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German Pages 228 Year 2006
Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Band 42
Die außervertragliche Haftung der Europäischen Gemeinschaft für Verletzungen des WTO-Rechts durch ihre Organe Die Haftung bei Nichtumsetzung von Entscheidungen des Streitbeilegungsgremiums der WTO
Von
Sönke Görgens
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
SÖNKE GÖRGENS
Die außervertragliche Haftung der Europäischen Gemeinschaft für Verletzungen des WTO-Rechts durch ihre Organe
Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Herausgegeben von Thomas Bruha, Meinhard Hilf, Hans Peter Ipsen˙, Rainer Lagoni, Gert Nicolaysen, Stefan Oeter
Band 42
Die außervertragliche Haftung der Europäischen Gemeinschaft für Verletzungen des WTO-Rechts durch ihre Organe Die Haftung bei Nichtumsetzung von Entscheidungen des Streitbeilegungsgremiums der WTO
Von
Sönke Görgens
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-2435 ISBN 3-428-12031-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im September 2004 abgeschlossen und im anschließenden Sommersemester 2005 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Das Urteil des Gerichtshofes vom 1. März 2005 in der Rechtssache C-377 / 02 – Van Parys konnte noch eingearbeitet werden. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Meinhard Hilf, der diese Arbeit betreut und während der Entstehung mit wertvollen Hinweisen unterstützt und gefördert hat. Herrn Prof. Dr. Oeter danke ich sehr herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich allen, die mir durch Ermutigung und Unterstützung bei der Fertigung der Arbeit geholfen haben. Großer Dank gebührt hierbei Herrn JanOliver Schrotz, Herrn Maik Winneke und Herrn Thilo Reimers für ihre hilfreichen inhaltlichen Anregungen und Diskussionen sowie Unterstützung bei den Korrekturarbeiten. Auch den Mitarbeitern der Bibliothek des Instituts für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg, insbesondere Frau Kuhn-Weber, Frau Schallert und Frau Tetzlaff, sei für ihre freundliche Hilfe gedankt. Ganz besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern für ihre stete Förderung und Unterstützung und vor allem meiner Frau Petra, die mir mit großer Geduld und unermüdlicher Ermunterung immer zur Seite stand. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im September 2005
Sönke Görgens
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Teil 1 Grundlagen
24
A. Gemeinschaftsabkommen und Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
I. Völkerrechtsfähigkeit der Gemeinschaft und Abschluss von Gemeinschaftsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
II. Die Rechtswirkung des Völkervertragsrechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
1. Das Völkervertragsrecht als „integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
2. Die unmittelbare Anwendbarkeit des Völkervertragsrechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
a) Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
b) Differenzierung zwischen unmittelbarer Anwendbarkeit und subjektivem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
c) Die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge in der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
d) Ausschluss der unmittelbaren Anwendbarkeit durch Erklärung der Gemeinschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
B. Das Recht der WTO und seine Stellung in der Gemeinschaftsrechtsordnung . . .
31
I. Das Welthandelssystem – Struktur und Funktion der Welthandelsorganisation . .
31
1. Die Struktur des WTO-Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
2. Die Grundprinzipien der WTO-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
II. Das Streitbeilegungsverfahren der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
1. Die Streitbeilegung nach dem GATT 47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
8
Inhaltsverzeichnis 2. Das Streitbeilegungsverfahren der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
a) Die wichtigsten Änderungen gegenüber dem Verfahren nach dem GATT 47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
b) Überblick über das Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
aa) Das Konsultationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
bb) Die Einsetzung eines Panels und das Verfahren vor dem Panel . . . . . . .
35
cc) Die Annahme eines Panel-Berichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
dd) Die Rechtsüberprüfung durch den Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
3. Durchsetzung der vom DSB angenommenen Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
a) Vorrangiges Ziel der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
b) Überwachung der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
c) Entschädigungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
d) Die Aussetzung von Zugeständnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
4. Bewertung des Durchsetzungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
III. Die Stellung der WTO-Abkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . .
42
1. Die Geltung des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
2. Die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts in der Rechtsprechung des Gerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
a) Die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT 47 . . . . . . . . . .
43
b) Die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts . . . . . .
44
c) Kritik an der EuGH-Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit . . .
45
d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
Teil 2 Der Verstoß gegen das WTO-Recht und seine Folgen für europäische Unternehmen
50
A. Die Verletzung des Rechts der WTO-Abkommen am Beispiel der Bananenmarktordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
I. Die Entwicklung im Bananenstreit vor den Streitbeilegungsgremien der WTO
51
1. Der Konflikt um die EG – Bananenmarktordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
a) Die Regelung des Handels mit Drittstaaten nach der Bananenmarktordnung von 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
b) Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Deutschland / Rat (Rs. C-280 / 93)
53
Inhaltsverzeichnis
9
2. Die BMO vor den Streitbeilegungsgremien der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
3. Die Aussetzung von Zollzugeständnissen durch die USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
II. Die Folgen für die betroffenen europäischen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
1. Verluste durch Erhebung der Strafzölle – Die Situation der europäischen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
2. Anhängige Schadenersatzklagen gegen die Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
B. Rechtsschutzlücken im Außenwirtschaftsrecht und Ausgleichsfunktion des Haftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
I. Rechtsschutzdefizite im Außenwirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
1. Die Stellung der Unternehmen im WTO-Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . .
60
2. Direkter gerichtlicher Rechtsschutz gegen die Erhebung der Strafzölle . . . . . . .
63
3. Direkter Rechtsschutz nach Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
II. Die Bedeutung der Gemeinschaftshaftung als Ausgleich bestehender Rechtsschutzdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
1. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
2. Ausgleichsfunktion des Haftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 3 Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft wegen des Verstoßes gegen die WTO-Abkommen
67
A. Das Haftungsrecht der Gemeinschaft nach Art. 288 Abs. 2 EG im Überblick . . .
67
I. Konzeption der Haftung im EG-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Handelndes Organ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
2. In Ausübung einer Amtstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
3. Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
a) Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
b) Verletzung einer höherrangigen Schutznorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
10
Inhaltsverzeichnis c) Besondere Voraussetzung bei normativen Akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
aa) Hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
bb) Die höherrangige Rechtsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
4. Schaden und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
5. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
B. Das haftungsrelevante Verhalten der Gemeinschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
I. Positive Handlung oder pflichtwidriges Unterlassen als haftungsrelevantes Verhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
II. Ausübung einer Amtstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
1. Gemeinschaftshandlungen im Bereich des Außenhandelsrechts . . . . . . . . . . . . . .
74
a) Das Außenhandelsrecht der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
b) Maßnahmen der autonomen Handelspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
aa) Sekundärrechtliche Regelungen des direkten Marktzugangs . . . . . . . . .
75
bb) Innergemeinschaftliche Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die Verletzung des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
I. WTO-Regelungen als Schutznormen im Sinne des Art. 288 Abs. 2 EG – Die unmittelbare Anwendbarkeit als Haftungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
1. Die Rechtsprechung des Gerichts und des Gerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
a) Die Rechtssache Atlanta (Rs. T-521 / 93 und Rs. C-104 / 97) . . . . . . . . . . . . . .
78
b) Die Rechtssachen Cordis Obst (Rs. T-18 / 99), Bocchi Food (Rs. T-30 / 99) und T. Port (Rs. T-52 / 99) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
c) Die Rechtssache Biret International (Rs. T-174 / 00) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
d) Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
2. Unmittelbare Anwendbarkeit und subjektive Rechte im Haftungsrecht der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
a) Kritik an der unmittelbaren Anwendbarkeit als Haftungsvoraussetzung . . .
81
b) Unmittelbare Anwendbarkeit und subjektive Rechte im Bereich der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
aa) Herleitung und Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
Inhaltsverzeichnis bb) Die Begründung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung – Haftung unter Verzicht auf das Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Francovich (verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verzicht auf das Merkmal der unmittelbaren Anwendbarkeit? . . . . (3) Die unmittelbare Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Stellungnahme und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
84 84 85 85 87
cc) Folgerungen für die Haftung wegen Verletzung des WTO-Rechts – Notwendigkeit der unmittelbaren Anwendbarkeit der Haftungsnorm
88
c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
3. Exkurs: Haftpflicht aufgrund der Ratio der Francovich-Rechtsprechung . . . . .
89
a) Parallelen zwischen den Fallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
b) Die Möglichkeit der Übertragung der Francovich-Rechtsprechung auf die Fälle der Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
II. Die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts aufgrund einer endgültigen DSB-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
1. Präzisierung der Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
2. Die rechtlichen Wirkungen von DSB-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
a) Die Pflicht der Gemeinschaft zur Umsetzung der DSB-Entscheidungen . .
95
b) Die inhaltliche Verbindlichkeit der DSB-Entscheidung für die Gemeinschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. Die Rechtsprechung von Gericht und Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Atlanta (Rs C-104 / 97 P) . . . . . . 101 aa) Schlussanträge des GA Mischo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Das Urteil des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Die Urteile in der Rechtssache Biret International (Rs. T-174 / 00 und Rs. C-93 / 02 P) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Das Urteil des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Die Schlussanträge des Generalanwalts Alber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Das Urteil des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Van Parys (Rs. C-377 / 02) 107 aa) Der zu Grunde liegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Die Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Das Urteil des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
12
Inhaltsverzeichnis 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Bewertung des Urteils in der Rechtssache Biret International . . . . . . . . . . . . . 110 b) Die Relevanz des Reziprozitätsarguments und der Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Der Rechtsschutzgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5. Eignung der Bestimmungen des WTO-Rechts für die unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Der relevante Normenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Hinreichend bestimmte Normen des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts nach der Fediol III- und Nakajima-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Die Grundsätze der Fediol III- und Nakajima-Rechtsprechung des EuGH . . . . 118 2. Interpretation der Rechtsprechung – unmittelbare Anwendbarkeit des WTORechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Die Eignung zur Begründung der Gemeinschaftshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4. Die Umsetzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung bei der Umsetzung von DSB-Entscheidungen . . . . . . . . . 121 a) WTO-widriger Umsetzungsakt am Beispiel der Bananenmarktordnung . . . 122 b) Die Entscheidungen Cordis Obst (Rs. T-18 / 99), Bocchi Food (Rs. T-30 / 99) und T. Port (Rs. T-52 / 99) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 c) Das Urteil des Gerichts in der Rechtssache Chiquita Brands International (Rs. T-19 / 01) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 d) Das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Van Parys (Rs. C-377 / 02) 125 aa) Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Das Urteil des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Die umzusetzende Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Die Bestimmtheit der Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 cc) Die Umsetzung der DSB-Entscheidung als Erfüllung einer Verpflichtung im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 IV. Individualschutzcharakter der GATT / WTO-Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Der Begriff des Individualschutzcharakters in der Rechtsprechung des EuGH 132
Inhaltsverzeichnis
13
2. Bewertung des Schutzcharakters von WTO-Normen in der Rechtsprechung des EuGH und EuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Individuen als mittelbar Begünstigte des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4. Der Schutzcharakter einzelner WTO-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 V. Das WTO-Recht als „höherrangige Rechtsnorm“ im Sinne des gemeinschaftsrechtlichen Haftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Das Konzept der „höherrangigen Rechtsnorm“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Bestimmungen des WTO-Rechts als „höherrangige Rechtsnormen“ . . . . . . . . . 139 VI. Besondere Qualität der Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Rechtsakte mit wirtschaftspolitischem Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Die Einordnung des Merkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Bewertung in den Fällen der Strafzollerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Die hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Eingrenzung des Merkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Die frühere Rechtsprechung und die Kritik der Literatur . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Weitere Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Die Beurteilung der qualifizierten Rechtsverletzung vor Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Die allgemeine Eingrenzung des Ermessens der Gemeinschaftsorgane durch das WTO-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Hinreichend qualifizierte Verletzung des unmittelbar anwendbaren WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 c) Die Beurteilung der qualifizierten Rechtsverletzung nach Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Fehlerhafte Anpassungsakte nach Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (1) Mangelnde Berücksichtigung der Interessen der von den Strafzöllen betroffenen Exporteure? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (2) Die offensichtliche Überschreitung der Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) Die Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung als hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (1) Vergleich mit der Haftungssituation in Brasserie du Pêcheur . . . . . 153 (2) Die Kriterien der Quellmehl- und Maisgritzurteile . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
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Inhaltsverzeichnis
D. Die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 I. Grundlagen: Herleitung, Funktion und Struktur der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Die Herleitung der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Funktionen der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Abwehrrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Schutznormen im Sinne des Haftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Die Struktur der Gemeinschaftsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Schutzbereich und Schutzbereichseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Der Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Unmittelbare Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Mittelbarer Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Exkurs: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . 162 (2) Die Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 cc) Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Die Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Verstoß gegen höherrangiges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Die Gemeinwohlbelange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Kritik an der Prüfungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 d) Kriterien zur Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Aussetzung von Handelskonzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 aa) Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Die Angemessenheit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Bezug auf die Individualinteressen der betroffenen Exporteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Ermittlung der Eingriffstiefe und Berücksichtigung individueller Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Wirtschaftliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Beeinträchtigung am Handelskonflikt unbeteiligter Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171 171 171 171 172
Inhaltsverzeichnis (3) Abwägung der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Differenzierte Betrachtung der verfolgten Gemeinwohlbelange (b) Die Berücksichtigung der DSB-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . (c) Kollidierende völkerrechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . .
15 172 172 173 174
e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Vorliegen einer qualifizierten Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 E. Schaden und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Der ersatzfähige Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Der Begriff des ersatzfähigen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Die möglichen Schadenspositionen im Falle einer Strafzollerhebung . . . . . . . . . 176 a) Der Zeitpunkt des Schadenseintritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Der entrichtete Strafzoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 c) Entgangener Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Das Urteil in der Rechtssache Kampffmeyer (verb. Rs. 5,7 und 13 – 24 / 66) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 bb) Bewertung im Falle der Strafzollerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Schadensminderung durch Abwälzung des Schadens auf Dritte und Substitutionsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 II. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Die Kausalität als Haftungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Ursächliches Verhalten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Die WTO-widrige Gemeinschaftshandlung als mitursächliches Verhalten 181 b) Die Rechtsprechung zur Unterbrechung des Kausalverlaufs durch Handlungen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 aa) Die Entscheidungen zum EG-Marktordnungsrecht – die Eigenständigkeit der Entscheidung als Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 bb) Die Entscheidungen im Zusammenhang mit dem ersten Lomé-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 cc) Haftung für Embargoschäden – Das Urteil des EuG in der Rechtssache Dorsch Consult (Rs. T-184 / 95) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Strafzollerhebung durch einen Drittstaat – Bewertung der Kausalität . . . . . 185 aa) Die Eigenständigkeit der Maßnahme, Art. 22 Abs. 2 DSU . . . . . . . . . . . 185 bb) Die Vorhersehbarkeit der Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
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Inhaltsverzeichnis Teil 4 Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln
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A. Die Haftung für rechtmäßiges Handeln im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Die Schlussanträge der Generalanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Die Urteile des EuG und des EuGH in der Rechtssache Dorsch Consult (Rs. T-184 / 95 und Rs. C-237 / 98) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4. Würdigung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Die Anerkennung der Haftung für rechtmäßiges Handeln in der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Widerspruch der Rechtmäßigkeitshaftung mit den Zielen und Strukturen der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Die rechtsstaatliche und demokratische Gemeinschaftsstruktur – insbesondere Rechts- und Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Die Auflösung von Konfliktlagen zwischen Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Die Erhaltung von Ermessensspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Die Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Außergewöhnlicher und besonderer Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Die Rechtfertigung durch das allgemeine wirtschaftliche Interesse . . . . . . . . . . . 198 B. Die Haftung der Gemeinschaft für Schäden aus der Strafzollerhebung . . . . . . . . . 198 I. Der besondere Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Die unverhältnismäßige Belastung einer begrenzten Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Begrenzte Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Unverhältnismäßige Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Inhaltsverzeichnis
17
II. Außergewöhnlicher Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Überschreiten der wirtschaftlichen Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Zollerhöhungen als allgemeines Außenhandelsrisiko? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Das System der Listen mit Zollzugeständnissen im Rahmen des GATT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Die Bindung der Zollzugeständnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Die Verwirklichung eines vorhersehbaren Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Lasten im Allgemeininteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Teil 5 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
207
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
2 Görgens
Abkürzungsverzeichnis a. A.
anderer Ansicht
a. a. O.
am angegebenen Ort
ABl.
Amtsblatt der Europäischen Union
Abs.
Absatz
a. F.
alte Fassung
AJIL
American Journal of International Law
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
ArchVR
Archiv des Völkerrechts
Art.
Artikel
BayVBl
Bayerische Verwaltungsblätter
Bd.
Band
BFH
Bundesfinanzhof
BISD
Basic Instruments and Selected Documents
BT-Drucks.
Drucksachen des Bundestages
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
bzw.
beziehungsweise
CMLRev.
Common Market Law Review
ders.
derselbe
d. h.
das heißt
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
DSB
Dispute Settlement Body
DSU
Dispute Settlement Understanding
DVBl
Deutsches Verwaltungsblatt
ECU
European Currency Unit
ed. / eds.
Editor / s
EG
Europäische Gemeinschaft
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGV / EG
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EJIL
European Journal of International Law
ELR
European Law Review
Abkürzungsverzeichnis EMRK
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
EuG
Gericht erster Instanz
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuGRZ
Europäische Grundrechtezeitschrift
EuR
Europarecht
EUV
Vertrag über die Europäische Union
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWR
Europäischer Wirtschaftsraum
EWS
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
f.
folgende (Seite)
ff.
folgende (Seiten)
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
GA
Generalanwalt
GATS
General Agreement on Trade in Services
GATT
General Agreement on Tariffs and Trade
gem.
gemäß
ggf.
gegebenenfalls
GS
Gedächtnisschrift
h. M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
ILM
International Legal Materials
IP
Internationale Politik
i. S. d.
im Sinne des
i. V. m.
in Verbindung mit
JIEL
Journal of International Economic Law
Jura
Juristische Ausbildung
JuS
Juristische Schulung
JWT
Journal of World Trade
JZ
Juristenzeitung
KOM
Dokument der Europäischen Kommission
LIEI
Legal Issues of European Integration
lit.
littera (Buchstabe)
Mio.
Million(en)
MJIL
Michigan Journal of International Law
Mrd.
Milliarde(n)
2*
19
20
Abkürzungsverzeichnis
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Nr.
Nummer
o. g.
oben genannt
para.
paragraph
RIW
Recht der Internationalen Wirtschaft
RIW / AWD
Recht der Internationalen Wirtschaft / Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters
Rn.
Randnummer
Rs.
Rechtssache
Rspr.
Rechtsprechung
S.
Seite / Satz / Sätze
SCM
Agreement on Subsidies and Countervailing Measures
Slg.
Sammlung der Rechtsprechung des Gerichts erster Instanz und des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
SPS
Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures
st.
ständig
t
Tonne
TRIPs
Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights
u. a.
und andere
USTR
United States Trade Representative
v.
vom
verb. Rs.
verbundene Rechtssachen
VerfO
Verfahrensordnung des EuGH
VG
Verwaltungsgericht
vgl.
vergleiche
VN
Vereinte Nationen
VO
Verordnung
WiB
Wirtschaftsrechtliche Beratung
WTO
World Trade Organization
WVK
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
z. B.
zum Beispiel
ZEuS
Zeitschrift für Europäische Studien
Einleitung Die Ergebnisse der Uruguay-Runde haben neben wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen insbesondere eine weitgehende Verrechtlichung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen bewirkt. Als besonderer Erfolg ist hierbei die Schaffung des obligatorischen Streitbeilegungsverfahrens der WTO zu nennen, das seit seiner Errichtung in erheblichem Maße zur Beilegung von Handelskonflikten genutzt wird.1 Ein Grund für die verstärkte Inanspruchnahme der WTO-Streitbeilegungsgremien liegt sicher in der Verbesserung der Rechtsdurchsetzung gegenüber den früheren Verfahren: Weigert sich der im Streitbeilegungsverfahren unterlegene Staat, den Schiedsspruch rechtzeitig umzusetzen, kann der obsiegende Staat nunmehr regelmäßig Gegenmaßnahmen ergreifen. Die Europäische Gemeinschaft hat sich in der Vergangenheit in zwei prominenten Fällen, dem Konflikt um die EG-Bananenmarktordnung sowie dem Streit um das Importverbot hormonbehandelten Rindfleisches, einer korrekten Umsetzung der Entscheidungen des WTO-Streitbeilegungsgremiums widersetzt. Daraufhin haben die USA jährliche Handelssanktionen von USD 191 Mio. im Fall der EGBananenmarktordnung und USD 116 Mio. im Fall des Hormonstreites verhängt. Leidtragende dieser Eskalation der Handelskonflikte war jedoch nicht die rechtswidrig handelnde Europäische Gemeinschaft. Denn die im Rahmen des WTOStreitbeilegungsverfahrens ergriffenen Gegenmaßnahmen bestehen in der Aussetzung von Handelszugeständnissen und richten sich in Form von Strafzöllen ausschließlich gegen die Exportwirtschaft des rechtswidrig handelnden Staates. Die von der WTO für rechtswidrig erklärte Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft hatte für völlig unbeteiligte europäische Exportunternehmen empfindliche wirtschaftliche Einbußen zu Folge. Wenn der ehemals für den Außenhandel verantwortliche EU-Handelskommissar Pascal Lamy damit zitiert wird, man könne so lange die Umsetzung einer Streitbeilegungsentscheidung verweigern „[a]s long as you pay the penalties [ . . . ]“,2 sollte bedacht werden, dass im Rahmen der WTO-Streitbeilegung die „Strafe“ letztlich von unbeteiligten privaten Unternehmen zu zahlen ist. Es überrascht daher nicht, dass das Vorgehen der Gemeinschaft in den genannten Streitbeilegungsverfahren und insbesondere die Hinnahme der Strafzölle bei den betroffenen Exportunternehmen einen erheblichen Protest hervorriefen, empfanden 1 Seit In-Kraft-Treten des WTO-Übereinkommens am 01. 01. 1995 sind bis zum 01. 01. 2004 bereits 305 Streitbeilegungsverfahren beantragt worden, vgl. Leitner / Lester, JIEL 7 (2004), S. 169 ff. 2 „As long as you pay the penalties, you can go on“ [refusing to comply with a WTO dispute settlement ruling], zitiert bei Bronckers, JIEL 4 (2001), S. 41 (60).
22
Einleitung
sie sich doch stellvertretend für die Gemeinschaft bestraft. Die im Bananenstreit von Strafzöllen betroffenen Unternehmen haben bereits im Jahre 2000 Schadensersatzklagen beim Gericht erster Instanz gegen die Gemeinschaft auf Ersatz ihrer Schäden gem. Art. 288 Abs. 2 EG erhoben. Sie berufen sich dabei auf eine Verletzung des WTO-Rechts durch die Gemeinschaftsorgane.3 Die vorliegende Untersuchung geht der Frage nach, ob und unter welchen Voraussetzungen die Gemeinschaft eine Ersatzpflicht für solche Schäden treffen kann, die aus der Erhebung von Strafzöllen im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens resultieren. Im Vordergrund steht hierbei eine mögliche Ersatzpflicht der Gemeinschaft aus außervertraglicher Haftung gem. Art. 288 Abs. 2 EG. Hiervon zu trennen sind solche Fallgestaltungen, in denen die angeblich erlittenen Schäden nicht durch die Strafzölle eines Drittstaates, sondern durch den gegen das WTO-Recht verstoßenden Gemeinschaftsrechtsakt selbst verursacht wurden. Primärer Anknüpfungspunkt einer Haftung nach Art. 288 Abs. 2 EG ist die Verletzung des WTO-Rechts durch die Gemeinschaftsorgane. Um die haftungsrechtliche Relevanz einer Verletzung des WTO-Rechts durch die Gemeinschaft bewerten zu können, ist eine Einordnung der Rechtswirkungen der WTO-Abkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung erforderlich. Im ersten Teil werden deshalb Grundlagen zu den Rechtswirkungen des Völkervertragsrecht in der Gemeinschaftsrechtsordnung und insbesondere des WTO-Rechts dargestellt, auf denen der weitere Verlauf der Untersuchung aufbaut. Gleichfalls wird im ersten Teil ein Überlick über das Streitbeilegungsverfahren der WTO und das Verfahren zur Aussetzung von Handelszugeständnissen nach Art. 22 DSU geliefert. Der zweite Teil widmet sich den Verstößen der Gemeinschaft gegen das WTORecht und ihren möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen für europäische Unternehmen sowie deren Rechtsschutzmöglichkeiten. Hierbei wird exemplarisch auf die Entwicklung des Bananenstreits eingegangen, der eine Vielzahl der maßgeblichen Fragen im Bereich der Haftung für Verletzungen des WTO-Rechts aufgeworfen hat. Im dritten Teil werden die zentralen Überlegungen zur Haftung der Gemeinschaft für die Verletzung des WTO-Rechts dargelegt. Hierbei folgt der Aufbau der Untersuchung den Voraussetzungen der Gemeinschaftshaftung. Zunächst steht die Frage der Notwendigkeit einer unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts zur Begründung eines Haftungsanspruchs und deren Vorliegen in bestimmten Fallgestaltungen im Vordergrund. Sodann schließt sich die Frage der Qualität der Rechtsverletzung, namentlich die Überschreitung des eingeräumten Ermessens durch die Gemeinschaftsorgane an. Bevor abschließend die Kausalität 3 Siehe Teil 2, A. II. 2. Das Europäische Parlament hat zwar schon früh einen „Ausgleichsfond für die Unternehmen, die der berechtigten Anwendung einer gemeinsamen Handelspolitik zum Opfer fallen“ gefordert (vgl. Bulletin Quotidien Europe Nr. 7458, 04. / 05. 05. 1999, S. 10), der freilich bis heute nicht eingerichtet worden ist.
Einleitung
23
und der ersatzfähige Schaden behandelt werden, wird der Frage nachgegangen, ob sich eine Gemeinschaftshaftung auch aus der Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit ergeben kann. Schließend wird im vierten Teil untersucht, ob die Gemeinschaft in den vorliegend betrachteten Fällen – unabhängig vom Vorliegen rechtswidrigen Verhaltens – eine Haftpflicht aus Aufopferungsrecht treffen könnte.
Teil 1
Grundlagen A. Gemeinschaftsabkommen und Gemeinschaftsrechtsordnung I. Völkerrechtsfähigkeit der Gemeinschaft und Abschluss von Gemeinschaftsabkommen Als Völkerrechtssubjekt besitzt die Europäische Gemeinschaft die Fähigkeit, Abkommen mit einem oder mehreren Staaten sowie internationalen Organisationen zu schließen.1 Das für den Vertragsschluss relevante Verfahren richtet sich nach Art. 300 EG.2 Über den materiellen Umfang der Vertragsabschlusskompetenz besagt Art. 300 EG indes nichts. Nach der AETR-Rechtsprechung des EuGH3 entsprechen die Innen- und Außenkompetenz einander grundsätzlich, so dass die Vertragsschlussbefugnis der Gemeinschaft den Gesamtbereich der Sachzuständigkeiten der Gemeinschaft abdeckt.4 Besonders liegt der Fall, wenn der Gegenstand eines Abkommens in Teilbereichen die Abschlusskompetenz der Gemeinschaft überschreitet, 1 Zur Völkerrechtsubjektivität der Europäischen Gemeinschaft vgl. EuGH, Rs. 22 / 70, AETR, Slg. 1971, S. 263, 274 ff.; Gutachten 1 / 94, WTO-Übereinkommen, Slg. 1994, I-5267, 5395 ff. Die von der Gemeinschaft mit Drittstaaten geschlossenen Abkommen werden als „Gemeinschaftsabkommen“ bezeichnet. 2 Gem. Art. 300 Abs. 1 und 2 EG ermächtigt der Rat die Kommission ausdrücklich zur Verhandlungsführung. Vor dem eigentlichen völkerrechtlichen Abschluss erfolgt innergemeinschaftlich ein Genehmigungsbeschluss des Rates, dem das Abkommen beigefügt ist. Zum Abschlussverfahren Krück, S. 154 ff.; Tomuschat, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 300, Rn. 24 ff.; Müller-Ibold, in: Lenz-Kommentar Art. 300, Rn. 17 ff. Teilweise wird in bestimmten Bereichen das Abschlussverfahren durch Sondervorschriften modifiziert, vgl. nur Art. 133 EG zum Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen. 3 EuGH, Rs. 22 / 70, AETR, Slg. 1971, S. 263, 274 f. 4 Krück, S. 41. Im Einzelnen ist zu differenzieren: In bestimmten Bereichen besitzt die Gemeinschaft die ausschließliche Abschlusskompetenz (vgl. EuGH, Gutachten 1 / 94, WTOÜbereinkommen, Slg. 1994, I-5267, 5397 ff.; EuGH, Gutachten 2 / 91, Übereinkommen Nr. 170 der IAO, Slg. 1993, I-1061, 1076 f. In anderen besteht eine alternativ-konkurrierende Zuständigkeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, so dass die Gemeinschaft erst nach Gebrauch ihrer internen gemeinschaftsrechtlichen Rechtssetzungsermächtigung auch zum Abschluss eines völkerrechtlichen Abkommens berechtigt ist, EuGH, Gutachten 1 / 76, Stillegungsfonds für die Binnenschifffahrt, Slg. 1977, S. 741, 755 f.
A. Gemeinschaftsabkommen und Gemeinschaftsrechtsordnung
25
also teilweise in die Zuständigkeit der Gemeinschaft und teilweise in diejenige der Mitgliedstaaten fällt. Dann verbleibt allein die Möglichkeit, dass die Gemeinschaft gemeinsam mit den insoweit weiterhin zuständigen Mitgliedstaaten das Abkommen als sog. „gemischtes Abkommen“ abschließt.5 Die Abgrenzung der einzelnen Zuständigkeitsbereiche erweist sich hierbei teilweise als recht schwierig.6
II. Die Rechtswirkung des Völkervertragsrechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung 1. Das Völkervertragsrecht als „integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts“ Neben der völkerrechtlichen Bindungswirkung, die schon aus dem Grundsatz pacta sunt servanda folgt,7 ordnet Art. 300 Abs. 7 EG ausdrücklich die Bindung der Gemeinschaft und ihrer Organe an die von ihr geschlossenen Abkommen an. Eines besonderen Transformationsaktes bedarf es insoweit nicht; das im Einklang mit Art. 300 EG geschlossene Abkommen entfaltet unabhängig vom Genehmigungsbeschluss des Rates gemeinschaftsrechtliche Rechtswirkung.8 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH bilden die auf Grundlage des Art. 300 EG von der Gemeinschaft geschlossenen Abkommen ab dem Zeitpunkt ihres In-Kraft-Tretens einen „integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“,9 behalten jedoch in Abgrenzung zum Gemeinschaftsrecht ihren völkerrechtlichen Charakter.10 Diesem Umstand ist bei der Auslegung des Abkommens und der weiteren Untersuchung seiner innergemeinschaftlichen Wirkungen Rechnung zu tragen. Namentlich sind die Besonderheiten völkerrechtlicher Verträge entsprechend zu berücksichtigen.11 Krück, S. 102 ff.; Arnold, ArchVR 19 (1980 / 81), S. 419 ff. Vgl. nur EuGH, Gutachten 1 / 94, WTO-Übereinkommen, Slg. 1994, I-5267, 5395 ff. 7 Krück, S. 123. 8 Bebr, EuR 1983, S. 131; Vedder, in: Grabitz / Hilf, Altband II, Art. 228, Rn. 47 m. w. N.; demgegenüber geht Wünschmann von einem zweigliedrigen gemeinschaftlichen Geltungsbefehl aus. Die innergemeinschaftliche Geltung des Abkommens finde in Art. 300 Abs. 7 EG, der den feststellenden Teil des Geltungsbefehls bilde, eine primärrechtliche Verankerung. Hinzutreten müsse jedoch noch der Zustimmungsbeschluss nach Art. 300 Abs. 2 EG, der insoweit den verfügenden Teil bilde, Wünschmann, S. 108. 9 EuGH, Rs. 181 / 73, Haegeman, Slg. 1974, S. 449, 460, Rn. 2 / 6; Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3641, 3662, Rn. 13; Rs. 12 / 86, Demirel, Slg. 1987, S. 3719, 3750, Rn. 7; Gutachten 1 / 91, EWR, Slg. 1991, I-6079, 6105, Rn. 37. 10 Epiney, EuZW 1999, S. 5 (6); Tomuschat, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 300, Rn. 67 m. w. N. 11 Epiney, EuZW 1999, S. 5 (6); EuGH, Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3641, 3663, Rn. 17 („[ . . . ] der völkerrechtliche Ursprung der fraglichen Bestimmungen [darf] nicht außer acht gelassen werden [ . . . ]“). 5 6
26
Teil 1: Grundlagen
2. Die unmittelbare Anwendbarkeit des Völkervertragsrechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung a) Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit Die Einordnung des Begriffs der unmittelbaren Anwendbarkeit erweist sich als problematisch, da umstritten ist, welche genauen Wirkungen für den innerstaatlichen Rechtsraum dieser Terminus umfasst.12 Der Begriff beschreibt zunächst eine Form der normativen Wirkung von Völkerrecht in einer internen Rechtsordnung, also auch in der supranationalen Rechtsordnung des Gemeinschaftsrechts.13 Hierbei ist die unmittelbare Anwendbarkeit der Norm von ihrer Geltung in der innerstaatlichen Rechtsordnung zu unterscheiden. Innerstaatliche Geltung bedeutet, dass eine völkerrechtliche Norm in den innerstaatlichen Raum eingeführt wurde und geltendes Recht darstellt, ohne dass damit etwas über ihre genauen Wirkungen in der Rechtsordnung ausgesagt wäre.14 Diese Fragen stellen sich erst im Anschluss unter dem Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit, so dass insgesamt festgestellt werden kann, dass die innerstaatliche Geltung eine notwendige Voraussetzung der unmittelbaren Anwendbarkeit ist.15 Der Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit geht somit über die allgemeine Kategorie der innerstaatlichen Geltung des (vertraglichen) Völkerrechts hinaus.16 In Abgrenzung zu den sog. „mittelbar anwendbaren“ völkerrechtlichen Verträgen wird zunächst von einer unmittelbar anwendbaren völkervertraglichen Norm gesprochen, wenn diese unabhängig von weiteren Umsetzungsakten oder Durchführungsvorschriften Anwendung findet und somit „unmittelbar“ Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung ist und für die staatlichen Organe grundsätzlich direkte Rechtswirkungen entfalten kann.17 Hinsichtlich der konkreten Rechtswirkungen, die der völkerrechtlichen Norm unter dem Begriff der unmittelbarer Anwendbarkeit beigemessen werden, kann zwischen der Eignung der Norm zur unmittelbaren Anwendung und der tatsächlichen unmittelbaren Anwendung differenziert werden. 12 Hierzu Bleckmann, Europarecht, S. 406 (Rn. 1152). Am Beginn der Einordnung muss demnach die Erkenntnis stehen, dass die unmittelbare Anwendbarkeit ein mehrschichtiger Begriff ist, dessen einzelne Elemente sorgfältig zu unterscheiden sind, Meng, FS Bernhardt, S. 1068 f. 13 Meng, FS Bernhardt, S. 1065. 14 Koller, S. 58 ff.; Bleckmann, Begriff und Kriterien, S. 59 ff. 15 H. M., Bleckmann, Begriff und Kriterien, S. 59; Koller, S. 64 f.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 160; Kunig, in: Graf Vitzthum, S. 108; Verdross / Simma. § 863; Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), S. 341 (347). 16 Bleckmann, Europarecht, S. 406 (Rn. 1152). 17 Verdross / Simma, § 864; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 160; Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), S. 341 (349); ebenso GA van Gerven, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 70 / 87, Fediol III, Slg. 1989, S. 1781, 1806, Rn. 11, Fn. 8.
A. Gemeinschaftsabkommen und Gemeinschaftsrechtsordnung
27
Teilweise wird angenommen, dass die unmittelbare Anwendbarkeit bei genauer Differenzierung keine Auskunft über die tatsächliche innerstaatliche Anwendung der völkerrechtlichen Norm biete. Vielmehr besage sie lediglich, ob diese zur unmittelbaren Anwendung geeignet sei.18 Für die Anwendung selbst komme es auf den staatlichen Umsetzungsbefehl an, der im Gemeinschaftsrecht durch Art. 300 Abs. 7 EG antizipiert ergangen sei.19 Demnach sei eine Vertragsnorm, wenn sie aufgrund ihrer Struktur und inhaltlichen Bestimmtheit zur unmittelbaren Anwendung geeignet sei, auch unmittelbar anzuwenden.20 Hiervon zu trennen ist ein Verständnis des Begriffs der unmittelbaren Anwendbarkeit, wonach die tatsächlichen Rechtswirkungen der völkervertraglichen Norm in der innerstaatlichen Rechtsordnung umfasst werden. Unter dem Begriff werden dann die Voraussetzungen zusammengefasst, bei deren Vorliegen die staatlichen Organe völkerrechtliche Rechtssätze ihrer Entscheidungsfindung zugrunde legen dürfen.21 Für die unmittelbare Anwendbarkeit ist danach wiederum der Inhalt der Norm entscheidend. Diese muss – insoweit analog zu der oben dargestellten Ansicht – für ihre innerstaatliche Anwendung sachlich und strukturell geeignet sein und insbesondere ein ausreichendes Maß an Bestimmtheit aufweisen.22 Im letztgenannten Sinne ist eine Norm als unmittelbar anwendbar zu bezeichnen, wenn die innerstaatlichen Rechtsanwendungsorgane, also die Verwaltungsbehörden und Gerichte, aus der Norm Rechtsfolgen für den Einzelfall ableiten können, diese also ihrer Entscheidung als Rechtsmaßstab zugrunde legen müssen.23 Infolge ihrer so verstandenen unmittelbaren Anwendbarkeit kann sich der Einzelne vor den Gerichten und im Rahmen von Verwaltungsverfahren direkt auf die Norm berufen und ihre Verletzung geltend machen.24 Im Rahmen dieser Untersuchung soll der Begriff „unmittelbare Anwendbarkeit“ in diesem Sinne verstanden werden.
18 Meng, FS Bernhardt, S. 1067; Wünschmann, S. 46, die den Begriff der „unmittelbaren Anwendbarkeit“ in Abgrenzung zur „unmittelbaren Anwendung“ auf diese Bedeutung begrenzt. 19 Meng, FS Bernhardt, S. 1067. 20 Meng, FS Bernhardt, S. 1067. 21 Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), S. 341 (346 f.). 22 Kunig, in: Graf Vitzthum, S. 108. 23 Verdross / Simma, § 864; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 160; Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), S. 241 (347); vgl. auch Meng, FS Bernhardt, S. 1069. 24 Tomuschat, GS Constantinesco, S. 802 „Individualwirksamkeit“; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 160; Vedder, in: Grabitz / Hilf, Altband II, Art. 228, Rn. 52; Hilf / Schorkopf, EuR 2000, S. 74 (74) „direkte Wirkung“; Wünschmann, S. 47 f. „unmittelbare Wirkung“. Die unmittelbare Anwendbarkeit kann als die stärkste Form der Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages in der innerstaatlichen Rechtsordnung bezeichnet werden, Wünschmann, S. 48; Hilpold, S. 167; Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), S. 341 (358).
28
Teil 1: Grundlagen
b) Differenzierung zwischen unmittelbarer Anwendbarkeit und subjektivem Recht Zu differenzieren ist zwischen der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Norm und ihrer Qualität als objektives oder subjektives Recht. Eine innerhalb der internen Rechtsordnung geltende Vertragsnorm kann als ausschließlich objektives Recht den Staat und seine Organe unmittelbar binden und aufgrund ihrer nach den o. g. Maßstäben zu bewertenden Regelungsdichte als unmittelbar anwendbare Norm einzustufen sein. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Vertragsnorm dem Einzelnen subjektive Rechte zuerkennt.25 Hierbei handelt es sich um subjektive Ansprüche des Einzelnen gegenüber Institutionen des Staates, die er aufgrund ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit auch direkt gegenüber dem Staat in Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren geltend machen kann.26 Insoweit setzt die Zuerkennung von subjektiven Rechten durch eine Rechtsnorm die unmittelbare Anwendbarkeit der Norm voraus, geht jedoch nicht mit dieser zwingend einher.27 Relevant wird die Unterscheidung vor allem, wenn die Klage vor einem Gericht nur dann Erfolg haben kann, wenn eine unmittelbar anwendbare Norm dem Kläger auch subjektive Rechte vermittelt.28 In einer solchen Situation reicht es nicht, die unmittelbare Anwendbarkeit und die objektive Verbindlichkeit der Norm nachzuweisen. Vielmehr muss der Kläger den Nachweis erbringen, dass er aus der Norm ein subjektives Recht ableiten kann.
c) Die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge in der Gemeinschaftsrechtsordnung Der EuGH untersucht die innergemeinschaftlichen Wirkungen von Gemeinschaftsabkommen seit den Entscheidungen Haegeman29 und Kupferberg30 in zwei Schritten, ohne jedoch eine systematische Abgrenzung oder Definition der für die beschriebenen Wirkungen verwendeten Begriffe vorzunehmen.31 Hierzu Vedder, in: Grabitz / Hilf, Altband II, Art. 228, Rn. 52. Verdross / Simma, § 864 spricht von „unmittelbarer Anwendbarkeit im engeren Sinne“; Bleckmann, Begriff und Kriterien, S. 102 f.; Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), S. 341 (358). 27 Meng, FS Bernhardt, S. 1069; Epping, S. 621 f.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 160; Mauderer, S. 99. 28 Mauderer, S. 99. 29 EuGH, Rs. 181 / 73, Haegeman, Slg. 1974, S. 449, 460 f. 30 EuGH, Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3641, 3662, Rn. 13. 31 Die Begriffe werden vom EuGH teilweise synonym verwendet, so dass die Terminologie insgesamt uneinheitlich erscheint und eine genaue Einordnung erschwert wird. Vgl. nur EuGH, Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3641, 3665, Rn. 26, „unmittelbare Wir25 26
A. Gemeinschaftsabkommen und Gemeinschaftsrechtsordnung
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Zunächst prüft der EuGH, ob dem Abkommen Geltung in der Gemeinschaftsrechtsordnung zukommt, es also in Übereinstimmung mit den in Art. 300 EG genannten Voraussetzungen in die Gemeinschaftsrechtsordnung eingeführt wurde und von den Gemeinschaftsorganen und Mitgliedstaaten als geltendes Recht zu beachten ist.32 In einem zweiten Schritt wird untersucht, ob die Bestimmungen des Abkommens derart in der Gemeinschaftsrechtsordnung wirken, dass sich der einzelne Marktbürger auf diese vor den Gemeinschaftsgerichten berufen kann. Diese Wirkung bezeichnet er zumeist als „unmittelbare Wirkung“33 und unterwirft sie wiederum einer zweifachen Prüfung: Zunächst werden Wortlaut sowie Sinn und Zweck des gesamten Abkommens dahingehend untersucht, ob bereits die Rechtsnatur oder die Systematik des Abkommens einer unmittelbaren Wirkung entgegenstehen.34 Erst danach wird gegebenenfalls die entsprechende Einzelbestimmung des Abkommens dahingehend betrachtet, ob diese selbst unbedingt und hinreichend klar gefasst ist, um unmittelbare Wirkung zu entfalten, sich der Einzelne also auf sie berufen kann.35 kung“. Im Urteil Dior verwendet der EuGH in der Überschrift des Prüfungsabschnitts den Terminus unmittelbare Wirkung, in den weiteren Ausführungen stellt er sodann fest: „Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn aus dem Wortlaut, dem Gegenstand und der Art des Abkommens zu schließen ist, dass sie eine klare eindeutige und unbedingte Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirksamkeit nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen“, verb. Rs. C-300 und 392 / 98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11359, Rn. 42 (Hervorhebungen durch Verfasser); vgl. auch EuGH, Rs. 12 / 86, Demirel, Slg. 1987, S. 3719, 3752, Rn. 14. Insgesamt zur Terminologie Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, Art. 300, Rn. 59. 32 Liegen diese Voraussetzungen vor, bildet das Abkommen einen „integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“, EuGH, Rs. 181 / 73, Haegeman, Slg. 1974, S. 449, 460, Rn. 2 / 6; Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3641, 3662, Rn. 13. 33 EuGH, Rs. 104 / 81 Kupferberg, Slg. 1982, S. 3641, 3662 Rn. 26. Der EuGH geht in dieser Rechtssache auf Vorlage des Bundesfinanzhofes auf die Frage der unmittelbaren Wirkung des Art. 21 Abs. 1 des Freihandelsabkommens zwischen Portugal und der EWG ein, das durch die Verordnung (EWG) Nr. 2844 / 72 des Rates vom 19. 12. 1972 (ABl. Nr. L 301 v. 31. 12. 1972, S. 164) gebilligt worden ist. In der Antwort auf die Vorlagefrage führt der EuGH aus, „dass Art. 21 Absatz 1 des Abkommens zwischen der Gemeinschaft und Portugal unmittelbar anwendbar und geeignet ist, den einzelnen Wirtschaftsteilnehmern Rechte zu verleihen, die von den Gerichten zu schützen sind“ (Hervorhebungen durch Verfasser). Vgl. auch EuGH, Rs. 87 / 75, Bresciani, Slg. 1976, S. 129, 139, Rn. 15. 34 EuGH, Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3541, 3663 ff., Rn. 17 ff.; Rs. 87 / 75, Bresciani, Slg. 1976, S. 129, 140 f., Rn. 16 u. 22 f.; Rs. 17 / 81, Pabst & Richarz, Slg. 1982, S. 1331, 1350, Rn. 26 f.; Rs. 12 / 86, Demirel, Slg. 1987, S. 3719, 3752, Rn. 14; Rs. C-18 / 90, Kziber, Slg. 1991, I-199, 225, Rn. 15; Rs. C-432 / 92, Anastasiou, Slg. 1994, I-3087, 3127, Rn. 23; Rs. C-103 / 94, Krid, Slg. 1995, I-719, 736, Rn. 21. 35 EuGH, Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3541, 3665 f., Rn. 23 f.; Rs. 87 / 75, Bresciani, Slg. 1976, S. 129, 141, Rn. 25; Rs. 12 / 86, Demirel, Slg. 1987, S. 3719, 3752, Rn. 14; Rs. C-192 / 89, Sevince, Slg. 1990, I-3461, 3502, Rn. 15; verb. Rs. C-300 und 392 / 98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11359, Rn. 42.
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Teil 1: Grundlagen
Macht ein Mitgliedstaat im Wege der Nichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG die Verletzung von Bestimmungen eines Gemeinschaftsabkommens durch Gemeinschaftssekundärrecht geltend, verwendet der EuGH eine abweichende Terminologie. In diesen Fällen steht die Frage im Vordergrund, ob die Abkommensbestimmung „zu den Vorschriften [gehört], an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane misst“.36 Die zu beachtenden Voraussetzungen sind dabei dieselben, die der Prüfung zugrunde gelegt werden, ob sich der einzelne Bürger auf eine Abkommensbestimmung unmittelbar berufen kann.37
d) Ausschluss der unmittelbaren Anwendbarkeit durch Erklärung der Gemeinschaftsorgane Da die Festlegung der unmittelbaren Anwendbarkeit eines Abkommens nach allgemeinem Völkerrecht grundsätzlich der Disposition der Vertragsparteien unterliegt,38 wird teilweise für die Gemeinschaft geschlossen, der Rat könne einseitig in seinem Genehmigungsbeschluss festlegen, ob die Bestimmungen eines Gemeinschaftsabkommens unmittelbar anwendbar sind.39 Diese Ansicht findet in der Rechtsprechung des EuGH keine Entsprechung. Im Urteil Kupferberg billigt der Gerichtshof den Gemeinschaftsorganen zwar zu, mit dem Drittland als Vertragspartner im Abkommen die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen zu vereinbaren. Wird diese Frage durch das Abkommen hingegen selbst nicht geregelt, hat der Gerichtshof allein im Rahmen seiner Auslegungszuständigkeit über diese Frage zu entscheiden.40 Der Genehmigungsbeschluss des Rates unterscheidet sich als einseitiger Beschluss der Gemeinschaft von einer „bilateralen“ Einigung.41 Das Abkommen entfaltet jedoch unabhängig vom Genehmigungsbeschluss bereits mit In-Kraft-Treten gem. Art. 300 Abs. 7 EG Rechtswirkungen für die Gemeinschaft.42 Aufgrund dieser primärrechtlichen Anordnung der Transformation von Völkerrecht in das Gemeinschaftsrecht ist dem Rat die Disposition über die unmittelbare Anwendbarkeit im Rahmen einseitiger Beschlüsse grundsätzlich entzogen.43 36 EuGH, Rs. 149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8438, Rn. 47; Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5073, Rn. 109 ff. 37 Hermes, S. 108 und 121 ff. 38 Tomuschat, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 310, Rn. 72. 39 So insbesondere Tomuschat, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 310, Rn. 72 m. w. N. 40 EuGH, Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3641, 3663, Rn. 17; bestätigt durch EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8436, Rn. 34. 41 Schmid, NJW 1998, S. 190 (195) m. w. N. 42 Während früher die Zustimmung der Gemeinschaft durch Verordnung erfolgte, hat sich nunmehr die Handlungsform des Beschlusses durchgesetzt, Müller-Ibold, in: Lenz-Kommentar, Art. 300, Rn. 20.
B. Das Recht der WTO
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B. Das Recht der WTO und seine Stellung in der Gemeinschaftsrechtsordnung I. Das Welthandelssystem – Struktur und Funktion der Welthandelsorganisation 1. Die Struktur des WTO-Übereinkommens Mit dem am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen WTO-Übereinkommen wurde nach Abschluss der Uruguay-Runde die Welthandelsorganisation gegründet, die den institutionellen Rahmen der neuen Welthandelsordnung bildet und als „chapeau“ die eigentlichen Handelsabkommen unter sich vereint.44 Unter den im Rahmen des WTO-Übereinkommens geschlossenen Abkommen der WTO sind vor allem die multilateralen Handelsübereinkommen des Annex 1 von großer Bedeutung, die den materiell-rechtlichen Inhalt der Welthandelsordnung bestimmen: Das GATT 94,45 das GATS46 sowie das TRIPs47-Abkommen und das neue Streitbeilegungsabkommen.48 Des Weiteren finden sich noch vier plurilaterale Handelsabkommen in Annex 4, die ergänzende Regeln für spezielle Bereiche aufstellen.49
43 Meng, FS Bernhardt, S. 1070. Epping, S. 617, hält den Beschluss des Rates 94 / 800 vom 22. 12. 1994 (ABl. Nr. L 336 v. 23. 12. 1994, S. 1) über den Abschluss der WTOAbkommen, der im letzten Erwägungsgrund feststellt, dass die WTO-Abkommen nicht so angelegt seien, dass sie unmittelbar vor den Rechtsprechungsorganen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten angeführt werden könnten, für gemeinschaftsrechtswidrig. Der Genehmigungsbeschluss kann indes als Auslegungshilfe herangezogen werden, vgl. EuGH, Rs. 149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8439, Rn. 48. 44 Beise, S. 126 f. Die WTO steht nunmehr als „dritte Säule“ des Weltwirtschaftssystems neben der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds. Das Übereinkommen zur Errichtung der WTO und die in den Anhängen angegliederten Handelsabkommen werden folgend als WTO-Abkommen bezeichnet. 45 Anhang 1 A des WTO-Übereinkommens: Dieses wird gebildet aus dem GATT 47 mit den Änderungen der verschiedenen Welthandelsrunden (einschließlich der Uruguay-Runde) und weiteren Vereinbarungen zu bestimmten Bereichen, vgl. Beise, S. 89. 46 Anhang 1 B des WTO-Übereinkommens: Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen mit Anhängen (General Agreement on Trade in Services – GATS). 47 Anhang 1 C des WTO-Übereinkommens: Übereinkommen über die handelsrelevanten Aspekte der geistigen Eigentumsrechte (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights – TRIPs). 48 Anhang 2 des WTO-Übereinkommens: Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Streitbeilegung (Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, DSU). 49 Z. B. das Abkommen über den Handel mit Zivilluftfahrzeugen (Agreement on Trade in Civil Aircraft).
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Teil 1: Grundlagen
2. Die Grundprinzipien der WTO-Abkommen Als tragende Prinzipien50 des durch die WTO-Abkommen gestalteten Welthandelssystems können zunächst die Meistbegünstigungspflicht51 und die Inländerbehandlung52 genannt werden. Sie finden in nahezu identischen Regelungen der drei grundlegenden multilateralen Abkommen des Annex 1 (GATT 94, GATS und TRIPs) ihren Ausdruck und unterstützen das grundlegende Ziel der WTO-Übereinkünfte, nämlich durch Abbau von Handelshemmnissen und Beseitigung von Diskriminierungen in den internationalen Handelsbeziehungen eine weitgehende Liberalisierung des Handels herbeizuführen.53 Darüber hinaus verdienen das Prinzip der Reziprozität und der Abbau von Handelshemmnissen besondere Erwähnung. Das Reziprozitätsprinzip findet seinen Ausdruck in den Abkommen der WTO durch die Aufforderung zu gegenseitig ausgewogenen Verhandlungen, zu gleichgewichtigen Konzessionen und zur Wahrung gemeinsamer Interessen.54 In diesem Sinne betont die Präambel des WTO-Übereinkommens eine Verwirklichung der Ziele der Abkommen „auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen“.55 Der Abbau von Handelshemmnissen und die Beseitigung des Handelsprotektionismus als den Freihandel hindernde Maßnahmen waren schon das vorrangige Ziel des GATT 47 und sind auch als Prinzip in die WTO-Abkommen übernommen worden. Insoweit wird eine Verringerung der Zölle und sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben angestrebt.56 Bereits im Rahmen des GATT 47 führten die Vertragsstaaten in mehreren Welthandelsrunden eine signifikante Reduzierung von Zöllen als Handelshemmnis herbei. Auf den acht Handelsrunden zwischen 1947 bis 1994 wurden die Zölle jeweils um durchschnittlich ca. 35% gekürzt, insgesamt auf ein durchschnittliches Niveau im Jahre 1994 von nur noch 3,9 %.57 Vgl. hierzu vor allem Senti, Rn. 367 ff.; Stoll / Schorkopf, S. 30 ff.; Beise, S. 96 ff. Die Meistbegünstigungspflicht ist in Art. I GATT 94, Art. II GATS und Art. 4 TRIPs normiert. Dazu Senti, Rn. 376 ff. 52 Das Inländerprinzip wird vor allem in den Art. III GATT 94, Art. XVII GATS und Art. 3 TRIPs geregelt. Dazu Senti, Rn. 422 ff. 53 3. Erwägungsgrund der Präambel des WTO-Übereinkommens. Siehe hierzu Stoll / Schorkopf, S. 32 ff. 54 Senti, Rn. 461 ff. 55 Es soll die gegenseitige Gleichwertigkeit der Zugeständnisse in Verhandlungen zwischen den WTO-Mitgliedern sichergestellt werden, die jedoch durchaus unterschiedliche Schutzniveaus für bestimmte Handelsbereiche haben können. Die Reziprozität nach dem Welthandelsrecht ist streng auf die Zugeständnisse in Verhandlungen zu beziehen, nicht erfasst ist die sog. „aggressive Reziprozität“, die eine Öffnung der Märkte anderer Staaten mit dem Argument anstrebt, es bestehe ein unterschiedliches Schutzniveau zwischen den beteiligten Staaten und deshalb sei der Grundsatz der Gegenseitigkeit verletzt, Senti, Rn. 476 ff., Beise, S. 98 f. 56 Hierzu Senti, Rn. 493 ff. m. w. N. 57 Siehe Übersicht bei Jackson, The World Trading System, S. 74. 50 51
B. Das Recht der WTO
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II. Das Streitbeilegungsverfahren der WTO Ein zentrales Anliegen im Rahmen der Verhandlungen zur Errichtung der WTO war die Schaffung eines Übergangs von einem „power-oriented-System“, in dem durch in Verhandlungen ausgespielte Handelsmacht eine Einigung erzielt oder oftmals auch erzwungen wurde, zu einem „rule-oriented-System“, 58 um durch transparente und verbindlich anzuwendende Regelungen eine weitgehende Förderung des Welthandels zu erreichen. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Förderung des Freihandels die Beachtung der in den WTO-Abkommen vereinbarten Regeln erfordert.59 1. Die Streitbeilegung nach dem GATT 47 Das GATT 47 regelte die Beilegung von Handelskonflikten nur fragmentarisch in Art. XXIII. Das Verfahren hat sich weitgehend gewohnheitsrechtlich herausgebildet und wurde von den Vertragsparteien in entsprechenden Erklärungen festgelegt.60 Danach konnte eine Vertragspartei, die sich durch eine andere Vertragspartei in ihren aus dem GATT 47 resultierenden Vorteilen oder Zugeständnissen verletzt sah („nullification or impairment“), den Fall vor ein Expertengremium (Panel) bringen.61 Der Schwachpunkt des Panel-Verfahrens lag insbesondere in dem Erfordernis der einstimmigen Zustimmung aller Vertragsstaaten im GATT-Rat zur verbindlichen Annahme des Panel-Berichts. Der im Panel-Bericht unterliegenden Partei stand demnach ein Veto-Recht zu.62 Aus diesem Grund wurde das GATT 47-Streitschlichtungsverfahren zuweilen als bloßes Forum für Verhandlungen charakterisiert, durch das eine Verletzung des GATT-Rechts wenig bis überhaupt nicht sanktioniert werden konnte.63 Jackson, The World Trading System, S. 109 ff. Ohne die Absicherung der vereinbarten völkerrechtlichen Handelsregeln durch einen effektiven Streitbeilegungsmechanismus wird die Beilegung eines Handelskonflikts immer erheblich vom guten Willen der mächtigeren Handelsnation abhängig sein, die grundsätzlich ihre Interessen ohne Rücksicht auf die schwächere Handelsnation durchsetzen könnte, vgl. Jackson, The World Trading System, S. 110. 60 Beachtlich sind insbesondere die auf der Tokio-Runde 1979 festgelegte Beschreibung des gewohnheitsrechtlichen Streitbeilegungsverfahrens Understanding Regarding Notification, Consultation, and Dispute Settlement and Surveillance – Agreed Description of the Customary practice of the GATT in the Field of Dispute Settlement, BISD 26S, S. 210 – 218, und die Ministererklärung von 1982 zum Streitbeilegungsverfahren 1982 Ministerial Declaration on Dispute Settlement, BISD 29S, S. 13 ff. 61 Zur Einführung und Entwicklung des Panel-Verfahrens Letzel, S. 143 ff. und Jackson, JIEL 1 (1998), S. 329 (332 ff.). 62 Jackson, JIEL 1 (1998), S. 329 (335 f.). 63 Jackson, The World Trade Organisation, S. 64. 58 59
3 Görgens
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Teil 1: Grundlagen
2. Das Streitbeilegungsverfahren der WTO a) Die wichtigsten Änderungen gegenüber dem Verfahren nach dem GATT 47 Die im Rahmen der Uruguay-Runde gefassten Beschlüsse werteten das Streitbeilegungsverfahrens schon formell auf, das nunmehr ein selbstständiges, im Annex 2 zum WTO-Übereinkommen geregeltes Abkommen darstellt.64 Es zeichnet sich durch detaillierte Regelungen aus, die durch Vorgabe genauer Zeitlimits eine zeitliche Straffung des Verfahrens gewährleisten sollen.65 Zur Verwaltung und Anwendung des DSU wurde das Streitbeilegungsgremium („Dispute Settlement Body“)66 geschaffen. Der DSB ist gem. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 DSU zuständig für die Einsetzung von Panels, Annahme der Berichte der Schiedsgerichte (der Panels und des „Standing Appellate Body“67), Überwachung der Implementierung der angenommenen Berichte sowie Genehmigung der Aussetzung von Zugeständnissen oder sonstigen Verpflichtungen als Reaktion auf die Nichtumsetzung angenommener Panel-Berichte. Als entscheidende Neuerung ist die Einführung des „negativen Konsenses“ im Rahmen der Abstimmung über die Einsetzung der Panels und die Annahme der schiedsgerichtlichen Berichte zu nennen.68 Es ist nunmehr die Zustimmung aller Parteien – auch der das Panel beantragenden bzw. obsiegenden Partei – notwendig, um das Begehren nach der Einsetzung eines Panels (Art. 6 Abs. 1 DSU), den Bericht des Panels (Art. 16 Abs. 4 DSU) oder des Appellate Body (Art. 17 Abs. 14 DSU) abzulehnen. Die Folge ist ein faktischer Automatismus im Hinblick auf die Einsetzung eines Panels und der Annahme der Streitbeilegungsberichte.69 Somit ist es einzelnen Vertragsparteien nicht mehr möglich, das Einsetzungsverfahren zu verschleppen oder die Annahme von Streitbeilegungsberichten zu blockieren. Durch die Einführung des Appellate Body als „Revisionsinstanz“, die aufgrund des nunmehr geltenden negativen Konsenses mit der Folge der quasi-automatischen Annahme der Berichte notwendig wurde, wird das Verfahren einem gerichts64 Nunmehr wird insbesondere die Einheitlichkeit des Verfahrens für Konflikte mit Bezug zum WTO-Recht gesichert, Jackson, JIEL 1 (1998), S. 329 (339). Bis dahin bestand die Möglichkeit des „forum shopping“, d. h. die Einleitung des Verfahrens wahlweise nach Art. XXIII, XXII GATT 47 oder den speziellen Regeln der verschiedenen auf der TokioRunde festgelegten Verfahren, Letzel, S. 222 f. m. w. N. 65 Siehe im Überblick bei Hauser / Schanz, S. 242. 66 Folgend „DSB“. 67 Folgend „Appellate Body“. 68 Diese Änderung wurde als „legal revolution“ (Pauwelyn, AJIL 94 (2000), S. 335 (336)) und „kopernikanische Wende“ (GA Tesauro, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-53 / 96, Hermès, Slg. 1998, I-3603, 3627, Rn. 29) bezeichnet. 69 Jackson, The World Trading System, S. 125; Beise, S. 215.
B. Das Recht der WTO
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förmigen Instanzenzug nachgebildet. Dadurch wird das Verfahren weiter verrechtlicht und zudem das Vertrauen in das neue DSU gestärkt.70
b) Überblick über das Streitbeilegungsverfahren aa) Das Konsultationsverfahren Ist eine Vertragspartei der Auffassung, dass Zugeständnisse oder sonstige Vorteile, die sich nach einem Abkommen im Anwendungsbereich des DSU (gem. Art. 1 DSU) für diese ergeben, zunichte gemacht oder geschmälert werden,71 so kann sie die Gegenpartei zur Aufnahme von Konsultationen auffordern und nach Art. 4 Abs. 4 DSU beim DSB einen Antrag auf Konsultationen stellen.72 Die Gegenpartei ist verpflichtet, innerhalb von 10 Tagen den Eingang des Antrags zu bestätigen und mit dem Ziel der gütlichen Einigung innerhalb von 30 Tagen Verhandlungen mit dem antragstellenden Handelspartner aufzunehmen (Art. 4 Abs. 3 DSU).73
bb) Die Einsetzung eines Panels und das Verfahren vor dem Panel Sollte die Gegenpartei entgegen der Vorgaben aus Art. 4 Abs. 3 DSU weder den Eingang des Antrags innerhalb der Fristen bestätigen noch Konsultationen aufnehmen oder ist nach Aufnahme von Konsultationen keine Einigung zwischen den streitenden Vertragsparteien innerhalb von 60 Tagen herbeizuführen, so kann die antragstellende Partei die Einsetzung eines Panels verlangen (Art. 4 Abs. 3 und Abs. 7 DSU).74 Das sich anschließende Panelverfahren ist in den Art. 6 ff. DSU geregelt. Art. 8 Abs. 1 DSU regelt die Zusammensetzung eines Panels. Es besteht in der Regel75 aus drei geeigneten Einzelpersonen, privaten Persönlichkeiten oder solchen, die Letzel, S. 232. Das DSU steht gem. Art. 3 Abs. 1 in der Tradition des GATT 47 und fußt auf dem Konzept des „nullification and impairment“ (vgl. Art. XXIII GATT 94; Art. XXIII GATS; Art. 64 Nr. 1 TRIPs), Letzel, S. 258. 72 Zum Konsultationsverfahren siehe Schmodde, S. 6 ff. 73 Ein Drittstaat, der an der im Rahmen der Konsultationen behandelten Handelsmaterie eigene Handelsinteressen hat, kann innerhalb von 10 Tagen nach Bekanntgabe des Panelverfahrens ebenfalls einen Antrag auf Teilnahme an den Verhandlungen stellen (Art. 4 Abs. 11 DSU). 74 Im Falle der besonderen Dringlichkeit gelten die (kürzeren) Fristen des Art. 4 Abs. 7 DSU: 10 Tage für die Aufnahme der Konsultationen und 20 Tage für deren Durchführung. Die Einsetzung durch den DSB kann nur durch eine einstimmige ablehnende Entscheidung verhindert werden (Art. 6 Abs. 1 DSU), so dass die beantragende Partei als Mitglied des DSB in jedem Fall die Einsetzung durchsetzen kann, sog. „right to panel“. 75 Eine Aufstockung auf 5 Mitglieder ist möglich, Art. 8 Abs. 5 DSU. 70 71
3*
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Teil 1: Grundlagen
dem öffentlichen Dienst angehören.76 Die geeigneten Experten werden in einem vom WTO-Sekretariat geführten Verzeichnis erfasst.77 Das eigentliche Verfahren der Sacherörterung und Entscheidung folgt Art. 12 ff. DSU sowie Anlage 3 des DSU. Nach schriftlicher und mündlicher Äußerung der Parteien gibt das Panel an die Parteien einen Zwischenbericht.78 Dieser erläutert die Sachlage und die rechtlichen Schlussfolgerungen und weist darauf hin, dass die Parteien bei inhaltlichen Einwänden innerhalb einer festgesetzten Frist eine Überprüfung bestimmter Aspekte beantragen können.79 Das Panel soll den endgültigen Bericht grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten nach seiner Zusammensetzung verabschieden, spätestens jedoch nach neun Monaten.80 Erhebt keine Partei Einwände gegen den Zwischenbericht, geht dieser als Endbericht des Panels an den DSB.
cc) Die Annahme eines Panel-Berichtes Der Panel-Bericht wird vom DSB angenommen, wenn keine Partei innerhalb von 60 Tagen die Befassung der Sache vor dem Appellate Body beantragt oder der DSB einstimmig die Annahme des Berichts verweigert (Art. 16 DSU).
dd) Die Rechtsüberprüfung durch den Appellate Body Die Einführung einer „Revisionsinstanz“ im Rahmen des neuen Streitbeilegungsverfahrens in Art. 17 DSU stellt eine besondere Neuerung durch die Uruguay-Runde dar. Der Appellate Body wird vom DSB eingesetzt und besteht aus sieben Mitgliedern, deren Amtszeit vier Jahre beträgt, wobei sich eine weitere anschließen kann.81 Jeweils drei der Mitglieder des Appellate Body werden mit der Überprüfung eines Panel-Berichts betraut. Das Verfahren stellt eine ausschließ76 Diese „Panelisten“ dürfen nicht Staatsangehörige der Streitparteien sein, es sei denn, die Streitparteien fassen ausdrücklich einen diesbezüglichen Beschluss, Art. 8 Abs. 3 DSU. 77 Das Verzeichnis enthält dasjenige des Jahres 1984 (Roster of non-governmental panelists established on 30. 11. 1984, BISD 31S, S. 9) und soll sukzessive durch Benennung weiterer Experten erweitert werden (Art. 8 Abs. 4 DSU). 78 Vgl. Art. 15 Abs. 1 DSU. 79 Der Zwischenbericht muss innerhalb von vier bis fünf Monaten nach Einleitung des Verfahrens den Parteien zugestellt werden, wodurch auch die beabsichtigte Straffung und Beschleunigung des Verfahrens unterstrichen wird. Das Zwischenverfahren wird innerhalb der in Art. 12 Abs. 8 festgelegten Zeiträume abgewickelt, Art. 15 Abs. 3 DSU. 80 Art. 12 Abs. 8 und 9 DSU. In der Praxis werden diese Fristen zumeist überschritten. Das sechs-monatige Verfahren nach Art. 12 Abs. 8 dauert durchschnittlich 277 Tage, das gem. Art. 12 Abs. 9 auf neun Monate verlängerte Verfahren 366 Tage, Leitner / Lester, JIEL 7 (2004), S. 169 (175). 81 Art. 17 Abs. 2 DSU.
B. Das Recht der WTO
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lich rechtliche Überprüfung dar und soll in der Regel bereits 60 Tage nach der offiziellen Einlegung des Rechtsmittels mit der Veröffentlichung eines Berichts abgeschlossen sein. Die Annahme des Berichts erfolgt durch den DSB, wobei wiederum das negative Konsensprinzip gilt.
3. Durchsetzung der vom DSB angenommenen Berichte a) Vorrangiges Ziel der Rechtsdurchsetzung Das Streitbeilegungsverfahren der WTO zielt ab auf die Wiederherstellung des WTO-konformen Zustandes und die Beseitigung des Rechtsverstoßes, wie er vom DSB festgestellt wurde. Auf die Durchsetzung der DSB-Entscheidung sind – in Abgrenzung zur bloßen Wiederherstellung des Ausgleichs der gegenseitig eingegangenen Zugeständnisse und Verpflichtungen – auch die der obsiegenden Partei nach Art. 22 DSU zur Verfügung stehenden Gegenmaßnahmen gerichtet.82 Das zeigen die verbindlichen Regelungen zum Ergreifen der Maßnahmen, die durch Einführung des negativen Konsenses quasi automatisch der obsiegenden Partei gewährt werden, aber insbesondere auch deren grundsätzlich nur zeitlich begrenzte Wirkung.83 Die derart gegenüber dem Streitbeilegungsverfahren nach dem GATT 47 erheblich verbesserte Möglichkeit, Zugeständnisse und Verpflichtungen auszusetzen, dient gerade dem Ziel der Beseitigung der Vertragsverletzung.84 Es handelt sich um eine vertraglich vorgesehene Gegenmaßnahme (i. S. d. Art. 60 Abs. 4 WVK), die als Repressalie zu qualifizieren ist85 und Anreiz für die Einhaltung der WTO-Verpflichtungen geben soll.86 Darüber hinaus soll das Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen Zugeständnissen und Verpflichtungen wieder hergestellt werden.87 82 Vgl. die Analyse von Charnovitz, FS Hudec, S. 607 ff.; ders., AJIL 95 (2001), S. 792 (802); Neugärtner, S. 165 f. 83 Charnovitz, FS Hudec, S. 609 f. 84 Neugärtner, S. 165. 85 Die Einordnung der Gegenmaßnahmen nach dem DSU in die Begrifflichkeit des Sanktionssystems des klassischen Völkerrechts ist insbesondere aufgrund der Genehmigung der Gegenmaßnahmen durch den DSB nicht unproblematisch. Da jedoch nicht ein bloßer unfreundlicher Akt, sondern ein Rechtseingriff in völkerrechtlich gewährte Rechte vorliegt, wird in Abgrenzung zur Retorsion die Aussetzung von Zugeständnissen als Repressalie einzuordnen sein, Gabler, S. 59 f.; diesem folgend Emmerich-Fritsche, in: Schachtschneider, S. 196 f.; siehe aber Siebold, S. 145, die von Retorsionsmaßnahmen ausgeht. Allgemein zum Begriff der Repressalie und Retorsion Verdross / Simma, § 1334 ff. 86 WT / DS27 / ARB, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Recourse to Arbitration by the European Communities under Art. 22.6, decision by the Arbitrators of 09. 04. 1999, Rn. 6.1 und Rn. 6.3; WT / DS27 / ARB / ECU, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Recourse to Arbitration by the European Communities under Art. 22.6, decision by the Arbitrators of 24. 03. 2000, Rn. 76. 87 Vgl. Petersmann, The GATT / WTO Dispute Settlement System, S. 192.
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Teil 1: Grundlagen
b) Überwachung der Rechtsdurchsetzung Erklärt sich das unterliegende Mitglied mit der Umsetzung der DSB-Entscheidung88 einverstanden, so kann hierfür ein angemessener Zeitraum eingeräumt werden, wenn eine unverzügliche Umsetzung unmöglich ist.89 Die Durchführung der DSB-Entscheidungen wird sodann vom DSB gem. Art. 21 Abs. 6 DSU überwacht. Jedes Mitglied kann jederzeit eine Befassung des DSB mit dem Fortgang der Implementierung verlangen, und zwar auch dann, wenn es nicht am ursprünglichen Streitbeilegungsverfahren beteiligt war.90 Diese Möglichkeit stellt eine beachtliche Stärkung der multilateralen Streitbeilegung dar. Im Übrigen wird der Aspekt der Implementierung turnusmäßig vom DSB behandelt.91 Insbesondere hat der unterliegende Staat vor jeder Tagung des DSB einen Bericht über den Fortschritt im Hinblick auf die Durchführung der DSB-Entscheidung zu übermitteln. c) Entschädigungsvereinbarungen Gelingt es der unterliegenden Partei nicht, der DSB-Entscheidung innerhalb des festgesetzten Zeitraumes zu entsprechen, so ist sie auf Ersuchen der obsiegenden Partei verpflichtet, Verhandlungen über einen angemessenen Ausgleich aufzunehmen. Dieser bilateral zu vereinbarende Ausgleich wird dabei in einer Senkung von Handelshemmnissen zu Gunsten der obsiegenden Partei liegen.92 d) Die Aussetzung von Zugeständnissen Erreichen die Parteien innerhalb von 20 Tagen nach Ablauf der Umsetzungsfrist keine Einigung, kann die obsiegende Partei verlangen, die Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen durch den DSB zu genehmigen. Hierbei wird es sich in aller Regel um die Aussetzung von Zollzugeständnissen gegenüber Importprodukten mit Ursprung im WTO-widrig handelnden Staat handeln.93 Der 88 Folgend werden die vom DSB angenommenen Panel- oder Appellate Body-Berichte als DSB-Entscheidungen bezeichnet. In den Berichten werden die Rechtsverstöße zwar deutlich benannt, jedoch nur selten konkrete Empfehlungen für Anpassungsmaßnahmen erteilt, Rosas, JIEL 4 (2001), S. 131 (134). 89 Art. 21 Abs. 3 DSU. Der Zeitraum beträgt im Falle seiner Festlegung durch das DSB als Richtwert 15 Monate ab Annahme der Berichts durch das DSB, Art. 21 Abs. 3 lit. c) DSU. 90 Art. 21 Abs. 6 S. 2 DSU. 91 Erstmalig 6 Monate nach Festsetzung des angemessenen Zeitrahmens, Art. 21 Abs. 6 S. 3. 92 Pauwelyn, AJIL 94 (2000), S. 335 (337). 93 Die aufgrund der Genehmigung des DSB erhobenen zusätzlichen Zölle werden folgend auch als „Strafzölle“ bezeichnet, ohne dass eine Qualifizierung über einen Strafcharakter zum Ausdruck gebracht werden soll. Es wird damit vielmehr ein in der Literatur häufig verwendeter Begriff aufgenommen, durch den die genehmigte Aussetzung von Zollzugeständnissen pointiert in den Kontext des Handelskonfliktes zweier WTO-Mitglieder gerückt wird.
B. Das Recht der WTO
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DSB erteilt die Genehmigung, insbesondere auch bezüglich der Höhe der auszusetzenden Zugeständnisse, innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des Umsetzungszeitraumes.94 Grundsätzlich soll die Aussetzung von Zugeständnissen und Verpflichtungen in dem Handelssektor95 erfolgen, in dem auch der Rechtsbruch festgestellt wurde, Art. 22 Abs. 3 lit. a) DSU. Dies folgt dem Gedanken, dass protektionistische Maßnahmen eines Staates auch für dessen Unternehmen in dem betroffenen Sektor zu erhöhten Gewinnen führen können, die durch die genehmigten und am eingetretenen Vorteil orientierten Gegenmaßnahmen nivelliert werden und das Gleichgewicht der wechselseitigen Zugeständnisse und Verpflichtungen wieder hergestellt wird. Da diese Form der Gegenmaßnahmen jedoch einen gegenseitigen und vergleichbaren Handel zwischen den betroffenen Ländern auf einem begrenzten Sektor erfordert, ist eine vollständige Kompensation auf demselben Sektor oft nicht möglich oder wird den verletzenden Staat nicht zur Anpassung seiner Gesetze zwingen. Das gilt insbesondere dann, wenn sich ungleiche Handelspartner wie die großen Handelsnationen einerseits und Entwicklungsländer andererseits in einem Konflikt gegenüber stehen.96 Deshalb kann die geschädigte Partei, wenn Aussetzungen von Handelszugeständnissen auf demselben Sektor unmöglich sind oder keinen Erfolg versprechen, versuchen, Verpflichtungen oder Zugeständnisse aus anderen Handelssektoren innerhalb desselben WTO-Übereinkommens auszusetzen, Art. 22 Abs. 3 lit. b) DSU. Diese sog. „cross retaliation“ 97 trifft Unternehmen, die mit dem Handelssektor, der Gegenstand des ursprünglichen Handelskonfliktes war, in keinerlei Verbindung stehen. Der durch die protektionistische Handelspolitik erlangte Vorteil wird also pauschal dem verletzenden Staat zugeschrieben. Eine Abschöpfung in anderen (Handels-)Bereichen desselben Abkommens wird ermöglicht. Einen Schritt weiter geht die in Art. 22 Abs. 3 lit. c) DSU vorgesehene Möglichkeit, Handelszugeständnisse auszusetzen, die sich aus einem anderen Abkommen als dem durch die rechtswidrige Maßnahme verletzten ergeben, wenn die Aussetzung im gleichen oder anderen Sektoren desselben Abkommens unmöglich oder nicht Erfolg versprechend ist.98 Diese Sanktionsmöglichkeit wird oft als Begrün94 Es sei denn, der Antrag wird einstimmig abgelehnt, Art. 22 Abs. 6 DSU. Die Grundsätze und Verfahren der Aussetzung von Zugeständnissen und Vergünstigungen sind in Art. 22 Abs. 3 – 8 DSU detailliert geregelt. 95 Zur Definition der Handelssektoren siehe Art. 22 Abs. 3 lit. f) DSU. 96 Vranes, EuZW 2001, S. 10 ff. 97 Vranes, EuZW 2001, S. 10 (11) verwendet hier den (genaueren) Begriff der „retaliation across sectors“ in Abgrenzung zur Aussetzung von Zugeständnissen in einem anderen Abkommen, die als „retaliation across agreements“ bezeichnet wird. 98 Nicht Erfolg versprechend ist die Aussetzung der Handelszugeständnisse im gleichen bzw. einem anderen Sektor bereits dann, wenn zu erwarten ist, dass diese „normalen“ Gegen-
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Teil 1: Grundlagen
dung angeführt, dass die Stellung der Entwicklungsländer gegenüber den Industrieländern verbessert worden sei. Denn auf Verstöße im Bereich des Handels mit Rohstoffen oder landwirtschaftlichen Produkten kann nunmehr mit Aussetzungen von Zugeständnissen im für Industriestaaten sensiblen Bereich des TRIPs-Abkommens reagiert werden.99 Streiten die Parteien über das Ausmaß der Aussetzungen, so wird dieser Streit gem. Art. 22 Abs. 6 DSU einem Schiedsverfahren unter Einbindung des ursprünglichen Panels übertragen, das bezüglich der genehmigten Aussetzung aufschiebende Wirkung entfaltet.100 Das Ergebnis dieses Schiedsverfahrens muss innerhalb von 60 Tagen nach Ablauf der Umsetzungsfrist vorliegen und ist für die Streitparteien als endgültige Entscheidung verbindlich.101
4. Bewertung des Durchsetzungsverfahrens Der Durchsetzungsmechanismus des DSU ist durch Aufnahme des Prinzips des negativen Konsenses102 bei Genehmigung der Gegenmaßnahmen sowie der Ermöglichung der „cross retaliation“ gegenüber dem GATT 47-Verfahren erheblich verbessert worden. Die Bestimmungen des DSU gehen dabei weit über das im Völkerrecht übliche Maß der Überwachung und Durchsetzung hinaus.103 Obwohl das neue Streitbeilegungsverfahren von den Vertragsstaaten insgesamt zur Konfliktbeilegung in erheblichem Maße genutzt und den Entscheidungen des DSB in aller Regel auch entsprochen wird,104 verfehlen die Regelungen des DSB in der Praxis das angestrebte Ziel der effektiven Rechtsdurchsetzung nicht selmaßnahmen für den geschädigten Staat nachteiliger sind als die „cross retaliation“, siehe European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the European Communities under Art. 22.6 of the DSU, decision by the Arbitrators, 24. 03. 2000, WT / DS27 / ARB / ECU, Rn. 70 ff. 99 Hierzu Subramanian / Watal, JIEL 3 (2000), S. 403 ff. 100 Art. 22 Abs. 6 S. 4 DSU. Siehe insgesamt zum Schiedsverfahren Jürgensen, RIW 2000, S. 577. 101 Art. 22 Abs. 7 S. 5 DSU. 102 Die Ausweitung dieses Prinzips ermöglicht nunmehr neben der Annahme der PanelBerichte auch eine automatische Genehmigung zur Aussetzung von Handelszugeständnissen als Gegenmaßnahme auf einen WTO-Rechtsbruch. Unter dem Streitbeilegungssystem des GATT 47 konnte die unterliegende Partei hingegen durch die Verweigerung der Zustimmung jederzeit die Genehmigung solcher Gegenmaßnahmen verhindern. Das Durchsetzungsverfahren erwies sich deshalb als weitgehend untauglich. Mauderer, S. 38, Fn. 73. Zur Durchsetzung angenommener GATT-Panel-Berichte vgl. Letzel, S. 207 ff. 103 Letzel, S. 334. 104 McRae, JIEL 7 (2004), S. 3 (5); eine Übersicht zur Umsetzung angenommener DSBEntscheidungen, insbesondere durch die USA und EU, gibt van den Broek, JWT 37 (2003), S. 127 (142 ff.). Bis zum 01. 01. 2004 sind unter dem neuen DSU bereits 305 Verfahren beantragt worden, siehe die statistische Analyse von Leitner / Lester, JIEL 7 (2004), S. 169 ff.
