuldens letztlich zugrunde liegende Prinzip von Treu und Glauben, welches sich in Ausnahmefällen wie diesem zu einem Anspruch verdichten können soll.305 Mit dieser Lösung wird einer Kommerzialisierung des Grundrechtsschutzes vorgebeugt, die durch den „naturalen Wiederherstellungsanspruch“306 gerade verhindert werden sollte.307 Dem Ziel der Integrität der Rechtsordnung ist somit weit besser gedient.308 Gleichzeitig erfährt der Vorrang des Primärrechtsschutzes eine weitere Stärkung.309 Neben besserer dogmatischer 303  Sauberer erscheint die Lösung auch im Hinblick auf den Wortlaut des § 251 BGB, der zwar die Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit umfasst, nicht aber das Mitverschulden. Vgl. dazu Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 187 f.; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  557 ff.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 402; jew. m. w. N. 304  Vgl. Heinrichs, in: Bassenge / Brudermüller (Hrsg.), Palandt, § 254, Rn. 82; offenlassend dagegen Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 187; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 402. 305  Vgl. Hain, VerwArch 2004, 498, 508; Heinrichs, in: Bassenge / Brudermüller (Hrsg.), Palandt, § 254, Rn. 1, 82. Obschon dies systemimmanent als beste Lösung erscheint, tun sich hinsichtlich der Ableitung eines Anspruchs aus einem objektiven Rechtssatz wie dem Prinzip von Treu und Glauben erhebliche Bedenken auf. Indes zwingt auch an dieser Stelle die unklare Herleitung, beziehungsweise apodiktische Postulierung des Folgenbeseitigungsanspruchs zu derartigen Kompromissen, die jedenfalls im Vergleich zur Alternative eines gekürzten Geldzahlungsanspruchs vorzugswürdig scheinen. 306  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 187. 307  Böß, Vergleich, S. 123; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 187; vgl. zu dieser Problematik auch Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 390. 308  Hain, VerwArch 2004, 498, 509; vgl. Schenke, JuS 1990, 370, 375. Dies wird insbesondere essentiell, wenn immaterielle Rechte in Rede stehen – wie beispielsweise im Fall von rufschädigenden Warnungen – und ein reiner Geldersatzanspruch wenig zielführend scheint. 309  Hain, VerwArch 2004, 498, 509.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Stringenz spricht also auch eine Ergebnisbetrachtung klar für die Berücksichtigung des Mitverschuldens des Betroffenen im Rahmen eines rechtshindernden Kostenbeteiligungsanspruches anstatt durch einen irgendwie gearteten Rekurs auf einen potentiellen Folgenentschädigungsanspruch.310 II. Anwendbarkeit des § 251 BGB? Zur Wandlungsfähigkeit eines Restitutionsanspruches Während ein Mitverschulden den Folgenbeseitigungsanspruch richtigerweise also nicht ausschließt, sondern nur durch einen anteiligen Gegenanspruch des Staates hemmt, muss der problematische Rückgriff auf § 251 BGB in Fällen der Einwendungen der Unmöglichkeit und der zumindest in engen Grenzen311 anzuerkennenden Rechtsmissbräuchlichkeit diskutiert werden. Denn in derart gelagerten Sachverhalten erlischt der originär bestehende Beseitigungsanspruch, sodass die Frage nach Ersatz- oder Folgeinstituten einer Antwort bedarf. Wie dargestellt gibt es eine wahrnehmbare Tendenz in Literatur und Rechtsprechung, dem Betroffenen durch eine entsprechende Anwendung des § 251 BGB einen auf Geldzahlung gerichteten Anspruch zur Seite zu stellen. Dass der Grundgedanke einer finanziellen Kompensation im Falle eines nicht mehr zu verwirklichenden Beseitigungsanspruchs nicht neu ist, zeigen bereits die frühen Überlegungen Bachofs312 und das von Weyreuther durchdachte Konzept der Anspruchsumwandlung,313 bei welchen explizit dem „Geldersatz die Funktion der naturalen Herstellung des grundrechtsgeschützten Zustands“314 zugeschrieben wurde.315 310  Vgl. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 1220; Maurer, VerwR, § 30 Rn. 18; jew. m. w. N. Will oder kann der Bürger dem finanziellen Ausgleichsanspruch des Staates nicht entsprechen, soll ihm hingegen der Rückgriff auf einen verkürzten monetären Ersatzanspruch offenstehen. Nun verdeutlicht dies erneut die Friktionen und zentrale Schwäche einer Ableitung des Folgenbeseitigungsanspruchs aus § 1004 BGB oder gar dem Rechtsstaatsprinzip, da diesen Normen selbst in großzügiger entsprechender Anwendung eine derartige Rechtsfolge kaum zu entnehmen sein dürfte. Stützt man sich von vornherein auf einen grundrechtlichen, umfassenden Schutzanspruch, lassen sich auch monetäre Kompensationsansprüche anders begründen. Vgl. dazu Dritter Teil: § 4, S. 188 ff. 311  Für eine restriktive Handhabung ausdrücklich Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 390. 312  Bachof, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 129 ff. 313  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 135 ff.; ähnl. auch Fiedler, NVwZ 1986, 969, 977; Böß, Vergleich, S. 105 ff., 118. 314  Böß, Vergleich, S. 118. 315  Diese Fortentwicklungsbestrebungen wurden gleichermaßen von Jurisprudenz und Richtern kritisch bewertet. Vgl. stellvertretend für die Literatur Maurer, VerwR, § 30 Rn. 17; für die Rechtsprechung OVG Münster, NVwZ 1994, 795 (796 f.). Zuvörderst fehle es bereits an einer „nur schwer hinnehmbare[n] Regelungslücke im Ge-



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch173

Nun ließen sich auch bezüglich des Rechtsgedankens aus § 251 BGB die grundsätzlichen Bedenken zur Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften im öffentlichen Recht reiterieren.316 Für sie gilt das im Rahmen des Mitverschuldens und der Unzumutbarkeit Gesagte. Über diese grundsätzlichen Einwände hinausgehend lehnen insbesondere Teile der zivilrechtlichen Literatur eine Anwendung des § 251 BGB auf den negatorischen Beseitigungsanspruch aufgrund seiner Stellung im Schadensersatzrecht ab.317 Dies liegt jedoch ähnlich zur Debatte um die Anwendung des § 254 BGB in dem engen Verständnis der Actio negatoria als bloßem Störungsbeseitigungsanspruch verwurzelt. Anerkennt man indes den durch den erweiterten Beseitigungsbegriff notwendig gewordenen Rekurs auf die aus § 275 BGB fließenden Ausschlussgründe, so führte die Abwesenheit von komplementären Ersatzansprüchen zu schlechthin unakzeptablen Ergebnissen.318 Letztlich geböten Treu und Glauben und das Verbot einer Privilegierung des Störers, dem Betroffenen zumindest finanziellen Ausgleich zu gewähren, wenn eine Beseitigung ausscheide.319 Trotz dieser Notwendigkeit ist die Heranziehung des § 251 BGB gewichtigen Bedenken ausgesetzt. Zunächst ist zu konstatieren, dass es sich bei dem relevanten Abs. 2 rechtstechnisch um eine Ersetzungsbefugnis des Schuldners handelt,320 auf die er in Fällen der Unzumutbarkeit zurückgreifen kann und nicht um eine Anspruchsgrundlage des Gläubigers. Wendet man aber einerseits bereits den Gedanken der Unzumutbarkeit an, wirkt es wie eine seltsame Dopplung, dem Schuldner ein zusätzliches Ersetzungsrecht an die Seite zu stellen.321 füge des Staatshaftungsrechts“ (OVG Münster, NVwZ 1994, 795 (796)). Dieser Einwand lässt sich angesichts der kaum bestreitbaren Schutzlücke nur dadurch erklären, dass eine Ausweitung der Aufopferungshaftung von den Kritikern des Folgenentschädigungsanspruches als die konsequentere Lösung zur Lückenschließung angesehen wird. So auch OVG Münster, NVwZ 1994, 795 (796). 316  Kritisch insbesondere Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 550 f.; Schenke, JuS 1990, 370, 376. 317  Gursky, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 1004, Rn. 154 ff.; Baldus, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 1004, Rn. 238 ff.; für den Folgenentschädigungsanspruch explizit Schenke, JuS 1990, 370, 376 ff. 318  Gursky, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 1004, Rn. 155. Dies veranlasst auch den BGH dazu, den „allgemeinen Rechtsgedanken“ des § 251 BGB im Rahmen des § 1004 BGB anzuwenden, vgl. BGHZ 62, 388 (391); 143, 1 (6); BGH, DB 1974, 673; 1977, 908; BGH, NJW-RR 2010, 315. 319  Baldus, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 1004, Rn. 242. Zur dieser Notwendigkeit im Bereich des Folgenbeseitigungsanspruchs bereits Grave, DVBl. 1972, 231, 232. 320  Erbguth, JuS 2000, 336, 338. 321  Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 251, Rn. 37, der mit der Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB auf § 1004 BGB einer Übertragung des § 251 Abs. 2 BGB entgegentritt.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Unter Vernachlässigung der Rechtsnatur und extensiver teleologischer I­nterpretation mag sich durchaus mit dem BVerwG aus § 251 BGB der Gedanke extrahieren lassen, dass anstelle der aus tatsächlichen oder aus ­ rechtlichen Gründen ausgeschlossenen oder unzumutbaren Herstellung eines Zustandes vielfach ein Geldanspruch träte.322 Geht es aber im Ergebnis allein um den Gedanken eines kompensatorischen Geldzahlungsanspruches,323 wirft dies die Frage auf, wie belastbar selbst eine bloße „Abstützung“ des Ausgleichskonzepts auf § 251 Abs. 2 BGB ist und ob sich nicht ein verfassungsrechtlich fundiertes Gegenkonzept anbietet. Denn bei genauerer Analyse drängt sich ein weiteres Problem auf: Rechtsdogmatisch hat § 251 Abs. 2 BGB eine rein haftungsausfüllende Natur, setzt seinerseits also einen bereits gegebenen Anspruch voraus.324 Ein klassischer Schadensersatzanspruch ist zunächst auf Naturalrestitution gerichtet, kann aber in den Fällen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit auch auf eine Kompensation zielen. Dennoch bleibt der Anspruchsgrund derselbe – ein Unterschied besteht nur auf Rechtsfolgenseite.325 Zutiefst zweifelhaft ist, ob gleiches für den öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch angenommen werden kann. Trotz seiner weiten Rechtsfolgen, die zuweilen eher den Charakter eines Schadensersatzes als einer reinen Störungsbeseitigung tragen, bleibt er im Kern ein Restitutionsanspruch. Bereits seiner Entstehungsgeschichte ist klar zu entnehmen, dass er die restitutorische Haftungslücke – und zwar nur diese – schließen sollte. Seiner Grundkonzeption nach ist er allein auf Folgenbeseitigung in natura gerichtet, ohne dass eine Variabilität der Rechtsfolgen möglich wäre.326 Diese „institutionellen Fesseln“327 hat sich das BVerwG auferlegt und kann sie nicht nach Belieben abstreifen, ohne dies aus der Rechtsgrundlage begründen zu können. Zumindest auf Grundlage einer Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip oder einer Analogie zu § 1004 BGB ist es nicht haltbar, mit den Richtern schlicht zu postulieren, der „Ausgleichsanspruch [sei bereits] Teil des Anspruchs auf Folgen­ 322  BVerwGE

82, 24 (26). Zweistufigkeit ist im öffentlichen Recht Folge der „Evolution“ des Konzepts in der Rechtsprechung des BVerwG, das die Einwendung der Unzumutbarkeit entwickelte, bevor es sich in einem weiteren Schritt vage mit der Entschädigungsfrage auseinandersetzte. Vgl. dazu auch OVG Münster, NVwZ 1994, 795 (796), das den Hauptantrag wegen unzumutbarer Folgenbeseitigung abwies und sich gesondert mit einer Entschädigungspflicht auseinandersetzte. Wendete man den Rechtsgedanken von § 251 Abs. 2 BGB konsequent an, müssten diese Schritte aber Hand in Hand gehen, beziehungsweise das Verweigerungsrecht von einer entsprechenden Geldzahlung abhängen. 324  Vgl. nur Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 1. 325  Hain, VerwArch 2004, 498, 504. 326  Hain, VerwArch 2004, 498, 504. 327  Röder, Haftungsfunktion, S. 271. 323  Diese



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch175

beseitigung“328. Trägt das BVerwG zu seiner Verteidigung vor, der Folgenbeseitigungsanspruch sei als ungeschriebenes Institut einer extensiven Auslegung besonders zugänglich,329 wird offenkundig, dass sich die Richter letztlich weit stärker von Billigkeitserwägungen denn von dogmatischen leiten lassen.330 Ist aber eine qualitative Wandlungsfähigkeit des restitutiven Folgenbeseitigungsanspruchs in einen kompensatorischen Folgenentschädigungsanspruch im Hinblick auf die Rechtsgrundlage kaum stringent begründbar,331 dann will auch eine Anwendung des § 251 Abs. 2 BGB nicht recht zu überzeugen wissen, der doch genau die Rechtsfolgen eines einheitlichen Anspruches ­variieren soll.332 Konsequent wäre es daher, die Lösung des bestehenden Kompensationsbedürfnisses nicht länger in § 251 Abs. 2 BGB zu suchen – von dem ohnehin durch die zahlreichen Anpassungen und Reduktionen kaum mehr etwas übrig bleibt, als die offene Idee einer Kompensation bei Entfall des Restitutionsanspruchs, die indes auch direkt im Prinzip von Treu und Glauben lose verortet werden kann. Stattdessen sollte versucht werden, die Schutzlücke in einem verfassungsrechtlichen Rahmen stringenter zu schließen.

C. Kritik und Zwischenergebnis Ein kompensatorischer Folgenentschädigungsanspruch mag aus rechtspolitischen Erwägungen reizvoll wirken333 – indes bildet er kaum mehr als eine freie Rechtsschöpfung,334 bei der in bedenkenswerter Parallele zum Folgenbeseitigungsanspruch die Frage nach der dogmatischen Ableitung gänzlich in den Hintergrund gedrängt wird. Konnte diese bisher auch zurückgestellt 328  BVerwG, NJW 1989, 2484, 2486; kritisch Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 552. 329  Vgl. BVerwG, NJW 1989, 2484 (2485). Skeptisch auch Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 551; Schenke, JuS 1990, 370, 371, 377. 330  Vgl. von Franckenstein, NVwZ 1999, 158, 159. 331  Etwas anderes mag gelten, wenn man die Grundlage für den Anspruch direkt in den Freiheitsrechten sieht, da es dann entscheidend auf die Frage der Reaktionsfähigkeit der Grundrechte ankommt. Siehe unter Dritter Teil: § 4 A.III.1., S. 196 ff. 332  Kritisch zu Recht Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 552; Hain, Verw­ Arch 2004, 498, 505 f.; ähnl. auch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 192 ff. 333  Diesen Schritt deshalb bejahend VGH München, NVwZ 1999, 1237; vgl. Erbguth, JuS 2000, 336; Gerhardt, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Vorb. § 113, Rn. 9 f.; Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 549; Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S.  224 f. 334  Vgl. auch Franke, VerwArch 1966, 357 ff.; Franke, Folgenentschädigungsanspruch, passim, der eine Erweiterung letztlich auf das soziale Rechtsstaatsprinzip stützen will. Zweifelnd Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 192.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

werden, muss sie spätestens nun kursorisch aufgegriffen werden, da sich eine stringente Erweiterung nur aus der Rechtsgrundlage selbst ergeben könnte. Wie besehen ließen die Gerichte trotz ihrer weitgehenden Gleichgültigkeit eine Präferenz hinsichtlich einer Analogie zu § 1004 BGB erkennen. Hiergegen ist zunächst grundsätzlich einzuwenden, dass ein Rückgriff auf zivilistische Normen im öffentlichen Recht nur in Ausnahmefällen zulässig ist, da das Verhältnis des Staates zum Bürger grundsätzlich anders ausgestaltet ist und abweichende Wertungen bedingt.335 Daher unterliegt bereits die Grundvoraussetzung jeder Analogie, die Vergleichbarkeit der Sachverhalte, tiefgreifenden Zweifeln.336 Dem kann auch nur schwerlich mit dem Konzept einer „flexiblen Analogie“ abgeholfen werden, nach dem eine Heranziehung der zivilrechtlichen Normen dann ausscheidet, „wenn zwingende Wertungsgesichtspunkte des öffentlichen Rechts eine abweichende Ausgestaltung von Tatbestand und / oder Rechtsfolgen erfordern.“337 Vielmehr ist stattdessen das Verfassungsrecht in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Denn angesichts der systemimmanenten, öffentlich-rechtlichen Begründungsansätze ist bereits das Bestehen einer planwidrigen Lücke fraglich, die im Rückgriff auf § 1004 BGB geschlossen werden sollte.338 Selbst wenn man diese Bedenken vorläufig beiseiteschiebt, scheint die analoge Anwendung des § 1004 BGB nicht mehr zu sein, als „die augenfällige Ausprägung der nachträglichen Begründung einer gedanklich bereits geschlossenen Haftungslücke“339. Denn § 1004 BGB gewährt nach überwiegender und zutreffender Auffassung noch nicht einmal die gewünschte Rechtsfolge im Hinblick auf den Folgenbeseitigungsanspruch.340 Spätestens aber, wenn man diesen im Sinne einer Folgenentschädigung zu einem ver335  Heidenhain, Amtshaftung, S. 137; Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 74; Fiedler, NVwZ 1986, 969, 973; Erichsen, VerwArch 1972, 217, 223 f.; Rupp, DVBl. 1972, 232, 233; Schenke, JuS 1990, 370 ff.; Enders, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 35 ff.; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 120 ff., 538 ff. m. w. N.; a. A. wohl Laubinger, VerwArch 1989, 261, 287. 336  Schenke, JuS 1990, 370, 372; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 40; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 75. 337  So aber Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 133. Zurückhaltender Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 206, der die zivilrechtlichen Gedanken und Erkenntnisse innerhalb einer grundrechtlichen Ausgestaltung zunächst nur „berücksichtigen“ will. 338  Ausführlich unter Dritter Teil: § 4 A.III.1., S. 196 ff., wo aus systematischen Gründen die grundrechtliche Fundierung des Folgenbeseitigungsanspruchs diskutiert wird. So auch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 41. 339  Röder, Haftungsfunktion, S. 208 f. 340  Röder, Haftungsfunktion, S. 209  f.; a.  A. Brugger, JuS 1999, 625, 630  ff.; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 127 ff.



§ 2 Der Folgenentschädigungsanspruch177

schuldensunabhängigen monetären Kompensationsanspruch ausbauen will, gerät die Anbindung an den zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch zur Farce. Letztlich handelt es sich um „Expansionstendenzen, die die ursprüngliche Struktur der Lückenfüllungsfigur“ vollends sprengen.341 Deutlich manifestiert sich das rechtsdogmatisch unbefriedigende Vorgehen, ohne Rücksicht auf eine eventuelle Rechtsgrundlage gewünschte Rechtsfolgen mangels belastbarer Vorgaben freischwebend „abzuleiten“.342 Neuere Entscheidungen des BVerwG lassen deshalb auch eine begrüßenswerte Rückbesinnung auf die dem Institut immanenten Begrenzungen erkennen.343 Bereits aus diesem Grund ist zweifelhaft, ob versucht werden sollte, die aufgezeigte Haftungslücke ausgerechnet über den Folgenentschädigungsanspruch zu schließen. In der Tat scheint selbst die zahlreichen dogmatischen Bedenken ausgesetzte Erweiterung der Aufopferungshaftung als rechtstechnisch „saubererer“ Weg, da über den Folgenbeseitigungsanspruch das gänzlich „falsche Pferd zum Kompensationsanspruch aufgezäumt“ würde.344

341  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 39. 342  Vgl. dazu Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 75 f. Kritisch auch Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  73 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  364 ff.; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 114; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 15, 26, 117. Wohin die Vernachlässigung einer rechtlichen Fundierung führt, zeigt im Extrem die ergebnisgeleitete Forderung nach der Übertragung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches auf das Verwaltungsrecht. Vgl. dazu nur Schoch, DV 2001, 261, 270 insbesondere Fn. 90 ff. 343  BGH, NJW 2001, 1878 (1882): „Der Folgenbeseitigungsanspruch knüpft an die Rechtswidrigkeit nicht des Eingriffs, sondern des durch diesen geschaffenen andauernden Zustands an. Er soll den andauernden rechtswidrigen Zustand mit der rechtsnormativen Lage in der Weise in Deckung bringen, dass der ursprüngliche rechtmäßige Zustand wieder hergestellt und dadurch die Fortdauer des rechtswidrigen Zustands beendet wird; darauf ist sein Inhalt begrenzt. Der Folgenbeseitigungsanspruch kann mangels gesetzlicher Vorschriften nicht zu einem darüber hinausgehenden Erfolg führen, namentlich zu keiner verkappten Verurteilung zum Schadensersatz in Geld. […] Er ermöglicht keinen Ausgleich für Schäden, die durch rechtswidriges Verwaltungshandeln – das bei einer Rechtspflicht zum Handeln auch in einem Unterlassen bestehen kann – verursacht worden sind.“ BVerwG, Urt. v. 28.05.2003 – 2 C 35.02: „Ein Folgenbeseitigungsanspruch kann nicht auf Schadensersatz oder Entschädigung in Geld für rechtswidriges Verwaltungshandeln, sondern allein auf die Wiederherstellung des durch einen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff veränderten rechtmäßigen Zustandes gerichtet sein, der im Zeitpunkt des Eingriffs bestand.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser); zustimmend Haack, DVBl. 2010, 1475, 1482. 344  Hain, VerwArch 2004, 498, 504; ähnl. auch OVG Münster, NVwZ 1994, 795; Maurer, VerwR, § 30 Rn. 17; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 193 f.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Zu den Bedenken hinsichtlich seiner Ableitung345 tritt, dass der Folgenentschädigungsanspruch in direkte Konkurrenz zu den Instituten des enteignungsgleichen und aufopferungsgleichen Eingriffs in deren Anwendungsbereich treten würde. Denn alle drei Rechtsbehelfe kommen nur in Betracht, wenn die Eingriffsabwehr oder -beseitigung nicht mehr möglich ist.346 Damit würde ein und dieselbe Sachfrage unter verschiedenen Blickwinkeln von zwei Gerichtsbarkeiten beleuchtet.347 Eine solche doppelte Unterfütterung ist aber nicht nur aus Gründen der Rechtswegspaltung für im Rechtsziel identische Ansprüche bedenklich.348 Zwar darf eine Konkurrenz zu den heutigen bruchstückhaften Instrumenten des Staatshaftungsrechts nicht dazu dienen, eine umfassende Reform zu verneinen – sie ist vielmehr nahezu denknotwendig. Dann aber müssten die Gründe für eine neue dogmatische Verortung deren Nachteile überwiegen,349 was im Falle eines so verstandenen Folgenentschädigungsanspruchs nicht angenommen werden kann. Auch wenn dieser die Möglichkeit einer stark begrenzten rechtsgüterindifferenten und verschuldensunabhängigen kompensatorischen Haftung des Staates eröffnet, muss daher weiter untersucht werden, ob sich der gegenwärtigen Rechtsordnung ein tragfähiges Fundament entnehmen lässt, auf dem die Schutzlücken des

345  Ebenso ist die Anbindung an abstrakte „Großformeln“ wie Art. 19 Abs. 4 GG oder das Rechtsstaatsprinzip wegen des objektiven Charakters der Normen, aus dem keine konkreten Reaktionsfolgen deduzierbar sind, abzulehnen. Vgl. dazu Bettermann, DÖV 1955, 528, 531; Brugger, JuS 1999, 625, 628; Sass, Entschädigungserfordernis, S.  77 ff.; Röder, Haftungsfunktion, S. 208. Ausführlich zur Verwurzelung in den Grundrechten siehe Dritter Teil: § 4 A.III.1., S. 196 ff.; sowie zu einer Untauglichkeit des Rechtsstaatsprinzips als Grundlage, Dritter Teil: § 4 B., S. 236 ff. 346  Vgl. Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 193 f. 347  Röder, Haftungsfunktion, S. 268 f., der deshalb eine Unterscheidung zwischen der Aufopferungshaftung und einem eigenständigen Folgenentschädigungsanspruch für „sinnlos“ hält. So auch Haack, DVBl. 2010, 1475, 1482: vgl. Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 553. Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 194 will den Konflikt dahingehend auflösen, dass er den enteignungsgleichen und aufopferungsgleichen Eingriff unter dem Überbegriff der Folgenentschädigung zusammenfasst. 348  Hain, VerwArch 2004, 498, 500; vorsichtiger Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 149; ähnl. auch Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 374; OVG Münster, NVwZ 1994, 795 (796). Röder, Haftungsfunktion, S. 269 beklagt, dass hierdurch „unter dem Gesichtspunkt der Grundrechtseffektuierung bislang eine endgültige Problemlösung eher erschwert, denn begünstigt“ wurde. Gleichzeitig weist er zu Recht auf die „tückische Falle“ (S. 274) hin, an welcher der Rechtsschutz momentan leidet. Je nachdem, ob ein Gericht eine Ausweitung des Folgenbeseitigungsanspruchs oder des aufopferungsgleichen Anspruchs befürwortet oder ablehnt, kann die Wahl des Rechtswegs entscheidend für den Ausgang einer Klage sein. Vgl. dazu ausführlich Vierter Teil: § 1, S. 249 ff. 349  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 306; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 201.



§ 3 Europarechtlicher Impetus für die Fortentwicklung der Staatshaftung179

Staatshaftungsrechts – allen voran im Bereich der Berufsfreiheit – systematisch kohärent geschlossen werden können.

§ 3 Europarechtlicher Impetus für die Fortentwicklung der Staatshaftung In Zeiten einer immer weiter fortschreitenden Europäisierung der nationalen Rechtsordnungen und eines spürbaren „Zusammenrückens“ der Mitgliedsstaaten drängt sich die Frage nach der Bedeutung des Unionsrechts für das deutsche Staatshaftungsrecht insbesondere angesichts dessen Lückenhaftigkeit nahezu auf. Gerade in jüngerer Vergangenheit schien auch das Recht der staatlichen Einstandspflichten einem zunehmenden „Europäisierungssog“350 zu unterfallen.351 Klärung bedarf mithin, welchen Einfluss die europäischen Regelungen im Hinblick auf eine mögliche Lückenschließung im nationalen Recht entfalten können. Dabei zeigt sich ein weites, nuanciertes Meinungsspektrum: So wird das Europarecht bisweilen eher unkonkret als Chance,352 Hoffnung353 oder Leitbild354 wahrgenommen, soll indes auch als Impulsgeber355 für das nationale Recht der Einstandspflichten dienen können.356 Soll das Unionsrecht aber mehr sein als ein unverbindlicher Vorschlag an den deutschen Gesetzgeber und belastbare Leitlinien für eine gegebenenfalls richterlich angestoßene Reform des deutschen Staatshaftungsrechts bereitstellen, können bloße pauschale Verweise auf dessen Vorbildcharakter keine hinreichende Grundlage bieten. Vielmehr muss zunächst eine saubere Trennung beider Rechtsordnungen vorgenommen werden, um sodann potentielle Wechselwirkungen erläutern zu können. Problematisch ist bei diesem Vorgehen bereits, dass die Terminologie häufig nicht einheitlich verwendet wird: Die „Europäisierung des Staatshaftungsrechts“ meint regelmäßig nur die Umsetzung des Haftungsanspruchs für Verletzungen von Unionsrecht durch Mitgliedstaaten,357 die je350  Bauer,

in: FS für H. Steinberger, S. 1061 ff. in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 8. 352  Grzeszick, EuR 1998, 417, 434. 353  Gurlit, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 44. 354  Streinz, VVDStRL 2002, 300, 327. 355  Erbguth, VVDStRL 2002, 221, 239; Maurer, VerwR, § 31 Rn. 18; Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 775; Schoch, DV 2001, 261, 273. 356  Ähnl. auch Pfab, Staatshaftung, S. 195; Streinz, VVDStRL 2002, 300; vorsichtiger formulierend Breuer, VVDStRL 2002, 430, 432. 357  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 307; exemplarisch Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 759 ff. 351  Morlok,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

doch zumindest unmittelbar keinen Einfluss auf das nationale Haftungsrecht entfaltet. Davon klar zu unterscheiden ist der „Prozeß fortschreitender Beeinflussung, Wandlung und Überformung eines Rechtsgebiets durch die Rechtsmassen europäischen Rechts“358, der meist einen „komplexen Wandlungsund Anpassungsprozess“359 zur Folge hat, währenddessen nicht nur das Unionsrecht das nationale Recht beeinflusst, sondern umgekehrt von diesem geprägt wird.360 Im Kern bleiben beide Rechtsordnungen indes voneinander unabhängig, was jede „Vermischung“ rechtfertigungsbedürftig macht. Keinesfalls können allein durch ambigue Formulierungen Übertragungen oder Einwirkungen ­legitimiert werden. Inmitten von „Überfremdungssorgen oder Verfallsszena­ rien“361 und einem kritisch beäugten „Europäisierungssog“362 muss deshalb klar unterschieden werden, wann eine Beeinflussung oder Übernahme rechtlich geboten ist und wann diese lediglich aus verschiedenen rechtspolitischen Gesichtspunkten vorteilhaft erscheint. Unter Anlegung dieses Maßstabs zeigt sich deutlich, dass die nationale Staatshaftungsordnung vom Europarecht grundsätzlich unberührt bleibt.363 Soweit ersichtlich wird aufgrund der eindeutigen Kompetenzverteilung nicht vertreten, das unionale Recht stelle unmittelbare rechtliche Vorgaben für die deutsche Staatshaftung bereit: „Es gibt keine Europäisierungspflicht in diesem Sinn.“364 Die „These lautet [daher nicht], dass das Unionsrecht oder der Euro­päische Gerichtshof die Europäisierung des Staatshaftungsrechts vorschrie­ ben“.365 Der europäische Haftungsanspruch wird vielmehr als Vorbild und inspirierende Orientierungsmöglichkeit wahrgenommen. Erreicht werden soll in Abgrenzung zu einer rechtlich gebotenen Konformität eine Europarechtsorientierung durch „autonomen Nachvollzug“366. Anders als die bisher vorgestellten Lösungsansätze geht es vorliegend also nicht um eine sich aus dem geltenden Recht ergebende Notwendigkeit – das Unionsrecht dient vielmehr 358  Schmidt-Aßmann,

in: FS für P. Lerche, S. 513. JuS 2004, 2, 4. 360  Schmidt-Aßmann, in: FS für P. Lerche, S. 513. Vgl. auch mit zahlreichen Beispielen dieses „fundamentalen Phänomens“ Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S.  308 ff. m. w. N. 361  Kahl, DV 2009, 463, 475. 362  Bauer, in: FS für H. Steinberger, S. 1061, 1061 ff. 363  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 316. 364  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 316. 365  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 316. 366  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 317. 359  Voßkuhle,



§ 3 Europarechtlicher Impetus für die Fortentwicklung der Staatshaftung181

als reines „Vorbild und nicht [als] Vorgabe nationaler Staatshaftung“367. Unter Berücksichtigung dieser Perspektive sind nun die postulierte Leitbildfunktion und deren Übertragbarkeit auf das deutsche Haftungsrecht zu würdigen.

A. Unionaler Anstoß für eine Fortentwicklung der deutschen Staatshaftung? Es mag auf den ersten Zugriff ungewöhnlich erscheinen, gerade das Unionsrecht als Ausgangspunkt für eine Fortentwicklung des nationalen Rechts heranzuziehen, wird dieses doch nur „selten für seine dogmatische Prägnanz gepriesen [und seine] Systemgerechtigkeit gelobt“368. Ist es indes dem nationalen Recht, und wenn auch nur bereichs- und ausnahmsweise, überlegen, spricht zunächst nichts gegen eine Orientierung an der europarechtlichen Dogmatik.369 Eine Kontrastierung des Haftungsanspruchs gegen die Mitgliedsstaaten für Verletzungen des Unionsrechts mit den nationalen Regelungen kann dazu dienen, deren Schwachstellen aufzuzeigen und so als Impulsgeber für lange ausstehende Verbesserungen und Reformen fungieren.370 Gegenüber einem schlichten Rechtsvergleich zu einer beliebigen ausländischen Rechtsordnung tut sich ein weiterer Vorteil auf: Denn der „unionale Fluchtpunkt“ fördert einen Gleichlauf der Haftungsinstrumente, um unterschiedliche Rationalitäten und Standards in Fällen mit und ohne europäischen Bezug zu vermeiden.371 Eine rechtmäßige, häufig jedoch als unbillig empfundene Inländerdiskriminierung könnte so vermieden werden. Darüber hinaus wird vorgebracht, eine Orientierung am Unionsrecht würde sowohl die Rechtsklarheit als auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rechtsordnung im internationalen Vergleich steigern.372

367  Hartmann,

Öffentliches Haftungsrecht, S. 317. Öffentliches Haftungsrecht, S. 314, 244 m. w. N. 369  Prägnant Streinz, VVDStRL 2002, 300, 353. Vgl. dazu auch Hermes, DV 1998, 371, 382 f. Der Gedanke einer Übertragung der unionalen Dogmatik beschränkt sich dabei nicht auf Deutschland. Auch im Kontext der englischen und französischen Staatshaftungssysteme wird erwogen, Lücken mit Blick auf das europarechtliche Vorbild zu schließen, vgl. Gerven, ICLQ 1996, 507, 539 m. w. N. 370  Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 775. 371  Schoch, DV 2001, 261, 275 ff.; Hain, VerwArch 2004, 498, 514. 372  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 328 ff., 385. 368  Hartmann,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

I. Übertragbarkeit der Geltungsgründe und des Haftungszwecks auf das nationale Recht Vermögen diese Vorteile auch einzuleuchten, bilden sie allein ein zu schwaches Fundament, um eine neue dogmatische Verortung des deutschen Staatshaftungsrechts zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, als auch die übrigen dargestellten Ansätze ähnliche Vorzüge böten. Der wesentliche Grund für eine europäisch inspirierte Lösung soll indes darin liegen, dass eine Übertragung der Dogmatik „möglich“ ist, weil die ihr zugrundeliegenden Haftungsrationalitäten auch im nationalen Recht Geltung beanspruchen.373 Dieses Argument beruht auf der Besonderheit, dass Inhalt, Voraussetzungen und Rechtsfolgen des unionsrechtlichen Anspruchs primär funktional begründet wurden und sich letztlich nur aus seinen Geltungsgründen erschließen lassen.374 Decken sich diese tatsächlich mit denen der nationalen Rechtsordnung, so wird argumentiert, dass auch ein Gleichlauf der staatshaftungsrechtlichen Ansprüche begünstigt, zumindest aber denkbar scheint. 1. Effet utile, Unionstreue und mitgliedsstaatliche Grundsätze Der EuGH entwickelte den unionalen Anspruch primär aus drei Gesichtspunkte: dem Effet utile, der Unionstreue und einer Parallele zum heutigen Art. 340 AEUV.375 Um die Übertragung der staatshaftungsrechtlichen Dogmatik zu stützen, müssten sich diese auch im nationalen Recht widerspiegeln. Zunächst zeigt eine Analyse der Ausführungen des EuGH zum Effektivitätsprinzip, dass dieses neben der vollen Wirksamkeit des Rechts gleichfalls auf einen effektiven Schutz individueller Rechte zielt, der durch Sanktionen abgesichert werden muss.376 Der Primärrechtsschutz ist darauf angewiesen, durch einen wirksamen Sekundärrechtsschutz „effektuiert“ zu werden, da andernfalls die Autorität der gesamten Rechtsordnung litte – sie verspräche mehr, als sie zu halten im Stande wäre.377 Parallele Erwägungen lassen sich 373  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 385; vgl. auch Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 56; Pfab, Staatshaftung, S. 100 ff. 374  Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 760. Vgl. dazu ausführlich oben Zweiter Teil: § 1 B.III.3., S. 85 ff. 375  Vgl. dazu ausführlich oben Zweiter Teil: § 1 B.III.3., S. 85 ff. 376  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 56; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 225 f.; Schoch, DV 2001, 261, 275. 377  Schoch, DV 2001, 261, 276.



§ 3 Europarechtlicher Impetus für die Fortentwicklung der Staatshaftung183

im deutschen Recht in Art. 20 Abs. 3 GG verorten, was eine Übertragung der Begründungsleitlinien zumindest in diesem Punkt ermöglicht.378 Weiter vorgebracht wird, auch das Prinzip der Unionstreue ziele im Ergebnis auf den Schutz des Rechts ab und sei zwar nicht unmittelbar, doch aber wertungsmäßig im deutschen Recht wiederzufinden. Denn hinter der durch den Gedanken der Bundestreue zum Ausdruck gebrachten wechselseitigen Rücksichtnahme der Länder und des Bundes verberge sich letztlich ebenfalls die Verpflichtung, dem Recht effektive Geltung zu verschaffen.379 Komplexer gestaltet sich die Übertragung der „erweiterten dogmatischen Grundlage“380, des Rückgriffs auf Art. 340 Abs. 2 AEUV. Der EuGH führte aus, der Schutz des Unionsrechts müsse kohärent und gleichwertig sein, unabhängig davon, ob es durch Unionsorgane oder Mitgliedsstaaten verletzt würde.381 Infolgedessen zog er unterstützend zur Begründung einer Haftung der Mitgliedsstaaten die Grundsätze der originären Unionshaftung heran. Auch dieser Geltungsgrund soll indes in den Augen der Befürworter einer unionsrechtlich inspirierten Dogmatik der Transposition zugänglich sein: Da Art. 340 Abs. 2 AEUV seinerseits auf eine Haftung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen verweise, sei es möglich, „auch die mitgliedstaatlichen Haftungsansprüche gegen die Mitgliedsstaaten selbst […] parallel zu denken“.382 Insbesondere weil sich die allgemeinen Rechtsgrundsätze aus einer Gesamtschau der Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten ergäben, liefe eine „Rückübertragung“ auf einen Rechtssatz hinaus, „den auch die Bundesrepublik Deutschland schon kennen könnte.“383 2. Rechtsschutz als letzter Haftungszweck Mag eine solche Ableitung auch nicht zu „zwingenden Ergebnissen“ führen, so verdeutliche sie doch die kohärente Grundstruktur beider Haftungs­ 378  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 6; Martin-Ehlers, EuR 1996, 376, 384; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 226. 379  Vgl. EuGH, Verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Slg. 1991, I-5357, Rn. 36  – Francovich; von Danwitz, DVBl. 1997, 1, 5; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. V, Rn. 2035; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 226. 380  Vgl. Martin-Ehlers, EuR 1996, 376, 384. 381  EuGH, Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 42 – Brasserie du Pêcheur und Factortame; EuGH, Rs. C-352 / 98 P, Slg. 2000, I-5291, Rn. 41  – Bergaderm; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), AEUV, Art. 340, Rn. 1, 25. Zum Kohärenzpostulat bereits GA Mischo, Verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Slg. 1991, I-5357, Rn. 70 f. – Francovich; Haltern, Europarecht, Rn. 845 f. 382  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 228 (Hervorhebungen im Original). 383  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 229.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

systeme:384 In beiden Rechtskreisen wird durch den Sekundärrechtsschutz letztlich der Schutz des Rechts selbst bezweckt.385 Der Staat erhält einen Rechtswahrungsanreiz, da er andernfalls durch das Haftungspotenzial empfindliche Sanktionen fürchten muss. Neben den Primärzweck der Kompensation tritt somit eine präventive Komponente, die den Bürger als Wächter des Rechts instrumentalisiert.386 Somit lässt sich zumindest hinsichtlich des zugrundeliegenden abstrakten Haftungszweckes eine weitgehende Übereinstimmung zwischen dem nationalen und unionalen Recht konstatieren. II. Einheitsdogmatik und Tatbestand des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten soll ein unional inspirierter Einheitsanspruch die Lösung für die gegenwärtigen Probleme des deutschen Staatshaftungsrechts bilden.387 Die Einheitsdogmatik ist dabei um das Merkmal des qualifizierten Verstoßes als maßgebliches Zurechnungs- und Abgrenzungskriterium aufgebaut.388 Möglich sei hierdurch eine Reduktion des deutschen Staatshaftungsrechts auf eine zentrale Grundnorm: „Verletzt ein Organ oder ein Bediensteter des Staates in Ausübung seiner Amtstätigkeit das Recht eines Bürgers qualifiziert, hat der Staat dem Bürger den dadurch verursachten Schaden zu ersetzen.“389 Eine solche Regelung soll, je nach Interpretation und Reichweite des entscheidenden Merkmales der qualifizierten Rechtsverletzung, eine unmittelbare und umfassende Staatsunrechtshaftung ermöglichen und damit den bestehenden Defiziten Abhilfe schaffen können.

384  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 229, der seinen Schluss indes nur so verstanden haben will, dass die Geltungsgründe abstrakt übertragbar sind, ohne dass das Grundgesetz diesen entgegenstünde. 385  Vgl. Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 56; Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 761; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 230 m. w. N. 386  GA Tessauro, Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 12, 17, 26 – Brasserie du Pêcheur und Factortame; vgl. von Danwitz, DVBl. 1997, 1, 3; von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 599 f.; ausführlich Masing, Mobilisierung des Bürgers, S.  48  f.; 225; Masing, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Der Rechtsstatus des Einzelnen im Verwaltungsrecht, § 7, Rn.  36, 68 f.; Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 20. 387  Ausführlich zum abstrahierten, allgemeinen Tatbestand, Hartmann, Öffent­ liches Haftungsrecht, S. 249 ff. 388  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 241. 389  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 305.



§ 3 Europarechtlicher Impetus für die Fortentwicklung der Staatshaftung185

B. Kritik und Zwischenergebnis „Europäisierung schillert.“390 Gerade in Zeiten immer größerer Bedeutung des Europarechts scheint ein Rückgriff auf diesen Rechtskreis auch im Bereich des Staatshaftungsrechts vielversprechend, um die Nachteile des gegenwärtigen Systems zu überkommen und ein modernes, international anschlussfähiges System zu schaffen.391 Das Grundproblem dieses Konzepts liegt indes weniger in seinem Tatbestand oder der Rechtsfolge, sondern in seiner Herleitung. Nun ist es sicher möglich, sich einer kritischen Betrachtung dadurch zu entziehen, den unionalen Einheitsanspruch als bloßen unverbindlichen rechtspolitischen Gestaltungsvorschlag an Rechtsprechung und Gesetzgebung zu qualifizieren.392 Dann aber erscheint der Rekurs auf das Europarecht zweifelhaft und lässt den Verdacht aufkommen, durch diffuse Formulierungen solle ein Gefühl der Verbindlichkeit suggeriert werden, die aber rechtlich schlicht nicht besteht. So ist fraglich, warum vom Europarecht angesichts der klar geregelten Subsidiarität ein „heilsamer Innovationsdruck“393 auf das deutsche Staatshaftungsrecht ausgehen soll; auch scheint problematisch, vom deutschen „Sonderweg“394 mit der impliziten Konnotation zu sprechen, eine Angleichung an das Europarecht stelle das „richtige“ Ziel dar.395 Dies gilt umso

390  Hartmann,

Öffentliches Haftungsrecht, S. 306. ist, ob dies einen ausreichenden Reformanstoß bilden kann. Insbesondere entfaltet die potenzielle Abschaffung einer Inländerdiskriminierung wenig rechtsdogmatisches Gewicht. Denn während es zwar zutrifft, dass sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lassen muss, bilden die unionsrechtlichen Implikationen regelmäßig ein hinreichendes Differenzierungskriterium – andernfalls würde das Europarecht über das Gleichbehandlungsgebot eine faktische Wirkung auch für rein nationale Sachverhalte erlangen, was weder mit der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative, noch mit der Kompetenzaufteilung zwischen Mitgliedsstaaten und Union vereinbar scheint. Zweifelhaft ist daher die Ansicht von Pfab, Staatshaftung, S. 170, nach der allein „die Unterschiedlichkeit der der öffentlichen Pflicht zugrundeliegenden Rechtsquellen“ nicht für eine Differenzierung genügen kann. Zutreffend Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 327: „Die Inländerdiskriminierung ist, obwohl rechtmäßig, doch ungerecht“. 392  In diese Richtung Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 385; vgl. auch Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 59. 393  Hain, VerwArch 2004, 498, 514 (Hervorhebung durch den Verfasser). 394  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 91 (Hervorhebung durch den Verfasser). 395  In diese Richtung scheinen die Ausführungen von Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 327 zur „Zweckmäßigkeit nationalen Haftungsrechts“ zu gehen. Denn trotz postulierter „freiwilliger Übernahme“ scheint immer wieder ein maßgebendes 391  Fraglich

186

3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

mehr, wenn die unional inspirierte Dogmatik sogar für „nötig“396 erachtet wird. Die Frage, woraus sich diese Notwendigkeit ergeben soll, drängt sich förmlich auf. Die „Übernahme des anderswo Bewährten“397 mag auf den ersten Zugriff eine bequeme und pragmatische Lösung darstellen. Gerade im Hinblick auf die Machtverteilung zwischen Union und Mitgliedsstaaten ist ihr jedoch mit Vorsicht zu begegnen. Sieht man allein in der Anschlussfähigkeit und Kohärenz beider Rechtskreise den entscheidenden Motivator, so droht eine Vergemeinschaftung durch die Hintertür, welche die fundamental wichtige Kompetenzaufteilung zwischen beiden Entitäten gefährdet. Deshalb muss jede Idee, Konzepte aus dem Europarecht auf das nationale Recht zu übertragen, naturgemäß eine gewisse Skepsis auslösen.398 Selbst wenn man eine solche rechtsvergleichende „Inspiration“ zuließe, bleibt zweifelhaft, ob ausgerechnet der unionale Haftungsanspruch die vorzugswürdigste Basis hierfür darstellt. Denn auch die richterrechtliche Entwicklung, folgende gewohnheitsrechtliche Anerkennung und „stimmige Einpassung in die Eigenrationalitäten“ des Unionsrechts machen eine Untersuchung seiner Herleitung nicht entbehrlich.399 Dies gilt umso mehr, wenn er als Vorbild des nationalen Staatshaftungsrechts dienen soll. Gerade in seiner zweifelhaften Ableitung liegt indes die entscheidende Schwachstelle des unionalen Anspruchs.400 Erkennt man das Effektivitätsgebot als primäre Herleitungsquelle an, offenbart sich ein weiterer Vorbehalt gegenüber dem unionsrechtlich inspirierten Ansatz: Seinen materiellen Geltungsgrund bildet die Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts und der Schutz der verliehenen Indi­ vidualrechte. Primärrechtsschutz und Sekundärrechtsschutz bilden kompleübergeordnetes Regelungskonzept durchzuschimmern, das aus dem Europarecht gewonnen wird, ohne es jedoch explizit zu benennen. 396  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 244. 397  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 324. 398  Schoch, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 46 ff. Andernfalls drohe ein Gleichlauf zwischen den Rechtsordnungen, der zwar (Inländer-)Diskriminierungen effektiv vermiede, allerdings auch alle Unterschiede auf Kosten der Souveränität nivellierte. Insofern kann auch die von Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 229 vorgeschlagene Erweiterung nicht überzeugen: Er bringt vor, da das Kohärenzgebot eine Haftung für Unionsrechtsverletzungen unabhängig vom Verletzer gebiete, sei auch die Differenzierung zwischen Verletzungen des Unionsrechts und des nationalen Rechts aufzugeben. 399  Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 762. 400  Vgl. statt vieler nur Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 764; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 91.



§ 3 Europarechtlicher Impetus für die Fortentwicklung der Staatshaftung187

mentäre Bestandteile einer effektiven Durchsetzungsstrategie. Insbesondere, wenn man annimmt, die Pflicht der Mitgliedsstaaten zur Erfüllung von Gemeinschaftsrecht umfasse auch die Pflicht, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes zu beseitigen,401 wird eine argumentative Parallele zum nationalen Recht offenkundig.402 Denn der Grundsatz der Unrechtsfolgenbeseitigung wird auch in der deutschen Jurisprudenz zuweilen im Rechtsstaatsprinzip selbst verortet.403 Stellt man auf der einen Seite fest, dass eine direkte Ableitung aus dem Europarecht weder möglich noch gewünscht ist, sodass dieses nur über eine „mittelbare“ Verortung wegen des Gleichlaufs der Geltungsgründe Relevanz erlangt, will aber auf der anderen Seite die Haftungszwecke bereits aus einer weiten Interpretation des Rechtsstaatsprinzips gewinnen,404 scheint sich der europarechtlich-inspirierte Ansatz selbst obsolet zu machen.405 Denn einer rechtssystem-immanenten Herleitung von Ansprüchen muss im Zweifel immer der Vorzug vor der Heranziehung von Normen aus einer anderen Rechtsordnung gegeben werden. Durch die Mittlung über das Unionsrecht ergibt sich wie besehen auch kein Vorteil zu den Ableitungsversuchen einer staatlichen Unrechtshaftung direkt aus dem nationalen Rechtstaatsprinzip, welches zumindest eine Bindung der national-staatlichen Gewalt noch begründen kann. Auch kann sie keine höhere Legitimität beanspruchen, als eine bloße rechtsvergleichende Zusammenschau verschiedener nationaler Regelungen. Letztlich treffen aber dieselben Vorbehalte wie gegen eine Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip zu; allen voran, dass aus einem objektiven Rechtssatz dergestalt präzise subjektive Rechte schlicht nicht abgeleitet werden können. Scheitern müssen deshalb Versuche, diese „Prinzipienhaftigkeit“ positiv fruchtbar zu machen, da sie „Raum für die Entwicklung sachangemessener Haftungsvoraussetzungen“ ließe.406 Vielmehr ist zu konstatieren, dass die Herleitung zu offen und unkonkret ist, um spezifische Ansprüche hervorbringen zu können. Ist aber bereits die deutsche „rechtsinterne“ Lösung diesen Zweifeln ausgesetzt, kann NJW 1992, 165; Nettesheim, DÖV 1992, 999, 1001. Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 763. 403  Vgl. zu den Problemen einer Herleitung staatlicher Einstandspflichten aus dem Rechtsstaatsprinzip Dritter Teil: § 4 B., S. 236 ff. 404  So ausdrücklich Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 225, 236, 330  f., vgl. auch Ehlers, JZ 1996, 776, 777. 405  Zu einer ähnlichen Einsicht führt die Abstützung der Argumentation auf Art. 340 Abs. 2 AEUV, wonach die Union nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen haftet, die den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten gemeinsam sind. Will man aber aus dieser Norm wiederum selbstreferentiell eine Haftung der Mitgliedsstaaten ableiten, droht ein ewiger „Ableitungskreisel“. So Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 228. Kritisch deshalb auch Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 763. 406  Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 763. 401  EuGH, 402  Vgl.

188

3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

ein mittelbarer unionsrechtlich aufgeladener Weg keinen substanziellen Erkenntnisgewinn bringen. Dieses Fazit vernachlässigt nicht, dass ein auf das Gemeinschaftsrecht abgestimmtes Staatshaftungsrecht407 rechtspolitisch viele Vorteile böte. Es steht dem Gesetzgeber frei, diese Impulse in seine Reformüberlegungen mit einzubeziehen. Darüber hinaus vermag die „eher pragmatische Herangehensweise des Europäischen Gerichtshofs“408 auch der nationalen Debatte um die Reform des Staatshaftungsrechts und insbesondere der Option einer richterrechtlichen Umsetzung Aufwind und Nachdruck verleihen. Ergeben sich aber bereits aus der Verfassung klare Vorgaben für die Ausgestaltung des Staatshaftungsrechts, so haben weder der Gesetzgeber, noch die Judikative die Freiheit, sich aus Erwägungen einer Anschlussfähigkeit an die Union über diese hinwegzusetzen.409 Derartige Aspekte können demnach nur subsidiär im Rahmen des möglichen Ausgestaltungsspielraums Bedeutung erlangen, jedoch für sich genommen keine Neuverortung der staathaftungsrechtlichen Dogmatik rechtfertigen.

§ 4 Die Haftung aus Grundrechten Legt man das Grundgesetz als überzeugendsten Anhaltspunkt für die Herleitung staatlicher Einstandspflichten zugrunde,410 erscheint naheliegend, die Grundrechte selbst als originäre Quelle einer Staatsunrechtshaftung heranzuziehen. Im Gegensatz zu den bisher dargestellten Ansätzen soll die Lückenschließung im Recht der öffentlichen Ersatzleistungen dabei direkt aus dem Verfassungsrecht resultieren und nicht aus einer irgendwie gearteten Ausweitung einfachgesetzlicher Institute. Obschon die Dogmatik der im Folgenden zu erläuternden Grundrechtshaftung in ihrer Struktur umfassend angelegt ist und neben den Freiheits- auch auf die Gleichheitsrechte Anwendung findet, beziehen sich die Ausführungen nur auf das für das Ziel der Abhandlung relevante Recht der Berufsfreiheit, beziehungsweise allgemeiner auf die Freiheitsrechte. Denn die Erläuterung der Besonderheiten, die sich auch im Bereich der staatlichen Einstandspflichten hinsichtlich Art. 3 GG ergeben, würde den Rahmen dieser Bearbeitung 407  Hain,

VerwArch 2004, 498, 514. in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 91. 409  Verfehlt eine „Grundgesetzintrovertiertheit“ zum Vorwurf machend Streinz, VVDStRL 2002, 300, 302. 410  Kunig, Jura 1992, 554, 557. Vgl. zum Folgenbeseitigungsanspruch sogleich und zum enteignungsgleichen Eingriff die Tendenz des BGH, ihn immer noch zumindest teilweise in Art. 14 GG verwurzelt zu sehen, Dritter Teil: § 1 C.I.1., S. 129 ff. 408  Höfling,



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten189

sprengen und zur Beantwortung der Ausgangsfrage nichts hinzutun. Deshalb seien sie an dieser Stellung nur kursorisch angeschnitten.411

A. Die Freiheitsrechte als Ausgangspunkt Die Basis dieser haftungsrechtlichen Überlegung bildet die Erkenntnis, dass letztlich hinter allen angesprochenen Fragen staatlicher Unrechtshaftung 411  Im Folgenden wird der Überbegriff der Grundrechte daher im Sinne der Freiheitsrechte verstanden. Obschon sich Freiheits- und Gleichheitsrechte gegenseitig beeinflussen und in einer komplexen Wechselwirkung stehen (Kirchhof, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, § 181, Rn. 63 ff.; Kischel, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 3, Rn. 4), ist hinsichtlich ihrer Behandlung innerhalb der staatlichen Einstandspflichten zu unterscheiden. Statt einer dem Staat zurechenbaren Freiheitsverletzung, muss eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung wesentlich Gleichen oder aber Gleichbehandlung wesentlich Ungleichen gegeben sein, um den Tatbestand auszulösen. Entscheidend manifestiert sich dieser Unterschied indes erst auf der Rechtsfolgenseite: Freiheitsrechte bedingen immer eine eindeutige Rechtsfolge, sei es Unterlassen, Beseitigung, Restitution oder Kompensation. Dem Staat verbleibt damit keine Alternative zur vom Eingriffsmodus vorgeschrieben Art der Rechtmäßigkeitsrestitution – der Rechtsverstoß muss bestmöglich ausgeglichen werden (Vgl. zur Rangordnung der Wiedergutmachungsinstrumente sogleich Dritter Teil: § 4 A.V.3., S. 225 ff.). Anders stellt sich die Situation hingegen im Bereich von Gleichheitsstörungen dar. Denn bloße Gleichheit ist „als solche (isoliert und aus sich heraus betrachtet) kein eigener Rechtswert“. Vielmehr wird „als optimaler Annäherungswert […] die gleiche Freiheit, die Freiheitsgleichheit“ angestrebt. (Dürig / Scholz, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 3, Rn. 164, 134 f.) Wie diese zu erreichen ist, bleibt dabei dem Staat überlassen (Vgl. dazu Kischel, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 3, Rn. 69). Aufgrund der inhärent relativen Natur des Gleichheitssatzes kann weder der Ausschluss, noch die partielle Begünstigung an sich als rechtswidrig angesehen werden. Vielmehr liegt der Verstoß allein in der Unterschiedlichkeit der Regelungen begründet (Vgl. BVerfGE 93, 386 (396); 105, 73 (133)). Mit einem Parallelgedanken zu gleichheitswidrigen Gesetzen, die regelmäßig lediglich eine Unvereinbarkeitserklärung mit Anpassungsvorgaben hervorrufen (vgl. schon BVerfGE 8, 28 (37); Kischel, in: Epping /  Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 3, Rn. 72 ff.; grundlegend Dietz, Verfassungsgerichtliche Unvereinbarkeitserklärungen, passim), muss der Umsetzungsspielraum des Staates auch im Rahmen der Einstandspflichten berücksichtigt werden. Insbesondere die genaue Schadensberechnung fällt dabei schwer, sofern nicht der Einschätzungsspielraum aus anderen Gesichtspunkten eingeschränkt ist. Dies ist insbesondere der Fall, sofern kein Zweifel daran besteht, dass eine Ausweitung der Begünstigung entweder dem gesetzgeberischen Willen entsprach oder aus anderen Gründen verfassungsrechtlich geboten schien (vgl. etwa BVerfGE 37, 217 (260); 85, 191 (211 f.); 115, 81 (93)). Im Regelfall jedoch werden sich im Bereich der Schadensermittlung stark einzelfallbezogene Valutierungsschwierigkeiten ergeben. Obschon das Konzept der Grundrechtshaftung also gleichermaßen auf Freiheits- wie auf Gleichheitsrechte Anwendung findet, zeigen letztere aufgrund ihrer strukturellen Besonderheiten im Einzelfall andere Schwerpunkte und Problemfelder auf.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

die freiheitsrechtliche Stellung des Bürgers steht.412 Daher sollen die Grundrechte nicht nur bei der Frage der geschützten Rechtsgüter eine Rolle spielen, sondern die gesamte Systematik der Einstandspflichten maßgeblich beeinflussen.413 Unter dem Begriff der „Grundrechtshaftung“414 werden dabei vor allem zwei Gedankenansätze diskutiert: Die haftungsrechtliche Funktionalität der Freiheitsrechte in Verbindung mit verschiedenen mittelnden „Hilfsansprüchen“, sowie eine originäre Haftung aus den Grundrechten selbst. I. Verfassungsrechtliche Vorgaben Bevor diese Grundströmungen sinnvoll skizziert werden können, ist der Frage nachzugehen, inwiefern der Wortlaut der Verfassung im Hinblick auf eine eventuelle Haftungsfunktion der Grundrechte ergiebig ist. Zunächst scheinen die freiheitsrechtlichen Bestimmungen keinerlei wörtliche Anhaltspunkte für eine eventuelle Kompensation staatlichen Unrechts zu bieten.415 Soll diese aus den Freiheitsrechten abgeleitet werden, ohne sich dem Vorwurf einer verfassungsrechtlich nicht geforderten freien Rechtsschöpfung auszusetzen, bedarf der augenscheinlich unergiebige Wortlaut einer kritischen Erläuterung. Historisch betrachtet vermag kaum zu verwundern, dass die frühe grundrechtliche Geschichte vom Gedanken einer Staatshaftung losgekoppelt war und sich daher auch keine derartigen Anhaltspunkte im Normtext fanden. Dies liegt schlicht darin begründet, dass – insbesondere in der deutschen Tradition – die Grundrechte älter sind als der Rechtsstaat. Als sie sich entwickelten, war weder der Staat als Zurechnungsobjekt weit genug gediehen, noch war überhaupt gedanklich Platz für die Kategorie von Staatsunrecht.416

412  Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Einl., Rn. 231; Röder, Haftungsfunktion, S. 147; Höfling, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 83. 413  Beispielhaft hierfür Höfling, VVDStRL 2002, 260 ff.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, passim; Röder, Haftungsfunktion, passim; in diesem Sinne bereits Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, passim. 414  Vgl. zur Entwicklung dieses erst in jüngster Zeit auch im deutschen Diskurs gebräuchlich gewordenen Begriffes Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535. 415  Vgl. Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 539. Auch Art. 14 Abs. 3 GG enthält lediglich Regelungen über die rechtmäßige Enteignung, vgl. vertieft Dritter Teil: § 1 A., S. 122 ff. 416  Dazu Heidenhain, Amtshaftung, S.  21 ff.; Löwer, Staatshaftung, S. 19 ff.; Stoll­ eis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 115; Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 540 m. w. N.; grundlegend Enders, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 13 ff.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten191

Mag diese Erklärung zwar das anfängliche Ausbleiben einer expliziten im Wortlaut verankerten Grundrechtshaftung verständlich erscheinen lassen, hätte diesem Problem wie zahlreichen anderen Versäumnissen spätestens mit Erlass des Grundgesetzes abgeholfen werden können. Zweifelsfrei hätte es diesem wohlangestanden, eine direkte Aussage über die Grundrechtshaftung wie auch die anderen Grundrechtsfunktionen zu tätigen. Hierfür erweist sich indes die Verhandlungs- und Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes als aufschlussreich und liefert wesentliche Erklärungs­ ansätze, warum eine ausdrückliche grundrechtliche Haftungsvorschrift letztlich keinen Eingang in die deutsche Verfassung gefunden hat. Dies scheint primär einer unklaren und missverständlichen Vermischung der Themenkomplexe der Beamten- und Staatshaftung geschuldet, welche die Abgeordneten vor einer klareren Regelung zurückschrecken ließ.417 Dabei wurde bis hin zum Grundsatzausschuss vertreten, eine Haftung für staatliches Unrecht habe „grundrechtsartige[n] Charakter“418 und solle, da es sich nicht um ein beamtenrechtliches Problem handelte, sondern um „ein Problem des Rechtsstaats […], um den Schutz des Staatsbürgers gegen die Allmacht der Staats­ gewalt“419, in den Abschnitt der Grundrechte eingegliedert werden.420 Bezieht man die „durchgehende sachliche Verwirrung“421 der Abgeordneten hinsichtlich der Staatshaftung im Verfassungsgebungsprozess ein, so kann aus dem bloßen Schweigen des Wortlauts der Grundrechte und dem gesetzgeberischen Willen demnach nicht entnommen werden, dass sie keinerlei Aussagegehalt bezüglich staatlicher Einstandspflichten in sich tragen. Vielmehr können die Freiheitsrechte in gewissem Sinne selbst als Ausdruck einer unmittelbaren Staatshaftung begriffen werden.422 Gleichzeitig ist aber aufgezeigt, dass die grundrechtliche Begründung staatlicher Einstandspflichten Ergebnis einer Interpretation bleibt,423 was indes deren Plausibilität unberührt lässt.424 417  Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 541 f.; Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 12; zur Entstehungsgeschichte auch BVerfGE 61, 149. 418  Leibholz (Hrsg.), JöR N.F., S. 42. 419  Leibholz (Hrsg.), JöR N.F., S. 324 f. 420  Daraus mag sich erklären, dass Art. 34 S. 1 GG bis zum heutigen Tage als „grundrechtsgleiches Recht“ charakterisiert wird, vgl. nur Stern, Staatsrecht III / 1, S.  378 m. w. N. 421  So Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 543. 422  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 89 f. 423  Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 540. 424  Problematisch ist bereits im Ausgangspunkt, den Wortlaut als Grenze heranzuziehen, da er zugleich den Gegenstand der Auslegung bildet. Dem ließe sich bereits das Beispiel der falsa demonstratio entgegenhalten, die im Ausnahmefall auch eine Auslegung von Willensäußerungen gegen deren Wortlaut zulässt. Dazu Jestaedt, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 49, 60. Dies gilt umso stärker für das Verfassungs-

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

II. Grundrechtliche Fundierung der Abwehransprüche Der offene Wortlaut, also die Tatsache, dass „die Grundrechtsbestimmungen des GG […] ihrer Wortfassung und Sprachgestalt nach Lapidarformeln und Grundsatzbestimmungen, die aus sich selbst inhaltlicher Eindeutigkeit weithin entbehren“425, macht eine Auslegung zur Ermittlung ihres Schutzgehalts unabdingbar.426 Nach heute soweit ersichtlich nicht mehr bestrittener Auffassung dienen Grundrechte primär als Abwehrrechte gegen den Staat.427 Diese primäre Charakteristik geht auf die historische antitotalitäre Grund­ tendenz des Verfassungsgebers zurück, der bestimmte Freiheitssphären des Bürgers bestmöglich gegen staatliche Zugriffe schützen wollte.428 Auch heute imperativ bleibt nicht zuletzt aufgrund der geschichtlichen Vorbelastung das an den Staat gerichtete Gebot, „die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt [zu] sichern“429. In dieser basalen Feststellung erschöpft sich aber der Konsens bereits: Kommt es zu Einzelfragen der Reaktionsfähigkeit der Freiheitsrechte, ergibt sich ein diffuses und uneinheitliches Bild.430 Zwar besteht weit überwiegend Einigkeit dahingehend, der grundrechtliche Abwehrgehalt sei als Hauptfunktion keiner Modifikation, Relativierung oder Abänderung zugänglich.431 Jede weitere, darüber hinaus gehende Funktion ist Gegenstand kontroverser Diskussionen: So wird zuweilen vorgebracht, die Grundfreiheiten stellten lediglich „einen durch ein Bündel normativer Enthaltungspflichten der Verwaltung gesetzlich umrissenen Zustand [dar], der als solcher kein subjektives, gerecht, in dessen knapper und allgemeiner Natur es begründet liegt, dass „dessen Rechtssätze das Gemeinte oft nur andeuten“. Kirchhof, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 71, 78. 425  Böckenförde, NJW 1974, 1529. 426  Ipsen, Grundrechte, Rn. 92; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 109; vgl. auch Röder, Haftungsfunktion, S. 217; dazu grundsätzlich Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 1 ff. 427  Stern, Staatsrecht III / 1, S. 530 ff. m.N.; ebenso Ipsen, Grundrechte, Rn. 55; Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 43; dass es sich um subjektive Rechte handle, ergäbe sich schon aus Art. 19 Abs. 4 GG, vgl. Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 83. 428  Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 32. 429  St. Rspr. BVerfGE 7, 198 (204); 50, 290 (337); 68, 193 (205); Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 144. 430  Vgl. auf die Unsicherheiten und den Klärungsprozess der grundrechtlichdogmatischen Terminologie hinweisend Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 55; vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 81. 431  Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 31 m. w. N. Teilweise wird den Grundrechten jedoch selbst abgesprochen, Unterlassungsansprüche hervorbringen zu können, vgl. Hoffmann-Becking, JuS 1972, 509, 510; Laubinger, VerwArch 1989, 261, 289 ff.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten193

schweige denn absolutes Recht [sei], sondern bestenfalls bei Verletzung subjektive Rechte erzeug[e].“432 In einer Parallele zum Zivilrecht will man in der Freiheitssphäre kein durchsetzbares Recht sehen, sondern einen reinen Status, aus dem allein auch grundsätzlich keine Rechte ableitbar s­ eien.433 Nun ist es sicherlich zutreffend und sinnvoll, zwischen den durch den Hoheitsakt beeinträchtigten Rechten und dem aus dem Eingriff erwachsenden Anspruch zu differenzieren.434 So sind das rechtliche Verbot auf der einen Seite und seine Reaktion auf seine Verletzung auf der anderen klar voneinander zu trennen.435 Zweifelhaft ist indes, daraus einen Rückschluss dahingehend zu ziehen, das (Grund-)Recht könne nicht als Basis für Ansprüche dienen: Denn das Verbot und der folgende Reaktionsanspruch können ohne weiteres derselben Norm – vorliegend den Grundrechten – entspringen.436 Im Geiste der zivilistischen Parallele bleibt dabei die Frage, ob die Abwehransprüche allein aus dem verletzten Grundrecht resultieren oder ihrerseits einer „Umschaltnorm“ bedürfen437 – anders gewendet, ob trotz der grundrechtlichen Verwurzelung eine einfach-rechtliche Konkretisierung notwendig ist.438 Wäre dies der Fall, läge es allein am Gesetzgeber und den Richtern, eventuelle Hilfsrechte und Ansprüche im Rahmen der grundrecht­ lichen Vorgaben zu entwickeln.439 432  Rupp,

Grundfragen, S. 164. VerwArch 1989, 261, 291; Rupp, Grundfragen, S. 162 ff.; a.  A. aber unter vielen Stern, Staatsrecht III / 1, S. 530 ff. m.N.; Ipsen, Grundrechte, Rn. 55; Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 43. 434  Heidenhain, Amtshaftung, S. 139; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 78; Rupp, Grundfragen, S. 158 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 234 ff.; vgl. auch Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 87. 435  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 4. 436  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 4; Schoch, VerwArch 1988, 1, 35. 437  Laubinger, VerwArch 1989, 261, 292. In diese Richtung auch Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 4, der einen direkten Rückgriff auf die Grundrechte für problematisch hält; es fehle „für die speziell verwaltungsprozessuale Störungsabwehr das dogmatische „Zwischenglied“. Siehe auch Naumann, in: GS für W. Jellinek, S. 391, 391 ff. 403 ff. Wohl zustimmend Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 145; Stern, Staatsrecht III / 1, S. 671 ff.: Im Falle einer Beeinträchtigung soll sich zwar ein negatorischer Anspruch ergeben, der indes nicht das Abwehrrecht als solches ausmacht, sondern nur dessen Rechtsfolge – seine Hilfsrechte – darstellt. Das Abwehrrecht als Teilfunktion des Grundrechts liegt den einzelnen Ansprüchen zugrunde und lässt diese entspringen. 438  Hain, VerwArch 2004, 498, 512. 439  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 5; Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider /  Bier (Hrsg.), VwGO, Einl., Rn. 231; vgl. Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aß433  Laubinger,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Selbst Vertreter der Auffassung, die Grundrechte böten keine ausreichende Basis für die Anspruchsherleitung, erkennen aber das evidente Schutzbedürfnis und versuchen deshalb eine bereits bestehende Hilfsnorm heranzuziehen. Da allerdings keine dem § 1004 BGB vergleichbare Regelung des öffentlichen Rechts zur Verfügung steht, wird kurzerhand auf einen ungeschriebenen „allgemeinen Rechtsgedanken“ zurückgegriffen: „Droht ein Eingriff in ein Grundrecht, so kann dessen Inhaber die Unterlassung des Eingriffs verlangen, sofern er nicht zur Duldung des Eingriffs verpflichtet ist.“440 Zweifelhaft ist indes, ob eine solche Ansicht überzeugen kann: Über die unzureichende Begründung der behaupteten Hilfsnorm hinaus erschließt sich nicht, worin der Mehrwert liegen soll, die Grundrechte restriktiv inhaltlich zu „entleeren“, nur um dann aus einem ungeschriebenen Grundsatz deren Abwehrinhalt herzuleiten.441 Die Hilfskonstruktion scheint primär dazu zu dienen, die Ansprüche auf einfachgesetzlicher Ebene zu verorten und somit verfassungsrechtlichen Bindungen oder einem Konflikt mit dem BVerfG zu entgehen.442 Dies ist jedoch weder zulässig noch überzeugend.443 Die Wehrhaftigkeit der Grundrechte darf nicht aus fadenscheinigen Gründen von einer ungeschriebenen, der Disposition des einfachen Gesetzgebers unterstehenden Norm abhängig gemacht werden.444 Denn wiese diese selbst Lücken auf, stünde der Status negativus gänzlich schutzlos als „nackter Programmsatz“445 dar. Gleichsam widerspricht der Gedanke, Grundrechten jegliche anspruchsbegründende Funktion abzusprechen, diametral deren Schutzzweck.446 So ergibt eine systematische Zusammenschau von Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG und der prozessualen Durchsetzungsmöglichkeit der Verfassungsbemann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 83 ff.; Höfling, VVDStRL 2002, 260, 269 f.; grundlegend auch Schoch, VerwArch 1988, 1, 34 ff. 440  Laubinger, VerwArch 1989, 261, 292; ähnl. auch Bettermann, DÖV 1955, 528, 536. 441  In der Tat gibt sogar Laubinger, VerwArch 1989, 261, 293 selbst zu, dass es „für das praktische Ergebnis keinen nennenswerten Unterschied macht, ob Unterlassungsansprüche unmittelbar und ausschließlich aus dem bedrohten Grundrecht hergeleitet werden oder ob dazu […] zusätzlich eine dem § 1004 BGB vergleichbare ‚Umschaltnorm‘ herangezogen wird.“ 442  Diese Tendenz ist bei Laubinger, VerwArch 1989, 261, 293 deutlich erkennbar. Kritisch daher Röder, Haftungsfunktion, S. 219. 443  Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 198; Röder, Haftungsfunktion, S. 220. 444  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 237; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 82; Schoch, VerwArch 1988, 1, 35. Bemüht man das Argument bereits beispielhaft im Rahmen des offenen, verfassungsrechtlichen Berufsbegriffs (dazu nur Scholz, in: Maunz / Dürig (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 33 ff.), so muss dieses bei einer derartig weiten Einschränkung umso stärker beachtet werden. 445  Röder, Haftungsfunktion, S. 220. 446  Ipsen, Grundrechte, Rn. 91; pointiert auch Röder, Haftungsfunktion, S. 218.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten195

schwerde, dass der Bürger kraft seiner Grundrechte ein Tun oder Unterlassen vom Staat verlangen kann.447 Gerade die Abwehransprüche bilden „das Zentrum der Grundrechte“448 und sind zwingend nötig, um den Status negativus anspruchsbewährt adäquat zu schützen. Daher ist zu konstatieren, dass die Grundrechte selbst Schutzansprüche gewähren, sobald der Schutzbereich gefährdet wird.449 III. Die Reichweite des grundrechtlichen Schutzes Werden die Grundrechte zutreffend als Basis der Reaktionsansprüche anerkannt, bleibt klärungsbedürftig und höchst umstritten, welche Reichweite diesen Schutzansprüchen zukommt. Denn allein die Feststellung, dass Grundrechte anspruchsbegründende subjektive Rechte sind, lässt keine hinreichenden Rückschlüsse auf die konkreten Verletzungsreaktionen zu – sie bildet vielmehr ihre inhaltlich unbestimmte, aber notwendige Grundbedingung.450 Bisher beschränkt sich der deduzierte Aussagegehalt darauf, dass ein Individualrecht prozessualen Schutz gegen Verletzungen genießt. Der materiale Gehalt – also die inhaltliche Bestimmung der Reaktionsrechte im Verletzungsfall – ist aber trotz seiner engen Verwobenheit hiervon zu unterscheiden.451 Welche Vorgaben aber können den Grundrechten hinsichtlich ihres materialen Schutzgehalts entnommen werden?452 Die Antwort hierauf ist weniger in einer kollektiven Gesamtschau aller Grundrechte zu suchen, denn in einer Auslegung des Gehalts eines jeden einzelnen Grundrechts. Dabei sind die Schutzansprüche als Rechtsverletzungsreaktion zu begreifen: Die Freiheitsrechte als öffentliche subjektive Rechte reagieren auf ihre Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 157. Staatsrecht III / 1, S. 555; Ipsen, Grundrechte, Rn. 56. 449  Stern, in: Stern / Becker (Hrsg.), Grundrechte, Einl., Rn. 33 ff. m. w. N.; So auch Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 83. Grundlegend Poscher, Abwehrrechte, passim; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, passim. Die Rechtsprechung gibt sich nicht eindeutig, lässt aber ebenfalls Tendenzen erkennen, die Grundrechte als Basis der Abwehransprüche zu betrachten, vgl. BVerfGE 7, 230 (238); 35, 79 (113); allerdings zurückhaltend in BVerfGE 61, 82 (113). Zusammenfasend Stern, Staatsrecht III / 1, S. 563: Es sei keine Klarheit über die dogmatischen Strukturen des Abwehrrechts angesichts der Vielfalt der bundesverfassungsgericht­lichen Ansätze zu erkennen. Dies könne das Gericht jedoch in Kauf nehmen, da es in seinen Entscheidungen primär eben nur auf die Kassation eines rechtswidrigen Aktes ankäme, nicht aber auch eine positive Handlungsverpflichtung. Stern, Staatsrecht III / 1, S. 556. 450  Stern, Staatsrecht III / 1, S. 533, 558; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 157, 161 f. 451  Zur Begrifflichkeit Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 162 f. 452  Vgl. auch Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 45 f. 447  Vgl.

