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German Pages 22 [24] Year 1923
Die große und die kleine
BUCHROLLE in der
Offenbarung Johannis Kap. 5 und Kap. 10 Von
WILHELM BRÜCKNER D. theol., Stadtpfarrer a. D. in Karlsruhe i. B.
1923 Verlag von A l f r e d
Töpelmann
in Gießen
Alle R e c h t e
vorbehalten
Made in G e r m a n y
VORWORT Die vorliegende Quellenscheidung in der Offenbarung ist ein ganz selbständiger eigenartiger Versuch, das literarische Problem dieses Buches zu lösen. Er ist durch große Klarheit und Einfachheit ausgezeichnet und enthält wertvolle Gedanken, die der Forschung nicht vorenthalten werden durften, obwohl der Verfasser, Herr Stadtpfarrer D. Brückner in Karlsruhe, wegen seines hohen Alters nicht mehr in der Lage war, sich mit den anderen Versuchen einer Quellenscheidung in der Apokalypse auseinanderzusetzen, auch noch ganz auf dem Boden der zeitgeschichtlichen Deutung steht. Das neue religionsgeschichtliche Verständnis der Offenbarung würde aber auch nur an wenigen Stellen die Auffassung verändern; der Wert der vorliegenden literarischen Untersuchungen bleibt durch sie im wesentlichen unberührt. Jena, im Februar 1923. H. W e i n e l .
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ie Offenbarung Johannis ist n i c h t das einheitliche Werk des 1, 1. 4. 9 genannten J o h a n n e s (der nicht als der Apostel bezeichnet ist), der von seinem Patmos aus im Todesjahre des Kaisers Nero 68 nicht nur in die sieben Gemeinden der römischen Provinz Asien hineinschaute, sondern auch die Weltgeschicke, die furchtbaren Strafgerichte Gottes über die Länder und ihre Bewohner hereinbrechen sah, wie Krieg, Hunger und Pest die Menschen dahinrafften, wie die parthischen Reiterscharen vom Euphrat her heranstürmten, wie der weltgeschichtliche Kampf zwischen Rom und Jerusalem sich vollzog, wie er das Wiederkommen Neros, aber auch die Wiederkunft Christi in unmittelbarer Zeitnähe verkündigte, dann aber die unausbleibliche Niederwerfung des römischen Weltreiches in sichere Aussicht stellte. 1. Gegen die Einheitlichkeit der johanneischen Apokalypse muß zu allererst entschieden erklärt werden, daß nach Form und Inhalt die drei ersten Kapitel, die Einleitung und die Sendschreiben an die sieben Gemeinden Kleinasiens, und der Schluß 22,6—21 von dem bei weitem größten Teil der Schrift 4,1—22,5 sich als etwas ganz Apartes unterscheiden. Stilistisch ist die Verschiedenheit so groß, daß der Verfasser von Kap. 1—3 und 22,6—21 nicht wohl auch 4,1—22,5 geschrieben haben kann. Die Verschiedenheit ist derartig, daß die unwillkürlich sich aufdrängende Vermutung berechtigt erscheinen muß, daß Kap. 1—3 ohne jeglichen Z u s a m m e n h a n g mit 4,1—22,5 als selbständige Schrift in die kleinasiatische Welt ausgegangen sei und durch ihren schwerwiegenden Inhalt auf die dortigen Christen nachhaltigen Eindruck geübt habe, und daß die zweifellos hinterher gemachte Ueberschrift 1,1—3, die den Knecht J o h a n n e s in dritter Person einführt, erst die unnatürliche Verbindung hergestellt habe. Nur müßte in diesem Falle a n g e n o m m e n werden, daß der Urheber der Ueberschrift die Formel S'.a ~ov Xo'fov toi ikoi xai Sia xyjv |iapTupiav '17,305 6,9 sich selber 1,2 angeeignet und 1,9 von sich aus eingefügt hätte. In Kap. 1,4—3,22 finden wir eine reich gegliederte, im Ausdruck schwülstig und phantastisch ausmalende Christologie, die wesentlich mit den christologischen Vorstellungen, die sonst im Neuen Testament uns begegnen, übereinstimmt, während alles Christologische in 4,1—22,5 sich in dürftigster Monotonie darbietet. Hier ist d e r g e k r e u z i g t e J e s u s d a s , w i e g e s c h l a c h t e t v o r d e m T h r o n e G o t t e s d a s t e h e n d e , L a m m mit seinen sieben Hörnern und seinen sieben Augen, welche die sieben Geister Gottes sind, zugleich der Löwe aus dem Stamme Juda und die Wurzel Davids (5,5—6), das von Gott den Auftrag erhält, das mit sieben Siegeln versiegelte Buch zu öffnen. „Würdig
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bist du zu nehmen das Buch und seine S i e g e l zu öffnen, denn du wurdest geschlachtet und hast für Gott erkauft durch dein Blut aus allen S t ä m m e n und Zungen und Völkern und Nationen und hast sie für unsern Gott zu einem Königtum und zu Priestern gemacht, und sie werden herrschen auf der Erde. Würdig ist das geschlachtete L a m m zu n e h m e n Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Lob. Und j e d e s Geschöpf, das im Himmel und auf der Erde und unter der Erde und auf dem Meere ist, und Alles, was darin ist, hörte ich s a g e n : D e m , welcher auf dem T h r o n e sitzt, und dem L a m m sei das Lob und der Preis und die Ehre und die Kraft von Ewigkeit zu Ewigkeit" (5,9—14). In diesem L o b g e s a n g ist die Christologie von 4 , 1 — 2 2 , 5 vollständig zusammengefaßt. D i e s e Christologie ist das ausschließliche Eigentum von 4,1—22,5. S i e hat nirgends in der neutestamentlichen Literatur irgendwelche Analogie. Sie fehlt auch im Kap. 1—3 und 2 2 , 6 — 2 1 . Die B e z e i c h n u n g L a m m wird in 4 , 1 — 2 2 , 5 29 mal wiederholt, und j e d e s m a l muß an das gedacht werden, was von dem L a m m 5,9-—14 gesagt ist. D a s „ L a m m " ist das C h a r a k t e r i s t i k u m d e s Gesamtini n h a l t s v o n 4 , 1 — 2 2 , 5 — das Charakteristikum der hier vertretenen Christologie. Die drei ersten Kapitel sowie -der Schluß 2 2 , 6 — 2 1 stehen g a n z und gar auf c h r i s t l i c h e m Boden. Die sieben Gemeinden in Kleinasien sind in sich g e s c h l o s s e n e christliche G e m e i n d e n . S i e haben bereits eine längere Vergangenheit ihres B e s t a n d e s hinter sich. Nur so erklären sich die Mißstände, die sich in ihnen herausgestellt haben. S i e befinden sich nicht mehr in der Zeit der ersten B e g e i s t e r u n g des neuerwachten christlichen Glaubens. Auch die als Bileamiten und Nikolaiten bezeichneten Irrlehrer deuten auf eine viel spätere Zeit hin, als die in 4 , 1 — 2 2 , 5 vorauszusetzende. Wir werden auf den Anfang des 2. Jahrhunderts hingewiesen. D a g e g e n zeigt 4 , 1 — 2 2 , 5 überall einen z w i e s p ä l t i g e n C h a r a k t e r : eine j ü d i s c h e U n t e r l a g e , die in sich einen festen Bestand bildet, und eine leicht darüber hingeworfene c h r i s t l i c h e O b e r s c h i c h t , die da erscheint teils in stereotypen Stichworten und Sätzen, die, sich oft wiederholend, sich in den ursprünglichen T e x t eingestreut finden, teils aber auch in ganzen Abschnitten, die das feste Gefüge der Unterlage unterbrechen. Dadurch sollte die j ü d i s c h e Apokalypse in eine christliche umgewandelt werden. In Kap. 1—3 wird mit schärfster B e t o n u n g der urchristlichen Zukunftserwartung die W i e d e r k u n f t des gekreuzigten C h r i s t u s zur F r e u d e der S e i n i g e n und zum S c h r e c k e n seiner Feinde als T h e m a des Folgenden hingestellt. Diese Wiederkunft erscheint in allen sieben S e n d s c h r e i b e n als der leuchtende, alles tragende Gedanke. In den Schlußworten 2 2 , 6 — 2 1 wird diese Wiederkunft Christi mit dem größten Nachdruck wiederholt. Man sollte nun denken, daß der übrige Inhalt der Apokalypse auch von demselben Gedanken erfüllt sein würde. D a s i s t a b e r