B. Das Recht der WTO
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ten.105 Die diesbezüglich zu benennenden Defizite des DSU begründen sich aus der völkerrechtlichen Qualität des Durchsetzungsmechanismus.106 Denn dem Völkerrecht und mithin dem Streitbeilegungssystem der WTO fehlt insofern eine übergeordnete Zwangsgewalt, so dass auf das völkerrechtliche Sanktionsmittel der Gegenmaßnahme zurückgegriffen werden muss. Der Erfolg einer Gegenmaßnahme hängt auch weiterhin maßgeblich vom Kräfteverhältnis der beteiligten Staaten ab. Insbesondere Entwicklungsländer können den Industriestaaten letztlich nur unzureichend durch Aussetzung von Zugeständnissen entgegentreten.107 Daneben können sich die Gegenmaßnahmen auch negativ auf die Unternehmen und Konsumenten des sanktionierenden Staates auswirken, so beispielsweise die Errichtung einer Importquote auch im Hinblick auf die ansässigen Importeure.108 Als besonders nachteilig ist aber der fehlende Strafcharakter des Durchsetzungsmechanismus zu bewerten. So erwachsen der Wirtschaft des rechtswidrig handelnden Staates zunächst Vorteile aufgrund der einseitig gebrochenen Freihandelsregeln.109 Der Wert der Aussetzung von Zugeständnissen oder sonstigen Verpflichtungen darf hingegen den durch das protektionistische Handeln eingetretenen Vorteil nicht überschreiten, sondern soll diesen nur angemessen ausgleichen.110 Die Durchsetzung der DSB-Entscheidung wird hierdurch erheblich erschwert. 105 Hierbei handelt es sich insbesondere um die prominenten Handelskonflikte zwischen den großen Handelsnationen. Im Streit um die amerikanischen Schutzzölle auf Einfuhr von Stahl vermochte erst die konkrete Androhung der Aussetzung von Handelszugeständnissen durch die EG, die USA zu einer Umsetzung der DSB-Entscheidung und Rücknahme der WTO-widrigen Maßnahme bewegen, Süddeutsche Zeitung vom 02. 12. 2003, S. 1. Im Konflikt um die Foreign Sales Corporations beseitigten die USA die WTO-widrige Exportsubventionierung nicht innerhalb der gesetzten Frist, so dass die Gemeinschaft seit dem 01. 03. 2004 einen Strafzoll von 5 % auf eine breite Gruppe von Produkten, insgesamt ca. 290 Mio. A für das Jahr 2004, erhob, Verordnung (EG) Nr. 2193 / 2003 des Rates vom 08. 12. 2003 zur Einführung zusätzlicher Zölle auf die Einfuhren bestimmter Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika, ABl. Nr. L 328 v. 17. 12. 2003, S. 3 ff. Erst ca. 2 1 / 2 Monate nach Einleitung der Gegenmaßnahmen signalisierten die USA Bereitschaft, die umstrittenen Exportförderungen zurückzunehmen, Süddeutsche Zeitung vom 13. 05. 2004. Vgl. zu den besonderen Durchsetzungsproblemen auch Hilf, in: Hilf / Oeter, S. 529 ff. 106 Emmerich-Fritsche, in: Schachtschneider, S. 200; insgesamt zu den Schwächen des Durchsetzungsmechanismus Neugärtner, S. 187 ff. 107 Unabhängig von der Möglichkeit, Zugeständnisse in anderen Abkommen auszusetzen Puth, EuR 2001, S. 706 (712 f.); vgl. Letzel, S. 337. 108 Letzel, S. 339. 109 Die Protektion der eigenen Unternehmen schützt gegenüber der Konkurrenz aus Drittstaaten und fördert zunächst deren Marktstellung im Inland. Das WTO-Mitglied kann so die inländische Wirtschaft in dem betreffenden Bereich stärken und eigene Vorteile aus der Handelsprotektion ziehen, so dass grundsätzlich ein Interesse an der Aufrechterhaltung der handelsbeschränkenden Maßnahme trotz Verhängung von Gegenmaßnahmen bestehen kann, Meng, FS Rudolf, S. 69 ff.; Neugärtner, S. 191; Jackson / Davey / Sykes, S. 370. 110 Art. 22 Abs. 4 DSU.
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Teil 1: Grundlagen
Darüber hinaus treffen die Nachteile der Aussetzung der Zugeständnisse, die regelmäßig in Form von Strafzöllen auf bestimmte Produktgruppen vorgenommen werden, direkt nur die privaten Produzenten und Exporteure des rechtswidrig handelnden Staates. Diese gehören oftmals nicht einmal dem durch die handelsbeschränkende Maßnahme geförderten Wirtschaftsbereich an. Die verantwortlichen politischen Entscheidungsträger des rechtswidrig handelnden Staates werden durch die Gegenmaßnahmen lediglich mittelbar über die direkt betroffenen Unternehmen erreicht.111 Diese Folge des DSU-Durchsetzungsmechanismus, dass die Leidtragenden der Verletzung des WTO-Rechts durch ihren Heimatstaat in erster Linie die Exporteure sind, stellt nicht nur ein erhebliches Defizit in der Effektivität der Rechtsdurchsetzung dar, sondern ist in ihren Auswirkungen als unfair einzustufen.112
III. Die Stellung der WTO-Abkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung 1. Die Geltung des WTO-Rechts Das WTO-Übereinkommen mit den in den Anhängen beigefügten einzelnen Handelsabkommen ist von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten als gemischtes Abkommen abgeschlossen worden und bildet, zumindest soweit es in die Vertragsabschlusskompetenz der Gemeinschaft fällt, einen „integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“. 113 111 So Puth, EuR 2001, S. 706 (714), der vorschlägt, die Sanktionen unmittelbar gegen den Staat in Anlehnung an das Zwangsgeld gem. Art. 228 Abs. 2 EG zu richten. Zum Zwangsgeld nach Art. 228 Abs. 2 EG: Hölscheidt, BayVBl. 1997, S. 459 ff.; Heidig, EuR 2000, S. 782 ff. und EuGH, Rs. C-387 / 97, Kommission / Griechenland, Slg. 2000, I-5047, 5106 ff.; EuGH, Rs. C-304 / 02, Kommission / Frankreich, Urteil vom 12. 07. 2005, Rs. C-304 / 02 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). Pauwelyn, AJIL 94 (2000), S. 335 (346) regt an, dass ein Betrag in Höhe des durch das WTO-widrige Handeln eingetretenen Schadens als Entschädigung gezahlt werden sollte. 112 Letzel, S. 340. Jackson, World Trade and the Law of GATT, S. 186 zum GATT 47. 113 Das GATT 94 fällt in die alleinige Abschlusszuständigkeit der Gemeinschaft, EuGH, Gutachten 1 / 94, WTO-Übereinkommen, Slg. 1994, I-5267, 5395, Rn. 34. Gegen die innergemeinschaftliche Einordnung des gesamten WTO-Rechts als „integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts“ spricht die primärrechtliche Anordnung der „geteilten Kompetenzen“ zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten, die so durch den Abschluss gemischter völkerrechtlicher Verträge umgangen werden könnte, so m. w. N. Epiney, EuZW 1999, S. 7. Im Urteil Hermès hat sich der EuGH für die umfassende Auslegung von gemischten Abkommen zuständig erklärt und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die Abkommen einheitlich abgeschlossen werden, EuGH, Rs. C-53 / 96, Hermès, Slg. 1998, I-3603, 3646, Rn. 22 ff. Da sowohl die EG als auch deren Mitgliedstaaten das Übereinkommen ohne Beschränkung auf ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich ratifiziert haben, wird vertreten, dass in den völkerrechtlichen Beziehungen zu den Drittstaaten eine „gesamtschuldnerische Haftung“ der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten für grundsätzlich alle WTO-Verpflichtungen anzu-
B. Das Recht der WTO
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2. Die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts in der Rechtsprechung des Gerichtshofes a) Die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT 47 Der EuGH lehnt in ständiger Rechtsprechung die unmittelbare Anwendbarkeit des GATT 47 in der Gemeinschaftsrechtsordnung ab. In seiner Leitentscheidung International Fruit aus dem Jahre 1972 bejahte der Gerichtshof zwar grundsätzlich die Bindung der Gemeinschaft an die im Rahmen des GATT 47 übernommenen Pflichten,114 verneinte aber eine unmittelbare Anwendbarkeit des umstrittenen Art. XI GATT 47. Der Gerichtshof wies darauf hin, dass für die Bewertung, ob eine Norm unmittelbar anwendbar sei, der Sinn, Aufbau und Wortlaut des Abkommens in Betracht gezogen werden müsse. Das GATT 47 zeichne sich jedoch durch die große Geschmeidigkeit und Flexibilität seiner Bestimmungen aus. Das würden insbesondere die Ausnahmevorschriften zeigen, namentlich die ordre-public-Klausel des Art. XIX GATT 47. Ebenso werde durch die Verpflichtung zur Ermöglichung von Konsultationen im Rahmen der Streitbeilegung die Flexibilität des Abkommens unterstrichen.115 Lediglich in den Konstellationen, die den Urteilen Fediol III116 und Nakajima117 zugrunde lagen, gelangte der EuGH zu dem Ergebnis, dass eine Gemeinschaftshandlung unmittelbar anhand der Vorschriften des GATT zu überprüfen ist. In beiden Urteilen zieht der EuGH Anknüpfungspunkte im (sekundären) Gemeinschaftsrecht heran, die eine Überprüfung anhand der GATT-Vorschriften ausnahmsweise erforderlich machen.118
nehmen sei. Die durch das Gutachten 1 / 94 definierte Abgrenzung der nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzen habe demnach in der Praxis nicht zu nennenswerten Problemen geführt und es seien insbesondere gegen EG-Mitgliedstaaten eingeleitete Streitbeilegungsverfahren einvernehmlich in ein Verfahren gegen die Gemeinschaft umgewandelt worden, Petersmann, in: Müller-Graff, S. 82. 114 EuGH, verb. Rs. 21 – 24 / 72, International Fruit Company, Slg. 1972, S. 1219, 1227 f., Rn. 14 – 18. 115 Die ablehnende Haltung zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit hat der Gerichtshof in folgenden Urteilen mit gleicher Begründung beibehalten, EuGH, Rs. 9 / 73, Schlüter, Slg. 1973, S. 1135, 1156 ff.; Rs. 266 / 81, SIOT, Slg. 1983, S. 731, 773 ff.; verb. Rs. 267 – 269 / 81, SPI / SAMI, Slg. 1983, S. 801, 828 ff. Ebenso verneinte er die Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten eine Verletzung von Regelungen des GATT 47 erfolgreich geltend machen können, EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994 I-4973, 5071 ff., Rn. 103 ff. 116 EuGH, Rs. 70 / 87, Fediol III, Slg. 1989, S. 1781. 117 EuGH, Rs. 69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069. 118 In der Rechtssache Fediol III verwies eine Norm Gemeinschaftssekundärrechts auf das GATT 47. In der Sache Nakajima bezweckte ein Beschluss des Rates die Erfüllung einer im Rahmen des GATT 47 durch die Gemeinschaft übernommene Verpflichtung. Die Fallgestaltungen werden ausführlich in Teil 3, C. III. 1. dargestellt.
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Teil 1: Grundlagen
b) Die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts Zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der Bestimmungen des WTO-Übereinkommens und seiner Anhänge nahm der Gerichtshof erstmals im Urteil Portugal / Rat Stellung.119 Die Entscheidung wurde insbesondere deshalb mit Spannung erwartet, da die zum GATT 47 angeführten Argumente der großen Geschmeidigkeit und Flexibilität der Bestimmungen auf das reformierte GATT 94 mit dessen Einbindung in das neue Welthandelssystems nicht ohne weiteres übertragen werden konnten. Der EuGH gelangt dennoch zu einer Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit.120 Er stützt diese Entscheidung jedoch nicht auf die mangelnde Bestimmtheit der WTO-Normen bzw. auf die Geschmeidigkeit und Flexibilität der WTOAbkommen. Der Gerichtshof anerkennt vielmehr, dass sich das Recht der WTO „erheblich“ vom GATT 47 unterscheide und namentlich der neue Streitbeilegungsmechanismus das Ziel der Rücknahme der WTO-widrigen Maßnahme verfolge.121 Seine ablehnende Haltung stützt der Gerichtshof auf zwei neue Argumente, die er wiederum miteinander verknüpft: Einerseits würde eine unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts dazu führen, dass Gerichte mit WTO-Recht unvereinbare innerstaatliche Rechtsvorschriften gerade nicht mehr anwenden, wodurch den Legislativ- und Exekutivorganen der Mitglieder ihre Befugnis zur Verhandlungslösung gem. Art. 22 DSU genommen werde.122 Des Weiteren würden auch die wichtigs119 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395. Siehe zum Urteil Portugal /Rat nur Griller, JIEL 3 (2000), 441 ff.; ders., in: Breuss / Griller / Vranes, S. 247 ff.; Hilf / Schorkopf, EuR 2000, S. 74 ff.; Neugärtner / Puth, JuS 2000, S. 640 ff.; Cascante, S. 319 ff.; Wünschmann, S. 176 ff.; Rosas, CMLRev. 37 (2000), S. 797 ff.; Desmedt, JIEL 3 (2000), S. 191 f.; Zonnekeyn, ELR 25 (2000), S. 293 ff.; ders., JWT 34 / 3 (2000), S. 111 ff.; van den Broek, JIEL 4 (2001), S. 411 ff.; Peers, in: de Búrca / Scott, S. 114 ff. Einen Überblick über die Rechtsprechung von Gericht und Gerichtshof zur Rechtswirkung des WTO-Rechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung bietet Snyder, CMLRev. 40 (2003), S. 313 (315 ff.). 120 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8439, Rn. 47; bestätigt durch EuGH, Urteil vom 09. 01. 2003, Rs. C-76 / 00 P, Petrotub, Slg. 2003, I-79, 141, Rn. 53 f. und EuGH, verb. Rs. C-27 / 00 und C-122 / 00, Omega Air, Slg. 2002, I-2569, 2627, Rn. 89 ff. Im Urteil Hermès hat der EuGH sich zur Auslegung des Art. 50 TRIPs zuständig erklärt, obwohl die Bestimmung nach dem Gutachten 1 / 94 grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten fällt, ohne auf die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit einzugehen. In diesem Vorgehen ist eine Berücksichtigung des WTO-Rechts im Rahmen der völkerrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu sehen, EuGH, Rs. C-53 / 96, Hermès, Slg. 1998, I-3603, 3646 ff. Vgl. auch Urteil des EuGH, Rs. 92 / 71, Interfood, Slg. 1972, S. 231, 242, Rn. 6, in dem der Gerichtshof im Rahmen der Auslegung des EG-Zolltarifs auf das GATT 47 als „nützliches Hilfsmittel für die Auslegung“ zurückgriff. Zum ganzen Mauderer, S. 130, v. Bogdandy, NJW 1999, S. 2088 (2089), zum Urteil in der Rechtssache Hermès siehe Hermes, S. 196 ff. 121 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8436, Rn. 36 f. Daneben weist der EuGH ausdrücklich darauf hin, dass das System der Verhandlungen zwischen den Mitgliedern weiterhin einen hohen Stellenwert genieße. 122 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8437, Rn. 40.
B. Das Recht der WTO
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ten Handelspartner eine unmittelbare Anwendbarkeit ablehnen, wodurch ein Mangel der Gegenseitigkeit bei Anwendung der WTO-Abkommen eintrete.123 Denn wenn die Gerichte der wichtigsten Handelspartner das WTO-Recht nicht unmittelbar anwenden, führe die einseitige Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit zu einem dem Prinzip der Gegenseitigkeit widersprechenden Ungleichgewicht. Den Legislativ- und Exekutivorganen der Gemeinschaft stehe nämlich kein gleichwertiger Spielraum zur Verfügung, wenn der Gemeinschaftsrichter deren Handlungen unmittelbar am WTO-Recht messe.124 Der Gerichtshof lehnt deshalb insgesamt eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts ab und stellt in einer späteren Entscheidung klar, aus den im Urteil Portugal / Rat angeführten Gründen folge auch, dass die Bestimmungen des WTORechts für den Einzelnen keine Rechte begründen, auf die er sich nach dem Gemeinschaftsrecht unmittelbar vor den Gerichten berufen könnte.125 Die Geltung der Fediol III- und Nakajima-Rechtsprechung wurde hingegen auch für das WTORecht bestätigt.126
c) Kritik an der EuGH-Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit Bereits die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendbarkeit des GATT 47 ist auf Kritik gestoßen, und nach In-Kraft-Treten der WTO-Abkommen mehren sich die Stimmen, die sich gegen eine Übertragung der ablehnenden Argumentation auf das WTO-Recht aussprechen und teilweise eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts befürworten.127 Hervorgehoben wird, dass durch die Errichtung des Welthandelssystems als System des Freihandels auch die Garantie von Freiheitsrechten für die Marktbürger 123 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8438, Rn. 42 u. 46. Der EuGH stellt fest, dass die WTO-Abkommen „auf der Grundlage der Gegenseitigkeit“ beruhen und sich von solchen Abkommen mit Drittländern – wie das im Urteil Kupferberg – unterscheiden, die eine gewisse Asymmetrie in den Verpflichtungen begründen. 124 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8438 f., Rn. 45 f. 125 EuGH, verb. Rs. C-300 / 98 und C-392 / 98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11360, Rn. 44. In der Entscheidung war die Verletzung von Bestimmungen des TRIPs geltend gemacht worden. 126 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8439, Rn. 49; bestätigt durch EuGH, Urteil vom 09. 01. 2003, Rs. C-76 / 00 P, Petrotub, Slg. 2003, I-79, 141, Rn. 53 f. und EuGH, Urteil vom 12. 03. 2002, verb. Rs. C-27 / 00 und C-122 / 00, Omega Air, Slg. 2002, I-2569, 2627, Rn. 89 ff. 127 Vgl. aus der umfangreichen Literatur nur: Petersmann, EuZW 1997, S. 325 ff.; Meng, FS Bernhardt, S. 1085; Becker-Celik, S. 136 ff.; dies., EWS 1997, S. 12 (15); Stein, EuZW 1998, S. 261 (263 f.); Gabler, S. 131 ff.; Neugärtner / Puth, JuS 2000, S. 640 (643); Kuilwijk, S. 339 ff.; Nagel, S. 299 ff.; Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 (230); Cottier, CMLRev. 35 (1998), S. 325 (369 ff.); Everling, CMLRev. 33 (1996), S. 401 (421 ff.); Cottier / Schefer, JIEL 1 (1998), S. 83 ff.; Zonnekeyn, ELR 25 (2000), S. 293 (298 ff.); ders., JWT 34 / 3 (2000), S. 111 (119 ff.). A. A. Berkey, EJIL 9 (1998), S. 626 ff.; Castillo de la Torre, JWT 29 / 1 (1995), S. 52 (64 ff.); Kuijper, JWT 29 / 6 (1995), S. 49 (64 f.); Sack, EuZW 1997, S. 650 f.
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Teil 1: Grundlagen
einhergehe. Diese Rechte seien bindend und stünden nicht zur Disposition der Gemeinschaftsorgane.128 Die Rechtsprechung des EuGH ermögliche jedoch die Einschränkung dieser Rechte, ohne dass dem Einzelnen eine Rechtsschutzmöglichkeit verbleibe, und gestehe der Gemeinschaft somit eine „Option zum Völkerrechtsbruch“ zu.129 Darüber hinaus sei zu beachten, dass insbesondere die im GATT 94 bzw. TRIPs formulierten Ge- und Verbote, wie beispielsweise das Meistbegünstigungsprinzip und die Inländerbehandlung, hinreichend präzise, unbedingt und justiziabel und mithin zur unmittelbaren Anwendbarkeit geeignet seien.130 Auch überzeugten die Argumente, die für die mangelnde Unbedingtheit und Flexibilität der Bestimmungen des GATT 47 bzw. für dessen strukturelle Defizite angeführt wurden, im Hinblick auf das WTO-Recht nicht. Die durch das DSU eingeführten Neuerungen bewirkten eine „Verrechtlichung“ des Streitbeilegungssystems, so dass die beim GATT 47 bemängelte „Unverbindlichkeit“ der Streitschlichtung nicht mehr festgestellt werden könne.131 Ebenso sei die Möglichkeit, auf Schutzklauseln zurückzugreifen, durch das Abkommen über Schutzklauseln eingeschränkt und präzisiert worden und daneben eine stärkere Kontrolle der Ausnahmegenehmigungen („waiver“) gewährleistet.132 Darüber hinaus seien Schutzund Ausnahmeklauseln charakteristisch für das internationale Wirtschaftsrecht und ließen sich insbesondere auch im Gemeinschaftsrecht finden, ohne dessen unmittelbare Anwendbarkeit auszuschließen.133 Der EuGH verweist weiterhin auf das Bestehen von Verhandlungselementen (Art. 22 Abs. 2 DSU) im Rahmen der WTO-Streitbeilegung und führt an, dass die unmittelbare Anwendbarkeit gerade diese Verhandlungselemente einschränke und so ein Ungleichgewicht in der Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten der WTO-Mitglieder begründet werde. Griller134 weist darauf hin, dass die in Art. 22 Abs. 2 DSU geregelte Kompensationsmöglichkeit gerade keine Alternative zur grundsätzlichen Befolgung des WTO-Rechts darstelle und zwischen der unbedingten Pflicht zur Befolgung eines Petersmann, EuZW 1997, S. 651 (652). Petersmann, EuZW 1997, S. 325 (327). 130 Eeckhout, CMLRev. 34 (1997), S. 11 (33 f.); Ott, S. 225 f., 235 ff. und insgesamt zu den einzelnen Bestimmungen der WTO-Abkommen S. 223 ff.; zur Justiziabilität einzelner Bestimmungen vgl. auch Petersmann, EuZW 1997, S. 651 (652). 131 Meng, FS Bernhardt, S. 1085; Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 (230); Becker-Celik, EWS 1997, S. 12 (14); Gramlich, in: Geiger, S. 206. 132 Cascante, S. 257 ff.; Krajewski, S. 60; Meng, FS Bernhardt, S. 1084. 133 Becker-Celik, EWS 1997, S. 12 (15), die bloße Existenz von Schutzklauseln stehe somit einer unmittelbaren Anwendbarkeit nicht entgegen, vgl. EuGH, Rs. 104 / 81, Kupferberg, Slg. 1982, S. 3641, 3664, Rn. 21. Der EuGH hat diese Argumentation zur Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit im Urteil Portugal / Rat nicht wieder aufgenommen, EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8436 f., Rn. 37. 134 Griller, JIEL 3 (2000), S. 441 (451 u. 454); ders., in: Breuss / Griller / Vranes, S. 277. 128 129
B. Das Recht der WTO
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Streitbeilegungsbeschlusses und der Frage der möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit sauber zu trennen sei. Der EuGH scheint jedoch auf die bloße Möglichkeit der Abweichung von Verpflichtungen nach dem WTO-Abkommen abzustellen,135 ohne die grundsätzliche Pflicht zur Rücknahme der das WTO-Recht verletzende Maßnahme in Frage zu stellen.136 Im Hinblick auf das Hauptargument der mangelnden Gegenseitigkeit wird dem EuGH seine eigene Kupferberg-Rechtsprechung entgegengehalten.137 Insbesondere könnten dem Gegenseitigkeitsargument nicht derart weitreichende normative Auswirkungen zugesprochen werden.138 Denn die normative Anknüpfung für die gemeinschaftsrechtliche Bewertung der unmittelbaren Anwendbarkeit an die Praxis anderer Staaten würde letztlich dazu führen, dass der EuGH ebenfalls zu einer unmittelbaren Anwendbarkeit kommen müsste, wenn die wichtigsten Handelspartner die Abkommen unmittelbar anwenden würden.139 Auch die ohne erkennbare Begründung erfolgte Feststellung des Gerichtshofs, dass die WTO-Abkommen ihrem Wesen nach nicht von der Kupferberg-Entscheidung erfasst seien, wird kritisiert.140 Darüber hinaus wird die Schlüssigkeit der Begründung bezweifelt, eine Asymmetrie im Modus der Vertragsumsetzung unter den Vertragsparteien führe gleichzeitig zu einer Störung der Gegenseitigkeit.141 Denn die Frage, ob die WTOMitglieder die WTO-Abkommen mit gleichen oder unterschiedlichen Methoden umsetzen, lasse sich nicht mit der Frage der gestörten Gegenseitigkeit verknüpfen. Ein WTO-Mitglied könne auch unabhängig von der Bejahung der unmittelbaren Anwendbarkeit die WTO-Übereinkünfte nach Treu und Glauben ebenso erfüllen, wie ein Mitglied, welches die unmittelbare Anwendbarkeit anerkenne.142 Trotz der an der EuGH-Rechtsprechung geäußerten Kritik lehnen Teile der Literatur eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts, ebenfalls aufgrund der mangelnden Gegenseitigkeit und der damit einhergehenden einseitigen Einengung der Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane bei Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit gegenüber den Handelspartnern, ab.143 Hilf / Schorkopf, EuR 2000, S. 74 (86). „Erstes Ziel des Streitbeilegungsmechanismus ist [ . . . ] zwar grundsätzlich die Rücknahme der betreffenden Maßnahme, [ . . . ].“, EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8436 f., Rn. 37; zu den Handlungsspielräumen der Gemeinschaftsorgane vgl. Tancredi, EJIL 15 (2004), S. 933. 137 Becker-Celik, EWS 1997, S. 12 (15 f.). 138 Hierzu Wünschmann, S. 177. 139 Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (94); Wünschmann, S. 177; vgl. v. Danwitz, JZ 2001, S. 721 (726 ff.). 140 Griller, JIEL 3 (2000), S. 441 (455 ff.); ders., in: Breuss / Griller / Vranes, S. 282 ff. Eingehend zur Rechtsprechung des EuGH zur Anwendbarkeit verschiedener Gemeinschaftsabkommen vgl. van den Broek, JIEL 4 (2001), S. 411 (418 ff.). 141 Hermes, S. 317. 142 Hermes, S. 317. Insgesamt zur unmittelbaren Anwendbarkeit und Reziprozität Hermes, S. 273 ff.; Cascante, S. 283 ff. 135 136
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Teil 1: Grundlagen
d) Stellungnahme Die Heranziehung des Gegenseitigkeitsprinzips zur Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts stößt auf berechtigte Bedenken. Zunächst weicht der EuGH von dem Begründungsmuster der Kupferberg-Entscheidung ab, das die normative Bewertung des Abkommens in den Vordergrund stellt und die unmittelbare Anwendbarkeit durch andere Vertragsparteien nicht als entscheidendes Kriterium erachtet.144 Eine überzeugende Begründung für die unterschiedliche Behandlung von Gemeinschaftsabkommen, die unter die Kupferberg-Entscheidung fallen sollen, und dem WTO-Übereinkommen vermag der EuGH hingegen nicht zu bieten.145 Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit vorrangig eine Form des „judical self restraint“ des Gerichtshofs zur Sicherung der Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane gegenüber den Handelspartnern darstellt.146 Dies erscheint, unabhängig von der rechtlichen Begründung, nach politischen Maßstäben angesichts der gegenseitigen Vertragspflichten der WTO-Abkommen durchaus sinnvoll und steht in einer Linie mit der grundsätzlich zurückhaltenden Überprüfung von Gemeinschaftsrechtsakten mit außenhandelsrechtlichen Bezug durch den EuGH.147 Hierfür spricht auch die Ausgestaltung des Streitbeilegungssystems, das keine „Vorlageinstanz“ für die nationalen Gerichte bei Auslegungsproblemen der Rechte und Pflichten des WTORechts bereithält. Mit der Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit geht jedoch eine erhebliche Verminderung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Bürger einher, die sich 143 Siehe nur Rosas, JIEL 4 (2001), S. 131 (139), Sack, EuZW 1997, S. 650 f. und 688; Kuijper, JWT 29 / 6 (1995), S. 49 (64 f.); Montaña i Mora, JWT 30 / 5 (1996), S. 43 (52 ff.); Hilpold, S. 264 ff. Weiter wird angeführt, dass das Streitbeilegungssystem aufgrund seiner Struktur als exklusives System für die Durchführung der Abkommen zu charakterisieren sei. Als solches schließe es eine externe Durchsetzung der WTO-Regeln vor den nationalen Gerichten und mithin die unmittelbare Anwendbarkeit grundsätzlich aus, Wünschmann, S. 178 ff. In diese Richtung auch Krajewski, S. 63 ff. und Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (693). 144 Siehe aber Wünschmann, nach deren Ansicht der EuGH eine Heranziehung des Gegenseitigkeitsprinzip zur Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit schon in der KupferbergEntscheidung vom EuGH grundsätzlich bejaht und den Ausschluss der unmittelbaren Anwendbarkeit aufgrund mangelnder Gegenseitigkeit noch von einem Vertragsbruch der anderen Seite abhängig gemacht habe, Wünschmann, S. 171 ff. m. w. N. 145 So kann mit guten Gründen angeführt werden, dass letztlich auch solche Assoziationsund Freihandelsabkommen der Gemeinschaft, die unter die Kupferberg-Rechtsprechung fallen, grundsätzlich ebenfalls auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhen, auch wenn dies nicht ausdrücklich im Vertragstext erwähnt wird, vgl. Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (93). 146 Meng, Rudolf FS, S. 80; vgl. Eeckhout, JIEL 5 (2002), S. 91 (94 f.); vgl. bereits Hilf zur GATT-Rechtsprechung („policy-orientated approach“), MJIL 18 (1997), S. 321 (340). 147 Vgl. Cottier / Oesch, in: Cottier / Mavroidis, S. 289 f.
B. Das Recht der WTO
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nicht gegenüber den Gerichten und Verwaltungen auf die Einhaltung der die Gemeinschaft treffenden Verpflichtungen der WTO-Abkommen berufen können.148 Diese Rechtsschutzverweigerung wird nunmehr mit einer Argumentation untermauert, die nicht mehr auf die Systematik des Übereinkommens oder den normativen Gehalt der WTO-Bestimmungen abstellt, sondern primär handelspolitische Gründe anführt. Demgegenüber hat der Gerichtshof ausdrücklich bestätigt, dass in bestimmten Ausnahmefällen Sekundärakte der Gemeinschaft direkt an deren Verpflichtungen aus dem WTO-Abkommen zu messen sind, so dass zumindest in diesen Fällen der Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten weder das Gegenseitigkeitsargument noch sonstige Erwägungen des „judicial self restraint“ entgegenstehen.149 Es bleibt abzuwarten, ob der Gerichtshof unter Anerkennung des durch das WTO-Recht eingetretenen welthandelsrechtlichen Entwicklungssprungs zumindest in solchen Fallgestaltungen, die einen Schutz des außenhandelsrechtlichen Ermessens der Gemeinschaftsorgane und deshalb die erhöhte richterliche Zurückhaltung nicht erfordern, den Weg der Heranziehung des WTO-Rechts zur Überprüfung des EG-Sekundärrechts in bestimmten Ausnahmesituationen sowie der Möglichkeit des Einzelnen, sich auf das WTO-Recht dann zu berufen, weiter ausbaut.
Hierzu eingehend Teil 2, B. I. 3. So in den Konstellationen, die den Rechtssachen Fediol III und Nakajima zugrunde lagen. Griller fragt insoweit zu Recht, warum das Gegenseitigkeitsprinzip dann einer Heranziehung des WTO-Rechts nicht entgegenstehe, wenn ein Anknüpfungspunkt zum Gemeinschaftssekundärrecht vorliege, in: Breuss / Griller / Vranes, S. 263. 148 149
4 Görgens
Teil 2
Der Verstoß gegen das WTO-Recht und seine Folgen für europäische Unternehmen A. Die Verletzung des Rechts der WTO-Abkommen am Beispiel der Bananenmarktordnung Infolge der Einbindung der Gemeinschaft in das Welthandelssystem werden die Handelsnachteile und besonderen Belastungen für europäische Unternehmen, die aus einer WTO-widrigen Gesetzgebung der Gemeinschaft resultieren, in besonderer Weise offenbar. Zunächst besteht nunmehr regelmäßig die Möglichkeit, im Rahmen des reformierten Streitbeilegungsverfahrens auf Antrag die Verletzung des WTO-Rechts durch eine bestimmte Gemeinschaftshandlung ausdrücklich festzustellen. Die Gegenmaßnahmen zur Durchsetzung der DSB-Entscheidungen sind sodann auf die Beseitigung des Rechtsverstoßes sowie den Ausgleich der erlittenen (Handels-)Nachteile gerichtet und können nur so lange angewendet werden, wie auch der Rechtsverstoß andauert.1 Die von Strafzöllen betroffenen Unternehmen werden so in die Lage versetzt, die Ursache für die erlittenen Nachteile genau zurückzuverfolgen. Der Zusammenhang zwischen Feststellung des Rechtsverstoßes, dessen Ahndung durch Strafzollerhebungen und die Folgen für die europäischen Unternehmen sollen nachfolgend am Beispiel des Konflikts um die Bananenmarktordnung zwischen den USA und der EG2 dargestellt werden.
1 Art. 22 DSU rechtfertigt weder Gegenmaßnahmen für zurückliegende Rechtsverletzungen noch deren Aufrechterhaltung, sobald der Rechtsverstoß beseitigt wurde, Goh / Ziegler, JIEL 6 (2003), S. 545 (559). 2 Dazu allgemein Vranes, in: Breuss / Griller / Vranes, S. 1 ff.
A. Die Verletzung des Rechts der WTO-Abkommen
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I. Die Entwicklung im Bananenstreit vor den Streitbeilegungsgremien der WTO 1. Der Konflikt um die EG – Bananenmarktordnung a) Die Regelung des Handels mit Drittstaaten nach der Bananenmarktordnung von 1993 Durch die am 1. Juli 1993 in Kraft getretene Bananenmarktordnung3 wurde eine einheitliche Marktorganisation für den in die nationalen Märkte aufgeteilten europäischen Bananenmarkt eingeführt. Von besonderer Brisanz war die Neuordnung des Bananenhandels mit Drittstaaten in Teil IV der BMO. Die BMO differenziert in Art. 15 zwischen „traditionellen Einfuhren aus den AKP-Staaten“,4 „nichttraditionellen Einfuhren aus AKP-Staaten“,5 „Einfuhren aus Nicht-AKP-Drittländern“ und „Gemeinschaftsbananen“. 6 Während für die traditionellen Einfuhren von AKP-Bananen7 und Einfuhren aus EG-Staaten und ihren überseeischen Gebieten kein Zoll erhoben werden sollte, war gem. Art. 18 Abs. 1 BMO für die Einfuhren von nichttraditionellen AKP-Bananen und Bananen aus Drittländern (sog. Drittlandsbananen oder „Dollarbananen“) ein Zollkontingent von ursprünglich 2 Mio. Tonnen jährlich vorgesehen.8 Innerhalb des Zollkontingentes war die Einfuhr von nicht-traditionellen AKP-Bananen zollfrei,9 für die Einfuhr von Drittlandsbananen wurde ein Zoll 3 Verordnung (EWG) 404 / 93 des Rates vom 13. 02. 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen, ABl. Nr. L 47 vom 25. 02. 1993, S. 1, folgend auch als „BMO“ bezeichnet. 4 Laut Anhang zur BMO gehören hierzu die Bananenimporte aus der Elfenbeinküste, Kamerun, Surinam, Somalia, Jamaika, St. Lucia, St. Vincent und den Grenadinen, Dominikanische Republik, Belize, den Kapverdischen Inseln, Grenada und Madagaskar. Mit den sog. AKP (= Afrikanisch / Karibisch / Pazifisch) Staaten (insgesamt 70 Staaten) hat die EG die Abkommen von Lomé geschlossen. Hierzu Oppermann, S. 786 ff. Die BMO zielt unter anderem darauf, die Verpflichtungen der EG aus dem 5. Protokoll zum Lomé-IV-Abkommen zu erfüllen, siehe KOM (92), 359 endg., S. 8. Zu den entwicklungspolitischen Zielen der BMO vgl. Trumm, S. 341 ff. 5 Hierunter fielen Einfuhren aus den AKP-Staaten, die nicht im Anhang zur BMO aufgeführt sind sowie Einfuhren, die über das im Anhang zur BMO festgelegte Zollkontingent von 857.700 t / pro Jahr hinausgehen. 6 Nach Art. 17 der BMO bedurften alle Einfuhren von Bananen in die Gemeinschaft der Vorlage einer Einfuhrlizenz, die nur gegen Hinterlegung einer Sicherheitsleistung erteilt wurde. 7 Die Zollfreiheit galt in dem im Anhang genannten Rahmen von einer Gesamteinfuhrmenge von 857.700 Tonnen. 8 Von diesem Kontingent entfielen 66,5% auf die etablierten Vermarkter der Drittlandsbananen und nicht-traditioneller AKP-Bananen, 30 % auf die Vermarkter von traditionellen AKP-Bananen und Gemeinschaftsbananen und 3,5% auf die Marktbeteiligten, die ab 1992 mit der Vermarktung von anderen als Gemeinschafts- und / oder traditionellen Bananen beginnen. 9 Da im Jahr 1992 die Gesamteinfuhrmenge nur 651.060 t betrug (Tabelle 1 im Anhang zu dem Kommissions-Bericht nach zwei Jahren Bananenmarktordnung Dok. IP / 95 / 1105) und
4*
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Teil 2: Der Verstoß gegen das WTO-Recht und seine Folgen
von 100 ECU / t erhoben. Außerhalb des Zollkontingentes unterlagen nicht-traditionelle Einfuhren von AKP-Bananen einem Gewichtszoll von 750 ECU / t und Einfuhren von Drittlandsbananen einem Gewichtszoll von 850 ECU / t.10 Durch das neue Bananenmarktregime ergaben sich einschneidende Veränderungen, insbesondere für die europäischen Importeure von Drittlandsbananen.11 Das für die Drittlandsbananen vorgesehene Kontingent entsprach nicht der in den vorangegangenen Jahren eingeführten Gesamtmenge12 von Bananen aus dem Dollarraum. Eine Einfuhr über das Kontingent hinaus war jedoch aufgrund des prohibitiv wirkenden Zolls von 850 ECU / t gänzlich unwirtschaftlich, so dass Absatzeinbrüche zu erwarten waren.13 Darüber hinaus deckten die den traditionellen Importeuren von Drittlandsbananen zugeteilten Einfuhrlizenzen nicht den tatsächlichen Bedarf, während den traditionellen Importeuren von Gemeinschafts- oder AKP-Bananen Lizenzen für Importe aus dem Dollarraum zugeteilt wurden, die diese nicht verwenden konnten. Da eine Veräußerung der Lizenzen möglich war, setzte ein reger Schwarzmarkt mit Lizenzen ein, der den traditionellen Vermarktern von EG- und AKP-Bananen ein nicht unerhebliches Zusatzgeschäft ermöglichte.14 Für die Bananenproduzenten in den durch die BMO nicht geförderten Drittländern ergaben sich ebenfalls eine Reihe wirtschaftlicher Nachteile. Da das Kontingent zur Einfuhr von Drittlandsbananen nicht der vorher in die EG importierten Gesamtmenge entsprach und darüber hinausgehende Einfuhren aufgrund des prohibitiven Zolls nicht wirtschaftlich sein konnten, war abzusehen, dass signifikante Marktmit einem signifikanten Anstieg der traditionellen oder nicht-traditionellen Einfuhren aus AKP-Ländern zu rechnen war, waren praktisch sämtliche Einfuhren aus AKP-Staaten zollfrei, während sämtliche Einfuhren von Drittlandsbananen entweder dem Zoll von 100 ECU oder 850 ECU unterlagen. 10 Der Gewichtszoll von 100 ECU / t entsprach einem Wertzoll von ca. 20 – 25%, der Gewichtszoll von 750 ECU bzw. 850 ECU entsprach einem Wertzoll von ca. 145% bzw. ca. 175 %, Kuschel, RIW 1995, S. 218 (219), vgl. auch Eeckhout, European Internal Market, S. 233. 11 Diese waren hauptsächlich in den Mitgliedstaaten ansässig, die auch schon vor In-KraftTreten der BMO ihren Bedarf an Bananen vorwiegend aus Nicht-AKP-Ländern bezogen haben, also Deutschland, die Benelux-Staaten, Dänemark und Irland. Demgegenüber wurde der Bananenmarkt in den Ländern Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Großbritannien und Italien fast ausschließlich aus eigener Produktion oder durch Einfuhren aus den AKPStaaten, die teilweise ehemalige Kolonien dieser Länder waren, gespeist. In diesen Ländern waren demnach traditionell keine oder nur geringe Handelsbeziehungen in den Dollarraum vorhanden, siehe Weustenfeld, S. 3 ff. m. w. N. Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der BMO siehe Maurer, S. 57 ff. 12 Das Kontingent entsprach 1.333.000 Tonnen pro Jahr für alle Importeure in der EG. Zum Vergleich: allein nach Deutschland durfte im Jahr 1992 ein Kontingent von 1.371.000 Tonnen zollfrei eingeführt werden. 13 Maurer, S. 51. 14 Die Lizenzen wurden nach einigen Berechnungen zu mehr als 450 DM pro Tonne von den Vermarktern von EG- und AKP-Bananen gehandelt, Maurer, S. 60 m. w. N.
A. Die Verletzung des Rechts der WTO-Abkommen
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anteile dieser Produzenten auf dem EG-Bananenmarkt wegbrechen würden und eine für diese Produzenten ungünstige Neuordnung des Marktes einsetzen würde.15
b) Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Deutschland / Rat (Rs. C-280 / 93) Besonders bedeutsam im Rahmen der Auseinandersetzung um die BMO ist die Nichtigkeitsklage der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik machte neben Regelungen des Gemeinschaftsrechts16 in erster Linie die Verletzung grundlegender Bestimmungen des GATT 47 geltend.17 Im Urteil vom 14. Mai 199318 wies der Gerichtshof den auf eine Verletzung des GATT 47 gestützten Klagegrund mit der Begründung zurück, dass das Abkommen nicht unmittelbar anwendbar sei. Inhaltlich ging der Gerichtshof – wie auch GA Gulman in den Schlussanträgen19 – nicht auf eine mögliche GATT-Verletzung ein, sondern stellte unter Verweis auf seine Rechtsprechung zum GATT 47 fest, dass sich der einzelne Gemeinschaftsangehörige vor Gericht nicht auf die Vorschriften des GATT 47 berufen könne, um die Rechtmäßigkeit einer Gemeinschaftshandlung zu bestreiten. Diese Besonderheit des GATT schließe auch die Berücksichtigung des GATT 47 im Rahmen der von einem Mitgliedstaat nach Art. 173 Abs. 1 EG a. F. (jetzt: 230 Abs. 1 EG) erhobenen Nichtigkeitsklage aus.20 2. Die BMO vor den Streitbeilegungsgremien der WTO21 Bereits vor In-Kraft-Treten der BMO beantragten fünf lateinamerikanische Länder22 im Jahre 1993 die Einsetzung eines Panels noch unter dem GATT 47-Ver15 Dem ersten Verordnungsvorschlag folgte nach der Ratssitzung im Dezember 1992 ein zweiter „Kompromissvorschlag“, der letztlich am 12. 02. 1993 gegen die Stimmen Deutschlands, Belgiens und der Niederlande angenommen wurde. 16 EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5056 ff., Rn. 44 ff.; zur möglichen Verletzung materiellen Gemeinschaftsrechts durch die BMO vgl. Cascante / Sander, S. 50 ff. 17 EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5071 ff., Rn. 103 ff. Die Unvereinbarkeit des Verordnungsvorschlags mit dem GATT 47 war der Kommission von Beginn an bewusst. Aus diesem Grund wies sie ausdrücklich darauf hin, dass der Vorschlag der Zustimmung der GATT 47-Vertragsstaaten gem. Art. XXV (5) GATT 47, also der Erteilung eines „waiver“, bedürfe, Verordnungsvorschlag der Kommission, KOM (92) 359 endg. und ABl. C 232 vom 10. 09. 1992, S. 3. 18 EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5039. 19 EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5020 ff., Rn. 125 ff. 20 EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5073, Rn. 109. 21 Einen detaillierten Überblick über die in Verbindung mit dem Konflikt um die BMO durchgeführten WTO-Streitbeilegungsverfahren geben Jackson / Grane, JIEL 4 (2001), S. 581 (592 ff.).
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Teil 2: Der Verstoß gegen das WTO-Recht und seine Folgen
fahren. Der Panel-Bericht vom Januar 1994,23 dessen Annahme durch die EG-Mitgliedstaaten im GATT-Rat verweigert wurde, stellte diverse Verstöße gegen das GATT 47, insbesondere gegen das Meistbegünstigungsprinzip, fest. Im weiteren Verlauf wurden Verhandlungen zwischen den lateinamerikanischen Ländern und der Gemeinschaft geführt, an deren Ende den AKP-Ländern durch den GATT-Rat am 9. Dezember 1994 eine Ausnahmegenehmigung nach Art. XXV GATT 47 im Hinblick auf die Meistbegünstigungsklausel limitiert bis zum 29. Februar 2000 erteilt wurde. Dies erlaubte es der EG, Einfuhren aus den AKP-Ländern mit Präferenzregeln zu behandeln.24 Dennoch wurde auf Antrag der USA,25 Mexikos, Honduras, Guatemalas und Ecuadors am 6. Mai 1996 ein Panel zur Überprüfung der BMO eingesetzt – diesmal im Rahmen des neuen DSU. Das Panel legte am 29. April 1997 insgesamt vier Abschlussberichte vor, die am 22. Mai 1997 vom DSB angenommen wurden.26 Das Panel kam zu dem Ergebnis, dass die Zuteilung von zollbegünstigten Kontingentanteilen, soweit sie die Höchstmengen von 1991 überschritten, gegen Art. XIII GATT 94 verstießen. Zudem verletze das System der Lizenzverteilung Art. XIII, I Abs. 1, III Abs. 4 und X Abs. 3 GATT 94 und Vorschriften des GATS. Indes verneinte es einen Verstoß gegen das Meistbegünstigungsprinzip aufgrund des Loméwaivers.27 Die Gemeinschaft rief daraufhin den Appellate Body an, der am 8. September 1997 seinen Bericht vorlegte, der wiederum am 25. September 1997 vom DSB angenommenen wurde.28 Der Appellate Body bestätigte die Entscheidung des Panels und kam darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass auch die Zollregelungen, die das Panel noch durch den Lomé-waiver gedeckt sah, gegen das GATT 94 verstoßen würden.29 Nach der nunmehr endgültigen Entscheidung wurde der Gemeinschaft ein Zeitraum von 15 Monaten bis zum Ablauf des 31. Dezember 1998 zur Umsetzung der DSB-Entscheidung eingeräumt.
Costa Rica, Kolumbien, Nicaragua, Guatemala und Venezuela. GATT, Dispute Settlement Report on the European Economic Community-Import Regime for Bananas, ILM 1995, S. 177 ff. 24 Sog. „Lomé-waiver“. 25 Als Heimatland großer bananenexportierender Konzerne. 26 WT / DS27 / R, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, report of the Panel of 22. 05. 1997. 27 Siehe zum Bericht des Panels Meier, EuZW 1997, S. 566 ff. 28 WT / DS27 / AB / R, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, report of the Appellate Body of 09. 09. 1997. 29 Siehe zum Bericht des Appellate Body Meier, EuZW 1997, S. 719 ff. 22 23
A. Die Verletzung des Rechts der WTO-Abkommen
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3. Die Aussetzung von Zollzugeständnissen durch die USA Im Dezember 1998 verkündete das Office des „United States Trade Representative“ (USTR), dass unmittelbar nach Ablauf der gewährten Umsetzungsfrist auf ausgewählte Importprodukte der EG ein erhöhter Einfuhrzoll erhoben werden sollte und veröffentlichte gleichzeitig eine Liste der betroffenen Produktgruppen.30 Die USA beantragten die Genehmigung zur Erhebung der Zölle beim DSB und verlangten mit Wirkung vom 3. März 1999 die Hinterlegung des Strafzolls für die bezeichneten Produkte, obwohl das von der Gemeinschaft angestrengte Schiedsverfahren nach Art. 22 Abs. 6 DSU zur Höhe der beantragten Gegenmaßnahmen noch andauerte.31 Nachdem das Panel auf Antrag der Gemeinschaft die Höhe des von den USA geltend gemachte Schadens von 520 Mio. $ auf 191,4 Mio. $ gesenkt und gleichzeitig die WTO-Widrigkeit auch der geänderten Bananenmarktordnung32 festgestellt hatte,33 verkündete der USTR am 9. April 1999 die endgültige Liste der Produkte, auf die ein zusätzlicher Einfuhrzoll von bis zu 100 % (ad valorem) rückwirkend zum 3. März 1999 erhoben werden sollte.34 Die USA wählten das schärfste Sanktionsmittel des DSU, indem sie im Wege der „cross retaliation“ Produkte mit dem Strafzoll belegten, die weder zum Handel mit Bananen oder Früchten noch sonstigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen zählten.35 Am 19. April 1999 wurde die von den USA eingereichte Liste mit den Sanktionsmaßnahmen offiziell vom DSB genehmigt. Die USA begannen umgehend mit der Erhebung der angekündigten Strafzölle.36 30 Office of the United States Trade Representative, „USTR Announces List of European Products Subject to increased Tariffs“, Press Release 98 – 113, 21. 12. 1998, sog. „PecorinoListe“. 31 Zur genauen Entwicklung nach Ablauf der Umsetzungsfrist Vranes, in: Breuss / Griller / Vranes, S. 24 ff. 32 Verordnung (EG) Nr. 1637 / 98 des Rates vom 20. 07. 1998 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 404 / 93 über die gemeinsame Marktordnung für Bananen, ABl. Nr. L 210 vom 28. 07. 1998, S. 28 und die Durchführungsverordnung der Kommission (EG) Nr. 2362 / 98 vom 28. 10. 1998 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EWG) Nr. 404 / 93 des Rates betreffend die Einfuhrregelung für Bananen in die Gemeinschaft, ABl. Nr. L 293 vom 31. 10. 1998, S. 32. 33 WT / DS27 / ARB, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the European Communities Under Art. 22.6 of the DSU, decision by the Arbitrators of 09. 04. 1999. 34 Office of the United States Trade Representative, „USTR Announces Final Product List in Bananas Dispute“, Press Release 99 – 35 of 09. 04. 1999. 35 Hierzu Vranes, EuZW 2001, S. 10 ff.; Valles / McGivern, JWT 34 (2000), 63 ff. 36 Auch im weiteren Verfahren war die EG unterlegen. Nachdem das von der EG beantragte Panel noch die rückwirkende Erhebung der Strafzölle als unrechtmäßig einordnete, WT / DS165 / R, United States – Import Measures on Certain Products from the European Communities, report of the Panel of 17. 07. 2000, hob der Appellate Body den Panel-Bericht insoweit auf und erklärte auch die rückwirkende Zollerhebung für rechtmäßig, WT / DS165 / AB / R, United States – Import Measures on Certain Products from the European Communities, report of the Appelate Body of 11.122.000. Am 24. 03. 2000 wurden Ecuador Handels-
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Teil 2: Der Verstoß gegen das WTO-Recht und seine Folgen
Nach eingehenden Verhandlungen einigte sich die Gemeinschaft mit den USA am 13. April 2001 und mit Ecuador am 30. April 2001 auf eine neue Einfuhrregelung für Bananen. Danach soll für eine Übergangsperiode ab dem 1. Juli 2001 weiterhin eine durch entsprechende „waiver“ genehmigte Kontingentierung der Einfuhren vorgenommen werden und ab spätestens 1. Januar 2006 ein reines Zollsystem eingeführt werden.37
II. Die Folgen für die betroffenen europäischen Unternehmen 1. Verluste durch Erhebung der Strafzölle – Die Situation der europäischen Unternehmen Für europäische Unternehmen, die ihr Geschäftsfeld im Bereich des Exporthandels mit den USA haben, hatte die handelspolitische Eskalation im Bananenkonflikt empfindliche wirtschaftliche Beeinträchtigungen zur Folge.38 Durch die Ergreifung von Gegenmaßnahmen in Form der „cross retaliation“ sahen sich nach Veröffentlichung der betroffenen Produktgruppen auch Unternehmen mit der Auferlegung von Strafzöllen konfrontiert, deren wirtschaftliche Betätigung nicht im Handel mit landwirtschaftlichen Produkten lag. So wurden italienische Batteriehersteller wie auch französische Hersteller von Badesalz von den sanktionen in Höhe von insgesamt 201,6 Mio. $ genehmigt, die einerseits durch Strafzölle auf Importgüter andererseits jedoch auch unter Aussetzung von TRIPs-Verpflichtungen, also in einem anderen Abkommen, verhängt werden durften. Die „cross retaliation“ wurde im Bereich der Urheberrechts, geographische Herkunftsbezeichnungen und Industrielles Design genehmigt, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the European Communities under Art. 22.6 of the DSU, decision by the Arbitrators, 24. 03. 2000, WT / DS27 / ARB / ECU. 37 Vgl. Vranes, in: Breuss / Griller / Vranes, S. 29 ff.; Jackson / Grane, JIEL 4 (2001), S. 581 (590 f.). Die Einigung wurde umgesetzt mit der Verordnung (EG) Nr. 896 / 2001 der Kommission vom 07. 05. 2001 mit Durchführungsbestimmungen zu der Verordnung (EWG) Nr. 404 / 93 des Rates hinsichtlich der Regelung für die Einfuhr von Bananen in die Gemeinschaft, ABl. Nr. L 126 vom 08. 05. 2001, S. 6 und Verordnung (EG) Nr. 2587 / 2001 des Rates vom 19. 12. 2001 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 404 / 93 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen, ABl. Nr. L 345 vom 29. 12. 2001, S. 13. 38 Daneben machten die europäischen Vermarkter von (Drittlands-)Bananen Schäden geltend, die angeblich direkt durch das Regelungsregime der BMO verursacht worden seien. Beispielsweise Verluste aufgrund mangelnder Zuteilung von Lizenzen zur Einfuhr von Drittlandsbananen (EuG, Rs. T-521 / 93, Atlanta, Slg. 1996, II-1707), der nicht ausreichenden Lizenzzuteilung auf Grundlage der Referenzperiode von 1994 – 1996 (EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913), wegen der weiteren Kürzung aufgrund des „Anpassungskoeffizienten“ gem. Art. 6 III Verordnung 2362 / 98 (EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913; Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981), den Ankauf von Einfuhrbescheinigungen von Angehörigen anderer der Gruppe A, B und C, um weiter Drittlandsbananen vermarkten zu können oder Entrichtung von Einfuhrzöllen für Drittlandbananen (EuG, T-2 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-2093, 2103; T-3 / 99, Banatrading, Slg. 2001, II-2123, 2133).
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Strafzöllen betroffen.39 Die betroffenen Unternehmen hatten kaum Möglichkeiten, sich auf die durch die Erhebung der Zölle bestehende neue Situation einzustellen. Denn nur etwas mehr als 2 Monate nach erstmaliger Veröffentlichung einer Produktliste und vor endgültiger Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der beantragten Gegenmaßnahmen mussten seit dem 3. März 1999 Sicherheiten für den Import von Waren in die USA hinterlegt werden. Nach endgültiger Genehmigung wurden dann Strafzölle seit dem 19. April 1999 auf die auf der „final list“ befindlichen Warengruppen erhoben. Hierbei wählten die USA die höchste genehmigte Zollhöhe von 100 % (ad valorem), die besonders drastische Folgen für die Konkurrenzfähigkeit der betroffenen Produkte auf dem amerikanischen Markt hatte und prohibitiv wirken musste. Den betroffenen Exportunternehmen drohte die Insolvenz, die teilweise nicht zu verhindern war.40 Innerhalb von 2 Monaten war somit der amerikanische Markt quasi abgeschottet. Die Vergeltungs- und Durchsetzungsfunktion tritt durch die Wahl einer prohibitiven Zollhöhe deutlich zu Tage. Einen anderen Weg beschreitet hingegen die Gemeinschaft im Streit um die amerikanischen Foreign Sales Corporations. Obgleich das DSB Strafzölle von bis zu 100 % des Produktwertes genehmigt hatte,41 wurde auf eine breit angelegte Produktpalette mit Wirkung vom 1. März 2004 zunächst ein geringer Strafzoll von 5% erhoben, der monatlich um einen Prozentpunkt steigt, so dass ab 1. März 2005 ein zusätzlicher Wertzoll von 17% erhoben wird.42 Dieses Vorgehen belässt den betroffenen Exportunternehmen in den Vereinigten Staaten in der Anfangsphase der Sanktionierung erheblich bessere Möglichkeiten, ihre Produkte in Europa weiterhin zu vermarkten und sich auf die veränderte Situation einzustellen. Mit der schrittweisen Erhöhung des Zolls in Richtung eines empfindlichen – wenn auch nicht prohibitiv wirkenden – Zolls wird korrespondierend der Druck auf die politischen Entscheidungsträger in den USA erhöht und auf eine Durchsetzung der DSB-Entscheidung hingewirkt. Im Bananenstreit sahen sich die Unternehmen also vor dem endgültigen Abschluss des Streitverfahrens einer doppelten Belastung ausgesetzt: Einerseits mussten sie, um weiterhin Zugang zum US-amerikanischen Markt zu erhalten, erhebliche Mehrausgaben aufbringen. Andererseits waren sie gezwungen, die Mehrkosten Dazu sogleich unter Teil 2, A. II. 2. Vgl. DER SPIEGEL 47 / 2003, S. 105. 41 WT / DS108 / ARB, United States – Tax Treatment for Foreign Sales Corporations, Recourese by the European Communities to Article 4.10 of the SCM Agreement and Article 22.7 of the DSU, decision by the Arbitrators of 30. 08. 2002, Rn. 8.1 und WT / DS108 / 26, United States – Tax Treatment for Foreign Sales Corporations, Recourese by the European Communities to Article 4.10 of the SCM Agreement and Article 22.7 of the DSU of 25. 04. 2003, Rn. 3 ff. 42 Die Kommission legt nach dem 01. 03. 2005 dem Rat auf Grundlage der zwischenzeitlichen Entwicklungen einen Vorschlag zur Überarbeitung der Verordnung vor, siehe Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2193 / 2003 vom 08. 12. 2003. 39 40
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durch Preiserhöhungen zu finanzieren, wobei aufgrund der prohibitiven Höhe der Zölle völlig ungewiss war, ob die Produkte überhaupt noch konkurrenzfähig sein würden oder nicht eher der gesamte, in den USA bestehende Marktanteil wegbrechen würde. Bis 2003 haben die USA ca. 600 Mio. $ an Strafzöllen verhängt, wobei die betroffenen Importprodukte und Handelssektoren43 wechselten, um die Möglichkeiten von Umgehungen der Strafzölle zu minimieren. So sollte der Druck auf Mitgliedstaaten der EG erhöht werden, die weiterhin eine Änderung des Bananenmarktregimes blockierten.44 2. Anhängige Schadenersatzklagen gegen die Gemeinschaft Im Jahre 2000 haben mehrere Unternehmen Klage gegen den Rat und die Kommission auf Ersatz ihrer infolge der Strafzollerhebung durch die USA erlittenen Schäden eingereicht.45 In der Rechtssache Fiamm Spa und Fiamm Technologies Inc. sind die zwei klagenden italienischen Unternehmen im Bereich der Herstellung von Akkumulatoren tätig und exportieren diese in die USA. Sie verlangen Ersatz der zusätzlichen von den amerikanischen Behörden erhobenen Zölle, die seit dem 3. März 1999 auf die Einfuhren erhoben wurden. Zur Begründung machen sie geltend, die Strafzölle seien eine direkte Konsequenz der Aufrechterhaltung einer Regelung, die von der WTO bereits für rechtswidrig erklärt worden sei. Auch liege ein Verstoß gegen höhere Normen zum Schutz des Einzelnen wie den Grundsatz pacta sunt servanda, den Grundsatz des berechtigten Vertrauens und der Rechtssicherheit sowie das Recht auf Eigentum und die Freiheit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit und den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung vor.46 Im Fall Le Laboratoire du Bain ist die französische Klägerin auf die Entwicklung und Herstellung von kosmetischen Badezusätzen spezialisiert und führt einen wesentlichen Teil der Produktion in die USA aus. Die Klägerin trägt vor, dass der Sog. „carousel retaliation“, zur Zulässigkeit dieser Vorgehensweise Neugärtner, S. 196 ff. Maurer, S. 156. 45 EuG, Rs. T-69 / 00, Fiamm Spa und Fiamm Technologies Inc. / Kommission und Rat, Klage vom 23. 03. 2000, ABl. Nr. C 135 v. 13. 05. 2000, S. 30; Rs. T-151 / 00, Le Laboratoire du Bain / Kommission und Rat, Klage vom 07. 06. 2000, ABl. Nr. C 247 v. 26. 08. 2000, S. 30; Rs. T-297 / 00, Claude-Anne de Solène / Kommission und Rat, Klage vom 18. 09. 2000, ABl. Nr. C 355 v. 09. 12. 2000, S. 30 (bereits vom Register gestrichen); Rs. T-301 / 00, Groupe Fremaux SA und Palais Royal Inc / Kommission und Rat, Klage vom 20. 09. 2000, ABl. Nr. C 355 v. 09. 12. 2000, S. 32; Rs. T-320 / 00, CD Cartondruck GmbH & Co. KG / Kommission und Rat, Klage vom 12. 10. 2000, ABl. Nr. C 355 v. 09. 12. 2000, S. 39; Rs. T-383 / 00, Beamglow Ltd. / Kommission, Rat und Parlament, Klage vom 22. 12. 2000, ABl. Nr. C 61 v. 24. 12. 2000, S. 21. 46 EuG, Rs. T-69 / 00, Fiamm Spa und Fiamm Technologies Inc. / Kommission und Rat, Klage vom 23. 03. 2000, ABl. Nr. C 135 v. 13. 05. 2000, S. 31. 43 44
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ihr durch die „Retorsionsmaßnahmen“ entstandene Schaden unmittelbare Konsequenz des Erlasses und der Beibehaltung der gegen die Regeln des GATT und der WTO verstoßenden Bananenmarktordnung sei und in dem Umstand wurzele, dass die Gemeinschaftsorgane die Lage der Unternehmen unberücksichtigt gelassen hätten.47 Dadurch hätten die verklagten Organe die Gemeinschaftsgrundsätze der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung, des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit verletzt.48 In den Rechtssachen Claude-Anne de Solène und Groupe Fremaux und Palais Royal Inc. sind die Klägerinnen Hersteller von Baumwollbettwäsche und setzten – die Firma Groupe Fremaux über ihre amerikanische Tochterfirma Palais Royal Inc. – ihre Produkte im Wesentlichen in den USA ab. Den entstandenen Schaden geben die Klägerinnen mit A 317.759,– an. Sie rügen ebenfalls die Nichtbeachtung des WTO-Rechts bei Erlass und Beibehaltung der Bananenmarktordnung und die Verletzung von Gemeinschaftsgrundsätzen.49 In der Rechtssache CD Cartondruck rügt eine deutsche Herstellerin von bedruckten und veredelten Faltschachteln die WTO-Widrigkeit sowohl der Nichtanpassung der Bananenmarktordnung an das WTO-Recht als auch des Erlasses der die Bananenmarktordnung ändernden Verordnungen (EG) Nr. 1637 / 9850 und (EG) Nr. 2362 / 98.51 Der Verstoß folge einerseits aus der Rechtsnatur des WTORechts und dem verbindlichen Streitbeilegungsmechanismus selbst und andererseits daraus, dass mit der reformierten Bananenmarktordnung WTO-Recht umgesetzt werden sollte.52 Überdies macht die Klägerin hilfsweise einen Anspruch auf Schadenersatz für rechtmäßiges Gemeinschaftshandeln geltend.53 Schließlich fordert die Klägerin in der Rechtssache Beamglow Ltd., ein englisches Unternehmen, das ebenfalls Faltkartonpackungen herstellt, Ersatz für getätigte Kapitalinvestitionen. Der Markt der Vereinigten Staaten sei wegen der „Retorsionsmaßnahmen“ vollständig abgeschottet worden, so dass bedeutende, speziell den Bedürfnissen dieses Marktes angepasste Kapitalinvestitionen wertlos geworden seien.54 Ihren Schaden beziffern die Klägerinnen mit A 762.245,00. EuG, Rs. T-151 / 00, Le Laboratoire du Bain / Kommission und Rat, Klage vom 07. 06. 2000, ABl. Nr. C 247 v. 26. 08. 2000, S. 31. 49 EuG, Rs. T-297 / 00, Claude-Anne de Soléne / Kommission und Rat, Klage vom 18. 09. 2000, ABl. Nr. C 355 v. 09. 12. 2000, S. 30; Rs. T-301 / 00, Groupe Fremaux SA und Palais Royal Inc / Kommission und Rat, Klage vom 20. 09. 2000, ABl. Nr. C 355 v. 09. 12. 2000, S. 32. 50 Verordnung (EG) Nr. 1637 / 98 des Rates vom 20. 07. 1998. 51 Verordnung (EG) Nr. 2362 / 98 der Kommission vom 28. 10. 1998. 52 Den Schaden beziffert die Klägerin auf A 865.989,22. 53 EuG, Rs. T-320 / 00, CD Cartondruck GmbH & Co. KG / Kommission und Rat, Klage vom 12. 10. 2000, ABl. Nr. C 355 v. 09. 12. 2000, S. 39. 54 EuG, Rs. T-383 / 00, Beamglow Ltd. / Kommission, Rat und Parlament, Klage vom 22. 12. 2000, ABl. Nr. C 61 v. 24. 12. 2000, S. 22. 47 48
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B. Rechtsschutzlücken im Außenwirtschaftsrecht und Ausgleichsfunktion des Haftungsrechts I. Rechtsschutzdefizite im Außenwirtschaftsrecht 1. Die Stellung der Unternehmen im WTO-Streitbeilegungsverfahren Im Bereich des Außenwirtschaftsrechts sieht sich die Gemeinschaft mit einem Regelungsnetz völkerrechtlicher Handelsabkommen, vor allem dem WTO-Übereinkommen und seiner Anhänge, konfrontiert. Bei Ausübung ihrer Außenwirtschaftspolitik hat sie sowohl die materiellen als auch verfahrensrechtlichen Vorgaben der von ihr geschlossenen Handelsabkommen zu berücksichtigen und einzuhalten.55 Die Mitglieder der WTO und die Vertragsstaaten der unter ihrem Dach abgeschlossenen Handelsübereinkommen haben sich insbesondere verpflichtet, von bestimmten wirtschaftspolitischen Steuerungsmöglichkeiten, welche gerade Ausdruck ihrer staatlichen Souveränität im Bereich des Außenhandelsrecht sind, freiwillig keinen Gebrauch zu machen.56 Obgleich das WTO-Recht grundsätzlich das Verhalten der Vertragsstaaten regelt und für Konflikte ein Streitbeilegungssystem bereitstellt, zielen dessen Liberalisierungsregeln auf eine Erleichterung des grenzüberschreitenden Handels ab und dienen damit in erster Linie der Förderung der ökonomischen Effizienz unternehmerischer Aktivitäten. Die Funktion des WTO-Rechts kann auch als die Bereitstellung eines gesicherten Rahmens für wohlfahrtssteigerndes Wirtschaften Privater beschrieben werden und berührt insoweit die Wirtschaftsakteure unmittelbar in ihrer Tätigkeit.57 Trotz der sich daraus ergebenden Bedeutung des WTO-Rechts für die privaten Unternehmen, sind deren Beteiligungsmöglichkeiten im Streitbeilegungsverfahren sehr eingeschränkt. Eine direkte Beteiligung, insbesondere als Partei, ist ausgeschlossen.58 Allenfalls können die Privaten mittelbar vom Streitbeilegungsverfahren durch die Abwehr protektionistischer Handelspolitik profitieren.59 Einerseits ist es denkbar, dass nach Ablauf der Umsetzungsfrist etwaige Kompensationszahlungen oder Strafzölle des verletzenden Staates in Form von Fördermaßnahmen oder Direktzahlungen an die geschädigten Unternehmen weitergeleitet werden und so deren Verluste finanziell ausgeglichen werden.60 55 Vgl. insbesondere zu handelspolitischen Schutzinstrumenten, die im Einklang mit den völkerrechtlichen Vorgaben des GATT stehen müssen, v. Bogdandy / Nettesheim, EuZW 1993, S. 465 (470 ff.). 56 Behrens, in: Nowak / Cremer, S. 202. 57 Meng, FS Rudolf, S. 65; Oeter, in: Nowak / Cremer, S. 222. 58 Da das Welthandelsrecht die Rechtsverhältnisse der Vertragsstaaten untereinander regelt, bleiben folglich private Akteure von der Streitbeilegung ausgeschlossen, Oeter, in: Nowak / Cremer, S. 222. 59 Vgl. Brinker, WiB 1994, S. 457 (459 f.); zu den Beteiligungsmöglichkeiten Privater am Streitbeilegungsverfahren siehe Butler, S. 109 ff.
B. Rechtsschutzlücken im Außenwirtschaftsrecht
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Andererseits können die Interessen von Privatunternehmen durch ihren Heimatstaat im Rahmen eines Streitbeilegungsverfahrens vertreten werden. Nicht wenige Streitfälle zwischen WTO-Vertragsstaaten erweisen sich im Kern als Konflikte zwischen konkurrierenden, global operierenden Unternehmen.61 Um sicherzustellen, dass die Gemeinschaft ihre völkerrechtlichen Rechte im Bereich des Handelsrecht gegenüber denjenigen Staaten durchsetzt, die durch unzulässige Maßnahmen gegen handelsliberalisierende Regelungen des WTO-Rechts verstoßen, haben europäische Unternehmen die Möglichkeit, durch Einleitung eines Prüfungsverfahrens nach der „Trade Barriers Regulation“62 die Gemeinschaft zu veranlassen, ein Streitbeilegungsverfahren im Rahmen der WTO einzuleiten. 63 Darüber hinaus kann das von den heimatstaatlichen Behörden geführte Streitbeilegungsverfahren etwa durch Bereitstellung eigener Experten oder beauftragter Rechtsberater64 oder die Einreichung privater Stellungnahmen (sog. „amicus curiae briefs“), gefördert werden. Letztere können, wie der Appellate Body im Bericht zum Shrimps / TurtleFall festgestellt hat, nach freiem Ermessen im Streitbeilegungsverfahren berücksichtigt werden.65 Besonders negativ im Hinblick auf eine – wenn auch nur mittelbare – Beteiligung am Streitbeilegungsverfahren stellt sich die Situation der Unternehmen dar, die von Strafzöllen betroffen sind. So liegt es in der Natur des im DSU angelegten Sanktionssystems, dass die Rechte der betroffenen Unternehmen nicht wirksam geschützt werden. Ungeachtet der Tatsache, dass im Falle der Strafzollerhebung das eigentliche Streitbeilegungsverfahren bereits beendet ist,66 leitet sich die Möglichkeit einer „Beteiligung“ vorrangig von der Initiative und Verfahrensführung Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (706). Oeter, in: Nowak / Cremer, S. 223 unter Hinweis auf den Handelskonflikt zwischen den USA und Japan über Measures Affecting Consumer Photographic Film and Paper, dem materiell ein Streit zwischen den Unternehmen Kodak und Fuji zugrunde lag. 62 Verordnung (EG) Nr. 3286 / 94 des Rates vom 22. 12. 1994 zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln, ABl. Nr. L 349 v. 31. 12. 1994, S. 71. 63 Müller-Ibold, in: Lenz-Kommentar, Art. 133, Rn. 59 ff. 64 Behrens, in: Nowak / Cremer, S. 215 und Hörmann / Neuggärtner, in: Hilf / Oeter, S. 549 f., die darauf hinweisen, dass die Beratungsteams der beteiligten Unternehmen im Betreiben eines Streitbeilegungsverfahrens eine dominante Rolle spielen können. So sei das Verfahren um die Auseinandersetzung zwischen den USA und Japan über Measures Affecting Consumer Photographic Film and Paper im Wesentlichen zwischen den Teams der Unternehmen Kodak und Fuji ausgetragen worden. 65 WT / DS58 / AB / R, United States – Import-Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, report of the Appellate Body of 12. 10. 1998, Rn. 101; siehe zur Verfahrensbeteiligung mittels „amicus curiae briefs“ Umbricht, JIEL 4 (2001), S. 773 ff. 66 Es ist jedoch denkbar, dass ein Panel noch über die Höhe der genehmigten Strafzölle entscheiden muss (Art. 26 Abs. 6 DSU) und Unternehmen, die einer bereits veröffentlichten Produktliste folgend mit Strafzöllen zu rechnen haben, zumindest eine Einflussnahme auf dieses Verfahren anstreben. 60 61
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des Heimatstaates ab und setzt insoweit gleichgerichtete Interessen voraus. Im Falle der Strafzollerhebungen befindet sich der Heimatstaat der betroffenen Unternehmen jedoch in der Position des Beklagten und wird – anders als die Unternehmen – zumeist ein Interesse an der Aufrechterhaltung der vermeintlich WTO-widrigen Regelung haben. Aus diesem Grund scheint auch die zuletzt verbleibende Möglichkeit des Einwirkens auf die Außenhandelspolitik des WTO-widrig handelnden Heimatstaates während des gewährten Umsetzungszeitraumes wenig erfolgversprechend. Der protektionistisch handelnde Staat hat sich gerade für die Begünstigung bestimmter inländischer Unternehmen bzw. Wirtschaftszweige entschieden und wird seine Politik zumeist – wie der Konflikt um die Bananenmarktordnung oder die Foreign Sales Corporations zwischen der EG und den USA zeigt – nur unter besonderem Druck von außen unter Androhung oder Erhebung von Strafzöllen ändern.67 Darüber hinaus stößt ein Einwirken potenziell betroffener Unternehmen auf die politischen Entscheidungsträger des Heimatstaates auf praktische Probleme. Die Veröffentlichung der betroffenen Produktliste wird regelmäßig erst am Ende der Umsetzungsfrist erfolgen, so dass eine gezielte Artikulation der Interessen schon aus zeitlichen Gründen nicht möglich sein wird.68 Des Weiteren können die betroffenen Produktgruppen vor, aber auch während der Strafzollerhebung noch geändert werden, so dass der Nachweis einer potentiellen Betroffenheit oder Gefährdung erschwert wird. Auch hängt der Erfolg des Eingreifens stark von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem damit einhergehenden politischen Einfluss der betroffenen Unternehmen ab. Da jedoch insbesondere im Fall der „cross retaliation“ vollkommen unterschiedliche Marktbereiche von den Strafzöllen betroffen sein können, erscheinen die Möglichkeiten politischer Einflussnahme mittels Interessenbündelung weitgehend aussichtslos. Insgesamt stehen die Unternehmen den Folgen von Handelskonflikten hilflos gegenüber. Ihnen ist es im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens verwehrt, einen Schutz ihrer Interessen direkt oder indirekt effektiv herbeiführen zu können, sie werden vielmehr unprognostizierbar und innerhalb kurzer Zeit von den Strafzöllen getroffen.
67 Im Handelsstreit um die WTO-widrigen Einfuhrzölle der USA auf Stahlimporte drohte die Gemeinschaft, ab dem 15. 12. 2003 Waren der USA mit Einfuhrzöllen im Wert von 2,2 Mrd. Dollar zu belegen. Kurz vor Ablauf der Frist lenkten die USA jedoch ein und nahmen die Sonderabgaben zurück, Süddeutsche Zeitung vom 02. 12. 2003, S. 1. 68 Im Bananenstreit lag zwischen der ersten Veröffentlichung einer Produktliste und dem Beginn der Strafzollerhebung durch Hinterlegung eines Betrages ein Zeitraum von weniger als 2 Monaten, siehe oben Teil 2, A. I. 3.