448  Stern,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Verletzung mit einem inhaltlich umgekehrt kongruenten Anspruch des Bürgers gegen den Staat.453 Besonders deutlich zeigt sich diese Funktionsweise an den auch in der geltenden Rechtsprechung anerkannten Primärrechtsschutzinstrumenten.454 Zu untersuchen ist darüber hinaus, ob sich dieser Grundsatz auf staatshaftungsrechtliche Problemstellungen übertragen und sich damit die Lücke im Staatshaftungsrecht systematisch konsistent schließen lässt. Diese Überlegungen fußen auf der Erkenntnis, der auf denselben Rechtsgrund zurückgehende grundrechtliche Abwehrgehalt könne sich auf verschiedenen Ebenen manifestieren.455 Die im Folgenden näher zu erläuternde „Rechtsgrundidentität und Funktionsparallelität“456 der Schutzansprüche bildet daher die tragende Erkenntnis zur grundrechtlichen Rekonstruktion des Staatshaftungsrechts.457 1. Unterlassen und Folgenbeseitigung Wie dargestellt ist die Diskussion um die Rechtsgrundlage des Unterlassens-, sowie des Folgenbeseitigungsanspruches selbst nach jahrzehntelanger Debatte nicht zum Erliegen gekommen.458 Eine zunehmend breitere Front aus Jurisprudenz und Rechtsprechung will beide Institute als Ausprägungen eines einheitlichen Schutzanspruches begreifen,459 dessen verfassungsrechtliche Haftungswurzel in den einen Raum an Freiheit von Fremdbestimmung gewährenden Grundrechten liegt.460 Die gemeinsame Leitlinie gibt der durch hoheit453  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 164 ff.; ähnl. bereits Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 196, der von einem „Reaktionsanspruch gegen den grundrechtsverletzenden“ Staat schreibt. Allgemeiner Schoch, VerwArch 1988, 1, 35; Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 5; Röder, Haftungsfunktion, S.  199 ff. m. w. N. 454  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 164; vgl. Rupp, DVBl. 1972, 232; Morlok, DV 1992, 371, 379, nach denen dieser Grundgedanke exemplarisch in der Anfechtungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO als kodifiziertem „verallgemeinerungsfähigem Prototyp“ zum Ausdruck kommt. Siehe auch Zweiter Teil: § 1 B.II.1., S. 49. 455  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 84 f.; Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Einl., Rn. 230. 456  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 268 in Anlehnung an Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Einl., Rn. 230, vgl. auch Röder, Haftungsfunktion, S. 147. 457  Vgl. Röder, Haftungsfunktion, S.  212 ff. m. w. N. 458  Siehe unter Zweiter Teil: § 1 B.II.1.b)(1), S. 52 ff.; so auch Breuer, Staatshaftung, S. 130. 459  Dazu nur Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  352 ff. m. w. N. 460  Grundlegend dazu Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, S. 72 ff. m. w. N.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten197

liches Handeln ungestörte Status negativus vor, der durch die verschiedenen abwehrrechtlichen Ansprüche geschützt und aufrecht erhalten werden soll.461 Da Kerngehalt eines jeden Rechts ist, dieses behalten und von ihm Gebrauch machen zu können,462 bildet die „seit jeher im Grundsatz unange­ fochtene“463 Folge des grundrechtlichen Abwehrrechts der Unterlassungsanspruch.464 Droht eine (weitere) Beeinträchtigung, reagiert das Freiheitsrecht demnach durch die Zurverfügungstellung dieses ureigenen Abwehranspruchs465 – dem Gegenstück der an den Staat adressierten grundrechtlichen Unterlassungspflicht.466 Der breite Konsens scheint sich aber bereits beim klassisch verstandenen Folgenbeseitigungsanspruch zu verlieren, der aufgrund seiner weiten Auslegung zutreffender als verkürzter Restitutionsanspruch beschrieben wird467 und regelmäßig auf die Herstellung eines gleichwertigen Status quo ante zielt.468 In Zweifel gezogen wird – insbesondere in Abgrenzung von einem allgemeinen Wiedergutmachungsanspruch469 – ob eine dergestalt weite Rechtsfolge noch aus der abwehrrechtlichen Zielsetzung der Grundrechte ableitbar ist. a) Transformationstheorien Charakterisiert man den Beseitigungsanspruch indes als rein negatorischen Anspruch, der nicht etwa auf die Wiederherstellung des Status quo ante zielt, sondern lediglich auf Störungsbeseitigung,470 so kann man diesen als eine Art „Surrogat“ oder „Ausfluß“ des Unterlassungsanspruchs begreifen.471 Die 461  Höfling,

VVDStRL 2002, 260, 270 f. Öffentliches Haftungsrecht, S. 23 ff., 58 ff. 463  Stern, Staatsrecht III / 1, S. 671, 680; vgl. auch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S.  41 ff. 464  Vgl. nur Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 83 f.; Höfling, VVDStRL 2002, 260, 270; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 57 ff.; Stern, Staatsrecht III / 1, S. 680 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 208 ff.; Röder, Haftungsfunktion, S.  223 m. w. N. 465  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 164; Höfling, VVDStRL 2002, 260, 270. 466  So bereits Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 196. 467  Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 386. 468  Darauf weist zu Recht Höfling, VVDStRL 2002, 260, 272 hin; bereits Schoch, VerwArch 1988, 1, 48. 469  Siehe dazu sogleich unter Dritter Teil: § 4 C.I., S. 239 ff. 470  Grundlegend Müller, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche im Verwaltungsrecht, S. 58 ff.; anschließend Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 198 ff. 471  Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 196; Schoch, VerwArch 1988, 1, 36; Rüfner, in: Erichsen / Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 49, Rn. 22; Weyreuther, Gutachten B zum 462  Kreßel,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

eng umgrenzte Beseitigungspflicht ersetzt dabei nicht etwa die Pflicht zur Unterlassung, sondern bildet ein Mittel, um dieser nachzukommen.472 Beide Ausprägungen könnten daher unter dem allgemeinen Terminus des grundrechtlichen Unterlassungsanspruchs zusammengefasst werden.473 Eine solche Gleichsetzung bleibt unter Zugrundelegung der überwiegend anerkannten Reichweite des Folgenbeseitigungsanspruchs mit restitutorischem Charakter jedoch verwehrt, sodass der Frage nachgegangen werden muss, inwiefern sich auch dieser aus den Grundrechten ableiten lässt.474 Nun bietet die Rechtsordnung eine breite Möglichkeit an Handlungsoptionen, um auf eine Grundrechtsverletzung zu reagieren; eine Folgenbeseitigung scheint deshalb nicht zwingend. Denn anders als die Unterlassung einer Störung, zu der sich keine mit dem abwehrrechtlichen Gehalt der Grundrechte vereinbare Alternative ergibt, scheint eine partielle Restitution auf den ersten Zugriff weniger naheliegend.475 Deshalb wird vorgeworfen, sie direkt aus den Grundrechten ableiten zu wollen, schränke den Gesetzgeber in seiner Ausgestaltungsfreiheit unzulässig ein.476 Aufgrund dieser Kritik wurde versucht, den Folgenbeseitigungsanspruch aus dem „gesicherten“ Unterlassungsanspruch abzuleiten und damit das Problem einer unmittelbaren Fundierung in den Freiheitsrechten zu um­ gehen. So soll sich der gegebene Unterlassungsanspruch im Falle einer eingetretenen Störung in ein Forderungsrecht des Bürgers auf Beseitigung transformieren.477 Eng verknüpft wird teilweise angenommen, anstelle des untergegangen Unterlassungsanspruch trete der partiell-restitutorische Anspruch.478

47. DJT, S. 85: Der Folgenbeseitigungsanspruch sei nichts anderes als ein „umgewandelter, ein der geschehenen Rechtsverletzung angepasster Unterlassungsanspruch“. Dem Anspruch auf Unterlassen wohne eine gewisse Anwartschaft inne, zum Leistungsanspruch überzugehen (S. 87). 472  Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 198 f. 473  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 271; ähnl. auch Rüfner, in: Erichsen / Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 49, Rn. 22. 474  Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 198 f. 475  Vgl. nur Baumeister, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 80 f.; Hoffmann-Becking, JuS 1972, 509, 511 f.; OVG NW, NJW 1986, 953 f.; unklar in diesem Zusammenhang BVerwGE 69, 366 (371). 476  Baumeister, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  80  f.; Knoke, Rechtsfragen der Rücknahme, S. 125; in diese Richtung auch Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S.  335 ff. 477  So zuvörderst Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 137 ff. 478  Redeker, DÖV 1987, 194, 197.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten199

Zweifelhaft bleibt, worin dieser „ominöse“479 Anspruchswandel letztlich begründet liegt – warum die Tendenz zur Werterhaltung480 eine solche Folge haben soll, wird schlicht nicht ausreichend erläutert.481 Auch aus dem geltenden Recht ergibt sich keine notwendige Transformationsnorm:482 Wenig zielführend erweist sich dabei der unterstützende Rückgriff auf Art. 19 Abs. 4 GG,483 der zwar grundsätzlich postuliert, dass die Grundrechte justizförmigem Schutz unterliegen, aber keine darüber hinausgehenden Aussagen enthält, welche materiell-rechtlichen Ansprüche dem Bürger zustehen.484 Das Offenlassen der Herleitung einer Transformationsnorm bedeutet jedoch im Ergebnis nur eine Verlagerung der ursprünglichen Problemstellung. Daher bieten die Wandlungslösungen für sich genommen keinen dogmatischen Mehrwert – vielmehr bleibt es notwendig den Anspruch aus dem grundrechtlichen Bedeutungsgehalt selbst zu begründen.485 b) Parallelität der Ansprüche Ausgangspunkt bleiben muss somit das Grundrecht selbst als Bündel von Positionen unterschiedlichen Inhalts und unterschiedlicher Struktur.486 Wie 479  Hain,

VerwArch 2004, 498, 505. Gutachten B zum 47. DJT, S. 143. 481  Selbst wenn man eine inhärente „Labilität“ des Unterlassungsanspruchs mit Weyreuther annimmt, wird nicht klar, warum eine Umwandlung die zwingende Folge der Rechtsordnung sein sollte, vgl. Hoffmann-Becking, JuS 1972, 509, 511 f.; Baumeister, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 83 ff.; Knoke, Rechtsfragen der Rücknahme, S. 125. 482  Erichsen, VerwArch 1972, 217, 220 f.; Redeker, DÖV 1987, 194, 197; Hain, VerwArch 2004, 498, 505. 483  So aber beispielsweise Köckerbauer, JuS 1988, 782, 783 m. w. N. zur Unterstützung der Wandlungsthese Weyreuthers. 484  BVerfGE 35, 263 (274); 41, 23 (26); vgl. BVerfG, NVwZ 1998, 271  f.; Schmidt-Aßmann, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 4 f., 282; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 64. 485  In diesem Sinne auch die Kritik von Rupp, Grundfragen, S. 263 f. Ähnl. Laubinger, VerwArch 1989, 261, 289 ff. Insofern erscheint auch die Kritik von Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 107 verfehlt, Art. 12 Abs. 1 GG würde ex nihilo zu einem Anspruch auf Entschädigung gewandelt. 486  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 171 ff. Nicht überzeugen kann daher beispielsweise der Ansatz von Lindner, Grundrechtsdogmatik, S. 509, der konstatiert, der Reaktionsanspruch ließe sich zwar nicht aus den Grundrechten selbst begründen, wohl aber aus Art. 1 Abs. 3 GG. Dieser postuliere nicht allein ein umfassendes Bindungsgebot an die Grundrechte, sondern darüber hinaus auch ein durch seine Missachtung ausgelöstes implizites Kompensationsgebot. Anschließend auch Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 132. Näher besehen bedient sich diese Argumentationslinie indes eines Zirkelschlusses, denn die Bindung an die Grundrechte kann 480  Weyreuther,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

diese im Einzelnen ausgestaltet sind und welche Ansprüche sich aus ihnen ergeben, kann letztlich nur anhand teleologischer Überlegungen ermittelt werden, die sich am Zweck der Freiheitsrechte orientieren.487 Denn wie besehen lassen allein Wortlaut, Systematik und die ambigue Entstehungsgeschichte mehrere Deutungsmöglichkeiten zu, sodass diese über das Telos konkretisiert werden müssen.488 Nun mag kritisiert werden, mit „der Teleologie freilich erlang[e] man ein Argument in die Hand, das sich leicht zu einem Passepartout umfunktionieren [ließe]“489 und dem deshalb mit Vorsicht zu begegnen sei. So sei der objektiven, von der „vernünftigen“ Bedeutung und dem Willen des Gesetzes490 geleiteten Interpretation die Gefahr immanent, dass nicht etwa das Gesetz klüger als der Gesetzgeber gesehen wird, sondern vielmehr der Interpret sich selbst als weiser dünkt und sich damit in der Ermittlung des Zweckes gegenüber dem Parlament frei fühlt.491 Die „ ‚objektive‘ Auslegung [sei häufig] daher tatsächlich Rechtssetzung“, gekennzeichnet vom Aufschwung von „Dienern zu Herren des Gesetzes“492. In Wahrheit ginge es nur darum, aus dem Normtext zu deduzieren, was der Rezipient vorher in ihn hineingelesen hat.493 Diese Einwände können indes eine teleologisch geleitete Auslegung nicht a priori diskreditieren.494 Denn eine Auslegungsmethode allein aufgrund der Gefahr ihres Missbrauchs unangewendet zu lassen, gliche einem Luxus, der sich insbesondere bei den grundlegenden Bestimmungen der Verfassung verbietet. Hingegen ist der warnende Appell durchaus ernst zu nehmen: Keinesfalls darf der Interpretationsprozess etwa allein vom gewünschten Ergebnis geleitet sein; die Rechtsfolgen müssen sich, um Legitimation zu schaffen und eine systematische Aufarbeitung zu ermöglichen, aus dem Zweck der Rechtsgrundlage, den Freiheitsrechten, selbst ergeben.495 Dabei soll weder in e­ inem „Verfassungsrausch“, die normative Wirkkraft des Grundgesetzes überfordert, noch dieses „zum Vehikel tagespolitischer Forderungen oder Wünschbarkeiten“ umfunktioniert werden.496 Denn auch die angestrebte teleologischschlicht nicht über das hinausgehen, was den Grundrechten selbst als Reaktionsgehalt immanent ist. Vgl. dazu Breuer, Staatshaftung, S. 131 f. 487  Vgl. auch Schoch, VerwArch 1988, 1, 35. 488  Zu den besonderen Schwierigkeiten bei der Auslegung von Grundrechten, Stein, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Richterstaat, S. 83, 87. 489  Breuer, Staatshaftung, S. 133. 490  BVerfGE 34, 288; Röhl / Röhl, Rechtslehre, S. 628. 491  Röhl / Röhl, Rechtslehre, S. 629 f. 492  Röhl / Röhl, Rechtslehre, S. 631. 493  Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 483 f. 494  Vgl. ebenfalls unten Fünfter Teil: § 2 A., S. 316 ff. 495  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 15 f., 26, 117. 496  Schneider, VVDStRL 1985, 7, 17, 36.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten201

objektive Auslegung bewegt sich im Rahmen des möglichen Wortsinns der Grundrechte497 und findet nur deshalb Anwendung, da eine subjektive Auslegung wie dargestellt nicht ergiebig ist und keine abschließende Antwort auf die Problemstellung geben kann.498 Die Suche nach dem erkennbaren Zweck und dem Grundgedanken der Regelung499 erweist sich aber allemal methodenehrlicher als die Tendenz, mit nebulösen Formulierungen zu verschleiern zu suchen,500 dass ein zwingender, rein logischer Rückschluss vom Statusrecht auf einen entsprechenden Anspruch nicht möglich ist.501 So scheint auch im Hinblick auf die übrigen Auslegungskriterien zutiefst problematisch, von einer „logischen Interpretation“ zu sprechen: Denn diese müssen sich denknotwendig wie auch die teleologische Auslegung „nicht geringe Freyheiten herausnehme[n]“502. Weder die grammatikalische, noch die systematische oder historische Auslegung sind daher über jeden Zweifel erhaben – vielmehr sind auch sie in sich selbst aporetischer Natur und können immer bestritten werden.503 Letztlich ergibt sich sogar die weitestgehend unbestrittene Abwehrfunktion nicht zwingend aus dem Wortlaut, sondern basiert ebenfalls auf einer axiomatisch zugrunde gelegten Annahme über den Zweck der Grundrechte.504 Häufig wird dennoch versucht, zumindest den bloß „täuschenden Schein logischer Sicherheit“505 aufrecht zu erhalten. Dieser ist aber weder notwendig noch zielführend: Denn die Rechtsinterpretation hat sich an den gegebenen Normen zu orientieren, darf aber nicht auf logisch zwingende Schlüsse dazu Zippelius, Methodenlehre, S. 48. Methodenlehre, S. 153; Röhl / Röhl, Rechtslehre, S. 632. Zippelius, Methodenlehre, S. 51 weist zu Recht darauf hin, dass regelmäßig Zwecke aus dem Gesetz „selbst und seiner Entstehungsgeschichte meist nur in mehr oder minder unscharfen Umrissen zu entnehmen“ seien. Insofern wenden auch die Kritiker einer teleologischen Auslegung diese selbst in gewisser Weise an, indem sie den Grundrechten implizit das Telos zuschreiben, keine staatshaftungsrechtlichen Ansprüche begründen zu können. 499  Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 153. 500  So wurde vertreten, aus dem rechtswidrigen Eingriff „entstehe“, „erwachse“, „entspringe“ oder „fließe“ der jeweilige Anspruch, z. B. Heidenhain, Amtshaftung, S. 139; Baumeister, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 108; Ebsen, DVBl. 1987, 389, 393. 501  Hoffmann-Becking, JuS 1972, 509, 511; Rupp, Grundfragen, S. 171; Schoch, VerwArch 1988, 1, 35; Röder, Haftungsfunktion, S. 219; Hößlein, Judikatives Unrecht, S.  86 f. 502  von Savigny, Römisches Recht, S. 320. 503  Vgl. Breuer, Staatshaftung, S.  17  ff. Dazu auch Kriele, Rechtsgewinnung, S. 35. 504  Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 216. 505  von Savigny, Römisches Recht, S. 323. 497  Vgl.

498  Larenz / Canaris,

202

3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

begrenzt werden.506 Nähme man eine solche Einschränkung an, entzöge man dem Recht nahezu vollständig seine Dynamik und Problemlösungsfähigkeit – so erweist sich bei Lichte besehen in einer pluralistischen Gesellschaft kaum eine Interpretation als alternativlos: Das Recht und insbesondere die Verfassung bilden eben „kein geschlossenes System mathematischer Axiome“507 und sind damit wie kaum eine andere Wissenschaft auf teleologische Erwägungen angewiesen.508 Es ist demnach verfehlt, die Norminterpretation als reines „Rechnen mit Begriffen“509 zu verstehen. Gerade die „Grundrechtsbestimmungen [sind] keine Obersätze, die nur noch mit den Mitteln der Logik auf bestimmte Tatbestände angewandt werden müßten.“510 Vielmehr hat die „Auslegung […] den Charakter eines Diskurses, in dem auch bei methodisch einwandfreier Arbeit nicht absolut richtige, unter Fachkundigen nicht bezweifelbare Aussagen dargeboten werden, sondern Gründe geltend gemacht, andere Gründe dagegengestellt werden und schließlich die besseren Gründe den Ausschlag geben sollen.“511 Dabei soll aus einer Vielzahl von durch den Wortausdruck gedeckten Bedeutungen „die richtige und maßgebende“512 ausgewählt werden, denn es kommt nur in absoluten Ausnahmefällen vor, dass bereits aus grammatikalischer Perspektive allein eine Interpretation ersichtlich scheint.513

506  Knoke, Rechtsfragen der Rücknahme, S. 125  f.; Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 21 m. w. N. In diesem Sinne auch Schoch, VerwArch 1988, 1, 35; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 65; Röder, Haftungsfunktion, S. 219. 507  So Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  74; Stein, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Richterstaat, S. 83, 91. Dies gibt auch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 76 f. für seinen Ansatz zu; in diese Richtung auch Luhmann, Entschädigung, S. 92. Damit kapituliert man aber nicht etwa vor den Anforderungen einer stringenten Ableitung, sondern zieht lediglich die notwendige Konsequenz einer Wissenschaft, die auf inhaltlich-wertenden Gedankengängen gegründet ist, vgl. Schoch, VerwArch 1988, 1, 35. 508  Hollerbach, VVDStRL 1963, 80, 101; Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 182: Insbesondere die Verfassung sei „notwendig, ja gerade ‚existentiell‘ auf verstehende Interpretation angelegt und angewiesen“. 509  von Gierke, Staatsrecht, S. 10. 510  Stein, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Richterstaat, S. 83, 91. 511  BVerfGE 82, 38 f. 512  Kohler, Lehrbuch, S. 125; vgl. auch Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, S.  80 ff. 513  Vgl. Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 151. Schlehofer, in: FS U. König, S. 393, 396 weist darauf hin, dass es regelmäßig keine letzte Wahrheit bei der Auslegung gibt – vielmehr muss häufig ein hinreichend konsentiertes Ergebnis ausreichen. Dazu auch Hart, Georgia Law Review 1977, 969 ff., nach dem es keine Möglichkeit eines intersubjektiven Nachweises des „richtigen“ Auslegungsergebnisses geben



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten203

Eben hierin wird jedoch häufig die entscheidende Schwäche der objektiven Auslegung gesehen. So könnten je nach Betonung der Interpretationsaspekte verschiedene Ergebnisse rechtfertigbar erscheinen.514 Einen Rückfall in die Lehre der Topik, der „die Auslegungselemente als bloße Gesichtspunkte (Topoi) plausibler Entscheidungsbegründung“515 ansieht, gilt es aber trotz aller aus dem offenen Wortlaut resultierenden Unklarheiten zu vermeiden.516 Nun wird die teleologische Auslegung nicht nach gewünschtem Ergebnis, sondern nur herangezogen, wenn und sofern die anderen Auslegungsmethoden keine hinreichend belastbaren Aussagen erlauben. Es geht nicht darum, die Auslegungsmittel in Wahrheit nur dazu zu missbrauchen, „nachträglich aus dem Text zu begründen, was in schöpferischer Ergänzung des Textes bereits gefunden war“517. Um diese Einwände zu entkräften, muss der Zweck des Gesetzes bestmöglich und nachvollziehbar begründet werden.518 Wichtig ist dabei eine transparente Offenlegung und Diskussion des für den juristischen Prozess als hermeneutischem notwendigen Vorverständnisses, das die untrennbare Verwobenheit von Auslegung und Applikation angemessen berücksichtigt.519 Dabei sollte klar zwischen rechtspolitischen „Vorurteilen im schlechten Sinne und [nötigem] Vorverständnis“520 differenziert werden. Die Angewiesenheit auf ein Vorverständnis zur Zweckermittlung der Normen ist aber nicht etwa eine Schwäche der objektiven Interpretation, sondern schlicht unvermeidbar.521 So kann insbesondere die Interpretation der kann. Dies führt indes nicht zu beliebigen oder ermessensabhängigen Ergebnissen. Vgl. dazu Dworkin, Taking rights seriously, S. 280. 514  Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 25 f. m. w. N. Eben dies soll aber durch die sogleich zu erläuternde Zugrundelegung des Vorverständnisses vermieden werden. Denn sind auch verschiedene Vorverständnisse und daraus resultierende teleologische Erwägungen möglich, ist innerhalb eines Vorverständnisses durchaus die asymptotische Annäherung an das systemimmanente „richtige“ Ergebnis möglich. Dazu Alexy, ZphF 1989, 81, 89 ff. und anschließend Langenbucher, Richterrecht, S. 39. 515  Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 27; Viehweg, Topik und Jurisprudenz, passim. 516  Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 28. 517  Radbruch / Zweigert, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 169. 518  Schlehofer, in: FS U. König, S. 393, 407. 519  Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 29; Wank, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 250. Grundlegend Betti, Auslegungslehre, passim; Gadamer, Wahrheit und Methode, passim. 520  Esser, JZ 1975, 555. 521  Böckenförde, NJW 1974, 1529. Vgl. zur Zeit- und Kulturbezogenheit der Norminterpretation Kirchhof, in: Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11, 23.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Grundrechte und ihres Telos nicht ohne Verfassungsvorverständnis erfolgen:522 „Es bedarf insoweit deshalb einer Grundrechtstheorie, die den Sinn, das normative Ziel und den Inhalt der Grundrechte in einem rational nachprüfbaren Verfahren bestimmt“523. Die „Interpretation der Grundrechte von einer Grundrechtstheorie her ist so nicht eine ‚ideologische‘ Zutat des jeweiligen Interpreten, die bei korrekter Anwendung der juristischen Interpretationsmittel vermeidbar wäre. Sie hat ihre Grundlage in dem […] lapidaren und, gesetzestechnisch gesehen, durchaus fragmentarischen Charakter der Grundrechtsbestimmungen. Teleologische Sinn- ebenso wie systematische Interpretation dieser Bestimmungen können letztlich nicht anders als aus einer bestimmten Grundrechtstheorie heraus erfolgen.“524 Damit ist die Anwendung einer am Sinn und Zweck der weiten verfassungsrechtlichen Vorgaben orientierten Interpretation unabdingbar, um die Reichweite des grundrechtlichen Schutzanspruchs bestimmen zu können und zieht nicht etwa die „Insuffizienz“525 der Ableitung nach sich. Essentiell bleibt aber bei diesem Vorgehen, das Vorverständnis stringent beizubehalten und nicht etwa nach Belieben und gewünschtem Ausgang der Interpretation auszutauschen.526 Dass innerhalb dieses Prozesses eine dem Vorverständnis zugrundeliegende Theorie nicht ohne hermeneutischen Zirkelschluss aus der Verfassung selbst begründbar ist, diskreditiert diesen nicht.527 Statt deshalb hierauf Energie zu verwenden, sollten vielmehr legitime von illegitimen Vorverständnis522  Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 13, 40; vgl. auch Müller, Normstruktur und Normativität, S. 39; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 240; Sendler, NJW 1987, 3240. 523  Stein, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Richterstaat, S. 83, 88; dazu auch Ehmke, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 164, ff. Grundlegend Böckenförde, NJW 1974, 1529 ff. 524  Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1530; Anders Forsthoff, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 51 ff., der eine Besinnung auf die formalistisch-traditionelle Hermeneutik fordert. 525  So aber Breuer, Staatshaftung, S. 133. 526  Eben dieser Vorwurf ist indes dem BVerfG zu machen, welches recht leichthändig das zugrundegelegte Verfassungsverständnis wechselt und sich damit in gefährliche Nähe einer topischen Herangehensweise begibt. So werden insbesondere verschiedene Grundrechtstheorien abgewogen – je nachdem, welches Ergebnis als optimal empfunden wird. Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1536 f. m. w. N. 527  Gerade dies versucht Böckenförde, NJW 1974, 1529 ff. Kritisch dazu Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 42. Insbesondere ein bestimmtes verfassungsrechtliches Vorverständnis in Art. 20 Abs. 3 GG verankern zu wollen, begegnet Bedenken: Denn die „interpretatorischen Bemühungen führen […] dazu, dem Art. 20 III GG ganze rechtphilosophische Systeme zu substituieren und vorzugeben, daß der Begriff ‚Recht‘ exakt die ihm unterlegte Bedeutung habe.“ So Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 117.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten205

sen anhand verfassungsexterner Kriterien abgegrenzt werden,528 um eine rationale Überprüfung und Falsifizierung zu ermöglichen.529 Eben hier zeigt die Grundrechtshaftung ihre Stärke: Basierend auf einer Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft ist mit einem liberalen Verständnis zunächst zugrunde zu legen, dass gesellschaftliche Prozesse sich prinzipiell frei von staatlicher Einflussnahme abspielen sollen.530 Freiheit bedeutet hier Freiheit schlechthin, weshalb der Staat nur Maß und Grenzen nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit, nicht aber Inhalt und Aufgabe der Grundrechte bestimmten darf.531 „Der Kerngehalt (die Substanz) der grundrechtlichen Freiheit bleibt gegenüber verfassungsrechtlich zugelassenen Begrenzungs- oder Eingriffsmöglichkeiten durch den Gesetzgeber vorausliegend. Das ist eine unmittelbare Folgerung aus dem grundrechtstheoretischen Ausgangspunkt, dass die Freiheit des Einzelnen, rechtlich gesehen, prinzi­ piell unbegrenzt, die Befugnis des Staates zu Eingriffen hingegen prinzipiell begrenzt ist.“532 Die Freiheit wird also nicht etwa durch den Staat konstitu528  Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 261; Wank, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 250. 529  Vgl. Rüthers, Richterstaat, S. 80, 91; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 493. 530  Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 160 ff., 184; Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 149 ff.; Brugger, JZ 1987, 633, 635. Umfassend zur hier nur kursorisch darstellbaren Kritik eines liberalen Verständnisses und der Gegenkritik sei an dieser Stelle verwiesen auf Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 230 ff., 238 ff., 269 ff. In ihren Grundzügen richten sich die Einwände gegen das der Theorie von Grundrechten als vorstaatlicher Freiheit zugrundeliegende Konzept liberaler Gesellschaftstheorien (S. 239 ff.). Weiterhin wird eine Kollision mit Fragen der sozialen, bzw. der Verteilungsgerechtigkeit moderner Staatlichkeit bemängelt (S. 269 ff.). Während beide Einwände wichtige Gesichtspunkte und neue Perspektiven eröffnen, die insbesondere im Bereich der Einschränkbarkeit von Grundrechten virulent werden, können sie nur schwerlich gegen das liberale Grundrechtsverständnis selbst in Stellung gebracht haben, das sich gegenüber diesen Impulsen offen zeigt und sie adäquat inkorporieren kann. Ausgangspunkt bleibt dabei aber ein Verständnis der Grundrechte als vorstaatliche Freiheiten, die abwehrend auf staatliche Eingriffe reagieren. 531  Stein, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Richterstaat, S. 83, 88; BVerfGE 7, 405; 10, 117; 15, 234; 16, 177. 532  Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1531; Müller, Positivität der Grundrechte, S. 98 f.; vgl. bereits Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, passim; anschließend BVerfGE 7, 377 (405 f.); 10, 89 (117); 15, 226 (234). Nicht verfangen kann der Einwand von Breuer, Staatshaftung, S. 137, der liberalnegatorische, grundrechtliche Ansatz sei bereits deshalb als verfassungsrechtliche Grundlage einer Staatsunrechtshaftung abzulehnen, weil sich für die Verletzung von Leistungs- und Teilhaberechten keine hinreichend stringent ableitbaren Haftungsansprüche begründen ließen. (Ähnl. auch Hellermann, JZ 2004, 238, der beklagt, „wie leichthin“ auch grundrechtliche Leistungs- und Teilhabeansprüche Haftungsansprüche auslösen können sollen.) In der Tat bleibt eine staatshaftungsrechtliche Lösung dieses Problems über die grundrechtsfundierte Haftung zumindest dann verwehrt, wenn man

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

iert, „sondern liegt ihm, grundrechtlich gesehen, voraus“.533 Es sind die Grundrechte, die dieser vorstaatlichen Freiheit normative Wirkkraft verleihen die Folgeansprüche allein als transformierte Unterlassungsansprüche wertet: Dies erkennt auch Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 170, der darin allerdings keine Schwäche seines Ansatzes sieht: „Der Anspruch auf Folgenersatz geht auf den Folgenbeseitigungsanspruch, der Folgebeseitigungsanspruch wiederum geht auf die Freiheitsgrundrechte als Ansprüche auf Unterlassen zurück. Was daher nicht von einem Unterlassungsanspruch seinen Ausgang nimmt, kann niemals zu einem Folgenersatzanspruch werden.“ In eine vergleichbare Richtung stoßen auch die Ausführungen von Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 77 f. Beide Ansätze sind jedoch stark an das präformierte Institut eines Folgenbeseitigungsanspruchs angebunden und können deshalb nicht ohne weiteres auf die umfassend angelegte Grundrechtshaftung übertragen werden. Nun kann an dieser Stelle aufgrund des berufsfreiheitsrechtlichen Schwerpunktes nicht vertieft auf die Besonderheiten von Leistungs- und Teilhaberechten eingegangen werden. Dennoch ist zuzugeben, dass eine Ausklammerung von Leistungsrechten aus der Staatshaftung „geradezu unverständlich“ (so Breuer, Staatshaftung, S. 129) wäre. Gleichsam wird mit ihrem kategorischen Ausschluss aus dem grundrechtlichen Haftungsschutz dem Ansatz aber eine Konsequenz unterstellt, die dieser nicht zu ziehen braucht (in diese Richtung Breuer, Staatshaftung, S. 136; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 176 f.). Denn, wie Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 342 f. zutreffend ausführt: „Soweit die Grundrechte dem einzelnen gegen den Staat ein Recht auf ein bestimmtes positives Verhalten vermitteln, kommt auch dieser Wirkung grundrechtlicher Haftungsschutz zu. Der Grund ist, daß das Potential der Grundrechte als Haftungsgrundlage sämtlichen Grundrechtswirkungen zukommt, die dem einzelnen gegenüber dem Staat unmittelbar verbindlichen materialen Schutz gewähren. Soweit den Grundrechten qua Verfassung die Qualität eines materialen subjektiven Rechts des einzelnen gegenüber dem Staat zukommt, löst die Verletzung des Grundrechtes grundsätzlich einen der Verletzung inhaltlich entgegengerichteten Anspruch aus.“ Daran vermag letztlich auch die Ausrichtung der Deduktion von Staatshaftungsansprüchen am abwehrrechtlichen Gehalt der Grundrechte nichts zu ändern: Denn die Freiheitsrechte haben durch fortschreitende Interpretation Erweiterungen erfahren, sodass auch deren Leistungs- und Teilhabefunktion keinen Fremdkörper bildet (dazu ausführlich Klein, NJW 1989, 1633 ff.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, passim). So besteht beispielsweise zumindest soweit es um Leistungsrechte im Sinne staatlicher Schutzpflichten geht, eine enge Relation zur abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte. Denn sie stellen das notwendige Korrelat des staatlichen Gewaltmonopols und der daraus resultierenden Befolgenspflicht des Individuums dar (Vgl. dazu ausführlich Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 21 ff.). Dem Verzicht auf Gewaltausübung muss sinnvollerweise eine durch den Staat gewährleistete Sicherheit entsprechen: protectio trahit subiectionem – subiectio trahit protectionem (Klein, NJW 1989, 1633, 1636 f.). Auch nach liberalem Verständnis hat der Staat aber neben dem Unterlassen von Eingriffen „die Voraussetzungen und Institutionen für [die] rechtliche Gewährleistung [der Grundrechte] zu schaffen, er hat ferner durch rechtliche Grenzziehungen die rechtliche Freiheit des einen mit der des anderen unter wechselnden Verhältnissen kompatibel zu halten“ (Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1530). Mithin ist auch nach dem liberal-negatorischen Verständnis kein Ausschluss der Leistungs- und Teilhaberecht notwendig (So aber wohl Breuer, Staatshaftung, S. 137; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 176 f.; zutreffend hingegen Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 342 ff.). Selbst wenn man von einem strikt ab-



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten207

und ein umfassendes Rechtfertigungsgebot für Freiheitsbeschränkungen postulieren.534 Prima facie mag allein der grundrechtlichen Bestandsgarantie wenig über die Folgen im Falle ihrer Verletzung entnehmen zu sein535 – der Freiheitsraum kann jedoch nur als werthaltig gelten, wenn er durch entsprechende Abwehrrechte gesichert ist.536 So ist auch die Absicht des Verfassungsgebers, Grundrechte als justiziable Rechte des Bürgers auszugestalten, wesentlich ausgeprägter als beispielsweise noch in der Weimarer Verfassung537 und wird insbesondere in der prozessualen Durchsetzungsmöglichkeit der Verfassungsbeschwerde deutlich. Auf diesem Wege werden die jeweiligen Freiheitssphären durch eine „Rechtfertigungslast für staatliche Eingriffe“538 geschützt, die gleichzeitig eine Verhaltenssteuerung des Staates bedingt. Der normativen Geltung der Grundrechte muss also nach ihrem Sinn und Zweck, sowie dem Willen des Verfassungsgebers, möglichst „tatsächliche wehrrechtlich-leistungsausschließenden

Verständnis ausgeht, ist daher nicht angängig, aus dem zusätzlichen Begründungsaufwand bei einer Verletzung von Leistungsrechten ohne weiteres eine Diskreditierung des gesamten Lösungsansatzes herleiten zu wollen. 533  Dazu Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 219; kritisch in Bezug auf die Berufsfreiheit Schneider, VVDStRL 1985, 7, 18. 534  Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 2 m. w. N.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 222, 358; grundlegend Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 249 ff.; vgl. auch Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 6, 10, 47, der von einem „publizistischen Reaktionsanspruch“ mit dem „Ziel einer Wiederherstellung der dem Einzelnen von der Rechtsordnung zuerkannten Eigenrechtssphäre“ spricht. Kritisch einer Haftungsbegründung aus den Grundrechten gegenüber aus neuerer Zeit Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, S. 358 ff., nach dem sich allein der Unterlassungs­ anspruch aus einem liberal-negatorischen Verständnis begründen lässt, nicht aber Beseitigungs-, Restitutions- oder gar Kompensationsansprüche. Verwundern mag indes seine Kritik an einer teleologisch-effizienzorientierten Betrachtung (Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, S. 359, sowie insb. S. 370 ff.), da eben diese wiederum als Kernargument einer eigenen Zweifeln unterliegenden Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip zugrunde gelegt wird (Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, S. 384 ff.). Bemerkenswerter Weise wird dabei sogar ein spezifisches verfassungsrechtliches Bedürfnis einer Anspruchsbewehrung der grundrechtlichen Freiheiten zugestanden, jedoch dessen Verwurzelung in den Freiheitsgrundrechten selbst in eigentümlicher Weise abgelehnt und an den allgemeinen Gedanken der Rechtsintegrität und -bewehrung angeseilt. 535  In diese Richtung aber Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, S. 221; zu Recht kritisch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 63. 536  Vgl. Schoch, VerwArch 1988, 1, 35. 537  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 50; Stern, Staatsrecht III / 1, S. 530 f.; Lübbe-Wolff, Abwehrrechte, S.  35 ff.; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 66 f. 538  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 51.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Wirksamkeit“ verschafft werden.539 Nun hat die Rechtsordnung grundsätzlich mehrere Möglichkeiten, auf eine Rechtsverletzung zu reagieren: Denkbar wäre beispielsweise statt einer Folgenbeseitigung die Herbeiführung eines finanziellen Ausgleichs. Abhilfe und Differenzierungskriterium bietet bei der Erkenntnis der richtigen Rechtsfolge das Telos der Freiheitsrechte. So würde ein vorrangiger monetärer Ausgleich mit dem Ziel der (weitest möglichen) Herstellung des grundrechtlichen und verfassungsmäßigen Idealzustands540 – also des Zustandes, als ob die Grundrechtsverletzung nicht geschehen wäre – kollidieren.541 Die Integrität des Freiheitsrechts kann in diesem Fall nur durch die Beseitigung der Beeinträchtigung wiederhergestellt werden.542 Andernfalls könnte auch der grundlegende Unterlassungsanspruch nicht durchgreifen, da sich der Eingriff ohne Folgenbeseitigung immer wieder „aktualisiert“.543 Ein effektiver und wirksamer Schutz ist daher nur durch Beseitigung der grundrechtswidrigen Beeinträchtigung zu erreichen.544 Somit zeigt sich, dass aufgrund der grundrechtlichen Bestandsgarantie eine primäre, staatlich aufoktroyierte Wertsurrogation unzulässig sein muss.545 Denn diese Reaktion würde sich schlicht „dem Gesamtbild der Grundrechte und ihrer Zielsetzung nicht fügen.“546 Im Ergebnis wird der Anspruchsinhalt durch die Effektuierung des Grundrechtsschutzes selbst definiert.547 Dieser deduktive Ansatz bringt erhebliche Vorteile mit sich: bildet das je nach Eingriffssituation unterschiedlich reagierende Grundrecht548 die entscheidende Prämisse, braucht der grundrechtliche Integritätsanspruch sich 539  BVerfGE

49, 252 (257). 45, 63 (76); Böhmer, NJW 1988, 2561, 2562 f. 541  Schoch, VerwArch 1988, 1, 46; Böß, Vergleich, S.  96 f., 117 f.; Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 87; Rupp, Grundfragen, S. 258. 542  Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 70. Auch das BVerfG leitete einen Rückübereignungsanspruch, der auf die Herstellung des verfassungsmäßigen Zustands zielt, direkt aus Art. 14 Abs. 1 GG ab (vertieft dazu Dritter Teil: § 4 A.III.2.c), S. 218 ff.); ein Schluss, der nach Stern, Staatsrecht III / 1, S. 676 „durchaus für alle grundrechtlichen Abwehrrechte verallgemeinert werden“ kann. 543  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 66 ff. untersucht zunächst die Eigentumsgarantie und das allgemeine Persönlichkeitsrecht und will daraus einen allgemeinen Schluss auf alle Grundrechte ziehen. Vgl. dazu auch BVerwGE 38, 336 (346). 544  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 76. 545  Rupp, Grundfragen, S. 261. 546  Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 198. 547  Schoch, VerwArch 1988, 1, 46; vgl. auch Müller, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche im Verwaltungsrecht, S. 61 f., 159 ff. Vgl. dazu auch Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 88; BVerwG, NJW 2010, 3592 (3593). Ausführlich zu diesem Themenfeld Fünfter Teil: § 2 B.I., S. 326 ff. 548  Redeker, DÖV 1987, 194, 197. 540  BVerfGE



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nicht länger an hergebrachten Terminologien orientieren oder gar aus ihnen abgeleitet werden; ebenso kann er sich von den zivilistischen Instituten abkoppeln.549 Dies ermöglicht zum einen eine überzeugende Parallelität zwischen Unterlassens- und Beseitigungsanspruch: Auf einen (drohenden) Eingriff folgt ein „umgekehrter“ Unterlassungsanspruch, auf eine Schädigung der inverse Folgenbeseitigungsanspruch.550 Zum anderen können die ungenauen definitorischen Fesseln abgelegt werden: Der Folgenbeseitigungsanspruch in seiner derzeitigen Ausprägung ist nämlich längst zu einem Folgenersatzanspruch evolviert. Angesichts der grundrechtlichen Neufundierung bietet sich damit auch eine ehrliche Terminologie für die unterschiedlichen Ausprägungen eines im Rechtsgrund identischen Integritätsanspruches an.551 2. Kompensationsrechtlicher Charakter der Freiheitsrechte? Bestandsschutz und Werterhalt als allgemeiner Grundsatz Den im Hinblick auf die gegenwärtig bestehenden Schutzlücken entscheidenden und damit auch umstrittensten Schritt einer vollständigen Rekonstruktion des Staatshaftungsrechts aus den Freiheitsrechten heraus bildet die Zuerkennung kompensatorischer Ansprüche für Grundrechtsverletzungen.552 Erneut muss dabei der Versuchung widerstanden werden, auf bestehende Institute zurückzugreifen und diese im Sinne des gewünschten Ergebnisses „weiterzuentwickeln“.553 Diese Herangehensweise verklärt den Blick darauf, 549  Schoch,

VerwArch 1988, 1, 46 f. Rechte und Ansprüche, S. 164; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 69; a. A. Redeker, DÖV 1987, 194, 197; wohl auch Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 86. Sinnvoll ist diese Parallelität, da mit dem Folgenbeseitigungsanspruch eben nicht unbedingt die Unmöglichkeit des Unterlassungsanspruchs einhergeht – vielmehr kann und wird dieser meistens parallel dazu bestehen bleiben. Die Ansprüche decken dabei verschiedene Zeit- und Intensitätsstufen hoheitlicher Grundrechtseingriffe ab, stehen aber als gleichberechtigte Schutzinstrumente nebeneinander. Vgl. auch Müller, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche im Verwaltungsrecht, S.  61 ff.; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 112; Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 70, 74 ff.; Schoch, Jura 1993, 478, 481. 551  Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 361; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 365.; Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 45: Es bestünde „Einigkeit, dass beide letztlich auf derselben Rechtsgrundlage fußen müssen.“ So auch Schoch, Jura 1993, 478, 484. Kritisch zu einer terminologischen Festlegung Röder, Haftungsfunktion, S.  205 ff. 552  Vgl. Höfling, VVDStRL 2002, 260, 272 f. 553  So auch der von Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 86 ff. entwickelte Ansatz des Anspruchswandels, der im Ergebnis auf einer „Entwicklung“ aus dem seinerseits „entwickelten“ Folgenbeseitigungsanspruch beruht, ohne sich konsequent mit deren Grundlage auseinanderzusetzen und klar zu positionieren. Zweifelhaft er550  Grzeszick,

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dass es nicht darum gehen kann, ein als sinnvoll erachtetes Institut unter großen Verbiegungen ex post zu legitimieren, sondern vielmehr um die Frage, welche Folgen aus der Verletzung eines Grundrechts resultieren.554 Denn Rechtsinstitute sind letztlich nichts mehr als Sammelbezeichnungen für eine bestimmte Art von Rechtsfolgen,555 die aber ihrerseits aus der Rechtsgrundlage deduziert werden müssen. Eine weitere Gefahr induktiver Lösungen über anerkannte Institute besteht darin, dass diese in der Regel aufgrund ihrer axiomatischen Struktur nicht ergebnisoffen sind.556 Daher müssen auch die konkreten kompensatorischen Verletzungsfolgen sorgsam durch Verfassungsinterpretation deduziert werden.557 a) Rechtsfolgenmonismus der Grundrechte – keine Leistungsrechte auf Schadensersatz? Während die Unterlassung des Eingriffs und die Beseitigung der Folgen beide noch im Sinne einer weit verstandenen „Abwehrfunktion“ begründbar sind, scheint dies bei kompensatorischen Ausgleichsansprüchen zunehmend schwieriger. Diese sollen daher keine „wesensnotwendigen Annexe“ mehr zum Abwehrrecht bilden, da sie sich zu weit von der Beeinträchtigung selbst „entfernen“558. Gerade die Folge einer umfassenden Naturalrestitution, die auf die Herstellung eines hypothetischen Zustands zielt, als auch die noch weiter vermittelte Geldausgleichszahlung ließen sich nicht allein aus dem äußerst schmalen Fundament559 der Integrität des Grundrechts bestimmen – der Verletzung entspräche schlicht kein definitives verfassungsmäßiges Gegenteil, welches zur Bestimmung des Reaktionsanspruchs jedoch nötig sei.560 Vielmehr ende die Leistungsfähigkeit der Freiheitsrechte dort, wo das scheinen daher auch „schrittweise“ Ausweitungen unter Anerkennung der grundrechtlichen Bedeutung wie von Trimbach, Möglichkeiten einer Kodifikation, S. 94 f. 554  Vgl. Ebsen, DVBl. 1987, 389, 392; Maurer, VerwR, § 29 Rn. 5; Rüfner, in: Erichsen / Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 49, Rn. 22; Schenke, JuS 1990, 370, 371 ff.; Brugger, JuS 1999, 625, 629. 555  Rüfner, in: Erichsen / Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 49, Rn. 22; Röder, Haftungsfunktion, S. 206. 556  Röder, Haftungsfunktion, S. 199. 557  In diese Richtung auch Fiedler, NVwZ 1986, 969 ff.; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 117. Grundlegend Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 1 ff.; Röder, Haftungsfunktion, S. 148 f., 207. 558  Statt vieler nur Stern, Staatsrecht III / 1, S. 683 ff. m. w. N. 559  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 83. 560  Lübbe-Wolff, Abwehrrechte, S.  26 ff.; Külpmann, Enteignende Eingriffe?, S. 257; Stern, Staatsrecht III / 1, S. 683; vgl. zum Actus contrarius auch Enders, in:



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geschützte Gut unkorrigierbar verletzt würde.561 Ohne „Überanstrengung des Grundrechtsgedankens“562 solle sich zumindest für diese Frage keine unmittelbare Ableitung ergeben.563 Schon kraft ihrer Natur ließe sich aus den Abwehrrechten deshalb kein schadensersatzrechtlicher Leistungsanspruch konstruieren.564 Nun mag man berechtigterweise fragen, warum das Regelungsprogramm der Grundrechte so abrupt im Falle der intensivsten Verletzungsstufe enden sollte?565 Anders gewendet: „Warum eigentlich soll aus einer Grundrechtsverletzung nicht unmittelbar ein Schadensersatz- oder ein Entschädigungsanspruch statt des Folgenbeseitigungsanspruchs folgen?“566 Diese Gedanken geben Anlass zur kritischen Hinterfragung der obigen Ansicht mit ihrer paradox anmutenden Folge, dass ausgerechnet bei den stärksten Beeinträchtigungen, irreversiblen Schädigungen, der Schutzgehalt der Grundrechte versagen soll.567 Denn dies würde dem besonders rücksichtslos und schnell Fakten schaffenden Staat quasi Eingriffskompetenzen zusprechen, die ihm in Falle rechtmäßigen Verhaltens nicht zustünden.568 Mangels einer geeigneten Sanktion schüfe man in kaum vertretbarer Weise einen „grundrechtsfreien Raum Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 82 f. Ähnl. auch BVerfG, NVwZ 1998, 271 f. 561  Haack, DVBl. 2010, 1475, 1479; Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 21; Kimminich, JuS 1969, 349, 353; ausführlich Poscher, Abwehrrechte, S.  382 f. 562  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 82. 563  Stern, Staatsrecht III / 1, S. 685; ähnl. auch Höfling, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 87; Hain, VerwArch 2004, 498, 512 f. 564  Vgl. Poscher, Abwehrrechte, S.  382 f.; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 341; kritisch aber Szczekalla, DVBl. 2006, 824. 565  So postulierte bereits Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 148, es sei nicht angängig, den Schutz Grundrechte in Fällen irreparabler Schädigungen unvermittelt „abbrechen zu lassen“. 566  Brugger, JuS 1999, 625, 630. In diese Richtung auch Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 544 bezogen auf das Rechtsstaatsprinzip: „Wer Gegenteiliges behauptet, möge die Plausibilität des Satzes dartun, dass der Rechtsstaat grundsätzlich nicht verpflichtet ist, dem Bürger geschehenes Unrecht wiedergutzumachen“. 567  So bereits Bachof, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 124 f.; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 148; vgl. auch Röder, Haftungsfunktion, S. 158 f. Vgl. dazu die gedankliche Parallele zu Art. 41 EMRK: Danach sind grundsätzlich „alle möglichen Menschenrechte […] als solche tauglich, Entschädigungsansprüche auszulösen“, Höfling, VVDStRL 2002, 462, 465. 568  Vgl. zu Art. 14 GG, wobei die Überlegungen auf alle Grundrechte zu verallgemeinern sind: Sass, Entschädigungserfordernis, S. 382; Konow, Eigentumsschutz, S.104; Götz, DVBl. 1984, 395, 396.

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‚kraft‘ Grundrechtsverletzung“569, ohne dass der Staat für die Verletzung der Unterlassungspflicht zur Verantwortung gezogen werden könnte.570 Zur Rechtfertigung derart gewichtiger Konsequenzen für den Bürger kann aber nicht bloß das postulierte rein abwehrrechtliche Wesen der Grundrechte he­ rangezogen werden. Eine solche Auffassung missachtet weiterhin, dass die Grundrechte allem voran einen umfassenden Schutz der Freiheit bezwecken und damit idealiter auf den Zustand zielen, der bestünde, wenn eine Verletzung nie geschehen wäre.571 Dieser besondere verfassungsrechtliche Status der Grundrechte muss sich aber auch in Staatshaftung widerspiegeln.572 Angesichts dieser Ausrichtung können deshalb auch primär als Abwehrrechte gegen den Staat konzipierte und formulierte Grundrechte einen gewissen „Leistungsgehalt“ aufweisen.573 Daher ist es folgerichtig, „aus dem wertungsmäßigen Gebot der Bewahrung der Rechtsposition die Notwendigkeit und Berechtigung zusätzlicher Schutzmodalitäten abzuleiten, falls dies in einer bestimmten Beeinträchtigungslage zur Bewahrung der garantierten Rechtsstellung materiell geboten ist“.574 Ein solcher teleologisch geleiteter Ansatz ist zumindest für den Folgenbeseitigungsanspruch, der aufgrund seiner weiten Ausdehnung im Ergeb569  Röder,

Haftungsfunktion, S. 159. DVBl. 2006, 824; Grzeszick, in: FS für P. Kirchhof, S. 103, 110; ähnl. auch Schoch, DV 2001, 261, 275. Abwägend Haack, DVBl. 2010, 1475, 1479, der die Hauptfunktion eines Freiheitsrechts in der Wiedergutmachung und nicht in der Sanktion staatlichen Verhaltens sieht. 571  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 358. 572  Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 537. Ähnl. auch Kluth, FAZ 16.11. 2011 – Staatshaftungsrecht. Ohne Haftung!: „Jedes Bekenntnis zu Grundrechten [sei] letztlich inkonsequent, wenn es sich um die staatshaftungsrechtliche Konsequenz drück[e]“. 573  Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 171  ff.; 395 ff.; Böckenförde, NJW 1974, 1529 ff.; Klein, NJW 1989, 1633 ff.; Krebs, Jura 1988, 617, 624 ff. Mehrdeutig Lücke, AöR 1979, 225, 244. Zu kurz greift daher auch die Kritik von Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 341. Inkonsequent scheint hierbei, dass in der Diskussion um den Folgenbeseitigungsanspruch ein gewisser Leistungsgehalt der Grundrechte völlig unproblematisch unterstellt wird, vgl. nur Enders, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 6: Es sei gleichgültig, ob dem „Recht auf Seiten des Passivlegitimierten durch bloßes Unterlassen oder durch Leistungsakt […] zu genügen ist.“ Ähnl. auch Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 7. 574  Sass, Entschädigungserfordernis, S.8 2; ein ähnlicher Grundgedanke findet sich bereits bei Meyer, Soziales Entschädigungsrecht, S. 115. Zur Kritik des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs Dritter Teil: § 4 C.I., S.  239 ff. 570  Szczekalla,



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nis eher einem Anspruch auf verkürzte Naturalrestitution entspricht, auch prinzipiell anerkannt.575 Es erschließt sich daher nicht ohne weiteres, warum dieser im Umfeld kompensatorischer Erwägungen keinen Bestand mehr haben sollte. Denn gibt der abwehrrechtliche Wortlaut auch als unterste Mindestschwelle den Schutz gegen staatliche Eingriffe vor, wäre es verfehlt, aus ihm im Falle einer Verletzung eine Limitierung der Grundrechtsgarantie ableiten zu wollen.576 Vielmehr umfasst der Grundrechtsschutz nicht nur den Schutz des Bestands der Freiheit, sondern auch den ihres Wertes.577 Naturgemäß ist allen Abwehrrechten eine Tendenz zur Werterhaltung immanent, denn das Gebot der Wahrung des Idealzustandes enthält als wesensgleiches Minus das Gebot der Herstellung des ihm am nächsten kommenden.578 Eine Kompensation stellt somit kein Aliud, sondern ein Minus zur Naturalrestitution dar:579 Die Wertgarantie besteht dabei als grundrechtliche Mindestposition, als verbleibender Restbestand der Bestandsgarantie weiter – sie bildet einen der faktischen Eingriffslage angepassten „Aggregatszustand“ der Bestandsgarantie.580 Auch wenn dieser Wertersatz als „Approximativmaßnahme“581 denknotwendig immer hinter der verfassungsmäßig geforderten Lage zurückbleiben muss, da ein Ersatzanspruch bereits funktional niemals die Freiheit von staatlichem Zugriff herzustellen vermag, kann dies allein kein Grund sein, ihn vollständig zu versagen.582 Es wirkt bei näherer Betrachtung nachgerade widersinnig, aus der Unmöglichkeit vollständigen Schutzes den Ausschluss 575  Szczekalla,

DVBl. 2006, 824; Grzeszick, in: FS für P. Kirchhof, S. 103, 110 f. Eigentumsschutz, S. 24  f.; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 81; Röder, Haftungsfunktion, S. 281 f. 577  Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 87 f. So besehen bewirkt jede Eingriffsabwehr immer auch Wertschutz. Impliziert aber der Bestandsschutz damit Wertschutz in seiner idealtypischen Form, liegt der Schluss auf eine grundrechtsimmanente kompensatorische Komponente nahe. So bezüglich des Eigentums Sass, Entschädigungserfordernis, S. 379; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 165 ff.; Schulze-Osterloh, NJW 1981, 2537, 2543; allgemeiner Röder, Haftungsfunktion, S. 250. 578  Konow, JR 1967, 245, 246. Diese Ratio liegt letztlich auch dem Konzept des Anspruchswandels von Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 85 zugrunde: Der nachfolgende Anspruch übernimmt dabei – vereinfacht gesagt – den wirtschaftlichen Wert des vorangegangenen. Ähnl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 71 ff., 95 ff.; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 143; Röder, Haftungsfunktion, S. 282; a. A. Kreßel, Öffentliches Haftungsrecht, S. 74 f. 579  A. A. Kutschera, Bestandsschutz, S. 103. 580  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 201. 581  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 206. 582  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 205 f., 394; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 140, 146 ff.; Konow, DVBl. 1968, 205, 207. Dies widerspricht in der Tat dem allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken, der auch in § 251 BGB beispielhaft zum Ausdruck kommt. 576  Konow,

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eines Teilschutzes abzuleiten – in letzter Konsequenz fehlte es damit an der notwendigen Absicherung und Werthaftigkeit der Rechtsposition.583 Der Staat könnte sich daher „durch die Vornahme einer Rechtsverletzung von seiner Verantwortung zur Bewahrung einer grundrechtlich geschützten Rechtsposition vollständig befreien und dem Rechtsinhaber genau die Rechtsmacht entziehen […], die ihm von den seine Rechtsposition umhegenden Zugriffsschutznormen gewährleistet wird.“584 Der freiheitliche Schutzzweck bleibt aber auch im Falle der Verletzung des Unterlassungsgebots vollständig bestehen.585 Seinen Zielen – der maximalen Freiheitsentfaltung und dem effektiven Rechtsgüterschutz – wird durch einen Ersatzanspruch verfassungskonformer Rechnung getragen als durch einen vollständigen Ausschluss grundrechtlicher Reaktionsansprüche.586 Auf diesem Wege kann die aufklaffende Lücke zwischen dem grundrechtlich geforderten „Soll-Zustand“ und dem durch die staatliche Verletzungshandlung entstandenen Status quo zumindest weitgehend geschlossen werden.587 Die kompensatorische Verletzungsreaktion steht somit dem Konzept des Bestandsschutzes nicht entgegen, 583  Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S.  198; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 206; im Anschluss auch Röder, Haftungsfunktion, S. 220. Die Gegenauffassung hätte erneut eine „Alles-oder-Nichts“-Lösung zur Folge: Je nachdem, ob der Folgenbeseitigungsanspruch gerade noch durchsetzbar ist oder nicht, bliebe eine Grundrechtsverletzung entweder nahezu folgenlos oder würde weitgehend ausgeglichen. Vgl. dazu Luhmann, Entschädigung, S. 100; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 148. 584  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 381. 585  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 202 ff.; Röder, Haftungsfunktion, S. 261 f. 586  Nicht überzeugen kann daher Haack, DVBl. 2010, 1475, 1479 der aus der zutreffend festgestellten Inkommensurabilität von Freiheitseinbußen und Geldleistung ableiten will, dass sich letztgenannte nicht aus dem Zweck der Freiheitssicherung ergeben kann. Denn auch wenn finanzielle Kompensation dem Schutzgut der Freiheit anders als beispielsweise die Unterlassung nicht unmittelbar zugutekommt, ermöglicht sie zweifelsfrei doch eine effektivere Freiheitsausübung durch den Bürger. 587  Alles andere liefe letztlich auf eine Duldung der staatlichen Kompetenzüberschreitung hinaus, vgl. bereits in diese Richtung Meyer, Soziales Entschädigungsrecht, S. 115. Zu kurz greifen auch Überlegungen, die eine Kompensation bereits deshalb ausschließen wollen, weil die Freiheitsrechte mit Ausnahme von Art. 12 und Art. 14 GG allein auf die Freiheitsentfaltung selbst gerichtet seien (so Haack, DVBl. 2010, 1475, 1478 f. m. N.). Es ist zwar zutreffend, dass das potenziell hinter einer Grundrechtsausübung stehende kommerzielle Interesse zunächst unbeachtlich ist, da die Freiheitsausübung unabhängig von diesem geschützt wird. Dennoch ist daraus nicht zu folgern, dass die Grundrechte nicht auch kompensatorisch reagieren können. Denn es geht nicht darum, die Freiheit grundlegend zu valutieren oder einen Grundrechtseingriff durch finanzielle Entschädigung verhältnismäßig zu machen, sondern dem Bürger den konkret erlittenen Verlust an Freiheit zumindest soweit zu kompensieren, als er sich berechenbar zeigt. Vgl. zu dieser Problematik kritisch Schulze-Osterloh, NJW 1981, 2537, 2542 f.



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sondern erweist sich vielmehr als dessen letzte Bastion,588 um die „Divergenz von eingriffsbedingter Faktenlage und der grundrechtlichen Garantie der Zuordnungsverhältnisse quo ante zugunsten der fortgeltenden verfassungsrechtlichen Vorgaben aufzulösen“589. Zu klären bleibt die Frage, wie den Grundrechten nähere Vorgaben für die Ausgestaltung des möglichen Ersatzanspruchs entnommen werden können.590 Denn nur wenn sich aus ihnen selbst nähere Kriterien deduzieren lassen, kann vermieden werden, dass die grundrechtliche Fundierung letztlich inhaltslos bleibt.591 Auch hierbei ist erneut auf die Natur der Grundrechte zu rekurrieren: So ist das Verständnis einer vorstaatlichen Freiheit nicht nur für die Struktur, sondern auch für den Inhalt der Grundrechtsverletzungsreaktionen maßgeblich.592 Die grundrechtliche Freiheit darf dabei nicht als inhaltlich spezifizierte positive Freiheit missverstanden werden, sondern als „negative Freiheit, die dem Bürger grundsätzlich zur freien beliebigen Entfaltung zugeordnet ist.“593 Als „vorstaatliche“ Freiheit beschreibt sie die tatbestandliche Lage vor einer Veränderung durch hoheitliche Eingriffe.594 Die dadurch vorgegebene Zielrichtung ist nicht so sehr auf die vorherige Situation im Sinne einer bestimmten, statischen Freiheit gerichtet, sondern vielmehr auf die Herstellung des Zustandes, der ohne den hoheitlichen Eingriff bestünde.595 Der Staat muss sich hierzu hinter die verfassungsmäßig vorgezeichneten Linien begeben, wobei der erlittene, nicht wieder herstellbare Freiheitsverlust grundsätzlich dem monetären Wert nach zu ersetzen ist.596

588  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 201; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 124. 589  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 337; vgl. auch Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 85; Schoch, VerwArch 1988, 1, 36. 590  Vgl. Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 21; Stern, Staatsrecht III / 1, S.  683 f. Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 341. 591  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S.  338; Enders, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn.  45 f. 592  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 223 f. 593  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 218  ff., 238 ff., 363 m. w. N.; so auch Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, § 191, Rn. 46. 594  Brugger, JZ 1987, 633, 635; vgl. Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1530. 595  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 363 f. 596  Meyer, Soziales Entschädigungsrecht, S. 115; Roth, Faktische Eingriffe, S. 87; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 364; ähnl. zumindest für Eigentumseingriffe Schoch, DV 2001, 261, 284 f.; Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 242 ff., 245 f.; Axer, DVBl. 2001, 1322, 1327.

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b) Eingriffszurechnung als maßgebliches Haftungskriterium Bei der Ermittlung des kompensatorisch herzustellenden Zustands sind strenge Kausalitätserwägungen und die moderne Eingriffsdogmatik als Zurechnungsinstrument von großer Bedeutung, um die Grundrechtshaftung weiter von einer allgemeinen Gefährdungshaftung597 des Staates abzugrenzen.598 Mit ihrem Wandel vom klassischen zum modernen Verständnis ermöglicht die Eingriffsdogmatik heute eine wertungsorientierte und grundsätzlich offene Zurechnung der Folgen zum handelnden Staat.599 Hat die staatshaftungsrechtliche Dogmatik in den vergangenen Jahrzehnten den Wandel der Verfassungsinterpretation nur unzureichend rezipiert,600 lassen sich durch die Neuverortung unter Zuhilfenahme der Eingriffsdogmatik insbesondere die mittelbaren und faktischen Auswirkungen hoheitlichen Handelns adäquat erfassen.601 Im Gegensatz zu den gegenwärtig von der Rechtsprechung angewendeten Instituten ermöglicht dies eine notwendige wertende Betrachtung, ohne dass ein Rückzug auf diffuse und Rechtsunsicherheiten ausgelieferte Verlegenheitskriterien602 oder zivilrechtliche Parallelen nötig würde.603 Denn aufgrund der unterschiedlichen Ausgangssituationen besteht im Verhältnis zwischen Staat und Bürger keine Rechtfertigung für die Übernahme in nicht subordinationsrechtlichem Kontext entwickelter Haftungsbeschränkungen.604 Allein entscheidend ist, welche Konsequenzen dem Staat aufgrund seiner Eingriffshandlung zurechenbar bleiben.605 Der Zurechnungszusammenhang wird durch selbstständige Handlungen des Betroffenen erst unterbrochen, 597  Eine klare Abgrenzung zur weithin abgelehnten Gefährdungshaftung (kritisch insbesondere Leisner, VVDStRL 1963, 185 ff.) ist indes bereits durch die über einen bloßen Schadenseintritt hinaus notwendigen Kriterien der Rechtswidrigkeit und der Verletzung eines subjektiven Rechts gewährleistet. Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 352. 598  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 350  ff., 368 f.; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 344 f. Diese stehen insbesondere im Bereich legislativen und normativen Unrechts häufig einer Haftung entgegenstehen. Vgl. dazu ausführlich Vierter Teil: § 2 D.II., S. 281 ff. 599  Grundlegend Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 197  ff., 265 ff.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 10 ff. 600  Vgl. von Arnauld, VerwArch 2002, 394, 411 f. 601  Grzeszick, in: FS für P. Kirchhof, S. 103, 111. 602  Schoch, VerwArch 1988, 1, 49. 603  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 254; ähnl. auch Detterbeck / Windt­ horst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 362 f. 604  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 351, 369 f. m. w. N. 605  Deshalb rückt auch die Unterscheidung zwischen haftungsbegründender und -ausfüllender Zurechnung zunehmend in den Hintergrund, vgl. Grzeszick, Rechte und



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wenn diese nicht mehr vernünftig und angemessen scheinen – denn dann resultieren ihre Folgen schlicht nicht länger aus dem Grundrechtseingriff selbst.606 Zuweilen wird ergänzend der Schutzzweck der Grundrechte als Haftungskorrektiv herangezogen:607 Dieser sei rechtsgebietsübergreifend im Schadensersatzrecht anerkannt und habe durch die Rechtsprechungspraxis eine hinreichende Konkretisierung erfahren.608 Es drängt sich indes die Frage auf, ob in diesem Kriterium tatsächlich die „Gewähr für eine systemgerechte und Rechtssicherheit schaffende Limitierung staatlicher Haftung“609 gefunden ist. Ihrer Natur nach zielt die Schutzzwecklehre auf eine wertende Zurechnung der Schäden, die in den Schutzbereich der verletzten Norm fallen, wobei der inhaltliche Zusammenhang zwischen Schaden und Norm entscheidend ist.610 Dieses Eingrenzungskriterium ist insbesondere bei präzise gefassten einfachgesetzlichen Normen unabdingbar, damit nicht beliebige Schäden undifferenziert über verletzte Verhaltensanforderungen geltend gemacht werden können.611 Während die Herausarbeitung des konkreten Schutzzwecks im einfachen Recht häufig Schwierigkeiten bereitet, liegt dieser für die Grundrechte auf der Hand: Der Schutz der Freiheit des Einzelnen gegenüber dem Staat. Aufgrund dieser umfassenden freiheitsrechtlichen Strukturierung kann jedoch der Schutzzweck in diesem Fall keine eigenständige haftungsbegrenzende Funktion entfalten.612 Denn der grundrechtliche Schutz ist gerade darauf angelegt, sämtliche, durch eine dem Staat zurechenbare Verletzung entstandeAnsprüche, S. 369. Zur Leistungsfähigkeit der Eingriffsdogmatik auch Klement, DV 2004, 73 ff. 606  Roth, Faktische Eingriffe, S. 189  ff.; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 142; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 465. Deutlich wird der Unterschied zur Unmittelbarkeit der Folgenbeseitigung, bei der jede eigenverantwortliche Handlung des Dritten, auch wenn ihm faktisch keine andere Wahl blieb, den Zurechnungszusammenhang unterbrechen kann. Vgl. dazu Zweiter Teil: §  1 B.II.1.e)bb), S.  61 ff. 607  Röder, Haftungsfunktion, S. 309; vgl. auch Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S.  223 f.; Gromitsaris, Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, S. 209 ff. 608  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 138 ff.; Schoch, VerwArch 1988, 1, 50; Haverkate, NJW 1973, 441, 444; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 66; im Hinblick auf § 2 Abs. 2 StHG ähnl. auch Bender, VBlBW 1985, 201, 202 f. 609  So Röder, Haftungsfunktion, S. 309 in Anlehnung an Bender, VerwArch 1986, 335 ff.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 205. 610  BGHZ 57, 245 (256); BGH, NJW 2003, 1929 (1930) m. w. N.; Schubert, in: Bamberger / Roth (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 53; Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 120 ff. 611  Vgl. Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 120. 612  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 357, 370 f.; ausführlich zur Zurechnung über die Eingriffsdogmatik S. 368 ff. Gerade dies versucht jedoch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 138 am Beispiel von Art. 14 GG.

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nen Schäden zu verhindern oder auszugleichen. Die zweifelsfrei notwendige Eingrenzung der unmittelbar aus dem Grundrecht resultierenden – auch kompensatorischen – Reaktionsansprüche erfolgt deshalb zutreffender Weise allein über die Eingriffsdogmatik, die eine wertende und leistungsfähige Zurechnung in hinreichendem Maße ermöglicht.613 c) Partielle Anerkennung der Grundsätze auch durch die Gegenauffassung Angesichts der vorstehenden Erkenntnisse mag es geradezu irritieren, wenn die Grundrechte trotz ihrer anerkannten überragenden Bedeutung für unser Verfassungssystem nicht zum Maßstab für die Fortentwicklung des Staatshaftungsrechts gemacht werden, sondern ihre Wirkweise weitgehend unbeachtet gelassen wird.614 Bei näherer Betrachtung wird indes deutlich, dass auch die Gegenauffassung nicht jede kompensationsrechtliche Relevanz der Grundrechte bestreitet.615 So scheute sich das BVerfG zuweilen nicht, einen Reaktionsanspruch des Grundrechtsträgers aus dem verletzten Grundrecht selbst zu begründen,616 oder die gesetzgeberische Pflicht zur Schaffung von Vermögensausgleichsnormen aus der Grundrechtsfunktion zu deduzieren. Prominentestes Beispiel hierfür sind die ausgleichspflichtigen Fälle der Indienstnahme Privater, sowie Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums.617 Soll sich der Kompensationsanspruch auch nicht direkt aus dem Grundrecht ergeben, so hat dieses zumindest verpflichtende Funktion für den Gesetzgeber.618 Der einzige logische Schluss hieraus scheint, dass auch nach 613  Grzeszick, in: FS für P. Kirchhof, S. 103, 111 f, 113.. Vgl. auch von Arnauld, VerwArch 2002, 394, 411 ff. 614  So beispielsweise noch Ossenbühl, NJW 1983, 1, 3. Mittlerweile aber zutreffend auf Grundrechte rekurrierend, Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 536 ff. 615  Zumindest bis zum Wechsel in der Begründung des BGH bildete der enteignungsgleiche Eingriff das prominenteste Beispiel einer grundrechtlich fundierten Haftung. Dazu ausführlich Hösch, DÖV 1999, 192, 196. 616  Dem Beschluss des BVerfG lag die Konstellation einer „Rückenteignung“ zugrunde, also der Anspruch des Betroffenen auf Rückgewähr eines Grundstücks, welches nach der Enteignung nicht für den Eignungszweck verwendet wurde. Bemerkenswert deutlich führten die Richter in BVerfGE 38, 175 (181) aus: „Damit entfaltet die Garantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Schutzfunktion. […] Der Enteignete kann daher auf Grund der Garantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Herstellung des verfassungsmäßigen Zustandes, d. h. die Rückübereignung des Grundstücks fordern.“ Ein derartiger grundrechtsunmittelbarer Anspruch hat indes seit dem Urteil 1974 keine Entsprechung mehr in der gerichtlichen Praxis gefunden, sondern wurde von folgenden konservativen Entscheidungen überschattet. 617  Vgl. BVerfGE 22, 380; 30, 292; 33, 240; 47, 285. Zurückhaltend aber BVerfG, NVwZ 1998, 271 f. 618  Vgl. Röder, Haftungsfunktion, S.  86 ff. m. w. N.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten219

Auffassung des BVerfG den Freiheitsrechten jedenfalls ein vermittelnder kompensatorischer Gehalt innewohnt.619 Weiterentwickelt werden diese Andeutungen durch Literaturstimmen, die den Grundrechten grundsätzlich lediglich eine „mittelbare“ Haftungsfunktion zusprechen wollen. Danach sollen Freiheitsrechte also nicht unmittelbar anspruchsbegründend wirken, sondern nur als Anlass für die Herausarbeitung von Hilfsansprüchen durch eine richterliche Rechtsfortbildung oder als Verpflichtung an den Gesetzgeber dienen.620 Nun muss man sich mit Recht fragen, wie die Grundrechte zwar konkret genug sein können, um dem Staat eine eindeutige Verpflichtung zur Lückenschließung aufzugeben, ohne dass sich diese bereits aus ihnen selbst ergeben soll. Es liegt vielmehr nahe, dass dem Grundrecht selbst eben bereits der kompensatorische Schutzgehalt innewohnt, der insofern weniger einer Fortentwicklung als einer Entdeckung bedarf.621 Denn die grundrechtsmittelbare Fundierung müsste – um nicht inhaltsleer zu bleiben – zumindest die Mindestkriterien einer Haftung klar vorgeben. Ergeben sich diese aber direkt aus der Verfassung, müssen sie bereits vor einer Umsetzung in das einfache 619  Dazu ungewöhnlich progressiv auch BVerfG, NJW 2005, 1567: Es sei „nicht ausgeschlossen, dass der Staat ein Grundrecht – erneut – beeinträchtigt, wenn er keinen effektiven Schadensausgleich wegen einer vorherigen Verletzung dieses Grundrechts einräumt.“ 620  Stern, Staatsrecht III / 1, S. 685; ähnl. auch Höfling, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 87; Hain, VerwArch 2004, 498, 512 f.; Morlok, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn.12 f., 22 ff. Unklar insoweit Kunig, Jura 1992, 554, 555 ff., der zwar „bereits und vornehmlich aus den Grundrechten“ ableitet, dass der Staat haftet, dann aber relativierend feststellt, dass das „Grundrecht […] nicht die fehlenden Anspruchsgrundlagen für die Entschädigung“ ersetzt. 621  Vgl. Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 337  f.; Röder, Haftungsfunktion, S. 157 f.; so wohl auch Stelkens, DÖV 2006, 770, 779: Man müsse „anerkennen, dass die Staatshaftung eine grundrechtlich gebotene staatliche Leistung zum Ausgleich erlittenen Unrechts darstellt.“ Vgl. zum Konzept der „Wertschutzgarantie“, das einen Entschädigungsanspruch direkt aus der Eigentumsgarantie ableiten will vor allem Battis, NVwZ 1982, 585, 589 ff.; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 201 ff.; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 179 ff.; Ipsen, DVBl. 1983, 1029 ff.; Böhmer, NJW 1988, 2561 ff. Zutreffend erkennt diese Auffassung also das grundrechtlich-immanente Streben nach Kompensation im Falle irreversibler Verletzungen, vermag indes die Beschränkung dieser Erwägungen auf Art. 14 GG nicht stringent zu begründen. Denn der (typische) Vermögensschaden ist zwar Tatbestandsmerkmal, nicht jedoch Haftungsgrund an sich. Vielmehr ergibt dieser sich aus der Bestandsschutzgarantie jedes Grundrechtes, will man nicht dem abzulehnenden Fehlschluss einer „Wertrangordnung“ innerhalb der Freiheitsrechte unterliegen, der sich bereits aufgrund von Art. 1 Abs. 3 GG verbietet. Vgl. Pfab, Staatshaftung, S. 169; Röder, Haftungsfunktion, S.  252 ff. m. w. N.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Recht gelten, kurz: diese entbehrlich machen. Dies deutet indes einmal mehr darauf hin, dass es die Freiheitsrechte selbst sind, die im Falle einer Verletzung kompensatorisch reagieren, ohne dass es einer mittelnden Norm bedürfte. Ergänzend ist heranzuziehen, dass die Rechtsprechung einen vergleichbaren Schritt bereits im Bereich des grundrechtsgleichen Rechts des Art. 33 Abs. 2 GG vollzogen hat. Im Falle einer Verletzung „steht dem zu Unrecht übergangenen Einstellungsbewerber unmittelbar aus Art. 33 II GG ein Schadensersatzanspruch zu. Dieser besteht unabhängig vom Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung“622. Einfachgesetzliches Ausführungsrecht sahen die Richter damit als entbehrlich an.623 Zur Unterstützung der unmittelbarkompensatorischen Funktionalität zieht das BVerwG dabei Art. 19 Abs. 4 GG heran, der es gebietet, „die […] Defizite des Primärrechtsschutzes durch einen entsprechend ausgebauten Sekundärrechtsschutz soweit möglich auszugleichen.“624 Zudem ergäbe sich die „Notwendigkeit dieses Anspruchs“ nicht zuletzt aus der Tatsache, dass Verletzungshandlungen des Staates andernfalls sanktionslos blieben.625 Aufgrund der strukturell engen Verbundenheit zwischen grundrechtsgleichen und Grundrechten verwundert es, dass das BVerwG in seiner Entscheidung kein Wort zu einer möglichen Erweiterung dieser Grundsätze auf alle Freiheitsrechte verlor. Da nicht einzuleuchten vermag, unter welchen Gesichtspunkten das „Beamtengrundrecht“ reaktions­ fähiger als die übrigen Grundrechte sein sollte,626 drängt sich eine gewisse Inkonsequenz dieser partiellen Anerkennung einer Haftungsfunktion geradezu auf, die den Richtern gleichsam einen Anhaltspunkt für eine konsequente Ableitung bieten könnte. Obschon also wie besehen die überwiegende Rechtsprechung einer unmittelbaren Grundrechtshaftung ablehnend gegenübersteht, zeigt eine genauere Analyse, dass sich der Gedanke einer kompensatorischen Komponente der Freiheitsrechte selbst in diesem kritischen Umfeld fortschreitend Bahn bricht.