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n i c h t d e r F a l l . S o auffallend es ist, so ist es doch unwidersprechlich: d i e W i e d e r k u n f t J e s u C h r i s t i f e h l t volls t ä n d i g in 4 , 1 — 2 2 , 5 . Wir b e g e g n e n dort völlig anderen Messiasvorstellungen, die mit dem wiederkommenden J e s u s Christus von Kap. 1 — 3 nicht in U e b e r e i n s t i m m u n g gebracht werden können. Die Regina Coeli 12,1 ist weit davon entfernt, ein christliches Madonnenbild zu sein. S i e konnte dazu nur gemacht werden, indem man den ganzen Z u s a m m e n h a n g , in dem ihr Bild in Kap. 12 auftaucht, nicht in B e r ü c k s i c h t i g u n g zog. D a s Weib 12,1 mit der S o n n e bekleidet, den Mond unter den Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone mit zwölf Sternen — eine Personifikation des zwölfstämmigen Israel — gebiert einen S o h n , der alle Heiden weiden soll mit eisernem Stab. D a s Kind wird entrückt zu Gott und seinem T h r o n e 12,5. Dieses Kind ist der Messias. Aber nicht das geringste deutet auf einen Z u s a m m e n h a n g zwischen diesem Messias und dem geschichtlichen gekreuzigten J e s u s hin. Am allerwenigsten kann man hier eine Anknüpfung an die in den Synoptikern erzählte Geburt J e s u in Bethlehem finden. E b e n s o w e n i g hat der Messias in 14,14: „Auf der Wolke saß einer wie eines Menschen S o h n " , was offenbar sich an Dan. 7,13.14 anschließt, mit der S e l b s t b e z e i c h n u n g J e s u in unseren Evangelien etwas zu schaffen. In keiner Weise wird 14,14ff. ein W i e d e r k o m m e n des M e n s c h e n s o h n e s angedeutet. E s soll einer kommen, der vorher nicht dagewesen ist. Und er wird lediglich erwartet, um ein furchtbares Gericht über die ganze Erde zu bringen, das mit glühenden Farben des Rachedurstes 1 4 , 1 7 — 2 0 beschrieben wird. Am deutlichsten spricht sich die in 4 , 1 — 2 2 , 5 gewollte Messiasvorstellung 1 9 , 1 1 — 1 6 aus. Alles was hier von dem Messias gesagt ist, die Erwartung, der er zu entsprechen hat, die B e stimmung, zu welcher er erscheint auf dem weißen Roß, die Rolle, die er übernimmt im Z u s a m m e n h a n g mit dem Gericht über die heidnische Welt, mit der siegreichen Vollendung, die auf dieses Gericht unmittelbar folgt, steht mit dem Christus der drei ersten Kapitel im allerentschiedensten Widerspruch. Zu dem Messiasbild in 19,11 — 1 6 hat der geschichtliche J e s u s , der J e s u s der Evangelien, die Vorlage nicht g e g e b e n . D i e s e r Messias ist derjenige, den das J u d e n t u m in seinem H a s s e g e g e n die heidnische griechisch-römische Welt brauchte und daher auch erwartete. Nicht das W i e d e r k o m m e n eines einmal D a g e w e s e n e n , wie die christliche Wiederkunftserwartung es voraussetzt, vielmehr ein völlig neues Moment ist diese E r s c h e i n u n g des Messias. D i e s e r z u m Gericht über die heidnische Welt erwartete Messias wird dem geschichtlichen J e s u s Christus als Gegenbild gegenübergestellt. G e g e n diese Auffassung von 19,11 — 1 6 könnte eingewendet werden, daß dieser Messias doch die Namen hat „Treu und Wahrhaftig" 19,11, „das Wort G o t t e s " ö Xifoc TOÜ frsoü 19,13*), „König der Könige und Herr der H e r r e n " 19,16. Diese *) Man darf hier e b e n s o wenig an die j o h a n n e i s c h e L o g o s i d e e denken, wie bei d e m \6YOQ TOV tfeoC 6,9 und 20,4.
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N a m e n stehen aber im offenbarsten Widerspruch zu der ganzen Darstellung 19,11 — 1 6 . S i e können nur a n g e s e h e n werden als Hinzufügungen des christlichen Redaktors, der, wenn er sich nun einmal dazu entschlossen hatte, die ursprünglich j ü d i s c h e Apokalypse zu einer christlichen zu machen, sich auch genötigt sah, d e m j ü d i s c h e n M e s s i a s ein c h r i s t l i c h e s G e w a n d u m z u hängen. D a s geschieht mit der geflissentlichen Häufung der drei N a m e n ; daß aber diese drei Namen ursprünglich hier nicht standen, erweist sich durch den S a t z : „und er hat einen Namen geschrieben, den niemand kennt als er selbst", 19,12. D a s schließt doch die drei Namen geradezu aus. Es ist bei dieser Interpretation nur verwunderlich, daß der Redaktor den S a t z : „er hat einen N a m e n geschrieben, den niemand kennt als er s e l b s t " bei der Ueberarbeitung stehen gelassen hat. D i e s e s Stück ist für den zwiespältigen Charakter von 4 , 1 — 2 2 , 5 das Eigentümlichste und Bezeichnendste. Wir gewinnen hier einen erwünschten Einblick in das Verhältnis der ursprünglichen jüdischen Apokalypse zu der durch Ueberarbeitung christlich g e m a c h t e n Apokalypse. Will e m e n an einem handgreiflichen Beispiel das W i e dieser Ueberarbeitung kennen. S i e b e g n ü g t e sich mit der Anwendung ganz oberflächlicher Mittel. 2 . Wir müssen in 4 , 1 — 2 2 , 5 als Unterlagen z w e i j ü d i s c h e Apokalypsen u n t e r s c h e i d e n : eine kürzere ältere, die in Kap. 10 als ßtßXaptSmv gekennzeichnet und in den Kapiteln 1 0 — 1 3 enthalten ist, und eine umfangreichere j ü n g e r e , das mit sieben Siegeln versiegelte ßtßXiov Kap. 8, aus welchem nicht nur die sieben Siegel, sondern auch die sieben Posaunen und die sieben Zornschalen hervorgegangen sind. Wir wollen zuerst Existenz und Inhalt der g r o ß e n B u c h r o l l e festzustellen versuchen. S i e hat in unserer neutestamentlichen Apokalypse ihren Grundstock in den Kap. 4 — 9 . In diesem ganzen Abschnitt gibt es drei Stücke, welche einen d o p p e l t e n Z e i t h i n t e r g r u n d sehr deutlich erkennen lassen: 1.) In 5,6 war das wie geschlachtet inmitten der 4 Zoa und der 24 Aeltesten dastehende L a m m mit seinen sieben Hörnern und seinen sieben Augen, die die sieben Geister Gottes sind, ausgesandt in alle Lande, nach J e s . 53,7, u r s p r ü n g l i c h d a s g e s c h l a c h t e t e J u d e n t u m , daher eins mit dem Löwen aus dem S t a m m e J u d a und der Wurzel Davids 5,5, wurde aber durch den L o b g e s a n g 9 b — 1 4 m i t d e m g e k r e u z i g t e n J e s u s i d e n t i f i z i e r t (das bildete für die christlich g e m a c h t e Apokalypse 4 , 1 — 2 2 , 5 die dogmatische Grundlage, die das G a n z e durchzieht); 2.) In 6,9 waren die unter dem Brandopferaltar uraxd-c« -coü fruaiaor/jp'ou, der nur in J e r u s a l e m gedacht werden kann, befindlichen S e e l e n der Geschlachteten u r s p r ü n g l i c h das von den R ö m e r n mißhandelte und g e s c h l a c h t e t e j ü d i s c h e V o l k , durch den Z u s a t z aber wl töv Xdyov xoü ikoü xal St« Ty(v ¡¿apiüpiav 'Irjocü wurden diese Geschlachteten als d i e O p f e r d e r n e r o n i s c h e n C h r i s t e n v e r f o l g u n g b e z e i c h n e t (damit war für die Christ-