B. Rechtsschutzlücken im Außenwirtschaftsrecht
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2. Direkter gerichtlicher Rechtsschutz gegen die Erhebung der Strafzölle Ein direktes Vorgehen gegen die Maßnahmen der Zollbehörden des Staates, der die Strafzölle erhebt, vor den dortigen Gerichten wird inhaltlich grundsätzlich auf den Einwand begrenzt sein, dass die Zollerhöhung ihrerseits eine Verletzung des WTO-Rechts darstelle. Da sowohl die Höhe der Strafzölle vom DSB genehmigt als auch deren Erhebung ständig überwacht wird, ist eine Verletzung des WTO-Rechts durch die Strafzollerhebung in der Regel ausgeschlossen. Zudem hängt die gerichtliche Überprüfung der Maßnahmen davon ab, ob sich der Einzelne auf die Bestimmungen der WTO-Abkommen vor den Gerichten des strafzollerhebenden Staates berufen kann. Insbesondere die wichtigsten Handelsnationen lehnen eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts jedoch ab, so dass diese Bestimmungen im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht werden können.
3. Direkter Rechtsschutz nach Gemeinschaftsrecht Da die Strafzölle von Verwaltungsstellen eines Drittstaates erhoben werden, liegen keine an die betroffenen Unternehmen gerichteten Einzelbescheide der mitgliedstaatlichen Zollverwaltung vor, die direkt angegriffen werden können. Insoweit verbleibt nur die Möglichkeit eines direkten Vorgehens gegen die WTOwidrige Gemeinschaftshandlung, um durch deren Nichtigerklärung durch den EuGH die Beendigung der Strafzollerhebung zu erwirken. Ein direkter Rechtsschutz gegen an Dritte gerichtete Entscheidungen sowie gegen Normativakte der Gemeinschaft im Wege der Nichtigkeitsklage gem. Art. 230 Abs. 4 EG ist auf europäischer Ebene für natürliche und juristische Personen nur unter besonderen Umständen gegeben. Diese haben als „nicht-privilegierte Kläger“ nur dann die Möglichkeit auch gegen an Dritte gerichtete Entscheidungen oder Verordnungen69 vorzugehen, wenn sie „unmittelbar und individuell“ betroffen sind. Die Nichtigkeitsklage ist jedoch gem. Art. 230 Abs. 5 EG binnen zwei Monaten zu erheben,70 so dass im Falle der Strafzollerhebung eine Klage schon verfristet wäre. Außerdem liegt im Bereich des Rechtsschutzes gegen Normativakte nach der restriktiven Rechtsprechung des Gerichtshofs die „individuelle Betroffenheit“ nur vor, wenn die Verordnung aufgrund bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, den Kläger aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände be69 Zur problematischen Zulässigkeit eines direkten Vorgehens gegen Richtlinien vgl. EuGH, Rs. 160 / 88, Fedesa, Slg. 1988, S. 6399; Rs. C-298 / 89, Gibraltar, Slg. 1993, I-3605; Rs. C-10 / 95 P, Asocarne, Slg. 1995, I-4149; dazu Klüpfel, EuZW 1996, S. 393 ff. 70 Der Fristbeginn wird im Einzelnen durch Art. 230 Abs. 5 i. V. m. Art. 102 § 1 VerfOEuG festgelegt. Die Frist für eine im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Maßnahme beginnt auch dann mit dem gem. Art. 102 § 1 VerfO-EuG zu bestimmenden Zeitpunkt, wenn die Maßnahme erst später in Kraft tritt, Rengeling / Middeke / Gellermann, § 7, Rn. 82.
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Teil 2: Der Verstoß gegen das WTO-Recht und seine Folgen
rührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten, diesem gegenüber also Entscheidungscharakter aufweist.71 Der Gerichtshof hat hierzu bestimmte Fallgruppen entwickelt, die engen Voraussetzungen folgen.72 Eine Nichtigkeitsklage Einzelner gegen generell wirkende Normativakte ist danach mangels „individueller Betroffenheit“ grundsätzlich unzulässig.73 Darüber hinaus wird unabhängig von den prozessualen Rechtsschutzmöglichkeiten mangels Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Recht die Überprüfung der Gemeinschaftsmaßnahme durch den Gerichtshof auf die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten oder bestimmten Gemeinschaftsgrundsätzen, namentlich des Vertrauensschutzgrundsatzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips, begrenzt sein. Auch hinsichtlich des materiellen Prüfungsumfanges liegt also demnach eine Verkürzung des individuellen Rechtsschutzes vor.
II. Die Bedeutung der Gemeinschaftshaftung als Ausgleich bestehender Rechtsschutzdefizite 1. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz Der Befund, dass die betroffenen Unternehmen weder im Rahmen des WTOStreitbeilegungsverfahrens noch im Wege eines direkten Vorgehens gegen die Strafzölle oder die WTO-widrige Gemeinschaftsmaßnahme eine effektive Möglichkeit haben, ihre Rechte in ausreichendem Maße berücksichtigt zu sehen, stößt unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes auf Bedenken. 71 EuGH, Rs. 25 / 62, Plaumann, Slg. 1963, S. 211, 238 f., EuG, verb. Rs. T-480 / 93 und T-483 / 93, Antillean Rice Mills, Slg. 1995, II-2305, 2331 Rn. 66 m. w. N.; bestätigt durch EuGH, Rs. C-50 / 00 P, Union de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, 6733, Rn. 36. 72 Zu den Fallgruppen siehe Booß, in: Grabitz / Hilf, Art. 230, Rn. 57 ff.; Nettesheim, JZ 2002, S. 928 (930); Rengeling / Middeke / Gellermann, § 7 Rn. 60 ff. Das EuG hat aus Rechtsschutzgründen – ermutigt durch die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Union de Pequeños Agricultores – den Versuch unternommen, den Begriff der „individuellen Betroffenheit“ extensiver auszulegen und bereits dann den Kläger als individuell betroffen anzusehen, wenn die umstrittene Bestimmung seine Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt, indem sie seine Rechte einschränkt oder ihm Pflichten auferlegt, EuG, Rs. T-177 / 01, Jégo-Quéré, Slg. 2002, II-2365, 2383 f., Rn. 51; Schlussanträge des GA Jacobs zu EuGH, Rs. C-50 / 00 P, Union de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, 6698 ff., Rn. 59 ff. Dieser Entwicklung wollte der EuGH jedoch nicht folgen und sah die Voraussetzung der „individuellen Betroffenheit“ durch die Auslegung des EuG als „verfälscht“ an, EuGH, Rs. C-263 / 02P, Jégo-Quéré, Urteil vom 01. 04. 2004, Rn. 38 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). Vgl. auch EuGH, Rs. C-50 / 00 P, Union de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, 6735 f., Rn. 45; hierzu Dittert, EuR 2002, S. 708 ff. 73 Vgl. Epping, S. 588; Rengeling / Middeke / Gellermann, § 7 Rn. 64; Gröpl, EuGRZ 1995, S. 583 (587); v. Danwitz, NJW 1993, 1108 (1111 f.).
B. Rechtsschutzlücken im Außenwirtschaftsrecht
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Die Gemeinschaft verstand sich von Beginn an als eine am Recht ausgerichtete Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern gerade auch die Gemeinschaftsbürger sind.74 Deren Lebensverhältnisse werden durch die neue Rechtsordnung direkt betroffen und gestaltet.75 Als Folge dieses hoheitlichen Durchgriffs in den Rechtskreis der Gemeinschaftsbürger ist die Gewährleistung eines umfassenden Rechtsschutzes der Normadressaten gegen sie betreffende rechtswidrige Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane erforderlich.76 Der Einzelne muss daher einen gerichtlichen Schutz der Rechte in Anspruch nehmen können, die er aus der Gemeinschaftsrechtsordnung herleitet. Dieses Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, das auf Gemeinschaftsebene in ständiger Rechtsprechung anerkannt ist,77 gehört zu den fundamentalen Rechtsgrundsätzen, die sich aus den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben und ist in Art. 6 und 13 EMRK sowie in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union78 verankert.79
2. Ausgleichsfunktion des Haftungsrechts Das vom EG geschaffene Rechtsschutzsystem, innerhalb dessen ausschließlich dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane übertragen ist,80 weist insbesondere im Bereich des unmittelbaren Individualrechtsschutzes gegenüber generellen Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane erhebliche Lücken auf.81 Die Verweigerung gerichtlicher Überprüfung steht in deutlichem Widerspruch mit dem zuvor skizzierten Recht des Einzelnen auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Zur Kompensation des Defizits ist ein Rückgriff auf die Haftung nach Art. 288 Abs. 2 EG notwendig. Die Haftung findet aufgrund der Bedeutung des Grundsatzes auf effektiven Rechtsschutz grund74 Siehe nur EuGH, Rs. 26 / 62, Van Gend & Loos, Slg. 1963, S. 1; Gutachten 1 / 91, EWR, Slg. 1991, I-6079, 6102, Rn. 21. 75 EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5413, Rn. 31. 76 Dies folgt schon aus dem Rechtsstaatsprinzip, das in der Gemeinschaft Geltung erlangt, vgl. Fuß, S. 83 ff. 77 EuGH, Rs. 222 / 84, Johnston, Slg. 1986, S. 1651, 1682, Rn. 18; Rs. 222 / 86, Unectef, Slg. 1987, S. 4097, 4117, Rn. 14; Rs. 257 / 86, Kommission / Italien, Slg. 1988, S. 3249, 3267, Rn. 12; Rs. C-50 / 00 P, Union de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, 6734 f. Rn. 38 ff. 78 Unterzeichnet und verkündet am 07. 12. 2000 anlässlich des Europäischen Rates von Nizza, ABl. Nr. C 364 vom 18. 12. 2000, S. 1. Die Charta ist zwar nicht rechtsverbindlich, wird aber vom EuG zur Unterstützung der Argumentation herangezogen, Rs. T-177 / 01, Jégo-Quéré, Slg. 2002, II-2365, 2382, Rn. 47. 79 EuGH, Rs. 50 / 00 P, Union de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, 6734 f., Rn. 38 ff. m. w. N. 80 Dazu EuGH, Rs. 294 / 83, Les Verts, Slg. 1986, S. 1339, 1365 f., Rn. 23 f. 81 Siehe oben unter Teil 2, B. I. 3. Grabitz, in: FS Kutscher, S. 215 ff., v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art 288 Rn. 14.
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Teil 2: Der Verstoß gegen das WTO-Recht und seine Folgen
sätzlich auch bei normativem Unrecht der Gemeinschaft Anwendung und beinhaltet ebenfalls eine inzidente Überprüfung des umstrittenen Gemeinschaftsrechtsakts.82 Insoweit ist das vordergründig auf den Ausgleich erlittener Schäden gerichtete Haftungsinstitut stets auch im Lichte des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes zu betrachten.83 Wie dargelegt, besteht für Unternehmen, deren Waren mit einem Strafzoll belegt wurden, keine Möglichkeit, direkt gegen die rechtswidrigen Normativakte der Gemeinschaft vorzugehen oder diese inzident in einem gegen mitgliedstaatliche Umsetzungsakte gerichteten Verfahren überprüfen zu lassen. Die Amtshaftungsklage stellt somit den einzigen Rechtsbehelf der Unternehmen dar, eine Überprüfung der WTO-widrigen Normativakte herbeizuführen und zumindest mittelbar die Gemeinschaft zur Beseitigung der rechtswidrigen Maßnahme zu zwingen und zur zukünftigen Einhaltung ihrer welthandelsrechtlichen Verpflichtungen zu bewegen.84 Im Ergebnis erlangt die Auffangfunktion des Haftungsrechts im gemeinschaftlichen Rechtsschutzsystem – unabhängig von dem aus rechtsstaatlichen Gründen notwendigen Ausgleich rechtswidrig erlittener Nachteile – in der hier betrachteten Fallgestaltung eine herausragende Bedeutung, da die betroffenen Unternehmen den beeinträchtigenden Maßnahmen ohne sonstige alternative Rechtsschutzmöglichkeit gegenüber stehen.
82 Allkemper, S. 129; v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288 Rn. 14, 81, Rengeling / Middeke / Gellermann, § 9, Rn. 4. 83 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 13. 84 Vgl. Epping, S. 588.
Teil 3
Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft wegen des Verstoßes gegen die WTO-Abkommen A. Das Haftungsrecht der Gemeinschaft nach Art. 288 Abs. 2 EG im Überblick I. Konzeption der Haftung im EG-Vertrag Der Vertrag regelt in Art. 288 Abs. 2 EG die außervertragliche1 Haftung der Gemeinschaft für die durch ihre Organe oder Bedienstete in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schäden. Ohne die genauen Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs selbst konkret zu umschreiben, ordnet Art. 288 Abs. 2 EG die Haftung nach den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“, an.2 Die Ausarbeitung der genauen Haftungsvoraussetzungen und Schließung etwaiger Rechtsschutzlücken wird hierbei der Rechtsprechung des EuGH überlassen und ähnelt insoweit der Konzeption des deutschen Staatshaftungsrechts.3
II. Die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen 1. Handelndes Organ Die Haftung der Gemeinschaft setzt zunächst voraus, dass ein Schaden von einem Organ oder Bediensteten der Gemeinschaft verursacht worden ist. Eine Auf1 Zur vertraglichen Haftung der Gemeinschaft siehe Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 202 (205 ff.). 2 Die Vorschrift enthält lediglich die Elemente des Haftungsobjekts und der handelnden Subjekte, Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 14. 3 Ossenbühl, S. 580; Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 202 (209). Der Verweis in Art. 288 Abs. 2 EG auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten versteht sich nach Auffassung des EuGH nicht als Auftrag zu umfangreichen rechtsvergleichenden Untersuchungen der verschiedenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Es wird vielmehr der äußerst weite Rahmen richterlicher Rechtsschöpfung im Bereich der außervertraglichen Haftung beschrieben, die sich wiederum an den bestehenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Staatshaftungsrechts der Mitgliedstaaten grundsätzlich zu orientieren hat.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
zählung der Organe der EG findet sich in Art. 7 Abs. 1 EG: Europäisches Parlament, Rat, Kommission, EuGH und Rechnungshof. Der Begriff „Organ“ bezieht sich freilich nicht nur auf die in Art. 7 Abs. 1 EG aufgezählten Organe, vielmehr sind von der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft auch andere Einrichtungen, wie die Europäische Investitionsbank, erfasst.4 Unter dem Begriff „Bedienstete“ fallen neben den EG-Beamten alle Personen, die in einem Beschäftigungsverhältnis zur EG stehen5 oder auch von einem Organ als „Beliehene“ eingesetzt worden sind.6
2. In Ausübung einer Amtstätigkeit Das schadensverursachende Verhalten7 muss „in Ausführung einer Amtstätigkeit“ erfolgt sein. Dieses Merkmal ist erfüllt, wenn sich das Verhalten „aufgrund einer unmittelbaren inneren Beziehung notwendig aus den Aufgaben der Organe“ ergibt.8 Daraus folgt, dass der Gemeinschaft solche Handlungen der Organe und Bediensteten nicht zurechenbar sind, die entweder außerhalb oder nur gelegentlich ihrer Amtstätigkeit vorgenommen worden sind.9 Als haftungsrelevantes Handeln der Gemeinschaftsorgane kommen administrative10 und insbesondere normative Handlungen in Betracht.11 Die Haftung der 4 EuGH, Rs. C-370 / 89, Etroy, Slg. 1992, I-6211, 6247 f., Rn. 12 ff.; EuG, T-11 / 00, Hautem / Europäische Investitionsbank, Slg. 2000, II-4019, 4030 ff., Rn. 32 ff. Für rechtswidriges Handeln der Europäische Zentralbank ist die Gemeinschaftshaftung ausdrücklich in Art. 288 Abs. 3 EG angeordnet. Die übrigen Gemeinschaftseinrichtungen, beispielsweise der Wirtschafts- und Sozialausschuss oder der Ausschuss der Regionen, fallen nach der Rechtsprechung des EuGH ebenfalls unter den Begriff des „Organs“, siehe im Einzelnen Gilsdorf / Niejahr in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 17 ff., Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 202 (209). 5 Berg, in: Schwarze, Art. 288, Rn. 34. 6 Berg, in: Schwarze, Art. 288, Rn. 34. Ebenso muss sich das jeweilige Organ der EG das schädigende Verhalten solcher Personen, Stellen oder Einrichtungen zurechnen lassen, die es zur Erfüllung seiner Aufgaben eingesetzt hat. 7 Besteht das gerügte Verhalten in einer Unterlassung, kann die Haftung der Gemeinschaft nur dann begründet sein, wenn das betreffende Organ gegen eine Rechtspflicht zum Handeln verstoßen hat, EuGH, Rs. C-146 / 91, KYDEP, Slg. 1994, I-4199, 4241, Rn. 58; EuG, Rs. T-196 / 99, Area Cova, Slg. 2001, II-3597, 3626 f., Rn. 84 ff. 8 EuGH, Rs. 9 / 69, Sayag, Slg. 1969, S. 329, 336, Rn. 5 – 11. 9 Dieses Kriterium gleicht den Haftungsvoraussetzungen in den Mitgliedstaaten. Insbesondere das deutsche Recht fordert ebenfalls zur Begründung der Staatshaftung einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der schädigenden Handlung und der Amtstätigkeit, Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 34, Rn. 10 m. w. N. 10 Der Bereich des administrativen Handelns ist sehr vielfältig und weit gesteckt. Allgemein kann gesagt werden, dass jedes Verhalten erfasst ist, das nicht im Erlass genereller Akte oder richterlicher Tätigkeit besteht, v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 77. 11 Zur Haftung für judikatives Unrecht siehe Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 202 (212); Czaja, S. 142 ff.
A. Das Haftungsrecht nach Art. 288 Abs. 2 EG im Überblick
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Gemeinschaft auch für Normativakte hat der EuGH im Jahre 1971 in der Entscheidung Schöppenstedt anerkannt.12 Obwohl sich die Haftung für normatives Unrecht in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht widerspiegelt und daher von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz zunächst nicht ausgegangen werden kann, sprechen gewichtige Gründe für die Anerkennung der Haftung. So federt die Zulassung einer Schadensersatzklage die Lücke im Rechtsschutzsystem der Gemeinschaft ab, die dadurch entsteht, dass der Gemeinschaftsbürger als Normadressat grundsätzlich Verordnungen oder Richtlinien nicht angreifen kann.13
3. Rechtswidrigkeit a) Rechtsverletzung Der EuGH fordert in ständiger Rechtsprechung als ungeschriebene tatbestandliche Voraussetzung die Rechtswidrigkeit der schädigenden Amtshandlung.14 Dieses Prinzip liegt auch dem Staatshaftungsrecht der Mitgliedstaaten zugrunde und kann als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 288 Abs. 2 EG angesehen werden. b) Verletzung einer höherrangigen Schutznorm Um die Haftung der Gemeinschaft nicht ausufern zu lassen, ist nicht jede bloße Rechtsverletzung zur Begründung der Gemeinschaftshaftung ausreichend. Vielmehr muss eine höherrangige Schutznorm durch das Handeln des Organs verletzt worden sein. Eine Rechtsnorm mit Schutzcharakter liegt dann vor, wenn sie zum Schutz des Klägers oder einer Gruppe, der der Kläger angehört, bestimmt ist.15 Dies setzt voraus, dass die Norm – zumindest mittelbar – dazu gedacht ist, individuelle Interessen zu schützen.16 12 EuGH, Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975. Unter den Begriff „normative Akte“ fallen alle Handlungen der Gemeinschaft mit Rechtssetzungscharakter, also Verordnungen und Richtlinien, aber auch Entscheidungen, soweit ihnen ein normativer Charakter zukommt, Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 202 (211); zu generell-abstrakt wirkenden Entscheidungen siehe EuGH, Rs. 25 / 62, Plaumann, Slg. 1963, S. 211. 13 Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 202 (211). Ebenso ist anzuführen, dass weder der Rat noch die Kommission eine direkte demokratische Legitimation durch die Gemeinschaftsbürger genießen, Czaja, S. 76 f. 14 EuGH, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24 / 66, Kampffmeyer, Slg. 1967, S. 332, 354; Rs. 4 / 69, Lütticke, Slg. 1971, S. 325, 337, Rn. 10. 15 EuGH, verb. Rs. 9 und 12 / 60, Vloebergh, Slg. 1961, S. 427, 469. 16 Bei der Anerkennung des Schutzcharakters verfährt der EuGH sehr großzügig. So reicht es schon aus, wenn der Schutz des Geschädigten einer von vielen Zwecken einer Norm ist und das Interesse des Geschädigten gegenüber den anderen Zielen der Norm falsch gewichtet wurde, Berg, in: Schwarze, Art. 288, Rn. 37 m. w. N. aus der Rspr.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
Das Merkmal der Höherrangigkeit gilt lediglich als Hinweis auf die allgemeine Normhierarchie des Gemeinschaftsrechts.17 Es kommen insoweit – der allgemeinen Hierarchie entsprechend – neben geschriebenen und ungeschriebenen Primärvorschriften des Vertrages auch Sekundärvorschriften und insbesondere völkerrechtliche Normen in Betracht.18
c) Besondere Voraussetzung bei normativen Akten Eine Haftung für normatives Unrecht, das den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen fremd ist, kann nach der Rechtsprechung des EuGH nur unter erhöhten Anforderungen bejaht werden. In diesem Sinne führt der EuGH in der Leitentscheidung Schöppenstedt aus: „Da es sich um einen Rechtsakt handelt, der wirtschaftspolitische Entscheidungen einschließt, kann die Haftung der Gemeinschaft für den Einzelpersonen etwa durch diesen Akt entstandenen Schaden nach den Vorschriften von Art. 215 Absatz 2 des Vertrages nur durch die hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der Einzelnen dienenden Rechtsnorm ausgelöst werden“.19
aa) Hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm Soweit Entscheidungen der Gemeinschaft in einem wirtschaftspolitischen Kontext betroffen sind, muss danach als einschränkendes Kriterium eine „hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm“ vorliegen. Im Übrigen unterscheidet sich die Haftung für legislatives Unrecht nicht von den allgemeinen Haftungsvoraussetzungen.20 Im Hinblick auf das Merkmal der wirtschaftspolitischen Entscheidung ist nach der Rechtsprechung des EuGH der Kreis der möglichen Entscheidungsbereiche, die der wirtschaftspolitischen Regulierung unterliegen, sehr weit gezogen. Im Ergebnis dürfte jeder Akt, der entweder wirtschaftlichen aber auch politischen Entscheidungsspielraum für die handelnden Gemeinschaftsorgane eröffnet, unter die Schöppenstedt-Rechtsprechung fallen.21 Das haftungsbeschränkende Kriterium der „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“ wird damit begründet, dass Rechtsvorschriften, die Ergebnis wirtv. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 70; Berg, in: Schwarze, Art. 288, Rn. 38. v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 73; Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 39. 19 EuGH, Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975, 984 f., Rn. 11. 20 Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 54. 21 Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 54; Capelli / Nehls, EuR 1997, S. 132 (141 ff.). 17 18
A. Das Haftungsrecht nach Art. 288 Abs. 2 EG im Überblick
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schaftspolitischer Entscheidungen sind, die Haftung der öffentlichen Gewalt nur ausnahmsweise nach sich ziehen dürften.22 Insoweit stellt der EuGH grundsätzlich als entscheidendes Kriterium darauf ab, ob das handelnde Organ die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens offenkundig und erheblich überschritten hat.23 Daneben hat der EuGH in seiner früheren Rechtsprechung gefordert, der erlittene Schaden müsse einer klar abgrenzbaren Gruppe von Marktteilnehmern entstanden sein und über die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken hinausgehen, die eine Betätigung in dem betroffenen Wirtschaftszweig mit sich bringe.24 Letzteres liege insbesondere dann vor, wenn der Schaden für den Geschädigten nicht vorhersehbar war.25 bb) Die höherrangige Rechtsnorm Teilweise nahmen die Generalanwälte an, dass die verletzte Norm zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts26 zählen oder ein fundamentales Rechtsprinzip27 darstellen müsse. Der Gerichtshof hat jedoch lediglich den Verstoß gegen die in Frage stehende Rechtsnorm problematisiert, ohne auf die Notwendigkeit einer besonderen Qualifikation der Rechtsnorm als „höherrangig“ einzugehen.28 Der EuGH scheint demnach gerade keine besonderen Anforderungen an das Kriterium „höherrangige Rechtsnorm“ zu richten. Ebenso sind Forderungen von Teilen der Literatur zurückzuweisen, eine Haftung wegen legislativen Unrechts könne nur durch die Verletzung eines Gemeinschaftsgrundrechts bzw. eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes mit Grundrechtsrang ausgelöst werden.29 Im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung ist vielmehr an die 22 EuGH, verb. Rs. 83 und 94 / 76, 4, 15 und 40 / 77, HNL, Slg. 1978, S. 1209, 1224, Rn. 5. Eine weitere Erwägung des EuGH geht in eine ähnliche Richtung: Bei der Ausgestaltung und Erfüllung der im Gemeinschaftsrecht vorgegebenen wirtschaftspolitischen Zielvorgaben genießen die Gemeinschaftsorgane einen weiten Beurteilungs- und Ermessenspielraum. Dieser Gestaltungsspielraum, wirtschaftspolitische Entscheidungen weitgehend frei zu treffen, soll nicht durch drohende Schadensersatzansprüche über Gebühr eingeengt werden, vgl. auch EuGH, Rs. 74 / 74, CNTA, Slg. 1975, S. 533, 547; Rs. 197 bis 200, 243, 245 und 247 / 80, Ludwigshafener Walzmühle, Slg. 1981, S. 3211, 3251; verb. Rs. 9 und 11 / 71, Cie d’Approvisionnement, Slg. 1972, S. 391, 408. 23 EuGH, verb. Rs. 83 und 94 / 76, 4, 15 und 40 / 77, HNL, Slg. 1978, S. 1209, 1224 f., Rn. 6. 24 EuGH, Rs. 238 / 78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, S. 2955, 2973, Rn. 11. Zur Einordnung dieses Merkmals unten Teil 3, C. VI. 2. a). 25 Nicht vorhersehbar sind jedenfalls Schäden, die auf Rechtsfehlern der Gemeinschaftsorgane beruhen und somit nicht in den Planungen der Unternehmen berücksichtigt werden konnten, EuGH, RS. 220 / 91, Peine-Salzgitter, Slg. 1993, I-2393, 2453, Rn. 58. 26 GA Capotorti, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 238 / 78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, S. 2955, 2993. 27 GA Reischl, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. 116 und 124 / 77, Amylum, Slg. 1979, S. 3497, 3572. 28 Czaja, S. 80. 29 Fuß, EuR 1968, S. 356 (360); Ruffert, in: Calliess / Ruffert, Art. 288, Rn. 12.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
Verletzungshandlung und die Schwere der Einbuße im Vergleich zum normalen Geschäftsrisiko anzuknüpfen.30 Der Umstand, dass gegen ein „Gemeinschaftsgrundrecht“ verstoßen wurde, sagt wenig über die Schwere des Verstoßes aus.31 Auch lassen sich in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten keine eindeutigen Aussagen im Sinne eines allgemeinen Rechtssatzes dazu finden, dass die Haftung für legislatives Unrecht nur bei besonderen, in ihrem materiellen Rang qualifizierten Rechtsnormen begründet wäre.32 Im Ergebnis überwiegen die Gründe, an das Merkmal der „Höherrangigkeit“ auch im Rahmen der Haftung für legislatives Unrecht keine besonderen Anforderungen zu stellen, sondern dieses wie bei den allgemeinen Haftungsvoraussetzungen allein im Sinne der Normenhierarchie zu verstehen.33
4. Schaden und Kausalität Der entstandene Schaden muss tatsächlich und sicher vorliegen, wobei der Gerichtshof einen weiten Schadensbegriff zugrunde legt.34 Des Weiteren muss der Schaden gerade durch die angegriffene Amtshandlung verursacht worden sein. Zwischen Schaden und rechtswidrigem Verhalten muss also ein unmittelbarer und ursächlicher Zusammenhang bestehen.35 Insoweit wird grundsätzlich im Sinne der Adäquanztheorie auf eine gewisse Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts abgestellt.36
5. Verschulden Ursprünglich erkannte der EuGH die Gemeinschaftshaftung nur in den Fällen schuldhaften Verhaltens der Organe an. Seit der Entscheidung Lütticke37 hat er dieses Erfordernis nicht mehr aufgegriffen und auch nicht mehr geprüft. Der Schadensersatzanspruch gem. Art. 288 Abs. 2 EG ist demnach verschuldensunabhängig. Subjektive Haftungselemente im Sinne einer persönlichen Vorwerfbarkeit des beanstandeten Verhaltens sind jedoch auch nach der nunmehr verfolgten AusVgl. Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 63. Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 63. 32 Siehe Herdegen, S. 123 f. 33 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 93. 34 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 100; Vesting, S. 71 m. w. N. 35 EuGH, verb. Rs. 64 und 113 / 76, 167 und 239 / 78, 27, 28 und 45 / 79, Dumortier fréres, Slg. 1979, S. 3091, 3117. 36 EuGH, verb. Rs. 64 und 113 / 76, 167 und 239 / 78, 27, 28 und 45 / 79, Dumortier fréres, Slg. 1979, S. 3091, 3117. 37 EuGH, Rs. 4 / 69, Lütticke, Slg. 1971, S. 325, 337. 30 31
B. Das haftungsrelevante Verhalten der Gemeinschaftsorgane
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legung des Art. 288 Abs. 2 EG zumindest in dem Tatbestandsmerkmal der „qualifizierten Rechtsverletzung“ enthalten.38
B. Das haftungsrelevante Verhalten der Gemeinschaftsorgane I. Positive Handlung oder pflichtwidriges Unterlassen als haftungsrelevantes Verhalten? Neben der WTO-widrigen Gemeinschaftsmaßnahme, die Gegenstand des Streitbeilegungsverfahrens gewesen ist, könnte auch ein pflichtwidriges Unterlassen der Gemeinschaftsorgane als Anknüpfungspunkt für das haftungsrelevante Verhalten dienen. Denn hätten die Gemeinschaftsorgane die DSB-Entscheidung rechtzeitig umgesetzt und die rechtswidrige Maßnahme beseitigt, wären die Strafzölle nicht vom DSB genehmigt worden. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Unterlassungen der Gemeinschaftsorgane grundsätzlich dann die Haftung der Gemeinschaft begründen können, wenn die Gemeinschaftsorgane gegen eine Rechtspflicht zum Tätigwerden verstoßen haben, die sich aus einer Gemeinschaftsvorschrift ergibt.39 Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Erhebung der Strafzölle ausschließlich aufgrund der fortbestehenden WTO-widrigen Rechtslage genehmigt wird und nicht aufgrund der Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung oder eines pflichtwidrigen Unterlassens von adäquaten Änderungsakten durch die Gemeinschaftsorgane. Die DSB-Entscheidung stellt insofern den Rechtsverstoß verbindlich fest und löst weitere Verfahrensschritte im Rahmen der Streitbeilegung aus. Der relevante Haftungsgrund hingegen hängt, unabhängig von weiteren Versäumnissen der Gemeinschaftsorgane, untrennbar mit der WTO-widrigen Gemeinschaftsmaßnahme zusammen. Die Aufrechterhaltung einer WTO-widrigen Gemeinschaftshandlung über den gewährten Umsetzungszeitraum hinaus wird hingegen in der Bewertung, ob gerade eine qualifizierte Rechtsverletzung im Sinne der Schöppenstedt-Rechtsprechung vorliegt, zu berücksichtigen sein.40
Berg, in: Schwarze, Art. 288, Rn. 57. EuGH, Rs. C-146 / 91, KYDEP, Slg. 1994, I-4199, 4241, Rn. 58; EuG, Rs. T-196 / 99, Area Cova, Slg. 2001, II-3597, 3626 f., Rn. 84 ff. 40 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1150, Rn. 57 und EuGH, verb. Rs. C-178 / 94, C-179 / 94, C-188 / 94, C-189 / 94 und C-190 / 94, Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845, 4880, Rn. 26. Der EuGH stellt zur Begründung der mitgliedstaatlichen Haftung ebenfalls auf die gemeinschaftsrechtswidrigen Rechtsvorschriften ab und berücksichtigt lediglich im Rahmen der Prüfung der qualifizierten Rechtsverletzung die Tatsache, dass die Regelung trotz eines entgegenstehenden Urteils fortbestanden habe. 38 39
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
II. Ausübung einer Amtstätigkeit Der Kreis der in Frage kommenden Gemeinschaftsmaßnahmen, die Gegenstand eines Streitbeilegungsverfahrens und mithin Grund für die Aussetzung von Zollzugeständnisses sein können, ist denkbar weit. Zur Einleitung des Streitbeilegungsverfahrens muss der beschwerdeführende Staat zunächst lediglich geltend machen, dass Handelsvorteile, die sich für ihn aus dem WTO-Recht ergeben, durch eine oder mehrere Maßnahme(n) der Gemeinschaft geschmälert oder völlig zunichte gemacht werden.41 Sobald eine – administrative oder normative – Maßnahme der Gemeinschaft zu einer solchen Einschränkung geführt hat und seitens des obsiegenden Staates nach Feststellung der WTO-Widrigkeit und Genehmigung von Gegenmaßnahmen Strafzölle erhoben worden sind, kommt sie als haftungsrelevantes Verhalten in Frage.42 Im Folgenden soll beispielhaft der für den Wirtschaftsverkehr mit Drittstaaten wichtige Bereich der gemeinsamen Handelspolitik skizziert werden. Ein spezielles Augenmerk ist dabei auf das von der Gemeinschaft zur Regelung des Marktzugangs eingesetzte Handlungsinstrumentarium zu richten.
1. Gemeinschaftshandlungen im Bereich des Außenhandelsrechts a) Das Außenhandelsrecht der Gemeinschaft Die Gemeinschaft verfügt nicht über eine grundsätzliche Allzuständigkeit zur Regelung ihres Außenhandelsrechts, sondern darf nur im Bereich der ihr vertraglich zugewiesenen Aufgaben tätig werden.43 Die zentrale Kompetenzvorschrift zur Gestaltung des Zugangs zum Binnenmarkt ist hierbei der Art. 133 EG.44 Die Maßnahmen der Gemeinschaft auf dem Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik unterteilen sich in die autonomen, also einseitig von der Gemeinschaft erSiehe oben unter Teil 1, B. II. 2. b). Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass Art. XI Abs. 1 GATT 94 für den wichtigen Bereich des Warenhandels bestimmt, dass außer Zöllen, Abgaben und sonstigen Belastungen bei der Ausfuhr oder Einfuhr weder Verbote noch sonstige Beschränkungen erlassen oder beibehalten werden dürfen. Gerade der Bereich der nicht-tarifären Handelshemmnisse bietet jedoch ein weites Feld für die Staaten, auf verschiedenste Art und Weise die Wareneinfuhr aus Drittstaaten zu behindern, so dass eine Aufzählung der Maßnahmen nicht möglich ist, Jackson, The World Trading System, S. 154. 43 Grabitz / v. Bogdandy / Nettesheim, S. 9, insoweit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 5 EG folgend. 44 Diese wird durch eine Reihe von außenwirtschaftsrechtlich wichtigen Einzelkompetenzen, insbesondere Art. 26 für den gemeinsamen Zolltarif und Art. 43 EG für die gemeinsame Agrarpolitik, sowie weiterer impliziter Kompetenzen ergänzt, Grabitz / v. Bogdandy / Nettesheim, S. 10, 17; Nagel, S. 288 f. 41 42
B. Das haftungsrelevante Verhalten der Gemeinschaftsorgane
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griffenen, und bilateral oder multilateral vereinbarte Maßnahmen.45 Im Hinblick auf eventuelle Verstöße gegen das WTO-Recht sind Maßnahmen der autonomen Handelspolitik, die den Zugang zum Gemeinschaftsmarkt regeln, besonders bedeutsam.46 b) Maßnahmen der autonomen Handelspolitik Die Regelungen des Marktzugangs werden durch die Gemeinschaft im Rahmen ihrer Rechtssetzungskompetenzen getroffen. Hierbei ist die Zahl der internen Bestimmungen einer Rechtsordnung, die Auswirkungen auf den Handelsverkehr mit Drittstaaten haben können, kaum abschätzbar.47 Der Gemeinschaft steht ein reichhaltiges Instrumentarium zur Verfügung, mit dem sie auf den Außenhandel Einfluss nehmen kann. Zwei Regelungskomplexe stehen dabei im Vordergrund des internationalen Interesses: Zum einen das spezifische handelspolitische Instrumentarium, zum anderen die Außenaspekte der binnenmarktbezogenen internen Rechtsangleichung.48
aa) Sekundärrechtliche Regelungen des direkten Marktzugangs Die sekundärrechtlichen Regelungen des direkten Marktzugangs sind geprägt durch die im primären Recht angelegte Liberalisierung des Außenhandelsrechts.49 Arnold, in: Dauses, Hdb. des EU-Wirtschaftsrecht, K I, Rn. 14. Die Regelungen der WTO-Abkommen umfassen im Bereich des Warenhandels auch den Schutz der Ausfuhr (Art. XI Abs. 1 GATT 94), so dass grundsätzlich auch Ausfuhrbeschränkungen eine Verletzung des WTO-Rechts beinhalten können. Dennoch wird die Regulierung des Außenhandels durch die Gemeinschaft vorrangig eine Förderung der internen Wirtschaftsbereiche verfolgen und deshalb nur in Ausnahmefällen, insbesondere aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, Exporte verhindern oder erschweren, vgl. Art. 6 und 11 der EG-Ausfuhrverordnung (Verordnung (EWG) Nr. 2603 / 69 des Rates vom 20. 12. 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung, ABl. Nr. L 324 vom 27. 12. 1969, S. 25). Demgegenüber besteht unabhängig von der Förderung des Freihandels durch das WTO-Recht zuweilen ein Interesse der Staaten, im Einzelfall durch Instrumente wie Zölle, Kontingentierung oder sonstige Handelshemmnisse die Einfuhr in den gemeinsamen Binnenmarkt zu behindern und so die einheimischen Produzenten zu schützen (vgl. Herrmann / Weiss, S. 14 f.). Aus diesem Grund soll folgend der Schwerpunkt auf die Gemeinschaftsmaßnahmen zur Regelung der Einfuhr in den gemeinsamen Markt gelegt werden. Daneben können jedoch auch solche Förderungen der (Außenhandels-)Tätigkeit einzelner europäischer Unternehmen oder bestimmter Marktbereiche relevant werden, die gegen WTO-Recht verstoßen. 47 Grabitz / v. Bogdandy / Nettesheim, S. 1. 48 v. Bogdandy / Nettesheim, EuZW 1993, S. 465 (467). 49 Die Verordnung über die gemeinsame Einfuhrregelung (Verordnung (EWG) Nr. 3285 / 94, ABl. Nr. L 349 vom 22. 12. 1994, S. 53) bejaht gem. Art. 1 Abs. 2 grundsätzlich die Einfuhrfreiheit gewerblich-industrieller Produkte aus Drittländern aus. Gem. Art. 24 Abs. 2 lit. a) können die Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Einfuhrbeschränkungen anordnen und gem. Art. 16 ff. Schutzmaßnahmen treffen, wenn Waren in 45 46
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
In deutlicher Abgrenzung dazu hat die Gemeinschaft jedoch Regelungen erlassen, die in bestimmten Fallgestaltungen, namentlich zur Abwehr von Dumping und durch einen Drittstaat subventionierte Güter, den Schutz des Binnenmarktes gewährleisten sollen.50 Neben diesen allgemeinen Regelungen finden sich besondere Zugangsbestimmungen zu den einzelnen Marktbereichen. Von hervorgehobener Bedeutung ist hierbei die gemeinsame Agrarpolitik, die – im Gegensatz zum liberalen Ansatz der Einfuhrverordnung – traditionell dem Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz folgt und im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisationen den Schutz des Agrarbinnenmarktes gegen Niedrigpreiseinfuhren aus Drittstaaten verfolgt.51 Daher ist gerade dieser Bereich im Hinblick auf das WTO-Recht besonders konfliktträchtig. bb) Innergemeinschaftliche Rechtsangleichung Der Handel mit Drittstaaten kann darüber hinaus durch die innergemeinschaftliche Rechtsangleichung berührt werden.52 Da das gemeinschaftliche Außenhandelsrecht keine allgemeine Anerkennung fremder Vermarktungsregelungen kennt,53 müssen eingeführte Waren den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben genügen und können erst nach rechtmäßig erfolgter Einfuhr frei im europäischen Markt zirkulieren.54 Die Gemeinschaft hat nunmehr die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Kompetenz zur Rechtsangleichung die Anforderungen in bestimmten Bereichen des gemeinsamen Marktes derart zu formulieren, dass sie von Produzenten und Anbietern aus Drittstaaten nur schwer oder gar nicht erfüllt werden können. Handelspartner der Gemeinschaft sprechen im Zusammenhang mit dieser Möglichkeit der Marktabschottung auch von der Gefahr des Entstehens einer „Festung Europa“.55 Die derart erhöhten Mengen und / oder unter derartigen Bedingungen eingeführt werden, dass den Gemeinschaftsherstellern eine bedeutsame Schädigung entsteht oder zu entstehen droht. 50 Verordnung (EG) 384 / 96 des Rates vom 22. 12. 1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern, ABl. Nr. L 56 vom 06. 03. 1996, S. 1 (Anti-Dumpingverordnung); Verordnung (EG) Nr. 3284 / 94 des Rates vom 22. 12. 1994 über den Schutz gegen subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern, ABl. Nr. L 349 vom 31. 12. 1994, S. 22 (Anti-Subventionsverordnung). 51 Oppermann, S. 559; Epping, S. 565 f. 52 Siehe hierzu die ausführliche Darstellung bei v. Bogdandy / Nettesheim, EuZW 1993, S. 465 (467 ff.). 53 Grabitz / v. Bogdandy / Nettesheim, S. 373. 54 v. Bogdandy / Nettesheim, EuZW 1993, S. 465 (468). 55 Grabitz / v. Bogdandy / Nettesheim, S. 376; v. Bogdandy / Nettesheim, EuZW 1993, S. 465 (468). Das Mittel zur Rechtsangleichung ist dabei die Richtlinie. Die Umsetzung der Vorgaben in das nationale Recht liegt im Bereich der mitgliedstaatlichen Kompetenz. Die harmonisierten Regelungen werden sodann von mitgliedstaatlichen Behörden gegenüber Unternehmen, die Waren aus Drittländern einführen wollen, konkretisiert.
C. Die Verletzung des WTO-Rechts
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derart von der Gemeinschaft errichteten höheren Standards können in Widerspruch zu Regelungen des WTO-Rechts stehen und den Gegenstand eines Streitbeilegungsverfahrens bilden. 2. Zusammenfassung Eine Beschränkung des Zugangs zum gemeinsamen Markt für Unternehmen aus Drittstaaten kann insbesondere durch die autonome Handelspolitik der Gemeinschaft, namentlich durch direkte Einfuhrbeschränkungen der Gemeinschaft, oder durch innergemeinschaftliche Harmonisierung hervorgerufen werden. Die Gemeinschaft bedient sich hierbei grundsätzlich der Regelungsinstrumentarien der Verordnung sowie der Richtlinie. In den exemplarisch dargestellten Bereichen weist die relevante Verletzungshandlung daher im Regelfall normativen Charakter auf. Ein Ersatzanspruch gegen die Gemeinschaft wird sich also nach den Grundsätzen der Haftung für normatives Unrecht richten.56
C. Die Verletzung des WTO-Rechts I. WTO-Regelungen als Schutznormen im Sinne des Art. 288 Abs. 2 EG – Die unmittelbare Anwendbarkeit als Haftungsvoraussetzung Die Haftung nach Art. 288 Abs. 2 EG kann grundsätzlich auch durch die Verletzung völkerrechtlicher Normen ausgelöst werden.57 Der Erlass und die Aufrechterhaltung einer WTO-widrigen Gemeinschaftshandlung verletzt zwar für die Gemeinschaft verbindliche völkervertragliche Bestimmungen. Damit allein ist jedoch noch nicht die Frage der haftungsrechtlichen Relevanz der Rechtsverletzung beantwortet. Die Antwort hängt davon ab, welche Anforderungen an die rechtliche Qualität völkerrechtlicher Normen zu stellen sind, damit diese als Schutznormen im Sinne des Haftungsrechts qualifiziert werden können. 56 Die ersten Strafzölle wurden dementsprechend auch wegen der WTO-Widrigkeit einer Verordnung (der Bananenmarktordnung) und des durch Richtlinien eingeführten Einfuhrverbots hormonell behandelten (Rind-)Fleisches erhoben. Das Einfuhrverbot von hormonbehandeltem Rindfleisch wurde durch die Richtlinie 81 / 602 / EWG des Rates vom 31. 07. 1981, ABl. Nr. L 222 vom 07. 08. 1981, S. 32, für spezielle Wachstumshormone begründet und durch Richtlinie 88 / 146 / EWG des Rates vom 07. 03. 1988, ABl. Nr. L 70 vom 16. 03. 1998 ausgeweitet. Die Richtlinie 88 / 299 / EWG des Rates vom 17. 05. 1988 legte dann bestimmte Ausnahmetatbestände vom Importverbot fest. Nach deren Aufhebung gilt nunmehr die Richtlinie 96 / 22 / EG des Rates vom 29. 04. 1996 über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw. thyreostatischer Wirkung und von ß-Agonisten in der tierischen Erzeugung, ABl. Nr. L 125 vom 23. 05. 1996, S. 3, zuletzt geändert durch Richtlinie 2003 74 / EG des Parlaments und des Rates vom 22. 09. 2003, ABl. Nr. L 262 vom 14. 10. 2003, S. 17. 57 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 73; Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 39.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
1. Die Rechtsprechung des Gerichts und des Gerichtshofes Zu den besonderen Fällen, in denen Schadensersatzansprüche gegen die Gemeinschaft wegen der Erhebung von Strafzöllen auf die Verletzung von WTORecht gestützt wurden, haben sich die europäischen Gerichte bisher nicht geäußert. Indes finden sich Aussagen in der Rechtsprechung des EuGH und EuG zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen das WTO-Recht allgemein eine Schutznorm im Sinne des Art. 288 Abs. 2 EG darstellen kann.
a) Die Rechtssache Atlanta (Rs. T-521 / 93 und Rs. C-104 / 97) In der Rechtssache Atlanta erhob die Klägerin aus abgetretenem Recht am 14. Mai 1993 Klage beim EuG auf Ersatz der Schäden, die ihre Tochtergesellschaft durch das In-Kraft-Treten der BMO angeblich erlitten habe.58 Diese hatte drei Schiffe gechartert, die sie anschließend einer amerikanischen Gesellschaft zur Verfügung stellen wollte. Der Vertrag wurde vorzeitig von der amerikanischen Gesellschaft gekündigt, da die Schiffe infolge der sich aus der BMO ergebenden Beschränkungen nicht mehr verwenden werden konnten. Die Tochtergesellschaft der Atlanta AG war dennoch dem Schiffsvermieter zur Zahlung der Charterraten verpflichtet und forderte von der Gemeinschaft Ersatz der gezahlten Raten.59 Das EuG wies die Rüge der Klägerin, die aus Art. 17 bis 20 der BMO resultierenden Einfuhrbeschränkungen würden gegen das GATT 47 verstoßen, mit dem kurzen Hinweis zurück, auch im Urteil Deutschland / Rat 60 sei der Klagegrund eines Verstoßes gegen die Regeln des GATT 47 zurückgewiesen worden.61 Im Rechtsmittelverfahren vor dem EuGH stützte sich die Klägerin erstmalig in ihrem Erwiderungsschriftsatz auf die Entscheidung des DSB im WTO-Bananenstreitverfahren vom 25. September 1997 und vertrat die Ansicht, dass sich daraus die Rechtswidrigkeit der BMO wegen Verstoßes gegen das WTO-Recht ergebe. Die Verletzung des GATT wurde hingegen nicht ausdrücklich gerügt. Der EuGH nahm zu diesem neuen Rechtsmittelgrund inhaltlich keine Stellung und wies ihn wegen Verspätung zurück.62 Zur Begründung merkte er an, dass die Entscheidung des Panels notwendig mit dem von der Klägerin im Rechtsmittelverfahren nicht wieder aufgegriffenen Klagegrund des Verstoßes gegen die Bestimmungen des GATT im Zusammenhang stehe. Die Panelentscheidung könne nämlich nur BeVgl. EuG, Rs. T-521 / 93, Atlanta, Slg. 1996, II-1707. Vgl. EuG, Rs. T-521 / 93, Atlanta, Slg. 1996, II-1707, 1717, Rn. 12. 60 EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5071, Rn. 103 ff. Siehe Teil 2, A. I. 1. a). 61 EuG, Rs. T-521 / 93, Atlanta, Slg. 1996, II-1707, 1735 f., Rn. 77. 62 EuGH, Rs. 104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 7024 f., Rn. 17 ff. Der Gerichtshof schloss sich in dieser Frage den Ausführungen des GA Mischo an, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6987 ff., Rn. 3 – 22. 58 59
C. Die Verletzung des WTO-Rechts
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rücksichtigung finden, wenn die unmittelbare Wirkung des GATT im Rahmen eines auf die Rechtsunwirksamkeit der BMO gerichteten Rechtsmittelgrundes vom Gerichtshof festgestellt worden wäre.63
b) Die Rechtssachen Cordis Obst (Rs. T-18 / 99), Bocchi Food (Rs. T-30 / 99) und T. Port (Rs. T-52 / 99) Die Frage der Gemeinschaftshaftung wegen Verletzung von Bestimmungen des GATT wurde in den Rechtssachen Cordis Obst, Bocchi Food und T. Port abermals virulent. Die drei klagenden Unternehmen rügten die WTO-Widrigkeit der zur geänderten Bananenmarktordnung erlassenen Durchführungsverordnung64 und beantragten insbesondere die Ersetzung des angeblich durch die Kürzung des ihnen zuerkannten Einfuhrkontingentes für Bananen durch den in Art. 6 Abs. 3 der Verordnung (EG) 2362 / 98 eingeführten Anpassungskoeffizienten erlittenen Schadens.65 Das Gericht stellte in seinen nahezu wortgleichen Urteilen vom 20. März 2001 hinsichtlich der Verletzung des WTO-Rechts nunmehr auf die Portugal / Rat-Entscheidung des EuGH ab. Aus der dortigen Aussage des EuGH, wonach die WTOAbkommen nicht zu den Vorschriften gehörten, an denen die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane zu messen seien, folgerte das Gericht, dass deshalb die WTO-Abkommen grundsätzlich nicht bezweckten, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, deren Verletzung die Haftung der Gemeinschaft auslösen könnten.66 63 EuGH, Rs. 104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 7024, Rn. 19 f. GA Mischo ging hilfsweise auch auf die Begründetheit des Rechtsmittelgrundes ein. Zur Verletzung des GATT 47 verwies er – wie das EuG – auf die Entscheidung Deutschland / Rat. Die Frage einer unmittelbaren Anwendbarkeit des neuen GATT 94 ließ der GA ausdrücklich offen, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6990, Rn. 23 und 26. 64 Verordnung (EWG) 1637 / 98 vom 20. 07. 1998 und Durchführungsverordnung der Kommission (EWG) 2362 / 98 vom 28. 10. 1998. 65 EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913; Rs. 30 / 99, Bocchi Food, Slg. 2002, II-943; Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981. In der Rs. T-18 / 99 verlangte die Klägerin darüber hinaus die Ersetzung des Schadens, der ihr dadurch entstanden sei, dass die Kommission in der Durchführungsverordnung für die Zuteilung des Einfuhrkontingentes die Jahre 1994 bis 1996 als Referenzzeitraum festsetzte, in dem die Klägerin keine Umsätze habe erzielen können, EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, 933 ff., Rn. 13 ff. In Rs. T-52 / 99 verlangte die Klägerin noch die Ersetzung des Schadens, den sie dadurch erlitten habe, dass die von ihr beantragte Einfuhrmenge um die Menge gekürzt worden sei, die sie 1994 nach Finnland, Österreich und Schweden eingeführt habe, EuG, Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981, 991 ff., Rn. 13 ff. 66 EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, 933, Rn. 51; Rs. 30 / 99, Bocchi Food, Slg. 2002, II-943, 967, Rn. 56; Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981, 1001, Rn. 51. In den folgenden Urteilen vom 12. 07. 2001 in den Rs. T-2 / 99 und T-3 / 99 konkretisierte das Gericht seine Ausführungen. Bei den Klägerinnen handelte es sich um Vermarkter von Drittlandsbananen, die als Marktbeteiligte der Gruppe A bzw. C eingestuft worden waren. Die den
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c) Die Rechtssache Biret International (Rs. T-174 / 00) In der Rechtssache Biret International äußerte sich das Gericht in seinem Urteil vom 11. Februar 2002 erstmals eingehend zur Verletzung der Vorschriften des WTO-Rechts als möglichen Haftungsgrund im Sinne des Art. 288 Abs. 2 EG.67 In dem Fall klagte eine in Liquidation befindliche französische Gesellschaft, deren Gesellschaftszweck der Handel mit Lebensmitteln – insbesondere mit Fleisch – war. Die Klägerin behauptete, ihr seien durch das gemeinschaftsweite Verbot der Einfuhr hormonbehandelten Rindfleischs Schäden entstanden. Sie machte die Gemeinschaft haftbar für die gerichtliche Liquidation der Gesellschaft und verlangte darüber hinaus die Zahlung von Schadensersatz.68 Das Gericht lehnte den Klagegrund einer Verletzung des SPS-Übereinkommens ab. Zur Begründung verwies es insbesondere auf die oben dargestellten Urteile und stellt fest: „Aus einer inzwischen gefestigten Rechtsprechung geht hervor, dass das WTO-Übereinkommen und seine Anhänge ebenso wie die Vorschriften des GATT 47 wegen ihrer Natur und ihrer Systematik grundsätzlich nicht zu den Vorschriften gehören, an denen der Gerichtshof und das Gericht die Handlungen der Gemeinschaftsorgane gemäß Art. 173 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 1 EG) messen, dass sie für den Einzelnen keine Rechte begründen, auf die er sich vor Gericht berufen könne, und dass ihre etwaige Verletzung daher nicht die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft auslösen kann [ . . . ]. Die WTO-Übereinkünfte haben nämlich die Regelung und Abwicklung der Beziehungen zwischen Staaten oder Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration und nicht den Schutz des Einzelnen zum Gegenstand. [ . . . ].“69
Klägerinnen in Anwendung des Kontingentsystems zugeteilten Einfuhrmengen waren unzureichend, so dass beide Klägerinnen Einfuhrlizenzen von anderen Marktbeteiligten haben erwerben und Einfuhrzölle haben entrichten müssen; diese Kosten machten sie als Schaden geltend. Da beide Klägerinnen ihr Vorbringen der Verletzung des GATT ausdrücklich zurückgezogen hatten, konnten die Klagen nicht auf einen Verstoß des GATT gestützt werden. Dennoch zog das EuG die Entscheidung Dior (EuGH, verb. Rs. C-300 / 98 und C-392 / 98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11360, Rn. 44) heran und stellte fest, dass die Vorschriften des WTOAbkommens und seiner Anhänge für den Einzelnen keine Rechte begründen würden, auf die er sich nach dem Gemeinschaftsrecht unmittelbar vor den Gerichten berufen könne, EuG, T-2 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-2093, 2112 f., Rn. 51 ff.; T-3 / 99, Banatrading, Slg. 2001, II-2123, 2141, Rn. 43 ff. 67 EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17. Umstritten war die Verletzung von Normen des SPS-Übereinkommens. Gleichzeitig ist mit nahezu identischem Wortlaut das Urteil EuG, T-210 / 00, Etablissements Biret et Cie, Slg. 2001, II-47 ergangen. 68 EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 27, Rn. 16 ff. 69 EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 41 f., Rn. 61 f. (Hervorhebungen durch Verfasser).
C. Die Verletzung des WTO-Rechts
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d) Zusammenfassung und Zwischenergebnis EuGH und EuG kommen in den dargestellten Urteilen zu dem Ergebnis, dass eine haftungsrelevante Schutznormverletzung mangels unmittelbarer Anwendbarkeit der Regelungen des WTO-Rechts70 grundsätzlich ausgeschlossen sei. Auffallend ist, dass sich das Gericht mit der Frage des Schutznormcharakters der geltend gemachten WTO-Regelungen nicht differenziert auseinandersetzte, sondern zur Begründung in erster Linie auf die Rechtsprechung des EuGH, insbesondere auf die Urteile Deutschland / Rat und Portugal / Rat, verwies. In den Urteilen lehnte der Gerichtshof es anlässlich zweier Nichtigkeitsklagen ab, das GATT 47 bzw. das WTO-Recht mangels unmittelbarer Anwendbarkeit heranzuziehen. Diese Aussage bezieht sich zunächst nur auf die im Rahmen der Nichtigkeitsklage vorzunehmende Rechmäßigkeitsprüfung und trifft für sich genommen noch keine Feststellung, dass die Regelungen keine Schutznormen im Sinne des Haftungsrechts darstellen können. In der Rechtssache Biret International verdeutlicht das Gericht den verfolgten Ansatz eines direkten Zusammenhangs zwischen unmittelbarer Anwendbarkeit und Schutznormcharakter einer Norm. Es wird unter Verweis auf eine bereits „gefestigte Rechtsprechung“, festgestellt, dass die WTO-Abkommen gerade nicht den Schutz des Einzelnen zum Gegenstand haben, der für das Vorliegen einer Schutznorm im Sinne des Haftungsrechts erforderlich sei.71 Insgesamt kann also festgehalten werden, dass nach Ansicht der Gemeinschaftsgerichte die Einordnung einer Norm des WTO-Rechts als Schutznorm im Sinne der Schöppenstedt-Rechtsprechung zwingend deren unmittelbare Anwendbarkeit voraussetzt. Eine auf die Verletzung von WTO-Recht gestützte Schadensersatzklage wird also immer dann scheitern, wenn im Einzelfall die unmittelbare Anwendbarkeit der verletzten Norm nicht nachgewiesen werden kann.
2. Unmittelbare Anwendbarkeit und subjektive Rechte im Haftungsrecht der Gemeinschaft a) Kritik an der unmittelbaren Anwendbarkeit als Haftungsvoraussetzung Die Haftung für normatives Unrecht setzt nach der Schöppenstedt-Formel die Verletzung einer „höherrangigen, dem Schutz des Einzelnen dienenden RechtsBzw. in der Rechtssache Atlanta von Bestimmungen des GATT 47. EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 41 f., Rn. 61 f. Zur Begründung werden sodann die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Portugal / Rat genannt, in denen auf die Gefahr der Eingrenzung des Handlungsspielraumes der Gemeinschaftsorgane durch eine Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit verwiesen wird. 70 71
6 Görgens
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
norm“ voraus.72 Die unmittelbare Anwendbarkeit der Norm wird freilich nicht ausdrücklich als Bedingung genannt.73 Im Hinblick auf die Frage der Eignung einer völkerrechtlichen Norm als Schutznorm wird deshalb vertreten, dass sich diese nach den allgemeinen Regeln beantworte, die für die Direktwirkung völkerrechtlicher Verpflichtungen innerhalb der Gemeinschaft gelten.74 Im Sinne dieses Ansatzes lehnen EuG und EuGH eine Eignung der Bestimmungen des WTO-Rechts als Schutznormen ab75 und verknüpfen damit die Entscheidung über die Einordnung einer Schutznorm streng mit dem Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit.76 Dieser Ansatz ist auf Kritik gestoßen, da weder die Schöppenstedt-Rechtsprechung die unmittelbare Anwendbarkeit der Schutznorm vorschreibe noch im Rahmen der mitgliedstaatlichen Haftung wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts77 eine solche zwingend erforderlich zu sein scheine.78 Zur Begründung wird auf das Urteil in der Sache Francovich79 verwiesen, in dem die mitgliedstaatliche Haftung trotz mangelnder unmittelbarer Anwendbarkeit der umstrittenen Gemeinschaftsnorm angenommen worden sei. Da der EuGH von der Parallelität außervertraglicher Haftung der Gemeinschaft und gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung der Mitgliedstaaten ausgehe,80 sei zweifelhaft, ob das Fehlen der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts generell die Haftung der Gemeinschaft ausschließen könne.81
EuGH, Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975, 984 f., Rn. 11. Wünschmann, S. 228; Reinisch, EuZW 2000, S. 42 (46). 74 Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 39; ebenso Maresceau, in: Hilf / Jacobs / Petersmann, S. 118 f. 75 EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 41 f., Rn. 61. 76 Die Auslösung des Haftungsinstituts hängt demnach unmittelbar mit der Zuerkennung subjektiver Rechtspositionen zusammen, so dass sich der (Schadensersatz-)Anspruch gegen die Gemeinschaft als Konsequenz des Bestehens einer subjektiven Rechtsposition und deren Durchsetzungsbefehl ergibt. Mangels unmittelbarer Anwendbarkeit begründen die WTOAbkommen für den Einzelnen jedoch keine subjektiven Rechte, deren Verletzung die Haftung der Gemeinschaft auslösen könne, EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, 933, Rn. 51; Rs. 30 / 99, Bocchi Food, Slg. 2002, II-943, 967, Rn. 56; Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981, 1001, Rn. 51; Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 41 f., Rn. 61; vgl. auch EuGH, verb. Rs. C-300 / 98 und C-392 / 98, Dior, Slg. 2000, I-11307, 11360, Rn. 43 f. 77 Folgend „gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung“. 78 Vgl. Zonnekeyn, JIEL 6 (2003), S. 761 (764 f.); ders, in: Kronenberger, S. 265; Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (697 f.). 79 EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357. 80 EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 u. C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1146, Rn. 40 f.; Rs.C-352 / 98 P, Bergaderm, Slg. 2000, I-5291, 5324, Rn. 41. 81 Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (698); vgl. auch Gasparon, EJIL 10 (1999), S. 605 (620 ff.); Zonnekeyn, JWT 34 / 2 (2000), S. 93 (107); ders., JIEL 6 (2003), S. 761 (764 f.); Reinisch, EuZW 2000, S. 42 (46 f.). 72 73
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b) Unmittelbare Anwendbarkeit und subjektive Rechte im Bereich der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung aa) Herleitung und Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs Im Francovich-Urteil hat der EuGH erstmals den allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts formuliert, wonach die Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden verpflichtet sind, die dem Einzelnen durch mitgliedstaatliche Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen.82 Der Rechtssache lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Italien hatte die Konkursausfallrichtlinie 83 nicht rechtzeitig umgesetzt und damit gegen seine Verpflichtungen aus dem EG verstoßen.84 Andrea Francovich hatte von seinem zwischenzeitlich insolventen Arbeitgeber nur Teilzahlungen auf den Lohn erhalten; ein Pfändungsversuch war erfolglos geblieben. Daraufhin verlangte er vom italienischen Staat die in der Richtlinie vorgesehenen Garantiezahlungen, hilfsweise Schadensersatz.85 Zunächst setzte sich der EuGH im Vorlageverfahren damit auseinander, ob die Richtlinienbestimmungen, die die Rechte der Arbeitnehmer festlegen, inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und somit unmittelbar anwendbar seien. Da Art. 5 der Richtlinie den Mitgliedstaaten jedoch im Hinblick auf den Aufbau, die Arbeitsweise und die Aufbringung der Mittel der Garantieeinrichtungen einen weiten Gestaltungsspielraum einräume, sei die unmittelbare Anwendbarkeit abzulehnen. Der Einzelne könne die in der Richtlinie eingeräumten Rechte also nicht direkt vor den nationalen Gerichten geltend machen.86 Sodann befasste sich der Gerichtshof mit der Frage der Haftung des Mitgliedstaates für Schäden, die durch eine Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Um82 EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5415, Rn. 37. Dieser Grundsatz wurde in der Folgezeit bestätigt und entsprechend ausgebaut, siehe nur EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029; verb. Rs. C-178 / 94, C-179 / 94, C-188 / 94, C-189 / 94 und C-190 / 94, Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845. 83 Richtlinie 80 / 987 / EWG des Rates vom 20. 10. 1980, ABl. Nr. L 283 v. 28. 10. 1980, S. 23. Die Richtlinie sah die Angleichung des Schutzes der Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vor und sollte gem. ihres Art. 11 bis spätestens 23. 10. 1983 umgesetzt sein. 84 Festgestellt im Urteil EuGH, Rs. C-22 / 87, Kommission / Italien, Slg. 1989, S. 143. 85 Die Gerichte legten dem EuGH die Frage vor, ob der Einzelne sich unmittelbar auf die Regelungen der Richtlinie berufen könne, um die Garantien zu erhalten. Oder ob er jedenfalls Ersatz des Schadens verlangen könne, den er im Zusammenhang mit den Vorschriften erlitten habe, auf die er sich nicht unmittelbar berufen könne, EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5406 f., Rn. 7. 86 EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5412, Rn. 25. Umstritten war, ob Art. 5 den Schuldner des Anspruchs hinreichend genau bestimme.
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setzungsverpflichtung verursacht werden.87 Der effektive Schutz der Rechte des Einzelnen und die in Art. 5 EG a. F. (jetzt Art. 10 EG) genannte Gemeinschaftstreue würden einen Ersatzanspruch gegen den das Gemeinschaftsrecht verletzenden Mitgliedstaat erfordern.88 Im Ergebnis bejahte der EuGH auf dieser Grundlage die Haftung Italiens.89
bb) Die Begründung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung – Haftung unter Verzicht auf das Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit? (1) Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Francovich (verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90) Nachdem er in seinen Schlussanträgen die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinienbestimmungen abgelehnt hatte,90 widmete sich GA Mischo der Frage, ob der Staat auch dann haftbar sei, wenn die Nichtumsetzung einer nicht unmittelbar wirkenden Richtlinie individualschädigend gewirkt habe.91 Da nach Ansicht des Generalanwalts der Weg der Haftungsbegründung über die Dogmatik der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Norm versperrt war, stellte er fest, dass in der Konsequenz „andere fundamentale Gründe des Gemeinschaftsrechts“ gefunden werden müssten, die es erforderlich machten, Schadensersatz zu gewähren, „auch wenn es sich um Bestimmungen handelt, denen keine unmittelbare Wirkung zukomme“.92 Einen solchen fundamentalen Grund erkannte er in 87 Einleitend stellte der Gerichtshof fest, dass Rechtssubjekt der durch den EG begründeten Rechtsordnung nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch der Einzelne sei, dem das Gemeinschaftsrecht Rechte verleihen könne. Solche Rechte könnten auch aus Verpflichtungen hergeleitet werden, die der EG den Mitgliedstaaten auferlege, EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5413, Rn. 31. 88 EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5414 f., Rn. 32 ff. Der Grundsatz der Staatshaftung folge insoweit unmittelbar aus dem Wesen der mit dem EG geschaffenen Rechtsordnung. 89 Der EuGH nennt drei Voraussetzungen für die Begründung der Haftung: Das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel muss die Verleihung von Rechten an Einzelne beinhalten, der Inhalt der Rechte muss auf Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können und es muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß der mitgliedstaatlichen Umsetzungsverpflichtung und dem entstandenen Schaden bestehen, EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5415, Rn. 40 f. 90 Nach Ansicht des Generalanwalts war sowohl der Inhalt der durch die Richtlinie vermittelten Rechte als auch der Schuldner des Leistungsanspruchs nicht hinreichend genau und unbedingt bestimmt, GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5378, Rn. 31. 91 GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5381, Rn. 35. 92 GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5389, Rn. 56.
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der Vorschrift des Art. 171 EG a. F. (jetzt Art. 228 Abs. 1 EG), die den Staat verpflichtet, die zur Umsetzung des EuGH-Urteils erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.93 (2) Verzicht auf das Merkmal der unmittelbaren Anwendbarkeit? Die dogmatische Einordnung der vom Gerichtshof hergeleiteten gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung war von Beginn an innerhalb der Literatur umstritten. Auch heute ist die Frage nicht als geklärt anzusehen.94 Ein Teil der Autoren richtet den Blick auf die Bestimmungen der Richtlinie und kommt zu dem Schluss, dass es Ergebnis des Urteils sei, dass zur Begründung der Haftung auf die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen nicht mehr abgestellt werde.95 So sei es gerade als Neuerung des Francovich-Urteils anzusehen, dass die Haftung völlig unabhängig vom Prinzip der unmittelbaren Anwendbarkeit bejaht werde.96 Andere Stimmen gehen ebenfalls von einem Verzicht auf das Merkmal der unmittelbaren Anwendbarkeit aus, wollen das neue Haftungsinstitut jedoch ausschließlich auf die Schließung der vom EuGH festgestellten Rechtsschutzlücke begrenzen. Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung könne demnach nur in Zusammenhang mit nicht unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsnormen ausgelöst werden.97 (3) Die unmittelbare Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungspflicht Eine andere Ansicht will die Haftung nicht von dem Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit trennen. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass die unmittelbare 93 Die Schadensersatzpflicht stelle insoweit eine der in der Vorschrift genannten Verpflichtungen zur Ergreifung der Maßnahmen dar, die sich aus einem Urteil des Gerichtshof ergeben, das eine Vertragsverletzung festgestellt hat, GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5390 f. Rn. 59. 94 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 132. 95 Karl, RIW 1992, S. 440 (444), Steindorff, Jura 1992, S. 561 (564); Hilf, EuR 1993, S. 1 (11). 96 Steiner, ELR 1993, S. 3 (9). 97 Siehe etwa Steiner, ELR 1993, S. 3 (9); Bell, LIEI 1994 / 2, 120 f. So auch die Argumentation der Regierungen Deutschlands, Irlands und der Niederlande in der Rechtssache Brasserie du Pêcheur, die vom EuGH jedoch ausdrücklich zurückgewiesen wurde, EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1142, Rn. 18 f. Auch Ossenbühl geht in seiner Kritik an der Francovich-Rechtsprechung davon aus, dass auf das Merkmal der unmittelbaren Anwendbarkeit der Norm verzichtet wurde. Er lehnt eine Vermittlung von Individualrechten mangels unmittelbarer Wirkung ab und führt konsequent an, dass deshalb auch das Prinzip des Schutzes gemeinschaftsrechtlich begründeter Rechte als Grundlage für die Haftung der Mitgliedstaaten nicht herangezogen werden könne, DVBl. 1992, S. 993 (995).
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Anwendbarkeit grundsätzlich der Schlüssel zum Verständnis des vom EuGH entwickelten Haftungssystems sei und dieses Kriterium notwendig über die Entstehung subjektiver Rechte entscheide.98 Keine Einigkeit besteht indes über die Frage, welche unmittelbar anwendbare Verpflichtung die Haftung konkret begründet. Nach Albers ist „Dreh- und Angelpunkt“ der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung die unmittelbare Anwendbarkeit der verletzten mitgliedstaatlichen Umsetzungspflicht.99 Da die Richtlinie darauf abgezielt habe, dem Einzelnen nach ihrer Umsetzung eine subjektive Rechtsposition zuzusprechen und Art. 249 Abs. 3 EG dieses Ziel für Italien verbindlich gemacht habe, könne im Ergebnis der aus den Richtlinienbestimmungen und Art. 249 Abs. 3 EG zusammengesetzten gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung – nach Ablauf der Umsetzungspflicht – eine „beschränkte unmittelbare Wirkung“ zugesprochen werden. Abweichend hiervon wird die Heranziehung der Richtlinie zur Herleitung der unmittelbar wirkenden Verpflichtung teilweise bestritten. Deren Ziel sei zwar die Verleihung von Rechten, aber ein noch nicht verliehenes Recht könne schwerlich ein subjektives Recht begründen. Die Haftung sei vielmehr allein auf den Verstoß gegen Art. 249 Abs. 3 EG zu gründen, den die Richtlinienvorschriften nur tatbestandlich konkretisierten.100 Eilmansberger betont, dass die unmittelbare Anwendbarkeit einer Norm dogmatisch die notwendige Voraussetzung dafür sei, dass Individualrechte überhaupt entstehen.101 Nur im Falle eines Verstoßes gegen die Umsetzungspflicht aus Art. 249 Abs. 3 EG könne es ausnahmsweise zum Entstehen eines Anspruchs in Zusammenhang mit nicht unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht kommen.102
98 Albers, S. 97; Eilmansberger, S. 87. Dem liegt im weiteren Sinne der dogmatische Ansatz zugrunde, dass im Gemeinschaftsrecht ein Anspruch nur als Folge des dem Einzelnen zustehenden subjektiven Rechts und dessen Durchsetzungspostulat entstehen könne („ubi ius ibi remedium“), vgl. hierzu im Einzelnen Eilmansberger, S. 62 ff. 99 Albers, S. 97 ff. (99 f.) und 102 ff. (105); siehe auch Leonard, S. 148, Fn. 198; Jarass, Grundfragen 1995, S. 126. Es ist jedoch fraglich, ob tatsächlich die mitgliedstaatliche Pflicht oder die Richtlinienbestimmungen im Zusammenhang mit der Umsetzungspflicht als eigenständige Verpflichtung unmittelbare Anwendbarkeit besitzen können. Dies wird teilweise bezweifelt, vgl. v. Danwitz, JZ 1994, S. 335 (339); Magiera, DÖV 1998, S. 173 (177). 100 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 132; Geiger, Grundsatz der Staatshaftung, S. 78 und 108 f. 101 Nur deren Verletzung lasse das dem Staatshaftungsanspruch so maßgeblich begründende Rechtsschutzbedürfnis entstehen, Eilmansberger, S. 224. 102 Eilmansberger, S. 224. Dies sei aber nur möglich, da die relevante Verletzung nicht im Verstoß gegen die nicht unmittelbar anwendbare Richtlinien, sondern im Verstoß gegen die Umsetzungspflicht zu sehen sei. Die subjektiv-rechtliche Relevanz der Vertragsverletzung lasse sich damit begründen, dass die betreffende Richtliniennorm ein inhaltlich bestimmbares Recht verleihen wolle.
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(4) Stellungnahme und Zwischenergebnis Den oben dargestellten Ansichten der Literatur ist die Einschätzung gemein, die Haftungsvoraussetzung der unmittelbaren Anwendbarkeit habe durch die Rechtsprechung des EuGH zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch eine Aufweichung erfahren. Das weiterhin ungelöste Problem besteht darin, ob zur Begründung der Haftung notwendig ein Rückgriff auf die Verletzung unmittelbar wirkender mitgliedstaatlicher Pflichten, beispielsweise aus Art. 249 Abs. 3 EG, vorgenommen werden muss. Eine eindeutige Feststellung, wonach der EuGH sich vom Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit im Bereich des Haftungsrechts gelöst habe, lässt sich indes nicht treffen.103 Das vom EuGH etablierte Haftungsinstitut stellt jedoch ausdrücklich die Umsetzungsverpflichtung des Art. 249 Abs. 3 EG und deren Verletzung durch den jeweiligen Mitgliedstaat in den Vordergrund und folgt insoweit der Rechtsprechung zu der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen. 104 Dies spricht, ebenso wie die an die inhaltliche Qualität der Richtlinienbestimmung gestellten Voraussetzungen als eine Norm, die auf die Verleihung von Rechten abzielt, dafür, in der Verletzung der unmittelbar anwendbaren Umsetzungsverpflichtung den Anknüpfungspunkt für die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung zu erkennen.
103 EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5415, Rn. 39 (Verletzung Umsetzungspflicht); verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1151, Rn. 59, (Aufrechterhaltung offenkundig gemeinschaftswidriger Gesetze). Die von GA Mischo aufgeworfene Frage, ob eine Haftung aufgrund fundamentaler Gründe unabhängig vom Vorliegen unmittelbar anwendbarer Normen zu begründen sei, findet keine ausdrückliche Beantwortung durch den EuGH. Die in der Literatur verfolgte Ansicht der Verletzung einer individualgerichteten mitgliedstaatlichen Pflicht hält daran fest, dass notwendige Voraussetzung zur Erlangung eines Ersatzanspruchs das Vorliegen eines dem Einzelnen direkt zustehenden Rechts ist. Danach entfalte der Grundsatz ubi ius ibi remedium uneingeschränkte Geltung im Gemeinschaftsrecht, Eilmansberger, S. 63; Prieß, EuZW 1995, S. 793. Diese Einordnung wird jedoch als nicht zwingend kritisiert. So könne auch das Verständnis des Common Law, wonach der Satz ubi remedium ibi ius gelte, denkbar sein. Danach würde durch die Verleihung des Haftungsanspruchs dem Einzelnen nur als Folge ein Recht zugesprochen werden, die unmittelbare Anwendbarkeit der Haftungsnorm sei hingegen nicht erforderlich, Beljin, 104 f. 104 Der EuGH stützt seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen auf die Erwägung, dass es „mit der den Richtlinien durch Artikel 189 [jetzt Art. 249] zuerkannten verbindlichen Wirkung unvereinbar sei, grundsätzlich auszuschließen, dass sich betroffene Personen auf die durch die Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können“, EuGH, Rs. 148 / 78, Ratti, Slg. 1979, S. 1629, 1642, Rn. 20 f.
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cc) Folgerungen für die Haftung wegen Verletzung des WTO-Rechts – Notwendigkeit der unmittelbaren Anwendbarkeit der Haftungsnorm Nach dem vom Gerichthof bejahten Grundsatz der Parallelität der Haftungsinstitute, dürfen sich die Voraussetzungen für die Begründung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung nicht ohne besonderen Grund von den Voraussetzungen unterscheiden, die für die Haftung der Gemeinschaft unter vergleichbaren Umständen gelten.105 Der genaue Wortlaut des Kohärenzgebots fordert also keine zwingende Einheitlichkeit der Haftungsvoraussetzungen. Er betont vielmehr die Möglichkeit von Abweichungen, wo diese angezeigt sind. Es wird vertreten, das Merkmal der „Schutznorm“ i. S. d. Art. 288 Abs. 2 EG und das im Rahmen der Francovich-Haftung genannte Erfordernis, dass die verletzte Norm „bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen“, würden in ihren Voraussetzungen übereinstimmen.106 Dies bedeutet jedoch zunächst nur, dass die verletzte Rechtsnorm für den Einzelnen eine subjektive Rechtsposition begründen muss, wobei die Bewertung, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Eignung gegeben ist, vom Standpunkt des Gemeinschaftsrechts zu treffen ist. Für die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung kann indes nicht eindeutig festgestellt werden, dass der EuGH auf das Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit der haftungsauslösenden Norm verzichtet hat. Ein Verzicht auf dieses Merkmal im Rahmen der Gemeinschaftshaftung für Verletzungen des WTO-Rechts kann demnach nicht mit dem bloßen Hinweis auf die Francovich-Rechtsprechung begründet werden. Auch erscheint es zweifelhaft, ob von einem Verzicht der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen als Haftungsvoraussetzung gleichzeitig darauf zu schließen wäre, dass eine nicht unmittelbar anwendbare Norm des Völkervertragsrechts ebenfalls eine Schutznorm im Sinne des Haftungsrechts darstellen könnte.107 Insoweit ist zu beachten, dass sich die rechtlichen Grundlagen für die Begründung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen einerseits und völkerrechtlicher Normen andererseits unterscheiden. Während die Direktwirkung von Richtlinienbestimmungen auf Art. 249 Abs. 3 i. V. m. Art. 10 EG und letztlich der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts im Sinne des effet utile gründet,108 stellt die unmittelbare Anwendbarkeit eine besondere Form der in Art. 300 Abs. 7 EG angeordneten Geltung völkerrechtlicher Normen in der Gemeinschaftsordnung dar.109 Insoweit kann zur Legitimation der unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinienbestimmungen die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten und das damit angestrebte Ziel der Schaf105 EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1147, Rn. 42. 106 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 130. 107 So aber Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (704). 108 Vgl. m. w. N. Rörig, S. 19 ff. 109 Siehe oben Teil 1, A. II. 2. a).