622  BVerwG,

NJW 2010, 3592 (3593). auch Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 337. 624  BVerwG, NJW 2010, 3592 (3593). 625  BVerwG, NJW 2010, 3592 (3593). 626  Insbesondere im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird die schutzrechtliche Parallele zur Berufsfreiheit offenkundig. Es ist nur schwer vermittelbar, warum eine staatlich unrechtmäßig behandelte Bewerbung auf eine Beamtenstelle verfassungsrechtlich „weiter“ geschützt sein sollte als die Berufswahlfreiheit. Vgl. auch Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 538 f. 623  Vgl.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten221

IV. Volle Kompensation als grundsätzliche Rechtsfolge Grundsätzlich sind mit dem Gesagten alle dem Staat zurechenbaren Folgen der rechtswidrigen Grundrechtsbeeinträchtigung von diesem nach der Differenzhypothese auszugleichen.627 Je nach Verletzung und verletztem Grundrecht kann dies nur durch eine kompensatorische Geldzahlung geschehen, die allgemeinen Prinzipien zu folgen hat.628 Es ist Folgenersatz in Geld zu leisten, der es dem in seinen Grundrechten verletzten Bürger ermöglichen soll, einen der verlorenen Freiheit vergleichbaren „Freiheitsbestand“ herzustellen.629 Die Fokussierung auf die negative Freiheit als Maßstab entfaltet dabei konkrete Folgen: Da eben nicht nur der Status quo ante umfasst ist, müssen auch die freiheitlich geschützten Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten abgegolten werden. Darunter fällt insbesondere der für Verletzungen der Berufsfreiheit so relevante entgangene Gewinn.630 Wie bereits festgestellt mögen monetäre Ersatzansprüche besonders häufig bei Verletzungen von Art. 2 Abs. 2, Art. 12 und Art. 14 GG auftreten,631 was indes keinesfalls einen negativen Rückschluss auf die haftungsbegründende Funktionalität der übrigen Grundrechte rechtfertigen könnte. Insbesondere zu kurz greift ein Ausschluss nicht „kommerzialisierbarer“ Freiheitsrechte, wie beispielsweise der Ehre, Meinungsäußerung oder Versammlungsfreiheit.632 Denn kann zwar der Verlust dieser ideellen Freiheiten nicht durch Geldzahlung kompensiert werden, so kommen zumindest in engem inneren Zusammenhang stehende, ersatzfähige kommerzialisierte Aufwendungen in Betracht.633 Auf diese Art und Weise kann jedes einzelne Grundrecht eine staatliche Ausgleichszahlung bedingen, sodass finanzielle Kompensationsan627  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S.  358; Bachof, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  113 ff.; Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 245 f.; im Ergebnis auch Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 194, 199 f. Vgl. auch Klement, DV 2004, 73, 76 und bereits Meyer, Soziales Entschädigungsrecht, S. 129. 628  Diese finden sich im Zivilrecht als auch im Öffentlichen Recht. Von der Rechtsfolge identisch zeigen sich §§ 1, 2 StHG 1981. 629  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 363 f.; vgl. auch Redeker, DÖV 1987, 194, 198; von Franckenstein, NVwZ 1999, 158 ff. 630  Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 364  f.; Röder, Haftungsfunktion, S. 292 ff. Vgl. dazu im Rahmen des StHG-1981 auch Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, § 2 Rn. 133 ff.; Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 480; Maurer, DV 1983, 45, 60. 631  Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 352; Roth, Faktische Eingriffe, S. 87. 632  Vgl. hierzu Sass, Entschädigungserfordernis, S. 82  ff.; Haack, DVBl. 2010, 1475, 1479: Mit Ausnahme der Berufsfreiheit seien Freiheitsrechte nicht finanziell kompensierbar. Dazu auch Sachs, in: Merten / Papier (Hrsg.), HGR, Bd. II, § 39, Rn. 53. 633  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 367; Röder, Haftungsfunktion, S. 259.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

sprüche keineswegs „undurchführbar“634 sind. So kann auch im Falle nicht kommerzialisierbarer Freiheitsrechte die Unmöglichkeit des vollständigen (monetären) Ersatzes der eingebüßten Freiheit kein Argument dafür sein, selbst eine Wiedergutmachung des ersatzfähigen Schadens zu verweigern.635 Zusammenfassend folgt damit weder eine allgemeine Gefährdungshaftung noch ein automatischer Ersatz jeglicher irgendwie vermittelter Schäden, sondern eine anhand des materiellen Gehalts der einzelnen Grundrechte differenzierte Betrachtung.636 Die Eingriffsdogmatik erweist sich nicht nur bei der Haftungsbegründung, sondern auch bei der Haftungsausfüllung als belastbares Kriterium, um dem grundrechtlichen Ersatzanspruch klare Konturen zu geben. Mithin stellt eine genaue teleologische Auslegung der Grundrechte unter Rückgriff auf die sorgsam ausdifferenzierte Eingriffsdogmatik ein systematisches Konzept zur Verfügung, mit dem auch die kompensatorischen Einstandspflichten des Staates hinreichend begründet und präzisiert werden können. V. Grenzen der Grundrechtshaftung Wie jeder Anspruch unterliegt auch der grundrechtliche Integritätsanspruch bestimmten rechtlichen und faktischen Grenzen. Ebenso wie die Herleitung und Ausformung dürfen diese Ausschlusskriterien allerdings nicht vorschnell aufgrund fragwürdiger Erwägungen postuliert werden, sondern müssen sich aus den Grundrechten oder ebenbürtigen Grundsätzen deduzieren lassen. 1. Unmöglichkeit Keinem vernünftigen Zweifel kann unterliegen, dass an einer tatsächlichen oder rechtlichen Unmöglichkeit regelmäßig auch der grundrechtliche Haftungsanspruch scheitern muss. Es wäre indes gleichermaßen verfehlt, aus der Unmöglichkeit der vollständigen Naturalwiederherstellung der geschützten aber Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 213 ff. Rechte und Ansprüche, S. 367. Anders aber beispielsweise LG Leipzig, NVwZ 2001, 469 (470 f.). Wie dargestellt steht bei der Schadensberechnung die Ersatzfunktion der Grundrechte im Vordergrund; nur sekundär kommen präventivfunktionale Überlegungen gegenüber dem Staat zum Tragen. Solche können jedoch auch bei Ausgleichszahlungen berücksichtigt werden, wenn sie sich ausnahmsweise aus einer grundrechtlichen Schutzpflicht ergeben. Dies nimmt der BGH bei Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts an, vgl. BGHZ 26, 349 (354 ff.); 39, 124 (130 ff.); 128, 1 (14 ff.). 636  Röder, Haftungsfunktion, S. 287 f.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 360, 367 f.; a. A. wohl Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, S. 374. 634  So

635  Grzeszick,



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten223

Freiheitssphäre den Ausschluss sämtlicher grundrechtlicher Reaktionsansprüche zu folgern. Vielmehr muss gestuft ermittelt werden, welche Reaktion ausgeschlossen ist und welche auf der Kehrseite noch denkbar bleibt.637 Zunächst kann die bloße Unmöglichkeit der vollständigen Wiederherstellung in natura zu keinem umfassenden Anspruchsausschluss führen. Andernfalls liefe der Schutzanspruch leer, da bereits der Zeitablauf regelmäßig einer identischen Restitution entgegenstehen wird. Daher scheidet die Wiederherstellung nur aus, wenn auch ein gleichwertiger Status nicht realisierbar ist.638 Dann aber ist an den Folgenersatz in Geld zu denken, der dem Bürger die verlorene Freiheit „kompensiert“. Erst wenn dieser mangels kommerzialisierbarem Grundrecht und ersatzfähiger Aufwendungen ebenfalls ins Leere geht, ist die Reaktionsfähigkeit des Grundrechts erschöpft.639 Vorher ist indes eindeutig zu ermitteln, inwieweit sich der grundrechtliche Schutzanspruch durch tatsächliche Unmöglichkeit von „einem Bestandsschutz der konkreten Freiheit zu einem Bestandsschutz der vergleichbaren Freiheit und schließlich zu einem Wertschutz“640 wandelt. Die grundrechtliche Fundierung des Anspruchs bedingt gleichermaßen eine enge Auslegung der rechtlichen Unmöglichkeit, da sich diese als direkte Beschränkung des Grundrechtsschutzes darstellt und damit einem besonderen Rechtfertigungsdruck unterliegt.641 So steht beispielsweise auch die Bestandskraft eines rechtswidrigen Verwaltungsakts einer kompensatorischen Geldzahlung nicht prima facie entgegen, ist jedoch im Rahmen des anspruchskürzenden Mitverschuldens zu berücksichtigen.642 In den komplexen, hier nur am Rande zu skizzierenden Konstellationen, in denen die Rechtsverletzungsreaktion ein Tätigwerden gegenüber einem Dritten erfordert, ist zu konstatieren, dass das Grundrecht zwar einen Anspruch gegenüber dem Staat zur Verfügung stellt, seiner Rechtsnatur nach aber niemals als Eingriffsbefugnis gegenüber einem anderen Bürger dienen kann. Diese ergibt sich derweil regelmäßig aus allgemeinen Vorschriften, sodass nur selten eine rechtliche Unmöglichkeit anzunehmen sein wird.643 637  Grzeszick,

Rechte und Ansprüche, S. 371. Folgenbeseitigungsanspruch, S. 145 ff. Zu kurz greift die Kritik von Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 338, da er sich nur unzureichend mit den Folgen des Unmöglichwerden der Folgenbeseitigung auseinandersetzt. 639  Vgl. dazu Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 362 ff.; 367 ff.; 371 f. 640  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 372. 641  Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 510. 642  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 376 f. Dabei kann eine zumutbare Abwehr die Rechtsverletzungsreaktionsansprüche im Extremfall vollständig ausschließen. 643  Vgl. dazu Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 148 ff.; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  511 ff.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 379 ff.; jew. m. w. N. 638  Schneider,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

2. Zumutbarkeitserwägungen und Mitverantwortlichkeit des Betroffenen Eine weitere verfassungsrechtliche Grenze der Grundrechtsausübung bilden die Schranken der Verwirkung, beziehungsweise des Missbrauchs,644 die allerdings im Bereich der Grundrechtshaftung nur extrem selten einschlägig sein werden: Denn mag auch in engen Ausnahmefällen das Verlangen nach Herstellung eines gleichwertigen Freiheitszustands oder sogar nach Beeinträchtigungsbeseitigung rechtsmissbräuchlich wirken, wird dies regelmäßig für eine Geldzahlung nicht gelten, da sich diese an dem „Marktwert“ der rechtswidrig entzogenen Freiheit orientiert, womit groben Missverhältnissen bereits strukturell vorgebeugt wird.645 Abzulehnen ist darüber hinaus auch eine als Verhältnismäßigkeitsprüfung verstandene Unzumutbarkeit im Rahmen der Reaktionsansprüche, sofern sie über die Kategorie der Rechtsmissbräuchlichkeit hinausgeht.646 Denn bereits rechtstechnisch ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht geeignet, die Reichweite der grundrechtlichen Schutzansprüche einzugrenzen: Seiner Natur nach will er staatliche Eingriffe auf ein akzeptables Maß zurückdrängen und wirkt damit bürgerfreundlich. Aus derselben Rechtsfigur gleichzeitig eine Beschränkung der Freiheitsrechte zu deduzieren, bedeutete sie in ihr Gegenteil zu verkehren.647 Ebenso ist aufgrund der verfassungsimmanenten Dogmatik von einem Rückgriff auf weitere Einschränkungstopoi aus dem Zivilrecht Abstand zu nehmen. Gleichsam kann die notwendige und sinnvolle Berücksichtigung einer Mitverantwortlichkeit des Betroffenen wie besehen direkt über den Gedanken der Eingriffszurechnung verfassungsrechtlich verortet werden. Das Begehren des Geschädigten erweist sich nämlich insoweit als nicht zurechenbar, als es in seinem eigenen Verantwortungsbereich wurzelt.648 Der Anspruch 644  Zu diesen Kategorien grundlegend nur Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S.  37 ff.; 99 ff.; Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 11 ff. 645  Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 531  ff.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 388, der allein eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit eines Staatsorgans oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zur Annahme einer Grundrechtsverwirkung ausreichen lassen will. Ähnl. restriktiv Fiedler, NVwZ 1986, 969, 976. 646  Erbguth, JuS 2000, 336, 337  f. m. w. N.; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 169; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 390 f. 647  Vgl. Schoch, Jura 1993, 478, 485; Erbguth, JuS 2000, 336, 337 f.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 389; a. A. beispielsweise Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 164 ff. Ausführlich oben Dritter Teil: § 2 B.I.1., S. 163 ff. 648  Röder, Haftungsfunktion, S. 300 f.; vgl. auch Schoch, VerwArch 1988, 1, 54, der auf das Prinzip des venire contra factum proprium verweist. Ähnl. auch Pietz­ko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  554 f.; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 182 f.; mehrdeutig soweit Sass, Entschädigungserfordernis, S 455, der zunächst auf einen



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wird also nicht nachträglich gekürzt; er entsteht vielmehr bereits nur in der dem Verantwortungsanteil des Staates entsprechenden Höhe. Kommt es zu einem unteilbaren Beseitigungsanspruch, ist dieser nur gegen eine finanzielle Ausgleichszahlung des Betroffenen durchsetzbar, wobei diesem die Möglichkeit zukommt, alternativ einen gekürzten Geldleistungsanspruch zu wählen.649 3. Vorrang des Primärrechtsschutzes als Rangprinzip? Zu untersuchen ist weiterhin, ob sich hinsichtlich des grundrechtlichen Reaktionsanspruchs in seinen einzelnen Ausprägungen aus der Verfassung Vorrangregelungen im Verhältnis zu verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzlichen Normen ergeben.650 Scheinen auch die Grundrechte zunächst wenig Abschließendes zu ergeben,651 lässt sich aus ihrer Regelungsintention bei genauer Betrachtung auch die Rangfolge der einzelnen Ansprüche ermitteln.652 So erfüllen Primärrechts- und Sekundärrechtsschutz zwar beide dieselbe Funktion – Rechtsschutz gegen staatliches Handeln – unterscheiden sich aber doch in ihrer Zielrichtung: Während erster auf Beseitigung gerichtet ist, nimmt der Sekundärrechtsschutz den Zustand zwangsläufig hin und zielt auf Wiedergutmachung der Rechtsverletzung.653 Da das Prinzip der vollen Rechtmäßigkeitsrestitution – oder in grundrechtlicher Terminologie: der ungestörte Status allgemeinen Rechtsgedanken Bezug nimmt, andererseits aber auf ein „im Garantiegehalt der Grundrechte angelegtes Prinzip“ rekurriert. 649  Vgl. Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  187  f.; Böß, Vergleich, S.  123 f.; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 557 f.; Maurer, VerwR, § 29 Rn. 18. Insoweit deckt sich das Konzept mit den Ausführungen zum Folgenentschädigungsanspruch. Vgl. daher vertieft auch Dritter Teil: § 2 B.I.2., S. 166 ff. m. w. N. 650  Hierbei ist die parlamentarische Souveränität zu achten. Kodifiziert der Gesetzgeber einen Sachverhalt in verfassungskonformer Weise abschließend, darf dieser nicht durch den grundrechtlichen Haftungsanspruch unterlaufen werden. Vgl. mit dem Beispiel eines rechtswidrigen, aber mangels eingelegtem Rechtsschutz bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 393 f.; ähnl. auch Schoch, DV 2001, 261, 285. Die Einschränkung aus im Verfassungsrang stehenden Gründen der Rechtssicherheit und der Funktionalität des Verwaltungsverfahrens ist gerechtfertigt, vgl. auch Luhmann, Entschädigung, S. 87 ff. 651  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 393; in diesem Sinne auch Axer, DVBl. 2001, 1322, 1330. 652  Von der „Logik des Systems“ spricht Böß, Vergleich, S. 119; vgl. Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 244; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 202 ff.; Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S.  340 ff. 653  BGHZ 111, 17 (22); 138, 247 (251); Axer, DVBl. 2001, 1322; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 188.

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negativus – das zu erreichende Ideal bildet, lässt sich der Vorrang der primären Rechtsbehelfe bereits aus der Logik dieses Systems begründen.654 Dass der Unterlassungsanspruch deshalb „vorrangig“ ist, ergibt sich zwanglos aus seiner Rechtsnatur: Denn allein er besteht im Vorfeld einer Störung und ist geeignet, den unbeeinträchtigten Status quo zu bewahren. Bezogen auf dieselbe Verletzungshandlung können Beseitigungs- oder Ersatzansprüche überhaupt nur entstehen, wenn der Unterlassungsanspruch entweder nicht geltend gemacht oder aber missachtet wurde.655 Kehrseitig kann die Subsidiarität des Sekundärrechtsschutzes höchstens soweit gehen, wie die präventive Abwehr möglich und zumutbar bleibt: insbesondere faktische, unabwendbare Eingriffe, aber auch Schäden, die zwischen Eingriffshandlung und Wiedergutmachung eintreten, müssen davon ausgenommen bleiben.656 Zum besseren Verständnis der Reichweite des so verstandenen Vorrangs des Primärrechtsschutzes muss zwischen zwei Perspektiven differenziert werden. Zum einen ist fraglich, ob der Staat den Bürger auf „nachrangige“ Ansprüche verweisen darf. Hiervon zu unterscheiden sind Konstellationen, in denen der Bürger auf seine primären Ansprüche verzichtet, um sich auf andere Art und Weise beim Staat zu erholen. Der verletzende Hoheitsträger darf gegebene bürgerliche Ansprüche nicht ohne weiteres ausschließen. Vielmehr kann er sich nur durch die anspruchsausschließenden Einwendungen der Unmöglichkeit oder Rechtsmissbräuchlichkeit „verteidigen“. Ein Zurückziehen auf subsidiäre Kompensationsmechanismen steht dem Staat damit nur offen, wenn die primären Institute eine Wiederherstellung nicht oder nicht allein gewährleisten können.657 Diesen Leitgedanken stützte das BVerfG in seinem wegweisenden Nassauskiesungsbeschluss658 zu Recht maßgeblich auf die Funktion der Grundrechte als Bestandsgarantien, die erst bei Entzug in Wertgarantien umschlügen.659 Die Rechtsprechung erweiterte die grundsätzlichen Überlegungen schließlich zur allgemeinen Maxime des Vorrangs des Primärrechtsschutzes vor Ersatzansprüchen.660 Danach bleibt es richtigerweise dem Staat versagt, den Bürger 654  Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 244; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 202 ff., 376 ff.; Morlok, DV 1992, 371, 378 f. 655  Morlok, DV 1992, 371, 379; Ähnl. Röder, Haftungsfunktion, S. 298 f. 656  Vgl. zum Eigentum auch Böß, Vergleich, S. 110; Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 245; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 136 f.; allgemeiner Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 395 f. 657  Axer, DVBl. 2001, 1322, 1329 m. w. N.; Morlok, DV 1992, 371, 378 f. spricht davon, dass die „Quelle allen Übels verstopft werden“ muss, ehe an die Beseitigung der Folgen zu denken ist. 658  Bereits vor diesem „Meilenstein“ fanden sich jedoch zahlreiche Andeutungen des Konzepts, vgl. BVerfGE 24, 367 (401), dazu Böhmer, NJW 1988, 2561, 2564. 659  BVerfGE 58, 300 (323).



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auf eine finanzielle Wiedergutmachung zu verweisen, solange die Herstellung des geschützten Zustandes möglich ist.661 Welche Konsequenzen sich für die Anspruchsberechtigung des Bürgers ergeben, ist jedoch davon unabhängig zu bewerten. Wegweisend für die Rechtsprechung nahm das BVerfG in seinem Nassauskiesungsbeschluss spiegelbildlich einen vollständigen Ausschluss sekundärer Rechtsschutzmittel bei Versäumnis des Primärrechtsschutzes an. So soll, wer „von den ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Möglichkeiten, sein Recht auf Herstellung des verfassungsmäßigen Zustandes zu wahren, keinen Gebrauch macht, […] wegen eines etwaigen, von ihm selbst herbeigeführten Rechtsverlustes nicht anschließend von der öffentlichen Hand Geldersatz verlangen“662 können. Nach Auffassung der Gerichte besteht also eine Obliegenheit663 des Bürgers, den Hoheitsakt zu prüfen und mit den ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten primären Rechtsbehelfen anzugreifen. Sanktioniert wird diese getreu dem Motto: „Wer den Rechtsschutz nicht ehrt, ist der Entschädigung nicht wert“664, also durch den Ausschluss von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen. Damit wird ein Wahlrecht des Betroffenen zwischen einer Hinnahme des Eingriffs und der Liquidation seiner Verluste – dem „dulde und liquidiere“ und einer Abwehr des hoheitlichen Aktes – strikt abgelehnt.665 Über die kodifizierten Konstellationen hinaus wendet die 660  Vgl. nur BGHZ 138, 247 (251). Auch der EuGH entnimmt den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten eine Schadensbegrenzungspflicht des Betroffenen und anerkennt auf europäischer Ebene den Vorrang des Primärrechtsschutzes, EuGH, Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 84 f.  – Brasserie du Pêcheur und Factortame.; EuGH, Verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90,  Slg.  1992,  I-3061, Rn. 33  – Mulder; vgl. auch Zenner, Haftung der EG-Mitgliedstaaten, S. 140 ff. m. w. N. 661  Fragwürdig insofern daher Pfab, Staatshaftung, S. 170, die dem Gesetzgeber ein Wahlrecht hinsichtlich der Wiedergutmachungsart zukommen lassen will. 662  BVerfGE 58, 300 (324). 663  Insofern ist es nicht vollständig zutreffend von einer „Pflicht“ des Betroffenen zu sprechen. Denn eine korrespondiere Forderung existiert nicht, der Bürger kann auch nach der Rechtsprechung nicht etwa zur Einlegung der Rechtsbehelfe verpflichtet werden. Vielmehr ist die Anstrengung des Primärrechtsschutzes als eine Obliegenheit zu qualifizieren, der der Betroffene zuwider handeln kann, ohne wie bei einer Pflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden zu können. Er hat dann aber auch die Konsequenzen seines Verhaltens, in diesem Falle den Ausschluss des Sekundärrechtsschutzes, zu tragen. Vgl. zur Abgrenzung nur BGH, NJW 2011, 914 f. 664  Lege, NJW 1990, 864, 871. 665  BVerfG, DVBl. 2000, 250 (251). Prototypisch kodifiziert wurde diese Regel in § 839 Abs. 3 BGB. Diente die Regelung ursprünglich dem Schutz des persönlich haftenden Beamten, ist dieser Zweck mit der Haftungsüberleitung auf den Staat weitgehend obsolet geworden. Vielmehr hat die Norm heute den zweifelhaften Selbstzweck, den Vorrang des Primärrechtsschutzes gegenüber der Amtshaftung zu garan-

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Rechtsprechung den so verstandenen Vorrang des Primärrechtsschutzes auch auf die übrigen staatshaftungsrechtlichen Institute an,666 sodass nach dieser Ansicht der Rekurs auf den grundrechtlichen Reaktionsanspruch ebenfalls versagt wäre.667 Indes ist zweifelhaft, ob ein solcher Ausschluss überzeugen kann. Denn bei Lichte betrachtet ist ein allgemeines Rechtsprinzip, wonach der versäumte Primärrechtsschutz sekundärrechtliche Behelfe präkludiert, als Versagung materieller Rechte aufgrund prozessrechtlicher Versäumnisse verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig.668 Dies gilt umso mehr, als eine aus der Präklusion folgende Außerachtlassung der staatlichen Verantwortlichkeit für den Schadenseintritt die grundgesetzliche Risikoverteilung schlicht verkehren würde.669 Zutiefst trügerisch scheint, aus dem bloßen Bestehen von Rechtsbehelfen auf die Obliegenheit des Bürgers zu schließen, diese auch wahrzunehmen. Eine derartige „Rechtsschutzlast“670 darf nicht ohne weiteres angenommen werden, sondern muss sich an den Wertungen der Rechtsordnung, insbesondere des Grundgesetzes messen lassen.671 Zum Scheitern verurteilt ist zunächst der Ansatz, die Notwendigkeit der abgestuften Rechtsverteidigung aus Art. 19 Abs. 4 GG deduzieren zu wollen.672 Die Rechtsschutzgarantie soll ihrem Sinn nach eine tatsächlich wirksame Kontrolle exekutiven Handelns und die Durchsetzung subjektiver Rechte ermöglichen,673 wozu indes entscheidend auch die Sekundärrechts­ tieren. Vgl. nur Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 326; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 92. 666  BGHZ 76, 387 (394); 90, 17 (31); Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Einl., Rn. 232. 667  In diese Richtung auch Breuer, Staatshaftung, S. 138 ff. 668  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 445, der auf zivilrechtliche Präklusionsvorschriften mit Ausnahmecharakter hinweist; Axer, DVBl. 2001, 1322, 1327; Breuer, Staatshaftung, S.  140 f. 669  Selmer, Aufopferungsanspruch, S.  113 f.; Ossenbühl, NJW 1983, 1, 5; Röder, Haftungsfunktion, S. 302. 670  Zum Begriff der Rechtsschutzlast Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 395 f. Kritisch auch Wolffgang / Tervooren, ZfZ 2004, 82, 85. 671  Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 198; Ossenbühl, NJW 1983, 1, 6; Selmer, Aufopferungsanspruch, S.  113 f.; Axer, DVBl. 2001, 1322, 1327 ff. Bemerkenswerter Weise folgt das BVerfG diesem Grundprinzip ausgerechnet in der Nass­ auskiesungsentscheidung. Denn der Vorrang des Primärrechtsschutzes im Bereich rechtmäßiger Enteignungen lässt sich in der Tat auf eine aus Art. 14 Abs. 3 GG fließende Verfassungsnotwendigkeit zurückführen. Vgl. dazu Haas, Öffentlichrechtliche Entschädigungen, S. 12; Knauber, NVwZ 1984, 753, 756; Breuer, Staatshaftung, S. 139. 672  Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 188. 673  Vgl. nur BVerfGE 101, 106 (122); 101, 397 (407).



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instrumente dienen. Es widerspricht klar dem Telos der Norm, wenn aus Art. 19 Abs. 4 GG letztlich eine Einschränkung des Rechtsschutzes hergeleitet wird, um den Bürger damit zur Einlegung primärer Rechtsbehelfe zu zwingen.674 Wie dargestellt ist die Rechtsmäßigkeitsrestitution gedanklich eng mit dem Rechtsstaatsprinzip verknüpft.675 Teilweise wird gerade aus dieser Verbindung eine staatsbürgerliche Pflicht zur Ausübung der ihm zustehenden Primärrechtsbehelfe gefolgert, da der Bürger im demokratischen Staat für die Wahrung der Rechtsordnung eine Mitverantwortung trage.676 Indes ist Adressat des Rechtsmäßigkeitsgebots gerade die Hoheitsgewalt und nicht der Bürger selbst: Ihm kann daher aus Art. 20 Abs. 3 GG niemals eine Pflicht auferlegt werden, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch die erzwungene Einlegung seiner Rechtsmittel zu gewährleisten.677 Eine solche führte darüber hinaus auch zu dem rechtsstaatlich kaum vertretbaren Ergebnis einer finanziellen Entlastung des Staates auf Kosten des Betroffenen, indem seine prinzipiell gegebenen Ersatzansprüche versagt werden.678 Aufgrund der Unergiebigkeit dieser Rechtssätze zur Stützung eines derart verstandenen Vorrangs des Primärrechtsschutzes bleibt allein der Rekurs auf die Freiheitsrechte selbst. Zwar ist zweifelsfrei zutreffend, dass Grundrechte primär auf Bestandsschutz zielen und dem Betroffenen daher in erster Linie Unterlassungsansprüche zur Seite stellen.679 Hieraus aber kann dem Bürger keine Pflicht zu einer bestimmten Art der Verteidigung seiner Freiheit auferlegt werden, die im Ergebnis mit dem Ausschluss aller übrigen Reaktionsansprüche sanktioniert wird.680 Die Argumentation läuft ad absurdum, wenn mit dem Primat der Bestandsgarantie eine Schwächung der Wertgarantie einhergehen soll. Versteht man den Vorrang im Sinne eines unbedingten Ausschlusses des Sekundärrechtsschutzes im Falle der versäumten Einlegung primärer Rechtsschutzbehelfe, so stellt dieser sich als vor den Freiheitsrechten recht674  Ossenbühl, NJW 1983, 1, 6; Axer, DVBl. 2001, 1322, 1328; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 202 ff., 446; Papier, NVwZ 1983, 258, 259; Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 244; Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S.  340 ff.; Boujong, UPR 1984, 137, 139. 675  Morlok, DV 1992, 371, 379; vertiefend Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S.  217 ff. 676  Engelhardt, VersR 1989, 1221 f. 677  Klar zu trennen sind diese Überlegungen von der zielführenden „Utilisierung“ des Bürgers als „Wächter des Rechts“, indem ihm Ansprüche an die Hand gegeben werden, um staatliches Handeln einer gerichtlichen Kontrolle zuzuführen. Vgl. zu dieser Ratio im Europarecht: Zweiter Teil: § 1 B.III.3.a), S. 86 ff. 678  Axer, DVBl. 2001, 1322, 1329. 679  BVerfGE 58, 300 (323). 680  Hößlein, Judikatives Unrecht, S. 103 ff.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

fertigungsbedürftige Einschränkung der grundrechtlichen Dispositionsfreiheit dar.681 Denn dass ein Recht regelmäßig die Befugnis enthalten muss, auf es zu verzichten, bedarf keiner weiteren Ausführungen.682 Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, ein Wahlrecht des Bürgers683 würde zu einer zunehmenden Kommerzialisierung grundrechtlicher Positionen führen,684 da der Staat als immer leistungsfähiger Schuldner Grundrechtsverstöße ohne größeren Aufwand „erkaufen“ könnte.685 Diese Kritik übersieht, dass dem Staat gerade kein Einfluss auf die Dispositionsfreiheit des Bürgers zukommt, der seine Entscheidung autonom treffen kann. Insbesondere die Grundrechte selbst stehen einer Verkürzung des Rechtsschutzes damit entgegen. Im Gegenteil zum bundesverfassungsgerichtlichen Verdikt ist also verfassungsrechtlich der Vorrang des Primärrechtsschutzes nicht die allgemeingültige Regel, sondern eine begründungsbedürftige Ausnahme.686 Für eine solche besteht indes kein Bedürfnis, da das Verhalten des Bürgers durch andere Mechanismen adäquat berücksichtigt werden kann.687 Diese klingen im auch Axer, DVBl. 2001, 1322, 1330. im Zusammenhang mit dem Vorrang des Primärrechtsschutzes Axer, DVBl. 2001, 1322, 1327 f., 1330; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 396 f., 402; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 342. 683  Dafür auch Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 199 ff. 684  Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 90; Heinz / Schmitt, NVwZ 1992, 513, 519; in diese Richtung auch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 68; Breuer, Staatshaftung, S. S 141. 685  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 76. 686  Vgl. Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 198; Luhmann, Entschädigung, S. 146; Ossenbühl, NJW 1983, 1, 6; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 446; Papier, NVwZ 1983, 258, 259; Selmer, Aufopferungsanspruch, S. 113 f. Auch kann der Vorrang des Primärrechtsschutzes nicht zirkulär deshalb vorausgesetzt werden, weil er „ein fest etablierter und auch verfassungsgerichtlich akzeptierter Bestandteil des geltenden Staatshaftungsrechts“ sei (so Breuer, Staatshaftung, S. 139). Basierend auf dieser apodiktisch anmutenden Aussage geht Breuer ohne nähere Begründung von davon aus, das „Modell einer verfassungsrechtlich verankerten Staatsunrechtshaftung [habe] diesen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Jedenfalls [läge] die Argumentationslast bei demjenigen, der nicht in der Lage ist, den Vorrang des Primärrechtsschutzes schlüssig in sein Modell zu integrieren.“ Deshalb wertet er auf S. 140 ff. die zutreffend erkannte Unvereinbarkeit einer grundrechtlich fundierten Haftung mit dem Vorrangprinzip als Beweis der Fehlerhaftigkeit der These einer Grundrechtshaftung. Noch irritierender will Scherzberg, DVBl. 1991, 84, 90 richtigerweise von einer Gleichwertigkeit von positiver und negativer Freiheitsausübung ausgehen, dann aber von dem Gesetzgeber die Einführung eines wahlrechtsausschließenden Tatbestands fordern, da nur dieser der Regelungsintention der Grundrechte entspreche. Anstatt aber die naheliegende Konsequenz zu ziehen und das Vorrangprinzip zu hinterfragen, werden nur schwerlich nachvollziehbare Auswege gesucht. 687  Nicht durchgreifen kann auch der auf den ersten Blick naheliegend scheinende Einwand, ein Anspruchsausschluss sei im Hinblick auf § 839 Abs. 3 BGB bereits 681  So

682  Vgl.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten231

Duktus des Nassauskiesungsbeschlusses selbst an: Denn ausgeschlossen sein soll prinzipiell nur ein Ersatz der vom Betroffenen selbst herbeigeführten Rechtsverluste.688 Diese Erwägung könnte man bereits im Rahmen der Zurechnung fruchtbar machen: Insofern der Schaden auf dem bürgerlichen Unterlassen der Abwehrmaßnahmen beruht, ist dieser dem Staat nicht zurechenbar – man könnte insoweit von einem eigenverantwortlichen Dazwischentreten sprechen, das die Zurechnungskette unterbricht.689 Soweit der Betroffene durch zumutbaren Rechtsschutz den Schaden verhindern hätte können, ist es ihm also ohnehin verwehrt, sich beim Staat nachträglich zu erholen.690 Hierbei sind die in der Rechtsprechungspraxis berücksichtigten Kriterien vor dem Hintergrund zu gewichten, dass dem Staat aufgrund der rechtswidrigen Handlung die primäre Verantwortung zukommt.691 Daher wird das Nichtanstrengen des Primärrechtsschutzes nur in Ausnahmefällen den vollständigen Entfall von Entschädigungs- und Schadensersatzansprüchen rechtfertigen können.692 Gleichermaßen ist es damit aber terminologisch deswegen zwingend, da andernfalls der „von einem schuldlos rechtswidrigen Eingriff Betroffene eine bessere Rechtsposition [habe] als das Opfer einer schuldhaften Amtspflichtverletzung“. (so bezüglich der Heranziehung von § 254 BGB auf den enteignungsgleichen Eingriff Engelhardt, NVwZ 1985, 621, 628; Schoch, Jura 1990, 140, 150; Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 245). Zum einen trifft dies insofern nicht zu, als dass es auch dem Opfer schuldhafter Grundrechtsverletzungen offensteht, statt des Amtshaftungsanspruchs seine grundrechtlichen Schutzansprüche geltend zu machen. Bereits normhierarchisch ist aber ein Rückgriff versperrt, „weil die Bestimmung als einfachrechtliche Norm keine grundrechtlichen Schutzmodalitäten beschneiden kann und inhaltlich dem besonderen Gewicht der Grundrechtsverletzung in keiner Weise Rechnung trägt.“ (Sass, Entschädigungserfordernis, S. 451; vgl. bereits Konow, DVBl. 1968, 205, 208). 688  BVerfGE 58, 300 (324). 689  So Röder, Haftungsfunktion, S. 300 f. 690  Schenke, JuS 1990, 370, 375; Ehlers, JZ 1996, 776, 779; Schoch, Jura 1990, 140, 150. Eine solche Deutung ließe sich auch mit den Urteilen des BVerfG vereinbaren, deren Terminologie wie bereits dargestellt an die Verantwortlichkeit des Bürgers anknüpft. Wenig nachvollziehbar ist dann aber, warum bei einem „Mitverschulden“ des Bürgers der Sekundärrechtsschutz vollständig entfallen soll und nicht lediglich anteilig gekürzt wird. Vgl. dazu Axer, DVBl. 2001, 1322, 1326: Ein derartiger Schluss wäre allein bei einer entsprechenden Heranziehung von § 839 Abs. 3 BGB nachvollziehbar, die jedoch zu Recht abgelehnt wird. Daher scheint es inkonsequent, den von den Gerichten praktizierten absoluten Vorrang des Primärrechtsschutzes durch einen Verweis auf § 254 BGB abzusichern; vielmehr führt eine normgemäße Anwendung zu einer Anspruchskürzung im Ausmaß des Mitverschuldens des Bürgers. 691  BVerwGE 82, 24 (27); pointiert Sass, Entschädigungserfordernis, S. 210  f., 446: „Derjenige, der […] nicht sofort Rechtsbehelfe einlegt, wird durch diese Unterlassung noch nicht zum Rechtsverletzer […].“ Ähnl. auch Selmer, Aufopferungsanspruch, S. 113; Ossenbühl, NJW 1983, 1, 5. 692  Teilweise wird daher auch auf den Gedanken der Verwirkung oder Rechtsmissbräuchlichkeit verwiesen: So ausführlich Hösch, DÖV 1999, 192, 196 und Rö-

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

verfehlt, von einem Vorrangverhältnis zu sprechen; vielmehr bilden primärer und sekundärer Rechtsschutz Reaktionsmöglichkeiten des Bürgers gegen rechtswidriges hoheitliches Handeln, die zunächst gleichwertig nebeneinander stehen. Klärungsbedürftig bleibt schließlich das Verhältnis zwischen Beseitigung und Ersatz. Insbesondere, wenn man den Beseitigungsanspruch als Wiederherstellungsanspruch klassifiziert, scheint ein Vorrang vor einem monetären Ersatz naheliegend, da die Beseitigung näher am idealtypisch ungestörten grundrechtlichen Status negativus ausgerichtet ist.693 Doch selbst wenn man zutreffend von einem auf einen gleichwertigen Zustand gerichteten Herstellungsanspruch ausgeht, scheint der naturale Ersatz zielführender als der finanzielle.694 Im Wesentlichen ist nichtsdestotrotz auf das oben Gesagte hinzuweisen: Kann der Staat sich seiner Pflicht zur Herstellung eines gleichwertigen Zustands zumindest nicht ohne weiteres durch eine Geldzahlung entziehen, wirkt diese reaktionsrechtliche Stufung nicht zulasten des Bürgers.695 Im Gegensatz zum Unterlassungsanspruch kann auch hier ein Mitverschulden kaum von Relevanz sein, da es nicht länger um die Vermeidung einer Grundrechtsverletzung, sondern um die Reaktion auf eine bereits geschehen Beeinträchtigung geht.696 Beide grundrechtlich fundierten Ansprüche sind darauf der, Haftungsfunktion, S. 302 f. Auf die enge Verwandtheit zu § 254 BGB weisen insbesondere hin Luhmann, Entschädigung, S. 86; Battis, Aufopferungsentschädigung, S.  69 ff.; Selmer, Aufopferungsanspruch, S.  113 ff.; Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 231. 693  Der Folgenbeseitigungsanspruch entspräche dem „Schutzziel maximaler Integritätssicherung weit mehr […] als bloßer Geldausgleich“. So Röder, Haftungsfunktion, S. 298 in Anlehnung an Morlok, DV 1992, 371, 378 ff.; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 394, die allerdings von einem Verständnis des Folgenbeseitigungsanspruchs als verkürztem Naturalrestitutionsanspruch ausgehen. 694  In diesem Sinne auch Morlok, DV 1992, 371, 384 ff. m. w. N.: Die Nachrangigkeit zur jeweils vorausgehenden Stufe ergebe sich bereits aus dem Prinzip der Rechtmäßigkeitsrestitution. 695  Dies übersieht Morlok, DV 1992, 371, 385, wenn er konzediert, das Wahlrecht könne zwar Vorteile für Bürger haben, Ziel des Sekundärrechts sei jedoch nicht die weitest mögliche Privilegierung des Bürgers, sondern Herstellung des primärrechtlich geschuldeten Zustands. Denn eben dieser Zustand ist nicht mehr herstellbar – insofern kann nur die vorstaatliche Freiheit des Bürgers den Maßstab bilden. Ob dieser indes durch naturale Restitution oder durch Geld als generalisiertes Kompensationsmittel Gerechtigkeit getan wird, kann nicht entscheidend sein. 696  Es mögen Fälle denkbar sein, in denen der grundrechtswidrige Zustand „weiterfrisst“, sofern ein dem Idealstatus vergleichbarer Zustand nicht hergestellt wird. Unterlässt es der Bürger jedoch nach der Kompensationszahlung, Abhilfe zu schaffen, so dürften die weiter entstehenden Schäden dem Staat nicht mehr zurechenbar sein, ohne dass es eines Rückgriffs auf das Prinzip des Mitverschuldens bedürfte.



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gerichtet, diesen Verstoß bestmöglich ungeschehen zu machen: Sei es durch Beseitigung der Folgen – also letztlich die Herstellung eines vergleichbaren hypothetischen Zustands oder aber durch Kompensationszahlung, die dem Bürger die Herstellung eines solchen ermöglichen soll.697 Für eine Stufung oder ein Vorrangverhältnis der Ansprüche lassen sich vor dem Hintergrund dieser Überlegungen keine durchgreifenden Argumente anführen. So kommt dem Bürger ein Wahlrecht zwischen Folgenbeseitigung und einer Ersatzzahlung zu, das nichts anderes als ein Ausfluss seiner Dispositionsfreiheit über den grundrechtlich geschützten Freiheitsraum und damit Teil seiner grundrechtlichen Freiheit selbst ist:698 Denn gerade „die Beliebigkeit der grundrechtlich geschützten privaten Freiheit begründet die inhaltliche Omnipotenz ihres grundrechtlichen Schutzes“699. Da das bürgerliche Verhalten adäquat im Rahmen der Zurechnung berücksichtigt werden kann, besteht keine Notwendigkeit und damit auch keine Rechtfertigung für einen im Sinne der Rechtsprechung verstandenen Vorrang des Primärrechtsschutzes. Dem Staat bleibt es indes mangels tragfähiger verfassungsrechtlicher Begründung verwehrt, den Bürger auf bestimmte Arten der Wiedergutmachung zu verweisen. 4. Ausgestaltungs- und Einschränkungsmöglichkeiten des Gesetzgebers Selbst in Anbetracht der verfassungsrechtlichen Natur des grundrecht­ lichen Integritätsanspruchs verbleibt dem Parlament bei der Umsetzung ein nicht zu vernachlässigender Gestaltungsspielraum.700 Jede Begrenzung stellt indes eine Grundrechtsbeschränkung dar und unterliegt damit allen verfassungsrechtlichen Einschränkungen701 – keinesfalls also dürfen die gesetz­ lichen Ausformungen des Reaktionsanspruches seine Grundlagen und Vor­ 697  Grzeszick,

Rechte und Ansprüche, S. 396. Axer, DVBl. 2001, 1322, 1327 f., 1330; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 396 f., 402; Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 230 f.; in diese Richtung gehend auch Röder, Haftungsfunktion, S. 301 ff. Die grundgesetzlich verbürgte Freiheit muss grundsätzlich auch die Möglichkeit beinhalten, das Recht freiwillig gegen eine angemessene Kompensation aufzugeben. So auch Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 342. Kritisch Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 429, die ein Wahlrecht des Staates zwischen den verschiedenen Arten der Folgenbeseitigung annehmen will. 699  Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 120. 700  Dies ermöglicht einen sinnvollen Interessensausgleich, vgl. Morlok, DV 1992, 371, 386. Diesen bezweckten auch die Einschränkungsregeln des Entwurfs des StHG 1981; siehe dazu Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 741, 746 f. m. w. N. 701  Redeker, DÖV 1987, 194, 196, 199; Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S.  194 f.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 223 ff.; vgl. auch Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 22. 698  Vgl.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

gaben nivellieren.702 Hierin eine Einengung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers zu beklagen,703 hieße die Normhierarchie zu verkennen; denn ein grundrechtswidriges Verhalten, auch ein solches der Legislative, ist schlicht nicht schutzwürdig.704 Höchst problematisch zeigen sich daher insbesondere Erwägungen hinsichtlich von Schutzbereichsverengungen oder Absenkungen der Eingriffsschwelle. Bereits im Rahmen von § 2 Abs. 2 StHG 1981 wurde vertreten, nur solche hoheitlichen Akte als Eingriff zu werten, bei denen der Schutzbereich in „grundrechtsspezifischer Art“ tangiert wurde.705 Diese Voraussetzung sollte nur bei „direkten“ Grundrechtsverkürzungen erfüllt sein, was Verletzungen ausschloss, die allein aus einer unrichtigen Auslegung einfachen Rechts resultierten.706 Unübersehbar sind die deutlichen Anleihen zum zu Recht überwundenen klassischen Eingriffsbegriff, der wegen der kaum bestreitbaren Notwendigkeit einer Anpassung an das dynamische und vielfältige Staatshandeln auf die moderne Formel erweitert wurde.707 Derartige Verkürzungsbestrebungen sind unzulässig, da die Grenze zum Vorliegen eines Eingriffs indisponibel ist und die Einschränkung sich im Hinblick auf die grundrechtliche Fundierung des Anspruchs nicht begründen lässt.708 Eng verwandt mit diesen Überlegungen sind die im Rahmen der hervorzuhebenden Berufsfreiheit zuweilen angewandten funktionellen Schutzbereichs­ einschränkungen. So sollen mittelbare Einwirkungen wie staatliche Warnungen trotz ihrer mitunter erheblichen Konsequenzen entweder bereits aus dem Schutzbereich des Art. 12 GG fallen, oder zumindest keine Eingriffe, sondern reine „Beeinträchtigungen“ darstellen.709 Dieser Gedanke ist indes ebenso wie die obige Einschränkungstendenz mit der Verfassung nicht vereinbar.710 Er widerspricht dem sonst auch vom BVerfG praktizierten und verfassungs702  Hartmann,

Öffentliches Haftungsrecht, S. 338. Böhmer, NJW 1988, 2561, 2565; Ipsen, DVBl. 1983, 1029, 1038; Liou, Individualrechtsschutz, S. 164; Pfab, Staatshaftung, S. 164. 704  Sass, Entschädigungserfordernis, S. 222 f. 705  So Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 29  ff.; zu Recht ablehnend aber Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, § 2, Rn. 119 ff.; Rüfner, AöR 1981, 548, 560 f. 706  Vgl. Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, § 2 Rn. 119. Wie oben dargestellt sind es doch häufig gerade solche Situationen, die im gegenwärtigen System nur unzureichenden Schutz genießen. 707  Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 259 ff. 708  Vgl. auch Röder, Haftungsfunktion, S. 315 ff. 709  Dazu grundlegend BVerfGE 105, 252; 105, 279; vgl. auch Schulte, DVBl. 1988, 512, 517; Albers, DVBl. 1996, 233, 236. 710  Vgl. insgesamt zum Problem staatlicher Warnungen Schoch, NVwZ 2011, 193 ff. 703  Vgl.



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rechtlich zutreffenden Ansatz, diejenige Auslegung zu bevorzugen, die „die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet“711. Gleichzeitig rissen durch derartige grundgesetzwidrige Begrenzungen eben jene Schutzlücken wieder auf, die der umfassende grundrechtliche Schutzanspruch zu schließen in der Lage ist. Aus diesem Grund ist ebenfalls von einer pauschalen „Reduktion des Haftungsinhalts aus den Aspekten der Gering­ fügigkeit, der mangelnden Vorhersehbarkeit bzw. Vermeidbarkeit des Rechtsverstoßes oder einer unverhältnismäßigen Höhe der Ersatzpflicht“712 abzusehen. Selbst das Parlament darf sich also keinesfalls durch ungebundene rechtspolitische Erwägungen leiten lassen. Kommt ihm auch eine gewisse Einschätzungsprärogative und Ausgestaltungsfreiheit zu, agiert es nicht in einem verfassungsrechtlichen Vakuum. Gesetzgeberische Grenzen können allein durch kollidierende Verfassungswerte rechtfertigt werden, die tauglich sind, als Grundrechtsschranken zu fungieren. Beispielhaft zählen hierzu Rechts­ sicherheit, Rechtsfrieden und Verwaltungseffektivität, weswegen wie für andere kodifizierte Ansprüche Verjährungsregeln oder Ausschlussfristen normiert werden könnten, solange diese nicht drohen, den Integritätsanspruch faktisch zu entleeren.713 Ebenfalls ließe sich so zumindest ein partieller Ausschluss judikativen Unrechts aufgrund der Gefahr eines infiniten Rechtswegs rechtfertigen. Denn auch wenn ein auf Schadensersatz zielender Prozess die Rechtskraft des ursprünglichen Urteils nicht berührte, drohte eine Kette immer weiterer Verhandlungen gegen die jeweils letzte Entscheidung.714 Denkbar scheinen weiterhin die im Referentenentwurf zum StHG 1981 diskutierten Schadenspauschalierungen im Fall normativen oder legislativen Unrechts oder allgemeine Haftungshöchstgrenzen.715 Im Rahmen der grundrechtlichen Kernwertungen kommt dem Gesetzgeber damit ein nicht unerheblicher Ermessenspielraum hinsichtlich der genauen Konturierung des Integritätsanspruchs zu, der ebenfalls eine sinnvolle Ein-

711  BVerfGE

6, 55, 72; 32, 54, 71; 39, 1, 38. Staatshaftungsrecht, S. 741 sowie S. 746 f. m. w. N. 713  Zum Sanktionierungsspielraum des Gesetzgebers Schmidt-Aßmann, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 282; Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 112; Weyreuther, DÖV 1980, 389, 390. 714  Vgl. Röder, S. 311 f. m. w. N. und die ähnlich gelagerte Problematik eines Ausschlusses der Rechtsprechung aus der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG, der zwar Schutz durch nicht aber vor der Judikative gewährt. 715  Vgl. dazu §§ 26 ff. des Referentenentwurfs. In diese Richtung auch Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 294, der der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates wegen Art. 104 ff. GG Verfassungsrang zuspricht und diese im Wege der praktischen Konkordanz als Grundrechtsschranke funktionalisieren will. 712  Ossenbühl / Cornils,

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

passung in das System öffentlicher Einstandspflichten ermöglicht.716 Diesen Spielraum gilt es verantwortungsbewusst und zielgerichtet zu nutzen, da eine Haftung nicht notwendigerweise im Sinne möglichst weitreichender Konsequenzen für den Hoheitsträger, sondern unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Verfassungswerte ausgewogen ausgestaltet werden sollte.717

B. (Hilfs-)Begründungen aus dem Rechtsstaatsprinzip Im Umfeld des grundrechtlichen Ansatzes wird zuweilen ergänzend, teilweise aber auch alternativ, das Rechtsstaatsprinzip herangezogen, um eine umfassende Staatsunrechtshaftung zu begründen.718 Maßgeblicher Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist das „sozial“ oder „material“ verstandene Rechtsstaatsprinzip, welches nicht nur auf die Verhinderung rechtswidriger Akte, sondern subsidiär auch auf deren Wiedergutmachung ziele.719 Zwar dürfte es idealiter nach dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit bereits keine rechtswidrigen Staatshandlungen geben. Da dieser Zustand aber sowohl praktisch als auch theoretisch720 unmöglich ist, soll das Prinzip im Falle seiner Verletzung Handlungsvorgaben enthalten. Die dem Primat des Rechts innewohnende Gerechtigkeit fordere bei einem durch eine hoheitliche Rechtsverletzung verursachten Schaden Restitution und Kompensation. Eine „Entschädigung“ als „ultima Ratio des Rechtsstaates“721 sei die „notwendige Konsequenz und unentbehrliche Ergänzung der gerichtlichen Kon­ trolle“722 von Hoheitsakten. Denn ohne wirksame Sanktion büße der Rechtsschutz erheblich an Wirksamkeit ein. Das Wesen einer so verstandenen und fundierten Staatshaftung ziele durch die Ausgleichsmechanismen letztlich auf „Heilung der verletzten Rechtsstaatlichkeit“723.

716  Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 183. Ähnl. Rauschning, Verfassungsrecht, S.  37 f. 717  Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 282. 718  Dazu prototypisch Menger, in: GS für W. Jellinek, S. 347, 350; anschließend Haas, Öffentlichrechtliche Entschädigungen, S. 59 ff.; Franke, VerwArch 1966, 357, 364, 372; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 124. Aus neuerer Zeit auch Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, passim. 719  Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 217 ff. 720  Beispielsweise durch die rechtsstaatlich zulässige Situation rückwirkender Gesetze, die Handlungen erst nachträglich rechtswidrig erscheinen lassen. 721  Leisner, VVDStRL 1963, 185 187 spricht auch von der „letzten Vollendung des Rechtsstaates“. 722  Stern, Staatsrecht I, S. 855; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 35. 723  Vogel, DVBl. 1978, 657, 661 f.; ähnl. auch Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S.  535, 536 f.



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Diese rechtliche Fundierung einer umfassenden Staatsunrechtshaftung krankt jedoch an der Unbestimmtheit ihrer Herleitungsnorm.724 Ableitungen aus einem Rechtsprinzip ist grundsätzlich mit Vorsicht zu begegnen, da an diesem mit einer gewissen Leichthändigkeit zahlreiche Konzepte angeseilt werden können.725 Gerade Art. 20 Abs. 3 GG wird häufig als kodifikatorische Grundlage „verrechtlichter“ Gerechtigkeitsempfindungen missbraucht726 und dient mangels Alternativen als verfassungsrechtliche Auffangklausel.727 Selbst eine Umfirmierung zum „materialen“ Rechtsstaatsprinzip kann jedoch nicht über dessen objektive Natur hinwegtäuschen, die eine konkrete Bestimmung subjektiver Rechte und ihrer Reichweite unmöglich macht.728 Die Gesetzmäßigkeit und Rechtsgebundenheit der Verwaltung verbietet zwar als Mindeststandard ohne Frage rechtswidriges Verhalten. Sie gibt aber keine zwingende Konsequenz und Reaktion vor, wenn die Verletzung bürgerlicher Rechte durch den Staat eingetreten ist.729 Es fehlt schlicht „für diesen Fall an einer Sanktionsregelung“730 – das Rechtsstaatsprinzip enthält keine „für jeden Sachverhalt in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote oder Verbote von Verfassungsrang“731. „Die Reaktionen der Rechtsordnung auf 724  Redeker, DÖV 1987, 194, 195. Zweifelhaft ist, einer Klassifizierung des Rechtsstaatsprinzips als lex imperfecta primär entgegenzusetzen, die „Rechtsbindung der staatlichen Gewalt hätte dann nur einen präventiven Gehalt: Sie würde Rechtsverletzungen zwar verbieten, für den Fall ihrer Verletzung könnte ihr aber nichts entnommen werden.“ (Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, S. 385). Mag diese Feststellung auch zutreffen, kann sie ohne einen Sein-Sollens-Fehlschluss argumentativ keine Restitutionspflicht stützen. Gleiches gilt, wenn man den Verweis auf die Natur als lex imperfecta als lebensfremdes analytisches Denken kritisiert (So Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 233), da sich die Rechtsbindung nicht in der einmaligen Befolgung oder Zuwiderhandlung einer Norm erschöpfen könne. Dass die in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltene Vorgabe eine Restitutionspflicht enthält, wird somit eher intuitiv behauptet, als rational begründet (vgl. Unterreitmeier, JZ 2009, 1102, 1103). Zu weitreichend ist indes die Folgerung, „dass der Staat für den Fall hoheitlicher Rechtverletzung gleichsam die Hände in den Schoß“ legen könnte (Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, S. 385). Denn damit wird fragwürdig insinuiert, eine hoheitliche Rechtsverletzung müsse folgenlos bleiben; gerade dies ist aber wegen der Grundrechtshaftung wie besehen nicht der Fall. 725  Morlok, DV 1992, 371, 376. 726  Röder, Haftungsfunktion, S. 208. 727  Vgl. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 411 ff.; 435 ff.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S.  457 ff. 728  Haack, DVBl. 2010, 1475, 1480; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 233 f.; Löwer, Staatshaftung, S. 61 ff.; Schoch, VerwArch 1988, 1, 33 f. m. w. N. 729  Bettermann, DÖV 1955, 528, 531; Schoch, VerwArch 1988, 1, 33 f.; Brugger, JuS 1999, 625, 628 ff. Dies gibt auch Stern, Staatsrecht I, S. 855 zu. 730  Stern, Staatsrecht I, S. 855. 731  BVerfGE 7, 89 (92 f.); 25, 269 (290); 44, 105 (120).

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

geschehenes Unrecht sind [schlicht] viel subtiler und differenzierter“732, als dass sie ohne weiteres aus einem derart weiten objektiven Rechtssatz abgeleitet werden könnten.733 Diesem Defizit soll abgeholfen werden, indem zur Bestimmung der Reichweite der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Ansprüche auf die Grundrechte zurückgegriffen wird.734 Lassen sich aber nur aus diesen überhaupt konkrete Vorgaben entnehmen, so gerät die Anbindung der Reaktionsansprüche an Art. 20 Abs. 3 GG zusätzlich unter Druck.735 Denn ist aus dem Rechtsstaatsprinzip weder eine Bestimmung des Tatbestandes oder Rechtsfolge, noch überhaupt eine stringente Ableitung des Reaktionsanspruches möglich, sollte mangels dogmatischen Mehrwerts auch ein Rekurs auf dieses gänzlich unterbleiben.736 Konsequenter ist es daher, den umfassenden Schutzanspruch und seine Ausformung allein aus den Grundrechten abzuleiten.

732  Kritisch bereits Bachof, Verfahrensrecht, S.  261 f.; Bettermann, DÖV 1955, 528, 531; Brugger, JuS 1999, 625, 628; Sass, Entschädigungserfordernis, S. 77 ff.; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 30 ff. 733  Bettermann, DÖV 1955, 528, 531; Brugger, JuS 1999, 625, 628; Sass, Entschädigungserfordernis, S.  77 ff.; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 30 ff. 734  Ein ähnlicher Mechanismus liegt auch dem Ansatz von Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, passim zugrunde. Ein auch subjektiver, anspruchsbegründender Charakter soll der objektiv-rechtlichen Restitutionspflicht nur angedeihen, sofern die verletzte primäre Verhaltensnorm ein subjektives Recht enthält (Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, S. 398). Während also der Restitutionsanspruch nicht etwa direkt aus dem subjektiven Recht begründet wird, soll sein „Ausfluss“ eine „sekundäre Subjektivierung der Verletzungsreaktion“ (Sauer, Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen, S. 398) begründen, die selbst indes immer noch aus Art. 20 Abs. 3 GG entspringt. Inwiefern eine derartige Subjektivierung einer an den Staat adressierten objektiven Pflicht überzeugen kann, unterliegt gewichtigen Bedenken, kann aber an dieser Stelle dahinstehen. Denn wenn zur Begründung reaktionsrechtlicher Ansprüche ein Rekurs auf die Freiheitsrechte nötig wird und die zur Herleitung der Restitutionspflicht aus Art. 20 Abs. 3 GG angeführten effizienzorientierten Argumente aufgrund dessen Rechtsnatur nicht überzeugen können, macht sich der Rekurs auf das Rechtsstaatsprinzip ohnehin weitgehend selbst obsolet. 735  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 63 f.; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  35 ff. 736  BVerfGE 54, 277 (291); 84, 366 (369  f.); vgl. auch Bachof, Folgenbeseitigungsanspruch, S. XIV; Brugger, JuS 1999, 625, 628; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  35 ff.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 340. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Rückgriff auf das staatliche Gewaltmonopol, da die Kritik im Wesentlichen dieselbe bleibt. Vgl. zu diesem Ansatz Breuer, Staatshaftung, S. 147 ff. Gleiches muss ebenso für einen Rekurs auf Art. 34 S. 1 GG gelten. Dazu insbesondere Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 193 f.



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C. Kritik Unabhängig von dessen noch zu untersuchender Umsetzbarkeit durch Richterrecht erfährt der grundrechtliche Integritätsanspruch vor allem vehemente Kritik aus drei Richtungen: Zum einen stelle er lediglich eine andere Form des zu Recht abgelehnten allgemeinen öffentlich-rechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs dar. Zum anderen sei er bereits negativ präjudiziert und widerspreche darüber hinaus der Rechtsnatur der Grundrechte, die auf die Schaffung eines staatsfreien Raums sozialer Differenzierung zielten. I. Die Abgrenzung zur Theorie der allgemeinen öffentlich-rechtlichen Wiedergutmachungsnorm Teilweise wird eine Grundrechtshaftung mit dem Argument abgelehnt, sie stelle letztlich nichts anderes dar als eine Renaissance der öffentlich-recht­ lichen Wiedergutmachungsnorm – eines Konzepts, welches seinen Ursprung in den Überlegungen Mengers und Haas’ fand und in der Vergangenheit überwiegend auf Kritik gestoßen ist.737 Menger wollte aus einer Zusammenschau von Staatshaftungs- und Verwaltungsstreitsachen ein allgemeines System der Restitution ermitteln. Danach habe jeder Bürger eine Rechtsstellung inne, die „selbst kein Anspruch [sei], jedoch im Falle ihrer widerrechtlichen Beeinträchtigung Ansprüche auf (Wieder-)Herstellung gegen den Störer entstehen [ließe]“.738 Dies sollte unabhängig davon gelten, welches subjektive Recht verletzt wurde. Begründet wurde die sehr weite Rechtsfolge allein über eine ungeschriebene Wiedergutmachungsnorm, die sich ihrerseits aus dem Wesen des sozialen Rechtsstaats ergeben sollte.739 In dieser minimalen Anbindung an das positive Rechte liegt auch die strukturelle Schwäche des Ansatzes:740 Wie dargestellt ist das Rechtsstaatsprinzip als lex imperfecta nicht geeignet, eine derart weitreichende Wiedergutmachungspflicht des Staates zu begründen. Vor allem lassen sich aus ihm kaum einschränkende

737  Vgl. Haack, DVBl. 2010, 1475, 1482 f.; Gromitsaris, Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, S. 92 f. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 131 ff. m. w. N. Deutliche Ablehnung erfuhr auch die von der Rechtsfolge eng verwandte Überlegung einer Übertragung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf das allgemeine Verwaltungsrecht. BVerwGE 79, 192 (194); BVerwG, NJW 1997, 2966 ff.; vgl. Pietzner / Müller, VerwArch 1994, 603, 611 ff. 738  Menger, in: GS für W. Jellinek, S. 347, 350. 739  Anschließend an Menger Haas, Öffentlichrechtliche Entschädigungen, S.  59 ff.; Franke, VerwArch 1966, 357, 364, 372; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 124. 740  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 36.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Merkmale herleiten, weshalb zu Recht eine grenzenlose und ausufernde allgemeine Haftung des Staates gefürchtet wurde.741 Obwohl man rein terminologisch auch den grundrechtlichen Integritätsanspruch als umfassenden Wiedergutmachungsanspruch bezeichnen könnte, rechtfertigt dies keineswegs die Übertragung der obigen Kritik.742 Mag die Grundrechtshaftung zwar im Rahmen der Freiheitsrechte zu ähnlichen Ergebnissen führen, ist sie aufgrund ihres belastbaren deduktiven Ansatzes eben keine bloße „Multiplikation“ von Mengers Konzept.743 Gleichsam scheint es zutiefst zweifelhaft, die Ablehnung der grundrechtlichen Kompensationsfunktion allein darauf zu stützen, dass ein dogmatisch nicht stringent begründbares Alternativkonzept zu einer ähnlichen Rechtsfolge führte. Bereits aufgrund der unterschiedlichen Ausgangspunkte ergibt sich deshalb aus den sich zuweilen überschneidenden Rechtsfolgen der Konstrukte keine haltbare Basis für eine fundierte Kritik. Gewissermaßen aktualisiert sich in diesen Erwägungen lediglich die Furcht vor einem „Superhaftungsinstitut“ für rechtswidrige Grundrechts­ eingriffe,744 welches mit der Ablehnung von Mengers Wiedergutmachungsanspruch abgewendet schien. Abstrahiert betrachtet steht die rechtspolitische Frage nach der Risikoverteilung zwischen Staat und Bürger im Falle hoheitlichen Unrechts in Rede.745 Im Grunde zutreffend wird angeführt, der Staat sei kein reiner Versorgungsstaat und könne dem Bürger insbesondere nicht in Form einer allgemeinen Versicherungsanstalt das gesamte Lebensrisiko abnehmen. Ebenfalls überzeugend ist es, dem Bürger in einem sozialen Rechtsstaat gewisse Verantwortungen aufzubürden und in diesem Umfang auch Erwartungen an ihn zu stellen.746 Überraschend und nahezu zynisch muss indes die Bindeüberlegung wirken, rechtswidrige hoheitliche Eingriffe in Freiheitsrechte als allgemeines Lebensrisiko zu klassifizieren und somit trotz der alleinigen Handlungsherrschaft des Staates das Schadensrisiko vollständig auf den Bürger zu verlagern. Bei aller berechtigen Sorge vor einem hypertrophen Staatshaftungsrecht läuft eine solche Ansicht Gefahr, das eigentliche Problem aus den Augen zu verlieren. Denn es mutet in einem sozialen Rechtsstaat mehr als bloß fragwürdig an, wohlfahrtsstaatliche 741  Insbesondere auch rein formale Verstöße würden so eine umfassende staat­liche Haftung begründen. 742  Röder, Haftungsfunktion, S. 275 ff. 743  So aber Gromitsaris, Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, S. 93. 744  In diese Richtung Haack, DVBl. 2010, 1475, 1482 f. 745  Ossenbühl, Entwicklungen, S. 6; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 58. 746  Bezugnehmend auf den enteignungsgleichen Eingriff Dürig, JZ 1955, 521, 522 ff.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten241

Tendenzen darin zu sehen, dass der Staat für selbst verursachte Schäden einsteht.747 Weder die fragwürdige Parallele zum Konzept der allgemeinen Wiedergutmachungsnorm, noch die Angst vor einer falsch verstandenen Haftungshypertrophie vermögen im Ergebnis daher substantiierte Einwände gegen die grundrechtlich fundierten Reaktionsansprüche hervorzubringen. II. Negative Präjudizierung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung Weitergehend bedarf die Frage Klärung, ob der grundrechtliche Integritätsanspruch bereits negativ judiziert wurde und ob daraus eine Art Präklusionswirkung gefolgert werden kann. Obschon eine explizite Auseinandersetzung mit dem Konzept der Grundrechtshaftung bisher ausblieb, positionierte sich das BVerfG augenscheinlich deutlich gegen eine direkte Ableitung einer weitreichenden Staatsunrechtshaftung aus der Verfassung. So garantiere das Grundgesetz „nur den Bestand einer in der persönlichen Haftung des Amtsträger gründenden, verschuldensabhängigen mittelbaren Staatshaftung bei Amtspflichtverletzungen, [fordere] also gerade keine umfassende unmittelbare Staatshaftung“748. „Inhalt der Grundrechtsgewährleistung [sei] keineswegs, daß der Staat für alle auf rechtswidrigen Grundrechtseingriffen beruhenden vermögenswirksamen Nachteile haften müsse […]. Danach [sei] jedenfalls Schadensersatz von Verfassungs wegen nur im Rahmen der herkömmlichen, durch Art. 34 GG garantierten Amtshaftung zu gewähren“749. Gleichsam ergebe sich auch aus Art. 14 GG nicht, dass „für jede denkbare Form staatlichen Handelns, aus dem sich Unrecht ergeben kann, Entschädigungsansprüche bereitgestellt“750 werden müssen.

747  Bender, Referat zum 47. DJT, S. 24; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 377 f.; Ossenbühl, Entwicklungen, S. 28; Ferschl, Aufopferungsanspruch, S. 198. 748  BVerfG, NVwZ 1998, 271 (272). 749  BVerfG, NVwZ 1998, 271 (272); anschließend BVerfGE 61, 149 (198); ähnl. Luhmann, Entschädigung, S. 65, nach dem ein allgemeiner Rechtsherstellungsanspruch nicht verfassungsrechtlich normiert sei. 750  BVerfGK 7, 303 (311). Streng genommen könnte man bei enger Auslegung der bundesverfassungsgerichtlichen Aussagen bereits eine Kollision mit dem Gedanken des grundrechtlichen Integritätsanspruchs verneinen. Denn dieser bringt wie besehen eben keine undifferenzierte, allgemeine Unrechtswiedergutmachung mit sich, sondern postuliert nur eine einschränkbare Haftung des Staates für über die Eingriffsdogmatik zurechenbare Grundrechtsverletzungen, vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 419.

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Auf ähnlicher Linie scheint der BGH zu liegen, wenn er „zwischen der Feststellung einer Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG einerseits und der Zuerkennung einer Geldentschädigung andererseits kein zwingendes Junktim“751 sehen will. Fordere aber bereits die Menschenwürde „nicht in jedem Fall eine zusätzliche Wiedergutmachung durch Geldentschädigung“752, müsse dies umso mehr für alle anderen Grundrechte gelten.753 Es sei deshalb verwehrt, „aus dem Grundgesetz die Forderung nach einer Ablösung der Amtshaftung durch die unmittelbare Staatshaftung abzu­ leiten.“754 Im Anschluss an ähnliche Überlegungen zu Art. 131 WRV versuchen die Richter aus Art. 34 GG im Wege eines argumentum e contrario eine Sperrwirkung der Verfassung für eine weitergehende Haftung des Staates herzuleiten. Nun entscheidet das BVerfG zwar letztverbindlich, deswegen nicht aber zwingend inhaltlich fehlerfrei.755 Die bloße Tatsache mangelnder Anerkennung der Gerichte kann einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch nicht ausschließen – entscheidend ist allein, ob die zugrundliegenden Erwägungen tragfähig sind.756 Gerade deshalb sind auch und insbesondere die richtungsweisenden Entscheidungen der höchsten Gerichte im Hinblick auf ihre dogmatische Belastbarkeit kritisch zu hinterfragen.757 Dabei wirft der bemühte Umkehrschluss gewichtige Zweifel auf: Um Art. 34 GG eine derart weitreichende Sperrwirkung zuschreiben zu können, müsste dem Grundgesetz zumindest konkludent eine Exklusivitätsregel zu entnehmen sein, wonach sich die Haftung des Staates allein aus dieser Norm ergeben solle.758 Ein solcher Schluss kann nur durch eine genaue Analyse der Ratio legis des Gesetzes und der ihm zugrundliegenden Wertungen und rechtspolitischen Zwecke gestützt werden.759 Der Schutzzweck des Art. 34 GG müsste letztlich darin liegen, den Staat selbst vor einer weitergehenden verfassungsunmittelbaren Haftung zu bewahren. Eine solche Zielsetzung findet jedoch weder einen Anhaltspunkt im Wortlaut noch in der Entstehungsgeschichte der Norm. Denn im Vordergrund der 751  BGHZ 161, 33 (37); ähnl. bereits BGH, NJW 1988, 478 (480 f.); kritisch hingegen Deiters, JR 2005, 327 f. 752  BGHZ 161, 33 (37). 753  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 341 f. 754  BVerfGE 61, 149 (198). 755  Depenheuer, in: FS für M. Kriele, S. 485, 489 f. 756  So auch Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 337. 757  Schlink, Der Staat 1989, 161 ff. 758  Vgl. zu den allgemeinen Voraussetzungen eines argumentum e contrario Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 390; Klug, Juristische Logik, S. 145 f. 759  Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 391; Canaris, Lücken im Gesetz, S. 44 ff.



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historischen Überlegungen stand nicht etwa der Schutz des Staates durch den Ausschluss einer weitergehenden Haftung, sondern allein der Schutz des handelnden Beamten und des betroffenen Bürgers durch einen solventen Schuldner.760 Gegen ein rechtsgeschichtliches Argument spricht weiterhin bereits die Tatsache, dass insbesondere der Art. 131 WRV – den Art. 34 GG im Wesentlichen nur übernehmen sollte – die künftige Grundrechtsentwicklung nie hätte adäquat berücksichtigen können.761 Zwar trifft es zu, dass „das Grundgesetz […] die historisch aus der Ablehnung einer Verbandshaftung entstandene mittelbare Haftung des Staates bei Amtspflichtverletzungen seiner Beamten übernommen und folglich auch hingenommen [hat].“762 Wurde sie aber auch „lange Zeit für das ausschließliche und letzte Wort zum Geldersatz bei rechtswidriger Ausübung der Staatsgewalt gehalten“763, erweist sich dieser Standpunkt heute als überholt. Denn die Amtshaftung stellt einen Fremdkörper im Verfassungssystem dar764 – die Reminiszenz einer überalteten Staatsverständnisses, welches immer noch in der mittelbaren Haftungskonstruktion fortwirkt.765 Es kann schwerlich überzeugen, warum ausgerechnet aus dieser bruchstückhaften Teilregelung766 ein derart weiter systematischer Schluss abgleitet werden sollte. Dem Grundgesetzgeber eine solche Absicht zu unterstellen, ginge fehl;767 vielmehr stellt das BVerfG selbst klar: „Art. 34 GG will den durch eine Amtspflichtverletzung Geschädigten schützen, nicht aber den Staat gegen weitergehende Konsequenzen seiner Fehler abschirmen.“768 760  Redeker, DÖV 1987, 194, 199; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  25 f.; Pfab, Staatshaftung, S. 33 ff. 761  Vgl. auch Pfab, Staatshaftung, S.  20; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S.  417 f. 762  BVerfGE 61, 149 (197). 763  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 146. 764  Vgl. nur Schenke, NJW 1991, 1777; Röder, Haftungsfunktion, S. 171 f. 765  Böß, Vergleich, S.  112 ff.; Haverkate, ZRP 1977, 33; Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 8. Insofern können die Versuche kaum verwundern, Art. 34 GG neue Bedeutung beizumessen, indem man in ihm entweder die Verankerung oder zumindest interpretatorische Anhaltspunkte für eine unmittelbare Staatshaftung erblicken will. So bereits Oldiges, Der Staat 1976, 381, 387; Ruland, BayVBl. 1976, 581 m. w. N.; Maurer, VerwR, § 25 Rn. 5; auch Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, s. Einl. §§ 1–13, Rn. 12. 766  Böß, Vergleich, S.  112 ff.; Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 33. 767  Luhmann, Entschädigung, S. 205 f.; Pfab, Staatshaftung, S. 33 ff.; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  25 f.; Redeker, DÖV 1987, 194, 199. 768  BVerfGE 61, 149 (199). Gerade deshalb wird Art. 34 GG immer wieder sein grundrechtsähnlicher Charakter attestiert, vgl. Stern, Staatsrecht III / 1, S. 378; weiter-

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3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Gleichzeitig erklärte das BVerfG an anderer Stelle, „eine Ausweitung des Rechts der Entschädigung [sei] verfassungsgesetzlich nicht blockiert“.769 Darüber hinaus sei Art. 34 GG nicht berührt, „wenn die bisher übergeleiteten, aus § 839 BGB aufbauenden Ansprüche durch eine unmittelbare Staatshaftung ersetzt“770 würden. Diese Aussagen wirken schwer vereinbar mit der postulierten Sperrwirkung der Norm und werfen Schatten auf die Stringenz der Argumentationsführung.771 Eine weitere Schwächung erfährt die These im Hinblick auf das StHG 1981. Denn auch dieses untergrub die Bedeutung der Amtshaftung in vergleichbarem Maße, ohne dass in ihm etwa ein Verstoß gegen Art. 34 GG erblickt wurde.772 Mag man hier auch noch mit der Autonomie des Gesetzgebers und der parlamentarischen Souveränität argumentieren, wird die Ambivalenz der Vorbringungen spätestens anhand der bestehenden, vom BGH entwickelten aufopferungsrechtlichen Institute offenkundig: Denn mit ihnen wurden neben der Amtshaftung verschuldensunabhängige, dabei aber nicht einmal verfassungsrechtlich fundierte Rechtsinstrumente geschaffen, die ebenso die „Wertungen“ des Art. 34 GG unterlaufen und damit identischer Kritik ausgesetzt werden müssten.773 Dass dies nicht geschehen ist, zeigt deutlich die Beliebigkeit der auf Art. 34 GG aufbauenden Einwände gegen eine Grundrechtshaftung: Darf der einfache Gesetzgeber oder sogar der BGH in freier Rechtsschöpfung das Prinzip der mittelbaren Staatshaftung „umgehen“, ist nicht ersichtlich, warum dies für eine verfassungs­ interpretatorisch gewonnene Lösung nicht gelten sollte. Richtigerweise kann aus der Mindestgarantie des Art. 34 GG bereits normlogisch nicht abgeleitet werden,774 dass das Grundgesetz nicht an anderer Stelle Vorgaben für eine unmittelbare Staatshaftung bereitstellt.775 Angesichts der „rechtsstaatlichen Gesamtkonzeption“ der Verfassung bildet die Vorschrift tendenziell sogar eher ein Argument für als gegen eine weitergegehend RGZ 102, 166 (171): „sofortiges Grundrecht aller Deutschen“; ähnl. auch BVerfGE 2, 336 (338 f.); Pfab, Staatshaftung, S. 52 ff. 769  BVerfGE 61, 149 (199). 770  BVerfG, NVwZ 1998, 271 (272). 771  Dazu Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 25 f.; anschließend auch Röder, Haftungsfunktion, S. 173 f.; Höfling, VVDStRL 2002, 260, 283. 772  BVerfGE 61, 149 (198 ff.). 773  Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 416 f. 774  Bereits 1909 wertete Spiegel, Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 186 den auf landesrechtliche Amtshaftungsvorschriften bezogenen Parallelschluss als „das kühnste argumentum e contrario, das je aufgestellt worden ist“; vgl. auch Hermes, DV 1998, 371, 386; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 110 f.; Pfab, Staatshaftung, S. 164 f.; Breuer, Staatshaftung, S.  131, 165 f. m. w. N. 775  Vgl. Hösch, DÖV 1999, 192, 197. Meyer, Soziales Entschädigungsrecht, S. 154 sieht in der Vorschrift nicht mehr als eine „psychologische Sperre“.



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten245

hende Haftung des Staates.776 Zwar „kann dabei durchaus unterstellt werden, daß die mit der Schaffung des § 839 BGB vollzogene Entscheidung für die Amtshaftung zugleich und vor allem als eine Entscheidung gegen jede unmittelbare Staatshaftung gedacht war. Diese Entscheidung ist jedenfalls darin als abschließende mißlungen, als sie von vornherein durch die staatsgerichteten Freiheitsgrundrechte durchbrochen wurde.“777 Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass bereits zweifelhaft ist, ob die Richter den Gedanken einer Grundrechtshaftung überhaupt einheitlich negativ judizieren wollten.778 Jedenfalls aber wäre eine derartige Überlegung mangels verfassungsrechtlicher Begründbarkeit ungeeignet, dem Konzept der grundrechtlichen Reaktionsansprüche entgegenzustehen. III. Keine soziale Entdifferenzierung durch Abwehrrechte Auf grundrechtstheoretischer Ebene wird dem freiheitsrechtlichen Integritätsanspruch schließlich entgegengehalten, Abwehrrechte seien konzeptionell ungeeignet, Haftungsansprüche gegen den Staat zu begründen. Dieser These liegen zwei wesentliche Prämissen zugrunde: Das Staatshaftungsrecht ziele mit dem Ausgleich von beim betroffenen Bürger entstandenen Schäden primär auf Verteilungsgerechtigkeit. Dies zeige sich an den Erwägungen zur Risikoverteilung zwischen Staat und Bürger, sowie zur Lastengleichheit innerhalb der Bevölkerung. Die besondere Leistung einer öffentlich-rechtlichen Haftung läge darin, den „Staat und Bürger in den Stand zu setzen, trotz hoher Interdependenz aller Handlungen in der Gesellschaft unabhängig voneinander zu handeln und zu planen, da Spannungen und Kollisionen nachträglich durch Kompensation entschärft werden“779 könnten. Als distributiver Mechanismus knüpfe die Staatshaftung an die bestehende Güterverteilung an und verändere diese durch nivellierende Umverteilung.780 Demgegenüber wirkten die abwehrrechtlichen Grundrechte ausgleichender Gerechtigkeit gerade entgegen. Durch ihre Eigenschaft als subjektive Rechte widersetzten sie sich jeder „Tendenz zur sozialen Entdifferenzierung durch 776  Maurer, in: FS für G. Dürig, S. 293, 316. Ähnl. auch Meyer, Soziales Entschädigungsrecht, S. 127: Art. 34 GG grenze – sofern im Sinne eines Umkehrschlusses verstanden – gar an „verfassungswidriges Verfassungsrecht“. Naheliegender sei deshalb sogar eine Interpretation als Institut unmittelbarer Staatshaftung. Hierzu ausführlich Papier, Forderungsverletzung, S. 37, 111 ff. 777  Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 146. 778  Vgl. zu den partiellen Anerkennungstendenzen Dritter Teil: § 4 A.III.2.c), S.  218 ff. 779  Gromitsaris, Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, S. 37 in Anlehnung an Luhmann, Entschädigung, passim. 780  Gromitsaris, Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, S. 36 ff., 92 ff.