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lieh g e m a c h t e Apokalyse 4 , 1 — 2 2 , 5 die historische Veranlassung g e g e b e n , die für das Verständnis des Ganzen den Ausschlag zu g e b e n pflegt); 3.) zu den 1 4 4 0 0 0 Versiegelten aus den 12 S t ä m m e n Israels 7 , 1 — 8 wurden in 7 , 9 — 1 7 die Erlösten aus der g a n z e n Menschheit h i n z u g e f ü g t (und so die Universalität des christlichen Heils kundgetan). Die große Buchrolle beginnt mit einer bedeutsamen Einleitung, mit der Darstellung des T h r o n e s Gottes im Himmel, mit den 4 Zoa und den 24 Aeltesten 4 , 2 — 1 1 . Die 4 Zoa sind Ezech. 1,10 nachgebildet, haben die Gestalt der stärksten L e b e wesen, des Löwen, des Stiers, des Menschen und des fliegenden Adlers, welche vier F o r m e n j e d o c h in Ezech. 1,10 j e d e s einzelne Wesen in sich vereinigt. In Kap. 5 empfängt das inmitten der 4 Zoa und der 24 Aeltesten wie geschlachtet dastehende L a m m von der Hand des Thronenden das mit sieben S i e g e l n versiegelte B u c h mit dem Auftrag, seine S i e g e l zu öffnen. Die Eröffnung der sechs ersten Siegel erfolgt im 6. Kapitel. Soll eine Gleichartigkeit zwischen den vier ersten Siegeln oder den vier apokalyptischen Reitern vorausgesetzt werden, so ist es allein richtig, bei dem ersten Siegel 6,2 an den Parther-König V o l o g a e s e s zu d e n k e n , der vom Euphrat k o m m e n d mit seinen Reiterscharen im J a h r e 6 2 den R ö m e r n eine empfindliche Niederlage beibrachte*). D i e s e r S i e g e r brachte Krieg, H u n g e r und Pest in die römische Welt. S o hängen die vier apokalyptischen Reiter eng miteinander z u s a m m e n . Mit den vier ersten S i e g e l n schaute der S e h e r in die G e g e n w a r t , die er erlebte. Nun aber wendet sich sein Seherblick der Z u k u n f t zu. Dazu bildet das fünfte S i e g e l den U e b e r g a n g : „Ich sah unter dem Brandopferaltar die Seelen der Geschlachteten, und sie riefen mit lauter S t i m m e : Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange wirst du noch zögern zu richten und zu rächen unser Blut an den B e wohnern der E r d e ? " 6 , 9 — 1 0 . D i e s e F r a g e b i l d e t den e i n h e i t l i c h e n Mittelpunkt d e r g r o ß e n B u c h r o l l e . In dem verlangten Gericht erwarteten die Geschlachteten die Befriedigung ihrer Rache. Im Folgenden soll die Antwort auf diese Frage g e g e b e n werden. Wie fällt diese Antwort aus? S i e ist 1.) g e g e b e n in den sechs ersten Posaunen 8 , 2 — 9 , 2 1 , wozu auch ganz selbstverständlich die siebente P o s a u n e 1 1 , 1 5 — 1 9 gehört, die willkürlich vom R. von den sechs ersten P o s a u n e n getrennt und hierher versetzt wurde. In den Posaunen wird der dritte Teil der Erde mit den B ä u m e n und allem grünen Grase, der dritte Teil des Meeres, der dritte Teil der Geschöpfe, die S e e l e n haben, der dritte Teil der Schiffe, der dritte Teil der S t r ö m e und Wasserquellen, der dritte Teil der S o n n e und des Mondes und der Sterne vernichtet. Die S o n n e wird verfinstert und H e u *) Der Apokalyptiker wird bald darnach seine Apokalypse geschrieben haben.
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schrecken gehen über die Erde, und es wird ihnen Macht gegeben, wie die Skorpionen der Erde Macht haben, so daß von ihnen die Menschen nicht getötet, sondern gequält werden fünf Monate, und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und ihn nicht finden. Und diese Heuschrecken wandeln sich in die Reiterscharen der Parther, die vom großen Strom, vom Euphrat h e r k o m m e n d zweimal zehntausend mal zehntausend, den dritten Teil der Menschen, dahinraffen. Die drei Wehe 9,12 und 11,14 schließen sich an die fünfte, sechste und siebente Posaune an. Die Antwort setzt sich 2.) fort in der Erscheinung des Messias 14,14—20: „Eine weiße Wolke und auf der Wolke saß Einer wie ein Menschensohn, der eine goldene Krone auf seinem Haupte und in seiner Hand eine scharfe Sichel hatte. Und ein Engel rief ihm zu: Sende deine Sichel auf die Erdel Und die Erde ward geerntet. Der Weinstock der Erde ward geworfen in die große Zorneskelter Gottes, und Blut ging von der Kelter aus bis an die Z ä u m e der Pferde tausend sechshundert Stadien weit." Unmittelbar darauf kommen 3.) die sieben Zornschalen Kap. 15 und 16: Sieben Engel bringen die letzten sieben Plagen, denn in ihnen vollendet sich Gottes Zorn 15,1. In der Gesamtanlage der großen Buchrolle bilden die sieben Zornschalen die Parallele zu den sieben Posaunen. Die Plagen, die über die Menschen kommen, sind so entsetzlich wie die der Posaunen. Die siebente Schale bringt ein gewaltiges Erdbeben, wie noch keines je gewesen ist, seitdem ein Mensch auf Erden war 16,18ff. Das ist die Antwort auf 6,10*). Dazu gehört aber auch, wie 17,1 zeigt, 4.) der Untergang Roms Kap. 17. Hier aber erscheint die ursprüngliche Vorlage sehr wesentlich erweitert durch den christlichen R., sodaß der größte Teil von Kap. 17 ihm angehört. Zwei Darstellungen Roms werden hier ineinandergemischt. „Die große Hure, die auf vielen Wassern sitzt, das. Weib auf scharlachrotem Tier, das voll Namen der Lästerung ist, bekleidet mit P u r p u r und Scharlach, übergoldet mit Gold, Edelsteinen und Perlen; und hat einen goldenen Becher in ihrer Hand voll Greuel und Unsauberkeit ihrer Hurerei und auf ihrer Stirn geschrieben einen Namen, ein Geheimnis, die große Babel, die Mutter der Hurerei und der Greuel auf Erden" (17,1—5), gehört der Buchrolle an. Mit 17,6 setzt der christliche Bearbeiter, der schon vorausgreifend 17,3 die sieben Häupter und die zehn Hörner eingefügt hatte, seine *) Auffallend ist in 16,10 der „Thron des Tieres", der sicher aus 13,2, also aus dem Biblaridion herübergenommen, von R. hierher gesetzt worden ist. Ferner ist die sechste Schale 16,12—15 angefüllt mit Stoffen, die nicht hierher gehören. 16,13—16 ist vom R. auch aus Kap. 13 herübergenommen worden, wobei das zweite Tier als „der falsche Prophet" bezeichnet wurde, was 13,11—17 nicht angezeigt ist. Die sechste Schale ist mit 16,12: „ausgegossen ist die Schale auf den großen Strom Euphrat, und sein Wasser vertrocknete, damit den parthischen Königen der Weg bereitet werde", durchaus erledigt.