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fung eines gemeinsamen (Binnen-)Marktes angeführt werden.110 Ein vergleichbares Ziel strebt das WTO-Recht, das die Koordinierung der gegenseitigen Rechte und Pflichten seiner Mitglieder im Bereich des internationalen Handelsverkehrs zum Gegenstand hat, jedoch nicht an.
c) Ergebnis Eine subjektive Rechtsposition, die der Einzelne vor den Gemeinschaftsgerichten geltend machen kann, setzt die unmittelbare Anwendbarkeit der Norm in der Gemeinschaftsrechtsordnung voraus. Aus diesem Grund kann nur eine unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Norm eine Schutznorm im Sinne der Gemeinschaftshaftung darstellen und eine Rechtsverletzung die Ersatzpflicht der Gemeinschaft auslösen. Dieser Befund wird auch durch die Rechtsprechung des EuGH zur gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung nicht erschüttert.
3. Exkurs: Haftpflicht aufgrund der Ratio der Francovich-Rechtsprechung Im Rahmen der Diskussion über die Gemeinschaftshaftung für Verletzungen des WTO-Rechts wird teilweise aus der Ratio der Francovich-Entscheidung gefolgert, dass die Gemeinschaft im Falle der Nichtumsetzung einer DSB-Entscheidung die Haftpflicht der Gemeinschaft unabhängig von der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts haften müsse.111 In diese Richtung weisen schon die Ausführungen von GA Lenz in der Rechtssache Chiquita Italia, der ebenfalls eine Schadensersatzpflicht der Gemeinschaft trotz mangelnder unmittelbarer Anwendbarkeit des GATT 47 in Ausnahmefällen für möglich hielt und dazu ausführte:
110 v. Bogdandy, EuZW 2001, 357 (363). Der EuGH prüft dementsprechend lediglich den Ablauf der Umsetzungsfrist und die hinreichende Bestimmtheit und Unbedingtheit der Richtlinienbestimmung. Vgl. m. w. N. Hetmeier, in: Lenz-Kommentar, Art. 249, Rn. 12. Im Gegensatz dazu ist der Prüfung der unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkervertraglichen Norm die Untersuchung vorangestellt, ob nach Zweck und Systematik des entsprechenden Abkommens dessen unmittelbare Anwendbarkeit generell ausgeschlossen ist. Die grundsätzlich erhöhte Durchsetzungsfähigkeit eines Gemeinschaftsabkommens muss also im Gegensatz zum gemeinschaftlichen Sekundärrecht erst bestätigt werden. 111 Nach Schoißwohl könne die mangelnde unmittelbare Anwendbarkeit aufgrund der in der Francovich-Entscheidung zum Ausdruck kommenden Ratio „überwunden“ werden, so dass eine Haftpflicht nach Art. 288 Abs. 2 EG der Gemeinschaft bestehe, ZEuS 2001, S. 689 (714). Vgl. auch McDonald, der allgemein eine Haftpflicht der Gemeinschaft unter Hinweis auf die Francovich-Rechtsprechung befürwortet, ZEuS 1998, S. 249 (269). Generalanwalt Alber weist zur Begründung der Gemeinschaftshaftung wegen Nichtumsetzung einer DSB-Entscheidung auf die Vergleichbarkeit zur Francovich-Rechtsprechung hin und plädiert für eine unmittelbare Anwendbarkeit, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10529 f., Rn. 106 ff.
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Es stellt sich somit die Frage, ob unter Heranziehung oder Fortentwicklung113 der Grundsätze der Francovich-Rechtsprechung dann eine Haftpflicht der Gemeinschaft besteht, wenn diese eine DSB-Entscheidung nicht rechtzeitig umgesetzt hat.114 a) Parallelen zwischen den Fallgestaltungen Die Fallgestaltungen der Rechtssache Francovich115 und der Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen weisen eine Reihe von Parallelen auf. So bejahte der Gerichtshof im Francovich-Urteil eine Haftpflicht, obwohl die umzusetzende Richtlinienbestimmung nicht unmittelbar anwendbar war. Korrespondierend dazu soll die Umsetzung der DSB-Entscheidung zur Beseitigung eines Verstoßes gegen grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbares WTO-Recht dienen. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung einer Richtlinie ergibt sich aus Art. 249 Abs. 3 und Art. 10 EG; für die Umsetzung von DSB-Entscheidungen durch die Gemeinschaft kann Art. 300 Abs. 7 EG als primärrechtliche Verpflichtung angeführt werden.116 Eine weitere Parallele ergibt sich aus der Forderung nach einem effektiven Rechtsschutz für die Gemeinschaftsbürger. Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung ist nach der Rechtsprechung des EuGH geboten, wenn die volle Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen von der Umsetzung der Mitglied112 GA Lenz, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-469 / 93, Chiquita Italia, Slg. 1995, I-4533, 4543 f., Rn. 21. Der Generalanwalt bezweifelt jedoch, ob ein solch extrem gelagerter Fall überhaupt eintreten könne. Denn „man wird davon ausgehen können, dass die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten stets eingedenk ihrer Verpflichtungen aus dem GATT handeln werden und gegen Versuchungen, den freien Warenverkehr durch protektionistische Maßnah-men zu verfälschen, gefeit sind.“, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-469 / 93, Chiquita Italia, Slg. 1995, I-4533, 4543 f., Rn. 21. 113 Hörmann / Göttsche sprechen von einer „Fortentwicklung der Francovich-Doktrin“, RIW 2003, S. 689 (694 f.); Schoißwohl möchte eine Prüfung im Rahmen des Art. 288 EG „in Anlehnung an das Urteil Francovich“ vornehmen, ob nicht die Gemeinschaft durch eine primärrechtliche Gemeinschaftsnorm zur Erfüllung solcher Rechtspositionen angehalten sei, die dem Einzelnen durch Bestimmungen der WTO-Abkommen vermittelt würden, ZEuS 2001, S. 689 (714). 114 Insoweit wird wiederum auf den Grundsatz der Parallelität zwischen den Haftungsinstituten verwiesen, so dass die Grundsätze der Francovich-Rechtsprechung auch im Rahmen der Gemeinschaftshaftung zu berücksichtigen seien, Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (698). 115 Siehe dazu schon ausführlich oben Teil 3, C. I. 2. b) aa). 116 Hierzu im Einzelnen Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (702 und 707 f.).
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staaten abhänge und der Einzelne die ihm zuerkannten Rechte mangels unmittelbarer Anwendbarkeit vor den nationalen Gerichten nicht geltend machen könne.117 Eine ähnliche Situation stellt sich im Falle der Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen und daraufhin erhobener Strafzölle dar. Die Gemeinschaft verletzt das WTO-Recht, das einen „integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ bildet und gem. Art. 300 Abs. 7 EG für die Gemeinschaftsorgane verbindlich ist. Mangels unmittelbarer Anwendbarkeit kann der Einzelne die Gemeinschaft nicht direkt zur Einhaltung der Regelungen vor Gericht zwingen und muss im Ergebnis die Folgen der rechtswidrigen Handelspolitik tragen.
b) Die Möglichkeit der Übertragung der Francovich-Rechtsprechung auf die Fälle der Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen Fraglich ist jedoch, ob die bezeichneten Parallelen dennoch verlangen, dass im Sinne des haftungsrechtlichen Kohärenzprinzips eine Heranziehung der Grundsätze der Francovich-Rechtsprechung auch im Rahmen der Gemeinschaftshaftung bei Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen zu erfolgen hat. Dagegen spricht, dass zentrale dogmatische Erwägungen, die den Gerichtshof zur Entwicklung der Francovich-Haftung veranlassten, im Falle der Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen nicht greifen. Der Gerichtshof verwies im Francovich-Urteil darauf, dass Rechtssubjekte der durch den EG geschaffenen Rechtsordnung nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern gerade auch die einzelnen Gemeinschaftsbürger seien, denen das Gemeinschaftsrecht Rechte verleihen könne.118 Demgegenüber schafft die mit dem WTO-Übereinkommen errichtete Welthandelsordnung unmittelbar nur Rechte und Pflichten zwischen ihren Mitgliedstaaten. Sie hat deren internationale handelsrechtliche Beziehungen zum Gegenstand, ohne grundsätzlich darauf angelegt zu sein, den Einzelnen unmittelbar zu berechtigen.119 Ebenso wenig kann der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz des effet utile zur Begründung der Anerkennung einer Haftung im Falle der Nichtumsetzung von DSBEntscheidungen angeführt werden. Im Francovich-Urteil stellte dieser Aspekt ein zentrales Argument dar: Die Zusprechung eines Schadensersatzanspruchs im Falle der Nichtumsetzung von Richtlinien diene auch der Durchsetzung der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrecht.120 Eine Förderung der Durchsetzung des Gemein117 EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5414, Rn. 34. Ein Mitgliedstaat soll nicht davon profitieren, dass er sich vertragswidrig verhält, GA Alber, Schlussanträge zu Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10528, Rn. 106. 118 EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5414, Rn. 31. 119 EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 42, Rn. 62. Hierauf weist auch Schoißwohl hin, ZEuS 2001, S. 689 (702). Vgl. auch EuGH, verb. Rs. C-300 / 98 und C-392 / 98, Dior, Slg. 2000, I-11307, Rn. 44. 120 EuGH, verb. Rs. C-6 / 90 und C-9 / 90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, 5414, Rn. 32 ff.
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schaftsrechts lässt sich auf die Umsetzung der DSB-Entscheidungen nicht übertragen, da insoweit gerade eine Kollision zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem WTO-Recht als „integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ vorliegt.121 Überdies bestehen Bedenken, ob die Gemeinschaft, ähnlich wie die Mitgliedstaaten zur Richtlinienumsetzung, zur Umsetzung der DSB-Entscheidung verpflichtet ist. Eine primärrechtliche Umsetzungspflicht der Gemeinschaft folgt grundsätzlich aus Art. 300 Abs. 7 EG, wobei zur Begründung einer Haftpflicht ebenfalls – analog zur Francovich-Entscheidung – auf die in Art. 10 EG kodifizierte Gemeinschaftstreue verwiesen werden könnte.122 Diese Pflicht ist jedoch hinsichtlich ihres Verpflichtungsgrades nicht vergleichbar mit der mitgliedstaatlichen Pflicht zur fristgemäßen und vollständigen Umsetzung von Richtlinien aus Art. 249 Abs. 3 EG i. V. m. Art. 10 EG.123 Die Umsetzung der Richtlinien dient dem übergeordneten Ziel der fortschreitenden Integration und der Schaffung eines einheitlichen europäischen Rechtsraumes. Dies rechtfertigt die Etablierung einer mitgliedstaatlichen Haftung, um die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts unter Rückgriff auf die in Art. 10 EG angeordnete Gemeinschaftstreue zu fördern. Ein vergleichbares Durchsetzungsziel liegt dem WTO-Recht nicht zu Grunde. Bei dessen Rechtsverpflichtungen handelt es sich vielmehr um völkerrechtliche Umsetzungspflichten.124 Als Begründungselement der Francovich-Entscheidung verbleibt somit in erster Linie der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, der gleichermaßen auch im Falle der Beeinträchtigung von Rechtspositionen Geltung beansprucht, die durch WTO-widriges Handeln der Gemeinschaftsorgane hervorgerufen werden.125 Die Herleitung einer Haftpflicht der Gemeinschaft in Anlehnung an die FrancovichRechtsprechung allein aus dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes ist angesichts der auf die Besonderheiten der Gemeinschaftsrechtsordnung abstellenden sonstigen Begründungselemente der Francovich-Haftung jedoch abzulehnen.126 121 Ebenso würde die Androhung haftungsrechtlicher Konsequenzen im Falle der Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung grundsätzlich den allgemeinen Ermessensspielraum der Gemeinschaftsorgane beeinträchtigen, was dem effet utile abträglich wäre, so auch Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (703). 122 Siehe im Einzelnen zur Umsetzungspflicht aus Art. 300 Abs. 7 EG und einer auf Art. 10 EG begründeten Haftpflicht der Gemeinschaft Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (707 ff.) m. w. N. Schoißwohl geht von der Prämisse aus, dass die in Art. 10 EG festgelegte Loyalitätspflicht auch die Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten treffe und die Ausgestaltung neuer Rechtspflichten erlaube. Aus der Loyalitätspflicht könne eine Haftpflicht hergeleitet werden, die insbesondere geeignet sei, die in Art. 300 Abs. 7 EG angeordnete innergemeinschaftliche Bindung der Gemeinschaftsorgane an die WTO-Übereinkommen zu fördern. 123 Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (695). 124 Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (695). 125 Siehe dazu bereits Teil 2, B. II. 1. 126 Im Ergebnis auch Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (695).
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II. Die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts aufgrund einer endgültigen DSB-Entscheidung Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass die Haftung der Gemeinschaft nur begründet werden kann, wenn die verletzte Norm des WTO-Rechts unmittelbar anwendbar ist. Da der Gerichtshof allgemein die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Normen ablehnt,127 stellt sich die Frage, ob einzelne Bestimmungen des WTO-Rechts zumindest dann unmittelbar anwendbar sind, wenn ihre Verletzung in einer abschließenden DSB-Entscheidung festgestellt worden ist. Für die Begründung eines Haftungsanspruchs im Falle der Erhebung von Strafzöllen wäre eine solche Wirkung der DSB-Entscheidungen von erheblicher Bedeutung, da die Einleitung von Gegenmaßnahmen das Vorliegen einer abschließenden Entscheidung des DSB und die Genehmigung durch das DSB zwingend voraussetzt.128
1. Präzisierung der Problemstellung In der Literatur wird zunehmend die „unmittelbare Anwendbarkeit endgültiger DSB-Entscheidungen“ diskutiert und vielfach auch befürwortet,129 oftmals jedoch ohne die genauen, sich an die DSB-Entscheidung anschließenden Wirkungen zu präzisieren. Teilweise wird unter Heranziehung der Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Assoziationsratsbeschlüssen ausschließlich auf die Entscheidung selbst als unmittelbar anwendbaren Akt abgestellt.130 Dabei wird jedoch übersehen, dass sich die „urteilsförmigen“ Entscheidungen des DSB131 grundsätzlich von den rechtsetzenden Beschlüssen eines Assoziationsrats unterscheiden.132 Ein Dazu unter Teil 1, B. III. 2. b). Dabei dürfen grundsätzlich nur die Prokukte mit Strafzöllen belegt werden, die auf der dem Genehmigungsantrag beigelegten Liste genannt sind, siehe Palmeter / Mavroidis, S. 267. 129 Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 ff., Cottier, CMLRev. 35 (1998), S. 325 (372 ff.); Eeckhout, CMLRev. 34 (1997), S. 11 (53 ff.); Zonnekeyn, JIEL 2 (1999), 713 ff.; ders., JWT 34 / 2 (2000), 93 ff.; Schmid, NJW 1998, S. 190 (196 f.); Lavranos, EuR 1999, S. 289 ff., Kuschel, EuZW 1995, S. 689 (691); Hermes, S. 331 f.; Nagel, S. 300. Die unmittelbare Anwendbarkeit lehnen ab: Royla, EuR 2001, S. 495 (511); Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (693); Pitschas, EuZW 2003, S. 761 ff.; Prieß / Berrisch, in: Prieß / Berrisch, Teil C II 1, Rn. 26; differenzierend: Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (96 f.). 130 Siehe hierzu Lavranos, EuR 1999, S. 289 (296 f.) und Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 (234) unter Verweis auf EuGH, Rs. 192 / 89, Sevince, Slg. 1990, I-3461, 3501 ff. und EuGH, Rs. C-434 / 93, Bozkurt, Slg. 1995, I-1475. 131 Hierzu Wünschmann, S. 131 ff. 132 So im Ergebnis auch Zonnekeyn, JWT 34 / 2 (2000), S. 93 (98), der herausstellt, dass die Streitbeilegungsgremien der WTO „judicial entities“ darstellen, während der Assoziationsrat in den entsprechenden Abkommen eher als Exekutivorgan („executive, administrative body“) einzuordnen sei. 127 128
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normsetzender Charakter kann den Streitbeilegungsempfehlungen indes nicht zugesprochen werden;133 diese sind eher als Schiedssprüche anzusehen, in denen eine einzelfallbezogene Interpretation und Konkretisierung des in den DSB-Entscheidungen behandelten WTO-Rechts vorgenommen wird.134 Insoweit ist die Eingangsfrage dahingehend zu präzisieren, ob die in der Entscheidung konkretisierten WTO-Bestimmungen selbst unmittelbar anwendbar sein können und nicht etwa die Entscheidung isoliert. Dem lässt sich auch nicht entgegnen, dass es nicht vorstellbar sei, den DSB-Entscheidungen unmittelbare Anwendbarkeit zuzusprechen und gleichzeitig den WTO-Abkommen abzusprechen.135 Denn während eine DSB-Entscheidung isoliert als Prüfungsmaßstab für Gemeinschaftsrechtsakte nicht in Betracht kommt,136 könnte das WTO-Recht als materielles Recht herangezogen werden.137
2. Die rechtlichen Wirkungen von DSB-Entscheidungen Für die Bewertung, ob das durch eine DSB-Entscheidung konkretisierte WTORecht unmittelbar anwendbar ist, ist zunächst bedeutsam, welche Verpflichtungen 133 Dies würde auch der Stellung und Aufgabe des DSB in der WTO als Streitbeilegungsorgan widersprechen, dem jedenfalls nicht die Aufgaben eines Legislativorgans beizumessen sind. Vgl. Art. IV Abs. 3 WTO-Abkommen i. V. m. Art. 2 Abs. 1 DSU. 134 Vgl. GA Mischo, Schlußanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6987 ff.; Royla, EuR 2001, S. 495 (511); vgl. auch Gramlich, in: Geiger, S. 207. 135 Hierzu GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6990 f., Rn. 23 ff.; zustimmend Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (96). 136 Wünschmann, S. 205. In der Rechtssache Afrikanische Frucht-Compagnie beriefen sich die Klägerinnen zur Begründung ihrer Schadensersatzklage ausdrücklich nicht auf materielles WTO-Recht, sondern nur auf die Verletzung einer DSB-Entscheidung. Das EuG prüfte dennoch, ob das WTO-Recht aufgrund der Grundsätze der Fediol III- oder Nakajima-Rechtsprechung ausnahmsweise unmittelbar anwendbar sei und verneinte dies im Ergebnis. Daher könnten sich die Klägerinnen auch nicht auf eine angebliche Verletzung der DSB-Entscheidung zur Begründung der Rechtsverletzung berufen, EuG, verb. Rs. T-64 / 01 und T-65 / 01, Afrikanische Frucht-Compagnie, Urteil vom 10. 02. 2004, Rn. 133 ff. (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). Eine Rechtmäßigkeitsprüfung ohne Rückgriff auf das materielle WTO-Recht erwog das EuG demgegenüber nicht. 137 Der Ansatz, das auf die unmittelbare Anwendbarkeit des in der DSB-Entscheidung konkretisierten WTO-Rechts abzustellen ist, spiegelt sich in den Ausführungen der Literatur wider. Eeckhout und Cottier stellen darauf ab, dass der vom DSB festgestellte Bruch des WTO-Rechts den Mangel der unmittelbaren Anwendbarkeit überwinden solle, Cottier, CMLRev. 35 (1998), S. 325 (371); Eeckhout, CMLRev. 34 (1997), S. 11 (53). Nach Hilf / Schorkopf würde die unmittelbaren Anwendbarkeit von DSB-Entscheidungen gerade dazu führen, dass die nationalen Gerichte im Einzelfall auf einer sicheren Grundlage die Vorschriften der WTO-Abkommen anwenden könnten, Hilf / Schorkopf, EuR 2000, S. 74 (78). Und Meng wirft die Frage auf, ob die unmittelbare Anwendbarkeit wenigstens dann anzunehmen sei, wenn die konkrete Verpflichtung eines Staates durch eine abschließende DSB-Entscheidung feststehe, Meng, FS Rudolf, S. 85. Auf die „Konkretisierungsfunktion“ in Bezug auf das WTO-Recht weisen ebenfalls Weber / Moos hin, EuZW 1999, S. 229 (235 f.).
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aus den DSB-Entscheidungen für die Gemeinschaft folgen. Der EuGH hat dementsprechend in der Entscheidung Portugal / Rat die Verbindlichkeit der Regeln des Streitbeilegungsmechanismus zur Beantwortung der Frage, ob Systematik und Zweck der WTO-Abkommen einer unmittelbaren Anwendbarkeit entgegenstehen, thematisiert und hierbei auf die Verhandlungselemente im Streitbeilegungssystem hingewiesen.138 a) Die Pflicht der Gemeinschaft zur Umsetzung der DSB-Entscheidungen Im DSU findet sich zur Verbindlichkeit der DSB-Entscheidungen bzw. zur Verpflichtung der WTO-Vertragsstaaten, die Empfehlungen der DSB-Entscheidungen umzusetzen, keine eindeutige Aussage.139 Insbesondere Art. 21 Abs. 1 DSU, in dem die Beachtung der Empfehlungen und Entscheidungen des DSB für die wirksame Beilegung von Streitigkeiten zum Wohle aller Mitglieder als „wesentlich“ bezeichnet wird, verdeutlicht die sprachliche Ungenauigkeit und Zweideutigkeit des Abkommenstextes. Aus diesem Grund wird gegen die Annahme einer Umsetzungsverpflichtung angeführt, dass weiterhin das im Streitbeilegungsverfahren des GATT 47 vorherrschende Element des Vorzugs von Verhandlungen zwischen souveränen Staaten beibehalten worden sei. So sehe Art. 22 DSU nicht nur die Möglichkeit vor, als Folge der Entscheidung des DSB die umstrittene Maßnahme zurückzunehmen oder zu ändern. Vielmehr bestehe auch die Option, die Maßnahme aufrecht zu erhalten und Entschädigung zu leisten.140 Insgesamt sei deshalb die Verbindlichkeit der DSB-Entscheidungen abzulehnen.141 Es bestehe vielmehr ein echtes Wahlrecht der unterlegenen Partei, die vom Streitbeilegungsgremium für WTO-widrig erklärte Handlung zurückzunehmen, Entschädigung zu leisten oder die in Art. 22 DSU vorgesehenen Gegenmaßnahmen der obsiegenden Partei hinzunehmen. Eine „echte“ Durchsetzung der DSB-Entscheidung gegenüber einem die Umsetzung ablehnenden WTO-Mitglied sei hingegen nicht möglich.142 Zunächst ist festzuhalten, dass aus der Tatsache, dass dem internationalen Recht grundsätzlich keine den souveränen Staaten vergleichsweise Möglichkeit der EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8436 f., Rn. 36 ff. Jackson, AJIL 91 (1997), S. 60 (62) „Unfortunately, the language of the DSU does not solidy ,nail down‘ this issue.“ Zur Auslegung des Wortlauts auch: Berkey, EJIL 9 (1998), S. 626 (644 f.), der zwar eine Präferenz für die Umsetzung der DSB-Entscheidung bejaht, aber nach dem Wortlaut des DSU die Entschädigung als „final means of remedying a GATT 94 violation“ betrachtet. 140 EuGH, Rs. C-149 / 96 , Portugal / Rat, Slg.1999, I-8395, 8436 f., Rn. 37 ff.; Bello, AJIL 90 (1996), S. 416 (417 f.). 141 Bello, AJIL 90 (1996), S. 416 (417 f.); ebenso ablehnend zur Umsetzungsverpflichtung: Sykes, in: Bronckers / Quick, S. 349; Berkey, EJIL 9 (1998), S. 626 (643 ff.); Ott, S. 243. 142 Bello, AJIL 90 (1996), S. 416 (417 f.). 138 139
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zwangsweisen Rechtsdurchsetzung zur Seite steht, nicht zwingend auf ein Nichtvorliegen verbindlicher Verpflichtungen zu schließen ist. Durchsetzungsdefizite sind dem internationalen Recht immanent. Sie führen zu einer Präferenz im internationalen Recht, Verhandlungslösungen zu ermöglichen und diesen einen gewissen Vorrang einzuräumen.143 Der Text des DSU deutet insoweit auch auf eine Umsetzungsverpflichtung hin, die von Teilen der Literatur ausdrücklich bejaht wird.144 Jackson führt elf Regelungen des DSU an, die insgesamt verdeutlichen, dass die Umsetzung der Entscheidung eine primäre Vertragsverpflichtung des entsprechenden WTO-Mitglieds ist.145 Die Entschädigungsleistung anstelle der Umsetzung ist hingegen nur „vorübergehend“ möglich und stellt insofern keine echte Alternative zur Beseitigung des Rechtsverstoßes dar.146 Der Einwand, sämtliche zur Begründung einer Umsetzungsverpflichtung angeführten Regelungen des DSU könnten auch im Sinne eines „Perform or Pay“ ausgelegt werden,147 kann nicht überzeugen. So sprechen insbesondere die Art. 22 Abs. 8 und 26 Abs. 1 lit. b) DSU deutlich für eine primäre Verpflichtung zur Umsetzung der Entscheidungen.148 Ebenso stellen die Maßnahmen in Art. 22 Abs. 2 DSU keine gleichwertigen Handlungsoptionen dar, sondern stehen in Abgrenzung zur Primärpflicht der Rücknahme nur sekundär und vorübergehend zur Verfügung.149 143 Es ist aber zu konstatieren, dass eine weitgehende Verrechtlichung des Welthandelssystems eingetreten ist und die WTO-Übereinkünfte als völkerrechtliche Verpflichtungen Geltung erlangen, vgl. Pauwelyn, AJIL 94 (2000), S. 335 (341). 144 Jackson, AJIL 91 (1997), S. 60 ff.; ders. AJIL 98 (2004), S. 109 (117); Griller, JIEL 3 (2000), S. 441 ff.; Mavroidis, EJIL 11 (2000), S. 763 (784 f.); Hudec, in: Weiss, S. 377; Pauwelyn, AJIL 94 (2000), S. 335 (339); Bronckers, JIEL 4 (2001), S. 41 (60 f.); Zonnekeyn, JWT 36 (2002), S. 993 (996 ff.); ders., JWT 34 / 3 (2000), S. 111 (122 ff.). 145 Jackson nennt zur Untermauerung seiner Auslegung die folgenden Artikel des DSU: Art. 3 Abs. 4, 3 Abs. 5 und Abs. 7, 11, 19 Abs. 1, 21 Abs. 1 und Abs. 6, 22 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 8, 26 Abs. 1 (b), AJIL 91 (1997), S. 60 (63 f.). Vgl. auch Jacksons weitere Analyse bestimmter Regelungen des DSU und der WTO-Charter, aus der er auf eine Verpflichtung zur Umsetzung der DSB-Entscheidungen schließt, AJIL 98 (2004), S. 109 (115 ff.). 146 Wünschmann, S. 205 f.; Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (93); Meng, FS Rudolf; S. 83 f.; van den Broek, JIEL 4 (2001), S. 411 (433); Bronckers, JIEL 4 (2001), S. 41 (60 f.). 147 Sykes, in: Bronckers / Quick, S. 349 f. 148 So merkt auch Sykes an, dass diese Artikel Jacksons Ansicht am stärksten stützen würden. Insbesondere die weitere Aufsicht der Umsetzung durch das DSB, wenn die WTOwidrigen Maßnahmen nicht beseitigt worden sind, würde dafür sprechen, dass gerade keine abschließende Lösung des Konflikts eingetreten sei. Aber auch hieraus folge keine zwingende Umsetzungsverpflichtung, Sykes, in: Bronckers / Quick, S. 348. 149 Das DSU gibt keine Definition des Terminus „vorübergehend“ in Art. 22 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 8, so dass vertreten wird, diese Handlungsoption bestehe grundsätzlich für einen quasi unbegrenzten Zeitraum, bis eine Umsetzung erfolgt ist. In diese Richtung auch Sykes, in: Bronckers / Quick, S. 349 (350). Auch wenn der Zeitraum nicht definiert ist und nach der Praxis des GATT sehr lange Zeiträume umfassen kann (darauf weisen Hilf / Schorkopf, EuR
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Diese Einschätzung wird durch einen Bericht des Appellate Body bestätigt, der gerade die Betonung auf die nur temporäre Natur der Aussetzung von Zugeständnissen legt: „Accordingly, the authorization to suspend concessions or other obligations is a temporary measure pending full implementation by the Member concerned. We agree with the United States that this temporary nature indicates that it is the purpose of countermeasures to induce compliance.“150
Die Gegenansicht verkennt darüber hinaus, dass zwischen Rechtsdurchsetzung und Verpflichtung zu unterscheiden ist. Die angenommenen DSB-Entscheidungen sind gem. Art. 17 Abs. 14 DSU von den Vertragsparteien bedingungslos zu übernehmen. Nur wenn die Umsetzung innerhalb der gesetzten Frist nicht erfolgt bzw. erfolgen kann, stehen als vorübergehende Maßnahmen, und zwar gem. Art. 22 Abs. 8 DSU nur bis zur endgültigen Beseitigung des Rechtsverstoßes, die Leistung einer Entschädigung oder die Aussetzung von Zugeständnissen bereit. Diese Maßnahmen zielen insgesamt auf die Durchsetzung der Verpflichtung, den Rechtsverstoß zu beseitigen, ab. Sie können nicht als bloßer Ausgleich des infolge des Rechtsverstoßes eingetretenen Ungleichgewichts der gegenseitigen Rechte und Pflichten angesehen werden.151 Insgesamt beinhalten die DSB-Entscheidungen somit die Verpflichtung für die unterlegene Streitpartei, die gegen das WTO-Recht verstoßende Maßnahme zurückzunehmen bzw. ihre Rechtsordnung den Vorgaben des WTO-Rechts anzupassen. b) Die inhaltliche Verbindlichkeit der DSB-Entscheidung für die Gemeinschaftsorgane Von Bedeutung ist ferner, in welchem Maße die DSB-Entscheidungen hinsichtlich der in ihnen vorgenommenen Auslegung des WTO-Rechts für die Organe der Gemeinschaft und insbesondere für den Gerichtshof verbindlich sind. 2000, S. 74 (86), hin), ist daraus nicht zwingend zu folgern, dass eine grundsätzliche Verpflichtung zur Umsetzung nicht bestehen würde. 150 WT / DS27 / ARB, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Recourse to Arbitration by the European Communities under Art. 22.6, decision by the Arbitrators of 09. 04. 1999, Rn. 6.3; siehe auch WT / DS27 / ARB / ECU, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Recourse to Arbitration by the European Communities under Art. 22.6, decision by the Arbitrators of 24. 03. 2000, Rn. 76. 151 Vgl. Pauweleyn, AJIL, 94 (2000), S. 335 (343). Das DSU bedient sich zur Durchsetzung der DSB-Entscheidungen der klassischen völkerrechtlichen Mittel der einvernehmlichen Entschädigungszahlung und der Gegenmaßnahme. Die Besonderheit des DSU liegt darin, dass bestimmte Regelungen zur Durchsetzung der Befolgung der WTO-Abkommen nach Feststellung einer Rechtsverletzung im Streitbeilegungsverfahren selbst geregelt ist. Daraus lässt sich jedoch nicht die Ablehnung der grundsätzlichen Verpflichtung zur Umsetzung der DSB-Entscheidungen herleiten, vgl. Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 (235). 7 Görgens
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Zur Verbindlichkeit von Entscheidungen eines im Rahmen eines Gemeinschaftsabkommens errichteten Gerichtssystems hat der Gerichtshof im EWR-Gutachten152 allgemein ausgeführt: „Sieht aber ein internationales Abkommen ein eigenes Gerichtssystem mit einem Gerichtshof vor, der für die Regelung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien dieses Abkommens und damit für die Auslegung seiner Bestimmungen zuständig ist, so sind die Entscheidungen dieses Gerichtshofes für die Organe der Gemeinschaft, einschließlich des Gerichtshofes, verbindlich. Diese Entscheidungen sind auch dann verbindlich, wenn der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung oder im Rahmen einer Klage über die Auslegung des internationalen Abkommens als Bestandteil der Rechtsordnung zu entscheiden hat.“153
Die Frage, ob die Gemeinschaftsorgane an die in der DSB-Entscheidung getroffenen Feststellungen gebunden sind, hängt also davon ab, ob das Streitbeilegungsverfahren der WTO ein Gerichtssystem im Sinne des EWR-Gutachtens ist. Der Gerichtshof selbst gibt keine eindeutigen inhaltlichen Hinweise, welchen Anforderungen ein solches Gerichtssystem genügen muss. Es ist bereits auf die Verbesserungen des DSU gegenüber der früheren GATT 47-Streitbeilegungsverfahren und die damit einhergehende weitere Verrechtlichung des Streitbeilegungsverfahrens hingewiesen worden.154 Diese Entwicklung wird grundsätzlich angeführt, um dem WTO-Streitbeilegungsverfahren nunmehr einen gerichtsförmigen Charakter zuzusprechen.155 An dessen Ende stehe die „urteilsförmige“ DSB-Entscheidung.156 Weber / Moos plädieren deshalb für eine Anerkennung der DSB-Entscheidung als „Urteile“ im Sinne des EWR-Gutachtens. Als zentrale Elemente eines gerichtsEuGH, Gutachten 1 / 91, EWR, Slg. 1991, I-6079. EuGH, Gutachten 1 / 91, EWR, Slg. 1991, I-6079, 6106 Rn. 39. 154 Siehe oben Teil 1, B. 2. 155 Lavranos, EuR 1999, S. 289 (294); Beneyto, EuZW 1996, 295 (298 f.); Kuschel, EuZW 1996, 645 (647); Becker-Celik, EWS 1997, S. 12 (15); Zonnekeyn, JIEL 2 (1999), 713 (719); Weber / Moos, EuZW 1999, 229 (231 ff.); Oeter, in: Nowak / Cremer, S. 226; McRae, JIEL 7 (2004), S. 3 (8) „. . . although the euphemism ,quasi-judicial‘ is sometimes used to discribe the WTO dispute settlement process, in practice and in substance, it is a judicial process.“. Vgl. auch Hermes, S. 231 ff. In diesem Zusammenhang wird insbesondere darauf verwiesen, dass keine der streitenden Parteien die Einrichtung eines Panels und damit die streitige Durchführung des Verfahrens verhindern könne (sog. „right to panel“, Art. 6 Abs. 1 DSU). Daneben würden die Berichte des Panels oder Appellate Body aufgrund des „negativen Konsens“-Verfahrens quasi automatisch und ohne die Vornahme von Änderungen durch das DSB angenommen werden. Nach Erlass der Entscheidung begrenze sich die Verhandlungsmöglichkeiten der Parteien auf die Aushandlung des Umsetzungszeitraumes gem. Art. 21 Abs. 3 DSU bzw. der Verhandlungen hinsichtlich der nach Art 22 Abs. 1 und 2 DSU zu leistenden Entschädigung. Die Entscheidung selbst sei bindend und stehe inhaltlich nicht mehr zur Disposition der Parteien. Vgl. aber auch Berkey, EJIL 9 (1998), S. 626 (636 ff.). 156 Vgl. dazu Wünschmann, S. 131 ff. 152 153
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förmigen Verfahrens werden die Unabhängigkeit und Objektivität der Panel-Mitglieder, die rechtsstaatliche Verfahrenssicherung sowie die Rechtsqualität und Konsistenz der Entscheidungen genannt.157 Im Hinblick auf die Auswahl der Panel-Mitglieder kann davon ausgegangen werden, dass das DSU in ausreichendem Maße die Unabhängigkeit und Objektivität der Streitbeilegung absichert.158 Zwar erscheint die verbindlich vorgeschriebene, relativ kurze Verfahrensdauer im Hinblick auf eine ausreichend rechtsstaatliche Verfahrenssicherung problematisch. Dieser Umstand dürfte aber durch die Einrichtung von zwei Instanzen kompensiert werden, die an die „rule of law“ gebunden sind.159 Zwar spielen Verhandlungsmöglichkeiten im Rahmen der Streitbeilegung weiterhin eine wichtige Rolle.160 Auch hierdurch sehen sich Teile der Literatur veranlasst, eine Verbindlichkeit der DSB-Entscheidungen grundsätzlich abzulehnen.161 Der Umstand, dass die Streitparteien über den Streitgegenstand disponieren können und grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt wird, sich ohne Durchführung eines streitigen Verfahrens oder auch nach Vorliegen einer endgültigen DSB-Entscheidung gütlich über Entschädigungszahlungen zu einigen, spricht jedoch nicht zwingend gegen das Vorliegen eines Gerichtssystems. Derartige Opportunitätselemente finden sich in vielen völkerrechtlichen Gerichtsverfahren.162 Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 (231 ff.). Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 (232) unter Hinweis auf Art. 8 Abs. 2, 8 Abs. 9, 14 Abs. 1, 14 Abs. 3, 17 Abs. 2, 17 Abs. 3, 17 Abs. 11 DSU. 159 Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 (232). Ebenso sprechen Rechtsqualität und Konsistenz der Entscheidungen des Streitbeilegungsmechanismus grundsätzlich für die Annahme eines Gerichtssystems. Schon nach relativ kurzer Zeit der Spruchpraxis seit 1995 kann die Aussage getroffen werden, dass die Qualität der DSB-Entscheidungen in Sachverhaltsdarlegung und juristischer Argumentation auf hohem Niveau liegt und unter rechtsstaatlichen Erwägungen keinen besonderen Bedenken begegnet, vgl. Schmid, NJW 1998, S. 190 (196). Weber / Moos weisen darauf hin, dass bereits angenommene Entscheidungen, die zwar formal lediglich „inter partes“ verbindlich gelten, bei der zukünftigen Entscheidungsfindung berücksichtigt werden müssten. Im Ergebnis könne von „praktisch wirkenden Präjudizien“ gesprochen werden, EuZW 1999, S. 229 (234). McNelis und Regan sind der Ansicht, dass DSB-Entscheidungen aufgrund des völkervertragsrechtlichen Prinzips von Treu und Glauben i. S. d. Art. 31 Abs. 1 und 26 WVK unter Bestimmten Umständen auch Verpflichtungen gegenüber Vertragsstaaten begründen, die nicht am Streitbeilegungsverfahren beteiligt waren, McNelis, JWT 37 (2003), S. 647 ff.; Regan, JWT 37 (2003), S. 883 ff. 160 Vgl. Art. 22 Abs. 2 DSU. In Art. 3 I DSU bestätigen die Vertragsparteien ausdrücklich ihr Festhalten an den Grundsätzen für die Handhabung von Streitigkeiten nach dem alten GATT 47. 161 Siehe oben Teil 3, C. II. 2. a). 162 Krajewski, S. 61. Im Übrigen wird in Gerichtsverfahren grundsätzlich der im Einverständnis ausgehandelte Vergleich als die wegen ihrer Befriedungsfunktion zum Ausgleich gegensätzlicher Interessen vorzugswürdige Lösung angesehen, Cascante, S. 266. 157 158
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Entscheidend ist hingegen, dass die Ausführungen des EuGH im EWR-Gutachten auch im dortigen Kontext interpretiert werden müssen.163 So stellte der EuGH darauf ab, dass das in Frage stehende Abkommen ein „Gericht mit eigener Jurisdiktion“ enthalten müsse.164 Eine derartige Qualifizierung des Streitbeilegungsverfahren erscheint problematisch. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es sich beim DSU nach seiner Konzeption um ein schiedsgerichtliches Verfahren handelt, das insoweit schon formell hinter den im EWR-Gutachten aufgestellten Kriterien zurückbleibt.165 Es ist daher davon auszugehen, dass das DSU nicht unter die Kriterien des EWR-Gutachtens fällt.166 Für diese Einschätzung spricht auch, dass der Gerichtshof hinsichtlich der WTO-Streitbeilegung ausdrücklich die bestehenden Verhandlungselemente betont. Derlei Erwägungen haben im Rahmen der Einordnung des EWR-Gerichtshofes keine Rolle gespielt.
c) Stellungnahme Die Gemeinschaft trifft die direkte Verpflichtung zur Umsetzung der in der DSB-Entscheidung genannten Empfehlungen. Die Zahlung eines Ausgleichs gem. Art. 22 Abs. 2 DSU stellt demgegenüber lediglich eine sekundäre und vorübergehende Reaktionsmöglichkeit dar. Regelmäßig belässt die Entscheidung auch keinen Zweifel, dass das WTO-Recht verletzt worden ist. Daraus ergibt sich, welche Gestaltungselemente des Gemeinschaftsrechtsakts WTO-widrig sind und wie die beanstandete Regelung anzupassen ist.167 Eine Anwendbarkeit der WTO-Regeln durch den Gerichtshof ist nach Annahme eines Panel- oder Appellate BodyBerichts durch das DSB – unabhängig von einer rechtlichen Bindung an die in den Berichten getroffenen Feststellungen im Sinne des EWR-Gutachtens – auf einer gesicherten Grundlage möglich. Die Umsetzungsverpflichtung spricht insgesamt für eine unmittelbare Anwendbarkeit des in der DSB-Entscheidung konkretisierten WTO-Rechts, da so die völkerrechtliche Anpassungsverpflichtung auch innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung nachvollzogen wird. Ebenso können durch die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit Wertungswidersprüche zwischen der DSU-Entscheidung und dem WTO-Recht einerseits und der Gemeinschaftsrechtsordnung andererseits vermieden und insofern die Konformität zwischen Gemeinschaftsrechtsordnung und Völkerrecht hergestellt werden.168 Bei wertender Betrachtung ist es gerade Pitschas, EuZW 2003, S. 761 (762). Krajewski, S. 62. 165 Vgl. auch Gramlich, in: Geiger, S. 204 f. u. 210. 166 So aber Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 (231 ff.); Lavranos, EuR 1999, S. 289 (298 f.); Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (97); Zonnekeyn, JIEL 2 (1999), 713 (719); ders., JIEL 4 (2001), S. 597 (605 f.); Hermes, S. 331; vgl. auch Wünschmann, S. 133 ff. 167 Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229 (234). 168 Hermes, S. 332. 163 164
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nicht hinnehmbar, dass eine endgültige Entscheidung des Streitbeilegungsorgans eine Gemeinschaftshandlung als WTO-widrig qualifiziert, die Gemeinschaftsorgane diese jedoch entgegen ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nicht umsetzen und der Einzelne sich vor den Gemeinschaftsgerichten nicht auf die DSB-Entscheidung berufen kann.169
3. Die Rechtsprechung von Gericht und Gerichtshof a) Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Atlanta (Rs C-104 / 97 P) In der Rechtssache Atlanta hatte der EuGH erstmals Gelegenheit, bezüglich der Folgen einer DSB-Entscheidung für die Anwendbarkeit des WTO-Rechts innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung Stellung zu beziehen. Nachdem das EuG den Klagegrund eines Verstoßes gegen die Regeln des GATT unter Hinweis auf die Entscheidung Deutschland / Rat zurückgewiesen hatte,170 berief sich die Klägerin im Rechtsmittelverfahren vor dem EuGH auf den vom DSB am 25. September 1997 angenommene Bericht des Appellate Body, der abschließend die Unvereinbarkeit von Teilen der Bananenmarktordnung mit den Regelungen des WTO-Rechts feststellte.171
aa) Schlussanträge des GA Mischo Der Generalanwalt widmete sich zunächst dem Umstand, dass die DSB-Entscheidung erst nach Erlass des angefochtenen Urteils ergangen sei. In der Rechtsmittelschrift habe die Klägerin weder die DSB-Entscheidung geltend gemacht, noch die Feststellungen des Gerichts zum Klagegrund des Verstoßes gegen das WTO-Recht beanstandet. Die Entscheidung sei daher für die Würdigung der Be169 Hermes, S. 332 f. Gegen die Annahme der unmittelbaren Anwendbarkeit kann auch nicht geltend gemacht werden, dass die Vertragsparteien keine Aussagen über die unmittelbare Anwendbarkeit getroffen hätten und daher grundsätzlich eine Rechtsanwendung und -durchsetzung auf völkerrechtlicher Ebene anstrebten, so Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (693); vgl. zur Exklusivität des völkerrechtlichen Streitbeilegungsmechanismus der WTO auch Wünschmann, S. 178 ff. Denn allein an die Tatsache, dass die Vertragsparteien über die unmittelbare Anwendbarkeit im Abkommen nicht entschieden haben, sind keine verbindlichen Folgen für die Bewertung der unmittelbaren Anwendbarkeit innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung zu knüpfen. Diese richtet sich aufgrund der primärrechtlich in Art. 300 Abs. 7 EGV angeordneten Transformation vorrangig nach der Eignung des Abkommens und seiner Regelungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit. Aus diesem Grund ist auch die Aussage im Genehmigungsbeschluss des Rates, die Abkommen der WTO würden keine unmittelbare Anwendbarkeit entfalten, für den EuGH nicht bindend. 170 EuG, Rs. T-521 / 93, Atlanta, Slg. 1996, II-1707, 1735 f., Rn. 77. 171 Der Sachverhalt wurde bereits oben Teil 3, C. I. 1. a) dargestellt.
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gründetheit des Rechtsmittels ohne jede Bedeutung.172 Auch scheide die Verbindlichkeit der DSB-Entscheidung als neuer Rechtsmittelgrund aus, da diese notwendig darauf beruhe, dass die Gemeinschaft durch das WTO-Übereinkommen insgesamt gebunden wäre.173 Den Rechtsmittelgrund der Verbindlichkeit des WTO-Rechts habe die Klägerin aber in der Rechtsmittelschrift nicht aufgenommen. Damit sei der Rechtsmittelgrund insgesamt unzulässig.174 Hilfsweise nahm der Generalanwalt dennoch kurz Stellung zu den Folgen der DSB-Entscheidung, prüfte aber ausschließlich, ob die Entscheidung selbst Grundlage der Haftung der Gemeinschaft sein könne.175 Maßgeblich sei, dass die Entscheidungen die in der Rechtsprechung des EuGH festgelegten Anforderungen an eine Schutznorm erfüllen. Insbesondere müsse die Entscheidung also dem Schutz Einzelner dienen, wobei zur Beantwortung dieser Frage wiederum die Merkmale des Streitbeilegungssystems zu berücksichtigen seien.176 Da eine Verpflichtung zur sofortigen Umsetzung nicht bestehe und vorliegend eine „angemessene“ Frist zur Umsetzung von 15 Monaten gewährt worden sei, an die sich lediglich eventuell Entschädigungsleistungen oder Retorsionsmaßnahmen anschließen würden, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Entscheidung die Rechte Einzelner schütze.177 bb) Das Urteil des Gerichtshofs Der EuGH schloss sich grundsätzlich in seinem Urteil der vom Generalanwalt vorgeschlagenen Argumentation an und wies die Berufung auf die DSB-Entscheidung178 zur Begründung des Schadensersatzanspruchs als verspätet zurück.179 Zur Begründung wurde angeführt, dass: „die WTO-Entscheidung [ . . . ] notwendig und unmittelbar mit dem Klaggrund eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des GATT im Zusammenhang [steht], den die Rechtsmittelführerin vor dem Gericht geltend gemacht, in den Rechtsmittelgründen jedoch nicht 172 GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6988 f., Rn. 9 ff. 173 GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6989 f., Rn. 19 ff. 174 GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6989, Rn. 21 f. 175 Die Klägerin war nach Ansicht des Generalanwalts vollständig mit dem Klaggrund der Unvereinbarkeit der BMO mit dem WTO-Recht präkludiert, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6990, Rn. 25. 176 GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6990, Rn. 25 f. 177 GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6990 f., Rn. 27 ff. 178 Vom EuGH als „WTO-Entscheidung“ bezeichnet. 179 EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 7024 f., Rn. 17 ff.
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wieder aufgegriffen hat. Diese Entscheidung könnte nämlich nur berücksichtigt werden, wenn die unmittelbare Wirkung des GATT im Rahmen eines auf die Rechtsunwirksamkeit der Bananenmarktordnung gerichteten Rechtsmittelgrundes vom Gerichtshof festgestellt worden wäre. Wie die Kommission jedoch zu Recht geltend macht, hätte die Rechtsmittelführerin ihren Klagegrund aufrechterhalten können, indem sie u. a. unter Berufung auf den 1995 eingeführten Streitbeilegungsmechanismus der WTO die unmittelbare Wirkung der Bestimmungen des GATT geltend gemacht hätte.“180
Der EuGH befasste sich ausdrücklich lediglich mit einem möglichen Einfluss des neuen Streitbeilegungsmechanismus auf die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts. Zu der Frage, ob der „verbesserte“ Streitbeilegungsmechanismus grundsätzlich zu einer Änderung der Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich einer unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT / WTO-Rechts führt, nahm der Gerichtshof in dem nur etwas mehr als einen Monat später erlassenen Urteil Portugal / Rat Stellung.181 Es liegt nahe, dass der EuGH diese Argumentation in Bezug nahm, als er ausführte, dass der Klagegrund der unmittelbaren Anwendbarkeit unter Berufung auf das neu eingeführte DSU hätte aufrecht erhalten werden können.182
b) Die Urteile in der Rechtssache Biret International (Rs. T-174 / 00 und Rs. C-93 / 02 P) aa) Das Urteil des Gerichts Im Verfahren vor dem Gericht begehrte die Klägerin von der Gemeinschaft Ersatz für Schäden, die sie angeblich aufgrund des europäischen Importverbotes bezüglich der Einfuhr von hormonbehandelten Rindfleisch in die Gemeinschaft erlitten habe.183 Den Schadensersatzanspruch gründete die Klägerin auf eine Verletzung des SPS-Abkommens und bezog sich ausdrücklich auf die Entscheidung des DSB vom 13. Februar 1998, in der ein Verstoß gegen Regelungen des SPS-Übereinkommens festgestellt worden war.184 180 EuGH, Rs. 104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 7024 f., Rn. 19 – 21 (Hervorhebungen durch Verfasser). 181 EuGH, Rs. 149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8436 f., Rn. 36 ff. 182 Allgemeiner: GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10518, Rn. 73, der die Ausführungen des EuGH so auslegt, dass der Streitbeilegungsmechanismus und somit auch eine einzelne DSB-Entscheidung zu einer Änderung der Wirkung des WTO-Rechts in der Gemeinschaft führen könne. 183 EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 27 f., Rn. 16, 23. Siehe die Darstellung des Sachverhalts in Teil 3, C. I. 1. c). 184 EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 40, Rn. 57 f. Aus diesem Grund unterscheide sich nach Ansicht der Klägerin der Fall von demjenigen, der der Rechtssache Portugal / Rat zugrunde gelegen habe.
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Das Gericht stellte im Urteil vom 11. Januar 2002 zunächst fest, dass sich die Klägerin nicht direkt auf die Bestimmungen des SPS-Übereinkommens berufen könne,185 und lehnte sodann die klägerische Argumentation, dass die DSB-Entscheidung an diesem Ergebnis etwas ändere, unter ausdrücklichem Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Atlanta ab: „Denn diese [DSB-]Entscheidung steht notwendig und unmittelbar mit dem Klagegrund des Verstoßes gegen das SPS-Übereinkommen im Zusammenhang und könnte daher nur berücksichtigt werden, wenn die unmittelbare Wirkung dieses Übereinkommens im Rahmen eines auf die Rechtsunwirksamkeit der fraglichen Richtlinien gerichteten Klagegrundes vom Gemeinschaftsrichter bestätigt worden wäre“.186
bb) Die Schlussanträge des Generalanwalts Alber Im Rechtsmittelverfahren setzte sich Generalanwalt Alber in seinen Schlussanträgen vom 15. Mai 2003187 umfassend mit den Wirkungen der DSB-Entscheidung und den sich daraus für das Haftungsrecht ergebenden Folgen auseinander. Nach eingehender Prüfung gelangte er zu dem Ergebnis, dass die umstrittenen Artikel 2 und 5 des SPS-Übereinkommens, konkretisiert durch die nicht rechtzeitig umgesetzte DSB-Entscheidung, unmittelbar anwendbar seien. Die Klägerin könne sich daher auf diese Regelungen im Rahmen der Schadensersatzklage berufen.188 Zu Beginn warf der Generalanwalt die Frage auf, ob in der Erklärung der Gemeinschaft, sie werde der Entscheidung des DSB vom 13. Februar 1998 entsprechen und das Gemeinschaftsrecht innerhalb der gewährten 15 Monate anpassen, eine Gemeinschaftshandlung liege, die die Durchführung einer bestimmten im Rahmen der WTO übernommenen Verpflichtung im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung bezwecke.189 Da es sich jedoch lediglich um eine Erklärung auf völkerrechtlicher Ebene handele, die keine mit der Nakajima-Rechtsprechung vergleichbare Wirkung in der Gemeinschaftsrechtsordnung entfalten könne, lehnte er diesen Gedanken ab.190 EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 43, Rn. 65. EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II-17, 43, Rn. 67. 187 GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10499. 188 GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10531 f., Rn. 120; siehe hierzu eingehend Zonnekeyn, der den Vorschlag des Generalanwalts unter Anspielung auf die Äußerung von GA Tesauro zur Einführung des negativen Konsenses im Streitbeilegungsverfahren als „kopernikanische Wende“ bezeichnet, JIEL 6 (2003), 761. 189 GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10517, Rn. 66 f. 190 Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, dass die Gemeinschaftserklärung den Zweck verfolgte, irgendwelche innergemeinschaftlichen Rechtsfolgen auszulösen, GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10517, Rn. 68 f. 185 186
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Sodann widmete sich GA Alber der Problematik, ob die Nichtumsetzung oder die nicht rechtzeitige Umsetzung einer DSB-Entscheidung zur unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts im Gemeinschaftsrecht führe. Er betonte, dass nach dem DSU die umgehende Beachtung der DSB-Empfehlungen wesentlich sei (Art. 21 Abs. 1 DSU) und diese grundsätzlich bedingungslos übernommen werden müssen (Art. 17 Abs. 14 DSU).191 Insbesondere könne die unmittelbare Anwendbarkeit nicht unter Hinweis auf eine unangemessene Beschränkung des Handlungsspielraums der Exekutiv- und Legislativorgane abgelehnt werden, da ein solcher aufgrund der Umsetzungspflicht gerade nicht bestehe.192 Nach ergebnislosem Ablauf der Umsetzungsfrist verlangten das Legalitätsprinzip, aber auch Billigkeitserwägungen nach einer Bejahung der unmittelbaren Anwendbarkeit.193 Ebenso sei das Argument der mangelnden Gegenseitigkeit nicht einschlägig.194 Inhaltlich handele es sich hierbei eher um ein handelspolitisches Argument. Die Verhandlungsposition der Gemeinschaftsorgane werde durch die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit zur Begründung von Schadensersatzansprüchen aber nicht geschwächt, da sie nach Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens aufgrund der Umsetzungsverpflichtung ohnehin effektiv nicht mehr über den Fortbestand der WTO-widrigen Regelung verhandeln könne.195 Auch bestünden Ähnlichkeiten zwischen der Haftung der EG-Mitgliedstaaten für die Nichtumsetzung von Richtlinien nach der Francovich-Rechtsprechung und der Situation der Nichtumsetzung einer DSB-Entscheidung. Dieser Befund spreche ebenfalls für die Annahme der unmittelbaren Anwendbarkeit und die Zuerkennung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs.196
191 Die ebenfalls im DSU genannten Maßnahmen der Entschädigung und Aussetzung von Zugeständnissen könnten hingegen nur vorübergehend eingesetzt werden (Art. 22 Abs. 1 DSU), so dass insgesamt keine Alternative zur Umsetzung der Empfehlung bestehe, GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10518 ff., Rn. 74 ff. 192 GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10521 ff., Rn. 82 ff. 193 GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10522 ff., Rn. 86 ff., insbesondere Rn. 87 und 91 f. 194 Der Generalanwalt verweist insofern auf die Kupferberg-Entscheidung, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Slg. 2004, I-10497, 10526 Rn. 101. 195 GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10525 ff., Rn. 97 ff., insb. 101 f. 196 GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10527 ff., Rn. 104 ff. Ebenso sei – als weiteres Argument für eine Haftpflicht der Gemeinschaft – durch die jahrelange Nichtbeachtung der DSB-Entscheidung das gemeinschaftsrechtliche Grundrecht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit unbillig eingeschränkt worden, GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10529, Rn. 110 ff.
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Im Ergebnis gelangte GA Alber zu dem Schluss, dass eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts dann anzunehmen sei, wenn in einer DSB-Entscheidung die Unvereinbarkeit einer Gemeinschaftsmaßnahme mit dem WTO-Recht festgestellt wurde und die Gemeinschaft die Empfehlungen nicht innerhalb des eingeräumten Zeitraumes umgesetzt hat.197
cc) Das Urteil des Gerichtshofs Der EuGH beschäftigte sich in seinem Urteil vom 30. September 2003198 mit den möglichen Wirkungen einer DSB-Entscheidung in der Gemeinschaftsrechtsordnung. Er ging jedoch auf die umfangreiche Argumentation des Generalanwaltes nicht ein. Zunächst wies der EuGH die Argumentation des EuG, die DSB-Entscheidung könne nur bei Bejahung der unmittelbaren Anwendbarkeit des SPS-Übereinkommens berücksichtigt werden, ausdrücklich zurück.199 Diese Begründung reiche nicht aus, um über den Klaggrund des Verstoßes gegen das SPS-Übereinkommen zu befinden, denn „[d]as Gericht hätte noch auf das Argument eingehen müssen, dass die Rechtswirkungen der Entscheidung des DSB vom 13. Februar 1998 gegenüber der Europäischen Gemeinschaft seine Beurteilung hinsichtlich der fehlenden unmittelbaren Wirkung der WTOVorschriften in Frage stellten und es rechtfertigen müssten, dass der Gemeinschaftsrichter im Rahmen der von der Rechtsmittelführerin erhobenen Schadensersatzklage die Rechtmäßigkeit der Richtlinien 81 / 602, 88 / 146 und 96 / 2 anhand dieser Vorschriften prüft.“200
Ebenso sei der Hinweis des EuG auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Atlanta ohne Belang. Denn dort sei lediglich festgestellt worden, dass die DSBEntscheidung notwendig und unmittelbar mit dem Klaggrund des WTO-Verstoßes zusammenhänge, der lediglich erstinstanzlich geltend gemacht worden sei. Da die Klägerin im Rechtsmittelverfahren den Klaggrund der Verletzung des WTORechts gänzlich fallen gelassen hatte, war sie auch mit dem Angriffsmittel des Ver197 GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10530, Rn. 114. 198 EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497. Ebenfalls ist das beinahe wortgleiche Urteil EuGH, Rs. C-94 / 02 P, Établissement Biret et Cie SA, Slg. 2004, I-10565, ergangen. 199 EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10559 f., Rn. 59. 200 EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10559, Rn. 57. Im Ergebnis lässt der EuGH die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der relevanten Normen des SPS-Übereinkommens aufgrund der DSB-Entscheidung vom 13. 02. 1998 offen, da das Verfahren der gerichtlichen Liquidation der Firma Biret International bereits am 07. 12. 1995 eröffnet worden sei und deshalb ein Schaden nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist vom 13. 05. 1999 nicht behauptet sei, EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg., Slg. 2004, I-10497, 10561, Rn. 63 f.
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weises auf die DSU-Entscheidung präkludiert, ohne dass dieser Rechtsmittelgrund in der Sache geprüft wurde.201 Sodann beschäftigte sich der EuGH mit der Frage, ob die insoweit fehlerhafte Zurückweisung des aus dem SPS-Übereinkommen hergeleiteten Klagegrundes durch das EuG aus anderen Gründen gerechtfertigt sei.202 Hierzu stellte der EuGH fest, dass aus der Festsetzung einer Umsetzungsfrist bis zum 13. Mai 1997 für den konkreten Fall folge, „dass der Gemeinschaftsrichter für die Zeit vor dem 13. 05. 1999 jedenfalls nicht die Rechtmäßigkeit der fraglichen Gemeinschaftsrechtsakte, insbesondere nicht im Rahmen einer Schadensersatzklage nach Artikel 178 EG-Vertrag, prüfen kann, weil er sonst der im Rahmen des durch die WTO-Übereinkünfte geschaffenen Streitbeilegungssystems vorgesehenen Gewährung eines angemessenen Zeitraums, um den Empfehlungen oder Entscheidungen des DSB nachzukommen, ihre Wirkung nehmen würde“.203
Da die Klägerin lediglich Schäden geltend machte, die aus der Zeit vor Ende der Umsetzungsfrist resultieren konnten, wies der EuGH den Klagegrund zurück, ohne zu klären, ob gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt eine unmittelbare Anwendbarkeit vorliegen könnte.
c) Das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Van Parys (Rs. C-377 / 02) aa) Der zu Grunde liegende Sachverhalt Die belgische Firma Léon Van Parys NV importierte seit zwei Jahrzehnten Bananen aus Ecuador in die europäische Union. Sie beantragte mehrmals bei den zuständigen Behörden die Erteilung von Einfuhrlizenzen, die sich insbesondere nach der Verordnung (EG) Nr. 1637 / 98 sowie der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 2362 / 98, die am 1. Januar 1999 in Kraft getreten sind, richteten, die die Bananenmarktordnung von 1993 änderten. Durch Anwendung des in den Verordnungen festgelegten Verringerungskoeffizienten wurden die beantragten Lizenzen nur teilweise bewilligt; dagegen richtete sich die von Van Parys vor dem belgischen Raad van State erhobene Klage.204 EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10559 f., Rn. 59. EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10560, Rn. 60. Der Rechtsfehler des EuG liegt in der Verletzung der Begründungspflicht und der fehlerhaften Einordnung der Tragweite der Atlanta-Entscheidung, die keine substantiellen Aussagen zur Berücksichtigung von DSB-Entscheidungen trifft. Dies verkennt Bartelt, die aus der dargestellten Argumentation des EuGH schließt, dieser gehe bereits von einer normkonkretisierenden Wirkung von DSB-Entscheidungen aus, die zu einer Änderung der Wirkung des WTO-Rechts in der Gemeinschaftsordnung führen könne, EuR 2003, S. 1077 (1079). 203 EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10561, Rn. 63. 204 EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 31 ff (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 201 202
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Die Bananenmarktordnung war in einer Entscheidung des DSB vom 25. September 1997 für unvereinbar mit den GATT-Regeln erklärt worden. Der Gemeinschaft wurde ein Umsetzungszeitraum bis zum 1. Januar 1999 eingeräumt, um die Einfuhrregelungen der Bananenmarktordnung WTO-konform zu gestalten.205 Obgleich durch die umstrittenen Verordnungen eine Änderung der Gemeinschaftsregelung innerhalb des vorgegebenen Zeitraumes erfolgte, erklärte ein von Ecuador beantragtes Panel die Änderungsverordnungen für WTO-widrig.206 Die dem EuGH vorgelegten Fragen nach der Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftsregeln waren vor dem Hintergrund zu beantworten, ob aufgrund der DSBEntscheidung die Gemeinschaftsrechtsakte am WTO-Recht zu messen sind.207
bb) Die Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano Generalanwalt Tizzano schloss sich in seinen Schlussanträgen vom 18. November 2004 im Rahmen der Bewertung, ob aufgrund einer endgültigen DSB-Entscheidung die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts anzunehmen sei, im Ergebnis den Schlussanträgen des Generalanwalts Alber in der Rechtssache Biret International an und befürwortet eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTORechts aufgrund der DSB-Entscheidung.208 Der Generalanwalt verweist auf das von Generalanwalt Alber bereits vorgetragene Argument, dass nach Ablauf der Umsetzungsfrist keine Alternative zur Umsetzung der Empfehlung oder Entscheidung des DSB gegeben sei, diese insbesondere nicht durch Verhandlungen zwischen den Parteien im Ergebnis umgangen werden könne. Insoweit werde die Freiheit der Parteien bei der Suche nach alternativen Verhandlungslösungen beschränkt, da sich die Verhandlungslösung nach Art. 22 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 8 DSU immer im Rahmen der WTO-Vorschriften und somit auch an die DSB-Entscheidung halten müsse.209 Aus diesem Grund erscheint es Generalanwalt Tizzano unmöglich, dass die DSB-Entscheidungen in einer „Rechtsgemeinschaft“ keinen Maßstab für die Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftsvorschriften bilden solle.210 Die fragliche Ver205 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 88. 206 WT / DS27 / RW / ECU, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, report of the Panel of 12. 04. 1999. 207 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 35; EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 38. 208 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 73. 209 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 57. 210 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 73.
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ordnung sei deshalb bereits aufgrund der DSB-Entscheidung als rechtswidrig anzusehen.211 cc) Das Urteil des Gerichtshofs Der Gerichtshof geht in seiner Entscheidung vom 1. März 2005 auf die Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts aufgrund einer abschließenden DSB-Entscheidung nicht ein, sondern stellt unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung fest, dass die WTO-Übereinkünfte nicht zu den Normen gehören, an denen die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaft zu messen sei.212 Im Anschluss erörtert der Gerichtshof die Frage, ob die Gemeinschaft eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung mit den umstrittenen Verordnungen erfüllen wollte und deshalb ausnahmsweise eine Heranziehung des WTO-Rechts als Prüfungsmaßstab zu bejahen sei.213 Zur Beantwortung dieser Frage nimmt der Gerichtshof eine Bewertung der im Rahmen des DSU bestehenden Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane vor. Danach würden die Vereinbarung von Entschädigungsleistungen und die Aussetzung der Anwendung von Zugeständnissen oder sonstigen Verpflichtungen nach Art. 3 Abs. 7 und Art. 22 Abs. 1 DSU zwar nur vorübergehende Maßnahmen darstellen, Art. 22 Abs. 2 sehe jedoch vor, dass auf ein entsprechendes Ersuchen vor Ablauf des Umsetzungszeitraums Verhandlungen angestrengt werden und Art. 22 Abs. 8 ermögliche, auch nach Erhebung der Strafzölle eine für alle seine zufrieden stellende Lösung zu finden.214 Würden die Gerichte die WTO-Übereinkünfte als Prüfungsmaßstab heranziehen, würde die in Art. 22 DSU eingeräumte Befugnis der Gemeinschaft genommen werden.215 Sodann verweist der EuGH auf das praktische Vorgehen der Gemeinschaft im Bananenstreit, insbesondere auf die mit den USA und Ecuador geschlossenen Vereinbarungen zur Beilegung des Handelskonflikts. Dieser Ausgang des Bananenstreits, bei dem es der Gemeinschaft gerade darum gegangen sei, ihre Verpflichtung aus den WTO-Übereinkünften umzusetzen, hätte in Frage gestellt sein können, wenn die Gemeinschaftsgerichte nach Ablauf der vom DSB gesetzten Frist die Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftsmaßnahmen anhand der WTO-Regeln hätten nachprüfen können.216 Dazu merkt der Gerichtshof an: 211 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 20. 212 EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 39. 213 EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 40 ff.; siehe hierzu unten Teil 3, C. III. 214 EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 45 f. 215 EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 48. 216 EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 49.
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„Der Ablauf dieser Frist impliziert nämlich nicht, dass die Gemeinschaft die Möglichkeiten ausgeschöpft hätte, die die Streitbeilegungsvereinbarung zur Lösung der zwischen ihr und anderen Parteien bestehenden Streitigkeit vorsieht. Unter diesen Umständen könnte es daher zu einer Schwächung der Position der Gemeinschaft bei der Suche nach einer beiderseits akzeptablen, mit den WTO-Regeln im Einklang stehenden Lösung der Streitigkeit führen, wenn der Gemeinschaftsrichter nur deshalb als zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der betreffenden Gemeinschaftsmaßnahme im Hinblick auf die WTO-Regeln verpflichtet angesehen würde, weil diese Frist abgelaufen ist.“217
Des Weiteren bezieht sich der EuGH zur Begründung seiner Entscheidung auf das schon in der Rechtssache Portugal / Rat angeführte Argument der Reziprozität. Da die Handelspartner der Gemeinschaft die unmittelbare Anwendbarkeit ausschließen, würde den Legislativ- und Exekutivorganen der Gemeinschaft der Spielraum genommen, über den die entsprechenden Organe der Handelspartner der Gemeinschaft verfügen, wenn es Aufgabe des Gemeinschaftsrichters sei, die Vereinbarkeit des Gemeinschaftsrechts mit den WTO-Regeln zu gewährleisten. Ein solches Fehlen von Gegenseitigkeit könne nicht hingenommen werden, da andernfalls die Gefahr bestünde, dass ein Ungleichgewicht bei der Anwendung der WTO-Regeln entstehe.218 4. Stellungnahme a) Bewertung des Urteils in der Rechtssache Biret International Die Argumentation des Gerichtshof im Urteil Biret International ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Erstens beschäftigte sich der EuGH erstmals auch inhaltlich mit der Frage, ob aufgrund einer DSB-Entscheidung das WTO-Recht zur Rechtmäßigkeitsprüfung einer Gemeinschaftshandlung herangezogen werden kann. Zweitens legte er sich dahingehend fest, dass eine solche Wirkung jedenfalls vor Ablauf der nach Art. 22 DSU gewährten Umsetzungsfrist nicht eintreten könne.219 Die sich anschließende Frage, ob eine unmittelbare Anwendbarkeit nach Ablauf der gewährten Umsetzungsfrist angenommen werden kann, hat er hingegen offen gelassen. Daraus wurde teilweise der Schluss gezogen, der EuGH würde jedenfalls nach Ablauf der Umsetzungsfist dem Einzelnen die Möglichkeit geben, sich auf die in der DSB-Entscheidung konkretisierten Normen des WTO-Rechts berufen zu können.220 EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 51. EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 53. 219 Obwohl der EuGH nur allgemein von der Prüfung der „Rechtmäßigkeit der fraglichen Gemeinschaftsrechtsakte“ spricht, ist davon auszugehen, dass es sich bei dieser Aussage um die Rechtmäßigkeitsprüfung anhand des WTO-Rechts bzw. unter Heranziehung des in der DSB-Entscheidung festgestellten Verstoßes gegen das WTO-Recht handelt. 220 Bartelt, EuR 2003, S. 1077 (1082), geht davon aus, dass der EuGH (in Rn. 57 des Biret-Urteils) die Prüfung der Rechtmäßigkeit der fraglichen Richtlinien anhand der WTO217 218
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In der Entscheidung Van Parys stellt der EuGH jedoch nunmehr klar, dass auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist die bestehenden Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane eine unmittelbare Anwendbarkeit ausschließen und bekräftigt die Geltung des Gegenseitigkeitsarguments auch für den Fall der endgültigen DSBEntscheidung nach Ablauf der Umsetzungsfrist.221
b) Die Relevanz des Reziprozitätsarguments und der Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane Der EuGH beruft sich zur Begründung der Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts insbesondere darauf, dass anderenfalls den Legislativ- und Exekutivorganen der Gemeinschaft die Befugnis nach Art. 22 DSU genommen würde, auf dem Verhandlungswege zumindest vorübergehende Lösungen auszuhandeln sowie auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist Abkommen mit den obsiegenden Parteien hinsichtlich der die Umsetzung der DSB-Entscheidung zu schließen.222 Dies würde zu einem Mangel der Gegenseitigkeit führen. Die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit wurde insoweit als eine Form des „judicial self restraint“ zu Gunsten des außenwirtschaftlichen Handlungsspielraums der Gemeinschaftsorgane eingeordnet.223 Diese Argumentation kann freilich nur dann uneingeschränkt Geltung beanspruchen, wenn sich der politische Handlungsspielraum auch im rechtlich zulässigen Bereich bewegt.224 Steht den Gemeinschaftsorganen hingegen kein Handlungsspielraum mehr zu und ist demgegenüber der Verstoß gegen das WTORecht verbindlich festgestellt worden, lässt sich die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht mehr überzeugend mit dem Hinweis auf ein Ungleichgewicht in der Gegenseitigkeit der vertraglichen Rechte und Pflichten rechtfertigen.225 Vorschriften aufgrund der Rechtswirkungen der DSB-Entscheidungen grundsätzlich bejaht habe. Der EuGH nimmt jedoch lediglich ein Argument der Rechtsmittelführerin auf, das auf eine solche Notwendigkeit abzielte, ohne sich diesem anzuschließen, vgl. EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10559, Rn. 58. Zonnekeyn, JIEL 7 (2004), S. 483 (488); vgl. auch Thies, CMLRev. 41 (2004), S. 1661 (1667 ff.); ablehnend Pitschas, EuZW 2003, S. 761 (762); v. Bogdandy, JWT 39 (2005), S. 45 (55 ff.); Eeckhout, JIEL 5 (2002), S. 91 (105), der bereits aus der Begründung in Portugal / Rat eine Absage des EuGH an eine unmittelbare Anwendbarkeit von DSB-Entscheidungen sieht. 221 EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 53. 222 EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 48, 50 f. 223 Siehe bereits oben Teil 1, B. III. 2. d). Vgl. hierzu auch Meng, FS Rudolf, S. 80; ders., FS Bernhard, S. 1077 f.; Peers, in: de Búrca / Scott, S. 121 f.; Epping, S. 617. Dennoch hat der für die Fallkonstellationen Fediol III und Nakajima die Heranziehung des WTO-Rechts als Prüfungsmaßstab für Gemeinschaftsrechtsakte bejaht. 224 Cascante, S. 294. 225 Vgl. Cascante, S. 294 f.; Griller, in: Breuss / Griller / Vranes, S. 279.
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Insoweit wird vertreten, dass bereits nach Ablauf der gem. Art. 22 Abs. 2 DSU der Gemeinschaft gewährten Umsetzungsfrist von einer unmittelbaren Anwendbarkeit des in der abschließenden DSB-Entscheidung konkretisierten WTO-Rechts auszugehen sei.226 Die Nichtbeachtung der Entscheidung nach Ablauf der Umsetzungsfrist könne nur als handelspolitische aber nicht als rechtliche Option zu bewerten sein. Der Rechtsverstoß gegen das WTO-Recht sei hingegen verbindlich festgestellt worden.227 Doch auch die vom EuGH angeführte Möglichkeit der Verhandlungen über vorläufige Schadensersatzleistungen unabhängig vom Ablauf der gewährten Umsetzungsfrist als relevante Option der Gemeinschaftsorgane228 besteht jedenfalls im Fall der Aussetzung von Zugeständnissen nach Art. 22 DSU nicht mehr.229 Denn ungeachtet des Hinweises des EuGH, der Ablauf der Umsetzungsfrist nach Art. 22 Abs. 1 und Abs. 2 DSU besage nichts über die tatsächliche Ausübung der Befugnisse durch die Gemeinschaftsorgane, besteht jedenfalls nach Beginn der Aussetzung von Zugeständnissen keine rechtliche Alternative zur Umsetzung der DSBEntscheidung und Herstellung der Übereinstimmung der Gemeinschaftsrechtsordnung mit den WTO-Abkommen.230 Die Gemeinschaft hat in diesem Fall eine Vereinbarung von Entschädigungsleistungen anstelle einer Umsetzung der DSBEntscheidung nicht schließen können. Die Durchsetzung der DSB-Entscheidung mittels Aussetzung von Zollzugeständnissen hat zur Folge, dass Verhandlungen der Parteien über Entschädigungsleistungen ausgeschlossen sind.231 Der Gemeinschaft ist es dann nur noch möglich, die Umsetzungspflicht zu befolgen und die rechtswidrige Maßnahme zu beseitigen.
226 So insbesondere GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10522 f., Rn. 86. 227 Nach GA Alber besteht nach Ablauf der gewährten Umsetzungsfrist deshalb kein wirklicher Ermessensspielraum mehr, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10522 f., Rn. 86. 228 Wobei sich der Begriff „vorläufig“ auch auf sehr lange Zeiträume beziehen kann, Hilf / Schorkopf, EuR 2000, S. 74 (86). 229 Gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des in den DSB-Entscheidungen konkretisierten WTO-Rechts nach Ablauf der Umsetzungsfrist wird eingewandt, dass die von Art. 22 Abs. 1 und Abs. 2 DSU für einen vorübergehenden Zeitraum zugelassenen Handlungsoptionen auch eingreifen, nachdem die Frist zur Umsetzung der Empfehlung abgelaufen sei. Der Ablauf der Umsetzungsfrist begründe also keinen Rechtszustand, der einer Anwendung des Art. 1 und 2 DSU und damit dem zentralen Begründungsansatz des EuGH in der Entscheidung Portugal / Rat des Boden entziehe. Insgesamt behalte das Gegenseitigkeitsargument auch hinsichtlich der nicht fristgerechten Umsetzung von DSB-Entscheidungen seine Bedeutung, Pitschas, EuZW 2003, S. 761 (762). Eine Alternative zur Umsetzung besteht jedoch nach Beginn der Aussetzung von Zugeständnissen nicht mehr, so auch Pitschas, EuZW 2003, S. 761 (762). 230 So auch Pitschas, EuZW 2003, S. 761 (762). 231 Pitschas, unter Hinweis auf den systematischen Zusammenhang zwischen den Sätzen 1 und 2 in Art. 22 Abs. 8 DSU, EuZW 2003, S. 761 (762).