246

3. Teil: Vorschläge zur Schließung der Rechtslücke

Politisierung“781. Hoheitliche Geldersatzleistungen seien wiederum gerade als staatliche entdifferenzierende Maßnahmen zu denken, die zu einer unerwünschten Politisierung dadurch führten, dass sie die Kollisionen zwischen bürgerlichem und staatlichem Interesse entschärften und so die Akzeptanz staatlicher Maßnahmen erhöhten.782 Mögen diesen Thesen auch auf im Einzelnen zutreffenden Beobachtungen fußen, sind sie ungeeignet, eine systematische Kritik am Konzept eines umfassenden grundrechtlichen Integritätsanspruchs ausreichend zu begründen. Denn während Grundrechte durchaus als Mechanismen sozialer Differenzierung und damit individueller Freiheitsentfaltung bezeichnet werden können, begegnet bereits die These erheblichen Zweifeln, kompensatorische Geldleistungen wirkten sozial entdifferenzierend, in dem sie die Kollision entschärften und die Akzeptanz erhöhten. Sie übersieht, dass die Kompensation keinesfalls den Eingriff rechtfertigen oder ungeschehen machen kann oder dies auch nur beabsichtigt. Es geht nicht um das Erkaufen von Eingriffsbefugnissen oder eine Besänftigung des bürgerlichen Gemüts, sondern vielmehr um einen Ausgleich des von dem rechtswidrig bleibenden Eingriff verursachten Schadens.783 Terminologisch sowie strukturell scheinen die Sorge vor sozialer Entdifferenzierung und dem Streben nach Lastengleichheit im Kontext von Entschädigungen für rechtmäßige Eingriffe besser verortet. Allein aus der im Kern richtig erkannten Differenzierungsfunktion der Grundrechte ist aber keinesfalls eine Beschränkung verfassungsrechtlich fundierter Ansprüche herzuleiten. Bloße verteilungstheoretische Erwägungen genügen nicht, um die Reaktionsfähigkeit der Grundrechte zu beschneiden, die sich aus ihrem Hauptzweck – der Wahrung und Herstellung der ungestörten vorstaatlichen Freiheit – ergibt.784 Letztlich lassen sich somit aus dem bemühten grundrechtstheoretischen Gedanken keine belastbaren Einschränkungen der Grundrechtshaftung entnehmen.785

D. Zwischenergebnis Die Grundrechte als elementare subjektiv-öffentliche Rechte bilden den zentralen Bezugspunkt für eine Neusystematisierung der staatlichen Einstandspflichten.786 Durch sorgsame Deduktion können einzelne Unteran781  Gromitsaris,

Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, S. 36. Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, S. 37. 783  Grzeszick, in: FS für P. Kirchhof, S. 103, 110. 784  Grzeszick, DV 2007, 600, 602 ff.; Grzeszick, in: FS für P. Kirchhof, S. 103, 109. 785  Vgl. auch Breuer, Staatshaftung, S. 158 f. 786  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 269. 782  Gromitsaris,



§ 4 Die Haftung aus Grundrechten247

sprüche abgeleitet werden, die sich als Ausformungen eines einheitlichen, auf den Freiheitsrechten fußenden, „allgemeinen Integritätsanspruches“ darstellen.787 Ohne einer „den Textbefund des Grundrechtsteils transzendierenden Hypertrophie“788 zu verfallen, ergibt sich durch teleologische Interpretation, dass die Grundrechte je nach Beeinträchtigungssituation unterschiedlich reagieren: Sei es abwehrend, restitutiv oder kompensatorisch. Die Rückbesinnung auf die verfassungsrechtliche Haftungsgrundlage789 macht dabei sowohl fragwürdige Ableitungen funktional paralleler Institute aus überalterten, wie aus zivilrechtlichen Vorschriften obsolet. Das Bekenntnis zur grundrechtlichen Haftung ermöglicht somit den Abschied vom gegenwärtigen nebulösen aufopferungsrechtlichen „Quasi-Schadensersatzrecht“790 und gibt gleichzeitig mit der Eingriffsdogmatik einen handhabbaren Maßstab zur Folgenzurechnung an die Hand.791 Wenn also „unter Berufung auf das Telos sämtliche bestehenden staatshaftungsrechtlichen Begrenzungen eingerissen werden: Ob das Verschuldensprinzip, das Unmittelbarkeitserfordernis im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität oder der Ausschluss hypothetischen Schadens bei der Entschädigung“792, sollte dies nicht als Bedrohung, sondern als historische Chance gedeutet werden. Denn aufgrund einer stringenten Ableitung kann die Grundrechtshaftung als einziges Konzept eine belastbare Struktur für die staatlichen Einstandspflichten zur Verfügung stellen, die innerlich widerspruchsfrei ist und ohne nicht näher begründbare Postulate auskommt.

787  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 54 ff.; Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, Einl., Rn. 231; grundlegend Menger, in: GS für W. Jellinek, S.  347, 348 ff. 788  Hain, JZ 2002, 1036, 1037. 789  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 352 f.; Gerhardt, in: Schoch / Schnei­ der / Bier (Hrsg.), VwGO, Vorb. § 113, Rn. 5; Brugger, JuS 1999, 625 ff.; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 94 ff. 790  Röder, Haftungsfunktion, S. 288. 791  Vgl. auch Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 366. Illustrativ für die mit einem dogmatisch unklaren Ansatz verbundenen Schwierigkeiten im Bereich der Rechtsfolge zeigt sich Lindner, Grundrechtsdogmatik, S. 511 ff., der die Haftung nicht direkt aus den Grundrechten, sondern aus Art. 1 Abs. 3 GG herleitet und folgert, es gäbe „keine zwingende Automatik zwischen Grundrechtsverletzung und der Wahl eines bestimmten Reaktionsinstrumentariums“ (S. 511). Art. 1 Abs. 3 GG postuliere lediglich ein Untermaßverbot dahingehend, dass allein die „Schwelle zwischen grundrechtswidriger Grundrechtsverletzung und nicht reaktionsbedürftiger Grundrechtsbeeinträchtigung (wieder) unterschritten“ werden muss (S. 516). Ein derartiges „Reaktionsermessen“ ist indes grundrechtsdogmatisch nicht zu begründen und damit abzulehnen. Zutreffend daher Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S. 197. 792  Breuer, Staatshaftung, S. 133.

Vierter Teil

Rückbeziehung der Lösungsvorschläge auf die Problemfelder des Art. 12 GG Ausgangspunkt dieser Bearbeitung war die im zweiten Teil dargelegte Schutzlücke für Verletzungen der Berufsfreiheit im System der staatlichen Einstandspflichten, welche, gestützt durch eine Analyse der praktischen Problemfälle, einen erheblichen Haftungsbedarf offenbarte. Gewissermaßen spiegelbildlich hierzu erfolgte zunächst die theoretische Durchleuchtung der Lösungskonzepte. Vor dem Zweck der Untersuchung kann es aber nicht ausreichen, die verschiedenen Ansätze nur abstrakt zu bewerten. Um den obigen Zweischritt auch auf der Ebene der Lückenschließung nachzuvollziehen, müssen die Konzepte durch ihre Anwendung auf die aufgeworfenen praktischen Konstellationen ihre Lösungsfähigkeit unter Beweis stellen. Denn vor dem Hintergrund der „Verwirklichung praktischer Gerechtigkeit unter den Menschen“ als der „eigentliche[n] Leistung des Rechts“1 muss die Ergebnisgerechtigkeit einen entscheidenden Topos im Rahmen der Reformbestrebungen bieten – kurz: die Frage, wie gut der jeweilige Ansatz dazu geeignet ist, die praktischen Problemfälle adäquat zu lösen. Obschon die systematische und dogmatische Stringenz eines Konzeptes hinsichtlich seiner Lösungsfähigkeit starke Indizwirkung entfaltet, kann diese Vermutung eine tatsächliche fallexemplarische Rückbeziehung nicht ersetzen. Bildet also auch die Haftung aus den Grundrechten rechtsdogmatisch den befriedigendsten Ansatz, bleibt zu klären, welcher der Vorschläge dem Bedürfnis der betroffenen Bürger bestmöglich abhelfen kann und wie dieser Aspekt in einer abschließenden Bewertung und Handlungsempfehlung zu gewichten ist. Diese bislang in der Debatte vernachlässigte Herangehensweise erweist sich in mehrfacher Hinsicht als zielführend. Zum einen können so die stark divergierenden Reichweiten der Lösungsansätze aufgezeigt werden – ein Ergebnis, welches angesichts der identischen Zielrichtung der Vorschläge, der Optimierung des Staatshaftungsrechts, durchaus verwundern mag. Gleichsam zeigt der praktische Rückbezug in seiner gesamten Bandbreite 1  Wieacker,

Gründer und Bewahrer, S. 190.



§ 1 Zur Problematik der Rechtswegspaltung249

einmal mehr, dass die Argumente für und wider einer bestimmten Herangehensweise keineswegs bloße akademische Spiegelfechterei darstellen: Die Problemfälle fungieren dabei als eine Art Brennglas, welches Schwächen und Unsicherheiten, die sich bereits auf der theoretischen Ebene andeuteten, nun in aller Schärfe ans Licht bringt. Somit stellt der Prüfstein der Praxis einen entscheidenden weiteren Schritt zur adäquaten Schließung der Lücke im Staatshaftungsrecht für Verletzungen der Berufsfreiheit dar.

§ 1 Zur Problematik der Rechtswegspaltung Bevor das Lösungspotential der Ansätze für die einzelnen Fallgruppen überprüft wird, bedarf eine weitere Herausforderung, vor die sich der Bürger bei der Wahrnehmung seiner Rechte gestellt sieht, näherer Betrachtung. So gilt unabhängig von dem diskutierten materiell-rechtlichen Vorrang des Primärrechtsschutzes2 auch das verfahrensrechtliche Verhältnis der Schutzansprüche aufgrund der Rechtswegspaltung im Staatshaftungsrecht als problematisch. Die ambivalente Beziehung zwischen Rechtsschutz und Rechtsweg3 folgt aus den einfachgesetzlich zugewiesenen Gerichtszuständigkeiten für die jeweiligen Ansprüche: Während sowohl Unterlassungs- als auch Beseitigungsansprüche – letztere selbst in ihrer Ausprägung als „kleiner Schadensersatz“ – unter die Generalklausel des § 40 Abs. 1 VwGO und damit in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallen, kann dies nicht ohne weiteres auch für die kompensatorischen Institute angenommen werden. Dabei ist unbeachtlich, ob man diese aus einer eigenen Rechtsgrundlage herleiten will oder nur als der Verletzungssituation angepasste Ausprägung eines einheitlichen Anspruchs wahrnimmt; denn die Frage der prozessualen Geltendmachung ist von der der materiell-rechtlichen Begründung strikt zu unterscheiden.4 Umstritten ist zunächst, ob die Verfassung eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung für die in den Lösungsansätzen diskutierten Ansprüche vornimmt.5 Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG scheidet bereits aus, da er sich allein auf Entschädigungsansprüche wegen rechtmäßiger Enteignungen bezieht. Auch wenn 2  Siehe

dazu ausführlich Dritter Teil: § 4 A.V.3., S. 225 ff. VVDStRL 2002, 260, 284. 4  Deshalb kann im Ergebnis auch nicht überzeugen, den Folgenentschädigungsanspruch als fortgesetzten Beseitigungsanspruch zu qualifizieren, nur um ihn der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu unterstellen. Vgl. kritisch Hain, VerwArch 2004, 498, 504 f. 5  Verneinend Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 114. 3  Höfling,

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

Art. 34 S. 3 GG zuweilen diese Qualität zugeschrieben wird,6 ist ausweislich seines Wortlauts wohl überzeugender, diesen lediglich als verfassungsrechtliche Garantie einer entsprechenden parlamentarischen Regelung zu begreifen, nicht aber als autonome Rechtswegzuweisung.7 Indes kann dies zunächst offenbleiben,8 da auf einfachgesetzlicher Ebene jedenfalls der verfassungskonforme § 40 Abs. 2 VwGO belastbare Aussagen erlaubt. Obschon dieser grundsätzlich als Ausnahmevorschrift zur Regelzuweisung an die Verwaltungsgerichte in Abs. 1 eng zu verstehen ist,9 lassen sich alle angedachten Konzepte unter diese Vorschrift fassen. Zunächst ist die Ausdehnung des aufopferungsrechtlichen Ausgleichsanspruchs auf alle Grundrechte unter § 40 Abs. 2 S. 1 Var. 1 VwGO zu subsumieren.10 Die europarechtlich inspirierte Überformung des Amtshaftungsanspruches kann gleich diesem selbst als Schadensersatzanspruch aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten begriffen werden.11 Gleiches gilt für den Folgenentschädigungsanspruch12 und den grundrechtlich fundierten Kompensationsanspruch.13 Damit liegt die Zuständigkeit für kompensatorische Ausgleichsansprüche nach allen Konzep6  BVerwGE 37, 231 (234); BGHZ 43, 34 (39); Hufen, Verwaltungsprozessrecht § 11 Rn. 55; Kopp / Schenke, VwGO, § 40, Rn. 70; Grzeszick, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 34. 7  Ehlers / Schneider, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, § 40, Rn. 517; Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 305; Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 322. 8  Selbst wenn man Art. 34 S. 3 GG die Qualität als Rechtswegzuweisung zuschreiben will, ändert dies hinsichtlich der vorliegenden Problemgestaltung nichts, da letztlich nach beiden Auffassungen eine Verfassungsänderung nötig wäre, wollte man die kompensatorischen Ansprüche umfassend und ausschließlich den Verwaltungsgerichten zuweisen. 9  BVerwG, DÖV 1974, 133; Ehlers / Schneider, in: Schoch / Schneider / Bier (Hrsg.), VwGO, § 40, Rn. 520. 10  Differenzierend, aber letztlich offenlassend, ob die erste oder dritte Variante einschlägig ist BGHZ 90, 17 (31); Nüßgens / Boujong, Enteignung, Rn. 448; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 324. 11  Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 40 Rn. 70; Ehlers / Schneider, in: Schoch / Schnei­ der / Bier (Hrsg.), VwGO, § 40, Rn. 541; jew. m. w. N. 12  Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, §  40 Rn. 70 m.  w.  N.; anders wohl Höfling, VVDStRL 2002, 260, 283; von Franckenstein, NVwZ 1999, 158 (159). Vgl. Hain, VerwArch 2004, 498, 500. Insofern erscheint bemerkenswert, dass die Rechtsfigur von den Verwaltungsgerichten entwickelt wurde, obschon die primäre Zuständigkeit für die Rechtsmaterie bei den ordentlichen Gerichten verbleibt. 13  Insofern ungenau Hösch, DÖV 1999, 192, 199, der die Ansprüche als aufopferungsrechtliche verstehen und damit bereits der ersten Alternative zuordnen will. Zutreffender ist anzunehmen, dass sie aus einer Verletzung einer öffentlich-recht­ lichen Pflicht – nämlich derjenigen, das jeweilige Grundrecht zu achten – resultieren. So auch Röder, Haftungsfunktion, S. 305; wohl auch Kopp / Schenke, VwGO, § 40 Rn. 70; zweifelnd aber Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 432 ff. m. w. N., 435 f.



§ 1 Zur Problematik der Rechtswegspaltung251

ten bei den ordentlichen Gerichten – ein Ergebnis, welches durch § 40 Abs. 2 VwGO determiniert ist. Im Bereich der staatlichen Einstandspflichten erweist sich diese Rechtswegzersplitterung angesichts der unbestimmten Reichweite des gegenwärtigen Folgenbeseitigungsanspruchs und seiner Abgrenzung zu Ersatzansprüchen14 als besonders ungünstig, da im Extremfall eine effektive Geltendmachung der Ansprüche des Bürgers gefährdet sein kann.15 Diese missliche Lage, die weit über einen bloßen prozesstechnischen Makel hinausgeht, ist nach der heutigen Rechtslage kaum sinnvoll vermeidbar. Gegenwärtig scheint nur die Klagehäufung nach § 44 VwGO einen, wenn auch keineswegs dogmatisch sauberen, Ausweg zu bieten, um die Reaktionsansprüche vor einem Gericht zu bündeln. Dementsprechend begehrte beispielsweise ein Kläger vor dem OVG Münster16 Folgenbeseitigung, hilfsweise aber Folgenentschädigung. Während das Gericht nach § 17 Abs. 2 S. 1 GVG den Sachverhalt unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten, also auch solchen, die nicht seiner originären Zuständigkeit unterliegen, entscheiden muss, verlangt umgekehrt die Klagehäufung grundsätzlich die Zuständigkeit des Gerichts für alle begehrten Rechtsschutzmöglichkeiten. Bei der Kollision dieser Grundprinzipien ist die Rechtsschutzgarantie gebührend zu würdigen. Denn macht Art. 19 Abs. 4 GG auch bezüglich der Rechtswegzuweisung keine expliziten Vorgaben, darf diese jedenfalls das Rechtsschutzbegehren nicht unnötig erschweren.17 Es scheint daher naheliegend, im Konfliktfall die justizielle Kompetenzverteilung nicht zulasten des Bürgers wirken zu lassen und stattdessen dem Konzentrationsappell von § 17 Abs. 2 S. 1 GVG Vorrang vor der Rechtswegzuweisung des § 40 Abs. 2 VwGO zu gewähren.18 14  Beispielhaft

nur BGHZ 91, 20 ff.; 92, 34 ff. beispielsweise das Verwaltungsgericht von einem engen Verständnis des Folgenbeseitigungsanspruchs aus und lässt diesen scheitern, weil es die Folgen nicht länger für beseitigbar und damit einem kompensatorischen Anspruch unterfallend ansieht, kann auf der anderen Seite das ordentliche Gericht – geleitet von einem weiten Beseitigungsverständnis – den Entschädigungsanspruch ablehnen, da die Folgenbeseitigung vorrangig sei. Ist für den Bürger aber nicht genau absehbar, ob bereits ein kompensatorischer Anspruch entstanden ist oder nicht, kann sich die Wahl des Rechtswegs als entscheidend für den Prozessausgang entpuppen. Mit diesem Beispiel Röder, Haftungsfunktion, S. 305. Dass ein solches Szenario keineswegs konstruiert ist, deutet auch die Entscheidung des OVG Münster, NVwZ 1994, 795 ff. an. Das Gericht lehnte eine Erweiterung des Folgenbeseitigungsanspruchs mit der Begründung ab, eine etwaige Lücke sei durch eine, durch die Zivilgerichte vorzunehmende, Ausdehnung der Aufopferungshaftung zu schließen. 16  OVG Münster, NVwZ 1994, 795 ff. 17  Schmidt-Aßmann, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 230. 18  Vgl. insgesamt Sass, Entschädigungserfordernis, S. 398; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  507 f.; Röder, Haftungsfunktion, S. 306 f.; in diese Richtung auch von Franckenstein, NVwZ 1999, 158, 159. 15  Geht

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

Zum Scheitern verurteilt ist dieser Ansatz indes, wenn der Kläger bereits von Beginn an nur monetäre Kompensation sucht oder ein Beseitigungsanspruch unter allen Gesichtspunkten ausgeschlossen ist. Um derartigen Problemen abzuhelfen und Rechtswegklarheit zu schaffen, wird überwiegend eine Bündelung der Reaktionsansprüche vor den Verwaltungsgerichten befürwortet.19 Dies wäre allein über eine Änderung des Prozessrechts, genauer die Abschaffung von § 40 Abs. 2 VwGO und Art. 34 S. 3 GG, zu erreichen.20 Obschon aber bereits die 79. Justizministerkonferenz 2008 die „Bereinigung des Systems der Rechtswegzuweisungen“ diskutierte und man sich im Wesentlichen darauf einigte, „[d]ie historisch begründete Sonderzuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit“21 im Wege einer Grundgesetzänderung abzuschaffen, bleibt die Situation bislang unverändert.22 Eine Bündelung der Entscheidungskompetenzen bei einer Gerichtsbarkeit könnte einen binnenjustiziellen Konflikt mit den obig skizzierten problematischen Konsequenzen vermeiden. Dies allein bedeutet jedoch nicht, dass ein derartiger Weg auch zielführend oder gar notwendig ist. Denn bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass die eigentliche Gefahr divergierender Entscheidungen primär auf der Unklarheit der Grenzen der jeweiligen Institute und weit ausgelegten Vorrangregelungen beruht und nicht auf der Rechtswegspaltung als solcher. Die obige „Pattsituation“ kann nur entstehen, weil sich die Gerichte auf die Weiterentwicklung oder -auslegung jeweils anderer Rechtsfiguren verlassen. Ausgehend von der umfassenden Anerkennung eines einheitlichen grundrechtlich fundierten Reaktionsanspruches, bei dem Entschädigungs- und Beseitigungsforderungen deutlich konturiert sind und in keinem materiellen Vorrangverhältnis stehen, ließen sich derartige Friktionen aber bereits im Vorfeld vermeiden.23 Kann indes allein durch eine klare Strukturierung und Abgrenzung der jeweiligen Unteransprüche voneinander vermieden werden, dass der Bürger durch abweichende Auffassungen der Gerichte über deren Reichweite seiner Rechtsschutzmöglichkeiten beraubt wird, ist ein großer Teil der Problematik der Rechtswegspaltung entschärft. 19  Stelkens, DÖV 2006, 770, 779; Schoch, DV 2001, 261, 272 f.; von Danwitz, in: von Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 150; Klein, in: Soergel (Hrsg.), BGB, Anh. § 823, Rn. 59; Höfling, VVDStRL 2002, 260, 285 m. w. N. Dies bedeutete eine Abkehr von dualistischen System, vgl. Axer, DVBl. 2001, 1322, 1323. 20  Schoch, JZ 1995, 768, 773. 21  Zu TOP I.2. Siehe: http: /  / cdl.niedersachsen.de / blob / images / C47715480_I.20. pdf (abgerufen am 22.03.2018). 22  Vgl. zu den bisherigen erfolglosen Reformversuchen Unterreitmeier, BayVBl. 2009, 289, 293. 23  Vgl. auch Höfling, VVDStRL 2002, 260, 286.



§ 1 Zur Problematik der Rechtswegspaltung253

Fraglich ist damit, welche überzeugenden Gründe für eine derartige „Flurbereinigung“24 überhaupt noch sprächen, sofern die Rechtsunsicherheiten auf der materiell-rechtlichen Ebene ausgeräumt würden. Nun kann man berechtigterweise die Sinnhaftigkeit der Zuweisung an die ordentlichen Gerichte hinterfragen: Denn es ist nicht ohne weiteres anzunehmen, dass sich im Umfeld der kompensatorischen Ansprüche typischerweise zivilrechtliche Fragenstellungen im Bereich des Haftungsrechts auftun. Während zwar im Rahmen der Schadensberechnung Normen des BGB Anwendung finden, sind die Institute schwerpunktmäßig subordinationsrechtlich und durch die Wirkweise der Grundrechte geprägt. Insofern scheint die gegenwärtige Rechtswegzuweisung zwar fragwürdig, jedoch nicht unhaltbar.25 Gleichsam wäre es sicher für den Bürger bequemer, alle Ansprüche vor einem Gericht geltend machen zu können. Auch adressiert Art. 19 Abs. 4 GG als „rechtsstaatlich zwingende formell-verfahrensrechtliche Ergänzung der verfassungsmäßigen Anerkennung materieller Individualrechtspositionen“26 nicht nur den Richter, sondern bereits den Gesetzgeber und kann diesen in Extremfällen im Hinblick auf die von ihm auszugestaltende Gerichtsverfassung und Prozessordnung zu einer klärenden Normierung verpflichten.27 Der Rechtsschutz muss dabei vor allem effektiv sein, das heißt auf eine tatsächlich wirksame und wirkungsvolle gerichtliche Kontrolle zielen,28 die nicht durch unzumutbare prozessuale Hindernisse erschwert werden darf.29 Es erscheint indes zweifelhaft, ob eine derartige Schwelle gegenwärtig überschritten ist. Denn die Rechtsschutzgarantie bildet ein besonders stark normgeprägtes Recht,30 bei dessen Ausgestaltung der Legislative ein substantieller Spielraum zukommt.31 Nun mögen im Sinne größtmöglicher Rechtswegklarheit Orientierungsschwierigkeiten für den Rechtsschutzsuchenden zu vermeiden sein,32 da „die Klarheit und Bestimmtheit von Rechtswegvorschriften im Rahmen dessen, was generell-abstrakter Regelung praktisch möglich ist, […] eine unabdingbare Anforderung an eine rechtsstaatliche

24  Schoch,

JZ 1995, 768, 773. Unterreitmeier, BayVBl. 2009, 289, 294. 26  Enders, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 19, Rn. 51; BVerfGE 88, 118 (123); 107, 299 (311); 107, 395 (401). 27  Schmidt-Aßmann, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 231 unter Bezugnahme auf BVerfGE 107, 395 (416 f.). 28  Enders, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 19, Rn. 72; BVerfGE 8, 274 (326); 35, 263 (274); BVerfGE 118, 168 (207). 29  BVerfGE 101, 397 (408); ähnl. bereits BVerfGE 10, 264 (268); 41, 23 (26). 30  Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 42. 31  Vgl. BVerfGE 101, 106 (123 f.); 118, 168 (207). 32  Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 231. 25  Vgl.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

Ordnung“33 darstellt. Wie besehen gründet die Unklarheit jedoch nicht in § 40 VwGO als Rechtswegvorschrift, sondern vielmehr in den exakten Grenzen der gegenwärtigen Institute. Dieses Problem wird durch den gespaltenen Rechtsweg besonders deutlich zu Tage gefördert, kann indes effektiver durch eine zutreffende Neustrukturierung der staatlichen Einstandspflichten en passant mit beseitigt werden. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die Zuweisung an die Verwaltungsgerichte für den Bürger mitunter positive Wechselwirkungen entfaltete: So könnte von Vorteil sein, wenn die nah an der öffentlich-rechtlichen Materie stehenden und problembewussten Verwaltungsgerichte entschieden und der Betroffene seinen Rechtsschutz bündeln könnte. Auf der anderen Seite ist eine „erstaunliche Vielfalt“34 im Rechtsschutz und die Behandlung tendenziell öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten keine Seltenheit. Denn das deutsche Recht kennt weder ein unumstößliches „Postulat organadäquater Entscheidungskompetenz“35 noch etwa einen Anspruch auf den sachnäheren Richter.36 Ganz im Gegenteil kann eine Verantwortungsaufteilung durch verschiedene Rechtswege sogar nützliche Synergien hervorbringen, wenn die ordentlichen und die Verwaltungsgerichte als „wechselseitige Auffangordnungen“37 begriffen werden. Solange die Gebote der Verantwortungsklarheit und der Rechtswegklarheit38 eingehalten werden, kann die Auffächerung sogar zu einer rechtsdienlichen Kontrolle führen.39 Damit ist eine differenziertere Betrachtung nötig: Weder ist eine, durchaus eigene Vorteile mit sich bringende, Monopolisierung des Rechtsschutzes40 geboten, noch schreiben die Vorzüge eines gespaltenen Rechtswegs diesen fest.41 Eine abwägende Entscheidung bleibt als rechtspolitische dem Gesetzgeber vorbehalten, ohne dass der Verfassung hierfür verbindliche Vorgaben 33  BVerfGE 57, 9 (21); vgl. auch BVerfGE 54, 277 (292 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 91. 34  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 286. 35  Vgl. Höfling, VVDStRL 2002, 260, 287, der diesem Argument hingegen „durchaus Überzeugungskraft“ beimisst. 36  BVerwGE 81, 226 (227 f.); vgl. auch Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 321. 37  Dazu grundlegend Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Wechselseitige Auffangordnungen, passim. 38  Grundlegend hierzu BVerfGE 87, 48 (65). 39  Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Wechselseitige Auffangordnungen, S. 35. 40  Höfling, VVDStRL 2002, 462 f. 41  So können sich auch aus einer Vermeidung der Gerichtsmonopolisierung nützliche „Reserve- und Ergänzungsfunktionen [sowie] zusätzliche Kontrollmöglichkeiten“ ergeben. Vgl. Höfling, VVDStRL 2002, 260, 286 f. m. w. N. Kritisch hingegen



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit255

entnommen werden könnten. Wie besehen lassen sich die gegenwärtigen Nachteile der Aufspaltungslösung durch eine klare Definition der Ansprüche vermeiden – diese sollte daher den primären Angriffspunkt einer Fortentwicklung bilden. Denn das defizitäre Staatshaftungsrecht als Folge der Rechtswegspaltung anzusehen, hieße letztlich nichts anderes als Krankheit und Symptom zu verkehren.42

§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit Nachdem der für die Geltendmachung einschlägige Rechtsweg ermittelt wurde, sollen nun die einzelnen Lösungsansätze unter genauer Beachtung ihrer Besonderheiten auf die aufgeworfenen Problemkonstellationen rückbezogen werden, um ihre praktische Lösungsfähigkeit zu analysieren. Während der Untersuchung der Einzelfälle, die als pars pro toto für die übergeordneten Fallgruppen fungieren, können die unproblematischen Merkmale kursorisch behandelt werden, wohingegen die Friktionen verursachenden Charakteristika mit besonderem Bedacht zu würdigen und deshalb eingehend zu diskutieren sind.

A. Erweiterung der Aufopferungshaftung Zu beginnen ist mit der erweiterten Aufopferungshaftung, deren Tatbestand eine rechtswidrige hoheitliche Maßnahme verlangt, die durch einen Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut unmittelbar zu einem Sonderopfer bei dem Betroffenen geführt hat.43 Die erste in Augenschein zu nehmende Fallgruppe umfasst rechtwidrige Hoheitsakte, die zu einem verzögerten Beginn der Wunschtätigkeit oder -ausbildung und damit zu einem Verdienstausfall führten. Exemplarisch hierfür zeigten sich die Wehrdienstfälle oder widerrechtliche Prüfungsentscheidungen. Strukturell eng verwandt sind die ebenso häufigen Fälle einer rechtswidrig verweigerten Genehmigung zur Aufnahme, Erweiterung oder Fortführung eines Betriebes. Schließlich bedürfen die Konstellationen einer Lösung, in denen durch Vertriebs- oder Verhaltensverbote die unternehmerische Tätigkeit eingeschränkt wurde. Bereits strukturell vom AnwendungsbeGärditz, DV 2010, 309 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 231, der gar von einem „unerfreulichen Verwirrspiel“ spricht. 42  Vgl. Höfling, VVDStRL 2002, 260, 286. 43  Ausführlich dazu Dritter Teil: § 1, S. 121 ff.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

reich ausgenommen sind hingegen Sachverhalte, die legislatives Unrecht implizieren, wie beispielsweise der Sportwettenfall.44 I. Die Modi des staatlichen Eingriffshandelns Im Sinne des Ziels dieser Untersuchung eint alle problematisierten Fällen eine Verletzung der Berufsfreiheit. Wurde diese durch aktives Staatshandeln hervorgerufen, wie beispielsweise die Einberufung zum Wehrdienst oder die Indizierung eines Computerspiels, kann der zurechenbare Eingriff ohne weiteres bejaht werden. Zu diskutieren ist indes, ob das Verhalten der Behörde im Falle einer verweigerten Gewerbeerlaubnis oder rechtswidriger Prüfungsentscheide eine Aufopferungshaftung auszulösen vermag. Hierzu bedarf Klärung, ob in diesen Situationen ein Tun oder Unterlassen vorliegt und inwiefern ein Unterlassen im Rahmen des enteignungs- und aufopferungsgleichen Eingriffs überhaupt haftungsbegründend wirken kann. Anders als im Zivil- und Strafrecht lehnt die Rechtsprechung eine umfassende Gleichsetzung zwischen Tun und Unterlassen ab45 und sieht letzteres nur dann als ausreichend an, wenn es sich „seiner Wirkung nach […] wie ein in den Rechtskreis des Betroffenen eingreifendes Handeln qualifizieren lässt.“46 Dies sei zumindest immer dann anzunehmen, sofern der Beamte ein rechtlich gebotenes Handeln förmlich, zumindest aber unzweideutig verweigert habe.47 Dieser wenig aussagenden Differenzierung zwischen schlichtem und qualifiziertem Unterlassen ist in der Literatur deutliche Kritik zuteil geworden,48 was mit dazu geführt haben mag, dass der BGH zunehmend dazu tendiert, allein die hinreichend konkrete und bestimmte Rechtspflicht zum Handeln als ausschlaggebend zu betrachten.49 44  Vgl. dazu LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 17. Zum weit verstandenen Ausschluss einer Haftung für legislatives Unrecht im Bereich des enteignungsgleichen Eingriffs BGHZ 100, 136 (145 ff.); 102, 350 (359); 111, 349 (352 f.). 45  BGH, NJW 1962, 2347 (2348); BGH, VersR 1963, 628 (630); vgl. Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 106. 46  BGHZ 32, 208 (211); 56, 40 (42); 102, 350 (364); 120, 124 (132). 47  Vgl. BGH, DVBl. 1971, 459; BGH, NJW 1980, 387; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  308 f. m. w. N. 48  Maurer, VerwR, § 27 Rn. 92; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  309 f.; Schoch, DV 2001, 261, 283; Schenke, NJW 1991, 1777, 1787 f.; Kunig, Jura 1992, 554, 558; Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 675. Es scheint, als habe die Rechtsprechung das Merkmal des Unterlassens zuweilen als haftungsbegrenzendes fruchtbar machen wollen, um Ausuferungen des enteignungsgleichen Eingriffs zu vermeiden. Vgl. Nüßgens / Boujong, Enteignung, S. 187; kritisch Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 310.



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit257

Diesbezüglich stellt sich in den Fällen, in denen eine Behörde aufgrund einer verfassungswidrigen Verordnung handelte, ein weiteres Problem: Basiert auch die Verweigerung der Genehmigung oder Zulassung auf der grundrechtswidrigen Rechtsgrundlage, kann allein daraus nicht kehrseitig auf eine Rechtspflicht zur Erteilung geschlossen werden. Vielmehr führt die nichtige Norm zunächst nur zu einer ausfüllungsbedürftigen Lücke, die ihrerseits aber selbst nicht anspruchsbegründend für den Betroffenen wirkt. Es fehlt also gerade an einer Norm, aus der sich eine Zulassungspflicht ergeben könnte. Nicht überzeugend erscheint dabei, eine Rechtspflicht bereits daraus ableiten zu wollen, die Behörde hätte in einer bestimmten Art und Weise handeln müssen, sofern die Regelunglücke verfassungskonform ausgefüllt worden wäre,50 da ein solcher Ansatz auf eine bloße Fiktion hinausliefe. Zumindest über das Merkmal des zurechenbaren Eingriffs kann indes ein anderer Gedanke hinweghelfen.51 Denn es bleibt in diesen Fällen grundsätzlich unbenommen, auf das aktive Handeln der Behörde, also den Versagungsakt, abzustellen, der einen hinreichenden Anknüpfungspunkt für das Eingriffshandeln bietet. Damit besteht bereits keine Notwendigkeit mehr für die Annahme eines irgendwie zu „qualifizierenden“ Unterlassens,52 sodass die aufopferungsrechtliche Haftung in den problematischen Fallgruppen in aller Regel nicht an dem Tatbestandsmerkmal des Eingriffs scheitern wird.53

49  Vgl. bereits BGHZ 56, 40; zustimmend Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 109; Luhmann, Entschädigung, S. 112; Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann /  Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 90 m. w. N. 50  So aber das LG Berlin, Urt. v. 06.02.1992 – 13 O 322 / 91, S. 5: „Die Nichtigkeit der Bestehensregelung führt nur zu einer im Rahmen der Verfassung auszufüllenden Regelungslücke. Die Ausfüllung der Regelungslücke konnte vorliegend im Fall der Klägerin aber nur so geschehen, daß die von der Klägerin im April 1980 abgelegte Prüfung für bestanden erklärt wurde“. Ein derartiger Ansatz widerspricht wohl den vom BGH etablierten Anforderungen an die Konkretheit der Rechtspflicht, vgl. nur BGH, NVwZ 1992, 913 (914): „… wenn entgegen einem Anspruch auf Genehmigungserteilung eine […] Erlaubnis förmlich versagt oder faktisch vorenthalten wird.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser). 51  Indes verlagern sich hierdurch die problematischen Überlegungen in den Rahmen der Kausalität. 52  In diese Richtung auch das LG Berlin, Urt. v. 06.02.1992  – 13 O 322 / 91, S. 5: „Es kann dahingestellt bleiben, ob in der das Bestehen der Prüfung ausdrücklich versagenden Entscheidung der Behörde überhaupt noch ein Unterlassen und nicht vielmehr schon ein Eingriff [präziser: Eingriff durch aktives Tun] zu sehen ist“. 53  Etwas anderes mag gelten, wenn allein ein schlichtes Untätigbleiben der Behörde gegeben ist. Indes sind derartige Fälle kaum zu konstruieren, ohne dass dem Beamten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden könnte und damit die Amtshaftung eingriffe.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

II. Sonderopfer und Kausalität Liegt ein dem Staat zurechenbarer Eingriff in die Berufsfreiheit vor, verdient das häufig übergangene und von einigen Unsicherheiten geprägte Merkmal des Sonderopfers besondere Beachtung.54 Nach seiner Definition muss die staatliche Beeinträchtigung zu einer dem Einzelnen auferlegten Einbuße führen, die „jenseits der gesetzlichen allgemeinen Opfergrenze liegt und damit ein entspr. dem Gebot des Gleichheitssatzes zu entschädigendes Sonderopfer darstellt.“55 Wie aufgezeigt konvergieren in der Rechtsprechung56 die Voraussetzungen des Sonderopfers und der Rechtswidrigkeit mit der Begründung, dem Betroffenen werde durch eine widerrechtliche Beeinträchtigung regelmäßig ein über die allgemeine Duldungspflicht hinausgehendes Opfer zugemutet.57 Diese fortschreitende Gleichsetzung beider Merkmale bescherte der Aufopferungshaftung in der Literatur zunehmend den Charakter einer partiellen verschuldensunabhängigen Staatsunrechtshaftung.58 Indes haben die Gerichte den hinter dem Sonderopfer stehenden haftungsbegrenzenden Gedanken als auch das Tatbestandsmerkmal selbst nicht vollständig aufgegeben, sondern rekurrieren zuweilen, wenn auch nur schwer vorhersehbar, auf die Rechtsfigur. So verneinten die Richter beispielsweise ein Sonderopfer der zu Unrecht Wehrdienstleistenden, da diese „nicht mehr als das Opfer [erbrachten], das das Gesetz jedem einzelnen Wehrdienstleistenden zugemutet“59 habe. Diese Schlussfolgerung muss überraschen, da die richtige Bezugsgruppe für das Vorliegen einer Sonderbelastung sinnvollerweise allein in den übrigen vom Wehrdienst Befreiten zu sehen wäre. Allenfalls könnte man diese Anomalie über die Besonderheiten des Institutes des allgemeinen Militärdienstes zu erklären versuchen, will man den Schluss vermeiden, im Sonderopfer ein unbestimmtes und damit freies Zurechnungskriterium zu erblicken. Eben diesen Verdacht erhärtet eine Analyse des Approbationsfalls: Denn dort verneinte das Gericht das Vorliegen eines Sonderopfers mit folgenden Ausführungen: Es ließe sich nicht feststellen, „daß der Klägerin durch den geschehenen Sachverlauf ein sonst erzieltes Einkommen in der geltend gemachten Höhe verloren gegangen ist. Der Umstand, daß § 14 Abs. 5 der 54  Schenke,

NJW 1988, 857, 859. 32, 208 (211). 56  Vgl. nur Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 687 ff. m. w. N. 57  Vgl. bereits Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 94 ff.; Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 29; jew. m. w. N. 58  Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 687: „Damit hat das Haftungsinstitut […] den Status einer – begrenzten – unmittelbaren, primären und verschuldensunabhängigen Staatsunrechtshaftung erreicht.“ 59  BGHZ 65, 196 (206 f.). 55  BGHZ



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit259

Approbationsordnung für Ärzte verfassungswidrig war und daß demzufolge eine Entscheidung über den Mißerfolg der Prüfung nicht auf diese Bestimmung gestützt werden durfte, besagt nicht, daß von einem Bestehen der Prüfung auszugehen ist. […] daß die Nichtigkeit der genannten Bestehensregel – nur – zu einer Lücke führt, die ausgefüllt werden müsse; die Entscheidung darüber, auf welche Weise die entstandene Lücke […] sachgerecht geschlossen werden soll, gebühre in erster Linie dem Verordnungsgeber.“60 Deshalb liege kein Sonderopfer vor. Nun sind diese Erwägungen zwar im Ergebnis zutreffend, denn es war in der Tat „weder vorgetragen noch sonst erkennbar, daß die von der Klägerin im April 1980 erbrachten Prüfungsleistungen die Voraussetzungen der Bestimmung in ihrer heutigen [verfassungsgemäßen] Fassung erfüllen, die Klägerin die Prüfung also auch danach bestanden hätte. Die Klägerin hat daher nur deshalb nicht schon ab Mai 1980 als Ärztin tätig werden können, weil sie seinerzeit die Voraussetzungen für die Erteilung der Approbation nicht erfüllte, ohne daß sich annehmen ließe, daß das bei einer verfassungsgemäßen und im Sinne des BVerfG sachgerechten Prüfungsregelung anders gewesen wäre.“61 Mit dem Problem einer dem Prinzip der Lastengleichheit widersprechenden Belastung haben diese grundsätzlich nachvollziehbaren Kausalitätsanforderungen, denen die Klägerin im Einzelfall nicht gerecht werden konnte, aber nichts gemein.62 Dass diese aber unter dem Topos des Sonderopfers diskutiert wurden, verdeutlicht die mit diesem Merkmal auch auf richterlicher Ebene verbundenen Rechtsunsicherheiten. Dogmatisch nicht sinnvoll innerhalb einer Unrechtshaftung integrierbar, dient das Sonderopfer – wenn ihm überhaupt eine Bedeutung beigemessen wird – augenscheinlich primär als schwer nachvollziehbare und offenbar recht beliebig handhabbare Haftungseinschränkung. Dieser Makel würde der Erweiterung der Aufopferungshaftung anhaften und einen im Ergebnis nicht begründbaren und kaum vorhersehbaren richterlichen Ermessensspielraum zur Folge haben, der die Lösungsfähigkeit des Ansatzes insgesamt in Zweifel zieht.63 60  KG

Berlin, Urt. v. 30.10.1992 – 9 U 2569 / 92, S. 7 ff. Berlin, Urt. v. 30.10.1992 – 9 U 2569 / 92, S. 12 f. 62  Vgl. zu ähnlichen Kausalitätserwägungen im Sportwettenfall die Ausführungen des LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 19. Ähnl. auch Röder, Haftungsfunktion, S. 308 f. Bemerkenswert scheint an dieser Stelle, dass der BGH im Rahmen der Aufopferungshaftung zuweilen bereits sehr geringe Kausalitäts- und Adäquanzerwägungen ausreichen lässt. Beispielhaft BGH, NJW 1971, 1881 (1883). Vgl. auch BGHZ 24, 45 (46); Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 58 m. w. N. 63  Dem kann nicht entgegenhalten werden, das Merkmal würde nur in Sonderkonstellationen virulent. Denn eine überzeugende Lösung muss gerade umfassend und ohne nicht begründbare Bereichsausnahmen funktionieren. 61  KG

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

Die Kausalitätsausführungen des Berliner Landgerichts erweisen sich indes unter einem weiteren Aspekt aufschlussreich im Hinblick auf ein strukturelles Problem behördlicher Ablehnungsbescheide, die aufgrund verfassungswidriger Normen ergangen sind. Denn selbst wenn man in leichter Abwandlung des Falles annimmt, dass dem Verordnungsgeber kein Einschätzungsspielraum zukäme und er nur eine einzige verfassungsmäßige Prüfungsordnung hätte erlassen können, beseitigt dies die Kausalitätsprobleme nicht. Nach der Conditio-sine-qua-non-Formel ist das Verhalten des in Anspruch Genommenen nur dann kausal, wenn der Schaden ohne dieses nicht eingetreten wäre. Stellt man auf das behördliche Handeln ab, ist es in diesen Fällen aber ohne weiteres möglich, die Versagungserklärung wegzudenken, ohne dass dem Betroffenen hinsichtlich seines Verdienstausfalls abgeholfen wäre – denn seine Rechtsposition bleibe mangels positivem Zulassungsbescheid unverändert. Um sich diese Problematik zu verdeutlichen, kann mit den obigen Erwägungen das behördliche Handeln schwerpunktmäßig auch als Unterlassen der Zulassung oder Genehmigung gedacht werden. Dieses ist nach der abgewandelten Formel allein dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte.64 Auch diese Anforderungen werden indes nicht erfüllt: Denn in klarer Parallele zur obigen Unterlassungsproblematik tritt erneut deutlich zu Tage, dass der Behörde in derartigen Fallkonstellationen ein „rechtmäßiges Alternativverhalten“ schlicht nicht offen steht. Solange der Normgeber keine andere Prüfungsordnung erlässt, darf sie Bewerber nicht zulassen.65 Mithin führt eine genaue, auf den ersten Zugriff durchaus verwunderlich wirkende Analyse zu dem Ergebnis, dass ablehnende Prüfungs- oder Zulassungsbescheide, die wie im Approbationsfall infolge einer verfassungswidrigen Norm ergingen, für den Verdienstausfall schlichtweg nicht kausal sind. Ist damit in dieser Fallgruppe ein an die Verwaltungsentscheidung anknüpfender Haftungsanspruch kausalitätsbedingt zum Scheitern verurteilt, bietet die Aufopferungshaftung einen alternativen Lösungsweg. Anstatt auf die konkrete Zulassungs- oder Genehmigungsentscheidung abzustellen, die durch die zugrundliegende Rechtsverordnung in weiten Teilen determiniert war, muss das Handeln des Verordnungsgebers selbst in Ansatz gebracht werden. Während zwar in Parallele zur Amtshaftung eine Haftung für legislatives Unrecht ausgeschlossen ist,66 können nicht-formelle Gesetze haftungsaus­ 64  BGHZ

34, 206 (215); 61, 118 (120); 64, 46 (51). wenn man der Verwaltung eine Normprüfungs- und Normverwerfungskompetenz zuspricht, stünde es dem Beamten zwar offen, die Rechtsverordnung unangewendet zu lassen, nicht jedoch, diese durch eine andere zu ersetzen oder gar nach freiem Ermessen zu entscheiden. Vgl. dazu Gril, JuS 2000, 1080 ff.; Schenke, NJW 1988, 857, 860 f.; LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 4 ff. 66  BGHZ 100, 136 (145 ff.); 102, 350 (359); 111, 349 (352 f.). 65  Selbst



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit261

lösend wirken.67 Der Erlass einer verfassungswidrigen Verordnung, die zur Grundlage der jeweiligen Zulassungs- oder Genehmigungsentscheidungen geworden ist, stellt ohne weiteres ein aktives staatliches Handeln dar, das gleichsam kausal für den Schaden des Betroffenen geworden ist, ohne dass von einer Unterbrechung durch die „dazwischentretende“ behördliche Entscheidung auszugehen wäre.68 Ist die Kausalität zwischen rechtswidrigem Staatshandeln und dem Verdienstausfall oder entgangenem Gewinn des Bürgers etabliert, läge es nahe, sich der eigene Schwierigkeiten bereithaltenden Rechtsfolge der Entschädigung zuzuwenden. Indes bedarf im Zusammenhang mit normativem Unrecht zuvor erneut das Merkmal des Sonderopfers einer kritischen Analyse. Wie besehen wurde dieses vom BGH nicht vollständig aufgegeben und erlangt häufig Bedeutung in atypischen Situationen, zu denen die obigen durchweg zu zählen sind. Insbesondere bei durch abstrakt-generelle Normen verursachtem Unrecht scheint sich ein Konflikt mit dem hinter dem Sonderopfer stehenden Gedanken eines gleichheitswidrigen Individualopfers nahezu aufzudrängen.69 Denn kennzeichnend ist der staatliche Eingriff, „der die betroffenen Einzelnen oder Gruppen im Vergleich zu den anderen ungleich, besonders trifft und sie zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt, und zwar zu einem Opfer, das gerade nicht den Inhalt und die Grenzen der betroffenen Rechtsgattung allgemein und einheitlich festlegt, sondern das aus dem Kreis der Rechtsträger Einzelne oder Gruppen von ihnen unter Verletzung des Gleichheitssatzes besonders trifft.“70 Indem das Sonderopfer ein individualisierbar begrenztes Unrecht voraussetzt, „prämiert“ es damit gewissermaßen spiegelbildlich breit angelegte, abstrakte Eingriffe.71 Regelmäßig wird aber, abgesehen von äußerst seltenen

67  BGHZ

111, 349 (352 f.); vgl. auch BGHZ 78, 41 (43); 92, 34 (36). liegt ein Paradefall mittelbarer Kausalität vor, da der Schaden nicht direkt durch den Erlass der Verordnung verursacht wird, sondern erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände. Vgl. BGHZ 41, 123 (125); Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 141 f. Gleichsam prädestiniert das materielle Gesetz den Lauf der Dinge so weitgehend, dass keineswegs von einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs gesprochen werden kann. Zu dieser Figur nur BGH, NJW 1993, 1779 (1780) 1999, 1391 (1392). 69  Vgl. Schenke, NJW 1988, 857, 860 f.; grundsätzlich dazu Boujong, in: FS für W. Geiger, S. 430, 431 ff. 70  BGHZ 6, 270 (279 f.). 71  Deutlich auch, indes im Kontext rechtmäßigen Staatshandelns BGHZ 32, 208 (211): Der Eingriff erscheint „nur als die dem Betroffenen ein Sonderopfer nicht abverlangende Verwirklichung einer allgemein getroffenen gesetzlichen Regelung“. 68  Hier

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

und darüber hinaus auch von der Amtshaftung erfassten Individual­gesetzen,72 durch abstrakt-generelle Regelungen eine Massierung von Unrecht folgen, die der Annahme eines Sonderopfers entgegensteht.73 Dies verdeutlicht das Beispiel von Prüfungs- oder Berufszulassungsordnungen, welche die gesamte Zielgruppe gleichermaßen unrechtmäßig betreffen.74 Insofern kann vom Vorliegen eines Sonderopfers in Fällen normativen Unrechts kaum ausgegangen werden, will man seine Verankerung im Lastengleichheitsprinzip und dem Aufopferungsgedanken nicht völlig vernachlässigen.75 Abstrahiert man die Wesensmerkmale des Sonderopfers, tritt im Bereich der Haftung für materielle Gesetze eine bemerkenswerte Übereinstimmung zur Drittgerichtetheit der Amtspflicht deutlich zu Tage: Beide Merkmale bezwecken eine Haftungseinschränkung, indem sie Fälle ausschließen, die eine breite Personenmenge betreffen. Die Drittgerichtetheit ergibt sich, wenn die Amtspflicht im Interesse einer Person oder eines individualisierbaren Personenkreises besteht, was ebenso wie die individuelle, ungleiche Betroffenheit bei Rechtsnormen äußerst selten der Fall ist. Obschon aus unterschiedlichen Blickwinkeln, streben beide Rechtsfiguren einen Ausschluss von finanziell belastenden „Massenprozessen“ an, der dem Staatshaushalt zugutekommen soll.76 Diese Konvergenz von Ratio und Ergebnissen lässt aber an dem grundsätzlichen Lösungspotential der Aufopferungshaftung für Fälle normativen Unrechts zweifeln. Denn in dem gleichen Maße, in dem sie die Haftungsbeschränkungen der Amtshaftung auf diesem Gebiet spiegelt, ist sie zur Lückenschließung ungeeignet. Ist also bereits die Eignung des erweiterten Aufopferungskonzepts zur Lösung von auf rechtswidrige materielle Gesetze zurückgehenden Verletzungen starken Vorbehalten ausgesetzt, verschärft sich diese Einschränkung erheblich durch den weit verstandenen Ausschluss legislativen Unrechts. Dieser umfasst nicht nur das Handeln des Parlaments an sich, sondern darüber hi­ 72  Vgl.

BGH, NVwZ-RR 1993, 450; BGH, NJW 1989, 101. JZ 1983, 273, 275  f.; Leisner, Sozialbindung des Eigentums,

73  Schwabe,

S.  141 ff. 74  Dabei darf nicht etwa allein auf die Gruppe der aufgrund ihrer Leistungen verfassungskonform nicht zugelassenen Bewerber rekurriert werden, da alle Studierenden, welche die Prüfung unternehmen, der jeweiligen Rechtsverordnung ausgesetzt sind. 75  Vgl. Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 373: „Der Begriff des Sonderopfers ist also in einem materiellen Sinne gemeint, als Verstoß gegen den Gleichheitssatz und den Grundsatz der Lastengleichheit aller Bürger.“ Ähnlich auch die Ausführungen des BGH, ein unrichtiger Richterspruch könne jeden Staatsbürger treffen und daher kein Sonderopfer darstellen, vgl. BGHZ 36, 379 (393 f.). 76  Reinert, in: Bamberger / Roth (Hrsg.), BGB, § 839, Rn. 60 ff.; Papier, in: Dürig /  Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 366 ff., 703 ff. m. w. N.



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naus auch alle auf dem formellen Gesetz basierenden Normen und Verwal­ tungsakte,77 womit beispielsweise eine Anwendung auf den Sportwettenfall scheitert.78 Je nach Detailgrad der Vorgaben des Parlamentsgesetzes und verbleibendem Umsetzungsspielraum auf exekutiver Ebene fallen damit zahlreiche weitere Konstellationen aus dem aufopferungsrechtlichen Raster. Bei jeder der obigen Einschränkungen kann für sich genommen sicher argumentiert werden, es handle sich um selten vorkommende, speziell gelagerte Fälle. Indes büßt ein solcher Rechtfertigungsversuch stark an Legitimität ein, da die Lösungskonzepte ja gerade atypische Sachverhalte umfassen und damit eine lückenlose79 Haftung ermöglichen sollen. Die Anwendung des Aufopferungskonzepts auf die problematischen Fallgruppen weist also bereits auf tatbestandlicher Ebene erhebliche Komplikationen auf – insbesondere, wenn normatives Unrecht zugrunde liegt, welches häufig den Entfall exekutiven Verschuldens nach sich zieht. Denn trotz der Aufweichung der Anforderungen an das Vorliegen eines Sonderopfers fällt die Rechtsprechung zuweilen in schwer vorherzusagende Tendenzen zurück, das Merkmal haftungseinschränkend zu utilisieren. Scheitert die Amtshaftung indes am mangelnden Verschuldensvorwurf wegen unklarer Rechtslage, wird der Tatbestand des erweiterten aufopferungsgleichen Eingriffs regelmäßig erfüllt sein.80 Mit dem Gesagten zeigt somit die Rückbeziehung der erweiterten Aufopferungshaftung auf die praktischen Problemfälle ihre beschränkte Lösungsfähigkeit bereits auf tatbestandlicher Ebene auf. III. Entschädigung als adäquate Rechtsfolge rechtswidriger Grundrechtseingriffe? Selbst wenn jedoch die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale vorliegen, bedeutet dies nicht zwingend auch eine sachgerechte Lösung des 77  Vgl. BGH, NJW 1987, 1877 f. unter Hinweis auf BGHZ 78, 41 (43); BGHZ 92, 34 (36).; kritisch hierzu Schenke, NJW 1988, 857 ff. 78  Vgl. LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 17. 79  Damit ist nicht gesagt, dass der Staat unter allen Umständen für sämtliches Handeln in voller Höhe einzustehen hat. Trotz möglicher valider Einschränkungsgesichtspunkte müssen aber dogmatisch schwerlich begründbare Begrenzungen naturgemäß Skepsis hervorrufen. Ausführlicher zum Problem der Finanzierbarkeit der Lösungsansätze Fünfter Teil: § 2 B.II.4., S. 339 ff. 80  Eine weitere Besonderheit ergibt sich bei Verletzungsszenarien von NichtDeutschen, denen grundsätzlich (Zum Konflikt von Art. 12 Abs. 1 GG als Deutschengrundrecht und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus Art. 18 Abs. 1 AEUV sowie dessen Lösungsmöglichkeiten vgl. nur Ruffert, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 12, Rn. 35 f. m. w. N.) die Berufung auf Art. 12 Abs. 1 GG versagt ist und lediglich der Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit offensteht.

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Falls. Um deren Adäquatheit beurteilen zu können, bedürfen die Vorbehalte hinsichtlich der Rechtsfolge der Aufopferungshaftung Erläuterung. Der aufopferungsgleiche Eingriff zielt gemäß seiner „Ableitung“ aus den §§ 74, 75 EinlALR auf eine angemessene Entschädigung für durch das Staatshandeln erlittene Nachteile.81 Anders als der volle Schadensersatz, der über die Differenzhypothese regelmäßig klar handhabbare Ergebnisse liefert, bereitet die Feststellung eines billigen Ausgleichs für die erlittene Vermögenseinbuße82 im Einzelfall Schwierigkeiten. Dabei können zur Lösung der berufsspezifischen Fälle Rückschlüsse aus der Dogmatik des enteignungsgleichen Eingriffs oder gar der rechtmäßigen Enteignung nicht ohne Weiteres übertragen werden, ohne damit in der Rechtsfolge letztlich dem gleichen Denkfehler zu unterliegen, mit dem schon eine Erweiterung auf das Rechtsgut der Berufsfreiheit verneint wird.83 Denn definiert man die Entschädigung eigentumsspezifisch dergestalt, dass sie den Eingriff nicht ungeschehen machen soll, sondern „an dem Verkehrswert der entzogenen Substanz und nicht an einer hypothetischen Vermögensentwicklung auszurichten“84 ist, so sind bereits dem Grunde nach insbesondere Positionen wie der entgangene Gewinn nicht ersatzfähig. Blieben bei der „Entschädigung […] rechtlich nicht gesicherte Chancen, Aussichten oder wirtschaftliche Interessen [immer] außer Betracht“85, wäre aber ein billiger Ausgleich der nahezu ausschließlich zukunftsgerichteten Fälle von Verletzungen von Art. 12 GG präkludiert. Es wäre schlicht müßig, nach dem ersatzfähigen „Substanzwert“ der Berufsfreiheit zu fragen, oder ihn gar zu valutieren, wenn man hypothetische Entwicklungen aussparen müsste. Dieser substanz- und gegenwartsbezogene Ansatz ist zwar verständlich, wenn man die eigentumsrechtlichen Wurzeln der Entschädigung betrachtet. Gleichsam ist er untauglich, einen gerechten Ausgleich von Verletzungen immaterieller Güter wie der Berufsfreiheit zu ermöglichen. Dabei ist vielmehr auf die zur aufopferungsgleichen Haftung für Eingriffe in Art. 2 Abs. 2 GG entwickelten Kriterien zurückzugreifen. Auch nach diesen ist der durch hoheitliches Unrecht bewirkte Vermögensschaden zwar nicht zwingend vollständig, wohl aber in angemessenem Umfang auszugleichen. Deshalb folgt bei immateriellen Rechtsgütern kein strikt substanzbezogener, sondern ein weiter, einheitlicher Anspruch auf Leistung eines materiellen billigen Ausgleichs für die erlittenen vermögensrechtlichen Einbußen, der als unselbst81  BGHZ

25, 238 (242). 6, 279 (295). 83  Siehe zu dieser Debatte ausführlich Dritter Teil: § 1 C.I., S. 128 ff. 84  BGH, NJW 1972, 1574 (1575); NJW 1975, 1966 (1967). 85  BGH, NJW 2008, 515 (516). 82  BGHZ



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit265

ständige Elemente der Berechnungsgrundlage auch zukunftsgewandte Positionen wie die verminderte Erwerbsfähigkeit erfasst.86 Der umfassende Ersatz aller entstandenen Schäden bildet dabei die oberste Grenze der Entschädigung. Somit kann die Entschädigungsleistung zwar im Einzelfall kongruent mit dem Schadensersatz sein, wird häufig aber auch hinter diesem zurückbleiben.87 In den obigen Fällen der temporär oder partiell unmöglich gemachten Berufsausübung wird indes regelmäßig ein Gleichlauf zwischen Entschädigung und Schadensersatz bestehen. Denn es erscheint nur schwer vorstellbar, auf welchem anderen Wege ein billiger Ausgleich zwischen den allgemeinen Interessen und denen des Betroffenen erfolgen und damit die Lastengleichheit wiederhergestellt werden sollte, als durch Ersatz des Verdienstverlustes oder entgangenen Gewinns, der gleichermaßen regelmäßig den alleinigen mate­ riellen Schaden darstellen dürfte.88 Damit wird in der Praxis der Fallgruppen eine umfassende Entschädigung der erlittenen Vermögensnachteile folgen, sofern nicht aus besonderen Umständen ein anderer Lastenausgleich als angemessen erscheint. IV. Zwischenergebnis Eine Gesamtschau aus Tatbestand und Rechtsfolge der erweiterten Aufopferungshaftung hinterlässt auch jenseits der Bereichsausnahme für legislatives Unrecht hinsichtlich der praktischen Ausfüllung der Schutzlücke ein zwiespältiges Bild. Zwar können vereinzelte Fälle einer sachadäquaten ­Lösung zugeführt werden; der überwiegende Teil der Betroffenen sieht sich jedoch mit zahlreichen Komplikationen und Rechtsunsicherheiten auf bei­ den Ebenen konfrontiert. Insbesondere das diffuse Merkmal des Sonder­ opfers birgt Unwägbarkeiten, die im Bereich einer Rechtswidrigkeitshaftung schwerlich begründbar scheinen. Soll auch ein erkennbarer Fortschritt zur gegenwärtigen Rechtslage nicht in Abrede gestellt werden, wäre gleichermaßen keine umfassende Schließung der staatshaftungsrechtlichen Lücke im Bereich der Berufsfreiheit erreicht.

86  BGHZ 6, 270 (295); 29, 95 (99); BGH, NJW 1970, 1231 (1233); Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 677 m. w. N. 87  BGH, NJW 1970, 1231 (1233). Über die Höhe des Anspruchs entscheidet der Richter dabei nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. 88  Die zunehmende Lösung vom eigentumsrechtlichen Entschädigungsgedanken verdeutlicht die neueste Tendenz des BGH, nun auch Schmerzensgeld im Wege der Aufopferungshaftung zuzusprechen, vgl. BGH, Urt. v. 07.09.2017 – III ZR 71 / 17.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

Die Spurensuche für die Schwierigkeiten des Ansatzes bei der Lösung der Problemfälle führt dabei ohne weiteres zu einer sich bereits früh andeutenden Folgerung: Das Grundübel liegt darin, dass schon im Ausgangspunkt der Entwicklung einer partiellen verschuldensunabhängigen Rechtswidrigkeitshaftung des Staates ein beliebiger Umgang mit der Haftungsgrundlage gewählt wurde. Im Aufopferungsrecht fanden die Richter dabei den, wie es zuweilen scheint, erstbesten Aufhänger für ihre funktionalen Erweiterungsbestrebungen. Indes offenbart und verschärft die praktische Anwendung all die Unzulänglichkeiten, die in der unsystematischen und undifferenzierten Vermengung von Reaktionsansprüchen auf rechtswidriges und rechtmäßiges Staatshandeln wurzeln. Im Prozess der Weiterentwicklung wurde übersehen oder willentlich ignoriert, dass die Trennung im Recht der Einstandspflichten zwischen erlaubtem und verbotenem Staatshandeln keineswegs rein formalen Charakter hat, sondern vielmehr ein jeweils eigenes spezifisches Gepräge verlangt.89 Der einmal eingeschlagene dogmatisch zweifelhafte Weg bedingte daher geradezu zwangsläufig die Zuweisung zweckfremder Funktionen an strukturell unpassende Merkmale, um diese Defizite auszugleichen. Es verwundert demnach nicht, dass allein die auf eine Aufopferungsentschädigung für rechtmäßiges Staatshandeln zurückgehenden Charakteristika Friktionen verursachen: Das Sonderopfer und die Entschädigung bilden Merkmale, die bei ihrer Anwendung auf rechtswidrige Eingriffe Probleme geradezu herbeiführen mussten.90 Dem konnte auch nicht durch die „bemerkenswert elastisch[e]“91 Handhabung des Sonderopfers abgeholfen werden, welches nur noch in Ausnahmefällen eine entscheidende Rolle spielt. Denn keine noch so weite systemwidrige Zurückdrängung des Sonderopfers kann verklären, dass der Staat den Bürger nicht etwa bloß ungleich, sondern vielmehr unrechtmäßig in Anspruch nimmt. Während die überproportionale Belastung von Bürgern im Interesse der Allgemeinheit in einem modernen, eng vernetzten Staat unvermeidbar und damit, wenn auch ausgleichpflichtig, sogar gewollt ist, kann ein funktionaler Rechtsstaat allein begrifflich schon kein legitimes Interesse an der Verletzung der verfassungsmäßig garantierten Bürgerrechte haben.92 Somit ist die Frage nach einem Sonderopfer bei rechtswidrigen Hoheitsakten bereits im Ausgangspunkt verfehlt – einzig konstitutives Merkmal muss der zurechenbare, unrechtmäßige Eingriff bleiben.93 89  Bender,

Staatshaftungsrecht, Rn. 1 ff.; Konow, Eigentumsschutz, S. 34 ff. Haftungsfunktion, S. 192. 91  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 314. 92  Statt vieler nur Ipsen, DVBl. 1983, 1029, 1037; Schoch, Jura 1989, 529, 534. 93  Röder, Haftungsfunktion, S. 192. 90  Röder,



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit267

Ein vergleichbares Schicksal teilte die Entschädigung, die auf der Rechtsfolgenseite das aus dem Lastengleichheitsgedanken begründete Korrelat des Sonderopfers bildet. Denn die bloße bisweilen auftretende Kongruenz der Anspruchshöhe darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Schadensersatz und Entschädigung sich von ihrem Wesen fundamental unterscheiden.94 Dogmatisch gesehen trennt beide Rechtsfolgen mehr als sie eint, was ein Blick auf ihre Funktionalität eindrücklich verdeutlicht.95 Rechtswidriges Staatshandeln bedingt strukturell einen umfassenden Schadensausgleich,96 wobei es allein Aufgabe des Schadensersatzes bleibt, diejenige Vermögenslage herzustellen, die bestünde, wenn das schädige Ereignis nicht eingetreten wäre.97 Die eingeschränkte Wiedergutmachungsfunktion der Entschädigung in Form einer angemessenen Zahlung ist nur dadurch zu erklären, dass sie konzeptionell lediglich einen Ausgleich für eine rechtmäßige Inanspruchnahme des Bürgers konstituiert, mithin sein abverlangtes Sonderopfer kompensieren will und damit primär auf die Wiederherstellung der Lastengleichheit zielt. Anders als beim Schadensersatz hat der Staat dem Bürger jedoch gerade kein Unrecht angetan, welches ungeschehen gemacht werden müsste.98 Das von der Rechtsordnung zum Wohle der Allgemeinheit gebilligte hoheitliche Verhalten stellt zwar fraglos eine Freiheitsbeeinträchtigung des Bürgers dar. Auch wenn der Verlust seiner gegenwärtigen Rechtsposition aber eine Entschädigungspflicht auslöst, bildet das staatliche Handeln einen rechtsstaatskonformen Ausgleich zwischen staatlichen und privaten Interessen.99 94  Darüber können auch nicht die Einebnungstendenzen des BGH hinwegtäuschen, über die die Richter im Wege der Entschädigung klar schadensersatzrechtliche Positionen wie den merkantilen Minderwert oder Folgeschäden auszugleichen versuchten, vgl. BGHZ 55, 294; 95, 25 (30 f.); BGH, NJW 1981, 1663; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 330 ff.; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 177. 95  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  320; Ossenbühl, Entwicklungen, S. 20; Röder, Haftungsfunktion, S. 194 ff.; jew. m. w. N. 96  Bender, Staatshaftungsrecht, Rn.  747  ff.; Fetzer, Legislatives Unrecht, S.  142 f.; Ipsen, DVBl. 1983, 1029, 1037; Trimbach, Möglichkeiten einer Kodifikation, S.  93 ff.; Bartelsperger, NJW 1968, 1697; Schoch, Jura 1989, 529, 534; Schoch, DV 2001, 261, 285; Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 60 ff.; Heidenhain, Amtshaftung, S. 74; Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 254 f.; Ossenbühl, in: FS für W. Geiger, S. 475, 497. 97  Bei näherer Betrachtung erscheint es ungenau, von einer Restitution – einer Wiederherstellung – zu sprechen. Denn ein hypothetischer Zustand hat denknotwendig noch nie existiert, kann daher also nur originär hergestellt werden, vgl. dazu Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S.185 m. w. N. 98  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 320. 99  Zur grundlegenden Unterscheidung zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Eingriffen vgl. nur Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 153; Rozek, Eigen-

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

Vor dem Hintergrund der dogmatischen Entgegengesetztheit der Rechtsfolgen werden die Schwierigkeiten, vor die sich der BGH gestellt sah, offenkundig: Auf der einen Seite wollte man billige Einzelfallentscheidungen treffen, auf der anderen Seite aber die Abgrenzung zur auf vollen Schadensersatz gerichteten Amtshaftung100 und dem „gefürchteten“ allgemeinen öffentlich-rechtlichen Wiedergutmachungsanspruch wahren.101 Diese zweifelhafte Gratwanderung wurde in Anerkennung ihrer Ambivalenz auch in der Literatur gut geheißen.102 Aufgrund der konzeptionellen Unterschiede musste indes der Rückgriff des BGH auf Aufopferungsgrundsätze im Rahmen der Rechtswidrigkeitshaftung zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Der beliebige Umgang mit der Haftungsgrundlage zeigt sich dabei nicht nur im Hinblick auf rechtswidrige Eingriffe höchst problematisch. Vielmehr überfordert die strukturfremde „Aufrüstung“ des Aufopferungsgedankens zu einer „pluripotenten Haftungsnorm“ diesen auch in seiner ursprünglichen Bedeutung.103 Denn der herkömmliche allgemeine Aufopferungsanspruch mit seinen Charakteristika war nicht ein grundsätzlich inadäquates Institut, sondern ermöglichte für rechtmäßige Eingriffe einen angemessenen Interessensausgleich. Die von den beschriebenen Assimilationsschwierigkeiten und der systemfremden Verzerrung des Tatbestands begleitete Einbeziehung rechtswidriger Eingriffe in die Aufopferungshaftung hat jedoch deren Struktur erheblich verändert und ihre Konturen mehr und mehr zersetzt. Eine durch „wildwüchsige Billigkeitsrechtsprechung“104 erreichte Aufweichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale kann indes auch auf Fälle rechtmäßiger Eingriffe zurückschlagen und dort zu nicht länger adäquaten Ergebnissen führen. Der so verursachten „Infizierung“ der Aufopferungsdogmatik kann nur durch eine klare Trennung von Einstandspflichten für rechtmäßiges und tumsbindung, S. 240; Haas, Öffentlichrechtliche Entschädigungen, S. 15; Morlok, DV 1992, 371, 375 f. 100  Deutlich BGH, NJW 2008, 515 (516): „Entschädigung ist […] keine Schadensersatzleistung […],[es] bleiben rechtlich nicht gesicherte Chancen, Aussichten oder wirtschaftliche Interessen außer Betracht“. Dann aber wieder relativierend und die Grenzen verwischend: „Etwas anderes gilt nur, wenn die Chancen oder Aussichten im Zeitpunkt der Enteignung unmittelbar und so sicher bevorstehen, dass sie sich bereits als wertbildende Faktoren des genommenen Rechts auswirkten“. Vgl. auch bezüglich des Folgenersatzanspruches BVerwG, DVBl. 2001, 726 (732): Es dürfe „zu keiner verkappten Verurteilung zum Schadensersatz“ kommen. 101  Schoch, DV 2011, 397, 407 spricht von einem ehernen Dogma des deutschen Staatshaftungsrechts. 102  Dazu bezogen auf den enteignungsgleichen Eingriff nur Ossenbühl, Entwicklungen, S.  20 f.; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 210. 103  Jaschinski, Enteignender Eingriff, S. 30; Röder, Haftungsfunktion, S. 195. 104  Jaschinski, Enteignender Eingriff, S. 31; ähnl. Schmitt-Kammler, JuS 1995, 473 ff.



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit269

rechtswidriges Staatshandeln abgeholfen werden. Ohne eine solche „Rückführung“ bleibt eine widerspruchsfreie Weiterentwicklung des Staatshaftungsrechts geradezu präkludiert.105 Dabei muss der Versuchung widerstanden werden, axiomatisch von der gewünschten Funktion eines Anspruchs auszugehen und dann nach einer möglichst passenden Grundlage zu suchen und diese durch Rekurs auf Erst-Recht-Schlüsse oder Erweiterungstendenzen anzupassen.106 Vielmehr sind die Folgen für staatliches Handeln deduktiv aus dem geltenden Recht zu ermitteln und ein System zu schaffen, das keine Anspruchsgrundlagenvakanz kennt, die zu einer notdürftigen Lückenschließung verführen könnte.107

B. Der Folgenentschädigungsanspruch Als nächstes gilt es, die Effektivität des Folgenentschädigungsanspruches zur Lösung der aufgeworfenen Problemfälle zu untersuchen. Ähnlich der Aufopferungshaftung kennt auch diese Rechtsfigur schwer greifbare, diffuse Eingrenzungskriterien, die eine sorgsame Subsumtion unumgänglich machen. Keineswegs darf dabei vorschnell ein kompensatorischer Geldersatzanspruch ohne weitere Begründung immer dort angenommen werden, wo der Folgenbeseitigungsanspruch scheitert oder keine dem Billigkeitsempfinden zufriedenstellenden Ergebnisse bietet. I. Einschlägigkeit des Folgenbeseitigungsanspruchs als Grundvoraussetzung Die gewichtigste Einschränkung des Folgenentschädigungsanspruchs ergibt sich aus seiner Natur als „gewandeltem“ Anspruch zum an negativen Tatbestandsmerkmalen gescheiterten Beseitigungsanspruch. Mithin ist seine Anwendbarkeit dadurch bedingt, dass die positiven Voraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruchs vorliegen, dieser aber entweder wegen einer Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit108 der Folgenbeseitigung ausgeschlossen ist.109 Daher kann die Rechtsfolge zwar in ihrer Art, nie aber in ihrem Umfang über die des Folgenbeseitigungsanspruchs hinausreichen. Rinne, DVBl. 1993, 869, 871. Aufopferung, S. 21. 107  Vgl. Röder, Haftungsfunktion, S. 197. 108  Zu Vorbehalten hinsichtlich der Unzumutbarkeit siehe oben Dritter Teil: § 2 B.I.1., S.  163 ff. 109  Obschon dieser bis dato nicht explizit judiziert wurde, nimmt man überwiegend ebenso wie bei der Aufopferungshaftung auch im Bereich des Folgenbeseitigungsanspruches einen Ausschluss für legislatives Unrecht an. Vgl. dazu nur Pietzko, 105  Vgl.

106  Steinberg / Lubberger,

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

In der Anwendung auf die praktischen Problemfälle ist daher besondere Vorsicht geboten, um nicht dem Fehlschluss zu erliegen, jedes Scheitern des Folgenbeseitigungsanspruchs zöge eine Folgenentschädigung nach sich. Beispielhaft lässt sich diese Gefahr an den Wehrdienstfällen illustrieren: Die positiven Voraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruches liegen anscheinend ohne größere Probleme vor. Es scheint weiterhin auf den ersten Zugriff nicht fernliegend, die Folgenbeseitigung für tatsächlich unmöglich zu halten, da der durch die widerrechtliche Einberufung verursachte Zustand faktisch nicht reversibel ist, womit auch die Herstellung des vorher bestehenden Status, also der Möglichkeit einer Ausbildungswahl zum Zeitpunkt vor Ableistung des Wehrdienstes, unmöglich wurde. In einem zweiten Schritt wäre an eine finanzielle Kompensation des Zeitverlustes zu denken – eventuelle zwischenzeitliche Verdienstausfälle müssten ersetzt werden und der Folgenentschädigungsanspruch könnte dementsprechend sein Lösungspotenzial zumindest für die Verzögerungsfälle unter Beweis stellen. Eine derartige Anwendung zeigt sich indes mit der Natur des Instituts unvereinbar. Denn die Folgenbeseitigung ist wie dargestellt nicht als Ausräumung aller negativen Konsequenzen des widerrechtlichen Staatshandelns zu begreifen, was im Ergebnis hinausliefe auf die Herstellung desjenigen Zustands, der ohne Störungseinfluss gegenwärtig bestünde. Vielmehr sind nach herrschender und auch dem Folgenentschädigungsanspruch zugrundeliegender Auffassung nur diejenigen Störungsfolgen zu beseitigen, die dem Status quo ante entgegenstehen, also der real vor dem staatlichen Eingriff existierenden Lage.110 Damit ausgeschlossen bleibt die Berücksichtigung jeglicher potenzieller Entwicklungen111 – insbesondere zukünftiger Verdienstausfälle.112 Denn mag der hypothetische Zustand auch allein durch die Störungshandlung verhindert worden sein, hat er doch zu keinem Zeitpunkt tatsächlich bestanden.113 Der vergangenheitsbezogene Anknüpfungspunkt bedingt so die Außerachtlassung der verflossenen Zeit; andernfalls wäre eine vollständige Folgenbeseitigung immer unmöglich und damit ein Entschädigungsanspruch die Regel.114 Aus diesem in der Tatbestandsstruktur angelegten Grunde können VerFolgenbeseitigungsanspruch, S.  225 ff.; Schenke, DVBl. 1975, 121, 123; Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 73; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 375. Hingegen soll normatives Unrecht grundsätzlich einen Folgenbeseitigungsanspruch begründen können. Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 230 ff.; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  93 f. 110  BVerwG, DVBl. 1963, 677; DVBl. 1979, 852 (854 f.); DÖV 1968, 419 (421). 111  Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 265; Bieback, DVBl. 1983, 159, 164. 112  BVerwG, DÖV 1968, 419 (422). 113  Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  414 ff. m. w. N. 114  Vgl. zur zivilistischen Parallelnorm des § 1004 BGB, nur Baldus, in: Säcker /  Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 1004, Rn. 59; Baur, AcP 1961, 465, 488.