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Schilderung ein, in der Rom als Roma septicollis, als die Stadt der sieben Hügel und der sieben Kaiser dargestellt wird, und mit besonderer Betonung der fünfte Kaiser, N e r o , der in wahnsinniger Wut die Christen in Rom grausamer Vetfolgung preisgegeben hatte, hervortritt (17,7—18), wobei freilich zugleich auch das Weib mit hineinspielt und der R. in V. 6 die neronische Christenverfolgung herbeizieht mit den Worten: „Und ich sah das Weib trunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen Jesu." Als letzte Beantwortung der Frage 6,10 m u ß 5.) die Erscheinung des Messias 19,11—16 angesehen werden. Sie wird eingeleitet durch den Jubel im Himmel 19,1—5, der durch seine Rückweisung auf die große Hure, die auf vielen Wassern sitzt 17,1, die die Welt verderbt hat mit ihrer Unzucht, als unmittelbare Fortsetzung von 17,1—5 sich erweist (19,1—10 sind zwei J u b e l i m Himmel nebeneinandergestellt: der ursprüngliche 19,1—5 und der vom R. dazwischengeschobene 19,6—10 mit der Hochzeit des Lammes und dem Zeugnis Jesu). In der Erscheinung des Messias vollendet sich das 6,10 verlangte Gericht über die Völker, über die Bewohner der Erde. „Aus seinem Munde geht ein scharfes Schwert hervor, auf daß er damit die Heiden schlage; und er wird sie weiden mit eisernem Stab und er wird die Weinkelter des Zornes des allmächtigen Gottes treten", — so daß 19,11—16 sich als Parallele 14,14—20 an die Seite stellt. Mit dem Gericht, das er bringt, erhält die blutdürstigste Rache ihre volle Befriedigung: „Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen, und er rief mit lauter Stimme und er sagte allen Vögeln, die im Mittelhimmel fliegen: „Herbei, versammelt euch zu dem großen Mahle Gottes, damit ihr fresset das Fleisch der Könige und das Fleisch der Obersten und das Fleisch der Starken und das Fleisch der Pferde und derer, die darauf sitzen, das Fleisch aller Freien und aller Sklaven, der Kleinen und der Großen" (19,17ff). Die Vorlage zu dieser Auslassung bildete Ez. 39,4.17—20. Diese fünf Stücke bilden den W e i s s a g u n g s - I n h a l t d e r g r o ß e n B u c h r o l l e . Ich habe sie nicht willkürlich aneinandergereiht. Ihre sehr enge, geradezu lückenlose Z u s a m m e n g e h ö r i g keit, ihre streng eingehaltene Aufeinanderfolge läßt sich sehr leicht nachweisen. Die große Buchrolle hat ihren sicheren Hintergrund in dem Throne Gottes im Himmel mit den 24 Aeltesten und den 4 Zoa voll Augen vorn und hinten. Dieser Thron Gottes mit den 4 Zoa und den 24 Aeltesten wird in der ganzen Buchrolle s t e t s g e g e n w ä r t i g g e d a c h t . Er ist nicht nur 4,4—11; 5,6—14; 6,1—7 vorhanden, sondern auch in 11,16 bei der siebenten Posaune, 14,3 bei den 144000 Versiegelten, 15,17 wo die sieben Zornschalen von einem der Zoa z u m Ausgießen gegeben werden, 19,4 bei dem Jubel im Himmel. Sie bieten in der großen Buchrolle durch ihre ganze A u s d e h n u n g die b l e i b e n d e S z e n e r i e dar. Für diese Szenerie kommt noch ein zweites Moment in
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Betracht. Daß die siebente Posaune 11,15—19 ihre unmittelbare Fortsetzung in der Messiaserscheinung 14,14—20 und dann sofort in den sieben Zornschalen gehabt hat, ergibt sich mit Sicherheit daraus, daß der Tempel Gottes im Himmel mit der Bundeslade 11,19 sich sowohl in 14,15.17 als in 15,5.6.8; 16,1.17 wiederfindet. Der Tempel mit dem Zelt des Zeugnisses im Himmel 15,5 ist mit der Bundeslade identisch, sodaß 15,5 aufs beste an 11,19 anknüpft. Der feste Zusammenschluß der Messiaserscheinung und der sieben Zornschalen mit der siebenten Posaune erhält dadurch seine sichere Bestätigung. Ja man darf zuversichtlich behaupten, daß die Messiaserscheinung 14,14—20 den eigentlichen Inhalt der siebenten Posaune in der ursprünglichen Apokalypse gebildet hat. Gelegentlich haben wir schon bemerkt, daß 17,1 den Uebergang bildet von den Zornschalen (Kap. 15 und 16) zu dem Fall Roms 17,1—5 und die große Hure 19,2 den Jubel im Himmel 19,1—5 mit dem Falle Roms verknüpft. 3. Nun treten wir an die k l e i n e B u c h r o l l e , an das ßtßXapiS'.ov heran. Mit Kap. 10 beginnt ein neuer Abschnitt. Das hier Gesagte steht in keinem Z u s a m m e n h ä n g mit dem unmittelbar vorhergehenden. Auch die Art der Anschauung und der Darstellung ist hier eine andere. Der Seher ist hier nicht m e h r wie bisher im Himmel, sondern auf der Erde. Von unten erblickt er den gewaltigen Engel, dessen Haupt über die Wolken emporragt, während er den rechten Fuß auf das Meer und den linken auf das Land setzt. Auch ist hier der Seher nicht passiver Zuschauer und Hörer, sondern wird sogleich wie die alttestamentlichen Propheten aufgefordert, seine Gedanken in symbolischen Handlungen z u m Ausdruck zu bringen. Der Seher soll' ein Büchlein verschlingen 10,9 und den Tempel ausmessen 11,1.2. Das Verschlingen des Büchleins ist Nachbildung von Ezech. 2,9—3,3. Die in 10,11 angekündigten Weissagungen werden in 11,1 — 13; 12,1—9; 1 3 , 1 - 7 und 13,11—18 vorgebracht. S i e bilden den damit auch scharf a b g e g r e n z t e n Inhalt der k l e i n e n B u c h r o l l e . Die Zusammengehörigkeit dieser Weissagungen erweist sich sehr bestimmt dadurch, daß viermal die Zeitdauer von 42 Monaten oder 1260 Tagen hervorgehoben wird 11,2; 11,3; 12,6 und 13,5 nach Dan. 7,25 und 12,7. Man darf annehmen, daß das nicht bloß in Erinnerung an den unheilvollen Zeitraum von 3 7a Jahren im Danielbuch geschieht, sondern daß damals, als die kleine Buchrolle geschrieben wurde, diese unheilvolle Zeitdauer einem geschichtlichen T a t b e s t a n d e e n t s p r a c h . Ganz besonders ist noch zu beachten, daß die in der großen Buchrolle vorausgesetzte Szenerie sich hier nicht wiederfindet. Der Thron Gottes ist nicht vorhanden. Es fehlen die 4 Zoa und die 24 Aeltesten. Auch ist der Tempel mit der Bundeslade im Himmel nicht sichtbar. Endlich wird hier die Frage 6,10, die in der großen Buchrolle den
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Mittelpunkt -bildet, in keiner Weise berücksichtigt. D i e k l e i n e B u c h r o l l e i s t e i n e b e s o n d e r e A p o k a l y p s e f ü r s i c h . Die kleine Buchrolle erscheint in unserer Apokalypse in die große Buchrolle zwischen die sechste Posaune 9,13—21 und 14,1 ff., wo die 144000 Versiegelten auf 7,1 ff. zurückweisen, eingekeilt, wie umgekehrt andererseits die siebente Posaune 11,14—19 wunderlicherweise in die kleine Buchrolle vom R. eingeschoben wurde, mit Hinzufügung der Weltherrschaft Gottes und seines Christus 11,15b. Auch die Ankündigung der siebenten Posaune in 10,7 kann nur vom R. herrühren. In 11,1.2 heißt es: „Stehe auf und miß den Tempel Gottes und den Altar und die darin anbeten, aber den äußeren Tempelhof (den Vorhof der Heiden) wirf hinaus und miß ihn nicht, denn er ist den Heiden gegeben und sie werden die heilige Stadt zertreten 42 Monate lang". Solange dauerte die durch Antiochus Epiphanes herbeigeführte Unterbrechung des Gottesdienstes im T e m p e l und der Greuel der Verwüstung auf dem Brandopferaltar (1. Makk. 1,54 f; 4,52ff. R e u ß : Das alte Testament VII. S. 177). Darauf wird hier hingewiesen mit der Abzielung, daß damals, als das Biblaridion geschrieben wurde, dieselbe Entweihung der heiligen Stadt und des Tempels und des Brandopferaltars durch die Heiden, die Römer, und zwar mit derselben Zeitdauer, stattgefunden hatte. Gleich darauf 11,3 heißt es: „Und ich werde meinen beiden Zeugen geben und sie sollen weissagen (rpotprjteuaoua'.v) 1260 Tage" — dieselbe Beziehung auf Antiochus Epiphanes mit derselben Zeitdauer. Wer die beiden Zeugen sind, m u ß uns