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Ebenso haben die nach der Strafzollerhebung ausgehandelten Kompromisse über eine Änderung der Gemeinschaftsordnung bei gleichzeitiger Aussetzung bzw. zukünftiger Unterlassung der Strafzollerhebung, auf die der EuGH in Van Parys hinweist, insoweit keinen Einfluss auf den tatsächlich zum Zeitpunkt der Aussetzung der Zugeständnisse nicht mehr gegebenen Verhandlungsspielraum. Art. 22 Abs. 8 DSU bestimmt, dass die Aussetzung der Zollzugeständnisse so lange angewandt wird, bis die rechtswidrige Maßnahme beseitigt worden ist, oder die zur Durchführung der DSB-Entscheidung verpflichtete Partei eine Lösung für die Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen bietet, oder eine beiderseits zufriedenstellende Lösung erzielt ist. Letztere Lösung betrifft in Abgrenzung zum Fall der Ausgleichszahlungen unter Beibehaltung der WTO-widrigen Maßnahme jedoch eine Einigung über die Rücknahme oder Anpassung der umstrittenen Maßnahmen. Dies folgt aus dem systematischen Zusammenhang mit den zuvor genannten Möglichkeiten, die sich in Abgrenzung zur Gewährung eines Ausgleichs ausdrücklich auf die Rücknahme der rechtswidrigen Maßnahme beziehen.232 Insoweit besteht auch nicht die vom EuGH angesprochene Gefahr des Ungleichgewichts der gegenseitigen Rechte und Pflichten.233 Da die Gemeinschaft nach Ablauf der Umsetzungsfrist und Erhebung der Strafzölle durch den Handelspartner über keinerlei rechtlichen Handlungsspielraum mehr verfügt, würde sich die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit folglich nicht negativ auf das Verhältnis der Handelspartner auswirken. Nach der Konzeption des DSU hat die Umsetzung der DSB-Entscheidung zu erfolgen; lediglich die genauen Maßnahmen, die die Anpassung der Gemeinschaftsrechtsordnung an das WTO-Recht gewährleisten sollen, stehen im Ermessen der Gemeinschaftsorgane. Diese Anpassungsmaßnahmen müssen jedoch ihrereseits WTO-konform sein, so dass die Beseitigung des Rechtsverstoßes im Ergebnis nicht mehr zur Disposition der Gemeinschaftsorgane steht. Allenfalls können auf der Ebene des Völkerrechts durch entsprechende Abkommen die Umstände der Umsetzung, insbesondere die vorübergehende Aussetzung der Strafzollerhebung, geregelt werden. Derlei Abkommen können jedoch nicht die originäre Umsetzungsverpflichtung der Gemeinschaft beseitigen. Die Zuerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit würde somit lediglich für den innergemeinschaftlichen Bereich die auf der Ebene des internationalen Rechts eingetretenen Rechtswirkungen nachvollziehen. Überdies ist zu beachten, dass der EuGH im Rahmen der Schadensersatzklage die umstrittene Gemeinschaftsmaßnahme zwar auf ihre WTO-Widrigkeit untersucht, ohne deren Nichtigkeit auszusprechen. Vgl. auch Pitschas, EuZW 2003, S. 761 (762). Das Gegenseitigkeitsargument bezieht der EuGH indes ebenfalls ausdrücklich auf die Möglichkeit einseitig eingeschränkter Handlungsspielräume zu Lasten der Gemeinschaft, EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8438 f., Rn. 46 f.; EuGH, Rs. C-377 / 02, Urteil vom 01. 03. 2005, Van Parys, Rn. 53. 232 233
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Diese Erwägungen sprechen insgesamt dafür, dass – entgegen der in der Entscheidung Van Parys vorgenommenen Wertung – bei Vorliegen einer DSB-Entscheidung das Reziprozitätsargument einer neuen Bewertung zu unterziehen und zumindest ab dem Zeitpunkt der Aussetzung von Zugeständnissen als Reaktion auf eine WTO-widrige Gemeinschaftsmaßnahme eine Überprüfung der Maßnahme anhand des WTO-Rechts vorzunehmen ist.
c) Der Rechtsschutzgedanke Für eine Bejahung der unmittelbaren Anwendbarkeit im Falle der Nichtumsetzung einer DSB-Entscheidung und der damit eröffneten Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, streitet vor allem auch der im Gemeinschaftsrecht garantierte effektive Rechtsschutz.234 Wie dargelegt, bestehen im Bereich des Außenhandelsrechts erhebliche Rechtsschutzlücken, die sich insbesondere zu Lasten der von den Strafzöllen betroffenen Exporteure auswirken.235 Diese faktische Rechtlosstellung der Unternehmen steht einem fortgesetzten völkerrechtswidrigen Verhalten der Gemeinschaftsorgane gegenüber, die ihren verbindlichen Umsetzungsverpflichtungen – wie beispielsweise im Falle der Bananenmarktordnung – trotz mehrfacher Feststellung der WTO-Widrigkeit des entsprechenden Rechtsakts durch das WTO-Streitbeilegungsgremium nicht nachkommt.236 Durch die Annahme der unmittelbaren Anwendbarkeit unter den oben genannten Voraussetzungen würde sich die Rechtsschutzsituation der Unternehmen im Falle fortgesetzter und deshalb besonders erheblicher WTO-Verletzungen verbessern.237 Für den Rechtsschutz der europäischen Unternehmen spielt insbesondere die Schadensersatzklage eine entscheidende Rolle, in deren Rahmen die Rechtsverletzung zumindest auf der Sekundärebene Berücksichtigung findet.238
234 Generalanwalt Alber weist darauf hin, dass im Fall Biret International der Verstoß gegen das WTO-Recht über Jahre anhielt und sich die Frage stelle, ob dieser Zustand durch das hiervon betroffene Unternehmen entschädigungslos hinzunehmen sei, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10524, Rn. 91. 235 Siehe oben Teil 2, B. I. 236 Auf den Rechtsschutzgedanken und die bewusste Perpetuierung des WTO-Verstoßes stellt auch Cottier ab, der eine unmittelbare Anwendbarkeit zumindest dann befürwortet, wenn sich die Gemeinschaftsorgane trotz Kenntnis der möglichen Genehmigung von Strafzöllen bewusst weigern, eine DSB-Entscheidung umzusetzen, CMLRev. 35 (1998), S. 325 (374 f.). Generalanwalt Lenz geht ebenfalls davon aus, dass in Ausnahmefällen ein Verstoß gegen Vorschriften des GATT eine Schadensersatzpflicht gegenüber den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern begründet sei, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-469 / 93, Chiquita Italia, Slg. 1995, I-4533, 4543 f., Rn. 21. 237 Vgl. Cascante, S. 158 f. 238 Siehe oben Teil 2, B. II. 2.
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Insgesamt spricht der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes im Falle der beharrlichen Weigerung der Gemeinschaft, ihre aus den WTO-Abkommen resultierenden Verpflichtungen trotz Eskalation eines Handelskonflikts unter Verhängung von Gegenmaßnahmen zu beachten, dafür, die unmittelbare Anwendbarkeit zu bejahen. d) Ergebnis Die Gemeinschaft ist verpflichtet, eine endgültige DSB-Entscheidung innerhalb der gewährten Frist umzusetzen. Dies spricht grundsätzlich dafür, die Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsmaßnahmen nach Ablauf der Frist anhand des in der DSB-Entscheidung konkretisierten WTO-Rechts zu beurteilen und so die völkerrechtliche Umsetzungsverpflichtung auch im Hinblick auf die gem. Art. 300 Abs. 7 EG angeordnete Bindung für die Gemeinschaftsrechtsordnung entsprechend nachzuvollziehen. Setzt die Gemeinschaft die Entscheidung nicht fristgerecht um und ergreift sie auch keine ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen, um die Aussetzung von Zugeständnissen abzuwenden, verbleibt als rechtlich zulässige Handlungsoption allein die Rücknahme der rechtswidrigen Maßnahme. Die Gefahr einer Einschränkung handelsrechtlicher Gestaltungsspielräume der Gemeinschaftsorgane ist dann nicht mehr gegeben, so dass die im Urteil Van Parys angeführte Argumentation zur Begründung der richterlichen Zurückhaltung nicht überzeugt. Insgesamt ist daher die unmittelbare Anwendbarkeit entsprechend geeigneter Normen des WTO-Rechts für die Gemeinschaftsrechtsordnung anzuerkennen.
5. Eignung der Bestimmungen des WTO-Rechts für die unmittelbare Anwendbarkeit a) Der relevante Normenkreis Diejenigen WTO-Regelungen, die als formelle Elemente der Rechtsordnung der WTO einzuordnen sind und sich ausschließlich auf die Beziehungen der Mitgliedstaaten untereinander und zu den WTO-Organen beziehen, können nicht unmittelbar anwendbar sein.239 Sie stellen institutionelles Recht der WTO dar, wie etwa die WTO-Satzung oder das Verfahrensrecht der WTO. Demgegenüber beziehen sich die materiellen Elemente der WTO-Abkommen insbesondere auf den internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie auf geistige Eigentumsrechte und damit auch auf Beziehungen von Privatpersonen untereinander oder zu den WTO-Mitgliedstaaten. Diese Bestimmungen können dann unmittelbar anwendbar sein, wenn sie hinreichend präzise und unbedingt for239
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Krajewski, S. 56.
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muliert sind, um von den zuständigen innerstaatlichen Rechtsanwendungsorganen angewandt werden zu können.240 b) Hinreichend bestimmte Normen des WTO-Rechts Der Gerichtshof hat die unmittelbare Anwendbarkeit sowohl des GATT 47 als auch der WTO-Abkommen bereits aus systematischen Gründen abgelehnt.241 Aus diesem Grund liegt eine inhaltliche Bewertung einzelner Bestimmungen der WTOAbkommen im Hinblick auf ihre Eignung zur unmittelbaren Anwendbarkeit, also ob diese selbst hinreichend klar, genau und unbedingt gefasst sind, durch den Gerichtshof nicht vor. Die Änderungen der Uruguay-Runde haben zu einer Präzisierung insbesondere der GATT-Bestimmungen gegenüber dem GATT 47 geführt. Dies kommt auch in den Vereinbarungen zur Auslegung einzelner GATT-Bestimmungen zum Ausdruck.242 So hat Generalanwalt Saggio in den Schlussanträgen zur Rechtssache Portugal / Rat darauf hingewiesen, dass zahlreiche Bestimmungen der WTOAbkommen Verpflichtungen und Verbote unbedingter Art begründen und präzise Verbindlichkeiten für die Vertragsparteien in deren gegenseitigen Beziehungen beinhalten.243 Überdies ist der Einschätzung zuzustimmen, dass die hinreichende Bestimmtheit und Unbedingtheit bei vielen Gebots- oder Verbotsnormen des WTORechts bezogen auf die textliche Formulierung in gleichem Maße gegeben ist wie bei den unmittelbar anwendbaren Normen des EG-Rechts.244 Der EuGH verfährt überdies in der Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit einzelner Normen bewusst großzügig, wenn die Systematik des Abkommens insgesamt der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht widerspricht und hat im Übrigen kein Problem darin gesehen, Normen des WTO-Rechts zur Überprüfung einzelner Gemeinschaftshandlungen heranzuziehen. 245 Krajewski, S. 56. Siehe dazu eingehend oben Teil 1, B. III. 2. a) und b). 242 Die Vereinbarungen über die Auslegung bestimmter GATT-Regelungen sind abgedruckt in ABl. Nr. L 336 v. 23. 12. 1994, S. 103. 243 GA Saggio, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8409 f., Rn. 19. 244 Meng, FS Rudolf, S. 85, Fn. 63; Petersmann: „Ein Vergleich des GATT / WTO-Rechts mit dem EG-Vertrag zeigt ferner eindeutig, dass das GATT / WTO-Recht die verschiedenen Arten nichttarifärer Handelshemmnisse sehr viel präziser und unbedingter regelt (z. B. in Art. III, XI GATT) als die insofern vagen und lückenhaften Generalklauseln (z. B. Art. 30, 34, 36 EG) und Pauschalermächtigungen des EG-Vertrags (z. B. in Art. 43, 113 EG).“, EuZW 1997, S. 325 (327); ders., EuZW 1997, S. 651 (652); vgl. auch Montaña i Mora, JWT 30 / 5 (1996), S. 43 (46); Jackson weist darauf hin, dass die Bestimmungen des GATT teilweise den Wortlaut von self-executing Normen haben, Jackson, World Trade and the Law of GATT, S. 106. 245 So in der Rechtssache Fediol III, EuGH, Rs. 70 / 87, Fediol III, Slg. 1989, S. 1781, 1832 ff., Rn. 25 ff.; dies betont auch GA Gulman, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5025, Rn. 141. 240 241
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Es sprechen gute Gründe dafür, eine Eignung im vorgenannten Sinne im Hinblick auf die wichtigen Grundprinzipien des Welthandelsrechts, dem Meistbegünstigungsprinzip (Art. 3 TRIPs, Art. I GATT, Art. II GATS) und der Inländerbehandlung (Art. 4 TRIPs, Art. III Abs. 2 GATT, Art. XVII GATS) anzunehmen.246 Vereinzelt wird vertreten, dass bei Vorliegen einer DSB-Entscheidung auch solche Normen, die nach ihrer inhaltlichen Fassung selbst nicht hinreichend bestimmt formuliert sind, jedenfalls aufgrund der konkretisierenden Aussagen des Panels zur unmittelbaren Anwendbarkeit geeignet seien.247 Dies ist jedoch zweifelhaft, da eine DSB-Entscheidung für den EuGH aufgrund der derzeitigen Ausgestaltung des Streitbeilegungsverfahrens nicht im Sinne des EWR-Gutachtens verbindlich ist. Grundsätzlich wird also ausschließlich auf den Wortlaut der fraglichen Norm zurückzugreifen sein. 6. Ergebnis Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass aufgrund der an die DSB-Entscheidung geknüpften Verpflichtungen der Gemeinschaft die umstrittenen WTOBestimmungen dann unmittelbar anwendbar sind, wenn die bestehenden Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane infolge der Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht unzulässig eingeschränkt werden können. Dies ist jedenfalls nach Ablauf der in Art. 22 DSU genannten Fristen zur Umsetzung der Entscheidung und nach Beginn der Aussetzung von Zugeständnissen der Fall. Anwendungsvoraussetzung ist freilich, dass die umstrittenen WTO- Regelungen ihrerseits hinreichend präzise und bestimmt sind.
III. Die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts nach der Fediol III- und Nakajima-Rechtsprechung Der EuGH hat seine Rechtsprechung zur Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts für zwei besondere Konstellationen relativiert. Wenn sekundäres Gemeinschaftsrecht auf das WTO-Recht verweist248 oder zur Erfüllung der in den WTO-Übereinkünften übernommenen Verpflichtungen der Gemeinschaft erlassen wurde,249 prüft der EuGH die Vereinbarkeit der entsprechenden Rechtssätze mit den Regeln der WTO-Abkommen. 246 Eine Untersuchung zur Eignung zur unmittelbaren Anwendbarkeit verschiedener Bestimmungen des GATT, GATS und TRIPs findet sich bei Ott, S. 223 ff. Eine ausführliche Analyse des TRIPs bietet Hermes, S. 249 ff. 247 Weber / Moos, EuZW 1999, 229 (235 f.); so auch GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10529 f., Rn. 113. 248 EuGH, Rs. 70 / 87, Fediol III, Slg. 1989, S. 1781, 1830 ff., Rn. 19 ff.; bestätigt für das WTO-Recht in EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8439, Rn. 49. 249 EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2178, Rn. 31; bestätigt für das WTO-Recht in EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8439, Rn. 49.
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Ziel des WTO-Streitschlichtungsverfahrens ist es, den Rechtsbrecher nach Feststellung der Verletzung von WTO-Recht zu einer Anpassung seiner Rechtsordnung an das WTO-Recht zu bewegen. Dies kann durch vollständige Rücknahme der Maßnahme oder durch deren Änderung erfolgen. Da die Gemeinschaft grundsätzlich ein Interesse an der weitgehenden Aufrechterhaltung der einmal erlassenen Rechtsakte haben wird, wird sie – soweit möglich – die Kongruenz zum WTORecht durch eine den ursprünglich rechtswidrigen Rechtsakt abändernde Maßnahme herbeizuführen suchen. Es stellt sich die Frage, inwieweit das WTO-Recht nach der Fediol III- und Nakajima-Rechtsprechung des EuGH zur Überprüfung des ändernden Rechtsakts heranzuziehen ist. Sie wird dann relevant, wenn der ändernde gemeinschaftsrechtliche Rechtsakt seinerseits gegen WTO-Recht verstößt. So hat die Klägerin in der beim Gericht anhängigen Rechtssache CD Cartondruck ihre Schadensersatzklage mit der WTO-Widrigkeit des Erlasses der die Bananenmarktordnung abändernden bzw. ergänzenden Verordnungen (EG) Nr. 1637 / 98250 und (EG) Nr. 2362 / 98251 begründet. 1. Die Grundsätze der Fediol IIIund Nakajima-Rechtsprechung des EuGH Im Fall Fediol III hatte die Kommission den Antrag der Vereinigung der Ölmühlenindustrie der EWG (Fediol) zur Einleitung eines Verfahrens zur Untersuchung einer angeblich unlauteren Handelspraktik Argentiniens nach dem Neuen Handelspolitischen Instrument 252 zurückgewiesen. Hiergegen wandte sich die Klägerin im Wege einer Nichtigkeitsklage. Nach Ansicht der Klägerin hätte die Kommission gem. Art. 2 Abs. 1 NHI tätig werden müssen, wenn die gerügten Handelspraktiken Argentiniens „mit den Regeln des Völkerrechts oder den allgemein anerkannten Regeln unvereinbar sind“. Die Klägerin berief sich darauf, dass der Antrag auf Einleitung des Untersuchungsverfahrens begründet gewesen sei, da das Verhalten Argentiniens gegen das GATT verstoßen habe. Die Kommission machte in erster Linie geltend, dass die Bestimmungen des GATT selbst zu ungenau seien und somit keine individuellen Rechte des Einzelnen begründen könnten.253 Obwohl die Argumentation der Kommission grundsätzlich der Rechtsprechung des EuGH entsprach und durch das Urteil ausdrücklich bestätigt wurde, gelangte der Gerichtshof zu einer Prüfung der Kommissionsentscheidung unter Heranziehung der Regeln des GATT mit folgender Begründung: Verordnung (EG) Nr. 1637 / 98 des Rates vom 20. 07. 1998. Verordnung (EG) Nr. 2362 / 98 der Kommission vom 28. 10. 1998. 252 Verordnung (EWG) Nr. 2641 / 84 des Rates vom 17. 9. 1984 zur Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unerlaubte Handelspraktiken, ABl. Nr. L 252 vom 20. 09. 1984, S. 1. Folgend auch „NHI“. 253 EuGH, Rs. 70 / 87, Fediol III, Slg. 1989, S. 1781, 1829 und 1831, Rn. 11 und 18. 250 251
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„. . . [D]ie Bestimmungen des GATT sind Bestandteil der Regeln des Völkerrechts, auf die Artikel 2 Absatz 1 der genannten Verordnung verweist, was auch durch die zweite Begründungserwägung in Verbindung mit der vierten Begründungserwägung der Verordnung bestätigt wird.“254
In der Rechtssache Nakajima hatte die Klägerin einerseits auf Feststellung, dass bestimmte Vorschriften der Antidumpinggrundverordnung255 wegen Verstoßes gegen das GATT, insbesondere des GATT-Antidumping-Kodizes, unanwendbar seien, und andererseits auf Nichtigerklärung der Verordnung (EWG) Nr. 3651 / 88256 geklagt.257 Der Rat verwies darauf, dass der Antidumping-Kodex ebenso wie das GATT den Einzelnen kein Recht verleihe, auf das er sich vor dem Gerichtshof berufen könne.258 Im Urteil stellte der EuGH zunächst fest, dass sich die Klägerin nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit der genannten Vorschriften berufe. Vielmehr strebe sie nur eine inzidente Prüfung anhand des GATT-Kodizes in der nach Art. 173 EG a. F. (jetzt Art. 230 EG) vorzunehmenden Rechtsmäßigkeitskontrolle an. Sodann wies der Gerichtshof darauf hin, dass die Gemeinschaft an die Bestimmungen des GATT gebunden sei und die Antidumpinggrundverordnung nach ihrer zweiten und dritten Begründungserwägung gerade in Übereinstimmung mit den bestehenden internationalen Verpflichtungen, insbesondere den in Art. VI des GATT und dem Antidumping-Kodex, erlassen worden sei.259 Aus diesem Grund sei die Verordnung anhand der Regeln des GATT zu überprüfen, denn es liege der Fall vor, „[ . . . ] dass die von der Klägerin beanstandete neue Grundverordnung zur Erfüllung der internationalen Verpflichtungen der Gemeinschaft erlassen wurde, die daher – nach ständiger Rechtsprechung – zu gewährleisten hat, dass die Bestimmungen des GATT und der dazu erlassenen Durchführungsvorschriften eingehalten werden [ . . . ].“260
In der Entscheidung Portugal / Rat hat der EuGH die in den Urteilen Nakajima und Fediol III entwickelte Rechtsprechung für das seit 1995 geltende Recht der WTO-Abkommen ausdrücklich bestätigt.261 254 EuGH, Rs. 70 / 87, Fediol III, Slg. 1989, S. 1781, 1831 f., Rn. 19 a. E. (Hervorhebungen durch Verfasser). 255 Verordnung (EWG) Nr. 2423 / 88 des Rates vom 11. 07. 1988 über den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern, ABl. Nr. L 209 vom 02. 08. 1988 S. 1. 256 Verordnung (EWG) Nr. 3651 / 88 des Rates vom 23. 11. 1988 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Punkt-Matrix-Druckern mit Ursprung in Japan, ABl. Nr. L 317 vom 24. 11. 1988, S. 33. 257 EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2171, Rn. 1. 258 EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2177, Rn. 27. 259 EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2178, Rn. 29 f. 260 EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2178, Rn. 31. 261 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8439, Rn. 49.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
2. Interpretation der Rechtsprechung – unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts? Die Stimmen in der Literatur zu der Frage, ob in den der Fediol III- und Nakajima-Rechtsprechung zu Grunde liegenden Konstellationen ausnahmsweise die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts bejaht worden ist, sind uneinheitlich. Eine Ansicht deutet die Urteile als Ausnahmekonstellationen, in denen es dem Einzelnen möglich sei, sich auf das GATT-Recht zu berufen. Dieses entfalte also unmittelbare Wirkung.262 Nach anderer Auffassung handele es sich lediglich um eine GATT-konforme Auslegung des Gemeinschaftsrechts.263 Dagegen spricht jedoch, dass der EuGH in beiden Urteilen auf seine Kupferberg-Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit verweist und nur für den besonderen Fall der Verweisung auf das GATT bzw. der Erfüllung von GATT-Verpflichtungen eine Heranziehung des GATT als Prüfungsmaßstab gestattet. Die völkerrechtskonforme Auslegung ist hingegen unabhängig von der unmittelbaren Anwendbarkeit zu sehen und schon nach allgemeinen Grundsätzen vorzunehmen.264 Maßgebliches Einordnungskriterium dürfte sein, dass die besondere Geltung des GATT-Rechts in diesen Fallgestaltungen durch das Sekundärrecht der Gemeinschaft bewirkt wird. Verweist ein Gemeinschaftsrechtsakt auf GATT-Recht oder setzt dieses um, dann soll die entsprechende Gemeinschaftsnorm auch an dem derart in die Gemeinschaftsordnung eingeführten GATT-Recht gemessen werden. Es bietet sich daher an, von einer indirekten oder mittelbaren Wirkung des GATTRechts zu sprechen.265
3. Die Eignung zur Begründung der Gemeinschaftshaftung Fraglich ist, ob die in der Fediol III- und Nakajima-Rechtsprechung bejahte Heranziehung des WTO-Rechts zur Begründung von Schadensersatzansprüchen geeignet ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Haftung wegen WTO-Verlet262 Weustenfeld, S. 172; Hahn / Schuster, EuR 1993, 261 (277); vgl. Castillio de la Torre, JWT 29 / 1 (1995), S. 53 (55 und 60 f.). 263 Meng, FS Bernhardt, S. 1078, Fn. 73; Ott, S. 147 ff.; dies., in: Kronenberg (Hrsg.), S. 127; Becker-Celik, S. 131, Weber / Moos, EuZW 1999, S. 229. 264 Wünschmann, S. 200. 265 Hilf, MJIL 18 (1997), S. 321 (346); ders., in: Petersmann, International Trade Law, S. 578; Schroeder / Selmayr, JZ 1998, S. 344 (347); Mauderer, S. 125 ff., Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (95 f.); Royla, EuR 2001, S. 495 (506 ff.); v. Bogdandy, EuZW 2001, S. 357 (361) und v. Bogdandy / Makatsch, EuZW 2000, S. 261 (267), die zwar von der „unmittelbaren Anwendbarkeit“ des GATT Rechts sprechen, jedoch klarstellen, dass diese von einem speziellen und widerrufbaren Akte der Unionsorgane abhängt. Differenzierend Wünschmann, S. 197 ff.
C. Die Verletzung des WTO-Rechts
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zungen ist ausschlaggebendes Kriterium zur Begründung der Gemeinschaftshaftung, dass sich der Einzelne auf die Norm, deren Verletzung er rügt, vor den Gerichten berufen kann.266 In Fediol III und Nakajima nimmt der EuGH ebenfalls an, dass sich der Einzelne auf das WTO-Recht zur Überprüfung eines Gemeinschaftsakts unmittelbar berufen könne,267 so dass diese Fälle tatsächlich zum gleichen Ergebnis wie die unmittelbare Anwendbarkeit führen.268 Das bedeutet, dass der Einzelne auch im Rahmen einer Schadensersatzklage berechtigt ist, die Verletzung des WTO-Rechts zu rügen. Dieses Ergebnis findet auch in der Rechtsprechung des EuG Bestätigung, das die Möglichkeit einer Verletzung des GATT-Rechts nach den Grundzügen der Fediol III und Nakajima-Rechtsprechung prüft und nicht schon die Möglichkeit einer Geltendmachung im Rahmen der Schadensersatzklage mit der Begründung ablehnt, die unmittelbare Anwendbarkeit als Haftungsvoraussetzung werde auch durch diese Konstellationen nicht begründet.269
4. Die Umsetzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung bei der Umsetzung von DSB-Entscheidungen Während die Anwendung des WTO-Rechts nach Fediol III von der im Einzelfall zu ermittelnden sekundärrechtlichen Verweisung auf das WTO-Recht zur Konkretisierung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtsakts abhängt,270 stellt sich mit Blick auf die Grundsätze der Nakajima-Rechtsprechung die allgemeine Frage, ob die Umsetzung einer DSB-Entscheidung zur unmittelbaren Anwendbarkeit führen kann. Danach würde die Gemeinschaft mit dem Erlass eines Änderungsaktes einer völkerrechtlichen Durchführungsverpflichtung nachkommen.
Siehe oben Teil 3, C. I. 1. So in EuGH, Rs. 69 / 90, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2178, Rn. 32; Rs. 70 / 87, Fediol III, Slg. 1989, S. 1781, 1830 f., Rn. 19. 268 Vedder, in: Grabitz / Hilf, Art. 133 EG, Rn. 187. 269 EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, 934 f., Rn. 58 f.; Rs. 30 / 99, Bocchi Food, Slg. 2002, II-943, 968 f., Rn. 63 f.; Rs. T-52 / 99, T.Port, Slg. 2001, II-981, 1002 f., Rn. 58 f.; verb. Rs. T-64 / 01 und T-65 / 01, Afrikanische Frucht-Compagnie, Urteil vom 10. 02. 2004, Rn. 140 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 270 Das GATT wurde in Fediol III zur Konkretisierung des ausfüllungsbedürftigen Art. 2 Abs. 1 NHI herangezogen, der im Hinblick auf die unerlaubten Handelspraktiken auf die Regeln des Völkerrechts verwies, Wünschmann, S. 200, vgl. auch Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (91). 266 267
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
a) WTO-widriger Umsetzungsakt am Beispiel der Bananenmarktordnung Im Fall der Bananenmarktordnung hatte die Gemeinschaft, nachdem der Bericht des Appellate Body, der am 25. September 1997 vom DSB angenommen worden war, noch bis zum Ablauf des 31. Dezember 1998 Zeit, die BMO den Anforderungen des WTO-Rechts anzupassen.271 Die Kommission arbeitete in den folgenden Monaten eine Änderungsverordnung zur Bananenmarktordnung aus, die am 20. Juli 1998 – also innerhalb der Umsetzungsfrist – vom Rat erlassen wurde.272 Danach sollte zunächst ein (geändertes) Zollkontingentsystem beibehalten werden und ab 2006 eine reine Zolllösung gelten. Alle Bananenimporte in die Gemeinschaft sollen dann unter einen noch festzulegenden Zoll fallen. In der Änderungsverordnung bezog sich der Rat im zweiten Erwägungsgrund auf das WTO-Recht: „Die von der Gemeinschaft im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) eingegangenen internationalen Verpflichtungen sowie die Verpflichtungen gegenüber den anderen Unterzeichnern des Vierten AKP-EG-Abkommens müssen eingehalten werden; gleichzeitig müssen die Ziele der Gemeinsamen Marktorganisation für Bananen weiter verfolgt werden.“273
Einen weiteren Hinweis auf das WTO-Recht liefert der fünfte Erwägungsgrund: „Für die traditionellen AKP-Bananen bleibt es bei einer Gesamtmenge von 857 700 Tonnen zum Zollsatz Null. Damit haben die entsprechenden Lieferstaaten gemäß den Vorschriften des Protokolls Nr. 5 im Anhang zum Vierten AKP-EG-Abkommen sowie gemäß den WTO-Regeln weiterhin Zugang zum Gemeinschaftsmarkt.“274
Zu dieser Verordnung erließ die Kommission die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 2362 / 98 mit weiteren Regelungen für die Durchführung der geänderten Bananenmarktordnung.275 Das zur Überprüfung der geänderten Bananenmarktordnung eingesetzte Panel kam jedoch in seinem Bericht vom 12. April 1999 zu dem Ergebnis, dass das (geänderte) Regelungssystem weiterhin mit Art. I Abs. 1 und XIII Abs. 1 GATT 94 271 272 273
Siehe oben Teil 2, A. I. 2. und 3. VO (EG) Nr. 1637 / 98 des Rates vom 20. 07. 1998. VO (EG) Nr. 1637 / 98 des Rates vom 20. 07. 1998, ABl. Nr. L 210 vom 28. 07. 1998,
S. 28. 274
VO (EG) Nr. 1637 / 98 des Rates vom 20. 07. 1998, ABl. Nr. L 210 vom 28. 07. 1998,
S. 28. 275 Durchführungsverordnung der Kommission (EG) Nr. 2362 / 98 vom 28. 10. 1998 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EWG) Nr. 404 / 93 des Rates betreffend die Einfuhrregelung für Bananen in die Gemeinschaft, ABl. Nr. L 293 vom 31. 10. 1998, S. 32.
C. Die Verletzung des WTO-Rechts
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sowie gegen Art. II und XVII GATS unvereinbar sind.276 Die von den USA beantragten Strafzölle wurden am 19. April 1999 vom DSB genehmigt.277 b) Die Entscheidungen Cordis Obst (Rs. T-18 / 99), Bocchi Food (Rs. T-30 / 99) und T. Port (Rs. T-52 / 99) In den Rechtssachen Cordis Obst, T. Port und Bocchi Food, denen Schadensersatzklagen von Bananenimporteuren zugrunde lagen,278 rügten die Klägerinnen unter anderem die Verletzung des WTO-Rechts durch Durchführungsvorschriften, die aufgrund der geänderten BMO von der Kommission erlassen worden waren. Die Klägerinnen verwiesen auf den Bericht des Appellate Body und sahen einen Ermessensmissbrauch der Kommission darin, dass diese eine gegen WTO-Vorschriften verstoßende Regelung erlassen oder bereits festgestellte Verstöße aufrechterhalten habe, obwohl sie sich zur Beachtung des WTO-Rechts verpflichtet habe.279 Obwohl das Gericht zu der Einschätzung gelangte, dass die Änderungsverordnung des Rates erlassen worden sei, um der Entscheidung des Streitbeilegungsgremiums nachzukommen, lehnte es letztlich eine Heranziehung der Fediol IIIund Nakajima-Grundsätze ab, denn: „[w]eder die Berichte des WTO-Panels vom 22. Mai 1997 noch der Bericht des Ständigen Berufungsgremiums der WTO vom 9. September 1997, der vom Streitbeilegungsgremium der WTO am 25. September 1997 bestätigt wurde, enthielten bestimmte von der Kommission in der Verordnung Nr. 2362 / 98 umgesetzte Verpflichtungen im Sinne der Rechtsprechung (vgl. für das GATT 1947 Urteil des Gerichtshof vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-69 / 89, Nakajima / Rat, Slg. 1991, I-2069, RdNr. 31). Ebenso wenig verweist die Verordnung Nr. 2362 / 98 ausdrücklich auf spezielle Verpflichtungen aus den Berichten der WTO-Organe oder auf spezielle Bestimmungen der in den Anhängen des WTO-Übereinkommens enthaltenen Übereinkünfte.“280
c) Das Urteil des Gerichts in der Rechtssache Chiquita Brands International (Rs. T-19 / 01) Die Klägerinnen Chiquita Brands International Inc., Chiquita Banana Co. BV und Chiquita Italia SpA begehrten in ihrer Schadensersatzklage den Ersatz des Schadens, der ihnen insbesondere aufgrund der Verordnung Nr. 2362 / 98 entstanden sei.281 276 WT / DS27 / RW / ECU, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, 12. 04. 1999. Hierzu auch Kuschel, EuZW 2000, S. 203 ff.; ders., EuZW 1999, S. 74 ff. 277 Vgl. hierzu oben Teil 2, A. I. 2. 278 Siehe bereits oben Teil 3, C. I. 1. b). 279 EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, 934, Rn. 57; Rs. 30 / 99, Bocchi Food, Slg. 2002, II-943, 968, Rn. 62; Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981, 1002, Rn. 57. 280 EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, 934 f., Rn. 59; Rs. 30 / 99, Bocchi Food, Slg. 2002, II-943, 969, Rn. 64; Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981, 1003, Rn. 59.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
Die zur Bananenmarktordnung von 1993 erlassenen Verordnungen (EG) Nr. 1637 / 98 und Nr. 2362 / 98 legten eine neue Aufteilung der Zollkontingente und Vergabe von Einfuhrlizenzen unter bestimmten lateinamerikanischen Ländern fest, die nach Vortrag der Klägerinnen Großunternehmen schwäche, die wie sie auf den Handel mit lateinamerikanischen Bananen spezialisiert sei.282 Das Gericht wies das Vorbringen der Klägerin, die Gemeinschaft habe mit Erlass der Verordnung (EG) Nr. 1637 / 98 und deren Durchführungsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 2363 / 98 eine im Rahmen der WTO eingegangene Verpflichtung im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung umsetzen wollen, in seinem Urteil vom 3. Februar 2005 zurück.283 Obgleich die Klägerinnen zum Nachweis der Umsetzungsabsicht der Gemeinschaftsorgane eine Vielzahl von Indizien anführten,284 stellte das Gericht fest: „Selbst wenn das Vorbringen der Klägerin dahin ausgelegt werden könnte, dass mit ihm ein Verstoß der Gemeinschaft gegen ihre Verpflichtungen zur Umsetzung von Empfehlung oder Entscheidung des DSB geltend gemacht wird, kann es nicht durchgreifen. Wenn nämlich auch die Kommission der Auffassung ist, dass der unterlegenen Partei durch das DSU – völkerrechtlich – vorgeschrieben wird, eine Regelung, die durch eine Entscheidung des DSB für mit dem WTO-Recht unvereinbar erklärt worden ist, mit den WTO-Übereinkünften in Einklang zu bringen, so ist diese Verpflichtung, interne Regelung in Übereinstimmung mit internationalen Bindungen aus den WTO-Übereinkünften zu bringen, unbestreitbar allgemeiner Art und steht damit im Gegensatz zu den Vorschriften der Antidumping-Kodexe. Folglich kann sie eine Anwendung der Nakajima-Rechtsprechung nicht rechtfertigen.“285
Des weiteren räume das DSU den Verhandlungen zwischen den Parteien auch nach Ablauf des in Art. 21 Abs. 3 DSU vorgesehenen angemessenen Zeitraums einen hohen Stellenwert ein.286 Folglich könne der Gemeinschaftsrichter, da andernfalls Art. 21 Abs. 6 DSU seine Wirkung genommen würde, insbesondere im Rahmen einer Schadensersatzklage nicht die Rechtmäßigkeit der fraglichen Gemeinschaftsrechtsakte prüfen, solange die Frage der Umsetzung von Empfehlung oder Entscheidung des DSB nicht gelöst sei.287 Ungeachtet der von der Klägerinnen vorgelegten Beweismittel, Unterlagen und Äußerungen seien die Umstände, unter den die Verordnung (EG) Nr. 2362 / 98 erlassen wurde, nicht mit den Umständen vergleichbar, unter denen die Antidumping-Verordnungen im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung angewandt wurde.288 Insgesamt habe die Gemeinschaft 281 EuG, Rs. T-19 / 01, Urteil vom 03. 02. 2005, Chiquita Brands International, Rn. 14, 49, 78 ff. (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 282 EuG, Rs. T-19 / 01, Urteil vom 03. 02. 2005, Chiquita Brands International, Rn. 79. 283 EuG, Rs. T-19 / 01, Urteil vom 03. 02. 2005, Chiquita Brands International, Rn. 83 f., 116, 128 ff. 284 EuG, Rs. T-19 / 01, Urteil vom 03. 02. 2005, Chiquita Brands International, Rn. 130 ff. 285 EuG, Rs. T-19 / 01, Urteil vom 03. 02. 2005, Chiquita Brands International, Rn. 161. 286 EuG, Rs. T-19 / 01, Urteil vom 03. 02. 2005, Chiquita Brands International, Rn. 163 f. 287 EuG, Rs. T-19 / 01, Urteil vom 03. 02. 2005, Chiquita Brands International, Rn. 166. 288 EuG, Rs. T-19 / 01, Urteil vom 03. 02. 2005, Chiquita Brands International, Rn. 168.
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deshalb mit dem Erlass der Verordnung (EG) Nr. 2362 / 98 nicht im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung eine bestimmte, im Rahmen der WTO-Übereinkünfte übernommene Verpflichtung umsetzen wollen.289
d) Das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Van Parys (Rs. C-377 / 02) In der Rechtssache Van Parys war ebenfalls die Frage zu beantworten, ob die zur Bananenmarktverordnung von 1993 ergangenen Änderungsverordnungen entsprechend der Nakajima-Rechtsprechung anhand der WTO-Übereinkünfte zu überprüfen sind.290 aa) Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano Nachdem Generalanwalt Tizzano die unmittelbare Anwendbarkeit des WTORechts aufgrund der endgültigen DSB-Entscheidung grundsätzlich bejaht hatte,291 ging er hilfsweise auf eine mögliche Heranziehung WTO-Rechts auf Grundlage der Nakajima-Rechtsprechung ein. Zunächst kritisiert der Generalanwalt den Beschluss des Gerichtshofs in der Rechtssache OGT-Fruchthandelsgesellschaft.292 Dort hatte der Gerichtshof festgestellt, dass die Bananenmarktordnung und deren Änderungsverordnungen keine im Rahmen des GATT übernommene Verpflichtung umsetzen sollen.293 Vielmehr sprächen nach Ansicht des Generalanwalts zahlreiche Indizien für die Schlussfolgerung, dass durch die umstrittenen Verordnungen eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung umgesetzt werden solle.294 In diesem Zusammenhang verweist er insbesondere auf die zeitliche Kohärenz zwischen In-Kraft-Treten der Änderungsverordnungen sowie den Ablauf der Umsetzungsfrist und auf die Hinweise in den fraglichen Texten.295 Im Ergebnis bejaht der Generalanwalt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Änderung der umstrittenen Einfuhrregelungen für Bananen eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung umsetzen wollte.296 EuG, Rs. T-19 / 01, Urteil vom 03. 02. 2005, Chiquita Brands International, Rn. 170. Siehe die Darstellung des Sachverhalts oben Teil 3, C. II. 3. c) aa). 291 Siehe oben Teil 3, C. II. 3. c) bb). 292 EuGH, Rs. C-307 / 99, OGT Fruchthandelsgesellschaft, Slg. 2001, I-3159. 293 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 96 ff. Der Generalanwalt fordert vor allem eine gründlichere Betrachtung der Absichten und Reaktionen, die der Gemeinschaftsgesetzgeber gezeigt habe, um die ihm obliegenden Verpflichtungen umzusetzen. 294 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 98 ff. 295 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 100; vgl. unten Teil 3, C. III. 4 a). 289 290
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
bb) Das Urteil des Gerichtshofs Der Gerichtshof kommt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die Gemeinschaft mit den Anpassungsmaßnahmen, insbesondere der umstrittenen Verordnung (EG) Nr. 2362 / 98, auch nach der Entscheidung des DSB vom 25. September 1997 keine besondere Verpflichtung im Rahmen der WTO übernehmen wollte, die die Anwendung der Nakajima-Rechtsprechung rechtfertige.297 Zur Begründung nimmt der Gerichtshof keine Bewertung der vom Generalanwalt vorgetragenen Indizien und Hinweise vor, die auf eine Umsetzungsintention der Organe deuten, sondern verweist allgemein auf den hohen Stellenwert von Verhandlungen, die das Streitbeilegungssystem den Mitgliedstaaten einräume.298 Der Umfang und die Ausübung dieser Verhandlungsbefugnisse werden vom EuGH sodann einer genaueren Untersuchung unterzogen.299 Der Spielraum der Organe dürfe nach Ansicht des EuGH – auch unter dem Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit – nicht geschwächt werden, wobei der Ablauf der Umsetzungsfrist nicht indiziere, dass die Organe ihre Befugnisse nach dem DSU voll ausgeschöpft hätten.300 Aus diesem Grund könnten die Verordnungen nicht als Maßnahmen angesehen werden, mit denen eine Verpflichtung im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung umgesetzt werde. Nur kurz fügt der Gerichtshof hinzu, dass die umstrittenen Gemeinschaftshandlungen auch nicht ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTOÜbereinkünfte verweisen.301 e) Stellungnahme aa) Die umzusetzende Verpflichtung Die Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein gemeinschaftlicher Rechtsakt, der eine Anpassung der Gemeinschaftsrechtsordnung an das GATT / WTO-Recht herbeiführen soll, unter die Nakajima-Rechtsprechung des EuGH fallen kann, hängt zunächst von der Einordnung der völkerrechtlichen Pflichten ab, deren Umsetzung mit dem Rechtsakt verfolgt werden. Das Gericht stellt hierzu nur kurz fest, dass in den Panel-und Appellate Body-Berichten keine bestimmten Verpflichtungen enthalten waren, die die Kommission mit ihrer Verordnung umgesetzt habe. Dieser Rechtsprechung liegt offensichtlich ein enger Begriff der umzusetzenden Verpflichtung zugrunde.302 296 GA Tizzano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 105. 297 EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 81. 298 EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 42 f. 299 Siehe die Darstellung Teil 3, C. II. 3. c) cc). 300 EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 51 ff. 301 EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 52. 302 Ebenso Wünschmann, S. 209.
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Denn nach Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens ist der das WTO-Recht verletzende Staat verpflichtet, gem. Art. 21 DSU seine Rechtsordnung an das WTO-Recht anzupassen.303 Die beabsichtigten Anpassungsmaßnahmen sollen dem DSB vorgelegt werden. Dieses überwacht im weiteren Verfahren die Umsetzung, Art. 22 Abs. 3 und 22 Abs. 4 DSU. Dieser Verpflichtung zur Anpassung der Rechtsordnung kommt die Gemeinschaft mit dem Erlass von ändernden Rechtsakten nach. Die Rechtsakte selbst sollen demnach die aus dem DSU resultierende Umsetzungsverpflichtung verwirklichen.
bb) Die Bestimmtheit der Verpflichtung Unklar ist, ob die Bestimmtheit der umgesetzten Pflicht besonderen Anforderungen unterliegt. Das EuG stellt insoweit darauf ab, dass die Panel-Berichte keine bestimmten Verpflichtungen für die Gemeinschaft enthalten würden.304 In der Entscheidung Chiquita Brands International vertritt das Gericht die Ansicht, dass die völkerrechtliche „Verpflichtung, interne Regelungen in Übereinstimmung mit internationalen Bindungen aus den WTO-Übereinkünften zu bringen, unbestreitbar allgemeiner Art“ sei und sich demnach von den Vorschriften der Antidumping-Kodizes unterscheiden würde, die Gegenstand der Nakajima-Rechtsprechung waren. Das Kriterium der Bestimmtheit der umzusetzenden Verpflichtung hat der EuGH in der Entscheidung Deutschland / Rat eingeführt, indem er die bekannte Nakajima-Formel dahingehend abänderte, dass es sich um die Erfüllung einer „bestimmte[n], im Rahmen des GATT übernommenen Verpflichtung“ handeln müsse.305 Damit werden aus der Anwendung der Nakajima-Rechtsprechung diejenigen Fälle ausgeklammert, in denen das Gemeinschaftsrecht nur allgemein auf das internationale Recht verweist. So reicht etwa die allgemein gehaltene Benennung „internationaler Verpflichtungen“ in einem Erwägungsgrund zur Heranziehung des GATT-Rechts als Prüfungsmaßstab nicht aus.306 Die Ansicht, dass der EuGH mit dieser Änderung die Nakajima-Formel verengen wollte,307 ist jedoch nicht zwingend, verweist der EuGH doch auch in folgenden Entscheidungen ohne weiteres weiterhin auf das Nakajima-Urteil.308 Die Siehe oben Teil 3, C. II. 2. a). EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, 934 f., Rn. 59; Rs. 30 / 99, Bocchi Food, Slg. 2002, II-943, 969, Rn. 64; Rs. T-52 / 99, T.Port, Slg. 2001, II-981, 1003, Rn. 59. 305 EuGH, Rs. 280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5073 f., Rn. 111. Diese Formel verwendet der Gerichtshof seit der Entscheidung Portugal / Rat auch im Hinblick auf das WTO-Recht, EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8439, Rn. 49. 306 EuGH, Rs. 280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I- 4973, 5048 und 5073 f., Rn. 14 und 111 f. 307 So mit Bezug auf die Entscheidung Deutschland / Rat, Vedder, in: Grabitz / Hilf, Art. 133, Rn. 188; vgl. auch Griller, in: Breuss / Griller / Vranes, S. 268. 308 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg.1999, I-8395, 8439, Rn. 49. 303 304
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Änderung lässt sich eher als Konkretisierung der ständigen Rechtsprechung verstehen. Gefordert wird ein konkreter Akt der Umsetzung konkreter internationaler Verpflichtungen. Insoweit verkennt das Gericht in der Entscheidung Chiquita Brands International, dass die Umsetzungsverpflichtung durch die DSB-Entscheidung im Einzelfall konkretisiert wird und dies für die Bestimmtheit im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung spricht.309 Zwar ordnen die DSB-Entscheidungen keine eindeutigen Maßnahmen an, die zur Anpassung der Rechtsordnung eines WTO-Mitgliedstaats an die WTO-Rechtsordnung notwendig sind. Sie können jedoch diesbezüglich Empfehlungen aussprechen.310 Darüber hinaus lassen die Entscheidungen grundsätzlich keinen Zweifel an Art und Umfang des Rechtsverstoßes unter Benennung der durch die Gemeinschaftsmaßnahme verletzten WTO-Regelungen. Das Ergebnis der Umsetzung dürfte nach Vorliegen der DSB-Entscheidung kaum mehr zweifelhaft sein.311 Die Bewertung, ob eine Umsetzungsverpflichtung hinreichend bestimmt ist, erfordert also zumindest die Auslegung der DSB-Entscheidung und der in ihr dargelegten Rechtsverstöße.312 Der Hinweis auf die allgemeine Natur der Verpflichtung, interne Regeln anzupassen, ist vor diesem Hintergrund nicht überzeugend. cc) Die Umsetzung der DSB-Entscheidung als Erfüllung einer Verpflichtung im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung Im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung dürfte entscheidend sein, welches Ziel der EG-Gesetzgeber mit dem Rechtsakt verfolgt.313 Liegt dieses gerade in der UmBerg / Beck, RIW 2005, S. 401 (410). Art. 19 Abs. 1 S. 2 DSU. 311 Vgl. hierzu oben Teil 3, C. II. 2. 312 Berg / Beck, RIW 2005, S. 401 (410). 313 In der Entscheidung Portugal / Rat führt der EuGH zur Ablehnung der Geltendmachung des WTO-Rechts nach der Nakajima-Formel an: „Der angefochtene Beschluss zielt weder darauf ab, die Umsetzung einer bestimmten, im Rahmen der WTO übernommenen Verpflichtung in die Gemeinschaftsrechtsordnung sicherzustellen, noch verweist er ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte.“ EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal /Rat, Slg. 1999, I-8395, 8440, Rn. 51 (Hervorhebungen durch Verfasser). Ebenso sind die mit dem Rechtsakt verfolgten Absichten und Ziele des Gesetzgebers zu berücksichtigen. So nimmt GA van Gerven in den Schlussanträgen zu Fediol III eine Auslegung der streitgegenständlichen Verweisung unter Heranziehung der Entstehungsgeschichte des NHI vor, um zu ermitteln, welchen Inhalt und Zweck der Verweisung zukommt, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 70 / 87, Fediol III, Slg. 1989, S. 1781, 1805, Rn. 11. Vgl. auch GA Colomer, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 317 / 99, Kloosterboer, Slg. 2001, I-9863, 9873 f., Rn. 32; Hörmann /Neugärtner weisen auf die vom EuGH in der Entscheidung Petrotub erklärte weite Auslegung der Nakajima-Doktrin hin, die zu einer Erweiterung des Rechtsschutzes für Imund Exporteure in den Fällen des auf eine DSB-Entscheidung ergangenen WTO-widrigen Änderungsrechtsakten führen könnte, Hörmann / Neugärtner, in: Hilf / Oeter, S. 559 unter Verweis auf EuGH, Petrotub, Slg. 2003, I-79. 309 310
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setzung einer konkreten internationalen Verpflichtung und wird dies im ändernden Rechtsakt deutlich, kann WTO-Recht nach der Nakajima-Rechtsprechung angewendet werden. Im Vordergrund steht jedoch die mit dem Rechtsakt bezweckte Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen, wobei der bloßen textlichen Referenz im Sekundärrechtsakt nur sekundäre Bedeutung zukommen wird. Andernfalls könnten die Gemeinschaftsorgane durch bloße Nichterwähnung der völkerrechtlichen Regelungen eine diesbezügliche Überprüfung durch den EuGH vermeiden. Dies würde jedoch der Ratio der Nakajima-Rechtsprechung, die auf die an die Umsetzung geknüpfte Einhaltung völkerrechtlicher Regeln abstellt, widersprechen.314 Der Gerichtshof muss insoweit aufgrund objektiver, gerichtlich nachprüfbarer Umstände wie Ziel und Inhalt eines Rechtsaktes im Einzelfall prüfen, ob der Rechtsakt eine Umsetzung bewirken sollte.315 Ohne weiteres zählen solche Fälle zum Anwendungsbereich der NakajimaRechtsprechung, in denen der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Absicht handelt, durch den Rechtsakt WTO-Regeln in das Gemeinschaftsrecht zu implementieren und dies auch in den Erwägungsgründen zum Ausdruck bringt.316 Damit ist der Anwendungsbereich der Nakajima-Rechtsprechung jedoch nicht erschöpft. Der Gerichtshof stellte in Nakajima nämlich nicht auf eine Implementierung des WTO-Rechts in das Gemeinschaftsrecht ab,317 sondern wies darauf hin, dass die Gemeinschaft allgemein an die Bestimmungen des GATT gebunden ist.318 Da die Antidumping-Verordnung aber ausweislich der Erwägungsgründe in Übereinstimmung mit den bestehenden internationalen Verpflichtungen, insbesondere GATT und Antidumping-Kodex, festgelegt wurde, muss die Gemeinschaft gewährleisten, dass das GATT eingehalten werde.319 314 Vgl. auch Zonnekeyn, JIEL 4 (2001), S. 597 (602). Die Kommission vermeidet offensichtlich aus diesen Gründen neuerdings Formulierungen, die auf eine Umsetzung völkerrechtlicher Pflichten durch den Sekundärrechtsakt hinweisen und mithin zur Heranziehung des WTO-Rechts im Sinne der Nakajima-Rechtsprechung führen könnten. In der neuen Durchführungsverordnung zur Bananenmarktordnung, deren Zweck die Beilegung des Handelskonflikts mit den USA war, wird zur der Wahl des neuen Referenzzeitraumes 1994 – 1996 für die Definition der verschiedenen Marktbeteiligten und Festlegung der Referenzmengen der traditionellen Marktbeteiligten sybillinisch im 5. Erwägungsgrund ausgeführt: „Die Wahl dieses Zeitraumes ermöglicht es auch, einen seit mehreren Jahren bestehenden Streit zwischen der Gemeinschaft und einigen Handelspartnern beizulegen.“, Verordnung (EG) Nr. 896 / 2001 des Rates vom 08. 05. 2001, ABl. Nr. L 126 vom 08. 05. 2001, S. 6. 315 Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (96). 316 Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (96). 317 Obwohl diese Argumentation mit Blick auf die parallelen Regelungsbereiche der europäischen Antidumping-Verordnung und des Antidumping-Kodizes durchaus naheliegend war. 318 EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2178, Rn. 29 unter Verweis auf EuGH, verb. Rs. 21 – 24 / 72, International Fruit Company, Slg. 1972, S. 1219, 1226, Rn. 18. 319 EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2178, Rn. 31. Im Folgenden wurden vom Gerichtshof sodann die von der Klägerin beanstandeten Vorschriften des AntidumpingKodizes ohne weiteres ausgelegt und die Rechtmäßigkeit der umstrittenen Verordnung daran geprüft, EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2178, Rn. 32 ff.
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Ratio der Heranziehung des WTO-Rechts als Prüfungsmaßstab ist folglich nicht die Implementierung völkerrechtlicher Normen, die bereits aufgrund Art. 300 Abs. 7 EG als integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechtsordnung gelten. Vielmehr soll ein Gemeinschaftsrechtsakt, der in Erfüllung bestimmter internationaler Verpflichtungen erlassen wurde, selbst an den diesen Verpflichtungen zugrunde liegenden völkerrechtlichen Bestimmungen zu messen sein.320 Insoweit kann für die gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungsakte, die bestehendes europäisches Sekundärrecht an das WTO-Recht anpassen sollen, ausgesagt werden, dass diese regelmäßig die Verpflichtungen aus dem DSU und dem WTORecht sicherstellen. Ergänzend ist zu untersuchen, ob diese Umsetzungsabsicht in dem ändernden Rechtsakt zum Ausdruck gekommen ist, wobei wiederum auf das Ziel des Gemeinschaftsgesetzgebers abzustellen ist.321 Zweifelhaft erscheint demgegenüber die vom EuGH vorgenommene Anknüpfung an die allgemein nach dem DSU bestehenden Handlungsspielräume zur Ermittlung des Umsetzungswillens.322 Ohne auf die vom Generalanwalt Tizzano genannten Indizien und Hinweise zum Nachweis des Umsetzungswillens der Gemeinschaftsorgane bei Erlass der Änderungsverordnungen zur Bananenmarktordnung einzugehen, stellt der EuGH lediglich auf die nach dem DSU potenziell bestehenden Handlungsspielräume sowie das nach Erlass der umstrittenen Verordnungen vorliegende Umsetzungsverhalten der Organe ab. Durch letzteres wird die Frage, ob die Gemeinschaft eine Verpflichtung erfüllen wollte, einer ex-post Beurteilung unterzogen. Dieses Vorgehen stößt insbesondere vor dem Hintergrund der Gewährleistung größtmöglicher Rechtssicherheit für die Normadressaten auf Bedenken.323 Darüber hinaus ist auch der Rückschluss auf die allgemein nach dem DSU bestehenden Verhandlungsspielräume fragwürdig.324 Denn auf diese Weise misst der EuGH den nach den Regelungen des DSU allgemein bestehenden Spielräumen der Gemeinschaftsorgane einen höheren Stellenwert zu als ihren sonstigen Handlungen. Bindende Äußerungen und Hinweise auf den Umsetzungswillen der Gemeinschaftsorgane in den Umsetzungsakten haben demnach weniger Gewicht als die Aufrechterhaltung der im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens allgemein bestehende Handlungsspielräume.325 Den Gemeinschaftsorganen wird so ermöglicht, 320 Vgl. Meng, FS Rudolf, S. 92 f.; Griller, in: Breuss / Griller / Vranes, S. 251 spricht davon, dass die Ausnahmen der Nakajima-Rechtsprechung als Konsequenz eines „taking the Community legislator by the word“ zu verstehen sind. Im Urteil Kloosterboer bejahte der EuGH ausdrücklich, dass die Verordnung (EG) Nr. 3290 / 94 des Rates vom 22. 12. 1994, Abl. L 349, S. 105, erlassen worden sei, um die Anpassungen vorzunehmen, die für die Durchführung der WTO-Abkommen notwendig gewesen seien, EuGH, C-317 / 99, Kloosterboer, Slg. 2001, I-9863, 9891, Rn. 23. 321 Vgl. auch Berrisch / Kamann, EWS 2000, S. 89 (95). 322 Steinbach, EuZW 2005, S. 331 (332). 323 Steinbach, EuZW 2005, S. 331 (332). 324 Steinbach, EuZW 2005, S. 331 (332). 325 Berg / Beck, RIW 2005, S. 401 (408).
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sich jederzeit durch Berufung auf ihre Verhandlungsspielräume – ungeachtet etwaiger Hinweise in den Umsetzungsakten – der Nakajima-Rechtsprechung zu entziehen.326 Insgesamt ist das Vorgehen des EuGH, die im Rahmen des Ausnahmetatbestands der Nakajima-Rechtsprechung zu ermittelnde Umsetzungsabsicht an die Auslegung der Verhandlungsspielräume nach dem DSU sowie die Bewertung des nachträglichen Umsetzungsverhaltens zu knüpfen, nicht überzeugend. Demgegenüber ist darauf abzustellen, welche Anhaltspunkte und Hinweise in den Umsetzungsakten selbst auf die Umsetzung der Verpflichtung hinweisen bzw. ob sonstige Hinweise bei Entstehung der Verordnung einen solchen Willen implizieren.327 In den eingangs zitierten Entscheidungen zur revidierten Bananenmarktordnung verkennt das Gericht,328 dass der Rechtsakt insgesamt erlassen wurde, um die Bananenmarktordnung in Übereinstimmung mit den Regelungen der WTO-Abkommen zu bringen und gerade darin die Umsetzung der aus dem DSU bzw. der WTO-Entscheidung folgenden Verpflichtungen liegt.329 Dies kommt auch im zweiten Erwägungsgrund der Änderungsverordnung zum Ausdruck, wonach die Verpflichtungen des WTO-Rechts eingehalten werden müssen. Ebenso stellt der Rat im 3. Erwägungsgrund fest, dass „in der WTO [ . . . ] ein Grundkontingent in Höhe von 2 200 000 Tonnen zum herabgesetzten Zollsatz von 75 ECU / t konsolidiert“ sei. In Art. 18 wird dann ein ebensolches Kontingent eröffnet. Die Zielsetzung des Gemeinschaftsgesetzgebers, die sowohl anhand der Erwägungsgründe als auch unter Heranziehung des Zwecks und Inhalts zu ermitteln ist, war die Anpassung der BMO an das WTO-Recht und mithin die Umsetzung der Verpflichtungen aus den WTO-Abkommen.330 Da die Verordnung der Kommission die Änderungsverordnung lediglich durchführen sollte und insofern auf dieser basierte, hätte das Gericht implizit die Rechtmäßigkeit der Änderungsverordnung (EG) 1637 / 98 an den Vorschriften der WTO-Übereinkünfte prüfen müssen.331 Steinbach, EuZW 2005, S. 331 (332). Steinbach, EuZW 2005, S. 331 (332). 328 Der EuGH stellt nur lakonisch fest, dass die Änderungsverordnungen auch nicht ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweisen würden, EuGH, Rs. C-377 / 02, Van Parys, Urteil vom 01. 03. 2005, Rn. 52. 329 Wünschmann, S. 209; siehe auch Kuschel, EuZW 2000, 203 ff. Das EuG erkennt jedoch an, dass die Änderungsverordnung (EG) Nr. 1637 / 98 erlassen wurde, um den Entscheidungen der Streitbeilegungsgremien nachzukommen, EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, 919, Rn. 8; Rs. 30 / 99, Bocchi Food, Slg. 2002, II-943, 951, Rn. 8; Rs. T-52 / 99, T. Port, Slg. 2001, II-981, 988, Rn. 8. 330 Reinisch, EuZW 2000, S. 42 (48); Eeckhout, JIEL 5 (2002), S. 91 (107). 331 Ebenso Wünschmann, S. 209; Eeckhout, JIEL 5 (2002), S. 91 (107), Zonnekeyn, JIEL 4 (2001), S. 597 (602 f.); a. A. Griller, in: Breuss / Griller / Vranes, S. 264 ff.; Royla, EuR 2001, S. 495 (512). Darüber hinaus wäre für das Gericht der Weg offen gewesen, auch den ursprünglichen (Grund-)Rechtsakt an den Regeln des WTO-Rechts zu überprüfen. Hierfür 326 327
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IV. Individualschutzcharakter der GATT / WTO-Normen 1. Der Begriff des Individualschutzcharakters in der Rechtsprechung des EuGH Konnte die unmittelbare Anwendbarkeit der Norm im Einzelfall bejaht werden, ist damit nicht gleichzeitig auch die Verleihung subjektiver Rechtspositionen und mithin die Einordnung derselben als Schutznorm im Sinne des Art. 288 Abs. 2 EG umfasst. Wohl hängt das Konzept der unmittelbaren Anwendbarkeit zwar nach der Rechtsprechung des EuGH mit demjenigen des subjektiven Rechts zusammen. Das bedeutet jedoch nicht, dass von dem einen Element zwingend auf das andere geschlossen werden kann.332 Dennoch nimmt der EuGH, nachdem er einer Norm die unmittelbare Anwendbarkeit zugesprochen hat, meist unproblematisch auch deren Eignung, subjektive Rechte zu vermitteln, an.333 Dieses weite Verständnis individualrechtsschützender Normen verfolgt der EuGH auch im Rahmen seiner Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft und stellt im konkreten Einzelfall nur geringe Anforderungen an das Vorliegen einer Schutznorm.334 Danach liegt eine Norm mit Schutznormcharakter dann vor, wenn sie zum Schutz der Interessen des Klägers oder einer spricht einerseits, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Neuregelung bestimmter Vorschriften zum Ausdruck bringt, dass die unverändert belassenen Regeln des Grundrechtsakts WTO-rechtskonform sind. Andererseits nimmt der ändernde Rechtsakt auf den Grundrechtsakt Bezug und ändert diesen gerade zum Zwecke der Herstellung der WTO-Konformität ab. Der Gemeinschaftsgesetzgeber verfolgt somit die Absicht, insgesamt eine WTO-konforme Lösung herbeizuführen, so dass für beide Rechtsakte das WTO-Recht als Legalitätsmaßstab heranzuziehen ist. 332 Die unmittelbare Anwendbarkeit kann jedoch als zwingend notwendiges Kriterium für die Entstehung subjektiver Rechte beschrieben werden. So insbesondere Eilmansberger, S. 84 und oben Teil 3, C. I. 2. c). 333 Eilmansberger geht aus diesem Grund davon aus, dass die unmittelbare Anwendbarkeit der Norm nicht nur notwendige, sondern auch hinreichende Voraussetzung für die Eignung einer Norm zu Begründung von Individualrechten darstelle. Denn es sein noch kein Fall bekannt geworden, in dem der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit einer Norm bejaht, die Begründung von Individualrechten aber verneint hätte. Daraus lasse sich ableiten, dass die Voraussetzungen für die Entstehung individueller Rechtspositionen und die Voraussetzung für die unmittelbare Anwendbarkeit von Normen identisch seien, Eilmansberger, S. 84. Diese Ansicht argumentiert jedoch zu eng an der Rechtsprechungspraxis des EuGH, ohne die Einordnung des Konzepts der unmittelbaren Anwendbarkeit hinreichend zu berücksichtigen. Aus dem Umstand allein, dass der EuGH nach Annahme der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Norm deren Fähigkeit zur Verleihung subjektiver Rechte unproblematisch bejaht, lässt sich ein Vorliegen identischer Voraussetzungen nicht zwingend ableiten. Allenfalls ist dies ein Beleg dafür, dass der EuGH keine allzu großen Anforderungen an die – von der unmittelbaren Anwendbarkeit getrennt zu betrachtende – Vermittlung subjektiver Rechte stellt. 334 Ossenbühl, S. 591.
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Gruppe, welcher der Kläger angehört, bestimmt ist.335 Diese Anforderungen bleiben insbesondere hinter dem deutschen Verständnis der „Schutznormtheorie“ zurück, wonach ein subjektives Recht verlangt wird, das gerade zu Gunsten des Klägers besteht.336 Nach der vorbenannten Rechtsprechung des EuGH reicht es bereits aus, wenn die fragliche Norm in erster Linie allgemeinen Interessen (z. B. das Funktionieren des Marktes) und nur mittelbar – gewissermaßen als Reflex – auch die individuellen Interessen der einzelnen Unternehmen schützt337 und so zumindest faktisch dem individuellen Interesse des Anspruchsstellers dient.338 Ebenso wird als ausreichend erachtet, dass der Schutz des Geschädigten nur einer von mehreren Zwecken der Norm ist und das Interesse des Geschädigten gegenüber den anderen Zielen der Norm lediglich falsch gewichtet wurde.339
2. Bewertung des Schutzcharakters von WTO-Normen in der Rechtsprechung des EuGH und EuG Zu der Frage, ob einzelnen Normen des WTO-Rechts Schutznormcharakter zuzusprechen ist, hat der EuGH – soweit ersichtlich – noch nicht Stellung bezogen. Der EuGH prüfte zwar formell, ob eine Verleihung subjektiver Rechte auf den Einzelnen als Haftungsvoraussetzung gegeben ist. Da diese Voraussetzung jedoch schon an der grundsätzlichen Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit scheiterte, ist der EuGH zum dahinterliegenden Problem des Individualrechtsschutzes nicht vorgedrungen.340 So weist das Gericht die Haftung der Gemeinschaft für WTO-widrige Handlungen zumeist mit dem Argument der mangelnden unmittelbaren Anwendbarkeit generell zurück.341 Lediglich im Urteil Biret International führt es diesbezüglich aus, dass EuGH, Rs. C-282 / 90, Vreugdenhil, Slg. 1992, I-1937, 1967 f., Rn. 19 ff. Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 202 (213). 337 EuGH, Rs. 5, 7 und 13 bis 24 / 66, Kampffmeyer, Slg. 1967, S. 332, 354. 338 Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 213 m. w. N. 339 Hierzu m. w. N. aus der Rechtsprechung: Berg, in: Schwarze, Art. 288, Rn. 37. 340 Vgl. EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 7024 f., Rn. 17 ff.; Epping, S. 621. Dementsprechend stellt der EuGH bei der Beantwortung von Vorlagefragen mitgliedstaatlicher Gerichte, vor denen sich Gemeinschaftsangehörige auf Normen der WTO-Abkommen zu berufen suchen, auch fest, dass mangels unmittelbarer Anwendbarkeit die Abkommen der WTO für den Einzelnen keine Rechte begründen, auf die er sich unmittelbar vor den Gerichten berufen könnte, siehe nur EuGH, Rs. C-469 / 93, Chiquita Italia, Slg. 1995, I-4533, 4568, Rn. 37; Rs. C-307 / 99, OGT Fruchthandelsgesellschaft, Slg. 2001, I-3159, 3172, Rn. 31; verb. Rs. C-300 / 98 und C-392 / 98, Dior, Slg. 2000, I-11307, Rn. 44. 341 EuG, Rs. T-18 / 99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, 933, Rn. 51; Rs. 30 / 99, Bocchi Food, Slg. 2002, II-943, 967, Rn. 56; Rs. T-52 / 99, T.Port, Slg. 2001, II-981, 1001, Rn. 51. 335 336
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„[d]ie WTO-Übereinkünfte [ . . . ] nämlich die Regelung und Abwicklung der Beziehungen zwischen Staaten oder Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration und nicht den Schutz des Einzelnen zum Gegenstand [haben].“342
Obwohl das Gericht nicht ausdrücklich von einer mangelnden Vermittlung subjektiver Rechte durch die WTO-Übereinkünfte spricht, kann aus dieser Aussage abgeleitet werden, dass es generell den WTO-Abkommen und ihren Regelungen keine individuelle Schutzrichtung zugestehen will.
3. Individuen als mittelbar Begünstigte des WTO-Rechts Das Recht der WTO regelt als Teil des Wirtschaftsvölkerrechts unmittelbar die multilateralen Handelsbeziehungen der beteiligten Mitgliedstaaten. Subjekte dieser „Rechtsordnung“343 sind die Mitgliedstaaten, deren Rechte und Pflichten in den einzelnen Abkommen kodifiziert sind, während Individuen schon formell nicht als Subjekte dieser Rechtsordnung gelten.344 Aus dieser formellen Qualifikation lässt sich jedoch nicht auf einen nur administrativen Charakter der Welthandelsordnung schließen, welche keinerlei Bezug auf die eigentlichen Akteure des Welthandels, nämlich die Unternehmen, nimmt. Die Feststellung des Gerichts, das WTO-Recht regele nur die Handelsbeziehungen der Vertragsstaaten, lässt außer Betracht, dass letztlich die Unternehmen diejenigen sind, welche unter dem durch das WTO-Recht konditionierten nationalen Recht tätig werden sollen.345 Die von den Staaten auf multilateraler Ebene vereinbarte Begrenzung handelsbeschränkender Maßnahmen erfolgt jedoch gerade zu dem Zweck, den auf den Weltmärkten agierenden Unternehmen, deren Handelsaktivitäten durch das WTORecht in entscheidender Weise beeinflusst werden, größtmögliche Handlungsfreiheiten einzuräumen. Aus diesem Grund können die Wirtschaftsunternehmen als die Hauptbegünstigten des mit dem WTO-Recht verfolgten Handelssystems angesehen werden.346 Die Unternehmen erlangen durch das Regelwerk der Handelsabkommen die notwendige Planungssicherheit sowie Vorhersehbarkeit der rechtlichen Rahmenbedin342 EuG, Rs. T-174 / 00, Biret International, Slg. 2002, II- 17, 42, Rn. 62. (Hervorhebungen durch Verfasser). 343 Zur umstrittenen Einordnung des WTO-Rechts als „Rechtsordnung“ siehe Krajewski, S. 24 ff. 344 Meng, FS Rudolf, S. 65. Vgl. auch die Panel-Entscheidung zu Sections 301 – 310 US Trade Act 1974: „ [ . . . ] the GATT / WTO did not create a new legal order the subjects of which comprise both contracting Parties or Member and their nationals.“, WT / DS152 / R, United States – Section 301 – 310 of the Trade Act of 1974, report of the Panel of 22. 12. 1999, para. 7.72. 345 Meng, FS Rudolf, S. 65; Oeter, in: Nowak / Cremer, S. 222 f. 346 Behrens, in: Nowak / Cremer, S. 202; Kessie, JWT 34 / 6 (2000), S. 1 (2 f.).
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gungen und können daran ihre ökonomische Betätigung ausrichten. Diese völkerrechtlich verbindliche Fixierung eines handelsrechtlichen Rahmens unterstreicht ebenfalls die Funktion der WTO-Abkommen, auch den Interessen privater Unternehmen zu dienen.347 In diesem Sinne hat auch das Panel im Fall der Überprüfung von Maßnahmen nach der US-amerikanischen Section 301 – 310 of the Trade Act of 1974 ausdrücklich betont: „However, it would be entirely wrong to consider that the position of individuals is of no relevance to the GATT / WTO legal matrix. Many of the benefits to Members which are meant to flow as a result of the acceptance of various disciplines under the GATT / WTO depend on the activity of individual economic operators in the national and global market places. The purpose of many of this disciplines, indeed one of the primary objects of the GATT / WTO as a whole, is to produce certain market conditions which would allow this individual activity to flourish.“348
Und: „Providing security and predictability to the multilateral trading system is another central object and purpose of the system which could be instrumental to achieving the broad objectives of the Preamble [ . . . ] The security and predictability in question are of ,the multilateral trading system‘. The multilateral trading system is, per force, composed not only of States but also, indeed mostly, of individual economic operators. The lack of security and predictability affects mostly these individual operators.“349 „Trade is conducted most often and increasingly by private operators. It is through improved conditions for these private operators that Member benefit from WTO disciplines. The denial of benefits to a Member which flows from a breach is often indirect and results from the impact of the breach on the market place and the activities of individuals within it.“350
Das Panel stellt die Individuen somit in das Zentrum des multilateralen Handelssystems. Dieser Einordnung lässt sich auch nicht entgegenhalten, innerhalb einer nach Art. 31 Abs. 1 WVK vorzunehmenden Auslegung der WTO-Abkommen sei zu berücksichtigen, dass der Wille der WTO-Vertragsparteien gerade nicht auf die Begründung von Individual- und Grundrechten gerichtet gewesen sei.351 Eine direkte Verbürgung von Handels- und Freiheitsgarantien in Form von Individualrechten an den Einzelnen wird man aus den WTO-Abkommen tatsächlich nicht herleiten können, obgleich die Gebote der Nichtdiskriminierung im Sinne der Kessie, JWT 34 / 6 (2000), S. 1 (2). WT / DS152 / R, United States – Section 301 – 310 of the Trade Act of 1974, report of the Panel of 22. 12. 1999, para. 7.73. 349 WT / DS152 / R, United States – Section 301 – 310 of the Trade Act of 1974, report of the Panel of 22. 12. 1999, para. 7.76. 350 WT / DS152 / R, United States – Section 301 – 310 of the Trade Act of 1974, report of the Panel of 22. 12. 1999, para. 7.77. 351 Sack, EuZW 1997, S. 688. 347 348
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Meistbegünstigung und Inländerbehandlung nach ihrem Wortlaut so gefasst sind, dass sie durchaus auch als individuelle Garantien verstanden werden können.352 Die Ableitung individueller Freiheitsrechte ist im Rahmen der Prüfung, ob bestimmte WTO-Regelungen auch den Schutz des Einzelnen im Sinne des Haftungsrechts bezwecken, jedoch nicht erforderlich. Wie oben bereits dargestellt, reicht auch die bloße mittelbare Begünstigung durch eine ansonsten im allgemeinen Interesse stehende Norm aus. In der Rechtssache Kampffmeyer hat der EuGH zur Verordnung Nr. 19 vom 31. Juli 1962 zur Errichtung der gemeinsamen Marktorganisation für Getreide353 dementsprechend ausgeführt, auch wenn eine Regelung den Schutz allgemeiner Interessen verfolge, schließe dies nicht aus, dass sie auch den Schutz einzelner Unternehmen umfasse, die am innergemeinschaftlichen Handel teilnehmen.354 Das administrative Organisationsrecht, das der Errichtung einer Marktordnung diente, in deren Rahmen Unternehmen wirtschaftlich agieren, kann demnach individuelle Schutzwirkung entfalten. Die Errichtung des Welthandelssystems mit der an die WTO-Mitglieder gerichteten institutionellen Ausgestaltung von Diskriminierungsverboten bzw. Gleichbehandlungsgeboten beinhaltet eine – wenn auch nur mittelbar wirkende – freiheitssichernde Funktion für private Unternehmen, so dass auch eine individuelle Schutzwirkung einzelner Normen des WTO-Rechts im Sinne des gemeinschaftlichen Haftungsrechts grundsätzlich möglich erscheint.355
4. Der Schutzcharakter einzelner WTO-Regelungen Als Schutznormen kommen insbesondere die Diskriminierungsverbote und Liberalisierungsregeln des WTO-Rechts in Betracht. Soweit diesen Regelungen im Einzelfall die Funktion zugeordnet werden kann, dass sie einer Beschränkung des Handels entgegenzuwirken bestimmt und geeignet sind und zumindest im Sinne eines Rechtsreflexes dem Einzelnen einen diskriminierungsfreien Handelswettbewerb sichern, wird eine individuelle Schutzwirkung in der vom EuGH verfolgten weiten Auslegung des Haftungsrechts grundsätzlich anzunehmen sein.356 Dass die Normen des WTO-Rechts ihrem Wortlaut nach an die Vertragsstaaten gerichtet sind, hindert hingegen nicht die Zuerkennung auch einer individuellen Schutzrichtung. So hat der EuGH einer Vielzahl von Bestimmungen des Gemein352 Einer Verbürgung von individuellen Freiheits- und Gleichheitsrechten durch das WTORecht tritt insbesondere Sack, EuZW 1997, S. 650 f. entgegen; ebenso ablehnend: Stoll / Schorkopf, S. 35, Rn. 78. In diese Richtung jedoch Petersmann, EuZW 1997, S. 325 (326 f.). 353 Verordnung (EWG) Nr. 19 vom 31. 07. 1962, ABl. Nr. L 30 vom 20. 04. 1962, S. 933. 354 EuGH, Rs. 5, 7 und 13 bis 24 / 66, Kampffmeyer, Slg. 1967, S. 331, 354 f. 355 Reinisch, EuZW 2000, S. 42 (45); Petersmann, The GATT / WTO Dispute Settlement System, S. 238; Zonnekeyn, in: Kronenberger, S. 263 f. m. w. N.; Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (714); Kessie, JWT 34 / 6 (2000), 1 ff. 356 Vgl. Petersmann, in: Hilf / Petersmann, GATT und EG, S. 140.
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schaftsrechts, die ihrem Wortlaut nach an die Mitgliedstaaten gerichtet sind, nicht nur eine individuelle Schutzrichtung, sondern die Funktion subjektiver Freiheitsrechte zugesprochen.357 Beachtlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Liberalisierungsregeln des GATT, wie insbesondere die Inländerbehandlung oder das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen, als Vorbild für die komplementär dazu im EG-Vertrag ausgestalteten Bestimmungen dienten. So hat der EuGH etwa im Urteil International Fruit anerkannt, dass das unter dem GATT 47 etablierte Handelssystem mit seinen Liberalisierungsregelungen einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hatte.358 In diesem Sinne dienen die Liberalisierungsbestimmungen, wie das Meistbegünstigungsprinzip (Art. I GATT), das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen (Art. IX GATT) und das Gebot der Inländerbehandlung auch dem Schutz einzelner Unternehmen.359 Einen sehr weiten Ansatz verfolgt Generalanwalt Alber in der Rechtssache Biret International. Nachdem er die unmittelbare Anwendbarkeit der durch die DSBEntscheidung konkretisierten Vorschriften des SPS bejaht hatte, nahm er zur Problematik des Schutznormcharakters Stellung. Da sich aus dem ersten Erwägungsgrund und aus Art. 2 Abs. 3 des SPS-Abkommens das Ziel ergebe, einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels entgegenzuwirken, und sich Handelsbeschränkungen auf die wirtschaftliche Betätigung des Bürgers auswirken könnten, bezweckten die Vorschriften des SPS-Übereinkommens den Schutz Einzelner.360 Eine derart aus der generellen Schutzrichtung eines Abkommens pauschal abgeleitete Schutzfunktion sämtlicher Abkommensbestimmungen vermag nicht zu überzeugen und verkennt, dass der EuGH in seiner Haftungsrechtsprechung grundsätzlich die einzelne Norm auf ihre Eignung als Schutznorm überprüft. Auch wenn ein Abkommen, das Beschränkungen des Handels einzudämmen versucht, generell in seiner Zielrichtung auch dem Schutz Einzelner dient, erspart dies nicht die Untersuchung der einzelnen Normen hinsichtlich ihres Schutznormcharakters.