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit271

zögerungsschäden niemals über den Folgenbeseitigungs- und damit auch den Folgenentschädigungsanspruch ausgeglichen werden. Dieser kategorische Ausschluss findet seinen tatbestandlichen Niederschlag im häufig übergangenen Merkmal des Fortdauerns der Beeinträchtigung der geschützten Rechtsposition. An eben diesem fehlt es in den untersuchten Fällen, denn die Einberufung selbst zeigt keine fortwährenden Wirkungen – sie hat sich schlicht durch Zeitablauf erledigt. Die Störung in Form des Einberufungsbefehls ist entfallen und hat keine über den temporären Verlust der Freiheit hinausgehenden Folgen.115 Damit ist eine Folgenbeseitigung aber nicht etwa faktisch unmöglich – vielmehr fehlt es bereits an durch den Folgenbeseitigungsanspruch beseitigbaren Nachteilen. Der Betroffene steht nach Erledigung der Maßnahme, bis auf den nicht ersatzfähigen Zeitverlust, genau so, wie er vor ihrem Eintritt stand. Scheitert aber bereits der „Grundanspruch“ an den positiven Tatbestandsmerkmalen, so kann erst recht kein Raum für ein weitergehendes Folgeinstitut sein. II. Unterlassen als tauglicher Eingriffsmodus? Ebenfalls höchst problematisch zeigt sich der Versuch der Anwendung des Folgenbeseitigungsanspruchs auf fehlerhafte Prüfungsentscheidungen oder versagte Genehmigungen. Bezüglich der mangelnden Ersatzfähigkeit von Verdienstausfällen und entgangenem Gewinn gilt das oben Gesagte. Beispielshaft illustriert der Approbationsfall ungeachtet der im konkreten Sachverhalt fehlenden Kausalität zwischen staatlichem Eingriff und Vermögensschaden weitere prinzipielle Vorbehalte. Nimmt man in Fällen wie diesem ein Unterlassen116 der Behörde an, ist zu konstatieren, dass dieser Handlungsmodus einen Folgenbeseitigungsanspruch nicht auslöst, sondern der Erfüllungsanspruch des Bürgers das primäre Instrument zur Durchsetzung seines Begehrens im Wege einer Verpflichtungsklage bleibt.117 Denn Ziel seiner Klage ist nicht so sehr die Beseitigung der Folgen eines staatlichen Eingriffs, als vielmehr die Erweiterung seiner Rechtsposition – kurz: die Herstellung eines bisher nicht bestehenden Zustands.118 115  Dies zeigt sich bereits daran, dass der gewünschte Actus contrarius nur in einer Aufhebung der Einberufung bestehen kann, derer es jedoch schlicht nicht mehr bedarf. Ähnliches gilt für sich verflüchtigende Immissionen oder die kurzzeitige Festsetzung durch die Polizei, bei der eine Folgenbeseitigung aus logischen Gründen nicht einschlägig ist. Vgl. auch Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 87 f. 116  Vgl. dazu die Problematik bei der Aufopferungshaftung unter Vierter Teil: § 2 A.I., S.  256 ff. 117  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 101. 118  Vgl. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn.  265; Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  414 f.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

Sollte sich dabei zwischenzeitlich die Sach- oder Rechtslage zu Ungunsten des Betroffenen verändert haben, versuchen die Gerichte insbesondere im Berufszulassungsrecht mit der Figur der Folgenbeseitigungslast mit dem Gerechtigkeitsempfinden schwer vereinbare Ergebnisse zu vermeiden.119 Anstatt dieses mit erheblichen Vorbehalten konfrontierte Rechtsinstitut zu instrumentalisieren, könnte sich in eben diesen Fällen ein Anwendungsfeld für den Folgenentschädigungsanspruch ergeben. Dem zugrunde liegt die Überlegung, dass die Folgenbeseitigung, also die Herstellung der Lage, in der ein Anspruch auf den begünstigenden Verwaltungsakt bestand, wegen geänderter Gesetzeslage rechtlich unmöglich ist.120 In diesen besonders gelagerten Fällen würde dann in der Tat ein Folgenentschädigungsanspruch folgen.121 Indes ergeben sich auch hier erhebliche Schwierigkeiten bei seiner Valutierung, sofern auf den Verdienstausfall rekurriert wird. Keinesfalls können dabei die gesamten entgangenen Einnahmen veranschlagt werden. Dies würde vernachlässigen, dass eben nicht die Lage herzustellen, beziehungsweise finanziell zu kompensieren ist, die bestünde, wenn der Betroffene rechtzeitig zugelassen worden wäre. Auszugehen ist vielmehr von dem Status quo ante, also einer nicht nachteilig veränderten Rechtslage. Nur dieser Anknüpfungspunkt zeigt sich konsistent mit der vergangenheitsbezogenen Natur des Folgenbeseitigungsanspruchs, verdeutlicht aber auch die erheblichen Unwägbarkeiten, die eine Anwendung der Rechtsfigur mit sich bringt. Denn letztlich bleibt kaum ermittelbar, wie eine geänderte Rechts- oder Sachlage adäquat ausgeglichen werden soll, ohne auf den nun nicht mehr erreichbaren hypothetischen Zustand zu rekurrieren. III. Wertungsspielräume durch das Unmittelbarkeitskriterium Darüber hinaus ist schließlich zweifelhaft, ob ein Folgenentschädigungsanspruch entsteht, in denen ein Gewerbebetrieb beispielsweise durch ein rechtswidriges Vertriebsverbot beeinträchtigt wird. Auch hierbei zeigt indes eine genaue Subsumtion die Ungeeignetheit des Lösungsweges zur Schließung der Schutzlücke. Denn wird das temporäre Vertriebsverbot aufgehoben, gibt es bis auf den durch Zeitverlust eingetretenen entgangenen Gewinn 119  Zu dieser fragwürdigen Rechtsfigur ausführlich Zweiter Teil: § 1 B.II.1.f), S.  63 ff. 120  Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 107 f. 121  Auch hieran ließen sich indes Zweifel anmelden. Denn die nachteilige Folge, beziehungsweise die Unmöglichkeit der Folgenbeseitigung wurde nicht etwa durch den ablehnenden Verwaltungsakt, sondern die geänderte Gesetzeslage verursacht. Damit aber will bereits der Folgenbeseitigungsanspruch von seiner Grundstruktur nicht vollständig auf die Problemkonstellation passen – gleiches muss auch für den folgenden Entschädigungsanspruch gelten.



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit273

keine feststellbaren Folgen. Hinsichtlich der Produkte oder angebotenen Dienstleistungen ist der Zustand vor Erlass und nach Erledigung der Beschränkung zumindest im Sinne des Folgenbeseitigungsanspruchs identisch.122 Daher gilt das oben im Zusammenhang mit Verdienstausfällen Gesagte: Der Folgenentschädigungsanspruch kann aufgrund seiner vergangenheitsbezogenen Struktur keine wirksame Abhilfe schaffen. Etwas anderes könnte sich allenfalls in Sachverhalten ergeben, in denen die Absatzbeeinträchtigung weitergehende Konsequenzen hat. Beispielhaft sei hierfür der Handel mit verderblichen Gütern angeführt. Geht ein Teil des Warenbestandes unter, wäre zumindest nicht allein durch die Aufhebung des Vertriebsverbots ein gleichwertiger Status quo ante hergestellt. Nun könnte erwogen werden, den Staat im Wege der Folgenbeseitigung zu verpflichten, den vor dem Eingriffsakt bestehenden Zustand zu restituieren; kurz, die verdorbenen Produkte zu ersetzen, oder – sollte dies unmöglich oder unzumutbar sein – im Wege der Folgenentschädigung zu kompensieren. Dazu müsste jedoch der Verderb der Waren tatsächlich auch eine Folge des behördlichen Eingriffs darstellen. Während dies unter Heranziehung der Maßstäbe von Kausalität und Adäquanz kaum bestritten werden kann – schließlich hatte der Betroffene staatlich determiniert keine Absatzmöglichkeit – ist eine genaue Auseinandersetzung mit dem haftungsbegrenzenden „Verlegenheitskriterium“ der Unmittelbarkeit notwendig. Von der staatlichen Beseitigungspflicht ohne weiteres erfasst sind danach zunächst nur diejenigen Konsequenzen, auf welche die Amtshandlung final gerichtet war.123 In Anwendung auf den Fall verderblicher Waren bedeutet dies Folgendes: Während die Behörde zwar das Vertriebsverbot als solches bezweckte, war die weitere Konsequenz des Warenverderbs nicht beabsichtigt, wurde sie auch billigend in Kauf genommen. Ob derartige, über die absichtlichen hinausgehenden Folgen unter den Beseitigungsanspruch fallen, beurteilt die Rechtsprechung nicht immer einheitlich, tendiert aber zu einer restriktiven Interpretation. Die wankelmütige Auslegung des Kriteriums und seine keine belastbaren Rückschlüsse zulassende behauptete Verankerung in Art. 20 Abs. 3 GG führen dazu, dass der Fallausgang nie mit Sicherheit vorausgesagt werden kann. Indes lassen sich aus einer Rechtsprechungszusammenschau vergleichbarer Fälle zumindest wertvolle Anhaltspunkte gewinnen: Unter Heranziehung der im Bardepotfall entwickelten Kriterien124 scheint jedoch zutiefst zweifelhaft, ob beispiels122  Zur Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsakts bleibt die Anfechtungsklage vorrangig; darüber hinaus unterscheidet sich der Status quo ante nicht von dem Zustand nach der Störungsbeseitigung. 123  BVerwGE 69, 366 (373); VGH BW, VBlBW 1988, 102 (103). 124  Ausführlich zu diesem Problemfeld Zweiter Teil: § 1 B.II.1.b)(2), S. 61 ff.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

weise der Verderb der Lebensmittel noch als unmittelbare Konsequenz des Eingriffs zu werten wäre. Denn die Richter sahen bereits solche Vermögenseinbußen als mittelbare und damit nicht ersatzfähige Folgen an, die bei Befolgung der Anordnung faktisch zwangsläufig eintraten, aber zumindest teilweise auf das Verhalten des Betroffenen zurückzuführen waren. Darunter fassten die Richter beispielsweise im Bardepotfall die Zinslasten, die durch die Kreditaufnahme entstanden, um das Bardepot von rund 20 Millionen DM errichten zu können. Obschon die Klägerin faktisch keine andere Möglichkeit hatte, als ein verzinstes Darlehen aufzunehmen, um der rechtswidrigen hoheitlichen Anordnung nachzukommen, wurde die Unmittelbarkeit verneint. Eine ähnliche Zwangslage mit weitgehend hypothetischen Handlungsvarianten besteht gleichermaßen in der zugrunde gelegten Konstellation: Zwar könnte der Betrieb die gefährdeten Waren rein theoretisch irgendwie anders verwenden, in aller Regelmäßigkeit aber wird deren Verderb unvermeidbar sein. Dieser beruht mit der restriktiven Auslegung der Rechtsprechung indes nicht länger unmittelbar auf dem Hoheitsakt, sondern auch auf dem Handeln des betroffenen Betriebs. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde daher, getragen von der Ratio einer Abgrenzung zur Schadensersatzhaftung,125 das Unmittelbarkeitskriterium verneint werden, womit selbst in diesem Fällen für einen Folgenentschädigungsanspruch kein Raum wäre. IV. Zwischenergebnis Eine Zusammenschau der schlaglichtartigen Anwendungsversuche des Folgenentschädigungsanspruchs auf die problematischen Fallgruppen ergibt ein ernüchterndes Bild. Vergleichbar zum Aufopferungskonzept spiegelt sich auch beim Folgenentschädigungsanspruch seine zweifelhafte Herleitung auf der tatbestandlichen als auch der Rechtsfolgenseite wider. Bereits strukturell zeigen sich beide Ebenen nur schwerlich dazu geeignet, den aufgeworfenen Fällen adäquate Lösungen zukommen zu lassen. Tatbestandlich schafft insbesondere das Verlegenheitskriterium der Unmittelbarkeit mit seinen erheblichen, häufig nicht nachvollziehbaren Wertungsspielräumen Rechtsunsicherheit und Haftungseinschränkungsmöglichkeiten, die mit dem Konzept einer Unrechtshaftung kollidieren. Dabei muss es für den betroffenen Bürger ein Rätsel bleiben, ob Folgen des rechtswidrigen Staatshandelns gerade noch vom Schutzzweck des Art. 20 Abs. 3 GG umfasst sind oder nicht. Darüber hinaus ergeben sich bei der konkreten Berechnung der Schadenshöhe aufgrund der vergangenheitsbezogenen Betrachtung des Status quo ante weitere Komplikationen.

125  BVerwGE

69, 366 (372 f.).



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit275

Letztlich ist das vom Vorliegen der positiven Tatbestandsmerkmale des Folgenbeseitigungsanspruchs abhängige Institut auf höchst spezifische Kon­ stellationen beschränkt und kann selbst dort nicht immer überzeugende Ergebnisse hervorbringen. Das Lösungspotential für die fraglichen Sachverhalte muss also, bei weitgehend vergleichbarer Kritik, als noch geringer als das der erweiterten Aufopferungshaftung bewertet werden. Erneut zeichnet die praktische Anwendung die Schwächen eines induktiven, vom Ergebnis gedachten Lösungsansatzes deutlich nach und streitet damit gleichzeitig für eine deduktive Herangehensweise, die dem Rechtsanwender belastbare, für den Betroffenen vorhersehbare Entscheidungskriterien an die Hand gibt.

C. Europarechtlich überformter Amtshaftungsanspruch Im Weiteren bedarf das Konzept des europarechtlich inspirierten Einheitsanspruchs einer Untersuchung. Anders als der Erweiterung der Aufopferungshaftung oder dem Folgenentschädigungsanspruch liegt diesem Ansatz nicht so sehr der Gedanke einer durch praktische Bedürfnisse notwendig gewordenen Lückenschließung zu Grunde, sondern ähnlich der Grundrechtshaftung die Schaffung einer holistischen Anspruchsgrundlage, die eine sachgerechte Behandlung aller staatshaftungsrechtlichen Fälle ermöglicht. Der Rückgriff auf die erprobte unionsrechtliche Dogmatik soll dabei ein lückenschließendes, umfassendes Konzept garantieren, welches sich gleichzeitig auch international anschlussfähig zeigt. I. Voller Schadensersatz als Rechtsfolge Nach dem europarechtlich inspirierten Einheitsanspruch wäre dem Bürger jeder Schaden zu ersetzen, der durch eine qualifizierte Verletzung seiner Rechte entstanden ist. Die zumindest denkbare126 Rechtsfolge einer umfassenden Schadensersatzhaftung vermeidet dabei die Schwierigkeiten, denen die Aufopferungsentschädigung und der Folgenentschädigungsanspruch mit ihrem „verkürzten“ Anspruchsinhalt begegnen: Ist der Tatbestand erfüllt, so ersetzt der Staat dem Bürger sämtliche adäquat kausal verursachten Vermögensverluste nach der Differenzhypothese, ohne dass es dabei auf wertende Kriterien wie die Unmittelbarkeit oder die Angemessenheit der Entschädigung ankäme.127 Damit wären auch der für berufsfreiheitsspezifische Fälle 126  Da der europarechtliche Haftungsanspruch keine diesbezüglichen Vorgaben macht, obliegt die genauere Ausgestaltung den Mitgliedsstaaten selbst, siehe Zweiter Teil: § 1 B.III.3.b), S. 87 ff. 127  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 262, 296 f.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

relevante entgangene Gewinn oder Verdienstausfall erfasst, sodass zumindest aufseiten der Rechtsfolge eine sachgerechte Lückenschließung vorläge. II. Der qualifizierte Verstoß – Wesensmerkmal und Crux Obschon der Tatbestand prima facie ohne starre Bereichsausnahmen und Verschuldenserfordernis auskommt, was eine umfassende Lösungsfähigkeit nahelegt, müssen vor allem die praktischen Auswirkungen des maßgeblich prägenden Tatbestandsmerkmals des qualifizierten Verstoßes in Augenschein genommen werden. So verzichtet auch der europarechtlich inspirierte Amtshaftungsanspruch nicht auf ein haftungsbeschränkendes Kriterium, welches dem Richter eine wertende und über die Anforderungen von Kausalität und Adäquanz hinausgehende Schadenszurechnung erlaubt. Bei dessen Ermittlung sind insbesondere, also nicht ausschließlich einzubeziehen, die Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des Ermessens- und Gestaltungsspielraums, das Verschulden und bei legislativem sowie judikativem Unrecht auch die Offenkundigkeit des Verstoßes. Kann prinzipiell bereits jedes Element für sich genommen den Verstoß qualifizieren, wird regelmäßig eine Gesamtschau angestellt. Vergleichbar zu den Kriterien der Aufopferungshaftung und der Folgenentschädigung ergibt sich damit bezüglich des Vorliegens eines qualifizierten Verstoßes ein erheblicher Wertungsspielraum, sodass eine Bewertung der problematischen Fallgruppen letztlich zumindest teilweise spekulativ bleiben muss. Nichtsdestotrotz ist es möglich, aus der Rechtsprechung durchaus belastbar die Grenzen des qualifizierten Verstoßes zu ermitteln, die eine Einschätzung der strukturellen Lückenschließungskapazität des Ansatzes zulassen. Bemerkenswert ist dabei, dass trotz der verschuldensunabhängigen Natur128 des Anspruchs eben das Verschulden eine maßgebliche Rolle spielt. So scheiterte beispielsweise im Sportwettenfall ein unionsrechtlicher Haftungsanspruch gegen die Behörde am mangelnden Verschuldensvorwurf.129 Dieses scheinbare Paradoxon lässt sich damit erklären, dass das Verschulden zwar weder eine notwendige, noch eine zwingend hinreichende Bedingung des qualifizierten Verstoßes bildet, insbesondere aber bei Exekutiventscheidun128  So die ganz herrschende Meinung, vgl. nur EuGH, Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 75 – Brasserie du Pêcheur und Factortame; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), AEUV, Art. 340, Rn. 9; Höfling, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 58; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 239; jew. m. w. N. 129  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 5.



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gen eine starke Indizwirkung entfaltet und so regelmäßig zum sachentscheidenden Element avanciert. Demnach sind „Fälle, in denen es am Verschulden fehlt, aber trotzdem ein qualifizierter Verstoß vorliegt, […] schwierig zu finden“130, umgekehrt keine Qualifikation des Verstoßes trotz Verschuldens wohl nur theoretisch denkbar. Handelt der Beamte wie bei den obigen Problemfällen unverschuldet, ist folglich in aller Regel nicht von einem qualifizierten Verstoß auszugehen.131 Diese weitgehende Konvergenz zwischen Amtshaftung und unionalem Einheitsanspruch132 in puncto Verschulden schränkt allerdings in gleichem Maße dessen Lösungseffizienz ein. Da der unionsrechtlich inspirierte Anspruch keinen Ausschluss der Haftung für normatives und legislatives Unrecht kennt, bleibt es zunächst unbenommen, direkt auf die der Versagungsentscheidung zugrundliegende rechtswidrige Regelung als Eingriffshandlung abzustellen. Demnach böte sich beispielsweise im Fall der unterlassenen Normgebung hinsichtlich der Sportwettengenehmigung im Gegensatz zur erweiterten Aufopferungshaftung oder der Folgenentschädigung zumindest ein (legislativer) Anknüpfungspunkt. Auch in diesen Fällen wird indes die Qualifikation des Verstoßes virulent. Über die gewöhnlichen Kriterien hinaus sind zusätzlich die Offenkundigkeit und Erheblichkeit des Verstoßes mit einzubeziehen.133 Diese ausfüllungsbedürftigen Begriffe erfuhren durch die „außerordentlich restriktive Recht­ sprechung“134 eine enge Konturierung und sollen der Wahrung der Handlungsfähigkeit und des Ermessensspielraums des Normgebers mit der Ratio Rechnung tragen, diesen nicht über die Maßen durch mögliche Schadensersatzklagen zu behindern.135 Erfasst werden daher zwar Verstöße gegen Fristen oder andere unmissverständliche Vorgaben;136 es fehlt indes auf europäischer Ebene bereits an einem „hinreichend qualifizierten Verstoß, wenn die fehlerhaft umgesetzte Richtlinienbestimmung ungenau ist, die vom Mitglied130  Hartmann,

Öffentliches Haftungsrecht, S. 241. dazu insbesondere den Sportwettenfall LG München I, Beschl. v. 29.05. 2009 – 15 O 23548 / 08. 132  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 174 ff., 205 ff. 133  EuGH, Verb. Rs. 83 und 94 / 76, 4, 15 und 40 / 77, Slg. 1978, 1209, Rn. 6  – HNL; EuGH, Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 45 – Brasserie du Pêcheur und Factortame; vgl. auch BGHZ 134, 30 (38). 134  Vgl. Herdegen, Europarecht, § 9 Rn. 37; Grzeszick, in: FS für W. Schenke, S. 739, 740. 135  Kritisch hierzu Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 271 f., da die übrigen Merkmale den Gesetzgeber zum einen hinreichend schützten, zum anderen aber nicht feststehe, warum ausgerechnet die Legislative im Rahmen der Staatshaftung zu bevorzugen sei. 136  So im Fall der EG-Einlagensicherungs-RL 94 / 19 / EG v. 30.5.1994, ABl. EG L 135, 5; vgl. BGH, NJW 2002, 2464 (2466); LG Bonn, NJW 2000, 815 (817); BGHZ 181, 199. 131  Vgl.

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staat in gutem Glauben gewählte Auslegung auf nicht völlig von der Hand zu weisenden Erwägungen beruht bzw. nicht in einem offenkundigen Widerspruch zu Wortlaut und Zielsetzung der Richtlinie steht und der Rechtsprechung des EuGH nichts zur Auslegung entnommen werden konnte“.137 Eine Übertragung dieser Grundsätze auf den nationalen Kontext unterstreicht den Ausnahmecharakter einer Haftung des Normgebers im Rahmen des unionsrechtlich inspirierten Anspruchs. Zunächst gibt es in aller Regel bereits strukturell keine gesonderten, klar nachvollziehbaren Fristen zur Umsetzung, überdies wird der Detailgrad der Auflagen weit geringer sein. Denn maßgeblich ist für den parlamentarischen Gesetzgeber allein die Verfassung, für Verordnungen darüber hinaus die einschlägigen formellen Gesetze. Beide Rechtsquellen werden in aller Regel jedoch nicht annähernd so konkrete Vorgaben enthalten wie beispielsweise europäische Richtlinien, sondern einen substanziellen Ermessenspielraum belassen. Auch ist nicht ohne weiteres ein Rückschluss von der bundesverfassungsgerichtlichen Nichtigerklärung einer Regelung auf das Vorliegen eines qualifizierten Verstoßes möglich: Scheitert die Norm wie häufig erst auf der „wertungsschwangeren“ Ebene der Angemessenheit, kann nur in den seltensten Fällen angenommen werden, dass die Auslegung auf völlig von der Hand zu weisenden Erwägungen beruht und der Verstoß damit offenkundig wäre. Illustrativ hierfür ist der bereits mehrfach angesprochene Approbationsfall: Dort erwies sich die zugrundeliegende Verordnung allein deshalb als unangemessen, weil eine starre Bestehensgrenze von 60 % gegen Art. 12 GG verstieß. Weder die Verfassung noch das formelle Gesetz enthielten jedoch konkrete anderslautende Vorgaben, weshalb dem Verordnungsgeber grundsätzlich ein relevanter Spielraum verblieb. Dieser mag im Einzelfall überschritten worden sein – gegen die Annahme eines offenkundigen und erheblichen Verstoßes spricht aber neben der Tatsache fehlender vorhergehender bundesverfassungsgerichtlicher Leitentscheidungen,138 dass die Regelung über lange Zeit weder behördlich noch gerichtlich beanstandet wurde. Dies indiziert eine in gutem Glauben erlassene Norm, der auch nicht völlig von der Hand zu weisende Erwägungen zum notwendigen Interessensausgleich zu Grunde lagen. Ähnliches dürfte im Falle des Staatslotteriegesetzes, selbst 137  EuGH, Rs. C-392 / 93, Slg. 1996, I-1631, Rn. 43 f.  – British Telecommunications. Maßgeblich ist dabei, über welchen Gestaltungsspielraum der betreffende Mitgliedsstaat und seine Organe zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung verfügen. Vgl. EuGH, Rs. C-524 / 04, Slg. 2007, I-2157, Rn. 118  – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation; sowie BGH, BeckRS 2012, 10621 Rn. 12. 138  Vgl. zum Kriterium der gefestigten entgegenstehenden Rechtsprechung EuGH, Rs. C-524 / 04, Slg. 2007, I-2157, Rn. 120  – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation; EuGH, Verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 57 – Brasserie du Pêcheur und Factortame.



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in Anbetracht seiner verfehlten Zielsetzung, anzunehmen sein:139 Denn trotz gewichtiger kritischer Stimmen hatten immerhin alle Instanzen einschließlich des BVerwG die Regelung für verfassungsgemäß erachtet.140 Gerade im Bereich der Berufsfreiheit mit seinen feingliedrigen Interessensabwägungen und komplexen Vorgaben dürfte damit aber die Annahme eines qualifizierten Verstoßes des Gesetzgebers strukturell auf Ausnahmefälle beschränkt sein: Stellt sich der Normgeber nicht bewusst gegen höherrangiges Recht, wofür er im nationalen Kontext anders als im europäischen kaum ein Motiv hat, dürften Haftungsansprüche auch nach dem europarechtlich inspirierten Konzept so gut wie nie Erfolg haben. Bezüglich der praktischen Ergebnisse zeigen sich daher deutliche Parallelen zum gegenwärtigen deutschen Staatshaftungsrecht, nimmt dieses auch formell einen umfassenderen Ausschluss gesetzgeberischen Unrechts über das Kriterium der Drittbezogenheit vor.141 Weder mit einer direkten Haftung für das behördliche Handeln, noch mit dem möglichen Rückgriff auf das normative oder legislative Unrecht vermag der europarechtlich inspirierte Einheitsanspruch damit die praktischen Problemfälle befriedigend zu lösen. III. Zwischenergebnis Auch der europäisch überformte Amtshaftungsanspruch erweist sich demnach zur Schließung der festgestellten praktischen Schutzlücken überwiegend ungeeignet. Erneut zeichnet sich ein dogmatisch nicht ausreichend begründbares Wertungskriterium – der qualifizierte Verstoß – verantwortlich für die Verkürzung des Rechtsschutzes. Aufgrund der restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals fällt es letztlich schwer, ergebnisrelevante Unterschiede zur gegenwärtigen Amtshaftung festzustellen. Mag zwar ein solcher Gleichlauf die Implementierung erleichtern, macht er eine solche gleichsam obsolet, da sich weder handfeste dogmatische noch praktische Vorteile ergeben und der Nutzen eines „entschlackten“ Einheitsanspruchs allein schlicht nicht ausreichend legitimitätsstiftend ist. Verglichen mit den Erweiterungsvorschlägen der richterrechtlichen Institute vermag die europäisch inspirierte Dogmatik daher in ihrer Anwendung auf die praktischen Problemfälle noch seltener eine angemessene Lösung zu bieten. 139  BVerfGE 115, 276 (309) ließ das Gesetz letztlich nur an der mangelnden Angemessenheit scheitern. 140  Hierbei zeigt sich eine gewisse Parallele zum Verschuldensentfall im Rahmen der Amtshaftung bei Billigung der Auffassung des Beamten durch ein Kollegialgericht, siehe Zweiter Teil: § 1 B.III.1.b)(1), S. 78 ff. 141  Vgl. dazu die Konvergenzanalyse von Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 269 ff. m.N. Bemerkenswert ist hierbei, dass beiden Konzeptionen das Allgemeininteresse als ein das Individualinteresse überwiegender Faktor zugrunde liegt.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

D. Grundrechtshaftung Abschließend zu untersuchen bleibt das Konzept der Grundrechtshaftung. Auf dogmatischer Ebene sprechen bereits die deduktive Herangehensweise und das Fehlen systematischer Brüche für die Vorzüge des Ansatzes. Ob diese sich auch innerhalb der praktischen Lösungsfähigkeit fortsetzen, soll nun durch eine Anwendung der grundrechtlich fundierten Ansprüche auf die Problemfälle analysiert werden. I. Die Abwesenheit künstlicher Haftungseinschränkungskriterien Im Gegensatz zu den Konzepten der erweiterten Aufopferungshaftung, der Folgenentschädigung oder des europarechtlich überformten Amtshaftungsanspruchs ist hierbei zunächst eine abstraktere Betrachtung möglich. Denn ein wesentlicher Unterschied zu den anderen Lösungsansätzen liegt im Fehlen eines nur schwerlich begründbaren haftungseinschränkenden Merkmals auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite. Gemäß dem grundrechtlichen Ausgangspunkt führt jede dem Staat zurechenbare Verletzung von Grundrechten, ob durch aktives Tun oder Unterlassen, zu einer Ersatzpflicht für sämtliche adäquat kausal verursachten Schäden – dazu zählen auch und insbesondere Verdienstausfälle und entgangener Gewinn. Seine Leistungsfähigkeit beweist der Ansatz zunächst bei der Anwendung auf Fälle, in denen die Amtshaftung ohne Implikationen normativen oder legislativen Unrechts scheitert, also der Verschuldensfortfall nicht auf eine fehlerhafte Rechtsgrundlage zurückgeht. Dabei kommt es aufgrund der rechtsgüterindifferenten und ohne zusätzliche Verlegenheitsmerkmale auskommenden Tatbestandsstruktur nicht darauf an, ob eine Verzögerung des Berufseinstiegs durch eine Einberufung oder eine verweigerte Genehmigung verursacht wurde, oder ob nun „gerade noch“ eine notwendige Modernisierungsmaßnahme oder „bereits“ eine Betriebserweiterung in Frage steht. Der auf die aus den Grundrechten deduzierbaren Merkmale reduzierte Tatbestand zeigt sich umfassend und ermöglicht dem Richter eine klare und für den Bürger voraussehbare Zuordnung. Fragwürdige Abgrenzungen können eingeebnet werden, sodass nicht länger zwar der Spielhallenbetreiber für die verzögerte Inbetriebnahme eines moderneren Automaten entschädigt wird, die Radiologin, die einen Computertomographen nicht betreiben durfte, aber nicht. Ob nun der Großhandel mit unedlen Metallen sich so stark vom Kleinhandel unterscheidet, dass eine andere Bewertung nötig ist, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, welche Gebäude genau zum bestehenden Hotelbetrieb gezählt werden dürfen. Gleiches gilt verallgemeinert für die Unterscheidung zwischen wesentlichen Substanzeingriffen und bloßen Erwerbschan-



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cen – gerade im Grenzbereich von Eigentums- und Berufsfreiheit mit seinen häufig nicht mehr nachvollziehbaren Binnendifferenzierungen entfaltet das Konzept einer rechtgüterindifferenten Grundrechtshaftung seine Rechtssicherheit fördernde, egalisierende Funktion. Schließlich werden auch auf einer Rechtsprechungsanalyse aufbauende Spekulationen darüber obsolet, ob die Folgen im Einzelfall noch unmittelbar verursacht wurden, ob ein wie auch immer geartetes Sonderopfer des Betroffenen gegeben ist oder ob im Einzelfall der Verstoß hinreichend qualifiziert ist. Spiegelbildlich zur dogmatischen Stringenz liegt hierin der immense praktische Vorteil des Ansatzes – er liefert klare, für den Bürger und den Rechtsanwender vorhersehbare Ergebnisse. II. Haftungsbegrenzung durch Kausalitätserwägungen und die Schadensberechnung Die klar strukturierten Tatbestandsmerkmale könnten dazu verleiten, eine Rückbeziehung auf die Fallgruppen an dieser Stelle für entbehrlich zu erachten und den Ersatzanspruch des Bürgers pauschal zu bejahen. Dadurch würde indes der häufig entgegengebrachte Vorwurf verstärkt, die Grundrechtshaftung ermögliche mangels künstlicher Haftungsbeschränkungen eine exzessive Staatsunrechtshaftung, die zu undifferenziert zugesprochenen Schadensersatzansprüchen aus jeder hoheitlichen Rechtsverletzung führe. Ob dieser Einwand tatsächlich durchgreift, soll nun durch die Anwendung auf die problematischen Konstellationen ermittelt werden. Geht es um die Frage einer Begrenzung der grundrechtlichen fundierten Staatshaftung, muss bereits an dieser Stelle eine Vorbemerkung in Erinnerung gerufen werden: Dass die Grundrechte selbst keine ergänzenden Einschränkungskriterien vorsehen, heißt nicht, dass ihre Einführung innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen durch den Gesetzgeber undenkbar wäre. Vielmehr steht der Legislative eine Ausformung und Abwägung insbesondere mit anderen Verfassungsgütern offen, da durchaus legitime Motive des Staates vorliegen können, seine Haftung verfassungskonform zu beschränken.142 Bevor ein solcher Schritt erwogen wird, sollten die anspruchsimmanenten haftungsbegrenzenden Kriterien in ihrer gesamten Reichweite erfasst und entsprechend gewürdigt werden. Zunächst ist wie besehen die Eingriffsdogmatik leistungsfähig genug, um eine differenzierte und ausgewogene Schadenszurechnung zu ermöglichen.143 Dabei darf die Einschränkung des korrekt verstandenen Vorrangs des Primärrechtsschutzes, respektive des Mitverschuldensprinzips im Bereich des normativen oder legislativen Unrechts nicht 142  Siehe 143  Siehe

zum Spielraum des Gesetzgebers Dritter Teil: § 4 A.V.4., S. 233 ff. Dritter Teil: § 4 A.III.2.b), S. 216 ff.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

übersehen werden. Denn hätte der Kläger den Schaden durch eine inzidente Normenkontrolle abwenden oder verringern können, reduziert sich die staatliche Haftung um seinen Mitverschuldensanteil. Es dürfte aber in den meisten Fällen zumutbar erscheinen, zumindest vor den erstinstanzlichen Gerichten Klärung zu suchen, sodass ein erhebliches haftungsbegrenzendes Potential besteht. Nimmt der Beschwerte diese Obliegenheit wahr, wäre gleichsam für legislatives Unrecht über Art. 100 Abs. 1 GG die Konzentration der Fälle vor dem BVerfG sichergestellt.144 Über die Berücksichtigung des Mitverschuldens im Rahmen der Zurechnung hinaus zeigen die Kriterien der Kausalität, sowie einer konsequenten Schadensberechnung, dass der umfassende Tatbestand nicht zwangsläufig bedeutet, jeder der problematisierten Ansprüche habe im Einzelfall Aussicht auf Erfolg. 1. Haftung für gesetzgeberisches Unterlassen Unkalkulierbare Haftungsrisiken werden vornehmlich im Bereich rechtssetzenden Unrechts vermutet, da naturgemäß eine Vielzahl von Personen durch abstrakt-generelle Regelungen betroffen ist und sich so die Kompensationssummen potenzieren können. Nun sollten diese Sorgen nicht vorschnell von der Hand gewiesen werden. Eine akkurate Anwendung der grundrechtlichen Haftung offenbart jedoch exemplarisch am Fall des Sportwettenbetreibers die nicht zu unterschätzende haftungsbeschränkende Wirkung systemimmanenter Mechanismen. Der Klägerin, die ein konzessioniertes Wettbüro für Pferdewetten betrieb, wurde verfassungsrechtswidrig die Genehmigung einer Erweiterung ihrer Tätigkeiten auf sonstige Sportwetten versagt. Auf den ersten Zugriff scheint die Konstellation eindeutig: Der Staat hat zurechenbar rechtswidrig gehandelt und dem Bürger ist ein nicht unerheblicher Schaden entstanden. Insbesondere aber, wenn die Freiheitsbeeinträchtigung Bezüge zu legislativem oder normativem Unrecht aufweist, muss in einen weiteren Schritt durch sorgfältige Kausalitätserwägungen ermittelt werden, ob und gegenüber welchem Klagegegner dem Betroffenen ein Ersatzanspruch zusteht. Im Sportwettenfall stünden der Klägerin unter Heranziehung der grundrechtsfundierten Staatshaftung grundsätzlich zwei Wege offen, Schadensersatzansprüche wegen einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG geltend zu machen. Zum einen könnte sie sich gegen die Behörde selbst wenden. Problematisch erweist sich indes in Parallele zum im Rahmen der Aufopferungshaftung besprochenen Approbationsfall, ob man von einem pflichtwidrigen 144  Schenke, NJW 1988, 857, 860; Schenke, DVBl. 1975, 121, 122; Ossenbühl, JZ 1987, 1027 f.



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Unterlassen der Erlaubniserteilung sprechen kann. Dies wäre lediglich dann anzunehmen, wenn ein Anspruch auf Erteilung bestand, dem der Beamte nicht nachgekommen ist. Nun haben die Gerichte allerdings unbeanstandet festgestellt, dass weder landes- noch bundesrechtliche Vorschriften in Betracht kamen, aus denen sich ein solcher positiver Anspruch begründen ließe.145 Insbesondere ein Rückgriff auf die Gewerbeordnung war wegen § 33h GewO ausgeschlossen. Einzig Art. 12 Abs. 1 GG käme als verbleibende Anspruchsgrundlage in Betracht. Auch dieser aber „vermittelt keine gesetzesunabhängige freiwüchsige oder originäre Unternehmerfreiheit auf die gewerbliche Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten mit fester Gewinn­ quote“146. Mangels einschlägiger Anspruchsgrundlage war kein pflichtwidriges Unterlassen der Behörde gegeben. Stellt man hingegen auf den abschlägig beschiedenen Verwaltungsakt ab und qualifiziert das behördliche Handeln als aktives Tun, verlagert sich die Problematik auf Kausalitätserwägungen. Denn die Verweigerung zeigt sich schlicht nicht kausal für den entstandenen Schaden.147 Zu welch fragwürdigen Überlegungen der gegenwärtige, umfassend verstandene Ausschluss legislativer und normativer Haftung führen kann, verdeutlichen die vom Landgericht angestellten Folgeüberlegungen, ob die Behörde angesichts der Regelungslücke hätte eigenständig entscheiden dürfen: Bestand auch „im streitgegenständlichen Zeitraum keine Grundlage, die durch die Nichtanwendung der […] Regelungen zum Glücksspielwesen entstandene Gesetzeslücke im Wege der Analogie zu schließen“148, erwogen die Richter, die Behörde könne angesichts der „gemeinschafts- oder verfassungswidrigen Situation berechtigt oder sogar verpflichtet [sein], über die Zulassung einer grundsätzlich unerwünschten Tätigkeit zu entscheiden“ und somit „den Grundfreiheiten und Grundrechten selbst zum Durchbruch verhelfen“149. Zwar wurden diese Ausführungen völlig zu Recht als „sehr zweifelhaft“ und mit der „staatlichen Kompetenzordnung, insbesondere dem System der Gewaltenteilung“150 unvereinbar verworfen. Dass aber selbst ein 145  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 5. Prototypisch soll das Urteil aufgrund der klaren Argumentationsstruktur herangezogen werden; zu vergleichbar gelagerten Konstellationen siehe aber auch OLG Hamm, Urt. v. 03.05.2013 – 11 U 88 / 11; BGH, Beschl. v. 26.02.2015  – III ZR 204 / 13; OLG Bremen, NVwZ 2014, 96; OLG Zweibrücken, Urt. v. 06.03.2013 – 6 W 21 / 12. 146  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009  – 15 O 23548 / 08, S. 7; Bethge, DVBl. 2007, 917, 918. 147  Vgl. dazu die Ausführungen zum in dieser Hinsicht parallel gelagerten Approbationsfall, siehe Vierter Teil: § 2 A.I., S. 256 ff. 148  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 7. 149  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 7. 150  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 7.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

Gerieren der Behörde als „Ersatzgesetzgeber“151 eher in Betracht gezogen wird als eine Haftung des Normgebers, unterstreicht den festgefahrenen Zustand des Staatshaftungsrechts und die zuweilen ins Absurde gleitende Suche nach Gerechtigkeit innerhalb der überkommenen Regelungen. Anstatt die potenziellen Pflichten des Beamten in kaum zu rechtfertigender Weise zu überdehnen, muss zielgerichtet hinterfragt werden, worin die Grundrechtsverletzung tatsächlich ihren Ausgang nahm. Schnell zeigt sich so, dass der Verwaltungsakt durch das normative Vorverhalten prädestiniert war und damit der Gesetz- oder Verordnungsgeber den einzig sinnvollen Antragsgegner darstellt. Obschon dem grundrechtlichen Anspruch zwar keine zusätzlichen einschränkenden Merkmale zu entnehmen sind, darf aber keineswegs unbedacht von einer Grundrechtsverletzung durch den Gesetzgeber auf den Ersatz sämtlicher Schäden geschlossen werden. Wie oben aufgezeigt spielt eine strenge Handhabung der Kausalität insbesondere in Fällen hoheitlichen Unterlassens eine entscheidende Rolle: der Betroffene muss hinreichend konkret nachweisen, wie er ohne das unrechtmäßige Staatshandeln stünde. Im Sportwettenfall wandte die Klägerin sich gegen legislatives Unterlassen der Schaffung eines Erlaubnistatbestands, da das grundsätzliche Verbot des Anbietens von Glücksspielen nicht zu beanstanden war. Damit hätte sie beweisen müssen, der Schaden wäre ohne das Unterlassen des Normgebers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit152 ausgeblieben. Welche Schwierigkeiten sich dabei im Problemfeld der normativen oder legislativen Haftung auftun, illustrieren die folgenden Ausführungen der Richter, die zugleich das in diesem Bereich breite haftungsbegrenzende Potential sauberer Kausalitätserwägungen verdeutlichen. Denn „[v]erbleibt der öffentlichen Hand ein Spielraum gesetzmäßigen Handelns und wäre etwa bei zwei zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten nur bei Realisierung der einen, nicht aber auch der anderen der geltend gemachte Schaden entstanden, so muss sich ergeben, dass die öffentliche Hand die den Schaden bringende Variante realisiert hätte […]. Auch bei Unterlassungen kann eine Kausalität nur angenommen werden, wenn bei amtspflichtgemäßem Tätigwerden der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht oder jedenfalls nicht in dieser Höhe entstanden wäre […]. Der Geschädigte hat darzulegen und ggf. zu beweisen, in welcher für ihn günstigen Weise das Geschehen bei Vornahme der gebotenen Amtshandlung verlaufen wäre […] Es ist dem Gericht mit Blick auf den in Art. 20 Abs. 2 und 151  LG

München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 7. Frage, ob der Beweismaßstab im Bereich rechtssetzenden Unrechts wegen dessen Besonderheiten Anpassung bedarf, sogleich unter Vierter Teil: § 2 D.II.2., S.  286 ff. 152  Zur



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3 GG verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung [aber] verwehrt, in diesen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einzugreifen.“153 Im Sportwettenfall musste dieser Nachweis bereits deshalb misslingen, weil die „nunmehr gewählte gesetzliche Regelung in Gestalt des Glücksspielstaatsvertrages, der die Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten durch Private nicht zulässt, […] dagegen [spricht], dass der [Gesetzgeber] bei Kenntnis der Unvereinbarkeit des bayerischen Staatslotteriegesetzes mit dem Grundgesetz (und Gemeinschaftsrecht) die Zulassung von Sportwetten in einer von der Antragstellerin gewünschten Gestaltungsvariante, die insbesondere die Erlaubniserteilung an private Veranstalter oder Vermittler ermöglicht, realisiert hätte.“154 Selbst, wenn allerdings noch keine entgegenstehende gesetzgeberische Entscheidung tatsächlich ergangen ist, gestaltet sich die Beweisführung als herausfordernd, da der Einschätzungsspielraum des Normgebers beachtet werden muss. Gleichzeitig streitet eine gewisse Vermutung dafür, dass der Gesetzgeber hinter seinen einmal getroffenen Grundentscheidungen steht und daher eine Regelung erlassen würde, die diesen Überzeugungen am ehesten entspricht. Damit würde die Klägerin letztlich auch mit dem grundrechtlich fundierten Schadensersatzanspruch scheitern. Dieses Ergebnis geht allerdings nicht auf fragwürdige Einschränkungskriterien zurück, sondern schlicht auf adäquate Kausalitätserwägungen, durch die vermieden wird, dass der Betroffene bessergestellt wird als im Fall rechtmäßigen Staatshandelns: Denn hätte die Legislative bereits im Vorfeld eine verfassungskonforme Regelung erlassen, wären die finanziellen Einbußen in gleicher Weise eingetreten. Ob der Betroffene mit seinem Begehren durchdringt, hängt dabei entscheidend von der Lagerung des Einzelfalls ab. Insbesondere innerhalb der Haftung für unterlassene Rechtsverordnungen oder gar formelle Gesetze müssen die dem Normgeber häufig verbleibenden Handlungsoptionen gebührend berücksichtigt werden, wodurch der Nachweis, ohne das relevante Ereignis wäre der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben, mitunter schwierig zu führen sein kann. Ebenso wenig wie deshalb in diesen Fällen aus jeder Grundrechtsverletzung eine umfassende Ersatzpflicht folgt, schließen die Kausalitätserwägungen ein erfolgreiches Vorgehen regelmäßig oder gar strukturell aus – es verbietet sich schlicht jede schematische Betrachtung. Eine saubere Kausalitätsprüfung gewährleistet dabei, dass zum einen der Ersatz adäquat kausal verursachter Schäden ohne Bereichsausnahmen möglich ist, zum anderen der Gesetzgeber aber in seiner Entscheidungsfreiheit nicht unzulässig eingeschränkt wird. 153  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009  – 15 O 23548 / 08, S. 19 unter Bezugnahme auf BGH, NVwZ 1994, 823 (825). 154  LG München I, Beschl. v. 29.05.2009 – 15 O 23548 / 08, S. 19.

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2. Haftung für gesetzgeberisches Tun Anderer Betrachtung bedürfen Fälle, in denen kein Unterlassen, sondern ein aktives Handeln des Normgebers in Rede steht. Denn in diesen Konstellationen vermag die Kausalität nur selten einen ähnlichen „haftungsbeschränkenden“ Effekt zu entfalten. Dass dennoch nicht immer eine vollumfängliche Haftung folgt, soll prototypisch am bereits oben angerissenen Vorratsdatenspeicherungsfall verdeutlicht werden. Die für verfassungswidrig erklärten Regelungen des TKG gaben Telekommunikationsdienstleistern vor, Verkehrsdaten für einen bestimmten Zeitraum zu speichern und gegebenenfalls an die Behörden weiterzuleiten.155 Das BVerfG stellte einen Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 GG fest und erklärte das Gesetz für nichtig.156 Mithin erfolgte auch der Eingriff in die Berufsausübung der Betreiber ohne gesetzliche Grundlage und unter Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG. Eine Subsumtion unter den grundrechtlichen Haftungstatbestand scheint zunächst keine Probleme aufzuwerfen. Insbesondere ist das Gesetz als Verletzungshandlung kausal für den dem Unternehmen in Höhe der Investitionsund Betriebskosten entstandenen Schaden, denn es kann nicht hinweg gedacht werden, ohne dass dieser entfiele.157 Auch dürfen bei der Feststellung des Ursachenzusammenhangs grundsätzlich keine Umstände „hinzugedacht“ werden,158 sodass anders als im Falle des normativen oder legislativen Unterlassens der Kläger nicht etwa nachweisen muss, wie sich der Gesetzgeber potentiell anders verhalten hätte. a) Zur Relevanz hypothetischer Handlungsverläufe Allein die Unbeachtlichkeit hypothetischer Verläufe auf Ebene der Kausalität lässt indes keinen Rückschluss auf ihre weitere Bedeutung, insbesondere bei der Schadensberechnung, zu. Auch eine positivierte allgemeine Regel zur Berücksichtigung möglicher alternativer Geschehensabläufe sucht man vergeblich.159 Finden lassen sich allerdings einige Vorschriften, die hypothetische Verläufe in bestimmten Konstellationen für beachtlich erklären: So bestimmt beispielsweise § 287 S. 2 BGB eine Entlastung des Schädigers für Zufallsschäden, sofern diese auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wä155  Siehe

§ 113a TKG. 125, 260. 157  Dies gilt zumindest für die Betreiber, die nicht ohnehin schon die nötige Infrastruktur zu Speicherung der Verkehrsdaten aufwiesen, wobei in diesen Fällen jedenfalls die laufenden Betriebskosten einzustellen wären. 158  BGHZ 96, 157 (172).  159  Gebauer, Hypothetische Kausalität, S. 82. 156  BVerfGE



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ren; ein ähnlicher Gedanke findet sich in § 848 BGB für deliktische Handlungen. Weiterhin enthalten auch die § 831 Abs. 1, § 832 Abs. 1, § 833 S. 2 und § 834 BGB den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens. Nun kann aus der Zusammenschau dieser Normen weder belastbar ein allgemeines Rechtsprinzip, noch ein argumentum e contrario gewonnen werden.160 Zieht man aber ergänzend die Funktion des Schadensersatzrechts heran, liegt nahe, die Regelungen als gesetzlichen Niederschlag einer vom Telos der Haftung getragenen Grundidee zu betrachten: Der Betroffene soll zwar eine Kompensation der durch die Schädigung erlittenen Nachteile erlangen, darüber hinaus jedoch nicht privilegiert werden.161 Gleichzeitig darf der Schädiger nicht stärker als zum Verlustausgleich notwendig belastet werden.162 Denn das Schadensersatzrecht bezweckt einen gerechten Interessens­ ausgleich ohne originäre strafende oder erziehende Funktion.163 Dass Schadensersatzzahlungen häufig sogar als gewünschtes Nebenprodukt eine präventive Wirkung entfalten, trifft zwar zu, kann aber den Inhalt der Verbindlichkeit im Allgemeinen nicht beeinflussen.164 Bei der Schadensberechnung ist daher von „Hereinziehung moralisierender oder strafrechtlicher Gesichts­ punkte“165 abzusehen. Konkret auf die Konstellation beachtlicher Reserve­ ursachen bezogen bedeutet dies, dass es nicht gilt, den Schädiger für eine fehlerhafte (Erst-) Handlung zu bestrafen, sondern allein, dem Geschädigten seinen tatsächlichen Verlust auszugleichen. Steht dieser im Ergebnis schadlos, ist dem Schadensersatzverlangen seine Grundlage entzogen.166 Mangels klarer kodifizierter Aussagen war die Berücksichtigung hypothetischer Verläufe nichtsdestotrotz über lange Zeit umstritten. Während noch das Reichsgericht und der BGH in seiner frühen Rechtsprechung jegliche Reserveursachen für unbeachtlich erachteten, da ein einmal entstandener Schadensersatzanspruch nicht durch potenziell später eingetretene Umstände entfallen könne,167 setzte sich zunehmend die Auffassung durch, hypotheti160  Lange, Schadensersatz, S. 113 f.; Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 94. Zur Gesamtanalogie vertiefend Gebauer, Hypothetische Kausalität, S.  355 ff. 161  Vgl. von Caemmerer, Überholende Kausalität, S. 17. Vgl. zur Funktion des Schadensersatzrechts in diesem Zusammenhang Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten, S.  40 ff. m. w. N. 162  Lange, Schadensersatz, S. 8: Der „Pönalgedanke soll dem Zivilrecht […] fremd bleiben.“ 163  Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 105. 164  Lange, Schadensersatz, S. 6 f. 165  Mot. II, 17 f. 166  Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 222 m. w. N.; vgl. auch Katzenmeier, Arzthaftung, S. 369. 167  RGZ 141, 362 (362); 169, 117 (120); BGHZ 29, 207 (215).

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sche Ursachen müssten adäquate Berücksichtigung finden, um den Geschädigten nicht ungerechtfertigt besserzustellen.168 Obschon selbst nach einer über 100-jährigen Diskussion vieles im Einzelnen strittig bleibt,169 besteht heute ein weitgehender Konsens dahingehend, trotz vorliegendem Ursachenzusammenhang könne die Ersatzpflicht des Beklagten ausnahmsweise entfallen, wenn der Schaden gleichermaßen aufgrund einer anderen Reserveursache entstanden wäre. Legt diese Bezeichnung auch anderes nahe, handelt es sich dabei nicht um Kausalitätserwägungen im engeren Sinne, sondern um ein Problem wertender Schadenszurechnung.170 Nimmt man die Haftung für legislatives oder normatives Unrecht in den Blick, erlangt vornehmlich der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens Bedeutung,171 bei dem sich der Schädiger darauf beruft, der Verlust wäre ebenfalls entstanden, wenn er sich rechtstreu verhalten hätte.172 Nach überwiegender Auffassung richtet sich die Beachtlichkeit des rechtmäßigen Alternativverhaltens dabei nach dem Schutzzweck der jeweils verletzten Norm.173 Weiterhin kann sich der Beklagte nicht mit jeder abseitigen hypothetischen Kausalität verteidigen, sondern es sind strenge Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des alternativen Schadenseintritts zu stellen. So muss grundsätzlich feststehen, dass derselbe Erfolg tatsächlich auch durch das rechtmäßige Alternativverhalten herbeigeführt worden wäre.174 Scheinen mehrere Handlungsoptionen möglich, ist prinzipiell zu erweisen, dass der Schaden in jeder Variante eingetreten wäre.175 168  Zu den vielfältigen Differenzierungsansätzen bezüglich des Alternativverhaltens und dessen Berücksichtigung vgl. Lange, Schadensersatz, S.  129 f. m. w. N. 169  Lange, Schadensersatz, S. 111. 170  BGHZ 96, 157, 173; 120, 281, 285; 104, 355 (359 f.); Lange, Schadensersatz, S. 114; Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 208; Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 92; jew. m. w. N. 171  Zu den Einordnungsschwierigkeiten nur Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten, S.  13 ff. 172  Damit wird nicht etwa dem Gesetzgeber eine Art zweite Chance – gewissermaßen ein Recht auf Nachbesserung – eingeräumt. Denn die Berücksichtigung rechtmäßigen Alternativverhaltens lässt die Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit des normativen Ausgangsaktes unberührt und dient allein einer gerechten Schadenszurechnung. Vgl. auch Lange, Schadensersatz, S. 8. 173  BGHZ 96, 157 (171 ff.); 120, 281 (286); 143, 362 (365 ff.); Lange, Schadensersatz, S. 205; Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 213, 221; Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 105. 174  BGHZ 29, 176 (187); 120, 281 (287). 175  Vgl. BGHZ 120, 281 (287); BGH, NJW 2012, 2022 (2023). von Caemmerer, Überholende Kausalität, S. 19. Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn.  105. A. A. von Lehmann, NJW 1971, 1142, allerdings für strafrechtliche Konstellationen: Hier sei bei mehreren Handlungsalternativen bereits ausreichend, dass der gleiche Erfolg in einem möglichen Szenario eingetreten wäre.



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Während die Rechtsprechung in ihrer Entscheidungspraxis ein einheitliches Bild vermissen lässt,176 deutet sich doch bisweilen eine gewisse Flexibilität in der Handhabung dieser Kriterien an, die nicht zulasten des Schädigers überdehnt werden dürfen, um den Zweck der Schadensausgleichung nicht zu gefährden.177 Beispielhaft ließen die Gerichte einen Schadensersatzanspruch entfallen, als auf einem fremden Grundstück ein Löschteich ohne vorherige behördliche Anordnung angelegt wurde, da die Verfügung auf Antrag ergangen und damit derselbe Schaden entstanden wäre.178 Auch wenn wegen einer Brandgasse zwei Häuser abgerissen wurden, obschon in der polizeilichen Verfügung nur eines bezeichnet war, soll einem Ersatzanspruch entgegenstehen, dass das andere Gebäude in die Verfügung wäre aufgenommen worden, sofern der Irrtum früher bekannt geworden wäre.179 Ebenso scheiterte ein Schadensersatzbegehren wegen fehlerhafter Auftragsvergabe an dem Einwand der Behörde, die Ausschreibung hätte bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit aufgehoben werden können.180 Zudem hielt der BGH selbst im Falle einer fehlenden dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden Rechtsgrundlage für ausreichend, die schädigende Behörde hätten diese schaffen müssen und wäre dieser Pflicht auch weit überwiegend wahrscheinlich nachgekommen.181 Die Zusammenschau der Rechtsprechung veranschaulicht, dass der Einwand der rechtmäßigen Alternativverhaltens auf staatlicher Seite keine „willkürlich verwendbare Hilfe“182 ist: Insbesondere, wenn der Behörde ein weites Ermessen hinsichtlich des Alternativverhaltens zukam oder sie auf Dritte angewiesen war,183 musste eine Verteidigung scheitern. Sofern indes das rechtmäßige Alternativverhalten nahelag oder sogar zwingend war und

176  An dieser Stelle kann nicht weiter auf die Uneinheitlichkeit und Inkonsistenzen der Rechtsprechung eingegangen werden, die sich aus den häufig wertungsgeprägten Einzelfallentscheidungen ergeben. Vgl. dazu Grechenig / Stremitzer, RabelsZ 2009, 336, 340; Lange, Schadensersatz, S. 130  ff.; Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 217 ff.; Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, §  249, Rn.  103 ff.; jeweils m. w. N. 177  Vgl. von Caemmerer, Überholende Kausalität, S. 19. 178  OGHZ 1, 308 (312 ff.). 179  BGHZ 20, 275. Kritisch zur Einordnung Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 220, der hierin einen Schadensanlagefall sehen will. 180  BGHZ 120, 281. 181  BGH, VersR 1963, 1175 (1176). Einschränkend zu diesem Grundsatz aber BGHZ 63, 319 (325). 182  Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 105. 183  Zur parlamentarischen Mitwirkung vgl. BGHZ 63, 319 (325 f.); sowie zum Tätigwerden der formell falschen Behörde vgl. BGHZ 143, 362 (366); und zur Ermessensabhängigkeit BGH, NJW 1996, 524.

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dieser Umstand glaubhaft gemacht werden konnte, stand der Einwand aber einer Haftung entgegen.184 Angesichts des gegenwärtigen weiten Haftungsausschlusses wenig verwunderlich beschäftigt sich keiner der judizierten Fälle mit normativem oder legislativem Unrecht. Daher ist zu untersuchen, inwiefern die obigen Grundsätze in das Konzept einer Grundrechtshaftung inkorporiert werden können. Gewarnt sei vor einer schematischen Übertragung ohne Berücksichtigung der Besonderheiten der Haftung für rechtswidrige Normen – ob das rechtmäßige Alternativverhalten beachtlich ist und zu einer Entlastung des Schädigers führt, bleibt letztlich eine Wertungsfrage, die für verschiedene Fallgruppen differenzierter Betrachtung bedarf.185 Bereits der Versuch einer Anwendung offenbart grundlegende Schwierigkeiten: Zum einen erweisen sich Beschränkungsüberlegungen aus dem Schutzzweck der Norm bei einer grundrechtlich fundierten Haftung als nicht zielführend. Denn der grundrechtliche Schutz zielt wie besehen darauf, sämtliche hoheitlich verursachten und zurechenbaren Schäden zu verhindern oder auszugleichen und ermöglicht daher keine Binnendifferenzierungen. Stattdessen ist allein auf die Eingriffszurechnung als haftungseinschränkendes Merkmal abzustellen.186 Große Probleme bereitet darüber hinaus die Feststellung, ein Schaden wäre in allen denkbaren rechtmäßigen Alternativszenarien vermieden worden. Denn mag auch der Verordnungsgeber zuweilen noch in seinem Einschätzungsspielraum durch die Ermächtigungsnormen eingeschränkt sein, so kommt spätestens dem parlamentarischen Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative zu. Er ist allein an die Verfassungsvorgaben gebunden, die indes in aller Regel einen beträchtlichen Handlungsspielraum gewähren.187 Dass nur eine grundgesetzkonforme Ausgestaltung einer Regelung denkbar wäre, dürfte lediglich sehr spezifische, zu vernachlässigende Konstellationen betreffen. Somit sucht man ein Äquivalent zur Ermessensverengung auf null bei behördlichen Akten vergeblich188 – plausibel könnte diese nur in Fällen einer europarechtlich vorgegebenen Umsetzungspflicht angenommen werden, wobei derartige Konstellationen ohnehin unter den unionsrechtlichen Haftungsanspruch fielen.

184  Erneut muss aber darauf hingewiesen werden, dass der BGH zuweilen eine restriktivere Linie vertritt. Vgl. dazu die Fallübersicht bei Oetker, in: Säcker / Rix­ ecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 217 f. 185  BGHZ 104, 355 (360); Gebauer, Hypothetische Kausalität, S. 82 f. m. w. N. 186  Siehe Dritter Teil: § 4 A.III.2.b), S. 216 ff. 187  Nierhaus, AöR 1991, 72, 104. 188  Vgl. dazu Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 106.



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit291

Dieses Spannungsfeld verdeutlicht eine Analyse des Vorratsdatenspeicherungsfalls: So scheint unter Beachtung des rechtmäßigen Alternativverhaltens zunächst fraglich, ob die Telekommunikationsunternehmen im Rahmen der Grundrechtshaftung tatsächlich eine Erstattung ihrer Investitionskosten189 verlangen könnten. Zwar beruhten diese kausal auf einem nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit. Indes ist einzustellen, dass es dem Gesetzgeber offenstand, dieselben Verpflichtungen letztlich auch rechtmäßig herbeizuführen: Denn die angegriffenen Vorschriften waren selbst unter Einbeziehung der finanziellen Mehrbelastung hinsichtlich Art. 12 Abs.  1 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.190 Der Grund für ihre Nichtigerklärung lag im Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 GG, da die Anforderungen an den behördlichen Zugriff unverhältnismäßig gering waren. Sofern aber die Voraussetzungen der Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar wären, stellte auch die Speicherungspflicht der Betreiber keine Verletzung der Berufsfreiheit dar. Somit kann in einem ersten Schritt festgestellt werden, dass eine verfassungskonforme Umsetzung der Speicherungspflicht denkbar ist, durch die den Betreibern derselbe Vermögensverlust entstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer rechtmäßigen Schadensherbeiführung kann jedoch wie dargestellt allein nicht zur Verteidigung ausreichen: Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass dem in seiner Entscheidung weitgehend ungebundenen Parlament wie regelmäßig ein breit gefächertes Mosaik an Handlungsoptionen zukommt: Denkbar scheinen neben einer Verengung der Weitergabevoraussetzungen der Daten, welche die Kosten der Betreiber unberührt ließe, bereits auf den ersten Zugriff mehrere Varianten. So stand der Legislative vorliegend beispielsweise ebenso frei, vollständig von einer Regelung abzusehen, wodurch eine Belastung der Kommunikationsbetreiber entfiele, oder eine Speicherungspflicht nur gegen finanzielle Kompensation einzuführen. Prototypisch zeigt sich, dass dem Gesetzgeber aufgrund seiner Position nahezu immer ein Bündel an verschiedenen rechtmäßigen Optionen offenstehen wird, von denen eine immer auch der vollständige Regelungsverzicht sein dürfte, der gleichsam eine Schadensvermeidung bei den Betroffenen bewirkte. Fraglich ist, welche Folgen aus diesem strukturell in der Legislativhaftung angelegten Umstand gezogen werden können: Gegen die Beachtlichkeit des 189  Eine Verteidigung des Staates kommt bereits von vornherein nur hinsichtlich der Investitionskosten, nicht aber hinsichtlich der laufenden Betriebskosten in Betracht. Denn selbst wenn sich das Parlament erfolgreich auf rechtmäßiges Alternativverhalten berufen kann, bleibt jedenfalls der Schaden ersatzfähig, der dadurch entstanden ist, dass das Rechtsgut früher als durch die Reserveursache beeinträchtigt wurde; vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2010, 1106 (1108); Oetker, in: Säcker / Rix­ ecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 213. 190  Vgl. BVerfGE 125, 260 (357 ff.).

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rechtmäßigen und schadensausschließenden Alternativverhaltens scheint zu sprechen, dass dieses lediglich eine theoretische Option unter mehreren darstellt. Ließe man aber jede – auch noch so abseitige – Möglichkeit einer rechtskonformen Regelung als Entlastung zu, würde damit eine nicht zu rechtfertigende Verkürzung des haftungsrechtlichen Schutzes einhergehen. Das Parlament könnte sich ohne weitere Schwierigkeiten in einer Großzahl der Fälle verteidigen und damit seiner grundrechtlich fundierten Haftungsverantwortung entledigen.191 Näher besehen trägt dieses Argument eine tiefgreifende Zweischneidigkeit in sich: Ebenso wenig wie bloß fernliegendes rechtmäßiges Alternativverhalten den Anspruch des Bürgers ausschließen kann, scheint es der Ratio der Schadensausgleichung zu entsprechen, jede hypothetische Handlungsalter­ native, in der ein Schaden vermieden worden wäre, einer Verteidigung des Staates kategorisch entgegenzuhalten. Eben dies wäre jedoch bei strikter Anwendung der primär für die Exekutive entwickelten Kriterien der Fall: Denn steht fest, dass bei einer Legislativhaftung im absoluten Regelfall nicht nachweisbar sein wird, der Schaden wäre in jeder denkbaren Handlungs­ variante entstanden, könnte sich der Gesetzgeber nie durch rechtmäßiges Alternativverhalten entlasten. Während eine solche Bewertung zwar in Konformität zu den übrigen Fallgruppen eine verhältnismäßig klare Entscheidung ermöglicht,192 kollidiert sie mit der Funktion des Schadensersatzrechts: Denn der Ersatz sämtlicher Vermögensnachteile beim Betroffenen ist kein Selbstzweck – vielmehr soll im Sinne der Ausgleichsfunktion eine gerechte Verteilung der Belastungen erreicht werden. Eben hierzu dient aber das durch ein restriktives Verständnis seiner Wirkung beraubte Instrument des rechtmäßigen Alternativverhaltens.193 Deshalb muss kritisch hinterfragt werden, ob eine derartige Herangehensweise angesichts der Eigenheiten der normsetzenden Gewalt sachadäquat ist. Denn statt einer Alles-oder-Nichts-Entscheidung ist eine dritte Lösung denkbar: Anstatt die Reserveursache immer oder nie für beachtlich zu halten, kann eine Berücksichtigung der Umsetzungswahrscheinlichkeiten einen flexiblen Ausgleich ermöglichen. Das Parlament müsste danach vorbringen, der 191  Ausgeschlossen bleiben die Konstellationen, in denen unter keinen denkbaren Umständen eine Belastung rechtmäßig herbeigeführt hätte werden können. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn die Speicherungspflicht als solche bereits gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstieße. 192  Vgl. zur Rechtsunsicherheit des rechtmäßigen Alternativverhaltens, BGH, NVwZ 2000, 1206 (1207). 193  Grechenig / Stremitzer, RabelsZ 2009, 336, 363. Vgl. Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 102; Gebauer, Hypothetische Kausalität, S. 83.



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Schaden wäre bei jeder überwiegend wahrscheinlichen Handlungsoption eingetreten – abseitige Varianten sind dabei außer Acht zu lassen.194 Dieser vermittelnde Ansatz widerspricht nicht den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien: Aufgrund der notwendig prognostischen Natur der Einschätzung des rechtmäßigen Alternativverhaltens hatten auch die vom BGH judizierten Fälle Approximativcharakter – allein die Höhe, beziehungsweise die Vorhersehbarkeit der Wahrscheinlichkeit wird an die gesetzgeberischen Besonderheiten angepasst. Überdies haben die Richter eine Öffnung des angelegten Maßstabs in Sonderkonstellationen ausdrücklich zugelassen, indem sie feststellten, dass eine Schadensherbeiführungswahrscheinlichkeit durch rechtmäßiges Alternativverhalten nur „regelmäßig“ nicht ausreiche.195 Eben die Haftung für rechtswidrigen Normerlass bewegt sich aber aufgrund ihrer Spezifika außerhalb dieser Regelmäßigkeit und macht somit eine Modifikation des Zurechnungsmaßstabs notwendig. Nun mag man vorbringen, ein Abstellen auf die Wahrscheinlichkeit begünstige Rechtsunsicherheiten und gebe dem Staat unzulässige Verteidigungsmöglichkeiten an die Hand. Trotz der Unwägbarkeiten aber wird sich eine Einschätzung des gesetzgeberischen Alternativverhaltens in den meisten Fällen belastbar vornehmen lassen. Prognostische Sicherheit kann zunächst vermitteln, dass das rechtmäßige Alternativverhalten nur vom Gesetzgeber selbst und nicht etwa zusätzlich von dem Willensakt eines Dritten abhängig ist.196 Zwar erweist sich das Abstellen auf die sonstige Übung als wenig zielführend, da sich eine bestimmte, Rückschlüsse erlaubende Gesetzgebungspraxis im Gegensatz zum Verwaltungshandeln regelmäßig nicht feststellen lassen wird. Indes weist insbesondere die parlamentarische Rechtssetzung einen erheblichen Vorteil im Hinblick auf die Beurteilung eines möglichen Alternativverhaltens auf. Während es in den meisten Fällen von Verwaltungshandeln schwer vorauszusehen ist, „wie die zuständige [staatliche Institution] sich verhalten haben würde, weil deren Verhalten von Erwägungen und Abwägungen abhängt, die vorzunehmen ein Außenstehender im allgemeinen nicht in der Lage ist, da er sie nicht kennt“197, besteht beim Gesetzgeber die Besonderheit, dass sich seine Motive weitestgehend anhand der Gesetzgebungsmaterialen nachvollziehen lassen. Legt man sie im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsprognose als wichtigsten Anhaltspunkt zugrunde, kann die Ermittlung des Alternativverhaltens rationalisiert und nach194  Dazu Grechenig / Stremitzer, RabelsZ 2009, 336 ff. Vgl. zum strengeren Maßstab BGH, NJW 2000, 2814 (2815). 195  So BGHZ 63, 319 (325); BGH, VersR 1963, 1175. 196  Vgl. dazu Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 223. Zum Kriterium der notwendigen Drittmitwirkung BGHZ 63, 319 (325 f.). 197  BGH, NJW 1959, 1316 (1317).

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

vollziehbar vorgenommen werden und gleichzeitig vermieden werden, dass der Gesetzgeber im Prozess Gründe „nachschiebt“, die er im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses nicht berücksichtigte.198 Als „Prüfstein“ dieser Überlegungen soll einmal mehr der Vorratsdatenspeicherungsfall dienen: Wie dargestellt standen dem Parlament mehrere Handlungsoptionen offen. Während die Beibehaltung einer Speicherungspflicht der Betreiber unter Anpassung der Weitergabevoraussetzungen deren Kosten unbeeinträchtigt gelassen hätte, wäre der Schaden bei einem vollständigen Absehen von einer Regelung oder der Einführung eines finanziellen Ausgleichs entfallen. Eine Regelungsabstinenz erscheint indes wenig wahrscheinlich: Nicht nur hatte die Bundesregierung „seit längerem angekündigt“, eine „tragfähige Grundlage“199 für die unverzichtbare200 Informationserhebung zu schaffen. Weiterhin stützte sie ihren Entwurf auf zahlreiche rechtswissenschaftliche und rechtstatsächliche Gutachten, sowie Erfahrungsberichte der staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Praxis, was von einem gründlichen und wohlüberlegten Entscheidungsprozess zeugt.201 Eine Regelungsbedürftigkeit ergab sich im Hinblick auf europarechtliche Vorgaben, solche des Übereinkommens des Europarats über Computerkriminalität und vorangegangene Urteile des BVerfG.202 Auch sah die Bundesregierung keine Alternative zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung.203 Gestärkt wird die Wahrscheinlichkeit einer verfassungskonformen Wiedereinführung als schadensausschließendes Alternativverhalten von der starken Abstimmungsmehrheit204 als auch von den bewusst in Kauf genommenen Umsetzungskosten von rund einer Million Euro Investitionsaufwand und 640.000 Euro jährlichen Betriebskosten.205 Stellt man eine wahrscheinlichkeitsbasierte Prognose an, so scheint daher kaum plausibel, dass der Gesetzgeber plötzlich von seiner Grundidee abrückte, die er unter durchaus erheblichem politischem und finanziellem Aufwand verwirklichte. Eine vollständige Übernahme der Kosten der Betreiber ist gleichermaßen aus zweierlei Gesichtspunkten unwahrscheinlich: Zum einen ist der Staat bereits durch eigene Investitionsaufwendungen belastet. 198  Vgl.

hierzu BGH, NVwZ 2000, 1206 (1207). 275 / 07, S. 1. 200  BR-Drs. 275 / 07, S. 4. 201  BR-Drs. 275 / 07, S. 1. 202  BR-Drs. 275 / 07, S. 2 f. 203  BR-Drs. 275 / 07, S. 6. 204  BT-Plenarprotokoll 16 / 124, S. 13006A: 366:156:2. 205  BR-Drs. 275 / 07, S. 7. 199  BR-Drs.



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Darüber hinaus ist eine Kompensation nicht verfassungsrechtlich gefordert und daher bereits aus haushaltspolitischen Aspekten fernliegend.206 Diese Überlegungen werden nicht zuletzt durch die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung unter nahezu unveränderten Rahmenbedingungen gestützt,207 welche die nachhaltige Entschlossenheit der Legislative hinsichtlich des Grundkonzeptes unterstreicht.208 Damit bestand aber nicht bloß eine fernliegende Möglichkeit, den Erfolg gleichermaßen durch rechtmäßiges Verhalten herbeizuführen209 – vielmehr erschien auch ex ante hinreichend wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber sich für eine solche entschieden hätte.210 Mithin spricht viel dafür, das Begehren der Betreiber bereits an dieser Stelle Scheitern zu lassen. Mag die Untersuchung der Wahrscheinlichkeiten auch nicht immer so deutlich ausfallen wie im Fall der Vorratsdatenspeicherung, veranschaulichen die obigen Ausführungen, dass eine Prognose im Bereich der Normsetzung auf belastbaren Erwägungen basieren und ein vorhersehbares und nachvollziehbares Urteil ermöglichen kann.211 Allein die erhöhten Anforderungen an die Ermittlung des rechtmäßigen Alternativverhaltens können dessen kategorische Missachtung somit keinesfalls rechtfertigen. Vielmehr lässt sich dieser Einwand auch innerhalb einer Haftung für legislatives und normatives Unrecht adäquat einsetzen und kann so im Rahmen der Grundrechtshaftung ein systemimmanentes haftungsbeschränkendes Potential entfalten.

206  Vgl.

dazu BVerfGE 125, 260 (357 ff.). 18 / 5088 und die daraus resultierenden Änderungen des TKG und der StPO. Dass die Neufassung des § 113a TKG in ihrem zweiten Absatz eine im Ermessen der Bundesnetzagentur stehende finanzielle Ausgleichsregelung für Härtefälle vorsieht, macht keinen entscheidenden Unterschied. Denn Relevanz entfaltete dies allein für die Unternehmen, denen tatsächlich ein finanzieller Ausgleich zustünde, was indes gesondert ermittelt werden müsste. Für den überwiegenden Teil der Betroffenen hingegen bleibt die Lage faktisch identisch. 208  Zu diesem Merkmal BGH, NVwZ 2000, 1206 (1207). 209  Hierzu BGH, NJW 1993, 520 (522). 210  Ob die gegenwärtige Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform ist, kann und muss an dieser Stelle nicht diskutiert werden, da – was im Rahmen des rechtmäßigen Alternativverhaltens entscheidend ist – zumindest eine rechtmäßige Ausgestaltung denkbar ist. 211  Unsicherheiten gehen dabei zulasten des sich verteidigenden Staates. Alternativ könnte abhilfsweise erwogen werden, eine Quotelung des Schadens entsprechend der Umsetzungsaussichten vorzunehmen. Dies schlagen auch Grechenig / Stremitzer, RabelsZ 2009, 336 ff. vor. Indes würde dies einer Vermischung von Beweismaßstab und materiellem Haftungsrecht zumindest nahekommen, vgl. Grechenig / Stremitzer, RabelsZ 2009, 336, 366. 207  BT-Drs.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

b) Der Gedanke der Vorteilsausgleichung als Korrektiv Selbst wenn man trotz guter Gründe die Einwendung rechtmäßigen Alternativverhaltens im Fall der Vorratsdatenspeicherung als unzulässig ansähe, zumal Unsicherheiten in diesem Bereich zulasten des Schädigers gehen, bedeutete dies nicht gleichzeitig zwingend eine umfassende Ersatzpflicht des Staates für die entstandenen Investitionskosten. Die Tatsache, dass eine vergleichbare Pflicht der Telekommunikationsbetreiber durch die neue gesetz­ liche Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung geschaffen wurde, müsste spätestens auf Ebene der Vorteilsausgleichung Berücksichtigung finden. Diese Ausprägung des allgemeinen schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots soll verhindern, dass der Betroffene durch den Schadensfall im Ergebnis profitiert.212 Daher sind bei der Schadensberechnung tatsächlich eingetretene Vorteile, wozu auch und insbesondere ersparte Aufwendungen zählen, mindernd zu berücksichtigen. Nun kann nicht jeder zwischenzeitlich eingetretene Vorteil den Schädiger entlasten,213 weshalb eine wertende Betrachtung angezeigt ist, die nicht immer nach einheitlichen Kriterien vorgenommen wird.214 Die Frage, wann Vor- und Nachteile „gewissermaßen zu einer Rechnungseinheit“215 verbunden erscheinen, ist häufig nicht trennscharf zu beantworten.216 Während zuweilen ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem entstandenen Vorteil gefordert wird,217 fragt die Gegenseite danach, ob der Zweck des Schadensersatzes eine Anrechnung gebietet, oder ob sie zu einer ungerechtfertigten Entlastung des Schädigers führt.218 Zugunsten der ersten Auffassung ist einzustellen, 212  BGHZ 118, 312 (338); 163, 180 (184); BGH, NJW 2001, 673 (674); NJW 2004, 2526, (2528 f.); NJW 2009, 3713; Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 132 ff.; grundlegend Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 41 ff.; Cantzler, AcP 1957, 29 ff. 213  Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 238, der den Erkenntnisgewinn einer Berufung auf das Bereicherungsverbot in diesem Zusammenhang bezweifelt. 214  BGHZ 91, 206 (210); 136, 52 (54); BGH, NJW 2000, 734 (736); NJW-RR 2001, 1450 (1451); NJW-RR 2014, 1235. 215  BGH, NJW 1979, 760. 216  Kritisch insofern auch Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 140. 217  So beispielsweise BGHZ 8, 325 (328); 10, 107 (108); 30, 29 (32 f.); 53, 132 (134); Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 437 ff.; skeptisch bereits Cantzler, AcP 1957, 29, 48 ff.; Rother, Haftungsbeschränkung im Schadensrecht, S. 232. 218  Vgl. Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 234; Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 140; jew. m. w. N. Thiele, AcP 1967, 193, 201 fordert, dass zwischen Vor- und Nachteil ein „unlösbarer innerer Zusammenhang



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit297

dass sie klar abgrenzbare und bestimmbare Resultate hervorbringt. Indes ist in Anlehnung an das Parallelproblem im Rahmen der Berücksichtigung rechtmäßigen Alternativverhaltens auch hier zu bemerken, dass allein die Ergebnisklarheit für sich genommen eine Herangehensweise nur schwerlich legitimieren kann. Erneut ist daher innerhalb einer wertenden Betrachtung das Ziel der Schadensersatzpflicht, ihre Ausgleichsfunktion, in den Mittelpunkt zu rücken. Denn ebenso wie das rechtmäßige Alternativverhalten stellt auch die Vorteilsausgleichung nicht so sehr ein Verursachungs- als vielmehr ein wertendes Zurechnungsproblem dar.219 Dann aber ist schwer nachvollziehbar, warum eng verknüpfte eingetretene Vorteile, selbst wenn sie nicht kausal durch das schädigende Ereignis ausgelöst wurden, nicht schadensmindernd einbezogen werden sollten.220 Unter Zugrundelegung dieser Prinzipien stehen einer Anwendung auf den Fall der Vorratsdatenspeicherung keine Einwände entgegen. Verneint man den Schadensfortfall wegen rechtmäßigen Alternativverhaltens, so muss zumindest eingestellt werden, dass die getätigten Investitionskosten sich im Hinblick auf das neuerlassene Gesetz als ersparte Aufwendungen und somit als zu berücksichtigender Vermögensvorteil darstellen. Ihre Anrechnung verstößt weder gegen die Ausgleichsfunktion des Schadensersatzrechts, noch entlastet sie den „schädigenden“ Gesetzgeber über Gebühr. Würden andersherum dem Telekommunikationsunternehmen über den grundrechtlichen Haftungsanspruch diejenigen Kosten ersetzt, die es nach aktueller Gesetzeslage ohnehin hätte tragen müssen, ergäben sich gewichtige Zweifel an der Angemessenheit der Lösung. 3. Potenziale einer genauen Schadensermittlung Während im Bereich gesetzgeberischen Unterlassens Kausalitätserwägungen eine entscheidende Rolle spielen, entfalten bei aktivem Tun die Konzepte rechtmäßigen Alternativverhaltens und der Vorteilsausgleichung einen gewissen „haftungseinschränkenden“ Effekt.

unter dem Aspekt der Schadensberechnung“ besteht, ohne diesen jedoch näher zu spezifizieren. 219  BGH, NJW 1979, 760 (761). 220  Schiemann, in: von Staudinger (Hrsg.), BGB, § 249, Rn. 139. Hilfreich kann sich in diesem Fall erweisen, mehrere Eingriffe als einheitliches Geschehen zu bewerten, was insbesondere bei weitgehend gleichlautenden Gesetzen anzunehmen sein könnte. Vgl. hierzu BGH, NJW 2013, 1958; Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 231.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

Beide werden letztlich vom selben Gedanken getragen – der in der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzrechts wurzelnden Vermeidung einer Übermaßhaftung und daraus resultierenden Besserstellung des Geschädigten. Obschon beide Spielarten eines einheitlichen Grundprinzips darstellen, bestehen einige Unterschiede:221 Den wesentlichen und an dieser Stelle nicht zu vernachlässigenden Unterschied bildet der für die Berücksichtigung der Ereignisse maßgebliche Zeitpunkt. So ist die Einschätzung des rechtmäßigen Alternativverhaltens rein prognostischer Natur, weshalb die letzte mündliche Verhandlung keine temporale Begrenzung für die Einbeziehung eventueller Reserveursachen darstellt.222 Es kommt allein darauf an, wie wahrscheinlich ihr Eintritt ist, nicht aber, wann sie eintreten. Je weiter das Alternativverhalten jedoch in zeitlicher Ferne liegt, desto schwieriger wird gleichsam der Nachweis, derselbe Schaden wäre tatsächlich auch eingetreten. Strengere Anforderungen sind im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu stellen, da diese nicht prognostiziert, sondern tatsächlich festgestellt wird. Somit gelten die für materielle Einwendungen üblichen Regelungen. Zwar ist auch hier eine Berücksichtigung nach dem Prozess eingetretener Ereignisse möglich.223 Ist aber das Vollstreckungsverfahren abgeschlossen oder hat der Schädiger vor Eintritt des vorteilsausgleichenden Ereignisses Ersatz geleistet, kann er diesen nicht über das Bereicherungsrecht zurückverlangen.224 Dies wäre schlicht mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nicht mehr vereinbar.225 Insofern ist angezeigt, vorrangig eine Berücksichtigung rechtmäßigen Alternativverhaltens nach den obigen Grundsätzen vorzunehmen und nur sub­ sidiär auf das Prinzip der Vorteilsausgleichung zu rekurrieren, sofern die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Reserveursache falsch bewertet wurde. Der große Vorteil dieser systemimmanenten „Begrenzungsmechanismen“ liegt darin, dass sie keinerlei starre Bereichsausnahmen postulieren, sondern flexibel auf die Lagerung des Einzelfalls eingehen können, ohne dabei dem Grundgedanken einer prinzipiell uneingeschränkten Grundrechtshaftung zuwiderzulaufen. Dies steht gleichermaßen jeder pauschalisierenden Aussage entgegen, die Grundrechtshaftung im legislativen oder normativen Bereich dürfte regelmäßig oder nur in absoluten Ausnahmefällen wegen der Anforderungen der Schadensberechnung ins Leere laufen. 221  Vgl. zu den terminologischen Differenzierungen Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 213; Moors, NJW 1954, 332 ff. 222  Oetker, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 249, Rn. 216 m. w. N. 223  Vgl. zur Option einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO BGH, NJWRR 2001, 1450 (1451). 224  Zur Sonderkonstellation der verlängerten Vollstreckungsgegenklage nur BGHZ 83, 278 (290); 100, 211 (212 f.). 225  Vgl. BGH, NJW-RR 2001, 1450 (1451).