unbekannt bleiben. Ganz willkürlich ist es, wie gewöhnlich geschieht, aus der Verklärungsgeschichte Moses und Elias herbeizuziehen. Damals als das Biblaridion geschrieben wurde, waren es zweifellos bekannte Persönlichkeiten, die in der damaligen Drangsalszeit ihre prophetische Wirksamkeit in Jerusalem ausübten und das in 11,4—11 beschriebene Schicksal erfuhren, aber auch in den Himmel hinaufstiegen 11,12. (Sicher hat hier ursprünglich der Zwischensatz: „wo auch ihr Herr gekreuzigt ward" 11,8 nicht gestanden; mit diesem Zusatz hat der R. die beiden Zeugen zu christlichen Propheten gestempelt, mit dem gekreuzigten Jesus verbunden.) Nach dem Biblaridion soll keine Zerstörung Jerusalems kommen, wohl aber ein großes Erdbeben, in dem der zehnte Teil der Stadt der Zerstörung anheimfällt und 7000 Menschen getötet werden (11,13). So rätselhaft wie die beiden Zeugen mit ihren Schicksalen ist das Weib, mit der Sonne bekleidet, mit d e m Mond unter ihren Füßen und dem Diadem mit den zwölf Sternen, und die Geburt des Messias. Das Weib ist nicht die Mutter Jesu. Sie ist das Volk Israel, die alttestamentliche Theokratie, aus der der Messias hervorgehen soll; dieser Messias wird sofort in den Himmel entrückt und so aller Gefährdung durch den das Weib bekämpfenden Drachen, die teuflische römische Weltmacht, ent-
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zogen. Das Weib entflieht in die Wüste und findet dort an einem ihr von Gott bereiteten Ort ihren Schutz. 1260 Tage lang: wieder die Heranziehung der bekannten Unheilszeit, wobei Michael, der aus Dan. 10,13.21; 12,1 bekannte Erzengel und Schutzgeist des Volkes Israel, den Kampf mit dem Drachen im Himmel aufnimmt, ihn überwältigt, ihn aus dem Himmel auf die Erde herunterwirft. Israel wird also nach der Drangsalszeit gerettet (12,1—9). Das Folgende 12,10—17 ist als Hinzufügung des R. zu beurteilen. In einem Lobgesang wird die Weltherrschaft Gottes und seines C h r i s t u s als eine gesicherte gepriesen, wobei das Blut des L a m m e s (5,9; 7,14; 12,11; 14,3.4), sowie das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu (6,9; 19,10; 20,7) die Hand des R. erkennen lassen. Nachdem nun aber der Drache überwältigt, vom Himmel auf die Erde herabgeworfen war, beginnt er auf Erden den Kampf gegen das Weib aufs neue. Es ist dieses der Kampf des römischen Weltreiches gegen die christliche Gemeinde, „gegen die Uebrigen ihres Samens, die die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben." Dem R. hat sich in 12,13—17 das Weib, das in 12,1—9 das ideale Israel bedeutet, in die christliche Gemeinde als das ideale Israel gewandelt, wobei er die feindliche Haltung der römischen Weltmacht gegen die christliche Gemeinde vor Augen hatte. Wir k o m m e n zu dem Tierbild 13,1—7. Wir bemächtigen uns sofort des S a t z e s : „Und es wurde ihm Macht gegeben, es zu treiben 42 Monate lang" 13,5. G a j u s C a l i g u l a wurde Kaiser am 16. März 37 und wurde am 24. Januar 41 ermordet ( H a u s r a t h Neutest. Zeitgeschichte II. S. 187 u. 230). Das sind 46 Monate. Das stimmt mit den 42 Monaten so ziemlich z u s a m m e n . Die 42 Monate waren in Dan. 7,25 und 12,7 gegeben und sind von dort genommen, standen somit fest und durften nicht verändert werden. Mit einer hier gebotenen a p o k a l y p t i s c h e n A b r u n d u n g wird damit aufs bestimmteste und deutlichste a u f d i e R e g i e r u n g s z e i t C a l i g u l a s h i n g e w i e s e n . Daran sollten auch schon die Hinweise auf dieselbe Drangsalszeit 11,2.3 und 12,6 erinnern. G a n z s e l b s t v e r s t ä n d l i c h i s t d a m i t d i e Z e i t d e r A b f a s s u n g d e s B i b l a r i d i o n b e s t i m m t . Diese kleine jüdische Apokalypse wurde geschrieben im Todesjahr Caligulas, im J. 41, d a d i e S c h r e c k e n s z e i t vorüber war, aber die lebhafteste Erinnerung daran noch die jüdischen Gemüter aufs heftigste bewegte. Die ersten Leser dieser Apokalypse wußten, was die 42 Monate bedeuten sollten. Sehr auffallend ist es, daß die Kritik der johanneischen Apokalypse, die die Z u s a m m e n s e t z u n g und Entstehung dieses merkwürdigen Buches zu erforschen suchte, konsequent bei und trotz den 42 Monaten an der Regierungszeit Caligulas vorübergegangen ist, sie nicht in ihre Arbeit hereingezogen hat. H. J. H o l t z m a n n ist an diese L ö s u n g d e s P r o b l e m s ganz nahe herangetreten, wenn er in seinem Hand-Commentar zur Offenb.
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Joh. schreiben konnte: „Die von Caligula, dem seit seiner Gen e s u n g verrückt gebliebenen Kaiser, geplante Entweihung des jerusalemischen Tempels durch sein eigenes Bild konnte sicherlich das apokalyptische Fieber wieder erwecken. Insofern besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß die jüdischen Quellen, falls nämlich solche überhaupt a n g e n o m m e n werden müssen, auf jene Zeit zurückreichen" (S. 2 % ) und ferner: „Man kann den Kanon aufstellen: ist das Tierbild ursprünglich jüdisch, so datiert es aus Caligulas Zeit; ist dagegen seine Beziehung auf Nero oder Domitian nachweisbar, so ist es christlich" (S. 301). Er wäre aber bei seiner neutralen Haltung gegenüber der Frage: ob Caligula oder Nero, ob jüdisch oder christlich, nicht stehen geblieben, wenn sich ihm das Verhältnis zwischen den 42 Monaten und der 46monatigen Regierung Caligulas aufgedeckt hätte. Caligulas Stellung den Juden gegenüber war ganz dieselbe wie die des Antiochus Epiphanes. Er hat sich öffentlich als Gott verehren lassen. Die "^-"/¡'p] toü frava'tou, von der er geheilt wurde, e&spaxsü&yj 13,3.12, war die Krankheit, von der er acht Monate nach Antritt seiner Regierung befallen wurde*). Zum Staunen der Welt wurde er wieder gesund. Er wurde aber dadurch geistig so zerrüttet, daß von seiner G e n e s u n g an das wahnsinnige Leben begann. Die Lästerworte, die das Tier redete, und die Schmähungen gegen Gott beziehen sich darauf, daß er auf dem kapitolinischen Hügel sich zu Ehren einen Tempel erbauen ließ und den Befehl gab, seine Statue im Tempel zu Jerusalem aufzustellen. Der römische Prokonsul P e t r o n i u s bestellte eine Kaiserstatue bei sidonischen Künstlern und zog, bewaffneten Widerstand der Juden erwartend, seine Legionen in Ptolemais z u s a m m e n . Da zogen Massen jüdischer Männer, Frauen, Kinder, Greise aus allen Landesteilen nach Ptolemais und erfüllten die Luft mit ihrem Klagegeschrei, mit dem gemeinsamen Flehen, diese schrecklichste aller Entweihungen ihres Heiligtums doch nicht zur Ausführung kommen zu lassen. Bei allen Verhandlungen mit den Juden hörte P e t r o n i u s die starre u n b e u g s a m e Erklärung: „Will der Kaiser sein Bild in unserm Tempel aufstellen, so muß er zuvor das g a n z e j u d e n v o l k schlachten." Die Ausführung wurde durch den Prokonsul verzögert und durch den Tod des Kaisers zunichte gemacht. D a s i s t d i e S i t u a t i o n , d i e in 13,1—7 s i c h a u f s h e l l s t e a b s p i e g e l t . Zwischen die beiden aufs engste mit einander verbundenen Tiere hat der R. das Stück 13,8—10 eingeschoben. Da heißt es: „Und es werden ihn anbeten alle Bewohner der Erde, deren *) Die 42 Monate nötigen dazu, die irXtryij roO tfavörou 13,3.12 auf Caligulas Krankheit zu beziehen. Dagegen kann der Zwischensatz oq e^ei Triv w\tijriv Tijs fia^alpiiq Ka\ e^ncrev, 13,4 der auch äußerlich als zwischen eingeschoben sich ausnimmt, nur als später eingetragene Ausdeutung der 7r\ij7»i 13,3.12 beurteilt werden, durch welche Caligulas Krankheit und Genesung auf Neros Tötung durch das Schwert und dessen Wiederaufleben übertragen werden sollte. Das entspricht ganz den Eintragungen des R.