Siehe die Übersicht bei v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 71. EuGH, verb. Rs. 21 – 24 / 72, International Fruit Company, Slg. 1972, S. 1219, 1227, Rn. 10 – 13. 359 Reinisch, EuZW 2000, S. 42 (45), Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (715). 360 GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10530 f., Rn. 117 f. 357 358
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V. Das WTO-Recht als „höherrangige Rechtsnorm“ im Sinne des gemeinschaftsrechtlichen Haftungsrechts 1. Das Konzept der „höherrangigen Rechtsnorm“ Der Gerichtshof fordert seit der Schöppenstedt-Entscheidung zur Begründung der Haftung für normatives Unrecht die Verletzung einer „höherrangigen Rechtsnorm“.361 An die „Höherrangigkeit“ der Norm sind indes keine besonderen Voraussetzungen zu knüpfen. Erfasst ist nach einem formellen Rangverständnis jede in der Normhierarchie höherstehende Vorschrift.362
2. Bestimmungen des WTO-Rechts als „höherrangige Rechtsnormen“ Soweit die Bestimmungen der WTO-Abkommen unter den dargestellten besonderen Voraussetzungen unmittelbar anwendbar sind, kann sich der Einzelne vor dem Gemeinschaftsrichter auf diese Regelungen berufen. Diese sind sodann als Rechtmäßigkeitsmaßstab für die umstrittenen Gemeinschaftshandlungen heranzuziehen. Hierbei wird es sich zumeist um sekundäres Gemeinschaftsrecht handeln, das entweder als spezifisch handelspolitische Maßnahme oder als binnenmarktbezogene Rechtsangleichung die Außenaspekte – insbesondere solche des Marktzuganges – regelt.363 Im Hinblick auf das Rangverhältnis zwischen Völkervertragsrecht und sekundärem Gemeinschaftsrecht impliziert Art. 300 Abs. 7 EG den Vorrang des völkerrechtlichen Vertragsrechts. Die Bindung der Organe an die von der Gemeinschaft geschlossenen Abkommen hat zwingend zur Folge, dass sich die Gemeinschaftsorgane bei der innergemeinschaftlichen Rechtssetzung an die Vorgaben des Völkervertragsrechts zu halten haben und keine dem Völkerrecht widersprechenden Rechtsakte setzen dürfen.364 Darüber hinaus spricht auch der Grundsatz, dass sich die gemeinschaftliche Rechtsordnung in den internationalen Rahmen integrieren soll, für einen Vorrang völkerrechtlicher Verträge. Denn anderenfalls könnte die Wirksamkeit Völkervertragsrechts durch den Erlass von EG-Sekundärrecht ausgehebelt werden.365 Insofern geht der EuGH in ständiger Rechtsprechung vom Vorrang des Völkervertragsrechts gegenüber gemeinschaftlichen Sekundärrechts aus,366 EuGH, Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975, 984 f., Rn. 11. Siehe bereits oben Teil 3, A. II. 3. c) bb). Mit dieser Voraussetzung wird also nur die Rechtswidrigkeit selbst bezeichnet, die einen Rechtsverstoß gegen eine Befolgung erheischende und damit notwendig höherrangigen Norm voraussetzt, Ossenbühl, S. 591. 363 Siehe Teil 3, B. II. 364 Epiney, EuZW 1999, S. 5 (7); Krück, S. 170; Mögele, in: Streinz, Art. 300, Rn. 82. 365 Epiney, EuZW 1999, S. 5 (7). 366 EuGH, verb. Rs. 21 – 24 / 72, International Fruit Company, Slg. 1972, S. 1219, 1227; Rs. 40 / 72, Schröder, Slg. 1973, S. 125, 146; Rs. 181 / 73, Haegeman, Slg. 1974, S. 449, 361 362
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so dass die Bestimmungen der WTO-Abkommen „höherrangige Normen“ im Sinne des Art. 288 Abs. 2 EG darstellen und als haftungsauslösende Normen in Betracht kommen.
VI. Besondere Qualität der Rechtsverletzung Seit der EuGH in der Rechtssache Schöppenstedt die Haftung der Gemeinschaft für legislatives Unrecht anerkannt hat, fordert er zur Begründung dieser Haftung im Falle von Rechtsakten, die wirtschaftspolitische Entscheidungen einschließen, die hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm.367
1. Rechtsakte mit wirtschaftspolitischem Gehalt a) Die Einordnung des Merkmals Das Kriterium der wirtschaftspolitischen Entscheidung steht in engem Zusammenhang mit der vom EuGH für die Einschränkung der Haftung für legislatives Unrecht angeführten Begründung. Danach verfügen die Gemeinschaftsorgane bei der Festlegung und Ausgestaltung ihrer Politik nicht nur über einen weiten Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Feststellung der tatsächlichen Grundlagen ihres Handelns, sondern sie können auch weitgehend nach ihrem Ermessen die im Rahmen der Vorgaben des Vertrages verfolgten Ziele bestimmen und das für ihr Vorgehen geeignete Instrumentarium wählen.368 Gerade im wirtschaftspolitischen Bereich – und insbesondere bei der Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik369 – muss den Gemeinschaftsorganen ein weiter Spielraum bei der Regelung und Ausfüllung der von ihnen verfolgten Politik zugestanden werden. Damit korrespondiert eine in ihrem Umfang nur eingeschränkte Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Organhandelns. Insofern stellt die nach der SchöppenstedtFormel geforderte besondere Qualifizierung der Rechtsverletzung auch einen Ausdruck richterlicher Zurückhaltung dar.370 Denn der weite Beurteilungs- und Ermes462 f.; Rs. 38 / 75, Nederlandse Spoorwegen, Slg. 1975, S. 1439, 1447 ff.; Rs. 112 / 80, Dürbeck, Slg. 1981, S. 1095 (1119 f.); Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5072. Im Hinblick auf das Rangverhältnis zwischen Völkervertragsrecht und primärem Gemeinschaftsrecht ist aufgrund der Regelung des Art. 300 Abs. 6 EG vom Vorrang des primären Gemeinschaftsrechts auszugehen, so die h. M., siehe nur Epiney, EuZW 1999, S. 5 (7); Krück, S. 171; Tomuschat, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 300, Rn. 83 m. w. N.;vgl. auch GA Lenz, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-69 / 89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, 2127. 367 EuGH, Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975, 984, Rn. 11. 368 EuGH, verb. Rs. 197 – 200, 243, 245, 257 / 80, Ludwigshafener Walzmühle, Slg. 1981, S. 3211, 2151, Rn. 37. 369 Siehe dazu nur EuGH, Rs. 238 / 78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, S. 2955, 2973, Rn. 9. 370 Ossenbühl, S. 597.
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sensspielraum, den die Gemeinschaftsorgane bei der Ausgestaltung und Erfüllung der im Gemeinschaftsrecht vorgegebenen wirtschaftspolitischen Zielvorgaben genießen, soll nicht durch drohende Schadensersatzansprüche übermäßig eingeschränkt werden.371 Der EuGH legt den Begriff der wirtschaftspolitischen Entscheidung dementsprechend weit aus.372 In seiner jüngeren Rechtsprechung verzichtet der EuGH teilweise auf die Feststellung, dass ein Rechtsakt mit wirtschaftspolitischen Gehalt vorliege, und stellt den Verstoß allgemein unter die verschärften Haftungsanforderungen, wenn das Gemeinschaftsorgan in dem jeweiligen Rechtsgebiet und bei der Entscheidung über den fraglichen Rechtsakt über einen weiten Ermessensspielraum verfügt.373
b) Bewertung in den Fällen der Strafzollerhebung Anknüpfungspunkt für die Haftung der Gemeinschaft im Falle der Erhebung von Strafzöllen ist eine WTO-widrige Maßnahme der Gemeinschaft. Die Maßnahmen werden insbesondere dann eine weltwirtschaftliche Relevanz aufweisen, wenn sie zumindest teilweise Aspekte des Handels zwischen der Gemeinschaft und Drittstaaten regeln oder anderweitig beeinflussen können. Ein solcher Bezug zum Außenwirtschaftsverkehr würde jedenfalls für das Vorliegen einer wirtschaftspolitischen Entscheidung und mithin eines weiten Beurteilungsspielraumes sprechen.374 Im Einzelfall wird der Gemeinschaftsrichter einerseits eine Einordnung der Gemeinschaftsmaßnahme unter Berücksichtigung ihrer Zielsetzung und des konkret betroffenen Rechtsgebietes vornehmen, aber auch die internationale Dimension der Regelungsmaterie entsprechend zu würdigen haben. Mit Blick auf eine mögliche qualifizierte Rechtsverletzung durch Abschluss des Rahmenabkommens über Bananen zwischen der Gemeinschaft und einigen lateinamerikanischen Staaten von 1994 hat das EuG beispielsweise ausgeführt: 371 EuGH, verb. Rs. 83 und 94 / 76, 4, 15 und 40 / 77, HNL, Slg. 1978, S. 1209, 1224, Rn. 6; vgl. auch Rs. 197 bis 200, 243, 245 und 247 / 80, Ludwigshafener Walzmühle, Slg. 1981, S. 3211, 3251; Rs. 74 / 74, CNTA, Slg. 1975, S. 533, 547; Rs. 9,11 / 71, Cie. d’Approvisionnement, Slg. 1972, S. 391, 408. 372 Fuß, in: FS v. d. Heydte, S. 176. Beispielsweise hat der EuGH ein Vorliegen wirtschaftpolitischer Entscheidungen auch bei eher technischen Detailregelungen und Durchführungsverordnungen bejaht, vgl. EuGH, Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975, 985, oder bei Verfahrenshandlungen zum Erlass von Anti-Dumping Maßnahmen, EuGH, Rs. C-122 / 86, Epicheiriseon, Slg. 1989, S. 3959, siehe m. w. N. auch Gilsdorf / Niejahr, von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 54; Capelli / Nehls, EuR 1997, S. 132 (141 ff.). 373 EuGH, Rs. C-352 / 98P, Bergaderm, Slg. 2000, I-5291, 5325, Rn. 46; Rs. C-390 / 95P, Antillean Rice Mills, Slg. 1999, I-797, Rn. 57 f; Rs. C-312 / 00 P, Camar, Slg. 2002, I-11355, 11421 f., Rn. 52. 374 Zum Wirtschaftsverkehr mit Drittstaaten vgl. Epping, S. 567 ff., vgl. EuG, Rs. T-56 / 00, Dole Fresh Fruit International, Slg. 2003, II-579, 602, Rn. 75 f.
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„Zu prüfen ist daher noch, ob der Rat und die Kommission unter Berücksichtigung des weiten Ermessens, über das sie angesichts der internationalen Dimension und der Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten, die die Einführung und Änderung der gemeinschaftlichen Einfuhrregelung für Bananen erfordert, beim Erlass der beanstandeten Vorschriften verfügten, die Grenzen ihres Ermessens offenkundig und erheblich überschritten haben.“375
2. Die hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung a) Eingrenzung des Merkmals Das mit dem Kriterium der qualifizierten Rechtsverletzung verfolgte Ziel der Sicherung eines weiten Gestaltungsspielraumes der Gemeinschaftsorgane führt zu einer erheblichen Beschränkung der Haftung für fehlerhafte Rechtsakte der Gemeinschaft.376 Die Hürden, die der EuGH für eine Rechtsverletzung, die gerade nicht mehr innerhalb der zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten liegt, aufstellt, liegen sehr hoch und sind zudem in ihrer genauen Ausgestaltung bis heute nicht eindeutig geklärt.377 aa) Die frühere Rechtsprechung und die Kritik der Literatur Der EuGH nahm erstmals in der Rechtssache HNL378 zu der Voraussetzung der qualifizierten Rechtsverletzung eingehend Stellung. Mehrere deutsche Futtermittelverwender hatten Klage auf Ersatz der Schäden erhoben, die sie aufgrund einer später vom Gerichtshof wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot für ungültig erklärten Verordnung über eine Ankaufverpflichtung von Milchpulver erlitten hatten. Der Gerichtshof wies die Schadensersatzklage trotz der zuvor festgestellten Rechtswidrigkeit der Verordnung zurück, denn „[a]uf einem Rechtsgebiet wie dem vorliegenden, das durch ein für die Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik unerlässliches weites Ermessen gekennzeichnet ist, kann die Haftung der Gemeinschaft somit nur ausgelöst werden, wenn das handelnde Organ die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten hat.“379 375 EuG, Rs. T-56 / 00, Dole Fresh Fruit International, Slg. 2003, II-559, 602, Rn. 75 (Hervorhebungen durch Verfasser). 376 Engler, EuGRZ 1979, 377 (382), spricht sogar von einer praktischen Unmöglichkeit der Durchsetzung einer Entschädigung. 377 Fuß stellt dazu fest, dass die Ansicht vertreten werden könne, der EuGH habe bei der Verwendung dieses Teils seiner haftungseingrenzenden Schöppenstedt-Formel die Präzisierung offen gelassen, um sich damit ein Instrument zu schaffen, mit dem jeder Einzelfall nach dessen Besonderheiten adäquat werden und so – ohne sich sonderlich festzulegen – Einzelfallgerechtigkeit geübt werden könne Fuß, FS v. d. Heydte, S. 176 f.; Czaja, S. 85, spricht – mit Verweis auf Herdegen, S. 126 – von Einzelfalljurisprudenz, die auf Seiten des Rechtssuchenden zu einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit führe. 378 EuGH, verb. Rs. 83 und 94 / 76, 4, 15 und 40 / 77, HNL, Slg. 1978, S. 1209.
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Unter welchen Umständen eine evidente Ermessensüberschreitung vorliegt, hat der Gerichtshof in den Quellmehl- und Maisgritzurteilen380 präzisiert. In der relevanten Passage des Urteils Ireks-Arkady heißt es, dass der durch den umstrittenen Gemeinschaftsrechtsakt verletzte Gleichheitsgrundsatz von besonderer Bedeutung sei, die Verletzung eine begrenzte und klar umrissene Gruppe betroffen habe und der behauptete Schaden über die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken hinausgehe, die eine Betätigung in dem betroffenen Wirtschaftszweig mit sich bringe. Schließlich sei gegen den Grundsatz ohne annehmbare Begründung verstoßen worden.381 Zwar ermittelt der EuGH auch Aspekte der Schwere der Verletzungshandlung. Im Mittelpunkt stehen jedoch die Berücksichtigung von Art und Ausmaß des zugefügten Schadens.382 Die vom EuGH genannten Kriterien zur Einordnung der qualifizierten Rechtsverletzung und insbesondere die Orientierung an den Auswirkungen des Rechtsverstoßes, sind zu Recht auf Kritik gestoßen.383 Denn die Orientierung an der Anzahl der Betroffenen und die Höhe des Schadens entspricht dem Gedanken des „Sonderopfers“, der bei der Haftung für rechtmäßiges Handeln im Sinne einer Aufopferungsentschädigung zu berücksichtigen wäre. Im Rahmen der Haftung für rechtswidriges Handeln hingegen wird die Überschreitung der „Opfergrenze“ 379 EuGH, verb. Rs. 83 und 94 / 76, 4, 15 und 40 / 77, HNL, Slg. 1978, S. 1209, 1224 f., Rn. 6 (Hervorhebungen durch Verfasser). 380 EuGH, Rs. 238 / 78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, S. 2955; verb. Rs. 241, 242, 245 – 250 / 78, DGV Deutsche Getreideverwertung, Slg. 1979, S. 3017; verb. Rs. 261 und 262 / 78, Interquell, Slg. 1979, S. 3045; verb. Rs. 64, 113 / 76; 167, 239 / 78; 27, 28, 45 / 79, Dumortier fréres, Slg. 1979, S. 3091; Rs. 256 / 81, Pauls Agriculture, Slg. 1983, S. 1707; verb. Rs. 256, 257, 265, 267 / 80; 5 und 51 / 81, 282 / 82, Birra Wührer, Slg. 1984, S. 3693. 381 EuGH, Rs. 238 / 78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, S. 2955, 2973, Rn. 11; vgl. auch GA vanGerven, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3103 f., Rn. 16, der aus dieser Rechtsprechung ableitet, dass damit einerseits Umstände benannt werden, die sich auf die Erheblichkeit und den unentschuldbaren Charakter der Verletzung und damit im Ergebnis auf die Rechtswidrigkeit der Handlung beziehen. Andererseits seien auch solche Umstände zu berücksichtigen, die sich auf die Gruppe der Geschädigten beziehen und ob der ihnen zugefügte Schaden über das gewöhnliche Risiko hinausgehe und somit den durch die Handlung herbeigeführten Schaden betreffen. 382 GA van Gerven, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3103 f., Rn. 16. Im Hinblick auf die Erheblichkeit der Verletzungshandlung hat der EuGH in der Entscheidung Amylum das subjektive Element betont und eine Haftung der Gemeinschaft abgelehnt, da das Verhalten der beklagten Organe nicht an „Willkür“ gegrenzt habe, EuGH, verb. Rs. 116 und 124 / 77, Amylum, Slg. 1979, S. 3497, 3561, Rn. 19. In neueren Entscheidungen relativiert der EuGH dahingehend, dass ein willkürliches Verhalten zwar ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium darstelle, EuGH, Rs. C-220 / 91 P, Peine-Salzgitter, Slg. 1993, I-2393, 2451, Rn. 51. 383 Siehe nur Czaja, S. 83 ff. m. w. N.; Herdegen, S. 133 ff.; vgl. auch GA Capotorti, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. 83 und 94 / 76, 4, 15 und 40 / 77, HNL, Slg. 1978, S. 1209, 1233 ff., Rn. 5 und 7, wonach die Schwere oder Umfang des Schadens gerade nicht zu berücksichtigen sind. Demgegenüber für eine – wenn auch modifizierte – Beibehaltung: v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 89 m. w. N.
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bereits durch die Rechtswidrigkeit der Handlung indiziert.384 Die Übertragung der für die Billigkeitshaftung entwickelten Kriterien, insbesondere in Anlehnung an die Sonderopfertheorie des deutschen Staatshaftungsrechts, ist somit aus dogmatischen Gründen bedenklich.385 Bestätigt wird dieser Gedanke durch die folgende Überlegung: Die Auswirkungen eines Schadens können für ein großes Unternehmen tragbar, für ein anderes mit geringerer Widerstandskraft hingegen untragbar sein, so dass die Bezugnahme auf ein abstraktes Modell eines mittleren Unternehmens erforderlich wäre.386 Obgleich ein solches Unterfangen als äußerst problematisch einzustufen ist, würde im Ergebnis die Schwere des Verstoßes in Bezug auf jeden Einzelnen zu beurteilen sein. Das steht indes in Widerspruch zu dem Ziel, eine Haftungsvoraussetzung für eine rechtswidrige Maßnahme mit genereller Wirkung zu bestimmen.387 Die individuellen Schadensauswirkungen sind demnach ausschließlich im Rahmen einer Billigkeitshaftung zu berücksichtigen.
bb) Weitere Entwicklung der Rechtsprechung In den Entscheidungen Sofrimport388 und Mulder389 sah der Gerichtshof die Grenzen des Gemeinschaftsgesetzgebers dadurch offenkundig und erheblich überschritten, dass dieser, ohne sich auf ein höheres öffentliches Interesse zu berufen, Czaja, S. 86. Czaja, S. 86 f.; vgl. Grabitz, NJW 1978, S. 1742 (1743); ders., in: FS Kutscher, S. 226; Fuß, in: FS v. d. Heydte, S. 178 ff. 386 GA Capotorti, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. 83 und 94 / 76, 4, 15 und 40 / 77, HNL, Slg. 1978, S. 1209, 1234, Rn. 5. 387 GA Capotorti, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. 83 und 94 / 76, 4, 15 und 40 / 77, HNL, Slg. 1978, S. 1209, 1234, Rn. 5. 388 EuGH, Rs. C-152 / 88, Sofrimport, Slg. 1990, I-2477. 389 EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061. In der Rechtssache Mulder machten die klagenden Milchproduzenten den Ersatz von Schäden geltend, den sie aufgrund der Nichtzuteilung bzw. nicht ausreichenden Zuteilung von Referenzmengen zur Milchproduktion erlitten hatten. Die Kläger hatten an einem europäischen Programm zur Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen teilgenommen und gegen Prämienzahlung während eines Zeitraumes von fünf Jahren keine Milch oder Milcherzeugnisse aus ihren Betrieben geliefert. Ihre nach Ablauf der Nichtvermarktungsfrist gestellten Anträge auf Zuteilung einer Referenzmenge wurden abgelehnt, da sie – in Erfüllung der Nichtvermarktungsverpflichtung – während der nach der Verordnung (EWG) 857 / 84 (ergänzt durch Verordnung (EWG) 1371 / 84) relevanten Referenzjahre keine Milch geliefert haben. Diese Regelung hat der Gerichtshof wegen Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes für ungültig erklärt, EuGH, Rs. 120 / 86, Mulder I, Slg. 1988, S. 2321, 2353, Rn. 28; Rs. 170 / 86, von Deetzen, Slg. 1988, S. 2355, 2373, Rn. 17. Die daraufhin erlassene Änderungsverordnung (EWG) 764 / 89 sprach den Teilnehmern des Nichtvermarktungsprogramms unter bestimmten Voraussetzungen die Zuteilung einer Referenzmenge zu, die jedoch nur 60% der Menge entsprach, die im Zeitraum von 12 Monaten vor Einreichung des Antrags auf Gewährung der Nichtvermarktungsprämie geliefert worden war. Auch diese Regelung erklärte der Gerichtshof wegen Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes für ungültig, EuGH, Rs. C-189 / 89, Spagl, Slg. 1990, I-4539, 4583, 29; Rs. C-217 / 89, Pastätter, Slg. 1990, I-4585, 4604, Rn. 20. 384 385
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die besondere Lage einer klar abgrenzbaren Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern völlig unberücksichtigt gelassen habe.390 Obwohl der Gerichtshof in der Rechtssache Mulder von einer sehr großen Gruppe von Geschädigten ausgehen musste, griff er nicht mehr einschränkend darauf zurück, dass die Haftung bei einer großen Zahl von Geschädigten mangels Vorliegens einer „begrenzten und klar umrissenen Gruppe“ auszuschließen sei.391 Der EuGH nahm insofern eine entscheidende Haftungslockerung vor und scheint die Unrechtshaftung jedenfalls teilweise vom Sonderopfergedanken zu lösen.392 Neben der aufgezeigten Rechtsprechungsentwicklung fordert auch die vom Gerichtshof bejahte Parallelität der Voraussetzungen von Gemeinschaftshaftung und gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung einen Abbau der in den frühen Entscheidungen errichteten hohen Hürden, die eine Ersatzpflicht der Gemeinschaft auf extrem gelagerte Fällen begrenzten.393 Die Haftung der Mitgliedstaaten wird nämlich keineswegs auf flagrante Verletzungen des Gemeinschaftsrechts begrenzt.394 Als Gesichtspunkte, die bei der Beurteilung der Ermessensüberschreitung der Organe danach ebenfalls zu berücksichtigen sind, nennt der Gerichtshof in der Entscheidung Brasserie du Pêcheur das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, den Umfang des Ermessensspielraumes, die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde und die Entschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums.395 Weiter bemerkt der EuGH, dass der Verstoß jedenfalls dann hinreichend qualifiziert sei, wenn er trotz Erlasses eines den Verstoß feststellenden Urteils oder einer diesbezüglichen gefestigten Rechtsprechung fortbestanden habe.396 390 EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3132 Rn. 16. Winkler / Trölitzsch, EuZW 1992, S. 663 (667). 391 Nach GA van Gerven bedeutet der Terminus der „klar umrissenen Gruppe“, dass die Zahl der Geschädigten im Zeitpunkt der Entscheidung über die Schadensersatzpflicht lediglich bestimmbar sein müsse, nicht aber von der absoluten Zahl der Geschädigten abhänge, GA van Gerven, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3111 f., Rn. 28 ff.; dem folgend EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3133, Rn. 16; so war dem Gerichtshof bei seiner Entscheidung durchaus bewusst, dass die Gruppe der Geschädigten ca. 12.000 Fälle umfassen könnte, Winkler / Trölitzsch, EuZW 1992, S. 663 (668). Nach v. Bogdandy und Heukels wurde das Merkmal der zahlenmäßigen Größe der betroffenen Gruppe aufgegeben, v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 91; Heukels, CMLRev. 30 (1993), S. 368 (381). Das EuG stellt hingegen weiterhin auf dieses Merkmal ab, EuG, Rs. T-56 / 00, Dole Fresh Fruit International, Slg. 2003, II-579, 631, Rn. 69. 392 Vgl. Czaja, S. 90. 393 Der Gerichtshof hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sowohl im Rahmen der Gemeinschaftshaftung nach Art. 288 EG als auch der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung eine qualifizierte Verletzung des Gemeinschafsrechts vorliegen müsse, die in einem offenkundigen und erheblichen Überschreiten des eingeräumten Ermessens liege, EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und 48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1150, Rn. 55. 394 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 89, 126 ff. 395 EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und 48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1150, Rn. 56.
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cc) Zusammenfassung Insgesamt kann festgehalten werden, dass bei der Beurteilung der qualifizierten Rechtsverletzung die Verletzungshandlung, durch die die Gemeinschaftsorgane ihre Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten haben müssen, im Vordergrund steht. Die vom Gerichtshof in Betracht gezogenen Auswirkungen des Rechtsverstoßes folgen hingegen dem Sonderopfergedanken, der im Rahmen der Unrechtshaftung keine dogmatische Grundlage findet. Verstärkte Berücksichtigung müssen aufgrund der Parallelität der Haftungsinstitute auch die für den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch geltenden Grundsätze finden.
b) Die Beurteilung der qualifizierten Rechtsverletzung vor Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens Es ist bereits festgestellt worden, dass nach Abschluss des WTO-Streitbeilegungsverfahrens und abschließender Feststellung einer Verletzung des WTORechts eine Pflicht besteht, die DSB-Entscheidung umzusetzen.397 Sowohl das Bestehen der Umsetzungspflicht, als auch die Feststellung der WTO-Verletzung durch das DSB, die mit Empfehlungen zur Umsetzung und Beseitigung verbunden werden kann, können Einfluss auf die Bewertung der Ermessensüberschreitung der Gemeinschaftsorgane haben. Insoweit bildet der Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens auch eine Zäsur in der Bewertung des Vorliegens einer qualifizierten Rechtsverletzung.398 Die Aussetzung von Handelskonzessionen gem. Art. 22 DSU kann nur nach endgültigem Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens erfolgen. Dennoch soll im Dienste einer umfassenden Einordnung der außenwirtschaftlichen Befugnisse der Gemeinschaft im Spannungsfeld des Welthandelsrechts kurz untersucht werden, wie eine Verletzung des WTO-Rechts vor Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens im Hinblick auf die Gemeinschaftshaftung zu bewerten ist.399
396 EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und 48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1150, Rn. 57. 397 Siehe Teil 3, C. II. 2. a). 398 In diese Richtung auch Hermes, S. 164 f. und 334, der die Ansicht vertritt, dass eine qualifizierte Verletzung jedenfalls im Falle der Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung vorliege, auch wenn zur umstrittenen Maßnahme kein EuGH Urteil ergangen sei. 399 Unabhängig vom Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens werden insbesondere solche Unternehmen zur Begründung ihrer Schadensersatzklage die Verletzung von WTO-Recht rügen, die unmittelbar vom Regelungsinstrumentarium einer vermeintlich WTO-widrigen Gemeinschaftsmaßnahme betroffen sind.
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aa) Die allgemeine Eingrenzung des Ermessens der Gemeinschaftsorgane durch das WTO-Recht Die Gemeinschaftsorgane sind gem. Art 300 Abs. 7 EG verpflichtet, die von der Gemeinschaft geschlossenen Abkommen bei allen rechtsverbindlichen Handlungen unabhängig davon, ob diese nach innen oder nach außen gerichtet sind, umfassend zu beachten.400 In Anbetracht dessen wird vertreten, dass das Ermessen der Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihrer Rechtssetzung seine Grenzen gerade in den Vorschriften der WTO-Abkommen finde.401 Insbesondere Petersmann weist darauf hin, dass die Freiheitsrechte 402 der Gemeinschaftsbürger nicht durch eine gegen die Abkommen der WTO verstoßende Gesetzgebung beschränkt werden dürften und der Gemeinschaft gerade keine Kompetenz zum Völkerrechtsbruch eingeräumt worden sei.403 Als weiteren Aspekt führt Petersmann an, dass die als gemischte Abkommen abgeschlossenen völkerrechtlichen Freiheitsgarantien und Diskriminierungsverbote „gesamthänderisch“ von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten eingegangen worden seien und deshalb die Disposition über diese Rechte zumindest in Bezug auf das deutsche Recht im Rahmen des deutschen Zustimmungsgesetzes liegen müsse. Es sei jedoch fraglich, ob ein eindeutig völkerrechtswidriger Akt der Gemeinschaft nicht diesen Rahmen überschreite und als „ausbrechender Rechtsakt“ im Sinne des Maastricht-Urteils des BVerfG beurteilt werden müsse.404 Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Gemeinschaftsorgane nach Art. 300 Abs. 7 EG – aber auch schon nach dem Grundsatz pacta sunt servanda – an die im Rahmen der WTO eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen gebunden sind.405 In diesem Sinne könnte auch von einem grundsätzlichen Einfluss der Regelungen des WTO-Rechts auf das Ermessen der Gemeinschaftsorgane gesprochen werden, denn diese haben die aus den Abkommen der WTO fließenden Verpflichtungen bei ihren Handlungen entsprechend zu berücksichtigen.406 Nach der Schöppenstedt-Formel muss sich die hinreichend qualifizierte Verletzung und die darin liegende offensichtliche Überschreitung der Befugnisse jedoch auf eine dem Schutz Hierzu Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, Art. 300, Rn. 59 f. In diese Richtung insbesondere Petersmann, IP 1997, S. 29 (32); ders., EuZW 1997, S. 325 (327 ff.); Stoll, ZaöRV 57 (1997), S. 83, 116 ff.; Petersmann, The GATT / WTO Dispute Settlement System, S. 33; de Búrca / Scott, in: de Búrca / Scott, S. 1 ff. 402 Wobei Petersmann individuelle Freiheitsrechte bzw. Freiheitsgarantien nicht direkt aus dem Abkommen der WTO ableiten will, sondern eher darauf abstellt, dass die durch das Gemeinschaftsrecht den Bürgern vermittelten Handelsfreiheiten einen Schutz auch durch die Garantien und Liberalisierungsvorschriften des GATT / WTO-Rechts erfahren. 403 Petersmann, IP 1997, S. 29 (32); ders., EuZW 1997, S. 325 (327). 404 Petersmann, EuZW 1997, S. 325 (328) mit Verweis auf den Beschluss des BFH vom 09. 01. 1996 (VII B 225 / 95), EuZW 1996, 126 ff. Diese Problematik wird noch dadurch verstärkt, dass den Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH ein direktes Berufen auf das WTO-Recht im Rahmen der Normenkontrollklage nach Art. 230 EG verwehrt ist. 405 Siehe Teil 1, A. II. 1. 406 EuG, Rs. T-56 / 00, Dole Fresh Fruit International, Slg. 2003, II-579, 630, Rn. 66. 400 401
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des Einzelnen dienende Rechtsnorm beziehen und ist somit nach der hier vertretenen Ansicht mit der unmittelbaren Anwendbarkeit der Norm untrennbar verbunden.407 Auch die eindeutige Verletzung nicht unmittelbar anwendbarer völkerrechtlicher Verpflichtungen kann somit im Ergebnis keine haftungsrelevante offenkundige Überschreitung der Gemeinschaftsbefugnisse begründen. bb) Hinreichend qualifizierte Verletzung des unmittelbar anwendbaren WTO-Rechts Vor dem endgültigen Abschluss des WTO-Streitbeilegungsverfahrens kommt eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts nur nach den Grundsätzen der Fediol III- und Nakajima-Rechtsprechung in Betracht, d. h. die Gemeinschaft hätte mit einem Rechtsakt Verpflichtungen des WTO-Rechts umgesetzt oder bei Erlass auf WTO-Recht verwiesen.408 Aber selbst bei Bejahung der unmittelbaren Anwendbarkeit wird in der bloßen Verletzung des WTO-Rechts vor Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens regelmäßig keine qualifizierte Rechtsverletzung zu erblicken sein. Wie bereits dargelegt, dient die Haftungseinschränkung primär dem Schutz der Ermessensspielräume der Gemeinschaftsorgane.409 Im Urteil Portugal / Rat hat der EuGH zur Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts insbesondere auf die im Konfliktfall bestehenden Befugnisse aus Art. 22 DSU verwiesen.410 Der Handlungsspielraum der Organe im Bereich des WTO-Rechts wird so auf die im DSU geregelten Verhandlungsmöglichkeiten zur Beilegung von Handelskonflikten ausgedehnt.411 Im Rahmen einer Schadensersatzklage werden somit unabhängig von einer Überprüfung des fraglichen Rechtsakts anhand der WTO-Abkommen die Befugnisse der Gemeinschaft aus Art. 22 DSU zur Abwendung von Gegenmaßnahmen durch Entschädigungsleistungen, aber auch die Möglichkeit der Aufnahme von Konsultationen zur Beilegung des Streites im Sinne des Art. 5 DSU zu berücksichtigen sein. Aus diesem Grund wird der bloße Erlass einer WTOwidrigen Maßnahme grundsätzlich keine offensichtliche Überschreitung des Ermessens darstellen. Die erweiterten Haftungskriterien der Brasserie du Pêcheur-Judikatur, wonach regelmäßig eine qualifizierte Rechtsverletzung bei Erlass der Maßnahme vorliegt, die sich in Widerspruch zu einer gesicherten Rechtsprechung befindet, werden zumindest in der aktuellen Situation nicht zu bejahen sein.412 Es kann nämlich von Oben Teil 3, C. I. 2. c). Dazu bereits Teil 3, C. III. 1. 409 Siehe Teil 1, B. III. 2. d). 410 EuGH, Rs. C-149 / 96, Portugal / Rat, Slg. 1999, I-8395, 8437, Rn. 40. 411 In diese Richtung auch Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (716). 412 In dieser Entscheidung bejaht der Gerichtshof eine Ersatzpflicht der Mitgliedstaaten für eine gegen die Warenverkehrsfreiheit verstoßende Gesetzgebung auch für die Zeit vor 407 408
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einer mit der EuGH-Judikatur vergleichbaren Rechtsprechung auf WTO-Ebene (noch) nicht gesprochen werden, die für sämtliche Vertragsstaaten einen Verstoß gegen das WTO-Recht im Sinne der Entscheidung Brasserie du Pêcheur offensichtlich machen würde.413 Des Weiteren ist auch hier zu berücksichtigen, dass die Handlungsspielräume der Gemeinschaft sich nach der Rechtsprechung des EuGH gerade auch auf die Befugnisse aus Art. 22 DSU und die Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens beziehen.414 c) Die Beurteilung der qualifizierten Rechtsverletzung nach Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens Nach Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens stehen den Gemeinschaftsorganen neben der vollständigen Rücknahme der rechtswidrigen Maßnahme grundsätzlich zwei Handlungsoptionen offen, die Strafzölle nach sich ziehen können:415 Erlass eines den Verstoß feststellenden Urteils des Gerichtshofs. Aufgrund der einschlägigen Rechtsprechung sei der Verstoß gegen Art. 30 EG (durch das deutsche BierStG) und mithin das Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen offenkundig, EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1159 f., Rn. 91 ff. 413 So kann dem WTO-Streitbeilegungssystem nicht der Charakter eines Gerichts im Sinne des EWR-Gutachtens zugesprochen werden, siehe Teil 3, C. II. 2. b). Auch ist eine rechtliche Bindung an bereits angenommene Panel- oder Appellate Body Berichte hinsichtlich der Interpretation von Sach- oder Rechtsfragen nicht gegeben, da diese ausdrücklich nur zwischen den Parteien verbindlich Wirkung entfalten. Vgl. aber zur Verbindlichkeit von in DSB-Entscheidungen gegebenen Empfehlungen Mavroidis, EJIL 11 (2000), S. 763 (784 ff.) und zur Verbindlichkeit der Entscheidungen nach dem bona fide-Gedanken auch durch Vertragsstaaten, die am Streitbeilegungsverfahren nicht beteiligt waren, McNelis, JWT 37 (2003), S. 647 ff.; Regan, JWT 37 (2003), S. 883 ff. Bereits angenommene Berichte können und sollten im Rahmen einer aktuellen Entscheidungsfindung vom Panel oder Appellate Body berücksichtigt werden, vgl. m. w. N. Waincymer, S. 510. In der Rechtssache Kloosterboer hat sich GA Colomer im Rahmen der Prüfung, ob die in Art. 3 Abs. 1 und 3 der Durchführungsverordnung Nr. 1484 / 95 vom 28. 07. 1995 (ABl. L 145, S. 47) festgelegte Zollregelungen auf Geflügelfleischeinfuhren im Einklang mit dem Übereinkommen über die Landwirtschaft (Anhang 1 A des WTO-Übereinkommens) stehen, die hierzu relevanten Ausführungen des Appellate Body im Bericht vom 13. 07. 1998, WT / DS69 / AB / R, European Communities – Measures affecting the importation of certain poultry products, ausdrücklich zu Eigen gemacht, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-317 / 99, Kloosterboer, Slg. 2001, I-9863, 9875, Rn. 38. 414 Schoißwohl bezweifelt deshalb bereits, dass die erweiterten Haftungskriterien nach Brasserie du Pêcheur überhaupt auf die Haftungssituation vor Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens Anwendung finden können, da diese Ausdruck einer erhöhten Pflicht zur Rechtsschutzgewährleistung im Gemeinschaftsrecht seien. Eine vergleichbare Pflicht treffe die Gemeinschaftsorgane im Bereich des WTO-Rechts nicht, da nach der Entscheidung Portugal / Rat gerade sämtliche Mittel des DSU ausgeschöpft werden können, Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (717). 415 Im Falle der Beilegung des Handelskonflikts durch Aushandlung von Kompensationsleistungen (Art. 22 Abs. 2 DSU) wäre die Aussetzung von Zugeständnissen verhindert. Die Möglichkeit der Aushandlung eines sog. „waivers“ besteht hingegen nur im Rahmen des Art. XXV Abs. 5 GATT 47, das gem. Art. Ziffer 1 Buchstabe a) auch Bestandteil des GATT
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Einerseits können die Gemeinschaftsorgane ihrer Umsetzungsverpflichtung nachkommen und innerhalb der gewährten Frist die WTO-Konformität der Gemeinschaftsrechtordnung durch Abänderung des rechtswidrigen Rechtsakts wiederherstellen. Sollte der geänderte Rechtsakt weiterhin gegen das dann unmittelbar anwendbare WTO-Recht verstoßen, wäre die Aussetzung von Zugeständnissen zulässig. Es stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen nach erfolgter fehlerhafter Anpassung eine qualifizierte Rechtsverletzung anzunehmen ist (dazu unter aa)). Andererseits können die Gemeinschaftsorgane die ihnen gesetzte Frist zur Umsetzung der Empfehlungen des DSB völlig ungenutzt verstreichen lassen und die Gegenmaßnahmen des anderen WTO-Mitgliedes hinnehmen (dazu unter bb)).
aa) Fehlerhafte Anpassungsakte nach Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens Im Rahmen des Handelskonflikts um die EG-Bananenmarktordnung wurde die Aussetzung von Handelszugeständnissen gegenüber der Gemeinschaft durch das DSB genehmigt, da auch die innerhalb der gewährten Umsetzungsfrist erlassene geänderte BMO weiterhin gegen das WTO-Recht verstieß.416 Obwohl die fehlerhafte Umsetzung von DSB-Entscheidungen die Erhebung von Strafzöllen nicht verhindern kann, wird allein die Tatsache, dass eine Anpassung versucht worden ist, bei der Bewertung des Vorliegens einer qualifizierten Rechtsverletzung zu berücksichtigen sein. Denn der Gemeinschaftsgesetzgeber bezweckt mit den Änderungsrechtsakten gerade die Umsetzung der DSB-Entscheidung und nimmt eine erneute Abwägung verschiedener Interessen, auch unter Berücksichtigung der DSB-Entscheidung, vor.417 (1) Mangelnde Berücksichtigung der Interessen der von den Strafzöllen betroffenen Exporteure? Für die Bewertung der Frage, ob eine offensichtliche Ermessensüberschreitung vorliegt, könnte zunächst im Sinne der Sofrimport-Entscheidung relevant sein, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nach Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens von der Verhängung von Strafzöllen durch die obsiegende Partei ausgehen muss 94 ist, stellt also im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens und danach keine rechtliche Handlungsoption mehr dar, vgl. GA Alber, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10522, Rn. 84 f. 416 Siehe Teil 2, A. I. 2. und 3. 417 Unter Hinweis auf die Eindeutigkeit der weiterhin gegen das WTO-Recht verstoßenden geänderten Bananenmarktordnung weisen Schoißwohl und Zonnekeyn eine Berücksichtigung des im Fall der BMO erlassenen Änderungsakts zurück, Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (718, Fußnote 111); Zonnekeyn, in: Kronenberger, S. 269.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
und grundsätzlich auch die Interessen der durch diese Maßnahmen betroffenen Unternehmen entsprechend zu berücksichtigen hat.418 Zweifelhaft ist jedoch, ob die Interessen der (zukünftig) betroffenen Unternehmen von den Gemeinschaftsorganen völlig außer Acht gelassen wurden. Zum einen ist bereits fraglich, ob diese vom EuGH für den partiellen Abwägungsausfall419 entwickelte Rechtsprechung auf die hier vorliegenden Fälle anzuwenden ist.420 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Änderungsmaßnahme die Wiederherstellung der Konformität zwischen Gemeinschaftsrechtsordnung und WTO-Recht bezweckt und damit – zumindest auch – auf die Verhinderung der Strafzollerhebung abzielt.421 Bereits die Vornahme der Maßnahme dient dem Schutz der Interessen potentiell von der Strafzollerhebung betroffenen Unternehmen. Von einem Abwägungsausfall wird daher nicht auszugehen sein. (2) Die offensichtliche Überschreitung der Befugnisse Zu den Gesichtspunkten, die bei der Beurteilung der Ermessensüberschreitung zu berücksichtigen sind, zählt der Gerichtshof in Brasserie du Pêcheur bekanntlich das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, den Umfang des Ermessensspielraumes, die Frage, ob der Verstoß bzw. der Schaden vorsätzlich zugefügt wurde, und die Entschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums.422 Bei Erlass eines Änderungsaktes kann zumindest von einer vorsätzlichen Aufrechterhaltung des Rechtsverstoßes nicht ausgegangen werden, wenn den Gemeinschaftsorganen nicht nachzuweisen ist, dass sie die Empfehlungen des DSB gar nicht umsetzen wollten.423 418 Das Büro des Handelsbeauftragten hat im Bananenstreit schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist eine vorläufige Liste von Importwaren veröffentlicht, auf die ein Strafzoll erhoben werden sollte, siehe Teil 2, A. I. 3. Den Gemeinschaftsorganen war also nicht nur die Möglichkeit der Strafzollerhebung bekannt, sondern auch schon eine mögliche Gruppe von Betroffenen. Bei Erlass der vermeintlich WTO-widrigen Maßnahme wird eine Berücksichtigungspflicht jedenfalls zu verneinen sein, da sonst jeder Akt mit außenwirtschaftsrechtlicher Relevanz eine Berücksichtigung späterer, von Strafzöllen geschädigter Exporteure beinhalten müsste. 419 Zur dogmatischen Einordnung dieser Fallgestaltung: v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 92. 420 Denn es ging in den Rechtssachen Sofrimport und Mulder um die mangelnde Berücksichtigung von Wirtschaftsteilnehmern des Marktbereichs, der auch direkter Regelungsgegenstand der umstrittenen Rechtsakte war. Demgegenüber sind die Unternehmen, die von den Strafzöllen betroffen werden, nicht direkt in den Regelungsbereich der WTO-widrigen Maßnahme einbezogen. 421 Vgl. hierzu den 2. Erwägungsgrund der geänderten Bananenmarktordnung, VO (EG) Nr. 1637 / 98 des Rates vom 20. 07. 1998, dazu schon Teil 3, C. III. 4. a). 422 EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1150, Rn. 56. 423 Zonnekeyn vertritt im Hinblick auf die geänderte BMO ohne weitere Begründung die Ansicht, dass die Gemeinschaft auch mit der zur BMO erlassenen Änderungsverordnung
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Im Rahmen des Merkmals der Unentschuldbarkeit des Verstoßes ist demgegenüber zu berücksichtigen, dass die Verletzungen des WTO-Rechts in den DSB-Entscheidungen üblicherweise klar identifiziert werden, so dass insgesamt recht genau vorhersehbar ist, welche Maßnahmen für eine Anpassung des umstrittenen Gemeinschaftsrechtsakts erforderlich sein werden.424 Den Gemeinschaftsorganen wird jedoch auch hinsichtlich der Vornahme und Ausgestaltung von Änderungsakten ein weiter Gestaltungs- und Ermessensspielraum zuzubilligen sein. Auch insofern werden nur evidente Verstöße die Ersatzpflicht begründen. In dem der Rechtssache Mulder zugrunde liegenden Sachverhalt wurde die für gemeinschaftswidrig erklärte Versagung von Referenzmengenzuteilungen vom Rat dahingehend abgeändert, dass übergangenen Erzeugern zumindest eine Referenzmenge von 60% der durchschnittlich vor Eingehung der Nichtvermarktungsverpflichtung gelieferten Menge verblieb.425 Der EuGH hat diese Änderung wegen Verletzung des Vertrauensschutzgrundsatzes neuerlich für ungültig erklärt,426 eine Ersatzpflicht der Gemeinschaft für Verluste aus dieser 60%-Regelung aber abgelehnt. Die Gemeinschaft habe nämlich in der Änderungsverordnung erstens die Lage der am Nichtvermarktungsprogramm teilnehmenden Wirtschaftsteilnehmer nicht völlig unberücksichtigt gelassen und zweitens eine, wenn auch fehlerhafte, wirtschaftspolitische Entscheidung darüber getroffen, wie die in den Urteilen, die die ursprüngliche Verordnung betrafen, herausgearbeiteten Grundsätze umzusetzen waren.427 Aus diesem Grund habe der Rat einem höheren öffentlichen Interesse Rechnung getragen, ohne seine Befugnisse erheblich zu überschreiten.428 Übertragen auf die hier untersuchte Fallgestaltung lässt sich daraus zweierlei ableiten: Erstens zielt bereits der Erlass der Änderungsmaßnahme auf die Herbeiführung der Konformität mit dem WTO-Recht und berücksichtigt damit auch die Interessen der europäischen Exporteure, die potentiell von Gegenmaßnahmen betroffen sein könnten. Zweitens reicht diese Berücksichtigung durch den Anpassungsakt regelmäßig bereits aus, um eine offenkundige Rechtsverletzung auszuschließen. Es wird im Ergebnis von den Besonderheiten des Einzelfalles abhängen, ob der trotz des Erlasses eines Änderungsaktes perpetuierte WTO-Verstoß derart offendie Umsetzung der DSB-Entscheidung zu umgehen versucht, Zonnekeyn, in: Kronenberger, S. 269. 424 Das Panel oder der Appellate Body können zusätzlich Möglichkeiten zur Umsetzung der Empfehlungen vorschlagen, Art. 19.1 Satz 2 DSU. Zur WTO-Widrigkeit der geänderten BMO siehe Kuschel, EuZW 2000, S. 203 ff. 425 Verordnung (EWG) Nr. 764 / 89 des Rates vom 20. 03. 1989 zur Änderung der Verordnung (EWG) 857 / 84, ABl. Nr. L 84 vom 29. 03. 1989, S. 2. 426 EuGH, Rs. C-189 / 89, Spagl, Slg. 1990, I-4539, 4583, 29; Rs. C-217 / 89, Pastätter, Slg. 1990, I-4585, 4604, Rn. 20. 427 EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3133 f., Rn. 20 f. 428 EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3134, Rn. 21.
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sichtlich und absehbar war, dass von einer qualifizierten Rechtsverletzung gesprochen werden kann. Die im Urteil Mulder getroffenen Wertungen deuten jedoch darauf hin, dass, wenn die Gemeinschaft überhaupt Anstrengungen zur Anpassung der WTO-widrigen Rechtsprechung vorgenommen hat, zwar weiterhin eine Rechtsverletzung bestehen mag, diese aber insgesamt nicht als hinreichend qualifiziert zu bewerten ist.
bb) Die Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung als hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung Eine besondere Situation liegt vor, wenn die Gemeinschaftsorgane keinerlei Anstrengungen unternehmen, die DSB-Entscheidungen innerhalb der gewährten Frist umzusetzen, obwohl ein Ausgleich im Wege von Verhandlungen über Entschädigungsleistungen nach Art. 22 DSU tatsächlich nicht möglich ist. Im Handelskonflikt um das europäische Einfuhrverbot von hormonbehandeltem (Rind-)Fleisch429 stellte das von den USA und Kanada angerufene Panel einen Verstoß der Gemeinschaft gegen verschiedene Bestimmungen des SPS-Übereinkommens fest,430 die im Bericht des Appellate Body, vom DSB am 13. Februar 1998 angenommen, im wesentlichen bestätigt wurden.431 Der Gemeinschaft wurde eine Umsetzungsfrist von 15 Monaten bis zum 13. Mai 1999 eingeräumt. Erst nach Ablauf der Frist, am 3. Juli 2000, unterbreitete die Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 22 / 96,432 der jedoch bis heute nicht angenommen worden ist. Bereits am 26. Juli 1999 autorisierte das DSB die USA, Strafzölle zu erheben.
429 Das Einfuhrverbot basierte zunächst auf den Richtlinien des Rates 81 / 602 / EWG vom 31. 07. 1981 (ABl. Nr. L 222 vom 07. 08. 1981, S. 32) und 88 / 146 / EWG vom 07. 03. 1988 (ABl. Nr. L 70 vom 16. 03. 1988, S. 16) sowie 88 / 299 / EWG vom 17. 05. 1988 (ABl. Nr. 128 vom 21. 05. 1988, S. 36. Die Richtlinien 602 / 81, 146 / 88 und 299 / 88 wurden später durch die Richtlinie 22 / 96 vom 29. 04. 1996 aufgehoben und ersetzt, wobei in der Richtlinie 22 / 96 das Einfuhrverbot aufrecht erhalten wurde, Richtlinie 96 / 22 / EG des Rates vom 29. 04. 1996 über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw. thyreostatischer Wirkung und von -Agonisten in der tierischen Erzeugung, ABl. Nr. L 125 vom 23. 05. 1996, S. 3, zuletzt geändert durch Richtlinie 2003 / 74 / EG des Parlaments und des Rates vom 22. 09. 2003, ABl. Nr. L 262 vom 14. 10. 2003, S. 17. Zum Hormonstreit siehe Hilf / Eggers, EuZW 1997, S. 559 ff. 430 WT / DS 26 / R / USA – EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), report of the Panel of the 18. 08. 1997 und WT / DS 48 / R / CAN – EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), report of the Panel of the 18. 08. 1997. 431 WT / DS26 / AB / R and WT / DS48 / AB / R, European Communities – EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), report of the Appellate Body of the 16. 01. 1998. 432 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96 / 22 / EG des Rates, ABl. Nr. C 337 vom 28. 11. 2000, S. 163, KOM (2000) 320 endg.
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(1) Vergleich mit der Haftungssituation in Brasserie du Pêcheur Der Gerichtshof hat in der Rechtssache Brasserie du Pêcheur festgestellt, dass ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht jedenfalls dann offenkundig sei, wenn die umstrittene Maßnahme fortbestehe, obwohl sich aus dem Urteil des Gerichtshofs die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergebe.433 Im Falle der Aussetzung von Handelskonzessionen nach Art. 22 DSU wird die Rechtswidrigkeit der Maßnahme hingegen von einem Spruchgremium einer internationalen Organisation und nicht durch den Gerichtshof festgestellt. Dennoch sprechen erhebliche Gründe dafür, die in der Entscheidung Brasserie du Pêcheur getroffenen Wertungen auf diese Fallgestaltung zu übertragen. Auch wenn den DSB-Entscheidungen nicht die Verbindlichkeit von Urteilen im Sinne des EWRGutachtens zugesprochen werden kann,434 stellen sie doch für die Streitparteien verbindliche Konkretisierungen des WTO-Rechts für einen bestimmten Sachverhalt dar und begründen die Verpflichtung zur Beseitigung des festgestellten WTORechtsverstoßes. Sowohl im Hinblick auf die Eindeutigkeit der Feststellung des Verstoßes als auch bezüglich der Umsetzungsverpflichtung liegt eine mit der Entscheidung Brasserie du Pêcheur vergleichbare Situation vor. Im Ergebnis ist der für die Bewertung der Rechtsverletzung relevante Ermessens- und Befugnisspielraum in beiden Situationen nämlich dahingehend eingeschränkt, dass die Gemeinschaftsorgane aufgrund einer verbindlichen Entscheidung die Rechtswidrigkeit ihrer Handlung kennen und dennoch keine Rechtsanpassung vornehmen. Die Befugnisse der Gemeinschaft sind in diesem Fall erheblich eingeschränkt. Die Weigerung der Umsetzung stellt daher insbesondere dann eine offensichtliche Ermessensüberschreitung im Sinne von Brasserie du Pêcheur dar, wenn im Einzelfall keine Verhandlungen über Ausgleichsleistungen angestrengt wurden oder möglich erscheinen und die Erhebung von Strafzöllen billigend in Kauf genommen wurde.435 (2) Die Kriterien der Quellmehl- und Maisgritzurteile Die in den Quellmehl- und Maisgritzurteilen benannten Kriterien, wonach insbesondere auf die Auswirkungen des Rechtsverstoßes abzustellen ist, stellen nach hier vertretener Ansicht eine für die Unrechtshaftung nicht relevante Berücksichtigung des Sonderopfergedankens dar.436 Dennoch nimmt insbesondere das EuG weiterhin eine Prüfung dieser haftungsbeschränkenden Merkmale vor.437 433 Diese Formel wird unter dem Gesichtspunkt der Parallelität der gemeinschaftsrechtlichen Haftungsinstitute ebenso auf einen fortdauernden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht durch eine Maßnahme der Gemeinschaftsorgane anzuwenden sein, EuGH, verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, 1150, Rn. 56 f. 434 Siehe Teil 3, C. II. 2. b). 435 Nach Reinisch ist das Verhalten der Gemeinschaftsorgane im Bereich der Vorsätzlichkeit anzusiedeln, EuZW 2000, S. 42 (49). 436 Siehe Teil 3, C. VI. 2. a) aa).
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
Eine Beurteilung der Auswirkungen des Rechtsverstoßes im Fall der durch eine WTO-widrige Maßnahme der Gemeinschaft veranlassten Strafzollerhebung wird im Rahmen der Prüfung einer Gemeinschaftshaftung für rechtmäßiges Handeln vorgenommen und insoweit auf die dortigen Ausführungen verwiesen.438
3. Ergebnis Normative Gemeinschaftsmaßnahmen, die einen Bezug zum Weltwirtschaftsrecht aufweisen und Gegenstand eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens bilden können, werden – der weiten Auslegung des EuGH folgend – grundsätzlich auch wirtschaftspolitische Entscheidungen beinhalten, so dass den Gemeinschaftsorganen ein weiter Beurteilungsspielraum zuzugestehen ist. Vor Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens wird eine qualifizierte Verletzung des WTO-Rechts grundsätzlich nicht anzunehmen sein. Das Urteil Portugal / Rat dehnt ausdrücklich den geschützten Handlungsspielraum der Gemeinschaftsorgane auf die in Art. 22 DSU genannten Verhandlungsmöglichkeiten aus. Im Ergebnis wird eine offensichtliche Überschreitung der Befugnisse ohne vorherige Durchführung eines Streitbeilegungsverfahren regelmäßig nicht vorliegen. Nach Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens kann grundsätzlich dann nicht von einer qualifizierten Rechtsverletzung ausgegangen werden, wenn die Gemeinschaft durch einen – wenn auch weiterhin WTO-widrigen – Änderungsakt die Wiederherstellung der Konformität zwischen Gemeinschaftsrechtsordnung und WTORecht verfolgt und ihr Ermessen auch unter Berücksichtigung der DSB-Entscheidung erneut ausgeübt hat. Demgegenüber wird im Falle der Nichtumsetzung einer DSB-Entscheidung und daraufhin erfolgter Aussetzung von Handelszugeständnissen eine offensichtliche Überschreitung der Befugnisse durch die Gemeinschaft, insbesondere unter Heranziehung der Brasserie du Pêcheur-Rechtsprechung, anzunehmen sein, da die Gemeinschaftsorgane trotz verbindlicher Umsetzungspflicht und Nichterreichung einer Entschädigungsvereinbarung die rechtswidrige Maßnahme weder angepasst noch zurückgenommen haben.
437 Vgl. nur EuG, Rs. T-56 / 00, Dole Fresh Fruit International, Slg. 2003, II-579, 631, Rn. 69. 438 Siehe unten Teil 4, B. I. und II.
D. Die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten
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D. Die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten Neben der Heranziehung von WTO-Regelungen kommt ein Rückgriff auf die Verletzung gemeinschaftsrechtlich garantierter Grundrechte in Betracht, um einen Schadensersatzanspruch gegen die Gemeinschaft zu begründen.439 Besondere Bedeutung erlangt die Berufung auf Gemeinschaftsgrundrechte dadurch, dass ein haftungsrelevantes Verhalten der Gemeinschaftsorgane unabhängig von der Entscheidung über die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts begründet werden könnte. Die nachfolgende Untersuchung konzentriert sich auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen in Erlass und Aufrechterhalten WTO-widriger Gemeinschaftsrechtsakte eine Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit gesehen werden kann.
I. Grundlagen: Herleitung, Funktion und Struktur der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht 1. Die Herleitung der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht Nachdem es der EuGH zunächst ablehnte, Grundrechte zur Kontrolle von Gemeinschaftsrechtsakten heranzuziehen,440 entwickelte er seit Ende der 1960er Jahre eine in der Folgezeit zunehmend an Bedeutung gewinnende Grundrechtsrechtsprechung.441 Der Gerichtshof bezieht sich im Rahmen der Herleitung der Grundrechte auf die konkreten Ansatzpunkte in den Verträgen selbst, insbesondere die Grundfreiheiten und Diskriminierungsverbote, auf die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten, auf die in der EMRK genannten Menschenrechte442 und deren Konkretisierung durch die Rechtsprechung des Europäischen 439 Die Verletzung insbesondere wirtschaftsbezogener Grundrechte wird regelmäßig in den Schadensersatzklagen neben der Verletzung des WTO-Rechts gerügt, vgl. oben Teil 2, A. II. 2. 440 Vgl. EuGH, Rs. 1 / 58, Stork / Hohe Behörde, Slg. 1959, S. 43, 64; Rs. 36 – 38 / 59 und 40 / 59, Ruhrkohlen- Verkaufsgesellschaft / Hohe Behörde, Slg. 1960, S. 885, 917 f., 929 f.; Rs. 40 / 64, Sgarlata, Slg. 1965, S. 295, 312. Die Vertragsparteien der römischen Verträge unterließen es, einen geschriebenen Grundrechtskatalog in das Vertragswerk aufzunehmen. Demgegenüber wurden die zur Erreichung der wirtschaftlichen Integration der Mitgliedstaaten erforderlichen (wirtschaftlichen) Grundfreiheiten in den Verträgen festgelegt, siehe hierzu Pescatore, EuGRZ 1978, S. 441; ders., EuR 1979, S. 1 ff. 441 Die erste Entscheidung, in der der Gerichtshof auf eine Grundrechtsverletzung einging, war das Urteil vom 12. 11. 1969 in der Rs. 29 / 69, Stauder, Slg. 1969, S. 419, 425, Rn. 7. In der Folgezeit siehe insbesondere: EuGH, Rs. 11 / 70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, S. 1125, 1135, Rn. 3 f., Rs. 4 / 73, Nold, Slg. 1974, S. 491, 507 f., Rn. 12 ff. Zur Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH siehe Bienert, S. 47 ff.; Kokott, AöR 121 (1996), S. 599 (601 ff.); Hirsch, RdA 1998, S. 194 (194 f.). 442 Ein Verweis auf die Grundrechte der EMRK findet sich im Gemeinschaftsrecht in Art. 6 Abs. 2 EUV.
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Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).443 Weitere Grundlagen444 findet die Grundrechtsrechtsprechung in der Gemeinsamen Erklärung von Versammlung, Rat und Kommission vom 5. April 1977,445 der Entschließung des Parlamentes zur Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten vom 12. April 1989446 sowie neuerdings in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.447
2. Funktionen der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht a) Abwehrrechte Die klassische Funktion der Grundrechte ist die Abwehr rechtswidrigen hoheitlichen Handelns. Hierbei richten sich die Gemeinschaftsgrundrechte primär gegen die europäische Hoheitsgewalt, so dass prinzipiell jede Handlung der Gemeinschaftsorgane in den Anwendungsbereich der Grundrechte fallen kann.448 Ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft ist die Herstellung von wirtschaftlichen Freiheiten natürlicher und juristischer449 Personen, die durch die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundrechte gewährleistet werden.450 b) Schutznormen im Sinne des Haftungsrechts Die Grundrechte erhalten angesichts des nur unvollständigen Primärrechtsschutzes der Gemeinschaftsbürger gegen normative Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane auf der Sekundärebene des Haftungsrechts eine erhebliche Bedeutung. Die Gemeinschaftsgrundrechte sind als höherrangige Schutznormen im Sinne des Art. 288 Abs. 2 EG anerkannt, deren Verletzung die Gemeinschaftshaftung ausVormals auch durch die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR). Hierzu Nicolaysen, S. 118 ff. 445 Hirsch, RdA 1998, S. 194 (195); Kokott, AöR 121 (1996), S. 599 (601 ff.); im Urteil Stauder bezog sich der EuGH noch allgemein auf die „in den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinschaftsordnung, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat, enthaltenen Grundrechte“, EuGH, Rs. 29 / 69, Stauder, Slg. 1969, S. 419, 425, Rn. 7. Zur Herleitung der Grundrechte und insbesondere zu den verschiedenen Rechtsvergleichungsmethoden des maximalen Standards und der wertenden Rechtsvergleichung siehe Bienert, S. 48 ff. und 133 ff. 446 ABl. Nr. C 120 vom 16. 05. 1989, S. 51. 447 ABl. Nr. L 364 v. 18. 12. 2000, S. 1, herangezogen vom EuG, Rs. T-177 / 01, JégoQuéré, Slg. 2002, II-2365, 2382, Rn. 47 im Zusammenhang mit dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes. 448 Penski / Elsner, DÖV 2001, S. 265 (266); Ehlers, in: Ehlers, S. 327; siehe insgesamt die Darstellung zu den Grundrechtsfunktionen bei Quasdorf, S. 70 ff. 449 Zur Grundrechtsberechtigung von juristischen Personen des Privatrechts Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 53 m. w. N. aus der Rspr. 450 Nicolaysen, S. 118. 443 444
D. Die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten
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zulösen vermag.451 In diesem Zusammenhang sind insbesondere die für die Gemeinschaftsrechtsordnung wichtigen wirtschaftsbezogenen Grundrechte der Eigentumsgewährleistung und der Berufsfreiheit von freiheitssichernder Bedeutung.452
3. Die Struktur der Gemeinschaftsgrundrechte Die Prüfung der Grundrechte vollzieht sich idealtypisch in drei Schritten: Schutzbereich, Eingriff, Rechtfertigung.453 Dieser Prüfungsaufbau, der der deutschen Grundrechtsdogmatik folgt, lässt sich grundsätzlich auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs entnehmen, obwohl der EuGH zumeist nur rudimentäre inhaltliche Aussagen zu den einzelnen Grundrechten trifft, teilweise Prüfungsebenen überspringt und einzelne Prüfungspunkte, insbesondere die Rechtfertigung des Eingriffs, uneinheitlich prüft.454
II. Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit 1. Schutzbereich und Schutzbereichseröffnung Der EuGH erkennt in ständiger Rechtsprechung das Grundrecht der Berufsfreiheit an.455 Als besondere Ausformung der Berufsfreiheit stellt er ausdrücklich die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit unter den grundrechtlichen Schutz.456 Eine abstrakte Definition des Begriffs oder eine Umschreibung des Schutzbereichs der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit oder der Berufsfreiheit bietet der EuGH indes nicht. Doch trotz der im Einzelfall eher rudimentären Aussagen lässt sich der Umfang der grundrechtlich geschützten Betätigungen umschreiben. Siehe die Übersicht bei v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 72. Stoll, ZaöRV 57 (1997), S. 83 (91). 453 Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 64; Quasdorf, S. 177. 454 Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 64 ff.; Quasdorf, S. 177 f.; Borrmann, S. 238; vgl. aus der Rechtsprechung: EuGH, Rs. C-368 / 95, Familiapress, Slg. 1997, I-3689, 3717, Rn. 25 f. 455 Siehe mit Nachweisen aus der Rechtsprechung Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 131. 456 Zwar weist der Gerichtshof in den verb. Rs. 63 und 147 / 84, Finsider / Kommission, Slg. 1985, S. 2857, 2882, Rn. 23 f., die Verletzung des „Grundrechts auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit“ zurück, spricht jedoch in anderen Entscheidungen wiederum vom „Grundsatz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit“, EuGH, Rs. 104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 7030, Rn. 47. Eine genaue Analyse der Rechtsprechung des Gerichtshofs belegt jedoch, dass die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit nicht als eigenständiges Grundrecht neben dem der Berufsfreiheit zu verstehen ist, sondern eine besondere Ausprägung desselben darstellt, Wunderlich, S. 106; Günter, S. 23; Pernice, in: Grabitz / Hilf, Altband II, Art. 164, Rn. 70. 451 452
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In der Rechtssache Nold wird die Berufsfreiheit als „Freiheit der Arbeit, des Handels und anderer Berufstätigkeiten“ bezeichnet.457 An anderer Stelle geht der Gerichtshof auf die Bedeutung der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung mit den Worten ein, dass die „Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Wettbewerbs sowie die grundrechtliche Handelsfreiheit [ . . . ] allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts [darstellen], über deren Einhaltung der Gerichtshof wacht“.458 Der Schutzbereich umfasst demnach die umfassende Gewährleistung der wirtschaftlichen Betätigung, wobei der EuGH zwischen Berufswahl und Berufsausübung unterscheidet459 und sowohl selbstständige als auch unselbstständige Betätigungen unter grundrechtlichen Schutz stellt.460 Eine besondere Bedeutung erlangt die Berufsfreiheit für die Außenhandelsfreiheit europäischer Unternehmen. Denn hier vermag mangels unmittelbarer Anwendbarkeit des WTO-Rechts ein effektiver Schutz vor Beschränkungen durch Akte der Gemeinschaftsorgane in erster Linie nur über die wirtschaftsbezogenen Grundrechte des Eigentums und der Berufsfreiheit, insbesondere der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, gewährleistet werden. Diese Grundrechte können deshalb auch als „die Außenwirtschaftsfreiheit konturierenden Grundrechte“ bezeichnet werden.461 Liegt die wirtschaftliche Betätigung eines Grundrechtsberechtigten im Handel mit Drittstaaten, so steht die Erwerbstätigkeit der dargestellten weiten Auslegung folgend unter dem Schutz des Grundrechts der Berufsfreiheit.462
2. Der Eingriff in den Schutzbereich a) Unmittelbare Eingriffe Direkte Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit sind insbesondere auch durch normative Regelungen möglich.463 Kennzeichnend ist hierbei, dass sich die EuGH, Rs. 4 / 73, Nold, Slg. 1974, S. 491, 507, Rn. 14. EuGH, Rs. 240 / 83, ADBHU, Slg. 1985, S. 531, 548, Rn. 9. 459 EuGH, Rs. 116 / 82, Deutschland / Kommission, Slg. 1986, S. 2519, 2545, Rn. 27. So auch Notthoff, RIW 1995, S. 541 (543); Wunderlich, S. 111 f.; Wetter, S. 152; Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 133. 460 Günter, S. 19, 21 f.; Wunderlich, S. 111; Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 132. Die Abgrenzung zum Grundrecht des Eigentumsschutz, das der EuGH teilweise zusammen mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit prüft, wird dahingehend vorgenommen, dass das Eigentumsrecht den Bestand vermögenswerter Rechtspositionen schützt, während die Berufsfreiheit den Erwerbsschutz umfasst, Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 131; Ruffert, in: Ehlers, S. 370 f.; Wunderlich, S. 127; siehe auch Penski / Elsner, DÖV 2001, S. 265 (268). 461 So Epping, S. 577. 462 Siehe im Hinblick auf die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit von Importeuren von Drittlandsbananen: EuGH, Rs. 280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5066, Rn. 81. 463 Zu den nicht-normativen Eingriffen siehe Ruffert, in: Ehlers, S. 376, Rn. 30. 457 458
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gesetzgeberische Maßnahme unmittelbar auf die berufliche Betätigung bezieht und diese Beschränkungen unterwirft.464 Exemplarisch zu nennen sind marktordnende Maßnahmen der Gemeinschaft im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, wie die in Marktordnungen vorgenommene Festsetzung von Abgaben oder die Einführung eines Quotensystems.465 Die Einführung einer normativen Regelung, die etwa als marktordnendes Regime auch Aspekte des Außenhandels berührt oder deren einziges Ziel die Regulierung bestimmter Probleme des Außenhandelsrechts darstellt, wird ebenfalls regelmäßig in den Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit der betroffenen europäischen Unternehmen eingreifen.466
b) Mittelbarer Eingriff Problematischer ist die Einordnung der Grundrechtsbeeinträchtigung in den Fällen, in denen Unternehmen von Strafzöllen betroffen werden. Denn der direkte Eingriff in das Grundrecht liegt hier in der Erhebung von Zöllen, die nicht durch Gemeinschaftsorgane oder mitgliedstaatliche Zollverwaltungen, sondern durch die Behörden des im WTO-Streitbeilegungsverfahren obsiegenden Staates, also eines Dritten, verhängt werden. Es stellt sich die Frage, ob die dadurch erfolgte Beeinträchtigung den Gemeinschaftsorganen insofern zugerechnet werden kann, dass in der Gemeinschaftsmaßnahme, die Gegenstand des Streitbeilegungsverfahrens war, ein relevanter mittelbarer Grundrechtseingriff zu sehen ist. Im Folgenden wird die Bewertung eines mittelbaren Eingriffs in Gemeinschaftsgrundrechte nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (aa) dargestellt, wobei zur Problematik der Zurechenbarkeit von Grundrechtsbeeinträchtigungen unter Beteiligung fremder Staaten kurz auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (bb) eingegangen wird. Abschließend wird eine Bewertung der hier zu untersuchenden Fallgestaltung vorgenommen (cc).
464 Wunderlich, S. 113; Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 135, Ruffert, in: Ehlers, S. 376, Rn. 29; Quasdorf, S. 187. 465 Siehe beispielsweise zur Marktorganisation für Getreide: EuGH, Rs. 265 / 87, Schräder, Slg. 1989, S. 2237, 2267 ff.; zur Marktorganisation für Milch: EuGH, Rs. C-177 / 90, Kühn, Slg. 1992, I-35, 63 ff. 466 Im Fall der Bananenmarktordnung wurde durch die den Außenhandel betreffende Festsetzung von Zollkontingenten für die Einfuhr und deren Zuteilung ebenso in dieses Grundrecht eingegriffen, vgl. EuGH, Rs. 280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5066, Rn. 81.
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aa) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Im Schrifttum werden teilweise Entscheidungen des Gerichtshofs dahingehend ausgelegt, dass dieser die Möglichkeit mittelbarer Grundrechtsbeeinträchtigungen ablehne.467 In neueren Entscheidungen, insbesondere im Urteil Bosphorus,468 geht der Gerichtshof indes auch bei mittelbaren Beeinträchtigungen von einem relevanten Grundrechtseingriff aus, der den Rechtfertigungszwang auslöst.469 Gegenstand der Rechtssache war die Frage der Rechtmäßigkeit einer im Zuge des gegen die Bundesrepublik Jugoslawien gerichteten Embargos erfolgten Beschlagnahme eines Flugzeuges, das die türkische Fluggesellschaft Bosphorus von der staatlichen jugoslawischen Fluggesellschaft JAT geleast hatte.470 Obwohl sich die einschlägige Embargoverordnung der Gemeinschaft und die auf dieser beruhende nationale Maßnahme direkt nur gegen das Eigentum der JAT richtete und nur mittelbar die Berufsausübung der türkischen Fluggesellschaft beeinträchtigte, ging der Gerichtshof ohne weiteres von einem Eingriff in das Grundrecht der Bosphorus aus.471 Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich auch mittelbare Eingriffe in die wirtschaftliche Betätigung Grundrechtsrelevanz aufweisen können.472 467 Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 220 unter Verweis auf EuGH, Rs. 116 / 82, Kommission / Deutschland, Slg. 1986, S. 2519, 2545, Rn. 27; Pernice, in: Grabitz / Hilf Altband II, Art. 164, Rn. 62b, mit Verweis auf EuGH, Rs. 59 / 83, Biovilac, Slg. 1984, S. 4057, 4079, Rn. 21 ff.; für die Berufsfreiheit ebenso ablehnend Nicolaysen, S. 130. In der Entscheidung Kommission / Deutschland stellt nach Ansicht des EuGH die umstrittene Gemeinschaftsmaßnahme zwar keine unmittelbare Beeinträchtigung der freien Berufswahl dar. Letztlich sei aber ein damit „mittelbar zusammenhängendes Recht“ berührt, da sich die Einschränkungen im konkreten Fall auf die Möglichkeiten der betroffenen Erzeuger ihr Unternehmen zu betreiben und damit auf die Ausübung des Berufs auswirken würden. EuGH, Rs. 116 / 82, Kommission / Deutschland, Slg. 1986, S. 2519, 2545, Rn. 27. Eine eindeutige Ablehnung mittelbarer Eingriffe lässt sich daraus indes nicht ableiten, da die Aussage des Gerichtshofs auch so verstanden werden kann, dass das Begriffspaar „unmittelbar / mittelbar“ zur Abgrenzung von Berufswahl und Berufsausübung verwendet wird, vgl. Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 68. 468 EuGH, Rs. C-84 / 95, Bosphorus, Slg. 1996, I-3953. 469 Deutlich das EuG, Rs. T- 113 / 96, Édouard Dubois et Fils, Slg. 1998, II-125, 150, Rn. 75. 470 Die Beschlagnahme erfolgte durch irische Behörden auf Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 990 / 93 des Rates vom 26. 04. 1993 über den Handel zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), ABl. Nr. L 102 vom 28. 04. 1993, S. 14. Die Verordnung 990 / 93 diente der Umsetzung verschiedener Resolutionen des UN-Sicherheitsrates über Embargomaßnahmen und andere Sanktionen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro). 471 EuGH Rs. C-84 / 95, Bosphorus, Slg. 1996, I-3953, 3985 f., Rn. 19 ff.; Wunderlich, S. 113 f. 472 Ebenso: Quasdorf, S. 187 f.; Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 68; zur Berufsfreiheit Penski / Elsner, DÖV 2001, S. 265 (271); Wunderlich, S. 113 f.
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Daneben findet sich in der Rechtsprechung jedoch – soweit ersichtlich – weder eine Aussage zu den genauen Zurechnungsvoraussetzungen mittelbarer Grundrechtseingriffe noch zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gemeinschaft auch grundrechtsbeeinträchtigende Handlungen fremder Staaten zugerechnet werden können. In der Literatur wird teilweise ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zur Kausalität im Haftungsrecht erwogen.473 In diesem Bereich fordert der Gerichtshof einen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen Schaden und fehlerhafter Handlung.474 Nach überwiegender Ansicht liegt hierbei dem Kriterium der Unmittelbarkeit kein restriktives Verständnis zugrunde, sondern es wird lediglich eine im Sinne der Adäquanzformel zu bewertende objektive Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts zu verlangen sein.475 Als vergleichbare Fallgestaltung zu der Strafzollerhebung durch Drittstaaten hatte der EuGH die Schadenskausalität in Fällen des „Dazwischentretens“ von Behörden eines Mitgliedstaats oder Drittstaats zu untersuchen. Nach Ansicht des EuGH wird die Kausalkette nicht zwingend unterbrochen, wenn Handlungen der Gemeinschaftsorgane die eigentlich schädigende Handlung eines Mitgliedstaats oder Drittstaats auslösen.476
473 Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (696) unter Verweis auf Meng, FS Rudolf, S. 93, der die Kausalität zwischen gemeinschaftsrechtlicher Maßnahme und dem durch die verhängten Strafzölle eingetretenen Schaden problematisiert. 474 EuGH, Rs. C-55 / 90, Cato, Slg. 1992, I-2533, 2571 Rn. 18 „ursächlicher Zusammenhang“; verb. Rs. 64, 113 / 76, 176, 239 / 78, 27, 29 u. 45 / 79, Dumortier frères, Slg. 1979, S. 3091, 3117, Rn. 21 „unmittelbar ursächlicher Zusammenhang“; so auch EuG, Rs. T-168 / 94, Blackspur, Slg. 1995, II-2627, 2644, Rn. 40, bestätigt durch EuGH, Rs. C-362 / 95 P, Blackspur, Slg. 1997, I-4775. 475 Ossenbühl, S. 604; Berg, in: Schwarze, Art. 288, Rn. 62; Koenig / Haratsch, S. 170; Gellermann, in: Streinz, Art. 288, Rn. 27; v. Bogdandy, Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 106; auf die Adäquanz stellen ebenso ab: GA Roemer, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. 63 – 69 / 72, Werhahn, Slg. 1973, S. 1229, 1270 f., Rn. 6; GA Tabucchi, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 169 / 73, Compagnie Continentale, Slg. 1975, S. 117, 149 ff.; GA Dutheillet de Lamothe, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 4 / 69, Lütticke, Slg. S. 1971, 325, 347 f.; GA Gand, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24 / 66, Kampffmeyer, Slg. 1967, S. 331, 375. 476 EuGH, Rs. 175 / 84, Krohn, Slg. 1986, S. 753, 767, Rn. 18 f.; Rs. C-182 / 91, Forafrique, Slg. 1993, I-2161, 2189 f.; EuG, Rs. T-575 / 93, Koelmann, Slg. 1996, II-1 ff. Die Kausalkette ist hingegen dann unterbrochen, wenn die nationale Maßnahme an einem eigenständigen, von der Gemeinschaftsmaßnahme unabhängigen Fehler leidet und dieser ebenfalls kausal für den Schaden ist, vgl. EuGH, verb. Rs. 89 u. 91 / 86, Étoile Commerciale, Slg. 1987, S. 3005, 3026, Rn. 18 ff.