§ 2 Lösungspotential für die Fallgruppen der Berufsfreiheit299

Der Fall der Vorratsdatenspeicherung zeigt jedoch beispielhaft, dass eine nüchterne und genaue Schadensberechnung manchmal genügen kann, um den Ängsten vor horrenden Haftungssummen im Einzelfall zu begegnen. Die Haftung wird aber nicht etwa wegen ihrer Höhe ausgeschlossen, sondern vielmehr, weil eine Kompensation grundrechtlich, sowie nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts nicht gefordert ist. Wichtig ist während des Ermittlungsprozesses, die Ratio der Grundrechtshaftung im Blick zu haben, die nicht final auf eine Sanktionierung des Staates zielt, sondern dem Bürger eine effektive Rechtswahrnehmung ermöglichen will. Leitend erweisen sich diese Überlegungen auch im Fall der Vorratsdatenspeicherung: So stellt die Speicherungspflicht isoliert betrachtet eben keine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit dar – eine Verletzung ergibt sich nur reflexiv aus der Tatsache, dass die Regelung gegen Grundrechte anderer Personen verstößt und damit keine wirksame Schranke darstellen kann. Da die eigentliche materielle Belastung jedoch die Freiheitssphäre des Betroffenen nicht über das verfassungsrechtlich zulässige Maß beeinträchtigt, erscheint es nur billig, dem Staat die obigen Einwände zur Seite zu stellen. Gäbe es hingegen keine Möglichkeit grundrechtskonformer Ausgestaltung, so wären dem Geschädigten seine Nachteile grundsätzlich in voller Höhe auszugleichen. Auch im komplexen Bereich einer Haftung des für legislatives und normatives Unrecht bringt der grundrechtlich fundierte Reaktionsanspruch also adäquate Ergebnisse hervor, ohne der Kritik einer ungerechtfertigt ausufernden Haftung eine Angriffsfläche zu bieten. III. Zwischenergebnis Die Grundrechtshaftung besticht durch einen klaren Tatbestand ohne diffuse Einschränkungsmerkmale, indem sie eine Staatsunrechtshaftung für kausal durch Verletzungen der Freiheitsrechte entstandene und dem Staat zurechenbare Schäden postuliert. Hierzu tritt die weite Rechtsfolge, welche neben monetärem Schadensersatz auch eine Naturalrestitution ermöglicht. Dies bannt die Gefahr, dass trotz tatbestandlicher Einschlägigkeit nur eine verkürzte oder unzureichende Wiedergutmachung folgt. Gleichzeitig ist sie als einziger Ansatz in der Lage, billige Lösungen für alle oben aufgeworfenen problematischen Fallkonstellationen zu bieten, ohne dabei eine ausufernde, für jeden auch nur in irgendeinem Zusammenhang mit dem staat­ lichen Unrecht stehenden Schaden zu fordern. Korrespondierend zur dogmatischen Betrachtung ist daher einem grundrechtlich fundierten Anspruch ebenfalls hinsichtlich der praktischen Lösungsrelevanz klar der Vorzug einzuräumen.

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4. Teil: Rückbeziehung auf die Problemfelder des Art. 12 GG

§ 3 Ergebnis: Die Fortsetzung dogmatischer Probleme in der praktischen Anwendung Die praktische Untersuchung bestätigt im Wesentlichen die sich bereits im Rahmen der theoretischen Analyse abzeichnenden Vermutungen. Während der Folgenentschädigungsanspruch und der unionsrechtlich inspirierte Einheitsanspruch aufgrund ihrer einschränkenden Tatbestandsmerkmale nur ausnahmsweise in den Problemkonstellationen Aussicht auf Erfolg haben, krankt die Ausweitung der Aufopferungshaftung zuvörderst an dem unklaren Wertungs-Einfallstor des Sonderopfers und ihren Bereichsausnahmen. Die rechtsdogmatischen Unsauberkeiten der Ansätze setzen sich in der Praxis in Form weiterer Friktionen und Unsicherheiten fort, wodurch die Überprüfung anhand der Problemfälle zum Bestandteil einer Falsifikation der zweifelhaften Konzepte wird. Nur die Grundrechtshaftung als dogmatisch sauber aus der Verfassung deduziertes Konzept ist in der Lage, adäquat auf die Herausforderungen des Alltags zu reagieren. Dies zeigt aber, dass das mühsame Suchen nach einer belastbaren Rechtsgrundlage eben keineswegs entbehrlich oder bloße akademische Spiegelfechterei ist, sondern zu Recht den Ausgangspunkt einer jeden Lückenschließung bilden muss. Anstatt am pathologischen Einzelfall eine schrittweise Ausdehnung bekannter Institute vorzunehmen, lässt sich so ein systematisches Konzept ermitteln, dessen Reak­ tionsfähigkeit nicht durch jede neue Sonderkonstellation in Zweifel gezogen wird. Somit gibt die Rückbeziehung der Konzepte auf die praktischen Problemfälle nicht nur Aufschluss über deren Lösungsfähigkeit, sondern bestätigt letztlich die auf dogmatischer Ebene entwickelten Vorbehalte. Damit bleibt ein auf beiden Ebenen kongruenter Schluss zu ziehen: Die grundrechtlich fundierte Haftung kann nicht nur theoretisch durch die höchste Stringenz innerhalb der Ansätze überzeugen, sondern liefert auch die sachgerechtesten Ergebnisse bei der praktischen Rückbeziehung. Sie ist daher zur Schließung der Schutzlücke im Bereich der Staatshaftung am besten geeignet.

Fünfter Teil

Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform Eine Lückenschließung im Staatshaftungsrecht zu debattieren, heißt immer auch über die schwierige Implementierung in das historisch gewachsene Gebilde sprechen. Angesichts der essentiellen Bedeutung der staatlichen Einstandspflichten für eine Effektuierung des Grundrechtsschutzes ruft der antiquierte und überkomplexe Zustand dieses „normstrukturellen Defizit­ gebiets“1 zu Recht erhebliche Bedenken hervor: Das juristisch unbefriedigende Mosaik aus einem guten Dutzend unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen, die bezüglich ihres Entstehungszeitraumes und Ranges, der Rechts­ gebiete, Rechtsquellen und sogar der Gesetzgeber kaum heterogener sein könnten,2 lässt die Hoffnung auf eine wirksame Abhilfe durch „richterliche Rechtsfortbildung und gesetzgeberische Einzelkorrekturen“3 vergeblich scheinen. Denn trotz weitreichender Zuordnungs- und Kategorisierungsversuche lässt sich ein belastbares System, welches als Basis für eine sinnvolle Fortentwicklung dienen könnte, nur höchst schemenhaft erahnen.4 Weiter verschärft wird die Lage dadurch, dass sich Legislative und Judikative die Regelungsaufgabe in einem chaotischen Nebeneinander und nicht in einem kooperativen Verhältnis teilen.5 Es mutet dabei geradezu ironisch an, wenn ausgerechnet der Gesetzgeber das so gewachsene Gebäude6 durchweg treffend kritisiert: „Das geltende Staatshaftungsrecht ist unübersichtlich, da es in wichtigen Bereichen nur gewohnheitsrechtlich oder richterrechtlich entwickelt wurde. Es entspricht nicht mehr dem modernen Verfassungsverständnis. Der Schutz des Bürgers vor den 1  Thiel,

in: FS für U. König, S. 409, 410. in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), GG, Art. 74 I Nr. 25, Rn. 2; Baldus, in: Baldus / Grzeszick / Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rn. 3 ff. 3  Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 104. 4  Thiel, in: FS für U. König, S. 409, 413; ähnl. auch Morlok, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 2. 5  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 2 ff.; Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 537; Thiel, in: FS für U. König, S. 409, 413 spricht von einem heillosen Durcheinander. 6  Vgl. dazu ausführlich Morlok, DV 1992, 371, 374 f. 2  Durner,

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Folgen fehlerhaft ausgeübter Staatsgewalt erscheint daher nicht mehr angemessen gewährleistet.“7

Diese vor weit über 30 Jahren getätigte Beobachtung beansprucht auch heute noch insbesondere für den hochsensiblen Bereich der Berufsfreiheit unverändert Geltung und trägt damit trauriges Zeugnis der Überkommenheit dieses Rechtsgebiets. Während dieser Zustand keiner monokausalen Erklärung zugänglich ist, sondern einer differenzierten Aufarbeitung bedarf,8 bleibt die primäre Aufgabe dieser Bearbeitung, zukunftsgewandt zu fragen, wie der Status quo wirksam und nachhaltig verbessert werden kann. Nachdem sowohl die dogmatischen als auch die praktischen Schutzlücken für Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG analysiert und mögliche Lösungsvorschläge auf beiden Ebenen diskutiert wurden, soll als letzter Abwägungsgesichtspunkt nun deren Umsetzbarkeit untersucht werden. Klärung bedarf zunächst die Frage, wem nach der Verfassungsordnung die Aufgabe und Kompetenz zukommt, Maß und Inhalt der Staatshaftung zu ergänzen oder gar neu auszuformen. Grundsätzlich kristallisieren sich zwei wesentliche Umsetzungsoptionen heraus: Zunächst sind dem Gesetzgeber unter der Beachtung des föderativen Kompetenzgefüges weitgehende Freiheiten eingeräumt. Unstrittig genießt das Parlament den Vortritt hinsichtlich einer (Neu-)Regelung.9 Bereits die prekäre faktische Lage indiziert indes, dass der Gesetzgeber bisher wenn nicht gar pflichtvergessen, so doch zumindest nachlässig gehandelt hat.10 Deshalb ist weiterhin zu erläutern, inwiefern der Judikative Regelungskompetenzen zukommen und welchen Grenzen sie sich gegebenenfalls unterworfen sieht. In dieser Dichotomie wirkt schließlich die Jurisprudenz als dritte Kraft, die sowohl dem Gesetzgeber als auch dem Richter Vorschläge de lege ferenda schuldet, um diesen eine sinnvolle Fortentwicklung des Rechts zu ermöglichen.11 7  Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum StHG 1981 v. 30.01. 1981, BT-Drs. 9 / 130, S. 1; mit breiter Zustimmung aus der Literatur, siehe nur Baldus, in: Baldus / Grzeszick / Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rn. 5; Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 152; Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth (Hrsg.), VerwR II, § 66, Rn. 4. 8  So auch Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 201  ff.; Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 547 jew. m. w. N. 9  Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 537. 10  Teilweise wird eine gesetzgeberische Pflicht aus den „Grundsätzen der Gesetzgebungslehre“ abgeleitet, vgl. Durner, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), GG, Art. 74 I Nr. 25, Rn. 2. Eine solche will wiederum Pfab, Staatshaftung, S. 89 ff. aus einem dem Art. 34 GG entstammenden Verfassungsauftrag entnehmen; sympathisierend d ­amit wohl auch Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 542. Naheliegender scheint hingegen, auf die Grundrechte zu rekurrieren, denn „ohne Staatshaftung ist der ­verfassungsrechtliche Grundrechtekatalog – streng ausgedrückt – nur ein Torso.“ (So Ossenbühl selbst auf S. 535); siehe ausführlich sogleich Fünfter Teil: § 2 B.I., S. 326 ff.



§ 1 Reformbedarf und Untätigkeit des Gesetzgebers303

§ 1 Reformbedarf und Untätigkeit des Gesetzgebers Der kaum bestreitbare Reformbedarf im Bereich der Staatshaftung insbesondere für Eingriffe in die Berufsfreiheit12 hat den Gesetzgeber immer wieder beschäftigt. Trotz des in jüngeren Jahren zu attestierenden Ausfalls der Legislative im Bereich Staatshaftung,13 ist nicht etwa ein kategorisches Desinteresse des Parlaments an der Materie zu unterstellen: So lassen sich intensive Reformdebatten bis in die späten 1950er Jahre zurückverfolgen.14

A. Das Staatshaftungsgesetz von 1981 Einen vorläufigen Höhepunkt fand die „lange und entmutigende Geschichte des Scheiterns“15 im Staatshaftungsgesetz von 1981.16 Während ein erstes Kommissionspapier bereits 1973 erarbeitet wurde, folgte der eigentliche Entwurf des Staatshaftungsgesetzes erst fünf Jahre später. Dieser wurde zunächst 1980 wegen der aus Zweifeln an der Bundeskompetenz verweigerten Zustimmung des Bundesrates verzögert und durch das rasch folgende Ende der Legislaturperiode erledigt. Doch nur wenig später beschloss das neu zusammengetretene Parlament ein inhaltlich nahezu unverändertes Gesetz, welches trotz kompetenzieller Bedenken auch ausgefertigt wurde.17

11  Vgl. Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 4; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 347. 12  Stelkens, DÖV 2006, 770, 774 ff.; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 115. Bereits 1912 wurden Schutzlücken angemahnt: Mayer, Sächsisches Archiv für Rechtspflege 1913, 1 f. 13  Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 548; von Danwitz, in: von Mangoldt /  Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 24. Auch Höfling, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 46 ff. bemängelt fehlende ernsthafte Kodifikationsbestrebungen. 14  Prototypisch und wegweisend war der 47. Deutsche Juristentag 1968, dessen Ergebnisse grundlegend für die Weiterentwicklung wichtiger Haftungsinstitute waren. Vgl. dazu Durner, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), GG, Art. 74 I Nr. 25, Rn. 4 ff.; Thiel, in: FS für U. König, S. 409, 417 m. w. N. 15  Thiel, in: FS für U. König, S. 409, 416. 16  Staatshaftungsgesetz vom 26.6.1981, BGBl. I, S. 553. 17  Vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte nur Stern, Staatsrecht IV / 2, S. 2018; Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 128 ff.; Pfab, Staatshaftung, S. 21 ff.; jew. m. w. N.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Diesem Gesetz lag die moderne Konzeption einer unmittelbaren und primären Staatshaftung zugrunde.18 So bestimmte die Kernvorschrift § 1 StHG 1981: „Verletzt die öffentliche Gewalt eine Pflicht des öffentlichen Rechts, die ihr einem anderem gegenüber obliegt, so haftet ihr Träger dem anderen für den daraus entstehenden Schaden nach diesem Gesetz.“

Mit dieser Ausrichtung stellte das Gesetz einen Meilenstein in der Entwicklung der Staatshaftung dar, welcher das Potential aufwies, viele der hergebrachten Probleme auf einen Schlag zu beseitigen.19 Es sollte anders kommen: Nach nur etwas über einem Jahr judizierte das BVerfG, dem fehle Bund die Kompetenz für den Erlass einer über den Anwendungsbereich des § 839 BGB reichenden umfassenden Regelung der Staatshaftung. Weder ergebe sie sich direkt aus Art. 34 GG, noch sei die Staatshaftung etwa Teil des bürgerlichen Rechts. Schließlich könne keine Kompetenz „kraft Tradition“ angenommen werden, da die neuen Änderungen weit über den hergebrachten Bereich hinausgingen.20 Damit blieb allein das Verdikt der Verfassungswidrigkeit festzustellen. Trotz seines jähen Endes hallte der Reformversuch in vielfältiger Weise nach. Das BVerfG selbst hatte klargestellt, allein aus der kompetenzrechtlichen Nichtigkeitserklärung könne nicht geschlossen werden, die „Ausweitung des Rechts der Entschädigung [sei] deshalb verfassungsgesetzlich […] blockiert“21. Da bereits im Vorfeld sowohl die Kommission als auch der Gesetzgeber ein umfassendes Staatshaftungsrecht als verfassungsnotwendig charakterisiert hatten,22 fanden sich sogar Ansätze die zumindest den mate­ riellen Inhalt des Gesetzes über die Figur der Teilnichtigkeit retten wollten.23 Wichtiger als diese dogmatisch zweifelhaften Versuche war die ideelle Fortwirkung:24 Endlich schien eine politische Mehrheit für die Reform des hochsensiblen Bereichs gefunden und das Ziel nur aufgrund eines kompetenziellen Versäumnisses verfehlt.25 Den Kristallisationspunkt der Reformüber18  Lühmann, NJW 1998, 3001 ff.; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 555; Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 46, Rn. 27. 19  Ausführlich hierzu Bonk, DVBl. 1981, 801 ff.; Rüfner, AöR 1981, 548 ff.; Papier, NJW 1981, 2321 ff. 20  BVerfGE 61, 149 (176). 21  BVerfGE 61, 149 (199). 22  Vgl. Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, Einführung, Rn. 78; Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 537 m.N. 23  Rupp, NJW 1982, 1731 ff.; Wesener, NVwZ 1982, 290 ff.; vgl. Stern, Staatsrecht IV / 2, S. 2021 m. w. N. 24  Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 157; ebenso Pfab, Staatshaftung, S.  151 f.



§ 1 Reformbedarf und Untätigkeit des Gesetzgebers305

legungen bildete dabei die originäre, primäre und verschuldensunabhängige Haftung des Staates für rechtswidrige Verletzungen öffentlich-subjektiver Rechte.26

B. Bestrebungen seit Klärung der Kompetenzfrage Umso größer waren die Hoffnungen auf eine rasche Abhilfe, als im Jahre 1994 das Kompetenzgefüge durch eine Grundgesetzänderung verschoben wurde. Explizit um die für eine Neuordnung der staatlichen Einstandspflichten bis dahin fehlende Zuständigkeit des Bundes zu begründen, wurde Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG – die Staatshaftung – eingefügt,27 was weitläufig als impliziter Regelungsauftrag an den Gesetzgeber gedeutet wurde.28 Deshalb überraschte, dass trotz eines bereitstehenden soliden materiell-rechtlichen Konzepts und der neuen Kompetenzgestaltung nicht die Möglichkeit ergriffen wurde, dem zerklüfteten Rechtszustand abzuhelfen:29 Stattdessen hat es seit 1994 keinen ernsthaften Versuch einer umfassenden gesetzlichen Regelung mehr gegeben.30 Dennoch ist das Interesse an einer gesetzlichen Reform des Staatshaftungsrechts mitnichten vollständig erloschen. Über den Lauf der Legislaturperioden häuften sich parlamentarische Anfragen und in ebensolcher Regelmäßigkeit Absichtserklärungen in den Koalitionsvereinbarungen. Man wolle das zersplitterte „Staatshaftungsrecht kodifizieren und gerecht ausgestal­ ten“31, „damit die Bürger einfacher Ersatz für die Schäden erhalten, die sie 25  Dazu Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 9, der im StHG 1981 noch heute einen „transparenten und diskussionsfähigen Ansatz“ sieht. 26  Siehe Pfab, Staatshaftung, S. 155, 198 ff. 27  42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBl. I, S. 3146; Vgl. BT-Drs 6633; 8165; 8399; 8423; Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 21; Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 74, Rn. 178; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 74, Rn. 94; Durner, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), GG, Art. 74 I Nr. 25, Rn. 3 f. 28  Maurer, VerwR, § 30 Rn. 6. 29  Vgl. Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 46; Thiel, in: FS für U. König, S. 409, 420. 30  Ossenbühl, NJW 2000, 2945, 2948. Siehe dazu auch die gescheiterten Bundesratsinitiativen Bayerns und Hamburgs, BR-Drs. 644 / 89 und BR-Drs. 632 / 90; vgl. auch Kluth, FAZ 16.11.2011 – Staatshaftungsrecht. Ohne Haftung! Dieser Stillstand wurde in der Literatur immer wieder beklagt, vgl. nur von Danwitz, in: von Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 24; Ehlers, VVDStRL 1992, 221, 243; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 405; Schoch, DV 2001, 261 ff. Zu den Reformbestrebungen auf prozessualer Seite Unterreitmeier, BayVBl. 2009, 289 ff. 31  „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“ Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. 17. Legislaturperiode, S. 112.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

durch fehlerhaftes Verhalten staatlicher Stellen erlitten haben“.32 Diesen Ankündigungen folgten bisher jedoch keine Taten. Obwohl seitdem periodische Anläufe für Sondierungsgespräche unternommen werden, scheint das Ziel einer gesetzlichen Neuordnung des Staatshaftungsrechts heute wie eh und je in weiter Ferne zu liegen.33

C. Fortbestehende kompetenzielle Probleme eines umfassenden Staatshaftungsgesetzes Fraglich ist, ob eine Reform gegenwärtig allein am fehlenden politischen Willen scheitert. Angesichts der immer deutlicher werdenden Absichtserklärungen der Regierungsparteien und einer bereit liegenden „Blaupause“ könnte man verleitet sein, anzunehmen, es „spräche nichts gegen eine ‚große Lösung‘ im Sinne einer umfassenden Neuordnung des Staatshaftungsrechts auf Bundesebene.“34 Hierbei sei vor vorschnellen Schlüssen gewarnt – vielmehr ist auch bei geltender Rechtslage eine genaue Betrachtung der Kompetenzregelungen notwendig. I. Umfang der Regelungsbefugnis Zunächst muss der genaue Umfang der Bundeskompetenz ermittelt werden. Da sich wie besehen aus Art. 34 GG keine Regelungskompetenzen ableiten lassen,35 ist auf die allgemeinen grundgesetzlichen Bestimmungen zurückzugreifen. Diese schreiben dem Bund im Bereich der Staatshaftung eine konkurrierende Zuständigkeit in Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG ausdrücklich zu. Die auf Anraten der Verfassungskommission erfolgte Grundgesetzänderung sollte dem Bundesgesetzgeber die Materie des Staatshaftungsrechts umfassend zu32  „Deutschlands Zukunft gestalten.“ Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18 Legislaturperiode, S. 107. 33  Zu diesem Fazit kommt auch Thiel, in: FS für U. König, S. 409, 416, der die Kodifikationsbestrebungen als Sisyphusarbeit sieht. Resignativ auch Stelkens, DÖV 2006, 770: Eine Reform stünde „nicht mehr auf der politischen Tagesagenda“. 34  Thiel, in: FS für U. König, S. 409, 420; ebenso noch Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 74, Rn. 114 m. w. N., wesentlich zurückhaltender jedoch in der Neuauflage; Durner, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), GG, Art. 74 I Nr. 25, Rn. 2.; Stelkens, DÖV 2006, 770, 776 f.; Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 54, Rn. 127; Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 78; Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 74, Rn. 177; Durner, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), GG, Art. 74 I Nr. 25, Rn. 14 f. 35  BVerfGE 61, 149 (174); ausführlich zu dessen Rechtsnatur nur Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 11 ff.; Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn.  3 ff.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 33 ff. jew. m. w. N.



§ 1 Reformbedarf und Untätigkeit des Gesetzgebers307

weisen, weshalb die Kompetenz über die Amtshaftung hinaus geht und auch den Bereich der richterrechtlich entwickelten Institute wie des enteignungsgleichen Eingriffs oder des Folgenbeseitigungsanspruches umfasst.36 Daraus ergibt sich, dass der Bund zumindest vom Umfang her jedes der Erweiterungskonzepte umsetzen könnte. Um dabei die Länderinteressen ausreichend zu wahren, wird nach Art. 74 Abs. 2 GG jedenfalls die Zustimmung des Bundesrates zu staatshaftungsrechtlichen Gesetzgebungsprojekten benötigt, welche jedoch je nach politischer Konstellation eine überwindbare Hürde darstellt.37 II. Das Erfordernis des Art. 72 Abs. 2 GG Substantiellere Schwierigkeiten birgt die Subsidiaritätsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG, nach der ein Bundesgesetz nur erlassen werden darf, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Die Rechtsprechung handhabt diese zum Schutz der Landeskompetenzen eingeführte und bewusst eng gefasste Vorschrift entsprechend restriktiv,38 wenn auch nicht immer einheitlich.39 So ist grundsätzlich unzureichend, dass das geltende Recht bloß unübersichtlich, lückenhaft oder den Anforderungen an gute Gesetze nicht entspricht.40 Stattdessen muss gerade das Fehlen oder aber die Vielfalt landesrechtlicher Regelungen den maßgeblichen Anknüpfungspunkt bilden.41 Dabei obliegt dem Gesetzgeber, „das für die Einschätzung dieser Lagen erforderliche Tatsachenmaterial sorgfältig zu ermitteln. Erst wenn das Material fundierte Einschätzungen der gegenwärtigen Situation und der künftigen Entwicklung zulässt, darf der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen.“42 Die parla36  42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBl. I, S. 3146; vgl. BT-Drs 6633; 8165; 8399; 8423; Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 21; Oeter, in: von Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 74, Rn. 178; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 74, Rn. 94; Durner, in: Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), GG, Art. 74 I Nr. 25, Rn. 3 f. 37  Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 23. 38  Zur Zielsetzung als schärferes Korrektiv im Vergleich zur Vorgängerregelung nur Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 72, Rn. 17 ff.; Uhle, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 72, Rn. 45 ff. 39  Rixen, DVBl. 2012, 1401, 1402 m.N., der indes zu Recht darauf hinweist, es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, das BVerfG ginge wieder von einer stärkeren Gestaltungsprärogative des Gesetzgebers aus. 40  Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 23. 41  Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 72, Rn. 11. 42  BVerfGE 106, 62 (144).

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

mentarischen Erwägungen haben sich auf sorgfältig ermittelte und nachvollziehbare Sachverhaltsannahmen zu stützen, die einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich sind und hinsichtlich derer dem Gesetzgeber nur ein eingeschränkter Prognosespielraum zukommt.43 Jedenfalls ist ein bundesgesetzgeberisches Eingreifen ausgeschlossen, „wenn [existierende oder konkret geplante] landesrechtliche Regelungen zum Schutz der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten gesamtstaatlichen Rechtsgüter ausreichen“44. Zweifelhaft ist vor diesem Hintergrund, ob der gegenwärtige unsystematische Zustand der staatlichen Einstandspflichten die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsprüfung erfüllen kann. So soll die erste Variante der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht etwa jede Unterschiedlichkeit der Landesregelungen verhindern, die gerade wesensmäßig im Föderalismusprinzip angelegt sind.45 Denn Art. 72 Abs. 2 GG ist „kein Passepartout für die Beseitigung föderaler Ungleichheiten“46 – vielmehr müssen sich die Lebensverhältnisse in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialprinzip beeinträchtigender Weise auseinanderentwickeln oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnen.47 Bei aller Bedeutung der Staatshaftung auch für das soziale Gefüge sind derartige Konsequenzen angesichts des gegenwärtigen Stands der Landesregelungen nicht ernsthaft anzunehmen. Nun wurde im Zuge einiger neuerer Urteile diskutiert, ob eine landesrechtliche Behinderung der Grundrechtsausübung innerhalb dieser Tatbestandsvariante Relevanz erlangen könnte.48 Indes hat das BVerfG diese Frage explizit offengelassen.49 Zumindest unter Zugrundelegung des grundrechtlichen Haftungskonzepts könnte eine solche Verkürzung des grundrechtlichen Schutzes im Hinblick auf die gegenwärtige Rechtslage vertreten werden. Sie liegt aber nicht in den landesrechtlichen Besonderheiten begründet, sondern besteht gleichermaßen auf Bundesebene, womit auch diese Tatbestandsvariante scheitert.50 Ebenso wenig ist die Wirtschaftseinheit der Bundesrepublik durch das Fehlen einer bundeseinheitlichen Staatshaftung substanziell beeinträchtigt. 43  BVerfGE 106, 62 (135 ff., 152); 111, 226 (246 ff.); Seiler, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 72, Rn. 11, 16; Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 72, Rn. 18 f. 44  BVerfGE 106, 62 (150). 45  BVerfGE 111, 226 (254). 46  Rixen, NJW 2015, 3136, 3137. 47  BVerfGE 106, 62, (144); 111, 226 (253). 48  Rixen, DVBl. 2012, 1401, 1402 m.N. 49  BVerfG, NJW 2015, 2399 (2401). 50  Auch könnte eine Staatshaftungsreform wohl nicht unter das in der neueren Rechtsprechung auftauchende Merkmal legislativer Gesamtförderkonzepte gefasst werden, da sie für sich genommen isoliert dasteht und nicht notwendig mit anderen bundesrechtlichen Materien verbunden scheint. Vgl. dazu BVerfG, NJW 2015, 2399 (2403 f.).



§ 1 Reformbedarf und Untätigkeit des Gesetzgebers309

In Betracht kommt daher nur noch die letzte Variante des Art. 72 Abs. 2 GG – die Herstellung der Rechtseinheit.51 Dazu müsste anhand der gegenwärtigen Ausformung der staatlichen Einstandspflichten „eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen […][nachgewiesen werden], die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann“52. Eine bloß differenzierte Regelung auf Landesebene reicht nicht aus; diese ist wie gesehen im Sinne des föderalen Aufbaus gerade gewünscht. Vermieden werden sollen nur solche landesrechtlichen Unterschiede, welche die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung durch erhebliche Rechtsunsicherheiten und unzumutbare Behinderungen gefährden.53 In seinen neueren Urteilen tendiert das BVerfG zwar zu einer weiteren Auslegung: „Im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich im Sinne des Art. 72 II GG [sei] eine bundesgesetzliche Regelung nicht erst dann, wenn sie unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit [sei]. Es [genüge] vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber problematische Entwicklungen für die Rechts- und Wirtschaftseinheit erwarten“54 dürfe. Gleichsam käme eine Bundeskompetenz in Betracht, wenn eine bestehende Komplexität durch weitere landesrechtliche Abweichungen gesteigert und die rechtliche Planungssicherheit erheblich eingeschränkt würde.55 Nicht ausreichend sei jedoch weiterhin, wenn die Rechtssicherheit und Freizügigkeit nicht konkret und unmittelbar beeinträchtigt wären.56 Selbst unter Heranziehung der weniger restriktiven Auslegung bleibt indes zweifelhaft, ob im Bereich der Staatshaftung von einer problematischen Rechtszersplitterung gegenwärtig gesprochen werden kann, oder diese aufgrund der heute weitgehend statischen Natur des Rechtsgebiets zukünftig absehbar ist. Teilweise wurde eine solche Gefahr früher im Hinblick auf die Fortgeltung des DDR-StHG in den neuen Bundesländern behauptet. Der Kontrast zwischen einer unmittelbaren Staatshaftung und ­ den Regelungen der alten Länder habe einen „rechtstaatlich unhaltbaren Zustand erreicht“57. War bereits damals berechtigte Skepsis angebracht, ob allein dieser Umstand tatsächlich die Kriterien des Art. 72 Abs. 2 GG zu erfüllen vermochte, scheint die These zumindest mit der zunehmend erfolgten Angleichung und Zurückdrängung des DDR-StHG58 schwerlich wohl auch Stelkens, DÖV 2006, 770, 776 f. 106, 62 (145); 110, 141 (174 ff.). 53  Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 72, Rn. 23. 54  BVerfG, NJW 2015, 303; NJW 2015, 2399 (2402). 55  BVerfG, NJW 2015, 303 (305). 56  So in Bezug auf unterschiedliche Studiengebühren BVerfGE 112, 226 (243 ff.). 57  So Pfab, Staatshaftung, S. 98. 58  Siehe Zweiter Teil: § 1 B.III.2.b), S. 84 ff. 51  So

52  BVerfGE

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

weiter vertretbar.59 Auch werden die noch bestehenden marginalen Unterschiede weiter dadurch abgemildert, dass die wichtigen richterrechtlichen Institute ohnehin bundesweit einheitlich gelten, womit die bundesstaatlich notwendige „Grundhomogenität“ gewahrt sein dürfte.60 Angesichts dieser weitreichenden Einheitlichkeit der streitgegenständlichen Regelungen bleibt die Annahme einer schwerwiegenden Rechtszersplitterung kaum begründbar.61 Problematisch scheint weiterhin, sich auf Rechtsunsicherheiten berufen zu wollen.62 Dass diese im Staatshaftungsrecht bestehen, ist wohl unbestritten; sie gehen jedoch nicht auf die landesrechtlichen Besonderheiten, sondern auf die mangelnde dogmatische und kodifikatorische Durchdringung des Rechtsgebiets als solches zurück. Der „Wunsch nach Qualitätsverbesserung ist für die Frage einer Bundeskompetenz aber irrelevant.“63 Schließlich steht auch nicht hinreichend konkret zu erwarten, der Status quo würde sich ohne bundesrechtliches Einschreiten in bedenklicher Weise auseinanderentwickeln. Da eine bundeseinheitliche Regelung der Einstandspflichten demnach auch zur Wahrung der Rechtseinheit nicht erforderlich scheint, setzt sich jedes bundesgesetzgeberische Reformvorhaben zumindest der erheblichen Gefahr aus, das Schicksal des StHG 1981 zu teilen und aus kompetenzrechtlichen Gründen für nichtig erklärt zu werden.64 Sicherheit und wirksame Abhilfe bringen könnte hier nur eine Verfassungsänderung. 59  Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 117; Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 23; Höfling / Engel, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 74 I Nr. 25, Rn. 15; vgl. auch Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 351, der von einer weitgehenden Inhaltsgleichheit spricht, dennoch die Voraussetzung des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt sehen will. 60  Dazu Ewer, NJW 2012, 2251, 2253 ff. 61  Anders aber wohl ohne nähere Begründung Stelkens, DÖV 2006, 770, 776 f.; differenzierend Grzeszick, ZRP 2015, 162, 163. 62  Nach BVerfGE 106, 62 (146) kann eine Regelung erforderlich sein, wenn andernfalls „Rechtsunsicherheiten und damit unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifenden Rechtsverkehr erzeugt“ würden. 63  Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 24; vgl. auch BVerfGE 111, 226 (254), wonach eine „sachlich nicht optimale Regelung“ allein nicht bundeskompetenzbegründend wirkte. Ähnl. auch Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 117. Wenig überzeugend wirken auch die Ausführungen von Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 351, wonach der Annahme der Erforderlichkeit nicht entgegenstünde, dass das „Haftungsrecht in der Bundesrepublik auch ohne eine Staatshaftungsgesetz weitgehend inhaltsgleich gilt“. 64  Angesichts dieses Ergebnisses verwundert es, warum Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG unter den „Vorbehalt“ des Art. 72 Abs. 2 GG gestellt wurde. Denn ausweislich des Berichts der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundes-



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte311

D. Verbleibende Handlungsoptionen Eine eingehendere Beschäftigung mit dem kompetenzrechtlichen Gefüge fördert ein vielschichtigeres Bild zu Tage, als die Befürworter einer schnellen Reform durch Bundesrecht erkennen lassen wollen. Sieht man die Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG mit guten Argumenten als nicht erfüllt an, erfahren die gesetzgeberischen Optionen einer Staatshaftungsrechtsreform eine empfindliche Einschränkung. Dennoch ist die Legislative mitnichten zur Untätigkeit verdammt: Zum einen intendierte Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG nur, zusätzliche Bundeskompetenzen zu schaffen, nicht aber, bestehende zu beschränken. Daher blieben die hergebrachten Bundeszuständigkeiten unberührt, womit es dem Bund unbenommen bleibt, zumindest seine eigenen Einstandspflichten zu reformieren.65 Gleichzeitig können die Länder selbst auf die ausgearbeiteten Entwürfe, insbesondere das StHG 1981, zurückgreifen und diese implementieren, ohne den Restriktionen des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterliegen.66 Mag eine einheitliche bundesrechtliche Reform auch präkludiert sein, könnte eine umfassende Neugestaltung und Vereinheitlichung durch die einzelnen Bundesländer sehr wohl angestoßen und im Zusammenwirken mit dem Bundesgesetzgeber, der seine Haftung regelt, auch vollendet werden.67

§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte – Zu den Problemen einer Fixierung auf das Umsetzungssubjekt Da augenscheinlich sowohl Bundes- als auch Landesgesetzgeber nicht willens sind, eine strukturell umfassende Reform des Staatshaftungsrechts anzugehen, mehrten sich in der Vergangenheit Rufe nach richterlicher Abhilfe: Sperre sich die Legislative gegenüber einer Implementierung der Rerat vom 5.  September 1993, BT-Drs.  12 / 6000, S. 34, sollte „dem Wunsch der Bundesseite [entsprochen werden], lange Diskussionen um eine bundeseinheitliche Staatshaftung nunmehr durch die Schaffung einer eindeutigen Kompetenzgrundlage endlich abzuschließen“. Anders als die Hürde der Zustimmung des Bundesrates, die das Mitspracherecht der Länder angesichts der potentiellen finanziellen Konsequenzen wahren sollte, erschließt sich nicht unmittelbar die Ratio, die Staatshaftungsreform von den zusätzlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG abhängig machen zu wollen. 65  Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 27 ff.; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 117. 66  So auch Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 168. 67  Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 170 f.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

formvorschläge, solle ein Rückgriff auf die judikative Rechtsfortbildung die nötige Lückenschließung ermöglichen. Ausgehend von dieser Grundidee entwickelte sich ein differenziertes Meinungsbild zu den Grenzen des Richterrechts im Bereich staatlicher Einstandspflichten und den möglichen Verpflichtungen des Gesetzgebers zur Weiterentwicklung des Rechts: Die vertiefte Auseinandersetzung mit den Umsetzungsmodalitäten der einzelnen Lösungsvorschläge erlangte dabei ein so hohes Gewicht, dass sie mittlerweile die gesamte staatshaftungsrechtliche Reformdiskussion maßgeblich mit prägt. Angesichts der auf die Beantwortung der Frage aufgewandten Energie, ob ein bestimmtes Lösungskonzept gerade noch richterrechtlich oder allein kodifikatorisch umgesetzt werden könnte, erwächst der Eindruck, das „Wie“ der Reform verdränge in seiner Bedeutung nahezu den materiellen Gehalt der Vorschläge. Die Verflechtung beider Ebenen geht mitunter soweit, dass gesamte Lösungsansätze wie insbesondere die Erweiterung der Aufopferungshaftung und der Folgenentschädigungsanspruch selbst inhaltlich stark durch ihre angenommene Umsetzbarkeit im Wege des Richterrechts beeinflusst sind. Nun bleibt das Ziel einer jeden Reformüberlegung ihre Überführung ins geltende Recht, weshalb eine Analyse der richterlichen Umsetzungsoptionen hinsichtlich der einzelnen Ansätze in Anbetracht der legislativen Passivität in der Tat unumgänglich scheint. Immer wieder wurde deshalb eingehend untersucht, wo die freilich eigenen Zweifeln unterworfenen Befugnisse und Grenzen einer scheinbar ungebundenen Rechtsfindung durch den Richter im Staatshaftungsrecht verlaufen. Dabei werden diese Erwägungen weitest­ gehend in einem rechtlichen Vakuum entfaltet und sind primär von rechts­ politischen Überlegungen geleitet. Ihre Legitimität scheint die richterliche Rechtsfortbildung dabei aus einer Art überspannenden, kollektiven Gerechtigkeitsvorstellung zu beziehen, welche die verschuldensunabhängige Haftung des Staates als politisch wünschenswert klassifiziert und selbst von den Kritikern eines gerichtlichen Reformanstoßes geteilt wird.68 Danach seien „die Grundprinzipien einer Neuregelung im Sinne einer originären Verbandshaftung für staatliches Unrecht unter gleichzeitiger Aufgabe des Verschuldensprinzips zum Allgemeingut geworden“69. Unter Zugrundelegung dieser Prämissen wird diskutiert, auf welchem Wege die jeweiligen Erweiterungs­ institute in die geltende Rechtsordnung implementiert werden können.

68  Beispielsweise Haack, DVBl. 2010, 1475, 1480; rechtspolitische Erwägungen stellen auch an Trimbach, Möglichkeiten einer Kodifikation, S. 94; Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 28 f.; Pfab, Staatshaftung, S. 160; Stelkens, DÖV 2006, 770. 69  von Danwitz, in: von Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 156.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte313

Diese Herangehensweise ist indes keineswegs dergestalt alternativlos, wie sie auf den ersten Zugriff scheinen mag. Vielmehr erweisen sich die aus ihr erwachsenden Komplikationen näher besehen als Symptome zweier grundlegender, eng miteinander verknüpfter Defizite, deren kritische Durchleuchtung eine neue Perspektive auf die Problematik eröffnet. Zunächst zeitigt überraschenderweise gerade der weit verbreitete Konsens hinsichtlich des gewünschten Reformausgangs eine bedenkliche Nebenwirkung, lässt er doch eine eingehende Beschäftigung mit Frage nach dem Ursprung und der rechtlichen Qualität der angenommenen Zielvorgaben als lästiges und vermeid­ bares Übel erscheinen.70 Selbst angesichts einer nahezu einheitlichen Überzeugung kann jedoch die Heranziehung gesellschaftlicher und politischer Wünsche oder gar bloßer Akzeptanz eine rechtliche Untersuchung niemals entbehrlich machen.71 Über die methodische Unzulänglichkeit hinaus beraubt man sich aber durch die pragmatische Unterstellung dieser Vorgaben wichtiger Erkenntnismöglichkeiten. Denn gerade die Auseinandersetzung mit der rechtlichen Grundlage der Reform kann wichtige Einsichten hinsichtlich der Umsetzungsoptionen ermöglichen. Schiebt man indes die Frage nach der rechtlichen Fundierung beiseite, ist die zweite essentielle Schwäche des gegenwärtigen Ansatzes vorgezeichnet: Mangels anderer verbindlicher Anhaltspunkte bleibt allein der Rekurs auf die ohne klare Rechtsgrundlage erdachten Anspruchsgrundlagen, die erst in einem zweiten Schritt notgedrungen dogmatisch unterfüttert wurden.72 Ausgehend von dem Folgenentschädigungsanspruch oder dem aufopferungsgleichen Eingriff wird so gefragt, wie diese Institute in das geltende Recht überführt werden können. Dabei generiert die Verselbstständigung bestimmter Rechtsfiguren keinen erkenntnistheoretischen Mehrwert – denn was ist der Folgenbeseitigungsanspruch mehr als die Reaktion eines Rechts auf seine Verletzung? Setzt man die wünschenswerten Ansprüche aber in dieser Art und Weise axiomatisch voraus, erscheint ihre Umsetzung tatsächlich im luftleeren Raum stattzufinden, sodass sich die Frage nach den Kompetenzabgrenzungen zwischen Judikative und Legislative in aller Schärfe stellt. So verschleiert die institutsbezogene Sichtweise den Blick auf tragfähige Lösungen eher denn ihn zu schärfen. Um diese Unzulänglichkeiten zu vermeiden, muss dem gegenwärtig wohl herrschenden induktiven Ansatz die Gefolgschaft verweigert werden. Löst man sich von der Vorstellung bestehender, gewohnheitsrechtlich verfestigter Institute, die in freier Rechtssetzung ausgeweitet werden müssen und betrachtet Anspruchsgrundlage und -ausgestaltung nicht länger als indisparate 70  Vgl. Röder, Haftungsfunktion, S. 19 in Anlehnung an Sass, Entschädigungs­ erfordernis, S. 109. 71  Ogorek, in: FS für W. Hassemer, S. 159, 169. 72  Schoch, VerwArch 1988, 1, 32; anschließend Röder, Haftungsfunktion, S. 200.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Bestandteile, die im Wege richterlicher Gestaltung mit empfundenen Gerechtigkeitsvorstellungen in Einklang zu pressen sind,73 eröffnet sich eine klärende Perspektive: Denn „[r]echtliche Begriffe und Terminologien stehen nicht frei im Raum; sie sind abhängig von ihrer materiell-rechtlichen Grundlage“.74 Überkommt man das institutsgebundene Verständnis, wird der Blick auf eine tiefergreifende Frage frei, auf die letztlich auch die in der Literatur und Rechtsprechung angestrengten Erwägungen hinauslaufen: Woraus ergeben sich die verbindlichen Vorgaben einer Staatshaftungsreform und wen binden sie? Ihre Beantwortung muss mangels abschließender einfachrecht­ licher Aussagen zwangsläufig ins Grundgesetz führen, in dem wiederum die Grundrechte als direkte Grundlage der Reaktionsansprüche in den Blick zu nehmen sind. Anstatt daher von starren implementierungsbedürftigen Rechtsinstituten auszugehen, sind auch im Rahmen der Umsetzungsoptionen schlicht die durch sorgsame Deduktion aus dem verletzten Recht fließenden Vorgaben zu untersuchen.75 Diesem Vorgehen ist ein diskussionsentzerrender Effekt immanent: Wendet man ausreichend Energie auf eine saubere Verfassungsinterpretation auf, verliert korrespondierend die Frage nach dem Umsetzungssubjekt viel ihres Gewichtes: Denn nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte die Gesetzgebung gleichermaßen wie die Rechtsprechung. Es kann daher im Ergebnis nicht entscheidend darauf ankommen, wer den grundgesetzlichen Vorgaben Geltung verschafft. Aufgeworfen ist damit ein Gesichtspunkt, der auf den ersten Zugriff ein schwieriges Verhältnis zwischen Verfassungsvorgaben und deren „Umsetzungsnotwendigkeit“ zu offenbaren scheint: Bieten die Grundrechte bei zutreffender Auslegung eine positiv-rechtliche Grundlage der Reaktionsansprüche, mag man mit Recht fragen, warum eine weitere Umsetzung durch die Legislative oder Judikative überhaupt notwendig sein sollte?76 In der Tat erinnert diese vermeintliche Dopplung an die abzulehnende These eines not73  In diese Richtung auch Fiedler, NVwZ 1986, 969 ff.; Röder, Haftungsfunktion, S. 201, 206 f. 74  Kreft, Aufopferung, S. 33. 75  Vgl. auch Röder, Haftungsfunktion, S. 205 f. Deutlich wird der beliebige, ergebnisorientierte Umgang mit der Rechtsgrundlage, wenn beispielsweise vorgebracht wird, mit dem Verzicht auf das Verschuldenserfordernis innerhalb der Amtshaftung sei eine Grundrechtshaftung „obsolet“ (so Pfab, Staatshaftung, S. 169). Vielmehr ist es so, dass sich die Verschuldensunabhängigkeit eben aus der grundrechtlichen Deduktion ergibt – und dass die Schutzansprüche dieser Anforderung gerecht werden müssen. Auch sieht Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 67 ff. nicht ohne Grund in der Verschuldensunabhängigkeit das Grundanliegen jeder Reform – schließlich ist sie grundgesetzlich vorgegeben. 76  So Hellermann, JZ 2004, 238.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte315

wendigen Hilfsanspruchs und der mittelbaren Wirkung der Grundrechte.77 Das scheinbare Dilemma ist indes wie folgt aufzulösen: Es ist das Grundrecht allein, welches seine durch Auslegung zu ermittelnden Verletzungsfolgen festschreibt.78 Aus dem Grundrecht selbst ergibt sich, ob und wann der Staat zu unterlassen, restituieren oder kompensieren hat – unabhängig davon, ob diese nun Folge einfachgesetzlich angeordnet oder durch richterliche Auslegung ermittelt wurde.79 Grundsätzlich bedürfen daher die Schutzansprüche darüber hinaus keiner weiteren „Institutionalisierung“ – dem Bürger steht ein „strikter verfassungsrechtlicher“80 Anspruch zu, der nicht von einer gesetzgeberischen Umsetzung abhängig gemacht werden darf.81 Damit ist aber weder der Gesetzgeber noch die Judikative von ihrer Handlungsverpflichtung befreit. Vielmehr haben beide Gewalten dem grundrechtlichen Anspruch zur Geltung zu verhelfen – die Gerichte durch Auslegung, der Gesetzgeber durch Kodifikation und Entwicklung.82 Diese These soll im Folgenden an zwei Kontrollerwägungen verdeutlicht werden. Zum einen wird die Reichweite der Befugnis und Verpflichtung der Richter zur Rechtsfortbildung, zum anderen eine mögliche Pflicht der Legislative vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben untersucht. Aufgezeigt wird damit, dass sich ein deduktiver Ansatz in die klassischen 77  Siehe

Dritter Teil: § 4 A.II., S. 192 ff. Herangehensweise hat zumindest im Feld des Folgenbeseitigungsanspruchs viele Anhänger gefunden, vgl. Ebsen, DVBl. 1987, 389, 293; Bender, VBlBW 1985, 201, 202; Brugger, JuS 1999, 625, 629; Schneider, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  64 ff.; Schenke, DVBl. 1990, 328, 330; Roth, DVBl. 1996, 1401, 1402; umfassender Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 91 ff., 98 ff., 336 f., insb. S. 222: „Die Wirkung der Grundrechte als individualrechtliche Eingriffsabwehrrechte entsteht unmittelbar qua Verfassungsrecht und vor den einfachgesetzlichen, jeweiligen Reak­ tionsregelungen.“ So auch Röder, Haftungsfunktion, S. 205 ff. 79  Zutreffend verweist Röder, Haftungsfunktion, S. 206 exemplarisch auf kodifizierte Folgenbeseitigungsansprüche. Siehe dazu die Beispiele bei Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 18 ff. und Baumeister, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 12 ff. Hilfreich zum Verständnis der richterlichen Rolle erweist sich die Vorstellung des „law in action“. So sei „ein Rechtssatz, der erst noch gefunden werden muß, nur potentielles, nicht aber schon aktuelles, d. h. in der Anwendung stehendes Recht.“ Deshalb sei die Geltungsverschaffung durch Auslegung zwar ein Akt schöpferischer Erkenntnis, aber kein Akt der Rechtssetzung, vergleichbar eines Gesetzes. Dazu Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 222; a. A. Less, Von Wesen und Wert des Richterrechts, passim. 80  Meyer, Soziales Entschädigungsrecht, S. 130; auf eine ausdrücklich positivrechtliche Grundlage für den Folgenbeseitigungsanspruch verzichtend beispielsweise Bettermann, DÖV 1955, 528, 531. 81  Deutlich auch Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 406 f. A. A. Hillgruber, JZ 1996, 118, 122; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 337; Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 546; ähnl. Höfling, VVDStRL 2002, 462, 464. 82  Vgl. Pfab, Staatshaftung, S. 98; Röder, Haftungsfunktion, S. 158. 78  Diese

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Argumentationsstrukturen einpassen lässt und die mit einer induktiven Herangehensweise verbundenen Friktionen vermeidet.

A. Zur Rolle des Richters bei der Entwicklung des Rechts Zunächst sind die richterlichen Optionen einer Staatshaftungsreform zu beleuchten. Die Diskussion über die Zulässigkeit und den Charakter von Richterrecht wird seit langer Zeit differenziert geführt und kann an dieser Stelle kaum hinreichend gewürdigt werden.83 Herausgebildet hat sich auf diesem Wege ein schwerlich überblickbares Meinungsspektrum, das den Gerichten an seinen äußersten Polen entweder eine zurückgenommene, auslegende oder aber eine der des Gesetzgebers nahekommende Funktion zuspricht. Ohne die bis hin zum Staatsverständnis reichenden Debatten führen zu wollen, oder dies in diesem Rahmen auch nur angemessen zu können,84 müssen doch vor der Bewertung einer gerichtlichen Umsetzung die Grundprinzipien des so bezeichneten „Richterrechts“ umrissen und diskutiert werden, um danach auf die für eine Entwicklung der Staatshaftung relevanten Besonderheiten eingehen zu können. Die Analyse der gerichtlichen Kompetenzen macht im Vorfeld eine terminologische Grenzziehung notwendig, da die Begriffe des „Richterrechts“, der „Rechtsfortbildung“ oder der „Lücke im Recht“ mit verschiedenen Konnota­ tionen verwendet werden und so zu definitorischen Missverständnissen führen können.85 Die grundlegende, eng mit der Stellung der Judikative im Gefüge der Gewaltenteilung verknüpfte Frage lautet: Was überhaupt ist Richterrecht? So scheint zunächst denkbar, hierunter die bundesrichterlichen Entscheidungen, die im gesetzlich nicht geregelten Bereich oder sogar contra legem ergehen, sowie die Fortentwicklung von Normen unter Heranziehung rechts­ externer, meist politischer Kriterien zu fassen.86 Nach der Gegenansicht ent83  Vgl. unter anderen Ipsen, Richterrecht und Verfassung, passim; Langenbucher, Richterrecht, passim; Rüthers, Richterstaat, passim; Fromme, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Richterstaat, S. 98, 98 ff. 84  Den „Bannkreis der wissenschaftstheoretischen Grundlagendebatte zwischen philosophischer Hermeneutik und analytischer Wissenschaftstheorie“ an dieser Stelle auch nur anzureißen, würde den Rahmen der Bearbeitung sprengen. Vgl. dazu Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 30 ff. mit Nachweisen und Ausführungen zu den jurisprudenzbezogenen Gesichtspunkten. 85  Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 113 f.; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 21; Langenbucher, Richterrecht, S. 1; kritisch Lerche, NJW 1987, 2465, 2472. Vgl. zum Streit Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 152 ff. 86  Statt vieler Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S.  153; Zippelius, Methodenlehre, S.  66 ff.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte317

stünde so verstandenes Richterrecht immer nur dann, wenn sich der Richter eine fremde Kompetenz anmaßt und überschreite daher „als solches die Grenze des Zulässigen“.87 Stattdessen bilde die Auslegung von Normen die einzig legitime Quelle von Richterrecht:88 Die Gerichte seien darauf ­beschränkt, ihre Urteile anhand bestehender Rechtsregeln zu begründen,89 auch wenn sie durch Auslegung über den „bisher anerkannten Inhalt eines Gesetzes“90 hinausreichen könnten. Diese Tätigkeit sei bereits dann als Rechtsfortbildung zu bezeichnen, wenn sie die „unter mehreren dem Wortsinn nach möglichen [Interpretationen] zutreffende kennzeichnet und damit die vorher bestehende Ungewissheit beseitigt.“91 Jede „veränderte Auslegung“ bedeute daher „nichts anderes als eine Rechtsfortbildung“92. Infolge der divergierenden Begriffsverständnisse wird zuweilen feiner differenziert: so sei zwischen gesetzesimmanenter und -übersteigender Interpretation,93 oder zwischen gesetzeskonkretisierendem, -vertretendem, -korrigierendem und -konkurrierendem Richterrecht zu unterscheiden.94 Legt man diese Termini zugrunde, lässt sich die auslegungsbasierte Rechtsfortbildung als gesetzesimmanent, beziehungsweise gesetzeskonkretisierend bezeichnen, während Urteile extra oder gar contra legem unter die verbleibenden Kategorien zu fassen sind. Der Kernunterschied zwischen beiden Auffassungen manifestiert sich in den Argumenten, die dem Richter zur Entscheidungsbegründung zur Verfügung stehen: Darf auch die Judikative auf rechtspolitische Erwägungen zurückgreifen, oder ist sie auf rein rechtliche Begründungen verwiesen? Hinsichtlich einer politischen Aufladung der richterlicher Position scheinen sich verfassungsrechtliche Bedenken geradezu aufzudrängen: Denn nach traditioneller Auffassung ist bereits aus Gewaltenteilungsaspekten die originäre Rechtssetzung exklusive Aufgabe des Gesetzgebers, während die Judikative allein mit der Rechtsanwendung befasst ist.95 Die in Art. 20 Abs. 3, Art. 97 87  Müller,

Richterrecht, S. 13. Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildungen, S. 13; vgl. Kirchhof, in: Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11, 11 f. 89  Langenbucher, Richterrecht, S. 1. 90  Kirchhof, in: Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11, 13. 91  Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 188. 92  Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 188. Für eine Aufgabe der Unterscheidung zwischen Rechtsauslegung und -fortbildung auch Jestaedt, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S.  49, 58 ff. m. w. N.; Gusy, DÖV 1992, 461, 463 ff.; Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 143, 187; Ossenbühl, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 100, Rn.  51 ff.; Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 86; 310 ff., 345 ff.; vgl. auch Lerche, NJW 1987, 2465, 2466. 93  Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 189. 94  Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 63 ff. 95  Vgl. nur Bettermann, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR III, § 73, Rn. 27 f. m. w. N. 88  Larenz,

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Abs. 1 GG und § 1 GVG umfassend normierte Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz96 bildet ein Kernfundament des Rechtsstaatsprinzips.97 Insbesondere gibt es anders als beispielsweise im Schweizer Recht keine Norm, die der Judikative eine über das geschriebene Recht hinausgehende Lückenschließungsfunktion ausdrücklich zuweist.98 Nun weichen aber auch die Vertreter weiter, zumindest begrenzt rechtspolitischer, richterlicher Befugnisse nicht ohne Not von dieser Grundlinie ab. Rechtfertigend vorgebracht wird, die Beschneidung der judikativen Kompetenz auf bloße Rechtsauslegung könne allein unter dem Dogma eines lückenlosen, hierarchisch gegliederten Normensystems überzeugen, welches indes praktisch kaum umsetzbar sein dürfte:99 Denn bereits strukturell sei das kodifizierte Recht keine formal lückenlose Ordnung, die eine klare, eindeutige und angemessene Lösung für alle potentiellen Rechtsfragen bereitstellen könne und müsse deshalb als inhaltlich offen gedeutet werden.100 Daher stelle die gegenwärtige geschriebene Rechtsordnung in ihrer unvermeidbaren Unvollständigkeit und beschränkten Regelungsfähigkeit weitere Anforderungen an die Judikative. Zwar dürften Gerichte grundsätzlich keine „Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen worden sind“ und sich „aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben“101. Gleichsam drohten durch die unvollständige kodifizierte Ordnung Rechtsschutzlücken, die nicht hinnehmbar seien. Es schiene aber geradezu widersinnig, die im Kern demokratische Überlegung, die Legislative hätte eine bestimmte Regelung treffen müssen, zu Lasten des Bürgers wirken zu lassen.102 Die richterliche Regelungskompetenz dürfe „nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden“103. im Einzelnen Hoffmann, Verhältnis von Gesetz und Recht, passim. Das Prinzip Rechtsstaat, S. 86 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 92 ff. 98  Art. 1 Abs. 2 ZGB: „Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.“ 99  Vgl. Küper, Richteridee, S. 250 ff.; Breuer, Staatshaftung, S. 12 f.; Pieroth / Aubel, JZ 2003, 504. 100  BVerfGE 34, 269 (291 f.); 96, 375 (394); Bumke, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 30, 33; vgl. Rüthers, NJW 2011, 434. Kirchhof, in: Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11, 27. Pointiert auch Kirchhof, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 71, 71. 101  BVerfGE 34, 269 (291 f.). 102  Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 361; Görisch, RuP 2006, 86, 87. 103  BVerfGE 49, 98 (125). Vgl. auch Kirchhof, NJW 1986, 2275. 96  Dazu

97  Sobota,



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte319

Vielmehr müsse der rechtsfortbildende Richter zum notwendigen „Komplementär“ des Gesetzgebers104 werden – selbst wenn er „neben individueller Konfliktbefriedung soziale Gestaltung“105 betreibt. Denn „der Richter [könne] sich einem hiernach möglichen Konflikt […] mit den materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen einer gewandelten Gesellschaft nicht mit dem Hinweis auf den unverändert gebliebenen Gesetzeswortlaut entziehen; er [sei] zu freierer Handhabung der Rechtsnormen gezwungen, wenn er nicht seine Aufgabe, ‚Recht‘ zu sprechen, verfehlen will.“106 In einer dynamischen Gesellschaft, die auf eine laufende Adaption an neue Phänomene angewiesen ist, stelle sich daher die richterliche Ersatzgesetzgebung als „legitim und unvermeidbar“ dar107 und sei bereits aus dem Gebot richterlicher Rechtsschutzverweigerung gerechtfertigt.108 Die notwendige Integration politischer Argumente in die richterliche Entscheidungsfindung109 führe zwar somit zwangsläufig zur Erfüllung politischer Gestaltungsaufgaben.110 Anstatt sich aber dem „Trugbild einer lückenlosen und anwendungsbereiten Rechtsordnung, aus der der Richter das Recht im Einzelfall mit Hilfe der ‚Chimäre 104  Vgl. Esser, AcP 1972, 97 ff.; Rüthers, NJW 2011, 434. Vorsicht ist geboten, wenn der Richter bei allzu leichthändiger Lösung von der anerkannten Methodenlehre zum „Vollstrecker idealistisch und ethisch fundierter Maximen“ zu werden droht, der dem Drang der Gesellschaft Ausdruck verleiht, „aus der Enge kleinlicher Normen, überholter Dogmen und veralteter Wertungen auszubrechen, um unmittelbar ‚Gerechtigkeit‘ zu entfalten.“ (So pointiert Picker, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 85, 99; vgl. Jestaedt, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 49). 105  Picker, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 85, 86 (Hervorhebungen im Original). 106  BVerfGE 34, 269 (289); vgl. auch Stern, Staatsrecht III / 1, S. 1475; Ferschl, Aufopferungsanspruch, S. 195. 107  Rüthers, NJW 2011, 434. 108  Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 92, Rn. 41. Vgl. zu einer „bewussten Regelungsabstinenz“ des Gesetzgebers von Danwitz, in: von Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 24. Zur Figur des „Gesetzesrechts-Notstand“ als Legitimation für die richterliche Rechtsentwicklung, vgl. BVerfGE 84, 212 (226 f.). Vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 97, Rn. 101 ff.; Classen, in: von Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 97, Rn. 14 ff.; Picker, JZ 1984, 153, 154 ff.; Je­ staedt, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 49, 50 f. Bemerkenswert progressiv zeigt sich auch BVerfGE 38, 175 (185), wenn es sich mit legislativer Untätigkeit hinsichtlich grundrechtlich fundierter Ansprüche konfrontiert sieht: „Es wäre angezeigt, daß der Gesetzgeber die Modalitäten dieses verfassungsrechtlichen Anspruchs regelt. Solange dies nicht geschieht, ist aber – jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art – der richterlichen Rechtsfindung keine unüberwindliche Schranke gesetzt.“ Ähnl. BVerfGE 34, 269 (286 ff.); 37, 67 (81 f.). Kritisch hingegen Haack, DVBl. 2010, 1475, 1481; Hillgruber, JZ 1996, 118 ff. 109  Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 133 ff.; Wank, Richterliche Rechtsfortbildung, S.  113 ff. 110  Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 213.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

syllogistischer Subsumtion‘ nur zu finden brauche“111 hinzugeben, gebiete es die Methodenehrlichkeit, die „erforderliche richterliche ‚Rechtsfortbildung‘ (= Normsetzung) […], als solche [offenzulegen] und nicht durch die Tarnungsnebel einer angeblich ‚objektiven‘ Methode“112 zu verschleiern. Nun sind die Ausgangsprämissen dieser Auffassung in weiten Teilen zutreffend: In der Tat ist die Annahme, das Parlament könnte „für jeden Einzelfall eine allein durch Logik, nicht auch durch ergänzende Wertung abrufbare Regelung bereithalten, […] schlechthin irreal.“113 Ebenso wenig darf der Richter den Rechtsschutzsuchenden ohne weiteres ab-, beziehungsweise vorschnell auf eine Lücke im Recht verweisen.114 Fraglich ist aber, ob auch die gezogene Konsequenz, dem Richter methodologisch weitgehend ungebundene, rechtspolitische Gestaltungsmacht an die Hand zu geben, zu überzeugen weiß.115 Angesichts der Zielsetzung dieser Arbeit ist weder nötig noch zielführend, zu untersuchen, ob überhaupt Szenarien theoretisch denkbar sind, in denen dem Richter solch umfassende Kompetenzen zukommen können. Vielmehr soll allein ermittelt werden, ob eine Umsetzung der obigen Lösungskonzepte durch die Gerichte ihrer bedarf. An der Notwendigkeit einer Kompetenzerweiterung der Gerichte über ihre inhärente Rechtsauslegungsfunktion würde es fehlen, wenn die reformierte Staatshaftung bereits im Wege der Norminterpretation in das in Anwendung stehende Recht überführt werden könnte.116 Dazu muss geklärt werden, wie weit die Auslegung von Rechtssätzen gehen kann und ob in der aktuellen Rechtsordnung hinreichende Anknüpfungspunkte für eine interpretatorische Lösung vorhanden sind. Zunächst ist ohne weiteres ersichtlich, dass keine Regelung auf einfachgesetzlicher oder Verfassungsebene besteht, die bereits in ihrer grammatikalischen oder systematischen Auslegung unmissverständlich auf ein weites Haftungskonzept deutet. 111  Sendler,

NJW 1987, 3240; Müller, Richterrecht, S. 13 ff. Richterstaat, S. 80. 113  Kirchhof, in: Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11, 27. 114  Langenbucher, Richterrecht, S. 23 f.: „Art. 19 IV und 20 III GG gewährleisten vielmehr die Entscheidung eines Rechtstreits auch dann, wenn keine unmittelbar einschlägige Norm herangezogen werden kann.“ 115  Nicht aber sollte von der gegenwärtigen Rechtsprechungspraxis auf deren Legitimität geschlossen werden. Zu Recht kritisch daher Ipsen, Richterrecht und ­ ­Verfassung, S. 44 f. So aber mit zweifelhafter Argumentation Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 157: „Die Begründung für die Einordnung von Richterrecht als Rechtsquelle erfolgt hier indirekt. So wie man die Existenz von Elektronen nicht dadurch nachweisen kann, dass man sie dem Gesprächspartner einfach zeigt, sondern indem man ihn auf deren Wirkung hinweist, so erkennt man die Rechtsquellennatur von Grundsatzentscheidungen an den Reaktionen der Gerichte und des Rechtsverkehrs hierauf.“ 116  Vgl. Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 222. 112  Rüthers,



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte321

Indes erschöpft sich die Auslegung von Normen nicht in diesen Gesichtspunkten, denn die Gerichte sollen die gesetzgeberischen Vorgaben verwirk­ lichen, ohne ihren „Konkretisierungsauftrag […] zu einer bloßen Textweitergabe oder Textverarbeitung verkümmern [zu] lassen“117 und so zum bloßen „Bote[n] der gesetzgebenden Gewalt“118 zu werden. Eine Reduktion zum „bouche qui prononce les paroles de la loi“119 würde der Stellung des Richters, dem die Verfassung erhebliches Vertrauen ausspricht, nicht gerecht werden.120 Vielmehr gleicht die im System der Wertungsjurisprudenz erforderliche Gesetzesauslegung einer „Kunst“ – stellt „freye Geistesthätigkeit“121 im Gegensatz zu einem rein mechanischen Bild des Richters als „Subsum­ tionsautomat“122 dar. So besteht die „richterliche Tätigkeit […] nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetzes nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens […] ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren.“123 In diesem gesetzesimmanent gestaltenden124 Prozess haben die Gerichte die parlamentarisch vorgegebene Wertung „verstehend nachzuvollziehen [und] zu Ende zu denken“125. Dies allein führt jedoch nicht etwa zum „freirechtsliche[n] Extrem einer völligen Bindungslosigkeit“126. Denn trotz eines notwendigen gewissen schöpferischen Anteils im Prozess der Gesetzesanwendung und -auslegung127 muss das Urteil bereits von Verfassungs wegen nachvollziehbar und kontrollierbar sein.128 117  Kirchhof,

in: Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11, 28 f. in: Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11, 29. 119  Montesquieu, De l’Esprit des Loix, S. 6. Kapitel. Einer derartigen Auslegung der aus dem ursprünglichen Kontext gehobenen Aussagen Montesqieus kritisch gegenüberstehend Breuer, Staatshaftung, S. 9 f. 120  Kirchhof, NJW 1986, 2275. 121  So bereits von Savigny, Römisches Recht, S. 207 f. 122  Küper, Richteridee, S. 49. 123  BVerfGE 34, 269 (287). 124  Prägnant Kirchhof, in: Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11, 12: „Recht-Sprechen ist Gestalten im Binnenbereich des Rechts und endet beim Überschreiten der Grenzen des Rechts.“ 125  Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 23; Kirchhof, NJW 1986, 2275, 2277 ff. 126  Breuer, Staatshaftung, S. 15. 127  Dies gibt sogar Savigny als Vertreter einer begrenzten richterlichen Kom­petenz zu, vgl. Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, S. 154 f.; Küper, Richteridee, S. 153 f.; prägnant Bülow, Gesetz und Richteramt, S. 1 f. 128  Wank, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 250; Hirsch, JR 1966, 334, 338 ff. 118  Kirchhof,

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Diesem Rationalitätsanspruch kann eine stringente Anwendung der juristischen Methodenlehre gerecht werden. Während dies für die Teilaspekte der grammatikalischen, systematischen und historischen Auslegung weitgehend akzeptiert wird, stößt die objektiv-teleologische Interpretation immer wieder auf vehemente Kritik. Wie bereits im Rahmen der Grundrechtshaftung eingehend diskutiert,129 wird vorgebracht, einen selbstständigen „Willen“ eines Gebotstextes könne es nicht geben; gesucht werde nach einem „Phantom“130. In Wahrheit ginge es nur darum, das aus dem Normtext zu deduzieren, was der Rezipient, in diesem Falle der Richter, in ihn hineingelesen hat.131 Deshalb wird von einem „Täuschungsnebel“ gesprochen, der eine vermeintliche Objektivität suggeriere und den Eindruck vermittle, eine solche Auslegung führe zur „Wahrheit“ oder Richtigkeit der Ergebnisse.132 Dabei könne es aber gerade keine Objektivität hermeneutisch gewonnener Aussagen geben.133 So entziehe sich die objektiv-teleologische Methode in unlauterer Weise der Falsifikation und sei damit unwissenschaftlich.134 Zutreffend scheinen diese Einwände allein in dem Punkt, dass eine absolute Wahrheit oder Richtigkeit der Auslegungsergebnisse nicht existieren kann und demnach die Bezeichnung als „objektive“ Interpretation Missverständnisse hervorrufen kann.135 Abgesehen von diesem terminologischen Vorwurf überzeugen sie nicht.136 Vielmehr bildet die teleologische Auslegung eine notwendige Ergänzung, wo die Kriterien des Wortlauts, der Systematik und der Historie der Norm keine abschließenden Aussagen zulassen.137 Denn das Gesamtziel der Auslegung muss der heute rechtlich maßgebliche, also normative Sinn des Gesetzes sein.138 Maßgeblich legitimiert wird sie durch 129  Ausführlich zur Diskussion um die teleologische Auslegung Dritter Teil: § 4 A.III.1.b), S.  199 ff. 130  Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 484. 131  Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 484. 132  Vgl. die Kritik von Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 489 insbesondere an den Ausführungen von Larenz, Richtiges Recht, passim. 133  Albert, Traktat über kritische Vernunft, S. 35 ff. 134  Rüthers, Richterstaat, S. 80, 91. 135  Vgl. auch Zippelius, Methodenlehre, S. 67; Wank, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 250. 136  Insofern sei an dieser Stelle auf die Gegenkritik verwiesen Dritter Teil: § 4 A.III.1.b), S.  199 ff. 137  Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 154. Überzogen wirkt an dieser Stelle die Kritik von Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 491, über das Bestehen eines Zweifels an Wortlaut, Systematik und Entscheidungsgeschichte entscheide der Interpret, weshalb es letztlich doch allein auf dessen Vorstellung herausliefe. Denn es gibt schlicht keine andere Instanz, die solche Zweifel feststellen könnte, sodass – folgte man Rüthers’ Argument – deren Bestehen vollständig unberücksichtigt gelassen werden müsste.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte323

die Tatsache, dass eine Begrenzung des Richters auf rein logische, zwingende Schlüsse aus dem Wortlaut, diesen in seiner im Gewaltenteilungsgefüge zugedachten Rolle hindern würde. Denn eine „weiterdenkende Gesetzes­ interpretation“139 wäre kaum denkbar, wenn er nicht nach dem Normzweck, also nach dem Ziel der Vorschrift,140 forschen könnte. Mag ein gewisser wertender Anteil auch unvermeidbar sein,141 entscheidet der Richter nicht nach subjektiven Gesichtspunkten – vielmehr hat er sich weitestmöglich nach den politischen Wertentscheidungen des Normgebers auszurichten.142 Denn das „Demokratieprinzip und das Funktionsgefüge des Grundgesetzes nähmen nachhaltig Schaden, könnte sich die Rechtsprechung immer dann über die eindeutige gesetzgeberische Entscheidung hinwegsetzen, wenn sie die Konsequenzen einer solchen Entscheidung als ‚unzweckmäßig‘ an­ sieht“143. Bei jeglicher Interpretation bleibt daher der Anspruch an die Rechtsprechung, ein „neutrales Verfahren“144 zu bieten, ohne die Rolle des Gesetzgebers zu usurpieren und ihre eigenen rechtspolitischen Erwägungen zu verwirklichen.145 Hierdurch kann klar dem Vorwurf entgegengetreten werden, durch die teleologische Auslegung erlangten gleichsam rein politische Argumente ausschlaggebende Bedeutung, weswegen der Unterschied zu einer tatsächlichen rechtspolitischen Gestaltungsmacht ein rein formaler sei. Der Richter fragt eben nicht, welcher Fallausgang ihm unter Heranziehung rechtlicher und außerrechtlicher Argumente am angemessensten scheint und passt das Recht nötigenfalls entsprechend an.146 Stattdessen sucht er die Fall­ lösung, die sich am besten in die geltende Rechtsordnung einfügt. Dass die 138  Larenz / Canaris,

Methodenlehre, S. 139. in: Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11, 18. 140  Rüthers, Richterstaat, S.75. 141  Breuer, Staatshaftung, S. 7 ff. 142  Schuppert, Verfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 146; Poscher, in: Erbguth /  Masing (Hrsg.), Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, S. 127, 134 f. Vgl. BVerfG, NVwZ 2010, 373 (375); BVerfGE 108, 150 (159); Bumke, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 30, 41; Picker, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 85, 89; Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 188. 143  BVerfG, NJW 2009, 1469 (1477). 144  Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 94. 145  Wank, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 216 ff., 223 ff.; Boujong, in: FS für W. Geiger, S. 430, 437; Classen, JZ 2003, 693, 698 ff.; Poscher, in: Erbguth / Masing (Hrsg.), Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, S. 127, 144; vgl. auch Hillgruber, JZ 1996, 118, 120 und BVerfGE 65, 182 (193 ff.); 69, 315 (372). 146  Langenbucher, Richterrecht, S. 27. Prägnant auch MacCormick, Legal reason­ ing and legal theory, S. 107: „There are limits to the ambit of legitimate judicial ac­ tivity: judges are to do justice according to law, not to legislate for what seems to them an ideally just form of society.“ 139  Kirchhof,