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Name nicht geschrieben ist in dem Lebensbuch des geschlachteten Lammes seit G r u n d l e g u n g der Welt", in Uebereinstimmung mit 17,8; 20, 12.15; 21,27. Wie das erste Tier vom Meere aufsteigt, so das zweite Tier vom Lande. Dem im jüdischen Lande schreibenden Apokalyptiker kommt jenes von der Weltstadt Rom, dieses von Kleinasien. Es hat zwei Hörner wie ein Lämm und redet wie ein Drache. Es übt die Macht des ersten Tieres aus und bewirkt, daß die Bewohner der Erde das erste Tier anbeten. Es wird hier hingewiesen auf die damals wirkende Macht, die die von Caligula gewollte Kaiservergötterung beförderte und eifrig betrieb und so einen verderblichen Einfluß auf die Bewohner der Erde übte, dem jüdischen Volke aber durch ihr Treiben als satanische Gewalt erscheinen mußte. Wie bei d e m ersten Tier, so muß auch bei dem zweiten an eine bestimmte Persönlichkeit gedacht werden, die wir aber nicht ausfindig machen können. Nun kann die D e u t u n g des Zahlenrätsels 13,18 nicht mehr zweifelhaft sein. S i e m u ß auf G a j u s C a l i g u l a g e h e n . Die ursprünglich im Biblaridion g e g e b e n e Lesart war aber 616. Die Lösung war also g e g e b e n : T a i o c K c t i a a p 3 + 1 - f 10 + 70 + 200 + 2 0 + 1 + 10 + 200 + 1 + 100 = 6 1 6 . Der R. hat 666 an die Stelle gesetzt in der Absicht, das auf Caligula gemünzte auf N e r o , den fünften Kaiser, oder, was wahrscheinlicher ist, auf den Nero redivivus, auf D o m i t i a n (81—96), den überschüssigen achten 17,11, zu übertragen. Eine bestimmte, ersichtliche Lösung liegt aber hier nicht vor. Der Drache 12,1—9, das Tier 13,1—7, aber auch die große Hure, das Weib auf scharlachrotem Tier 17,1—5 sind drei verschiedene Darstellungen oder Bilder der gottwidrigen römischen Weltmacht. Bei der sehr großen Verschiedenheit der Beschreibungen ihres Wesens und Treibens sind sie wunderlicherweise mit einer g e m e i n s a m e n Zugehörigkeit ausgestattet worden: d e n s i e b e n H ä u p t e r n u n d d e n z e h n H ö r n e r n . Damit sollen sie die Darstellung 17,6—18 vorbereiten und stehen somit in voller Uebereinstimmung mit 17,6—10, wo Rom, die Stadt der sieben Hügel, zugleich als die Stadt der sieben Kaiser (ßaclei?) erscheint. Wir haben bereits 17,6—10 als Eigentum des R. erkannt. Als das Stück 17,6—18 vom R. geschrieben wurde, waren die sieben Kaiser vorhanden, man konnte sie zählen. Es waren, w e n n G a l b a , O t h o und Vitellius nicht in Betracht k o m m e n : Augustus, Tiberius, Gajus Caligula, Claudius, Nero, Vespasian, Titus. Der fünfte, der Christenmörder Nero ist gefallen, wird aber wiederk o m m e n ; der siebente soll nur eine kurze Zeit bleiben. Titus war nur 2 Jahre Kaiser. Der überschüssige achte soll kommen und ist vor den sieben (17,9—11). E r w a r w o h l s c h o n g e k o m m e n . Das hat seine Richtigkeit. Als aber 12,1—9; 13,1—7; 17,1—8 geschrieben wurden, wie wir s a g e n : in der kleinen und großen Buchrolle, war die Vollzahl der sieben Kaiser noch gar
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nicht vorhanden. Die sieben Häupter und die zehn Hörner konnten also dem Drachen, dem Tier, der großen Hure auch nicht zugeteilt werden, abgesehen davon, daß ihre vollständigen Beschreibungen die Zugabe von sieben Häuptern und von zehn Hörnern, genau besehen, doch eigentlich gar nicht vertragen können. Sie sind in allen drei Stellen 12,3; 13,1; 17,3 vom R. eingetragen, um die von ihm benutzten Apokalypsen mit seiner Darstellung in Uebereinstimmung zu bringen. Nur in 17,7 haben sie ihre richtige Stelle. 4. Nachdem wir die Existenz der großen und der kleinen Buchrolle nachgewiesen, beide genau gegeneinander abgegrenzt und ihren Inhalt festgestellt haben, müssen wir das festzustellen suchen, was als E i g e n t u m des R.nachbleibt bezw. auf ihn zurückzuführen ist. Wir wollen uns in diesem Teil unserer Arbeit der äußersten Knappheit in der Ausführung befleißigen. Wir begnügen uns mit einigen Andeutungen. Abgesehen von 5,1—8 und 6,1 —17, wo das wie geschlachtet dastehende Lamm mit seinen sieben Hörnern und sieben Augen vor dem Throne Gottes in Anwesenheit der 4 Zoa und der 24 Aeltesten das versiegelte Buch zur Oeffnung der Siegel empfängt, ist „ d a s L a m m " ü b e r a l l s o n s t in dem g a n z e n U m f a n g von 4,1 — 22,5 vom R. e i n g e t r a g e n und zwar immer in der Unterstellung, daß d a s g e s c h l a c h t e t e L a m m e i n s ist mit dem g e k r e u z i g t e n J e s u s . Sehr oft (z. B. 6,16; 14,10; 15,3; 21,9.19. 22. 23.27; 22,1.3) erscheint es als ganz unnützer Zusatz, blos äußerlich aufgeklebt, so daß es dort überall gestrichen werden kann, ohne eine Lücke zu hinterlassen. Allerdings aber hat der R. von dem „Lamm" ausgiebigen Gebrauch gemacht in den Stücken, die ihm angehören, wie 7,9. 10. 14. 17 in 7,9—17, 12,11, in 12,10—12; 13,8 in 13,8—10; 14,4 in 14,1—5, 17,14 in 17,6—18; 19,7.9 in 19,6—10. Als Stempelmarken für die Christlichkeit erscheinen das „Erkauft mit dem Blute des Lammes" 5,9; 7,14; 12,11; 14,3.4 und der Satz: „dessen Name eingeschrieben ist in dem Lebensbuch des geschlachteten Lammes" 13,8; 17,8; 20,12.18; 21, 27. Daran schließt sich als die bestimmteste Bescheinigung für die Christlichkeit „das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu": 6,9; 12,11.17; 19,10; 20,4. Zweimal hat der R. „die Weltherrschaft Gottes und seines Christus" eingetragen: 11,15 und 12,10. Hierher gehört die Bemerkung: „wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde" 11,8 und der Satz: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, denn sie ruhen von ihren Mühen und ihre Werke folgen ihnen nach" 14,13. Vorstehendes Verzeichnis gewährt uns einen Einblick in die Arbeit des R. Es wird aber doch noch notwendig sein, die Stücke herbeizuziehen, die der R. in sein Werk als sein Eigentum eingefügt hat. Wunderlicherweise hat er das siebente Siegel unterschlagen: Kap. 8,1 'Oiav ^'voi^ev xYjv acppa-^Sa tyjv sß8ö'[ir,v kann es nicht sein. Dazu würde die Pause zu wenig Inhalt geboten haben. Das