11 Görgens
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bb) Exkurs: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR (1) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht nimmt einen Grundrechtseingriff ebenfalls nur dann an, wenn zwischen der eingetretenen Belastung für den Grundrechtsinhaber und der staatlichen Maßnahme ein ausreichend enger Zusammenhang besteht.477 Auch mittelbare Einwirkungen können Eingriffe darstellen, wobei die Zurechenbarkeit teilweise erhebliche Probleme aufwirft und mit Unsicherheiten belastet ist.478 Zu den mittelbaren Eingriffen können grundsätzlich auch Beeinträchtigungen durch Träger fremder Hoheitsgewalt zählen, wenn die innerstaatliche deutsche öffentliche Gewalt das schädigende Verhalten des fremden Hoheitsträgers (ketten-)verursacht hat.479 Dabei wird als Mindestvoraussetzung zunächst die einfache Ursächlichkeit des Handelns deutscher Staatsgewalt für das der ausländischen Staatsgewalt im Sinne einer conditio sine qua non als unabdingbar betrachtet.480 Unabhängig von der bloßen Kausalität wirft jedoch die Zurechenbarkeit auf die deutsche Hoheitsgewalt erhebliche Probleme auf. Teilweise wird hier vertreten, dass der Zurechnungszusammenhang aufgrund der Souveränität der fremden Staatsgewalt in jedem Falle unterbrochen werde.481 Das Bundesverfassungsgericht hat sich insbesondere im sog. „Raketenstationierungsbeschluss“482 mit dieser Problematik beschäftigt. Der Fall behandelte die Frage, ob der Bundesrepublik die von einem Fremdstaat als Reaktion auf die Stationierung von Pershing II-Raketen im Rahmen des Natodoppelbeschlusses drohende atomare Reaktion als Eingriff in die Grundrechte der Kläger zugerechnet werden könne. Die Konstellation der Strafzollerhebung ist hinsichtlich der Zurechnungsproblematik mit derjenigen des „Raketenstationierungsbeschlusses“ grundsätzlich vergleichbar. In beiden Fällen wird an den innerstaatlichen Rechtsakt angeknüpft, der die grundrechtsbeeinträchtigende Reaktion des Fremdstaates vermeintlich auslöst. Im „Raketenstationierungsbeschluss“ hat das Bundesverfassungsgericht die Frage offengelassen, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen trotz des „Dazwischentretens“ eines auswärtigen Staates eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik für bestimmte grundrechtsrelevante Folgewirkungen bestehen könne. Das Gericht betonte aber, dass nicht schlechthin jedes Ergebnis eines an das Verhalten der BunJarass, AöR 120 (1995), S. 345 (364). Vgl. Jarass, in: Jarass / Pieroth, Vorb. vor Art. 1, Rn. 21a. 479 Sachs, in: Stern, Staatsrecht Bd. III 2. HB, S. 172. Beispielsweise wenn das innerstaatliche Verhalten zu (Gegen-)Aktionen eines fremden Staates führt. 480 Sachs, in: Stern, Staatsrecht Bd. III 2. HB, S. 197; BVerfGE 66, 39, 60. 481 Siehe mit weiteren Nachweisen Sachs, in: Stern, Staatsrecht Bd. III 2. HB, S. 197. 482 BVerfGE 66, 39, insb. 57 ff. 477 478
D. Die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten
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desrepublik anknüpfenden Verhaltens eines fremden Staates zurechenbar sei.483 Die Zurechenbarkeit bestehe jedenfalls dann nicht, wenn es der Bundesrepublik aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen verwehrt sei, auf den fraglichen Geschehensablauf steuernd Einfluss zu nehmen.484 Die Verantwortlichkeit ende also grundsätzlich dort, wo ein Vorgang in seinem wesentlichem Verlauf von einem Fremdstaat nach dessen, von der Bundesrepublik unabhängigen Willen gestaltet werde und somit die wesentliche Ursache im eigenständigen Handeln des Drittstaates liege.485 Das Bundesverfassungsgericht stellt also außerhalb finaler, von den staatlichen Behörden veranlasster Grundrechtsbeeinträchtigungen insbesondere auf die Möglichkeit der innerstaatlichen Stellen, das Verhalten des Drittstaates zu steuern, ab. (2) Die Rechtsprechung des EGMR Zur Lösung der hier betrachteten Zurechnungsproblematik kann insbesondere die Betrachtung der Soering-Entscheidung des EMGR beitragen.486 In dieser Streitsache ging es unter anderem um die Frage, ob die Auslieferung des Straftäters Soering an die USA durch britische Behörden einen Verstoß gegen das Folterverbot in Art. 3 EMRK darstellte.487 Das Gericht bejahte im Ergebnis eine Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Auslieferung an einen Drittstaat,488 wenn begründete Tatsachen dafür vorliegen, dass der betroffene Mensch nach der Auslieferung einem tatsächlichen Risiko von Folter oder unmenschlicher Behandlung489 unterworfen sei. Die Verletzungshandlung sei insoweit in der Auslieferung zu sehen, als deren unmittelbare Folge das Individuum der Misshandlung ausgesetzt werde.490 Der EMGR stellt demnach auf die im Einzelfall bestehende Vorhersehbarkeit der für die Verletzung der Konvention relevanten Handlung durch den Fremdstaat ab.491 BVerfGE 66, 9, 62. BVerfGE 66, 39, 62. 485 BVerfGE, 66, 39, 62 mit Verweis auf BVerfGE 55, 349, 362 f.; BVerfGE 57, 9, 23 f. 486 EuGRZ 1989, S. 314 ff. Für die Ermittlung der Gemeinschaftsgrundrechte hat die Rechtsprechung des EGMR eine besondere Bedeutung, Teil 3, D. I. 1. 487 Dem deutschen Staatsbürger Soering drohte in den USA die Verurteilung zum Tode, in dessen Folge er bis zu seiner Hinrichtung im Todestrakt des Gefängnisses inhaftiert und den besonderen Umständen dieser Haft, dem sog. „Death Row Phenomenon“, ausgeliefert wäre. Es wurde vorgetragen, dass darin eine von der Konvention verbotene unmenschliche Behandlung liegen würde. 488 Hier die USA. 489 Im Fall Soering das „Death Row Phenomenon“. 490 EuGRZ 1989, S. 314, 319. 491 Zusätzlich wird die Bedeutung des in Art. 3 EMRK festgelegten Folterverbots als einem der grundlegendsten Werte der demokratischen Gesellschaften betont, EGMR, EuGRZ 1989, S. 314, 318 f. 483 484
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cc) Stellungnahme und Ergebnis Zunächst lässt sich aus der dargestellten Rechtsprechung ableiten, dass für die Zurechenbarkeit drittstaatlicher Handlungen neben der bloßen Ursächlichkeit die beeinträchtigende Handlung des Drittstaates objektiv vorhersehbar sein muss. Darüber hinaus verlangt der EuGH zumindest im ähnlich gelagerten Fall der Schadenskausalität, dass die Maßnahme des dazwischentretenden Drittstaats an keinem eigenständigen, schadenskausalen Fehler leidet. Das Bundesverfassungsgericht stellt einschränkend noch auf die Möglichkeit der Einflussnahme auf die schadensverursachenden Abläufe im Drittstaat ab. Regelmäßig werden die umstrittenen Gemeinschaftshandlungen für die Strafzollverhängung ursächlich sein, da ein unmittelbarer Zusammenhang im Sinne einer conditio sine qua non zwischen beiden Akten besteht: Ohne die Beibehaltung der WTO-widrigen Gemeinschaftsmaßnahme wären die genehmigten Strafzölle nicht verhängt worden.492 Für das weiterhin geforderte Vorliegen der objektiven Vorhersehbarkeit dürften vor allem zwei Gründe sprechen. Erstens folgt die Strafzollverhängung den eindeutigen Verfahrensregeln des WTO-Streitbeilegungssystems. Wenn eine fristgemäße und vollständige Umsetzung der Empfehlungen der DSB-Streitbeilegungsorgane nicht vorgenommen wird, muss der das WTO-Recht verletzende Staat damit rechnen, dass der obsiegende Staat den in Art. 22 DSU aufgezeigten Weg der zwangsweisen Durchsetzung der DSB-Entscheidung wählt. Die Auferlegung von Strafzöllen ist somit nicht etwa eine fernliegende Reaktion auf eine Verletzung des WTORechts, sondern ein im DSU vorgesehenes Zwangsmittel der Rechtsdurchsetzung und somit mithin vorhersehbare Folge des Rechtsverstoßes. Zweitens wird durch entsprechende Erklärungen und Ankündigungen der Vertreter des obsiegenden Staates den Gemeinschaftsorganen auch tatsächlich verdeutlicht, dass im Falle einer unterlassenen oder unzureichenden Umsetzung der DSBEmpfehlungen die Aussetzung von Zollzugeständnissen beantragt wird. Im Konflikt um die Bananenmarktordnung kündigten die USA vor Ende der offiziellen Umsetzungsfrist an, die Genehmigung von Strafzöllen zu beantragen, und veröffentlichten Listen der betroffenen Produktgruppen.493 Daneben wird auch die Möglichkeit der Einflussnahme durch die Gemeinschaftsorgane auf das Verhalten des Drittstaates anzunehmen sein. Denn nur im Falle der Nichtumsetzung oder fehlerhaften Umsetzung können die beantragten 492 Ebenso abstellend auf die Ursächlichkeit im Sinne der conditio sine qua non: Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (696). 493 Siehe Teil 2, A. I. 2. und 3. Dass nach erteilter Autorisierung diese Strafzölle dann auch tatsächlich verhängt werden, ist sowohl im Hinblick auf das gem. Art. 21 und 22 DSU vorgesehene Verfahren nach Erlass einer endgültigen DSB-Entscheidung als auch durch entsprechende tatsächliche Ankündigungen der obsiegenden Seite für die Gemeinschaftsorgane objektiv vorhersehbar.
D. Die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten
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Strafzölle vom DSB genehmigt werden.494 Sollte die Rücknahme der WTO-widrigen Maßnahme oder eine zufriedenstellende Anpassung erfolgen, ist eine Strafzollgenehmigung nicht zulässig. Selbst nach erteilter Genehmigung findet eine ständige Überwachung der ergriffenen Gegenmaßnahmen gem. Art. 22 Abs. 8 i. V. m. Art. 22 Abs. 6 DSU statt, so dass auch zu einem späteren Zeitpunkt nach Rücknahme der WTO-widrigen Maßnahme die Aussetzung der Strafzollerhebung zu erfolgen hat und im Wege des nach Art. 22 Abs. 6 DSU durchzuführenden Schiedsverfahrens auch durchsetzbar ist. Die Strafzollerhebung hängt demnach entscheidend vom Verhalten der Gemeinschaftsorgane ab. Diese liefern durch WTO-widriges Handeln nicht nur den Anlass für die Verhängung der Zölle, sondern können durch geeignete autonome Maßnahmen eine solche auch verhindern. Insgesamt ist deshalb die Zurechenbarkeit zu bejahen.
3. Die Rechtfertigung des Eingriffs Das Grundrecht der Berufsfreiheit wird auf Gemeinschaftsebene nicht uneingeschränkt gewährleistet, sondern ist mit Schranken versehen.495 Seit der Entscheidung in der Rechtssache Schräder urteilt der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass beeinträchtigende Maßnahmen dann gemeinschaftsrechtskonforme Einschränkungen des Grundrechts der Berufsfreiheit darstellen, „[ . . . ] sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.“496
Im Folgenden werden die genannten materiellen Einschränkungsvoraussetzungen näher erläutert und auf die vorliegend untersuchte Fallgestaltung angewandt. a) Verstoß gegen höherrangiges Recht Der Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit durch sekundärrechtliche Gemeinschaftsakte kann zunächst nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsakte nicht ihrerseits gegen höherrangiges Recht verstoßen und deshalb rechtswidrig sind.497 Vgl. Art. 22 Abs. 2 und 22 Abs. 6 DSU. So formulierte der EuGH bereits im Nold-Urteil, dass es für die Grundrechte des Eigentums und der Berufsfreiheit möglich sei, „bestimmte Begrenzungen vorzubehalten, die durch die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt sind, solange die Rechte nicht in ihrem Wesen angetastet werden“, EuGH, Rs. 4 / 73, Nold, Slg. 1974, S. 491, 507 f., Rn. 14. 496 EuGH, Rs. 265 / 87, Schräder, Slg. 1989, S. 2237, 2268, Rn. 15, (Hervorhebungen durch Verfasser); seitdem st. Rspr.; siehe nur EuGH, Rs. 5 / 88, Wachauf, Slg. 1989, S. 2609, 2639, Rn. 18; Rs. C-177 / 90, Kühn, Slg. 1992, I-35, 63 f., Rn. 16; Rs. C-280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5065, Rn. 78. 494 495
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Da das WTO-Recht als integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung in der Normenhierarchie über dem sekundären Gemeinschaftsrecht steht,498 würde eine Verletzung gegen unmittelbar anwendbare Bestimmungen der Abkommen eine Rechtfertigung ausschließen. Es würde sich dann nur die Frage anschließen, ob der Rechtsverstoß hinreichend qualifiziert im Sinne des Haftungsrechts ist. b) Die Gemeinwohlbelange Die Gemeinschaftsgrundrechte sind im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion zu sehen499 und müssen sich in die Struktur und Ziele der Gemeinschaft einfügen.500 So geht der Gerichtshof in seiner Schrankenklausel davon aus, dass die Grundrechte nur Beschränkungen unterliegen dürfen, die dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen. Das Gemeinwohlerfordernis ist ein selbstständiges Schrankenkriterium,501 das gerade die allgemeine gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit der verfolgten Ziele sichert. Ohne auf die Frage der genauen inhaltlichen Anforderungen der Gemeinwohlbelange oder deren normativer Verankerung einzugehen,502 zieht der Gerichtshof in den Urteilen zum Grundrecht der Berufsfreiheit oftmals die in den Verträgen genannten Ziele heran. Teilweise stützt er sich zur Begründung der Gemeinwohlbelange auch lediglich auf die im Gemeinschaftssekundärrecht selbst angegebenen Maßnahmeziele. 503 Neben dem auch für das Außenwirtschaftsrecht wichtigen Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik erkennt der EuGH eine Reihe weiterer Gemeinwohlziele an, die zur Begründung bestimmter gemeinschaftsrechtlicher Beschränkungen des Außenwirtschaftsrechts herangezogen werden können: Den Verbraucherschutz,504 die Volks497 Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (696). Dies folgt bereits aus dem auch auf Gemeinschaftsebene geltenden Grundsatz des Gesetzesvorbehalt, nach dem Eingriffe in Grundrechte einer nicht gegen höherrangiges Recht verstoßenden Rechtsgrundlage bedürfen, dazu Wunderlich, S. 185 ff.; Quasdorf, S. 193 ff. 498 Siehe Teil 3, C. V. 2. 499 EuGH, Rs. 5 / 88, Wachauf, Slg, 1989, S. 2609, 2639, Rn. 18. 500 EuGH, Rs. 11 / 70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, S. 1125, 1135, Rn. 4. 501 So auch Schildknecht, S. 49 f. unter Darstellung der Gegenansicht, die das Erfordernis der Gemeinwohlbelange als Bestandteil der Verhältnismäßigkeit einordnet. 502 Dazu Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 215 ff., der darauf hinweist, dass nicht jedwedes „Allgemeininteresse“ zu Grundrechtseinschränkungen führen könne und es sich bei den Gemeinwohlbelangen um solche handeln müsse, denen „Verfassungsrang“ zuzuschreiben sei. Dazu ebenfalls Wunderlich, S. 193 ff. 503 Wunderlich, S. 191 m. w. N. aus der Rspr. Petersmann, EuZW 1997, S. 325 (329) merkt an, dass sich der EuGH zur Begründung des „Gemeinschaftsinteresses“ regelmäßig mit den offiziellen Begründungserwägungen des Gemeinschaftsrechtsakts begnüge. 504 EuGH, Rs. 234 / 85, Keller, Slg. 1986, S. 2897, 2913, Rn. 14.
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gesundheit,505 die ökonomische Stabilisierung eines Marktsektors,506 den Umweltschutz,507 die Erhaltung von Weltmarktpositionen der Gemeinschaftsproduzenten508 und völkerrechtliche Verpflichtungen.509 Verfolgt die Gemeinschaft mit einer Maßnahme, die infolge ihrer außenhandelsrechtlichen Relevanz auch Bereiche des WTO-Rechts berührt, tatsächlich gemeinschaftsrechtlich anerkannte Gemeinwohlbelange, so können diese zunächst unabhängig eventuell verletzter WTO-Regelungen eine Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigung herbeiführen.510 Des Weiteren wird im Falle der vermeintlichen WTO-Widrigkeit einer Gemeinschaftsmaßnahme ein Hinweis auf die zumindest völkerrechtliche Verbindlichkeit der WTO-Regelungen, die damit grundsätzlich ebenfalls als Gemeinwohlbelang herangezogen werden können, nicht geeignet sein, die von der Gemeinschaft angeführten öffentlichen Interessen zu relativieren. Denn entscheidend ist, dass das konkrete Ziel überhaupt von der Gemeinschaft verfolgt werden darf und zwar unabhängig von anderen Belangen, die gegebenenfalls auch ein Gemeinschaftsinteresse begründen könnten. Deshalb sah sich der EuGH auch nicht daran gehindert, in seinem Urteil zur Bananenmarktordnung die aus dem Abkommen von Lomé resultierenden Verpflichtungen als Belang des gemeinschaftsrechtlichen Gemeinwohls heranzuziehen, ohne überhaupt die gegenläufigen völkerrechtliche Verpflichtungen zu nennen, die sich aus dem GATT ergaben.511
c) Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs Für die Bewertung der Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von zentraler Bedeutung. Nur eine den Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügende Maßnahme der öffentlichen Gewalt kann überhaupt rechtmäßig die Freiheitsrechte der Bürger beschränken.512 505 EuGH, Rs. C-183 / 95, Affish, Slg. 1997, I-4315, 4375, Rn. 43; Rs. C-62 / 90, Arzneimittelimporte, Slg. 1992, I-2575, 2609, Rn. 24. 506 EuGH, verb. Rs. C-143 / 88 und 92 / 89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen, Slg. 1991, I-415, 549, Rn. 54; Rs. C-177 / 90, Kühn, Slg. 1992, I-35, 64; Rs. 258 / 81, Metallurgiki Halyps, Slg. 1982, S. 4261, 4280, Rn. 13. 507 EuGH, Rs. 240 / 83, ADBHU, Slg. 1985, S. 531, 549, Rn. 13. 508 EuGH, verb. Rs. C-143 / 88 und 92 / 89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen, Slg. 1991, I-415, 553, Rn. 76. 509 EuGH, Rs. 280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5066, Rn. 82; Rs. C-200 / 96, Metronome Musik GmbH, Slg. 1998, I-1953, 1980, Rn. 25. 510 Eine andere Einschätzung würde sich hingegen im Fall der unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Regelungen ergeben, die zur Rechtswidrigkeit des Gemeinschaftsakts führt. 511 EuGH, Rs. 280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5066 f., Rn. 82 ff. 512 Allgemein zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Koch, S. 198 ff. und 396 ff.; Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 20, Rn. 56 ff.
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aa) Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch den EuGH Der für die Gemeinschaftsrechtsordnung in Art. 5 Abs. 3 EG niedergelegte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird vom Gerichtshof im Rahmen der Grundrechtsprüfung als Schranke herangezogen.513 Im Urteil Schräder konkretisierte der EuGH die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne des üblichen Dreischritts von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit: „Nach diesem Grundsatz sind Maßnahmen, durch die den Wirtschaftsteilnehmern finanzielle Belastungen auferlegt werden, nur rechtmäßig, wenn sie zur Erreichung der zulässigerweise mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sind. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.“514
Entgegen dieser Konkretisierung nimmt der EuGH in seiner Urteilspraxis jedoch üblicherweise keine differenzierte, streng an den genannten Voraussetzungen orientierte Prüfung vor.515 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip erlangt in der Rechtsprechung des EuGH in erster Linie Bedeutung als Abwägungsmaßstab zwischen den im Urteil Schräder genannten Gemeinwohlzielen und der Wesensgehaltsgarantie.516 Insbesondere im Falle des Bestehens von Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen der Gemeinschaftsorgane nimmt der Gerichtshof nur eine sehr eingeschränkte Prüfung begrenzt auf „offensichtliche Verstöße“ vor.517 bb) Kritik an der Prüfungsdichte Die Beschränkung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Vorliegen gesetzgeberischer Ermessensspielräume auf „offensichtliche Verstöße“ hat dazu geführt, dass der Umfang des grundrechtlich garantierten individuellen Schutzes als äußerst gering einzustufen ist. Gerade in Bereichen mit wirtschaftspolitischem Regelungsinhalt – namentlich der gemeinsamen Agrarpolitik oder des Außenhandelsrechts – wird den Gemeinschaftsorganen ein weiter Ermessensspielraum zugestanden.518 Die derart auf Evidenzfälle begrenzte Prüfung gelangt regelmäßig zur Ablehnung einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.519 513 Der EuGH erkennt zwar den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemeinen Rechtsgrundsatz an und prüft diesen teilweise eigenständig neben den Grundrechten. Im Rahmen der Grundrechtsprüfung wird dieser vom EuGH jedoch als eigenständige Grundrechtsschranke betrachtet, siehe Wetter, S. 105 f. und Wunderlich, S. 198 f. mit Verweis auf EuGH, Rs. 44 / 79, Hauer, Slg. 1979, S. 3727, 3747, Rn. 23. 514 EuGH, Rs. 265 / 87, Schräder, Slg. 1989, S. 2237, 2269, Rn. 21. 515 Wunderlich, S. 200 m. w. N. aus der Rspr. 516 Vgl. EuGH, Rs. 265 / 87, Schräder, Slg. 1989, S. 2237, 2268, Rn. 15. 517 Hierzu eingehend Koch, S. 198 ff.; Schildknecht, S. 51 ff. 518 Siehe Teil 3, C. VI. 1. a).
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Insbesondere das zur BMO ergangene Urteil Deutschland / Rat hat teilweise erhebliche Kritik an der Grundrechtsprechung des EuGH ausgelöst.520 Kritisiert wird vor allem, dass der EuGH weder den grundrechtlichen Schutzbereich umschreibt noch das Gewicht der betroffenen Individualinteressen und der im konkreten Fall vorliegenden Eingriffstiefe ermittelt.521 Eine methodisch saubere Abwägung zwischen den mit der Regelung verfolgten Gemeinwohlinteressen und den beeinträchtigten Privatinteressen sei deshalb nicht möglich und führe insgesamt zu einem strukturellen Abwägungsdefizit.522 Die Übertragung des weiten Ermessensspielraumes auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung und die damit einhergehende Beschränkung auf „offensichtliche Verstöße“ bedeute eine Minimalisierung der gerichtlichen Kontrolldichte und komme der Erteilung einer „carte blanche“ zu Gunsten der Gemeinschaftsorgane beim Erlass von Rechtsakten gleich.523 Zunächst ist hierzu anzumerken, dass die Berücksichtigung eines gesetzgeberischen Ermessenspielraumes im Rahmen der Festlegung gesetzlicher Regelungen der Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive entspricht.524 Auch kann von der apodiktischen Kürze des EuGH im Bereich der grundrechtsrelevanten Interessenabwägung, die sicher nicht zur Akzeptanz der Urteile beiträgt,525 nicht auf die tatsächliche Würdigung der Interessen durch den EuGH geschlossen werden. So besteht die Möglichkeit, dass der EuGH eine eingehende Würdigung nach Eingriffstiefe und Wertung der Interessen vornimmt, diese jedoch keinen Ausdruck in den Urteilsgründen findet.526 519 Siehe nur EuGH, Rs. 280 / 93, Deutschland / Rat, Slg. 1994, I-4973, 5065 ff., Rn. 77 ff.; Rs. C-331 / 88, Fedesa, Slg. 1990, I-4023, 4062 ff. 520 Vgl. nur Everling, CMLRev 33 (1996), S. 402 (413 ff.); Berrisch, EuR 1994, S. 461 (466 f.); Kokott, AöR 121 (1996), S. 599 (608 f.); Schmid, NJW 1998, 190 (191); Hohmann, EWS 1995, S. 381 f.; Nettesheim, EuZW 1995, S. 106 (106 f.); Stein, EuZW 1998, S. 261 (261 f.); Petersmann, EuZW 1997, S. 325 (329). Nettesheim, EuZW 1995, S. 106 (107), weist darauf hin, dass der EuGH durch die Erklärung, eine grundrechtsrelevante Maßnahme sei unverhältnismäßig, bereits die Feststellung treffe, dass das öffentliche Interesse an der Maßnahme das Abwehrinteressen des Einzelnen überwiege. Grundrechtstheoretisch irrelevant sei demgegenüber, ob dies offensichtlich oder nur dem EuGH ersichtlich sei. 521 Nettesheim, EuZW 1995, S. 106. 522 Nettesheim, EuZW 1995, S. 106; Huber, EuZW 1997, S. 517 (521); vgl. allgemein zum Abwägungsdefizit Koch, S. 259 ff.; vgl. auch den Vorlagebeschluss des VG Frankfurt /Main vom 24. 10. 1996 (1 E 798 / 95 (V) und 1 E 2949 / 93 (V)), EuZW 1997, S. 182 (190). 523 Berrisch, EuR 1994, S. 461 (466 f.); Everling, CMLRev 33 (1996), S. 402 (419). 524 Zuleeg, NJW 1997, S. 1201 (1204); Meng, FS Rudolf, S. 81. 525 Zum vielfach kritisierten Begründungsstil des EuGH: Everling, EuR 1994, 127 ff. 526 Des Weiteren finden sich – trotz der verwendeten Formel der „offensichtlichen Ungeeignetheit“ – in den Urteilen des Gerichtshofs eine Auseinandersetzung mit Alternativlösungen und teilweise ausführliche Begründungen, warum diese Maßnahmen nicht vorzugswürdig sind, Koch, S. 212 m. w. N.
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Festzuhalten ist jedoch, dass die Akzeptanz eines Prognose- und Einschätzungsspielraums des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht dazu führen darf, die Kontrolldichte der Gerichte in einem Maße zurückzunehmen, dass eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Abwägung der öffentlichen Interessen und der berechtigten Privatinteressen nicht gewährleistet ist. Die bestehenden Beurteilungsspielräume sind in einer umfassenden Interessenabwägung zu berücksichtigen und zu gewichten. Dies entspricht im Übrigen auch den Vorgaben der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Gemeinschaftsebene, wie sie in der zitierten Passage des Urteils Schräder konkretisiert worden sind. Dennoch ist im Bereich der Berufsfreiheit und mithin der Außenwirtschaftsfreiheit der durch den EuGH gewährleistete Schutz als äußerst gering einzustufen. Dieser Befund dürfte in dem Problem wurzeln, dass die Berücksichtigung von Individualinteressen dem auf Integration bestimmter Wirtschaftsbereiche gerichteten Marktordnungsrecht grundsätzlich widerspricht und der EuGH auch aus diesem Grund eine zurückhaltende Grundrechtsprüfung vornimmt.527
d) Kriterien zur Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Aussetzung von Handelskonzessionen aa) Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahmen Die Beeinträchtigungen durch die Strafzollerhebungen sind zwar auf die umstrittene Gemeinschaftsmaßnahme zurückzuführen, treten jedoch außerhalb des mit der Gemeinschaftsmaßnahme verfolgten Regelungsregimes ein und haben gerade keinen direkten Bezug zu den eigentlichen inhaltlichen Regelungen der Gemeinschaftsmaßnahme. Des Weiteren dienen sie der Realisierung außerhalb der WTO-widrigen Gemeinschaftsmaßnahme liegender Ziele, namentlich der Durchsetzung der DSB-Entscheidung. Aus diesen Gründen können die Grundrechtsbeeinträchtigungen, die durch die Strafzollerhebung entstehen, nicht zu einer Neubewertung der Frage führen, ob die Gemeinschaftsmaßnahme zur Realisierung der mit ihr verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Denn an der grundsätzlichen Eignung und Erforderlichkeit der Maßnahmen zur Regelung eines bestimmten Sachverhaltes ändert sich nichts. Lediglich der Kreis der mit Nachteilen betroffenen Unternehmen wurde erweitert. So wird die entscheidende Frage darin liegen, ob die Hinnahme von Strafzöllen zur Durchsetzung der mit der Gemeinschaftsmaßnahme verfolgten Ziele noch als angemessen betrachtet werden kann.
527
Epping, S. 583.
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bb) Die Angemessenheit der Maßnahme (1) Der Bezug auf die Individualinteressen der betroffenen Exporteure Die im Rahmen der Schadensersatzklage vorzunehmende Beurteilung, ob Maßnahme und Beeinträchtigung in einem angemessenen Verhältnis stehen, muss die Individualinteressen der von den Strafzöllen betroffenen Exporteure einbeziehen. Insoweit verbietet sich ein bloßer Verweis auf frühere Entscheidungen, in denen der Gerichtshof im Rahmen der Gültigkeitsprüfung der umstrittenen Gemeinschaftsmaßnahme lediglich die Grundrechtssituation der direkt von einer Maßnahme betroffenen Unternehmen oder Marktteilnehmer berücksichtigt hat.528 Die Grundrechtsbeeinträchtigung folgt nämlich unabhängig vom Regelungsregime der Gemeinschaftsmaßnahme aus der WTO-Widrigkeit der Gemeinschaftsmaßnahme und der Nichtanpassung nach Abschluss eines DSU-Verfahrens im Zusammenspiel mit den daraufhin erhobenen Strafzöllen. Sagen die Präjudizien hingegen nichts über die im Einzelfall liegende Grundrechtssituation der betroffenen Unternehmen aus, können sie zur Zurückweisung des Klaggrundes der Grundrechtsverletzung grundsätzlich nicht herangezogen werden. (2) Die Ermittlung der Eingriffstiefe und Berücksichtigung individueller Betroffenheit Die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vorzunehmende Güterabwägung setzt die Ermittlung der Eingriffstiefe und die damit zusammenhängende Gewichtung des betroffenen Individualinteresses im Einzelfall voraus. Je intensiver in die Rechte Einzelner eingegriffen wird, umso wichtiger müssen die für seine Rechtfertigung angeführten Gründe sein.529 (a) Wirtschaftliche Folgen Zunächst sind die wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Unternehmen zur Ermittlung der Eingriffstiefe zu berücksichtigen. Hierbei ist relevant, ob die Strafzollerhebung ohne zeitlich ausreichende Vorwarnung in die bestehenden Handelsbeziehungen der europäischen Exporteure eingreifen und die Unternehmen keinerlei Vorkehrungen treffen konnten. Diese Problematik wird infolge der kur528 Im Urteil Atlanta bestätigte der EuGH die vorinstanzliche Argumentation des EuG, wonach die von der Klägerin gerügte Verletzung der Berufsfreiheit durch die BMO nicht in Frage komme, da der Gerichtshof in früheren Urteilen bereits grundsätzlich festgestellt habe, dass der mit der Bananenmarktordnung in die Berufsausübungsfreiheit der Vermarkter von Drittlandsbananen vorgenommene Eingriff gerechtfertigt sei, vgl. EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 7029 f., Rn. 43 ff.; EuG, Rs. T-521 / 93, Atlanta, Slg. 1996, II-1707, 1730 f., Rn. 63. 529 Vgl. Quasdorf, S. 188.
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zen, im DSU vorgesehenen Fristen für die Genehmigung und das Verfahren zur Überprüfung der beantragten Aussetzung von Handelszugeständnissen virulent. Sollte der Drittstaat prohibitiv wirkende Zölle als Gegenmaßnahme erheben, wird für die Situation der betroffenen Unternehmen zu berücksichtigen sein, dass ein gewinnbringender Handel nicht mehr möglich sein wird. Die Waren können ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem abgeschotteten Markt verlieren, da die Verbraucher – sofern möglich – auf Substitute zurückgreifen und dadurch erhebliche Umsatz- und Gewinneinbußen eintreten. (b) Die Beeinträchtigung am Handelskonflikt unbeteiligter Unternehmen Neben wirtschaftlichen Folgen ist zur Ermittlung der Eingriffstiefe der Umstand bedeutsam, dass die betroffenen Unternehmen an dem Handelskonflikt regelmäßig völlig unbeteiligt sind. Erhebt der Drittstaat Gegenmaßnahmen in Gestalt der „cross retaliation“, werden Unternehmen betroffen, die weder auf dem von der WTO-widrigen Maßnahme betroffenen Markt wirtschaftlich operieren noch durch die WTO-widrige Maßnahme der Gemeinschaft irgendwelche Marktvorteile erlangen. In diesem Zusammenhang ist auch beachtlich, dass die Gegenmaßnahmen nur in Höhe der durch die WTO-widrige Handelspolitik erlangten Vorteile geltend gemacht werden können.530 Die betroffenen Unternehmen zahlen somit das Äquivalent der Vorteile einer von ihrer Regierung verfolgten protektionistischen Handelspolitik als Strafzoll, ohne an den Wettbewerbsvorteilen der protektionistischen Maßnahmen zu partizipieren. (3) Abwägung der Interessen Bewirkt eine Maßnahme der Gemeinschaft die Erhebung von Strafzöllen, ist eine Abwägung der widerstreitenden Gemeinwohlbelange und Interessen der betroffenen Unternehmen notwendig. Hierbei ist beachtlich, dass ein weitergehender, unabhängig vom eigentlichen Eingriffsinstrumentarium der Maßnahme angesiedelter Grundrechtseingriff vorliegt. Die zur Rechtfertigung der eigentlichen Handlung angeführten Gemeinwohlbelange müssen im Ergebnis auch unter Berücksichtigung der nunmehr weitergehenden Beeinträchtigungen angemessen sein. Zum anderen könnte der von den DSU-Streitbeilegungsgremien rechtskräftig festgestellte Verstoß gegen das WTO-Recht eine Neugewichtung der Gemeinwohlbelange erfordern. (a) Differenzierte Betrachtung der verfolgten Gemeinwohlbelange Hörmann / Göttsche regen an, die Legitimität der mit der Maßnahme verfolgten Ziele unter Mitberücksichtigung der in den DSB-Entscheidungen getroffenen Aus530
Siehe hierzu Teil 1, B. II. 3. d).
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sagen zu überprüfen.531 Seien die verfolgten Ziele, wie im Falle der Bananenmarktordnung, wirtschaftlicher Natur, dürften die Gemeinwohlbelange eine deutliche Abwertung erfahren.532 Denn es gehe bei der Interessenabwägung sowohl auf Seiten der Gemeinschaft als auch auf Seiten der betroffenen Unternehmen um wirtschaftliche Belange. Daher müsse die festgestellte WTO-Widrigkeit der Maßnahmen Auswirkungen auf die Legitimität des verfolgten Zieles haben und das Privatinteresse am grenzüberschreitenden, im Rahmen des WTO-Rechts garantierten freien Handel überwiegen. Verfolge die Gemeinschaft hingegen fundamentale, grundrechtlich abgesicherte Gemeinwohlbelange, wie etwa den Schutz der Volksgesundheit im Hormonstreit, dürfe die Legitimität dieses Interesses auch durch die WTOWidrigkeit der konkreten Maßnahme nicht entscheidend beeinflusst werden.533 Zuzustimmen ist diesem Ansatz insoweit, als die vorgenommene Differenzierung der Gemeinwohlziele unter Mitberücksichtigung der DSB-Entscheidungen eine konkrete Überprüfung der Angemessenheit und mithin einen gerechten Interessenausgleich ermöglicht. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob sich eine eindeutige Differenzierung zwischen wirtschaftspolitischen Gemeinwohlbelangen und solchen mit fundamentalem, grundrechtlichen Bezug tatsächlich im Einzelfall durchführen lässt. Denn zur Begründung von Gemeinschaftsmaßnahmen werden nicht selten sowohl wirtschaftliche als auch wirtschaftsfremde Ziele angeführt. Die Begründungserwägungen der Bananenmarktordnung nennen neben marktordnenden Zielen gerade auch die von der Gemeinschaft eingegangenen Verpflichtungen aus dem Abkommen von Lomé, die entwicklungspolitischen Zielen dienen und ebenfalls als legitime Interessen des Gemeinwohls anerkannt sind.534 Darüber hinaus stellt sich allgemein das Problem, dass ein Staat für eine dem Grunde nach protektionistische Wirtschaftspolitik bestimmte zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls benennen kann, tatsächlich aber einen Wettbewerbsvorteil für die eigenen Unternehmen anstrebt. Für eine solche Politik bietet auf der Ebene des Welthandelsrechts insbesondere der Art. XX GATT Möglichkeiten. Die Schwierigkeit liegt damit gerade in der Trennung sachfremder und protektionistischer gegenüber legitimen und nicht-protektionistischen Verhaltensweisen.535 (b) Die Berücksichtigung der DSB-Entscheidungen Eine wichtige Bedeutung im Rahmen der vom EuGH vorzunehmenden Prüfung der Angemessenheit kommt der Berücksichtigung der DSB-Entscheidungen zu. 531 Vgl. Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (697), wobei keine Überprüfung des Beurteilungsspielraumes der Gemeinschaftsorgane in vollem Umfange gefordert wird. 532 Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (697). 533 Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (697). Vgl. auch Sack, EuZW 1997, S. 650 (651). 534 Siehe die Begründungserwägungen der Verordnung (EWG) 404 / 93 vom 13. 02. 1993. 535 Feddersen, S. 153.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
Die Erörterungen und Ausführungen der Streitbeilegungsorgane sind gerade für die Bewertung, ob die Gemeinschaftsorgane die ihnen zustehenden Beurteilungsspielräume hinsichtlich der Formulierung der Gemeinwohlziele unzulässig überschritten haben, von Interesse. Wenn nämlich die Streitbeilegungsorgane der Gemeinschaft einen weiten Beurteilungsspielraum bezüglich der Sach- und Rechtslage bei der Bestimmung der Gemeinwohlziele und ihrer normativen Ausgestaltung zubilligen und dennoch einen Widerspruch zum WTO-Recht feststellen, ist dieser Widerspruch auch im Rahmen der Angemessenheitsprüfung durch den EuGH zu beachten.536 Im Hormonstreit wurden die von der Gemeinschaft vorgetragenen Belange des Gesundheitsschutzes im Panel-Bericht entsprechend berücksichtigt und gewürdigt. Da die Gemeinschaft jedoch keine hinreichenden Nachweise für die tatsächliche Schädlichkeit des Fleisches hormonbehandelter Tiere liefern konnte, wurde dieser Einwand zurückgewiesen.537 Dringt die Gemeinschaft auf internationaler Ebene mit den auf Art. XX GATT gegründeten Gemeinwohlerwägungen trotz Akzeptanz eines Beurteilungsspielraumes nicht durch, wäre es nur konsequent, diesen Gesichtspunkt auch im Rahmen der vom EuGH vorzunehmenden Grundrechtsprüfung zu berücksichtigen. (c) Kollidierende völkerrechtliche Verpflichtungen Eine Relativierung der Gemeinwohlinteressen wird darüber hinaus infolge der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Gemeinschaft anzunehmen sein. Denn die im Rahmen der Gemeinschaftspolitik ergriffenen WTO-widrigen Maßnahmen stehen in einem Spannungsverhältnis zur völkerrechtlichen Bindung der Gemeinschaft an das WTO-Recht als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung.538 Auch ist die Gemeinschaft nach Unterliegen im Streitbeilegungsverfahren zur Anpassung ihrer Rechtsordnung verpflichtet.539 Auch vor diesem Hintergrund erscheint zweifelhaft, ob die für die Gemeinschaftsmaßnahme benannten Gemeinwohlbelange gegenüber den Privatinteressen zumindest nach endgültiger Feststellung durch das zuständige Streitbeilegungsgremium überwiegen.540
536 Vgl. insbesondere zum verfolgten Ansatz „in dubio mitius“ im Rahmen der Normauslegung und die Berücksichtigung nationaler Beurteilungsspielräumen bei der Einordnung und Bewertung einer Sachlage Oesch, JIEl 5 (2003), S. 635 (644 ff.); allgemein siehe Waincymer, S. 353 ff. 537 Siehe hierzu Hilf / Eggers, EuZW 1997, S. 559 (561 ff.). 538 Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (728). 539 Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (697); siehe oben Teil 3, C. II. 2. a). 540 Insoweit kann entsprechend auf die Ausführungen hinsichtlich des Vorliegens einer „qualifizierten Rechtsverletzung“ verwiesen werden, siehe oben Teil 3, C. VI. 2. c) bb).
E. Schaden und Kausalität
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e) Zusammenfassung Die von prohibitiven Strafzöllen betroffenen Unternehmen müssen als unbeteiligte Akteure teilweise empfindliche Beeinträchtigungen ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit hinnehmen. Die Angemessenheit dieser Beeinträchtigungen zur Verwirklichung der mit der Gemeinschaftsmaßnahme verfolgten Ziele ist angesichts der Wertungen durch das DSB und der verbindlich festgestellten Verletzung des WTO-Rechts zweifelhaft. Jedenfalls müssen besonders wichtiger Gemeinwohlbelange in Rede stehen, um zu einer Rechtfertigung des Eingriffs zu gelangen. Hierbei ist der Gerichtshof zur Vermeidung widersprüchlichen Gemeinschaftsverhalten gehalten, die in der DSB-Entscheidung getroffenen Wertungen und Feststellungen zu berücksichtigen. Sollte der Verstoß gegen das WTO-Recht vom DSB trotz Zubilligung von Beurteilungsspielräumen bei der Regelung der mit der Maßnahme verfolgten Ziele zu Gunsten der Gemeinschaft festgestellt worden sein, dürfte das von den Gemeinschaftsorganen angeführte Gemeinwohlinteresse in aller Regel hinter den Interessen der betroffenen Unternehmen zurücktreten.
4. Vorliegen einer qualifizierten Rechtsverletzung Für die aus der Auferlegung von Strafzöllen resultierende Beeinträchtigung des Grundrechts auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit ist nach hier vertretener Ansicht jedenfalls wegen Nichtumsetzung der verbindlichen DSB-Entscheidung von einer offensichtlichen Ermessensüberschreitung durch die Gemeinschaftsorgane auszugehen.541 Darüber hinaus wird angesichts der restriktiven Haltung des EuGH hinsichtlich der Anerkennung von Grundrechtsverletzungen bei Vorliegen einer solchen gleichzeitig auch eine qualifizierte Rechtsverletzung gegeben sein.542
E. Schaden und Kausalität I. Der ersatzfähige Schaden 1. Der Begriff des ersatzfähigen Schadens Die Rechtsverletzung löst nach dem Wortlaut des Art. 288 Abs. 2 EG nur dann einen Ersatzanspruch aus, wenn ein Schaden gegeben ist. Zu Art und Umfang des Schadens, der in der Haftungsnorm nicht definiert ist, hat der EuGH unter Rückgriff auf die „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ eine eigene Kasuistik entwickelt.543 541 542 543
Siehe Teil 3, C. VI. 2. c) bb). Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (697). Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 66.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
Dabei versteht der EuGH unter einem ersatzfähigen Schaden jeden Nachteil, den der Betroffene durch ein bestimmtes Verhalten eines Gemeinschaftsorgans an seinem Vermögen oder an seinen sonstigen rechtlich geschützten Gütern erleidet.544 Erfasst sind der entgangene Gewinn,545 wie auch künftige546 oder immaterielle Schäden.547 Der Schaden muss tatsächlich und sicher entstanden sein, wobei der Kläger insofern beweisbelastet ist.548 Grundsätzlich bestimmt der EuGH den Umfang des Schadens auf der Rechtsfolgenseite auf Grundlage der Differenzmethode. Er nimmt also einen Vergleich zwischen der tatsächlich bestehenden Situation mit dem Zustand vor, der ohne das rechtswidrige Organverhalten bestehen würde.549
2. Die möglichen Schadenspositionen im Falle einer Strafzollerhebung a) Der Zeitpunkt des Schadenseintritts Als ersatzfähige Schäden, die aufgrund einer Verletzung des WTO-Rechts geltend gemacht werden, kommen grundsätzlich nur solche Verluste oder Nachteile in Betracht, die nach Ablauf der vom DSB gewährten Umsetzungsfrist entstanden sind.550 Vor Ablauf der Umsetzungsfrist ist eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der umstrittenen Gemeinschaftsrechtsakte anhand des WTO-Rechts außerhalb der Fediol III- und Nakajima-Rechtsprechung nicht möglich,551 da andernfalls die im Rahmen des DSU den Gemeinschaftsorganen zur Seite stehenden Handlungsmöglichkeiten beeinträchtigt werden könnten. Dies schließt auch den Ersatz von Schäden aus, die vor dieser Zeit entstanden sind.552 544 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 100 unter Hinweis auf EuGH, Rs. 40 / 75, Produits Bertrand, Slg. 1976, S. 1, 8 f., Rn. 4 ff.; Detterbeck, AöR 125 (2000), 202 (216); Vesting, S. 71. 545 EuGH, verb. Rs. 5, 7 und 13 bis 24 / 66, Kampffmeyer, Slg. 1967, S. 331, 358; verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3135 ff., Rn. 26 ff. 546 Rs. 281 / 84, Zuckerfabrik Bedburg, Slg. 1987, S. 49, 89, Rn. 14. Voraussetzung für den Ersatz eines künftigen Schadens ist, dass dieser unmittelbar bevorsteht und mit hinreichender Sicherheit vorhergesehen werden kann. 547 EuGH, Rs. 145 / 83, Adams, Slg. 1985, S. 3539, 3571 und 3592; Rs. C-308 / 87, Grifoni, Slg. 1994, I-341, 366, Rn. 37. 548 EuGH, Rs. 26 / 74, Roquette, Slg. 1976, S. 677, 687 f., Rn. 21 – 24; verb. Rs. 197 – 200 / 80, 243 / 80, 247 / 80 Ludwigshafener Walzmühle, Slg. 1981, S. 3211, 3254, Rn. 50. Der EuGH stellt an den Schadensnachweis tendenziell strenge Anforderungen, die den beweisbelasteten Kläger teilweise vor erhebliche Probleme stellen, v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 105 m. w. N. aus der Rspr. 549 EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3135, Rn. 26. 550 Anderes gilt für die Verletzung von Grundrechten. 551 Eine Überprüfung vor Ablauf der Umsetzung ist jedoch in den Fallkonstellationen Nakajima und Fediol III möglich.
E. Schaden und Kausalität
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b) Der entrichtete Strafzoll Als eine mögliche Schadensposition kommt zunächst der von den Zollbehörden des im Streitbeilegungsverfahren obsiegenden Staates erhobene Strafzoll in Betracht. Dieser wurde im Fall der Bananenmarktordnung als Wertzoll von bis zu 100 % auf bestimmte Warengruppen erhoben. Die gegen die Gemeinschaft gerichteten Schadensersatzklagen zielen demnach auch beinahe ausschließlich auf den Ersatz der als Strafzoll gezahlten Beträge ab.553
c) Entgangener Gewinn Der als Schaden zu berücksichtigende entgangene Gewinn ergibt sich grundsätzlich aus der Differenz zwischen den Einkünften, die der Kläger bei normalem Lauf der Dinge über einen bestimmten Zeitraum erzielt hätte, und den Einkünften, die er während desselben Zeitraums tatsächlich erzielt hat.554 Prohibitiv wirkenden Strafzölle können de facto zu einer Marktabschottung des Drittstaates führen. Infolge dessen können bestimmte Geschäfte vereitelt werden und die daraus resultierenden möglichen Gewinne den europäischen Unternehmen entgehen. aa) Das Urteil in der Rechtssache Kampffmeyer (verb. Rs. 5,7 und 13 – 24 / 66) Im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit von Gewinnnachteilen im vorbenannten Sinne hat der EuGH im Urteil Kampffmeyer555 konkrete Anforderungen genannt, die auch vorliegend von Bedeutung sein dürften. Die Entscheidung betraf die Klage deutscher Getreideimporteure auf Ersatz der Schäden, die ihnen durch eine Entscheidung der Kommission entstanden seien, die die Bundesrepublik Deutschland zur Beibehaltung von Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr von Getreide ermächtigt hatte. Nach der Verordnung Nr. 19 vom 31. Juli 1962 des Rates über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide556 wird zur Angleichung des Preisgefüges im Handel zwischen den Mitgliedstaaten festgelegt, dass der Staat, in dessen Gebiet die Ware eingeführt wird, eine Abschöpfung erhebt. Diese entspricht der Differenz zwischen einem sog. Frei-Grenze-Preis des Ausfuhrstaates, der täglich von der Kommission festgesetzt wird, und dem sog. Schwellenpreis des Einfuhrstaates, den dieser festsetzt. Aufgrund einer fehler552 EuGH, Rs. C-93 / 02 P, Biret International, Slg. 2004, I-10497, 10561, Rn. 63. Da jedoch von der Klägerin kein Schaden nach dem 13. 05. 1999 behauptet hatte, wies der EuGH die Klage ohne weitere inhaltliche Prüfung insoweit ab. 553 Siehe oben Teil 2, A. II. 2. 554 EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3135, Rn. 26. 555 EuGH, verb. Rs. 5,7 und 13 – 24 / 66, Kampffmeyer, Slg. 1967, S. 331. 556 Verordnung (EWG) Nr. 19 vom 31. 07. 1962, ABl. Nr. L 30 vom 20. 04. 1962, S. 933.
12 Görgens
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haften Einschätzung der Marktsituation hat die Kommission einen solchen FreiGrenze-Preis festgesetzt, der bewirkte, dass für die Einfuhr von Mais von Frankreich nach Deutschland ein Abschöpfungssatz von 0,00 DM von den deutschen Behörden bekannt gemacht wurde. Am gleichen Tag beantragten die Klägerinnen in erheblichem Umfang Einfuhrgenehmigungen für Mais, die jedoch sämtlich von den deutschen Behörden unter Hinweis auf eine von der Bundesrepublik ebenfalls am selben Tag getroffene Schutzmaßnahme gemäß Art. 22 Abs. 2 der VO Nr. 19 abgelehnt wurden. Die Kommission ermächtigte daraufhin nachträglich die Bundesrepublik zur Aufrechterhaltung der Schutzmaßnahme; diese Entscheidung der Kommission erklärte der Gerichtshof in einem der Schadensersatzklage vorgeschalteten Verfahren für rechtswidrig und hob sie auf.557 Der EuGH unterteilte die Geschädigten in drei Gruppen: Die erste Gruppe waren Klägerinnen, die die geplanten Einfuhren durchgeführt und die rechtswidrig geforderte Abschöpfung gezahlt hatten. Diese Zahlungen wurden als Schaden anerkannt. In der zweiten Gruppe wurden die Klägerinnen zusammengefasst, die ihre bestehenden Kaufverträge über Mais aufgrund der Abschöpfung wieder aufgelöst hatten. Diesen sprach der EuGH die mit der Auflösung der Verträge verbundenen Aufwendungen und Kosten zu; er erkannte aber nicht auf den vollen Betrag des geltend gemachten Gewinns. Da es sich in diesem Fall um spekulative Geschäfte handele, sei aus Billigkeitsgründen der entgangene Gewinn auf 10% des Abschöpfungsbetrags zu begrenzen, der hätte gezahlt werden müssen. Die dritte Gruppe erfasst schließlich diejenigen Klägerinnen, die lediglich Einfuhrgenehmigungen beantragt, aber noch keine Kaufverträge geschlossen hatten und auf die beabsichtigten Importe verzichteten. Der EuGH lehnte einen Schaden mangels hinreichender Substantiierung ab, da die Geschäfte keinerlei konkrete Gestalt angenommen hätten. bb) Bewertung im Falle der Strafzollerhebung Mit Blick auf die Situation der von Strafzöllen betroffenen europäischen Exporteure lässt sich aus dieser Rechtsprechung ableiten, dass bei tatsächlich erfolgter Durchführung von Exporten in den Drittstaat als Schaden jedenfalls der Betrag der gezahlten Strafzölle ersatzfähig ist. Inwieweit daneben ein entgangener Gewinn wegen eines Umsatzrückgangs im Handel mit dem Drittstaat558 oder des Verlust des Absatzmarktes559 ersatzfähig ist, hängt entscheidend vom Schadensnachweis im Einzelfall ab. Hierbei reicht insbesondere die Vorlage allgemeiner Statistiken aufgrund möglicher weiterer, unternehmensinterner Fehler oder anderer Einflussfaktoren oftmals nicht aus.560 557 EuGH, verb. Rs. 106 und 107 / 63, Töpfer und Getreide-Import-Gesellschaft, Slg. 1965, S. 547, 553 ff. 558 EuGH, Rs. 40 / 75, Produits Bertrand, Slg. 1976, S. 1, 8, Rn. 6 / 7 ff. 559 EuGH, verb. Rs. C-363 / 88 und C-364 / 88, Finsider, Slg. 1992, I-359, 417, Rn. 26.
E. Schaden und Kausalität
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Im Falle der Auflösung bestehender Lieferverträge wegen der erwarteten oder verhängten Strafzölle dürften sämtliche mit dieser Auflösung verbundene Kosten ersatzfähig sein. Ersatzfähig ist weiterhin der entgangene Gewinn, der bei gewöhnlichem Lauf der Dinge erzielt worden wäre. Dieser muss vom Kläger bewiesen werden, worin eine erhebliche Hürde besteht. Eine Absenkung des nachgewiesenen entgangenen Gewinns aus Billigkeitsgründen dürfte jedoch eine auf die besonderen Umstände der Rechtssache Kampffmeyer zu begrenzende Ausnahme sein. Sollten Exportgeschäfte lediglich beabsichtigt gewesen sein, jedoch noch keine vertraglichen Verpflichtungen vorliegen, wird hingegen regelmäßig ein Schaden mangels ausreichender Substantiierung der Geschäfte abzulehnen sein. Denn wenn, wie im Urteil Kampffmeyer, trotz bereits beantragter Einfuhrgenehmigungen eine schadensrelevante Geschäftsabsicht zu verneinen ist, wird dies erst recht im Falle von Exporten anzunehmen sein, für die eine Ausfuhrgenehmigung grundsätzlich nicht erforderlich ist.
3. Schadensminderung durch Abwälzung des Schadens auf Dritte und Substitutionsgeschäfte Der Gerichthof geht vom Bestehen einer Schadensminderungspflicht des Geschädigten aus und verweist zur Begründung auf den allgemeinen, den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsatz, dass der Geschädigte sich in angemessener Form um die Begrenzung des Schadensumfanges bemühen müsse. Bei Verletzung dieser Verpflichtung drohe die Gefahr, dass der Geschädigte den Schaden – anteilig oder vollumfänglich – selbst zu tragen habe.561 Als schadensmindernde Tätigkeiten kommen insbesondere Substitutionsgeschäfte und die Abwälzung der erlittenen Nachteile auf die Preise in Betracht; die daraus erlangten Vorteile sind auf den geltend gemachten Schaden anzurechnen.562 Soweit der EuGH eine solche Anrechnung auch für Einkünfte befürwortet, die bei Einhaltung der gewöhnlichen Sorgfalt lediglich hätten gezogen werden können,563 ist dies insbesondere hinsichtlich der Abwälzung auf Dritte auf Kritik gestoßen.564 560 EuGH, Rs. 26 / 74, Roquette, Slg. 1976, S. 677, 687 f., Rn. 21 – 24; siehe GA van Gerven, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-363 und C-364 / 88, Finsider, Slg. 1992, I-359, 408, Rn. 35. 561 EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3136 f., Rn. 33. 562 EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3136 f., Rn. 33; Rs. 238 / 78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, S. 2955, 2974, Rn. 14; verb. Rs. 64 und 113 / 76, 167 und 239 / 78, 27, 28 und 45 / 78, Dumortier fréres, Slg. 1979, S. 3091, 3115, Rn. 15. 563 So ausdrücklich für Substitutionsgeschäfte EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3136 f., Rn. 33; zum Einwand, eine Abwälzung auf Dritte hätte zumindest vorgenommen werden können, stellt der EuGH fest, dass ein solcher Einwand „im Rahmen einer Schadensersatzklage nicht von vornherein von der Hand gewiesen werden“ könne, EuGH, Rs. 238 / 78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, S. 2955, 2974, Rn. 14; verb. Rs. 64 und 113 / 76, 167 und 239 / 78, 27, 28 und 45 / 78, Dumortier fréres, Slg. 1979, S. 3091, 3115, Rn. 15.
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Bezogen auf die betroffenen Unternehmen im Falle einer Strafzollerhebung folgt daraus, dass tatsächlich erlangte Einkünfte aus Substitutionsgeschäften so-wie feststehende Abwälzungen auf Dritte schadensmindernd anzurechnen sind.565 Sollten Handelsgeschäfte mit anderen Staaten aufgrund der prohibitiven Wirkung der Strafzollerhebung intensiviert worden sein, können diese nur dann als anzurechnende Substitutionsgeschäfte qualifiziert werden, wenn ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem durch die Strafzollerhebung verursachten Geschäftsausfall und der Vornahme weiterer Geschäftstätigkeit mit dem betreffenden Staat vorliegt.566
II. Kausalität 1. Die Kausalität als Haftungsvoraussetzung Zwischen dem Schaden und dem rechtswidrigen Verhalten des Gemeinschaftsorgans muss zunächst ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der conditio sine qua non-Formel bestehen.567 Aufgrund der Weite des so begründeten Kausalzusammenhangs nimmt der EuGH bestimmte Einschränkungen bzw. Qualifizierungen der Schadenszurechnung vor und verweist auf die Unmittelbarkeit der Schadensverursachung.568 Dieses Kriterium dient vor allem dem Ausschluss einer 564 Insbesondere wurde bezweifelt, ob die Abwälzung eines Schadens zur gewöhnlichen Sorgfalt eines Erzeugers gehört, GA Capotorti, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 238 / 78, IreksArkady, Slg. 1979, S. 2955, 3006 ff. 565 Hinsichtlich einer Abwälzung der Mehrkosten auf Dritte wird einerseits auf die Regelungen laufender Lieferverträge mit Zwischenhändlern in dem betreffenden Drittstaat abzustellen sein und ob sich aus diesen ergibt, welcher Vertragspartner die Verzollung zu zahlen hat und ob eine Abwälzung durch kurzfristige Vertragsanpassung aufgrund bestehender Öffnungsklauseln auf den Zwischenhändler überhaupt rechtlich möglich ist. Bei Verträgen, die nach der Strafzollerhebung abgeschlossen werden, wird andererseits zu beachten sein, dass auch bei einer Abwälzung der Kosten auf Zwischenhändler eine signifikante Verteuerung der Waren eintreten wird und mithin Absatzeinbußen zu erwarten sind. Dies wäre dann zumindest im Rahmen eines entgangenen Gewinns zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweislast trifft in diesem Fall die Gemeinschaftsorgane, Ossenbühl, S. 613; Gündisch, RIW / AWD 1979, 850 (852); ebenso GA Mancini, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 256 / 81, Pauls Agriculture, Slg. 1983, S. 1707, 1723, 1726 f. 566 Die Ausführungen des EuGH zur Substitutionstätigkeit bezogen sich auf eine Situation, in der den Produzenten aufgrund der (rechtswidrigen) gemeinschaftsrechtlichen Gesetzeslage gänzlich die Produktion bestimmter Güter untersagt war, diese aber auf anderem Gebiet Substitutionstätigkeiten ausgeübt haben, vgl. GA van Gerven, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3122, Rn. 49. 567 Die Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichte nennen zwar nicht ausdrücklich die conditio-sine-qua-non-Formel, stellen aber im Ergebnis darauf ab, vgl. EuG, Rs. T-572 / 93, Odigitria, Slg. 1995, II-2025, 2050 f., Rn. 65 ff. 568 EuGH, verb. Rs. 64 und 113 / 76, 167 und 239 / 78, 27, 28 und 45 / 78, Dumortier fréres, Slg. 1979, S. 3091, 3117, Rn. 21; EuG, Rs. T-168 / 94, Blackspur, Slg. 1995, II-2627, 2644, Rn. 40.
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Haftung für entfernte Schäden. Auch insofern kommt es freilich auf eine wertende Betrachtung im Einzelfall an.569 Als weitere Einschränkung stellt der EuGH bei Bewertung des unmittelbaren ursächlichen Zusammenhangs auf die objektive Vorhersehbarkeit ab und zieht hierbei Kriterien heran, die denjenigen der Adäquanz weitgehend entsprechen.570 So wird beispielsweise auf einen „verständig denkenden Adressaten“571 oder „umsichtigen“ Teilnehmer im Rechtsverkehr572 abgestellt.
2. Ursächliches Verhalten Dritter Im Falle der Strafzollerhebung wird der unmittelbare Vermögensnachteil der europäischen Exporteure durch die Sanktionsentscheidung des Drittstaates bzw. durch die Erhebung von Strafzöllen durch dessen Zollverwaltung verursacht. Daher stellt sich die Frage, ob den Gemeinschaftsorganen der Schaden dennoch zugerechnet werden kann oder eine Unterbrechung des Kausalverlaufs durch Dazwischentreten Dritter gegeben ist.573
a) Die WTO-widrige Gemeinschaftshandlung als mitursächliches Verhalten Das WTO-widrige Verhalten der Gemeinschaft stellt im Sinne der Äquivalenztheorie eine Bedingung dar, die für die Schadensverursachung ursächlich ist. Ebenso liegt die im Rahmen der Zurechnung ebenfalls zu prüfende „hypothetische Kausalität“574 des Verhaltens der Gemeinschaftsorgane für den Erfolgseintritt vor. Denn ohne die WTO-widrigen Gemeinschaftsrechtsakte wäre eine Aussetzung von Zugeständnissen gem. Art. 22 Abs. 2 DSU durch den Drittstaat nicht zulässig.
569 Wurmnest, S. 180 m. w. N. Insoweit ist das Kriterium nicht ähnlich restriktiv wie im deutschen Haftungsrecht zu verstehen, v. Bogdandy, in Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 106; Czaja, S. 39; GA Gand beschreibt den unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang negativ im Sinne einer „hypothetischen Kausalität“: „Eine die Haftung begründende Ursächlichkeit besteht nicht, wenn der gleiche Erfolg auf dieselbe Art und Weise auch eingetreten wäre, ohne dass die Verwaltung ihre Pflichten verletzt hätte“, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. 5,7 und 13 – 24 / 66, Kampffmeyer, Slg. 1967, S. 331, 375. 570 Wurmnest, S. 179; Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 81; Ossenbühl, S. 604. 571 EuGH, Rs. 36 / 62, Aciéries du Temple / Hohe Behörde, Slg. 1963, S. 619, 638. 572 EuGH, Rs. 169 / 73, Compagnie Continentale, Slg. 1975, S. 117, 136, Rn. 28 – 32. 573 Insoweit stellt sich hier eine zum mittelbaren Eingriff in das Recht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit vergleichbare Problematik, dazu oben Teil 3, D. II. 2. b). 574 Hierzu v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 107.
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b) Die Rechtsprechung zur Unterbrechung des Kausalverlaufs durch Handlungen Dritter aa) Die Entscheidungen zum EG-Marktordnungsrecht – die Eigenständigkeit der Entscheidung als Abgrenzungskriterium Äußerst problematisch ist die Zurechnung im Bereich des gestuften Verwaltungsverfahrens zwischen den Verwaltungsstellen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft im Bereich des Marktordnungsrechts, namentlich im Rahmen der Vergabe von Strukturfördermitteln. Hier geht ebenfalls das unmittelbar schädigende Ereignis von den mitgliedstaatlichen Behörden als Dritte aus. Soweit die Mitgliedstaaten im direkten Vollzug ohne eigenen Handlungsspielraum rechtswidriges Gemeinschaftsrecht umsetzen, ist ein daraus resultierender Schaden grundsätzlich den Gemeinschaftsorganen zuzurechnen. Der bloße Vollzug des Gemeinschaftsrechts hat insofern keinen Einfluss auf die Schadenszurechnung. Die Verantwortlichkeit der Gemeinschaft folgt hierbei aus der unmittelbaren Geltung und dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts.575 Der EuGH verneint die Zurechenbarkeit jedoch dann, wenn die Maßnahme mitgliedstaatlicher Behörden eine eigenständige, im Rahmen ihres Handlungsermessens vorgenommene Entscheidung darstellt, die an einem selbstständigen Fehler leidet, und eine verbindliche Weisung der Kommission an die mitgliedstaatlichen Behörden nicht vorliegt.576 Da die Kommission im Rahmen einer informellen Zusammenarbeit die Entscheidung der mitgliedstaatlichen Behörden bisweilen massiv beeinflussen kann, ohne dass eine formelle Weisung vorliegt oder rechtlich möglich ist, ist diese Rechtsprechung als unbefriedigend kritisiert worden. Denn die Ersatzverpflichtung bleibe weit hinter der Einflussnahme und damit der tatsächlichen Schadensverantwortung zurück.577 575 Borchardt, in: Dauses, Hdb. des EU-Wirtschaftsrecht, P I, Rn. 256; v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 53 m. w. N. Handelt es sich um die bloße Erstattung einer aufgrund rechtwidrigen Gemeinschaftsrechts nicht ausgezahlten Subvention oder die Rückerstattung gemeinschaftswidrig erhobener Abgaben, muss aus prozessualer Sicht jedoch zunächst der Mitgliedstaat selbst in Anspruch genommen werden, v. Bogdandy, in: Grabitz /Hilf, Art. 288, Rn. 49 ff. m. w. N. Vgl. auch EuGH, verb. Rs. 89 und 91 / 86, Étoile Commerciale, Slg. 1987, S. 3005, 3027, Rn. 19 und EuGH, Rs. 175 / 84, Krohn, Slg. 1986, S. 753, Rn. 21, in denen diese Problematik bereits in der Zulässigkeit behandelt wird. 576 EuGH, verb. Rs. 89 und 91 / 86, Étoile Commerciale, Slg. 1987, S. 3005, 3026 f., Rn. 19; EuGH, Rs. 175 / 84, Krohn, Slg. 1986, S. 753, 768, Rn. 21 f.; EuG, Rs. T-54 / 96, Oleifici, Slg. 1998, II-3377, 3404 f., Rn. 67: „Im vorliegenden Fall ist zum Bestehen eines unmittelbaren ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem der Kommission vorgeworfenen Verhalten und dem angeblichen Schaden festzustellen, dass die Ablehnung, die streitigen Lagerkosten auszugleichen, vom Verhalten der Dienststellen der Kommission im Rahmen ihrer informellen Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden unabhängig ist und die wohlüberlegte selbstständige Entscheidung dieser Behörden war [ . . . ]. Infolgedessen ist der von den Klägerinnen geltend gemachte Schaden diesen nationalen Behörden zuzurechnen und ist nicht unmittelbar durch das der Kommission vorgeworfene Verhalten verursacht worden.“. 577 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 57.
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bb) Die Entscheidungen im Zusammenhang mit dem ersten Lomé-Abkommen Auch anlässlich von Klagen im Zusammenhang der im ersten Abkommen von Lomé578 eingeführten technischen und finanziellen Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten, insbesondere das Verfahren der Vergabe öffentlicher Bauaufträge, hatte sich der Gerichtshof mit dem Aspekt des Ursachenzusammenhangs zu befassen.579 Die Entscheidung über die Vergabe der im Rahmen der Strukturförderung finanzierten Aufträge liegt bei den staatlichen Stellen des betreffenden AKP-Staates; dieser wird alleiniger Vertragspartner der Bieter. In der Rechtssache Développement580 suchte die im Vergabeverfahren übergangene Bieterin dennoch eine Verantwortlichkeit der Kommission aufgrund deren Eingreifens in das Vergabeverfahren zu begründen. Der EuGH stellte hierzu fest, dass trotz der eindeutigen Zuständigkeitsverteilung im Vergabeverfahren nicht auszuschließen sei, dass bei Durchführung der Projekte durch Handlungen und Verhaltensweisen, die der Kommission zuzurechnen sind, Dritte geschädigt werden könnten.581 Die Gemeinschaft sei jedoch nur für ein rechtswidriges Verhalten haftbar, das Einfluss auf die Entscheidung des AKP-Staates habe.582
cc) Haftung für Embargoschäden – Das Urteil des EuG in der Rechtssache Dorsch Consult (Rs. T-184 / 95) In der Rechtssache Dorsch Consult 583 setzte sich das EuG eingehend mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen gegebenenfalls eine Verantwortlichkeit der Gemeinschaft für einen Schaden vorliegen könnte, der durch eine auf die Verhängung eines Embargos erfolgte Gegenmaßnahme des sanktionierten Drittstaats verursacht wurde.584 Die Klägerin schloss bereits 1975 einen Vertrag mit dem irakischen Ministry of Works and Housing über die Erbringung bestimmter Planungs- und Bauüberwachungsleistungen, der mehrmals verlängert wurde. 578 Verordnung (EWG) Nr. 199 / 76 des Rates vom 30. 01. 1976 über den Abschluss des AKP-EWG Abkommens von Lomé, ABl. Nr. L 25 v. 30. 01. 1976, S. 1 ff. 579 EuGH, Rs. 118 / 83, CMC, Slg. 1985, 2325; Rs. 267 / 82, Développement, Slg. 1986, S. 1907. Siehe auch Wurmnest, S. 183, m. w. N. 580 EuGH, Rs. 267 / 82, Développement, Slg. 1986, S. 1907. 581 EuGH, Rs. 267 / 82, Développement, Slg. 1986, S. 1907, 1917 f., Rn. 16. 582 EuGH, Rs. 267 / 82, Développement, Slg. 1986, S. 1907, 1920 f., Rn. 25 ff.; vgl. auch EuGH, Rs. C-182 / 91, Forafrique, Slg. 1993, I-2161, 2190, Rn. 23; Wurmnest, S. 183 m. w. N. 583 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667 ff. 584 Das EuG äußert sich zwar im Zusammenhang einer möglichen Haftung aufgrund rechtmäßigen Verhaltens der Gemeinschaft zum Kausalzusammenhang, diese Ausführungen können jedoch auch für die Haftung aus Art. 288 Abs. 2 EG Geltung erlangen, da das Gericht selbst hinsichtlich der Voraussetzungen auf die Terminologie der Haftung nach Art. 288 Abs. 2 EG verweist und diesbezüglich Rechtsprechung zitiert, EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 688 und 692 f., Rn. 59 und 70.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
Als der Rat am 8. August 1990 in Ausführung der am 6. August 1990 vom Sicherheitsrat der VN als Reaktion auf die irakische Invasion Kuwaits verabschiedeten Resolution 661 ein Handelsembargo der Gemeinschaft gegen Irak verhängte,585 standen der Klägerin angeblich noch vom irakischen Ministerium schriftlich anerkannte Forderungen aus den Beratungsleistungen in einer Höhe von über 2,2 Mio. DM zu. Der Irak reagierte unter Hinweis auf die „willkürlichen Beschlüsse einiger Regierungen“ mit einem Abwehrgesetz als Gegenmaßnahme, mit dem alle Vermögen und Bestände von Unternehmen an den Embargomaßnahmen beteiligter Staaten gesperrt wurden. Zu einer Auszahlung der offenen Forderungen der Klägerin kam es daraufhin nicht mehr. Das EuG prüfte die Frage, ob der Erlass des irakischen Abwehrgesetzes sowie die Auszahlungsweigerung unmittelbare Folge des Erlasses der europäischen Embargoverordnung seien. Hierzu stellte das Gericht fest, dass das Abwehrgesetz lediglich auf die Beschlüsse „einiger Regierungen“ verwies, die Gemeinschaft jedoch nicht explizit genannt wurde.586 Sodann führte das Gericht aus, selbst wenn der Erlass der Embargoverordnung als „willkürlicher Beschluss . . . einiger Regierungen“ im Sinne des irakischen Abwehrgesetzes anzusehen wäre, „ist der Klägerin, die die Beweislast trägt ( . . . ), rechtlich nicht der Beweis gelungen, dass der Erlass dieses Gesetzes als Vergeltungsmaßnahme eine bei gewöhnlichem Geschehensablauf objektiv vorhersehbare Folge des Erlasses dieser Verordnung war.“587
dd) Zusammenfassung Zwar gehen die Gemeinschaftsgerichte grundsätzlich davon aus, dass der Kausalverlauf durch das Verhalten eines Mitgliedstaats oder eines Drittstaates unterbrochen werden kann, diese Folge ist jedoch keineswegs zwingend.588 In Bereichen aufgeteilter Handlungszuständigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorganen stellt der Gerichtshof insbesondere auf das Merkmal des eigenständigen Handlungsspielraumes der Mitgliedstaaten ab und rechnet autonom getroffene Entscheidungen den Mitgliedstaaten zu.589 Ein der Gemeinschaft zu585 Verordnung (EWG) Nr. 2340 / 90 des Rates vom 08. 08. 1990 zur Verhinderung des Irak und Kuwait betreffenden Handelsverkehrs der Gemeinschaft, ABl. Nr. L 213 vom 09. 08. 1990, S. 1. 586 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 692 f., Rn. 70 f. 587 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 693, Rn. 72. Einen weiteren Grund für die Ablehnung eines „solchen unmittelbaren Kausalzusammenhangs“ sah das Gericht noch in dem Umstand, dass die Gemeinschaft im Rahmen der völkerrechtlichen Verpflichtung des Art. 25 VN-Charta das Embargo umsetzen musste und deshalb der geltend gemachte Schaden dem Erlass der Resolution Nr. 661 des Sicherheitsrates zuzurechnen sei, EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 694, Rn. 74. 588 Siehe im Einzelnen Vesting, S. 77 f. 589 Vgl. Wurmnest, S. 183.
E. Schaden und Kausalität
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rechenbares Verhalten wird demgegenüber vor allem in Fällen direkter Weisungen an den Mitgliedstaat oder der Abgabe rechtlich erforderlicher Ermächtigungen für das mitgliedstaatliche Handeln durch die Gemeinschaftsorgane bejaht.590 In Fällen des Dazwischentretens von Drittstaaten verfolgen die Gemeinschaftsgerichte einen wertenden Ansatz bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs. Obwohl die Entscheidung des Drittstaates unabhängig und eigenständig von einem etwaigen rechtlich relevanten Einfluss der Gemeinschaftsorgane erfolgte, ist eine Schadenszurechnung nicht ausgeschlossen, wenn die schadensstiftende Entscheidung des Drittstaates als objektiv vorhersehbare Folge im Sinne der Adäquanzformel zu qualifizieren ist.
c) Strafzollerhebung durch einen Drittstaat – Bewertung der Kausalität aa) Die Eigenständigkeit der Maßnahme, Art. 22 Abs. 2 DSU Sowohl bei der Beantragung der Genehmigung zur Aussetzung von Zugeständnissen gem. Art. 22 Abs. 2 DSU als auch bei der tatsächlichen Durchführung der genehmigten Gegenmaßnahmen handelt es sich um eigenständige Handlungen des Drittstaates. Der WTO-widrige Gemeinschaftsrechtsakt ist zwar notwendige Voraussetzung für die Genehmigung der Gegenmaßnahmen durch das DSB, die tatsächliche Erhebung von Strafzöllen liegt jedoch im alleinigen Ermessen des Drittstaates.591 Die Gemeinschaft kündigte beispielsweise im Streit mit den USA um die Foreign Sales Corporations erst im November 2003 die Erhebung von Strafzöllen an. Zu diesem Zeitpunkt erschien das Vorgehen aus handelsdiplomatischer Sicht günstig.592 Dennoch schließt die Handlungsfreiheit allein noch nicht die Schadenszurechnung aus. Beim Dazwischentreten eines Drittstaates tritt das Kriterium der Eigenständigkeit der Entscheidung – wie dargestellt – in den Hintergrund. Ein aus Rechtsgründen bestimmender Einfluss der Gemeinschaftsorgane auf die Entscheidungen anderer Staaten wird angesichts der Staatensouveränität die Ausnahme bilden und die Haftung der Gemeinschaft wäre regelmäßig ausgeschlossen. Das EuG stellt demnach darauf ab, ob die Gegenmaßnahme durch die Gemeinschaftshandlung direkt hervorgerufen wurde.593 Eine solche Einordnung der Gegenmaßnahme 590 So insbesondere die für den Schaden „mitursächliche“ durch die Kommission erteilte Ermächtigung zur Aufrechterhaltung der Schutzmaßnahmen in der Rechtssache Kampffmeyer, vgl. GA Gand, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. 5,7 und 13 – 24 / 66, Kampffmeyer, Slg. 1967, S. 331, 375. 591 Hierauf weist insbesondere Meng hin, FS Rudolf, S. 93. 592 Süddeutsche Zeitung vom 06. 11. 2003. 593 In der Entscheidung Dorsch Consult hatte das Gericht diesbezüglich Zweifel, da das irakische Abwehrgesetz nicht direkt auf die Embargoverordnung bezug nahm, EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 692 f., Rn. 70 f.
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Teil 3: Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft
ist im Falle der Strafzollerhebung zu bejahen. Die Strafzölle werden im Hinblick auf die WTO-Widrigkeit einer in der DSB-Entscheidung detailliert geprüften Gemeinschaftsmaßnahme als Gegenmaßnahme erhoben und haben die Funktion, die DSB-Entscheidung durchzusetzen. Darüber hinaus sind sie in ihrem Umfang auf das Ausmaß der durch die WTO-widrigen Gemeinschaftsmaßnahmen eingetretenen Schmälerung von Zugeständnissen begrenzt.
bb) Die Vorhersehbarkeit der Maßnahmen Die von einem Drittstaat im Rahmen des DSU ergriffenen Gegenmaßnahmen werden auch als eine bei gewöhnlichem Geschehensablauf objektiv vorhersehbare Folge der WTO-widrigen Gemeinschaftshandlung einzuordnen sein. Die Gegenmaßnahmen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Nichtumsetzung des DSB-Entscheidung und wurzeln mithin in der umstrittenen Gemeinschaftshandlung. Genehmigung und Durchsetzung der Gegenmaßnahmen waren auch für die Gemeinschaftsorgane objektiv vorhersehbar. Zum einen ist die Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung im Wege der in Art. 22 DSU genannten Gegenmaßnahmen bekannt und zum anderen müssen die Gemeinschaftsorgane davon ausgehen, dass der Drittstaat nach Durchführung des Streitbeilegungsverfahrens auf diese Maßnahmen letztlich nicht verzichten werde.594
3. Ergebnis Insgesamt sind die Strafzölle und die daraus resultierenden Schäden der Gemeinschaft zurechenbar, da die objektive Vorhersehbarkeit der durch den Drittstaat im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens ergriffenen Gegenmaßnahmen gegeben ist. Darüber hinaus sprechen Wertungen des Einzelfalles für eine Zurechnung.595 So dürfte insbesondere unter einer gerechtigkeitsorientierten Betrachtungsweise die Verantwortlichkeit der Gemeinschaft zu bejahen sein, da sie durch ihr fortgesetztes WTO-widriges Verhalten die Erhebung der Strafzölle letztlich herbeiführt.596
Meng, FS Rudolf, S. 93; Hörmann / Göttsche, RIW 2003, S. 689 (696). Den Einfluss wertender Elemente im Rahmen der Kausalitätsentscheidung betonen Wurmnest, S. 181, 185; Meng, FS Rudolf, S. 93; vgl. auch GA van Gerven, der hervorhebt, dass die Beurteilung des Kausalzusammenhangs in concreto zu erfolgen habe, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-363 / 88 und C-364 / 88, Finsider, Slg. 1992, I-359, 408, Rn. 34. 596 Darüber hinaus können bestimmte Umstände des Einzelfalles, wie beispielsweise eine entschiedene Weigerung der Gemeinschaft, die DSB-Entscheidung umzusetzen oder die frühzeitige Ankündigung des Drittstaates, unter Ablehnung weiterer Verhandlungen frühestmöglich eine Strafzollerhebung vorzunehmen, für eine Zurechnung sprechen. 594 595
Teil 4
Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln A. Die Haftung für rechtmäßiges Handeln im Gemeinschaftsrecht Wird die Rechtswidrigkeit der Gemeinschaftshandlung vom Gemeinschaftsrichter verneint, stellt sich die Frage, ob die Gemeinschaft unter bestimmten Voraussetzungen für rechtmäßiges Handeln haftet, wenn dem Einzelnen eine besondere Belastung auferlegt wird. Denn auch durch rechtmäßige Gemeinschaftshandlungen kann in schwerwiegender Weise in die Rechtspositionen privater Rechtsträger eingegriffen werden.1
I. Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte 1. Die Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hat bislang die Frage offen gelassen, ob eine Rechtmäßigkeitshaftung im Gemeinschaftsrecht besteht. Nachdem sich schon früh Kläger auf eine Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln berufen hatten,2 widmete sich der EuGH diesem Thema erstmals in der Entscheidung Compagnie d’Approvisionnement.3 Die aus der Haftung für „nicht rechtswidriges Verhalten“ hergeleitete Rüge wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine Haftung für einen legalen Rechtssatz zumindest unter den vorliegenden Umständen nicht in Betracht kommen könne.4 1 v. Bogdandy, Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 94. Dies ist zudem unter dem Gesichtspunkt bedeutsam, dass die Gemeinschaftsgerichte zur Sicherung der Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane sowohl einer unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts ablehnend gegenüber stehen als auch die Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht an besonders strenge Voraussetzungen knüpfen. 2 Vgl. nur EuGH, verb. Rs. 5, 7, 13 – 24 / 66, Kampffmeyer, Slg. 1967, S. 331, 352, 354; Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975, 978, die Klägerin begehrt hilfsweise, den Schaden „in anderer Weise“ zu ersetzen. 3 EuGH, verb. Rs. 9 und 11 / 71, Cie d’Approvisionnement, Slg. 1972, S. 391. 4 EuGH, verb. Rs. 9 und 11 / 71, Cie d’Approvisionnement, Slg. 1972, S. 391, 409, Rn. 45 f. Denn die Gemeinschaftsmaßnahmen hätten im allgemeinen wirtschaftlichen Inte-
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Teil 4: Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln
In der Folgezeit hatte der EuGH weitere Gelegenheiten zur Stellungnahme, wobei jeweils der Vorwurf im Vordergrund stand, dass die umstrittene Gemeinschaftsregelung das mit ihr angestrebte Ziel nur zu Lasten Einzelner verwirklicht habe, anstatt die Belastungen auf alle Gemeinschaftsbürger umzulegen oder Ausgleichszahlungen für die Betroffenen vorzusehen.5 Der EuGH vermied weiterhin, eine Anerkennung der Haftung auszusprechen.6 Er deutete jedoch an, dass das Vorliegen eines vom Kläger zu tragenden Sonderopfers dabei die primäre Voraussetzung sein würde. In der Rechtssache Biovilac stellte er unter Bezugnahme auf die für Art. 288 Abs. 2 EG geltende Voraussetzung, dass der geltend gemachte Schaden die Grenzen der im betroffenen Sektor hinzunehmenden wirtschaftlichen Risiken überscheiten müsse, fest, dass dieser Grundsatz erst recht gelte, wenn eine Haftung für rechtmäßiges Verhalten zugelassen werden sollte.7 In der Rechtssache Développement schließlich wies der Gerichtshof darauf hin, die Rechtmäßigkeitshaftung setze jedenfalls voraus, dass ein Einzelner im Interesse des Gemeinwohls eine Belastung trage, die er eigentlich nicht zu tragen habe.8
2. Die Schlussanträge der Generalanwälte Die Generalanwälte nahmen die entsprechenden Rügen der Kläger zum Anlass, sowohl die grundsätzliche Möglichkeit einer Rechtmäßigkeitshaftung als auch deren Mindestvoraussetzungen zu diskutieren. Lediglich Generalanwalt Trabucchi folgerte aus der bereits zitierten Entscheidung Compagnie d’Approvisionnement, dass der Gerichthof darin stillschweigend eine Haftung der Gemeinschaft für legale Rechtsakte anerkannt habe.9 Andere hingegen gingen davon aus, dass diese Haftungsmöglichkeit vom Gerichtshof offengelassen und allenfalls hypothetisch behandelt worden sei.10 resse lediglich die Folgen mildern sollen, die sich aus einer Währungsabwertung der französischen Regierung für die französischen Importeure ergeben hätten. 5 Haack, S. 6 f. 6 Vgl. nur die Ausführungen in der Rechtssache Développement: „Der Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung, wie er von den Klägerinnen beschrieben wird, setzt voraus . . .“ (Hervorhebungen durch Verfasser), EuGH, Rs. 267 / 82, Développement, Slg. 1986, S. 1907, 1922, Rn. 33. 7 EuGH, Rs. 59 / 83, Biovilac, Slg. 1984, S. 4057, 4080 f., Rn. 28. 8 EuGH, Rs. 267 / 82, Développement, Slg. 1986, S. 1907, 1922, Rn. 33; im Zusammenhang mit möglichen Handlungspflichten der Gemeinschaftsorgane stellte der Gerichtshof dazu vergleichbar fest, dass die Gemeinschaftsorgane geeignete Maßnahmen ergreifen müssten, sollte sich zeigen, dass einzelne Unternehmen als Gruppe einen unverhältnismäßigen Anteil der mit der umstrittenen Beschränkung der Ausfuhrmärkte verbundenen Lasten zu tragen haben, EuGH, Rs. 81 / 86, De Boer Buizen, Slg. 1987, S. 3677, 3694, Rn. 17. 9 GA Trabucchi, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 169 / 73, Compagnie Continentale, Slg. 1975, S. 117, 141; ebenso Koenig / Haratsch, S. 169.