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Rechtsprechung nahezu durchgehend politische Wirkung entfaltet, ist klar davon zu unterscheiden, dass durch sie politische Entscheidungen getroffen werden können.147 Es scheint aber kaum eingängig, dem Richter aus dieser Zwickmühle ausgerechnet durch die Zusprechung rechtspolitischer Gestaltungskompetenzen abhelfen zu wollen.148 Vielmehr ist ihr mit einer sauberen Methodik und insbesondere im Rahmen der teleologischen Auslegung mit einer klaren Definierung und rationalen Begründung des Gesetzeszwecks zu begegnen.149 So dürfen die entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte nicht etwa wahllos und pragmatisch je nach gewünschtem Ausgang eingebracht werden, sondern nur generalisierbarer Form.150 Führt eine sorgsame Auslegung des kodifizierten Materials aber weiter, darf daher nicht leichthändig auf die „Gerechtigkeitsfunktion des Rechts“151 oder ähnliche Prinzipien zur Begründung einer als richtig empfundenen Lösung zurückgegriffen werden.152 Trotz einer gewissen schöpferischen Leistung jeder Interpretation hat daher die teleologische Auslegung mit einem „Freiballon […], der aufgelassen, jedem Bestimmungswunsch entrückt, dem Winde folgt“153 wenig gemein. Eine solche Entrücktheit droht aber gerade, wenn man mit der die teleologische Auslegung ablehnenden Auffassung den Gerichten die „Fesseln“ der Methodenlehre ablegt und aus Gründen der Methodenehrlichkeit eine rechtspolitische Gestaltung verlangt.154 Auch wenn wegen der Zielsetzung dieser Arbeit an dieser Stelle nicht geklärt werden kann, ob eine rechtsungebundene Schöpfung durch Richter in anderen Konstellationen theoretisch denkbar ist, beansprucht eine 147  Fromme, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Richterstaat, S. 98, 102 ff. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 197; vgl. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 210 ff.; kritisch auch Schmitt, Verfassungslehre, S. 118. 148  Vgl. Langenbucher, Richterrecht, S. 27; Lerche, NJW 1987, 2465, 2471. 149  Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 15. So bannt gerade die Beibehaltung der Methodenlehre auch weitgehend die Gefahr einer „juristisch unkontrollierten Auslieferung der Verfassung an den Richter.“ 150  Müller, Einige Leitsätze zur juristischen Methodik, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 248, 255. 151  Zippelius, Methodenlehre, S. 68. 152  Zu den Besonderheiten der Verfassungsinterpretation im Vergleich mit der Gesetzesauslegung Larenz / Canaris, Methodenlehre, S.  184  f.; Dreier, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 14. Sehr restriktiv Forsthoff, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 51, 53 f., nach dem die Verfassungsinterpretation statischen Charakter habe, der einen Rekurs auf die Werte- oder Zweckermittlung verbiete. Sehr weitgehend hingegen Häberle, VVDStRL 1963, 293, 298 ff. 153  Heck, AcP 1914, 1, 62. 154  Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, S. 496 ff.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte325

teleologische Auslegung der bestehenden Normen jedenfalls Vorrang vor dem Rekurs auf rechtspolitische Gestaltung durch die Gerichte.155 Im Ergebnis hat daher der Richter seine Entscheidungen zunächst auf den bestehenden Rechtssätzen zu basieren – in Abwesenheit einschlägiger parlamentarischer Normen auf dem Grundgesetz selbst.156 Nun mag die Herausarbeitung einer weitreichenden Reform und eines daraus resultierenden geschlossenen Systems nicht die primäre Aufgabe des auf Ergebnisgerechtigkeit im Einzelfall fokussierten Richters sein.157 Obwohl er aber nie zum Ersatzgesetzgeber avancieren kann,158 bleibt eine genaue Normauslegung allerdings seine essentielle Pflicht. Innerhalb der grundgesetzlich determinierten Kompetenzordnung erfüllt damit die auf der juristischen Methodenlehre fußende richterliche Gesetzesauslegung und aus ihr folgende Rechtsfortbildung eine sinnvolle und notwendige (Ergänzungs-)Funktion. Gleichsam sind in diesem Prozess die demokratie- und gewaltenteilungsrechtlichen Aspekte gebührlich in Ansatz zu bringen – insbesondere ist zu beachten, dass dem Gesetzgeber immer im Rahmen der Verfassungsvorgaben sein Zugriffs- und Korrekturrecht verbleibt.159

155  Vgl. zu den Vorbehalten weiter Langenbucher, Richterrecht, S. 24. Zur notwendigen Nachvollziehbarkeit und kontrollierbaren Methodik im Richterrecht Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 239; Müller, in: Dreier / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 248, 263. Sowie zur Kollision mit dem Demokratieprinzip und der richterlichen Unabhängigkeit Hopt, Dritte Gewalt als politischer Faktor, S.  207 ff.; Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 428; Langenbucher, Richterrecht, S.  29 f. m. w. N. Grundlegend Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 171 ff.; Hermes, VVDStRL 2001, 119, 136 ff.; Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 7 ff., 20 ff.; vgl. Jestaedt, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 49, 50 m. w. N. Insbesondere wäre es verfehlt anzunehmen, das Parlament billige jede richterliche Rechtsfortbildung durch bloßes Untätigbleiben – andernfalls hätten es die Richter in der Hand, die Legislative zum Handeln zu zwingen, vgl. dazu BVerfGE 78, 20 (25); BVerfG, NJW 2009, 1469, 1477. 156  Langenbucher, Richterrecht, S. 24. Vgl. auch BVerfGE 34, 269 (284 ff.). Kritisch Schmitt, in: Anschütz / Thoma (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, S. 576, 598 ff.; abwägend Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 122. 157  Ossenbühl, DVBl. 1994, 977, 983; vgl. ausführlich zum Gesetzgebungsverfahren und seinen Besonderheiten Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 138 ff. 158  Lerche, NJW 1987, 2465, 2471. Mögen die Handlungsspielräume des Richters bei legislativer Untätigkeit auch wachsen (Langenbucher, Richterrecht, S. 26; vgl. auch BGHZ 11, Anhang, S. 50 ff.), wirkt diese nicht kompetenzbegründend (So aber wohl Raiser, ZRP 1985, 111, 116; kritisch Rüthers, NJW 2011, 434, 436). 159  Dazu im Bereich des Staatshaftungsrechts Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 358; vgl. auch Bumke, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 30, 34 f. m. w. N.; Picker, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 85, 102 f.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

B. Die spezifischen Voraussetzungen des Richterrechts im Bereich der Staatshaftung Versteht man die richterliche Rechtsfortbildung im Sinne einer methodisch sauberen Gesetzes- und Verfassungsinterpretation, bedarf es in einem weiteren Schritt der Erläuterung, ob sich dem geschriebenen Recht die für eine richterlich umgesetzte Neugestaltung der staatlichen Einstandspflichten maßgeblichen Gesichtspunkte entnehmen lassen und welchen spezifischen Begrenzungen die Weiterentwicklung des Staatshaftungsrechts möglicherweise darüber hi­naus unterliegt. I. Das Bestehen einer ausfüllungsbedürftigen Lücke Nun erlaubt nicht jede gesetzgeberische Untätigkeit den Rückschluss auf die Notwendigkeit einer umfassenden richterlichen Rechtsfortbildung.160 Diese ist vom Bestehen einer „Lücke im Recht“ abhängig.161 Bemerkenswerterweise wird gerade diese Anforderung in der Erweiterungsdebatte wie dargestellt recht leichtfertig bejaht. Dass sich aber „oft tagespolitisch bestimmte Wunschvorstellungen der Gesellschaft kraft Richterspruch unversehens in geltendes Recht verwandeln“162, muss wie besehen bereits aus elementaren demokratischen Erwägungen abgelehnt werden. Wendet man keinen objektivierten Maßstab einer Lückenlosigkeit an, sondern versucht, diese allein aus „rechtspolitischem Unbehagen“163 zu begründen, droht die rechtspolitische Auffassung der Richter eben jenen erheblichen Einfluss zu erhalten, den es nach der Gewaltenteilung dringend zu vermeiden gilt.164 Gesucht werden muss daher nach Maßstäben, die über das bloße Billigkeitsempfinden hinausgehen. Keinesfalls darf mangelnde Geduld zu frei hergeleiteten, „wurzellosen“ Rechtsschöpfungen führen, die den Anforderungen an eine geschlossene Systematik nicht genügen können und in der Vergangenheit zur zerrütteten Natur des Staatshaftungsrechts maßgeblich beigetragen haben.165 160  Hierbei gilt zu beachten, dass sich alle oben dargestellten Konzepte als gesetzesvertretendes oder -ergänzendes Richterrecht qualifizieren lassen und damit nicht der höchst problematischen Kategorie gesetzesverdrängenden Richterrechts unterfallen. Dieser Charakter wird durch etwaige faktische Konkurrenzwirkungen zu bestehenden Instituten nicht aufgehoben. 161  Vgl. nur Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 187  ff.; BVerfGE 82, 6 (12 f.); Volkmann, AöR 2009, 157, 193; Picker, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 85, 98 f. 162  Rüthers, NJW 2011, 434, 435; vgl. auch Haack, DVBl. 2010, 1475, 1480. 163  Jestaedt, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 49, 61. 164  Sendler, DVBl. 1988, 828, 834; pointiert auch Kudlich / Christensen, JZ 2009, 943 ff.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte327

Einmal mehr erweist sich auch im Prozess der Lückenfeststellung das Verständnis von Richterrecht im Sinne der Rechtauslegung als zielführend. Denn steht fest, dass einem Rekurs auf eine potentielle zweifelhafte Erweiterung der richterlichen Kompetenzen die genaue Interpretation der geltenden Rechtsordnung unter Anwendung der auch teleologische Aspekte einschließenden Methodenlehre vorgeht, wirkt sich dies auf den Begriff der zur Voraussetzung einer richterlichen Rechtsfortbildung erhobenen „Lücke im ­ Recht“ aus.166 So kann der Terminus der „Lücke“ nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die kodifizierte Rechtsordnung für das Problem überhaupt keine Lösung bereithält.167 Denn bestünde eine tatsächliche Gesetzeslücke nicht nur auf einfachrechtlicher Ebene, sondern ebenfalls auf Verfassungsebene, wäre eine Auslegung mangels Ausgangsnorm bereits im Vorfeld präkludiert. Aus dem Fehlen eines formellen Gesetzes allein – wie dies im Bereich der Staatshaftung für einen allgemeinen kompensatorischen Anspruch der Fall ist – kann aber nicht darauf geschlossen werden, dass dieser Komplex tatsächlich ungeregelt wäre.168 Vielmehr sind allgemeinere, höherrangige Normen zu untersuchen und auszulegen.169 Den wertvollsten Anhaltspunkt dafür bildet das Verfassungsrecht, in dessen knapper und allgemeiner Natur es begründet liegt, dass die „Rechtssätze das Gemeinte oft nur andeuten“170 und deshalb in besonderer Weise einer Interpretation bedürfen. Denn mehr als alles andere soll richterliche Rechtsfortbildung zum Schutz stark präformierter, verfassungsrechtlicher Positionen dienen.171 Je verläss­ licher sich dabei die richterrechtlichen Auslegungserkenntnisse gewinnen lassen, desto geringer fallen die Vorbehalte gegen sie aus.172 165  Vgl. Bumke, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 30, 41; Picker, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 85, 110 f. 166  Siehe nur Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 187 ff.; BVerfGE 82, 6 (12 f.). 167  Dworkin, Taking rights seriously, S. 279. Langenbucher, Richterrecht, S. 32. Es sei also nicht so sehr das Gesetz lückenhaft, sondern die bisherige Kenntnis desselben. So Zitelmann, Lücken im Recht, S. 25. Vgl. auch Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 221: „Wenn aber den Gerichten in so gut wie allen Fällen eine gemäß der Rechtsordnung begründete Entscheidung möglich ist, ist dann das Gesetz überhaupt noch ‚lückenhaft‘?“ 168  Vgl. Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 191 f. 169  Vgl. Langenbucher, Richterrecht, S. 24. 170  Kirchhof, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 71, 78; Schneider, VVDStRL 1985, 7, 36. 171  Vgl. BVerfGE 34, 269 (284 ff.); 122, 148 (286); Bumke, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 30, 40 m. w. N. Dabei kann die Auslegung des Gesetzes, insbesondere der Verfassung zuweilen über den historisch zu bestimmenden Willen des damaligen Parlaments hinausgehen: „Das Gesetz kann eben klüger sein als die Väter des Gesetzes.“ BVerfGE 36, 342 (362); kritisch dazu Rüthers, JZ 2008, 446, 449. 172  BVerfGE 34, 269 (284  ff.); 122, 148 (286); Bumke, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, S. 30, 34; Schlehofer, in: FS U. König, S. 393, 394 m.N.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Eine so verstandene „Lücke“ liegt damit in der Diskrepanz begründet, die sich durch einen Vergleich der Verfassungsvorgaben mit der einfachgesetz­ lichen Ebene auftut.173 Es geht also nicht um die Frage, ob das gegenwärtige einfache Recht „einer rechtspolitischen Kritik nicht standhält“174, sondern vielmehr, ob es nach systemimmanenten Maßstäben unvollständig ist.175 Genauer Untersuchung bedarf mithin, woraus sich die rechtspolitischen Wunschvorstellungen nach einer umfassenden und verschuldensunabhängigen Staatshaftung konkret ergeben. Sind sie nur abstrakten Gerechtigkeitsvorstellungen geschuldet, ließen sich aus ihnen keine belastbaren rechtlichen Wirkungen deduzieren. Folgen sie sich jedoch aus einer genauen Auslegung der Verfassung, so kann und muss der Richter ihnen Geltung verschaffen. 1. Einflüsse des Staatshaftungsgesetzes von 1981 Vorab ist zu in Erinnerung zu rufen, dass eine unmittelbare, verschuldens­ unabhängige Staatshaftung nicht negativ präjudiziert wurde.176 Insbesondere kann gegen das Konzept nicht die kompetenzrechtliche Nichtigkeitserklärung des StHG 1981 in Stellung gebracht werden, durch die die „Ausweitung des Rechts der Entschädigung […] verfassungsgesetzlich nicht blockiert“ wurde.177 Ebenso ist auf der anderen Seite kaum angängig, eine „ausfüllungsbedürftige Lücke […] bereits aus dem in Form des Staatshaftungsgesetzes 1981 hinreichend konkretisierten Willen des Gesetzgebers“178 ableiten zu wollen.179 Eine derartige Funktionalisierung eines nichtigen Gesetzes sieht sich bereits fundamentalen Einwänden ausgesetzt: Zunächst ist festzustellen, dass ein Staatshaftungsgesetz seit dem Scheitern der Reform nicht erlassen wurde, sich der gesetzgeberische Wille also gerade nicht aktualisiert hat. Daraus könnte man im Sinne eines E-contrario-Schlusses ebenso folgern, dass eine Lücke offenbar nicht mehr besteht. Kann man aber aus einer Tatsache – dem Erlass des nichtigen StHG 1981 – zwei konträre Schlüsse ziehen, so scheint überzeugender, das bloße (Nicht-)Vorliegen eines ehemaligen legislativen 173  Vgl.

BVerfGE 34, 269 (287). Methodenlehre, S. 195. 175  Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 353, 194. So auch auf S. 191: „Der Begriff der Gesetzeslücke […] bezeichnet damit […] die Grenze einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung, die sich an die Regelungsabsicht, den Plan und die immanente Teleologie des Gesetzes gebunden hält.“ 176  Siehe Dritter Teil: § 4 C.II., S. 241 ff. 177  BVerfGE 61, 149 (199). 178  So aber Röder, Haftungsfunktion, S. 63. 179  Zutreffend ist, dass das StHG 1981 weder ein Verschulden forderte, noch eine Beschränkung auf bestimmte Grundrechte vorsah und deshalb seine rechtspolitische Vorbildfunktion behält, vgl. Schenke, NJW 1991, 1777, 1785. 174  Larenz / Canaris,



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte329

Willens bei der Begründung einer Rechtslücke außer Acht zu lassen, da dieser von eben jenen rechtspolitischen Erwägungen gezeichnet ist, auf welche die Judikative nicht zurückgreifen darf.180 Gleiches kann jedoch nicht für die dem gesetzgeberischen Willen zugrundeliegenden und teilweise auch explizit angesprochenen verfassungsrecht­ lichen Erwägungen angenommen werden, die beispielhaft in der amtlichen Begründung zu § 2 Abs. 2 StHG 1981 zu Tage treten: „Rechtfertigung für die Risikoabwälzung auf den Staat ist, daß die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit dafür sprechen […]. Diese Wertung folgt aus dem Verständnis der Grundrechte und ihres Ranges im Verfassungsgefüge.“181

Demnach bildeten die Hauptmotivatoren der damaligen Abgeordneten eine Kombination aus rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Erwägungen. Hinsichtlich des Rechtsstaatsprinzips gilt indes das bereits Gesagte: aufgrund seiner Natur als lex imperfecta ist es zur Anspruchsbegründung ungeeignet. Ähnliches gilt für den Versuch einer Herleitung der Lücke aus dem vom BVerfG entwickelten Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG.182 In ihrer Tendenz „stützen“ diese Normen zwar eine Ausweitung der Staatshaftung, da ein voller Unrechtsausgleich und funktionaler Sekundärrechtsschutz ihrem Idealbild mehr entsprechen als die gegenwärtige Lage. Aufgrund ihrer Unbestimmtheit und Allgemeinheit können aus ihnen in Bezug auf eine eventuelle Lücke jedoch keine weiteren Aussagen abgeleitet werden. 2. Die Aussagekraft von Art. 34 GG Klärung bedarf deshalb weiterhin, was der Norm des Grundgesetzes mit dem augenscheinlich größten unmittelbaren Haftungsbezug – Art. 34 GG – im Hinblick auf eine eventuelle Lücke entnommen werden kann.183 So wird vorgebacht, die „grundgesetzlich verankerte Mutternorm aller Staatshaf­ 180  Vgl. insoweit BVerfG, NJW 2009, 1469 (1477): „Soweit der Gesetzgeber nach Erlass der Norm untätig geblieben ist, lässt sich aus diesem Umstand weder ohne Weiteres darauf schließen, er akzeptiere eine bestimmte bzw. die gerade aktuelle Normanwendungspraxis […], noch kann gar daraus gefolgert werden, er habe unter Verzicht auf sein Gestaltungsprimat […] eine Lösung des Sachproblems der Rechtsprechung überantwortet. Dem Gesetzgeber obliegt im Hinblick auf die Geltung einer Norm keine Pflicht, sein diesbezügliches Regelungsanliegen in bestimmten Zeitabständen aufs Neue zu bestätigen.“ 181  BT-Drs. 8 / 2079, S. 40. 182  Vgl. aber Schoch, DV 2001, 261, 288. 183  Ausführlich zum breit gefächerten Meinungsbild Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 352.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

tungsansprüche“184 begründe eine umfassende Staatsunrechtshaftung selbst185 und sei nicht etwa an § 839 BGB „angeseilt“186, sondern müsse vielmehr aus dessen „Fesseln“ befreit werden.187 Indes geben Wortlaut und Systematik deutliche Hinweise auf die Rechtsnatur von Art.  34 GG als Haftungsüberleitung, nicht aber Haftungsgrundlage,188 was dessen Aussagekraft im Hinblick auf eine aus der Verfassung zu deduzierende Rechtsschutzlücke erheblich schmälert: Wie bereits erläutert kann zwar Art. 34 GG bereits wegen seiner Rechtsnatur normlogisch nicht gegen eine verfassungsrechtliche Ableitung der Staatshaftung in Stellung gebracht werden.189 Denn es ist schlicht kein Schluss dahingehend möglich, dass das Grundgesetz nicht an anderer Stelle Vorgaben für eine unmittelbare Staatshaftung bereitstellt.190 Aus denselben Gründen lässt sich aber aus der Norm auch eine Lücke nicht belastbar begründen. Ähnlich dem Rechtsstaatsprinzip oder der Rechtsschutzgarantie gliedert sich Art. 34 GG damit in die „rechtsstaatliche Gesamtkonzeption“ der Verfassung ein und streitet tendenziell zwar für eine weitergehende Haftung des Staates,191 ohne diese jedoch für sich genommen ausreichend legitimieren zu können.192

184  Seltenreich, Francovich-Rechtsprechung, S. 245; vgl. auch Rupp, NJW 1982, 1731, 1733; Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 23, 59. 185  Vgl. Oldiges, Der Staat 1976, 381, 387; Ruland, BayVBl. 1976, 581 m. w. N.; Maurer, VerwR, § 25 Rn. 5.; auch Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, s. Einl. §§ 1–13, Rn. 12. 186  Jellinek, JZ 1955, 147, 149. 187  Morlok, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 59; ähnl. bereits Jellinek, JZ 1955, 147, 149. Vgl. Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 53; Stern, Staatsrecht IV / 2, S. 2030. 188  Dazu nur Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 78; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 33; Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 53 f. jew. m. w. N. 189  Siehe Dritter Teil: § 4 C.II, S. 241 ff. 190  Vgl. bereits Spiegel, Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 186; so auch Hermes, DV 1998, 371, 386; Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 110 f.; Hösch, DÖV 1999, 192, 197. 191  Maurer, in: FS für G. Dürig, S. 293, 316. Ähnl. auch Meyer, Soziales Entschädigungsrecht, S. 127: Art. 34 GG grenze – sofern im Sinne eines Umkehrschlusses verstanden – gar an „verfassungswidriges Verfassungsrecht“; abwägender beispielsweise Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 355: Es sei „festzuhalten, dass Art. 34 GG die Fortentwicklung des öffentlichen Haftungsrechts weder nennenswert beschränkt noch sonderlich stützt.“ 192  Vgl. Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 179 f.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte331

3. Die Grundrechte als verfassungsrechtliche Garantie Als abschließend auf Vorgaben zu untersuchende verfassungsrechtliche Quelle kommen somit die Grundrechte in Betracht. Obschon Art. 34 GG zuweilen auch grundrechtliche Züge zugeschrieben werden, ist der Differenzierungsgrad der Freiheitsrechte ungleich höher.193 Denn anders als die verfassungsrechtliche Haftungsüberleitung sind die Grundrechte nicht inhaltlich wertneutral,194 sodass sie belastbare Schlüsse auf eine Lücke im Haftungssystem erlauben.195 Wie dargelegt kann ihnen durch sorgsame Auslegung des Normprogramms eine kompensatorische Komponente entnommen werden,196 die sich nicht im derzeit angewendeten Recht wiederfindet. Die Grundrechte dienen daher als verfassungsrechtliche Begründung der Schutzlücke im geltenden Staatshaftungsrecht.197 Bei der Fortentwicklung des Rechts ist der Richter somit nicht auf der Zeit und dem Meinungsbild unterworfene rechtspolitische Wertungen angewiesen – vielmehr bilden die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Grundrechte zugleich Möglichkeit und Anlass einer Rechtsfortbildung.198 Da auch die Gerichte nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sind, müssen sie deren Gewährleistungsgehalt Rechnung tragen – gerade wenn der Gesetzgeber diesen vernachlässigt.199 193  Redeker,

DÖV 1987, 194, 199; Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 341. Haftungsfunktion, S. 182. 195  Vgl. auch Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, S. 183. 196  Siehe oben Dritter Teil: § 4 A.III.2., S. 209 ff. 197  Eher restriktiv hingegen BVerfGE 61, 149 (198): „Inhalt der Grundrechtsgewährleistung [sei] keineswegs, daß der Staat für alle auf rechtswidrigen Grundrechtseingriffen beruhenden vermögenswirksamen Nachteile haften müsse.“ 198  Kritisch aber Rinne, DVBl. 1993, 869, 871; Haack, DVBl. 2010, 1475, 1481; a. A. Schoch, DV 2001, 261, 287; Schenke, NJW 1991, 1777, 1785, der aber das Bedürfnis wohl eher aus der Bedeutung des Gleichheitssatzes herleiten will. 199  So bereits zu Art. 14 GG Sass, Entschädigungserfordernis, S. 212  ff.; allgemeiner Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 409 ff.; Röder, Haftungsfunktion, S. 64. Angesichts der ausführlich erläuterten legislativen Kompetenzproblematik mag die Frage aufgeworfen werden, inwiefern auch Richterrecht sich den Ländern oder dem Bund zuordnen lässt und damit möglicherweise die föderale Zuständigkeitsverteilung wahren muss. Nun scheint naheliegend, eine ausschließliche Bundes- oder Landeskompetenz allein dann anzunehmen, wenn der Rechtsweg sich vollständig auf eine der beiden Körperschaften beschränkt. Ein anderer Ansatz will das Richterrecht nur dann dem Bundesrecht zuordnen, wenn es sich zwingend aus der Verfassung ergibt; andernfalls sei es Teil des Landesrechts (Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 169). Da es allerdings aufgrund der dynamischen Entstehung von Richterrecht schwierig sein dürfte, eine klare Zuordnung eines Rechtssatzes zur Verbandszugehörigkeit des „Rechtsschöpfers“ wie bei Legislativakten vorzunehmen, erscheint es kaum möglich und damit zu weitgehend, auch im richterrechtlichen Prozess eine föderale Kompetenzordnung zu fordern (in diese Richtung aber wohl Hart194  Röder,

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

II. Grenzen einer richterlichen Fortbildung des Staatshaftungsrechts Ergibt sich die durch Auslegung zu schließende „Lücke“ aus der erarbeiteten Diskrepanz zwischen den grundgesetzlichen Vorgaben und der einfachrechtlichen Ausgestaltung, sollen im Folgenden die Gegenargumente beleuchtet werden, die selbst in Anbetracht der defizitären gegenwärtigen Rechtslage strukturell gegen eine interpretatorische richterliche Reformierung der Staatshaftung vorgebracht werden. 1. Geltendes Gewohnheitsrecht als Limitierung – die praktische Anschlussfähigkeit als legitimitätsstiftender Maßstab? Bemerkenswerterweise wird basierend auf zwei Grundüberlegungen gerade das gewachsene richterliche Gewohnheitsrecht selbst als Grenze für eine Fortentwicklung instrumentalisiert: Zum einen liege die Beschränkung auf Anerkanntes und Hergebrachtes im Wesen des Gewohnheitsrechts,200 welches durch eine ständige Überformung seinen Charakter verlöre.201 Zum anderen aber bilde die praktische Anschlussfähigkeit der Rechtsentwicklung an bestehende (richterliche) Institute einen legitimitätsstiftenden Aspekt – daher müsse eine Weiterentwicklung einer vollständigen „Neuschöpfung“ vorgezogen werden.202 Selbst wenn also eine Reformierung des Staatshaftungsrechts durch richterliche Impulse nicht gänzlich ausgeschlossen sei, dürfe eine Erweiterung aufgrund der Einzelfallorientierung nur kleinschrittig erfol-

mann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 374 ff.). Insbesondere, da sich das Richterrecht zutreffender Weise allein aus einer Interpretation bestehender (verfassungsrechtlicher) Normen ergibt, drohen vorliegend aber auch keine Kompetenz­usurpationen. Damit sehen sich die (Bundes-)Gerichte nicht denselben Schwierigkeiten ausgesetzt wie der Bundesgesetzgeber. Dieses Ergebnis mag verwundern, da die Richter durch Auslegung erreichen könnten, was dem Bundesgesetzgeber zumindest nach strenger Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG verwehrt bleibt. 200  Haack, DVBl. 2010, 1475, 1481. 201  Mit Blick auf die Erweiterung des enteignungsgleichen Eingriffs auf die Berufsfreiheit beispielsweise BGHZ 111, 349 (355 ff.); BGH, NJW 1994, 1468; NJW 1994, 2229 f.; BVerfG, NVwZ 1998, 271 f. 202  Vgl. Volkmann, AöR 2009, 157, 189; Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 9, 50; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 337: „[…] die praktische Anschlussfähigkeit [sei] in einer eher anwendungsbezogenen Disziplin wie der Rechtswissenschaft nicht ohne dogmatische Bedeutung“. Ähnl. auch Kümper, Risikoverteilung, S. 21 in Anschluss an Löwer, Staatshaftung, S. 66 ff.: „Ein Bezug zur gerichtlichen Entscheidungspraxis [sei] jedoch bereits für die Anschlussfähigkeit und Realisierbarkeit dogmatischer Fortentwicklungen unerlässlich“. Für ein zögerliches Vorgehen auch Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 240.



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gen. Denn richterliche Rechtsfortbildung sei „keine Designerarbeit“203 – die „Reorganisation und Rekonstruktion“ der staatlichen Einstandspflichten „nur möglich als sukzessive Anspruchsintegration“204. Eine grundlegende Neukonzeptionalisierung verstoße daher gegen die gewohnheitsrechtliche Natur und würde auch die Frage nach der gerichtlichen Kompetenz wesentlich schärfer aufwerfen als sachlich beschränkte Teilreformen.205 Da angesichts der weiten richterrechtlich geprägten Institute im Bereich der Staatshaftung das „relevante Quantum an Rechtsschöpfung“ bereits stattgefunden habe, bringe allein eine Erweiterung bereits anerkannter Instrumente nicht „das Fass des kompetenziell Zulässigen […] zum Überlaufen“206. Nun können die naheliegenden Vorteile einer solchen anschlussfähigen „kleinen Lösung“ kaum in Abrede gestellt werden: Ihr wohnt ein gewisser Pragmatismus inne – denn in der Tat scheint die Hemmschwelle für eine Fortentwicklung des Rechts niedriger, solange man diese an derzeit anerkannte Rechtsfiguren anlehnen kann. Insbesondere angesichts der andauernden Verweigerungshaltung des BGH207 könnte derzeit ein kleinschrittiges Vorgehen zumindest größere Aussichten auf Erfolg bergen. Eine derartige Herangehensweise zeugt indes nicht nur von einer zweifelhaften Auffassung von Richterrecht, sie liefert darüber hinaus auch keine Begründung, warum ausgerechnet eine vermutete höhere Umsetzungswahrscheinlichkeit entscheidend legitimitätsstiftend wirken sollte.208 Zwar mag es eine „Vielfalt legitimitätssichernder Faktoren und Richtigkeitsmaßstäbe [geben], zu denen neben der klassischen Legalität als Einhaltung der normativen Vorgaben auch Akzeptanz und Akzeptabilität, Problemangemessenheit und Zukunftstauglichkeit sowie eine hinreichende Anschlussfähigkeit an die realen Gegebenheiten gehören“209. Daraus folgt aber nicht, das Richterrecht wäre eine irgendwie geartete Sonderrechtsform, die speziellen Regeln unterliegt. Vielmehr betreiben die Gerichte Normauslegung und darauf basierende Rechtsentwicklung.

203  Höfling,

VVDStRL 2002, 260, 281. VVDStRL 2002, 260, 282; Detterbeck / Windthorst / Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 380 ff.; in diese Richtung auch Morlok, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 52, Rn. 2. 205  Insofern instruktiv der ehemalige Vorsitzende des III. Zivilsenats des BGH Nüßgens, in: FS für W. Geiger, S. 456, 459 f. 206  Röder, Haftungsfunktion, S. 61. 207  Schoch, in: FS für H. Maurer, S. 759, 775. 208  Deshalb sei an dieser Stelle erneut vor einem „Gerichtspositivismus“ gewarnt, der nur aus der Tatsache richterlicher Entscheidungen auf deren dogmatischen Richtigkeit schließt. Vgl. dazu Schlink, Der Staat 1989, 161, 163. 209  Volkmann, AöR 2009, 157, 189; Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 9, 47 ff. 204  Höfling,

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

So wenig den Richtern dabei eine „Freiheit der Methodenwahl“210 zukommt, so wenig sind sie gleichsam besonderen Restriktionen hinsichtlich einer Anbindung an bisherige richterliche Institute unterworfen – Prüfungsmaßstab bleibt allein die stringente Interpretation des geltenden Rechts. Daher verfangen die obigen Einwände im Ergebnis nicht: Weder kann das Gewohnheitsrecht mit seiner naturgemäß immanenten besonderen Wandlungs- und Adaptionsfähigkeit eine richterliche Neuinterpretation hindern, noch ist der Anschluss an veraltete, nicht aufeinander abgestimmte Konstruktionen211 notwendig, um Legitimität zu erlangen. Sofern sich im Rahmen einer Neuentwicklung Friktionen mit den gegenwärtigen Rechtsinstituten ergeben, können diese nicht allein durch ihre Althergebrachtheit Geltungs­ vorrang beanspruchen – entscheidend bleiben muss allein eine saubere Verfassungsauslegung. Die erzwungene Anbindung an geltende Mechanismen scheint umso fragwürdiger, als das bestehende Gewohnheitsrecht im Bereich der Staatshaftung kaum durch seine Stringenz oder Begründung, sondern weitgehend nur durch seine Geltungsdauer zu überzeugen versucht.212 Geradezu kontraintuitiv wirkt daher die Forderung, die Rechtsfortbildung müsse „rechtskulturell eingebunden in das gewachsene Chaos“213 werden.214 Dementsprechend sehen selbst Kritiker, die rechtstechnisch eine schrittweise Entwicklung für notwendig halten, klare Vorteile, wenn es gelänge, „die Begründung auf eine allgemeine Grundlinie zurückzuführen und so die Grenzziehung zwischen den verschiedenen Fallgruppen materiell zu begründen.“215 Eine solche „große Lösung“ ist nicht gehindert, wenn man als höchsten Maßstab der gerichtlichen Rechtsfortbildung nicht die Ver­einbar­ keit mit hergebrachtem Gewohnheitsrecht, sondern richtigerweise die verfassungsadäquate Schließung von Rechtsschutzlücken sieht. Damit muss das Richterrecht nicht länger in seinem gegenwärtigen unstrukturierten Zustand verharren oder diesen gar ausbauen und verfestigen. Durch die Herausarbeitung einer Leitlinie für die Gesamtentwicklung des Staatshaftungsrechts aus dem bestehenden (Verfassungs-)Rechtsgefüge kann von einer zweifelhaften kleinschrittigen Fortbildung abgesehen werden216, da der Weg zu einer Neu210  Schlehofer, in: FS U. König, S. 393, 394 m. w. N.; vgl. auch Rüthers, NJW 2011, 434 ff. 211  Brugger, JuS 1999, 625, 626 m. w. N. 212  Vgl. Ossenbühl, DVBl. 1994, 977, 983; Krings / Hentsch, ZG 2010, 205; Röder, Haftungsfunktion, S. 134. 213  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 281 f. 214  Zur Gegenposition des Postulats systematischer Durchbildung Hain, Verw­Arch 2004, 498, 512. 215  Nüßgens, in: FS für W. Geiger, S. 456, 471, 474. 216  Vgl. Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 298  f.; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 203.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte335

verortung geebnet ist.217 Maßgeblich ist in diesem Prozess allein das „übergeordnete Strukturelement“ in Form der Grundrechte, welches eine „Feinabstimmung“ der gemeinsam wurzelnden Ansprüche ermöglicht.218 Auf diesem Wege kann auch die „schizophrene Einstellung zum Richterrecht“219, die ein durch Zeitwidrigkeit sachwidriges Gewohnheitsrecht als nahezu unverrückbare Beschränkung einer Fortbildung des Rechts begreifen will, überwunden werden. 2. Unterlaufen des bestehenden verschuldensabhängigen Amtshaftungsanspruchs Weiter wird einer Umsetzung der obigen Lösungsvorschläge durch Richterrecht entgegnet, sie konfligiere mit dem Konzept einer mittelbaren, verschuldensabhängigen Staatshaftung. Etablierten die Richter rechtsgüterindifferente und verschuldensunabhängige staatliche Einstandspflichten, würde damit das kodifizierte Institut der Amtshaftung unterlaufen, da im Ergebnis dessen Tatbestandsvoraussetzungen eingeebnet würden.220 Ein richterrechtlich geschaffenes Instrument, welches rechtswidriges Hoheitshandeln durch vollen Schadensersatz auszugleichen suchte, drohe die Norm des § 839 BGB obsolet zu machen.221 Nun ist dieser Kritik zuzugestehen, dass Gerichte in ihren Entscheidungen im Gegensatz zum Gesetzgeber nicht nur an die Verfassung gebunden sind, sondern darüber hinaus nach Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG auch an Recht und Gesetz. Insofern dürfen sie auch einfaches Gesetzesrecht nicht außer Betracht lassen oder durch rechtspolitische Erwägungen überlagern.222 Zweifelhaft erscheinen muss aber der weitergehende Schluss, die bestehende Amtshaftung könne eine grundrechtlich fundierte verschuldensunabhängige Haftung des Staates präkludieren. In diesem Konfliktfeld darf zunächst nicht ignoriert werden, dass die „beamtenbezogenen“ Merkmale der Amtshaftung mit der Haftungsüberleitung auf den Staat ihrer Sinnhaftigkeit weitestgehend beraubt wurden.223 Gerade deshalb versuchte die Rechtsprechung seitdem teilweise sehr offen, diese zu modifizieren: Alle in der persönlichen Beamtenhaftung begründeten Einschränkungen seien insbesondere 217  Grzeszick, 218  Brocke,

Rechte und Ansprüche, S. 406 ff. Europäisierung, S.  256; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht,

S. 203. 219  Sendler, DVBl. 1988, 828, 835. 220  Haack, DVBl. 2010, 1475, 1477. 221  Hain, VerwArch 2004, 498, 514; vgl. auch BVerfGE 61, 149 (198). 222  Siehe dazu Fünfter Teil: § 2 A., S. 316 ff. 223  Siehe dazu Zweiter Teil: § 1 B.III.1.a), S. 73 ff.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

durch das Richterrecht „abzubauen“224. Sowohl die Eindämmung nach der Haftungsüberleitung nicht länger erklärbarer Privilegien als auch die weitgehende Objektivierungstendenz hinsichtlich des Verschuldenserfordernisses wurden im Allgemeinen als fortschrittlich begrüßt, obschon sie sich gegen den historischen Willen des Gesetzgebers richteten.225 Diese Tendenz geht zuweilen so weit, dass explizit eine Außerachtlassung der Normgenese befürwortet wird, da die Abgeordneten seinerzeit von einer Eigenhaftung des Beamten ausgingen, die aber durch die Haftungsüberleitung auf den Staat faktisch nicht mehr der Realität entspricht.226 Nun mag „mit dem ‚Altern der Kodifikationen‘[…], mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzesbefehl und richterlicher Einzelfallentscheidung notwendig die Freiheit des Richters zur schöpferischen Fortbildung des Rechts [wachsen]. Die Auslegung einer Gesetzesnorm kann nicht immer auf die Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehenbleiben. Es ist zu berücksichtigen, welche vernünftige Funktion sie im Zeitpunkt der Anwendung haben kann. Die Norm steht ständig im Kontext der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, auf die sie wirken soll; ihr Inhalt kann und muß sich unter Umständen mit ihnen wandeln.“227 Diese im Grunde zutreffenden Ausführungen des BVerfG verdeutlichen die Freiheiten und Pflichten der Gerichte im Hinblick auf überalterte Normen wie insbesondere die Amtshaftung. Trotz des weiten Handlungsspielraums muss jedoch eine „Interpretation“ des Gesetzes gegen den expliziten Willen des parlamentarischen Normgebers Bedenken begegnen. Denn die Auslegung ist gerade „kein allgemeines Revisionsinstrument für Gesetze am Maßstab der Verfassung“228. Eine über das zulässige Interpretationsmaß hinausgehende Umdeutung der Beamtenhaftung ist aber bei näherer Betrachtung überhaupt nicht erforderlich. Denn zur Entkräftung des Einwands, die Amtshaftung würde durch die richterliche Reformierung unzulässig ersetzt,229 zeichnet sich eine andere Lösung konsequenter: Die Motive des Gesetzgebers 224  So ausdrücklich der zuständige Bundesrichter Nüßgens, in: FS für W. Geiger, S. 456, 474; anschließend Ossenbühl, Entwicklungen, S. 5. 225  Siehe dazu Zweiter Teil: § 1 B.III.1.b)(1), S. 78 ff. 226  So Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 364: „Der Umstand, dass der Staat die persönliche Schuld des Beamten übernimmt, erledigt mithin die genetischen Gegenargumente.“ Auch Stelkens, DÖV 2006, 770, 771 attestiert eine „gewisse Verlegenheit im Parlamentarischen Rat“, die geeignet sei, die getroffenen Entscheidungen zumindest kritisch zu hinterfragen. 227  BVerfG, NJW 1973, 1221 (1225) im Hinblick auf die Auslegung des BGB. Vgl. auch Kübler, JZ 1968, 645. 228  Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 237. 229  Vgl. BVerfGE 61, 149 (198).



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte337

sind zu berücksichtigen und sofern sich diese nicht offenbar aktualisiert haben, nicht entgegen seines Willens umzuinterpretieren. Gleichzeitig darf die faktische Sperrwirkung des Instituts nicht überdehnt werden.230 Kann eine unmittelbare, verschuldensunabhängige Staatshaftung aus der Verfassung abgeleitet werden, so darf ihr nicht entgegengehalten werden, dass sich im Hinblick auf ein wegen seiner Natur als persönliche Haftung des Beamten anders gestaltetes Institut Redundanzen und Interferenzen ergeben. Denn bereits die Anknüpfungspunkte – das Verschulden des Beamten auf der einen Seite und die Verletzung von Grundrechten auf der anderen – unterscheiden sich so gewichtig, dass von einem Verdrängungsverhältnis schwerlich die Rede sein kann. Die Fortentwicklungsansätze haben keine Ablösungs-, sondern Ergänzungsfunktion. Mit einem solchen Vorgehen wird zum einen Zurückhaltung gegenüber der Entscheidung des einfachen Gesetzgebers hinsichtlich der Amtshaftung gewahrt, zum anderen aber nicht die Entwicklung einer in den verfassungsrechtlichen Normen angelegten Haftung gehindert. In diese Denkrationalität lassen sich auch die bestehenden, vom BGH entwickelten und weithin akzeptierten aufopferungsrechtlichen Institute einpassen: Mit ihnen wurden neben der Amtshaftung verschuldensunabhängige Rechtsinstrumente geschaffen, gegen die in vergleichbarer Weise der Vorwurf erhoben werden könnte, die gesetzlichen Wertungen zu unterlaufen.231 Indes blieb aufgrund der andersartigen Anknüpfungspunkte und der „unabdingbaren“ Haftungsbedürfnisse eine vergleichbare Kritik weitläufig aus.232 Konsequenterweise sollte eine solche aber auch nicht gegen die neuen Konzepte in Stellung gebracht werden. Ausgehend von der verfassungsrechtlichen Fundierung der staatlichen Einstandspflichten kann somit auch die kodifizierte Amtshaftung – die letztlich nur ein „Minimum an Staatshaftung“233 vorgibt – selbst einer weitreichenden richterlichen Ausformung nicht entgegen gehalten werden.234

Langenbucher, Richterrecht, S. 53 f. gibt auch freimütig BVerwG, NJW 2010, 3592 (3593) im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG zu. 232  Papier, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 14, Rn. 598; Hartmann, Öffent­ liches Haftungsrecht, S. 364; Pfab, Staatshaftung, S. 21; Ossenbühl, Entwicklungen, S. 15; zu dem „unausweisbaren praktischen Bedürfnis“ vgl. Sass, Entschädigungs­ erfordernis, S.  107 m. w. N. 233  Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 131 Anm. 14. 234  Normhierarchisch verfehlt scheint daher die Kritik von Pfab, Staatshaftung, S. 164, eine „unerwünschte [verfassungsrechtliche] Fixierung der Staatshaftung [würde] den ausformenden Gesetzgeber seiner Flexibilität, die er zu einer sachgerechten Kodifizierung bedarf, berauben“. 230  Vgl.

231  Dies

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

3. Parlamentarisches Budgetrecht Nun scheint der Kleinmut der Gerichte nur zu einem begrenzten Teil auf Bedenken bezüglich der Konkurrenzverhältnisse zu anderen geschriebenen und ungeschriebenen Rechtsfiguren zurückzuführen zu sein. Maßgeblichen Einfluss entfaltet vielmehr die Angst vor einem „Super-Haftungsinstitut“235, welches – einmal ins Leben gerufen – „ein erhebliches Haftungspotential eröffnen könnte“236. Bereits der Reichsminister sah mit einer Unrechtshaftung ein belastendes Szenario einhergehen, „dessen Tragweite sich garnicht übersehen lasse. Nicht nur der Staat, sondern auch die Gemeinden, bis zur kleinsten hinab, würden dabei in Mitleidenschaft gezogen. […] Unerträgliche Belastungen [würden] zu eine[r] so schreienden Härte [führen], daß Jedermann verstehen würde, wenn [die reformierenden] Vorschläge als unannehmbar bezeichnet würden.“237 In diesem Sinne wird weiter vorgebracht, selbst wenn eine Lücke aus der Verfassung ableitbar wäre, stehe dem richterlichen Handeln jedenfalls die Budgethoheit des Parlaments entgegen238 – der rechtsprechenden Gewalt fehle schlicht die hinreichende Legitimation für eine ­finanziell so weitreichende Rechtsfortbildung.239 Entscheidungen mit erheblichen Konsequenzen für die Staatsfinanzen seien naturgemäß dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten.240 So überzeugend dieser Einwand auch auf den ersten Zugriff scheint, bedarf er doch einer genauen Auseinandersetzung: Zunächst ist sicher zutreffend, dass dem Parlament bei der Ausgestaltung einer unmittelbaren Staatshaftung eine gewisse Einschätzungsprärogative zukommt, auch und insbesondere hinsichtlich eventueller Haftungsbegrenzungen oder -höchstsummen.241 Dabei darf der Gesetzgeber sich aber trotz seines weiten Ermessensspielraums nicht außerhalb des verfassungsmäßig – insbesondere durch die Grundrechte – vorgegebenen Regelungsprogramms bewegen. Eine Wahlfreiheit aus haushaltspolitischen Aspekten kommt ihm daher nur zu, prägnant Rinne, DVBl. 1993, 869, 871. in: FS für R. Nirk, S. 61, 67; vgl. dazu auch Schenke / Guttenberg, DÖV 1991, 945, 954. Bereits Luhmann, Entschädigung, S. 76 konstatierte, die „Furcht vor uferloser Ausweitung privater Entschädigungsansprüche gegen den Staat [sei] ein beherrschender Faktor“. 237  So die Aussage des Reichsministers in Mugdan II, S. 1308. 238  Haack, DVBl. 2010, 1475, 1481; Boujong, in: FS für W. Geiger, S. 430, 436. 239  Rinne, DVBl. 1993, 869, 871; Boujong, in: FS für R. Nirk, S. 61, 67; Kreft, in: FS für W. Geiger, S. 399, 411; ähnl. auch Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, § 2 Rn. 56. 240  BGHZ 102, 350 (362); BVerfG, NJW 1998, 3264 ff. 241  Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 408  f.; Ossenbühl, DVBl. 1994, 977 ff. Allgemeiner Stein, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Richterstaat, S. 83, 94; BVerfGE 1, 100 f.; 18, 124; 22, 204. 235  So

236  Boujong,



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte339

wenn der „gestaltungspolitische Charakter“ und die „dezisiven Elemente“242 einer Regelung deutlich im Vordergrund stehen. Dazu müssten „verschiedene, nicht unerheblich voneinander abweichende Lösungen denkbar [sein] und daher dem politischen Gestaltungswillen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein weiter Spielraum offen [stehen]“243, was indes bei der verfassungsrechtlich präformierten Frage einer kompensatorischen Haftung des Staates für Grundrechtseingriffe gerade nicht angenommen werden kann.244 Ist die Gesetzgebung aber durch Verfassungsvorgaben gebunden, kann einer richterlichen Rechtsfortbildung, die sich gleichsam innerhalb dieser bewegt, nicht die drohende Missachtung eines in diesem Bereich schlicht nicht dergestalt vorhandenen haushaltspolitischen Gestaltungsspielraums entgegengehalten werden. 4. Finanzvorbehalt für Grundrechtsverletzungen Nachzugehen ist weiterhin im Zusammenhang mit finanziellen Belastungen der Frage, ob sich der Staat gegenüber seinen Verpflichtungen aus subjektiven öffentlichen Rechten auf ein finanziell begründetes Leistungsverweigerungsrecht berufen kann. Sollte dem Hoheitsträger eine solche Einwendung zumindest dem Grunde nach zustehen, muss in einem zweiten Schritt geklärt werden, ob eine unmittelbare Staatshaftung für Verletzungen der Grundrechte überhaupt zu derart weitreichenden oder gar untragbaren Belastungen des Staatshaushalts führe und damit ein Verweigerungsrecht des Staates begründe. Zunächst ist festzuhalten, dass die Grundrechte selbst nicht unter einem Fiskalvorbehalt stehen.245 Ebenso enthält die Verfassung keinen prinzipiellen Vorbehalt staatlicher Leistungsfähigkeit.246 So findet sich insbesondere in den Art. 109 ff. GG – den haushaltsrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes – kein Hinweis auf ein allgemeines Überlastungsverbot zugunsten der öffentlichen Hand.247 Dahinstehen kann an dieser Stelle, ob zumindest ein von Danwitz, in: von Mangoldt / Klein / Stark (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 26. 120, 350 (362); ähnl. auch BVerfG, NJW 1998, 3264 ff. 244  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 406; vgl. dazu Sass, Entschädigungserfordernis, S. 388. 245  Vgl. Grzeszick, ZRP 2015, 162, 167. Dem Grunde nach sind daher die Staatsfinanzen kein relevanter Faktor der Eingriffsabwägung. So darf beispielsweise die Ersparnis von Kosten im Rahmen der Enteignung nicht rechtfertigend herangezogen werden; BVerfGE 38, 175 (180). 246  Siehe nur Leisner-Egensperger, Leistungsfähigkeit des Staates, S.  31  ff., 105 ff., 134 ff. 247  Leisner-Egensperger, Leistungsfähigkeit des Staates, S. 63  ff.; anschließend auch Breuer, Staatshaftung, S. 158. 242  So

243  BGHZ

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

immanentes notstandsähnliches Recht besteht, welches den Kernbestand der Funktionsfähigkeit des Staates schützt248 – denn sogar von vehementen Kritikern einer Ausweitung der Staatshaftung wird nicht vorgebracht, dass diese den Staat in eine derartig prekäre Lage bringen könnte.249 Verlässt man den Bereich elementarer staatlicher Handlungsfähigkeit, lässt sich eine weite, ungeschriebene staatliche exceptio pecuniam non habendi, die nur auf dem Wesen des Staates gegründet wäre, schwerlich argumentativ untermauern. Denn sie „gefährdet nicht nur die Rechtssicherheit und damit die Rechtsstaatlichkeit, sondern die Glaubwürdigkeit des Staates schlechthin – seine Legitimität“250. Bereits aufgrund des subordinationsrechtlichen Verhältnisses muss dem Staat, der dem Bürger nicht wie ein Gleicher gegenübersteht, eine Berufung auf mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit zumindest außerhalb drohender Insolvenz versagt werden. Zöge man trotz erheblicher rechtsstaatlicher Bedenken die Grenzen des staatlichen Verweigerungsrechts weniger restriktiv,251 müsste weiterhin erwiesen werden, dass eine grundrechtlich fundierte Staatsunrechtshaftung eine finanzielle Überlastung zur Folge hätte, die geeignet wäre, die Rechte der Bürger zurückzudrängen.252 Denn eine bloße Mehrbelastung geht zwar denklogisch mit jeder Haftungserweiterung einher, reicht allerdings selbst unter einer weiten Deutung des Leistungsvorbehalts nicht aus, um subjektivöffentliche Rechte zu beschneiden. Entscheidend ist, ob es zu einer Überlastung kommt, die das dem Staat zumutbare Maß an finanziellem Mehraufwand im Vergleich zu den verfolgen Zielen erheblich überschreitet.253 Diese muss sorgsam ermittelt werden – keinesfalls darf das „Ergebnis der verfassungswidrigen Umverteilung grundrechtlich geschützter privater Freiheit 248  Für den Fall von Staatsinsolvenzen Leisner-Egensperger, Leistungsfähigkeit des Staates, S. 47 ff.; zugetan scheint auch Schmidt-Preuß, NJW 1994, 3249, 3255; Schwarz, DÖV 2000, 721, 727 ff. 249  Dazu nur Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth (Hrsg.), VerwR II, § 66, Rn. 8. 250  Leisner-Egensperger, Leistungsfähigkeit des Staates, S. 164. 251  In diese Richtung wohl auch Schmidt-Preuß, NJW 1994, 3249, 3255. 252  Vgl. Schwarz, DÖV 2000, 721, 727; Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 369. Dabei ist zu beachten, dass, selbst wenn man derartige Einwände zuließe, diese zunächst eine Haftung nicht im Prinzip ausschließen, sondern nur der Höhe nach beschränken könnten. 253  Illustrativ ist die restriktive Rechtsprechung des BVerfG bezüglich der Beschränkung bestehender Rechte der Bürger aus staatsfinanziellen Gründen. Neben bereichsspezifischen Ausnahmen im Steuerrecht (BVerfGE 13, 274 (278), geht es primär und besonders gelagerte Konstellationen, beispielsweise Kriegsfolgeschäden (BVerfGE 27, 253 (270); 41, 126 (150 ff.), oder die Unrechtswiedergutmachung nach der deutschen Wiedervereinigung (BVerfGE 84, 90 (125 ff.).



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte341

[…] allein mit dem pauschalen Verweis auf Sparzwänge legitimiert werden.“254 Den Ausgangspunkt einer Analyse einer potenziellen Überlastung des Haushalts durch die Staatshaftungsreform bildet der Grundsatz, dass der Staat zunächst die zur Verfügung stehenden Ressourcen, gegebenenfalls im Wege einer Umverteilung, für die Deckung seiner Haftungskosten aufzubringen hat. Bloße Mittelmehrung und -erhaltung sind kein Selbstzweck oder gar eine verfassungsrechtliche Aufgabe des Staates;255 die Entlastung und Konsolidierung des Haushalts, wenn auch auf der politischen Tagesordnung stehend, nicht gegen bestehende Verpflichtungen in Stellung zu bringen. Kein valides Argument kann weiterhin sein, die benötigen Finanzen seien bereits anderweitig verplant: Denn der Hoheitsträger darf nur über die nach der Ableistung seiner (auch staatshaftungsrechtlichen) Verpflichtungen noch verfügbaren Mittel frei disponieren. Sollten die bestehenden finanziellen Ressourcen nicht ausreichen, begründet dies allein noch kein Verweigerungsrecht – vielmehr müssen die erforderlichen Mittel durch Steuern und Abgaben erhoben und somit auf die Allgemeinheit umgelegt werden.256 Dies entspricht gleichsam dem Grundgedanken der Staatshaftung: Das dem Einzelnen widerfahrene Unrecht wird durch die staatliche Ausgleichszahlung auf alle Schultern gleichmäßig verteilt. Auch ist eine derartige Mittelbeschaffung über die formelle Steuergesetzgebung ausreichend parlamentarisch gesichert und dem Bereich der potentiellen Rechtsfortbildung vorgelagert.257

254  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 410. Auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 376 f. warnt davor, sich vorschnell dem Diktat des Rotstifts der Finanzminister zu unterwerfen. Sofern eine Einschränkung jedoch befürwortet wird, geschieht dies regelmäßig nur unter pauschalen Hinweisen auf eine erhöhte Belastung. Vgl. Rinne, DVBl. 1993, 869, 871; Boujong, in: FS für R. Nirk, S. 61, 67; Kreft, in: FS für W. Geiger, S. 399, 411; ähnl. auch Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, § 2 Rn. 56; zumindest mit konkreten Beispielen indes Haack, DVBl. 2010, 1475, 1481. 255  Leisner-Egensperger, Leistungsfähigkeit des Staates, S. 41. 256  Leisner-Egensperger, Leistungsfähigkeit des Staates, S.  142  ff.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 410. 257  Nur schwerlich vermag zu überzeugen, das Gebot der Vollständigkeit des Haushaltsplans beschneide die richterlichen Fortbildungsmöglichkeiten. Zwar sind nach Art. 110 Abs. 1 GG alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes in den Haushaltsplan einzustellen. Indes können rein praktisch niemals alle Einzelfälle vorausgeplant werden, weswegen Schätzwerte zu veranschlagen sind. Damit wäre es am Parlament, einen entsprechend höheren Wert zu veranschlagen. Vgl. dazu auch Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 371. Ebenso kann nicht die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG in Stellung gebracht werden. Denn die Belastung der Bürger ist durch die Steuergesetze hinreichend legitimiert; eine Haftung des Staates bedeutet jedoch keinen Grundrechtseingriff, sondern eine Erweiterung der bürgerlichen Rechtsstellung,

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Indes scheint angesichts der zu erwartenden finanziellen Mehrausgaben bereits fragwürdig, dass selbst auch nur eine substanziell ins Gewicht fallende Mittelbeschaffung nötig würde. Dies mag angesichts der häufig anzutreffenden Skepsis überraschen. Allein ihre weite Verbreitung validiert diese These jedoch nicht, was umso mehr gelten muss, als die befürchtete Überlastung des Staatshaushalts strukturell gegen viele größere Reformvorhaben in Stellung gebracht wird.258 So war beispielsweise auch die Debatte vor dem Erlass des StHG 1981 gezeichnet von großen Vorbehalten und Warnrufen hinsichtlich der Finanzierbarkeit des Vorhabens.259 Wie besehen befand sich das Gesetz schlicht nicht lange genug in Geltung, um diese Bedenken zu bestärken oder zu entkräften und erlaubt daher keine belastbaren Rückschlüsse hinsichtlich der gegenwärtigen Lösungsvorschläge. Aufschluss geben kann also nur eine Folgenabschätzung: Zwar müssen alle diesbezüglichen Vorhersagen spekulativ bleiben, da konkrete Ergebnisse letztlich nur eine praktische Umsetzung geben kann.260 Dennoch nährt bereits eine genauere Betrachtung der Erweiterungsoptionen gewichtige Zweifel, ob die angestrebte richterliche Rechtsfortbildung eine „unabsehbare Lawine von Haftungsprozessen“261 überhaupt zur Folge hätte.262 bedarf also aus diesen Gesichtspunkten keines formellen Parlamentsgesetzes. Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 408. 258  Lehrreich in Bezug auf argumentative Strukturen und immer wiederkehrende Einwände kann sich daher die Historie anderer großer Reformprojekte, wie insbesondere der Schuldrechtsreform, zeigen. Auch dort wurden die hohen Kosten, die mangelnde Vereinbarkeit mit geltendem Recht und die unabsehbaren Folgen gerügt. (Exemplarisch Raineri, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts; zur Kritik auch Altmeppen / Wilhelm, Gemeinsame Erklärung zum Vorhaben des Erlasses eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im Jahre 2001; Wolf / Pfeiffer, ZRP 2001, 303 ff.; Altmeppen, DB 2001, 1131 ff.). Nun können grundsätzlich keine weitreichenden Rückschlüsse von zwei nicht miteinander korrelierenden Reformvorhaben aufeinander gezogen werden. Ohne aber die Parallele überspannen zu wollen, zeigt eine vergleichende Betrachtung, dass ähnliche Gegenargumente ebenso wie die Tendenz, den Status quo bewahren zu wollen, strukturell gegen viele größere Reformvorhaben in Stellung gebracht werden. 259  Schäfer / Bonk, Staatshaftungsgesetz, Einführung, Rn. 41 ff., 83 f., 263 ff. 260  Solange diese unterbleibt, sind nach klassischer Aufteilung der „argumentativen Beweislast“ die Befürworter eines Leistungsverweigerungsrechts des Staates in der Bringschuld. Aufgrund ihres Alters und der damaligen Spezifika der Staatshaftung kann die Untersuchung des Bundesministeriums für Justiz von 1976 heute nur noch beschränkte Aussagekraft entfalten. 261  Breuer, BayVBl. 2003, 586, 589. 262  Zweifelnd auch Fetzer, Legislatives Unrecht, S. 43 ff.; Ossenbühl, Entwicklungen, S. 14, 28; von Arnim, Haftung der Bundesrepublik Deutschland für das Investitionshilfegesetz, S. 68 f.; aus neuerer Zeit Grzeszick, ZRP 2015, 162, 167, der von einer „moderaten Mehrbelastung“ ausgeht.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte343

So ist zunächst zu konstatieren, dass der überwiegende Anteil des Haftungspotentials auf die Amtshaftung und die aufopferungsrechtlich geprägten Institute entfällt.263 Dieser hat offenbar zu keiner Überlastung ge­ führt,264 sodass tatsächlich allein die potenzielle Mehrbelastung durch eine rechtsgüterindifferente und verschuldensunabhängige unmittelbare Staatshaftung zur Stützung der These herangezogen werden darf. Dabei muss die weitreichende haftungseinschränkende Wirkung des korrekt verstandenen Vorrangs des Primärrechtsschutzes,265 strikter Kausalitätserwägungen und einer genauen Schadensberechnung beachtet werden, die insbesondere bei normativem und legislativem Unrecht zu einer nominellen Verringerung des Haftungspotentials führt.266 Bezieht man diese einschränkenden Faktoren in die Analyse mit ein, wird eine Überlastung des Staates immer unwahrschein­ licher. Auch in der Literatur dominieren daher eher verhaltene Schätzungen.267 So sollte die Einführung einer auch legislatives Unrecht umfassenden Haftung den Betrag von 1 oder 15268 Millionen DM pro Haushaltsjahr nicht überschreiten. Eine rechtstatsächliche Untersuchung aus dem Jahre 1999 kam auf einen Betrag von 500 Millionen Euro, der allerdings zu weit überwiegenden Teilen auf die damals noch nicht privatisierte Bundesbahn und Bundespost zurückzuführen war und aus der Litera263  Zwar ließe sich argumentieren, die bisherigen richterlich geprägten Ansprüche seien „nur“ auf Entschädigung, nicht aber auf Schadensersatz gerichtet. Angesichts der weiten Freiheiten in der Entschädigungsberechnung, die zuweilen die Abgrenzung zum Schadensersatz verschwimmen lassen, dürfte aber die Schadenshöhe nicht wesentlich divergieren. 264  Andernfalls müssten auch diese anerkannten Haftungsinstitute nach Ansicht der Kritiker gegen die Budgethoheit des Parlamentes verstoßen und damit abzulehnen sein – eine Position, die aber soweit ersichtlich nicht vertreten wird, vgl. Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 369. Es wirkt sehr befremdlich, dass nur der Ausgleich von Eigentums-, Gesundheits- und Freiheitverletzungen als finanziell unbedenklich klassifiziert wird, hinsichtlich der übrigen Rechtsgüter aber plötzlich ein Finanzierbarkeitsvorbehalt greifen soll. So auch Röder, Haftungsfunktion, S. 58, 60 f. 265  Siehe Dritter Teil: § 4 A.V.3., S. 225 ff. Dabei ist insbesondere an den Inzidenzschutz im Wege der konkreten Normenkontrolle zu denken. Darüber hinaus nutzt das BVerfG zunehmend die Möglichkeit, verfassungswidrige Gesetze nicht für nichtig, sondern nur für verfassungswidrig und sogar für übergangsweise anwendbar zu erklären. Schließlich ist zu beachten, das nach § 79 iVm. §§ 82, 95 BVerfGG die bestandskräftigen Entscheidungen, die aufgrund einer für nichtig erklärten Norm ergingen, grundsätzlich unberührt bleiben. Durch die dann nur noch denkbare monetäre Kompensation wird der Rechtsfrieden also nicht gestört. 266  Hierzu ausführlich Vierter Teil: § 2 D.II., S. 281 ff. 267  Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth (Hrsg.), VerwR II, § 67, Rn. 8; ähnl. auch Schoch, DV 2001, 261, 290; Krings / Hentsch, ZG 2010, 205, 207; Streinz, VVDStRL 2002, 300, 348. 268  Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 8 / 2079, S. 34.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

tur Kritik erfuhr.269 Nun mögen diese Summen angesichts der zunehmenden Vernetzung, Technologisierung und schlicht der Inflation heutzutage höher liegen; ein Dammbruch im Bereich der Staatshaftung ist deshalb dennoch kaum zu befürchten.270 Entscheidend wird der Einwand eines Finanzvorbehalts im Hinblick auf die gegenwärtige Rechtslage durch zwei vergleichende Überlegungen diskreditiert: Zum einen ist einzustellen, dass die Haftung für Unionsrechtsverstöße grundsätzlich auch legislatives Unrecht umfasst, ohne dass dieser finanzpolitische Erwägungen entgegengebracht werden. Dann scheint es aber gleichsam unverständlich, diese gegen eine grundrechtlich fundierte nationale Staatshaftung in Stellung zu bringen.271 Während man hier noch rechtfertigend den besonderen Einfluss des Europarechts und seiner Vorgaben heranziehen kann, versagt die Argumentation zumindest im Hinblick auf andere nationale Haftungsmechanismen wie insbesondere die Amtshaftung selbst. Denn auch wenn die Legislativhaftung strukturell durch den potenziell großen Kreis der Betroffenen zu hohen Haftungssummen führen kann, ergeben sich ohne weiteres ebenso im Bereich des verschuldeten E ­ xekutivhandelns substantielle Schadensersatzforderungen. Neben dem Konfliktfeld der Finanzaufsicht und -regulierung272 seien beispielsweise verzögerte Patenterteilungen ins Feld geführt, die bereits in kurzer Zeit das Patent weitgehend wertlos erscheinen lassen und somit zu hohen Haftungspotenzialen führen können.273 Auch wo die Verwaltung regulativ in die Marktwirtschaft eingreift

269  Basierend auf einer Studie von Infratest Burke und einer darauf aufbauenden Hochrechnung, vgl. BT-Drs.  15 / 2952, S. 3; Streinz, VVDStRL 2002, 300, 348 m. w. N. So machte die Staatshaftung für die Bundespost allein im Jahr 1972 54 % der gesamten Ausgaben aus, S. 4, 16. 270  Vgl. Bender, VersR 1974, 1, 4 zum StHG 1981. 271  Siehe auch Kluth, FAZ 16.11.2011 – Staatshaftungsrecht. Ohne Haftung!: „Kaum verständlich ist es zudem, dass inzwischen aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Verstöße von deutschen Parlamentsgesetzen gegen Unionsrecht und Grundfreiheiten einen Haftungsanspruch begründen können, während dies bei einem Verstoß gegen die Grundrechte des Grundgesetzes nicht möglich sein soll.“ 272  Hierzu im Einzelnen Bürkle, Der Sonderbeauftragte der BaFin, S. 410 ff. 273  Auch wenn sich die genaue Wertermittlung von Patenten schwierig gestaltet, lassen doch die gezahlten Lizenzgebühren oder geschlossenen Vergleiche für Patentverletzungen ein Bild erahnen. So endete beispielsweise der Fall NTP Inc. v. Research In Motion wegen einer Patentmissachtung mit einer Zahlung von über 612 Millionen Dollar; das Fraunhofer Institut gibt an, die Einnahmen aus Lizenzgebühren lägen bei rund 100 Millionen Euro jährlich, vgl. http: /  / www.sueddeutsche.de / wirt schaft / wettlauf-um-patente-europas-erfolgreichste-erfinder-1.1410344 (abgerufen am 22.03.2018).



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte345

oder auch nur vor Gefahren warnt,274 zeitigen Fehlentscheidungen häufig weitreichende Wirkungen. Dies lässt sich exemplarisch an den milliardenschweren Ersatzforderungen der Unternehmen nachvollziehen, denen eine Fusion rechtswidrig versagt wurde275 oder an Prozessen wegen zweifelhafter Steuer- und Betriebsprüfungen.276 Darüber hinaus können sich insbesondere im Umfeld großer Technologiebetriebe enorme Schadenssummen für exekutives Unrecht auftun: Beispielhaft stehen hierfür die Klagen der Energiekonzerne in Folge der Stilllegung der Atomkraftwerke in Höhe mehrerer Milliarden Euro.277 Unabhängig vom jeweiligen Prozessausgang zeigt sich, dass die Amtshaftung für exekutive Fehlentscheidungen strukturell erhebliches Haftungspotential in sich birgt. Wollte man eine haushaltspolitische Überbelastung des Staates jedoch wirksam verhindern, müssten konsequenterweise losgelöst vom Haftungsinstrument und dessen Voraussetzungen einheitliche Haftungshöchstgrenzen etabliert werden. Da dieser Weg – unabhängig von seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit und kaum in Abrede zu stellenden Sinnhaftigkeit – jedoch in Kenntnis der Haftungsrisiken bisher nicht gegangen wurde, wirkt der Rekurs finanzielle Erwägungen im Zuge der Reformdebatte zunehmend weniger glaubhaft. Bei all dem verdient Beachtung, dass die gesamte Belastung des Haushalts allein vom Verhalten des Staates – genauer: seiner Organe – abhängt. Handeln diese rechtmäßig, werden Ausgaben vermieden.278 Insofern kann die Ausweitung der staatlichen Unrechtshaftung gleichzeitig eine positive Steue-

274  Vgl. beispielhaft zu zweifelhaften Warnungen im Rahmen der Ehec-Krise, KG Berlin, Urt. v. 06.06.2015  – Az. 9 U 45 / 14, sowie LG Braunschweig, Urt. v. 20.05.2014 – Az. 7 O 372 / 12, mit einer veranschlagten Schadenshöhe von rund einer halben, beziehungsweise einer Million Euro. Angesichts der weiten Reichweite solcher Warnungen ist aber auch in diesen Fällen von einem zunächst nur schwerlich begrenzbaren Adressatenkreis auszugehen, womit gleichsam eine Haftungshäufung droht. 275  OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.03.2014 – VI-U (Kart) 43 / 13, das einen Amtshaftungsanspruch letztlich verneinte, dabei die naheliegende Frage nach einem Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff aber nicht diskutierte. Vgl. ausführlich Schwintows­ki, EWeRK 2014, 239 ff. 276  OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.10.2007  – 12 U 208 / 05, das einen Amtshaftungsprozess in Höhe von 1,1 Milliarden Euro beurteilte. 277  Vgl. dazu die zum Zeitpunkt der Bearbeitung noch nicht ausgeurteilte Klage vor dem Investitionsschutzgericht; Vattenfall AB and others v. Federal Republic of Germany (ICSID Case No. ARB / 12 / 12) mit einem Streitwert von näherungsweise 4 Milliarden Euro, sowie die zahlreichen Amtshaftungsklagen der Energiekonzerne, die sich auf BVerwG, DVBl. 2014, 303 stützen, das die Abschaltungsanordnungen für rechtswidrig erklärte. 278  Vgl. Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 369 f.; Grzeszick, ZRP 2015, 162, 166.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

rungswirkung entfalten: Je teurer die Verstöße werden, desto seltener treten sie auf279 – dies gilt insbesondere auch für Verletzungen der Berufsfreiheit.280 Angesichts dieser vom Staat beeinflussbaren Belastungen erscheint in der Tat die „Blockadehaltung […] unter finanziellen Gesichtspunkten kaum nachvollziehbar“281. Während der Finanzierungsvorbehalt also bereits qualitativ kein valides Argument darstellen kann, entzieht eine Schätzung der Kosten diesem auch noch quantitativ den Boden.282 In diesem Zusammenhang scheint es weiterhin verfehlt, jeden haftungsrechtlichen Rückgriff auf den Hoheitsträger als einen „Griff in die eigene 279  Vgl. Streinz, VVDStRL 2002, 300, 348; Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 597; Wróblewski, Staatshaftung für legislatives Unrecht in Deutschland, S. 64; Grzeszick, ZRP 2015, 162, 167; ähnl. auch Axer, in: FS Isensee, S. 121, 127, nach dem gegenwärtig die Realisierbarkeit gesamter politischer Vorhaben zuweilen von der Zuordnung zu Art. 12 Abs. 1 oder Art. 14 GG und der damit verbundenen Frage einer Entschädigungspflicht abhängt. 280  Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Haack, DVBl. 2010, 1475, 1482 mit Fn. 65 auf die Vorratsdatenspeicherungspflicht der Telekommunikationsbetreiber als Beispiel einer „unkontrollierbar“ erscheinenden Haftungssumme, die im Bereich der Berufsfreiheit auftritt. Die Investitionskosten seitens der Betreiber hierfür wurden für auf rund 75 Millionen Euro geschätzt (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, NVwZ 2010, 333 (334)). Abgesehen davon, dass diese ohnehin im Rahmen der Grundrechtshaftung nicht ersatzfähig wären (Siehe Vierter Teil: § 2 D.II., S. 281 ff.), ist dabei im Sinne einer lenkenden Tendenz von staatshaftungsrechtlichen Risiken einzustellen, dass es zu einer doch recht offenkundig verfassungswidrigen Regelung wie dem § 113a TKG möglicherweise nicht in dieser Form gekommen wäre, wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Haftung mit einbezogen hätte und daher mit mehr Bedacht vorgegangen wäre – denn BVerfGE 125, 260 (357 ff.) stellte ausdrücklich klar, dass eine nicht ausgleichspflichtige Speicherpflicht grundsätzlich nicht gegen die Berufsfreiheit verstoßen muss, sofern nur die Eingriffsvoraussetzungen verhältnismäßig sind. Wenig überzeugend scheint weiterhin die Aussage Haacks, das Wirtschaftsleben sei „mit einer ganzen Reihe neuer, auf höchsten Investitionskosten beruhender Branchen (wie etwa der Telekommunikation, der Biotechnologie, der Abfallindustrie, usw.), die wegen ihrer Risiken einer zum Teil sehr komplexen und komplizierten Regelung bedürfen,“ nicht mehr mit der Situation beim Erlass des StHG 1981 vergleichbar, weswegen eine umfassende Haftung heute nicht mehr denkbar sei: Zum einen sei nur an besonders haftungsrelevante Branchen wie beispielsweise die Energieversorger und den Finanzsektor erinnert, die auch zu dieser Zeit bestanden. Zum anderen ist eine derartige Argumentation bereits im Ausgangspunkt höchst problematisch: Denn letztlich besagt sie nichts anderes, als dass aufgrund eines potentiell hohen Schadens der sonst gegebene haftungsrechtliche Schutz vollständig versagt werden soll. 281  Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth (Hrsg.), VerwR II, § 67, Rn. 8; ähnl. auch Schoch, DV 2001, 261, 290; Krings / Hentsch, ZG 2010, 205, 207; Streinz, VVDStRL 2002, 300, 348. 282  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 281; vgl. Ossenbühl, Entwicklungen, S. 28; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 427.



§ 2 Judikative Umsetzung der Konzepte347

Tasche“283 zu werten und deshalb abzulehnen. Zwar ist fraglos, dass die Bürger die erweiterte Staatshaftung selbst finanzieren müssen. Indes könnte dieses Argument gegen nahezu jegliche Art von Staatsausgaben in Stellung gebracht werden – beispielhaft die öffentliche Versorgung, das Bildungssystem und die staatlich finanzierte Infrastruktur. Umgekehrt kann die Frage aufgeworfen werden, in wessen Tasche sonst gegriffen werden sollte? Denn ein steuerfinanzierter Staat basiert zwangsläufig auf einer Redistribution von der Allgemeinheit erhobener Mittel. Profitiert allerdings die Allgemeinheit von den Vorteilen flexiblen Staatshandelns, so erscheint es nur folgerichtig, ihr auch dessen Risikokosten aufzubürden und sie nicht beim Einzelnen zu belassen.284 Der Bürger selbst mag die Mehrbelastungen als günstige Ver­ sicherung gegen möglicherweise existenzgefährdendes staatliches Unrecht begreifen.285 Verglichen mit der Selbstverständlichkeit, die den erheblichen Staatsausgaben im Bereich der Sozialleistungen – die nicht etwa der Existenzsicherung allein, sondern dem Subventionswesen zuzuschreiben sind – entgegengebracht wird, erscheint es nachgerade absurd, ausgerechnet in der Unrechtswiedergutmachung wohlfahrtsstaatliche Tendenzen zu sehen.286 Dieser Mehrbelastung des Staatshaushalts stehen mit der Verwirklichung eines effektiven Grundrechtsschutzes und des rechtsstaatlichen Ideals der vollständigen Unrechtswiedergutmachung verfassungsrechtlich höchstrangige Güter gegenüber, sodass von einer ein Leistungsverweigerungsrecht des Staates begründenden Unverhältnismäßigkeit unter keinem Gesichtspunkt ausgegangen werden kann.287 283  Motsch,

JZ 1986, 1082, 1088. Motsch, JZ 1986, 1082, 1088. 285  Vgl. Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 370, der den Mehraufwand selbst im schlimmsten Falle auf überschaubare 52 Cent pro Monat pro Bürger beziffert. Führt man sich vor Augen, dass staatliches Unrecht im Bereich der Berufsfreiheit häufig einschneidende Nachteile mit sich bringt, sollte dies aus ökonomisch-ra­ tionaler Sicht überzeugen. Ähnl. auch Motsch, JZ 1986, 1082, 1088. 286  Ossenbühl, Staatshaftungsrecht in der Krise, S. 236, 377 f.; Ossenbühl, Entwicklungen, S. 28; Ferschl, Aufopferungsanspruch, S. 198. 287  Häufig wird bezüglich der finanziellen Belastungen indes ein weiterer Einwand erhoben, der gedanklich an die Konstruktion der Amtshaftung anknüpft. Durch übermäßige Belastungen des Staatshaushalts könne die Entschlussfreude der Beamten geschmälert werden – im Falle legislativer Haftung sogar der Abgeordneten, die einen Regressanspruch des Staates fürchten müssen. Vgl. Scheuner, DÖV 1955, 545, 549; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 169 ff.; von Arnim, Investitionshilfegesetz, S.  68 f.; Fetzer, Legislatives Unrecht, S. 43 ff.; Schenke, DVBl. 1975, 121, 127 ff. Indes ist die Frage zwar rechtspolitisch verwandt, aber keine originär staatshaftungsrechtliche. Vielmehr bleibt es dem Staat unbenommen, den Innenregress auf seine Organe unabhängig von seiner eigenen Haftung auszugestalten und dabei richtigerweise Aspekte wie die Entschlussfreudigkeit gebührend zu berücksichtigen. Dazu 284  Vgl.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Mithin ist zusammenfassend festzustellen, dass sich keine durchgreifenden Einwände gegen die verfassungsinterpretatorische richterliche Rechtsfortbildung auch unter Einbeziehung ihrer finanzpolitischen und konkurrenzrechtlichen Implikationen erheben lassen. Die Grundrechte sind demnach einer Auslegung im Wege des Richterrechts zugänglich; gleichsam sind die Gerichte – wie eine konsequente Anwendung der Vorgaben einer richterlichen Rechtsfindung verdeutlicht – verpflichtet, dem Schutzgehalt der Freiheitsrechte umfassend Geltung zu verschaffen.