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oxav setzt ein voraufgegangenes ots voraus, wie es regelmäßig 6,1.3.5.7.9.12 ote irfvot^sv heißt. 8,1 kann nur heißen: „Nachdem das Lamm das siebente Siegel geöffnet hatte, entstand eine Pause im Himmel etwa eine halbe Stunde lang." Es muß ang e n o m m e n werden, daß es unmittelbar nach den sechs ersten Siegeln 7,1 hieß: xai ots — r¡vot^sv r/jv GcppcqiSa -cf(v spSo'iirjv. Dann ist 7,1—8 das ursprüngliche siebente Siegel, das dann auch einen sehr vollen Inhalt erhält: die 144000 Versiegelten aus allen 12 Stämmen des Volkes Israel. Nach Abschluß der 7 Siegel hat dann der R. 7,9—17 das für ihn sehr wichtige Stück von den unzähligen Erlösten aus allen Nationen und S t ä m m e n und Völkern und Z u n g e n als Gegenbild zu 7,1—8 gebracht. Nachdem der R. die ganze kleine Buchrolle mit seinen Hinzufügungen in die große Buchrolle eingeklammert hatte, setzte er, an die Versiegelten 7,1—8 anknüpfend, ein zweites Stück von 144000 Versiegelten ein 14,1—5. Diese sind hier aber, wie unzweifelhaft aus dem ganzen Wortlaut zu ersehen ist, nicht die Geretteten aus Israel, sondern die Geretteten aus der ganzen Menschheit, die dem Lamm auf dem idealen Zion folgen. Sie sind erkauft von den Menschen, als Erstlingsschaft für Gott und das Lamm*). Darauf ließ er unmittelbar folgen: das ewige Evangelium 14,6.7, den „Fall Babylons" 14,8 als Hinweisung auf Kap. 17 und 18, eine Warnung vor der Anbetung des Tieres 14,9—11, dagegen die Mahnung, die Gebote Gottes und den Glauben Jesu zu halten" 14,12 und zuletzt „Selig die Toten, die in dem Herrn sterben 14,13 — alles in bunter Mischung untereinander. Der Abschnitt 17,6—18, den wir bereits S. 16 und 17 als Eigentum des R. in Anspruch g e n o m m e n haben, ist mit den sieben Kaisern und dem wiederkehrenden Nero in der vom R. hergestellten Apokalypse 4,1—22,5 der Höhepunkt der Darstellung. Hier brechen sich auch die Wogen der Gegensätze auf dem Gebiete der Kritik der neutestamentlichen Apokalypse. „Wir dürfen bei dem achten nicht einfach an den wiederkehrenden Nero, sondern müssen zugleich auch an den nunmehrigen Herrscher, an Domitian, denken, welcher hier als ein überschüssiger achter neben der feststehenden Siebenzahl erscheint, mit dieser letzteren aber, die auf alle Fälle in Geltung bleiben soll, ausgeglichen wird durch die Notiz xal ex twv rätu sativ. Die Weissagung eines Nero redivivus wurde durch jenen PseudoNero veranlaßt, welcher zu Ende der Regierung Vespasians aufgetreten war, dann später unter Titus bei den Parthern Aner*) Bei dem Throne Gottes, den 4 Zoa und den Aeltesten 14,3 gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder hat hier ursprünglich die jüdische Apokalypse, die wir die große Buchrolle genannt haben, die 144 000 Versiegelten nochmals gebracht, sodaß der Thron Gottes, die 4 Zoa und die Aeltesten ihre richtige Zugehörigkeit behaupten, oder aber hat der christliche Redaktor sie sich aus dieser Quelle angeeignet und sie unrechtmäßig hierher gesetzt. Man kann das unentschieden lassen.
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k e n n u n g fand und erst 88 an Domitian ausgeliefert wurde. D e m nach scheint hier die ursprüngliche Vorstellung von dem persönlich wiederkehrenden Nero so umgedeutet vorzuliegen, daß sie zugleich die Schrecken, welche Domitians Regiment für die Christen gebracht hat, mitumfaßt" ( H o l t z m a n n ) . Der Abschnitt 17,6—18 weist darauf hin, daß der R. seine Arbeit z u r Zeit Domitians vollzogen hat. Das ganze Stück Kap. 18 muß durch seine von allen übrigen sich unterscheidende eigentümliche Originalität zu dem Urteil führen, daß es weder der großen noch auch der kleinen Buchrolle zugehört haben, noch auch dem R. zugewiesen werden kann. Wir haben hier ein besonderes F r a g m e n t für sich, das der R. seinem Werk unverändert beigefügt hat. „In Kap. 18 sieht der Seher das Gericht über Rom durch einen furchtbaren Brand sich vollziehen, der so lebhaft geschildert wird, als schwebe dem Verfasser die Erinnerung an das selbsterlebte Schauspiel des neronischen Brandes vor Augen. Besonders interessiert scheint der Seher bei der Zerstörung der großen Warenmagazine der römischen Kaufleute und bei dem J a m m e r der mit ihnen in Geschäftsverkehr stehenden fernen Kaufleute und Rheder. Die Frage drängt sich dabei auf, ob derartige Interessen und Meinungen nicht besser zu einem jüdischen als zu einem christlichen Verfasser passen? Freilich scheint dem V. 20 entgegenzustehen, wo Himmel und Heilige, Apostel und Propheten aufgefordert werden, sich über den Fall Roms zu freuen. Indessen könnten die „Apostel" hier um so eher interpoliert sein, da V. 24 diese fehlen läßt und nur vom Blut der Propheten und Heiligen die Rede ist. Hierbei an den neronischen Christenmord allein oder auch nur vorzugsweise zu denken, ist schon dadurch ausgeschlossen, daß vom Blut aller der auf der Erde Geschlachteten gesagt wird, es sei in Rom gefunden worden. Der Verfasser sieht also in Rom die Anstifterin alles Blutvergießens in der Welt überhaupt, wobei der Gedanke an die zahllosen Opfer des jüdischen Krieges wohl noch näher liegen dürfte als der an die neronische Christenverfolgung" ( P f l e i d e r e r ) . Kap. 20 bildet die unmittelbare Fortsetzung des Vorhergehenden. Aber es erweitert sich der eschatologische Blick. Nicht m e h r Rom und die römische Weltmacht, sondern die satanische Macht in der Welt überhaupt bildet den Gegenstand des Gerichts. Das tausendjährige Reich ist ein ganz neues Moment. Ein Einfluß der beiden Buchrollen ist hier nicht wahrz u n e h m e n . Der R. hat aber hier in seine Darstellung vielfach Reminiszenzen aus dem Vorhergehenden mit einfließen lassen, den Drachen, die beiden Tiere, wobei das zweite Tier 20,10 wie 16,13 und 19,20 als der falsche Prophet bezeichnet wird. In Kap. 21,1—22,5 erscheinen zwei himmlische Jerusalem: 21,1—8, ein neues Jerusalem, das von dem neuen Himmel auf die neue Erde herabkommt, in gemäßigter apokalyptischer Fassung, und 21,9—22,5 ein anderes, das zwar auch vom Himmel
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herabkommt, aber mit höchst wunderlicher Darstellung ausgestattet ist, eine Doublette, die der R. zum Schluß seines Werkes 4 , 1 — 2 2 , 5 so hingestellt hat. Es dürfte vielleicht 2 1 , 1 — 8 ihm ang e h ö r e n , und 2 1 , 9 — 2 2 , 5 als ein ihm z u g e k o m m e n e s F r a g m e n t hier von ihm angeschlossen worden sein, das er auffallend reichlich mit dem „ L a m m " auszufüllen sich entschloß.