A. Die Haftung für rechtmäßiges Handeln im Gemeinschaftsrecht
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Hinsichtlich der Voraussetzungen einer möglichen Rechtmäßigkeitshaftung stimmen die Generalanwälte grundsätzlich darin überein, dass es allein darauf ankomme, dass das Handeln der Gemeinschaft dem Einzelnen ein Sonderopfer auferlegt habe, das nach dem Prinzip der Lastengleichheit auszugleichen sei.11 Eine Entschädigung sei hingegen jedenfalls dann nicht zu leisten, wenn der Kläger das von ihm eingegangene Risiko kannte oder hätte kennen müssen.12
3. Die Urteile des EuG und des EuGH in der Rechtssache Dorsch Consult (Rs. T-184 / 95 und Rs. C-237 / 98) Im Urteil Dorsch Consult 13 vom 28. April 1998 setzte sich das EuG dezidiert mit den Voraussetzungen einer Rechtmäßigkeitshaftung auseinander, wies jedoch ausdrücklich darauf hin, dass dieses Haftungsinstitut noch nicht in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannt sei. Die Klägerin stützte sich in ihrem Hauptantrag auf eine Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln und nur hilfsweise auf die Unrechtshaftung.14 Obwohl das Gericht bereits das Vorliegen eines sicheren und gegenwärtigen Schadens sowie des notwendigen Kausalzusammenhangs verneinte, nahm es dennoch zu den weiteren Voraussetzungen einer Haftung für rechtmäßiges Handeln Stellung.15 Unter Bezugnahme auf die oben dargestellte Rechtsprechung gelangte es zu dem Ergebnis, dass eine Haftung für rechtmäßiges Handeln nur unter den folgenden drei Voraussetzungen ausgelöst werden könne. Erstens müsse es sich um einen besonderen Schaden handeln, der eine besondere Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gegenüber den anderen unverhältnismäßig belaste. Zweitens müsse der Schaden außergewöhnlich sein, also die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken, die der Tätig10 GA Verloren van Themaat, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 26 / 81, Oleifici Mediterranei, Slg. 1982, S. 3057, 3089 f., der den Gerichtshof ausdrücklich auffordert, die Haftung nicht völlig auszuschließen, sondern die Frage weiter offen zu lassen; GA Slynn, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 59 / 83, Biovilac, Slg. 1984, S. 4057, 4091: „Meiner Ansicht nach hat der Gerichtshof die Frage einfach offen gelassen“; GA La Pergola Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-237 / 98, Dorsch Consult, Slg. 2000, I-4549, 4560, Rn. 16, der die – unter dogmatischen Gesichtspunkten zweifelhafte – Ansicht vertritt, der EuGH habe die Rechtmäßigkeitshaftung „hypothetisch anerkannt“. 11 So ausdrücklich GA Mischo, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-104 / 97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, 6993, Rn. 47; siehe auch GA La Pergola, Schlussanträge zu Rs. C-237 / 98 P, Dorsch Consult, a. a. O., S. 4561 Rn. 17. 12 GA Slynn, Schlussanträge zu EuGH, Rs 59 / 83, Biovilac, a. a. O., S. 4091. 13 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667 ff. Der Sachverhalt wurde bereits oben unter Teil 3, E. II. 2. b) cc) dargestellt. 14 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 678, Rn. 24. 15 Und zwar jeweils unter Hinweis auf die „besonderen Umstände der vorliegenden Rechtssache“, EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 692 und 694 f., Rn. 69 und 75.
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Teil 4: Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln
keit in dem bestreffenden Sektor innewohnen, überschreiten und – drittens – dürfe die dem Schaden zugrunde liegende Regelung nicht durch ein allgemeines wirtschaftliches Interesse gerechtfertigt sein.16 Im Rechtmittelverfahren vermied es der EuGH ebenfalls, die Rechtmäßigkeitshaftung ausdrücklich anzuerkennen. Er bestätigte jedoch die vom EuG herausgearbeiteten Haftungsvoraussetzungen. Es müssten demnach nebeneinander die Voraussetzungen eines Schadens, des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Handlung und Schaden sowie der Qualifikation des Schadens als besonderer und außergewöhnlicher Schaden vorliegen.17
4. Würdigung der Rechtsprechung Die dargestellte Entwicklung der Rechtsprechung zeigt, dass die Gemeinschaftsgerichte einer Haftung für rechtmäßiges Handeln zunehmend aufgeschlossen gegenüber stehen. Anstatt frühzeitig eine solche Haftung auszuschließen, haben sie die Frage nicht nur offen gelassen, sondern einen detaillierten Haftungstatbestand herausgearbeitet. Die Notwendigkeit, dem Einzelnen unabhängig von der Rechtswidrigkeit der belastenden Maßnahme einen Ausgleich zu gewähren, wenn dieser zum Wohle der Allgemeinheit eine besondere Belastung – also ein Sonderopfer – trägt, scheint grundsätzlich Zustimmung zu finden. Insbesondere die Entscheidung Dorsch Consult des EuG und die darin vorgenommenen Ausgestaltung des vom EuGH später bestätigten Haftungstatbestandes kann dahingehend verstanden werden, dass der künftigen Anerkennung dieses Haftungsinstituts der Weg bereitet werden sollte.18 Nur so lässt sich auch das dogmatisch zweifelhafte Vorgehen erklären, einen Tatbestand hypothetisch auszugestalten und zu prüfen, ohne dessen grundsätzliche Anerkennung auszusprechen.19
16 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 696, Rn. 80. Das EuG hatte zunächst die Begriffe „außergewöhnlicher Schaden“ und „besonderer Schaden“ vertauscht, dies wurde mit Beschluss vom 16. 12. 1998 berichtigt, vgl. GA La Pergola, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-237 / 98, Dorsch Consult, Slg. 2000, I-4549, 4552, Fußnote 1. 17 EuGH, Rs. C-237 / 98 P, Dorsch Consult, Slg. 2000, I-4549, 4574, Rn. 19. Da der Gerichtshof bereits den Nachweis eines tatsächlichen und sicheren Schadens verneinte, wies er das Rechtsmittel zurück, ohne auf die weiteren Voraussetzungen einzugehen, Rs. C-237 / 98 P, Dorsch Consult, Slg. 2000, I-4549, 4574, Rn. 54. 18 Haack, EuR 1999, 395 (398, 403), der anmerkt, dass die Richter vielleicht nicht den Mut gehabt haben, die Frage nach dem „ob“ der Haftung für rechtmäßiges Handeln zu beantworten; v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 94a; Gilsdorf / Niejahr, von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 89 (die Anerkennung durch EuGH sei „nur noch eine Frage der Zeit“). 19 Vgl. Haack, EuR 1999, 395 (398). Die grundsätzliche Ablehnung eines Tatbestandes nach erfolgter Prüfung und Bejahung der „hypothetischen“ Voraussetzungen desselben, würde das dogmatische Vorgehen des EuGH noch weiter in Zweifel ziehen.
A. Die Haftung für rechtmäßiges Handeln im Gemeinschaftsrecht
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II. Die Anerkennung der Haftung für rechtmäßiges Handeln in der Gemeinschaftsrechtsordnung Da die Rechtmäßigkeitshaftung durch den Gerichtshof (noch) nicht anerkannt worden ist, soll folgend untersucht und dargelegt werden, ob eine solche Haftung in der Gemeinschaftsrechtsordnung grundsätzlich Anerkennung finden könnte. Art. 288 Abs. 2 EG erhält die Ermächtigung zur richterlichen Ausgestaltung des Haftungstatbestandes unter Berücksichtigung der den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Rechtsgrundsätze. Das bedeutet hingegen nicht, dass aus einem Vergleich der mitgliedstaatlichen Haftungsinstitute der „kleinste gemeinsame Nenner“ zu ermitteln ist.20 Vielmehr genießt die nationale Lösung Vorrang, die den Anforderungen und Strukturen auf Gemeinschaftsebene am ehesten gerecht wird.21 Die Grundsätze der Gemeinschaftshaftung werden deshalb bestenfalls im Wege der Methode der wertenden Rechtsvergleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ermittelt, in deren Rahmen die speziellen Vertragsziele und die Besonderheiten der Gemeinschaftsstruktur zu berücksichtigen sind.22
1. Die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen In früheren Untersuchungen ist bereits herausgearbeitet worden, dass eine Staatshaftung für rechtmäßiges Handeln, insbesondere für rechtmäßiges Verwaltungshandeln,23 in mehreren mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen existiert.24 In diesem Kontext wird vorrangig auf die sans-faute-Haftung im französischen Recht verwiesen, die eine Ersatzpflicht des Staates auch für einen durch Gesetz verursachten Schaden begründet.25 Grundlage dieses Haftungsinstituts ist das Prinzip der „rupture de l’égalité devant les charges publiques“, also des Lastengleichheitssatzes als spezieller Ausprägung des Gleichheitssatzes.26 Die sans-faute-HafSog. „Minimaltheorie“, vgl. Heldrich, JZ 1960, 681 (685). Oben Teil 3, A. I.; Haack, S. 22; Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (722) m. w. N. 22 Vgl. GA Roemer, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975, 990; v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 29; Koenig / Haratsch, S. 167. Zur Methode der wertenden Rechtsvergleichung eingehend Haack, S. 25 ff. 23 Haack, S. 67 f. Eine Haftung für rechtmäßiges Verwaltungshandeln existiert beispielsweise in Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien. In Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Portugal und Spanien wird dabei auch der Erlass von untergesetzlichen Normen von der Haftung für rechtmäßiges Handeln erfasst, Friese, S. 197. 24 Haack, S. 46 ff.; Bronkhorst, in: Heukels / McDonnel, S. 155 ff. 25 Haack, S. 54; Bronkhorst, in: Heukels / McDonnel, S. 156. Diese Haftung wird jedoch äußerst restriktiv gehandhabt und nur selten angewendet, GA Verloren van Themaat zu EuGH, Rs. 26 / 81, Oleifici Mediterranei, Slg. 1982, S. 3057, 3089 f. 26 Haack, S. 55 und 67. Auf dem Gedanken des Lastenausgleichs beruhen auch die Haftungsregelungen in Belgien, Deutschland, Luxemburg, Niederlande und Portugal. Vgl. auch Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (722). 20 21
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Teil 4: Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln
tung unterliegt engen Grenzen. Vom schädigenden Ereignis dürfen nur einzelne Personen oder eine klar abgrenzbare Gruppe betroffen sein. Zudem wird der Nachweis eines besonderen und hinreichend schweren Schadens verlangt, der die vom Betroffenen normalerweise zu tragenden Belastungen übersteigt.27 Auf dem Gedanken der Lastengleichheit gründet insbesondere auch die im deutschen Recht anerkannte Figur des Sonderopfers, auf die anlässlich der Schadensersatzklagen vor den europäischen Gerichten ebenfalls zur Begründung einer Haftung für rechtmäßiges Handeln Bezug genommen wird.28 Gegen eine Anerkennung der Rechtmäßigkeitshaftung unter Heranziehung des Prinzips der Lastengleichheit wird angeführt, diese finde keine hinreichende Grundlage in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und habe sich dort unter speziellen, nicht ohne weiteres auf die Gemeinschaftsebene übertragbaren historischen Voraussetzungen entwickelt.29 Insbesondere für die Haftung für legale Normativakte könne kein allgemeiner Rechtsgrundsatz in den Mitgliedstaaten festgestellt werden.30 Dennoch beschreibt der Verweis in Art. 288 Abs. 2 EG auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten lediglich den Rahmen für den richterlichen Bereich der Rechtsschöpfung, ohne eine gleichlautende Regelung in allen Mitgliedstaaten als Grundlage für die Ausgestaltung der Gemeinschaftshaftung zu fordern.31 Die den Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätze bilden insofern lediglich die Grenze der Rechtschöpfungskompetenz des Gerichtshofs. Der negative Befund einer Rechtmäßigkeitshaftung für Legislativakte in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten würde dann eine solche Haftung ausschließen, wenn die Einwände, die auf nationaler Ebene geltend gemacht werden, auch auf Gemeinschaftsebene relevant wären.32 Die ablehnende Haltung der Mitgliedstaaten gegen eine Haftung für Schäden aufgrund rechtmäßiger Legislativakte liegt insbesondere im Schutz der Immunität des demokratisch legitimierten Gesetzgebers begründet, der nicht durch das Haf27 „Préjudice spécial suffisamment grave“, vgl. m. w. N. Haack, S. 54 f.; Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (723). 28 Siehe nur EuGH, Rs. 59 / 83, Biovilac, Slg. 1984, S. 4057, 4080, Rn. 27; vgl. auch Urteil des EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 678 f. und 681, Rn. 25 und 33. 29 Czaja, S. 33; Meij, CMLRev. 1979, S. 481 (482); Vesting, S. 80; zurückhaltend auch Epping, S. 592; Gilsdorf, EuR 1975, S. 73 (109); v. Bogdandy, EuR 1997, S. 321 (329); GA Verloren van Themaat zu EuGH, Rs. 26 / 81, Oleifici Mediterranei, Slg. 1982, S. 3057, 3089 f. 30 Darauf weist auch Haack, S. 73, hin. 31 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass zur Zeit der Einführung der Haftung für normatives Unrecht auf Gemeinschaftsebene eine solche keinesfalls in allen Mitgliedstaaten zu finden war, sondern ebenfalls lediglich ein Mitgliedstaat diese anerkannt hat, Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (722 Fn. 125). 32 Haack, 103 ff.; Friese, S. 205.
A. Die Haftung für rechtmäßiges Handeln im Gemeinschaftsrecht
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tungsinstitut bei der ihm übertragenen Rechtssetzung beeinträchtigt werden soll.33 Dieser Einwand würde auf Gemeinschaftsebene nur durchschlagen, wenn die Normativakte der EG denen der Parlamente der Mitgliedstaaten gleichzusetzen wären. Eine Identität in diesem Sinne kann jedoch nicht uneingeschränkt bejaht werden, da weder Verordnungen noch Richtlinien den mitgliedstaatlichen Parlamentsgesetzen entsprechen. Die Hauptverantwortung im Rahmen der Normgebung liegt trotz Einführung des Mitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 EG bei Kommission und Rat, denen eine den Parlamenten vergleichbare demokratische Legitimation fehlt.34 Im Ergebnis können deshalb die in den Mitgliedstaaten bestehenden Einwände gegen eine Haftung auch für rechtmäßige Legislativakte nicht auf das Gemeinschaftsrecht übertragen werden.35
2. Widerspruch der Rechtmäßigkeitshaftung mit den Zielen und Strukturen der Gemeinschaftsrechtsordnung Daneben verlangt die Anerkennung einer Rechtmäßigkeitshaftung im Rahmen der wertenden Rechtsvergleichung, die Vertragsziele und Strukturprinzipien der Gemeinschaft zu berücksichtigen.36 In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, ob die Rechtmäßigkeitshaftung mit den Besonderheiten vereinbar ist, die sich aus dem gemeinschaftlichen Rechtsund Demokratieprinzip ergeben, und ob für den Fall der Annerkennung einer solchen Haftung eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft zu erwarten wäre.37 a) Die rechtsstaatliche und demokratische Gemeinschaftsstruktur – insbesondere Rechts- und Grundrechtsschutz Wie Haack in seiner Untersuchung nachgewiesen hat, steht das gemeinschaftliche Rechtsstaatsprinzip, das die Funktion übernimmt, die Hoheitsgewalt der Gemeinschaften gegenüber den Marktbürgern durch Bereitstellung eines effektiven Rechtsschutzsystems zu begrenzen, einer Rechtmäßigkeitshaftung auf Grundlage des Lastengleichheitskonzepts nicht entgegen.38 Der Primärrechtsschutz gegen 33 Vgl. Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 61 zur Unrechtshaftung. 34 Haack, S. 105 f. 35 Hierzu im Einzelnen Haack, S. 103 ff.; Friese, S. 205 f. 36 GA Roemer, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975, 990; Friese, S. 206. 37 Haack, S. 45. 38 Haack, S. 80 ff. Ein Entgegenstehen des Demokratieprinzips könnte insbesondere aus dem Gedanken der Immunität des Normgebers hergeleitete werden. Da eine Gleichstellung
13 Görgens
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Teil 4: Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln
Normativakte der Gemeinschaft weist erhebliche Lücken auf.39 Dieser Umstand bildete auch den Grund für die Anerkennung der Haftung für normatives Unrecht, um so eine Stärkung des Individualrechtsschutzes zu erreichen.40 Sowohl die den Gemeinschaftsorganen im Rahmen der Gesetzgebung zugestandenen Beurteilungsspielräume, die eine weitgehende Sicherung der Bestandskraft von Gemeinschaftsrechtsakten herbeiführen, als auch die Komplexität gemeinschaftlicher Rechtssetzung im Bereich des gemeinsamen Marktes, der die Gefahr von unerwarteten, den Einzelnen gravierend belastenden Sonderlagen immanent ist, sprechen für die Anerkennung einer Sonderopferhaftung. Insoweit würde eine Stärkung des Individualrechtsschutzes den rechtsstaatlichen Prinzipien des effektiven Rechtsschutzes nicht zuwider laufen. Vielmehr würde es zur Abrundung des Rechtsschutzsystems bei atypischen Härtefällen beitragen und der Verstärkung des Grundrechtsschutzes dienen.41 b) Die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft Gegen eine Anerkennung der Haftung für rechtmäßiges Handeln wird angeführt, dass dadurch die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft gefährdet werde.42 So wird befürchtet, dass der Gemeinschaft mit dem Haftungsinstitut eine unabsehbare monetäre Belastung auferlegt würde, die den haushaltspolitischen Spielraum erheblich einschränken und so die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft gefährden könnte.43 Allerdings ist die Rechtmäßigkeitshaftung auf den Ausgleich von Sonderopfern beschränkt. Es sind nur unzumutbare Belastungen auszugleichen, die eine abgrenzzwischen Gemeinschaftsgesetzgeber und den mitgliedstaatlichen Parlamentsgesetzgeber nicht vorliegt, spricht dieser Gesichtpunkt nicht gegen eine Rechtmäßigkeitshaftung auf Gemeinschaftsebene. 39 Siehe Teil 2, B. I. 3. 40 EuGH, Rs. 5 / 71, Schöppenstedt, Slg. 1971, S. 975, 984 f. 41 Dem steht auch nicht entgegen, dass sich teilweise in Gemeinschaftsrechtsakten Regelungen finden, die es der Kommission ermöglichen, Abhilfe bei individuellen Härten zu schaffen und dem Einzelnen die Möglichkeit zugestanden wird, ein Vorgehen im Wege einer Klage nach Art. 232 bzw. 230 EG zu erzwingen. So aber v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 95; ders., EuR 1997, S. 321 (329) unter Verweis auf EuGH, Rs. C-68 / 95, T. Port, Slg. 1996, I-6065, 6099, Rn. 38, 57 f. Eine solche Rechtsschutzmöglichkeit besteht nämlich nur, wenn und soweit die Gemeinschaftsregelung für erwartete oder typische Härtefälle selbst Vorsorge getroffen hat. Ein allgemeines Einschreiten der Gemeinschaftsorgane bei sonstigen Härtefällen unter ausschließlicher Berufung auf primärrechtliche Bestimmungen ist hingegen nicht möglich. In diesen atypischen Härtefällen oder Zufallsschäden, die – wie beispielsweise im Falle der Strafzölle – außerhalb des Regelungsbereichs des Gemeinschaftsrechtsakts eintreten, wird regelmäßig auch keine sekundärrechtliche Härtefallregelung vorgesehen sein, so dass diese Rechtsschutzlücke durch Zugestehen eines Ersatzanspruchs auf der Sekundärebene zu füllen wäre, vgl. auch Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 202 (223). 42 Grabitz, in: Schweitzer, S. 193; Czaja, S. 33, vgl. auch Nicolaysen, S. 436. 43 Czaja, S. 33.
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bare Gruppe von Adressaten in Widerspruch zum Prinzip der Lastengleichheit zu tragen haben. Auch könnte einer finanziellen Überlastung der Gemeinschaft durch eine entsprechend enge Ausgestaltung des Haftungstatbestandes begegnet werden, so dass insgesamt der Aspekt der finanziellen Funktionsfähigkeit einer Haftung nicht entgegenstehen wird.44 Des Weiteren wird eingewandt, die Etablierung einer Rechtmäßigkeitshaftung würde zu einem unzulässigen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der Rechtssetzungsorgane führen. Da es angesichts der Struktur und Fortentwicklung der Gemeinschaft häufig zu Änderungen der rechtlichen Situation komme, die den Wirtschaftsteilnehmern notwendigerweise Opfer auferlegen, könnte eine solche Haftung insgesamt zu wirtschaftspolitischer Immobilität führen und der Integration zuwider laufen.45 Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat jedoch die aus dem Gleichheitssatz resultierenden Verpflichtungen auch bei der Normsetzung grundsätzlich zu berücksichtigen. Wird im Rahmen des der Gesetzgebung immanenten typisierenden Vorgehens eine bestimmte Lastenfolge für den Einzelnen nicht berücksichtigt, stellt die Gewährung eines finanziellen Ausgleichs durch den Gemeinschaftsrichter eine zulässige Ausnahmeregelung dar. Diese ist gerechtfertigt, da sie die rechtlich einzige Alternative darstellt, um die Verletzung des Gleichheitssatzes zu kompensieren. Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum ist insoweit im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null eingeschränkt.46
3. Stellungnahme und Ergebnis a) Die Auflösung von Konfliktlagen zwischen Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht Eine positive Folge der Rechtmäßigkeitshaftung wird in der Auflösung möglicher Konfliktlagen zwischen dem Gemeinschaftsrecht und den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen erkannt.47 Dies gilt insbesondere für den Bereich des Grundrechtsschutzes. Da der EuGH die in ihrer Rechtmäßigkeit gegenüber dem 44 Der finanzielle Aspekt ist im Urteil Mulder hinter den Rechtsschutzinteressen des Einzelnen offensichtlich zurückgetreten, da der Gerichtshof Schadensersatz zusprach, obwohl mit einer Vielzahl von Klagen und einer Gesamtschadenssumme von bis zu 500 Mio. ECU zu rechnen war, Haack, S. 116; vgl. auch Friese, S. 207 m. w. N. 45 Gilsdorf / Niejahr, in: von der Groeben / Schwarze, Art. 288, Rn. 91; Gilsdorf, EuR 1975, S. 73 (109); Czaja, S. 33. 46 Siehe zu dieser Problematik eingehend Haack, S. 122 ff. 47 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 94; vgl. auch Schoißwohl, die auf die Entscheidung Alivar des Conseil d’État verweist, in der ein Widerspruch zwischen gemeinschaftlichen Sekundärrecht und französischem Gesetzesrecht durch die Zusprechung einer Entschädigung nach der „sans-faute-Haftung“ gelöst wurde. Zum damaligen Zeitpunkt war der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalen Gesetzen in Frankreich noch nicht anerkannt, Schoißwohl, S. 689 (724 f.) m. w. N.
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nationalen Verfassungsrecht unabhängigen Gemeinschaftsakte ausschließlich anhand der Gemeinschaftsgrundrechte misst, besteht die Gefahr von Divergenzen zwischen gemeinschaftsrechtlichem und mitgliedstaatlichem Grundrechtsschutzniveau.48 Die Anerkennung einer Haftung für rechtmäßiges Handeln könnte solche integrationsgefährdenden Konflikte vermindern, ohne die Autonomie und den Vorrang der Gemeinschaftsrechtsordnung zu gefährden.49 Dieser Gesichtspunkt lässt sich auch auf Konfliktlagen zwischen Gemeinschaftsrecht und den als gemischte Abkommen abgeschlossenen WTO-Abkommen übertragen. Die EG-Mitgliedstaaten sind neben der Gemeinschaft Mitglieder der WTO und haben die WTO-Abkommen ratifiziert. Durch die Versagung der unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Abkommen durch den EuGH wird für den Bereich der Abkommen, die in die Gemeinschaftskompetenz fallen, eine Durchsetzung des WTO-Rechts sowohl für Mitgliedstaaten als auch für den einzelnen Bürger ausgeschlossen. Die Einhaltung der Verpflichtungen aus den WTO-Abkommen liegt demnach in der Hand der Gemeinschaft, ohne dass die Mitgliedstaaten deren Beachtung auch zum Wohle ihrer eigenen Bürger durchsetzen können. Dieses Problem verschärft sich dann, wenn nach Bewertung der nationalen Rechtsordnung die unmittelbare Anwendbarkeit für bestimmte Bereiche des WTO-Rechts angenommen wird.50 Die dargestellte Konfliktlage könnte durch eine Sonderopferhaftung der Gemeinschaft gegenüber den betroffenen Bürger gelöst werden. Dabei könnte einerseits das Interesse des Mitgliedstaates an einem umfassenden grundrechtlichen Schutz seiner Bürger und andererseits das Interesse der Gemeinschaft an der Gewährung eines weiten Ermessensspielraumes zu Gunsten der Gemeinschaftsorgane zum Ausgleich gebracht werden. Eine Begrenzung dieser Haftung wäre dadurch gewährleistet, dass gerade nur außergewöhnliche Härten ersatzfähig sind.
b) Die Erhaltung von Ermessensspielräumen Ein weiterer Vorteil des Haftungsinstituts besteht darin, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit oder gar der Nichtigkeit der Gemeinschaftshandlung keine Voraussetzung der Haftung ist. Der Ermessensspielraum der Gemeinschaftsorgane bleibt also grundsätzlich unangetastet. Die Ersatzpflicht für Sonderopfer auf der Sekundärebene wird demgegenüber die Handlungsfreiheit der Gemeinschafts48 Siehe dazu insbesondere die an der Entscheidung Deutschland / Rat des EuGH zur Bananenmarktordnung geäußerte Kritik am Niveau der durch den EuGH gewährleisteten Prüfungsdichte im Grundrechtsbereich, oben Teil 3, D. II. 3. c) bb). 49 v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 95. 50 Die amtliche Begründung des Zustimmungsgesetzes der Bundesrepublik zum WTOÜbereinkommen betont, „dass ein Teil der Vertragsbestimmungen [ . . . ] innerstaatlich unmittelbar anwendbar ist“, BT-Drucks. 12 / 7655 (1994), S. 7; hierzu auch Petersmann, EuZW 1997, S. 325 (327); ders., IP 1997, S. 29 (30 ff.).
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organe nicht unangemessen beeinträchtigen. Sie stellt vielmehr einen der Billigkeit entsprechenden und notwendigen Ausgleich im Sinne des Prinzips der Lastengleichheit dar. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Ersatzpflicht bei WTO-widriger Gemeinschaftsgesetzgebung gerade deshalb notwendig wird, da die direkten Rechtsschutzmöglichkeiten der Mitgliedstaaten und insbesondere der Marktbürger zur Erhaltung der politischen Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane begrenzt sind. Nachdem der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung das Sonderopferelement aus dem Tatbestand der Unrechtshaftung auszuklammern scheint,51 sollte unter Rückgriff auf dieses Merkmal und gestützt auf das Prinzip der Lastengerechtigkeit,52 die Rechtmäßigkeitshaftung in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannt werden.
III. Tatbestand 1. Die Rechtsgrundlage Der Wortlaut des Art. 288 Abs. 2 EG nennt nicht die Rechtswidrigkeit der Gemeinschaftshandlung als Haftungsvoraussetzung und steht einer Haftung für rechtmäßiges Handeln somit grundsätzlich nicht entgegen.53 Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH, in deren Rahmen der Rechtswidrigkeit eine zentrale Bedeutung zugekommen sei, wird vorgeschlagen, die Haftung in einem ungeschriebenen Tatbestand als allgemeinen Rechtsgrundsatz anzusiedeln.54 Hierfür besteht angesichts des offenen Wortlautes des Art. 288 Abs. 2 EG jedoch keine Notwendigkeit. Demgegenüber wird das Rechtsinstitut in den entwickelten Rahmen der Rechtsprechung zur Gemeinschaftshaftung eingefügt und es kann auf die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen zurückgegriffen werden, die nicht speziell für die Rechtmäßigkeitshaftung entwickelt worden sind.55 Die Haftung für rechtmäßiges Handeln kann und sollte auf diese Gemeinschaftsrechtsnorm gestützt werden.56 2. Außergewöhnlicher und besonderer Schaden Das EuG hat in der Entscheidung Dorsch Consult bereits einen konkreten Haftungstatbestand hypothetisch geprüft. Dieser basiert auf den allgemeinen HaftungsSiehe oben Teil 3, C. VI. 2. a); Friese, S. 210; Haack, S. 16. Hierzu auch EuGH, Rs. 267 / 82, Développement, Slg. 1986, S. 1907, 1922, Rn. 33; EuGH, Rs. 81 / 86, De Boer Buizen, Slg. 1987, S. 3677, 3694, Rn. 17. 53 Nicolaysen, S. 437, Detterbeck, AöR 125 (2000), S. 202 (212); Vesting, S. 80. 54 Friese, S. 211 f.; Ress, EuZW 1994, S. 223 (224); Gilsdorf, EuR 1975, S. 73 (109). 55 Vgl. v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 95. 56 Haack, S. 150 f.; von Milczewski, S. 291; v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 95. 51 52
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Teil 4: Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln
voraussetzungen der Unrechtshaftung und wird dadurch erweitert, dass ein außergewöhnlicher und besonderer Schaden vorliegen muss.57
3. Die Rechtfertigung durch das allgemeine wirtschaftliche Interesse Weiter hat das EuG festgestellt, dass „die dem geltend gemachten Schaden zugrunde liegende Regelung [nicht] durch ein allgemeines wirtschaftliches Interesse gerechtfertigt“ sein dürfe.58 Dieses Merkmal ist zu Recht als systemwidrig kritisiert worden,59 da es im Rahmen der Rechtmäßigkeitshaftung begriffsnotwendig ist und keiner besonderen Prüfung bedarf. Denn ohne eine Rechtfertigung der einer Gruppe auferlegten besonderen Belastung durch Interessen der Allgemeinheit verstieße die Maßnahme bereits gegen den gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatz und wäre schon deshalb rechtswidrig.60 Folge wäre dann jedoch ein Ersatzanspruch nach der Unrechtshaftung gem. Art. 288 Abs. 2 EG. Die Rechtmäßigkeitshaftung knüpft hingegen an die besonderen Auswirkungen und Folgen eines rechtmäßigen Gemeinschaftsrechtsakts an, der gerade nicht unter Verletzung berechtigter Interessen erlassen worden ist. Einer Kontrolle, ob der Rechtsakt durch ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse gerechtfertigt ist, bedarf es daher nicht mehr.
B. Die Haftung der Gemeinschaft für Schäden aus der Strafzollerhebung Aufgrund der Eingliederung der Rechtmäßigkeitshaftung in den Tatbestand des Art. 288 Abs. 2 EG kann bezüglich des Vorliegens eines gegenwärtigen und sicheren Schadens sowie des Kausalzusammenhangs auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.61 Im Folgenden sollen die vom EuG im Urteil Dorsch Consult aufgezeigten Voraussetzungen des besonderen und außergewöhnlichen Schadens näher untersucht werden.
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EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 688, Rn. 59. EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 696, Rn. 80. Haack, EuR 1999, S. 395 (401); Friese, S. 216 f. Haack, EuR 1999, S. 395 (401). Siehe oben Teil 3, E.
B. Die Haftung für Schäden aus der Strafzollerhebung
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I. Der besondere Schaden 1. Die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer Das EuG führte zunächst aus, dass eine besondere62 Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gegenüber den anderen unverhältnismäßig belastet sein müsse. Das irakische Gesetz habe jedoch auch die Forderungen jedes anderen Unternehmens der Gemeinschaft betroffen. Deshalb gehöre die Dorsch Consult nicht zu einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern, die sich in ihrer wirtschaftlichen Betroffenheit gegenüber jedem anderen, dessen Forderungen aufgrund des Embargos uneinbringlich geworden seien, unterscheide.63 Das Vorliegen eines besonderen Schadens hängt also entscheidend von der Eingrenzung der jeweiligen Wirtschaftsteilnehmer ab, deren wirtschaftliche Lage vergleichend betrachtet wird. Insofern sind die Ausführungen des EuG irreführend. Einerseits wird auf „jedes andere Unternehmen der Gemeinschaft“ abgestellt, andererseits auf solche, deren Forderungen gerade „uneinbringlich geworden sind“. Letzteres würde dazu führen, dass ausschließlich die Gruppe der tatsächlich Betroffenen zu betrachten wäre und sich die Belastung eines Angehörigen dieser Gruppe gegenüber den anderen der Gruppe als Sonderopfer darstellen müsste. Bezogen auf die Situation der von Strafzöllen betroffenen Unternehmen hätte dies zur Folge, dass sie ihre Sonderbelastung im Vergleich mit den anderen von Strafzöllen betroffenen Unternehmen nachweisen müssten. Eine derartige Begrenzung würde die Prüfung der Sonderopfersituation über Gebühr verkürzen und widerspricht insoweit dem in der Rechtmäßigkeitshaftung verfolgten Ansatz, die Bewertung gerade unter Würdigung aller Einzelfallumstände64 vorzunehmen. Fraglich ist auch, ob das EuG eine derart weitgehende Einengung vornehmen wollte. Die Besonderheit der Fallgestaltung in Dorsch Consult lag darin, dass die irakische Gegenmaßnahme sich tatsächlich gegen sämtliche Unternehmen der Gemeinschaft richtete. Eine genauere Differenzierung war also nicht notwendig, da jedenfalls jedes Unternehmen, das im Irak geschäftliche Aktivitäten entwickelt hatte, gleichermaßen betroffen war. Dementsprechend bezog sich das EuG in der anschließenden Prüfung des außergewöhnlichen Schadens allgemein auch auf den Handel mit dem Irak als relevanten Sektor.65 Im Falle der Strafzollerhebung ist daher maßgeblich, ob die aufgrund der WTOwidrigen Gemeinschaftsmaßnahme mit Strafzöllen belasteten Unternehmen eine besondere Belastung gerade gegenüber den übrigen Unternehmen, die Waren europäischen Ursprungs in den Drittstaat exportieren, tragen. 62 Hierunter versteht das EuG – wie im Rahmen der Unrechtshaftung – eine „begrenzte Gruppe“ von Wirtschaftsteilnehmern, denen ein Sonderopfer auferlegt worden ist, vgl. EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 697, Rn. 82 a. E. 63 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 696 f., Rn. 81 f. 64 Vgl. v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 96. 65 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 697 f., Rn. 83 f.
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2. Die unverhältnismäßige Belastung einer begrenzten Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern Das EuG stellt recht hohe Anforderungen an das Merkmal der Zugehörigkeit zu einer begrenzten Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern. Im Urteil Dorsch Consult verneinten die Richter einen besonderen Schaden, da das Abwehrgesetz des Irak nicht nur die Forderungen der Klägerin, sondern jedes Unternehmen betroffen habe, ohne auf die spezielle Situation der Klägerin abzustellen.66 In der Literatur wird darüber hinaus gefordert, dass es sich um eine relativ kleine Gruppe handeln müsse, deren spezifische Situation eine abstrakte und generelle Prüfung eines Rechtsaktes nicht Rechung trage.67 Die Anzahl derjenigen, denen eine Belastung auferlegt wird, eignet sich jedoch nicht als entscheidendes Abgrenzungskriterium für das Vorliegen eines Sonderopfers. Die zahlenmäßige Begrenzung der Sonderstellung würde dazu führen, dass im Einzelfall selbst Eingriffe in der Wesensgehalt von Grundrechten entschädigungslos bleiben könnten.68 Im Vordergrund muss vielmehr die Frage nach der Lastengerechtigkeit stehen, also ob eine abgrenzbare Gruppe gegenüber anderen, in vergleichbarer Lage befindlicher Gruppe einseitig eine unverhältnismäßige Belastung trägt.69 a) Begrenzte Gruppe Im Rahmen der Bewertung, ob die betroffenen Unternehmen eine begrenzte Gruppe darstellen, sind insbesondere die folgenden Aspekte zu berücksichtigen. Zunächst werden die betroffenen Warengruppen unter genauer Angabe der internationalen Zollklassifikation70 vom Drittstaat veröffentlicht. Die Gegenmaßnahme richtet sich also – anders als in der Rechtssache Dorsch Consult – nicht unterschiedslos gegen sämtliche Exporte der Gemeinschaft, sondern zumeist zeitlich limitiert gegen bestimmte Waren. Eine Bestimmung oder Eingrenzung der betroffenen Unternehmen ließe sich schon aufgrund der veröffentlichten Warengruppen vornehmen. Jedenfalls aber wird durch die geltenden Verfahrensvorschriften des Drittstaates zur Erhebung der Zusatzzölle ermöglicht. Da ausschließlich die Waren dieser Gruppe von den zusätzlichen Zöllen betroffen sind, wird im Ergebnis – insbesondere dann, wenn nur wenige Produktgruppen und Unternehmen betroffen sind – von einer ungleichen Belastung einer abgrenzbaren Gruppe auszugehen sein.71 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 697, Rn. 82. v. Bogdandy, in: Grabitz / Hilf, Art. 288, Rn. 96. Vgl. auch Haack, S. 54 f.; Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (723). 68 Ebenso Friese, S. 214. 69 Siehe die Problematik zum Merkmal der „begrenzten Gruppe“ im Rahmen der Unrechtshaftung, Teil 3, C. VI. 2. a). 70 Hierzu Weiß / Herrmann, S. 170 und Senti, Rn. 514. 71 Vgl. Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (719), zur Einordnung einer begrenzten Gruppe von Geschädigten im Rahmen der Unrechtshaftung. 66 67
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b) Unverhältnismäßige Belastung Als weitere Voraussetzung muss in der Strafzollerhebung gerade eine unverhältnismäßige Belastung gegenüber anderen Unternehmen liegen. Insoweit sind die Schwere der Auswirkungen und damit vorrangig die absolute Höhe der Zusatzzölle unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob sich diese noch in einem hinnehmbaren Rahmen bewegen72 oder sich als eine prohibitive, nicht mehr verhältnismäßige Steigerung darstellt. Der im Falle des Konflikts um die BMO von den USA zusätzlich erhobene Wertzoll von 100 % auf einige wenige Produktgruppen wird jedenfalls eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Aktivität einiger gegenüber den anderen Exportunternehmen darstellen.
II. Außergewöhnlicher Schaden Im Einklang mit dem Urteil Dorsch Consult erfordert das Vorliegen eines außergewöhnlichen Schadens, „dass er die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken, die der Tätigkeit in dem betroffenen Sektor innewohnen, überschreitet“.73 Für die Bewertung, ob die sektorspezifischen Risiken überschritten worden sind, stellt das EuG unter anderem auf die Vorhersehbarkeit des Risikos und damit auf ein subjektives Element ab. So kann ein gegebenenfalls vorhandenes Mitverschulden des Betroffenen mit einbezogen werden.74 Für die Frage der Vorhersehbarkeit ist wiederum bedeutsam, ob sich ein typisches Risiko verwirklicht hat, das der jeweiligen Tätigkeit in dem betroffenen Sektor innewohnte.75
1. Überschreiten der wirtschaftlichen Risiken a) Zollerhöhungen als allgemeines Außenhandelsrisiko? Teilweise werden handelsbeschränkende Maßnahmen oder Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere Änderungen der Wechselkurse und Embargomaßnahmen, zu den typischen Außenhandelsrisiken gezählt, mit denen ein Exportunternehmen generell zu rechnen habe.76 Da das GATT einerseits ein 72 Die Gemeinschaft hat im Fall der Foreign Sales Corporations mit Wirkung vom 01. 03. 2004 einen zusätzlichen Wertzoll von zunächst 5% als Gegenmaßnahme erhoben, der monatlich um einen Prozentpunkt auf 17% ab dem 01. 03. 2005 steigt, Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2193 / 03 vom 08. 12. 2003. von Bogdandy nennt das Vorliegen einer existenziellen Krise des Unternehmens aufgrund der Strafzollerhebung als wichtiges Indiz für eine unverhältnismäßeige Belastung, v. Bogdandy, JWT 39 (2005), S. 45 (65). 73 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 697, Rn. 83. 74 Vgl. Haack, 158 f. 75 EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 697 ff., Rn. 83 ff. 76 Langen, AWG, § 2, RdNr. 28; Kadelbach, JZ 1993, 1134 (1140), zu Embargomaßnahmen.
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Verbot mengenmäßiger Beschränkungen, andererseits eine deutliche Präferenz für Zölle vorsieht, müssen die einzelnen Wirtschaftssubjekte grundsätzlich lenkende Einflüsse über Zölle auch im Rahmen des GATT hinnehmen.77 Die Aussetzung von Zollzugeständnissen nach Art. 22 DSU verlangt diesbezüglich jedoch nach einer differenzierten Betrachtung. aa) Das System der Listen mit Zollzugeständnissen im Rahmen des GATT Um eine weitgehende Liberalisierung des Welthandels zu erreichen, ist auf den multilateralen Handelsrunden sukzessive eine erhebliche Senkung der durchschnittlichen Zollbelastung vereinbart worden.78 Hierbei bedienen sich die GATTMitglieder dem Instrument der Zolllisten, in denen die im Rahmen von zumeist bilateralen Zollverhandlungen ausgehandelten Zolltarife festgeschrieben werden. Die Listen legen die geltende maximale Zollhöhe für die nach internationaler Klassifikation erfassten Produkt- und Warengruppen fest und nennen den Zeitpunkt, ab dem die Konzession erstmals gewährt wird.79 Durch die Verpflichtung zur Meistbegünstigung kommen die ausgehandelten Zollzugeständnisse automatisch den übrigen Mitgliedern zugute. Die in ihrer Form vereinheitlichten Listen bilden gem. Art. II Abs. 7 GATT einen Bestandteil des Teils I des GATT. Nach Abschluss der Uruguay-Runde sind nunmehr fast alle industriellen und gewerblichen Erzeugnisse in den Industrieländern und den Reformländern Osteuropas gebunden, für die Entwicklungsländer liegt die durchschnittliche Zollbindung bei 59 %. Im Agrarbereich haben alle WTO-Mitglieder ihre Zugeständnisse vollständig gebunden.80
bb) Die Bindung der Zollzugeständnisse Der Abbau tarifärer Handelshemmnisse wird nur dann nachhaltig zu einer Förderung der Handelsliberalisierung beitragen, wenn die Staaten die zugestandenen Zollkonzessionen verbindlich einhalten. Deshalb sind die Parteien an die in den Listen festgelegten Zolltarife gebunden, wobei die Bindung den Höchstzollsatz anzeigt. Eine einseitige Erhöhung der Zölle zu Lasten eines anderen GATT-Mitgliedstaates über den konsolidierten Höchstzollsatz hinaus ist indes nicht möglich.81 Lediglich unter Beachtung der im GATT normierten Voraussetzungen, insbesondere der Ausnahmeregelung des Art. II Abs. 2 GATT, sind Abweichungen von der Stoll, ZaöRV 57 (1997), S. 83 (121 f.). Siehe oben Teil 1, B. 2. 79 Zum genauen Inhalt der Listen, insbesondere den verschiedenen Zollberechnung siehe Weiß / Herrmann, S. 174 ff.; Berrisch, in: Prieß / Berrisch, Teil B. I. 1., Rn. 112 ff. 80 Senti, Rn. 506 ff. 81 Art. II Abs. 1 GATT; vgl. Jackson, The World Trading System, S. 143. 77 78
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Zollbindung möglich.82 Eine Änderung der Listen kann grundsätzlich nur im Rahmen der periodischen Verhandlungen gem. Art. XXVIII Abs. 1 GATT mit den betroffenen GATT-Mitgliedern und nicht etwa einseitig vorgenommen werden.83 cc) Stellungnahme Die weitgehende Bindung der Zollkonzessionen führt dazu, dass die GATT-Mitglieder eine eigenmächtige und insbesondere protektionistische Zollerhöhung nicht vornehmen können, ohne ihrerseits gegen das GATT zu verstoßen.84 Die Verbindlichkeit einmal gewährter Zollzugeständnisse stellt also einen Grundsatz der Zollpolitik der WTO dar. Demgegenüber bildet die einseitige Aussetzung von Zugeständnissen eine Ausnahme, die nur nach verbindlicher Feststellung eines Verstoßes gegen WTO-Bestimmungen und unter Einhaltung besonderer Voraussetzungen möglich ist. Anlass und Zweck der Aussetzung von Zollzugeständnissen nach Art. 22 DSU liegen dabei außerhalb der mit dem GATT verfolgten Zollpolitik. Die Strafzölle stellen Gegenmaßnahmen dar, die zur Sanktionierung von WTO-Verletzungen ergriffen werden und der Durchsetzung von DSB-Entscheidungen im Rahmen der Streitbeilegung dienen. Anknüpfungspunkt für die Maßnahme ist also nicht ein den Staaten zustehendes Recht zur Gestaltung ihres Importhandels durch Zölle, sondern ein Mittel zur Rechtsdurchsetzung, das von einem vorausgegangenen Rechtsverstoß abhängt.85 Aus diesen Gründen ist die Aussetzung der Zollzugeständnisse nach Art. 22 DSU im Rahmen des GATT nicht als typisches Mittel der Zollpolitik anzusehen und kann nicht als allgemeines Außenhandelsrisiko den Unternehmen zugewiesen werden.
b) Die Verwirklichung eines vorhersehbaren Risikos Das aus der Unrechtshaftung entnommene Kriterium der Überschreitung der hinzunehmenden wirtschaftlichen Risiken eines bestimmten Wirtschaftssektors war vom Gerichtshof schon im Urteil Biovilac auch für die nur hypothetisch geprüfte Rechtmäßigkeitshaftung bejaht worden.86 Aus der Rechtsprechung der GeZu den Ausnahmen siehe Berrisch, in: Prieß / Berrisch, Teil B. I. 1., Rn. 127. Vgl. zu den übrigen Möglichkeiten eine Änderung der Zolllisten in bestimmten Fällen zu verhandeln Berrisch, in: Prieß / Berrisch, Teil B. I. 1., Rn. 136 ff. 84 Eine Änderung der festgesetzten Zölle ist hingegen nur im Rahmen der detaillierten Bestimmungen des GATT möglich. 85 Eine einseitige Protektion durch kurzfristige Erhöhung von Zöllen soll demgegenüber gerade verhindert werden. Durch die Zollkonsolidierung erlangen die Unternehmen die notwendige Sicherheit, um ihre ökonomischen Aktivitäten entsprechend zu verfolgen und zu intensivieren, Kessie, JWT 34 / 6 (2000), S. 1 (2). 86 EuGH, Rs. 59 / 83, Biovilac, Slg. 1984, S. 4057, 4080 f., Rn. 28. Der Grundsatz hätte erst recht zu gelten, wenn im Gemeinschaftsrecht eine Haftung für rechtmäßiges Handels zugelassen werden sollte. 82 83
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meinschaftsgerichte zur Unrechtshaftung, aber auch zur Haftung für rechtmäßiges Handeln, geht hervor, dass hierbei unter besonderer Berücksichtigung der Besonderheiten und Marktbedingungen des betrachteten Wirtschaftszweigs zu ermitteln ist, ob das zum Schaden führende Ereignis vorhersehbar war.87 Zur Festlegung der gewöhnlichen Risiken, die der Tätigkeit in einem bestimmten Sektor innewohnen, stellen die Gemeinschaftsgerichte insbesondere auf die bestehenden Ermessenspielräume der Gemeinschaftsorgane und die Erfordernisse einer häufigen Marktanpassung und Intervention im Bereich des gemeinsamen Marktordnungsrechts ab.88 Die Vorhersehbarkeit der Risiken wird wiederum an den Befähigungen eines durchschnittlichen Wirtschaftteilnehmers gemessen, der seine Geschäfte umsichtig, besonnen und vorausschauend betreibt.89 Freilich werden im Einzelnen umfangreiche Informations- und Beobachtungspflichten im Hinblick auf die Marktentwicklung sowie die Kenntnis der Marktstrukturen und deren bestimmender Faktoren gefordert.90 Wie dargestellt, kann die Aussetzung von Zollzugeständnissen nach Art. 22 DSU zumindest dann nicht als typisches Außenhandelsrisiko eingeordnet werden, soweit ein Produkt betroffen ist, für das eine Zollbindung besteht. Ebenso wird bei der Einordnung im Einzelfall zu berücksichtigen sein, dass die Gegenmaßnahmen nach Art. 22 DSU grundsätzlich nicht als marktimmanentes Risiko eines bestimmten Wirtschaftszweiges anzusehen sind, da nicht etwa die Regelung der Handelsströme in einem bestimmten Wirtschaftszweig, sondern die Rechtsdurchsetzung im Bereich der Streitbeilegung bezweckt wird. Die Unternehmen werden völlig unabhängig von den üblichen Bedingungen und Unwägbarkeiten, die der 87 Siehe nur zur Unrechtshaftung EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3133, Rn. 17; Rs. 50 / 86, Grand Moulins, Slg. 1987, S. 4833, 4859, Rn. 21, vgl. auch GA van Gervern, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3105, Rn. 18. Zu Rechtmäßigkeitshaftung siehe EuGH, Rs. 59 / 83, Biovilac, Slg. 1984, S. 4057, 4080 f., Rn. 28; EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 697, Rn. 83; verb. Rs. T-64 / 01 und T-65 / 01, Afrikanische Frucht-Compagnie, Urteil vom 10. 2. 2004, Rn. 154 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht); vgl. auch GA Slynn, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 59 / 83, Biovilac, Slg. 1984, S. 4057, 4091. 88 Vgl. EuGH, Rs. 59 / 83, Biovilac, Slg. 1984, S. 4057, 4081 f., Rn. 28; GA van Gervern, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-104 / 89 und C-37 / 90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, 3113, Rn 32. Das EuG führt zu Änderung der Bananenmarktordnung aus: „Zum anderen wurden die wirtschaftlichen Risiken, die der Tätigkeit im Bananensektor innewohnen, nicht überschritten. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Gemeinschaftsorgane bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer Politik erforderlichen Mittel über einen Ermessensspielraum verfügen, und zwar insbesondere auf einem Gebiet wie dem der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt“, EuG, verb. Rs. T-64 / 01 und T-65 / 01, Afrikanische Frucht-Compagnie, Urteil vom 10. 02. 2004, Rn. 154 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 89 EuGH, Rs. 26 / 81, Oleifici Mediterranei, Slg. 1982, S. 3057, 3079, Rn. 22. 90 Borchardt, S. 120; im Handel mit einem „Hochrisikoland“ scheint das EuG jede Handlung unter den Vorbehalt der Vorhersehbarkeit eines handelsbehindernden Risikos zu stellen, EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 697, Rn. 83.
B. Die Haftung für Schäden aus der Strafzollerhebung
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Exportmarkt in ihrem Wirtschaftszweig im Normalfall aufweist, von den Zöllen betroffen. Überdies stellt sich die Frage, ob eine im Einzelfall bestehende unsichere Lage der allgemeinen Handelsbeziehungen mit einem Drittstaat schon zur Ablehnung der Verwirklichung eines außergewöhnlichen Risikos herangezogen werden kann. Denn im Falle der Strafzollerhebung verwirklicht sich nicht etwa ein latent vorhandenes Handelsrisiko durch den willkürlich handelnden „Risikostaat“, sondern die Reaktion erfolgt auf eine WTO-widrige Maßnahme der Gemeinschaft in Übereinstimmung mit den Vorschriften des DSU. Zu der Problematik, inwieweit aufgrund der vom Wirtschaftsteilnehmer geforderten Marktbeobachtung bei entsprechend frühzeitiger Ankündigung der Strafzollerhebung eine Vorhersehbarkeit der Risiken anzunehmen sein wird, ist zunächst anzumerken, dass die Gemeinschaftsgerichte vorrangig auf die Vorhersehbarkeit sektorspezifischer Risiken abstellen.91 Nach hier vertretener Auffassung verwirklichen sich im Falle der Strafzollerhebung gerade nicht die üblichen Risiken, die der Handel mit einem Vertragsstaat des GATT mit sich bringt. Darüber hinaus erfolgte die Aussetzung der Zollzugeständnisse in der Vergangenheit innerhalb kurzer Fristen und unter Wechsel der betroffenen Warengruppen.92 Zumindest in diesen Fällen dürfte die Vorhersehbarkeit des Risoks zweifelhaft sein.93 c) Lasten im Allgemeininteresse Für einen außergewöhnlichen Schaden spricht weiterhin, dass dem Prinzip der Lastengleichheit eine gewisse Konnexität von Vor- und Nachteilen zugrunde liegt. So wurden in der Rechtsprechung zur Gemeinschaftshaftung auch beträchtliche Schäden dann nicht als außergewöhnlich qualifiziert, wenn die Betroffenen aus der Regelungstätigkeit der Gemeinschaft auch Vorteile gezogen haben.94 Von einem Zusammenhang von Vor- und Nachteilen kann bei der Zuweisung von Risiken im Rahmen der Qualifikation eines außergewöhnlichen Schadens gesprochen werden.95 Von einer WTO-widrigen protektionistischen Handelspolitik profitieren die Unternehmen, deren Markt gegenüber Drittstaatsunternehmen geschützt wird. Zumeist treffen die Strafzölle jedoch Handelsbereiche, die durch die protektionistische Politik keinerlei Vorteile erlangen. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Strafzölle ausschließlich als Reaktion auf die Beibehaltung einer WTO-widrigen Gemeinschaftspolitik erfolgen und der Durchsetzung des WTO-Rechts dienen. Die Gemeinschaft verfolgt mit ihrer 91 92 93 94 95
Siehe nur EuG, Rs. T-184 / 95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, 697, Rn. 83. Siehe oben Teil 2, A. I. 3. In diese Richtung auch Langen, AWG, § 2, RdNr. 28. Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (728). Schoißwohl, ZEuS 2001, S. 689 (728).
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WTO-widrigen Politik jedoch politische Ziele. Wird diese Politik als WTO-widrig eingestuft und gibt sie daher Anlass zur Erhebung von Strafzöllen, stellt die Gemeinschaft die von ihr verfolgte Politik über ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen aus den WTO-Abkommen. Die Belastungen, die den Einzelnen zur Aufrechterhaltung dieser in Widerspruch zum Völkerrecht stehenden Politik entstehen, erfolgen somit im Interesse der europäischen Handelspolitik, wie sie von den Gemeinschaftsorganen für die Europäische Gemeinschaft definiert wird. Dies spricht jedoch für ein Sonderopfersituation und eine Ersatzpflicht der Gemeinschaft.
III. Zusammenfassung Die Haftung für rechtmäßiges Handeln erfordert, dass der Kläger mit einem Sonderopfer belastet worden ist. Nach der Rechtsprechung von EuGH und EuG ist das bei Vorliegen eines besonderen und außergewöhnlichen Schadens der Fall, also wenn eine begrenzte Gruppe gegenüber den anderen eine unverhältnismäßige Belastung trägt und der Schaden über das typische Risiko des betroffenen Wirtschaftszweiges hinaus geht. Im Fall der Aussetzung von Zollzugeständnissen nach Art. 22 DSU ist hinsichtlich des Merkmals des besonderen Schadens die Lage der von Strafzöllen betroffenen Unternehmen mit den übrigen Unternehmen, die Waren europäischen Ursprungs in den die Strafzölle erhebenden Staat einführen, zu vergleichen. Werden prohibitiv wirkende Strafzölle auf einen begrenzten Kreis von Produkten erhoben, wird grundsätzlich von einer unverhältnismäßigen Belastung einer begrenzten Gruppe auszugehen sein. Hinsichtlich des Vorliegens eines außergewöhnlichen Schadens ist zu beachten, dass aufgrund der im GATT geregelten Bindung an die konsolidierten Zölle die Aussetzung von Zollzugeständnissen zum Zwecke der Durchsetzung einer DSB-Entscheidung nicht als typisches Außenhandelsrisiko angesehen werden kann. Im Einzelfall ist sodann die Entscheidung zu treffen, ob eine nicht mehr innerhalb des hinnehmbaren Risikos liegende Belastung vorliegt. Zumindest die Erhebung prohibitiv wirkender Strafzölle durch ein WTO-Mitglied wird grundsätzlich nicht mehr zu den vorhersehbaren Risiken zu zählen sein, die mit einer Handelstätigkeit mit dem Staat verbunden sind.
Teil 5
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Das Streitbeilegungsverfahren der WTO bietet ein verbindlichen Regeln folgendes Verfahren zur Beilegung internationaler Handelskonflikte. Vorrangiges Ziel ist dabei, die Verstöße gegen das WTO-Recht zu beseitigen den WTOkonformen Zustand wiederherzustellen. Zur Durchsetzung einer DSB-Entscheidung greift das DSU auf das Sanktionsmittel der Gegenmaßnahme zurück. Die Gegenmaßnahmen, die vornehmlich in Form der Aussetzung von Zollzugeständnissen ergehen, richten sich direkt nur gegen nicht am Handelskonflikt beteiligte Unternehmen. Dies gilt insbesondere, wenn sie als „cross retaliation“ ergehen. Die politischen Entscheidungsträger des WTO-widrig handelnden Staates werden allenfalls mittelbar erreicht. Darin zeigt sich ein erhebliches Defizit in der Effektivität der Rechtsdurchsetzung. 2. Die Aussetzung von Zollzugeständnissen gem. Art. 22 DSU begründet vor allem dann eine erhebliche Belastung für die betroffenen Unternehmen, wenn prohibitive Strafzölle innerhalb kurzer Zeit gegen eine kleine Gruppe von Produkten festgesetzt werden. Im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens steht den betroffenen Unternehmen weder eine direkte Beteiligungsmöglichkeit zu, noch wird eine indirekte Einflussnahme auf die Entscheidungsträger des rechtwidrig handelnden Staates möglich sein. Ein direktes Vorgehen gegen eine WTO-widrige Gemeinschaftsmaßnahme wird ebenso bereits aus prozessualen Gründen scheitern, wie auch ein Vorgehen gegen die Maßnahmen der Zollbehörden des Drittstaates. In diesem Zusammenhang erlangt die gegen die Gemeinschaft gerichtete Schadensersatzklage als lückenfüllendes Rechtsschutzmittel eine entscheidende Bedeutung, da sie zumindest eine inzidente Überprüfung der WTOwidrigen Gemeinschaftsmaßnahme gewährleistet. 3. Den Anknüpfungspunkt für eine Haftung der Gemeinschaft für Schäden, die aus der Erhebung von Strafzöllen resultieren, bildet eine WTO-widrige Handlung der Gemeinschaft. Der Kreis der in Betracht kommenden Gemeinschaftsmaßnahmen ist dabei denkbar weit. Jede Handlung, die zu einer Beeinträchtigung der im Rahmen der WTO-Abkommen gewährten Handelszugeständnisse führen kann, kann nach Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens Anlass für die Erhebung von Strafzöllen geben. Im für das Außenhandelsrecht der Gemeinschaft bedeutsamen Bereich der autonomen Handelspolitik handelt die Gemeinschaft grundsätzlich mittels Verordnung und Richtlinie. Der Ersatz-
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anspruch gegen die Gemeinschaft wird somit im Regelfall den Grundsätzen der Haftung für normatives Unrecht folgen. 4. Der EuGH fordert im Rahmen der Haftung für normatives Unrecht die Verletzung einer „Schutznorm“, d. h. einer Norm, die den Schutz der Interessen des Einzelnen dient. Die Entstehung einer subjektiven Rechtsposition, die der Einzelne vor den Gemeinschaftsgerichten geltend machen kann, setzt zwingend die unmittelbare Anwendbarkeit der Norm, insbesondere auch einer völkerrechtlichen, in der Gemeinschaftsrechtsordnung voraus. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Voraussetzungen der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung lässt sich ein Verzicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit der völkerrechtlichen Haftungsnorm nicht herleiten. Ebenso ist eine Haftpflicht der Gemeinschaft unter Heranziehung der Francovich-Rechtsprechung und unter Verzicht auf das Merkmal der unittelbaren Anwendbarkeit im Falle einer Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung abzulehnen. Die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts durch den EuGH erfolgt vorrangig zum Schutz der rechtlich garantierten Handlungsspielräume der Gemeinschaftsorgane. Soweit den Gemeinschaftsorganen ein zulässiger Handlungsspielraum nach den Bestimmungen der WTO-Abkommen nicht (mehr) zur Verfügung steht, lässt sich die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht schlüssig rechtfertigen. Dementsprechend ist das in einer endgültigen DSB-Entscheidung konkretisierte WTO-Recht nach Ablauf der Umsetzungsfrist und mit Beginn der Aussetzung von Handelszugeständnissen unmittelbar anwendbar. Voraussetzung ist hierfür, dass die umstrittenen Bestimmungen des WTO-Rechts ihrerseits hinreichend präzise und bestimmt sind. Verfolgt der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Erlass von Änderungsakten nach Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens das Ziel, die WTO-Konformität bestehenden Gemeinschaftsrechts herzustellen, kommt die Gemeinschaft grundsätzlich ihrer Verpflichtung aus dem DSU nach. Der Änderungsakt fällt somit grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Nakajima-Rechtsprechung. Der Einzelne kann sich sodann zur Begründung einer Schadensersatzklage auf das WTO-Recht berufen. Obgleich das Individuum nicht formell Subjekt der durch die WTO-Abkommen errichteten Rechtsordnung ist, dienen insbesondere die Liberalisierungsregeln und Diskriminierungsverbote des WTO-Rechts auch dem Schutz der Interessen der am Welthandel teilnehmenden Unternehmen. Im Einzelfall ist durch den Gemeinschaftsrichter zu prüfen, ob eine verletzte Bestimmung des WTO-Rechts zumindest auch den Interessen der klagenden Partei dient und mithin eine Schutznorm im Sinne des Art. 288 Abs. 2 EG darstellt.
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5. Bei Beurteilung der qualifizierten Rechtsverletzung steht die Bewertung der Verletzungshandlung im Vordergrund, nicht hingegen deren Auswirkungen. Vor Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens wird eine qualifizierte Verletzung des WTO-Rechts aufgrund des weiten Handlungsspielraumes der Gemeinschaftsorgane grundsätzlich nicht anzunehmen sein. Nach Abschluss eines Streitbeilegungsverfahrens ist regelmäßig dann nicht von einer qualifizierten Rechtsverletzung auszugehen, wenn die Gemeinschaft durch einen – wenn auch weiterhin WTO-widrigen – Änderungsakt die Wiederherstellung der Konformität zwischen Gemeinschaftsrechtsordnung und WTORecht verfolgt. Demgegenüber wird im Falle der Nichtumsetzung einer DSBEntscheidung und daraufhin erfolgter Aussetzung von Handelszugeständnissen eine offensichtliche Überschreitung der Befugnisse durch die Gemeinschaft, insbesondere unter Heranziehung der Brasserie du Pêcheur-Rechtsprechung, anzunehmen sein. 6. Die Haftung der Gemeinschaft kann darüber hinaus durch die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten ausgelöst werden. Durch eine WTO-widrige Handlung der Gemeinschaft wird zumindest mittelbar in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Unternehmen als Teil der Berufsfreiheit eingegriffen. Im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs ist die Angemessenheit der Maßnahme angesichts der Wertungen durch das DSB und der verbindlich festgestellten Verletzung des WTO-Rechts zweifelhaft. Jedenfalls müsste die Verfolgung besonders wichtiger Gemeinwohlbelange vorliegen, um eine Rechtfertigung des Eingriffs zu bejahen. Hierbei ist der Gerichtshof zur Vermeidung widersprüchlichen Gemeinschaftsverhalten gehalten, die in der DSB-Entscheidung getroffenen Wertungen und Feststellungen zu berücksichtigen. Sollte der Verstoß gegen das WTO-Recht vom DSB trotz Zubilligung von Beurteilungsspielräumen zu Gunsten der Gemeinschaft festgestellt worden sein, dürfte das von der Gemeinschaft angeführte Gemeinwohlinteresse regelmäßig hinter den Interessen der betroffenen Unternehmen zurücktreten. 7. Die aus der Erhebung der Strafzölle entstehenden Nachteile stellen grundsätzlich ersatzfähige, im Einzelfall nachzuweisende Schäden dar. Die Schäden sind der Gemeinschaft auch zuzurechnen, da sie von der WTO-widrigen Gemeinschaftsmaßnahme hervorgerufen worden sind und für die Gemeinschaftsorgane objektiv vorhersehbar waren. 8. Zum Ausgleich unbilliger Härten sollte die Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannt werden, durch die insbesondere Konfliktlagen zwischen Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht ohne Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des Gemeinschaftsrechtsakts aufgelöst werden können. Die Haftung für rechtmäßiges Handeln setzt jedenfalls das Vorliegen eines besonderen und außergewöhnlichen Schadens voraus. Werden prohibitiv wirkende Strafzölle auf einen begrenzten Kreis von Produkten er14 Görgens
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hoben, wird grundsätzlich von der unverhältnismäßigen Belastung einer begrenzten Gruppe auszugehen sein. Zudem ist aufgrund der im GATT geregelten Zollbindung die Aussetzung von Zollzugeständnissen zum Zwecke der Durchsetzung einer DSB-Entscheidung nicht als typisches Außenhandelsrisiko anzusehen. Prohibitiv wirkende Strafzölle können somit grundsätzlich nicht zu den vorhersehbaren Risiken zählen, die eine Handelstätigkeit mit WTO-Mitgliedstaaten mit sich bringt. Insgesamt kann deshalb grundsätzlich vom Vorliegen eines besonderen und außergewöhnlichen Schadens ausgegangen werden.
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Stichwortverzeichnis Abkommen von Lomé 167, 173, 183 Abwägungsdefizit 169 AKP-Staaten 51, 183 amicus curiae brief 61 Amtstätigkeit 67 f., 74 Appellate Body 34, 36, 54, 61, 97, 100 f., 122 f., 126, 152 Assoziationsrat 89, 93 Aufopferungsentschädigung 142 Ausgleichsleistungen 153 Ausgleichszahlungen 113, 188 Außenhandelsrecht 60, 74 ff., 114, 159, 168, 208 Außenhandelsrisiko 201, 203 f., 206, 210 Außenwirtschaftsfreiheit 158, 170 Aussetzung von (Handels-)Zugeständnissen 22, 34, 38 ff., 55, 97, 112, 114 f., 117, 149, 154, 172, 181, 185, 203, 208 f. Bananenmarktordnung 21, 50 f., 55, 59, 62, 79, 101, 107, 114, 118, 122, 124 ff., 130 f., 149, 164, 167, 173, 177 Bananenstreit 22, 51 ff., 57, 109 Bedienstete der Gemeinschaft 63 f. Berufsfreiheit 23, 155, 157 ff., 165 f. 170, 209 – wirtschaftliche Betätigungsfreiheit 157 f., 175, 209 Bundesverfassungsgericht 159, 162 ff. Charta der Grundrechte 65, 156 cross retaliation 39 f., 55 f., 62, 172, 207 Demokratieprinzip 193 Diskriminierungsverbot 136, 141, 146, 155, 208 DSB-Entscheidung 37 f., 41, 51, 54, 57, 73, 89 ff., 101 ff., 108, 110 ff., 121 ff., 145, 149, 151 ff., 164, 170, 172 ff., 186, 203, 206, 208 ff. 15 Görgens
– als Repressalie 37 – Nichtumsetzung 34, 73, 89 ff., 103, 114, 152 ff., 164, 175, 186, 208 – rechtliche Wirkungen 94 ff. – und Durchsetzung 37 ff., 50, 57, 95, 112, 164, 170, 203, 206 f., 210 – und Empfehlungen 95, 100, 105 f., 128, 145, 149 f., 164 – unmittelbare Anwendbarkeit des WTORechts 93 ff. – Verbindlichkeit 95 ff. effet utile 84, 87, 88 Eingriffstiefe 169 ff. Embargo 160, 183, 199 Entwicklungsländer 39 ff., 202 Ermessensspielraum 140, 144, 150 f., 168 f., 196 EWR-Gutachten 98 f., 117 Foreign Sales Corporations 57, 62, 185 Francovich-Rechtsprechung 88, 89 ff., 208 GATT 47 32, 33 f, 37, 43 ff., 53 f., 78 ff., 89, 95, 116, 137 – Flexibilität der Bestimmungen 43 ff. GATT 94 31, 44, 46, 54, 122 Gemeinschaftsabkommen 24 ff., 48, 98 – AETR-Rechtsprechung 24 – als integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung 25, 92, 130, 166 – gemischte Abkommen 25, 42, 146, 196 Gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung 82 ff., 144 f., 208 Gemeinwohlbelange 166 f, 173 ff., 209 Gerichtssystem 98 Grundfreiheiten 155 f. Grundrechte 65, 135, 155 ff., 166, 200, 209 – als Abwehrrechte 156 – Eingriff 157, 158 ff., 175
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Stichwortverzeichnis
– Herleitung 155 f. – mittelbarer Eingriff 159 ff. – Rechtfertigung 165 ff. – Schutzbereich 157 ff. – Zurechnungsproblematik 163 Grundrechtsschutz 193 ff. Haftung der Gemeinschaft 67 ff. – Ausgleichsfunktion 65 – für rechtmäßiges Handeln, siehe Rechtmäßigkeitshaftung – haftungsrelevantes Verhalten 73 ff., 155 – Parallelität, Grundsatz der 82, 88, 145 – Schöppenstedt-Rechtsprechung 69 f. 73, 81 f., 138 – Verschulden 72 – Voraussetzungen 67 ff. Handelsabkommen, plurilaterale 31 Handelshemmnisse 32, 38, 202 Handelspolitik 91, 172, 174 f., 206 f. – autonome Handelspolitik 75, 77, 207 – protektionistische Handelspolitik 39, 60, 172, 205 Handelspolitische Maßnahme 138 Handelsrunde 32, 202 Handelssektor 39, 58 Handlungsspielraum 105, 111, 113, 147, 154, 182, 184, 208 f. Höherrangige Rechtsnorm 70 ff., 138 ff. Hormonstreit 21, 173 f. Individualrechtsschutz 65, 133, 194 judicial self restraint 49, 111 Kausalität 22, 72, 161 ff., 180 ff. – Adäquanzformel 161, 185 – conditio sine qua non 162, 164, 180 – hypothetische Kausalität 181 – Kausalverlauf 181 – Unterbrechung, siehe Unterbrechung des Kausalverlaufs Konsultationsverfahren 35 Lastengleichheit 189, 192, 195, 197, 205 Liberalisierung des Handels 32 Lomé-waiver 54
Marktabschottung 76, 177 Meistbegünstigungsprinzip 46, 54, 117, 137 Nakajima-Rechtsprechung 45, 104, 117 ff., 208 – Umsetzungsabsicht 124, 130 f. – Umsetzungsakt 131 – und Schadensersatzklage 121 Nichtigkeitsklage 30, 53, 63 f., 81, 118 – gegen Verordnungen 63 f. – individuelle Betroffenheit 63 f. nullification or impairment 29, 31 pacta sunt servanda 25, 58, 146 Panel-Bericht 33 f., 54, 127, 174 – Annahme 36 f. Planungssicherheit 134 power-oriented-System 33 Qualifizierte Rechtsverletzung 73, 140 ff., 152, 175 – abgrenzbare Gruppe 71, 144 – Mulder-Entscheidung 143 f., 151 f. – offenkundige Rechtsverletzung 151 – wirtschaftspolitische Entscheidung 70, 139 f., 151, 154 Rechtlosstellung 114 Rechtmäßigkeitshaftung 187 ff. – außergewöhnlicher Schaden 197 f., 201 f., 205 f. – besonderer Schaden 197 f., 199 ff. – sans-faute-Haftung 191 Rechtsangleichung 71 f., 134 Rechtsschutz, effektiver 64 ff., 90, 92, 114 f., 194 Rechtsschutzdefizit 60, 64 Rechtsschutzsystem 65 f., 69, 193 f. Rechtsstaatsprinzip 193 Rechtsvergleichung 191, 193 Reziprozität 32, 110 rule-oriented-System 33 Sanktionsmittel 37, 51, 203 Schaden 59, 67, 70 ff., 79, 123, 142 f., 150, 161, 175 ff. – entgangener Gewinn 177 – ersatzfähiger Schaden 73
Stichwortverzeichnis – künftige Schäden 176 – Substantiierung 178 f. Schadensersatzklage 22, 69, 81, 104, 106 f., 113 f., 118, 121 ff., 141, 147, 171, 177 f., 192, 208 Schadensminderungspflicht 179 Schranken 165 Schutznorm 69, 77 f., 81 f., 88 f., 102, 132, 137, 156, 208 Sonderopfer 142, 188 ff., 194, 196, 199 f., 206 Sonderopfergedanke 144 f., 153 Staatshaftungsrecht 67, 69, 143 Strafzollerhebung 51, 58, 61 ff., 113, 140, 150, 154, 161 f., 165, 170 f., 176, 178, 180 f., 185 f., 198 f., 201, 205 Streitbeilegungsgremium 21, 34, 95, 114, 123, 174 Streitbeilegungsverfahren 21, 33 ff., 51, 60 ff., 73 f., 77, 98, 100, 105, 117, 127, 130, 145, 147 ff., 159, 174, 186, 207 ff. – Durchsetzungsmechanismus 40 f. – Konsultationen 35, 43, 147 – nach GATT 47 33 ff., 95, 98 – negativer Konsens 34, 37, 40 – Panel, Zusammensetzung 35 f. – Rechtsdurchsetzung 21, 37 ff., 96 f., 146, 186, 204, 207 – Verhandlungselemente 46, 95, 100 Substitutionsgeschäfte 179 f.
des GATT 47 43 des WTO-Rechts 44 ff. Eignung zur 115 ff. Kupferberg-Entscheidung 28, 30, 47 f., 120 – und Gegenseitigkeit 45 ff, 105, 110 f., 126 – und Geltung 26, 29 – und Genehmigungsbeschluss des Rates 30 – und Individualschutzcharakter 132 ff. – und Nakajima-Rechtsprechung 117 ff. – und subjektives Recht 28, 81 ff. – von Richtlinienbestimmungen 84 f. Unterbrechung des Kausalverlaufs 182 ff. – Handlungen Dritter 182 – und Vorhersehbarkeit 186 – und Weisungen 185 Uruguay-Runde 21, 31, 34, 36, 116, 202 USA 21, 50, 54, 55 ff., 109, 123, 152, 163 f., 185, 201
Trade Barriers Regulation 61
Welthandelsrecht 117, 145, 173 – Grundprinzipien 32, 117 – und Freiheitsgarantien 135, 146 – und Freiheitsrechte 45, 136 f., 146 Wertzoll 57, 177, 201
Umsetzungsfrist 38, 40, 55, 60, 62, 105 ff., 122, 126, 149, 152, 164, 176, 208 Umsetzungspflicht 85 f., 92, 105, 112, 145, 154 Unmittelbare Anwendbarkeit 21, 26 ff., 43 ff., 63, 81, 87 ff., 147, 155, 158, 196, 208 – als Haftungsvoraussetzung 77 ff., 88 f. – Begriff 26 ff.
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Verbraucherschutz 166 Verhältnismäßigkeit 167 ff. – Angemessenheit 168, 171 ff., 209 – Geeignetheit 168, 170 – Interessenabwägung 169 f., 173 – offensichtliche Verstöße 168 f. Vertrauensschutzgrundsatz 64, 151
Zollbindung 202 f., 204, 210 Zollklassifikation 200 Zollkontingent 51 f., 124 Zollkonzession 202 f. Zolllisten 202