§ 3 Ergebnis: Deutliche Regelungsvorgaben an Legislative und Judikative Mit dem Gesagten ist die Situation der Richter der des Gesetzgebers im Bereich der Staatshaftung zumindest strukturell nicht unähnlich:288 Beide sehen sich in ihrer Tätigkeit einer begrenzenden Rahmenordnung gegenüber, innerhalb derer sie agieren können. Während die Legislative allein an die Verfassung gebunden ist, wird diese für die Gerichte durch die einfachen Gesetze weiter präzisiert. Die durch Auslegung zu ermittelnden Vorgaben der Grundrechte binden nach Art. 1 Abs. 3 GG Parlament und Gerichte gleichermaßen. Kann wie besehen aus dem Grundgesetz ein umfassender – auch kompensatorischer – Schutzanspruch abgeleitet werden, so sind beide Gewalten berechtigt, diesem Geltung zu verschaffen:289 Die Judikative durch Auslegung, der Gesetzgeber durch Kodifikation und Entwicklung. Dieses Ergebnis negiert nicht, dass das Parlament berufen ist, diese „vordringliche gesetzgeberische Aufgabe“290 anzugehen. Denn die Verfassung ermächtigt den Gesetzgeber nicht nur, sie fordert ihn regelrecht zum Handeln auf.291 Anders als dem Richter steht es der Legislative frei, rechtspolitische Wertungsentscheidungen zu treffen und gleichsam über den verfassungsrechtlich vorgegebenen Mindeststandard hinausgehende Ansprüche zu schaffen.292 Dabei kann sie ihrer „dynamischen, sozial- und rechtsgestaltenden Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 80 ff.; vgl. auch Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 411 f. Aus den vorgeschlagenen Lösungskonzepten ergeben sich hierzu keine Vorgaben, womit dieser Aspekt vorliegend keine Rolle spielen kann. 288  Schuppert, Verfassungsgerichtliche Kontrolle, S. 144  ff.; Korinek, VVDStRL 1981, 7, 13. 289  Vgl. Pfab, Staatshaftung, S. 98; Röder, Haftungsfunktion, S. 158. 290  Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12 / 6000. 291  So auch Pfab, Staatshaftung, S. 98, 193. 292  Vgl. Meyer, Soziales Entschädigungsrecht, S. 129 f. Zu den Ausgestaltungsmöglichkeiten weiter vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 408 f.; Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 538.



§ 3 Ergebnis349

Funktion […] im Grundrechtsbereich“ gerecht werden – denn der Gesetz­ geber ist kein nur „die Verfassung ‚ausführendes‘ Organ“293. Insbesondere hinsichtlich des Gestaltungsspielraums, der trotz der grundrechtlichen Fundierung offensteht, ist eine Abwägung und Ausbalancierung mit anderen zu berücksichtigenden Interessen nicht nur möglich, sondern auch empfehlenswert.294 Im Gegensatz hierzu kommen dem Richter in der Rechtsfortbildung kaum Gestaltungsmöglichkeiten zu.295 Darüber hinaus ist gerade auch im Sinne der Rechtsklarheit und -sicherheit ein gesetzgeberisches Tätigwerden anzuraten.296 Bis dahin bleibt ein Rekurs auf das Richterrecht unvermeidlich: Nicht etwa, weil die „Krücken positiver Regelungen […] überflüssig geworden“297 sind, oder die grundrechtlich fundierten Ansprüche einer zusätzlichen Institutionalisierung bedürften. Indes müssen die deduzierten Erkenntnisse in die Rechtsanwendung transponiert werden und ihnen damit Wirkung verschafft werden – eine Aufgabe, zu der wiederum die Richter nicht nur berechtigt, sondern aufgerufen sind. Die verfassungsrechtlich begründete Lücke gibt gleichzeitig die hinreichende, aber auch notwendige Reichweite vor.298 Dabei sei vor einer falsch verstandenen Rücksichtnahme auf die Legislative gewarnt: Denn sperrt sich der einfache Gesetzgeber gegen die Umsetzung und Ausgestaltung in der Verfassung angelegter Konzepte, drohte ein zu strikt verstandener logischer Positivismus, die „Verwirklichung praktischer Gerechtigkeit unter den Menschen“ als „die eigentliche Leistung des Rechts“299 aus den Augen zu verlieren. Verdient der Gewaltenteilungsgrundsatz zweifelsfrei Beachtung, würde er ad absurdum geführt, wenn er zur Begründung einer effektiven Verkürzung der verfassungsrechtlich fundierten subjektiven öffentlichen Rechte der Bürger funktionalisiert würde. Daher vermag auch legislative Pflichtvergessenheit die richterliche staatshaftungsrechtliche Entwicklung nicht zu begrenzen.300 293  Nierhaus,

AöR 1991, 72, 104. Kunig, Jura 1992, 554, 555 sowie allgemeiner zum Spielraum des Gesetzgebers Schmidt-Aßmann, in: Dürig / Maunz (Hrsg.), GG, Art. 19 IV, Rn. 282; Battis, Aufopferungsentschädigung, S. 112; Weyreuther, DÖV 1980, 389, 390. 295  Goppert, Der enteignungsgleiche Eingriff, S. 197 ff.; Röder, Haftungsfunktion, S. 243. 296  Unterreitmeier, Schmerzensgeldanspruch, S.  218; Röder, Haftungsfunktion, S. 219. 297  Ossenbühl, Entwicklungen, S. 18 f. 298  Vgl. Ossenbühl, in: FS für K. Stern, S. 535, 548. 299  Wieacker, Gründer und Bewahrer, S. 190 f. 300  Höfling, VVDStRL 2002, 260, 262; Kirchhof, NJW 1986, 2275, 2280; vgl. Sendler, DVBl. 1988, 828, 836; Papier, in: Säcker / Rixecker (Hrsg.), MüKo, § 839, Rn. 104. Deutlich BVerfGE 82, 126 (155) – wenn auch zu einer anderen Konstellation: „Bereinigt der Gesetzgeber den Verfassungsverstoß nicht in angemessener Frist, 294  Vgl.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

Während somit die Frage nach dem Handlungssubjekt zutreffenderweise in der Hintergrund rückt, muss abschließend erläutert werden, mit der Umsetzung welchen Ansatzes Legislative und Judikative den verfassungsrecht­ lichen Anforderungen genügen könnten. Wollen sich beide Gewalten nicht in Widerspruch zu den grundgesetzlichen Vorgaben setzen, bleibt eine kleinschrittige301 und damit halbherzige Lösung verwehrt. Die Reform muss „konsequent verwirklicht werden, um nicht auf dem halben Wege steckenzubleiben und sich dem Vorwurf aussetzen zu müssen, finanzielle Ängste und Befürchtungen“302 über die Verfassungsvorgaben regieren zu lassen. Nur so kann die Staatshaftung endlich auch den Makel abstreifen, durch kasuistisches Vorantasten nur sukzessive Abhilfe für neu aufgeworfene Probleme zu bieten.303 Deshalb ist auch von einer bloßen „kostenneutrale[n] Transferierung der Rechtsprechung“304 in ein Gesetz abzusehen, obschon bereits diese einen Zugewinn an Rechtssicherheit bedeutete.305 Dies soll nicht in Abrede stellen, dass die bisherige prozesshaft fortschreitende Rechtsfortbildung einem problemgerechteren Staatshaftungsrecht zuträglich war. Der enteignungsgleiche Eingriff im Bereich des Eigentums, insbesondere im Zusammenspiel mit dem kontroversen Institut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, sowie der aufopferungsgleiche Eingriff für Verletzungen der immateriellen Rechtsgüter, als auch der Folgenbeseitigungsanspruch und der unionsrechtliche Haftungsanspruch erfüllten jeweils eine essentielle, wenn auch partielle lückenschließende Funktion. Auch die notwendige Neuausrichtung des Staatshaftungsrechts würde diese Entwicklung nicht vollständig negieren. So können beispielsweise die gefällten Urteile durchaus auch für zukünftig auftretende Probleme öffentlichdann müssen die Gerichte, wollen sie nicht selbst verfassungswidrig handeln, die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten fortführen und verfassungskonform entscheiden.“ Im Übrigen bleibt anzumerken, dass den Richtern auch hinsichtlich des StHG 1981 ein erheblicher Ausfüllungsspielraum zugekommen wäre. Selbst wenn der Gesetzgeber handelt, wird also viel Konkretisierungsarbeit bei den Gerichten liegen. Vgl. bezüglich der Grundrechtseingriffsnorm des § 2 Abs. 2 StHG 1981 Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 354. Ähnl. auch Ossenbühl, Entwicklungen, S. 6. 301  Vgl. Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 299; Rüfner, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 174, der ohnehin nur noch kleine Schritte für notwendig erachtet. 302  Pfab, Staatshaftung, S. 168. 303  Prototypisch für diese Vorgehensweise steht der aus der nachkriegszeitlichen Herausforderung staatlich beschlagnahmter Wohnungen geborene Folgenbeseitigungsanspruch, vgl. Grzeszick, in: Ehlers / Pünder (Hrsg.), VerwR, § 45, Rn. 111 f. m. w. N.; Steinberg / Lubberger, Aufopferung, S. 375; Schoch, VerwArch 1988, 1, 15. 304  So Röder, Haftungsfunktion, S. 15. 305  Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34, Rn. 31.



§ 3 Ergebnis351

rechtlicher Reaktionsansprüche wertvolle Anhaltspunkte bieten.306 Die ständige schrittweise Erweiterung einer fragwürdigen und aus der Not geborenen Idee birgt aber die immanente Gefahr einer Hypertrophie in sich.307 Nicht länger darf daher aufgrund einer verklärten nostalgischen Treue und einer weitgehenden „Funktionstüchtigkeit [der Rechtsinstitute] in der Praxis […] auf letzte dogmatische Klarheit verzichtet“308 werden. Bezüglich der richterlichen als auch legislativen Umsetzungsmöglichkeiten bleibt damit ein sich bereits deutlich abzeichnendes Fazit zu ziehen: Weder die europarechtlich überformte Amtshaftung, noch der Folgenentschädigungsanspruch oder die erweiterte Aufopferungshaftung genügen den grundrechtlich vorgegebenen Anforderungen. Die verfassungsrechtlich nicht begründbaren Einschränkungsmerkmale wie das Vorliegen eines qualifizierten Verstoßes, der kategorische Ausschluss normativer und legislativer Haftung, oder die in eine Unrechtshaftung nicht integrierbaren Charakteristika eines Sonderopfers und der Entschädigung als Rechtsfolge entsprechen nicht dem grundrechtlich garantierten Schutzstandard. Wenig überraschend bietet die Grundrechtshaftung als einzige Lösung ein „hinreichendes Niveau innerer Konsistenz und ein adäquates Maß an Verknüpfungspunkten“309 und wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht. Die grundrechtlich fundierte Vereinheitlichung birgt damit das Potential, ein handhabbares System zu schaffen, welches aufgrund seines umfassenden Charakters Redundanzen und Ineffizienzen vorbeugen könnte.310 Beide Gewalten sollten deshalb davon absehen, neuen Wein in alte Schläuche zu füllen und stattdessen die se306  Röder, Haftungsfunktion, S. 210; weitergehend Pietzko, Folgenbeseitigungsanspruch, S.  127 ff. 307  Vgl. Hain, JZ 2002, 1036, 1045. 308  Enders, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 53, Rn. 47; kritisch zu Recht Höfling, VVDStRL 2002, 260, 270 f. 309  Zu diesen Anforderungen Höfling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 51, Rn. 6. Vgl. auch Morlok, DV 1992, 371, 399; Höfling, VVDStRL 2002, 260, 267. 310  Insbesondere Hain, VerwArch 2004, 498, 500 f. sieht in der Parallelentwicklung verschiedener Institute durch Verwaltungsgerichte und ordentliche Gerichte die Gefahr, „eine Lücke [würde] gleich doppelt geschlossen, dem Netz des Amtshaftungs- / Entschädigungsrechts gleichsam ein doppelter Boden unterlegt.“ Wissenschaftstheoretisch mag hierbei auf Ockham’s Razor zurückzugreifen sein: „Pluritas non est ponenda sine necessitate“ – eine Vielheit ist nicht ohne Notwendigkeit anzunehmen. Danach ist – vor die Wahl mehrerer Erklärungsmöglichkeiten gestellt – grundsätzlich die „einfachste“ vorzugswürdig, also diejenige, die mit der geringsten Anzahl an Voraussetzungen und Hypothesen auskommt. Dieser Befund trifft in besonderem Maße auf das gegenwärtig von zweifelhaften Analogie- und Erst-RechtSchlüssen durchwirkte Staatshaftungsrecht zu. Vgl. zu der Methode und ihrer Anwendung auf die Grundrechtsdogmatik Hain, JZ 2002, 1036 ff.

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5. Teil: Die Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform

kundärrechtlichen „Implikationen aus einer vorkonstitutionellen Vergangen­ heit“311 abschütteln.312 Auf diesem Wege kann die überfällige Anerkennung des einheitlichen grundrechtlichen Reaktionsanspruchs den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen und gleichsam en passant den Charakter des gegenwärtigen Staatshaftungsrechts als ausgeprägtes judizielles Fallrecht313 überwinden.314 Gerade im volatilen Bereich der Berufsfreiheit würde so eine Stärkung des Grundrechtsschutzes erreicht und der Bürger müsste nicht länger in verfassungsinadäquater Weise auf an ihren historisch herausgebildeten Unzulänglichkeiten krankende Haftungsmechanismen verwiesen werden. Sowohl im Sinne dogmatischer Stringenz als auch praktischer Gerechtigkeit bedeutet die konsequente Umsetzung der Grundrechtshaftung daher einen lange überfälligen und angesichts des gegenwärtigen Haftungsbedürfnisses auch dringend notwendigen Fortschritt.

311  Morlok,

DV 1992, 371, 378. einer Systemstabilisierung eines „Unsystems“ warnt auch Höfling, VVDStRL 2002, 462, 463. 313  Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 438. 314  Gerade weil die staatlichen Einstandspflichten mit der Unrechtsabwehr einen einheitlichen Zweck verfolgen, liegt es nahe, hierzu auf eine einheitliche Haftungsgrundlage zu rekurrieren. So bereits Luhmann, Entschädigung, S. 29; daran anschließend Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 245 m. w. N. 312  Vor

Sechster Teil

Zusammenfassung und Schlussbetrachtung Die Bearbeitung gliedert sich in fünf Teile. Der 1. Teil umfasst neben einer expositorischen Problemhinführung den Aufriss des methodischen Vorgehens. Der 2. Teil widmet sich der Bedeutung der Berufsfreiheit, ihrem gegenwärtigen haftungsrechtlichen Schutz und der Ermittlung des Umfangs der Haftungslücke auf theoretischer und praktischer Ebene. Im 3. Teil werden die in Literatur und Rechtsprechung diskutierten Lösungsansätze zur Schließung der Rechtsschutzlücke auf ihre dogmatische Tragfähigkeit hin erörtert, kritisiert und ein verbesserter Ansatz ermittelt. Die herausgearbeiteten Grundkonzepte müssen im 4. Teil ihre Lösungsfähigkeit in einer Rückbeziehung auf die Problemfälle unter Beweis stellen, die deren bereits auf dogmatischer Ebene angedeuteten Schwächen und Stärken weiter herauskristallisiert. Der 5. Teil schließlich befasst sich mit den Umsetzungsoptionen und untersucht, welche Vorgaben die Gesetzgebung und Rechtsprechung binden und wie weit korrespondierend die Ausgestaltungsspielräume beider Gewalten innerhalb einer Staatshaftungsreform reichen.

§ 1 Einleitung Im Mittelpunkt der Betrachtung steht der ambivalente Schutz der Berufsfreiheit. Ausgehend von einer Analyse der gegenwärtigen unzureichenden Haftungsmechanismen für staatliches Unrecht wird ein tragfähiger Verbesserungsvorschlag ausgearbeitet und gleichsam dessen praktische Folgen evaluiert. Die Ausarbeitung will dabei nicht allein der Debatte um eine Staatshaftungsreform neues Leben einhauchen, sondern zeigt darüber hinaus, dass eine praktische Fallanalyse wichtige Erkenntnisse bringen kann, ohne der Gefahr einer kasuistischen Lösung unterliegen zu müssen. So führt eine genaue Auseinandersetzung mit den an Art. 12 Abs. 1 GG verdeutlichten Problemszenarien zu einer Rationalisierung des Diskurses und besseren Bewertungsmöglichkeiten etwaiger Lösungskonzepte. Schließlich geht die Arbeit der Frage nach, wer zur Staatshaftungsreform ermächtigt oder gar berufen ist.

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

§ 2 Der gegenwärtige Schutz der Berufsfreiheit Das Grundrecht der Berufsfreiheit ist unverzichtbar für die individuelle Selbstverwirklichung und hat zumindest teilweise das Eigentum in seiner Bedeutung für die Existenzsicherung abgelöst. Aufgrund der extensiven staatlichen Eingriffsbefugnisse weist Art. 12 Abs. 1 GG eine besondere Schadensneigung und korrespondierende Schutzbedürftigkeit auf, die ihn für die exemplarische Verdeutlichung von Lücken im staatlichen Haftungssystem prädestinieren. Eine vorangestellte Analyse der Funktionalität und Begründung der staatlichen Einstandspflichten zeigt, dass die Haftungsallokation im öffentlichen Recht primär aus dem Rechtsfortwirkungs- und dem Abwendbarkeitsgedanken, sowie ihrer gewichtigen soziologischen Funktion legitimiert wird. Um das Haftungsbedürfnis exakt ermitteln zu können, müssen alle im Bereich der Berufsfreiheit einschlägigen Schutzmechanismen analysiert werden. Der Primärrechtsschutz zielt auf die Aufhebung und Beseitigung staatlichen Unrechts und beginnt mit dem allgemeinen und rechtsgüterindifferenten Unterlassungsanspruch. Dieser wird durch den Folgenbeseitigungsanspruch und seine zuweilen vertretene „Weiterentwicklung“ zu einem Folgenentschädigungsanspruch ergänzt, der in Fällen eines Mitverschuldens des Betroffenen oder der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit einer Herstellung des Status quo ante greift. Im Zusammenspiel mit der ausgleichspflichtigen Indienstnahme Privater und dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist der Schutz der Berufsfreiheit damit auf der Ebene des Primärrechtsschutzes am Ideal des ungestörten Status negativus ausgerichtet und umfassend ausgestaltet. Anders liegen die Dinge im Bereich des Sekundärrechtsschutzes, welcher die Rechtsverletzung nicht verhindern oder ungeschehen machen, sondern die entstandene Schädigung restituieren oder kompensieren will. Unabhängig von Überlegungen zum Status negativus entwickelt entstand schon zu Weimarer Zeiten ein „System“ aus zwei Säulen: Der Amtshaftung und der Aufopferungshaftung. Die Besonderheiten der in § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG kodifizierten Zentralnorm der Staatshaftung erschließen sich erst vor ihrem geschichtlichen Hintergrund und tragen immer noch deutliche Zeichen der konzeptionellen Zwitterstellung zwischen Beamten- und Staatshaftung. So verlangt der Tat­ bestand eine verschuldete Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht durch den hoheitlich tätigen Beamten, dessen Einstandspflicht jedoch durch die befreiende Schuldübernahme regelmäßig auf den Staat übergeht. Obschon die Rechtsprechung die Anforderungen an den Verschuldensnachweis nach und nach niederfeilte, bleibt dieser nach wie vor haftungsbegründend.



§ 2 Der gegenwärtige Schutz der Berufsfreiheit355

Gleichzeitig wird über das Merkmal der Drittbezogenheit ein Ausschluss von legislativem und normativem Unrecht erreicht. Ergänzt wird die Amtshaftung für den Bereich der Berufsfreiheit allein durch spezialgesetzliche Ansprüche – primär solche des Polizeirechts – sowie in Teilen der neuen Bundesländer durch das fortgeltende, praktisch aber irrelevante DDR-Staatshaftungsrecht. Auf transnationaler Ebene tritt der europarechtliche Haftungsanspruch hinzu, nach dem die Mitgliedsstaaten grundsätzlich unabhängig vom handelnden Organ und Verschulden für Unionsrechtsverstöße einstehen müssen. Eine haftungsbeschränkende Funktion entfaltet hier das Merkmal des qualifizierten Verstoßes, welches je nach Eingriffskonstellation unterschiedlich gewichtet wird. Zusammenfassend ergibt sich hinsichtlich des haftungsrechtlichen Schutzes der Berufsfreiheit ein gespaltenes Bild. Während in Sonderkonstellationen spezialgesetzliche Ansprüche greifen mögen und Sachverhalte mit unionsrechtlichem Bezug zumindest prima facie umfassend abgedeckt sind, markieren regelmäßig die Grenzen der Amtshaftung gleichzeitig das Schutzbedürfnis im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG. Ist demnach beispielsweise eine Verletzung vom Beamten unverschuldet oder beruht in weiterem Sinne auf legislativem Unrecht, stehen dem Betroffenen grundsätzlich keine weiteren Kompensationsinstrumente zur Verfügung. Trotz der bereits auf systematischer Ebene erkennbaren Schutzlücke darf die Untersuchung nicht an dieser Stelle abbrechen. Stattdessen muss anhand tatsächlicher Problemfälle ermittelt werde, wie groß das „Bermudadreieck“ der Haftung in der Praxis wirklich ist. Denn letztlich kann nur eine problematische Rechtspraxis den erforderlichen Reformdruck aufbauen, der über die Vorteile einer bloß dogmatisch-kosmetischen Korrektur hinausreicht. Die notwendige Rechtsprechungsanalyse erfolgt dabei unter einem Vorbehalt. Denn insbesondere ob der aufgezeigten restriktiven Linie hinsichtlich der Entschädigungsansprüche für Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG wurden nur wenige Fälle überhaupt in der obergerichtlichen Rechtsprechung behandelt. Selbst wenn man aber allein die ergangenen Urteile betrachtet, ergibt sich bereits ein großes Spektrum möglicher Verletzungsszenarien. So wurde beispielhaft im frühen Stadium der Berufsausbildung Art. 12 Abs. 1 GG durch eine rechtswidrige Einberufung zum Wehrdienst oder fehlerhafte Prüfungsentscheidungen unverschuldet beeinträchtigt. Trotz erheblicher finanzieller Einbußen scheiterten die Kläger vor den Gerichten. Nicht anders ging es Betroffenen, die entweder schlicht nicht zu ihren Berufen zugelassen wurden, oder rechtswidrige, aber unverschuldete Ausübungsrestriktionen entschädigungslos hinnehmen mussten.

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Besondere Beachtung haben Fälle im Grenzbereich zur Eigentumsfreiheit gefunden. Da ein Teil der unternehmerischen Tätigkeit über die Figur des enteignungsgleichen Eingriffs unter dem Topos des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs verschuldensunabhängig geschützt wird, brachte die oberste Rechtsprechung zahlreiche, häufig fragwürdige Entscheidungen hervor. Eine Analyse dieser Urteile in dieser Arbeit zeigt, dass der gegenwärtige haftungsrechtliche Schutz von einer grundrechtlichen Zuordnung abhängt, der eine klar begründbare Konturierung fehlt, weshalb auch die Ergebnisse bisweilen willkürlich anmuten. Die praktischen Auswirkungen der systematischen Schutzlücke können wie anhand der Fallanalyse verdeutlicht weder auf bestimmte Tätigkeitsfelder noch Berufsphasen beschränkt werden – vielmehr ist potenziell jeder Bürger gleichermaßen in Berufsausbildung, -wahl oder -ausübung betroffen. Die Problemszenarien widerspiegeln demnach eindrücklich den Änderungsbedarf auf einer praktischen Ebene und bauen damit erheblichen Reformdruck auf.

§ 3 Überprüfung der Lösungsansätze Um diese Schutzlücke zu schließen, entstand im Laufe der Zeit in Literatur und Rechtsprechung ein unübersichtlicher Markt der Meinungen, in dem immer wieder Lösungskonzepte vorgeschlagen, diskutiert und verworfen wurden. Eine Argumentationslinie nimmt den enteignungsgleichen Eingriff in den Blick und sucht diesen primär über vergleichende Erwägungen zwischen Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie auf Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 GG zu erweitern. Das selbst zur Überwindung von Haftungsdefiziten entworfene und am Aufopferungsgedanken orientierte Institut wurde ursprünglich zwar direkt aus Art. 14 GG hergeleitet, heute aber infolge des Nassauskiesungsbeschlusses im Rechtsgedanken der §§ 74, 75 EinlALR verortet. Obschon seiner Anwendung nach ein Mechanismus der Staatsunrechtshaftung, bleibt die Rechtsfigur daher von Merkmalen der Entschädigung für rechtmäßiges hoheitliches Handeln geprägt. So muss der Eingriff in Art. 14 GG ein Sonderopfer verursachen und führt nicht zu vollem Schadensersatz, sondern nur zu einer angemessenen Entschädigung. Durch die weitgehende Ineinssetzung von Rechtswidrigkeit und Sonderopfer, sowie eine großzügige Entschädigungsberechnung versucht der BGH indessen, diese Unterschiede weitgehend zu nivellieren. Die Erweiterung des enteignungsgleichen Eingriffs auf die Berufsfreiheit wird primär auf zwei Erwägungen gestützt. Da die Gerichte sich von einer Herleitung aus Art. 14 GG gelöst haben und stattdessen auf die §§ 74, 75



§ 3 Überprüfung der Lösungsansätze357

EinlALR rekurrierten, soll gleichermaßen die Rechtfertigung einer Beschränkung des Instituts auf die Eigentumsgarantie entfallen. Dem wird entgegengehalten, dass lediglich die Bezugnahme auf Art. 14 Abs. 3 GG aufgegeben wurde, der Anspruch aber auf einer doppelten Grundlage aus §§ 74, 75 Einl­ ALR und Art. 14 Abs. 1 GG fuße, sodass ihm eine Einschränkung auf vermögenswerte Rechte immanent bleibe. Indes kann das nicht weiter begründbare Konstrukt einer dem öffentlichen Recht auch sonst fremden doppelten, mittelbaren Anspruchsgrundlage nicht überzeugen, sondern dient allein dem axiomatisch postulierten Ausschluss von Erwerbschancen aus dem Schutzbereich des enteignungsgleichen Eingriffs. Ist bereits die einschränkende normative Rückanbindung abzulehnen, werden in einem zweiten Schritt teleologische Argumente für eine Erweiterung auf Art. 12 Abs. 1 GG vorgebracht. So sollen die Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie gemeinsam den wesentlichen wirtschaftlichen Freiheitsraum und damit die individuelle Existenz sichern. Die partielle Austauschbarkeit der Schutzbereiche aber wirft gewichtige Zweifel an der Privilegierung hinsichtlich des Sekundärrechtsschutzes auf – allemal scheint eine Einbeziehung der Berufsfreiheit in den Schutzbereich des enteignungsgleichen Eingriffs methodenehrlicher. Zusätzlichen Auftrieb erhielt der Erweiterungsgedanke durch den aufopferungsgleichen Eingriff, mit dem der BGH auch die immateriellen Rechtsgüter der Art. 2 Abs. 2 GG entschädigungsrechtlich schützte, sich dabei aber allein auf §§ 74, 75 EinlALR berief. Denn zumindest hier müsste sich die tatbestandliche Beschränkung allein aus einer verfassungskonformen Auslegung der zugrundegelegten, durchaus fragwürdigen, Rechtsgrundlage ergeben. Nach dieser ist haftungsauslösend aber allein das durch eine Verletzung eines subjektiven Rechts verursachte Sonderopfer, ohne dass eine Einschränkung auf bestimmte Rechtsgüter erkennbar wäre. Die systemimmanente Untersuchung des aufopferungsgleichen und enteignungsgleichen Eingriffs streitet daher für eine Einbeziehung der Berufsfreiheit in den Schutzbereich beider Institute. Anstatt aber vorschnell die erweiterte Aufopferungshaftung einer Staatshaftungsreform zugrundezulegen, müssen ihre Prämissen hinterfragt werden. Problematisch scheint zunächst die eigentümliche Beschränkung der Erweiterung auf Art. 12 Abs. 1 GG. Denn mögen auch die Berufsfreiheit und das Eigentum besonders vermögensrelevant sein, rechtfertigt dies allein nicht den Ausschluss der übrigen Grundrechte. Da sich weder aus der Ähnlichkeit zwischen Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG, noch aus der typischen Schadensneigung valide Eingrenzungsgesichtspunkte ergeben können und ein Zweiklassensystem von Grundrechten abzulehnen ist, müsste eine Erweiterung konsequenterweise auf alle Grundrechte erstrecken werden.

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Einer solchen Perpetuierung ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Fundament der Lösungsansatzes, die Haftungsbegründung aus den §§ 74, 75 Einl­ ALR, bereits im Ausgangspunkt abzulehnen ist. Denn die Verortung einer Rechtswidrigkeitshaftung im Aufopferungsgedanken nicht kann nicht überzeugen. So fehlt das definierende Wesensmerkmal der Entschädigung für rechtmäßiges Handeln – die Duldungspflicht des Betroffenen im Interesse der Allgemeinheit – im Falle rechtswidriger hoheitlicher Eingriffe. Verletzt der Hoheitsträger den Freiheitsraum, muss der daraus entstandene Schaden aber nicht nur angemessen, sondern vollständig und ohne Rücksicht auf ein eventuelles Sonderopfer ausgeglichen werden – eine Beschränkung der Wiedergutmachung ist mangels Duldungspflicht schlicht nicht begründbar. Somit zeigt sich, dass jedes native Merkmal der Aufopferungshaftung – trotz der durch die Richter angestrengten Nivellierung – im Kontext rechtswidrigen Handelns zu Friktionen führt, weshalb diese nicht den geeigneten Ausgangspunkt bilden kann. Eben solche Defizite zu vermeiden sucht der verwaltungsgerichtliche Ansatz über einen eigenständigen Folgenentschädigungsanspruch, der seinen Ausgangspunkt in den Einwendungen des Folgenbeseitigungsanspruchs finden soll. Dieser scheitert nach der Rechtsprechung, sofern die Folgenbeseitigung unmöglich oder unzumutbar ist, oder der Schaden vom Betroffenen mit verursacht wurde. Insbesondere in Fällen des Mitverschuldens empfanden die Gerichte einen vollständigen Anspruchsausschluss als nicht sachgerecht und ergänzten den unmöglich gewordenen Beseitigungsanspruch um einen anteiligen Entschädigungsanspruch. Die Übertragung des zur Begründung herangezogenen Grundgedanken aus § 251 Abs. 1 BGB auf die Einwendungen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit schien dabei nur konsequent. Obschon so ein rechtsgüterindifferenter und verschuldensunabhängiger Kompensationsanspruch entstand, ruft auch dieser erhebliche Kritik hervor. Ein grundsätzlicher Vorbehalt richtet sich gegen die Heranziehung zivilrechtlicher Vorschriften und Wertungen im öffentlichen Recht. Akzeptiert man indes die Analogie zu § 1004 BGB als Grundlage des Folgenbeseitigungsanspruchs, scheint nicht fernliegend, weitere im BGB wurzelnde Rechtsgedanken zu dessen Begrenzung heranzuziehen. Darüber hinaus bedarf aber die richterliche Einwendungssystematik kritischer Hinterfragung: Scheitert der Folgenbeseitigungsanspruch zwar in Fällen rechtlicher und tatsächlicher Unmöglichkeit, ist für eine Unzumutbarkeit im Sinne eines umgekehrten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zulasten des Bürgers kein Raum.



§ 3 Überprüfung der Lösungsansätze359

Den größten Anlass zur Kritik bietet die Berücksichtigung des Mitverschuldensgrundsatzes, in der der Folgenentschädigungsanspruch seinen Ausgangspunkt nahm. So scheint bereits die Anwendung der § 254 BGB auf einen verschuldensunabhängigen Anspruch immanent systembrüchig. Die im Zivilrecht zu § 1004 BGB geführte Paralleldebatte zeigt indes, dass der Folgenbeseitigungsanspruch durch sein weites Verständnis nicht länger als reine Störungsbeseitigung klassifiziert werden kann, sondern zu einem verkürzten Schadensersatzanspruch mutiert ist, der deshalb auch eine angemessene Verantwortungsberücksichtigung durch § 254 BGB nötig macht. Zweifelhaft bleiben aber die von der Rechtsprechung gezogenen Konsequenzen einer Wandlung zu einem gekürzten Kompensationsanspruch. Denn selbst wenn die Folgenbeseitigung wie regelmäßig unteilbar sein wird, bedingt dies im Falle des Mitverschuldens schlicht nicht ihre Unmöglichkeit. Folgerichtiger wäre, dem Bürger einen umfassenden Beseitigungsanspruch zuzusprechen, der jedoch nur gegen einen Kostenbeteiligungsanspruch in Höhe seines Verschuldensanteils durchsetzbar ist. Dadurch erführe der Bestandsschutz eine Stärkung gegenüber dem Wertschutz und der Bürger wäre nicht vorschnell auf eine Kompensation verwiesen. Weiterhin begrenzen die einschränkenden Merkmale des Folgenbeseitigungsanspruchs, insbesondere das Unmittelbarkeitskriterium und die Rechtsfolge der Herstellung des Status quo ante, die Lösungsfähigkeit ohnehin auf einige Ausnahmefälle. Somit kann daher letztlich weder dogmatisch, noch tatbestandlich überzeugen, dem legitimen Kompensationsbegehren der Bürger durch den Folgenentschädigungsanspruch als zweifelhaftes Derivat eines bereits in sich fragwürdig begründeten Instituts abhelfen zu wollen. In Abkehr von den gerichtlich anerkannten nationalen Instituten geht ein Teil der neueren Literatur das Haftungsbedürfnis vermehrt aus einer europarechtlichen Perspektive an. Dabei fungiert das Unionsrecht nicht so sehr als verbindliche Regelungsvorgabe, sondern als Impuls und Leitbild mit rechtspolitischem Vorbildcharakter. Den tragenden Grund für eine Heranziehung der europarechtlichen Strukturen soll die Übertragbarkeit ihrer Geltungsgründe und Haftungszwecke bilden. Diese verortete der EuGH primär in drei Erwägungen: dem Effet utile, der Unionstreue und einer Parallele zu Art. 340 AEUV. In der Tat finden sich vergleichbare Grundgedanken auch im deutschen Rechtsstaatsprinzip wieder, das ebenso den Schutz des Rechts durch einen Rechtswahrungsanreiz an den Staat bezweckt. Zumindest in gewisser Abstraktion lassen sich also beiden Haftungssystemen zugrundeliegende Kernüberlegungen ausmachen, sodass ein Gleichlauf der Haftungsinstitute nicht per se fernliegend scheint.

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Allerdings führen die Befürworter des unionalen Ansatzes für eine Übertragung der Dogmatik auf der anderen Seite keine belastbaren Argumente an. Stattdessen wird durch diffuse Formulierungen eine Verbindlichkeit des Europarechts suggeriert, die im Bereich der Staatshaftung faktisch jedoch nicht besteht. Warum aber ausgerechnet der insbesondere hinsichtlich seiner Herleitung eigener Kritik ausgesetzte unionsrechtliche Haftungsanspruch zum Leitbild auserkoren werden sollte, erfährt keine hinreichende Begründung. Gerade die vermeintlich tragende Erwägung, die Übertragbarkeit der Geltungsgründe, gerät zur zentralen Schwäche: Denn lassen sich Erwägungen des Individualgüterschutzes und der Wirksamkeit des Rechts im Grundgesetz verorten, vermag nicht einzuleuchten, warum der Umweg über das Europarecht notwendig sein sollte. Auch dieser Ansatz bietet daher keine befriedigende dogmatische Stringenz und eröffnet darüber hinaus mit seinem mangels klarer Rechtsgrundlage kaum begründbaren Wesensmerkmal des qualifizierten Verstoßes ein Einfallstor für zuweilen schwer voraussehbare Wertungsentscheidungen. Im Gegensatz zu den skizzierten Strömungen orientiert sich das neuere Konzept einer Grundrechtshaftung konsequent am Grundgesetz und will so die staatlichen Einstandspflichten verfassungsoriginär und nicht aus der Erweiterung bestehender Institute begründen. Ausgehend von der Grundprämisse, letztlich stünde hinter den Fragen der Staatshaftung die grundrecht­ liche Stellung des Bürgers, sei es nur folgerichtig, diese auch zum Ausgangspunkt der Reformüberlegungen zu machen. Nun sind Grundrechte primär als Abwehrrechte gegen den Staat konzipiert. Als wehrhafte Rechte reagieren sie auf ihre Verletzung mit direkt aus ihnen entspringenden Reaktionsansprüchen, ohne dass es einer vermittelnden Hilfsnorm bedarf. Inhalt und Umfang der Reaktionsansprüche müssen sich allein aus einer Interpretation der Grundrechte bestimmen lassen. Es liegt dabei gerade im Wesen der Verfassung, dass ihre Vorschriften das Gemeinte nur andeuten und deshalb einer Auslegung besonders bedürftig sind. Neben der grammatikalischen und systematischen erweist sich auch die historische Interpretation der Grundrechte aufgrund der Unsicherheiten der Abgeordneten jedoch nicht als abschließend klärend. Unabdingbar zur vollständigen Ermittlung der Reichweite grundrechtlicher Ansprüche bleibt damit eine teleologische Auslegung. Dass hierbei auf ein Verfassungsvorverständnis rekurriert werden muss und keine logisch zwingenden Schlüsse möglich sind, liegt in der Natur der Auslegung und stellt nicht etwa ihre Schwäche dar. Wird ein einheitliches Vorverständnis zugrunde gelegt und konsequent beibehalten, entspricht daher auch eine teleologische Interpretation dem Rationalitätsanspruch des Rechts.



§ 3 Überprüfung der Lösungsansätze361

Ausgehend von einem liberal-negatorischen Vorverständnis lässt sich aus der abwehrrechtlichen Funktionalität die Reichweite der entspringenden Schutzansprüche stringent begründen. Die grundrechtlichen Freiheiten sind dabei vorstaatlich zu denken. Der so garantierte vorstaatliche Freiheitsraum kann nur als werthaltig gelten, wenn er durch entsprechende Schutzmechanismen gesichert ist, die sich an dem Ziel der weitestmöglich vom Hoheitsträger ungestörten Freiheitsausübung orientieren. Die Rechtsverletzungsreaktion der Grundrechte ist dabei inhaltlich umgekehrt kongruent zur staatlichen Verletzungshandlung und manifestiert sich daher auf verschiedenen Ebenen. Auf den Idealzustand eines vom Staat unbeeinträchtigten Freiheitszustands zielend bleibt der Unterlassungsanspruch vorrangig. Treten aber über die bloße Störung hinausgehende Folgen ein, müssen diese durch einen eigenen Anspruch beseitigbar sein. Während auch von kritischen Stimmen bisweilen zugestanden wird, zumindest aus einer weit verstandenen Abwehrfunktionalität der Grundrechte ließen sich sowohl Unterlassens- als auch Folgenbeseitigungsansprüche begründen, wird dies für eine kompensatorische Komponente weithin bestritten, da sie keinen notwendigen Annex mehr darstelle. Indes kann nur schwerlich überzeugen, das Regelungsprogramm der Grundrechte so plötzlich auf der eingriffsintensivsten Stufe abbrechen zu lassen. Vielmehr ergibt sich aus der auch den Abwehrrechten immanenten Tendenz zur Werterhaltung, dass der dem idealen Freiheitszustand am nächsten kommende verwirklicht werden muss. Dieser besteht, wenn sowohl Beseitigung als auch Restitution ausscheiden, in einem Leistungsanspruch auf Kompensationszahlung. Ein adäquater Schutz der grundrechtlichen Freiheitsstellung bedingt demnach ebenfalls einen der Verletzungshandlung angepassten Kompensa­ tionsanspruch, der aber nicht etwa ein Aliud, sondern ein Minus zur Naturalrestitution darstellt. Durch seine angepasste Reaktionsfähigkeit ermöglicht der dreistufige grundrechtliche Integritätsanspruch eine sachgerechte Behandlung aller staatlichen Störungen, wahrt aber gleichzeitig durch die Eingriffsdogmatik die Abgrenzung zu einer reinen Gefährdungshaftung, ohne dass man weitergehend auf den ohnehin zur Einschränkung untauglichen Schutzzweck der Grundrechte rekurrieren müsste. Obschon der umfassende Reaktionsanspruch von der wohl herrschenden Meinung noch bestritten wird, erkennt selbst diese eine gewisse kompensa­ tionsrechtliche Relevanz der Grundrechte an. Auch das BVerfG spricht den Freiheitsrechten einen vermittelnden kompensatorischen Gehalt zu, schwerpunktmäßig im Bereich der Eigentumsfreiheit, gleichsam aber, wenn es beispielsweise ausgleichspflichtige Indienstnahmen Privater über Art. 12 Abs. 1 GG begründet. Den weitesten Schritt vollzogen die Richter hinsichtlich

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Art. 33 Abs. 2 GG, indem sie direkt aus dem grundrechtsgleichen Recht einen Schadensersatzanspruch herleiteten. Auch die Grundrechtshaftung unterliegt Grenzen: Zweifelsfrei müssen die Integritätsansprüche im Falle einer Unmöglichkeit scheitern, die jedoch nicht vorschnell angenommen werden darf. Denn scheidet die Naturalrestitution aus, kann in aller Regel immer noch Wertersatz geleistet werden. Zurückhaltung ist ebenfalls bei der Annahme einer Verwirkung oder eines Rechtsmissbrauchs angezeigt. Die notwendige Berücksichtigung des Mitverschuldens des Betroffenen bedarf keines Rückgriffs auf zivilrechtliche Normen, sondern kann über den Gedanken der Eingriffszurechnung verfassungsrechtlich verortet werden: Sofern eine Schädigung auf den Bürger zurückgeht, ist sie dem Staat schlicht nicht zurechenbar. Auch das Rangverhältnis der einzelnen Reaktionsrechte zueinander muss nicht länger unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs des Primärrechtsschutzes wie bisher von der Rechtsprechung mit fragwürdiger Begründung postuliert werden, sondern ergibt sich aus der Zielorientierung der Freiheitsrechte – dem Ideal des ungestörten Status negativus. Danach muss der Unterlassungsanspruch insoweit vorrangig sein, als nur er die staatliche Störung beenden kann. Hinsichtlich der Nachrangigkeit des Sekundärrechtsschutzes muss differenziert werden. Während der Hoheitsträger den Bürger nicht auf subsi­ diäre Restitutions- oder Kompensationsmechanismen verweisen darf, wenn ihm nicht ausnahmsweise anspruchsausschließende Einwendungen zur Seite stehen, steht dem Bürger innerhalb der Grundrechtshaftung ein Wahlrecht hinsichtlich der Rechtsschutzmechanismen zu. Denn weder aus Art. 19 Abs. 4 noch aus Art. 20 Abs. 3 GG kann eine Obliegenheit zur gestuften Rechtsverteidigung gefolgert werden. Auch enthalten die Grundrechte die Freiheit, von ihnen eben keinen Gebrauch zu machen. Unbillige Ergebnisse werden durch eine konsequente Eingriffszurechnung vermieden: Denn soweit der Schaden durch „versäumten“ Primärrechtsschutz erhöht wurde, geht er nicht mehr auf das hoheitliche Handeln zurück. Geben die Grundrechte wie besehen auch das Rahmenkonzept einer Haftung vor, ohne dass es eines weitergehenden oder ergänzenden Rückgriffs auf das Rechtsstaatsprinzip bedürfte, steht dem Gesetzgeber ein substanzieller Ausgestaltungsspielraum zu, den es zielgerichtet und verantwortungsbewusst zu nutzen gilt. Durch eine klare Regelung könnte das Parlament sowohl Rechtsklarheit schaffen, als auch einen Ausgleich mit anderen legitimen Interessen wie der Schaffung von Rechtssicherheit oder im verfassungsmäßigen Rahmen sinnvollen Haftungsbegrenzungen ermöglichen. Unabhängig von seiner Herleitung oder Umsetzbarkeit erfährt das Konzept der Grundrechtshaftung vor allem Kritik unter drei Gesichtspunkten: Vorgeworfen wird zunächst, es handle sich um wenig anderes als die Wiedergeburt



§ 4 Praktische Rückbeziehung363

der allgemeinen öffentlich-rechtlichen Wiedergutmachungsnorm in neuem Gewande. Bloße Überschneidungen auf der Rechtsfolgenseite allein können diese Skepsis indes nicht rechtfertigen. Denn der wesentliche Kritikpunkt des zu Recht überkommenen Konzepts lag in seiner fragwürdigen Ableitung aus dem sozialen Rechtsstaatsprinzip – die Grundrechtshaftung hingegen zeichnet sich gerade durch ihre stringente verfassungsdeduktive Begründung aus. Obschon der Gedanke auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Anklang gefunden hat, kann weiterhin nicht überzeugen, Art. 34 GG eine Sperrwirkung hinsichtlich einer weitergehenden Staatshaftung beizumessen. Denn die Amtshaftung bildet zwar ein Mindestmaß an hoheitlichen Einstandspflichten – die Norm erlaubt jedoch keine Aussagen darüber, ob das Grundgesetz nicht an anderer Stelle weitere Vorgaben für eine Staatshaftung enthält und kann deshalb der Grundrechtshaftung nicht entgegengehalten werden. Auf grundrechtstheoretischer Ebene wird schließlich bezweifelt, ob Abwehrrechte strukturell geeignet seien, Haftungsansprüche gegen den Staat zu begründen. Denn während sie auf soziale Differenzierung zielten, sei eine Haftung als distributiver Mechanismus gerade auf eine lastengleiche Nivellierung gerichtet. Nun kann bereits bezweifelt werden, ob der Ausgleich staatlichen Unrechts sozial entdifferenzierend wirkt; jedenfalls zu weit geht, die primäre Funktion der Grundrechte – die Wahrung und Wiederherstellung der ungestörten vorstaatlichen Freiheit – allein aus fragwürdigen verteilungstheoretischen Erwägungen derart zu beschneiden. Letztlich greift die Kritik gegen eine grundrechtsfundierte Staatshaftung daher nicht durch – die Rückbesinnung auf eine verfassungsrechtliche Grundlegung ermöglicht als einzige ein dogmatisch sauberes Konzept, welches überdies allein mit systemimmanenten Beschränkungsmechanismen auskommt, ohne auf nicht näher begründbare Postulate zurückgreifen zu müssen.

§ 4 Praktische Rückbeziehung Der vierte Teil widmet sich der Rückbeziehung der erarbeiteten Vorschläge auf die praktischen Problemfälle, um ihre Lösungsfähigkeit zu bewerten und gleichzeitig bereits auf dogmatischer Ebene auftretende Kritikpunkte in aller Deutlichkeit ans Licht zu bringen. Im Zusammenhang mit der Rechtspraxis bedarf zunächst die im Rahmen der Staatshaftung problematisierte Rechtswegspaltung einer genaueren Auseinandersetzung. Denn alle erarbeiteten Kompensationsansprüche sind nach § 40 Abs. 2 VwGO vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen, während der Unterlassens- und Folgenbeseitigungsanspruch den Verwaltungsgerichten zugewiesen sind. Zur Vermeidung dieser als misslich empfundenen Rechtswegzersplitterung wird eine Bündelung der Ansprüche vor der „sach-

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

näheren“ Verwaltungsgerichtsbarkeit befürwortet. Führt die Aufspaltung der Ansprüche gegenwärtig tatsächlich zu problematischen Konsequenzen, sind diese jedoch nicht so sehr in den verschiedenen Rechtswegen begründet, sondern in den Unklarheiten der einzelnen Institute, die durch die divergierenden Auslegungen der Gerichte noch verschärft werden. Anerkennt man ein sauber ausdifferenziertes grundrechtliches Reaktionssystem, entfällt korrespondierend die Notwendigkeit einer Bereinigung des Rechtswegs. Vielmehr kann die Verantwortungsteilung zwischen ordentlicher und Verwaltungsgerichtsbarkeit sogar positive Wechselwirkungen entfalten. Die Entscheidung für einen der Wege bleibt als rechtspolitische damit dem einfachen Gesetzgeber vorbehalten. Sind die Bedenken hinsichtlich des Rechtswegs ausgeräumt, ist zunächst die Erweiterung der Aufopferungshaftung auf den praktischen Prüfstand zu stellen. Dabei zeigt die Fallanalyse die Unzulänglichkeiten des Konzepts auf. Eine erhebliche Einschränkung stellt zuvörderst der weit verstandene Ausschluss legislativen Unrechts dar. In einer Rückbeziehung auf die erarbeiteten Problemfälle wird weiterhin das diffuse Merkmal des Sonderopfers virulent, das bisweilen mit verschiedenen Deutungen aufgeladen wird, die von Zurechnungs- zu Kausalitätserwägungen rangieren. Ebenfalls defizitär ist die Lösungsfähigkeit in Fällen, in denen der Verschuldensentfall auf einem zugrundeliegenden materiellen Gesetz basiert. Zwar bildet die exekutive Normsetzung im Gegensatz zur parlamentarischen einen tauglichen Angriffspunkt; indes muss auch hierbei die Sonderopferdogmatik beachtet werden, die eine der Drittgerichtetheit der Amtspflicht im Rahmen der Amtshaftung vergleichbare Funktion erfüllt und dementsprechend auch die Lösungsfähigkeit der erweiterten Aufopferungshaftung begrenzt. Trotz einer weitgehenden Nivellierung der Unterschiede zwischen Entschädigung und Schadensersatz durch die Rechtsprechung, vermag weiterhin die Rechtsfolge der Aufopferungshaftung im Rahmen von Staatsunrecht strukturell nicht zu überzeugen, da die Möglichkeit besteht, dass der angemessene Ausgleich hinter einer vollen Unrechtswiedergutmachung zurückbleibt. Der Versuch einer Lösung der Problemfälle über das Konzept der erweiterten Aufopferungshaftung offenbart somit deren beschränkte Lückenschließungsfähigkeit, die im Wesentlichen auf den nicht aus der Rechtsgrundlage, sondern rein funktional begründeten Ausschluss legislativen Unrechts und auf die in der Haftung für rechtmäßiges Staatshandeln wurzelnden, pauschal übernommenen Einschränkungsmerkmale zurückgeht. Auch die Rückbeziehung des Folgenentschädigungsanspruchs bringt ernüchternde Ergebnisse hervor. Denn keinesfalls darf der Anspruch immer dort vorschnell bejaht werden, wo der Folgenbeseitigungsanspruch nicht zum Erfolg führt. Dessen vergangenheitsbezogener Bezugspunkt, der sich im Merkmal der fortdauernden Beeinträchtigung manifestiert, bedingt zunächst einen



§ 4 Praktische Rückbeziehung365

Ausschluss aller reinen Verzögerungsschäden. Gleichsam sind Eingriffe durch Unterlassen, sowie legislatives Unrecht von der Anwendung ausgenommen. Verschärft wird diese begrenzte Lösungsfähigkeit durch das praxisrelevante Einschränkungsmerkmal der Unmittelbarkeit der Folgen, das die Rechtsprechung in schwer nachvollziehbarer Weise utilisiert, um eine Haftung sogar für faktisch zwangsläufige, indes nicht finale Konsequenzen auszuschließen. Zwar kann der Folgenentschädigungsanspruch im Berufszulassungsrecht Sachverhalte, die bisher unter der fragwürdigen Figur der Folgenbeseitigungslast diskutiert wurden, konsequenter lösen; indes läuft er in dem Großteil der problematischen Konstellationen ins Leere. Daher muss seine Lösungsfähigkeit, korrespondierend zu seiner fragwürdigen dogmatischen Herleitung, als noch geringer als die der Aufopferungshaftung bewertet werden. Im Gegensatz zum Folgenentschädigungsanspruch und der erweiterten Aufopferungshaftung zielt der europarechtlich inspirierte Anspruch auf vollen Schadensersatz ab und ermöglicht damit eine adäquate Rechtsfolge. Die einzige tatbestandliche Einschränkung bildet das Merkmal des qualifizierten Verstoßes, welches in der praktischen Rückbeziehung Wesensmerkmal und Crux zugleich ist. Dogmatisch nicht aus der Rechtsgrundlage begründbar, dient es primär dazu, dem Richter haftungsbeschränkende Erwägungen zu ermöglichen. Gerade, dass sich der qualifizierte Verstoß aus einer Vielzahl von Faktoren speist, gefährdet in der Praxis die Vorhersehbarkeit und öffnet einer „staatsschützenden“ Rechtsprechung Tür und Tor, was eine Rückbeziehung auf die Problemfälle eindrücklich verdeutlicht. So hat beispielsweise, obschon die Haftung rechtstechnisch verschuldensunabhängig ausgestaltet ist, die persönliche Vorwerfbarkeit in der maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH eine derart entscheidungsleitende Indizwirkung, dass eine Haftung nur in absoluten Ausnahmefällen trotz fehlendem Verschulden bejaht wird. Ist eine Legislativ- und Normativhaftung zwar auch nicht kategorisch ausgeschlossen, gewähren die Merkmale der Offenkundigkeit und Erheblichkeit des Verstoßes dem Gesetzgeber einen erheblichen Spielraum, sodass angesichts der – anders als im Europarecht – häufig weiten Vorgaben des Grundgesetzes eine Staatshaftung regelmäßig scheitern wird. Obschon der unionsrechtlich inspirierte Anspruch daher auf theoretischer Ebene umfassend konzipiert ist und gegenüber der Amtshaftung insoweit vorteilhaft wirkt, erhält die Rechtsprechung mit dem diffusen Merkmal des qualifizierten Verstoßes eine Einschränkungsmöglichkeit an die Hand, die ergebnisrelevante Unterschiede zur Amtshaftung in der Praxis faktisch nivelliert. Insofern ist die Lösungsfähigkeit des Ansatzes ebenfalls auf einzelne Fälle beschränkt. Eine Praxisbetrachtung der Grundrechtshaftung kann bereits strukturell anders vorgenommen werden als die der anderen Ansätze. Da sie ohne kategorische Bereichsausnahmen und künstliche haftungsbeschränkende Merkmale auf Tatbestandsebene auskommt und auf einen umfassenden Schadensersatz

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

zielt, sind zunächst alle problematischen Fälle erfasst, ohne dass es auf eine Qualifikation des Verstoßes, ein Sonderopfer oder die Unmittelbarkeit der Folgen ankäme. Die Rückbeziehung zeigt aber, dass ein umfassend angelegtes Haftungskonzept nicht etwa mit einer reinen Gefährdungshaftung des Staates gleichzusetzen ist oder zwangsläufig zu Haftungsexzessen führt. Denn ungeachtet der durch den Gesetzgeber potenziell einführbaren Haftungsgrenzen greifen jedenfalls die systemimmanenten Mechanismen in Form der Eingriffszurechnung, stringenter Kausalitätserwägungen und einer sauberen Schadensberechnung. Insbesondere im Bereich der gefürchteten Legislativhaftung wird die Leistungsfähigkeit der Instrumente deutlich. So ist zunächst beachtlich, dass der Betroffene auch gegen gesetzgeberisches Tun Primärrechtsschutz einlegen muss und, sofern er dies unterlässt, die Zurechnung zum Staat unterbrochen sein kann. Hinsichtlich gesetzgeberischen Unterlassens entfalten, wie exemplarisch am Sportwettenfall illustriert, strenge Kausalitätserwägungen ihre einschränkende Wirkung. So muss der Bürger, um seinen Anspruch zu substantiieren, nachweisen, dass der Schaden ohne das unrechtmäßige Unterlassen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls entfallen wäre. Regelmäßig wird der Gesetzgeber aber angesichts seiner weiten Einschätzungsprärogative zu einer genau prädeterminierten, begünstigenden Normierung nicht gezwungen sein, sodass das rechtswidrige Unterlassen für den Schaden schlicht nicht kausal wurde. Im Hinblick auf die potenzielle Haftung für gesetzgeberisches Tun steht die Kausalität in der Regel außer Zweifel. Indes ergibt sich aus der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzrechts, die einer ungerechtfertigten Privilegierung des Geschädigten entgegensteht, dass im Rahmen der Schadensberechnung hypothetische Handlungsverläufe nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Am Beispiel des nichtigen TKG wird das haftungsbeschränkende Potential einer sauberen Schadensberechnung unter Berücksichtigung von Reserveursachen wie insbesondere des rechtmäßigen Alternativverhaltens besonders deutlich. Denn stand dem Staat als Schädiger offen, denselben Erfolg auch rechtmäßig herbeizuführen, kann er diesen Umstand seiner Haftung entgegenhalten. Da indes nicht jedes nur bloß theoretisch mögliche Alternativverhalten haftungsausschließend wirken kann, ist ein an die Besonderheiten der mit großem Handlungsspielraum ausgestatteten Gesetzgebung angepasster Bewertungsmaßstab anzulegen. So muss sich anhand der Gesetzgebungsmaterialien und Absichtserklärungen ergeben, dass das mögliche rechtmäßige Alternativverhalten auch weit überwiegend wahrscheinlich war. Eine solche Entlastung erscheint auch keineswegs unbillig, wenn dem Gesetzgeber eine rechtmäßige Nachteilszufügung wie im Falle der Vorrats­ datenspeicherung hinsichtlich Art. 12 Abs. 1 GG gerade von Beginn an offen stand. Misslingt ihm dieser Nachweis im Einzelfall, ist zumindest der Gedanke der Vorteilsausgleichung adäquat einzustellen. Denn wurde beispiels-



§ 5 Umsetzungsoptionen von Legislative und Judikative367

weise eine gleichermaßen belastende rechtmäßige Regelung eingeführt, führt das Privilegierungsverbot ebenfalls zu einem Scheitern des Schadensersatzanspruchs. Exemplarisch an den Problemfällen kann daher aufgezeigt werden, dass die umfassende Grundrechtshaftung sinnvolle und begründbare Begrenzungsmechanismen bereithält, die der Befürchtung unkontrollierbarer Haftungsexzesse sogar im volatilen Bereich einer Legislativhaftung entgegengehalten werden können. Damit können die grundrechtlichen Reaktionsansprüche alle aufgeworfenen Problemkonstellationen zufriedenstellend lösen, ohne zu einer schrankenlosen Gefährdungshaftung des Staates zu führen. Die Praxisanwendung der Konzepte bestätigt demnach die bereits auf theoretischer Ebene angedeuteten Vorbehalte. Während die drei induktiven Lösungsansätze an den dogmatisch nicht begründbaren Merkmalen gleichsam in der Praxis leiden, erweist sich die Grundrechtshaftung auf der theoretischen und praktischen Ebene als solide und sachgerechte Lösung.

§ 5 Umsetzungsoptionen von Legislative und Judikative Im fünften Teil findet schließlich eine Auseinandersetzung mit den Umsetzungsoptionen einer Staatshaftungsreform statt. Trotz gegenwärtiger Untätigkeit ist dem Parlament keineswegs durchgehendes mangelndes Interesse vorzuwerfen. So bildete beispielsweise das StHG 1981 einen weitgehend tauglichen Lösungsansatz und damit erwähnenswerten Höhepunkt der Bemühungen, wurde indes aus Kompetenzgründen für nichtig erklärt. Seitdem blieben trotz der expliziten Zuweisung der Zuständigkeit an den Bund nennenswerte Reformversuche aus. Strebt man eine bundeseinheitliche Lösung an, stellt das Erfordernis der Art. 72 Abs. 2 GG weiterhin eine hohe Hürde da. Denn obschon eine problematische Rechtsunsicherheit kaum bestritten werden kann, geht diese nicht auf landesrechtliche Besonderheiten, sondern die fehlende dogmatische Durchdringung des Rechtsgebiets zurück. Das bloße Streben nach Qualitätsverbesserung kann aber eine Bundeskompetenz eben nicht begründen. In Abwesenheit einer Verfassungsänderung droht damit einer bundesrechtlichen Regelung weiterhin das Schicksal einer kompetenzrechtlichen Nichtigerklärung. Indes steht dem Bund zumindest eine Regelung seiner Einstandspflichten frei; gleiches gilt für die Bundesländer. Der problematische Status quo der staatlichen Einstandspflichten zeugt von einer Pflichtvergessenheit der Legislative und lässt Rufe nach alternativer Abhilfe laut werden. Kann die Debatte um das Wesen und die Reichweite des Richterrechts im Rahmen dieser Bearbeitung auch bloß angerissen wer-

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

den, müssen zumindest die für Staatshaftungsreform wesentlichen Fragen geklärt werden. Dabei wird das Richterrecht nicht im Sinne einer speziellen Regelungen unterliegenden Materie verstanden, sondern als Ergebnis verbindlicher Normauslegung. Innerhalb dieses Prozesses hat der Richter Recht und Gesetz zu beachten und darf anders als der Gesetzgeber nicht auf ­rechtspolitische Argumente rekurrieren. Teilweise wird zwar vertreten, dies schränke die richterliche Position zu stark ein – die rechtsprechende Gewalt müsse auf die dynamischen Sachverhalte mit rechtspolitischer Freiheit reagieren können und die notwendige lückenhafte Rechtsordnung durch eigene Erwägungen ergänzen. Mag aber auch die Erweiterung der richterlichen Kompetenzen zu denen eines Ersatzgebers in Zeiten legislativer Passivität reizvoll wirken, stehen der Integration politischer Argumente in die gerichtliche Entscheidungsfindung gewichtige Argumente entgegen; insbesondere solche der Gewaltenteilung und richterlichen Unabhängigkeit. Die Legitimität einer derartigen Politisierung des Richters kann indes dahingestellt bleiben, sofern sich zumindest die Staatshaftungsreform interpretatorisch aus dem geltenden Recht begründen lässt. Dabei darf die Reichweite gerichtlicher Gesetzesauslegung nicht unterschätzt werden. Um der Gefahr einer Politisierung der Justiz vorzubeugen, müssen demnach die bestehenden Normen mit sauberer Methodik interpretiert werden, wobei von einem vorschnellen Rückgriff auf abstrakte Rechtsprinzipien wie die Gerechtigkeitsfunktion des Rechts abzusehen ist, da diese leichthändig mit verschiedenen Bedeutungsgehalten aufgeladen werden können. Innerhalb dieses gesetzesimmanent gestaltenden Prozesses ist insbesondere auch dem Sinn der Norm durch teleologische Interpretation Geltung zu verschaffen, ohne diesen aber durch eigene Überlegungen zu ersetzen. Ein derartiges Verständnis des Richterrechts schlägt auch auf seine Grundvoraussetzung durch: die Lücke im Recht. Denn dieser Terminus kann nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die kodifizierte Rechtsordnung für das Problem überhaupt keine Lösung bereithält. Eine Lücke bezeichnet vielmehr die Diskrepanz zwischen auslegungsbedürftigen Verfassungsvorgaben und der einfachrechtlichen Rechtslage. Der Richter stellt also nicht die Frage, ob das gegenwärtige einfache Recht einer rechtspolitischen Kritik nicht standhält, sondern vielmehr, ob es nach systemimmanenten Maßstäben unvollständig ist. Bei der Suche nach rechtlichen Anhaltspunkten kompensatorischer staatlicher Einstandspflichten fällt zunächst auf, dass ein kaum rechtlich abgestützter, aber nahezu einhelliger Konsens dahingehend besteht, das Staatshaftungsrecht sei im Sinne einer originären Verbandshaftung für staatliches Unrecht unter gleichzeitiger Aufgabe des Verschuldensprinzips zu reformieren. Eine bloße rechtspolitische Überzeugung oder ein unterstellter fortdau-



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ernder legislativer Wille können aber konkrete rechtliche Vorgaben nicht ersetzen. Auf Verfassungsebene zeigt sich, dass sowohl Art. 19 Abs. 4 GG als auch das Rechtsstaatsprinzip zwar tendenziell für eine umfassende Staatshaftung streiten, diese jedoch aufgrund ihres Charakters als objektive Normen nicht für sich genommen begründen können. Ähnliches gilt für Art. 34 GG: Ebenso wenig wie er gegen die Staatshaftungsreform in Stellung gebracht werden kann, vermag er eine erweiternde Auslegung zu legitimieren. Wie im Konzept der Grundrechtshaftung jedoch ausführlich dargelegt, lassen sich den Grundrechten konkrete Vorgaben bezüglich der staatlichen Einstandspflichten entnehmen, die nach Art. 1 Abs. 3 GG gleichermaßen Richter und Gesetzgeber binden. Die präzise Auslegung der Freiheitsrechte offenbart demnach die gegenwärtige Lücke auf einfachrechtlicher Ebene. Einer Auseinandersetzung bedürfen weiterhin die Argumente, die ungeachtet der Verfassungsvorgaben gegen eine interpretatorische richterliche Reformierung der Staatshaftung vorgebracht werden. So wird postuliert, Richterrecht habe kleinschrittig zu erfolgen, um den Charakter des gewachsenen Gewohnheitsrechts zu wahren. Indes wird dieser Einwand nur unzureichend begründet, denn es ist nicht ersichtlich, warum ausgerechnet die Anschlussfähigkeit an nachweislich überkommene und fehlerhaft begründete richter­ liche Institute einen entscheidenden Maßstab bilden sollte. Zudem mag eine schrittweise Erweiterung angesichts der gegenwärtigen politischen Lage vielleicht erfolgsversprechender wirken – den Verfassungsvorgaben muss aber unabhängig von derartigen Aspekten Geltung verschafft werden. Schwerer wiegt aufgrund der Bindung des Richters auch an einfaches Recht der Vorwurf, mit der richterlichen Umsetzung der Grundrechtshaftung würde der bestehende Amtshaftungsanspruch unterlaufen. Indes lässt sich das Spannungsverhältnis beider Ansprüche stringent auflösen, ohne die Grenzen der Rechtsmethodik zu verletzen. Denn mit der Verletzung einer Amtspflicht auf der einen und der Grundrechtsbeeinträchtigung auf der anderen Seite haben beide Institute verschiedene Anknüpfungspunkte, die ein Exklusivitätsverhältnis obsolet machen. Ist auch die Entscheidung des einfachen Gesetzgebers hinsichtlich der Amtshaftung zu wahren, darf ihr hinsichtlich eines verfassungsrechtlich präformierten, an ein anderes haftungsauslösendes Moment anknüpfenden Anspruchs keine Sperrwirkung zugemessen werden. Weiterhin bringen Kritiker einer Erweiterung angesichts der potenziellen finanziellen Belastungen das parlamentarische Budgetrecht vor. Die Schaffung eines Super-Haftungsinstituts müsse wegen der Konsequenzen für den Staatshaushalt einzig der Legislative vorbehalten bleiben. Nun kommt dem Parlament zwar eine gewisse Einschätzungsprärogative hinsichtlich eventueller Haftungsbegrenzungen oder -höchstsummen zu, ohne sich dabei aber

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

außerhalb des grundrechtlich vorgegebenen Rahmens bewegen zu dürfen. Kehrseitig ist aber innerhalb des verfassungsmäßigen durch die Grundrechtshaftung markierten Mindeststandards ein haushaltspolitischer Gestaltungsspielraum ausgeschlossen, sodass dieser auch nicht durch eine richterliche Umsetzung verletzt werden kann. Schließlich wird ein allgemeiner Finanzvorbehalt für Grundrechtsverletzungen und eine daraus resultierende Haftungsbeschränkung diskutiert. Eine dramatische Überlastung des Staatshaushalts durch eine umfassende Grundrechtshaftung scheint aber zweifelhaft. Denn wie besehen stellt das Konzept adäquate systemimmanente Begrenzungsmechanismen bereit und erlaubt so eine sachgerechte Behandlung der Fälle. Wird ein Dammbruch insbesondere hinsichtlich der Legislativhaftung befürchtet, muss eingestellt werden, dass auch verschuldetes exekutives Handeln enorme Haftungsrisiken mit sich bringt. Konsequenterweise müsste folglich auch eine Haftungsobergrenze unabhängig von Eingriffsorganen und -modi diskutiert und nicht partikular einer Erweiterung der Staatshaftung entgegengesetzt werden. Eine Überlastung des Staates erscheint derweil selbst angesichts der einzukalkulierenden Mehrausgaben unwahrscheinlich. Insbesondere, da sich der Hoheitsträger bestehenden Verbindlichkeiten aus Grundrechtsverletzungen nicht allein unter Berufung auf eine bloße Mehrbelastung des immer knappen Staatshaushalt entziehen kann, sondern vielmehr im Rahmen der Steuergesetzgebung die notwendigen Mittel beschaffen und umverteilen muss, ergeben sich demnach trotz einer zu erwartenden finanziellen Mehrbelastung des Hoheitsträgers ebenfalls keine durchgreifenden Bedenken im Hinblick auf die Staatshaftungsreform. Aufgrund der grundgesetzlichen Vorgaben ist daher nicht länger allein entscheidend, wer diesen Geltung verschafft. Der Gesetzgeber in Form eines einfachen Gesetzes ist zu dieser Aufgabe sicherlich vornehmlich berufen – er kann indes durch bloße Untätigkeit nicht die richterliche Verfassungsinterpretation hindern. Im Gegensatz zum Richter aber kann und soll das Parlament rechtspolitische Erwägungen einfließen lassen, die einem ausgewogenen Konzept und vor allem auch der Rechtsklarheit dienlich wären. Den verfassungsrechtlichen Vorgaben kann allein die Grundrechtshaftung gerecht werden, weshalb beiden Gewalten geraten sei, von einer Umsetzung der übrigen Vorschläge abzusehen, die zwar einen Schritt in die richtige Richtung bedeuteten, jedoch entscheidend zu kurz griffen. Die grundrechtlich fundierte Haftung allein bietet eine dogmatisch saubere und auch praktisch sachgerechte Lösung, die insbesondere die im volatilen Bereich der Berufsfreiheit dringliche Haftungslücke zu schließen vermag.

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Sachwortregister Actio negatoria  60, 167–169, 173 Allgemeines Persönlichkeitsrecht  57 Allgemeines Preußisches Landrecht  26, 83, 122, 123, 127, 138, 156, 264 –– Auslegung  138 Amtshaftung  73 –– Beamtenbegriff  76 –– Drittbezogenheit  77, 262 –– Haftungsüberleitung  75 –– Organisationsverschulden  80 –– Rechtsfolge  81 –– Schutzzweck der Norm  78 –– Sorgfaltsmaßstab  79 –– Spruchrichterprivileg  82 –– Subsidiarität  81 –– Tatbestand  76 –– Umgehung  335 –– Verschulden  78 –– Vorrang des Primärrechtsschutzes  82 Anfechtungsklage  49, 54 Anspruchsumwandlung  55, 170, 172, 197, 269 Aufopferungsgleicher Eingriff  127 Aufopferungshaftung  26, 95, 96, 141 –– Dogmatik  150, 269 –– Erweiterung  121, 128, 147 –– Unterlassen  256 Ausgleichsfunktion  43, 292, 297, 298, 341 Beamtengrundrecht  220 Beamtenhaftung  74 Berufsfreiheit –– Bedeutung  23, 32, 134 –– Geschichte  31 –– Haftungslücke  91, 92 –– Prüfungsentscheidungen  95, 259

–– Regulierung  37 –– Schädigungsszenarien  24, 35, 39, 50 –– Schutz  15, 31, 49 –– Schutzbereich  35, 234 –– Struktur des Grundrechts  35 –– Verzögerungsschäden  94 –– Zulassung  15, 37, 97, 260 Bestandsgarantie  207, 208, 213, 229 Bestimmtheit  237 Differenzhypothese  144, 221, 264 Duldung  46, 50, 153, 164, 258 Eigentum  34, 143 Eigentumsgarantie  26, 34, 57, 69, 96, 102, 113 –– Abgrenzung Berufsfreiheit  117, 133 Eingriff  43, 56, 57, 59 –– Befugnisse  37 –– Indirekter  37, 234 –– Zurechnung  216, 231, 280, 290 Eingriffsdogmatik  216, 281 Einschätzungsprärogative  39, 235, 290 Enteignungsgleicher Eingriff  98, 100, 122 –– Entwicklung  122 –– Rechtsgrundlage  130 Entschädigung  40, 41, 59, 98, 105, 139, 154, 261, 264, 351 Ermessen  17, 289 EuGH  86, 182 Europäisierung  26, 85, 179, 275 Europarechtlicher Haftungsanspruch  86 –– Herleitung  87, 182 –– Qualifizierter Verstoß  89, 276 –– Reichweite  88 –– Übertragbarkeit  181

Sachwortregister403 Existenzsicherung  34 Exmittierung  53 Feststellungsklage  64 Fiskalvorbehalt  339 Folgenbeseitigungsanspruch  51, 158, 196 –– Geldzahlung  59 –– Grundrechte  54 –– Mitverschulden  66, 159, 166 –– Rechtsfolge  58 –– Rechtsgrundlage  52 –– Rechtsprechung  55 –– Rechtsstaatsprinzip  53 –– Tatbestand  56 –– Unmittelbarkeit  61 –– Unmöglichkeit  159 –– Unterlassen  57 –– Unzumutbarkeit  160, 163 Folgenbeseitigungslast  63, 272 Folgenentschädigungsanspruch  25, 65, 158, 176, 269 –– Unmittelbarkeit  272 –– Unterlassen  271 –– Verzögerungsschäden  270 Folgerichtigkeit  150 Gefährdungshaftung  216, 222 Gesamtanalogie  156 Gestaltungsspielraum des Parlaments  233, 281, 284, 290, 348 Gewerbebetrieb  98, 100 –– Erweiterungen  105 –– Gründungen  103 –– Notwendige Modernisierung  108 –– Substanzeingriffe  109 Gewerbebetrieb, eingerichteter und ausgeübter  101, 102, 113, 118, 135 Gewohnheitsrecht  130, 151, 332 Gleichheitsgebot  70, 97, 129, 135, 148, 157, 189, 258, 261 Grundrechte –– Abwehrgehalt  54, 97, 192, 201

–– Geschichte  190 –– Gleichwertigkeit  149 –– Kommerzialisierbarkeit  221 –– Kompensationsgehalt  209 –– Leistungsgehalt  211 –– mittelbare Anspruchsgrundlage  130, 138, 193, 218 –– Schranken  235 –– Schutzzweck  217, 290 –– Strukturelement  335 –– Telos  200 Grundrechtshaftung  26, 50, 188 –– Grenzen  222 –– Unmöglichkeit  222 –– Unzumutbarkeit  224 Haftungshöchstgrenzen  235 Haushaltsprärogative des Parlaments  17, 27, 338 Immaterialrechtsgüter  265 Immissionen  50 Indienstnahme Privater  69 Inhalts- und Schrankenbestimmungen  69, 218 Integrität  49, 208 Iura quaesita  140 Ius eminens  140 Judikatives Unrecht  82, 88 Kausalität  259, 282, 286 Kompensation  48, 162, 209, 269 Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz  306 Konvergenz  144 Legislatives Unrecht  77, 88, 99, 256, 262, 277, 280, 282, 286 Leistungsklage  58, 63 Leistungsverwaltung  68 Leistungsverweigerungsrecht  339, 347 Lex imperfecta  53, 237 Lösungsfähigkeit der Ansätze  27, 93, 248

404 Sachwortregister Mandatskontrakt  74 Methodenehrlichkeit  136, 324 Methodenlehre  322, 324 Mittelbeschaffung  342 Nassauskiesungsbeschluss  26, 124, 152, 226, 227 Normatives Unrecht  261, 280 Polizeirechtliche Entschädigungsansprüche  83, 156 Präventivfunktion  45, 287 Primärrechtsschutz  17, 49, 71, 196 Procurator iuris  45, 184 Produktwarnungen  57 Reaktionsanspruch  54, 195 Reaktionsfähigkeit  192, 223, 246 Rechtfertigungslast  207 Rechtmäßiges Alternativverhalten  260, 287 Rechtsfortbildung  317, 326 –– Rechtslücke  327 Rechtsgrundidentität  196 Rechtsirrtum  79 Rechtsmissbrauch  165 Rechtsschutzgarantie  253 Rechtsschutzlast  228 Rechtsstaatsprinzip  45, 48, 50, 53, 187, 229, 236 Rechtsverletzungsreaktion  196 Rechtsweg  251 Rechtswegspaltung  178, 249 Reform des Staatshaftungsrechts  20, 24 –– Finanzierbarkeit  338 –– Geschichte  21, 30 –– Kompetenz  304, 305 –– Lösungsansätze  25 –– Risiken  27 –– Umsetzbarkeit  302 –– Umsetzungsoptionen   28 Regulierung  36 Restitution  48, 59, 170, 174, 198

Richter, sachnäherer  254 Richterrecht  28, 151, 316 –– Anschlussfähigkeit  332 –– Gewaltenteilung  318 –– Politisierung  319 –– Voraussetzungen  316, 326 Risikoabwälzung  43 Risikoverteilung  228, 240, 245 Rückwirkung  63 Sanktionsfunktion  45, 48, 227, 236, 287 Schadensausgleichung  292 Schadensberechnung  287, 299 Schadensersatzanspruch  59, 145, 168, 174, 220, 275 Schadensneigung  148 Schadenspauschalierungen  235 Schadenszurechnung  288, 297 Sekundärrechtsschutz  17, 225 Sonderopfer  95, 96, 126, 153, 258, 261 Soziale Entdifferenzierung  245 Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch  67 Sozialstaatsprinzip  43 Sperrwirkung  242 Spezialgesetzliche Entschädigungsansprüche  84, 156 Spruchrichterprivileg  82 Staat als Umverteilungsgemeinschaft  42 Staatshaftungsgesetz  170, 234, 244, 303, 328 Staatshaftungsrecht –– Bestandsaufnahme  18, 301 –– Funktion  16, 41, 43, 46, 48 –– Richterrechtliche Institute  20, 21 –– Struktur  47, 302 –– Vorgaben des Grundgesetzes  17, 190, 241 Staatshaftungsrecht in der DDR  84 Staatsunrechtshaftung  85, 123, 188, 236, 330

Sachwortregister405 Status negativus  50, 54, 71, 195, 197, 226 Status quo ante  58, 59, 65, 68, 160, 161, 270 Statusverletzung  54 Steuergesetzgebung  341 Störungsbeseitigungsanspruch  58 Subjektives öffentliches Recht  49, 50, 56, 77, 149, 246 Subsidiaritätsklausel  307 Teleologische Auslegung  200, 322 Topik  203 Unrechtsunfähigkeit  74 Unterlassungsanspruch  49, 196 Verbandshaftung  74 Verfassungsinterpretation  210 Verhältnismäßigkeit  70, 163, 205, 224 Vermögensschäden  147 Verschulden  19, 53, 76, 84, 91, 92, 96, 167, 276, 337 Versicherungsstaat  43

Versorgungsstaat  240 Verursacherprinzip  44 Verwirkung  165, 224 Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch  57 Vorrang des Primärrechtsschutzes  225, 281 Vorstaatliche Freiheit  213, 215, 246 Vorteilsausgleichung  296, 298 Vorverständnis  203 Wahlrecht des Bürgers  230 Warnungen  234 Wehrpflicht  94, 258, 270 Weimarer Republik  123, 207 Wertschutz  213 Wertsurrogation  208 Wiedergutmachungsanspruch  59, 68, 197, 239, 268 Wirtschaftsgrundrechte  134 Zivilrecht  18, 53, 145, 166, 193, 209, 224 –– Analogie  53