Als gesichertes E r g e b n i s unserer Untersuchung dürfen wir feststellen, daß die Offenbarung J o h a n n i s aus verschiedenen B e standteilen, selbständigen, von einander unabhängigen Schriften, die verschiedenen Zeiten ihre Entstehung verdanken, z u s a m m e n gesetzt ist, die für den größten Teil des Ganzen, für 4 , 1 — 2 2 , 5 von einem Redaktor miteinander verbunden, ineinander gearbeitet wurden, wobei dieser aber auch reichlich seine e i g e n e n Zusätze hinzufügte. D e r älteste Bestandteil ist eine jüdische Apokalypse, die Kap. 10 als ßijftapiSwv g e k e n n z e i c h n e t und in den Kap. 1 0 — 1 3 enthalten ist (sodaß sie nirgends sonst g e s u c h t werden darf). S i e umfaßt folgende S t ü c k e : 1 0 , 1 — 1 1 : der S e h e r empfängt von d e m Engel das Biblaridion mit dem Befehl, es zu verschlingen, um daraus s e i n e W e i s s a g u n g e n kundzutun. D i e s e sind 1 1 , 1 — 1 3 : die Heiden werden 4 2 Monate die heilige Stadt zertreten, entweihen, und die zwei Z e u g e n werden in dieser Stadt 1260 T a g e lang weissagen. 1 2 , 1 — 9 : Die Regina Coeli, mit der S o n n e bekleidet, den Mond unter den Füßen, auf dem Haupt das Diadem mit den 12 Sternen, gebiert den (jüdischen) Messias, wird vom Drachen verfolgt, flieht in die Wüste, wo sie an einem von Gott ihr a n g e g e b e n e n Ort 1260 T a g e ihren Schutz findet, während der D r a c h e vom Erzengel Michael überwältigt, aus dem Himmel hinausgeworfen wird; 13,1—7 und 13,11 — 18 die beiden T i e r e : das erste Tier ist der Kaiser G a j u s C a l i g u l a , der am 16. März 37 Kaiser wurde und am 24. J a n u a r 41 ermordet wurde, dem die Macht g e g e b e n war, es zu treiben 4 2 Monate. Die viermal g e g e b e n e Zeitbestimmung entspricht mit apokalyptischer Abrundung der Regierungsdauer des Kaisers G a j u s Caligula, sodaß alle 4 Stücke auf ihn direkt hinweisen. D a s zweite Tier betreibt mit Eifer die Kaiseranbetung und vollendet damit den Greuel der Verwüstung, der sich aufs hellste in 13,1—7 abspiegelt. Die viermalige Zeitbestimmung erweist die e n g s t e Zusammengehörigkeit der 4 Stücke. D i e s e j ü d i s c h e Apokalypse, das Biblaridion, wurde im T o d e s j a h r Caligulas, im J a h r e 41 geschrieben, als die S c h r e c k e n s z e i t Caligulas vorübergegangen war, die Erinnerung daran aber noch alle jüdischen Herzen aufs heftigste bewegte. D e r zweite Bestandteil ist das mit 7 Siegeln versiegelte B u c h Kap. 5 und umfaßte nicht bloß die 7 Siegel, sondern auch die 7 Posaunen und die 7 Zornschalen, aber auch die beiden Erscheinungen des j ü d i s c h e n Messias 1 4 , 1 4 — 2 0 und 19,11 — 18
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und auch die Niederwerfung des römischen Weltreichs, der großen Hure, des Weibes auf scharlachrotem Tier, das auf vielen Wassern sitzt 17,1—5. Auch dieser Bestandteil war eine jüdische Apokalypse. Sie hat ihren Grundstock in den Kap. 4—9. In dieser jüdischen Apokalypse war das wie geschlachtet vor dem Thron Gottes dastehende Lamm mit seinen 7 Hörnern und seinen 7 Augen Kap. 8 das geschlachtete Judentum, die Geschlachteten unter dem Brandopferaltar in Jerusalem 6,9 das von den Römern mißhandelte geschlachtete jüdische Volk, wie die 144000 Versiegelten die Aeltesten aus den 12 Stämmen Israels darstellen. Das erste Siegel 6,1.2 weist hin auf den Partherkönig V o l o g a e s e s , der im Jahre 62 vom Euphrat kommend mit seinen Reiterscharen in das Römische Reich einfiel und den Römern eine empfindliche Niederlage bereitete, und auch Krieg, Hunger und Pest in das Römische Reich brachte. Diese Apokalypse hat ihren e i n h e i t l i c h e n M i t t e l p u n k t im fünften Siegel 6,9.10 in dem Ruf der Geschlachteten: „Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange wirst du noch zögern, zu richten und zu rächen unser Blut an den Bewohnern der Erde?" In dem Gericht erwarteten sie selbstverständlich die Befriedigung ihrer Rache. Die Antwort erfolgt in den sechs ersten Posaunen und den 7 Zornschalen, und dem, was die beiden Messias 14,14 ff. und 19,11 ff. bringen, aber auch in der Unterwerfung Roms 17,1—5. Das ist der Weissagungsinhalt der großen Buchrolle. Diese Apokalypse wurde geschrieben bald nach dem Einfall des Partherkönigs Vologaeses in das Römische Reich im Jahre 62. Als dritter Bestandteil darf noch genannt werden das 18. Kapitel, das Lied über den Untergang Babel-Roms, ein besonderes F r a g m e n t für sich, ebenfalls jüdischen Ursprungs, geschrieben unter dem unmittelbaren Eindruck des von Kaiser N e r o angestifteten Brandes der Stadt Rom. Der R. hat seine Arbeit ausgeführt in der Zeit des Kaisers D o m i t i a n 81—96. Dieser war der Nero redivivus, der überschüssige achte 17,11. Der R. hat die Kap. 12 und 13 durch Einfügung der 7 Häupter und der 10 Hörner mit seiner eigenen Darstellung 17,6—18 in Einklang gebracht, das auf Gajus Caligula Gemünzte in den Kapiteln 10—13 (dem Biblaridion) auf Nero, den Christenmörder übertragen. Seine wichtigsten, für die Beurteilung des Ganzen (in 4,1—22,5) ausschlaggebenden Hinzufügungen sind: 5,9b—14 der Lobgesang auf das geschlachtete Lamm, durch welchen das geschlachtete Lamm mit dem gekreuzigten Jesus identifiziert wurde, 6,9 die Worte: 8id tov \üyj\> toü 9-eoü xai S'.ä tyjv (laptupiav 'Ivjaoö, durch welche die Geschlachteten als die Opfer der Neronischen Christenverfolgung bezeichnet wurden; 7,9—17 Hinzufügung der Erlösten aus der gesamten Menschheit zu den 144000 Versiegelten aus Israel, 11, 8c das Sätzchen: „wo auch ihn Herr gekreuzigt wurde", wodurch die zwei Zeugen zu christlichen Propheten gestempelt wurden;
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12,13—17, w o der Drache nach seiner N i e d e r w e r f u n g durch Michael die christliche G e m e i n d e v e r f o l g t ; 14,1—5, w o die 144000 Versiegelten zu christlichen N a c h f o l g e r n Jesu, des L a m m e s , g e m a c h t werden, 17,6—19 R o m a septicollis, die Stadt der 7 H ü g e l und der 7 Kaiser; 19,6—10 der Jubel im H i m m e l mit der H o c h zeit des L a m m e s und d e m Z e u g n i s Jesu; Kap. 20 das tausendjährige Reich. D i e s e H i n z u f ü g u n g e n durchbrechen den festen, 1 Bestand der jüdischen Unterlagen. D e r R. hat in seiner kompilatorischen Arbeit 4,1—22,5 eine christliche A p o k a l y p s e hergestellt. A l s etwas v ö l l i g Apartes sind die drei ersten Kapitel mit ihrer reich ausgestatteten Christologie und ihrer sehr stark h e r v o r g e h o b e n e n echt christlichen Erwartung der Wiederkunft Christi v o n 4,1—22,5 zu unterscheiden. Die Verschiedenheit zwischen den drei ersten Kapiteln und 4,1 — 22,5 ist so g r o ß und derartig, daß ich mich veranlaßt sehe, dafür einzutreten, daß die drei ersten Kapitel als s e l b s t ä n d i g e , i n s i c h g u t a b g e r u n d e t e S c h r i f t geschrieben wurden, ohne j e g lichen Z u s a m m e n h a n g mit und auch ohne B e z u g n a h m e auf 4,1—22,5. D e r Urheber der sicher hinterher gemachten U e b e r schrift 1,1—3; die den Knecht Johannes in dritter Person einführt, wird erst die unnatürliche V e r b i n d u n g hergestellt haben. D e r Urheber der Ueberschrift ist aber auch der Urheber d e s Schlusses 22,6—20, der mehrfach auf 4,1—22,5 B e z u g nimmt. G e g e n ü b e r der kraftvollen Entschiedenheit aller Ausführungen der drei ersten Kapitel nehmen sich die W i e d e r h o l u n g e n in 22,6—20 merklich malt aus. Nach d e m Gesamtinhalt der drei ersten Kapitel sind sie sehr viel später geschrieben w o r d e n als die jüdischen A p o k a l y p s e n in 4,1-^22,5, etwa in der Zeit T r a j a n s oder gar Hadrians.
mim
Buchdruckerei A . G r e t s c h e r , Jena.